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Inhaltsverzeichnis Vorwort E r s t e s Kapitel Habe ich eine kriminelle Vergangenheit? Zweites Kapitel Showdown auf der Autobahn Drittes Kapitel „Setzt Irving in die nächste Maschine nach London!" Viertes Kapitel Verbrechen und Strafe Fünftes Kapitel Mein Freund, die S t a h l t ü r Sechstes Kapitel Neuer Ärger, Verteidigerwechsel die Gegenoffensive rollt an Siebtes Kapitel Der Untersuchungshäftling führt seine eigenen Untersuchungen fort Achtes Kapitel „Auszeichnung für mein Lebenswerk" Neuntes Kapitel Sie gieren nach Blut Zehntes Kapitel Zu neuen Ufern Personen Verzeichnis
Vorwort Es gibt Traditionen, mit denen endlich gebrochen werden muss. Dazu gehört auch die ebenso alte wie unselige Methode des Umgangs mit Abweichlern, die jetzt dazu führte, dass David Irving sein vorliegendes Buch „Meine Gefängnisse" verfasste. Der Titel lehnt sich bewusst an den Bericht an, den der italienische Schriftsteller und Patriot Silvio Pellico (1789-1854) über seine Haft in österreichischen Gefängnissen schrieb, der 1832 als „Le mie prigioni" erschien und noch heute Italiener zu Tränen rührt. Auch David Irving ist für Meinungen eingesperrt worden Äußerungen von 1989, für die er 2006 verurteilt wurde, und die er aufgrund seiner neuen Erkenntnisse schon lange nicht mehr machen würde. Auch er hat österreichische Gefängnisse kennengelernt. Vor allem den „Hades von Wien", die Justizanstalt Wien-Josefstadt, hat er bis zur Neige ausgekostet. Sein Buch berichtet nicht zuletzt über die Techniken, mit denen sich ein Gefangener von Irvings unerbittlichem Verstand im „Häfn", wie man in Wien sagt, über Wasser hält. Über Augenblicke der Verzweiflung und über seine Hoffnung, über erlittene Rohheit und dankbar empfangene Akte der Menschlichkeit. David Irving nahm als Brite, der nach siebzehn Jahren für eine in Großbritannien und den allermeisten Staaten der Welt zulässige Meinungsäußerung verurteilt worden war, auf dem Gefängnishof eine Sonderstellung ein - keine Frage. Und doch kommt es zum regen Austausch, ja sogar zu etwas wie Freundschaft mit Mitgefangenen, die Irving akzeptiert, wie sie sind. Von seinen präzisen Beobachtungen profitieren wir. David Irving legt schließlich auch den Finger in die Wunde, wenn es um Missstände und unnötige Schikanen geht. Warum sind Betten zu kurz, erhalten Gefangene manchmal nicht einmal die eine Stunde Bewegung am Tag, die ihnen als Minimum zusteht? Was rechtfertigt Überbelegung und Personalmangel? Was soll der Zustand weitgehender Rechtlosigkeit, der nach dem „Einschluss" herrscht? Und das ja nicht nur in österreichischen Gefängnissen, sondern auch in bundesdeutschen, wie der Fall des an einem Wochenende im November 2006 in der Justizvoll7
zugsanstalt Siegburg grausam zu Tode gebrachten 20-jährigen Hermann H. in der schlimmsten denkbaren Weise zeigte. Mag sein, dass derartige Zustände in den Gefängnissen sehr vieler Staaten der Welt anzutreffen sind. Aber das ist nicht der Maßstab. Nicht hier, bei uns, in jenen Landen, die einst Teil des von Wien aus regierten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation waren. Mindestens hier muss für uns doch die Devise gelten, die noch heute am äußeren Burgtor der Hofburg in Wien zu lesen ist: Iustitia regnorum fundamentum. Gerechtigkeit ist das Fundament der Staaten. Gerhard Frey
Eine Tradition, mit der endlich gebrochen werden muss. Galileo Galilei im Kerker. Gemälde von Carl Theodor von Piloty, 1861.
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I. Habe ich eine kriminelle Vergangenheit? Sprich die Wahrheit und beschäme den Teufel! Das war eine der Redensarten meiner Mutter, die sie in meinem Fall recht häufig benutzte. So möchte ich mir dies zuerst von der Seele reden: Ich habe gewissermaßen eine kriminelle Vergangenheit. Gut, nicht im eigentlichen Sinne. Nicht nach britischen Maßstäben. Hier kommt meine Geschichte. Im November 1989 bereiste ich Österreich. Von den zehn öffentlichen Vortragsveranstaltungen waren acht wie gewöhnlich verlaufen. Ich sprach über die Geschichte des Zweiten Weltkriegs, worüber mein Wissen „unvergleichlich" ist, um die überaus großmütigen Worte aufzugreifen, die Richter Charles Gray zehn Jahre später in dem von mir in London gegen Deborah Lipstadt angestrengten Verleumdungsprozess über mich sagen sollte. Doch ich beging einen Fehler. Trial and Error, Versuch und Irrtum, sind in der Wissenschaft eine anerkannte Methode, ohne die es keinen Erkenntnisfortschritt gäbe. Trotzdem verhaftete mich viele Jahre später die österreichische Regierung unter großem internationalen Aufsehen wegen dem, was ich 1989 gesagt hatte, und man verurteilte mich 2006 aufgrund des einzigartigen österreichischen Verbotsgesetzes zu drei Jahren Gefängnis. „Spätestens seit der Festnahme David Irvings wird wieder über das Verbotsgesetz diskutiert ... Andere Länder kennen diese Art von Gesetz nicht", meinte selbst der Österreichische Rundfunk (ORF).
erlangte, ordnete es an, meine Bücher aus den Regalen zu nehmen. Man verbrannte sie. Man versuche, das Nazi-Image abzuschütteln, hieß es in den Zeitungen - und das ist auch richtig so, waren doch Kommandanten von Todeslagern wie Treblinka oder Sobibor Österreicher wie der Gestapochef Ernst Kaltenbrunner und Herr Hitler selbst auch. Aber war es dann richtig, mich, einen nonkonformistischen britischen Historiker, einzusperren? 1979, England. Und so schrieb ich viele der folgenden Seiten als leicht erstaunter, aber nicht undankbarer Gast der österreichischen Regierung in Einzelhaft in einem grimmigen, von Steinmauern umgebenen Gebäude, völlig von der Außenwelt abgeschlossen, lange ohne Zeitungen, Radio oder Fernsehen und auch mit dem Verbot telefonischen Kontakts. Die Zeit war für mich plötzlich stillgestanden, jäh unterbrochen am 11. November 2005. Dies hat mich unerwartet in die Lage versetzt, in dem kurzen Lauf des Menschen durch die Zeit, diesem Augenzwinkern einer Mücke, das man das Leben nennt, innezuhalten und die Dinge, die mir zustießen, zu betrachten.
Es ist schon seltsam: In den österreichischen Gefängnisbibliotheken fanden sich viele meiner Bücher, die an andere Gefangene zum Lesen ausgeliehen wurden, einschließlich meiner Hitler-Biografie. Als sie darauf aufmerksam wurden, baten mich Beamte der Justizanstalt Graz-Jakomini, die Bücher zu signieren. Nachdem das Justizministerium in Wien davon Kenntnis 10 11
IL Showdown auf der Autobahn „Padfield, Pinkerton, Porteous, Ransome, Rawlings, Sandiford, Siebert, Sibthorpe, Taylor..." Schon vor Günter Grass' Erinnerungsbuch hatte sich mir die Ansicht aufgedrängt, dass das Gedächtnis des Menschen einer Zwiebel ähnlich ist. Sobald man eine Haut abgeschält hat, begreift man, dass es darunter eine weitere mit vergessenen Erinnerungen gibt. Ich liege auf meiner 60 Zentimeter breiten Bettstelle in der Zelle 19 des Trakts C im berüchtigten „Landl" - dem trostlosen Gefängnis in der Josefstadt, das in den Jahren 1832-1839 im Zentrum Wiens erbaut wurde. Ein Hausarbeiter (so heißen die in den Justizanstalten mit Reinigungstätigkeiten betrauten Häftlinge) säubert den mit Fliesen bedeckten Korridor auf der anderen Seite der 15 Zentimeter dicken Tür und verursacht dabei schwache Geräusche. Die Tür ähnelt der eines Tresorraums und trennt mich von der Außenwelt. Plötzlich erinnere ich mich an die nächste Tranche von Namen auf der Klassenliste der Brentwood-Schule, die ich vor fast sechzig Jahren besucht hatte. In meinem Gedächtnis habe ich auch noch die dazugehörigen Gesichter. Es muss drei Uhr morgens sein. Ich habe weder Wecker noch Armbanduhr, weder Radio noch Fernsehen, anhand derer ich die Zeit feststellen könnte. Nur leere Wände umgeben mich, mit einigen Schnappschüssen meiner Kinder. Viele Wochen sind bereits vergangen, seit ich am 11. November 2005 für einen zweitägigen Aufenthalt in Österreich angekommen war, um vor einer Wiener Studentenverbindung — der traditionsreichen Burschenschaft „Olympia" - einen Vortrag über die geheime Überwachung der Verhandlungen Joel Brands mit Adolf Eichmann durch den britischen Nachrichtendienst und unsere Codeknacker zu halten. Die Hauptverhandlung sollte am 20. Februar 2006 im Großen Schwurgerichtssaal des Straflandesgerichts Wien stattfinden diese Räumlichkeit war gewählt worden, um den Medienauflauf bewältigen zu können. 12
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Abgesehen von drei Besuchen in den Jahren 1991, 1992 und 1993, die alle nur wenige Stunden dauerten, war ich seit 1989 nicht in Österreich gewesen. Für die Äußerung in der Alpenrepublik gesetzwidriger Meinungen über die Geschichte des Zweiten Weltkriegs während meines Österreich-Aufenthalts vor inzwischen bald siebzehn Jahren wollte man mich nun aburteilen. Ja, ich hätte bei der Konsensansicht bleiben sollen. Jeder sagte das; der Richter, die Geschworenen, die österreichische und die bundesdeutsche Presse; sogar mein eigener Verteidiger Dr. Elmar Kresbach sagte es. Dann hätte ich nicht so wie jetzt im Gefängnis geschmachtet. Es war gänzlich meine eigene Schuld. „Aber jetzt sind Sie unbestreitbar ein Märtyrer", versuchte Dr. Kresbach mich zu trösten, während er sein Gesicht in das aalglatte Lächeln eines Wiener Rechtsanwalts faltete und auf das flächendeckende internationale Medieninteresse hinwies, das er für sich sogar in Nordkorea, Iran und Russland erobert hatte. „Das war nicht meine Absicht", sagte ich verbittert. „Ich wollte lediglich einen Vortrag vor jenen Studenten halten und wieder heimkehren." *
Bevor ich mich im November 2005 in meinem Mietwagen auf den Weg zum Heathrow-Flughafen machte, hatte ich Jessica, 11 Jahre, auf ihren Schulweg zur U-Bahn-Station St. James gebracht. Ob ich ahnte, dass viele Monde vergehen würden, bevor ich sie und Bente wiedersehen würde? Immerhin hatte ich mein Tagebuch mit meinem Laptop in London zurückgelassen, ehe ich nach Basel in die Westschweiz flog. Vom Flughafen aus rief ich meinen guten Freund, den Dramatiker Rolf Hochhuth an, aber da dieser in Berlin weilte, kam ein Mittagessen mit ihm nicht infrage. Nach dem Tod seiner Frau habe er gerade Basel verlassen, sagte er. Er klang sehr niedergeschlagen. Ich mietete einen Wagen und fuhr die ganze Nacht hindurch in östlicher Richtung über Zürich nach Österreich. Ich hatte mich dafür entschieden, keinen Direktflug nach Wien zu riskieren, denn ich empfand Österreich als einen Polizeistaat. Dies 13
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Jessica am 13. Januar 2003 vor ihrer Schule.
Mit meiner zweiten Frau Bente und unserer Tochter Jessica im November 1995. 14
Mit Rolf Hochhuth (links) und Robert David MacDonald im Mai 1976. Hochhuth hatte mit seinem Stück „Der Stellvertreter" und anderen sozialkritischen Werken Aufsehen erregt und galt als Linksintellektueller. Er wurde mein enger Freund und setzte sich in seinen weiteren Werken unter anderem auch kritisch mit dem alliierten Bombenterror auseinander.
nicht zuletzt wegen der „Staatspolizei", die sich mit Geheimdiensten der Vergangenheit, die uns Historikern bestens vertraut sind, messen kann. Offiziell heißt sie heute „Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung", aber das Kürzel Stapo wurde man damit nicht los. Nach neunhundert Kilometern Fahrt kam ich gegen acht Uhr morgens in Wien an. Sobald es der Anstand erlaubte, rief ich vom Westbahnhof aus meinen Gastgeber an, den Studenten Christopher V. „Rendezvous A", sagte ich, ohne meinen Namen zu nennen. „In einer Stunde von jetzt an." Wir hatten die Einzelheiten zuvor festgelegt. Eine solche Sicherheitsmaßnahme war notwendig. Während meines letzten Vortrags am 6. November 1989 in Wien hatten zionistische, kommunistische und linksextreme Organisationen fünftausend Demonstranten auf die Straßen der Hauptstadt gebracht. Fünf15
hundert Einsatzkräfte des Überfallkommandos der Polizei hatten das große Parkhotel Schönbrunn mit einer stählernen Absperrung umgeben müssen. Das Treffen mit Christopher sollte in der Schalterhalle des Westbahnhofs stattfinden. Das war nicht ideal, denn die Halle ist riesig. Sie hat aber eine lange Empore, auf der ich mich postierte und nach Anzeichen für Schwierigkeiten Ausschau hielt - etwa einzelne aufgerollte Fahnen oder eine Ansammlung ungewaschener Erscheinungen. Ich wusste, nach welchen Indikatoren ich Ausschau zu halten hatte. Fünf Minuten nach dem vereinbarten Zeitpunkt schlenderte ich nach draußen, um zu überprüfen, ob sich irgendjemand um das Auto herumschlich. Ein junger Mann, vielleicht Mitte zwanzig, kam aus dem Bahnhof heraus. Unsere Blicke trafen sich. Ich deutete mit dem Kopf in die Richtung des Autos, und mit ihm am Steuer fuhren wir den Ring hinunter. Ich wollte ihn überprüfen, bevor wir weitergingen. „Lassen Sie uns einen Kaffee im ,Cafe Landtmann' trinken", schlug ich ihm vor, da mich die Nostalgie überkam. Dort war ich 1984 während einer Pressekonferenz auf Anweisung des damaligen Innenministers Karl Blecha zum ersten Mal festgenommen worden. Später wurde mir eine Entschädigung zugesprochen. Es schien erst gestern gewesen zu sein. „Sie sprechen um sechs Uhr", sagte der Student. Er stimmte meinem Wunsch zu, mich vorher für drei oder vier Stunden in dem Gebäude der Burschenschaft auszuruhen. In der Annahme, dass die Veranstaltung möglicherweise platzen könnte, bat ich ihn, einen Schnappschuss von mir unter dem Baldachin des „Cafe Landtmann" zu machen - als Beweis dafür, dass ich in Wien gewesen war. Mit Sicherheit würde es einige Leute daheim in London ärgern. Der „Board of Deputies of British Jews" (Abgeordnetenausschuss britischer Juden) hatte im Juni 1992 der österreichischen Regierung geschrieben, dass man wegen meines jüngsten Besuches in Österreich wütend sei und dass man beim nächsten Mal meine sofortige Verhaftung fordere. Ich hatte eine Kopie dieses Briefs während eines Gerichtsprozesses gegen niemand Geringeren als den Premierminister Australiens erhalten. Sonderbar, was alles ans Tageslicht kommt, 16
Am Goethedenkmal am Wiener Opernring, aufgenommen am Nachmittag des 11. November 2005 - wenige Stunden vor meiner Festnahme. 1828 hatte Goethe die Ansicht vertreten: „Und denn, man muss das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird, und zwar nicht von einzelnen, sondern von der Masse, in Zeitungen und Enzyklopädien, auf Schulen und Universitäten, überall ist der Irrtum obenauf, und es ist ihm wohl und behaglich, im Gefühl der Majorität, die auf seiner Seite ist." (Eckermann, Gespräch mit Goethe)
das lange verborgen geblieben war. Selbstverständlich liegt aber keine internationale Verschwörung zugrunde; dies wurde ja auch stets bestritten. Während er seinen Zitronentee im „Cafe Landtmann" austrank, nahm Christopher - er studierte übrigens Jura - sein Mobiltelefon heraus, das man hier in Österreich in der typisch deutschen Manie für falsches Englisch „Handy" nennt. Er sagte zu mir: „Ich sage Bescheid, dass Sie gleich für ein Nickerchen vorbeischauen werden." Ich war beunruhigt. Mensch, dachte ich, warum anrufen? Mit einem Mobiltelefon? Ob das gut geht? 17
Er erwarte zweihundert bis dreihundert Zuhörer, sagte er. „Glauben Sie, dass es sicher ist?", fragte ich, worauf er nickte: „Unsere Leute sind verschwiegen." *
Es vergingen vielleicht fünfundzwanzig Minuten zwischen seinem Telefonat und unserer Ankunft vor dem Gebäude. Wir stellten das Auto zwei Blöcke davon entfernt ab. Mein Instinkt ließ mich vorausdenken. „Gibt es einen Hinterausgang?", fragte ich. Er schüttelte den Kopf. Das war nicht gut. Mir immer noch vergegenwärtigend, was schief gehen könnte, überließ ich ihm die Autoschlüssel. Gewalttaten linker Extremisten und entsprechende Schäden am Auto ins Kalkül ziehend sagte ich: „Fahren Sie weg, falls wir getrennt werden. Ich werde Sie später anrufen." Wir bogen um die letzte Ecke. Ich sah, wie sich drei stämmige Kerle auf der anderen Seite der ansonsten leeren Straße gegenüber dem Eingang von der Mauer lösten. Phrasen von Raymond Chandler blitzten durch mein Gehirn. Was hätte Philip Marlowe getan? Sie waren schwer einzuschätzen. Anfang vierzig, Stoppelbart, wetterfeste Jacken. Es gab etwas an ihnen, das mich an jene mit Baseballschlägern Bewaffneten erinnerte, die im September 2000 mein Mittagessen in Chicago zerschlugen. Nach einem Moment des Zögerns überquerten sie die Straße diagonal in unsere Richtung. Keine Notiz von ihnen nehmend, gingen wir direkt durch die Gruppe hindurch. „Mahlzeit", sagte einer. Ich nickte höflich und murmelte zu meinem Begleiter: „Lassen Sie uns dort in die Kneipe an der Ecke schauen." „Zu spät", sagte Christopher, während er die Autoschlüssel heimlich in meine Hand gleiten ließ. „Sie verfolgen uns. Ich erkenne einen von ihnen. Staatspolizei!" Ich bezweifelte es. Wie konnte er die Stapo vom Sehen her kennen? Dies war nicht die Zeit für einen großen Abschied. Wir trennten uns an der Ecke. Da ich für kurze Zeit außer Sicht war, beschleunigte ich meinen Schritt. Das Auto, ein Ford Focus, stand hinter der nächsten Ecke. Einer der Männer folgte mir im Abstand von knapp hundert Metern; zwei jagten Christopher. 18
Hinter der letzten Ecke beschleunigte ich wieder den Schritt, während ich flott in der Straßenmitte ging. Ich drückte die Fernsteuerung und vernahm das dumpfe Geräusch der aufschließenden Autotüren. Ich riss die rechte Vordertür auf, stieg hinein und schloss die Tür. Der Typ war achtzig Meter entfernt und hatte inzwischen begonnen zu traben. Was wäre, wenn er eine Schusswaffe herausholen würde? Meine Hände greifen nach dem Steuer - es ist nicht dort, wo ich es erwartet hatte. Das ist kein britisches Auto - und ich sitze auf der falschen Seite. Jessas, werde ich allmählich senil oder bin ich nur erschöpft? Es ist zu eng, um auf die andere Seite zu klettern. Fünfundvierzig Meter. Ich springe hinaus und eile so lässig wie unter diesen Umständen möglich auf die andere Seite. Der Motor startet sofort beim Umdrehen des Schlüssels, während der Mann erst zwanzig und dann zehn Meter entfernt ist. Aber da bin ich bereits am Abfahren und die Räder schlittern über den Kies. Ich werfe einen kurzen Blick in den Spiegel - und was ich sehe, ist nicht erfreulich: Er hat einen Notizblock in seiner Hand und ist am Schreiben. Also ist er tatsächlich von der Staatspolizei, wie Christopher gesagt hatte. Ein israelischer Journalist erfuhr später von seinen Kontaktpersonen, dass ein hochrangiges älteres „01ympia"-Mitglied der Polizei den entscheidenden Hinweis gegeben haben soll - in früheren Zeiten wäre das ein Grund gewesen, Satisfaktion mit der Waffe zu fordern. *
So war ich auf der Flucht vor der Geheimpolizei, und das in Wien. Es war kein glücklicher Moment. Ich bin gewissenhaft und hatte bisher kein Publikum sitzen lassen. Im Gefängnishof erzählten alte Gauner mir später: „Dave, zu diesem Zeitpunkt hättest du das Auto stehen lassen sollen." Das war einfach gesagt. Denn ich hatte nur vierzig Euro bei mir; die Studenten schuldeten mir viele Ausgaben, hatten aber nicht die Zeit gehabt, mich zu bezahlen. Vierzig Mäuse würden mich nicht weit bringen. Ich blieb also im Auto, aber beeilte mich. Um die nächsten vier Ecken fuhr ich auf zwei Rädern. Es würde leicht sein, in Wien 19
unterzutauchen. Die Harry-Lime-Melodie aus „Der dritte Mann" ging mir nicht aus dem Sinn. Ich wollte die Distanz zwischen mir und jenen stämmigen, kräftigen Herren halten, weil sie in diesem Szenario bestimmt nicht die Guten waren. Ich parkte am Ort des ersten Treffens und rief Christopher an. „Können wir uns in einer Stunde treffen", schlug ich vor, „an der Stelle wo Sie das Foto geknipst haben?" „Ich glaube nicht, dass das ratsam wäre", sagte er mit einer angespannten Stimme. „Sie können nicht sprechen?" „Nein." Es gab mir Rätsel auf, warum man ihn im Gewahrsam der Staatspolizei das Mobiltelefon, das „Handy", behalten ließ. Die unpassende Bezeichnung irritierte mich nun noch mehr. Das englische Adjektiv „handy" bedeutet: praktisch. Praktisch für wen? Also nichts wie heim und aufs Gas gestiegen. Via Basel nach London, ohne Zwischenstationen. Ich ging davon aus, dass alle Routen nach Westen überwacht würden, wenn sie mich tatsächlich suchten. Aber war dies nicht nach sechzehn Jahren fast schon unwahrscheinlich? In einer der viel gerühmten freiheitlichen Demokratien? Ich kaufte einen Straßenatlas, prüfte die Schnellstraßen und stellte fest, dass ich noch rechtzeitig für meinen Rückflug am nächsten Tag in Basel sein könnte, wenn ich ohne Pause in südlicher Richtung, dann westwärts durch Italien und dann nach Norden führe. Wobei dieser Umweg der normalerweise 900 Kilometer langen Reise Hunderte zusätzliche Kilometer hinzufügen würde. Sei's drum. Es war für den „Dritten Mann" an der Zeit, die Flucht vor Österreichs neuer Stapo anzutreten. Ich wartete, bis es dunkel wurde und der Feierabendverkehr die Wiener Ringstraße füllte. Ich glaubte, es schaffen zu können. Rauf auf die A2, die Südautobahn nach Italien. Ich war froh, dass ich selbst kein Mobiltelefon bei mir hatte; die Geräte lassen sich problemlos auf wenige Meter genau orten — und das nicht nur von Behörden. Ich trat aufs Gaspedal und stellte den Kassettenrekorder auf den Sitz neben mir, damit ich in den nächsten Stunden diktieren konnte. Während ich die Lichter Wiens zurückließ, ging mir auch das Harry-Lime-Thema allmählich aus dem Sinn. 20
Nach ungefähr einer Stunde fiel mein Blick auf das Armaturenbrett. „SIE SIND AUF DER A2, 140 KM SÜDLICH VON WIEN", teilte das Navigationssystem mir mit - wem denn sonst noch, fragte ich mich plötzlich. Das verräterische Instrument ließ sich während der Fahrt nicht ausschalten. Die Vernunft sagte mir, dass es doch ein schweizerisches Auto war - und die Stapo waren Österreicher. Nach einer weiteren Stunde reduzierte ich das Tempo auf 110 Stundenkilometer. Da bemerkte ich ein Stück vor mir ein Polizeiauto. Die Beamten hatten es offensichtlich nicht eilig. Nach einer weiteren Stunde tauchte ein zweites Polizeiauto in meinem Rückspiegel auf. Ich war entsprechend beunruhigt. Beide Fahrzeuge hielten genau meine Geschwindigkeit ein, egal ob ich verlangsamte oder wieder Gas gab. Schließlich keilten sie mich ein, bremsten ihre Fahrzeuge ab und brachten mich so auf der Standspur in einer Wolke von Staub und Kies zum Halten. Ein einfaches „Bitte folgen!" hätte auch gereicht. Während Zentimeter von mir entfernt die anderen Autos weiter in die Dunkelheit brausten, sprangen acht hysterisch schreiende uniformierte Polizisten heraus und liefen in meine Richtung. Ich hasse Unannehmlichkeiten. Ich griff nach dem Kassettenrekorder, der auf dem Beifahrersitz metallen glitzerte. Polizisten hämmerten mit Fäusten auf den Ford und richteten Pistolen, Marke Glock, im Kaliber neun Millimeter auf mich. Ich empfand das als äußerst ungesittet. Der Rekorder glitt aus meinen kraftlosen Fingern - so hätte es Chandler ausgedrückt. Mir war nun klar, dass ich London, Bente und Jessica so bald nicht mehr wiedersehen würde.
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III. „Setzt Irving in die nächste Maschine nach London!" Eine Woche lang wurde ich in der Justizanstalt Jakomini festgehalten, die eines von zwei Gefängnissen in Graz ist. Unter erfahrenen Häftlingen - die ihre Erlebnisse auf dem Gefängnishof vergleichen, als ob es sich um Hotels in einem Ferienort handele - genießt die andere Justizanstalt, Graz-Karlau, ein hohes Ansehen. Nicht so Graz-Jakomini. Der ursprünglich zur Begründung meiner Festnahme angegebene Vorwurf, das Auto sei gestohlen gemeldet, wurde nahtlos ersetzt durch angebliche Verstöße gegen das Verbotsgesetz, die ich vor mehr als sechzehn Jahren, im Jahr 1989, begangen haben soll. Grund für den Haftbefehl war der Vorwurf, ich hätte gegen § 3g des Gesetzes verstoßen. Die Urfassung des Verbotsgesetzes datiert vom 8. Mai 1945 und galt zunächst nur für die sowjetische Besatzungszone. 1946 trat dieses einzigartige Gesetz auch in den anderen Zonen in Kraft. 1947 wurde der Paragraf 3, also die „Betätigung im nationalsozialistischen Sinn", im Volksmund „Wiederbetätigung" genannt, in sieben Unterparagrafen aufgespalten. In den sechs Jahrzehnten seit der Einführung des Verbotsgesetzes sind mehr als zweitausend Haftstrafen gegen jene erlassen worden, die sich im Netz seiner Vorschriften verfangen haben, obwohl doch ein Wiederaufleben des Nationalsozialismus offensichtlich ausgeschlossen ist. § 3g, der nun gegen mich angewendet werden sollte, ist die umstrittenste Bestimmung in diesem Gesetz. Sie lautet: Wer sich auf andere als die in den §§ 3a bis 3f bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, wird, sofern die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung strenger strafbar ist, mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren, bei besonderer Gefährlichkeit des Täters oder der Betätigung bis zu 20 Jahren bestraft. Entspricht diese Vorschrift dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz? Woher sollte ich als Brite, als Ausländer 1989 22
wissen, dass meine damalige Meinung zu bestimmten historischen Geschehnissen in Österreich als Straftat eingestuft werden könnte? Dem § 3g des Verbotsgesetzes ließ sich dies angesichts der Vagheit des Tatbestands jedenfalls nicht entnehmen! In der „Rechtsbelehrung", die die Geschworenen in Strafverfahren nach dem Verbotsgesetz erhalten, wird unumwunden eingeräumt, dass dieses Gesetz „insbesondere in § 3g recht unbestimmt" ist. Immerhin hatte ein namhafter Strafrechtslehrer, Professor Dr. Theodor Rittler (1876-1967), über den § 3g Verbotsgesetz in seinem „Lehrbuch des österreichischen Strafrechts" geschrieben: Ein Strafgesetz von größter Unbestimmtheit und uferloser Weite, man kann sagen: Ohne Tatbild. Alle rechtsstaatlichen Garantien fehlen. Dazu die drakonische Härte der Strafdrohung. 1992 wurde ein neuer § 3h in das österreichische Verbotsgesetz eingefügt: Nach § 3g wird auch bestraft, wer in einem Druckwerk, im Rundfunk oder in einem anderen Medium oder wer sonst öffentlich auf eine Weise, dass es vielen Menschen zugänglich wird, den nationalsozialistischen Völkermord oder andere nationalsozialistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost, gutheißt oder zu rechtfertigen sucht. Da ich die mir vorgeworfenen Äußerungen aber schon 1989 gemacht hatte, als § 3h noch nicht existierte, brachte man den gummiartigen § 3g des Verbotsgesetzes gegen mich in Stellung. Meine Festnahme führte nun rasch zu einer öffentlichen Debatte über das Verbotsgesetz. Christian Ortner forderte in der Tageszeitung Die Presse die Abschaffung gleich des ganzen Gesetzes, nicht nur der Paragrafen 3g und 3h. „Presse"-Chefredakteur Michael Fleischhacker, Lord Dahrendorf und der Grazer Soziologe Christian Fleck äußerten sich ähnlich kritisch. Letzter meinte: Auch wenn ich nicht um Rat gefragt wurde, erlaube ich mir zu empfehlen, Mr. Irving zum Flughafen zu eskortieren und in die nächste Maschine nach London zu setzen und den Fall damit zu beenden, bevor er größeren Schaden anrichten kann .... Irvings Verbrechen ist nämlich trotz allem ein Meinungsdelikt und als solches kaum geeignet, die Gefahr einer Wiederbegründung der NSDAP zu provozieren, derentwegen er nun in Wien in U-Haft 23
sitzt ... Ein Rechtssystem kann seine Autorität auch dadurch aufs Spiel setzen, dass es zu viele oder zu belanglose Vergehen unter Strafe stellt oder verfolgt...
Das Gefängnispersonal in der Justizanstalt Graz-Jakomini war wegen des Neuankömmlings in höchster Verlegenheit. Es dauerte ein oder zwei Tage, bis der Groschen gefallen war. Am zweiten oder dritten Tag klopften mehrere Wärter an meine Zellentür, schlössen sie auf und brachten meine Werke aus ihrem Privatbesitz mit, um sie von mir eigenhändig signieren zu lassen. In Deutschland und Österreich habe ich wahrscheinlich zwei Millionen Bücher verkauft, darunter die 67.000 Exemplare der gebundenen Ausgabe von Rommel, eine Biographie, die 1978 im Verlag Hoffmann und Campe erschienen war. Auch in der Gefängnisbibliothek standen einige meiner Bücher - ich erinnere mich daran, Hitlers Krieg. Die Siege 1939-1942 (Her-
The Trail of the Fox. Die Rommel-Biographie.
Hitler's War (Hitlers Krieg).
big, 1985) und Schlacht im Eismeer (Bertelsmann, 1982) gesehen zu haben. Am dritten oder vierten Tag meiner Inhaftierung brachte eine Art Delegation alle vier von mir geschriebenen Werke aus der Gefängnisbücherei und bat mich, diese ebenfalls zu signieren. Das Justizsystem war weniger entgegenkommend. Meine Bitten, mit einem Rechtsanwalt oder mit Bente in London zu sprechen, blieben erfolglos. Sechs Wochen würden vorübergehen, bevor ich von Wien aus meine Familie anrufen konnte. Die Illegalität war offensichtlich. Ich blieb stoisch. Für Bente war es viel schwieriger. In London befürchtete man, dass ich tot sei. Als ich nicht rechtzeitig zurückkehrte, riefen Bente und ihre Freunde die Botschaften, die Polizei, die Krankenhäuser und die Autovermietungsfirmen an. Aber niemand wusste, was mit mir geschehen war. Meine Inhaftierung erinnerte an eine Nacht-und-Nebel-Aktion. Ich war einfach verschwunden. Bente war nicht in der Lage, mit mir Kontakt aufzunehmen, um auf Bankkonten und Schließsystem-Kennwörter zugreifen zu können. Es sollte nicht lange dauern, bis wir durch meine Haft Wohnung und Besitz verloren. Dreimal täglich wurde die Luke in der Tür aufgeknallt und ein Teller mit fünf aufgestapelten Scheiben Schwarzbrot durchgereicht. Mittags gab es eine Schüssel mit Suppe und einen Becher mit rosafarbenem Früchtetee, den ich - durch und durch Engländer - sofort in die Toilette goss. Ich erkrankte schwer. Anfangs teilte ich mein Zimmer mit einem rumänischen Telefondieb - j e t z t wusste ich, warum es so lange gedauert hatte, am Morgen meiner Ankunft in Wien ein funktionierendes Telefon zu finden ... Dieser Zimmergenosse war in einer schlechten psychischen Verfassung. Er bat mich auf Spanisch, für ihn einen Brief in deutscher Sprache zu schreiben. Darin teilte er mit, dass er darüber nachdenke, sich selbst zu töten. Er scherzte nicht. Ich lieh mir in der Bibliothek drei Bücher aus dem mehrbändigen Zyklus des englischen Schriftstellers Cecil Scott Forester um den Seehelden Kapitän Horatio Hornblower. Damit begann 25
eine ein Jahr dauernde Leseorgie, während derer ich über hundert Bücher verschlang. Sie wurde durch den Umstand begünstigt, dass mir für einen Zeitraum von sechs Monaten Radio, Fernsehen und Zeitungen vorenthalten wurden. Ich holte das Lesen aller Bücher nach, die ich schon in meiner Jugend hätte lesen sollen: Hornblower in Westindien - jetzt wurde mir klar, was an dieser erfundenen Romanfigur Winston Churchill berauscht hatte. Ich entdeckte die Werke der britischen Schriftsteller Pelham Grenville Wodehouse und Graham Greene. Als die Bücher zur Neige gingen, las ich die vollständige Sherlock-Holmes-Ausgabe des schottischen Schriftstellers Sir Arthur Conan Doyle gleich zweimal. Ich machte es mir zur Aufgabe nachzuzählen, wie oft Holmes wirklich den berühmten Ausspruch „Elementar, mein lieber Watson" gegenüber seinem stets geduldigen Weggefährten gebraucht hatte. Die überraschende Antwort: Nicht ein einziges Mal, also muss dieser Ausdruck anderweit entstanden sein. Sogar das Adjektiv „elementar" kommt nur einmal vor. Ich kam zu der Schlussfolgerung, dass wir offensichtlich nicht alles glauben können, was uns erzählt wird. Aber wem konnte ich von diesen Entdeckungen erzählen? Der Rumäne wurde verlegt, weil er selbstmordgefährdet war. Nun war ich allein. Zwei Stunden nachdem er weggeführt worden war, fand ich in seinem leeren Spind ein aus zerrissenen Tüchern zusammengeknotetes Tau, das an einem Ende eine Schlinge hatte. Herzlich willkommen in der Justizanstalt Graz-Jakomini! Das war also der andere Weg in die Freiheit, und ich fragte mich, was Männer dazu trieb, diesen Schritt zu tun.
Wie ich bald erfahren sollte, war es im Gefängnis in Wien nicht besser. Dort gab es ziemlich viele Selbstmorde, auch wenn die Zeitungen davon nichts berichteten: Zwei Gefangene erhängten sich in den letzten zwei Wochen meines Aufenthalts in unserem Trakt; wahrscheinlich waren es Neulinge, denn in den ersten beiden Wochen ist die Verzweiflung am schlimmsten. Der ganze Trakt wurde gesperrt, der Hofgang gestrichen, so dass niemand erfahren konnte, was geschehen war. 26
„Tun Sie es nicht, Dave", ermahnte mich noch am Tag meines Transfers nach Wien ziemlich überflüssigerweise ein gewisser Bernhard, der wegen bewaffneten Autoraubs sieben Jahre absitzen musste, weil sein Mittäter, ein Jugoslawe, eine Waffe bei sich hatte. „Es beeindruckt niemanden, manche lachen sogar darüber." Ich hatte nicht die Absicht, es zu tun. Ich entschied mich im Gegenteil, die Sache so zu sehen: Das Gefängnispersonal sperrte die ganze Außenwelt freundlicherweise für mich aus; spitz bedankte ich mich jedes Mal, wenn sie die Tür schlössen. Wenn sie manchmal trödelten, bat ich sie, mir doch den Gefallen zu tun. Ich hatte mich selbst unter Kontrolle. Mancher hätte wohl den Verstand verloren, aber ich war dagegen, wie ich feststellte, glücklicherweise gefeit. Viele Häftlinge gehörten nach meinem Eindruck eher in eine psychiatrische Einrichtung als ins Gefängnis. Ein alter Mann fiel dadurch auf, dass er im Uhrzeigersinn auf dem Gefängnishof herumging - obwohl im Gefängnis alle Gefangenen nur gegen den Uhrzeigersinn spazieren dürfen. Oder er stand in einer Ecke mit gebeugtem Kopf wie ein kleiner Junge, der bestraft wird. Manchmal ging er auch gebückt herum und kratzte durchnässte Zigarettenkippen vom lehmigen Boden. Ich betrachtete diese mir ganz neue Welt, diese versunkene Welt, diese Welt hinter Stahltüren und Gitterstäben in derselben Weise, wie der französische Meereskundler und Filmemacher Jacques Cousteau einen bis dahin unbekannten Meeresboden begutachtet hätte. Mir wurde klar, dass ich die Monate, vielleicht sogar Jahre damit verbringen würde, diesen Mikrokosmos zu erforschen und jede Einzelheit der „Fauna" aufzunehmen. Flora gab es ja keine, außer ein Löwenzahnpflänzchen, das ich auf dem Gefängnishof fand und pflückte, bevor es von einer schlurfenden Schar von Gefangenen aus Osteuropa oder dem Balkan zertrampelt werden konnte. Die Blüte entließ ich mit einem Brief in die Außenwelt. „Wenn Du draußen bist, siehst Du sie alle in den Zeitungen", philosophierte Bernhard, der im Grunde ganz sympathisch war. „Aber nur für wenige Wochen: Mörder, Bankräuber, Straßenräuber und Drogendealer. Dann wird ihnen der Prozess gemacht, 27
sie verschwinden und man hört nichts mehr von ihnen." Er zögerte eine Weile, während er wieder eine seiner widerlichen Zigaretten rollte, und sagte dann mit gesenkter Stimme, die von der ganzen Dramatik überwältigt war: „Sie sind alle hier, Dave, sie sind hier!" * Glücklicherweise hatte der britische Konsul eine Mitarbeiterin geschickt, mich in Jakomini zu besuchen. Botschaften haben einen sehr beschränkten Handlungsspielraum. Immerhin, ich bat die Dame, Bente anzurufen. „Was soll ich ausrichten?" „Ich denke, dass Kopenhagen eine gute Idee wäre." Bente ist Dänin, wie auch meine fünfte, in London geborene Tochter: Der aus Pakistan stammende Beamte am britischen Passbüro hatte sich geweigert, Jessica einen britischen Pass auszustellen - eine sonderbare Schikane. „Kopenhagen?", fragte die junge Frau mit hochgezogener Augenbraue. Es schien ihr eine merkwürdige Nachricht zu sein. Ich wiederholte: „Kopenhagen. Sie ist Dänin." Ich erklärte nichts. KOPENHAGEN war das vereinbarte Kennwort; Bente sollte immer danach Ausschau halten. Sollte ich es verwenden - sei es gegenüber einem Journalisten oder im Fernsehen oder in einer Postkarte -, würde dies bedeuten, dass ich festgenommen worden und nicht imstande war, mit ihr in Verbindung zu treten. Sie sollte dann gewisse Maßnahmen in die Wege leiten. Ähnlich wie die französische Resistance im Zweiten Weltkrieg mit Versen aus Paul Verlaines Chanson d'automne - Herbstlied - im Programm des britischen Rundfunks auf die bevorstehende Landung der Alliierten in der Normandie vorbereitet wurde. Vor jeder neuen Vortragsreise auf dem „Kontinent", wie wir Engländer immer noch das europäische Festland nennen, nach Dänemark, Ungarn, Griechenland und anderen Ländern, hatten wir eine ausführliche Mitteilung über meine „Verhaftung" auf einer Internetseite vorbereitet, die, wenn der Fall einträte, ins Netz gestellt werden sollte. Ein solches Ausmaß hat der Niedergang der Freiheit in der Europäischen Union bereits angenommen. 28
Als sie meine Botschaft mit dem Kennwort erhielten, stellten Bente und Jessica - die mit ihren elf Jahren bereits die profunderen Computerkenntnisse besaß - die vorbereitete Seite sofort online. Wohl jede Tageszeitung der Welt brachte darauf am 18. November 2005 die Nachricht meiner Verhaftung: David Irving verhaftet WIEN — Der britische Historiker David Irving ist bereits am 11. November in der Steiermark in Österreich festgenommen worden. Eine entsprechende Meldung auf der Homepage des Briten bestätigte gestern das Wiener Innenministerium. Grund für den Haftbefehl war der Verdacht auf Wiederbetätigung. Die Leugnung des Holocaust ist in Österreich strafbar. Sollte es zum Prozess kommen, muss Irving mit bis zu 20 Jahren Haft rechnen ... In Österreich hatte man wirklich gehofft, die Tatsache meiner Inhaftierung verheimlichen zu können. Wohl oder übel musste die Regierung jetzt zugeben, dass ein britischer Historiker in einem ihrer Gefängnisse festgehalten wurde, obwohl noch keine Anklage gegen ihn erhoben worden war. * Nachrichtenmagazine wie Der Spiegel und Tageszeitungen behaupteten fälschlich, dass ich davon ausgegangen wäre, festgenommen zu werden, dass ich eine Provokation beabsichtigt hätte; sie könnten die Vorsorgemaßnahme KOPENHAGEN als Indiz dafür betrachtet haben. Aber eine solche Schlussfolgerung wäre falsch. Richtig ist: Wie stets, so war ich auch diesmal auf das Schlimmste vorbereitet. In meiner Jugend war ich ein Boy Scout, ein Pfadfinder. Auf unserer Gürtelschnalle stand das Motto Be Prepared - die deutsche Variante lautet: Allzeit bereit! Diese Einstellung ist mir in Fleisch und Blut übergegangen und lässt sich vielleicht am besten mit einem Beispiel verdeutlichen: In der Frühzeit meiner ersten Ehe, die zwanzig Jahre dauerte, reisten wir mit einer Nordseefähre von England nach Deutschland, weil wir uns den Flug 29
nicht leisten konnten. Ich nahm heimlich eine zwei Meter lange Schnur für den Fall mit, dass das Fährschiff sinken würde: Dann könnte ich unsere Rettungswesten zusammenbinden, damit wir nicht auseinander treiben würden. (Meiner Frau sagte ich davon nichts; sie hätte sonst eine Schere eingesteckt.) Ich war niemals davon ausgegangen, dass die Fähre sinken würde, aber ich war dennoch vorbereitet. Das war viele Jahre vor der Katastrophe, die die Fähre Herald of Free Enterprise im Ärmelkanal im März 1987 traf und die so viele Menschenleben forderte. * Nach einer einsamen Woche in einer Vier-Mann-Zelle in Jakomini — die frisch gestrichen war, weil ein Gefangener sie zwei Wochen zuvor in Brand gesteckt hatte - wurde ich per Videokonferenz von einem Richter in Wien vernommen. Auf dem Bildschirm war ein Mann zu sehen, der ein T-Shirt und eine Jeans trug. Er wirkte jünger als unser Zeitungsjunge in London. Das Ganze erinnere mich an eine Farce, ein „abgekartetes Spiel", sagte ich ihm, und das Ergebnis scheine von vornherein festzustehen. Ich wurde nicht entlassen. Man entschied, dass ich nach Wien transportiert werden sollte. Die Zukunft schien sich von nun an in eine ungewisse Finsternis zu verlieren. Am Tag meiner Verlegung nach Wien wurden vierzig von uns, die Hände in Handschellen, in einen dunkelgrünen fensterlosen Gefangenenbus verladen. Erfahrene Gefangene nannten ihn das Krokodil. Die Reise dauerte zehn Stunden, während derer wir im Zickzack durch das Land fuhren und unterwegs bei den Haftanstalten Gefangene aufnahmen und absetzten. Es gab zehn verschlossene Zellen im Krokodil. Wir saßen zu viert in einer Zelle, so eng, dass die Knie ineinander griffen. Der „Raum" wurde abwechselnd von eiskalter und fürchterlich heißer Luft durchströmt. Meine Reisebegleiter waren zwei Mörder und ein mehrfacher Vergewaltiger. Ich sprach nicht; in einem Eisenbahnabteil tun wir Engländer es auch nicht. Es ist ein englisches Wesensmerkmal. Aber ich hörte aufmerksam zu. Die Veteranen wussten alles über die Geschichte unseres Transportmittels - das Krokodil war demnach in der Bundesrepublik gekauft worden, wo es für riskant und illegal erklärt worden war, weil die Insassen dem 30
Tod geweiht wären, falls es in Brand geriete. Nur die Beamten hätten sich dann noch herausretten können. Vieles im österreichischen Gefängnissystem steht im Gegensatz zu den für Haftanstalten geltenden internationalen und europäischen Normen und Standards. Tatsächlich sollten sich Überfüllung und Personalmangel im ganzen Gefängnisalltag quälend bemerkbar machen. Sie führen unter anderem dazu, dass Zellen für die Anzahl der darin festgehaltenen Häftlinge zu klein sind und dass die Zeiten außerhalb der Zelle und die Bewegung im Freien noch weiter eingeschränkt werden. Und die Zustände waren im Laufe der Zeit nicht besser, sondern schlechter geworden: Die Justizanstalt Wien-Josefstadt, die mir nun bevorstand, ist in den Jahren 1990, 1999 und 2004 vom Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) untersucht worden. Bei diesem Anti-Folter-Ausschuss des Europarats handelt es sich um ein Gremium unabhängiger Sachverständiger. Zum Zeitpunkt des CPT-Besuchs im Jahre 1999 befanden sich in der Justizanstalt Wien-Josefstadt, deren offizielle Kapazität sich auf 921 Gefangene beläuft, noch 1.051 Häftlinge. 2004 hatte die Anstalt laut CPT-Angaben bereits 1.203 Insassen. Zum Zeitpunkt meiner Haft sagte man mir, dass die Justizanstalt tatsächlich über 1400 Häftlinge beherberge. Und es gibt zahlreiche weitere Verstöße, über die sich die Gefangenen auf dem Hof beklagen: Die Fenster sind nicht groß genug; dazu das feinmaschige Netz am Fenstergitter; im Hof gibt es Stacheldraht; die Sportplätze sind winzig; Häftlinge müssen in Stockbetten schlafen; Gefangene in Untersuchungshaft dürfen nur zweimal pro Woche duschen; die Zementfußböden der Zellen sind mit einer einen giftig Geruch verströmenden schwarzen Farbe gestrichen ...
Lange nach Mitternacht fuhr das Krokodil in den überdachten Vorhof des Josefstadt-Gefängnisses in Wien ein. Die älteren Männer sagten mir, dass dieses Gefängnis im Herzen der Hauptstadt gar nicht weit vom Rathaus gelegen ist. Aber kein Verkehrslärm, kein Vogelgezwitscher, kein Flugzeugbrummen, nicht einmal das Heulen von Sirenen durchdrangen seine Mau31
*
Der Eingang zum Josefstadt-Gefängnis in Wien.
ern. Nach einigen Monaten in der Justizanstalt meinte man beinahe, gar nicht in Wien zu sein. Denn dies erschien so unrealistisch wie die doch ebenfalls unbestreitbare Tatsache, dass man sich unterhalb der Museen Londons und des Einkaufsparadieses Harrods befindet, wenn man mit der Londoner U-Bahn die Stationen South Kensington und Knightsbridge passiert. Einige Tage später wurde ich dem Haftrichter vorgeführt einem gewissen Dr. Seda. Seine Stimme erklomm vor Empörung ungeahnte Höhen, als ich seine Fragen in aller Offenheit beantwortete. Ihn verlangte zu wissen, wie das Thema des Vortrags sein sollte, den ich vor den Studenten in Wien hatte halten wollen. Ich antwortete: „Die finanziellen Verhandlungen 1944 zwischen dem führenden ungarischen Juden Joel Brand und Adolf Eichmann zur Rettung der ungarischen Juden vor Auschwitz im Spiegel des britischen Entzifferungsdienstes " „Da haben Sie's", trillerte Dr. Seda, bis ins Mark erschüttert, „Wiederbetätigung!" Verblüfft, wie ich war, wurde ich zurück in die Zelle 19 gebracht. 32
Abgesehen von den Polizisten, die mit Glock-Pistolen auf mich zielten, weil sie dahingehend informiert waren, dass ich ein Autodieb sei, hätten die österreichischen Beamten nicht freundlicher sein können. Als sich im Josefstadt-Gefängnis herumsprach, wer ich sei, erhielt ich einen Strom von uniformierten, wenn auch inoffiziellen Besuchern. Gefängniswärter brachten mir Pakete mit gutem Kaffee oder Geschenken. Anlässlich eines hohen christlichen Fests schloss man meine Zelle auf und lud mich auf ein Glas Whisky ein. Meine Feinde schrieen vor Wut über die Tatsache, dass meine angeblichen „Nazibücher" in den Regalen der Gefängnisbibliotheken standen. Mehr als einhundertzwanzig Stück, wie sich herausstellte. Die Justizministerin, eine Frau Gastinger, versicherte dem Parlament auf eine entsprechende Parlamentarische Anfrage der Grünen vom 16. Dezember 2005, dass meine Bücher - dabei erwähnte sie namentlich unter anderem „Der Untergang Dresdens, Heyne-Verlag, München 1977" - jetzt „aus dem Bibliotheksbestand ausgeschieden" worden seien. Und das nicht nur in der Justizanstalt Graz-Jakomini, sondern auch in St. Polten, in Klagenfurt usw. Sie sollten bald darauf verbrannt werden. Außerdem wurde der „Fall" zum Anlass genommen, „einen namhaften wissenschaftlich ausgewiesenen Experten mit der Durchsicht der in den Anstaltsbibliotheken vorhandenen Bücher nach Autor und Titel zu beauftragen". „Derzeit", erklärte die Justizministerin, „finden Vorbereitungsarbeiten hiezu statt. Insgesamt ist ein Bücherbestand von etwa 180.000 Exemplaren zu prüfen." Diese Maßnahmen sollten die Welt davon überzeugen, dass das moderne Österreich kein Nazistaat war ... Als mir zugetragen wurde, was darüber in den Zeitungen zu lesen war, erinnerte ich mich an die Kontrollbaracke der DDRVolkspolizei am Checkpoint Charlie in Berlin, den ich auf meinen Besuchen in Potsdam oder Köpenick in der damaligen DDR in den Siebziger- und Achtzigerjahren passiert hatte. Auf einer Innenwand des Gebäudes stand in großen Buchstaben das Zitat von Heinrich Heine: „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen." Am Morgen nach meiner Ankunft in Wien wurde ich die Treppe hinauf zu den Vorführzimmern zitiert, die zu Bespre33
I
Sir Arthur „Bomber" Harris, der Chef des Bomberkommandos der britischen Royal Air Force, bei einem Interview mit mir am 23. März 1962.
Mit Rechtsanwalt Oberst a. D. Hajo Herrmann und Rechtsanwalt Dr. Herbert Schaller (rechts). 34
chungen mit den Rechtsanwälten dienen. Ich hatte einen Brief an Dr. Herbert Schaller geschickt, der mich schon 1989 in Österreich und der mich später in den großen Münchener Auseinandersetzungen vertreten hatte, als man eine Vorschrift gegen die „Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener" auf mich anwendete und mir verbot, bundesrepublikanischen Boden zu betreten. Ich will hier die gegen mich damals erhobenen Vorwürfe und unsere entsprechende Verteidigung nicht ausbreiten. Denn wie kitzlig das ganze Thema ist, sieht man daran: Dr. Schaller vertritt bekanntlich den in Mannheim inhaftierten, noch nicht rechtskräftig zu fünf Jahren Haft verurteilten Ernst Zündel. Schaller wurde mit Verhaftung gedroht, falls er dem Gericht in seiner Eigenschaft als Verteidiger gewisse Anträge oder Fragen vorlegen sollte. So weit ist es in entsprechenden Prozessen bisher weder in Österreich noch in Frankreich gekommen! Schaller hatte meinen Brief nicht erhalten, der offensichtlich von den österreichischen Justizbehörden abgefangen wurde. Er war auf eigene Initiative gekommen, nachdem er in den Zeitungen von meiner Verhaftung gelesen hatte - ein positives Ergebnis unserer Operation KOPENHAGEN. Ich gab ihm an Ort und Stelle die Vollmacht. Obwohl Jahrgang 1923, war er gesund, aktiv und vor allem ein Experte auf dem Gebiet des politischen Strafrechts. Dann machte ich einen riesengroßen Fehler. Während ich aus dem Sprechzimmer ging, wurde ich von einem anderen Rechtsanwalt, Dr. Elmar Kresbach, mit einem breiten Wiener Akzent angesprochen, den ich meist nur schwer verstand. Dieser 1958 geborene Jurist aus der Wiener Gesellschaft hatte volles, langes, welliges Haar, ein mageres Gesicht und eine einnehmende Art. Während er mich in einen anderen Raum führte, überzeugte er mich innerhalb von zehn Minuten, dass Schaller die falsche Wahl wäre: Er sei als rechtsradikal verschrien, was mir vor Gericht nur schaden würde: Der „Nazihistoriker mit dem Nazianwalt", wie er es charmant ausdrückte. Er selbst dagegen gehe mit führenden Journalisten um - er nannte mir mehrere Namen. Es stand außer Frage, dass ich jetzt die Unterstützung der Presse brauchte. Er sei ein Medienanwalt, sagte er - das hatte Hand und Fuß, und so beauftragte 35
Kresbach sagte mir, dass er den Richter persönlich kenne und einen Deal zuwege bringen würde. Ich sollte noch andere Gefangene treffen, die auch von ihm vertreten worden waren. Ein Kokainhändler aus Serbien behauptete, Unsummen für seine Verteidigung gezahlt und zehn Jahre Haft erhalten zu haben. „Er hat nichts für mich getan", sagte er. „Nichts! Nur auf mildernde Umstände hat er plädiert, überhaupt keine Verteidigung." Aber vielleicht gab's in diesem Fall ja nichts zu verteidigen. *
Rechtsanwalt Dr. Elmar Kresbach.
ich auch ihn. Schaller, der Gentleman, machte mir im Verlauf unserer nächsten Unterredung den Vorschlag, das Mandatsverhältnis Schaller/Irving einvernehmlich zu beenden. Diesen Vorschlag nahm ich an - und hatte als Verteidiger nur noch Dr. Kresbach. Es war ein schlechter Tausch - nicht nur weil Dr. Schaller sich in Sachen Verbotsgesetz viel besser auskannte und bereits unzählige Fälle auf diesem Gebiet verhandelt hatte. Ich sollte ein ganzes Jahr Zeit haben, diese Entscheidung zu bereuen. Im Verlauf der nächsten Wochen wurde es beunruhigenderweise klar, dass Kresbach, der sonst Mörder und Drogenkriminelle vertritt und als weiteren Schwerpunkt Scheidungsfälle angibt, selbst ein Mann der Linken ist und mich lediglich wegen der riesigen internationalen Publizität vertreten würde, die das ihm und seiner Kanzlei bringen würde. Als ich bald danach seinen Namen gegenüber dem Sozialen Dienst des Gefängnisses erwähnte — man hatte mich gefragt, wer mich vor Gericht vertritt -, verzog die Dame beredt das Gesicht. 36
Eine Anklage mit einer Liste aller mir zur Last gelegten angeblichen Verstöße gegen § 3g Verbotsgesetz wurde mir auf meiner Zelle zugestellt. Ob der Tatbestand erfüllt war, hat bei politischen Straftaten - und eine solche warf man mir, dem Briten, in Wien ja vor - das Geschworenengericht zu entscheiden. Es besteht aus drei Berufsrichtern und acht Geschworenen. Die Geschworenen - also juristische Laien - würden allein über die Schuldfrage entscheiden und - sollten sie diese bejahen - in einem zweiten Schritt gemeinsam mit den drei Berufsrichtern die Strafe festsetzen. Es verging eine Ewigkeit, bis die Gerichtsverhandlung für den 20. Februar 2006 angesetzt wurde. Kresbach ließ mich drei- bis viermal pro Woche in das Sprechzimmer für Rechtsanwälte rufen, aber nur für einen Plausch oder um auf Fragen antworten zu können, die er mir von den Medien übermittelte - er schien sich nicht ernsthaft auf eine Verteidigung vorzubereiten. Nach einer Weile fragte ich ihn, wie ich plädieren sollte. „Schuldig natürlich", antwortete er, „schließlich sind Sie ja schuldig". Dies sei die Art, wie die Dinge hier erledigt würden, fügte er hinzu: „Sie bekennen sich schuldig und dann wird man Sie freilassen." Ich ging davon aus, dass er wusste, was er tat; er kannte doch den Vorsitzenden Richter. Ich muss zugeben, dass die Berichterstattung in den Medien gut war. Die internationale Presse veröffentlichte Leitartikel, die mich zwar nicht persönlich unterstützten, aber in denen dennoch die Betroffenheit wegen dieses Angriffs auf die Redefreiheit zum Ausdruck kam. Die italienischen Zeitungen, besonders jene von Berlusconis Medienimperium, schössen mit ihrem Hass auf Österreich weit über das Ziel hinaus, und ich sah Fotografien 37
eines wichtigen Fußballspiels, in dessen Verlauf ein Stoffbanner entfaltet wurde, auf dem man „IRVING LIBERO" - Freiheit für Irving - lesen konnte. Der Spiegel brachte in seiner Ausgabe vom 16. Januar 2006 einen großartigen fünfseitigen Artikel, der zahlreiche Leserbriefe zur Folge hatte. Deren Tenor lautete: „Diese Sondergesetzgebung ist für einen frei denkenden Menschen unerträglich." Und: „Die Lehre aus unserer Geschichte muss sein, dass wir totalitäre Irrwege in jedem Gewand erkennen — auch dann, wenn es ein antifaschistisches ist." Und: „Besonders klug ist es wohl nicht, Irving zu ,orwellisieren\" Zu Wort meldete sich da aber auch der ungarische Journalist Paul Lendvai, der zeterte, dass mein 1981 bei BertelsDie Tragödie eines Volkes mann erschienenes Buch Aufstand in Ungarn. Die Tragödie eines Volkes „antisemitisch" sei. In dem Werk wird nicht verschwiegen, dass berüchtigte Kommunisten Ungarns wie Kun, Revai, Farkas, Gero und Räkosi Juden waren; das mag Paul Lendvai, der 1929 in Budapest als Sohn jüdischer ElAlbrecht Knaus tern zur Welt kam und 2006 mit einem Buch zum Ungarn-Aufstand herauskam, nicht gefallen haben.
David Irving
Aufstand in Ungarn
Nach einer Weile wurden die Besuche in den Sprechzimmern ziemlich lästig. Ich musste mich für eine Stunde in der Wartezelle aufhalten, bis Dr. Kresbach eintraf, und eine weitere Stunde oder länger, nachdem er sich wieder verabschiedet hatte. In diesem Zimmer sitzen alle Häftlinge, die entweder noch auf ihren Verteidiger warten oder die schon von der Besprechung kommen, um dann gebündelt zurückgeführt zu werden. Einmal wurde ich in die Wartezelle geführt und darin hielten sich ausschließlich fünfzehn sehr verstimmte Schwarze auf. Ich 38
Die Entlarvung der,.HitlerTagebücher" als Fälschung war dem „Spiegel" eine Titelseite wert.
Am 25. April 1983 präsentiere ich auf einer Pressekonferenz einer geschockten Journalistenschar den Beweis, dass es sich bei den vom „Stern" für eine hohe Summe erworbenen „Hitler-Tagebüchern" um eine Fälschung handelt.
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zögerte, während die Stahltür hinter mir ins Schloss fiel, und sagte dann: „Entschuldigen Sie bitte, ich denke, dass es einen Fehler gegeben hat. Wo ist das Wartezimmer für Weiße?" Sie brachen in brüllendes Gelächter aus. Es ist die Art von Scherz, die Fingerspitzengefühl verlangt und die man nur in bestimmten Fällen wagen kann.
Um 14.30 Uhr, nachdem das Abendessen gebracht wurde, waren die Wächter außer Dienst und nur eine Notbemannung von drei oder vier Mann verblieb im Gebäude. Dann begann der „Dschungel". Die Gefangenen klammerten sich wie Spinnen an ihren Gitterstäben fest und unterhielten sich schreiend über den Hof. Auf diese Weise bereiteten sie in mehr als drei Dutzend verschiedenen europäischen und afrikanischen Sprachen auch ihre Geschichten für den Richter vor. Die Kakophonie dauerte bis Mitternacht. Es degenerierte immer zu Sticheleien zwischen Schwarz und Weiß. „Afrika gut, Euro Scheiße!" und „Afrika! Banana!", lauteten die vergeistigteren der miteinander konkurrierenden intellektuellen Anstrengungen. Ich hätte die Fenster schließen können - sie waren schalldicht -, aber in den Sommermonaten war die Hitze zu groß. Einmal hörte ich ein brüllendes Gelächter. Dann sah ich, wie eine Banane an einer Schnur von einer oberen Etage herabgelassen wurde und, gerade unerreichbar, über den darunter liegenden „afrikanischen Zellen" baumelte. Bananen werden mich nun immer an das Josefstadt-Gefängnis erinnern. Wenn man sie kaufte, trafen sie immer, wie vieles andere aus der Kantine, braun und jenseits des Haltbarkeitsdatums ein. Um Hilfe bittend, versammelten sich in der Hofgangstunde im kleinen Hof die Afrikaner um mich, auf Spanisch, Französisch oder Englisch jammernd - oder in welcher Sprache auch immer wir miteinander kommunizieren konnten. Ich freundete mich mit einem namens Momo (Momodou) an, der Dreadlocks, verfilzte Haarsträhnen, als Frisur trug und aus Gambia stammte. Es war schlechte Etikette, sich über das Vergehen eines anderen zu erkundigen, und so fand ich seines nie heraus. Die wirklich Schlimmen logen sowieso über den wirklichen Grund. 40
Gefangene dürfen in gewissem Umfang wöchentlich „zusätzliche Nahrungs- und Genussmittel" kaufen. Ich erstand Kaffee für die Neuankömmlinge, die keinen hatten. Sie baten mich, ihre Briefe an den Richter ins Deutsche zu übersetzen; ich tat es auch, obwohl ich insgeheim wusste, dass sie wenig Hoffnung hatten. Wenn sie die Chance gehabt hätten, wären sie alle am nächsten Tag nach Afrika zurückgekehrt.
Nach einigen Wochen wurde mir erlaubt, eine Kopie der Gerichtsakte einzusehen. Es handelte sich um einen dicken Wälzer, der Unterlagen und Einträge aus den mehr als sechzehn Jahren seit 1989, als ich Österreich das letzte Mal offiziell bereist hatte, enthielt. Abgehörte Telefonate und anderes nachrichtendienstliches Material waren entfernt worden. Es hatte auch eine interne Untersuchung der Tatsache gegeben, dass österreichische Polizeibeamte, die bei meinen Vorträgen in Leoben und Wien - auf unsere Bitte hin - anwesend waren, berichtet hatten, dass ich nichts Gesetzwidriges gesagt hätte. Unterlagen darüber fehlten ebenfalls in der mir zur Verfügung gestellten Kopie. Die Staatsanwaltschaft in Leoben und die für Kaufbeuren in der Bundesrepublik zuständige Anklagebehörde, wo ich auch während dieser Reise im Jahr 1989 vorgetragen hatte, berichteten beide, dass sie keine Gründe gefunden hätten, mich strafrechtlich zu verfolgen. Obenauf in der Akte lagen holprige und beunruhigend ungenaue Niederschriften meiner Vorträge vom 5. November 1989 in Leoben und vom 6. November 1989 in Wien, die die Staatspolizei Ende November 1989 und Anfang 1990 erhalten hatte. Der Sozialistische Studentenverein an der Universität Leoben hatte der Stapo voller Eifer seine eigenen Bandaufnahmen meiner Ausführungen zur Verfügung gestellt, um die Polizeiaufnahmen zu ergänzen. Der inzwischen vergilbte und verblichene Haftbefehl ist am Abend des 8. November 1989 erlassen worden, einen Tag vor dem Fall der Berliner Mauer — ein ironischer Kontrapunkt zur heraufdämmernden europäischen Freiheit. Dem Haftbefehl war Panik abzulesen — die Presse hatte an diesem Morgen berichtet, dass Organisationen, die sich als „antifaschistisch" einstufen, den Kopf von Wiens Polizeipräsident Dr. Günther Bögl forderten, 41
weil er es nicht vermocht hätte, mich am 6. November völlig zum Schweigen zu bringen. Beim Umblättern dieser Seite stieß ich auf das entscheidende Dokument, das zum Haftbefehl geführt hatte: Die formelle Anzeige, die Forderung nach meiner Verhaftung und strafrechtlichen Verfolgung, war am 7. November 1989 vom „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands" (DOW) erstattet worden. Dabei handelt es sich um eine linksradikale Organisation, die sich als eine Art Privat-Stapo betätigt. Nach meiner Verhaftung im November 2005 sagte die Leiterin des DÖW, Brigitte Bailer-Galanda, in einem Radiointerview, sie sei angenehm überrascht, dass ich verhaftet wurde. Auf dem Briefkopf des DÖW-Schreibens von 1989 waren einige vertraute Namen zu lesen, darunter der von Frau Professor Erika Weinzierl — sie ist, wenn man Presseberichten folgt, die Doyenne unter Österreichs Historikern der Zeitgeschichte. Man muss sie einmal gesehen haben. Ehrenpräsident des DÖW war damals Professor Alfred Maleta. Es ist kein ungewöhnlicher Name - Maleta ist nicht Rumpelstilzchen. Ich muss zugeben, dass ich im ersten Moment kaum glauben konnte, dass es sich dabei um jenen Professor Alfred Maleta handelte, der 1938 verhaftet und drei Jahre in den Lagern Dachau und Flossenbürg gefangengehalten worden war, ehe er ab 1941 als Soldat an der Ostfront eingesetzt wurde. Und der Ende der Achtzigerjahre eine Zeugenaussage abgegeben hatte, wonach er im Lager Dachau, Heinrich Himmlers erstem Konzentrationslager, selbst gesehen habe, wie Häftlinge in Gaskammern „hineingingen und tot herausgebracht wurden". Davon rückte er auch nicht ab, als ihm der Ermittlungsrichter das Schreiben der Stadt Dachau vom 8. Februar 1983, unterzeichnet von Verwaltungsdirektor Rahm, vorhielt, in dem festgehalten ist, „dass es im ehemaligen KZ-Lager Dachau keine Vergasungen von Häftlingen gegeben hat". Die deutsche Regierung hat diese Lügengeschichte vor langer Zeit verworfen. Der spätere bayerische Innenminister Heinrich Junker hatte als Landrat von Dachau schon 1955 gegen die Behauptung gekämpft, in Dachau seien Häftlinge vergast worden. 1960 stellte Junker fest: „Ich glaube, es ist mir gelungen, dies in der Welt richtig zu stellen." In der Welt schon, aber nicht bei Alfred Maleta. 42
Als ich fortfuhr, in dieser Akte zu blättern, stieß ich auf weiteres unschönes Material: Paul Grosz, der damalige Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG), hatte bei der Polizei eine Versammlung angemeldet, um während meines Vortrags am 6. November 1989 mit einer hasserfüllten Koalition aus drei- bis fünftausend gleichgesinnten Menschen vor dem Parkhotel in Wien zu demonstrieren. Grosz stellte eine Kampfordnung von teilnehmenden Organisationen auf. Laut einem Zeitungsausschnitt vom 8. November, den ich in der Akte fand, forderte er dazu auf, einen „Zusammenstoß" herbeizuführen, denn anders könne man die Vorträge anscheinend nicht untersagen. Als ich die Akte las, wusste ich noch nicht, dass viele Monate später, Weihnachten 2006, dieselbe IKG ihr Bedauern zum Ausdruck bringen würde, dass das Oberlandesgericht meine sofortige Freilassung angeordnet hatte. Die IKG sprach von einem „Fehlurteil". Besonders würde man sich darüber erregen, dass das Oberlandesgericht sich auf den „lang zurückliegenden Tatzeitraum" und auf den „bisher untadeligen Wandel des Angeklagten" stützen sollte. Es war etwas an den Funktionären dieser Israelitischen Kultusgemeinde der österreichischen Hauptstadt, das mich an jene „Koalition für die Würde des Menschen" in Oregon erinnerte,
Am 8. November 1989 berichtet „Die Presse" in Wien über die Bemühungen, meine Vorträge auch mit Gewalt zu verhindern. 43
IV. Verbrechen und Strafe
Am 15. November 1999 verursachen linke Chaoten im irischen Cork einen wüsten Aufruhr. Die „Philosophical Society" des University College Cork hatte mich zu einem Vortrag eingeladen.
die vorgibt „die Menschenrechte zu schützen und die Vielfalt zu fördern", die aber in Wahrheit Andersdenkende überwacht und versucht, sie an der Äußerung ihrer Meinung zu hindern.
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JETZT HABEN WIR IHN! - Diese umherwuselnden Liliputanerschwärme, diese internationalen Mücken mit ihren Eimern und Leitern und Fäden müssen gedacht haben, dass sie mich endlich fertiggemacht hatten. Ich war in Österreichs ältestem Gefängnis, Wien-Josefstadt, das vor 170 Jahren für etwa 800 Gefangene errichtet worden war. Unter den nun 1.400 oder mehr Insassen war ich der einzige Engländer. Einst waren alle zum Tode Verurteilten Österreichs hierher überstellt worden, um den Henker zu erwarten. Dr. Schaller, der mich später wieder vertreten würde, war 1949 knapp der Verpflichtung entgangen, einer Hinrichtung als Zeuge beizuwohnen. Dagegen konnte er sich am Tag davor nicht seinen Pflichten als Protokollführer entziehen, als die drei Männer - ehemalige Wehrmachtoffiziere und SA-Führer, die im April 1945 in Wien ein fliegendes Standgericht zur Verurteilung von Deserteuren gebildet hatten - informiert wurden, dass ihr Einspruch zurückgewiesen worden war. Die Hinrichtung wurde hier nicht, wie wir Briten es kennen, durch einen Fall aus 1,80 Meter Höhe vorgenommen, wodurch sofort das Genick bricht. Der Wiener Henker stand hinter seinem verhüllten Opfer, um ihm die Schlinge um den Hals zu legen; der Delinquent wurde von einem niedrigen Block gestoßen, und der Henker drückte mit verschränkten Armen auf seine Schultern, so dass der Tod durch Strangulation eintrat - ein furchtbares Ende. Während der vier Monate vor der Verhandlung bemühte sich Rechtsanwalt Dr. Kresbach mehrmals um meine Freilassung gegen Kaution, obwohl ich dagegen war. Er schien von dieser Idee besessen; er drängte mich, wohlhabende amerikanische Freunde dazu zu bringen, sagen wir mal, 50.000 Dollar zu überweisen, und meinte, es mache „taktisch Sinn". Selbstverständlich hätte ich meinen Pass zu übergeben. Ich beugte mich seiner rechtlichen Erfahrung, wies aber darauf hin, dass für den Fall einer Zulassung der Freilassung 45
gegen Kaution dieser Dollarbetrag in Euro gewechselt werden müsste und schließlich wieder zurück in Dollar, was für mich Spesen und Wechselkursverluste von mehreren tausend Dollar bedeuten würde. Auch würde ich in den Monaten vor dem Prozess in einem Wiener Hotel leben und Geld für meinen Lebensunterhalt auftreiben müssen. Es machte ganz und gar keinen Sinn. Ich konnte nicht verstehen, warum Kresbach weiterhin daran festhielt, und machte keinen Versuch, die Freilassung gegen Kaution zu erreichen. Zudem wandte Staatsanwalt Michael Klackl ein, dass mich wenig von einer Rückkehr nach England würde abhalten können, von wo ich als politischer Straftäter nicht hätte ausgeliefert werden können. Kresbach ließ inzwischen die bundesdeutschen und österreichischen Medien nach seinem Belieben Schlange stehen. Er informierte mich, dass Scharen von Fotografen über die Hauptverhandlung berichten würden, was mich ziemlich verblüffte, da Kameras in allen britischen Gerichtshöfen streng verboten sind. Ich fragte mich, wie sich dieser Aufruhr auf eine Jury auswirken würde. Der Große Schwurgerichtssaal, dessen Zuschauerraum Platz für zweihundert Menschen bietet, war Teil des gleichen Gebäudekomplexes wie das Gefängnis. Von meiner Zelle 19 aus würde ich nicht weit gehen müssen. Der Vorsitzende Richter sollte Magister Peter Liebetreu sein. Da die Regierung nun erkannte, dass Österreich durch meine Verhaftung - ich nannte es Kidnapping - in den Mittelpunkt eines internationalen Spektakels gerückt war, musste sie auch Platz für mehr als 60 Journalisten finden. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren wurden auch Kameraleute und Pressefotografen zugelassen. Später sah ich einen von Richter Liebetreu verfassten Brief an das Wiener „Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung" (vulgo: Stapo), der regelrechte Panik angesichts des steigenden internationalen Interesses offenbarte. Mit Datum vom 2. Februar 2006, 18 Tage vor Prozessbeginn, ersuchte er in dem Brief um die Einleitung geeigneter Maßnahmen für die Bewachung des Saals beziehungsweise die Überwachung des Strafprozesses: Das Medieninteresse an diesem Prozess ist bislang enorm groß, für die Hauptverhandlung haben bereits zahlreiche, vor allem 46
Das aus drei Berufsrichtern und acht Geschworenen bestehende Gericht, das am 20. Februar 2006 in Wien über mich urteilen sollte, stand unter dem Vorsitz von Richter Peter Liebetreu (Bild).
ausländische Fernsehteams und Journalisten — praktisch aus aller Welt — ihr Kommen vor allem via Internet angekündigt. Die Präsidentin des LGSt Wien Dr. Ulrike Psenner hat in Absprache mit mir für diesen Termin das sonst noch immer Gültigkeit besitzende Film- und Fotografierverbot für den Großen Schwurgerichtssaal aufgehoben, so dass vor Prozessbeginn mit einem entsprechenden Ansturm an Kamerateams und Fotografen zu rechnen ist, die dann — um den Beginn der Hauptverhandlung nicht allzu lange hinauszuzögern — wieder aus dem Saal gewiesen werden müssen. Ho. [hierorts] ist es insbesondere bei diesem Prozess besonders schwer, das Interesse von privaten Zuhörern und deren Zugehörigkeit zu bestimmten „Lagern" einzuschätzen. Tatsache ist, dass der Häftling pro Monat Hunderte Briefe und Karten aus der ganzen Welt erhält, die ausschließlich als „Fanpost" einzustufen sind. Wie weit das Interesse verschiedener Lager 47
an der persönlichen Teilnahme an der Hv. [Hauptverhandlung] als Zuhörer geht, kann derzeit nicht einmal annähernd gesagt werden. Aus diesem Grund darf das obige Ersuchen mit besonderer Dringlichkeit und mit der Bitte um Kontaktaufnahme übermittelt werden, da verschiedene Dinge — z.B. die Frage, ob eine zusätzliche Zutrittssaalkontrolle, dies ev. verbunden mit der Aufnahme der persönlichen Daten jedes einzelnen Besuchers durchgeführt, oder ob die Galerie des Großen Schwurgerichtssaales aus Sicherheits- und Bewachungsgründen besser nicht zusätzlich für Besucher geöffnet werden sollte, vorweg zu klären sein werden. Zumindest nach der Einschätzung der unzähligen Internetseiten zum Prozessthema (teilweise existieren zum Thema „David Irving" pro Tag bereits über 9 Millionen URLs!) ist mit Störaktionen in und auch vor der Hauptverhandlung jedenfalls zu rechnen. Die eingehenden Briefe seien also ausschließlich als „Fanpost" einzustufen. Weggeschlossen in meiner Zelle, ohne Zugang zu Radio, Fernsehen oder Zeitungen und ohne irgendwelche Post zu erhalten, bekam ich von all dem Medieninteresse nichts mit. Aufgrund der Angaben Kresbachs glaubte ich, falls ich „mitspielte", ein Urteil zu erhalten, das meine sofortige Freilassung zur Folge hätte. Meine Freunde nahmen Verbindung mit den größeren Fernsehprogrammen in London auf. Die Redaktion des verbreitetsten Formats, BBC's Newsnight, bot mir einen ErsterKlasse-Rückflug nach London direkt nach meiner Entlassung gegen eine exklusive Life-Sendung an. Gastgeber von BBC's Newsnight ist der rauflustige Kommentator Jeremy Paxman. Aber daraus wurde nichts. Kresbach informierte mich, dass man mir außerhalb des Gerichtssaals Handschellen anlegen und mich dann rituell hereinführen würde - ziemlich ähnlich dem, was die Amerikaner den perp walk nennen. „Perp" steht dabei für „perpetrator", Täter - obwohl es sich nur um Verdächtige handelt, die als unschuldig zu gelten haben. Kresbach bot an, mit dem Richter zu sprechen, ob die Handschellen wirklich nötig wären, aber ich war dagegen. Was für Kanada 1992 gut gewesen war - das Schreibfeder- und Handschellenimage -, würde auch hier die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. 48
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Bereits vor Wochen hatte ich ein Exemplar meines Hauptwerks Hitler's War aus meinem versiegelten Eigentum herausgezogen. Zwei Tage vor dem Prozess begann ich in meiner Zelle die Handhabung des schweren Wälzers und des offenen Füllfederhalters mit gefesselten Händen zu üben, damit meine Finger den Titel nicht verdeckten. Es war schwieriger, als Mein „Markenzeichen", der Füllfederhales sich anhört. ter, mahnt das Grundrecht auf freie MeiAm Morgen des Pronungsäußerung und freie Forschung an. zesses, dem 20. Februar 2006, zog ich die Sportjacke an, die Bente mir vor einigen Wochen hatte zukommen lassen, polierte meine besten Schuhe mit einem Gefängnishandtuch und wartete. Eine Begleitmannschaft brachte mich von der Zelle in einen Raum, wo ich durchsucht wurde. Der Montblanc-Füller wurde mir zurückgegeben und ebenso Hitler's War, als ich erklärte, dass es sich um „Beweismittel" handele. Eine Telefonkarte wurde konfisziert. Nachdem man mich in die Wartezelle direkt vor dem Gerichtssaal gesteckt hatte, las ich noch eine Geschichte von P. G. Wodehouse. Durch die geschlossenen Türen des Gerichtssaals konnte ich einen wüsten Lärm hören. Die Wachpolizisten ließen höflich die Zellentüre offen. Ich war gefesselt, aber mir blieb genug Bewegungsspielraum, um meine vier Monate lang nicht geschnittenen Haare zu glätten und meine Hände in die Jackentasche zu zwängen, den Füller herauszuziehen und zu öffnen. Der hünenhafte Kommandant der Wachmannschaft bemerkte das Glitzern der goldenen Federspitze und fragte fordernd: „Was ist das?" 49
„Mein Markenzeichen", sagte ich. „Ich bin Schriftsteller." Er beließ es mir. Durch einen Schlitz zwischen den Doppeltüren konnte ich auf der anderen Seite die wie wahnsinnigen Kameraleute und Pressefotografen sich drängeln sehen, die auf die Tür blickten. Reihe hinter Reihe, Schicht über Schicht, stoßend und drängelnd, auf Stühlen und Schemeln stehend warteten sie auf das Erscheinen ihres Zielobjekts. Die Anordnung war wie bei einem Klassenfoto - nur mit verkehrten Rollen. Ich hielt Buch und Füller hoch, kontrollierte meine Finger, schüttelte meine Jackenärmel so, dass die Handschellen vollständig freigelegt waren, und schritt, das Buch in Schulterhöhe haltend, hindurch. Nun ging das Blitzlichtgewitter auf mich hernieder. Die seltsame Fotogelegenheit dauerte zwanzig oder fünfundzwanzig Minuten, während ich Fragen beantwortete, die von den Reportern auf mich abgefeuert wurden. Ich bemühte mich, mit meinen Händen, mit dem Buch und meiner Mimik eine Botschaft zu vermitteln: Österreich wirft Historiker für vor siebzehn Jahren bekundete Ansichten ins Gefängnis. Das Bild ging, wie ich es beabsichtigt hatte, um die Welt. (Bei der genau zehn Monate später stattfindenden Berufungsverhandlung sollte mir von der Eskorte ausdrücklich verboten werden, irgendwelche Bücher mit mir zu tragen, und ich sollte sogar den Füller weglegen.) Um 9.30 Uhr begann der eigentliche Prozess. Er dauerte zehn Stunden, während derer ich weder Essen noch Wasser erhielt. Der mehrere hundert Quadratmeter große Gerichtssaal war vielleicht drei Stock hoch und glich mit seinem hohen Deckengewölbe einer Marmorkathedrale. Die Türen hatten Umrahmungen aus Marmor, das Gestühl war aus Eichenholz, die Lampen unterhalb der weit oben angeordneten Fensterreihen verbreiteten ein warmes Licht. Der Grundriss des Saales ist hufeisenförmig. Am vorderen Ende sitzen die drei Berufsrichter, rechts befinden sich die Geschworenen, links nehmen Staatsanwalt und Verteidiger Platz. Im Mittelpunkt all dessen sitzt der Angeklagte - vor den Richtern, zu denen er aus der Distanz hinaufschaut. Im hinteren Teil das Publikum. 50
Der 1874 errichtete Schwurgerichtssaal in Wien, in dem auch meine Verhandlung stattfand, hat schon manches aufsehenerregende Strafverfahren gesehen. Dieser alte Stich zeigt den „Prozess Flacht" im Zusammenhang mit dem „Großen Krach" der Wiener Börse von 1873.
Dass Geschworene keine juristischen Fachleute sind, liegt in der Natur der Sache. Und wie zu erwarten, waren sie auch in zeitgeschichtlicher Hinsicht Laien. Auf welcher Grundlage würden sie ihr Urteil fällen? Sechs von ihnen repräsentierten vom Typ her Wiener Hausfrauen mittleren Alters. Es war kein ermutigender Anblick. Aber hatte nicht mein Verteidiger Dr. Kresbach gesagt, dass zumindest der Vorsitzende Richter wohlwollend sei? Als der Richter zu sprechen begann, erkannte ich zu meiner Bestürzung, dass dies — falls er die Härte nicht nur zur Schau stellte — ganz und gar nicht den Tatsachen entsprach. Andererseits fand ich Kresbachs Aussagen über die Akustik des Gerichtssaals zutreffend. Ich konnte nur wenig von dem verstehen, was gesagt wurde. Zudem sprach Liebetreu in einem mir schwer zugänglichen Wiener Dialekt - obwohl von Gesetzes wegen angeblich auf Hochdeutsch verhandelt wird. Ich sprach 51
Wien, 20. Februar2006: Handschellen und Füllerdie Accessoires eines Schriftstellers...
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m ein gutes Mikrofon, und niemandem entgingen die wenigen Worte, die ich sagte. Der Richter aber war nicht zu verstehen Ich versuchte mich im Lippenlesen und bat ihn dann mehrfach um Wiederholung. Der Vertreter der Anklage, Dr. Michael Klackl, war - wie ich zugeben muss - wirklich hervorragend. Er sprach kraftvoll und hörbar, jedes Wort deutlich artikulierend. Er war ein kleiner, ungestümer, kahl werdender, dunkelhaariger Staatsanwalt mit Augen wie Schrotkugeln; er erinnerte mich an C. C. Aronsfeld, den Direktor der „Wiener Library" m London, der in den frühen Sechzigern mein Gegner war Klackl hatte das gleiche magere, gnadenlose, durchbohrende Aussehen. Unwillkürlich stellte ich mir vor, wie es wäre, wenn mein Anwalt (wie es ein Verteidiger am Volksgerichtshof nach dem 20. Juli 1944 getan hatte) sein anschließendes Plädoyer mit den Worten beginnen würde: „Nachdem ich mir die Ausführungen des Herrn Staatsanwalts angehört habe, kann ich mich dessen
Staatsanwalt Dr. Michael Klackl.
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niederschmetternden Ausführungen über den Angeklagten nur anschließen ..." Kein Zweifel, Klackl war gut. Er hatte Tage, wenn nicht Wochen darauf verwendet, die Einzelheiten des Falls zu beherrschen, und schleuderte auf die Geschworenen Fakten und Zitate aus meiner Schriftstellerkarriere - querbeet, viele bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, wie man es von Kritikern kennt. Die sechs Damen und zwei Herren der Jury hingen grimmig blickend an seinen Lippen; ich schaute zu Kresbach, meinem Verteidiger. Er hatte sich lustlos einen Filzschreiber geschnappt und kritzelte ein Wort diagonal über einen gelben Schreibblock, wie ihn amerikanische Juristen zu verwenden pflegen. Seine Vortragsnotizen? War das alles? Es hätte auch ein Einkaufszettel sein können. Als Klackl aufhörte, erhob sich Kresbach, schleuderte eine Haarsträhne von seiner Stirn und sprach in einem weitschweifigen, gedehnten, eher geschwätzigen als wirkungsvollen Wienerisch, wobei er auf Klackls Ausführungen kaum näher einging und genauso wenig auf die lange Liste von Strafmilderungsgründen, die ich vorbereitet hatte: Zum Beispiel, dass ich im Falle einer Verurteilung zu einer Haftstrafe keinen Besuch von Bente erhalten könnte, da sie ernstlich krank war. Und dass die Strafe auch nicht in England vollstreckt werden könnte, weil diese Möglichkeit nur bei Handlungen bestand, die auch nach englischem Recht eine Straftat darstellen — das Verbotsgesetz in Österreich aber war einzigartig. Kresbach belehrte die Geschworenen über die Unterschiede zwischen den Paragrafen 3g und 3h. Eine gähnte, die anderen schlössen ihre Augen. Ich war über diese Vorstellung nicht erfreut, sagte ihm das auch am nächsten Tag und erteilte ihm zwei kurze Lektionen zum Thema Sprechen in der Öffentlichkeit: Steh auf, sprich laut und bring die anderen zum Schweigen. Sage zunächst, was du sagen willst, dann sag es und schließlich sag, was du gesagt hast. Hatte ihn der große Saal, hatten ihn die allgegenwärtigen Medien oder die zahlreiche Zuhörerschaft verunsichert? Zu spät begann es mir zu dämmern, dass ich zwischen ihm und Dr. Schaller - der, sich in Seelenqualen windend, im Zuschauerraum saß - eine schlechte Wahl getroffen hatte. Kresbach 54
entpuppte sich als das, was erfahrene Anwälte einen „Schwimmer" nennen. Ich saß da wie erstarrt vor Kummer, ausdruckslos, und hielt Ausschau nach dem kleinsten Anzeichen, dass die Geschworenen einen Begriff bekamen, worum es hier aus meiner Sicht ging. Kresbach verließ sich auf Wiener Charme und Dialekt - auf armschwingende Gestik und jungenhaften Enthusiasmus. Die Geschworenen hatten unsere Antwort auf Klackls Anklagen hören wollen, erhielten sie aber nicht. Mein Verteidiger versuchte, sich darüber hinwegzuschwingen, aber das war nicht die Luftschlacht um England, nein, das war das „Unternehmen Zitadelle", die Schlacht von Kursk. Und Wiener Schmäh war der massierten Artillerie des Feindes nicht ebenbürtig. Die ganze Zeit über saß der Vorsitzende Richter auf seinem hohen Podium, wunderlich an Richter Gray im Verleumdungsprozess Irving versus Lipstadt erinnernd. Vor dem Hintergrund von Kresbachs Angaben erschienen mir seine Fragen seltsam und fernliegend. Würde ich die Einladung annehmen, die der Präsident des Iran jetzt auch auf mich erweitert hatte? Ich erwiderte, dass ich in meiner Zelle weder Zeitung noch Radio noch Fernsehen und nur wenige Besucher hätte und zum ersten Mal von einer solchen Einladung höre. Aber würde ich annehmen, drängte Liebetreu. Dreimal musste ich ihn wegen der schlechten Akustik bitten zu wiederholen. Ich würde es vorziehen, den Friedensnobelpreis zu erhalten, entgegnete ich; er rümpfte die Nase, ordnete seine Papiere und machte weiter. Er forderte mich auf, das Verfahren darzustellen, mit dem ich meine Ansichten über Gaskammern nach 1989 revidiert hatte. Ich sagte, es würde drei oder vier Minuten benötigen, und erklärte die ersten beiden Etappen - die Auffindung der EichmannPapiere und diejenige von Hans Aumeiers Aufzeichnungen (Aumeier war stellvertretender Kommandant von Auschwitz). Nach dreißig Sekunden unterbrach Liebetreu überdrüssig, und das war's. Nach dieser Beweisaufnahme erhob sich Staatsanwalt Klackl wiederum. Er begann Auszüge meiner Schriften seit 1989 vor55
zu lesen und bezog sich auf meine Hunderte von Vorträgen rund um die Welt als Bestandteil meiner „Verbrecherlaufbahn". Dr. Schaller, der auf der Zuschauerbank saß, erwartete, dass Kresbach aufspringe und riefe: „Ist die Beweisaufnahme beendet oder nicht?", und: „Welchen Belang haben Herrn Irvings frühere Äußerungen in anderen Ländern rund um die Welt, wo sie nicht gegen das Gesetz verstießen, für dieses Gericht?" Die Stunden verstrichen quälend langsam. Ich hatte angenommen, dass wir rasch fertig wären und ich noch am selben Nachmittag auf Kosten der BBC nach London zurückfliegen könnte. Ein- oder zweimal blickte ich auf die Uhr an der Rückseite der Halle. Es war schon 16 Uhr. Die Geschworenen zogen sich zurück und ich wurde in eine Wartezelle eskortiert. Wie es auch bei jeder angelsächsischen Jury der Fall ist, berieten die acht Geschworenen über meine Schuld. Da Kresbach zu einem Schuldbekenntnis geraten hatte, war es eine Formalität, aber sie hätten mich immer noch für unschuldig befinden können. Und wenn sie alle Tatsachen gekannt hätten, hätten sie es womöglich getan. Zum Beispiel, dass Dr. Schaller 1989 im Voraus mit der Polizei abgestimmt hatte, was ich sagen dürfe, und man danach festgestellt hatte, dass ich innerhalb dieser Vorgaben geblieben war. Das stand in den Verfahrensakten. Ich — ein an „freedom of speech" gewöhnter Brite - konnte also seinerzeit beim besten Willen nicht erkennen, dass meine Äußerungen in Österreich eines Tages als strafbar eingestuft werden würden. Nun zog sich die Jury wiederum zurück und zu meiner Überraschung gingen die Richter mit ihnen hinein. Nachdem sie hintereinander zurückmarschiert waren, verlas die Obfrau der Geschworenen deren Votum. Die Akustik war so schlecht, dass, als sie bei jedem Anklagepunkt sagte: „Acht Ja, null Nein", ich nur die Worte „acht Jahre" vernahm. Mein Verstand erstarrte. Ich würde Bente und die kleine Jessica nie wieder sehen? Liebetreu nahm die Niederschrift der Jury, lehnte sich zurück und sprach, weit entfernt vom Mikrofon, zwanzig Minuten lang vor sich hin. Seine niemals kraftvolle Stimme war während der zehn Stunden noch geschrumpft. Am Ende der Urteilsverkündung fragte er, ob ich verstanden hätte, und ich antwortete, dass ich es nicht hätte. Von den Zuschauerbänken kam zustimmendes Gemurmel. 56
Acht Jahre, das war alles, was ich denken konnte. Der dritte Band von Churchills Krieg mit dem Titel „The Sundered Dream" (Der entzweite Traum), bereits fast vollendet, würde also nie veröffentlicht werden. Wie William Manchesters war auch meine dreibändige Churchill-Biografie - ein Projekt von 35 Jahren — nach den beiden ersten Bänden abgewürgt. Liebetreu murmelte erneut etwas durch die Verstärkeranlage, aber das Ergebnis war dasselbe. „Mit höchstem Respekt, Euer Ehren", erPressekonferenz der Times 1987: widerte ich schließlich Ich stelle Churchills War vor so höflich, wie ich konnte, „ich habe wieder weniger als fünf Prozent von dem, was Sie sagten, verstanden. Ich werde meinen Anwalt über das Urteil befragen." Dieser kleine Pas de deux zum Schluss war charakteristisch für die ganze Szenerie. Man konnte nicht nur keine Ausübung von Gerechtigkeit sehen, sie war auch nicht zu hören. Mit einem mitfühlenden Schulterklopfen berichtete mir Kresbach, als ich abgeführt wurde - er hatte bemerkt, dass die Fernsehleuchten wieder angingen -, dass das Geschworenengericht mich zu drei Jahren Gefängnis verurteilt hatte, und zwar unbedingt, also ohne Bewährung. „Mehr als ich für angemessen gehalten hätte", bekannte Kresbach später einer Zeitung generös. Die tröstliche Prognose, die er mir die ganze Zeit über gestellt hatte und die ich in meinen 57
„Ich bin schockiert", sagte ich deutlich in verschiedenen Sprachen in die Mikrofone, schockiert nicht so sehr durch das Urteil als durch die ganze groteske Szene und die Rolle, die mein Verteidiger darin gespielt hatte. Es war lange nach 19 Uhr. Kalt und stockdunkel draußen. Die Eskorte brachte mich über einen seltsamen Hintertreppenweg in meine Zelle zurück. Wendeltreppen hinunter und über abgelegene, flutlichterleuchtete Höfe des Gebäudes. Man befürchtete entweder einen Mordanschlag oder einen Befreiungsversuch, erzählte mir einer der Beamten später. Was war im Geschworenenraum passiert? Die Niederschrift der Geschworenen gibt ein wenig darüber Aufschluss. Dort ist vermerkt, dass „der Angeklagte über einen äußerst langen Zeitraum - von über zwei Jahrzehnten - konsequent immer die gleichen Vorträge auf der ganzen Welt hielt, wobei er wusste, dass die von ihm verbreiteten Thesen im völligen Widerspruch zu den allgemein anerkannten Tatsachen standen". Erst zehn lange Monate später würde das Oberlandesgericht zum Thema meiner „Vorträge auf der ganzen Welt" klarstellen, dass das österreichische Verbotsgesetz zwar in Österreich, aber nicht für die restlichen 999 Tausendstel dieser Welt gilt. Drei Jahre! „Der Schuldspruch gründet sich auf den Wahrspruch der Geschworenen." Eine Begründung würdig derVerurteilung eines „Gedankenverbrechers", wie meinesgleichen im Roman „ 1984" von George Orwell heißen. Faksimile: Auszug aus dem Urteil des Geschworenengerichts vom 20. Februar 2006.
Briefen an Freunde und Familie (die Liebetreu natürlich mitgelesen haben wird) weitergegeben hatte, war eine Freiheitsstrafe auf Bewährung, so dass ich am gleichen Tag freigelassen worden wäre. Als die Eskorte der Justizwache, fünf Mann in schwarzen Uniformen, darum rang, mich durch die Reporter und aus dem Gerichtssaal zu drängen, bemerkte ich, dass drei von ihnen GlockPistolen in der Hand hielten, die sie von einem Offizier aus einem polierten Stahlkoffer erhalten hatten. Im fernen London brach Bente, die die Szene live im BBC-Fernsehen verfolgte, in Tränen aus, wie sie später Zeitungen erzählte. 58
Die britische Botschaft hatte darauf bestanden, dass ich eine Zelle für mich alleine erhielte. Ich bekam das, was man sich unter einer Einzelzelle vorstellt. Der Raum war zwei Meter breit und zweieinhalb Meter lang, mit einem WC in der Nasszelle. Das Bett bestand aus Holzbrettern, auf denen sich eine zwei bis drei Zentimeter dicke Schaumstoffmatratze befand. Außerdem gab es zwei Eisenstühle und einen Tisch mit einer abgenutzten Oberfläche von 60 mal 60 Zentimetern Größe. Ich hatte eine Menge zu schreiben. Jetzt erhielt ich die Hunderte von Briefen, die bereits angekommen waren und von denen ich durch eine Anmerkung Liebetreus während der Verhandlung erfahren hatte. In den folgenden Monaten meiner Haft bekam ich schließlich über 2.000 Briefe. Fast alle unterstützten und ermutigten mich, nur zwei waren feindselig - davon eine Karte aus England von einem Mann mit mittelmäßigem Verstand, der mir kurz vor meinem achtundsechzigsten 59
Geburtstag „Vielmalige glückliche Rückkehr - ins Gefängnis" wünschte. Ich stellte mir diesen geistigen Zwerg vor, wie er an einem windumtosten Briefkasten steht, um diese geistreiche Epistel aufzugeben, die ihn so viel intellektuelle Anstrengung gekostet haben muss. Jedem Tierchen sein Plaisirchen! Andere Briefe waren an „David Irving, The Gulag, Vienna" adressiert und an „Mr. Irving, Austria". Das Postamt stellte sie ebenso prompt zu wie den Rest. Der Pressetumult beruhigte sich allmählich. Die Associated Press berichtete, dass ich ihrem Korrespondenten, der mich ein paar Tage nach dem Prozess besuchte, erzählt hätte: „Nun habe ich meinen Frieden wiedergefunden und schreibe wieder."
D/'e Niederschrift der Geschworenen vom 20. Februar 2006. Es folgen noch fünf weitere Zeilen. Weder habe ich „immer die gleichen Vorträge" gehalten - denn in Wahrheit behandelte ich eine große Bandbreite von Themen - noch gingen die Vorträge eines Briten „auf der ganzen Welt" ein österreichisches Gericht etwas an.
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V. Mein Freund, die Stahltür Im Rückblick waren die Monate meiner Gefangenschaft solche, die sich nicht ereigneten. Es war das Jahr, das es nie gab. Zu jener Zeit aber erstreckte sich das Gefängnisdasein vor mir wie eine strukturlose Landschaft. Und im Nachhinein gesehen gab es nichts, das einen Tag vom anderen unterschied. Ich fragte mich, wie Nelson Mandela mehr als siebenundzwanzig Jahre, Albert Speer zwanzig Jahre und Rudolf Heß siebenundvierzig ausgehalten hatten. Nach meiner Entlassung hörte ich mich mehrfach sagen „Letzten Sommer, als ...". Um mich dann zu korrigieren: „Ich meine, vorletzten Sommer ..." Das ganze Jahr ist eben aus meinem Leben verschwunden. Wenigstens hatte ich meine Gedanken und mein Schreiben, um mich zu beschäftigen. Als der bittere Gefängniswinter hinter mir lag und der Frühling zum Sommer wurde, schrieb ich einem Freund: Vor kurzem fragte ich mich, weshalb das Gefängnis mir einen so großen Fortschritt in meiner Arbeit brachte. Ich fand dann diese Passage in „Decline and Fall" von Evelyn Waugh (publiziert 1928). Der Held Paul Pennyfeather grübelt während seines Gefängnisaufenthalts in ähnlicher Weise: „Jeder, der ein englisches Internat besucht hat, wird sich im Gefängnis fast wie zuhause fühlen. Es sind gerade die Leute, die in der warmen [im Original: gay] Vertraulichkeit der Slums aufgewachsen sind, welche das Gefängnis so seelenzerstörend empfinden." Das war geschrieben worden, bevor andere Leute das Wort „gay" kidnappten. So hatten mich also meine Internatsjahre auf diese Feuerprobe vorbereitet. Manchmal wunderte ich mich, wie gewöhnliche Kriminelle, die weder an Schreiben noch an Denken gewöhnt waren, überleben konnten. Die Antwort war, dass es manche nicht konnten - sie brachten sich in den ersten ein oder zwei Wochen ihrer Gefangenschaft um, und das Gefängnispersonal in Österreich machte 62
das nicht allzu schwer. Im Gegensatz zu britischen Gefängnissen, wo Krawatten, Schnürsenkel und Gürtel abgenommen werden, gab es hier immer irgendwo Elektrokabel, Schnüre, Gürtel, Haken und Fensterriegel. Unsinnigerweise können Selbstbeschädigungen und Suizidversuche nach österreichischem Recht aber als disziplinarische Verstöße eingestuft werden. Einer meiner Mitgefangenen, ich nannte ihn Ratty, erzählte mir, dass sein Zellengenosse in Graz-Karlau sich aufgehängt hatte. Und er habe am nächsten Morgen Schläge erhalten, weil er es nicht verhinderte. Aber Ratty, verurteilt zu sieben Jahren für einen Bankraub und zwei während des Überfalls abgefeuerte Schüsse, konnte nichts dafür: „Ich wachte auf, und er hatte sich in der Nacht erhängt. Was hätte ich denn dagegen tun sollen?" Die Suizidrate im österreichischen Strafvollzug hat sich in den letzten 40 Jahren verdreifacht. Ich weiß nicht, wie viele während meines Aufenthaltes in Josefstadt Selbstmord begingen oder es versuchten. Ich weiß aber, dass sich während meiner letzten zwei Wochen dort, im Dezember 2006, zwei weitere Häftlinge erhängten - einer auf unserem Stockwerk im Trakt C-l und davor einer zwei Etagen über uns. Wir erfuhren davon nur mittelbar. Ich protestierte eines Nachmittags sanft bei einem Beamten dagegen, dass wir vierundzwanzig Stunden lang eingeschlossen worden waren, obwohl die Dezembersonne hell schien. „Personalmangel", war seine Entschuldigung, er sah mich aber nicht an, als er es sagte. Ein Hausarbeiter trug uns die Wahrheit zu - ein Mann hatte sich erhängt, der Körper musste weggeschafft werden und die Gefangenen sollten nichts davon wissen. *
Ich hatte gelernt, die 15 Zentimeter dicke Stahltür als Freund zu betrachten: Sie schloss die Außenwelt zu meinem Wohle aus. Es war eine Weltanschauungsfrage, ein kleiner psychologischer Trick. Die Tür hielt all die Störfaktoren draußen, die jeder Schriftsteller irgendwann zu hassen beginnt - unerwartete Besucher, Gerichtsvollzieher, missionierende Zeugen Jehovas, Geldeintreiber, Briefe, E-Mails und natürlich das läutende Telefon. Vierzehn Monate lang - in dieser Hinsicht waren sie Monate reiner Wonne - hörte ich niemals den irritierenden Ton 63
von irgend jemandes Mobiltelefon. Unsere Zellen wurden gelegentlich nach diesen Apparaten und anderer „Schmuggelware" durchsucht, die von Gefangenen bei Außenarbeitskommandos eingeschmuggelt worden waren. Oder von unredlichen Anwälten - und solche gab es auch. Schlimmer noch: Ein paar Monate vor meiner Ankunft verhalf sogar ein falscher Anwalt seinem Klienten zur Flucht. Er brachte ein sauberes Hemd und eine Krawatte für seinen „Mandanten" herein - und sie gingen zusammen beim Haupttor hinaus. Nach diesem Skandal führte die Justizanstalt Wien-Josefstadt eine biometrische Gesichtserkennung für die Besucherzone ein. Wer jetzt dorthin gelangen will, muss sich zunächst legitimieren und wird dann biometrisch erfasst. Er kann die Anstalt erst wieder verlassen, nachdem festgestellt worden ist, dass sein Gesicht mit den gespeicherten Daten übereinstimmt.
Gefangene, die bei Regelverstößen erwischt wurden, kamen für ein oder zwei Wochen in den Bunker, wie die Absonderungszellen in der Justizanstalt Wien-Josefstadt im Knastjargon genannt werden. Nach dem Gesetz kann die Unterbringung in „Disziplinarverwahrung" bei einem Erwachsenen bis zu 28 Tage und bei einem Jugendlichen bis zu 14 Tage dauern. Ich hatte nicht das „Vergnügen". Aber man erzählte mir, dass es sich bei dem Bunker um eine Zelle mit einer Matratze auf dem Boden und einem Eimer in der Ecke handelte. Nur einmal sah ich, wie ein Gefangener mit nach hinten gebogenen Armen in gebückter Haltung in diese Richtung abgeführt wurde. Was er getan hatte, um das zu verdienen, weiß ich nicht. Meine Zelle wurde in den ersten Monaten vier- oder fünfmal durchsucht - ich gebrauche lieber das Wort gefilzt, das ich bei meinen Forschungen in den Privattagebüchern von Feldmarschall Erhard Milch beim Thema seines Aufenthalts in den allliierten Gefängnissen von Nürnberg und Dachau aufgeschnappt hatte. Danach schien man es aufgegeben zu haben. Die Durchsuchungen dauerten ungefähr zwanzig Minuten, und die Beamten waren freundlich, nachlässig und zwanglos. Einmal sagte der leitende Beamte: „Alles okay, Herr Irving, ausgenommen dieses Buch - es ist konfisziert." Er schnippte dazu gebieterisch 64
mit den Fingern in Richtung auf mein Buch Hitler's War, mit dem ich an diesem Tag arbeitete, um dann hinzuzusetzen: „War nur ein Scherz." Die Stahltür war dunkelgrün gestrichen, innen völlig glatt und ohne irgendein Merkmal, wenn man von dem Guckloch absieht. Mit Bedacht versuchte ich nie zu erproben, ob sie abgeschlossen war. Sie war es. Auf die Tür der Nasszelle neben dieser glatten Stahltür hatte ein früherer Insasse fachmännisch einen kleinen, pinkelnden Jungen gezeichnet, nicht ganz so vollendet wie die Brunnenfigur in Brüssel, aber doch sehr daran erinnernd. Dieses Männeken Pis und eine kühne kleine Küchenschabenfamilie waren jetzt meine einzigen Zellengenossen. Die Zeichnung war noch da, als ich Monate später - vom Oberlandesgericht freigelassen, aber noch nicht frei - hinausging; die Küchenschaben hatten weniger Glück. Später in diesem Jahr schrieb ich: Normalerweise würde ich nun sagen, dass ich fit sei, aber ich bin es nicht — alle meine Muskeln beginnen zu schmerzen, aus Mangel an Bewegung. Die Zelle misst nur 2 Meter mal 2,5 Meter und wird zum größten Teil von der Doppelschlafstelle ausgefüllt, dazu kommt ein Schrank, ein Tisch und zwei Eisenstühle. Das Bett ist für einen Mann von 186 Zentimetern Größe um 10 Zentimeter zu kurz. Und gestern wurden wir ohne Angabe eines Grundes 24 Stunden lang eingesperrt, obwohl es draußen sonnig war; auf die Dauer am schlimmsten ist das minderwertige Essen, zumeist nicht frisch und überständig, Reis, verdorbenes Obst, dünne Suppen, in denen noch das Pulver schwimmt usw. Es ist unmöglich, Salat oder Grünzeug zu bekommen — nichts davon ist vorgesehen und es kann auch nicht gekauft werden; auf die Dauer tut mir das nicht gut. Ich habe einen Liter reinen Zitronensaft gekauft, um Vitamin C zu bekommen und nicht bald mit Skorbut darniederzuliegen. Dazu einen Liter orangefarbenen Sirup. Gestern nacht während der winzigen Ruhezeit, mit Betonung auf winzig, mixte ich ein Getränk aus Zitrone und Sirup; es rauchte, statt zu sprudeln, was kein gutes Zeichen war ... lag dann zusammengekrümmt auf dem Bett und wunderte mich, weshalb das Getränk einen brennenden Geschmack hinterließ, bis ich erkannte, dass das Reini65
gungsmittel für die Zelle in eine Einliterflasche gleicher Größe, Form und Farbe wie die danebenstehende Zitronensaftflasche abgefüllt war. Na gut, wenigstens werde ich inwendig ein oder zwei Monate lang sauber sein. *
Wenige Minuten, nachdem Liebetreu am 20. Februar 2006 im Großen Schwurgerichtssaal des Straflandesgerichts Wien seinen - für mich unhörbaren - Urteilsspruch verkündete hatte, hatten wir formell Rechtsmittel „angemeldet", wie man in Österreich sagt. Die Nichtigkeitsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof und die Berufung zum Oberlandesgericht. Dr. Kresbach sagte mir, dass wir nichts tun könnten, bis wir das schriftliche Gerichtsurteil erhielten, was, wie er vorhersagte, vier Wochen dauern würde. Als das Urteil schließlich vorlag, stellte ich fest, dass es in der Frage meiner Schuld oder Unschuld keine Begründung enthielt, was aus rechtsstaatlicher Sicht ein Unding ist. „Der Schuldspruch gründet sich auf den Wahrspruch der Geschworenen", heißt es darin einfach. Und dieser sogenannte Wahrspruch der Geschworenen wird nicht begründet. Aber die Strafzumessungserwägungen verrieten, dass der Richter mir alles andere als wohlwollend gegenübergestanden und das härteste mögliche Urteil gegen mich vertreten hatte. Strafmilderungsgründe konnten danach - ich zitiere aus dem Urteil - „praktisch nicht in relevantem Ausmaß als mildernd auf die Höhe der Freiheitsstrafe Einfluss nehmen". Dass ich den äußeren Sachverhalt eingeräumt hatte, stellte „keinesfalls" einen Milderungsgrund dar und konnte „als Milderungsgrund praktisch nicht herangezogen werden". Auch konnte „keineswegs davon ausgegangen werden, der Angeklagte habe bisher einen ordentlichen Lebenswandel geführt". Hiergegen sprächen meine „ständigen Vorträge auf der ganzen Welt" - die österreichische Gerichte in Wahrheit nicht das Geringste angehen. Rechtsirrtum? „Auch dieser Milderungsgrund kann nicht einmal annähernd ernsthaft in Betracht gezogen werden." Selbst ein Teil der Strafe konnte mir nicht „bedingt nachgesehen" (sprich: zur Bewährung ausgesetzt) werden, denn eine 66
geringere Freiheitsstrafe kam angeblich „selbstredend nicht in Betracht" und „auch jeglicher Gedanke an eine Rechts wohltat einer teilbedingten Strafnachsicht" war „zu verwerfen". So so! Vielmehr, heißt es in dem Urteil, das die Unterschrift Liebetreus trägt, bedürfe es bei mir Jedenfalls des Vollzugs der gesamten verhängten Freiheitsstrafe" - und dies „schon aus spezialpräventiver Sicht, jedoch umso mehr aus diesfalls überragend generalpräventiver Sicht, um ihm selbst wie auch anderen das Unrecht seines strafbaren Verhaltens eindrucksvoll vor Augen führen zu können". Hier war eben alles „selbstredend" und „keinesfalls". Das ist nicht nur ein fürchterliches Deutsch, sondern auch nicht nüchtern und abwägend, wie man es von einem Gericht erwartet. In der Tat: Mit starken Ausdrücken bemäntelte das Landesgericht unter dem Vorsitz von Magister Liebetreu die Substanzlosigkeit seiner zu meinen Lasten getroffenen Strafzumessungserwägungen, die zehn Monate später vom Oberlandesgericht zerpflückt werden sollten. Aber bis dahin sollte ich noch viel Gelegenheit haben, gesiebte Luft zu atmen. *
Das Rechtsmittelsystem des österreichischen Strafrechts ist kompliziert und steckt voller Fallen: Gegen ein Urteil des Geschworenengerichts ist die Nichtigkeitsbeschwerde zum Obersten Gerichtshof zulässig. Dabei wird aber nur der Schuldspruch und nicht das Strafmaß untersucht. Zudem handelt es sich um eine bloße Prüfung auf Rechtsfehler, der festgestellte Sachverhalt kann mit der Nichtigkeitsbeschwerde also nur in Ausnahmefällen angegriffen werden. Daneben gibt es die Berufung zum Oberlandesgericht, mit der aber nur das Strafmaß angefochten werden kann. Über Rechtsmittel, mit denen ein Angeklagter oder der Staatsanwalt ein Urteil bekämpft, entscheiden ausschließlich Berufsrichter. Nicht wenige Rechtsmittel scheitern, weil sie nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt sind oder verabsäumt worden ist, das Rechtsmittel durch entsprechende Anträge in der Hauptverhandlung vorzubereiten. Noch etwas befremdete mich: 67
In Großbritannien ist das Verhandlungsprotokoll eine wörtliche Aufzeichnung durch erfahrene Gerichtsstenografen; die Niederschriften des Lipstadt-Prozesses füllen mehrere tausend Seiten und die Genehmigung, sie auf meine Internetseite zu setzen, kostete mich viele tausend Pfund. In der Bundesrepublik Deutschland, in Österreich und anderen europäischen Ländern ist es eine Zusammenfassung, ein nachträgliches Gebräu. Gewöhnlich wird an den Fragen und Antworten darin viel herumgefummelt. „Wirklich" geschehen ist dann das, was im Protokoll steht, und nicht, was wirklich geschah. Das Protokoll, das uns um den 17. März 2006 erreichte, stellte gleich auf der ersten Seite fest, dass ich zugegeben hätte, 1989 in Österreich Naziaktivitäten ausgeführt zu haben; das war absurd, denn das hatte ich nicht, und die zweihundert Leute auf den Zuschauergalerien konnten das bezeugen. Aber ich konnte nichts dagegen unternehmen. Noch beunruhigender für mich, als ich viel später einen flüchtigen Blick auf das Dokument warf - ich leide unter einer tiefsitzenden Abneigung gegen alle derartigen Gerichtspapiere -, war das, was ich am Schluss angeheftet fand: vier Ausdrucke von Zeitungsartikeln, die der Richter in den Tagen vor der Verhandlung heruntergeladen hatte, alle aus deutlich linkslastigen Quellen. Er hatte auch den weitschweifigen Eintrag über mich in der deutschen Wikipedia ausgedruckt, wo man auf ein Dutzend mich angreifende Internetseiten verwies. Zum Beispiel hatte die Süddeutsche Zeitung am 17. Februar 2006 einen rasenden Artikel der 1970 geborenen Journalistin Eva Menasse gebracht. Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte sie schon über den Lipstadt-Prozess in London im Jahre 2000 berichtet und sogar das erste von sieben über den Prozess veröffentlichten Büchern geschrieben. Sie war eine kluge Schreiberin, und das erste von ihr, nachdem sie den Abend mit uns in unserem damaligen Heim am Grosvenor Square in London verbracht hatte, in der FAZ publizierte Interview war bemerkenswert freundlich und positiv. Hatte sie dafür eins auf den Deckel gekriegt? Für den Rest dieses Prozesses jedenfalls überschütteten mich ihre Artikel nur noch mit Gift, Galle, Schlamm. Eva Menasse, die nun für die Süddeutsche schrieb, hatte ihre Lektion gelernt. Sie benutzte ihre Kolumne drei Tage vor der 68
Hauptverhandlung, um diejenigen anzuprangern, die mich in Schutz nahmen: Und natürlich reagierten gleich ein paar liberal gesinnte Zeitgenossen wie auf Knopfdruck. Das Verbotsgesetz sei vielleicht wirklich nicht mehr zeitgemäß, hieß es in österreichischen Kommentaren. Auch international formieren sich seine Gegner als Fürsprecher, allen voran Deborah Lipstadt: Gefängnis sei das falsche Instrument. „Das österreichische Verbotsgesetz, in seiner ersten Form bereits am 8. Mai 1945 formuliert, ist ein Gesetz im Verfassungsrang" und „konform mit der Europäischen Menschenrechtskonvention", fachsimpelte Eva Menasse. Die acht Geschworenen und die drei Berufsrichter sollten, so forderte sie, „an das Recht von Holocaust-Überlebenden denken, wenigstens im Täterland vor Beleidigung und Verleumdung geschützt zu werden". Menasses Beitrag gipfelte in der Forderung, dass ich nun ein hartes Gefängnisurteil erhalten sollte, da ich klar schuldig sei: Dieser mit allen Wassern gewaschene Pseudohistoriker hat gegen geltendes österreichisches Recht verstoßen und sich bewusst der Verhaftung ausgesetzt, daher soll er ruhig bestraft werden. Denn ein „Märtyrer der Meinungsfreiheit" ist Irving für seine Anhänger längst, da kommt es auf dieses Urteil nicht mehr an. Doch die BBC stehe schon bereit, gruselte sich Menasse zum Schluss dieser ungewöhnlichen Kreuziget-ihn-Tirade, „den Sünder heim nach England zu begleiten". In Großbritannien würde ein Journalist der Missachtung des Gerichts beschuldigt, wenn er in einem Fall wie diesem vorverurteilte. Und auch ein Richter müsste in Großbritannien aus einem Verfahren ausscheiden, falls er sich außerhalb des Gerichtssaals informierte, indem er vor der Verhandlung im Internet surft. *
Es gab nur wenig, was ich tun konnte, um die Zelle, die jetzt mein Heim war, menschlicher zu gestalten. Nach ein paar Wochen hatte ich Schnappschüsse meiner Töchter an die Wand neben dem vergitterten Fenster geheftet und später, als ich ihre Briefe erhalten hatte, auch die neuesten Bilder meiner Enkel. Ich musste lachen, als ich zuerst 69
in der jeglicher Fakten entbehrenden britischen Presse - The Sunday Express begann mit dieser besonderen Legende - las, dass „Mr. Irvings Kinder ihm entfremdet sind". „Irvings Zwillingsbruder Nicholas, ein Beamter im Ruhestand, und sein älterer Bruder John, ein RAFOffizier a. D., haben beide seine Ansichten abgelehnt", berichtete The Daily Telegraph ein paar Tage nach dem Commissfoned by Vte Guardian Prozess, „und man weiß, Eine Karikatur von David Smith dass er in den letzten in „The Guardian". Jahren wenig von seinen Töchtern aus seiner ersten Ehe mit seiner spanischen Frau Pilar gesehen hat". Die Zeitungen erfanden sogar Dinge, die meine Kinder angeblich gesagt hätten. Ich hatte es schon lange aufgegeben, derartige Sachen zu korrigieren. Die Kluft zwischen der Vorstellung der Presse und der Wirklichkeit wird ständig tiefer. Es ist wie bei einem tektonischen Graben: Hat sich der Spalt einmal geöffnet, ist es unmöglich, ihn wieder zu schließen.
Meine älteste Tochter ist bei den Engeln. Sie nahm sich vor acht Jahren, nach einem Unfall beinamputiert und gelähmt, das Leben. Es gab keinen Tag in Österreichs Gefängnissen, an dem ich nicht an sie und ihr hartes Schicksal dachte. Ihre drei Schwestern leben in Spanien beziehungsweise Australien und die vierte, Jessica, in London. Im Frühjahr flog Beatrice von Brisbane nach Wien, um mich zu besuchen und mir ihre erste Tochter vorzustellen. Ihnen wurde nach ihrem 20.000-Kilometer-Flug der Standardbesuch von 70
Meine älteste Tochter Josephine (Mitte) mit ihren Schwestern Pilar (rechts) und Beatrice (links). Ein Bild aus glücklichen Zeiten, entstanden im August 1977 auf dem Familienurlaub in Mexiko in Tula, der einstigen Hauptstadt der Tolteken. Nicht auf dem Bild ist meine Tochter Paloma.
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fünfzehn Minuten Dauer gewährt; ein schalldichtes Fensterchen trennte uns und zum Schluss wurde das Telefon abrupt abgeschaltet, ehe ich noch „Auf Wiedersehen" sagen konnte. Mein australischer Schwiegersohn war mit ihr gekommen, wurde aber nicht hereingelassen. Ordnung muss sein. Bente konnte mich leider nie besuchen, da sie zu krank war, um London zu verlassen - sie leidet an Multipler Sklerose und an Krebs. Zu meinem zusätzlichen Kummer bedeutete das, dass auch Jessica, selbst an ihrem zwölften Geburtstag, nicht zu mir kommen konnte. Meine Tochter Paloma reiste Anfang Mai aus Madrid für einen Besuch an. Sie fragte, ob ich die Geschenke erhalten hätte, die die Familie mir über Dr. Kresbach zu meinem Geburtstag im März gesandt hatte - sie selbst hatte einen guten CD-Spieler und Discs mit klassischer Musik geschickt. Da ich bis dahin nichts davon gehört hatte, fragte ich Kresbach bei seinem nächsten Besuch. Würdevoll teilte er mit, die Gaben und Briefe erhalten zu haben. Ich bekam sie nie und reichte schließlich zwei förmliche Beschwerden über diesen chaotischen Anwalt bei der Rechtsanwaltskammer in Wien ein. Wie bitterlich bereute ich, dass ich nicht bei Dr. Herbert Schaller geblieben war. Die Zelle blieb täglich 23 oder 24 Stunden lang zu. Während dieser Zeit wurde die Zellentür nur zweimal kurz aufgeschlossen - um sieben Uhr zum Hereinreichen des Frühstücks (ein Becher mit einem heißen Getränk und ein Viertellaib Schwarzbrot) und um 10.30 Uhr zur Ausgabe des Mittagessens. Um 14.30 Uhr schob ein Beamter das „Abendessen" durch eine kleine, viereckige, schüsselgroße Luke. An den Wochenenden wurde die Abendverpflegung zusammen mit dem Mittagessen um 10.30 Uhr hereingereicht; es war ein Töpfchen Putenaufstrich für das Schwarzbrot oder ein streichholzschachtelgroßes Stück Käse und vielleicht eine ganze Zwiebel. Wenn das Abendessen ausgegeben und die meisten Gefängnisbeamten nach Hause gegangen waren, begann wieder der Lärm; Tag für Tag schlugen die Gefangenen dann an die Gitterstäbe vor ihren Fenstern, unterhielten sich über den Gefängnishof hinweg mit ihren Komplizen in zig verschiedenen Sprachen. 72
Allmählich verdunkelte sich der Himmelsfleck über dem Gefängnishof und der Stacheldraht blitzte im Schein der auf dem Dach angebrachten Flutlichtlampen. Die Scheinwerferstrahlen blendeten die ganze Nacht lang gnadenlos in unsere vorhanglosen Zellen. Manchmal konnte ich während der Nacht das Schreien eines Babys hören (es hatte hier im Gefängnis Geburten gegeben) oder die Stimmen von weiblichen Gefangenen, die aus Fenstern im vierten Stock riefen. Nur selten sahen wir diese Frauen, wie sie in kleinen Kolonnen zu fünft oder sechst - die meisten mit unordentlichen Kleidern und zerzausten Haaren - die Gefängniskorridore hinunterschlurften. Mehrere Nächte lang drang aus der Nachbarzelle, Nummer 20, der traurige Gesang eines Zigeuners, der bis lange nach Mitternacht Klagelieder der Roma von sich gab. Unter anderen Umständen hätte es inspirierend sein können, aber jetzt war es das nicht. *
Gelegentlich wurde die Tür von einem Kerkermeister mit einem Wort aufgestoßen. „Anwalt!", hieß es dann. Oder: „Besuch!" „Anwalt" bedeutete einen Dreistundenausflug hinauf in den zweiten Stock und Einsperrung in einem stinkenden, raucherfüllten Verließ mit an die Wände geschmierten, traurigen Mauersprüchen - „Sissi, halte durch, dein Kuschelbär". Irgendwann trudelte dann Dr. Kresbach zu seinem regelmäßigen Fünfminutengeplauder ein - jedoch schien er nie eine Erörterung der Taktiken oder der Berufung in Betracht zu ziehen. Dann ging es wieder in das Verließ, um auf die Eskortierung in meine Zelle, zurück zu meinen jeweiligen Schreibarbeiten, zu warten. Die allererste Besucherin, gleich nachdem die Zeitungen meine Verhaftung enthüllt hatten, war gänzlich unerwartet. Eine elegante, schwerbehinderte Dame Mitte sechzig. Ihre Begrüßungsworte brachten mich beinahe aus der Fassung: „Erkennen Sie mich?" „Brigitte Müller!", rief ich - heute, als verheiratete Frau, heißt sie anders. Sie lächelte scheu, erfreut, dass ich mich nach all diesen Jahren an ihren Namen erinnert hatte. 73
Zum letzten Mal hatte ich sie vor 45 Jahren gesehen: Sie war eine Schönheit. Ich war jung und fit, hatte eine Familie, die nach Spanien vorausgereist war und der ich drei Wochen später von London aus mit der Bahn folgte. Im Zug von Boulogne saß ich dieser hübschen, zwanzigjährigen Kärntnerin gegenüber, und wir plauderten die ganze Strecke bis Paris. Wir hatten drei Stunden Umsteigezeit totzuschlagen - sie für den Zug nach München und Klagenfurt, ich für den nach Spanien. So lud ich sie in Paris zum Essen ein - und gestand es nach meiner Ankunft in Nordspanien Pilar, meiner Frau. Jetzt saß Brigitte auf der anderen Seite des schalldichten Glasfensters. Ich zeigte auf das Telefon vor ihr, und sie nahm es auf. „Haben Sie meinen Brief erhalten?", forschte sie. Meine Gedanken sprangen zurück zu einem Morgen vor all diesen Jahren, als das Licht in meinem Schlafzimmer am Grosvenor Square plötzlich aufgeflammt war und Pilar mich ärgerlich anblaffte: „Wer ist Brigitte Müller?" Ja, ich hatte von ihr viele Monate nach dieser Bahnfahrt einen Brief bekommen, aber er war sieben Seiten lang, handschriftlich in Deutsch, und ich hatte ihn in eine Tasche gesteckt, um ihn gesteckt um ihnspäter zu lesen.
Letzter Satz? Ich hatte noch nicht einmal den ersten gelesen. Wie sich herausstellte, hatte Brigitte in aller Unschuld ihren Brief auf Englisch beschlossen - mit einem Satz, an den ich mich lebhaft erinnerte, als ich die ältere Dame anlächelte, die mir in Josefstadt gegenübersaß: „Dieses Weihnachten bin ich als Skilehrerin in Tirol", zitierte ich durch das Telefon. „Warum kommst Du nicht, und ich werde Dir ein oder zwei Sachen beibringen?" Brigittes Gesicht leuchtete kurz vor Entzücken auf. Doch wie hatten die Jahre uns beide verändert. Sie war durch einen Autobahnunfall querschnittgelähmt und konnte nur mehr mit der linken Hand schreiben. Meine Besucherin zwang ein schmerzliches Lächeln auf ihre Lippen und erklärte, dass sie an diesem Morgen den Zug von Klagenfurt genommen hätte, eine Fünfstundenreise, und an diesem Nachmittag mit der Bahn zurückfahren würde. Sie hatte versucht, mich zu sehen, als ich 1989 in ihrer Stadt sprach - die verhängnisvolle Tour, die sechzehn Jahre später zu meiner Verhaftung geführt hatte -, aber der Mob hatte die Halle blockiert und mein Vortrag war abgesagt worden.
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„Ich habe deine Taschen durchsucht und das gefunden!" In dem angenehmen Bewusstsein, dass der Brief, was auch immer er beinhalten mochte, auf Deutsch verfasst war, sprudelte ich heraus, dass es sich um das Mädchen handelte, von dem ich ihr diesen Sommer erzählt hatte alles ganz harmlos. „Wie erklärst du dann ihren letzten Satz?", wandte Meine erste Frau Pilar und Rolf Hochhuth. sie ein. 74
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Brigitte hatte mittlerweile drei erwachsene Kinder. „Mein Sohn Knut", sagte sie, „ist Violinist bei den Berliner Philharmonikern. Sie machen eine Chinatour. Die Zeitungen dort sind voll von Ihrer Verhaftung und der Verletzung Ihrer Menschenrechte." Mehr Besucher folgten. Einmal monatlich wurde der Ausruf „Besuch!" durch den Beamten lächelnd um die Worte erweitert: „Es ist die Reka!" - eine junge ungarische Witwe, eine Flugbegleiterin bei Malev, deren Vater meine Bücher gelesen hatte. Sie hatte mich sozusagen von ihm übernommen. Nach nur einigen ihrer Besuche wurde im ganzen Josefstadt-Gefängnis über sie gesprochen, so gutaussehend, wie sie war. Sie brachte mir regelmäßig Geschenke von ihren fernen Flugzielen mit: Damaskus, Tokio, Peking ... Zumeist handelte es sich um Kleidung - und ich konnte unschwer daraus schließen, dass selbst große Orientalen um viele Größen kleiner sind als wir Engländer.
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VI. Neuer Ärger, Verteidigerwechsel die Gegenoffensive rollt an Nach der Verhandlung am 20. Februar 2006 waren die Journalisten an der Reihe. Dr. Kresbach arrangierte für sie Besuche und der Richter, der solche Besuche kontrollierte, schien keine Einwände zu haben. Der erste war ein öliger, überfreundlicher, englisch sprechender Freischaffender aus Berlin, der angab, für die Londoner Presse zu schreiben. Anders als die fest angestellten Zeitungsjournalisten müssen die freiberuflichen ihre Artikel aufpeppen, um sie vermarkten zu können: deshalb sind sie nicht selten eine besonders gefährliche Spezies von Schreibern. Er vermied sorgfältig, mir seinen Namen zu offenbaren - später sah ich, dass er Greenfield hieß. Die Tendenz seiner Fragen ließ mich sofort auf der Hut sein. Würde ich nicht zustimmen, sagte er mit verschwörerischem Geflüster, dass die Juden in Wien wieder einmal die Kontrolle übernommen hätten und ich ihnen diese ganze Schicksalsprüfung zu verdanken hätte? Ich gab eine unverbindliche Antwort - ich sei mit der Wiener Politik nicht vertraut, meinte ich. Dies hinderte ihn aber nicht, mir diese seine üblen Worte in den Mund zu legen, als er einige Tage später seinen Artikel in The Independent veröffentlichte. Er wusste, dass ich mich aus der Haft kaum wehren konnte und er ungeschoren davonkommen würde. Andere Journalisten, die mich interviewten, begingen die entgegengesetzte Sünde, nämlich die der Weglassung. Soweit meine Erklärungen nicht dem entsprachen, was sie von mir erwartet hatten, oder von der Richtschnur abwichen, die ihnen von ihren Herausgebern eingetrichtert worden war, ließen sie diese Aussagen einfach weg. Das geschah, als mich eines Morgens zwei Journalisten von Die Presse (einer Wiener Zeitung, die zur „Qualitätspresse" gerechnet wird) und der Austria Presse Agentur (APA) gemeinsam besuchten und mich lange interviewten - unter Schwierigkeiten übrigens, da es zur Kommunikation durch das Fenster in der Besucherzone nur ein Telefon für beide gab. 77
Was sie publizierten, war sehr schädlich und führte letztendlich zu neuen Ermittlungen gegen mich. Zum Glück war Michael Klackl ein gewissenhafter Staatsanwalt und untersuchte seinen neuen Fall gründlich. Im Gerichtsakt entdeckte ich Monate später die handschriftlichen Originalnotizen beider Journalisten, und diese enthielten Schlüsselsätze, die ich tatsächlich gesagt hatte und die sie, aus welchem Grund auch immer, zurückgehalten hatten: „Niemand mit gesundem Verstand kann leugnen, dass die Nazis tatsächlich Millionen Juden getötet haben", hatte ich mit Bedacht erklärt. Kein Hinweis darauf war in ihren gedruckten Berichten enthalten. Ich war ein „Holocaustleugner". Sie selbst hatten es so gesagt, und nichts durfte dieses Bild stören. Ich hatte den Journalisten auch gesagt, wie ich von den Behörden ohne Möglichkeit, mit der Außenwelt zu verkehren, außerstande, mit jemand Kontakt aufzunehmen, festgehalten worden war - eine Vorgehens weise, die man in der Tat eher aus Diktaturen mit ihrer Nacht-und-Nebel-Methode kannte. Und ich bezog mich auf die Anordnung der österreichischen Justizministerin, Frau Magister Karin Gastinger, alle meine Bücher aus den Gefängnisbüchereien in Österreich zurückzuziehen und zu vernichten - Bücher, die von Ullstein, Hoffmann & Campe, Bertelsmann und anderen führenden Verlagen veröffentlicht worden waren. Die Presse publizierte einige meiner bitteren Kommentare am 3. März 2006 als Aufmacher einer ganzen Seite. Der Artikel zog eine Reihe von Leserbriefen nach sich, so am 6. März 2006 den folgenden von Dr. Maximilian Wellner aus Wien: Als junger Jurist muss ich meiner Bestürzung darüber Ausdruck verleihen, dass in Österreich Menschen wegen eines Meinungsdelikts mehrjährige Haftstrafen absitzen müssen. Ich war als Rechtspraktikant am Landesgericht Linz Richtern zugeteilt, die mit Sittlichkeitsdelikten befasst waren. Ich erlebte kein einziges Verfahren, in dem ein Vergewaltiger oder Kinderschänder zu einer unbedingten dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Das Recht der freien Meinungsäußerung unter Strafe zu stellen, war mir bislang nur aus dem Geschichtsunterricht oder der Berichterstattung über Bananenrepubliken bekannt. Daher fällt die Idee des Verbotsgesetzes für mich in den Geist einer Zeit, die 78
ich als aufrechter Demokrat für überwunden hoffte. Ich schäme mich für die Republik Österreich. Am selben Tag kam auch Lars Otto Kristensen aus Aarhus, Dänemark, in den Leserbriefspalten von Die Presse zu Wort: Ich verstehe sehr wohl die besonderen österreichischen und deutschen Voraussetzungen. Aber gerade in dieser Zeit, wo das Recht der freien Meinungsäußerung in Frage gestellt wird, wäre es vielleicht besser, selbst einen Irving zu dulden. Nun, das Urteil gegen mich diente offenbar nicht dem Ansehen Österreichs in der Welt! *
Einen neuen Ansatzpunkt für die Ermittlungsbehörden bildete der Umstand, dass ich aus unserem Gefängnisflügel, dem CTrakt, mehrere in England ausgestrahlte Live-Interviews zustandegebracht hatte. Ich hatte auf Wunsch von Sky Television am Mittwoch, dem 22. Februar 2006, mit der Nachrichtenredaktion dieses britischen Senders telefoniert. Als die Redaktion meinen Namen hörte, erklärte man mir: „Bleiben Sie eine Sekunde dran, und wir werden Sie live schalten" - und so kam es, dass ich aus der Justizanstalt Wien-Josefstadt heraus zu Millionen sprach. Satelliten trugen meine Stimme und mein Foto rund um die Welt. Ich sprach, bis meine Telefonkarte aufgebraucht war. Was ich sagte, fassten Zeitungen am 23. Februar wie folgt zusammen: Irving, 67, sagte dem britischen Sender Sky Television, er sei der Auffassung, dass es Historikern erlaubt sein muss, offizielle Versionen der Geschichte in fragezustellen. Außerdem beinhalte die Meinungsfreiheit das Recht, sich zu irren. Irving: „Ich komme aus einem freien Land und werde mich von niemandem zum Schweigen bringen lassen." Diese Großtat gab mir Auftrieb, und alsbald sprach ich bei ITN, dem größten Nachrichtenkanal in England, und schließlich beim Today-Programm von BBC Radio 4, dem beliebtesten Morgenprogramm der BBC. Das Fünfzehn-Minuten-Gespräch mit Kirstie Mackenzie war vielleicht ein Fehler, da die Wiener Staatspolizei es in Auszügen von der BBC-Internetseite herunterladen und gegen mich verwenden konnte. Der Begriff der Re79
defreiheit, für die die Briten - und die BBC - im Zweiten Weltkrieg so tapfer gekämpft hatten, schien für einige in Österreich noch ein Fremdwort zu sein. Ich antwortete Kirstie Mackenzie während dieses BBC-Gesprächs freimütig auf ihre Fragen. Der Zusammenschnitt der BBC erweckte den Eindruck, dass ich in dem Interview nach österreichischem Recht strafbare Äußerungen gemacht hätte. Unglücklicherweise war meine regelmäßig und auch diesmal ausgesprochene Warnung „Niemand mit gesundem Verstand kann leugnen, dass die Nazis tatsächlich Millionen Juden getötet haben" herausredigiert worden, als die BBC ihren Bericht für ihre außerordentlich populäre Internetseite zurechtstutzte, was meine nachfolgende Bemerkung „Niemand kann das entschuldigen" beziehungslos und verwaist im Raum stehen ließ. Das Ergebnis war unschön. Die österreichische Presse berichtete mit anhaltender Wut über meine boshaften Rundfunkübertragungen aus dem Gefängnis. Im Wiener Parlament wurden Anfragen eingebracht. Für mehrere Tage wurden dem ganzen C-Trakt die Telefonierrechte entzogen - es war wohl ein Glück, dass meine Mitinsassen nicht wussten, wem sie das zu verdanken hatten. Unter dem Titel „Nach BBC-Interview: Wieder Erhebungen in Causa Irving" berichtete am 1. März der Österreichische Rundfunk (ORF): Nach einem umstrittenen Interview mit der BBC will die Staatsanwaltschaft erneut gegen David Irving vorgehen. Eine weitere Anklage wegen Verstoßes gegen das Verbotsgesetz ist möglich ... Irving könnte nun eine neuerliche Anklage drohen. Da er das Interview nach dem Urteil gegeben hat, kann es sich bei den getätigten Aussagen um neue Tatbestände handeln. Die Staatsanwaltschaft hat das Landesamt für Verfassungsschutz mit weiteren Erhebungen betraut. Zunächst wird das Interview transkribiert. Irving wurde nicht rechtskräftig zu drei Jahren Haft verurteilt. Der Brite berief, er empfand das Strafmaß als zu hoch. Die jetzigen Aussagen dürften seine Chancen auf eine Herabsetzung der Strafe nicht erhöhen. 80
Aber damit nicht genug: Unterdessen ist auch eine Diskussion darüber angelaufen, ob es ein gutes Licht auf die Justiz wirft, wenn man David Irving aus seiner Zelle heraus „Hof halten lässt", wie es ein Kritiker formulierte. Grundsätzlich dürfen Angeklagte im Straflandesgericht vor ihrer Verhandlung nicht von Journalisten kontaktiert werden. Ob sie nach dem Prozess und vor dem Rechtsmittelverfahren Medienvertreter empfangen dürfen, entscheidet der jeweilige Hauptverhandlungsrichter. Dem auf der BBC-Homepage als Audio-File abrufbaren Interview liegt nach Recherchen des Justizministeriums ein richterlich genehmigter Anruf Irvings von einem Wertkarten-Automaten in der Justizanstalt zu Grunde. Die BBC hatte das Telefonat offenbar mitgeschnitten. Es kam, wie es kommen musste. Am 6. März 2006 wurden mir per richterlichem Beschluss jede weitere Benutzung eines Telefons und Besuche von Journalisten verboten: „Ab sofort wird dem Untersuchungshäftling nur mehr ein allfälliger Kontakt in Besuchsform zu nahen Angehörigen gestattet", wofür „in jedem Einzelfall" bei Richter Liebetreu „eine Einzelgenehmigung einzuholen sein wird". Angeblich, so begründete das Straflandesgericht seine Entscheidung, hätte ich meine „revisionistischen Äußerungen verstärkt" und „Beschimpfungen" gegen die Republik Österreich gerichtet. Der Beschluss wurde mir eines Tages formell in meiner Zelle ausgehändigt, und ich musste den Empfang quittieren. Ich würde nun viele weitere Monate nicht mit Bente oder Jessica sprechen können, und in der Folge kam in London ein Unheil nach dem anderen über sie. Es ging das Gerücht, dass die Staatsanwaltschaft mich aufgrund dieser Interviews mit den Medien wirklich erneut anklagen würde. Tatsächlich lagen Staatsanwalt Michael Klackl alle diese Rundfunk- und Zeitungsberichte vor, auch die Lügen, die von Greenfield der englischen Presse verkauft worden waren, und er leitete eine Voruntersuchung gegen mich ein. Bei einem weiteren Verfahren würde man mich nun nach § 3h des Verbotsgesetzes und nicht wie vorher nach § 3g anklagen. Beide Vorschriften sahen dasselbe Strafmaß vor - eine Mindeststrafe von einem und eine Höchststrafe von zwanzig Jahren -, aber 81
§ 3h erklärte nunmehr ausdrücklich jeden Versuch für strafbar, nationalsozialistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit öffentlich zu leugnen, gröblich zu verharmlosen, gutzuheißen oder zu rechtfertigen. Und ein „gefährlicher Wiederholungstäter" brauchte auf Milde nicht zu hoffen ... Mein Rechtsanwalt Kresbach blieb jetzt stumm. Er schien den Boden unter den Füßen verloren zu haben. Ich war bestürzt und begann zu begreifen, wo diese besondere Reise hinführte. Das Licht, das am Ende des Tunnels, in drei Jahren Entfernung, schwach geflackert hatte, schien nun ganz erloschen.
Die Rechtsmittelschriften gegen meine Verurteilung mussten bis zum 22. April 2006 eingereicht werden, anderenfalls würde ich die lange Zeit abzusitzen haben. Einige Wochen vor diesem Tag wurde mir unangenehm bewusst, dass das Fristende unerbittlich heranrückte und Kresbach nichts getan hatte, um Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung mit mir zu besprechen. Ich bezweifelte inzwischen sogar, dass er die Rechtsmittel überhaupt ernsthaft betrieb. Wegen Kresbachs Untätigkeit besorgt, schrieb ich einen Brief an Dr. Herbert Schaller, den altgedienten Anwalt, der mich schon 1989 in dieser Sache vertreten hatte, und bat ihn um seinen Besuch. Schaller kam und erklärte sich bereit, das Hauptverhandlungsprotokoll und die erstinstanzliche Entscheidung auf Ansatzpunkte für Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung zu überprüfen. Ich ging Kresbach in dieser Angelegenheit am Donnerstag, dem 13. April, mittags an. „Wie weit sind Sie mit den Rechtsmittelunterlagen?", fragte ich. Kresbach zündete sich einen neuen Stumpen an, lehnte sich in seinem Stuhl auf der anderen Seite des Glases zurück und schleuderte eine Haarsträhne aus seinen Augen, während er vermied, in meine zu sehen. „Mein Assistent wird heute Nachmittag beginnen, daran zu arbeiten", sagte er. „Morgen ist Karfreitag", hob ich mit einiger Bitterkeit hervor. „Dann kommt das Osterwochenende. Die Unterlagen müssen bis 82
nächstes Wochenende beim Gericht eingereicht werden. Sie sind gefeuert." Ich erhob mich und bat um die Eskorte, um in die Wartezelle zurückgebracht zu werden. „Schaller hat niemals beim OGH gewonnen!", schrie Kresbach. * „Unfug!" knurrte Schaller, als ich es ihm eine Stunde später erzählte. Ich erteilte ihm am selben Tag das Mandat. Als ich diesen drahtigen, weißhaarigen Bullterrier von einem Strafverteidiger ansah, fühlte ich mich ermutigt. Ich sah mich an die Beschreibung Rommels bei der Rückkehr zu seiner letzten Schlacht in Tunesien 1943 erinnert - seine mysteriöse Krankheit war plötzlich verschwunden und er reagierte wie ein Jagdpferd, das das Signal zum Aufbruch hört. An diesem Tag, dem 13. April 2006, unterzeichnete ich die Vollmacht, mit der ich Dr. Elmar Kresbach durch Dr. Herbert Schaller als meinen Rechtsanwalt ersetzte. Er würde die Rechtsmittel ausführen. Es war eine schicksalsträchtige Entscheidung. Die österreichischen Richter mochten für Schaller keine größere Zuneigung empfinden als ihre britischen Gegenstücke für mich. Am gleichen Tag reichte Staatsanwalt Michael Klackl drüben in den Büros der Staatsanwaltschaft am anderen Ende dieses gewaltigen Gefängniskomplexes seine Berufung gegen das Drei-Jahre-Urteil ein. Es sei zu niedrig, behauptete er und forderte eine Verschärfung. Bei seinem nächsten Besuch eröffnete Schaller mir, dass Kresbach seit November keine Akteneinsicht mehr angefordert hatte, obwohl seither viele Dokumente hinzugekommen waren. Es war wie in alten Zeiten. Herbert Schaller mochte dreiundachtzig sein, aber er war kenntnisreicher und kräftiger als die allermeisten halb so alten Anwälte. Als wir uns die Hände schüttelten, verrieten kleine rote Flecken auf seinen Wangen seine innere Erregung. Ich gab das Zeichen für die Eskorte. Schaller arbeitete das gesamte Wochenende durch und hatte die Rechtsmittelschrift termingerecht zur Einreichung fertig. Nach der Überschrift „AUSFÜHRUNG der NICHTIGKEITSBESCHWERDE und BERUFUNG gegen das Urteil vom 20. Februar 2006" hatte Dr. Schaller eine Präambel folgenden Wortlauts angebracht: 83
Vorab gebe ich, Dr. Herbert Schaller, als gewählter Verteidiger des Angeklagten, um jegliche Missverständnisse auszuschließen, die folgende grundsätzliche Erklärung ab: Ich habe diese Rechtsmittelausführung in Ausübung meiner Pflichten als Organ der Strafrechtspflege verfasst. Zu keiner der im angefochtenen Urteil behandelten Tatfragen und Wertungen nehme ich persönlich Stellung, identifiziere mich also in keiner Weise mit den dem Angeklagten zur Last gelegten Äußerungen. Die mit der Rechtspflege befassten Organe haben meines Erachtens für das einwandfreie Funktionieren eines menschenrechtskonformen Rechtswesens zu sorgen. Dazu gehört, dass im Strafverfahren die zur Belastung und die zur Verteidigung des Angeklagten dienenden Umstände mit gleicher Sorgfalt berücksichtigt werden und dass die Entscheidung nur nach den für und wider den Angeklagten vorgeführten Beweismitteln und der darauf gegründeten Überzeugung erfolgen darf. Die Rechtsausführungen stammen selbstverständlich von mir, Dr. Herbert Schaller, der ich hierzu aufgrund der analog anzuwendenden Vorschriften des § 9 RAO nach meinem besten Wissen verpflichtet bin.
Dr. Herbert Schaller steht den Journalisten souverän Rede und Antwort.
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VII. Der Untersuchungshäftling führt seine eigenen Untersuchungen fort Die Geschichte, die ich - wenn ich nicht verhaftet worden wäre den Studenten in Wien erzählt hätte, ist eine ungewöhnliche. Im April 1944, wenige Wochen nachdem die Nazis in Ungarn einmarschiert waren, hatte SS-Sturmbannführer Adolf Eichmann mit den jüdischen Führern Kontakt aufgenommen und einen Handel vorgeschlagen: Wenn sie ihm eine große Geldsumme zur Verfügung stellen würden oder alternativ zehntausend Lastwagen (zum Gebrauch, wie er sagte, nur an der Ostfront), würde er eine Million Juden freilassen. Die ersten sechshundert würden unverzüglich direkt nach Palästina entlassen, der Rest nach Amerika. Wir können anhand des Materials in den Archiven nicht bestimmen, wie ernst dieses Angebot gemeint war; ich persönlich vermute, dass es ein Versuch Himmlers war, einen Keil zwischen London, Washington und Moskau zu treiben. Joel Brand (1906-1964), ein führender Vertreter der ungarischen Juden, flog - unter Zurücklassung seiner Frau und seiner Kinder in Budapest als Unterpfand - in einem deutschen Kurierflugzeug nach Istanbul, wobei er einen Juden, der Gestapoagent war, mitnahm und Details des Angebots mit sich führte. Sie wurden bald von britischen Geheimdienstagenten in Syrien abgefangen, und Brand verbrachte die nächsten Monate in britischer Gefangenschaft in Kairo. Er wurde erst im August 1944 nach Palästina entlassen, als es zu spät war, die ungarischen Juden vor der Deportation zu retten. Die Geschichte, die ich zu erzählen hatte, ist den Historikern sehr gut bekannt und bildete sogar den Gegenstand eines deutschen Fernsehspiels von 1964. Was sie einzigartig macht, ist die Tatsache, die ich während meiner Forschungen für meine Churchill- und für meine Himmler-Biografie in den britischen Archiven entdeckt hatte: dass die britischen Dechiffrierer, die Experten in der Entschlüsselung hebräischer und 85
[die USA] nichts einzuwenden sei. In meinem zweiten Telegramm sagte ich: Angesichts der Tatsache, dass Wilhelm [Eichmann] für eine Auswanderung [der ungarischen Juden] nach Arye [USA] ist, ist es unerlässlich, dass Tartskower [die amerikanische Regierung] ihre Bereitschaft, sie aufzunehmen, bestätigt. Der Bote ist heute abgereist ... Ich überwies ungefähr eine halbe Million Schweizer Franken als Geschenk von Onkel [der Schatzmeister der Jewish Agency] an Joel [in Ungarn] und Gizi [Frau Gizi Fleischmann in der Slowakei]. Auch Heini und Rolf sandten ihnen Geschenke [Notiz des britischen Geheimdienstes: vermutlich Heini Bornstein, Repräsentant der Hashomer Hatzair in Basel, und Rolf Schloss, Baden, früher aus Holland]. Die Briten kannten dieses Angebot sehr wohl und bald darauf auch die Amerikaner in Istanbul; die Briten bremsten auf Vorschlag von Außenminister Anthony Eden vorsichtig, während die Amerikaner untersuchen wollten, wie lauter das Angebot war. * Vor dem Staatsarchiv in London 2003.
deutscher Nachrichten waren, die ganze Episode in aller Ruhe von Stützpunkten in England und Palästina aus beobachtet hatten. Die Archive in London enthalten zahlreiche Abhörprotokolle des britischen Geheimdienstes von den chiffrierten Botschaften, die Brand, seine Mitarbeiter und jüdische Repräsentanten in der Schweiz, Istanbul und Palästina miteinander austauschten. Ich hatte Abschriften der Abhörprotokolle bei mir, als ich verhaftet wurde. Eines zum Beispiel war eine hebräische Nachricht, die viele Codewörter enthielt. Sie war von Nathan Schwalb in der Schweiz an das „Committee" in Istanbul gesandt worden und gab die letzte von einem Kurier aus Ungarn überbrachte Nachricht wieder: Ich erhielt den Brief von Joel [Brand] am 25. April durch einen Boten. Willi [der Codename für Eichmann] ist mit seinem Plan dabei ... Sie konnten die Deportation aufschieben und erhielten die Antwort, dass im Prinzip gegen eine Auswanderung [nach Palästina] von 600 Personen und eine Auswanderung nach Arye 86
Als ich ein paar Tage nach meiner Verhaftung von dem Haftrichter Dr. Seda über den Gegenstand meines beabsichtigten Vortrags befragt worden war, hatte ich die EichmannBrand-Geschichte angerissen. Er sah dadurch seinen Verdacht - „Wiederbetätigung" - bestätigt; ich blieb weiter in Untersuchungshaft. Und die ist kein Picknick, sondern - entgegen der landläufigen Meinung - viel repressiver als Strafhaft. Österreichs Gefängnisse sind überfüllt, und unten im Hof war es nicht schwer zu sehen, weshalb. Rund 80 Prozent der Insassen der Justizanstalt Josefstadt waren ausländische Bürger aus rund 70 verschiedenen Staaten, besonders aus Osteuropa. Über 20 Prozent der Gefangenen waren Schwarze; mehrere von ihnen erzählten mir - in welcher Sprache auch immer wir uns verständigen konnten -, dass sie mit Tricks und falschen Versprechungen nach Europa gelockt worden waren und sich danach sehnten, in ihre Dörfer in Westafrika zurückzukehren. Die meisten von ihnen wurden wegen Rauschgiftdelikten festgehalten, einige wegen Mordes oder Vergewaltigung. 87
Etwa zehn Prozent der Gefangenen waren eher unter einem therapeutischen als unter einem Sanktionsgesichtspunkt zu betrachten. Bei jedem Hofgang sah ich psychisch kranke Gefangene. Aber es gab auch solche, die lediglich vorgaben, krank zu sein. Andere Gefangene waren ganz offensichtlich unschuldig, und ich konnte nicht erkennen, warum sie hier überhaupt einsaßen, es sei denn zur Arbeitsbeschaffung für die im Gefängnis ein und aus gehenden Rechtsanwälte. In Österreich schienen nach meinen Eindrücken Gefangene schuldig zu sein, bis sie ihre Unschuld beweisen konnten - keine einfache Aufgabe für die Unglücklichen, die hinter Gittern sitzen, denen man nicht selten das Telefonieren verweigert und die auf Pflichtverteidiger angewiesen sind, die sich kaum weniger um ihre Klienten kümmern könnten. Einer von ihnen war Sal, ein eleganter, aufrechter, älterer Albaner, der sich führend in der Kosovo-Befreiungsbewegung betätigt hatte. Eines Tages brachte er mir seine Gerichtsakte in den Hof zum Lesen. Er und ein Freund hatten legal zwei Millionen Euro gesammelt, um Waffen für die Befreiungsbewegung zu kaufen. Ein russischer Mittelsmann hatte sie um das Geld erleichtert mit dem Versprechen, die Waffen aus einer russischen Quelle zu beschaffen. Sie sahen weder die Waffen noch erblickten sie ihr Geld jemals wieder. Nach dem Ende des Kosovokrieges bestanden sie zornig auf dessen Rückzahlung. Der Schwindler hatte sie dann bei der Polizei mit der Behauptung angezeigt, sie hätten „unter Drohungen von ihm Geld gefordert". Es war mit Händen zu greifen, dass Sal von seinem Geschäftspartner aufs Kreuz gelegt worden war, und auch die Polizei hätte das erkennen sollen. Die nächsten vier Monate hindurch beobachtete ich, wie Sal zu einer körperlichen Ruine wurde. Seine Haltung wurde gebückt, sein Haar verschmutzte, seine Augen sanken in die Höhlen und sein Antlitz wurde hager vor Sorge um seine Familie. Selbst sein Anzug ging durch die Witterung vor die Hunde. Er fand sich in seinen letzten Lebensjahren im Gefängnis wieder, während der Schwindler sich ins Fäustchen lachte. Eines Dienstags fehlte er im Hof, und ich befürchtete das Schlimmste. Ich befragte den Stockchef, Bezirksinspektor Bern88
hard Hornicek - einen guten und kundigen Beamten. „Er hatte gestern seinen Prozess", sagte er. „Freispruch." Meine stillen Gebete für den alten Mann waren erhört worden. Natürlich stand kein Wort über derartige Ungerechtigkeiten in den Wiener Zeitungen. Sie gierten nach den letzten Neuigkeiten über Natascha Kampusch. Einen anderen älteren Gefangenen, der aus dem Rahmen fiel, traf ich während der vierzehntäglich stattfindenden Sitzungen unserer Gesprächsgruppe. Ein halbes Dutzend Akademiker und Kriminelle mit weißem Kragen durften hier über aktuelle Themen debattieren. Das Ganze unter der Aufsicht eines Justizwachebeamten namens Grobmann - er trug normale Kleidung, wodurch wir uns selbstverständlich nicht einlullen ließen. Mein bemerkenswerter Mitgefangener war ein gutmütiger Hochschullehrer. Er nahm seine schlimme Situation mit der Gelassenheit des Philosophen. Ich wunderte mich, weshalb sich ein Professor in Untersuchungshaft befand, und war noch verblüffter, als er es uns erzählte. Er war in eine jener andauernden akademischen Auseinandersetzungen verwickelt, wie sie unter Universitätsprofessoren im Übermaß vorkommen. Und unser Schicksalsgenosse war nicht nur Volkswirtschaftler, sondern auch Querkopf - das war bald unzweideutig klar. In den Streit war auch die Politik eingeflossen, und unter seinen Gegnern befand sich der Rektor seiner Hochschule. Er hatte dieser Magnifizenz einen Brief geschrieben mit dem Ratschlag, seine Ansichten ernst zu nehmen, und fügte, um dem Nachdruck zu verleihen, hinzu: „blutig ernst". Sein Widersacher unterstrich die beiden Worte rot und reichte den Brief bei der Staatsanwaltschaft ein. Er wurde der Androhung körperlicher Gewalt beschuldigt und mit uns anderen ins Gefängnis geworfen. Fünf Monate später war er in Erwartung seines Prozesses noch immer dort, und ich weiß nicht, was mit ihm geschehen ist. Es war klar, dass seine Karriere durch diese Episode nicht gefördert werden würde. So jedenfalls lautete die Version meines Mithäftlings. Wieder einmal war ich froh, dass ich selbst die akademische Laufbahn vermieden hatte. 89
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Wir seien, was die Rechtsmittel angeht, zuversichtlich, schrieb ich Marcus J. Oswald, einem Wiener Journalisten, der solche Fälle wie meinen verfolgte. Und fügte hinzu: Die ganze Welt staunt über die mangelnde Freiheit in Osterreich; die österreichische Justiz hat wohl nicht mit diesem setback [Rückschlag] gerechnet, meinte The Times mit ihrer Hauptschlagzeile am Tage nach dem Prozess. Wohl auch nicht mit diesem internationalen Interesse an meiner Wenigkeit. Die Weltpresse hat sich sehr anständig benommen, sind doch meine Leistungen als Schriftsteller und Historiker weltweit bekannt — Autor von 30 Werken, alle erschienen bei namhaften Verlagen wie Ullstein, Bertelsmann, Hoffmann & Campe, Scherz, Heyne, Rowohlt, usw. Ich sah allerdings heute zum ersten Mal die österreichische Presse vom 21. Februar über den tags zuvor abgehaltenen Prozess und war sehr betrübt über die gemeinen und niederträchtigen und auch gehässigen Formulierungen der hiesigen Schmierfinken. Ich möchte nur wissen, was oder wer überhaupt dahintersteht. Hier herrscht eine Art Paranoia und man ist sich dessen nicht einmal bewusst! Alles ist fokussiert auf den angeblichen „Nazi"Historiker und „Revisionisten" ... Dafür sprachen mit mir Vertreter der ganzen Weltpresse — und in der freien Welt hat Österreich das Nachsehen. Selbstverständlich bedauere ich wie jeder normale Mensch die grausamen Verbrechen, die die Nazis an den Juden und anderen begangen haben. Ich bin aber weder Nazi noch Jude, sondern lediglich ein englischer Historiker, der sich bemüht, die Wahrheit — das Wie und das Was und das Warum — festzustellen und auch, soweit es im Rahmen meines Interessengebietes und der gegenwärtigen Gesetze liegt, zu veröffentlichen: Ohne Zorn und ohne Eifer — sine ira et studio —, wie ich es auf der Schule lernte. Zwei- oder dreimal monatlich wurde ein Dutzend von uns durch die Gefängniskorridore in die kleine evangelische Kapelle im vierten Stock geführt, wo eine seltsame Zeremonie mit deutschen und englischen Hymnen und afrikanischen Gesängen stattfand. Darunter auch „Kumbaya, my Lord". Komm zu uns, o Herr! 90
Die zwei Pastoren wurden für mich gute Freunde - und an einigen Nachmittagen besuchten sie mich in meiner Zelle. Eines Tages kam einer von ihnen, Matthias, mehr als verärgert aussehend in meine Zelle. Er war wütend. Ich fragte nach dem Grund. „Siebentausend Euro", sagte er. „Das ist der Grund." Matthias presste seine Hände zusammen. Eine Wiener Zeitung hatte seine deutliche Kritik an der Strafjustiz zitiert. Matthias hatte behauptet, zahlreiche Richter führten Prozesse „unfair" und „parteilich", würden Druck auf Angeklagte, aber auch auf Zeugen ausüben. Auch hatte er Zynismen und verbale Ausrutscher beklagt. Ich unterbrach ihn mit der Bemerkung, dass britische Richter sich geradezu überschlügen, um höflich zu sein, ja eine fast übertriebene Höflichkeit an den Tag legten. Jedenfalls hatte Matthias eine Menge Ärger bekommen. Der Oberkirchenrat distanzierte sich. Eine Richterin hatte ihn aufgrund dieses Zeitungsartikels wegen übler Nachrede angezeigt, obwohl er ihren Namen nicht erwähnt hatte. Sie hatte seine Kritik sehr persönlich genommen. Eine Verurteilung wegen übler Nachrede - ein Zivilvergehen in Großbritannien, aber eine Straftat in Österreich - hätte ihn seine Stellung als Pastor gekostet. Matthias liebt seinen Beruf. Also stimmte er einem außergerichtlichen Vergleich zu. Er musste 7.000 Euro zahlen vielleicht zwei seiner Monatsgehälter -, und er hatte es gerade an eben diesem Morgen getan. Je mehr ich über das österreichische Rechtssystem erfuhr, umso mehr staunte ich. Bereits Jahre vorher hatte Matthias übrigens Missstände in den Justizanstalten angeprangert, von der Regierung Schritte in Richtung eines humanen und sinnvollen Strafvollzugs verlangt und unter anderem den Mangel an Personal beanstandet. *
„Noch ein Donnerstag", schrieb ich am 13. April einem Freund in Chicago. Es war der Tag, an dem ich den Rechtsanwalt ausgewechselt hatte, und ich fühlte mich deshalb gut: Gestern habe ich von einem der Aufseher ein Radio leihweise erhalten. Ich muss sagen, es heitert die Stimmung in meiner Zelle sehr auf. Ich erledige eine Menge Schreibarbeit, obwohl mir 91
manchmal fast die Tinte ausgeht und ich deshalb schon beginne, kürzere Wörter zu verwenden. Gefangene sollen keine Tinte zur Verfügung haben - für den Fall, dass sie diese zum Tätowieren benutzen wollen. Ja, wirklich, ich sehe mich schon, wie ich einen dieser Gangster tätowiere. Ich habe ein renommiertes historisches Institut in München veranlasst, mir die Dokumente zu senden, welche ich für die Arbeit über Himmler benötige, so dass meine Zeit hier nicht völlig vergeudet ist. Ich schreibe täglich etwa 10 Seiten. Heute weniger, weil ich drei Stunden im 2. Stock verbrachte, um meinen Rechtsanwalt zu feuern und meinem neuen Verteidiger das Mandat zu erteilen - Dr. Herbert Schaller, der die Berufung in einer Spanne von Monaten durchkämpfen will. Wir müssen die Unterlagen innerhalb von 10 Tagen einreichen, und dazwischen liegt Ostern. Der bisherige Anwalt hat mir überhaupt kein Vertrauen mehr eingeflößt. „Mein Schreibstil", fügte ich hinzu, „und sogar meine Handschrift haben sich im Gefängnis enorm verbessert. Ich habe eine Menge von Raymond Chandler und Mickey Spillane gelesen" beide amerikanische Krimiautoren. Schaller ließ mich nicht im Stich. Am 3. Mai berichtete ich Lady Renouf, einer Freundin in London: Wir lieferten unsere Rechtsmittel gerade rechtzeitig am 22. April ab. Der Staatsanwalt hat ebenfalls eine ziemlich umfangreiche Berufungsschrift eingereicht, in der er eine Verschärfung der Verurteilung zu drei Jahren fordert. Zur Begründung hat er auf meine „Hunderte von Vorträgen überall auf der Welt" hingewiesen; natürlich ergibt sich daraus der Anspruch, dass Österreichs Verbotsgesetz in allen diesen Ländern ebenfalls in Kraft ist (tatsächlich ist es das nur in Österreich); und es unterstellt auch, dass ich in all diesen Vorträgen über den Holocaust gesprochen oder die Nazis verherrlicht hätte. Das ist zu absurd, denn meine Zuhörer wissen, dass ich über Churchill, Polen, Sikorski, Atomforschung, über Rommel und über den Ungarnaufstand 1956 spreche, um nur ein paar Themen zu erwähnen. Das alles ist Schall und Rauch, würdig eines David Copperfield! Ich denke nicht, dass die Richter, die es lesen werden, von diesen Bemühungen sehr beeindruckt sein werden. Außer selbstverständlich, wenn ... 92
Doch da dieser Brief durch die Gefängniszensur ging, musste der Rest des Satzes dem Vorstellungsvermögen des Empfängers vorbehalten bleiben. Drei Wochen später hatte Dr. Schaller seine Erwiderung auf die Berufung der Staatsanwaltschaft vollendet, und ich berichtete zufrieden: Dr. Herbert Schaller, 83, hat eine großartige Leistung vollbracht, eine Rechtskenntnis und kämpferische Energie entfaltet, die seinem jungen Vorgänger fehlte. Rechtsexperten sagen, falls ich den Europäischen Gerichtshof anriefe, sähe sich Österreich einer massiven Entschädigungsklage gegenüber. Schaller hielt mich genau auf dem Laufenden. Ich ersuchte ihn, in keinem seiner Dokumente die Gaskammern zu erwähnen. „Das ist in Ihrem Fall auch gar nicht notwendig", erwiderte er ziemlich scharf, „denn Sie haben 1989 in einem nicht vorwerfbaren Rechtsirrtum gehandelt". In seiner Gegenäußerung zur Berufung der Staatsanwaltschaft zerpflückte Dr. Schaller das aberwitzige Verlangen, die Strafe weiter zu erhöhen: Die Berufung der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Sie geht völlig daran vorbei, dass die über den Angeklagten verhängte unbedingte Freiheitsstrafe von drei Jahren für eine gewaltfreie, vor mehr als sechzehn Jahren erfolgte Meinungsäußerung offensichtlich inakzeptabel ist ... Die Staatsanwaltschaft und dieser folgend auch das Geschworenengericht haben den Angeklagten hinsichtlich der Straßemessung so behandelt, als ob er in der Zeit nach seiner im November 1989 erfolgten Ausreise aus Österreich bis zu seiner Verhaftung in der Steiermark im November 2005 in England lebend, dem österreichischem Verbotsgesetz unterworfen gewesen wäre. Dies ist rechtlich verfehlt und daher unzulässig. Der Angeklagte war in dieser Zeitspanne hinsichtlich jeglicher Meinungsäußerung über zeitgeschichtliche Geschehnisse in England und in den USA anlässlich seiner Vorträge und Lesungen in Universitäten vollkommen und uneingeschränkt frei. Gegenstand der „Hunderte von Vorträgen" des Angeklagten in den letzten 20-30 Jahren war nur zu einem geringen Prozentsatz der Holocaust. Überwiegend hat er Themen aus allen seinen Büchern behandelt wie: Der Irak-Krieg, Churchill, Ungarnaufstand 1956, Rommel, Göring, Goebbels, Geleitzugkrieg im Eismeer, deutsche 93
Atomforschung, Luftkrieg u.a.m. Alles, was er in dieser Zeitspanne in Publikationen und Vorträgen geäußert hat, kann ihm daher im Zuge der Straßemessung auch dann nicht als „unordentlicher Lebenswandel" angelastet werden, wenn damit gegen das auf sein Verhalten im Ausland nicht anwendbare Verbotsgesetz verstoßen worden wäre.
Im Herbst 1981 spreche ich in Sigmaringen über Generalfeldmarschall Rommel.
Im Gespräch mit Brigadegeneral Walter Lange.
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Für die Wachen und für die anderen Gefangenen war ich längst eine vertraute Gestalt geworden. Fast alle wussten, wer ich war und weshalb ich da war. Von Zeit zu Zeit musste ich an meinen früheren Zellengenossen Bernhard denken, der mir während meiner ersten Woche hier in Josefstadt gesagt hatte, was mit all den Kriminellen geschehen war, die von den Titelseiten der Zeitungen verschwunden waren: „Sie sind alle hier." Gelegentlich stieß ich auf diese VIPs. Eine von ihnen war Robert Mang, der etwas über vierzigjährige Alarmsystemexperte, der wegen eines kühnen Raubzugs im Kunsthistorischen Museum Wien zu vier Jahren verurteilt worden war: Er hatte das berühmte goldene Salzfass, die „Saliera", geschaffen von Benvenuto Cellini und nun Millionen Dollar wert, eines frühen Morgens im Mai 2003 gestohlen. Die Zeitungsfotos stellten ihn als einen verdammt gut aussehenden Mann dar, und nach den Berichten erhielt er Hunderte von Briefen weiblicher Bewunderer. Ich traf ihn manchmal in der Wartezelle oder im Aufzug, und wir gaben uns die Hand - „von VIP zu VIP" sozusagen. Ich bemerkte, dass sein Gesicht Linien und Falten aufwies, welche die Kameras nicht gezeigt hatten. Die Frauen würden einen Schock bekommen. In der zweiwöchentlichen Diskussionsgruppe spekulierten wir darüber, wie lange es dauern würde, bis Helmut Eisner, Generaldirektor der Gewerkschaftsbank Bawag in den Jahren 1995 bis 2003, auftauchen und sich zu uns gesellen würde. Der 1935 geborene Bankier und selbsternannte „Antifaschist", unter dessen Leitung die Bawag über eine Milliarde Euro in den Sand setzte, kämpfte zu dieser Zeit in Frankreich gegen seine Auslieferung. In Österreich wartete eine Anklage wegen Untreue, Bilanzfälschung und Betrugs auf ihn. Die allgemeine Ansicht 95
war, dass er nach seiner Ankunft in die Krankenstation im dritten Stock eingewiesen werden würde, da er versuchte, sich unter Berufung auf seine Krankheit dem Verfahren zu entziehen. Ich sollte Eisner nicht mehr zu sehen bekommen; als er im Mai 2007 nach einem längeren Kuraufenthalt in der Justizanstalt Josefstadt eintraf, war ich Gott sei Dank schon längst wieder in England. Im Laufe der Monate lebte ich mich ein. Mit der entsprechenden Routine verstrichen die Tage schnell. Aber ich wurde gewahr, dass die Zeit für die verschiedenen größeren rechtlichen Aktionen, die ich noch in Freiheit in London auf den Weg gebracht hatte, langsam aber sicher knapp wurde. Unter anderem ging es darum, die britischen Regierungstreuhänder zu zwingen, mir meine beschlagnahmten Archive zurückzugeben. „Ich habe eine Klage gegen sie eingebracht", schrieb ich meinen Freunden, außer mir in dem Wissen, dass meine vierzigjährige Forschung in Gefahr war: Sie drohen nun, den Rest zu zerstören. Ich fühle mich in Situationen wie dieser sehr kraftlos. Die von mir beauftragten Anwälte erwiesen sich als Nichtstuer. Jedes Mal wenn ich von Leuten die einfältige Frage höre: „ Warum haben Sie sich im Lipstadt-Prozess keine Anwälte genommen?", könnte ich vor Wut über solche Ignoranz schreien. Wer Erfahrung mit Rechtsanwälten hat, kennt die Antwort. Meine Brille lässt mich im Stich. Meine Optiker sind in Key West, Florida. Alles dauert so lange, wenn man 23 oder 24 Stunden pro Tag eingesperrt ist! Ich hoffe, dass an Weihnachten — das heißt politisch korrekt: zur „winter holiday season" — alles vorbei ist. *
Mein Optimismus war gezwungen. Im Rückblick erkenne ich, dass ich meinen Worten selbst nicht wirklich glaubte. Das Gefängnissystem ist fast bestimmungsgemäß ein sich selbst erhaltendes. Gefangene werden eingewiesen und stellen nach der Entlassung fest, dass es schwierig ist, den Status wieder abzuschütteln. Sie haben kaum eine Chance, sind wie in einem Strudel gefangen, der sie immer tiefer nach unten zieht. Die nächste Festnahme ist oft nur eine Frage der Zeit. 96
Ich fragte Momo, meinen Knastfreund aus Gambia und Nachbarn in Trakt C, was er nach seiner Entlassung machen würde. „Wieder Taxi fahren", sagte er hoffnungsvoll und ließ seine Zähne mit einem leuchtend weißen Lächeln blitzen. „Das wirst du nicht", belehrte ich ihn, indem ich die Weisheit weitergab, die andere Gefangene mir mitgeteilt hatten. „Es sei denn, du schreibst jetzt an jemanden, dass er kommen und deinen Führerschein aus deinen Besitztümern im Depot holen soll. Andernfalls werden diese genau vor deiner Entlassung durchsucht und dein Führerschein wird an die ausstellende Behörde mit dem Vermerk gesandt, dass du so viele Jahre lang nicht gefahren bist. Dann musst du Fahrstunden und Prüfungen absolvieren, und nun denk mal: Du hast keinerlei Geld." So informativ waren die Gespräche unter vier Augen, die wir „hartgesottenen Kriminellen" im Hof untereinander führten. Allmählich fühlte man, dass man aus der Welt draußen abdriftete und hilflos einer von ihnen wurde. Sie betrachteten das Gefängnis als ihre Heimat: keine Steuern, kein familiärer Ärger, drei Mahlzeiten pro Tag. Gelegentlich bemerkte ich, dass ein Gesicht, das vor einigen Monaten verschwunden war, wieder aufgetaucht war. „Ich hab's wieder gemacht", sagte einer dieser Burschen leichthin - ein türkischer Drogenhändler, der früher in unserem Trakt Hausarbeiter gewesen war. „Wovon sollte ich sonst leben?" „Ich hab's bis nach Slowenien geschafft", sagte ein anderer, ein liebenswürdig aufretender Kerl, der eine Bank beraubt hatte. „Du bist abgehauen?", rief ich, den Gefängnisslang für geflohen benutzend. Ich war inzwischen eine Art Sprachwissenschaftler geworden - gepflegtes Hochdeutsch kommt im Hof nicht allzu gut an. Und auch im Aussehen musste man sich einfügen, um als Knastbruder durchzugehen. „Nee, ich hab mich davongemacht", sagte mein Gesprächspartner. „Da ist ein Unterschied. Ich war bei einem Arbeitseinsatz draußen und bin nur in jener Nacht nicht zurückgekommen. Wenn man nach dem Sichdavonmachen geschnappt wird, gibt es keine zusätzliche Bestrafung wie bei einer Flucht. Ausgenommen, wenn man sich in Gefängnissocken, -hemd oder was auch immer davonmacht. Dann brummen sie einem zwei weitere Jahre wegen Diebstahls von Gefängniseigentum auf." 97
„Ah", sagte ich und versuchte, die komplexen Einzelheiten dessen, was man mir da erzählte, zu erfassen. Strafgefangene reden viel, wenn der Tag lang ist - und das ist er ja meist. Tatsächlich ist die Selbstbefreiung eines Gefangenen - sei es Sichdavonmachen oder Flucht - straflos, wenn dabei nicht weitere Delikte wie Körperverletzung, Sachbeschädigung oder Diebstahl begangen werden. Auch ein Gefangener, der einen anderen dazu verleitet, ihn zu befreien oder beim Entweichen zu unterstützen, wird nicht bestraft. Damit immerhin wird dem natürlichen Drang des Menschen nach Freiheit Rechnung getragen. „Jedenfalls hatten ich und meine Freundin 25.000 Euro dabei", fuhr mein Gegenüber fort, „und wir steuerten Spanien und ein neues Leben an. Von einem Postamt in Slowenien aus telefonierte ich nach Spanien, und dadurch schnappten sie mich am nächsten Tag. Stimmerkennung. Voice print identification." Es war ihm anzumerken, dass er sich geehrt fühlte, Opfer einer Hightech-Ergreifung geworden zu sein. „Stimmerkennung?" fragte ich nach. Er nickte. Der Richter bei der Auslieferungsverhandlung sei auch stolz gewesen. „Sie können Ihre Identität keinesfalls verleugnen", habe er gesagt und hinzugefügt: „Hier sind die Interpolakten über Sie." „Und er zeigte sie mir. Fingerabdrücke, erkennungsdienstliche Fotos - und Stimmdiagramme." Es war eine grafische Darstellung, ein Ausdruck wie bei einem EKG. Telefonanbieter in Europa vergleichen automatisch per Computer die Telefongespräche mit den Stimmprofilen Krimineller in der Interpol-Datenbank. Sogar in Slowenien. Jedenfalls wird das so auf dem Spazierhof erzählt. *
Churchill's War, Band III, lag fast beendet in London. Die Arbeit daran konnte ich hier nicht wieder aufnehmen. Es würde einfacher sein, an den Memoiren zu arbeiten; ein Aufenthalt im Gefängnis ist dafür ideal, sich in Frieden und Einsamkeit zu erinnern. Neueichung nannte ich es später, Zurückstellen aller Skalenanzeigen auf Null. Vorausgesetzt, dass ich die benötigten Unterlagen bekommen könnte, würde ich auch die Arbeit am Entwurf meiner Lebensgeschichte von Reichsführer SS Heinrich Himmler wieder aufneh98
men. Dieser seltsame Charakter in Hitlers Reich wurde nur vierundvierzig Jahre alt. Er bewerkstelligte den Aufbau eines Volume One Industrieimperiums, die Schaffung eines umfassenden und komplizierten Polizeistaates und, aus dem Nichts heraus, der Waffen-SS, der gefürchtetsten kämpfenden Truppe, die die Geschichte je gesehen hatte. Und er war zugleich der maßgebliche Kopf dessen, was heute Holocaust genannt wird. Zu meiner Freude und ÜberThe Struggle for Power. raschung übersandten mir die führenden Geschichtsinstitute der Welt, ob in München oder Princeton, die erbetenen Akten, „den Umständen entsprechend" gebührenfrei - Umstände, die sie allgemein bedauerten. Ich fragte mich manchmal, wie der Richter, der meine gesamte einund ausgehende Post zensierte, ihre Briefe an mich einschätzte. Jeden Freitag wurden mir fünfzig oder sechzig Briefe ausgehändigt, und ich beantwortete die meisten davon am gleichen Wochenende. Am 9. Juni 2006 schrieb ich einer kanadischen Freundin: Zuerst bitte ich um Entschuldigung, dass ich dieses Papier Churchills Krieg, Bände 1 und 2 verwende. Ein Missgeschick mit dem Kaffee hat diesen Morgen das meiste meines Papiers befleckt — aber Du „gehörst zur Familie", so kann ich es für diesen Brief an Dich ohne (viele) Gewissensbisse benutzen. Dann danke ich
Churchills War
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Dir (hoch zehn) für die beigefügten Fotos. Das T-Shirt gefiel mir und das Logo „Austria ..."ganz besonders. Diese Einkerkerung hat ein gewaltiges Loch in unsere Finanzen gerissen, nicht rückerstattbare Flugtickets, Ausfall der Honorare für die Universitätsvorlesungen usw. Rund 300.000 Dollar — das ist das Loch, das ich erwarte wieder auffüllen zu müssen. Mit Himmler geht es gut voran, ich habe nicht viele müßige Stunden in der Woche. Pro Monat habe ich ungefähr einen Besucher. Vor einem Monat kam aus Madrid eine meiner Töchter — das war ein schöner Besuch. Muss nun aufhören. Nun, nicht wirklich aufhören, ich habe hundert Briefe zu schreiben. Gut, nicht genau hundert, aber eine Menge. *
Computer oder Laptops waren Untersuchungshäftlingen nicht erlaubt. Ich schreibe ohnehin immer mit Tinte und hatte einen Füller bei mir - allerdings nicht meinen Montblanc; viele meiner Bücher hatte ich mit dem Montblanc geschrieben, den der ehemalige Feldmarschall Erhard Milch mir vermachte, nachdem ich seine Biografie zusammengestellt hatte. Eines Tages sandte ich ihn zu einer Reparatur an den Hersteller. Die Firma ersetzte zuvorkommenderweise, wie man dort wohl dachte, die alte durch eine nagelneue Feder, weil jene, wie man mir erläuterte, „eine antike" war ... Zuerst schrieb ich auf der Rückseite von Gefängnisverordnungen und Briefumschlägen. Später erhielt ich Papier hereingesandt, und schließlich schrieb ich viertausend Seiten während der Monate meiner Gefangenschaft. Tintenpatronen waren noch ein Problem. Wochenlang, während ich mit Bleistift schreiben musste, verschickten meine Freunde in aller Welt Päckchen mit Patronen an mich, aber sie wurden alle konfisziert. Nach der Affäre mit den Telefoninterviews und der Auffindung meiner Bücher in den Gefängnisbibliotheken war man nervös und befürchtete weitere Anfragen im österreichischen Parlament, hörte ich später. Schließlich brachte mir ein Gefängnisseelsorger ein Päckchen Tintenpatronen, und dann schmuggelte ein Beamter, dessen Namen ich nie erfuhr, mir fünfzehn ganze Schachteln davon herein, 100
genug, dass ich über ein Jahr lang weitermachen konnte. Die Frau Justizministerin hätte es nicht gebilligt. Doch die Behörde vollzog an mir noch eine andere schikanöse Anordnung: Es war mir nicht erlaubt, Sachbücher aus der Bibliothek auszuleihen. „Wegen Ihres Deliktes", hatte mich der Direktor persönlich belehrt, nachdem ich bei Gericht protestierte, noch bevor die Verhandlung stattfand. „Wegen meines angeblichen Deliktes", berichtigte ich ihn. Ich erlebte einige EnttäuMein Buch „Die Tragödie der schungen. Ein Münchner Aukdeutschen Luftwaffe" basiert tionshaus teilte mir mit, dass auf den Tagebüchern und es im Oktober Himmlers Taprivaten Aufzeichnungen von schenkalender von 1940 verGeneralfeldmarschall Erhard Milch. kaufen werde. Es ist eines der wenigen Himmler-Tagebücher, das bisher noch nicht von Historikern gefunden und erforscht worden war, aber der Ausrufpreis betrug 25.000 Euro und Kopien waren nicht zugelassen. Diese Monate lieferten die Gelegenheit, über einige der Geheimnisse im Zusammenhang mit Himmler nachzudenken. London sandte mir eine Kopie des Tagebuchs seiner Frau. „Arbeit an Heinrich Himmler schreitet voran", schrieb ich meinen Freunden, als der Sommer anbrach: Ich habe die Tagebücher seiner Frau zu Ende gelesen und einhundertzwanzig Seiten darauf basierende Notizen geschrieben. Es ist ein trauriges Dokument - sie in ihren Fünfzigern, er sieben Jahre jünger; sie schützt hitzig ihre Tochter, die heute noch am Leben ist. Er begann 1939 fremdzugehen; die andere Frau gebar ihm zwei Kinder, 1942 und 1944, von denen eines auch noch lebt. Das Tagebuch war schwierig auszuwerten, da Frau Himmler es im Rückblick geschrieben hatte, oft nach Wochen des Schwei101
gens, und es kam vor, dass sie sich eben auf „letzten Montag" oder „Ostern" bezog und es mir überließ, herauszufinden, welcher Tag das gewesen war. Eine sorgfältige, sich über viele Wochen erstreckende Analyse des Tagebuchs enthüllte mehrere Anomalien: Sie bezieht sich nur zwei- oder dreimal auf die Juden; Himmler hatte anscheinend den Holocaust ihr gegenüber nicht erwähnt. Und am Morgen des 20. Juli 1944 hatte er sie angewiesen, Berlin zu verlassen und sich nach Bayern zu begeben - sie erfuhr erst am Abend bei ihrer Ankunft zu Hause in Gmünd, dass an diesem Nachmittag ein Anschlag auf Hitlers Leben versucht worden war. Aus meiner Sammlung im Institut für Zeitgeschichte in München erhielt ich eine Kopie meines eigenen Interviews mit Himmlers älterem Bruder Gebhard im Jahre 1971. Glücklicherweise hatte ich alle früheren Unterlagen meiner HitlerForschung dem Institut geschenkt. Mir fiel auf, dass ich in dieser Niederschrift das Wort „Holocaust" nicht benutzte, aber mir wurde gleich klar, weshalb: Dieses Wort wurde erst später, in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre populär. Gebhard erzählte mir, dass sein Bruder mit ihm nicht einmal über den kommenden Russlandfeldzug gesprochen hatte: „Wir sahen jeden Tag die Munitions- und Truppenzüge ostwärts durch Dresden fahren, aber wir wussten nichts über den Angriff bis zu dem Tag, an dem er geschah." Von einem Anwalt in Chicago erhielt ich die zweihundert Seiten Briefe, die Himmler zwischen 1938 und 1944 an seine Geliebte geschrieben hatte. Himmler hatte auch ihr den Holocaust verheimlicht. Mitte Juli 1942 ließ er sie wissen, dass er in der nächsten Woche polnische Orte einschließlich Lublin und Auschwitz bereisen werde - „da gibt es einige unerfreuliche Dinge, die ich zum Wohle Deutschlands tun muss". Vielleicht wird allmählich deutlich, warum es mich immer amüsiert, wenn ich sehe, dass meine Gegner sich in der Presse auf mich als einen „Pseudohistoriker" beziehen.
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VIII. „Auszeichnung für mein Lebenswerk" Bei einer Außentemperatur von 35 Grad führte mich die Polizei am 16. Juni 2006 einem neuen Untersuchungsrichter, Frederic Artner, vor, dem ich Fragen über meine Interviews mit österreichischen und britischen Medien nach dem Prozess beantworten sollte. Es erschien absurd, dass in der freien Welt sechs Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein Zeitungsinterview zu erneuten strafrechtlichen Anschuldigungen führen konnte. Ich kann nicht leugnen, dass ich beunruhigt war, aber ich hielt diese unerfreuliche Entwicklung von meiner Familie fern. Unser Londoner Heim war nun verloren und unser ganzer Besitz in einem Lagerhaus; sie hatten schon Sorgen genug. In dem Bewusstsein, dass noch immer jeder von mir geschriebene Brief zensiert und, wie vertraulich der Inhalt auch sein mochte, für den Staatsanwalt kopiert wurde, berichtete ich einem Freund: Es sieht so aus, als hofften die Strafverfolgungsbehörden auf eine zweite Chance. Sie beabsichtigen nun, mich wegen eines von der Wiener Zeitung „Die Presse" am 3. März veröffentlichten Artikels erneut anzuklagen ... Heute morgen um 9.10 Uhr wurde ich zu einer Vernehmung über diesen Artikel und eine vom selben Journalisten an die österreichische Presseagentur APA herausgegebene Eilnachricht sowie zweifellos auch über das Today-Interview der BBC vorgeladen — jedoch kam der Richter damit nicht weit, weil ich mich weigerte, auch nur eine Frage zu beantworten. Meine fortgesetzte Inhaftierung kostet die österreichischen Steuerzahler über 1000 Dollar wöchentlich. Die Kosten für mich sind selbstverständlich mit Zahlen nicht zu erfassen, und darauf setzen traditionelle Gegner der freien Meinungsäußerung. Am 10. Juni schmuggelten Mitgefangene eine Seite der überregionalen Tageszeitung Der Standard in meine Zelle. Sie enthielt ein langes Interview mit dem 1939 im Alter von 13 Jahren aus Österreich ausgewanderten Historiker Raul Hilberg, der als Begründer der Holocaust-Forschung gilt. 103
Hilberg besaß einen unter konformistischen Historikern nicht oft anzutreffenden Grad intellektueller Redlichkeit. „Herr Hilberg, weiß man heute so gut wie alles über den Holocaust?", fragte ihn Der Standard in dem Interview. Hilbergs Antwort lautete wörtlich: „So gut wie 20 Prozent." Weitere Frage: „Soll man Holocaustleugnung überhaupt unter Strafandrohung stellen?" Hilberg: „Meiner Ansicht nach nicht. Ich bin für die Freiheit auch dieser Leute. Man kann sogar von ihnen lernen. Sie sagen wie die Kinder: Beweis' das. Und wir müssen es beweisen." Schaller hatte das Hilberg-Interview auch gesehen und es einer erneuten Eingabe an den OGH, den Obersten Gerichtshof in Wien, beigefügt. Gerade beendete er einen seiner Besuche bei mir. Nachdem wir uns die Hände geschüttelt hatten und guter Dinge auseinandergegangen waren, führte mich ein freundlicher Beamter in Zelle 19 zurück. „Die Klimaanlage in meiner Zelle ist ausgeschaltet", scherzte ich. „Im ganzen Gebäude", gab der Aufseher den Ball ohne zu zögern zurück. Unser Lachen hallte lautstark durch den blank gewachsten, von dunkelgrünen Stahltüren eingefassten Korridor. Am Nachmittag brachte mir ein anderer Justizwachebeamter eine weniger belustigende Nachricht. Die Gefängnisverwaltung hatte eine formelle Untersuchung begonnen, ob ich durch den Besitz eines Exemplars von Henri Roques' Dissertation über den sogenannten Gerstein-Bericht in meiner Zelle gegen Vorschriften verstoßen hätte. „Wie wundervoll ist es doch, in einer freien Demokratie zu leben", schrieb ich an Freunde draußen. „Ich freue mich schon auf eine - nach meiner Freilassung." Ein paar Tage nach dem Erscheinen von Hilbergs Artikel schrieb ich am 20. Juli 2006 Folgendes einem Freund in Chicago: Brief Nr. 69 [von insgesamt 114] geht an Jessica und Bente. Kaffee blubbert auf einem Stuhl in der Ecke. In dieser Zelle ist alles in unmittelbarer Reichweite. Schwül und 33° C heute, die Zelle kocht. Ich befinde mich nun im achten Monat meines vom österreichischen Steuerzahler finanzierten Leidensweges. 104
Mein neuer Anwalt ist Dr. Herbert Schaller, 83. Ein großartiger Bursche. Er ist optimistisch; ich halte dagegen, dass in allen Ländern mit Justizministerien letztendlich die Politik und Politiker das Sagen haben. *
Im Gefängnishof unten gab es ein neues Gesicht, einen munteren, jungen, italienisch aussehenden Mann. Aufgrund der Presseberichte erkannte er mich sofort und kam schnurstracks zu mir herüber. Er heiße Andreas von W., gab er an, den Namen eines bekannten Philosophen benutzend. Er war ein unterhaltsamer Gesellschafter, und wir machten unseren „Spaziergang" oft gemeinsam. Nach ein oder zwei Tagen begann er mit einer merkwürdigen Geschichte. Sein Großvater, vertraute er mir an, sei ein berühmtes Luftwaffenass gewesen. Er hätte ihm zwei Schränke mit Uniformen, einen Luftwaffendolch und drei ledergebundene Bände hinterlassen, welche einen der meistgesuchten Schätze des Zweiten Weltkriegs lokalisierten: das märchenhafte Bernsteinzimmer, das 1941 von deutschen Truppen in Puschkin - südlich von Leningrad - demontiert und nach Königsberg gebracht wurde und das seit 1945 verschwunden ist. Das Bernsteinzimmer, sagte mein Mithäftling nun, sei in einem früheren Luftwaffenbunker in der ehemaligen DDR nahe Halle verborgen. Genau auf diese Weise hatte ich bei meinen Forschungen unzählige wertvolle Dokumente aufgepickt - zufällig, durch einen unerwarteten Tipp. Auf die unmittelbar auftauchenden Fragen (Warum ich? Und warum hatte er nicht selbst von diesem immensen Reichtum profitiert?) hatte er passende Antworten. So spitzte ich meine Ohren; schließlich hatte ich sonst wenig zu tun und von W. hob sich von den meisten anderen Gefangenen wohltuend ab. Er schien freien Zugang zum Telefon unseres Trakts zu haben, und die Beamten erlaubten ihm stundenlange Gespräche. Über die Lederbände sagte er, dass diese ein in Sütterlin handgeschriebenes (er erklärte, diese deutsche Schrift nicht gut lesen zu können) Inventar eines jeden Stücks des Bernsteinzimmers enthielten sowie den Bunkerraum angaben, in dem es gelagert war; zudem sei in den dritten Band eine Lagekarte eingeklebt. 105
Sein Privileg mit dem Telefon machte mich stutzig. Ich erinnerte mich, dass bei meiner ersten Ankunft Inspektor Böhm, ein älterer Justizwachebeamter kurz vor der Pensionierung, geknurrt hatte: „Auch wenn Sie vom Richter die Genehmigung dazu haben, Herr Irving, heißt das noch lange nicht, dass wir es erlauben werden." Aus Zelle 19 des Trakts C-l begann die Operation Leonard, die Erforschung der Geschichte des Bernsteinzimmers, was nicht leicht war, da zwischen jedem Brief und der Antwort sechs Wochen verstrichen. Ich begann, die Einzelheiten durch meine Freunde überprüfen zu lassen. Ein mir bekannter australischer Historiker war ein Experte hinsichtlich der ganzen Familie von W. und ihrer Vorfahren. Ein anderer wusste alles über Luftwaffenasse. Zu der Zeit, als ihre Antworten eintrafen, hatte ich bereits begonnen, mich im Hof von diesem italienisierten Gentleman fernzuhalten; er machte den üblichen Fehler aller Betrüger. Es erinnerte mich an die Geschichten von Klaus Benzing, der mir in den Siebzigern die angeblich in seinem Besitz befindlichen geheimen Tagebücher von Admiral Wilhelm Canaris angeboten hatte. Denn „von W." schmückte die Geschichte mit immer mehr Details aus, als ich zart nach mehr fragte, und schließlich stellte er sich selbst ein Bein. Die Karte gäbe die genauen geografischen Koordinaten an, sagte er. Sie wäre mit dem Norden nach unten eingeklebt, erinnerte er sich. Er skizzierte sogar, wie sie aussah. Er und sein Bruder hätten in den letzten Jahren der DDR die Gegend besucht, sagte er, und GPS - also ein Navigationssystem - benutzt, um den genauen Ort zu bestimmen. Sie hätten mit dem Bauern gesprochen, auf dessen Land die Bunkerruinen lagen; der Bunker wäre noch da, teilweise zerstört und von Unkraut überwuchert. Ich wies so freundlich wie möglich darauf hin, dass die DDR 1989 ihren letzten Schnaufer getan hatte und GPS damals nicht verfügbar war. Natürlich erweiterte er geschmeidig seine Geschichte, um auch diesen Fehler zu erklären. Ich kam nie wirklich dahinter, worauf er aus war; in der Tat bekam er von mir in den ersten Wochen seiner Inhaftierung Kaffee und andere Lebensmittel, aber ich hätte ihm diese auch ohne die großartigen Geschichten gegeben. 106
Einige Wochen später verschwand sein Gesicht aus dem Trakt; das Gericht hatte ihn zu einer Haftstraße verurteilt. Er war ein Trickbetrüger - und hatte auch jene vornehme Dame betrogen, deren Namen er jetzt trug. Er hatte seinen Charme auch bei Inspektor N. N. eingesetzt, wie ich später von einem Hausarbeiter erfuhr. Man tauschte im Gefängnishof zur allgemeinen Belustigung Geschichten über den Gauner aus. Jeder hatte seine eigene Story. Gegenüber N. N. erwähnte von W., er hätte ein Jagdrevier in Tirol geerbt. Er würde sich freuen, den Inspektor zu glücklicheren Zeiten dort als seinen Gast begrüßen zu dürfen. Das erklärt vielleicht die liberale Telefonbenutzung. Der Hof war in diesem Sommer 2006 jeden Vormittag um 11.30 Uhr ein Kaleidoskop fremder Gesichter. Immer neue Häftlinge trafen ein. Und rasch kam eine neue Episode auf mich zu. Ich schlurfte gerade gegen den Uhrzeigersinn um den überfüllten Hof und machte gelegentlich eine Pause, um ein weiteres Kapitel eines Romans von Graham Greene an meinem Lieblingsplatz an der sonnigen Mauer zu lesen. Ein Gefangener überquerte den getrockneten Schlamm- und Grasfleck in der Mitte und fragte ziemlich schüchtern, ob ich der englische Schriftsteller sei. Ich nickte zurückhaltend. „Da drüben ist jemand, der mit Ihnen sprechen möchte", sagte er und winkte einem schlanken, gebildet wirkenden Mann Mitte dreißig, der sich am anderen Ende des Hofs aufhielt. Auf mich wartete eine neue haarsträubende Geschichte.
Später in diesem brütend heißen Sommer hielt ich in einem Brief fest: Alles wird hier überwacht. Ein italienischer Adliger wird Jessicas nächstes Schulgeld bezahlen. Die Welt ist voll von Irving-Freunden. Ich lese noch Evelyn Arthur Waughs „Decline and Fair. Sein Sohn Auberon Waugh war einer meiner guten Freunde, der 1992 im „Daily Telegraph" schrieb: „Ich muss mich fragen, was für eine Art von Wahrheit das ist, die den Schutz strafrechtlicher Sanktionen benötigt." Nachdem ich Dr. Kresbach durch Dr. Schaller ersetzt hatte, suchten mich die Gefängnisbeamten nur noch einmal heim. Aber 107
dieses Mal unterwarfen sie mich einer ganz anderen Behandlung: Die Tür wurde ohne Warnung aufgeschleudert, und man befahl mir, aufzustehen und mit dem Schreiben aufzuhören. Ich musste an Ungarns revolutionären Premierminister des Jahres 1956, den glücklosen Reformkommunisten Imre Nagy, denken, der mitten im Satz aus seinen Schreibarbeiten gerissen und weggeschleppt worden war, um gehängt zu werden. Man führte mich in eine leere Zelle, gebot mir, mich nackt auszuziehen, und ich wurde durchsucht. Diesmal dauerte die Überprüfung meiner Zelle, Nr. 19, über eine Stunde, und als ich endlich dorthin zurückgebracht wurde, spottete die Szenerie jeder Beschreibung. Ein Hurrikan schien hier gewütet zu haben. Jede Blechbüchse und jedes Paket war aufgerissen worden, Papiere lagen rundherum verstreut und vieles von meinem Besitz war zu Boden geschleudert. Wiederum verließen die Beamten meine Zelle mit leeren Händen, und diesmal gab es kein Lächeln. Zwei andere Zellen hatte man ebenfalls durchsucht, jedoch nur höchst flüchtig. Am nächsten Tag erzählte mir ein Hausarbeiter, dass der bereits erwähnte Inspektor N. N. ihm anvertraut hätte, diese Sonderdurchsuchung sei angeordnet worden, weil dem Gefängnis die Behauptung zugetragen wurde, dass Dr. Schaller bei seinem letzten Besuch einen verbotenen Gegenstand zu mir hereingeschmuggelt hätte. Eine abwegige Idee, denn, wie allen Beteiligten bekannt war, ist Schaller übergewissenhaft. Waren die beiden anderen Zellen also nur zur Tarnung durchsucht worden? Ich hob meinen Füller auf, begann an der Stelle weiterzuschreiben, wo ich unterbrochen worden war, und fragte mich, wer hier ein falsches Spiel trieb und weshalb. Seit acht Monaten war ich gefangen; 23 oder 24 Stunden täglich befand ich mich in Einzelhaft. Ich hatte jetzt einen kleinen Fernseher in meiner Zelle (als ich endlich herauskam, überließ ich ihn „meinem" Trakt mit der Maßgabe, ihn an bedürftige Insassen zu verleihen). Am 4. Juli, dem amerikanischen Nationalfeiertag, schrieb ich an Freunde in Chicago sardonisch: Ein Ratschlag: Werde ein streitbarer Historiker. Sammle 45 Jahre lang Material. Schau zu, wie ALLES beschlagnahmt und 108
vernichtet wird. Das vereinfacht nachfolgende Umzüge, Vertreibungen, erneute Umzüge etc. Ich beneidete die Amerikaner um ihre Meinungsäußerungsfreiheit, derer sie sich unter dem Schutz ihrer Verfassung noch erfreuen. Auch in Großbritannien gab es sie gewöhnlich. Ich fügte hinzu: Ich habe diese hervorragende Kopie der Magna Charta an meine Wand gehängt. Ich hoffe bloß, die Wärter können sie lesen, wenn sie wieder die Zelle durchsuchen. Der Fernseher befindet sich etwa 60 cm vor meiner Nase - er ist aber beinahe den ganzen Tag ausgeschaltet, außer für die „Novosti" (Nachrichten) des russischsprachigen Senders am Mittag und für CNN abends. Oh, und „CSI: Miami" (um flüchtige Blicke auf meine Lieblingsschlupfwinkel zu erhaschen) und selbstverständlich „Monk" mit Tony Shalhoub. Die meiste Zeit habe ich mein kleines Radio an und höre Radio Stephansdom, Wiens Klassiksender. Was nun diese andauernde Einkerkerung betrifft, so betrachte ich sie inzwischen als eine „Auszeichnung für mein Lebenswerk", eine Art Oscar, verliehen in Würdigung von vierzig Jahren unbequemer Geschichtsschreibung. Am 24. Juli 2006 erhielt Dr. Schaller die Mitteilung, dass die Generalprokuratur - so heißt die Staatsanwaltschaft beim Obersten Gerichtshof - anregte, meine Nichtigkeitsbeschwerde in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen. Dass die Stellungnahme so ausfiel, erstaunte niemanden, ist doch die Generalprokuratur unmittelbar dem Bundesministerium für Justiz unterstellt. Drei Monate hatte es allein gedauert, bis dieser ungünstige Bescheid vorlag! An einen Briefpartner in London schrieb ich an diesem Tag: Schaller wird nun beim OGH verlangen, dass über meine Nichtigkeitsbeschwerde eine mündliche Verhandlung stattfindet, worauf ich einen Anspruch habe. Falls das fehlschlägt, wird die Berufung gegen die Strafhöhe vom Oberlandesgericht gehört werden. Es ist dann zu erwarten, dass die Berufung im September verhandelt werden wird. Ich bin seit 11. November 2005 wegen politischer Anklagen in Einzelhaft. Ich arbeite weiter und danke den Hunderten, die mir jeden Monat aus aller Welt schreiben. 109
Im Sommer verfolgte ich die Ereignisse draußen mit mehr als der üblichen Neugierde, besonders den tragischen und unnötig andauernden Kampf im Nahen Osten. Wie Millionen Väter weltweit weinte ich um das kleine Palästinensermädchen, das am 9. Juni 2006 panisch und wie von Sinnen am Strand von Gaza hin und her rannte, nachdem sieben Mitglieder seiner Familie auf einen Schlag von einer israelischen Artilleriegranate getötet worden waren. Und ich empfand hilflose Wut, als engstirnige deutsche Medien versuchten, die Regierung, die diese Gräueltat begangen hatte, zu entschuldigen. Einen Monat später brach der Libanonkrieg aus - selbstverständlich durch die Schuld der Araber. Geschichtsschreibern kommt das alles so vertraut vor - besonders die Propaganda von beiden Seiten und die Lügen. Einem Freund schrieb ich: Die Behandlung dieses Israel-Hisbollah-Konflikts hat mich sehr in den Bann gezogen. Ich bekomme von hilfreichen Gefängnisbeamten stets die „Süddeutsche Zeitung" und „Die Zeit" in meine Zelle gebracht und verfolge die neuesten Tagesberichte auf meinem winzigen Fernseher — man kann den russischen „Kanal Eins", türkisches Fernsehen, CNN, zwei österreichische, einen deutschen und einige andere Kanäle empfangen. ARD und ZDF wurden gestern von dem ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker gescholten, weil sie zu viel von den unter der libanesischen Zivilbevölkerung angerichteten Blutbädern zeigten. Der israelische UNO-Botschafter, der Rassist Dan Gillerman, hat die libanesische Seite in einer Livesendung als „Tiere" bezeichnet. Ich habe nur in einer Zeitung einen Hinweis auf diese Freud'sche Fehlleistung gesehen. Gar keine Erwähnung findet, dass Deutschland viele der gegen den Libanon eingesetzten Panzer, Kanonen, Granaten und Bomben kostenlos geliefert hat! Die Kriegsberichte: Im Gegensatz zu anderen Kriegen der Gegenwart haben wir nichts von einem wirklichen Bodenkampf zwischen israelischen Truppen und Hisbollah-Kämpfern gesehen. Vielleicht wird Herr Spielberg später etwas zum Besten geben. Korrespondenten waren in die israelischen Streitkräfte „eingebettet" — mit ihnen im Bett —, aber ich sah sie nie einen Schritt 110
aus diesem Verband von Artilleriehaubitzen tun, dessen Mission es war, Blutbad um Blutbad in den libanesischen Dörfern anzurichten, übrigens ein klares Kriegsverbrechen. Vor vier Tagen stoppte der Kampf. Man hat uns noch nicht erzählt, wie viele Panzer und gepanzerte Fahrzeuge der israelischen Armee mit einfachen tragbaren Panzerabwehrwaffen zerstört wurden — und die Panzer sind nicht billig. Manche Schlachtfeldereignisse sind so schnell von der Bildfläche verschwunden, als hätten sie sich nie ereignet. Israel bestreitet Erfolge der Hisbollah gegen israelische Flugzeuge und Kriegsschiffe ...Es bohrte niemand nach. Die Wracks werden in das berühmte Medien-Gedächtnisloch gestoßen. Einmal zeigte eine Frühnachrichtensendung einen mit Teleobjektiv aufgenommenen Film von einer kurzen Panzerkolonne, wobei der führende Panzer vorne einen Treffer von einer Panzerfaust erhielt und in die Luft flog. Aus allen folgenden Nachrichten verschwand das, ebenso wie ein später ausgestrahltes Bild von den durch eine Panzerfaust zerstörten Ketten eines Kampfpanzers ...Es hat sich eben nicht ereignet, und sie sind ja alle nur Tiere ... Die Medien haben uns bisher dürftig bedient — und es besteht einiger Erklärungsbedarf.
Als der Libanonkrieg sich im August 2006 dem Ende zuneigte, begann ein Skandal die Medien zu beherrschen, der mich in meiner kleinen Zelle sehr belustigte. Bei meinem Hauptverlag in Deutschland, Hoffmann & Campe, der 1978 meine Rommel-Biografie als gewaltigen Bestseller veröffentlichte, hatte man eines Tages durchblicken lassen, dass Günter Grass, der Autor der „Blechtrommel" und spätere Literaturnobelpreisträger, ihnen geschrieben hätte. Er habe angekündigt, bei ihnen keine Bücher verlegen zu lassen, solange sie meine Titel herausbrächten. HoCa fügte sich, wie nicht anders zu erwarten. Jetzt rückte die Sache noch mal in ein ganz anderes Licht. Ich konnte mich einiger Kommentare nicht enthalten und schrieb einem Freund: Diese Woche, welch Vergnügen! Die deutsche Presse ist voll davon, dass Günter Grass ein „schmutziges kleines Geheimnis" hat111
te. Er hat sich freiwillig gemeldet und kämpfte 1944—1945 in der Waffen-SS. In einem Brief an die Süddeutsche Zeitung kritisiere ich ihn — nicht dafür, sondern für seine Heuchelei. Das Blatt publizierte das selbstverständlich nicht. Sie haben ihre eigenen Verleumdungsprioritäten. *
Am 5. September 2006 saß ich Dr. Schaller wieder in einem der Sprechzimmer gegenüber. Er sagte mir, dass der Oberste Gerichtshof unsere Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil vom 20. Februar 2006 in nichtöffentlicher Sitzung zurückgewiesen hatte, wie es von der Generalprokuratur empfohlen worden war. Es erschien Schaller seltsam, dass er das in den Morgenzeitungen hatte lesen müssen, ehe der Gerichtshof ihn davon in Kenntnis gesetzt hatte. Nach Schallers Überzeugung hätte die Nichtigkeitsbeschwerde Erfolg haben müssen. Der Oberste Gerichtshof schlug mir in dem abweisenden Beschluss das - mir von Kresbach nahegelegte - Schuldbekenntnis in der Hauptverhandlung um die Ohren, auch wenn Dr. Schaller die „Verpflichtung des Gerichts zur Erforschung der materiellen Wahrheit" dagegengehalten hatte. Unser wichtigstes Argument - nicht vorwerfbarer Rechtsirrtum - drang nicht durch. Dazu heißt es im Beschluss des Obersten Gerichtshofs wörtlich: Nach einleitenden Ausführungen zum Erfordernis einer relativierten Betrachtung des (umfassenden) Schuldeingeständnisses des Angeklagten in der Hauptverhandlung („Ich bekenne mich schuldig im Sinne der Anklage") ... kritisiert die Fragenrüge das Unterbleiben einer auf Rechtsirrtum („direkter Verbotsirrtum nach § 9 StGB") gerichteten Zusatzfrage ... Dazu wäre nämlich der Hinweis auf ein Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung [also in der ersten Instanz, im Verfahren vor dem Geschworenengericht] erforderlich, wonach, wäre es erwiesen, der Täter nicht erkannte, dass sein Verhalten rechtlich verboten und ihm diese Unkenntnis auch nicht vorzuwerfen sei... Der erst im Rechtsmittel vorgetragene Einwand, wonach der Angeklagte als britischer Staatsangehöriger ein Unrecht in seinen Ausführungen nicht erkennen konnte, weist nicht auf ein in der Hauptverhandlung vorgekommenes Tatsachensubstrat hin ... 112
Das Kind lag also im Brunnen. Was die Verteidigung in der ersten Instanz versäumt, bringt keine Ewigkeit zurück! Und dem Vorbringen Dr. Schallers, dass dem Rechtsirrtum schon aufgrund der Aktenlage durch eine entsprechende Zusatzfrage an die Geschworenen hätte Rechnung getragen werden müssen, folgte der Oberste Gerichtshof nicht. Schaller selbst war es gewesen, der den Inhalt meiner geplanten Vorträge schon im September 1989 dem Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hatte und ich hatte damals auch in einem Interview bekundet, dass ich mich innerhalb des gesetzlichen Rahmens gehalten hätte. Der Beschluss des Obersten Gerichtshofs schien mir kein gutes Zeichen für den weiteren Verlauf der Dinge zu sein. Die Akten wurden nun dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung über die Berufungen gegen die Strafhöhe zugeleitet. Wieder würden Monate vergehen, aber wir erwarteten nun, dass die Berufungen gegen das Drei-Jahre-Urteil vom Oberlandesgericht im November verhandelt werden würden.
Mit dem Dahintröpfeln der Zeit verschlechterte sich auch meine Gesundheit. Die Gefängnisleitung versprach mir schließlich ein Trainingsfahrrad für meine Zelle, doch es kam nie. Am 27. September 2006 vertraute ich einem Freund in London an: Mein Bargeld ist nun auf rund 150 Euro zusammengeschmolzen, die zwei Wochen reichen werden — das meiste wende ich für Briefmarken und Telefonkarten auf. Ich bekomme etwa hundert Briefe wöchentlich, die Hälfte von Fremden; ich beantworte sie alle, und Briefe in die USA kosten 1,30 Euro. Ich warte noch auf die Berufungsverhandlung. Mit dem Schreiben geht es gut, obwohl ich heute von einer großen Lethargie betroffen bin ... Bente und die jetzt zwölfjährige Jessica in London hatten es, wie ich jetzt erfuhr, viel schwerer. Mein Bruder teilte mir mit, dass Bente sich im Sommer mehreren Operationen hatte unterziehen müssen. Ich war von dieser neuen Entwicklung äußerst betroffen und fürchtete um ihr Leben. Vor diesem Hintergrund äußerte ich fünf Bitten an Jessica. Nummer drei lautete: 113
Autos fahren mit Benzin; Mamis mit Zuwendung. Fülle sie daher mit Gallonen und Gallonen davon, um sie bis zu meiner Freilassung hervorragend am Laufen zu halten. Unter Tony Blairs Labour-Regierung war das britische Gesundheitssystem zusammengebrochen. Fünftausend Menschen sterben jährlich an Infektionen, die sie sich während eines Krankenhausaufenthalts eingefangen haben - sehr viele davon gente 1992 in Key West, durch das „Superbakunserem zweiten Wohnsitz. terium" MRSA. All das war nicht dazu angetan, mich zu beruhigen. Wegen der bedrohlichen Entwicklung bei meiner Frau veranlasste ich Dr. Schaller, ein dringliches Gesuch um meine zeitweilige Freilassung auf Ehrenwort aus diesem Gefängnis an die Gerichte einzugeben. Ich war ja nach wie vor in Untersuchungshaft, denn das gegen mich verhängte Strafurteil war nicht rechtskräftig. Und die österreichische Strafprozessordnung sieht vor, dass die Untersuchungshaft nicht aufrechterhalten wird, soweit ihr Zweck auch durch Anwendung milderer Mittel erreicht werden kann. Dazu gehört das Gelöbnis, bis zur rechtskräftigen Beendigung des Strafverfahrens weder zu flüchten noch sich verborgen zu halten. Ich erinnerte mich an das romantische Gedicht Die Bürgschaft in jenem großen, illustrierten Band Schillers Gedichte, den ich als Kind in einem Antiquariat in Essex gefunden und für zwei Pennies gekauft hatte. Der Tyrann, Dionysios von Syrakus, spricht darin: „Drei Tage will ich dir schenken"; am Ende fühlt er gar „ein menschliches Rühren". 114
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IX. Sie gieren nach Blut
Jessica am 27. Mai 2004.
Ich hatte weniger Glück. Mein Antrag wurde am 29. September um 14.30 Uhr in einer zehnminütigen Verhandlung verworfen. „Noch irgendetwas zu sagen?", schloss der korpulente, schlecht rasierte Richter. Ich erwiderte: „Ich wurde 1938 geboren, zwei Wochen nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Ich habe mich seither sehr verändert." Er zuckte mit den Achseln und schaute finster. Geschichte war möglicherweise nicht seine Stärke. Die Ereignisse spitzten sich zu. In der Stille meiner Zelle konnte ich nachts das entfernte Rumpeln von Mühlsteinen hören, die irgendwo langsam, aber trefflich fein mahlten.
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Den größten Teil meiner Schreibarbeit hatte ich zuletzt in der Altstadt von Key West verrichtet, einer subtropischen Inselstadt wenige hundert Meter vom südlichsten Punkt der kontinentalen USA. Als ich auf meiner Pritsche im Trakt C lag und auf die leere Pritsche über mir blickte, überlegte ich, dass ich noch drei an einen Baum in Key West gekettete Fahrräder hatte, die auf meiner Freunde und meine Rückkehr warteten. Und ich war hier in Zelle 19, im „Alten Europa", wie es die Amerikaner abfällig nannten, dreiundzwanzig Stunden pro Tag weggesperrt, eingekerkert wegen einer Meinung, die ich sechzehn - nein, jetzt siebzehn Jahre — vorher geäußert hatte. Der Sommer war verstrichen. Die Sonne stieg nicht mehr über die Dachfirste fünf Stock über dem engen Gefängnishof. Der kleine, krabbenfbrmige Sonnenstrahl kroch nicht länger über meinen Fußboden. Mir blieb noch die Hoffnung auf die Berufung gegen die Strafhöhe. Doch auch hier gab es Grund zur Sorge, wie mir Dr. Schaller eröffnete. Sein Gesicht war versteinert, es entbehrte des ihm eigenen jungenhaften Ausdrucks — und ich konnte sehen, warum: Es bestand die Gefahr, dass aufgrund meiner Interviews vom Februar ein weiterer Haftbefehl ergehen und meine Freilassung verhindern würde, auch wenn das Oberlandesgericht in der ersten Sache die Strafe herabsetzen würde. In dieser Situation machte ich in der neuen „Causa" nicht mehr weiter von meinem Schweigerecht Gebrauch, sondern sagte auf Anraten Dr. Schallers vor dem Untersuchungsrichter aus. Ich wies dabei auf bisher nicht beachtete Äußerungen hin, die ich ebenfalls gegenüber den Journalisten gemacht hatte und die mich von der Anschuldigung der Leugnung oder Verharmlosung nationalsozialistischer Verbrechen gegen die Menschlichkeit entlasteten. So gelang es, die Vorwürfe weitgehend zu entkräften. Das Risiko einer zweiten Anklage und eines erneuten 117
Haftbefehls verringerte sich damit, aber ein Damoklesschwert blieb über mir hängen. Eingestellt werden sollte das Ermittlungsverfahren erst im April 2007, als ich schon längst wieder in England war. *
Ich hatte unter den Gefangenen Freunde gewonnen und versuchte, kein Vorurteil gegen sie zu hegen, obwohl ich schließlich lernte, keinem von ihnen zu glauben. Ein gut aussehender Afrikaner aus Guinea-Bissau - abgesehen von seinem Kreolisch konnte er nur Französisch sprechen murmelte leise, dass er mit einem, nur einem Gramm, ich fragte nicht wovon, erwischt worden war. Im Laufe der Wochen half ich ihm, übersetzte für ihn gelegentlich Briefe an die Behörden und gab ihm einige meiner kargen Rationen. Ein paar Tage nach seinem Weggang saß ich auf einem der beiden Eisenstühle aus meiner Zelle draußen auf dem Korridor. Zoran, ein serbischer Sträfling, der als zuverlässig galt und besondere Vergünstigungen genoss, mähte mein Haar vollständig bis auf einen Millimeter nieder. Dabei flüsterte er mir zu, dass der Bursche aus dem westafrikanischen Kleinstaat in Wirklichkeit ein dreizehnjähriges Wiener Mädchen vergewaltigt habe. „Sie alle erfinden im Gefängnishof lieber Geschichten, als die Wahrheit zuzugeben", sagte er. Mein anderes Dasein als Berufshistoriker hatte ich zu dieser Zeit bereits wieder aufgenommen. Das mönchische Leben bot mir eine gute Gelegenheit, die komplexeren Quellen zu untersuchen. Vom Institut für Zeitgeschichte in München hatte ich die wörtliche Abschrift einer von Himmlers Geheimreden im August 1944 erhalten. Ich konnte nun die Zeit und Mühe aufbringen, Text und Sprache quellenkritisch zu analysieren und darüber nachzudenken, was im Gehirn des Reichsführers wirklich vorging, als er sprach - um hinter dem, was er tatsächlich sagte, zu erkennen, warum er es sagte. Gleichzeitig setzte ich meine eigene Dauerschlacht mit den von der Regierung ernannten Treuhändern in London fort, die meine Korrespondenzakten und Archive beschlagnahmt und sie vernichtet - oder an meine Feinde verkauft - hatten. 118
Über die verstreichenden Monate führte ich nicht Buch. So lange ich produktiv arbeitete, spielten Tage und Wochen keine Rolle. Andere Gefangene entwarfen an ihren Zellenwänden Kalender und strichen die verflossene Zeit mit Kreuzen ab. Meine Wände waren frisch gestrichen und abgesehen von meinen Familienfotos leer. Ein Freund sandte mir Gitta Serenys Buch über Albert Speers zwanzigjährige Inhaftierung. Anfang Oktober 2006: Dr. Schaller erzählte mir bei seinem Besuch, dass das Oberlandesgericht meine Berufung am 20. Dezember 2006 verhandeln würde. Ich fragte mich, warum sie ein so spätes und zudem im Schatten von Weihnachten verstecktes Datum festgesetzt hatten. Es geschah gewiss nicht zufällig. Als ich in meine Zelle zurückeskortiert wurde, erinnerte ich mich an die erste, zynische Reaktion eines von Tony Blairs Ministern, als er am 11. September 2001 die schockierende Nachricht aus New York erhielt: Dies sei eine gottgesandte Gelegenheit für Blairs Regierung, „die schlechte Nachricht zu begraben". Also
Mit Albert Speer am 11. Oktober 1979 in Frankfurt/Main.
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eine besonders unpopuläre Entscheidung bekanntzugeben, wohl wissend, dass diese höchstwahrscheinlich nie wahrgenommen werden würde. Wer liest unmittelbar vor Weihnachten Berichte über Gerichtsverhandlungen? Welche schlechte Nachricht hoffte das Justizministerium zu begraben? In Österreich und Deutschland würde jede Verschärfung meiner Strafe als gute Nachricht berichtet werden, jedoch nicht in der übrigen Welt. Über dem Horizont erhob sich nach wie vor ein dunkler Schatten - wegen der Bemerkungen zu geschichtlichen Themen, die ich in meinen Interviews zum einen mit Die Presse und APA, zum anderen mit der BBC nach der Verhandlung gemacht hatte. Gegenüber Bente und meiner Tochter Jessica in London hatte ich von der drohenden zweiten Anklage nichts erwähnt. Als ich das nächste Mal mit Bente sprach - ich konnte nun manchmal fünf Minuten lang mit ihr sprechen -, erzählte sie mir, dass irgendein Gegner ihre schlimme Situation an die Sozialbehörde gemeldet und empfohlen hatte, uns die nun zwölfjährige Jessica wegzunehmen. Eine Sozialarbeiterin hatte sie besucht und sogar
Mit meiner jüngsten Tochter Jessica, damals 3 Jahre alt, in London.
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vorgeschlagen, Jessicas Namen von meinem, Irving, in den ihrer Mutter, H0gh, zu ändern, „um sie zu schützen". Bente kochte noch immer vor Wut. Als ich draußen vor meiner Zelle darauf wartete, eingeschlossen zu werden, bemerkte ich, dass meine Hände geballt und die Knöchel weiß vor Ärger waren. Ich erinnerte mich daran, wie Heinrich Himmler befohlen hatte, die Stauffenbergkinder nach dem Attentat von 1944 ihrer Mutter wegzunehmen und ihren Namen zu ändern - eine besonders unmenschliche Form psychischer Bestrafung. Ich kannte jetzt alle Wachen bei ihren Namen, obgleich es nicht weise war, zu liebenswürdig zu erscheinen. Langzeithäftlinge nahmen das nicht freundlich auf; sie waren diesbezüglich empfindlich. Es gab sie und uns. Und der Kuchen wurde auch noch in anderer Weise geteilt: Im Hof bildeten die verschiedenen Nationalitäten jeweils eigene Gruppen. Ein Osteuropäer beschuldigte mich einmal laut, dass ich zu freundlich mit einem neu angekommenen schwarzen Gefangenen spreche. Wie in der Schule, dachte ich mir und erinnerte mich an Evelyn Waughs Ausspruch in Decline and Fall: Wer ein englisches Internat besucht hat, wird sich im Gefängnis fast wie zuhause fühlen ...
Meine Gedanken schweiften oft zum Hunderte von Meilen entfernten London zurück. Bis meine Wohnung beschlagnahmt worden war, hatte ich vierzig Jahre lang im Herzen des historischen Distrikts gelebt. Ich kannte ihn wie meine Westentasche. Gewöhnlich fragte ich die Taxifahrer, ob sie den anonymen roten Bau am unteren Ende der Down Street gegenüber unserer alten Wohnung kennen. „Das ist das Gebäude der früheren U-Bahnstation Down Street", erläuterte ich, „die 1939 zum Tiefbunker umgebaut wurde, um dann von Churchill benutzt zu werden". Die dunkelroten, glasierten Ziegel sind typisch für Bahnhöfe der Piccadilly-Linie. Die Londoner Taxler sind immer glücklich, etwas zu haben, das sie ihren Fahrgästen erzählen können. Und man erfährt tatsächlich auch manch Originelles von ihnen. Einer erzählte mir, man habe ihnen, den Fahrern der weltberühmten schwar121
zen Taxis, nahegelegt, sich nicht mehr als Black Cab driver zu bezeichnen - wegen des „rassistischen" Beigeschmacks. Ich erprobte die gleiche Art von Rätseln bei den Gefängnisaufsehern. „Was ist zwölf mal elf?", forderte ich eines Nachmittags einen der Inspektoren heraus. Für uns Engländer ist das eine einfache Aufgabe: Jedes englische Kind hat sein Einmaleins bis elf und zwölf gelernt, weil Old England zwölf Inch pro Fuß und zwölf Pence pro Shilling hatte. Der Aufseher stotterte, schüttelte seine Finger aus und begann, es auszurechnen. „Hundertzweiunddreißig", soufflierte ich und erklärte, warum wir Engländer es wussten. „Das ließ uns den Krieg gewinnen", gab ich ihm spaßhaft zu verstehen. „Während ihr Hunnen noch zwölf mal elf gerechnet habt, hatten wir schon die Antwort." Er grinste albern, als er mich wieder einschloss. Am nächsten Morgen um sieben Uhr war er noch da, diesmal mit dem Frühstückswagen. „Hundertzweiunddreißig", brüllte er, als er die Tür öffnete. Er war in glänzender Laune. „Ich hatte Nachtschicht, Herr Irving, und keiner der anderen wusste die Antwort." „Wie gesagt, das hat den Krieg entschieden", erwiderte ich. *
Der 20. Dezember 2006, der Tag der Berufungsverhandlung, rückte näher. Aber für mich war ein Tag wie der nächste. Was erwartete ich mir denn auch als Ergebnis? Das Gehirn arbeitet auf vielen widerstreitenden Ebenen, und so war es auch jetzt: Auf einer Ebene war ich realistisch und erwartete, dass alles tatsächlich nur schlimmer werden würde, da ich jetzt in „ihren" Händen war und sie darauf hinarbeiteten. Auf einer anderen Ebene folgte mein Verstand Dr. Schaller, der eigensinnig optimistisch blieb. Laut der Ladung waren für die Berufungsverhandlung nur dreißig Minuten angesetzt worden. Was Schaller optimistisch stimmte, war jedoch die Aktenlage. Daraus ergebe sich, sagte er, dass ich mich 1989 in einem Rechtsirrtum befunden hatte. Wenn dies ordnungsgemäß vorgebracht worden wäre, hätte den Geschworenen eigentlich die Zusatzfrage gestellt werden müssen, ob ein nicht vorwerfbarer 122
Rechtsirrtum vorlag, der einen Entschuldigungsgrund darstellt. Unter diesen Umständen würde das Berufungsgericht - selbst wenn es etwa politisch voreingenommen wäre - mich nicht zwei weitere Jahre in Haft zu lassen. Der Rechtsirrtum könne nun als Milderungsgrund berücksichtigt werden. „Man wird Ihre sofortige Freilassung anordnen." Ich seufzte leise. „Man kann gar nichts anderes machen", beharrte er, was es schlimmer statt besser machte. Von optimistischen Rechtsanwälten hatte ich für den Rest meines Lebens genug. Ich sagte: „Herr Dr. Schaller, ich muss realistisch sein, bei dem, was ich meiner Familie in London erzähle. Dürfen sie mich bald wieder zu Hause erwarten, oder werde ich hier für viele weitere Jahre sein?" Schaller setzte sein ermutigendes, jungenhaftes Grinsen auf und wiederholte seine Voraussage. Beschwingten Schrittes ging ich in die Zelle 19 zurück. Ich rief Bente in London an und bekräftigte, dass ich nach allgemeiner Ansicht am nächsten Tag entlassen würde. Ich wusch die Zellenwände und -türe und begann, meine Papiere durchzusehen und Sachen einzupacken - die Manuskripte, die ich hier in der Gefangenschaft geschrieben hatte. Ich ordnete meine Sachen für eine schnelle Abreise, falls die Berufung erfolgreich war. Doch mir blieb die ganze Zeit bewusst, dass ich das Schicksal herausforderte. *
Später an diesem Nachmittag rief mich der Justizwachebeamte Grobmann, um mich zur letzten Gesprächsrunde unserer Diskussionsgruppe vor Weihnachten zu bringen. Die anderen fünf Teilnehmer wussten, dass für den nächsten Tag meine Berufungsverhandlung angesetzt war; in ihren Bemerkungen war ein Beigeschmack von Neid. Die Wiener Zeitungen und der Rundfunk nahmen weithin Notiz von der kommenden Berufung, ohne Voraussagen abzugeben. Grobmann brachte einen Karton Bier in den Raum - keiner von uns hatte seit unserer Ankunft Alkohol gesehen. Er knallte eine Büchse Schwechater vor mir auf den Tisch. Ich schob sie zur Seite. 123
„Ich möchte nicht beleidigend sein", sagte ich, „aber ein Kaffee würde mir gut tun." Die anderen, inzwischen zu Strafen von acht und sogar zehn Jahren verurteilt und in Erwartung ihrer Berufungsverhandlungen, äußerten sich nicht gerade ermutigend. Ein gut informierter Gefangener spottete laut, dass Schaller offensichtlich irrte - meine Berufung würde unter keinen Umständen Erfolg haben: „Aus diesem Gefängnis sind in den letzten fünf Jahren nur drei mit einer Berufung beim OLG herausgekommen", sagte er. Als er das Wort „herausgekommen" sagte, flackerte für einen Moment das Bild des Colditz Glider vor meinem geistigen Auge auf. Zwei britische Gefangene hatten dieses Segelflugzeug 1944/45 auf einem Dachboden gebaut, um damit aus dem deutschen Kriegsgefangenenlager Schloss Colditz zu fliehen. Aber hier in der Justizanstalt Wien-Josefstadt schienen die Bedingungen für ein solches Unterfangen denkbar ungünstig ... Sei realistisch, stimmten sie alle hämisch ein, und Grobmann, der Polizeibeamte, nickte mit einem freundlichen Weihnachtsgrinsen. Ihr Votum war einmütig: Die Berufung hatte keine Erfolgsaussicht. Als ich in meinen Sandalen zur Zelle zurücktrottete, dämmerte mir, dass ich Bente und Jessica wohl falsch informiert hatte. Ich hatte falsche Hoffnungen erweckt. Leise verfluchte ich Dr. Schaller für seinen unangebrachten Optimismus. *
Der 20. Dezember war ein Mittwoch. Ein denkwürdiger Tag, weil ich nun die Stadt Wien, in deren Herz ich dreizehn Monate lang gelebt hatte, das erste Mal wirklich sah. Die Wachen und die plötzlich angehenden Deckenlampen weckten mich wie gewöhnlich um sechs Uhr. Ich zog meine „beste" Kleidung an, so wie sie war. Motten hatten sich an einem Jackenärmel verköstigt. Ich nahm es zur Kenntnis. Wehmütig schälte ich die letzten Fotos meiner Kinder von der Wand, wo sie sich im Laufe der Monate angehäuft und über den Putz in alle Richtungen ausgebreitet hatten wie neue Vororte von Las Vegas über die Wüste von Nevada. Inspektor Bernhard Hornicek bemerkte ihre Abwesenheit sofort, als er ein paar Mi124
nuten später um 7.30 Uhr auf seinem Rundgang kam, um die Türen für den Frühstückswagen aufzuschließen. Ich meine, dass ich ihn leicht den Kopf schütteln sah, aber er wusste schon, was ich dachte, und äußerte sich nicht darüber. In mein Tagebuch schrieb ich mit Bleistift diese Zeilen: Angesichts der Bemerkungen des Beamten Grobmann letzte Nacht habe ich jetzt wenig Hoffnung auf einen Erfolg der Berufung: nur drei hatten in den vergangenen Jahren beim Oberlandesgericht Erfolg, heißt es. Dr. Herbert Schaller hat mir diese kleine Statistik humanerweise vorenthalten. Die Mannschaft der Justizwache holte mich um 8.30 Uhr. Ein freundlicher Beamter mit einem Walrossschnurrbart führte die obligatorische Leibesvisitation durch. Ich hatte einen Agatha-Christie-Roman in meine Jackentasche gesteckt. „Was ist das für ein Buch?", fragte er. Offensichtlich war er angewiesen worden, mich nicht noch einmal mit Hitler's War in den Gerichtssaal bringen zu lassen. Immerhin gelang es mir jedoch, einen offenen Füller in meine mit Handschellen gefesselten Hände gleiten zu lassen. „Mein Markenzeichen", erklärte ich dem Walross, „ich bin Schriftsteller ..." Gegen 9 Uhr, zur Stoßzeit, bugsierten sie mich durch die Straßen der weihnachtlichen Hauptstadt zum Oberlandesgericht. Ich fand mich in dem Gefangenenwagen zusammen mit einem jungen osteuropäischen Strolch; auch für seine Berufung konnte ich keine wirkliche Erfolgsaussicht erkennen. Ich war es nicht mehr gewohnt, Leute, dichtgedrängte Menschenmengen, Kinder, Autos, Bäume und Vögel, zu sehen. Darüber vergaß ich alles. Der Wagen beförderte mich in den geschlossenen Hof des Justizpalasts, und nach mehreren Minuten Verzögerung, während derer man mir die Handschellen anpasste und auf das Signal zum Weitergehen wartete, fuhren wir mit dem Lift auf die Ebene des Gerichtssaals. Als ich aus dem geräumigen Fahrstuhl ausstieg, bemerkte ich, dass das ganze Gebäude unpassenderweise mit klassischer Musik erfüllt war. Unvermeidlich Wolfgang Amadeus Mozart, aber nicht aus der Konserve. Nein, unten in der glasüberdachten Aula des Justizpalasts spielte ein Streichquartett. Es war ein fast surrealer Eindruck, als die wunderbaren Klänge zu den Arkaden im ersten Stock emporfluteten, während ein Schwärm 125
Die Aula des Justizpalasts, in dem das Oberlandesgericht Wien untergebracht ist.
grimmig blickender Justizbeamter mich umringte und uns den Weg durch das Gedränge der Pressefotografen und Fernsehkameras bahnte. Ich war mir bewusst, dass man mich mit meinem abrasierten Haar und der bleichen Gefängnishaut durchaus für einen wirklichen Kriminellen hätte halten können. Im Gerichtssaal selbst sah ich die (für ein englisches Auge an solchem Ort höchst ungewohnte) Meute der Pressefotografen und Fernsehkameras; von nur Zentimeter entfernt stehenden Sicherheitskräften flankiert, musste ich fünfzehn Minuten lang dastehen und dann sitzen, während diese Schakale mit ihren Kameras klickten und blitzten und um mich herumschwirrten. Die drei Berufungsrichter waren bereits da. Ihr Vorsitzender, Senatspräsident Ernest Maurer, sah ebenso fassungslos drein wie ich. Er sah fast erschreckt über die Vorgänge aus. Es machte mir keinen Mut. Mein Anwalt Herbert Schaller warnte mich davor, Interviews zu geben. Weder jetzt noch später! Nicht in Österreich! „Sie sind blutgierig", flüsterte er. Die Justitia-Statue im Innern desJustizpalasts.
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Die Zuschauergalerie war mit etwa fünfzig Journalisten und Beobachtern vollgestopft. Zu meiner Überraschung erkannte ich an der Rückwand Reka, die in einem rauchblauen Kleid ganz reizend aussah. Ich hatte nicht erwartet, dass sie von Budapest hierher kommen würde. Die gutaussehende Malev-Stewardess war einmal monatlich mit ihrem Verlobten herübergefahren, um mit mir fünfzehn Minuten lang hinter einem schalldichten Glasfenster im JosefstadtGefängnis zu plaudern. Sie hatte für jeden Besuch um drei Uhr früh aufbrechen müssen. Um rechtzeitig nach Wien zu kommen, wenn nicht jemand anders ihr zuvorkommen sollte. Sie verstand allerdings kein Wort der deutschen Gerichtsverhandlung. Ich winkte ihr zu und schüttelte ihr die Hand, bevor die uniformierten Schwergewichtler um mich herum dazwischentreten konnten. Während sie sie wegzerrten, zeigte ich dankbar, dass ich den Schlips, die Hosen und Socken trug, die sie meistens auf ihren Fernost-Langstreckenflügen gekauft und für den Prozess beigesteuert hatte.
Die Berufungsverhandlung begann. Ich erwartete mir davon überhaupt nichts Gutes mehr. Ziemlich beunruhigend wirkte auf mich, dass die junge Beisitzerin das zig Seiten starke Urteil vom 20. Februar 2006 mit tonloser, monotoner Stimme zur Gänze verlas. Zwanzig Seiten umfasste allein die Wiedergabe meiner Äußerungen von vor siebzehn Jahren. Dann kam der begründungslose Schuldspruch, gefolgt von den Strafzumessungserwägungen. Die Verlesung dauerte über eine halbe Stunde, mehr als für die Berufungsverhandlung insgesamt angesetzt worden war. Das Herz rutschte mir in die Hose. An einer Stelle, an der ich in meinen Vorträgen von 1989 eine schockierende Aussage des britischen Außenministeriums angeführt hatte, rief ich dazwischen: „Zitat!" Das hatte ja nicht ich gesagt. Mit dem, was ich gehört hatte, fühlte ich mich nicht behaglich. Es gab viele Punkte, die ich in jenen Vorträgen des Jahres 1989 recht forsch angesprochen hatte und heute nicht mehr sagen würde. Und das Urteil von Liebetreu hatte keine der Tatsa128
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chen berücksichtigt, die ich vorgebracht hatte, um den durch einige meiner damaligen Äußerungen entstehenden Eindruck auszugleichen. Mit dieser tonlosen, flachen Gerichtsstimme vorgelesen, klang es sehr extrem. Und es kam noch schlimmer, als die Erste Oberstaatsanwältin anhob, die Vertreterin der unmittelbar dem Bundesministerium für Justiz unterstellten höchsten Anklagebehörde Wiens. Sie wandte sich hitzig und heftig gestikulierend an das Gericht mit der Forderung nach einer strengeren Bestrafung als die bereits über mich verhängten drei Jahre. Ich war plötzlich froh, dass die Todesstrafe in Österreich 1950 abgeschafft worden war (die letzte Hinrichtung in der Alpenrepublik fand allerdings nach alliiertem Recht im Jahr 1955 statt). Mich beschlich das Gefühl, ja ich war mir zunehmend sicher, dass das Urteil härter werden würde. Hinter mir hörte ich, wie jemand das Wort „fünf flüsterte - und fünf Jahre schienen mir nun möglicherweise sogar noch zu niedrig gegriffen. Mein Freund und Anwalt Dr. Herbert Schaller, Veteran so mancher Gerichtsschlacht, furchtlos und patriotisch, würde nun den Schlussakt liefern. Seine schwarze Robe um die Schultern schlingend erhob er sich und hielt eine lange Rede wie bei einer Volksversammlung. Wellen stillen Beifalls wogten ihm über die Zuschauerbänke entgegen. Ein stolz wirkender Mann, nicht groß, aber drahtig, kraftvoll und rauflustig, sprach er im Gegensatz zur Oberstaatsanwältin ohne Notizen. Ein alter Kämpe und Experte eben. Wie kann es die Anklage wagen, fragte er, gegen mich jetzt wie schon im Februar meine Vorträge in aller Welt (die ohnehin nicht den Holocaust behandelten) anzuführen? Sie waren nirgendwo auf der Welt ungesetzlich außer in Österreich. Österreich kann nicht beanspruchen, die Welt zu regulieren. Zweimal sagte Schaller, dass ich in der ersten Instanz im Februar nicht angemessen verteidigt worden sei - ein schwerwiegender Tadel für seinen ebenso gezierten wie nachlässigen Vorgänger. Recht so. Doch ich war jetzt trotzdem hoffnungslos. Senatspräsident Maurer erteilte mir das Wort und ich wandte mich einige Minuten lang an das Gericht - in der Erwartung, dass meine Stimme nun für mehrere Jahre nicht mehr öffentlich gehört werden würde. 130
Der Vorsitzende Richter Ernest Maurer (zweiter von rechts) und seine beiden Beisitzer.
Die Oberstaatsanwältin (links), in schwarzer Robe mit roten Besätzen, forderte eine höhere Strafe.
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Ich wies darauf hin, dass Richter Peter Liebetreus Urteil vom Februar 2006, so wie es gerade verlesen worden war, natürlich nur die „gerichtlich verfolgbaren" Teile meiner 1989 in Österreich gehaltenen Vorträge wiedergegeben hatte, aber dass die Vorträge im Ganzen gesehen deutlich ausgewogener gewesen waren. Deshalb hätten auch die Polizeibeamten, die tatsächlich auf unsere Einladung hin anwesend waren, festgestellt (und berichtet), dass ich das Gesetz nicht gebrochen hätte. Ich verwies darauf, dass ich nun seit über vierhundert Tagen in Einzelhaft saß, dass Bente sehr krank ist und dass ich im Falle einer weiteren Inhaftierung nicht in ein britisches Gefängnis verlegt werden könnte, weil das österreichische Gesetz, das Verbotsgesetz, in Großbritannien keine Parallele besäße - eine der Vorbedingungen für solche bilateralen „Gefängniswechsel". Mit anderen Worten, ich würde meine Familie jahrelang nicht wiedersehen, wenn überhaupt jemals. Der Berufungssenat zog sich zur Beratung zurück, und ich nutzte diesen öden Moment für ein letztes Geplauder mit Reka. Ich verabschiedete mich auch von meinen Freunden im Gerichtssaal und schüttelte überall, soweit ich konnte, Hände. Die Männer der Justiz wache machten keinen Versuch dazwischenzutreten.
Das Erstgericht hatte außer Betracht gelassen, „dass dem Angeklagten das lange Zurückliegen der Tat zusätzlich mildernd zugute kommt, zumal die abgeurteilten Straftaten im Jahr 1989, sohin vor mittlerweile siebzehn Jahren begangen wurden und der Angeklagte sich seitdem wohlverhalten hat". Die Staatsanwaltschaft habe „übersehen", dass „die vom Angeklagten in zahlreichen Büchern und Vorträgen vertretenen Meinungen, historischen Thesen und Ansichten zur Geschichte des Nationalsozialismus ... in jenen Ländern, in denen der Angeklagte diese Vorträge gehalten hat, nicht sanktioniert wurden und dass insbesondere in England, dem Heimatland des Angeklagten, eine dem Verbotsgesetz gleichzuhaltende Strafbestimmung nicht existiert". Meine Äußerungen in anderen Ländern als Österreich stünden „der Annahme eines untadeligen Lebenswandels nicht entgegen". Das Verbotsgesetz von 1945 sei nämlich ein „österreichisches Spezifikum". Die österreichischen Strafgesetze „gelten zufolge der Bestimmungen der § § 6 2 ff. StGB nur für Taten, die im Inland begangen worden sind". Und „eine Bestimmung, wonach die im Verbotsgesetz pönalisierten Tathandlungen von
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Nach einer halben Stunde riefen Gerichtsdiener zur Ruhe, und die drei Richter kamen hintereinander wieder herein. Senatspräsident Maurer hielt ein Bündel maschinell beschriebener Seiten in seinen Händen. Als wirklich jedermann ruhig war, begann er, das Urteil zu verlesen. Ich versuchte, keinerlei Gefühl zu zeigen. Der Berufung der Staatsanwaltschaft, mit der diese eine Erhöhung der Strafe zu erreichen versuchte, wurde nicht stattgegeben. Meiner Berufung hingegen schon. Maurer wies die Argumente der den Weisungen des Justizministeriums unterworfenen Anklagebehörde hundertprozentig zurück und begründete dies in derselben Weise, wie Dr. Schaller es zuvor getan hatte. Anschließend begründete er, warum unsere Berufung erfolgreich war: 132
Am 77. April 1979 signiere ich im Staatstheater Darmstadt meine Bücher.
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Sjf
Bei einer Vortragsreise 1987 in Südwestafrika zeigen deutschstämmige Jugendliche ihr lebhaftes Interesse an meinen Erkenntnissen.
Österreich ohne Rücksicht auf den Tatort oder die Nationalität des Täters zu verfolgen wären, sieht die österreichische Rechtsordnung nicht vor". Man brauchte kein Gedankenleser zu sein, um die letzten Absätze der Urteilsbegründung zu formulieren: Der mittlerweile 68-jährige Angeklagte ist britischer Staatsangehöriger, wo er eine Familie und seinen Lebensmittelpunkt hat... Es ist davon auszugehen, dass er im Falle seiner Freisetzung Österreich sogleich verlassen und in sein Heimatland zurückkehren, nicht mehr nach Österreich kommen und schon gar keine Vorträge ähnlichen Inhalts wie die prozessgegenständlichen im Bundesgebiet halten wird. Es war daher — allein — der Berufung des Angeklagten der spruchgemäße Erfolg beschieden. Ich sollte unverzüglich freigelassen werden. Erstaunt, erleichtert und fast ein wenig geschockt von diesem unerwarteten Ergebnis entspannte sich mein Gesicht. Ich blickte nach halbrechts zu Dr. Schaller, schaute ihm in die Au134
„Im Namen der Republik"-in Österreich ergehen Urteile ehrlicherweise nicht „'im Namen des Volkes"- war ich am 20. Februar 2006 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ebenfalls „Im Namen der Republik" gab das Oberlandesgericht mit seinem Urteil vom 20. Dezember 2006 (im Bild dessen letzte Seite) meiner Berufung statt und ordnete meine sofortige Freilassung an. Die Berufung der Staatsanwaltschaft, die eine Erhöhung der Strafe verlangte, dagegen fiel durch.
gen und winkte. Seine gütigen Züge falteten sich langsam in ein sphinxähnliches Lächeln. War das, was eben geschehen war, für ihn am Ende vielleicht gar keine Überraschung? Die Türen schwangen auf und schlössen sich wieder, als zwei Pressemänner hinausrasten, um als erste in ihre Redaktionen zu telefonieren. Der österreichischen Presse gefiel das Urteil überhaupt nicht. Diese drei Richter konnten Richter Liebetreus Urteil nicht kippen - denn sie hatten nur noch über das monströse Strafmaß 135
zu entscheiden -, aber mit ihrem Urteilsspruch hatten sie die Strafe so angepasst, dass es die unmittelbare Freilassung bewirkte. Eine ausgesprochen salomonische Entscheidung ... Es war immer noch eine Ungerechtigkeit, aber was zum Teufel sollte es? Die Justizwachebeamten, die während des Prozesses hindurch nur Zentimeter von meinem Stuhl entfernt gewesen waren, zogen sich jetzt diskret zurück. Die Kameras blitzten und die Fotos zeigen, dass mehrere der Beamten breit lächelten - bei ihnen war die Entscheidung des Oberlandesgerichts rundum populär. Reka befreite sich aus der Zuschauergalerie und stürzte vorwärts, um mich herzlich zu umarmen, was sich nach all diesen Monaten des Alleinseins ziemlich gut anfühlte. Ihr junger Verlobter sah nachsichtig zu. Flieg mit Hungarian Airlines! „Geben Sie keine Interviews in Österreich!", wies mich Dr. Schaller wiederum an, um meine Interessen zu schützen: Journalisten haben, wie ich am eigenen Leib erfahren hatte, eine Tendenz, Dinge zu verdrehen, um neue Geschichten zu erzeugen. Er sagte mir, dass die Polizei ihm versichert hatte, dass ich nun freigelassen und nicht abgeführt werden würde. Er übergab
mir eintausend Euro, die ein österreichischer Gönner besorgt hatte, um meinen zwangsläufig teuren einfachen Flug zurück nach London zu bezahlen. Und dann verließ mich dieser tapfere und unermüdliche Advokat sofort für die Achtstundenreise nach Mannheim, wo er Ernst Zündel vor dem dortigen Landgericht verteidigte. Die Presse hing herum und stellte Fragen, die jetzt eine gänzlich andere, respektvollere Färbung hatten. Die Jagdsaison schien zu Ende zu sein. Wer auch immer jetzt begann, unpassende Witze zu reißen oder mir zu erklären, dass jedermann wüsste, dass ich das Opfer einer kleinen Clique geworden wäre usw. - er bekam von mir keine Antwort. Um 11.30 Uhr fuhr mich die Polizei durch Wien zum Josefstadt-Gefängnis zurück.
Mit Dr. Schaller nach unserem Erfolg.
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Zum Zeitpunkt meiner Rückkunft im Josefstadt-Gefängnis hätte ich eigentlich ein freier Mann sein sollen, doch noch war ich es nicht. Trotz Dr. Schallers Zusicherung wurde ich kurz der Fremdenpolizei wegen eines Ausweisungsverfahrens vorgeführt. Offensichtlich hatte sich die Clique wieder in Aktion gestürzt. Dr. Schaller war bereits nach Mannheim abgereist. Ich weigerte mich, irgendwelche Dokumente zu unterzeichnen. Die Stunden vergingen und ich wurde immer noch hinter verschlossenen Türen festgehalten, hing im Foyer unseres Trakts herum. Ich machte ein paar Anrufe, aber meine Telefonkarten hatten fast kein Guthaben mehr. Unter anderem rief ich Press Association (PA) in London an, um eine große Pressekonferenz im Marriott-Hotel am Grosvenor Square nahe unserer alten Wohnung um 19 Uhr an diesem Abend vorzubereiten. Um alles weitere sollte sich mein Bruder John kümmern. Unvermittelt fiel mir ein, dass dieser Anruf bei PA, der führenden britischen Nachrichtenagentur, leicht noch als eine weitere Untat betrachtet werden könnte. Galt für mich vielleicht noch immer der richterliche Beschluss, mit dem mir Gespräche mit Journalisten verboten worden waren? Die Stunden verstrichen. Ein Beamter brachte mir die neueste Post, dreißig weitere Briefe, einschließlich einem von Bente und einem von Rym, einer lang vermissten tunesischen Freundin von 1982. Von der unerklärlichen Verzögerung beunruhigt, legte ich sie beiseite, um sie im Flugzeug zu lesen. Endlich erreichte ich Bente, und sie hatte Nachrichten, die mich aus der Fassung brachten: BBC berichtete in London, dass Richter Liebetreu stocksauer auf das Berufungsgericht wegen der Aufhebung seines Urteils an diesem Morgen wäre. Und dass man nach Wegen schiele, mich in Haft zu nehmen - bis zu einer neuen Anklage wegen der Interviews, die ich im Februar gegeben hatte. Ich hatte keine Möglichkeit herauszufinden, ob und inwieweit dieser ÄBC-Bericht den Tatsachen entsprach. Mein Anwalt Schaller erklärte mir, dass es in der Tat eine erstaunliche Entwicklung gegeben hatte - Richter Liebetreu verweigerte die Unterzeichnung meiner Freilassungsanordnung, solange ihm nicht eine schriftliche Mitteilung des Oberlandesgerichts vorlag. 138
Mit diesem Beschluss hatte mir Richter Liebetreu am 6. März 2006 das Leben versüßt. Galt das Verbot „jeglichen Kontakts mit Journalisten, aus welchem Land auch immer"jetzt, am 20. Dezember und nach der erfolgreichen Berufung, noch immer? Dann hatte ich in der Justizanstalt Josefstadt gerade eine neue
Untat begangen.
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Die Entscheidung war ihm vom Gericht telefonisch mitgeteilt worden, doch er wollte dies ohne schriftliche Unterlage nicht anerkennen. Die Richter des Oberlandesgerichts konnten diese Unterlage aber erst nachreichen, nachdem die letzte Berufungsverhandlung dieses Tages beendet war. Seit der Anordnung meiner Freilassung durch das Oberlandesgericht waren drei oder vier Stunden vergangen, und ich war immer noch zu hundert Prozent Gefangener. Es schien mir eine neue Heimtücke zu sein. Etwa gegen 14.30 Uhr begann ein höchst unerfreuliches Zwischenspiel. Die Gefängnisbeamten beendeten wie gewöhnlich ihren Dienst; das ganze Gefängnisgebäude war im Begriff, für die Nacht abgeschlossen zu werden. Hornicek, der jetzt seine Zivilkleidung trug, tauchte wieder auf und lud mich mit einem leichten Grinsen ein, in meine alte Zelle zurückzukehren. Ich konnte sehen, dass dort der Name von jemand anderem an der Tür stand. Er schlug hinter mir die Tür zu, als ich hineinging; es sah ohne die Bilder meiner Familie an der Wand sehr kahl und ungastlich aus. Ich war kein Einsiedler mehr: Meine Zelle beherbergte nun auch einen kettenrauchenden Wiener Rowdy, seelisch unausgeglichen und bereits tief unglücklich wegen seiner Einkerkerung. Er sah wie ein weiterer Kandidat für den Strang aus, ähnlich den beiden anderen C-Trakt-Unglücklichen der letzten Wochen. Auf Papierfetzen machte ich mir Tagebuchnotizen über den Tag. Dieses Intermezzo endete um 16.30 Uhr. Es war schon dunkel. Beamte befreiten mich und man fuhr mich durch Wien zu einem Polizeigebäude. Der Fahrer sagte, dass zig weitere Briefe für mich angekommen wären, ich sie aber jetzt nicht erhalten könnte. Die Stimmung schien anders, irgendwie unbehaglicher als am Morgen. Eine merklich aufgeblähte Abendschicht von Beamten wartete darauf, mich, ihren nun allbekannten Gefangenen, in Empfang zu nehmen. Sie sagten mir, dass ich hier noch ein oder zwei weitere Tage wegen - es folgte eine fast unmerkliche Pause - schwebender Formalitäten festgehalten würde. In diesem neuen Gebäude - es war die Polizeiinspektion Hernalser Gürtel mit angeschlossenem Gefängnis - wurde ich bis auf die Haut durchsucht und mein schwindender Besitz wurde 140
wiederum registriert; alles das war die übliche Schikane, aber nun nahm ich es mit stoischer Gelassenheit, man könnte auch sagen: resigniert, hin. Ein Beamter fragte: „Wer war die schöne, junge Ungarin im Gericht?" Jeder äußerte sich über sie. Eine Gefängnisbesucherin, sagte ich ihm, und vielleicht machte er sich in Gedanken eine Notiz, doch auch ein Schriftsteller zu werden.
Ich hatte erwartet, um diese Zeit in London zu sein und an diesem Abend eine große Pressekonferenz abzuhalten, aber nun sollte ich für eine weitere Nacht in einer Zelle eingesperrt werden und hatte das satt. Um 17 Uhr waren alle meine Besitztümer geöffnet und wieder in Schachteln eingepackt. Man sagte mir, dass man mir morgen den Rest meines Geldes von meinem Essenskonto aus dem Josefstadt-Gefängnis herüberbringen würde. Das war meine geringste Sorge. Um 17.30 Uhr rief ich Bente in London an, um ihr mitzuteilen, dass ich heute Nacht schließlich doch nicht zu Hause sein würde, weil ich in einem anderen Wiener Gefängnis festgehalten würde und man mir nicht gesagt hatte, warum. Ich würde nun die Pressekonferenz zwei Tage später, am 22. Dezember, abhalten, da ich noch nicht einmal garantieren könnte, morgen in London zurück zu sein. „Es scheint, dass dunkle Wolken heraufziehen", sagte ich; mehr als das beschloss ich ihr nicht zu erzählen. Ausgestattet mit einer leeren Telefonkarte und einer zweiten sehr mager bestückten, rief ich wieder John an und bat ihn, die Buchung des Konferenzraums im Marriott auf Freitag zu verlegen. Dann telefonierte ich — immer noch in diesem sehr zuvorkommenden Haus der Wiener Polizei — mit Press Association und verschob die Pressekonferenz. Das Polizeigefängnis am Hernalser Gürtel ist das mit 304 Haftplätzen größte Polizeianhaltezentrum Österreichs. Einer davon war jetzt mir zugewiesen. Um 20 Uhr hatten meine neuen Gefängnisaufseher ein Tablett mit drei Semmeln und drei Käsevierteln sowie einen Plastikbeutel mit Toilettenartikeln in die Zelle gestellt. Die Zelle hatte ein kleines Fenster, das zu hoch oben war, als dass ich 141
hätte hinaussehen zu können. Die Wände waren mit Dreck und Graffitis bedeckt. Ein vorheriger Insasse hatte an eine Wand den Kalender in kyrillischer Schrift eingekratzt und sieben Monate lang fein säuberlich die Tage und die Wochen durchgestrichen. Ich ertrug es nicht, daran zu denken. Die Zelle war schmutzig, aber ich hatte saubere Betttücher. Trotzdem war ich versucht, die ganze Nacht aufzubleiben, aber dafür dann doch zu hungrig und erschöpft. Ich legte mich hin und wartete darauf, dass das grelle Deckenlicht ausging. Es blieb die ganze Nacht an. Wenn die Polizeibeamten die Wahrheit sagten, würde ich wohl am nächsten Tag in einem Flugzeug aus Österreich ausfliegen. Aber noch war ich ein Gefangener und trotz der erfolgreichen Berufung in einem Wiener Polizeigefängnis festgehalten. Erst der Donnerstag, 21. Dezember 2006, brachte diese ganze widerliche Episode zu Ende. Das Gefängnisklima änderte sich subtil - vielleicht hatten die Beamten die Presseberichte gelesen und wussten nicht recht, in welche Richtung sich der Fall noch entwickeln würde. Kurz vor der Dämmerung schloss der Kommandant selbst die Tür auf, lenkte kaum merklich die Aufmerksamkeit auf die Türschwelle und murmelte höflich: „Mr. Irving, wir sind beschämt über dieses Vorkommnis. Selbstverständlich werden wir Sie in gleicher Weise wie jeden anderen Gefangenen zu behandeln haben ..." Ich belohnte ihn mit einem gezwungenen Lächeln und sagte, dass ich nichts anderes erwartete. Die Fremdenpolizei verhörte mich abschließend; es gab dabei keinerlei Überraschungen, aber ich beantwortete keine Fragen, außer wenn es sich absolut nicht vermeiden ließ. Da Dr. Schaller selbst in Mannheim war, kam seine Vertreterin, ebenfalls eine erfahrene Anwältin, um den Kampf fortzusetzen. Sie brachte förmlich unsere Empörung darüber zum Ausdruck, dass die Regierung ihre Verpflichtung hinsichtlich der Ausreise gebrochen hatte. Die Polizei erwiderte, dass ich ein oder sogar zwei weitere Tage festgehalten werden sollte, bis die Flugvorkehrungen getroffen wären; in dem Bewusstsein, gegen wen wir wirklich standen, 142
argwöhnten wir, dass es andere Gründe gab, mich auf österreichischem Boden festzuhalten. Auch die britische Presse brachte ihr Befremden darüber zum Ausdruck, dass ich zwei weitere Tage festgehalten wurde, angeblich, „um meine Abreise zu beschleunigen". Die Polizei bot als Entschuldigung an, dass sie heute keine Begleitbeamten zur Verfügung hätte, aber Schallers Vertreterin blieb hartnäckig: Wir benötigten keine Eskorte; es müsste mir gestattet werden, heute auszufliegen, da das Berufungsgericht meine Freilassung angeordnet hatte; vor den Polizeibeamten benutzte sie ihr Telefon und buchte mich ruhig für einen AustrianAirlines-Flug ein, der planmäßig um 17.15 Uhr nach London abgehen sollte. Er würde 437 Euro kosten - nicht billig, aber British Airways verlangte über neunhundert. Die Anwältin erzählte mir, dass mein Berufungssieg die Fernsehdiskussionsrunden hier in Wien letzte Nacht beherrscht hatte, wobei die selbsternannten Wächter der politischen „Moral" ihre Empörung zum Ausdruck brachten und sich wie Shakespeares Shylock aufführten, wütend, ihr Pfund Fleisch nicht aufs Gramm genau erhalten zu haben. Sie fügte hinzu, dass loyale Freunde sie gebeten hatten, mir zu sagen, dass sie gestern sechs Stunden lang auf dem Wiener Flughafen herumgehangen waren und darauf gewartet hatten, mir Lebewohl zu sagen. Der Versuch eines Polizeiverhörs ging weiter. Noch im Polizeibüro und an dessen Telefon nahm ich mehrere Anrufe entgegen. Die BBC wollte wissen, ob sie mit einer Fernsehkamera kommen könnten, um mich in diesem Gebäude zu interviewen; der Beamte wurde rot und geriet in Panik, als ich ihn fragte. Er sagte nein. Von einem Reporter von Agence France Press erhielt ich einen langen Anruf. Ich fütterte ihn mit ein paar ungefährlichen Bissen: dass sich der Gefängniskommandant sehr anständig verhalten hatte; dass ich kein Holocaustleugner bin; dass Leute, die das Gegenteil behaupteten, offensichtlich niemals meine Bücher gelesen haben; dass kein Historiker ins Gefängnis geworfen werden sollte, wenn er anders als andere denkt. Danach gefragt, wie ich meine Zeit verbracht hätte, fügte ich hinzu, dass ich mich neu geeicht, rekalibriert hätte. Und als ab143
schließende Randbemerkung, einem Impuls folgend und wissend, was Journalisten benötigen - nämlich eine Schlagzeile —, warf ich ihm die Worte hin, die später so zitiert werden sollten: „In vielen Aspekten hatte Mel Gibson Recht." Der Reporter bohrte nach. Ich aber sagte nichts mehr. Noch aus dem polizeilichen Verhörraum rief ich John in Südwestengland an. Mein Bruder sagte, dass es eine gute Berichterstattung über den gestrigen Triumph im Berufungsverfahren gegeben hatte und die Szenen im Gerichtssaal auf BBC und anderen Fernsehkanälen gezeigt worden waren. Doch hatte BBC's Newsnight, Großbritanniens populärstes aktuelles Nachrichtenprogramm, einen Rückzieher gemacht. Das Marriott war ebenfalls unter Druck geraten und widerrief seinen Vertrag für die morgige Konferenz; nach dem Grund befragt, gaben sie sich ziemlich geheimnisvoll. „Teil Me The Old, Old Story", sang ich ihm vor und bat meinen Bruder, weil meine Telefonkarte ihren Geist aufzugeben drohte, Press Association zu benachrichtigen, dass ich morgen im letztmöglichen Augenblick neue Einzelheiten bezüglich der Örtlichkeit bekannt geben würde. Die Fragen der Journalisten zeigten, dass mein Ruf nach einem internationalen Boykott deutscher und österreichischer Historiker gänzlich unterging. Ich hatte mich zwei Nächte vorher für diese Taktik entschieden. War das die Konsequenz davon, dass ich das Leben von Dr. Goebbels ausgiebig studiert hatte? Zu seinen bevorzugten Techniken gehörte: Schlag immer zurück, aber an einer anderen Stelle. Als Antwort auf Fragen wegen der Konzentrationslager wollte er beispielsweise englische Gräuel in Indien oder im Nahen Osten thematisieren, wie er im Dezember 1942 festhielt. Ich wurde in meine Zelle zurückbefbrdert, und ein Beamter brachte mir echten Wiener Kaffee. Gegen Mittag kamen einige seiner Kollegen herein und baten mich um Autogramme. Wir plauderten ein wenig und man merkte ihnen ihren Abscheu über die ganze das Ansehen Österreichs beschädigende Episode an. Als sie wieder gingen, blieb die Zellentüre offen. Ich stellte anheim, sie zu schließen, um die Formalitäten zu beachten. 144
Am 12. Juni 1992 in Moskau vor dem Eingang des Staatsarchivs, in dem ich bisher unbekannte Goebbels-Tagebücher und andere aufschlussreiche Dokumente fand.
Mir bot sich der Eindruck eines Wettrennens zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei - den Bemühungen der ersteren, eine zweite Anklage gegen mich auf die Beine zu stellen, und jenen der Polizei, ihrer Pflicht nachzukommen, mich aus Österreich zu entfernen. Realisierten die im Hintergrund agierenden Funktionäre gelegentlich, welchen dauerhaften Schaden sie durch ihren Verfolgungseifer gegen mich und andere Schriftsteller den langfristigen Interessen ihrer Gemeinschaft zufügten. In meinem Fall hatten sie sich getäuscht, sie waren auf ein namhaftes Opfer gestoßen und der ganze Fall hatte sich zum Bumerang entwickelt. Um 12.30 Uhr brachte eine Wache einen Wagen mit dem Mittagessen - Knödel und ein hervorragendes Gulasch. Ein Beamter kam mit einem Blatt Papier für ein Autogramm in der Hand herein. Ich lud ihn zum Mittagessen ein, und als er blieb, machte ich eine Bemerkung über einigen Abschaum, auf den ich beim Hofgang im Josefstadtgefängnis gestoßen war. 145
Der Beamte meinte leichthin: „Das ist die EU. Leider Gottes! Das ist der Untergang." Man fragt sich, wer dahintersteckt und mit welcher Absicht, sagte ich. Als der Nachmittag allmählich nahte, begann ich mich zu fragen, ob es allzu tollkühn gewesen war, die Mel-Gibson-Sentenz einer Presseagentur hinzuwerfen, während ich mich noch auf österreichischem Boden befand. Ich hatte gehört, dass der Agenturjournalist meine Antworten unmittelbar in eine Tastatur getippt hatte, so dass sie inzwischen öffentlich geworden sein dürften. Wenn er sie in irgendeiner Weise ausgeschmückt hatte, konnte mich das ohne Weiteres wieder in den Schlamassel bringen. Österreich war nach meinem Empfinden noch ein Polizeistaat. Ich war vorsichtig gewesen mit dem, was ich sagte und was nicht, aber mittlerweile wusste ich doch, was übelgesinnte Journalisten alles zu tun in der Lage sind, um ihre Geschichten hochzupeitschen. Bevor ich abreisen konnte, musste noch eine weitere ärztliche Untersuchung erfolgen. Blutdruck in Ordnung, Puls normal, in der Tat „sportgesund", wie die Ärztin sagte. Ja, aber die Muskeln, die Muskeln ... 400 Tage Untätigkeit und Nacht für Nacht ein Bett, das zehn Zentimeter zu kurz war. Wieder in der Zelle zurück, vergingen drei weitere Stunden. Dann war klar, dass wir das groteske Rennen gewonnen hatten. Ich wurde zu einem frostigen Gefängniswagen eskortiert, wo sich schon weitere Beamte und zwei unsympathische Schubhäftlinge rumänischer Staatsangehörigkeit befanden. Endlich ging es durch die Rolltore des Gebäudes und durch den Stoßverkehr auf den Straßen Wiens zum Flughafen. Mit heulenden Polizeisirenen und blitzenden Blaulichtern wurde über die Ampeln an jeder Kreuzung gefahren, als handele es sich um einen echten Notfall. Später an diesem Tag sollte der ORF melden, die Staatsanwaltschaft Wien habe schlussendlich auf einen neuerlichen Haftantrag verzichtet. „Der Tatverdacht reicht in diesem Fall nicht für eine neuerliche U-Haft aus. Damit ist Irving frei", erklärte der Sprecher der Anklagebehörde. Die Männer aus Rumänien versuchten zu plaudern, aber ich entschloss mich, sie für diese verbleibenden Minuten des Fe146
gefeuers nicht zu beachten. Nicht mehr der nette Junge, nicht mehr Mr. Nice Guy, wie die Amerikaner sagen würden, hatte ich jetzt keinen Sinn für Freundlichkeiten. Ich grub aus meiner Tasche den Brief, der von Bente angekommen war, als ich gestern Josefstadt verließ, und las ihn in Ruhe durch. Er war herzlich. Am Flughafen parkten wir an einem Standplatz der Polizei und warteten. Die Beamten gingen weg. Die Minuten verwandelten sich in Stunden. In London gab es irgendein Problem. Die Polizeibeamten waren alle in das warme Terminalgebäude gegangen. Als sie zurückkamen, hörte ich, wie sie sogar darüber sprachen, mich in das Gefängnis in Wien zurückzubringen. Mir graute vor den Konsequenzen, die das mit sich bringen könnte Der Motor des Polizeiautos war schon lange abgeschaltet. In bitterer Kälte saßen wir an diesem Parkplatz für endlose Stunden fest. Alle Flüge nach London waren wegen des schlimmsten Nebels, den die Themse-Metropole seit Jahren gesehen hatte, verspätet. Der dortige Flughafen war geschlossen, während Scharen von Flugzeugen sich in Warteschleifen abquälten. Endlich kamen zwei Polizeibeamte, um mir die Tickets zu bringen. Ich erfuhr, dass meine Schachteln mit Büchern und Manuskripten mich weitere vierhundert Euro gekostet hatten das Vierfache dessen, was mein ursprüngliches Rückflugticket gekostet hatte. Mein ganzes Bargeld war wieder zerronnen. Wenn nicht ich, sondern die österreichischen Steuerzahler für das Ticket gezahlt hätten, hätte mich ein mit Handschellen an mich gefesselter Beamter den ganzen Weg nach Heathrow begleiten müssen. Das sind heutzutage in Europa die Gefahren, wenn man eine unzulässige Meinung geäußert hat. Die Handschellen wurden mir ein letztes Mal abgenommen. Im Terminal waren die Beamten ganz ungezwungen, ich lud sie auf einen Kaffee ein und kaufte österreichische Zeitungen. Es freute mich festzustellen, dass die Journalisten des Landes von Obszönitäten über mich schäumten. Sie wussten, „which side their bread was buttered on", also welche Form der Berichterstattung ihnen zum Vorteil gereichte. Was für käufliche Feiglinge die meisten doch waren! Jetzt weiß ich, warum man von der „Journaille" spricht. Ich hatte dank eines österreichischen Gönners den Aufschlag für einen Flug in der Business-Klasse bezahlt. Also ließ ich mich 147
in dem Austrian-Airlines-Ledersitz nieder. Beim Durchsuchen meiner Taschen fand ich die zwei leeren Telefonkarten und steckte sie in die Tasche der Rückenlehne vor mir. Eigentlich wollte ich den Zwei-Stunden-Flug schlafend verbringen, aber ich musste über eine Menge nachdenken. Nach vierzehn Monaten ohne Einkommen würde mich die Schadensbehebung viele Monate in Anspruch nehmen: Wir hatten Buchverkäufe und Verlagsverträge eingebüßt, Flugzeugtickets waren verfallen, meinen Vortrags Verpflichtungen konnte ich nicht nachkommen. Unsere Wohnung und viele meiner Besitztümer waren weg. Bente ging es noch sehr schlecht und meine Einkerkerung war ihrer Gesundheit nicht dienlich gewesen. Später in dieser Nacht sollte ich über sechstausend Emails vorfinden, die darauf warteten, dass ich sie las und beantwortete. In all diesen Monaten seit dem Augenblick meiner Verhaftung hatte es keinen Ton, keinen Piep von den Studenten, die mich 2006 zu dem Vortrag in Wien eingeladen hatten, gegeben. Keine Entschuldigung oder Botschaft, kein Brief oder Besucher war von der Wiener Burschenschaft „Olympia" gekommen. Meine Briefe an die Verbindung aus dem Gefängnis waren unbeantwortet geblieben. Ich musste mich selbst verteidigen. Das wie auch die Tatsache, dass mir Hunderte unterstützende Briefe anonym zugesandt wurden, zeigt, dass Deutsche und Österreicher im tiefsten Innern glauben, dass sie wieder einmal in Polizeistaaten leben. Mit zwei Stunden Verspätung hob das Flugzeug in Wien von der Startbahn ab. „Die Polizei bestätigt, dass Irving um 18.49 Uhr MEZ in ein Flugzeug nach London gestiegen sei", meldeten die Medien noch am selben Abend. An Bord der Maschine wurde eine gute Mahlzeit serviert. Zum ersten Mal seit Monaten echtes Fleisch und Wein. In der ersten Woche meiner Gefangenschaft, noch im Grazer Jakomini-Gefängnis, hatte ich geträumt, dass ich nach Hause flöge und mir nach meiner harten Prüfung eine Stewardess unter dem Beifall aller Passagiere eine Flasche Champagner mit den Empfehlungen von British Airways bringe. Diese Mahlzeit hier war fast ebenso gut. Den Alkohol allerdings ließ ich stehen; im Gefängnis hatte ich ihn mir abgewöhnt. 148
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Gegen 21.30 Uhr setzten wir hart in Heathrow auf - mangels Sicht war es eine Blindlandung. Ein drängelnder, mit den Ellbogen stoßender, höflich ungestümer Haufen von Pressefotografen und Kameraleuten drängte sich vor dem Flugsteig, was fur die anderen Passagiere, die hinter mir folgten, ziemlich verwirrend war. Schließlich sah ich nicht wie Kate Middleton aus. Ich erwarb eine Telefonkarte und besorgte mir etwas englisches Geld. Außerhalb des Zollbereichs warteten mehr Reporter. BBC konnte mich jetzt nicht gebrauchen - es war zu spät. Die meisten britischen Zeitungen waren bereits im Druck. Verfluchter englischer Nebel! Channel 4 war ebenfalls verloren. Ich blieb eine Stunde lang für Gespräche mit den Reportern im Ankunftsbereich, darunter der Mann von Reuters und eine junge Interviewerin von Associated Press. Das war zweifellos PR, aber kaum ein angemessener Ausgleich für 400 T a g e Einzelhaft. Ich hatte damit gerechnet, dass ich wenigstens einen Rundfunkmann finden würde, der mich in die Stadt fuhr. Jetzt würde ich mit meinem Gepäck ein Taxi nach London nehmen müssen was mich weiterer sechzig Pfund beraubte. „Bringen Sie mich' zur Sloane Street!", ächzte ich und nannte die Hausnummer. Es war lange nach 23 Uhr, und ein eisiger, feuchter, kalter, frostiger Graupelregen war an die Stelle des vorherigen Nebels getreten, als wir aus dem Flughafenkomplex abfuhren. „Vierhundert Tage Einzelhaft", sagte der Fahrer und fügte in bestem Cockney-Englisch hinzu: „Gorblimey". Was sich am ehesten mit „Gottverdammich!" übersetzen lässt. Ich wollte beginnen, ihm von Rudolf Heß, dem Spandauer Gefängnis und siebenundvierzig Jahren zu erzählen, entschloss mich aber dann, es zu lassen. Er setzte mich mit meinem Koffer und zwei Schachteln am Eingang des Gebäudes ab. Ich hatte Bentes neue Wohnung vorher nicht gesehen. Das Haus mit einer großen, kunstvoll verzierten Vorderfront befand sich in einer von Londons vornehmen Straßen, und durch das Glas konnte ich sehen, dass das Foyer warm und hell erleuchtet war. Dank meiner „Entführung" wie ich es jetzt nannte, hatten wir unsere eigene Wohnung am' 149
20. März verloren. Und so krank, wie sie war, hatte Bente den ganzen Umzug hierher selbst bewältigt. Das Pult des Concierge war leer. Mir schoss wieder der Gedanke an jene Fahrräder, die in der Wärme des subtropischen Key West verrosteten, durch den Kopf. Ich zog meinen Schlips gerade und klingelte bei unserem Appartement. Der Schnee hatte jetzt das West End erreicht und begann herunterzurieseln, und ich bemerkte, wie kalt es geworden war. Es war fast Mitternacht, und Bente und Jessica hatten wahrscheinlich aufgegeben und waren ins Bett gegangen. Eine oder zwei Minuten vergingen. Ich läutete wieder. Die Straße war verlassen. In der Ferne hörte ich die Sirene eines Polizeiautos und sah blitzende Blaulichter vom Sloane Square kommen. Für einen winzigen Augenblick erstarrte ich, doch dann entspannte ich mich: Nein, sagte ich mir, du bist jetzt in London in Sicherheit.
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X. Zu neuen Ufern Vor mir lag nun die Aufgabe, die viertausend Seiten Aufzeichnungen, die ich handschriftlich im Gefängnis gemacht hatte, in die Form von zwei Büchern zu gießen: die Himmler-Biografie und meine Lebenserinnerungen. Vielleicht haben Sie Lust, das erste Kapitel meiner Memoiren zu lesen: Der Ring In jenen vergangenen Tagen, den frühen Vierzigerjahren, wurde Shipham's Fleischpaste in Glastöpfen angeboten, deren Deckel mit einem Klammerring aus Messing verschlossen war. So ein Messingring lag nun glitzernd auf dem Grund des Teichs. Jenes Teichs auf dem Feld genau hinter unserem Haus in Essex, der einst ein Bombenkrater gewesen war. Meine Schwester Carol, die ihren bonbonrosafarbenen Rock trug, zeigte mir das „Goldarmband" im Wasser. Ich war fünf Jahre alt und an allem interessiert, was glitzerte. Ich lag da in meiner Marinestrickjacke und meinem kurzen, braunen Mantel mit dem Gesicht unter Wasser zwischen den Schwertlilien. Über die optische Täuschung durch Brechung des Lichts wusste ich nicht. Ich stellte nur fest, dass ich das Armband nicht erreichen konnte, so sehr ich mich auch mühte. Dann kamen zu meinem Glück Füße über das Feld gerannt, Hände fischten mich heraus. Sie waren gerade rechtzeitig gekommen. Oder doch nicht? Ist all das, was seit dieser Zeit an meinen Augen vorbeigezogen ist, jemals wirklich geschehen - die rosa Elefanten in der Schule, die Auszeichnungen, The Phoenix am Imperial College London, die Stahlhochöfen an der Ruhr, die Fotos des Dresdner Scheiterhaufens, Arthur Pottersman (der als einziger mein 1963 erschienenes Dresden-Buch niederschmetternd negativ rezensierte), das heisere Publikum der Bierzeltveranstaltungen, der Sarg meiner ältesten Tochter und die folgende Hassgirlande, die lebensgroße Bronzestatue eines Rennpferdes, die Handschellen, 152
Ich bin nicht der erste und sicher auch nicht der letzte Schriftsteller, der seine Memoiren im Kerker schrieb. Der Freidenker Christian Friedrich Daniel Schubart (1739-1791) verfasste „Schubart's Leben und Gesinnungen" auf der Festung Hohenasperg, wo ihn Herzog Karl Eugen von Württemberg von 1777-1787 gefangen hielt, weil er angeblich in seinen Schriften gekrönte Häupter „auf das freventlichste angetastet" habe. Schubart hatte den Fehler gemacht, nach Württemberg einzureisen...
die steirischen Polizisten mit gezogenen Pistolen und alles Übrige? Oder waren das nur kaleidoskopische Bilder eines Lebens, das ich gehabt hätte, aber nie lebte, und das in den Sterbesekunden an mir vorbeiblitzte, bevor Gott mich, den erst Fünfjährigen, in seine Arme nahm? So viele unbeantwortete Fragen! Habe ich in diesen Kindheitsjahren meine Mutter wirklich glücklich gemacht? „Daaa-vid!" In meiner Erinnerung kann ich noch ihre kristallklare Stimme hören, mit der sie uns von der Hintertür unseres Hauses den Garten hinab rief und uns am Feld, am Teich erreichte. Trotz des \5}
Lärms von Johns laut rufenden Gänsen und des Meckerns der Ziegenamme. In dem Brief, den sie später in ihrem Schreibpult versteckt hinterlassen hatte, damit wir ihn nach ihrem Tode fänden, schrieb sie über all das Glück, das wir ihr gegeben hatten. Kein Kind kann mehr als das verlangen. Ich wurde als letztes von vier Kindern geboren. Mein Zwillingsbruder Nicky war stets - und ist unverändert — ein guter Kerl. Anders als ich ist er ein starker Raucher. Er spricht stets mit leiser Stimme. Als Kind litt er unter allerlei Krankheiten. Aber er hatte den gleichen Geburtstag wie ich. Und mit diesem Datum, dem Geburtsdatum ist das so eine Sache: Es ist jemandes höchstpersönlicher Besitz. Für den Rest des Lebens hebt es sich von allen anderen Daten ab. Während der Auswertung der erbeuteten Naziarchive in den Eingeweiden des unterirdischen Berliner Dokumentationszentrums, das von den Amerikanern im Nachkriegs-Berlin verwaltet wurde, hörte ich Elke Fröhlich, damals eine junge Geschichtsdoktorandin aus München, die als meine Assistentin arbeitete, leise nach Luft schnappen, während sie das Umblättern der Seiten unterbrach. In ihrer Hand hielt sie ein vergilbendes Dokument vom 30. Januar 1944 gerade ein paar Sekunden länger als die Übrigen. Ich ahnte sofort, was dieser Tag für sie bedeutete. Ein oder zwei Jahre später interviewte ich Konteradmiral KarlJesko von Puttkamer in München. Er war Hitlers Marineadjutant gewesen, ein Mitglied seines innersten Kreises, sein Marineverbindungsoffizier bis ganz zum Schluss. Merkwürdigerweise war er nach dem Krieg nie befragt worden. Ich war der Erste, mit dem er sprach, und ich nahm alle Interviews auf Band auf. Er schwelgte gerne in Erinnerungen, und ich verstand es zuzuhören. „Sie haben Glück, Herr Kapitän", hatte ihm Hitler einmal vor dem Krieg betrübt gesagt, als Puttkamer ihn förmlich um eine Heiratserlaubnis bat. „Ich kann mich nie verloben oder heiraten. Ich bin mit Deutschland verheiratet." Der Admiral paffte zufrieden seine Zigarre, als er mir diese kleine Anekdote erzählte. Ich wusste sofort, dass ich sie in meiner Hitler-Biografie verwenden würde. „Wann war das ungefähr, Herr Admiral?", forschte ich nach. „Das kann ich ihnen exakt sagen. Es war am 24. März 1938 nachmittags." 154
Von der anderen Seite des Zimmers lachte die Gattin des Admir als zustimmend. Es war der Tag ihrer Verlobung. Ich schnappte nach Luft, wie Elke es getan hatte. 24. März 1938 - fast hätte ich ihn nach der Uhrzeit gefragt. „Herr Admiral", sagte ich, als wäre es eine Angelegenheit von allgemeiner Bedeutung, „das war der Nachmittag, an dem ich geboren wurde".
Am 15. März 2007, Ungarns Nationalfeiertag, in Budapest: „Szabadsäg! Freiheit! Verteidigen Sie Ihre Freiheit!"
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