Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
Beiträge zum ausländischen öffentlichen Rech...
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Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht
Begründet von Viktor Bruns
Herausgegeben von Armin von Bogdandy · Rüdiger Wolfrum
Band 223
Tilmann Altwicker
Menschenrechtlicher Gleichheitsschutz
International Equal Protection Law (English Summary)
ISSN 0172-4770 ISBN 978-3-642-18199-3 e-ISBN 978-3-642-18200-6 DOI 10.1007/978-3-642-18200-6 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg 2011 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf : WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
Vorwort
Diese Arbeit zur menschenrechtlichen Gleichheit führt mit der politischen Philosophie und dem völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz zwei Diskurse zusammen, die mich seit meiner Studienzeit beschäftigen. Sie stellt den Versuch dar, einen mir für die aktuellen Fragen der Gleichheit und Nichtdiskriminierung im Völkerrecht geeignet erscheinenden Vermittlungszusammenhang zwischen Philosophie und Recht aufzuzeigen. Die vorliegende Arbeit ist im Wintersemester 2009/2010 von der Fakultät für Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre der Universität Mannheim als Dissertation angenommen worden. Rechtsprechung und Literatur konnten bis März 2010 berücksichtigt werden. Eine Reihe von Personen und Institutionen haben auf unterschiedliche Weise an der Entstehung dieser Arbeit mitgewirkt; ihnen bin ich sehr zu Dank verpflichtet. Für viel mehr als seinen fachlichen Rat, mit dem er diese Arbeit über die Jahre fördernd begleitet hat, danke ich meinem Doktorvater, Prof. Dr. Hans-Joachim Cremer. Noch während meiner Studienzeit hat er mich in ein wissenschaftliches Gespräch einbezogen, das mein Nachdenken über das Recht entscheidend geprägt hat. Seine Art, Rechtswissenschaft zu betreiben und zu lehren, habe ich immer als Vorbild betrachtet. Prof. Dr. Eibe Riedel danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Im Entstehungsprozess dieser Arbeit hat das Problem der menschenrechtlichen Gleichheit an den verschiedensten Orten für inspirierte Gespräche gesorgt, aus denen ich viel gelernt habe. Viele Personen haben mir richtungsweisenden Rat gegeben und geholfen, manche Unklarheit zu beseitigen. Einige haben Teile der Arbeit kritisch gelesen und sich auf lange Diskussionen eingelassen, die mich vor manchen Fehlern bewahrt haben. Die ersten Überlegungen zu dieser Arbeit gehen zurück auf die gewinnbringende Zeit meiner Referendarstation am Heidelberger Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Hier danke ich vor allem Prof. Dr. Armin von Bogdandy. Ihm und Prof. Dr. Rüdiger Wolfrum danke ich überdies sehr für die Aufnahme meiner Studie in die Schriftenreihe des Instituts.
VI
Vorwort
Im Wesentlichen ist die Arbeit in Budapest entstanden. Entscheidende fachliche Hinweise habe ich von Prof. Dr. Oliver Diggelmann, Prof. Dr. Matthias Mahlmann und Prof. Dr. Anne Peters bekommen. In unvergessenen Seminaren hat mir Prof. William Black das kanadische Nichtdiskriminierungsrecht nähergebracht. Prof. Patrick Macklem verdankt die Arbeit einen entscheidenden Hinweis zur Konzeption. Für finanzielle Förderung in dieser Zeit danke ich dem Deutschen Akademischen Austausch Dienst (DAAD) sowie der Landesstiftung Baden-Württemberg, deren Promotionsstipendium mir die Teilnahme am Internationalen Graduiertenkolleg der deutschsprachigen Andrássy Gyula Universität (Budapest) ermöglicht hat. Durch das Walter H. Gage and Elsie M. Harvey Education Abroad Scholarship konnte ich einen Aufenthalt an der University of British Columbia (Vancouver) verbringen. Prof. Dr. Norbert Altwicker und Dr. Reinhard Herrmann sind je für sich für einen Anfang vor vielen Jahren verantwortlich, der diese Arbeit mehr beeinflusst hat, als sie ahnen. Meine Eltern haben alle Entwicklungen mit ermutigender Zuversicht begleitet. Dávid hat mit seiner Fröhlichkeit dafür gesorgt, dass die Arbeit Freude gemacht hat und doch genügend Raum für alles andere da war. Der größte Dank gebührt meiner Frau. Ihrem ökonomischen Fachwissen verdankt die Arbeit manche Einsicht. Sie hat mich an den wichtigen Stellen des Arbeitsprozesses immer wieder an die Begrenztheit von Recht und Gerechtigkeit erinnert und so viel mehr gegeben. Ihr ist das Buch gewidmet. Budapest, im Mai 2010
Tilmann Altwicker
Inhaltsübersicht
Einleitung................................................................................................. 1 1. Teil: Begriff der Gleichheit ............................................................ 7 I. Bezugsobjekte der Gleichheitsoperation ........................................... 8 A. Gleichheit von Behandlungen ....................................................... 9 B. Gleichheit von Zuständen bzw. Ergebnissen............................... 9 II. Deskriptiver und präskriptiver Gleichheitsbegriff.......................... 10 A. Deskriptive Gleichbehandlung................................................... 10 B. Präskriptive Gleichbehandlung .................................................. 11 C. Deskriptive Zustandsgleichheit................................................... 11 D. Präskriptive Zustandsgleichheit .................................................. 11 E. Besonderheiten des präskriptiven Gleichheitsbegriffs .............. 12 III. „Aufladung“ des Gleichheitsbegriffs durch normative Maßstäbe............................................................................................. 13 A. Die „Leere“ des formalen Prinzips der präskriptiven Gleichheit ..................................................................................... 13 B. Der hier sog. praktische Gleichheitsbegriff ............................... 14 C. Konzeptionen der Gleichheit ..................................................... 15 Ergebnisse des ersten Teils ..................................................................... 24
2. Teil: Recht der menschenrechtlichen Gleichheit.................. 27 I. Grundprobleme des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts................................................................................ A. Der Begriff des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts........... B. Tendenzen zur Einheitlichkeit und Möglichkeit einer „allgemeinen Dogmatik“ des Gleichheitsrechts........................ C. Das Prinzip der Rechtsgleichheit als „Fluchtpunkt“ des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts ..................................... D. Gleichheitsrecht und Menschenrechtsfunktionen .................... E. Das Problem der sog. „akt-“ bzw. „folgenbezogenen“ Deutung der Gleichbehandlung ................................................. II. Zwei Modelle des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts................................................................................ A. Modell 1: Das allgemeine Gleichheitsrecht ................................
27 27 31 33 44 46 49 49
VIII
Inhaltsübersicht
B. Modell 2: Das Nichtdiskriminierungsrecht............................... 97 Ergebnisse des zweiten Teils ................................................................ 115
3. Teil: Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts unter der Europäischen Menschenrechtskonvention ............................... 121 I. Das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK – „Allgemeiner Teil“ ........................................................................... A. Das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK im Überblick .............................................................................. B. Der Begriff der Diskriminierung und der einheitliche Grundtatbestand unter Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK ...... C. Der Geltungsbereich des Diskriminierungsverbots................ D. Grenzen der Gleichheit I: Der Vergleichbarkeitstest als Anwendungsbedingung des Diskriminierungsverbots........... E. Dogmatik der Differenzierungsgründe unter der EMRK...... F. Grenzen der Gleichheit II: Die Rechtfertigungsprüfung und der Beurteilungsspielraum................................................. G. Grenzen der Gleichheit III: Darlegungs- und Beweislast beim Diskriminierungsverbot................................................... II. Das Nichtdiskriminierungsrecht unter der EMRK – „Besonderer Teil“............................................................................. A. Das objektivrechtliche Prinzip der Rechtsgleichheit.............. B. Das Verbot der direkten Diskriminierung............................... C. Das Verbot der indirekten Diskriminierung ........................... D. Das Verbot der passiven Diskriminierung............................... E. Die Bedeutung der positiven Diskriminierung („affirmative action“) unter der EMRK................................... Ergebnisse des dritten Teils..................................................................
121 121 124 127 165 177 209 249 253 253 255 266 304 387 389
4. Teil Rechtsethik der menschenrechtlichen Gleichheit ............................................................................................. 397 I. Vergleich des menschenrechtlichen und des philosophischen Gleichheitsproblems ........................................... A. Bezugsobjekte ............................................................................ B. Ursprung: Aufgegebene vs. begründete Gleichheit ................ C. Verwirklichungssphären............................................................ II. Rechtsprinzipien menschenrechtlicher Gleichheit........................ A. Vorüberlegung zum Begriff des Rechtsprinzips...................... B. Charakteristika des rechtlichen Anwendungskontextes ........
400 402 403 405 411 411 412
Inhaltsübersicht
C. Formale Gleichbehandlung als Rechtsprinzip ........................ D. Substantielle Gleichbehandlung als Rechtsprinzip ................. III. Rechtsethische Rekonstruktion als Methode ................................ A. Der Begriff der rechtsethischen Rekonstruktion .................... B. Zwecke einer rechtsethischen Rekonstruktion ....................... C. Methodischer Hintergrund....................................................... D. Anwendungsfragen der rechtsethischen Rekonstruktionsmethode.......................................................... IV. Rechtsethische Rekonstruktion des Nichtdiskriminierungsrechts der EMRK ...................................... A. Menschenwürde......................................................................... B. Anerkennung ............................................................................. C. Politische und soziale Inklusion............................................... D. Effizienz ..................................................................................... E. Gerechtigkeit.............................................................................. Ergebnisse des vierten Teils .................................................................
IX
414 420 423 423 424 425 431 438 439 452 455 456 458 485
Das Problem des Endes (Schlussbetrachtung).......................... 489 Summary .............................................................................................. 495 Literaturverzeichnis ......................................................................... 505 Verzeichnis der Rechtsfälle ............................................................. 533 Sachregister ......................................................................................... 543
Inhaltsverzeichnis Einleitung................................................................................................. 1 1. Teil: Begriff der Gleichheit .............................................................. 7 I.
Bezugsobjekte der Gleichheitsoperation........................................... 8 A. Gleichheit von Behandlungen ...................................................... 9 B. Gleichheit von Zuständen bzw. Ergebnissen .............................. 9 II. Deskriptiver und präskriptiver Gleichheitsbegriff ......................... 10 A. Deskriptive Gleichbehandlung................................................... 10 B. Präskriptive Gleichbehandlung .................................................. 11 C. Deskriptive Zustandsgleichheit .................................................. 11 D. Präskriptive Zustandsgleichheit.................................................. 11 E. Besonderheiten des präskriptiven Gleichheitsbegriffs....................................................................... 12 III. „Aufladung“ des Gleichheitsbegriffs durch normative Maßstäbe.......................................................................... 13 A. Die „Leere“ des formalen Prinzips der präskriptiven Gleichheit ....................................................... 13 B. Der hier sog. praktische Gleichheitsbegriff ................................ 14 C. Konzeptionen der Gleichheit ...................................................... 15 1. Begriff und Gegenstände philosophischer Gleichheitskonzeptionen........................................................ 15 2. Grundgüter, Ressourcen oder Fähigkeiten ........................... 16 a) Die Gleichheit der Grundgüter (John Rawls) .................. 17 b) Die Ressourcengleichheit (Ronald Dworkin) .................. 19 c) Die Gleichheit der Fähigkeiten (Amartya Sen) ................ 21 Ergebnisse des ersten Teils ..................................................................... 24
2. Teil: Recht der menschenrechtlichen Gleichheit ................... 27 I.
Grundprobleme des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts........ 27 A. Der Begriff des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts ......................................................................... 27 B. Tendenzen zur Einheitlichkeit und Möglichkeit einer „allgemeinen Dogmatik“ des Gleichheitsrechts ......................................................................... 31
XII
Inhaltsverzeichnis
C. Das Prinzip der Rechtsgleichheit als „Fluchtpunkt“ des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts ......................................................................... 1. Begriff und Bedeutung des Prinzips der Rechtsgleichheit im Völkerrecht ..................................... 2. Rechtsquelle und normativer Status des Prinzips der Rechtsgleichheit im Völkerrecht ..................................... 3. Objektivrechtliche Funktionen des Prinzips der Rechtsgleichheit im Völkerrecht ..................................... D. Gleichheitsrecht und Menschenrechtsfunktionen .................... E. Das Problem der sog. „akt-“ bzw. „folgenbezogenen“ Deutung der Gleichbehandlung ................................................. II. Zwei Modelle des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts............ A. Modell 1: Das allgemeine Gleichheitsrecht ............................... 1. Der allgemeine Gleichheitssatz als völkerrechtliche Norm ........................................................... a) Die zwei Schutzinhalte des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes .................................. b) Art. 26 IPbpR als „Modellfall“ des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes .................................. c) Das Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz (Rechtsanwendungsgleichheit) .......................................... d) Das Recht auf Gleichbehandlung durch das Gesetz (Rechtsetzungsgleichheit) .................................................. 2. Die Rechtsnatur des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes ..................................................................... a) Der Gleichheitssatz als modales, subjektives Abwehrrecht gegen den Staat ............................................ b) Der Gleichheitssatz als Leistungsrecht ............................. c) Die „Allgemeinheit“ des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes .................................. aa) Allgemeinheit des Anwendungsbereichs ................... bb) Statusallgemeinheit ...................................................... cc) Differenzierungsallgemeinheit.................................... 3. Dogmatische Struktur des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes....................................... a) Drei Modelle ....................................................................... b) Das zweistufige Modell der Gleichbehandlungspräsumtion (Praxis des UNMenschenrechtsausschusses) ............................................. aa) Beeinträchtigung des Gleichheitsinteresses ............... aaa) Vergleichbarkeit als Vorbedingung....................
33 33 37 42 44 46 49 49 49 49 50 54 57 59 59 60 60 61 61 64 66 66
66 67 67
Inhaltsverzeichnis
XIII
bbb) Ungleich- bzw. Gleichbehandlung .................... 71 bb) Rechtfertigung.............................................................. 71 aaa) Das grundsätzliche Problem der Relevanzbestimmung bestehender Ungleichheiten .................................................... 71 bbb) Zwei Konkretisierungsebenen ........................... 72 ccc) Justierung von Gleichheitsmaßstab und Gleichheitsurteil durch Rechtfertigungstests ... 73 ddd) Willkürprüfung („arbitrariness-test“) ............... 74 eee) „Objektive und sachliche Gründe“-Test („objective and reasonable grounds-test“)........ 76 fff) Verhältnismäßigkeitsprüfung............................. 82 c) Das dreistufige Eingriffsmodell (Stefan Huster) .............. 84 aa) Schutzbereich ............................................................... 84 bb) Eingriff.......................................................................... 86 cc) Rechtfertigung.............................................................. 87 dd) Kritik............................................................................. 90 d) Das Reduktionsmodell (Alexander Somek)...................... 90 aa) Someks Kritik an der Sachgerechtigkeitsdeutung des Gleichbehandlungsgebots..................................... 91 bb) Someks Reduktion der Gleichbehandlung auf das Diskriminierungsverbot ................................. 93 cc) Kritik............................................................................. 94 B. Modell 2: Das Nichtdiskriminierungsrecht............................... 97 1. Der Begriff der Diskriminierung im menschenrechtlichen Sinne ............................................... 97 a) Der Begriff der Diskriminierung....................................... 99 aa) Etymologie ................................................................... 99 bb) Gebrauch des Diskriminierungsbegriffs in der politischen Philosophie................................... 101 b) Der Rechtsbegriff der Diskriminierung.......................... 103 aa) Die U.S.-amerikanischen Ursprünge des rechtlichen Diskriminierungsbegriffs....................... 103 bb) Die Rezeption des Diskriminierungsbegriffs im Völkerrecht ........................................................... 107 aaa) Nicht-menschenrechtliche Diskriminierungsverbote ................................. 108 bbb) Menschenrechtliche Diskriminierungsverbote ................................. 109 c) Allgemeine Definition der Diskriminierung im menschenrechtlichen Sinne und allgemeiner Diskriminierungstatbestand............................................. 110
XIV
Inhaltsverzeichnis
aa) Allgemeine Definition der Diskriminierung ........... bb) Allgemeiner menschenrechtlicher Diskriminierungstatbestand...................................... 2. Typologie der Diskriminierung und Einteilung der menschenrechtlichen Nichtdiskriminierungstatbestände ...................................... Ergebnisse des zweiten Teils ................................................................
110 113
114 115
3. Teil: Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts unter der Europäischen Menschenrechtskonvention ........................................................... 121 I.
Das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK – „Allgemeiner Teil“ .......................................................................... A. Das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK im Überblick .............................................................................. B. Der Begriff der Diskriminierung und der einheitliche Grundtatbestand unter Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK........................................................... C. Der Geltungsbereich des Diskriminierungsverbots................ 1. Persönlicher Geltungsbereich: Grundrechtsträger und -verpflichtete .................................................................. a) Grundrechtsberechtigte ................................................... aa) Berechtigung natürlicher Personen im Rahmen einer symmetrischen Schutzkonzeption .................. bb) Das Problem der Berechtigung von Personenmehrheiten und juristischer Personen im Rahmen des konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrechts .................................... b) Grundrechtsverpflichtete ................................................. 2. Sachlicher Geltungsbereich .................................................. a) Grenzen der Gleichheit I: Die Akzessorietät des Art. 14 EMRK als systemprägende Entscheidung................. aa) Folgen der Akzessorietät für die Rechtsnatur des Diskriminierungsverbots........................................... bb) Folgen der Akzessorietät für die prozessuale Geltendmachung und Prüfung des Diskriminierungsverbots........................................... cc) Das Problem der Regelungsbereichsberührung („ambit“)..................................................................... b) Lückenloser Gleichheitsrechtsschutz durch Art. 1 ZP 12? .....................................................................
121 121
124 127 127 127 127
129 132 134 134 135
139 146 156
Inhaltsverzeichnis
XV
aa) Die Kritik am Akzessorietätserfordernis ................. bb) Die Nichtakzessorietät des allgemeinen Diskriminierungsverbots........................................... cc) Exkurs: Grenzen des allgemeinen Diskriminierungsverbots in Art. 1 ZP 12 EMRK ... D. Grenzen der Gleichheit I: Der Vergleichbarkeitstest als Anwendungsbedingung des Diskriminierungsverbots.................................................... 1. Der Vergleichbarkeitstest in der Rechtsprechung des EGMR ............................................................................. a) Bedingungen der Vergleichbarkeit .................................. b) Diskriminierungsprüfung ohne Vergleichbarkeitstest... 2. Gründe für einen Vergleichbarkeitstest............................... 3. Kritik am Vergleichbarkeitstest............................................ E. Dogmatik der Differenzierungsgründe unter der EMRK.................................................................................. 1. Die grundlegende Unterscheidung zwischen „verdächtigen“ und „einfachen“ Differenzierungsgründen ..................................................... a) „Verdächtige“ Differenzierungsgründe .......................... aa) Die sechs anerkannten „verdächtigen“ Differenzierungsgründe ............................................ bb) „Verdächtige“ Differenzierungsgründe und So-Sein-Können ................................................. cc) Ungeschriebene „verdächtige“ Differenzierungsgründe?........................................... aaa) Sexuelle Orientierung ....................................... bbb) Alter und genetische Prädisposition? .............. ccc) Familienstand? .................................................. ddd) Behinderung? .................................................... b) „Einfache“ Differenzierungsgründe ............................... aa) Geschriebene „einfache“ Differenzierungsgründe ............................................ bb) Ungeschriebene „einfache“ Differenzierungsgründe ............................................ 2. Funktionen der Differenzierungsgründe in der Rechtsprechung des EGMR ...................................... a) Regulierung der Rechtfertigungsanforderungen und des Beurteilungsspielraums ...................................... aa) Strenge Begründungsanforderungen ........................ aaa) Kein Automatismus ..........................................
156 158 161
165 165 165 171 173 174 177
178 179 179 180 184 184 186 187 188 190 193 194 196 197 197 197
XVI
Inhaltsverzeichnis
bbb) Ansätze zur Dogmatik der strengeren Begründungsanforderungen............................. ccc) Vermutungswirkung und Hierarchie der Differenzierungsgründe ............................. bb) Einfache Begründungsanforderungen...................... b) Frühwarnfunktion, insbesondere bei strukturellen Diskriminierungen............................................................ c) Funktionen und Wirkungen der Differenzierungsgründe (Zusammenfassung) ................ F. Grenzen der Gleichheit II: Die Rechtfertigungsprüfung und der Beurteilungsspielraum ........................................................ 1. Rechtfertigungsfähigkeit von personenbezogenen Ungleich- bzw. Gleichbehandlungen .................................. a) Begründungsgebot, kein Unterscheidungsverbot.......... b) Ausnahme vom Grundsatz der Rechtfertigungsfähigkeit .................................................. c) Rationalisierungen der Rechtfertigungsprüfung in Diskriminierungsfällen ................................................ 2. Die materielle Dimension des Rechtfertigungsfilters in Diskriminierungsfällen..................................................... a) Rechtfertigungsmodelle ................................................... aa) Relational-externes Rechtfertigungsmodell: Rechtfertigung durch rechtfertigende Zwecke ........ bb) Relational-individuelles Rechtfertigungsmodell: Rechtfertigung durch Aufhebung oder Abmilderung der Belastungswirkung im Einzelfall................................................................ cc) Nichtrelationales Rechtfertigungsmodell: Rechtfertigung mit Gründen aus der „Natur der Sache“...................................................... b) Rechtfertigungsniveau...................................................... c) Rechtfertigungstests ......................................................... aa) Der einstufige Rechtfertigungstest ........................... bb) Der zweistufige Rechtfertigungstest ........................ aaa) Die allgemeine Formel der Rechtfertigung bei Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK ............... bbb) Das Problem der legitimen Zwecke................. (1) Darlegungslast ...................................................... (2) Die Grenze: Illegitime Zwecke ........................... (3) Objektive und sachliche Zwecke bzw. sehr gewichtige Zwecke .......................................
199 201 204 206 208
209 209 209 213 213 214 214 214
215
220 221 222 222 224 224 226 227 228 230
Inhaltsverzeichnis
XVII
ccc) Die Verhältnismäßigkeit zwischen hoheitlicher Maßnahme und legitimem Zweck............................................... (1) Verhältnismäßigkeit und Zeit .............................. (2) Geeignetheit der Maßnahme zur Zweckerreichung ........................................... (3) Erforderlichkeit der Maßnahme zur Zweckerreichung ........................................... (4) Angemessenheit der Maßnahme ......................... 3. Die prozedurale Dimension des Rechtfertigungsfilters in Diskriminierungsfällen..................................................... a) Kontrolldichte, Beurteilungsspielraum und Rechtfertigungsniveau .............................................. b) Exkurs: Die Dogmatik des Beurteilungsspielraums (margin of appreciation) ................................................... c) Der Beurteilungsspielraum in Diskriminierungsfällen..................................................... G. Grenzen der Gleichheit III: Darlegungs- und Beweislast beim Diskriminierungsverbot ................................ 1. Verteilung der Darlegungs- und Beweislast......................... 2. Beweismaß.............................................................................. 3. Beweiserleichterungen........................................................... II. Das Nichtdiskriminierungsrecht unter der EMRK – „Besonderer Teil“ ............................................................................ A. Das objektivrechtliche Prinzip der Rechtsgleichheit .................................................................. B. Das Verbot der direkten Diskriminierung............................... 1. Begriff und Bedeutung der direkten Diskriminierung unter der EMRK ................................................................... 2. Struktur des Verbots der direkten Diskriminierung .......... 3. Gewährleistungsinhalt .......................................................... a) Diskriminierung durch (ungerechtfertigte) Ungleichbehandlung ........................................................ b) Diskriminierung durch (ungerechtfertigte) Gleichbehandlung............................................................. aa) Die drei Phasen in der Entwicklung der Rechtsprechung des EGMR ............................... bb) Abgrenzung der direkten Diskriminierung durch Gleichbehandlung von der Rechtsfigur der indirekten und der passiven Diskriminierung ......... aaa) Abgrenzung von der indirekten Diskriminierung................................................
232 233 234 235 236 240 240 241 247 249 250 251 252 253 253 255 255 256 256 256 257 257
262 262
XVIII
Inhaltsverzeichnis
bbb) Abgrenzung von der passiven Diskriminierung................................................ 4. Anknüpfung an einen Differenzierungsgrund und Irrelevanz einer Diskriminierungsabsicht ........................... C. Das Verbot der indirekten Diskriminierung ........................... 1. Entwicklung der Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung im völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz.......................................................... 2. Die Struktur des Verbots der indirekten Diskriminierung .................................................................... 3. Die zwei Formen der indirekten Diskriminierung: Indirekt diskriminierende Normsetzung und indirekt diskriminierende Maßnahmen ............................... a) Indirekt diskriminierende Normsetzung........................ aa) Zwei Arten der Differenzierung aufgrund eines (dem Anschein nach) neutralen Kriteriums ............. bb) Norminterne Differenzierung .................................. cc) Normexterne Differenzierung .................................. b) Indirekt diskriminierende allgemeine Maßnahmen ....... c) Exkurs: Indirekt diskriminierende Gewährung von Sozialleistungen? ....................................................... 4. Das Merkmal der erheblichen Benachteiligung einer geschützten Personengruppe ...................................... a) Bestimmung der Vergleichsgruppen ............................... b) Erheblicher Nachteil ........................................................ aa) Grundsätze ................................................................. bb) Praxis des EGMR....................................................... cc) Praxis anderer internationaler und supranationaler Gerichte ........................................... 5. Die objektive Rechtfertigungsprüfung in Fällen indirekter Diskriminierung .................................................. a) Grundsätze........................................................................ b) Praxis des EGMR ............................................................. 6. Nichtmaßgeblichkeit eines Diskriminierungsbewusstseins bzw. einer Diskriminierungsabsicht ............................................. 7. Beweisprobleme bei indirekt diskriminierenden Rechtshandlungen ................................................................. D. Das Verbot der passiven Diskriminierung............................... 1. Fragestellung und Untersuchungsgang ............................... 2. Grundlagen ............................................................................ a) Das Problem der passiven Diskriminierung...................
264 265 266
266 273
273 274 274 275 276 279 283 284 284 286 286 289 293 295 295 298
301 303 304 304 305 305
Inhaltsverzeichnis
b) Exkurs: Die drei Verpflichtungsdimensionen moderner Menschenrechte und die allgemeine Dogmatik der Gewährleistungspflichten unter der EMRK („positive obligations“) ................................. c) Entwicklung der Rechtsfigur der passiven Diskriminierung im völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz ..................................................... d) Struktur des Verbots der passiven Diskriminierung unter der EMRK............................................................... 3. Die drei Formen der passiven Diskriminierung im Einzelnen.......................................................................... a) Die Pflicht zum Schutz vor Diskriminierungen durch Private (Schutzpflicht)........................................... aa) Möglichkeit gleichheitsrechtlicher Schutzpflichten unter der EMRK............................. bb) Begründung gleichheitsrechtlicher Schutzpflichten unter der EMRK............................. cc) Inhalt gleichheitsrechtlicher Schutzpflichten .......... aaa) Einteilung gleichheitsrechtlicher Schutzpflichten.................................................. bbb) Erste Schutzpflichtkonstellation: Schutz vor Absinken des gleichheitsrechtlichen Mindestschutzniveaus und Frage der Gebotenheit privatrechtlicher Diskriminierungsverbote ................................. (1) Dogmatische Struktur der ersten Schutzpflichtkonstellation................................... (2) Rechtsprechung des EGMR ................................ ccc) Zweite Schutzpflichtkonstellation: Gleichheitsrechtliche Abwägungen in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen .......... (1) Dogmatische Struktur der zweiten Schutzpflichtkonstellation................................... (2) Rechtsprechung des EGMR ................................ ddd) Das Problem der hier sog. „scheinbaren“ Schutzpflichtkonstellation ............................... eee) Prüfungsstruktur: Schutzpflicht vor Diskriminierung durch Private ........................ b) Pflicht zur Gewährung einer diskriminierungsfreien Teilhabe (Teilhabegewährleistungspflicht)...................... aa) Begriff .........................................................................
XIX
306
309 314 316 316 316 325 327 327
329 329 336
340 340 345 349 353 356 356
XX
Inhaltsverzeichnis
bb) Möglichkeit der Ableitung von Teilhabeansprüchen aus Gleichheitsrechten ............ 358 cc) Begründung gleichheitsrechtlicher Teilhabeansprüche...................................................... 360 dd) Struktur und Inhalt gleichheitsrechtlicher Teilhabeansprüche...................................................... 364 aaa) Dogmatische Struktur: Das „Wenn-dannSchema“ ............................................................. 364 bbb) Derivative Teilhabe im Bereich der Freiheits- und Verfahrensrechte ...................... 365 ccc) Derivative Teilhabe im Bereich sozioökonomischer Rechte .............................. 369 c) Pflicht zur Durchführung von Untersuchungsmaßnahmen in bestimmten Diskriminierungsfällen (Untersuchungspflicht) ............ 372 aa) Begriff und Bedeutung .............................................. 372 bb) Begründung der gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht ................................................ 375 cc) Das Beweisproblem und seine prozedurale Lösung ................................................... 377 dd) Inhalt und Prüfungsreihenfolge................................. 378 4. Grenzen des Verbots der passiven Diskriminierung .......... 383 E. Die Bedeutung der positiven Diskriminierung („affirmative action“) unter der EMRK................................... 387 Ergebnisse des dritten Teils.................................................................. 389
4. Teil: Rechtsethik der menschenrechtlichen Gleichheit ............................................................................................. 397 I. Vergleich des menschenrechtlichen und des philosophischen Gleichheitsproblems............................................ A. Bezugsobjekte ............................................................................ 1. Verhaltensbezogenheit des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts ................................................................... 2. Zustandsbezogenheit philosophischer Konzeptionen der Gleichheit............................................... B. Ursprung: Aufgegebene vs. begründete Gleichheit ................ 1. Aufgegebene Gleichheit........................................................ 2. Begründete Gleichheit .......................................................... C. Verwirklichungssphären............................................................
400 402 402 403 403 404 404 405
Inhaltsverzeichnis
1. Ausdifferenzierte Behandlung des Gleichheitsproblems im Recht und Zuständigkeitsbegrenzung des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts .............................. 2. Vorrang der Gleichheitsgesetzgebung vor der Gleichheitsrechtsprechung............................................. a) „Schwaches“ verfassungsrechtliches Gleichheitsrecht ................................................................ b) Gleichheitspolitik und Gleichheitsgesetzgebung........... II. Rechtsprinzipien menschenrechtlicher Gleichheit ....................... A. Vorüberlegung zum Begriff des Rechtsprinzips...................... B. Charakteristika des rechtlichen Anwendungskontextes .............................................................. C. Formale Gleichbehandlung als Rechtsprinzip ........................ 1. Formale Gleichbehandlung als Rücksicht auf Gleichheit ........................................................................ 2. Formale Gleichbehandlung als Grundlage jeder Gleichheitsnorm .......................................................... 3. Implikationen des Rechtsprinzips der formalen Gleichbehandlung ................................................. a) Formale Gleichbehandlung als objektive Konsistenz des Entscheidens und Allgemeinheit der Norm............. b) Formale Gleichbehandlung als Unparteilichkeit der Normanwendung ....................................................... c) Formale Gleichbehandlung als neutralitätswahrende Normsetzung .................................................................... d) Formale Gleichbehandlung als Begründbarkeitsforderung............................................... D. Substantielle Gleichbehandlung als Rechtsprinzip ................. III. Rechtsethische Rekonstruktion als Methode................................ A. Der Begriff der rechtsethischen Rekonstruktion .................... B. Zwecke einer rechtsethischen Rekonstruktion ....................... C. Methodischer Hintergrund....................................................... 1. Das Theorie-Praxis-Verhältnis in der praktischen Philosophie des Aristoteles .................................................. 2. Der Ansatz der „konzeptionellen Analyse“ (Jules Coleman) ............................................................................... D. Anwendungsfragen der rechtsethischen Rekonstruktionsmethode.......................................................... 1. Rechtsethische Rekonstruktion, klassische Auslegungsmethodik und Rechtsrhetorik .......................... 2. Adäquanz, Kohärenz und konzeptionelle Orientierung als Tauglichkeitskriterien rechtsethischer Prinzipien .........
XXI
405 406 406 409 411 411 412 414 414 415 416 416 417 418 419 420 423 423 424 425 425 429 431 431 433
XXII
Inhaltsverzeichnis
3. Status der rechtsethischen Prinzipien .................................. 4. Folgerungen für den weiteren Untersuchungsgang ........... IV. Rechtsethische Rekonstruktion des Nichtdiskriminierungsrechts der EMRK...................................... A. Menschenwürde......................................................................... 1. Gehalt des Menschenwürdeprinzips ................................... a) Exkurs: Die Formulierung des neuzeitlichen Menschenwürdebegriffs bei Immanuel Kant ................. b) Das Menschenwürdeprinzip in der EMRK.................... 2. Tauglichkeitstest .................................................................... B. Anerkennung ............................................................................. 1. Gehalt des Anerkennungsprinzips ...................................... 2. Tauglichkeitstest .................................................................... C. Politische und soziale Inklusion............................................... 1. Gehalt des Inklusionsprinzips.............................................. 2. Tauglichkeitstest .................................................................... D. Effizienz ..................................................................................... 1. Gehalt des Effizienzprinzips ................................................ 2. Tauglichkeitstest .................................................................... E. Gerechtigkeit.............................................................................. 1. Gerechtigkeitsbegriff und Gerechtigkeitsprinzipien.......... a) Die aristotelische Gerechtigkeitsdifferenzierung und die Rationalität des Gerechtigkeitsdiskurses .................. b) Die Generierung der Gerechtigkeitsprinzipien aus dem Gerechtigkeitsbegriff................................................ c) Folgen für die rechtsethische Rekonstruktion ............... d) Der Gegenstand der diskriminierungsspezifischen Gerechtigkeitsforderung: Gerechte Behandlung hinsichtlich der Mittel des So-Sein-Könnens ................. aa) Gerechtigkeitsprinzipien, Gerechtigkeitsmaßstab und Gegenstand der Gerechtigkeitsforderung ........ bb) Mittel des So-Sein-Könnens als diskriminierungsspezifischer Maßstab der Gerechtigkeit ....................................................... aaa) Der „Mittel“-Aspekt ........................................ bbb) Der Aspekt des „So-Sein-Könnens“ ............... ccc) Drei Gruppen von „Mitteln des So-Sein-Könnens“ ............................................ ddd) Mittel des So-Sein-Könnens und „Grundgüter“ bzw. „Fähigkeiten“ .................. eee) Zusammenfassung.............................................
434 437 438 439 439 441 446 447 452 452 453 455 455 455 456 456 456 458 458 459 462 464
465 465
466 466 467 470 471 472
Inhaltsverzeichnis
XXIII
cc) Die drei Normzwecke des Diskriminierungsverbots........................................... dd) Die Ungerechtigkeit der Verkürzung bzw. von bestimmten Verteilungen von Mitteln des So-Sein-Könnens ....................................................... 2. Tauglichkeitstest .................................................................... a) Einleitung .......................................................................... b) Die Gerechtigkeitsprinzipien der Ausprägungen des subjektivrechtlichen Diskriminierungsverbots .............. c) Korrektive Gerechtigkeit und das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK......................... d) Distributive Gerechtigkeit und das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK......................... aa) Indirekte Diskriminierung ........................................ bb) Passive Diskriminierung............................................ Ergebnisse des vierten Teils .................................................................
472
473 475 475 476 476 478 478 483 485
Das Problem des Endes (Schlussbetrachtung).......................... 489 Summary .............................................................................................. 495 Literaturverzeichnis ......................................................................... 505 Verzeichnis der Rechtsfälle ............................................................. 533 Sachregister ......................................................................................... 543
Abkürzungsverzeichnis a.A.
anderer Ansicht
Abs.
Absatz
AcP
Archiv für die civilistische Praxis
AEMR
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
a.F.
alte Fassung
AI
Aktuelle Informationen
AJCL
American Journal of Comparative Law
AJIL
American Journal of International Law
AMRK
Amerikanische Menschenrechtskonvention
Anm.
Anmerkung
AöR
Archiv des Öffentlichen Rechts
ARSP
Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage
AVR
Archiv des Völkerrechts
BalticYIL
Baltic Yearbook of International Law
B.C. Int’l & Comp. L. Rev.
Boston College International and Comparative Law Review
Bd.
Band
BULR
Boston University Law Review
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BYIL
British Yearbook of International Law
bzw.
beziehungsweise
XXVI
Abkürzungsverzeichnis
CCSA
Constitutional Court of the Republic of South Africa
CEDAW
Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women
CERD
International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination
CESCR
Committee on Economic, Social and Cultural Rights
CRPD
International Convention on the Protection and Promotion of the Rights and Dignity of Persons with Disabilities
CSCt
Supreme Court of Canada
ders.
derselbe
d.h.
das heißt
dies.
dieselbe, dieselben
E
Entscheidung
ebd.
ebenda
ed., eds.
editor, editors (Herausgeber) oder edited (herausgegeben)
EG
Europäische Gemeinschaft
EGMR
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EHRLR
European Human Rights Law Review
EJIL
European Journal of International Law
EKMR
Europäische Kommission für Menschenrechte
ELJ
European Law Journal
EMRK
Europäische Menschenrechtskonvention
engl.
englisch (e, er, es)
ETS
European Treaty Series
EU
Europäische Union
Abkürzungsverzeichnis
XXVII
EuGH
Europäische Gemeinschaft
EuGRZ
Europäische Grundrechte Zeitschrift
EuR
Europarecht
f., ff.
und der (die) folgende(n)
FamRZ
Zeitschrift für das gesamte Familienrecht
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Fn.
Fußnote
FordLR
Fordham Law Review
GG
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
GK
Große Kammer
GLJ
German Law Journal
GMLR
George Mason Law Review
GRCh
Europäische Grundrechtecharta
HRLJ
Human Rights Law Journal
HRLR
Human Rights Law Review
HRQ
Human Rights Quarterly
Hrsg.
Herausgeber
hrsg.
herausgegeben
HVLR
Harvard Law Review
IAGMR
Inter-Amerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte
IAKMR
Inter-Amerikanische Kommission für Menschenrechte
i.d.R.
in der Regel
IJCL
International Journal of Constitutional Law
IJCR
The International Journal of Children’s Rights
ILJ
International Law Journal
insbes.
insbesondere
XXVIII
Abkürzungsverzeichnis
IPbpR
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
IPwskR
Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
i.V.
in Verbindung
JHR
Journal of Human Resources
JSP
Journal of Social Philosophy
JuS
Juristische Schulung
JZ
Juristenzeitung
K
Kammer
LaLR
Louisiana Law Review
lit.
litera
m.a.W.
mit anderen Worten
MJ
Maastricht Journal of European and Comparative Law
MLR
The Modern Law Review
MR
Medien und Recht
MRA
UN-Menschenrechtsausschuss
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
n.
note (Fußnote)
n.F.
neue Fassung
NJCL
National Journal of Constitutional Law
NJHR
Nordic Journal of Human Rights
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NLR
New Left Review
NQHR
Netherlands Quarterly of Human Rights
Nr.
Nummer
NVwZ
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
o.
oben
OJLS
Oxford Journal of Legal Studies
Abkürzungsverzeichnis
XXIX
ÖZÖR
Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht
p.
page (Seite)
Phil. Jb.
Philosophisches Jahrbuch
PL
Public Law
pp.
pages (Seiten)
RdA
Recht der Arbeit
Rn.
Randnummer
Rs.
Rechtssache
RTDH
Revue trimestrielle des droits de l’homme
RTh
Rechtstheorie
S.
Seite
s.
siehe
Sup.Ct.Rev.
Supreme Court Review
SDILJ
San Diego International Law Journal
Serie A
Série A des publications de la Cour européenne des droits de l’homme: Arrêts et décisions
Slg.
Sammlung (der Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften)
sog.
sogenannt (e, er, es)
st. Rspr.
ständige Rechtsprechung
SZIER
Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht
u.
unten
u.a.
unter anderem
UN
United Nations
UNTS
United Nations Treaty Series
UPennLR
University of Pennsylvania Law Review
Urt.
Urteil
XXX
Abkürzungsverzeichnis
USSCt
Supreme Court of the United States of America
u.U.
unter Umständen
v.
vom / von
verb.
verbunden(e, er)
vgl.
vergleiche
Vol.
Volume
VVDStRL
Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer
WVK
Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge
YJIL
Yale Journal of International Law
ZaöRV
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
z.B.
zum Beispiel
ZEV
Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge
ZöR
Zeitschrift für Öffentliches Recht
ZP
Zusatzprotokoll
ZSR
Zeitschrift für Schweizerisches Recht
z.T.
zum Teil
Aristoteles erkennt (...) für den Lehrer der Ethik genau so an, was nach seiner Meinung für die Menschen überhaupt gilt, daß auch er immer schon in einer sittlich-politischen Bindung steht und von da aus sein Bild von der Sache gewinnt. Er sieht selber in den Leitbildern, die er beschreibt, kein lehrbares Wissen. Sie haben nur den Geltungsanspruch von Schemata. Sie konkretisieren sich immer erst in der konkreten Situation des Handelnden. Sie sind also nicht Normen, die in den Sternen stehen oder in einer sittlichen Naturwelt ihren unveränderlichen Ort haben, so daß es sie nur zu gewahren gibt. Sie sind aber auf deren anderen Seite keine bloßen Konventionen, sondern sie geben wirklich die Natur der Sache wieder, nur daß diese sich durch die Anwendung, die das sittliche Bewußtsein von ihnen macht, jeweils erst selber bestimmt.
Hans-Georg Gadamer1
Einleitung
Ungerechtfertigte Ungleichbehandlung und Diskriminierung sind als individuelle sowie als institutionelle Behandlungen von Personen bleibende Phänomene. Der Schaffung neuer Ungleichheit stehen aber immer schon eine Gleichheitsidee und ein auf deren Verwirklichung gerichtetes Streben gegenüber. In dieser Spannung gründet das Gleichheitsrecht, das die beiden Phänomene zu seinem Problem erhebt. Die Rechtsprobleme im Zusammenhang mit menschenrechtlicher Gleichheit stellen sich, auch wenn sie als solche nicht erkannt werden, in jeder Gesellschaft und zu jeder Zeit. Sie sind in diesem Sinne universell und in gewisser Hinsicht „zeitlos“. Längst werden sie nicht mehr nur im Kontext des nationalen Verfassungsstaates diskutiert, sondern lokale Gleichheitsprobleme sind zum Gegenstand eines regionalen, bisweilen sogar globalen Rechtsdiskurses geworden. Der Reflexionsrahmen dieses übernationalen Rechtsdiskurses in Fragen der Diskriminierung und ungerechtfertigten Ungleichbehandlung ist das menschenrechtliche Gleichheitsrecht.2
1
Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 1990, S. 325 f. 2
Zum Begriff des „menschenrechtlichen Gleichheitsrechts“ vgl. ausführlich unten S. 27 ff. T. Altwicker, Menschenrechtlicher Gleichheitsschutz, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 223, DOI 10.1007/978-3-642-18200-6_1, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011. All Rights Reserved.
1
2
Einleitung
Die vorliegende Arbeit beleuchtet diesen Reflexionsrahmen in praktischer Absicht: Welches sind die Rechtsprobleme der menschenrechtlichen Gleichheit, und wie werden sie vom Völkerrecht gelöst? Die rechtskonzeptionellen und die rechtspraktischen Fragen des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts werden dabei in zwei bestimmten Anwendungskontexten, dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), untersucht. Dieses Unternehmen trifft auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten: Das Rechtsproblem der menschenrechtlichen Gleichheit hat es mit zwei komplexen Grundlagenbegriffen zu tun, nämlich denen der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung. Nicht nur besteht über diese begrifflich keine Einigkeit, schwerer wiegt, dass eine solche auch nicht erwartet werden kann. Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung sind Begriffe des Rechts, aber das Recht kann keine diskursive Alleinherrschaft über ihre Bedeutung beanspruchen, sondern bleibt auf Einflüsse und Deutungsangebote aus anderen Disziplinen, insbesondere aus der Philosophie, angewiesen. Zudem erfährt das Verständnis der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung zunächst kaum Hilfe durch eine lebensweltliche Verortung, zu unabsehbar sind die Kontexte der Ungleichheit. Das rechtliche Anwendungsfeld reicht von dem Fall, in welchem jemandem die Einreise verweigert wird unter Hinweis auf seine ethnische Herkunft3 bis hin zu Problemen der diskriminierungsfreien Einrichtung von Schöffengerichten4. Es gibt jedoch auch „entgegenkommende Tendenzen“: Aller Vielschichtigkeit und Komplexität zum Trotz zeichnen sich für das Rechtsproblem der menschenrechtlichen Gleichheit bei näherem Hinsehen geteilte Bewältigungsmuster oder gemeinsame dogmatische Ansätze ab. Es ist also keineswegs überraschend, dass eine Richterin in Deutschland in einer gleichheitsrechtlichen Frage auf ähnliche Strukturen zurückgreift wie ihre ungarische oder kanadische Kollegin. Alexander Somek hat in diesem Zusammenhang treffend von der „universellen Grammatik der Gleichheit“ gesprochen.5 Die „universelle Grammatik“ lässt auf einer rechtskonzeptionellen Ebene die vergleichende Analyse von 3 4
Vgl. EGMR, 13.05.2005, Timishev, RJD 2005-XII. Vgl. EGMR, 20.6.2006, Zarb Adami, Nr. 17209/02; ausführlich dazu s. S.
290 f. 5
Alexander Somek, Gleichheit als Diskriminierungsschutz, Eine Replik auf Huster, Der Staat 43 (2004), S. 425.
Einleitung
3
Strukturen des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts gewinnbringend erscheinen. Das grund- und menschenrechtliche Gleichheitsproblem ist viel erörtert worden, so dass diese Arbeit einem gewissen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt ist. Man könnte erstens darauf verweisen, dass das menschenrechtliche Gleichheitsrecht – national und international – in den letzten Jahren eine dynamische Entwicklung erfahren und kontinuierlich an Relevanz gewonnen hat. Dabei wird das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK immer mehr zum „Motor“ der völkerrechtlichen Entwicklung. Der sichtbare Aufbruch in Richtung auf einen verstärkten Schutz menschenrechtlicher Gleichheit im Völkerrecht legt eine wissenschaftliche Aufarbeitung nahe. Zweitens lassen die rasante Entwicklung und das – immer noch nicht voll ausgeschöpfte – Potential des konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrechts die EMRK auch in diesem Bereich immer klarer als „Europäische Menschenrechtsverfassung“6 (Jochen Abr. Frowein) hervortreten. Heute ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mehr denn je in der Lage und gewillt, auch sensible Bereiche der staatlichen und gesellschaftlichen Inneneinrichtung am konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrecht zu messen. So gelangt der staatliche Umgang mit Minderheiten und in Ansätzen auch die Ausgestaltung der Sozialsysteme immer mehr in den Fokus des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs.7 Doch auch Ungleichheiten im Bereich der Zivilgesellschaft werden zunehmend Gegenstand konventionsrechtlicher Überprüfung.8 Wie kaum ein anderes Konventionsrecht trägt seit nunmehr etwa zehn Jahren auch das lange vernachlässigte Diskriminierungsverbot zu dem Konstitutionalisierungsprozess durch Menschenrechtsprechung bei.9 Dabei handelt es 6
Jochen Abr. Frowein, Der europäische Menschenrechtsschutz als Beginn einer europäischen Verfassungsrechtsprechung, JuS 26 (1986), S. 845 ff. 7
Zum staatlichen Umgang mit Minderheiten s. insbes. die sog. Roma-Fälle des EGMR (vgl. unter Fn. 863, 865, 936, 940, 1216) und der Tschetschenen in Russland (s. EGMR, Timishev [Fn. 3]). Zum Problem der diskriminierungsfreien Ausgestaltung staatlicher Sozialsysteme s. S. 369 ff. 8
Vgl. dazu den noch nicht entschiedenen Fall Schalk und Kopf gegen Österreich (EGMR, Nr. 30141/04), in welchem es um das Recht homosexueller Paare auf Eheschließung geht. Vgl. auch die Annahme von gleichheitsrechtlichen Schutzpflichten gegen Diskriminierungen durch Private, s. dazu S. 316 ff. 9
Zu dem Vorgang der Konstitutionalisierung durch die EMRK vgl. allgemein Christian Walter, Die Europäische Menschenrechtskonvention als Konstitutionalisierungsprozeß, ZaöRV 59 (1999), S. 961 ff.
4
Einleitung
sich um einen Prozess, dessen Agenda sich immer deutlicher von der Gewährleistung eines individuellen Minimalrechtsschutzes auf völkerrechtlicher Ebene abwendet zugunsten der Einrichtung eines europäischen Verfassungsrechtsschutzes.10 Die veränderte, verfassungsrechtliche Agenda des Gerichtshofs hat Folgen für die Dogmatik: Erforderlich war und ist eine stärkere „Ausdifferenzierung“ des konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots.11 Hier hat der EGMR in den letzten Jahren Beachtliches geleistet: Dies wird sichtbar z.B. an der Anerkennung und Weiterentwicklung der Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung, der dogmatischen Verfeinerung der Hierarchisierung von Differenzierungsgründen und der Konturierung gleichheitsrechtlicher Schutzpflichten. Die bedeutsame Bewegung, in die die konventionsrechtliche Nichtdiskriminierungsdogmatik in den letzten zehn Jahren geraten ist, kann nicht als abgeschlossen betrachtet werden. Weitere Fragen zeichnen sich ab, die erst die künftige Rechtsprechung klären wird (z.B. die Entwicklung einer Teilhabeermöglichungspflicht, das Ausmaß gleichheitsrechtlicher Schutzpflichten).12 Dennoch legt die Bedeutsamkeit des erreichten gleichheitsrechtlichen Schutzniveaus für den 10
Vgl. Laurence R. Helfer, Redesigning the European Court of Human Rights: Embeddedness as a Deep Structural Principle of the European Human Rights Regime, EJIL 19 (2008), p. 125 ff. Wie weit diese Agenda der Konstitutionalisierung durch Menschenrechtsschutz reicht, hat der aufsehenerregende Fall EGMR, 22.12.2009, Sejdić und Finci, Nr. 27996/06 u. 34836/06 deutlich gemacht: In diesem Fall ergab sich aus der Verfassung von Bosnien und Herzegowina, dass sich nur Angehörige der “constituent peoples” (Bosnier, Kroaten und Serben) für die Parlamentswahlen und die Präsidentenwahl aufstellen lassen konnten. Die Beschwerdeführer, ein Bürger jüdischen Glaubens und ein Angehöriger der Roma, lehnten für sich die Zugehörigkeit zu einem der “constituent peoples” ab und waren deshalb nicht wählbar; sie rügten eine Verletzung von Art. 14 i.V. mit Art. 3 ZP 1 EMRK (Recht auf freie Wahlen) bezüglich des aktiven Wahlrechts zum Parlament und von Art. 1 ZP 12 EMRK bezüglich des aktiven Wahlrechts zum Präsidentenamt. Der EGMR gelangte zu einer Verletzung der genannten Vorschriften. Bemerkenswert ist, dass hier dem Anliegen der Konstitutionalisierung durch Menschenrechtsrechtsprechung der Vorrang gegenüber dem nicht weniger bedeutsamen Völkerrechtsprinzip der Friedenssicherung gegeben wird, vgl. dazu auch die abw. Meinung, a.a.O., Annex). 11 Vgl. Andreas von Arnauld, Zur Erforderlichkeit der Ausdifferenzierung des Diskriminierungsverbots – Kommentar, in: Eckart Klein/Christoph Menke (Hrsg.), Universalität, Schutzmechanismen, Diskriminierungsverbote, Berlin 2008, S. 396 ff. 12
Vgl. dazu S. 383 ff.
Einleitung
5
europäischen Konstitutionalisierungsprozess den Versuch einer Systematisierung der gegenwärtigen konventionsrechtlichen Dogmatik der Nichtdiskriminierung nahe. In einer wissenschaftlichen Untersuchung des Rechtsproblems der menschenrechtlichen Gleichheit stellen sich u.a. folgende Fragen: Was ist „Gleichheit“, was ist „Diskriminierung“? Wie wird Ungleichheit überhaupt zu einem menschenrechtlichen Problem? Welche rechtlichen Bewältigungsmodelle gibt es zur Lösung menschenrechtlicher Gleichheitsfragen? Wie werden Probleme der menschenrechtlichen Gleichheit von den internationalen Rechtsprechungsorganen behandelt? Welche Reichweite hat der allgemeine völkerrechtliche Gleichheitssatz bzw. das Diskriminierungsverbot? Welchen Nutzen hat ein Verständnis des Gleichheitsrechts von der (politischen) Philosophie? Welche Unterschiede bestehen zwischen dem Rechtsproblem und dem ethischen Problem der Gleichheit? Worin besteht eine „gute“ Gleichheitsrechtspraxis? Diese Fragen, die das Rechtsproblem der menschenrechtlichen Gleichheit an eine wissenschaftliche Untersuchung stellt, werden vorliegend in vier Stationen behandelt: Nacheinander wird auf Begriff, Recht, Praxis und Rechtsethik der menschenrechtlichen Gleichheit eingegangen. Des Näheren liegt der Arbeit folgender Untersuchungsgang zugrunde: Im ersten Teil wird der vorrechtliche Begriff der Gleichheit dargestellt. Das Recht steht in dem Bemühen um das menschenrechtliche Gleichheitsproblem nicht allein. Die Klärung des vorrechtlichen Begriffs der Gleichheit ist Sache der Philosophie. Deren Theorieangebote sind schon angesichts der erwähnten Komplexität der Grundlagenbegriffe ernst zu nehmen. Im zweiten Teil wird das Recht der menschenrechtlichen Gleichheit erläutert. Nachdem der Gegenstand des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts identifiziert ist, kann man nach Konvergenzen in der gleichheitsrechtlichen Dogmatik fragen und den „Fluchtpunkt“ des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts im Prinzip der Rechtsgleichheit verorten. Des Weiteren lassen sich im Völkerrecht zwei Modelle des Gleichheitsrechtsschutzes unterscheiden, das des allgemeinen Gleichheitsrechts und das des Nichtdiskriminierungsrechts. Die Strukturen des allgemeinen Gleichheitsrechts werden anhand des allgemeinen Gleichheitssatzes in Art. 26 IPbpR analysiert. Darauf folgt eine abstrakte Darstellung des Modells des Nichtdiskriminierungsrechts.
6
Einleitung
Im dritten Teil geht es um die Rechtspraxis der Nichtdiskriminierung. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des EGMR werden induktiv die Strukturen des Nichtdiskriminierungsrechts der EMRK erarbeitet. Der abschließende, vierte Teil widmet sich den übergreifenden Fragen, die der Untersuchungsrahmen des bloßen Begriffs, des Rechts und der Rechtspraxis offenlassen musste. Die hier vorgeschlagene Methode der rechtsethischen Rekonstruktion schlägt eine Brücke zwischen dem Gleichheitsrecht und der Gleichheitsphilosophie, deren Zweck es ist, die menschenrechtliche Gleichheitsrechtspraxis über die ihr innewohnende ethische Rationalität aufzuklären.
1. Teil Begriff der Gleichheit
Die von einem Anwendungskontext abstrahierende „Arbeit am Begriff“ hat etwas Angestrengtes, indem sie von vornherein auf ein bloß theoretisches „Wissen um etwas“ zielt. Damit fordert sie die Geduld des Lesers heraus. Indem eine solche Untersuchung auf die Definition oder doch nähere Bestimmung aus ist, wird zudem die Möglichkeit begrifflicher Sicherheit bisweilen trügerisch suggeriert. Gleichwohl – das ist eine bleibende Einsicht der Philosophie Platons13 – setzt das Verstehen alternativlos beim Begriff an. Was also ist „Gleichheit“? Wenn von der Mehrdeutigkeit des vorrechtlichen (philosophischen) Gleichheitsbegriffs gesprochen wird, ist das zumindest ungenau. Es lässt sich durchaus eine Definition des Gleichheitsbegriffs angeben: „Gleichheit“ kann definiert werden als Übereinstimmung einer Mehrzahl von verschiedenen Gegenständen, Personen, Prozessen oder Sachverhalten im Hinblick auf einen relevanten Maßstab bei Verschiedenheit im Übrigen, oder, kurz, „qualitative Übereinstimmung“.14 Diese Definition des Gleichheitsbegriffs zeigt an, dass 13
Vgl. Platon, Phaidon oder von der Unsterblichkeit der Seele, nach der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher, Stuttgart 1981, S. 99 f., 99 e: „Nachdem ich es danach aufgegeben hatte, die Dinge zu betrachten, glaubte ich auf der Hut sein zu müssen, damit es mir nicht so gehe wie denen, die die Sonnenfinsternis beobachten und anschauen; verderben sich doch wohl manche die Augen, wenn sie nicht im Wasser oder etwas dem Ähnlichen nur das Bild der Sonne betrachten. So etwas kam mir auch in den Sinn, und ich fürchtete, ich möchte an der Seele erblinden, wenn ich mit den Augen nach den Gegenständen sähe und vermittels jeglichen Sinnes sie zu erfassen versuchte. Ich glaubte vielmehr, zu den Begriffen [logoi, Verf.] meine Zuflucht nehmen und an ihrer Hand das wahre Wesen der Dinge erforschen zu müssen“ [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.]. 14
Diese Begriffsbestimmung findet sich in ähnlicher Formulierung bei Stefan Gosepath, Gleiche Gerechtigkeit: Grundlagen eines liberalen Egalitarismus, Frankfurt am Main 2004, S. 114 und bei Peter Westen, Speaking of Equality: An Analysis of the Rhetorical Force of ‘Equality’ in Moral and Legal Discourse, Princeton 1990, p. 120. T. Altwicker, Menschenrechtlicher Gleichheitsschutz, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 223, DOI 10.1007/978-3-642-18200-6_2, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011. All Rights Reserved.
7
8
1. Teil
Gleichheit eine (dreistellige) relationale Struktur15 aufweist, d.h. Gleichheit ist ein Begriff, der ein Verhältnis zwischen mindestens zwei verschiedenen16 Bezugsobjekten im Hinblick auf einen Vergleichsmaßstab (tertium comparationis) ausdrückt. Die relationale Struktur des Gleichheitsbegriffs führt dazu, dass auch Gleichheitsurteile „komparativ“ sind: „A ist mit B vergleichbar bzw. gleich in Hinsicht auf Eigenschaft X“. Dennoch bleibt der philosophische Begriff der Gleichheit, der dem Recht vorausliegt, in hohem Maße konkretisierungsbedürftig: Worauf beziehen sich Gleichheitsurteile? Welche Modi des Gleichheitsurteils lassen sich unterscheiden? Welches sind die Maßstäbe der Gleichheit? Nachfolgend wird eine Annäherung an den vorrechtlichen oder philosophischen Gleichheitsbegriff in drei Schritten unternommen, indem erstens die Bezugsobjekte der Gleichheitsoperation, zweitens die Modi der Gleichheitsurteile und drittens die Bedeutung der Maßstäbe bei Gleichheitsurteilen geklärt werden.
I. Bezugsobjekte der Gleichheitsoperation Eine grundlegende erste Konkretisierung wird geleistet, wenn man sich klarmacht, in Bezug auf welche Objekte man von Gleichheit spricht, wenn man also nach dem Gegenstand des Gleichheitsurteils fragt („Wer oder was ist gleich?“). Insoweit lassen sich grundsätzlich zwei abstrakte Bezugsobjekte unterscheiden: Bezugsobjekte der Gleichheitsoperation können sowohl (die Art und Weise von) Behandlungen oder aber Zustände (von Personen, Sachverhalten etc.) bzw. Ergebnisse sein.17
15
Gleichheitsurteile haben die Struktur: „a ist b hinsichtlich der Eigenschaft E (der Eigenschaften E1, E 2, ..., E n) gleich“, Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 5. Aufl., Frankfurt am Main 2006, S. 357 ff., S. 362; vgl. auch Gosepath (Fn. 14), S. 115 f. Stefan Huster, Art. Gleichheit, philosophisch-politisch, in: Werner Heun/Martin Honecker/Martin Morlok/Joachim Wieland (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart 2006, S. 855. 16
So ist die Gleichheitsbeziehung von der Identitätsbeziehung zu unterscheiden, vgl. Wilhelm Windelband, Über Gleichheit und Identität, Heidelberg 1910, S. 8 (zit. bei Werner Heun, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 2. Aufl., Tübingen 2004, Bd. 1, Art. 3 GG, Anm. 116): „Gleichheit ist eine Verhältnis, in dem Verschiedenes zueinandersteht.“ 17
Huster (Fn. 15), S. 856; vgl. Gosepath (Fn. 14), S. 118.
Begriff der Gleichheit
9
A. Gleichheit von Behandlungen In Anwendung der oben angeführten Definition des Gleichheitsbegriffs ergibt sich, dass mit „Gleichbehandlung“ die qualitative Übereinstimmung der Behandlung einer Person mit der einer anderen Person (bzw. eines Sachverhalts mit einem anderen) bezeichnet wird. Eine Behandlung ist Bezugsobjekt der Gleichheitsaussage, wenn man beispielsweise davon spricht, dass die Mutter ihre Kinder „gleich“ behandelt, indem sie ihnen gleich (im Sinne von identisch) große Kuchenstücke gibt. Eine Behandlung ist auch Bezugsobjekt der Gleichheit, wenn der Schüler gegenüber dem Lehrer ein „Recht auf Gleichbehandlung“ bei der Notenvergabe einfordert. Das Problem der „Gleichbehandlung“ hat es mit Handlungen von Personen als Behandlungen anderer zu tun.18 Bei der „Gleichbehandlung“ geht es genauer um eine Gleichheitsbeziehung im Sinne qualitativer Überstimmung auf der Input-Seite von Handlungen. Im Fall des Lehrers ist die Input-Seite der Akt der Notengebung: Der Akt der Notenvergabe im Fall des Schülers A muss nach denselben (sachlichen) Kriterien erfolgen wie im Fall des Schülers B. Daraus folgt aber natürlich nicht, dass er allen Schülern die gleiche (im Sinne einer identischen) Note geben muss, sondern dass er sie nicht ohne sachlichen Grund, etwa wegen ihres Geschlechts oder ihrer sozialen Herkunft, anders als andere behandeln darf. Mit anderen Worten erfordert die Gleichbehandlung hier nicht die Gleichheit auf der Output-Seite der Behandlung, die sog. Ergebnisgleichheit. Im Fall der Kuchenaufteilung entsprechen sich Input- und Output-Seite: Auf der Input-Seite geht es um den Akt des gleichen Aufteilens (d.h. niemand wird bevorzugt bzw. benachteiligt), auf der Output-Seite führt dies (im Idealfall) zu identisch großen Kuchenstücken.
B. Gleichheit von Zuständen bzw. Ergebnissen Gleichheitsurteile können sich weiterhin auch auf Zustände bzw. Ergebnisse beziehen. So sind zwei Zustände bzw. Ergebnisse „gleich“, wenn sie qualitativ übereinstimmen, etwa die Durchschnittstemperatur im Juli 2008 mit der des Vorjahres oder die Note des Schülers A mit der Note des Schülers B. 18
Gosepath (Fn. 14), S. 118.
10
1. Teil
Es ist offensichtlich, dass mit der Bestimmung der abstrakten Bezugsobjekte der Gleichheitsoperation – (Be-)Handlungen und Zustände – noch nichts über die Qualität der Gleichheitsbeziehung ausgesagt ist. Dazu bedarf es weiterer Konkretisierungsschritte.
II. Deskriptiver und präskriptiver Gleichheitsbegriff Eine weitere Konkretisierung des Gleichheitsbegriffs leistet die Unterscheidung zwischen einer deskriptiven und einer präskriptiven Verwendungsweise des Gleichheitsbegriffs. Diese Unterscheidung zielt auf den Modus des Gleichheitsurteils: Entweder etwas „ist“ gleich oder etwas „soll“ gleich sein (Seins- bzw. Sollens-Gleichheit). Zur Komplexität des Gleichheitsbegriffs trägt bei, dass die deskriptive und die präskriptive Begriffsverwendung auf beide Bezugsobjekte, also Behandlungen und Ergebnisse, beziehbar sind.19 Man kann daher von deskriptiver Gleichbehandlung und deskriptiver Zustandsgleichheit einerseits, sowie präskriptiver Gleichbehandlung und präskriptiver Zustandsgleichheit andererseits sprechen.
A. Deskriptive Gleichbehandlung Deskriptive Gleichbehandlung meint identische Behandlung20: Die Mutter behandelt ihre Kinder „gleich“, indem sie allen identisch große Kuchenstücke gibt. Keines ihrer Kinder bekommt mehr als die übrigen. Es handelt sich um einen Fall deskriptiver Gleichbehandlung, da der Vergleichsmaßstab (das sog. tertium comparationis), hier die Größe des Kuchens, ein deskriptiver, die empirische Nachprüfung ermöglichender Maßstab ist.21 Aussagen zur deskriptiven Gleichheit sind meist unprob19
So auch Huster (Fn. 15), S. 856.
20
Westen (Fn. 14), p. 33: “Descriptive equality (...) is the identity (as opposed to similarity) that obtains among things that are indistinguishable in relevant respects (as opposed to all respects), as measured by relevant standards of measurement (as opposed to relevant dimensions)” [Hervorhebungen im Original, Verf.]. Vgl. auch Stefan Huster, in: Karl-Heinrich Friauf/Wolfram Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Berlin, Stand: 8. Erg.Lfg. IV/2003, Art. 3 GG, Rn. 27. 21
Vgl. Gosepath (Fn. 14), S. 115; Westen (Fn. 14), p. 65, 121.
Begriff der Gleichheit
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lematisch, da wir über allgemein geteilte Maßstäbe verfügen, mittels derer die Wahrheit dieses Gleichheitsurteils feststellbar ist.
B. Präskriptive Gleichbehandlung Auch in der Forderung des Schülers nach Gleichbehandlung bei der Notenvergabe bezieht sich der Begriff der Gleichheit auf ein Handeln. Allerdings liegt hier eine präskriptive Gleichheitsbeziehung vor: Der Maßstab, anhand dessen sich das Handeln des Lehrers als „gleich“ erweisen lassen soll, ist das „Recht auf Gleichbehandlung bei der Notenvergabe“. Der Schüler bezweckt mit seiner Aussage nicht die Feststellung, dass der Lehrer bei der Notenvergabe die Schüler „gleich“ behandelt hat, sondern er fordert eine bestimmte, nämlich eine gleiche, Behandlung im Hinblick auf ein von ihm behauptetes Recht ein. Der Maßstab ist das Recht auf Gleichbehandlung bei der Notenvergabe und damit ein normativer.
C. Deskriptive Zustandsgleichheit Die deskriptive Zustandsgleichheit meint die Seins-Gleichheit zweier Zustände oder Ergebnisse, im obigen Beispiel also die Übereinstimmung der Durchschnittstemperaturen. Auch die deskriptive Zustandsgleichheit ist unproblematisch, da sich – wie gesagt – die deskriptive Gleichheit stets auf einen empirisch nachprüfbaren Maßstab bezieht.22
D. Präskriptive Zustandsgleichheit Von präskriptiver Zustandsgleichheit spricht man dann, wenn sich die präskriptive „Gleichbehandlung“ zu einer Pflicht zur Herstellung von „Zustands-“ oder „Ergebnisgleichheit“ verdichtet. In diesem Fall be22
Die präskriptive Verwendungsweise des Gleichheitsbegriffs ist von einer verdeckt-deskriptiven Verwendung abzugrenzen: Wenn etwa der Bäcker von seinem Lehrling verlangt, die Tortenstücke „sollen“ gleich groß sein, dann handelt es sich zwar um eine präskriptive Aussage, aber nicht um eine präskriptive Verwendung des Gleichheitsbegriffs, denn das tertium comparationis bleibt hier ein empirisch nachprüfbarer Maßstab.
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1. Teil
zieht sich die Gleichheit nicht nur auf die Input-Seite, sondern auch auf die Output-Seite, das Resultat einer Handlung: Sind die Leistungen zweier Schüler in einer Klassenarbeit gleichwertig, so hat sich dies im Erreichen der gleichen (im Sinne von identischen) Note, d.h. der Herstellung von Ergebnisgleichheit, niederzuschlagen.23 In der philosophischen Egalitarismusdebatte spielt die präskriptive Zustandsgleichheit eine bedeutsame Rolle: Die Konzeptionen des Egalitarismus, die angeben, in welcher Hinsicht Gleichheit zwischen den Menschen bestehen soll (etwa bezüglich Rechte, Chancen, Ressourcen oder Fähigkeiten), verwenden allesamt diesen Begriff der präskriptiven Zustandsgleichheit.24 Die präskriptive Zustandsgleichheit stellt ein Ziel vor, das es durch Einzelhandlungen zu verwirklichen gilt.
E. Besonderheiten des präskriptiven Gleichheitsbegriffs Die beiden Verwendungsweisen des Gleichheitsbegriffs unterscheiden sich, wie dargelegt, zuerst durch die Natur des Vergleichsmaßstabes: Im Fall der deskriptiven Verwendung des Gleichheitsbegriffs handelt es sich um einen empirisch nachprüfbaren Vergleichsmaßstab, im Fall der präskriptiven Verwendung um einen normativen Maßstab.25 Die entscheidende Besonderheit des präskriptiven Gleichheitsbegriffs aber ist, dass ihm ein Gerechtigkeitsurteil innewohnt: Präskriptive Gleichbehandlung bzw. präskriptive Zustandsgleichheit ist immer auch deswegen „gesollt“, weil sie gerecht ist.26 Was es mit dieser Gerechtigkeitsbeziehung des Gleichheitsbegriffs im Kontext der menschenrechtlichen Gleichheit auf sich hat, wird des Näheren unten genauer zu untersuchen sein.27 An dieser Stelle mag der Hinweis auf die intuitive Verknüpfung von präskriptivem Gleichheits- und Gerechtigkeitsurteil genügen. Auch unabhängig von staatlicher Gesetzgebung hält man es beispielsweise für „gerecht“, dass der Lehrer seine Schüler bei der Notenvergabe
23
Vgl. Matthias Mahlmann, Die Ethik des Gleichbehandlungsrechts, in: Beate Rudolf/ders. (Hrsg.), Gleichbehandlungsrecht: Handbuch, Baden-Baden 2007, S. 44, Rn. 24. 24 25 26 27
Vgl. dazu auch S. 403. Gosepath (Fn. 14), S. 115; Westen (Fn. 14), p. 65. Vgl. Huster (Fn. 15), S. 856. Vgl. dazu ausführlich unten S. 458 ff.
Begriff der Gleichheit
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„gleich“ behandelt bzw. gleichwertige Leistungen zum gleichen Ergebnis (Bewertung) führen.
III. „Aufladung“ des Gleichheitsbegriffs durch normative Maßstäbe A. Die „Leere“ des formalen Prinzips der präskriptiven Gleichheit Die normativen Maßstäbe, die der präskriptiven Gleichheit zugrunde liegen, spielen eine Rolle für das Begriffsverständnis der Gleichheit. Dies lässt sich zeigen, indem man zunächst den präskriptiven Gleichheitsbegriff vollständig seiner angenommenen Inhalte entleert, so dass das formale Prinzip der präskriptiven Gleichheit übrigbleibt. Es lautet in seiner klassischen Formulierung: „Gleiches ist gleich, Ungleiches ist ungleich zu behandeln.“28 Je nach Anwendungsbereich ergeben sich verschiedene Formulierungen dieses Prinzips der formalen Gleichbehandlung.29 Das Moralprinzip der formalen Gleichbehandlung lautet: „Es ist gerecht, Personen, die gleich sind, gleich zu behandeln. Es ist auch gerecht, Personen, die ungleich sind, ungleich zu behandeln.“30 Dieses Prinzip wird auch als „Aristoteles-Prinzip“ bezeichnet.31 Das formale Prinzip der präskriptiven Gleichheit liegt jeder gleichheitsrechtlichen Norm zugrunde.32 Damit ist allerdings noch nicht viel gewonnen, denn der präskriptive Gleichheitsbegriff bleibt solange „leer“, d.h. eine inhaltslose Tautologie, wie nicht bestimmt ist, in welcher Hin-
28
Vgl. Platon, Nomoi, in: ders., Sämtliche Werke, Bd. 9, nach der Übersetzung Friedrich Schleiermachers, ergänzt durch Übersetzungen von Franz Susemihl u.a., hrsg. v. Karlheinz Hülser, Frankfurt am Main/Leipzig 1991, S. 411 f., VI 757a-e (= Nomoi) ; Aristoteles, Nikomachische Ethik, Übersetzung v. Franz Dirlmeier, Stuttgart 1994, S. 126 ff., V 6, 1131a10-b15 (= Nikomachische Ethik); ders., Politik, übersetzt und hrsg. v. Olof Gigon, 7. Aufl., München 1996, S. 122, III 12, 1282b14-23 (= Politik). 29 30
Zu dem Rechtsprinzip der formalen Gleichbehandlung s. unten S. 414 ff. Gosepath (Fn. 14), S. 119.
31
Gosepath (Fn. 14), S. 119; vgl. auch Janneke Gerards, Judicial review in equal treatment cases, Leiden 2005, p. 9. 32
Dazu vgl. näher S. 415.
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1. Teil
sicht Gleichheit bestehen soll.33 Doch genau dazu schweigt der Grundsatz.
B. Der hier sog. praktische Gleichheitsbegriff Damit der präskriptive Gleichheitsbegriff ein „praktischer Begriff“ wird, d.h. Wirksamkeit in Handlungszusammenhängen bekommen kann, bedarf es einer dritten Konkretisierung. Diese Konkretisierung geschieht durch „Aufladung“ des Gleichheitsbegriffs mit normativen Maßstäben, etwa Rechten. Indem man den präskriptiven Gleichheitsbegriff auf lebensweltliche Sozialbeziehungen anwendet, wird dieser auf normative Maßstäbe bezogen, und es entsteht der hier sog. praktische Gleichheitsbegriff. Im Fall der praktischen Gleichheit soll Gleichheit bestehen und zwar im Hinblick auf eine Norm, Regel oder, allgemein ausgedrückt, im Hinblick auf einen präskriptiven Maßstab („Gleichheit wovon“ bzw. „Gleichheit im Hinblick worauf“).34 Die normativen Maßstäbe werden von dem praktischen Gleichheitsbegriff nicht selbst geschaffen, sondern von ihm als in der Lebenswelt vorhanden oder gültig vorausgesetzt. Rechtfertigung und Bestimmung dieser normativen Maßstäbe sind somit nicht selbst Gleichheitsprobleme, sondern bedürfen gleichheitsexterner Erwägungen, insbesondere der Heranziehung von Gerechtigkeitstheorien.35 Die bei der anschließenden Untersuchung des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes zu konstatierende Konkretisierungsbedürftigkeit ist also bereits auf semantischer Ebene angelegt (und nicht etwa nur ein Problem im Rahmen der praktischen Rechtsanwendung und -auslegung).36 33
Vgl. Gosepath (Fn. 14), S. 115.
34
Vgl. Westen (Fn. 14), pp. 121 f. Die philosophische Gleichheitsdebatte wird insbesondere um die Frage der „Gleichheit im Hinblick worauf?“ (engl. „equality of what?“) geführt, s. S. 16 ff. 35
Vgl. dazu Westen (Fn. 14), p. 125. Aus juristischer Sicht vgl. Lerke Osterloh, Der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz – Entwicklungslinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, EuGRZ 29 (2002), S. 309, 310: „Auffüllung des ‚semantisch leeren‘ Begriffs rechtlicher Gleichheit durch den Begriff der Gerechtigkeit.“ 36
Zur Konkretisierungsbedürftigkeit des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes vgl. unten S. 72 ff.
Begriff der Gleichheit
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C. Konzeptionen der Gleichheit 1. Begriff und Gegenstände philosophischer Gleichheitskonzeptionen Die Entkoppelung des Maßstabsproblems bietet aber nur eine scheinbare Entlastung für den Gleichheitsbegriff, denn nach hier vertretener Ansicht schafft die Verbindung von normativem Maßstab und Gleichheitsprädikat ein normatives „Mehr“, das nur von einem genuinen Gleichheitsansatz adäquat erfasst wird.37 Die dritte Konkretisierung des Gleichheitsbegriffs besteht in der Erfassung dieses normativen „Mehrs“ in spezifischen Konzeptionen der Gleichheit. Genau diese so entstehenden Konzeptionen, etwa die der Chancengleichheit oder der Ressourcengleichheit, sind umstritten.38 Die Konzeptionen der Gleichheit geben u.a. Antwort auf die wesentliche Frage, auf welche Gleichheitsbeziehung es jeweils ankommt, also welche Güter in gleicher Weise zu verteilen sind.39 Rechtfertigung und Ausfüllung dieser Konzeptionen der Gleichheit sind Gegenstand des philosophischen Egalitarismus.40 Philosophische Konzeptionen der Gleichheit behandeln insbesondere folgende Fragen: Warum soll es überhaupt Gleichheit bzw. Gleichbehandlung geben? Welche sozialen und politischen Güter und Lasten sind (gleich) zu verteilen? Wer ist Verpflichteter, wer Begünstigter der Verteilung? Welche Ungleichheiten in der Verteilung sind gerechtfertigt?41 Von Bedeutung ist die semantische Besonderheit des Gleichheitsbegriffs, sowohl eine konstante, nämlich die Relationsbeziehung, als auch
37
Dies wird von denjenigen bestritten, die den Eigenwert der Gleichheit gegenüber den normativen Maßstäben in Zweifel ziehen, z.B. Westen, Scanlon, Krebs, Raz; wie hier aber Gosepath (Fn. 14), S. 116 (mit abweichender Begründung). 38 39
Dazu näher unten S. 16 ff. Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 25.
40
Eine besonders brauchbare Sammlung von Positionen zum Egalitarismus findet sich bei Louis P. Pojman/Robert Westmoreland (Hrsg.), Equality, Oxford 1998 (vgl. dort auch die Einleitung der Hrsg.). Zur Kritik am Egalitarismus vgl. Angelika Krebs (Hrsg.), Gleichheit oder Gerechtigkeit, Frankfurt am Main 2000. 41
Vgl. Stefan Gosepath, “Equality”, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2007 Edition), Edward N. Zalta (ed.), http://plato.stanford.edu/en tries/equality/ (15/01/2009).
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1. Teil
eine variierende Bedeutungsebene aufzuweisen,42 wobei die variierende Bedeutung der präskriptiven Gleichheit in verschiedenen Gleichheitskonzeptionen zur Sprache kommt. Das Vorhandensein einer variierenden Bedeutungsebene führt dazu, dass Gleichheitsfragen notorisch umstritten sind. Man spricht daher in Bezug auf den Gleichheitsbegriff von einem „essentially contested concept“.43 Solche Begriffe zeichnet aus, dass sie – unter den Bedingungen der gegenwärtigen politisch-sozialen Vernunft – in ihrer Substanz notwendig umstritten sind.44 Es handelt sich um Begriffe, die Gegenstand einer immerwährenden (politischen) Kontroverse sind. Es kann heute als gesichert gelten, dass der präskriptive Gleichheitsbegriff in keinem sozialhistorischen Kontext in bloß einer Bedeutung, d.h. im Rahmen einer Konzeption der Gleichheit, verwendet wurde, noch ist eine solche Festlegung auf eine Bedeutung je wahrscheinlich.45 Nachfolgend werden drei gegenwärtig einflussreiche philosophische Konzeptionen der Gleichheit vorgestellt.
2. Grundgüter, Ressourcen oder Fähigkeiten Soziale Gerechtigkeit besteht, so die geteilte Auffassung des Egalitarismus, in der Schaffung gleicher Lebensaussichten für alle.46 Ebenfalls eint die Vertreter des Egalitarismus, dass unverdiente Vor- und Nachteile keinen Einfluss auf die gesellschaftliche Stellung bzw. das Wohlergehen der Person im Vergleich zu anderen haben sollen.47 Umstritten sind jedoch die Maßstäbe für gleiche Lebensaussichten: Hier werden insbesondere die Gleichheit sozialer Grundgüter (John Rawls), Ressourcen42
Dazu Westen (Fn. 14), p. 9 f.
43
Der Begriff des „essentially contested concept“ geht auf William B. Gallie zurück, s. ders., Essentially Contested Concepts, in: Proceedings of the Aristotelian Society, 56 (1955/56), pp. 167-198. Zur Gleichheit als einem „essentially contested concept“, s. Westen (Fn. 14), p. 124; Gosepath (Fn. 14), S. 114; Ronald Dworkin, Sovereign Virtue: The Theory and Practice of Equality, Cambridge/Mass. 2002, p. 2. 44 45
Vgl. Westen (Fn. 14), p. 124. So Gosepath (Fn. 14), S. 117.
46
Vgl. Huster (Fn. 15), S. 858; Angelika Krebs, Einleitung: Die neue Egalitarismuskritik im Überblick, in: dies. (Hrsg.), Gleichheit oder Gerechtigkeit, Frankfurt am Main 2000, S. 7. 47
Vgl. Huster (Fn. 15), S. 858.
Begriff der Gleichheit
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gleichheit (Ronald Dworkin) oder die Gleichheit der Fähigkeiten (Amartya Sen) diskutiert. Insoweit kann von unterschiedlichen philosophischen Konzeptionen der Gleichheit gesprochen werden.
a) Die Gleichheit der Grundgüter (John Rawls) John Rawls’ Gleichheit der sog. Grundgüter zielt auf diejenigen gesellschaftlichen, nicht-natürlichen Güter ab, die für die Bürger, welche sich selbst und ihre Mitbürger als freie und gleiche Personen betrachten, brauchbar und nützlich sind, und zwar unabhängig davon, welchen Lebensplan („Konzeption des Guten“) sie auch immer verfolgen mögen.48 Es handelt sich daher bei den Grundgütern um sog. Allzweckgüter. Für Personen im Rawlsschen Verständnis ist es vorteilhaft, möglichst viel von den Grundgütern zu besitzen. Rawls unterscheidet fünf Arten von Grundgütern: (1) Grundrechte und Grundfreiheiten (dazu zählt Rawls u.a. die klassischen liberalen Rechte wie Gedanken- und Gewissensfreiheit), ferner (2) die Freizügigkeit und die freie Berufswahl, (3) Befugnisse und Zugangsrechte zu Ämtern und Positionen, (4) Einkommen und Besitz und schließlich (5) die sozialen Grundlagen der Selbstachtung49.50 48
Diese neue Formulierung der Grundgüter findet sich bei John Rawls, Der Vorrang der Grundfreiheiten, in: ders., Die Idee des politischen Liberalismus: Aufsätze 1978-1989, hrsg. v. Wilfried Hinsch, Frankfurt am Main 1994, S. 159, 178 f. (= Vorrang); ders., Politischer Liberalismus, Frankfurt am Main 2003, S. 274 f. (= Politischer Liberalismus); ders., Gerechtigkeit als Fairneß: Ein Neuentwurf, Frankfurt am Main 2006, S. 99-104 (= Gerechtigkeit). Die ursprüngliche Formulierung findet sich in ders., Eine Theorie der Gerechtigkeit, 10. Aufl., Frankfurt am Main 1998, S. 83, 112 (= Theorie). Hinsch hält die Neufassung der Theorie der Grundgüter für die „vielleicht wichtigste Revision“ innerhalb der Gerechtigkeit als Fairness, s. Wilfried Hinsch, Einleitung, in: John Rawls, Die Idee des politischen Liberalismus: Aufsätze 1978-1989, hrsg. v. Wilfried Hinsch, Frankfurt am Main 1994, S. 9, 36. Die Änderung betrifft wesentlich die eingeführte Einschränkung von „jedermann“ dienlichen Grundgütern auf diejenigen Grundgüter, die „Bürger“ i.S. der Rawlsschen „Konzeption der Person“ für sich rationalerweise erstreben. 49
Rawls versteht unter „Selbstachtung“ Folgendes: „Selbstachtung ist in unserem Selbstvertrauen verwurzelt, als ein voll kooperierendes Mitglied der Gesellschaft fähig zu sein, eine lohende Konzeption des Guten ein Leben lang zu verfolgen. Daher setzt die Selbstachtung die Entwicklung und Ausübung der beiden moralischen Vermögen und mithin einen wirksamen Gerechtigkeitssinn voraus. (...) Ohne Selbstachtung würde nichts der Ausführung wert erscheinen, und sollten einige Dinge für uns einen Wert haben, dann hätten wir nicht den Willen, sie zu verfolgen. Daher legen die Parteien großes Gewicht darauf, in-
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Die Verteilung der Grundgüter, die der Herstellung substantieller Gleichheit51 der Personen dient, ist Aufgabe der zwei Gerechtigkeitsgrundsätze. Der erste Gerechtigkeitsgrundsatz lautet in seiner neuesten Version: „Jede Person hat den gleichen unabdingbaren Anspruch auf ein völlig adäquates System gleicher Grundfreiheiten, das mit demselben System von Freiheiten für alle vereinbar ist.“52 Dieser erste Gerechtigkeitsgrundsatz regelt den Modus der Verteilung von rechtlichpolitischen Grundrechten innerhalb eines Staates. Rawls’ zweiter Gerechtigkeitsgrundsatz lautet nunmehr: „Soziale und ökonomische Ungleichheiten müssen zwei Bedingungen erfüllen: erstens müssen sie mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die unter Bedingungen fairer Chancengleichheit allen offenstehen, und zweitens müssen sie den am wenigsten begünstigten Angehörigen der Gesellschaft den größten Vorteil bringen (Differenzprinzip).“53 Der zweite Gerechtigkeitsgrundsatz bestimmt den Modus der Verteilung von sozioökonomischen Grundgütern. Verteilungsgegenstand sind Einkommen, Besitz, die mit verantwortungsvollen Ämtern und Positionen verbundenen Befugnisse und Vorrechte und schließlich andere soziale Grundlagen der Selbstachtung.54 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es substantielle Gleichbehandlung, also die Behandlung aller „als Gleiche“, nach Rawls mit einer (nach den Gerechtigkeitsgrundsätzen) bestimmten Verteilung von Grundgütern zu tun hat.
wieweit Gerechtigkeitsprinzipien die Selbstachtung bestärken, weil anders diese Prinzipien die bestimmten Konzeptionen des Guten der von ihnen Vertretenen nicht wirksam fördern könnten“ (John Rawls, Der Vorrang der Grundfreiheiten (Fn. 48), S. 190). 50
John Rawls, Kantischer Konstruktivismus in der Moraltheorie, in: ders., Die Idee des politischen Liberalismus: Aufsätze 1978-1989, hrsg. v. Wilfried Hinsch, Frankfurt am Main 1994, S. 80, 95 (= Kantischer Konstruktivismus); ders., Politischer Liberalismus (Fn. 48), S. 275. 51
Zur substantiellen Gleichheit als Rechtsprinzip vgl. ausführlich unten S. 420 ff. 52 53 54
Rawls, Gerechtigkeit (Fn. 48), S. 78. Rawls, Gerechtigkeit (Fn. 48), S. 78.
Rawls, Kantischer Konstruktivismus (Fn. 50), S. 95; ders., Politischer Liberalismus (Fn. 48), S. 275; ders., Theorie (Fn. 48), S. 82.
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b) Die Ressourcengleichheit (Ronald Dworkin) Ronald Dworkin schlägt einen anderen Maßstab substantieller Gleichheit vor, nämlich die Gleichheit der „Ressourcen“.55 Was die Behandlung aller „als Gleiche“ (bezogen auf sozioökonomische, private Güter) bedeutet, verdeutlicht Dworkin am Modell einer (hypothetischen) Auktion: Bei dieser Auktion verfügen alle Beteiligten ursprünglich über die gleiche Summe an Zahlungsmitteln, mit denen sie Güter, die sie für ihren Lebensplan benötigen, erwerben und so einzelne „Güterbündel“ zusammenstellen. Der Auktionator setzt einen Preis für ein bestimmtes Gut fest – Dworkin nennt ein Grundstück als Beispiel – für das sich entweder ein einzelner Käufer findet oder für das der Preis angepasst wird.56 Die durch die Auktion erzielte Verteilung ist gleich, wenn sie den „Neid-Test“ (envy test) besteht: “No division of resources is an equal division if, once the division is complete, any immigrant [in Dworkins Beispiel sind die Beteiligten an der Auktion Schiffbrüchige auf einer einsamen Insel, die die Güter unter sich aufteilen wollen, Verf.] would prefer someone else’s bundle of resources to his own bundle.”57 Dworkin hält es für möglich, dass die Bedingung des Neid-Tests durch die Auktion der Güter erfüllt wird. Zu Ungleichheit führt erst der postauktionale Zustand des freien Marktes; hier entscheiden natürliche Ausstattung, Talent und Glück über die Veränderungen in der Güterallokation und damit über sozioökonomische Ungleichheit.58 Jedoch sind nicht alle Ungleichheiten, die im freien Markt entstehen, ungerechtfertigt. Dworkins Grundgedanke hierbei ist, dass der Preis für den Lebensentwurf einer Person sich daran bemisst, wie hoch der Einsatz ist, den andere Personen dafür aufgeben:59 “(...) the price of a safer life, measured in this way, is precisely forgoing any chance of the gains whose prospect induces others to gamble.” Dworkin setzt dabei ausdrücklich voraus, dass jeder die Möglichkeit hat, seine Güter durch den Einsatz anderer Güter und Spekulationen zu 55
Ronald Dworkin (Fn. 43), pp. 65-119. Die Gleichheit der Ressourcen bezieht sich allerdings nur auf den sozioökonomischen Teil der substantiellen Gleichheit; Fragen der politischen Gleichheit behandelt Dworkin separat, a.a.O., pp. 184-210. 56 57 58 59
Dworkin (Fn. 43), p. 68. Dworkin (Fn. 43), p. 67. Dworkin (Fn. 43), p. 73 ff. Dworkin (Fn. 43), p. 74.
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vermehren.60 Menschen mit Behinderungen sind dazu nicht (in gleichem Maße) in der Lage; daher verlangt die Theorie der Ressourcengleichheit für diesen Fall eine Kompensation.61 Dworkin betont, dass seine Theorie „tüchtigkeits-sensitiv“ („ambition-sensitive“) und nicht „ausstattungs-sensitiv“ („endowment-sensitive“) sei.62 Sein Grundgedanke ist, dass ausstattungsbedingte (d.h. nicht frei im Rahmen einer Modellauktion gewählte) Ungleichheiten kompensiert werden müssen. Diese ungerechtfertigten Ungleichheiten werden in Dworkins Theorie zum Gegenstand eines komplexen, fiktiven Versicherungssystems gemacht, mit dessen Hilfe ein Ausgleich geschaffen werden soll.63 Indem sich eine Person gegen bestimmte, im Laufe des post-auktionalen Daseins auftretende Ungleichheiten versichert, drückt sich darin eine Bevorzugung des einen gegenüber einem anderen Gut aus, die in Verteilungsfragen zu respektieren ist: “Now if one chooses to spend part of his initial resources for such insurance and the other does not, or if one buys more coverage than the other, then this difference will reflect their different opinions about the relative value of different forms or components of their prospective lives.”64 Dworkin stellt also ein hypothetisches Versicherungssystem für (ungleiche) Talentausstattung auf, dessen Prämien unter künstlichen Informationsbeschränkungen ermittelt und durch Steuern auf alle umgelegt werden.65
60
Dworkin (Fn. 43), p. 76: “Someone who never had the opportunity to run a similar risk, and would have taken the opportunity had it been available, will still envy some of those who did have it.” 61
Dworkin (Fn. 43), p. 81.
62
Dworkin (Fn. 43), p. 89: “On the one hand we must, on pain of violating equality, allow the distribution of resources at any particular moment to be (as we might say) ambition-sensitive. It must, that is, reflect the cost or benefit to others of the choices people make so that, for example, those who choose to invest rather than consume, or to consume less expensively rather than more, or to work in more rather than less profitable ways must be permitted to retain the gains that flow from these decisions in an equal auction followed by free trade. But on the other hand, we must not allow the distribution of resources at any moment to be endowment-sensitive, that is, to be affected by differences in ability of the sort that produce income differences in a laissez-faire economy among people with the same ambitions.” 63 64 65
Dworkin (Fn. 43), p. 76 f. Dworkin (Fn. 43), p. 76. Dworkin (Fn. 43), pp. 90-109.
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21
Die Theorie der Ressourcengleichheit macht keine Vorgaben für eine bestimmte Güterverteilung, sondern ist ausdrücklich offen für verschiedene Verteilungen.66 Zusammengefasst besteht substantielle Gleichheit nach der Theorie der Ressourcengleichheit dann, wenn – nach Ausgleich für Behinderungen sowie für Talentunterschiede – niemand ein anderes als das selbstgewählte Güterbündel vorzieht.
c) Die Gleichheit der Fähigkeiten (Amartya Sen) Sowohl an Rawls’ als auch an Dworkins’ Konzeption der Gleichheit kritisiert Amartya Sen, dass deren Gleichheitsmaßstäbe, „Grundgüter“ bzw. „Ressourcen“, nicht konstitutiv für Freiheit seien, sondern bloße Mittel zur Freiheit.67 Sens Kritik beruht auf der Beobachtung, dass die zu verteilenden Güter für die Menschen nicht von gleichem Wert sind, d.h. die Verschiedenheit der Menschen zu Unterschieden hinsichtlich ihrer Eignung, „Güter in echte Freiheit zu transformieren“,68 führt. Der Wert eines Gutes für den einzelnen Menschen hängt von Umständen ab, die das klassische Güterparadigma nur unzureichend erfassen kann, wie zum Beispiel die natürliche Umgebung oder die individuelle Konstitution einer Person. So ist klar, dass die Gewährleistung von Fortbewegungsfreiheit für einen auf den Rollstuhl angewiesenen Menschen einen anderen Wert hat als für einen Menschen ohne diese körperliche Behinderung: „Unterschiede hinsichtlich des Geschlechts, des Alters, der genetischen Ausstattung und vieler anderer Faktoren führen zu stark divergierenden Fähigkeiten, individuelle Freiheit zu verwirklichen, obwohl wir über dasselbe Bündel an Gütern verfügen.“69 Den geeigneten Maßstab70 für basale Gleichheit bildet in Sens Theorie die „Gleichheit der Fähigkeiten“ („equality of capabilities“).71 Sen spricht in Bezug auf seine Theorie von dem „Fähigkeitenansatz“ („capability approach“). Da nach Sen „Fähigkeiten“ den wesentlichen Teil
66 67
Dworkin (Fn. 43), p. 108. Amartya Sen, Inequality Reexamined, Cambridge/Mass. 2002, pp. 44-46;
80. 68 69
Sen (Fn. 67), p. 85 [Übersetzung des Verf.]. Sen (Fn. 67), pp. 85-86 [Übersetzung des Verf.].
70
Sen selbst spricht von „space for basal equality“, nicht von „Maßstab“, vgl. Sen (Fn. 67), p. 21. 71
Sen (Fn. 67), p. 7.
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der individuellen Freiheit ausmachen, bedeutet „Gleichheit der Fähigkeiten“ die Gleichheit substantiell verstandener Freiheit. Dieser Freiheitsbezug der Fähigkeiten ist bedeutsam für das weitere Verständnis der Theorie. Die Fähigkeiten versetzen eine Person in die Lage, über ihre Funktionen („functionings“), d.h. ihre Handlungen und ihre Seinsweisen, zu bestimmen. So erlaubt beispielweise die Fähigkeit, lesen zu können, die Verwirklichung der Funktion, am medialen Nachrichtengeschehen teilzuhaben. Die Fähigkeiten einer Person bilden ein „Fähigkeitsbündel“ („capability set“), ein Reservoir an potentiellen Funktionen einer Person und damit ihren verschiedenen Seinsweisen.72 Entscheidend für Sen ist, dass der Fähigkeitenansatz der Gleichheit bei der Verschiedenheit der Menschen seinen Ausgangspunkt nimmt: “Human diversity is no secondary complication (to be ignored, or to be introduced ‘later on’); it is a fundamental aspect of our interest in equality.”73 In einer pluralistischen Gesellschaft hat Gleichheit somit Rücksicht auf Verschiedenheit zu nehmen. Verschiedenheit besteht für Sen einmal darin, dass, wie oben angemerkt, die Menschen aufgrund ihrer physischen, sozialen und kulturellen Situation unterschiedlich befähigt sind, externe Güter in Funktionen (und damit in echte Freiheit) zu transformieren (Verschiedenheit erster Ordnung). Ferner halten die Menschen aufgrund ihrer „Konzeption des Guten“ – um einen treffenden Begriff John Rawls’ zu verwenden – abweichende Funktionen als für ihr persönliches Wohlergehen konstitutiv (Verschiedenheit zweiter Ordnung). Die Verschiedenheit zweiter Ordnung führt zu einem Problem in Sens Fähigkeitenansatz: Wie lässt sich angesichts dieser Verschiedenheit überhaupt so etwas wie eine Vergleichbarkeit der Fähigkeitsbündel herstellen? Inwiefern sind Ungleichheiten bei den Fähigkeitsbündeln dieser Verschiedenheit zweiter Ordnung geschuldet und daher – aus einer Gleichheitsperspektive – nicht kritisierbar? Dieses Problem in Sens Theorie wird dadurch verschärft, dass er bis heute eine Liste von absoluten Grundfähigkeiten ablehnt.74 Für Sen gibt es keine Fähigkeiten, die zwingend in jedes Fähigkeitsbündel gehörten. Auf den ersten Blick scheint also Sens Berücksichtigung der Verschiedenheiten der Men72 Amartya Sen, Capability and Well-Being, in: Martha Nussbaum/ders. (eds.), The Quality of Life, Oxford 1993, p. 30, 33; ders. (Fn. 67), pp. 41 f. 73 74
Sen (Fn. 67), p. xi.
Amartya Sen, Human Rights and Capabilities, Journal of Human Development 6 (2005), p. 151, 158.
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schen der Sache der Gleichheit abträglich zu sein, da ein interpersoneller Vergleich von Fähigkeitsbündeln unmöglich wirkt. Sen kontert mit drei Präzisierungen, die gleichwohl einen Vergleich der Fähigkeitsbündel ermöglichen sollen: Erstens werden nur „relevante“ Fähigkeiten betrachtet.75 Ohne an dieser Stelle besonders präzise zu sein, geht Sen von einem Evidenzkriterium bei der Bewertung der Relevanz von Fähigkeiten bzw. Funktionen aus. So ist für Sen beispielsweise evident, dass die Funktion, ein bestimmtes Waschmittel zu gebrauchen, irrelevant sei.76 Abgesehen vom Evidenzkriterium ist die Relevanz oder Irrelevanz einer Fähigkeit kontextabhängig zu bestimmen. So führt Sen an, dass sich in Ländern mit extremer Armut eine mehr oder weniger eindeutige Liste von Funktionen mit „zentraler Bedeutung“ ergebe.77 Er gibt allerdings zu, dass die Liste von relevanten Fähigkeiten und Funktionen für die Bewertung des individuellen Wohlergehens sehr lang sein kann.78 Zweitens geht Sen von einem dynamischen, sich erst entwickelnden Gleichheitsprozess aus. Da Sen eine vollständige Einigkeit bezüglich der relevanten Fähigkeiten und Funktionen nicht für denkbar hält, muss zunächst mit vorhandenen, partiellen Übereinstimmungen gearbeitet werden und dieser Konsens dann allmählich ausgedehnt werden. Dieses Argument nennt er „pragmatic reason for incompleteness.“79 Der Gleichheitsbegriff bekommt damit eine geschichtlich-prozessuale Dimension; „Gleichheit“ beinhaltet das allmähliche Fortschreiten zu ihrer Verwirklichung. Drittens, und dies hängt beiden genannten Präzisierungen zusammen, muss, wer das Faktum des Pluralismus anerkennt, dem „öffentlichen Vernunftgebrauch“ („public reasoning“) das Recht zuerkennen, Relevanz und Irrelevanz von Fähigkeiten und Funktionen zu klären. Dieser öffentliche Vernunftgebrauch bedarf demokratischer Strukturen und der Möglichkeit zu ungehinderter Diskussion.80 In neueren Arbeiten dehnt Sen den öffentlichen Vernunftgebrauch aus zu ei-
75 76 77 78 79 80
Sen (Fn. 67), p. 44. Sen (Fn. 67), p. 44. Sen (Fn. 67), p. 44. Sen (Fn. 67), p. 45 Anm. 20. Sen (Fn. 67), p. 49.
Zu Sens Verständnis des „öffentlichen Vernunftgebrauchs“ s. Amartya Sen, Elements of a Theory of Human Rights, Philosophy and Public Affairs 32 (2004), p. 315, pp. 348-355.
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1. Teil
nem grenzüberschreitenden Diskurs, der einen „Blick aus der Distanz“ ermöglichen soll.81
Ergebnisse des ersten Teils Eine Arbeit, die sich das Problem der menschenrechtlichen Gleichheit zum Gegenstand macht, hat bei der Klärung der zugrundeliegenden Begrifflichkeit anzusetzen. Offenkundig liegt dem menschenrechtlichen Gleichheitsrecht ein vorrechtlicher Begriff der politisch-sozialen Gleichheit voraus. Dieser vorrechtliche Gleichheitsbegriff ist Gegenstand der politischen Philosophie. Der philosophische Gleichheitsbegriff ist notwendig umstritten („essentially contested concept“). In drei Konkretisierungsschritten lässt sich der vorrechtliche Gleichheitsbegriff näher bestimmen: Eine erste Konkretisierung fragt in abstrakter Form nach den Bezugsobjekten des Gleichheitsurteils (Wer oder was ist/sind gleich?). Als Bezugsobjekte kommen Behandlungen von Personen oder Zustände in Betracht. Die zweite Konkretisierung betrifft die Verwendungsweise, den Modus des Gleichheitsurteils. Für diese Arbeit ist nicht die deskriptive, sondern die präskriptive Verwendungsweise des Gleichheitsbegriffs von Bedeutung. Bei der präskriptiven Verwendungsweise ist der Vergleichsmaßstab selbst ein normativer; präskriptive Gleichheitsurteile werden dadurch empirischer Verifikation entzogen. So beinhaltet die Aussage „Das Recht auf Zugang zu öffentlichen Ämtern soll gleich sein“ nicht einen empirischen, nachprüfbaren Maßstab, sondern einen normativen: Die Gleichbehandlung hinsichtlich des Zugangs zu einem öffentlichen Amt in einem konkreten Anwendungsfall lässt nicht empirisch nachweisen, sondern nur im Rahmen einer wertenden Betrachtung aller relevanten Umstände. Bei der weitergehenden Frage, ob in einem Staat der „gleiche“ Zugang zu einem öffentlichen Amt gewährleistet werde, können neben rechtlichen Bedingungen durchaus auch positive Verpflichtungen des Staates eine Rolle spielen, wie z.B. die Pflicht zur Gewährleistung einer allgemeinen Schulbildung oder Maßnahmen zur Gleichstellung von Minderheiten. Die dritte Konkretisierung des vorrechtlichen Gleichheitsbegriffs be81 Sen (Fn. 80), p. 350. Die Gefahr des ethischen Relativismus und die damit einhergehende Verstetigung unterdrückender Institutionen und Praktiken in nicht-demokratischen Gesellschaften sind aber nach hier vertretener Auffassung auch mit einem grenzüberschreitenden öffentlichen Vernunftgebrauch nicht zufriedenstellend zu beseitigen.
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trifft die Maßstäbe der Gleichheit und damit den Übergang des präskriptiven zum hier sog. praktischen Gleichheitsbegriff. Nur wenn klar ist, im Hinblick worauf Personen gleich- bzw. ungleich zu behandeln sind, kann Gleichheit „praktisch“ werden, d.h. Wirksamkeit in Handlungszusammenhängen erlangen. Als Grundlagenbegriff setzt der praktische Gleichheitsbegriff diese Verbindung von Gleichheitsurteil und normativem Maßstab voraus. Der praktische Gleichheitsbegriff selbst gibt die normativen Maßstäbe – also etwa Rechte, Chancen, Fähigkeiten – nicht vor, sondern setzt diese als existent voraus. Zusammengefasst ist der vorrechtliche, praktische Gleichheitsbegriff strukturell gekennzeichnet durch eine dreistellige Relation, die präskriptive Verwendungsweise aufgrund eines normativen Maßstabs und das „normative Mehr“, das sich aus dieser Verbindung ergibt. Je nach normativem Maßstab führt die praktische Gleichheit zu unterschiedlichen philosophischen Konzeptionen der Gleichheit, z.B. der der Konzeption der Grundfreiheiten-, Ressourcen- oder Fähigkeitsgleichheit. Diese Konzeptionen sind Gegenstand der Egalitarismusdebatte in der Philosophie und geben eine Antwort auf die Frage, im Hinblick worauf Gleichheit bestehen soll („equality of what?“).
2. Teil Recht der menschenrechtlichen Gleichheit I. Grundprobleme des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts Der Zugang zum konventionsrechtlichen Gleichheitsrecht, wie es in Art. 14 EMRK und Art. 1 ZP 12 Ausdruck findet, erschließt sich leichter, wenn man die dort gewählte Regelungstechnik als eine von mehreren Möglichkeiten betrachtet, das menschenrechtliche Gleichheitsproblem rechtlich zu erfassen.82 Andere regionale und internationale Menschenrechtsinstrumente regeln das rechtliche Gleichheitsproblem auf andere Weise. Dennoch gehören das Diskriminierungsverbot in Art. 14 EMRK und der allgemeine Gleichheitssatz in Art. 3 AfrCh zu einer „Familie“ von Gleichheitsrechtsnormen. Es ist für ein Verständnis des völkerrechtlichen Gleichheitsrechts hilfreich, die „Familienähnlichkeiten“ der verschiedenen Ausprägungen des Gleichheitsrechts aufzuzeigen und deren „normativen Fluchtpunkt“ offenzulegen.
A. Der Begriff des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts Der Begriff des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts bezieht sich auf eine bestimmte Klasse oder Familie von Normen, die das menschenrechtliche Gleichheitsproblem als solches, d.h. unmittelbar,83 zum Gegenstand haben. Unter dem Begriff des Gleichheitsrechts lassen sich verschiedene Normen versammeln. Dazu gehören Rechtssätze wie „Alle Menschen sind 82
Vgl. Torkel Opsahl, Equality and Non-Discrimination, in: ders., Law and Equality, Selected Articles on Human Rights, Oslo 1996, p. 165, 173: “NonDiscrimination as One among Several Approaches in the Search for Equality.” 83
Das Gleichheitsrecht ist abzugrenzen von menschenrechtlichen Normen, die das Gleichheitsproblem mittelbar zum Gegenstand haben, etwa einige Rechte im Zusammenhang mit dem Arbeitsrecht (z.B. das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit). T. Altwicker, Menschenrechtlicher Gleichheitsschutz, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 223, DOI 10.1007/978-3-642-18200-6_3, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011. All Rights Reserved.
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2. Teil
vor dem Gesetz gleich“ (Art. 24 AMRK), „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz“ (Art. 7 AEMR) oder „Jedem Staatsbürger müssen das Recht und die Möglichkeit eingeräumt werden, unter allgemeinen Bedingungen der Gleichberechtigung in den öffentlichen Dienst seines Staates zu treten“ (Art. 23 AMRK). Diese völkerrechtlichen Verbürgungen stellen gleichheitsrechtliche Menschenrechte84 dar. Der Verweis auf das Individuum ist nicht selbstverständlich, da der Begriff der Gleichheit im Völkerrecht zunächst allein in Bezug auf Staaten gebraucht wurde. Der Grundsatz der Staatengleichheit ist – gleichursprünglich mit dem der staatlichen Souveränität – ein Element des Völkerrechts mit konstitutionellem Charakter85; diese erste völkerrechtliche Erscheinungsweise des Gleichheitsbegriffs trägt aber zur Klärung des hier verhandelten, menschenrechtlichen Problems nichts bei. Die menschenrechtliche Gleichheit geriet erst spät – nach dem Zweiten Weltkrieg – in den Blick des Völkerrechts.86 Eine Voraussetzung hierfür war, dass Individuen als Träger von Rechten und Pflichten durch das Völkerrecht anerkannt wurden; in diesem Sinne kann man heute insbesondere im Hinblick auf die Entwicklungen im regionalen und universellen Menschenrechtsschutz seit 1945 und dem Völkerstrafrecht von einer „partiellen Völkerrechtssubjektivität“ des Individuums spre-
84
Im Einklang mit der völkerrechtlichen Terminologie – und in teilweiser Abweichung zum Sprachgebrauch im nationalen Recht – wird nachfolgend der Begriff der „Menschenrechte“ und nicht der der „Grundrechte“ verwendet, vgl. zu diesem terminologischen Problem Klaus Stern, Die Idee der Menschen- und Grundrechte, in: Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Heidelberg 2004, S. 3, 26 f., Rn. 46 ff. 85
Vgl. Peter Häberle, Neue Horizonte und Herausforderungen des Konstitutionalismus, EuGRZ 33 (2006), S. 533, 537; Ian Brownlie, Principles of Public International Law, 7th ed., Oxford 2008, p. 289. 86 Interessanterweise werden in der Charta der Vereinten Nationen vom 26.06.1945 die staatenrechtliche und die menschenrechtliche Gleichheit zusammen aufgeführt, indem von der „Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen“ in der Präambel die Rede ist, United Nations Conference on International Organization Documents, Vol. XV (1945), pp. 335 ff., UNTS Vol. 557, p. 143; 638, p. 308; 892, p. 119; BGBl. 1973 II, S. 431; 1974 II, S. 770; 1980 II, S. 1252. Vgl. dazu Hilary Charlesworth, Concepts of Equality in International Law, in: Grant Huscroft/Paul Rishworth (eds.), Litigating Rights: Perspectives from Domestic and International Law, Oxford 2002, p. 137.
Recht der menschenrechtlichen Gleichheit
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chen.87 Wenn hier von „Gleichheitsrecht“ die Rede ist, so wird damit allein die menschenrechtliche, nicht aber die staatenbezogene Gleichheitsproblematik angesprochen. Der Begriff des „Gleichheitsrechts“ ist ein Theoriebegriff, d.h. er wird so von den einschlägigen völkerrechtlichen Abkommen nicht verwendet. Gleichwohl ist er wie kein anderer geeignet, als Oberbegriff für die Erfassung und Systematisierung der Rechtsfiguren, die das menschenrechtliche Gleichheitsproblem zum Gegenstand haben, zu dienen.88 Bisweilen werden die relevanten Probleme unter alternativen Begriffen wie zum Beispiel dem des „Gleichbehandlungsrechts“89 oder – vorwiegend im anglo-amerikanischen Sprachraum – dem des „Anti-Diskriminierungsrechts“90 diskutiert. Der Begriff des Gleichheitsrechts ist als der abstraktere und umfassendere jedoch zum einen besser in der Lage, die verschiedenen Aspekte der objektivrechtlichen und der subjektivrechtlichen Dimension dieses Rechts zu erfassen. Zum Gleichheitsrecht gehören nicht nur subjektivrechtliche Normen, sondern auch solche, die lediglich Prinzipiencharakter haben, wie etwa Art. 7 S. 1 AEMR.91 Unter dem Oberbegriff des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts lassen sich die objektiv- und die subjektivrechtliche Dimension gleichheitsrechtlicher Normen unterscheiden. Ebenso wichtig wie diese Differenzierung der Menschenrechtsdimensionen ist, dass dieser Oberbegriff die Unterscheidung zweier gleichheitsrechtlicher Modelle erlaubt, die sich beide im gegenwärtigen völker-
87
Vgl. nur Stephan Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 9. Aufl., Stuttgart 2008, S. 166 ff. 88
Den Begriff des „Gleichheitsrechts“ verwenden etwa auch Alexander Somek, Rationalität und Diskriminierung, Zur Bindung der Gesetzgebung an das Gleichheitsrecht, Wien/New York 2001 und Alexy (Fn. 15), S. 357 ff. 89
Vgl. z.B. Beate Rudolf/Matthias Mahlmann (Hrsg.), Gleichbehandlungsrecht, Handbuch, Baden-Baden 2007. 90
Vgl. z.B. Christopher McCrudden (ed.), Anti-Discrimination Law, Aldershot [et al.], 2004. 91
Art. 7 AEMR: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. Alle haben Anspruch auf gleichen Schutz gegen jede Diskriminierung, die gegen diese Erklärung verstößt, und gegen jede Aufhetzung zu einer derartigen Diskriminierung (Universal Declaration of Human Rights, G.A. Res. 217A (III), UN. Doc A/810 at 71 [1948]).
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2. Teil
rechtlichen Menschenrechtsschutz finden: Das erste Modell kann als das des allgemeinen Gleichheitsrechts bezeichnet werden, in dessen Zentrum ein allgemeiner Gleichheitssatz steht, der gegebenenfalls noch um weitere, partikulare gleichheitsrechtliche Verbürgungen ergänzt wird.92 Diese Regelungstechnik wählt der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR), der in Art. 26 IPbpR einen allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz enthält, der ergänzt wird durch besondere Gleichheitsrechte in Art. 24 IPbpR (Verbot der Diskriminierung von Kindern) und Art. 25 lit. c) IPbpR (Wahlrechtsgleichheit). Das zweite Modell ist die Ausgestaltung des Gleichheitsrechts als „Nichtdiskriminierungsrecht“. In diesem Modell steht ein Diskriminierungsverbot im Vordergrund, zu dem bisweilen weitere gleichheitsrechtliche Normen hinzutreten. Diese Regelungstechnik liegt der EMRK zugrunde. Die Konvention enthält in Art. 14 bzw. Art. 1 ZP 12 EMRK ein Diskriminierungsverbot, das u.a. durch Art. 5 ZP 7 EMRK (Gleichberechtigung der Ehegatten) ergänzt wird. Beide Modelle der Ausgestaltung des völkerrechtlichen Gleichheitsrechts werden in dieser Arbeit vorgestellt, da es sich um verschiedene Ansätze des Völkerrechts handelt, das Problem der menschenrechtlichen Gleichheit zu regeln.93 Neben seiner Eignung als Oberbegriff für eine objektiv- und eine subjektivrechtliche Menschenrechtsdimension und der Ermöglichung der Ausdifferenzierung zweier Regelungsmodelle spricht noch ein weiterer Grund für die Wahl des Begriffs des Gleichheitsrechts: Hervorzuheben ist seine Entwicklungsoffenheit, die beispielsweise die Frage erlaubt, inwiefern die Rechtsprechung des EGMR das Diskriminierungsverbot einem allgemeinen Gleichheitssatz angenähert hat bzw. worin die Unterschiede zwischen diesen beiden Ausprägungen des Gleichheitsrechts überhaupt bestehen. So sind es die Charakteristika der hinreichenden Abstraktheit, der Ausdifferenzierbarkeit und der Entwicklungsoffenheit, die eine Verwendung des Begriffs des Gleichheitsrechts nahelegen. 92 Zu einer anderen Einteilung vgl. Aaron Xavier Fellmeth, Human Rights − Nondiscrimination as a Universal Human Right, YJIL 34 (2009), p. 588, 589 ff.: Fellmeth unterscheidet drei Ansätze der Nichtdiskriminierung, den „protected class“-Ansatz (etwa Sec. 15 der Kanadischen Charta der Rechte und Freiheiten; gesetzliche Diskriminierungsverbote im U.S. Recht), den „Article 14 ECHR“Ansatz (einer nicht-abschließenden Nennung „verdächtiger“ Differenzierungsgründe) sowie den „Universal Equal Rights“-Ansatz (z.B. Art. 26 IPbpR). 93
Es ist wichtig, nachfolgend stets zu unterscheiden zwischen dem allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz und dem Diskriminierungsverbot.
Recht der menschenrechtlichen Gleichheit
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B. Tendenzen zur Einheitlichkeit und Möglichkeit einer „allgemeinen Dogmatik“ des Gleichheitsrechts Allem Streit um Anwendungsfragen des Gleichheitsrechts zum Trotz bestehen hinsichtlich seiner Dogmatik94 vielfache Übereinstimmungen im nationalen und im internationalen Recht. Mehr als bei anderen Grundrechten kann man daher von einer Tendenz zur Einheitlichkeit des Gleichheitsrechts sprechen.95 Die Tendenz zur Einheitlichkeit lässt sich wie folgt begründen: Die Einheitlichkeit spiegelt sich zunächst bereits im Wortlaut der betreffenden gleichheitsrechtlichen Normen wider. In gleichheitsrechtlichen Normen wiederholen sich Formulierungen wie die der „Gleichheit vor dem Gesetz“, der Gewährung bestimmter Rechte „ohne Diskriminierung“ oder „ohne Unterschied“ hinsichtlich einer Reihe personenbezogener Differenzierungsgründe. Die Ähnlichkeit der Normtexte ist zwar für sich genommen noch keine Begründung für die Einheitlichkeitstendenz in der Dogmatik, da in Abhängigkeit von der jeweiligen Auslegung der Rechtsbegriffe einer Norm sich auch die Dogmatik verschieden gestalten lässt. Allerdings besteht im Fall der „Gleichbehandlung“ und auch der „Nichtdiskriminierung“ die Besonderheit, dass bereits semantisch eine Grundstruktur vorgegeben ist, die in jeder dogmatischen Erfassung des Gleichheitsrechts Berücksichtigung findet: Stets geht es um die Herstellung einer Relation zwischen verschiedenen Personen oder Sachen durch ein Gleichheitsurteil, wie auch bereits die Analyse des vorrechtlichen Gleichheitsbegriffs nahelegt.96 In dogmatischen Kategorien wird diese Grundstruktur insbesondere durch den Prüfungspunkt der Vergleichbarkeit der Sachverhalte ausgedrückt. Die Vergleichbarkeit der Sachverhalte wird, allerdings nicht unbestritten, in vielen Rechtsordnungen
94
Unter „Dogmatik“ soll hier die spezifisch rechtliche Erfassung einer sozialen Praxis in normativ entwickelten Lehrsätzen verstanden werden. Zu diesem Verständnis von „Dogmatik“ vgl. Eberhard Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl., Berlin [u.a.] 2004, S. 3. 95
Vgl. auch Opsahl (Fn. 82), p. 192 über das Recht auf Gleichheit im modernen Menschenrechtsschutz: “(...) many similarities in problems and arguments seem to arise even where texts show significant differences. Thus, the findings of the Constitutional Court of Spain concerning ‘equality before the law’ seem to be similar to those elsewhere concerning ‘equal protection of the laws’ (...).” 96
Dazu s. oben S. 8. Vgl. auch Heun (Fn. 16), Art. 3 GG, Rn. 18; Huster (Fn. 15), S. 855.
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2. Teil
und auch im völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz als Voraussetzung für eine gleichheitsrechtliche Prüfung angesehen.97 Nicht nur auf semantischer Ebene, sondern auch auf einer basalen, normativ-prinzipiellen Ebene des Gleichheitsrechts herrscht Einigkeit. So wird zu Recht gesagt, dass allen Normen des Gleichheitsrechts dasselbe Prinzip zugrunde liege, demgemäß „Gleiches gleich, Ungleiches ungleich“ zu behandeln sei.98 Dieses Prinzip der präskriptiven Gleichheit ist – wie weiter unten zu zeigen ist – zwar ein formales, aber doch kein inhaltsleeres. In diesem Sinne zeigt sich die Einheitlichkeit des Gleichheitsrechts an den Implikationen des Rechtsprinzips der formalen Gleichbehandlung, nämlich der Forderung nach objektiver Konsistenz des Entscheidens und der Allgemeinheit der Norm, der Unparteilichkeit der Normanwendung, der Neutralität der Normsetzung und der Forderung nach Begründbarkeit.99 Die Tendenz zur Einheitlichkeit des Gleichheitsrechts gibt Veranlassung dazu, über die Möglichkeit einer „allgemeinen Dogmatik“ (Uwe Kischel) nachzudenken.100 Eine solche allgemeine Dogmatik könnte im Wege eines Imports von Rechtsfiguren und dogmatischen Strukturen bei bislang dogmatisch unterentwickelten gleichheitsrechtlichen Normen des Völkerrechts einen wichtigen Beitrag leisten. Nachfolgend wird diese Möglichkeit am Beispiel des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes des Art. 26 IPbpR ausgelotet: Angesichts der zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch wenig ausdifferenzierten Dogmatik des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes unter dem IPbpR ist ein rechtsvergleichender Ansatz notwendig, der Rechtsentwicklungen verschiedener gleichheitsrechtlicher Normen des Völkerrechts und der 97
Zum Vergleichbarkeitstest im Rahmen des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes s. S. 67 ff., zum Vergleichbarkeitstest unter dem Diskriminierungsverbot der EMRK s. S. 165 ff. Zum Vergleichbarkeitstest bei anderen gleichheitsrechtlichen Normen: Zu Art. 3 Abs. 1 GG vgl. Heun (Fn. 16), Art. 3 GG, Rn. 23 f.; zu s. 15 (1) Canadian Charter of Rights and Freedoms vgl. William Black/Lynn Smith, The Equality Rights, in: Gérald-A. Beaudoin/Errol P. Mendes (eds.), Canadian Charter of Rights and Freedoms, 4th ed., Markham 2005, pp. 927, 937 f.; zu Art. 20 GRCh vgl. Michael Sachs, in: Kölner Gemeinschaftskommentar zur Europäischen Grundrechte-Charta, hrsg. v. Peter Tettinger/Klaus Stern, München 2006, Art. 20 GRCh, Rn. 22. 98
Vgl. BVerfGE 1, 14, 52; Uwe Kischel, Zur Dogmatik des Gleichheitssatzes in der Europäischen Union, EuGRZ 24 (1997), S. 1, 4. Dazu s. unten S. 415. 99 100
Dazu s. näher unten S. 414 ff. Vgl. Kischel (Fn. 98), S. 11.
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nationalen Verfassungsrechtsordnungen aufnimmt und diese auf deren Verallgemeinerbarkeit und Verwendbarkeit für das Gleichheitsproblem unter dem IPbpR hin überprüft. Die durch eine solche Rechtsvergleichung zu gewinnende allgemeine Dogmatik des völkerrechtlichen Gleichheitssatzes trägt zur Herstellung und Gewährleistung von dogmatischer Konsistenz und Fortschritt bei. Nachfolgend sollen erste Elemente einer solchen allgemeinen Dogmatik des völkerrechtlichen Gleichheitssatzes dargestellt werden.
C. Das Prinzip der Rechtsgleichheit als „Fluchtpunkt“ des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts 1. Begriff und Bedeutung des Prinzips der Rechtsgleichheit im Völkerrecht Bevor auf den allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz eingegangen wird, kann man sich die Frage nach dem „Fluchtpunkt“ des Gleichheitsrechts überhaupt stellen, aus dem die weiteren Ausprägungen – der allgemeine Gleichheitssatz sowie die Diskriminierungsverbote – hervorgehen und auf den sie bezogen bleiben. Dieser Anfang oder Ursprung des völkerrechtlichen Gleichheitsrechts überhaupt wird hier in dem „Prinzip der Rechtsgleichheit“ erblickt. Das Prinzip der Rechtsgleichheit ist die grundlegendste Ausprägung des Gleichheitsrechts im Völkerrecht.101 Wiewohl an einigen Stellen in dieser Arbeit auf den Begriff des Rechtsprinzips zurückgegriffen wird, erscheint eine grundsätzliche Erörterung des Prinzipienbegriffs im Recht entbehrlich, da lediglich auf das begriffliche Minimalverständnis zurückgegriffen wird: Ein Rechtsprinzip ist, wie im Anschluss an Ausführungen von Martti Koskenniemi und Armin von Bogdandy formuliert werden kann, eine allgemeine, bedeutsame Regel, deren Funktion es ist, gewisse Handlungen unter dem binären Code recht/unrecht zu bewerten im Lichte von übergeordneten Werten.102 Es handelt sich um Rechtssätze, die „von abstrakterer Natur 101 Zum Prinzip der Rechtsgleichheit vgl. auch Warwick McKean, Equality and Discrimination under International Law, Oxford 1985, pp. 264-270. 102
Martti Koskenniemi, General Principles: Reflexions on Constructivist Thinking in International Law, in: id. (ed.), Sources of International Law, Aldershot [et al.] 2000, p. 359, 368; Armin von Bogdandy, General Principles of International Public Authority: Sketching a Research Field, GLJ 9 (2008), p.
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2. Teil
sind und als Leitentscheidungen für die Gewinnung, Anwendung und Fortentwicklung von Rechtsregeln dienen.“103 Das Prinzip der Rechtsgleichheit, so wie es hier verstanden wird, umfasst alle drei Aspekte des menschenrechtlichen Gleichheitsgedankens: Rechtsanwendungsgleichheit (Gleichheit vor dem Gesetz), Rechtsetzungsgleichheit (Gleichheit durch das Gesetz) und das – engere – Prinzip der Nichtdiskriminierung, d.h. der (relativen) Schlechterbehandlung aufgrund eines personenbezogenen Differenzierungsgrundes. Das Prinzip der Rechtsgleichheit bildet nach hier vertretener Auffassung den „normativen Fluchtpunkt“ aller Ausprägungen des Gleichheitsrechts. Damit ist gemeint, dass sich alle weiteren Ausprägungen des Gleichheitsrechts, sei es der allgemeine völkerrechtliche Gleichheitssatz, das Diskriminierungsverbot oder sonstige Normen des besonderen Gleichheitsrechts, von diesem Prinzip herleiten und auf dieses beziehen.104 Das Prinzip der Rechtsgleichheit selbst, sofern es überhaupt in Rechtstexten Erwähnung findet, ist nicht in allen völkerrechtlichen Dokumenten voll entfaltet; tritt es beispielsweise als Prinzip der Nichtdiskriminierung auf, ist darin nicht etwa notwendig auch das Prinzip der Gleichheit durch das Gesetz enthalten. Eine Formulierung des Prinzips der Rechtsgleichheit findet sich in Art. 7 S. 1 AEMR: “All are equal before the law and are entitled without any discrimination to equal protection of the law.” Neben dieser allgemeinen Formulierung findet sich das Prinzip der Rechtsgleichheit je nach Kontext in völkerrechtlichen Dokumenten in anderen Formulierungen bzw. als Teilgewährleistung (Teilprinzip). Das Prinzip der Rechtsgleichheit tritt insbesondere auf als „principle[...] of [...] equality inherent in all human beings“,105 „principle of equality of rights“,106 „principle of
1909, 1910. Es ist angebracht, darauf hinzuweisen, dass diese Arbeit den Begriff des „(Rechts-)Prinzips“ gerade nicht in dem Sinne Ronald Dworkins oder Robert Alexys gebraucht; zur letzteren Verwendungsweise vgl. Alexy (Fn. 15), S. 71 ff. Zum Begriff des Rechtsprinzips s. auch unten S. 411. 103
Karl Zemanek, The Basic Principles of UN Charter Law, in: Ronald St. John Macdonald/Douglas M. Johnston (eds.), Towards World Constitutionalism, Issues in the Legal Ordering of the World Community, Leiden 2005, p. 401, 402. 104
Näher zu den Funktionen des Prinzips der Rechtsgleichheit s. unten S. 42
ff. 105
International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination (CERD), 21.12.1965, Preamble, G.A. Res. 2106 (XX), Annex, 20
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equality of rights for men and women“,107 „principle of non-discrimination“,108 „principle of equality of treatment“109 und als „principle of equality before the law“110. In der Verschiedenheit seiner Erscheinungsformen weist das Prinzip der Rechtsgleichheit jedoch zwei Kerngehalte auf: Das Prinzip der Rechtsgleichheit verlangt erstens, dass grundsätzlich jeder Person die gleichen Rechte zustehen (Gebot der Rechtegleichheit), und zweitens, dass „Menschen nicht wegen ihrer Rasse oder ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer Religion, ihrer sozialen Herkunft etc. benachteiligt, sondern ungeachtet dieser Merkmale gleich wie die anderen behandelt werden sollen“ (Gebot der Gleichbehandlung).111 Beide Inhalte verweisen aufeinander, indem einerseits die Rechtegleichheit der Gleichbehandlung vorausliegt, andererseits die formale Rechtegleichheit ohne ein Gebot der Gleichbehandlung „leer“, d.h. ohne praktische Bedeutung wäre: Dass allen ein Recht auf Religionsfreiheit gewährt wird, führt nicht zwangsläufig dazu, dass niemand wegen seiner Religion schlechter behandelt wird. Daher muss das Prinzip der Rechtsgleichheit beide Gehalte, Rechtegleichheit und Gleichbehandlung, umfassen. Der erstgenannte Aspekt der Rechtegleichheit ist heute so selbstverständlich, dass er selten als eigenständiges Element des Prinzips der
U.N. GAOR Supp. (No. 14) at 47, UN Doc. A/6014 (1966), 660 U.N.T.S. 195; BGBl. 1969 II, S. 962. 106
Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women (CEDAW), 18.12.1979, Preamble, 19 G.A. Res. 34/180, 34th Sess, Supp No 46, UN Doc A/RES/34/46 (1980), UNTS Vol. 1249, S. 13; BGBl. 1985 II, S. 648. 107
Convention on the Political Rights of Women, 31.03.1953, Preamble, 193 U.N.T.S. 135; BGBl. 1969 II, S. 1930. 108
Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women (Fn. 106), Preamble. 109
Art. 25 (2) International Convention on Protection of Rights of Migrant Workers, 18.12.1990, G.A. Res. 45/158, Annex, 45 U.N. GAOR Supp. (No. 49A) at 262, UN Doc. A/45/49 (1990), 30 ILM 1521 (1991). 110
ZP 12 EMRK, 04.11.2000 (in Kraft seit 01.04.2005), Präambel, ETS Nr.
177. 111
Walter Kälin/Jörg Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, Basel [u.a.] 2006, S. 345 f. [Hervorhebung im Original, Verf.].
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2. Teil
Rechtsgleichheit Erwähnung findet.112 Sichtbar wird die Rechtegleichheit unter anderem darin, dass – bis auf wenige Ausnahmen – die Rechte der beiden bedeutendsten Pakte des universellen Menschenrechtsschutzes (IPbpR, IPwskR) sog. Jedermannrechte darstellen.113 Während sich die Rechtegleichheit relativ einfach durch die Analyse des Rechtstextes feststellen lässt, verhält es sich ungleich schwieriger mit dem zweiten Teil des Prinzips der Rechtegleichheit. Wie ist zu prüfen, ob dem Gebot der Gleichbehandlung als Ausfluss des Prinzips der Rechtsgleichheit Genüge getan wird? Das Prinzip der Rechtegleichheit gibt keine Antwort auf die Frage, in welcher Hinsicht die Menschen gleich zu behandeln sind, d.h. ob sie zum Beispiel in ihrer Eigenschaft als Frauen, als Arbeitnehmer, als Familienangehörige etc. gleich bzw. ungleich zu behandeln sind. Wiewohl sich das abstrakte Prinzip der Rechtsgleichheit durch seine nachfolgend zu klärenden subjektivrechtlichen Ausprägungen ein Stück weit konkretisieren lässt, bleibt die Frage nach den Kriterien der Gleich- und Ungleichbehandlung letztlich eine Wertungsfrage, die im politisch-sozialen Prozess auf staatlicher, regionaler und in Ansätzen auch auf völkerrechtlicher Ebene stets neu verhandelt wird.114 Das Prinzip der Rechtsgleichheit ist – neben oder in Verbindung mit dem Prinzip der Menschenwürde – ein Konstitutionsprinzip des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes überhaupt.115 Seiner fundamen112 Vgl. aber Manfred Nowak, U.N. Covenant on Civil and Political Rights, CCPR Commentary, 2nd rev. ed., Kehl 2005, Art. 26 IPbpR, par. 1, der in diesem Zusammenhang auf Cicero und Kant verweist. 113
Für den IPbpR vgl. Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, par. 6.
114
Ähnlich auch Kälin/Künzli (Fn. 111), S. 347 f.; für das deutsche Verfassungsrecht vgl. Alexy (Fn. 15), S. 385 f. Zur Konkretisierungsbedürftigkeit des Gleichheitsbegriffs s. allgemein S. 7 ff. 115
Dies legt die Erwähnung des Prinzips der Rechtsgleichheit an prominenter Stelle zu Beginn vieler Menschenrechtsdokumente nahe, vgl. nur die Präambel der AEMR und die Präambel des IPbpR; ähnlich auch Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, par. 1: “Along with liberty, equality is the most important principle imbuing and inspiring concept of human rights.” Vgl. auch Christian Tomuschat, Equality and Non-Discrimination under the International Covenant on Civil and Political Rights, in: Staatsrecht, Völkerrecht, Europarecht, Festschrift für Hans-Jürgen Schlochauer, hrsg. v. Ingo v. Münch, Berlin/New York 1981, p. 691, 693: “Equality and non-discrimination are two basic principles whose paramount importance for the entire human rights situation in a given country can hardly be overrated. If they are effectively enforced, many other injustices are ruled out at the same time.”
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talen Bedeutung entsprechend wird es in internationalen Menschenrechtsdokumenten häufig zu Beginn der Präambel erwähnt. Das Prinzip der Rechtsgleichheit wird dort angesprochen als „basic principle[...]“116 oder als eine „foundation of freedom, justice and peace in the world“117.
2. Rechtsquelle und normativer Status des Prinzips der Rechtsgleichheit im Völkerrecht Für das Prinzip der Rechtsgleichheit kommen drei völkerrechtliche Rechtsquellen in Betracht: Von einigen Autoren wird mit guten Gründen vertreten, dass es sich bei dem Prinzip der Rechtsgleichheit um Völkergewohnheitsrecht118 im Sinne von Art. 38 Abs. 1 b) des IGHStatuts handelt.119 Die wiederholte Erwähnung des Prinzips der Rechtsgleichheit in vielen Dokumenten des Menschenrechtsschutzes der UNGeneralversammlung legt eine allgemeine Staatenpraxis bezüglich des Prinzips nahe.120 Lehnt man den Status als Völkergewohnheitsrecht für das Prinzip der Rechtsgleichheit ab, so ist zu überlegen, ob dieses Prinzip einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Völkerrechts darstellt. Das IGH-Statut bezeichnet „die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze“ in Art. 38 Abs. 1 c) als eine Rechtsquelle des Völkerrechts. Diese ergänzende Rechtsquelle beinhaltet die Prinzipien, die
116 Declaration on the Elimination of All Forms of Intolerance and of Discrimination Based on Religion and Belief, Preamble, G.A. Res. 36/55, U.N. GAOR, 36th Sess., Supp. No. 15, UN Doc. A/36/684 (1981). 117
Universal Declaration of Human Rights, Preamble, G.A. Res. 217A (III), UN Doc A/810 at 71 (1948). 118
Zum Völkergewohnheitsrecht vgl. allgemein Rudolf Bernhardt, Customary International Law, in: id. (ed.), Encyclopedia of Public International Law, Vol. 1, Amsterdam [et al.] 1992, pp. 898-905; Brownlie (Fn. 85), pp. 6-12; Christian Tomuschat, International Law: Ensuring the Survival of Mankind on the Eve of A New Century, Recueil des Cours, Collected Courses of the Hague Academy of International Law 1999, Vol. 281, The Hague 2001, pp. 324-334. 119 Vgl. zu dieser Frage ausführlich McKean (Fn. 101), pp. 271-277; vgl. dort auch den Verweis auf Sir Humphrey Waldock, Human Rights in Contemporary International Law and the Significance of the European Convention, ICLQ supp. no. 11 (1965), p. 1, 15. 120
Ebenso McKean (Fn. 101), p. 273.
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den Rechtsordnungen der meisten Staaten bekannt sind.121 In dieser Richtung lässt sich etwa eine abweichende Meinung von Richter Tanaka im IGH-Fall South West Africa verstehen.122 Diese Ansicht stände in Einklang mit einer in der Literatur befürworteten grundsätzlichen Stärkung der allgemeinen Rechtsgrundsätze als Rechtsquelle im Bereich des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes.123 Da das Prinzip der Rechtsgleichheit von nahezu allen nationalen Rechtsordnungen anerkannt wird, erscheint die Einordnung als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Völkerrechts vertretbar.124 Als eine der neusten Entwicklungen im Rahmen des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes werden allgemeine Prinzipien nunmehr auch im operativen Teil der Konventionen genannt, so dass das Prinzip der Rechtsgleichheit in bestimmten Kontexten auch auf Art. 38 Abs. 1 a) IGH-Statut gestützt werden kann. Zum Beispiel werden etwa in der Konvention der Rechte von Menschen mit Behinderungen in Art. 3 unter den „Allgemeinen Prinzipien“ auch die Prinzipien der Nichtdiskriminierung, der Chancengleichheit und der Gleichheit von Männern und Frauen genannt.125 Die Art der Rechtsquelle, auf die das Prinzip der Rechtsgleichheit im Völkerrecht gestützt wird, ist letztlich nicht entscheidend. In formaler Hinsicht schon deswegen nicht, da sich vertreten lässt, dass die Rechtsquellen des Gewohnheitsrechts und der allgemeinen Rechtsgrundsätze 121
Matthias Herdegen, Völkerrecht, 8. Aufl., München 2009, § 17, S. 143, Rn. 1; Hobe (Fn. 87), S. 196 ff. 122
Vgl. die abweichende Meinung des Richters Tanaka im Fall des IGH, South West Africa, Second Phase, Judgment, I.C.J. Reports 1966, p. 6, pp. 294300; vgl. dazu wiederum McKean (Fn. 101), p. 277. Zur Rechtsquelle der „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ vgl. grundsätzlich Brownlie (Fn. 85), pp. 16-18; Tomuschat (Fn. 118), pp. 335-340; Michael Akehurst, Equity and general principles of law, ICLQ 25 (1976), pp. 801-825; Arnold McNair, The general principles of law recognized by civilized nations, BYIL 33 (1957), p. 1 ff. 123 Tomuschat (Fn. 118), p. 337: “(...) [O]ne may assume that in the future general principles of law will play a major role specifically in the field of protection of human rights.” 124
So auch die abweichende Meinung des Richters Tanaka im South West Africa-Fall (Fn. 122), p. 299. 125
International Convention on the Protection and Promotion of the Rights and Dignity of Persons with Disabilities (CRPD), 13.12.2006, G.A. Res. 61/106, Annex I, U.N. GAOR, 61st Sess., Supp. No. 49, at 65, UN Doc. A/61/49 (2006).
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sich überschneiden können.126 Wegen seines hohen Abstraktheitsgrades und der Möglichkeit, einen weithin geteilten Kerninhalt des Prinzips der Rechtsgleichheit im Völkerrecht anzugeben, spielt die Art der Rechtsquelle auch in inhaltlicher Hinsicht eine untergeordnete Bedeutung. Bedeutsamer erscheint die Frage nach dem normativen Status127 des völkerrechtlichen Prinzips der Rechtsgleichheit: Handelt es sich bei dem Prinzip der Rechtsgleichheit um eine gewöhnliche Norm des dispositiven Völkerrechts oder kommt ihm der höhere Status von zwingendem Völkerrecht (ius cogens)128 zu? Hier ist eine Differenzierung zwischen dem allgemeinen Prinzip der Rechtsgleichheit mit seinen zwei oben skizzierten Kerninhalten einerseits und den Teilprinzipien andererseits ratsam. In den Artikeln 53 und 64 WVK wird die Figur des ius cogens anerkannt. Art. 53 WVK lautet: „Ein Vertrag ist nichtig, wenn er im Zeitpunkt seines Abschlusses im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts steht. Im Sinne dieses Übereinkommens ist eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts eine Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann.“ 126
Vgl. Jonathan I. Charney, Universal International Law, AJIL 87 (1993), p. 529, 535: “(...) the usage of a principle found in all the principal legal systems is analogous to state practice as required for customary international law.” Vorsichtiger Tomuschat (Fn. 118), p. 334: “In (...) border areas, the different categories of legal sources easily overlap. Customary law, general principles recognized by civilized nations and general principles of international law form an intricate network of principles and rules the substance of which is identical while their legal validity is derived from different basic concepts.” 127
Zur grundlegenden Frage nach der relativen Normativität völkerrechtlicher Normen vgl. immer noch Prosper Weil, Towards Relative Normativity in International Law?, AJIL 77 (1983), p. 413 ff. Für den speziellen Kontext der relativen Normativität von Menschenrechten vgl. Theodore Meron, On a Hierarchy of International Human Rights, AJIL 80 (1986), p. 1 ff. 128
Zum ius cogens allgemein vgl. Stefan Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, Berlin 1992; ders., Jus Cogens, Obligations Erga Omnes and other Rules – The Identification of Fundamental Norms, in: Christian Tomuschat/Jean-Marc Thouvenin (eds.), The Fundamental Rules of the International Legal Order, Leiden [et al.] 2006, pp. 21-40; Andrea Bianchi, Human Rights and the Magic of Jus Cogens, EJIL 19 (2008), p. 491 ff.
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Mit guten Gründen lässt sich vertreten, dass das Prinzip der Rechtsgleichheit, das ein Minimalverständnis von menschenrechtlicher Gleichheit zum Ausdruck bringt und von nahezu allen Rechtsordnungen anerkannt wird, ein tauglicher Kandidat für ius cogens ist.129 Problematischer wird es jedoch, wenn man die Teilprinzipien der Rechtsgleichheit betrachtet. Nach hier vertretener Ansicht muss der ius cogens-Status für die einzelnen Teilprinzipien der Rechtsgleichheit jeweils gesondert geprüft werden. Pauschale Aussagen verbieten sich. Diese Ansicht kann sich auf die folgenden Beobachtungen stützen: Für das Prinzip der Rassendiskriminierung130 hat der IGH bereits in einem obiter dictum in seiner Entscheidung Barcelona Traction (1970) festgestellt, dass ihm erga omnes-Wirkung zukomme,131 d.h. dem Prinzip korrespondiert eine Pflicht, deren Nichterfüllung von jedem anderen Völkerrechtssubjekt unabhängig vom Bestehen eines Vertragsverhältnisses angemahnt werden kann.132 Nun kann man bekanntlich nicht aus der erga-omnes-Wirkung auf den Status einer Norm als ius cogens schließen.133 Andererseits scheint der IGH nicht besonders streng zwischen den beiden Konzepten zu unterscheiden.134 Der britische Völker129
In diesem Sinne auch McKean (Fn. 101), p. 282 f.; ähnlich auch Meron (Fn. 127), p. 16, der bezüglich des ius cogens-Status’ des allgemeinen Prinzips der Nichtdiskriminierung von einem „Konsens“ spricht, jedoch im Einklang mit der hier vertretenen Position vorsichtig ist hinsichtlich der konkreten Ausprägungen des Prinzips. 130 Diese Arbeit folgt dem EGMR hinsichtlich der Unterscheidung zwischen „Rasse“ und „ethnischer Herkunft“, vgl. EGMR, 13.05.2005, Timishev, RJD 2005-XII, § 55: “Ethnicity and race are related and overlapping concepts. Whereas the notion of race is rooted in the idea of biological classification of human beings into subspecies according to morphological features such as skin colour or facial characteristics, ethnicity has its origin in the idea of societal groups marked by common nationality, tribal affiliation, religious faith, shared language, or cultural and traditional origins and backgrounds.” 131
IGH, Barcelona Traction, Light and Power Co., ICJ Rep. 1970, 3, 32, §§ 33, 34. 132
Hobe (Fn. 87), S. 181; allgemein zur erga-omnes-Wirkung völkerrechtlicher Normen vgl. Tomuschat (Fn. 118), pp. 82-84. 133
Vgl. Bruno Simma, From Bilateralism to Community Interest in International Law? Recueil des Cours, Collected Courses of the Hague Academy of International Law 1994-VI, Vol. 250, The Hague 2001, p. 225, 300 f. Umgekehrt gilt allerdings, dass ius cogens-Normen immer erga omnes-Pflichten statuieren, vgl. Hobe (Fn. 87), S. 181 m.w.N. 134
So Simma (Fn. 133), p. 299.
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rechtler Ian Brownlie rechnet das Verbot der Rassendiskriminierung dann auch mit Recht zu der am wenigsten strittigen Klasse von Normen des ius cogens.135 Während im Fall des Verbots der Rassendiskriminierung über den normativen Status als ius cogens weitgehende Einigkeit herrscht, ist die Lage bezüglich der anderen Diskriminierungsgründe weniger klar. Für die weitere Rechtsentwicklung könnte aber insbesondere bedeutsam sein, dass sich der Inter-Amerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (IAGMR) in einem Gutachten aus dem Jahr 2003 explizit mit der Frage nach dem ius-cogens-Status des Prinzips der Rechtsgleichheit befasst hat und dies – für ein völkerrechtliches Rechtsprechungsorgan soweit ersichtlich zum ersten Mal – umfassend bejaht hat. Der Gerichtshof stützt seine Einschätzung maßgeblich auf die konstitutive Bedeutung des Prinzips für jede rechtliche Ordnung überhaupt: “(...) this Court considers that the principle of equality before the law, equal protection before the law and non-discrimination belongs to jus cogens, because the whole legal structure of national and international public order rests on it and it is a fundamental principle that permeates all laws. Nowadays, no legal act that is in conflict with this fundamental principle is acceptable, and discriminatory treatment of any person, owing to gender, race, color, language, religion or belief, political or other opinion, national, ethnic or social origin, nationality, age, economic situation, property, civil status, birth or any other status is unacceptable. (...) At the existing stage of the development of international law, the fundamental principle of equality and non-discrimination has entered the realm of jus cogens.”136 Interpretiert man diese Einschätzung des IAGMR dahin, dass auch den Teilprinzipien der Rechtsgleichheit ius cogens-Status zukommen soll, so 135
Brownlie (Fn. 85), pp. 510-511; Hobe (Fn. 87), S. 180; ebenso Richter Ammoun, sep. op., Barcelona Traction Case (Fn. 131), p. 304. 136
IAGMR, 17.03.2003, Juridical Condition and Rights of the Undocumented Migrants, Advisory Opinion OC-18/03, Ser. A No. 18 (2003). In der Literatur wurde früher vertreten, dass sämtliche oder die meisten Menschenrechte ius cogens darstellten, vgl. in dieser Richtung etwa Egon Schwelb, Some Aspects of International Jus Cogens as Formulated by the International Law Commission, AJIL 61 (1967), p. 946, 953; Alfred Verdross, Jus Dispositivum and Jus Cogens in International Law, AJIL 60 (1966), p. 55, 59: “A very important group of norms having the character of jus cogens are all rules of general international law created for a humanitarian purpose.”
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ist dies problematisch. Bei einigen der vom IAGMR genannten Diskriminierungsgründe, wie zum Beispiel dem des Alters oder dem der sozialen Herkunft, ist man in der gegenwärtigen Dogmatik der Nichtdiskriminierung von Einigkeit noch weit entfernt.137 So lässt sich für ein völkerrechtliches Prinzip des Verbots der Altersdiskriminierung wohl kaum in Anspruch nehmen, dass es sich im Sinne von Art. 53 WVK um eine „zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts“ handelt, „die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen“ wird. Es besteht die Gefahr, dass die vorschnelle, generelle Zuschreibung eines ius cogens-Status sich kontraproduktiv auswirken könnte. So ist sie nur schwer in Einklang zu bringen mit neueren Entwicklungen in der Nichtdiskriminierungsdogmatik, die von einer Hierarchie der Diskriminierungsgründe ausgeht.138 Die Überdehnung des völkerrechtlichen ius cogens birgt die Gefahr, dass diese Kategorie von Rechtsnormen so ein Stück weit entwertet wird. Im Ergebnis muss für jedes Teilprinzip der Rechtsgleichheit gesondert geprüft werden, ob ihm bereits der höherrangige Status des ius cogens eingeräumt werden kann. So wird – neben dem Verbot der Rassendiskriminierung bzw. der Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft – auch für das Prinzip der Nichtdiskriminierung aufgrund des Geschlechts mittlerweile der ius cogens-Status zu bejahen sein.139 Aussichtsreich dürfte zukünftig auch die Nichtdiskriminierung aufgrund der nichtehelichen Geburt und der Religion sein, zwei Differenzierungsgründe, die in vielen Rechtsordnungen besonders verpönt sind.140
3. Objektivrechtliche Funktionen des Prinzips der Rechtsgleichheit im Völkerrecht Das Prinzip der Rechtsgleichheit erfüllt im völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz verschiedene Funktionen, die wesentlich von seiner 137 Vorsichtig auch Meron (Fn. 127), p. 16: “Even apart from apartheid, there is little disagreement with the overall prohibition of racial discrimination, but the consensus narrows as one moves from the general principle to specific manifestations of discrimination.” 138
Dazu unten S. 201 f.
139
So auch Hilary Charlesworth/Christine Chinkin, The Gender of Jus Cogens, HRQ 15 (1993), p. 63, 70; etwas unklar Brownlie (Fn. 85), p. 574; für den ius cogens-Status auch bereits McKean (Fn. 101), p. 284. 140
Vgl. für die EMRK unten S. 197 ff.
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Rechtsnatur als Prinzip (im Unterschied zu subjektiven Rechten des Einzelnen) abhängen. Dazu gehören die Generierungs- bzw. Ausgestaltungsfunktion, die Funktion der Interpretationsanleitung und eine Orientierungsfunktion bei der Weiterentwicklung des Gleichheitsrechts. Das Prinzip der Rechtsgleichheit dient erstens der Generierung und Ausgestaltung der subjektivrechtlichen Ausprägungen des Gleichheitsrechts.141 Das Prinzip der Rechtsgleichheit bildet gewissermaßen den „normativen Fluchtpunkt“ für das subjektivrechtliche Gleichbehandlungsrecht und die Diskriminierungsverbote. Als Beispiel für diese Ausgestaltungsfunktion des Prinzips der Rechtsgleichheit lässt sich die Präambel des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) anführen, in der es u.a. heißt, dass die Diskriminierung der Frau das Prinzip der Rechtsgleichheit („principle[...] of equality of rights“) verletze.142 Von grundlegender Bedeutung ist das Prinzip der Rechtsgleichheit zweitens bei der Anwendung von Rechtsregeln. In diesem Sinne kommt dem Prinzip der Rechtsgleichheit im Völkerrecht eine interpretationsanleitende Funktion zu. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn in einem völkerrechtlichen Rechtstext ein subjektivrechtliches Gleichheitsrecht fehlt und andere Rechte im Lichte des Prinzips der Rechtsgleichheit ausgelegt werden. Eine solche Konstellation lag in den South West Africa-Fällen (1966) des IGH vor.143 Gegenstand war die von Äthiopien und Liberia erhobene Klage gegen die Republik Südafrika mit der Behauptung, Südafrika habe diverse Rechtsverletzungen in der Eigenschaft als Mandatsmacht für Südwestafrika (heute: Namibia) zu verantworten. Unter anderem wurde Südafrika vorgeworfen, es praktiziere Apartheid im Mandatsgebiet unter Verletzung von Artikel 2 des Mandats für Südwestafrika und Art. 22 der Völkerbundsatzung. Der IGH 141
So bezüglich der Diskriminierungsverbote auch Bernhard Waldmann, Das Diskriminierungsverbot von Art. 8 Abs. 2 BV als besonderer Gleichheitssatz unter besonderer Berücksichtigung der völkerrechtlichen Diskriminierungsverbote einerseits und der Rechtslage in den USA, in Deutschland, Frankreich sowie im europäischen Gemeinschaftsrecht andererseits, Bern 2003, S. 126: „In ihrer Gesamtheit können diese Rechtssätze [die allgemeinen und besonderen Diskriminierungsverbote, Verf.] als verschiedene Facetten eines einzigen Gleichheitsprinzips verstanden werden, das seinerseits wieder auf der naturgegebenen Gleichheit der Menschen beruht.“ 142
Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women, Preamble (1979) (Fn. 106). 143
IGH, South West Africa, Second Phase (Fn. 122), p. 6.
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kam in diesem Fall mehrheitlich zu dem Ergebnis, dass die Kläger kein verletztes Recht oder Interesse dargetan haben. Bedeutsame Ausführungen zum Prinzip der Rechtsgleichheit im Völkerrecht finden sich in der abweichenden Meinung des Richters Tanaka. Da das Prinzip der Rechtsgleichheit als solches im Mandatsvertrag nicht genannt war, stellte sich die entscheidende Frage, ob dieses Prinzip in irgendeiner Form Bestandteil der Charta der Vereinten Nationen oder sonst dem allgemeinen Völkerrecht inhärent sei, mit der Folge, dass es zumindest als Standard oder Prinzip bei der Auslegung des Mandatsvertrags Anwendung finden müsse; Richter Tanaka bejahte dies und gelangte so zu einer Verletzung der genannten Vorschriften.144 Das Prinzip der Rechtsgleichheit erlangt schließlich, drittens, bei der Fortentwicklung des völkerrechtlichen Gleichheitsrechtsschutzes Bedeutung. Dies lässt sich beispielsweise erkennen am neuen 12. Zusatzprotokolls zur EMRK, welches im Unterschied zum Art. 14 EMRK ein erweitertes, allgemeines Diskriminierungsverbot enthält.145 Die gleichheitsrechtliche Innovation dieses Protokolls wird – ausweislich der Präambel – auf das „grundlegende Prinzip[s], nach dem alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz haben“146, gestützt.
D. Gleichheitsrecht und Menschenrechtsfunktionen Nachdem Begriff, Status und Funktionen des objektivrechtlichen Prinzips der Rechtsgleichheit dargelegt wurden, ist nun auf die subjektivrechtliche Dimension des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts einzugehen. Zunächst kann man dabei auch hier von der Frage ausgehen, welche menschenrechtlichen Funktionen dem subjektivrechtlichen Gleichheitsrecht zukommen. Ähnlich wie im nationalen Verfassungskontext erfüllen auch menschenrechtliche Gleichheitsrechte in ihrer subjektivrechtlichen Verwendung zwei Funktionen: Zum einen handelt es sich dabei um sog. modale Abwehrrechte in dem Sinne, dass sie sich gegen eine bestimmte – „ungleiche“ – Art und Weise des hoheitlichen 144 Abw. Meinung Tanaka (Fn. 122), p. 290. Vgl. dazu auch McKean (Fn. 101), pp. 268-269. 145 146
177.
Ausführlich zum neuen ZP 12 vgl. S. 156 ff. ZP 12 EMRK, 04.11.2000 (in Kraft seit 01.04.2005), Präambel, ETS Nr.
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Handelns richten.147 Ähnlich wie bei den Freiheitsrechten geht es bei den Gleichheitsrechten somit in erster Linie um die rechtliche Beschränkung von staatlichem Wirken durch die Anerkennung eines rechtsförmigen Status des Einzelnen.148 In diesem Sinne handelt es sich um „Abwehrrechte“. Dabei gewähren Gleichheitsrechte dem Einzelnen – anders als Freiheitsrechte – nicht einen „absoluten“ Status unabhängig von dem Status eines jeden anderen, sondern einen „relationalen“ Status: Während beispielsweise das Recht auf Leben jedem Individuum unabhängig von den Rechten anderer zugesichert ist, verlangt das Gleichheitsrecht, dass der Staat den Einzelnen nicht ohne Rechtfertigung schlechter als einen anderen stellt.149 Gleichheitsrechte sind damit wesentlich modale Abwehrrechte, die dem Einzelnen einen relationalen Status gewähren. Zum anderen weisen bestimmte Ausprägungen des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts, wie der allgemeine völkerrechtliche Gleichheitssatz und das Verbot der passiven Diskriminierung, eine Leistungsdimension auf: Ebenso wie es freiheitsrechtliche Leistungsrechte gibt, können auch Gleichheitsrechte eine leistungsrechtliche Funktion annehmen. Die völkerrechtlichen Gleichheitsrechte können sich im Rahmen der Leistungsdimension auf drei Inhalte richten, nämlich den Schutz vor privater Diskriminierung, die Gewährleistung einer diskriminierungsfreien Teilhabe an öffentlichen Gütern und Leistungen sowie die Vornahme einer Untersuchung in bestimmten Diskriminierungsfällen. Die Leistungsdimension der Gleichheitsrechte wird im Einzelnen weiter unten analysiert.150
147
Zum Begriff des „modalen Abwehrrechts“ und seiner Deutung s. Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 42. 148
Zu den Grundrechten als „statusbegründenden Rechten“ s. Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Neudruck der 20. Aufl., Heidelberg 1999, § 9 II, S. 127, Rn. 280. 149
Dies ist in der Struktur des vorrechtlichen Gleichheitsbegriffs angelegt, s.
S. 8. 150
Zur leistungsrechtlichen Dimension des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes s. S. 60 f., S. 309 ff.; zur Leistungsdimension des konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots s. S. 356 ff.
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2. Teil
E. Das Problem der sog. „akt-“ bzw. „folgenbezogenen“ Deutung der Gleichbehandlung Eine grundsätzliche Streitfrage der gleichheitsrechtlichen Dogmatik ist, ob die Ungleich- bzw. Gleichbehandlung auf der Ebene der Norm bzw. der staatlichen Einzelentscheidung liegen muss (sog. „aktbezogene Deutung“) oder ob auch die Wirkung der Norm bzw. der Entscheidung zu berücksichtigen ist (sog. „folgenbezogene Deutung“).151 Diese Debatte entspricht im Wesentlichen der Frage, ob beim Diskriminierungsverbot neben der „direkten“ auch die Rechtsfiguren der „indirekten“ und der „passiven“ Diskriminierung anzuerkennen sind.152 In rechtsethischer Betrachtung spiegelt sich das Problem der Akt-/Folgenbezogenheit in der Gegenüberstellung der Rechtsprinzipien der „formalen“ und der „substantiellen“ Gleichbehandlung.153 Die Bedeutung der folgenbezogenen Deutung des allgemeinen Gleichheitssatzes kann beispielhaft an dem Fall Dandrige v. Williams des U.S. Supreme Court erläutert werden: In diesem Fall wurden im Rahmen eines Sozialprogrammes für einkommensschwache Familien finanzielle Unterstützungen gewährt, die auf der Basis der Bedürftigkeit errechnet wurden.154 In Umsetzung des Bundesprogrammes sah der U.S.-Bundesstaat Maryland finanzielle Obergrenzen für die Förderung pro Familie vor. In diesem Fall vor dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten wurde argumentiert, dass die Regelung zu einer Ungleichbehandlung von großen Familien führe, da deren Bedarf höher sei als derjenige kleinerer Familien, was die Regelung aber nicht berücksichtige. Im Fall Dandrige kann man als relevante Vergleichsgruppe diejenige der anderen, einkommensschwachen Familien mit wenigen Kindern identifizieren. In formaler Hinsicht (also „aktbezogen“) werden alle diese Familien gleich behandelt. In der folgenbezogenen Deutung des allgemeinen Gleichheitssatzes wird sichtbar, dass kinderreichere (und einkommensschwache) Familien benachteiligt werden, da ihnen – aufgrund der absoluten Förderungsgrenze – pro Kopf weniger Förderung zusteht als kleineren, einkommensschwachen Familien. Nur wenn man eine folgenbezogene Deutung des Gleichheitssatzes bejaht, kommt man in die151 Grundsätzlich zur „akt-“ bzw. „folgenbezogenen“ Deutung des allgemeinen Gleichheitssatzes vgl. Alexy (Fn. 15), S. 377-389. 152 153 154
Vgl. dazu für die EMRK S. 266 ff und S. 304 ff. Dazu ausführlich S. 414 ff. USSCt, Dandridge v. Williams, 397 U.S. 471 (1970).
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sen Fällen der ungleichen Auswirkungen einer Norm bzw. einer Entscheidung zu dem Ergebnis einer (dann der Rechtfertigung unterliegenden) Beeinträchtigung. Da der U.S. Supreme Court für die equal protection clause des XIV. Am. eine folgenbezogene Deutung ablehnt155, stellte er auch in diesem Fall keine Verletzung fest. Die Frage, ob das menschenrechtliche Gleichheitsrecht eine folgenbezogene Deutung verlangt, ist noch nicht endgültig geklärt, obwohl sich die Anzeichen für eine solche Deutung mehren:156 Beispielsweise hat der UN-Menschenrechtsausschuss für das in Art. 26 IPbpR ebenfalls enthaltene Diskriminierungsverbot festgestellt, dass dieses auch die Wirkungen einer Norm bzw. Entscheidung erfasse, indem der Ausschuss die Rechtsfiguren der indirekten und der passiven Diskriminierung anerkannt hat.157 Zu bedenken ist allerdings, dass nach der gefestigten Rechtsprechung des Menschenrechtsausschusses ungleiche Aus155 USSCt, Washington v. Davis, 426 U.S. 220 (1976): Hier ging es um ein Testverfahren für Polizeianwärter in dem District of Columbia. Getestet wurden die mündliche Ausdrucksfähigkeit und das Leseverstehen. Der Vorwurf der indirekten Diskriminierung gründete sich darauf, dass viermal mehr Schwarze als Weiße in diesem Test durchfielen. Der Supreme Court lehnte es ab, in der bloßen ungleichen Wirkung („disparate impact“) eine rassische Diskriminierung zu erblicken; vgl. dazu auch Richard H. Fallon, Jr., The Dynamic Constitution, An Introduction to American Constitutional Law, Cambridge 2004, p. 122 f. 156
Die terminologische Unterscheidung zwischen „akt-” und „folgenbezogener” Deutung ist in der völkerrechtlichen Literatur ungebräuchlich. Der gemeinschaftsrechtliche Gleichheitssatz sieht eine folgenbezogene Deutung vor, vgl. dazu Kerstin Odendahl, Gleichheit von Männern und Frauen, in: Sebastian Heselhaus/Carsten Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, München [u.a.] 2006, § 44, Rn. 23. In Bezug auf die Rechtsprechung des BVerfG ist derzeit ungeklärt, ob eine folgenbezogene Deutung unter Art. 3 Abs. 1 oder Art. 3 Abs. 3 GG (Diskriminierungsverbot) zulässig ist. Dagegen spricht sich insbesondere Heun (Fn. 16), Art. 3 GG, Rn. 68 aus: „Ein und derselben Norm, also dem Gleichheitssatz, ein Prinzip und sein Gegenteil zu entnehmen, nämlich ein Recht auf Gleichbehandlung und auf Herstellung faktischer, sozialer Gleichheit, überzeugt (...) nicht.“ Vgl. auch Christian Starck, in: Hermann v. Mangoldt/Friedrich Klein/ders. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 5. Aufl., München 2005, Art. 3 GG, Rn. 3-6, 284; vgl. dazu auch Anne Peters/Doris König, Das Diskriminierungsverbot, in: Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2. Aufl., Tübingen 2010, Kap. 21 (i.E.), Rn. 100 f. m.w.N. 157
Zur Behandlung der indirekten Diskriminierung im Rahmen des Art. 26 IPbpR s. S. 268 f., zur passiven Diskriminierung s. S. 309 ff.
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wirkungen aufgrund uniformer Anwendung allgemeiner Normen jedenfalls grundsätzlich keine Diskriminierung befürchten lassen.158 Ob die folgenbezogene Deutung in gleicher Weise auch für den allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz des Art. 26 S. 1 IPbpR gilt, ist nicht klar. Zweifel gegenüber einer folgenbezogenen Deutung des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes bestehen insofern, als der Ausschuss für den wichtigen Bereich der Gewährung von Sozialleistungen eine Bereichsausnahme von Art. 26 IPbpR annimmt, wenn die Normanwendung zu unterschiedlichen Auswirkungen führt.159 Anders liegt es im Gleichheitsrecht der EMRK. Hier finden sich seit langem Ansätze, neben der aktbezogenen eine folgenbezogene Deutung des gleichheitsrechtlichen Individualanspruchs aus Art. 14 EMRK zu etablieren. Bereits in dem für die weitere dogmatische Entwicklung des Diskriminierungsverbots unter der EMRK grundlegenden Urteil im sog. Belgischen Sprachenfall wird eine folgenbezogene Deutung nicht ausgeschlossen: “It is not, however, impossible that the application of the legal provisions in issue might lead, in individual cases, to results which put in question the existence of a reasonable relationship of proportionality between the means employed and the objective aimed at, to such an extent as to constitute discrimination.”160 Dieser Hinweis auf eine folgenbezogene Deutung des Diskriminierungsverbots war noch sehr vorsichtig. Entscheidend wurde die spätere Entwicklung, dass unter der EMRK die folgenbezogene Deutung des Diskriminierungsverbots nicht bloß eine Betrachtungsweise in Anwendungsfällen darstellt, sondern dass sie unter Umständen sogar zu einem Anspruch auf substantielle Gleichbehandlung nahelegen kann. Dies wurde, soweit ersichtlich, erstmals im Fall Thlimmenos (2000) ausgesprochen: “The right not to be discriminated against in the enjoyment of the rights guaranteed under the Convention is also violated when States without an objective and reasonable justification fail to treat differently persons
158 MRA, 29.3.1989, 218/1986, Hendrika S. Vos, UN Doc. CCPR/C/35/ D/218/1986 (1989), § 11; vgl. auch die individual opinion der Mitglieder Francisco Aguilar Urbina und Bertil Wennergren in diesem Fall: “(...) negative effects on one individual cannot (...) be considered to be discrimination within the scope of article 26.” 159
MRA, 23.10.1992, 406/1990 & 426/1990, Lahcen B.M. Oulajin und Mohamed Kaiss v. Niederlande, UN Doc. CCPR/C/46/D/426/1990, § 7.5. 160
EGMR, 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, B 9 = EuGRZ 1985, S. 298 ff., § 9.
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whose situations are significantly different.”161 Die „Behandlung als Gleicher“ verlangt hier eine rechtliche Ungleichbehandlung, weil sich im Rahmen einer folgenbezogenen Deutung ergibt, dass die Auswirkungen einer Gleichbehandlung zu diskriminierenden Ergebnissen führen.
II. Zwei Modelle des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts A. Modell 1: Das allgemeine Gleichheitsrecht Der Begriff des „allgemeinen Gleichheitssatzes“, ebenso wie das englische Äquivalent der equal protection clause, beziehen sich auf in der Auslegung und Anwendung komplexe Normen. Was meint man, wenn man von einem „allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz“ spricht? Handelt es sich dabei um einen tauglichen Begriff für existierende Rechtsnormen des Völkerrechts? Welche Elemente gehören zu seiner Rechtsnatur? Nachfolgend sollen die dogmatischen Grundlagen und Grenzen eines allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes nachgezeichnet werden.
1. Der allgemeine Gleichheitssatz als völkerrechtliche Norm a) Die zwei Schutzinhalte des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes Nach herrschender Ansicht normieren die Art. 26 IPbpR, Art. 24 AMRK und Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 AfrCh allgemeine völkerrechtliche Gleichheitssätze.162 Unter den Ausprägungen des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts – dem Prinzip der Rechtsgleichheit, den allgemeinen und besonderen Gleichheitssätzen – stellen die allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssätze allerdings zahlenmäßig die Ausnahme dar, weit gebräuchlicher sind Diskriminierungsverbote.
161 EGMR, 6.4.2000, Thlimmenos, RJD 2000-IV = ÖJZ 2001, S. 528, § 44. Vgl. auch Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 74, 163. Eingehend zu dieser Problematik s. S. 257 ff. 162
So auch Kälin/Künzli (Fn. 111), S. 346; ähnlich auch Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, par. 7.
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2. Teil
Die Norm des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes nimmt in der Regel den aus dem nationalen Recht vertrauten Wortlaut an: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben Anspruch auf gleichen Rechtsschutz.“163 Ein Normtextvergleich der einschlägigen Art. 26 IPbpR, Art. 24 AMRK und Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 AfrCh ergibt wesentliche Übereinstimmungen der allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssätze.164 Der Schutzinhalt des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes besteht danach in der Regel aus zwei Elementen: (1) dem Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz (Rechtsanwendungsgleichheit; Art. 26 S. 1 Alt. 1 IPbpR, Art. 24 S. 1 AMRK, Art. 3 Abs. 1 AfrCh), (2) dem Recht auf Gleichbehandlung durch das Gesetz (Rechtsetzungsgleichheit; Art. 26 S. 1 Alt. 2 IPbpR, Art. 24 S. 2 AMRK, Art. 3 Abs. 2 AfrCh).165
b) Art. 26 IPbpR als „Modellfall“ des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes Da Art. 26 IPbpR auf die längste Anwendungsgeschichte zurückblickt und über die – relativ zu den übrigen allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssätzen – fortschrittlichste Dogmatik verfügt, wird er in der vorliegenden Untersuchung als „Modellfall“ eines allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes behandelt. Bevor jedoch näher auf die Dogmatik des Art. 26 IPbpR eingegangen werden kann, ist dessen komplizierte Normstruktur zu erhellen. Ein Blick auf den Normtext zeigt, dass Art. 26 IPbpR alles andere als ein Beispiel für klare Rechtsetzung ist: “All persons are equal before the law and are entitled without any discrimination to the equal protection of the law. In this respect, the law shall prohibit any discrimination and guarantee to all persons equal and effective protection against discrimination on any ground such as race, colour, sex, language, religion, po-
163
Vgl. Albrecht Weber, Menschenrechte, Texte und Fallpraxis, München 2004, S. 866. 164 165
Vgl. Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, par. 7.
Die Frage, ob Art. 26 S. 1 IPbpR ein Recht auf Rechtssetzungsgleichheit beinhaltet, war umstritten, vgl. ablehnend dazu Tomuschat (Fn. 115, p. 702 ff.). Diese Ansicht hat sich aber nicht durchsetzen können und kann heute als überholt gelten, vgl. Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, par. 16 ff.
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litical or other opinion, national or social origin, property, birth or other status.”166 Die Uneindeutigkeit besteht zum einen darin, dass Art. 26 IPbpR terminologisch Elemente eines allgemeinen Gleichheitssatzes (Gleichheit vor dem Gesetz, Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz) mit Elementen eines Diskriminierungsverbots verbindet. Es liegt somit eine Norm vor, die augenscheinlich die zwei Modelle des Gleichheitsrechts vermischt. Hinzu kommt, dass Art. 26 IPbpR mit einer unklaren internen Verweistechnik arbeitet („in dieser Hinsicht“). Ungleich verständlicher ist die Fassung des allgemeinen Gleichheitssatzes in Art. 3 AfrCh. Dort heißt es in überzeugender textueller Einfachheit: “1. Every individual shall be equal before the law. 2. Every individual shall be entitled to equal protection of the law.”167 Die Unklarheit im Wortlaut des Art. 26 IPbpR lässt sich wohl darauf zurückführen, dass hier, wie seine Entstehungsgeschichte belegt, verschiedene Rechtstraditionen und Regelungsansätze in Bezug auf das Gleichheitsrecht vereinigt sind.168 Eine Wortlautinterpretation erhellt immerhin, dass in Art. 26 IPbpR mehrere Ausprägungen des Gleichheitsrechts Erwähnung finden: So enthält Art. 26 S. 1 IPbpR seinem Wortlaut nach einen allgemeinen Gleichheitssatz. Beim allgemeinen Gleichheitssatz unterscheidet die Norm noch zwischen dem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz („All persons are equal before the law“) in Art. 26 S. 1 Alt. 1 IPbpR und dem Recht auf Gleichheit durch das Ge-
166
International Covenant on Civil and Political Rights, G.A. Res. 2200A (XXI), 21 U.N. GAOR Supp. (No. 16) at 52, UN Doc. A/6316 (1966), 999 U.N.T.S. 171; BGBl. 1973 II S. 1534. Die deutsche Übersetzung des Art. 26 IPbpR lautet: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Diskriminierung Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. In dieser Hinsicht hat das Gesetz jede Diskriminierung zu verbieten und allen Menschen gegen jede Diskriminierung, wie insbesondere wegen der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status, gleichen und wirksamen Schutz zu gewähren.“ 167 African [Banjul] Charter on Human and Peoples’ Rights, 27.6.1981, OAU Doc. CAB/LEG/67/3 rev. 5, 21 I.L.M. 58 (1982). 168
Zur Entstehungsgeschichte vgl. Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, par. 8 ff.; s. auch Tufyal Choudhury, The Drafting of Article 26 of the International Covenant on Civil and Political Rights: Part I, EHRLR 7 (2002), pp. 591-603.
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2. Teil
setz („entitled ... to the equal protection of the law“) in Art. 26 S. 1 Alt. 2 IPbpR. Der Zusatz in S. 1, „without any discrimination“, ist Art. 7 AEMR entnommen, an welchem sich die Norm insgesamt orientiert.169 Die Aufnahme dieses Zusatzes geht auf einen Vorstoß Argentiniens und Chiles zurück.170 Dieser Zusatz ändert jedoch nichts an der formalen Einordnung des Art. 26 S. 1 IPbpR als allgemeiner völkerrechtlicher Gleichheitssatz.171 Hinsichtlich des Schutzumfangs dürfte durch diesen Zusatz nichts gewonnen sein, da nach plausibler, herrschender Ansicht der allgemeine Gleichheitssatz das Diskriminierungsverbot als sein negatives Minus umfasst.172 Davon geht offensichtlich auch der Wortlaut des Art. 26 IPbpR aus, indem S. 1 und S. 2 verbunden werden („in this respect“). Der S. 2, der gleichsam eine Ausführung des Diskriminierungsverbots enthält173, erscheint dabei als eine Erklärung oder nähere Bestimmung des S. 1.174 Diskriminierungen, wie sie in S. 2 a.E. genannt werden, sind daher schon verboten aufgrund von S. 1. In diesem Sinne ist Art. 26 S. 2 IPbpR als lex specialis-Regelung zu Art. 26 S. 1 IPbpR aufzufassen.175
169 170
Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, par. 8. Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, par. 10.
171
Dass es sich bei Art. 26 IPbpR auch materiell, d.h. seiner Rechtsnatur nach, um einen allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz handelt, wird unten auf S. 60 ff. erörtert. 172
Vgl. Anne F. Bayefsky, The Principle of Equality or Non-Discrimination in International Law, HRLJ 11 (1990), p. 1 n. 1; McKean (Fn. 101), p. 288; Hans-Werner Rengeling/Peter Szczekalla, § 22 Gleichheit (Dogmatische Grundlagen), in: dies., Grundrechte in der Europäischen Union, Charta der Grundrechte und Allgemeine Rechtsgrundsätze, Köln [u.a.] 2004, S. 685, 689, Rn. 870. 173
Vgl. auch Beate Rudolf, Der völkerrechtliche Rahmen von Gleichbehandlungsrecht, in: dies./Matthias Mahlmann (Hrsg.), Gleichbehandlungsrecht: Handbuch, Baden-Baden 2007, S. 58, 71, Rn. 39. 174 175
So auch Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, par. 17.
Der MRA unterscheidet jedenfalls grundsätzlich zwischen dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Diskriminierungsverbot in Art. 26 IPbpR, ohne der Unterscheidung allerdings scharfe Konturen zu geben und ohne darin besonders konsistent zu sein, vgl. MRA, 24.07.2006, 1314/2004, Michael O’Neill and John Quinn, UN Doc. CCPR/C/87/D/1314/2004, § 8.3. Näher zu diesem Fall s. S. 65.
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Das (negative) Verbot der Diskriminierung stellt aber nur einen Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes dar.176 Der Wortlaut des Art. 26 S. 2 IPbpR deutet auch noch positive Verpflichtungen des Staates an („the law shall prohibit any discrimination“; „[the law shall, Verf.] guarantee to all persons equal and effective protection against discrimination“). Die Voraussetzungen und die Ausgestaltung dieser positiven Pflichten sind umstritten. Die positiven, gleichheitsrechtlichen Pflichten werden rechtsdogmatisch in der Regel einer positiven Wendung des Diskriminierungsverbots (insbesondere dem Verbot der passiven Diskriminierung) zugeordnet.177 Art. 26 S. 2 IPbpR nennt als eine solche positive Verpflichtung die staatliche Pflicht zum Schutz vor Diskriminierung („the law shall prohibit any discrimination“), wobei nach dem Wortlaut sowohl Diskriminierungen durch die öffentliche Gewalt und durch Private erfasst sind.178 So ergibt sich, dass Art. 26 IPbpR des Näheren drei subjektivrechtliche Gewährleistungen umfasst: das Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz (Art. 26 S. 1 Alt. 1 IPbpR), das Recht auf Gleichbehandlung durch das Gesetz (Art. 26 S. 1 Alt. 2 IPbpR) und das Diskriminierungsverbot (Art. 26 S. 2 IPbpR).179 Das Diskriminierungsverbot bringt sachlich keinen neuen Gewährleistungsinhalt hinzu, sondern stellt nach hier vertretener Ansicht lediglich einen Anwendungsfall des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes dar. Zu bedenken ist, dass der UN-Menschenrechtsausschuss in den seltensten Fällen sorgfältig zwischen den einzelnen Gewährleistungsinhalten des Art. 26 IPbpR unterscheidet.180 So wird die Trennung zwischen
176
So für das Gemeinschaftsrecht Rengeling/Szczekalla (Fn. 172), S. 689, Rn.
870. 177
Zu den positiven Verpflichtungen aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 26 IPbpR s. unten S. 309 ff. Allerdings ist es auch denkbar, aus dem allgemeinen Gleichheitssatz positive Verpflichtungen zu begründen, vgl. für Art. 3 Abs. 1 GG Heun (Fn. 16), Art. 3 GG, Rn. 66 ff. 178
Zum Schutz vor Diskriminierung durch Private bei Art. 26 IPbpR vgl. Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, par. 56 ff. 179 So auch Wouter Vandenhole, Non-Discrimination and Equality in the View of the UN Human Rights Treaty Bodies, Antwerp/Oxford 2005, pp. 1718. 180
Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, par. 15. Vgl. allerdings MRA, 21.10.2005, 1249/2004, Sister Immaculate Joseph u.a., UN Doc. CCPR/C/85/ D/1249/2004. In diesem Fall prüfte der MRA sowohl eine Verletzung des Dis-
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dem Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz und zwischen dem Recht auf Gleichbehandlung durch das Gesetz nicht strikt durchgehalten.181 Auch unterscheidet der Ausschuss nicht immer zwischen dem allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz und dem Diskriminierungsverbot.182 Um der konzeptionellen Klarheit willen sollen nachfolgend diese Differenzierungen allerdings vorgenommen werden.
c) Das Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz (Rechtsanwendungsgleichheit) Das Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz („equality before the law“) in Art. 26 S. 1 Alt. 1 IPbpR, Art. 24 S. 1 AMRK, Art. 3 Abs. 1 AfrCh bezieht sich ausschließlich auf die Rechtsanwendung, d.h. die Durchführung einer Rechtsnorm (Rechtsanwendungsgleichheit).183 Art. 26 S. 1 Alt. 1 IPbpR richtet sich demnach an Verwaltung und Rechtsprechung, wobei sich in Bezug auf letztere eine Übereistimmung mit dem Recht aus Art. 14 Abs. 1 IPbpR (Gleichheit vor Gericht) ergibt.184 kriminierungsverbots als auch eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes unter Art. 26 IPbpR und bejahte diese (separat) (vgl. a.a.O., §§ 7.4 und 7.5). 181
Vgl. MRA, 14.07.1993, 309/1988, Carlos Orihuela Valenzuela, UN Doc. CCPR/C/48/D/309/1988, § 6.4. Hier ging es um eine Ungleichbehandlung bezüglich Pensionsansprüche durch ein Gericht. Dies wäre als ein Fall des Rechts auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz zu behandeln gewesen, gleichwohl spricht der Ausschuss von „equal protection of the law“. In einem weiteren Fall des MRA, 31.10.2001, 774/1997, Robert Brok, UN Doc. CCPR/C/73/ D/774/1997, § 7.4 nahm der Ausschuss eine Verletzung von Art. 26 IPbpR ausdrücklich ohne die Festlegung, ob das Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz oder das Recht auf Gleichbehandlung durch das Gesetz betroffen war, an. 182
So hatte sich der Beschwerdeführer im Fall des MRA, 31.03.1993, 359/1989 u. 385/1989, John Ballantyne u.a., HRLJ 1993, pp. 171-178, § 11.5 auf das Recht aus Art. 26 IPbpR auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz berufen, der Ausschuss aber eine Diskriminierung (aufgrund der Sprache) geprüft. 183
Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, par. 14; Tomuschat (Fn. 115), p. 695 f.; Pierre-Marie Dupuy, Equality under the 1966 Covenants and in the 1948 Declaration, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Gleichheit und Nichtdiskriminierung im nationalen und internationalen Menschenrechtsschutz, Berlin/Heidelberg/New York 2003, S. 149, 151; Vandenhole (Fn. 179), p. 18. 184
Vgl. Sarah Joseph/Jenny Schultz/Melissa Castan, The International Covenant on Civil and Political Rights, Cases, Materials, and Commentary, 2nd ed., Oxford 2004, p. 745; Vandenhole Fn. (179), p. 19.
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Das Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz wird vom Menschenrechtsausschuss meistens als Diskriminierungsverbot behandelt und verbietet in diesem Sinne Entscheidungen von Verwaltungsträgern und Gerichten, in denen die gleichheitsrechtliche Beeinträchtigung auf einem der in Art. 26 S. 2 IPbpR aufgelisteten Differenzierungsgründen beruht.185 Verletzungen des Rechts auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz als Bestandteil des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes werden selten vom UN-Menschenrechtsausschuss bejaht.186 Die drei folgenden Fälle sind (seltene) Beispiele, in denen die gleichheitsrechtliche Problematik nicht in einer Diskriminierung aufgeht, sondern eine genuine Anwendung des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes vorliegt: Dem Fall Joseph Kavanagh (2001) lag die Beschwerde eines Iren zugrunde, der einer sog. eingetragenen (in der Regel politisch motivierten) Straftat („scheduled offence“) angeklagt und deshalb nicht von einem ordentlichen Gericht, sondern von einem besonderen Strafgericht („Special Criminal Court“) verurteilt wurde.187 Nach s. 47 des irischen Gesetzes über Staatsverbrechen sind besondere Strafgerichte zuständig für die eingetragenen Straftaten sowie nichteingetragene Straftaten, wenn der (leitende) Staatsanwalt jeweils bestätigt, dass die ordentlichen Strafgerichte im betreffenden Fall die geordnete Rechtsdurchsetzung nicht hinreichend gewährleisten könnten. Die besonderen Strafgerichte sind im Unterschied zu den ordentlichen Strafgerichten keine Geschworenengerichte, sondern sie sind mit Berufsrichtern besetzt. Auch folgen sie einer besonderen Prozessordnung, die gegenüber der ordentlichen Gerichtsbarkeit die Verteidigungsrechte des Angeklagten verkürzt. Der Beschwerdeurheber berief sich in diesem Fall u.a. auf eine Verletzung des Art. 26 IPbpR dahingehend, dass ihm wichtige Verteidigungsmittel ohne sachlichen Grund vorenthalten würden und er gegenüber anderen Personen, die ähnlicher Straftaten angeklagt würden, benachteiligt werde. Der UN-Menschenrechtsausschuss rügte in diesem Fall das weite Ermessen der Staatsorgane bei der Beurteilung, ob der Fall einem besonderen Strafgericht zuzuweisen sei. Diese Entscheidungen müssten nicht begründet werden. Betroffen ist hier das Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz, da die Ungleich185
Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, par. 15. Der allgemeine völkerrechtliche Gleichheitssatz unterscheidet sich vom Diskriminierungsverbot v.a. durch seine Differenzierungsallgemeinheit, dazu s. ausführlich unten S. 60 ff. 186 187
Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, par. 14.
MRA, 04.04.2001, 819/1998, Joseph Kavanagh, UN Doc. CCPR/C/71/D /819/1998.
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behandlung aufgrund der Entscheidung des Staatsanwalts eintritt, den Fall als „scheduled offence“ vor besonderen Gerichten anzuklagen, vor denen nur eingeschränkte Verteidigungsmittel zur Verfügung stehen. Die Ungleichbehandlung tritt also nicht unmittelbar aufgrund eines Gesetzes ein, sondern beruht auf einer Ermessensentscheidung eines Hoheitsträgers. Zudem handelt es sich auch nicht um eine Diskriminierung, da die Ungleichbehandlung nicht an personenbezogene Differenzierungsgründe anknüpft, die Unterscheidung zwischen „eingetragenen“ und „nicht-eingetragenen“ Delikten vielmehr neutral ist. Wegen der unkontrollierten Weite des Ermessensspielraums der Staatsanwaltschaft und der fehlenden Begründungspflicht ihrer Entscheidung kam der Ausschuss in dem Fall Kavanagh zu dem Schluss, dass die Entscheidung der Behörden, den Beschwerdeurheber vor einem besonderen Strafgericht anzuklagen, nicht auf „objektiven und vernünftigen“ Kriterien beruhte und somit eine Verletzung des Art. 26 IPbpR vorlag. Anders entschied der Ausschuss in dem Fall Michael O’Neill and John Quinn (2006).188 Dort ging es um zwei Häftlinge, die in den 1990er Jahren wegen Totschlags und versuchten Raubs von einem irischen Gericht zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden waren; die Tat geschah auf Veranlassung der Provisional Irish Republican Army (IRA). Im Jahr 1998 kam es zu einem „Multi-Party Agreement“ zwischen den Regierungen von Irland und Großbritannien, das u.a. in einem Haftentlassungsgesetz umgesetzt wurde. Der zuständige Minister konnte dementsprechend Häftlinge, die eine eingetragene (in der Regel politisch motivierte) Straftat („scheduled offence“) begangen hatten, als „qualifying prisoners“ einstufen und vorzeitig aus der Haft entlassen. Im vorliegenden Fall wurde diese Einstufung verweigert, obwohl sie in vergleichbaren Fällen gewährt worden war. Auch hier war das Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz als Bestandteil des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes betroffen. Der Ausschuss lehnte eine Verletzung von Art. 26 S. 1 Alt. 1 IPbpR ab, da keine Willkür in der Bewertung des Sachverhalts durch die staatlichen Organe feststellbar war.189 In einem weiteren Fall, der das Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz betraf, Sister Immaculate Joseph u.a. (2005), ging es u.a. um die 188 MRA, 24.07.2006, 1314/2004, Michael O’Neill and John Quinn, UN Doc. CCPR/C/87/D/1314/2004. 189
MRA, 24.07.2006, 1314/2004, Michael O’Neill and John Quinn, UN Doc. CCPR/C/87/D/1314/2004, § 8.4; vgl. zur Rechtfertigungsprüfung in diesem Fall auch unten S. 76.
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Behandlung eines römisch-katholischen Ordens, der um Registrierung bei den Behörden Sri Lankas nachgesucht hatte.190 Ein Beschwerdegrund bestand darin, dass der Oberste Gerichtshof Sri Lankas den Orden von einem Gerichtstermin, in dem über die Rechtmäßigkeit der abgelehnten Registrierung entschieden wurde, nicht benachrichtigt hatte, während dies in anderen, ähnlich gelagerten Fällen geschehen war. Der Ausschuss sah eine Verletzung des Rechts auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz gem. Art. 26 S. 1 Alt. 1 IPbpR darin, dass Sri Lanka keine Gründe für die Ungleichbehandlung des Ordens bezüglich der Notifizierung von Gerichtsverhandlungen angegeben hatte.
d) Das Recht auf Gleichbehandlung durch das Gesetz (Rechtsetzungsgleichheit) Das Recht auf Gleichbehandlung durch das Gesetz („equal protection of the law“) in Art. 26 S. 1 Alt. 2 IPbpR, Art. 24 S. 2 AMRK, Art. 3 Abs. 2 AfrCh richtet sich in erster Linie an den Gesetzgeber und betrifft die Setzung einer Rechtsnorm.191 Da aber nicht bloß der Gesetzgeber rechtsetzend tätig wird, sondern auch die Exekutive (im Rahmen exekutiver Normsetzung) oder auch Gerichte (z.B. bei der Ausfüllung von Ermessensnormen sowie generell bei der Rechtsauslegung), wird man das Gebot der Rechtsetzungsgleichheit auf alle drei staatlichen Gewalten zu beziehen haben.192 Ebenso wie das Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz prüft der Ausschuss das Recht auf Gleichbehandlung durch das Gesetz in der Mehrzahl der Fälle als Diskriminierungsverbot. In diesem Verständnis verbietet Art. 26 S. 1 Alt. 2 IPbpR diskriminierende, d.h. auf den aufgelisteten Differenzierungsgründen beruhende Gesetze. Auch trifft den Staat positiv die Pflicht, eine Anti-Diskriminierungsgesetzgebung zu erlassen, die effektiven Schutz gegen Diskriminierungen gewährleistet.193 Der Ausschuss hat in der Vergangenheit insbesondere Verletzungen angenommen, wenn die Ungleichbehandlung durch staatliche Gesetze auf den Differenzierungsgründen des Geschlechts, der politischen Meinung, der Religion und des Glaubens sowie auf der Staatsangehö190 MRA, 21.10.2005, 1249/2004, Sister Immaculate Joseph u.a., UN Doc. CCPR/C/85/D/1249/2004. 191 192 193
Vgl. Vandenhole (Fn. 179), p. 18. So für Art. 3 Abs. 1 GG Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 17. Nowak (Fn. 112), p. 607, par. 17.
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2. Teil
rigkeit beruhte.194 Im Bereich der Geschlechterdiskriminierung wurde eine Verletzung des Art. 26 IPbpR im Fall einer Einwanderungsregelung, die mauritische Ehefrauen ausländischer Ehemänner benachteiligte, bejaht.195 Schwieriger ist es, Fälle des Ausschusses zu benennen, in denen das Recht auf Gleichbehandlung durch das Gesetz gerade nicht als Diskriminierungsverbot, sondern als selbständiger Bestandteil des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes behandelt wurde. In Betracht kommen dafür alle diejenigen Fälle, in denen die gleichheitsrechtliche Beeinträchtigung erstens unmittelbar auf einem Gesetz und zweitens nicht auf einem personenbezogenen Differenzierungsgrund beruht, es also um Fälle „bloß“ unsachlicher Ungleichbehandlungen geht.196 Der oben behandelte Fall Kavanagh197 kann auch als ein Fall des Rechts auf Gleichbehandlung durch das Gesetz betrachtet werden, wenn man die gleichheitsrechtliche Beeinträchtigung bereits in dem Gesetz über Staatsverbrechen sieht, das der Verwaltung das weite Ermessen eröffnet. Weitere Fälle des Rechts auf Gleichbehandlung durch das Gesetz betreffen insbesondere die Restitutionsgesetzgebung in post-kommunistischen Staaten (Simunek;198 Somers199 u.a.) sowie staatliche Sozialleistungen (Neefs).200 Insbesondere der Fall Somers, in dem es um die Sachgerechtigkeit der ungarischen Restitutionsgesetzgebung für unter der kommunistischen Herrschaft vorgenommene Enteignungen ging, zeigt beispielhaft, dass Artikel 26 IPbpR nicht bloß ein Diskriminierungsverbot, sondern auch einen allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz enthält. In diesen Fällen geht es nicht um Schlechterbehandlungen aufgrund personenbezogener Differenzierungsgründe, sondern 194
Nowak (Fn. 112), p. 628, par. 49.
195
MRA, 09.04.1981, 35/1978, Shirin Aumeeruddy-Cziffra, EuGRZ 1981, S. 391; zu diesem Fall vgl. ausführlich S. 62 f. 196
Vgl. zur Frage der „Allgemeinheit“ des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes ausführlich unten S. 60 ff. 197
MRA, 04.04.2001, 819/1998, Joseph Kavanagh, UN Doc. CCPR/C/71/D /819/1998. 198
MRA, 19.07.1995, 516/1992, Alina Simunek u.a., HRLJ 1996, pp. 13-17. Dazu näher unten S. 79. 199
MRA, 23.07.1996, Nr. 566/1993, Ivan Somers, UN Doc. CCPR/C/57/ D/566/1993, HRLJ 1996, p. 412. Zum Fall näher unten S. 79 f. 200
MRA, 15.07.1994, Nr. 425/1990, Neefs, UN Doc. CCPR/C/51/D/425/ 1990. Dazu näher unten S. 78.
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um die Rüge der „bloßen“ Unsachlichkeit oder Ungerechtigkeit gesetzlicher Regelungen.
2. Die Rechtsnatur des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes a) Der Gleichheitssatz als modales, subjektives Abwehrrecht gegen den Staat Der allgemeine völkerrechtliche Gleichheitssatz ist von dem oben betrachteten Prinzip der Rechtsgleichheit abzugrenzen. Im Unterschied zum letztgenannten handelt es sich im Fall des Gleichheitssatzes um die Behauptung einer subjektiven Rechtsposition.201 Zwar ist der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts selbst wiederum Gegenstand einer wissenschaftlichen Kontroverse,202 diese kann jedoch hier dahingestellt bleiben, da ein konsentiertes Minimalverständnis zugrunde gelegt wird: Ein subjektives Recht im Sinne des Völkerrechts ist ein „Recht auf etwas“ (Robert Alexy),203 dessen Träger ein Individuum und dessen Adressat der Staat ist. Würde man – wie zum Teil gefordert – auch die rechtsförmige Durchsetzbarkeit (z.B. vor einem nationalen oder internationalen Rechtsprechungsorgan) als eine notwendige Eigenschaft subjektiv-völkerrechtlicher Rechte ansehen,204 dann käme man im Fall des Völkerrechts zu dem nicht befriedigenden Ergebnis, dass z.B. die Menschenrechte des IPbpR keine subjektiven Rechte darstellen, wenn die jeweilige Vertragspartei den Pakt zwar ratifiziert, diesen aber weder 201
Für Art. 26 IPbpR vgl. MRA, General Comment Nr. 18, 37. Sitzung 1989, UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.6, 146 (2003), § 12: “In the view of the Committee, article 26 (...) provides in itself an autonomous right.” Für Art. 3 Abs. 1 GG vgl. Alexy (Fn. 15), S. 389 ff.; Heun (Fn. 16), Art. 3 GG, Rn. 17. 202
Vgl. Robert Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, Der Staat 29 (1990), S. 49 ff.; Jörg Paul Müller, Zur sog. subjektivund objektivrechtlichen Bedeutung der Grundrechte, Der Staat 29 (1990), S. 33 ff. 203 204
Alexy (Fn. 15), S. 171 ff.
Z.B. Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., Wien 2000, S. 139: „Nur wenn die Rechtsordnung eine solche Rechtsmacht [die Möglichkeit gerichtlicher Rechtsdurchsetzung, Verf.] verleiht, liegt ein von der Rechtspflicht verschiedenes Recht im subjektiven Sinne vor, ein subjektives Recht im technischen Sinne, das die zur Geltendmachung der Nichterfüllung einer Rechtspflicht verliehene Rechtsmacht ist.“ Vgl. auch Carlos M. Vázquez, Direct vs. Indirect Obligations of Corporations Under International Law, Colum. J. Transnat. Law 43 (2005), p. 927, pp. 940-941.
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2. Teil
in das nationale Recht inkorporiert hat noch dem Fakultativprotokoll zur Individualbeschwerde vor dem UN-Menschenrechtsausschuss beigetreten ist.205 Die rechtsförmige Durchsetzbarkeit wird daher hier nicht als Element des subjektiven Rechts im Sinne des Völkerrechts verstanden. Wie alle Ausprägungen des völkerrechtlichen Gleichheitsrechts handelt es sich bei dem allgemeinen Gleichheitssatz in erster Linie um ein modales Abwehrrecht, d.h. die Norm wendet sich gegen eine bestimmte Art und Weise des Staatshandelns.206
b) Der Gleichheitssatz als Leistungsrecht Der allgemeine völkerrechtliche Gleichheitssatz des Art. 26 IPbpR enthält aber nicht nur eine modale Abwehrdimension, sondern – wie oben bereits angedeutet – auch eine Leistungsdimension. So hat der UNMenschenrechtsausschuss in seiner Rechtsprechung zu Art. 26 IPbpR die beiden wichtigen gleichheitsrechtlichen Gewährleistungspflichten gerichtet auf Schutz vor privater Beeinträchtigung und auf (derivative) Teilhabe an öffentlichen Gütern und Leistungen anerkannt; da hier aber die Grenzen zum Diskriminierungsverbot fließend sind, wird die Leistungsdimension des Art. 26 IPbpR erst weiter unten bei der Rechtsfigur der passiven Diskriminierung dargestellt.207
c) Die „Allgemeinheit“ des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes Selten wird die „Allgemeinheit“ des allgemeinen Gleichheitssatzes näher bestimmt. Inwiefern ist der Gleichheitssatz bzw. das durch ihn verliehene Recht „allgemein“? Wie unterscheiden sich mithin allgemeine von besonderen Gleichheitssätzen? 205
Dies gilt z.B. für die Vereinigten Staaten, vgl. U.S. Court of Appeals for the Fifth Circuit, Beazley v. Johnson, 242 F.3d 248, 267 (5th Cir. 2001). Das Berufungsgericht bestätigt die herrschende Auffassung, nach welcher in den Vereinigten Staaten die Rechte aus dem IPbpR nicht als „self-executing“ angesehen werden. (First) Optional Protocol to the International Covenant on Civil and Political Rights, UNTS Vol. 999, p. 171, 302; BGBl. 1992 II, S. 1247. 206 207
So schon oben S. 44 m.w.N.
Vgl. zur Rechtsfigur der passiven Diskriminierung unter Art. 14 EMRK unten S. 309 ff.
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Es können mehrere Arten von Allgemeinheit unterschieden werden: Allgemeinheit des Anwendungsbereichs, Statusallgemeinheit und Differenzierungsallgemeinheit.
aa) Allgemeinheit des Anwendungsbereichs Bezieht sich die Allgemeinheit auf den Anwendungsbereich des Gleichheitssatzes, so ist damit gemeint, dass die Anwendung des Gleichheitssatzes nicht auf besondere Rechte beschränkt ist, sondern sich auf eine Vielzahl unterschiedlicher Rechte erstreckt (hier sog. Allgemeinheit des Anwendungsbereichs). Im Unterschied dazu beziehen sich „besondere Gleichheitssätze“ gemäß dieser ersten Abgrenzung auf bestimmte, sachlich begrenzte Rechte, wie z.B. das Wahlrecht, den Zugang zu öffentlichen Ämtern, die „Waffengleichheit“ vor Gericht etc. Diese Art der Allgemeinheit des Anwendungsbereichs ist beim hier betrachteten „Modellfall“ des Art. 26 IPbpR gegeben; eine Beschränkung auf besondere Rechte findet im Normentext keine Stütze.
bb) Statusallgemeinheit Mit der Allgemeinheit des Anwendungsbereichs hängt die hier sog. Statusallgemeinheit zusammen, darf aber nicht mit ihr verwechselt werden: Bei der Statusallgemeinheit geht es um die Frage der Autonomie des Gleichheitsrechts, gleichsam deren „Aktivierungsunabhängigkeit“ von anderen Rechten. Die Statusallgemeinheit ist zu verneinen im Fall der Akzessorietät, d.h. der Abhängigkeit der Gleichheitsprüfung von der Eröffnung eines freiheitsrechtlichen Regelungsbereichs.208 Keine Statusallgemeinheit weisen beispielsweise die Rechte aus Art. 2 Abs. 1 IPbpR oder aus Art. 14 EMRK auf (jeweils akzessorische Diskriminierungsverbote).209 Für den hier als Modellfall eines allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes herangezogenen Art. 26 IPbpR war die Statusallgemeinheit lange umstritten. In den frühen Mitteilungen des UN-Menschenrechtsausschusses wurde Art. 26 IPbpR nur im Zusammenhang mit anderen Rechten des Zivilpakts behandelt; die gleiche Gewährleistung anderer 208
Vgl. zum Erfordernis der Akzessorietät Christoph Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Aufl., München [u.a.] 2009, § 26 I 2, S. 446, Rn. 2. 209
Zur Akzessorietät des Art. 14 EMRK ausführlich unten S. 134 ff.
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2. Teil
Rechte, die materiell außerhalb des IPbpR lagen, sah der Ausschuss in der ersten Phase seiner Rechtsprechung als nicht von Art. 26 IPbpR erfasst an. Dies wird deutlich an dem Fall Shirin Aumeeruddy-Cziffra v. Mauritius (1981).210 In dieser Mitteilung ging es um die Neuregelung des Einwanderungsrechts in Mauritius. Die Beschwerdeführerinnen wandten sich gegen eine gesetzliche Regelung, nach der ausländische Ehemänner mauritischer Ehefrauen ihren bisherigen Aufenthaltstitel verloren und eine neue Aufenthaltsgenehmigung beantragen mussten, auf die aber kein Anspruch bestand und zu jeder Zeit durch den Innenminister widerrufen werden konnte. Diese Neuregelung des Einwanderungsrechts betraf jedoch nicht ausländische Ehefrauen mauritischer Ehemänner. In diesem Fall prüfte der Ausschuss die Ungleichbehandlung mauritischer Frauen und Männer aufgrund der Einwanderungsregelung nicht gesondert von dem materiell einschlägigen Freiheitsrecht des Art. 23 Abs. 1 IPbpR (Schutz der Familie), sondern bejahte eine Verletzung des Art. 26 IPbpR nur im Zusammenhang mit dem genannten Freiheitsrecht. Weitere, frühe Mitteilungen des Ausschusses bestätigen, dass Art. 26 IPbpR ebenso wie Art. 2 IPbpR vom Ausschuss als ein quasi-akzessorisches, nicht-allgemeines Gleichheitsrecht behandelt wurde.211 Die dogmatische Entwicklung des Art. 26 IPbpR zum allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz, den u.a. die Statusallgemeinheit kennzeichnet, wurde ermöglicht durch dessen Abkoppelung von den übrigen Rechten des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte. Dieser Schritt wurde in der Rechtsprechung des UNMenschenrechtsausschusses in den Fällen Broeks sowie Zwaan-de Vries vollzogen.212 Diese Mitteilungen betrafen Fälle einer behaupteten Geschlechterdiskriminierung aufgrund einer niederländischen Regelung im Arbeitslosenbeihilfegesetz. In beiden Fällen wandten sich die verhei210
MRA, 09.04.1981, 35/1978, Shirin Aumeeruddy-Cziffra, EuGRZ 1981,
391. 211
Z.B. die frühen Fälle gegen Uruguay: MRA, 29.10.1980, 28/1978, Luciano Weinberger Weisz, EuGRZ 1981, S. 428; HRLJ 1980, p. 243, § 15; MRA, 44/1979, 27.03.1981, Alba Pietraroia, EuGRZ 1981, S. 429; HRLJ 1981, p. 171, § 16. Vgl. dazu Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, par. 19. Anders aber Tufyal Choudhury, Interpreting the Right to Equality under Article 26 of the International Covenant on Civil and Political Rights, EHRLR 8 (2003), p. 24, 25. 212
Dazu vgl. nur Dupuy (Fn. 183), S. 151 ff. Dupuy bewertet diese Entwicklung kritisch und befürwortet eine „Repatriierung“ des Art. 26 IPbpR in den Zivilpakt, a.a.O., S. 159.
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rateten Beschwerdeführerinnen insbesondere gegen Paragraph 13 Abs. 1 des niederländischen Gesetzes, demgemäß verheiratete Frauen Arbeitslosenbeihilfe nicht beziehen konnten, wenn sie weder für den familiären Broterwerb zuständig waren noch permanent von ihrem Ehemann getrennt lebten. Ob eine Frau als für den familiären Broterwerb zuständig angesehen werden konnte, hing unter anderem von dem von der Ehefrau zum Familiengesamteinkommen beigetragenen Anteil ab. Diese Regelung galt ausschließlich für Frauen, während bei berufstätigen Ehemännern die Zuständigkeit für den familiären Broterwerb vermutet wurde. In der Sache ging es in diesen niederländischen Fällen zur Geschlechterdiskriminierung um Rechte, die nicht vom Pakt über bürgerliche und politische Rechte, sondern dem anderen großen Menschenrechtspakt, dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR, 1966)213 erfasst wurden. Einschlägig waren die Art. 9 (Recht auf Soziale Sicherheit), Art. 2 (Nichtdiskriminierung) und Art. 3 (Gleichberechtigung von Mann und Frau) des IPwskR. Problematisch war hier unter anderem, ob die Anwendung des Art. 26 IPbpR dadurch versperrt war, dass die angegriffene nationale Regelung Rechte des anderen internationalen Pakts betraf. Zunächst stellte der Ausschuss fest, dass die beiden Pakte jedenfalls keine grundsätzliche Sperrwirkung gegeneinander ausübten; ein Sachverhalt, der von einem anderen völkerrechtlichen Instrument erfasst würde, sei gleichwohl unter dem IPbpR nachprüfbar. Entscheidend war daher die Frage, ob bei Art. 26 IPbpR die Statusallgemeinheit anzunehmen ist oder ob dieser – in Fortführung der oben erwähnten, früheren Rechtsprechung des Ausschusses – bloß ein akzessorisches Gleichheitsrecht gewährleistet. Das wesentliche Argument, mit dem der Ausschuss die Statusallgemeinheit des Art. 26 IPbpR bejahte, war ein systematisches: Art. 26 IPbpR, so der Ausschuss, könne nicht so ausgelegt werden, dass er einfach das Recht des Art. 2 IPbpR (akzessorisches Diskriminierungsverbot) dupliziere. Sinn und Zweck des Art. 26 IPbpR sei es u.a., diskriminierende Rechtsetzung zu verhindern. Dabei verlange die Vorschrift zwar nicht positiv die Einführung sozialer Sicherungsmaßnahmen; wenn der nationale Gesetzgeber aber solche Maßnahmen der sozialen Sicherung einführe, dann müssten diese mit Art. 26 IPbpR im Einklang stehen. Diese Rechtsprechung zur Statusallgemeinheit wird bestä-
213
International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (1966), UNTS Vol. 993, p. 3; BGBl. 1973 II, S. 1570.
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2. Teil
tigt durch General Comment Nr. 18, in dem in Bezug auf Art. 26 IPbpR von einem „autonomous right“ die Rede ist.214
cc) Differenzierungsallgemeinheit Die dritte Art der Allgemeinheit des Gleichheitssatzes besteht in der Allgemeinheit des Differenzierungsgrundes (hier sog. Differenzierungsallgemeinheit). Die Differenzierungsallgemeinheit betrifft die Frage, mit welchen rechtlichen Kriterien eine Gleich- bzw. Ungleichbehandlung ermittelt wird, also wann von einer relevanten Gleich- bzw. Ungleichbehandlung auszugehen ist. Die Kriterien sind im Fall der Differenzierungsallgemeinheit abstrakt-unspezifisch: Im Ergebnis ist jede Ungleichbehandlung215 bzw. jede „Beeinträchtigung des geschützten Gleichheitsinteresses“ relevant und löst die weitere gleichheitsrechtsrechtliche Prüfung aus. Entscheidend ist, dass das Vorliegen einer Gleich- bzw. Ungleichbehandlung im Fall der Differenzierungsallgemeinheit tatbestandlich nicht von weiteren (Relevanz-)Kriterien abhängig gemacht wird. Die Differenzierungsallgemeinheit bedingt, dass die gleichheitsrechtliche Prüfung unabhängig davon, ob die Ungleichbehandlung auf einem personen-, verhaltens- oder sachbezogenen Kriterium beruht, aktiviert wird. Erfasst wird also bereits jede bloß unsachliche Unterscheidung. Anders liegt es bei den Diskriminierungsverboten als besonderen Gleichheitssätzen; hier ist – jedenfalls dem Wortlaut der Normen nach – die Anknüpfung an personenbezogene Differenzierungskriterien erforderlich, damit es sich um eine relevante Gleich- bzw. Ungleichbehandlung handelt.216 Die Differenzierungsallgemeinheit stellt damit ein weiteres Abgrenzungskriterium zwischen allgemeinen und besonderen 214
General Comment Nr. 18 (Fn. 201), § 12; ebenso auch Opsahl (Fn. 82), p. 193; Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, par. 12-13. 215
So für die klassische Auffassung zu Art. 3 Abs. 1 GG Heun (Fn. 16), Art. 3 GG, Rn. 23 f. Eine andere Auffassung, die die Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes derjenigen bei Freiheitsrechten annähert, stellt demgegenüber bereits bei der ersten Stufe auf eine maßstabsbezogene Gleichbehandlung ab, vgl. Stefan Huster, Rechte und Ziele: Zur Dogmatik des allgemeinen Gleichheitssatzes, Berlin 1993, S. 164 ff.; vgl. daran anknüpfend Sachs (Fn. 97), Art. 20, Rn. 22. Zu dieser Ansicht vgl. ausführlich S. 84 ff. 216
Vgl. zu Art. 14 EMRK nur Anne Peters, Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention, München 2003, S. 216 f. und ausführlich unten S. 177 ff.
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Gleichheitssätzen bereit: Im Unterschied zu besonderen Gleichheitssätzen machen allgemeine Gleichheitssätze das menschenrechtliche Gleichheitsproblem in unspezifisch-abstrakter Weise zum Gegenstand rechtlicher Prüfung. Im hier betrachteten „Modellfall“ des Art. 26 IPbpR ist die Differenzierungsallgemeinheit zu bejahen. Die Prüfung des Art. 26 IPbpR wird nicht bloß aktiviert, wenn ein personenbezogenes Merkmal das Differenzierungskriterium darstellt, sondern auch, wenn es sich um eine „schlichte“ Ungleichbehandlung der einen Person im Hinblick auf die Behandlung einer Vergleichsgruppe handelt. So stellte der Ausschuss im erwähnten Fall Michael O’Neill and John Quinn (2006) ausdrücklich fest: “As regards the prohibition of discrimination, the Committee notes that the distinction made by the State party between the authors and those prisoners who had been included in the early release scheme is not based on any of the grounds listed in Article 26. In particular, the authors were not excluded because of their political opinions. However, article 26 not only prohibits discrimination but also embodies the guarantee of equality before the law and equal protection of the law” [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.].217 Entscheidend für den vorliegenden Zusammenhang der Differenzierungsallgemeinheit ist nun, dass der Ausschuss diesen Fall nicht etwa unter Art. 26 S. 2 IPbpR – als Diskriminierung aufgrund eines „sonstigen Status“ –, sondern als Fall des Art. 26 S. 1 IPbpR eingestuft hat und sich daher einer näheren Qualifizierung des Differenzierungskriteriums enthielt. Die Ungleichbehandlung der beiden betreffenden Häftlinge im Vergleich zu anderen in ähnlicher Lage wird lediglich festgestellt, im Ergebnis allerdings als gerechtfertigt angesehen. Bezüglich der „Allgemeinheit“ des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes ist somit in dreifacher Hinsicht zu differenzieren zwischen der Allgemeinheit des Anwendungsbereichs, der Statusallgemeinheit und der Differenzierungsallgemeinheit. Im Modellfall des Art. 26 IPbpR ist die „Allgemeinheit“ voll entfaltet.
217
MRA, 24.07.2006, 1314/2004, Michael O’Neill and John Quinn, UN Doc. CCPR/C/87/D/1314/2004.
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2. Teil
3. Dogmatische Struktur des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes a) Drei Modelle Aufgabe der gleichheitsrechtlichen Dogmatik ist es, für die beiden Gewährleistungen des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes (Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz bzw. durch das Gesetz) Kategorien und Strukturen zu entwickeln, um feststellen zu können, ob eine Verletzung dieses Rechts im Einzelfall vorliegt oder nicht. Der allgemeine Gleichheitssatz lässt sich – wie alle Gleichheitsrechte – im Kern auf die Forderung „gleiche Sachverhalte gleich und ungleiche ungleich“ zu behandeln, zurückführen.218 Ausgehend von dieser Grundstruktur kann eine Verletzung des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes dann angenommen werden, wenn der Anspruch auf Gleichbehandlung oder der Anspruch auf Ungleichbehandlung ungerechtfertigt beeinträchtigt wird. Abgesehen von dieser Grundstruktur besteht bezüglich der weiteren dogmatischen Ausformung des allgemeinen Gleichheitssatzes keine Einigkeit: Die nähere Ausgestaltung der gleichheitsrechtlichen Prüfung hängt von dem grundsätzlichen Verständnis des Begriffs der Gleichbehandlung sowie von den Zwecken des (allgemeinen) Gleichheitsrechts überhaupt ab. In der Gleichheitsrechtsdogmatik lassen sich im Wesentlichen drei Modelle unterscheiden, mit denen die Prüfung des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes strukturiert werden kann: das zweistufige Modell der Gleichheitspräsumtion, das dreistufige Eingriffsmodell und das Reduktionsmodell. Der UN-Menschenrechtsausschuss folgt dem zweistufigen Modell der Gleichheitspräsumtion, so dass praktischerweise mit diesem zu beginnen ist.
b) Das zweistufige Modell der Gleichbehandlungspräsumtion (Praxis des UN-Menschenrechtsausschusses) Eine im völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz weit verbreitete Lehre, der auch die Praxis des UN-Menschenrechtsausschusses folgt, prüft Verletzungen des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes in einem zweistufigen Verfahren. Auf der ersten Stufe geht es um die Fest218
Vgl. dazu das formale Prinzip der präskriptiven Gleichheit (oben S. 13 f.) und das Rechtsprinzip der formalen Gleichbehandlung (unten S. 414 ff.).
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stellung, ob eine Ungleichbehandlung (ggf. auch Gleichbehandlung) vorliegt. Dieser Prüfung wird meistens noch eine sog. Vergleichbarkeitsprüfung vorangestellt, mit der geklärt werden soll, ob zwischen den Vergleichsgruppen überhaupt eine sinnvolle Gleichheitsbeziehung denkbar ist oder nicht. Nur wenn eine Ungleichbehandlung von gleichen Sachverhalten (bzw. eine Gleichbehandlung von ungleichen Sachverhalten) zu bejahen ist, findet auf einer zweiten Stufe eine Rechtfertigungsprüfung statt. Es handelt sich um ein Modell der Gleichbehandlungspräsumtion, indem die Gleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte als „Normalfall“ oder Referenzfall gesetzt wird, an welcher sich die übrigen Behandlungen messen lassen müssen. Häufig wird die Gleichbehandlungspräsumtion auch als „Argumentationslast für Ungleichbehandlungen“ umschrieben.219
aa) Beeinträchtigung des Gleichheitsinteresses aaa) Vergleichbarkeit als Vorbedingung Bestandteil der allgemeinen, jedoch umstrittenen220 gleichheitsrechtlichen Dogmatik ist es, wie erwähnt, der eigentlichen Prüfung des Gleichheitssatzes die Prüfung der Vergleichbarkeit der Sachverhalte, Personen oder Gruppen vorzuschalten.221 In der Rechtsprechung finden sich folgende Bezeichnungen für diese Anwendungsvoraussetzung: „similarly situated individuals“,222 „analogous situations“,223 „relevantly
219 220
Vgl. nur Alexy (Fn. 15), S. 370 f., 387. Vgl. ausführlich zur Kritik am Vergleichbarkeitstest unten S. 174 ff.
221
Für den allgemeinen Gleichheitssatz des Gemeinschaftsrechts vgl. Odendahl (Fn. 156), § 44, Rn. 18; Thorsten Kingreen, Gleichheitsgrundrechte, in: Dirk Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Aufl., Berlin 2009, § 17 I 3, S. 620 f., Rn. 13; für Art. 3 Abs. 1 GG vgl. Heun (Fn. 16), Art. 3 GG, Rn. 23; für Art. 14 EMRK (wo diese Prüfung vom EGMR sinngemäß durchgeführt wird) vgl. EGMR, 03.10.2000, Camp and Bourimi, RJD 2000-X, § 36. 222
MRA, 21.10.2005, 1249/2004, Sister Immaculate Joseph u.a., UN Doc. CCPR/C/85/D/1249/2004, § 7.5. 223
EGMR, 18.02.1999, Larkos, RJD 1999-I, § 30.
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2. Teil
similar situations“,224 „appropriate comparator group“225 oder „wesentliche Gleichheit der Sachverhalte“.226 Auch der UN-Menschenrechtsausschuss beginnt die Prüfung der Beeinträchtigung des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes mit einer Feststellung zur Vergleichbarkeit der Sachverhalte.227 Nur wenn (mindestens) zwei vergleichbare Sachverhalte vorliegen, wird überhaupt untersucht, ob eine (dem Rechtfertigungszwang unterliegende) Gleichoder Ungleichbehandlung vorliegt. Im Rahmen dieser Vorprüfung geht es um eine Feststellung der Gleichheit oder Vergleichbarkeit von Sachverhalten (bzw. Personen oder Gruppen).228 Dies geschieht durch Vergleichsgruppenbildung unter einem gemeinsamen Oberbegriff (tertium comparationis) und durch die wertende Zuordnung des betreffenden Sachverhalts bzw. der Person zu einer Vergleichsgruppe.229 Nach dieser Ansicht kann die weitere gleichheitsrechtliche Prüfung nur dann stattfinden, wenn sich (mindestens) ein solcher gemeinsamer Oberbegriff finden lässt. Der Menschenrechtsausschuss prüft die Vergleichbarkeit der Sachverhalte meistens implizit, ohne sie als solches eigens zu identifizieren. In einem neueren Fall, Sister Immaculate Joseph (2005), findet sich allerdings – soweit ersichtlich zum ersten Mal – die Formulierung, die das gesamte Prüfungsprogramm des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes ausspricht: “(...) the notion of equality before the law requires similarly situated individuals to be afforded the same process before the courts, unless objective and reasonable grounds are supplied to
224
EGMR, 18.02.1999, Larkos, RJD 1999-I, § 30.
225
CSCt, Hodge v. Canada (Minister of Human Resources Development), [2004] 3 S.CR. 357, 2004 SCC 65, §§ 15 ff.; CSCt, Auton (Guardian ad litem of) v. British Columbia (Attorney General), [2004] 3 S.C.R. 657, 2004 SCC 78, §§ 48 ff. 226
BVerfGE 90, 145, 195 f. – Cannabis, st. Rspr. Dabei handelt es sich um ein „funktionales Äquivalent“ zur Vergleichbarkeitsprüfung, so Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 128. 227 Vgl. für Art. 26 IPbpR Choudhury (Fn. 211), pp. 31-33; Vandenhole (Fn. 179), pp. 45-46; ausführlich zur Vergleichbarkeitsprüfung beim Diskriminierungsverbot S. 165 ff. 228 229
Für Art. 3 Abs. 1 GG vgl. Heun (Fn. 16), Art. 3 GG, Rn. 23. Vgl. nochmals Heun (Fn. 16), Art. 3 GG, Rn. 23.
Recht der menschenrechtlichen Gleichheit
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justify the differentiation” [Hervorhebung nicht im Original, Verf.].230 Hier wird die Vergleichbarkeitsprüfung ausdrücklich erwähnt. Allerdings vermeidet der Ausschuss, Kriterien anzugeben, mit denen diese Vergleichbarkeit zu prüfen ist. Bisweilen wird dazu in der Literatur verlangt, dass die Sachverhalte in „wesentlichen Merkmalen übereinstimmen“,231 da alle Sachverhalte in irgendeiner Hinsicht vergleichbar sind. Worin allerdings eine „wesentliche Übereinstimmung“ positiv zu sehen ist, bleibt ungeklärt. Da die Anwendbarkeit des Art. 26 IPbpR in der Prüfung durch den Ausschuss durchaus an der fehlenden Vergleichbarkeit scheitern kann, handelt es sich um eine ernst zu nehmende Anwendungsvoraussetzung. Mangels überzeugender positiver Kriterien empfiehlt sich ein Negativansatz: Auszugehen ist von der Frage, wann die Vergleichbarkeit regelmäßig abzulehnen ist. Aus einer allgemeinen Dogmatik des Gleichheitssatzes folgt bereits, dass Vergleichbarkeit stets nur im Hinblick auf denselben grund- und menschenrechtsverpflichteten Hoheitsträger bestehen kann.232 Dies führt in Bundesstaaten dazu, wie auch der UN-Menschenrechtsausschuss festgestellt hat, dass sich Einwohner verschiedener Gliedstaaten hinsichtlich der von den Gliedstaaten zu regelnden Rechtsmaterien nicht in vergleichbarer Situation befinden.233 Auch die Vergleichbarkeit von Personen in verschiedenen Staaten, die Bildung einer internationalen Vergleichsgruppe, scheidet aus. Allerdings hat der Ausschuss eine aufschlussreiche Ausnahme davon in dem Fall Ibrahima Gueye et al. (1989)234 zugelassen: Dieser Fall betraf senegalesische Soldaten, die – vor der Unabhängigkeit Senegals 1960 – in der französischen Armee gekämpft hatten. Bis zur Unabhängigkeit hatten die Beschwerdeurheber dieselben Pensionsansprüche wie französische Soldaten; nach der Unabhängigkeit des Senegal wurden diese Pensionen zunächst fortgezahlt, bis schließlich 1975 die Höhe der Zahlungen auf dem Stand von 1974 eingefroren wurde. In diesem besonderen Fall bildete der Ausschuss gleichsam eine internationale Ver230
MRA, 21.10.2005, 1249/2004, Sister Immaculate Joseph u.a., UN Doc. CCPR/C/85/D/1249/2004, § 7.5. 231
Für den gemeinschaftsrechtlichen Gleichheitssatz vgl. Odendahl (Fn. 156), § 44, Rn. 18. 232
Für Art. 3 Abs. 1 GG vgl. Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 47.
233
MRA, 21.07.2001, 790/1997, Cheban, UN Doc. CCPR/C/72/D/790/ 1997, § 7.4; MRA, 15.07.2002, 1087/2002, Hesse, UN Doc. CCPR/C/75/D/ 1087/2002; vgl. dazu Choudhury (Fn. 211), p. 34 ff. 234
MRA, 03.04.1989, 196/1985, Ibrahima Gueye et al., UN Doc. CCPR/C/ 35/D/196/1985.
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2. Teil
gleichsgruppe, indem er die Behandlung senegalesischer Soldaten, die in der französischen Armee gekämpft hatten, mit der der französischen Soldaten verglich.235 Andere Fälle zeigen, dass der UN-Menschenrechtsausschuss die Vergleichbarkeit von Personen unter allgemeinen Regelungsregimen mit Personen, die unter spezielle Regelungsregime fallen (insbesondere in den Fällen staatsnaher Tätigkeiten), tendenziell ablehnt.236 So hat der Ausschuss entschieden, dass Soldaten nicht mit Zivilisten vergleichbar sind hinsichtlich der Möglichkeit, einer gerichtlichen Vorladung zu widersprechen237 oder hinsichtlich der Beanspruchung gewisser Sozialleistungen.238 Die Vergleichbarkeit wurde auch verneint in einem Fall, der niederländische Pensionsansprüche betraf: In dem Fall van Oord (1997) ging es um ehemalige niederländische Staatsangehörige, die in die Vereinigten Staaten ausgewandert waren und die amerikanische Staatsangehörigkeit erworben hatten.239 Zwischen den Vereinigten Staaten und den Niederlanden bestand ein Abkommen zur Regelung von Pensionsansprüchen. Die Beschwerdeurheber rügten u.a., dass ihre niederländischen Pensionsansprüche gekürzt worden seien um den Zeitraum, den sie in den Vereinigten Staaten verbracht hätten, während eine solche Kürzung bei Personen, die in den Niederlanden selbst oder als ehemalige Staatsangehörige in anderen Ländern als den Vereinigten Staaten lebten, nicht vorgenommen würde. In diesem Fall verneinte der Ausschuss die Vergleichbarkeit der in den Vereinigten Staaten lebenden ehemaligen Niederländer sowohl mit den im Mutterland lebenden Staatsangehörigen wie auch mit den in anderen Ländern lebenden ehemaligen Staatsangehörigen. In solchen Fällen bejaht der Ausschuss lediglich die Vergleichbarkeit unter dem jeweiligen Regelungsregime. Insgesamt weist die Rechtsprechung des UN-Menschenrechtsausschusses allerdings keinen systematischen Ansatz bei der Vergleichbarkeitsprüfung auf.
235
Dieses Vorgehen des Ausschusses wird kritisiert von Dupuy (Fn. 183), S.
158 f. 236
Ähnlich auch Vandenhole (Fn. 179), p. 45.
237
MRA, 24.03.1988, 267/1987, M.J.G. v. the Netherlands, UN Doc. CCPR/ C/32/D/267/1987, § 3.2; vgl. auch Vandenhole (Fn. 179), p. 45. 238
MRA, 30.10.1989, 297/1988, H.A.E.d.J. v. the Netherlands, UN Doc. CCPR/C/37/D/297/1988, § 8.2. 239
MRA, 23.07.1997, 658/1995, Jacob and Jantina Hendrika van Oord, UN Doc. CCPR/C/60/D/658/1995, § 8.4 f.; dazu Choudhury (Fn. 211), p. 34.
Recht der menschenrechtlichen Gleichheit
71
bbb) Ungleich- bzw. Gleichbehandlung In einem zweiten Schritt wird im Rahmen des Modells der Gleichheitspräsumtion geprüft, ob eine Ungleich- bzw. (bei nicht vergleichbaren Sachverhalten) eine Gleichbehandlung vorliegt.240 Dabei wird der Gleichbehandlungsbegriff verkürzt auf den der formalen Gleichbehandlung.241 Bei der formalen Gleichbehandlung handelt es sich um eine identische Behandlung der Vergleichssachverhalte.242 Eine Ungleichbehandlung liegt danach vor, wenn auf zwei vergleichbare Sachverhalte nicht die identischen Rechtsfolgen angewendet werden. Im obigen Beispiel wurden so die senegalesischen gegenüber den französischen Soldaten formal ungleich behandelt, indem den ersteren – trotz Vergleichbarkeit der Sachverhalte – geringere Pensionsansprüche zugebilligt wurden.
bb) Rechtfertigung aaa) Das grundsätzliche Problem der Relevanzbestimmung bestehender Ungleichheiten Nach dem Modell der Gleichheitspräsumtion sind Ungleichbehandlungen vergleichbarer Sachverhalte stets dann gerechtfertigt, wenn zwischen den Sachverhalten relevante Unterschiede bestehen, denen die rechtliche Differenzierung korrespondiert.243 Auf dieser Stufe der gleichheitsrechtlichen Prüfung, der Rechtfertigungsebene, führt das Modell der Gleichbehandlungspräsumtion wiederum zu normativen Erwägungen: Die Frage nach der Relevanz von tatsächlich bestehenden Ungleichheiten setzt eine Wertung oder Gewichtung voraus.244 Prob240
Für Art. 26 IPbpR vgl. Choudhury (Fn. 211), pp. 34-35; für den gemeinschaftsrechtlichen Gleichheitssatz vgl. Odendahl (Fn. 156), § 44, Rn. 23; für Art. 3 Abs. 1 GG vgl. Heun (Fn. 16), Art. 3 GG, Rn. 23; für s. 15 (1) Canadian Charter of Rights and Freedoms vgl. Black/Smith (Fn. 97), pp. 938-939. 241
Für Art. 3 Abs. 1 GG vgl. Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 52 (der den Begriff der „deskriptiven Gleichbehandlung“ verwendet). 242
Zum Moralprinzip der formalen Gleichbehandlung s. S. 13 f., zum Rechtsprnzip der formalen Gleichbehandlung s. S. 414 ff. 243 So Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 58 zu Art. 3 Abs. 1 GG, der dies als das „Grundmodell der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung“ bezeichnet. 244
Bereits die Bestimmung der Vergleichbarkeit enthält eine normative Wertung, dazu s. S. 67 und – für den Kontext des Diskriminierungsverbots – S. 165 ff.
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2. Teil
lematisch ist nun, dass bezüglich der rechtlichen Relevanz von bestehenden Ungleichheiten keine unverbrüchliche Einigkeit herstellbar ist.245 Dies beruht auf der oben dargestellten Eigenschaft des Gleichheitsbegriffs als „essentially contested concept“.246 Die Beurteilung der Relevanz von Ungleichheiten hängt von einigen, zum Teil kontingenten, jedenfalls aber wandelbaren Faktoren ab: soziale, politische und lokale Umstände, wissenschaftliche Erkenntnis, common sense etc.247 bbb) Zwei Konkretisierungsebenen Das Modell der Gleichbehandlungspräsumtion ist zur Bestimmung der Erheblichkeit von Ungleichheiten auf rechtliche Maßstäbe angewiesen, die außerhalb des allgemeinen Gleichheitssatzes liegen.248 Die gleichheitsrechtliche Dogmatik kennt grundsätzlich zwei Konkretisierungsebenen: Die Frage nach der Relevanz der Sachverhaltsungleichheit ist einmal im Hinblick auf den Sinn und Zweck des zu beurteilenden Rechtsakts zu bestimmen (sog. sachbereichsspezifische Konkretisierung),249 sowie des Weiteren durch Inbezugnahme der gesamten Rechtsordnung, insbesondere des höherrangigen Rechts (hier sog. wertorientierte Konkretisierung).250 Im Fall allgemeiner Gleichheitssätze des nationalen Rechts, etwa Art. 3 Abs. 1 GG oder des XIV. Am. der U.S.-Verfassung, ist eine wertorientierte Konkretisierung in erster Linie mit Hilfe des übrigen Verfassungsrechts zu leisten. Genau diese Konkretisierung ist aber im Fall des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes besonders problematisch. Ein internationales Verfassungsrecht, an welchem „bloß unsachliche“ Differenzierungen gemessen 245
Die Frage, nach welchem Kriterium relevante Gleichheitsbeziehungen zu ermitteln sind, ist Gegenstand der philosophischen Egalitarismusdebatte, zu den „Konzeptionen der Gleichheit“ vgl. oben S. 15 ff. 246 247
Dazu s. oben S. 16. Vgl. Waldmann (Fn. 141), S. 67.
248
Dies ist in der gleichheitsrechtlichen Dogmatik unumstritten, vgl. nur Waldmann (Fn. 141), S. 67 f.; Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 59, S. 50, Rn. 90. 249
So Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 59; vgl. auch Waldmann (Fn. 141), S. 68, der von der „inneren Logik“ des Rechtsaktes spricht. Vgl. auch Choudhury (Fn. 211), p. 44 (in Bezug auf Art. 26 IPbpR): “The reasonableness of a requirement set out in legislation can be judged by reference to the purpose of the legislation.” 250
Vgl. dazu Waldmann (Fn. 141), S. 68 f., der von „materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen“ spricht, die eine inhaltliche Konkretisierung leisteten.
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werden könnten, existiert nicht oder nur in Vorformen.251 Bestehendes quasi-Verfassungsrecht auf völkerrechtlicher Ebene, nach verbreiteter Anschauung etwa Regelungen, die dem ius cogens zuzurechnen sind (z.B. das Verbot der Rassendiskriminierung), ist zu wenig ausdifferenziert, um eine wertorientierte Konkretisierung zu ermöglichen. Das Problem der Relevanzbestimmung bei Sachverhaltsungleichheit ist daher im Völkerrecht auf andere Weise zu bewältigen. ccc) Justierung von Gleichheitsmaßstab und Gleichheitsurteil durch Rechtfertigungstests Das Modell der Gleichheitspräsumtion versucht dem Konkretisierungsproblem durch die Justierung von Gleichheitsmaßstab und Gleichheitsurteil Herr zu werden. Damit ist Folgendes gemeint: Nur unter idealen Bedingungen wäre die vollständige Entsprechung von rechtlicher Differenzierung und tatsächlicher Differenz denkbar.252 Unter den nichtidealen Bedingungen der Lebenswelt, im Recht und im völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz zumal, kann diese Forderung nicht gestellt werden. Die Unterscheidung verschiedener „Rechtfertigungstests“ spiegelt daher die Notwendigkeit wider, Gleichheitsmaßstab und Gleichheitsurteil zu justieren: Angesichts einer nicht-idealen Lebenswelt, in der normative Gleichheitsurteile, also etwa „Amtsärzte und Gymnasiallehrer sind hinsichtlich der Entlohnung gleich zu behandeln“, stets anfechtbar bleiben, müssen Maßstab (im Beispielsfall: die Entlohnung) und Urteil (im Beispielsfall das Gleichbehandlungsgebot) in der rechtli251
Für einen Überblick zur Konstitutionalisierungsdebatte im Völkerrecht vgl. Oliver Diggelmann/Tilmann Altwicker, Is There Something Like a Constitution Of International Law? A Critical Analysis of the Debate on World Constitutionalism, ZaöRV 68 (2008), pp. 623-650. 252
Eine solche Idealvorstellung liegt Platons bekannter „suum cuique“Formel („Jedem das Seine“) zugrunde (Platon, Politeia, in: ders., Sämtliche Werke, Bd. 5, nach der Übersetzung Friedrich Schleiermachers, ergänzt durch Übersetzungen von Franz Susemihl u.a., hrsg. v. Karlheinz Hülser, Frankfurt am Main/Leipzig 1991, 370a, 432-34. Mit dieser sog. Idiopragieformel ist gemeint, dass jeder das Seinige tue und empfange; Gerechtigkeit ist bei Platon auf Aktivität, auf menschliches Handeln bezogen (vgl. Gosepath [Fn. 14], S. 44). Was „das Seinige“ ist, kann nur im Hinblick auf das Allgemeine bestimmt werden, d.h. nur losgelöst von Partikularinteressen und der Je-Einzelnheit. Dafür ist in Platons Staat der Philosophenkönig zuständig, der den Zugang zur „Idee des Guten“ hat, vgl. dazu Rüdiger Bubner, Polis und Staat: Grundlinien der Politischen Philosophie, Frankfurt am Main 2002, S. 51 ff., insbes. S. 68 f.
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chen Bewertung justiert werden. Nur wenn es ein – auch unter nichtidealen Bedingungen – untragbares Verhältnis zwischen Gleichheitsmaßstab und -urteil gibt, lässt sich von einer Ungerechtigkeit sprechen, die der Korrektur bedarf. So kann man im Beispielsfall der Ärzte und Lehrer die (formale) Gleichbehandlung hinsichtlich der Entlohnung etwa mit dem Verweis auf vergleichbare Bildungsvoraussetzungen begründen trotz bestehender, durchaus beachtlicher Unterschiede (wie etwa die Verantwortung der Ärzte für besonders wichtige Rechtsgüter). Jedenfalls kann mit Recht von einem Gleichbehandlungsspielraum ausgegangen werden, der den Hoheitsträgern unter nicht-idealen Bedingungen zukommen muss. Ein anfechtbares Verhältnis zwischen Gleichheitsmaßstab und -urteil, das der Aufdeckung durch die Rechtfertigungstests bedarf, läge aber bei folgendem Gleichheitsurteil vor (sofern man nicht bereits die Vergleichbarkeit verneint): „Amtsärzte und Krankenschwestern sind hinsichtlich der Entlohnung gleich zu behandeln.“ Hier ist es die Aufgabe des Rechtfertigungstests, formale Kriterien bereitzustellen, anhand derer sich die Untragbarkeit des Verhältnisses von Gleichheitsmaßstab und Gleichheitsurteil überprüfen lässt. Diesem Aufdecken der Untragbarkeit dienen die Rechtfertigungstests. Die gleichheitsrechtliche Dogmatik hat verschiedene Rechtfertigungstests entwickelt, unter denen gleichheitsrechtlich relevante Beeinträchtigungen sich als gerechtfertigt bzw. ungerechtfertigt ausweisen lassen. Drei Rechtfertigungstests lassen sich im Fall des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes in Art. 26 IPbpR unterscheiden: erstens eine Willkürprüfung, zweitens die Prüfung des Vorliegens „objektiver und sachlicher Gründe“ und drittens eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Im Fall des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes aus Art. 26 IPbpR, dem hier betrachteten „Modellfall“, kommen uneinheitlich alle drei Rechtfertigungstests zur Anwendung. Eine Systematisierung der Rechtsprechung des UN-Menschenrechtsausschusses ist allerdings angesichts der uneinheitlichen Anwendung der Rechtfertigungstests problematisch.253 ddd) Willkürprüfung („arbitrariness-test“) In einer allgemeinen Dogmatik des Gleichheitssatzes stellt die (negative) Willkürprüfung eine Mindestanforderung zur Rechtfertigung von 253
So auch Vandenhole (Fn. 179), p. 46: “The Committee’s jurisprudence on the permissibility or legitimacy of distinctions has been developed on a case-bycase basis, and is therefore difficult to systematize.”
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Beeinträchtigungen des Gleichheitsinteresses dar.254 Eine willkürliche Rechtsanwendung liegt zumindest dann vor, wenn sie ausschließlich auf einem oder mehreren der in Art. 26 S. 2 IPbpR aufgelisteten Differenzierungsgründen beruht.255 Dann jedoch ist – mangels Differenzierungsallgemeinheit – das Diskriminierungsverbot des Art. 26 IPbpR als lex specialis einschlägig.256 In den wenigen Fällen, in denen der UN-Menschenrechtsausschuss ausdrücklich den allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz des Art. 26 S. 1 IPbpR (und nicht etwa das Diskriminierungsverbot des Art. 26 S. 2 IPbpR) geprüft hat, ist eine Tendenz erkennbar, sich auf eine bloße Willkürprüfung zu beschränken. Die Willkürkontrolle ist als gleichheitsrechtlicher Mindestmaßstab auf völkerrechtlicher Ebene geeigneter Ausdruck der Subsidiarität des internationalen Menschenrechtsschutzes257: Wenn es in erster Linie Sache der Vertragsstaaten ist, 254
Vgl. zur Willkürprüfung im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG Heun (Fn. 16), Art. 3 GG, Rn. 31 (Willkürverbot als „Minimalstandard“). Zur Kritik an der Willkürprüfung generell vgl. Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 62: Die Willkürprüfung führe im Ergebnis dazu, „daß das Gleichbehandlungsgebot weitgehend leer läuft, da der öffentlichen Gewalt nur ganz ausnahmsweise ein völlig unsachliches, willkürliches Vorgehen vorgeworfen werden kann.“ Diese Beobachtung gilt auch für den mit der Willkürprüfung im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG verwandten (aber nicht identischen) „rational basis test“ im U.S.amerikanischen Verfassungsrecht, vgl. USSCt, McGowan v. Maryland, 366 U.S. 420 , 425 (1961) (zit. nach Weber [Fn. 163], S. 875): “The constitutional safeguard is offended only if the classification rests on grounds wholly irrelevant to the achievement of the States objective. State legislature is presumed to have acted within their constitutional power despite the fact that, in practice, their laws result in some inequality. A statutory discrimination will not be set aside if any state of facts reasonably may be conceived to justify it.” Vgl. auch Winfried Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, 2. Aufl., München 2001, S. 133; rechtsvergleichend s. auch Edward J. Eberle, Equality in Germany and the United States, SDILJ 10 (2008), pp. 63-120. 255
Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, par. 15.
256
Zur Differenzierungsallgemeinheit als Wesensmerkmal des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes s. S. 64 f. 257
Zur Subsidiarität des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes vgl. immer noch den grundlegenden Aufsatz von Herbert Petzold, The Convention and the Principle of Subsidiarity, in: Ronald St. John Macdonald et al. (eds.), The European system for the protection of human rights, Dordrecht [et al.] 1993, pp. 41-62; vgl. auch Stephan Breitenmoser, Subsidiarität und Interessenabwägung im Rahmen der EGMR-Rechtsprechung, in: ders./Bernhard Ehrenzeller/Marco Sassòli/Walter Stoffel/Beatrice Wagner Pfeifer (Hrsg.), Human
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für einen adäquaten Schutz des im IPbpR grundgelegten allgemeinen Gleichheitsrechts zu sorgen, dann spricht vieles für den weitmaschigeren Rechtfertigungstest der Willkürkontrolle, der insbesondere dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei Klassifizierungen überlässt. Der Menschenrechtsausschuss hat daher in politischen Konflikten (wie z.B. wie dem Nordirlandkonflikt) Ungleichbehandlungen unter diesem weiten Rechtfertigungstest geprüft.258 In diesem Sinne geht eine Willkürprüfung bereits von der Rechtfertigung einer Beeinträchtigung des Gleichheitsinteresses aus, wenn sich überhaupt nur irgendein nachvollziehbarer, objektiver Grund für die Behandlung erkennen lässt.259 Ob dies ein besonders zwingender oder bedeutsamer Grund ist, bleibt bei einer reinen Willkürprüfung außer Betracht. eee) „Objektive und sachliche Gründe“-Test („objective and reasonable grounds-test“) In der Mehrzahl der Fälle prüft der UN-Menschenrechtsausschuss die Rechtfertigung bei Art. 26 IPbpR – sowohl in seiner Funktion als allgemeiner völkerrechtlicher Gleichheitssatz als auch als Diskriminierungsverbot – nach folgender Formel: Eine Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte ist gerechtfertigt, wenn für sie „objektive und
Rights, Democracy and the Rule of Law/Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat/Droits de l’homme, démocratie et état de droit: Liber Amicorum Luzius Wildhaber, Zürich/Baden-Baden 2007, S. 119 ff. 258
Vgl. MRA, 24.07.2006, 1314/2004, Michael O’Neill and John Quinn, UN Doc. CCPR/C/87/D/1314/2004, § 8.4: “The Committee considers that it is not in a position to substitute the State party’s assessment of facts with its own views, particularly with respect to a decision that was made nearly ten years ago, in a political context, and leading up to a peace agreement.” 259 Das Willkürverbot lässt sich verschieden interpretieren: Insbesondere in der deutschen Gleichheitsrechtsdogmatik wird das Willkürverbot als Verbot einer sachunangemessenen Regelung, die sich am Gerechtigkeitsgedanken orientiert, verstanden, vgl. Heun (Fn. 16), Art. 3 GG, Rn. 19. Verwandt, aber durchaus nicht identisch ist der „rational basis test“ im U.S.-amerikanischen Verfassungsrecht: Hier wird gefragt, ob der Hoheitsakt einen verfassungswidrigen Zweck verfolgt oder die Mittel-Zweck-Relation willkürlich, d.h. der Gesetzeszweck in keiner Weise durch das Mittel der Ungleichbehandlung herbeigeführt werden kann, vgl. Brugger (Fn. 254), S. 133.
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sachliche Gründe“ („objective and reasonable grounds“) vorgebracht werden.260 Man könnte diese Formel der „objektiven und sachlichen Gründe“ dahingehend verstehen, dass hier im Unterschied zu einer negativen Willkürkontrolle eine weitergehende, materielle Überprüfung eines Rechtsakts stattzufinden habe. Insbesondere bei der Rechtsetzungsgleichheit in Art. 26 S. 1 Alt. 2 IPbpR erschiene damit eine materielle Kontrolle des betroffenen Rechtsakts angezeigt.261 Was genau „objektive und sachliche Gründe“ sind, die eine formale Ungleichbehandlung rechtfertigen können, lässt der UN-Menschenrechtsausschuss aber offen. Eine Typisierung der bisher in der Rechtsprechung des Ausschusses akzeptierten Gründe ist daher schwierig. In abstrakter Betrachtung kann aber gesagt werden, dass die Ungleichbehandlung zum einen dann von einem objektiven und sachlichen Grund getragen wird, wenn die getroffene Differenzierung im Hinblick auf Sinn und Zweck des fraglichen Rechtsakts objektiv nachvollziehbar ist. Dies wurde oben auch als „sachbereichsspezifische Konkretisierung“ oder „Sachgerechtigkeit“ bezeichnet.262 Beispielsweise ist die körperliche Fitness ein durchaus akzeptables Differenzierungskriterium bei der Einstellung von Polizeianwärtern, nicht jedoch bei der Einstellung als Richter. Zum anderen muss die Differenzierung – nach der allgemeinen Gleichheitsrechtsdogmatik – mit materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen, wie sie vor allem in höherrangigem Recht verkörpert sind, in Einklang stehen.263 Letzteres kann man als Forderung nach „materieller Gerechtigkeit“ einer Differenzierung bezeichnen. Im nationalen Recht wird diese Überprüfung auf objektive und sachliche Gründe insbesondere durch Typisierung von Fallgruppen, denen 260
MRA, 21.10.2005, 1249/2004, Sister Immaculate Joseph u.a., UN Doc. CCPR/C/85/D/1249/2004, § 7.5.: “(...) the notion of equality before the law requires similarly situated individuals to be afforded the same process before the courts, unless objective and reasonable grounds are supplied to justify the differentiation.” Vgl. MRA, 04.04.2001, 819/1998, Joseph Kavanagh, UN Doc. CCPR/C/71/D/819/1998, §§ 10.2, 10.3. Vgl. auch MRA, 26.03.2007, 1451/2006, Rabindranath Gangadin, UN Doc. CCPR/C/89/D/1451/2006. 261
Vgl. Opsahl (Fn. 82), p. 192: “(...) ‘equal protection of the law’ might suggest also material equality, or justice, e.g. in the sense of equal distribution of rights and benefits.” 262
Dazu vgl. bereits oben S. 72; für Art. 3 Abs. 1 GG: Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 59; Heun (Fn. 16), Art. 3 GG, Rn. 35. 263
Waldmann (Fn. 141), S. 68 f.; Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 60.
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eine unterschiedliche Prüfungsdichte korrespondiert, angeleitet. Wie Waldmann für das Schweizer Bundesrecht darlegt, betrifft dies etwa Ungleichbehandlungen im Steuerrecht, Beamtenrecht oder der Ausländerbehandlung.264 In ähnlicher Weise kennt die Rechtsprechung des BVerfG eine graduelle Verdichtung der dem Gesetzgeber gesteckten Grenzen und damit eine Zunahme der gerichtlichen Kontrolle; die gerichtliche Prüfungsintensität, „die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse“ reicht, ist abhängig von „Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen“.265 Eine solchermaßen ausdifferenzierte Rechtsprechungskasuistik findet sich bislang auf völkerrechtlicher Ebene nicht. Eine Überprüfung der materiellen Gerechtigkeit eines Rechtsakts ist schon deswegen problematisch, als es kein oder jedenfalls kaum höherrangiges, internationales Verfassungsrecht gibt.266 Fälle des UN-Menschenrechtsausschusses, die sich ausdrücklich mit der Sach- bzw. materiellen Gerechtigkeit gesetzlicher Differenzierungen befassten, sind bislang eher selten geblieben. Dies liegt vor allem daran, dass sich die meisten Fälle unter eines der aufgelisteten Differenzierungskriterien subsumieren lassen und damit von der speziellen Diskriminierungsprüfung erfasst werden. In einem Fall, Neefs (1994),267 ging es um einen arbeitslosen Beschwerdeurheber, der zur Untermiete bei seiner Mutter wohnte. In der Sache stand eine Regelung im niederländischen Sozialgesetz zur Überprüfung, dergemäß Personen, die nicht in der Lage waren ihre Lebenshaltungskosten aus eigenem Einkommen zu bestreiten, staatliche Unterstützung beantragen konnten. Die Höhe der staatlichen Unterstützung hing von den besonderen Umständen des Falles ab. Es wurde unterschieden zwischen Einzelpersonen und Personen, die sich einen Haushalt teilen. Nach niederländischem Recht galt der Untermieter oder Pensionsgast als Einzelperson und hatte Anspruch auf die volle Unterstützung. Ausgeschlossen waren aber Personen, die sich den Haushalt mit nahen Angehörigen (mit Ausnahme von Geschwistern) teilten. Der Beschwerdeurheber bekam aus diesem Grund nur eine verminderte Unterstützung zugesprochen. In diesem Fall hatte der Menschenrechtsausschuss darüber zu befinden, ob die Ungleichbehandlung zwischen einer nicht264 265 266 267
Waldmann (Fn. 141), S. 74 ff. BVerfGE 105, 73, 110 (Verw. bei Waldmann [Fn. 141], S. 75). Dazu s. bereits oben S. 72. MRA, 15.07.1994, 425/1990, Neefs, UN Doc. CCPR/C/51/D/425/1990.
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privilegierten gemeinsamen Haushaltsführung von Eltern und Kindern einerseits und der privilegierten gemeinsamen Haushaltsführung von anderen nahen Angehörigen andererseits auf objektiven und sachlichen Kriterien beruhte. Der Ausschuss bejahte dies ohne nähere Begründung. Hier handelt es sich um einen Fall, in welchem die Sachgerechtigkeit der Regelung zu überprüfen war. Zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung hätte der Ausschuss u.a. die zivilrechtlichen Unterhaltspflichten, die Eltern gegenüber Kindern haben, nicht aber in anderen verwandtschaftlichen Beziehungen bestehen, verweisen können.268 Im Ergebnis kann dem Ausschuss gefolgt werden: Die Ungleichbehandlung ist in diesem Fall als sachgerecht anzusehen, weil sie auf einem Kriterium (Besonderheit des elterlichen Verwandtschaftsverhältnisses) beruht, das als eine vorhandene Ordnungsstruktur dem Recht vorgelagert ist und in einem sachlichen Verhältnis zum Regelungszweck steht. In einem anderen Fall, Simunek u.a. (1995),269 ging es – wiederum im Zusammenhang mit der tschechischen Restitutionsgesetzgebung – um die Frage der Restitution von Eigentum, das während der Zeit des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei enteignet worden war. Ein tschechisches Gesetz von 1991 machte die Restitution des Eigentums abhängig davon, dass der Anspruchsteller die tschechischslowakische Staatsangehörigkeit besaß und sich dort permanent aufhielt. Das Ehepaar Simunek war 1987 aus der Tschechoslowakei vor Repressalien durch die Sicherheitsdienste geflohen. Sie wandten sich insbesondere gegen die Festlegung der tschechischen Staatsangehörigkeit und des permanenten Aufenthalts als Voraussetzungen für eine Restitution ihres früheren Eigentums. In diesem Fall erkannte der Ausschuss im Sinne der Beschwerdeführer, wobei er sich intensiv mit dem fraglichen Restitutionsgesetz befasste: “The Committee observes that such legislation [die Restitutionsgesetzgebung, Verf.] must not discriminate among the victims of prior confiscations, since all victims are entitled to redress without arbitrary distinctions. Bearing in mind that the authors’ original entitlement to their respective properties was not predicated either on citizenship or residence, the Committee finds that the conditions of 268 269
So auch Choudhury (Fn. 211), p. 45.
MRA, 19.07.1995, 516/1992, Alina Simunek u.a., HRLJ 1996, pp. 13-17; vgl. die ähnlich gelagerten Fälle des MRA, 23.07.1996, 584/94, Adam, UN Doc. CCPR/C/57/D/586/1994; MRA, 12.07.2001, 857/99, Blazek u.a., UN Doc. CCPR/C/72/D/857/1999.
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citizenship and residence in Act 87/1992 are unreasonable” [Hervorhebung nicht im Original, Verf.].270 In der Sache wird hier nicht (wie der Mitteilungstext nahelegen mag) eine Diskriminierung aufgrund der Nationalität oder einer Ungleichbehandlung aufgrund des Aufenthaltsorts geprüft, sondern abstrakt die Sachgerechtigkeit (reasonableness) einer Differenzierung. Somit aktiviert der Ausschuss hier nicht das Diskriminierungsverbot des Art. 26 IPbpR, sondern den ebenfalls in dieser Norm enthaltenen allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz. Nach Ansicht des Ausschusses ist eine Regelung, welche eine Restitution von Kriterien abhängig macht, die nicht mit der ursprünglichen Eigentumslage in Zusammenhang stehen, dem Verdacht der mangelnden Sachgerechtigkeit ausgesetzt. Zu beachten ist, dass nach Ansicht des Ausschusses aus dem Gleichbehandlungsgebot kein Anspruch auf Erstreckung begünstigender Restitutionsgesetzgebung auf gleichgelagerte Fälle herleitbar ist, d.h. ein Staat, der Restitution für unter der kommunistischen Herrschaft vollzogene Enteignungen leistet, ist nicht aufgrund von Art. 26 IPbpR in der Pflicht, die Restitutionsgesetzgebung auch auf andere, frühere Enteignungen, etwa aus der Zeit des Nationalsozialismus, zu erstrecken.271 In einem ähnlichen Fall, Somers (1996),272 hat sich der Ausschuss ausführlich mit der Sachgerechtigkeit einer ungarischen Restitutionsregelung für während der Zeit des Kommunismus vorgenommene Enteignungen befasst. In diesem Fall ging es um die Enteignung der Eltern des Beschwerdeurhebers im Jahr 1951 durch ungarische Behörden unter Verweis auf einen Bericht, der die Eltern als Regimegegner bezeichnete. Die streitgegenständliche Enteignung geschah noch vor der allgemeinen 270
MRA, 19.07.1995, 516/1992, Alina Simunek u.a., HRLJ 1996, pp. 13-17, § 11.6. Angesichts der in der Folgezeit angebrachten gemachten Beschwerden muss man von einem systemischen Defekt der Restitutionsgesetzgebung sprechen (vgl. auch MRA, 20.07.2009, Jaroslav u. Alena Slezák, UN Doc. CCPR/C/96/D/1574/2007, § 7.3). Der MRA hat präzisiert, dass eine Verletzung des Art. 26 IPbpR dann nicht in Betracht kommt, wenn die Abweisung des Restitutionsanspruchs nicht ausschließlich auf das Fehlen des permanenten Aufenthalts gestützt wurde (MRA, 28.07.2009, 1614/2007, Dagmar Dvorak, UN Doc. CCPR/C/96/D/1614/2007, § 9.4). 271
MRA, 14.07.1997, 643/95, Drobek, UN Doc. CCPR/C/60/D/643/1995; MRA, 21.10.1998, 669/95, Malik, UN Doc. CCPR/C/64/D/669/1995; MRA, 21.10.1998, 670/95, Schlosser, UN Doc. CCPR/C/64/D/670/1995. 272
MRA, 23.07.1996, 566/1993, Ivan Somers, UN Doc. CCPR/C/57/D/ 566/1993, HRLJ 1996, p. 412.
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Nationalisierung des Privateigentums, beginnend im Jahr 1952. Grund der Beschwerde vor dem Ausschuss war die ungarische Restitutionsgesetzgebung aus den Jahren 1991 und 1993. Der Beschwerdeführer rügte, dass die Gesetzgebung nicht hinreichend zwischen gewaltsamen, konventionswidrigen Enteignungen einerseits und Enteignungen als Folge der allgemeinen Nationalisierung des Privateigentums andererseits unterschieden habe. In der Konsequenz habe ihm diese Gesetzgebung nur einen Bruchteil des Realwerts der enteigneten Immobilie als Restitutionsleistung zugestanden. In einer für die Rechtsprechung des Ausschusses ungewöhnlich detaillierten Analyse des ungarischen Restitutionsgesetzes kommt der Ausschuss zu dem Ergebnis, dass die in dem Gesetz verwendeten Differenzierungskriterien den Ansprüchen des Art. 26 IPbpR genügen. Der Ausschuss stellt dabei zunächst klar, dass der IPbpR kein Recht auf Eigentum enthalte und somit auch kein Recht auf Eigentumsrestitution. Diese Einlassung dient dem Ausschuss offensichtlich dazu, materiellen Gerechtigkeitsanforderungen aus Art. 26 IPbpR hinsichtlich der Ausgestaltung der Restitutionsgesetzgebung weitgehend eine Absage zu erteilen. Ausreichend sei bereits die Kompensierung „on equal terms“, was hier wohl als (bloße) formale Gleichbehandlung verstanden werden muss. Eine sich auf materiale Gerechtigkeitsgesichtspunkte stützende Differenzierung zwischen der Restitution bei besonderem Enteignungsunrecht und allgemeiner Nationalisierung des Eigentums, wie sie der Beschwerdeurheber vorgetragen hat, wird somit von Art. 26 IPbpR nicht verlangt. Von Bedeutung ist, dass der Ausschuss die Kompensationskriterien und Berechnungsgrundlagen des ungarischen Restitutionsgesetzes einer detaillierten Prüfung unterzieht. Der Ausschuss sieht es als eine sachgerechte Regelung an, dass Restitutionsberechtigte durch ein Gutscheinsystem entschädigt wurden, wobei die Gutscheine nur im Rahmen der Privatisierung von vormaligem Staatseigentum ihren vollen Wert erzielen konnten, mangels Nachfrage hingegen nicht auf dem freien Markt. Da es dem Beschwerdeurheber somit offensteht, den vollen Wert der Gutscheine im Wege des Ankaufs von vormaligem Staatseigentum zu realisieren, sieht der Ausschuss diese Regelung als sachgerecht an. Auch die Regelung, dergemäß der enteignete vormalige Eigentümer einer Sache nur dann den vollen Restitutionswert realisieren kann, wenn der jetzige Besitzer sein Vorkaufsrecht nicht ausübt, hält der Ausschuss für eine sachgerechte Interessenabwägung. Die Interessen der jetzigen Besitzer seien ebenso schützenswert wie die der vormaligen Eigentümer. Der Fall Somers zeigt, dass der Ausschuss in Einzelfällen bereit ist, die Sachgerechtigkeit eines staatlichen Rechtsakts im Rahmen von Art. 26 IPbpR genau zu prüfen. Die Prüfung nimmt hier die Form einer vollwertigen, gleich-
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heitsrechtlichen Kontrolle staatlicher Differenzierungen an, wie sie sonst von nationalen Verfassungsgerichten vorgenommen wird. Schließlich lehnte der Ausschuss in einem anderen Fall die bloße Verwaltungspraktikabilität als Rechtfertigungsgrund für eine Differenzierung ab.273 Aus diesen wenigen Fällen, die von dem Ausschuss zur Frage der Sachgerechtigkeit von Differenzierungen geprüft wurden, ergibt sich: – Die Sachgerechtigkeit ist tendenziell zu verneinen, wenn die Differenzierung auf Kriterien beruht, die mit dem zu regelnden Sachverhalt keine oder jedenfalls keine enge sachliche Beziehung aufweisen (z.B. das Kriterium der Staatsangehörigkeit im Rahmen einer Restitutionsregelung; Simunek), und zu bejahen, wenn eine solche Beziehung vorhanden ist (z.B. das Kriterium des besonderen verwandtschaftlichen Verhältnisses im Rahmen einer Sozialunterstützung; Neefs). – Die Sachgerechtigkeit ist tendenziell zu bejahen, wenn der Gesetzgeber bei der gänzlichen Neuregelung eines ökonomisch bedeutsamen Rechtsgebiets typisierende und pauschalierende Regelungen schafft und die ungleichen Rechtsfolgen eine verhältnismäßig geringe Zahl von Personen betrifft (z.B. im Fall der ungarischen Restitutionsgesetzgebung; Somers). – Die Sachgerechtigkeit einer Differenzierung ist tendenziell zu verneinen, wenn die Ungleichbehandlung lediglich der Verwaltungsvereinfachung dient (z.B. die Ungleichbehandlung französischer und senegalesischer Ruhegehälter von Soldaten; Gueye). fff) Verhältnismäßigkeitsprüfung In der jüngeren Rechtsprechung des UN-Menschenrechtsausschusses wird der „objektive und sachliche Gründe“-Test erweitert oder gedeutet durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. So findet sich nunmehr folgende Formulierung: Die Bewertung von Beeinträchtigungen (aufgrund von Ungleichbehandlungen) „must be effected on a case-by-case basis, having regard in particular to the purpose of such restrictions and
273
MRA, 03.04.1989, 196/1985, Ibrahima Gueye et al., UN Doc. CCPR/C/ 35/D/196/1985, § 9.5.
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the principle of proportionality“ (Hervorhebung nicht im Original, Verf.).274 Der Ausschuss prüft die Verhältnismäßigkeit von Ungleichbehandlungen in der Regel wie folgt: Erstens muss die Ungleichbehandlung (oder das „Differenzierungsziel“275) einen legitimen Zweck („legitimate purpose“)276 verfolgen. Die Legitimität des Zwecks lässt sich u.a. unter Verweis auf andere Normen des IPbpR begründen. Im Fall Gillot (2002) sah der Ausschuss beispielsweise in dem Bestreben, durch bestimmte Kriterien sicherzustellen, dass nur Personen mit nachweislich starker Verbindung zu Neu Kaledonien an lokalen Referenden über die Zukunft Neu Kaledoniens teilnehmen durften, einen im Lichte des Art. 1 IPbpR (Selbstbestimmung der Völker) legitimen Zweck.277 Zweitens muss das verwendete Differenzierungskriterium zulässig sein. In dieser Hinsicht kann es von Bedeutung für die weitere Prüfung sein, ob es sich um ein „verdächtiges“ Differenzierungskriterium handelt oder nicht.278 Im erwähnten Fall Gillot stellt der Ausschuss ausdrücklich heraus, dass das von dem nationalen Rechtsakt verwendete Ortsansässigkeitskriterium nicht zu den verdächtigen Kriterien gehört, insbesondere keine Differenzierung aufgrund der ethnischen oder nationalen Herkunft darstelle.279 Drittens prüft der Ausschuss, ob die Beeinträchtigungen aufgrund Anwendung des Differenzierungskriteriums im Hinblick auf das
274
MRA, 15.07.2002, 932/2000, Marie-Hélène Gillot et al., UN Doc. CCPR/ C/75/D/932/2000, § 13.2. Vgl. auch MRA, 26.03.2002, 919/2000, Michael Andreas Müller und Imke Engelhard, UN Doc. CCPR/C/74/D/919/2000, § 6.8; MRA, 07.07.2004, 943/2000, Guido Jacobs, UN Doc. CCPR/C/81/D/ 943/2000, § 9.5; zu der Verhältnismäßigkeitsproblematik in diesen Fällen vgl. auch Vandenhole (Fn. 179), pp. 54-55. 275
So für Art. 3 Abs. 1 GG: Heun (Fn. 16), Art. 3 GG, Rn. 26.
276
Vgl. etwa MRA, 15.07.2002, 932/2000, Marie-Hélène Gillot et al., UN Doc. CCPR/C/75/D/932/2000, § 13.5. 277
MRA, 15.07.2002, 932/2000, Marie-Hélène Gillot et al., UN Doc. CCPR/ C/75/D/932/2000, § 13.16. Dieser Fall wurde von dem Ausschuss allerdings nicht unter dem allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz aus Art. 26 IPbpR, sondern unter dem besonderen Gleichheitssatz des Art. 25 IPbpR (Wahlrechtsgleichheit) geprüft; die gleichheitsrechtlichen Prüfungskategorien sind allerdings in beiden Normen identisch. 278 279
Ähnl. auch Heun (Fn. 16), Art. 3 GG, Rn. 26 für Art. 3 Abs. 1 GG.
MRA, 15.07.2002, 932/2000, Marie-Hélène Gillot et al., UN Doc. CCPR/ C/75/D/932/2000, § 13.10.
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Differenzierungsziel verhältnismäßig sind.280 Im Fall Gillot sieht der Ausschuss die Verhältnismäßigkeit gewahrt: “(...) the restrictions on the electorate resulting from the criteria used for the referendum of 1998 and referendums from 2014 onwards respect the criterion of proportionality to the extent that they are strictly limited ratione loci to local ballots on self-determination and therefore have no consequences for participation in general elections, whether legislative, presidential, European or municipal, or other referendums” [Hervorhebungen im Original, Verf.].281
c) Das dreistufige Eingriffsmodell (Stefan Huster) In der gleichheitsrechtlichen Literatur wird eine abweichende Konzeption der Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes vorgeschlagen, die maßgeblich auf Arbeiten von Stefan Huster zurückgeht und für Art. 3 Abs. 1 GG entworfen wurde. Nachfolgend wird die Übertragbarkeit dieses Eingriffsmodells auf den allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz untersucht.282
aa) Schutzbereich Das dreistufige Eingriffsmodell ist hinsichtlich seiner dogmatischen Struktur der Prüfung eines Freiheitsrechts angenähert.283 Das Eingriffsmodell geht – wie bei einer Freiheitsrechtsprüfung – von einem Schutzbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes aus: Der Schutzbereich wird konstituiert durch die substantielle Gleichbehandlung, der Behandlung aller Bürger „als Gleicher“.284 Zu prüfen ist dann im Einzel280
MRA, 15.07.2002, 932/2000, Marie-Hélène Gillot et al., UN Doc. CCPR/ C/75/D/932/2000, § 13.17; vgl. für Art. 3 Abs. 1 GG: Heun (Fn. 16), Art. 3 GG, Rn. 26. 281
MRA, 15.07.2002, 932/2000, Marie-Hélène Gillot et al., UN Doc. CCPR/ C/75/D/932/2000, § 13.17. 282 Vgl. Huster (Fn. 215) sowie ders., Gleichheit und Verhältnismäßigkeit, JZ 1994, S. 541 ff. Der Versuch einer Übertragung des Eingriffsmodells auf Art. 26 IPbpR ist, soweit ersichtlich, bislang noch nicht unternommen worden. 283 284
Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 78.
Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 79 (Huster selbst verwendet statt „substantieller Gleichbehandlung“ den Begriff der „normativen Gleichbehand-
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fall, ob die staatliche Differenzierung den Vorgaben der substantiellen Gleichbehandlung entspricht oder nicht. Das Eingriffsmodell legt dabei einen weiten Begriff der substantiellen Gleichbehandlung zugrunde; ohne zwischen formaler und substantieller Gleichbehandlung zu trennen, subsumiert es alle Anwendungsfälle im Bereich des allgemeinen Gleichheitssatzes unter die Gleichbehandlung im substantiellen Sinne. Wie oben gezeigt, ist der Begriff der substantiellen Gleichbehandlung allerdings unbestimmt und wird von den verschiedenen philosophischen Konzeptionen der Gleichheit unterschiedlich ausgefüllt.285 Das Eingriffsmodell nimmt diese Beobachtung auf und verlangt eine „sachbereichsspezifische“ Konkretisierung der jeweils einschlägigen Gerechtigkeitsmaßstäbe.286 Diese Konkretisierung wird im Eingriffsmodell zum einen durch „besondere Gleichheitswertungen“ geleistet, die sich aus einer Zusammenschau (oder systematischen Auslegung) des allgemeinen Gleichheitssatzes mit gleichheitsrechtlichen Wertungen in anderen Grundrechten ergibt.287 Überträgt man dies auf den allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz bedeutet das: Was das Gleichheitsrecht z.B. in Ansehung von Minderheiten verlangt, ist nicht allein aus Art. 26 IPbpR, sondern z.B. im Zusammenhang mit Art. 27 IPbpR zu entwickeln, der verlangt, dass Angehörigen ethnischer, religiöser oder sprachlicher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden darf, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ein eigenes kulturelles Leben zu pflegen, die eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich der eigenen Sprache zu bedienen. Ebenso werden Gleichheitsforderungen im Zusammenhang mit dem Wahlrecht nicht aus dem allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz allein, sondern in Verbindung mit Art. 25 IPbpR bestimmt. Die Frage, ob eine staatliche Differenzierung die Bürger „als Gleiche“ behandelt, ist also nach dem Eingriffsmodell mit Hilfe der gleichheitsrechtlichen Wertungen des IPbpR im Übrigen zu ermitteln.
lung“). Zu Bedeutung und Entwicklung des Begriffs der „substantiellen Gleichbehandlung“ s. S. 420 ff. 285 286 287
Zu den philosophischen Konzeptionen der Gleichheit s. bereits S. 15 ff. Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 79, 88. Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 91 ff.
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Zum anderen konkretisiert das Eingriffsmodell den Schutzbereich der Behandlung „als Gleicher“ durch sog. interne Zwecke.288 Interne Zwecke sind solche, die ausschließlich Unterschiede zwischen den verglichenen Sachverhalten betreffen und bestimmten Maßstäben unterliegen, z.B. der Grad der Bedürftigkeit bei Sozialmaßnahmen.289 Diese internen Zwecke bilden den Maßstab für die Entsprechungsprüfung. In den gleichheitsrechtlichen Fällen ist daher zu fragen, ob der fragliche Rechtsakt, der Sachverhalte ungleich (im formalen Sinne) behandelt, dem jeweiligen Gerechtigkeitsmaßstab entspricht, wobei dieser Maßstab entweder systematisch aus anderen gleichheitsrechtlichen Wertungen zu entwickeln ist oder sog. internen Zwecken entnommen wird. Kann eine solche Entsprechung bejaht werden, ist die Prüfung des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes schon auf Schutzbereichsebene beendet.290
bb) Eingriff Ein Eingriff im Sinne dieses Modells liegt vor, wenn eine solche Entsprechung von rechtlicher Differenzierung und Gerechtigkeitsmaßstab nicht bejaht werden kann, weil a) kein Gerechtigkeitsmaßstab vorhanden ist, b) ein unzulässiger Gerechtigkeitsmaßstab gewählt wurde oder c) die Differenzierung dem Gerechtigkeitsmaßstab nicht entspricht.291 Sofern es sich in den letztgenannten Fällen um eine gerechtigkeitsbasierte Verteilungsentscheidung handelt, geht das Eingriffsmodell von einer Verletzung des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes aus: Rechtliche Differenzierungen, denen kein oder kein zulässiger Verteilungsmaßstab zugrunde liegt, stellen – ohne Rechtfertigungsmöglichkeit – einen gleichheitsrechtlichen Verstoß dar.292 Anders verhält es sich aber, wenn die Hoheitsregelung nicht nur eine Verteilungs-, sondern auch eine „Gestaltungs- oder Lenkungsentschei-
288
Zu der Unterscheidung von „internen“ und „externen“ Zwecken vgl. Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 82 ff. Die sog. „externen Zwecke“ werden erst auf Rechtfertigungsebene relevant, dazu s.u. S. 88. 289
Heun (Fn. 16), Art. 3 GG, Rn. 27.
290
So mutatis mutandis für Art. 3 Abs. 1 GG: Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 120. 291 292
Vgl. Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 121. Vgl. Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 121.
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dung“ trifft und die Verteilungsfolge nur eine Nebenwirkung darstellt. In diesen Fällen findet eine Rechtfertigungsprüfung statt.293 Wendet man dieses Schema auf die obigen Beispiele aus der Rechtsprechung des UN-Menschenrechtsausschusses an, so ergibt sich Folgendes: Gibt der Staat keinerlei Gründe für die Ungleichbehandlung an, wie z.B. in dem Fall Sister Immaculate Joseph, in dem es um die Gleichbehandlung bei der Registrierung eines römisch-katholischen Ordens in Sri Lanka ging, so ist mit dem Eingriffsmodell davon auszugehen, dass kein Gerechtigkeitsmaßstab für die Differenzierung bestand.294 Da es sich nicht um eine Gestaltungs- oder Lenkungsentscheidung handelte, würde das Eingriffsmodell hier unmittelbar zu einer Verletzung des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes kommen. Ähnlich liegt es im Fall Gueye, der die Ungleichbehandlung von französischen und senegalesischen Ruhegehältern von Soldaten betraf. Hier gibt es auch keinen nachvollziehbaren Gerechtigkeitsmaßstab, an dem die Ungleichbehandlung zu messen wäre (vorausgesetzt, man bejaht die grundsätzliche Vergleichbarkeit).295 Da es sich insoweit um eine Verteilungs- und nicht um eine Lenkungsentscheidung handelte, es ging um die „gerechte“ Zuteilung von Ruhegehaltsansprüchen, würde das Eingriffsmodell bereits an dieser Stelle eine Verletzung des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes annehmen. Man könnte auch argumentieren, dass es sich bei der „Verwaltungspraktikabilität“, die als Grund für die Ungleichbehandlung in diesem Fall vorgetragen wurde, nicht um einen zulässigen Gerechtigkeitsmaßstab handelt.
cc) Rechtfertigung Sofern mit der Differenzierung sog. interne Zwecke verfolgt werden, bleibt es nach dem Eingriffsmodell bei einer reinen Entsprechungsprüfung auf Schutzbereichsebene: Hier wird geprüft, ob die rechtliche Differenzierung die bestehenden Unterschiede zwischen den Vergleichssachverhalten zum Ausdruck bringt oder nicht.296 Ein Nicht-Ent293
Vgl. Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 122.
294
MRA, 21.10.2005, 1249/2004, Sister Immaculate Joseph u.a., UN Doc. CCPR/C/85/D/1249/2004; zum Sachverhalt s. S. 57. 295
MRA, 03.04.1989, 196/1985, Ibrahima Gueye et al., UN Doc. CCPR/C/ 35/D/196/1985; zum Sachverhalt s. S. 69. 296
Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 67 (unter Verweis auf die geometrische Gleichheit bei Aristoteles).
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sprechen kann bei der Verfolgung interner Zwecke nicht gerechtfertigt werden: Beispielsweise ist ein Hoheitsakt im Bereich des Sozialrechts nur dann gleichheitsrechtskonform, wenn er nach dem Gerechtigkeitsmaßstab der Bedürftigkeit differenziert, tut er das nicht, verletzt er das Gleichbehandlungsgebot. Ein anderes, leicht einleuchtendes Beispiel ist die Notenvergabe in der Schule: Entweder verteilt der Klassenlehrer die Noten nach dem Leistungsprinzip oder er tut es nicht und verstößt gegen das Gleichheitsrecht, weil eine Berufung auf andere Rechtfertigungsgründe von vornherein nicht in Betracht kommt. Anders ist es aber, wenn die staatliche Regelung auch eine Gestaltungsoder Lenkungsentscheidung, wie oben dargelegt, darstellt. Nur in diesen Fällen nimmt das Eingriffsmodell eine Rechtfertigungsprüfung in Form einer Verhältnismäßigkeitsprüfung vor.297 Im Rahmen dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung werden dann „Mittel“, nämlich die Abweichung von dem Gerechtigkeitsmaßstab, und die externen Zwecke in eine Abwägung gegeben. Der Eingriff muss geeignet sein, das (externe) Regelungsziel zu erreichen, das Ziel darf nicht durch eine geringere Abweichung vom Gerechtigkeitsmaßstab ebenso effektiv herbeiführbar sein und der Eingriff muss im Übrigen angemessen sein.298 Diese Erwägungen lassen sich wiederum auf den allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz übertragen. Im Fall Gillot,299 in dem es um die Regelung der Wahlberechtigung im Rahmen von Referenden ging, die Neu Kaledonien betrafen, gelangt man so zu folgendem Resultat: Es lässt sich argumentieren, dass die Behandlung aller Bürger „als Gleiche“ in Bezug auf die Teilnahme an Referenden bedeutet, alle Wahlbürger formal gleich zu behandeln. Damit stellt sich die Differenzierung im Neu Kaledonischen Wahlrecht bezüglich der Referenden als Eingriff in den so umrissenen Schutzbereich dar. Dieser Eingriff beruht nicht allein auf einer Verteilungs-, sondern in erster Linie auf einer Gestaltungsentscheidung des Gesetzgebers, die den externen Zweck verfolgt, nur Bürger, die eine nachweislich enge Verbindung zum Staat haben, an wichtigen Entscheidungen über die zukünftige institutionelle Ausgestaltung Neu Kaledoniens teilhaben zu lassen. Im Rahmen der dann notwendigen Verhältnismäßigkeitsprüfung wird man also das „Mittel“, d.h. hier die Abweichung von der formalen Wahlrechtsgleichheit, und den 297 298 299
Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 123 ff. Vgl. Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 124.
MRA, 15.07.2002, 932/2000, Marie-Hélène Gillot et al., UN Doc. CCPR/ C/75/D/932/2000; zum Sachverhalt s. S. 83.
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Zweck der Sicherstellung einer besonderen Nähe zum Staat abwägen müssen. An dieser Stelle ist dann nach dem Eingriffsmodell auf den bereits erwähnten systematischen Zusammenhang mit anderen gleichheitsrechtlichen Wertungen des IPbpR einzugehen. In diesem Fall kommt vor allem das auch vom Ausschuss herangezogene Selbstbestimmungsrecht der Völker aus Art. 1 IPbpR als eine solche Wertung in Betracht, die unter Umständen die Abweichung vom Gebot der formalen Wahlrechtsgleichheit rechtfertigen kann.300 Im Fall Somers, betreffend die ungarische Restitutionsgesetzgebung, würde das Eingriffsmodell das Vorliegen eines Gerechtigkeitsmaßstabs wohl verneinen; wie der Ausschuss selbst ausführt, kennt der IPbpR kein Recht auf Eigentum, das zur Konkretisierung des gleichheitsrechtlichen Schutzbereichs herangezogen werden könnte.301 Ein Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes wäre nach diesem Modell somit zu bejahen. Auch bei der Restitutionsgesetzgebung handelt es sich nicht einfach nur um eine Verteilungs-, sondern in erster Linie um eine staatliche Gestaltungsentscheidung, die den Umgang mit enteignetem Privateigentum betrifft. Diese hoheitliche Regelung ist nicht allein durch Gerechtigkeits-, sondern vor allem auch durch externe Zwecke, insbesondere durch Nützlichkeitserwägungen, bestimmt.302 So spielt der Schutz von Rechten Dritter eine legitime Rolle sowie das öffentliche Interesse an Rechtssicherheit bezüglich der faktischen Besitzlage. Diese Zwecke sind im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung abzuwägen gegen den individuellen Gleichbehandlungsanspruch des Beschwerdeurhebers. Die Entscheidung des UNMenschenrechtsausschusses im Fall Somers zugunsten der öffentlichen
300
Eine andere Möglichkeit wäre es, die gleichheitsrechtliche Wertung des Art. 1 IPbpR bereits auf Schutzbereichsebene zu berücksichtigen. Auf diese Weise kann im Rahmen des Zivilpakts bestimmt werden, was es bedeutet, Bürger im Hinblick auf Referenden zur institutionellen Entwicklung Neu Kaledoniens „als Gleiche“ zu behandeln. Man hätte mit dem Eingriffsmodell bereits auf Schutzbereichsebene feststellen können, dass die Regelung hier „Ungleiches“ auch „ungleich“ behandelt, nämlich Menschen mit nachweislich enger Beziehung zum Staat anders als Menschen ohne diese enge Beziehung. Danach wäre schon aus diesem Grund keine Verletzung des besonderen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes in Art. 25 IPbpR anzunehmen gewesen. 301
MRA, 23.07.1996, 566/1993, Ivan Somers, UN Doc. CCPR/C/57/D/566 /1993, HRLJ 1996, p. 412; zum Sachverhalt s. S. 80 f. 302
Zu der Unterscheidung von Gerechtigkeits- und Nützlichkeitserwägungen beim allgemeinen Gleichheitssatz vgl. Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 40 f.
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Zwecke und des Schutzes der Rechte Dritter erscheint auch bei Anwendung des Eingriffsmodells als wohlbegründet. Insgesamt ist davon auszugehen, dass das vom UN-Menschenrechtsausschuss herangezogene Modell der Gleichbehandlungspräsumtion und das Eingriffsmodell oft zu denselben Ergebnissen führen werden.
dd) Kritik Die vorstehenden Überlegungen zeigen, dass das Eingriffsmodell zur dogmatischen Strukturierung des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes geeignet ist und wegen seiner höheren Differenziertheit aufgrund der überzeugenden Unterscheidung interner und externer Zwecke dem zweistufigen Modell der Gleichheitspräsumtion des UNMenschenrechtsausschuss in theoretischer Hinsicht überlegen ist. Zwei Kritikpunkte aber bleiben: Erstens hatte aber bislang, soweit ersichtlich, kein Fall des Menschenrechtsausschusses interne Zwecke zum Gegenstand, also solche, die ausschließlich die Unterschiedlichkeit der verglichenen Sachverhalte betreffen und bestimmten Maßstäben (wie z.B. das Maß der Sozialbedürftigkeit) unterliegen. Daher würde eine Anwendung des Eingriffsmodells in der Praxis kaum zu abweichenden Ergebnissen führen; in den Fällen externer Zwecke ist die Rechtfertigungsprüfung in beiden Modellen im Wesentlichen als Verhältnismäßigkeitsprüfung ausgestaltet. Zweitens ist das Eingriffsmodell wesentlich anspruchsvoller als das Modell der Gleichheitspräsumption, indem es von einem spezifischen gleichheitsrechtlichen Schutzbereich ausgeht. Dieser Schutzbereich, der eine sachbereichsspezifische Konkretisierung der substantiellen Gleichbehandlung enthalten soll, setzt zur Maßstabsbildung eine Rechtsordnung mit einer Regelungsdichte voraus, wie sie kaum von der Völkerrechtsordnung jemals erreicht werden wird. Mangels verfügbarer rechtlicher Maßstäbe wäre die Anwendung des Eingriffsmodells auf den völkerrechtlichen Gleichheitssatz daher stets dem Vorwurf des unvermeidbaren subjektiven Gerechtigkeitsurteils ausgesetzt.
d) Das Reduktionsmodell (Alexander Somek) In seiner breit angelegten Untersuchung, Rationalität und Diskriminierung (2001), kritisiert Alexander Somek insbesondere die Deutung des Gleichheitsrechts als Sachgerechtigkeit. Somek hält schon den Ansatz der beiden besprochenen Modelle, demgemäß das Gleichheitsrecht die Ungleichbehandlung des Ungleichen und die Gleichbehandlung des
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Gleichen verlange, für verfehlt.303 Er reduziert den allgemeinen Gleichheitssatz auf den Antidiskriminierungsgrundsatz. Aus diesem Grunde soll hier von einem „Reduktionsmodell“ gesprochen werden. Zwar entwirft Somek seine Überlegungen im Kontext des nationalen (österreichischen) Gleichheitsrechts, so dass seine Überlegungen sich nicht einfach für den Modellfall des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes des Art. 26 Abs. 1 IPbpR vereinnahmen lassen.304 Insbesondere beruht das Reduktionsmodell auf einem bestimmten Verständnis der Aufgabe des Gleichheitsrechts unter Bedingungen einer funktionalen Gewaltenteilung und der Annahme eines „richterlichen Minimalismus“.305 Andererseits liefert er selbst, wie oben angedeutet, eine Begründung, weswegen so etwas wie eine „allgemeine gleichheitsrechtliche Dogmatik“ gedacht werden kann: Somek zeigt auf, „dass die Sprache, mit der Höchst- und Verfassungsgerichte Gleichheitsfragen beurteilen, auf einer ‚universellen Grammatik beruht“.306 Nimmt man diese „universelle Grammatik“ des Gleichheitsrechts beim Wort, so besteht Anlass zu prüfen, ob das Reduktionsmodell – als ein möglicher Zugang zum Problem des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes – eine geeignete Grundlage bietet für die dogmatische Konstruktion des Art. 26 S. 1 IPbpR.
aa) Someks Kritik an der Sachgerechtigkeitsdeutung des Gleichbehandlungsgebots Von Bedeutung im Zusammenhang mit der Frage, wie der allgemeine völkerrechtliche Gleichheitssatz zu konstruieren sei, ist Someks Kritik an der Deutung des Gleichbehandlungsgebots als Sachgerechtigkeit. Someks Kritik lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Erstens sei der aristotelische Ausgangspunkt der herrschenden Dogmatik bei der Formel der Gleichbehandlung des Gleichen und der Ungleichbehand303 304
Somek (Fn. 5), S. 428 („metaphysischer Unsinn“). Somek (Fn. 88), S. 1.
305
Alexander Somek, Equality as Reasonableness, Constitutional Normativity in Demise, in: András Sajó (ed.), The Dark Side of Fundamental Rights, 2006, p. 191, 206: “I need to grant (...) that my objections are based upon an understanding of the role of constitutional adjudication that does not vest in a court the power of ultimate censorship of the rationality and reasonableness of legislation.” 306
Somek (Fn. 5), S. 425.
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lung des Ungleichen verfehlt.307 Nach Someks Auffassung besteht ein relevanter Unterschied zwischen der Forderung nach Gleichbehandlung und der Forderung nach Ungleichbehandlung, so dass nicht beide parallel konstruiert werden können. Dadurch verschwinde gleichsam die „Argumentationslastregel“ gegen die Ungleichbehandlung.308 Zudem lasse sich Gleichheit oder Ungleichheit (der Sachverhalte) niemals „an sich“, sondern nur im Hinblick auf politische Zwecke feststellen.309 Somit führe schon der aristotelische Grundansatz der Gleichheitsrechtsdogmatik in die Irre. Zweitens kritisiert Somek, dass die Deutung des allgemeinen Gleichheitssatzes als Gebot der Sachgerechtigkeit von Differenzierungen das Gleichheitsrecht zu einem derivativen Recht herabstufe, dem keine selbständige Bedeutung mehr zukomme.310 Wenn das Gleichbehandlungsgebot in dem Gebot, „nach gerechten Prinzipien behandelt zu werden“ aufgehe, dann entziehe man dem Gleichheitsrecht sein kritisches Potenzial; Gleichheit werde in Sachgerechtigkeit umgedeutet.311 Somek führt die aus seiner Sicht fehlerhafte Deutung der Gleichbehandlung als Sachgerechtigkeit von Differenzierungen insbesondere auf Ronald Dworkins Formulierung des Gleichheitsrechts als Recht auf „Behandlung als Gleicher“ zurück.312 Die Abhängigkeit die307 308 309 310 311 312
Somek (Fn. 305), p. 206 f.; ders. (Fn. 5), S. 428. Somek (Fn. 88), S. 42. Somek (Fn. 305), p. 206 f.; ders. (Fn. 5), S. 428. Somek (Fn. 88), S. 41 f. Vgl. Somek (Fn. 88), S. 42.
Vgl. Somek (Fn. 88), S. 40 f. Somek zeigt eindrucksvoll auf, wie sich aus der seiner Ansicht nach richtigen Deutung des Gleichheitsprinzips, nämlich „Wenn die Gründe für eine Ungleichbehandlung diskriminierend sind, dann ist die Gleichbehandlung geboten“, die Fehldeutung der Gleichbehandlung als Sachgerechtigkeit ergibt (a.a.O., S. 43 f.). Der Fehlschluss beruht nach Somek, dessen Ableitung im Einzelnen komplex ist und hier vereinfachend wiedergegeben wird, auf zwei Gründen: Zum einen darauf, dass der Antidiskriminierungsgehalt des Gleichheitsprinzips ersetzt wird durch eine Feststellung der Sachverhaltsgleichheit bzw. -ungleichheit: „Wenn Ungleiches vorliegt, ...“ bzw. „Wenn Gleiches vorliegt, ...“. Zum anderen beruht der Fehlschluss nach Somek darauf, dass man die Asymmetrie von Gleich- bzw. Ungleichbehandlung, den handlungstheoretischen Unterschied, einebne. Die Präsumtion der Gebotenheit einer Behandlung werde zu Unrecht auf die Sachverhaltsungleichheit übertragen: „Wenn Ungleichheit vorliegt, ist eine Ungleichbehandlung geboten“. Wenn man dann die Gründe für die Gebotenheit der Gleich- bzw. Ungleichbehandlung als solche der Sachgerechtigkeit kennzeichne, so Somek, entstehe die Fehldeutung der Gleichbehandlung als Sachgerechtigkeit. Die interpretative Erset-
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ses hier sog. substantiellen Gleichbehandlungsbegriffs von Konzeptionen der politischen Gerechtigkeit läuft nach Somek auf eine verhängnisvolle Koppelung zwischen Gleichheitsrecht und intuitiven Gerechtigkeitsurteilen hinaus.313 Die Deutung der Gleichbehandlung als „Sachgerechtigkeit“ legitimiere nur das Einbringen derartiger Gerechtigkeitsvorstellungen in das Gleichheitsrecht; es diene gewissermaßen als „Einfallstor“ für mehr oder weniger gut begründete Gerechtigkeitsauffassungen. Drittens kritisiert Somek an der Sachgerechtigkeitsdeutung, dass sie den Rechtsprechungsorganen letztlich einen „freistehenden“, d.h. inhaltlich nicht programmierbaren Kontrollmaßstab für Hoheitsakte liefere.314 Schließlich, viertens, erlaube die Sachgerechtigkeitsdeutung keine Abstufungen hinsichtlich der Prüfungsdichte, da – wenn die Gerechtigkeit eines Hoheitsaktes auf dem Spiel stehe – diese kein „Mehr oder Weniger“ zulasse.315
bb) Someks Reduktion der Gleichbehandlung auf das Diskriminierungsverbot Wie gibt Somek dem Gleichheitsrecht seine Eigenständigkeit zurück? Vereinfachend gesagt lässt sich nach Somek nur dann ein nichtderivatives Gleichheitsrecht formulieren, wenn man das Gleichbehandlungsgebot (des allgemeinen Gleichheitssatzes) mit dem Antidiskriminierungsgrundsatz koppelt: Das Gleichheitsrecht fordert demnach, dass „Personen gleich zu behandeln sind, wenn es keine Gründe gibt, die eine Ungleichbehandlung erlaubt erscheinen lassen“.316 Sofern sich für eine Ungleichbehandlung keine akzeptablen Gründe finden lassen, greift die Präsumtion der Gleichbehandlung (im Sinne der formalen Gleichbehandlung).317 Das Besondere an Someks Lösung besteht darin, dass die Gründe für eine Ungleichbehandlung einem Rationalitätstest und einem Negativ-
zung des Antidiskriminierungsgehalts und die Ausdehnung der Argumentationslast auch gegen Gleichbehandlung machen nach Somek die Sachgerechtigkeitsdeutung möglich. 313 314 315 316 317
Vgl. Somek (Fn. 5), S. 425. Vgl. Somek (Fn. 305), p. 207. Vgl. Somek (Fn. 305), p. 207. Somek (Fn. 88), S. 41. Zum Prinzip der formalen Gleichbehandlung s. oben S. 13 f.
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test unterworfen werden.318 Der Rationalitätstest findet seinen Ausdruck oft als (verfassungsrechtliches) „Willkürverbot“: „Aus jedem nur denkbaren Grund darf eine Ungleichbehandlung vorgenommen werden, solange nur das gewählte Mittel, d.h. die Ungleichbehandlung, in einem durchsichtigen Zusammenhang mit der Verfolgung des Handlungsziels steht.“319 Der Rationalitätstest ist nach Somek noch um die Maxime, „dass die Ungleichbehandlung kein Zweck sein darf“ zu vervollständigen.320 Der Inhalt des Negativ-Tests besteht in dem Antidiskriminierungsgrundsatz: Die Gründe für eine Ungleichbehandlung sind zu verwerfen (mit der Folge, dass die Gleichbehandlungspräsumtion greift), wenn es sich um diskriminierende Gründe handelt.321
cc) Kritik Die Reduktion des allgemeinen Gleichheitssatzes auf ein Diskriminierungsverbot hat etwas ungemein Bestechendes. Dahinter steht letztlich das Misstrauen gegenüber (subjektiven, intuitiven) richterlichen Gerechtigkeitsurteilen. Im Kontext des nationalen Verfassungsstaats kann man hier das Argument der Pflicht des Richters zur Respektierung von Entscheidungen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers anbringen. Man könnte argumentieren, dass diese Achtung vor den Einschätzungen des nationalen Gesetzgebers eher noch stärker sein muss auf der Ebene des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes mit der Folge, dass sich internationale Rechtsprechungsorgane sinnvollerweise Sachgerechtigkeitsurteilen ganz zu enthalten hätten. Hinzu kommt, dass auf völkerrechtlicher Ebene noch weniger verfassungsrechtliche Maßstäbe vorhanden sind, anhand derer sich die Sachgerechtigkeit von Differenzierungen ausweisen ließe. Auch dies könnte als ein starkes Argument für die Anwendung des Reduktionsmodells auf den allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz gewertet werden. Wie anhand der oben dargestellten Fälle Somers, Simunek und Neefs gezeigt, ist das aber nicht der Weg, den der UN-Menschenrechtsausschuss beschreitet. Dies allein ist sicherlich kein Argument gegen die 318
Vgl. Somek (Fn. 5), S. 426.
319
Somek (Fn. 5), S. 426. Diese Deutung des „Willkürverbots“ steht dem „rational basis test“ des U.S.-amerikanischen Verfassungsrechts nahe, vgl. die Nachweise bei Fn. 254. 320 321
Somek (Fn. 5), S. 426; ders. (Fn. 88), S. 312 f. Somek (Fn. 88), S. 41; ders. (Fn. 5), S. 427.
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Übernahme des Reduktionsmodells in der völkerrechtlichen Praxis. Die Übertragbarkeit von Someks Modell auf den allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz ist aber auch grundsätzlichen Zweifeln ausgesetzt: Erstens lassen sich personenbezogene und bloß sachbezogene Differenzierungen nicht immer klar voneinander trennen. So kann beispielsweise der Fall des Menschenrechtsausschusses Neefs, in dem es um staatliche Beihilfen zur Finanzierung des Lebensunterhalts ging, entweder als Problem der Differenzierung aufgrund des (personenbezogenen) verwandtschaftlichen Verhältnisses oder – richtigerweise – als Problem der Sachgerechtigkeit angesehen werden.322 Zweitens besteht ein darstellungstechnisches Problem des Rationalitätstests in der Gefahr einer Verschattung bestimmter Aspekte des Diskriminierungsproblems. Es gibt Fälle, in denen sowohl der Zweck der Ungleichbehandlung legitim ist und die Behandlung sich zweckrational an diesem Ziel orientiert. Der Rationalitätstest würde in dieser Situation zu einer Rechtfertigung der Ungleichbehandlung gelangen. Gewichtige Einwände, die sich nur im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung erhellen und gewichten lassen, bleiben von dem Rationalitätstest in diesem Fall unbeachtet. Der Rationalitätstest ist ein zu weitmaschiger Filter, der entscheidende Diskriminierungsaspekte vorschnell ausblendet. Das lässt sich beispielsweise an einem berühmten Fall des U.S. Supreme Court verdeutlichen: In dem Fall Craig v. Boren (1976)323 ging es um ein Gesetz (des Bundesstaates Oklahoma), das ein Verbot des Bierverkaufs an Männer unter 21 Jahren und an Frauen unter 18 Jahren vorsah, um Risiken aufgrund des Fahrens unter Alkoholeinfluss zu verringern. Der Bundesstaat berief sich darauf, dass statistisch nur 0,18 % der Frauen gegenüber 2 % der Männer in der Altersgruppe der 18- bis 20-Jährigen betroffen waren von diesbezüglichen Ordnungswidrigkeiten. In seiner abweichenden Meinung wendete der damalige Richter Rehnquist den „rational basistest“ an. Nach Rehnquists Ansicht reichten die Unterschiede im Trinkverhalten zwischen Männern und Frauen der relevanten Altersgruppe hin, um die gesetzliche Differenzierung zu rechtfertigen. Eine an das unterschiedliche Trinkverhalten anknüpfende Regelung sei nicht irrational. Dabei wird aber die Diskriminierungsproblematik, die in der unterschiedlichen Beschneidung der Handlungsfreiheit der Männer und der Frauen besteht, nicht ausreichend gewürdigt: Die Frage, die der Fall Craig v. Boren aufwirft, ist, ob eine geschlechtsbezogene Verbotsregelung im Hinblick auf das zu erreichende Ziel der Unfallvermeidung 322 323
Zum Fall Neefs s. S. 78. USSCt, Craig v. Boren, 429 U.S. 190 (1976).
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verhältnismäßig, d.h. geeignet, erforderlich und angemessen ist. Nur bei Zugrundelegung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, wie sie der Sache nach von der Gerichtsmehrheit in diesem Fall vorgenommen wird, kann man die Geeignetheit der Regelung in Frage stellen: Wenn nämlich ca. 98 % der Männer von dem Problem der auf Alkoholintoxikation beruhenden Autounfälle nicht betroffen sind, dann ist ein vollständiges Verbot nur für Männer nicht geeignet, das Ziel der Unfallvermeidung nachhaltig positiv zu befördern. Jedenfalls aber kann das Verbot nicht als erforderlich angesehen werden, indem es weit über das Ziel hinausschießt. Der Rationalitätstest Someks würde Rehnquist zustimmen müssen: Es gibt vorliegend nicht-diskriminierende Gründe, die für die Ungleichbehandlung sprechen, die auch in einem durchsichtigen Verhältnis zum gesetzlichen Ziel stehen. Die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen ist in Craig v. Boren auch kein Selbstzweck. Das Reduktionsmodell würde in diesem Fall der gesetzgeberischen Einschätzung den Vorzug geben und für das oben aufgezeigte Verhältnismäßigkeitsproblem keine Kategorien der Darstellung enthalten. Gerade diese Fälle krasser Sachungerechtigkeit bedürfen aber der Abbildbarkeit in der gleichheitsrechtlichen Prüfung. Sonst könnte eine bedenkliche Rechtsschutzlücke entstehen. Eine Begrenzung richterlicher Entscheidungsmacht gegenüber Legislativakten ist auf der Ebene des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes besser über die Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums324 und das die gesamte gleichheitsrechtliche Prüfung durchziehende Prinzip der Subsidiarität zu bewerkstelligen als über eine Reduktion des Schutzgehalts des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes. Drittens ist grundsätzlich zu hinterfragen, ob sich (subjektive) Gerechtigkeitsurteile des Richters durch das Reduktionsmodell vermeiden bzw. minimieren lassen. Zwar bilden Diskriminierungsverbote grundsätzlich gegenüber allgemeinen Gleichheitssätzen differenziertere Strukturen durch die Unterscheidbarkeit von direkter, indirekter und passiver Diskriminierung aus, die schon dadurch zu einer stärkeren Anleitung des Richters in Gleichheitsrechtsfällen führen. An der Zurückdrängbarkeit der Gerechtigkeit sind aber Zweifel berechtigt: Die subtilen Formen der Diskriminierung, also indirekte und passive Diskriminierung, lassen sich rechtsethisch – wie später gezeigt wird – am besten unter einem (distributiven) Gerechtigkeitsprinzip rekonstruieren.325 Auch wenn damit keine Aussage über die Funktion der Gerechtigkeit 324 325
Zur Dogmatik des Beurteilungsspielraums s. ausführlich unten S. 241 ff. Dazu s. S. 478 ff.
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in der Phase des Rechtsprechens verknüpft, sondern richterliche Praxis lediglich aus einer Beobachterperspektive (einer Perspektive „zweiter Ordnung“) betrachtet wird, so ist doch offensichtlich, dass die (Sach-)Gerechtigkeit von Differenzierung auch bei Diskriminierungsverboten, insbesondere bei den subtilen Formen der Diskriminierung, eine bedeutsame Rolle spielt. Viertens stellt die Entscheidung für das Modell des allgemeinen Gleichheitsrechts machtpolitisch eine Stärkung der Richter dar. Fragen der menschenrechtlichen Gleichheit geraten umfassender als beim Modell des Nichtdiskriminierungsrechts unter die Kontrolle der Rechtsprechung. Aus der Perspektive des berechtigten Grund- oder Menschenrechtsträgers führt das Reduktionsmodell daher eher zu weniger als zu mehr Rechtsschutz. Fünftens ebnet das Reduktionsmodell den Unterschied zwischen dem allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz und dem Diskriminierungsverbot ein. Zwar sprechen im Ergebnis die besseren Gründe gegen die Einsetzung eines allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes und für Diskriminierungsverbote. Jedoch darf ersterer nicht einfach in letzteres „umgedeutet“ werden. Dies verbietet sich vor allem dort, wo ein umfassender Gleichheitsrechtsschutz intendiert ist, etwa wenn in einer Norm sowohl der allgemeine Gleichheitssatz wie auch das Diskriminierungsverbot verankert sind (wie z.B. in Art. 26 IPpbR).
B. Modell 2: Das Nichtdiskriminierungsrecht 1. Der Begriff der Diskriminierung im menschenrechtlichen Sinne Der Grundbegriff des Nichtdiskriminierungsrechts ist der der Diskriminierung im menschenrechtlichen Sinne. Wie dieser Begriff der Diskriminierung im Rechtskontext bestimmt wird, hat ohne Zweifel Bedeutung für den Tatbestand der völkerrechtlichen Diskriminierungsverbote. Der Anfang ist daher wiederum mit dem Begriff zu machen. Die Annäherung an einen umstrittenen Begriff wie den der Diskriminierung im menschenrechtlichen Sinne erfolgt zweckmäßigerweise in drei Schritten: Erstens ist eine Untersuchung des etymologischen Ursprungs des Begriffs der Diskriminierung überhaupt und sein Gebrauch in der politischen Philosophie anzustellen. Auf diese Weise wird der vorrechtliche Begriff der Diskriminierung konturiert. Da die Bedeutung eines Begriffs durch den Kontext, in dem er geäußert wird, be-
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stimmt ist326 und wegen der Autonomie rechtlicher Begriffsbildung, bedarf es zweitens einer Untersuchung des Begriffs der Diskriminierung als Rechtsbegriff, genauer als Begriff eines spezifisch menschenrechtlichen Zusammenhangs. An dieser Stelle ist möglichst genau sein erstmaliges Auftreten offenzulegen; ohne juristische Begriffsgeschichte bleibt das Bewusstsein für den Begriff „blind“.327 Dieses Bewusstsein des Begriffs muss dann schließlich auf das Bedürfnis der menschenrechtlichen Praxis nach einem anwendbaren Rechtsbegriff gerichtet werden: Ein Verständnis dessen, was Diskriminierung „ist“, kann nicht allein im Rückgriff auf Etymologie und rechtswissenschaftliche Begriffsgeschichte gegründet werden, sondern erfordert eine Einbindung der menschenrechtlichen Praxis selbst. Diese notwendige Einbeziehung der Rechtspraxis in den Verstehensprozess kann zunächst auf die Ebene des Begriffs beschränkt bleiben: Im Wege einer vergleichenden Analyse von Legaldefinitionen der Diskriminierung – in einer Art Exposition, d.h. Angabe der unter den Begriff fallenden Merkmale – lässt sich eine allgemeine Definition der Diskriminierung im menschenrechtlichen Sinne aufstellen. Letztere kann dann, drittens, der Konstruktion eines einheitlichen Diskriminierungstatbestandes dienen, der wiederum die Kategorien für eine Untersuchung des Diskriminierungsproblems in bestimmten Menschenrechtsinstrumenten zu liefern vermag.
326
Vgl. Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, Werkausgabe, Bd. 1, 10. Aufl. Frankfurt am Main 1995, S. 20 (3.3). 327
Zur Leistung der Begriffsgeschichte allgemein vgl. Hans-Georg Gadamer, Begriffsgeschichte als Philosophie, in: ders., Kleine Schriften III, Idee und Sprache, Tübingen 1972, S. 237, 244: „Sofern Begriffe noch im Leben der Sprache mitleben, ist die begriffsgeschichtliche Aufklärung sinnvoll – und doch heißt das zugleich, daß das Ideal einer totalen Bewußtheit unsinnig ist. Denn Sprache ist selbstvergessen, und nur eine ‚widernatürliche‘ kritische Anstrengung, die den Fluß des Sprechens bricht und etwas aus diesem Fluß plötzlich stillstellt, kann Bewußtheit und die thematische Aufklärung eines Wortes und seiner begrifflichen Bedeutung leisten.“ Weiter unten heißt es: „So kommt es auch für uns nicht auf die begriffsgeschichtliche Forschung als solche an, sondern darauf: die aus der begriffsgeschichtlichen Forschung erlernbare Disziplin im Gebrauch unserer Begriffe so zu pflegen, daß sie eine echte Verbindlichkeit in unser Denken zu bringen vermag“ (a.a.O., S. 250).
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a) Der Begriff der Diskriminierung aa) Etymologie Die Etymologie des (vorrechtlichen) Diskriminierungsbegriffs ist hinreichend erforscht, so dass deren Wiedergabe hier auf die Grundzüge beschränkt werden kann.328 Der Begriff der Diskriminierung leitet sich vom lateinischen Verb discriminare ab, dem die Bedeutung „trennen, scheiden; unterscheiden“ zukommt.329 Diese Herkunftsangabe ist vorliegend von Bedeutung, da sie anzeigt, dass dem Diskriminierungsbegriff jedenfalls ursprünglich ein neutraler Wortsinn beigegeben wurde. Die neutrale Wortbedeutung der Diskriminierung hat Eingang in die europäischen Sprachen gefunden und sich zum Teil erhalten. So findet man in der Fachterminologie Ausdrücke wie „Diskriminator“ oder „Diskriminanzanalyse“, die Unterscheidungsvorgänge im naturwissenschaftlich-technischen Bereich bezeichnen.330 Insbesondere in der deutschen Sprache hat im Laufe des 20. Jahrhunderts ein Wandel des Diskriminierungsbegriffs hin zu einer negativen, abwertenden Bedeutung stattgefunden. „Diskriminierung“ meint im heutigen Deutschen „herabsetzende Verhaltensweisen gegenüber Menschen“ oder „ungleiche Behandlung“, wobei die Ungleichbehandlung an bestimmte persönliche oder soziale Eigenschaften anknüpft, wie z.B. ethnische Herkunft, Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung.331 Will man im Kontext von Ungleichbehandlungen eine neutrale Aussage tref-
328
Stichwort „discrimination“, in: Lawrence C. Becker/Charlotte B. Becker (eds.), Encyclopedia of Ethics, Vol. 1, 2nd ed., NewYork/London 2001, p. 413. 329
Langenscheidts Schulwörterbuch Latein, hrsg. v. Erich Pertsch/Ernst Erwin Lange-Kowal, 22. Aufl., Berlin [u.a.]. 1991, S. 133. Die lat. Verben „discriminare“ und „discernere“ (unterscheiden, trennen) sind verwandt (a.a.O., S. 132). Das Nomen „discrimen“ kann folgende Bedeutungen annehmen: Scheide, Scheidelinie, Entfernung, Zwischenraum, Unterschied, Unterscheidung; Entscheidung, Entscheidungskampf; gefährliche Bedrängnis, vgl. a.a.O., S. 133; Waldmann (Fn. 141), S. 198. 330
Ein „Diskriminator“ ist ein elektronischer Schaltkreis, der zwischen mehreren ihm zugeleiteten Größen unterscheidet bzw. eine Auswahl trifft (Stichwort „Diskriminator“, in: Brockhaus, Enzyklopädie, Bd. 5, 20. Aufl., Mannheim 2001, S. 553); eine „Diskriminanzanalyse“ ist ein bestimmtes statistisches Trennverfahren (Stichwort „Diskriminanzanalyse“, a.a.O., S. 553); diese Beispiele gibt Stefan Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, Berlin 2003, S. 26 f. 331
Vgl. Stichwort „Diskriminierung“, in: Brockhaus (Fn. 330), S. 553.
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fen, so greift man eher auf den Begriff der „Differenzierung“ oder – seltener – auf den der „Diskrimination“ zurück.332 Im Englischen ergibt sich ein abweichender sprachlicher Befund, denn hier ist – im Unterschied zum Deutschen – die ursprüngliche, neutrale Wortbedeutung wohl noch immer präsent. Nach wie vor kann to discriminate im gegenwärtigen Englisch folgenden, neutralen Wortsinn haben: „the ability to recognize a difference between one thing and another; a difference that is recognized: to learn discrimination between right and wrong.“333 Es wird sogar eine positive Bedeutung des Diskriminierungsbegriffs genannt: „the ability to judge what is good, true, etc.: He showed great discrimination in his choice of friends.“334 Diese Fähigkeit der Diskriminierung, d.h. des Vermögens gelingender oder feiner Unterscheidung, wird aber ebenfalls zunehmend überlagert und verdrängt durch den negativen Wortsinn: „the practice of treating somebody or a particular group in society less fairly than others.“335 Auch im Französischen lassen sich Hinweise auf beide Begriffsbedeutungen finden. In diesem Sinne kann „discrimination“ sowohl „Trennung“ und „Unterscheidung“ als auch „Benachteiligung“ und „Entrechtung einer bestimmten (sozialen, ethnischen) Gruppe“ meinen.336 Sowohl für die englische als auch für die französische Gegenwartssprache gilt, dass wenn man neutral von einem Akt des Unterscheidens sprechen möchte, der Begriff der „distinction“ dem Diskriminierungsbegriff vorzuziehen ist.337
332
Vgl. auch Plötscher (Fn. 330), S. 27.
333
Oxford Advanced Learner’s Dictionary of Current English, 6th ed., Oxford 2000, p. 377. 334
Oxford Advanced Learner’s Dictionary of Current English (Fn. 333), p. 377. Auf diese positive Wortbedeutung weist auch Marc Bossuyt, L’Interdiction de la discrimination dans le droit international des droits de l’homme, Brüssel 1976, p. 9 hin. 335 336 337
Oxford Advanced Learner’s Dictionary of Current English (Fn. 333), 377. Bossuyt (Fn. 334), p. 8 f. Plötscher (Fn. 330), S. 27.
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bb) Gebrauch des Diskriminierungsbegriffs in der politischen Philosophie Die politische Philosophie erfasst die hier verhandelte Problematik immer noch eher unter den Begriff der Gleichheit bzw. Gleichbehandlung als unter dem Begriff der Diskriminierung.338 Dies hat dazu geführt, dass es viele philosophische Konzeptionen und Entwürfe zur Gleichheit, aber kaum solche zur Nichtdiskriminierung gibt. Es fehlt an einer „Philosophie der Nichtdiskriminierung“.339 Dieser Mangel hat viele Gründe. Dazu gehört unter anderem, dass aus philosophischer – wie auch aus hier vertretener – Sicht die Gleichheit das umfassendere, logisch frühere Konzept und das Diskriminierungsverbot eine Ableitung hieraus darstellt.340 Ferner stellen der Gleichheitsbegriff und auf ihn aufbauenden Konzeptionen einen geeigneteren, umfassenden Analyserahmen bereit als der – in der philosophischen Literatur häufig enger verstandene – Diskriminierungsbegriff. Die philosophische Diskussion hat, soweit ersichtlich, die Nuancen der juristischen Strukturierung und Konturierung des Diskriminierungsbegriffs, insbesondere die Typisierung der subtileren Formen der Diskriminierung, bislang nicht nachvollzogen. So erfassen philosophische Definitionen der Diskriminierung häufig nur die direkte oder offene Diskriminierung. Eine solche Diskriminierungsdefinition gibt beispielsweise Iris Marion Young, die sich intensiv mit Ungleichbehandlungen und sozialer Gerechtigkeit auseinandersetzt: Young versteht unter Diskriminierung „the explicit exclusion or preference of some people in the distribution of benefits, the treatment they receive, or the positions they occupy, on account of their social group membership.“341 Mit der Verengung des Begriffs auf direkte Formen der Diskriminierung hängt zusammen, dass philosophische Ansätze häufig getragen sind von dem Gedanken eines absoluten, d.h. keiner Rechtfertigung zugänglichen, moralischen Diskriminierungsverbots. Allerdings finden sich auch in der Philosophie Ansätze zur Klärung des Diskriminierungsproblems: In diesem Zusammenhang kann auf eine 338
Vgl. Waldmann (Fn. 141), S. 197.
339
Eine wichtige Ausnahme bildet Larry Alexander, What Makes Wrongful Discrimination Wrong? Biases, Preferences, Stereotypes, and Proxies, UPennLR 141 (1992), p. 149 ff. 340 341
Vgl. Gosepath (Fn. 14), S. 168.
Iris Marion Young, Justice and the Politics of Difference, Princeton 1990, p. 196.
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von dem Philosophen Ernst Tugendhat getroffene Unterscheidung zwischen „primärer“ Diskriminierung und „sekundärer“ Diskrimination verwiesen werden.342 Tugendhat bestimmt „primäre Diskriminierung“ so, „daß sie genau dann gegeben ist, wenn angenommen wird, daß es eine vorausgehende Wertunterscheidung zwischen den Menschen gibt.“343 Unter „sekundärer Diskrimination“ versteht er hingegen „alle Formen der ungleichen Verteilung“, „die sich gleichwohl ergeben können, wenn auf der primären Ebene keine Ungleichheit stattfindet.“344 Damit ist keine Definition im Sinne einer Bestimmung der Wesensmerkmale des Diskriminierungsbegriffs selbst geleistet, aber Tugendhats Unterscheidung erlaubt es, die obige Einsicht klarer zu formulieren: dass nämlich philosophische Definitionen der Diskriminierung fast immer die primäre Diskriminierung zum Gegenstand haben, während die sekundäre Diskrimination als politisch-soziales Gleichheitsproblem bestimmt und behandelt wird. Primäre Diskriminierungen (z.B. die Einrichtung spezieller Eisenbahnabteile für Schwarze) sind per definitionem moralwidrig, weil sich unter den Bedingungen der Freiheit und Gleichheit der Personen keine Moral der Wertunterschiede zwischen Menschen mehr begründen lässt.345 Man spricht insoweit auch von „intrinsisch unmoralischen Neigungen“ („intrinsically immoral preferences“).346 Versteht man unter Diskriminierung lediglich die primäre Diskriminierung (im Sinne Tugendhats), ist es nur folgerichtig, ein absolutes (moralisches) Diskriminierungsverbot anzunehmen. Mit dieser Engführung scheidet die Philosophie als Gesprächspartner der Rechtswissenschaft aber gerade in den schwierigen Fällen der subtileren Formen der Diskriminierung aus. Entscheidend sind daher Ansätze, die sich um das Problem der sekundären Diskriminierung kümmern. Hierauf wird zurückzukommen sein.347 342
Ernst Tugendhat, Vorlesungen über Ethik, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1994, S. 375 ff. Zur Unterscheidung von „primärer“ Diskriminierung und „sekundärer“ Diskrimination vgl. auch Bernd Ladwig, Gerechtigkeitsgebot – Diskriminierungsverbot, in: Eckart Klein/Christoph Menke (Hrsg.), Universalität, Schutzmechanismen, Diskriminierungsverbote, Berlin 2008, S. 283 ff. 343 344
Tugendhat (Fn. 342), S. 375. Tugendhat (Fn. 342), S. 378.
345
Tugendhat (Fn. 342), S. 375. Zur „Ungerechtigkeit“ der Diskriminierung s. auch unten S. 473 f. 346 Vgl. wiederum den grundlegenden Aufsatz von Alexander (Fn. 339), p. 192 ff. 347
S. dazu unten S. 438 ff.
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b) Der Rechtsbegriff der Diskriminierung aa) Die U.S.-amerikanischen Ursprünge des rechtlichen Diskriminierungsbegriffs Sofern Diskriminierung als Rechtsbegriff verwendet wird, knüpft er an den pejorativen Bedeutungsgehalt an. Dieser Rechtsbegriff der Diskriminierung taucht, soweit ersichtlich, erstmals in der U.S.-amerikanischen Gesetzgebung und Rechtsprechung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf.348 In etwa zeitgleich findet der Diskriminierungsbegriff Eingang in zwei verschiedene Rechtsbereiche: den Bereich der Grundrechte und den Bereich des Handels- und Wettbewerbsrechts. Mit „Diskriminierung“ im handels- und wettbewerbsrechtlichen Sinne war im Wesentlichen die Preisdiskriminierung, mithin „die den Wettbewerb beschränkende Forderung oder Gewährung unterschiedlicher Preise und Lieferbedingun-
348
Die moderne Antidiskriminierungsgesetzgebung hat viele Vorläufer, deren Darstellung hier nicht im Einzelnen geleistet werden kann. Eine bedeutsame Vorform der Antidiskriminierungsgesetzgebung betraf das Verbot der Benachteiligung aufgrund der Religion. Für die polnischen Juden sah das sog. Statut von Kalisch (Kalisz) (1264), die sog. „Charta der jüdischen Freiheiten“, ein Diskriminierungsverbot im weiteren Sinne vor (neben gewissen persönlichen Freiheiten in Bezug auf die Religion, die Freizügigkeit und den Handel): So wurde dort u.a. die Gleichbehandlung von Juden und Christen hinsichtlich der Zollabgaben (Art. 17) und hinsichtlich des Zugangs zum öffentlichen Bad (Art. 19) geboten, s. Iwo Cyprian Pogonowski, Jews in Poland, A Documentary History, New York 1998, pp. 39-58. Ebenfalls enthielt das Edikt von Nantes (1598), das die französischen Hugenottenkriege beendete, Elemente einer Antidiskriminierungsgesetzgebung: So verbot Art. 22 des Edikts die unterschiedliche Behandlung der „genannten Religion“ im Hinblick auf den Zugang zu Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen sowie hinsichtlich des Zugangs zu medizinischer Versorgung, dazu vgl. Das Edikt von Nantes/Das Edikt von Fontainebleau, hrsg. v. Deutschen Hugenottenverein, Vorw. v. Ernst Mengin, Flensburg 1963. Ohne den Begriff der Diskriminierung ausdrücklich zu verwenden, enthält Artikel 87 des sog. Government of India Act (1833) ein Diskriminierungsverbot im engeren Sinne: “And be it enacted, that no native of the said territories, nor any natural-born subject of His Majesty resident therein, shall, by reason only of his religion, place of birth, descent, colour, or any of them, be disabled from holding any place, or employment under the said Company”, s. Barbara Harlow/Mia Carter (eds.), Archives of Empire, Vol. 1: From the East India Company to the Suez Canal, Durham 2003, p. 49 ff., 52.
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gen für gleichartige Lieferungen und Leistungen“349 gemeint. So verboten in den 1870er Jahren die sog. „Granger Laws“ in einigen U.S. Bundesstaaten eine diskriminierende Preisgestaltung von Lagerhäusern zulasten der Landwirte.350 Das Problem der Preisdiskriminierung als Wettbewerbshindernis hatten auch die später erlassenen Gesetze des „Interstate Commerce Act“ (1887), „Clayton Act“ (1912) und des „Robinson Patman Act“ (1936) zum Gegenstand.351 Um den negativen oder pejorativen Sinn in Absetzung von der neutralen Bedeutung des Diskriminierungsbegriffs kenntlich zu machen, verwendeten diese frühen Antidiskriminierungsgesetze klarstellende Attribute wie „unjust discrimination“, „unreasonable discrimination“ etc.352 Im Bereich der Grundrechte tritt der Begriff der Diskriminierung im Zusammenhang mit dem Amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865) und seiner unmittelbaren Vorgeschichte auf. Berüchtigt ist insoweit das Urteil des Supreme Court im Fall des als Sklaven gehaltenen Dred Scott (1857).353 Dieses Urteil, welches nach Ansicht des amerikanischen Juris349
Günther Jaenicke, Art. „Diskriminierung“, in: Wörterbuch des Völkerrechts, begr. v. Karl Strupp, hrsg. v. Hans-Jürgen Schlochauer, 1. Bd., 2. Aufl., Berlin 1960, S. 387, 388. 350
Vgl. z.B. das Gesetz des Bundesstaates Illinois, „Act to regulate public warehouses and the warehousing and inspection of grain, and to give effect to art. 13 of the Constitution of this State“, 25.04.1871, Sec. 15; abgedruckt in USSCt, Munn v. Illinois, 94 U.S. 113 (1876); vgl. dazu auch Anne Peters, Die Strukturähnlichkeit der Diskriminierungsverbote im Menschenrechtsbereich und im Welthandelsrecht – Eine exemplarische Prüfung der Fragmentierungsthese, in: Stephan Breitenmoser/Bernhard Ehrenzeller/Marco Sassòli/Walter Stoffel/Beatrice Wagner Pfeifer (Hrsg.), Human Rights, Democracy and the Rule of Law/Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat/Droits de l’homme, démocratie et état de droit: Liber Amicorum Luzius Wildhaber, Zürich/BadenBaden 2007, S. 551, 552 Fn. 4. 351
Vgl. Jaenicke (Fn. 349), S. 388; vgl. Plötscher (Fn. 330), S. 28, dort auch zum Einfluss dieser handels- und wettbewerbsrechtlichen Gesetzgebung auf das EU-Binnenmarktrecht. 352 353
Vgl. Peters (Fn. 350), S. 554 m.w.N.
USSCt, Dred Scott v. Sandford, 60 U.S. 393 (1857). In diesem Fall ging es um einen Schwarzen, der von seinem Herren aus dem Sklavenhalterstaat Missouri in das „Upper Louisiana Territory“ gebracht wurde, in dem die Sklaverei abgeschafft war. Schließlich wurde Scott wieder nach Missouri verbracht. Seine Klage auf Entbindung von der Sklaverei wurde vom Supreme Court abgewiesen u.a., weil ihm als Schwarzer der Zugang zur amerikanischen Staatsbürgerschaft verwehrt war, vgl. Nelson Lund, Illusions of Antidiscrimination Law, in: Abi-
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ten Nelson Lund eine erste Phase des U.S.-amerikanischen Antidiskriminierungsrechts, die von Lund sog. „Dred Scott Phase“, markiert, wird bisweilen sogar als ein Anlass des Amerikanischen Bürgerkriegs gewertet, da es die Rechte der Sklavenhalter stärkte.354 In der Mehrheitsmeinung, die von dem Vorsitzenden Richter Taney verfasst wurde, findet der Begriff der Diskriminierung bezeichnenderweise keine Erwähnung, wohl aber an vier Stellen in der abweichenden Meinung von Richter Curtis.355 Diese Stellen lassen sich aber nur als Belege für die neutrale Begriffsverwendung der Diskriminierung im Sinne des „Unterscheidens“ anführen. Durchaus im Einklang mit der politischen und geistigen Umbruchsituation der Zeit vor dem Bürgerkrieg kann man daraus schließen, dass der negative, pejorative Diskriminierungsbegriff um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch nicht als juristisch belastbar gelten konnte. Elf Jahre vor der Verabschiedung des für die Entwicklung des U.S.-amerikanischen Antidiskriminierungsrechts entscheidenden XIV. Amendments („equal protection clause“) (1868) konnte Richter Curtis die Ausführungen in seiner abweichenden Meinung noch nicht auf eine tragfähige Konzeption der Diskriminierung stützen. Das erste Antidiskriminierungsgesetz, das den Begriff der Diskriminierung ausdrücklich verwendet, wurde im Bundesstaat Massachusetts 1865 erlassen.356 Auf Bundesstaatsebene folgte 1866 der Civil Rights Act, der zwar den Begriff der Diskriminierung nicht ausdrücklich gebrauchte, wohl aber der Sache nach erwähnte: Der Civil Rights Act gewährte „reasonable protection to all persons in their constitutional rights of equality before the law, without distinction of race or color, or previous condition of slavery or involuntary servitude.“357 Auf die legislative Begriffsverwendung folgte der Gebrauch in der Rechtsprechung. Das, soweit ersichtlich, erste Urteil, das einen engen, pejorativen Diskriminierungsbegriff – im Sinne einer ungerechtfertigten
gail Thernstrom/Stephan Thernstrom (eds.), Beyond the Color Line: New Perspectives on Race and Ethnicity in America, New York 2002, p. 319, 322. 354
Lund (Fn. 353), p. 319, 322 ff. Zur Rolle des Dred Scott-Urteils in der amerikanischen Politik vgl. Don Edward Fehrenbacher, The Dred Scott Case: Its Significance in American Law and Politics, New York 2001. 355
Vgl. abw. Meinung des Richters Curtis, 60 U.S. 393, 566, 574, 582, 620.
356
Act Forbidding Unjust Discrimination on Account of Color or Race, 1865 Mass. Acts, ch. 277, 16.05.1865; vgl. dazu Francis H. Fox, Discrimination and Antidiscrimination in Massachusetts Law, BULR 44 (1964), p. 30, 58. 357
Civil Rights Act, 14 Stat. 39 (1866).
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Ungleichbehandlung anknüpfend an einen verdächtigen Differenzierungsgrund – ausdrücklich verwendet, ist der Fall der sog. Slaughterhouse Cases (1873), der an sich gesundheitspolizeiliche Aspekte der Einrichtung von Schlachthöfen betraf.358 In der von Richter Miller vorgetragenen Mehrheitsmeinung wird der enge Diskriminierungsbegriff zu einer einschränkenden Auslegung des Gleichheitssatzes („equal protection clause“) des XIV. Amendments der Bundesverfassung herangezogen: “In the light of the history of these amendments, and the pervading purpose of them (...) it is not difficult to give meaning to this clause. The existence of laws in the States where the newly emancipated negroes resided, which discriminated with gross injustice and hardship against them as a class, was the evil to be remedied by this clause, and by it such laws are forbidden” [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.].359 Mit gewisser Vorsicht lässt sich diese Stelle auch als ein erster Beleg dafür heranziehen, dass hier das Diskriminierungsunrecht im Akt des Ungleichbehandelns aufgrund eines bestimmten Differenzierungsgrundes (der Rasse) selbst verortet wurde; einer weiteren Qualität der Ungleichbehandlung, etwa eine besonders bösartige oder ungerechte Art und Weise der Behandlung, bedurfte es – jedenfalls nach der Mehrheitsmeinung – dann nicht mehr. Noch deutlicher wird der enge, pejorative Diskriminierungsbegriff in dem Urteil Strauder v. West Virginia (1879) verwendet, einem Fall, der den Ausschluss von Afro-Amerikanern als Geschworene betraf.360 In diesem Fall wird von der Mehrheitsmeinung 358
USSCt, The Slaughterhouse Cases, 83 U.S. 36 (1873); dazu vgl. Jonathan Lurie/Ronald Labbe, Regulation, Reconstruction, and the Fourteenth Amendment, Lawrence/Kansas 2003. 359
USSCt, The Slaughterhouse Cases, 83 U.S. 36, 81 (1873). William McKean hat darauf hingewiesen, dass die U.S.-amerikanische Rechtsprechung einen Unterschied zwischen der Formel „to discriminate against“ und „to discriminate between“ macht, vgl. ders., The Meaning of Discrimination in International and Municipal Law, BYIL 44 (1970), p. 186 [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.]. Dabei sei erstere Formel ein Hinweis auf die pejorative und letztere auf die neutrale Verwendung des Diskriminierungsbegriffs. Deshalb müsse nur im letzteren, neutralen Gebrauch zusätzlich noch eine Qualifikation der Ungleichbehandlung als „arbitrary“ oder „unjust“ hinzutreten, während dies bei der erstgenannten Formel nicht erforderlich sei. Vgl. auch Bossuyt (Fn. 334), S. 11. 360
USSCt, Strauder v. West Virginia, 100 U.S. 303 (1879): “In this court, several errors have been assigned, and the controlling question underlying them all are, first, whether, by the Constitution and laws of the United States, every citi-
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bereits eine anspruchsvolle Konzeption der Nichtdiskriminierung vorausgesetzt: “The words of the amendment, it is true, are prohibitory, but they contain a necessary implication of a positive immunity, or right, most valuable to the colored race – the right to exemption from unfriendly legislation against them distinctively as colored – exemption from legal discriminations, implying inferiority in civil society, lessening the security of their enjoyment of the rights which others enjoy, and discriminations which are steps towards reducing them to the condition of a subject race.”361 Spätestens also im Jahre 1879 ist der enge, pejorative Diskriminierungsbegriff Gegenstand höchstrichterlicher Argumentation, wobei dem Begriff bereits eine tragfähige Konzeption der Diskriminierung zugrunde liegt. Dem Diskriminierungsbegriff im menschenrechtlichen Sinne war dabei zunächst nur ein begrenzter Anwendungskontext zugewiesen: der des ungerechten Umgangs der Weißen mit den AfroAmerikanern. Der Begriff löste sich erst im Laufe seiner Entwicklung im U.S. Antidiskriminierungsrecht – gleichwohl unter beständiger Rückbesinnung auf diesen Ursprungskontext – von seinem originären Verwendungszusammenhang.362
bb) Die Rezeption des Diskriminierungsbegriffs im Völkerrecht Der solchermaßen im U.S.-amerikanischen Recht entwickelte Diskriminierungsbegriff fand – vermittelt durch die gewachsene Bedeutung des Englischen als Sprache der Diplomatie zu Beginn des 20. Jahrhunderts – Aufnahme in das Völkerrecht.363 Auch die Rezeption des Diszen of the United States has a right to a trial of an indictment against him by a jury selected and impaneled without discrimination against his race or color, because of race or color.” 361
USSCt, Strauder v. West Virginia, 100 U.S. 303, 307 f. (1879).
362
Für die Diskussion im U.S.-amerikanischen Recht bzgl. einer Ausdehnung der „suspect grounds“ auf Regelungen betreffend Homosexuelle vgl. Brugger (Fn. 254), S. 145 ff. 363
Vgl. die ausführliche Darstellung bei Egbert Vierdag, The Concept of Discrimination in International Law, La Haye 1973, p. 49 f. Vierdag weist darauf hin, dass sich der Begriff der Diskriminierung vor dem Zweiten Weltkrieg nur in den anglo-amerikanischen Beziehungen findet und die zunehmende Karriere des Diskriminierungskonzepts mit der gestiegenen Bedeutung der Vereinigten Staaten als Weltmacht nach dem Ersten Weltkrieg zusammenhängt, ebd.
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2. Teil
kriminierungsbegriffs im Völkerrecht ist hinreichend erforscht worden, so dass an dieser Stelle eine Beschränkung auf das für ein Verständnis des menschenrechtlichen Begriffs der Diskriminierung Wesentliche vertretbar erscheint.364 aaa) Nicht-menschenrechtliche Diskriminierungsverbote Der handelsrechtliche Diskriminierungsbegriff taucht im Völkerrecht erstmals im Versailler Friedensvertrag (1919) im Zusammenhang mit dem Verbot der Beschränkung des internationalen Warenhandels durch ungleiche Behandlung von Staaten u.a. bei der Einfuhr von Waren nach Deutschland auf.365 In dieser Zeit nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich das Diskriminierungsverbot allmählich im internationalen Handelsverkehr als Korrelat der Gleichbehandlungspflichten durch,366 ebenso bezüglich des internationalen Eisenbahn- und Seehafenverkehrs.367 Hinzu kommt die Verwendung des Diskriminierungsbegriffs im Mandatsrecht: Den Mandatar traf die Verpflichtung, Diskriminierungen der
364 Vgl. immer noch die grundlegenden Arbeiten von Günther Jaenicke zum Diskriminierungsbegriff im Völkerrecht: ders., Der Begriff der Diskriminierung im modernen Völkerrecht, Berlin 1940; ders. (Fn. 349), S. 387 ff. Vgl. auch Wilhelm Kewenig, Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Völkerrecht der internationalen Handelsbeziehungen, Bd. 1: Der Begriff der Diskriminierung, Frankfurt 1972; Bossuyt (Fn. 334), p. 8 ff.; Vierdag (Fn. 363), p. 48 ff.; Karl Josef Partsch, Discrimination against Individuals and Groups, in: Rudolf Bernhardt (ed.), Encylopedia of Public International Law, Vol. 1, Amsterdam [et al.] 1992, p. 1079 ff. 365
Art. 265 Treaty of Versailles (Quelle: [1919] UKTS 4 [Cmd. 153]; [1920] ATS 1): “Germany further undertakes that, in the matter of the regime applicable on importation, no discrimination against the commerce of any of the Allied and Associated States as compared with any other of the said States or any other foreign country shall be made, even by indirect means, such as customs regulations or procedure, methods of verification or analysis, conditions of payment of duties, tariff classification or interpretation, or the operation of monopolies.” Vgl. Art. 323 Treaty of Versailles; zum Ganzen vgl. auch Jaenicke (Fn. 349), S. 388. 366
Jaenicke (Fn. 349), S. 388 f. (unter Hinweis auf Ziff. 1 des Protokolls zum britisch-deutschen Handels- und Schifffahrtsvertrag vom 2.12.1924 sowie die Konvention zur Abschaffung der Ein- und Ausfuhrbeschränkungen vom 8.11.1927, LNTS 97, 391). 367
Jaenicke (Fn. 349), S. 388 (unter Hinweis auf die Genfer Konventionen über den internationalen Eisenbahn- und Seehäfenverkehr, 9.12.1923).
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109
Völkerbundstaaten und deren Staatsangehörigen im Vergleich zu den eigenen Staatsangehörigen hinsichtlich wirtschaftlicher und beruflicher Betätigung im Mandatsgebiet zu unterlassen.368 Nach dem Zweiten Weltkrieg wird der Grundsatz der Nichtdiskriminierung zu einem Hauptziel des GATT 1947.369 Im Kontext des GATT wird der Grundsatz der „Nichtdiskriminierung“ spezifiziert als Prinzip der Meistbegünstigung (Art. I GATT)370 und als Prinzip der Inländerbehandlung (Art. III GATT).371 Im Fall der nicht-menschenrechtlichen Diskriminierungsverbote meint „Diskriminierung“ allgemein die (ungerechtfertigte) Ungleichbehandlung auf der Grundlage der Herkunft oder sonstiger geographischer Anknüpfungskriterien in Bezug auf das jeweilige Wirtschaftsgut. bbb) Menschenrechtliche Diskriminierungsverbote Der Versailler Vertrag gebraucht den Diskriminierungsbegriff ebenfalls im menschenrechtlichen Kontext, genauer im Zusammenhang mit dem Minderheitenschutz.372 So sah Art. 104 Ziff. 5 des Versailler Vertrages (1919) ein Verbot der Diskriminierung gegenüber der polnischen bzw. polnischsprachigen Minderheit in Danzig vor.373 In diesem Verbot wird bereits der enge, pejorative Diskriminierungsbegriff verwendet, aller368
Jaenicke (Fn. 349), S. 388 (unter Hinweis auf Art. 18 Palästina-Mandat; Art. 11 Syrien- und Libanon-Mandat). 369
Peters (Fn. 350), S. 557; Jaenicke (Fn. 349), S. 389.
370
Vgl. die Bestimmung bei Günther Jaenicke, Meistbegünstigung, in: Wörterbuch des Völkerrechts, begr. v. Karl Strupp, hrsg. v. Hans-Jürgen Schlochauer, 2. Bd., 2. Aufl., Berlin 1961, S. 497 ff. 371
Vgl. die Bestimmung bei Peters (Fn. 350), S. 560: Der Grundsatz der Inländerbehandlung „verpflichtet einen Staat, ausländische Waren, Dienstleistungen oder Wirtschaftsteilnehmer nicht schlechter zu behandeln als die entsprechenden einheimischen Akteure oder Handelsgüter.“ 372 373
Kewenig (Fn. 364), S. 25; Jaenicke (Fn. 349), S. 388.
Vgl. die allein maßgeblichen englischen und französischen Sprachfassungen, Art. 104 (5) Treaty of Versailles: “The Principal Allied and Associated Powers undertake to negotiate a Treaty between the Polish Government and the Free City of Danzig, which shall come into force at the same time as the establishment of the said Free City, with the following objects: (...) To provide against any discrimination within the Free City of Danzig to the detriment of citizens of Poland and other persons of Polish origin or speech”, Quelle: [1919] UKTS 4 (Cmd. 153); [1920] ATS 1. Vgl. auch Art. 329 Treaty of Versailles.
110
2. Teil
dings nicht in seiner Funktion als Individual-, sondern als Gruppenrecht.374 Hinzu kommen die separaten Verträge zum Schutz von Minderheiten, die ebenfalls im Kontext des Versailler Vertrages geschlossen wurden.375 Als Grundbegriff des Völkerrechts, d.h. als einer, in dem sich ein fundamentales Selbstverständnis der internationalen Rechtsgemeinschaft widerspiegelt, tritt der Begriff der Diskriminierung allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg hervor.376 So wird die Nichtdiskriminierung ihrem Charakter als Grundlagenbegriff entsprechend im Verbund mit dem Gleichheitsgebot zu Recht als das „einzige dominierende Thema“ des IPbpR angesehen.377 Nach dem Zweiten Weltkrieg weist der Begriff der Diskriminierung im Völkerrecht nur noch eine pejorative Bedeutung auf; dies wird sichtbar daran, dass der Vorschlag der Menschenrechtskommission, in der AEMR von 1948 die „willkürliche“ Diskriminierung zu verbieten, zurückgewiesen wurde unter dem Hinweis, dass dem Begriff der Diskriminierung das Willkürelement bereits inhärent sei.378
c) Allgemeine Definition der Diskriminierung im menschenrechtlichen Sinne und allgemeiner Diskriminierungstatbestand aa) Allgemeine Definition der Diskriminierung Heute findet sich der Diskriminierungsbegriff in nahezu allen universellen und regionalen Menschenrechtsinstrumenten. Nicht selten wird dabei auch eine Legaldefinition der „Diskriminierung“ gegeben. Für die 374
Vgl. Waldmann (Fn. 141), S. 198.
375
Vgl. insbes. Art. 6-9 des polnischen Minderheitenvertrags, 28.06.1919 (dt. Übers. bei Udo Rukser, Die Rechtsstellung der Deutschen in Polen, Leipzig 1921). Zur Auslegung des Art. 8 des Minderheitenvertrages, der u.a. die Gleichbehandlung der „rassischen Minderheiten“ mit den anderen Polen „in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht“ vorsah, vgl. das Gutachten des StIGH, Certain Questions relating to settlers of German origin ceded by Germany to Poland (1923), Serie B Nr. 6, S. 23 ff. 376
So auch Peters (Fn. 350), S. 553.
377
Bertrand G. Ramcharan, Equality and Non-Discrimination, in: Luis Henkin (ed.), The International Bill of Rights, The Covenant on Civil and Political Rights, New York 1981, p. 246. 378
Peters (Fn. 350), S. 553 f.; McKean (Fn. 101), S. 286 (unter Verweis auf die Kommissionsakten).
Recht der menschenrechtlichen Gleichheit
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an dieser Stelle interessierende Frage, was „Diskriminierung“ im menschenrechtlichen Sinne bedeutet, können diese Definitionen einen ersten, wichtigen Anhaltspunkt bieten. Zu untersuchen ist, ob sich Übereinstimmungen ergeben, eine Art „gesicherter Bestand“ des menschenrechtlichen Diskriminierungsbegriffs. Zu diesem Zweck werden nachfolgend fünf Legaldefinitionen der Diskriminierung aus Instrumenten des universellen Menschenrechtsschutzes analysiert. – Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD, 1966): “In this Convention, the term ‘racial discrimination’ shall mean any distinction, exclusion, restriction or preference based on race, colour, descent, or national or ethnic origin which has the purpose or effect of nullifying or impairing the recognition, enjoyment or exercise, on an equal footing, of human rights and fundamental freedoms in the political, economic, social, cultural or any other field of public life.”379 – Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW, 1979): “For the purposes of the present Convention, the term ‘discrimination against women’ shall mean any distinction, exclusion or restriction made on the basis of sex which has the effect or purpose of impairing or nullifying the recognition, enjoyment or exercise by women, irrespective of their marital status, on a basis of equality of men and women, of human rights and fundamental freedoms in the political, economic, social, cultural, civil or any other field.”380 – General Comment Nr. 18 des UN-Menschenrechtsausschusses (1989): “(...) the Committee believes that the term ‘discrimination’ as used in the Covenant should be understood to imply any distinction, exclusion, restriction or preference which is based on any ground such as race, colour, sex, language, religion, political or other opinion, national or social origin, property, birth or other status, and which has the purpose or effect of nullifying or impairing the recognition, enjoyment or exercise by all persons, on an equal footing, of all rights and freedoms.”381 – Übereinkommen über die Rechte behinderter Menschen (CRPD, 2006): “‚Discrimination on the basis of disability‘ means any distinction, exclusion or restriction on the basis of disability which has the 379 380 381
Art. 1 Abs. 1 CERD (Fn. 105). Art. 1 CEDAW (Fn. 106). General Comment Nr. 18 (Fn. 201), § 7.
112
2. Teil
purpose or effect of impairing or nullifying the recognition, enjoyment or exercise, on an equal basis with others, of all human rights and fundamental freedoms in the political, economic, social, cultural, civil or any other field. It includes all forms of discrimination, including denial of reasonable accommodation.”382 – General Comment Nr. 20 des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (2009): “(a) Direct discrimination occurs when an individual is treated less favourably than another person in a similar situation for a reason related to a prohibited ground; e.g. where employment in educational or cultural institutions or membership of a trade union is based on the political opinions of applicants or employees. Direct discrimination also includes detrimental acts or omissions on the basis of prohibited grounds where there is no comparable similar situation (e.g. the case of a woman who is pregnant); (b) Indirect discrimination refers to laws, policies or practices which appear neutral at face value, but have a disproportionate impact on the exercise of Covenant rights as distinguished by prohibited grounds of discrimination. For instance, requiring a birth registration certificate for school enrolment may discriminate against ethnic minorities or non-nationals who do not possess, or have been denied, such certificates.”383 Folgende Begriffsmerkmale sind diesen Definitionen gemeinsam und bilden gleichsam einen „gesicherten Bestand“ des menschenrechtlichen Diskriminierungsbegriffs: Als Diskriminierung im menschenrechtlichen Sinne bezeichnet man die Ungleich- oder Gleichbehandlung von Personen, gestützt auf personenbezogene Differenzierungsgründe mit dem Zweck oder der Wirkung einer Beschränkung von (Menschen-)Rechten oder Freiheiten dieser Person. Somit kann folgende allgemeine Definition der Diskriminierung im völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz formuliert werden: Diskriminierung im menschenrechtlichen Sinne ist jede Ungleich- oder Gleichbehandlung von Personen, die auf personenbezogene Differenzierungsgründe gestützt ist und den Zweck oder die Wirkung einer Beschränkung von (Menschen-)Rechten oder Freiheiten dieser Person hat.384
382
Art. 2 Abs. 3 CRPD (Fn. 125).
383
UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, General Comment Nr. 20 (zu Art. 2 Abs. 2, 42. Sess. 2009, UN Doc. E/C.12/GC/20 (2009), § 10. 384
Vgl. auch die nachfolgenden Definitionsvorschläge zum Diskriminierungsbegriff im Völkerrecht: Unter Diskriminierung wird die „willkürliche
Recht der menschenrechtlichen Gleichheit
113
bb) Allgemeiner menschenrechtlicher Diskriminierungstatbestand Auf einer zweiten, abstrakteren Stufe lässt sich aus dieser Definition umrisshaft ein allgemeiner, menschenrechtlicher Diskriminierungstatbestand destillieren. Während die allgemeine Definition den Diskriminierungsbegriff in minimis terminis bestimmt, gibt der Diskriminierungstatbestand diejenigen Merkmale an, an deren Vorliegen das (Völker-)Recht bestimmte Rechtsfolgen knüpft. Dieser setzt sich aus folgenden Elementen zusammen: 1. (Art und Weise einer) Behandlung, 2. (bestimmter) Differenzierungsgrund, 3. Zufügung eines (bestimmten) Nachteils. Zwei Tatbestandsmerkmale, die für das Vorliegen einer Diskriminierung im Rechtssinne regelmäßig mitkonstitutiv sind, finden keine ausdrückliche Entsprechung in den oben genannten Legaldefinitionen: 4. (Anwendungsbedingung der) Vergleichbarkeit und 5. die Nichtrechtfertigung der Behandlung.385 Dies hängt damit zusammen, dass Vergleichbarkeit und Nichtrechtfertigung als dem Begriff der Diskriminierung inhärent gedacht werden. Beide Elemente explizieren den Diskriminierungsbegriff, sind aber gleichsam analytisch in ihm enthalten. Für eine Definition in minimis terminis ist die Angabe daher nicht notwendig, wohl aber, wenn es um die Konstruktion eines juristischen Diskriminierungstatbestands geht. Mit der Aufzählung der fünf Elemente des menschenrechtlichen Diskriminierungstatbestandes ist für die rechtspraktische Lösung von Diskriminierungsfällen noch nicht viel gewonnen, da die Merkmale in hohem Maße ausfüllungs- und konkretisierungsbedürftig sind. So muss etwa die der Diskriminierung zugrunde liegende „Behandlung“ näher
Ungleichbehandlung von Rechtsgenossen (Einzelpersonen, Staaten) unter Anknüpfung an Unterscheidungsmerkmale verstanden, die entweder – so im Falle von Individuen und Gruppen – von diesem nicht beeinflußbar sind wie Rasse, Volkszugehörigkeit oder Geschlecht oder unter keinem rationalen Gesichtspunkt als Unterscheidungskriterium von Individuen, Gruppen und Staaten sachlich gerechtfertigt werden können“, Jost Delbrück, Art. Diskriminierung, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 2. Aufl., München 1991, S. 85, 85 f. 385
Für eine leicht abweichende Auflistung der Merkmale eines einheitlichen Diskriminierungstatbestandes vgl. Peters (Fn. 350), S. 557.
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2. Teil
bestimmt werden, ebenso wie geklärt werden muss, worin der spezifische „Nachteil“ in diesem Fall besteht. Die Möglichkeit, den rechtlichen Diskriminierungsbegriff allgemein zu definieren und ihm eine tatbestandliche Konturierung zu geben, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den Einzelfragen eine große Unsicherheit besteht. Ein zentrales Problem besteht darin, den spezifischen „Nachteil“ aufgrund von Diskriminierungshandlungen näher zu bestimmen. Diese Frage weist über die terminologische Bestimmung des Diskriminierungsbegriffs hinaus und betrifft die Konzeption der Diskriminierungsverbote, ihren Sinn und Zweck oder – noch deutlicher – das „Worumwillen“ des Verbotenseins von Diskriminierung. Hierzu ist weiter unten Stellung zu beziehen.386 Die inhaltliche Ausfüllung des Diskriminierungstatbestandes wird von den Rechtsprechungsorganen geleistet. Der Gehalt des Diskriminierungsverbots, mithin was Nichtdiskriminierung „ist“, kann daher letztlich immer nur in einem konkreten Anwendungsrahmen wie etwa dem der EMRK aufgezeigt werden.387 Wichtig ist an dieser Stelle, festzuhalten, dass sich der Diskriminierungsbegriff durch drei Merkmale bestimmen lässt und, dass sich der darauf aufbauende Diskriminierungstatbestand aus fünf Elementen zusammensetzt. Trotz gemeinsamer Strukturen lässt sich allerdings nicht von einem einheitlichen völkerrechtlichen Begriff der Diskriminierung sprechen, der auch den nicht-menschenrechtlichen Bereich, also etwa den des Welthandelsrechts, erfassen würde.388 Der allgemeine Diskriminierungsbegriff und -tatbestand liefern allerdings die Kategorien, unter denen das Diskriminierungsproblem später im Kontext der EMRK analysiert werden kann.
2. Typologie der Diskriminierung und Einteilung der menschenrechtlichen Nichtdiskriminierungstatbestände Nachdem dargelegt ist, was unter „Diskriminierung“ abstrakt zu verstehen ist und in welchen juristischen Kategorien diese sich erfassen 386 387 388
Zur diskriminierungsspezifischen Benachteiligung s. unten S. 465 ff. Dazu ausführlich unten S. 121 ff.
Zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Diskriminierungsverbote im Menschenrechts- und Welthandelsbereich vgl. nochmals Peters (Fn. 350), passim (insbes. S. 563 ff.); die Nichteinheitlichkeit betont Waldmann (Fn. 141), S. 199.
Recht der menschenrechtlichen Gleichheit
115
lässt, bedarf es der Klärung, welche Verhaltensweisen dieser Diskriminierungsbegriff erfasst oder wie die diskriminierende Behandlung beschaffen sein muss. M.a.W. geht es um eine Typologie der diskriminierenden Behandlung im menschenrechtlichen Sinne. In handlungstheoretischer Betrachtung ergibt sich, dass eine „Diskriminierung“ in der oben definierten Bedeutung auf dreierlei Verhaltensweisen beruhen kann: Erstens der ungleichen bzw. gleichen Behandlung von Personen als Handlungszweck, zweitens der ungleichen Behandlung von Personen als Handlungserfolg und drittens die Herbeiführung des Handlungserfolgs durch Nichtbehandlung.389 Auf dieser Typologie beruht dann die Einteilung der menschenrechtlichen Nichtdiskriminierungstatbestände: Sofern jeweils die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, spricht man von „direkter Diskriminierung“, wenn die ungleiche bzw. gleiche Behandlung von Personen den Handlungszweck des Akteurs abgibt, von „indirekter Diskriminierung“, wenn die ungleiche Behandlung als Handlungserfolg herbeigeführt wird und von „passiver Diskriminierung“, wenn der Handlungserfolg durch Untätigbleiben eintritt. Dies ist die basale, im Weiteren noch zu verfeinernde Einteilung der Nichtdiskriminierungstatbestände im völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz.
Ergebnisse des zweiten Teils Im zweiten Teil der Arbeit wird das Recht der menschenrechtlichen Gleichheit betrachtet. Unter den Begriff des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts fallen Normen des Völkerrechts, die das Problem der menschenrechtlichen Gleichheit als solches zum Gegenstand haben. „Fluchtpunkt“ des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts insgesamt ist das objektivrechtliche Prinzip der Rechtsgleichheit mit seinen beiden Kerngehalten des Gebots der Rechtegleichheit und des Gebots der Gleichbehandlung. Einigen Teilinhalten des Prinzips der Rechtsgleichheit, etwa den Verboten der Rassen- und – nach zutreffender Ansicht auch – der Geschlechterdiskriminierung, kommt bereits der Status des ius cogens zu. In subjektivrechtlicher Hinsicht ist das völkerrechtliche Gleichheitsrecht entweder als allgemeines Gleichheitsrecht (durch einen allgemei389
Vgl. beim Gleichheitssatz die Einteilung in die akt- bzw. folgenbezogene Betrachtung, s. dazu ausführlich bereits oben S. 46 f.
116
2. Teil
nen Gleichheitssatz) oder – gleichsam negativ spiegelbildlich – als Nichtdiskriminierungsrecht (durch Diskriminierungsverbote) ausgestaltet. Es handelt sich um zwei Modelle des menschenrechtlichen Gleichheitsschutzes. Beide werden in dieser Arbeit nacheinander analysiert. Das erstgenannte Modell des allgemeinen Gleichheitsrechts wird anhand von Art. 26 IPbpR vorgestellt. Der in dieser Norm verankerte, allgemeine völkerrechtliche Gleichheitssatz gewährt in erster Linie ein subjektives, modales Abwehrrecht gegen eine bestimmte Art und Weise der Behandlung des Einzelnen durch den Staat. Die Rechtsnatur des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes wird – in Abgrenzung von den besonderen Gleichheitssätzen – maßgeblich durch seine „Allgemeinheit“ bestimmt. Die Allgemeinheit dieses völkerrechtlichen Gleichheitssatzes besteht, wie u.a. erkennbar an Art. 26 IPbpR, erstens in der Allgemeinheit des Anwendungsbereichs, d.h. es findet keine Beschränkung auf Ungleichbehandlungen in Bezug auf bestimmte Rechte (etwa das Wahlrecht) statt, sowie, zweitens, in der Statusallgemeinheit, indem die Aktivierung der gleichheitsrechtlichen Prüfung nicht von der Einschlägigkeit anderer (Freiheits-)Rechte desselben völkerrechtlichen Instruments abhängt.390 Drittens ist eine Differenzierungsallgemeinheit konstitutiv für den allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz. Diese Art der Allgemeinheit führt dazu, dass die gleichheitsrechtliche Prüfung nicht auf (qualitativ) bestimmte Differenzierungsgründe, etwa ethnische Herkunft oder Geschlecht, beschränkt ist, sondern dass das jeweilige Differenzierungskriterium keine konstitutive Rolle für die Anwendbarkeit des Gleichheitssatzes spielt und schon jede bloß unsachliche Unterscheidung relevant ist.391 Diese drei Arten von Allgemeinheit bestimmen – zusammen mit seinem Charakter als subjektives öffentliches Recht – die Rechtsnatur des allgemeinen Gleichheitssatzes. Da diese Voraussetzungen bei Art. 26 S. 1 IPbpR in der Auslegung des UN-Menschenrechtsausschusses gegeben sind, handelt es sich dabei um einen genuinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz. Der allgemeine völkerrechtliche Gleichheitssatz lässt sich in dreierlei Weise dogmatisch strukturieren:
390 391
General Comment Nr. 18 (Fn. 201), § 12.
Selbstverständlich kann aber der Art und der Besonderheit des jeweiligen Differenzierungskriteriums eine entscheidende Rolle im Rahmen der weiteren Ausgestaltung der Prüfung des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes zukommen, dazu s. insbes. S. 196 ff.
Recht der menschenrechtlichen Gleichheit
117
– erstens durch ein zweistufiges Modell der Gleichheitspräsumtion (dem auch der UN-Menschenrechtsausschuss folgt), – zweitens durch ein dreistufiges Eingriffsmodell im Anschluss an Stefan Huster, – drittens durch das Reduktionsmodell nach Alexander Somek. Eine Untersuchung dieser Modelle im Kontext des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes zeigt, dass das Modell der Gleichheitspräsumtion des Menschenrechtsausschusses insbesondere vor das Problem gestellt ist, im Rahmen des Vergleichbarkeitstests, aber vor allem auch in der Rechtfertigungsprüfung die Relevanz bestehender Ungleichheiten zwischen Sachverhalten prüfen und beurteilen zu müssen. Anders als im nationalen Kontext steht dafür kein internationales Verfassungsrecht zur Verfügung, dem man Gleichheitsmaßstäbe entnehmen könnte. Das Modell der Gleichheitspräsumtion versucht, dieses Dilemma durch die Justierung von Gleichheitsmaßstäben und Gleichheitsurteil zu bewältigen, indem unterschiedliche Entsprechungsanforderungen gestellt werden. Diese Anforderungen lassen sich – in zunehmender Verdichtung – als Rechtfertigungstests formulieren, wobei eine Willkürprüfung, eine Prüfung auf „objektive und sachliche Gründe“ und ein Verhältnismäßigkeitstest zu unterscheiden sind. Im Rahmen des Verhältnismäßigkeitstests findet tendenziell die intensivste, bei der Willkürprüfung die am wenigsten anspruchsvolle gleichheitsrechtliche Kontrolle statt. Eine Systematik, wann der UN-Menschenrechtsausschuss welchen Rechtfertigungstest zur Anwendung bringt, ist nicht zu erkennen, allerdings kann man bestimmte Bedingungen aufstellen, die für die Sachgerechtigkeit der jeweiligen Differenzierung sprechen. Das Eingriffsmodell Husters mit seiner dreistufigen Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes ist dogmatisch differenzierter und damit anspruchsvoller, indem es eine Schutzbereichsbestimmung vornimmt und – hinsichtlich der Rechtfertigung von gleichheitsrechtlichen Beeinträchtigungen – zwischen internen und externen Zwecken unterscheidet. Diese Arbeit bezieht das Eingriffsmodell auf den allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz, wie durch die Anwendung dieses Modells auf einige Entscheidungen des Menschenrechtsausschusses aufgezeigt worden ist. Wiewohl das Eingriffsmodell in der Theorie überzeugender ist als das Modell der Gleichheitspräsumtion, dürfte seine Anwendung im Ergebnis kaum zu nennenswerten praktischen Änderungen führen. Schwerer wiegt aber, dass das Eingriffsmodell eine sachbereichsspezifische Schutzbereichsbestimmung vorsieht, die im Völkerrecht – schon mangels hinreichender Regelungsdichte – nicht geleistet werden kann.
118
2. Teil
Das Reduktionsmodell Someks kritisiert an der Sachgerechtigkeitsprüfung der anderen beiden Modelle, dass diese den intuitiven und nicht nachprüfbaren Gerechtigkeitsurteilen der Richter zu viel Raum lasse. Das Reduktionsmodell schlägt daher die Umdeutung des Gleichheitssatzes in ein Diskriminierungsverbot vor. Das Reduktionsmodell besitzt für den Fall des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts durchaus den Charme, dass es – durch eine Eliminierung der Sachgerechtigkeitsprüfung – dem Gebot der Subsidiarität des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes in besonderer Weise Rechnung trägt. Der internationale Richter würde durch das Modell auf die Fälle der diskriminierenden Unterscheidung zwischen Personen eingeschränkt, die Beurteilung der Sachgemäßheit von Unterscheidungen verbleibt beim nationalen Gesetzgeber. Aus mehreren Gründen sind in dieser Arbeit jedoch Zweifel gegen das Reduktionsmodell angemeldet worden: Dabei ist dem Argument, dass der Menschenrechtsausschuss selbst Art. 26 IPbpR als vollwertigen allgemeinen Gleichheitssatz versteht und regelmäßig auch die Sachgerechtigkeit gesetzlicher Klassifizierungen überprüft, geringere Bedeutung beigemessen worden. Bedeutsamer ist, dass es Fälle krasser Sachungerechtigkeit gibt, die von dem Reduktionsmodell nicht erfasst werden und so zu einer Rechtsschutzlücke führen können. Auch ist – auf grundsätzlicher Ebene – zu bedenken, dass die Rolle der (Sach-)Gerechtigkeit bei der Behandlung sozialer Verteilungsprobleme, die insbesondere den subtilen Formen der Diskriminierung zugrunde liegen, nicht unterschätzt werden sollte. Nachdem das Modell des allgemeinen Gleichheitsrechts dargestellt wurde, geht die Arbeit sodann auf das Modell des Nichtdiskriminierungsrechts ein. Der Rechtsbegriff der Diskriminierung mit seiner charakteristischen pejorativen Bedeutung taucht erstmals im U.S.amerikanischen Recht Mitte des 19. Jahrhunderts auf, und zwar in etwa zeitgleich in den Bereichen des Handelsrechts und der Grundrechte. Als Grundbegriff des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes etabliert sich der Diskriminierungsbegriff allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Aus völkerrechtlichen Legaldefinitionen des menschenrechtlichen Diskriminierungsbegriffs lässt sich als „gesicherter Bestand“ ein allgemeiner Diskriminierungsbegriff und -tatbestand entwickeln. Nach dieser allgemeinen Definition ist Diskriminierung im menschenrechtlichen Sinne jede Ungleich- oder Gleichbehandlung von Personen, die auf personenbezogene Differenzierungsgründe gestützt ist und die den Zweck oder die Wirkung einer Beschränkung von (Menschen-)Rechten oder
Recht der menschenrechtlichen Gleichheit
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Freiheiten dieser Personen hat. Der so entwickelte allgemeine Diskriminierungstatbestand setzt sich aus fünf Elementen zusammen: 1. (Art und Weise einer) Behandlung, 2. (bestimmter) Differenzierungsgrund, 3. Zufügung eines (bestimmten) Nachteils, 4. (Anwendungsbedingung der) Vergleichbarkeit und 5. die Nichtrechtfertigung der Behandlung. Der allgemeine Diskriminierungstatbestand liefert die Analysekategorien für die weitere Untersuchung des Diskriminierungsverbots im Kontext der EMRK.
3. Teil Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts unter der Europäischen Menschenrechtskonvention Nachdem im zweiten Teil der Begriff der Diskriminierung im menschenrechtlichen Sinne und die Tatbestände des Nichtdiskriminierungsrechts abstrakt entwickelt wurden, bedarf es eines Blickes auf die menschenrechtliche Praxis unter der EMRK, um zu verstehen, wie die Probleme der menschenrechtlichen Gleichheit vom Modell des Nichtdiskriminierungsrechts erfasst werden. Da die EMRK das im Völkerrecht dogmatisch am weitesten entwickelte Nichtdiskriminierungsrecht enthält, bietet sich dieser Anwendungskontext in besonderer Weise an.
I. Das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK – „Allgemeiner Teil“ Die Ausstattung der Konvention mit einem Nichtdiskriminierungsrecht ist eine systemprägende Strukturentscheidung. Die Konvention erhielt von ihren Gründern keinen allgemeinen Gleichheitssatz, sondern ein Diskriminierungsverbot. In einem „allgemeinen Teil“ sollen die den Gehalten des Diskriminierungsverbots gemeinsamen Merkmale untersucht werden.
A. Das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK im Überblick Die beiden zentralen Nichtdiskriminierungsnormen der EMRK, Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK, lauten in der verbindlichen englischen Fassung: “Article 14 Prohibition of discrimination The enjoyment of the rights and freedoms set forth in this Convention shall be secured without discrimination on any ground such as
T. Altwicker, Menschenrechtlicher Gleichheitsschutz, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 223, DOI 10.1007/978-3-642-18200-6_4, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011. All Rights Reserved.
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3. Teil
sex, race, colour, language, religion, political or other opinion, national or social origin, association with a national minority, property, birth or other status. Article 1 Prot. 12 General prohibition of discrimination 1. The enjoyment of any right set forth by law shall be secured without discrimination on any ground such as sex, race, colour, language, religion, political or other opinion, national or social origin, association with a national minority, property, birth or other status. 2. No one shall be discriminated against by any public authority on any ground such as those mentioned in paragraph 1.”392 Ausweislich des Wortlauts dieser beiden wichtigsten gleichheitsrechtlichen Normen der EMRK ist unter der Konvention ein Nichtdiskriminierungsrecht vorgesehen, d.h. das Verbot der ungerechtfertigten Ungleich- bzw. Gleichbehandlung aus personenbezogenen Differenzierungsgründen. In der weitaus größten Zahl der Fälle, in denen eine Gleichheitsrechtsverletzung geltend gemacht wird, prüft der EGMR diese anhand der genannten Nichtdiskriminierungsnormen. Zusätzlich zu den subjektivrechtlichen Normen der Art. 14 EMRK und Art. 1 ZP 12 EMRK tritt das Prinzip der Rechtsgleichheit hinzu, das nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs einen „integralen Be-
392
Die ebenfalls verbindliche französische Fassung lautet:
„Article 14 Interdiction de discrimination La jouissance des droits et libertés reconnus dans la présente Convention doit être assurée, sans distinction aucune, fondée notamment sur le sexe, la race, la couleur, la langue, la religion, les opinions politiques ou toutes autres opinions, l’origine nationale ou sociale, l’appartenance à une minorité nationale, la fortune, la naissance ou toute autre situation. Article 1 Protocole n° 12
Interdiction générale de la discrimination
1. La jouissance de tout droit prévu par la loi doit être assurée, sans discrimination aucune, fondée notamment sur le sexe, la race, la couleur, la langue, la religion, les opinions politiques ou toutes autres opinions, l’origine nationale ou sociale, l’appartenance à une minorité nationale, la fortune, la naissance ou toute autre situation. 2. Nul ne peut faire l’objet d’une discrimination de la part d’une autorité publique quelle qu’elle soit fondée notamment sur les motifs mentionnés au paragraphe 1.“
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
123
standteil“ („integral part“) jedes Konventionsrechts ausmacht.393 Dieses objektivrechtliche Prinzip verlangt – wie oben bereits dargestellt – u.a. die diskriminierungsfreie Gewährleistung aller Freiheits- und Verfahrensrechte der EMRK. Bedeutsam ist das Prinzip der Rechtsgleichheit auch bei der konventionskonformen Ausgestaltung nationaler Rechtsordnungen in Bereichen, die nicht ausdrücklich dem Schutz-, wohl aber dem Regelungsbereich394 eines Konventionsrechts unterfallen. Hier setzt es der Ausgestaltungsfreiheit des Staates Grenzen bzw. fordert, dass die staatliche Vergünstigung in vergleichbaren Sachverhalten nicht diskriminierend vorenthalten wird.395 Das so umrissene Nichtdiskriminierungsrecht, bestehend aus den subjektivrechtlichen Diskriminierungsverboten und dem objektivrechtlichen Prinzip der Rechtsgleichheit, wird ergänzt durch das sachspezifische Gleichheitsrecht der Konvention in Form des Rechts auf Gleichberechtigung der Ehegatten (Art. 5 ZP 7 EMRK)396 und das richterrechtlich entwickelte Gleichheitsrecht in Gestalt der Wahlrechtsgleichheit (aus Art. 3 ZP 1 EMRK)397 sowie der Waffengleichheit vor Gericht (Art. 6 Abs. 1 EMRK).398 Das Nichtdiskriminierungsrecht und das sachspezifische Gleichheitsrecht werden nach hier vertretener Auffassung überwölbt vom Prinzip der Rechtsgleichheit, dem oben dargestellten „Fluchtpunkt“ des Gleichheitsrechts überhaupt.399 Das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK lässt sich damit folgendermaßen graphisch darstellen:
393
Zum Prinzip der Rechtsgleichheit unter der EMRK vgl. ausführlich S. 253
ff. 394 Zur Abgrenzung des Regelungs- vom Schutzbereich einer Norm s. unten S. 148. 395
Vgl. zum Problem der derivativen Teilhabedimension des Nichtdiskriminierungsrechts S. 356 ff. 396
Vgl. zur Gleichberechtigung der Ehegatten unter der EMRK vgl. Grabenwarter (Fn. 208), § 26 II, S. 458 f., Rn. 20 f. 397
Zur Wahlrechtsgleichheit und der Herleitung durch den EGMR vgl. Grabenwarter (Fn. 208), § 23 IV 2 d), S. 323, Rn. 100. 398
Zur Waffengleichheit vor Gericht vgl. Grabenwarter (Fn. 208), § 24 I 2 c), S. 361 f., Rn. 61 f. 399
Zum Prinzip der Rechtsgleichheit als „Fluchtpunkt“ des Gleichheitsrechts s. S. 33 ff.
124
3. Teil
Prinzip der Rechtsgleichheit
Diskriminierungsverbote – Art. 14 EMRK – Art. 1 ZP 12 EMRK
Sachspezifisches Gleichheitsrecht – Gleichberechtigung der Ehegatten, Art. 5 ZP 7 EMRK – Waffengleichheit vor Gericht, Art. 6 Abs. 1 (richterrechtlich) – Wahlrechtsgleichheit, Art. 3 ZP 1 EMRK (richterrechtlich)
Schema 1: Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK im Überblick
B. Der Begriff der Diskriminierung und der einheitliche Grundtatbestand unter Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK Der Rechtsbegriff der Diskriminierung wird in der EMRK an keiner Stelle definiert oder näher erläutert, er wird in den Tatbeständen der Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK vorausgesetzt. Anders als beispielsweise bei den europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien oder bei Art. 1 CEDAW wird die Ausfüllung und Bestimmung des Begriffs der Diskriminierung dem Gerichtshof überlassen. Problematisch war bis zur grundlegenden Entscheidung des EGMR im Belgischen Sprachenfall, dass die englische Textfassung von „without any discrimination“ spricht, während die gleichermaßen authentische französische Version die Wendung „sans distinction aucune“ anführt.400 Der Wortlaut der verbindlichen Textfassungen weicht damit voneinan400
Vgl. die engl. und die franz. Textfassung, S. 121 f.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
125
der ab, indem einmal von „Diskriminierung“ (in der englischen Fassung) und andererseits von „Unterscheidung“ (in der französischen Sprachfassung) die Rede ist. Eine Wortlautauslegung der französischen Sprachfassung musste daher von einem weiteren Nichtdiskriminierungstatbestand ausgehen als dies die terminologisch enger gefasste englische Version nahelegte. Im Belgischen Sprachenfall entschied der Gerichtshof aber, dass die weitere Fassung im Lichte der engeren englischen Version ausgelegt werden müsse.401 Die Entscheidung für das engere Verständnis des Nichtdiskriminierungstatbestands steht im Einklang mit der Regel des Art. 33 Abs. 3 WVK, dergemäß vermutet wird, dass Ausdrücke in mehrsprachigen Verträgen in jedem authentischen Text dieselbe Bedeutung haben.402 Da staatliches Handeln fast regelmäßig ungleiches Behandeln meint, würde die Annahme der weiten französischen Fassung zudem zu untragbaren Ergebnissen führen: Jede formale Ungleichbehandlung, die an einen verdächtigen Differenzierungsgrund anknüpfte, würde einen Konventionsverstoß darstellen. Nach der klarstellenden Deutung des Gerichtshofs erfüllt entgegen dem französischen Wortlaut nicht schon jede Unterscheidung oder ungleiche Behandlung, die an einen der verdächtigen Differenzierungsgründe anknüpft, den Nichtdiskriminierungstatbestand, sondern es bedarf der weiteren Qualifizierung als ungerechtfertigte Behandlung. Bereits im Belgischen Sprachenfall definierte der EGMR den Begriff der Diskriminierung und bestimmt ihn in nunmehr gefestigter Rechtsprechung als „the differential treatment of persons in relevant, similar situations, without an objective and reasonable justification.“403 Entscheidend ist, dass auch für den Diskriminierungsbegriff unter der EMRK das Nichtrechtfertigungselement konstitutiv ist; gerechtfertigte Behandlungen, auch solche, die an einen verdächtigen Differenzierungsgrund anknüpfen, können nach Ansicht des EGMR keine Diskriminierung im Sinne der Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK darstellen. Dabei ist für Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK ist von einem einheitli-
401
EGMR, 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, B 9 = EuGRZ 1985, S. 298 ff., § 10. 402 403
Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 51.
St. Rspr., vgl. EGMR, 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, B 9 = EuGRZ 1985, S. 298 ff., § 10; EGMR, 13.05.2005, Timishev, RJD 2005-XII, § 56.
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3. Teil
chen Diskriminierungsbegriff auszugehen.404 „Diskriminierung“ meint in beiden Normen dasselbe. Der so bestimmte Diskriminierungsbegriff ist der Ausgangspunkt für die weitere tatbestandliche Konkretisierung. Der EGMR hat im Laufe seiner Rechtsprechung die drei subjektivrechtlichen Rechtsfiguren der direkten, indirekten und passiven Diskriminierung anerkannt und weiterentwickelt. Hinzu kommt die Rechtsfigur der positiven Diskriminierung, die aber bislang unter der EMRK eine untergeordnete Rolle spielt.405 Die drei Rechtsfiguren der Nichtdiskriminierung unter der EMRK lassen sich in einem einheitlichen Grundtatbestand integrieren. Dieser einheitliche Tatbestand erfasst das gesamte Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK in abstracto und gibt eine erste Antwort auf die Kernfrage dieser Arbeit, wie die Konvention das Problem der menschenrechtlichen Gleichheit erfasst. Der einheitliche Grundtatbestand der Nichtdiskriminierung lässt sich generieren aus einer Gesamtanalyse der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 14 EMRK; insoweit stellt er bereits ein wesentliches Ergebnis der nachfolgenden Untersuchung vor. Er wird hier vorangestellt, weil er gleichsam das „Grundgerüst“ des Nichtdiskriminierungsrechts unter der EMRK veranschaulicht und den Zusammenhang der einzelnen Tatbestandsmerkmale aufzeigt. Der einheitliche Tatbestand der Nichtdiskriminierung unter der EMRK lautet danach wie folgt: 1. Ungleich-, Gleich- oder Nichtbehandlung einer Person 2. im Vergleich zu Personen in ähnlicher Lage, 3. wobei entweder a) die Behandlung an einen personenbezogenen Differenzierungsgrund anknüpft oder b) auf einem neutralen Differenzierungsgrund beruht und die Person als Angehörige einer geschützten Personengruppe erheblich betrifft oder 404
So auch der EGMR im ersten zu Art. 1 ZP 12 EMRK ergangenen Urteil im Fall EGMR, 22.12.2009, Sejdić und Finci, Nr. 27996/06 u. 34836/06, § 55: “Notwithstanding the difference in scope between those provisions, the meaning of this term in Article 1 of Protocol No. 12 was intended to be identical to that in Article 14.” Zu Art. 1 ZP 12 EMRK s. ausführlich unten S. 156 ff. 405
Zur positiven Diskriminierung unter der EMRK s. unten S. 387.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
127
c) dem Untätigbleiben eine gleichheitsrechtliche Gewährleistungspflicht, die der Person als Mitglied einer geschützten Personengruppe zugute kommen soll, entgegensteht und 4. die (Nicht-)Behandlung zu einem Nachteil der Person führt 5. und nicht gerechtfertigt ist. Schema 2: Der einheitliche Grundtatbestand der Nichtdiskriminierung unter der EMRK Der einheitliche Grundtatbestand lässt sich im Rahmen der nachfolgenden Untersuchung der jeweiligen Teilgehalte des Diskriminierungsverbots noch verfeinern. An dem einheitlichen Grundtatbestand wird deutlich, welche Merkmale in einen „Allgemeinen Teil“ des konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrechts gehören und mithin für alle drei Ausprägungen des Diskriminierungsverbots gelten, und welche Elemente jeweils in einem „Besonderen Teil“ abzuhandeln sind: Neben den grundsätzlichen Fragen des Geltungsbereichs der Diskriminierungsverbote gehören die situative Vergleichbarkeit, die spezifische Benachteiligung, die Rechtsfragen der personenbezogenen Differenzierungsgründe bzw. die der geschützten Personengruppe und schließlich das Problem der Rechtfertigung zu einem „Allgemeinen Teil“ des Nichtdiskriminierungsrechts unter der EMRK. Diese Rechtsprobleme werden daher hier „vor die Klammer“ gezogen.
C. Der Geltungsbereich des Diskriminierungsverbots 1. Persönlicher Geltungsbereich: Grundrechtsträger und -verpflichtete a) Grundrechtsberechtigte aa) Berechtigung natürlicher Personen im Rahmen einer symmetrischen Schutzkonzeption Die Nichtdiskriminierungsnormen der EMRK sind – wie die übrigen Rechte und Freiheiten der Konvention – als Individualrechte ausgestaltet. Berechtigt aus Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK sind daher selbstverständlich alle natürlichen Personen.406 Alle Menschen können von 406
Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 107. Zur Berechtigung im Rahmen der EMRK vgl. grundsätzlich Volker Röben, Grundrechtsberechtigte und
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3. Teil
den personenbezogenen Differenzierungsgründen betroffen sein; alle Menschen haben eine Sprache, Hautfarbe, nationale Herkunft etc. Mit der Konzeption der Grundrechte als Individualrechte steht in Zusammenhang, dass der Gerichtshof die Nichtdiskriminierungsnormen der EMRK als symmetrische Diskriminierungsverbote auslegt. Mit symmetrischer Schutzkonzeption ist gemeint, dass alle sozialen Gruppen oder Sachverhalte, die von einem verdächtigen Differenzierungsgrund erfasst werden, geschützt sind; im Rahmen eines asymmetrischen Ansatzes werden demgegenüber nur Angehöriger bestimmter Gruppen, die in der Regel historisch oder aktuell gegenüber der sozial dominierenden oder privilegierten Gruppe benachteiligt werden, vom persönlichen Schutzbereich des Diskriminierungsverbots erfasst.407 Eine asymmetrische Schutzkonzeption der Diskriminierung, dem eine gruppenorientierte Interpretation der Diskriminierung zugrunde liegt, würde – in ihrer strengsten Lesart – bereits die Grundrechtsberechtigung von Angehörigen der historisch oder aktuell nicht gefährdeten sozialen Gruppe ablehnen.408 Befürworter einer asymmetrischen Schutzkonzeption der Diskriminierung weisen häufig auf eine angeblich verbesserte Effektivität der Durchsetzung des Diskriminierungsverbots hin.409 Auch wird das teleologische Argument der erhöhten Schutzbedürftigkeit sozial bedrohter oder benachteiligter Gruppen vorgebracht.410 Schon nach dem Wortlaut der Nichtdiskriminierungsnormen der EMRK sind aber nicht bloß Angehörige historisch oder gegenwärtig besonders benachteiligter gesellschaftlicher Gruppen (wie z.B. Frauen, Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe, Behinderte) geschützt, sondern -verpflichtete, in: Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, Tübingen 2006, Kap. 5, Rn. 10 ff. 407
Vgl. Christa Tobler, Indirect Discrimination, A Case Study into the Development of the Legal Concept of Indirect Discrimination under EC Law, Antwerp/Oxford 2005, p. 52. 408 Einen asymmetrischen Ansatz in Bezug auf das europarechtliche Gleichheitsrecht vertritt Dagmar Schiek, A New Framework of Equal Treatment of Persons in EC Law, ELJ 8 (2002), p. 290, 307. Für die philosophische Begründung einer asymmetrischen Gleichheitskonzeption vgl. das Differenzprinzip von John Rawls (dazu s. bereits oben S. 17 ff.). 409
Sandra Fredman, Discrimination Law, Oxford 2002, p. 7; Titia Loenen, Indirect Discrimination, in: dies./Peter R. Rodrigues (eds.), Non-Discrimination Law: Comparative Perspectives, The Hague 1999, p. 195, 199. 410
Vgl. Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 67 m.w.N.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
129
es wird Diskriminierung allgemein, d.h. auch von Angehörigen der dominierenden oder privilegierten Gruppe (z.B. von Männern, deutschen Staatsangehörigen etc.), verboten.411 Auch das Nichtdiskriminierungsrecht der EU folgt in der Regel einem symmetrischen Ansatz.412 Die symmetrische Schutzkonzeption steht ferner im Einklang mit dem Grundansatz der EMRK als eine klassisch menschenrechtliche Ordnung, die in der Regel von einem weiten personellen Schutzbereich ausgeht.413 Auch der EGMR stellt in seiner gefestigten Rechtsprechung die symmetrische Konzeption der Diskriminierungsverbote unter der EMRK nicht in Frage.414 Die Entscheidung für eine symmetrische Schutzkonzeption hat Folgen insbesondere für die Abgrenzung zwischen der passiven und der positiven Diskriminierung.415
bb) Das Problem der Berechtigung von Personenmehrheiten und juristischer Personen im Rahmen des konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrechts Die Grundrechtsberechtigung von Personenmehrheiten und juristischen Personen des Privatrechts im Rahmen des Nichtdiskriminierungsrechts der Konvention wurde vom EGMR bislang nicht grundsätzlich problematisiert. Derartige Beschwerden treten zahlenmäßig eher selten auf. Grundsätzlich könnte man jedoch die Grundrechtsberechtigung von juristischen Personen in Zweifel ziehen, da diese insbesondere kein Geschlecht, Rasse, Hautfarbe etc. aufweisen und eine unterschiedliche Behandlung, die an diese personenbezogenen Differenzierungsgründe anknüpft, von vornherein ausgeschlossen erscheint.416 Jedenfalls bei diesen, auf natürliche Personen bezogenen Differenzierungsgründen ist die Voraussetzung der wesensmäßigen Anwendbarkeit als Erfordernis der grundrechtlichen Schutzerstreckung auf juristi-
411
S. nur EGMR, 20.6.2006, Zarb Adami, Nr. 17209/02; dazu ausführlich unten S. 290 f. Vgl. Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 67 f. 412 413
Dazu vgl. Tobler (Fn. 407), p. 52 ff.; Plötscher (Fn. 330), S. 273-277. Vgl. Röben (Fn. 406), Kap. 5, Rn. 14.
414
Vgl. nur EGMR, 20.6.2006, Zarb Adami, Nr. 17209/02, §§ 35 ff., in dem ein Mann eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts rügte; näher zu diesem Fall s. S. 290 f. 415 416
Vgl. dazu unten S. 360 f. Vgl. für Art. 8 Abs. 2 SchweizerBV ähnl. Waldmann (Fn. 141), S. 484 f.
130
3. Teil
sche Personen des Privatrechts nicht erfüllbar.417 Das Problem der Nichtübertragbarkeit einiger Differenzierungsgründe führt jedoch nicht dazu, dass die Anwendbarkeit der Diskriminierungsverbote auf juristische Personen des Privatrechts im Einzelfall besonders geprüft würde. Im Gegenteil wird diese Frage meistens übergangen oder als selbstverständlich vorausgesetzt.418 Eine Erklärung dafür liegt in der immer noch zu wenig elaborierten Rechtsprechung zu den Differenzierungsgründen überhaupt.419 Eine ausdifferenzierte konventionsrechtliche Dogmatik der Differenzierungsgründe ist gegenwärtig nur in Ansätzen erkennbar; das Problem der nicht in vergleichbarer Weise gegebenen Gefährdungslage mangels Anwendbarkeit personenbezogener Differenzierungsgründe scheint jedenfalls aus der Sicht des Gerichtshofs kein belastbares Argument gegen eine Grundrechtsberechtigung von juristischen Personen des Privatrechts zu sein. Hier zeigt sich auch das pragmatische Bedürfnis, in Ermangelung eines allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes, der selbstverständlich auch juristischen Personen zugute käme, gleichheitsrechtliche Beeinträchtigungen nichtnatürlicher Personen gleichwohl der Konventionskontrolle zugänglich zu machen. Dass juristische Personen des Privatrechts unter der EMRK jedenfalls grundsätzlich auch grundrechtsberechtigt sein sollen, lässt sich insbesondere aus Art. 34 EMRK, der juristischen Personen die (prozessuale) Beschwerdefähigkeit zuerkennt, und Art. 1 ZP 1 EMRK, der die Eigentumsgarantie ausdrücklich auf juristische Personen ausdehnt, ableiten.420 Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen des Privat-
417
Zum Erfordernis der „wesensmäßigen Anwendbarkeit“ der Grundrechte auf juristische Personen des Privatrechts im Rahmen der EMRK vgl. Grabenwarter (Fn. 208), § 17 I 1, S. 103, Rn. 5; Röben (Fn. 406), Kap. 5, Rn. 33. 418
Vgl. etwa nur EGMR, 27.10.1975, National Union of Belgian Police, Serie A 19, § 44; EGMR, 26.11.1991, The Sunday Times (Nr. 1), Serie A 217 = EuGRZ, 1979, S. 386, §§ 57 ff.; EGMR, 23.10.1997, Case of the National & Provincial Building Society et al., RJD 1997-VII, no. 55, §§ 84 ff. 419
Zur Dogmatik der Differenzierungsgründe unter der EMRK vgl. unten S. 177 ff. 420 Vgl. Röben (Fn. 406), Kap. 5, Rn. 32. Das argumentum e contrario, dass, weil die juristische Person (nur) im Tatbestand der Eigentumsgarantie ausdrücklich erwähnt werde, die übrigen Rechte und Freiheiten der Konvention nicht auf juristische Personen anwendbar seien, ist aus teleologischen Gründen unhaltbar: Auch die übrigen Grundrechte sind auf juristische Personen anwendbar, wenn im Einzelfall eine kollektive Wahrnehmung der individuellen
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
131
rechts ist – mangels gesonderter Regelung – daher auch bei den Diskriminierungsverboten der Konvention grundsätzlich zu bejahen. Zumindest dann, wenn eine kollektive Ausübung von Freiheitsrechten mit Differenzierungsgründen in Verbindung steht, etwa bei der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, muss die Grundrechtsberechtigung aus den Diskriminierungsverboten auch auf juristische Personen des Privatrechts ausgedehnt werden.421 So kann sich beispielsweise eine religiöse Gemeinschaft, der die staatliche Genehmigung zum rituellen Schlachten von Tieren vorenthalten wird, sich auf Art. 14 EMRK i.V. mit Art. 9 EMRK (Religionsfreiheit) berufen.422 Es zeigt sich aber, dass die wesensmäßige Anwendbarkeit der Diskriminierungsverbote, abweichend von der Praxis des Gerichtshofs, im Einzelfall zu prüfen ist. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind unter der EMRK aus ähnlichen Erwägungen wie den im deutschen Verfassungsrecht maßgeblichen grundsätzlich nicht grundrechtsberechtigt: Neben dem Wortlaut des Art. 34 EMRK, der hinsichtlich der prozessualen Beschwerdefähigkeit lediglich „nichtstaatliche“ Organisationen oder Personengruppen nennt, gilt auch für die Schutzkonzeption der EMRK, dass sie individuelle Handlungsfreiheit gegenüber dem Staat sichern soll.423 Konflikte zwischen verschiedenen Hoheitsträgern sind aus der Sicht der EMRK wesentlich nicht als grundrechtliches, sondern als kompetenzrechtliches Problem zu behandeln. Von dem Grundsatz der Nichtberechtigung juristischer Personen des öffentlichen Rechts macht die EMRK allerdings die auch unter dem GG bekannten Ausnahmen: Sofern die juristische Person des öffentlichen Rechts keine Hoheitsgewalt ausübt und auch sonst eine hinreichende „Staatsferne“ aufweist, kommt eine Grundrechtsberechtigung unter denselben Bedingungen wie bei juristischen Personen des Privat-
Freiheit in Betracht kommt; zum argumentum e contrario vgl. Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., Berlin [u.a.] 1991, S. 390 f. 421
Vgl. für Art. 8 Abs. 2 SchweizerBV ähnl. Waldmann (Fn. 141), S. 485 f.; für Art. 3 GG vgl. Lerke Osterloh, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 5. Aufl., München 2009, Art. 3 GG, Rn. 238, 269. 422 EGMR, 27.06.2000, Case of Cha’are Shalom Ve Tsedek, RJD 2000-VII, §§ 58 ff. 423
Für die EMRK: Röben (Fn. 406), Kap. 5, Rn. 34; Grabenwarter (Fn. 208), § 17 I 1, S. 102 f., Rn. 5. Für das GG: Michel Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 5. Aufl., München 2009, Art. 19 GG, Rn. 89 ff.
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3. Teil
rechts in Betracht.424 Diese Ausnahme gilt auch bei den konventionsrechtlichen Diskriminierungsverboten. Im Fall The Holy Monasteries (1994), in dem es um Enteignungen einiger griechischer Klöster ging, war u.a. fraglich, ob sich die beschwerdeführenden Klöster auf Art. 14 EMRK berufen konnten, da den Klöstern als Institutionen der griechisch-orthodoxen Kirche Rechtspersönlichkeit unter dem öffentlichen Recht zukam.425 Der Einwand der Regierung, es handele sich nicht um „nichtstaatliche“ Organisationen im Sinne von Art. 34 EMRK, wurde vom Gerichtshof mit den folgenden Argumenten zurückgewiesen: Die Klöster übten keine Hoheitsgewalt aus, es werde ein religiöser, nichtadministrativer Zweck verfolgt, die Inanspruchnahme einer öffentlichrechtlichen Rechtspersönlichkeit diene hier nur der Verleihung eines gesteigerten Schutzes gegenüber Dritten und schließlich ständen die Klöster unter einer geistlichen, nicht staatlichen Aufsicht. Diese Überlegungen zur Grundrechtsberechtigung lassen sich übertragen auf andere juristische Personen des öffentlichen Rechts, die keine Hoheitsgewalt ausüben und eine hinreichende Distanz zum Staat aufweisen, wie z.B. einige Rundfunkanstalten426 oder Universitäten.
b) Grundrechtsverpflichtete Auch für die Grundrechtsverpflichtung aus den Diskriminierungsverboten der EMRK gelten die allgemeinen Grundsätze. Danach sind die Vertragstaaten der EMRK verpflichtet, die Konventionsrechte zu wahren.427 Die Verpflichtungen aus dem Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK treffen alle Träger hoheitlicher Gewalt. Auch der Gesetzgeber ist an die Diskriminierungsverbote gebunden, was bisweilen auch unter Berufung auf den Wortlaut der Normen („gewährleisten“) begründet wird.428 Der EGMR hat so in der Vergangenheit einen Konventionsver424
Vgl. Grabenwarter (Fn. 208), § 17 I 1, Rn 2 ff., S. 102 ff.; Kersten Rogge, Die Einlegung einer Menschenrechtsbeschwerde, EuGRZ 23 (1996), S. 341, 343. 425
EGMR, 09.12.1994, The Holy Monasteries, Serie A 301 = ÖJZ 1995, S. 428, § 49. 426
Vgl. dazu den Fall des EGMR, 07.12.2006, Österreichischer Rundfunk, Nr. 35841/02, §§ 46 ff., 74 ff. 427
Vgl. nur Röben (Fn. 406), Kap. 5, Rn. 54; Grabenwarter (Fn. 208), § 17 I 2, S. 103 ff., Rn. 6 ff. 428
Karl Josef Partsch, Discrimination, in: Ronald St. John Macdonald et al. (eds.), The European system for the protection of human rights, Dordrecht [et al.] 1993, p. 571, 584; vgl. auch Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 112.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
133
stoß festgestellt, wenn der Gesetzgeber selbst eine diskriminierende Norm erlassen hat.429 Der Gesetzgeber ist allerdings nicht nur verpflichtet, keine diskriminierenden Rechtsakte zu erlassen, sondern auch vorhandene, diskriminierende Regelungen aufzuheben. Insofern trifft die Legislative die Pflicht, die bestehende Gesetzgebung auf ihre Konformität mit dem Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK zu überprüfen.430 In jedem Fall muss es sich aber um die Ausübung von Hoheitsgewalt der Vertragstaaten handeln, d.h. um amtliches Handeln mit Entscheidungscharakter.431 Dies ist in der Regel nicht der Fall, wenn Private handeln. Einzelpersonen sollen nach dem klassischen menschenrechtlichen Schutzkonzept der EMRK grundrechtsberechtigt, nicht aber verpflichtet sein. Eine bekannte Ausnahme besteht darin, dass auch Private Grundrechtsverpflichtete sein können, wenn sie im Rahmen der Erfüllung staatlicher Aufgaben tätig werden und hierzu mit Hoheitsbefugnissen ausgestattet sind.432 Damit ist zugleich gesagt, dass den Konventionsrechten und insbesondere auch den Diskriminierungsverboten keine unmittelbare Drittwirkung zukommt; Private sind nicht an die Nichtdiskriminierungsnormen der EMRK gebunden.433 Dies wird auch durch Art. 1 ZP 12 EMRK, der ein allgemeines Diskriminierungsverbot enthält, nicht anders. Wortlaut und Struktur des Art. 1 ZP 12 EMRK lassen jedoch zunächst Zweifel zu: So findet sich in dessen Absatz 1 das allgemeine Diskriminierungsverbot und die Nennung wichtiger personenbezogener Differenzierungsgründe. In Absatz 2 wird das Diskriminierungsverbot augenscheinlich „verdoppelt“: “No one shall be discriminated against by any public authority on any ground such as those mentioned in
429
Z.B. EGMR, 31.05.2007, Grande Oriente D’Italia di Palazzo Giustiniani (Nr. 2), Nr. 26740/02, §§ 44 ff.; EGMR, 14.11.2006, Hobbs u.a., Nr. 63684/00, §§ 41 ff. 430
Vgl. die Sonderkonstellation im Fall EGMR, 29.11.1991, Vermeire, Serie A 214 C, §§ 19 ff. 431
Röben (Fn. 406), Kap. 5, Rn. 74; Grabenwarter (Fn. 208), § 17 I 2, Rn 6, S. 103. 432 433
Röben (Fn. 406), Kap. 5, Rn. 73.
Vgl. dazu auch Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 114. Für eine grundsätzliche Kritik an einer „horizontalen“ Anwendbarkeit menschenrechtlicher Normen s. John H. Knox, Horizontal Human Rights Law, AJIL 102 (2008), p. 1 ff.
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3. Teil
paragraph 1.” Inhaltlich fügt der Absatz 2 dem Diskriminierungsverbot nichts hinzu; es wird lediglich der Grundrechtsverpflichtete benannt. Daraus kann nun aber nicht geschlossen werden, dass das allgemeine Diskriminierungsverbot des Absatzes 1 sich auch auf Private erstrecken soll.434 Wiewohl die Regelungstechnik im Art. 1 ZP 12 EMRK unklar ist, sprechen doch gewichtige Gründe gegen eine unmittelbare Drittwirkung des Art. 1 Abs. 1 ZP 12 EMRK: Der Artikel ist systematisch im Lichte der gesamten Konvention auszulegen, die an keiner Stelle Private verpflichtet, sondern bloß berechtigt. Der Absatz 1 des allgemeinen Diskriminierungsverbots ist schon nach dessen Wortlaut nicht isoliert von Absatz 2 zu betrachten; er enthält kein weiteres, von Absatz 2 isoliertes Diskriminierungsverbot; Absatz 2 ist als Präzisierung des Absatzes 1 zu verstehen.435 Für eine mittelbare Drittwirkung der Diskriminierungsverbote ist nach hier gefolgter Ansicht ebenfalls kein Raum, da die unter diesem Topos diskutierten Probleme rechtssystematisch besser als Fragen einer gleichheitsrechtlichen Schutzpflicht anzusprechen sind.436
2. Sachlicher Geltungsbereich a) Grenzen der Gleichheit I: Die Akzessorietät des Art. 14 EMRK als systemprägende Entscheidung Eine weitere systemprägende Entscheidung des Gleichheitsrechts unter der EMRK stellt die sog. Akzessorietät des Diskriminierungsverbots in Art. 14 EMRK dar. Unter „Akzessorietät“ wird die Einschränkung des Anwendungsbereichs des Diskriminierungsverbots auf die übrigen Konventionsrechte verstanden.437 Dies findet Ausdruck in dem Wort434
Andeutungen einer unmittelbaren Drittwirkung des Art. 1 ZP 12 EMRK finden sich aber bei Janneke Gerards, Protocol No. 12 – The Dutch Debate, in: Stéphanie Lagoutte (ed.), Prohibition of Discrimination in the Nordic Countries: The Complicated Fate of Protocol No. 12 to the European Convention of Human Rights, Kopenhagen 2005, p. 37, 41 f. 435
Vgl. auch Council of Europe, Protocol No. 12 to the Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms, Explanatory Report, § 23 (http://www.conventions.coe.int/Treaty/en/Reports/Html/177.htm) (15/ 01/2009). 436 437
Dazu ausführlich unten S. 316 ff.
Der Sprachgebrauch ist uneinheitlich: Peters/König geben eine folgenbezogene Bestimmung der „Akzessorietät“, indem sie auf die nicht selbständige
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
135
laut des Art. 14 EMRK, der von dem diskriminierungsfreien „Genuß der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten“ spricht. Diese rechtstechnische Konzeption des freiheitsrechtsakzessorischen Schutzes hat Folgen für das Verständnis der Rechtsnatur des Diskriminierungsverbots (a), sowie Konsequenzen für die prozessuale Geltendmachung und Prüfung von Diskriminierungsfällen unter der EMRK (b). Wenn das Diskriminierungsverbot nur in freiheitsrechtsgeprägten Konstellationen zur Anwendung kommt, dann bedarf der Klärung, welcher Umfang bzw. Grad der Betroffenheit der substantiellen Rechte für eine Aktivierung des Nichtdiskriminierungsrechts erforderlich ist. Dies ist im Einzelnen umstritten (c).
aa) Folgen der Akzessorietät für die Rechtsnatur des Diskriminierungsverbots Rechtstechnisch kann das menschenrechtliche Nichtdiskriminierungsrecht entweder durch allgemeine Diskriminierungsverbote ausgestaltet werden, die sich entweder auf jedes (gesetzlich oder völkervertraglich gewährte) Recht beziehen (z.B. Art. 7 AEMR, Art. 1 ZP 12 EMRK), oder durch akzessorische Diskriminierungsverbote (Art. 2 AEMR, Art. 2 Abs. 1 IPbpR, Art. 1 Abs. 1 AMRK), die sich nur auf einen eingeschränkten Bestand von Rechten anwenden lassen. Die Entscheidung in Art. 14 EMRK für einen akzessorischen Schutz hat zunächst weitreichende Folgen für das Verständnis des Diskriminierungsverbots unter der Konvention überhaupt, für dessen Rechtsnatur. Nun kann man nicht argumentieren, das Akzessorietätserfordernis betreffe lediglich eine rechtskonzeptionell nicht bedeutsame Vorentscheidung bei der Anwendung des Diskriminierungsschutzes. Die Frage, wann (in welchen Fällen) dieser Schutz eingreift, ist durchaus relevant für die Frage, wie Diskriminierung unter der EMRK verstanden werden muss und was das Diskriminierungsverbot unter der EMRK bezweckt, also für dessen Rechtsnatur. Als akzessorisches Diskriminierungsverbot untersagt Art. 14 EMRK Diskriminierung nicht „an sich“, sondern stets nur in ihrer konventi-
Rügbarkeit des Diskriminierungsverbots hinweisen, vgl. Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 31; ähnl. auch Rainer Schweizer, in: Herbert Golsong, Wolfram Karl, Luzius Wildhaber (Hrsg.), Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Köln, 9. Lieferung, Stand: August 2007, Kommentar zu Art. 14 EMRK und zum 12. Protokoll, Rn. 48.
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3. Teil
onsrechtebezogenen, gleichsam „reflexiven“ Ausprägung. Aus welchen Gründen waren die Vertragstaaten so zurückhaltend bei der Gewährung von mehr menschenrechtlicher Gleichheit? Oder, anders formuliert, was ist der rechtspraktische Zweck des Akzessorietätserfordernisses? In dieser Hinsicht lassen sich drei wesentliche Gründe angeben: Zum einen stellt die Entscheidung für ein akzessorisches Diskriminierungsverbot eine Entscheidung gegen eine weite Konzeption des Nichtdiskriminierungsrechts dar; man wollte offenkundig die Rechtsprechung eines völkerrechtlichen Organs in Gleichheitsfragen einhegen. Auf diese Weise wird an Art. 2 AEMR angeknüpft. Die Wahl eines engen Anwendungsbereichs des Nichtdiskriminierungsrechts und die generelle Ausgestaltung der EMRK-Rechte als Individualrechte sollten insbesondere die (ethnische) Minderheitenproblematik, das aus dem Ersten Weltkrieg ererbte, europäische Problem möglichst außer Reichweite der Straßburger Organe bringen.438 So ist es auch nicht verwunderlich, wenn das Diskriminierungsverbot bislang nur wenig zur Lösung von (strukturellen) Minderheitenproblemen beigetragen hat.439 Allerdings finden sich in jüngerer Zeit vorsichtige Ansätze in der Rechtsprechung des EGMR, die auf eine Stärkung des Minderheitenschutzes auf der Basis der konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbote hindeuten.440
438
Die erste (umfassende) Konvention des Europarats zu Minderheitenfragen ist die Rahmenrechtskonvention von 1995, die der Jurisdiktion des EGMR entzogen ist, vgl. Framework Convention for the Protection of National Minorities, 01.02.1995, ETS Nr. 157. Zu beachten ist allerdings, dass die EMRK – anders als die meisten anderen völkerrechtlichen Menschenrechtskonventionen – die Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit ausdrücklich in den Katalog der verdächtigen Differenzierungsgründe in Art. 14 EMRK aufgenommen hat; zumindest der individualrechtliche Minderheitenschutz ist im konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbot daher durchaus angelegt. Im Bereich des strukturellen, kollektiven Minderheitenschutzes verspricht die neuere Entwicklung der Rechtsprechung zum Verbot der indirekten Diskriminierung einen bedeutenden Fortschritt, vgl. dazu ausführlich unten S. 265 ff. 439
Anwendungsfälle des Diskriminierungsverbots in Minderheitenfragen waren insbesondere: der Konflikt der Flamen und Vallonen in Belgien (s. EGMR, 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, B 9 = EuGRZ 1985, S. 298 ff.), der Roma (s. die sog. Roma-Fälle des EGMR [Fn. 863, 936, 1216]), der Tschetschenen in Russland (s. EGMR, Timishev [Fn. 3]). 440
Vgl. EGMR (GK), 16.03.2010, Oršuš u.a., Nr. 15766/03, § 148: “(...) the Court also observed that there could be said to be an emerging international consensus amongst the Member States of the Council of Europe recognising the
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
137
Ein weiterer Grund für die Wahl eines engen, akzessorischen Diskriminierungsverbots war der beabsichtigte freiheitsrechtliche Schwerpunkt der EMRK; sozioökonomische Grundrechte sollten in einer separaten Konvention, der Europäischen Sozialcharta, vorbehalten bleiben. Da aber ein allgemeines Diskriminierungsverbot auch Ungleichbehandlungen im sozioökonomischen Bereich erfasst hätte, war es nur folgerichtig, die Akzessorietät als Anwendungsbeschränkung einzuführen. Schließlich spielte bei der Einhegung des Diskriminierungsverbots sicherlich auch eine Rolle, dass die EMRK erstmals völkerrechtlich einklagbare, subjektive Rechte des Einzelnen enthielt.441 Anders als die AEMR war die Konvention damit potentiell ein effektives Werkzeug in der Hand des Bürgers, sich gegen behauptete Rechtsverletzungen eines Vertragstaates zu wehren. Ein weites Nichtdiskriminierungsrecht wäre angesichts seiner Justiziabilität aus nationalstaatlicher Sicht ein zu großes Wagnis gewesen. So fand der Vorschlag des Vereinigten Königreichs, in Art. 14 EMRK einen allgemeinen Gleichheitssatz zu verankern, bei den Verhandlungen um den Konventionstext keine Mehrheit.442 Insgesamt betrachtet erfüllt die Akzessorietät gewissermaßen eine gewaltenteilige Funktion, in dem den staatlichen Hoheitsträgern, insbesondere dem Gesetzgeber, wichtige Entscheidungen über rechtliche Differenzierungen überlassen bleiben.443
special needs of minorities and an obligation to protect their security, identity and lifestyle, not only for the purpose of safeguarding the interests of the minorities themselves but to preserve a cultural diversity of value to the whole community.” Es bleibt abzuwarten, ob der EGMR das Potential des Nichtdiskriminierungsrechts für die Zwecke des Minderheitenschutzes ausschöpft. Dazu gehören u.a. die Anwendung der Rechtsfiguren der direkten Diskriminierung durch (ungerechtfertigte) Gleichbehandlung (s. S. 257 ff.), der indirekten Diskriminierung (s. S. 266 ff.) und schließlich auch die Erwägung einer gleichheitsrechtlichen Teilhabeermöglichungspflicht (im Rahmen der passiven Diskriminierung, s. S. 385 f.). Zu erwägen ist auch, das neue Piloturteilsverfahren in Fällen struktureller Diskriminierungen anzuwenden (dazu s. S. 207). 441
Robert Wintemute, “Within the Ambit”: How Big is the “Gap” in Article 14 European Convention on Human Rights? Part I, EHRLR 4 (2004), p. 366, 367. 442
Council of Europe, Collected Edition of the ‚Travaux Préparatoires‘ of the European Convention on Human Rights, Den Haag 1976, Bd. 3, p. 278, 280, 288; Wintemute (Fn. 441), p. 367, n. 5. 443
Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 43.
138
3. Teil
Im Lichte der beschriebenen Zwecksetzungen lassen sich die Auswirkungen der Akzessorietät auf die Rechtsnatur des Diskriminierungsverbots unter der EMRK einsehen: Erstens betrifft die Akzessorietät – in formaler Betrachtung – den Stellenwert dieses Rechts im Verhältnis zu den übrigen Konventionsrechten. So großzügig man auch ist bei der Bemessung des Umfangs und Grades der notwendigen Betroffenheit substantieller Rechte, das Diskriminierungsverbot wird durch diese Regelungstechnik zurückgestuft auf eine, wie der frühere Präsident des EGMR, Luzius Wildhaber, treffend formulierte: „second-class guarantee“.444 Der EGMR hat in diesem Sinne auch bereits früh davon gesprochen, dass dem Diskriminierungsverbot in Art. 14 EMRK „keine unabhängige Existenz“, sondern eine Komplementär- bzw. Verstärkungsfunktion im Verhältnis zu den übrigen Konventionsrechten zukomme.445 Zweitens werden durch das Akzessorietätserfordernis Gleichheitsprobleme tendenziell in Freiheitsprobleme umgedeutet. Wenn sich die Verkürzung eines Rechts inhaltlich auch als Beschränkung eines Freiheitsrechts darstellen lässt, dann besteht weniger Anlass, den – oft komplexeren – gleichheitsrechtlichen Aspekt zu würdigen: Beispielsweise lässt sich die Versagung einer Erlaubnis gegenüber einem Roma, frei auf einem Grundstück zu campieren, als Problem des Art. 8 EMRK (Schutz des Privat- und Familienlebens) erfassen.446 Hier kann nun entweder der Prüfungsschwerpunkt auf die Freiheitsverkürzung, gemäß der eigenen Lebensweise handeln zu dürfen, gelegt werden oder auf das Gleichheitsproblem, dass die Versagung der Erlaubnis den Antragsteller härter trifft als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft. In der Praxis des EGMR wird hier oft die erste, freiheitsrechtliche Lösung gewählt; die Akzessorietät bedingt so tendenziell eine Problemverlagerung auf die Freiheitsrechte.447 Drittens wirkt sich die Akzessorietät auch auf den Normzweck des Diskriminierungsverbots aus. Wie unten zu begründen sein wird, 444
Luzius Wildhaber, Protection against Discrimination under the European Convention on Human Rights – A Second-Class Guarantee?, BalticYIL 2 (2002), pp. 71-82. 445
EGMR, 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, B 9 = EuGRZ 1985, S. 298 ff., § 9. 446 447
EGMR, 18.01.2001, Beard, Nr. 24882/94, §§ 79 ff.
Beispiele für eine Problemverlagerung auf die Freiheitsrechte: EGMR, 22.10.1981, Dudgeon, Serie A 45 = EuGRZ 1983, S. 488, § 69; EGMR, 18.12.1986, Johnston, Serie A 112 = EuGRZ 1987, S. 313, § 79; EGMR, 22.09.1994, Hentrich, Serie A 296-A, § 66.
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schützen Diskriminierungsverbote vor einer ungerechten Verkürzung bzw. einer ungerechten Verteilung der Mittel des So-Sein-Könnens des Einzelnen.448 Ohne dass an dieser Stelle bereits eine Vertiefung des Problems angebracht wäre, soll der Begriff der Mittel des So-SeinKönnens kurz erläutert werden: Die Mittel des So-Sein-Könnens bezeichnen diejenigen (materiellen und immateriellen) Güter, die Bedingung für die Verwirklichung des eigenen Lebensplans sind. Diese Mittel sind höchst vielfältig. Dazu können grundsätzlich alle Rechte, aber auch weitere Interessen (wie z.B. das Interesse an einer stabilen Sicherheitslage) zählen. Von Bedeutung ist, dass akzessorische Diskriminierungsverbote wie Art. 14 EMRK nicht auf die Mittel des So-Seins-Könnens überhaupt, sondern auf bestimmte, für besonders schützenswert erachtete abzielen. Es wird also eine Auswahl, eine Beschränkung im weiten Feld der Mittel des So-Sein-Könnens vorgenommen. Schließlich führt die Akzessorietät viertens – in materieller Betrachtung – dazu, dass unter „Diskriminierung“ im Sinne der EMRK nicht so sehr die ungerechtfertigte Schlechterstellung des Einzelnen (im Vergleich mit anderen), sondern vielmehr die nicht (wohl-)begründete Freiheitsverkürzung oder -beeinträchtigung zu verstehen ist. Inwieweit sich die Akzessorietät auf die Rechtsnatur des Diskriminierungsverbots auswirkt, hängt von dem Umfang oder Grad der erforderten Betroffenheit der substantiellen Konventionsrechte ab: Je stärker die geforderte Verbindung zwischen Diskriminierung und substantiellen Rechten sein soll, desto mehr verliert das Diskriminierungsverbot an Eigenständigkeit. Nur wenn das Band der Akzessorietät gelockert wird, kann sich eine eigenständige Dogmatik des Nichtdiskriminierungsrechts entwickeln, die mehr als nur Ungleichbehandlungen im Bereich der Freiheitsrechte zum Gegenstand hat. Wie noch zu zeigen sein wird, ist der EGMR nach anfänglichem Zögern den letztgenannten Weg gegangen.
bb) Folgen der Akzessorietät für die prozessuale Geltendmachung und Prüfung des Diskriminierungsverbots Das Akzessorietätserfordernis spielt nicht nur bei der Frage nach der Rechtsnatur des konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots eine 448
Dazu ausführlich unten S. 465 ff. Die Konzeption der Mittel des So-SeinKönnens weist eine gewisse Nähe zu den Rawlsschen „Grundgütern“ und Amartya Sens „Fähigkeiten“ auf (s. S. 471).
140
3. Teil
Rolle, sondern auch hinsichtlich seiner prozessualen Geltendmachung und der Prüfung durch den EGMR. In prozessualer Hinsicht ist zu beachten, dass Art. 14 EMRK nie allein, sondern stets nur in Verbindung mit einem anderen Konventionsrecht geltend gemacht werden kann (Rügbarkeitsaspekt).449 Grundsätzlich kommen dafür alle Konventionsrechte und -garantien mit Ausnahme des Art. 5 ZP 7 EMRK in Betracht; letztere Vorschrift enthält einen besonderen Gleichheitssatz im Zusammenhang mit der Ehe, der gegenüber Art. 14 EMRK spezieller ist.450 Statistisch ist Art. 14 EMRK in der Vergangenheit mit einigen Grundrechten besonders häufig vom EGMR geprüft worden. Hier sind an erster Stelle Art. 8 (Schutz des Privat- und Familienlebens), Art. 1 ZP 1 (Eigentumsgarantie), Art. 6 (Verfahrensrechte) und Art. 10 (Kommunikationsfreiheiten) zu nennen.451 Diese Konstellationen entstehen nicht zufällig: Der erste Grund für die Häufigkeit gewisser Konstellationen ist ein inhaltlicher. Wenn das Diskriminierungsverbot nach der hier gefolgten Ansicht mit der ungerechten Verkürzung bzw. ungerechten Verteilung von Mitteln des So-SeinKönnens zu tun hat, dann spielt es u.a. eine Rolle, welcher Schutzbereich eines substantiellen Freiheitsrechts so gefasst ist, dass er möglichst umfassend Entscheidungen des Individuums hinsichtlich seines SoSeins schützt. Dies ist etwa bei Art. 8 EMRK (Schutz des Privat- und Familienlebens) der Fall; dessen Schutzbereich wird vom EGMR großzügig definiert, indem auch das Recht auf freie Gestaltung der Lebensführung mit einbezogen wird.452 Dies war der Sache nach einschlägig im Fall Chapman (2001), in dem es um das Aufstellen von Wohnwagen auf dem eigenen Grundstück durch eine Romafamilie ging.453 Indem der Anwendungsbereich des Art. 8 EMRK auch die Wahl des eigenen Lebensstils umfasst, lassen sich Beschränkungen in der Wahl des So-Seins 449 450
Vgl. nur Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 31. Zu Art. 5 ZP 7 EMRK vgl. Grabenwarter (Fn. 208), § 26 II, S. 458 f., Rn
20 f. 451
Aus einer Abfrage der Suchmaschine des EGMR (HUDOC) ergibt sich, dass Art. 14 EMRK in insgesamt 710 Dokumenten, d.h. Urteilen und Entscheidungen des EGMR (engl. und franz.), genannt wird. Davon am häufigsten im Zusammenhang mit Art. 8 (149 Mal), Art. 1 ZP 1 EMRK (130 Mal), Art. 10 EMRK (48 Mal), Art. 6 EMRK (48 Mal), Art. 2 EMRK (34 Mal), vgl. http:// cmiskp.echr.coe.int/tkp197/lookup.asp?datasource=judge_en_pd_article&datas ource=judge_fr_pd_article&input=pd_article&pattern=1 (15/01/2009). 452 453
Grabenwarter (Fn. 208), § 22 I 3 a) cc), S. 202, Rn. 12. EGMR, 18.01.2001, Chapman, RJD 2001-I, §§ 68 ff.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
141
oft unter diesem Konventionsrecht erfassen, sofern im Einzelfall ein gewisser Bezug zur individuellen oder kollektiven Identität vorliegt, wie hier in der Entscheidung für ein Leben im Wohnwagen. Der zweite Grund ist eher formaler Natur. Offenkundig ist die Weite des Schutzbereichs der substantiellen Rechte und Freiheiten relevant. Je weiter deren Schutzbereich vom EGMR gefasst wird, desto eher ergeben sich auch Anwendungsräume für das Diskriminierungsverbot. Hier ist an die Auslegung des Begriffs „Eigentum“ durch den EGMR zu erinnern. In dem Fall Poirrez (2003) hat der EGMR entschieden, dass auch eine beitragsunabhängige, staatliche Behindertenbeihilfe „Eigentum“ im Sinne des Art. 1 ZP 1 EMRK sein kann.454 Damit öffnet der EGMR die Konvention ein Stück weit in Richtung sozioökonomischer Rechte, so dass die Weite des Schutzbereichs der Eigentumsgarantie bedeutsame Anwendungsmöglichkeiten für das Diskriminierungsverbot schafft. Der dritte Grund hängt mit der lebensweltlichen Realität zusammen: Es gibt Bereiche des menschlichen Zusammenlebens, die in besonderer Weise diskriminierungsanfällig sind, in denen Diskriminierungen faktisch häufig vorkommen oder in denen Diskriminierungen weitreichende Folgen für den Einzelnen haben können. So sind etwa Gerichtsverfahren regelmäßig in besonderer Weise diskriminierungsanfällig bzw. hier können Diskriminierungen weitreichende Folgen für den Einzelnen haben. Dies erklärt die relative Häufigkeit der Konstellation mit Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren).455 Ein weiterer Bereich, in dem Diskriminierungen faktisch oft vorkommen bzw. gerügt werden, ist der breite Bereich der (öffentlichen) Kommunikation, so dass Art. 10 EMRK betroffen sein wird. Eine erste Gruppe von Fällen im Bereich des Art. 10 i.V. mit Art. 14 EMRK betrifft Arbeitnehmer, die entlassen wurden wegen ihrer politischen Anschauung oder wegen ihrer Tätigkeit für extremistische Parteien oder andere Vereinigungen.456 Eine zweite Gruppe von Fällen betrifft Medienunternehmen, denen die Verbreitung von Publikationen oder die Ausstrahlung gewisser Sen-
454
EGMR, 30.09.2003, Koua Poirrez, RJD 2003-X, §§ 36 ff.
455
Vgl. dazu die Übersicht bei Jochen Abr. Frowein/Wolfgang Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl., Kehl [u.a.] 1998, Art. 14 EMRK, Rn. 58 (Voraufl.). 456
Beispiele: EGMR, 26.09.1995, Vogt, Serie A 323, §§ 69 f.; EGMR, 20.05.1999, Rekvényi, RJD 1999-III, § 63 ff.; EGMR (E), 22.11.2001, Volkmer, Nr. 39799/98.
142
3. Teil
dungen untersagt wurde.457 Soweit ersichtlich, hat die Rüge der Diskriminierung wegen einer politischen oder sonstigen Anschauung aber bislang vor dem EGMR keinen Erfolg gehabt.458 Bedeutsam ist die Akzessorietät weiterhin für die Prüfungsreihenfolge der Konventionsrechte, wie sie vom Gerichtshof vorgenommen wird: Im Einklang mit der Dogmatik unter dem deutschen Grundgesetz prüft auch der EGMR die Freiheitsrechte vor den Gleichheitsrechten. Der Grund dafür liegt darin, dass es die Wertoffenheit des Diskriminierungsverbots (bzw. des Gleichheitssatzes) nahelegt, die Wertentscheidungen der Freiheitsrechte, insbesondere die Gründe der Rechtfertigung von Freiheitsbeschränkungen, im Rahmen der gleichheitsrechtlichen Rechtfertigungsprüfung mit einzubeziehen.459 In Ausnahmefällen hat der EGMR allerdings zunächst das Diskriminierungsverbot und – im Falle von dessen Verletzung – auf die eigenständige Prüfung des Freiheitsgrundrechts verzichtet, insbesondere wenn die Beschwer eindeutig auf dem Diskriminierungsaspekt lag.460 In diesen Ausnahmefällen ist dann die erforderliche Verbindung mit dem Freiheitsgrundrecht inzident zu prüfen. Entscheidend ist, dass die Akzessorietät des Art. 14 EMRK in der bisherigen Rechtsprechung des EGMR seine Subsidiarität bedingt hat: Grundsätzlich prüft der EGMR eine gerügte Diskriminierung nicht, wenn er bereits die Verletzung eines Freiheitsrechts bejaht hat, sofern es sich dabei nicht um einen fundamentalen Gesichtspunkt des Falles handelt.461 Soweit ersichtlich, wurde diese Regel vom Gerichtshof erstmals im Airey-Urteil aufgestellt462 und ist seither ständige Rechtsprechung: 457
Beispiele: EGMR, 07.12.1976, Handyside, Serie A 24 = EuGRZ 1977, S. 38; EGMR, 26.11.1991, The Sunday Times (Nr. 1), Serie A 217 = EuGRZ, 1979, S. 386, §§ 69 ff.; EGMR, 28.06.2001, VGT Verein gegen Tierfabriken, RJD 2001-VI, §§ 87 f. 458
Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 170.
459
Für die EMRK: Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 37; für das GG: Heun (Fn. 16), Art. 3 GG, Rn. 124. 460
Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 38 m.w.N.
461
St. Rspr., vgl. nur: EGMR, 18.12.1986, Johnston, Serie A 112 = EuGRZ 1987, S. 313, § 79; EGMR, 16.04.2002, S.A. Dangeville, RJD 2002-III, § 66. 462
Aalt Willem Heringa/Fried van Hoof, Prohibition of Discrimination (Article 14), in: Pieter van Dijk/Fried van Hoof/Arjen van Rijn/Leo Zwaak (eds.), Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, 4th ed., Antwerp 2006, p. 1031.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
143
“If the Court does not find a separate breach of one of those Articles that has been invoked both on its own and together with Article 14, it must also examine the case under the latter Article. On the other hand, such an examination is not generally required when the Court finds a violation of the former Article [hier: Art. 6 Abs. 1 EMRK, Verf.] taken alone. The position is otherwise if a clear inequality of treatment in the enjoyment of the right in question is a fundamental aspect of the case (...).”463 Zur Begründung dieses Vorgehens wird in der Literatur erstens darauf hingewiesen, dass das Diskriminierungsverbot vom Gerichtshof als „integraler Bestandteil“ jedes substantiellen Konventionsrechts angesehen werde.464 In diesem Verständnis stellt jede Freiheitsrechtsverletzung zugleich auch einen (nicht gesondert auszusprechenden) Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot dar, weil die Freiheit im Fall des Beschwerdeführers verkürzt wurde und in anderen Fällen nicht.465 Es wird letztlich also mit der selbstverständlichen Allgemeinheit der Konventionsrechte argumentiert.466 Zweitens weist der Gerichtshof selbst in diesen Fällen darauf hin, dass nach der Feststellung der Verletzung eines Freiheitsrechts, zumindest wenn dieses einen weiten Schutzbereich wie z.B. Art. 8 EMRK aufweise, eine separate Prüfung des Diskriminierungsverbots „keinen sinnvollen rechtlichen Zweck“ mehr erfüllen könnte.467 Nach Ansicht des EGMR würden die in diesen Fällen vorzunehmenden Wertungen bereits umfassend im Rahmen der Freiheitsrechtsprüfung berücksichtigt, so dass sich Ausführungen zum Diskriminierungsverbot regelmäßig erübrigten.468 Beide Begründungen zur Subsidiarität des Diskriminierungsverbots vermögen nicht zu überzeugen. Der Argumentation mit dem Prinzipiencharakter des Diskriminierungsverbots, das in diesem Sinne jeder Konventionsnorm inhärent sei, kann nicht gefolgt werden, da sie die fundamentale Differenz zwischen Freiheitsrechts- und Gleichheitsrechtsverletzungen unterschlägt. Diskriminierungen sind – auch unter 463 464 465
EGMR, 09.10.1979, Airey, Serie A 32 = EuGRZ 1979, S. 626, § 30. Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 38 Fn. 152. Vgl. wiederum Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 38 Fn. 152.
466
Zur Allgemeinheit des Gesetzes als Problem der formalen Gleichbehandlung s. S. 416 f. 467 468
79.
EGMR, 22.10.1981, Dudgeon, Serie A 45 = EuGRZ 1983, S. 488, § 69. Vgl. EGMR, 18.12.1986, Johnston, Serie A 112 = EuGRZ 1987, S. 313, §
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3. Teil
einem akzessorischen Nichtdiskriminierungsrecht – rechtskonzeptionell und wesensmäßig von Freiheitsrechtsverkürzungen zu unterscheiden. „Freiheit“ und „Gleichheit“ stellen zwei voneinander strikt zu trennende Konzeptionen dar; schon begrifflich hat es Gleichheit mit Relationen zu tun, Freiheit dagegen nicht. Aus diesen Gründen kann das dem Beschwerdeführer zugefügte „Unrecht“ einer Diskriminierung auch nicht als in der Feststellung einer Freiheitsrechtsverletzung mit „abgegolten“ angesehen werden.469 Das zweite Argument geht dahin, dass eine gesonderte Erörterung des Diskriminierungsverbots im Regelfall „unzweckmäßig“ sei. Unter dem Gesichtspunkt des dem Beschwerdeführer zustehenden Schadensersatzes ist die Feststellung einer weiteren verletzten Konventionsnorm in der Tat überflüssig, da der Gerichtshof einzelfallbezogen entscheidet und die Schadenshöhe nicht von der Anzahl der verletzten Konventionsnormen abhängt.470 Stellt man auf eine Betrachtung aus der Sicht des betroffenen Beschwerdeführers ab, so kann es aber für diesen subjektiv durchaus bedeutsam sein, dass gerade auch eine Diskriminierung festgestellt wird: An der Entscheidung Dudgeon (1981), in der gerügt wurde, dass in gegenseitigem Einverständnis vorgenommene, homosexuelle Handlungen erwachsener Männer in Nordirland unter Strafe gestellt waren, lässt sich kritisieren, dass der Gerichtshof auf eine Prüfung des Diskriminierungsverbots verzichtet, obwohl der Beschwerdeführer durchaus ein Interesse an einem Verletzungsausspruch gehabt hätte.471 Dies gilt um so mehr, wenn es sich um sog. „verdächtige“ Differenzierungsgründe handelt (z.B. die ethnische Herkunft, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung), bei denen der Gerichtshof von einer Diskriminierungsvermutung ausgeht und von dem Vertragstaat besonders gewichtige Gründe im Rahmen der Rechtfertigung vorgebracht werden müssen, um die Feststellung einer Verletzung des Art. 14 EMRK abzuwenden.472 In Fällen dieser „verdächtigen“ Differenzierungsgründe besteht mit anderen Worten eine besonders hohe Aussicht auf Erfolg der Beschwerde; dass sich dies wegen der vom EGMR angenommenen 469
Zur diskriminierungsspezifischen Gerechtigkeitsforderung s. S. 465 ff.
470
Zur gerechten Entschädigung gem. Art. 41 EMRK vgl. Grabenwarter (Fn. 208), § 15, S. 87 ff.; Oliver Dörr, Entschädigung und Schadensersatz, in: Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, Tübingen 2006, Kap. 33. 471
Vgl. die abw. Meinung der Richter Evrigenis und Garcia De Entecre in EGMR, 22.10.1981, Dudgeon, Serie A 45 = EuGRZ 1983, S. 488, Annex. 472
Dazu s. ausführlich S. 197 ff.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
145
Subsidiarität des Art. 14 EMRK nicht auch im Rechtsfolgenausspruch niederschlagen soll, ist nicht recht verständlich. Gerade bei strukturellen, in der Rechts- und Gesellschaftsordnung tief verwurzelten diskriminierenden Anschauungen etwa gegenüber Homosexuellen, Andersgläubigen oder Behinderten hat der einzelne Beschwerdeführer regelmäßig ein Interesse an der Feststellung, dass ihm Diskriminierungsunrecht widerfahren sei. So lag es beispielsweise im Fall Smith and Grady (1999).473 Hier ging es um die Entlassung zweier Militärangehöriger aus den britischen Streitkräften wegen ihrer Homosexualität. Der Entlassung waren ausgedehnte Untersuchungen im persönlichen Umfeld der Beschwerdeführer vorausgegangen. Der EGMR kam zu dem Ergebnis, dass der Vertragstaat Art. 8 EMRK (Recht auf Privatleben) verletzt habe. Eine separate Prüfung der Diskriminierung, die darin bestand, dass nur Homosexuelle derartiger Untersuchungen und Benachteiligungen ausgesetzt waren, lehnte der EGMR ab. Ferner ist aus prozeduraler Perspektive zweifelhaft, ob der Gerichtshof die Würdigung explizit vorgebrachter Sachverhaltselemente mit dieser Begründung überhaupt vernachlässigen darf.474 In der Literatur wird schließlich kritisiert, dass das Unzweckmäßigkeitsargument aus einer objektiven Sicht nicht stichhaltig sein kann: Wenn die Aufgabe des Gerichtshofs die Interpretation und Anwendung der Konvention ist, dann müsse auch berücksichtigt werden, dass der Einzelfall oft weit darüber hinausgehende Folgen allgemeiner Art habe und daher eine Prüfung von an sich einschlägigen Konventionsrechten nicht einfach unterbleiben dürfe.475 Wie Luzius Wildhaber aufzeigt, ist die Vermeidung von Präzedenzfällen im Bereich des Diskriminierungsverbots aber gerade ein Anliegen der Rechtsprechung des EGMR gewesen; zudem könne sich der Gerichtshof so der häufig stark negativ konnotierten Feststellung staatlicher Diskriminierung enthalten.476 Dies erscheint vor allem bei den genannten strukturellen, politisch brisanten Diskriminierungen
473
EGMR, 27.09.1999, Smith and Grady, RJD 1999-VI = NJW 2000, S.
2089. 474
Zweifelnd auch Richter Matscher in seiner abw. Meinung im Fall EGMR, 22.10.1981, Dudgeon, Serie A 45 = EuGRZ 1983, S. 488, Annex; vgl. Heringa/van Hoof (Fn. 462), p. 1032. 475
In diese Richtung vgl. die Argumentation bei Heringa/van Hoof (Fn. 462), p. 1032 f. 476
Wildhaber (Fn. 444), p. 73.
146
3. Teil
häufig als ein Gebot richterlicher Klugheit; der Effektivität des internationalen Menschenrechtsschutzes ist es aber abträglich. Insgesamt erweist sich die Annahme der Subsidiarität des Diskriminierungsverbots als problematisch. Sie ist von der Konvention selbst nicht gefordert: Das Akzessorietätserfordernis betrifft den sachlichen Anwendungsbereich der Norm, nicht aber – wie die Subsidiarität – die Normenkonkurrenz. Die Annahme der Subsidiarität des Diskriminierungsverbots dient rechtspolitisch in erster Linie einem judicial restraint. In Bezug auf die Interessen des individuellen Beschwerdeführers wie auch der Ausbildung einer gefestigten Nichtdiskriminierungsdogmatik wirkt die Subsidiarität kontraproduktiv.
cc) Das Problem der Regelungsbereichsberührung („ambit“) Da die Norm des Art. 14 EMRK zu Grad und Umfang der vorausgesetzten Betroffenheit der Freiheitsrechte schweigt, ist der Gehalt des Akzessorietätserfordernisses von der Rechtsprechung allererst zu bestimmen gewesen. Grundsätzlich sind vier Interpretationen des Akzessorietätserfordernisses denkbar:477 Erstens könnte man die Verletzung eines substantiellen Rechts zur Anwendungsbereichseröffnung fordern. Dies wäre die strengste, voraussetzungsreichste Auslegung des Akzessorietätserfordernisses. Zugleich würde man so dem Diskriminierungsverbot nur einen geringen Anwendungsbereich überlassen und ihm einen autonomen Status nahezu verweigern. Die Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR), die mit dem am 1.11.1998 in Kraft getretenen 11. Zusatzprotokoll abgeschafft wurde, hat das Akzessorietätserfordernis in der Tat zunächst in dieser strengen Weise interpretiert und die Verletzung eines substantiellen Rechts gefordert. So sah die Kommission in dem Fall Isop (1962) das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht dadurch als verletzt an, dass der Beschwerdeführer vor einem österreichischen Gericht eine Klage nicht in slowenischer Sprache, seiner Muttersprache, erheben konnte; da die Verletzung eines substantiellen Rechts nicht bejaht wurde, sei auch Art. 14 EMRK nicht anwendbar.478 477 Partsch (Fn. 428), S. 576 f. unterscheidet 6 denkbare Interpretationen der Akzessorietät. 478
EKMR, 08.03.1962, Isop, Yb V (1962), p. 108, 124: “Whereas, in regard to the complaint that the said refusal constituted a violation of Article 14 (Art. 14) of the Convention, it is to be observed that Article, by its express terms, forbids discrimination only with regard to the enjoyment of the rights and freedoms
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Diese strikte Interpretation wurde dann ständige Rechtsprechung der Kommission.479 Wie van Dijk und van Hoof zeigen, hatte diese Interpretation als bedeutsame rechtskonzeptionelle Folge, dass auch die Schrankenregelungen der substantiellen Grundrechte zur Rechtfertigung von prima facie Diskriminierungen herangezogen werden konnten.480 Dies erhellt, dass dem Diskriminierungsverbot bei einer strengen Auslegung des Akzessorietätserfordernisses kaum Raum für eine eigene Dogmatik bleibt. Der Gerichtshof machte dieser Rechtsprechung ein Ende in seinem Grundsatzurteil im Belgischen Sprachenfall (1968), indem er die Verletzung eines substantiellen Grundrechts nicht mehr für erforderlich ansah.481 Die drei weiteren denkbaren Interpretationen des Akzessorietätserfordernisses ergeben sich durch fortschreitende Lockerung des notwendigen Bandes zwischen substantiellem Konventionsrecht und dem Diskriminierungsverbot: So kommt zweitens eine Auslegung in Betracht, nach der nicht die Verletzung des substantiellen Grundrechts erfordert ist, sondern bereits der (u.U. gerechtfertigte) Eingriff in das substantielle Recht als ausreichend angesehen wird. Drittens könnte man die Eröffnung des Schutzbereichs eines substantiellen Rechts genügen lassen. Für die Anwendung des Diskriminierungsverbots würde es danach genügen, dass das vom Beschwerdefüh-
guaranteed in the Convention; and whereas the Commission has already held above that such right is not violated in the present case; whereas it follows that Article 14 (Art. 14) of the Convention has no application in the circumstances of the present case (...).” 479
Vgl. Pieter van Dijk/Godefridus J.H. van Hoof, Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, 2nd ed., The Hague [et al.] 1998, p. 712 m.w.N. 480
So wird auf die Entscheidung der EKMR im Fall X. v. Bundesrepublik Deutschland, Yb I (1955-1957), p. 228, 229 verwiesen, in der die Kommission ein deutsches Gesetz für konventionsmäßig hielt, das homosexuelle Handlungen unter Männern für strafbar erklärte, die unter Frauen aber nicht. Zur Rechtfertigung wurde auf Art. 8 Abs. 2 EMRK, Schutz der Gesundheit und der Moral abgestellt, vgl. van Dijk/van Hoof (Fn. 479), p. 712 n. 73. 481
EGMR, 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, B 9 = EuGRZ 1985, S. 298 ff.; vgl. Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 33.
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3. Teil
rer erstrebte Verhalten zumindest von einem Freiheitsrecht geschützt ist.482 Das weiteste Verständnis der Akzessorietät lässt, viertens, bereits die irgendwie geartete Berührung des Regelungsbereichs eines substantiellen Konventionsrechts ausreichen. Dies ist die Interpretation, die der EGMR in ständiger Rechtsprechung vertritt: Danach muss der Sachverhalt in den Regelungsbereich (engl. „ambit“/„scope“; franz. „empire“/„champ d’application“/„domaine d’application“) eines oder mehrerer Konventionsrechte fallen.483 Der Regelungsbereich ist vom Schutzbereich eines Grundrechts zu unterscheiden. Ersterer umfasst zusätzlich auch die Ausnahmen vom Schutzbereich, also Elemente, die gerade nicht geschützt sind (z.B. Arbeiten und Dienstleistungen, die zu den üblichen Bürgerpflichten gehören, als Ausnahme vom Verbot der Zwangsarbeit in Art. 4 III lit. d) EMRK).484 In den Regelungsbereich eines Grundrechts fallen zudem vom Staat gewährleistete supererogatorische, d.h. von der Konvention selbst nicht geforderte Rechte, die aber thematisch im Zusammenhang mit Konventionsrechten stehen.485 So berührt die Einrichtung einer zweiten Gerichtsinstanz den Regelungsbereich des Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren), ist aber von Konventions wegen nicht gefordert. Aufgrund der Regelungsbereichseröffnung ist das Diskriminierungsverbot anwendbar mit der Folge, 482
Vgl. die Interpretation des Diskriminierungsverbots in der abw. Meinung des Richters Misfud Bonnici im Fall des EGMR, 18.07.1994, Karlheinz Schmidt, Serie A 291-B = NVwZ 1995, S. 365, Annex. In diesem Fall rügte der Beschwerdeführer, dass das Bundesland Baden-Württemberg nur Männer zur Zahlung einer Feuerwehrabgabe verpflichtete, wenn sie keinen Dienst bei der Feuerwehr leisteten, nicht aber Frauen. Während die Mehrheit der Richter die Anwendbarkeit des Art. 14 EMRK bejahte, kam Richter Bonnici zu dem gegenteiligen Ergebnis, da das gerügte Verhalten nicht in den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 2 EMRK falle, sondern bloß unter die – nichtschutzbegründende – Ausnahme des Art. 4 Abs. 3 lit. d) EMRK. 483
EGMR, 28.05.1985, Abdulaziz u.a., Serie A 94 = NJW 1986, S. 3007, § 71; EGMR, 08.07.2003, Sommerfeld, RJD 2003-VIII, § 84; vgl. Grabenwarter (Fn. 208), § 26 I 2, S. 446 f., Rn. 3 m.w.N.; Heringa/van Hoof (Fn. 462), p. 1029 m.w.N. Vgl. auch Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 31. 484
So Grabenwarter (Fn. 208), § 26 I 2, S. 447, Rn. 3 unter Hinweis auf den Fall Karlheinz Schmidt, in dem die Mehrheit der Richter es für die Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbots ausreichen ließ, dass die (Ausnahme-)Regel in Art. 4 Abs. 3 lit. d) EMRK betroffen war, vgl. EGMR, 18.07.1994, Karlheinz Schmidt, Serie A 291-B = NVwZ 1995, S. 365, § 22. 485
Vgl. Grabenwarter (Fn. 208), § 26 I 2, S. 447, Rn. 4.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
149
dass Ungleichbehandlungen hinsichtlich des Zugangs zur höheren Gerichtsinstanz gem. Art. 6 Abs. 1 i.V. mit Art. 14 EMRK vom Gerichtshof überprüfbar werden.486 Dieses weite Verständnis der Regelungsbereichseröffnung ist gemeint, wenn man – dogmatisch allerdings etwas missverständlich – von der „Autonomie“ des Diskriminierungsverbots des Art. 14 EMRK spricht. Entscheidend ist nun, wann, d.h. unter welchen Umständen, der Regelungsbereich („ambit“/„scope“) eines substantiellen Konventionsrechts betroffen ist. Hierüber herrscht bislang keine Einigkeit. Im Wesentlichen werden dazu fünf Auffassungen vertreten, die wie folgt benannt werden können: der state intent-Ansatz, der ordinary understandingAnsatz, der choice-grounds-Ansatz, der penumbra-Ansatz und der Wechselwirkungsansatz. Nach einer ersten, engen Ansicht, dem hier sog. state intent-Ansatz, ist der Regelungsbereich eines substantiellen Konventionsrechts nur dann berührt, wenn der Staat die Intention zur Regelungsbereichsberührung hatte.487 Beispielsweise ließe sich argumentieren, dass die Einführung von Altersbeschränkungen bei der staatlich finanzierten Schülerbeförderung keine bildungsregelnde Tendenz oder Intention habe und daher nicht den Regelungsbereich des Art. 2 ZP 1 EMRK (Recht auf Bildung) berühre mit der Folge, dass auch das Diskriminierungsverbot nicht anwendbar wäre.488 Der state intent-Ansatz ist aber schon deswegen abzulehnen, weil die Einschlägigkeit von Grundrechten nicht von dem Willen des grundrechtsverpflichteten Hoheitsträgers abhängig gemacht werden darf. Nach einer zweiten Ansicht, dem hier sog. ordinary understandingAnsatz, ist bei der Bestimmung des Regelungsbereichs eines substantiellen Konventionsrechts das gängige Verständnis dieses Rechts in der betreffenden Gesellschaft („ordinary understanding of the right in the relevant society“) zugrunde zu legen.489 Wenn also ein Verhalten in einem bestimmten Staat geschützt oder gefördert werde, obwohl dies von 486
Dies betrifft die Konstellationen der sog. Teilhabegewährleistungspflicht, dazu ausführlich unten S. 356 ff. 487
Diese Ansicht findet sich bisweilen in der englischen Literatur und Rechtsprechung; zu Nachweisen und Kritik vgl. Aaron Baker, The Enjoyment of Rights and Freedoms: A New Conception of the ‚Ambit‘ under Article 14 ECHR, MLR 69 (2006), p. 714, 729 ff. 488 489
Zu einem ähnlichen Bsp. vgl. Baker (Fn. 487), p. 730. Diese Ansicht vertritt Baker (Fn. 487), p. 734 ff.
150
3. Teil
Konventions wegen an sich nicht gefordert sei, so falle dieses Verhalten in den Regelungsbereich eines Konventionsrechts.490 Auch diese Ansicht ist problematisch. Sie liefert zwar eine Begründung für die Konstellation der derivativen Teilhabegewährung, erfasst damit aber nur einen kleinen Ausschnitt der Diskriminierungsproblematik. Schwieriger sind die Fälle zu beurteilen, in denen der Staat freiheitsverkürzend tätig wird. Hier allein von dem nationalen Verständnis des jeweiligen Grundrechts auszugehen, erscheint nicht zweckmäßig, da es zu einem unterschiedlichen Schutzniveau der EMRK in den Vertragstaaten führt und den Gerichtshof im Einzelfall vor eine schwierige Ermittlungsaufgabe stellt. Ein solches Vorgehen steht auch nicht im Einklang mit dem Ansatz des EGMR, der die Begriffe der EMRK „konventionsautonom“ auslegt, d.h. die Tatbestandsmerkmale der Konventionsrechte und Garantien werden semantisch unabhängig von nationalen Regelungen interpretiert, wobei das nationale Verständnis nur einen ersten Anhaltspunkt bildet.491 Eine dritte Ansicht, der hier sog. choice grounds-Ansatz, argumentiert für eine Erweiterung des Regelungsbereichsverständnisses. Mit „choice grounds“ sind diejenigen Differenzierungsgründe gemeint, die eine individuelle Wahl zulassen, wie beispielsweise die Wahl einer bestimmten Religion, das Eintreten für eine politische Ansicht etc. Nach dieser Ansicht fällt nicht nur die jeweilige Freiheitsverkürzung (sog. opportunity aspect), sondern auch der Grund für die Verkürzung (sog. ground aspect) in den Regelungsbereich eines Freiheitsrechts, sofern der Grund von diesem substantiellen Konventionsrecht geschützt werde.492 Einige sog. choice grounds, wie z.B. die Wahl der Religion oder der politischen Anschauung unterfielen Konventionsrechten (insbesondere Art. 8, 9, 10 oder 11 EMRK).493 Zwar seien beispielsweise arbeitsbezogene Freiheitsverkürzungen als solche nicht unter ein substantielles Konventionsrecht zu subsumieren, wenn diese aber an einen choice-ground anknüpften, etwa die Verweigerung einer Berufszulassung aus Gründen der sexuellen Orientierung, sei der Regelungsbereich des Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privatlebens) berührt und das Diskriminie490
So Baker (Fn. 487), p. 734.
491
Vgl. nur EGMR, 29.04.1999, Chassagnou, RJD 1999-III = NJW 1999, S. 3695, § 100; zum Ganzen s. auch George Letsas, The Truth in Autonomous Concepts: How to Interpret the ECHR, EJIL 15 (2004), p. 279 ff. 492 493
Diese Ansicht wird vertreten von Wintemute (Fn. 441), p. 366 ff. Wintemute (Fn. 441), p. 370 f.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
151
rungsverbot daher anwendbar.494 Im Kern plädiert diese Ansicht für eine „doppelte“ Strategie bei der Frage der Regelungsbereichsberührung: Nicht nur die Beeinträchtigung konventionsrechtlich geschützter Freiheit wirkt danach anwendungsbereichseröffnend, sondern auch die Verbindung einer an sich nicht grundrechtsrelevanten Beeinträchtigung mit bestimmten, individueller Wahl zugänglichen Differenzierungsgründen, die selbst von Konventionsrechten geschützt werden. Die Ansicht findet Bestätigung im Urteil des EGMR im Fall Thlimmenos (2001).495 In diesem Fall gegen Griechenland hatte der Beschwerdeführer, der Mitglied der Zeugen Jehovas war, in Zeiten einer Generalmobilmachung im Jahr 1983 das Tragen einer Militäruniform verweigert. Der Beschwerdeführer wurde wegen Befehlsverweigerung zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe von einem Militärgericht verurteilt, wobei die Strafe nach zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Jahr 1988 legte der Beschwerdeführer das Staatsexamen für Wirtschaftsprüfer erfolgreich ab. Im Jahr 1989 verweigerte jedoch der Vorstand des Griechischen Instituts für Wirtschaftsprüfer die Ernennung des Beschwerdeführers unter Verweis auf seine frühere Verurteilung wegen eines „schwerwiegenden Verbrechens“. Nach dem griechischen Militärstrafgesetz handelte es sich bei der Befehlsverweigerung in Zeiten der Generalmobilmachung um ein „schwerwiegendes Verbrechen“; aus dem Gesetz über den öffentlichen Dienst ergab sich, dass keine Person, die wegen eines „schwerwiegenden Verbrechens“ verurteilt worden war, zum Wirtschaftsprüfer ernannt werden durfte. Bei der Lösung dieses Rechtsstreits folgte der Gerichtshof in der Tat dem choice grounds-Ansatz, indem er feststellte, dass zwar die Ungleichbehandlung hinsichtlich des Zugang zu einem bestimmten Beruf in Ermangelung einer die Berufsfreiheit gewährleistenden Konventionsnorm an sich nicht unter Art. 14 EMRK falle; ganz im Sinne des choice groundsAnsatzes verlagerte der Gerichtshof aber dann die Prüfung von der eigentlichen Freiheitsverkürzung (hier dem Zugang zum Beruf als Wirtschaftsprüfer) auf die Frage nach dem Differenzierungsgrund (hier die Wahl einer bestimmten Religionsgemeinschaft). Da die Wahl einer Religion bzw. der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions494 495
Wintemute (Fn. 441), p. 371.
EGMR, 6.4.2000, Thlimmenos, RJD 2000-IV = ÖJZ 2001, S. 528, §§ 41 f., vgl. dazu die Ausführungen bei Wintemute (Fn. 441), p. 371 f. sowie unten S. 258 f. Der choice grounds-Ansatz hat auch in einem jüngeren Urteil im Zusammenhang mit dem erforderlichen Rechtfertigungsniveau eine Rolle gespielt, vgl. EGMR (K), 04.11.2008, Carson u.a., Nr. 42184/05, § 80 (s. dazu S. 170).
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3. Teil
gemeinschaft durch Art. 9 EMRK geschützt ist, gelangte der Gerichtshof so zur Regelungsbereichsberührung mit einem substantiellen Freiheitsrecht und zur Anwendbarkeit des Art. 14 EMRK.496 Für den choice grounds-Ansatz lässt sich argumentieren, dass er gewisse, oft als Mangel wahrgenommene Lücken des konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrechts schließt.497 Zudem kann dieser Ansatz die Thlimmenos-Entscheidung hinsichtlich der Regelungsbereichseröffnung plausibel begründen im Unterschied zu den allein auf den opportunity aspect der Freiheitsverkürzung abstellenden Ansichten. Aber auch der choice grounds-Ansatz zur Regelungsbereichsberührung ist problematisch: Erstens führt er faktisch zu einer, wie der Vertreter dieses Ansatzes durchaus anerkennt, zweifelhaften Hierarchie zwischen den geschützten, anwendungsbereichseröffnenden choice grounds (z.B. Religion, politische oder sonstige Anschauung) und nicht geschützten non-choice grounds (z.B. Rasse, Geschlecht, Alter).498 Die non-choice grounds sind nicht Gegenstand der individuellen Wahl und auch nicht durch weitere Konventionsrechte geschützt, so dass sich eine Regelungsbereichsberührung nicht ergeben kann. Gleichzeitig handelt es sich aber bei den non-choice grounds nach traditioneller Nichtdiskriminierungsdogmatik gerade um die besonders sensiblen Differenzierungsgründe; dass Ungleichbehandlungen aufgrund von choice grounds den konventionsrechtlichen Diskriminierungsschutz aktivieren sollen, während non-choice grounds dies nicht vermögen, steht im Widerspruch zu der auch vom Gerichtshof mittlerweile angenommenen Hierarchie der Differenzierungsgründe.499 Zudem kann es konzeptionell nicht überzeugen, neben der Prüfung einer Beeinträchtigung 496
EGMR, 6.4.2000, Thlimmenos, RJD 2000-IV = ÖJZ 2001, S. 528, § 42: “In essence, the applicant’s argument amounts to saying that he is discriminated against in the exercise of his freedom of religion, as guaranteed by Article 9 of the Convention, in that he was treated like any other person convicted of a serious crime although his own conviction resulted from the very exercise of this freedom. Seen in this perspective, the Court accepts that the ‘set of facts’ complained of by the applicant – his being treated as a person convicted of a serious crime for the purposes of an appointment to a chartered accountant’s post despite the fact that the offence for which he had been convicted was prompted by his religious beliefs – ‘falls within the ambit of a Convention provision’, namely Article 9.” 497 498 499
Vgl. dazu die hilfreiche Aufstellung bei Wintemute (Fn. 441), p. 375 f. Vgl. Wintemute (Fn. 441), p. 373 f. Vgl. dazu ausführlich unten S. 197 ff.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
153
konventionsrechtlich geschützter Freiheit, dem opportunity aspect, auch noch den Differenzierungsaspekt, ground aspect, bei der Regelungsbereichsberührung zuzulassen. Schon der Wortlaut der Norm des Art. 14 EMRK stellt sich gegen ein solches Verständnis: Es geht um den „Genuss der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten“, d.h. die Möglichkeit der diskriminierungsfreien Inanspruchnahme konventionsrechtlich geschützter Freiheit; es käme einer petitio principii gleich, wenn man in dem Differenzierungsgrund selbst die Begründung für die Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbots erblickte. Auch Sinn und Zweck der Akzessorietät, der – wie oben dargestellt500 – u.a. in der Einhegung des Nichtdiskriminierungsrechts auf die konventionsrechtlich geschützten Freiheiten besteht, sprechen gegen die erweiternde Deutung durch den choice grounds-Ansatz. Der vierte Ansatz, der hier sog. penumbra501-Ansatz, dem auch der Gerichtshof folgt, fordert eine hinreichend enge Verbindung zwischen dem Sachverhalt der behaupteten Diskriminierungshandlung und einer konventionsrechtlich geschützten, substantiellen Freiheit.502 Ausreichend ist dabei bereits die „thematische Einschlägigkeit“ (Christoph Grabenwarter) der substantiellen Norm.503 Dabei können, wie gezeigt, auch Ausnahmen vom Schutzbereich sowie supererogatorisch gewährleistete Rechte regelungsbereichsberührend wirken; der Sachverhalt muss sich – bildlich gesprochen – zumindest im „Halbschatten“ (engl. penumbra) – eines substantiellen Konventionsrechts befinden. Die substantiellen Rechte sind stets in dem Gesamtkontext des jeweiligen Sachverhalts auszulegen.504 Dieser Ansatz bereitet weniger konzeptionelle Schwierigkeiten als vielmehr Probleme in der Anwendung: Die Interpretation der Regelungsbereiche der Konventionsrechte – außerhalb der anerkannten Schutzbereiche – ist dogmatisch kaum durchdrungen und in der Begründung oft zu stark ergebnisorientiert. Hier lässt sich wiederum auf den Fall Poirrez verweisen, in dem der Gerichtshof keine positive Begründung dafür anbietet, weswegen auch nicht-beitragsab500
Dazu s. oben S. 137.
501
Der Begriff des penumbra (engl., „Halbschatten“) findet seit dem berühmten Urteil des USSCt, Griswold v. Connecticut, 381 U.S. 479 (1965) im Rechtskontext Verwendung. 502
H.L., vgl. nur Schweizer (Fn. 437), Art. 14, Rn. 47 ff.; Heringa/van Hoof (Fn. 462), p. 1029. 503 504
Grabenwarter (Fn. 208), § 26 I 2, S. 446, Rn. 3. Schweizer (Fn. 437), Art. 14, Rn. 51.
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3. Teil
hängige Sozialleistungen „Eigentum“ im Sinne von Art. 1 ZP 1 EMRK darstellen können.505 Die unbegründete Erweiterung des konventionsrechtlichen Eigentumsbegriffs erscheint aus dieser Perspektive eher als eine dogmatische Hilfskonstruktion zur Erweiterung des Anwendungsbereichs des Diskriminierungsverbots. Auch die Annahme gleichheitsrechtsgestützter, derivativer Teilhaberechte, die ebenfalls eine Ausweitung der freiheitsrechtlichen Regelungsbereiche (nicht aber der Schutzbereiche) bedeutet, erfolgt in der Rechtsprechung des EGMR ohne nähere Begründung. Mit Recht gilt daher der penumbra-Ansatz des EGMR als dogmatisch noch entwicklungsbedürftig.506 Nach einer hier vorgeschlagenen, fünften Auffassung, dem Wechselwirkungsansatz, muss die Norm des Art. 14 EMRK sowie ihr Normzweck auslegungsanleitend bei der Interpretation der Regelungsbereiche der Freiheitsrechte wirken. Art. 14 EMRK und die substantiellen Rechte und Garantien müssen so in einer „Wechselwirkung“ gedacht werden, d.h. der Regelungsbereich der Freiheitsrechte ist im Lichte des Diskriminierungsverbots zu bestimmen. Auszugehen ist dabei vom Wortlaut des Art. 14 EMRK. Hier liefert der zu wenig beachtete Begriff des „Genusses“ („enjoyment“/„jouissance“) einen ersten Ansatzpunkt. Es sind ausdrücklich nicht die Konventionsrechte als solche, sondern deren „Genuss“ diskriminierungsfrei zu gewährleisten. Mit dieser Formulierung weicht die EMRK von der anderer akzessorischer Diskriminierungsverbote, etwa Art. 2 AEMR („Everyone is entitled to all rights and freedoms set forth in this Declaration, without distinction of any kind ...“), entscheidend ab. Auch wenn man geneigt ist, den Textbefund zunächst für wenig aussagekräftig zu halten, so lässt sich doch argumentieren, dass der Begriff des „Genusses“ in Art. 14 EMRK ein weites, gleichheitsrechtsfreundliches Verständnis nahelegt und durchaus dazu ermächtigt, den Regelungsbereich im Einzelfall großzügiger zu fassen als den eigentlichen Schutzbereich der in Bezug genommenen Freiheitsrechte: Der Begriff des Genusses ist umfassender als z.B. der der „Ausübung“ oder der „Gewährleistung“. Dieser weit verstandene Schutz muss sich dann in einer (großzügigen) Bestimmung des jeweiligen Regelungsbereichs niederschlagen. Indem der „Genuss“ eines Konventionsrechts diskriminierungsfrei zu stellen ist, kommt es zudem weniger auf die Seite der formalen, rechtlichen Gewährung an, als vielmehr auf die tatsächliche Möglichkeit des Einzelnen, der Gewährleistung der 505 506
EGMR, 30.09.2003, Koua Poirrez, RJD 2003-X, § 37.
Vgl. Richard Clayton/Hugh Tomlinson, The Law of Human Rights, Oxford 2000, p. 1236, n. 88.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
155
Freiheitsrechte teilhaftig zu werden.507 Auf einer zweiten Stufe geht es dann um die Ausstrahlung des Normzwecks des Diskriminierungsverbots auf den Regelungsbereich der Freiheitsrechte. Wie oben bereits erwähnt, kann im Vorgriff auf den weiter unten zu entwickelnden Schutzzweck des konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots an dieser Stelle vorweggenommen werden, dass der Normzweck darin besteht, den Einzelnen vor einer ungerechten Verkürzung bzw. einer ungerechten Verteilung von Mitteln des So-Sein-Könnens zu schützen.508 Bei der Bestimmung der Regelungsbereichsberührung muss daher nach dem hier vertretenen Wechselwirkungsansatz erstens geprüft werden, ob der Sachverhalt den Genuss, d.h. die tatsächliche Inanspruchnahme eines konventionsrechtlich geschützten Rechts oder einer Freiheit beeinträchtigt. In den Problemkonstellationen Thlimmenos (Wirtschaftsprüfer) und Poirrez (Behindertenbeihilfe) wird man das oft verneinen müssen: Die tatsächliche Inanspruchnahme des Rechts auf freie Religionsausübung wird im Fall Thlimmenos ebenso wenig beeinträchtigt wie das Eigentumsrecht im Falle Poirrez. Auf einer zweiten Stufe ist dann aber nach hier vertretener Ansicht der Regelungsbereich jeweils im Lichte des Normzwecks des Diskriminierungsverbots auszulegen. Im Fall Thlimmenos ging es materiell um die Wahl des Berufs; auch wenn die EMRK die Aspekte der Berufsfreiheit grundsätzlich nicht ausdrücklich schützt,509 so hat aber jedenfalls die Regelung des Zugangs zu einem Beruf oder Ausbildungsplatz mit der Verteilung elementarer SoSeins-Möglichkeiten des Einzelnen zu tun, die dem Schutz des Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privatlebens) unterfallen.510 507
Zum Begriff des „Genusses“ in Art. 14 EMRK vgl. Jochen Abr. Frowein/Wolfgang Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., Kehl [u.a.] 2009, Art. 14 EMRK, Rn. 3 („Art und Ausmaß der Ausübung solcher Rechte“). 508
Zum Normzweck des Art. 14 EMRK vgl. ausführlich unten S. 465 ff.
509
EGMR, 28.05.2009, Bigaeva, Nr. 26713/05, § 39. Vgl. Dagmar Richter, Lücken der EMRK und lückenloser Grundrechtsschutz, in: Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, Tübingen 2006, Kap. 9, Rn. 41. 510
So unterstellt auch der EGMR – allerdings mit abweichender Begründung – einige Elemente der Berufsfreiheit dem Schutzbereich des Art. 8 EMRK, wie z.B. die Möglichkeit zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Fall EGMR, 27.07.2004, Sidabras u.a., RJD 2004-VIII, § 47 f.; zum Sachverhalt s. S. 196 f. Vgl. auch den Fall des EGMR, 07.04.2005, Rainys u.a., Nr. 70665/01 u.a., § 34; dazu s. Grabenwarter (Fn. 208), § 22 I 3 a) cc), S. 203, Rn. 14. Ebenso enthält Art. 1 ZP 1 EMRK (Eigentumsgarantie) Elemente der Berufsfreiheit: Schutz der
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3. Teil
Etwas schwieriger sieht es dagegen im Fall Poirrez aus. Hier müsste dargelegt werden, dass die Verweigerung der Behindertenbeihilfe materiell eine ungerechte Verkürzung der Mittel des So-Sein-Könnens des Einzelnen darstellt. Durchaus akzeptabel erscheint hierbei das Argument, dass behinderte Menschen als Bedingung der Möglichkeit des Genusses von Konventionsrechten, die auf körperlich und geistig vollbefähigte Menschen abgestimmt sind, der finanziellen Beihilfe seitens des Staates bedürfen. Wollte man diese Argumentation dogmatisch umsetzen, käme wohl nur eine – vom Gerichtshof bislang so nicht gewählte – Konstruktion von Art. 14 EMRK in Verbindung mit Art. 1 EMRK (Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte) in Betracht. Problematisch ist daran, dass Art. 1 EMRK zwar die Verpflichtung des Staates enthält, die nachfolgenden Rechte und Freiheiten allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen zuzusichern, diese Vorschrift aber von der h.M. nicht als „Recht“ oder „Freiheit“ im Sinne von Art. 14 EMRK angesehen wird.511 Da dieser Weg dogmatisch zweifelhaft erscheint, sollte man es in Fällen wie diesen, die ein von der Schutzkonzeption der EMRK nicht umfasstes sozioökonomisches Recht betreffen, gegenwärtig bei einer Verneinung der Regelungsbereichsberührung belassen. Die so entstehende Schutzlücke sollte dann aber einmal mehr Anlass geben, das ZP 12 EMRK, das ein allgemeines Diskriminierungsverbot enthält, zu ratifizieren.
b) Lückenloser Gleichheitsrechtsschutz durch Art. 1 ZP 12? aa) Die Kritik am Akzessorietätserfordernis Die Kritik am Akzessorietätserfordernis des Art. 14 EMRK, die schon früh512 zu der Forderung nach einer Ausweitung des Nichtdiskriminie„materiell geronnenen Berufsfreiheit als etwas Erworbenes“, so Hans-Joachim Cremer, Eigentumsschutz, in: Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), EMRK /GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, Tübingen 2006, Kap. 22, Rn. 48. 511
Jens Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, Handkommentar, 2. Aufl., Baden-Baden 2006, Art. 1, Rn. 2; EGMR, 22.03.2001, Streletz u.a., RJD 2001-II = NJW 2001, 3035, § 112. 512
Die Parlamentarische Versammlung schlug bereits 1970 die Aufnahme einer erweiterten Nichtdiskriminierungsnorm vor, die sich auch auf Wahlen, den Arbeitsbereich, den sozialen Wohnungsbau und öffentliche Leistungen bezog. Vgl. ausführlich zur Entstehungsgeschichte des ZP 12 EMRK Michael Head, The genesis of Protocol No. 12, in: Non-Discrimination: A Human Right,
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
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rungsschutzes geführt hat, lässt sich in drei Hauptpunkten zusammenfassen: Erstens betrifft die Kritik die durch das Akzessorietätserfordernis bewirkte Entziehung vieler, oft als besonders schwerwiegend empfundener Erscheinungen der Diskriminierung, da, wie bereits erörtert, Diskriminierungen im Bereich der sozioökonomischen Rechte nicht in den Anwendungsbereich des konventionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes unter Art. 14 EMRK fallen. So wäre wohl die Diskriminierung seitens eines staatlichen Arbeitgebers, der eine Angestellte aus Gründen ihrer religiösen Überzeugung entlässt, gegenwärtig unter Art. 14 EMRK nicht justiziabel. Dies wird zu Recht vielfach als unzureichend angesehen.513 Zweitens wird die oben bereits angedeutete dogmatische Überdehnung der Freiheitsrechte kritisiert, die der Gerichtshof bisweilen vornimmt, um eine Regelungsbereichsberührung des Sachverhalts mit einem substantiellen Konventionsrecht und damit die Einschlägigkeit des Diskriminierungsverbots bejahen zu können. So wurde in der Vergangenheit auch in den abweichenden oder separaten Meinungen einiger Richter des Gerichtshofs immer wieder auf den Unterschied zwischen einem allgemeinen und einem akzessorischen Diskriminierungsverbot hingewiesen. In dem Fall Stec (2006), in dem es um die unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen hinsichtlich einer einkommensbezogenen Invaliditätsrente ging, bejahte die Mehrheit des Gerichthofs die Regelungsbereichsberührung des Sachverhalts
Seminar to mark the entry into force of Protocol No. 12, ed. by Council of Europe Publishing, Strasbourg 2006, p. 35, 38. Zur Entstehungsgeschichte des ZP 12 EMRK s. auch Jeroen Schokkenbroek, Stronger European protection against discrimination: the new Protocol No. 12 to the European Convention on Human Rights, in: Eckart Klein (Hrsg.), Rassische Diskriminierung, Berlin 2002, S. 175-193 und ders., A New European Standard Against Discrimination: Negotiating Protocol No. 12 to the European Convention on Human Rights, in: Stéphanie Lagoutte (ed.), Prohibited Discrimination in the Nordic Countries: The Complicated Fate of Protocol No. 12 to the European Convention on Human Rights, Kopenhagen 2005, pp. 19-35; Schweizer (Fn. 437), Art. 14, Rn. 156 ff. 513
Vgl. Gerards (Fn. 434), p. 39; Urfan Khaliq, Protocol 12 to the European Convention on Human Rights: A Step forward or a Step too far, PL 2001, p. 457, 463; Beate Rudolf, Endlich ein allgemeines Diskriminierungsverbot in der EMRK: Aber wo bleibt Deutschland?, AI 2005, S. 19, 20; Nicholas Grief, NonDiscrimination under the European Convention on Human Rights: A Critique of the United Kingdom Government’s Refusal to Sign and Ratify Protocol 12, ELR 27 (2002), p. 3, 18.
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3. Teil
mit der Eigentumsgarantie, Art. 1 ZP 1 EMRK.514 Richter Borrego Borrego kritisiert in seiner zustimmenden Meinung diese Ausweitung des Diskriminierungsschutzes auf sozioökonomische Rechte unter Hinweis auf den Unterschied zwischen Art. 14 EMRK und Art. 1 ZP 12 EMRK: “[A]s I see it, the way in which ‘Article 14 taken in conjunction with Article 1 of Protocol No. 1’ is construed in this judgment implies, purely and simply, the entry into force of Protocol No. 12 in a very important sphere (social-security benefits), in respect of a Contracting Party which has not even signed Protocol No. 12.”515 Der dritte Kritikpunkt betrifft die praktische Konsequenz, die der Gerichtshof aus dem Akzessorietätserfordernis gezogen hat, nämlich die oben bereits erörterte Subsidiarität des konventionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes und die dadurch behinderte Ausbildung einer selbständigen, tragfähigen Nichtdiskriminierungsdogmatik unter der EMRK.516 Indem gleichheitsrechtliche Probleme entweder ausgeblendet oder unter den Freiheitsrechten diskutiert werden, werden sie ihrem eigentlichen dogmatischen Bezugs- und Lösungsrahmen entzogen.517 Nachfolgend ist zu untersuchen, inwieweit dieser Kritik durch das neue ZP 12 Rechnung getragen wird.
bb) Die Nichtakzessorietät des allgemeinen Diskriminierungsverbots Die wichtigste Neuerung des am 1. April 2005 – nach Abschluss der erforderlichen 10 Ratifikationen – in Kraft getretenen ZP 12 ist ohne Zweifel die Aufhebung des Akzessorietätserfordernisses. Der Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots unter der EMRK wird damit beträchtlich erweitert. Durch das ZP 12 tritt das Diskriminierungsverbot erstmals gleichberechtigt neben die konventionsrechtlichen Freiheitsrechte. Gleichwohl zeigt schon der Wortlaut von Art. 1 ZP 12, dass es sich – der Rechtsnatur nach – nicht um einen allgemeinen Gleichheitssatz, sondern noch immer um ein Diskriminierungsverbot han-
514
EGMR, 12.04.2006, Stec u.a, Nr. 65731/01 und 65900/01, §§ 42 ff.
515
EGMR, 12.04.2006, Stec u.a, Nr. 65731/01 und 65900/01, Annex. Vgl. auch die abweichende Meinung der Richter Sir Nicolas Bratza, Fuhrmann und Tulkens im Fall des EGMR, 26.02.2002, Fretté, RJD 2002-I = FamRZ 2003, S. 149, Annex. 516 517
Vgl. wiederum Wildhaber (Fn. 444) sowie ausführlich oben S. 139 ff. Vgl. die Nachweise unter Fn. 447.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
159
delt.518 In funktionaler Betrachtung dürfte jedoch die schon für Art. 14 EMRK problematische Abgrenzung zum allgemeinen Gleichheitssatz weiter an Bedeutung verlieren. So hat der Gerichtshof durch die Lockerung des Akzessorietätserfordernisses, die Erweiterung der Liste verdächtiger Differenzierungskriterien519 und die prinzipielle Anerkennung auch der komplexeren Typen von Diskriminierungen (indirekte, passive und positive Diskriminierung) bereits Art. 14 EMRK einem allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz zumindest stark angenähert.520 Entscheidend ist, dass durch das allgemeine Diskriminierungsverbot in Art. 1 ZP 12 EMRK nunmehr auch die Verkürzung und Verteilung sozioökonomischer Rechte unter die Kontrolle des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs fallen. Ausweislich des Art. 1 ZP 12 EMRK wird die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung hinsichtlich „jedes gesetzlich niedergelegten Rechts“ („any right set forth by law“), mithin auch der wirtschaftlichen und sozialen Rechte, konventionsrechtlich justiziabel.521 Es bleibt abzuwarten, wie der EGMR die Fälle, in denen Beschwerdeführer eine Diskriminierung im Bereich wirtschaftlicher und sozialer Rechte rügen, behandeln wird. Anhand der vorhandenen Rechtsprechung zu Ungleichbehandlungen betreffend bestimmter, unter die Eigentumsgarantie fallender Sozialleistungen ist aber schon jetzt deutlich, dass den Staaten hier ein weiter Einschätzungsspielraum („margin of appreciation“) zugebilligt werden muss. Richtungsweisend für den Umgang des Gerichtshofes mit Diskriminierungen in Bezug auf wirtschaftliche und soziale Rechte könnte insofern, mutatis mutandis, das Urteil der Großen Kammer im erwähnten Fall Stec u.a. (2006) sein.522 518
EGMR, 22.12.2009, Sejdić und Finci, Nr. 27996/06 u. 34836/06, § 53 („general prohibition of discrimination“); Wildhaber (Fn. 444), p. 72; Robert Uerpmann-Wittzack, Höchstpersönliche Rechte und Diskriminierungsverbot (§ 3), in: Dirk Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Aufl., Berlin 2009, § 3 III, S. 108, Rn. 67; a.A. Grabenwarter (Fn. 208), § 26 III, S. 459 f., Rn. 22 („allgemeiner Gleichheitssatz“). 519
Vgl. EGMR, 21.12.1999, Salgueiro da Silva Mouta, RJD 1999-IX, § 28 (betreffend das im Katalog der verdächtigen Differenzierungsgründe des Art. 14 EMKR nicht genannte Kriterium der „sexuellen Orientierung“). 520 521 522
Vgl. Rudolf (Fn. 173), S. 62, Rn. 16. Grief (Fn. 513), p. 12; Gerards (Fn. 434), p. 56. EGMR, 12.04.2006, Stec u.a, Nr. 65731/01 und 65900/01.
160
3. Teil
In diesem Fall ging es um die Zahlung einer einkommensbezogenen Invaliditätsrente („reduced earnings allowance“), die (ehemaligen) Arbeitnehmern im Vereinigten Königreich gezahlt wurde, deren Erwerbsfähigkeit aufgrund eines Arbeitsunfalls oder sonstiger berufsbedingter Schädigung eingeschränkt war. Die Zahlung der Invaliditätsrente endete mit dem Eintritt in das gesetzliche Rentenalter, das für Frauen bei 60 Jahren, für Männer bei 65 Jahren lag. Eine Beschwerdeführerin im Fall Stec u.a. rügte, dass ihr mit Erreichen des 60. Lebensjahres die Invaliditätsrente entzogen würde, während Männer bis zum 65. Lebensjahr bezugsberechtigt blieben. Obwohl in diesem Fall eine Geschlechterdiskriminierung vorlag, zu deren Rechtfertigung nach ständiger Rechtsprechung „besonders gewichtige Gründe“523 vorgebracht werden müssen, lag die Entscheidung, eine unterschiedliche Bezugshöchstdauer für Männer und Frauen einzuführen, nach Ansicht des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofes noch im staatlichen Beurteilungsspielraum. Dazu heißt es im Fall Stec u.a.: “[A] wide margin is usually allowed to the State under the Convention when it comes to general measures of economic or social strategy. Because of their direct knowledge of their society and its needs, the national authorities are in principle better placed than the international judge to appreciate what is in the public interest on social or economic grounds, and the Court will generally respect the legislature’s policy choice unless it is ‘manifestly without reasonable foundation’.”524 Die Zubilligung eines weiten staatlichen Beurteilungsspielraums sowie die Beschränkung auf eine Evidenz- oder Willkürkontrolle, bei der auch das Vorhandensein eines europaweiten Konsenses bzw. einheitlicher Standards berücksichtigt wird,525 erscheint als ein empfehlenswerter Ansatz, mit dem der Gerichtshof die Balance zwischen der notwendigen internationalen Kontrolle und dem staatlichen Souveränitätsanspruch wahrt. Mit dem neuen ZP 12 lässt sich der Kritik an Art. 14 EMRK, dass diese Norm in nicht mehr zeitgemäßer Weise sozioökonomische Rechte aus dem Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots ausklammere, wirksam begegnen.
523
Erstmals, soweit ersichtlich, vom Gerichtshof verlangt in EGMR, 28.05. 1985, Abdulaziz u.a., Serie A 94 = NJW 1986, S. 3007, § 78. 524 525
EGMR, 12.04.2006, Stec u.a, Nr. 65731/01 und 65900/01, § 52. EGMR, 12.04.2006, Stec u.a, Nr. 65731/01 und 65900/01, § 64.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
161
Auch die beiden anderen erwähnten Defizite, die auf dem Akzessorietätserfordernis beruhen, nämlich die Behinderung der Ausbildung einer eigenständigen, gleichberechtigten Nichtdiskriminierungsdogmatik und die unangemessene Ausdehnung freiheitsrechtlicher Schutzbereiche, werden mit dem ZP 12 weitgehend hinfällig. So wird sich die bisherige freiheitsrechtliche Lösung von der Sache nach gleichheitsrechtlichen Problemen in Zukunft weniger anbieten. Art. 1 ZP 12 EMRK bietet in dieser Hinsicht eine neue Basis für ein zeitgemäßes Nichtdiskriminierungsrecht. Das klingt bereits in der abweichenden Meinung des Richter Zupančič im Fall Zdanoka (2006) an: “[P]rotocol No. 12 will bring discrimination as such into play.”526 Ebenso heißt es in dem grundlegenden Urteil Nachova (2004): “[M]ember States have expressed their resolve to secure better protection against discrimination by opening for ratification Protocol No. 12 to the Convention.”527 Selbstverständlich bedarf es unter dem ZP 12 nicht mehr der dogmatisch bedenklichen Ausweitung der freiheitsrechtlichen Schutzbereiche – insbesondere dem der Eigentumsgarantie –, um das Diskriminierungsverbot anwendbar zu machen. Es zeigt sich also, dass das ZP 12 mit seinem allgemeinen Diskriminierungsverbot eine geeignete Antwort auf die oben aufgestellten drei Kritikpunkte am Akzessorietätserfordernis darstellt.
cc) Exkurs: Grenzen des allgemeinen Diskriminierungsverbots in Art. 1 ZP 12 EMRK Das allgemeine Diskriminierungsverbot in Art. 1 ZP 12 EMRK enthält – ebenso wie Art. 14 EMRK – keine Ausnahme- oder Schrankenklausel.528 Nach dem erläuternden Bericht des Europarats zu ZP 12 ist jedoch eine konzeptionelle Kontinuität beabsichtigt, so dass die Rechtfertigungsfähigkeit (und -bedürftigkeit) von prima facie diskriminieren-
526
EGMR, 16.03.2006, Zdanoka, Nr. 58278/00.
527
EGMR (GK), 06.07.2005, Nachova, RJD 2005-VII = EuGRZ 2005, S. 693, § 168. 528
Dies steht im Einklang mit der Doppelnatur des Diskriminierungsverbots, dem neben der subjektivrechtlichen Dimension auch der Charakter eines Rechtsprinzips zukommt, zu dem es keine Ausnahmen, sondern nur andere kollidierende Prinzipien geben kann. Zu diesem Merkmal eines Rechtsprinzips vgl. Ronald Dworkin, Taking Rights Seriously, Cambridge 1977, pp. 22-28; zum konventionsrechtlichen Prinzip der Rechtsgleichheit s. S. 253 f.
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3. Teil
dem Verhalten weiterhin besteht.529 Der Diskriminierungsbegriff unter der EMRK selbst ist, wie oben gezeigt, dadurch bestimmt, dass er die Nichtrechtfertigung der Art und Weise einer Behandlung voraussetzt, diese ihm wesenseigentümlich ist.530 Neben dieser im Diskriminierungsbegriff selbst enthaltenen Beschränkung auf nichtrechtfertigungsfähige Behandlungen wird Art. 1 ZP 12 EMRK durch weitere Anwendungsbedingungen begrenzt. Diese vier tatbestandlichen Anwendungsbedingungen des Art. 1 ZP 12 EMRK sind: die Beschränkung auf Rechte, die zur Zeit der Beschwerdeeinlegung existent sein müssen und durch ein Gesetz gewährt werden; darüber hinaus muss das diskriminierende Verhalten der öffentlichen Gewalt zurechenbar sein. Die erste Einschränkung des Anwendungsbereichs besteht darin, dass sich die Ungleichbehandlung auf „Rechte“, und nicht etwa auf bloße „Erwartungen“ oder sonstige rechtlich nicht geschützte „Interessen“ beziehen muss.531 Bei diesen „Rechten“ kann es sich sowohl um solche des nationalen wie des internationalen Rechts handeln.532 Diese Auslegung trifft besonders auf Vorbehalte der Vertragstaaten, die einem dualistischen Ansatz folgen, also der Vorstellung einer Trennung von Völkerrecht und staatlichem Recht als zwei selbständige Rechtsordnungen.533 Dies gilt vor allem für Großbritannien und einige skandinavischen Staaten, die das ZP 12 bislang nicht unterzeichnet bzw. ratifiziert haben.534 Fraglich ist allerdings, ob man so weit gehen darf, auch nicht-subjektive, völkervertragsrechtlich gewährte Rechte, etwa solche aus der Europäischen Sozialcharta (ESCh)535, unter das Tatbestandsmerkmal der 529 530
Explanatory Report (Fn. 435), §§ 18, 19. Vgl. oben S. 124 ff., insbes. S. 126.
531
Den Wert als echte Anwendungsbereichsbeschränkung bezweifeln Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 47. 532
Vgl. Explanatory Report (Fn. 435), § 29; Clare Ovey/Robin C.A. White, The European Convention on Human Rights, 4th ed., Oxford 2006, p. 360. 533
Zu den Erklärungsmodellen des Monismus-Dualismus vgl. Herdegen (Fn. 121), § 22, S. 155 ff., Rn. 1 ff. m.w.N. 534 Vgl. die Übersicht über den Stand der Ratifikationen unter http:// www.conventions.coe.int/Treaty/Commun/ChercheSig.asp?NT=177&CM=7& DF=3/26/2007&CL=GER (Stand: 26.03.2007; letzter Aufruf: 15.01. 2009). 535
European Social Charter, 18.10.1961 bzw. 03.05.1996, ETS Nr. 35 bzw. 163 (revidierte Fassung); BGBl II 1964, 1262.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
163
„Rechte“ in Abs. 1 zu fassen.536 Nach hier vertretener Ansicht ist dies abzulehnen. Das Diskriminierungsverbot hat funktional nicht der Schaffung von mehr subjektiven Rechten, sondern dem Schutz vor der ungerechten Verkürzung bzw. der ungerechten Verteilung bestehender subjektiver Rechte (als wichtige Mittel des So-Sein-Könnens) zu dienen. Auch dürfte es unzulässig sein, mittels eines weiten Diskriminierungsverbots andere menschenrechtliche Kontrollmechanismen, im Fall der Europäischen Sozialcharta das Berichtsverfahren gemäß Art. 21 ff. ESCh, zu umgehen.537 Die unmittelbare Heranziehung von Rechten der Europäischen Sozialcharta als durch das Völkerrecht gewährte „Rechte“ im Sinne von Art. 1 ZP 12 EMRK kommt somit nicht in Betracht.538 Die relevanten Rechte müssen zweitens auch im Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung existent sein, d.h. es darf sich nicht um zukünftige, bloß in Aussicht gestellte Rechte handeln. Diese Einschränkungen ergeben sich bereits aus dem Gebot der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Eine positive Pflicht zur Einführung bisher nicht vorhandener sozialer Leistungsrechte (etwa die Einführung eines Anspruchs auf das Existenzminimum) kann sich nach wie vor nicht auf das Diskriminierungsverbot stützen. Die dritte Einschränkung des Anwendungsbereichs betrifft die Rechtsquelle der „Rechte“, hinsichtlich derer eine Diskriminierung behauptet wird. In der bereinigten deutschen Sprachfassung ist von „gesetzlich niedergelegten Rechten“ die Rede, während die allein verbindlichen Textfassungen des Englischen von „any right set forth by law“ bzw. des Französischen von „tout droit prévu par la loi“ sprechen. Zumindest die 536
So wohl König/Peters (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 46, die sich auf die Fallgruppen des erläuternden Berichts beziehen. 537
So auch Stefan Trechsel, Überlegungen zum Verhältnis zwischen Art. 14 EMRK und dem 12. Zusatzprotokoll, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Gleichheit und Nichtdiskriminierung im nationalen und internationalen Menschenrechtsschutz, Berlin [u.a.] 2003, S. 119, 127; vgl. den Explanatory Report (Fn. 435), § 29. 538
Anders aber Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 46: „Das neue Diskriminierungsverbot verbindet (...) die Konvention mit der Sozialcharta und überwindet auf europäischer Ebene die Trennung zwischen politisch/bürgerlichen und wirtschaftlich/sozialen Rechten.“ Nach hier vertretener Ansicht kann die Europäische Sozialcharta nur mittelbar bei der Prüfung des Vorhandenseins eines europäischen Konsenses bzw. eines einheitlichen Standards eine Rolle spielen, vgl. oben S. 160. Zur denkbaren Erfassung auch nicht-subjektiver Rechte unter Art. 1 Abs. 2 ZP 12 EMRK s. sogleich unter S. 164.
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3. Teil
englische Fassung erscheint weiter als die deutsche, da als „law“ nicht bloß Gesetze im formellen Sinn bezeichnet werden, sondern auch die administrative Rechtsetzung.539 Problematisch könnte das einschränkende Merkmal der Rechtsquelle beispielsweise sein, wenn eine Diskriminierung in Bezug auf Betriebsrentenansprüche eines staatlichen Unternehmens behauptet wird. Die Einschränkung bezüglich der Rechtsquelle wird allerdings durch den zweiten Absatz von Art. 1 ZP 12 EMRK wieder relativiert: Indem in Absatz 2 jede Ausübung öffentlicher Gewalt, insbesondere auch das Realhandeln der Verwaltung und auch die Tätigkeit der Rechtsprechung, an das allgemeine Diskriminierungsverbot gebunden wird, verliert der Nachweis eines subjektiven öffentlichen Rechts nach Absatz 1 in der Tat seine Beschränkungsfunktion.540 Es wird die Aufgabe des Gerichtshofs sein, das durch den zweiten Absatz des Art. 1 ZP 12 EMRK nochmals erweiterte allgemeine Diskriminierungsverbot rechtlich einzuhegen. Im Zusammenhang mit dem Problem der Rechtsquelle steht die vierte Einschränkung des Anwendungsbereichs, die sich aus einer systematischen Interpretation der beiden Absätze des Art. 1 ZP 12 EMRK sowie dem Schutzzweck des Diskriminierungsverbots ergibt: Nach dieser Einschränkung muss die Diskriminierung einer Behörde, genauer der öffentlichen Gewalt („public authority“), zurechenbar sein.541 Ausweislich des erläuternden Berichts ist der Begriff der „öffentlichen Gewalt“ in Art. 1 Abs. 2 ZP 12 identisch mit dem in Art. 8 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 1 EMRK.542 Daraus ergibt sich eine Beschränkung in Fällen der passiven Diskriminierung: Diskriminierungen durch Private sind nur bei gleichzeitiger Verletzung staatlicher Schutzpflichten konventionsrechtlich relevant.543 Eine unmittelbare Drittwirkung des ZP 12 ist ausgeschlossen.
539
Vgl. den Eintrag „law“ in: Black’s Law Dictionary, ed. by Bryan A. Garner, 7th ed., St. Paul/Minn. 1999, p. 889. Vgl. auch Gerards (Fn. 434), p. 41. 540
Vgl. Explanatory Report (Fn. 435), § 30.
541
Dies ergibt sich auch aus einer Zusammenschau der vier Fallgruppen, die der Bericht exemplarisch anführt, vgl. Explanatory Report (Fn. 435), § 22. 542 543
Explanatory Report (Fn. 435), § 30.
Ausführlich zur Rechtsfigur der passiven Diskriminierung s. unten S. 304 ff., zur Schutzpflichtkonstellation s. insbes. S. 316 ff.
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165
D. Grenzen der Gleichheit I: Der Vergleichbarkeitstest als Anwendungsbedingung des Diskriminierungsverbots 1. Der Vergleichbarkeitstest in der Rechtsprechung des EGMR a) Bedingungen der Vergleichbarkeit In der Rechtsprechung zum Gleichheitsrecht, der nationalen wie der internationalen, wird regelmäßig verlangt, dass der Beschwerdeführer eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu Personen in ähnlicher Lage darlegt (sog. Vergleichbarkeitstest).544 Unvergleichbares soll nicht „vergleichbar“ gemacht werden, so die vordergründig einleuchtende Überlegung. Auch der EGMR fordert in ständiger Rechtsprechung, dass die Situation des Beschwerdeführers vergleichbar ist mit derjenigen der Personen, auf deren Andersbehandlung der Beschwerdeführer Bezug nimmt.545 Soweit ersichtlich hat der EGMR auf den Vergleichbarkeitstest zum ersten Mal im Fall Marckx (1979) ausdrücklich Bezug genommen, in dem es um die fehlende Gleichstellung unehelicher Kinder im belgischen Familien- und Erbrecht ging.546 Der Vergleichbarkeitstest wird vom EGMR in verschiedener Weise umschrieben: In den meisten Fällen wird das Vorliegen einer „analogen Situation“ („analogous situations“) oder – weniger oft – das einer „vergleichbaren Situation“ („comparable/similar situations“) verlangt. Vor allem in jüngerer Zeit formuliert der Gerichtshof häufig, dass die Sachverhalte bzw. Personen „bezüglich der relevanten Umstände ähnlich“ („relevantly similar situations“) zu sein hätten.547 Eine Variierung der 544
Zum Vergleichbarkeitstest im Kontext nationaler Diskriminierungsverbote: Zu s. 15 Canadian Charter of Rights and Freedoms vgl. CSCt, Law v. Canada (Minister of Employment and Immigration), [1999] 1 S.C.R. 497 und CSCt, Hodge v. Canada (Minister of Human Resources Development), [2004] 3 S.CR. 357, 2004 SCC 65; zu Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EG vgl. EuGH, 19.10.1977, Rs. 117/76, Ruckdeschel v. Hauptzollamt Hamburg, Slg. 1977, 1753, §§ 7 f. 545
St. Rspr., vgl. nur EGMR (K), 12.12.2006, Burden und Burden, Nr. 13378/05, §§ 60 ff.; vgl. Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 120. 546
EGMR, 13.06.1979, Marckx, Serie A 31 = NJW 1979, S. 2449, § 32; vgl. Gerards (Fn. 31), p. 127. 547
„Analogous situations“: z.B. EGMR, 28.11.1984, Rasmussen, Serie A 87 = NJW 1986, S. 2176, § 35; EGMR, 12.01.2006, Mizzi, RJD 2006-I = EuGRZ 2006, S. 129, § 130; „relevantly similar situations“: z.B. EGMR, 22.05.2008, Petrov, Nr. 15197/02, § 52; EGMR (K), 12.12.2006, Burden und Burden, Nr. 13378/05, § 60; „comparable/similar situations“: z.B. EGMR, 29.04.1999, Chas-
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3. Teil
Prüfungsdichte ist mit den verschiedenen Umschreibungen allerdings nicht verbunden; trotz der Verschiedenheit der Formulierungen handelt es sich stets um denselben Vergleichbarkeitstest. Zu Recht wird an dieser Rechtsprechung des EGMR kritisiert, dass der Gerichtshof – wie auch der UN-Menschenrechtsausschuss beim allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz des Art. 26 IPbpR – keinen dogmatisch kohärenten Ansatz zur Bestimmung der Vergleichbarkeit der Sachverhalte bzw. Personen verfolgt, sondern eher kasuistisch entscheidet.548 Der Vergleichbarkeitstest bereitet allerdings auch ganz grundsätzliche Probleme, die zum Kern des rechtlichen Gleichheitsproblems führen. So hat die Diskussion des vorrechtlichen Gleichheitsbegriffs im ersten Teil dieser Arbeit gezeigt, dass über die Frage, „was“ bzw. „wer“ gleich ist (und damit gleich behandelt werden soll) begründete Uneinigkeit besteht, solange die (normativen) Gleichheitsmaßstäbe notwendig umstritten sind. Es ist daher nicht verwunderlich, dass in den schwierigen Fällen gerade die Vergleichbarkeit der Sachverhalte auch innerhalb des Gerichtshofs höchst umstritten ist und häufig zu abweichenden Meinungen führt. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Fall Burden (2008).549 In diesem Fall wehrten sich zwei unverheiratete Schwestern, geboren 1918 und 1925, gegen eine britische Erbschaftssteuerregelung. Die beiden Schwestern haben ihr gesamtes Leben zusammen verbracht; in den letzten 30 Jahren bewohnten beide ein Haus auf einem von ihren Eltern ererbten Grundstück. Das Haus gehörte beiden Schwestern zu gleichen Teilen. Da der Wert des Hausgrundstücks den einer steuerrechtlichen Befreiungsregelung überstieg, mussten die beiden Schwestern damit rechnen, dass die eine – beim Ableben der anderen – das Hausgrundstück würden verkaufen müssen, um die Erbschaftssteuer bezahlen zu können. Die beiden Schwestern beriefen sich darauf, dass ihr familiäres Verhältnis dem einer Ehe oder einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft ähnlich sei, für die es im britischen Recht – anders als für das geschwisterliche Verhältnis – weitergehende steuerliche Befreiungsvorschriften gebe. sagnou, RJD 1999-III = NJW 1999, S. 3695, § 92; EGMR, 26.11.1991, The Sunday Times (Nr. 1), Serie A 217 = EuGRZ, 1979, S. 386, § 58. 548
Gerards (Fn. 31), S. 127; zum Vergleichbarkeitstest bei Art. 26 IPbpR s. oben S. 67 ff. 549
EGMR (K), 12.12.2006, Burden und Burden, Nr. 13378/05; vgl. daraufhin ergangene Entscheidung der Großen Kammer: EGMR (GK), 29.04.2008, Burden und Burden, Nr. 13378/05. Vgl. auch den ähnlich gelagerten Fall des EGMR, 12.05.2009, Korelc, Nr. 28456/03, §§ 70 ff.
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Im Rahmen der Vergleichbarkeitsprüfung erwähnt der EGMR in diesem Fall zunächst die Vergleichsgruppe, auf deren Andersbehandlung die Beschwerdeführerinnen Bezug nehmen, hier Eheleute und Partner einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. Dann referiert der Gerichtshof wie üblich die Gegenansicht des Vertragstaates. In der sich anschließenden eigenen Beurteilung führt der Gerichtshof zunächst die Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen an, ohne diese rechtlich zu würdigen. In diesem Fall verweist der EGMR auf die Blutsverwandtschaft als Charakteristikum der Geschwisterbeziehung und das Verbot der Ehe (bzw. gleichgeschlechtlichen Partnerschaft) unter Geschwistern. Darauf folgt die rechtliche Bewertung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der aufgefundenen Vergleichsgruppen. Im vorliegenden Fall verweist der Gerichtshof auf den besonderen Status, den die Ehe gewähre, der überdies auch durch Artikel 12 EMRK geschützt werde. Der Schutz der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft sei dem einer Ehe zumindest angenähert. Diese freiwilligen Personenverbindungen seien von anderen Formen des Zusammenlebens zu unterscheiden. Der Gerichtshof verortet den wesentlichen Grund für deren Verschiedenheit in der Existenz einer „öffentlichen Verbindung“ („public undertaking“): “Rather than the length or the supportive nature of the relationship, what is determinative is the existence of a public undertaking, carrying with it a body of rights and obligations of a contractual nature. Just as there can be no analogy between married and Civil Partnership Act couples, on one hand, and heterosexual or homosexual couples who choose to live together but not to become husband and wife or civil partners, on the other hand (...), the absence of such a legally binding agreement between the applicants renders their relationship of co-habitation, despite its long duration, fundamentally different to that of a married or civil partnership couple” [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.].550 Letztlich wird die Vergleichbarkeit der engen geschwisterlichen Beziehung mit dem Verhältnis von Ehe bzw. gleichgeschlechtlichen Partnern damit aus zwei Gründen abgelehnt: Erstens fehle es an einer verdichteten Institutionalisierung der Geschwisterbeziehung im nationalen Recht. Geschwister könnten keine ehe- oder partnerschaftsähnliche Beziehung eingehen, da das nationale Recht eine solche Institution nicht vorsehe. Sie seien de iure an der Herbeiführung von Rechtsfolgen ge550
EGMR (GK), 29.04.2008, Burden und Burden, Nr. 13378/05, § 65.
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3. Teil
hindert, die eine Vergleichbarkeit mit den gewünschten Vergleichsgruppen begründen könnte. Diese Argumentation des Gerichtshofs mutet zirkulär an; zumindest ist es bedenklich, dass die Aktivierung des konventionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes davon abhängig gemacht wird, dass das nationale Recht an die jeweiligen Sachverhalte ähnliche Rechtsfolgen knüpft. Damit wird im Ergebnis eine eigene Vergleichbarkeitsprüfung des Gerichtshofs aufgegeben zugunsten der Einschätzung des nationalen Gesetzgebers. Zweitens argumentiert der Gerichtshof in diesem Fall mit einem „Erst-recht-Schluss“ oder einer gleichsam geometrischen Verschiedenheit der familiären Beziehungen: Wenn schon ein wesentlicher Unterschied zwischen der ehelichen Verbindung und nicht-ehelichen Partnerschaften bestünde, dann müssten davon erst recht alle übrigen Formen des Zusammenlebens unterschieden werden. Zur Unterstützung dieser These verweist der EGMR auf die eigene, frühere Rechtsprechung.551 In einem letzten Schritt erwähnt der Gerichtshof die aus seiner Sicht irrelevanten Vergleichskriterien: Im Fall Burden erklärt der EGMR die Dauer und das Wesen der Beziehung als Solidaritäts- und Sozialgemeinschaft für die Frage der Vergleichbarkeit im Rahmen der Diskriminierungsprüfung für unerheblich. Eine nähere Begründung wird dafür nicht gegeben. Der Fall Burden, aber auch andere Beispiele552 zeigen, dass der EGMR in schwierigen Fällen hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Sachverhalte letztlich maßgeblich auf die Einschätzung des nationalen Gesetzgebers rekurriert und auf die Verschiedenheit des Status und der Rechtsfolgen im nationalen Recht verweist. Zwar wird die Subsidiarität des konventionsrechtlichen Menschenrechtsschutzes vom EGMR im Rahmen der Vergleichbarkeitsprüfung nicht ausdrücklich als Argument für dieses Vorgehen verwendet, nur so ist aber der – auch innerhalb des Gerichts-
551 Vgl. den Fall des EGMR, 27.04.2000, Shackell, Nr. 45851/99, in dem der Gerichtshof die unterschiedliche Behandlung von unverheirateten Lebenspartnern im Todesfall des einen und Verwitweten hinsichtlich bestimmter Sozialleistungen für gerechtfertigt angesehen hat. 552
Vgl. für einen ähnlichen Fall EGMR, 23.11.1983, van der Mussele, Serie A 70 = EuGRZ 1985, S. 477, § 46, in dem die fehlende Vergleichbarkeit mit den unterschiedlichen Rechtsfolgen, die das nationale Recht an pro deo-Anwälte einerseits und die übrigen juristischen Professionen andererseits knüpfte; vgl. dazu auch Gerards (Fn. 31), p. 127.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
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hofs nicht unumstrittene553 – Verweis auf das nationale Recht zu erklären. Allerdings stellt der EGMR auch im Fall Burden kein Kriterium oder Prüfungsprogramm auf, anhand dessen die Vergleichbarkeit von Sachverhalten bzw. Situationen von Personen überprüfbar wäre. Der EGMR hat auch in seiner übrigen Rechtsprechung nur sehr allgemein zu der Frage der Vergleichbarkeitsbestimmung Stellung bezogen. Richtigerweise muss der Ausgangspunkt die subjektive Einschätzung des Beschwerdeführers sein, also die Sicht des Betroffenen, mit wem er sich verglichen wissen will.554 In diesem Sinne obliegt es auch dem Beschwerdeführer, den Nachweis der Vergleichbarkeit mit der gewünschten Vergleichsgruppe zu führen: Der Beschwerdeführer muss die Umstände darlegen, aus denen sich ergibt, dass er sich bezüglich der relevanten Aspekte in einer vergleichbaren Situation wie derjenige befindet, auf dessen Andersbehandlung er verweist.555 Der Gerichtshof muss im Rahmen der sich anschließenden Würdigung nicht bloß die subjektive Sicht des Beschwerdeführers berücksichtigen, sondern selbst eine objektive Situationsbeurteilung anstellen, bei der folgende Kriterien eine Rolle spielen können: die zeitlich und örtlich relative Bewertung von lebensweltlichen Vorgängen,556 die Natur bzw. der Zweck des jeweils verfolgten Interesses bzw. der angestrebten Begünstigung557 sowie der
553
Vgl. die abweichende Meinung des Richters David Thór Björgvinsson im Fall EGMR (GK), 29.04.2008, Burden und Burden, Nr. 13378/05, Annex. 554
So auch CSCt, Law v. Canada (Minister of Employment and Immigration), [1999] 1 S.C.R. 497, § 58. 555 556 557
Vgl. Schweizer (Fn. 437), Art. 14 EMRK, Rn. 37. Vgl. Schweizer (Fn. 437), Art. 14 EMRK, Rn. 36.
EGMR, 10.10.2006, Paulik, Nr. 10699/05, § 54. Vgl. auch EGMR, 31.03.2009, Weller, Nr. 44399/05, §§ 30 ff.: In diesem Fall untersuchte der EGMR den Zweck einer finanziellen Unterstützung von Müttern („maternity benefit“); die Vergleichbarkeit des beschwerdeführenden Vaters mit den anspruchsberechtigten Müttern hing davon ab, ob es sich um eine Ausgleichszahlung aufgrund der Mutterschaft als solcher oder um eine Zuwendung zur Unterstützung neugeborener Kinder handelte. Wegen des weit gefassten Kreises der Anspruchsberechtigten, der u.a. auch Adoptiveltern umfasste, kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass es sich um eine Zuwendung zur Unterstützung neugeborener Kinder handelte. Somit befand sich der beschwerdeführende Vater mit den anspruchsberechtigten Müttern in einer vergleichbaren Situation.
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3. Teil
gerügte Differenzierungsgrund.558 Ferner hängt die Vergleichbarkeit auch von dem Vergleichsgegenstand ab: Beispielsweise werden Ehepaare und unverheiratete Lebenspartner hinsichtlich der steuerlichen Behandlung für unvergleichbar gehalten, während sie hinsichtlich der familienrechtlichen Beziehungen zu ihren gemeinsamen Kindern durchaus vergleichbar sind.559 Ebenso befinden sich nach der Rechtsprechung des EGMR verheiratete und unverheiratete Gefängnisinsassen in einer vergleichbaren Situation hinsichtlich des Rechts, mit ihrem Partner telefonisch Kontakt aufzunehmen.560 Ein weiterer Grundsatz ist, Inlands- und Auslandssachverhalte in der Regel für unvergleichbar zu erachten. So hat der EGMR im Fall Sunday Times festgestellt, dass eine Vergleichbarkeit nur unter derselben Hoheitsgewalt in Betracht kommt; Rechtssubjekte unter einer fremden Hoheitsgewalt können nicht in relevanter Hinsicht vergleichbar sein.561 Daher konnte sich eine britische Beschwerdeführerin, die nach Südafrika ausgewandert war, nicht darauf berufen, dass sie sich hinsichtlich der inflationsbedingten Anpassung ihrer in Großbritannien erworbenen Rentenansprüche in einer vergleichbaren Situation mit in Großbritannien lebenden Berechtigten befand: “(...) [The Court, Verf.] considers that individuals ordinarily resident within the Contracting State are not in a relevantly analogous situation to those residing outside the territory insofar as concerns the operation of pension or social security systems.”562
558
Die Bestimmung der Vergleichsgruppe ist in der Regel einfach, wenn eine Geschlechterdiskriminierung gerügt wird: Hier bildet eine Gruppe des jeweils anderen Geschlechts die Vergleichsgruppe, vgl. Mark Bell, Direct Discrimination, in: Dagmar Schiek/Lisa Waddington/ders. (eds.), Cases, Materials and Text on National, Supranational and International Non-Discrimination Law, Oxford [et al.] 2007, p. 185, 208. 559
Dieses Beispiel bringen Frowein/Peukert (Fn. 455), Art. 14 EMRK, Rn. 19 (Voraufl.); vgl. Waldmann (Fn. 141), S. 320. 560
EGMR, 22.05.2008, Petrov, Nr. 15197/02, § 53.
561
EGMR, 26.11.1991, The Sunday Times (Nr. 1), Serie A 217 = EuGRZ, 1979, S. 386, § 58; EGMR, 26.11.1991, Observer und Guardian, Serie A 217 = EuGRZ 1995, S. 16, § 73; Heringa/van Hoof (Fn. 462), p. 1038; für einen Ausnahmefall, den der MRA angenommen hat, s. oben S. 69. 562
EGMR (K), 04.11.2008, Carson u.a., Nr. 42184/05, § 78. Dies hat die Große Kammer nunmehr bestätigt, s. EGMR (GK), 16.03.2010, Carson u.a., Nr. 42184/05.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
171
Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch zu erwähnen, dass die Vergleichbarkeit davon abhängen kann, ob zwischen zwei Staaten eine völkerrechtliche Vereinbarung bezüglich der Gewährung bestimmter sozialer Vergünstigungen besteht oder nicht; in solchen Fällen geht der Gerichtshof von einem sehr weiten Beurteilungsspielraum der Vertragstaaten aus.563 Der Maßstab der Vergleichbarkeit darf nach Ansicht des Gerichtshofs nicht zu streng gefasst werden: “(...) the fact that there are some differences between two or more individuals does not preclude them from being in sufficiently comparable positions and from having sufficiently comparable interests.”564
b) Diskriminierungsprüfung ohne Vergleichbarkeitstest Das Auffinden der einschlägigen Vergleichsgruppe kann sich in einigen Fällen als schwierig oder sogar unmöglich erweisen. Dies betrifft insbesondere die Fälle der Benachteiligung aufgrund der sexuellen Identität sowie die aufgrund der Schwangerschaft. In diesen Fällen lässt sich keine sinnvolle Gruppe von Andersbehandelten bilden, da die besondere Eigenschaft (z.B. die der Schwangerschaft) sich oft in keiner anderen sozialen Gruppe spiegeln lässt: Benachteiligungen aufgrund der sexuellen Identität betreffen – in realistischer Betrachtung – stets nur Homo-, Bi- oder Transsexuelle, nicht aber Heterosexuelle; Benachteiligungen wegen der Schwangerschaft können nur Frauen betreffen. Alle Versuche, hier Vergleichsgruppen zu bilden, muten lebensfremd an, etwa wenn eine Schwangere mit einem „kranken Mann“ verglichen würde.565 Die erste Strategie des Gerichtshofs besteht darin, in vielen dieser Problemfälle die eingehende Prüfung der Vergleichbarkeit zu umgehen, indem er bisweilen – aus Gründen der Subsidiarität des Art. 14 EMRK – 563
EGMR (K), 04.11.2008, Carson u.a., Nr. 42184/05, §§ 79, 81. Im Fall Carson befand sich die Beschwerdeführerin, deren Rentenansprüche mangels eines sog. „up-rating agreements“ zwischen Großbritannien und Südafrika auf dem Stand des Jahres 2000 eingefroren waren, somit nicht in einer vergleichbaren Situation mit Rentenberechtigten in Ländern, mit denen Großbritannien ein solches Abkommen geschlossen hatte. Vgl. auch EGMR, 29.10.2009, Si Amer, Nr. 29137/06, §§ 33 ff. 564
EGMR, 10.10.2006, Paulik, Nr. 10699/05, § 54; vgl. auch EGMR, 12.01.2006, Mizzi, RJD 2006-I = EuGRZ 2006, S. 129, § 131. 565
Darauf weist Bell (Fn. 558), S. 206 hin.
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3. Teil
die substantiellen Argumente unter einem Freiheitsrecht, insbesondere dem Recht auf Achtung des Privatlebens, Art. 8 EMRK, erfasst, so vor allem in den Transsexuellen-Fällen Goodwin (2002)566 und I. v. Vereinigtes Königreich (2002)567. Hier zeigt sich einmal mehr, dass die aus der Akzessorietät vom EGMR gefolgerte Subsidiarität des Diskriminierungsverbots in Art. 14 EMRK der Ausbildung einer umfassenden Nichtdiskriminierungsdogmatik entgegensteht.568 Die zweite, ebenfalls nicht unproblematische Strategie des EGMR, in schwierigen Fällen den Vergleichbarkeitstest zu umgehen, ist darin zu erblicken, dass die Vergleichbarkeit des Beschwerdeführers mit der Gruppe der Andersbehandelten vom Gerichtshof unterstellt wird. Die Bestimmung einer Vergleichsgruppe unterbleibt dann ganz. Dies geschieht vor allem dann, wenn es sich um „verdächtige“ Differenzierungsgründe handelt, bei denen der EGMR eine strengere Verhältnismäßigkeitskontrolle vornimmt: Geschlecht, sexuelle Orientierung, nichteheliche Geburt bzw. Vaterstellung, Religion und nationale Herkunft.569 Bei einigen der genannten Differenzierungsgründen erscheint dies vertretbar: So darf die Vergleichbarkeit von Männern und Frauen im Regelfall vermutet werden; die Vergleichbarkeit von ehelichen und unehelichen Kindern wird unwiderleglich vermutet. Dies lässt sich damit begründen, dass kaum Situationen denkbar sind, in denen die Eigenschaft als Mann oder Frau bzw. als eheliches oder uneheliches Kind ein sozial relevantes und ethisch akzeptables Unterscheidungsmerkmal darstellen kann.570 Weitere Konstellationen, in denen der EGMR die Vergleichbarkeit unterstellt, liegen dann vor, wenn dieselben Erwägungen, die die Vergleichbarkeit begründen, auch auf der Rechtfertigungsebene relevant sind, wenn die prozessuale Effizienz dies erfordert oder wenn eine weitreichende Überprüfung des nationalen Rechts vermieden werden soll.571
566 567 568
EGMR, 11.07.2002, Goodwin, RJD 2002-VI = MR 1996, S. 123. EGMR, 11.07.2002, I. v. Vereinigtes Königreich, Nr. 25680/94. Dazu ausführlich oben S. 142 ff., 158.
569
Vgl. Gerards (Fn. 31), p. 130 ff. m.w.N. Zur strengeren Verhältnismäßigkeitskontrolle bei diesen Differenzierungsgründen s. unten S. 197 ff. 570 571
So Gerards (Fn. 31), p. 131.
Vgl. zu diesen Konstellationen ausführlich Gerards (Fn. 31), p. 133 ff. m.w.N.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
173
2. Gründe für einen Vergleichbarkeitstest Die Begründung, weswegen ein vorgeschalteter Vergleichbarkeitstest durchzuführen ist, stützt sich im Wesentlichen auf drei Argumente: ein konzeptionelles Argument, rechtspraktische Argumente und ein rechtspolitisches Argument. Das konzeptionelle Argument lautet vereinfacht: Das Vorliegen einer vergleichbaren Situation ist Bedingung der Möglichkeit, eine (ungerechtfertigte) Andersbehandlung oder Diskriminierung festzustellen. Bei dem allgemeinen Gleichheitssatz wie auch bei dem Diskriminierungsverbot handelt es sich um Rechte mit einem komparativen Element.572 Dieses komparative Element ist fundamental angelegt in der aristotelischen Bestimmung des Rechtsprinzips der formalen Gleichbehandlung: Gleiche sind gleich, Ungleiche ungleich zu behandeln.573 Daraus folgt unter anderem, dass wenn zwei Personen sich in einer vergleichbaren Situation befinden, sie auch die gleiche Behandlung erfahren sollen, d.h. dass auf sie dieselben Rechtsfolgen anzuwenden sind. Im Kontext des Diskriminierungsverbots bedeutet das komparative Element, dass bei der Bestimmung der Vergleichbarkeit auf bestimmte personenbezogene Unterschiede, wie z.B. der der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Behinderung, keine Rücksicht genommen werden darf. Die Notwendigkeit einer vorrangigen Vergleichbarkeitsprüfung bei allen Ausprägungen des Gleichheitsrechts gründet also letztlich in der relationalen Struktur des Gleichheitsbegriffs selbst.574 Für den Vergleichbarkeitstest werden neben dem konzeptionellen Aspekt auch rechtspraktische Gründe angeführt: seine (scheinbare) Einfachheit und Objektivität.575 Nach dieser Begründung ergebe sich die Vergleichbarkeit bloß aus den Fakten selbst.576 Zudem wird die An572
Heringa/van Hoof (Fn. 462), p. 1036; Michael Banton, Discrimination Entails Comparison, in: Titia Loenen/Peter R. Rodrigues (eds.), Non-Discrimination Law: Comparative Perspectives, The Hague 1999, p. 117. 573 Zum Rechtsprinzip der formalen Gleichbehandlung s. ausführlich unten S. 414 ff. 574
Zur relationalen Struktur des Gleichheitsbegriffs s. oben S. 8.
575
Vgl. zu den rechtspraktischen Gründen für den Vergleichbarkeitstest auch Gerards (Fn. 31), p. 58 ff. 576
William T. Blackstone, On the Meaning and Justification of the Equality Principle, in: id. (ed.), The Concept of Equality, Minneapolis 1969, p. 117: “[Q]uestions of relevance are factual or descriptive claims, straightforwardly verifiable or falsifiable” (zit. bei Gerards [Fn. 31], p. 58).
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3. Teil
nahme eines vorrangigen Vergleichbarkeitstests darauf gestützt, dass dieser zu einer größeren Genauigkeit und Klarheit in der Bewertung der Ungleichbehandlung führe und dass die Argumentation mit tatsächlich bestehenden Ungleichheiten besser akzeptabel sei.577 Schließlich wird ein rechtspolitischer Grund angeführt: die Entlastung des Gerichtshofs. Indem der Gleichheitsrechtsprüfung die Vergleichbarkeitsprüfung als „Filter“ vorgeschaltet werde, könne man die komplexere Rechtfertigungsprüfung vermeiden.578 In der Tat hat der EGMR von dieser „Filterfunktion“ in der Vergangenheit häufig Gebrauch gemacht und in einigen Fällen die Vergleichbarkeit abgelehnt; dann ist die Auseinandersetzung mit den materiellen Argumenten, die die Rechtfertigung der Ungleich- (bzw. Gleich-)behandlung betreffen, entbehrlich.579 Eine nähere Untersuchung dieser Argumente für einen Vergleichbarkeitstest erhellt das Problematische.
3. Kritik am Vergleichbarkeitstest Die Frage nach der „richtigen“ Vergleichsgruppe ist, wie angemerkt, oft umstritten. Zugleich kann aber gerade die Wahl der Vergleichsgruppe für den Erfolg einer Beschwerde entscheidend sein. Das zeigt nicht zuletzt der oben dargestellte Fall Burden, in dem der Gerichtshof es ablehnte, das enge, geschwisterliche Verhältnis erbschaftssteuerrechtlich mit dem ehe- oder lebenspartnerschaftlichen Verhältnis für vergleichbar zu halten. Die Spannung zwischen der Bedeutung des Vergleichbarkeitstests für das Ergebnis einerseits und die mangelhafte dogmatische Handhabbarkeit andererseits führen dazu, dass die von den Gerichten und Rechtsprechungsorganen vorgenommene Vergleichbarkeitsprüfung im Schrifttum seit langem kritisiert wird. Die vorgebrachten Einwände sind grundsätzlicher Natur und lassen sich auf alle Gleichheitsrechte übertragen:
577 578 579
Zu diesen Argumenten vgl. wiederum Gerards (Fn. 31), p. 59. Vgl. Heringa/van Hoof (Fn. 462), p. 1039.
Vgl. nur EGMR, 18.12.1986, Johnston, Serie A 112 = EuGRZ 1987, S. 313, § 60; EGMR, 23.11.1983, van der Mussele, Serie A 70 = EuGRZ 1985, S. 477, § 46; EGMR, 16.10.2001, Eliazer, RJD 2001-X, § 41; EGMR (GK), 12.02.2008, Kafkaris, Nr. 21906/04, § 165; EGMR (GK), 29.04.2008, Burden und Burden, Nr. 13378/05, §§ 60 ff.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
175
Ein erstes Argument gegen die vorgeschaltete Vergleichbarkeitsprüfung hängt mit der Semantik des Gleichheitsbegriffs zusammen. Es lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Es gibt keine Unvergleichbarkeit von Gegenständen, Sachverhalten und Personen a priori. Alle Vergleichsgegenstände sind in mancher Hinsicht gleich, in anderer ungleich, so dass eine Vergleichbarkeit im logischen Sinne niemals verneint werden könnte.580 Materielle Kriterien für die Vergleichbarkeit von Situationen lassen sich daher schon aufgrund der Struktur und des Wesens des Gleichheitsbegriffs nicht entwickeln.581 Dann besteht aber die Gefahr, dass die Wahl der Vergleichsgruppe durch den Gerichtshof willkürlich oder zumindest ohne tragfähige Gründe erfolgt. Jedenfalls ist eine kasuistische, dogmatisch kaum befriedigende Herangehensweise an die Vergleichbarkeitsfeststellung im Gleichheitsbegriff selbst begründet (semantisches Argument).582 Als zweites Argument gegen einen Vergleichbarkeitstest wird vorgetragen, dass die Vergleichsgruppe zur „Norm“ oder zum „Normalfall“ erhoben wird und so einen Konformitätsdruck ausübt. Der so gesetzte Standard ist allerdings keineswegs neutral, sondern kann Ausdruck sozialer Vorurteile, organisatorischer Voreingenommenheiten und kultureller Prägungen sein (soziologisches Argument).583 Der Grad der Vergleichbarkeit zweier Sachverhalte, so lautet die dogmatische Folgerung des dritten Arguments, spielt nicht auf der Ebene der Anwendbarkeit des Gleichheitsrechts, sondern erst auf der Ebene der Rechtfertigung von Ungleich- bzw. Gleichbehandlungen eine Rolle: So lässt sich die Ungleichbehandlung zweier Sachverhalte, die kaum Gemeinsamkeiten haben, eher rechtfertigen als bei Sachverhalten, zwischen denen nahezu Identität besteht.584 Die Vergleichbarkeit zweier Sachverhalte stellt eine normative Frage dar, die erst nach einem Durch580
So auch Stefan Huster, Das Gleichheitsrecht zwischen Verfassungsdogmatik und Rechtsphilosophie, in: Klaus Peter Berger/Georg Borges/Harald Herrmann/Andreas Schlüter/Ulrich Wackerbarth (Hrsg.), Festschrift Norbert Horn, Berlin 2006, S. 1149, 1151 f. 581
Vgl. die Bestimmung des Gleichheitsbegriffs als „essentially contested concept“, dazu ausführlich oben S. 16 f. 582
Vgl. Bell (Fn. 558), p. 205; Gerards (Fn. 31), p. 128, 566 f.
583
Vgl. Fredman (Fn. 409), p. 98 („powerful conformist pressure“); Bell (Fn. 558), p. 206. 584
Vgl. Huster (Fn. 580), S. 1152; Waldmann (Fn. 141), S. 320; Peters (Fn. 350), S. 574; Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 130.
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3. Teil
laufen des gesamten gleichheitsrechtlichen Prüfungsprogramms und insbesondere der Rechtfertigungsebene beantwortet werden kann. Die separate Untersuchung der Vergleichbarkeit als Anwendungsbedingung des Gleichheitsrechts kommt einer Ebenenvermischung gleich (dogmatisches Argument).585 Schließlich wird, viertens, gegen eine Vergleichbarkeitsprüfung eingewandt, dass Rechtsprechungsorgane auf einfachem Wege komplexe gleichheitsrechtliche Fragen vermeiden können und damit ein Rechtsschutzdefizit verursachen. Durch die Filterwirkung des Vergleichbarkeitstests kann die weitere Prüfung des Art. 14 EMRK leicht auf einer ersten Stufe entbehrlich gemacht werden (Rechtsschutzargument).586 Im Ergebnis ist die vorgetragene Kritik durchschlagend. Allerdings ist das semantische Argument gegen eine Vergleichbarkeitsprüfung nicht so zwingend, wie bisweilen vermutet wird. So sind zwar alle Sachverhalte auf logisch-semantischer Ebene in bestimmter Hinsicht miteinander vergleichbar, zu berücksichtigen ist allerdings, dass es sich bei der menschenrechtlichen Gleichheit um eine Gleichheit unter Bedingungen des Rechts handelt: Nach hier vertretener Auffassung ist die Vergleichbarkeit unter Rechtsbedingungen zumindest derart beschränkt, dass es sich um Verhältnisse unter ein und derselben Hoheitsgewalt handeln muss.587 Auch gilt es zu bedenken, dass das Diskriminierungsverbot zum Gleichheitsrecht gehört und damit einen relationalen Charakter aufweist.588 Diskriminierungen sind ohne einen zumindest hypothetisch vorausgesetzten Fall der Normalbehandlung als externen Bezugspunkt nicht feststellbar.589 Das Rechtsschutzargument, demgemäß die Filterwirkung des vorgeschalteten Vergleichbarkeitstests bisweilen zu Rechtsschutzlücken führen kann, lässt sich mit Blick auf die strittigen
585
So Waldmann (Fn. 141), S. 70; vgl. auch Jost Pietzcker, Rechtsvergleichende Aspekte des allgemeinen Gleichheitssatzes, in: Reinhard Hendler/Martin Ibler/José Martínez Soria (Hrsg.), „Für Sicherheit, für Europa“, Festschrift für Volkmar Götz, Göttingen 2005, S. 301, 318. 586
Vgl. Waldmann (Fn. 141), S. 70.
587
Dies wird im Ergebnis auch von den Kritikern der Vergleichbarkeitsprüfung nicht bestritten, vgl. Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 47, der dies nicht als eine Beschränkung der Vergleichbarkeit, sondern als eine Folge des modalen Charakters des Gleichheitsrechts ansieht. 588 589
Vgl. zum relationalen Charakter der Gleichheitsrechte oben S. 31 f.
So auch Robert Wintemute, “When is Pregnancy Discrimination Indirect Sex Discrimination?”, ILJ 27 (1998), p. 23, 25.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
177
Fälle aus der Rechtsprechung unterstützen.590 So hat der EGMR, wie dargelegt, im Fall Burden und Burden bereits die Vergleichbarkeit einer engen, geschwisterlichen Beziehung mit einer ehe- oder lebenspartnerschaftlichen Beziehung verneint.591 Anerkennt man mit der hier vertretenen Auffassung, dass der Kategorie der Sachverhaltsvergleichbarkeit im Rahmen der gleichheitsrechten Prüfung eine konstitutive Funktion zukommt, ist allein der Standort dieser Vergleichbarkeitsprüfung klärungsbedürftig. In dieser Hinsicht überzeugt das dogmatische Argument, weil es sich bei der Vergleichbarkeit in der Tat um eine Wertungsfrage handelt, die nur im Vorgriff auf die gesamte gleichheitsrechtliche Prüfung zu leisten ist und daher aus prüfungstechnischen Gründen nicht als Anwendungsbedingung angesprochen werden sollte. Richtigerweise ist daher das Maß der Vergleichbarkeit von Sachverhalten und Personen als ein Bestandteil der Rechtfertigung von Ungleich- bzw. Gleichbehandlungen aufgrund eines personenbezogenen Differenzierungsgrundes zu behandeln.592
E. Dogmatik der Differenzierungsgründe unter der EMRK Der rechtskonzeptionelle Unterschied zwischen dem allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz und den Diskriminierungsverboten besteht in der fehlenden, hier sog. Differenzierungsallgemeinheit der Diskriminierungsverbote.593 Die tatbestandliche Relevanz einer Ungleichbzw. Gleichbehandlung hängt im Fall der Diskriminierungsverbote jedenfalls grundsätzlich davon ab, ob die Behandlung aufgrund eines bestimmten Differenzierungsgrundes erfolgt.594 Eine Analyse der Diffe590
Vgl. den Transsexuellenfall des EuGH, 27.04.2006, Rs. C-423/04, Richards v. Secretary of State for Work and Pensions, Slg. I-2006, 3585 = DVBl. 2006, 963. 591
Vgl. wiederum EGMR (K), 12.12.2006, Burden und Burden, Nr. 13378/ 05, §§ 53 ff. 592
Auch in der jüngeren Rechtsprechung des EGMR finden sich ein Beispiel für dieses Vorgehen, vgl. EGMR, 18.02.2009, Andrejeva, Nr. 55707/00, § 88. 593 Zu Differenzierungsallgemeinheit als Element des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes vgl. oben S. 60 ff. 594
Unbestritten erfolgt jedoch eine Aufweichung dieses Grundsatzes durch die Offenheit der Kataloge der verdächtigen Differenzierungsgründe wie auch bei Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK.
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3. Teil
renzierungsgründe gehört damit, wie auch die Ausführungen zum allgemeinen Diskriminierungsbegriff und -tatbestand ergeben haben, zum „Allgemeinen Teil“ des Nichtdiskriminierungsrechts. Dabei stellen sich insbesondere folgende Fragen: Wie lassen sich die Differenzierungsgründe dogmatisch einteilen, worin bestehen ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede (1)? Welche dogmatische Funktionen übernehmen die Differenzierungsgründe (2)? Im Unterschied beispielsweise zum U.S.-amerikanischen Recht, das auf eine stark ausdifferenzierte Dogmatik hinsichtlich der Gründe von Ungleichbehandlungen verweisen kann, steht eine vergleichbare Durchdringung der Differenzierungsgründe unter der EMRK immer noch am Anfang.595 Bis heute konzentriert sich die Rechtsprechung des EGMR stark auf die Rechtfertigungsebene des Diskriminierungsverbots; allerdings hat der Gerichtshof in den letzten Jahren den Differenzierungsgründen mehr Aufmerksamkeit gewidmet und in Ansätzen eine Hierarchisierung dieser Gründe entwickelt.
1. Die grundlegende Unterscheidung zwischen „verdächtigen“ und „einfachen“ Differenzierungsgründen Die Differenzierungsgründe im Rahmen von Diskriminierungsverboten lassen sich grundlegend einteilen in zwei Gruppen: „verdächtige“ („verpönte“) und „einfache“ („unverdächtige“) Differenzierungsgründe. Hier ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof selbst diese Terminologie nicht verwendet.596 In Art. 14 und in Art. 1 ZP 12 EMRK werden dieselben zwölf Differenzierungsgründe genannt. Nicht alle davon sind als „verdächtige“ Differenzierungsgründe in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannt. Dies muss im Einzelnen nachfolgend untersucht werden.
595
Zur Dogmatik der Differenzierungsgründe im U.S.-amerikanischen Verfassungsrecht vgl. Brugger (Fn. 254), S. 130 ff.; Fallon (Fn. 155), p. 106 ff. 596
Darauf weisen auch Schweizer (Fn. 437), Art. 14 EMRK, Rn. 18 und Gerards (Fn. 31), p. 201 hin. Die Terminologie der „verdächtigen Differenzierungsgründe“ („suspect classifications“) entstammt dem U.S.-amerikanischen Verfassungsrecht, dazu vgl. Brugger (Fn. 254), S. 127 ff.; Werner Heun, Equal Protection im amerikanischen Verfassungsrecht, EuGRZ 29 (2002), S. 319, 321 ff.; Fallon (Fn. 155), p. 106 ff.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
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a) „Verdächtige“ Differenzierungsgründe aa) Die sechs anerkannten „verdächtigen“ Differenzierungsgründe Der EGMR hat im Laufe seiner Rechtsprechung sechs „verdächtige“ Differenzierungsgründe anerkannt: das Geschlecht, die sexuelle Orientierung/Identität, die nichteheliche Geburt, die Religion, die nationale Herkunft und die Rasse bzw. ethnische Herkunft.597 Historisch nimmt die Rechtsprechung des EGMR zu den „verdächtigen“ Differenzierungsgründen, die strengere Begründungsanforderungen nach sich ziehen können, bei dem Merkmal des Geschlechts ihren Ausgang. Im Fall Abdulaziz (1985)598 stellt der Gerichtshof soweit ersichtlich zum ersten Mal ausdrücklich fest, dass bei Differenzierungen aufgrund des Geschlechts „sehr gewichtige Gründe“ („very weighty reasons“) vom beklagten Vertragstaat zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung angeführt werden müssen. Mit anderen Worten will der Gerichtshof bei Ungleichbehandlungen aufgrund des Geschlechts genauer hinsehen, den Vertragstaaten also tendenziell weniger Spielraum lassen. Der Sache nach wird allerdings bereits im Fall Marckx (1979),599 in dem der EGMR über Vorschriften des belgischen Erbrechts zu entscheiden hatte, die uneheliche Kinder von der gesetzlichen Erbfolge gänzlich ausschlossen, eine strenge Prüfung der Rechtfertigung vorgenommen. In diesem Fall wird allerdings die intensivere Prüfung nicht mit der Verdächtigkeit des Differenzierungsgrundes der unehelichen Geburt, sondern mit dem in den übrigen Vertragstaaten herrschenden, großzügigeren Regelungen zugunsten unehelicher Kinder begründet. Wiewohl der Gerichtshof die Dogmatik der strengen Begründungsanforderungen in Bezug auf die Rechtfertigung bestimmter Differenzierungen bereits in den 1980er-Jahren entwickelt hatte, kann man erst seit Mitte der 90er-Jahre von einer gefestigten Rechtsprechung dazu spre597
In der Literatur finden sich bisweilen abweichende Aufzählungen, vgl. Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 223 m.w.N.; Heringa/van Hoof (Fn. 462), pp. 1046-1049. 598 599
EGMR, 28.05.1985, Abdulaziz u.a., Serie A 94 = NJW 1986, S. 3007, § 78.
EGMR, 13.06.1979, Marckx, Serie A 31 = NJW 1979, S. 2449: Der Fall Marckx wird im Allgemeinen von der Literatur als erste Entscheidung, in der die Dogmatik der strengen Begründungsanforderungen vom Gerichtshof angewendet wurde, interpretiert, s. Heringa/van Hoof (Fn. 462), p. 1046 sowie Oddný Mjöll Arnardóttir, Equality and Non-Discrimination under the European Convention on Human Rights, The Hague/London/New York 2003, p. 142, n. 644.
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3. Teil
chen.600 Dabei variiert die Formulierung, mit der der EGMR die strengeren Begründungsanforderungen einfordert, ohne dass dies inhaltlichdogmatisch einen Unterschied bedeutete: So spricht der Gerichtshof zum einen von „besonders gewichtigen Gründen“ („very weighty reasons“),601 von „besonders überzeugenden und gewichtigen Gründen“ („particularly convincing and weighty reasons“)602 oder von „zwingenden Gründen“ („compelling reasons“).603 In der konventionsrechtlichen Dogmatik wirken sich „verdächtige“ Differenzierungsgründe in mehrfacher Hinsicht auf die Prüfung der Diskriminierungsverbote aus, nämlich bei der Frage der Legitimität des Ziels, der Rechtfertigung im engeren Sinne (Angemessenheit) und der Weite des den Vertragstaaten zustehenden Beurteilungsspielraums (margin of appreciation). Alle drei der genannten Elemente werden beeinflusst bzw. modifiziert, sofern ein verdächtiger Differenzierungsgrund vorliegt.604 Dies wird im Rahmen der Diskussion der Funktionen der Differenzierungsgründe näher untersucht.605
bb) „Verdächtige“ Differenzierungsgründe und So-Sein-Können Es stellt sich die Frage, worin das den „verdächtigen“ Differenzierungsgründen Gemeinsame besteht.606 Wie lässt sich begründen, dass einige Differenzierungsgründe in Art. 14 bzw. Art 1 ZP 12 EMRK bedeutsamer sind als die übrigen? Warum schaut der EGMR bei manchen Ungleichbehandlungen genauer hin als bei anderen? Was ist m.a.W. der 600
Vgl. die Fälle des EGMR, 24.06.1993, Schuler-Zgraggen, Serie A 263 = EuGRZ 1996, S. 604, § 67; EGMR, 22.02.1994, Burghartz, Serie A 280-B = ÖJZ 1994, S. 559, § 27; EGMR, 18.07.1994, Karlheinz Schmidt, Serie A 291-B = NVwZ 1995, S. 365, § 24; EGMR, 16.09.1996, Gaygusuz, RJD 1996-IV, no. 14 = JZ 1997, S. 405. 601
Vgl. z.B. EGMR, 28.05.1985, Abdulaziz u.a., Serie A 94 = NJW 1986, S. 3007, § 78. 602
Vgl. z.B. den Fall des EGMR (GK), 22.01.2008, E.B. v. Frankreich, Nr. 43546/02 = ÖJZ 2008, S. 499, § 91. 603 604 605 606
EGMR, 21.02.1997, van Raalte, RJD 1997-I = ÖJZ 1998, S. 117, § 42. Vgl. dazu Grabenwarter (Fn. 208), § 26 I 4 b), S. 452, Rn. 12. S. dazu S. 196 ff.
Vgl. dazu ausführlich Michael Sachs, Art. 14 EMRK: Allgemeines Willkürverbot oder striktes Unterscheidungsverbot?, ÖZÖR 34 (1984), S. 333, 364 ff.
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Grund für die Ungleichbehandlung der Ungleichbehandlung in der Rechtsprechung? Nach einer Auffassung haben die „verdächtigen“ Differenzierungsgründe regelmäßig die Unveränderbarkeit bzw. die erschwerte oder unzumutbare Veränderbarkeit gemeinsam.607 In einem jüngeren Fall, Andrejeva (2009), hatte sich der EGMR mit dem Argument des Staates zu befassen, dass die Beschwerdeführerin dem erlittenen Nachteil (hier die Vorenthaltung einer staatlichen Rente) entgehen könnte, indem sie die betreffende Staatsbürgerschaft annehme.608 Der Gerichtshof stellt in diesem Fall klar, dass eine solchermaßen „erzwungene“ Veränderung dem Sinn und Zweck des Art. 14 EMRK diametral entgegensteht: “To proceed otherwise in dismissing the victim’s claims on the ground that he or she could have avoided the discrimination by altering one of the factors in question – for example, by acquiring a nationality – would render Article 14 devoid of substance.”609 Die Unzumutbarkeit der Veränderung als gemeinsames Merkmal der „verdächtigen“ Differenzierungsgründe gilt – neben dem erwähnten der Nationalität – zumindest auch für den der ethnischen Herkunft und das Geschlecht. Auch im Fall der Religion wird man davon ausgehen können, dass ihre Veränderung, um einem Nachteil zu entgehen, unzumutbar wäre. Das Kriterium der Unveränderbarkeit oder Unzumutbarkeit der Veränderung trifft somit auf die meisten der „verdächtigen“ Differenzierungsgründe zu. Damit ist allerdings noch kein inhaltliches Gemeinsamkeitskriterium benannt. Es ist daher weiter zu überlegen. Bisweilen findet sich auch die Formulierung, dass die „verdächtigen“ Differenzierungsgründe häufig gesellschaftliche Gruppen identifizierten, die durch „politische Ohnmacht“ („political powerlessness“)610 gekennzeichnet seien oder sonstwie eine „abgegrenzte und isolierte Minderheit“ („discrete and insular minority“)611 darstellten und daher be607
Vgl. Somek (Fn. 88), S. 393: „Merkmale und Umstände sind dann als unveränderlich oder unkontrollierbar zu erachten, wenn die Person, die sie trägt oder in ihnen steckt, sich außerstande sieht, diese zu beeinflussen.“ Vgl. auch die Nachweise bei Sachs (Fn. 606), S. 373 Fn. 205. 608 609
EGMR, 18.02.2009, Andrejeva, Nr. 55707/00, § 91. EGMR, 18.02.2009, Andrejeva, Nr. 55707/00, § 91.
610
Vgl. USSCt, San Antonio Independent School District v. Rodriguez, 411 U.S. 1 , 128 (1973). 611
Vgl. USSCt, City of Cleburne, Texas v. Cleburne Living Center, Inc., 473 U.S. 432 , 472 (1985), n. 24: “The discreteness and insularity warranting a ‘more searching judicial inquiry’, United States v. Carolene Products Co., 304 U. S.
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sonders diskriminierungsanfällig seien. Die Ausgrenzung aus dem politischen Willensbildungsprozess trifft zwar auf einige der durch die „verdächtigen“ Differenzierungsgründe identifizierbaren Minderheiten und gesellschaftlichen Gruppen zu, aber längst nicht auf alle: Angebracht ist diese Charakterisierung beispielsweise im Fall der ethnischen Minderheit der Roma, die in manchen europäischen Ländern im politischen Willensbildungsprozess faktisch benachteiligt werden.612 Für andere Minderheiten, wie z.B. Homosexuelle oder Menschen mit Behinderungen, gilt dies allerdings nicht in vergleichbarer Weise. In Bezug auf die letztgenannten sozialen Gruppen lässt sich nicht oder nur schwer von „politischer Ohnmacht“ oder einer „abgegrenzten und isolierten Minderheit“ sprechen. Der Ausschluss oder die faktische Benachteiligung der Teilnahme einer sozialen Gruppe am politischen Willensbildungsprozess ist als Kriterium der Gemeinsamkeit der „verdächtigen“ Differenzierungsgründe daher nicht geeignet. Die beiden letztgenannten Versuche, Gemeinsamkeiten der Differenzierungsgründe herauszustellen, sind in besonderem Maße abhängig vom historischen und sozialen Kontext: Die Identifikationskriterien für benachteiligte Gruppen sind nicht in jeder Gesellschaft dieselben, auch wenn sich oft Übereinstimmungen ergeben werden. Während z.B. im U.S.-amerikanischen Kontext der Differenzierungsgrund der „Rasse“ gleichsam den „Idealtypus“ des Identifikationskriteriums für soziale Benachteiligung bildet, dominieren im europäischen Rahmen – auch in der Rechtsprechung des EGMR – die Differenzierungsgründe des Geschlechts, der Religion oder der Geburt. Es bietet sich daher an, nach 144, 304 U.S. 153, n. 4 (1938), must therefore be viewed from a social and cultural perspective, as well as a political one. To this task judges are well suited, for the lessons of history and experience are surely the best guide as to when, and with respect to what interests, society is likely to stigmatize individuals as members of an inferior caste, or view them as not belonging to the community. Because prejudice spawns prejudice, and stereotypes produce limitations that confirm the stereotype on which they are based, a history of unequal treatment requires sensitivity to the prospect that its vestiges endure. In separating those groups that are discrete and insular from those that are not, as in many important legal distinctions, ‘a page of history is worth a volume of logic’ New York Trust Co. v. Eisner, 256 U. S. 345, 256 U. S. 349 (1921) (Holmes, J.).” 612 Vgl. Final report by Mr Alvaro Gil-Robles, Commissioner for Human Rights, on the human rights situation of the Roma, Sinti and Travellers in Europe, 15.02.2006, CommDH(2006)1, https://wcd.coe.int/ViewDoc.jsp?id=96 2605&BackColorInternet=FEC65B&BackColorIntranet=FEC65B&BackColo rLogged=FFC679 (16.01.2009).
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einem inhaltlichen, stärker kontextunabhängigen und weniger geschichtslastigen Gemeinsamkeitskriterium der „verdächtigen“ Differenzierungsgründe zu fragen. Nach hier vertretener Ansicht ist das Kriterium der Gemeinsamkeit der verdächtigen Differenzierungsgründe funktional vom Normzweck der Diskriminierungsverbote her zu bestimmen: Wie unten zu begründen sein wird, geht es bei den Diskriminierungsverboten um den Schutz des Einzelnen vor einer ungerechten Verkürzung bzw. den Schutz vor einer ungerechten Verteilung von Mitteln des So-Sein-Könnens.613 In dieser funktionalen Betrachtung zeichnen sich die „verdächtigen“ Differenzierungsgründe durch folgende Besonderheit aus: Ihre Nichtantastung bzw. die Nichtanknüpfung von Nachteilen an ihr Vorliegen ist selbst als ein Mittel des So-Sein-Könnens einer Person anzusehen. Es ist ein Mittel meines So-Seins, dass ich so bleiben kann, wie ich bin oder wie ich sein will. Wenn mein So-Sein konstituiert oder jedenfalls maßgeblich mitbestimmt wird durch Eigenschaften wie das Geschlecht oder die nationale Herkunft, dann besteht ein starkes und in der Regel vorrangiges Interesse daran, dass dieses bedeutende Mittel meines So-Sein-Könnens, nämlich das Mich-in-meinen-wesentlichen-Eigenschaften-Belassen, nicht verkürzt wird.614 In diesem Verständnis würde man die Mittel meines So-Sein-Könnens verkürzen, würde man mich zwingen, eine andere Religion, Staatsangehörigkeit etc. anzunehmen. Nach hier vertretener Ansicht sind die „verdächtigen“ Differenzierungsgründe dadurch gekennzeichnet und von den „einfachen“ Differenzierungsgründen zu unterscheiden, dass es sich bei der Nachteilsnichtanknüpfung an diese Merkmale selbst um ein Mittel des So-SeinKönnens handelt. Dies ist bei „einfachen“ Differenzierungsgründen anders: Werden beispielsweise Nachteile an den Stand meines Vermö613 614
Vgl. dazu ausführlich unten S. 465 ff.
Dieser Aspekt ist für Alexander Somek der wesentliche Schlüssel zum Diskriminierungsverbot. Somek sieht den Zweck des Diskriminierungsverbots maßgeblich in dem Schutz vor Überdeterminierung des Einzelnen, d.h. dem Druck, ein gewisses So-Sein anzunehmen zwecks Vermeidung von Nachteilen, vgl. Somek (Fn. 88), S. 382 ff. Die Überdeterminierung beschreibt bei Somek einen Typus der Diskriminierung neben denen der Demütigung und der Stereotypisierung. Aus hier vertretener Sicht ist die Beschreibung des Zwecks des Nichtdiskriminierungsrechts unter diesen drei Typen der Diskriminierung zu eng und zu wenig abstrakt. Entscheidend ist die Wahl des relevanten, diskriminierungsspezifischen Gerechtigkeitsmaßstabs, der in den Mitteln des So-SeinKönnens zu erblicken ist, s. ausführlich dazu S. 466 ff.
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gens geknüpft oder meine Eigenschaft als Autofahrer, dann handelt es sich nicht um eine Verkürzung der Mittel meines So-Sein-Könnens aufgrund des Differenzierungsgrundes. Zwar wird auch hier Handlungsfreiheit eingeschränkt, aber die Verknüpfung von Nachteil und Differenzierungsgrund, d.h. der Vermögensstand oder die AutofahrerEigenschaft, verkürzt die Mittel meines So-Sein-Könnens nicht: Ich kann weiter mein (restliches) Vermögen zu selbstbestimmten Zwecken einsetzen, weiter Autofahren etc. Entscheidend ist nach hier vertretener Ansicht für das Vorliegen eines „verdächtigen“ Differenzierungsgrunds also, ob die Nichtanknüpfung von Nachteilen an den Differenzierungsgrund selbst als ein Mittel des So-Sein-Könnens angesehen werden muss.
cc) Ungeschriebene „verdächtige“ Differenzierungsgründe? Die Auffangklausel in Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK bedingt, dass der Status des „verdächtigen“ Differenzierungsgrundes nicht notwendig auf einen der aufgelisteten Differenzierungsgründe zu beschränken ist, sondern auch ungeschriebenen Unterscheidungsmerkmalen zukommen könnte. Die Frage ist also, ob sich ungeschriebene „verdächtige“ Differenzierungsgründe identifizieren lassen. Bei der Identifizierung dieser Differenzierungsgründe erlangt die oben vorgenommene Bestimmung des Gemeinsamkeitskriteriums eine praktische Bedeutung: Nur solche ungeschriebenen Differenzierungsgründe sollen als „verdächtig“ anerkannt werden, bei denen die Nichtanknüpfung von Nachteilen selbst als ein Mittel des So-Sein-Könnens des Einzelnen angesehen werden muss. aaa) Sexuelle Orientierung Der EGMR hat bislang mit der sexuellen Orientierung nur einen ungeschriebenen, „verdächtigen“ Differenzierungsgrund anerkannt: Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes handelt es sich bei dem Merkmal der sexuellen Orientierung um einen „verdächtigen“ Differenzierungsgrund, der in dem Katalog des Art. 14 bzw. Art 1 ZP 12 EMRK nicht genannt wird.615 Mittlerweile geht der EGMR sogar 615
Vgl. erstmals EGMR, 21.12.1999, Salgueiro da Silva Mouta, RJD 1999IX, § 28; EGMR (GK), 22.01.2008, E.B. v. Frankreich, Nr. 43546/02 = ÖJZ 2008, S. 499, § 91; vgl. Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 196 ff.
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noch weiter: Recht apodiktisch stellt der EGMR in seiner jüngeren Rechtsprechung heraus, dass Ungleichbehandlungen, die allein aufgrund der sexuellen Orientierung beruhen, als Diskriminierungen anzusehen seien.616 Offenkundig sieht der EGMR in diesen Fällen – ähnlich wie bei der Diskriminierung allein aufgrund der Religionszugehörigkeit – kaum Raum für eine Rechtfertigung.617 Unzweifelhaft handelt es sich dabei um einen „personenbezogenen Status“ im Sinne der Rechtsprechung des EGMR. Dem kann auch die hier vertretene Ansicht zustimmen, die erfordert, dass die Nichtanknüpfung von Nachteilen in diesem Fall selbst als ein Mittel des So-Sein-Könnens anzusehen ist: Die sexuelle Orientierung, d.h. Homo-, Bi- oder Transsexualität einer Person, betrifft ihre Identität, die Weise, als was oder wie sie sich bestimmt.618 Auch der EGMR führt eine ähnliche Erwägung an, indem er die sexuelle Orientierung als eine „essentially private manifestation of human personality“ bezeichnet.619 Die Bedeutung der sexuellen Orientierung als eines verdächtigen Differenzierungsgrunds ist mittlerweile 616
Vgl. EGMR, 02.03.2010, Kozak, Nr. 13102/02, § 92: “(…) if the reasons advanced for a difference in treatment were based solely on the applicant’s sexual orientation, this would amount to discrimination under the Convention (…).” 617
Im Einzelnen ist dies allerdings ungeklärt. Abzuwarten bleibt, wie der EGMR sich zu der Frage des Verbots der Eheschließung allein aufgrund der sexuellen Orientierung verhalten wird (dazu vgl. den noch nicht entschiedenen Fall EGMR, Schalk u. Kopf, Nr. 30141/04). Im Fall Kozak (EGMR, 02.03.2010, Nr. 13102/02) hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass der Schutz der Familie „im traditionellen Sinne” u.U. eine Ungleichbehandlung rechtfertigen kann; andererseits verlangt der EGMR auch eine Interpretation „in present-day conditions“ (a.a.O., § 98). Sofern der Gerichtshof sich nicht wie im Urteil Fretté (EGMR, 26.02.2002, RJD 2002-I = FamRZ 2003, S. 149) auf den mitgliedstaatlichen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Regelung der Ehe beruft, sondern der im Urteil E.B. (EGMR, 22.01.2008, Nr. 43546/02 = ÖJZ 2008, S. 499) aufgestellten Linie folgt, spricht einiges für die Verletzung von Art. 14 i.V. mit Art. 8 EMRK durch ein Eheverbot bzw. durch das Fehlen eines vergleichbaren Rechtsinstituts (zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt in Österreich) für gleichgeschlechtliche Paare. 618
Vgl. Martha C. Nussbaum, Menschliche Fähigkeiten, weibliche Menschen, in: dies., Gerechtigkeit oder Das gute Leben, Frankfurt am Main 1999, S. 176, 192. Zum Problem von Diskriminierungen in Intimbeziehungen allgemein vgl. Elizabeth F. Emens, Intimate discrimination, HVLR 122 (2008), pp. 13071402. 619
EGMR, 27.09.1999, Smith and Grady, RJD 1999-VI = NJW 2000, S. 2089, § 127; EGMR, 02.03.2010, Kozak, Nr. 13102/02, § 92.
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im universellen620 wie im regionalen621 Menschenrechtsschutz allgemein anerkannt.622 Die Nichtanknüpfung von Nachteilen an diese Eigenschaft ist ein Mittel oder eine Bedingung für das So-Sein-Können dieser Personen. bbb) Alter und genetische Prädisposition? Dazu kommen weitere ungeschriebene Differenzierungsgründe, für die noch keine Rechtsprechung des EGMR vorliegt, die aber die Voraussetzungen erfüllen, als „verdächtige“ Differenzierungsgründe anerkannt zu werden. Als weitere, allerdings bislang in der Rechtsprechung des EGMR nicht geprüfte Differenzierungsgründe, werden das Alter623 und
620
Unter dem IPbpR besteht kein Einvernehmen darüber, ob die sexuelle Orientierung unter den geschriebenen Differenzierungsgrund des Geschlechts („sex“) zu erfassen ist, wie der MRA vertritt (vgl. MRA, 31.03.1994, 488/1992, Nicholas Toonen, UN Doc. CCPR/C/50/D/488/1992, § 8.7) oder unter die Auffangklausel „other status“ zu subsumieren ist (so die Literaturmeinung, vgl. Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, Rn. 43 f.); vgl. auch MRA, 17.07.2002, 902/1999, Joslin u.a.., UN Doc. CCPR/C/75/D/902/1999, § 3.1. 621 Auch unter der AMRK wird die sexuelle Orientierung als ungeschriebener Differenzierungsgrund erwogen: Vgl. etwa die zustimmende Meinung des Richters Cançado Trindade in IAGMR, 17.03.2003, Juridical Condition and Rights of the Undocumented Migrants, Advisory Opinion OC-18/03, Ser. A No. 18 (2003), § 63. Die Inter-Amerikanische Kommission für Menschenrechte hat einen Fall für zulässig erklärt, in dem es um eine Beschwerde ging, die das Verbot von intimen Besuchen homosexueller Partner von Gefängnisinsassen in Kolumbien betraf, IAKMR, Marta Lucia Alvarez Giraldo v. Colombia, Case 11.656, Report Nº 71/99, OEA/Ser.L/V/II.106 Doc. 3 rev. at 211 (1999). 622
Vgl. Loveday Hodson, Family Values: The Recognition of Same-Sex Relationships in International Law, NQHR 22 (2004), pp. 33-57. Vgl. auch Michael Kirby, Legal discrimination against homosexuals, EHRLR 14 (2009), pp. 21-36. 623
Vgl. Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 209 ff.; Rudolf (Fn. 173), S. 80, Rn. 66; Frowein/Peukert (Fn. 507), Art. 14 EMRK, Rn. 33. Im Fall des EGMR, 10.02.2004, B.B. v. Vereinigtes Königreich, Nr. 53760/00, § 26 wurde u.a. auch eine Diskriminierung aufgrund des Alters gerügt, vom Gerichtshof allerdings, da bereits eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung bejaht worden war, nicht weiter geprüft. Zur „Altersdiskriminierung“ vgl. Doris König, Das Verbot der Altersdiskriminierung – ein Diskriminierungsverbot zweiter Klasse?, in: Europa und seine Verfassung – Festschrift für Manfred Zuleeg zum siebzigsten Geburtstag, Baden-Baden 2005, S. 341 ff.; Helen Meenan, Reflecting on age discrimination and rights of the elderly in the European Union
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die genetische Prädisposition624 genannt. Das biologische Alter stellt eine unbeeinflussbare, wahl- und verantwortungsunabhängige Eigenschaft eines jeden Menschen dar, die insofern statusbegründend wirkt, als dass mit ihr gewisse Rechte und Pflichten verbunden werden (z.B. das Wahlrecht); mit dem Alter hängen aber auch So-Seins-relevante Fähigkeiten zusammen, wie z.B. die Fähigkeit, sein eigenes Leben zu führen, sich guter Gesundheit zu erfreuen, die Fähigkeit, sein Leben in seiner eigenen Umgebung und seinem eigenen Kontext zu führen.625 Die Nichtanknüpfung von Nachteilen an das Alter stellt ebenfalls ein Mittel626 des So-Sein-Könnens von Personen dar. Das gleiche gilt auch für die genetische Prädisposition, die das individuelle So-Sein und das eigene Person-Sein beeinflusst, indem z.B. Erbkrankheiten erheblich auf die personalen Grundfähigkeiten einwirken können. Durch diesen Differenzierungsgrund kann verhindert werden, dass Personen wegen ihrer genetischen Prädisposition bei der Arbeitsaufnahme oder dem Abschluss einer Versicherung benachteiligt werden.627 ccc) Familienstand? Der Familienstand wird vom EGMR bislang noch als „einfacherer“ Differenzierungsgrund behandelt; nach hier vertretener Auffassung sollte dieser aber als „verdächtiger“ ungeschriebener Differenzierungsgrund eingestuft werden. In den Fällen, in denen der Familienstand als ungeschriebener Diskriminierungsgrund vom EGMR anerkannt wurde, ging es zumeist um Diskriminierungen der Väter nichtehelicher Kin-
and the Council of Europe, MJ 14 (2007), pp. 39-82; Tobias Polloczek, Altersdiskriminierung im Licht des Europarechts, Baden-Baden 2008. 624
Vgl. Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 212 ff.; Rudolf (Fn. 173), S. 81 f., Rn. 71. Zur „genetischen Diskriminierung“ vgl. Leana J. Albertson, Genetic discrimination, New York 2008. 625
Vgl. wiederum die Fähigkeitenliste bei Nussbaum (Fn. 618), S. 200 ff.
626
Statt des Begriffs des „Mittels“ könnte man hier auch von „Bedingung“ des So-Sein-Könnens sprechen. Aus zwei Gründen ist der Mittelbegriff aber vorzuziehen: Zum einen ist die Einheitlichkeit der Terminologie zu wahren, zum anderen wird dadurch der Aspekt der Selbstverantwortung für den eigenen Lebensplan und die Befähigung (engl. empowerment) dazu, die die Gewährleistung bestimmter Güter notwendig macht, deutlicher. 627
Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 212.
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der,628 Probleme der Benachteiligung bei der Vaterschaftsanfechtung629 und die (verweigerte) Anerkennung von Adoptionen nach ausländischem Recht.630 Sicherlich handelt es sich beim Familienstand um einen personenbezogenen Diskriminierungsgrund im Sinne des EGMR; darüber hinaus weist dieser Differenzierungsgrund aber auch So-SeinKönnens-Relevanz auf: Vater-, Mutter- und Kindschaft gehören zu den elementarsten Formen des Mitseins mit anderen. Ebenso benennt Martha C. Nussbaum, deren Liste von Grundfähigkeiten durchaus als Grundlage einer philosophischen Konzeption der Mittel des So-SeinKönnens dienlich wäre, die „Verbundenheit mit anderen Menschen“ als einen Bestandteil der Konzeption des Menschen, der die personale Identität entscheidend mitbestimmt.631 Richtigerweise wäre nach hier vertretener Auffassung dem Familienstand der Status als ungeschriebener „verdächtiger“ Differenzierungsgrund zuzumessen. ddd) Behinderung? Auch der Differenzierungsgrund der Behinderung sollte als „verdächtiger“ Differenzierungsgrund anerkannt werden. Bei der Behinderung handelt es sich um ein personenbezogenes Merkmal, dem eine besondere So-Seins-Relevanz zukommt, da einige Bedingungen oder Mittel, die für die Lebensqualität eine Rolle spielen können, für Menschen mit Behinderungen nicht oder nicht in vergleichbarem Maße verfügbar sind: Dies kann schon die Mittel dafür betreffen, ein menschliches Leben von normaler Länge leben zu können.632 Ebenso kann die Fähigkeit, sich guter Gesundheit zu erfreuen, die Möglichkeit zu sexueller Befriedigung und die Fähigkeit, sein eigenes Leben zu führen, für Menschen mit Behinderungen beeinträchtigt sein. 628
EGMR, 24.02.1995, McMichael, Serie A 307-B = ÖJZ 1995, S. 704, §§ 96 ff.; EGMR, 26.05.1994, Keegan, Serie A 290 = NJW 1995, S. 2153, §§ 61 f.; EGMR, 03.12.2009, Zaunegger, Nr. 22028/04, §§ 28 ff.; vgl. Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 193 ff. sowie Schweizer (Fn. 437), Art. 14 EMRK, Rn. 113 ff. m.w.N. 629
EGMR, 12.01.2006, Mizzi, RJD 2006-I = EuGRZ 2006, S. 129.
630
EGMR, 28.06.2007, Wagner und J.M.W.L. v. Luxemburg, Nr. 76240/ 01 = FamRZ 2007, S. 1529, § 137 ff. 631
Nussbaum (Fn. 618), S. 194 und insbes. S. 201. Zu der Liste der menschlichen Grundfähigkeiten und ihrer Bedeutung für das So-Sein-Können s. unten S. 466 ff. 632
Vgl. dazu wiederum Nussbaum (Fn. 618), S. 200 sowie unten S. 466 ff.
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Bislang sind die Fälle, in denen der EGMR zu dem Problem der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen Stellung beziehen konnte, vereinzelt geblieben.633 Der Referenzfall des EGMR zur Diskriminierung aufgrund von Behinderung ist noch immer die Entscheidung Diane Pretty (2002).634 In diesem Aufsehen erregenden Fall ging es um eine gelähmte, an einer unheilbaren, degenerativen Nervenkrankheit leidenden Beschwerdeführerin. Sie wandte sich gegen die Weigerung der britischen Behörden, ihren Ehemann straffrei zu stellen für den Fall, dass er ihr bei der Selbsttötung – zu der sie ohne fremde Hilfe nicht in der Lage war – Beihilfe leistete. Sie rügte u.a., dass darin eine ungerechtfertigte Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen und Nichtbehinderten vorliege. Auch wenn der Gerichtshof nicht ausdrücklich von der Behinderteneigenschaft als „sonstigem Status“ unter Art. 14 EMRK spricht, so hat er dieses Merkmal doch implizit in der Entscheidung Pretty anerkannt. Aus gleichheitsrechtlicher Sicht war im Fall Pretty allerdings problematisch, dass keine Ungleich-, sondern eine Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen und solchen ohne Behinderungen gerügt wurde.635 Im Ergebnis hat der Gerichtshof im Fall Pretty die Gleichbehandlung der Beschwerdeführerin für gerechtfertigt angesehen, da es objektive und vernünftige Gründe gebe, keinen Unterschied in der strafrechtlichen Behandlung der Selbsttötung von Menschen vorzunehmen, die dazu physisch in der Lage seien und solchen, die dafür auf fremde Hilfe angewiesen seien. Dem Merkmal der Behinderung ist bislang der Status als „verdächtiger“ Differenzierungsgrund vom EGMR zu Unrecht versagt worden. Auch im Übrigen steht die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum ungeschriebenen Differenzierungsgrund der Behinderung immer noch am Anfang. So sind weitere schwierige Fragen bislang noch ungeklärt, z.B. 633
In einigen Fällen ist die Diskriminierung aufgrund von Behinderung zwar von den Beschwerdeführern gerügt worden, vom Gerichtshof letztlich aber nicht geprüft bzw. die Beschwerde insoweit für unzulässig befunden worden, z.B. EGMR, 20.03.2007, Tysiąc, Nr. 5410/03, §§ 136 ff.; EGMR, 06.10.2005, Draon, Nr. 1513/03, § 102; EGMR, 12.10.2004, Kjartan Ásmundsson, RJD 2004-IX, § 47; EGMR, 24.02.1998, Botta, RJD 1998-I, no. 66, § 39. Vgl. nunmehr auch EGMR, 30.04.2009, Glor, Nr. 13444/04, §§ 77: In diesem Fall bestätigt der EGMR, dass eine „Behinderung“ einen „sonstigen Status“ im Sinne von Art. 14 EGMR darstellt. 634
EGMR, 29.04.2002, Pretty, RJD 2002-III = EuGRZ 2002, S. 234, §§ 87-
89. 635
Zur direkten Diskriminierung durch Gleichbehandlung s. unten S. 257 ff.
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3. Teil
wann eine Behinderung vorliegt oder wie mit dem Problem erst zukünftig eintretender und wahrscheinlich eintretender Behinderung umzugehen ist.636 Hinsichtlich des erstgenannten Problems der Definition einer Behinderung könnte der EGMR an die Rechtsprechung des EuGH anknüpfen, der sich u.a. in seinem grundlegenden Urteil Sonia Chacón Navas v. Eurest Colectividades SA (2006)637 mit dem Merkmal der Behinderung im Rahmen der Richtlinie 2000/78/EG (Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf) auseinandergesetzt hat. Der Begriff der Behinderung wird in der genannten Richtlinie nicht definiert; nach Ansicht des EuGH sind an das Vorliegen einer „Behinderung“ drei Voraussetzungen zu stellen: Es muss sich erstens um eine Einschränkung handeln, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die zweitens ein Hindernis für die Teilhabe des Betreffenden am Berufsleben bildet und die drittens wahrscheinlich von langer Dauer sein wird.638 Es bleibt abzuwarten, wie der EGMR in Zukunft die Fälle von gerügten Diskriminierungen aufgrund von Behinderung behandeln wird. Da durch den Wegfall des Akzessorietätserfordernisses in Art. 1 ZP 12 EMRK verstärkt Diskriminierungen im Berufsleben in Reichweite des EGMR gelangen werden, ist zu erwarten, dass der Straßburger Gerichtshof häufiger mit dem Problem des diskriminierungsfreien Umgangs mit Behinderungen befasst werden wird.639 Wie oben dargelegt, sollte der Gerichtshof das Merkmal der Behinderung als „verdächtigen“ Differenzierungsgrund behandeln.
b) „Einfache“ Differenzierungsgründe Nach herrschender Ansicht handelt es sich bei den in Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK aufgelisteten Differenzierungsgründen um status- und
636 Zu beiden Problemkreisen s. rechtsvergleichend Janneke Gerards, Discrimination Grounds, in: Dagmar Schiek/Lisa Waddington/id. (eds.), Cases, Materials and Text on National, Supranational and International Non-Discrimination Law, Oxford [et al.] 2007, p. 33, 127-147. 637 EuGH, 11.07.2006, Rs. C-13/05, Sonia Chacón Navas v. Eurest Colectividades SA, Slg. 2006, I-6467, §§ 39 ff. 638
EuGH, 11.07.2006, Rs. C-13/05, Sonia Chacón Navas v. Eurest Colectividades SA, Slg. 2006, I-6467, §§ 43, 45. 639
Zum ZP 12 EMRK s. 156 ff.
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personenbezogene Merkmale.640 Dieser Auffassung folgt auch der EGMR.641 Die Folge dieser weiten Konzeption ist, dass nur rein sachbezogenen Abgrenzungskriterien der Status des „einfachen“ Differenzierungsgrundes nicht zukommen kann. In diesem Fall ist jedoch – wie oben dargestellt − das Diskriminierungsverbot bereits tatbestandlich nicht einschlägig.642 Solche Fälle sind bislang die Ausnahme geblieben. Im Fall Magee (2000) ging es um Unterschiede hinsichtlich des Strafprozessrechts in England und Wales auf der einen und Nordirland auf der anderen Seite. Der Gerichtshof lehnte die Argumentation des Beschwerdeführers ab, der sich darauf berief, dass es sich um eine Un640
H.M.: vgl. nur Schweizer (Fn. 437), Art. 14 EMRK, Rn. 17. Im Lichte einiger Entscheidungen des EGMR, die rein sachbezogene Differenzierungen zum Gegenstand hatten, wird die Beschränkung auf status- und personenbezogene Merkmale vereinzelt in Zweifel gezogen, vgl. Uerpmann-Wittzack (Fn. 518), § 3 III 1 b), S. 109, Rn. 69. Dazu ist Folgendes zu bemerken: Bislang sind die Entscheidungen, in denen der Gerichtshof rein sachbezogene Differenzierungen als „sonstigen Status“ gewertet hat, selten geblieben und müssen unter Berücksichtigung der Konzeption der Nichtdiskriminierung als systemwidrige „Ausreißer“ gelten. Es fehlt insbesondere an einer diesbezüglichen Einlassung der Großen Kammer. Wollte man sämtliche Differenzierungen von Art. 14 bzw. Art. 1 ZP 12 EMRK erfasst sehen, so liefe das auf eine Einebnung der Unterschiede zwischen Nichtdiskriminierungsrecht und allgemeinem Gleichheitsrecht hinaus; in diesem Fall wäre dann von Differenzierungsallgemeinheit der Normen zu sprechen (zur Terminologie vgl. bereits oben S. 64 ff.). Diese erscheint – jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt – vom Gerichtshof nicht intendiert zu sein. Gerade bei dem neuen allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 1 ZP 12 EMRK würde die Differenzierungsallgemeinheit zu einer uferlosen Rügbarkeit staatlicher Regelungen und zu einer weiteren Verschärfung der Arbeitsbelastung des Gerichtshofs führen. Von einer Rechtsfortbildung, die aus einem Diskriminierungsverbot einen allgemeinen Gleichheitssatz machte, ist auch deswegen abzuraten, weil nationale Gerichte besser in der Lage sind, rein sachbezogene Differenzierungen zu beurteilen. Zudem erlaubt das Diskriminierungsverbot in seinem Anwendungsbereich der personenbezogenen Differenzierungen die rationalere, weil ausdifferenziertere Gleichheitsrechtsdogmatik. 641
St. Rspr., EGMR (GK), 12.02.2008, Kafkaris, Nr. 21906/04, § 160; s. bereits EGMR, 07.12.1976, Kjeldsen, Busk Madsen und Pedersen, Serie A 23 = NJW 1977, S. 487, § 56. 642 In diese Richtung vgl. Frowein/Peukert (Fn. 455), Art. 14 EMRK, Rn. 51 (Voraufl.), die auf die Rechtsprechung der EKMR verweisen. Vgl. nochmals die Diskussion der „Differenzierungsallgemeinheit“ als maßgebliches Kriterium zur Abgrenzung des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes vom Diskriminierungsverbot, s. S. 64 ff.
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3. Teil
gleichbehandlung aufgrund der ethnischen Herkunft bzw. der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit handele: “The Court recalls that Article 14 of the Convention protects against a discriminatory difference in treatment of persons in analogous positions in the exercise of the rights and freedoms recognized by the Convention and its Protocols. It observes in this connection that in the constituent parts of the United Kingdom there is not always a uniform approach to legislation in particular areas. Whether or not an individual can assert a right derived from legislation may accordingly depend on the geographical reach of the legislation at issue and the individual’s location at the time. For the Court, in so far as there exists a difference in treatment of detained suspects under the 1988 Order and the legislation of England and Wales on the matters referred to by the applicant, that difference is not to be explained in terms of personal characteristics, such as national origin or association with a national minority, but on the geographical location where the individual is arrested and detained. This permits legislation to take account of regional differences and characteristics of an objective and reasonable nature. In the present case, such a difference does not amount to discriminatory treatment within the meaning of Article 14 of the Convention” [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.].643 Der Gerichtshof geht offenbar von folgender Überlegung aus: Die Vergleichbarkeit der Sachverhalte ist in diesem Fall zu bejahen, da es sich um eine Behandlung unter derselben Hoheitsgewalt, des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, handelt. Sofern nun die unterschiedliche Behandlung nicht an personenbezogene Merkmale anknüpfe, sondern eine sachbezogene oder wie hier geographische Unterscheidung vornehme, liege schon tatbestandlich keine diskriminierende Behandlung vor. An diesem Ansatz der Rechtsprechung ist zu kritisieren, dass – selbst wenn die Ungleichbehandlung auf einem „neutralen“ oder „sachbezogenen“ Kriterium beruht – immer noch eine indirekte Diskriminierung zu erwägen ist: Sofern nämlich eine Ungleichbehandlung eine geschützte Personengruppe in ihrer Wirkung erheblich benachteiligt, kann eine indirekte Diskriminierung vorliegen.644
643
EGMR, 06.06.2000, Magee, RJD 2000-VI, § 50; vgl. dazu auch Heringa/van Hoof (Fn. 462), p. 1050 sowie Arnardóttir (Fn. 599), p. 129 ff. 644
Zum Problem der indirekten Diskriminierung unter der EMRK vgl. ausführlich unten S. 266 ff.
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193
Die im Übrigen festzustellende Zurückhaltung, Fälle behaupteter Diskriminierung am Differenzierungsgrund scheitern zu lassen, hängt zum einen mit der Rechtfertigungslastigkeit der Diskriminierungsprüfung durch den EGMR zusammen; dies ist insofern beschwerdeführerfreundlich, als die Darlegungs- und Beweislast auf der Rechtfertigungsebene dem Vertragstaat zufällt, während das Vorliegen eines verdächtigen Differenzierungsgrundes vom Beschwerdeführer aufzuzeigen ist.645 Zum anderen ist die schwache Konzeption der Differenzierungsgründe der Auffangklausel des Art. 14 bzw. Art. 1 ZP 12 EMRK („or other status“) geschuldet; der Gerichtshof müsste im Einzelfall darlegen, dass der behauptete Differenzierungsgrund nicht wenigstens unter die Auffangklausel zu subsumieren wäre.
aa) Geschriebene „einfache“ Differenzierungsgründe Bislang sieht der EGMR folgende, geschriebene Differenzierungsgründe als „einfache“ an: die Sprache, die politische oder sonstige Anschauung646, die Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit und das Vermögen647. Oft wird in Fällen, in denen ein geschriebener, einfacher Differenzierungsgrund vorliegt, eine Prüfung des Diskriminierungsverbots nicht vorgenommen, sondern auf die Ausführungen zu den substantiellen Freiheitsrechten verwiesen. Dieses Vorgehen des Gerichtshofs steht im Einklang mit der von ihm für Art. 14 EMRK angenommenen Subsidiarität: Sofern „nur“ ein einfacherer Differenzierungsgrund vorliegt, handelt es sich bei der personenbezogenen Ungleich- bzw. Gleichbehandlung nach Ansicht des Gerichtshofs grundsätzlich eben nicht um einen „fundamentalen Aspekt des Falls“, der einer separaten Prüfung bedürfte.648
645
Zu Darlegungs- und Beweisfragen beim Diskriminierungsverbot vgl. S. 249 ff. 646 Politische Anschauung: EGMR, 19.07.2007, Krasnov und Skuratov, Nr. 17864/04 und 21396/04, §§ 68 ff. 647 648
Vermögen: EGMR, 28.03.2006, Sukhovetskyy, Nr. 13716/02, §§ 75 f.
Zur Subsidiarität des Diskriminierungsverbots in Art. 14 EMRK als Folge der Akzessorietät s. oben S. 142 f.
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3. Teil
bb) Ungeschriebene „einfache“ Differenzierungsgründe Der Gerichtshof hat bereits früh festgehalten, dass es sich bei den Differenzierungsgründen in Art. 14 EMRK bloß um eine vertypte, beispielhafte Aufzählung möglicher Gründe handelt, die nicht abschließend („not exhaustive“) gedacht ist.649 Zur Begründung lässt sich sowohl auf den Wortlaut der Norm, die eine sog. Auffangklausel für ungeschriebene Differenzierungsgründe enthält („or other status“), verweisen wie auch inhaltlich auf eine Gesamtschau der benannten Differenzierungsgründe. So stellen die Sprache oder die Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit in der historischen Erfahrung besonders oft Anknüpfungspunkte für ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen dar; es handelt sich m.a.W. um typischerweise diskriminierungsanfällige Unterscheidungsmerkmale von Personen.650 Da mit gewissem Recht behauptet werden kann, dass die Diskriminierungsanfälligkeit aufgrund bestimmter Merkmale einem historischen und sozialen Wandel unterliegt – man denke nur an die allmähliche Zurückdrängung des Alters als Grund für Ungleichbehandlungen – müsse es sich um eine nichtabschließende Liste handeln. Damit hängt ein weiteres, pragmatisches Argument für die Unabgeschlossenheit der Liste der Differenzierungsgründe zusammen: So ist es nicht auszuschließen, dass sich durch psychologisch-soziologischen oder auch durch wissenschaftlich-technischen Fortschritt neue Gefährdungslagen für das Gleichheitsinteresse ergeben. Das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot muss beispielsweise auf Fälle der ungerechtfertigten Ungleichbehandlung aufgrund der Behinderung und möglicherweise in Zukunft auf die Andersbehandlung wegen bestimmter genetischer Prädispositionen anwendbar sein. Ein Ausschluss auf Tatbestandsebene – durch eine abschließende Aufzählung von Differenzierungsgründen wie etwa in Art. 3 Abs. 3 GG – hätte den konventionsrechtlichen Gleichheitsrechtsschutz über Gebühr limitiert. Ferner folgt die EMRK mit der Offenheit für neue Differenzierungsgründe der Regelungstechnik anderer völkerrechtlicher Menschenrechtskonventionen, wie etwa Art. 2 Abs. 1 AEMR oder Art. 1 Abs. 1 AMRK.651 649
So ausdrücklich EGMR, 08.06.1976, Engel u.a., Serie A 22 = EuGRZ 1976, S. 221, § 72; EGMR, 28.11.1984, Rasmussen, Serie A 87 = NJW 1986, S. 2176, § 34; EGMR, 21.02.1986, James, Serie A 98 = EuGRZ 1988, S. 341, § 74; vgl. auch Frowein/Peukert (Fn. 507), Art. 14 EMRK, Rn. 13; Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 21. 650 651
Ähnlich auch Schweizer (Fn. 437), Art. 14 EMRK, Rn. 17. Vgl. Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 20 und oben Fn. 60.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
195
Eine wichtige Folge der Unabgeschlossenheit des Katalogs der Differenzierungsgründe ist, dass der Gerichtshof bisweilen davon absehen kann, in jedem Einzelfall den jeweils einschlägigen Differenzierungsgrund zu bestimmen, sofern es sich nur um eine irgendwie personenbezogene Unterscheidung handelt. Die Unabgeschlossenheit der Differenzierungsgründe wird geradezu als Argument für den Verzicht auf eine nähere Untersuchung angeführt.652 In der Regel begründet der EGMR die Anerkennung eines ungeschriebenen Differenzierungsgrundes formal: Zum einen verweist der Gerichtshof auf die Auffangklausel des Art. 14 bzw. des Art. 1 ZP 12 EMRK („or other status“), zum anderen auf den weiten Wortlaut der Norm (engl. „status“/franz. „situation“).653 Bisweilen findet sich überhaupt keine Begründung für die Bejahung eines ungeschriebenen Differenzierungsgrundes, sondern der EGMR benennt den Differenzierungsgrund als „Status“ und prüft daraufhin die Ungleichbehandlung und ggf. Rechtfertigung.654 Der EGMR legt das Kriterium der „Personenbezogenheit“ sehr weit aus. Die wichtigsten ungeschriebenen „einfachen“ Differenzierungsgründe, die mithin in der Liste des Art. 14 bzw. Art. 1 ZP 12 EMRK nicht enthalten sind, betreffen zum einen berufsrelevante Eigenschaften: Darunter fällt der berufliche Status als Militärangehöriger,655 die Beschäftigung als pro deo-Verteidiger656 sowie die berufliche Vergangenheit.657 Der Gerichtshof hat aber andererseits auch den „gewöhnlichen Wohnsitz“ als „einfachen“ Differenzierungsgrund anerkannt.658 In diesen Fällen hat der Gerichtshof – z.T. ohne nähere Begründung – angenommen, dass die jeweilige Eigenschaft ein personenbezogenes Kriterium darstellt. Allerdings ist bereits zweifelhaft, ob z.B. die Be-
652
Vgl. EGMR, 28.11.1984, Rasmussen, Serie A 87 = NJW 1986, S. 2176, §
34. 653
Vgl. EGMR, 08.06.1976, Engel u.a., Serie A 22 = EuGRZ 1976, S. 221, §
72. 654 655
EGMR, 24.02.1995, McMichael, Serie A 307-B = ÖJZ 1995, S. 704, § 98. EGMR, 08.06.1976, Engel u.a., Serie A 22 = EuGRZ 1976, S. 221, § 72.
656
EGMR, 23.11.1983, van der Mussele, Serie A 70 = EuGRZ 1985, S. 477, §§ 42 ff. 657
EGMR, 27.07.2004, Sidabras u.a., RJD 2004-VIII, § 41; EGMR, 07.04.2005, Rainys u.a., Nr. 70665/01 u.a., §§ 31 ff. 658
EGMR (K), 04.11.2008, Carson u.a., Nr. 42184/05, § 76.
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3. Teil
schäftigung als pro deo-Verteidiger so mit der Person verbunden ist, dass man von einer „personenbezogenen“ Eigenschaft im Sinne der Rechtsprechung des EGMR sprechen kann. In diesem Fall geht es um reine Beschäftigungsmodalitäten, die nur an lose, akzidentelle und veränderbare Eigenschaften anknüpfen und keine (personen-) statusbegründende Wirkung haben. Dasselbe gilt für die Eigenschaft als Militärangehöriger. In diesen Fällen hätte man den Unterscheidungsmerkmalen daher bereits den Status als personenbezogener Differenzierungsgrund absprechen können, so dass aus diesem Grund eine Verletzung des Art. 14 bzw. Art. 1 ZP 12 EMRK ausgeschieden wäre. Hinsichtlich des Differenzierungsgrunds der beruflichen Vergangenheit ist zunächst auf den Fall Sidabras u.a. (2004)659 zu verweisen. In diesem Fall rügten die Beschwerdeführer, dass ihnen die Aufnahme einer Berufstätigkeit im öffentlichen Dienst wie im privaten Sektor aufgrund eines Gesetzes wegen ihrer früheren Tätigkeit als KGB-Mitarbeiter verwehrt sei. Der EGMR wertete in diesem Fall die berufliche Vergangenheit als einen personenbezogenen Differenzierungsgrund. Dies ist mit Recht in der teilweise abweichenden Meinung des Richters Thomassen kritisiert worden.660 Die berufliche Vergangenheit ist mit den geschriebenen, einfachen Differenzierungsgründen nur schwer vergleichbar: Zwar ist sie – wie beispielsweise die Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit – nicht (mehr) veränderbar, gleichwohl ist die eigene berufliche Vergangenheit (anders als die geschriebenen, unveränderbaren Differenzierungsgründe) aber doch selbst zu verantworten. Sie ist grundsätzlich Gegenstand einer individuellen Wahl wie die politische Anschauung, aber sie begründet keinen eigenen, personenbezogenen Status, sondern ist Teil einer individuellen Biographie, sie ist gewissermaßen selbstverantwortetes Schicksal.
2. Funktionen der Differenzierungsgründe in der Rechtsprechung des EGMR Die konventionsrechtliche Dogmatik weist der Einteilung der Differenzierungsgründe drei Funktionen zu. Dafür ist jeweils von Bedeutung, ob es sich um einen „verdächtigen“ oder „einfachen“ Differenzierungsgrund handelt: Der erste, entscheidende Grund, weswegen die Be659
EGMR, 27.07.2004, Sidabras u.a., RJD 2004-VIII; vgl. jetzt auch EGMR, 7.4.2009, Žičkus, Nr. 26652/02, §§ 17 ff. 660
EGMR, 27.07.2004, Sidabras u.a., RJD 2004-VIII, Annex.
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stimmung des Differenzierungsgrundes in einem gegebenen Fall von Bedeutung ist, besteht darin, dass die Intensität der Rechtfertigungsanforderungen bzw. die vom Gerichtshof angelegte Prüfungsdichte je nach Qualität des Differenzierungsgrundes variiert (1.). Handelt es sich um einen „verdächtigen“ Differenzierungsgrund (z.B. dem des Geschlechts), so werden in der Regel, aber nicht automatisch, strengere Rechtfertigungsanforderungen an den beklagten Staat gestellt als bei „einfachen“ personenbezogenen Differenzierungsgründen, wie z.B. der Differenzierung aufgrund des Vermögens. Genauer formuliert reguliert die Verdächtigkeit des Differenzierungsgrundes die Weite des den Vertragstaaten zustehenden Beurteilungsspielraums (margin of appreciation), der im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK zu berücksichtigen ist. Zweitens kann die Qualifizierung als verdächtiger Differenzierungsgrund dazu führen, dass die Nichtrechtfertigungsfähigkeit vermutet wird (2.). Diese Vermutung ist allerdings vom Vertragstaat widerlegbar. Drittens kommt einigen Differenzierungsgründen (insbes. dem der Rasse oder der ethnischen Herkunft) eine Frühwarnfunktion zu (3.). Schon der Vorwurf der rassischen Diskriminierung wiegt schwer, so dass der Gerichtshof – auch wenn er nur Individualbeschwerden behandelt – die Möglichkeit hat, über die Identifizierung des Differenzierungsgrunds eine gesteigerte Aufmerksamkeit der übrigen Vertragstaaten auf mögliche strukturelle Missstände (z.B. bei den Polizeikräften oder im staatlichen Schulsystem) im Beschwerdestaat zu lenken.
a) Regulierung der Rechtfertigungsanforderungen und des Beurteilungsspielraums aa) Strenge Begründungsanforderungen aaa) Kein Automatismus Anders als beispielsweise im U.S.-amerikanischen Verfassungsrecht kann man in Bezug auf die Dogmatik der strengeren Begründungsanforderungen, wie sie vom EGMR vertreten wird, nicht von einem Automatismus oder Schematismus sprechen, nach welchem das Vorliegen eines „verdächtigen“ Differenzierungsgrunds bereits die hinreichende Bedingung für die erhöhten Rechtfertigungsanforderungen darstellt; vielmehr handelt es sich bloß um einen, oft jedoch ausschlaggebenden Faktor bei der Regulierung des erforderlichen Rechtfertigungsni-
198
3. Teil
veaus.661 Die Regulierung der Begründungsanforderungen im Rahmen der Rechtfertigung bei Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK hängt zwar entscheidend von der Qualität des festgestellten Differenzierungsgrundes ab, doch hält sich der Gerichtshof berechtigterweise mit der Einführung eines Automatismus zurück. Dies hängt letztlich mit der Subsidiarität des konventionsrechtlichen Grundrechtsschutzes zusammen: Aufgrund des Subsidiaritätserfordernisses muss dem Vertragstaat nicht nur die Möglichkeit eingeräumt werden, Konventionsverletzungen primär auf nationaler Ebene abzuwehren, sondern diese Voraussetzung bedingt auch, dass im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung Raum für spezifisch völkerrechtliche Erwägungen bleiben muss, wie z.B. das Bestehen eines internationalen Konsenses. Das Fehlen eines Automatismus lässt sich am besten an dem Fall Petrovic v. Österreich (1998)662 zeigen. In diesem Fall wurde gerügt, dass nach österreichischem Recht das Elterngeld („Karenzurlaubsgeld“), das für die Zeit der Betreuung eines Kleinkindes gezahlt wird, nur von Müttern, nicht aber von Vätern in Anspruch genommen werden kann. Unstreitig handelte es sich hier um eine Ungleichbehandlung von Personen in vergleichbarer Situation, nämlich Vätern und Müttern, aufgrund des Geschlechts. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR bedarf es, wie bereits dargelegt, zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen auf der Grundlage des Geschlechts „sehr gewichtiger Gründe“ seitens des Vertragstaates. Ohne an dieser Stellte auf erwägbare Gründe einzugehen, etwa dass Mütter nach der Geburt eine Zeit zur Erholung brauchen bzw. das Baby stillen möchten, führt der EGMR sogleich die Figur des Beurteilungsspielraums („margin of appreciation“) an, der den Staaten bei der Frage zukommt, ob Väter und Mütter hinsichtlich des Elterngeldes gleich zu behandeln seien. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des EGMR kann dieser Spielraum nach den Umständen, dem Gegenstand und dem Hintergrund des Falles variieren, wobei einem gemeinsamen europäischen Standard eine wichtige Rolle bei der Bemessung zukommt. Im Fall Petrovic nimmt der EGMR aus folgenden Gründen einen weiten Beurteilungsspielraum des Vertragstaates an: Zur relevanten Zeit, d.h. Ende der 1980er-Jahre, habe es keinen einheitlichen europäischen Standard in der Frage des Elterngeldes gegeben, die Idee eines Elterngeldes zwecks Kinderbetreuung sei relativ neu und schließlich handle es sich um einen prozesshaften gesellschaftlichen Vorgang, in dem sich nur allmählich die Auffassung einer geteilten Ver661 662
Ebenso auch Arnardóttir (Fn. 599), p. 155. EGMR, 27.03.1998, Petrovic, RJD 1998-II, no. 67 = ÖJZ 1998, S. 516.
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antwortung zwischen Männern und Frauen für die Erziehung der Kindern durchsetze. Der Gerichtshof lehnte daher die Verletzung von Art. 14 i.V. mit Art. 8 EMRK ab. Der Fall Petrovic zeigt, dass obwohl eine Ungleichbehandlung aufgrund eines verdächtigen Differenzierungsgrundes vorliegt, nicht von einem Automatismus gesprochen werden kann, der zwangsläufig zu der Feststellung einer Diskriminierung führte. Zu beachten ist allerdings, dass es sich hier in mancher Hinsicht um eine Sonderkonstellation handelt: Von Bedeutung ist insbesondere, dass es sich um einen Fall der hier sog. passiven Diskriminierung in der Konstellation der Teilhabegewährleistungspflicht handelt.663 Bei behaupteten Handlungspflichten betreffend der Frage, auf wen der Staat Vorteile erstreckt, genießen die Vertragsparteien tendenziell einen weiteren Spielraum als bei Unterlassungspflichten; dies wird noch verstärkt dadurch, dass es hier um sozioökonomische Vorteile und nicht etwa um die Ausdehnung freiheitsrechtlich geprägter Betätigungen geht.664 bbb) Ansätze zur Dogmatik der strengeren Begründungsanforderungen In der Rechtsprechung des EGMR werden regelmäßig zwei Argumente genannt, mit denen begründet wird, weswegen bei den „verdächtigen“ Differenzierungsgründen im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung strengere Begründungsanforderungen zu stellen sind. Einmal wird mit der Wichtigkeit des politischen Ziels der Gleichstellung bestimmter historisch benachteiligter, sozialer Gruppen argumentiert (v.a. in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter, Homo- und Heterosexueller, eheund nichtehelicher Kinder), wie es u.a. Ausdruck in verschiedenen Dokumenten des Europarates gefunden hat.665 Zum anderen verweist der Gerichtshof zur Begründung einer strengeren Prüfung auf das Vorhandensein eines einheitlichen europäischen Standards in dem Recht der Vertragstaaten.666 Auffällig ist, dass der Gerichtshof eine extrinsische Begründung der Verdichtung des den Staaten zustehenden Beurteilungsspielraums vorträgt und teleologische oder rechtsethische Erwägungen unberücksichtigt lässt. Diese interpretatorische Zurückhaltung kann mit seiner Stellung als eines völkerrechtlichen Rechtsprechungsorgans, das nicht in jeder Hinsicht mit einem nationalen Verfassungsge663 Zur passiven Diskriminierung s. ausführlich S. 304 ff. (vgl. insbes. S. 356 ff. zur Teilhabegewährleistungspflicht). 664 665 666
Vgl. dazu unten S. 372. Vgl. dazu im Einzelnen Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 228 m.w.N. Dazu s. Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 228 m.w.N.
200
3. Teil
richt vergleichbar ist, aber auch mit dem Hinweis auf die – letztlich in der Unklarheit des Gleichheitsbegriffs wurzelnde – theoretische Unsicherheit erklärt werden.667 Zu kritisieren ist der extrinsische Ansatz jedoch deswegen, weil er die Dogmatik des Diskriminierungsverbots von Zufälligkeiten bzw. äußeren Umständen abhängig macht, die mit der Sache der Nichtdiskriminierung nichts zu tun haben: Der Wille, einige Benachteiligungen stärker zum Gegenstand rechtlicher Regelung bzw. Ächtung zu machen, hängt nicht allein von der Bedeutung der Nichtdiskriminierung für die Betroffenen in dem jeweiligen Lebensausschnitt oder der rechtsethischen Erforderlichkeit der Juridifizierung ab, sondern auch von politischen, sozialen und historischen Bedingungen.668 So stehen in Europa – anders als beispielsweise in den USA – traditionell eher die Differenzierungsgründe wie das Geschlecht, die Behinderung oder die (eheliche) Abstammung im Vordergrund und weniger Kriterien wie die ethnische Herkunft oder die Zugehörigkeit zu einer Minderheit. In der Literatur finden sich demgegenüber intrinsische, insbesondere teleologische und rechtsethische Begründungsansätze, weswegen an einige Ungleichbehandlungen, die sich auf bestimmte Differenzierungsgründe stützen, strengere Begründungsanforderungen zu stellen sind. Da auch bei dieser Fragestellung das rechtsethische Grundproblem des Diskriminierungsverbots berührt wird, weshalb nämlich gewisse Ungleich- oder Gleichbehandlungen von Personen zu verurteilen sind, ergeben sich zwangsläufig Überschneidungen mit den Theorien zum Normzweck und den oben aufgeführten Ansätzen zur Deutung der Gemeinsamkeiten der Differenzierungsgründe. Ein prominenter Ansatz verortet den Grund der strengeren Begründungsanforderungen in der Immoralität der Ungleichbehandlung von Personen aufgrund von Vorurteilen, Stereotypisierung und Rollenidealen, die typischerweise auf bestimmte Differenzierungsgründe gestützt
667
Zum Gleichheitsbegriff als „essentially contested concept“ s. näher oben S.
15 f. 668
Gerards ([Fn. 31], p. 208 f.) kritisiert, dass im Falle des Verschwindens eines europäischen Konsenses die Prüfungsintensität durch den Gerichtshof zurückgefahren werden könne und dass der EGMR, wenn er sich von einem Konsens abhängig macht, seine Aufgabe als „Vorreiter“ des europäischen Menschenrechtsschutzes nicht erfüllen könne. Für eine grundsätzliche Kritik an dem „common standard“-approach vgl. auch Letsas (Fn. 491), p. 279 ff.
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werden.669 Ein weiterer Ansatz verweist auf die Bedeutung der Gehalte der Differenzierungsgründe für die Identitätsbildung sowie auf die Unveränderlichkeit einiger Merkmale: Dies trifft zum Beispiel auf die Merkmale der sexuellen Orientierung sowie der ethnischen Herkunft zu; in beiden Fällen trägt die jeweilige Eigenschaft subjektiv und auch objektiv besonders zur Identitätsbildung bei und ist für den Einzelnen stets oder doch meistens unverfügbar bzw. unänderbar.670 Zudem kann man damit argumentieren, dass diese Merkmale in besonderem Maße irrelevant für die moralische oder soziale Beurteilung einer Person sind: Man ist keine bessere oder schlechtere Person, weil man sich der deutschen Nationalität zurechnet oder weil man eine Frau ist.671 Nach dem hier befürworteten Ansatz muss die gesteigerte Prüfungsdichte im Fall „verdächtiger“ Differenzierungsmerkmale mit deren Besonderheit begründet werden, dass hier nämlich – wie oben dargelegt – die Nichtanknüpfung von Nachteilen selbst ein Mittel oder eine Bedingung des So-Sein-Könnens der Person ist.672 Beispielsweise würden die Mittel meines So-Sein-Könnens verkürzt, wenn ich gezwungen wäre, eine andere Religion anzunehmen. Dem Staat kommt hinsichtlich der Gewährleistung der Mittel und Bedingungen des So-Sein-Könnens eine bedeutende Rolle zu. Die aus dieser staatlichen Verantwortung abzuleitende Pflicht richtet sich nicht nur an den Gesetzgeber, sondern auch an die Judikative und – in der Verlängerung – auch an den internationalen Richter, der über die Rechtmäßigkeit staatlicher Entscheidungen in diesen sensiblen Bereichen zu urteilen hat. Die Pflicht zur Kontrolle ist umso intensiver, je mehr die Bereiche des So-Sein-Könnens von Personen betroffen sind. ccc) Vermutungswirkung und Hierarchie der Differenzierungsgründe In der ständigen Rechtsprechung des EGMR heißt es, dass in den Fällen der „verdächtigen“ Differenzierungsgründe „sehr gewichtige Gründe“ („very weighty reasons“) zur Rechtfertigung von Ungleich- (bzw.
669
Alexander (Fn. 339), p. 149 ff. Vgl. auch die abweichende Meinung der Richter Spielmann und Bernhardt in EGMR, 27.03.1998, Petrovic, RJD 1998-II, no. 67 = ÖJZ 1998, S. 516, Annex. 670 671 672
Dazu und zum Folgenden vgl. Gerards (Fn. 31), p. 201 f. Vgl. z.B. Peters (Fn. 216), S. 217. Dazu s. bereits oben S. 180 ff.
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3. Teil
in bestimmten Fällen auch Gleich-)Behandlung erforderlich seien.673 Dies lässt an sich daran denken, dass eine besonders intensive Prüfung der Begründung und eine sorgfältige Analyse der vorgetragenen Argumente durch den EGMR erfolgen würde; in der Praxis findet eine solche Prüfung jedoch zumeist nicht statt, sondern der „very weighty reasons“-Test wird in eine Diskriminierungsvermutung umgedeutet mit der Folge, dass der Gerichtshof unterstellt, dass die jeweilige Behandlung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht standhalten wird.674 Dies gilt insbesondere dann, wenn der „verdächtige“ Differenzierungsgrund der „entscheidende Faktor“ („decisive factor“) in der letztinstanzlichen nationalen Entscheidung war.675 Wie der oben erwähnte Fall Petrovic allerdings gezeigt hat, handelt es sich dabei aber in der Regel um eine widerlegbare Vermutung. Unklar ist, ob der EGMR unter den „verdächtigen“ Differenzierungsgründen nochmals eine Hierarchisierung einführt, indem er bei manchen dieser Differenzierungsgründe von der Nichtrechtfertigung, genauer von der Unverhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck, ausgeht.676 In den Fällen, in denen die Ungleichbehandlung ausschließlich auf bestimmten, „verdächtigen“ Differenzierungsgründen beruht, hält der Gerichtshof eine Rechtfertigung offenbar für ausgeschlossen. Diesbezügliche Einlassungen des Gerichtshofs finden sich zu den „verdächtigen“ Differenzierungsgründen der ethnischen Herkunft677, der Religion678 und auch zum Differenzierungsgrund der „sexuellen Orientie-
673
Vgl. nur Grabenwarter (Fn. 208), § 26 I 4 b), S. 453 ff., Rn. 13 ff.
674
So auch Gerards (Fn. 31), p. 200; vgl. auch Schweizer (Fn. 437), Art. 14 EMRK, Rn. 18. 675
Vgl. nur EGMR, 21.12.1999, Salgueiro da Silva Mouta, RJD 1999-IX, §
35. 676
Begrifflich etwas unscharf wird in diesem Zusammenhang auch von einer „unwiderleglichen Vermutung“ gesprochen. 677
EGMR, 13.05.2005, Timishev, RJD 2005-XII, § 58: “In any event, the Court considers that no difference in treatment which is based exclusively or to a decisive extent on a person’s ethnic origin is capable of being objectively justified in a contemporary democratic society built on the principles of pluralism and respect for different cultures.” 678
EGMR, 23.06.1993, Hoffmann, Serie A 255-C = EuGRZ 1996, S. 648, § 36: “Notwithstanding any possible arguments to the contrary, a distinction based essentially on a difference in religion alone is not acceptable.”
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rung“679. Diese zusätzliche Hierarchisierung ist aus mehreren Gründen problematisch: Erstens ist nicht hinreichend begründet, wieso gerade diese „verdächtigen“ Differenzierungsgründe eine herausgehobene Bedeutung bekommen sollen. Zweitens ist eine solche zusätzliche Hierarchisierung nicht erforderlich. Ausreichend ist schon die Regulierung der Begründungsanforderungen auf Rechtfertigungsebene, indem den Vertragsstaat bei „verdächtigen“ Differenzierungsgründen eine höhere Begründungslast trifft als bei „einfachen“ Differenzierungsgründen. Drittens wird auf diese Weise zu viel Gewicht auf den ohnehin oft schwierig darzulegenden Tatbestand der Diskriminierung gelegt; dies steht im Widerspruch zu der sonst vom EGMR gewählten Problemlösung auf Rechtfertigungsebene.680 Allenfalls bei direkten Diskriminierungen, die ausschließlich auf Rassismus oder ethnischen Gründen beruhen, kann nach hier vertretener Ansicht von der Nichtrechtfertigung ausgegangen werden; hierfür lässt sich insbesondere der ius cogensStatus des Schutzes vor Rassendiskriminierung anführen.681 Somit ergibt sich – aufgrund der nicht unangreifbaren Rechtsprechung des EGMR – folgende Hierarchie der Differenzierungsgründe unter der EMRK: Eine erste Gruppe bilden die „verdächtigen“ Differenzierungsgründe. Innerhalb dieser Gruppe unterscheidet der Gerichtshof hinsichtlich derjenigen Differenzierungskriterien, bei denen eine Rechtfertigung nicht in Betracht kommt (bislang nur bei direkter Diskriminierung, wenn die Ungleichbehandlung ausschließlich auf der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der sexuellen Orientierung beruht), sowie den Differenzierungskriterien, bei denen die Diskriminierung lediglich widerleglich vermutet wird (Geschlecht, nichteheliche Geburt, nationale Herkunft). Die zweite Gruppe umfasst die „einfachen“ Differenzierungsgründe, zu denen z.B. die politische oder sonstige Anschauung, soziale Herkunft, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit und das Vermögen zählen.
679
EGMR, 02.03.2010, Kozak, Nr. 13102/02, § 92: “(...) if the reasons advanced for a difference in treatment were based solely on the applicant’s sexual orientation, this would amount to discrimination under the Convention.” 680
Gegen eine solche interne Hierarchisierung der „verdächtigen“ Differenzierungsgründe argumentiert auch Gerards (Fn. 31), p. 200; vgl. zum Ganzen auch Peters/König (Fn. 156), Kap. 21 Rn. 224 f. 681
Vgl. dazu bereits oben S. 41.
204
3. Teil
bb) Einfache Begründungsanforderungen Nach Christian Tomuschats bekanntem Diktum besteht die Arbeit des Gesetzgebers geradezu darin, Klassifizierungen einzuführen.682 Diese sich aus der Natur der Sache der Gesetzgebung ergebende Notwendigkeit, zwischen Personen und Personengruppen zu differenzieren, wird auch vom Gerichtshof bei der Auslegung der Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK vorausgesetzt: Die Arbeit des Gesetzgebers darf nicht über Gebühr durch das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot beschränkt werden. Eine Folge ist, dass die Behauptung einer Diskriminierung bei einfachen, d.h. nicht auf „verdächtigen“ Differenzierungsgründen zwischen Personen gestützten Ungleichbehandlungen, oft schon daran scheitert, dass der Gerichtshof die Sachverhalte für nicht vergleichbar erachtet.683 Wird die Vergleichbarkeit bejaht (oder vom Gerichtshof unterstellt) und liegt eine Ungleichbehandlung auf der Basis eines nicht-„verdächtigen“ Differenzierungsgrunds vor, dann bedarf es nach ständiger Rechtsprechung einer „objektiven und rationalen Rechtfertigung“684, wobei keine erhöhten Begründungsanforderungen gestellt werden. Ausreichend sind dann bereits rationale, nicht völlig abwegige Gründe für die gesetzliche Regelung oder den sonstigen hoheitlichen Rechtsakt. Solche nicht-„verdächtigen“ Differenzierungsgründe, bei denen einfache Begründungsanforderungen für die Rechtfertigung des Hoheitsakts ausreichen, lassen sich – basierend auf der bisherigen Rechtsprechung des EGMR – in drei Gruppen einteilen: Differenzierungen im Bereich der Strafrechtspflege, berufsbezogene Differenzierungen und vermögensbezogene Differenzierungen.685 Der Gerichtshof ist in diesen Fällen recht großzügig und akzeptiert nachvollziehbare Erwägungen der Vertragstaaten als hinreichende Rechtfertigungsgründe.
682
Tomuschat (Fn. 115), p. 710: „To legislate is to classify.“
683
Vgl. z.B. EGMR, 16.10.2001, Eliazer, RJD 2001-X, § 41: In diesem Fall sah der Gerichtshof die Position einer nach einem Strafverfahren in Abwesenheit verurteilten Person nicht für vergleichbar an mit derjenigen, die in Anwesenheit verurteilt wurde. Zur Vergleichbarkeit als Voraussetzung der Diskriminierungsprüfung s. ausführlich oben S. 165 ff. 684
St. Rspr., vgl. nur EGMR, 08.07.1986, Lithgow, Serie A 102 = EuGRZ 1988, S. 350, § 177. 685
Vgl. zu dem Problem der einfachen Begründungsanforderungen auch Arnardóttir (Fn. 599), pp. 129-141.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
205
Als Beispiel für eine Differenzierung im Bereich der Strafrechtspflege, die nur einfache Begründungsanforderungen nach sich zieht, lässt sich der Fall Kamasinski (1989)686 anführen. Hier rügte der Beschwerdeführer unter Verweis auf Art. 14 i.V. mit Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 lit. c) EMRK, dass es ihm als Häftling unmöglich gewesen sei, an einer strafrechtlichen Berufungsverhandlung teilzunehmen. Anders sei es, wenn sich die eine Berufung einlegende Person in Freiheit befinde. Der Vertragstaat (Österreich) berief sich darauf, dass in diesen Berufungsverfahren die Anwesenheit des Berufung einlegenden Angeklagten nicht erforderlich sei. Der Gerichtshof stellt in diesem Fall zunächst fest, dass – angesichts der geringeren Bedeutung der Anwesenheit des Angeklagten in Berufungsfällen – den Vertragstaaten ein weiter Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage zukomme, ob und in welchem Umfang eine Ungleichbehandlung zwischen in Haft befindlichen und freien Personen zulässig ist. Sodann streicht der Gerichtshof heraus, dass es „in der Natur der Sache“ liege, dass ein in Haft befindlicher Angeklagter nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen, namentlich besonderen Sicherheitsvorkehrungen, an Berufungsverfahren persönlich teilnehmen könne. Im Bereich der berufsbezogenen Differenzierungen, etwa bei der unterschiedlichen gesetzlichen Ausgestaltung verschiedener juristischer Berufe oder bei der unterschiedlichen disziplinarischen Behandlung von Offizieren im Vergleich zu Nicht-Offizieren, tendiert der EGMR ebenfalls zu einem weiten Beurteilungsspielraum und einer bloßen Willkürkontrolle.687 Ähnlich verfährt der Gerichtshof bei vermögensbezogenen Differenzierungen. So können z.B. unterschiedliche Regelungen der rechtlichen Situation von Mietern und Vermietern aus Gründen des öffentlichen Interesses gerechtfertigt sein.688 Sofern es sich um nicht-„verdächtige“ Differenzierungsgründe handelt, kann sich ein Vertragstaat auf plausible Erwägungen des staatlichen Interesses (z.B. Sicherheitsinteressen, unverhältnismäßiger finanzieller Aufwand etc.) oder auch auf Argumente aus der Natur der Sache stützen. Je mehr der nicht-„verdächtige“ Differenzierungsgrund einem rein sachbezogenen Unterscheidungskriterium angenähert ist, desto gerin686 EGMR, 19.12.1989, Kamasinski, Serie A 168 = ÖJZ 1990, S. 412, §§ 104 ff.; vgl. dazu auch Arnardóttir (Fn. 599), p. 132. 687 688
Vgl. dazu auch Arnardóttir (Fn. 599), p. 133 ff. m.w.N.
Vgl. EGMR, 21.02.1986, James, Serie A 98 = EuGRZ 1988, S. 341, §§ 75 ff.; vgl. Arnardóttir (Fn. 599), p. 135 f. m.w.N.
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3. Teil
gere Begründungsanforderungen sind an seine Rechtfertigung zu stellen. So liegt in der gesetzgeberischen Unterscheidung hinsichtlich der strafrechtlichen Behandlung von Straftaten mit terroristischem Hintergrund und solchen ohne diesen, eine statthafte Differenzierung, die an das taugliche Kriterium des Gefährdungspotentials anknüpft, aber keine Diskriminierung.689
b) Frühwarnfunktion, insbesondere bei strukturellen Diskriminierungen Der Hierarchisierung der Differenzierungsgründe, die – wie oben dargestellt – mittlerweile in der Rechtsprechung des Gerichtshofs deutlich zu Tage tritt, kommt neben der Regulierung der Rechtfertigungsanforderungen eine weitere Funktion zu: Je nach dem Grad der „Verpöntheit“ des jeweiligen Differenzierungsgrundes wiegt der Vorwurf der Konventionsverletzung gegenüber dem Vertragstaat unterschiedlich schwer. Besonders gravierend ist die Feststellung der Diskriminierung aus ethnischen Gründen. Noch bis zu Beginn der 2000er-Jahre hat sich der Gerichtshof mit Feststellung einer Verletzung des Art. 14 EMRK auf der Basis einer ethnischen Differenzierung zurückgehalten.690 Die besondere „Verpöntheit“, d.h. ethische Unhaltbarkeit, gewisser personenbezogener Differenzierungen führt dazu, dass die Feststellung einer Konventionsverletzung in diesen Fällen besondere politische und öffentliche Beachtung findet. Noch verstärkt wird dies dann, wenn die individuelle Konventionsverletzung Teil einer systematischen oder jedenfalls wiederkehrenden Praxis von Diskriminierungen, also ein strukturelles gesellschaftliches Problem darstellt.691 Der Gerichtshof kann diese strukturellen Probleme, die möglicherweise zu einer Vielzahl gleichgelagerter Verfahren führen, mit dem bestehenden Instrumentarium der Individualbeschwerde kaum adäquat behandeln. Die Lösung struktureller Menschenrechtsprobleme läge angesichts des auf individualisierte Beschwerden zugeschnittenen Verfahrens der Art. 33 und Art. 34 EMRK auch außerhalb der (bisherigen) Funktionen des Gerichts689
EGMR, 08.07.1999, Gerger, Nr. 24919/94, § 66; vgl. dazu Arnardóttir (Fn. 599), p. 132 f. 690
Bahnbrechend war das Urteil des EGMR in der Sache Nachova aus dem Jahr 2004, dazu vgl. ausführlich unten S. 381 ff. 691
Dies ist typischerweise bei sog. indirekten Diskriminierungen der Fall, dazu s. unten S. 265 ff.
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hofs.692 Es zeichnen sich allerdings prozessuale Entwicklungen im Konventionsrechtsschutz ab, die auch für die Erfassung der Probleme systemischer Diskriminierungen von Bedeutung sein könnten. Ausgehend von dem Urteil im Fall Broniowski (2004) hat der EGMR richterrechtlich das sog. Piloturteilsverfahren eingeführt und in weiteren Verfahren bestätigt: Diese prozessuale Innovation betrifft Fälle, in denen eine Individualbeschwerde gleichsam stellvertretend für eine große Anzahl an gleich gelagerten Konventionsverletzungen steht, die Verletzung im Einzelfall also ihren Ursprung in einem „systemischen Problem“ hat.693 Hintergrund der Einführung des Piloturteilsverfahrens ist die bei systemischen Defekten einer nationalen Rechtsordnung drohende Überlastung des Konventionsrechtsschutzsystems durch eine Beschwerdeflut.694 Ein Vorgehen im Wege des Piloturteilsverfahrens erlaubt es dem Gerichtshof, zwei weitere Feststellungen – über die Konventionsverletzung hinaus – in den Tenor eines Urteils aufzunehmen: Zum einen die Feststellung, dass die Konventionsverletzung auf einem systemischen Problem (der Rechtsordnung des Vertragsstaates) beruht, zum anderen einen Verpflichtungsausspruch, mit dem der Vertragsstaat zum Ergreifen von Maßnahmen zur Beseitigung des systemischen Defekts angehalten wird.695 Bei der Einführung des Piloturteilsverfahrens handelt sich um eine Form der Konstitutionalisierung des Völkerrechts durch Verfahrensrecht: Erstens justiert der EGMR die funktionale Gewaltenteilung zwischen Gerichtshof und Ministerkomitee neu, indem er der Sache nach politische Problemlösung betreibt, wenn er konkret
692
Allenfalls wäre an ein Gutachtenverfahren nach Art. 47 EMRK zu den-
ken. 693
EGMR, 22.06.2004, Broniowski, RJD 2004-V, § 189 („systemic nature of [the, Verf.] problem”). Weitere Fälle (in Auswahl): EGMR, 19.06.2006, HuttenCzapska, RJD 2006-VIII, §§ 226 ff.; EGMR, 15.10.2009, Yuriy Nikolayevich Ivanov, Nr. 40450/04, §§ 73 ff. Vgl. zu der Problematik des Piloturteilsverfahrens ausführlich Hans-Joachim Cremer, Entscheidung und Entscheidungswirkung, in: Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2. Aufl., Tübingen 2010, Kap. 32, Rn. 99 ff. (i.E.) m.w.N. Vgl. auch Stefanie Schmahl, Piloturteile des EGMR als Mittel der Verfahrensbeschleunigung, EuGRZ 2008, S. 369 ff. 694 695
Vgl. Cremer (Fn. 693), Rn. 100.
Vgl. z.B. den Tenor im Fall EGMR, 22.06.2004, Broniowski, RJD 2004-V. Zum weiteren Problem der Wirkung des Piloturteilsverfahrens auf Parallelfälle vgl. Cremer (Fn. 693), Rn. 105 f.
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3. Teil
benannte Maßnahmen zur Abhilfe vom Vertragsstaat einfordert.696 Zweitens verlässt der EGMR das Prinzip des Individualrechtsschutzes zugunsten einer europäischen Verfassungsrechtsprechung, je weiter sich der Gerichtshof systemischen Problemen in den Vertragsstaaten annimmt, Vorgaben für deren Lösung macht und zugleich anhängige Parallelverfahren aussetzt.697 Grundsätzlich ist die Anwendung des Piloturteilsverfahrens auch in Diskriminierungsfällen denkbar. Wegen des besonders schwerwiegenden Vorwurfs einer systemischen Diskriminierung ist allerdings zu erwarten, dass der EGMR das Piloturteilsverfahren im Bereich des Art. 14 und des Art. 1 ZP 12 EMRK mit äußerster Zurückhaltung anwenden wird. Allerdings kann der Gerichtshof in seinen Urteilen auch durch die Benennung des Diskriminierungsgrundes und durch die sprachliche Nuancierung698 in diesem Zusammenhang auf das strukturelle Problem hinweisen und so möglicherweise einen politischen Deliberationsprozess in dem jeweiligen Vertragstaat und eine Überprüfung staatlicher Strukturen (z.B. der Polizei, des Schulwesens) anstoßen. Auf diese Weise kommt bestimmten Differenzierungsgründen eine „Frühwarnfunktion“ bei.
c) Funktionen und Wirkungen der Differenzierungsgründe (Zusammenfassung) Die Funktionen und Wirkungen der Differenzierungsgründe in der Dogmatik der Diskriminierungsverbote unter der EMRK lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Regulierung der Anforderungen an die Vorprüfung der Vergleichbarkeit von Sachverhalten: Handelt es sich um einen „verdächtigen“ Differenzierungsgrund, so wird der Gerichtshof in der Regel an die Vergleichbarkeit der Sachverhalte weniger strenge Anforderungen stellen bzw. auf diese Vorprüfung ganz verzichten.699 696
Zur Kritik an dieser Entwicklung vgl. Cremer (Fn. 693), Rn. 104.
697
Zum Problem „Individualrechtsschutz“ oder „Verfassungsrechtsschutz“ unter der EMRK vgl. auch Helfer (Fn. 10), p. 138 ff. 698
So verwendet der EGMR bisweilen die scharfe Formulierung „the Court is struck by“ im Zusammenhang mit ethnischer Diskriminierung, vgl. z.B. EGMR, 06.12.2007, Petropoulou-Tsakiris, Nr. 44803/04, § 65. 699
S. dazu oben S. 172.
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2. Regulierung der Begründungsanforderungen im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung: Eine Analyse der Rechtsprechung des EGMR ergab die Einteilung in „verdächtige“ und „einfache“ Differenzierungsgründe. Bei den „verdächtigen“ Differenzierungsgründen ist mehr Begründungsaufwand zu betreiben, um eine Ungleich- (bzw. Gleich-)behandlung zu rechtfertigen; je stärker ein einfacher Differenzierungsgrund einem sach-, d.h. nichtpersonenbezogenen Differenzierungskriterium angenähert ist, desto geringer fällt die Begründungslast für den betreffenden Vertragstaat aus. 3. Vermutungswirkung: Liegt ein „verdächtiger“ Differenzierungsgrund vor, so besteht grundsätzlich eine widerlegliche Vermutung, dass das Mittel (d.h. die Ungleich- oder Gleichbehandlung) nicht in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck (d.h. dem gesetzgeberischen Regelungsziel oder „externen Zwecken“ in der Terminologie Husters700) steht. In Ausnahmefällen geht der Gerichtshof offenbar davon aus, dass eine direkte Diskriminierung nicht gerechtfertigt werden kann, nämlich dann, wenn die Ungleichbehandlung ausschließlich auf dem „verdächtigen“ Differenzierungsgrund der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der sexuellen Orientierung beruht. 4. Frühwarnfunktion: Insbesondere bei indirekter Diskriminierung kommt der Bestimmung des Differenzierungsgrunds eine „Frühwarnfunktion“ zu. Fälle, in denen der Gerichtshof beispielsweise eine ethnische Diskriminierung feststellt, erfahren in der internationalen Öffentlichkeit eine besondere Aufmerksamkeit und geben den Vertragstaaten Anlass, die betreffenden staatlichen Strukturen (z.B. Polizei, Schulwesen) zu überprüfen.
F. Grenzen der Gleichheit II: Die Rechtfertigungsprüfung und der Beurteilungsspielraum 1. Rechtfertigungsfähigkeit von personenbezogenen Ungleich- bzw. Gleichbehandlungen a) Begründungsgebot, kein Unterscheidungsverbot Die Nichtrechtfertigung einer personenbezogenen Ungleich- bzw. Gleichbehandlung ist integraler Bestandteil der Diskriminierungskon700
Zu der auf Stefan Huster zurückgehenden terminologischen Unterscheidung „interner“ und „externer Zwecke“ s. oben S. 86 und 88.
210
3. Teil
zeption des EGMR. Es handelt sich m.a.W. dann nicht um „Diskriminierung“ im Sinne von Art. 14 bzw. Art 1 ZP 12 EMRK, wenn hinreichend begründet wird, dass die angegriffene hoheitliche Maßnahme gerechtfertigt ist. Der EGMR behandelt das Diskriminierungsverbot in ständiger Rechtsprechung als Begründungsgebot. Die Interpretation des Diskriminierungsverbots als „Begründungsgebot“ meint, dass nicht jede, eine personenbezogene Unterscheidung treffende Maßnahme eine konventionswidrige „Diskriminierung“ darstellt, sondern dass diese einem Rechtfertigungszwang unterliegt, der aus dem Begründungsgebot folgt. Diese Interpretation des Diskriminierungsverbots als Begründungsgebot hat der Gerichtshof bereits mit dem grundlegenden Belgischen Sprachenfall etabliert, in dem französischsprachige Eltern eine Regelung über den Zugang zu französischsprachigen Schulen in Belgien rügten. Wegen der bleibenden Wirkung ist diese Interpretation im vollen Wortlaut wiederzugeben: “In spite of the very general wording of the French version („sans distinction aucune“), Article 14 does not forbid every difference in treatment in the exercise of the rights and freedoms recognized. This version must be read in the light of the more restrictive text of the English version („without discrimination“). In addition, and in particular, one would reach absurd results were one to give Article 14 an interpretation as wide as that which the French version seems to imply. One would, in effect, be led to judge as contrary to the Convention every one of the many legal or administrative provisions which do not secure to everyone complete equality of treatment in the enjoyment of the rights and freedoms recognized. The competent national authorities are frequently confronted with situations and problems which, on account of differences inherent therein, call for different legal solutions; moreover, certain legal inequalities tend only to correct factual inequalities. The extensive interpretation mentioned above cannot consequently be accepted.”701 Legte man den neutralen Wortsinn des Begriffs „distinction“ in der französischen Gegenwartssprache zugrunde, spräche in der Tat manches für ein Unterscheidungsverbot.702 Wenn aber anzuerkennen ist, dass hoheitliche Gewalt mit Notwendigkeit zwischen Personen zu dif701
EGMR, 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, B 9 = EuGRZ 1985, S. 298 ff., § 10. 702
Vgl. zu diesem etymologischen Problem oben S. 99 ff., insbes. S. 100.
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211
ferenzieren hat, dann bedarf es der Rechtfertigungsmöglichkeit dieser differenzierenden Behandlungen. Die herrschende konventionsrechtliche Dogmatik geht mit dem EGMR von der Rechtfertigungsfähigkeit von Ungleich- bzw. Gleichbehandlungen, die in den Anwendungsbereich von Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK fallen, aus.703 Die Gegenansicht, die in dem konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbot ein „striktes Unterscheidungsverbot“ erblicken möchte, hat sich zu Recht bislang nicht durchsetzen können.704 Diese Auffassung lehnt die Rechtfertigungsfähigkeit von Ungleichbehandlungen dann ab, wenn die Unterscheidung aufgrund der benannten Differenzierungsgründe, also etwa des Geschlechts, der Sprache etc., erfolgt. Die Ansicht gründet sich maßgeblich auf den Wortlaut der Norm in den verbindlichen Textfassungen (insbesondere der französischen Fassung, die von „sans distinction aucune“ spricht) und bezweckt eine kontrolliertere Handhabung des Diskriminierungsverbots unter Vermeidung der – für unscharf gehaltenen – Willkürprüfung.705 Mit der Interpretation des Diskriminierungsverbots als striktes Unterscheidungsverbot verbinden sich mehrere Probleme. Der Gerichtshof selbst führt in der soeben zitierten Passage im Belgischen Sprachenfall ein Argument an, weswegen es sich bei Art. 14 EMRK nicht um ein striktes Unterscheidungsverbot handeln kann. Ausgangspunkt des Arguments ist die Erwägung, dass die weite französische Textfassung im Lichte der englischen teleologisch zu reduzieren sei. Dieses Vorgehen kann sich auf Art. 33 Abs. 4 WVK berufen, demgemäß bei einem Bedeutungsunterschied bei Verträgen mit mehreren authentischen Sprachfassungen zunächst auf die Auslegungsregeln der Art. 31 und Art. 32 WVK zurückzugreifen ist, bevor diejenige Bedeutung zugrunde zu legen ist, die unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck des Vertrags den Wortlaut der verbindlichen Textfassungen am besten miteinander in Einklang bringt.706 Die solchermaßen bereits nach Art. 31 Abs. 1 WVK gebotene 703 Vgl. nur Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 24, 215 ff.; Frowein/Peukert (Fn. 507), Art. 14 EMRK, Rn. 12; Schweizer (Fn. 437), Art. 14 EMRK, Rn. 64 ff.; Heringa/van Hoof (Fn. 462), p. 1041 ff. 704
Explizit wird diese Ansicht zu Art. 14 EMRK vertreten von Sachs (Fn. 606), S. 333 passim. 705 706
Vgl. Sachs (Fn. 606), S. 359 ff.
Bei der Auslegung der EMRK hält der EGMR die Artikel 31 bis 33 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WVK) für anwendbar, vgl. Hans-Joachim Cremer, Regeln der Konventionsinterpretation, in: Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum eu-
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3. Teil
teleologische Auslegung ergibt, dass ein weites Verständnis der Norm aufgrund der französischen Textfassung zu untragbaren Ergebnissen führen würde, die nicht im Einklang mit dem Zweck des Vertrages ständen. Wenn nämlich hoheitliche Gewalt stets gehalten wäre, Personen hinsichtlich ihrer übrigen Konventionsrechte formal gleich zu behandeln, könnte keine Rücksicht auf faktisch bestehende Unterschiede genommen werden. Ein striktes Gebot der formalen Gleichbehandlung würde also notwendig zu einem Konflikt mit dem Prinzip der substantiellen Gleichbehandlung führen.707 Die Argumentation des Gerichtshofs gegen die Deutung des Diskriminierungsverbots als eines strikten Unterscheidungsverbots lässt sich noch um zwei weitere Erwägungen ergänzen: Zum einen würde, um untragbare Ergebnisse zu verhindern, die (Vorprüfung der) Vergleichbarkeit über Gebühr Bedeutsamkeit erlangen, obwohl hierfür noch weniger klare Maßstäbe vorhanden sind als für die Rechtfertigungsprüfung mit ihren Kategorien der Diskriminierungsvermutung, der verschiedenen Rechtfertigungstests und der graduierbaren Kontrolldichte.708 Die Dogmatik des Diskriminierungsverbots erlaubt mit anderen Worten einen höheren Grad an Rationalität im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung als im Rahmen der Vergleichbarkeitsprüfung. Noch aus einem weiteren Grund ist die Deutung des konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots als striktes Unterscheidungsverbot abzulehnen: Diese Interpretation ließe keinen Raum für die subtilen Formen der Diskriminierung, also die der indirekten und der passiven Diskriminierung.709 Denn wären nur Unterscheidungen aufgrund der genannten (ggf. ergänzt um weitere ungeschriebene) Merkmale verboten, dann entfiele jeder Schutz gegen indirekte Diskriminierung aufgrund (scheinbar) neutraler Differenzierungskriterien, die sich aber einseitig belastend auf bestimmte soziale Gruppen auswirken. Ebenso wäre der Schutz gegen passive Diskriminierungen schwerer zu begründen, da in diesen Fällen der Adressat des Verbots selbst gerade nicht (unterschei-
ropäischen und deutschen Grundrechtsschutz, Tübingen 2006, Kap. 4., Rn. 18 m.w.N. 707
Vgl. zu den Rechtsprinzipien der formalen und der substantiellen Gleichbehandlung unten S. 414 ff. und S. 420 ff. 708 709
Vgl. dazu oben S. 174 ff.
S. auch Somek (Fn. 88), S. 30: „Der Schutz gegen mittelbare Diskriminierung will der rationalen Umgehung von Unterscheidungsverboten auf die Schliche kommen.“
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dend oder sonstwie behandelnd) tätig wird, sich die Deutung als Unterscheidungsverbot aber gerade auf aktives Tun im Rahmen der direkten Diskriminierung als den primären Anwendungsfall stützt.
b) Ausnahme vom Grundsatz der Rechtfertigungsfähigkeit Die Rechtsprechung des EGMR lässt eine bedeutsame Ausnahme vom Grundsatz der Rechtfertigungsfähigkeit von personenbezogenen Ungleich- bzw. Gleichbehandlungen zu; in diesem Fall wird das Diskriminierungsverbot nicht als Begründungsgebot, sondern als striktes Unterscheidungsverbot angewendet, bei dem die tatbestandsmäßige Handlung zugleich eine Verletzung der Norm darstellt. Direkte Diskriminierungen, die ausschließlich auf den „verdächtigen“ Differenzierungsgründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der sexuellen Orientierung beruhen, können nach einer problematischen Auffassung des Gerichtshofs offenbar nicht gerechtfertigt werden.710 Der Grundsatz der Rechtfertigungsfähigkeit von Ungleichbehandlungen gilt in diesen Ausnahmefällen somit nicht.
c) Rationalisierungen der Rechtfertigungsprüfung in Diskriminierungsfällen Mit der Deutung des Diskriminierungsverbots als Begründungsgebot ist noch nicht viel gewonnen, aber auch nichts – wie bisweilen unrichtig unterstellt wird – Substantielles verloren: Ob es sich um eine „zahnlose“ oder eine potentiell wirkungsmächtige Norm handelt, hängt wesentlich von der Ausgestaltung des Filters ab, durch den Motive, Erwägungen und Argumente der Vertragstaaten gelangen müssen, um die Ungleich- bzw. Gleichbehandlung aufgrund eines Differenzierungskriteriums rechtfertigen zu können. Dieser Rechtfertigungsfilter hat eine materielle und eine prozedurale Dimension: Die materielle Dimension betrifft das Problem der richtigen Basis der Rechtfertigungsprüfung, die prozedurale Dimension bezieht sich auf Fragen des richtigen Durchführungsrahmens der Rechtfertigungsprüfung. In materieller Hinsicht bedürfen folgende Fragen der Klärung: das Rechtfertigungsmodell, d.h. durch welche Zwecke personenbezogene Ungleich- bzw. Gleichbehandlungen überhaupt gerechtfertigt werden können, die Problematik des Rechtfertigungsni710
Vgl. dazu oben S. 201 f.
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3. Teil
veaus, d.h. die erforderliche Wertigkeit der die Ungleich- bzw. Gleichbehandlung tragenden Zwecke, sowie schließlich die Frage nach dem Rechtfertigungstest, d.h. nach dem einschlägigen Maßstab, mittels dessen über die Wohlbegründetheit von Ungleich- bzw. Gleichbehandlungen entschieden wird. Die prozedurale Dimension des Rechtfertigungsfilters bezieht sich demgegenüber auf die Probleme der Kontrolldichte (insbesondere des margin of appreciation) sowie die der Darlegungsund Beweislastverteilung im Rahmen der Rechtfertigung. Der Filter der Rechtfertigung kann also weit- oder engmaschig sein, je nachdem welches Rechtfertigungsmodell, -niveau und welcher Rechtfertigungstest verwendet bzw. welche Kontrolldichte, Darlegungs- und Beweislastverteilung zugrunde gelegt wird.
2. Die materielle Dimension des Rechtfertigungsfilters in Diskriminierungsfällen a) Rechtfertigungsmodelle Eine Rationalisierung der Rechtfertigungsprüfung in Diskriminierungsfällen kann mit guten Gründen bei der Systematisierung der Rechtfertigungsgründe ansetzen. Drei Gründe der Rechtfertigung kommen in Diskriminierungsfällen in Betracht: erstens rechtfertigende Zwecke, zweitens die Aufhebung oder Abmilderung der Behandlungswirkung und drittens die „Natur der Sache“. Aus der Unterscheidung der Rechtfertigungsgründe ergeben sich die drei Rechtfertigungsmodelle: So kann man zwischen einem relationalexternen, einem relational-individuellen und einem nichtrelationalen Rechtfertigungsmodell in Diskriminierungsfällen unterscheiden. Für alle drei Modelle, die einander nicht ausschließen, sondern nebeneinander anwendbar sind, finden sich entweder Beispiele in der Rechtsprechung des EGMR oder es lässt sich jedenfalls die Kompatibilität der Modelle mit der Auslegung des Diskriminierungsverbots durch den Gerichtshof aufzeigen.
aa) Relational-externes Rechtfertigungsmodell: Rechtfertigung durch rechtfertigende Zwecke Das relational-externe Modell greift zur Rechtfertigung von personenbezogenen Ungleich- bzw. Gleichbehandlungen auf rechtfertigende Zwecke zurück, die außerhalb der Gleichheitsbeziehung, d.h. – genauer – jenseits der Charakteristika der Vergleichsgruppen, wie etwa Bedürf-
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tigkeit, Alter, Größe etc., liegen und in diesem Sinne als „extern“ zu gelten haben.711 Es handelt sich um „relationales“ Modell, weil der externe Zweck und die angegriffene Maßnahme der Ungleich- bzw. Gleichbehandlung in einem gerechten oder angemessenen Verhältnis zueinander stehen müssen. Im Fall Chapman (2001), in dem einer Gruppe von Roma die Genehmigung, auf einem Grundstück zu campieren, versagt wurde, hätte man so die darin zu sehende Beeinträchtigung durch Gleichbehandlung (möglicherweise) mit externen Erwägungen des Allgemeinwohls, etwa bauaufsichtlicher oder gesundheitspolizeilicher Art, rechtfertigen können.712 Die Erwägungen des Allgemeinwohls sind aus gleichheitsrechtlicher Perspektive „extern“. Rechtfertigend wirkt im Rahmen des relational-externen Rechtfertigungsmodells der Zweck der Maßnahme, genauer: der Zweck in seinem Verhältnis zur Belastung oder Benachteiligung durch die Ungleichoder Gleichbehandlung für den Einzelnen. In den meisten Fällen, in denen Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK zur Anwendung kommen, greift der Gerichtshof auf das relational-externe Rechtfertigungsmodell zurück. Dieses Rechtfertigungsmodell wird daher ausführlich unten dargestellt.
bb) Relational-individuelles Rechtfertigungsmodell: Rechtfertigung durch Aufhebung oder Abmilderung der Belastungswirkung im Einzelfall Im Rahmen des relational-individuellen Rechtfertigungsmodells werden personenbezogene Ungleich- bzw. Gleichbehandlungen nicht im eigentlichen Sinne gerechtfertigt, da keine Gründe für ihre Legitimation beigebracht werden, sondern es wird ihnen im Einzelfall die belastende Wirkung durch eine Ausnahmeregelung im Hinblick auf berechtigte Individualinteressen genommen.713 Die benachteiligende Behandlung wird so im Hinblick auf einen Einzelfall abgemildert bzw. beseitigt 711
Zu der Unterscheidung von „internen“ und „externen“ Zwecken, die auf Stefan Huster zurückgeht, s. ausführlich oben S. 84 ff. 712 713
Vgl. EGMR, 18.01.2001, Chapman, RJD 2001-I.
Vgl. die Bestimmung der „vernünftigen Anpassung“ bei Gay Moon, From Equal Treatment to Appropriate Treatment: What Lessons can Canadian Equality Law on Dignity and on Reasonable Accommodation Teach the United Kingdom, EHRLR 6 (2006), p. 695, 709: “Accommodation encompasses the adjustment of a rule, practice, condition or requirement so as to take into account the specific needs of an individual or group.”
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durch eine Anpassungsregelung (engl. accommodation). Aufgrund dieser Anpassungsregelung im Einzelfall kann die Ungleich- bzw. Gleichbehandlung gerechtfertigt sein. Dieses Rechtfertigungsmodell entstammt der nordamerikanischen Gleichheitsrechtsdogmatik. Man spricht dort von „accommodation“ oder „reasonable adjustment“.714 Die Hauptanwendungsfälle sind indirekte Diskriminierungen im arbeitsrechtlichen Kontext. Es handelt sich auch hier um eine relationale Rechtfertigung, da zwei konkurrierende Rechtspositionen, häufig die des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers, in eine Verhältnisbeziehung treten, deren Ziel eine Kompromisslösung ist, mit der beide Seiten befriedigt werden; die Rechtfertigung ist „individuell“ in dem Sinne, dass sie zu Anpassungs- oder Ausnahmeregelungen im konkreten Einzelfall führt, für die Mehrheit der Normerfüller aber nicht greift. Ein instruktives Beispiel hierzu ist der Fall des Kanadischen Obersten Gerichtshofs Ontario Human Rights Commission v. Simpsons-Sears Limited (1985).715 In diesem Fall ging es um eine Klägerin, Frau O’Malley, die bei der Beklagten, Simpsons-Sears, einem Kaufhaus, in der Bekleidungsabteilung arbeitete. Da die Zeit von Donnerstag bis Samstag als „Hauptverkaufszeit“ galt, waren Vollzeitangestellte wie Frau O’Malley vertraglich verpflichtet, freitagabends zu arbeiten sowie abwechselnd auch an zwei von drei Samstagen. Im Oktober 1978 wurde die Klägerin Mitglied der Siebten-Tags-Adventisten. Einer der streng einzuhaltenden Glaubensregeln dieser Religionsgemeinschaft ist der Sabbat, der sich von Sonnenuntergang am Freitag bis zum Sonnenuntergang am Samstag erstreckt. In der Folge war es der Klägerin unmöglich, für die Beklagte an Samstagen zu arbeiten. Der Arbeitgeber bot der Klägerin eine Teilzeitbeschäftigung an und sagte zu, die Klägerin bei anderen frei werdenden Positionen in der Firma zu berücksichtigen. Für diese anderen Arbeiten, die der Klägerin angeboten wurden, war diese aber entweder nicht qualifiziert oder die Arbeit war mit einer Verpflichtung zur Samstagstätigkeit verbunden. Mit der Klage machte die Klägerin die Lohndifferenz zwischen einer Voll- und Teilzeitbeschäftigung für den Zeitraum zwischen dem 23. Oktober 1978 und dem 6. Juli 1979 geltend.
714 715
Moon (Fn. 713), p. 709 ff.
CSCt, Ontario Human Rights Commission v. Simpsons-Sears Limited, [1985] 2 S.C.R. 536, 7 C.H.R.R. D/1071.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
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Der kanadische Oberste Gerichtshof hielt die Klage für begründet. Er sah eine prima facie indirekte Diskriminierung darin, dass sich die vertragliche Arbeitszeitregelung besonders nachteilig auf Angehörige bestimmter Glaubensrichtungen, u.a. die der Klägerin, auswirkte. Daraufhin prüfte der Kanadische Oberste Gerichtshof im Rahmen der Rechtfertigung, ob eine „vernünftige Anpassung“ („reasonable accommodation“) durch die Beklagte unternommen worden sei. „Anpassung“ meint hier, dass der Arbeitgeber den nachvollziehbaren, berechtigten Bedürfnissen des Arbeitnehmers soweit entgegenkommen muss, wie es sich dabei nicht um Maßnahmen von „unbilliger Härte“ („undue hardship“) für den Arbeitgeber handelt: “The duty in a case of adverse effect discrimination [indirekte Diskriminierung, Verf.] on the basis of religion or creed is to take reasonable steps to accommodate the complainant, short of undue hardship: in other words, to take such steps as may be reasonable to accommodate without undue interference in the operation of the employer’s business and without undue expense to the employer.”716 Entscheidend ist, dass die „Verpflichtung zur vernünftigen Anpassung“ auf eine Annäherung der berechtigten Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber abzielt: Der Arbeitgeber darf von Rechts wegen samstags seinem Geschäftsbetrieb nachgehen, der Arbeitnehmer ist grundrechtlich davor geschützt, entgegen seiner religiöser Überzeugung samstags arbeiten zu müssen. Im Rahmen der Anpassungsverpflichtung legt der Oberste Gerichtshof dem Arbeitgeber die Beweislast auf, dass er – in den Grenzen der „unbilligen Härte“ – „vernünftige“ Schritte“ („reasonable steps“) unternommen hat, den Interessen des Arbeitnehmers entgegenzukommen. Im vorliegenden Fall habe der Arbeitgeber der Klägerin zwar das Angebot gemacht, in eine Teilzeitbeschäftigung überzugehen und sich nach weiteren Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb umzusehen, der Arbeitgeber habe aber nicht nachgewiesen, dass weiteres Entgegenkommen seinerseits die Grenze der „unbilligen Härte“ überschreite. Insbesondere habe die Beklagte nicht dargelegt, warum die Arbeitszeiten der Klägerin nicht angepasst werden könnten. Wegen der unzureichenden Anpassung war die Ungleichbehandlung von Frau O’Malley aufgrund ihrer Religion daher nicht gerechtfertigt. Der Fall O’Malley ist aus drei Gründen bemerkenswert: Zum einen ist dieser Fall bedeutsam für die Verdeutlichung des Normzwecks des Diskriminierungsverbots überhaupt, der unten noch genauer zu entwi716
CSCt, Ontario Human Rights Commission v. Simpsons-Sears Limited, [1985] 2 S.C.R. 536, 7 C.H.R.R. D/1071, § 23.
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ckeln ist. Es ist jedoch schon angedeutet worden, dass es nach hier vertretener Ansicht um den Schutz des Einzelnen vor der ungerechten Verkürzung bzw. ungerechten Verteilung von Mitteln des So-SeinKönnens geht.717 Eine wesentliche Folgerung aus dieser Bestimmung des Normzwecks ist, dass die Person nicht gezwungen sein soll, ihr SoSein an die Lebenswelt anzupassen, sondern dass – in den Grenzen des Rechts – die Lebenswelt dem So-Sein der Person anzupassen ist.718 Dies ist auch eine Bedeutung des Prinzips der substantiellen Gleichbehandlung, das Gleichheit „Rücksicht auf Ungleichheit“ verlangt.719 So trifft den Arbeitgeber die Verpflichtung, die Arbeitsumgebung den berechtigten Bedürfnissen und Interessen der Arbeitnehmer anzupassen. Diese Pflicht besteht nicht nur abstrakt, sondern konkret im Einzelfall. Nach der Lehre von der „Pflicht zur Anpassung“ („duty to accommodate“) hat der Einzelne unter kanadischem Recht sogar einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch darauf, wie der Fall O’Malley gezeigt hat. Die „Pflicht zur Anpassung“ zeigt mithin deutlich, worum es bei der Nichtdiskriminierung im Kern geht, nämlich um den Schutz des So-Sein-Könnens des Einzelnen angesichts konkurrierender staatlicher Zwecke und angesichts konkurrierender Rechtspositionen Dritter. Zweitens hat man sich zu fragen, ob sich das relational-individuelle Rechtfertigungsmodell mit seiner „Pflicht zur Anpassung“ für die Zwecke der Rechtfertigung von personenbezogenen Ungleich- bzw. Gleichbehandlungen unter der EMRK fruchtbar machen lässt. Zunächst scheint einer Übertragung auf die Konvention entgegenzustehen, dass bislang viele Fälle aus dem arbeitsrechtlichen Umfeld wegen des Akzessorietätserfordernisses außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 14 EMRK liegen; dies wird sich allerdings mit Art. 1 ZP 12 EMRK, dem allgemeinen Diskriminierungsverbot, ändern.720 Diskriminierungen im Bereich des Arbeitsrechts werden den Gerichtshof in Zukunft wesentlich stärker befassen. Ein anderes Bedenken geht dahin, ob sich die „Pflicht zur Anpassung“ nur in privaten Rechtsverhältnissen denken lässt, ob also der Staat überhaupt ein tauglicher Adressat dieser Pflicht
717
Ausführlich zum Normzweck des Diskriminierungsverbots vgl. S. 465 ff.
718
Vgl. Moon (Fn. 713), p. 720, der zu einer ähnlichen Bewertung gelangt: “The reasonable accommodation provisions have enabled the legislation to adopt a certain flexibility to take account of the needs of individuals with the objective of creating a barrier-free society.” 719 720
Zum Rechtsprinzip der substantiellen Gleichbehandlung s. S. 420 ff. Vgl. dazu ausführlich S. 156 ff.
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sein kann. In zwei Fällen erscheint dies unproblematisch, nämlich erstens, wenn der Staat selbst als Arbeitgeber auftritt und, zweitens, wenn der Staat den Zugang zu bestimmten Berufen durch Rechtsnormen regelt. Als Beispiel für die letztgenannte Konstellation kann der Fall Thlimmenos (2001) genannt werden.721 In diesem Fall, in dem einem griechischen Beschwerdeführer wegen einer früheren strafrechtlichen Verurteilung der Zugang zum Beruf des Wirtschaftprüfers verwehrt worden war, hätte man daran denken können, dass der Staat ursprünglich verpflichtet war, einen gesetzlichen Ausnahmetatbestand für religiös motivierte Straftaten zu schaffen. Eine solche Pflicht zur Schaffung von Ausnahmetatbeständen kann allerdings nicht der Regelfall sein; nur in besonderen Situationen, in denen die Gruppe der belasteten Normversager eindeutig bestimmbar ist und ungerechte Verkürzungen der Mittel des So-Sein-Könnens deutlich zu Tage treten, wie im Fall des griechischen Wirtschaftsprüfers, wird man eine solche Pflicht annehmen dürfen. Die „Pflicht zur Anpassung“ betrifft insbesondere auch die diskriminierungsfreie Handhabung von Ausnahmevorschriften: So darf ein Vertragsstaat – wie sich aus der Rechtssache Lang (2009) ergibt – keine Unterschiede hinsichtlich der Behandlung von Angehörigen religiöser Gruppen bei der Frage einer Freistellung vom Militärdienst machen.722 Noch in einer dritten Hinsicht ist der Fall O’Malley und die „Pflicht zur Anpassung“ bedenkenswert. Man kann sich fragen, wie weit die „Pflicht zur Anpassung“ auszudehnen ist, insbesondere bei welchen Differenzierungsgründen eine solche Pflicht in Betracht kommt. Neben der Religion sind vor allem die Differenzierungsgründe der Behinderung, des Geschlechts und der ethnischen Herkunft zu berücksichtigen.723 In diesen Fällen erscheinen individuelle Anpassungen von abstrakt-generellen Regelungen oder Vertragspflichten denkbar. Im europarechtlichen Kontext ist die „Pflicht zur Anpassung“ mittlerweile für den Differenzierungsgrund der Behinderung anerkannt in Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG (Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf): „Um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten, sind angemessene Vorkeh721 Vgl. EGMR, 6.4.2000, Thlimmenos, RJD 2000-IV = ÖJZ 2001, S. 528, zum Sachverhalt s. S. 151. 722 723
EGMR, 19.03.2009, Lang, Nr. 28648/03, § 31.
Vgl. die Nachweise aus der kanadischen Rechtsprechung bei Moon (Fn. 713), p. 712 ff.
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rungen zu treffen. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen ergreift, um den Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten. Diese Belastung ist nicht unverhältnismäßig, wenn sie durch geltende Maßnahmen im Rahmen der Behindertenpolitik des Mitgliedstaates ausreichend kompensiert wird.“724 Es ist möglich, dass die Erforderlichkeit flexibler Lösungsansätze gerade in Fällen subtiler Formen der Diskriminierung, die immer mehr in den Blick des Straßburger Gerichtshofs geraten, zur Übernahme der nordamerikanischen Lehre von der „Pflicht zur Anpassung“ führt.
cc) Nichtrelationales Rechtfertigungsmodell: Rechtfertigung mit Gründen aus der „Natur der Sache“ Ein drittes Rechtfertigungsmodell, das jedoch nur in seltenen Fällen zur Anwendung gelangt, ist die Argumentation mit (zwingenden) Gründen aus der „Natur der Sache“.725 Es gibt Fälle, in denen eine personenbezogene Ungleich- bzw. Gleichbehandlung gerechtfertigt ist, weil eine andere Regelung evident gegen Notwendigkeiten verstieße, die sich aus der Natur des jeweiligen Rechtsverhältnisses ergeben. Unter Hinweis auf zwingende Gründe aus der Natur der Sache ist es beispielsweise gerechtfertigt, wenn die katholische Kirche nur Bewerbungen von männlichen Priestern für eine Amtsstellung berücksichtigt. Hierbei handelt es sich um eine nichtrelationale Rechtfertigung, da der Rechtfertigungsgrund nicht in einer gerechten oder angemessenen Verhältnisbeziehung von Mittel und Zweck zu finden ist, sondern gleichsam „absolut“, d.h. überindividuell und ohne Rücksicht auf das Gleichheitsproblem. Für diese seltenen Fälle gibt es, soweit ersichtlich, keine Beispiele in der Rechtsprechung des EGMR; das nichtrelationale Rechtfertigungsmo-
724
Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG (Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf), ABl. Nr. L 303/16, 19 vom 2.12.2000; vgl. Moon (Fn. 713), p. 707 f. 725
Erwähnt wird die Rechtfertigung „aus der Natur der Sache“ auch bei Schweizer (Fn. 437), Art. 14 EMRK, Rn. 64 (ohne nähere Ausführungen).
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
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dell ist aber – angesichts der Offenheit und Unabgeschlossenheit der Rechtfertigungsgründe726 – mit der EMRK kompatibel.
b) Rechtfertigungsniveau Mit dem „Rechtfertigungsniveau“ ist eine weitere Rationalisierung der Rechtfertigungsprüfung in Diskriminierungsfällen angesprochen.727 Das Rechtfertigungsniveau meint die erforderliche Wertigkeit der die Ungleich- bzw. Gleichbehandlung tragenden Zwecke. Die obige Analyse der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Differenzierungsgründen hat ergeben, dass der EGMR zwei Rechtsfertigungsniveaus in Diskriminierungsfällen kennt, indem er „sehr gewichtige Zwecke“ (bei „verdächtigen“ Differenzierungsgründen) von (bloß) „objektiven und vernünftigen Zwecken“728 (bei allen anderen Differenzierungsgründen) unterscheidet. Worin diese Gründe bzw. Zwecke bestehen, ist weiter unten zu untersuchen.729 In einem jüngeren Urteil hat der EGMR darauf hingewiesen, dass das zu erfüllende Rechtfertigungsniveau im Einzelfall auch davon abhänge, ob der Differenzierungsgrund mit einer individuellen Wahl bzw. Entscheidung verbunden sei oder nicht.730 In dem erwähnten Fall Carson u.a. ging es um den als Differenzierungsgrund des Aufenthaltsorts bei der Gewährung einer inflationsbedingten Rentenanpassung. Anders als das Geschlecht oder die Rasse stelle der Aufenthaltsort einen Gegenstand der individuellen Wahl dar und erfordere, so der Gerichtshof, nicht denselben hohen Schutz.
726
Zur Offenheit und Unabgeschlossenheit der Rechtfertigungsgründe beim Diskriminierungsverbot s. S. 226 ff. 727
Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich wegen seiner Bedeutsamkeit im Kontext der EMRK auf das relational-externe Rechtfertigungsmodell. 728 Der EGMR benennt diese Kategorie von Zwecken allerdings nicht selbst, sondern spricht in Bezug auf die gesamte Rechtfertigungsprüfung von „objective and reasonable justification“, dazu näher S. 224 ff. 729 730
Vgl. S. 225 ff. EGMR (K), 04.11.2008, Carson u.a., Nr. 42184/05, § 80.
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c) Rechtfertigungstests Eine weitere Rationalisierung der Rechtfertigungsprüfung in Diskriminierungsfällen besteht in der Differenzierung zweier Rechtfertigungstests, die bereits aus der oben vorgestellten Dogmatik des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes bekannt sind.731 Die Notwendigkeit von Rechtfertigungstests ergibt sich – wie oben dargelegt – aus dem Faktum einer nicht-idealen Lebenswelt, in der normative Gleichheitsurteile immer anfechtbar bleiben müssen.732 Die Rechtfertigungstests leisten eine Justierung von Gleichheitsmaßstab und Gleichheitsurteil. Die Rechtfertigungstests stellen damit normative Maßstäbe bereit, mit denen über die Wohlbegründetheit von Ungleich- bzw. Gleichbehandlungen entschieden werden kann. Dies lässt sich anhand des folgenden Beispiels darstellen: „Unter dem normativen Maßstab des Willkürverbots ergibt sich: Die Gleichbehandlung von Amtsärzten und Gymnasiallehrern im Hinblick auf den Gleichheitsmaßstab des Gehalts ist gerechtfertigt, da beide über eine in etwa vergleichbare Ausbildung verfügen müssen und eine in etwa vergleichbar komplexe Tätigkeit ausüben.“ Die Gleichbehandlung von Amtsärzten und Gymnasiallehrern ist hinsichtlich des Gehalts unter diesem Test gerechtfertigt, da sich nachvollziehbare Gründe für diese Behandlung angeben lassen.
aa) Der einstufige Rechtfertigungstest Der einstufige Rechtfertigungstest besteht in einer Willkürprüfung, d.h. eine personenbezogene Ungleich- bzw. Gleichbehandlung ist gerechtfertigt, wenn sie nicht willkürlich, d.h. ohne sachlichen Grund, erfolgt. Der Willkürtest spielt in der Rechtsprechung des EGMR bislang keine bedeutende Rolle. In der Regel folgert der Gerichtshof aus dem grundsätzlichen Erfordernis einer „objektiven und vernünftigen Rechtfertigung“, dass die Ungleichbehandlung ein legitimes Ziel verfolgen und im Übrigen verhältnismäßig sein muss. Im Normalfall besteht daher der Rechtfertigungstest in Diskriminierungsfällen aus einer – allerdings nicht immer streng durchgehaltenen – Verhältnismäßigkeitsprüfung.733 In dem Grundsatzurteil im Belgischen Sprachenfall (1968) scheint der
731
Vgl. zu den Rechtfertigungstests im Rahmen des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes oben S. 74 ff. 732 733
Vgl. dazu oben S. 73. Vgl. nur Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 215 ff.
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EGMR noch beide Tests gleichzusetzen.734 In anderen Urteilen nimmt er bisweilen darauf Bezug, ohne einen Rechtfertigungstest zu benennen.735 In diesen Fällen begnügt sich der Gerichtshof mit der Angabe eines nachvollziehbaren und objektiven Grundes und gelangt so jeweils zu dem Ergebnis, dass die Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist. Dieses Vorgehen deutet – obwohl nicht ausdrücklich so bezeichnet – auf die Verwendung des Willkürtests hin, nach dem eine personenbezogene Ungleich- bzw. Gleichbehandlung bereits dann gerechtfertigt ist, wenn ein überhaupt nur irgendwie nachvollziehbarer und objektiver Zweck der Behandlung vorgetragen wird.736 In wenigen Fällen legt der Gerichtshof den Willkürtest allerdings auch explizit der Rechtfertigungsprüfung zugrunde.737 In einem gegenwärtig immer bedeutsamer werdenden Bereich der Rechtsprechung scheint der Gerichtshof die Rechtfertigungsprüfung grundsätzlich auf den Willkürtest beschränken zu wollen, und zwar bei Ungleichbehandlungen im Bereich der Sozial- und Finanzpolitik. Dies gilt insbesondere bei Sozialleistungen (z.B. Invaliditätsrente, Elterngeld) und Fragen der gerechten Besteuerung oder Abgabenerhebung: “This applies to systems of taxation or contributions which must inevitably differentiate between groups of tax-payers and the implementation of which unavoidably creates marginal situations. A Government may often have to strike a balance between the need to raise revenue and reflecting other social objectives in taxation policies. The national authorities are obviously in a better position than the Court to assess those needs and requirements, which in the present case involve complex concerns about the financing of pensions and benefits which impact on the community as a whole. In such an area the Court will generally respect the legislature’s policy choice
734
EGMR, 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, B 9 = EuGRZ 1985, S. 298 ff., § 10; vgl. auch Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 215. 735
Z.B. in EGMR, 02.03.1987, Monnell und Morris, Serie A 115, § 73; vgl. auch EGMR, 07.08.1996, C. v. Belgien, RJD 1996-III, § 38 sowie EGMR, 19.12.1989, Kamasinski, Serie A 168 = ÖJZ 1990, S. 412, §§ 106 ff. 736 Vgl. insoweit die übertragbaren Ausführungen zum Willkürtest unter Art. 26 IPbpR S. 74 f. 737
Z.B. in den Fällen des EGMR, 21.02.1986, James, Serie A 98 = EuGRZ 1988, S. 341, § 77 und EGMR, 22.10.1996, Stubbings, RJD 1996-IV, no. 18 = ÖJZ 1997, S. 436, § 74.
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unless it is manifestly unreasonable” [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.].738 Im Hinblick auf die bereits angeführten Urteile in den Fällen Stec, Barrow und Walker kann man schon fast von einer gefestigten Rechtsprechung des EGMR hinsichtlich der Verwendung des Willkürtests im Bereich der nationalen Ausgestaltung der Sozial- und Finanzpolitik sprechen.739 Es ist zu erwarten, dass der EGMR diese Rechtsprechung unter dem neuen ZP 12 fortsetzt.
bb) Der zweistufige Rechtfertigungstest aaa) Die allgemeine Formel der Rechtfertigung bei Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK Von der bedeutsamen Ausnahme für personenbezogenen Ungleichbzw. Gleichbehandlungen im Bereich der Sozial- und Finanzgestaltung einmal abgesehen verwendet der EGMR in ständiger Rechtsprechung einen zweistufigen Rechtfertigungstest. Dieser Rechtfertigungstest wurde im Ansatz bereits im Belgischen Sprachenfall (1968) aufgestellt: “A difference of treatment in the exercise of a right laid down in the Convention must not only pursue a legitimate aim: Art. 14 is likewise violated when it is clearly established that there is no reasonable relationship of proportionality between the means employed and the aim sought to be realized” [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.].740 Auf der ersten Stufe wird gefragt, ob die gerügte hoheitliche Maßnahme ein legitimes Ziel (oder Zweck) verfolgt und auf der zweiten Stufe, ob zwischen dem angestrebten Ziel und der Maßnahme ein vernünftiges (oder angemessenes) Verhältnis besteht. Auffassungen, die die beiden Prüfungsstufen für alternative Voraussetzungen der Rechtfertigung halten, also eine Rechtfertigung bereits beim Bestehen eines legitimen Ziels
738
EGMR, 22.08.2006, Barrow, Nr. 42735/02, § 35; EGMR, 12.04.2006, Stec u.a, Nr. 65731/01 und 65900/01, § 52; EGMR, 22.08.2006, Walker, Nr. 37212/02, § 33. 739 EGMR, 12.04.2006, Stec u.a, Nr. 65731/01 und 65900/01, vgl. dazu S. 159; EGMR, 22.08.2006, Barrow, Nr. 42735/02; EGMR, 22.08.2006, Walker, Nr. 37212/02. 740
EGMR, 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, B 9 = EuGRZ 1985, S. 298 ff., § 10.
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bejahen, haben sich bislang zu Recht nicht durchsetzen können.741 Nach zutreffender, herrschender Ansicht handelt es sich um kumulative Anforderungen an die Rechtfertigung personenbezogener Ungleichbzw. Gleichbehandlungen.742 Dafür spricht erstens, dass die diskriminierungsspezifische Ungerechtigkeit oft gerade in der fehlenden Verhältnismäßigkeit von Maßnahme und legitimen Ziel zu verorten ist: So kann beispielsweise eine Ungleichbehandlung Hetero- und Homosexueller im Einzelfall durchaus mit dem (legitimen) Zweck der Schutzes der Familie in der traditionellen Gestalt begründet werden; allerdings gestattet dieses Ziel nicht, Überlebenden einer homosexuellen Partnerschaft gänzlich den gesetzlichen Mieterschutz zu verweigern. Eine solche drastische Maßnahme ist jedenfalls nicht erforderlich und daher unverhältnismäßig.743 Hinzu kommt, zweitens, dass beim Diskriminierungsverbot die Besonderheit einer offenen und unabgeschlossenen Extension legitimer, rechtfertigender Zwecke besteht; das Diskriminierungsverbot enthält keine der Schrankenbestimmung der Freiheitsrechte entsprechende Beschränkungsklausel hinsichtlich legitimer Zwecke.744 Das Kriterium der legitimen Zwecke allein ist wegen seiner Weite nur in geringem Maße geeignet, eine bedeutsame Rechtfertigungshürde in Diskriminierungsfällen aufzustellen, so dass kumulativ noch die eigentliche Verhältnismäßigkeitsprüfung einzufordern ist. Drittens wird mit Recht zu bedenken gegeben, dass die Legitimität des Ziels stets zu prüfen sei; auch in einer reinen Verhältnismäßigkeitsprüfung spiele die Legitimität des Ziels eine Rolle.745 Die vom Gerichtshof heute in ständiger Rechtsprechung gebrauchte allgemeine Formel der Rechtfertigung lautet: “A difference of treatment is (...) discriminatory if it has no objective and reasonable justification; in other words, if it does not pursue a legitimate aim or if there is not a reasonable relationship of proportionality between the means employed and the aim sought to be realized. The Contracting State enjoys a margin of appreciation in as741
Vgl. zur Kritik an dieser Auffassung Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn.
215. 742
Vgl. Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 215 ff. m.w.N.
743
EGMR, 24.07.2003, Karner, RJD 2003-IX = ÖJZ 2004, S. 36, § 41. Zu anderen Fällen der Unverhältnismäßigkeit in Diskriminierungsfällen s. oben S. 232. 744 745
Dazu ausführlich unten S. 226 ff. Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 215 ff. m.w.N.
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sessing whether and to what extent differences in otherwise similar situations justify a different treatment.”746 bbb) Das Problem der legitimen Zwecke Ein grundlegendes dogmatisches Problem gibt die allgemeine Charakterisierung und Systematisierung der legitimen Zwecke bei personenbezogenen Ungleich- und Gleichbehandlungen auf. Mit gewissem Recht kann man sogar von dem Fundamentalproblem der Diskriminierungsdogmatik schlechthin sprechen, weil es hierbei um die Grenzen der Gleichheit geht, die Frage also, welche Zwecke sich gegen den Wert der Gleichheit – wenn man einen solchen anerkennt747 – im Einzelfall durchzusetzen vermögen. Die Frage nach der Legitimität betrifft hier das Problem der „Zweckwürdigkeit“, d.h. der Fähigkeit, ein Ziel im öffentlichen Interesse darzustellen. Das Problem gründet zum einen in der extensionalen Offenheit und Unabgeschlossenheit der legitimen Zwecke von personenbezogenen Ungleich- bzw. Gleichbehandlungen, die ihre Systematisierung und Eingrenzung erschweren. Die Nicht-Festlegung der Extension legitimer Zwecke von personenbezogenen Ungleich- bzw. Gleichbehandlungen beruht letztlich auf dem Begriff der Gleichheit: Wenn nämlich unter den gegenwärtigen Bedingungen der politisch-sozialen Vernunft stets aufs Neue über Gleich- und Ungleichheit von Personen zu verhandeln ist und sich dies in der gesetzgeberischen Tätigkeit des Klassifizierens widerspiegeln muss, dann ergeben sich notwendig auch immer neue, die jeweilige Behandlung tragende, rechtfertigende Zwecke.748 Damit steht im Zusammenhang, dass sich auch deswegen kaum allgemeingültige Aussagen zu den Kriterien der Legitimität von Zwecken treffen lassen, weil der Gerichtshof in dieser Frage mit Notwendigkeit kontextuell und einzelfallbezogen vorgeht. Gleichwohl besteht das Bedürfnis nach dogmatischer Klarheit hinsichtlich der rechtfertigenden Zwecke in Diskriminierungsfällen. Ein ent746
Vgl. nur EGMR, 31.07.2008, Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovahs, Nr. 40825/98 = ÖJZ 2008, S. 865, § 96; EGMR, 21.02.1997, van Raalte, RJD 1997-I = ÖJZ 1998, S. 117, § 39; EGMR, 18.07.1994, Karlheinz Schmidt, Serie A 291-B = NVwZ 1995, S. 365, § 24. 747
Zur Gegenposition vgl. Christian Hiebaum, Gleichheit als Eigenwert, in: Herta Nagl-Docekal/Herlinde Pauer-Studer (Hrsg.), Freiheit, Gleichheit und Autonomie, Wien 2003, S. 21-48. 748
Vgl. dazu die Konzeptionen der Gleichheit, s. S. 15 ff.
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scheidender Grund, diese Klarheit einzufordern, ist, dass es den Staaten nicht schwer gemacht wird, irgendwelche legitimen Zwecke für die in Frage stehende Behandlung vorzubringen. Deshalb behaupten einige Kommentatoren sogar, dass die Prüfung des legitimen Zwecks „völlig zahnlos“ und „völlig überflüssig“ sei.749 Dem kann allerdings bei näherer Betrachtung der Rechtsprechung des EGMR aus mehreren Gründen nicht beigepflichtet werden: Zum einen ist dem jeweiligen Vertragstaat die Darlegungslast bezüglich der rechtfertigenden Zwecke aufgegeben; der Staat muss sich aktiv mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandersetzen und das gerügte Verhalten seiner Organe rechtfertigen (1). Neben dieser prozeduralen Darlegungslast ist die Prüfungsstufe der legitimen Zwecke auch inhaltlich bedeutsam: Zwar müssen allgemeingültige, positive Aussagen zu Charakter und Qualität der legitimen Zwecke bei personenbezogenen Ungleich- bzw. Gleichbehandlungen wegen der oben genannten konzeptionellen Besonderheiten des Gleichheitsbegriffs stets problematisch bleiben, gleichwohl lassen sich aber – gleichsam „negativ“ verfahrend – Grenzen der Legitimität von rechtfertigenden Zwecken in Diskriminierungsfällen durchaus angeben (2). Ferner folgt aus der diskutierten Abstufung der Diskriminierungsgründe, dass die Anforderungen an die legitimen Zwecke variieren: So kann man – wie oben bemerkt – zwei Rechtfertigungsniveaus unterscheiden, denen einmal objektive und sachliche („einfache“) Zwecke und andererseits sehr gewichtige („vorrangige“) Zwecken korrespondieren (3). (1) Darlegungslast Der Gerichtshof zieht von Amts wegen keine Zwecke in Erwägung, d.h. es obliegt dem Vertragstaat, eine gerügte Behandlung möglicherweise rechtfertigende Zwecke vorzutragen.750 Trägt der Vertragstaat keine legitimen Zwecke vor, bejaht der Gerichtshof eine Verletzung des Diskriminierungsverbots.751 Den Kritikern der ersten Prüfungsstufe, die eine Untersuchung der „legitimen Zwecke“ für überflüssig halten, ist zuzugeben, dass die Vertrag749 750 751
Arnardóttir (Fn. 599), p. 44. Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 221 m.w.N.
Vgl. EGMR, 29.11.1991, Pine Valley Developments Ltd. u.a., Serie A 222 = ÖJZ 1992, S. 459, § 64; EGMR, 29.04.1999, Chassagnou, RJD 1999-III = NJW 1999, S. 3695, § 121.
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3. Teil
staaten ihrer Darlegungslast hinsichtlich des legitimen Zwecks der gerügten Behandlung oft recht mühelos entsprechen können. Andererseits ist bereits bei der Angabe des die Behandlung tragenden legitimen Zwecks zu bedenken, dass diese auf der zweiten Stufe in eine Verhältnismäßigkeitsprüfung eingestellt werden und sich völlig abwegige Zwecke mit der gerügten Behandlung (zumeist) nicht verfolgen lassen. Problematisch sind die Fälle, in denen der Beschwerdeführer die Wahrhaftigkeit des vorgebrachten Ziels anzweifelt. Wie Gerards nachgewiesen hat, ist der Gerichtshof in Einzelfällen bereit gewesen, die Wahrhaftigkeit der Zielverfolgung durch den Vertragstaat zu überprüfen; allerdings obliegt es dann den Beschwerdeführern, nachzuweisen, dass in Wahrheit andere als die vorgebrachten Zwecke mit der gerügten hoheitlichen Maßnahme verfolgt werden.752 Insgesamt lässt sich festhalten, dass eine personenbezogene Ungleich- bzw. Gleichbehandlung nur in seltenen Fällen an der Prüfung des legitimen Ziels scheitert.753 (2) Die Grenze: Illegitime Zwecke Geht man wie beschrieben „negativ“ vor und fragt nach den Grenzen legitimer Zwecke, so gelangt man zu folgenden zwei formalen Beschränkungen: Bei den Zwecken darf es sich erstens nicht um rein abstrakte, generelle Ziele handeln; ausgeschlossen sind solche Erwägungen, die lediglich entfernte politische Ziele oder hypothetische Überlegungen darstellen, die den gerügten Sachverhalt nicht oder nicht ausreichend berühren.754 Die einfache Berufung auf das „allgemeine Interesse“ („general interest“) kann daher nicht genügen.755 Vielmehr muss der Zweck gerade in der konkreten Situation mit der personenbezogenen 752 Vgl. Gerards (Fn. 31), pp. 137-140; vgl. z.B. EGMR, 22.02.1994, Burghartz, Serie A 280-B = ÖJZ 1994, S. 559, § 28. 753
Beispiele aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind etwa: EGMR, 13.06.1979, Marckx, Serie A 31 = NJW 1979, S. 2449, §§ 32 ff.; EGMR, 29.11.1991, Pine Valley Developments Ltd. u.a., Serie A 222 = ÖJZ 1992, S. 459, § 64; EGMR, 18.02.1999, Larkos, RJD 1999-I, § 31; EGMR, 23.10.1990, Darby, Serie A 187 = NJW 1991, S. 1404, § 32; EGMR, 6.4.2000, Thlimmenos, RJD 2000-IV = ÖJZ 2001, S. 528, § 47. Vgl. auch Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 221; Grabenwarter (Fn. 208), § 26 I 4 a), S. 451 f., Rn. 11. 754
Vgl. EGMR, 16.12.2003, Palau-Martinez, RJD 2003-XII, § 42; EGMR, 18.10.1987, Inze, Serie A 126 = ÖJZ 1988, S. 177, § 43; dazu vgl. Gerards (Fn. 31), p. 143 f. 755
EGMR, 27.11.2007, Luczak, Nr. 77782/01, §§ 40, 59.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
229
Ungleich- bzw. Gleichbehandlung, die Gegenstand der Beschwerde ist, verfolgt werden. So hielt der Gerichtshof in einem Fall, in dem eine gesetzliche Regelung uneheliche gegenüber ehelichen Kindern bei Hoferbschaften benachteiligte, mögliche Erwägungen des Erblassers und die Tatsache, dass uneheliche Kinder meist nicht über vergleichbare Bindung zu den Höfen verfügen, für zu abstrakt.756 Zweitens ergibt sich als allgemeine, formale Beschränkung das Gebot der Widerspruchsfreiheit: Der EGMR hat im Fall E.B. v. Frankreich (2008) auf den Widerspruch zwischen einer französischen Regelung, die homosexuellen Einzelpersonen die Adoption eines Kindes erlaubte, und den Gründen hingewiesen, mit denen die französische Regierung das Adoptionsrecht homosexueller Paare ablehnen wollte: Wenn einer homosexuellen Einzelperson das Adoptionsrecht gewährt wird, dann sei nicht einzusehen, weswegen es homosexuellen Paaren verweigert werden solle. Der Gerichtshof sah in dem Mangel an wissenschaftlicher Einmütigkeit in dieser Frage, in der Abwesenheit eines Konsenses der Vertragstaaten sowie in der geteilten öffentlichen Meinung keine „sehr gewichtigen Gründe“.757 Drittens dürfen die Ziele – sollen sie dem Verdikt der Illegitimität entgehen – auch nicht selbst auf Vorurteilen, Stereotypen oder traditionellen Rollenverständnissen beruhen; so stellte der Gerichtshof in dem Fall Lustig-Prean (1999), in dem es um die Untersuchung und schließlich Entlassung aus dem Militärdienst wegen der Homosexualität der Beschwerdeführer ging, zu Art. 8 EMRK (Achtung des Privat- und Familienlebens) fest: “To the extent that they represent a predisposed bias on the part of a heterosexual majority against a homosexual minority, these negative attitudes cannot, of themselves, be considered by the Court to amount to sufficient justification for the interferences with the applicants’ rights outlined above, any more than similar negative attitudes towards those of a different race, origin or colour” [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.].758 Damit steht, viertens, in Zusammenhang, dass der Differenzierungsgrund nicht selbst als Zweck der personenbezogenen Ungleichbehandlung dienen darf: Der Vertragstaat kann die Ungleichbehandlung nicht 756
EGMR, 18.10.1987, Inze, Serie A 126 = ÖJZ 1988, S. 177, §§ 42 ff.
757
EGMR (GK), 22.01.2008, E.B. v. Frankreich, Nr. 43546/02 = ÖJZ 2008, S. 499, § 94 und §§ 63 ff. 758
EGMR, 27.09.1999, Lustig-Prean und Beckett, Nr. 31417/96 und 32377/96, § 90; s. dazu auch Bell (Fn. 558), p. 272.
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3. Teil
mit der faktisch bestehenden Ungleichheit von Personen beruhend auf einem (verdächtigen) Differenzierungsgrund begründen. So darf sich ein Vertragstaat beispielsweise nicht allein auf die Ungleichheit heterosexueller und homosexueller Partnerschaften berufen, um homosexuellen Partnern das Adoptionsrecht zu verweigern.759 (3) Objektive und sachliche Zwecke bzw. sehr gewichtige Zwecke Der EGMR verlangt in Fällen personenbezogener Ungleich- bzw. Gleichbehandlungen der Sache nach „objektive und sachliche“ Gründe oder – terminologisch genauer – Zwecke.760 Diese Zwecke ähneln auch bei Diskriminierungsfällen oft den unter den jeweiligen Absätzen 2 der Freiheitsrechte in Art. 8-11 EMRK akzeptierten öffentlichen Interessen.761 Die vom EGMR anerkannten Zwecke sind äußerst heterogen. Doris König und Anne Peters identifizieren fünf verschiedene Gruppen von Zwecken: familienpolitische Ziele, sozial- und wirtschaftspolitische Ziele, sicherheitspolitische Ziele, außenpolitische Ziele und justizpolitische Ziele.762 Die basale und allgemeingültige Anforderung an die legitimen Zwecke ist, dass es sich um „öffentliche Interessen“ (in Abgrenzung zu bloß privaten Partikularinteressen) handelt.763 Entscheidend ist, dass es sich nicht um bloß private Interessen handeln darf; unschädlich ist aber, wenn das öffentliche Interesse zugleich auch ein privates ist. So hat der 759
Vgl. EGMR (GK), 22.01.2008, E.B. v. Frankreich, Nr. 43546/02 = ÖJZ 2008, S. 499, § 93: “(...) if the reasons advanced for such a difference in treatment were based solely on considerations regarding the applicant’s sexual orientation this would amount to discrimination under the Convention.” 760
Zu beachten ist, dass der EGMR diese Zwecke selbst nicht weiter bestimmt, sondern nur insgesamt das Erfordernis einer „objective and reasonable justification“ aufstellt. Diese Anforderung hat Auswirkungen auf die Struktur und den Inhalt der Rechtfertigungsprüfung; sie betrifft auch und vor allem die Rationalität der rechtfertigenden Zwecke. 761
Diese Parallelität mit den freiheitsrechtlichen Rechtfertigungszwecken wird sichtbar, wenn der Gerichtshof im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung beim Diskriminierungsverbot auf die Erwägungen zu einem substantiellen Freiheitsrecht verweist, z.B. EGMR, 18.01.2001, Coster, Nr. 24876/94, § 141; vgl. Grabenwarter (Fn. 208), § 26 I 4 a), S. 451., Rn. 11. 762 763
Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 218 m.w.N.
Vgl. EGMR, 18.02.1999, Larkos, RJD 1999-I, § 31 („public-interest grounds“).
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
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EGMR etwa im Fall Burden und Burden (2008) akzeptiert, dass die Förderung stabiler, verbindlicher hetero- und homosexueller Partnerschaften durch finanzielle Begünstigung des überlebenden Partners ein legitimes Ziel darstellt.764 Von dem Grundsatz, dass der EGMR den Vertragstaaten einen weiten Beurteilungsspielraum bei der Benennung legitimer Zwecke lässt, gibt es jedoch – neben der oben erwähnten absoluten Grenze der Illegitimität – zwei Ausnahmen: Von Bedeutung ist, erstens, dass der EGMR im Nichtbestehen eines bi- oder multilateralen Abkommens keinen objektiven und sachlichen Zweck, der eine Ungleichbehandlung eigener und fremder Staatsangehöriger rechtfertigen könnte, erblickt hat.765 Diese Erwägung lässt sich unter Hinweis auf Art. 1 EMRK verstehen; danach muss der jeweilige Vertragstaat allen seiner Hoheitsgewalt unterstehenden Personen die Konventionsrechte zusichern; das Bestehen oder Nichtbestehen bi- oder multinationaler Abkommen mit dem Vertragstaat kann diese Grundpflicht nicht verändern.766 Zweitens hat der EMGR in der Berufung auf reine Verwaltungspraktikabilität keinen legitimen Zweck gesehen.767 Grundsätzlich versteht der EGMR die „objektiven und sachlichen“ Zwecke, die personenbezogene Ungleichbzw. Gleichbehandlungen rechtfertigen können, aber wie beschrieben weit und akzeptiert in der Regel den diesbezüglichen Vortrag der Vertragstaaten. Anders liegt es jedoch in den Fällen, in denen der EGMR „sehr gewichtige“ Ziele bzw. Zwecke verlangt. Was sind „sehr gewichtige“ Gründe bzw. Zwecke? Welche Qualitäten heben diese besonders wertvollen Zwecke aus der Menge aller übrigen heraus?
764
EGMR (GK), 29.04.2008, Burden und Burden, Nr. 13378/05, § 59.
765
So in Bezug auf staatliche Sozialleistungen, die Österreich einem türkischen Staatsangehörigen, der sich legal in Österreich aufhielt, verweigert hatte, vgl. EGMR, 16.09.1996, Gaygusuz, RJD 1996-IV, no. 14 = JZ 1997, S. 405, § 51. Allerdings kann die Vergleichbarkeit problematisch sein, vgl. dazu S. 171. 766
Nur an wenigen Stellen besteht keine allgemeine Grundrechtsberechtigung in der EMRK, sondern knüpft ausnahmsweise an die Staatsangehörigkeit an: beim Verbot der Ausweisung eigener Staatsangehöriger (Art. 3 ZP 4) oder beim Verbot der Kollektivausweisung von Ausländern (Art. 4 ZP 4), vgl. Grabenwarter (Fn. 208), § 17 I 1, S. 102, Rn. 2. 767
EGMR, 23.10.1990, Darby, Serie A 187 = NJW 1991, S. 1404, §§ 33 f. Vgl. zu anderen Fällen, in denen Zweckmäßigkeitserwägungen eine Rolle spielten, Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 218.
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3. Teil
Auch hierzu schweigt der EGMR aus den oben genannten Gründen: Was ein „sehr gewichtiger“ Zweck ist, der sogar eine personenbezogene Ungleichbehandlung aufgrund eines „verdächtigen“ Differenzierungsgrundes (potentiell) zu rechtfertigen vermag, lässt sich nicht abstrakt und allgemein angeben. Soweit ersichtlich hat der EGMR positiv zu der Frage, worin die „Gewichtigkeit“ eines Zwecks begründet ist, daher bislang keine Stellung bezogen. Allein im Fall Karner, in dem das Recht auf Fortführung eines Mietverhältnisses nach dem Tod des homosexuellen Lebenspartners in Frage stand, findet sich eine Andeutung, dass der Schutz der traditionellen Familie ein gewichtiger und legitimer Grund („weighty and legitimate reason“) sei.768 Auf der anderen Seite berücksichtigt der Gerichtshof Einlassungen der Vertragstaaten, mit denen auf rein monetäre Gründe zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung auf der Basis eines „verdächtigen“ Differenzierungsgrundes verwiesen wird – etwa das finanzielle Gleichgewicht zwischen Ausgaben und Einnahmen – in der Regel nicht.769 Meistens begnügt sich der Gerichtshof lediglich mit der Feststellung, dass „sehr gewichtige Gründe“ zu fordern seien. Dann bejaht der EGMR entweder das Vorliegen eines „legitimen Grundes“ bzw. Zwecks ohne eine inhaltliche Prüfung bzw. Gewichtung und legt den Schwerpunkt auf die Frage der Verhältnismäßigkeit770 oder der Gerichtshof verneint von vornherein das Bestehen eines solchen Zwecks (z.B. wenn der Vertragstaat überhaupt keine Gründe vorgetragen hat).771 ccc) Die Verhältnismäßigkeit zwischen hoheitlicher Maßnahme und legitimem Zweck Der EGMR prüft auf der zweiten Stufe, ob die hoheitliche Maßnahme, d.h. die gerügte, personenbezogene Ungleich- bzw. Gleichbehandlung, im Hinblick auf das legitime Ziel verhältnismäßig ist. Die Strukturierung dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgt analog zur freiheitsrechtlichen Prüfung, d.h. es wird nach der Geeignetheit, der Erforder-
768 769 770 771
EGMR, 24.07.2003, Karner, RJD 2003-IX = ÖJZ 2004, S. 36, § 40. Z.B. EGMR, 30.09.2003, Koua Poirrez, RJD 2003-X, §§ 43, 46 ff. Z.B. EGMR, 01.02.2000, Mazurek, RJD 2000-II, §§ 49 ff. Z.B. EGMR, 08.07.2003, Sommerfeld, RJD 2003-VIII, § 93.
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lichkeit und der Angemessenheit der belastenden, personenbezogenen Ungleich- oder Gleichbehandlung gefragt.772 (1) Verhältnismäßigkeit und Zeit Von Bedeutung ist, dass die Zweck-Mittel-Relation in Diskriminierungsfällen nicht „statisch“ ist. Gerade für die Diskriminierungsproblematik gilt der allgemeine Grundsatz der Konventionsinterpretation, dass die EMRK ein „living instrument“ darstellt, welches im Lichte der heutigen Gegebenheiten auszulegen ist.773 Die besondere Bedeutung der dynamischen Interpretation in Diskriminierungsfällen hängt damit zusammen, dass der Diskriminierungsbegriff auf dem notwendig umstrittenen Gleichheitsbegriff beruht, der im ersten Teil der Arbeit analysiert wurde.774 Was eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung aufgrund eines personenbezogenen Merkmals, mithin Diskriminierung, im Einzelfall ist, kann nur im Lichte der gegenwärtigen Bedingungen ermittelt werden. Dazu zählen u.a. soziale Anschauungen, ethische Überzeugungen sowie der wissenschaftliche und technische Fortschritt. Der Gerichtshof fordert von den Vertragsstaaten regelmäßig die Neubewertung von Ungleichheiten ein. So hielt der EGMR jüngst im Fall Brauer (2009)775 eine weitergeltende Vorschrift des deutschen „Gesetzes über die rechtliche Stellung nichtehelicher Kinder“ aus dem Jahr 1969 für konventionswidrig, nach der sinngemäß eine Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern auf vor dem 1.7.1949 geborene, nichteheliche Kinder keine Anwendung findet. Die eine Ungleichbehandlung ursprünglich rechtfertigenden Gründe müssen unter den Bedingungen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen und Möglichkeiten neu bewertet werden. Der Gerichtshof kommt in Bezug auf die deutsche Stichtagsregelung zu einem eindeutigen Ergebnis: “(...) 772
Zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unter der EMRK vgl. allgemein Christoph Grabenwarter/Thilo Marauhn, Grundrechtseingriff und -schranken, in: Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, Tübingen 2006, Kap. 7, Rn. 41 ff.; Marc-André Eissen, The Principle of Proportionality in the CaseLaw of the European Court of Human Rights, in: Ronald St. John Macdonald et al. (eds.), The European system for the protection of human rights, Dordrecht [et al.] 1993, p. 125 ff. 773 774 775
Vgl. dazu umfassend Cremer (Fn. 706) m.w.N. Dazu s. S. 15 ff. EGMR, 28.5.2009, Brauer, Nr. 3545/04, §§ 25 ff.
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3. Teil
in the Court’s view, the arguments put forward at the time are no longer valid today; like other European societies, German society has evolved considerably and the legal status of children born outside marriage has become equivalent to that of children born within marriage.”776 Überdies gilt insbesondere für die Fälle der direkten Diskriminierung, dass je länger diese andauern, der Rechtfertigungsdruck umso größer wird.777 (2) Geeignetheit der Maßnahme zur Zweckerreichung Die erste Prüfungskategorie im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist die der „Geeignetheit“. Die angegriffene hoheitliche Maßnahme, d.h. die personenbezogene Ungleich- oder Gleichbehandlung, muss überhaupt geeignet sein, dem festgestellten legitimen Zweck zu dienen.778 Der EGMR formuliert die Frage der Geeignetheit im Zusammenhang mit Art. 14 EMRK wie folgt: “(...) the principle of proportionality (...) require[s] that the measure chosen is in principle suited for realising the aim sought (...)” [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.].779 Eine Maßnahme ist dann ungeeignet, wenn keine überzeugenden Gründe vorgebracht werden, wie das Ziel gerade durch die belastende Maßnahme im Einzelfall befördert werden kann.780 So hat der Gerichtshof im Fall Abdulaziz und andere (1985) die Maßnahme der unterschiedlichen Behandlung von ausländischen Ehemännern im Vergleich zu ausländischen Ehefrauen hinsichtlich Einreise- und Aufenthaltsberechtigung für nicht geeignet gehalten, dem Ziel des „öffentlichen Friedens“ („public tranquility“) zu dienen.781 Der Gerichtshof vermochte nicht zu erkennen, wie eine unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen hier das Ziel des „öffentlichen Friedens“ befördern könnte. Im Regelfall wird die Geeignetheit vom Gerichtshof aber entweder als eigene Prüfungskategorie der Verhältnismäßigkeit übergangen oder (oft implizit) bejaht. 776
EGMR, 28.5.2009, Brauer, Nr. 3545/04, § 43.
777
EGMR, 22.12.2009, Sejdić und Finci, Nr. 27996/06 u. 34836/06, § 33: „(..) the length of time during which the exclusion had continued increased even more the burden on the respondent Government to justify it (...).“ 778 779
Vgl. Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 222. EGMR, 24.07.2003, Karner, RJD 2003-IX = ÖJZ 2004, S. 36, § 41.
780
Vgl. EGMR, 18.02.1999, Larkos, RJD 1999-I, § 31; EGMR, 27.11.2007, Luczak, Nr. 77782/01, § 59. 781
EGMR, 28.05.1985, Abdulaziz u.a., Serie A 94 = NJW 1986, S. 3007, § 81.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
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(3) Erforderlichkeit der Maßnahme zur Zweckerreichung Ebenso wie die „Geeignetheit“ spricht der EGMR auch die „Erforderlichkeit“ in Diskriminierungsfällen selten als eigenständige Kategorie an. Eine belastende, personenbezogene Ungleichbehandlung ist „erforderlich“, wenn das legitime Ziel nicht durch eine Gleichbehandlung (als das „mildere“ Mittel) erreicht werden kann; ebenso ist eine belastende, personenbezogene Gleichbehandlung „erforderlich“, wenn das legitime Ziel nicht durch eine den Beschwerdeführer weniger belastende Ungleichbehandlung erreicht werden kann. In dem soeben erwähnten Fall Karner (2003) betreffend die Fortführung eines Mietrechtsverhältnisses durch den überlebenden Partner einer homosexuellen Partnerschaft formuliert der Gerichtshof die Erforderlichkeitsprüfung folgendermaßen: “It must (...) be shown that it was necessary in order to achieve that aim to exclude certain categories of people – in this instance persons living in a homosexual relationship – from the scope of application of section 14 of the Rent Act” [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.].782 In einigen wenigen Urteilen setzt sich der Gerichtshof ausführlich mit der Frage der Erforderlichkeit einer Maßnahme auseinander. So ging es beispielsweise in dem Fall Ünal Tekeli (2004)783 um die Frage, ob eine Ungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen, die darin bestand, dass der Nachname des Ehemanns im Fall der Heirat automatisch der gemeinsame Familienname wurde, gerechtfertigt ist. Im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung, die allerdings nicht als solche bezeichnet wird, kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Ungleichbehandlung der Geschlechter bei der Wahl des Familiennamens nicht erforderlich sei. Die Ungleichbehandlung im Fall Ünal Tekeli sei zum einen deswegen nicht erforderlich, weil dasselbe Ziel auch durch Gleichbehandlung beider Ehepartner bei der Wahl des Familiennamens herbeigeführt werden könne, denn auch durch die Wahl des Nachnamens der Ehefrau könne das Ziel der Dokumentierung der familiären Einheit verwirklicht werden. Weiterhin wird schon die Legitimität des Ziels („Zweckwürdigkeit“) in Frage gestellt, weil kein Schaden für die Ehepartner oder das öffentliche Interesse dargelegt worden sei, wenn sich die Einheit der Familie nicht in einem gemeinsamen Namen niederschlage.
782 783
EGMR, 24.07.2003, Karner, RJD 2003-IX = ÖJZ 2004, S. 36, § 41. EGMR, 16.11.2004, Ünal Tekeli, RJD 2004-X, §§ 57 ff.
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3. Teil
Die Erforderlichkeit der Ungleichbehandlung wird somit abgelehnt, wenn das Ziel auch durch eine Gleichbehandlung erreicht werden kann oder wenn die Notwendigkeit der Zielerreichung gerade durch die Ungleichbehandlung – mangels hinreichender Begründung durch den Vertragstaat – unklar bleibt. Mutatis mutandis gilt das auch für die Erforderlichkeit der Gleichbehandlung: So hielt der EGMR im Fall Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas und andere (2008)784 die Auferlegung einer langen Wartezeit, bevor eine religiöse Gemeinschaft Rechtspersönlichkeit verliehen werden konnte, für nicht erforderlich bezogen auf die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas; die Gleichbehandlung der bereits lang etablierten Zeugen Jehovas mit völlig unbekannten Religionsgemeinschaften sei nicht erforderlich im Hinblick auf das legitime Ziel der Feststellung der Rechtstreue dieser religiösen Gemeinschaft. (4) Angemessenheit der Maßnahme Das Erfordernis der Angemessenheit der Maßnahme verlangt im Grundsatz eine faire Gewichtung der Interessen des Beschwerdeführers einerseits und der öffentlichen Interessen andererseits.785 Bei den Freiheitsrechten nimmt der EGMR hier eine umfassende, einzelfallbezogene Abwägung der konkurrierenden Güter und Interessen vor.786 Wie sieht die Angemessenheitsprüfung in Diskriminierungsfällen aus? Nur selten beschreibt der Gerichtshof das Prüfungsprogramm der Angemessenheit näher. Eine Formulierung findet sich aber im Fall Sheffield und Horsham (1998). Die Ungleichbehandlung in diesem Fall war verhältnismäßig, denn: “(...) a fair balance continues to be struck between the need to safeguard the interests of transsexuals such as the applicants and the interests of the community in general (...).”787 Jede Angemessenheitsentscheidung steht vor dem grundsätzlichen, epistemischen Problem, dass die Angemessenheit einer Maßnahme im Einzelfall weder empirisch „messbar“ ist noch für sie objektive, allge784
EGMR, 31.07.2008, Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovahs, Nr. 40825/98 = ÖJZ 2008, S. 865, § 98. 785
St. Rspr., vgl. EGMR, 30.07.1998, Sheffield und Horsham, RJD 1998-V, no. 84 = ÖJZ 1999, S. 571, § 76. 786
Allgemein zur Angemessenheitsprüfung im Kontext der EMRK vgl. Grabenwarter/Marauhn (Fn. 772), Kap. 7, Rn. 49 ff. 787
EGMR, 30.07.1998, Sheffield und Horsham, RJD 1998-V, no. 84 = ÖJZ 1999, S. 571, § 76.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
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meingültige Kriterien aufgestellt werden können. Vielmehr handelt es sich um ein Werturteil, das notwendig kontextbezogen bleibt und von der subjektiven (d.h. richterlichen) Auswahl und Gewichtung der relevanten Belange geprägt ist.788 Die sich aus der Natur der Sache ergebende Subjektivität der Angemessenheitsentscheidung ist jedoch zu unterscheiden von ihrer Rationalität: Wiewohl sich keine „objektive“ Angemessenheitsentscheidung einfordern lässt, kann und muss deren Rationalität verlangt werden. Rationalitätsverbürgende Kriterien einer Angemessenheitsentscheidung sind: die Herstellung von Konsistenz des Entscheidens durch Bezugnahme auf ältere Urteile (1), die Berücksichtigung freiheitsrechtlicher Wertungen (2) und die Ermöglichung von Gerechtigkeit im Einzelfall durch die Zulassung von Billigkeitserwägungen (3). (1) Die Rationalität eines Angemessenheitsurteils hängt zum einen davon ab, wie sich die Entscheidung in die Geschichte der bisherigen Rechtsprechung einfügt. Die formale Konsistenz des Entscheidens durch das Mittel der Selbstreferenz in den Urteilen des EGMR ist ein Maßstab für Rationalität. Bei aller Einzelfallbezogenheit können sich die zu beurteilenden Angemessenheitsprobleme wiederholen oder einander ähneln; dann sollte auch „gleich“ entschieden werden (oder eine Rechtsprechungsänderung überzeugend begründet werden). (2) Die „Wertoffenheit“ (Werner Heun)789 des Diskriminierungsverbots legt es nahe, Anleihen bei den Freiheitsrechten zu machen und Wertungen einzubeziehen, die sich aus jenen Rechten ergeben. Der EGMR verweist daher regelmäßig auf Erwägungen, die er im Rahmen der freiheitsrechtlichen Prüfung angestellt hat und berücksichtigt deren Maßstäbe und Wertungen bei der Angemessenheitsprüfung.790 788 M.E. ist die Subjektivität von Angemessenheitsurteilen kein Makel, sondern eine (oft nicht hinreichend gewürdigte) Notwendigkeit; daher ist auch Bodo Pieroth und Bernhard Schlink nicht zuzustimmen, die insoweit von einer Gefahr sprechen, „bei allem Bemühen um Rationalität die subjektiven Urteile und Vorurteile des Prüfenden zur Geltung zu bringen“ (Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, 25. Aufl., Heidelberg 2009, § 6 IV 4 c) cc), Rn. 303). 789
Heun gebraucht den Begriff der „Wertoffenheit“ in Bezug auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes, s. Heun (Fn. 16), Art. 3 GG, Rn. 139. Dies gilt aber auch für das – einen besonderen Gleichheitssatz darstellende – konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot. 790
Vgl. nur EGMR, 30.07.1998, Sheffield und Horsham, RJD 1998-V, no. 84 = ÖJZ 1999, S. 571, § 76; vgl. auch Gerards (Fn. 31), p. 149, n. 199 m.w.N.
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3. Teil
(3) Die Rationalität des Angemessenheitsurteils hängt ferner davon ab, ob die im Einzelfall betroffenen Rechtspositionen richtig erkannt und gewichtet wurden.791 Mit dem Rationalitätserfordernis, eine im Einzelfall gerechte Lösung zu finden, hängt zusammen, dass eine Angemessenheitsentscheidung sich Billigkeitserwägungen nicht verschließen darf. Durch die Billigkeit wird – das ist eine aristotelische Einsicht – das Recht durch den Richter im Einblick auf die Erfordernisse des Einzelfalls so gestaltet, dass es in einem höheren Maße als „gerecht“ gelten kann.792 Anders formuliert, ist – nach hier vertretener Ansicht – ein Angemessenheitsurteil, dass sich der Billigkeit verweigert, als weniger rational, da gerechtigkeitsdefizient, anzusehen. Die Billigkeit kann z.B. verlangen, dass eine abstrakt-generelle Regelung Ausnahmetatbestände zulässt, also die Rücksichtnahme auf die Besonderheit des Einzelfalls erlaubt. Der EGMR lässt solche rationalitätsverbürgende Billigkeitserwägungen in die Angemessenheitsprüfung einfließen. So hielt der EGMR im Fall Paulík (2006)793 eine nationale Regelung für nicht gerechtfertigt, die es dem Beschwerdeführer unmöglich machte, seine durch Urteil im Jahr 1970 aufgrund von Expertenbeweisen festgestellte Vaterschaft anzufechten, während dies in anderen Konstellationen Vätern und Müttern möglich sei. Der EGMR kritisierte in diesem Fall, dass das Gesetz keine Ausnahmeregelung für die Konstellation des Beschwerdeführers vorsah und ihn daher unangemessen belastete. Bisweilen wird vertreten, dass der EGMR ein weiteres Kriterium im Rahmen der Angemessenheit berücksichtigen sollte, nämlich das der sog. over-/underinclusiveness.794 Eine gesetzliche Maßnahme, die eine personenbezogene Ungleich- bzw. Gleichbehandlung statuiert, soll nach diesem Kriterium auch dann unangemessen sein, wenn sie dem Verdikt der over-/underinclusiveness unterfällt. Vom Problem der overinclusiveness spricht man, wenn die Extension einer Rechtsnorm fehler791
Problematisch ist daher die Lösung des Gerichtshofs im Fall EGMR, 13.07.2004, Pla und Puncernau, RJD 2004-VIII = NJW 2005, S. 875; zu diesem Fall vgl. ausführlich unten S. 346 ff. 792
Aristoteles, Nikomachische Ethik (Fn. 28), S. 148 ff., V 14, 1137a 35 ff.: „Denn das Gütige [die Billigkeit, Verf.] ist, indem es besser ist als eine bestimmte Art des Gerechten, selber ein Gerechtes; wenn es aber besser ist als das Gerechte, so bedeutet dies nicht, daß es einer anderen Gattung angehört. Das Gerechte und das Gütige ist also identisch: beides sind wirkliche Werte, nur steht das Gütige im Range höher.“ 793 794
EGMR, 10.10.2006, Paulik, Nr. 10699/05, § 58. So v.a. Gerards (Fn. 31), p. 162 ff.
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haft Personen erfasst, die nicht hätten berücksichtigt werden dürfen, von underinclusiveness ist die Rede, wenn die Extension einer Rechtsnorm Personen unberücksichtigt lässt, die der Sache nach als Normerfüller hätten gelten müssen.795 Für das Problem der overinclusiveness kann die Pflichtexemplarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts als Beispiel dienen: Nach § 9 des Pressegesetzes musste jeder Verleger eines Druckwerks ohne Unterschied ein Belegstück unentgeltlich an eine Bibliothek abliefern. Diese führte dazu, dass auch solche Druckwerke, die nur in kleiner Auflage und unter großem Aufwand produziert wurden, abgeliefert werden mussten. Nach Ansicht des BVerfG traf diese Norm denjenigen Verleger besonders hart, der „durch seine private Initiative und Risikobereitschaft (...) möglich [macht, Verf.], künstlerisch, wissenschaftlich und literarisch exklusives Schaffen (...) der Öffentlichkeit zu erschließen.“796 Die Norm, die unterschiedslos kleine und große Auflagengrößen betraf, kann als overinclusive betrachtet werden. Ein Fall, der das Problem der underinclusiveness betraf, ist der Fall des USSCt, Church of Lukumi Babalu Aye, Inc. v. City of Hialeah (1993).797 Die klagende religiöse Gemeinschaft betrieb rituelle Tieropfer als Teil ihrer Glaubensausübung. Um dies zu unterbinden, verbot eine sog. Stadtverordnung u.a. die unnötige Tötung eines Tieres für private oder öffentliche Opferzwecke. Die Verordnungen wurden gestützt auf das Interesse des öffentlichen Gesundheitsschutzes sowie das der Verhinderung von grausamer Behandlung von Tieren. Der USSCt hielt diese Verordnung für underinclusive, da sie einseitig die Gefährdung dieser Interessen durch Religionsausübung betraf, aber die ähnliche Gefährdung, die von nicht-religiöser Tätigkeit ausging, nicht berücksichtigte (etwa der private Verbrauch selbstgeschlachteter Tiere ohne vorherige staatliche Gesundheitsprüfung). Die Einbeziehung des over-/underinclusiveness-Kriteriums in die Angemessenheitsprüfung ist jedoch aus zwei Punkten problematisch: Zum einen würde der EGMR sehr leicht in Konflikt geraten mit der nationalen Legislative, die primär dazu berufen ist, die Gruppe der Normberechtigten oder Normerfüller zu bestimmen; es steht dem EGMR – an795 Vgl. die Bestimmung von „over-/underinclusiveness“ bei Gerards (Fn. 31), p. 162 sowie Tobler (Fn. 407), p. 241. 796 797
BVerfGE 58, 137, 150 – Pflichtexemplarentscheidung.
USSCt, Church of Lukumi Babalu Aye, Inc. v. City of Hialeah, 508 U.S. 520 (1993).
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gesichts der Subsidiarität des konventionsrechtlichen Rechtsschutzes – nicht zu, in dieser Weise die Rolle eines (überstaatlichen) Verfassungsgerichts anzunehmen. Des Weiteren erscheint das over-/underinclusiveKriterium auch als zu abstrakt und steht daher im Widerspruch zu der Einzelfallbezogenheit der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Übrigen.
3. Die prozedurale Dimension des Rechtfertigungsfilters in Diskriminierungsfällen a) Kontrolldichte, Beurteilungsspielraum und Rechtfertigungsniveau Die Beantwortung der Frage, ob es sich bei dem konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbot um eine „zahnlose“ Norm handelt oder nicht, hängt maßgeblich von der Kontrolldichte des Gerichtshofs, also der Intensität der Überprüfung der von dem jeweiligen Vertragstaat vorgebrachten Rechtfertigung, ab. Das Maß der Kontrolldichte entscheidet über die Eng- bzw. Weitmaschigkeit des Rechtfertigungsfilters in prozeduraler Hinsicht. Das Maß der Kontrolldichte wird bestimmt durch den sog. Beurteilungsspielraum (margin of appreciation). In Anlehnung an Grabenwarter und Marauhn lässt sich der Beurteilungsspielraum in erster Näherung bestimmen als „Instrument“ des Gerichtshofs zur Abstufung der Kontrolldichte.798 Kontrolldichte und Beurteilungsspielraum korrelieren: Während ein enger Beurteilungsspielraum des Vertragstaates eine intensive Kontrollbefugnis des Gerichtshofs bezüglich des Rechtfertigungsvorbringens impliziert, führt ein weiter Beurteilungsspielraum zu einer Zurücknahme der Kontrolle durch den Gerichtshof.799 Das Problem der Kontrolldichte darf nicht mit dem des Rechtfertigungsniveaus verwechselt werden.800 Die Kontrolldichte betrifft „prozedural“ die Intensität des Zugriffs auf Rechtfertigungserwägungen durch den Gerichtshof, das Rechtfertigungsniveau – so wie es hier verstanden wird – betrifft die „materielle“ Frage nach der verlangten Wertigkeit der rechtfertigenden Zwecke. Allerdings hängen beide miteinan798
Grabenwarter/Marauhn (Fn. 772), Kap.7, Rn. 56. Diese Bestimmung ist nach hier vertretener Ansicht aber unvollständig, da sie den materiellen Aspekt des Beurteilungsspielraums ausblendet, dazu s. sogleich unten. 799
So auch Ronald St. John Macdonald, The Margin of Appreciation, in: ders. et al. (eds.), The European system for the protection of human rights, Dordrecht [et al.] 1993, p. 83, 84 f.; vgl. Gerards (Fn. 31), p. 165. 800
Zum Rechtfertigungsniveau s. S. 221 und S. 230 ff.
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der zusammen: Sofern ein „sehr gewichtiger Grund“ (bei „verdächtigen“ Differenzierungsgründen) für die Rechtfertigung einer personenbezogenen Ungleich- oder Gleichbehandlung erforderlich ist, geht der Gerichtshof tendenziell auch von einer intensiveren Kontrollbefugnis aus; sind bei allen anderen Differenzierungsgründen bloß „objektive und vernünftige Gründe“ verlangt, nimmt der Gerichtshof die Kontrolldichte zurück.
b) Exkurs: Die Dogmatik des Beurteilungsspielraums (margin of appreciation) Die Dogmatik des Beurteilungsspielraums (margin of appreciation), die der Gerichtshof seinen Entscheidungen zugrundelegt, ist bereits vielfach besprochen und analysiert worden, so dass an dieser Stelle wenige Ausführungen genügen.801 Rechtstechnisch handelt es sich bei dem Beurteilungsspielraum um die weitere, von der eigentlichen Rechtfertigungsprüfung abzusetzende Voraussetzung, dergemäß die Bejahung einer Konventionsverletzung davon abhängig ist, dass die angegriffene Maßnahme den im Einzelfall bestehenden Beurteilungsspielraum des Vertragstaates überschreitet. Der Beurteilungsspielraum eröffnet den Vertragstaaten die Möglichkeit, erstens über die Mittel und die Art und Weise der Herstellung eines konventionskonformen Zustandes grundsätzlich selbst zu entscheiden und unterwirft, zweitens, diese Entscheidungen einer eingeschränkten Rechtskontrolle seitens des EGMR.802 Erst aus beiden Elementen zusammen ergibt sich die Dogmatik des Beurteilungsspielraums. Während die erste, wenn man so will, materielle Bedeutung des Beurteilungsspielraums auf dem Gedanken der Souveränität im Sinne einer Hand801
Zur Dogmatik des Beurteilungsspielraums im Kontext der EMRK vgl. statt vieler Grabenwarter/Marauhn (Fn. 772), Kap. 7, Rn. 56 ff. m.w.N.; Macdonald (Fn. 799), p. 83 ff.; Eva Brems, The margin of appreciation doctrine in the case-law of the European Court of Human Rights, ZaöRV 56 (1996), p. 240 ff.; Johan Callewaert, Quel avenir pour la marge d’appréciation?, in: Paul Mahoney et al. (eds.), Protection des droits de l’homme: la perscpective européenne, mélanges à la mémoire de Rolv Ryssdal = Protecting human rights: the European perspective, studies in memory of Rolv Ryssdal, Cologne [et al.] 2000, pp. 147-166; Jeroen Schokkenbroek, The Basis, Nature and Application of the Margin-of-Appreciation Doctrine in the Case-Law of the European Court of Human Rights, HRLJ 19 (1998), S. 30 ff. 802
Vgl. die leicht abweichende Bestimmung bei Gerards (Fn. 31), p. 166.
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lungsfreiheit des Staates beruht, gründet der zweite, prozedurale Aspekt wesentlich im Prinzip der Subsidiarität des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes sowie Praktikabilitätserwägungen. Grundlegend für die Entwicklung der Dogmatik des Beurteilungsspielraums war das Urteil im Fall Handyside (1976), in dem es um die Beschlagnahme einer Publikation, „The Little Red School Book“ ging, in dem Schulkindern eine alternative Lebensweise, insbesondere eine geänderte Einstellung zur Sexualität vorgestellt wurde.803 Der Gerichtshof führte in diesem Urteil zum Beurteilungsspielraum aus: “The Court points out that the machinery of protection established by the Convention is subsidiary to the national systems safeguarding human rights (...). The Convention leaves to each Contracting State, in the first place, the task of securing the rights and liberties it enshrines. The institutions created by it make their own contribution to this task but they become involved only through contentious proceedings and once all domestic remedies have been exhausted. These observations apply, notably, to Article 10 para. 2. In particular, it is not possible to find in the domestic law of the various Contracting States a uniform European conception of morals. The view taken by their respective laws of the requirements of morals varies from time to time and from place to place, especially in our era which is characterized by a rapid and far-reaching evolution of opinions on the subject. By reason of their direct and continuous contact with the vital forces of their countries, State authorities are in principle in a better position than the international judge to give an opinion on the exact content of these requirements as well as on the ‘necessity’ of a ‘restriction’ or ‘penalty’ intended to meet them” [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.].804 Die Berechtigung der Figur des Beurteilungsspielraums als eines spezifisch völkerrechtlichen Instruments zur Regulierung der Kontrolldichte kann anhand des Falls Handyside leicht nachvollzogen werden: In materieller Hinsicht reagiert der Beurteilungsspielraum auf das, was in loser Anlehnung an John Rawls das „Faktum des rechtlichen Pluralismus“ genannt werden kann.805 Angesichts einer Vielheit möglicher, ver803 EGMR, 07.12.1976, Handyside, Serie A 24 = EuGRZ 1977, S. 38, §§ 48 ff.; dazu Macdonald (Fn. 799), p. 87 ff. 804 805
EGMR, 07.12.1976, Handyside, Serie A 24 = EuGRZ 1977, S. 38, § 48.
Vgl. zum „Faktum des (vernünftigen) Pluralismus“ John Rawls, Politischer Liberalismus (Fn. 48), S. 138 ff.
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nünftiger Lösungen des Rechts, einen konventionskonformen Zustand herzustellen, muss ein überstaatliches Menschenrechtsregime, will es nicht in falschen Dogmatismus verfallen, den Vertragstaaten einen Verwirklichungsrahmen zumessen, innerhalb dessen die Staaten die Vorgaben der EMRK umsetzen. Dies ist besonders einfach einzusehen, wenn eine hoheitliche Maßnahme sich auf eine Ermächtigungsgrundlage stützen muss, in der moralbezogene Tatbestandsmerkmale eine Rolle spielen, wie z.B. „öffentliche Ordnung“ oder – im Fall der Beschlagnahme der Publikation des „The Little Red Schoolbook“ – die „Obszönität“ eines Artikels. Moralbezogene Tatbestandsmerkmale stellen aber nur einen besonders überzeugenden Fall dar, in dem aus Gründen des vernünftigen rechtlichen Pluralismus den Vertragstaaten ein Beurteilungsspielraum einzuräumen ist. Ein (weiter) Beurteilungsspielraum kommt den Vertragstaaten auch im Fall von (positiven) Schutzpflichten zur Abwehr von Gefahren für individuelle Rechtsgüter zu.806 Auch hinsichtlich der gerechten Verteilung sozioökonomischer Güter und Lasten billigt der Gerichtshof den Staaten einen großzügig bemessenen Beurteilungsspielraum zu.807 Ein wichtiger Anwendungsbereich des Beurteilungsspielraums ist schließlich die Derogation von Konventionsrechten im Notstandsfall nach Art. 15 EMRK.808 In den Fällen der moralbezogenen Tatbestandsmerkmale, der Schutzpflichten, der gerechten sozioökonomischen Güter- und Lastenverteilung sowie der Derogation von Konventionsrechten im Notstandsfall ist der Souveränitätsanspruch der Vertragstaaten besonders stark; hier haben die Vertragstaaten ein berechtigtes Interesse daran, sich Handlungsspielräume hinsichtlich der Herstellung von Konventionskonformität, einen Beurteilungsspielraum im materiellen Sinne, zu erhalten. Die prozedurale Bedeutung des Beurteilungsspielraums ist eng mit der materiellen verzahnt: Wenn den Vertragstaaten solche berechtigten Handlungsspielräume im Hinblick auf die Konventionsverwirklichung 806 Vgl. Heike Krieger, Funktionen von Grund- und Menschenrechten, in: Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, Tübingen 2006, Kap. 6, Rn. 64 f. 807
Vgl. nur EGMR, 21.02.1986, James, Serie A 98 = EuGRZ 1988, S. 341, § 46; EGMR, 23.10.1997, Case of the National & Provincial Building Society et al., RJD 1997-VII, no. 55, § 80; EGMR, 12.04.2006, Stec u.a, Nr. 65731/01 und 65900/01, § 52. 808
Dazu s. Macdonald (Fn. 799), p. 85 f.
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zukommen, dann folgt daraus, dass der Gerichtshof die in Anspruch genommene Freiheit nur einer beschränkten Kontrolle unterwerfen darf. Die eingeschränkte Kontrollbefugnis, der prozedurale Aspekt des Beurteilungsspielraums, wird in der Regel aber nicht als Folge der Souveränitätsargumentation gesehen, sondern – wie es der Gerichtshof im Fall Handyside unternimmt – auf den Gedanken der Subsidiarität des konventionsrechtlichen Menschenrechtsschutzes gestützt.809 Das Subsidiaritätsprinzip verlangt allgemein, dass in Mehrebenensystemen die größere oder übergeordnete soziale Einheit nur dann tätig wird, wenn die kleinere Einheit dazu nicht in der Lage ist.810 Übertragen auf den Konventionsrechtsschutz bedeutet dies, dass der EGMR nur dann zum Schutz individueller Grundrechte berufen ist, wenn die Gewährleistung dieser Rechte auf nationaler Ebene inadäquat war. Die Aufgabe der Sicherstellung der in der Konvention verbürgten Rechte obliegt damit primär den Vertragstaaten. Die Stützung der prozeduralen Bedeutung des Beurteilungsspielraums auf das Subsidiaritätsprinzip ist insofern irreführend, als der Gedanke der „Subsidiarität“ in erster Linie dazu dient, Kompetenzkonflikte (z.B. in bundesstaatlichen Mehrebenensystemen) zu regeln. So folgt daraus, dass die Wahrung der Konventionsrechte primär Aufgabe der Vertragstaaten ist, nicht zwangsläufig, dass die Kontrolle durch den EGMR kraft (des prozeduralen Aspekts) des Beurteilungsspielraums begrenzt sein muss. Zu Recht führt der EGMR daher zur Begründung der prozeduralen Bedeutung des Beurteilungsspielraums weitere pragmatische Erwägungen an: “Because of their direct knowledge of their society and its needs, the national authorities are in principle better placed than the international judge to appreciate what is in the public interest on social or economic grounds, and the Court will generally respect the legislature’s policy choice (...)” [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.].811 Nicht nur aus dem Grund der Subsidiarität des Konventionsrechtsschutzes, sondern auch wegen ihrer Sachnähe und der besseren Vertrautheit mit regionalen Besonderheiten, der Geschichte und Gewohnheiten ist der EGMR bereit, den nationalen Hoheitsträgern im Einzelfall einen Beurteilungsspielraum zuzubilli809
EGMR, 07.12.1976, Handyside, Serie A 24 = EuGRZ 1977, S. 38, § 48 (s. Zitat oben auf S. 242). 810 So Petzold (Fn. 257), p. 41; ähnlich auch Josef Isensee, Subsidiarität und Verfassungsrecht, 2. Aufl., Berlin 2001, S. 71. 811
EGMR, 12.04.2006, Stec u.a, Nr. 65731/01 und 65900/01, § 52; vgl. bereits EGMR, 07.12.1976, Handyside, Serie A 24 = EuGRZ 1977, S. 38, § 48 (s. Zitat oben S. 242).
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gen. Dies ist nur zum Teil als ein Gebot der Klugheit zu interpretieren, denn diese Erwägung wird auch durch das verfassungsrechtliche Argument gestützt, dass internationale Rechtsprechungsorgane wie der EGMR die Entscheidungen demokratisch legitimierter Organe – innerhalb gewisser, durch die Konvention gesetzter Grenzen – respektieren müssen und eine angemessene Distanz zu der nationalen Einschätzung zu wahren haben.812 So betont auch der Gerichtshof, dass er seine Sicht der Sachlage nicht einfach an die der nationalen Entscheidungsträger setzen dürfe.813 Es besteht eine grundsätzliche Spannung zwischen dem prozeduralen Aspekt des Beurteilungsspielraums – der beschränkten Kontrollbefugnis bzw. der Pflicht zur Distanz zu nationalen Einschätzungen – und der Anforderung, dass Konventionsrechte „effektiv und bedeutsam“ in der Praxis sein sollen. Von entscheidender Bedeutung ist nicht die Tatsache, dass den Vertragstaaten ein Beurteilungsspielraum zugebilligt wird, sondern wie weit dieser bemessen wird. Die Faktoren, die über die Weite des Beurteilungsspielraums entscheiden, benennt der Gerichtshof wie folgt: “The scope of the margin of appreciation will vary according to the circumstances, the subject matter and the background; in this respect, one of the relevant factors may be the existence or nonexistence of common ground between the laws of the Contracting States.”814 Die Weite des Beurteilungsspielraums ist einzelfallbezogen zu bestimmen. Dabei spielen folgende Erwägungen eine Rolle: Von ent812
Gerards (Fn. 31), p. 168. Die Offenheit der EMRK für eine solche Interpretation lässt sich begründen mit dem Wortlaut der Konvention, der an einigen Stellen ausdrücklich auf die „demokratische politische Ordnung“ oder die „demokratische Gesellschaft“ verweist, vgl. nur die Präambel sowie die Absätze 2 der Art. 8-11 EMRK. 813
Vgl. nur EGMR, 18.01.1978, Irland v. Vereinigtes Königreich, Serie A 25 = EuGRZ 1979, S. 149, § 214: “It is certainly not the Court’s function to substitute for the British Government’s assessment any other assessment of what might be the most prudent or most expedient policy to combat terrorism. The Court must do no more than review the lawfulness, under the Convention, of the measures adopted by that Government from 9 August 1971 onwards. For this purpose the Court must arrive at its decision in the light, not of a purely retrospective examination of the efficacy of those measures, but of the conditions and circumstances reigning when they were originally taken and subsequently applied.” 814
EGMR, 26.02.2002, Fretté, RJD 2002-I = FamRZ 2003, S. 149, § 40; EGMR, 27.03.1998, Petrovic, RJD 1998-II, no. 67 = ÖJZ 1998, S. 516, § 38; EGMR, 28.11.1984, Rasmussen, Serie A 87 = NJW 1986, S. 2176, § 40.
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scheidender Bedeutung ist erstens das Bestehen eines einheitlichen europäischen Standards („common ground“). Sofern für das menschenrechtliche Problem ein europäischer Standard erkennbar ist (z.B. die Straflosigkeit homosexueller Handlungen unter Erwachsenen), gewährt der EGMR dem Vertragstaat nur einen engen Beurteilungsspielraum; bei Abwesenheit einer einheitlichen europäischen Rechtsauffassung nimmt der Gerichtshof seine Kontrollbefugnis stark zurück und respektiert grundsätzlich die Entscheidungen der demokratischen Organe.815 Zweitens wird die Weite des Beurteilungsspielraums durch die Bedeutung und das Gewicht der vom Vertragstaat verfolgten Ziele bestimmt; beispielsweise gewährt der Gerichtshof in Fällen der Einschränkung von Konventionsrechten aus Gründen der nationalen Sicherheit oder aus Gründen der Moralüberzeugung – wie bereits gesehen – einen weiten Beurteilungsspielraum.816 Insofern ist der Beurteilungsspielraum zwecke-sensitiv. Drittens spielt der Kontext der angegriffenen hoheitlichen Maßnahme eine Rolle.817 Im Bereich der Immigration oder der Verteilung sozioökonomischer Güter und Lasten geht der EGMR von einem weiten Beurteilungsspielraum aus. Dies kann unter Hinweis auf den Regelungsgehalt der EMRK erklärt werden: Fragen der Immigration sowie der sozioökonomischen Verteilung werden als solche grundsätzlich von der Konvention nicht erfasst. Somit ist es nur folgerichtig, dass den Vertragstaaten diesbezüglich ein weiter Beurteilungsspielraum eingeräumt wird, wenn diese Fälle doch einmal den Anwendungsbereich eines substantiellen Konventionsrechts berühren sollten. Viertens ist das (relative) Gewicht des durch die hoheitliche Maßnahme eingeschränkten Konventionsrechts relevant.818 Einige Konventionsrechte sind bedeutsamer als andere, wie insbesondere an unterschiedlich weit gefassten Schrankenklauseln und der in Art. 15 Abs. 2 EMRK geregelten Notstandsfestigkeit einiger besonders wichtiger Rechte ersichtlich ist. Darüber hinaus hat der Gerichtshof selbst bei einigen Rechten deren besondere Bedeutung für das „demokratische Gemeinwesen“ hervorgehoben und den Vertragstaaten deshalb bei Beschränkungen nur einen engen Beurteilungsspielraum gewährt (z.B. bei
815
Vgl. ausführlich dazu Gerards (Fn. 31), p. 171 ff.; vgl. auch Thomas A. O’Donnell, The Margin of Appreciation Doctrine: Standards in the Jurisprudence of the European Court of Human Rights, HRQ 4 (1982), p. 474, 479 ff. 816 817 818
Vgl. auch Gerards (Fn. 31), p. 182 ff. Vgl. Gerards (Fn. 31), p. 185 ff. Vgl. Gerards (Fn. 31), p. 187 ff.
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der Freiheit der Meinungsäußerung, Art 10 EMRK).819 Schließlich, fünftens, kann bei der Bemessung des Beurteilungsspielraums die Natur und die Intensität des staatlichen Eingriffs Berücksichtigung finden: Das komplette Verbot einer grundrechtsrelevanten Tätigkeit wird eher einer dichteren Kontrolle unterworfen als ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt oder das Abhängigmachen der gewünschten Betätigung von einem vorherigen Genehmigungsverfahren.820 Zusammenfassend ergibt sich, dass dem Gerichtshof mit der Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums ein flexibles, notwendiges Instrument zur Verfügung steht, einerseits dort progressiv vorgehen zu können, wo ein Handeln aus Gründen des Grundrechtsschutzes unabdingbar erforderlich ist und sich andererseits da in Zurückhaltung üben zu können, wo eine Gesamteinschätzung der Sach- und Rechtslage die konventionsrechtliche Verurteilung des staatlichen Vorgehens nicht verlangt.
c) Der Beurteilungsspielraum in Diskriminierungsfällen Dass den Vertragstaaten in Diskriminierungsfällen ein Beurteilungsspielraum zukommt, geht aus dem Wortlaut der Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK („without discrimination“/„sans distinction aucune“) nicht unmittelbar hervor.821 Der Sache nach wird vom Gerichtshof allerdings bereits im Belgischen Sprachenfall anerkannt, dass den Vertragstaaten in Fragen der personenbezogenen Ungleich- bzw. Gleichbehandlung ein Beurteilungsspielraum zukommt: “In attempting to find out in a given case, whether or not there has been an arbitrary distinction, the Court cannot disregard those legal and factual features which characterize the life of the society in the State which, as a Contracting Party, has to answer for the measure in dispute. In so doing it cannot assume the role of the competent national authorities, for it would thereby lose sight of the subsidiary nature of the international machinery of collective enforcement established by the Convention. The national authorities remain free to choose the measures which they consider appropriate in those matters which are governed by the Convention. Review by the Court concerns only the conformity of these measures with the require819 820 821
Vgl. Gerards (Fn. 31), p. 188 f.; O’Donnell (Fn. 815), p. 484 ff. Vgl. Gerards (Fn. 31), S. 192 ff. m.w.N.
Jeroen Schokkenbroek, The Prohibition of Discrimination in Article 14 of the Convention and the Margin of Appreciation, HRLJ 19 (1998), p. 20.
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ments of the Convention” [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.].822 Anhand dieses Zitats wird die materielle Bedeutung des Beurteilungsspielraums in Diskriminierungsfällen nochmals deutlich: Folge des Beurteilungsspielraums ist, dass den Vertragstaaten eine Bandbreite von Regelungsmöglichkeiten offensteht, insbesondere bei der Frage, welche Personen gleich zu behandeln sind und welche ungleich. Bedeutsam ist, dass der Beurteilungsspielraum beim Diskriminierungsverbot in doppelter Weise relevant wird: zum einen bei der Frage der Vergleichbarkeit von Personen bzw. Sachverhalten („analogous situations“)823 und zum anderen im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung.824 Sowohl bei der Frage, ob sich zwei Personen in ähnlicher Lage befinden wie auch hinsichtlich der Konventionskonformität von personenbezogenen Ungleich- bzw. Gleichbehandlungen kommt den Vertragstaaten mithin ein Beurteilungsspielraum zu. Das ist nicht weiter verwunderlich, sind doch beide Probleme eng miteinander verzahnt.825 Die Weite des vertragstaatlichen Beurteilungsspielraums wird beim Diskriminierungsverbot der EMRK wesentlich durch den einschlägigen Differenzierungsgrund bestimmt: Handelt es sich um einen „verdächtigen“ Differenzierungsgrund, wie dem des Geschlechts, der Rasse oder der Religion, ist der Beurteilungsspielraum grundsätzlich eng; bei einfachen Differenzierungsgründen wie dem des Vermögens oder der Sprache billigt der EGMR den Vertragstaaten einen weiten Beurteilungsspielraum zu. Die Lehre vom Beurteilungsspielraum geht an dieser Stelle in die oben bereits dargestellte Dogmatik der Differenzierungsgründe über.826
822
EGMR, 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, B 9 = EuGRZ 1985, S. 298 ff., § 10; vgl. Gerards (Fn. 31), p. 165 f. sowie Schokkenbroek (Fn. 821), p. 20 f. 823
Vgl. z.B. EGMR, 26.11.1991, Observer und Guardian, Serie A 217 = EuGRZ 1995, S. 16, § 73. 824
Vgl. z.B. EGMR, 28.11.1984, Rasmussen, Serie A 87 = NJW 1986, S. 2176,
§ 40. 825
Zum Problem der Ebenenverkoppelung zwischen „Vergleichbarkeit“ und „Rechtfertigung“ s. bereits ausführlich oben S. 176. 826
Vgl. die Darstellung der Dogmatik der Differenzierungsgründe oben S. 177 ff. Gerards spricht treffend von der „Übersetzung“ der Lehre vom Beurteilungsspielraum in die Lehre der verdächtigen Differenzierungsgründe, s. Gerards (Fn. 31), p. 199.
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Die wichtigste Ausnahme von dem Grundsatz eines engen Beurteilungsspielraums bei verdächtigen Differenzierungsgründen macht die in den letzten Jahren zunehmend bedeutsamer werdende Rechtsprechung im Bereich der sozioökonomischen Güter- und Lastenverteilung. Hier geht der Gerichtshof – auch bei Anknüpfung der nationalen Maßnahme an „verdächtige“ Differenzierungsgründe – gleichsam im Wege einer „Rückausnahme“ von einem weiten Beurteilungsspielraum der Vertragstaaten aus. Die Argumentation des Gerichtshof nimmt in den richtungsweisenden Fällen Stec,827 Pearson,828 Barrow829 das folgende Muster an: Auf der ersten Stufe wird eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts bejaht, die nur durch „sehr gewichtige Gründe“ zu rechtfertigen ist und zu einer (widerleglichen) Vermutung der Unverhältnismäßigkeit von Mitteln und Zweck führt. An sich ist in diesen Fällen von einem engen Beurteilungsspielraum („margin of appreciation“) der Vertragstaaten auszugehen, mit dem eine erweiterte Prüfungsdichte des EGMR korrespondiert. In einem weiteren Schritt schränkt der EGMR seine Prüfungsdichte dann aber wieder ein unter Hinweis auf den betroffenen Sachbereich der Ungleichbehandlung: Sofern es um Ungleichbehandlungen im Bereich sozioökonomischer Rechte geht, auch solche, die auf „verdächtige“ Differenzierungsgründe gestützt sind, übt der Gerichtshof nur eine Willkürkontrolle aus. Im Bereich der gerechten Steuer- und Abgabenerhebung sowie der Verteilung sozioökonomischer Vor- und Nachteile nimmt der EGMR damit seine Kontrolldichte zurück und ist in der Tendenz geneigt, den Staaten einen weiten Beurteilungsspielraum zuzubilligen und in der jeweiligen gesetzgeberischen Lösung „sehr gewichtige Gründe“ für die Ungleichbehandlung zu erblicken.
G. Grenzen der Gleichheit III: Darlegungs- und Beweislast beim Diskriminierungsverbot Von entscheidender Bedeutung für die Praxis sind Darlegungs- und Beweislast in Diskriminierungsfällen. Nur selten findet direkte Diskriminierung „offen“ statt, etwa wenn der Vermieter in der Wohnungsanzeige schreibt, er vermiete nicht an Ausländer. In der weitaus größten 827 828 829
EGMR, 12.04.2006, Stec u.a, Nr. 65731/01 und 65900/01, §§ 50 ff. EGMR, 22.08.2006, Pearson, Nr. 8374/03, §§ 23 f. EGMR, 22.08.2006, Barrow, Nr. 42735/02, §§ 32 ff.
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Zahl der Fälle handelt es sich um „versteckte“ direkte Diskriminierungen, in denen nicht offensichtlich ist, ob Stereotypen, Vorurteile oder Rollenbilder kausal für die Benachteiligung waren oder andere, nicht diskriminierende Erwägungen. So kann beispielsweise der Vermieter die Wohnung an denjenigen vermieten, den er für am zuverlässigsten hält; in Einzelfällen kann seine Entscheidung aber auch durch diskriminierende Motive, etwa die ethnische Herkunft oder das Geschlecht des Mietinteressenten bestimmt sein. Dies liegt selten offen zutage. Es stellen sich dann folgende Fragen: Wer hat die personenbezogene Ungleich- und Gleichbehandlung auf der Basis vergleichbarer Personen bzw. Sachverhalte zu beweisen, wer die Kausalität des Differenzierungsgrunds für die Ungleich- bzw. Gleichbehandlung und wer ggf. die (Nicht-)Rechtfertigung (1)? Welches Beweismaß verlangt der Gerichtshof (2)? Welche Beweiserleichterungen akzeptiert der EGMR (3)?
1. Verteilung der Darlegungs- und Beweislast Hinsichtlich der Beweislastverteilung in Diskriminierungsfällen folgt der EGMR der herrschenden, auch in der sonstigen Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansicht: “Once the applicant has shown that there has been a difference in treatment, it is then for the respondent Government to show that the difference in treatment could be justified.”830 Grundsätzlich fällt es also dem Beschwerdeführer zu, die personenbezogene Ungleich- bzw. Gleichbehandlung zu beweisen. Bei genauer Betrachtung umfasst diese Beweispflicht auch den Nachweis des Vorliegens einer „ähnlichen Situation“ („analogous situation“; Vergleichbarkeit)831 sowie der Kausalität des geltend gemachten Differenzierungsgrundes für die Benachteiligung, wobei hierfür Hilfstatsachen ausreichen, mit denen die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Kausalität
830
St. Rspr., vgl. nur EGMR, 29.04.1999, Chassagnou, RJD 1999-III = NJW 1999, S. 3695, §§ 91 f.; EGMR, 13.05.2005, Timishev, RJD 2005-XII, § 57. Zur Beweislast beim europarechtlichen Diskriminierungsverbot vgl. Matthias Mahlmann, Gleichheitsschutz im Europäischen Rechtskreis, in: Beate Rudolf/ders. (Hrsg.), Gleichbehandlungsrecht: Handbuch, Baden-Baden 2007, S. 87 ff, 129 f., Rn. 130 ff. Umfassend rechtsvergleichend s. Bell (Fn. 558), pp. 237257. 831
Vgl. EGMR, 18.02.1991, Fredin, Serie A 192 = ÖJZ 1991, S. 514, §§ 60 f.
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begründet werden kann.832 Jedoch lehnt der EGMR eine strikte, formalisierte Verteilung der Beweislast ab; vielmehr besteht eine Tendenz, auch hier die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen: “(...) the distribution of the burden of proof [is, Verf.] (...) linked to the specificity of the facts, the nature of the allegation made and the Convention right at stake.”833
2. Beweismaß Hinsichtlich des Beweismaßes, der Frage also, wann man von der Wahrheit der Behauptungen ausgehen darf, verlangt der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass es sich um Einlassungen „jenseits vernünftigen Zweifels“ („beyond reasonable doubt“) handeln müsse.834 Dies gilt auch für das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot.835 Zu Recht weist der Gerichtshof auf den Unterschied zwischen dem konventionsrechtlichen Beschwerdeverfahren und einem nationalen Gerichtsverfahren hin. Das konventionsrechtliche Beschwerdeverfahren betrifft die völkerrechtliche Staatenverantwortlichkeit und folgt daher weder straf- noch zivilverfahrensrechtlichen Grundsätzen.836 Auf diese Natur des Beschwerdeverfahrens verweisend, nimmt der Gerichtshof keine Beschränkungen hinsichtlich der tauglichen Beweismittel vor. Auch eine Selbstbegrenzung bezüglich der Beweiswürdigung erfolgt nicht. Der EGMR behält sich hier zu Recht die größtmögliche Freiheit vor: “In the proceedings before it, the Court puts no procedural barriers on the admissibility of evidence or pre-determined formulae for its 832
So Mahlmann (Fn. 830), S. 130, Rn. 131 für das europarechtliche Diskriminierungsverbot. 833
EGMR, 26.07.2007, Cobzaru, Nr. 48254/99, § 93; EGMR (GK), 06.07.2005, Nachova, RJD 2005-VII = EuGRZ 2005, S. 693, § 147. 834
EGMR, 18.01.1978, Irland v. Vereinigtes Königreich, Serie A 25 = EuGRZ 1979, S. 149, § 161. 835
St. Rspr., vgl. nur EGMR, 13.06.2002, Anguelova, RJD 2002-IV, § 166; EGMR (GK), 06.07.2005, Nachova, RJD 2005-VII = EuGRZ 2005, S. 693, § 147; EGMR, 13.12.2005, Bekos, RJD 2005-XIII, § 65; EGMR, 26.07.2007, Cobzaru, Nr. 48254/99, § 93. 836
§ 93.
So Bell (Fn. 558), p. 251. Vgl. EGMR, 26.07.2007, Cobzaru, Nr. 48254/99,
252
3. Teil
assessment. It adopts the conclusions that are, in its view, supported by the free evaluation of all evidence, including such inferences as may flow from the facts and the parties’ submissions. According to its established case-law, proof may follow from the coexistence of sufficiently strong, clear and concordant inferences or of similar unrebutted presumptions of fact” [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.]. 837
3. Beweiserleichterungen Vielfach wird es dem Beschwerdeführer schwer möglich sein, nachzuweisen, dass staatliche Akteure aus diskriminierenden Motiven gehandelt haben, dass mithin verdächtige Differenzierungsgründe wie die ethnische Herkunft oder die Religion kausal für die Benachteiligung waren. Für dieses Beweisproblem bei der direkten Diskriminierung sind zwei Lösungsansätze denkbar: erstens die Beweislastumkehr („shift of burden of proof“), zweitens eine Prozeduralisierung des (materiellen) Diskriminierungsproblems. Im Fall der Beweislastumkehr würde es in bestimmten Situationen dem Vertragstaat zufallen, die Abwesenheit einer Diskriminierung bzw. eines diskriminierenden Motivs seiner Akteure beweisen zu müssen, während mit der Prozeduralisierung die Überführung des (materiellen) Diskriminierungsproblems in eine (formale) Bewertung des staatlichen Umgangs mit behaupteten Diskriminierungen gemeint ist. Bei schwer nachzuweisenden direkten Diskriminierungen staatlicher Akteure wird dann das Diskriminierungsverbot in der Weise „prozeduralisiert“, dass nunmehr auf die staatliche Untersuchung behaupteter Diskriminierungen abgestellt wird. Kommt der Staat dieser Untersuchungspflicht nicht oder nur unzureichend nach, ist zwar keine materielle Diskriminierung, wohl aber eine Diskriminierung in prozeduraler Hinsicht zu bejahen. Der EGMR ist hinsichtlich der erstgenannten Lösung einer Beweislastumkehr schon im Bereich der Freiheitsrechte sehr zurückhaltend. Bejaht wurde eine Beweislastumkehr bei Art. 2 EMRK (Recht auf Leben) in Fällen, in denen Häftlinge in Polizeihaft zu Tode kamen. Hier hätten die Behörden den alleinigen Zugang zu Informationen, und daher falle ihnen die Nachweispflicht zu, dass der Tod des Häftlings nicht unter Verstoß gegen das Recht aus Art. 2 EMRK eingetreten sei. In Bezug auf das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot hat der Gerichtshof 837
EGMR, 26.07.2007, Cobzaru, Nr. 48254/99, § 93.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
253
bislang, soweit ersichtlich, keine Beweislastumkehr bejaht, obwohl er eine solche auch nicht gänzlich ausgeschlossen hat.838 Jedoch wird der Beweis der Abwesenheit eines diskriminierenden Motivs bei hoheitlichen, belastenden Maßnahmen zu Recht für schwer durchführbar gehalten. In dieser Situation tendiert der EGMR zu der zweiten Lösung, der Prozeduralisierung des Diskriminierungsproblems. Rechtstechnisch geschieht dies durch die Annahme einer gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht. Wird die Untersuchung bestimmter Fälle von Diskriminierungen (insbesondere solche mit behauptetem rassistischem Hintergrund) nicht oder nicht hinreichend durchgeführt, liegt eine hier sog. passive Diskriminierung vor, die ebenfalls von Art. 14 bzw. Art. 1 ZP 12 EMRK erfasst wird.839
II. Das Nichtdiskriminierungsrecht unter der EMRK – „Besonderer Teil“ Nachdem die allen Gehalten des Diskriminierungsverbots gemeinsamen Merkmale in einem „allgemeinen Teil“ dargestellt worden sind, geht es nun um diese Gehalte im Einzelnen. Unter der Konvention sind folgende Gehalte des Diskriminierungsverbots zu unterscheiden: das objektivrechtliche Prinzip der Rechtsgleichheit, das Verbot der direkten Diskriminierung, das der indirekten und passiven Diskriminierung sowie die positive Diskriminierung.
A. Das objektivrechtliche Prinzip der Rechtsgleichheit Das Prinzip der Rechtsgleichheit mit seinen beiden Kerninhalten – dem Gebot der Rechtegleichheit und dem Gebot der Gleichbehandlung – bildet nach hier vertretener Auffassung den normativen „Fluchtpunkt“ nicht nur des allgemeinen Gleichheits-, sondern auch des Nichtdiskriminierungsrechts.840 Als „Fluchtpunkt“ des Gleichheitsrechts kommt 838
Vgl. EGMR (GK), 06.07.2005, Nachova, RJD 2005-VII = EuGRZ 2005, S. 693, § 157. 839
Zur Verletzung der gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht vgl. ausführlich unten S. 372 ff. 840
Zu Inhalt und Bedeutung des Prinzips der Rechtsgleichheit im allgemeinen Gleichheitsrecht vgl. oben S. 33 ff.
254
3. Teil
dem objektivrechtlichen Prinzip der Rechtsgleichheit, wie oben dargestellt, eine Generierungs- bzw. Ausgestaltungsfunktion, die Funktion der Interpretationsanleitung und eine Orientierungsfunktion bei der Weiterentwicklung des Gleichheitsrechts zu.841 Das Prinzip der Rechtsgleichheit findet ausdrückliche Erwähnung bislang nur in der Präambel des ZP 12 EMRK. Dort wird das „principle of equality“ als eine normative Quelle des neuen Nichtdiskriminierungsrechts anerkannt.842 Unter dem Nichtdiskriminierungsrecht des bisherigen Art. 14 EMRK ist die Berufung auf das Prinzip der Rechtsgleichheit selten geblieben. Bisweilen spricht der Gerichtshof in Bezug auf die Rechtegleichheit von einem „principle of equality of treatment of all citizens“.843 Man könnte nun versucht sein, die Systementscheidung der EMRK für ein Nichtdiskriminierungsrecht und gegen ein allgemeines Gleichheitsrecht auch auf der Ebene der Rechtsprinzipien dingfest zu machen. Danach hätte das Nichtdiskriminierungsrecht des Art. 14 EMRK aus einem Prinzip der Nichtdiskriminierung zu folgen, das von einem Prinzip der Rechtsgleichheit zu unterscheiden wäre. Dies ist jedoch ein Trugschluss: Nach richtiger Ansicht gehen sowohl das Nichtdiskriminierungs- wie auch das Gleichheitsrecht aus einem Prinzip der Rechtsgleichheit hervor. Das Nichtdiskriminierungsrecht stellt lediglich die negative Seite des Gleichheitsrechts und eine Konkretisierung der Idee der menschenrechtlichen Gleichheit dar.844 Daher ist nach hier vertretener Auffassung das konventionsrechtliche Nichtdiskriminierungsrecht als aus dem Prinzip der Rechtsgleichheit – dem Fundamentalprinzip der menschenrechtlichen Gleichheit – hervorgegangen anzusehen. Auch wenn das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK das fundamentale Prinzip der Rechtsgleichheit kaum ausdrücklich erwähnt, so ist es doch inhaltlich in der Konvention gegenwärtig: das Gebot der Rechtegleichheit, indem die Konventionsrechte als sog. Jedermannrechte ausgestaltet sind und das Gebot der Gleichbehandlung – in abgeschwächter Form – als Gebot der freiheitsrechtsakzessorischen Nicht841
Dazu s. oben S. 42 ff.
842
ZP 12 EMRK, Präambel: “Having regard to the fundamental principle according to which all persons are equal before the law and are entitled to the equal protection of the law (...).” 843
EGMR (GK), 10.11.2005, Leyla Șahin, RJD 2005-XI = EuGRZ 2004, S. 707, § 152; EGMR, 02.03.1987, Mathieu-Mohin und Clerfayt, Serie A 113, § 54. 844
Bayefsky (Fn. 172), p. 1, n. 1 m.w.N.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
255
diskriminierung und sachbezogenen Gleichbehandlung (z.B. in Art. 5 ZP 7 EMRK, Gleichberechtigung der Ehegatten). Im bisherigen Nichtdiskriminierungsrecht, d.h. vor dem Inkrafttreten des ZP 12 EMRK, war das Prinzip der Rechtsgleichheit nur teilweise verwirklicht. Die EMRK bot wegen der Freiheitsrechtsakzessorietät keinen lückenlosen Gleichheitsschutz.845 Dem Prinzip der Rechtsgleichheit kommt in der EMRK bislang in erster Linie eine Integrationsfunktion zu: Es überwölbt das gesamte konventionsrechtliche Gleichheitsrecht, d.h. das Diskriminierungsverbot und das sachspezifische Gleichheitsrecht. Mit dem ZP 12 EMRK wird das Prinzip der Rechtsgleichheit an Bedeutung gewinnen; ausweislich der Präambel stellt dieses Prinzip die Grundlage des neuen konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrechts dar. Es ist zu erwarten, dass die Verstärkung des Gleichheitsrechtsschutzes unter der EMRK von diesem Prinzip seine maßgeblichen, normativen Impulse erhalten wird. Eine weitere Verdichtung der Rechtsprechung in den innovativen Bereichen des Nichtdiskriminierungsrechts, vor allem denen der indirekten und der passiven Diskriminierung, wird sich entscheidend auf das Prinzip der Rechtsgleichheit in der Präambel des ZP 12 EMRK stützen können.
B. Das Verbot der direkten Diskriminierung 1. Begriff und Bedeutung der direkten Diskriminierung unter der EMRK „Direkte“ (oder „unmittelbare“) Diskriminierung meint die Schlechterbehandlung einer Person oder Gruppe wegen eines bestimmten personenbezogenen Merkmals.846 In den Antidiskriminierungsrichtlinien der Europäischen Union findet sich – mit kontextbezogenen Modifikationen – folgende Definition: Es handelt sich dann um eine direkte oder unmittelbare Diskriminierung, „(...) wenn eine Person aufgrund ihrer Rasse oder ethnischen Herkunft in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person erfährt, erfahren
845
Zur „Lückenlosigkeit“ des Nichtdiskriminierungsrechts unter dem ZP 12 EMRK vgl. unten S. 156 ff. 846
Vgl. die Definition bei Bell (Fn. 558), p. 185.
256
3. Teil
hat oder erfahren würde.“847 Entscheidend ist, dass der EGMR – im Einklang mit dem Recht der EU und dem sonstigen Völkerrecht – eine Diskriminierungsabsicht nicht erfordert.848 Richtigerweise stellt der EGMR auf eine objektive Kausalbeziehung zwischen dem Vorliegen eines Differenzierungsgrunds und der Schlechterbehandlung ab.849
2. Struktur des Verbots der direkten Diskriminierung Bezieht man den oben erläuterten allgemeinen Diskriminierungstatbestand850 auf den Fall der direkten Diskriminierung, so ergibt sich die folgende Struktur: Um eine direkte Diskriminierung handelt es sich im Fall der (1) Ungleich- bzw. Gleichbehandlung einer Person (2) im Vergleich zu Personen in ähnlicher Lage, (3) wobei die Behandlung an einen Differenzierungsgrund anknüpft, (4) zu einem Nachteil für die Person führt (5) und nicht gerechtfertigt ist.
3. Gewährleistungsinhalt a) Diskriminierung durch (ungerechtfertigte) Ungleichbehandlung Der häufigste Fall, in dem das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot Anwendung findet, ist die personenbezogene Ungleichbehandlung einer oder mehrerer Beschwerdeführer. Im Zusammenhang mit dem allgemeinen Diskriminierungstatbestand ist dargelegt worden, dass eine Anwendungsbedingung des Diskriminierungsverbots die Vergleichbarkeit der Personen oder Sachverhalte ist.851 Es muss daher zunächst die Vergleichsgruppe bestimmt werden, mit der sich der Beschwerdeführer in einer „analogen Situation“ befindet; erst im Hinblick 847
Art. 2 Abs. 2 lit. a) RL 200/43 vom 29.06.2000 (Rassendiskriminierungsrichtlinie), ABl. L 2000, 180/22; vgl. Bell (Fn. 558), p. 193 m.w.N. 848 849 850 851
Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 69, 71 m.w.N. Dazu näher unten S. 265. Zum allgemeinen Diskriminierungstatbestand vgl. oben S. 113 f. Zum allgemeinen Diskriminierungstatbestand vgl. oben S. 113 f.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
257
auf diese Vergleichsgruppe kann von einer Andersbehandlung des Beschwerdeführers gesprochen werden.852 So ging es beispielsweise im Fall Thimishev (2005)853 um einen Beschwerdeführer tschetschenischer Abstammung, der wegen seiner Herkunft an der Weiterfahrt in die Kabardino-Balkaria Republik von Grenzpolizisten gehindert wurde. Der Gerichtshof stellte in diesem Fall eine Verletzung von Art. 14 in Verbindung mit Art. 2 ZP 4 EMRK (Freizügigkeit) fest. Die Ungleichbehandlung lag hier in der Andersbehandlung der Personen tschetschenischer Abstimmung im Vergleich zu allen anderen Grenzgängern. Ein anderes bekanntes Beispiel ist der Fall Marckx (1979), in dem es um den im belgischen Erbrecht vorgesehenen gänzlichen Ausschluss unehelicher Kinder von der gesetzlichen Erbfolge ging.854 In diesem Fall wurden uneheliche Kinder durch die gesetzlichen Vorschriften des belgischen Erbrechts ausdrücklich benachteiligt, wobei direkt an das Merkmal der unehelichen Geburt angeknüpft wird.
b) Diskriminierung durch (ungerechtfertigte) Gleichbehandlung aa) Die drei Phasen in der Entwicklung der Rechtsprechung des EGMR Die Erfassung der ungerechtfertigten Gleichbehandlung als konventionswidriger Diskriminierung stellt eine neuere Entwicklung in der Rechtsprechung des Gerichtshofs dar.855 Bei dem Gebot des Schutzes vor ungerechtfertigter Gleichbehandlung geht es um den zweiten Teil des formalen Prinzips der präskriptiven Gleichheit, in welchem es heißt, dass „Ungleiches ungleich“ zu behandeln sei.856 852
Zur Problematik des Vergleichbarkeitstests beim konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbot vgl. oben S. 165 ff. 853 854
EGMR, 13.05.2005, Timishev, RJD 2005-XII, §§ 50 ff. EGMR, 13.06.1979, Marckx, Serie A 31 = NJW 1979, S. 2449.
855
Vgl. dazu Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 74 f. Auch der MRA hatte Fälle, die eine Diskriminierung durch Gleichbehandlung betrafen, zu beurteilen. Im Fall des MRA, 31.10.2007, Gareth Anver Prince, A/63/40, Vol. II [2008], Annex V, sect. Z [p. 261-273] ging es der Sache nach um die Frage, ob der Staat Ausnahmen vom allgemeinen Verbot des Cannabiskonsums zulassen muss, wenn dieser religiös motiviert ist. Der Ausschuss behandelt diesen Fall zu Unrecht als einen der „indirekten Diskriminierung“ (zur Abgrenzung s. S. 262 f.). 856
Zum Prinzip der präskriptiven Gleichheit vgl. oben S. 13.
258
3. Teil
Die diesbezügliche Entwicklung der Rechtsprechung des EGMR lässt sich in drei Phasen einteilen: In der ersten Phase wurde die Pflicht zur Ungleichbehandlung vom Gerichtshof regelmäßig abgelehnt. Eine wichtige Fallgruppe betrifft in dieser Phase die staatliche Nichtanerkennung des post-operativen Geschlechts bei Transsexuellen. Vertragstaaten verweigerten Transsexuellen beispielsweise das Recht zur Anerkennung einer Vaterschaft.857 Transsexuelle wurden in diesen Fällen regelmäßig so behandelt wie ihre prä-operativen Geschlechtsgenossen. Insofern kann man davon sprechen, dass in diesen Fällen Personen aufgrund ihres biologischen Geschlechts gleich behandelt wurden. Der Gerichtshof hat in diesen Fällen regelmäßig eine Verletzung von Art. 8 EMRK (Achtung des Privat- und Familienlebens) abgelehnt, indem er auf den weiten Beurteilungsspielraum der Vertragstaaten verwiesen hat.858 Von einer separaten Prüfung des Diskriminierungsverbots wurde meistens abgesehen. Das Problem der Gleichbehandlung gerät in diesen frühen Fällen daher oft nicht als rechtfertigungsbedürftige Maßnahme in den Blick des Gerichtshofs. Eine Konzeption der substantiellen Gleichbehandlung, die eine Rücksichtnahme auf Ungleichheit zuließe, wird in dieser ersten Phase der Rechtsprechung somit nicht erreicht.859 Dies ändert sich erst in der zweiten Phase mit der bereits analysierten Entscheidung im Fall Thlimmenos (2000),860 in dem der Beschwerdeführer die Gleichbehandlung von Straftaten aus religiöser Überzeugung und normalen Straftaten (in Hinblick auf die Einstellungsvoraussetzungen in den öffentlichen Dienst) rügte. Hier erkannte der Gerichtshof erstmals den Schutz vor ungerechtfertigter Gleichbehandlung an: “The Court has so far considered that the right under Article 14 not to be discriminated against in the enjoyment of the rights guaranteed under the Convention is violated when States treat differently persons in analogous situations without providing an objective and rea-
857
EGMR, 22.04.1997, X., Y., Z. v. Vereinigtes Königreich, RJD 1997-II, no. 35, §§ 53 ff. 858
In den letzten Jahren hat der EGMR seine Rechtsprechung zur Transsexuellen-Problematik geändert und in Einzelfällen eine Konventionsverletzung bejaht, vgl. EGMR, 11.07.2002, I. v. Vereinigtes Königreich, Nr. 25680/94, §§ 85 ff.; EGMR, 23.05.2006, Grant, Nr. 32570/03, §§ 45 ff. 859
Zum Begriff der substantiellen Gleichheit und seiner Bedeutung für das Recht s. S. 420 ff. 860
EGMR, 6.4.2000, Thlimmenos, RJD 2000-IV = ÖJZ 2001, S. 528; zum Sachverhalt s. S. 151.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
259
sonable justification (...). However, the Court considers that this is not the only facet of the prohibition of discrimination in Article 14. The right not to be discriminated against in the enjoyment of the rights guaranteed under the Convention is also violated when States without an objective and reasonable justification fail to treat differently persons whose situations are significantly different” [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.].861 Die Gleichbehandlung von Straftätern hielt der Gerichtshof im Fall Thlimmenos für nicht gerechtfertigt. Zwar habe der Staat ein legitimes Interesse daran, gewissen Straftätern den Zugang zum öffentlichen Dienst zu verwehren; die Verurteilung im Fall des Beschwerdeführers Thlimmenos, die auf der Weigerung, in Zeiten der Generalmobilmachung eine Uniform zu tragen, beruhte, impliziere aber nicht in vergleichbarer Weise eine die Fähigkeit zur Amtsführung unterminierende moralische Verfehlung. Der Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass in diesem Fall ungleiche Personen, nämlich normale Straftäter und Täter aus religiöser Überzeugung, ohne Rechtfertigung gleich behandelt worden seien. Im Laufe der Zeit ist der Gerichtshof mit weiteren Fällen konfrontiert worden, in denen eine Diskriminierung durch Gleichbehandlung gerügt wurde. Aufsehenerregend war der bereits erwähnte Fall Pretty (2002), in dem die todkranke Beschwerdeführerin u.a. rügte, dass das Strafgesetz nicht hinreichend unterscheide zwischen Personen, die zur Selbsttötung physisch selbst in der Lage seien und solchen Personen, die – wie die Beschwerdeführerin – dazu auf fremde Hilfe angewiesen seien.862 Der Gerichtshof lehnte eine solche Differenzierung im Ergebnis allerdings ab, da zwingende Gründe dagegen sprächen, wobei er insbesondere auf den hohen Stellenwert des Rechts auf Leben in Art. 2 EMRK hinwies. Nachdem in der Rechtsprechung des EGMR die Rechtsfigur einer Diskriminierung durch Gleichbehandlung grundsätzlich anerkannt worden ist, geht es in einer dritten Phase um die Ausgestaltung dieser Pflicht zur Ungleichbehandlung. Hierbei steht insbesondere die Frage im Vordergrund, welche Unterscheidungsmerkmale eine solche Pflicht zur Ungleichbehandlung bewirken können und welche nicht. Diese Problematik ergab sich im Zusammenhang mit den sog. Roma-Fällen: Hier ging es um Wohnwagensiedlungen, die Angehörige der Roma auf ihren 861 862
EGMR, 6.4.2000, Thlimmenos, RJD 2000-IV = ÖJZ 2001, S. 528, § 44. EGMR, 29.04.2002, Pretty, RJD 2002-III = EuGRZ 2002, S. 234, §§ 84 ff.
260
3. Teil
eigenen Grundstücken errichtet hatten und die im Widerspruch zu den regionalen, bauplanungsrechtlichen Vorschriften standen.863 Die Beschwerdeführer beriefen sich ausdrücklich auf die Rechtsfigur der Diskriminierung durch Gleichbehandlung. Sie rügten, dass das Rechtssystem, insbesondere das Bauplanungsrecht, keine oder jedenfalls keine hinreichende Rücksicht auf den traditionellen Lebensstil der Fahrenden nehme und sie gleich der Majoritätsbevölkerung behandelt würden. Der Gerichtshof kam in diesen Fällen stets zu dem Schluss, dass die Gleichbehandlung gerechtfertigt sei. Im Ergebnis ist gegenwärtig davon auszugehen, dass eine Pflicht zur Ungleichbehandlung in Betracht kommt, wenn eine abstrakt-generelle Rechtsnorm nicht hinreichend differenziert hinsichtlich der religiösen Andersheit (Thlimmenos) von Personen. Eine Pflicht zur Ungleichbehandlung aus Gründen der Religion ist bezüglich diverser bürgerlicher Plichten denkbar, etwa bei der Schulpflicht, Kleidervorschriften oder Schächtverboten.864 Der Gerichtshof lehnt eine Pflicht zur Ungleichbehandlung bislang aber ab, wenn es um Fragen der als unzumutbar empfundenen Lebensqualität (Pretty) oder um solche des kollektiven Lebensstils geht (Roma-Fälle). Offensichtlich gewichtet der Gerichtshof in diesen Fällen die Gründe des Allgemeinwohls regelmäßig als stärker bzw. er hält die Andersheit der beschwerdeführenden Personen für im Ergebnis nicht hinreichend, um Ausnahmen bzw. Sonderregelungen bezüglich abstrakt-genereller Normen notwendig werden zu lassen. Allerdings bestehen Anzeichen für eine Rechtsprechungsänderung in dieser Frage: Im Fall Muñoz Díaz (2009) erfasst der Gerichtshof – im Unterschied zu dem früheren Ansatz in den Fällen Chapman oder Connors – den Anspruch auf Andersbehandlung wegen eines abweichenden Lebensstils erstmals nicht als freiheitsrechtliches Problem unter dem Recht auf Privatheit (Art. 8 EMRK), sondern explizit als gleichheitsrechtliches Problem.865 Allein dies ist als ein bedeutsamer Fortschritt zu 863
EGMR, 18.01.2001, Beard, Nr. 24882/94; EGMR, 18.01.2001, Chapman, RJD 2001-I; EGMR, 18.01.2001, Coster, Nr. 24876/94; EGMR, 18.01.2001, Jane Smith, Nr. 25154/94; EGMR, 18.01.2001, Lee, Nr. 25289/94. Zur gesamten Problematik der sog. Roma-Fälle vgl. Ralph Sandland, Developing a Jurisprudence of Difference: The Protection of the Human Rights of Travelling Peoples by the European Court of Human Rights, HRLR 8 (2008), p. 475 ff. 864 865
Vgl. Waldmann (Fn. 141), S. 384.
EGMR, 08.12.2009, Muñoz Díaz, Nr. 49151/07. Vgl. EGMR, 18.01.2001, Chapman, RJD 2001-I, §§ 126 ff.; EGMR, 27.05.2004, Connors, Nr. 66746/01, §§ 67 ff., 97.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
261
würdigen.866 Im Fall Muñoz Díaz ging es um eine Beschwerdeführerin, eine Angehörige der Roma, die 1971 nach Roma-Ritus heiratete. Diese Heirat wurde nicht im Heiratsregister eingetragen. Die Kinder, die aus der Verbindung hervorgegangen waren, wurden allerdings in einem von den Behörden ausgestellten Familienbuch eingetragen. Nach dem Tod des Mannes versuchte die Beschwerdeführerin vergeblich, den Ehegattenanspruch auf die Pension des Verstorbenen geltend zu machen. Da die Heirat nach Roma-Ritus nach spanischem Recht keinerlei rechtliche Wirksamkeit besitzt, wurde die Beschwerdeführerin abgewiesen. Vor dem EGMR berief sie sich u.a. auf eine Verletzung des Art. 14 i.V. mit Art. 1 ZP 1 EMRK (Recht auf Eigentum). Der EGMR gelangt zu einer Verletzung der genannten Normen. Bemerkenswert ist, dass hier im Kontext der Problematik eines abweichenden Lebensstils eine Diskriminierung durch Gleichbehandlung geprüft und bejaht wird. Der Gerichtshof stützt sich dabei auf die gestiegene Bedeutung des Minderheitenschutzes im Rahmen des Europarats und die besondere Situation der Roma in der europäischen Gesellschaft.867 In dogmatischer Hinsicht ist bedeutsam, dass der Gerichtshof zwischen dem Anspruch auf gesetzliche Ausnahmevorschriften von allgemeinen Normen, der konventionsrechtlich wohl nur ausnahmsweise geboten ist, und einer flexiblen Anwendung der allgemeinen Gesetze differenziert: “The Court takes the view that, whilst the fact of belonging to a minority does not create an exemption from complying with marriage laws, it may have an effect on the manner in which those laws are applied. The Court has already had occasion to point out in the Buckley judgment (albeit in a different context), that the vulnerable position of Roma means that some special consideration should be given to their needs and their different lifestyle both in the relevant regulatory framework and in reaching decisions in particular cases” [Hervorhebung im Original, Verf.].868 Es bleibt abzuwarten, ob diese Linie in der Rechtsprechung des EGMR eine Fortsetzung finden wird. Die Pflicht zur Ungleichbehandlung ist bei einigen Differenzierungsgründen von vornherein ausgeschlossen: So scheint es undenkbar, dass Ungleichbehandlungen aufgrund der Rasse, der Hautfarbe oder der
866 867 868
Vgl. zur Kritik an der früheren Rechtsprechung bereits oben S. 144. EGMR, 08.12.2009, Muñoz Díaz, Nr. 49151/07, § 60. EGMR, 08.12.2009, Muñoz Díaz, Nr. 49151/07, § 61.
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3. Teil
ethnischen Herkunft jemals geboten sein könnten.869 Eine Pflicht zur Ungleichbehandlung kann sich aber beim Differenzierungsgrund des Geschlechts ergeben: So können biologische Unterschiede in bestimmten Kontexten eine Gleichbehandlung ungerecht und Sonderregelungen für das eine Geschlecht erforderlich machen. Beispielsweise sind allgemeine Regelungen des Arbeitsschutzes zu ergänzen um besondere Vorschriften für schwangere Frauen. Auch bezüglich des Differenzierungsgrunds der Behinderung sind abstrakt-generelle Normen oft ergänzungsbedürftig: Beispielsweise muss behinderten Examenskandidaten ein einklagbarer Anspruch auf Sondermaßnahmen gewährt werden.870
bb) Abgrenzung der direkten Diskriminierung durch Gleichbehandlung von der Rechtsfigur der indirekten und der passiven Diskriminierung Die Rechtsfigur der direkten Diskriminierung durch Gleichbehandlung ist einerseits von der der indirekten Diskriminierung und andererseits von der der passiven Diskriminierung abzugrenzen. aaa) Abgrenzung von der indirekten Diskriminierung Indirekte Diskriminierung und direkte Diskriminierung durch Gleichbehandlung haben gemeinsam, dass beiden Rechtsfiguren eine substantielle Gleichheitskonzeption zugrunde liegt; in beiden Fällen geht es um die Einforderung einer Behandlung „als Gleicher“, wobei sich das Gleichheitsproblem erst im Rahmen einer folgenbezogenen Betrachtung zeigt.871 Erst aus der Analyse der Output-Seite der Behandlung wird klar, dass die jeweilige Maßnahme ungerecht ist. Beide Rechtsfiguren unterscheiden sich aber zum einen auf der Input-Seite: Während bei der indirekt diskriminierenden Normsetzung eine Ungleichbehandlung (aufgrund eines neutralen Differenzierungsgrunds) vorliegt, ist dies bei der Diskriminierung durch Gleichbehandlung per definitionem nicht 869
So auch Waldmann (Fn. 141), S. 384.
870
Dieses Beispiel führt Waldmann (Fn. 141), S. 385 an. Im Fall des EGMR, 20.03.2007, Tysiąc, Nr. 5410/03 rügte eine stark sehbehinderte Frau, dass die nationalen Behörden und Gerichte im Rahmen eines Strafverfahrens ihrer Behinderung durch besondere Maßnahmen und Erleichterungen nicht ausreichend Rechnung getragen hätten. 871
Zum Begriff der substantiellen Gleichheit und seiner Bedeutung für das Recht s. S. 420 ff.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
263
der Fall.872 Bedeutsamer ist jedoch, dass es sich bei der Diskriminierung durch Gleichbehandlung um eine fehlende Rücksichtnahme auf Ungleichheit in Einzelfällen handelt, während bei der indirekten Diskriminierung eine geschützte Personengruppe, also ein abgrenzbares Kollektiv, erheblich benachteiligt wird.873 Diese übermäßige Kollektivbelastung als Tatbestandsvoraussetzung der indirekten Diskriminierung muss insbesondere von gewisser Dauer sein oder regelmäßig eintreten.874 Vielfach wird sich eine Abgrenzung der beiden Rechtsfiguren allerdings auch mit dem Kriterium der „Einzelfall-“ bzw. der „Kollektivbelastung“ nicht bewerkstelligen lassen: Die Lösung des Gerichtshofs, im Fall Thlimmenos wegen des Einzelfallbezugs – ein Gewissenstäter, der wie ein normaler Straftäter behandelt wurde – von einer Diskriminierung durch Gleichbehandlung auszugehen, ist nur eine Möglichkeit, das gleichheitsrechtliche Problem zu erfassen. Erweiterte man den Fokus der Betrachtung, so ergäbe sich, dass vor allem Mitglieder der religiösen Vereinigung der Zeugen Jehovas, deren Mitglied auch der Beschwerdeführer ist, durch diese rechtliche Situation übermäßig benachteiligt werden, da diese regelmäßig den Militärdienst aus religiöser Überzeugung verweigerten. Diese erweiterte Betrachtung würde eher für eine indirekte Diskriminierung sprechen, da ein durch ein „verdächtiges“ Differenzierungskriterium abgrenzbares Kollektiv durch im Übrigen neutrale Rechtsnormen übermäßig belastet wird. Nicht erforderlich ist, dass alle Mitglieder der Vereinigung oder alle Anhänger einer Religion durch die Maßnahme belastet werden. Ähnlich liegt es auch in den erwähnten Roma-Fällen, in denen es um bauordnungsrechtliche Genehmigungen ging. Nach hier vertretener Ansicht kommt es daher weniger auf die Frage des Vorliegens einer Einzelfall- oder Kollektivbelastung an als vielmehr auf den Schwerpunkt des Ungerechtigkeitsvorwurfs: Dieser knüpft im Fall der indirekten Diskriminierung an die Folgen von Rechtsnormen (oder allgemei872
Zu beachten ist allerdings, dass bei der indirekten Diskriminierung zwei Formen, nämlich die indirekt diskriminierende Normsetzung und die indirekt diskriminierenden allgemeinen Maßnahmen zu unterscheiden sind, vgl. dazu ausführlich unten S. 273 ff. In Bezug auf indirekt diskriminierende allgemeine Maßnahmen lässt sich nicht sinnvoll von einer Gleich- oder Ungleichbehandlung auf der Input-Seite sprechen, weswegen sie an dieser Stelle vernachlässigt werden kann. 873 874
So auch Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 56.
Zum Problem der erheblichen Benachteiligung bei der indirekten Diskriminierung s. ausführlich unten S. 286 ff.
264
3. Teil
nen Maßnahmen) an. Bei der Diskriminierung durch Gleichbehandlung betrifft der Ungerechtigkeitsvorwurf die Fassung der Rechtsnorm selbst: Rügt also der Beschwerdeführer, dass er als Folge einer allgemeinen Rechtsnorm als Mitglied einer bestimmten sozialen Gruppe übermäßig belastet werde, handelt es sich um eine indirekte Diskriminierung. Besteht der Vorwurf darin, dass der Gesetzgeber fehlerhaft eine gebotene Differenzierung in der Norm nicht vorgenommen hat, handelt es sich um eine Diskriminierung durch Gleichbehandlung. Auf die übermäßige Belastung kommt es dann im letzten Fall gar nicht mehr an. Folgt man dieser Ansicht, so ist der Gerichtshof im Fall Thlimmenos zu Recht von einer Diskriminierung durch Ungleichbehandlung ausgegangen, da der Schwerpunkt der Rüge des Beschwerdeführers hier nicht auf der übermäßigen Belastung der Gruppe der Zeugen Jehovas durch die Rechtslage betreffend den öffentlichen Dienst liegt, sondern in der Undifferenziertheit des Gesetzes selbst.875 bbb) Abgrenzung von der passiven Diskriminierung Die zweite Abgrenzung der Diskriminierung durch Gleichbehandlung von der passiven Diskriminierung ist wie folgt vorzunehmen: Beiden Rechtsfiguren ist gemeinsam, dass ein positives, hoheitliches Tun des Staates eingefordert wird. Dieses positive Tun besteht bei der passiven Diskriminierung in der Gewährung von Schutz, Teilhabe oder der Durchführung bestimmter Untersuchungsmaßnahmen.876 Anders ist es im Fall der Diskriminierung durch Gleichbehandlung: Hier wird unspezifisch die Ungleichbehandlung, also die Einführung einer Differenzierung, verlangt. Es liegt bei der Diskriminierung durch Ungleichbehandlung somit keine Verletzung einer spezifischen Handlungspflicht vor, sondern es handelt sich um einen Verstoß gegen das allgemeine, aus dem formalen Prinzip der präskriptiven Gleichheit folgenden Gebot, „Ungleiches ungleich“ zu behandeln. Auf welche Weise die Differenzierung zu bewirken ist, etwa durch die Schaffung von Ausnahmetatbeständen, ist für das Vorliegen der Diskriminierung unerheblich. So ging es dem Beschwerdeführer im Fall Thlimmenos nicht um eine staatliche Pflicht gerichtet auf Schutz, Teilhabe oder die Durchführung von Untersuchungsmaßnahmen, sondern um die Schaffung nicht-diskriminier875
Vgl. die Argumentation des Beschwerdeführers in EGMR, 6.4.2000, Thlimmenos, RJD 2000-IV = ÖJZ 2001, S. 528, § 34. 876
Zur Rechtsfigur der passiven Diskriminierung vgl. ausführlich unten S. 304 ff.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
265
end wirkender Rechtsnormen, die die Einstellungsvoraussetzungen in den öffentlichen Dienst regeln.
4. Anknüpfung an einen Differenzierungsgrund und Irrelevanz einer Diskriminierungsabsicht Die Rechtsfigur der direkten Diskriminierung verlangt, dass die Schlechterbehandlung des Beschwerdeführers „aufgrund“ eines personenbezogenen Differenzierungsgrundes geschieht. Der Zusammenhang zwischen der Diskriminierungshandlung und dem Differenzierungsgrund lässt sich bei der direkten Diskriminierung als „Anknüpfung“ bezeichnen. Mit Waldmann sind drei Arten der Anknüpfung an einen Differenzierungsgrund zu unterscheiden:877 Erstens die offene, direkte Diskriminierung, bei der der Rechtsakt oder die Maßnahme den betreffenden Differenzierungsgrund ausdrücklich erwähnt. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn es in einer Mietanzeige heißt: „Vermiete nur an Männer“ oder „Keine Ausländer erwünscht“. Zweitens kann es sich auch um eine verdeckte, direkte Diskriminierung handeln. Eine solche liegt dann vor, wenn ein Rechtsakt zwar aufgrund eines nichtverdächtigen Merkmals unterscheidet, dieses Merkmal aber ausschließlich bei einer sozialen Gruppe vorliegt (bzw. vorliegen kann).878 Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn eine Regelung an den Differenzierungsgrund der Schwangerschaft anknüpft, die nur bei Frauen vorliegen kann. Schließlich kann, drittens, eine direkte Diskriminierung durch (schein-)neutrale Anknüpfung an verdächtige Differenzierungsgründe in den Fällen bejaht werden, in denen zwar äußerlich keine Ungleich-, sondern eine getrennte Behandlung verschiedener sozialer Gruppen vorliegt, die sich jedoch in Wirklichkeit als Schlechterbehandlung entlarvt. Berüchtigtstes Beispiel einer solchen scheinneutralen Anknüpfung sind die Gesetze, die auf der Grundlage der sog. „separate but equal“Doktrin in den Vereinigten Staaten aufrechterhalten wurden.879 In der Praxis ist von Bedeutung, was nicht relevant ist. Der EGMR hat bereits im Belgischen Sprachenfall (1968) die grundlegende Systementscheidung getroffen, dass eine Diskriminierungsabsicht – als stärkste 877
Dazu und zum Folgenden vgl. Waldmann (Fn. 141), S. 312 ff.
878
Dieser Fall ist von der indirekten Diskriminierung zu unterscheiden; diese setzt eine übermäßige und gerade keine ausschließliche Belastung einer geschützten Personengruppe voraus, vgl. S. 284 ff. 879
Vgl. dazu wiederum Waldmann (Fn. 141), S. 313 m.w.N.
266
3. Teil
Form der subjektiven Anknüpfung an einen Differenzierungsgrund – beim konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbot nicht erforderlich ist.880 Der Beschwerdeführer muss also insbesondere nicht nachweisen, dass der Vertragstaat ihn wissentlich und willentlich, etwa wegen bestehender Vorurteile, aufgrund bestimmter Stereotypen oder Rollenvorstellungen, diskriminiert hat. Verlangt ist lediglich eine „objektive Kausalität“ zwischen dem Vorliegen eines Differenzierungsgrunds und der Benachteiligung.881 Sofern nur die Ungleich- bzw. Gleichbehandlung ursächlich auf einem Differenzierungsgrund beruht, kommt der konventionsrechtliche Diskriminierungstatbestand in Betracht. Unerheblich ist aus konventionsrechtlicher Sicht für das Vorliegen einer Diskriminierung beispielsweise, ob bei einer Regelung, die – basierend auf dem Geschlecht – ein unterschiedliches Mindestalter für den Alkoholverkauf festsetzt, der Gesetzgeber sich von Vorurteilen gegenüber Männern hat leiten lassen oder von Stereotypisierungen männlichen Verhaltens.882 Entscheidend ist, dass das Geschlecht als ursächlich in Bezug auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen zu gelten hat.
C. Das Verbot der indirekten Diskriminierung 1. Entwicklung der Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung im völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz Die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung hat oft übersehene, aber bedeutsame Vorläufer in der Rechtsprechung zum Fremdenrecht des Ständigen Internationalen Gerichtshofes.883 Der Sache nach wird die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung bereits im Gutachten 880
EGMR, 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, B 9 = EuGRZ 1985, S. 298 ff., § 10: “The existence of such a justification must be assessed in relation to the aim and effects of the measure under consideration, regard being had to the principles which normally prevail in democratic societies” [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.]. Vgl. auch EGMR, 06.04.2002, Wessels-Bergervoet, RJD 2002-IV, § 52. 881
Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 69; vgl. auch Waldmann (Fn. 141), S.
318. 882
Zu einem solchen Fall vgl. USSCt, Craig v. Boren, 429 U.S. 190 (1976), zum Sachverhalt s. S. 95. 883
Vgl. allgemein zur Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung Loenen (Fn. 409), pp. 195-211; Waldmann (Fn. 141), S. 338-379; Tobler (Fn. 407).
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
267
des StIGH zu dem Fall Certain Questions relating to Settlers of German Origin ceded by Germany to Poland (1923) benannt, im Zusammenhang mit der Auslegung von Art. 8 des Minderheitenvertrages (1919), der u.a. die Gleichbehandlung von Angehörigen „rassischer Minderheiten“ in „rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht“ im Verhältnis zu anderen Polen gebot.884 Noch deutlicher wird das Urteil des StIGH im Fall Treatment of Polish Nationals and other Persons of Polish Origin or Speech in the Danzig Territory (1932). Hier heißt es ausdrücklich: “It should be remarked in this connection that the prohibition against discrimination, in order to be effective, must ensure the absence of discrimination in fact as well as in law. A measure which in terms is of general application, but in fact is directed against Polish nationals and other persons of Polish origin or speech, constitutes a violation of the prohibition.”885 Das heutige Verständnis der Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung beruht allerdings maßgeblich auf der Konzeption, die in den 1970er-Jahren von der U.S.-amerikanischen Rechtsprechung im arbeitsrechtlichen Kontext entwickelt (sog. „disparate impact analysis“ oder „adverse effect“) wurde.886
884
StIGH, Certain Questions relating to settlers of German origin ceded by Germany to Poland (1923), Serie B Nr. 6, p. 23, 24: “There must be equality in fact as well as ostensible legal equality in the sense of the absence of discrimination in the words of the law.” 885
StIGH, Treatment of Polish Nationals and other Persons of Polish Origin or Speech in the Danzig Territory (1932), Serie A/B Nr. 44, S. 28. 886
Berühmt wurde der Fall des USSCt, Griggs v. Duke Power Co., 401 U.S. 424 (1971). Gegenstand des Diskriminierungsvorwurfs in diesem Fall war, dass die Firma Duke Power für einige Arbeitsplätze verlangte, dass die Bewerber ein High School-Diplom nachweisen können und einen schriftlichen Test bestehen. Die Firma Duke Power lag im Bundesstaat North Carolina, in dem für lange Zeit Rassentrennung herrschte und im Zuge dessen den Afro-Amerikanern eine ausreichende Schulbildung verwehrt wurde, so dass die Einstellungspolitik von Duke Power sich regelmäßig zulasten von Afro-Amerikanern auswirke. In diesem Fall wurde der Diskriminierungsvorwurf somit nicht damit begründet, dass die Einstellungspolitik direkt, intentional ethnisch diskriminiere, sondern die Kläger stützten sich auf die ungleichen Auswirkungen der Einstellungserfordernisse. Der Oberste Gerichtshof befand im Sinne der Kläger, dass die Einstellungspolitik indirekt diskriminierend sei und gegen den Civil Rights Act von 1964 verstoße. Zu diesem Fall vgl. auch Michael Selmi, Indirect Discrimination: a Perspective From the United States, in: Titia Loenen/Peter R. Rodrigues (eds.), Non-Discrimination Law: Comparative Perspectives, The Hague 1999, pp. 213-214.
268
3. Teil
Auf der Ebene des universellen Menschenrechtsschutzes – insbesondere in den Entscheidungen des UN-Menschenrechtsausschusses – ist die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung mittlerweile etabliert.887 In der Rechtsprechung des Ausschusses heißt es dazu u.a.: “The Committee recalls that article 26 prohibits both direct and indirect discrimination, the latter notion being related to a rule or measure that may be neutral on its face without any intent to discriminate but which nevertheless results in discrimination because of its exclusive or disproportionate adverse effect on a certain category of persons.”888 Soweit ersichtlich, war die Berufung auf eine solchermaßen verstandene indirekte Diskriminierung bisher nicht erfolgreich.889 Zu bedenken ist allerdings, dass sich im Fall des UN-Menschenrechtsausschusses noch nicht von einer hinreichend ausgearbeiteten Dogmatik der indirekten Diskriminierung sprechen lässt. Im Bereich des regionalen Menschenrechtsschutzes findet die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung erst allmählich Anerkennung. Die Rechtsprechung des EGMR zur indirekten Diskriminierung befindet sich noch immer im Anfangsstadium, auch wenn gerade in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht wurden, insbesondere im Zusammenhang mit den Fällen, die eine Benachteiligung von RomaAngehörigen zum Gegenstand hatten. Bis zum Grundsatzurteil im Fall D.H. u.a. (2007) hatte der EMGR den Begriff der „indirekten Diskriminierung“ nur selten verwendet.890 Die Literatur merkt dazu an, dass
887
MRA, 03.08.2003, Nr. 998/2001, Rupert Althammer et al. v. Österreich, UN Doc. CCPR/C/78/D/998/2001, § 10.2;MRA, 19.07.1995, 516/1992, Alina Simunek u.a., HRLJ 1996, pp. 13-17, § 11.7; MRA, 01.04.2004, Nr. 976/2001, Cecilia Derksen v. Niederlande, UN Doc. CCPR/C/80/D/976/2000, § 9.3. Vgl. wiederum die Definition der Diskriminierung des MRA in General Comment Nr. 18, 37. Sitzung 1989, UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.6, 146 (2003). 888
MRA, 01.04.2004, Nr. 976/2001, Cecilia Derksen v. Niederlande, UN Doc. CCPR/C/80/D/976/2000, § 9.3. 889
Die Terminologie des Menschenrechtsausschusses unterscheidet nicht zwischen indirekter und passiver Diskriminierung oder Diskriminierung durch Gleichbehandlung, wie von dieser Arbeit vorgeschlagen wird. Dies führt dazu, dass der Ausschuss in einigen Fällen von „indirekter Diskriminierung“ spricht, die nach der hier verwendeten Ausdrucksweise solche der „passiven Diskriminierung“ darstellen, vgl. zur Abgrenzung der indirekten von der passiven Diskriminierung S. 274. 890
In EGMR, 06.01.2005, Gine Wilhelmina Elisabeth Hoogendijk, Nr. 58641/00. Vgl. jetzt das Grundsatzurteil EGMR (GK), 13.11.2007, D.H. u.a. v.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
269
die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung in der EMRK ein „Schattendasein“ 891 führe oder jedenfalls über „keine klare Konzeption“892 verfüge. Diese Einschätzung ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs spätestens seit dem Jahr 2007 überholt.893 Problematisch ist allerdings die Ansicht, die davon ausgeht, dass der Gerichtshof bereits in seinem frühen Urteil im Belgischen Sprachenfall (1968) die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung im Rahmen der Konvention verankert habe.894 Blickt man zurück auf die Entwicklung der Rechtsprechung des EGMR zur indirekten Diskriminierung, so wird man deren eigentlichen Beginn im Fall Hugh Jordan v. Vereinigtes Königreich (2001)895 verorten. Seit diesem Fall ist klar, dass auch indirekte Diskriminierungen unter Art. 14 EMRK nachprüfbar sind. So führt der EGMR in diesem Urteil aus: “Where a general policy or measure has disproportionately prejudicial effects on a particular group, it is not excluded that this may be considered as discriminatory notwithstanding that it is not specifically aimed or directed at that group.”896 Ein weiterer, wichtiger Meilenstein für die dogmatische Ausarbeitung der Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung durch den EGMR war der Fall Zarb Adami v. Malta (2006),897 in dem der Gerichtshof erstmals eine prima facie indirekte Diskriminierung mittels eines statistischen Nachweises anerkannt hat. Mit der Entscheidung der Großen Kammer im Fall D.H. v. Tschechische Republik aus dem Jahr 2007 hat die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung vollends begrifflich und konzeptionell Aufnahme in die Rechtsprechung des
Tschechische Republik, Nr. 57325/00 = NJW 2008, S. 533, §§ 217, 175 ff. Zu dem letztgenannten Urteil s. oben S. 281 f. 891
So noch Peters/König (Fn. 156) in der Voraufl. (s. Kap. 21, Rn. 69); vgl. auch Fredman (Fn. 409), p. 108. 892 893
Árnárdottir (Fn. 599, p. 84. Ähnlich schon Ovey/White (Fn. 532), p. 355.
894
Ovey/White (Fn. 532), p. 355 unter Verweis auf das Grundsatzurteil des EGMR, 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, B 9 = EuGRZ 1985, S. 298 ff. 895 896 897
290 f.
EGMR, 04.05.2001, Hugh Jordan, Nr. 24746/94; dazu s. unten S. 280 f. EGMR, 04.05.2001, Hugh Jordan, Nr. 24746/94, § 154. EGMR, 20.6.2006, Zarb Adami, Nr. 17209/02; dazu ausführlich unten S.
270
3. Teil
EGMR gefunden.898 Nunmehr lautet die Formulierung zur indirekten Diskriminierung, derer sich der EGMR bedient, wie folgt: “The Court has (...) accepted that a general policy or measure which is apparently neutral but has disproportionately prejudicial effects on persons or groups of persons who, as for instance in the present case, are identifiable only on the basis of an ethnic criterion, may be considered discriminatory notwithstanding that it is not specifically aimed at that group (...), unless that measure is objectively justified by a legitimate aim and the means of achieving that aim are appropriate, necessary and proportionate.”899 Damit gibt der EGMR eine handhabbare und aus rechtskonzeptioneller Sicht vollständige Formel der indirekten Diskriminierung an. Dennoch steht die dogmatische Durchdringung der indirekten Diskriminierung unter der EMKR immer noch am Anfang.900 Das neue ZP 12, das ein allgemeines Diskriminierungsverbot enthält, ändert nichts an der fehlenden textuellen Verankerung der Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung in der EMRK. Weder in der Präambel noch im operativen Teil des Protokolls, nicht einmal im Erläuternden Bericht des Europarats findet sich ein ausdrücklicher Hinweis auf die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung. Allerdings wird deren Anerkennung durch die Nichterwähnung auch nicht von vornherein ausgeschlossen. Vieles spricht dafür, dass die Vertragsparteien der EMRK die weitere Entwicklung in die Hände des Gerichtshofs legen wollten.901 Die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung kann sich implizit auf die Präambel des 12. ZP stützen, die das Prinzip der Rechtsgleichheit als „Fluchtpunkt“ des Gleichheitsrechts überhaupt erwähnt. Nach der hier vertretenen Konzeption der menschenrechtlichen Gleichheit stellt die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung einen notwendigen Bestandteil dieses Prinzips dar. Vermutlich wird der Gerichtshof aufgrund des Wegfalls des Akzessorietätserfordernisses in 898
EGMR (GK), 13.11.2007, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325/00 = NJW 2008, S. 533, §§ 217, 175 ff. 899
EGMR (GK), 16.03.2010, Oršuš u.a., Nr. 15766/03, § 150.
900
So Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 83; ähnlich auch Oliver de Schutter, The prohibition of discrimination under European Human Rights Law, Relevance for EU Racial and Employment Equality Directives, Luxembourg 2005, p. 16, http://ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/pdf/leg isln/prohib_en.pdf (17.01.2009). 901
Ähnlich auch Khaliq (Fn. 513), p. 462.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
271
Zukunft mehr mit Fällen indirekter Diskriminierung befasst werden, da unter Art. 1 12. ZP nunmehr auch Diskriminierungen in den besonders anfälligen arbeitsrechtlichen und sozialrechtlichen Kontexten überprüfbar werden.902 Im Vergleich mit den anderen regionalen Menschenrechtsorganen ist der EGMR hinsichtlich der dogmatischen Durchdringung der Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung am weitesten fortgeschritten: In einem bisher vereinzelt gebliebenen Urteil hat der Inter-Amerikanische Gerichtshof festgestellt, dass auch indirekte Diskriminierungen unter Art. 24 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 AMRK fallen.903 Die InterAmerikanische Kommission für Menschenrechte nimmt in ihrem speziellen Bericht904 zum Thema „Access to justice for women victims of violence in the Americas“ Bezug auf dieses Urteil und verweist ausdrücklich auf die kanadische und kolumbianische Verfassungsrechtsprechung, in der die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung seit langem anerkannt ist.905 In diesem speziellen Bericht der Kommission findet sich auch die bislang eindeutigste Darstellung zur Dogmatik der indirekten Diskriminierung in Bezug auf das inter-amerikanische System zum Schutz der Menschenrechte: “If the effect of a law or regulation is (...) one of indirect discrimination, the disproportionately prejudicial effect or result that the provision has on a group has to be shown. In such cases, empirical data must be produced showing that the alleged
902
Zu beachten ist, dass auch bisher schon der Zugang zu privaten Beschäftigungsverhältnissen vom EGMR in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK gefasst wurde und einer Diskriminierungsprüfung zugänglich war, vgl. EGMR, 27.07.2004, Sidabras u.a., RJD 2004-VIII, §§ 47-50 (zitiert von Gerards [Fn. 434], p. 38). 903
IAGMR, 08.09.2005, The Yean and Bosico Children v. Dominican Republic, Serie C, No. 130 (2005); dazu s. S. 275 und S. 293. 904
Gemäß Art. 18 lit. c) Statute of the Inter-American Commission on Human Rights, O.A.S. Res. 447 (IX-0/79), O.A.S. Off. Rec. OEA/Ser.P/IX.0.2/80, Vol. 1 at 88, Annual Report of the Inter-American Commission on Human Rights, OEA/Ser.L/V/11.50 doc.13 rev. 1 at 10 (1980), wiederabgedruckt in: Basic Documents Pertaining to Human Rights in the Inter-American System, OEA/Ser.L.V/II.82 doc.6 rev.1 at 93 (1992). 905
IAKMR, 20.01.2007, Access to justice for women victims of violence in the Americas, OEA/Ser.L/V//II., Doc. 68, §§ 93-96.
272
3. Teil
“invisible” or “neutral” bias in the adoption of decisions has a disparate effect on some group or groups.”906 Die Afrikanische Kommission für die Menschenrechte und Rechte der Völker hat, soweit ersichtlich, bislang zum Problem der indirekten Diskriminierung nicht ausdrücklich Stellung bezogen. Allerdings spricht die Kommission im Fall Malawi African Association and Others v. Mauritania (2000) von der „eradication of discrimination in all its guises.“907 Da verfassungsrechtlich einflussreiche afrikanische Staaten die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung anerkennen, besteht die Möglichkeit, dass die Rechtsprechung der Kommission diese ebenfalls in der Zukunft aufgreifen wird.908 Im Europarecht hat der EuGH die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung (oder „mittelbare Diskriminierung“) bereits 1974 für „versteckte Diskriminierungen“ aufgrund der Staatsangehörigkeit anerkannt und später dann auf den Bereich der Geschlechterdiskriminierung ausgedehnt.909 Diese Rechtsprechung ist mittlerweile weitgehend im Sekundärrecht kodifiziert worden.910
906
IAKMR, 20.01.2007, Access to justice for women victims of violence in the Americas, OEA/Ser.L/V//II., Doc. 68, § 91. 907 IAKMR, 11.05.2000, Malawi African Association and Others v. Mauritania, Nr. 54/91, 61/91, 98/93, 164/97-196/97, 210/98 (2000), § 131. 908
Vgl. CCSA., 17.02.1998, City Council of Pretoria v. Walker, CCT 8/97, [1998] ZACC 1; 1998 (2) SA 363; 1998 (3) BCLR 257. 909
Zum Problem der indirekten Diskriminierung im Europarecht vgl. ausführlich Tobler (Fn. 407). 910
Gestützt auf Art. 13 EG wurden bislang drei Richtlinien erlassen: RL 2000/43 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl. 2000 L 180/22; RL 2000/78 zur Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. 2000 L 303/16; RL 20004/113 zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. 2004 L 373/37. Vgl. dazu insgesamt Astrid Epiney, in: EUV/EGV, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, hrsg. v. Christian Calliess/Matthias Ruffert, 3. Aufl., München 2007, Art. 13 EGV, Rn. 10-13 m.w.N.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
273
2. Die Struktur des Verbots der indirekten Diskriminierung Trotz aller Streitigkeiten in Einzelfragen lässt sich – auf der Grundlage der obigen Ausführungen der verschiedenen regionalen und internationalen Menschenrechtsorgane – eine einheitliche rechtliche Struktur der indirekten Diskriminierung entwickeln: (1) Ungleichbehandlung einer Person aufgrund einer Rechtsnorm, wobei sich die Behandlung auf einen (dem Anschein nach) neutralen Differenzierungsgrund stützt (a) oder eine allgemeine Maßnahme (b), (2) wobei im Vergleich zu Personen in ähnlicher Lage, (3) die Person als Angehörige einer geschützten Personengruppe erheblich benachteiligt wird, (4) und diese Behandlung nicht gerechtfertigt ist.911 Diese Strukturdarstellung ermöglicht eine weitere dogmatische Entfaltung der Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung im konventionsrechtlichen Zusammenhang.
3. Die zwei Formen der indirekten Diskriminierung: Indirekt diskriminierende Normsetzung und indirekt diskriminierende Maßnahmen In Bezug auf die indirekte Diskriminierung sind zwei Formen zu unterscheiden: indirekt diskriminierende Normsetzung und indirekt diskriminierende Maßnahmen.912
911
Vgl. die teilweise abweichenden Definitionen bei Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 76; Loenen (Fn. 409), S. 198; Waldmann (Fn. 141), S. 348 ff.; Oliver de Schutter, Das Diskriminierungsverbot nach dem Europäischen Menschenrechtsgesetz: Seine Bedeutung für die „Rassengleichbehandlungsrichtlinie“ und die Richtlinie zur Gleichbehandlung in der Beschäftigung, Europäische Kommission 2005, http://ec.europa.eu/employment_social/fundamental _rights /pdf/pubst/stud/05prohib_de.pdf (17.01.2009); vgl. auch Art. 2 Abs. 2 b) Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. 2000 L 303/16. 912
Ähnlich de Schutter (Fn. 911), S. 16, der allerdings nicht zwischen indirekter und passiver Diskriminierung unterscheidet; vgl. MRA, 03.08.2003, Nr. 998/2001, Rupert Althammer et al. v. Österreich, UN Doc. CCPR/C/78/D/ 998/2001, § 10.2.
274
3. Teil
a) Indirekt diskriminierende Normsetzung aa) Zwei Arten der Differenzierung aufgrund eines (dem Anschein nach) neutralen Kriteriums Bei der ersten Form der indirekten Diskriminierung findet auf der Input-Seite eine Ungleichbehandlung von Personen statt. Die Ungleichbehandlung kann einmal in der äußerlichen Rechtsfolgendifferenzierung bestehen, etwa wenn eine Rechtsnorm für Teilzeit- und Vollbeschäftigte unterschiedliche Rechtsfolgen vorsieht (hier sog. norminterne Differenzierung).913 Eine subtilere Weise der Ungleichbehandlung besteht darin, dass eine Rechtsnorm eine quantitative oder qualitative Standardisierung trifft oder das Vorliegen bestimmter Eigenschaften zur Voraussetzung für den Zugang zu öffentlichen oder privaten Gütern oder Positionen macht (hier sog. normexterne Differenzierung): Die Ungleichbehandlung liegt dann darin, dass eine Gruppe der Normadressaten den Standard erfüllt oder die Eigenschaften vorweisen kann (Normerfüller), die andere nicht (Normversager), etwa bestimmte physische oder intellektuelle Fähigkeiten.914 Im Fall der normexternen Differenzierung besteht die Ungleichbehandlung somit darin, dass obwohl sie für alle gleichermaßen gilt, die Norm selbst davon ausgeht, dass sie nicht von allen erfüllbar ist. Die Ungleichbehandlung, die die Norm vorsieht, muss auf einem neutralen, d.h. rechtlich unverdächtigen Differenzierungsgrund beruhen. Es handelt sich dann um einen neutralen Differenzierungsgrund, wenn er nicht zu den im jeweiligen Diskriminierungsverbot genannten Gründen und auch nicht zu den übrigen (als verdächtig anerkannten) ungeschriebenen Differenzierungsgründen zählt.915 Zu den (scheinbar) neutralen Kriterien gehören etwa physische Eigenschaften wie bestimmte Mindestkörpergrößen, körperliche Fitness,916 der Nachweis intellektueller Fähigkeiten durch das Vorliegen bestimmter Diplome oder Zertifikate917 oder besonderer Verdienste.918 Es handelt sich um einen bloß dem
913 914
Dieses Beispiel gibt Waldmann (Fn. 141), S. 349. Waldmann (Fn. 141), S. 349.
915
Zu den anerkannten ungeschriebenen Differenzierungsgründen s. S. 184 ff. und S. 194. 916
Bsp. aus der Rechtsprechung des CSCt, British Columbia (Public Service Employee Relations Commission v. BCGSEU, [1999] 3 S.C.R. 3. 917
Z.B. EuGH, 06.06.2000, Rs. C-281/98, Angonese, Slg. 2000, S. I-4139.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
275
Anschein nach neutralen Differenzierungsgrund, da seine Verwendung auf der Ouput-Seite gleichwohl zu diskriminierenden Wirkungen, einer übermäßigen Belastung, führt (dazu sogleich unten).
bb) Norminterne Differenzierung Eine normeninterne Differenzierung liegt dem Fall des Inter-Amerikanischen Gerichtshofs The Yean and Bosico Children v. The Dominican Republic (2005)919 zugrunde. In diesem Fall verweigerten die nationalen Behörden die Ausstellung von Geburtsurkunden für Kinder, die sämtlich in der Dominikanischen Republik geboren worden und haitianischer Herkunft waren. Ihre Weigerung, die Geburtsurkunden auszustellen, begründeten die nationalen Behörden damit, dass die Antragsteller den elf oder zwölf Erfordernissen, die im Verfahren für nachträgliche Geburtsregistrierung („late registration“) verlangt wurden, nicht nachgekommen waren. Damit waren die Kinder eine Zeitlang staatenlos und konnten deswegen eine Reihe mit der Staatsangehörigkeit verbundener Grundrechte, wie u.a. das Recht auf Schulbesuch, nicht wahrnehmen. In diesem Fall handelt es sich um eine norminterne Differenzierung, da unterschiedliche Rechtsfolgen eintreten, je nachdem, ob es sich um ein normale oder eine nachträgliche Geburtsregistrierung handelt. Die benachteiligende Wirkung geht hier von den hohen Erfordernissen im Fall der nachträglichen Registrierung aus; diese erschweren die Erlangung der Geburtsurkunde und damit der dominikanischen Staatsangehörigkeit erheblich. Das Problem der indirekten Diskriminierung entstand in diesem Fall dadurch, dass das Verfahren der nachträglichen Geburtsregistrierung von den meisten Haitianern und Dominikanern haitianischer Abstammung gewählt wurde. Diese durch das Merkmal der ethnischen Herkunft bzw. Nationalität ge918
USSCt, Personnel Administrator of Mass. v. Feeney, 442 U.S. 256 (1979): Eine Rechtsnorm räumte Kriegsveteranen den unbedingten Vorzug beim Zugang zu öffentlichen Ämtern ein als Belohnung für geleistete Dienste. Dies führte zu einer faktisch benachteiligenden Auswirkung für Frauen, da traditionell überproportional mehr Männer Kriegsdienst leisten. Die Chancen der Frauen auf Zugang zu einem öffentlichen Amt werden durch die Regelung mittelbar beträchtlich vermindert. 919
IAGMR, 08.09.2005, The Yean and Bosico Children v. Dominican Republic, Serie C, No. 130 (2005). Vgl. dazu Stacie Kosinski, State of Uncertainty: Citizenship, Statelessness, and Discrimination in the Dominican Republic, B.C. Int’l & Comp. L. Rev. 32 (2009), pp. 377-398.
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3. Teil
schützte Gruppe wurde damit durch die norminterne Differenzierung benachteiligt.920
cc) Normexterne Differenzierung Der Fall der normexternen Differenzierung ist zum einen abzugrenzen von der Diskriminierung durch Gleichbehandlung.921 Wenn eine Rechtsnorm, die für alle gleichermaßen gilt und prinzipiell auch darauf angelegt ist, von allen erfüllbar zu sein, sich gleichwohl für einige unverhältnismäßig benachteiligend auswirkt, dann handelt es sich nach der hier vertretenen Ansicht922 nicht um einen Fall der indirekten, sondern um einen Fall der Diskriminierung durch Gleichbehandlung. Ein Beispiel für eine solche Diskriminierung ist die allgemeine Helmpflicht im Straßenverkehr, die z.B. Angehörige der Sikh unverhältnismäßig trifft.923 Weiterhin ist die normexterne Diskriminierung zu unterscheiden von der sog. verdeckten Diskriminierung.924 Die verdeckte Diskriminierung ist eine Form der direkten Diskriminierung und tritt ein, wenn eine Norm, obwohl sie ein neutrales Differenzierungskriterium verwendet, doch in der Realität ausschließlich eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe betrifft. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine Norm an das Merkmal der „Mutterschaft“ anknüpft, das natürlicherweise ausschließlich von Frauen verwirklicht werden kann. Unter Art. 14 EMRK sind solche Fälle der indirekt diskriminierenden Normsetzung bislang selten geblieben. Der Fall Abdulaziz, Cabales und Balkandali v. Vereinigtes Königreich (1985)925 betraf drei Beschwerdeführerinnen, die malaiischer, philippinischer bzw. ägyptischer 920
Vgl. zur weiteren Prüfung in diesem Fall S. 293.
921
Zur Rechtsfigur der Diskriminierung durch Gleichbehandlung vgl. ausführlich S. 257 ff., insbes. S. 262. 922
So auch Waldmann (Fn. 141), S. 349; a.A. Walter Kälin/Martina Caroni, Das verfassungsrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen der ethnischkulturellen Herkunft, in: Walter Kälin (Hrsg.), Das Verbot ethnisch-kultureller Diskriminierung. Verfassungs- und menschenrechtliche Aspekte, ZSR, Beiheft 29 (1999), S. 67 ff., S. 91 ff.; de Schutter (Fn. 911), S. 16; wohl auch Fredman (Fn. 409), p. 109; ebenso z.B. der MRA, 09.07.2004, Nr. 1160/2003, Godfried und Ingrid Pohl u.a. v. Österreich, UN Doc. CCPR/C/81/D/1160/2003, § 9.3. 923 924 925
Dieses Beispiel gibt Waldmann (Fn. 141), S. 349. Zur verdeckten Diskriminierung s. oben S. 265. EGMR, 28.05.1985, Abdulaziz u.a., Serie A 94 = NJW 1986, S. 3007.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
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Herkunft waren und sich seit einigen Jahren im Vereinigten Königreich rechtmäßig aufgehalten hatten. Nach Erwerb der unbegrenzten Aufenthaltserlaubnis bzw. der britischen Staatsangehörigkeit heirateten sie ausländische Männer, die über keine oder keine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung für das Vereinigte Königreich verfügten. Den ausländischen Ehemännern der Beschwerdeführerinnen wurde die Einreiseerlaubnis bzw. die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis von den britischen Behörden versagt. Grundlage für die ablehnenden Entscheidungen war der Immigration Act 1971, dessen Zweck es war, die Einwanderung von Commonwealth-Bürgern mit geringer Verbindung zu Großbritannien einzudämmen. Die Konkretisierung des Gesetzes erfolgte durch Verwaltungsvorschriften des Innenministers („Immigration Rules“). In der maßgeblichen Fassung von 1980 wurde die Erteilung der Einreise- bzw. Aufenthaltserlaubnis für einen ausländischen Ehemann u.a. davon abhängig gemacht, dass seine Ehefrau die Staatsangehörigkeit des Vereinigten Königreichs oder seiner Kolonien besaß und entweder selbst dort geboren war oder Eltern hatte, die dort geboren waren. Dagegen unterlag die Erteilung der Einreise- bzw. Aufenthaltserlaubnis für ausländische Ehefrauen nicht derartigen Erfordernissen. Gemäß § 2 dieser Verwaltungsvorschriften hatten die Ausländerbehörden ihre Pflichten ohne Diskriminierung aufgrund von Rasse, Hautfarbe oder Religion zu erfüllen. Die Beschwerdeführerinnen rügten in diesem Fall eine Verletzung ihres Grundrechts auf Achtung des Familienlebens (Art. 8 EMRK) und des Diskriminierungsverbots (Art. 14 EMRK). Da der EGMR befand, dass die Versagung der Einreise- bzw. Aufenthaltserlaubnis für einen Ausländer das Recht des sich rechtmäßig im Inland aufhaltenden Ehegatten auf Achtung des Familienlebens berührte, war der Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots eröffnet. Der Diskriminierungsvorwurf wurde insgesamt auf drei Differenzierungsgründe (Geschlecht, Rasse, Geburt) gestützt, von denen im Zusammenhang der indirekten Diskriminierung allein der Vorwurf der Rassendiskriminierung von Bedeutung ist.926 Der Rassismusvorwurf, 926
Die anderen beiden Fälle betrafen direkte Diskriminierungen. Im vorliegenden Fall bejahte der EGMR eine direkte Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, da die unterschiedliche Behandlung von ausländischen Ehemännern gegenüber ausländischen Ehefrauen nicht gerechtfertigt sei. So war der EGMR nicht überzeugt, dass „ein möglicherweise bestehender Unterschied zwischen dem Einfluß von Männern und Frauen auf den heimischen Arbeitsmarkt hinreichend bedeutend ist, um die ... unterschiedliche Behandlung bei der Möglichkeit einer im Vereinigten Königreich niedergelassenen Person, je nachdem [ob sie, Verf.] mit ihrem Ehemann oder ihrer Ehefrau zusammenleben, zu
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3. Teil
der von einer Minderheit der Kommission bejaht worden war, wurde damit begründet, dass die Hauptwirkung der Einwanderungsregelungen die Verhinderung von Zuwanderung aus dem Neuen Commonwealth und Pakistan sei. In Abdulaziz handelt es sich nach der hier vorgeschlagenen Terminologie um einen Fall der normexternen Differenzierung, d.h. die einschlägigen Normen selbst waren so angelegt, dass sie nicht von allen erfüllbar waren und die Normadressaten, die ausländischen Ehepartner, in zwei Gruppen einteilten. Die belastende Wirkung ging bereits von den Rechtsnormen selbst, hier den Immigration Rules, und nicht erst von ihrer Anwendung durch die Behörden aus.927 Im Fall Abdulaziz u.a. gelang dem Gerichtshof allerdings der dogmatische Durchbruch im Hinblick auf die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung nicht. Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass der Vorwurf der Rassendiskriminierung vom Gerichtshof wie schon vorher von der Mehrheit der Kommission abgelehnt wurde. Bemerkenswert ist die Begründung, mit der diese Rüge abgewiesen wurde: Erstens betreffe die Einwanderungsregelung generell alle Ausländer, die ins Vereinigte Königreich einwanderten, zweitens werde das Differenzierungskriterium der Rasse oder ethnischen Herkunft in den Vorschriften nicht genannt,928 drittens sei der wesentliche Zweck eine Begrenzung der „Primäreinwanderung“, d.h. der Einwanderung zu Arbeitszwecken, und die Regelung sei somit nicht begründet mit Einwänden gegen die ethnische Herkunft, und viertens sei die stärkere Auswirkung der Regelung auf Farbige damit zu erklären, dass im fraglichen Zeitraum die Masseneinwanderung hauptsächlich von diesen Gruppen ausgehe.929 An dieser Begründung in der Entscheidung Abdulaziz u.a. wird der Mangel einer
rechtfertigen“ (EGMR, 28.05.1985, Abdulaziz u.a., Serie A 94 = NJW 1986, S. 3007, § 79). Jedoch lehnte er eine direkte Diskriminierung aufgrund der Geburt ab, da es in der Regel überzeugende soziale Gründe dafür gebe, denjenigen, deren Verbindung zu einem Land durch Geburt begründet ist, eine spezielle Behandlung zukommen zu lassen (ebd., § 88). 927 Auf den problematischen rechtlichen Status der Immigration Rules kommt es insoweit hier nicht an, s. dazu EGMR, 28.05.1985, Abdulaziz u.a., Serie A 94 = NJW 1986, S. 3007, § 18. 928
Im Unterschied zu einem früheren Fall der EKMR, 14.12.1973, East African Asians, DR 78-A/B, p. 5. In diesem Fall, in dem die ethnischen Gruppen, deren Zuwanderung kontrolliert werden sollte, in den nationalen Rechtsnormen ausdrücklich benannt wurden, bejahte die Kommission eine (direkte) Diskriminierung aufgrund der Rasse. 929
Zu diesem Argument s. S. 297.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
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Dogmatik der indirekten Diskriminierung besonders deutlich. So spielt es für das Vorliegen einer prima facie indirekten Diskriminierung gerade keine Rolle, dass es sich um eine allgemeine Norm handelt, verdächtige Differenzierungskriterien im Normentext nicht erwähnt werden oder dass das Gesetz einen nicht-diskriminierenden Zweck verfolgt. An dem Urteil wird daher zu Recht kritisiert, dass hier ein Fall der indirekten Diskriminierung fehlerhaft anhand von Kategorien der direkten Diskriminierung geprüft werde.930 So konnte Abdulaziz in den 1980erJahren nicht zu einem Meilenstein der Dogmatik der indirekten Diskriminierung werden.
b) Indirekt diskriminierende allgemeine Maßnahmen Nicht nur von Rechtsnormen, sondern auch von sonstigen hoheitlichen Maßnahmen können indirekt diskriminierende Wirkungen ausgehen. Voraussetzung ist, dass es dabei um Rechtshandlungen geht, in denen ein gewisser Handlungsspielraum besteht (z.B. bei Ermessensentscheidungen) und die von gewisser Häufigkeit oder Regelmäßigkeit sind. Solche allgemeinen Maßnahmen können sein: eine bestehende Verwaltungspraxis, die stets eine bestimmte geschützte soziale Gruppe belastet, die übermäßige Anwendung von Ausnahmetatbeständen zu allgemeinen Normen zum Nachteil einer durch ein „verdächtiges“ Differenzierungskriterium abgrenzbaren Gruppe oder sonst regelmäßig sich wiederholende belastende Realakte und Rechtshandlungen gegenüber einer geschützten Gruppe. Unter Umständen kann sich die indirekt diskriminierende Behandlung auch erst aus einem Maßnahmebündel ergeben. So lag es im Fall Sampanis u.a. (2008).931 Der Fall betraf griechische Beschwerdeführer mit Roma-Hintergrund, deren Kinder im Jahr 2004-2005 die Schule nicht besuchen konnten und später in speziellen Klassen untergebracht wurden. Den Beschwerdeführern und ihren Kindern wurde nicht ausdrücklich wegen ihrer Roma-Eigenschaft das Recht auf Bildung vorenthalten; eine direkte Diskriminierung war daher nicht anzunehmen. Allerdings unterließen es die zuständigen griechischen Schulbehörden, die Beschwerdeführer über die genauen Formalitäten der Schuleinschreibung zu informieren und auf einen geordneten Ablauf hinzuwirken. Später – 930
Vgl. die Kritik bei David J. Harris/Michel O’Boyle/Colin Warbrick, Law of the European Convention on Human Rights, London 1995, p. 478. 931
EGMR, 5.6.2008, Sampanis u.a., Nr. 32526/05.
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als die Einschulung der Kinder erfolgreich war – kam es zu Protesten der Nicht-Roma-Familien vor der Schule und Übergriffen auf RomaKinder. Daraufhin wurden – mit der Einwilligung ihrer Eltern – die Kinder mit Roma-Hintergrund in ein besonderes Schulgebäude verwiesen. Im Fall Sampanis u.a. bestand offensichtlich über Monate hinweg ein Klima der Verunsicherung auf Seiten der Beschwerdeführer, das durch tätliche Übergriffe auf Roma-Kinder, die dem Staat nicht zuzurechnen waren, noch verstärkt wurde. So überrascht es nicht, dass die Fakten nach Ansicht des Gerichtshofs eine „starke Vermutung der Diskriminierung“ nahelegen. Von Bedeutung ist, dass der Gerichtshof im Fall Sampanis u.a. die staatlichen Maßnahmen nicht einzeln, sondern gebündelt prüft. Dabei wird deutlich, dass der EGMR durchaus die weiteren sozialen Umstände, unter denen Maßnahmen stattfinden, für beachtlich hält, der Blick also nicht auf die eigentliche staatliche Rechtshandlung verengt wird. Das Vorliegen indirekt diskriminierender Maßnahmen kann also auch von weiteren sozialen Gegebenheiten abhängen, die unabhängig von dem eigentlich angegriffenen staatlichen Verhalten zu sehen sind. Die indirekt diskriminierenden allgemeinen Maßnahmen sind von direkt diskriminierenden institutionellen Handlungen abzugrenzen. In vielen Fällen wird sich bei institutionellen Rechtshandlungen eine diskriminierende Intention nicht feststellen oder beweisen lassen; eine Ausforschung der „wahren Motive“ von Amts- oder Sachwaltern ist vielfach nicht möglich.932 Dann ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob ein Fall indirekt diskriminierender Maßnahmen vorliegt. Dafür ist erforderlich, dass es sich um wiederholte Maßnahmen zulasten einer geschützten Gruppe handelt, die den Verdacht einer strukturell diskriminierenden Praxis nahelegen. Ist auch das nicht erfolgreich, kann drittens in besonderen Situationen an eine passive Diskriminierung zu denken sein, wenn nämlich der Staat seiner Pflicht zur effektiven Aufklärung in bestimmten Fällen behaupteter Diskriminierung nicht nachkommt.933 Ein Fall des EGMR, in welchem indirekt diskriminierende allgemeine Maßnahmen gerügt wurden, ist Hugh Jordan v. Vereinigtes Königreich (2001).934 Hier berief sich der Beschwerdeführer darauf, dass sein unbewaffneter Sohn von der Polizei in Belfast 1992 erschossen worden sei und eine effektive Untersuchung bislang nicht stattgefunden habe. Er 932 933 934
Dazu s. Loenen (Fn. 409), p. 201. Vgl. zu den Untersuchungspflichten in Diskriminierungsfällen S. 372 ff. EGMR, 04.05.2001, Hugh Jordan, Nr. 24746/94.
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stützte seinen Vorwurf der indirekten Diskriminierung darauf, dass die Umstände der Tötung diskriminierend gewesen seien, da ein Großteil der Menschen, die von der Polizei zwischen 1964 und 1994 erschossen wurden, „junge Männer katholischen Hintergrunds“ und nur wenige Strafverfahren gegen die Täter erfolgreich gewesen seien. Ohne die Rechtsfigur ausdrücklich zu erwähnen, prüft der Gerichtshof diesen Fall der Sache nach als einen der indirekten Diskriminierung. In mittlerweile ständiger Rechtsprechung führt der EGMR folgende Formel an: „Hat eine Verfahrensweise („general policy“) oder eine Maßnahme unverhältnismäßig belastende Wirkungen für eine bestimmte Gruppe, ist nicht auszuschließen, dass dies eine Diskriminierung darstellt, obwohl dieses Verfahren oder die Maßnahme nicht spezifisch auf die Gruppe abzielt oder gegen die Gruppe gerichtet ist“ [Übers. des Verf., Hervorhebungen nicht im Original].935 Im Fall Hugh Jordan war die prima facie indirekt diskriminierende Maßnahme darin zu erblicken, dass es sich bei den polizeilichen Tötungen von Angehörigen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe nicht um einen Einzelfall, sondern um ein wiederkehrendes Ereignis handelte. In dieser Entscheidung lehnte der EGMR allerdings mit zweifelhafter Begründung eine indirekte Diskriminierung im Ergebnis ab. Ein weiterer, aufsehenerregender Fall indirekt diskriminierender Maßnahmen ist D.H. und andere v. Tschechische Republik (Kammer: 2006/ Große Kammer: 2007).936 In diesem Fall rügten die Beschwerdeführer, tschechische Staatsangehörige mit Roma-Hintergrund, die zwischen 1996 und 1999 in Sonderschulen für lernbehinderte Kinder versetzt worden waren, dass sie Opfer einer Diskriminierung im Bildungsbereich geworden seien. Aus einem Regierungsreport von 1999 geht hervor, dass in einigen Sonderschulen der Anteil von Roma-Angehörigen zwischen 80 % und 90 % lag. Gemäß dem zu der Zeit geltenden Recht 935
EGMR, 04.05.2001, Hugh Jordan, Nr. 24746/94, § 154; s.a. EGMR, 28.05.2002, McShane, Nr. 43290/98, § 135; EGMR, 20.6.2006, Zarb Adami, Nr. 17209/02, § 80; EGMR (GK), 13.11.2007, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325/00 = NJW 2008, S. 533, § 175. 936
Kammerentscheidung: EGMR (K), 07.02.2006, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325/00, aufgehoben durch die Entscheidung der Großen Kammer: EGMR (GK), 13.11.2007, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325/00 = NJW 2008, S. 533. Vgl. dazu die Besprechung von Morag Goodwin, D.H. and Others v. Czech Republic: a major set-back for the development of non-discrimination norms in Europe, GLJ 7 (2006), pp. 421-431. Vgl. auch Gemma Hobcraft, Roma children and education in the Czech Republic, EHRLR 13 (2008), pp. 245-260.
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wurde die Versetzungsentscheidung vom Klassenlehrer auf der Basis von Tests der intellektuellen Fähigkeiten vorgenommen. Diese Tests wurden in dafür vorgesehen erziehungspsychologischen Instituten durchgeführt. Die Versetzungsentscheidung erforderte die Einwilligung der Erziehungsberechtigten. Die Versetzungsentscheidungen wurden von den Erziehungsberechtigten nicht angefochten. Da die Versetzungsentscheidung u.a. aufgrund eines psychologischen Tests erfolgte, könnte man zunächst eine indirekt diskriminierende Normsetzung erwägen, etwa dahingehend, dass das Testdesign hinsichtlich der Spezifika bestimmter Minoritäten diskriminiere.937 Allerdings würde dies voraussetzen, dass es sich bei der Versetzungsentscheidung um eine gebundene Verwaltungsentscheidung handelte und dass die Tests verbindlich vorgeschrieben wären, was hier jedoch nicht der Fall war. Zu Recht greift der Gerichtshof daher diese von den Beschwerdeführern vorgetragene Argumentation nicht auf. Gegenstand des Diskriminierungsvorwurfs sind vorliegend die Versetzungsentscheidungen der staatlichen Behörden, mit denen die Roma-Kinder in Sonderschulen überwiesen wurden, mithin allgemeine Maßnahmen. Problematisch ist allerdings in diesem Zusammenhang, wie in der Kammerentscheidung die Rechtsfrage des Falles gefasst wurde: “Its [the Court’s, Verf.] sole task in the instant case is to examine the individual applications before it and to establish on the basis of the relevant facts whether the reason for the applicant’s placement in the special schools was their ethnic or racial origin.”938 Bei indirekt diskriminierenden Maßnahmen kommt es aber gerade nicht darauf an, ob diese Maßnahmen ihren Grund oder ihre Motivation in einem verdächtigen Differenzierungsgrund haben, sondern darauf, ob sich diese Maßnahmen als verbotene Diskriminierung auswirken. Diese wichtige Klarstellung nimmt im Fall D.H. u.a. erst die Große Kammer vor.939 Das Beispiel zeigt, dass in Fällen der indirekten Diskriminierung äußerste Sorgfalt auf die korrekte Formulierung der Rechtsfrage zu legen ist. Ein ähnlicher Fall, Oršuš u.a. (2008), betraf nicht die Versetzung von Roma-Kindern in Sonderschulen, sondern in Sonderklassen, die inner937
Dieses Argument wird von den Beschwerdeführern auch vorgetragen, vgl. EGMR (K), 07.02.2006, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325/00, § 39. 938
EGMR (K), 07.02.2006, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325/00,
§ 45. 939
EGMR (GK), 13.11.2007, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325 /00 = NJW 2008, S. 533, § 175.
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283
halb allgemeiner Schulen eingerichtet wurden.940 In diesen speziellen Klassen wurden ausschließlich Roma-Kinder unterrichtet, die Probleme mit der kroatischen Sprache hatten, wobei die Versetzungsentscheidung in eine solche Klasse der Einschätzung des Klassenlehrers oblag. Die Behauptung einer indirekt diskriminierenden Maßnahme knüpft im Fall Oršuš u.a. ebenfalls an die Entscheidung der Klassenlehrer an, Schüler nicht in den allgemeinen Schulklassen, sondern in Sonderklassen zu überweisen. Dabei stand dem Klassenlehrer ein gewisser Einschätzungsspielraum zu, der im Fall Oršuš u.a. besonders weit war, da diesbezügliche Verwaltungsvorschriften oder sonstige Regelungen offenbar fehlten.941 Während die Kammer im Fall Oršuš u.a. im Ergebnis nicht zu einer Verletzung des Art. 14 i.V. mit Art. 2 ZP 1 EMRK (Recht auf Bildung) gelangt war, entschied die Große Kammer mit knapper Mehrheit nunmehr für eine Verletzung dieser Konventionsrechte.942
c) Exkurs: Indirekt diskriminierende Gewährung von Sozialleistungen? Problematisch sind im Bereich des universellen wie im Bereich des regionalen Menschenrechtsschutzes diejenigen Fälle, in denen abstraktgenerelle Normen, die soziale Rechte gewähren, zu de facto unterschiedlichen Auswirkungen führen. Zum Teil wird hier eine Bereichsausnahme bzw. eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolle angenommen, wenn allgemeine Normen über soziale Rechte sich ungleich auswirken; in erstem Fall fehlt es schon am relevanten „Nachteil“943, nach letzterem Ansatz wird lediglich eine „Willkürprüfung“944 vorgenommen. 940 941 942
EGMR (K), 17.07.2008, Oršuš u.a., Nr. 15766/03, §§ 53 ff. EGMR (K), 17.07.2008, Oršuš u.a., Nr. 15766/03, § 65. EGMR (GK), 16.03.2010, Oršuš u.a., Nr. 15766/03; vgl. dazu unten S.
300. 943 So etwa der MRA, 24.03.1998, Nr. 212/1986, P.P.C. v. Niederlande, EuGRZ 1990, S. 21, § 6.2; MRA, 23.10.1992, Nr. 406/1990 & 426/1990, Lahcen B.M. Oulajin und Mohamed Kaiss v. Niederlande, UN Doc. CCPR/C/46/D/426/1990, § 7.5; MRA, 26.07.1993, Nr. 478/1991, A.P.L.-v.d.M. – Niederlande, UN Doc. CCPR/C/48/D/478/1991, § 6.4. 944
Instruktives Beispiel hierzu ist der Fall des USSCt, Dandrige v. Williams, 397 U.S. 471 (1970). In diesem Fall hatte der Oberste Gerichtshof über die Rechtmäßigkeit einer Methode zu befinden, mit der der Staat Maryland den Bedarfsstandard von sozialschwachen Familien berechnete. Dabei wurden den Familien in den meisten Fällen Unterstützung in voller Höhe des errechneten
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Der UN-Menschenrechtsausschuss nimmt eine Bereichsausnahme von Art. 26 IPbpR in Fällen der Gewährung von Sozialleistungen aufgrund abstrakt-genereller Normen an, wenn diese sich unterschiedlich auswirken: “The Committee considers that the scope of article 26 of the Covenant does not extend to differences resulting from the equal application of common rules in the allocation of benefits.”945 Der EGMR hat, soweit ersichtlich, noch nicht zur indirekt diskriminierenden Gewährung von Sozialleistungen Stellung bezogen. Dies ist wegen der Akzessorietät des Art. 14 EMRK auch nicht verwunderlich.946 Nach hier vertretener Ansicht müssen diese Fälle aber unter der Geltung eines allgemeinen Diskriminierungsverbots (etwa Art. 1 ZP 12 EMRK) gerichtlich nachprüfbar sein. Allerdings wird aus Gründen der Subsidiarität des regionalen Menschenrechtsschutzes diese Kontrolle auf eine Willkürprüfung zu beschränken sowie ein weiter Beurteilungsspielraum der Vertragstaaten anzunehmen sein.947
4. Das Merkmal der erheblichen Benachteiligung einer geschützten Personengruppe a) Bestimmung der Vergleichsgruppen Die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung setzt weiterhin voraus, dass die Anwendung des neutralen Differenzierungsgrundes auf der Output-Seite zu einer erheblichen Benachteiligung einer geschützten
Standards gewährt, allerdings nur bis zu einem absoluten Limit (maximum grant regulation). Die Kläger beriefen sich auf eine Verletzung des Equal Protection Clause des XIV. Am., da die absolute Limitierung zu einer Diskriminierung großer Familien führe. Der Oberste Gerichtshof verneinte eine Verletzung des Gleichheitsrechts, da im Bereich der ökonomischen und sozialen Wohlfahrt die vorgesehene Differenzierung, um rechtmäßig zu sein, lediglich eine „vernünftige Grundlage“ (reasonable basis) haben müsse. Bedeutsam ist, dass der Gerichtshof seine Kontrolldichte in diesen Fällen auch aus Gewaltenteilungsgründen zurücknimmt. Er folgt damit dem Prinzip, „that the Fourteenth Amendment gives the federal courts no power to impose upon the States their views of what constitutes wise economic policy.“ 945 MRA, 23.10.1992, Nr. 406/1990 & 426/1990, Lahcen B.M. Oulajin und Mohamed Kaiss v. Niederlande, UN Doc. CCPR/C/46/D/426/1990, § 7.5. 946 947
Zur Bedeutung der Akzessorietät bei Art. 14 EMRK vgl. oben S. 134 ff.
Vgl. zum Problem der direkten Diskriminierung im Bereich von Sozialleistungen S. 159.
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Personengruppe führt. Die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung zielt auf die Verwirklichung von gruppenbezogener Gleichheit,948 ohne aus dem Diskriminierungsverbot ein Gruppenrecht zu machen.949 Anspruchsbegründend ist nicht die individuelle Ungleichbehandlung wie im Falle der direkten Diskriminierung, sondern die gruppenbezogene Ungleichheit. Zur Bestimmung der Vergleichbarkeit sind zunächst die Normadressaten bzw. die von der Rechtshandlung erfassten Personengruppen zu ermitteln.950 Diese bilden die Vergleichsgruppen. In einem weiteren Schritt ist zu prüfen, ob eine Vergleichsgruppe durch das Vorliegen eines rechtlich „verdächtigen“ (also gerade nicht eines neutralen bzw. „einfachen“) Differenzierungsgrundes gekennzeichnet ist. Im Fall der indirekten Diskriminierung ist das „verdächtige“ Differenzierungskriterium zwar nicht subjektiv, d.h. in der Motivation des Handelnden (z.B. dem Gesetzgeber oder der Behörde), oder – genauer – nicht objektiv kausal auf der Input-Seite, vorhanden, aber es ist objektiv präsent, nämlich in den tatsächlichen Auswirkungen. Zur Bestimmung, auf welche Bevölkerungsgruppen sich eine neutrale Maßnahme auswirkt, muss auf die allgemeine Lebenserfahrung, auf Berichte internationaler und nichtstaatlicher Organisationen über die Menschenrechtslage im jeweiligen Staat951 und insbesondere auf Statistiken zurückgegriffen werden.952
948 949
So auch Arnardóttir (Fn. 599), p. 123. So auch Somek (Fn. 88), S. 559 ff.
950
Bei der indirekten Diskriminierung handelt es sich stets um einen gruppenbezogenen Vergleich, s. Waldmann (Fn. 141), S. 354; Fredman (Fn. 409), p. 109. 951
So z.B. der Bericht der European Commission against Racism and Intolerance (ECRI) im Fall des EGMR (K), 07.02.2006, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325/00, §§ 24 ff. Zur bedeutsamen Rolle von NGOs im Rahmen von Verfahren vor völkerrechtlichen Menschenrechtsorganen vgl. Eibe Riedel, The Development of International Law: Alternatives to Treaty-Making? International Organizations and Non-State Actors, in: Rüdiger Wolfrum/Volker Röben (eds.), Developments of International Law in Treaty Making, Heidelberg [et al.] 2005, p. 301, pp. 311-317 (am Beispiel des CESCR). 952
Dazu Loenen (Fn. 409), p. 207; Waldmann (Fn. 141), S. 355; Fredman (Fn. 409), pp. 109-111 (dort auch zu den Problemen des statistischen Nachweises).
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b) Erheblicher Nachteil aa) Grundsätze Wird eine Vergleichsgruppe durch ein rechtlich „verdächtiges“ Differenzierungskriterium – objektiv – eingrenzbar, so kommt es darauf an, ob die Person des Beschwerdeführers als Angehöriger dieser sozialen Gruppe erheblich benachteiligt wird. Der Begriff des Nachteils ist weit zu verstehen; ausgeschlossen sind lediglich gänzlich unbedeutende Unannehmlichkeiten.953 Als relevante Nachteile kommen etwa in Betracht die Nichteinstellung, die Versagung einer Genehmigung, die Androhung eines Bußgeldes im Verweigerungsfall, die Belastung mit einer Dienstpflicht. Der Nachteil muss „erheblich“ sein.954 Die Erheblichkeit des Nachteils wird maßgeblich quantitativ-proportional bestimmt: Der Nachteil ist erheblich, wenn der Anteil von Angehörigen einer geschützten Gruppe in der benachteiligten Vergleichsgruppe wesentlich über ihrem Anteil in der bevorzugten Vergleichsgruppe liegt.955 Ein Prozentwert, ab welchem der Anteil wesentlich ist, kann nicht generell angegeben werden, sondern bedarf der richterlichen Konkretisierung im Einzelfall.956 Es müssen keinesfalls alle oder auch nur nahezu alle Angehörige einer geschützten Gruppe von der benachteiligenden Wirkung betroffen sein; ebenso spielt keine Rolle, dass auch einige Angehörige der (an sich begünstigten) Vergleichsgruppe benachteiligt werden.957 Nach hier vertretener Ansicht sollte die im Einzelfall erforderliche Disparität in Abhängigkeit zum Wert der betroffenen Rechtsgüter, die durch die indirekt diskriminierende Maßnahme betroffen werden, und
953
So Waldmann (Fn. 141), S. 353.
954
Die Bezeichnung dieses Kriteriums variiert: „Erheblichkeit“ (so Waldmann [Fn. 141], S. 357; Odendahl [Fn. 156], § 44, Rn. 48), „Überproportionalität“ (so Peters/König [Fn. 156], Kap. 21, Rn. 76) oder Benachteiligung „in besonderer Weise“ (so Art. 2 Abs. 2 b) RL 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. 2000 L 303/16). 955 956 957
Ähnlich Odendahl (Fn. 156), § 44, Rn. 49. So auch Waldmann (Fn. 141), S. 357; vgl. auch Peters (Fn. 350), S. 570.
Arnadóttir (Fn. 599), p. 123; Ina Sjerps, Effects and Justifications: Or how to Establish a Prima Facie Case of Indirect Sex Discrimination, in: Titia Loenen, Peter R. Rodrigues (eds.), Non-Discrimination Law: Comparative Perspectives, The Hague 1999, p. 237, 238 n. 2.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
287
der „Schwere“958 des objektiv in den tatsächlichen Auswirkungen vorhandenen Differenzierungskriteriums bestimmt werden: In einem Fall, in dem das Rechtsgut „Leben“ betroffen ist, sollten weniger strenge Anforderungen an den statistischen Nachweis zu stellen sein als beispielsweise im Fall von Bildungsnachteilen.959 Wird die benachteiligte Vergleichsgruppe durch die (besonders) „verdächtigen“ Differenzierungsgründe der Rasse, ethnischen Herkunft oder der Religion gebildet, so sind ebenfalls geringere Anforderungen an die erforderliche Disparität zu stellen.960 Schließlich muss die Benachteiligung von gewisser Dauer, Regelmäßigkeit oder Intensität sein, damit ihr Erheblichkeit zukommt. So reichen nicht jede negative Betroffenheit oder ein bloß einmaliges oder vorübergehendes Missverhältnis aus.961 Auch müssen sich die Daten auf eine ausreichende Anzahl von Personen erstrecken, damit sie verlässlich sind.962 Ein schwieriges Problem ist, inwieweit der erhebliche Nachteil gerade auch in der Person des Klägers oder Beschwerdeführers vorhanden sein muss (hier sog. konkret-individuelle Betroffenheit)963 oder ob die Zu958
Zur Hierarchie der verdächtigen Differenzierungsgründe s. S. 201 ff.
959
Dies wird in der Entscheidung des EGMR, 04.05.2001, Hugh Jordan, Nr. 24746/94, verkannt, dazu s. S. 280 f. 960
Diese Differenzierungsgründe hebt der EGMR regelmäßig aus der Gruppe der „verdächtigen“ Differenzierungsgründe hervor (s. S. 202). 961
Waldmann (Fn. 141), S. 358 f; Peters (Fn. 350), S. 570; vgl. Schlussanträge des Generalanwalts L.A. Geelhoed in EuGH, 06.02.2003, Rs. C-25/02, Katharina Rinke v. Ärztekammer Hamburg, Slg. 2003, I-8349, Rn. 24. 962 So etwa EuGH, 27.10.1993, Rs. C-127/92, Enderby, Slg. 1993, I-5535, Rn. 16 f.; EuGH, 06.04.2000, Rs. C-226/98, Jørgensen, Slg. 2000, I-2447, Rn. 33. 963
Ein Fall, in dem eine konkret-individuelle Betrachtung zugrunde gelegt wurde, ist die Entscheidung des Ontario Board of Inquiry, Bhadauria v. Toronto (City) Board of Education, (1990), Canadian Human Rights Reporter D/105 (zit. bei Sujit Choudhry, Distribution vs. Recognition: The Case of AntiDiscrimination Laws, GMLR 9 [2000], p. 145, 169): In diesem Fall ging es um einen Lehrer an einer weiterführenden Schule (high school) in Toronto mit südasiatischer Herkunft. Der Beschwerdeführer bewarb sich mehrmals ohne Erfolg für die Stelle als stellvertretender Rektor der Schule. In seiner Beschwerde macht er geltend, dass der Prozess des Interviewens im Rahmen des Bewerbungsverfahrens gegenüber Personen südasiatischer Herkunft sich indirekt diskriminierend auswirke, da Südasiaten sehr hierarchiebewusst seien und nur zurückhaltend Informationen über die eigene Person an Fremde weitergäben. Da-
288
3. Teil
gehörigkeit zur benachteiligten Gruppe ausreicht (hier sog. abstraktindividuelle Betroffenheit). Für letztere Sicht spricht, dass es sich bei der indirekten Diskriminierung häufig um strukturelle Verteilungsprobleme handelt und dass somit – weit mehr als bei Fällen der direkten Diskriminierung – ein vom Einzelfall losgelöstes soziales Interesse an dessen Beseitigung besteht.964 Ursprünglich schien der EGMR dem Ansatz der konkret-individuellen Betroffenheit zuzuneigen. So stützte sich die Kammerentscheidung im Fall D.H. und andere maßgeblich darauf, dass die Beschwerdeführer nicht nachweisen konnten, dass sie nicht unter Lernschwierigkeiten litten.965 In dieser konkret-individuellen Betrachtung des Nachteils ist zugleich behauptet, dass jedenfalls in der Person der Beschwerdeführer der Nachteil nicht als solcher bestand. In eine ähnliche Richtung geht auch die Argumentation des Richters Casadevall in seinem ablehnenden Votum zu Zarb Adami: “I would classify this complaint as frivolous and fail to see any discrimination that would entitle the applicant to protection under the Convention. He was required to perform jury service on three occasions over a seventeen-year period, which is not unreasonable (...).”966 Eine endgültige Festlegung auf eine Art der Betroffenheit ist bislang noch nicht erfolgt: So fragt die Große Kammer in ihrer Entscheidung im Fall D.H. u.a. (2007) zu Recht nach der abstrakt-individuellen Betroffenheit: “[S]ince it has been established that the relevant legislation as applied in practice at the material time had a disproportionately prejudicial effect on the Roma community, the Court considers that the applicants as members of that community necessarily suffered the same discriminatory treatment. Accordingly, it does not need to examine their individual
her erschienen Angehörigen seiner ethischen Herkunft leicht als unkooperativ in Bewerbungsinterviews. Während der Schlichter (adjudicator) in diesem Fall zwar befand, dass eine Generalisierung bezüglich der besonderen Eigenschaften der Personen südasiatischer Herkunft möglich und im vorliegenden Fall hinreichend substantiiert worden war, wurde der Diskriminierungsvorwurf gleichwohl zurückgewiesen, da der Beschwerdeführer selbst, diese einen Erfolg im Bewerbungsverfahren möglicherweise beeinträchtigenden Eigenschaften nicht aufwies. 964 Zur rechtsethischen Rekonstruktion der indirekten Diskriminierung aus dem Prinzip der distributiven Gerechtigkeit s. S. 478 ff. 965
Vgl. EGMR (K), 07.02.2006, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325/00, § 49. 966
EGMR, 20.6.2006, Zarb Adami, Nr. 17209/02, Annex.
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cases.”967 Nach D.H. u.a. kommt es für das statistische Vorliegen indirekter Diskriminierung richtigerweise auf die Auswirkungen des staatlichen Verhaltens auf die relevante Gruppe der Roma-Gemeinschaft („effect on the Roma community“) an (abstrakt-individuelle Betroffenheit). Anders scheint die Große Kammer im Fall Oršuš u.a. (2010) vorzugehen und – bei der Betrachtung der Statistik – einer konkret-individuellen Betroffenheit zuzuneigen, indem die Situation an den einzelnen Schulen verglichen wird.968
bb) Praxis des EGMR Nach der Rechtsprechung des EGMR muss die prozentuale Disparität „deutlich“ bzw. „signifikant“ zum Nachteil der geschützten Gruppe abweichen.969 In den bislang entschiedenen Fällen hat der EGMR eine deutliche Abweichung bejaht, wenn die prozentuale Disparität zwischen privilegierter und nicht-privilegierter Gruppe weit mehr als 20 % betrug.970 Die Position des EGMR zum statistischen Nachweis der Erheblichkeit des Nachteils hat in den letzten Jahren eine wichtige Entwicklung gemacht. In dem oben erwähnten Fall Hugh Jordan blieb die Frage, wie eine prima facie indirekt diskriminierende allgemeine Maßnahme statistisch nachzuweisen sei, noch offen. Hier wurde noch nicht sauber zwischen Tatbestands- und Rechtfertigungsebene getrennt. Obwohl die Statistik zeigte, dass der Großteil der polizeilich veranlassten Tötungen Katholiken betraf, hielt der Gerichtshof diesen statistischen Nachweis ohne nähere Ausführungen für nicht ausreichend. Der Gerichtshof schwieg insbesondere zu der Frage, wie viel Disparität statistisch nachzuweisen ist, damit von einer prima facie Diskriminierung ausgegangen werden kann.
967
EGMR (GK), 13.11.2007, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325/00 = NJW 2008, S. 533, § 209 [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.]. 968
EGMR (GK), 16.03.2010, Oršuš u.a., Nr. 15766/03 (dazu s. näher S. 292; zum Sachverhalt s. S. 283). 969
EGMR, 06.01.2005, Gine Wilhelmina Elisabeth Hoogendijk, Nr. 58641/00; EGMR, 20.6.2006, Zarb Adami, Nr. 17209/02, § 82. 970
Prozentuale Disparitäten, bei denen der EGMR die Erheblichkeit bejaht hat: 29,4 % (Hoogendijk), 94 % bzw. 50 % (Zarb Adami).
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3. Teil
Der statistische Nachweis der Erheblichkeit des Nachteils ist erstmals im Fall Zarb Adami v. Malta (2006)971 gelungen. Dieser Fall hat sich zu Recht als richtungsweisend für die Fortentwicklung der Dogmatik der indirekten Diskriminierung unter der EMRK erwiesen. Der Beschwerdeführer, ein Pharmazeut, wurde seit 1971 bis 2005 als Schöffe auf einer Schöffenliste für Strafverfahren geführt. Er wurde in dieser Eigenschaft mehrfach bei Gerichtsverhandlungen tätig. Im Jahr 1997 bestellte man ihn erneut zum Schöffen; wegen seines Nichterscheinens zum Gerichtstermin wurde ihm eine Geldbuße von umgerechnet 240 Euro auferlegt. Nach erfolglosem Beschreiten des innerstaatlichen Rechtswegs beantragte der Beschwerdeführer mehrmals seine Freistellung vom Schöffendienst, womit er schließlich im Jahr 2005 Erfolg hatte. Vor dem EGMR berief sich der Beschwerdeführer auf Art. 4 Abs. 3 d) EMKR (Verbot der Zwangsarbeit) in Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot, Art. 14 EMRK. Der Diskriminierungsvorwurf wurde maßgeblich auf zwei Begründungen gestützt: Zum einen beanstandete der Beschwerdeführer eine diskriminierende Verwaltungspraxis, dergemäß überproportional mehr Männer als Frauen auf die Schöffenliste gesetzt würden. So seien im Jahr 1996 insgesamt 4.298 Männer im Vergleich zu bloß 147 Frauen auf der Liste geführt worden (bei annähernder Gleichheit der Geschlechter unter den zum Schöffendienst fähigen Personen). Weiterhin rügte der Beschwerdeführer eine Diskriminierung gegenüber anderen Männern, die trotz ihrer grundsätzlichen Schöffendienstfähigkeit nicht herangezogen worden seien. Dies führte der Beschwerdeführer auf die Art und Weise zurück, wie die Gesetze über den Schöffendienst angewendet worden seien. Aufgrund der Art und Weise der Verwaltung der Schöffenliste habe es dazu kommen können, dass stets dieselben Personen auf der Liste verblieben und zum Dienst einberufen worden seien. Da im Jahr 1996 lediglich 1,6 % und 1997 nur 3,57 % der schöffendienstfähigen Personen auf der Schöffenliste geführt wurden, habe keine faire, gleichmäßige Lastenverteilung dieser Bürgerpflicht stattgefunden. Der EGMR trennt in diesem Fall zu Recht sorgfältig zwischen tatbestandlicher Ebene und Rechtfertigung. Zwar wird die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung wiederum nicht ausdrücklich erwähnt, aber vom Gerichtshof der Sache nach zugrunde gelegt. Der Gerichtshof stellt eingangs fest, dass es sich nicht um einen Fall der (indirekt) diskriminierenden Normsetzung handelt, sondern Gegenstand des Diskriminierungsvorwurfs sei die gefestigte Verwaltungspraxis der Schöf971
EGMR, 20.6.2006, Zarb Adami, Nr. 17209/02.
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fenberufung. Somit kommt ein Fall der (indirekt) diskriminierenden allgemeinen Maßnahmen in Betracht. Im Rahmen der statistischen Überprüfung der Erheblichkeit des Nachteils weist der EGMR darauf hin, dass 1996 die Schöffenliste zu 97 % aus Männern und nur zu 3 % aus Frauen bestanden habe und sich diese Situation im Jahr 1997 nur auszureichend verändert habe (75 % Männer, 25 % Frauen). Unter Zugrundelegung dieser Statistik sieht der Gerichtshof den Nachweis einer prima facie indirekt diskriminierenden Maßnahme als erbracht: “The Court considers that these figures show that the civic obligation of jury service had been placed predominantly on males. Therefore, there had been a difference in treatment between two groups – men and women – which, with respect to this duty, were in a similar situation.”972 Die zweite Begründung des Diskriminierungsvorwurfs, dass Bürgerpflichten ungleich (die Männer eingeschlossen) verteilt worden seien, wird vom EGMR leider nicht aufgegriffen. Für den Fall der Geschlechterdiskriminierung ist also auch unter der EMRK nunmehr davon auszugehen, dass zumindest bei einer Disparität von 97 % bzw. 75 % der Nachteil erheblich ist. Dieses Ergebnis lässt sich unterstützen durch den Hinweis auf die Entscheidung des EGMR im Fall Hoogendijk v. die Niederlande (2005). In dieser Zulässigkeitsentscheidung ging es u.a. um die Beschwerde, dass eine niederländische Regelung indirekt diskriminierende Wirkungen zulasten von Frauen aufweise. Die Regelung sah die Zahlung von Sozialleistungen für behinderte Arbeitnehmer (AAW) vor, sofern diese vor dem Eintritt der Behinderung zu einem bestimmten Stichtag ein gewisses Einkommen nachweisen konnten. Die Beschwerdeführerin stützte sich insbesondere auf das Argument, dass Frauen zu der Zeit, als ihre Behinderung eintrat, typischerweise über kein eigenes Einkommen verfügten, sondern in der Regel von ihren Ehemännern unterstützt wurden. So wurde 1991 mangels Einkommensnachweises insgesamt 5.100 Personen das AAW entzogen, darunter 3.300 Frauen (64,7 %) und 1.800 Männern (35,3 %).973 Da die Abweichung über dem Schwellenwert von 20 % (hier: 29,4 %) liegt, hat der EGMR in diesem Fall eine prima facie indirekt diskriminierende Regelung festgestellt (diese im Ergebnis allerdings als gerechtfertigt angesehen).
972 973
EGMR, 20.6.2006, Zarb Adami, Nr. 17209/02, § 78.
Um statistisch Aussagekraft zu besitzen, muss davon ausgegangen werden, dass der Anteil von Männern und Frauen in der Gruppe der Menschen mit Behinderung annähernd gleich ist.
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3. Teil
Unter Zugrundelegung des 20 %-Schwellenwerts hätte die Kammer des EGMR auch im Fall D.H. und andere die quantitative Erheblichkeit des Nachteils bejahen müssen: Ein Regierungsbericht aus dem Jahr 1999 stellte fest, dass in einigen tschechischen Sonderschulen der Anteil der Roma-Kinder an der Gesamtschülerzahl etwa 80 %–90 % betrage (vgl. § 26), also die Disparität also etwa 60 % bis 70 % betrug. Die Korrektur dieser Kammerentscheidung durch die Große Kammer des EGMR im Jahr 2008 war daher zu erwarten gewesen.974 Zu Recht hat der Gerichtshof deutlich gemacht, dass indirekte Diskriminierung nicht zwingend statistisch nachzuweisen ist. Es reicht auch aus, wenn dargelegt wird, dass die Betroffenen einer allgemeinen Maßnahme ausschließlich Mitglieder einer geschützten Personengruppe sind. So lag es im Fall Oršuš u.a. (2010), in welchem der Gerichtshof feststellte, dass nicht in allen betrachteten Schulen (oder jedenfalls zumeist) die Mehrheit der Roma-Kinder in Spezialklassen unterrichtet wurde; es habe also keine „Automatik“ der Versetzung in Spezialklassen gegeben.975 Dieser Umgang mit der Statistik wirft jedoch Fragen auf:976 Als Vergleichsgruppe wählt der Gerichtshof hier die einzelnen Grundschulen, nicht aber die relevante Altersgruppe der schulpflichtigen Roma-Kinder auf Gesamtstaatsebene. Dann aber hängt die Antwort, ob eine indirekte Diskriminierung statistisch vorliegt oder nicht, davon ab, ob die Mehrheit der Roma-Kinder eine Schule mit hoher Versetzungsrate in Spezialklassen besucht oder eine mit niedriger Versetzungsrate. Im ersten Fall kann der statistische Nachweis der indirekten Diskriminierung gelingen im Gegensatz zum letzteren Fall. Aus hier vertretener Sicht kommt es aber nicht darauf an, ob die Mehrheit der Schulen in Kroatien gegen Roma-Kinder indirekt diskriminiert (konkret-individuelle Betroffenheit), sondern ob gegen die Mehrheit der Roma-Kinder indirekt diskriminiert wird (abstrakt-individuelle Betroffenheit). Zuzustimmen ist der Großen Kammer allerdings, wenn sie für das Vorliegen einer prima facie indirekt diskriminierenden allgemeinen Maßnahme für ausreichend hält, dass nur Roma-Kinder von dieser Versetzung in Spezialklassen wegen unzureichender Sprachkenntnisse betroffen waren.
974
Vgl. EGMR (GK), 13.11.2007, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325/00 = NJW 2008, S. 533. 975 976
EGMR (GK), 16.03.2010, Oršuš u.a., Nr. 15766/03, § 152. Der Verf. dankt Szilvia Hámori für diesen Hinweis.
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293
Das Problem der Dauerhaftigkeit des Nachteils war Gegenstand im erwähnten Fall Abdulaziz u.a.977 Hier argumentierte der Gerichtshof, die stärkere Belastung einer geschützten Gruppe entstehe durch quasikonjunkturelle Schwankungen der Zuwanderung von Menschen bestimmter ethnischer Herkunft. Allerdings kann die Dauerhaftigkeit im Fall Abdulaziz u.a. nicht bezweifelt werden, da die besagten ethnischen Gruppen über einen Zeitraum von über 10 Jahren von den Regeln betroffen waren. Legt man die oben genannte Höchstdisparität von 20 % zugrunde, hätte in diesem Fall auch die quantitative Überproportionalität bejaht werden müssen: Ausweislich der dem Gerichtshof vorliegenden Statistik erfolgte zwischen Mitte 1962 bis Ende 1981 eine Zuwanderung von 900.000 Menschen aus dem Neuen Commonwealth und Pakistan (64 %) und 420.000 Menschen aus Nicht-Commonwealth Staaten (außer Pakistan) sowie 94.000 aus dem Alten Commonwealth (36 %). Akzeptiert man, dass auch für den Fall der indirekt ethnischen Diskriminierung die Höchstdisparität nicht über 20 % liegen sollte, so ist auch die quantitative Erheblichkeit zu bejahen.
cc) Praxis anderer internationaler und supranationaler Gerichte In der Rechtsprechung finden sich verschiedene Modelle zur Bestimmung der Erheblichkeit des Nachteils bei der indirekten Diskriminierung.978 Eine generelle Angabe, ab welcher Disparität die Rechtsprechung von der Erheblichkeit des Nachteils ausgeht, ist nicht möglich. Die Erheblichkeit wird vielmehr einzelfallbezogen bestimmt. Im oben erwähnten Fall des Inter-Amerikanischen Gerichtshofs, The Yean and Bosico Children, trat die Staatenlosigkeit der Kinder als eine benachteiligende Wirkung u.a. aufgrund der hohen Hürden, welche die Rechtsnormen über die nachträgliche Geburtsregistrierung errichteten, ein.979 Der Nachteil war auch erheblich, da das Verfahren der nachträg977
Der Sachverhalt ist dargestellt auf S. 276.
978
Eine Auflistung von fünf verschiedenen Ansätzen v.a. aus der Rechtsprechung britischer, U.S.-amerikanischer und gemeinschaftsrechtlicher Gerichte findet sich bei Michael Connolly, Discrimination Law, London 2006, pp. 144148. 979 Im Jahr 1999 lebten ca. 500.000 nicht-registrierte Arbeiter haitianischer Abstammung in der Dominikanischen Republik. Im vorliegenden Fall kam die Besonderheit hinzu, dass die Behörden die Erfordernisse für die nachträgliche Geburtsregistrierung willkürlich zu ungunsten der Kinder veränderten, vgl. §§ 164-166.
294
3. Teil
lichen Geburtsregistrierung von den meisten Haitianern und Dominikanern haitianischer Abstammung gewählt wurde. In diesen Fällen fand die Geburt meistens zu Hause und nicht im Krankenhaus statt aus Mangel an finanziellen Mitteln oder Furcht vor Deportationsmaßnahmen (vgl. § 109(10)). Die indirekt diskriminierende Wirkung der Rechtsnormen wurde vom IAGMR deutlich herausgestellt: “The requirements for late declaration of birth cannot be an obstacle for enjoying the right to nationality, particularly for Dominicans of Haitian origin, who belong to a vulnerable sector of the population in the Dominican Republic.”980 Es dürfte sich um einen Fall der erheblichen Betroffenheit „kraft Natur der Regelung“ handeln, da zwangsläufig aufgrund der örtlichen und sozialen Gegebenheiten mehr Menschen haitianischer Abstammung negativ betroffen werden. Der IAGMR prüft die Erheblichkeit des Nachteils in diesem Fall nicht statistisch, sondern begnügt sich im Rahmen der Sachverhaltsfeststellung mit Verweisen auf die diskriminierende Situation für Haitianer in der Dominikanischen Republik. Zur indirekten Diskriminierung stellt der Gerichtshof knapp Folgendes fest: “(...) States must abstain from producing regulations that are discriminatory or have discriminatory effects on certain groups of population when exercising their rights.” [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.]981 Vor dem UN-Menschenrechtsausschuss war die Berufung auf die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung bislang nicht erfolgreich. Zu bedenken ist, dass die Fälle, in denen der UN-Menschenrechtsausschuss von „indirekter Diskriminierung“ sprach, nach hier verwendeter Terminologie mehrheitlich sog. Diskriminierungen durch Gleichbehandlung betrafen.982 Der Ausschuss hat bislang nicht präzisiert, wann eine überproportionale Benachteiligung von Angehörigen einer geschützten Gruppe angenommen werden kann. Es ist aber wahrscheinlich, dass der Ausschuss grundsätzlich einen statistischen Nachweis der erheblichen Benachteiligung verlangt, aus dem sich eine deutliche Disproportionalität ergibt.
980
IAGMR, 08.09.2005, The Yean and Bosico Children v. Dominican Republic, Serie C, No. 130 (2005), § 192. 981
IAGMR, 08.09.2005, The Yean and Bosico Children v. Dominican Republic, Serie C, No. 130 (2005), § 141. 982
Zur Abgrenzung der indirekten Diskriminierung von der Diskriminierung durch Gleichbehandlung s. S. 276 f.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
295
Nach Ansicht des EuGH ist der statistische Nachweis erheblicher Benachteiligung entbehrlich, wenn diese qualifizierte Betroffenheit „kraft Natur der Regelung“ eintritt, wenn also der Eintritt der Benachteiligung zu ungunsten der geschützten Gruppe zwangsläufig erfolgt.983 Ebenfalls soll nach dem EuGH auch eine quantitativ geringere negative Abweichung genügen, wenn sie von gewisser Dauer ist.984 Insbesondere im U.S.-amerikanischen Recht zur Diskriminierung im Arbeitsrecht findet sich die sog. „Vier-Fünftel-Regel“, nach der eine prima facie indirekt diskriminierende Rechtshandlung vorliegt, wenn die Erfolgsquote einer geschützten Gruppe unter 80% gegenüber derjenigen der privilegierten Gruppe liegt.985 Eine solche Regel findet sich im regionalen Menschenrechtsschutz bislang nicht.
5. Die objektive Rechtfertigungsprüfung in Fällen indirekter Diskriminierung a) Grundsätze Eine prima facie vorliegende indirekte Diskriminierung unterliegt der Rechtfertigungsprüfung. In dogmatischer Hinsicht ist umstritten, ob es sich um eine echte Rechtfertigungsprüfung oder um eine versteckte Kausalitätsprüfung handelt.986 Die Ansicht, die von einer Kausalitätsprüfung ausgeht, führt an, dass es um den „Nachweis“ gehe, „dass die dem Anschein nach diskriminierende Auswirkung einer Maßnahme ihre Ursache in Wirklichkeit in anderen, selber nicht diskriminierenden Gründen hat.“987 Die Bedeutung dieses Streits ist allerdings gering, da von beiden Ansichten dasselbe Prüfungsprogramm verwendet wird. Nach hier vertretener Ansicht ist es Aufgabe der Rechtfertigungsprüfung in Fällen indirekter Diskriminierung aufzuzeigen, dass die unglei983
EuGH, 23.05.1996, Rs. C-237/94, John O’Flynn, Slg. 1996, I-2617, Rn. 21. Dieser Fall wird von Connolly angeführt als Beispiel für das von ihm sog. „intrinsically liable“-Modell, s. Connolly (Fn. 978), pp. 144-146. 984
EuGH, 09.02.1999, Rs. C-167/97, ex parte Nicole Seymour-Smith und Laura Perez, Slg. 1999, I-623, Rn. 61. Dieser Fall wird von Connolly angeführt als Beispiel für das von ihm sog. „small but persistent difference“-Modell, s. Connolly (Fn. 978), pp. 146-147. 985
Vgl. die Richtlinien der U.S. Equal Employment Opportunity Commission, 29 CFR 1607.4 (D) (1978), zitiert bei Connolly (Fn. 978), p. 147, n. 84. 986 987
So z.B. Waldmann (Fn. 141), S. 359 f. Waldmann (Fn. 141), S. 359.
296
3. Teil
che Betroffenheit der geschützten Gruppe durch die in Frage stehende Rechtshandlung auf nicht-diskriminierende Ursachen zurückzuführen ist („Kausalitätsprüfung“) und dass die Maßnahme im Übrigen verhältnismäßig ist („Rechtfertigungsprüfung“). Nur wenn beide Prüfungspunkte erfüllt sind, ist die indirekt diskriminierende Behandlung gerechtfertigt. Demnach sind beide Prüfungsschritte in einer integrierten Rechtfertigungsprüfung vorzunehmen.988 Bisweilen werden an die Rechtfertigung einer indirekten Diskriminierung geringere Begründungs- und Rechtfertigungsanforderungen gestellt.989 Aus Gründen der Rechtsklarheit sowie aus der Erwägung, dass die Auswirkungen einer indirekten derjenigen einer direkten Diskriminierung ähnlich sein können, sollte die Rechtfertigungsprüfung grundsätzlich strukturgleich bei beiden Typen der Diskriminierung erfolgen.990 Diese einheitliche Rechtfertigungsprüfung folgt dem bekannten zweistufigen Aufbau: Danach kommt es darauf an, ob die fragliche Rechtshandlung einem legitimen, nicht-diskriminierenden Ziel dient und die Rechtshandlung im Hinblick auf dieses Ziel geeignet und erforderlich ist. Besonderheiten ergeben sich für die Prüfung des legitimen Ziels. Im Rahmen dieser Legitimitätsprüfung hat der Urheber der Rechtshandlung die Vermutung zu entkräften, dass diskriminierende Motive bei der Rechtshandlung eine Rolle gespielt haben (Kausalitätsprüfung). Es handelt sich nur dann um ein legitimes Ziel, wenn ihm nicht-diskriminierende Motive als Ursache zugrunde liegen. Es ist mithin nachzuweisen, dass die disproportionale Verteilung der Vor- und Nachteile nicht auf einem Diskriminierungsunrecht beruhen.991 Solche nicht-diskriminierenden Motive können dann als Ursache der ungleichen Auswirkungen angenommen werden, wenn die ungleichen Auswirkungen auf autonomen Entscheidungen der Betroffenen selbst zurückzuführen und das Resultat eines allgemeinen, fairen Verfahrens sind. In diesem Fall liegen die Ursachen der Ungleichheit außerhalb des Verantwortungsbereichs des Urhebers der fraglichen Rechtshandlung. 988
So auch Waldmann (Fn. 141), S. 359 f. Anders aber offenbar der Gerichtshof in EGMR, 06.01.2005, Gine Wilhelmina Elisabeth Hoogendijk, Nr. 58641/00, der die fehlende Kausalität separat (als negatives Tatbestandsmerkmal) prüft. 989 990 991
Für Art. 3 Abs. 1 GG vgl. etwa Osterloh (Fn. 421), Art. 3 Rn. 256. So auch Peters (Fn. 350), S. 570 f.
Im Unterschied zum allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatz geht es nicht darum zu zeigen, dass die Ungleichbehandlung auch auf sachgerechten Kriterien beruht, vgl. dazu S. 71 ff.
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Insbesondere bei einer prima facie normexternen indirekten Diskriminierung kann argumentiert werden, dass die Gruppe der Normversager nicht aufgrund von persönlichkeitskonstitutiven Eigenschaften992 konstituiert wird, sondern aufgrund der autonomen Entscheidung des Einzelnen. Es macht einen Unterschied, ob eine neutrale Norm in ihren Auswirkungen eine geschützte Gruppe direkt, d.h. ohne weiteren Zwischenschritt, disproportional betrifft oder ob Angehörige einer geschützten Gruppe sich erst aufgrund eigener, autonomer Entscheidung in den Kreis der Normversager begeben.993 Erforderlich ist weiterhin, dass die ungleichen Auswirkungen allein die Folge eines allgemeinen, fairen Verfahrens sind, also unabhängig von Ermessensentscheidungen eintreten. So läge es etwa im Fall D.H. und andere, wenn die Versetzung der Roma-Kinder in die Sonderschulen allein aufgrund der durchgeführten uniformen psychologischen Tests beruhte (was nicht der Fall war). Sofern diese Tests selbst nicht voreingenommen konzipiert sind, und es sich bei der Versetzungsentscheidung nicht um eine Ermessensentscheidung handelt, müssen die Ergebnisse als nicht-diskriminierend hingenommen werden. In diesem (und nur in diesem) Fall würde die Einstufung auf tatsächlich beruhenden Unterschieden im Bildungsniveau beruhen; solche Unterschiede sind selbstverständlich hinzunehmen und bedürfen keiner staatlichen Rechtfertigung. Von Bedeutung ist, dass zwischen bloßen Erklärungen, wie es zu der statistischen Disparität kommt, und Gründen der Rechtfertigung unterschieden wird. Die Erklärung der Disparität aus nicht-diskriminierenden Ursachen ist zur Zurückweisung der Diskriminierungsvermutung notwendig, aber nicht hinreichend. Kumulativ zu dieser „Negativprüfung“ (oder Kausalitätsprüfung) tritt, wie ausgeführt, die allgemeine Rechtfertigungsprüfung bezogen auf die Rechtshandlung selbst (und nicht auf die Disparität der Auswirkungen). Erforderlich ist also der Nachweis, dass die Rechtshandlung einem legitimen Ziel dient,
992
Vgl. zu den „persönlichkeitskonstitutiven Eigenschaften“, dem So-SeinsBezug als gemeinsames Merkmal der „verdächtigen“ Differenzierungsgründe S. 180 ff. 993
So betrachtet stellt das Argument des Gerichtshofs in EGMR, 28.05.1985, Abdulaziz u.a., Serie A 94 = NJW 1986, S. 3007, dass im fraglichen Zeitraum mehr Einwanderungsgesuche aus den betroffenen Gruppen vorgelegen hätten, eine gültige Rechtfertigung dar, vgl. dazu S. 276 ff.
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wie etwa legitimen sozialpolitische Erwägungen994 oder dem Ausgleich für sozial veranlasste Härten.995 Hinzu kommt dann die Erforderlichkeits- und ggf. Angemessenheitsprüfung, die dem allgemeinen Muster folgt.
b) Praxis des EGMR Auch bezüglich der Rechtfertigungsprüfung in Fällen indirekter Diskriminierung hat die Rechtsprechung des EGMR eine bedeutsame Entwicklung gemacht. Im erwähnten Fall Hugh Jordan trennt der EGMR wie dargelegt noch nicht zwischen Tatbestands- und Rechtfertigungsebene, was aber insbesondere bei der Prüfung der indirekten Diskriminierung zwingend erforderlich ist. Der Gerichtshof lehnt in diesem Fall die indirekte Diskriminierung mit der Begründung ab, es liege kein Nachweis vor, dass die Gewaltanwendung außer in vier abgeurteilten Fällen unrechtmäßig oder exzessiv gewesen sei. Dieses Argument des Gerichtshofs, dass der Nachweis der Unrechtmäßigkeit der belastenden Maßnahmen nicht geführt worden sei, kann für die tatbestandliche Frage, ob eine prima facie indirekte Diskriminierung vorliegt, keine Rolle spielen, sondern wird auf der Rechtfertigungsebene relevant. Die fehlende Trennung von Tatbestandsseite und Rechtfertigung führt zu einem erheblichen Beweislastnachteil für den Beschwerdeführer: Es wird ihm nahezu unmöglich sein, den Nachweis zu führen, dass ein Großteil der polizeilich veranlassten Tötungen unrechtmäßig oder exzessiv waren. Bei einer korrekten Trennung zwischen Tatbestands- und Rechtfertigungsebene wäre der Entlastungsnachweis von dem Beschwerdegegner zu führen, dass die Tötungen rechtmäßig waren.996 Erstmals in den Fällen Hoogendijk und Zarb Adami trennt der EGMR zwischen Tatbestand und Rechtfertigung. In Hoogendijk scheint er von einer dreistufigen Prüfung auszugehen: Auf der ersten Stufe hat der Beschwerdeführer die prima facie indirekt diskriminierende Wirkung der 994
Etwa bei der Entlastung von Kleinbetrieben im Rahmen von Kündigungsschutzregelungen, s. EuGH, 30.10.1993, Rs. C-189/91, Kirsammer-Hack, Slg. 1993, I-6185, Rn. 35 (dieses Bsp. gibt Odendahl [Fn. 156], § 44, Rn. 63). 995 Etwa die Bevorzugung von Bewerbern nach Ableistung eines Wehr- oder Ersatzdienstes, da diese Regelung dazu dient, Verzögerungen in der Ausbildung auszugleichen (dieses Bsp. findet sich ebenfalls bei Odendahl [Fn. 156], § 44, Rn. 63). 996
Zu den Beweisproblemen bei indirekter Diskriminierung s. S. 303.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
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Rechtshandlung nachzuweisen, auf der zweiten tatbestandlichen(!) Stufe hat die Regierung durch objektive Gründe zu beweisen, dass die benachteiligende Wirkung nicht auf einer Diskriminierung beruht (fehlende Kausalität). Erst auf der dritten Stufe geht der EGMR auf die Rechtfertigung ein, die dem üblichen Muster folgt. Dieser dreistufige Prüfungsaufbau weicht ohne Not von dem klassischen Muster ab; wie oben gezeigt, lässt sich die Kausalitätsprüfung in eine einheitliche Rechtfertigungsprüfung integrieren. Vorzuziehen ist daher der integrierte Rechtfertigungsansatz im Fall Zarb Adami. Auf der Rechtfertigungsebene prüft der EGMR wie gewöhnlich, ob eine objektive und sachliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung bestanden hat. Da der Gerichtshof diesen Fall als Geschlechterdiskriminierung behandelt, greift der strengere Prüfungsmaßstab ein, demgemäß „sehr gewichtige Gründe“ vom Beschwerdegegner vorzubringen sind, um eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Im Rahmen der Kausalitätsfrage prüft der Gerichtshof die Erklärungen der Regierung, dass die Schöffen aus dem beruflich aktiven Teil der Bevölkerung ausgewählt würden, ferner dass sich mehr Frauen als Männer erfolgreich auf bestehende Ausnahmetatbestände berufen könnten und schließlich, dass aus „Gründen der kulturellen Orientierung“ mehr Frauen als Männer von den Verteidigern abgewählt würden. Der Gerichtshof hält den Nachweis der Kausalität zwischen nicht-diskriminierenden Ursachen und der benachteiligenden Wirkung für nicht erbracht; insbesondere könne die Regierung nicht erklären, wie der Unterschied zwischen dem Anteil der Frauen und Männer auf der Schöffenliste (und nicht erst bei der Ausübung des Schöffendienstes) zustande komme. Der Gerichtshof verneint nun aber nicht die Entkräftung der Diskriminierungsvermutung (also den Nachweis, dass die benachteiligenden Wirkungen in Wahrheit auf nicht-diskriminierenden Ursachen beruhen), sondern er bedient sich der traditionellen normativen Rechtfertigungsterminologie und verneint das Vorliegen eines legitimen Ziels bzw. die Proportionalität von Mittel und Ziel. Es ist von Bedeutung, dass der Gerichtshof somit keine Unterschiede hinsichtlich der Rechtfertigungsprüfung in Fällen direkter und indirekter Diskriminierung macht: Für beide Arten der Diskriminierung verlangt er eine Rechtfertigung, die demselben zweistufigen Prüfungsschema folgt. In Fällen der indirekten Diskriminierung wird – jedenfalls nach dieser jüngeren Rechtsprechung – die Kausalitätsprüfung in die allgemeine Rechtfertigungsprüfung integriert. Mit begrüßenswerter Klarheit unterscheidet auch die Große Kammer im Fall D.H. u.a. zwischen der Tatbestands- und der Rechtfertigungs-
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3. Teil
ebene.997 Dies scheint aber leider noch immer nicht gängige Praxis des EGMR geworden zu sein. In dem erwähnten Urteil Oršuš u.a. weicht die Kammer des Gerichtshofs diese wichtige Prüfungsstruktur wieder auf.998 Es erfolgt in diesem Urteil lediglich eine Negativabgrenzung zum Fall D.H. u.a.; eine genaue, fallbezogene Prüfung der Tatbestandsund der Rechtfertigungsproblematik unterbleibt. Unstreitig liegt eine allgemeine Maßnahme vor, nämlich die dargestellte Versetzungspraxis, dergemäß überproportional viele Roma-Kinder in die Sonderklassen überwiesen wurden. Wichtig ist, dass es sich in beiden Rechtssachen nicht um gebundene, sondern um Ermessensentscheidungen handelt.999 Der Gerichtshof behauptet pauschal, dass die Maßnahme der Versetzung von Roma-Kindern in Sonderklassen (im Fall Oršuš u.a.) sich erheblich von der Maßnahme unterscheide, Roma-Kinder in Sonderschulen (im Fall D.H. u.a.) zu versetzen. An dieser Beurteilung kann man Zweifel haben, da die Maßnahmen in beiden Fällen zu derselben Trennung von Roma-Kindern und anderen führt. Vollends problematisch ist 997
EGMR (GK), 13.11.2007, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325/ 00 = NJW 2008, S. 533, §§ 185 ff, §§ 196 ff. 998 EGMR (K), 17.07.2008, Oršuš u.a., Nr. 15766/03, §§ 63 ff. Zum Sachverhalt s. bereits oben S. 283. 999
Dies übersehen Kira Heyden/Antje von Ungern-Sternberg, Ein Diskriminierungsverbot ist kein Fördergebot – Wider die neue Rechtsprechung des EGMR zu Art. 14 EMRK, EuGRZ 35 (2009), S. 81, 84 f. Eine Widerlegung der Diskriminierungsvermutung wäre nach der in dieser Arbeit für richtig gehaltenen Lösung dann möglich gewesen, wenn die Einstufung allein aufgrund der Tests erfolgt wäre, denn bestehende Unterschiede im Bildungsniveau hat der Staat in einer Prüfung indirekter Diskriminierung nicht zu rechtfertigen. Heyden und von Ungern-Sternberg ist darin zuzustimmen, dass die gegenwärtige symmetrische Schutzkonzeption des konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots keinen Raum für ein Fördergebot zugunsten von Minderheiten umfasst. Ein solches Gebot wäre nur als staatliche Pflicht zu Maßnahmen positiver Diskriminierung denkbar, die aber zu Recht abgelehnt wird. Zu beachten ist jedoch, dass in dem hier verhandelten Fall D.H. u.a. nicht ein Fördergebot oder eine Gewährleistungspflicht in Rede stand, sondern eine prima facie vorliegende indirekte Diskriminierung zu rechtfertigen war. An dieser Stelle darf vom Staat mehr verlangt werden: Aus der Nicht-Rechtfertigung einer indirekten Diskriminierung folgt – anders als Heyden und von Ungern-Sternberg meinen – selbst noch kein (rechtlich voraussetzungsreiches) Förderungsgebot. Schließlich wäre aber ein solches Fördergebot – oder in der hier verwendeten Terminologie – eine Pflicht zum Ergreifen von Maßnahmen zur Teilhabeermöglichung nicht grundsätzlich unvereinbar mit dem Normzweck des Diskriminierungsverbots (dazu s. S. 385).
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aber, dass eine genaue Prüfung der Rechtfertigung im Fall Oršuš u.a. nicht stattfindet. Der Gerichtshof akzeptiert, dass die Verwaltungsentscheidung, Roma-Kinder in spezielle Klassen zu versetzen, auf den unterschiedlichen Sprachfähigkeiten beruht. Nach der oben vorgestellten Dogmatik handelt es sich dabei aber nur um die (Kausal-)Erklärung, wie es zu der Disparität kommt, nicht aber um eine Rechtfertigung im juristischen Sinne. Für eine Rechtfertigung ist nicht nur die Erklärung der Disparität aus nicht-diskriminierenden Ursachen notwendig, sondern auch der Nachweis, dass die Maßnahme zur Herbeiführung eines legitimen Ziels geeignet, erforderlich sowie im Übrigen angemessen ist. Als legitimes Ziel käme hier beispielsweise die Angleichung von Bildungschancen ethnischer Minderheiten und der Majoritätsbevölkerung als positive Förderungsmaßnahme in Betracht; dabei wären auch Regeln der Rückversetzung in „normale“ Klassen zu berücksichtigen gewesen.1000 Der Gerichtshof hätte sich dann im Rahmen der Geeignetheitsprüfung intensiv mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Versetzung von Roma-Kindern in Sonderklassen dieses Ziel tatsächlich fördern kann. Dass die indirekt diskriminierende Verwaltungspraxis nur in einer begrenzten Region an vier Grundschulen stattfand, kann für die Frage der Rechtfertigung keine Rolle spielen; lediglich auf Tatbestandsebene ist das Ausmaß einer Maßnahme relevant, namentlich bei dem Problem, ob es sich dabei um eine allgemeine Praxis oder bloß eine unregelmäßige, nicht-systematische Belastung handelt. Aus den genannten Gründen war die Kammerentscheidung des Gerichtshof im Fall Oršuš u.a. zu kritisieren. Nunmehr hat auch die Große Kammer, wenn auch mit knapper Mehrheit, im Fall Oršuš (2010) zu Recht auf eine Verletzung u.a. des Diskriminierungsverbots erkannt.1001
6. Nichtmaßgeblichkeit eines Diskriminierungsbewusstseins bzw. einer Diskriminierungsabsicht Von Bedeutung ist, dass es für das Vorliegen indirekter Diskriminierung – wie allgemein beim Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK – unerheblich ist, ob eine Diskriminierungsabsicht oder ein Diskriminie1000
Der Gerichtshof hätte hier deutlich herausstellen müssen, dass die Vertragstaaten schon jeden Anschein einer „separate but equal“-Behandlung zu vermeiden hätten. Vgl. den ähnlich gelagerten Fall EGMR, 5.6.2008, Sampanis u.a., Nr. 32526/05, § 91; zum Sachverhalt s. oben S. 279 f. Zur Kritik an einer solchen Lösung vgl. Heyden/von Ungern-Sternberg (Fn. 999), S. 81 ff. 1001
EGMR (GK), 16.03.2010, Oršuš u.a., Nr. 15766/03.
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3. Teil
rungsbewusstsein vorlag oder nicht.1002 Es darf keine Rolle spielen, ob dem Handelnden bei der Wahl des rechtlich neutralen Diskriminierungsgrundes bewusst war oder es sogar sein Ziel war, dass die Anwendung zu diskriminierenden Ergebnissen führen wird. Für diese Ansicht sprechen im Wesentlichen zwei Argumente: Erstens würde das Erfordernis des Diskriminierungsbewusstseins oder einer entsprechenden Diskriminierungsabsicht zu nahezu unüberwindbaren Beweisproblemen führen.1003 Das Erfordernis, eine Diskriminierungsabsicht bzw. ein Diskriminierungsbewusstsein nachzuweisen, erweist sich als unrealistisch, wenn es sich um Entscheidungen oder Praxis von Behörden, Gremien oder anderen Institutionen handelt.1004 Eine Erforschung der institutionellen Motivation, die nicht in der Entscheidung selbst verkörpert ist (wie im Fall der direkten Diskriminierung), erscheint unmöglich. Zweitens ließe sich das Diskriminierungsverbot insgesamt einfach umgehen, indem „verdächtige“ in scheinbar neutrale Differenzierungsgründe umgewandelt werden. Obwohl die Formel,1005 mit welcher der EGMR die indirekte Diskriminierung kennzeichnet, explizit davon spricht, dass Diskriminierung auch in Form eines Verfahrens oder in Form von Maßnahmen bestehen könne, die nicht spezifisch auf die Gruppe abzielten oder gegen die Gruppe gerichtet seien, so hat der Gerichtshof gleichwohl das subjektive Element bis vor kurzem noch nicht vollständig aus seinen Begründungen eliminiert.1006 Erstmals in dem 1002
H.M., vgl. Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 76; Arnadóttir (Fn. 599), S. 123; Loenen (Fn. 409), S. 201-202; Waldmann (Fn. 141), S. 364. 1003
Dies ist eine Lehre, die sich aus der Anwendung der Konzeption der indirekten Diskriminierung in den Vereinigten Staaten im Verfassungsrecht ergibt: Dort verlangt der Supreme Court für die indirekte Diskriminierung (anders als im Arbeitsrecht, s. oben), dass in den Fällen von (dem Anschein nach) neutralen Gesetzen, die einen unverhältnismäßig belastenden Effekt auf einen geschützte Gruppe haben, eine Diskriminierungsabsicht nachgewiesen wird. Damit wird die Anwendung der Konzeption der indirekten Diskriminierung praktisch unmöglich gemacht. Vgl. dazu den Fall Washington v. Davis (Fn. 155). Vgl. auch USSCt, Personnel Administrator of Mass. v. Feeney, 442 U.S. 256 (1979), zum Sachverhalt s. S. 275 Fn. 918; vgl. die Kritik bei Loenen (Fn. 409), S. 202; Gayle Binion, „Intent“ and Equal Protection: A Reconsideration, Sup.Ct.Rev. 1983 (1984), S. 397, 457. 1004 1005 1006
Ebenso Loenen (Fn. 409), S. 201. Dazu s. oben S. 281.
Vgl. nur EGMR (K), 07.02.2006, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325/00, § 49; EGMR, 28.05.1985, Abdulaziz u.a., Serie A 94 = NJW 1986, S. 3007, § 85.
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Urteil Zarb Adami taucht das subjektive Element nicht mehr auf. Dieses Vorgehen wird durch die neuste Entscheidung der Großen Kammer im Fall D.H. u.a. (2007) bestätigt. Auch die Inter-Amerikanische Kommission für Menschenrechte führt in ihrem speziellen Bericht1007 zum Thema „Access to justice for women victims of violence in the Americas“ aus, dass es in Fällen indirekter Diskriminierung auf „objektive Faktoren“ und nicht auf die Diskriminierungsintention ankomme.1008 Der UN-Menschenrechtsausschuss geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass für den Tatbestand der indirekten Diskriminierung unter Art. 26 IPbpR eine Diskriminierungsintention nicht erforderlich ist.1009 Insgesamt scheint sich die Irrelevanz eines Diskriminierungsbewusstseins bzw. einer dahingehenden Absicht in den Systemen des Menschenrechtsschutzes durchzusetzen.
7. Beweisprobleme bei indirekt diskriminierenden Rechtshandlungen Der Beschwerdeführer bzw. Kläger hat den Tatbestand der prima facie indirekten Diskriminierung zu beweisen. Gelingt ihm dies, trifft den Urheber der angegriffenen Norm bzw. Maßnahme, also in der Regel die Regierung des Mitgliedsstaates, die Beweislast, die Rechtshandlung zu rechtfertigen.1010 Dieser Beweislastregelung folgt nunmehr auch der EGMR.1011
1007
Gemäß Art. 18 lit. c) Statute of the Inter-American Commission on Human Rights, O.A.S. Res. 447 (IX-0/79), O.A.S. Off. Rec. OEA/Ser.P/IX.0.2/80, Vol. 1 at 88, Annual Report of the Inter-American Commission on Human Rights, OEA/Ser.L/V/11.50 doc.13 rev. 1 at 10 (1980), wiederabgedruckt in: Basic Documents Pertaining to Human Rights in the Inter-American System, OEA/Ser.L.V/II.82 doc.6 rev.1 at 93 (1992). 1008
IAKMR, Access to justice for women victims of violence in the Americas, OEA/Ser.L/V//II., Doc. 68, 20.01, 2007, § 92. 1009
MRA, 03.08.2003, Nr. 998/2001, Rupert Althammer et al. v. Österreich, UN Doc. CCPR/C/78/D/998/2001, § 10.2; MRA, 01.04.2004, Nr. 976/2001, Cecilia Derksen v. Niederlande, UN Doc. CCPR/C/80/D/976/2000, § 9.3. 1010
So ausdrücklich Art. 4 RL 97/80/EG des Rates über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, 15.12.1997, ABl. L 14/6. 1011
EGMR (GK), 13.11.2007, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325/ 00 = NJW 2008, S. 533, § 177.
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D. Das Verbot der passiven Diskriminierung 1. Fragestellung und Untersuchungsgang Die Rechtsfigur der passiven Diskriminierung1012 umfasst diejenigen Fälle, in denen die Diskriminierung darauf beruht, dass der Staat untätig („passiv“) bleibt trotz einer „Gewährleistungspflicht“.1013 In erster Näherung können diese Gewährleistungspflichten dahingehend bestimmt werden, dass der Staat durch sie verpflichtet ist, den Einzelnen aktiv vor gewissen Diskriminierungen zu schützen, eine diskriminierungsfreie Teilhabe an bestimmten staatlichen Gütern und Leistungen sicherzustellen sowie in bestimmten Fällen besondere Untersuchungsmaßnahmen durchzuführen. Grob lassen sich die Formen der passiven Diskriminierung einteilen nach der jeweils einschlägigen Gewährleistungspflicht, nämlich der Pflicht zur Gewährung von Schutz, der Pflicht zur Gewährung von Teilhabe und der Pflicht zur Durchführung besonderer Untersuchungsmaßnahmen. Die Erörterung der Rechtsprobleme im Zusammenhang mit der passiven Diskriminierung unter der EMRK setzt bei den Grundlagen dieser Rechtsfigur an: Die Rechtsfigur der passiven Diskriminierung gibt der Dogmatik zunächst ein spezifisches Konkretisierungsproblem auf (2a). Obwohl die Anerkennung der Rechtsfigur der passiven Diskriminierung durch überstaatliche Rechtsprechungsorgane besonders stark in die Souveränitätsrechte der betroffenen Vertragsparteien eingreifen kann, da mit dieser Rechtsfigur stets positive Handlungs- und Gestaltungspflichten verbunden sind, ist in der Menschen- und Grundrechtsdogmatik heute grundsätzlich unstrittig, dass aus dem Diskriminierungsverbot auch positive Verpflichtungen für den Staat folgen können (2b). Vielfach normieren die internationalen Menschenrechtskonventionen diese positiven Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Diskriminierungsverbot sogar ausdrücklich (2c.). Aus den sich auf die 1012
Der Begriff der „passiven Diskriminierung“ ist in der menschenrechtlichen Gleichheitsrechtsdogmatik noch nicht etabliert. Der Begriff der „passiven Diskriminierung“ stammt von Arnardóttir (Fn. 599), p. 95 passim, die diesen allerdings zum Teil abweichend bestimmt (vgl. unter Fn. 1049). 1013
Hier wird der (Ober-)Begriff der „Gewährleistungspflicht“ als Übersetzung für „positive obligation“ / „obligations positives“ gebraucht. In Anlehnung an die Einteilung und Terminologie von Christoph Grabenwarter umfassen die „Gewährleistungspflichten“ als Oberbegriff sowohl Schutzpflichten, die Gewährleistung von Teilhaberechten, prozedurale Plichten und Untersuchungspflichten, vgl. Grabenwarter (Fn. 208), § 19 I, S. 125 f., Rn. 2.
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Rechtsfigur der passiven Diskriminierung beziehenden menschenrechtlichen Normen und deren Interpretation durch die jeweiligen Rechtsprechungsorgane kann eine allgemeine Struktur der Rechtsfigur der passiven Diskriminierung unter der EMRK entwickelt werden, die sich in den oben dargestellten einheitlichen Diskriminierungstatbestand einfügt (2d). Sodann geht es um die drei Formen der passiven Diskriminierung im Einzelnen (3). Die drei Formen der passiven Diskriminierung ergeben sich aus den verschiedenen gleichheitsrechtlich relevanten Gewährleistungspflichten, nämlich der Schutzpflicht, der Teilhabegewährleistungspflicht und der Untersuchungspflicht. Untersucht werden jeweils die Möglichkeit, die Begründung und der Inhalt der betreffenden Gewährleistungspflicht. Abschließend ist auf die Grenzen der Rechtsfigur der passiven Diskriminierung im völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz einzugehen (4).
2. Grundlagen a) Das Problem der passiven Diskriminierung Worin besteht das Problem der passiven Diskriminierung? Die Rechtsnatur und die dogmatische Behandlung der Rechtsfigur der passiven Diskriminierung werden bestimmt durch den Charakter gewisser Gewährleistungspflichten. Im Gegensatz zur Rechtsfigur der direkten und der indirekten Diskriminierung handelt es sich dabei nicht um Unterlassungspflichten, sondern um positive Handlungspflichten. Im Grundsatz ist der Inhalt von Unterlassungspflichten, also etwa: „Vertragspartei V ist verpflichtet, eine diskriminierende Behandlung des Minderheitsangehörigen M zu unterlassen“, einfacher bestimmbar als der von positiven Handlungspflichten, etwa „Vertragspartei V ist verpflichtet, den Minderheitsangehörigen M vor diskriminierender Behandlung zu schützen“.1014 Dies beruht darauf, dass eine Unterlassungspflicht die zu ihrer Erfüllung hinreichenden Bedingungen selbst angibt. Anders ist es im Fall der positiven Gewährleistungspflichten: Diese geben eine Tätig1014
Vgl. Dieter Birnbacher, Tun und Unterlassen, Stuttgart 1995, S. 233 ff., insbes. S. 278, 282: Handlungs- und Unterlassungspflichten unterscheiden sich vor allem dadurch, dass die Beachtung eines Handlungsgebots mit höheren Einschränkungen von (individueller) Freiheit verbunden sein kann. Diese Beobachtung lässt sich auch auf die Ebene staatlicher Handlungspflichten übertragen, die potentiell zu einer größeren Einbuße an Souveränität führen.
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keitspflicht vor, aber zumeist nicht die zu ihrer Erfüllung hinreichenden Bedingungen. Somit stellt sich das Konkretisierungsproblem bei Gewährleistungspflichten noch viel stärker als bei Unterlassungspflichten: Wie und unter welchen Umständen der M im genannten Beispielsfall durch den Staat zu schützen ist, bedarf dann näherer Bestimmung. Kennzeichnend für Gewährleistungspflichten ist, dass der Staat sie – jedenfalls im Grundsatz – auf verschiedene Weise erfüllen kann. So könnte der Staat im obigen Beispiel gewisse Formen der Diskriminierung unter Strafe stellen oder aber Gesetze formulieren, die verbieten, dass gewisse Güter oder Dienstleistungen nicht aufgrund ethnischer Erwägungen vorenthalten werden dürfen. Angesichts dieses notwendig weiten Beurteilungsspielraums stellt sich dann aber die Frage, ob und ggf. inwieweit den Vertragsparteien durch die Rechtsfigur der passiven Diskriminierung unter der EMRK bei der Zielverfolgung einer diskriminierungsfreien Rechtsordnung verbindliche völkerrechtliche Vorgaben gemacht werden. Das ist das Problem der passiven Diskriminierung unter der EMRK.
b) Exkurs: Die drei Verpflichtungsdimensionen moderner Menschenrechte und die allgemeine Dogmatik der Gewährleistungspflichten unter der EMRK („positive obligations“) Die moderne Menschenrechtsdogmatik unterscheidet drei Verpflichtungsdimensionen von Menschenrechten, d.h. die Art und Weise, in der ein Staat zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet ist: die Respektierungspflicht (duty to respect), die Schutzpflicht (duty to protect) und die Leistungspflicht (duty to fulfil).1015 Überträgt man diese Eintei-
1015 Vgl. zu dieser Dreiteilung der Verpflichtungsdimensionen Ida Elisabeth Koch, Dichotomies, Trichotomies or Waves of Duties, HRLR 5 (2005), S. 81103; diese Einteilung geht insbesondere auf Asbjørn Eide zurück, s. ders., Realization of Social and Economic Rights and the Minimum Threshold Approach, HRLJ 10 (1989), S. 35 ff., der sich wiederum auf Vorarbeiten von Henry Shue stützen konnte. In der vorliegenden Arbeit werden Schutz- und die Leistungspflicht unter dem Oberbegriff der „Gewährleistungspflicht“ zusammengefasst. Eine Gewährleistungspflicht ist allgemein dann anzunehmen, wenn der Staat nicht negativ zu einem Unterlassen verpflichtet ist (wie im Falle der Abwehrfunktion der Grund- und Menschenrechte), sondern positiv zum Handeln bzw. zur Bewahrung bestimmter Ordnungsstrukturen (etwa die Gewährleistung eines fairen Verfahrens) aufgefordert ist, vgl. auch Grabenwarter (Fn. 208), § 19 I, S. 125 f., Rn. 2.
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lung der Verpflichtungsdimensionen moderner Menschenrechtsverträge auf das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK, so ergibt sich Folgendes: Der Respektierungspflicht (duty to respect) kann bereits durch einfaches Unterlassen einer verbotenen Handlung genügt werden. Den Staat trifft die Rechtspflicht, die in der EMRK gewährleisteten Rechte als Beschränkungen seiner Hoheitsgewalt zu achten. Es handelt sich bei der Respektierungspflicht um eine negative Verpflichtung seitens des Staates. Die Vertragstaaten der EMRK sind so verpflichtet, direkt oder indirekt diskriminierende Rechtshandlungen zu unterlassen.1016 Die Erfüllung der Schutzpflicht (duty to protect) erfordert hingegen ein aktives staatliches Eintreten; der Staat hat sich „schützend und fördernd vor das betreffende Recht zu stellen“, wie man in Anlehnung an das BVerfG im für die Entwicklung der deutschen Schutzpflichtdogmatik grundlegenden ersten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch formulieren kann.1017 Im Unterschied zur Respektierungspflicht bezieht sich die Schutzpflicht auf Gefährdungen für das Schutzgut, die nicht unmittelbar aus der Sphäre des Grundrechtsverpflichteten, der des Staates, sondern aus einer nicht-hoheitlichen oder jedenfalls nicht der eigenen, hoheitlichen Sphäre herrühren.1018 Der Hauptanwendungsfall der Schutzpflichtkonstellation liegt in der Einwirkung auf das Schutzgut durch einen privaten Verursacher; darüber hinaus kommen Schutzpflichten nach Ansicht einiger Autoren sowie des EGMR auch bei ausländischen oder natürlichen Gefahrenquellen in Betracht.1019 In allen Fällen geht die schädliche Einwirkung nicht auf den schutzverpflichteten Staat, sondern unmittelbar auf einen Dritten zurück. Im hier interessierenden Fall des Diskriminierungsverbots ist allein das Problem der privaten Verursachung relevant. Daher wird die Diskussion der Schutzpflichten vorliegend auf den Schutz vor privater Diskriminierung beschränkt. Es soll von folgender allgemeiner Definition einer Schutzpflicht ausgegangen werden: Von einer Schutzpflicht spricht man, wenn die Beeinträch-
1016 1017
So auch Arnardóttir (Fn. 599), p. 98; vgl. auch Knox (Fn. 433), p. 21. Vgl. BVerfGE 39, 1, 42 – „Schwangerschaftsabbruch I“.
1018
Vgl. nur Eide (Fn. 1015), p. 37; für den Kontext der EMRK vgl. Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 23. 1019
Vgl. Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 50 ff. m.w.N. Zu dem Streit, ob Schutzpflichten außerhalb der von Privaten ausgehenden Übergriffe auf Schutzgüter anzuerkennen sind, vgl. auch Horst Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl., Tübingen 2004, Vorbem. vor Art. 1 GG, Rn. 101 m.w.N.
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tigung1020 des Schutzguts nicht durch die staatliche Vertragspartei verursacht wird und eine Situation vorliegt, in der der Staat zur Ausgestaltung oder Durchsetzung von Vorschriften verpflichtet ist, welche die Tätigkeiten der Privaten regeln.1021 Die Erfüllung von Schutzpflichten geschieht in erster Linie durch das Ergreifen geeigneter und ausreichender Maßnahmen, wobei den Staaten ein weiter Ermessensspielraum hinsichtlich der Mittel zusteht.1022 Die Herleitung von Schutzpflichten aus den Freiheitsrechten und Garantien der EMRK ist spätestens seit dem grundlegenden Urteil X und Y v. die Niederlande (1985), das die fehlende Strafbarkeit des sexuellen Missbrauchs eines geistig behinderten minderjährigen Mädchens infolge einer Gesetzeslücke betraf, anerkannt.1023 Die Verpflichtung, sich schützend vor das konventionsrechtliche Nichtdiskriminierungsrecht des Einzelnen zu stellen, beinhaltet grob formuliert, dass der Staat gegen die gesellschaftlichen Erscheinungen und Ursachen der Diskriminierung vorzugehen hat und – in bestimmten Fällen – dem Gleichheitsinteresse des einen den Vorrang gegenüber dem Freiheitsinteresse des anderen geben muss. Die Leistungspflicht (duty to fulfil) beinhaltet ebenso wie die Schutzpflicht eine positive Verpflichtung des Staates. Leistungspflichten betreffen regelmäßig den Zugang zu staatlichen und sozialen Gütern und Leistungen, die der Einzelne zu seiner Freiheitsentfaltung bedarf und deren Beschaffung ihm nicht oder nur eingeschränkt aus eigener Kraft möglich ist.1024 Solche Güter können z.B. Bildung, Arbeit, Wohnen und – allgemein – die Ermöglichung einer menschenwürdigen Existenz sein. Nach der ursprünglichen Intention der Vertragsparteien sollte sich die EMRK – im Unterschied zur später unterzeichneten Sozialcharta (ESCR) – auf die klassischen Freiheits- und Verfahrensrechte 1020
In Schutzpflichtfällen sollte man dem Vorschlag von Hans Jarass folgen und statt von einem „Eingriff“ besser von „Beeinträchtigung“ sprechen, vgl. dazu Hans D. Jarass, Bausteine einer umfassenden Grundrechtsdogmatik, AöR 120 (1995), S. 345, 367; vgl. dazu S. 355. 1021
Vgl. Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 51.
1022
Vgl. Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 63 f.; EGMR, 21.06.1998, Plattform „Ärzte für das Leben“, Serie A 139 = EuGRZ 1989, S. 522, § 36. 1023
EGMR, 26.03.1985, X. und Y. v. Niederlande, Serie A 91 = EuGRZ, 1985, S. 297, § 23; vgl. Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 26. 1024
Vgl. Eide (Fn. 1015), p. 37: “The obligation to fulfil requires the State to take the measures necessary to ensure for each person within its jurisdiction opportunities to obtain satisfaction of those needs, recognized in the human rights instruments, which cannot be secured by personal efforts.”
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sowie auf einige politische Mitwirkungsrechte beschränken.1025 Originäre, d.h. vom Einzelnen unmittelbar einforderbare, Leistungsrechte (als der subjektivrechtlichen Entsprechung von staatlichen Leistungspflichten) sind in der EMRK nicht vorgesehen und werden vom EGMR bis heute auch abgelehnt.1026 Allerdings versperrt sich der EGMR nicht einer (dynamischen) Auslegung, mittels derer sog. derivative Leistungsrechte, also Ansprüche auf diskriminierungsfreie Teilhabe an staatlichen Leistungssystemen, aus der Konvention abgeleitet werden.1027 Eine besondere Form der Leistungspflicht, die eng mit der Respektierungsund Schutzpflicht zusammenhängt, ist schließlich die in gewissen Situationen bestehende Pflicht des Staates, geeignete und effektive Untersuchungen in Fällen behaupteter Diskriminierung durchzuführen.
c) Entwicklung der Rechtsfigur der passiven Diskriminierung im völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz Die Rechtsfigur der passiven Diskriminierung mit ihrer Schutzpflichtund Leistungspflichtdimension ist im universellen Menschenrechtsschutz mittlerweile fest verankert. So sind unter dem Zivilpakt – neben der abwehrrechtlichen Dimension des Diskriminierungsverbots – sowohl die positive Pflicht der Staaten zum Schutz des Einzelnen vor privater Diskriminierung als auch die Pflicht zur Gewährung diskriminierungsfreier Teilhabe an staatlichen Leistungen und Gütern anerkannt.1028 Diese positiven Verpflichtungen legen schon der Wortlaut des Art. 2 IPbpR, der u.a. von einer Pflicht der Gewährleistung („to ensure“) spricht, sowie die Formulierung in Art. 26 S. 2 IPbpR nahe, dergemäß ausdrücklich Pflichten für den Gesetzgeber aufstellt werden: “[T]he law shall prohibit any discrimination and guarantee to all persons equal and effective protection against discrimination.”1029 Der UN-Menschenrechtsausschuss weist in dem General Comment Nr. 31 zu den Verpflichtungen der Vertragsparteien aus dem Zivilpakt darauf 1025 1026 1027
Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 87. Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 88. Vgl. Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 89.
1028
Zum Verbot der passiven Diskriminierung im Zivilpakt vgl. umfassend Vandenhole (Fn. 179), p. 213 ff., p. 221 ff.; Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, par. 53 ff.; Waldmann (Fn. 141), S. 393-395; ablehnend aber Tomuschat (Fn. 115), p. 710 ff. 1029
Vgl. auch Joseph/Schultz/Castan (Fn. 184), p. 732.
310
3. Teil
hin, dass Art. 2 IPbpR neben der Respektierungspflicht auch positive Gewährleistungspflichten aufstelle: “Article 2 requires that States Parties adopt legislative, judicial, administrative, educative and other appropriate measures in order to fulfil their legal obligations.“1030 Insbesondere die Pflicht zum Schutz vor privater Diskriminierung wird dort weiter ausgeführt: „In fields affecting basic aspects of ordinary life such as work or housing, individuals are to be protected from discrimination within the meaning of article 26.”1031 In der Rechtsprechung des Menschenrechtsausschusses sind diese beiden wichtigsten Gewährleistungspflichten, die Schutzpflicht vor privater Diskriminierung und die Pflicht zur Gewährleistung einer diskriminierungsfreien Teilhabe an staatlichen Gütern und Leistungen, weiter konkretisiert worden. Instruktiv zu den gleichheitsrechtlichen Schutzpflichten unter Art. 26 IPbpR ist insbesondere der Fall Nahlik (1995),1032 in dem es um eine Ungleichbehandlung von Rentnern unter einem Kollektivvertrag der Salzburger Gebietskrankenkasse mit den Arbeitnehmern ging. Der Vertrag sah die Erhöhung von ruhegehaltsfähigen Leistungen vor. Diese Anpassung begünstigte allerdings nur künftige Rentner, nicht solche, die vor einem bestimmten Stichtag in Rente gegangen waren. In diesem Fall berief sich die Vertragspartei u.a. darauf, dass derartige Kollektivvereinbarungen Gegenstand privater Absprachen seien und dem bürgerlichen Recht unterfielen. Der Menschenrechtsausschuss sah allerdings in der privatrechtlichen Natur des Prüfungsgegenstands keinen Unzulässigkeitsgrund ratione personae:
1030 MRA, General Comment Nr. 31, Nature of the General Legal Obligation on States Parties to the Covenant, UN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.13 (2004), § 7. 1031
MRA, General Comment Nr. 31, Nature of the General Legal Obligation on States Parties to the Covenant, UN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.13 (2004), § 8. Vgl. auch General Comment Nr. 28, Equality of rights between men and women (article 3), UN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.10 (2000), § 31: “The right to equality before the laws and freedom from discrimination, protected by article 26, requires States to act against discrimination by public and private agencies in all fields. (...) States should review their legislation and practices and take the lead in implementing all measures necessary in order to eliminate discrimination against women, in all fields, for example, by prohibiting discrimination by private actors in areas such as employment, education, political activities and the provision of accommodation, goods and services.” 1032
MRA, 22.07.1996, Nr. 608/1995, Franz Nahlik, UN Doc. CCPR/C/57/ D/608/1995.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
311
“The Committee observes that under articles 2 and 26 of the Covenant the State party is under an obligation to ensure that all individuals within its territory and subject to its jurisdiction are free from discrimination, and consequently the courts of States parties are under an obligation to protect individuals against discrimination, whether this occurs within the public sphere or among private parties in the quasi-public sector of, for example, employment.”1033 In Nahlik spricht der Ausschuss somit die Pflicht des Staates zum Schutz des Einzelnen vor privater Diskriminierung in bestimmten sozialen Bereichen ausdrücklich an. Wie allerdings die Entstehungsgeschichte des Art. 26 IPbpR deutlich macht, besteht keine umfassende Schutzverpflichtung des Staates hinsichtlich jeder Diskriminierung durch Private: Entscheidungen in einem näher zu bestimmenden Privatbereich sind demnach grundsätzlich geschützt vor staatlicher Einflussnahme.1034 Gleichheitsrechtliche Schutzpflichten kommen jedoch in Frage im vom Ausschuss so bezeichneten „quasi-öffentlichen Bereich“, der nach Ansicht der Literatur u.a. Verkehrsmittel, Restaurants, Theater, Beherbergungen etc. umfasst.1035 Auch die zweite, positive Pflicht zur Gewährleistung einer diskriminierungsfreien Teilhabe an staatlichen Gütern und Leistungen wird vom UN-Menschenrechtsausschuss in ständiger Rechtsprechung anerkannt. In dem Fall Waldman (1999)1036 rügte der Beschwerdeführer, dass der Staat römisch-katholische Privatschulen finanziell unterstütze, während er jüdischen Privatschulen diese Unterstützung versage. Der Ausschuss bejahte eine Ungleichbehandlung, die auf dem „verdächtigen“ Differenzierungsgrund der Religion beruhte und eine Diskriminierung im Sinne von Art. 26 IPbpR darstellte. In seiner Begründung stützte sich der Ausschuss ausdrücklich auf die Pflicht zur Gewährung einer diskriminierungsfreien Teilhabe an staatlichen Leistungen: “In this context, the Committee observes that the Covenant does not oblige States 1033
MRA, 22.07.1996, Nr. 608/1995, Franz Nahlik, UN Doc. CCPR/C/57/ D/608/1995, § 8.2 [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.]. Die Ausschuss hielt die Beschwerde allerdings mangels hinreichender Substantiierung der Willkürlichkeit der Differenzierung für unzulässig, a.a.O., § 8.4. 1034
So Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, par. 57 unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte. 1035
Vgl. Nowak (Fn. 112), Art. 26 IPbpR, par. 59; Joseph/Schultz/Castan (Fn. 184), p. 734; Vandenhole (Fn. 179), p. 214. 1036
MRA,03.11.1999, Nr. 694/1996, Waldman, UN Doc. CCPR/C/67/D/694 /1996.
312
3. Teil
parties to fund schools which are established on a religious basis. However, if a State party chooses to provide public funding to religious schools, it should make this funding available without discrimination.”1037 Dieser Argumentation liegt das sog. „Wenn-dann-Schema“ zugrunde, dessen sich auch der EGMR bedient: Wenn der Staat ein von dem Zivilpakt an sich nicht verlangtes Recht gewährt, so muss er dies in einer nicht-diskriminierenden Art und Weise tun.1038 Auch in anderen Abkommen zum universellen Menschenrechtschutz finden sich gleichheitsrechtliche Gewährleistungspflichten: So lässt sich die Schutzpflicht vor privater Diskriminierung im Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1966, CERD)1039 aufzeigen. Die Schutzpflicht wird in der Rassendiskriminierungskonvention an mehreren Stellen erwähnt, insbesondere in Art. 2 Abs. 1 lit. d), Art. 5 lit. b) und lit. f) CERD.1040 Wel-
1037
MRA,03.11.1999, Nr. 694/1996, Waldman, UN Doc. CCPR/C/67/D/694 /1996, § 10.6. Vgl. auch MRA, 03.04.1989, 196/1985, Ibrahima Gueye et al., UN Doc. CCPR/C/35/D/196/1985, § 9.4 (Pensionsansprüche); MRA, 23.07.1996, 566/ 1993, Ivan Somers, UN Doc. CCPR/C/57/D/566/1993, HRLJ 1996, p. 412, § 9.6 (Recht auf Enteignungsentschädigung). 1038
Zum sog. „Wenn-dann-Schema“ im Kontext der EMRK vgl. unten S. 364.
1039
International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination (CERD), 21.12.1965, Preamble, G.A. Res. 2106 (XX), Annex, 20 U.N. GAOR Supp. (No. 14) at 47, UN Doc. A/6014 (1966), 660 U.N.T.S. 195; BGBl. 1969 II, S. 962. 1040
“Art. 2 Abs. 1 lit. d) CERD: States Parties condemn racial discrimination and undertake to pursue by all appropriate means and without delay a policy of eliminating racial discrimination in all its forms and promoting understanding among all races, and, to this end: (...) each State Party shall prohibit and bring to an end, by all appropriate means, including legislation as required by circumstances, racial discrimination by any persons, group or organization (...). Art. 5 CERD: In compliance with the fundamental obligations laid down in Article 2 of this Convention, States Parties undertake to prohibit and to eliminate racial discrimination in all its forms and to guarantee the right to everyone, without distinction as to race, colour, or national or ethnic origin, to equality before the law; notably in the enjoyment of the following rights: (...). (b) the right to security of person and protection by the State against violence or bodily harm, whether inflicted by government officials or by any individual, group or institution, (...) (f) the right of access to any place or service intended for use by the general public, such as transport, hotels, restaurants, cafés, theatres and parks.”
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
313
chen Umfang diese Schutzpflicht hat, insbesondere, ob von den Vertragsparteien die Schaffung eines Antidiskriminierungsgesetzes gegen rassistische Diskriminierung durch Private verlangt ist, wird in der Literatur streitig diskutiert.1041 Eine Schutzpflicht vor Diskriminierung durch Private enthält auch das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1979, CEDAW)1042 in Art. 2 lit. e) CEDAW.1043 Ebenso enthalten die UN-Kinderrechtskonvention (CRC, 1989)1044 sowie das Übereinkommen über die Rechte behinderter MenVgl. auch UN-Ausschuss zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, 10.08.1988, Nr. 1/1984, Yilmaz-Dogan, UN Doc. CERD/C/36/D/1/ 1984; zu diesem Fall vgl. Bayefsky (Fn. 172), p. 32 f. Zur Schutzpflicht vor privater Diskriminierung unter der Rassendiskriminierungskonvention vgl. allgem.: Brun-Otto Bryde, Die Tätigkeit des Ausschusses gegen jede Form der Rassendiskriminierung (CERD), in: Eckart Klein (Hrsg.), Rassische Diskriminierung – Erscheinungsformen und Bekämpfungsmöglichkeiten, Berlin 2002, S. 61, 65 f.; Michaela Fries, Die Bedeutung von Artikel 5 (f) der Rassendiskriminierungskonvention im deutschen Recht, Berlin [u.a.] 2003; Theodor Meron, The Meaning and Reach of the International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination, AJIL 79 (1985), p. 283, pp. 291-295; Vandenhole (Fn. 179), p. 228 ff.; Rüdiger Wolfrum, Das Verbot der Rassendiskriminierung im Spannungsfeld zwischen dem Schutz individueller Freiheitsrechte und der Verpflichtung des einzelnen im Allgemeininteresse, in: Erhard Denninger (Hrsg.), Kritik und Vertrauen, Festschrift für Peter Schneider, Frankfurt am Main 1990, S. 515 ff. 1041
Vgl. dazu Fries (Fn. 1040), S. 33 ff.; Rainer Nickel, Gleichheit und Differenz in der vielfältigen Republik, Plädoyer für ein erweitertes Antidiskriminierungsrecht, Baden-Baden 1999, S. 107; Waldmann (Fn. 141), S. 394, 409 m.w.N. 1042
Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women (CEDAW), 18.12.1979, Preamble, 19 G.A. Res. 34/180, 34th Sess, Supp No 46, UN Doc A/RES/34/46 (1980), UNTS Vol. 1249, S. 13; BGBl. 1985 II, S. 648. 1043
“Art. 2 lit. e) CEDAW: States Parties condemn discrimination against women in all its forms, agree to pursue by all appropriate means and without delay a policy of eliminating discrimination against women and, to this end, undertake: (...) (e) To take all appropriate measures to eliminate discrimination against women by any person, organization or enterprise; (...).” Zur gleichheitsrechtlichen Schutzpflicht unter CEDAW vgl. ausführlich Vandenhole (Fn. 179), p. 246 ff. 1044
Convention on the Rights of the Child (CRC), 20.11.1989, 1577 U.N.T.S. 3; BGBl. 1992 II S. 121. Dazu s. Bruce Abramson, Art. 2: The Right of NonDiscrimination, Leiden [et al.] 2008.
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3. Teil
schen (CRPD, 2006)1045 Schutzpflichten des Staates gegen Diskriminierungen durch Private.1046
d) Struktur des Verbots der passiven Diskriminierung unter der EMRK Der einheitliche Diskriminierungstatbestand1047 unter der EMRK lässt sich folgendermaßen umformen, um die Fälle der passiven Diskriminierung zu erfassen: (1) Nichtbehandlung einer Person (2) trotz Gewährleistungspflicht gerichtet auf Schutz, Teilhabe oder Untersuchung, (3) wobei die betroffene Person durch einen „verdächtigen“ Differenzierungsgrund identifiziert wird, (4) die Nichtbehandlung zu einem Nachteil für die Person führt (5) und nicht gerechtfertigt1048 ist. Ein „Diskriminieren durch Unterlassen“ meint hier ausdrücklich nur die „Nichtbehandlung“ und bezieht nicht etwa auch die „Diskriminierung durch Gleichbehandlung“ mit ein, denn bei der letzteren liegt
1045 International Convention on the Protection and Promotion of the Rights and Dignity of Persons with Disabilities (CRPD), 13.12.2006, G.A. Res. 61/106, Annex I, U.N. GAOR, 61st Sess., Supp. No. 49, at 65, UN Doc. A/61/49 (2006). Die Bundesrepublik Deutschland hat das Übereinkommen am 30.03. 2007 unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert (Stand: Januar 2009). 1046
Zu Schutzpflichten gegen Diskriminierung durch Private unter der UNKinderrechtskonvention vgl. Art. 2 CRC; dazu auch Samantha Besson, The Principle of Non-Discrimination in the Convention on the Rights of the Child, IJCR 13 (2005), p. 433, 450, 454; Vandenhole (Fn. 179), p. 275. Zu den gleichheitsrechtlichen Schutzpflichten unter der UN-Behindertenkonvention vgl. Art. 4 Abs. 1 lit. e); Art. 27 Abs. 1 lit. b), Art. 28 CRPD; dazu Stefanie Schmahl, Menschen mit Behinderungen im Spiegel des internationalen Menschenrechtsschutzes: Überlegungen zur neuen UN-Behindertenkonvention, AVR 45 (2007), S. 517 ff.; Rosemary Kayess/Phillip French, Out of Darkness into Light? Introducing the Convention on the Rights of Persons with Disabilities, HRLR 8 (2008), p. 1 ff. 1047
Zum einheitlichen Diskriminierungstatbestand unter der EMRK s. S. 124
ff. 1048
Problematisch ist, ob eine prima facie-Verletzung der gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht gerechtfertigt werden kann, vgl. dazu unten S. 379.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
315
schon definitionsgemäß eine positives Tun seitens des Staates vor.1049 Im Einzelfall kann die Abgrenzung zwischen diskriminierendem, aktivem Tun und Unterlassen problematisch sein. Wie weiter unten dargestellt wird, ist dies vor allem bei einigen Schutzpflichtfällen und zum Teil bei der Teilhabegewährleistungspflicht zweifelhaft. So kann sich der Staat eine im Ursprung private Diskriminierung zu Eigen machen bzw. ermöglichen; dann liegt eine direkte Diskriminierung durch aktives Tun des Staates vor, die hier als „scheinbare Schutzpflichtkonstellation“ bezeichnet wird.1050 Bei der Teilhabegewährleistungspflicht kommt es darauf an, dass der Beschwerdeführer die Nichtbegünstigung (im Unterschied zu einer bloßen Schlechterstellung) rügt. Auch hier ist die Abgrenzung zur Rechtsfigur der direkten Diskriminierung bisweilen schwierig. Für die problematischen Konstellationen der Schutzpflichten und der Teilhabegewährleistung gilt, dass eine Abgrenzung zwischen den Rechtsfiguren der direkten Diskriminierung durch aktives Tun und jener der passiven Diskriminierung durch staatliches Unterlassen in erster Linie aufgrund der Perspektive des Beschwerdeführers zu bewerkstelligen ist: In der Regel wird eine direkte Diskriminierung anzunehmen sein, wenn die Beschwerde bereits durch die einfache Hinwegnahme des gerügten staatlichen Verhaltens beseitigt würde. Demgegenüber handelt es sich um passive Diskriminierung, wenn der Beschwerdeführer nicht in erster Linie die eigene Schlechterstellung im Vergleich zu anderen rügt, sondern es ihm primär um die Verbesserung der eigenen Position geht. In diesen Zweifelsfällen lässt sich die Abgrenzung zwischen staatlichem Tun oder Unterlassen weiterhin mittels des Kriteriums des überwiegenden „Energieeinsatzes“1051 bewerkstelligen, das – mit einer Modifikation – der strafrechtlichen Dogmatik entnommen werden kann: Liegt – in objektiver Betrachtung – der Schwerpunkt auf einer Beeinträchtigung durch den Staat, so kommt eher eine direkte Diskriminierung in Frage; liegt dagegen der Schwerpunkt auf einer 1049
A.A. wohl Arnardóttir (Fn. 599), pp. 101-105; p. 109, die auch die Diskriminierung durch Gleichbehandlung (claims for accommodation of differences) als – Verletzung der Pflicht zur Ungleichbehandlung – zu passiven Diskriminierung zählt. Diese Ansicht verkennt, dass im Fall der Diskriminierung durch Gleichbehandlung ein positives Tun seitens des Staates vorliegt. Es handelt sich dabei um eine Verletzung der (negativen) Respektierungspflicht, nicht um eine Gewährleistungspflicht. Zur Diskriminierung durch Gleichbehandlung s. oben S. 257 ff. 1050 1051
Vgl. zum Problem der „scheinbaren Schutzpflicht“ unten S. 349 ff.
Zum Kriterium des „Energieeinsatzes“ vgl. Harro Otto, Grundkurs Allgemeine Strafrechtslehre, 7. Aufl., Berlin 2004, § 9, S. 156 f., Rn. 2.
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3. Teil
Nichtberücksichtigung des Beschwerdeführers, so wird primär eine passive Diskriminierung zu prüfen sein. Daraus ergibt sich folgendes Bild für die Gewährleistungspflichten im Einzelnen: Im „Normalfall“ der passiven Diskriminierung rügt der Beschwerdeführer, dass die Vertragspartei geeignete Maßnahmen unterlassen hat, ihn vor einer Diskriminierung durch Dritte zu schützen (Schutzpflichtkonstellationen), dass ihm der Zugang zu bestimmten öffentlichen Gütern oder Leistungen in diskriminierender Weise verweigert wurde (Teilhabekonstellation) oder dass der Staat gebotene Aufklärungsmaßnahmen in einem behaupteten Diskriminierungsfall unterlassen hat (Untersuchungspflichtkonstellation). Dem Beschwerdeführer obliegt es, die vom Staat begehrte, von diesem aber unterlassene Handlung zu spezifizieren, die ihm gegenüber bestehende Gewährleistungspflicht im Einzelfall zu begründen und darzulegen, inwiefern er durch einen „verdächtigen“ Differenzierungsgrund identifiziert wird; gelingt ihm dies, ist es Sache der Vertragspartei, die Nicht- oder Schlechterfüllung der Gewährleistungspflicht zu rechtfertigen. Dabei ist zugunsten der Vertragspartei von einem Beurteilungsspielraum („margin of appreciation“) hinsichtlich des „Ob“ und des „Wie“ der eingeforderten Maßnahmen auszugehen.1052
3. Die drei Formen der passiven Diskriminierung im Einzelnen a) Die Pflicht zum Schutz vor Diskriminierungen durch Private (Schutzpflicht) aa) Möglichkeit gleichheitsrechtlicher Schutzpflichten unter der EMRK Unter welchen Bedingungen kann die erste Gewährleistungspflicht – die gleichheitsrechtliche Schutzpflicht – unter der EMRK bejaht werden? Kann überhaupt eine konventionsrechtliche Verpflichtung konstruiert werden, nach welcher der Staat verpflichtet ist, vor Diskriminierungen durch Private zu schützen? Nach der herrschenden Dogmatik setzt eine staatliche Schutzpflicht „denklogisch“ voraus, dass das abzuwehrende, private Verhalten eine
1052
Krieger weist zu Recht darauf hin, dass der Beurteilungsspielraum im Rahmen der EMRK sich sowohl auf die Tatbestandsseite (hier das „Ob“ einer Gewährleistungspflicht) und auf die Rechtsfolgenseite (hier das „Wie“ der Erfüllung der Gewährleistungspflicht) bezieht, vgl. Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Fn. 267.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
317
Beeinträchtigung des Grundrechts, hier also des konventionsrechtlichen Gleichheitsrechts, darstellen kann und nicht etwa unter eine schlechthin erlaubte, gleichsam „grundrechtsfreie“ Tätigkeit fällt.1053 In dogmatischer Hinsicht führt diese Erwägung dazu, dass die gleichheitsrechtliche Schutzpflicht nur dann angenommen werden kann, wenn die konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbote jedenfalls in „programmatischer Hinsicht“ (Brun-Otto Bryde) „Drittwirkung“ entfalten können.1054 Nur wenn das konventionsrechtliche Gleichheitsrecht überhaupt einer „Drittwirkung“ – d.h. einer unmittelbaren oder mittelbaren Bindung Privater an die Konventionsrechte – zugänglich ist, kann nach dieser zutreffenden Ansicht eine Schutzpflicht gegen Diskriminierungen durch Private konstruiert werden.1055 Dies hängt mit einer einfachen Erwägung zusammen: Der Staat kann nicht verpflichtet sein, Private vor einem an sich erlaubten Verhalten durch Eingriff in die Rechte anderer Privater zu schützen, denn damit würde dem schutzsuchenden Privaten ein Recht zuwachsen, das er vordem nicht innehatte. Das wäre mit dem Zweck der Schutzpflicht nicht zu vereinbaren: Die Schutzpflichtkonstellation gewährt dem Privaten einen Anspruch auf staatlichen Schutz da, wo die Ausübung bestehender Rechte durch andere Privatrechtssubjekte gefährdet wird; die Schutzpflichten dienen aber nicht zur Gewährung von neuen Rechten.1056 In diesem Sinne setzt die Begründung einer Schutzpflicht die Möglichkeit der Drittwirkung voraus.
1053
Vgl. Gabriele Britz, Diskriminierungsschutz und Privatautonomie, VVDStRL 64 (2005), S. 355, 363 f. m.w.N.; ähnlich auch Cordula Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der Europäischen Menschenrechtskonvention, Heidelberg 2003, S. 11: „Sie [die Schutzpflichtfunktion, Verf.] betrifft gewissermaßen die Kehrseite der sogenannten Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht.“ 1054
Vgl. Britz (Fn. 1053), S. 363. Zur programmatischen Dimension der Grundrechte s. Brun-Otto Bryde, Programmatik und Normativität der Grundrechte, in: Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. I, Heidelberg 2004, S. 679 ff. 1055
So die h.M., vgl. Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 73 (dort auch zum abw. Verständnis des Drittwirkungsbegriffs). 1056 Dröge (Fn. 1053), S. 1. Vgl. schon Eckart Klein, Grundrechtliche Schutzpflicht des Staates, NJW 42 (1989), S. 1633, 1639: „Den Schutzrechten kommt wie den Abwehrrechten rechtsstaatliche Gewährleistungsfunktion im Sinne eines Schutzes vor Rechtsverletzung und im Sinne einer Sicherung des vorhandenen Rechtsbestandes zu.“
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3. Teil
Ebenso richtig ist es aber auch, dass die Drittwirkung in der EMRK in der Schutzpflichtdogmatik „aufgeht“1057, d.h. es kommt ihr unter der Konvention eine bloß rechtslogische, aber keine rechtspraktische Bedeutung zu. Die Pflichten, die Gegenstand einer Drittwirkung wären, z.B. die Pflicht, den anderen nicht körperlich zu verletzen, werden in demokratischen Verfassungsstaaten durch die einfachen Gesetze (z.B. die Strafgesetze) „mediatisiert“ und letztlich durch Gerichte dauerhaft gesichert.1058 Der Staat kommt durch einen in den einfachgesetzlichen Regelungen vorgenommenen Interessenausgleich zwischen Privaten seiner diesen gegenüber bestehenden Schutzpflichten nach; einer zusätzlichen Drittwirkung der Konventionsrechte bedarf es daher nicht.1059 Mit anderen Worten ist aus der möglichen Drittwirkung von Konventionsrechten selbst keine zusätzliche Rechtsfolge abzuleiten.1060 Überträgt man diese Überlegungen auf das konventionsrechtliche Gleichheitsrecht, bedeutet dies: Nur wenn die Möglichkeit besteht, dass Diskriminierungen durch Private eine Beeinträchtigung des Art. 14 bzw. Art. 1 ZP 12 EMRK darstellen können, ist eine gleichheitsrechtliche Schutzpflicht unter der EMRK denkbar. Auf dieser grundsätzlichen Ebene, d.h. vor aller Differenzierung im Einzelnen, lassen sich zwei Ansichten vertreten. Nach einer ersten Ansicht ist eine „programmatische“ Drittwirkung der Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK nicht auszuschließen und damit die Bedingung der Möglichkeit einer gleichheitsrechtlichen Schutzpflicht unter der EMRK erfüllt. Nach der zweiten Meinung kommt eine Drittwirkung des konventionsrechtlichen Gleichheitsrechts von vornherein nicht in Betracht. Private Diskriminierung stelle keine Beeinträchtigung der Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK dar. Die Argumentation dieser Ansicht ist genauer zu betrachten, wenn man den Streit entscheiden will. Die ablehnende Ansicht kann sich zunächst auf den Wortlaut der genannten Vorschriften stützen: In beiden Vorschriften sei von einer Pflicht zur Gewährleis-
1057
So überzeugend Grabenwarter (Fn. 208), § 19 IV 3, S. 131, Rn. 15 m.w.N.
1058
Vgl. Josef Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: ders./Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, Heidelberg 1992 (2. Aufl. 2000), § 111, S. 143, 147, Rn. 5. 1059
So auch Grabenwarter (Fn. 208), § 19 IV 3, S. 131, Rn. 15 m.w.N.; vgl. für das deutsche Verfassungsrecht auch Hesse (Fn. 148), § 11 II 2, S. 159, Rn. 355. 1060
Vgl. Peter Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten, Berlin 2002, S. 906 ff.; Grabenwarter (Fn. 208), § 19 IV 3, S. 131, Rn. 15.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
319
tung von Diskriminierungsfreiheit („shall be secured without discrimination“) die Rede, bei der es sich – in systematischer Auslegung – nur um eine staatliche, nicht aber eine drittgerichtete Pflicht handeln könne. Die EMRK stelle also, wie diese ablehnende Meinung vorbringen könnte, Verpflichtungen nur für die Vertragstaaten, nicht aber für Private auf. Dieses erste Wortlautargument ist allerdings bei näherer Betrachtung nicht besonders stark, da die Diskriminierungsverbote selbst keine Begrenzung hinsichtlich der Quellen oder des Ursprungs der Diskriminierung vornehmen. Da auch der Begriff der Diskriminierung in der Konvention nicht definiert wird, treffen die fraglichen Normen selbst keine Eingrenzung bezüglich der Sphäre, aus denen das angegriffene Verhalten stammt. Der Wortlaut der gleichheitsrechtlichen Vorschriften schließt jedenfalls nicht aus, dass dem Staat auch eine Gewährleistungspflicht zukommt, den Einzelnen vor Beeinträchtigungen durch private Diskriminierungen zu schützen. Ein weiteres Wortlautargument, das die ablehnende Ansicht vortragen könnte, stützt sich auf die Akzessorietät des Art. 14 EMRK. Doch aus dem Akzessorietätserfordernis, der Schwäche des bisherigen gleichheitsrechtlichen Fundaments der EMRK, die Unmöglichkeit privater Beeinträchtigung dieser Rechte abzuleiten1061, ist ebenfalls nicht schlüssig: Zum einen sind auch im Bereich der substantiellen Konventionsfreiheiten und -gewährleistungen sehr wohl Diskriminierungen durch Private denkbar (z.B. den auf diskriminierenden Gründen verweigerten Zutritt zu einem privaten Verein im Rahmen des Art. 11 EMRK), zum anderen ist diese Ansicht nunmehr mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 1 ZP 12 EMRK, das keine Akzessorietät mehr vorsieht, überholt.1062 Entscheidend für den Ausgang des Streits ist die Bewertung des zum Kern des Problems einer gleichheitsrechtlichen Drittwirkung führenden Arguments „Bürgerliche Freiheit ist auch die Freiheit zu willkürlicher Ungleichbehandlung“ (Dietrich Murswiek).1063 Das konventionsrechtliche Gleichheitsrecht, so ließe sich die eine Drittwirkung ablehnende Ansicht auch formulieren, könne deswegen nicht durch Diskri1061
Vgl. Katja Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzungen durch Private, Berlin 1999, S. 27 f. 1062 1063
So auch Dröge (Fn. 1053), S. 42.
Dietrich Murswiek, Die Pflicht des Staates zum Schutz vor Eingriffen Dritter nach der Europäischen Menschenrechtskonvention, in: Hans-Joachim Konrad (Hrsg.), Grundrechtsschutz und Verwaltungsverfahren/Internationaler Menschenrechtsschutz, Berlin 1985, S. 213, 234.
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3. Teil
minierungen Privater beeinträchtigt werden, weil es im rechtmäßigen Belieben der Privatrechtssubjekte stehe, im Verkehr miteinander Differenzierungen jeder Art einzuführen.1064 Im Lichte dieser Auffassung müsste man in Bezug auf private Diskriminierungen gleichsam von einem „Rest-Naturzustand“ sprechen, den auch die Gerichte durch ihre Wertungen, der EGMR zumal, nicht überspielen dürften. Mangels Drittwirkung des Gleichheitsrechts käme dann auch eine staatliche Schutzpflicht vor privaten Diskriminierungen von vornherein nicht in Betracht. In Anlehnung an eine Einteilung von Gabriele Britz kann dieses Argument der entgegenstehenden Autonomie konkretisiert werden durch folgende drei Einwände grundsätzlicher Art gegen eine Drittwirkung 1064
Vgl. Franz Bydlinsky, Zu den Grundfragen des Kontrahierungszwanges, AcP 180 (1980), S. 1, 33; vgl. für das deutsche Verfassungsrecht auch Hesse (Fn. 148), § 11 II 2, S. 159 f., Rn. 356: „Zu beachten ist dabei, daß es den Grundrechten, auch soweit ihre Funktion als objektive Prinzipien der Gesamtordnung in Frage steht, stets nur um die Gewährleistung eines Mindeststandards individueller Freiheit geht, nicht um die generelle Reduzierung von Freiheit auf diesen Mindeststandard. Wo deshalb das Privatrecht mehr Freiheit läßt als die Grundrechte, darf diese Freiheit nicht durch eine Bindung an die Grundrechte beschränkt werden. Grundrechte stehen insbesondere Verpflichtungen nicht entgegen, die gegenüber Privaten in freier Entscheidung eingegangen werden, weil zur personellen Freiheit auch die Möglichkeit gehört, sich auf der Grundlage eigener Entschließung zu binden. So sind zum Beispiel Verträge zwischen Privaten, durch welche die Meinungsfreiheit des einen Teils beschränkt wird, zulässig, kann ein Arbeitgeber trotz Art. 3 Abs. 3 GG einen Arbeitnehmer wegen seiner Konfession oder politischen Anschauungen eistellen und aus dem gleichen Grund einen anderen Bewerber zurückweisen oder kann der Erblasser trotz Art. 3 Abs. 2 GG nur seine Söhne oder nur seine Töchter zu Erben einsetzen. Die Gerichte haben dem im Streitfalle Rechnung zu tragen“ [Hervorhebungen im Original, Verf.]. Vgl. zur Situation unter dem GG auch Michael Sachs, Diskriminierungsverbote im Spannungsfeld zu Freiheitsrechten, in: Eckart Klein/Christoph Menke (Hrsg.), Universalität, Schutzmechanismen, Diskriminierungsverbote, Berlin 2008, S. 325, 348: „Der in seiner Verhaltensfreiheit grundrechtlich geschützte Mitbürger hat (...) grundsätzlich das Recht zur Beliebigkeit, zur Willkür; er ist prinzipiell nicht zu rationalem Handeln, zur Verfolgung nur legitimer Ziele, zum Einsatz verhältnismäßiger Mittel verpflichtet, und ebenso wenig dazu, die Unterscheidungen, die er macht, mit sachlichen Gründen aus den Verschiedenheiten der Situation zu rechtfertigen. In einem von dieser Freiheit geprägten Verfassungssystem kann es keine umfassende Pflicht zur Gleichbehandlung geben, wie sie den Staat trifft, kann das gegenüber dem Mitbürger zu schützende Gleichheitsanliegen nicht so weit reichen wie gegenüber dem Staat.“
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
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des Gleichheitsrechts: das Privatautonomie-Argument (1), das Argument der Privatheit von Rechtsbeziehungen unter Privaten (2) und der Schutz vor „ökonomischer Inpflichtnahme“ zugunsten kollektiver Zwecke (3).1065 Bei diesen drei Einwänden handelt es sich um die gängigerweise vorgetragenen Vorbehalte gegen eine Drittwirkung der Gleichheitsrechte unabhängig von der Rechtsebene. Nachfolgend sollen die Einwände auf ihre Stichhaltigkeit im Kontext der EMRK überprüft werden. (1) Der erste Einwand betrifft die Beobachtung, dass eine Drittwirkung des Gleichheitsrechts die Privatautonomie unbestreitbar berührt. Grundsätzlich kann die EMRK privatrechtliche Vertragsbeziehungen auf drei Weisen beeinflussen: zum einen, indem die EMRK nationale Zivilrechtsgesetzgebung überlagert (etwa indem der Verstoß nationaler Zivilgesetzgebung gegen Konventionsrecht festgestellt wird), zweitens durch die hier interessierenden Schutzpflichten gegenüber dem Handeln Privater und schließlich durch die Überprüfung nationaler Gerichtsentscheidungen in Privatrechtsstreitigkeiten durch den EGMR.1066 In all diesen Fällen kommt es zu einer mehr oder minder starken Einwirkung der EMRK in Privatrechtsbeziehungen und damit zu einer potentiellen Beeinträchtigung der Privatautonomie. Festzuhalten ist zunächst, dass die EMRK die Privatautonomie als solche nicht schützt.1067 Unter der EMRK fehlt es insbesondere an einer die Vertragsfreiheit umfassend sichernden Vorschrift, wie die der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG.1068 Die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung des Einzelnen ist nur in Teilbereichen geschützt, etwa im Rahmen einer weiten Auslegung des Art. 1 ZP 1 (Eigentum), Art. 6 EMRK (Schutz ziviler Rechte durch Verfahren) und möglicherweise auch Art. 8 EMRK (Schutz des Privatlebens).1069 Der Einwand der Privatautonomie gegen eine Drittwirkung des Gleichheitsrechts erscheint daher im Kontext der EMRK von vornherein 1065
Vgl. Britz (Fn. 1053), S. 365 ff. m.w.N.
1066
Zu dieser Einteilung s. Olha Cherednychenko, Towards the Control of Private Acts by the European Court of Human Rights? MJ 13 (2006), p. 195, pp. 197-198. 1067
Richter (Fn. 509), Kap. 9, Rn. 44.
1068
Zum Schutz der Vertragsfreiheit unter dem GG vgl. Dietrich Murswiek, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 5. Aufl., München 2009, Art. 2 GG, Rn. 54 f. m.w.N. 1069
Ähnl. auch Richter (Fn. 509), Kap. 9, Rn. 44.
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3. Teil
schwächer als etwa unter dem GG. Der lückenhafte Grundrechtsschutz wirtschaftlicher Betätigung ist ein systemisches Defizit der EMRK, das letztlich nur durch die Vertragsparteien im Wege einer Vertragsergänzung gelöst werden könnte. Selbst wenn man jedoch einen umfassenden Schutz der Privatautonomie und der allgemeinen wirtschaftlichen Betätigung des Einzelnen unter der EMRK etablierte, wäre dies dennoch kein durchgreifender Einwand gegen eine Drittwirkung der konventionsrechtlichen Gleichheitsrechte. Eine solche Freiheit wäre nie absolut gewährleistet, sondern fände ihre Grenzen in den Rechten Dritter, so dass im Ergebnis in Kollisionsfällen vom Gerichtshof eine Abwägung zwischen der Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung und dem Nichtdiskriminierungsrecht stattzufinden hätte. (2) Der (zweite) Einwand der Privatheit von Rechtsbeziehungen unter Privaten besteht im Kern darin, dass privatautonomes Handeln in seiner Gesamtheit aus dem Diskriminierungsschutz herauszunehmen sei: Es gelte der Vorrang des subjektiv Gewollten vor einer objektiv verordneten Moralvorstellung.1070 Der Privatheitseinwand ließe sich im Kontext der Konvention auf Art. 8 EMRK, den Schutz des Privatlebens, stützen. Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung anerkannt, dass Art. 8 EMRK auch das Recht auf eine freie Gestaltung der Lebensführung, eine Art „Recht auf Selbstverwirklichung“ umfasse.1071 Unter dieses „Recht auf Selbstverwirklichung“ ließe sich auch ein „Recht zur Diskriminierung“ subsumieren, wenn damit ein Ausdruck der eigenen Persönlichkeitsentfaltung verbunden ist. Eine Drittwirkung würde dieses Recht auf freie Gestaltung der Lebensführung unter Umständen beschneiden, indem beispielsweise diskriminierende Ungleichbehandlungen bei der Auswahl des Erben bzw. die staatliche Reaktion auf dieses private Verhalten vom konventionsrechtlichen Gleichheitsrecht erfasst und kontrollierbar gemacht werden. Dennoch ist der Privatheitseinwand so nicht haltbar. Die Privatheit einer Handlung, verstanden als eine privatrechtsgebundene Handlung, kann als solche nicht darüber entscheiden, ob der konventionsrechtliche Diskriminierungsschutz greift oder nicht: Zum einen ist eine Grenzziehung zwischen öffentlichem und privatem Handeln (und damit zwi1070 1071
Vgl. Britz (Fn. 1053), S. 371.
Grabenwarter (Fn. 208), § 22 I 3 a) cc), S. 202 ff., Rn. 12; Thilo Marauhn/Konstantin Meljnik, Privat- und Familienleben, in: Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, Tübingen 2006, Kap. 16, Rn. 37 (die von einem „Recht auf Selbstverwirklichung“ sprechen).
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
323
schen negativen und positiven Pflichten) auch unter der EMRK oft höchst problematisch.1072 Eine generelle, gleichsam tatbestandliche Ausnahme für Diskriminierungen durch privates Handeln ließe sich somit kaum durchführen und stellte zudem einen Anreiz zur „Flucht ins Privatrecht“ dar. Gewichtiger ist allerdings die Überlegung, dass der Schutz des Privatlebens und der anderen gegebenenfalls von einem Diskriminierungsverbot betroffenen Freiheitsausübungen unter der EMRK (z.B. die Vereinigungsfreiheit, Art. 11 EMRK) keineswegs absolut gewährleistet sind, sondern stets Einschränkungen im öffentlichen Interesse oder aufgrund von Rechten anderer Privater zulassen (vgl. jeweils den Absatz 2 der Art. 8–11 EMRK). Wie die Grenzziehung zwischen den Freiheitsrechtsrechten des einen und dem Gleichheitsrecht des anderen Privaten zu verlaufen hat, gibt die EMRK nicht ein für allemal vor, sondern dies ist im Grundsatz Gegenstand eines demokratischen Konkretisierungsprozesses, der auf nationaler und zunehmend auch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene erfolgt.1073 Bei dieser Konkretisierung handelt es sich näherhin um die Koordination von Handlungsfreiheit in Gleichordnungsverhältnissen. Immanuel Kant hat diese Koordinierungsleistung als die Aufgabe des Rechts schlechthin angesehen: „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür [die Handlungsfreiheit, Verf.] des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“1074 Die Aufgabe des EGMR ist es dann, diese nationalen Konkretisierungen anhand des konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrechts zu überprüfen. Die in solchen Fällen notwendige Abwägung kann zugunsten oder zulasten des Gleichheitsinteresses ausfallen. Keinesfalls aber kann unter der EMRK ein absolutes Recht auf Diskriminierung durch Private mit dem Privatheitseinwand begründet werden. (3) Eine dritte Konkretisierung des Autonomiearguments besagt, dass die Drittwirkung des Diskriminierungsverbots zu einer Verhinderung ökonomisch rationalen Verhaltens führe. Klassisches Beispiel ist der Arbeitgeber, der keine Arbeitnehmer über einem gewissen Lebensalter oder keine Menschen mit Behinderungen einstellt, weil er Produktivi1072 1073 1074
Vgl. nur Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 50 m.w.N. Ähnl. auch Britz (Fn. 1053), S. 372; vgl. Dröge (Fn. 1053), S. 42.
Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, Akademie-Textausgabe, hrsg. v. der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1968, S. 230 (= MdS); zum Zusammenhang des Kantischen Rechtsbegriffs mit dem Problem der staatlichen Schutzpflichten vgl. auch Alexy (Fn. 15), S. 410 f.
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3. Teil
tätseinbußen befürchtet.1075 Wenn die Drittwirkung und damit eine gleichheitsrechtliche Schutzpflicht von Konventions wegen zu bejahen wäre, so würde im Beispielsfall der Staat unter Umständen verpflichtet sein, Vorkehrungen gegen derartige Diskriminierungen zu treffen. Im Ergebnis führe dies dazu, so das Argument, dass einem Privaten (im Beispiel: dem Arbeitgeber) eine ökonomische Belastung zugunsten kollektiver Zwecke auferlegt würde. In der U.S.-amerikanischen Literatur wurden schon früh die ökonomischen Auswirkungen einer unmittelbaren Drittwirkung des Diskriminierungsverbots diskutiert; mittlerweile findet eine vergleichbare Diskussion auch im deutschen Schrifttum statt.1076 In der deutschen Literatur wird das Problem der staatlichen Diskriminierungsverbote als eines rechtfertigungsbedürftigen Eingriffs in die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG behandelt.1077 Als mögliche Rechtfertigungsgründe werden ein besonderer „Verantwortungszusammenhang“ des Inpflichtgenommenen sowie die Unvertretbarkeit der erforderlichen Leistung (im Beispielsfall der Unterzeichnung des Arbeitsvertrages) diskutiert.1078 Eine Übertragung dieses Ansatzes auf die EMRK ist problematisch, da die Konvention keinen eigenständigen, ausgebildeten Schutz der Berufsfreiheit kennt.1079 Auch hier macht sich wieder die Lückenhaftigkeit des Konventionsrechtsschutzes im Kontext wirtschaftlicher Betätigung des Einzelnen bemerkbar. Überlegungen dazu, wie der Einwand der ökonomischen Inpflichtnahme privater Dritter in gleichheitsrechtlichen Schutzpflichtfällen vom EGMR behandelt werden würde, können daher gegenwärtig nur Spekulation sein. Sicher ist jedoch, dass diese vor allem arbeitsrechtlichen Konflikte, die nunmehr verstärkt im Rahmen des Art. 1 ZP 12 EMRK auftreten werden, sich nur dann angemessen lösen lassen, wenn die konkurrierende Grundrechtsposition – in diesem Fall 1075
Vgl. Britz (Fn. 1053), S. 377.
1076
Vgl. dazu eingehend Gregor Thüsing, Gedanken zur Effizienz arbeitsrechtlicher Diskriminierungsverbote, RdA 56 (2003), S. 257 ff. m.w.N. 1077 1078 1079
Vgl. Britz (Fn. 1053), S. 381 ff. Vgl. Britz (Fn. 1053), S. 382.
Vgl. Richter (Fn. 509), Kap. 9, Rn. 41; allerdings sind einige Elemente der Berufsfreiheit durch richterliche Rechtsfortbildung in den Schutzbereich des Art. 8 EMRK aufgenommen worden, wie z.B. die Möglichkeit zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, vgl. dazu Grabenwarter (Fn. 208), § 22 I 3 a) cc), S. 203, Rn. 14. Ebenso enthält Art. 1 ZP 1 EMRK (Eigentumsgarantie) Elemente der Berufsfreiheit: Schutz der „materiell geronnenen Berufsfreiheit als etwas Erworbenes“, vgl. dazu Cremer (Fn. 510), Kap. 22, Rn. 48.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
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die Berufsfreiheit des Arbeitgebers – einen ausreichenden konventionsrechtlichen Schutz erhält. Dann würde dem Einwand der sozialen Inpflichtnahme die Selbständigkeit genommen werden können, und eine konventionsgerechte Abwägung wäre möglich: Die Kostenlast würde dann im Rahmen dieser Abwägung der beteiligten Grundrechtspositionen zu berücksichtigen sein.1080 Im Ergebnis greifen alle drei Konkretisierungen des Autonomiearguments gegen eine Drittwirkung des konventionsrechtlichen Gleichheitsrechts nicht durch. Nach der hier für richtig gehaltenen Ansicht ist damit die Annahme einer staatlichen Schutzpflicht vor privater Diskriminierung von Konventions wegen grundsätzlich möglich.
bb) Begründung gleichheitsrechtlicher Schutzpflichten unter der EMRK Im Bereich der konventionsrechtlichen Freiheitsrechte bedient sich der EGMR zur Begründung oder Herleitung einer konventionsrechtlichen Schutzpflicht einer Reihe wiederkehrender Argumente: Er beruft sich auf den Inhalt des jeweiligen Menschenrechts, die allgemeine Verpflichtungsklausel des Art. 1 EMRK, den Wortlaut des jeweiligen Menschenrechts („to respect“), die Figur der dynamisch-evolutiven Auslegung (insbesondere den Gedanken der Effektivität und Praxiswirksamkeit der Konventionsrechte) und schließlich den Charakter der EMRK als einer „objektiven Wertordnung“.1081 Dabei will der EGMR jedoch ausdrücklich keine Theorie über staatliche Schutzpflichten aufstellen, sondern entscheidet auf einer Einzelfallbasis.1082 Der EGMR hat in den wenigen Fällen, in denen eine „echte“ gleichheitsrechtliche Schutzpflichtkonstellation einschlägig war, zur Herleitung dieser Pflicht nicht ausdrücklich Stellung bezogen. Dies liegt – wie unten ausführlich dargestellt wird – auch daran, dass der Gerichtshof es in diesen Fällen versäumt hat, diese (explizit) als Schutzpflichtfälle zu behandeln. Statt dessen bedient sich der Gerichtshof – wie noch näher darzulegen ist – einer Ausweichfigur, der hier sog. „scheinbaren Schutzpflicht“, mittels derer man zu einer staatlichen Verursachung der Dis-
1080 1081 1082
Vgl. Britz (Fn. 1053), S. 383. Vgl. Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 28 ff.
Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 24 unter Verweis auf EGMR, 21.06.1998, Plattform „Ärzte für das Leben“, Serie A 139 = EuGRZ 1989, S. 522, § 31.
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3. Teil
kriminierung, in der Regel also einer direkten Diskriminierung, gelangt.1083 In der Literatur finden sich bislang nur vereinzelt Überlegungen zur Herleitung einer gleichheitsrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK. Die Literatur greift zur Begründung von Schutzpflichten in erster Linie auf ein Wortlautargument zurück: Die Rechtsfigur der passiven Diskriminierung finde ihre normative Grundlage im Wortlaut der Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK, die übereinstimmend von der diskriminierungsfreien „Gewährleistung“ („shall be secured“) der Konventionsrechte sprechen.1084 Der Wortlaut deutet an, dass die Vertragsparteien ihrer konventionsrechtlichen Verpflichtung nicht schon durch bloßes Unterlassen von Diskriminierung nachkommen, sondern dass unter Umständen ein aktives Eintreten für den Schutz von Diskriminierung durch private Dritte erforderlich ist. Ein weiterer textueller Hinweis darauf, dass die EMRK jedenfalls positiven Maßnahmen zugunsten der Herstellung von Diskriminierungsfreiheit nicht entgegensteht, enthält auch die Formulierung der Präambel des ZP 12, in der es heißt: “Reaffirming that the principle of non-discrimination does not prevent States Parties from taking measures in order to promote full and effective equality (...).”1085 Von einer dogmatisch ausgereiften Konzeption zur Begründung gleichheitsrechtlicher Schutzpflichten unter der EMRK kann allerdings noch nicht gesprochen werden.
1083 Zur „scheinbaren Schutzpflichtkonstellation“ vgl. ausführlich unten S. 349 ff. 1084
Vgl. nur Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 84; Harris/O’Boyle/ Warbrick (Fn. 930), p. 483; vgl. auch Arnardóttir (Fn. 599), p. 96 f. Für Art. 3 Abs. 3 GG schlägt Claus Dieter Classen eine andere Begründung der Begründung der Schutzpflicht vor: Da es sich bei dem Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 GG nicht bloß um den Gleichheitssatz in anderem Gewand handele und wegen dessen Nähe zu Art. 1 GG, sei eine Einwirkung auf private Rechtsbeziehungen mit der Folge der Ableitung von Schutzpflichten anzunehmen (Claus Dieter Classen, Freiheit und Gleichheit im öffentlichen und im privaten Recht – Unterschiede zwischen europäischem und deutschem Grundrechtsschutz?, EuR 2008, S. 627, 641 f.). 1085
ZP 12 EMRK, 04.11.2000, Präambel, ETS Nr. 177.
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cc) Inhalt gleichheitsrechtlicher Schutzpflichten aaa) Einteilung gleichheitsrechtlicher Schutzpflichten Die gleichheitsrechtlichen Schutzpflichten lassen sich einteilen in Bezug auf das eine konventionsrechtliche Verantwortlichkeit auslösende staatliche Verhalten: 1) Nichtgewährleistung eines gleichheitsrechtlichen Mindestschutzniveaus (Lücken im Gleichheitsrechtsschutz), 2) Unangemessene Berücksichtigung gleichheitsrechtlicher Grundrechtspositionen in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen (Fehler in der gleichheitsrechtlichen Abwägung), 3) Förderung oder Ermöglichung privaten Verhaltens, das mit dem Wertgehalt des konventionsrechtlichen Gleichheitsrechts unvereinbar ist (hier sog. „scheinbare Schutzpflichtkonstellation“). Wenn man die oben gegebene Definition einer Schutzpflicht zugrunde legt, kann nur in den ersten beiden Fällen von einer „echten“ Schutzpflichtkonstellation die Rede sein.1086 Allein in diesen beiden Konstellationen geht die Beeinträchtigung des Gleichheitsinteresses unmittelbar kausal auf das Handeln eines Privaten zurück: Im ersten Fall der Nichtgewährleistung eines gleichheitsrechtlichen Mindestschutzniveaus handelt es sich dann um eine Schutzpflichtkonstellation, wenn der beeinträchtigende Anlassfall auf dem Handeln eines Privaten beruht. Dies lässt sich an folgendem Beispielsfall verdeutlichen: In einem Vertragstaat X gibt es keine gesetzlichen Vorschriften, die privaten Vereinen den Ausschluss von Vereinsmitgliedern aus diskriminierenden Gründen untersagen. Der Beschwerdeführer B wird von der Vereinsmitgliedschaft im Verein V ausgeschlossen, weil er Mitglied einer bestimmten religiösen Gruppierung ist. In dieser Situation ist eine Beeinträchtigung des B in seinen Rechten aus Art. 14 EMRK in Verbindung mit Art. 9 EMRK (Religionsfreiheit) zu prüfen, da der Staat es unterlassen hat, ein gleichheitsrechtliches Mindestschutzniveau zu gewährleisten.1087 Fehlen gleichheitsrechtliche Schutzvorschriften, ohne dass die Beeinträchtigung des individuellen Gleichheitsinteressens durch das Handeln eines Privaten vorliegt, so liegt keine Schutzpflichtkonstellation im hier verstandenen Sinne vor, sondern eine Unvollständigkeit der Rechtsordnung, die lediglich eine abstrakte Gefährdung für das Schutzgut des Gleichheitsinteresses begründet. Ein abstrakt-individueller Anspruch 1086 1087
Vgl. zur Definition der „Schutzpflichtkonstellation“ oben S. 308. Vgl. mutatis mutandis auch Schweizer (Fn. 437), Art. 14 EMRK, Rn. 27.
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3. Teil
auf Erlass gleichheitsrechtsschützender Normen kann gegenwärtig aber aus den konventionsrechtlichen Diskriminierungsverboten nicht abgeleitet werden. Die zweite Schutzpflichtkonstellation ist dadurch gekennzeichnet, dass zwar staatliche Schutzvorkehrungen gegen Beeinträchtigungen des Gleichheitsrechts existieren, die Rechtsprechung eine gleichheitsrechtliche Grundrechtsposition im Rahmen einer Abwägung mit konkurrierenden Grundrechtspositionen anderer (privater) Beteiligter aber unangemessen vernachlässigt. Diese Konstellation setzt ein mehrpoliges Grundrechtsverhältnis voraus.1088 Dies lässt sich darstellen anhand einer Abwandlung des obigen Beispielfalls: Im Vertragstaat X wird der Schutz gegen den diskriminierenden Ausschluss aus privaten Vereinen gesetzlich gewährleistet. Der Beschwerdeführer B wird wegen seiner Mitgliedschaft in einer religiösen Gruppierung von der Vereinsmitgliedschaft im Verein V ausgeschlossen. Im sich anschließenden Rechtsstreit zwischen B und V vor den nationalen Gerichten unterliegt B, weil die Gerichte das aus der Vereinigungsfreiheit folgende Recht auf freie Mitgliederauswahl höher gewichten als die Beeinträchtigung des B durch die Ungleichbehandlung. Hier handelt es sich um eine „echte“ Schutzpflichtkonstellation, da die Beeinträchtigung des Gleichheitsinteresses unmittelbar auf der Handlung eines Privaten, nämlich des Vereins V, beruht. Schwierigkeiten bestehen in der Abgrenzung dieser „echten“ Schutzpflichtkonstellation von einer dritten, hier sog. „scheinbaren“ Schutzpflichtkonstellation.1089 Auch in diesen Fällen liegt ursprünglich die Beeinträchtigung eines Gleichheitsinteresses durch einen Privaten vor. Diese Beeinträchtigung wird aber in den Fällen einer „scheinbaren“ Schutzpflichtkonstellation erst ermöglicht oder gefördert durch ein staatliches Dazwischentreten. Als Fall der „scheinbaren Schutzpflichtkonstellation“ abgewandelt, würde der Beispielsfall folgendermaßen zu formulieren sein: Der Beschwerdeführer B wird von der Vereinsmitgliedschaft im Verein V ausgeschlossen, weil er Mitglied einer nicht genehmen religiösen Gruppierung ist. Die nationalen Gerichte treffen keine Abwägung zwischen dem Interesse an der freien Mitgliederauswahl des Vereins V und dem Gleichheitsinteresse des B, sondern prüfen ausschließlich die Rechtmäßigkeit des Vereinsausschlusses, die bejaht wird unter ausdrücklichem Hinweis auf die religiöse Einstellung des B. 1088
Zum „mehrpoligen Grundrechtsverhältnis“ s. unten S. 329 ff; vgl. auch Christoph Grabenwarter, Kontrolldichte des Grund- und Menschenrechtsschutzes in mehrpoligen Rechtsverhältnissen, EuGRZ 33 (2006), S. 487 ff. 1089
Zur „scheinbaren“ Schutzpflichtkonstellation vgl. ausführlich S. 349 ff.
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Das staatliche Dazwischentreten besteht in den Fällen der „scheinbaren Schutzpflicht“ darin, dass sich ein nationales Gericht die im Ursprung private Diskriminierung gleichsam „zu eigen“ macht oder sie ermöglicht. In diesen Fällen geht die Beeinträchtigung daher nicht mehr unmittelbar auf das Handeln eines Privaten zurück, sondern es liegt eine genuine hoheitliche Beeinträchtigung des Gleichheitsrechts vor. Die Fälle der „scheinbaren“ Schutzpflichtkonstellation fallen damit nicht unter die Rechtsfigur der passiven Diskriminierung, sondern stellen direkte (oder – seltener – indirekte) Diskriminierungen dar. bbb) Erste Schutzpflichtkonstellation: Schutz vor Absinken des gleichheitsrechtlichen Mindestschutzniveaus und Frage der Gebotenheit privatrechtlicher Diskriminierungsverbote (1) Dogmatische Struktur der ersten Schutzpflichtkonstellation Im Ausgangspunkt gewährleisten Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK Schutz vor dem Absinken des nationalen Gleichheitsrechts unter das konventionsrechtlich vorgegebene Mindestschutzniveau. Gegen die damit verbundene Schutzpflicht können alle drei staatlichen Teilgewalten verstoßen: Ein Verstoß der Legislative ist dann anzunehmen, wenn das nationale Gleichheitsrecht unter den konventionsrechtlich verlangten Minimalstandard absinkt. Dies ist z.B. der Fall, wenn ein Vertragsstaat keine gesetzlichen Vorkehrungen gegen rassistische Gewalt vorsieht. Die Exekutive verletzt diese Schutzpflicht, wenn im Einzelfall keine ausreichenden und effektiven Maßnahmen gegen eine gegenwärtige oder drohende Gefahr schwerwiegender Formen von Diskriminierung getroffen werden. So ist beispielsweise eine Verletzung der gleichheitsrechtlichen Schutzpflicht denkbar, wenn die Ordnungskräfte eine Demonstration für die Rechte gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften nicht ausreichend vor (privaten) Störern schützen, die aus diskriminierenden Motiven die Veranstaltung verhindern möchten. Schließlich kann eine Verletzung durch passives Verhalten der Judikative in Betracht kommen, wenn z.B. Fälle, die Gewalt gegen Frauen zum Gegenstand haben, weniger streng verfolgt werden als andere Fälle. Um eine „echte“ Schutzpflichtkonstellation handelt es sich, wie oben dargelegt, dann, wenn der Anlassfall, der zu der behaupteten Beeinträchtigung des Gleichheitsinteresses geführt hat, unmittelbar auf dem Handeln eines Privaten beruht. Ein Verstoß der Legislative wird nicht einfach anzunehmen sein; hier setzt die staatliche Souveränität dem Straßburger Menschenrechtsgerichtshof enge Grenzen. Entscheidend ist aus konzeptioneller Perspek-
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3. Teil
tive, dass die Diskriminierung nicht bereits in den nationalen Vorschriften selbst enthalten sein darf, da es sich dann um eine bloß „scheinbare“ Schutzpflichtkonstellation handelt, indem das private Handeln lediglich eine (diskriminierende) Gesetzeslage ausnutzt. Allerdings sind solche Fälle eher unter dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 1 ZP 12 EMRK wahrscheinlich.1090 Viele Diskriminierungen durch Private sind der konventionsrechtlichen Überprüfung wegen der Akzessorietät des Art. 14 EMRK bislang entzogen; dies betrifft insbesondere diskriminierungsanfällige Bereiche wie Arbeit, Wohnung und soziale Sicherungssysteme.1091 Der von dem konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbot erfasste Wirklichkeitsausschnitt wird durch Art. 1 ZP 12 EMRK beträchtlich erweitert. Fraglich ist, welchen Umfang der konventionsrechtliche Schutz vor Diskriminierung durch Private nunmehr annehmen und wo der Gerichtshof die Grenzen setzten wird. Diese Frage nach der Reichweite des Schutzes vor privater Diskriminierung führt geradewegs zu einem besonders umstrittenen Problem des Rechts, aber auch der politischen Philosophie, nämlich das der Grenze zwischen „öffentlich“ und „privat“. Das Recht muss hierauf eine – wenn auch zeitgebundene und flexible – Antwort geben. Es überrascht nicht, dass das Problem einer positiven Verpflichtung zum Schutz vor Diskriminierung durch Private bei den Beratungen zu ZP 12 EMRK eines der am heftigsten umstrittenen Themen darstellte.1092 Der Erläuternde Bericht zum ZP 12 EMRK spricht in diesem Zusammenhang von einem „balanced approach“. Zunächst ist eine Negativabgrenzung dessen erforderlich, was mit Sicherheit nicht von der Schutzpflichtdimension des neuen konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots erfasst wird. Der Erläuternde Bericht erwähnt insofern staatliche Regelungen und Maßnahmen, die „rein private Angelegenheiten“ betreffen, deren konventionsrechtliche Überprüfung in Konflikt mit dem Freiheitsrecht aus Art. 8 EMRK (Achtung des Privat- und Familienlebens) geriete.1093 Diese Negativabgrenzung, die mit dem Schutz der Privatheit nur eine äußerste Grenze angibt, ließe aber einen enorm weiten Spielraum für die Annahme positiver Verpflichtungen seitens des Staates zur Verhinderung von Diskri1090 1091
Zu Art. 1 ZP 12 s. ausführlich S. 156 ff. Vgl. Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 36.
1092
Schokkenbroek, A New European Standard Against Discrimination (Fn. 512), p. 32. 1093
Explanatory Report (Fn. 435), § 28.
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minierung durch Private. Nach dem Erläuternden Bericht sind positive Verpflichtungen zur Verhinderung von Diskriminierung durch Private nicht auszuschließen betreffend „[...] relations in the public sphere normally regulated by law, for which the state has a certain responsibility (for example, arbitrary denial of access to work, access to restaurants, or to services which private persons may make available to the public such as medical care or utilities such as water and electricity, etc).“1094 Aus diesen Differenzierungen des erläuternden Berichts lässt sich ein dogmatischer Ansatz entwickeln, um den Umfang des künftigen konventionsrechtlichen Schutzes vor Diskriminierung durch Private einzugrenzen. Grundsätzlich kann danach zwischen drei Bereichen oder Sphären1095 unterschieden werden: Erstens ist von einem hier sog. engeren Privatbereich oder Persönlichkeitskernbereich auszugehen, in welchem nahe Sozialbeziehungen geknüpft, wieder gelöst und ausgestaltet werden und in dem ein Schutz vor Diskriminierung nicht nur nicht verlangt werden kann, sondern sogar konventionswidrig wäre.1096 In diesen Kernbereich fallen beispielsweise das Aussuchen des Ehepartners, die Einladung zu einer privaten Feier oder die Errichtung eines Testaments.1097 Hier entständen mithin Kollisionen zwischen dem Gleichheitsrechtsschutz und dem Recht auf Eheschließung, Art. 12 EMRK, und insbesondere dem Schutz des Privat- und Familienlebens, Art. 8 EMRK. Der Schutz des Privatlebens umfasst nämlich auch das Recht auf freie Gestaltung der Lebensführung, also das Recht, nach eigenen Vorstellungen ohne staatliche Einwirkung sein Leben zu führen.1098 In diesem Kernbereich geht es um höchstpersönliche Entscheidungen des Einzelnen, die das Recht unter einen besonderen Schutz stellt (z.B. die Testierfreiheit) oder um Entscheidungen, die keiner rechtlichen Regelung zugänglich sind, da es keine (legitimen) rechtlichen Maßstäbe gibt (z.B. die Auswahl des Ehepartners oder der Freun1094
Explanatory Report (Fn. 435), § 28.
1095
Für eine andere, zweigliedrige Sphärenabgrenzung vgl. Waldmann (Fn. 141), S. 403 ff. 1096
Vgl. die Überlegungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung im deutschen Verfassungsrecht bei Manfred Baldus, Der Kernbereich privater Lebensgestaltung – absolut geschützt, aber abwägungsoffen, JZ 63 (2008), S. 218-227. 1097
Vgl. aber EGMR, 13.07.2004, Pla und Puncernau, RJD 2004-VIII = NJW 2005, S. 875; ausführlich zu diesem Fall unten S. 346 ff. 1098
Grabenwarter (Fn. 208), § 22 I 3 a) cc), S. 202 ff., Rn. 12; Marauhn/ Meljnik (Fn. 1071), Kap. 16, Rn. 37.
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de). Diese Entscheidungen sind Ausdruck persönlicher Neigungen oder des Geschmacks. Diskriminierende, höchstpersönliche Entscheidungen des Einzelnen mögen unmoralisch sein und berechtigte Empörung verdienen, eine rechtliche Verantwortung des Staates – oder gar einen Anspruch auf dessen wehrendes Einschreiten – können sie aber nicht auslösen.1099 Durch die Anerkennung der Privatheit, insbesondere des engeren Privatbereichs, überlässt das Recht der Moral einen ihr allein zugehörigen Wirkungsraum. Diskriminierungen im engeren Privatbereich lassen sich effektiver durch Bildungsmaßnahmen oder staatliche Informationen (etwa zur Diskriminierung von Frauen in der Ehe etc.) bekämpfen.1100 An dieser Einschätzung ändert sich auch nichts, wenn diskriminierende, höchstpersönliche Entscheidungen in der Öffentlichkeit bekannt gemacht und verbreitet werden. In diesen Fällen kann es aus der Sicht der Konvention regelmäßig keinen Schutz gegen Diskriminierung geben, sondern es gilt eine (unwiderlegliche) Vermutung zu Gunsten der individuellen Selbstbestimmung (Autonomie). Davon abzugrenzen ist die zweite Sphäre, der hier sog. erweiterte Privatbereich, in dem es um das Eingehen von Sozialbeziehungen in einem halböffentlichen Kontext (z.B. die Mitgliedschaft in privaten Vereinen, Fahrgemeinschaften, der Zugang zu einem Privatclub, der Verkauf eines PKW durch einen Privaten oder die Zurschaustellung eindeutig diskriminierender Symbolik in einem für alle einsehbaren privaten Garten) geht. Hier handelt es sich zwar nicht um besonders geschützte höchstpersönliche Entscheidungen oder Verhaltensweisen des Einzelnen, aber immerhin um den Ausdruck individueller Präferenz und Freiheitsentfaltung. In dem erweiterten Privatbereich kann es daher zu Konflikten zwischen dem Gleichheitsinteresse des einen und dem Freiheitsinteresse des anderen Grundrechtsträgers kommen.1101 Ob in diesem Fall eine konventionsrechtliche Schutzpflicht für das Gleichheitsinteresse angenommen werden muss, ist fraglich. Bisweilen wird in der Literatur vertreten, dass jedenfalls dann, wenn in der Gleichheitsrechtsverletzung zugleich eine Menschenwürdeverletzung zu sehen sei, eine staatliche Schutzpflicht vor Diskriminierungen durch Private auch in diesem Pri-
1099
Zur Moralität privater Diskriminierungen vgl. den grundlegenden Aufsatz von Alexander (Fn. 339). 1100 1101
So auch Joseph/Schultz/Castan (Fn. 184), p. 734.
Vgl. Werner Heun, Freiheit und Gleichheit, in: Detlef Merten/HansJürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. II, Heidelberg 2006, § 34, S. 437, 470 f., Rn. 54.
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333
vatbereich in Betracht komme.1102 Dafür spricht zum einen, dass im erweiterten Privatbereich gerade nicht mehr nur „rein private Angelegenheiten“ im Sinne des Erläuternden Berichts betroffen sind, sondern durchaus im Einzelfall öffentliche Interessen (Schutz der Rechte Dritter, Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung) tangiert sein können. Ferner spricht dafür, dass Betätigungen im erweiterten Privatbereich nicht in jedem Fall konventionsrechtlich geschützt sind, da der Schutz des Privatlebens in Art. 8 EMRK – im Unterschied etwa zu Art. 2 Abs. 1 GG – kein allumfassendes Auffanggrundrecht darstellt.1103 Im Hinblick darauf könnte argumentiert werden, dem konventionsrechtlich geschützten Gleichheitsinteresse komme jedenfalls bei nicht geschützten Freiheitsbetätigungen ein Vorrang zu. Diese Argumentation hätte allerdings zu berücksichtigen, dass der EGMR den Schutz des Privatlebens in Art. 8 EMRK ausdrücklich nicht auf einen Kernbereich reduziert und bisweilen sehr weit interpretiert hat.1104 Nimmt man mit der hier vertretenen Ansicht an, auch im erweiterten Privatbereich komme grundsätzlich eine staatliche Schutzpflicht für das Gleichheitsinteresse in Betracht, so stellt sich die Frage nach deren Reichweite. Jedenfalls wird man gegenwärtig nicht davon ausgehen können, dass die Schutzpflicht sich zu einer Pflicht zur gesetzlichen Verankerung von Diskriminierungsverboten im erweiterten Privatbereich verdichtet. Eine solche Pflicht wäre mit der Subsidiarität des regionalen Menschenrechtsschutzes sowie mit dem vom EGMR eingeräumten Beurteilungsspielraum in Schutzpflichtfällen nicht vereinbar. Allenfalls kommt daher eine Pflicht zum angemessenen Ausgleich der beteiligten Grundrechtspositionen im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens als die aus dem Schutzpflichtgedanken fließende Mindestanforderung in Betracht.1105 Der dritte, quasi-öffentliche Bereich ist dadurch gekennzeichnet, dass in ihm der Staat eine gesteigerte Verantwortlichkeit für die Sicherung und Ermöglichung individueller Freiheitsausübung trägt. Es handelt sich dabei um den Zugang zu öffentlichen und quasi-öffentlichen Orten, Dienstleistungen und Gütern, die der Allgemeinheit, d.h. einem nicht von vornherein abgrenzbaren Personenkreis, zu dienen bestimmt sind: Hier sind beispielsweise der Zugang zu Arbeitsplätzen, Restaurants, 1102 1103
So etwa Waldmann (Fn. 141), S. 403 m.w.N. Marauhn/Meljnik (Fn. 1071), Kap. 16, Rn. 37.
1104
Vgl. Grabenwarter (Fn. 208), § 22 I 3 a) cc), S. 203, Rn. 13 unter Verweis auf EGMR, 16.02.2000, Amann, RJD 20000-II = ÖJZ 2001, S. 71, § 65. 1105
Vgl. Dröge (Fn. 1053), S. 319.
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Hotels, Verkaufsgeschäften, Verkehrsmitteln und Parks zu nennen.1106 Entscheidend ist die öffentliche Zweckbestimmung des Ortes, der Dienstleistung oder des Gutes.1107 In diesem Fall nämlich trifft den Staat eine gesteigerte Pflicht, die Handlungssphären der Individuen freiheitsverträglich zu koordinieren.1108 Schutzpflichtverstärkend kann sich auswirken, wenn ein Anbieter eine Monopolstellung innehat und Zugangsbedingungen hinsichtlich der genannten Orte, Dienstleistungen oder Gütern festsetzen kann, wie zum Beispiel bei Strom-, Wasser- und Gasversorgern.1109 Jedenfalls der so umrissene quasi-öffentliche Bereich ist nunmehr, was den sachlichen Geltungsbereich des konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots anbelangt, mit Art. 1 ZP 12 EMRK grundsätzlich einer gleichheitsrechtlichen Kontrolle durch den EGMR zugänglich, in dem für das allgemeine Diskriminierungsverbot kein Akzessorietätserfordernis gilt.1110 Welche Reichweite oder „Dichte“ die gleichheitsrechtliche Schutzpflicht im öffentlichen Bereich annehmen wird, ist gegenwärtig noch nicht absehbar. Grundsätzlich gilt, dass den Vertragsparteien auch bei der Erfüllung der gleichheitsrechtlichen Schutzpflichten ein weiter Beurteilungsspielraum („margin of appreciation“) hinsichtlich der Mittel und Ausgestaltung zukommt.1111 Bereits wegen dieses formalen Gesichtspunkts des grundsätzlich weiten Beurteilungsspielraums trifft die Auffassung, nach der eine nationale Antidiskriminierungsgesetzgebung für Privatrechtsbeziehungen konventionsrechtlich geboten sei, eine nicht unerhebliche Argumentationslast.1112 In der Tat sind solche Ermessensreduktionen „auf Null“ zur Erfüllung von Schutzpflichten hinsichtlich einiger Freiheitsrechte vom EGMR bejaht worden.1113 Die Einführung von gesetzlichen Diskrimi1106 1107 1108 1109 1110 1111
Vgl. die Beispiele bei Waldmann (Fn. 141), S. 404. Vgl. Art. 5 lit. f) CERD, dazu S. 312. Zu diesem Argument vgl. oben S. 323. Vgl. Explanatory Report (Fn. 435), § 28. Zu den Neuerungen des Art. 1 ZP 12 EMRK vgl. ausführlich S. 156. Vgl. Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 64.
1112
In diese Richtung zielt aber wohl die Argumentation von Rudolf (Fn. 513), S. 19. 1113
Vgl. dazu Dröge (Fn. 1053), S. 325 ff. Der EGMR hat bei einigen Konventionsrechten, insbesondere Art. 8 EMRK (Achtung des Familien- und Privatlebens) und Art. 1 ZP 1 EMRK (Eigentumsgarantie), ein Recht des Einzelnen auf gesetzliche Ausgestaltung bejaht, vgl. Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 117; vgl. nochmals Dröge (Fn. 1053), S. 87 ff. Dabei handelt es sich aber um Grund-
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nierungsverboten im Privatrechtsverkehr führt aber zu bedeutsamen Einschränkungen individueller Freiheit.1114 In Bezug auf derartige Ermessensreduktionen, die dem Gesetzgeber vorschreiben, eine private Grundrechtsbeeinträchtigung zu verbieten, ist wegen der offenen Formulierung des Art. 46 EMRK Vorsicht geboten.1115 Eine solche Pflicht wäre mit der Subsidiarität des regionalen Menschenrechtsschutzes und auch mit dem grundsätzlich gewährten Beurteilungsspielraum, der sowohl auf Tatbestands- wie auf der Rechtsfolgenseite besteht, nur schwer vereinbar, jedoch auch nicht völlig ausgeschlossen. Aus diesen Bedenken wird eine gleichheitsrechtliche Schutzpflicht bisweilen auf die Einrichtung sog. „Ausweichmöglichkeiten“ begrenzt, d.h. der Staat sei zwar nicht verpflichtet, eine bestimmte Diskriminierung durch Private schlichtweg zu verbieten, sondern ausreichend sei im Regelfall bereits die Schaffung von Möglichkeiten, sich derartigen Diskriminierungen zu entziehen.1116 Problematisch ist daran aber, dass in vielen Fällen privater Diskriminierung eine solche Ausweichmöglichkeit durch den Staat nicht gewährleistet werden kann: Auf welche Ausweichmöglichkeit soll der Staat beispielsweise eine Person verweisen, wenn ihr wegen ihrer Behinderung der Zugang zu einem Restaurant verwehrt wird? Viele Fälle der Diskriminierung durch Private spielen sich in nahezu unvermeidbaren Sozialkonstellationen ab, vor allem im Kontext von Arbeiten und Wohnen. Man wird daher in einigen, eng begrenzten Ausnahmekonstellationen kein „milderes Mittel“ als ein Verbot der Diskriminierung, gestützt auf die Schutzpflicht des Staates, annehmen müssen. Ein abstraktes subjektives Recht auf Normenerlass, d.h. auf Gewährung gleichheitsrechtlicher Schutzvorschriften oder auch ein Recht auf Ausgestaltung des nationalen Gleichheitsrechts, kann aber gegenwärtig aus dem Diskriminierungsverbot der EMRK nicht abgeleitet werden.
rechte, denen neben ihrem subjektiv-abwehrrechtlichen Charakter noch die objektiv-rechtliche Eigenschaft als sog. normgeprägte „Einrichtungsgarantie“ zukommt; diese Grundrechte sind von vornherein stärker ausgestaltungsbedürftig als andere Grundrechte (vgl. Helge Sodan/Jan Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 3. Aufl., München 2008, § 22 II 3, S. 176, Rn. 27). Dies trifft aber auf das Nichtdiskriminierungsrecht nicht zu. 1114 1115 1116
Heun (Fn. 1101), § 34, S. 471, Rn. 54. Vgl. Grabenwarter (Fn. 208), § 16 I, S. 95 ff., Rn. 6 ff. Dröge (Fn. 1053), S. 42.
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(2) Rechtsprechung des EGMR Die Anerkennung der ersten Schutzpflichtkonstellation, die das Absinken des Niveaus des nationalen Gleichheitsrechtsschutzes unter das konventionsrechtlich verlangte Minimum betrifft, ist vom EGMR erst kürzlich erfolgt. Ein jüngst entschiedener Fall betrifft erstmals eine Schutzpflichtverletzung durch die Legislative. In der Rechtssache Danilenkov (2009) ging es um Maßnahmen einer privaten Hafenfirma gegen Mitarbeiter, die sich an einem Streik beteiligt hatten.1117 In diesem Streik hatten die Mitarbeiter letztlich ohne Erfolg u.a. die Verbesserung ihrer Arbeits- und Lohnbedingungen sowie eine Anhebung des Gesundheitsschutzes gefordert. Daraufhin hatte die Firma die betroffenen Mitarbeiter in Teilzeitarbeit geschickt und schließlich im Rahmen einer Umstrukturierungsmaßnahme entlassen. Die nationalen Zivilgerichte entschieden, dass die Maßnahmen arbeitsrechtlich unzulässig gewesen seien und ordneten Schadensersatzzahlungen an. Die nationalen Zivilgerichte lehnten aber die Prüfung der ebenfalls von den Klägern in den Verfahren gerügten Diskriminierung aufgrund der Gewerkschaftszugehörigkeit ab. Eine strafrechtliche Verfolgung scheiterte daran, dass juristische Personen nach dem nationalen Recht nicht strafbar waren und eine Voruntersuchung keine Anhaltspunkte für einen Diskriminierungsvorsatz der verantwortlichen Leiter der Firma ergeben hatte. In seiner Analyse behandelt der EGMR zum ersten Mal die legislative Schutzpflicht in Diskriminierungsfällen: Der Gesetzgeber, der in Diskriminierungsfällen einen bloß strafrechtlichen Schutz vorsieht, verstößt in Fällen wie dem vorliegenden gegen die gleichheitsrechtliche Schutzpflicht aus Art. 14 i.V. mit Art. 11 EMRK. Erforderlich sei ein zivilrechtlicher Schutz gegen Diskriminierung, vor allem, weil die Beweisanforderungen („jenseits vernünftiger Zweifel“) und das Beweisziel („Vorsatz“) eine zu große Hürde darstellten, um einen effektiven Rechtsschutz gegen Diskriminierung durch Private sicherzustellen: “(...) the lack of such protection could entail fear of potential discrimination and discourage other persons from joining the trade union, which may lead to its disappearance, thus negatively affecting the enjoyment of the freedom of association.”1118 Der EGMR stellt daraufhin ausdrücklich fest, dass der Vertragsstaat die gleichheitsrechtliche Schutzpflicht verletzt habe: “(...) the State failed to fulfil its positive obligations to adopt effective and 1117 1118
EGMR, 30.07.2009, Danilenkov, Nr. 67336/01. EGMR, 30.07.2009, Danilenkov, Nr. 67336/01, § 135.
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clear judicial protection against discrimination on the ground of trade union membership.”1119 Interessant ist, dass das Urteil sich letztlich mit einer eindeutigen Zuweisung des Problems an die Legislative zurückhält: Der EGMR stellt nämlich fest, dass es zivilrechtliche Vorschriften gab, die von den Gerichten hätten angewendet werden können, aber in den konkreten Fällen ineffektiv blieben. Festzuhalten ist, dass der Staat in diesen Fällen verpflichtet ist, ein zivilrechtliches Diskriminierungsverbot sowohl materiellrechtlich vorzusehen sowie dessen prozessuale Durchsetzbarkeit zu gewährleisten. Der EGMR legt sich in der Rechtssache Danilenkov letztlich nicht fest, ob die fehlende prozessuale Durchsetzbarkeit ein Mangel des Rechts oder der rechtsprechenden Organe war. Auch die Verletzung einer gleichheitsrechtlichen Schutzpflicht durch die Exekutive ist eine verhältnismäßig neue Erscheinung im Konventionsrecht. Von großer Bedeutung könnte sich der hierzu ergangene Fall Opuz (2009)1120 erweisen. Hier ging es u.a. um die wiederholte schwere Misshandlung einer türkischen Ehefrau durch ihren Schwiegersohn und ihren Ehemann, die schließlich zum Tod der Frau führten. In diesem Urteil macht der EGMR die häusliche Gewalt gegen Frauen soweit ersichtlich zum ersten Mal zum Gegenstand einer Diskriminierungsprüfung. Im Einklang mit und unter ausdrücklicher Berufung auf andere völkerrechtliche Rechtsquellen, etwa Art. 2 CEDAW und die dazu ergangene Rechtsprechung, hält der EGMR fest, dass ein Versagen staatlicher Stellen beim Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt eine Form der Diskriminierung darstellt, wobei es auf eine dahingehende Absicht der staatlichen Behörden nicht ankomme.1121 Im Fall Opuz verneint der EGMR eine Verletzung der ersten Schutzpflicht durch die Legislative, da die Türkei als beklagter Vertragsstaat insbesondere ein spezifisches Gesetz gegen häusliche Gewalt erlassen hatte. Der Gerichtshof gelangt aber erstmals zu einer Schutzpflichtverletzung seitens der beiden anderen Teilgewalten. Das konventionsrechtlich verlangte Mindestschutzniveau in Bezug auf die Verhinderung von Diskriminierung gegen Frauen wurde durch die mangelhafte Gesetzesdurchsetzung seitens der Exekutive und die Passivität auf Seiten der Judikative unterschritten und Art. 14 i.V. mit Art. 2 und 3 EMRK somit verletzt: “It thus appears that the alleged discrimination at issue was not 1119 1120 1121
EGMR, 30.07.2009, Danilenkov, Nr. 67336/01, § 136. EGMR, 9.6.2009, Opuz, Nr. 33401/02, §§ 177 ff. EGMR, 9.6.2009, Opuz, Nr. 33401/02, § 191.
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based on the legislation per se but rather resulted from the general attitude of the local authorities, such as the manner in which the women were treated at police stations when they reported domestic violence and judicial passivity in providing effective protection to victims” [Hervorhebungen im Original, Verf.].1122 Der EGMR sieht eine Verletzung der Schutzpflicht durch die Exekutive und die Judikative in der Art und Weise, wie die staatlichen Stellen mit Berichten von häuslicher Gewalt umgegangen seien. Hier habe nur eine lückenhafte bzw. keine Aufklärung stattgefunden, die Behörden hätten sich eher als „Mediator“ geriert und auf die Frauen eingewirkt, ihre Beschwerden zurückzunehmen.1123 Mit eindrücklicher Deutlichkeit verurteilt der EGMR das Verhalten der staatlichen Stellen, das ein Klima geschaffen habe, welches häuslicher Gewalt förderlich gewesen sei.1124 Die Entscheidung im Fall Opuz stellt in mehrfacher Hinsicht eine begrüßenswerte Entwicklung dar: Zum einen handelt es sich um den – soweit ersichtlich – ersten Fall, in dem der EGMR eine materielle, gleichheitsrechtliche Schutzpflicht entwickelt und einen Verstoß bejaht. Die Schutzpflicht des Staates vor privater Diskriminierung wird vor dem EGMR zukünftig eine größere Rolle spielen. Zu denken ist an die Sicherung von Demonstrationen von Homosexuellen und dem Verhalten von Andersgläubigen in der Öffentlichkeit. Der Schutz des Anderssein-Könnens durch den Staat stellt eine notwendige Funktion des Diskriminierungsverbots dar. Weiterhin wird der Fall Opuz bedeutsam sein für die Frauenrechtsbewegung in der Türkei und Europa. Es zeigt sich, dass der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof gewillt ist, das in Europa erst noch in der Entwicklung befindliche Bewusstsein für das Problem häuslicher Gewalt auch in traditionalen Gesellschaften durchzusetzen. Schließlich ist der Fall Opuz bemerkenswert, weil der Gerichtshof bei der Ausdehnung der gleichheitsrechtlichen Schutzpflichtdogmatik intensiv Anleihen macht bei anderen völkerrechtlichen Rechtsprechungsorganen wie dem CEDAW Ausschuss.1125 1122 1123 1124 1125
EGMR, 9.6.2009, Opuz, Nr. 33401/02, § 192. EGMR, 9.6.2009, Opuz, Nr. 33401/02, § 195. EGMR, 9.6.2009, Opuz, Nr. 33401/02, § 198.
EGMR, 9.6.2009, Opuz, Nr. 33401/02, §§ 184 f.: “The Court notes at the outset that when it considers the object and purpose of the Convention provisions, it also takes into account the international-law background to the legal question before it. Being made up of a set of rules and principles that are accepted by the vast majority of States, the common international or domestic law standards of European States reflect a reality that the Court cannot disregard
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Eine Verletzung der gleichheitsrechtlichen Schutzpflicht durch die Exekutive hätte auch in dem Fall Kalanyos (2007) vom EGMR geprüft werden müssen: Hier unterließ die Polizei trotz konkreter Hinweise eines bevorstehenden Angriffs auf Leib und Leben von Roma geeignete Schutzmaßnahmen.1126 Eine Sonderkonstellation lag im Fall Vermeire (1991)1127 vor: Die Beschwerdeführerin entstammte einer unehelichen Beziehung. Wegen des frühen Ablebens ihres Vaters wuchs sie bei ihren Großeltern väterlicherseits auf. Als diese starben, wurde – in Ermangelung eines Testaments – das Erbe an deren überlebende Enkel mit Ausnahme der Beschwerdeführerin verteilt. Die Beschwerdeführerin war als uneheliches Kind gemäß Art. 756 des belgischen Bürgerlichen Gesetzbuches von der Erbfolge ausgeschlossen. Ihre innerstaatlichen Rechtsbehelfe waren erfolglos. Vorher hatte der EGMR allerdings im Fall Marckx (1979)1128 u.a. entschieden, dass das belgische Erbrecht, insofern es uneheliche Kinder von der gesetzlichen Erbfolge gänzlich ausschloss, eine konventionswidrige Diskriminierung darstellte. Im Rahmen der Rechtfertigung stützte sich Belgien im vorliegenden Fall der Beschwerdeführerin vor allem darauf, dass die Pflicht zur Herstellung von Konventionskonformität sich an den Gesetzgeber richte, nicht an die Rechtsprechung. Die umfassende Gesetzesreform des Erbrechts sei aber noch nicht abgeschlossen. In diesem Fall lag insofern eine Sonderkonstellation vor, als die ursprüngliche Diskriminierung von den belgischen Erbrechtsregelungen ausging, die in anerkannt konventionswidriger Weise zwischen ehelichen und unehelichen Kindern unterschieden. Im Fall Marckx lag daher eine „scheinbare“ passive Diskriminierung seitens des belgischen Staates vor, die als direkte Diskriminierung zu behandeln ist. Mit dem Marckx-Urteil des EGMR stand fest, dass das nationale Recht unter den gleichheitsrechtlichen Mindeststandard
when it is called upon to clarify the scope of a Convention provision that more conventional means of interpretation have not enabled it to establish with a sufficient degree of certainty (...). In this connection, when considering the definition and scope of discrimination against women, in addition to the more general meaning of discrimination as determined in its case-law (...), the Court has to have regard to the provisions of more specialized legal instruments and the decisions of international legal bodies on the question of violence against women.” 1126
Vgl. dazu den Sachverhalt im Fall EGMR, 26.04.2007, Kalanyos, Nr. 57884/00. 1127 1128
EGMR, 29.11.1991, Vermeire, Serie A 214 C. EGMR, 13.06.1979, Marckx, Serie A 31 = NJW 1979, S. 2449.
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der Konvention gesunken und damit änderungsbedürftig war. Im nachfolgenden Fall Vermeire ging es um die positive Verpflichtung, die Feststellungen des Marckx-Urteils im nationalen Recht umzusetzen und zu berücksichtigen. Das die gleichheitsrechtliche Beeinträchtigung auslösende Verhalten war auch im Fall Vermeire nicht unmittelbar ein privates Handeln, sondern die unangemessene Umsetzung des EGMR-Urteils. Wichtig ist im vorliegenden Zusammenhang, dass der EGMR im Fall Vermeire die positive Pflicht des Staates bejaht, bei gleichheitsrechtswidrigen Lücken in der Gesetzgebung (hier dem Fehlen von Erbrechtsregelungen für uneheliche Kinder) Abhilfe zu schaffen. Da die Pflicht zur Herstellung von Konventionskonformität grundsätzlich alle staatlichen Gewalten trifft,1129 kann sich die Vertragspartei nicht auf den fehlenden Abschluss des Gesetzesänderungsverfahrens berufen. Vielmehr müssen die Gerichte in der Zwischenzeit das nationale Recht konventionskonform auslegen und, wo dies wegen eines klar entgegenstehenden Wortlauts nicht möglich ist, sogar unangewendet lassen.1130 ccc) Zweite Schutzpflichtkonstellation: Gleichheitsrechtliche Abwägungen in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen (1) Dogmatische Struktur der zweiten Schutzpflichtkonstellation Die zweite Schutzpflichtkonstellation ist gekennzeichnet durch ein mehrpoliges Grundrechtsverhältnis. Die Ausgangslage ist dabei wie folgt: Der Vertragstaat V, insbesondere dessen nationale Gerichte, sind aufgerufen, die Rechte des beeinträchtigten Grundrechtsträgers 1) und 1129 Vgl. Grabenwarter (Fn. 208), § 16 I, S. 94, Rn. 4; Röben (Fn. 406), Kap. 5, Rn. 63. Diese Verpflichtung folgt schon aus dem allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatz, dass eine Vertragspartei sich nicht auf innerstaatliches Recht berufen kann, um die Nichterfüllung eines Vertrages zu rechtfertigen (Art. 27 WVK). 1130
EGMR, 29.11.1991, Vermeire, Serie A 214 C, §§ 25, 26: “It cannot be seen what could have prevented the Brussels Court of Appeal and the Court of Cassation from complying with the findings of the Marckx judgment, as the Court of First Instance had done. There was nothing imprecise or incomplete about the rule which prohibited discrimination against Astrid Vermeire compared with her cousins Francine and Michel, on the grounds of the „illegitimate“ nature of the kinship between her and the deceased. An overall revision of the legislation, with the aim of carrying out a thoroughgoing and consistent amendment of the whole of the law on affiliation and inheritance on intestacy, was not necessary at all as an essential preliminary to compliance with the Convention as interpreted by the Court in the Marckx case.”
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die des schutzgutgefährdenden Grundrechtsträgers 2) in angemessenen Ausgleich zu bringen.1131 Aus der subjektiven Sicht des Grundrechtsträgers 1) geht es um eine Neujustierung von Rechtspositionen im Rahmen des grundrechtlichen Dreiecksverhältnisses: Der grundrechtsverpflichtete Staat nimmt dem gefahrenverursachenden Grundrechtsträger 2) etwas von seiner Handlungsfreiheit bzw. schränkt diese ein zugunsten des beschwerdeführenden Grundrechtsträgers 1).1132 In Schutzpflichtkonstellationen ist prima facie und vorbehaltlich der sich daran anschließenden grundrechtlichen Wertung zunächst von der Gleichordnung der beteiligten Grundrechtspositionen auszugehen. Die Bejahung einer solchen Schutzpflicht führt daher stets, wie Michael Anderheiden treffend bemerkt, zu einer „Verlagerung des Grundrechtsschutzes“1133 von einem zu dem anderen Grundrechtsträger. Die Gleichordnung der Grundrechtspositionen wird aufgegeben und die Position von mindestens einem Grundrechtsträger eingeschränkt zugunsten der Ausweitung einer anderen Grundrechtsposition. Nicht übersehen werden darf, dass das Auftreten mehrpoliger Grundrechtsverhältnisse die konventionsrechtliche Dogmatik vor ein strukturelles Problem stellt: Vertragsparteien und damit Grundrechtsverpflichtete sind (bislang) allein Staaten. Privatrechtssubjekte sind lediglich berechtigt, nicht aber verpflichtet aufgrund der Konvention, so dass eine unmittelbare Drittwirkung der EMRK, d.h. die direkte, nicht gesetzesmediatisierte Verpflichtung Privater aus den Konventionsrechten, nicht in Betracht kommt.1134 Bisweilen wird das Problem des mehrpoligen 1131
Zum „mehrpoligen Grundrechtsverhältnis“ in Schutzpflichtkonstellationen vgl. Michael Anderheiden, Gemeinwohl in Republik und Union, Tübingen 2006, S. 425 ff.; Wolfgang Graf Vitzthum, Der Staat der Staatengemeinschaft: Zur internationalen Verflechtung als Wirkungsbedingung moderner Staatlichkeit, Paderborn [u.a.] 2006, S. 62 ff. (insbesondere im Hinblick auf die Caronline-Entscheidung des EGMR); vgl. auch Christian Calliess, Schutzpflichten, in: Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, hrsg. v. Detelf Merten/Hans-Jürgen Papier, Bd. II, Heidelberg 2006, S. 963, 979 ff. 1132
Vgl. Anderheiden (Fn. 1131), S. 425 f.
1133
Anderheiden (Fn. 1131), S. 426. Richter Garlicki hat dies in einer dissenting opinion folgendermaßen zum Ausdruck gebracht: “However, it should not be forgotten that every prohibition of private action (or any refusal to judicially enforce such action), while protecting the rights of some persons, unavoidably restricts the rights of other persons”, EGMR, 13.07.2004, Pla und Puncernau, RJD 2004-VIII = NJW 2005, S. 875, Annex. 1134
Vgl. nur Röben (Fn. 406), Kap. 5, Rn. 101.
342
3. Teil
Grundrechtsverhältnisses und die Abwägung der beteiligten Grundrechtspositionen von einigen Stimmen des Gerichtshofs unter dem Stichwort der „interests of third parties“ diskutiert.1135 Dieses Vorgehen steht im Einklang mit der traditionellen Interpretation der EMRK, dass diese nur Rechte, keine Verpflichtungen für Individuen enthalte. Die prozessuale Vorgabe des Individualbeschwerdeverfahrens, in dem sich ein Beschwerdeführer und der Vertragstaat gegenüberstehen, darf aber nicht die Komplexität der zugrunde liegenden, materiellen Grundrechtsverhältnisse verdecken. In Schutzpflichtfällen ist der EGMR gehalten, das materielle, mehrpolige Grundrechtsverhältnis aufzudecken und die beteiligten Interessen genau zu kennzeichnen, auch wenn die prozessuale Ausgangssituation und das System der Konventionsrechte mit seiner berechtigenden, nicht aber verpflichtenden Wirkung für Private dies nicht nahelegen. In der Schutzpflichtdogmatik des EGMR taucht der Begriff des „mehrpoligen Grundrechtsverhältnisses“ als solcher zwar nicht auf, ist der Sache nach aber präsent. Eine gewisse Berühmtheit hat die Entscheidung des EGMR im Fall Caroline von Hannover (2004)1136 erlangt: In dieser Entscheidung ging es um die Veröffentlichung von Fotos in diversen Magazinen, auf denen die Beschwerdeführerin u.a. mit ihren Kindern zu sehen war. Die Beschwerdeführerin, älteste Tochter des Fürsten Rainier Romain III von Monaco, übte kein öffentliches Amt aus. In diesem Fall rügte die Beschwerdeführerin insbesondere den mangelnden Schutz ihrer Privatsphäre durch den Staat. Der EGMR arbeitet in dem Fall das mehrpolige Konkurrenzverhältnis der Grundrechte genau heraus: Herzustellen sei eine „fair balance that has to be struck between the competing interests of the individual and of the community as a whole; and in both contexts the State enjoys a certain margin of appreciation.“1137 Dabei komme es auf den angemessenen Ausgleich der beteiligten Grundrechtspositionen an: „That protection of private life has to be balanced against the freedom of expression guaranteed by Article 1135 Vgl. etwa die „partly dissenting opinion“ von Richter Martens in EGMR, 29.11.1991, Vermeire, Serie A 214 C, Annex. 1136
EGMR, 24.06.2004, Caroline von Hannover, RJD 2004-VI = NJW 2004, S. 2647 ff.; vgl. dazu Hans-Joachim Cremer, ‘Straßburg bindet! Caroline von Hannover könnte von Deutschland Geld kriegen’, FAZ vom 24.09.2004, S. 42; Beate Rudolf, Council of Europe: Von Hannover v. Germany, IJCL 4 (2006), pp. 533-539. 1137
EGMR, 24.06.2004, Caroline von Hannover, RJD 2004-VI = NJW 2004, S. 2647 ff., § 57.
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10 of the Convention.“1138 Im Ergebnis gelangt der Gerichtshof zu der Ansicht, dass die deutschen Gerichte keinen angemessenen Ausgleich der Rechtspositionen in diesem mehrpoligen Grundrechtsverhältnis geschaffen haben und bejaht eine Verletzung der Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Art. 8 EMRK. Diese Überlegungen zur Schutzpflichtkonstellation im Allgemeinen lassen sich übertragen auf die besondere Situation, in der ein Grundrechtsträger die Verletzung der staatlichen Pflicht des Staates rügt, ihn vor der Diskriminierung durch Private zu schützen. Auch im Fall des Diskriminierungsverbots handelt es sich um ein mehrpoliges Grundrechtsverhältnis: Der beeinträchtigte Grundrechtsträger 1) beruft sich, gestützt auf sein Recht aus Art. 14 bzw. Art. 1 ZP 12 EMRK, gegenüber dem Vertragstaat V auf Schutz gegenüber dem gefahrenverursachenden Grundrechtsträger 2). Zunächst stellt sich die Vorfrage, ob die konventionsrechtlichen Gleichheitsrechte überhaupt einer Abwägung zugänglich sind. Bisweilen wird ohne nähere Begründung behauptet, Gleichheitsrechte seien im Unterschied zu Freiheitsrechten „abwägungsresistent“.1139 Dem kann für das Gleichheitsrecht der EMRK nicht ohne Einschränkung gefolgt werden. Das Gleichheitsinteresse kann zum einen nicht in allen Fällen der Diskriminierung durch Private absolut sein, d.h. es kann sich nicht in jedem Fall gegen öffentliche Interessen oder konkurrierende Grundrechtspositionen durchsetzen. Ein Gericht kann sehr wohl zu der Ansicht kommen, dass das Freiheitsinteresse des einen gewichtiger ist als das Gleichheitsinteresse des anderen: Beispielsweise muss der Erbe unter Umständen hinnehmen, dass der Erblasser ihn wegen seiner Zugehörigkeit zu einer religiösen Sekte gegenüber den anderen Erben benachteiligt.1140 Zum anderen ist das Gleichheitsinteresse auch insofern abwägbar, als ein „Mehr oder Weniger“ an Gleichheitsschutz in einigen Fällen durchaus in Frage kommt: So kann die volle Realisierung des Gleichheitsinteresses des einen Grundrechtsträgers in bestimmten Fällen das Verbot der privaten Diskriminierung verlangen. Dies ist etwa denkbar, wenn einer Person aus rassistischen Gründen der Zugang zum einzigen örtlichen Fußballverein verwehrt wird. In anderen Fällen kann 1138 EGMR, 24.06.2004, Caroline von Hannover, RJD 2004-VI = NJW 2004, S. 2647 ff., § 58. 1139 1140
So Heun (Fn. 1101), § 34, S. 470, Rn. 54.
Vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.03.1988, 3 Wx 290/87 = NJW 1988, 2615.
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im Rahmen einer Abwägung zwischen dem Gleichheits- und dem Freiheitsrecht durchaus dazu kommen, dass dem Gleichheitsinteresse durch die Schaffung einer Ausweichmöglichkeit als Minus zu einem gänzlichen Verbot der Diskriminierung genügt wird.1141 So kann beispielsweise einer Diskriminierung von Transsexuellen bei der Arbeitssuche dadurch abgeholfen werden, dass man die Änderung von Eintragungen in der Geburtsurkunde erlaubt.1142 Innerhalb des mehrpoligen Grundrechtsverhältnisses ist ein Ausgleich der beteiligten Grundrechtspositionen vorzunehmen mit dem Ziel, jeder Rechtssphäre zur größtmöglichen Entfaltung zu verhelfen, sofern ein Nebeneinanderbestehen möglich ist.1143 Im Rahmen dieses Ausgleichs durch grundrechtliche Abwägung ist das Gleichheitsinteresse angemessen zu berücksichtigen. Abwägungsbestimmende Faktoren können etwa sein: die Art des verdächtigen Differenzierungsgrundes, das Maß an Öffentlichkeit des diskriminierenden Verhaltens, der Grad der Benachteiligung des Betroffenen durch das diskriminierende Verhalten und schließlich die Wirkung der Diskriminierung auf die Öffentlichkeit (Einschüchterungseffekt, Stigmatisierungseffekt). Die in Schutzpflichtkonstellationen erforderliche Kenntlichmachung des mehrpoligen Grundrechtsverhältnisses und die beteiligten Grundrechtspositionen werden vom EGMR gegenwärtig noch nicht mit hinreichender Klarheit vorgenommen. In Anlehnung an die freiheitsrechtliche Schutzpflichtkonstellation, wie beispielsweise in der oben ausgeführten Caroline-Entscheidung, ist es auch im Anwendungsbereich von Gleichheitsrechten zunächst erforderlich, die beteiligten Grundrechtspositionen zu identifizieren. Nur so kann sichergestellt werden, dass die richtige Abwägungsbasis gefunden wird. Zu beachten ist, dass der EGMR aus Gründen der Subsidiarität des regionalen Menschenrechtsschutzes lediglich die Abwägung der nationalen Organe kontrollieren, nicht aber ersetzen darf.
1141
Von Dröge (Fn. 1053), S. 42 wird dies sogar als Regelfall der gleichheitsrechtlichen Schutzpflicht angesehen. 1142
Vgl. auch den Fall des EGMR, 17.10.1986, Rees, Serie A Nr. 106, § 40; dazu Dröge (Fn. 1053), S. 318 f. 1143
So Dröge (Fn. 1053), S. 317, die sich in diesem Zusammenhang überzeugend auf Robert Alexys Theorie der Grundrechte als Prinzipien mit Optimierungscharakter beruft, vgl. Alexy (Fn. 15), S. 71 ff.
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345
(2) Rechtsprechung des EGMR Anhand von zwei Beispielsfällen kann die gleichheitsrechtliche Abwägung in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen verdeutlicht werden: Im ersten vom EGMR entschiedenen Fall, Case of Associated Society of Locomotive Engineers & Firemen (ASLEF) (2007)1144 war der Grundrechtsträger 1) Aktivist einer rechtsradikalen Partei, für die er u.a. antiislamische Flugblätter verteilt hatte und für die er sich im Rahmen einer Kommunalwahl als Kandidat hatte aufstellen lassen. Grundrechtsträger 2) war eine unabhängige Gewerkschaft, dessen Mitglied der Grundrechtsträger 1) war. Die Gewerkschaft schloss das Parteimitglied wegen der Unvereinbarkeit von dessen politischer Überzeugung mit den Grundsätzen der Gewerkschaft aus. Im Rahmen des sich anschließenden Rechtsstreits um die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses befand das Arbeitsgericht, dass der Ausschluss nicht mit der Mitgliedschaft in einer (in dem Vertragstaat nicht verbotenen) Partei begründet werden dürfe. Der Ausschluss war daher nach nationalem Recht wieder rückgängig zu machen. Vor dem EGMR klagte nun der Grundrechtsträger 2), die Gewerkschaft, und berief sich auf eine Verletzung ihres Rechts auf Vereinigungsfreiheit aus Art. 11 EMRK. In diesem Fall stellte sich die Frage, ob die Vertragspartei einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Recht auf diskriminierungsfreien Zugang zur Gewerkschaft auf der einen und der Vereinigungsfreiheit auf der anderen Seite gefunden hatte. Hier entschied der EGMR, dass die Vertragspartei keinen angemessenen Ausgleich („fair balance“) der Grundrechtspositionen gleistet habe: Der Ausschluss aus der Gewerkschaft stelle keine „identifizierbare Belastung“ für den Grundrechtsträger 1) dar, während das Recht des Grundrechtsträger 2), seine Mitglieder frei zu wählen, schwer beeinträchtigt würde. Auch wenn der Entscheidung im Ergebnis zuzustimmen ist, so fehlt es doch im Rahmen der gerichtlichen Abwägung an Ausführungen zur Ungleichbehandlung des Grundrechtsträgers 1) aus politischen Gründen. Dies lässt sich mit der Akzessorietät des Art. 14 EMRK erklären: Der Aspekt der möglicherweise diskriminierenden Ungleichbehandlung geht für den EGMR in dem freiheitsrechtlichen Problem des Gewerkschaftsausschlusses auf.1145 Daher war aus der Sicht des EGMR ein 1144
EGMR, 27.02.2007, Case of Associated Society of Locomotive Engineers & Firemen (ASLEF), Nr. 11002/05. 1145
Zum Problem der Akzessorietät des Art. 14 EMRK vgl. ausführlich S. 134; zur Kritik einer freiheitsrechtlichen Lösung eines gleichheitsrechtlichen Problems s. S. 144.
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3. Teil
Eingehen auf die gleichheitsrechtliche Problematik des Falls wohl entbehrlich. Es wäre allerdings wünschenswert gewesen, dass der EGMR die beteiligten Grundrechtspositionen – das Gleichheitsinteresse des Grundrechtsträgers 1) und das Recht auf freie Mitgliederauswahl des Grundrechtsträgers 2) – deutlich macht; in dieser Situation hätte der Gerichtshof darauf hinweisen können, dass der Staat zwar die Vereinigungsfreiheit des Grundrechtsträgers 2) zu gewährleisten habe, diese aber im vorliegenden Fall mit der gleichfalls bestehenden gleichheitsrechtlichen Schutzpflicht zugunsten des Grundrechtsträgers 1) konkurriert. Der oben beschriebenen Schutzpflichtenkonstellation am nächsten kommt ein zweiter Fall des EGMR, Pla und Puncernau (2004).1146 In diesem Fall ging es um das Testament einer Erblasserin, die in einer Klausel ausdrücklich bestimmt hatte, dass ihr künftiger Erbe selbst wiederum nur an einen Sohn oder Enkel weitervererben dürfe, der „aus einer gesetzlich anerkannten und kirchlich geschlossenen Eheverbindung“ hervorgegangen sei. Für den Fall der Nichterfüllung dieser Bedingung sollte die Erbschaft den nachrangig berechtigten Erben zufallen. Der testamentarische Erbe war verheiratet mit der Beschwerdeführerin zu 2); beide hatten den Beschwerdeführer zu 1) adoptiert. Der Erbe hinterließ nun einige Jahrzehnte später seinerseits das Vermögen u.a. dem Beschwerdeführer zu 1). Die Erbschaft wurde angefochten von zwei Urgroßenkelinnen der ursprünglichen Erblasserin. Diese beriefen sich auf die Regelung im Testament der ursprünglichen Erblasserin mit der Behauptung, dass ein Adoptivsohn nicht „aus einer gesetzlichen und kirchlichen Ehe“ hervorgegangen sei. Das letztinstanzliche Gericht interpretierte die ursprüngliche Klausel im Testament der Erblasserin unter Berücksichtigung der zur Zeit der Testamentserrichtung (1939) geltenden Lebensanschauungen. Da die Adoption zu dieser Zeit in Andorra keine etablierte rechtliche Institution gewesen sei, meinte das letztinstanzliche Gericht, dass nach damaliger Anschauung ein adoptierter Sohn als nicht „aus einer gesetzlich anerkannten, kirchlich geschlossenen Eheverbindung“ hervorgegangen angesehen werden könne. Da somit die Voraussetzungen der Erbschaft nachträglich entfallen seien, falle die Erbschaft nach dem Willen der Erblasserin den nachrangig Berechtigten zu mit der Folge, dass der Beschwerdeführer zu 1) die 1146
EGMR, 13.07.2004, Pla und Puncernau, RJD 2004-VIII = NJW 2005, S. 875. Zu diesem Fall vgl. auch Ansgar Staudinger, Die Europäische Menschenrechtskonvention als Schranke der gewillkürten Erbfolge?, ZEV 12 (2005), S. 140 ff.
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347
Erbschaft wieder herauszugeben habe. Vor dem Straßburger Gerichtshof rügten die Beschwerdeführer diese Interpretation des Testaments durch die nationalen Gerichte: Die Ungleichbehandlung des Beschwerdeführers zu 1) wegen seiner Abstammung (als natürlich-biologische Beziehung zu seinen Vorfahren)1147 stelle eine konventionswidrige Diskriminierung dar (Art. 14 in Verbindung mit Art. 8 EMRK). Entscheidend für die weitere Strukturierung der Falllösung ist die Wahl des Prüfungsgegenstandes. Indem der Gerichtshof die gleichheitsrechtliche Beeinträchtigung des Beschwerdeführers zu 1) in der Interpretation des Testaments durch die staatlichen Gerichte verortet und nicht in dem Testament selbst, stellt der EGMR die Weichen für eine gleichsam abwehrrechtliche Lösung des Falles und versperrt sich den Weg einer Schutzpflichtlösung.1148 Nach der hier verwendeten Terminologie behandelt der EGMR diesen Fall als eine „scheinbare Schutzpflichtkonstellation“. Dieses Vorgehen war aber nicht zwingend, wie auch die abweichenden Voten der beiden Richter, Sir Nicolas Bratza und Garlicki, zeigen. Ihrer Ansicht nach stellt das Testament als ein privatrechtlicher Akt den eigentlichen Prüfungsgegenstand dar. Nur wenn man die Testamentserrichtung und die darin enthaltene Klausel als Prüfungsgegenstand wählt, gelangt man zum Schutzpflichtproblem. Dann nämlich handelt es sich um die staatliche Durchsetzung einer privaten Ungleichbehandlungsentscheidung, die – bei unterstellter Richtigkeit der Auslegung durch das nationale Gericht – Adoptivkinder gegenüber leiblichen Nachfahren schlechter stellt. Im Rahmen der Schutzpflichtlösung muss die Fallfrage dann folgendermaßen gestellt werden: Ist der Staat verpflichtet, das Recht des Beschwerdeführers zu 1) aus Art. 14 i.V. mit Art. 8 EMRK, in seinem Status als Adoptivkind nicht gegenüber leiblichen Nachfahren benachteiligt zu werden, stärker zu gewichten als die Testierfreiheit aus Art. 1 ZP 1 EMRK und den Schutz des Privatlebens aus Art. 8 EMRK auf Seiten der Erblasserin? Die Abwägung in diesem mehrpoligen Grundrechtsverhältnis sollte nach hier vertretener Ansicht anhand der oben1149 dargelegten Kriterien vorgenommen werden. Da1147
Der Gerichtshof selbst spricht von Ungleichbehandlung aufgrund des Status als eines „unehelichen Kindes“, vgl. EGMR, 13.07.2004, Pla und Puncernau, RJD 2004-VIII = NJW 2005, S. 875, § 61. 1148 In einem gewissen Widerspruch zum von Gerichtshof selbst gewählten Lösungsweg steht, dass die „positive obligations“ aus Art. 8 EMRK gleichwohl erwähnt werden, vgl. EGMR, 13.07.2004, Pla und Puncernau, RJD 2004-VIII = NJW 2005, S. 875, § 43. 1149
Siehe S. 344.
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3. Teil
nach ist zunächst die Art des Differenzierungsgrundes entscheidend. Die testamentarische Klausel differenzierte aufgrund der Abstammung. Bei Differenzierungen, die direkt an die uneheliche Abstammung anknüpfen, fordert der EGMR regelmäßig „sehr gewichtige Gründe“ („very weighty reasons“) für deren Rechtmäßigkeit.1150 Die Art des Differenzierungsgrundes spricht also eher für ein stärkeres gleichheitsrechtliches Schutzbedürfnis auf Seiten des Beschwerdeführers zu 1). Ebenso spricht der Grad der Benachteiligung, hier der Vermögensverlust durch die Rückgängigmachung der streitigen Erbschaft (geschätzte 750.000 bis 1.200.000 Euro), wohl für das Gleichheitsinteresse des Beschwerdeführers zu 1). Allerdings sind im Rahmen der Abwägung auch andere Faktoren zu berücksichtigen: Das gilt zunächst für das Maß an Öffentlichkeit des diskriminierenden Verhaltens. Bei der Abfassung eines Testaments handelt es sich um eine höchstpersönliche Angelegenheit. Die Testierfreiheit fällt nach hier vertretener Ansicht in den engeren Persönlichkeitsbereich, in dem von einer (unwiderleglichen) Vermutung zu Gunsten der Selbstbestimmung auszugehen ist.1151 Die Berücksichtigung der Wirkung einer testamentarischen Diskriminierung bestätigt diese Einschätzung: Ein Testament betrifft grundsätzlich einen begrenzten Personenkreis. Ein Einschüchterungseffekt oder eine Stigmatisierung der Gruppe der Adoptivkinder geht von einem einzelnen Testament nicht aus. Die im Rahmen der Schutzpflichtlösung des Falles anzustellende Abwägung hätte also zu dem – von der Entscheidung des EGMR abweichenden – Ergebnis kommen müssen, dass das Interesse des Beschwerdeführers zu 1) am Schutz seines Gleichheitsrechts das konkurrierende Freiheitsinteresse nicht wesentlich überwiegt. Dieses Ergebnis lässt sich noch durch eine weitere Überlegung stützen: Für den Ausgleich in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen sollte den Staaten ein weiter Beurteilungsspielraum („margin of appreciation“) zugebilligt werden.1152 Die Koordinierung der privaten Handlungsfreiheit ist in erster Linie Sache der nationalen Rechtsordnungen; die grundrechtliche Kontrolle durch den EGMR muss sich in diesen Fällen auf eine Willkür- oder Evidenzkontrolle beschränken. Dies gilt umso mehr, wenn keine gemeineuropäischen Standards verfügbar sind. Im Fall Pla 1150
Zur unehelichen Abstammung als „verdächtigem“ Differenzierungsgrund s. S. 179. 1151 1152
Vgl. oben S. 331.
Der Sache nach wird dies auch vom EGMR vorliegenden Fall bejaht, vgl. EGMR, 13.07.2004, Pla und Puncernau, RJD 2004-VIII = NJW 2005, S. 875, § 46.
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sind keine Anzeichen dafür ersichtlich, dass der Staat seinen so verstandenen Beurteilungsspielraum überschritten, insbesondere willkürlich gehandelt, hätte. ddd) Das Problem der hier sog. „scheinbaren“ Schutzpflichtkonstellation Im Fall der „scheinbaren“ Schutzpflichtkonstellation geht die Beeinträchtigung des Gleichheitsinteresses von zwei Verursachern aus: Typischerweise hat die Beeinträchtigung des Gleichheitsinteresses ihre Ursache in einem privaten Handeln, etwa, wenn ein Vater das Sorgerecht für sein von ihm getrennt lebendes Kind beantragt mit der Begründung, dass die Ausübung der elterlichen Sorge durch die Mutter wegen deren Mitgliedschaft bei den Zeugen Jehovas nicht dem Wohl des Kindes diene. Dieser Sachverhalt lag den Fällen Hoffmann (1993), Palau-Martinez (2003) und Ismailova (2007) zugrunde.1153 Hier besteht an sich ein mehrpoliges Grundrechtsverhältnis im Sinne der zweiten Schutzpflichtkonstellation, in dem die Rechte der Beteiligten einem angemessenen Ausgleich zugeführt werden müssen. In den Fällen der „scheinbaren Schutzpflicht“ tritt nun aber der Staat – gleichsam im Wege „überholender Kausalität“ – dazwischen und macht sich die Beeinträchtigung des Gleichheitsinteresse zu eigen oder ermöglicht sie. In den Fällen der „scheinbaren“ Schutzpflichtkonstellation geht die Beeinträchtigung daher nicht mehr unmittelbar auf das Handeln eines Privaten zurück, sondern es liegt eine genuin hoheitliche Ungleichbehandlung durch ein gerichtliches Urteil vor. Das nationale Gericht macht sich die im Ursprung private Beeinträchtigung des Gleichheitsrechts „zu eigen“, wenn die Rechtmäßigkeit der Behandlung begründet wird unter Hinweis auf den „verdächtigen“ Differenzierungsgrund, etwa, wenn die Entlassung des Beschwerdeführers durch seinen privaten Arbeitgeber von dem nationalen Gericht gebilligt wird mit der Begründung, dass der Beschwerdeführer einer nicht genehmen politischen Gruppierung angehöre. Etwas anders sind die oben erwähnten Sorgerechtsfälle gelagert. Diese Sorgerechtsentscheidungen können schon deswegen keine genuinen Schutzpflichtfälle darstellen, weil es sich hier nicht um eine privatautonome Entscheidung handelt, sondern der Staat stets eingebunden ist. Es 1153
Vgl. EGMR, 23.06.1993, Hoffmann, Serie A 255-C = EuGRZ 1996, S. 648; EGMR, 16.12.2003, Palau-Martinez, RJD 2003-XII und EGMR, 29.11.2007, Ismailova, Nr. 37614/02.
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3. Teil
handelt sich daher um die Fallgruppe der „Ermöglichung“ einer Gleichheitsrechtsbeeinträchtigung. Beide Fallgruppen der hier sog. „scheinbaren Schutzpflichtkonstellation“ fallen nicht unter die Rechtsfigur der passiven Diskriminierung, sondern stellen direkte Diskriminierungen seitens des Vertragstaates dar. Für eine Abwägung im mehrpoligen Grundrechtsverhältnis ist in diesen Fällen kein Raum. So ist auch der EGMR in den genannten Fällen dem üblichen, zweistufigen Aufbauschema gefolgt und hat gefragt, ob eine unterschiedliche Behandlung der Beschwerdeführerin vorlag und, bejahendenfalls, ob diese gerechtfertigt war. Auf der Rechtfertigungsebene wurden dann unter dem Prüfungspunkt des „legitimen Ziels“ die Rechte Dritter, namentlich die der von der gerichtlichen Entscheidung betroffenen Kinder, geprüft. Eine (direkte) Diskriminierung durch das nationale Urteil hat der Gerichtshof in diesen Fällen angenommen, wenn entweder die religiöse Überzeugung der Beschwerdeführerin der wesentliche Grund für die Ungleichbehandlung war (Hoffmann) oder wenn die nationalen Gerichte eine lediglich abstrakte Würdigung der Interessen vorgenommen hatten, ohne dass ein negativer Einfluss der religiösen Überzeugung der Beschwerdeführerin auf die Kinder dargelegt wurde (Palau-Martinez). Im Fall Ismailova lehnte der EGMR eine Verletzung des Gleichheitsrechts ab, da nach den Ausführungen der nationalen Gerichte die Kinder der Beschwerdeführerin in deren religiöses Handeln verwickelt worden seien mit schädlichen sozialen und psychischen Auswirkungen für deren Entwicklung. Zudem hätten, so der EGMR, die nationalen Gerichte ihre Entscheidung nur zum Teil auf Erwägungen im Zusammenhang mit der Religion der Beschwerdeführerin gestützt und vor allem andere Gesichtspunkte gewürdigt, wie z.B. das Alter der Kinder und den finanziellen Hintergrund. Während die Konstellationen des „Zueigenmachens“ und der „Ermöglichung“ privater Diskriminierung recht eindeutig als direkte Diskriminierungen zu entdecken sind, gibt es Zweifelsfälle bei rein privatautonomen Entscheidungen, etwa bei der Vermietung von Wohnraum oder beim Zugang zu einem Restaurant. Hier kann die Abgrenzung zwischen der zweiten Schutzpflichtkonstellation, in der ein Gerichtsorgan das Gleichheitsinteresse nicht oder fehlerhaft gewichtet, und der hier sog. „scheinbaren“ Schutzpflichtkonstellation problematisch sein. Näherhin geht es um die Frage, an welches staatliche Verhalten die Rechtskontrolle durch den EGMR anknüpfen soll: die fehlende Abwägung des Gleichheitsinteresses in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen durch staatliche Gerichte (Gleichheitsrechtsbeeinträchtigung im Urteil;
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„echte“ Schutzpflichtkonstellation) oder eine selbständige Gleichheitsrechtsverletzung, in dem das letztinstanzliche Gericht die diskriminierende Handlung des Privaten für rechtmäßig erklärt (Gleichheitsrechtsbeeinträchtigung durch Urteil; „scheinbare“ Schutzpflichtkonstellation). Im letzteren Fall geht die Beeinträchtigung des Gleichheitsinteresses nicht mehr (nur) von dem Privaten aus, sondern der Staat selbst beeinträchtigt das Gleichheitsrecht, so dass gleichsam eine abwehrrechtliche Situation vorliegt. Die Abgrenzung zwischen einer „Gleichheitsrechtsbeeinträchtigung im Urteil“ und einer „Gleichheitsrechtsbeeinträchtigung durch Urteil“ ist bei im Ursprung rein privatautonomen Entscheidungen nur selten eindeutig. In jedem Fall liegt eine das gleichheitsrechtliche Interesse des einen Grundrechtsträgers beeinträchtigende gerichtliche Entscheidung und damit ein positives staatliches Tun vor. Ob dieses positive Tun die Qualität einer eigenständigen Grundrechtsbeeinträchtigung hat, also ob ein „Zueigenmachen“ der Diskriminierung durch das nationale Gericht vorliegt, oder die Entscheidung (bloß) als eine Fehlgewichtung des Gleichheitsinteresses zu werten ist, steht weitgehend im Belieben des EGMR. Richtigerweise sollte man in diesen Zweifelsfällen zur Abgrenzung zwischen hoheitlichem Tun (dann „scheinbare“ Schutzpflichtkonstellation) und Unterlassen (dann „echte“ Schutzpflichtkonstellation) – in modifizierender Weise – auf das aus der strafrechtlichen Dogmatik zu gewinnende Kriterium des überwiegenden Energieeinsatzes zurückgreifen: Besteht der überwiegende Energieeinsatz bei der Diskriminierung auf Seiten des Privaten (dann Unterlassen) oder auf Seiten des Staates (dann positives Tun)?1154 Diese schwierige Abgrenzung erfordert eine wertende Betrachtung aller Umstände. Bislang hat sich der EGMR stets für die abwehrrechtliche Lösung derartiger Fälle entschieden, wohl, weil das Nichtdiskriminierungsrecht unter der Konvention wegen dessen Akzessorietät nicht über einen ähnlichen Grad an Selbständigkeit verfügt wie die Freiheitsrechte. Zwingend ist dies allerdings nicht; es spricht viel dafür, diese Fälle als Schutzpflichtkonstellationen zu behandeln, da so die Berücksichtigung aller privaten Interessen eher gewährleistet ist. Eine solche problematische Konstellation lag im Fall Karner (2003)1155 vor. Hier ging es um einen Beschwerdeführer, der in einer homosexuel-
1154
Zum Kriterium des „überwiegenden Energieeinsatzes“ vgl. Otto (Fn. 1051), § 9, S. 156 f., Rn. 2. 1155
EGMR, 24.07.2003, Karner, RJD 2003-IX = ÖJZ 2004, S. 36.
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3. Teil
len Partnerschaft lebte. Beide bewohnten eine Mietswohnung, die der Partner des Beschwerdeführers gemietet hatte. Im Jahr 1994 starb der Partner des Beschwerdeführers und setzte letzteren als Erben ein. Der Vermieter kündigte daraufhin das Mietverhältnis. Im anschließenden Rechtsstreit berief sich der Beschwerdeführer erfolglos auf § 14 Abs. 3 des österreichischen Mietrechtsgesetzes, demgemäß u.a. „Lebensgefährten“ ein Recht auf Fortführung des Mietverhältnisses haben. Der Oberste Gerichtshof berief sich darauf, dass „Lebensgefährte“ im Lichte der zur maßgeblichen Zeit des Gesetzeserlasses geltenden Vorstellungen nicht auch gleichgeschlechtliche Partner umfasst habe. In diesem Fall liegt ein mehrpoliges Grundrechtsverhältnis vor, in dem das Gleichheitsinteresse des Beschwerdeführers, nicht aufgrund seiner sexuellen Orientierung diskriminiert zu werden, zu berücksichtigen ist. Auf der anderen Seite steht die Privatautonomie des Vermieters, dem es gestattet sein muss, sich seine Mieter selbst auszuwählen. Problematisch ist, ob man die staatliche Billigung (und Durchsetzung) der privaten Kündigungshandlung oder die gerichtliche Auslegung des Begriffs des „Lebensgefährten“ als Anknüpfungspunkt wählen soll. Der EGMR entschied sich auch in diesem Fall für die abwehrrechtliche Lösung, der „Gleichheitsrechtsbeeinträchtigung durch Urteil“. In der Tat kann man begründen, dass die Ungleichbehandlung hier unmittelbar auf der Auslegung des Begriffs des „Lebensgefährten“ durch das Gericht beruht und somit ein „ermöglichendes“ Tun seitens des Staates vorliegt. Diese „scheinbare“ Schutzpflichtkonstellation war dann folgerichtig vom EGMR als direkte, staatliche Diskriminierung zu behandeln. Eine Abwägung konkurrierender Grundrechtspositionen wie in „echten“ Schutzpflichtkonstellationen war hier daher entbehrlich. Im Rahmen dieser abwehrrechtlichen Prüfung gelangt der EGMR zu einer Verletzung des Diskriminierungsverbots, indem keine hinreichenden Gründe feststellbar seien, welche die Auslegung des Begriffs „Lebensgefährten“ im Sinne eines Ausschlusses homosexueller Lebenspartner rechtfertigen könnte. Auch die Gegenposition, die an die staatliche Billigung der Kündigung als einer rein privatautonomen Entscheidung anknüpfen und eine „echte“ Schutzpflichtkonstellation bejahen würde, kann plausibel begründet werden. Demgemäß könnte man die relevante Ungleichbehandlung primär in der Kündigung seitens des Vermieters sehen, die bei heterosexuellen Lebenspartnern unwirksam gewesen wäre. Die Auslegung des Begriffs eines „Lebenspartners“ durch das staatliche Gericht wäre nach dieser Lösung bloß eine Bestätigung der Rechtsauffassung des privaten Grundrechtsberechtigten, die zur bestehenden Beeinträchtigung des
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Gleichheitsinteresses des Betroffenen nichts hinzufügt. Im Rahmen der dann anzustellenden Abwägung im mehrpoligen Grundrechtsverhältnis käme man zu demselben, eine Verletzung des Diskriminierungsverbots aus Art. 14 EMRK in Verbindung mit Art. 8 EMRK bejahenden Ergebnis wie der EGMR in der abwehrrechtlichen Lösung: die Art des Differenzierungsgrundes (hier die geschlechtliche Orientierung), der Grad der Benachteiligung (der Verlust des Wohnrechts), die Wirkung der Ungleichbehandlung auf die Öffentlichkeit (Stigmatisierung von Homosexuellen), sowie ganz entscheidend die Tatsache, dass der Sachverhalt in den hier sog. quasi-öffentlichen Bereich1156 fällt, sprechen für ein besonderes gleichheitsrechtliches Schutzinteresse des Beschwerdeführers. Die Schutzpflichtbetrachtung kommt daher im Fall Karner zu demselben Ergebnis wie der EGMR und würde eine Verletzung des Art. 14 EMRK bejahen. eee) Prüfungsstruktur: Schutzpflicht vor Diskriminierung durch Private Schon bei den Freiheitsrechten ist unklar, ob eine Konvergenz in der Prüfungsstruktur hinsichtlich ihrer Funktion als Abwehrrecht bzw. als Schutzpflicht angenommen werden kann.1157 Der EGMR scheint nach wie vor einen einheitlichen Prüfungsaufbau abzulehnen. Die funktionalen Unterschiede zwischen abwehrrechtlicher- und Schutzpflichtdimension der Grundrechte sollen sich danach auch formal im Prüfungsaufbau niederschlagen. So behandelt der EGMR in Schutzpflichtfällen bei Art. 8 EMRK die Rechtfertigungsgründe in dessen Abs. 2 bereits als tatbestandsimmanente Schranken.1158 Die Notwendigkeit und die Praktikabilität eines abweichenden Prüfungsaufbaus in Schutzpflichtfällen werden indessen zunehmend in Zweifel gezogen.1159 Jedoch sind einer Angleichung der Prüfungsstrukturen Grenzen gesetzt: So entfällt die Prüfung des Gesetzesvorbehalts bei Schutzpflichtprüfungen, die Einschränkungsziele lassen sich nicht in ihrer Gesamtheit übertragen, und in Schutzpflichtfällen ist auch bei uneinschränkbaren Rechten anders
1156 1157 1158 1159
Zum hier sog. quasi-öffentlichen Bereich s. oben S. 334. Dazu vgl. umfassend Dröge (Fn. 1053), S. 337 ff. Vgl. Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 44.
Vgl. bereits das Sondervotum des Richters Bernhardt in EGMR, 28.05.1985, Abdulaziz u.a., Serie A 94 = NJW 1986, S. 3007, Annex; s, auch die zustimmende Ansicht des Richters Wildhaber in EGMR, 25.11.1994, Stjerna, A 299-B, Annex (Verw. bei Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 44).
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3. Teil
als in abwehrrechtlichen Konstellationen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen.1160 Die Prüfungsstruktur in Fällen der Pflicht zum Schutz vor privater Diskriminierung lässt sich – im Einklang mit der im Vordringen befindlichen Ansicht – der einer abwehrrechtlichen Prüfung annähern, aber nicht gleichsetzen. Danach ist von folgender, dreistufiger Prüfung auszugehen: Anwendungsbereich, Beeinträchtigung durch staatliches Unterlassen der Schutzgewährung und mögliche Rechtfertigung des Unterlassens. Auf der ersten Stufe ist zu prüfen, ob der Sachverhalt in den Anwendungsbereich des Art. 14 bzw. Art. 1 ZP 12 EMRK fällt. Dies ist dann der Fall, wenn der Anspruch des Beschwerdeführers auf ein positives, staatliches Tätigwerden entweder in den Regelungsbereich („ambit“) eines anderen Konventionsrechts fällt (Art. 14 EMRK) oder – sofern Art. 1 ZP 12 EMRK ratione personae einschlägig ist – sich auf irgendein staatlich gewährtes Recht bezieht. Beispielsweise betrifft der Anspruch auf ein positives, staatliches Handeln im bereits erwähnten Fall Pla mit der Testierfreiheit ein anderes Konventionsrecht, nämlich Art. 1 ZP 1 EMRK, so dass der Diskriminierungsschutz des Art. 14 EMRK aktiviert wird. Unerheblich ist, dass es sich nicht um ein Freiheitsrecht des Beschwerdeführers selbst handelt (im Fall Pla ging es nicht um die Testierfreiheit des Beschwerdeführers, sondern um die rechtliche Gestaltungsfreiheit der Erblasserin), damit der Anspruch auf gleichheitsrechtlichen Schutz ausgelöst wird. Da in den Schutzpflichtfällen der objektivrechtliche Ausgleich von Grundrechtspositionen in Frage steht, mithin die bestehende staatliche Abgrenzung von Freiheitssphären durch den Beschwerdeführer gerügt wird, reicht es, wenn der Sachverhalt als solcher einem anderen Konventionsrecht unterfällt, um dem Akzessorietätserfordernis des Art. 14 EMRK zu genügen. Für den Schutz vor Diskriminierung durch Private aufgrund des nicht akzessorischen Art. 1 ZP 12 EMRK genügt bereits, dass der Sachverhalt überhaupt nur irgendein staatlich gewährleistetes Recht betrifft. Dies wird in der Regel unproblematisch sein, da in den Schutzpflichtfällen zumindest die Berufung auf das staatlich gewährleistete Recht der Privatautonomie seitens des Nachteilverursachers in Betracht kommt. Das Erfordernis einer Subsumtion des Sachverhalts unter ein konventionsrechtlich gewährleistetes Freiheitsrecht entfällt bei Art. 1 ZP 12 EMRK. Sofern nur das Handeln des privaten Nachteilverursachers nicht verbo1160
Dröge (Fn. 1053), S. 354 f.
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ten ist, wird daher regelmäßig davon auszugehen sein, dass der Sachverhalt in den Anwendungsbereich des Art. 1 ZP 12 EMRK fällt. Auf der zweiten Prüfungsstufe ist die Beeinträchtigung des konventionsrechtlichen Gleichheitsrechts durch ein staatliches Unterlassen (angesichts einer Nachteilverursachung durch das Handeln eines Privaten) darzulegen. Hans D. Jarass hat vorgeschlagen, zwischen „Eingriffen“ und „Beeinträchtigungen“ von Grundrechten zu unterscheiden: Von einem „Eingriff“ könne gesprochen werden, wenn die abwehrrechtliche Funktion des Grundrechts in Rede stehe, von einer „Beeinträchtigung“, wenn eine sonstige Grundrechtsfunktion, d.h. auch die Schutzpflichtgewährleistung, einschlägig sei.1161 Der Begriff der Beeinträchtigung ist eher geeignet als der Begriff des Eingriffs, anzuzeigen, dass es in den Schutzpflichtfällen um ein staatliches Unterlassen und nicht um ein positives Tun geht. Die Beeinträchtigung durch Unterlassen besteht in gleichheitsrechtlichen Schutzpflichtfällen entweder darin, dass die staatliche Gesetzgebung ein gleichheitsrechtliches Mindestschutzniveau nicht gewährleistet (Lücken im gesetzlichen Gleichheitsrechtsschutz)1162 oder darin, dass gleichheitsrechtliche Grundrechtspositionen in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen nicht oder fehlerhaft berücksichtigt werden (Fehler in der gleichheitsrechtlichen Abwägung)1163. Die Rechtfertigung des staatlichen Unterlassens ist auf einer dritten Stufe des Prüfungsaufbaus zu untersuchen. Die Beeinträchtigung durch das staatliche Unterlassen muss in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten, legitimen Ziel stehen.1164 In den Fällen der Schutzpflicht vor Diskriminierungen durch Private kommt als legitimes Ziel insbesondere die Gewährleistung der Rechte des Nachteilsverursachers in Betracht. Das nachteilsverursachende Verhalten des Privaten unterfällt prima facie dem Schutz der Privatautonomie. Obwohl die Privatautonomie als solche nicht von der EMRK gewährleistet wird, finden Elemente einer selbstbestimmten Lebensgestaltung gleichwohl Schutz im Rahmen des Art. 8 EMRK und des Art. 1 ZP 1 EMRK.1165 Der erforderliche Ausgleich der gleichheitsrechtlichen mit der freiheitsrechtli1161 1162 1163
Jarass (Fn. 1020), S. 367. Vgl. dazu ausführlich oben S. 329 ff. Vgl. dazu ausführlich oben S. 340 ff.
1164
Zur Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Schutzpflichtkonstellationen allgemein vgl. Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 65; Calliess (Fn. 1131), S. 988 ff., Rn. 29 ff. 1165
Vgl. dazu bereits oben S. 321.
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3. Teil
chen Grundrechtsposition ist auf dieser Stufe anhand der bereits genannten Kriterien vorzunehmen: die Art des „verdächtigen“ Differenzierungsgrundes, das Maß an Öffentlichkeit des diskriminierenden Verhaltens, der Grad der Benachteiligung des Betroffenen durch das diskriminierende Verhalten und schließlich die Wirkung der Diskriminierung auf die Öffentlichkeit. Für diesen Ausgleich lassen sich keine konkreten Vorgaben machen. Als grundrechtlicher Mindeststandard kommt jedoch das Untermaßverbot in Betracht: Danach muss der Staat darauf hinwirken, dass das konventionsrechtliche Nichtdiskriminierungsrecht einen tatsächlichen und effektiven und nicht bloß theoretischen Schutz gewährt.1166 Schließlich ist zu prüfen, ob die Beeinträchtigung auch innerhalb des staatlichen Beurteilungsspielraums bleibt. Dabei ist zu bedenken, dass den Staaten bei der Auswahl der Mittel, mit denen sie ihrer gleichheitsrechtlichen Schutzpflicht nachkommen, ein weiter Ermessensspielraum zusteht.1167
b) Pflicht zur Gewährung einer diskriminierungsfreien Teilhabe (Teilhabegewährleistungspflicht) aa) Begriff Die Gewährung von Schutz vor Diskriminierung durch Private ist nur ein möglicher Pflichteninhalt im Rahmen der Rechtsfigur der passiven Diskriminierung. Die Gewährleistungspflicht kann auch die diskriminierungsfreie Teilhabegewährung an staatlichen Gütern und Leistungen zum Gegenstand haben. Wie näher darzulegen sein wird, korrespondiert der Pflicht zur diskriminierungsfreien Teilhabegewährung in bestimmten Konstellationen ein subjektiver Anspruch des Einzelnen, ein sog. Teilhabeanspruch. Solche Teilhabeansprüche sind auf die Bereitstellung von staatlichen Gütern und Leistungen gerichtet; man spricht daher auch von sog. Leistungsrechten.1168 Bei Leistungsrechten unterscheidet man danach, ob der Teilhabeanspruch unabhängig (d.h. ohne 1166
Zum Untermaßverbot als Mindeststandard in Schutzpflichtkonstellationen vgl. Calliess (Fn. 1131), S. 986, Rn. 26; Dröge (Fn. 1053), S. 353. 1167 Zum Ermessensspielraum bei Schutzpflichten allgemein vgl. auch Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 64; Dröge (Fn. 1053), S. 359 ff . 1168
Vgl. Dirk Ehlers, Allgemeine Lehren (§ 2), in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Aufl., Berlin 2009, § 2 II 3 a), S. 39, Rn. 24.
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Beschränkung durch ein bereitgestelltes Kontingent, die Verfügbarkeit etc.) von bestehenden Leistungssystemen gewährt wird (sog. „originäre Teilhaberechte“) oder ob sich der Teilhabeanspruch auf eine diskriminierungsfreie Berücksichtigung innerhalb vorhandener Leistungssysteme erschöpft (sog. derivative Teilhaberechte).1169 Die EMRK kennt keine originären Teilhaberechte, wie z.B. das Recht auf Arbeit oder Wohnung. Ebenso fehlt es an einer Anerkennung des Rechts auf das Existenzminimum.1170 Der Grund für das Fehlen originärer, sozialer Teilhaberechte in der EMRK liegt darin, dass sich in der Phase ihrer Entstehung keine Einigkeit über die Gewährleistung derartiger Rechte unter den Vertragsparteien herstellen ließ.1171 Soziale Teilhaberechte gewährleistet die Europäische Sozialcharta des Europarats (ESC, 1961)1172, wenngleich auch nicht als subjektive Rechte des Einzelnen, sondern lediglich als Programmbestimmungen.1173 Hingegen kennt die EMRK die Konstellation der sog. derivativen Teilhaberechte. Derivative Teilhaberechte betreffen Situationen, in denen die Nachfrage nach einer staatlichen Leistung das Angebot übertrifft: Zwar kann der Einzelne in dieser Situation die staatliche Leistung nicht unmittelbar aufgrund eines originären (Leistungs-)Rechts beanspruchen, er hat aber einen Anspruch darauf, jedenfalls nicht willkürlich von der Verteilung der Leistung ausgeschlossen zu werden.1174 Verweigert der Staat dem Einzelnen sein Recht auf derivative Teilhabe an be1169
Grundlegend bereits Wolfgang Martens, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 21 ff. Vgl. auch Dietrich Murswiek, Grundrechte als Teilhaberechte, soziale Grundrechte, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, Heidelberg 1992 (2. Aufl. 2000), § 112, Rn. 13; Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 86. Die EMRK gewährleistet grundsätzlich keine originären Leistungsrechte, wie z.B. ein Recht auf Arbeit oder auch das Recht auf ein Existenzminimum (vgl. Richter [Fn. 509], Kap. 9, Rn. 43). Ausnahmen bilden Art. 3 ZP 7 EMRK, der ein (konventionsrechtliches) Recht auf Entschädigung bei Fehlurteilen verbürgt (vgl. dazu Ehlers [Fn. 1168], § 2 II 3 a), S. 39, Rn. 24) und Art. 5 Abs. 5 EMRK (Entschädigungsanspruch bei konventionswidriger Haft). 1170
Ehlers (Fn. 1168), § 2 II 3 a), S. 39, Rn. 24; Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 86; Richter (Fn. 509), Kap. 9, Rn. 43. 1171
Vgl. Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 87.
1172
European Social Charter, 18.10.1961 bzw. 03.05.1996, ETS Nr. 35 bzw. 163 (revidierte Fassung); BGBl II 1964, 1262. 1173 1174
Wegener (Fn. 1170), § 5 IV, S. 150, Rn. 63. Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 98.
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stimmten Gütern oder Leistungen, kommt der Staat also seiner Pflicht zur Teilhabegewährung aus diskriminierenden Gründen nicht nach, so kann ein Fall der passiven Diskriminierung vorliegen. Wie die oben behandelten gleichheitsrechtlichen Schutzpflichtkonstellationen zielen die Teilhaberechte damit auf ein positives Handeln des Staates.
bb) Möglichkeit der Ableitung von Teilhabeansprüchen aus Gleichheitsrechten Der Wortlaut der Diskriminierungsverbote in Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK schweigt zur gleichheitsrechtlichen Teilhabeproblematik. Die Ableitung von Teilhabeansprüchen aus den Diskriminierungsverboten ist richterrechtlich durch den EGMR entwickelt worden. Bevor im nächsten Abschnitt die Begründung solcher Teilhabeansprüche geleistet werden soll, ist zunächst das rechtliche Für und Wider der Anerkennung gleichheitsrechtlicher Teilhabeansprüche unter der EMRK abzuwägen. Die Anerkennung positiver, staatsgerichteter Ansprüche auf derivative Teilhabe durch den EGMR rief früh Widerstand hervor. So argumentierte Richter Sir Gerald Fitzmaurice bereits im Jahr 1975: “No question of the discriminatory or non-discriminatory application or enjoyment of a right can arise unless that right itself exists in the first place, to be conceded whether discriminatorily or not.”1175 Diese ablehnende Ansicht stützt sich im Wesentlichen auf drei Argumente: Erstens erstrecke sich das Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK dem Wortlaut nach bloß auf die „Rechte und Freiheiten“ innerhalb der Konvention. Wo kein „Recht“ im Sinne eines Konventionsrechts vorliege, könne daher auch das Diskriminierungsverbot nicht greifen. Teilhaberechte zielten aber auf Güter und Leistungen, die gerade nicht von der Konvention erfasst würden, die also über das Mindestmaß des konventionsrechtlich gebotenen Grundrechtsschutzes hinausgingen, und ständen daher außerhalb des Rechts- und Regelungsbereichs der EMRK. Damit hängt das zweite Argument zusammen, dass sich auf den historischen Willen der Vertragsparteien beruft: Durch das Akzessorietätserfordernis in Art. 14 EMRK hätten die Vertragstaaten gerade die Ausweitung des Diskriminierungsverbots auf die von der Konvention nicht geregelten Fälle verhindern wollen. Die Gegenansicht, die derivative Teilhaberech-
1175
Separate op. von Richter Gerald Fitzmaurice in EGMR, 27.10.1975, National Union of Belgian Police, Serie A 19, Annex.
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te bejahe, interpretiere das Akzessorietätserfordernis fälschlich aus Art. 14 EMRK heraus. Nach dem dritten Argument, das ebenfalls mit der Akzessorietät des Art. 14 EMRK in Verbindung steht, dürfe die Ausdehnung des Diskriminierungsverbots unter Art. 14 EMRK nicht zu einer Vorwegnahme des ZP 12 führen.1176 Diese, die Rechtsfigur des derivativen Teilhaberechts ablehnende Ansicht ist allerdings nicht überzeugend. Die besseren Argumente sprechen für die Annahme gleichheitsrechtlich fundierter Teilhabeansprüche. Das von der ablehnenden Ansicht vorgetragene Wortlautargument verfängt nicht, da die Freiheitsrechte der Konvention vielfach selbst zu unbestimmt und auf positive Ausgestaltung durch den Staat hin angelegt sind; die Freiheitsrechte der EMRK geben einen Rahmen und eine Richtung für ihre Ausgestaltung vor, sie „programmieren“ diese aber nicht bis ins Detail. Wenn der Staat die Freiheitsrechte auf diese Weise ausformt und realisiert, werden die so geschaffenen Rechte gleichsam „in den konventionsrechtlichen Regelungsbereich hineingezogen“. In diesem Sinne handelt es sich bei den – über die Freiheitsrechte hinausgehenden – staatlichen Ausgestaltungsnormen auch um Rechte, die – im Sinne von Art. 14 EMRK – durch die Konvention gewährleistet sind. Auch der Wortlaut der Diskriminierungsverbote spricht im Gegenteil eher für die Annahme weitergehender staatlicher Verpflichtungen: Der Wortlaut des Art. 14 und des Art. 1 ZP 12 EMRK ist offen formuliert und erwähnt ausdrücklich eine staatliche Gewährleistungspflicht („gewährleisten“). Gleichheitsrechtsgestützte Teilhaberechte werden damit keinesfalls ausgeschlossen, vielmehr wird eine eher weit gefasste Verpflichtungsdimension angedeutet. Auch das Akzessorietätsargument der ablehnenden Ansicht ist nicht stichhaltig: Dem Akzessorietätserfordernis ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR schon dann genügt, wenn der Sachverhalt in den Regelungsbereich eines Freiheits- oder Verfahrensrechts fällt. Nicht erforderlich ist, dass der Schutzbereich eines Konventionsrechts berührt ist.1177 Entscheidend aber ist, dass die ablehnende Ansicht den Prinzipiencharakter des Diskriminierungsverbots verkennt. Das konventionsrechtli1176 Vgl. Richter Borrego Borrego in EGMR, 12.04.2006, Stec u.a, Nr. 65731/01 und 65900/01, Annex. 1177
St. Rspr., vgl. nur EGMR, 28.05.1985, Abdulaziz u.a., Serie A 94 = NJW 1986, S. 3007, § 71; dazu vgl. auch Grabenwarter (Fn. 208), § 26 I 2, S. 446 f., Rn. 3 sowie ausführlich oben S. 134 ff.
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che Diskriminierungsverbot enthält nicht nur subjektive Rechte des Einzelnen, sondern es stellt als Prinzip der Rechtsgleichheit objektivrechtlich einen „integralen Bestandteil“ jedes Konventionsrechts dar.1178 Dann aber ist das Prinzip der Rechtsgleichheit als Grenze und Verwirklichungsauftrag jeder staatlichen Ausgestaltung von Freiheitsrechten aufgegeben. In den Worten des EGMR: “A measure which in itself is in conformity with the requirements of the Article enshrining the right or freedom in question may therefore infringe this Article when read in conjunction with Article 14 for the reason that it is of a discriminatory nature. It is as though Article 14 formed an integral part of each of the Articles laying down rights and freedoms whatever their nature. These considerations apply in particular where a right embodied in the Convention and the corresponding obligation on the part of the State are not defined precisely, and consequently the State has a wide choice of the means for making the exercise of the right possible and effective” [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.].1179 Für die Ansicht, die gleichheitsrechtsgestützte Teilhaberechte unter der EMKR bejaht, sprechen also zusammengefasst folgende Gründe: die Unbestimmtheit und Ausgestaltungsbedürftigkeit auch der Freiheitsrechte, der weit gefasste Wortlaut der konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbote und das konventionsrechtliche Prinzip der Rechtsgleichheit.
cc) Begründung gleichheitsrechtlicher Teilhabeansprüche Unter der EMRK werden die derivativen Teilhaberechte aus den Normen des Nichtdiskriminierungsrechts der Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK (ggf. in Verbindung mit dem jeweils einschlägigen Freiheitsgrundrecht) abgeleitet.1180 Man kann sich die Frage stellen, wie die gleichheitsrechtsgestützte Teilhabefunktion unter der EMRK dogmatisch begründet werden kann. Offensichtlich können die Diskriminie1178
So schon EGMR, 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, B 9 = EuGRZ 1985, S. 298 ff., § 9. Vgl. zum konventionsrechtlichen Prinzip der Rechtsgleichheit oben S. 253 ff. 1179 1180
EGMR, 27.10.1975, National Union of Belgian Police, Serie A 19, § 44.
Im Übrigen werden derivative Teilhaberechte auch aus dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutz, der Eigentumsgarantie oder aus den Freiheitsrechten abgeleitet, vgl. Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 98.
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rungsverbote der Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK gewissermaßen als „mittelbarer Leistungsrechtsgenerator“ dienen. Diese Funktion der Diskriminierungsverbote als „mittelbarer Leistungsrechtsgenerator“ lässt sich in drei Schritten begründen: Im ersten Schritt vergewissert man sich des in derivativen Teilhaberechtskonstellationen zugrunde liegenden Gleichheitsprinzips. Derivative Teilhaberechte folgen dem ersten Bestandteil des Prinzips der formalen Gleichbehandlung, nämlich „Gleiches ist gleich zu behandeln“.1181 Dies ist nicht weiter überraschend, da das Prinzip der formalen Gleichheit jeder gleichheitsrechtlichen Norm, mithin auch dem Diskriminierungsverbot, innewohnt.1182 Genauer geht es in den Teilhabekonstellationen um die Einforderung formaler Gleichbehandlung als „Neutralität in der Normsetzung“, wenn die Legislative die Teilhabegewährung nicht auf gleichgelagerte Fälle erstreckt.1183 Von Bedeutung ist, dass das Prinzip der formalen Gleichbehandlung im Zusammenhang mit derivativen Teilhaberechten herangezogen wird, nicht um negativ die Teilhabeverwehrung an staatlichen Gütern und Leistungen zu rügen, sondern um positiv die Teilhabeerstreckung auf gleichgelagerte, vorher unbedachte Fälle zu fordern. Während die negative Teilhabeverwehrung aus diskriminierenden Gründen eine bloße Ungleichbehandlung und damit eine direkte Diskriminierung darstellt, handelt es sich nur dann um eine Konstellation der passiven Diskriminierung, wenn die Verletzung einer positiven Erstreckungspflicht vorliegt. Nur in diesem Fall kann die für die Rechtsfigur der passiven Diskriminierung charakteristische Nichtbehandlung trotz Gewährleistungspflicht bejaht werden.1184 Die Verteilung staatlicher Vorteile muss nach dem Prinzip der formalen Gleichbehandlung alle als „gleich“ erkannte Sachverhalte einbeziehen. Das Prinzip der formalen Gleichbehandlung begründet daher im ersten Schritt eine grundsätzliche Erstreckungspflicht („ist … zu behandeln“) bei der Verteilung staatlicher Güter und Leistungen. Wie oben angedeutet, kann die Abgrenzung zwischen der Rüge einer Teilhabeverwehrung (dann ggf. direkte Diskrimi1181
Vgl. dazu auch Arnardóttir (Fn. 599), p. 110. Zum Prinzip der formalen Gleichbehandlung allgemein vgl. oben S. 13 ff., zum Rechtsprinzip der formalen Gleichbehandlung s. S. 414 ff. 1182
Dazu s. unten S. 415.
1183
Die rechtlichen Implikationen des Prinzips der formalen Gleichbehandlung werden ausführlich behandelt auf S. 416 ff. 1184
Vgl. nochmals die Struktur der Rechtsfigur der passiven Diskriminierung oben S. 314 f.
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nierung) und der Rüge einer Teilhabenichterstreckung (dann ggf. passive Diskriminierung) im Einzelfall Probleme bereiten. Zunächst ist die Frage aus der Perspektive des Beschwerdeführers zu betrachten: Geht es dem Beschwerdeführer um die Beseitigung seiner Schlechterstellung aufgrund eines personenbezogenen Differenzierungskriteriums, so wird in der Regel eine direkte Diskriminierung zu prüfen sein. Wird hingegen in erster Linie die Aufwertung der eigenen Rechtsposition im Lichte einer Ungleichbehandlung im Vergleich zu anderen verlangt, so kommt eine passive Diskriminierung in Betracht. Ausgangspunkt muss in diesen Fällen also die Perspektive des Beschwerdeführers sein. Hilfreich ist hier zum anderen wiederum die strafrechtliche Figur des überwiegenden „Energieeinsatzes“1185: Je mehr das staatliche Verhalten einem (bewusst-gewollten) Ausschluss des Beschwerdeführers von der erstrebten Leistung bzw. dem Gut angenähert ist, desto eher handelt es sich um eine direkte Diskriminierung. Je weniger Anzeichen sich für eine solche staatliche Motivation finden, desto eher wird eine passive Diskriminierung in Frage kommen. Im zweiten Schritt bedarf es einer Erklärung dafür, dass derivative Teilhabe „gleiche“ Teilhabe meint, d.h. sie ist auf die gleichen staatlichen Güter und Leistungen in gleichem Umfang gerichtet (und nicht etwa auf eine Surrogats- oder Ersatzleistung). Die Gleichheit des Berücksichtigungsumfangs1186 ist ebenfalls im Prinzip der formalen Gleichbehandlung enthalten, indem nämlich „Gleiches gleich“ behandelt werden soll. Der dritte Begründungsschritt bezieht sich nicht auf die grundsätzliche Erstreckungspflicht oder ihren Umfang, sondern inhaltlich darauf, dass es sich gerade um die Teilhabe an bestimmten staatlichen Gütern und Leistungen handelt. Hier geht es näherhin um die Frage, ob die Erstreckungspflicht alle staatlichen Vorteile erfasst oder nur bestimmte. Dieses Problem kann nicht mehr nur unter Hinweis auf das Prinzip der formalen Gleichbehandlung gelöst werden, sondern dazu bedarf es rechtsethischer und staatsphilosophischer Erwägungen, die an dieser Stelle noch dahingestellt bleiben können; im Vorgriff kann aber gesagt werden, dass die Teilhabepflicht zumindest auf einige, von der Rechtsethik als relevant ausgewiesene Güter, die hier sog. Mittel des So-Sein-
1185 1186
Vgl. dazu Otto (Fn. 1051), § 9, S. 156 f., Rn. 2.
Nicht zu verwechseln mit der „Berücksichtigung als Gleicher“, welches die Bestimmung der substantiellen Gleichheit ist, vgl. dazu S. 420 ff.
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Könnens, ausgeweitet werden muss.1187 Dass die Pflicht zur Teilhabeerstreckung sich inhaltlich jedenfalls auf alle in den Regelungsbereich der konventionsrechtlichen Freiheitsrechte fallenden Rechte bezieht, lässt sich aber auch positivrechtlich mit dem Prinzipiencharakter des Gleichheitsrechts begründen: Das Prinzip der Rechtsgleichheit liegt als „integraler Bestandteil“ („integral part“) allen übrigen Konventionsrechten, insbesondere auch den Freiheitsrechtsrechten, zugrunde.1188 Sofern der Staat Güter oder Leistungen, die in den Regelungsbereich eines solchen Freiheitsrechts fallen, gewährleistet, werden diese Vorteile von dem Prinzip der Rechtsgleichheit erfasst mit der Folge, dass der Staat nicht nur negativ gewisse Grenzen der Ungleichbehandlung, sondern auch positive Ausgestaltungsanforderungen bei deren Verteilung zu beachten hat. Wenn der Staat beispielsweise das Recht der Gewerkschaften ausgestaltet, handelt er im Regelungsbereich des Art. 11 EMRK (Vereinigungsfreiheit). Sieht der Staat nun ein – über die Anforderungen des Art. 11 EMRK hinausgehendes – Recht auf Anhörung für Gewerkschaften vor, partizipiert dieses neu geschaffene Recht an den Ausgestaltungsanforderungen des Art. 11 EMRK.1189 Dazu gehört das konventionsrechtliche Prinzip der Rechtsgleichheit; Gewerkschaften haben daher das gleichheitsrechtsgestützte Recht auf gleiche Teilhabe an dem Konsultationssystem. Die Erstreckung des Konsultationsrechts auf einige Gewerkschaften unter Auslassung anderer führt dann ggf. zum Vorliegen einer passiven Diskriminierung. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das gleichheitsrechtsgestützte Recht auf Teilhabeerstreckung – im Rahmen der symmetrischen Schutzkonzeption der EMRK – somit unter Rückgriff auf das erste Teilprinzip der formalen Gleichbehandlung sowie auf das konventionsrechtliche Prinzip der Rechtsgleichheit begründet werden kann.
1187
Vgl. zur rechtsethischen Rekonstruktion gleichheitsrechtsgestützter derivativer Teilhaberechte aus einem distributiven Gerechtigkeitsprinzip unten S. 483 f. 1188
Vgl. zum konventionsrechtlichen Prinzip der Rechtsgleichheit oben S.
253 f. 1189
Vgl. dazu nochmals den Fall des EGMR, 27.10.1975, National Union of Belgian Police, Serie A 19.
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dd) Struktur und Inhalt gleichheitsrechtlicher Teilhabeansprüche aaa) Dogmatische Struktur: Das „Wenn-dann-Schema“ Dogmatisch stützt sich der EGMR im Grundsatz auf ein einfaches, sog. „Wenn-dann-Schema“, d.h. wenn ein Staat das Recht auf bestimmte staatliche Güter und Leistungen vorsieht (ohne dazu konventionsrechtlich verpflichtet zu sein), dann muss er dieses Recht in einer nichtdiskriminierenden Weise gewähren.1190 Zu beachten ist bei Art. 14 EMRK, dass wegen des Akzessorietätserfordernisses der Inhalt des Teilhabeanspruchs in den Regelungsbereich eines der konventionsrechtlichen Freiheitsrechte fallen muss.1191 Als Beispiel kann man das staatlich gewährte Recht auf eine zweite Gerichtsinstanz heranziehen. Die Ausgestaltung des Gerichtswesens und des Prozessrechts gehört zum Regelungsbereich des Art. 6 EMRK. Dieser und die Konvention im Übrigen enthalten aber kein Recht auf eine zweite Gerichtsinstanz. Nach dem „Wenn-dann-Schema“ darf der Staat aber, wenn er das Recht auf eine zweite Gerichtsinstanz gewährt, dies nicht in einer diskriminierenden Weise tun.1192 Für Art. 1 ZP 12 EMRK ist lediglich erforderlich, dass es sich um ein staatlich gewährtes Recht handelt, d.h. es darf sich bei der Leistung und oder dem Gut, an denen die Teilhabe erstrebt wird, nicht um bloße „Erwartungen“ oder „Interessen“ handeln, sondern es muss sich um formelle Rechte des Einzelnen handeln. Die relevanten Rechte, an denen Teilhabe eingefordert wird, müssen weiterhin auch im Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung „existent“ sein, d.h. es darf sich nicht um zukünftige, bloß in Aussicht gestellte Rechte handeln. Diese Einschränkungen ergeben sich bereits aus dem Gebot der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Indem sich die Ungleichbehandlung auf existente Rechte beziehen muss, wird der Bereich der passiven Diskriminierung 1190
Vgl. die joint partly dissenting opinion der Richter Sir Nicolas Bratza, Fuhrmann und Tulkens in EGMR, 26.02.2002, Fretté, RJD 2002-I = FamRZ 2003, S. 149: “Whenever a legal system grants a right (...) it cannot grant it in a discriminatory manner without violating Article 14 of the Convention.” Vgl. Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 86; Richter (Fn. 509), Kap. 9, Rn. 69; Michael Melchior, Rights Not Covered by the Convention, in: Ronald St. John Macdonald et al. (eds.), The European system for the protection of human rights, Dordrecht [et al.] 1993, p. 594, 596. 1191 1192
Ausführlich zur Akzessorietät oben S. 134 ff.
Vgl. EGMR, 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, B 9 = EuGRZ 1985, S. 298 ff., § 9.
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begrenzt: Eine positive Pflicht zur Einführung bisher nicht vorhandener sozialer Leistungsrechte (etwa die Einführung eines Anspruchs auf das Existenzminimum) kann sich auch nicht auf das Diskriminierungsverbot des Art. 1 ZP 12 EMRK stützen. bbb) Derivative Teilhabe im Bereich der Freiheits- und Verfahrensrechte Die Teilhabeproblematik kann bei Art. 14 EMRK grundsätzlich unter dem Regelungsbereich eines jeden Konventionsrechts entstehen1193 und im Rahmen des Art. 1 ZP 12 EMRK bei jedem staatlich gewährten Recht überhaupt. Ein Fall, in welchem die Teilhabenichterstreckung und damit eine passive Diskriminierung gerügt wurde, stellt der oben erwähnte Fall Burden und Burden (Kammer: 2006/Große Kammer: 2008) dar.1194 Hier ging es um die Frage, ob in der Nichtgewährung erbschaftssteuerrechtlicher Vorteile im Fall einer engen Geschwisterbeziehung eine Diskriminierung zu sehen sei. In Anwendung der oben erwähnten Grundsätze ist zunächst von der Perspektive der Beschwerdeführerinnen auszugehen: Den beiden Geschwistern ging es nicht in erster Linie um die Rüge der steuerrechtlichen Schlechterstellung im Vergleich zu verheirateten Paaren oder zu gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften, sondern um die Ausweitung der staatlichen Regelung auf ihren Fall und damit um eine Verbesserung ihrer Rechtsposition. Sie rügten damit primär eine aus ihrer Sicht diskriminierende Nichtberücksichtigung, nicht eine staatlicherseits bewusst-gewollte Schlechterstellung. Der EGMR bejahte die Anwendbarkeit des Art. 14 EMRK, da die Zahlung von Erbschaftssteuern unter das Eigentumsrecht aus Art. 1 ZP 1 EMRK falle. Im Ergebnis war die Beschwerde allerdings unbegründet, da der EGMR die Vergleichbarkeit verneint hat. Eine geringe Anzahl der gleichheitsrechtlichen Teilhabekonstellationen, die vom EGMR behandelt worden sind, betrifft die diskriminierungsfreie Teilhabe an konventionsrechtlich nicht geforderten Freiheits- und Verfahrensrechten; zahlenmäßig am häufigsten sind die Fälle der derivativen Teilhabe im Zusammenhang mit der Sache nach sozioökonomischen Rechten.
1193
Vgl. die Auflistung der Fälle bei Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 85.
1194
EGMR (K), 12.12.2006, Burden und Burden, Nr. 13378/05; EGMR (GK), 29.04.2008, Burden und Burden, Nr. 13378/05.
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3. Teil
Im ersten Fall der diskriminierungsfreien Teilhabe an nicht konventionsrechtlich geforderten Freiheits- und Verfahrensrechten handelt es sich gerade nicht um eine „einfache“ Ungleichbehandlung im Schutzbereich eines Konventionsrechts, sondern um eine Ungleichbehandlung im Hinblick auf ein Nicht-Konventionsrecht. Wie oben dargelegt, gilt grundsätzlich, dass wenn ein Vertragstaat die Freiheitsausübung – über das von der Konvention geforderte Mindestmaß hinaus – schützt, dieses Recht diskriminierungsfrei gewährt werden muss. Auf diese Weise geraten von der EMRK an sich nicht erfasste Freiheitsrechte, wie z.B. das Einwanderungsrecht1195 oder das Recht auf Adoption1196, in den konventionsrechtlichen Anwendungsbereich und damit unter die Kontrolle des Straßburger Gerichtshofs. Diese eher seltene Konstellation diskriminierungsfreier Teilhabe an staatlich gewährleisteter Freiheit lag im bereits mehrfach erwähnten Fall Abdulaziz u.a. (1985)1197 vor. In diesem Fall ging es u.a. um die erschwerten Bedingungen für Frauen im Vereinigten Königreich, den Nachzug ihrer Ehemänner ausländischer Herkunft zu erwirken. Die Regierung des Vereinigten Königreichs berief sich darauf, dass die Konvention ein Recht auf Einwanderung nicht vorsehe. Nach dieser Ansicht sei Art. 14 EMRK nicht anwendbar, wenn der Staat – mit dem Einwanderungsrecht – Rechte kreiere, die über das von der Konvention geschützte Mindestmaß hinausgingen.1198 Der Gerichtshof weist dieses Argument zurück und bestätigt damit seine Rechtsprechung zum gleichheitsrechtsgestützten Teilhaberecht: “The notion of discrimination within the meaning of Article 14 includes in general cases where a person or group is treated, without proper justification, less favourably than another, even though the more favourable treatment is not called for by the Convention.”1199 Die diskriminierende Vorenthaltung oder Erschwerung des Einwanderungsrechts bei Familienangehörigen kann
1195
Vgl. EGMR, 28.05.1985, Abdulaziz u.a., Serie A 94 = NJW 1986, S. 3007, §§ 70 ff. 1196
Vgl. EGMR, 26.02.2002, Fretté, RJD 2002-I = FamRZ 2003, S. 149; vgl. jetzt auch EGMR (GK), 22.01.2008, E.B. v. Frankreich, Nr. 43546/02 = ÖJZ 2008, S. 499, §§ 32 ff. 1197
EGMR, 28.05.1985, Abdulaziz u.a., Serie A 94 = NJW 1986, S. 3007, zum Sachverhalt s. S. 276. 1198 1199
EGMR, 28.05.1985, Abdulaziz u.a., Serie A 94 = NJW 1986, S. 3007, § 82. EGMR, 28.05.1985, Abdulaziz u.a., Serie A 94 = NJW 1986, S. 3007, § 82.
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daher mittels Art. 8 EMRK in Verbindung mit Art. 14 EMRK gerügt werden.1200 Ein weiterer Fall, Fretté (2002),1201 betraf die Verweigerung des Adoptionsrechts bei einem homosexuellen Beschwerdeführer. Auch hier stellte der Gerichtshof eingangs fest, dass die Konvention das Recht der Adoption nicht als solches gewährleiste. Da aber das französische Recht auch unverheirateten Männern und Frauen das Recht zur Adoption unter bestimmten Umständen eröffnete, musste dieses Recht gemäß Art. 14 EMRK diskriminierungsfrei gewährleistet werden, da es unter den Regelungsbereich des Art. 8 EMRK fiel. Während der Gerichtshof in Fretté noch mehrheitlich davon ausging, dass die nationalen Behörden ihren Spielraum bei der Frage, ob eine Adoption in diesem Fall dem Kindeswohl zuträglich sei, nicht überschritten sah, änderte er seine Rechtsprechung im Fall E.B. v. Frankreich (2008)1202 und entschied nunmehr zugunsten der homosexuellen Beschwerdeführerin. Die Konstellation der derivativen Teilhaberechte kann auch im Bereich von Ansprüchen auf Teilhabe an bestimmten Verfahren zur Anwendung kommen. In dem bereits erwähnten Fall des EGMR zur National Union of Belgian Police (1975; Belgische Polizeigewerkschaft)1203 ging es um eine Teilhaberechtskonstellation im Bereich der Vereinigungsfreiheit (Art. 11 EMRK). Wie oben bereits angedeutet, stand in diesem Fall die Regelung eines Konsultationssystems des belgischen Innenministeriums zur Überprüfung, aufgrund dessen die Regierung mit „repräsentativen Organisationen“ u.a. Fragen der Beschäftigungs- und Anstellungspolitik sowie Beförderung und Verdienst von Beschäftigten im öffentlichen Dienst erörterte. Den Status als „repräsentative Organisation“ erhielten Gewerkschaften unter anderem dann, wenn sie allen Regional- und Stadtbeschäftigten einer Berufsgruppe offenstanden. Die beschwerdeführende Gewerkschaft, der städtische Polizeibeschäftigte, nicht aber Angehörige der Staatspolizei, der Kriminalpolizei sowie der Gendarmerie angehören konnten, bemühte sich vergeblich, als „repräsentative Organisation“ anerkannt zu werden, mit der Folge, dass sie 1200 1201
Vgl. Richter (Fn. 509), Kap. 21, Rn. 52. EGMR, 26.02.2002, Fretté, RJD 2002-I = FamRZ 2003, S. 149.
1202
EGMR (GK), 22.01.2008, E.B. v. Frankreich, Nr. 43546/02 = ÖJZ 2008, S. 499, §§ 32 ff. Dass es sich um eine Abkehr von der früheren Rechtsprechung des Gerichtshofs handelt, spricht Richter Loucaides in seiner abweichenden Meinung aus (a.a.O., Annex). 1203
EGMR, 27.10.1975, National Union of Belgian Police, Serie A 19.
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3. Teil
von dem Konsultationssytem ausgeschlossen war. Gerügt wurde u.a. eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung im Vergleich zu anderen Gewerkschaften. Im Fall der Belgischen Polizeigewerkschaft lehnte der EGMR zunächst ein originäres Teilhaberecht, also einen unmittelbar aus Art. 11 EMRK folgenden Anspruch auf Einrichtung bzw. Teilnahme an einem Konsultationssystem ab. Begründet wurde dies mit dem Wortlaut der Norm, mit dem rechtsvergleichenden Hinweis, dass nicht alle Vertragstaaten einheitlich ein solches Konsultationsrecht vorsähen, ferner, dass die Konsultation nicht unabdingbar für die effektive Ausübung der Vereinigungsfreiheit von Gewerkschaften sei und schließlich mit dem Verweis auf die Europäische Sozialcharta von 1961, die Gewerkschaftsangelegenheiten speziell regle.1204 Nach der Ablehnung eines originären Teilhaberechts unmittelbar aus Art. 11 EMRK prüft der EGMR die gleichheitsrechtsgestützte Teilhaberechtskonstellation, basierend auf Art. 11 EMRK in Verbindung mit Art. 14 EMRK. Entscheidend dafür ist, dass es sich nicht um eine direkte Diskriminierung handelt, sondern um die Nichterstreckung von Vorteilen – hier das Konsultationsrecht – auf Gewerkschaften, die nicht allen Regional- und Stadtbeschäftigen offenstehen.1205 Der Gerichtshof bejaht eine Ungleichbehandlung der Beschwerdeführerin im Vergleich mit den anderen Gewerkschaften, die den Status einer „repräsentativen Organisation“ innehaben. In der Rechtfertigungsprüfung sah der Gerichtshof die Absicht der Regierung, eine „Anarchie der Gewerkschaften“ zu vermeiden und die Sicherstellung einer kohärenten und ausgewogenen Beschäftigungspolitik als „legitime Ziele“ an. Die Kontrolldichte wird – unter Berufung auf sein Urteil im Belgischen Sprachenfall – vom Gerichtshof ausdrücklich zurückgenommen: “(...) the Court ‘cannot assume the role of the competent national authorities’ which ‘remain free to choose the measures with they consider appropriate in those matters which are governed by the Convention’; ‘review by the Court concerns only the conformity of these measures with the requirements of the
1204 1205
EGMR, 27.10.1975, National Union of Belgian Police, Serie A 19, § 38.
Vgl. EGMR, 27.10.1975, National Union of Belgian Police, Serie A 19, § 48: “(...) there is nothing to show that the authorities intended to confer on the three large trade union organisations, on account of their all being politically committed, an exlusive [sic] privilege in the matter; besides, if there existed or were to exist a trade union organisation without political leanings open to all provincial and municipal staff and protecting their occupational interests, the provision at issue would compel the Minister of the Interior to consult that organisation too.”
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Convention’.”1206 Unter diesen Prämissen kommt der EGMR im Fall der Belgischen Polizeigewerkschaft zu dem Schluss, dass kein gleichheitsrechtsgestütztes Teilhaberecht auf Konsultation aus Art. 11 EMRK in Verbindung mit Art. 14 EMRK herleitbar ist. Ein weiteres Beispiel für eine Teilhabekonstellation im Bereich der Verfahrensrechte ist in einem obiter dictum im frühen Belgischen Sprachenfall erwähnt: Zwar verpflichte Art. 6 EMRK die Vertragstaaten nicht, eine Berufungsinstanz einzusetzen. Wenn dies aber geschehe, müsse der Staat den diskriminierungsfreien Zugang zu der Berufungsinstanz gewährleisten.1207 ccc) Derivative Teilhabe im Bereich sozioökonomischer Rechte Häufiger als im Bereich der Freiheits- und Verfahrensrechte kommen gleichheitsrechtsgestützte Teilhabekonstellationen im Zusammenhang mit an sich von der Konvention nicht geschützten sozioökonomischen Rechten vor. Zum sozialen Recht auf Bildung stellt der Gerichtshof in dem Belgischen Sprachenfall (1968) fest: “(...) persons subject to the jurisdiction of a Contracting State cannot draw from Article 2 of the Protocol the right to obtain from the public authorities the creation of a particular kind of educational establishment; nevertheless, a State which had set up such an establishment could not, in laying down entrance requirements, take discriminatory measures within the meaning of Article 14.”1208 In einem weiteren Fall, Schmidt und Dahlström (1976)1209, rügten die Beschwerdeführer u.a. eine Verletzung der Art. 11 EMRK in Verbindung mit Art. 14 EMRK unter Bezug auf einen Kollektivvertrag, der die rückwirkende Zahlung bestimmter staatlicher Leistungen allen Gewerkschaftsmitgliedern vorenthielt, deren Organisation sich an gewissen Streikaktionen beteiligt hatte. Die Beschwerdeführer waren zwar Mitglieder einer der streikführenden Organisationen, hatten aber selbst nicht an den Aktionen teilgenommen. Die Beschwerdeführer machten 1206
EGMR, 27.10.1975, National Union of Belgian Police, Serie A 19, § 47.
1207
EGMR, 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, B 9 = EuGRZ 1985, S. 298 ff., § 9. 1208
EGMR, 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, B 9 = EuGRZ 1985, S. 298 ff., § 9. 1209
S. 68.
EGMR, 06.02.1976, Schmidt und Dahlström, Serie A 21 = EuGRZ 1976,
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geltend, dass, während nicht-gewerkschaftlich organisierte Angestellte des öffentlichen Dienstes sowie Mitglieder nichtstreikender Gewerkschaften in den Genuss der rückwirkenden Zahlung der staatlichen Leistung gekommen seien, ihnen zu Unrecht die Teilhabe an diesen Leistungen verwehrt worden sei. Die Beschwerdeführer rügten – wie für derivative Teilhaberechte charakteristisch –, dass die Rückwirkung der staatlichen Leistung entweder allen oder keinem zugute kommen sollte.1210 Der EGMR stellt zu Beginn fest, dass kein originäres Konventionsrecht der Gewerkschaftsmitglieder aus Art. 11 EMRK auf rückwirkende Gewährung staatlicher Leistungen bestehe.1211 Im Ergebnis lehnt der EGMR aber auch das Recht auf derivative Teilhabe an den staatlichen Leistungen ab: In diesem Fall wird der Sache nach bereits die Vergleichbarkeit der Beschwerdeführer mit den Vergleichsgruppen der nicht-gewerkschaftlich organisierten Angestellten des öffentlichen Dienstes sowie mit der der Mitglieder nichtstreikender Gewerkschaften vom Gerichtshof verneint.1212 Bereits in diesen frühen Grundsatzurteilen geraten sozioökonomische Rechte „durch die Hintertür“ des Diskriminierungsverbots des Art. 14 EMRK in den Anwendungsbereich der Konvention. Zu Recht wird in der Literatur die mittelbare Ausdehnung der Konvention auf sozioökonomische Rechte als „Sozialisierungseffekt“ des Art. 14 EMRK angesprochen.1213 Dass es sich bei diesen frühen Entscheidungen um eine gefestigte Rechtsprechung des EGMR handelt, zeigen die zahlreichen Urteile zum gleichheitsrechtsgestützten Teilhabeanspruch seit der Mitte der 1990er-Jahre. Da – anders als bei Art. 1 ZP 12 EMRK – beim Diskriminierungsverbot aus Art. 14 EMRK das Akzessorietätserfordernis 1210
Vgl. EGMR, 06.02.1976, Schmidt und Dahlström, Serie A 21 = EuGRZ 1976, S. 68, § 41. 1211
EGMR, 06.02.1976, Schmidt und Dahlström, Serie A 21 = EuGRZ 1976, S. 68, § 34. 1212 EGMR, 06.02.1976, Schmidt und Dahlström, Serie A 21 = EuGRZ 1976, S. 68, § 41: “Nevertheless, the Government and the Commission did not err in stressing the solidarity that prevailed between the various members of these two organisations when engaged in a concerted campaign of selective industrial action. While some members were participating in person wherever strikes had been proclaimed, the other members, though discharging their duties in sectors unaffected by strike action, were providing financial and psychological support for this action.” 1213
So Heringa/van Hoof (Fn. 462), p. 1051: „Socialising effect of Article 14.“
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zu beachten ist, müssen die sozioökonomischen Rechte zumindest in den Regelungsbereich eines Freiheitsrechts fallen. Stets lautet die im Rahmen der Anwendbarkeitsprüfung des Art. 14 EMRK („applicability of Article 14“) zu stellende Frage: „Trägt das in Frage stehende sozioökonomische Recht (die staatliche Leistung) zur Beförderung einer konventionsrechtlich geschützten Freiheit bei?“ Die Akzessorietätslogik, die eine Beziehung zwischen den leistungsstaatlichen Maßnahmen und der freiheitsrechtlichen Dimension der Konventionsrechte herstellt, bestätigt damit bei den gleichheitsrechtsgestützten Teilhaberechten die Ansicht, nach der sozioökonomische Rechte die Grundlage für die Ausübung von Freiheitsrechten bilden. In der jüngeren Rechtsprechung zum gleichheitsrechtsgestützten Anspruch auf Teilhabe an sozioökonomischen Rechten taten sich immer mehr zwei Konventionsrechte hervor, deren Regelungsbereiche durch die staatlichen Leistungen vom Gerichtshof als betroffen angesehen wurden: Sofern es sich um staatliche Leistungen zur Unterstützung und Ermöglichung gewisser Freiheitsausübungen im Bereich des Familienlebens (z.B. Kinder-1214 oder Elterngeld1215) oder sonstiger wesentlicher Betätigungen der eigenen Persönlichkeit handelt (z.B. die finanzielle Unterstützung von Institutionen zur Förderung von Minderheiten1216), kommt Art. 8 EMRK (Schutz des Privat- und Familienlebens) in Betracht. Sofern es um allgemeine staatliche Sozialleistungen (z.B. Behindertenbeihilfen1217, Sozialhilfe1218 oder Pensionsansprüche1219) geht, liegt 1214
Vgl. EGMR, 25.10.2005, Niedzwiecki, Nr. 58453/00, §§ 25 ff.; EGMR, 25.10.2005, Okpisz, Nr. 59140/00 = NJW 2006, S. 917, §§ 26 ff. 1215
Vgl. EGMR, 27.03.1998, Petrovic, RJD 1998-II, no. 67 = ÖJZ 1998, S. 516, §§ 20 ff. 1216
Ein Fall, der ein gleichheitsrechtsgestütztes Teilhaberecht von Minderheiten betrifft, ist – soweit ersichtlich – vom EGMR noch nicht entschieden worden; eine solche Konstellation ist allerdings denkbar, da Art. 8 EMRK jedenfalls den besonderen Lebensstil von Minderheiten schützt und die Zugehörigkeit zu einer Minderheit ausdrücklich als verdächtiger Differenzierungsgrund in Art. 14 EMRK aufgelistet ist, vgl. die sog. „Roma-Fälle, z.B. EGMR, 18.01.2001, Chapman, RJD 2001-I; dazu vgl. auch Grabenwarter (Fn. 208), § 22 I 3 cc), S. 202, Rn. 12 sowie oben S. 257 ff. 1217
Vgl. EGMR, 30.09.2003, Koua Poirrez, RJD 2003-X, §§ 43 ff.
1218
Vgl. EGMR, 16.09.1996, Gaygusuz, RJD 1996-IV, no. 14 = JZ 1997, S.
405. 1219
ff.
Vgl. EGMR, 29.06.2006, Zeman, Nr. 23960/02 = ÖJZ 2007, S. 210, §§ 27
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unter Umständen eine eigentumsgleiche Position vor, die von dem Regelungsbereich des Art. 1 ZP 1 EMRK (Schutz des Eigentums) erfasst wird.1220 Auch bei den sozioökonomischen Rechten, deren diskriminierungsfreie Teilhabe von den Beschwerdeführern eingefordert wird, folgt die Argumentation des Gerichtshofs dem oben dargestellten „Wenn-dannSchema“. So stellte der EGMR beispielsweise im Fall Zeman (2006), in dem es um die diskriminierungsfreie Teilhabe an staatlichen Pensionsleistungen ging, fest: “It [the Convention, Verf.] places no restriction on the Contracting State’s freedom to decide whether or not to have in place any form of social security scheme. If, however, a State does decide to create a benefits or pension scheme, it must do so in a manner which is compatible with Article 14 of the Convention.”1221 Auch bei den gleichheitsrechtsgestützten Teilhabeansprüchen im Bereich sozioökonomischer Rechte ist der Beurteilungsspielraum der Vertragstaaten zu beachten. Gerade bei sozialen Rechten, die Ausdruck moderner Sozialgestaltung durch den Staat sind, wie z.B. dem Elterngeld, und die sich erst allmählich in den Vertragstaaten allgemein durchsetzen, ist von einem tendenziell weiten nationalen Beurteilungsspielraum auszugehen.1222
c) Pflicht zur Durchführung von Untersuchungsmaßnahmen in bestimmten Diskriminierungsfällen (Untersuchungspflicht) aa) Begriff und Bedeutung Eine neue Entwicklung im Bereich des konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots ist die Anerkennung einer gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht. Diese geht auf das Grundsatzurteil Nachova (2005)1223 zurück. Wie bei den anderen Gewährleistungspflichten auf 1220 1221 1222
Vgl. dazu ausführlich Cremer (Fn. 510), Kap. 22, Rn. 45. EGMR, 29.06.2006, Zeman, Nr. 23960/02 = ÖJZ 2007, S. 210, § 34. EGMR, 27.03.1998, Petrovic, RJD 1998-II, no. 67 = ÖJZ 1998, S. 516, §
38 ff. 1223
EGMR (GK), 06.07.2005, Nachova, RJD 2005-VII = EuGRZ 2005, S. 693, näher zum Fall s. unten S. 381 ff. Vgl. auch EGMR, 10.03.2009, Turan Cakir, Nr. 44256/06, §§ 73 ff.; EGMR, 25.06.2009, Beganovic, Nr. 46423/06, §§ 89 ff.
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Schutz und Teilhabe handelt es sich auch bei der gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht um eine positive Handlungspflicht des Staates. Der Staat muss in bestimmten, noch näher zu analysierenden Fällen behaupteter Diskriminierung tätig werden, um diese Pflicht zu erfüllen. Bei ungerechtfertigter Untätigkeit oder nicht hinreichend effektiver Untersuchung, der „Nichtbehandlung“ im Sinne der oben dargelegten Struktur, liegt ein Fall passiver Diskriminierung vor.1224 Die Untersuchungspflicht ist Teil einer verfahrens- und organisationsrechtlichen Dimension der Menschen- und Grundrechte. Nach der Rechtsprechung des EGMR wird diese Schutzwirkung der Grundrechte nicht etwa unter der Schutzpflichtdogmatik mit erfasst, sondern die verfahrens- und organisationsrechtliche Dimension stellt eine selbständige Grundrechtsfunktion dar.1225 Bei der verfahrens- und organisationsrechtlichen Dimension der Menschen- und Grundrechte werden grundsätzlich drei Kategorien von Rechten unterschieden: 1. eigenständige Verfahrensrechte, wie z.B. Art. 5 EMRK (Recht auf Sicherheit und Freiheit) oder Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren), 2. verfahrensbezogene Grund- und Menschenrechte, wie z.B. Art. 3 ZP 1 EMRK (Recht auf freie Wahlen) sowie 3. Verfahren als Förderung der materiellen Grundrechtsverwirklichung.1226 Die gleichheitsrechtliche Untersuchungspflicht dient der materiellen Grundrechtsverwirklichung, indem sie den Staat zur Gewährleistung diskriminierungsfreier Ordnungsstrukturen anhält. Es handelt sich um eine prozedurale Sicherung materieller Grundrechtsausübung.1227 Diese dienende Funktion der gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht kann folgendermaßen näher beschrieben werden: Gleichheitsrechtliche Untersuchungspflichten bezeichnen in dem Sinne „sekundäre“ Pflichten des Staates, dass ihre Erfüllung weder hinreichend noch notwendig für einen störungsfreien Genuss des materiellen Grundrechts ist, sondern ihnen lediglich eine Sicherungs- oder Förderfunktion in Bezug auf das Diskriminierungsverbot zukommt. Der Staat ist verpflichtet, in bestimmten Fällen ge1224 1225
Zur Struktur der passiven Diskriminierung vgl. oben S. 314 f. Vgl. Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 104 m.w.N.
1226
Vgl. zu dieser Einteilung Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 103 ff. Krieger spricht in Bezug auf die dritte Kategorie von „Verfahren als Bedingung der materiellen Grundrechtsverwirklichung“ (a.a.O., Rn. 109 ff.); die Formulierung als „Bedingung“ erscheint jedenfalls für die gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflichten als zu stark. Es handelt sich lediglich um eine sekundäre Hilfs- oder Unterstützungspflicht. 1227
Vgl. Grabenwarter (Fn. 208), § 19 III, S. 126, Rn. 5.
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steigerte Vorkehrungen gegen die Verletzung von Grundrechten zu treffen; dazu gehören insbesondere verfahrensrechtliche Maßnahmen, die im Umfeld der eigentlichen Grundrechtsausübung unterstützend oder sichernd wirken. Auch der EGMR geht davon aus, dass der gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht eine solche Hilfsfunktion zukommt, indem er die Untersuchungspflicht als „zusätzliche Pflicht“ bezeichnet.1228 Für die Annahme einer gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht spricht aber auch eine „strategische“ Überlegung: Durch die Feststellung einer Verletzung der gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht treten zwar – für den Beschwerdeführer günstig – die gleichen Rechtsfolgen wie bei einer materiellen Diskriminierung ein, der Gerichtshof vermeidet es aber, den Vertragstaat – bei oft zweifelhafter Beweislage – einer besonders schwerwiegenden, in der Regel rassistischen Diskriminierung zeihen zu müssen.1229 Bei der gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht aufgrund der konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbote handelt es sich auch nicht um eine allgemeine Pflicht, die in jedem Fall der Diskriminierung besteht. Vielmehr hat der EGMR diese bislang nur im Zusammenhang mit sog. „violent incidents“ angenommen, in Fällen des schweren, gewalttätigen Rassismus.1230 Zweck der gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht ist die Wahrheitsermittlung und die Ermöglichung unparteiischer und objektiver Entscheidungen (der Gerichte und der Administration): “The authorities must do what is reasonable in the circumstances to collect and secure the evidence, explore all practical means of discovering the truth and deliver fully reasoned, impartial and objective decisions, without omitting suspicious facts that may be indicative of a racially induced violence.”1231
1228
EGMR, 13.12.2005, Bekos, RJD 2005-XIII, § 69: „additional duty“; EGMR, 04.03.2008, Stoica, Nr. 42722/02, § 119. 1229 Der Gerichtshof ist sich der „Prangerwirkung“ einer Feststellung rassistischer Diskriminierung durchaus bewusst, vgl. EGMR (GK), 06.07.2005, Nachova, RJD 2005-VII = EuGRZ 2005, S. 693, § 147; EGMR, 26.07.2007, Cobzaru, Nr. 48254/99, § 94. 1230 Vgl. EGMR, 26.07.2007, Angelova und Iliev, Nr. 55523/00, § 115: “(...) when investigating violent incidents State authorities have the additional duty to take all reasonable steps to unmask any racist motive and to establish whether or not ethnic hatred or prejudice may have played a role in the events.” 1231
EGMR, 13.12.2005, Bekos, RJD 2005-XIII, § 69.
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Die von Konventions wegen gebotene gleichheitsrechtliche Untersuchungspflicht kann somit folgendermaßen begrifflich bestimmt werden: Die gleichheitsrechtliche Untersuchungspflicht aus Art. 14 EMRK und Art. 1 ZP 12 EMRK meint die positive, verfahrens- und organisationsrechtliche Pflicht des Staates, in Fällen schwerster, gewalttätiger Diskriminierungen, insbesondere Diskriminierungen mit rassistischem Hintergrund, geeignete und effektive Untersuchungen zu gewährleisten mit dem Ziel der Wahrheitsermittlung und der Ermöglichung wohlbegründeter staatlicher Entscheidungen.
bb) Begründung der gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht Auch bei den freiheitsrechtlichen Grundrechtsgewährleistungen der EMRK stellen staatliche Untersuchungspflichten eine verhältnismäßig neue Erscheinung dar, die zunächst für die Rechte aus Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter) und Art. 5 EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit) entwickelt wurden.1232 In diesen Fällen der freiheitsrechtlichen Untersuchungspflichten hat sich der EGMR zur Begründung hauptsächlich auf drei Argumente gestützt:1233 Erstens verortet der EGMR die verfahrensrechtliche Dimension grundsätzlich im Schutzgehalt der Menschenrechte selbst; der Gerichtshof verweist insofern auf den materiellen Gewährleistungsgehalt und die Bedeutung der jeweiligen Rechte in der Konvention. Zweitens begründet der EGMR die Untersuchungspflichten mit dem Sinn und Zweck der Konvention, den Einzelnen effektiv und wirksam zu schützen. Drittens stützt der EGMR seine Argumentation auch auf die allgemeine Gewährleistungsklausel des Art. 1 EMRK (Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte). Die Begründungen der gleichheitsrechtlichen und der freiheitsrechtlichen Untersuchungspflicht sind sich nur zum Teil ähnlich. Sie hängt davon ab, ob man die gesteigerte gleichheitsrechtliche Untersuchungspflicht als ein Element der verfahrensrechtlichen Verpflichtung aus dem Freiheitsrecht ansieht oder ob man die gleichheitsrechtliche Untersuchungspflicht aus der prozeduralen Dimension des Diskriminierungsverbots ableitet. Die freiheitsrechtliche Begründung der (gesteigerten) Untersuchungspflicht stützt sich darauf, dass in den Fällen primär eine Freiheitsrechtsverletzung vorliege, etwa die Tötung eines Festzuneh1232 1233
Vgl. dazu Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 111 ff. m.w.N. Vgl. Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 112.
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menden im Fall Nachova, und dass die diskriminierende Motivation oder Einstellung bloß erschwerend hinzutrete. Die Ermittlung der möglicherweise diskriminierenden Motivation oder Einstellung ist dann bloßer Annex der freiheitsrechtlichen Untersuchungspflicht. Folgt man diesem Begründungsweg, lässt sich die Untersuchungspflicht auf die oben genannten Erwägungen stützen. Die gleichheitsrechtliche Begründung der Untersuchungspflicht beruft sich demgegenüber im Kern auf das zweite Teilprinzip der formalen Gleichbehandlung: „Ungleiches ist ungleich zu behandeln.“1234 Danach dürfen „einfache“ Freiheitsrechtsverletzungen und solche mit diskriminierendem, insbesondere rassistischem Hintergrund nicht gleich behandelt werden. Diesem gleichheitsrechtlichen Begründungsansatz scheint auch der EGMR zu folgen: “Treating racially induced violence and brutality on an equal footing with cases that have no racist overtones would be turning a blind eye to the specific nature of acts that are particularly destructive of fundamental rights. A failure to make a distinction in the way in which situations that are essentially different are handled may constitute unjustified treatment irreconcilable with Article 14 of the Convention.”1235 Das Ungleichbehandlungsgebot knüpft in diesen Fällen somit an die Schwere und Unrechtsqualität einer auf diskriminierenden Motiven beruhenden Freiheitsverletzung an. Die Kombination aus besonders verachtenswertem Motiv, nämlich dem besonders „verdächtigen“ Differenzierungsgrund (insbesondere Rassismus), und einer schwerwiegenden Freiheitsrechtsverletzung (insbesondere der Fundamentalrechte aus Art. 2 EMRK und Art. 3 EMRK) begründen eine Pflicht zur Ungleichbehandlung dieser Sachverhalte gegenüber „einfachen“ Freiheitsrechtsverletzungen. Näherhin argumentiert der EGMR mit der Menschenwürdeverletzung durch rassistische Diskriminierung und dem öffentlichen Interesse an ihrer Eindämmung: “Racial violence is a particular affront to human dignity and, in view of its perilous consequences, requires from the authorities special vigilance and a vigorous reaction. It is for this reason that the authorities must use all available means to combat racism and racist violence, thereby reinforcing democracy’s vision of a society in which diversity is not perceived as a threat but as a source of its enrichment.”1236 Diese Begrün1234 Zum Prinzip der formalen Gleichbehandlung allgemein vgl. oben S. 13 ff., zum Rechtsprinzip der formalen Gleichbehandlung s. S. 414 ff. 1235 1236
EGMR, 26.07.2007, Cobzaru, Nr. 48254/99, § 90.
EGMR (GK), 06.07.2005, Nachova, RJD 2005-VII = EuGRZ 2005, S. 693, § 145.
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dung der gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht legt bereits nahe, dass es unerheblich ist, aus welcher Sphäre der Verursacher stammt, ob die Freiheitsrechtsverletzung mit diskriminierendem Hintergrund von einem Hoheitsträger oder einem privaten Akteur begangen wurde. In beiden Fällen ist ein Angriff auf die Menschenwürde gegeben und in beiden Fällen besteht ein gesteigertes öffentliches Interesse an Eindämmung und Aufklärung. Der EGMR hat nunmehr ausdrücklich festgestellt, dass die gleichheitsrechtliche Untersuchungspflicht auch bei gewalttätigen Diskriminierungen durch Private in Betracht kommt.1237 Während der EGMR sich im Grundsatzurteil Nachova1238 nicht festgelegt hat, welchem dogmatischem Weg er folgt, besteht in den jüngsten Entscheidungen eine Tendenz zur gleichheitsrechtlichen Begründung. In den Urteilen Bekos,1239 Cobzaru1240 sowie Stoica1241 prüft der EGMR sowohl eine freiheitsrechtliche Untersuchungspflicht als auch eine gleichheitsrechtliche Untersuchungspflicht. Offensichtlich deckt die freiheitsrechtliche Untersuchungspflicht im Normalfall die gleichheitsrechtliche Problematik nicht mit ab, so dass der EGMR unabhängig den Verstoß gegen die gleichheitsrechtliche Untersuchungspflicht prüft.
cc) Das Beweisproblem und seine prozedurale Lösung Es ist oben herausgestellt worden, dass das zentrale Problem der direkten Diskriminierung ein Beweisproblem ist: Wie und unter welchen Umständen kann dem Beschwerdeführer der Nachweis gelingen, dass 1237
EGMR, 31.05.2007, Šečić, Nr. 40116/02, § 67.
1238
EGMR (GK), 06.07.2005, Nachova, RJD 2005-VII = EuGRZ 2005, S. 693, § 161: “The Grand Chamber would add that the authorities’ duty to investigate the existence of a possible link between racist attitudes and an act of violence is an aspect of their procedural obligations arising under Article 2 of the Convention, but may also be seen as implicit in their responsibilities under Article 14 of the Convention taken in conjunction with Article 2 to secure the enjoyment of the right to life without discrimination. Owing to the interplay of the two provisions, issues such as those in the present case may fall to be examined under one of the two provisions only, with no separate issue arising under the other, or may require examination under both Articles. This is a question to be decided in each case on its facts and depending on the nature of the allegations made.” 1239 1240 1241
EGMR, 13.12.2005, Bekos, RJD 2005-XIII, §§ 69 ff. EGMR, 26.07.2007, Cobzaru, Nr. 48254/99, §§ 85 ff. EGMR, 04.03.2008, Stoica, Nr. 42722/02, §§ 111 ff.
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die von ihm gerügte Behandlung tatsächlich ursächlich auf einem verdächtigen Differenzierungsgrund beruht bzw. daran anknüpft? Da diskriminierende Handlungsmotive oft verborgen werden oder von vornherein überhaupt nur unterbewusst eine Handlung bestimmen, sieht sich der einzelne Beschwerdeführer nicht selten einem nahezu unüberwindbaren Beweisproblem gegenüber.1242 Wie oben bereits angedeutet, besteht eine Lösung des Beweisproblems bei der direkten Diskriminierung darin, die materielle Diskriminierung zu „prozeduralisieren“, d.h. nicht mehr die primär gerügte Behandlung als Diskriminierung zu erweisen, sondern sekundär die Aufmerksamkeit auf die „Behandlung der Behandlung“ und damit auf die Untersuchung der gleichheitsrechtsrelevanten Fragen des jeweiligen Falls zu richten. Wie auch bei den Freiheitsrechten zieht der EGMR beim Diskriminierungsverbot die verfahrensrechtliche Dimension heran, wenn die materielle Verletzung nicht eindeutig festgestellt werden kann, gleichzeitig aber objektive Verdachtsmomente für einen diskriminierenden Hintergrund sprechen.1243 Die Prozeduralisierung „transformiert“ das Problem des Nachweises einer inneren, subjektiven Motivation des Handelnden in ein Problem des Umgangs mit einem äußeren Geschehensablauf. Die Art und Weise des Umgangs mit einem äußeren Geschehensablauf lässt sich in der Regel wesentlich einfacher nachweisen als eine innere Motivation der Akteure. Hier handelt es sich um Verfahrenserfordernisse, wie z.B. die Befragung von Zeugen, die Auswertung von Dienstprotokollen etc., die entweder erfüllt, nicht erfüllt oder schlecht erfüllt werden.
dd) Inhalt und Prüfungsreihenfolge Der Inhalt der gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht wird nicht durch den Normtext der Art. 14 EMRK und Art. 1 ZP 12 vorgegeben, sondern ist durch Auslegung zu ermitteln.1244 Aufgrund der gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht ist der Staat nach der Rechtsprechung des EGMR gehalten, alle „vernünftigen Maßnahmen“ zu ergreifen, um das möglicherweise diskriminierende Motiv der Tat zu ermitteln: “The Court considers that when investigating violent incidents, State authorities have the additional duty to take all rea1242 1243 1244
Vgl. oben S. 252 f. Vgl. Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 104. Vgl. allgemein Krieger (Fn. 806), Kap. 6, Rn. 109.
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sonable steps to unmask any racist motive and to establish whether or not ethnic hatred or prejudice may have played a role in the events.”1245 Bei der Auswahl der geeigneten Maßnahmen kommt dem Staat grundsätzlich ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Im Einzelnen hält der Gerichtshof folgende Maßnahmen aber generell für notwendig: das Sammeln und Sichern von Beweismitteln, das Ausschöpfen aller Möglichkeiten, die Wahrheit über den Tathergang zu ermitteln und den Verfahrensabschluss durch eine wohlbegründete, unparteiische und objektive Entscheidung, die verdächtige Tatsachen nicht unberücksichtigt lässt.1246 Problematisch ist, ob eine prima facie-Verletzung der gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht gerechtfertigt werden kann. Eine Bemerkung des Gerichtshofs im Fall Petropoulou-Tsakiris deutet in diese Richtung.1247 In den vom Gerichtshof bislang behandelten Fällen zur gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht, die allesamt schwerste Freiheitsrechtsverletzungen vor dem Hintergrund eines Rassismusvorwurfs betrafen, lassen sich nur sehr eingeschränkt Rechtfertigungsgründe des Staates denken: So werden fehlende Finanzmittel des Staates kaum als Rechtfertigungsgrund akzeptabel sein angesichts des gesteigerten öffentlichen Interesses an der Aufklärung dieser Fälle. Lediglich die Unverfügbarkeit von Zeugen oder anderen Beweismitteln mag im Einzelfall als Rechtfertigungsgrund zu erwägen sein. Sollte der Gerichtshof in der Zukunft die gleichheitsrechtliche Untersuchungspflicht auch auf andere verdächtige Differenzierungsgründe und andere Freiheitsrechtsverletzungen ausdehnen, wird man – neben einem grundsätzlichen Bagatellvorbehalt (gleichsam auf Schutzbereichsebene) – auch verstärkt an eine Verhältnismäßigkeitsprüfung denken können: Eingeforderte Untersuchungsmaßnahmen müssen in einem angemessenen Verhältnis zu dem Ziel der Wahrheitserforschung und der Ermöglichung unparteiischer und objektiver Entscheidungen der staatlichen Organe stehen. Hinsichtlich des Prüfungsaufbaus in Fällen einer gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht geht der EGMR so vor, dass er zunächst entwe-
1245
EGMR, 13.12.2005, Bekos, RJD 2005-XIII, § 69.
1246
Vgl. bereits die Kammerentscheidung im Fall EGMR (K), 26.02.2004, Nachova, Nr. 43577/98, § 159; vgl. auch EGMR, 23.02.2006, Ognyanova und Choban, Nr. 46317/99, § 145. 1247
EGMR, 06.12.2007, Petropoulou-Tsakiris, Nr. 44803/04, § 65: “No justification was advanced by the Government with regard to these remarks.”
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der eine Freiheitsrechtsverletzung auf der Grundlage des Art. 2 EMRK (Recht auf Leben),1248 Art. 3 EMRK (Verbot der Folter),1249 im Einzelfall auch im Zusammenhang mit Art. 13 EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde)1250 untersucht. Schon im ersten Schritt, auf der Ebene des Freiheitsrechts, trennt der EGMR die Frage der materiellen von der prozeduralen Rechtsverletzung. Im zweiten, gleichheitsrechtlichen Schritt prüft der EGMR in der Regel zunächst die materielle Verletzung des Diskriminierungsverbots. Hier untersucht der Gerichtshof also, ob eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung auf der Grundlage eines verdächtigen Differenzierungsgrundes vorliegt. Danach (und bisweilen auch formal abgesetzt durch eine eigenständige Überschrift) schließt der EGMR die Frage nach der Verletzung der gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht an.1251 Materielle und prozedurale Verpflichtungen aus dem Diskriminierungsverbot werden vom EGMR daher im Regelfall getrennt behandelt. Diese Prüfungsabfolge spiegelt sich auch im Tenor der Urteile wider. Ein und derselbe Artikel – und insbesondere auch das Diskriminierungsverbot – kann daher grundsätzlich zweimal verletzt sein.1252 In den bislang entschiedenen Fällen lag es allerdings regelmäßig so, dass die direkte Diskriminierung (die materielle Verletzung des Art. 14 EMRK) vom Gerichtshof nicht bejaht wurde, wohl aber die – in der Verletzung der gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht bestehende – passive Diskriminierung.1253 1248
EGMR (GK), 06.07.2005, Nachova, RJD 2005-VII = EuGRZ 2005, S. 693; EGMR, 26.07.2007, Angelova und Iliev, Nr. 55523/00. 1249
EGMR, 04.03.2008, Stoica, Nr. 42722/02; EGMR, 26.07.2007, Cobzaru, Nr. 48254/99; EGMR, 13.12.2005, Bekos, RJD 2005-XIII; EGMR, 31.05.2007, Šečić, Nr. 40116/02; EGMR, 23.02.2006, Ognyanova und Choban, Nr. 46317/99; EGMR, 06.12.2007, Petropoulou-Tsakiris, Nr. 44803/04. 1250
EGMR, 26.07.2007, Cobzaru, Nr. 48254/99.
1251
Ein Beispiel für diesen „schulmäßigen“ Prüfungsaufbau findet sich in EGMR, 13.12.2005, Bekos, RJD 2005-XIII; vgl. auch EGMR (GK), 06.07.2005, Nachova, RJD 2005-VII = EuGRZ 2005, S. 693. 1252
Vgl. wiederum den Tenor im Fall des EGMR, 13.12.2005, Bekos, RJD 2005-XIII, in dem der EGMR die materielle Verletzung des Art. 14 EMRK i.V. mit Art. 3 EMRK verneinte, die Verletzung der gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht – gestützt auf dieselben Artikel – jedoch bejahte. 1253
Vgl. EGMR (GK), 06.07.2005, Nachova, RJD 2005-VII = EuGRZ 2005, S. 693; EGMR, 26.07.2007, Angelova und Iliev, Nr. 55523/00; EGMR, 26.07.2007, Cobzaru, Nr. 48254/99; EGMR, 13.12.2005, Bekos, RJD 2005-XIII; EGMR, 31.05.2007, Šečić, Nr. 40116/02.
Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts
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Der Inhalt der gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht und die vom EGMR angewendete Prüfungsstruktur lässt sich beispielhaft anhand des Grundsatzurteils des EGMR im Fall Nachova (2005)1254 darstellen: Dieser Fall betraf zwei Roma, Kunchov Angelov und Kiril Petkov, die von der bulgarischen Militärpolizei bei einem Festnahmeversuch erschossen wurden. Herr Angelov und Herr Petkov waren als Wehrpflichtige zum Bau von Apartmenthäusern und anderen zivilen Bauprojekten eingeteilt. Die beiden Wehrpflichtigen hatten sich von dem Bauplatz zur Großmutter des einen geflüchtet. Keiner der beiden war bewaffnet, und sie stellten auch sonst keine Gefahr für die Öffentlichkeit oder die Militärpolizei dar. Wegen ihrer unentschuldigten Abwesenheit vom Dienst wurden vier Angehörige der Militärpolizei (ein Major und drei Feldwebel) geschickt, um die beiden Wehrpflichtigen festzunehmen. Beim Eintreffen der Militärpolizei versuchten die beiden Wehrpflichtigen zu fliehen. Ein Nachbar bezeugte, dass der Major ihn, als er sich näherte, angeschrien habe: „Ihr verdammten Zigeuner!“ Nach einer Warnung erschoss der Major beide Wehrpflichtigen mit einem Automatikgewehr. Die Untersuchung der Vorfälle wurde mit dem Hinweis auf deren formale Rechtmäßigkeit später eingestellt, ohne dass möglicherweise bestehende diskriminierende Motive der Militärpolizisten überprüft wurden. Im ersten Schritt prüft und bejaht der EGMR in diesem Fall zunächst eine Verletzung des Rechts auf Leben in materieller Hinsicht (Art. 2 EMRK). Das legitime Ziel einer rechtmäßigen Festnahme dürfe aufgrund der strengen Verhältnismäßigkeitsanforderung des Art. 2 Abs. 2 lit. b EMRK in Fällen, in denen der Festzunehmende keine Gewalttat begangen habe und von ihm auch keine Gefahr ausgehe, nicht zu einer Gefährdung des fundamentalen Werts des Lebens führen. Ferner sei die Gewaltanwendung durch die Militärpolizei in diesem Fall exzessiv gewesen. Daraufhin prüft der EGMR Art. 2 EMRK in prozeduraler Hinsicht unter der Frage, ob der Staat seine positive Verpflichtung zur Durchführung einer effektiven Untersuchung erfüllt habe. In diesem Fall kommt der EGMR zu dem Ergebnis, dass der Staat es versäumt habe, unabdingbare und offensichtliche Aufklärungsmaßnahmen zu ergreifen. Das Recht auf Leben aus Art. 2 EMRK sieht der EGMR im vorliegenden Fall daher in materieller wie in prozeduraler Hinsicht als verletzt an. Im zweiten Schritt wendet sich der EGMR der Diskriminierungsproblematik unter Art. 14 EMRK in Verbindung mit Art. 2 1254
693.
EGMR (GK), 06.07.2005, Nachova, RJD 2005-VII = EuGRZ 2005, S.
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3. Teil
EMRK zu. Auch hier teilt der EGMR die Prüfung auf in eine materielle betreffend die Frage, ob ethnische Vorurteile gegen die Roma kausal für die Tötung der beiden Wehrpflichtigen waren, und eine prozedurale hinsichtlich der Frage, ob der Staat seine gleichheitsrechtliche Untersuchungspflicht im vorliegenden Fall erfüllt hat. Das zentrale Problem bei der Feststellung einer materiellen Diskriminierung in diesen Fällen besteht, wie oben dargelegt, darin, den Nachweis für die rassistische Motivation der Akteure zu führen. Diesen Nachweis sieht die Große Kammer des EGMR – anders als noch die vorangehende Kammerentscheidung – als nicht erbracht an. Insbesondere lehnt die Große Kammer im Fall Nachova eine Beweislastumkehr ab, nach der es dem Staat zugefallen wäre, die Abwesenheit einer rassistischen Motivation der Militärpolizei nachzuweisen. Nachdem die Große Kammer des EGMR eine materielle Verletzung des Art. 14 EMRK in Verbindung mit Art. 2 EMRK verneint hat, wird die gleichheitsrechtliche Untersuchungspflicht als prozeduraler Aspekt des Diskriminierungsverbots geprüft: Aufgrund der verfahrensrechtlichen Schutzwirkung des Diskriminierungsverbots sei der Staat angehalten, die Möglichkeit einer kausalen Verbindung zwischen der behaupteten rassistischen Motivation der Militärpolizei und dem Tod der beiden Wehrpflichtigen zu untersuchen. Die Notwendigkeit einer solchen Untersuchung sei deswegen naheliegend gewesen, weil ein Zeuge im Zusammenhang mit den Vorfällen rassistische Äußerungen der Amtsträger bekundet hat und weil die Militärpolizei gegen die unbewaffneten, nicht selbst gewalttätigen Wehrpflichtigen, unverhältnismäßige Gewalt angewandt habe. Da der Vertragstaat nichts unternommen habe, die Aussage des Zeugen zu verifizieren sowie den Grund für die Anwendung exzessiver staatlicher Gewalt aufzuklären, liege eine Verletzung des prozeduralen Verpflichtung des Staates aus Art. 14 EMRK in Verbindung mit Art. 2 EMRK vor. Am Nachova-Urteil lässt sich folgende Prüfungsreihenfolge in Fällen, die eine gleichheitsrechtliche Untersuchungspflicht betreffen, ablesen: 1. Verletzung von fundamentalen Freiheitsrechten (insbesondere Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, unter Umständen auch Art. 13 EMRK) a) Materielle Rechtsverletzung (ungerechtfertigter Eingriff in den Schutzbereich des Freiheitsrechts) b) Prozedurale Rechtsverletzung (fehlende oder fehlerhafte Ermittlung der Freiheitsrechtsverletzung) 2. Verletzung des Diskriminierungsverbots (Art. 14 in Verbindung mit dem o.g. Freiheitsrecht oder Art. 1 ZP 12 EMRK)
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a) Materielle Rechtsverletzung (ungerechtfertigte Ungleichbehandlung aufgrund eines „verdächtigen“ Differenzierungsgrundes) b) Prozedurale Rechtsverletzung (fehlende oder fehlerhafte Ermittlung möglicher, besonders „verdächtiger“ Differenzierungsgründe) Zusammengefasst ergibt sich für den Inhalt der gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht Folgendes: 1. Die Untersuchungspflicht bezieht sich stets auf den konkreten Einzelfall; den Staat trifft eine konkrete Pflicht zur Aufklärung der gerügten diskriminierenden Motivation. 2. Die Verpflichtung umfasst das Sammeln und Sichern von Beweismitteln, das Ausschöpfen aller Möglichkeiten, die Wahrheit über den Tathergang zu ermitteln und den Verfahrensabschluss durch eine wohlbegründete, unparteiische und objektive Entscheidung, die verdächtige Tatsachen nicht unberücksichtigt lässt. 3. Die Untersuchungspflicht wird begrenzt durch das Maß des vernünftigerweise Gebotenen; sie ist daher nicht unbeschränkt, sondern verlangt den verhältnismäßigen Einsatz der Mittel im Hinblick auf die Schwere der Tat und der gerügten Motivation. Liegen Zeugenaussagen (wie im Fall Nachova), glaubwürdige Berichte von Nichtregierungsorganisationen (wie im Fall Bekos)1255 oder sogar schriftliche Stellungnahmen der beteiligten Akteure selbst (wie im Fall PetropoulouTsakiris)1256 vor, die eine rassistische Motivation der Handelnden in der konkreten Situation nahelegen, hat eine besonders sorgfältige Untersuchung stattzufinden. Gleiches gilt für den Fall, dass exzessive Gewalt angewendet wurde.
4. Grenzen des Verbots der passiven Diskriminierung Wo soll ein internationaler Richter, der in einem Fall der passiven Diskriminierung zu urteilen hat, die Grenzen der staatlichen Gewährleistungspflicht ansetzen? Soll er eher „aktivistisch“ für das Diskriminierungsverbot eintreten und den staatlichen Beurteilungsspielraum einhegen oder soll er eher „minimalistisch“ vorgehen und den Staaten viel Freiheit bei der Bekämpfung von Diskriminierungsproblemen lassen? Diese Fragen stellen sich weniger bei dem Verbot der direkten Diskri1255 1256
EGMR, 13.12.2005, Bekos, RJD 2005-XIII, §§ 72 f. EGMR, 06.12.2007, Petropoulou-Tsakiris, Nr. 44803/04, §§ 64 f.
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3. Teil
minierung, da dieses eine absolute, d.h. in jedem Fall geltende Handlungsregel darstellt: Der Staat hat in jedem Fall ungerechtfertigte Gleich- bzw. Ungleichbehandlungen zu unterlassen. Etwas anderes gilt für die Konstellationen der passiven Diskriminierung. Die positive Gewährleistungspflicht des Staates gegenüber dem Einzelnen kann keine absolute Pflicht sein: Der Staat ist, wie oben gezeigt, von Konventions wegen nicht in jedem Fall gehalten, den Einzelnen vor Diskriminierungen durch Private zu schützen, eine diskriminierungsfreie Teilhabe an staatlichen Gütern und Leistungen zu gewährleisten oder jede verdächtige Behandlung von Minderheitsangehörigen auf eine möglicherweise diskriminierende Motivation zu untersuchen. Wo sind die Grenzen des Verbots der passiven Diskriminierung zu ziehen? Zum einen ergeben sich die Grenzen der passiven Diskriminierung gleichsam „systemimmanent“, indem auch die positiven, gleichheitsrechtlichen Handlungspflichten in die allgemeine konventionsrechtliche Diskriminierungsdogmatik eingefügt werden. Auch diese verhältnismäßig neuartigen gleichheitsrechtlichen Gewährleistungspflichten müssen daher mit dem dogmatischen Grundgerüst des konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots in Einstimmung gebracht werden. Dazu gehören insbesondere das Akzessorietätserfordernis unter Art. 14 EMRK, die Hierarchie der verdächtigen Differenzierungsgründe, das Erfordernis der Sachverhaltsvergleichbarkeit, die grundsätzliche Rechtfertigungsmöglichkeit eines prima facie gleichheitsrechtswidrigen Verhaltens und die Annahme eines variablen Beurteilungsspielraums. Der EGMR hat diese Anpassung in seiner Rechtsprechung, wie oben dargestellt, erfolgreich vorgenommen. Eine weitere Beschränkung der Rechtsfigur der passiven Diskriminierung ergibt sich aus der Konzeption des Individualrechtsschutzes unter der EMRK. Dieser ist zur Lösung struktureller Probleme, wie sie den subtileren Formen der Diskriminierung zugrunde liegen, nur bedingt geeignet.1257 Hinzu kommt eine Beschränkung praktischer Natur: Bei der Bekämpfung gesellschaftlicher Diskriminierung sollte Straßburg den Vertragstaaten einen hinreichend großen Spielraum belassen, schon weil stren1257
Vgl. jetzt aber die Möglichkeit des Piloturteilsverfahrens (dazu bereits oben S. 207). Systemische Probleme als Herausforderungen des Konventionsrechtsschutzes sind nicht neu, vgl. Katharina Pabel, Anmerkung zu EGMR v. 15.7.2002 – Kalashnikov, in: Jörg Menzel/Tobias Pierlings/Jeannine Hoffmann (Hrsg.), Völkerrechtsprechung, Ausgewählte Entscheidungen zum Völkerrecht in Retrospektive, Tübingen 2005, S. 516, 520 f.
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gere Handlungspflichten – etwa bei der Ausdehnung derivativer Teilhabeansprüche – oft an fehlenden staatlichen Ressourcen scheitern könnten. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Konventionsstaaten einen heterogenen Rechtsraum bilden mit unterschiedlichen Rechtstraditionen; durch die Annahme voraussetzungsreicher positiver Handlungspflichten des Staates – etwa beim Schutz vor Diskriminierung durch Private – könnte sich der Gerichtshof mit dem Vorwurf eines menschenrechtlichen Paternalismus konfrontiert sehen. Eine weitere bedeutsame Grenze der passiven Diskriminierung ist zu beachten. Diese betrifft die Abgrenzung zur positiven Diskriminierung, also der Besserstellung von Personen aufgrund eines personenbezogenen Merkmals.1258 Im Rahmen einer symmetrischen Konzeption1259 des Nichtdiskriminierungsrechts, wie sie bislang den Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK zugrunde liegt, bleibt unbeachtlich, ob die formal zur gleichen Teilhabe Berechtigten auch tatsächlich in gleicher Weise in der Lage sind, die ihnen gewährten Vorteile in Anspruch zu nehmen. So hat ein Vertragsstaat zwar allen seiner Hoheitsgewalt unterstehenden Personen Zugang zu einer zweiten Gerichtsinstanz zu gewähren, wenn er eine solche einsetzt (das folgt aus dem gleichheitsrechtlichen Teilhabeanspruch), der Staat ist aber nicht auch aus demselben Prinzip verpflichtet, tatsächliche Zugangshindernisse des einzelnen Berechtigten auszuräumen, wenn dieser etwa aufgrund einer Behinderung das Gerichtsgebäude nicht betreten kann.1260 Eine solche Pflicht lässt sich nach hier vertretener Ansicht jedenfalls nicht unter der – im Rahmen der passiven Diskriminierung behandelten – Konstellation der Teilhabeerstreckung erfassen, vielmehr handelt es sich in diesen Fällen um das (vorgelagerte) Problem der Teilhabeermöglichung. Positive Maßnahmen der Teilhabeermöglichung fallen im Rahmen einer symmetrischen Diskriminierungskonzeption unter das Problem der „positiven Diskriminie1258 1259
Zur positiven Diskriminierung s. unten S. 387 ff. Zur Frage der symmetrischen Schutzkonzeption der EMRK s. oben S.
127 f. 1260
Eine solche Konstellation liegt dem noch nicht entschiedenen Fall Farcas gegen Rumänien (EGMR, Nr. 32596/04) zugrunde. Hier berief sich der an den Rollstuhl gebundene Beschwerdeführer u.a. – gestützt auf Art. 8 i.V. mit Art. 14 EMRK – darauf, dass er wegen seiner Behinderung entlassen worden sei und diese Entlassung nicht habe gerichtlich angreifen können, da das Gericht nicht über einen Rollstuhlzugang verfügt habe. Auch habe er sich nicht arbeitslos melden können, da die zuständigen Behörden für ihn ebenfalls aufgrund seiner Behinderung unzugänglich waren.
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rung“, also der Besserstellung aufgrund eines personenbezogenen Merkmals. Bislang wird eine Pflicht zur Einführung von Maßnahmen positiver Diskriminierung allerdings abzulehnen sein. Andererseits ließe sich erwägen, ob nicht die Rechtsfigur der passiven Diskriminierung auszuweiten ist um die Teilhabeermöglichungskonstellation. Dies würde mit einer erheblichen Strukturveränderung verbunden sein, denn die symmetrische Schutzkonzeption des Nichtdiskriminierungsrechts würde in bestimmten Ausnahmefällen um eine asymmetrische Konzeption ergänzt. Die diskriminierungsfreie Teilhabeermöglichung ließe sich nicht mehr – wie oben für die Teilhabeerstreckung dargelegt – mit dem ersten Teilprinzip der formalen Gleichbehandlung und dem konventionsrechtlichen Prinzip der Rechtsgleichheit begründen, sondern ihr läge eine wesentlich anspruchsvollere substantielle Gleichheitskonzeption zugrunde.1261 Diese Ausweitung der Rechtsfigur der passiven Diskriminierung ließe sich auf den Normzweck des Diskriminierungsverbots stützen.1262 Auch ein Wortlautargument ließe sich anführen: Nach hier vertretener Ansicht ist der Begriff des „Genusses“ in Art. 14 EMRK so zu verstehen, dass es auf die tatsächliche Möglichkeit des Einzelnen, der Gewährleistung der Freiheitsrechte teilhaftig zu werden, ankommt.1263 Problematisch wäre allerdings die resultierende „symmetrisch-asymmetrische“ Struktur des konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrechts: Müssten Ausnahmen auch zugunsten anderer personenbezogener Merkmale, wie etwa dem des Geschlechts oder ethnischen Herkunft, gemacht werden? Zu bedenken ist auch, dass damit eine (zusätzliche) Hierarchie der Diskriminierungsgründe eingeführt werden würde, nämlich bezogen darauf, ob der jeweilige Diskriminierungsgrund pflichtenbegründend im Hinblick auf positive Maßnahmen zur Teilhabeermöglichung wirken kann oder nicht. Hier wird erst die weitere Rechtsprechung des EGMR Klarheit bringen. Offenkundig bedarf es gerade bei der Durchsetzung des Verbots der passiven Diskriminierung des richterlichen Augenmaßes, wobei sich – auch angesichts der Überlastung des Gerichtshofs – eher ein minimalistischer Weg anzubieten scheint. 1261 Zu den Rechtsprinzipien der formalen bzw. substantiellen Gleichbehandlung s. unten S. 414 ff. und S. 420 ff. Zur substantiellen Gleichheitskonzeption bei der Teilhabeermöglichung s. insbes. S. 483 f. 1262 1263
Zu dieser telelogischen Begründung s. näher S. 484. Vgl. zu dieser Interpretation bereits oben S. 155.
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E. Die Bedeutung der positiven Diskriminierung („affirmative action“) unter der EMRK Unter der EMRK ist die Rechtsfigur der „positiven Diskriminierung“ (engl. „affirmative action“), d.h. der Besserstellung von Personen aufgrund personenbezogener Merkmale, wie z.B. des Geschlechts, der Behinderung etc., bislang von geringer Bedeutung geblieben. Allerdings hat der Gerichtshof bereits im Belgischen Sprachenfall (1968) die Möglichkeit der Korrektur faktischer Ungleichheit durch rechtliche Ungleichbehandlung anerkannt: “(...) certain legal inequalities tend only to correct factual inequalities.”1264 Die Präambel des ZP 12 EMRK bezieht sich u.a. auf die positive Diskriminierung: “Reaffirming that the principle of non-discrimination does not prevent States Parties form taking measures in order to promote full and effective equality, provided that there is an objective and reasonable justification for those measures (...).”1265 Im Rahmen der positiven Diskriminierung sind zwei Konstellationen zu unterscheiden: Zum einen kann die Rechtfertigung einer direkten Diskriminierung aus Gründen der Besserstellung des Angehörigen einer benachteiligten Personengruppe fraglich sein („Rechtfertigungskonstellation“). Zum anderen kann es um die problematische Frage gehen, ob der Staat verpflichtet ist, positive Maßnahmen zur Besserstellung von Angehörigen einer benachteiligten Personengruppe zu ergreifen, um ihnen die (gleiche) Teilhabe an staatlichen Gütern und Leistungen, aber u.U. auch am Sozialleben überhaupt erst zu ermöglichen („Konstellation der Teilhabeermöglichung“). Zur ersten „Rechtfertigungskonstellation“ der positiven Diskriminierung finden sich bereits Ansätze in der Rechtsprechung des EGMR. So sieht der EGMR in einer zulässigen positiven Diskriminierung eine Rechtfertigung für eine personenbezogene Ungleichbehandlung, die an sich den Tatbestand des Art. 14 bzw. Art. 1 ZP 12 EMRK erfüllt. Dementsprechend hat der Gerichtshof in einem Fall eine Andersbehandlung 1264
EGMR, 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, B 9 = EuGRZ 1985, S. 298 ff., § 10. 1265
ZP 12 EMRK, 04.11.2000, Präambel, ETS Nr. 177. Zur Frage der positiven Förderungsmaßnahmen unter dem ZP 12 EMRK vgl. Michaela Wittinger, Die Gleichheit der Geschlechter und das Verbot geschlechtsspezifischer Diskriminierung in der Europäischen Menschenrechtskonvention, Status quo und die Perspektiven durch das Zusatzprotokoll Nr. 12 zur EMRK, EuGRZ 28 (2001), S. 272, 279.
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3. Teil
von nicht-behinderten Personen für gerechtfertigt gehalten, unter Hinweis auf die Zulässigkeit positiver Diskriminierung zugunsten von Menschen mit Behinderungen.1266 Im Fall Buckley (1996) hat Richter Pettiti in seiner abweichenden Meinung den normativen Rahmen der positiven Diskriminierung unter der EMRK beschrieben: “(...) the only acceptable discrimination under Article 14 is positive discrimination, which implies that in order to achieve equality of rights through equality of opportunity it is necessary in certain cases to grant additional rights to the deprived members of the population such as the underclasses of developed countries (...).”1267 Das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK legt den Vertragstaaten – in den beschriebenen Grenzen des Verbots der passiven Diskriminierung – keine Verpflichtung auf, Maßnahmen positiver Diskriminierung zu ergreifen.1268 Welche Anforderungen aber an die Rechtfertigung einer direkten Diskriminierung aus Gründen einer positiven Diskriminierungsmaßnahme zu stellen sind, hat der EGMR bislang noch nicht geklärt. Es steht zu erwarten, dass den EGMR in Zukunft aufgrund des Art. 1 ZP 12 EMRK mehr Fälle der ersten Konstellation positiver Diskriminierung beschäftigen werden, da dann auch der arbeits- und sozialrechtliche Kontext umfassend in den Anwendungsbereich des konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots gelangt. Eine Möglichkeit für den EGMR wäre es, sich an der Rechtsprechung des EuGH zur positiven Diskriminierung zu orientieren.1269 Die zweite „Konstellation der Teilhabeermöglichung“ betrifft eine mögliche Verpflichtung der Staaten zum Ergreifen positiver Maßnahmen, um bestehende Benachteiligungen auszugleichen bzw. zu beseitigen. Wie oben dargelegt, ist diese Pflicht zur Teilhabeermöglichung zu unterscheiden von der in der Rechtsprechung des EGMR anerkannten 1266 1267
EGMR, 27.05.2003, Wintersberger, Nr. 57448/00, § 2. EGMR, 25.06.1996, Buckley, Rep. 1996-IV, no. 16, Annex.
1268
So ausdrücklich Richter Costa in seiner zustimmenden Meinung im Fall EGMR (K), 07.02.2006, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325/00, Annex. 1269
Die Rechtsprechung des EuGH zur positiven Diskriminierung geht zurück auf den Fall EuGH, 17.10.1995, Rs. C-450/93, Kalanke, Slg. 1995, I-3051 sowie die späteren Fälle EuGH, 11.11.1997, Rs. C-409/95, Marshall, Slg. 1997, I-6363; EuGH, 28.3.2000, Rs. C-158/97, Georg Bedeck u.a., Slg. 2000, I-1875; EuGH, 06.07.2000, Rs. C-407/98, Abrahamsson, Slg. 2000, I-5539; EuGH, 19.03.2002, Rs. C-476/99, Lommers, Slg. 2002, I-2891. Zum Problem der positiven Diskriminierung im Europarecht vgl. Connolly (Fn. 978), pp. 360-364.
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Pflicht zur Teilhabeerstreckung; nur die letztgenannte fällt (bislang) unter die Rechtsfigur der passiven Diskriminierung.1270 Grund dafür ist, dass dem Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK eine symmetrische Schutzkonzeption zugrunde liegt; ob die Berechtigten in der Lage sind, die ihnen aufgrund der Konventionsrechte und des gleichheitsrechtlichen Teilhabeanspruchs gewährten Rechtspositionen tatsächlich in gleicher Weise zu nutzen, liegt (gegenwärtig) außerhalb des konventionsrechtlichen Schutzes. Unter der bisherigen symmetrischen Konzeption der Nichtdiskriminierung können positive Maßnahmen zur Teilhabeermöglichung daher nur als Maßnahmen der positiven Diskriminierung gedacht werden. Dies hat für den potentiell Betroffenen den strategisch bedeutsamen Nachteil, dass er in die Position des Bittstellers gedrängt wird, für den Ausnahmen von der Regel geschaffen werden. Die Annahme einer Pflicht zur positiven Diskriminierung, verstanden als Teilhabeermöglichung, ist vom EGMR deshalb auch noch in keinem Fall anerkannt worden und muss als unwahrscheinlich gelten.
Ergebnisse des dritten Teils Im dritten Teil der Arbeit wird die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts anhand der Analyse der Rechtsprechung des EGMR dargestellt. Den Ausgangspunkt bilden dabei der Begriff der Diskriminierung sowie weiter der einheitliche Nichtdiskriminierungstatbestand unter der EMRK, wie er sich aus den Judikaten des Gerichtshofs herausdestillieren lässt. Dieser abstrakte Tatbestand liefert die Analysekategorien für die weitere Untersuchung und stellt zugleich heraus, welche Merkmale zu einem „Allgemeinen Teil“ und welche zu einem „Besonderen Teil“ des Nichtdiskriminierungsrechts unter der EMRK gehören. Zum „Allgemeinen Teil“ des Nichtdiskriminierungsrechts gehört zunächst die Frage nach dem Geltungsbereich des Diskriminierungsverbots. Hier gilt es insbesondere, die systemprägende Entscheidung der Konvention für ein freiheitsrechtsakzessorisches einem allgemeinen Diskriminierungsverbot gegenüberzustellen. Drei Gründe lassen sich für das konventionsrechtliche Akzessorietätserfordernis angeben: Erstens die Einhegung der Rechtsprechung in politisch heiklen Gleichheitsfragen (in historischer Betrachtung insbesondere in Bezug auf 1270
Zur Unterscheidung von „Teilhabeerstreckung“ und „Teilhabeermöglichung“ s. oben S. 385 f. (s. dort auch zur Diskussion).
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Minderheiten), zweitens die Intention der Vertragsparteien, sozioökonomische Probleme aus dem Anwendungsbereich der EMRK auszuklammern und drittens befürchtete sonstige Souveränitätsverluste durch ein einklagbares, freistehendes Nichtdiskriminierungs- oder Gleichheitsrecht. Hinsichtlich der umstrittenen Frage, wann der Regelungsbereich eines substantiellen Konventionsrechts betroffen ist, begründet die Arbeit eine eigene Lösung, nämlich den hier sog. Wechselwirkungsansatz. Danach muss der Wortlaut („Genuss“) des Art. 14 EMRK sowie dessen Normzweck bei der Interpretation des Akzessorietätserfordernisses berücksichtigt werden: Der Regelungsbereich der Freiheitsrechte ist im Lichte der Bedeutung und des Zwecks des Diskriminierungsverbots zu ermitteln. Ein weiteres Thema für einen „Allgemeinen Teil“ ist die Dogmatik der Differenzierungsgründe. Hier ist die Unterscheidung zwischen „einfachen“ und „verdächtigen“ Differenzierungsgründen maßgeblich. Die Gemeinsamkeit der „verdächtigen“ Differenzierungsgründe ist nach hier vertretener Auffassung darin zu erblicken, dass die Nichtbenachteiligung aufgrund solcher personenbezogenen Merkmale selbst ein Mittel des So-Sein-Könnens des Einzelnen darstellt. Es geht um die Freiheit, so zu sein, wie man ist bzw. sein will. Die Grenzen der menschenrechtlichen Gleichheit werden maßgeblich durch die Frage bestimmt, unter welchen Voraussetzungen personenbezogene Ungleich- bzw. Gleichbehandlungen gerechtfertigt sein können. Die Frage nach der Rechtfertigung ist ebenfalls im Rahmen eines „Allgemeinen Teils“ des konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrechts zu behandeln. Hierbei hat sich die Rechtsprechung des EGMR als noch ausbaufähig erwiesen, da diese sich gegenwärtig nur auf ein relational-externes Rechtfertigungsmodell beschränkt, das die Rechtfertigung in Diskriminierungsfällen aus externen Zwecken (wie z.B. dem Schutz der traditionellen Familie, dem Schutz der Privatautonomie etc.) herleitet. Unberücksichtigt bleibt beispielsweise ein relational-individuelles Rechtfertigungsmodell, das auf die Aufhebung oder Abmilderung der diskriminierungsspezifischen Belastungswirkung im Einzelfall abstellt. Diese Rechtfertigungsmöglichkeit bietet sich insbesondere im bislang von der EMRK nur unzureichend erfassten arbeitsrechtlichen Kontext an, wenn etwa Dienstvorschriften (z.B. hinsichtlich der Dienstzeiten) mit individueller Religionsausübung kollidieren. In diesen Situationen könnte das Rechtfertigungsmodell der „Anpassung“ (engl. accommodation) Bedeutung gewinnen, das in der Milderung oder
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Beseitigung der benachteiligenden Wirkung im Einzelfall eine hinreichende Rechtfertigung erblickt. Im Rahmen des „Besonderen Teils“ werden nacheinander das objektivrechtliche Prinzip der Rechtsgleichheit und die subjektivrechtlichen Ausprägungen des Diskriminierungsverbots unter der EMRK untersucht. Der EGMR betrachtet das objektivrechtliche Prinzip der Rechtsgleichheit als einen „integralen Bestandteil“ aller Konventionsgarantien; es wird ausdrücklich in der Präambel des neuen ZP 12 erwähnt. Bei der Interpretation, Ausformung und Begründung der Ausprägungen des Diskriminierungsverbots erweist sich der Rückgriff auf das Prinzip der Rechtsgleichheit, dem „Fluchtpunkt des Gleichheitsrechts“, bisweilen als notwendig. Der EGMR anerkennt drei subjektivrechtliche Ausprägungen des Diskriminierungsverbots unter der EMRK: das Verbot der direkten, der indirekten und der passiven Diskriminierung. Die Dogmatik der direkten Diskriminierung, die vom Gerichtshof grundlegend im Belgischen Sprachenfall (1968) begründet wurde, hat sich im Laufe seiner Rechtsprechung verfestigt. Danach ist die Struktur der direkten Diskriminierung nunmehr durch folgende fünf Elemente gekennzeichnet: Unter „direkter Diskriminierung“ wird unter der EMRK eine Ungleich- bzw. Gleichbehandlung einer Person im Vergleich zu Personen in ähnlicher Lage verstanden, wobei die Behandlung an einen Differenzierungsgrund anknüpft, zu einem Nachteil für die Person führt und nicht gerechtfertigt ist. Die Dogmatik der direkten Diskriminierung hat eine wichtige Fortentwicklung durch den Gerichtshof insofern erfahren, als dieser im Fall Thlimmenos (2001) die Rechtsfigur der direkten Diskriminierung durch Gleichbehandlung anerkannte. In der post-Thlimmenos Phase ist nunmehr problematisch, welchen Grad die Verschiedenheit erreichen bzw. welches Unterscheidungsmerkmal vorliegen muss, damit eine Pflicht zur Ungleichbehandlung in Betracht kommen kann. Gegenwärtig hält der Gerichtshof eine Pflicht zur Ungleichbehandlung nur dann für möglich, wenn eine abstrakt-generelle Rechtsnorm hinsichtlich der religiösen Andersheit (Thlimmenos) von Personen nicht hinreichend differenziert. Eine solche Pflicht wird aber abgelehnt, wenn Fragen der als unzumutbar empfundenen Lebensqualität (Pretty) oder solche des kollektiven Lebensstils (Roma-Fälle) in Rede stehen. In zwei Bereichen des Nichtdiskriminierungsrechts ist der Gerichtshof in den letzten Jahren besonders innovativ gewesen und verfügt – gemessen an den übrigen regionalen und internationalen Menschenrechtsor-
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ganen – mittlerweile über die am weitesten fortgeschrittene Dogmatik: Die Rede ist von der indirekten und der passiven Diskriminierung. Die vorliegende Arbeit setzt daher auf diese innovativen Konzepte der Rechtsprechung einen gewissen Schwerpunkt. Die indirekte Diskriminierung stellt die zweite subjektivrechtliche Ausprägung des Diskriminierungsverbots dar. Die Rechtsfigur der „indirekten Diskriminierung“ bezeichnet unter der EMRK entweder die Ungleichbehandlung einer Person aufgrund einer Rechtsnorm, wobei sich die Behandlung auf einen (dem Anschein nach) neutralen Differenzierungsgrund stützt oder eine allgemeine Maßnahme, wobei – im Vergleich zu Personen in ähnlicher Lage – die Person als Angehörige einer geschützten Personengruppe erheblich benachteiligt wird und diese Behandlung nicht gerechtfertigt ist. Eine entscheidende Vorstrukturierung des Problems wird geleistet durch die Unterscheidung zwischen der indirekt diskriminierenden Normsetzung (wobei die Ungleichbehandlung normintern oder normextern zu verorten sein kann) und den indirekt diskriminierenden Maßnahmen. Besonders problematisch ist stets die Feststellung, wann ein „erheblicher Nachteil“ für eine geschützte Personengruppe vorliegt. Der Gerichtshof geht hierbei einzelfall- und kontextbezogen vor; in der Regel lag die – im Rahmen des statistischen Nachweises erforderte – prozentuale Disparität zwischen privilegierter und nichtprivilegierter Gruppe bei weit über 20 %. Die konventionsrechtliche Dogmatik der indirekten Diskriminierung hat der Gerichtshof maßgeblich in den Fällen Zarb Adami (2006) und in der Entscheidung der Großen Kammer im Fall D.H. u.a. (2008) entwickelt. Es kann damit nicht länger behauptet werden, dass die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung unter der EMRK ein bloßes „Schattendasein“ führe. Die zweite, innovative Rechtsfigur des konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrechts betrifft die passive Diskriminierung. Ausgangspunkt dafür ist die Überlegung, dass Diskriminierung nicht bloß in der aktiven, ungerechtfertigten Ungleich- bzw. Gleichbehandlung Einzelner aufgrund personenbezogener Merkmale bestehen kann, sondern auch in der Untätigkeit des Staates in solchen Fällen, in denen ihn eine gleichheitsrechtliche Gewährleistungspflicht trifft. Aufgrund der Gewährleistungspflichten muss sich der Staat in bestimmten Situationen schützend, fördernd oder aufklärend, in jedem Fall aber aktiv handelnd für das individuelle Gleichheitsinteresse einsetzen. Solche Gewährleistungspflichten sind entweder gerichtet auf den Schutz (vor privater Diskriminierung), die Teilhabe (an staatlichen Gütern oder Leistungen) sowie auf die Durchführung besonderer Untersuchungsmaßnahmen in bestimmten Diskriminierungsfällen. Unter „passiver Diskriminierung“
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wird vorliegend die Nichtbehandlung einer Person trotz Gewährleistungspflicht gerichtet auf Schutz, Teilhabe oder Untersuchung verstanden, wobei die betroffene Person durch einen „verdächtigen“ Differenzierungsgrund identifiziert wird, die Nichtbehandlung zu einem Nachteil für die Person führt und nicht gerechtfertigt ist. Die Dogmatik einer Schutzpflicht vor privater Diskriminierung steht im Kontext der EMRK immer noch am Anfang. Die im Wesentlichen auf einem Autonomieargument beruhenden Einwände gegen eine Drittwirkung und damit gegen die Möglichkeit einer gleichheitsrechtlichen Schutzpflicht lassen sich ein Stück weit damit entkräften, dass auch unter der EMRK die private Autonomie des Einzelnen nicht absolut geschützt ist, sondern nur im Rahmen der konventionsrechtlichen Koordinationsordnung. Diese Koordinationsordnung wird in erster Linie durch die nationalen Gesetzgeber ausgestaltet und konkretisiert. Der EGMR überprüft diese Justierungen und Abgrenzungen privater Handlungsspielräume am Maßstab der EMRK und damit auch an dem Diskriminierungsverbot. Ist eine gleichheitsrechtliche Schutzpflicht vor privater Diskriminierung somit grundsätzlich auch unter der EMRK möglich, so lassen sich grundsätzlich zwei Schutzpflichtkonstellationen unterschieden: Erstens die Schutzpflicht vor Lücken im nationalen Gleichheitsrechtsschutz sowie zweitens die Pflicht zur Berücksichtigung des Gleichheitsinteresses bei Abwägungen innerhalb von gleichheitsrechtlichen Sachverhalten. Die erste Schutzpflicht (Lücken im nationalen Gleichheitsrechtsschutz) trifft zunächst die Legislative, die für einen gesetzlichen Mindestschutz vor Diskriminierung zu sorgen hat. Dabei ergeben sich in dogmatischer Hinsicht unterschiedliche gleichheitsrechtliche Anforderungen je nach betroffener Sphäre, dem sog. engeren Privatbereich oder Persönlichkeitskernbereich (z.B. die Einladung von Freunden zu einer Feier), dem sog. erweiterten Privatbereich (z.B. der Verkauf eines PKW durch einen Privaten) und dem dritten, sog. quasi-öffentlichen Bereich (z.B. der Zugang zu Restaurants oder Verkehrsmitteln). Eine erste Rechtssache, die die Problematik einer gleichheitsrechtlichen Schutzpflicht durch die Legislative anspricht, ist der Fall Danilenkov (2009). Doch ist der EGMR zu Recht vorsichtig mit der Feststellung von Verletzungen der gleichheitsrechtlichen Schutzpflicht durch die Legislative. Hinzu kommt, dass viele Bereiche, z.B. der des Arbeits- und Sozialrechts, in denen solche Verletzungen denkbar sind, immer noch außerhalb des Regelungsbereichs des Diskriminierungsverbots aus Art. 14 EMRK liegen. Dies könnte sich im Lichte des Erläuternden Berichts des Europa-
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rats durch Art. 1 ZP 12 EMRK ändern, der das konventionsrechtliche Gleichheitsrecht auf eine neue, breitere Basis stellt. In dem wichtigen Urteil im Fall Opuz aus dem Jahr 2009 hat der EGMR die erste Schutzpflichtkonstellation des Absinkens des gleichheitsrechtlich geforderten Mindestschutzniveaus durch exekutivisches Unterlassen nunmehr anerkannt. Es steht zu erwarten, dass der EGMR die Dogmatik der gleichheitsrechtlichen Schutzpflicht ausgehend von diesem Fall weiter entwickeln wird. Die zweite Schutzpflichtkonstellation (Fehler in der Abwägung) betrifft sog. mehrpolige Grundrechtsverhältnisse, in denen das gleichheitsrechtliche Interesse des einen mit dem Freiheitsinteresse des anderen einem angemessenen Ausgleich zugeführt werden muss. Das Gleichheitsinteresse ist im Rahmen dieses Ausgleichs, der grundsätzlich jeder der beteiligten Rechtssphären zur größtmöglichen Entfaltung verhelfen soll, anhand folgender Kriterien zu gewichten: − Art des verdächtigen Differenzierungsgrundes, − Maß an Öffentlichkeit des diskriminierenden Verhaltens, − Grad der Benachteiligung des Betroffenen durch das diskriminierende Verhalten, − Wirkung der Diskriminierung auf die Öffentlichkeit (Einschüchterungseffekt, Stigmatisierungseffekt). Wie diese Arbeit aufgezeigte, hat es der EGMR bislang vermieden, in Fällen wie Associated Society of Locomotive Engineers & Firemen (ASLEF) (2007) oder Pla und Puncernau (2004) die gleichheitsrechtliche Schutzpflichtkonstellation genau herauszuarbeiten. Statt dessen behandelt der EGMR Fälle, in denen die Diskriminierung ursächlich auf einem privaten Verhalten beruht, als hier sog. „scheinbare Schutzpflichtkonstellation“. Indem der Gerichtshof in der letztinstanzlichen nationalen Entscheidung entweder ein „Sich-Zueigenmachen“ oder eine Ermöglichung der im Ursprung privaten Diskriminierung durch den Vertragstaat erblickt, geht er von einem aktiven Tun des Vertragstaates aus, das als direkte Diskriminierung zu prüfen ist. Diese Reduktion auf staatliches Tun birgt insbesondere die Gefahr in sich, beteiligte private Grundrechtspositionen nicht hinreichend zu würdigen. Eine weitere gleichheitsrechtliche Gewährleistungspflicht betrifft die diskriminierungsfreie Teilhabe an staatlichen Gütern oder Leistungen. Während die EMRK selbst keine „originären Teilhaberechte“ vorsieht, hat die Rechtsprechung mittels der gleichheitsrechtsgestützten, sog. „derivativen Teilhaberechte“ einige, nicht in der Konvention vorgese-
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hene Rechte gleichsam „durch die Hintertür“ eingeführt. Dabei folgt die Rechtsprechung dem sog. „Wenn-dann-Schema“: Wenn der Vertragstaat ein Recht, das – übereinstimmend mit dem Akzessorietätserfordernis des Art. 14 EMRK – in den Regelungsbereich der Konvention fällt, gewährleistet, dann muss dieses Recht diskriminierungsfrei gewährt werden. Die Pflicht zur Teilhabeerstreckung erfasst somit alle in der Konvention ausdrücklich genannten, sowie alle in deren Regelungsbereich fallenden Rechte. Auf diese Weise prüfte der EGMR die diskriminierungsfreie Gewährung einiger freiheits- und verfahrensrechtlicher Rechte, etwa des Rechts auf Einwanderung, des Adoptionsrechts und eines gewerkschaftlichen Konsultationsrechts. Vor allem im Bereich der in der EMRK selbst nicht verankerten sozioökonomischen Rechte spielt die der Rechtsfigur der passiven Diskriminierung unterfallende derivative Teilhabe eine Rolle, etwa bei Kinder- oder Elterngeld, Behindertenbeihilfen, Sozialhilfe- oder Pensionsansprüchen. Unter Art. 1 ZP 12 EMRK wird jede Teilhabenichtgewährung in Bezug auf ein existentes Recht, die auf einem personenbezogenen Differenzierungskriterium beruht, rügbar. Noch völlig ungeklärt ist, ob die Rechtsfigur der passiven Diskriminierung um die Konstellation der Teilhabeermöglichung zu erweitern und damit ein Element einer asymmetrischen Schutzkonzeption aufzunehmen ist. Bislang können positive Maßnahmen zur Besserstellung aufgrund eines personenbezogenen Merkmals – unabhängig von einer formalen Teilhabeerstreckung – nur unter der Rechtsfigur der „positiven Diskriminierung“ erfasst werden; eine Pflicht zur Einführung positiver Besserstellungsmaßnahmen wird unter der EMRK allerdings nicht anzunehmen sein. Anders wäre es aber, wenn man die Teilhabeermöglichung als Fall der passiven Diskriminierung ansehen könnte, denn hier stehen staatliche Gewährleistungspflichten in Rede. Der Normzweck des Diskriminierungsverbots stände einer solchen Ausweitung nicht entgegen; problematisch ist allerdings die dadurch resultierende „symmetrisch-asymmetrische“ Struktur des Diskriminierungsschutzes sowie die nicht einfach zu begründende Einführung einer weiteren Hierarchisierung der Diskriminierungsgründe. Die dritte gleichheitsrechtliche Gewährleistungspflicht betrifft die positive Pflicht des Staates, in gewissen Fällen schwerster Menschenrechtsverletzungen, insbesondere bei Verletzungen des Art. 2 EMRK (Recht auf Leben) und Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), zu untersuchen, ob eine diskriminierende Motivation (v.a. Rassismus) seitens der Akteure vorlag. Es handelt sich bei der gleichheitsrechtlichen Untersuchungspflicht damit um eine sekundäre, verfahrensrechtliche Pflicht mit dem
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Ziel der Wahrheitsfindung und der Ermöglichung objektiver, staatlicher Entscheidungen. Die gleichheitsrechtliche Untersuchungspflicht ist die Antwort des Gerichtshofs auf das Beweisproblem in Fällen direkter Diskriminierung: Oft wird es dem Beschwerdeführer nicht möglich sein zu beweisen, dass die gerügte Behandlung ursächlich auf einem „verdächtigen“ Differenzierungsgrund beruht. In diesen Fällen ermöglicht die gleichheitsrechtliche Untersuchungspflicht als positive Pflicht die „Prozeduralisierung“ des Diskriminierungsproblems: Der Vertragstaat hat im Rahmen des verhältnismäßigen Mitteleinsatzes alles dafür zu tun, den Diskriminierungsvorwurf zu überprüfen. Kommt der Vertragstaat dieser Pflicht nicht oder nur unzureichend nach, bejaht der Gerichtshof eine Verletzung des Diskriminierungsverbots in prozeduraler Hinsicht.
4. Teil Rechtsethik der menschenrechtlichen Gleichheit
Eine Arbeit, die das Problem der menschenrechtlichen Gleichheit umfassend zum Gegenstand macht, fragt zuerst nach Begriff, Recht und rechtlicher Praxis der menschenrechtlichen Gleichheit. Die damit verbundenen Probleme sind in den vorangegangenen Teilen der Arbeit untersucht worden. Dabei haben sich umfassendere Fragen gestellt, die von dem jeweiligen Bezugsrahmen, der Ebene des Begriffs, der Dogmatik und der Rechtsprechungspraxis der menschenrechtlichen Gleichheit, nicht selbst beantwortet werden konnten: Wie ist der – aufgrund des Akzessorietätserfordernisses in Art. 14 EMRK verlangte – Zusammenhang zwischen Freiheit und Gleichheit zu konstruieren? Was ist die Gemeinsamkeit der „verdächtigen“ Differenzierungsgründe? Von welchem Gewährleistungsumfang ist bei der Fortschreibung der Nichtdiskriminierungsdogmatik auf der Grundlage des neuen ZP 12 auszugehen? Diese nur im Vorgriff auf die folgende rechtsethische Untersuchung beantworteten Fragen verdichten sich zu einem Grundproblem: Wozu verpflichtet die menschenrechtliche Gleichheit? Die Antwort hierauf ist wiederum von der politischen Philosophie zu erwarten. Im Anwendungskontext des Rechts muss die Frage folgendermaßen formuliert werden: Worin besteht der Normzweck gleichheitsrechtlicher Regelungen? Wie weiter unten gezeigt wird, muss die Rechtsethik nicht bei der Angabe abstrakter Zwecke des Rechts stehenbleiben. Einer Rechtsethik, so wie sie hier aufgefasst wird, geht es immer um mehr als bloß der Identifizierung einer „richtigen“ Zwecksetzung.1271 Nach hier zugrundelie1271
Unter „Rechtsethik“ wird in dieser Arbeit der Teil der Rechtsphilosophie verstanden, der Aussagen über die ethische Richtigkeit oder Vernünftigkeit des Rechts trifft und dabei systematisierend und klärend wirkt. Hier wird ein deskriptiver Ansatz der Rechtsethik zugrunde gelegt, der – im Unterschied zu einem normativen, rechtsethischen Ansatz – eine Seins-Aussage und keine Sollens-Aussage über das Recht vorträgt. Zu einem solchen Verständnis der Rechtsethik vgl. Stephan Kirste, Einführung in die Rechtsphilosophie, Darmstadt 2010, S. 109 f. T. Altwicker, Menschenrechtlicher Gleichheitsschutz, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 223, DOI 10.1007/978-3-642-18200-6_5, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011. All Rights Reserved.
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gendem Verständnis geht es ihr um eine „gute“ Rechtspraxis, und das setzt eine anspruchsvollere Konzeption einer Rechtsethik voraus. Im Lichte dieser Erwägung muss das Grundproblem reformuliert werden: Worin besteht eine „gute“ Praxis des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts? Sicherlich ist hierbei die „richtige“ Zwecksetzung bedeutsam, aber darüber hinaus auch die Art und Weise, wie sich das Recht an diesen Zwecken orientiert, letztlich, die Vernünftigkeit oder die Rationalität des Rechts. Nach hier vertretener Ansicht kommt es darauf an, in welchem Maße das Recht an der ethischen Rationalität partizipiert. Um diese Frage adäquat behandeln zu können, muss der Untersuchungsrahmen weiter als bisher gesteckt werden. Die Diskussion wird damit über den Bereich der politischen Philosophie, welche die Konkretisierung des vorrechtlichen Gleichheitsbegriffs angeleitet hat, aber auch über die juristische Dogmatik, die in der rechtlichen Durchdringung und Systematisierung des Problems der menschenrechtlichen Gleichheit den Weg gewiesen hat, hinausgeführt. Die Klärung der sich nun stellenden Fragen fällt nicht mehr nur in die isolierte Zuständigkeit der politischen Philosophie oder des Rechts, sondern beide Diskurse müssen zu ihrer Beantwortung in einer geeigneten Weise vermittelt werden. Gesucht ist m.a.W. nach dem geeigneten Vermittlungszusammenhang zwischen (politischer) Philosophie und menschenrechtlichem Gleichheitsrecht, aufgrund dessen sich die übriggebliebene Grundfrage klären lässt. Die Frage nach dem geeigneten Vermittlungszusammenhang zielt auf das grundlegende Problem des Nutzens der Philosophie für das Recht. Zu beachten ist dabei Folgendes: Das Anliegen dieser Arbeit ist das Problem der menschenrechtlichen Gleichheit, nicht ein Ausweis der Gültigkeit gleichheitsrechtlicher Normen. In diesem Sinne ist von einem „Vermittlungszusammenhang“, nicht von einem „Geltungszusammenhang“ zwischen (politischer) Philosophie und (Völker-)Recht die Rede. Die Frage, inwieweit das menschenrechtliche Gleichheitsrecht für seine Gültigkeit ethischen Anforderungen genügen muss, ist für das Anliegen dieser Arbeit, das Problem menschenrechtlicher Gleichheit darzustellen, sekundär. Wenn begründet werden kann, inwiefern das Recht an der Rationalität, die die politische Philosophie in Fragen menschenrechtlicher Gleichheit bereithält, partizipiert, dann stellt dieses über seine ethischen Zwecke und Gründe aufgeklärte Recht zugleich ein „besseres“, da rationaleres Recht dar. Schon allein das Ziel rationaleren Gleichheitsrechts durch ethische Orientierung ist hinreichend anspruchsvoll; die philosophische Reflexion darüber, unter welchen Be-
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dingungen dieses Recht moralische Gültigkeit beanspruchen darf, soll hier dahinstehen. Die Frage nach der „guten“, da ethisch angeleiteten, menschenrechtlichen Gleichheitsrechtspraxis legt ein Vorgehen in drei Schritten nahe. Zunächst sind gewisse Vorarbeiten notwendig (I.): Um der Gefahr einer unkritischen Übernahme philosophischer Deutungen der Gleichheit in das Recht zu begegnen, sollen zunächst die Unterschiede zwischen dem philosophischen und dem menschenrechtlichen Gleichheitsproblem herausgestellt werden. Im Anschluss daran kann darüber nachgedacht werden, welche Rationalität der im ersten Teil dargestellte vorrechtliche Gleichheitsbegriff an das Recht schon heranträgt (II.). Diese Rationalität des vorrechtlichen Gleichheitsbegriffs ist im Recht in Form zweier bekannter Rechtsprinzipien wirksam, die herkömmlicherweise als Prinzipien der formalen und der substantiellen Gleichbehandlung bezeichnet werden. Bereits aus den beiden Rechtsprinzipien der menschenrechtlichen Gleichheit ergibt sich, wie zu zeigen ist, eine gewisse Präformierung des Rechts. Mit der Formulierung dieser beiden Rechtsprinzipien ist aber die Vermittlungsleistung einer Rechtsethik zwischen (politischer) Philosophie und Recht noch nicht erbracht. Das Prinzip der substantiellen Gleichbehandlung ist zu abstrakt, um eine praxiswirksame Orientierung für das Recht geben zu können: Was bedeutet es für den internationalen Richter, Personen substantiell als Gleiche zu behandeln? Welche Folgerungen ergeben sich für das Schutzniveau des Gleichheitsrechts, wenn substantielle Gleichbehandlung gefordert ist? Welche Auswirkungen auf die Dogmatik des Gleichheitsrechts hat dieses Prinzip? Diese Fragen sollen hier im Rahmen eines neuen methodischen Ansatzes untersucht werden. Für die Darlegung des Vermittlungszusammenhangs zwischen Gleichheitsphilosophie und Gleichheitsrecht bedarf es einer Methode, mit der aus einer rechtlichen Perspektive und Zwecksetzung auf die politische Philosophie zugegriffen wird. Diese Methode wird hier als „rechtsethische Rekonstruktion“ bezeichnet. Die rechtsethische Rekonstruktion des Gleichheitsrechts wird am Beispiel der Europäischen Menschenrechtskonvention in drei Schritten entwickelt: Zunächst wird die Methode der rechtsethischen Rekonstruktion vorgestellt und ihr theoretischer Hintergrund sowie erste Anwendungsfragen geklärt (III.). Von Bedeutung ist, dass der Anknüpfungspunkt dieser Methode nicht die gleichheitsrechtliche Norm, sondern der Akt des Rechtsprechens ist; dieser Akt wird nicht hinreichend nur durch die Bindung an die Norm bestimmt, sondern in ihm sind ethische Prinzipien wirksam, die mit Hilfe der rechtsethischen Rekonstruktion sichtbar gemacht werden. Im Hinblick darauf wird der
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ethische Bezugsrahmen der menschenrechtlichen Gleichheit in einem Verständnis des Gerechtigkeitsproblems verortet (IV.). Wenn die politische Gerechtigkeit für das menschenrechtliche Gleichheitsproblem in irgendeiner Weise maßgeblich sein soll, muss die im Gerechtigkeitsbegriff angelegte Rationalität für die Zwecke des Gleichheitsrechts aufgearbeitet werden. Dies geschieht konzeptionell durch die Herausstellung zweier Gerechtigkeitsprinzipien, d.h. ethischen Betrachtungsweisen, unter denen sich Behandlungen als gerecht bzw. ungerecht darstellen. In der Tradition werden zwei Gerechtigkeitsprinzipien unterschieden: das korrektive und das distributive Gerechtigkeitsprinzip. Die Rechtsprechung des EGMR zu Fragen des konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrechts wird sodann unter diesen Gerechtigkeitsprinzipien analysiert. Dabei wird sich zeigen, dass das Nichtdiskriminierungsrecht in einer ersten Phase der Rechtsprechung des EGMR einem korrektiven Gerechtigkeitsprinzip folgt, die neueren Entwicklungen des Nichtdiskriminierungsrechts unter der EMRK dagegen unter einem distributiven Gerechtigkeitsprinzip zu rekonstruieren sind. Dennoch kann das distributive gleichheitsrechtliche Prinzip das korrektive nicht einfach ablösen; vielmehr bleiben beide nebeneinander bestehen. Was die Idee der menschenrechtlichen Gleichheit somit für das Gleichheitsrecht bedeutet, was mithin eine „gute“ gleichheitsrechtliche Praxis ist, ergibt sich vollständig erst in der Orientierung der Rechtsprechungspraxis an Gerechtigkeitsprinzipien.
I. Vergleich des menschenrechtlichen und des philosophischen Gleichheitsproblems Im ersten Teil dieser Arbeit ist der Begriff der Gleichheit als Grundlagenbegriff der politischen Philosophie vorgestellt worden. Im Anschluss daran wurde das Problem der menschenrechtlichen Gleichheit als Problem des Völkerrechts untersucht. In den folgenden Kapiteln ist die gleichheitsrechtliche Praxis selbst auf eine abstraktere Reflexionsstufe zu heben, um von einer „guten“ menschenrechtlichen Gleichheitsrechtspraxis sprechen zu können. Dafür muss zunächst das Problem der menschenrechtlichen Gleichheit, so wie es sich dem Recht auf der einen und der politischen Philosophie auf der anderen Seite stellt, näher herausgearbeitet werden. Was zeichnet das Problem der menschenrechtlichen Gleichheit jeweils aus? Als Rechtsproblem weist menschenrechtliche Gleichheit bei erster Nähe-
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rung eine janusköpfige Struktur auf: Zum einen liegt ihm der Begriff der menschenrechtlichen Gleichheit zugrunde, der – strukturell bedingt durch seine variierende Bedeutungsebene – auf ideelle Zwecksetzungen angewiesen ist und damit in einem engen Erklärungszusammenhang mit der Ethik steht.1272 Zum anderen stellt menschenrechtliche Gleichheit nicht bloß eine ethische Norm, sondern, in Form der verschiedenen Ausprägungen des Gleichheitsrechts, ein Justiziabilität beanspruchendes Recht des Einzelnen dar, dessen Inhalt und Grenzen durch das Recht selbst, nicht durch die Ethik festgelegt werden. Das rechtliche Gleichheitsproblem ist vom ethischen daher abzusetzen, aber nicht zu trennen. Dabei ist von vornherein der Gefahr einer unkritischen Übernahme philosophischer Denkansätze in das Recht zu begegnen, die beim Gleichheitsrecht wie bei kaum einer anderen Rechtsnorm besteht.1273 Keinesfalls „positiviert“ das menschenrechtliche Gleichheitsrecht, beispielsweise das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK, einfach eine oder mehrere philosophische Konzeptionen der Gleichheit.1274 Dies scheidet schon deswegen aus, weil – wie oben dargestellt – sich über die Inhalte der Gleichheitskonzeptionen keine Einigkeit herstellen lässt.1275 Hinzu kommt, dass es methodisch unzulässig wäre, einer Konzeption der Gleichheit durch Auslegung des Gleichheitsrechts gleichsam „positive Rechtsgeltung“ zu verschaffen. Damit würde der historische Wille der Vertragsparteien preisgegeben. Die Ethik kann dem Recht ein Angebot hinsichtlich seiner Zwecke machen, das Recht muss sich dieses aber „zu eigen“ machen. Die einfache Ersetzung des juridischen durch einen ethischen Zweck ist nicht möglich. Offenkundig kann das Vermittlungsverhältnis zwischen philosophischem und menschenrechtlichem Gleichheitsproblem auch nicht darin bestehen, juristische Auslegung durch eine ethische Begründung zu ersetzen. So kann beispielsweise in dem Fall D.H. u.a. v. Tschechische Republik (Kammer: 2006/Große Kammer: 2008),1276 in dem es um die Ausgestaltung des tschechischen Sonderschulsystems und die dadurch bewirkte Benach1272 1273
Vgl. dazu oben S. 15 f. Vgl. Heun (Fn. 16), Art. 3 GG, Fn. 1.
1274
Vgl. für den Kontext des deutschen GG Alexy (Fn. 15), S. 385 f.; anders allerdings Waldmann (Fn. 141), S. 106 ff., der von einer „Positivierung der Gleichheitskonzeptionen“ spricht. 1275 1276
Vgl. oben S. 15 f., S. 16 ff.
EGMR (K), 07.02.2006, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325/00; EGMR (GK), 13.11.2007, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325/00 = NJW 2008, S. 533, zum Sachverhalt s. S. 281.
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teiligung von Roma-Kindern ging, nicht rechtsgültig argumentiert werden, dass die soziale Ungleichbehandlung in Bezug auf den Schulbesuch die Schlechtestgestellten weiter benachteilige, anstatt sie – gemäß dem Rawlsschen Differenzprinzip1277 – am meisten zu begünstigen. Zur Herausarbeitung des Problems der menschenrechtlichen Gleichheit sind neben der semantischen Analyse des vorrechtlichen Gleichheitsbegriffs, die im ersten Teil geleistet wurde, daher weitere Vorarbeiten notwendig. Nachfolgend werden die Unterschiede des ethischen und des menschenrechtlichen Gleichheitsproblems dargelegt, um dem Vorwurf der unreflektierten Übernahme philosophischer Theorien und Positionen in das Recht von vornherein zu begegnen.
A. Bezugsobjekte Die wichtigste Unterscheidung zwischen dem Rechtsproblem der menschenrechtlichen Gleichheit und seinem Pendant in der Ethik besteht in der Verschiedenheit der primären Bezugsobjekte.
1. Verhaltensbezogenheit des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts Das Rechtsproblem der menschenrechtlichen Gleichheit bezieht sich primär auf die Gleichheit von Behandlungen.1278 So mag ein Staat etwa 1277 1278
Vgl. oben S. 16.
Die Frage des Bezugsobjekts ist auch eine der gewählten Perspektive: Nach hier vertretener Ansicht sind Rechtsprobleme letztlich immer verhaltensbezogen. Auch im Fall der positiven Diskriminierung (des Gleichstellungsrechts, engl. affirmative action) wird aus grund- und menschenrechtlicher Perspektive das Rechtsproblem der menschenrechtlichen Gleichheit verhaltens-, nicht zustandsbezogen betroffen. Zwar mag der Zweck der Besserstellung von bisher benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen der Beseitigung diskriminierender Zustände dienen; dies ist aber keine juridische, sondern eine sozialwissenschaftlich-politische Betrachtung des Problems. Letztlich bewertet das Gleichheitsrecht aber die Individual- oder Kollektivhandlung der Bevorzugung einiger gegenüber den anderen. Ebenso verhält es sich bei der indirekten Diskriminierung, die – nur aus einer Beobachterperspektive, nicht aber aus der Teilnehmerperspektive – diskriminierende Zustände aufgrund struktureller Verzerrungen von Verteilungsvorgängen zum Gegenstand hat (dazu vgl. unten S. 478 f.). Diskriminierungs- und Gleichheitsprobleme stellen sich unterschiedlich dar, je nach Wahl einer spezifisch juridischen Teilnehmerperspektive oder einer sozialwissenschaftlich-politischen Beobachterperspektive.
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rechtmäßig ansässige Ausländer hinsichtlich bestimmter Sozialleistungen anders als eigene Angehörige behandeln. In einem anderen Fall werden etwa Angehörige einer ethnischen Minderheit mit gewisser Regelmäßigkeit Opfer von staatlichen Zwangsmaßnahmen. Bezugsobjekt des rechtlichen Gleichheitsproblems sind jeweils Handlungen bzw. Unterlassungen von Personen; Gleichheit bzw. Ungleichheit werden im Recht nur insoweit problematisch, wie sie in Form zurechenbarer, individualisierbarer Handlungen und Unterlassungen von Personen bzw. dem Handlungsergebnis greifbar werden. Die Kernfrage des Rechtsproblems der menschenrechtlichen Gleichheit lautet stets, ob Personen zu Recht gleich- bzw. ungleich behandelt wurden. Es handelt sich somit primär um ein Gleichbehandlungsproblem.
2. Zustandsbezogenheit philosophischer Konzeptionen der Gleichheit Anders verhält es sich mit dem philosophischen Gleichheitsproblem. Primäres Bezugsobjekt einer philosophischen Betrachtung des menschenrechtlichen Gleichheitsproblems ist nicht die individualisierbare Behandlung einer Person oder Personengruppe, sondern die politischsozialen Bedingungen, unter denen zwischen den Personen ein Zustand relevanter Gleichheit herrscht. Die Frage philosophischer Konzeptionen der Gleichheit lautet: Welches sind die politisch-sozialen Bedingungen, unter denen die relevante Gleichheit zwischen Personen besteht? Hierzu werden selbstverständlich höchst unterschiedliche Antworten gefunden. Diese Antworten sind enthalten in den philosophischen Konzeptionen der Gleichheit.1279 Das philosophische Gleichheitsproblem ist primär eines der Zustandsgleichheit.
B. Ursprung: Aufgegebene vs. begründete Gleichheit Ein weiterer Unterschied zwischen dem menschenrechtlichen und dem philosophischen Gleichheitsproblem besteht hinsichtlich ihres Ursprungs, d.h. der Frage, unter welchen Umständen und warum Gleichheit problematisch wird.
1279
Dazu bereits oben S. 15 ff.
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1. Aufgegebene Gleichheit Dem Recht ist das menschenrechtliche Gleichheits- oder, genauer, das Gleichbehandlungsproblem, positivrechtlich aufgegeben. Für die Frage, ob überhaupt eine Beziehung der Gleichheit in Bezug auf gewisse Rechte etc. zwischen Personen bestehen soll, bleibt daher im Bereich des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts kein Raum. Gleichheit wird zu einem menschenrechtlichen Problem bei der Auslegung und Anwendung von Rechtsbegriffen wie denen der „Nichtdiskriminierung“ oder der „Gleichbehandlung“. Die Konkretisierung dieser Rechtsbegriffe führt die Praxis des Gleichheitsrechts – nach hier gefolgter Ansicht – zu Gerechtigkeitserwägungen.1280 In diesem Verständnis ist es angebracht zu behaupten, dass das Rechtsproblem der menschenrechtlichen Gleichheit in ein Gebot der Gerechtigkeit übergehe:1281 Das Rechtsproblem der menschenrechtlichen Gleichheit setzt bei der Deutung und Anwendung gleichheitsrechtlicher Begriffe an und gelangt zum philosophischen Gerechtigkeitsproblem. Selbst wenn aber dem Recht die Gleichheit nicht positivrechtlich aufgeben wäre, so wäre nach einer plausiblen Ansicht das Gleichbehandlungsproblem einem naturrechtlich verstandenen Rechtsbegriff inhärent und damit ein „überpositiver Rechtsgrundsatz“.1282 Dem Recht ist also das Problem der menschenrechtlichen Gleichheit in einem doppelten Sinne – rechtspositiv oder naturrechtlich – aufgegeben.
2. Begründete Gleichheit Anders liegt es im Fall des philosophischen Gleichheitsproblems. In der Philosophie wird die hier relevante Gleichheit problematisch, wenn die richtige Deutung der politisch-sozialen Gerechtigkeit in Frage steht.1283 Spätestens seit Platon und Aristoteles stellt die Gleichheit ein konstitutives Merkmal der Gerechtigkeit dar.1284 In der philosophischen Per-
1280 1281
Vgl. unten S. 475 ff. Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 32.
1282
Für das GG vgl. BVerfGE 1, 233; BVerfGE 76, 130; BVerfGE 84, 90, 121 (weitere Nachweise bei Waldmann [Fn. 141], S. 107). 1283
Vgl. nur die Darstellung bei Gosepath (Fn. 14), dessen Werk die „gleiche Gerechtigkeit“ zum Gegenstand hat. 1284
Gosepath (Fn. 14), S. 9 f.
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spektive bildet also das Problem der Gerechtigkeit, nicht die Gleichheit selbst, den Ausgangspunkt. Trotz der langen Tradition in der Philosophie, die das Gerechtigkeitsproblem wesentlich als ein Gleichheitsproblem deutet, hat die Philosophie Raum für die Frage, warum man die politisch-soziale Gerechtigkeit in Form von Gleichheitsbeziehungen zwischen Personen zu denken hat oder warum nicht. Die Kritik am Egalitarismus nimmt genau hier ihren Ausgangspunkt.1285 Die Philosophie kann und muss die Gleichheit als Gerechtigkeitsverbürgung in Frage stellen und Alternativlösungen diskutieren. Der politischen Philosophie ist das Gleichheitsproblem daher nicht in gleicher Weise aufgeben wie der Menschenrechtsdogmatik; möglicherweise „fordert“ die politisch-soziale Gerechtigkeit nicht eigentlich in erster Linie die Gleichheit bzw. Gleichbehandlung, sondern etwas kategorial anderes, z.B. die menschenwürdige Behandlung etc. Man kann daher in Bezug auf die Philosophie von „begründeter Gleichheit“ sprechen.
C. Verwirklichungssphären Ein dritter Unterschied lässt sich formulieren, wenn man sich fragt, in welchen „Sphären“1286 das politisch-soziale Gleichheitsproblem auftritt und von welchen Akteuren eine Lösung erwartet wird.
1. Ausdifferenzierte Behandlung des Gleichheitsproblems im Recht und Zuständigkeitsbegrenzung des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts Das menschenrechtliche Gleichheitsproblem verlangt eine ausdifferenzierte Behandlung in demokratischen Rechtsstaaten; das verfassungsrechtliche und damit auch das konventionsrechtliche Gleichheitsrecht ist bloß ein Element in der (rechtlichen) Gewährleistung und Herstellung von menschenrechtlicher Gleichheit. Die Ausgestaltung des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts erfolgt im demokratischen Rechtsstaat in erster Linie durch die Gesetzgebung.1287 Erst durch die Sozial-, 1285
Vgl. dazu die Textsammlung von Angelika Krebs (Fn. 40).
1286
Hier wird lose angeknüpft an Michael Walzer, Spheres of Justice: A Defense of Pluralism and Equality, New York 1983. 1287
Für Art. 3 Abs. 2. S. 1 GG (Gleichberechtigung von Männern und Frauen) vgl. Hesse (Fn. 148), S. 137 f., Rn. 303.
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Arbeits- und Familiengesetzgebung, um nur die wichtigsten „Sphären“ der Gleichheit zu nennen, wird menschenrechtliche Gleichheit für den Einzelnen zu einer praktisch wirksamen Realität. Das Gleichheitsrecht, in diesem Zusammenhang aufgefasst als Summe der Normen, die das grundrechtliche Gleichheitsproblem als solches zum Gegenstand haben, ist daher nicht alleinzuständig für das Gleichheitsproblem, sondern es teilt sich diese Aufgabe – im Kontext des nationalen Verfassungsstaats – mit dem einfachgesetzlichen Recht. Die Probleme der philosophischen Egalitarismusdebatte, also Fragen der Herstellung gleicher Lebensaussichten für alle Menschen, sind daher für das Recht nicht primär Verfassungsfragen auf der Ebene des grundrechtlichen Gleichheitsrechts, sondern solche, die der „einfache“ Gesetzgeber verhandelt. Aus der ausdifferenzierten Behandlung moderner Gleichheitsprobleme im Rechtssystem folgt auch eine Zuständigkeitsbegrenzung für das menschenrechtliche Gleichheitsrecht: Die Konkretisierung der Gleichheitsmaßstäbe obliegt in erster Linie dem Gesetzgeber, nicht der Rechtsprechung. Gleichwohl hat aber die Rechtsprechung, und ultimativ der internationale Richter des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs, eine entscheidende Rolle in der Vermittlung der rechtlichen Vorgaben der grund- und menschenrechtlichen Gleichheit mit dem Einzelfall. Wegen der „Wertoffenheit“ (Werner Heun) des Gleichheitsrechts ist die Position des Richters tendenziell stark.
2. Vorrang der Gleichheitsgesetzgebung vor der Gleichheitsrechtsprechung In der philosophischen Debatte hat sich John Rawls maßgebend mit der Frage der geeigneten Verwirklichungsebene für Gleichheitsprobleme befasst.
a) „Schwaches“ verfassungsrechtliches Gleichheitsrecht Welche Rolle spielt das Gleichheitsrecht auf der Anwendungsebene von Rawls’ politischer Konzeption der substantiellen Gleichheit? Es mag zunächst verwundern, dass das Gleichheitsrecht – sei es als Gleichbehandlungs- oder Nichtdiskriminierungsrecht – weder in Rawls’ zwei Gerechtigkeitsgrundsätzen noch in der den ersten Grundsatz konkreti-
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sierenden Liste der Grundfreiheiten explizit auftaucht.1288 Anders als andere Grundrechte oder „Grundfreiheiten“ – wie Rawls mit Beziehung auf die Entscheidungssituation im Urzustand sagt1289 –, etwa dem der Gedanken- und Gewissensfreiheit, wird das Gleichheitsrecht als Recht nicht in die Liste der Grundfreiheiten aufgenommen.1290 Offensichtlich besteht hier eine „Lücke“ in der Rawlsschen Gerechtigkeitstheorie. Wie ist dieses Fehlen zu erklären? Zunächst ist zu berücksichtigen, dass sich Rawls’ Gerechtigkeitskonzeption schon von ihrem Anliegen als Theorie einer wohlgeordneten Gesellschaft ein umfassenderes und abstrakteres Ziel setzt als eine rechtsethische Begründung von Grundrechten. Eine Gerechtigkeitstheorie befindet sich auf einer abstrakteren, dem positiven Recht eines demokratischen Verfassungsstaates vorgelagerten Ebene. Eine Erörterung der Gleichheit hat daher nicht zwangsläufig in den rechtlichen Kategorien der Gleichbehandlung zu erfolgen. Hinzu kommt, dass es sich um eine „ideale“ Theorie handelt, die auf das Vorhandensein bzw. die Beseitigung nationaler, historisch bedingter Ungleichheiten – etwa der der Rassendiskriminierung in den Vereinigten Staaten – keine Rücksicht zu nehmen braucht.1291 Man könnte zudem erwägen, ein Gleichheitsrecht in dem Begriff der „gleichen Grundfreiheiten“ bzw. in dem der „Rechte und Freiheiten, die vom Prinzip der Rechtsherrschaft abgedeckt werden“, zu verorten.1292 Schon dieser offene Wortlaut legt die Konkretisierungsbedürftigkeit der in der Liste enthaltenen Grundfreiheiten nahe, so dass die Annahme eines impliziten Gleichheitsrechts nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint.
1288
So auch Seana Valentine Shiffrin, Race, Labor, and the Fair Equality of Opportunity Principle, Ford LR 72 (2004), p. 1643, 1645. 1289
Zwischen „Grundfreiheiten“ und „Grundrechten“ besteht der Sache nach kein Unterschied, sie sind lediglich auf zwei verschiedenen Stufen der Verwirklichung der Gerechtigkeit angesiedelt: erstere auf der Ebene der Entscheidungssituation im Urzustand, zweite auf der Ebene der Verfassungsgebung; ebenso Robert Alexy, John Rawls’ Theorie der Grundfreiheiten, in: Philosophische Gesellschaft Bad Homburg/ders. (Hrsg.), Zur Idee des politischen Liberalismus: John Rawls in der Diskussion, Frankfurt am Main 1997, S. 263, 298 Anm. 69; ähnlich auch Thomas Pogge, John Rawls, München 1994, S. 107. 1290
Vgl. die Liste der Grundfreiheiten bei Rawls, Theorie (Fn. 48), S. 82; ders., Gerechtigkeit (Fn. 48), S. 80; ders., Vorrang (Fn. 48), S. 161. 1291 1292
Rawls, Gerechtigkeit (Fn. 48), S. 109. So explizit Alexy (Fn. 1289), S. 298 Anm. 59.
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Allerdings werden die Grenzen einer solchen These vom impliziten Gleichheitsrecht in Rawls’ Liste der Grundfreiheiten schnell deutlich: Rechtsterminologisch handelt es sich bei der Liste der Grundfreiheiten bzw. Grundrechte tatsächlich um „Freiheiten“ (liberties) im technischen Sinne. Aufgeführt werden nämlich u.a. die politischen Freiheiten und die Unverletzlichkeit der Person. Das Gleichheitsprädikat erfüllt hier zunächst nur die Funktion eines formalen Gleichheitsprinzips, dass nämlich allen dieselben Grundfreiheiten zukommen sollen. In der Anwendungsdimension der Verfassungsgebung ließe sich dieser Anspruch zweiter Ordnung durch das Prinzip der Rechtegleichheit und ein Diskriminierungsverbot sicherstellen. Der erste Gerechtigkeitsgrundsatz stellt sich als ein absolutes Differenzierungsverbot dar: Niemand darf über mehr oder andere Grundrechte verfügen als alle anderen. Differenzierungen aufgrund „verdächtiger“, d.h. besonders sensibler Merkmale sind daher erst recht verboten.1293 Allerdings wäre zu berücksichtigen, dass man sich systematisch im Zusammenhang des ersten Gerechtigkeitsgrundsatzes befindet, der die klassischen bürgerlichen und politischen Freiheiten, nicht aber sozioökonomische Rechte zum Gegenstand hat. Da nur der erste Gerechtigkeitsgrundsatz nach Rawls Gegenstand der Verfassungsgebung ist, könnte es sich – weitergedacht – bei der verfassungsrechtlichen Umsetzung bloß um ein freiheitenakzessorisches, nicht um ein allgemeines Diskriminierungsverbot handeln. Zu beachten ist allerdings, dass Rawls nunmehr zu den wesentlichen Verfassungsinhalten („constitutional essentials“) auch das Prinzip der formalen (nicht aber das der „fairen“) Chancengleichheit zählt.1294 Die gleichheitsrechtliche Umsetzung dieses Prinzips ist in vielfacher Weise denkbar: als besonderes Gleichheitsrecht, etwa als gleichberechtigten Zugang zu einem öffentlichen Amt, aber auch als interpretationsanleitendes Prinzip im Rahmen eines (freiheitsrechtsakzessorischen) Diskriminierungsverbots. Als weitere, implizite Erwähnung des Gleichheitsrechts kommt das Prinzip der Rechtsgleichheit in Betracht. Dieses wird u.a. vom „Prinzip der Rechtsherrschaft“, wie Rawls es noch abstrakter nennt, erfasst: Das Prinzip der Rechtsherrschaft beinhaltet das Prinzip der formalen 1293
Die Tatsache, dass Rawls ein absolutes Differenzierungsverbot auf der Ebene der Verfassungsgebung annimmt, führt nicht zwangsläufig zu einem absoluten Diskriminierungsverbot, das keine Rechtfertigungsmöglichkeit kennt. 1294
Rawls, Gerechtigkeit (Fn. 48), S. 85.
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Gleichheit, d.h. der Forderung, dass gleiche Fälle gleich zu behandeln sind.1295 Insofern schränke der Grundsatz der Gleichbehandlung, so Rawls, den Ermessenspielraum der Richter ein und zwinge zu Begründung personenbezogener Ungleichbehandlungen.1296 Zusammenfassend lässt sich formulieren, dass Rawls auf der Ebene der Verfassungsgebung ein Gleichheitsrecht nur als Rechtsprinzip und als freiheitsrechtsakzessorisches Diskriminierungsverbot vorsieht. Ein eigenständiger, substantieller Gehalt kommt dem Gleichheitsrecht auf dieser höchsten rechtlichen Ebene nicht zu.
b) Gleichheitspolitik und Gleichheitsgesetzgebung Die substantielle Gleichheit, die Rawls’ Konzeption der politischen Gleichheit im Sinn hat, erschöpft sich aber keineswegs in den beiden Schutzdimensionen des Prinzips der Rechtsgleichheit und des freiheitsrechtsakzessorischen Diskriminierungsverbots. Entscheidend ist die gleichheitsrechtliche Erfassung des zweiten Gerechtigkeitsgrundsatzes: Welche gleichheitsrechtliche Umsetzung kommt für die egalitären Prinzipien des zweiten Gerechtigkeitsgrundsatzes in Frage, also dem Prinzip der fairen (im Unterschied zur formalen) Chancengleichheit und dem Differenzprinzip? Eine Umsetzung dieser Prinzipien erfolgt in Rawls’ Theorie normenhierarchisch auf der Ebene der (einfachen) Gesetzgebung und nicht auf Verfassungsebene.1297 Das Prinzip der fairen Chancengleichheit (in Verbindung mit dem gleichfalls von Rawls angenommenen „Prinzip der Offenheit der Laufbahnen“) verlangt wiederum nach gesetzlicher Absicherung durch umfassende Diskriminierungsverbote, etwa im Bereich des Arbeitsrechts.1298 Das Problem der direkten Diskriminierung wird von der Verbindung dieser beiden Prinzipen unproblematisch erfasst: Nur dann lässt sich von wirklicher Chancengleichheit und Laufbahnoffenheit sprechen, wenn gewährleistet ist, dass Bewerber nicht wegen bestimm1295 1296
So Rawls, Theorie (Fn. 48), S. 268. Rawls, Theorie (Fn. 48), S. 268.
1297
Rawls, Theorie (Fn. 48), S. 227; vgl. auch ders., Politischer Liberalismus (Fn. 48), S. 330 f., 332 (dort gibt Rawls vier Gründe an, weswegen die sozioökonomischen Ungleichheiten nicht auf Verfassungsebene geregelt werden). 1298
So auch Norman Daniels, Equal Liberty and Unequal Worth of Liberty, in: id. (ed.), Reading Rawls: Critical studies on Rawls’ A Theory of Justice, Stanford 1989, p. 249; Pogge (Fn. 1289), S. 95.
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ter Differenzierungsgründe, wie zum Beispiel ihres Geschlechts, abgewiesen werden. Erweitert man mit Rawls das Prinzip der formalen Chancengleichheit zur fairen Chancengleichheit ergeben sich weitreichende Anforderungen an das Schutzniveau, welches das Gleichheitsrecht sicherzustellen hat. Die so verstandene Fairness soll sogar „gleiche Erfolgsaussichten bei gleicher natürlicher Begabung“ gebieten.1299 Die faire Chancengleichheit macht es erforderlich, subtilere Formen der Diskriminierung, die auf strukturellen sozialen Ungleichheiten beruht, in den Blick der Gerechtigkeitstheorie zu bringen.1300 Diese ergebnisbezogene Fairness verlangt daher zumindest nach einem rechtlichen Schutz gegen indirekte Diskriminierungen. Es ist charakteristisch für Rawls’ Denken, dass die soziale Ausgangsposition des Einzelnen – etwa die soziale Herkunft, Rasse, das Geschlecht – nicht über sein Schicksal in der Gesellschaft, insbesondere den Grad seiner jeweiligen Verfügungsgewalt über Grundgüter, entscheiden soll.1301 Thomas Pogge zufolge sind auch zeitlich beschränkte positiv diskriminierende Maßnahmen („affirmative action“) von Rawls’ Prinzip der fairen Chancengleichheit gedeckt.1302 Welche Folgen ergeben sich für das Gleichheitsrecht aus dem vierten egalitären Prinzip, dem Differenzprinzip? Von Bedeutung ist, dass das Differenzprinzip eine grundsätzliche Gleichverteilungsvermutung aufstellt.1303 Jede Ungleichverteilung sozioökonomischer Güter bedarf somit der Rechtfertigung, wobei der von Rawls allein akzeptierte Rechtfertigungsgrund die Aufwertung der sozialen Mindestpositionen ist. Die tatsächliche Anwendung dieses egalitären Prinzips dürfte zu einem nicht zu unterschätzenden Begründungsaufwand für die Gesetzgebung sowie zu einschneidenden Veränderungen in der Sozial- und Wirtschaftspolitik führen. Rawls selbst gibt ein Beispiel aus dem Bereich der Bildung: „(...) das Unterschiedsprinzip [= Differenzprinzip, Verf.] würde etwa im Bildungswesen die Anstrengungen auf die Verbesserung der langfristigen Aussichten der am wenigsten Bevorzugten lenken.“1304 In gleichheitsrechtlicher Betrachtung legt das Differenzprinzip einen 1299
Zu dem egalitären Prinzip der fairen Chancengleichheit s. bereits oben S.
17 f. 1300 1301 1302 1303 1304
Vgl. auch Pogge (Fn. 1289), S. 96 f. Rawls, Theorie (Fn. 48), S. 122. Pogge (Fn. 1289), S. 95. Rawls, Theorie (Fn. 48), S. 96. Rawls, Theorie (Fn. 48), S. 122.
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asymmetrischen Ansatz zugunsten der sozial Schlechtergestellten nahe. Aus rechtlicher Perspektive dürfte die Negativformulierung des Prinzips bedeutsam sein: Eine Ungleichbehandlung darf sich keinesfalls zulasten der sozialen Mindestpositionen auswirken. Eine Verwaltungspraxis, aufgrund derer Roma-Kinder in einem Land in hoher Zahl in Sonderschulen überwiesen werden und dadurch spätere erhebliche beruflich-soziale Nachteile erfahren, dürfte sowohl mit dem Prinzip der fairen Chancengleichheit als auch mit dem Differenzprinzip unvereinbar sein.1305
II. Rechtsprinzipien menschenrechtlicher Gleichheit Nachdem nun die Unterschiede des rechtlichen und des philosophischen Gleichheitsproblems aufgezeigt worden sind, kann eine erste Annäherung der beiden Diskurse versucht werden. Dieses Unternehmen kann von der Frage ausgehen, inwiefern der im ersten Teil der Arbeit konkretisierte vorrechtliche Gleichheitsbegriff im Recht praktische Bedeutung erlangt. Bezogen auf die sogleich zu klärenden Anwendungsbedingungen des Rechts folgt daraus: Das Ziel dieses Kapitels ist es, im Ausgang an den vorrechtlichen Gleichheitsbegriff Rechtsprinzipien zu formulieren, unter denen sich bestimmte Ungleich- bzw. Gleichbehandlungen als Rechts- bzw. Unrechtshandlungen erweisen. Das Ergebnis dieses Unternehmens wird kaum überraschen: Traditionell werden als Rechtsprinzipien der menschenrechtlichen Gleichheit das Prinzip der formalen Gleichbehandlung und das der substantiellen Gleichbehandlung angegeben. Entscheidend aber ist nicht die Identifizierung dieser Rechtsprinzipien als solcher, sondern die Weise, in der diese das Nachdenken über das Rechtsproblem der menschenrechtlichen Gleichheit anleiten und so rationalitätsverbürgend auf die dogmatische Durchdringung des Gleichheitsrechts einwirken.
A. Vorüberlegung zum Begriff des Rechtsprinzips Das Verständnis des Prinzipienbegriffs im Kontext des Rechts ist uneinheitlich. Der Begriff des Prinzips scheint flexibel dem jeweiligen 1305
Zu diesem Fall des EGMR vgl. unten S. 281 f.
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4. Teil
Forschungsgegenstand und -interesse anpassbar zu sein; so gibt es mehr oder weniger komplexe Verwendungen des Prinzipienbegriffs im Recht und für das Recht. Zugleich ist aber eine rechtswissenschaftliche Untersuchung zum Thema der Grund- und Menschenrechte offensichtlich auf den Begriff des Prinzips angewiesen, wenn sie nicht bloß an der Oberfläche der Beschreibung des positiven Rechts verharren will. Angesichts der Anpassbarkeit und Unausweichlichkeit des Begriffs in rechtswissenschaftlichen Abhandlungen erweist es sich als erfolgversprechend, den Prinzipienbegriff von vornherein in den jeweiligen Untersuchungszusammenhang zu stellen und nach der durch diesen Bezugsrahmen bestimmten Verwendung zu fragen.1306 Im Kontext des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts meint der Prinzipienbegriff in erster Linie den des Rechtsprinzips (im Unterschied zu Ordnungsprinzipien und Steuerungsprinzipien).1307 Ein Rechtsprinzip ist, wie im Anschluss an Martti Koskenniemi und Armin von Bogdandy formuliert werden kann, eine allgemeine, bedeutsame Regel, deren Funktion es ist, im Lichte von übergeordneten Werten gewisse Handlungen unter dem binären Code recht/unrecht zu bewerten.1308 Von Bedeutung für den vorliegenden Zusammenhang ist weiterhin, Rechtsprinzipien (z.B. das der formalen und der substantiellen Gleichbehandlung) von rechtsethischen Prinzipien (z.B. das der Menschenwürde oder der Gerechtigkeit) zu trennen.
B. Charakteristika des rechtlichen Anwendungskontextes Der semantisch und durch die philosophischen Gleichheitskonzeptionen konkretisierte, praktische Gleichheitsbegriff1309 muss weiter verengt werden, um eine rechtskontextbezogene Wirksamkeit zu erlangen. Der praktische Gleichheitsbegriff ist also in den Anwendungskontext des 1306
So auch von Bogdandy (Fn. 102), p. 1910.
1307
Diese Einteilung in Ordnungsprinzipien („structural principles“), Anleitungs- oder Steuerungsprinzipien („guiding principles“) und Rechtsprinzipien („legal principles“) findet sich bei von Bogdandy (Fn. 102), p. 1910 ff. 1308
Martti Koskenniemi, General Principles: Reflexions on Constructivist Thinking in International Law, in: id. (ed.), Sources of International Law, Aldershot [et al.] 2000, p. 359, 368; von Bogdandy (Fn. 102), p. 1910. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass diese Arbeit den Begriff des „(Rechts-)Prinzips“ nicht in dem Sinne Ronald Dworkins oder Robert Alexys gebraucht. 1309
Zum hier sog. praktischen Gleichheitsbegriff s. bereits oben S. 14.
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Rechts zu stellen. Dabei bleiben die Besonderheiten dieses Anwendungskontexts selbstverständlich nicht ohne Folgen für das Verständnis des Gleichheitsbegriffs. Welches sind die den Anwendungskontext des Rechts prägenden Besonderheiten? Recht hat es erstens mit zurechenbaren Handlungen und Unterlassungen von Akteuren sowie mit darauf bezogenen Rechtspflichten (im Unterschied zu Moral- oder Tugendpflichten) zu tun.1310 In Rechtszusammenhängen taucht der Begriff der Gleichheit daher als Forderung nach „Gleichbehandlung“ bzw. „Ungleichbehandlung“ auf. Nicht eigentlich „Gleichheit“ und „Ungleichheit“, sondern „Gleich-“ bzw. „Ungleichbehandlung“ sind als die Grundlagenbegriffe des Gleichheitsrechts anzusehen und näher zu bestimmen.1311 Im spezifisch menschenrechtlichen Zusammenhang, der hier allein interessiert, geht es noch genauer um „Gleich-“ bzw. „Ungleichbehandlungen“ von Personen und nicht etwa von Waren, Dienstleistungen oder Staaten. Im Recht geht es zweitens stets um die binäre Unterscheidung von Recht und Unrecht.1312 Bezogen auf den menschenrechtlichen Gleichheitsbegriff heißt das: Bestimmte Handlungen, mit denen zwischen Per1310
Kant (Fn. 1074), MdS, S. 230: „Der Begriff des Rechts, sofern er sich auf eine ihm korrespondierende Verbindlichkeit bezieht (d.i. der moralische Begriff desselben), betrifft erstlich nur das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere, sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander (unmittelbar oder mittelbar Einfluß haben können.“ „Die Pflichten nach der rechtlichen Gesetzgebung können nur äußere Pflichten sein, weil diese Gesetzgebung nicht verlangt, daß die Idee dieser Pflicht, welche innerlich ist, für sich selbst Bestimmungsgrund der Willkür des Handelnden sei, und, da sie doch einer für Gesetze schicklichen Triebfeder bedarf, nur äußere mit dem Gesetze verbinden kann. Die ethische Gesetzgebung dagegen macht zwar auch innere Handlungen zu Pflichten, aber nicht etwa mit Ausschließung der äußeren, sondern geht auf alles, was Pflicht ist, überhaupt. Aber eben darum, weil die ethische Gesetzgebung die innere Triebfeder der Handlung (die Idee der Pflicht) in ihr Gesetz mit einschließt, welche Bestimmung durchaus nicht in die äußere Gesetzgebung einfließen muß, so kann die ethische Gesetzgebung keine äußere (selbst nicht die eines göttlichen Willens) sein, ob sie zwar die Pflichten, die auf einer anderen, nämlich äußeren Gesetzgebung beruhen, als Pflichten, in ihre Gesetzgebung zu Triebfedern aufnimmt“ (a.a.O., S. 219). 1311 Der Grund liegt in der Verhaltensbezogenheit des Gleichheitsrechts (dazu s. oben S. 402 f.). 1312
Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1995, S. 165 ff.; ders., Die Codierung des Rechtssystems, in: Gerd Roellecke (Hrsg.), Rechtsphilosophie oder Rechtstheorie?, Darmstadt 1988, S. 337, 338.
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sonen in einer bestimmten Weise differenziert oder nicht differenziert wird, sind „recht“, andere „unrecht“. Die Aufgabe des Gleichheitsrechts und seiner Dogmatik ist es, rationale Regeln für diese Einteilung von Differenzierungen aufzustellen. Die hierbei zu leistende Verrechtlichung des Gleichheitsbegriffs erfolgt zum einen durch eine typologische Ausdifferenzierung des Begriffs der präskriptiven Gleichbehandlung in „formale“ und „substantielle“ Gleichbehandlung.1313 Diese Differenzierung bringt eine gewisse Vorstrukturierung der Rechtsprobleme der menschenrechtlichen Gleichheit mit sich. Sie liefert erste Kategorisierungen und stellt zugleich Anforderungen an das Gleichheitsrecht. Zu beachten aber ist, dass der solchermaßen ausdifferenzierte Gleichheitsbegriff nicht in erster Linie als Begriff, sondern als Prinzip Bedeutung im Recht gewinnt. Es geht dem Recht nicht so sehr um die Frage, was formale bzw. substantielle Gleichbehandlung ist (dies fällt eher in den Zuständigkeitsbereich der politischen Philosophie), sondern wie sich anhand dieser Unterscheidung Handlungen als recht bzw. unrecht unter Bezug auf bestimmte, noch zu formulierende Werte ausweisen lassen. Dies zu leisten ist Aufgabe von Rechtsprinzipien.
C. Formale Gleichbehandlung als Rechtsprinzip 1. Formale Gleichbehandlung als Rücksicht auf Gleichheit Als Rechtsprinzip1314 kann der Gedanke der formalen Gleichbehandlung folgendermaßen reformuliert werden: „Auf gleiche Sachverhalte sind die gleichen, d.i. identischen, Rechtsfolgen anzuwenden und ungleiche auf ungleiche Sachverhalte.“1315 Im Kern geht es dem Prinzip der formalen Gleichbehandlung um die Einforderung der „Rücksicht auf Gleichheit“, d.h. das als in der rele-
1313 Insbesondere in der deutschen Terminologie spricht man statt von „formaler“ und „substantieller“ Gleichbehandlung von „rechtlicher“ und „faktischer“ Gleichbehandlung, vgl. z.B. Alexy (Fn. 15), S. 377-389. Dieser Sprachgebrauch ist insofern irreführend, als faktische Gleichbehandlung einen normativen (oder – genauer – substantiellen) Gleichheitszweck verfolgt, nämlich die Behandlung aller „als Gleiche“, dazu s.u. S. 420 ff. 1314
Zu der hier zugrundegelegten Verwendung des Begriffs „Rechtsprinzip“ s. S. 411. 1315
Vgl. Huster (Fn. 215), S. 18 f.
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vanten Hinsicht „gleich“ Erkannte soll die „gleiche“ Behandlung erfahren, das als „ungleich“ Erkannte eine andere Behandlung. Das Rechtsprinzip der formalen Gleichbehandlung verlangt die Anwendung identischer Rechtsfolgen, wenn (a) zwei Sachverhalte den Tatbestand einer Norm erfüllen (so hat z.B. gem. Art. 13 EMRK jede Person ein Recht auf wirksame Beschwerde vor einer innerstaatlichen Instanz, wenn eines ihrer Konventionsrechte verletzt ist, unabhängig davon, ob es sich um einen Staatsangehörigen des Verletzerstaates handelt oder nicht) oder wenn (b) die Sachverhalte unterschiedlichen Normen zuzuordnen sind, diese aber identische Rechtsfolgen enthalten (z.B. die gleiche Bestrafung des Anstifters wie eines Täters).1316 In beiden Fällen werden Personen formal gleich behandelt. Formale Gleichbehandlung ist sensibel für offene Differenzierungen, d.h. solche, die auf der Ebene der Norm selbst (und nicht erst in ihrer tatsächlichen Wirkung) erfolgen.1317 Eine formale Ungleichbehandlung liegt beispielsweise dann vor, wenn ein Gesetz Männer und Frauen im Hinblick auf das Wahlrecht ungleich stellte oder Ausländer und Staatsangehörige des Verletzerstaates hinsichtlich ihres Rechts aus Art. 13 EMRK unterschiedlich behandelte. Das Prinzip formaler Gleichbehandlung wirft – im Kontext von Moral und Recht – mehr Fragen auf, als es beantwortet: Wie ist die „relevante“ Gleichheit zu bestimmen? Was sind „gleiche“ Rechtsfolgen? Gleichwohl ist es für das Verständnis des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts, wie noch zu zeigen sein wird, grundlegend. Welche Bedeutung kommt dem formalen Prinzip der Gleichbehandlung zu? Hat das Prinzip der formalen Gleichbehandlung eine rechtsgestaltende Wirkung? Mit anderen Worten: Kennzeichnet das Prinzip der formalen Gleichbehandlung von sich aus gewisse Differenzierungen als unrecht?
2. Formale Gleichbehandlung als Grundlage jeder Gleichheitsnorm Die fundamentale Bedeutung des Prinzips der formalen Gleichbehandlung liegt zunächst darin, dass es jeder Gleichheitsnorm, ob rechtlicher oder moralischer Natur, zugrunde liegt.1318 Wie schon die semantische Betrachtung des philosophischen Gleichheitsbegriffs ergeben hat, kann
1316 1317 1318
Vgl. Huster (Fn. 215), S. 19. Vgl. Gerards (Fn. 31), p. 12. Vgl. BVerfGE 1, 14, 52; Kischel (Fn. 98), S. 4.
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man sagen, dass es sich bei dem von jeder geschichtlichen Epoche neu verhandelten Gleichheitsproblem im Kern lediglich um Interpretationen oder – in der hier verwendeten Terminologie – um „substantielle Aufladungen“ dieses von Aristoteles erstmals formulierten Grundsatzes handelt.1319 Aus der im ersten Teil dieser Arbeit semantisch begründeten Konkretisierungsbedürftigkeit des Gleichheitsbegriffs folgt nicht, dass das Prinzip der formalen Gleichbehandlung als solches ohne Bedeutung für das Gleichheitsrecht wäre. Es ist keineswegs so „leer“1320 oder „trivial“1321, wie vielfach behauptet wird. Nachfolgend werden die rechtlichen Implikationen des Rechtsprinzips der formalen Gleichbehandlung konkretisiert; es geht mit anderen Worten darum, was aus der Annahme des Prinzips der formalen Gleichbehandlung im Anwendungskontext des Rechts folgt.
3. Implikationen des Rechtsprinzips der formalen Gleichbehandlung a) Formale Gleichbehandlung als objektive Konsistenz des Entscheidens und Allgemeinheit der Norm Das Prinzip der formalen Gleichbehandlung wird bisweilen auf das Konsistenz- oder Rationalitätsprinzip reduziert: Irrational handele, weil inkonsistent, wer gleiche Fälle ungleich behandele.1322 Als Einforderung von Konsistenz in der Behandlung gleichgelagerter Fälle entspricht das Prinzip formaler Gleichbehandlung darüber hinaus einem intuitiven Gerechtigkeitsempfinden sowie elementarer Fairness.1323 Formale Gleichbehandlung als konsistente Behandlung drückt zunächst tatsächlich eine Trivialität aus, denn sie verlangt Gleichbehandlung bloß 1319
Zur Ideengeschichte der Gleichheit s. Otto Dann, Art. „Gleichheit“, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. II, Stuttgart 1975, S. 995-1046; Sandford A. Lakoff, Equality in Political Philosophy, Cambridge 1964, pp. 12 ff. 1320 1321
Vgl. nur Hans Kelsen, Was ist Gerechtigkeit?, Stuttgart 2005, S. 35. Huster (Fn. 215), S. 41.
1322
Aus der juristischen Literatur vgl. Fredman (Fn. 409), p. 7; aus der philosophischen Literatur vgl. Isaiah Berlin, Equality as an Ideal, Proceedings of the Aristotelian Society 61 (1955-56), pp. 301-326 (Verw. bei Gosepath [Fn. 14], S. 119). 1323
Vgl. Fredman (Fn. 409), p. 7.
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im Hinblick auf den in der Norm genannten Vergleichsmaßstab. Über die Rationalität bzw. moralische Haltbarkeit des Vergleichsmaßstabs selbst lässt sich mit der Interpretation der formalen Gleichheit als konsistentes Behandeln nichts aussagen. Das Prinzip des (objektiv) konsistenten Behandelns, demgemäß eine Norm auf alle in ihr spezifizierten Fälle Anwendung finden muss, wird in der Moralphilosophie „Universalisierungs- oder Generalisierungsprinzip“1324 genannt, im Recht spricht man dagegen von der „Allgemeinheit der Norm“1325. Die Normallgemeinheit ist in der Tat eine Trivialität, denn sie ist analytisch im Begriff der Norm enthalten.1326 Mit Recht ist daher behauptet worden, dass die objektive Konsistenz des Entscheidens bzw. der Allgemeinheit der Norm gar kein Bestandteil des Gleichbehandlungsprinzips (wohl aber des Gleichheitsproblems) ist.1327 Das Prinzip der formalen Gleichbehandlung trägt – verstanden als Universalisierbarkeit bzw. Allgemeinheit von Normen – nichts zur Handlungsbegrenzung bei, was nicht schon im Begriff der Norm selbst vorhanden wäre. Mit der Anerkennung der Herrschaft des Rechts (engl. rule of law) wird so zugleich das Prinzip der formalen Gleichbehandlung eingeführt.1328
b) Formale Gleichbehandlung als Unparteilichkeit der Normanwendung Eine genuine, handlungsbegrenzende Wirkung geht vom Prinzip der formalen Gleichbehandlung allerdings insofern aus, sobald man es als Forderung nach Unparteilichkeit der Normanwendung interpretiert.1329 In diesem Verständnis verlangt es vom Normanwender (z.B. einem Richter) eine objektive Behandlung der Anwendungsfälle der Norm, d.h. ohne Rücksicht auf persönliche Interessen oder sachfremde Erwä1324
Gosepath (Fn. 14), S. 120.
1325
Vgl. Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Josef Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, Heidelberg 1992 (2. Aufl. 2000), § 124, Rn. 153 ff.; Hasso Hofmann, Das Postulat der Allgemeinheit des Gesetzes, in: Christian Starck (Hrsg.), Die Allgemeinheit des Gesetzes, Göttingen 1987, S. 9, 33 f. 1326 1327 1328 1329
Vgl. Gosepath (Fn. 14), S. 121. Huster (Fn. 20), Art. 3 GG, Rn. 28. Vgl. Rawls, Theorie (Fn. 48), S. 268.
So z.B. Gosepath (Fn. 14), S. 120, der in Bezug auf die Unparteilichkeit von einer „Bedingung“ für formale Gleichheit spricht.
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gungen.1330 Anders formuliert verdichtet die (ausgelegte) Norm den Kreis der möglichen auf den Kreis der verbindlichen, relevanten Erwägungen. Dass beispielsweise der Klassenlehrer bei der Notenvergabe keine Rücksicht auf persönliche Vorlieben (etwa Freundschaft mit den Eltern des Schülers A) nehmen darf, kann also bereits als eine Vorgabe des Prinzips der formalen Gleichbehandlung interpretiert werden. Hierzu bedarf es keiner substantiellen Gleichheitserwägungen (etwa dergestalt, dass eine solche Bevorzugung die Chancengleichheit der Schüler verringern würde).
c) Formale Gleichbehandlung als neutralitätswahrende Normsetzung Die aus dem Rechtsprinzip der formalen Gleichheit fließende Unparteilichkeit beeinflusst nicht nur die Normanwendung, sondern auch die Ausgestaltung der Rechtsordnung, also die Normsetzung: Diese Unparteilichkeit bei der Normsetzung soll eine bestimmte Form der Neutralität des Rechts verbürgen. Mit dieser Neutralität ist nicht „Gleichgültigkeit“ gegenüber externen Zielen gemeint, sondern die Immunisierung des Rechts gegenüber unzulässiger gesetzgeberischer Parteinahme. Formale Gleichbehandlung als neutralitätswahrende Normsetzung führt etwa dazu, dass Gesetze nicht eine Meinung als solche verbieten können (z.B. weil sie das Ansehen der Regierung beschädigen).1331 Selbstverständlich ist diese Immunisierung des Rechts eine Idealvorstellung, die sich in der Rechtswirklichkeit nur in Annäherungen findet. Erst diese Interpretation als Neutralitätswahrungsgebot erlaubt es, dem Prinzip der formalen Gleichbehandlung eine rechtsgestaltende Wirkung beizumessen: Unter der Prämisse, dass formale Gleichbehandlung die Neutralität der Rechtsetzung verlange sowie unter der (heute unbestrittenen) Prämisse einer dem Recht insgesamt vorausliegenden würdebasierten Gleichheit aller Menschen, werden äußerliche Differenzierungen aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft und anderen Gründen kritisierbar.1332
1330
Vgl. Gosepath (Fn. 14), S. 120.
1331
Vgl. BVerfGE 7, 198, 209 f. – Lüth; zu diesem Beispiel s. auch Mahlmann (Fn. 23), S. 43, Rn. 22. 1332
Vgl. auch Gerards (Fn. 31), pp. 12-13, n. 20: “[F]ormal equality is directed to the removal of superficial, clearly visible, inequalities (such as, for example, immediately visible distinctions on the basis of race or gender) (...).” Vgl. nochmals Tugendhat (Fn. 342), S. 375: Eine primäre, d.h. auf einer Wertunter-
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Das Prinzip der formalen Gleichbehandlung als Neutralität der Normsetzung bedingt auch einen Anspruch auf Sicherung der Statusgleichheit von Personen. Damit ist gemeint, dass alle Rechtsunterworfenen einen Anspruch auf die gleiche Sicherung ihres Status als Person haben. Dies geschieht in erster Linie durch die weiteren Grund- und Menschenrechte in der Verfassung oder in den weiteren Menschenrechtsverbürgungen.1333 In diesem Sinne hat jede Person das (gleiche) Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens etc. Statusgleichheit wird verletzt, wenn Personen aufgrund bestimmter Differenzierungsgründe (wie zum Beispiel des Geschlechts oder der ethnischen Herkunft) in Bezug auf ein grundrechtlich geschütztes Verhalten anders als Vergleichspersonen behandelt werden (engl. sog. status harms).1334 Die Statusgleichheit wird rechtlich durch den allgemeinen Gleichheitssatz sowie durch Diskriminierungsverbote geschützt.1335
d) Formale Gleichbehandlung als Begründbarkeitsforderung Im Rechtszusammenhang führt das Prinzip der formalen Gleichbehandlung noch zu einer weiteren, bedeutsamen Handlungsbeschränkung, indem es die (objektive) Begründbarkeit von Ungleichbehandlungen verlangt. Wenn alle Normadressaten prima facie wegen der Allgemeinheit der Norm und der Unparteilichkeit des Normanwenders gleich zu behandeln sind, dann gerät jede Ungleichbehandlung unter einen Begründungsdruck. John Rawls drückt diesen Zusammenhang zwischen dem Prinzip der formalen Gleichbehandlung und der Begründungspflicht von Ungleichbehandlungen folgendermaßen aus: Obwohl den Gedanken der Gleichheit nur formal erfassend, „(...) schränkt der Grundsatz der Gleichbehandlung gleicher Fälle den Ermessenspielraum der Richter und sonstigen Amtspersonen wesentlich ein. Er zwingt sie zur Begründung von Unterschieden, die sie zwischen scheidung zwischen Personen beruhende Moral, lasse sich nicht mehr begründen; vgl. auch Gosepath (Fn. 14), S. 129: „Diese Vorstellung von der gleichen Achtung gegenüber Personen oder der gleichen Würde aller Personen wird von allen Hauptströmungen der modernen westlichen Kultur als Minimalstandard akzeptiert.“ 1333
Vgl. die Auflistung bei Kirchhof (Fn. 1325), § 124, Rn. 199.
1334
Zu dem Problem der „status harms“ vgl. Christopher McCrudden, Equality and Non-Discrimination, in: David Feldman (ed.), English Public Law, 2004, p. 581, 583, Rn. 11.06. 1335
Vgl. Huster (Fn. 15), S. 858.
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Menschen machen, anhand der einschlägigen gesetzlichen Regelungen und Grundsätze.“1336 Das Rechtsprinzip der formalen Gleichbehandlung – verstanden als Forderung nach Unparteilichkeit, Neutralität und Begründbarkeit von Ungleichbehandlungen – hat einen bedeutsamen Anteil an der Sicherung der Liberalität des Rechts.1337
D. Substantielle Gleichbehandlung als Rechtsprinzip „Substantielle Gleichbehandlung“ verlangt als Moralprinzip in seiner abstraktesten Formulierung – wie Ronald Dworkin einprägsam formuliert hat – die Behandlung aller „als Gleiche“ (im Unterschied zur „gleichen Behandlung aller“).1338 Stark verkürzt kann gesagt werden, dass das Moralprinzip der substantiellen Gleichbehandlung letztlich auf dem Grundsatz der gleichen Würde aller Personen beruht1339, welcher der globalen Menschenrechtsidee zugrunde liegt (vgl. nur Art. 1 AEMR). Was aber heißt „Behandlung als Gleiche(r)“? Darunter wird in erster Näherung der moralische Anspruch verstanden, mit der gleichen Achtung und Rücksicht behandelt zu werden wie jeder andere.1340 Darauf stützen sich weitere Folgerungen: Wie insbesondere Stefan Gosepath dargelegt hat, folgen aus dem Moralprinzip der substantiellen Gleichbehandlung insbesondere ein Prinzip der egalitären Rechtfertigung, das verlangt, „daß die Personen bzw. ihre essentiellen Interessen gleiches Gewicht und gleiche Berücksichtigung in öffentlichen Angelegenheiten bei unparteiischen, interpersonalen Regelungen oder Verteilungsregelungen finden müssen“1341, ferner das Gebot der wechselseitigen Ach1336 1337 1338
Rawls, Theorie (Fn. 48), S. 268. Ähnlich auch Mahlmann (Fn. 23), S. 43, Rn. 22. Dworkin (Fn. 528), p. 227: „equal treatment“ vs. „treatment as an equal“.
1339
Gosepath (Fn. 14), S. 129; Gosepath begründet das Moralprinzip der substantiellen Gleichbehandlung mit einer „Moral der gleichen Achtung“, vgl. a.a.O., S. 144-154. Die entscheidende Folgerung von der Menschenwürde zur Gleichheit hat Kant selbst gezogen: „Wenn jedes vernünftige Wesen als ein Zweck an sich betrachtet und ihm insofern Würde zugesprochen werden muss, dann muss allen die gleiche Würde zukommen“ (Prinzip der Würdegleichheit; vgl. dazu Allen Wood, Kants’ Ethical Thought, Cambridge 1999, p. 132). 1340
Dworkin (Fn. 1338), pp. 180-183, p. 227; ebenso Gosepath (Fn. 14), S. 128
ff. 1341
Gosepath (Fn. 14), S. 155.
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tung autonomer Entscheidungen1342 sowie der Schutz durch Diskriminierungsverbote1343. Was bedeutet das Gebot der Behandlung „als Gleicher“ für das Recht, insbesondere im Rahmen des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts? Welche Implikationen ergeben sich aus einem Rechtsprinzip der substantiellen Gleichbehandlung? Während formale Gleichheit als Rücksicht auf Gleichheit interpretiert werden konnte, die auf die Überprüfung bestimmter äußerlicher, offener Differenzierungen im Normtext gerichtet ist, geht es bei der substantiellen Gleichbehandlung nicht in erster Linie um Differenzierungen oder Klassifizierungen im Normtext, sondern um faktische Auswirkungen von Normen und sonstigen rechtlich relevanten Handlungen in der Wirklichkeit.1344 In diesem Sinne ist das Rechtsprinzip der substantiellen Gleichbehandlung output-sensitiv. Man kann das Anliegen der substantiellen Gleichbehandlung reformulieren als Rücksichtnahme auf Ungleichheit zwischen Personen. Hier bedarf es Beispiele zur Verdeutlichung des Anliegens eines Rechtsprinzips der substantiellen Gleichbehandlung: Keine Rücksicht auf relevante Ungleichheit nahm beispielsweise eine kanadische Regelung, die hinsichtlich der Anforderungen an körperliche Fitness für Feuerwehrleute nicht zwischen Männern und Frauen differenzierte.1345 Hier wurden Männer und Frauen zwar rechtlich „gleich“ behandelt, aber nicht „als Gleiche“, d.h. es wurde keine Rücksicht auf de facto bestehende, relevante Ungleichheit genommen. In dem bereits erwähnten Fall Dandridge v. Williams (1970) wurden im Rahmen eines Sozialprogrammes für einkommensschwache Familien finanzielle Unterstützungen gewährt, die auf der Grundlage der Bedürftigkeit errechnet wurden.1346 In Umsetzung des Bundesprogrammes sah der Bundesstaat Maryland finanzielle Obergrenzen für die Förderung pro Familie vor. In dem Fall vor dem Obersten Gerichtshof wurde argumentiert, dass die Regelung zu einer Ungleichbehandlung von großen Familien führe, da deren Bedarf höher sei als derjenige kleinerer Familien, was die Regelung aber nicht berücksichtige. Auch hier werden die Familien nicht „als Gleiche“ behandelt, weil die Regelung 1342 1343 1344
Gosepath (Fn. 14), S. 158-164. Gosepath (Fn. 14), S. 168-171. Vgl. Gerards (Fn. 31), p. 12.
1345
So der Fall des CSCt, British Columbia (Public Service Employee Relations Commission v. BCGSEU), [1999] 3 S.C.R. 3. 1346
USSCt, Dandridge v. Williams, 397 U.S. 471 (1970).
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auf die bestehende Ungleichheit der Familiengröße, die auch relevant ist, da sie den Bedarf (als von der Regelung selbst gewähltes Kriterium) beeinflusst, keine Rücksicht nimmt. Der Richter, der über einen gleichheitsrechtlichen Sachverhalt zu entscheiden hat, stellt sich die Frage, was es heißt, die Parteien des Rechtsstreits „als Gleiche“ zu behandeln. Die Anleitung, die das Rechtsprinzip der substantiellen Gleichbehandlung für die Beantwortung konkreter Gleichheitsrechtsprobleme gibt, ist gering. Es ist daher richtig zu sagen, dass das Rechtsprinzip der substantiellen Gleichbehandlung kein Entscheidungsverfahren für konkrete Rechtsfragen enthalte, sondern lediglich eine „Urteilsperspektive“ (Stefan Huster)1347 definiere. Insbesondere gibt „substantielle Gleichbehandlung“ nicht vor, ob im konkreten Einzelfall eine gleiche (im Sinne von identischer) oder eine ungleiche Behandlung geboten ist.1348 Die Implikationen dieser Urteilsperspektive, welche Konsequenzen also die Einnahme dieser Betrachtungsweise im Recht hat, lassen sich nicht sinnvoll abstrakt darstellen. Was es heißt, jemanden „als Gleichen“ zu behandeln, verlangt offensichtlich, den Anwendungskontext des Gleichheitsrechts mit höherrangigen Werten – Menschenwürde, Inklusion, Gerechtigkeit – so zu vermitteln, dass eine im Einzelfall gerechte Entscheidung möglich ist. Dies setzt eine doppelte Konkretisierungsleistung voraus: Zum einen wird erst an den konkreten Problemen der gleichheitsrechtlichen Praxis deutlich, wohin die Urteilsperspektive, die bei Zugrundelegung eines Prinzips der substantiellen Gleichbehandlung eingenommen wird, führt. Verlangt ist damit eine Praxisanknüpfung. Zum zweiten bedarf es der Konkretisierung der von der Urteilsperspektive der substantiellen Gleichheit in Bezug genommenen höherrangigen Werte. Welche sind das? Nach hier vertretener Ansicht kann diese Frage nur kontextuell, d.h. im Rahmen einer bereits bestehenden Gleichheitsrechtspraxis, beantwortet werden. Für diese doppelte Konkretisierung oder Vermittlung bedarf es eines methodischen Rahmens, der hier als „rechtsethische Rekonstruktion“ bezeichnet werden soll.
1347 1348
So Huster (Fn. 215), S. 44. Huster (Fn. 15), S. 858.
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III. Rechtsethische Rekonstruktion als Methode A. Der Begriff der rechtsethischen Rekonstruktion In dem Begriff der rechtsethischen Rekonstruktion der Gleichheitsrechtspraxis kommt ein hermeneutisches Anliegen zum Ausdruck, das über das herkömmliche juristische Erkenntnisinteresse, welches die Norm zum primären Auslegungsgegenstand macht, hinausweist. Die vorzunehmende Erweiterung des Verstehenshorizonts erfolgt, wenn man die Norm als Teil einer sinnhaft-strukturierten sozialen Praxis begreift, die als solche nicht wertfrei vollzogen wird, sondern in der ethische Prinzipien wirksam sind. Diese ethischen Prinzipien geben der Praxis ihren Zweck und ihre Orientierung.1349 Auf das Problem des Gleichheitsrechts angewendet bedeutet dies, dass die gleichheitsrechtliche Norm, etwa Art. 14 EMRK, als interpretierte Norm Bestandteil einer sozialen Praxis der Gleichbehandlung auf überstaatlicher Ebene ist; diese überstaatliche soziale Praxis findet ihren wesentlichen (allerdings nicht erschöpfenden) Ausdruck in den Urteilen und Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.1350 Anknüpfungspunkt der rechtsethischen Rekonstruktion sind daher hier die Akte der Rechtsprechung in Diskriminierungsfragen. Die ethischen Prinzipien, die dieser rechtlichen Praxis zugrunde liegen, lassen sich methodisch im Wege einer rechtsethischen Rekonstruktion aufdecken. Die hier vorgeschlagene Methode ist rekonstruktiv, indem sie eine bestimmte soziale Praxis selbst zum Gegenstand macht und auf die darin schon wirksamen ethische Grundsätze reflektiert.1351 Es handelt sich um eine rechtsethische Untersuchung, da die zu identifizierenden Prinzipien ihrer
1349
Unbeachtet kann hier die Frage bleiben, welchen ethischen Anforderungen eine Norm für ihre Geltung genügen muss. 1350
Hinzu kommen Urteile derjenigen nationalen Gerichte, die Art. 14 EMRK (und später möglicherweise Art. 1 ZP 12 EMRK) wie eigenes Recht anwenden (etwa das House of Lords in Großbritannien und der Österreichische Verfassungsgerichtshof). 1351
Dieses Verständnis von „Rekonstruktion“ ist angelehnt an Habermas’ Gebrauch des Begriffs, der unter einem „rekonstruktiven Verfahren“ versteht, dass „ein praktisch beherrschtes vortheoretisches Wissen (know how) kompetenter Subjekte in ein gegenständliches und explizites Wissen (know that) überführ[t]“ wird, s. Jürgen Habermas, Was heißt Universalpragmatik?, in: ders., Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt am Main 1995, S. 353, 371.
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Substanz nach nicht dem positiven Recht, sondern der Ethik entnommen werden.
B. Zwecke einer rechtsethischen Rekonstruktion Welchen Zweck verfolgt das rechtsethische Unternehmen? An eine rechtsethische Rekonstruktion lassen sich drei Erwartungen stellen: Rationalisierung der Rechtspraxis, dogmatische Strukturierung und Herstellung interdisziplinärer Kompatibilität. Eine erste Aufgabe der rechtsethischen Rekonstruktion ist die der Rationalisierung der Rechtspraxis. Zwar ist die Rechtspraxis, die ihren eigenen Methoden und Regeln folgt, für ihr Funktionieren nicht auf eine rechtsethische Anleitung angewiesen, um zu gültigen Ergebnissen zu gelangen, jedoch vermag die Betrachtung der Praxis unter rechtsethischen Prinzipien mögliche Wertungswidersprüche im Bereich des Gleichheitsrechts aufzudecken und allgemein zu einer „besseren“, weil ethisch fundierten Praxis zu führen. So kann die rechtsethische Rekonstruktion eine Hilfe bei der Integration „neuer“ Rechtsphänomene in die bestehende Rechtspraxis sein, indem sie zum Beispiel den ethischen Hintergrund der indirekten Diskriminierung beleuchtet. Wenn geklärt ist, unter welchen ethischen Prinzipien die im konventionsrechtlichen Zusammenhang immer noch neuartige Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung beschrieben werden kann, treten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Ausprägungen des Nichtdiskriminierungsrechts deutlicher hervor. In dogmatischer Hinsicht können die so gefundenen Unterschiede dazu führen, gewisse Tatbestandsmerkmale (z.B. die diskriminierungsspezifische Nachteilszufügung) in bestimmter Weise zu interpretieren. Die rechtsethische Betrachtung zeigt mithin den ethischen „Fluchtpunkt“ einer Rechtspraxis auf und macht dadurch auf einer Metaebene Deutungszusammenhänge zwischen den Rechtsfiguren kenntlich. Eine rechtsethische Rekonstruktion erlaubt ferner einen differenzierten Blick auf die bestehende Dogmatik (dogmatische Strukturierung). Unter „Dogmatik“ soll hier die spezifisch rechtliche Erfassung einer sozialen Praxis in normativ entwickelten Lehrsätzen verstanden werden.1352 Im Unterschied dazu erfasst ein rechtsethisches Prinzip die soziale Praxis des Rechts in ethischen Kategorien. Die rechtliche Dogmatik wird 1352
Vgl. Schmidt-Aßmann (Fn. 94), S. 3.
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nur mittelbar, nämlich als Bestandteil dieser sozialen Praxis selbst, Gegenstand der rechtsethischen Betrachtung. Damit ist klar, dass eine rechtsethische Rekonstruktion der Gleichheitsrechtspraxis nicht einfach eine naive Apologie der bestehenden Gleichheitsrechtsdogmatik darstellt. Das kritische Potential einer solchen Rekonstruktion besteht gerade in der Gegenüberstellung von rechtsethischem, praxiswirksamen Prinzip und juristischer Dogmatik. Auf diese Weise lassen sich gegebenenfalls bestehende Entwicklungsdefizite in der Dogmatik des Gleichheitsrechts aufzeigen. Schließlich trägt die rechtsethische Rekonstruktion einer rechtlichen Praxis bei zur Herstellung interdisziplinärer Kompatibilität in der Behandlung eines sozialen Problems. Die gewisse Abstraktheit in der Rechtsbetrachtung, die eine rechtsethische Rekonstruktion kennzeichnet, zu der insbesondere die Erfassung der Gleichheitsrechtsproblematik in nicht-juristischer Terminologie gehört, vermag den inner- und außerrechtlichen Diskurs zum Gleichheitsproblem enger miteinander zu verknüpfen und, so ist zu hoffen, zum wechselseitigen Verständnis beizutragen.
C. Methodischer Hintergrund Die Methode der rechtsethischen Rekonstruktion macht insbesondere zwei theoretische Anleihen: Zum einen liegt ihr ein bestimmtes Verständnis des Theorie-Praxis-Verhältnisses, wie es sich bei Aristoteles findet, zugrunde, des Weiteren besteht eine lose Nähe zur „konzeptionellen Analyse“ (conceptual analysis), wie sie vom U.S.-amerikanischen Rechtsphilosophen Jules Coleman entwickelt wurde.
1. Das Theorie-Praxis-Verhältnis in der praktischen Philosophie des Aristoteles Wenn eine Grundfrage dieses Teils der vorliegenden Arbeit in der Aufdeckung des richtigen Vermittlungsverhältnisses zwischen Nichtdiskriminierungsrechtsprechung und ethischem Gleichheitsproblem besteht, dann handelt es sich in gewisser Hinsicht um ein Theorie-PraxisProblem: Die Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts besteht in Judikaten zum menschenrechtlichen Gleichheitsproblem unter der EMRK. Gefragt ist nun nach der Theorie, die diese Praxis rechtsethisch erfassen
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und anleiten kann. M.a.W. geht es um eine ethische Theorie über eine bestehende Praxis. Ein solches Unternehmen findet sich bei Aristoteles bezogen auf den weiteren Bereich des menschlichen Handelns überhaupt. Die vorliegende Arbeit macht Anleihen bei der aristotelischen Bestimmung des Theorie-Praxis-Verhältnisses. Als Theorie-Praxis-Verhältnis gilt für Aristoteles, was als wissenschaftliche Reflexion auf eine soziale Praxis – verstanden als der umfassende Rahmen menschlicher Tätigkeit und Wesensentfaltung – bezeichnet wird.1353 Der Ort dieser Reflexion ist die praktische Philosophie oder – modern gesprochen – die Ethik. Diese findet sich v.a. in seiner „Nikomachischen Ethik“. Die aristotelische Ethik thematisiert den Vermittlungszusammenhang zwischen menschlicher Praxis und Theorie. Das Ziel einer solchen Praxisethik hat Aristoteles in bewundernswerter Klarheit formuliert: „Wir philosophieren nicht, um zu erfahren, was ethische Werthaftigkeit sei, sondern um wertvolle Menschen zu werden.“1354 Ausgangspunkt der aristotelischen Ethik bildet die Erkenntnis, dass menschliche Angelegenheiten praktischer Art strukturell in den Bereich der Teleologie gehören: „Jedes praktische Können und jede wissenschaftliche Untersuchung, ebenso alles Handeln und Wählen strebt nach einem Gut, wie allgemein angenommen wird.“1355 Menschliche Tätigkeit ist somit final, an einem Zweck oder „Worumwillen“ orientiert. Dabei unterscheidet Aristoteles zwei Arten menschlichen Tätigwerdens: „Dabei zeigt sich aber ein Unterschied zwischen Ziel und Ziel: das eine Mal ist es das reine Tätig-sein, das andere Mal darüber hinaus das Ergebnis des Tätig-seins: das Werk. Wo es Ziele über das Tätig-sein hinaus gibt, da ist das Ergebnis naturgemäß wertvoller als das bloße Tätig-sein.“1356 Aristoteles unterscheidet bei menschlichen Tätigkeiten die Herstellung (poiesis), deren Ziel außerhalb des Handlungs1353
Vgl. dazu umfassend Günther Bien, Das Theorie-Praxis Problem und die politische Philosophie bei Platon und Aristoteles, Phil. Jb. 76 (1968/69), S. 264314; ders., Einleitung des Herausgebers, Vernunft und Ethos: Zum Ausgangsproblem der Aristotelischen Ethik, in: Aristoteles, Nikomachische Ethik, hrsg. v. Günther Bien, Hamburg 1972, S. XVII, XLVI f. 1354 1355 1356
Aristoteles, Nikomachische Ethik (Fn. 28), II 2, 1103b 27. Aristoteles, Nikomachische Ethik (Fn. 28), I 1, 1094 a 1.
Aristoteles, Nikomachische Ethik (Fn. 28), I 1, 1094 a 4. Zu der praxispoiesis-Unterscheidung bei Aristoteles vgl. immer noch Rüdiger Bubner, Handlung, Sprache und Vernunft, Grundbegriffe praktischer Philosophie, Frankfurt am Main 1982, S. 74 ff.
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vorgangs liegt, wie etwa die Fertigung einer Statue durch einen Bildhauer, und das eigentliche Handeln (praxis), das sein Ziel im Vollzug der Handlung selbst findet. Wo ist die Tätigkeit des Rechtsprechens in dieser aristotelischen Unterscheidung zwischen Praxis und Produktion einzuordnen? Das ist nicht auf den ersten Blick einsichtig. Bei dem Akt des Rechtsprechens handelt es sich um eine bestimmte menschliche Tätigkeit, die Züge der Produktion, der poiesis also, trägt. Hier gibt es ein Urteil(sdokument), und der Akt des Rechtsprechens vollzieht sich durchaus unter einer gewissen Anleitung (durch Verträge, Gesetze, internationale Konventionen etc., aber auch die rechtliche Dogmatik). Eine Deutung der Rechtsprechung als poiesis wird ihr aber nicht angemessen. So fällt der Unterschied zwischen einem Baumeister und dem Richter ins Auge: Die Arbeit des Baumeisters wird nach der Güte des fertiggestellten Bauwerks beurteilt; Ziel des Tätigwerdens ist nicht das Bauen, sondern das Werk. Anders verhält es sich mit der richterlichen Tätigkeit. Hier ist das Ziel nicht das verobjektivierbare Urteilsdokument, sondern die Beurteilung und (abschließende) Regelung eines Sachverhalts. Die Regelgerechtheit eines Bauwerks kann überprüft werden, beim Akt des Rechtsprechens ist das nicht in vergleichbarer Weise der Fall. Während man ein gutes von einem schlechten Haus wohl unterscheiden kann, fallen Gut- bzw. Schlecht-Beurteilungen in Bezug auf Urteile schwerer. So mutet es merkwürdig an, wollte man Richtern Diplome für „gute“ Rechtsprechung ausstellen. Noch ein weiterer Aspekt ist zu bedenken. Während man lehren kann, wie ein guter Baumeister zu arbeiten hat, eine Technifizierung dieser Tätigkeit also möglich und notwendig ist, kann dies für das Rechtsprechen nicht in gleicher Weise geleistet werden. Für den Akt des Rechtsprechens lassen sich keine „Herstellungsanleitungen“ aufstellen, die den Vorgang des Urteilens abschließend determinieren, sondern Rechtsprechung vollzieht sich im Bereich des Immer-auch-AndersseinKönnens, es handelt sich um eine Konfliktlösung, in der es auf Abwägung und Wertung ankommt. Ein Richter kann sich – in den schwierigen Fällen zumal – nicht bloß auf gesetzliche Normen oder Präzedenzfälle verlassen, die immer nur eine unvollständige und annäherungsweise Regelung menschlicher Tätigkeit enthalten, sondern er muss auch auf Erfahrung, Klugheit und ethische Einsicht im Bereich der menschlichen Angelegenheiten zurückgreifen. Für die Einordnung des Rechtsprechens als praxis im aristotelischen Sinne sprechen weiterhin auch die verfahrensmäßige Anforderung der Gewährung rechtlichen Gehörs und auch die Begründungspflicht des Urteils, die Entscheidung, in der ein Prozess des Mit-Sich-Zurate-Gehens sein Ende findet. Offensicht-
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lich trägt der Akt des Rechtsprechens zwar Züge der poiesis, das Urteilen des Richters ist aber letztlich dem Bereich der aristotelisch verstandenen praxis zuzuordnen.1357 Wenn man den Bereich des Rechtsprechens als einen Bereich der Praxis im aristotelischen Verständnis bestimmt, dann stellt sich die Frage, wie eine Theorie dieser besonderen Praxis auszusehen hat. Hierfür finden sich erste, wichtige Anhaltspunkte in der Ethik des Aristoteles, die eine Praxisethik sein will. Das Theorie-Praxis-Verhältnis wird von Aristoteles dahingehend gedeutet, dass beide Wirklichkeitsausschnitte – die Praxis als der Ort, an dem eine einzelne Handlung im Hinblick auf ein Ziel, ihr „Worumwillen“, vorgenommen wird und die Theorie als der Ort, an dem das Handeln zu einer allgemeinen Betrachtung erhoben wird – wegen ihrer jeweiligen Eigentümlichkeiten zwar zu trennen sind, diese Spaltung aber aufgrund der Vermittlungsleistung der praktischen Philosophie überwunden wird. Bei Aristoteles treten Theorie und Praxis auseinander, indem einerseits die Praxis als Ort im Wesentlichen kontingenter menschlicher Einzelhandlungen durchaus nicht auf theoretische Einflussnahme und Belehrung angewiesen ist, sondern gleichsam von selbst funktioniert, und andererseits die Theorie – jedenfalls dem Anspruch nach – auf Unwandelbares, Allgemeines und Notwendiges reflektiert.1358 Die Vermittlungsleistung der praktischen Philosophie wird dadurch möglich, dass die praktische Philosophie, so wie Aristoteles sie auffasst, den Ethos nicht erst zu „erfinden“ oder – moderner ausgedrückt – zu „begründen“ hat, sondern von bekannten und bewährten Meinungen (endoxa) über die ethische Ordnung der menschlichen Angelegenheiten ausgeht.1359 Bei der praktischen Philosophie des Aristoteles handelt es sich um eine neben die vorgefundene soziale Praxis gestellte Theorie, deren Ziel es ist, die Praxis über die in ihr schon anwesenden Funktionsweisen aufzuklären. Die vorreflexive Praxis soll durch eine aufgeklärte Praxis „verbessert“ werden. In diesem schwachen Sinne ist die Ethik des Aristoteles „normativ“. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die aristotelische Praxisethik grundlegend von der deontologischen Ethik Immanuel Kants, die es mit einem „unbedingten Sollen“ zu 1357
Vgl. auch Gadamer (Fn. 1), S. 322 f.
1358
Vgl. Aristoteles, Metaphysik, übersetzt und hrsg. v. Franz F. Schwarz, Stuttgart 1970/1997, I 1, 981a. 29. 1359
Vgl. zu den Maximen der aristotelischen Methode auch Otfried Höffe, Aristoteles, München 1996, S. 90-99; Bien (Fn. 1353), S. 285; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, 2. Aufl., Tübingen 2006, S. 103.
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tun hat. Aristoteles fasst in seiner Nikomachischen Ethik diesen methodischen Zugriff folgendermaßen zusammen: „Dabei sind (...) die gängigen Ansichten zugrunde zu legen und zunächst die strittigen Punkte zu klären, um so womöglich den Wahrheitsgehalt aller Anschauungen über diese seelischen Gegebenheiten sichtbar zu machen oder wenn nicht, dann wenigstens den der meisten und entscheidenden. Wenn es nämlich gelingt, die strittigen Dinge zu klären und dann die plausiblen Meinungen übrig bleiben, so wäre ein ausreichender Nachweis gelungen.“1360 Das Vorgehen des Aristoteles und sein Verständnis vom TheoriePraxis-Verhältnis ist in mehrfacher Hinsicht ein methodologisches Vorbild für diese Arbeit.1361 Erstens werden mit den grundlegenden Urteilen und Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gleichsam „bewährte Meinungen“ in Bezug auf das menschenrechtliche Gleichheitsproblem zum Gegenstand der ethischen Reflexion gemacht. Zweitens handelt es sich auch bei der rechtsethischen Rekonstruktion um eine ethische Theorie über eine schon bestehende Rechtspraxis. Drittens macht sich die Methode der rechtsethischen Rekonstruktion die schwache Normativität der aristotelischen Praxisethik zunutze, indem ihr Erkenntnisziel nicht der Entwurf eines idealen Gleichheitsrechts ist, sondern die Sichtbarmachung der in der Rechtspraxis anwesenden ethischen Prinzipien und die dadurch mögliche ethische Verbesserung der Praxis.
2. Der Ansatz der „konzeptionellen Analyse“ (Jules Coleman) Darüber hinaus steht das hier verfolgte rekonstruktive Vorgehen der Rechtsethik in gewisser Nähe zu der vom U.S.-amerikanischen Rechtsphilosophen Jules Coleman vorgeschlagenen „konzeptionellen Analyse“ (conceptual analysis). In seinem Werk, The Practice of Principle, stellt Coleman diese Methode am Beispiel des amerikanischen Schadensersatzrechts (tort law) dar.1362 Die Methode der „konzeptionellen 1360
Aristoteles, Nikomachische Ethik (Fn. 28), VII 1, 1145b 2-7.
1361
Eine weitergehende Aktualisierung des aristotelischen Denkens unternimmt Michael Milde, der die Rechtsethik auf eine Tugendethik gründen möchte, vgl. Michael Milde, Legal Ethics: Why Aristotle Might Be Helpful, JSP 33 (2002), pp. 45-66. 1362
Vgl. Jules Coleman, The Practice of Principle: In Defence of a Pragmatist Approach to Legal Theory, Oxford 2001.
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Analyse“ will eine pragmatische Theorie der Rechtspraxis sein, d.h. es geht ihr primär um die kohärente Beschreibung einer bestehenden Praxis und nur sekundär um deren moralische Rechtfertigung.1363 Dabei wird ein, wie Coleman schreibt, „mittlerer“ Ausgangspunkt gewählt, indem danach gefragt wird, „what principles, if any, are embodied in the legal practices we are presently engaged in.“1364 Bedeutsam ist, dass die Methode der „konzeptionellen Analyse“ als pragmatische Theorie grundsätzlich von der Reversibilität ihrer Behauptungen ausgeht.1365 Erst an zweiter Stelle kann sich die moralische Rechtfertigung der identifizierten Prinzipien anschließen: “Having once identified those principles and understood them not only in the abstract, but also in light of their concrete embodiment in practice, we are then in a position to ask not only to what extent they are embodied, but also how attractive the principles themselves are.“1366 Ein Prinzip gilt als einer sozialen Praxis innewohnend, wenn „the principle identifies certain elements of the practice as normatively significant and tells us what that significance is.”1367 Die Methode der rechtsethischen Rekonstruktion ist der konzeptionellen Analyse insofern angenähert, als es auch ihr wesentlich um eine Beschreibung der bestehenden Rechtspraxis als einer durch ethische Prinzipien strukturierbare und verstehbare Praxis geht. Ferner müssen auch Ergebnisse einer rechtsethischen Rekonstruktion zwangsläufig unter dem Vorbehalt einer zukünftigen Veränderbarkeit stehen, die durch Rechtsentwicklungen notwendig werden. So können sich Veränderungen der ethischen Prinzipien der Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts beispielsweise durch die Anerkennung subtilerer Formen der Diskriminierung (insbesondere der indirekten und passiven Diskriminierung) durch den EGMR in den letzten Jahren ergeben. Die gleichheitsrechtliche Praxis ist dann möglicherweise nicht mehr nur unter einem rechtsethischen Prinzip beschreibbar, sondern möglicherweise unter mehreren oder anderen. 1363
Coleman (Fn. 1362), p. 6: “The key point is that the moral or justificatory questions are not prior to the explanatory ones, but can grow out of the explanatory project as it reveals the abstract principles in greater specificity and concreteness.” 1364 1365 1366 1367
Coleman (Fn. 1362), p. 5. Coleman (Fn. 1362), pp. 8-10. Coleman (Fn. 1362), p. 6. Coleman (Fn. 1362), p. 8.
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Wann kann gesagt werden, dass ein Prinzip einer sozialen Praxis innewohnt? Hier argumentiert die konzeptionelle Analyse Colemans semantisch-funktional, d.h. die Substanz eines Begriffs wird aus einer sog. inferential role semantics hergeleitet: “... inferential role semantics is the claim that the content of a concept can be analyzed in terms of the inferential role it plays in the variety of practices in which it figures” [Hervorhebungen im Original, Verf.].1368 Demgegenüber stellt die Methode der rechtsethischen Rekonstruktion allein auf eine praktischfunktionale Betrachtung zweiter Ordnung ab: Es kommt auf die Tauglichkeit des Prinzips zur Rekonstruktion der gleichheitsrechtlichen Praxis des EGMR an. Die Tauglichkeitskriterien ergeben sich aus den Zwecken einer rechtsethischen Rekonstruktion.1369
D. Anwendungsfragen der rechtsethischen Rekonstruktionsmethode 1. Rechtsethische Rekonstruktion, klassische Auslegungsmethodik und Rechtsrhetorik Eine rechtsethische Rekonstruktion, die ihren Ausgang nicht bei einer Rechtsnormenanalyse, sondern in erster Linie bei Interpretamenten der Rechtspraxis, also Urteilen und Entscheidungen der maßgeblichen Akteure nimmt, begibt sich nicht in Konkurrenz zur klassischen juristischen Auslegungslehre. Eine rechtsethische Betrachtung ist keine Fortführung der Normauslegung auf „höherer“ (ethischer) Ebene, sondern es handelt sich um einen methodisch selbständigen Zugang zu einem Rechtsproblem mit einem eigenen Erkenntnisziel. Die Methode der rechtsethischen Rekonstruktion und die juristische Methodenlehre unterscheiden sich zunächst in ihrem Erkenntnisinteresse: Während die Rechtsethik ein ethisches Wissen, man kann auch sagen „Orientierungswissen“, über das Recht hervorbringt, zielt die juristische Methodenlehre auf ein „Anwendungswissen“, das auf Anerkennung und Durchsetzung im Recht gerichtet ist. Auch die Gegenstände beider Methoden sind verschieden: hier die gleichheitsrechtliche Rechtsprechung, dort Rechtsnormen. Der Referenzrahmen der rechtsethischen Rekonstruktion ist damit umfassender. Dennoch ergeben sich Überlappungen zwischen teleologischer Auslegung und der Methode der rechtsethi1368 1369
Coleman (Fn. 1362), p. 7. Zu den Tauglichkeitskriterien s. im Einzelnen S. 433 f.
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schen Rekonstruktion: Mit der teleologischen Auslegung teilt die rechtsethische Rekonstruktionsmethode die Frage nach dem Zweck. Während aber die juristische Auslegungsmethode nach dem Normzweck forscht, geht es der rechtsethischen Rekonstruktion umfassend um die ethische Rationalität der Rechtspraxis. Die Ausrichtung der Praxis an einem ethischen Zweck ist in dieser Perspektive nur ein – allerdings wesentlicher – Aspekt dieser Rationalität. Dieser Unterschied zwischen teleologischer Auslegung und rechtsethischer Rekonstruktionsmethode drückt sich terminologisch darin aus, dass es letzterer nicht bloß um „Zwecke“, sondern um „Prinzipien“ geht (dazu sogleich unter 2.). Andererseits besteht eine gewisse Nähe der rechtsethischen Rekonstruktionsmethode zum Anliegen der Rechtsrhetorik. Unter „Rechtsrhetorik“ wird eine „praktische Disziplin, die bemüht ist, aus der Einsicht in den schöpferischen Freiraum bei der Rechtsanwendung Konsequenzen zu ziehen“, verstanden.1370 Die rechtsethische Rekonstruktion ist der Rechtsrhetorik in der Weise ähnlich, dass beide eine Betrachtung des Rechts „in zweiter Ordnung“ und in praktischer Absicht darstellen.1371 Damit ist hier gemeint, dass nicht das konventionsrechtliche Nichtdiskriminierungsrecht als solches, sondern interpretiertes Nichtdiskriminierungsrecht zum Gegenstand der ethischen Rekonstruktion gemacht wird. Rechtsrhetorik und rechtsethische Rekonstruktion unterscheiden sich jedoch fundamental schon dadurch, dass es eine Rechtsethik nicht mit der Rede, sondern mit dem Verhalten als „kleinster Analyseeinheit“ zu tun hat.1372
1370
Fritjof Haft, Recht und Sprache, in: Arthur Kaufmann/Winfried Hassemer (Hrsg.), Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 6. Aufl., Heidelberg 1994, S. 269, 287. Zur Rechtsrhetorik allgemein vgl. Fritjof Haft, Juristische Rhetorik, 7. Aufl., Freiburg (Breisg.) [u.a.] 2007; Wolfgang Gast, Juristische Rhetorik, 4. Aufl., Heidelberg 2007. 1371 So für die sozialwissenschaftlich vorgehende Rechtsrhetorik Martin Morlok/Ralf Kölbel/Agnes Launhardt, Recht als soziale Praxis, Rechtstheorie 31 (2000), S. 15, 16. 1372
Zur Textbezogenheit der Rechtsrhetorik vgl. Morlok/Kölbel/Launhardt (Fn. 1371), S. 20.
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2. Adäquanz, Kohärenz und konzeptionelle Orientierung als Tauglichkeitskriterien rechtsethischer Prinzipien Welche Anforderungen sind an rechtsethische Prinzipien zu stellen, damit sie den oben skizzierten Zwecken (Rationalisierung der Rechtspraxis, dogmatische Strukturierung, Herstellung interdisziplinärer Kompatibilität) genügen? Wann taugt ein Prinzip zur rechtsethischen Rekonstruktion einer rechtlichen Praxis? In erster Linie muss das rechtsethische Prinzip der Rechtspraxis adäquat sein, d.h. es muss die auftretenden Phänomene durch eine Zweckangabe als Teile einer sozialen Praxis identifizieren können und somit weder unter- noch überdeterminierend wirken (Kriterium der Adäquanz).1373 Das Adäquanzkriterium folgt aus dem Rationalisierungszweck: Nur wenn das Prinzip der vorgefundenen Komplexität der Praxis angemessen wird, kann es den Zweck der Rationalisierung der Praxis erfüllen. Das Adäquanzkriterium kann folgendermaßen beschrieben werden: Von einem rechtsethischen Prinzip wird beispielsweise verlangt, dass es die Tradition der Gleichheitsrechtsprechung des EGMR, die im Belgischen Sprachenfall (1968) begründet und dann im Laufe der Jahre verfeinert und dogmatisch ausgebaut wurde, erklären und die grundlegenden Urteile ethisch bestätigen oder kritisieren kann. Man kann diesbezüglich – in Anlehnung an John Rawls’ bekannte Denkfigur – von einem „Überlegungsgleichgewicht“ („reflective equilibrium“) von grundlegenden EGMR-Urteilen und rechtsethischem Prinzip sprechen.1374 Ist ein solches „reflective equilibrium“ aufzeigbar, bestehen gute Gründe für die Adäquanz des rechtsethischen Prinzips. Ferner erfordert der Zweck der dogmatischen Strukturierung, dass sich die gesichteten Phänomene einer sozialen Praxis in einen einheitlichen Verstehenszusammenhang integrieren lassen (Kriterium der Kohärenz) und dass ausschließlich relevante Strukturelemente dieser Praxis von der Theorie sichtbar gemacht werden (Kriterium der konzeptionellen Orientierung). 1373
Ein Prinzip ist unterdeterminierend, wenn es nur einen Teil der Phänomene erklären kann, die begrifflich oder nach der Natur der Sache mit der Rechtspraxis in Verbindung gebracht werden; ein Prinzip wirkt überdeterminierend, wenn es unmöglich ist, dass ein Phänomen der Rechtspraxis nicht erfasst wird. 1374
Zur Idee des Überlegungsgleichgewichts vgl. Rawls, Theorie (Fn. 48), S. 68 ff.; ders., Politischer Liberalismus (Fn. 48), S. 176 f.; ders., Gerechtigkeit (Fn. 48), S. 59-63.
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Nun kann der Unterschied zwischen der teleologischen Auslegung und der rechtsethischen Rekonstruktionsmethode noch genauer formuliert werden: Die teleologische Auslegung, die den Schutzzweck einer Norm ermittelt, kümmert sich nicht um den erwähnten Verwirklichungsaspekt; das Adäquanzkriterium, mit dem ein Zusammenhang zwischen idealem und verwirklichtem Zweck hergestellt wird, ist der teleologischen Auslegung fremd. Auch bietet die teleologische Auslegung keine Kriterien an, mit denen sich unter mehreren denkbaren Schutzgütern einer Norm „auswählen“ ließe. So stellt die teleologische Auslegungsmethode beispielsweise keine Kriterien bereit, mit denen sich klären ließe, ob im Fall des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts das Schutzgut der sozialen Inklusion oder das der Menschenwürde vorzugswürdig ist.1375 Eine solche Wahl unter verschiedenen Schutzgütern setzt eine Betrachtung „zweiter Ordnung“ voraus; die Teilnehmerperspektive (erster Ordnung), die von der juristischen Auslegungsmethode eingenommen wird, gibt keinen Aufschluss darüber, wie ihr Gegenstand, die Normen des Gleichheitsrechts, rechtsethisch zu erklären sind. Anders gewendet beschreibt der EGMR seine Rechtsprechung zur Nichtdiskriminierung nicht selbst wiederum im Lichte ethischer Prinzipien; dies ist die Aufgabe einer rechtsethischen Rekonstruktion als Betrachtung „zweiter Ordnung“. Zum anderen lässt sich in Fällen einer komplexen sozialen Praxis wie der des Gleichheitsrechts mit einer Schutzgutreflexion nicht aufklären, welche Elemente oder Phänomene dieser Praxis notwendig angehören und welche nicht. Die bloße Schutzgutidentifizierung der teleologischen Auslegung leistet nur eine unzureichende konzeptionelle Orientierung. Mit der konzeptionellen Orientierung ist der Anspruch verbunden, dass die konstitutiven Strukturelemente einer sozialen Praxis durch das rechtsethische Prinzip sichtbar gemacht werden können, also z.B. worin die diskriminierungsspezifische Nachteilszufügung zu erblicken ist oder ob bei der indirekten Diskriminierung eine bewusste Ungleichheitsbewirkung durch den handelnden Akteur erforderlich ist.
3. Status der rechtsethischen Prinzipien Der Status, der den ethischen Prinzipien der Gleichheitsrechtspraxis zukommt, ist bloß schwach-normativ: Die Prinzipien erfassen die ethi-
1375
Vgl. für eine Auflistung möglicher Schutzgüter des Art. 14 EMRK Peters/König (Fn. 156), Kap. 21, Rn. 60 ff.
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sche Vernünftigkeit des gegenwärtigen Entwicklungsstands des Gleichheitsrechts unter der EMRK. Es handelt sich um eine „schwache“ Theorie, da sich universale Sollens-Behauptungen zum Gleichheitsrecht mit dieser Methode nicht aufstellen lassen. Vielmehr liefert die Methode der rechtsethischen Rekonstruktion kontextbezogene Aussagen über die ethische Rationalität einer bestehenden Gleichheitsrechtspraxis. Eine solche Theorie gerät mit Notwendigkeit dort an ihre Grenze, wo sie keine oder keine ausreichend ethisch erfassbare Praxis vorfindet. Dies ist im Rahmen der EMRK – wie oben dargestellt – etwa in Bezug auf die positive Diskriminierung der Fall.1376 Hierzu gibt es keine oder kaum aussagekräftige Entscheidungen des EGMR, so dass nahezu keine ethisch betrachtbare Rechtsprechungspraxis vorliegt. In diesem Fall muss sich die Methode der rechtsethischen Rekonstruktion eines Urteils enthalten. Bei der Methode der rechtsethischen Rekonstruktion handelt es sich aber auch nicht einfach um eine deskriptive Bestätigung der Rechtsprechungspraxis unter ethischen Prinzipien. Indem sie nach der ethischen Vernünftigkeit dieser Praxis fragt, ist sie „normativ“ und nicht bloß deskriptiv. Es handelt sich daher nicht einfach nur um eine Apologie der bestehenden Gleichheitsrechtspraxis unter rechtsethischen Gesichtspunkten. Diese Methode bringt durchaus kritisches Potential der Rechtsethik gegenüber der Praxis in Stellung. So ist die Rekonstruktionsmethode in der Lage, Rechtsentwicklungen zu kritisieren, die mit ihren rechtsethischen Prinzipien nicht in Einklang zu bringen sind und in diesem Sinne ethischer Rationalität widersprechen. Beispielsweise wird sie Einspruch gegen eine Erweiterung der „verdächtigen“ Differenzierungsgründe einlegen, die mit dem von ihr identifizierten Normzweck nicht vereinbar ist. Auch die Ansicht, dass ein Diskriminierungsbewusstsein bei der Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung zu fordern ist, wird rechtsethischer Beurteilung zugänglich gemacht. Ferner erlaubt die rechtsethische Rekonstruktion eine Bewertung der Ausgestaltung des Verhältnisses von Freiheits- und Gleichheitsrechten durch die Rechtsprechung. Weiterhin ermöglicht sie ein Urteil darüber, ob die Rechtspraxis die (derivative) Teilhabegewährleistung auf die richtigen Güter erstreckt oder nicht. Schließlich kann sie ethische Orientierung liefern, wenn es um die Fortentwicklung des konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrechts geht. Nun könnte man einwenden, dass die Methode der rechtsethischen Rekonstruktion gar keinen Raum für Kritik an der Rechtsprechung zulas1376
Vgl. oben S. 387.
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se. Es müsste – so der Einwand – die Kritik doch selbst wieder auf eine rekonstruierbare Praxis zurückgehen; nun könne aber die Praxis selbst keine Kriterien dafür liefern, was eine ethisch „falsche“ und was eine ethisch „richtige“ Praxis darstelle. Dann – so der Einwand weiter – könne mit den Mitteln einer Rekonstruktionsmethode eine Kritik der bestehenden Praxis nicht möglich sein. Schärfer formuliert, könne die Praxis nicht selbst mit Praxis kritisiert werden. In der Tat wirft eine Rekonstruktionsmethode der Rechtsprechungspraxis, die immer mehr Nähe zu ihrem Rekonstruktionsobjekt aufweist als eine – bildlich formuliert – auf die Praxis gestellte (deontologische) Theorie, das Problem auf, wie diese Praxis kritisierbar bleibt, ohne zirkulär zu werden. Der Einwand der Zirkularität ist grundsätzlicher Natur. Man kann ihn gegen jede rekonstruktiv verfahrende Methode erheben, die nicht bloß beschreiben will, sondern zugleich auch kritisches Potential zu entfalten sucht. Dem Argument der Zirkularität kann diese Methode nur dadurch begegnen, dass sie ihr Rekonstruktionsobjekt sorgfältig auswählt. Die Methode der rechtsethischen Rekonstruktion hat hier die Rechtsrechtsprechungspraxis des EGMR in gleichheitsrechtlichen Fragen zum Gegenstand. Nun zieht sie aber aus der Menge der Entscheidungen zum konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrecht nicht alle zur rechtsethischen Rekonstruktion heran. Wie bereits oben bei der Darstellung der Tauglichkeitskriterien rechtsethischer Prinzipien vermerkt, bezieht sich das Adäquanzerfordernis nur auf die grundlegenden Entscheidungen des EGMR.1377 Nur zwischen den grundlegenden Entscheidungen und den rechtsethischen Prinzipien ist der Vermittlungszusammenhang herzustellen, nur diese Entscheidungen bilden die soziale Praxis des konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrechts. Als in diesem Sinne grundlegend können z.B. die folgenden Entscheidungen bezeichnet werden (wobei die Aufzählung nicht abschließend ist): der Belgische Sprachenfall,1378 der Fall Zarb Adami,1379 der Fall Thimi1377
Sicherlich wäre näher zu untersuchen, was ein „grundlegendes Urteil“ ausmacht. Man könnte an eine rein quantitative Bestimmung denken, die die Häufigkeit der Selbstreferenz des Gerichtshofs in nachfolgenden Entscheidungen zugrundelegt. Diese Arbeit hält aber eine wertende Betrachtung für ausreichend, die sowohl das Selbstreferenzkriterium als auch die Einschätzung der Bedeutung der Entscheidungen durch die Literatur berücksichtigt. 1378
EGMR, 23.7.1968, Belgischer Sprachenfall, Serie A 6, B 9 = EuGRZ 1985, S. 298 ff. 1379
EGMR, 20.6.2006, Zarb Adami, Nr. 17209/02.
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shev,1380 die Entscheidung der Großen Kammer im Fall D.H. u.a.,1381 der Fall Thlimmenos,1382 der Fall Stec1383 und die Entscheidung der Großen Kammer im Fall Nachova.1384 Im Lichte dieser rechtsethisch zu rekonstruierenden Entscheidungen betrachtet, werden dann Abweichungen von dieser sozialen Praxis rechtsethisch kritisierbar. Gleichzeitig nimmt die rechtsethische Rekonstruktionsmethode in Kauf, dass es einen Punkt gibt, an dem die Rechtsprechungspraxis nicht mehr kritisiert werden kann. Dies ist dann der Fall, wenn die Interpretamente, also die betrachteten Einzelentscheidungen, sich vollständig im Einklang mit den rechtsethischen Prinzipien, die den grundlegenden Urteilen innewohnen, befinden. Dieser (veränderliche) Zustand ist oben in Anlehnung an John Rawls’ bekannte Figur als „Überlegungsgleichgewicht“ („reflective equilibrium“) bezeichnet worden. Hier ist dann von „guter“ Gleichheitsrechtspraxis zu sprechen. Nicht zufällig kann der Einwand der Zirkularität auch gegen Aristoteles’ Praxisethik erhoben werden. Aristoteles kann dem begegnen, indem er nicht jede (beliebige) Meinung über ethisches Verhalten berücksichtigt, sondern er den „tugendbewährten“ Mann (spoudaios), von dessen Rechtschaffenheit und Tugendhaftigkeit die anderen (Guten) überzeugt sind, als Referenzsubjekt heranzieht.1385 Dieses Vorgehen in der Ethik steht in gewisser Parallele zu seiner „doxastischen Methode“, einer Philosophie, die ihren Ausgang bei anerkannten Lehrmeinungen sucht und deren Wahrheitsgehalt ermittelt.1386
4. Folgerungen für den weiteren Untersuchungsgang Die Überlegungen zur Methode der rechtsethischen Rekonstruktion legen folgendes Vorgehen nahe: Nach einer Sichtung der sozialen Praxis 1380
EGMR, 13.05.2005, Timishev, RJD 2005-XII.
1381
EGMR (GK), 13.11.2007, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325/ 00 = NJW 2008, S. 533. 1382 1383 1384
EGMR, 6.4.2000, Thlimmenos, RJD 2000-IV = ÖJZ 2001, S. 528. EGMR, 12.04.2006, Stec u.a, Nr. 65731/01 und 65900/01. EGMR (GK), 06.07.2005, Nachova, RJD 2005-VII = EuGRZ 2005, S. 693
. 1385 1386
ff.
Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik (Fn. 28), I 6, 1098a 12-19. Zur „doxastischen Methode“ des Aristoteles vgl. Höffe (Fn. 1359), S. 92
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des Gleichheitsrechts unter der EMRK, wie sie im dritten Teil der Arbeit vorgenommen wurde, ist nun das methodische Fundament bereitet, um nach den dieser Rechtspraxis zugrunde liegenden rechtsethischen Prinzipien zu fragen. Hierüber besteht keine Einigkeit, vielmehr werden unterschiedliche Angebote ethischer Prinzipien diskutiert. Dazu gehören u.a. die Menschenwürde, der Gedanke der Identität bzw. der Anerkennung, die Idee der politisch-sozialen Inklusion, die Effizienz und die politisch-soziale Gerechtigkeit.1387 Nachfolgend sind daher im Einklang mit der Methode der rechtsethischen Rekonstruktion erstens der Gehalt dieser ethischen Prinzipien zu erklären. Zweitens ist die Tauglichkeit dieser Prinzipien als rechtsethisches Prinzip der Praxis des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts unter der EMRK zu untersuchen. Dies geschieht unter Zugrundelegung der drei entwickelten Kriterien für rechtsethische Prinzipien, d.h. der Adäquanz, Kohärenzstiftung und der konzeptionellen Orientierung.
IV. Rechtsethische Rekonstruktion des Nichtdiskriminierungsrechts der EMRK Nachfolgend werden Gehalt und Tauglichkeit bestimmter ethischer Prinzipien der politischen Philosophie für die Zwecke einer rechtsethischen Rekonstruktion untersucht. Diese Auflistung ethischer Prinzipien beansprucht selbstverständlich keine Vollständigkeit. Die Auswahl beruht darauf, dass es sich um ethische Prinzipien handelt, die üblicherweise zur philosophischen Klärung des Gleichheitsproblems herangezogen werden. Es handelt sich – um in der aristotelischen Begrifflichkeit zu bleiben – um endoxa zum rechtsethischen Gleichheitsproblem. Diese gängigen Meinungen sind mithilfe der oben entwickelten Methode der rechtsethischen Rekonstruktion zu überprüfen. Einem möglichen Einwand soll schon an dieser Stelle begegnet werden: Man könnte beanstanden, dass es sich bei den genannten ethischen Prinzipien nicht um solche gleicher Stufe oder gleichen Ranges handelte. Das Prinzip der Menschenwürde, so ließe sich einwenden, umfasse doch beispielsweise Prinzipien wie das der Inklusion oder der Anerkennung. Vollends problematisch, so eine denkbare Kritik, wäre doch, 1387
Vgl. dazu wiederum die sehr hilfreichen Überblicksdarstellungen bei Mahlmann (Fn. 23) und bei McCrudden (Fn. 90).
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wenn die politisch-soziale Gerechtigkeit selbst wiederum nur durch andere Prinzipien wie das der Menschenwürde oder der Effizienz gedeutet werden könnte. In der Tat sind aus philosophischer Perspektive die genannten Prinzipien weder gleichrangig noch gleichwertig. Wie sich beispielsweise Menschenwürde und Gerechtigkeit in ethischer Betrachtung zueinander verhalten, bleibt in der rechtsethischen Rekonstruktion offen. Zudem lassen sich einige dieser Prinzipien ethisch besser begründen als andere. Diese Probleme werden von der Methode der rechtsethischen Rekonstruktion zwar nicht geleugnet, sie sind aber für ihre Zwecke nicht von Belang: Wenn es – wie hier – um die Rationalisierung der Rechtspraxis, die dogmatische Strukturierung und die Herstellung interdisziplinärer Kompatibilität geht, dann werden abgeschwächte theoretische Anforderungen gestellt. Es muss dann nicht dargelegt werden, wie sich das favorisierte rechtsethische Prinzip theoretisch zu den anderen denkbaren Prinzipien verhält. Ausreichend ist bereits, dass es sich durch eine vorzugswürdige Tauglichkeit auszeichnet. Ebenso ist es aus Sicht der rechtsethischen Rekonstruktionsmethode unschädlich, dass sich Teile der Gleichheitsrechtspraxis unter verschiedenen rechtsethischen Prinzipien rekonstruieren lassen. So kann man beispielsweise plausibel behaupten, dass sich die Rechtsprechungspraxis zur Rechtsfigur der direkten Diskriminierung sowohl unter einem Menschenwürde- als auch unter einem Gerechtigkeitsprinzip rekonstruieren lasse. Es geht der rechtsethischen Rekonstruktionsmethode nicht um die Auffindung des letzten ethischen Grundes, sondern um eine weniger abstrakte, praktische Theorie über die Praxis. Aus dieser Intention heraus ist ein rechtsethisches Prinzip dann vorzugswürdig, wenn es die erwähnten Zwecke einer rechtsethischen Rekonstruktion besser erfüllt als andere. Die Methode der rechtsethischen Rekonstruktion zielt auf die ethische Aufklärung der Rechtspraxis, sie will keine philosophischen Kontroversen lösen.
A. Menschenwürde 1. Gehalt des Menschenwürdeprinzips Gegenwärtig ist die ethische Erfassung des Gleichheitsrechtsproblems durch Verweis auf die Menschenwürde in Rechtsprechung und Litera-
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tur wohl am prominentesten.1388 So wird die Menschenwürde in der Rechtsprechung einiger oberster Gerichte, vor allem Kanadas,1389 Südafrikas1390 und Deutschlands1391, als das gleichheitsrechtlichen Normen zugrunde liegende Schutzgut angesehen.1392 Auch die juristische Litera-
1388
Zum Menschenwürdebegriff vgl. aus philosophischer Sicht: Kurt Bayertz (ed.), Sanctity of life and human dignity, The Hague 1996; Robert Spaemann, Über den Begriff der Menschenwürde, in: Scheidewege, Jahresschrift für skeptisches Denken 15 (1985/86), hrsg. v. der Max Himmelheber-Stiftung, Stuttgart 1986, S. 20-36; Ralf Stoecker (Hrsg.), Menschenwürde – Annäherung an einen Begriff, Wien 2003. Aus juristischer Sicht vgl. Christoph Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung: zur Dogmatik des Art. 1 Abs. 1 GG, Tübingen 1997; Horst Dreier, Bedeutung und systematische Stellung der Menschenwürde im deutschen Grundgesetz, in: Kurt Seelmann (Hrsg.), Menschenwürde als Rechtsbegriff: Tagung der Internationalen Vereinigung für Rechtsund Sozialphilosophie (IVR), Schweizer Sektion Basel, 25. bis 28. Juni 2003, ARSP Beiheft 101 (2005), S. 33-48; Jochen Abr. Frowein, Human Dignity in International Law in: David Kretzmer/Eckhart Klein (eds.), The Concept of Human Dignity in Human Rights Discourse, The Hague 2002, p. 121; Giovanni Bognetti, The concept of human dignity in European and US constitutionalism, in: Georg Nolte (ed.), European and US constitutionalism, Cambridge [et al.] 2005, pp. 85-107; Christopher McCrudden, Human Dignity and Judicial Interpretation of Human Rights, EJIL 19 (2008), pp. 655-724. Vgl. die umfassende Darstellung zum Menschenwürdebegriff bei Mahlmann (Fn. 1457), § 28, S. 300 ff. 1389
CSCt, Law v. Canada (Minister of Employment and Immigration), [1999] 1 S.C.R. 497; CSCt, Miron v. Trudel, [1995] 2 SCR 418, 489; vgl. dazu Errol Mendes, Taking Equality into the 21st Century: Establishing the Concept of Equal Human Dignity, NJCL (2000), p. 3. 1390
CCSA, President of the Republic of South Africa v. Hugo, [1997] 4 SA 1; Laurie W.H. Ackermann, Equality and the South African Constitution: The Role of Dignity, ZaöRV 63 (2000), pp. 537-556; Evadné Grant, Dignity and Equality, HRLR 7 (2007), pp. 299-329. 1391
BVerfGE 5, 85, 205 – KPD-Verbot: „Da Menschenwürde und Freiheit jedem Menschen zukommen, die Menschen insoweit gleich sind, ist das Prinzip der Gleichbehandlung aller für die freiheitliche Demokratie ein selbstverständliches Postulat.“ 1392
Vgl. Fredman (Fn. 409), p. 17; zum Verhältnis von Menschenwürde und Nichtdiskriminierungsrecht aus verfassungsvergleichender Sicht vgl. McCrudden (Fn. 90), pp. XX-XXII.
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tur deutet die Menschenwürde häufig als Wert oder Prinzip des Gleichheitsrechts.1393
a) Exkurs: Die Formulierung des neuzeitlichen Menschenwürdebegriffs bei Immanuel Kant Bevor auf die Frage der Rekonstruierbarkeit des Gleichheitsrechts aus dem ethischen Prinzip der Menschenwürde eingegangen wird, ist eine kurze Vergewisserung ihrer neuzeitlichen Grundlegung bei Immanuel Kant (1724–1804) angebracht. Die heute noch maßgebliche Formulierung des Menschenwürdeprinzips geht auf Kants praktische Philosophie zurück, wie sie insbesondere in der Kritik der praktischen Vernunft (1788) und der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) niedergelegt ist. Kant begreift den Menschen als „Bürger zweier Welten“,1394 der einerseits als Sinnenwesen („homo phaenomenon“) den Naturgesetzen unterworfen ist, andererseits als Verstandeswesen („homo noumenon“) einer intelligiblen Welt angehört. Die Grundfrage der kantischen praktischen Philosophie „Was soll ich tun?“ betrifft den Menschen, insofern er als Handelnder nach den Grundgesetzen für dieses Handeln fragt. Moralisches Sollen kann sich nicht aus einem (phänomenalen) Sein ergeben, wie das sog. HumeDiktum besagt.1395 Die Vernunft muss also den Bereich des theoreti1393
Vgl. nur Ackermann (Fn. 1390), pp. 537-556; Gay Moon/Robin Allen, Dignity Discourse in Discrimination Law: A Better Route to Equality, EHRLR 11 (2006), pp. 610-649; Denise G. Réaume, Discrimination and Dignity, LaLR 63 (2003), pp. 1-51. 1394
Kurt Wuchterl, Lehrbuch der Philosophie, 4. Aufl., Bern [u.a.] 1992, S. 157; zu „Phänomena“ und „Noumena“ und dem „Gedanken der intelligiblen Welt“ vgl. auch Herbert J. Paton, Der kategorische Imperativ: Eine Untersuchung über Kants Moralphilosophie, Berlin 1962, S. 339 ff. 1395
David Hume, A Treatise on Human Nature, ed. by David Fate Norton, Oxford 2004, ch. 3.1.1., p. 302: “I cannot forbear adding to these reasonings an observation, which may, perhaps, be found of some importance. In every system of morality, which I have hitherto met with, I have always remark’d, that the author proceeds for some time in the ordinary way of reasoning, and establishes the being of a God, or makes observations concerning human affairs; when of a sudden I am surpriz’d to find, that instead of the usual copulations of propositions, is, and is not, I meet with no proposition that is not connected with an ought, or an ought not. This change is imperceptible; but is, however, of the last consequence. For as this ought, or ought not, expresses some new relation or affirmation, ‘tis necessary that it shou’d be observ’d and explain’d; and
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schen Erkennens verlassen und zur praktischen Vernunft werden, das heißt zu einer, die das Handeln bestimmt.1396 Damit ergibt sich bei Kant in zweifacher Hinsicht eine „Emanzipation des Ethischen“ (Johannes Schwartländer): Zum einen ist die Vernunft nicht mehr nur nachvollziehende Instanz ontologisch vorgegebener Normen (entgegen dem „rationalen Dogmatismus“), zum anderen überwindet Kant so den ethischen Empirismus (insbesondere den Eudämonismus aristotelischer Prägung).1397 Nachfolgend ist dieser Bereich des Ethischen näher zu beleuchten. Das „Faktum des Sittlichen“ (Johannes Hirschberger) besteht für Kant aus zwei Elementen: Dem unbedingten Sollen einerseits und damit zusammenhängend der sittlichen Freiheit andererseits. Diese Freiheit kann aber, da sie kein Bestandteil der Wirklichkeit des mundus sensibilis ist, nicht als solche positiv erkannt werden, sie ist „unbegreiflich“1398. Der Freiheit kommt keine empirische Realität zu, ein unbedingtes Sollen ist aber ohne die Annahme der Freiheit undenkbar. Wie ist daher die sittliche Freiheit zu bestimmen? Wenn man wie Kant vom „Faktum des Sittlichen“ und einer ihm eigentümlichen Gesetzlichkeit ausgeht, dann bedarf es zu seiner Beschreibung einer anderen Kausalität als der durch ein Naturgesetz bezeichneten Ursache-Wirkungs-Relation. Es muss sich um eine „Kausalität durch Freiheit“1399 handeln, die einem „Bedürfnis der Vernunft“1400 entspringt. Freiheit ist für Kant ein „Postu-
at the same time that a reason should be given, for what seems altogether inconceivable, how this new relation can be a deduction from others, which are entirely different from it. But as authors do not commonly use this precaution, I shall presume to recommend it to the readers; and am persuaded, that this small attention wou’d subvert all the vulgar systems of morality, and let us see, that the distinction of vice and virtue is not founded merely on the relations of objects, nor is perceiv’d by reason.” 1396
Zum Komplex der „praktische Vernunft“ bei Kant vgl. die Darstellung bei Paton (Fn. 1394), S. 84-116, insbes. S. 86. 1397
Zur „Emanzipation des Ethischen“ bei Kant vgl. Heiner Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte: Grundlagen eines weltweiten Freiheitsethos, Darmstadt 1998, S. 56. 1398
Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Akademie-Textausgabe, Bd. V, Berlin 1968, S. 7 (= KpV). 1399 1400
Kant (Fn. 1398), KpV, S. 105. Kant (Fn. 1398), KpV, S. 142.
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lat“.1401 Unter einem „Postulat der reinen praktischen Vernunft“ versteht er „einen theoretischen, als solchen aber nicht erweislichen Satz (...), sofern er einem a priori unbedingt geltenden praktischen Gesetze unzertrennlich anhängt.“1402 Die Existenz von Freiheit ist also einem syllogistischen Beweis nicht zugänglich, ihre praktische Notwendigkeit dagegen sehr wohl begründbar. Kant konkretisiert das moralische Gesetz formal in Form des „kategorischen Imperativs“ als eines Vernunftprinzips a priori. Wie lässt sich der unbedingte Sollensanspruch des kategorischen Imperativs mit der Freiheit des handelnden Subjekts vereinbaren? Zunächst ist zu sagen, dass Kant die Freiheit auf den Willen, nicht auf Handlungen bezieht. Freiheit bedeutet demnach in negativer Verwendung die Unabhängigkeit der Willkür von empirischen Bestimmungen (Spontaneität), in positiver Verwendung bedeutet Freiheit Autonomie. „Autonomie“ bedeutet bei Kant Selbstgesetzgebung der praktischen Vernunft.1403 Denn könnte die Vernunft nicht selbst gesetzgeberisch tätig werden, so müsste sie einem Gesetz der Natur gehorchen und ein „solches Gesetz könnte nur die Grundlage eines heteronomen Imperativs sein.“1404 Das wäre aber mit dem Anspruch unbedingten Sollens unvereinbar. Daher muss ein autonomes Gesetz die „Gestalt des von Kant formulierten, formalen kategorischen Imperativs haben“1405, denn soll „seine Willkür notwendig, d.h. unabhängig von den Begierden, die die Materie seines Wollens sind, bestimmt sein – eine solche notwendige Bestimmung ist im Falle der Pflicht gegeben –, so muss sie durch die Form des Gesetzes, nicht durch seinen Inhalt bestimmt sein.“1406 Für Kant sind Gesetze nicht nur Beschränkungen, sondern auch „Produkte der Freiheit“ (des freien Willens, nicht der Willkür). Dies wird auch als Kants „kopernikanische Wendung in der Ethik“1407 bezeichnet. 1401
Zum Begriff des „Postulats“ bei Kant vgl. Lewis White Beck, Kants „Kritik der praktischen Vernunft“, Ein Kommentar, 3. Aufl., München 1995, S. 195 f. 1402 1403 1404 1405 1406 1407
Kant (Fn. 1398), KpV, S. 122. Vgl. Kant (Fn. 1398), KpV, S. 33. Beck (Fn. 1401), S. 121. Beck (Fn. 1401), S. 122. Beck (Fn. 1401), S. 187.
Beck (Fn. 1401), S. 172; vgl. auch a.a.O., S. 188: „Die Willkür kann das Gesetz des Willens nur darum befolgen, ohne ihre eigene Freiheit zu verlieren, weil Wille und Willkür nicht zwei äußerlich bezogene Vermögen sind. Sie sind
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Autonomie ist also die Freiheit des Willens; der freie Wille gibt der Willkür das Gesetz.1408 Da die Willkür nicht von Natur aus das tut, was das Gesetz vorschreibt, ist das Gesetz ein Prinzip der „praktischen Nötigung, d. i. Pflicht“1409. Es wurde oben gesagt, dass alle vernünftigen Menschen unter dem kategorischen Imperativ als Ausdruck des moralischen Gesetzes stehen. Kant gibt fünf Formulierungen des kategorischen Imperativs an.1410 Im Hinblick auf die hier interessierende Frage ist vor allem die zweite Ausprägung einschlägig: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest“.1411 Der Mensch gehört als „homo noumenon“ einem „Reich der Zwecke“ an, wie Kant sagt. In diesem „Reich der Zwecke“ besitzt alles entweder einen „Preis“ oder eine „Würde“: „Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde.“1412 Mit dem Preis, der noch nach materiellem „Marktpreis“ und immateriellem „Affektionspreis“ unterschieden wird, ist folglich ein relativer, mit der Würde hingegen ein absoluter, innerer Wert bezeichnet. Würde ist das Attribut „eines vernünftigen Wesens, das keinem Gesetze gehorcht als dem, das es zugleich selbst gibt.“1413 Damit ist aber das Vermögen der praktischen Vernunft zur Autonomie gemeint, wie sich oben ergab. Die Fähigkeit zur Selbstgesetzgebung bedingt also die Zweckhaftigkeit des Menschen an sich selbst und damit seine Würde. So heißt es bei Kant dann auch: „Autonomie ist also der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur.“1414 nur zwei Aspekte der praktischen Vernunft und unterscheiden sich wie Legislative und Exekutive voneinander.“ 1408
Beck (Fn. 1401), S. 191.
1409
Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AkademieTextausgabe, Bd. IV, Berlin 1968, S. 434 (= GMS). 1410
Zu den fünf Formulierungen des kategorischen Imperativs im Einzelnen vgl. Paton (Fn. 1394) , S. 152 ff.; Wood (Fn. 1339), p. XX, pp. 70-75, 76-190. 1411 1412 1413 1414
Kant (Fn. 1409), GMS, S. 429. Kant (Fn. 1409), GMS, S. 434; s. auch ders. (Fn. 1074), MdS, S. 434 f., 462. Kant (Fn. 1409), GMS, S. 434. Kant (Fn. 1409), GMS, S. 436.
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Die Autonomie bedarf zu ihrer Wirklichkeit der Aktualisierung durch den einzelnen Menschen. Nun kann die Tatsache, dass einem Menschen Würde zukommt, aber nicht davon abhängen, ob er sich im Sinne seiner Autonomie betätigt oder nicht. Schon die zweite, oben dargestellte Formulierung des kategorischen Imperativs spricht deshalb von einer über die Individualität hinausgreifenden „Menschheit“, die in jeder Person zu achten sei. An anderer Stelle spricht Kant von der „Idee der Menschheit“ als eines „Zwecks an sich selbst“. Damit kommt auch der „Menschheit“, sofern sie Idee ist, Würde zu. Also besitzt auch der Einzelne, unabhängig vom Gebrauch seiner Autonomie, kraft der Teilhabe an der „Idee der Menschheit“ Würde.1415 Was folgt aus Kants Menschenwürdeprinzip für die rechtsethische Rekonstruktion des Gleichheitsrechts? Die entscheidende Folgerung hat Kant selbst gezogen: Wenn jedes vernünftige Wesen als ein Zweck an sich betrachtet und ihm insofern Würde zugesprochen werden muss, dann muss allen die gleiche Würde zukommen (Prinzip der Würdegleichheit).1416 Im Werk Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte (1786) heißt es, sobald die Menschen ihre Handlungen an der praktischen Vernunft zu orientieren begannen, „war der Mensch in eine Gleichheit mit allen vernünftigen Wesen, von welchem Range sie auch sein mögen, getreten: nämlich in Ansehung des Anspruchs selbst Zweck zu sein, von jedem anderen auch als ein solcher geschätzt und von keinem bloß als Mittel zu anderen Zwecken gebraucht zu werden.“1417 Von Bedeutung ist, dass das Verbot der Abstufung der Menschenwürde auf der Absolutheit des Menschenwürdeprinzips beruht. Auf das Gleichheitsrecht angewendet, führt Kants Menschenwürdeprinzip zur Folge1415
Ralf Alexander Lorz differenziert deshalb auch zwischen einer „atomistischen“ und einer „ganzheitlichen“ Sicht: „Wo der Rückgriff auf die individuelle Autonomie versagt, weil eine bestimmte Person subjektiv nicht über sie verfügt, kommt dieser Person die generelle Teilhabe an der Menschheit als Ganzes, mithin ihre objektive Qualität als Mensch zugute und verbietet es, ihr aus individuellen Gründen die allgemeinen Rechte der autonomen Persönlichkeit abzusprechen. Umgekehrt können diese Rechte ebensowenig durch objektiv-generelle Erwägungen im Dienste der ‚Idee der Menschheit‘ eingeschränkt werden, weil dem der individuelle Anspruch des autonomen Subjekts widerstreiten würde, selbst als Persönlichkeit geachtet zu werden“ (Ralf Alexander Lorz, Modernes Grund- und Menschenrechtsverständnis und die Philosophie der Freiheit Kants, Stuttgart [u.a.] 1993, S. 210). 1416 1417
Vgl. Wood (Fn. 1339), p. 132.
Immanuel Kant, Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte, Akademie-Textausgabe, Bd. VIII, Berlin 1968, S. 114 [= Anfang]).
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rung, dass der Menschenwürdeanspruch immer dann verletzt wird, wenn die Ungleichbehandlung Ausdruck einer Würdeunterscheidung zwischen Personen ist.1418
b) Das Menschenwürdeprinzip in der EMRK Ohne ausdrücklich im Konventionstext Erwähnung zu finden, stellt die Menschenwürde nach der Rechtsprechung des EGMR das Substrat der EMRK dar: „[T]he very essence of the Convention is respect for human dignity and human freedom.“1419 Im Kontext des konventionsrechtlichen Gleichheitsrechts taucht das Prinzip der Menschenwürde insbesondere bei krassen, an erniedrigende Behandlung (Art. 3 EMRK) grenzenden Fällen der Ungleichbehandlung auf.1420 Die Koppelung von Menschenwürdeprinzip und Ungleichbehandlung hat in Bezug auf die Rechte aus Art. 3 EMRK eine schutzbereichsverstärkende Wirkung: “The Court recalls that ..., irrespective of the relevance of Article 14, a complaint of discriminatory treatment could give rise to a separate issue under Article 3.”1421 Von Bedeutung ist die Feststellung, dass Ungleichbehandlungen (insbesondere von ethnischen Minderheiten) im Einzelfall eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen können; dabei spielen folgende Faktoren eine Rolle: das Hervorrufen von Unterlegenheitsgefühl und Demütigung, der Differenzierungsgrund (insbesondere rassische Diskriminierung), eine Stigmatisierung, die nicht bloß ganz allgemeiner Natur ist und nicht nur reine Spekulation bleibt.1422 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass Ungleichbehandlungen, die nicht mit der Ausübung physischer Gewalt verbunden sind, nur selten den Grad einer „unmenschlichen Behandlung“ im Sinne des Art. 3 EMRK erreichen dürften.1423
1418
Vgl. Tugendhat (Fn. 342), S. 375: „Die primäre Diskriminierung definiere ich so, daß sie genau dann gegeben ist, wenn angenommen wird, daß es eine vorausgehende Wertunterscheidung zwischen den Menschen gibt.“ 1419
EGMR, 11.07.2002, I. v. Vereinigtes Königreich, Nr. 25680/94, § 70; EGMR, 29.04.2002, Pretty, RJD 2002-III = EuGRZ 2002, 234, § 65. 1420 1421 1422 1423
Z.B. EGMR, 10.05.2001, Zypern v. Turkei, RJD 2001-IV, §§ 306, 309. EGMR, 10.05.2001, Zypern v. Turkei, RJD 2001-IV, § 305. EGMR (K), 17.07.2008, Oršuš u.a., Nr. 15766/03, §§ 38, 39.
Siehe im Ergebnis die Entscheidung EGMR (K), 17.07.2008, Oršuš u.a., Nr. 15766/03, § 39.
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Es ist auffällig, dass der Gerichtshof auch in diesen Fällen die Gleichheitsproblematik unter dem substantiellen Freiheitsrecht aus Art. 3 EMRK prüft und nicht separat unter Art. 14 EMRK. Das spricht dafür, dass der Gerichtshof die Menschenwürdeverletzung, die in der besonderen Schwere der Ungleichbehandlung besteht, eher beim substantiellen Recht aus Art. 3 EMRK als beim Gleichheitsrecht ansiedelt. Anders als manche nationalen Gerichte hat sich der Straßburger Gerichtshof somit bislang nicht explizit für die Menschenwürde als rechtsethisches Prinzip des konventionsrechtlichen Gleichheitsrechts ausgesprochen. Der Gerichtshof hat das Menschenwürdeprinzip in der Folge auch im Kontext anderer Konventionsrechte, wie z.B. Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren), Art. 7 EMRK (Keine Strafe ohne Gesetz) und Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privatlebens) zur Anwendung gebracht.1424 Insgesamt erweist sich das Menschenwürdeprinzip daher als ein Kernbestandteil der Konvention, das bei deren Auslegung und Anwendung Berücksichtigung findet.
2. Tauglichkeitstest Die Tauglichkeit des Menschenwürdeprinzips als das dem Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK zugrunde liegende rechtsethische Prinzip ist nach der hier vorgeschlagenen Methode der rechtsethischen Rekonstruktion anhand der drei Kriterien der Adäquanz, Kohärenz und der konzeptionellen Orientierung zu prüfen. Bezüglich der Fähigkeit zur Zweckbestimmung – als Bestandteil des Adäquanzerfordernisses – besitzt das Menschenwürdeprinzip zunächst eine starke intuitive Überzeugungskraft. Beschreibt man Menschenwürdeverletzungen durch Ungleichbehandlungen beispielsweise mit Avishai Margalit als Fälle demütigender Ungleichheit, so gewinnt das Menschenwürdeprinzip eine starke Symbolkraft, die es gegenüber anderen denkbaren rechtsethischen Prinzipien heraushebt.1425 Die intuitive Überzeugungskraft beruht nicht zuletzt darauf, dass die Auffassung, nach der jedem Menschen die gleiche Würde und Achtung zukommt, heute auf allgemeine Zustimmung bauen darf, so dass jede Untersuchung ethischer Prinzi-
1424 1425
McCrudden (Fn. 1388), p. 683 f. m.w.N.
Dazu s. Avishai Margalit, Menschenwürdige Gleichheit, in: Angelika Krebs (Hrsg.), Gleichheit oder Gerechtigkeit, Frankfurt am Main 2000, S. 107116.
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pien die Menschenwürdegleichheit gleichsam als unhintergehbares Fundament zu berücksichtigen hat.1426 Neben der Argumentation mit der intuitiven Überzeugungskraft des Menschenwürdeprinzips kann man versuchen, einen konsensfähigen Minimalgehalt der Menschenwürde zu beschreiben und auf der Grundlage dieses Verständnisses zu prüfen, ob das Menschenwürdeprinzip zur Rekonstruktion des Nichtdiskriminierungsrecht tauglich ist. Christopher McCrudden identifiziert – im Anschluss an Gerald Neuman – drei Elemente des Menschenwürdeprinzips, die er als „basic minimum content of human dignity“ bezeichnet: Erstens den Anspruch, dass jedem menschlichen Wesen ein intrinsischer Wert allein durch seine Eigenschaft als Mensch zukomme, zweitens, dass dieser Wert von anderen anzuerkennen und zu respektieren sei, und drittens die darauf aufbauende Forderung, dass der Staat um des Menschen willen da sei und nicht umgekehrt.1427 Sowohl Margalits These von der intuitiven Überzeugungskraft als auch McCruddens These vom Minimalgehalt lassen sich für die rechtsethische Rekonstruktion des Gleichheitsrechts aus dem ethischen Prinzip der Menschenwürde fruchtbar machen. So lässt sich für die krassen Fälle von Ungleichbehandlungen vielfach plausibel begründen, dass diese zugleich Menschenwürdeverletzungen darstellen.1428 Beispielsweise kann man in dem allein an die ethnische Herkunft anknüpfenden Durchfahrtsverbot in eine Republik der Russischen Föderation im Fall Thimishev oder in dem gänzlichen Ausschluss unehelicher Kinder vom gesetzlichen Erbrecht im Fall Marckx eine Herabwürdigung der benachteiligten Personen erblicken. In diesen Beispielen werden die Betroffenen aufgrund personenbezogener Merkmale als Menschen „zweiter Klasse“ behandelt. Hier lässt die Ungleichbehandlung auf eine Wertunterscheidung zwischen Personen schließen, die mit
1426 1427 1428
Gosepath (Fn. 14), S. 128; vgl. auch Mahlmann (Fn. 23), S. 40 ff. McCrudden (Fn. 1388), p. 679 f.
Vgl. nur Mahlmann (Fn. 23), S. 41, Rn. 17. Eine vielbeachtete Konkretisierung hat die kanadische Juristin Denise Réaume vorgeschlagen. Nach dieser substantiellen Konzeption der Menschenwürdeverletzung durch Ungleichbehandlung besteht der Zweck des Gleichheitsrechts in der Verhinderung von drei Fällen von Ungleichbehandlungen: Erstens legislativer Entzug oder Vorenthaltung von Vorteilen wegen Vorurteilen gegenüber einer Klasse von Personen, zweitens der Entzug oder das Vorenthalten von Vorteilen auf der Grundlage von Stereotypisierung und drittens der Entzug oder das Vorenthalten von würdekonstitutiven Vorteilen (Réaume [Fn. 1393], p. 28).
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einer Moral der gleichen Achtung, wie sie das Menschenwürdeprinzip begründet, unvereinbar ist. Sobald man aber die subtileren Formen der Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts unter der EMRK mit berücksichtigt, d.h. die direkte Diskriminierung durch Gleichbehandlung, die indirekte und die passive Diskriminierung, kommt man mit dem Minimalgehalt des Menschenwürdeprinzips nicht mehr weiter. Hier handelt es sich – in der philosophischen Terminologie Ernst Tugendhats – um sog. sekundäre Diskriminationen, denen kein Wertunterschied zwischen Personen vorausliegt.1429 In diesen Fällen versagen sowohl die These vom Minimalgehalt der Menschenwürde, da per definitionem kein Wertunterscheidung vorliegt, als auch die Argumentation mit der intuitiven Überzeugungskraft des Menschenwürdeprinzips: Liegt eine Menschenwürdeverletzung in dem Fall vor, dass ein Bewerber für den öffentlichen Dienst nicht eingestellt wird, weil Ausnahmevorschriften für religiöse Überzeugungstäter, die einen Straftatbestand verwirklicht haben, fehlen? Inwiefern kann die Menschenwürde rechtsethische Orientierungshilfe in einem Fall leisten, in dem überproportional mehr Roma-Kinder auf Sonderschulen verwiesen werden? Ist der Staat unter Menschenwürdegesichtspunkten ethisch verpflichtet einzugreifen, wenn der Testator die Erbschaft von der Bedingung abhängig macht, dass der Erbe ehelicher Abstammung ist? In diesen Fällen ist das Menschenwürdeprinzip – jedenfalls bei Zugrundelegung des Minimalgehalts – zur rechtsethischen Rekonstruktion nicht mehr brauchbar; das Menschenwürdeprinzip wirkt unterdeterminierend, da es sich offenkundig um gleichheitsrechtliche Probleme handelt, die aber unter diesem Prinzip „verschattet“ werden.1430 Angesichts dieser Probleme gibt es in Bezug auf das Menschenwürdeprinzip nur zwei Möglichkeiten: Entweder man erweitert das Menschenwürdeprinzip über den anerkannten Minimalgehalt hinaus oder man verneint die Adäquanz des Menschenwürdeprinzips für diese Fälle überhaupt. Eine Erweiterung des Menschenwürdeprinzips über den Minimalgehalt hinaus hat Andrew Clapham vorgeschlagen. Danach weist das Menschenwürdeprinzip folgende Elemente auf:
1429 Zur Unterscheidung von „primärer Diskriminierung“ und „sekundärer Diskrimination“ vgl. bereits oben S. 102 f. 1430
Vgl. auch Black/Smith (Fn. 97), p. 936: “(...) a focus on human dignity carries some risk of encouraging a focus on intentional discrimination and underestimating the discriminatory consequences of unintended adverse effects.”
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“(1) the prohibition of all types of inhuman treatment, humiliation, or degradation by one person over another; (2) the assurance of the possibility for individual choice and the conditions for ‚each individual’s self-fulfilment‘, autonomy, or self-realization; (3) the recognition that the protection of group identity and culture may be essential for the protection of personal identity; (4) the creation of the necessary conditions for each individual to have their essential needs satisfied.”1431 Diese erweiterte Deutung des Menschenwürdeprinzips lässt jedenfalls ansatzweise die rechtsethische Rekonstruktion auch der subtileren Ausprägungen des konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrechts zu: So kann man die Fälle der direkten Diskriminierung durch Gleichbehandlung unter einem menschenwürdebasierten Autonomieverständnis rekonstruieren. Eine Regelung, die nicht hinreichend Rücksicht auf Ungleichheit nimmt, bei relevanter, individueller oder gruppenbedingter Andersheit keine Ausnahmetatbestände vorsieht und freiheitsverkürzend wirkt, gerät in Konflikt mit Claphams zweitem und drittem Element des erweiterten Menschenwürdeverständnisses. Auch die Rechtsfigur der passiven Diskriminierung kann ansatzweise mit Claphams Deutung des Prinzips der Menschenwürde rekonstruiert werden. Der Staat hat jedenfalls dann positive Maßnahmen zur Verhinderung von Diskriminierungen durch Private zu ergreifen, wenn mit der Ungleichbehandlung besonders schwerwiegende Einschränkungen individueller Autonomie verbunden sind, etwa bei der Verweigerung eines Arbeitsplatzes aus Gründen der ethnischen Herkunft oder des Geschlechts. Dies lässt sich aus Claphams zweitem Element der Menschenwürde herleiten. Auch derivative Teilhabepflichten können möglicherweise mit den Elementen zwei und vier in Claphams Deutung begründet werden. Problematischer scheint aber die rechtsethische Rekonstruktion der Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung zu sein. Hier geht es nicht so sehr um eine Frage individueller Autonomie, sondern um eine gruppenbezogene Benachteiligung, die eher auf das dritte Element in Claphams Deutung der Menschenwürde verweist. Allerdings verschattet die menschenwürdebasierte Deutung hier den Aspekt der ungerechtfertigten Andersbehandlung von Angehörigen bestimmter geschützter Gruppen, mithin die relationale Struktur des Gleichheits1431
Andrew Clapham, Human Rights Obligations of Non-State Actors, Oxford [et al.] 2006, p. 545 f.; vgl. dazu auch die Ausführungen bei McCrudden (Fn. 1388), p. 685 ff.
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problems. Im Fall der indirekten Diskriminierung steht weder die Herabwürdigung noch die Freiheitsverkürzung Einzelner oder der Schutz der Gruppenidentität im Vordergrund. Vielmehr geht es um eine sich ungerecht auswirkende Andersbehandlung; diese lässt sich aber unter einer menschenwürdebasierten Deutung nicht rekonstruieren. Wenigstens im Fall der indirekten Diskriminierung ist eine rechtsethische Rekonstruktion aus dem Prinzip der Menschenwürde problematisch; insofern ist dieses Prinzip nicht adäquat. M.a.W. lassen sich grundlegende dogmatische Entscheidungen des EGMR zum Nichtdiskriminierungsrecht mit dem Menschenwürdeprinzip nicht in ein „Überlegungsgleichgewicht“ („reflective equilibrium“) bringen. Die von einem rechtsethischen Prinzip weiterhin erwartete Kohärenzstiftung, d.h. die Integration der Rechtsphänomene in einen einheitlichen Verstehenszusammenhang, ist ebenfalls problematisch: In Claphams erweiterter Deutung der Menschenwürde werden Aspekte der Herabwürdigung, der Autonomiesicherung und der Gewährleistung sozioökonomischer Sicherheit genannt; diesen entsprechen zwar Phänomene der gleichheitsrechtlichen Praxis, wie oben gezeigt, aber diese Phänomene werden nicht in einen einheitlichen Verstehenszusammenhang gebracht. Wie verhält sich die Herabwürdigung bei der direkten Diskriminierung durch Ungleichbehandlung zu der Pflicht zur Verhinderung von Diskriminierung durch Private, in der vor allem der Autonomieverkürzungsaspekt einschlägig erscheint? Auch konzeptionelle Orientierung, d.h. die Sichtbarmachung der relevanten Praxisphänomene, ist von einem rechtsethischen Prinzip der Menschenwürde nicht durchgehend zu erwarten: Worin besteht der diskriminierungsspezifische Nachteil, wenn die Menschenwürde das Prinzip der rechtsethischen Rekonstruktion abgibt? Ab wann handelt es sich um eine die Menschenwürde beeinträchtigende Behandlung? Wird das Gleichheitsrecht nicht überfordert bzw. zu hohe Anforderungen gestellt, wenn in rechtsethischer Perspektive eine Beeinträchtigung der Menschenwürde vorausgesetzt wird? Sind nicht-intentionale Menschenwürdebeeinträchtigungen möglich? Falls nicht, wäre dann nicht stets – wie im U.S.-amerikanischen Verfassungsrecht – eine Diskriminierungsintention nachzuweisen? Das Menschenwürdeprinzip wirft in seiner Anwendung auf das Gleichheitsrecht mehr Fragen auf, als es beantwortet. Seine Tauglichkeit als rechtsethisches Prinzip des Nichtdis-
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kriminierungsrechts der EMRK kann daher mit guten Gründen bezweifelt werden.1432
B. Anerkennung 1. Gehalt des Anerkennungsprinzips Ein weiteres ethisches Prinzip ist das der Anerkennung.1433 Der von Hegel vermittelte, auf Fichte zurückgehende Begriff der „Anerkennung“ ist zu einem Grundbegriff der politischen Philosophie der Gegenwart1434 geworden und wird zunehmend auch in Verbindung mit dem Gleichheitsproblem gebracht.1435 Grundlegend für die Anerken1432 Aus anderen Gründen, aber zu Recht kritisch auch Rory O’Connell, The Role of Dignity in Equality Law: Lessons from Canada and South Africa, IJCL 6 (2008), p. 267 ff. (die Berufung auf die Menschenwürde in Gleichheitskontexten könne der Herausbildung einer substantiellen Gleichheitskonzeption entgegenstehen). 1433
Zum Teil werden Anerkennungs- und Fürsorgeethik als Konkurrenztheorien zur politischen Gerechtigkeit behandelt, so z.B. von Gosepath (Fn. 14), S. 91-107, der allerdings zu dem Schluss kommt, „dass weder Fürsorge noch Anerkennung (...) echte Alternativen zur Perspektive der Gerechtigkeit dar[stellen, Verf.]“, a.a.O., S. 106. 1434
Ebenso Mahlmann (Fn. 23), S. 46 Fn. 59. Zur begrifflichen Herkunft vgl. Ludwig Siep, Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie: Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes, Freiburg i.B./München 1979. Vgl. Fichtes Erklärung des Rechtsverhältnisses auf der Grundlage wechselseitiger Anerkennung endlicher Vernunftwesen: „Ich muß das freie Wesen außer mir in allen Fällen anerkennen als ein solches, d.h. meine Freiheit durch den Begriff der Möglichkeit seiner Freiheit beschränken“, Johann Gottlieb Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. v. Reinhard Lauth/Hans Jacob, Bd. 3, Stuttgart/Bad Cannstatt 1966 (1796), S. 358. Zu Hegels Ausweitung der „Anerkennung“ als Grundprinzip der Sittlichkeit überhaupt s. Herbert Schnädelbach, Hegels praktische Philosophie: Ein Kommentar der Texte in der Reihenfolge ihrer Entstehung, Frankfurt am Main 2000, S. 150154. 1435
Vgl. Nancy Fraser, From Redistribution to Recognition? Dilemmas of Justice in a ‘Post-Socialist’ Age, NLR 212 (1995), p. 95 ff.; dies., Die halbierte Gerechtigkeit, Frankfurt 2001; Nancy Fraser/Axel Honneth, Umverteilung oder Anerkennung?, Frankfurt am Main 2003; Johannes Eurich, Gerechtigkeit, Ungleichheit und die Wahrnehmung individueller Rechte, in: Anne van Aaken/
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nungstheorie ist die These, dass politisch-soziale Gerechtigkeit nicht bloß von der gerechten Güterverteilung abhänge, sondern es vor allem darauf ankomme, als was sich die Subjekte in einer Gesellschaft wechselseitig anerkennen.1436 Kennzeichnend für die Anerkennungstheorie ist, dass sie im Wesentlichen negativ verfährt und nach Anerkennungsverletzungen fragt.1437 Im Kontext der Gleichbehandlung werden Verteilungen öffentlicher Güter als ungerecht angesehen, wenn sie Anerkennungsverletzungen darstellen. Diese Anerkennungsverletzungen bestehen nicht in einem quantifizierbaren Wenigerhaben eines Guts, sondern in einem symbolisch-kulturellen Akt der Bevorzugung oder Förderung einer bestimmten, gesellschaftlich dominanten Lebensweise oder – abstrakt formuliert – einer Konzeption des Guten zum Nachteil einer Minderheit.1438 Entscheidend ist, dass sich der Begriff der Anerkennungsverletzung in erster Linie auf soziale Gruppen und nicht auf Individuen bezieht.1439
2. Tauglichkeitstest Fasst man eine solchermaßen bestimmte „Anerkennung“ als rechtsethisches Prinzip des Gleichheitsrechts auf, besteht die geforderte Gleichbehandlung im Wesentlichen in einer Rücksicht auf Differenz, die sich manifestiert in unterschiedlichen Güterverteilungen, je nach gruppenbestimmter Identität. In diesem Verständnis kann eine anerkennungsbasierte Konzeption des Gleichheitsrechts Phänomene wie indirekte Diskriminierung oder auch Ansprüche auf Anpassung genereller Regeln aus Gründen der gruppenbestimmten Identität erklären (wie bei der direkten Diskriminierung durch Gleichbehandlung der Fall) und eine konzeptionelle Orientierung der Gleichheitsrechtspraxis leisten. Anders als dem (absoluten) Menschenwürdeprinzip ist dem Anerkennungsprinzip eine relationale Struktur inhärent: „Anerkennung“ meint stets „Anerkennung des anderen“ bzw. „Anerkennung durch die anderen“. Die dem Gleichheitsbegriff und dem menschenrechtlichen Gleichheitsproblem wesenseigentümliche relationale Struktur ist unter Gerd Grözinger (Hrsg.), Ungleichheit und Umverteilung, Marburg 2004, S. 19 ff. 1436 1437 1438 1439
So Gosepath (Fn. 14), S. 98. Gosepath (Fn. 14), S. 99. So Choudhry (Fn. 963), p. 146. Choudhry (Fn. 963), p. 147.
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dem Anerkennungsprinzip daher rekonstruierbar. Auch dies spricht für die Adäquanz des Anerkennungsprinzips. Wegen seines inhärenten Gruppenbezugs sieht die Adäquanz des Anerkennungsprinzips aber in den Fällen problematisch aus, in denen es nicht um eine gruppengestiftete Identität geht. So können mögliche Spannungen zwischen kollektiver und individueller Identität von diesem Prinzip nicht berücksichtigt werden, wenn etwa die Gruppe ein Individuum als Nicht-Mitglied betrachtet.1440 Ferner kommt das Anerkennungsprinzip an seine Grenze, wenn es um die Verkürzung individueller Freiheit durch Ungleichbehandlung aufgrund eines personenbezogenen Differenzierungsgrundes geht. Dies ist der Regelfall der direkten Diskriminierung. Wenn etwa eine Person wegen ihrer politischen Anschauung diskriminiert wird, dann liegt der ethische Schwerpunkt nicht zwangsläufig auf der Unterdrückung einer sozialen Gruppe, die diese politische Anschauung teilt, sondern auf der individuellen Freiheitsverkürzung durch die Ungleichbehandlung. Dies kann aber ein gruppenfixiertes Anerkennungsprinzip nicht rekonstruieren. Hierbei gilt es auch in grundsätzlicher Hinsicht zu beachten, dass das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK in erster Linie eine individualbezogene Schutzkonzeption darstellt: Wie alle Rechte der EMRK handelt es sich bei den Normen der Nichtdiskriminierung um Individualrechtsnormen, die den Einzelnen (als individualisierbaren Träger von Rechten) schützen. Die Gruppenbezogenheit mancher Ausprägungen des Nichtdiskriminierungsrechts, wie etwa der Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung, ändert nichts daran, dass es sich um individuelle Rechte handelt. Wenn sich Anerkennungsverletzungen auf soziale Gruppen und nicht auf Einzelne beziehen, dann geriete dieses Prinzip in einen Konflikt mit der individualbezogenen Schutzkonzeption der EMRK. Die Adäquanz des Anerkennungsprinzips ist daher im Hinblick auf die Tauglichkeit zur Rekonstruktion der direkten Diskriminierung und die individualbezogene Schutzkonzeption der EMRK zweifelhaft.
1440
Vgl. MRA, 27.07.1988, 197/1985, Kitok v. Sweden, UN Doc. CCPR/C/ 33/D/197/1985; zu dieser Problematik vgl. die umfassende Bearbeitung bei Choudhry (Fn. 963), pp. 160-78.
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C. Politische und soziale Inklusion 1. Gehalt des Inklusionsprinzips Es ist auch versucht worden, das Prinzip des Gleichheitsrechts in einer Konzeption der politischen und sozialen Inklusion zu verorten.1441 Bei der sozialen Inklusion handelt es sich um ein absolutes Prinzip.1442 Es kommt nicht – negativ – auf die Benachteiligung von bestimmten Gruppen relativ zu dominanten Gruppen an, sondern es geht – positiv gewendet – um ein Minimum an politisch-sozialer Teilhabe, das jedem Einzelnen zugebilligt werden muss, soll er als Gleicher betrachtet werden können.1443 Dabei spielen die Möglichkeit der Teilhabe als Gleicher am Wirtschaftsleben und in der Politik eine herausgehobene Rolle.1444 Verletzungen des Inklusionsprinzips lassen sich – wie bei Anerkennungsverletzungen – nur gruppenbezogen festmachen.
2. Tauglichkeitstest Gegen die Adäquanz des Inklusionsprinzips sprechen im Wesentlichen zwei Gründe: Erstens sind gruppenbezogene Prinzipien, wie bereits im Rahmen der Tauglichkeitsüberprüfung des Anerkennungsprinzips festgehalten, strukturell schwer mit einer Individualrechtskonzeption, wie sie dem Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK zugrunde liegt, zu vereinbaren. Zweitens, und damit in Zusammenhang stehend, wird nicht deutlich, wie sich aus der Ungleichbehandlung auf Gruppenebene eine Ungerechtigkeit auf Individualebene herleiten lässt. 1441
In diesem Sinne etwa Iris Marion Young, Polity and Group Difference: A Critique of the Ideal of Universal Citizenship, Ethics 2 (1989), p. 250, 261: “(...) a democratic public, however that is constituted, should provide mechanisms for the effective representation and recognition of the distinct voices and perspectives of those of its constituent groups that are oppressed or disadvantaged within it.” Vgl. Hugh Collins, Discrimination, Equality and Social Inclusion, MLR 66 (2003), pp. 16-43; Elisabeth S. Anderson, Warum eigentlich Gleichheit?, in: Angelika Krebs (Hrsg.), Gleichheit oder Gerechtigkeit: Texte der neuen Egalitarismuskritik, Frankfurt am Main 2000, S. 117-171. Vgl. neuerdings auch Oddný Mjöll Arnardóttir, Non-Discrimination in International and European Law, NJHR 2 (2007), pp. 140-157. 1442 1443 1444
Vgl. Collins (Fn. 1441), p. 22. Vgl. Anderson (Fn. 1441), S. 156. Vgl. Anderson (Fn. 1441), S. 155 ff.
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D. Effizienz 1. Gehalt des Effizienzprinzips Nicht ganz ohne Bedeutung sind Ansätze, die das Nichtdiskriminierungsrecht mit ökonomischen Effizienzerwägungen begründen. So kann das Gleichheitsrecht dafür sorgen, dass Menschen nicht einfach aufgrund bestimmter personenbezogener Kriterien wie etwa der ethnischen Herkunft dem Arbeitsmarkt entzogen werden.1445 Das Gleichheitsrecht kann insofern effizienzfördernd wirken.1446 Zugleich kann das Gleichheitsrecht aber auch zu einer Einschränkung der Privatautonomie führen, wenn etwa von einem Arbeitgeber verlangt wird, eine bestimmte Anzahl von Menschen mit Behinderungen einzustellen; in diesem Fall steht nicht die Effizienz, sondern ein konfligierender Wert im Vordergrund, der die Einschränkung der Privatautonomie u.U. rechtfertigen kann.1447
2. Tauglichkeitstest Das Gleichheitsrecht der EMRK lässt sich aus mehreren Gründen nicht in utilitaristischer Weise durch ein Effizienzprinzip rekonstruieren. Zum einen gibt es Fälle, in denen die Effizienz einem höherrangigen Wert zu weichen hat (etwa bei bestimmten Quotenregelungen). Zudem wäre es mit dem individualistischen, subjektivrechtlichen Ansatz der Konvention nicht zu vereinbaren, individuelle Rechtspositionen und Interessen generell nur in ihrer Funktion der Gesamtnutzenmaximierung zu betrachten. Das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot ist nicht deswegen zu beachten, weil es dem gesellschaftlichen Gesamtnutzen dient, wenn alle Individuen und Gruppen Zugang zu den relevanten sozialen Gütern haben bzw. angemessen an Lasten beteiligt werden. Im Namen der Nutzenmaximierung ließen sich die größten Ungerechtigkeiten verteidigen, etwa, wenn sich herausstellen würde, dass sich durch Geschlechterdiskriminierung in gewissen Berufen der
1445 1446 1447
Zu solchen Überlegungen vgl. Mahlmann (Fn. 23), S. 54, Rn. 51 ff. Mahlmann (Fn. 23), S. 54, Rn. 51.
Mahlmann (Fn. 23), S. 54, Rn. 52; vgl. dazu auch die Rechtsfigur der passiven Diskriminierung S. 316 ff., insbes. S. 324 f.
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Gesamtnutzen steigern ließe.1448 Ein interessantes Beispiel, in dem Effizienzüberlegungen und Diskriminierungsverbot zu widerstreitenden Ergebnissen führen können, ist das der Gewährung von Familienbeihilfeleistungen nur an Frauen.1449 Hier liegt eine direkte Diskriminierung gegenüber den Männern aufgrund des Geschlechts vor, die sich an einer besonders hohen Rechtfertigungsschwelle messen lassen muss. Ist das Ziel, das der Staat mit der Familienbeihilfe verfolgt, aber vor allem die Förderung der in dem Haushalt lebenden Kinder, so kann es aus ökonomischer Perspektive durchaus sinnvoll sein, die Familienbeihilfe nur an Frauen auszuzahlen, da es empirische Untersuchungen gibt, die zeigen, dass die Kinder so bessergestellt werden als bei der Auszahlung auch an Männer.1450 Im Hinblick auf das staatliche Ziel der Förderung von Kindern kann die Diskriminierung also als effizient und sachgerecht gelten. Wiewohl das utilitaristische Prinzip der Nutzenmaximierung nicht als rechtsethisches Prinzip des Gleichheitsrechts der EMRK tauglich ist, so berechtigt ist es doch, auch auf die positiven volkswirtschaftlichen Effekte von Diskriminierungsverboten hinzuweisen: Insbesondere im Bereich der positiven Diskriminierung (engl. affirmative action) werden Nützlichkeitserwägungen von den Gerichten herangezogen.1451 Ein allgemeines, vorrangbehauptendes rechtsethisches Prinzip des Gleichheitsrechts kann darin jedoch aus den genannten Gründen nicht erblickt werden.
1448
Gwyneth Pitt, Can Reverse Discrimination Be Justified?, in: Bob Hepple /Erika M. Szyszczak (eds.), Discrimination: The Limits of Law, London 1992, p. 281, 290. 1449
Vgl. dazu etwa EGMR, 27.03.1998, Petrovic, RJD 1998-II, no. 67 = ÖJZ 1998, S. 516. 1450
Vgl. dazu Shelly J. Lundberg, Robert A. Pollak, Terence J. Wales, Do Husbands and Wives Pool Their Resources? Evidence from the United Kingdom Child Benefit, JHR 32 (1997), p. 463 ff. 1451
Das diversity-Argument des U.S. Supreme Court im berühmten Fall USSCt, Regents of the University of California v. Bakke, 438 U.S. 265 , 311-312 (1978) stellt u.a. auch eine Nützlichkeitserwägung dar: “The fourth goal asserted by petitioner is the attainment of a diverse student body. This clearly is a constitutionally permissible goal for an institution of higher education.”
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E. Gerechtigkeit 1. Gerechtigkeitsbegriff und Gerechtigkeitsprinzipien Die obige Diskussion der Tauglichkeit der ethischen Prinzipien hat u.a. gezeigt, dass es für die Rekonstruktion des konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrechts darauf ankommt, ein Prinzip zu formulieren, das zum einen die relationale Struktur des menschenrechtlichen Gleichheitsproblems in sich abbilden und zum anderen sowohl die Individual- als auch die Gruppenbezogenheit der Diskriminierung berücksichtigen kann. Die Ausführungen zu den rechtsethischen Prinzipien legen einen Schluss nahe, der im Folgenden näher zu begründen sein wird: Nach hier vertretener Ansicht kann die rechtsethische Rekonstruktion des Nichtdiskriminierungsrechts der EMRK am besten gelingen, wenn diese an das Prinzip der Gerechtigkeit und die diesem innewohnende Rationalität anknüpft.1452 Damit sind folgende Fragen aufgeworfen: Was ist politisch-soziale Gerechtigkeit?1453 Wie lassen sich aus dem Gerechtigkeitsbegriff Gerechtigkeitsprinzipien generieren? Inwiefern weisen diese Gerechtigkeitsprinzipien gegenüber den anderen ethischen Prinzipien eine überlegene Tauglichkeit auf?
1452
Die Verwiesenheit des Gleichheitsrechts auf Gerechtigkeitsvorstellungen ist vielfach gesehen worden und heute nahezu unstreitig, vgl. dazu Matthias Mahlmann, Elemente einer ethischen Grundrechtstheorie, Baden-Baden 2008, S. 413, 438 ff. Der hier bezweckten rechtsethischen Rekonstruktion des Nichtdiskriminierungsrechts geht es daher weniger um die einfache Behauptung einer Deutungskategorie als vielmehr um den Mehrwert der Rationalität, den eine ethische Betrachtung von Diskriminierungsfällen unter Prinzipien der Gerechtigkeit leistet. Da die rechtsethische Rekonstruktion insoweit ein spezifisches Verständnis des Verhältnisses von Recht und Ethik voraussetzt, handelt es sich nicht bloß um die ethische „Verdoppelung“ eines ursprünglich rechtlichen Problems. Die Methode der rechtsethischen Rekonstruktion ist anwendungsbezogen, indem sie auf die ethische Verbesserung der Rechtspraxis zielt (vgl. dazu oben S. 424 f.). 1453
Aus der unübersehbaren Literatur zur politisch-sozialen Gerechtigkeit seien drei exemplarisch genannt: Alexander Hollerbach, Reflexionen über Gerechtigkeit, in: Norbert Brieskorn/Johannes Müller (Hrsg.), Gerechtigkeit und soziale Ordnung: für Walter Kerber, Freiburg [u.a.], 1996, S. 42 ff.; Josef Pieper, Das Viergespann: Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mass, München 1991, S. 65 ff.; Gosepath (Fn. 14), S. 29 ff.
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Der folgenden Diskussion des Gerechtigkeitsbegriffs ist eine begrifflich-theoretische Selbstdisziplinierung vorauszuschicken: Genau wie es im Recht nicht um das Ganze der Moral geht, wie Immanuel Kant1454 gezeigt hat, stellen auch Gleichbehandlungs- und Nichtdiskriminierungsrecht nicht das Ganze der Gerechtigkeit dar.1455
a) Die aristotelische Gerechtigkeitsdifferenzierung und die Rationalität des Gerechtigkeitsdiskurses Die entscheidende und die Debatte bis heute strukturierende Rationalität wird von Aristoteles, der sich auf eine Erwähnung im Platonischen Alterswerk, Nomoi,1456 stützen kann, an den Gerechtigkeitsbegriff herangetragen. Es handelt sich um die Bestimmung der Gerechtigkeit durch die Differenzierung in verteilende und ausgleichende Gerechtigkeit (in thomistischer Terminologie: iustitia distributiva und iustitia
1454
Bei Kant findet sich eine formale und eine materiale Unterscheidung von Recht und Moral. Der materiale Unterschied betrifft den Inhalt der jeweiligen Pflichten, nämlich Rechts- und Tugendpflichten. Zudem unterscheidet Kant Recht und Moral auf eine formale Weise, indem er nach dem jeweils wirksamen Gesetzgeber fragt: Juridische Gesetze, die zu bloß pflichtgemäßen Handeln auffordern, sind abzusetzen von ethischen Gesetzen, die ein Handeln aus Pflicht verlangen. Die Triebfeder bei Handlungen aus Pflicht ist die „Achtung vor dem Gesetz“, das heißt die Wertschätzung des Gesetzes und die Unterordnung der eigenen Willkür unter dieses. Eine genauere Bestimmung der Triebfeder bei pflichtgemäßem Handeln liefert Kant nicht. Motivation zu pflichtgemäßem Handeln kann daher auch und vor allem auf Lust und Unlust zurückgeführt werden (z.B. Furcht vor Strafe). Die juridische Gesetzgebung kann sich nur auf äußerliche Handlungen beziehen, die ethische auf äußerliche und innere Handlungen. Die ethische Gesetzgebung stellt zugleich die Forderung zu einer bestimmten Maximenbildung auf. Man kann in Bezug auf die juridische Gesetzgebung auch von einer „äußerlichen“ Gesetzgebung sprechen, das heißt einer Gesetzgebung „von außen“. Demgegenüber kann ethische Gesetzgebung nie äußerlich sein, niemand außer mir selbst kann eine bestimmte Maximenbildung bei mir erwirken. Dies zeigt, dass Kant Recht und Moral hinsichtlich der Form der Gesetzgebung unterscheidet: Der Gesetzgeber, der man selbst sein kann (bei der ethischen Gesetzgebung) oder ein anderer (bei der juridischen Gesetzgebung), ist immer Repräsentant der praktischen Vernunft, vgl. Kant (Fn. 1074), MdS, S. 218 ff. (Von der Einteilung einer Metaphysik der Sitten). 1455 1456
Im Ergebnis auch Ladwig (Fn. 342), S. 290. Platon (Fn. 28), Nomoi, 697b, 744b f., 849 ff., 757a ff.
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commutativa sive correctiva).1457 Erst diese aristotelische Unterscheidung macht es möglich, die Gerechtigkeit im Kontext des Gleichheitsrechts zu einem orientierungsstiftenden Prinzip werden zu lassen. In grober Näherung hat es die Verteilungsgerechtigkeit bei Aristoteles mit der richtigen Verteilung von Gütern und Lasten in Rechtsverhältnissen zwischen Individuum und politischer Gemeinschaft zu tun, während es Sache der Ausgleichsgerechtigkeit ist, in Vertragsbeziehungen für die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung bzw. in Fällen der Schadenszufügung für gerechten Ausgleich zu sorgen.1458 Die beiden Erscheinungsformen der Gerechtigkeit beziehen sich auf zwei unterschiedliche Gleichheitsverhältnisse: das Verhältnis arithmetischer Gleichheit und das Verhältnis geometrischer Gleichheit. Der Wirkungsbereich der ausgleichenden Gerechtigkeitsform und damit der arithmetischen Gleichheit liegt für Aristoteles in Rechtsverhältnissen, die durch eine Gleichordnung der an ihr beteiligten Rechtssubjekte gekennzeichnet ist, oder, wie Aristoteles formuliert, den „Beziehungen von Mensch zu Mensch.“1459 Die Menschen (oder – bei Aristoteles – diejenigen, die seinem exklusiven Bürgerbegriff unterfallen) stehen aufgrund ihrer sozialen Interaktion immer schon in solchen Rechtsverhältnissen zu anderen und in einer Beziehung der Gleichheit zueinander. Kommt es in diesen Verhältnissen der Gleichordnung dennoch zu Ungleichheit, etwa weil der Käufer über den Preis getäuscht wurde, ist diese Ungleichheit auszugleichen bzw. richtigzustellen. Die Wiederherstellung der Gleichheit und damit die Einlösung der Forderung nach Gerechtigkeit erfolgt nach dem Prinzip der arithmetischen Gleichheit: „[D]as Gesetz schaut nur auf den Unterschied zwischen Höhe (des Unrechts und) des Schadens, es betrachtet die Partner als gleich – ob der 1457 Aristoteles (Fn. 28), Nikomachische Ethik, V 5, 1130b 30 ff. Genau genommen handelt es sich um die partikulare Gerechtigkeit, die hier Gegenstand ist. Die umfassende Gerechtigkeit bezieht sich auf die gesamte einforderbare Moral, vgl. Gosepath (Fn. 14), S. 73. Zum Thema der Gerechtigkeit als Gleichheit bei Aristoteles s. Rüdiger Bubner, „Gerechtigkeit herrscht, wo jeder das Seinige tut“, in: Peter Fischer (Hrsg.), Freiheit oder Gerechtigkeit: Perspektiven Politischer Philosophie, Leipzig 1995, S. 176 ff.; Günther Bien, Gerechtigkeit bei Aristoteles (V), in: Otfried Höffe (Hrsg.), Aristoteles: Die Nikomachische Ethik, Berlin 1995, S. 135 ff.; Böckenförde (Fn. 1359), S. 115-120; Matthias Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, Baden-Baden 2010, § 1 III 2 b) S. 37 ff., Rn. 55 ff. 1458 1459
Vgl. Gosepath (Fn. 14), S. 76. Aristoteles (Fn. 28), Nikomachische Ethik, V 7, 1131b 26.
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eine das Unrecht getan und der andere es erlitten hat, ob der eine den Schaden verursacht und der andere davon betroffen worden ist.“1460 Ein anderes Gleichheitsverhältnis, das geometrische oder proportionale, liegt dem Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit zugrunde. Gerechtigkeit in Form der Verteilungsgerechtigkeit besteht für Aristoteles in der künstlichen Schaffung oder Aufrechterhaltung einer anteilsmäßigen Gleichheit. In dieser anteilsmäßigen Gleichbehandlungspflicht kommt schon sprachlich zum Ausdruck, dass – jedenfalls im Ausgangspunkt – Rücksicht auf diejenigen faktischen Ungleichheiten zu nehmen ist, die für die Herstellung von Gleichheit Relevanz besitzen.1461 Gleiche Personen sollen also Gleiches, Ungleiche Ungleiches erhalten. Damit ist allerdings keine natürlich-biologische Gleichheit der Menschen gemeint, die Aristoteles ablehnen würde, sondern eine politisch-soziale Kategorie. Späterhin wurde dies in der unscharfen Idiopragieformel, „Jedem das Seine“ (suum cuique), ausgedrückt.1462 Die Bemessungsgrundlage der Verteilungsgerechtigkeit ist für Aristoteles die „Angemessenheit“.1463 Wie diese Angemessenheit allerdings näherhin zu bestimmen ist, welche der de facto unter den Menschen bestehenden Unterschiede berücksichtigt werden dürfen, ist auch schon für Aristoteles – da es sich bei der distributiven Gleichheit um eine politische Konzeption handelt – umstritten.1464 Die Angemessenheit von Verteilungen sieht Aristoteles in Abhängigkeit zur jeweiligen Staatsform: In der Demokratie gelte ein anderer Verteilungsschlüssel als in einer Aristokratie oder einer Monarchie. Das Zuteilungsprinzip der geometrischen Gleichheit beruht auf einer „Gleichheit der Verhältnisse“. Aus der Definition der Proportionalität folgt, dass dann ein gerechter Zustand herrscht, wenn das Verhältnis der Personen A und B zueinander nach Zuweisung von Gütern im Verhältnis zum Ausgangszustand proportional gleich bleibt, allerdings immer unter der Voraussetzung, dass vorher (proportionale) Gleichheit bestand: „(...) wie sich das Glied A zu B verhält, so C zu D.
1460 1461
Aristoteles (Fn. 28), Nikomachische Ethik, V 7, 1132a 1. Vgl. Bubner (Fn. 1457), S. 179.
1462
Corpus Iuris Civilis, Digestorum seu Pandectarum, Liber Primus, Tit. 1, §10: „Ulpianus lib. 1 Regularum. Justitia est constans & perpetua voluntas jus suum cuique tribuendi.“ 1463 1464
Aristoteles (Fn. 28), Nikomachische Ethik, V 6, 1131a 25. Vgl. Aristoteles (Fn. 28), Nikomachische Ethik, V 5 1131a 29.
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Und folglich mit Vertauschung der Stellen: wie A zu C, so verhält sich B zu D.“1465 Gegenstand der Verteilungsgerechtigkeit ist die Aufteilung öffentlicher Güter, also etwa politischer Ämter sowie die Verteilung öffentlicher Finanzmittel.1466 Die Verteilung öffentlicher Güter ist eine politische Angelegenheit und hängt in erster Linie von der Machtverteilung im Staat und der Einrichtung der staatlichen Institutionen ab. Der erste Wirkungsbereich der distributiven Gerechtigkeit ist daher nach Aristoteles die Staatsorganisation. Erst in zweiter Hinsicht kommen das Handeln des Staates gegenüber dem Bürger und damit individuelle Rechtsverhältnisse in den Blick; auch dieses individualgerichtete Staatshandeln hat nach dem Prinzip der distributiven Gerechtigkeit und damit nach proportionalen Kriterien zu erfolgen. In diesem zweiten Wirkungsbereich der Verteilungsgerechtigkeit geht es um die Zuteilung von materiellen, quantifizierbaren Gütern. Aristoteles nennt etwa die „Verteilung aus gemeinsamen Geldmitteln“.1467
b) Die Generierung der Gerechtigkeitsprinzipien aus dem Gerechtigkeitsbegriff Aus dem aristotelischen Gerechtigkeitsbegriff und seiner Differenzierung zwischen iustitia distributiva und iustitia correctiva lassen sich durch Abstraktion zwei rechtsethische Prinzipien der Gerechtigkeit gewinnen. Mit dieser Ablösung vom aristotelischen Ursprung soll zugleich der Gefahr einer falschen Vereinnahmung der Gerechtigkeitsarten für rechtsdogmatische Zwecke vorgebeugt werden, die Stefan Huster aufgezeigt hat: Die Rechtsbegriffe der Gleichbehandlung oder der Rechtegleichheit (etwa in Art. 3 Abs. 1 GG oder Art. 5 ZP 7 EMRK) liegen mit den aristotelischen Begriffen der arithmetischen und geometrischen Gleichheit nicht auf einer Ebene.1468 Damit ist gemeint, dass die Identifizierung von Gleichbehandlung und arithmetischer Gleichheit sowie von Ungleichbehandlung und geometrischer Gleichheit unzulässig ist, denn auch letztere kann durchaus zur Gleichbe-
1465 1466
Aristoteles (Fn. 28), Nikomachische Ethik, V 6, 1131b 6. S. Aristoteles (Fn. 28), Nikomachische Ethik, V 6, 1131a 25 ff.; V 7, 1131b
29 ff. 1467 1468
Aristoteles (Fn. 28), Nikomachische Ethik, V 7, 1139b 29. Huster (Fn. 215), S. 37-39.
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handlung (bei gleicher „Würdigkeit“) führen.1469 Letztlich sind die aristotelischen Gerechtigkeitsarten Zielbegriffe, die einen Gerechtigkeitszustand vorstellen, während gleichheitsrechtliche Kategorien, wie zum Beispiel die Begriffe der Gleichbehandlung oder der Nichtdiskriminierung, Handlungsbegriffe sind. Auf diese kategoriale Verschiedenheit nimmt die Rede vom rechtsethischen Gerechtigkeitsprinzip Rücksicht und kann so die Gefahr der unzulässigen Ineinssetzung von Rechtsnormgehalt und philosophischer Begrifflichkeit umgehen. Aus dem Gerechtigkeitsprinzip selbst folgt weder eine Pflicht zur bzw. ein Anspruch auf Gleich- oder Ungleichbehandlung noch eine inhaltliche Antwort auf die Frage, welche Gleichheiten die entscheidenden sind, vielmehr geht es um die Ermöglichung der rechtsethischen Erfassung der gleichheitsrechtlichen Praxis. Die Abstraktion von der aristotelischen Begrifflichkeit besteht nun darin, dass die Sphäre der jeweiligen Rechtspraxis – bürgerlicher Rechtsverkehr einerseits, öffentlicher Rechtsverkehr andererseits – anders als bei Aristoteles nicht mehr darüber zu bestimmen hat, welche Art der Gerechtigkeit einschlägig ist. Sofern für eine ethische Erfassung der jeweiligen Rechtspraxis überhaupt Gerechtigkeitskategorien einschlägig sind,1470 kann nach der hier vertretenen These diese rechtliche Praxis grundsätzlich unter einem korrektiven oder distributiven Gerechtigkeitsprinzip rekonstruiert werden. Das zur Anwendung kommende Gerechtigkeitsprinzip wird nicht abstrakt durch die Natur des Rechtsverhältnisses oder dem Status der an ihm Beteiligten bestimmt. Die Prinzipien werden lediglich als verschiedene Betrachtungsweisen der jeweils relevanten Rechtspraxis angesehen. Allerdings kann sich die Betrachtung der Rechtspraxis durch ein bestimmtes Prinzip eher empfehlen als durch das andere. Die Vorzugswürdigkeit des einen vor dem anderen Gerechtigkeitsprinzip bei der Betrachtung der gleichheitsrechtlichen Praxis soll hier mit den drei Kriterien der rechtsethischen Rekonstruktion (Adäquanz, Kohärenz und konzeptionelle Orientierung) begründet werden. Wie lassen sich das korrektive und das distributive Gerechtigkeitsprinzip unterscheiden? Konstitutiver Unterschied zwischen den beiden Prinzipien der Gerechtigkeit bleibt die Struktur des zugrunde liegenden Gleichheitsverhältnisses: das der arithmetischen Gleichheit im Fall der 1469 1470
Huster (Fn. 215), S. 38.
Nicht alle Bereiche des Rechts zeichnen sich durch einen Primärbezug zur Gerechtigkeit aus, vgl. John Gardner, Discrimination as Injustice, OJLS 16 (1996), p. 353, 354.
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korrektiven Gerechtigkeit, das der geometrischen Gleichheit im Fall der distributiven Gerechtigkeit.1471 In beiden Verhältnissen kann es zu Störungen des Gleichheitsverhältnisses kommen: In der arithmetischen Betrachtung ergibt sich die Verletzung aus einem Zuviel oder Zuwenig hinsichtlich eines Rechtsguts, wobei das Ziel die strikte (formale) Gleichheit der Rechtsgüter zwischen Personen ist. Die Art und Weise der Herstellung oder Herbeiführung dieses Ziels, also die Reflexion auf die Mittel, liegt jedoch außerhalb des korrektiven Gerechtigkeitsprinzips.1472 In der geometrischen Perspektive kommt es zu einer Benachteiligung durch ein Zuviel oder Zuwenig hinsichtlich eines Rechtsguts, wobei das Ziel die angemessene Verteilung der Rechtsgüter zwischen den Personen ist. Ebenso wie zuvor ist die Frage, wie diese Angemessenheit ins Werk zu setzen ist, unter Verweis auf das distributive Gerechtigkeitsprinzip allein nicht möglich. Hierzu bedarf es einer anwendungsbezogenen Gerechtigkeitskonzeption, die unten vorgestellt wird.
c) Folgen für die rechtsethische Rekonstruktion Was folgt aus den beiden Gerechtigkeitsprinzipien für die rechtsethische Rekonstruktion? Das Prinzip der korrektiven Gerechtigkeit betrachtet Rechtspflichten als Nichtschädigungspflichten. Für dieses korrektive Gerechtigkeitsprinzip sind Kategorien wie Absicht, Verletzung, Unrecht, Zurechnung und Verschulden konstitutiv.1473 Die (abstrakte) Nichtschädigungspflicht, die unter das korrektive Gerechtigkeitsprinzip fällt, wird verletzt, wenn die Betrachtung der relativen Güterzustände von mindestens zwei Personen ergibt, dass es durch eine zurechenbare Handlung zu einem „Mehr“ auf der einen und einem „Weniger“ auf der anderen Seite gekommen ist. Dieser, der korrektiven Gerechtigkeit widersprechende Güterzustand wird durch Subtraktion und Addition ausgeglichen.1474 Die Störung des arithmetischen Gleichheits-
1471
Diesen Unterschied hält auch Gardner für den letztlich entscheidenden, vgl. Gardner (Fn. 1470), p. 357 f. 1472
Entscheidend ist, dass im Fall der arithmetischen Gleichheit zwischen dem Ziel der strikten Gleichheit der Güter und dem Mittel zur Herstellung dieser Gleichheit unterschieden wird; die korrektive Gerechtigkeit hat das Ziel der strikten Gleichheit im Blick, gibt aber nicht die Mittel dazu an. 1473
Zu einigen Kategorien der korrektiven Gerechtigkeit (im Zusammenhang mit der Erklärung des Schadensersatzrechts) s. Coleman (Fn. 1362), p. 9 f. 1474
Vgl. Gardner (Fn. 1470), p. 358.
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verhältnisses des korrektiven Gerechtigkeitsprinzips bezeichnet diese Arbeit als „Verkürzung“. Davon ist das Prinzip der verteilenden Gerechtigkeit abzusetzen. In dieser Perspektive fordert die Gerechtigkeit die gerechte Verteilung von Gütern und Lasten. Für einen solchen eher prospektiv ausgerichteten Verteilungsansatz sind Kategorien wie Verteilungsgegenstand, Verteilungsverpflichteter, Verteilungssphären, Benachteiligung und gerechtfertigte Ungleichheiten in der Verteilung maßgebend. Die im Rahmen des Verteilungsansatzes relevanten Fragen sind: Wie sieht die gerechte Verteilung der Güter und Lasten aus? Wer ist für welche Verteilungssphäre verantwortlich? Unter welchen Bedingungen ist von gerechtfertigten Ungleichheiten in der Verteilung auszugehen? Die Störung des geometrischen Gleichheitsverhältnisses des distributiven Gerechtigkeitsprinzips wird hier als „(ungerechte) Verteilung“ angesprochen.
d) Der Gegenstand der diskriminierungsspezifischen Gerechtigkeitsforderung: Gerechte Behandlung hinsichtlich der Mittel des So-Sein-Könnens aa) Gerechtigkeitsprinzipien, Gerechtigkeitsmaßstab und Gegenstand der Gerechtigkeitsforderung Die beiden Prinzipien der Gerechtigkeit geben Betrachtungsweisen des Rechts an, unter ihnen lässt sich rechtliche Praxis ethisch rekonstruieren. Diese Betrachtungsweisen bestehen zunächst abstrakt, d.h. losgelöst vom menschenrechtlichen Gleichheitsproblem. Mit anderen Worten können diverse Rechtsbereiche, sofern gerechtigkeitssensitiv, unter dem korrektiven bzw. distributiven Gerechtigkeitsprinzip rekonstruiert werden. Hier geht es aber nun um einen bestimmten Ausschnitt aus der rechtlichen Praxis, nämlich der Praxis des konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrechts. Um das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK rechtsethisch rekonstruieren zu können, bedarf es nicht nur der Gerechtigkeitsprinzipien, die ja nur ein Sich-Zu-Etwas-Verhalten oder eine Betrachtungsweise angeben, sondern auch eines Gerechtigkeitsmaßstabs, der angibt, was in ungerechter Weise verkürzt bzw. verteilt wird. Erst auf dieser Grundlage, den Gerechtigkeitsprinzipien und dem diskriminierungsspezifischen Gerechtigkeitsmaßstab, ergibt sich das „Worumwillen“ der Nichtdiskriminierung: Wenn gewiss ist, unter welchem ethischen Prinzip und unter welchem ethischen Maßstab die Praxis des
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Nichtdiskriminierungsrechts zu rekonstruieren ist, dann kann angegeben werden, worum es dieser Praxis geht.
bb) Mittel des So-Sein-Könnens als diskriminierungsspezifischer Maßstab der Gerechtigkeit Nach hier vertretener Ansicht besteht der Maßstab der diskriminierungsspezifischen Gerechtigkeit in den Mitteln des So-Sein-Könnens von Personen. Die Mittel des So-Sein-Könnens bezeichnen diejenigen (materiellen und immateriellen) Güter, die Bedingung für die Verwirklichung des eigenen Lebensplans sind. Dies muss im Folgenden näher entwickelt werden. aaa) Der „Mittel“-Aspekt Aus der hier maßgeblichen Perspektive des Rechts kommt es auf den Aspekt der „Mittel“ und nicht den des „So-Sein-Könnens“ als solchen an. So hat die Bereitstellung dieser Mittel unabhängig davon zu erfolgen, ob eine Person von diesen Mitteln tatsächlich Gebrauch machen will. Beispielsweise ist die Eigentumsgarantie auch dem Kommunisten, die Eheschließungsfreiheit auch dem katholischen Priester zu gewährleisten. Zudem handelt es sich – im Anwendungskontext des Rechts – bei diesen Mitteln um „Güter“ in einem weiten Verständnis, die staatlicherseits bereitgestellt, gesichert oder verwaltet werden. Wiewohl es sich um „Güter“ handelt, ist der Begriff des „Mittels“ angebrachter. Dies hängt mit einer Perspektivenwahl zusammen: Aus der Perspektive des Gewährleisters, des Staates, handelt es sich um (knappe) Güter. Aus der hier relevanten Sicht des betroffenen Akteurs handelt es sich um Mittel zur Durchführung bzw. Ermöglichung seines Lebensplans. Ebenso ist der Begriff des „Mittels“ dem der „Bedingung“ des So-SeinKönnens vorzuziehen: So mag ich es als Mittel meines So-SeinKönnens begreifen, dass das Alter nicht zur Einstellungsvoraussetzung für meinen Wunschberuf gemacht wird. Aus der Akteurperspektive ist die Nichtanknüpfung von Nachteilen an das Alter ein Mittel, um den eigenen Lebensplan zu verwirklichen. Der Begriff des Mittels unterstreicht darüber hinaus den wichtigen Aspekt der Selbstverantwortung des eigenen So-Seins1475 und die Befähigung dazu, den empowermentAspekt, durch die Bereitstellung dieser Güter. 1475
Die Verantwortung für das So-Sein-Können des Einzelnen obliegt weder primär noch allein dem Staat, sondern in erster Linie dem Einzelnen selbst
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Schließlich ist in Bezug auf den Mittel-Aspekt von Bedeutung, dass eine Diskussion vorliegend im Anwendungskontext des Rechts erfolgt: Zu den Charakteristika dieses Anwendungskontextes gehören, wie oben dargelegt, die Verhaltensbezogenheit, das Bestehen von Rechtspflichten sowie die binäre Unterscheidung von Recht und Unrecht.1476 Daraus folgt eine Verengung des Kreises möglicher Mittel des So-Sein-Könnens auf solche, die Gegenstand von Rechtspflichten sowie entsprechender Ansprüche sein können. Eine große Anzahl an Mitteln des So-SeinKönnens, die nicht Gegenstand des Rechts und seines Anwendungskontextes sein können, scheiden damit von vornherein aus, wie z.B. Regeln des Anstandes oder der Höflichkeit. bbb) Der Aspekt des „So-Sein-Könnens“ Die Bedeutung des soeben dargelegten „Mittel“-Aspekts entbindet im Anwendungskontext des Rechts ein Stück weit von der Aufgabe, eine umfassende Theorie des So-Seins von Personen zu entwickeln. Jede inhaltliche Ausfüllung des Begriffs des So-Seins von Personen muss am Paternalismusargument scheitern: Das Recht hat individuelles So-SeinKönnen zu sichern, nicht aber ein So-Sein inhaltlich vorzugeben. Dennoch besteht ein unabweisbares rechtspraktisches Bedürfnis zu wissen, welche Mittel relevant im Hinblick auf das „So-Sein-Können“ sind und welche nicht. Dies macht eine Eingrenzung des Aspekts des „So-SeinKönnens“ notwendig. Im Ausgangspunkt ist klar, dass es – in Ermangelung einer objektiven, allgemein anerkannten Theorie des So-Seins – eine abschließende Liste diesbezüglicher Mittel nicht gibt noch jemals geben kann. Unbestritten ist aber ebenso, dass dem Recht im Zusammenhang mit dem So-SeinKönnen von Personen Bedeutung zukommt: Das Recht und seine Ausgestaltung haben So-Sein-Könnens-Relevanz. Um sich dem Begriff des So-Sein-Könnens zu nähern, könnte man dessen unleugbaren Bezug zu dem dargelegten kantischen Würdebegriff aufgreifen: Die Mittel des So-Sein-Könnens benennen lebensweltliche Güter, die einem selbstbestimmten Dasein dienlich sind, sie sind – kantisch gesprochen – Bedingungen der Möglichkeit (realer) Selbstbestimmung. Die Mittel des So-Sein-Könnens ermöglichen also Autonomie, (ähnlich auch Peter Axer, Soziale Gleichheit – Voraussetzung oder Aufgabe der Verfassung?, VVDStRL 68 (2009), S. 177, 185). 1476
Zu den Charakteristika des rechtlichen Anwendungskontextes vgl. oben S. 412 f.
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sie sind dieser vorgelagert. Dabei ist jedoch ein grundlegender Unterschied zum kantischen Autonomiebegriff zu beachten, der das So-SeinKönnen zugleich von der Würdeproblematik abgrenzt: Der Begriff des „So-Sein-Könnens“ kann nicht einfach mit dem kantischen Autonomiebegriff gleichgesetzt werden. Der Begriff des So-Sein-Könnens ist wesentlich weiter, indem er nicht nur eine Selbstgesetzgebung im Ethischen meint, sondern ein umfassendes Selbst-Sein-Können impliziert, z.B. in ästhetischer, sozialer und emotionaler Hinsicht. Das So-SeinKönnen wird hier nicht formal-abstrakt – als Fähigkeit zu einer bestimmten, geistigen Tätigkeit, d.i. der Selbstgesetzgebung –, sondern inhaltlich-konkret – als Möglichkeit der Selbstbestimmung in sämtlichen lebensplanrelevanten Kontexten – verstanden. Als eine inhaltliche Ausformulierung des „So-Sein-Könnens“ lässt sich die „Liste der menschlichen Grundfähigkeiten“ von Martha C. Nussbaum lesen.1477 Diese Liste erscheint als ein brauchbarer Ansatz, um die 1477
Die Liste der menschlichen Fähigkeiten nach Martha C. Nussbaum (Fn. 618), S. 200 ff. lautet: „1. Die Fähigkeit, ein menschliches Leben von normaler Länge zu leben, nicht vorzeitig zu sterben oder zu sterben, bevor das Leben so reduziert ist, daß es nicht mehr lebenswert ist. 2. Die Fähigkeit, sich guter Gesundheit zu erfreuen, sich angemessen zu ernähren, eine angemessene Unterkunft und Möglichkeiten zu sexueller Befriedigung zu haben, sich in Fragen der Reproduktion frei entscheiden und sich von einem Ort zu einem anderen bewegen zu können. 3. Die Fähigkeit, unnötigen Schmerz zu vermeiden und freudvolle Erlebnisse zu haben. 4. Die Fähigkeit, seine Sinne und seine Phantasie zu gebrauchen, zu denken und zu urteilen – und diese Dinge in einer Art und Weise zu tun, die durch eine angemessene Erziehung geleistet ist, zu der auch (aber nicht nur) Lesen und Schreiben sowie mathematische Grundkenntnisse und eine wissenschaftliche Grundausbildung gehören. Die Fähigkeit, seine Phantasie und sein Denkvermögen zum Erleben und Hervorbringen von geistig bereichernden Werken und Ereignissen der eigenen Wahl zu den Gebieten der Religion, Literatur, Musik usw. einzusetzen. Der Schutz dieser Fähigkeiten, so glaube ich, erfordert nicht nur die Bereitstellung von Bildungsmöglichkeiten, sondern auch gesetzliche Garantien für politische und künstlerische Meinungsfreiheit sowie für Religionsfreiheit. 5. Die Fähigkeit, Beziehungen zu Dingen und Menschen außerhalb unserer selbst einzugehen, diejenigen zu lieben, die uns lieben und für uns sorgen, traurig über ihre Abwesenheit zu sein, allgemein Liebe, Kummer, Sehnsucht und Dankbarkeit zu empfinden. Diese Fähigkeit zu unterstützen bedeutet, Formen
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relevanten Mittel (bzw. „Fähigkeiten“ im Sinne Nussbaums und Sens), die das So-Sein-Können von Personen zum Gegenstand haben, identifizieren zu können. Allerdings müsste diese Liste nicht aus einer Fähigkeitsperspektive, sondern aus einer Mittelperspektive interpretiert werden.1478 Eine solche Interpretation würde über die Ziele der vorliegenden Arbeit hinausgreifen; zudem genügt es für die Zwecke der rechtsethischen Rekonstruktion, die verschiedenen Mittel des So-SeinKönnens abstrakt zu benennen.
des menschlichen Miteinanders zu unterstützen, die nachweisbar eine große Bedeutung für die menschliche Entwicklung haben. 6. Die Fähigkeit, eine Vorstellung des Guten zu entwickeln und kritische Überlegungen zur eigenen Lebensplanung anzustellen. Dies schließt heutzutage die Fähigkeit ein, einer beruflichen Tätigkeit außer Haus nachzugehen und am politischen Leben teilzunehmen. 7. Die Fähigkeit, mit anderen und für andere zu leben, andere Menschen zu verstehen und Anteil an ihrem Leben zu nehmen, verschiedene soziale Kontakte zu pflegen; die Fähigkeit, sich die Situation eines anderen Menschen vorzustellen und Mitleid zu empfinden; die Fähigkeit, Gerechtigkeit zu üben und Freundschaften zu pflegen. Diese Fähigkeiten zu schützen bedeutet abermals, Institutionen zu schützen, die solche Formen des Miteinanders darstellen, und die Versammlungs- und politische Redefreiheit zu schützen. 8. Die Fähigkeit, in Verbundenheit mit Tieren, Pflanzen und der ganzen Natur zu leben und sie pfleglich zu behandeln. 9. Die Fähigkeit, zu lachen, zu spielen, sich an erholsamen Tätigkeiten zu erfreuen. 10. Die Fähigkeit, sein eigenes Leben und nicht das eines anderen zu leben. Das bedeutet, gewisse Garantien zu haben, daß keine Eingriffe in besonders persönlichkeitsbestimmende Entscheidungen wie Heiraten, Gebären, sexuelle Präferenzen, Sprache und Arbeit stattfinden. 10a. Die Fähigkeit, sein Leben in seiner eigenen Umgebung und seinem eigenen Kontext zu führen. Dies heißt Garantien für Versammlungsfreiheit und gegen ungerechtfertigte Durchsuchungen und Festnahmen; es bedeutet auch eine gewisse Garantie für die Unantastbarkeit des persönlichen Eigentums, wenngleich diese Garantie durch die Erfordernisse sozialer Gerechtigkeit auf verschiedene Weise eingeschränkt werden kann und im Zusammenhang mit der Interpretation der anderen Fähigkeiten immer verhandelbar ist, da das persönliche Eigentum im Gegensatz zur persönlichen Freiheit ein Mittel und kein Selbstzweck ist.“ 1478
Interessanterweise gibt Nussbaum zu der Mittel-Interpretation bereits selbst in dieser Liste Hinweise, vgl. Nussbaum (Fn. 618), S. 200 ff., Nr. 4, 5, 6, 7, 10 und 10a.
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ccc) Drei Gruppen von „Mitteln des So-Sein-Könnens“ Welches sind nun die Mittel des So-Sein-Könnens, die den diskriminierungsspezifischen Gerechtigkeitsmaßstab angeben? Die Mittel des SoSein-Könnens sind offenkundig höchst vielfältig. Für den vorliegenden Kontext des Nichtdiskriminierungsrechts lassen sich drei Arten dieser Mittel ausmachen: Sicherlich zählen erstens alle (Grund-)Rechte, die menschliche Freiheit sichern, wie die Freiheit der Kommunikation, des Eigentums oder der Familiengründung, dazu. All diese Rechte dienen der Möglichkeit der Selbstbestimmung in lebensplanrelevanten Kontexten. Doch nicht nur gewisse fundamentale Rechte gehören zu den Mitteln des So-Sein-Könnens. Es ist oben bereits festgehalten worden, dass der entscheidende inhaltliche Unterschied zwischen „verdächtigen“ und „einfachen“ personenbezogenen Differenzierungsgründen darin besteht, dass nur bei den „verdächtigen“ Differenzierungsgründen die Nichtanknüpfung von Nachteilen an den Differenzierungsgrund selbst als ein Mittel des So-Sein-Könnens angesehen werden muss.1479 Mittel des So-Sein-Könnens ist daher zweitens auch das Interesse an der nachteilslosen Belassung in meinem So-Sein, also die Freiheit, so zu sein, wie ich bin und wie ich sein will. Zum So-Sein von Personen wird man drittens auch weitere individuelle Interessen und faktische Begünstigungen des Einzelnen zählen müssen, die zwar nicht Gegenstand subjektiver Rechte, aber gleichwohl im weiteren Sinne im Bereich staatlicher Verantwortung bzw. Beeinflussbarkeit liegen, wie z.B. das individuelle Interesse am umweltschonenden Umgang mit knappen Ressourcen, das Interesse an der Gewährleistung einer stabilen Sicherheitslage in einem Staat, das Interesse am Vorhandensein sozialer Wohnungsbauprogramme etc. Diese Interessen und Begünstigungen werden hier als „sonstige“ Mittel des So-Sein-Könnens bezeichnet. Diese Faktoren können einen Einfluss auf das So-Sein von Personen haben, etwa wenn in einem bestimmten Stadtbezirk die Sicherheitslage den Schulbesuch der Kinder erheblich erschwert. Ferner ist das So-Sein-Können von Personen in dieser Hinsicht betroffen, wenn Beeinträchtigungen durch menschlich veranlasste Umweltveränderungen (z.B. Trinkwasserverschmutzung) sich zulasten nur bestimm-
1479
Ähnlich auch Somek (Fn. 88), S. 382 ff., der den Zweck des Diskriminierungsverbots maßgeblich in dem Schutz des Einzelnen vor Überdeterminierung sieht. S. dazu ausführlich oben S. 180 ff.
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ter sozialer Gruppen auswirken, während andere verschont bleiben.1480 Die Mittel des So-Sein-Könnens beziehen sich in diesem Fall auf bestimmte Maßnahmen zur Herbeiführung, der Ermöglichung oder der Erleichterung des So-Sein-Könnens, wie etwa die Verstärkung der Polizeipräsenz auf öffentlichen Straßen, die Einrichtung von Check-Points und gesicherten Zonen, Umweltschutzmaßnahmen, Wohnungsbeschaffungsmaßnahmen und ggf. staatliche Kompensation. In diese Kategorie der nicht-subjektivrechtlich ausgestalteten Mittel des So-Sein-Könnens fällt die Abgrenzung nicht leicht zu den bloßen Bedingungen der objektiven Lebenswelt, in die der Einzelne gestellt und die Teil des von ihm, nicht vom Staat zu verantwortenden, individuellen Schicksals ist. Was als diskriminierungssensitives Mittel des So-Sein-Könnens betrachtet wird und was eine – aus Sicht des Nichtdiskriminierungsrechts irrelevante – bloße Begünstigung oder einen hinzunehmenden Umweltfaktor darstellt, lässt sich nicht letztgültig beantworten. Hier spielen soziale Anschauungen, Veränderungen der Technik und der Fortschritt der Wissenschaften allgemein eine wichtige Rolle. Ein Ansatzpunkt könnte auch hier wieder Nussbaums Liste der menschlichen Grundfähigkeiten sein.1481 Von Bedeutung ist, dass dieser Bereich für das Nichtdiskriminierungsrecht erschlossen wird, dass es hier zu relevanten Ungleichheiten kommen kann, für die das Diskriminierungsverbot die rechtliche Antwort ist. ddd) Mittel des So-Sein-Könnens und „Grundgüter“ bzw. „Fähigkeiten“ Die so verstandenen Mittel des So-Sein-Könnens haben eine gewisse Ähnlichkeit mit den rawlsschen „Grundgütern“ („basic goods“), indem sie von den Personen für sich zur Verwirklichung ihrer Lebenspläne erstrebt werden.1482 Allerdings sind die Mittel des So-Sein-Könnens von Personen nicht abschließend aufzählbar, da es sich nicht um Allzweckgüter handelt – wie bei Rawls –, sondern um konkrete Positionen im Einzelfall. Da die rechtsethische Rekonstruktion keinen einer philosophischen Gerechtigkeitstheorie vergleichbaren Anspruch hinsichtlich der Abgeschlossenheit, Allgemeinheit und Systematizität stellt, ist eine Aufzählung der Mittel des So-Sein-Könnens auch gar nicht erforder1480
Vgl. Jorge Daniel Taillant, Environmental Discrimination, Yearbook of Human Rights & Environment 2008, pp. 239-251. 1481 1482
Vgl. dazu oben S. 466. Zu den „Grundgütern“ vgl. bereits oben S. 17 ff.
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lich. Wegen dieser prinzipiellen Unabgeschlossenheit können sich die Mittel des So-Sein-Könnens im Rahmen einer rechtsethischen Rekonstruktion auch nicht aus einer Konzeption der Person ergeben wie in Rawls’ Theorie, sondern sie sind in einer konkreten, lebensweltlichen Betrachtung zu ermitteln. Die Mittel des So-Sein-Könnens von Personen sind eher vergleichbar mit den „Fähigkeiten“ („capabilities“) im Sinne von Amartya Sen.1483 Auch die Mittel des So-Sein-Könnens sind (mit-)konstitutiv für die Freiheit einer Person. Anders als die Fähigkeiten im Sinne Sens handelt es sich aber durchaus um (teilweise auch quantifizierbare) Güter, wie etwa der Anspruch auf Elterngeld, weiterhin auch die Meinungsfreiheit oder die Teilnahme an universitären Examen. Zudem liegen „Mittel“ und „Fähigkeiten“ nicht auf einer Ebene, sondern letztere sind abstrakter. eee) Zusammenfassung Folgendes ist an dieser Stelle festzuhalten: Den Ausgangspunkt bildete die Frage nach einem diskriminierungsspezifischen Gerechtigkeitsmaßstab, also die Frage, was Gegenstand der Gerechtigkeitsforderung in Diskriminierungsfällen ist. Hierfür wird der Maßstab der „Mittel des So-Sein-Könnens“ vorgeschlagen. „So-Sein-Können“ meint in diesem Zusammenhang die Möglichkeit der Selbstbestimmung in lebensplanrelevanten Kontexten des Rechts. Der Begriff des So-Sein-Könnens darf nicht mit dem enger verstandenen Autonomiebegriff Kants gleichgesetzt werden. Es lassen sich drei Arten der Mittel des So-Sein-Könnens – als Bedingungen der Möglichkeit von Selbstbestimmung in lebensplanrelevanten Kontexten des Rechts – angeben: Erstens die Gewährleistung bestimmter fundamentaler Rechte des Einzelnen, zweitens die Gewährleistung der Freiheit, so zu sein, wie man ist oder sein will, und drittens die Gewährleistung bestimmter, nicht-subjektivrechtlicher Mittel des So-Sein-Könnens.
cc) Die drei Normzwecke des Diskriminierungsverbots Die Diskussion der Gerechtigkeitsprinzipien ergab, dass das diskriminierungsspezifische Unrechtsverhalten einmal in einer ungerechten „Verkürzung“ in einem arithmetischen Gleichheitsverhältnis zwischen 1483
Zu den „Fähigkeiten“ vgl. bereits oben S. 21 ff.
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mindestens zwei Personen oder einer ungerechten „Verteilung“ in einem geometrischen Gleichheitsverhältnis zwischen mindestens zwei Personen bestehen kann. Die Diskussion der Gerechtigkeitsmaßstäbe erlaubte die Formulierung des Gegenstandes der Gerechtigkeitsforderung in Diskriminierungsfällen, nämlich die gerechte Behandlung hinsichtlich der Mittel des So-Sein-Könnens. Beide Diskussionsstränge sind nunmehr zusammenzuführen, indem die Frage nach dem „Worumwillen“, dem telos, der Nichtdiskriminierungspraxis gefragt wird: Aus welchem Grund sind Diskriminierungsverbote ethisch gefordert? Und in der Sprache des Rechts: Was ist der Normzweck des Diskriminierungsverbots? Wenn die aufgrund der Gerechtigkeitsprinzipien nunmehr angebbare Gerechtigkeitsverletzung in einer bestimmten „Verkürzung“ bzw. bestimmten Verteilung besteht, dann lassen sich – je nach dem Mittel des So-Sein-Könnens als Gerechtigkeitsmaßstab – drei Normzwecke des Diskriminierungsverbots entwickeln: Der erste, grundlegende Normzweck des Diskriminierungsverbots besteht darin, den Einzelnen vor einer ungerechten Verkürzung von subjektiven Rechten zu schützen. Der zweite Normzweck des Diskriminierungsverbots lässt sich dahingehend formulieren, dass der Einzelne geschützt werden soll vor der ungerechten Verkürzung seiner Freiheit, so zu sein, wie er ist bzw. wie er sein will. Der dritte Normzweck des Diskriminierungsverbots besteht darin, den Einzelnen vor einer ungerechten Verteilung der sonstigen Mittel des So-Sein-Könnens zu schützen.
dd) Die Ungerechtigkeit der Verkürzung bzw. von bestimmten Verteilungen von Mitteln des So-Sein-Könnens Damit ist die rechtsethische Rekonstruktion des konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrechts aber noch nicht am Ende. Bislang sind abstrakte Normzwecke des Diskriminierungsverbots angegeben worden, die sich aus der Verbindung von Gerechtigkeitsprinzip und Gerechtigkeitsmaßstab ergaben. Diese Angabe verlangt aber noch nach einer Präzisierung: Worin besteht die Ungerechtigkeit, vor der das Diskriminierungsverbot den Einzelnen schützen soll? Aus dem oben zum Gerechtigkeitsmaßstab Gesagten folgt, dass das Diskriminierungsverbot den Einzelnen vor einer ethisch nicht gerechtfertigten Verkürzung bzw. einer ethisch nicht gerechtfertigten Verteilung der Mittel des SoSein-Könnens schützen soll. Aus welchem Grund und in welchen Fällen sind solche Verkürzungen bzw. Verteilungen „ungerecht“? Diese Frage verlässt die Betrachtung des Rechts und führt, das ist klar, in die
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4. Teil
Tiefe der Ethik. Eine philosophisch befriedigende Antwort kann hier nicht gegeben werden. Sie ist mit den Mitteln einer rechtsethischen Rekonstruktion nicht erreichbar, allerdings im Hinblick auf die praktischen Zwecke der rechtsethischen Rekonstruktion auch entbehrlich. Es ist eingangs bereits erwähnt worden, dass sich mit der Methode einer rechtsethischen Rekonstruktion keine philosophischen Probleme lösen lassen. Hier soll eine mögliche Antwort nur angedeutet werden. In Anlehnung an Ernst Tugendhat lässt sich zur Frage der ethischen Beurteilung von Ungleichbehandlungen Folgendes sagen: Primäre Diskriminierungen, d.h. auf Wertunterschieden zwischen Personen beruhende Ungleichbehandlungen, sind deswegen ethisch nicht gerechtfertigt, weil sich unter den Bedingungen der neuzeitlichen praktischen Vernunft nur eine Moral der gleichen Achtung begründen lässt. Sekundäre Diskriminationen, d.h. Ungleich- bzw. Gleichbehandlungen, denen keine Wertunterscheidung zugrunde liegt, können durch drei Erwägungen gerechtfertigt sein: „Bedürfnis (das hungrige Kind), Verdienst im engeren Sinn (Leistung), erworbene Rechte (das Versprechen der Mutter).“1484 Als den letzten Grund dieser Gerechtigkeitsauffassung kann mit Stefan Gosepath auf das „Prinzip der gegenseitigen Rechtfertigung“ hingewiesen werden: „Der eigentliche Sinn moralischer Gleichheit ist durch das Prinzip der gegenseitigen Rechtfertigung expliziert. Eine Person zeigt einer anderen nicht die geforderte Achtung, wenn sie auf die Aufforderung zu einer Rechtfertigung auf eine Art und Weise antwortet, von der sie weiß oder begründet vermuten kann, daß die andere Person diese nicht akzeptieren kann“ [Hervorhebung im Original, Verf.].1485 Die Ungerechtigkeit der Diskriminierung besteht nach dieser Ansicht zusammengefasst also darin, dass der Grund für die Ungleich- bzw. Gleichbehandlung einer moralischen Überprüfung nicht standhalten kann, entweder weil er gegen die Moral der gleichen Achtung verstößt oder es sich nicht um die akzeptierbaren Gründe des Bedürfnisses, des Verdienstes oder des erworbenen Rechts handelt. Damit ergibt sich für den Normzweck der Diskriminierungsverbote Folgendes: Diskriminierungsverbote dienen dem Schutz des Einzelnen vor einer ungerechten Behandlung hinsichtlich der Mittel seines So-Sein-Könnens, wobei die Ungerechtigkeit in der ethisch nicht vertretbaren Verbindung von einem personenbezogenen Differenzierungsgrund und der benachteili1484 1485
Tugendhat (Fn. 342), S. 378. Gosepath (Fn. 14), S. 154 f.
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genden Behandlung besteht. Mit diesen Überlegungen kann nun die Tauglichkeit der Gerechtigkeitsprinzipien als rechtsethische Prinzipien des konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrechts untersucht werden.
2. Tauglichkeitstest a) Einleitung Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die beiden Gerechtigkeitsprinzipien zur rechtsethischen Rekonstruktion des Nichtdiskriminierungsrechts der EMRK tauglich sind und der Rechtspraxis des EGMR innewohnen. Eine These dieser Arbeit lautet, dass das dem Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK zugrunde liegende rechtsethische Prinzip Gerechtigkeitsprinzipien sind. Mit welchem Recht darf man nun das ethische Prinzip des Nichtdiskriminierungsrechts der EMRK in der Gerechtigkeit verorten? Wiewohl der Zusammenhang zwischen Gleichheitsbzw. Nichtdiskriminierungsrecht und Gerechtigkeit keineswegs neu ist, kann diese These jedoch nicht als selbstverständlich gelten. Wie John Gardner aufschlussreich bemerkt, kommt der Gerechtigkeit auf der Primärebene der Rechtspflichten nicht in allen Bereichen des Rechts Bedeutung zu (z.B. sei die Pflicht, nicht fahrlässig zu handeln, keine Gerechtigkeitspflicht); auf der Sekundärebene der Rechtsdurchsetzung (vor Gericht) spiele die Gerechtigkeit dagegen stets eine Rolle.1486 Es kann nicht einfach unterstellt werden, dass das Nichtdiskriminierungsrecht eine durch Gerechtigkeitsprinzipien rekonstruierbare Praxis darstelle, sondern der Zusammenhang von Gleichheitsrecht und Gerechtigkeit bedarf der methodischen Begründung. Diese „Brücke“ zwischen Recht und Philosophie soll hier methodisch von der rechtsethischen Rekonstruktion der Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts geschlagen werden. Dabei ergeben sich zwei Fragen: Erstens stellt sich die Frage, unter welchem Gerechtigkeitsprinzip die Ausprägungen des Diskriminierungsverbots, wie sie sich in der Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts finden, ethisch zu rekonstruieren sind und, zweitens, ob sich die so gefundenen Ergebnisse in Einklang mit den grundlegenden Urteilen des EGMR zum Nichtdiskriminierungsrecht bringen lassen.
1486
Gardner (Fn. 1470), p. 354.
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4. Teil
b) Die Gerechtigkeitsprinzipien der Ausprägungen des subjektivrechtlichen Diskriminierungsverbots Im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit sind die drei Ausprägungen des subjektivrechtlichen Diskriminierungsverbots aus einer Typologie der diskriminierenden Verhaltensweisen gewonnen worden: Das relevante Verhalten liegt bei der direkten Diskriminierung darin, dass die ungleiche bzw. gleiche Behandlung von Personen Handlungszweck ist, bei der indirekten Diskriminierung in der Herbeiführung einer ungleichen Behandlung als Handlungserfolg und bei der passiven Diskriminierung in der Herbeiführung des Handlungserfolgs durch Nichtbehandlung. Das Diskriminierungsverbot identifiziert diese Verhaltensweisen durch die oben dargelegte Dogmatik. Der Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts lassen sich – wie nachfolgend gezeigt wird – Gerechtigkeitsprinzipien zuordnen. An dieser Stelle soll das Ergebnis dieser Zuordnung vorweggenommen werden: Ausprägung des Gleichheitsrechts
Gerechtigkeitsprinzip
Direkte Diskriminierung
Korrektiv
Indirekte Diskriminierung
Distributiv
Passive Diskriminierung
Distributiv
Abb. 1 Zuweisung der Gerechtigkeitsprinzipien
c) Korrektive Gerechtigkeit und das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK Rekonstruiert man einen gleichheitsrechtlichen Sachverhalt ethisch unter dem Prinzip der korrektiven Gerechtigkeit, so ist jeweils fraglich, ob die Ungleichbehandlung eine zurechenbare Verletzung des Nichtdiskriminierungsrechts darstellt. Das korrektive Gerechtigkeitsprinzip sensibilisiert den Betrachter für eine ex post-Betrachtung der Güterzustände: Gab es einen Akt der Bereicherung, der Zunahme oder der Infragestellung auf der einen und eine Verminderung der Mittel des SoSein-Könnens auf der anderen Seite?
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Die Rekonstruktion des Nichtdiskriminierungsrechts aus einem korrektiven Gerechtigkeitsprinzip liegt nahe bei der direkten Diskriminierung durch Ungleichbehandlung. In der Literatur zum Diskriminierungsrecht besteht, sofern man die Einschlägigkeit der Gerechtigkeit für das Gleichheitsrecht bejaht, weitgehende Einigkeit darüber, dass das Phänomen der direkten Diskriminierung mit der korrektiven Gerechtigkeit in Verbindung steht.1487 Im Einklang mit dieser Ansicht verdient das korrektive Gerechtigkeitsprinzip auch bei der rechtsethischen Rekonstruktion der direkten Diskriminierung durch Ungleichbehandlung unter der EMRK den Vorzug über das distributive Gerechtigkeitsparadigma aus folgenden Erwägungen: Erstens passt die unter einem korrektiven Gerechtigkeitsparadigma verwendete Terminologie besser zu der gleichheitsrechtlichen Praxis der direkten Diskriminierung. Die Rechtspraxis der direkten Diskriminierung kann angemessen durch Begriffe erfasst werden wie Absicht, Verletzung, Unrecht, Zurechnung und Verschulden. Diese, im Zusammenhang mit dem korrektiven Gerechtigkeitsprinzip stehenden Begriffe sind in der Lage, die verlangte konzeptionelle Orientierung zu leisten. Als Beispiel können hier die Rassismus-Fälle des EGMR (zum Beispiel Nachova1488 und Bekos1489) dienen, in denen es jeweils darum ging, eine „rassistische Absicht“ oder „Motivation“ (objektiv) in den Handlungen von Amtsträgern aufzuzeigen. Im Fall Bekos wird dies anhand folgender Formulierungen deutlich: “[T]he Court’s task is to establish whether or not racism was a causal factor in the impugned conduct of the police officers so as to give rise to a breach of Article 14 of the Convention taken in conjunction with Article 3” [Hervorhebung nicht im Original, Verf.].1490 “[The Court’s, Verf.] sole concern is to ascertain whether in the case at hand the treatment inflicted on the applicants was
1487
So John Gardner, Liberals and Unlawful Discrimination, OJLS 9 (1989), pp. 1-22; vgl. auch Andrew J. Morris, On The Normative Foundations of Indirect Discrimination Law: Understanding the Competing Models of Discrimination Law as Aristotelian Forms of Justice, OJLS 15 (1995), pp. 199-228 passim: In seinem Artikel verteidigt Morris u.a. die problematische Ansicht, dass auch indirekte Diskriminierung einem Ideal der korrektiven Gerechtigkeit folgt; zur berechtigten Kritik an diesem Ansatz s. Gardner [Fn. 1487]). 1488
EGMR (GK), 06.07.2005, Nachova, RJD 2005-VII = EuGRZ 2005, S.
693. 1489 1490
EGMR, 13.12.2005, Bekos, RJD 2005-XIII. EGMR, 13.12.2005, Bekos, RJD 2005-XIII, § 64.
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4. Teil
motivated by racism” [Hervorhebung nicht im Original, Verf.].1491 Das Diskriminierungsunrecht wird im Fall direkter Diskriminierung unter dem korrektiven Gerechtigkeitsprinzip erfasst als eine zurechenbare, qualifizierte „Verletzung“. Zweitens geht es – der Natur der Sache nach – bei direkten Diskriminierungen um durch bestimmte Ungleich- und Gleichbehandlungen hervorgerufene Verletzungen einer Nichtschädigungspflicht und nicht um die ungerechte Verteilung von Vor- und Nachteilen in einer Gesellschaft. Die Verletzung der Nichtschädigungspflicht besteht im Fall der direkten Diskriminierung durch Ungleichbehandlung darin, dass individuelle Mittel des So-Sein-Könnens – wie etwa die Fortbewegungsfreiheit oder die Berufsfreiheit – in ethisch nicht gerechtfertigter Weise verkürzt werden. Die Verkürzung der Mittel des So-Sein-Könnens aufgrund der Ungleichbehandlung ist ethisch nicht gerechtfertigt, weil sie der Moral der gleichen Achtung widerspricht oder sonst kein moralisch akzeptierbarer Grund für die Ungleichbehandlung (Bedürfnis, Verdienst, erworbene Rechte) vorliegt.
d) Distributive Gerechtigkeit und das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK Wie oben dargelegt, kann die gleichheitsrechtliche Praxis auch unter dem distributiven Gerechtigkeitsprinzip betrachtet werden. In dieser Perspektive der verteilenden Gerechtigkeit werden bestimmte Behandlungen als Benachteiligung kritisierbar, weil sie einer gerechten Güterund Lastenverteilung widersprechen. Die subtileren Formen der indirekten und der passiven Diskriminierung lassen sich mit einem Ansatz, der maßgeblich auf die Verletzung einer Nichtschädigungspflicht abstellt, ethisch nicht adäquat erfassen, sondern hier geht es im Kern um Verteilungsprobleme.
aa) Indirekte Diskriminierung Aus der allgemeinen Struktur der indirekten Diskriminierung, so wie sie im Praxisteil dieser Arbeit entwickelt worden ist, ergibt sich, dass der wesentliche Unterschied zur direkten Diskriminierung in der Berücksichtigung der unverhältnismäßigen Belastung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen besteht.1492 Die Wirkungsungleichheit einer 1491 1492
EGMR, 13.12.2005, Bekos, RJD 2005-XIII, § 66. Dazu s. S. 273 ff.
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Norm oder Maßnahme als konstitutives Merkmal der indirekten Diskriminierung ist auch für deren rechtsethische Rekonstruktion bedeutsam.1493 Die indirekt diskriminierende Normsetzung, wenn also die erhebliche Belastung einer geschützten Personengruppe unmittelbar oder mittelbar auf eine Rechtsnorm zurückgeht, betrifft der Sache nach ethisch nicht gerechtfertigte Verteilungen (öffentlicher) Güter. An dieser Stelle sei wiederum auf den Fall Abdulaziz, Cabales und Balkandali verwiesen, in dem britische Verwaltungsvorschriften die Erteilung der Einreise- bzw. Aufenthaltserlaubnis für einen ausländischen Ehemann u.a. davon abhängig machten, dass die Ehefrau die Staatsangehörigkeit des Vereinigten Königreichs oder seiner Kolonien besaß und entweder selbst dort geboren war oder Eltern hatte, die dort geboren waren.1494 In der Praxis führte die Anwendung dieser Norm bekanntlich zu einer Verhinderung der Zuwanderung vor allem aus Ländern des Neuen Commonwealth und Pakistan.1495 Das ethische Problem, das in den Fällen der indirekt diskriminierenden Normsetzung im Vordergrund steht, ist eines der Güterverteilung (im Beispielsfall des Rechts auf Einwanderung). Dieses Verteilungsproblem lässt sich begrifflich angemessen erfassen durch Kategorien wie Verteilungsgegenstand, Verteilungsverpflichteter, Verteilungssphären und gerechtfertigte Ungleichheiten. Schwierigkeiten bereitet allerdings die rechtsethische Rekonstruktion der indirekt diskriminierenden allgemeinen Maßnahmen, also staatlicher Rechtshandlungen, in denen ein Handlungsspielraum des Akteurs besteht und die sich durch eine gewisse Häufigkeit bzw. Regelmäßigkeit auszeichnen.1496 Betrachtet man beispielsweise den Fall D.H. u.a., in dem es um die überproportionale Verweisung von Roma-Kindern in Sonderschulen ging, so kann man Zweifel daran haben, ob es sich in ethischer Hinsicht um ein Verteilungsproblem handelt.1497 Ist die Situa1493
Zum rechtsethischen Problem der indirekten Diskriminierung s. auch Fredman (Fn. 409), p. 115; George Rutherglen, Disparate Impact, Discrimination, and the Essentially Contested Concept of Equality, Ford LR 74 (2006), p. 2313. 1494
EGMR, 28.05.1985, Abdulaziz u.a., Serie A 94 = NJW 1986, S. 3007 (zum Sachverhalt s. S. 276 f.). 1495
Vgl. wiederum oben S. 276 f.
1496
Zum Problem der indirekt diskriminierenden allgemeinen Maßnahmen vgl. oben S. 279 ff. 1497
Kammerentscheidung: EGMR (K), 07.02.2006, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325/00, aufgehoben durch die Entscheidung der Großen
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tion nicht viel eher – so der mögliche Einwand – der einer menschenwürdeverletzenden Demütigung vergleichbar, die nach den obigen Ausführungen unter einem korrektiven Gerechtigkeitsprinzip rekonstruiert werden müsste? Angesichts der Intensität der erfahrenen Benachteiligung mag diese ethische Betrachtung zunächst plausibel erscheinen. Im Ergebnis kann der Einwand aber nach hier vertretener Ansicht nicht überzeugen, da er eine – mit der Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung – nicht kompatible Annahme macht: Er muss nämlich bis zu einem gewissen Grade den handelnden Akteuren eine Diskriminierungsabsicht unterstellen, die – wie oben dargelegt – aber kein Bestandteil der Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung ist.1498 Die Annahme einer menschenwürderelevanten Demütigung kann nach hier vertretener Auffassung nicht allein auf das Ergebnis institutionalisierter Praxis gestützt werden, sondern bedarf in Diskriminierungsfällen einer dahingehenden Absicht oder eines entsprechenden Bewusstseins. Dem Höchstwert der Menschenwürde wird nicht gerecht, wer die Menschenwürdeverletzung in einer reinen Output-Betrachtung, den Ergebnissen von Einzelhandlungen, verortet. Wenn man aber auch bei indirekt diskriminierenden allgemeinen Maßnahmen von jedem (möglicherweise) diskriminierenden Motiv des Akteurs abstrahieren muss, dann sind die Ergebnisse solcher Handlungen nicht mehr als Verstöße gegen Nichtschädigungspflichten (wie unter dem korrektiven Gerechtigkeitsprinzip) ethisch rekonstruierbar, sondern letztlich nur als Verteilungsproblem. Als Beispiel sei der Fall Zarb Adami angeführt, in dem es um die überproportionale Heranziehung von Männern zum Schöffendienst ging. Die ethische Erfassung durch ein distributives Gerechtigkeitsprinzip wird nahegelegt durch folgende Formulierungen: “The discrimination at issue was on the contrary based on what the applicant described as a well-established practice, characterised by a number of factors, such as the manner in which the lists of jurors were compiled and the criteria for exemption from jury service. As a result, only a negligible percentage of women were called to serve as jurors” [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.].1499 Hier wird deutlich, dass es nicht um die Zurechnung von Diskriminierungsunrecht, die Verletzung einer Nichtschädigungspflicht geht, wie im Fall der direkten Diskriminierung durch Ungleichbehandlung, sondern es handelt sich um die Kammer: EGMR (GK), 13.11.2007, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325/00 = NJW 2008, S. 533 (zum Sachverhalt s. S. 281 f.). 1498 1499
Vgl. dazu S. 301 f. EGMR, 20.6.2006, Zarb Adami, Nr. 17209/02, § 75.
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Frage, wie öffentliche Belastungen (in diesem Fall der Schöffendienst) zu verteilen sind. Die Verteilung dieser öffentlichen Belastungen muss gerecht sein, d.h. es darf sich weder um eine primäre Diskriminierung noch um eine sekundäre Diskrimination handeln. Eine primäre Diskriminierung, d.h. eine solche Ungleichbehandlung, der eine Wertunterscheidung zwischen Personen vorausliegt, ist hier nicht erkennbar. Eine sekundäre Diskriminierung ist dann ethisch kritisierbar, wenn die Ungleichbehandlung nicht auf den anerkannten Gründen des Bedürfnisses, des Verdienstes oder der erworbenen Rechte beruht.1500 Im Fall Zarb Adami muss daher der Vortrag der Regierung zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung von Männern und Frauen ethisch gewürdigt werden: “In the instant case, the Government argued that the difference in treatment depended on a number of factors. In the first place, jurors were chosen from the part of the population which was active in the economy and in the professions. Moreover, according to Article 604 (3) of the CC, an exemption from jury service might be granted to persons who had to take care of their family. More women than men could successfully invoke such provision. Finally, ‘for reasons of cultural orientation’, defence lawyers might have had a tendency to challenge female jurors” [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.].1501 Diese Begründung der Ungleichbehandlung von Männern und Frauen ist ethisch nicht haltbar; sie stützt sich auf Stereotypen (“jurors were chosen from the part of the population which was active in the economy and in the professions”), traditionelle Rollenbilder (“an exemption from jury service might be granted to persons who had to take care of their family”) und Vorurteile in der Bevölkerung („reasons of cultural orientation“). Auf anerkannte ethische Gründe kann sich die Ungleichbehandlung nicht berufen. Wie lässt sich die Ungerechtigkeit der Verteilung von Gütern und Lasten im Fall der indirekten Diskriminierung näher charakterisieren? Die Ungerechtigkeit durch bestimmte Ungleichbehandlungen wird unter dem korrektiven Gerechtigkeitsprinzip auf Verletzungshandlungen und die sie begleitende oder motivierende subjektive Dimension des Handelnden zurückgeführt. Man könnte daher formulieren, dass es sich im 1500 1501
S. dazu oben S. 474.
EGMR, 20.6.2006, Zarb Adami, Nr. 17209/02, § 81 [Hervorhebungen nicht im Original, Verf.].
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Fall der direkten Diskriminierung um eine Input-begründete Ungerechtigkeit handelt. Anders liegt es im Fall der indirekten Diskriminierung. Hier kommt, wie dargelegt, der Wirkungs- oder Output-Seite der Ungleichbehandlung von vornherein eine ethisch relevante Bedeutung zu. Worin besteht das spezifische Verteilungsproblem bei der indirekten Diskriminierung, das deren Erfassung unter einem distributiven Gerechtigkeitsprinzip nahelegt? Das distributive Gerechtigkeitsproblem, auf das die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung antwortet, besteht darin, dass verzerrte Verteilungsstrukturen bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten begünstigen und perpetuieren, ohne dass dies der handelnden Institution oder dem Akteur in jedem Fall bewusst ist. Diese verzerrten Verteilungsstrukturen gründen auf akzeptierten Standards, gesellschaftlichen Konventionen oder Rollenverteilungen, die regelmäßig oder typischerweise zum Nachteil von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen wirken.1502 Die Beeinträchtigung durch äußerlich unverdächtiges Handeln trifft in der Regel – aber nicht notwendigerweise1503 – Angehörige historisch benachteiligter, im politischsozialen Deliberationsprozess unterrepräsentierter gesellschaftlicher Gruppen, etwa Menschen mit Behinderungen, Homosexuelle, ethnische Minderheiten etc. Die Ungerechtigkeit, auf die die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung abzielt, ist so zumindest partiell eine strukturelle oder systemische.1504 So ist Wirkungsungleichheit aufgrund von Kollektivhandlungen, etwa Gesetzen, nicht per se ein Diskriminierungsproblem, sondern nur dann, wenn die ungleichen Wirkungen aufgrund einer systemischen Voreingenommenheit oder Präformierung mit einer gewissen Regelmäßigkeit bei bestimmten sozialen Gruppen eintreten. Die Wirkungsungleichheit ist dann ethisch nicht gerechtfertigt, wenn sie nicht mit
1502
Vgl. Loenen (Fn. 409), p. 199; Young (Fn. 1441), p. 269: “Where some groups are privileged and others oppressed, the formulation of law, policy, and the rules of private institutions tend to be biased in favor of the privileged groups, because their particular experience implicitly sets the norm.” 1503
Nach der symmetrischen Auffassung der Diskriminierung kann indirekte Diskriminierung auch Angehörige von dominanten gesellschaftlichen Gruppen treffen, s. dazu Loenen (Fn. 409), p. 205 f. 1504
Vgl. auch Choudhry (Fn. 963), p. 158, 165.
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den anerkannten Gründen für Ungleichheiten, nämlich Bedürfnis, Verdienst oder erworbenen Rechten begründet werden kann.1505 Zusammenfassend kann formuliert werden, dass die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung ungerechte Wirkungsungleichheiten erfasst, die daraus resultieren, dass die Verteilung gesellschaftlicher Vor- und Nachteile aufgrund struktureller Entscheidungen zulasten bestimmter sozialer Gruppen verzerrt ist. Für die ethische Rekonstruktion dieser in den politischen, sozialen oder kulturellen Verteilungsstrukturen begründeten Ungerechtigkeit bietet sich das distributive Gerechtigkeitsprinzip an.
bb) Passive Diskriminierung Ähnlich wie bei der indirekten Diskriminierung geht es auch bei der ethischen Erfassung der passiven Diskriminierung um eine Zustandsbetrachtung. Das ethische Problem der passiven Diskriminierung besteht in der Nichtverbesserung oder Nichtabänderung von Zuständen, für die der Staat eine Verantwortung trägt. In der Dogmatik der passiven Diskriminierung werden, wie im dritten Teil der vorliegenden Arbeit beschrieben, die Pflichten zur Gewährung von Schutz, Teilhabe und zur Durchführung besonderer Untersuchungsmaßnahmen unterschieden.1506 In der rechtsethischen Rekonstruktion lässt sich dieser Teil der Praxis der Nichtdiskriminierungsrechtsprechung am besten unter dem distributiven Gerechtigkeitsprinzip erfassen. Begrifflich und auch der Natur der Sache nach geht es im Fall der passiven Diskriminierung nicht um Verletzung eigener, d.h. im Falle der EMRK staatlicher Nichtschädigungspflichten, sondern um die (mangelhafte) Gewährleistung einer diskriminierungsfreien Umgebung. Hier geht es gewissermaßen um die „Inneneinrichtung“ einer Gesellschaft und eines politischen Systems. Die rechtsethische Rekonstruktion der passiven Diskriminierung aus einem distributiven Gerechtigkeitsprinzip lässt sich anhand der Fälle aufzeigen, die von einer Pflicht zur Teilhabeerstreckung öffentlicher Güter handeln. In diesen Fällen geht es um die gleiche Gewährung von öffentlichen Vorteilen und damit im Kern um ein Verteilungsproblem: Wegen der Güterknappheit können nicht alle anspruchsberechtigt sein. Jedoch darf keiner, der in relevanter Hinsicht mit den ursprünglich Be1505 1506
Zu den anerkannten Gründen für Ungleichheit s. oben S. 473 f. S. oben S. 304 ff.
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rechtigten „gleich“ ist, aus einem ethisch unvertretbaren Grund von der öffentlichen Vorteilsgewährung ausgeschlossen werden. Zumindest bei denjenigen Gütern, die zugleich Mittel des So-Sein-Könnens des Einzelnen darstellen, sind derivative Teilhabeansprüche anzuerkennen. So lag es beispielsweise in dem Fall Gaygusuz, in dem es um die unterschiedliche Behandlung von In- und Ausländern hinsichtlich sozialhilferechtlicher Ansprüche ging, oder in dem Fall Petrovic, in dem die Verweigerung der Erstreckung von Elterngeldzahlung auch auf Väter verhandelt wurde.1507 Diese Verteilungsproblematik bei passiver Diskriminierung lässt sich mit Hilfe des distributiven Gerechtigkeitsprinzips angemessen erfassen. Komplexer wird es, wenn man das Phänomen der Teilhabeermöglichung als von der Rechtsfigur der passiven Diskriminierung (und nicht bloß der positiven Diskriminierung) umfasst ansehen möchte.1508 Hier geht es nicht mehr um formale Teilhabeerstreckung auf an sich mitzuregelnde Fälle, sondern um die vorgelagerte Frage, wie man verteilen muss, damit – bei bestehender tatsächlicher Nutzensungleichheit – die einzelnen Berechtigten in der Lage sind, in gleicher Weise Vorteile aus den Gütern zu ziehen. Auch wenn sich dazu in der gegenwärtigen Rechtsprechung des EGMR noch keine Anschauung findet, ist die Annahme einer Pflicht zur Teilhabeermöglichung in bestimmten Fällen (v.a. im Bereich des personenbezogenen Merkmals der Behinderung) kompatibel mit dem (dritten) Normzweck des Diskriminierungsverbots, wie er hier entwickelt wurde, nämlich dem des Schutzes des Einzelnen vor einer ungerechten Verteilung der sonstigen Mittel des SoSein-Könnens. Das Bestehen einer barriere- bzw. diskriminierungsfreien Umwelt kann durchaus als (sonstiges) Mittel des So-Sein-Könnens von Personen angesehen werden. Zu beachten ist auch, dass der hier vorgeschlagene Gerechtigkeitsmaßstab der Mittel des So-Sein-Könnens, insbesondere dessen Befähigungsaspekt (empowerment), – wie oben beschrieben – in gewisser Nähe zu den „Fähigkeiten“ („capabilities“) im Sinne Amartya Sens steht.1509 Für Sen ist es gerade entscheidend, dass die Mittel in echte Fähigkeiten der Personen überführbar sind.1510 Dies
1507 EGMR, 16.09.1996, Gaygusuz, RJD 1996-IV, no. 14 = JZ 1997, S. 405; EGMR, 27.03.1998, Petrovic, RJD 1998-II, no. 67 = ÖJZ 1998, S. 516. 1508 1509 1510
Dazu s. oben S. 386. Vgl. dazu S. 472; zur Theorie Amartya Sens s. schon S. 21 ff. Vgl. nochmals S. 21.
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spräche dafür, auch die Teilhabeermöglichung als Bestandteil einer vollständigen Nichtdiskriminierungskonzeption zu fordern.
Ergebnisse des vierten Teils Der vierte Teil der Arbeit ist den verbleibenden übergreifenden Fragen gewidmet. Diese fundamentalen Fragen lassen sich in der nach einer „guten“ Gleichheitsrechtspraxis zusammenfassen. Erfordert ist ein rechtsethischer Zugang zum menschenrechtlichen Gleichheitsproblem, der eine Vermittlung von Gleichheitsrecht und Gleichheitsphilosophie ermöglicht. Dafür sind Vorarbeiten notwendig: Erstens ist, um der Gefahr einer unkritischen Übernahme philosophischer Gleichheitskonzeptionen in das Recht zu begegnen, eine Gegenüberstellung des spezifisch rechtlichen mit dem philosophischen Problem menschenrechtlicher Gleichheit angeraten. Es lassen sich bedeutsame Unterschiede hinsichtlich der jeweiligen Bezugsobjekte, des Ursprungs und der Verwirklichungssphären der menschenrechtlichen Gleichheit in Gleichheitsrecht und Gleichheitsphilosophie ausmachen. Diese Differenzen legen nahe, dass man das menschenrechtliche Gleichheitsrecht nicht einfach vor einer Folie philosophischer Gleichheitskonzeptionen lesen darf. Vielmehr bedarf es eines eigenständigen methodischen Zugriffs auf die Rationalität des außerrechtlichen Gleichheitsdiskurses, den diese Arbeit als rechtsethische Rekonstruktion des Gleichheitsrechts bezeichnet. Eine weitere Vorarbeit besteht darin, den im ersten Teil herausgearbeiteten, vorrechtlichen Gleichheitsbegriff in den Anwendungskontext des Rechts zu stellen. Dies geschieht dadurch, dass man den praktischen Begriff der Gleichheit zu einem Rechtsprinzip werden lässt. Als Prinzip aufgefasst kann der Gleichheitsbegriff nunmehr im Anwendungskontext des Rechts praktische Wirksamkeit erlangen. Dabei lassen sich das (Rechts-)Prinzip der formalen bzw. substantiellen Gleichbehandlung unterscheiden. Das Prinzip der formalen Gleichbehandlung fordert „Rücksicht auf Gleichheit“, d.h. dem als in der relevanten Hinsicht „gleich“ Erkannten soll die „gleiche“ Behandlung zuteil werden, das als „ungleich“ Erkannte soll eine andere Behandlung erfahren. Das Prinzip der formalen Gleichbehandlung erlangt im Recht auf verschiedene Weise praktische Wirksamkeit: Es gebietet die objektive Konsistenz des Entscheidens, die Unparteilichkeit der Normanwendung, die Neutralität in der Normsetzung, und es fordert die Begründbarkeit von Ungleichbehandlungen. Das Prinzip der substantiellen Gleichbehandlung verlangt nicht die „gleiche Behandlung“, sondern die Behandlung „als
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Gleicher“. Die Behandlung als Gleicher kann durchaus bedeuten, dass Personen unterschiedlich (d.h. formal ungleich) zu behandeln sind, etwa wenn an weibliche Feuerwehrleute andere Anforderungen bezüglich der körperlichen Fitness gestellt werden als an männliche. Handlungstheoretisch betrachtet ist das Prinzip der substantiellen Gleichbehandlung output-sensitiv in dem Sinne, dass es faktische Auswirkungen von Normen und sonstigen rechtlich erheblichen Maßnahmen berücksichtigt. Das Prinzip der substantiellen Gleichbehandlung und damit die Forderung der Behandlung als Gleicher formulieren in erster Linie eine „Urteilsperspektive“ (Stefan Huster) und insbesondere kein autonomes Entscheidungskriterium, ob im Einzelfall die gleichen (d.h. identischen) Rechtsfolgen anzuwenden sind oder nicht. Der Gehalt und die Konsequenzen dieser Urteilsperspektive können aber nicht sinnvoll abstrakt formuliert werden; es bedarf einer methodisch angeleiteten Betrachtung der gleichheitsrechtlichen Praxis. Nach diesen Vorarbeiten wird eine Methode vorgestellt, mit der diese Betrachtung, die Vermittlung von Gleichheitsrecht und Gleichheitsphilosophie, geleistet werden soll. Diese wird in dieser Arbeit als „Methode der rechtsethischen Rekonstruktion“ vorgeschlagen. Dieser Ansatz verfährt „rekonstruktiv“, indem er – dem Modell des Aristoteles folgend – eine bestimmte soziale Praxis, nämlich die grundlegenden Urteile des EGMR zu Fragen der menschenrechtlichen Gleichheit zum Gegenstand macht. Es handelt sich um eine rechtsethische Untersuchung, da sie auf ethische Prinzipien abstellt, die zwar dem Recht innewohnen, aber der Ethik entnommen werden. Für die rechtsethische Rekonstruktion der Praxis des Nichtdiskriminierungsrechts werden verschiedene Prinzipien angeboten: Menschenwürde, Anerkennung, politische und soziale Inklusion, Effizienz und Gerechtigkeit. Nicht alle sind gleich vorzugswürdig, sondern sie müssen ihre Tauglichkeit erst erweisen. Nach der Methode der rechtsethischen Rekonstruktion ergibt sich die Tauglichkeit aus der Fähigkeit, die Zwecke einer solchen ethischen Rekonstruktion des Rechts zu erfüllen. Diese Zwecke bestehen in der Rationalisierung der Rechtspraxis, der dogmatischen Strukturierung und der Herstellung interdisziplinärer Kompatibilität. Wenn ein ethisches Prinzip die rechtliche Praxis im Hinblick auf diese Zwecke durchsichtig macht, kann man von einem dem Recht „innewohnenden“ ethischen Prinzip sprechen. Aus diesen Erwägungen ergeben sich drei Tauglichkeitskriterien rechtsethischer Prinzipien: die Adäquanz, unter der die Fähigkeit des Prinzips zur Zweckbestimmung der Praxis verstanden wird, die Kohärenz, d.h. die Fähigkeit des Prinzips, die Phänomene der rechtlichen Praxis in einen einheitlichen Verstehenszusammenhang zu
Rechtsethik der menschenrechtlichen Gleichheit
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bringen, und schließlich die Möglichkeit der konzeptionellen Orientierung, also die Fähigkeit des Prinzips, die wesenseigentümlichen Strukturmerkmale der Rechtspraxis sichtbar zu machen. Wendet man diese Methode auf das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK an, so ergibt sich, dass sich diese rechtliche Praxis am besten unter Gerechtigkeitsprinzipien rechtsethisch rekonstruieren lässt. Dafür muss zunächst der Begriff der Gerechtigkeit aufgearbeitet werden. Im Rückgriff auf die aristotelische Grundunterscheidung von korrektiver und distributiver Gerechtigkeit lassen sich zwei Gerechtigkeitsprinzipien entwickeln, unter denen das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK ethisch rekonstruiert werden kann. Die Gerechtigkeitsprinzipien, die sich aus dem aristotelischen Gerechtigkeitsbegriff ergeben, unterscheiden sich durch das zugrunde liegende Gleichheitsverhältnis. Die rechtsethische Rekonstruktion des konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrechts, die bei den Praxisphänomenen, den Ausprägungen des subjektivrechtlichen Diskriminierungsverbots, ansetzt, macht sich zu deren ethischer Erfassung die beiden Gleichheitsverhältnisse zunutze. Nunmehr kann abstrakt der Schutzzweck des Nichtdiskriminierungsrechts angegeben werden: Das Nichtdiskriminierungsrecht schützt den Einzelnen vor der ungerechten Verkürzung bzw. der ungerechten Verteilung bestimmter Güter. Diese Güter werden sodann identifiziert als Mittel des So-Sein-Könnens von Personen. Die Mittel des So-Sein-Könnens bezeichnen diejenigen (materiellen und immateriellen) Güter, die Bedingung für die Verwirklichung des eigenen Lebensplans sind. Diese Mittel geben den Gerechtigkeitsmaßstab ab, also das, was (ungerecht) verkürzt oder verteilt wird im Falle einer Diskriminierung. Aus der Unterscheidung von drei Arten solcher Mittel des So-Sein-Könnens ergeben sich im Zusammenhang mit den beiden Gerechtigkeitsprinzipien drei Schutzzwecke des Nichtdiskriminierungsrechts: 1. Schutz des Einzelnen vor ungerechter Rechtsverkürzung, 2. Schutz des Einzelnen vor ungerechter Verkürzung der Freiheit, so zu sein, wie er ist bzw. wie er sein will, 3. Schutz des Einzelnen vor der ungerechten Verteilung von sonstigen Mitteln des So-Sein-Könnens. „Ungerecht“ meint hier „ethisch nicht gerechtfertigt“. Für die Frage, worin diese Ungerechtigkeit der Diskriminierung bestehe, lässt sich mit den Mitteln der rechtsethischen Rekonstruktion nichts gewinnen. Eine Antwort ist für die praktischen Zwecke einer rechtsethischen Rekonstruktion entbehrlich; sie ist allein der Ethik überlassen. In der Ethik
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4. Teil
wird die Ungerechtigkeit von Diskriminierungen z.T. auf einen Verstoß gegen eine Moral der gleichen Achtung gegründet. Auch Ungleichbehandlungen, die nicht auf den akzeptablen Gründen des Bedürfnisses, des Verdienstes oder des erworbenen Rechts beruhen, sind ethisch nicht gerechtfertigt und in diesem Sinne „ungerecht“. Nach der abstrakten Darlegung der Gerechtigkeitsprinzipien und ihrer Bedeutung für den Schutzzweck des Nichtdiskriminierungsrechts ist zu zeigen, dass diese Gerechtigkeitsprinzipien der gleichheitsrechtlichen Praxis des EGMR innewohnen. Dies geschieht unter Zuhilfenahme der drei Tauglichkeitskriterien Adäquanz, Kohärenz und konzeptioneller Orientierung. Dabei zeigt sich, dass die direkte Diskriminierung durch Ungleichbehandlung sich unter einem korrektiven Gerechtigkeitsprinzip der strikten Gleichbehandlung ethisch rekonstruieren lässt, die übrigen Ausprägungen des subjektivrechtlichen Diskriminierungsverbots, d.h. das Verbot indirekter und passiver Diskriminierung, aber unter einem distributiven Gerechtigkeitsprinzip. Das Nichtdiskriminierungsrecht der EMRK lässt sich also nicht unter einem einzigen Gerechtigkeitsprinzip ethisch rekonstruieren, sondern es bedarf des Rückgriffs auf beide Gerechtigkeitsprinzipien. Eine „gute“ menschenrechtliche Gleichheitsrechtspraxis ist eine solche, die sich von einem korrektiven und einem distributiven Gerechtigkeitsprinzip anleiten lässt, wobei der diskriminierungsspezifische Gerechtigkeitsmaßstab in den Mitteln des So-Sein-Könnens erblickt wird.
Das Problem des Endes (Schlussbetrachtung)
Diese Arbeit hat mit dem menschenrechtlichen Gleichheitsschutz die ethische und rechtliche Verfasstheit einer bestimmten sozialen Praxis zu ihrem Gegenstand. Die doppelte Verfasstheit der Praxis legte eine zweifache Betrachtung nahe: Die soziale Praxis des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts wurde einmal aus einer Teilnehmerperspektive („erster Ordnung“) und zum anderen aus einer Beobachterperspektive („zweiter Ordnung“) untersucht. In der Teilnehmerperspektive stellte sich als Grundfrage, wie die völkerrechtliche Rechtsprechung das menschenrechtliche Gleichheitsproblem rechtsdogmatisch erfasst, d.h. welche Kategorien, Rechtsfiguren und Lösungsmodelle das Völkerrecht zur Behandlung der gleichheitsrechtlichen Probleme bereithält. Demgegenüber hat die Beobachterperspektive die soziale Praxis der Gleichheitsrechtsprechung im Kontext der EMRK rechtsethisch zu rekonstruieren versucht. Das Problem des Endes besteht in der Erfassung des Ganzen als Einheit. In dieser Betrachtung lassen sich folgende Erkenntnisse über die Verfasstheit der sozialen Praxis der Gleichheitsrechtsprechung im Völkerrecht formulieren: 1. Das Problem menschenrechtlicher Gleichheit wird im Völkerrecht in zwei Modellen behandelt: Einerseits dem allgemeinen Gleichheitsrecht, das im Kern einen allgemeinen Gleichheitssatz enthält und hier am Beispiel des Art. 26 IPbpR dargestellt wurde, sowie, andererseits, dem Nichtdiskriminierungsrecht, das ein Diskriminierungsverbot ins Zentrum stellt, und in dieser Arbeit anhand des Art. 14 und Art. 1 ZP 12 EMRK untersucht wurde. 2. Beide gleichheitsrechtlichen Modelle gehen aus einem einheitlichen (objektivrechtlichen) Prinzip der Rechtsgleichheit als „Fluchtpunkt“ des Gleichheitsrechts hervor. Dies erklärt sich daraus, dass sich dieser „Fluchtpunkt“ des Gleichheitsrechts auf einen vorrechtlichen Gleichheitsbegriff stützt. In beiden Modellen des Gleichheitsrechts erlangt der vorrechtliche Gleichheitsbegriff letztlich als Rechtsprinzip der formalen bzw. substantiellen Gleichbehandlung praktische Wirksamkeit. 3. In rechtsdogmatischer Hinsicht ist beiden Modellen des Gleichheitsrechts gemeinsam, dass sie in erster Linie ein subjektives, modales Abwehrrecht gegen eine bestimmte Art und Weise der Behandlung des T. Altwicker, Menschenrechtlicher Gleichheitsschutz, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 223, DOI 10.1007/978-3-642-18200-6, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011. All Rights Reserved.
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Das Problem des Endes
Einzelnen durch den Staat gewähren. Die Abwehrdimension des Gleichheitsrechts wird ergänzt durch eine Schutz- und eine Teilhabedimension. 4. Das Nichtdiskriminierungsrecht unterscheidet sich durch die diesem fehlende, hier sog. „Differenzierungsallgemeinheit“ von dem allgemeinen Gleichheitsrecht. Der allgemeine völkerrechtliche Gleichheitssatz weist „Differenzierungsallgemeinheit“ auf, indem die gleichheitsrechtliche Prüfung nicht auf (qualitativ) bestimmte oder bestimmbare Differenzierungsgründe beschränkt ist, sondern jede Ungleichbehandlung von Personen rechtschutzaktivierend wirkt. 5. Es ist zu bemerken, dass sich nur in der Abwehrdimension hinreichend zwischen den beiden Modellen unterscheiden lässt. In der Schutz- und in der Teilhabedimension scheinen sich das Modell des allgemeinen Gleichheitsrechts und des Nichtdiskriminierungsrechts anzunähern. 6. Die dogmatische Strukturierung des allgemeinen völkerrechtlichen Gleichheitssatzes bereitet ernsthafte Probleme. Insbesondere fehlt es in der Rechtsprechung des UN-Menschenrechtsausschusses an einem überzeugenden Verfahren zur Klärung der Vorfrage der Vergleichbarkeit von Sachverhalten und Kriterien, aus denen sich der im Einzelfall angewendete Rechtfertigungstest vorherbestimmen ließe. Das Eingriffsmodell, das von Stefan Huster für Art. 3 Abs. 1 GG entwickelt wurde, stellt gegenüber dem Modell der Gleichheitspräsumtion des UN-Menschenrechtsausschusses den dogmatisch überzeugenderen Ansatz dar. Problematisch bleibt aber, dass das Eingriffsmodell eine sachbereichsspezifische Schutzbereichsbestimmung vorsieht, die im Völkerrecht – schon mangels hinreichender Regelungsdichte – nicht geleistet werden kann. Beide Modelle – das Modell der Gleichheitspräsumtion wie das Eingriffsmodell – machen die Sachgerechtigkeit von Behandlungen zum Gegenstand ihrer Prüfung. 7. Die Argumente gegen eine Sachgerechtigkeitsbeurteilung von solchen das Gleichheitsinteresse berührenden Behandlungen, wie sie von Alexander Somek für das nationale Gleichheitsrecht vorgetragen wurden, sollten auch auf völkerrechtlicher Ebene ernst genommen werden. Angesichts weithin fehlender (Verfassungs-)Maßstäbe im Völkerrecht scheint die Gefahr intuitiv-subjektiver Gerechtigkeitsurteile eher noch größer zu sein. Allerdings sprechen auf einer grundsätzlichen Ebene Einwände gegen das Reduktionsmodell Someks, insbesondere, dass das allgemeine Gleichheitsrecht den umfassenderen Rechtsschutz für den Einzelnen bietet.
Schlussbetrachtung
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8. Diese Arbeit sieht die Vorzugswürdigkeit des Modells des Nichtdiskriminierungsrechts nicht in erster Linie in der unzureichenden Handhabbarkeit des Sachgerechtigkeitskriteriums auf völkerrechtlicher Ebene, sondern eher darin, dass das zweite Modell rechtsdogmatisch differenzierter, und damit in gewisser Hinsicht „rationaler“ ist. 9. So besteht ein Vorteil des Modells des Nichtdiskriminierungsrechts gegenüber dem allgemeinen Gleichheitsrecht darin, dass ein allgemeiner Diskriminierungstatbestand entworfen werden kann, mit dem sich gleichheitsrechtliche Probleme dogmatisch präziser erfassen lassen und der als Ausgangspunkt für die weitere Ausdifferenzierung des Rechtsproblems herangezogen werden kann. Nach diesem allgemeinen Tatbestand setzt „Diskriminierung“ die Art und Weise einer Behandlung voraus, auf der Grundlage eines bestimmten Differenzierungsgrunds und unter Zufügung eines bestimmten Nachteils, wobei die Anwendungsbedingung der Vergleichbarkeit erfüllt sein muss und die Behandlung nicht gerechtfertigt sein darf. 10. Ein weiterer Vorteil des Nichtdiskriminierungsrechts besteht darin, dass dieses Modell das menschenrechtliche Gleichheitsproblem durch die Unterscheidung verschiedener Ausprägungen des Diskriminierungsverbots differenzierter erfassen kann, wie sich am Beispiel der EMRK zeigen lässt. Die in der Rechtsprechungspraxis des EGMR zu erkennenden Rechtsfiguren der direkten, indirekten und passiven Diskriminierung betreffen unterschiedliche Aspekte des menschenrechtlichen Gleichheitsproblems. 11. Der entscheidende dogmatische „Vorsprung“, den der EGMR in gleichheitsrechtlichen Fragen gegenüber den anderen internationalen Rechtsprechungsorganen besitzt, beruht auf seiner Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung der Rechtsfiguren betreffend die subtilen Formen der direkten Diskriminierung durch Gleichbehandlung, der indirekten und der passiven Diskriminierung. Hier hat seit dem Urteil im Fall Thlimmenos im Jahr 2000 gewissermaßen eine „Revolution“ des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts stattgefunden. Die anderen Rechtsprechungsorgane im Bereich des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes wie der UN-Menschenrechtsausschuss oder der IAGMR werden sich an dieser fortschrittlichen Dogmatik des EGMR messen lassen müssen. 12. Es hat sich gezeigt, dass sich Teilnehmer- und Beobachterperspektive in einer rechtswissenschaftlichen Untersuchung von Gleichheitsrechtsfragen ergänzen und eine strikte Trennung beider, d.h. eine vom ethischen Gleichheitsproblem abstrahierende Klärung der Dogmatik vielfach an ihre Grenzen stößt, z.B. bei der Beschreibung der Gemein-
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Das Problem des Endes
samkeiten „verdächtiger“ Differenzierungsgründe oder der Deutung des aufgrund der Akzessorietät in Art. 14 EMRK verlangten Zusammenhangs zwischen Freiheit und Gleichheit. Die rechtsdogmatische Untersuchung wies m.a.W. an den entscheidenden Punkten über sich selbst hinaus, ohne dass sie für ihr Funktionieren auf die ethische Belehrung angewiesen wäre. 13. Die Beobachterperspektive erlaubte es, über die ethische Verfasstheit der gleichheitsrechtlichen Praxis nachzudenken. Die Frage, worin eine „gute“ Verfasstheit der gleichheitsrechtlichen Rechtsprechung bestehe, zielte auf eine bestimmte Rationalität ab, die für die Praxis erst zu gewinnen ist. Methodisch gelang dies im Wege einer rechtsethischen Rekonstruktion der bestehenden Gleichheitsrechtspraxis unter der EMRK, die nach den bestimmten (grundlegenden) Entscheidungen des EGMR in gleichheitsrechtlichen Fragen innewohnenden rechtsethischen Prinzipien fragt. Die Rekonstruktionsmethode ist schwachnormativ, da sie einerseits die Rechtsprechung auf deren ethische Vernünftigkeit hin überprüfbar und damit kritisierbar macht, andererseits aber auf eine bestehende Praxis verwiesen ist und somit nur zu kontextrelativen Ergebnissen kommen kann. 14. Die Untersuchung eines Angebots rechtsethischer Prinzipien (Menschenwürde, Effizienz, Anerkennung etc.) ergab, dass sich unter der Menschenwürde zwar die Praxis zum Verbot der direkten Diskriminierung angemessen rekonstruieren lässt, nicht aber die – praktisch immer bedeutsamer werdenden – subtileren Ausprägungen des Diskriminierungsverbots (insbesondere die der indirekten Diskriminierung). 15. Die rechtsethische Rekonstruktionsmethode wies letztlich zwei Gerechtigkeitsprinzipien, das korrektive und das distributive, als die dem konventionsrechtlichen Gleichheitsrecht innewohnenden rechtsethischen Prinzipien aus. Von Bedeutung war, dass die gleichheitsrechtliche Praxis unter der EMRK sich nicht unter einem Gerechtigkeitsprinzip allein rekonstruieren ließ, sondern beide Prinzipien zur vollständigen ethischen Erfassung notwendig waren. 16. Auf dieser Grundlage ergab sich der Schutzzweck des konventionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsrechts: Das Nichtdiskriminierungsrecht schützt den Einzelnen vor der ungerechten Verkürzung bzw. der ungerechten Verteilung bestimmter Güter. Diese Güter wurden als „Mittel des So-Sein-Könnens“ beschrieben und ließen den Gerechtigkeitsmaßstab erkennen. Aus der Unterscheidung verschiedener Mittel des So-Sein-Könnens ergab sich nunmehr, dass das Nichtdiskriminierungsrecht den Einzelnen vor ungerechter Rechtsverkürzung schützt, sowie weiter vor ungerechter Verkürzung der Freiheit, so zu sein, wie
Schlussbetrachtung
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er ist bzw. wie er sein will und vor der ungerechten Verteilung von sonstigen Mitteln des So-Sein-Könnens. Die Ungerechtigkeit der Diskriminierung besteht in ihrer ethischen Unhaltbarkeit; diese zu ergründen, ist allein Sache der Ethik. 17. Für die hermeneutische Philosophie hat Hans-Georg Gadamer festgestellt, dass sie kein Problem des Anfangs kennt, dass Probleme des Anfangs eigentlich solche des Endes sind: „Das Problem des Anfangs ist, wo immer es sich stellt, in Wahrheit ein Problem des Endes.“1511 Dies gibt auch bei der Darstellung des menschenrechtlichen Gleichheitsproblems eine gewisse Berechtigung, an dieser Stelle nochmals über den Anfang nachzudenken. Das menschenrechtliche Gleichheitsproblem steht in bestimmter Weise immer am Anfang. Der Gleichheitsbegriff bleibt notwendig umstritten und mit ihm die praktischen Konsequenzen der Gleichheitsidee, die stets neu ermittelt werden müssen. Die Unabgeschlossenheit der Debatte über Gleichheit bleibt nicht ohne Folgen für das Recht: Welche Ungleichheiten verlangen ein staatliches Eingreifen, um seinen Aufgaben gerecht zu werden, und welche sind von jedem Einzelnen selbst zu verantworten? Mit den Mitteln des Rechts werden hier zeitgebunden Fragen der Gleichheit beantwortet.1512 Die Unabgeschlossenheit der Gleichheitsfrage ist das eine Problem des Anfangs, das in dieser Arbeit behandelt wurde. Ein weiteres Problem des Anfangs ist die Fortentwicklungsbedürftigkeit der Dogmatik des menschenrechtlichen Gleichheitsrechts. Es ist versucht worden, darzustellen, dass das Nichtdiskriminierungsrecht gegenüber dem allgemeinen Gleichheitsrecht das größere Innovationspotential in sich birgt. Die maßgeblichen Entwicklungen im menschenrechtlichen Gleichheitsschutz finden gegenwärtig im Rahmen des Modells des Nichtdiskriminierungsrechts statt. Dennoch befindet sich das völkerrechtliche Nichtdiskriminierungsrecht immer noch am Anfang. Zunehmend werden internationale Rechtsprechungsinstanzen aber mit komplexen gleichheitsrechtlichen Problemen konfrontiert, die eine angemessene Dogmatik erfordern. Begrüßenswert ist daher die allmählich schärfere Konturierung der Rechtsfiguren im völ1511 1512
Gadamer (Fn. 1), S. 476.
Vgl. – im Verweis auf Eckart Klein – Susanne Baer, Ungleichheit der Gleichheiten? Zur Hierarchisierung von Diskriminierungsverboten, in: Eckart Klein/Christoph Menke (Hrsg.), Universalität, Schutzmechanismen, Diskriminierungsverbote, Berlin 2008, S. 421, 423: „Um die richtige Deutung der rechtlich verbürgten Gleichheit rankt sich eine Diskussion, die nicht abgeschlossen sein kann und darf, aber immer einmal wieder ein ‚natürliches Ende‘ findet.“
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Das Problem des Endes
kerrechtlichen Menschenrechtsschutz, die die subtilen Erscheinungsweisen der Diskriminierung zum Gegenstand haben, wie die der indirekten und der passiven Diskriminierung. Zu dieser Entwicklung ist auch die – im Rahmen der direkten Diskriminierung durch Gleichbehandlung diskutierte – weitere Ausdehnung der Pflicht zur Andersbehandlung in bestimmten Kontexten zu zählen: In welchen Situationen muss der Staat in der Weise Rücksicht auf Ungleichheit nehmen, dass er bestimmte Personen oder Personengruppen anders stellt als die übrigen? Die Anwendung dieser Rechtsfiguren führt zum Teil zu schwierigen Fragen der gerechten Verteilung öffentlicher Güter. Offenkundig stellt sich in diesem Bereich die Frage nach dem geeigneten Verhältnis zwischen staatlicher Souveränität in Verteilungsfragen, die gewissermaßen die „Inneneinrichtung“ der Gesellschaft betreffen, und der Effektivität des menschenrechtlichen Diskriminierungsschutzes. Zu diesen Problemkomplexen wird zunehmend – vor allem im Bereich des regionalen europäischen Menschenrechtsschutzes – ein intensiver Dialog der nationalen und übernationalen Gerichte geführt. Damit wird ein drittes Problem des Anfangs angesprochen. Die gleichheitsrechtliche Praxis ist auf rechtsethische Belehrung nicht angewiesen, sie funktioniert als soziale Praxis auch ohne theoretische Beeinflussung von außen. In gewisser Hinsicht muss dies auch so sein; die Lösung eines Rechtsstreits darf z.B. nicht mit dem Rawlsschen Maximin-Prinzip begründet werden. Doch ist Völkerrechtsprechung als soziale Praxis gegen ihre rechtsethische Erfassung nicht immun. Im Gegenteil: Die Rechtsethik kann diese soziale Praxis über die ihr innewohnende ethische Rationalität aufklären und damit ihren eigentlichen Anfang aufzeigen. Dieser eigentliche Anfang ist der Zweck, das „Worumwillen“ der rechtlichen Praxis. Mit der Identifizierung des so verstandenen Leitbildes steht die menschenrechtliche Praxis des Gleichheitsrechts an ihrem Anfang.
Summary
Unjustified unequal treatment and discrimination are persistent phenomena. In recent years, equal protection law has gained increasing attention by international human rights adjudication bodies. In particular, the dynamic development of non-discrimination law under the European Convention on Human Rights (ECHR) in the past decade does not fall short of a “human rights’ revolution”. The Strasbourg Court is ever more willing to examine cases involving subtle forms of discrimination, such as indirect discrimination claims, and thereby takes the lead in developing a future-proof conception of nondiscrimination under public international law. The Court has turned the long-neglected non-discrimination provision in Article 14 ECHR into a powerful tool to correct inequalities within what was formerly regarded as the impermeable ‘interior design’ of state and society, e.g. treatment of minorities in social and cultural affairs, or the protection against discrimination by private individuals. The conception of non-discrimination under the ECHR is likely to become a cornerstone in the emerging European Human Rights Constitution and to influence the jurisprudence of other international human rights bodies. Because of the visible trend to apply international equal protection law (menschenrechtliches Gleichheitsrecht) to ever more complex and diverse factual situations, coupled with an increasing awareness for equality concerns, a more systematic and differentiated approach to international equal protection law is required. This in turn calls for a comprehensive analysis of the potential and limits of international equal protection law in general, and the non-discrimination conception under the ECHR in particular. A study on international equal protection law faces various questions: What is “equality”, what is “discrimination”? How does “inequality” become a problem of human rights? What are the existing models of international equal protection law? How do international human rights bodies adjudicate in equality cases? How could a conception of international equal protection law benefit from insights of political philosophy? What distinguishes the legal and the philosophical problem of
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equality? What constitutes “good” praxis of international equal protection law? The study analyzes two models of international equal protection law: first, the equal protection clause-model, as e.g. contained in Article 26 of the International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR), and, second, the non-discrimination clause-model, as e.g. embodied by Article 14 ECHR. A key contribution of this study is that nondiscrimination clauses are to be favored above a general equal protection clause at the international level. The argument for a nondiscrimination conception of equality is based on its superior doctrinal rationality. This study proceeds in four steps: After illuminating the concept of equality (Part One), this study sets out two models of international equal protection law (Part Two). It then expounds the model of non-discrimination law by a reference to the practice of nondiscrimination under the ECHR (Part Three). Finally, it concludes by an examination of the ethics of non-discrimination (Part Four). The first part deals with the concept of equality which precedes international equal protection law. This pre-legal concept of equality is a term of political philosophy. Equality is an “essentially contested concept” (William Gallie), however, it can be further elucidated in three steps: First, one may describe the objects of equality claims (who or what is equal?) as either persons or conditions. A second determination differentiates between two modes of equality claims, as being either descriptive or prescriptive. In the prescriptive mode, the tertium comparationis is itself a normative one, e.g. the right to access to public office. Prescriptive equality claims entail a threefold, relational structure: “A is equal to B regarding the relevant characteristic of X.” The prescriptive mode and the application of a certain normative tertium comparationis lead to a “normative surplus”, which – in political philosophy – is expressed in different conceptions of equality, e.g. the conception of equality of basic goods (John Rawls), equality of resources (Ronald Dworkin) or equality of capabilities (Amartya Sen). These conceptions of equality answer on the question of “equality of what?” The second part examines the models of international equal protection law. All norms of human rights’ character dealing with the problem of equality as such fall under “international equal protection law”, contrary to human rights norms which only indirectly concern equality issues, such as norms on “equal pay for equal work”. From the perspective of the objective legal order, the principle of legal equality is the common point of reference for all norms of international
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equal protection law. This principle of legal equality comprises two aspects: that of equality of rights (i.e. everybody shall have the same set of rights) and that of equal protection (i.e. everybody shall be treated equally). Some elements of the principle of legal equality, e.g. the prohibition of discrimination on the basis of race, ethnicity or sex, can be attributed the status of ius cogens. From a subjective, claim rights-related perspective, the two models of international equal protection law mentioned above need to be kept apart: the equal protection clause-model and the non-discrimination clause-model. In this study, the international equal protection clause is analyzed by reference to Article 26 ICCPR. This clause embodies a subjective, modal right against a particular way of treatment by the state. The nature of the international equal protection clause is – in contrast to that of the non-discrimination norms – determined by its generality. As visible in Article 26 ICCPR, this generality entails, first, a generality in scope, i.e. that there is no restriction regarding the object of applicability (e.g. a limitation to inequalities regarding the right to vote or the right to access to public office). Second, a generality of status, by allowing for equal treatment claims independently from claims concerning other human rights norms. The generality of status relates to the relative autonomy of the equal protection provision; this is to be denied in cases of a mere accessory status of this right, i.e. where the equal protection provision may only be invoked if the facts also fall within the scope of a freedom-right. Third, a generality regarding the grounds of differentiation is discussed. This means that the activation of the equal treatment clause is not limited to unequal treatment based on specific, personal grounds of differentiation, but allows any treatment of a person based on an unreasonable differentiation between persons or things to be challenged under the equal treatment provision. Article 26 ICCPR embodies an international equal protection clause, because it fulfills all three criteria of generality mentioned above. Three doctrinal approaches to the international equal protection clause can be distinguished. The first one is the two-pronged model of equality presumption (followed by the U.N. Human Rights Committee). According to this model, the legal analysis starts with establishing an unequal or equal treatment of similarly situated persons or conditions, which is then submitted to (different) justification tests (e.g. arbitrariness review or a proportionality test). Two other models which were originally designed for a national equal protection clause can be tested for their suitability for the international plane: The three-pronged encroachment-model advocated by Stefan Huster offers a more stringent
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approach to equality, especially by allowing for specific scope of the international equal protection clause (consisting in the “right to be treated as an equal”), and a distinction between so-called “internal” and “external” purposes justifying unequal treatment. A third model, the so-called reduction-model by Alexander Somek, criticizes the extension of review in equal treatment cases beyond non-discrimination analysis. Equal treatment, according to this model, should not be stretched so far as to entail a general right to reasonable treatment. None of these models is entirely convincing. As a discussion of these approaches suggests, the doctrinal design of the international equal protection clause is inherently problematic. The first equality presumptionmodel lacks a sufficient criterion for distinguishing relevant from irrelevant inequalities. A second shortcoming of the equality presumptionmodel is that no systematic approach to the justification-stage is offered. Huster’s encroachment-model proposes a superior theoretical approach to the equal protection clause. However, if this model is used on the international plane, the determination of what it means to be treated as an equal will – in the absence of an international constitutional law – often be difficult, if not illusory. Somek’s reduction approach is problematic in cases such as Article 26 ICCPR where a norm contains both equal protection models. Keeping the shortcomings of these approaches to the equal protection clause-model in mind, this study then turns to the non-discrimination approach to international equal protection law. In legal terminology, “discrimination” in its pejorative meaning first appeared in U.S. law in th the mid-19 century, especially in trade law and fundamental rights law. In public international law, “non-discrimination” as a legal concept only became established after the Second World War. The general concept of discrimination consists of five elements (allgemeiner Diskriminierungstatbestand): 1. a way of treatment, 2. a (particular) ground of differentiation, 3. the infliction of a (particular) disadvantage, 4. comparability, 5. non-justification of the treatment. This general concept of discrimination provides the base line from which – in the third part of this study – the jurisprudence of the European Court of Human Rights on non-discrimination can be analyzed. Taking into account the jurisprudence of the Strasbourg Court, the general concept of discrimination can be reformulated as follows:
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1. unequal-, equal- or non-treatment of a person, 2. in comparison to similarly situated persons, 3. a) where the treatment is based on a person-related ground of differentiation, or b) where the treatment is based on a (seemingly) neutral ground of differentiation, but significantly burdens a protected group, or a general measure with the same effect, or c) where the non-treatment violates a positive duty as against that person, and 4. the (non-)treatment leads to a disadvantage of that person, 5. and cannot be justified. A distinguishing feature of the non-discrimination provision in Article 14 ECHR is its accessory nature, i.e. that it has no independent existence but its protection is only activated if the facts fall “within the ambit” of one or more of the substantive rights or freedoms of the Convention. The accessory nature of Article 14 ECHR serves to restrict the Court’s jurisdiction in politically sensitive areas (e.g., historically, the treatment of minorities), to exclude socioeconomic problems, and to reduce fears held by the contracting states about further encroachments on their sovereignty. There still is significant disagreement as to the ambit-doctrine. According to the (here) so-called interaction-approach favored by this study, the “ambit” of a substantive right or freedom should be determined in light of the meaning and purpose of the nondiscrimination provision (which is discussed below). A second feature of the non-discrimination conception under the ECHR concerns the grounds of differentiation. Here, the distinction between “simple” and “suspect” grounds (a terminology not used by the Court) is crucial. Both “simple” grounds (such as the grounds of language or political opinion) and “suspect” grounds (such as the grounds of sex, sexual orientation, religion or race and ethnicity) are person-related grounds of discrimination. Unequal treatment based on grounds which are in no way related to personal characteristics cannot be challenged under Article 14 or Article 1 Prot. 12 ECHR. The question of justification of unequal treatment is crucial for the limits of equal protection. The model used for the justification of unequal treatment can be called relational-external, where the justification is drawn from external purposes (such as the protection of the traditional role of the family). At present, the Strasbourg Court’s does not employ a relational-individual model which in U.S. legal terminology is equiva-
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lent to a model of accommodation. Applying this model would open up the possibility of justification by reducing the disadvantageous effects of unequal treatment in individual cases. In the jurisprudence of the Strasbourg Court, three forms of nondiscrimination as a claim right can be distinguished: the prohibition of direct, indirect and passive discrimination. ‘Direct discrimination’ occurs when a person is treated unequally or equally in comparison to similarly situated persons on the basis of a (personal) ground of differentiation which inflicts a disadvantage on the person and cannot be justified. Since the Thlimmenos case (2000), the Court has also accepted claims based on direct discrimination by equal treatment. As of now, the Court has assumed a duty to treat persons differently in cases involving norms of abstract and general character which do not sufficiently differentiate concerning religious matters. Such a duty was rejected in cases involving a difference in lifestyle (e.g. due to ethnicity in the Roma cases). The two areas in which the Strasbourg Court has been particularly innovative in recent years concern the more subtle forms of discrimination: indirect and passive discrimination. Here, the Strasbourg jurisprudence offers by far the most advanced approach compared to other regional and international human rights adjudication bodies. ‘Indirect discrimination’ under the ECHR means unequal treatment of a person in comparison to similarly situated persons where the treatment is based on a (seemingly) neutral ground of differentiation, but significantly burdens a protected group, or a general measure with the same effect, which inflicts a disadvantage on that person and cannot be justified. One doctrinal problem concerns the question what constitutes a “significant burden” of a protected group. The Court follows a caseby-case approach, but will usually require a statistical disparity between the privileged and the non-privileged group to exceed 20 %. The prohibition of ‘passive discrimination’ is a very recent development in ECHR jurisprudence. The basic notion behind passive discrimination is that there can be violations of the non-discrimination provision in Article 14 and Article 1 Prot. 12 ECHR in cases where the state remains inactive despite a duty to act. These so-called equal protection duties are positive duties of the state geared towards the protection against (some instances of) discrimination by private individuals, equal access to certain goods or services, and the effective investigation of discrimination cases involving grave forms of violence. ‘Passive discrimination’ can be understood as non-treatment of a person, in comparison to similarly situated persons, where the non-treatment violates a posi-
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tive duty as against that person, leads to a disadvantage of that person, and cannot be justified. The doctrine of positive obligation to protect a person against discrimination by private individuals under the ECHR is still at an early stage. Two forms of such a duty to protect can be distinguished: first, the positive duty to ensure a minimum level of protection against unequal treatment by private individuals, second, the duty to consider the equality interest in balancing exercises. The first duty to ensure a minimum level of protection against unequal treatment is primarily directed against the legislature. The density of this duty varies according to the affected sphere, the so-called sphere of inner privacy (or core personal privacy sphere, e.g. invitation of friends to a private party), the extended privacy sphere (e.g. the sale of a car by a private individual) and the quasi-public sphere (e.g. access to a public restaurant). The Danilenkov case (2009) is the first case in which the Strasbourg Court has, albeit cautiously, touched the problem of a legislative duty to protect against private discrimination. In the Opuz case (2009) the Court recognized the duty of the executive to take effective measures against certain acts of discrimination by private individuals. The second duty to consider the equality interest in balancing exercises concerns human rights in multi-polar relations (mehrpolige Grundrechtsverhältnisse). Typically, in these multi-polar relations the equality interest is to be balanced against the liberty interest. For the purposes of balancing, this study suggests the following criteria: – severity of the ground of differentiation, – degree of publicity of the discriminatory act, – intensity of disadvantage suffered by the discriminatory act, – effect of the discrimination on the general public (intimidation effect, stigmatizing effect). However, the Strasbourg Court has so far missed the opportunity to establish a workable doctrine for this second positive duty, even though the opportunity arose in the cases Associated Society of Locomotive Engineers & Firemen (ASLEF) (2006) or Pla and Puncernau (2004). A further, in the case-law of the Court well-established positive duty is the duty to grant equal access to goods and services. If the Contracting State grants a right, which is not called for by the ECHR but which falls into the ambit of a Convention right, it must be granted in a nondiscriminating fashion. In this regard, the Strasbourg Court saw a violation of Article 14 and Article 8 ECHR where the right to adoption was
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granted to heterosexual, but not to homosexual couples (E.B. v. France, 2008). It is not yet clear whether the concept of passive discrimination also encompasses the right to positive measures by the state, enabling individuals to a material equal access to certain goods or services. For example, the right to equal access to court may be interpreted in the case of disabled persons to encompass the positive duty to safeguard special access facilities (Farcas v. Romania, 2010). A last positive duty concerns the duty to investigate discrimination cases involving grave forms of violence (Nachova et al. v. Bulgaria, 2005). This procedural duty commands the investigation of possible discriminatory motives. This duty aims to mitigate the problem of evidence in discrimination cases: In cases of severe violence where there is reason to believe that discriminatory intent may be involved, the state has the positive duty to effectively investigate the case. If it fails to do so, the Court will assume a violation of Article 14 ECHR under its procedural aspect. The final, fourth part of the study is dedicated to the question of what constitutes a “good” praxis of equal protection law. This question needs to be addressed from the perspective of legal ethics. However, a few preliminary steps require consideration. The field of equal protection law has a particular affinity towards philosophical conceptions; and thus the danger of an uncritical reference to these philosophical conceptions arises. Therefore, first, one has to disentangle the legal and the philosophical problem of equality. Second, the pre-legal concept of equality must be put in the legal context by transforming it into two legal principles, the principle of formal and the principle of substantive equal treatment. The principle of formal equality demands a respect for equality, i.e. relevantly equal facts are to be submitted to equal legal consequences, whereas relevantly unequal facts must be treated unequally. In the context of the legal order, this principle of formal equality leads to the requirement of objective consistency in decisionmaking, the requirement of impartiality in norm-application, the neutrality in norm-giving, and it mandates to provide reasons for unequal treatment. The principle of substantive equal treatment requires “to be treated as a equal” (Ronald Dworkin). Adherence to this principle may entail formally unequal treatment, e.g. concerning body fitness requirements female firefighters should be treated differently from their male counterparts. The principle of substantive equal treatment is output-sensitive, it takes factual consequences of norms and legal acts into consideration. However, the principle of substantive equal treatment
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remains highly abstract, it constitutes a “perspective of judgment” (Stefan Huster). On the basis of these preliminary remarks, this study then lays out a method of ethical reconstruction of legal praxis (Methode der rechtsethischen Rekonstruktion) by which to reconcile ethical principles and legal judgment. This approach is ‘reconstructive’ in that it examines a certain type of social practice, embodied in the landmark judgments by the Strasbourg Court on non-discrimination law. It is an ‘ethical’ approach by viewing an ethical rationality as underlying the legal praxis. The term ‘praxis’ draws on Aristotle’s understanding of this concept in his ethics. In the literature, diverse principles are viewed as ethical principles underpinning equal treatment, e.g. human dignity, recognition, political or social inclusion, efficiency or justice. Not all of these principles are equally apt to serve as ethical principle of the legal praxis of non-discrimination. According to the method of ethical reconstruction the appropriateness of a principle is established by satisfying three criteria: adequacy (ability to state the end of a legal praxis), coherence (ability to provide a unified understanding of praxis consisting of complex phenomena) and conceptual orientation (ability to make the relevant structural elements of a legal praxis visible). If the method of ethical reconstruction is applied to the nondiscrimination jurisprudence of the Strasbourg Court, it can be established that this legal praxis (consisting, as outlined above, of the Court’s landmark decisions on non-discrimination law) is best to be reconstructed under the ethical principle of justice. To this end, the concept of justice needs further elaboration. By reference to Aristotle’s basic distinction between corrective and distributive justice, two principles of justice can be formulated which differ regarding its underlying equality-relation: in the case of corrective justice, an arithmetical notion of equality, and in the case of distributive justice, a proportional notion of equality. An important contribution of this study is that the nondiscrimination law of the ECHR can only be ethically reconstructed by reference to both principles of justice. On the basis of this, the end of non-discrimination law under the ECHR can be viewed to protect the individual against unjust curtailment of and against unjust distribution of the means enabling self-being (Mittel des So-Sein-Könnens). These means encompass the material and immaterial goods necessary for the realization of one’s own Lebensplan (individual conception of a meaningful life). The means enabling self-being constitute the object of the non-discrimination claim in ethical reconstruction, i.e. what is being unjustly curtailed or unjustly distributed in cases of discrimination. By
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further differentiating the means enabling self-being, altogether three ends of non-discrimination law under the ECHR can be distinguished: 1. protection of the individual against unjust curtailment of her rights, 2. protection of the individual against unjust curtailment of her freedom of being as she is or wants to be, 3. protection of the individual against unjust distribution of other means enabling self-being. After this abstract exposition of principles, it can be shown that by this understanding of justice the non-discrimination jurisprudence of the Strasbourg Court can best be reconstructed in an ethical sense. ‘Direct discrimination’ can be reconstructed by reference to a corrective principle of justice, ‘indirect’ and ‘passive discrimination’ can be reconstructed by reference to a distributive principle of justice. In conclusion, a ‘good’ legal praxis of non-discrimination law is the one informed by a corrective and a distributive principle of justice where the object of the non-discrimination right is viewed in the means enabling self-being.
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Verzeichnis der Rechtsfälle
EGMR, 19.12.1989, Kamasinski, Serie A 168 = ÖJZ 1990, S. 412 EGMR, 23.10.1990, Darby, Serie A 187 = NJW 1991, S. 1404 EGMR, 18.02.1991, Fredin, Serie A 192 = ÖJZ 1991, S. 514 EGMR, 26.11.1991, Observer und Guardian, Serie A 217 = EuGRZ 1995, S. 16 EGMR, 26.11.1991, The Sunday Times (Nr. 1), Serie A 217 = EuGRZ, 1979, S. 386 EGMR, 29.11.1991, Pine Valley Developments Ltd. u.a., Serie A 222 = ÖJZ 1992, S. 459 EGMR, 29.11.1991, Vermeire, Serie A 214 C EGMR, 23.06.1993, Hoffmann, Serie A 255-C = EuGRZ 1996, S. 648 EGMR, 24.06.1993, Schuler-Zgraggen, Serie A 263 = EuGRZ 1996, S. 604 EGMR, 22.02.1994, Burghartz, Serie A 280-B = ÖJZ 1994, S. 559 EGMR, 26.05.1994, Keegan, Serie A 290 = NJW 1995, S. 2153 EGMR, 18.07.1994, Karlheinz Schmidt, Serie A 291-B = NVwZ 1995, S. 365 EGMR, 22.09.1994, Hentrich, Serie A 296-A EGMR, 25.11.1994, Stjerna, A 299-B EGMR, 09.12.1994, The Holy Monasteries, Serie A 301 = ÖJZ 1995, S. 428 EGMR, 24.02.1995, McMichael, Serie A 307-B = ÖJZ 1995, S. 704 EGMR, 26.09.1995, Vogt, Serie A 323 EGMR, 25.06.1996, Buckley, Rep. 1996-IV, no. 16 EGMR, 07.08.1996, C. v. Belgien, RJD 1996-III EGMR, 16.09.1996, Gaygusuz, RJD 1996-IV, no. 14 = JZ 1997, S. 405 EGMR, 22.10.1996, Stubbings, RJD 1996-IV, no. 18 = ÖJZ 1997, S. 436 EGMR, 21.02.1997, van Raalte, RJD 1997-I = ÖJZ 1998, S. 117 EGMR, 22.04.1997, X., Y., Z. v. Vereinigtes Königreich, RJD 1997-II, no. 35 EGMR, 23.10.1997, Case of the National & Provincial Building Society et al., RJD 1997-VII, no. 55 EGMR, 24.02.1998, Botta, RJD 1998-I, no. 66 EGMR, 27.03.1998, Petrovic, RJD 1998-II, no. 67 = ÖJZ 1998, S. 516
Verzeichnis der Rechtsfälle
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EGMR, 30.07.1998, Sheffield und Horsham, RJD 1998-V, no. 84 = ÖJZ 1999, S. 571 EGMR, 18.02.1999, Larkos, RJD 1999-I EGMR, 29.04.1999, Chassagnou, RJD 1999-III = NJW 1999, S. 3695 EGMR, 20.05.1999, Rekvényi, RJD 1999-III EGMR, 08.07.1999, Gerger, Nr. 24919/94 EGMR, 27.09.1999, Lustig-Prean und Beckett, Nr. 31417/96 und 32377 /96 EGMR, 27.09.1999, Smith and Grady, RJD 1999-VI = NJW 2000, S. 2089 EGMR, 21.12.1999, Salgueiro da Silva Mouta, RJD 1999-IX EGMR, 01.02.2000, Mazurek, RJD 2000-II EGMR, 16.02.2000, Amann, RJD 20000-II = ÖJZ 2001, S. 71 EGMR, 06.04.2000, Thlimmenos, RJD 2000-IV = ÖJZ 2001, S. 528 EGMR, 27.04.2000, Shackell, Nr. 45851/99 EGMR, 06.06.2000, Magee, RJD 2000-VI EGMR, 27.06.2000, Case of Cha’are Shalom Ve Tsedek, RJD 2000-VII EGMR, 03.10.2000, Camp and Bourimi, RJD 2000-X EGMR, 18.01.2001, Beard, Nr. 24882/94 EGMR, 18.01.2001, Chapman, RJD 2001-I EGMR, 18.01.2001, Coster, Nr. 24876/94 EGMR, 18.01.2001, Jane Smith, Nr. 25154/94 EGMR, 18.01.2001, Lee, Nr. 25289/94 EGMR, 22.03.2001, Streletz u.a., RJD 2001-II = NJW 2001, 3035 EGMR, 04.05.2001, Hugh Jordan, Nr. 24746/94 EGMR, 10.05.2001, Zypern v. Turkei, RJD 2001-IV EGMR, 16.10.2001, Eliazer, RJD 2001-X EGMR, 26.02.2002, Fretté, RJD 2002-I = FamRZ 2003, S. 149 EGMR, 06.04.2002, Wessels-Bergervoet, RJD 2002-IV EGMR, 16.04.2002, S.A. Dangeville, RJD 2002-III EGMR, 29.04.2002, Pretty, RJD 2002-III = EuGRZ 2002, S. 234 EGMR, 28.05.2002, McShane, Nr. 43290/98 EGMR, 13.06.2002, Anguelova, RJD 2002-IV EGMR, 11.07.2002, Goodwin, RJD 2002-VI = MR 1996, S. 123
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Verzeichnis der Rechtsfälle
EGMR, 11.07.2002, I. v. Vereinigtes Königreich, Nr. 25680/94 EGMR, 08.07.2003, Sommerfeld, RJD 2003-VIII EGMR, 24.07.2003, Karner, RJD 2003-IX = ÖJZ 2004, S. 36 EGMR, 30.09.2003, Koua Poirrez, RJD 2003-X EGMR, 16.12.2003, Palau-Martinez, RJD 2003-XII EGMR, 10.02.2004, B.B. v. Vereinigtes Königreich, Nr. 53760/00 EGMR (K), 26.02.2004, Nachova, Nr. 43577/98 EGMR, 27.05.2004, Connors, Nr. 66746/01 EGMR, 22.06.2004, Broniowski, RJD 2004-V EGMR, 24.06.2004, Caroline von Hannover, RJD 2004-VI = NJW 2004, S. 2647 ff. EGMR, 13.07.2004, Pla und Puncernau, RJD 2004-VIII = NJW 2005, S. 875 EGMR, 27.07.2004, Sidabras u.a., RJD 2004-VIII EGMR, 12.10.2004, Kjartan Ásmundsson, RJD 2004-IX EGMR, 16.11.2004, Ünal Tekeli, RJD 2004-X EGMR, 06.01.2005, Gine Wilhelmina Elisabeth Hoogendijk, Nr. 58641 /00 EGMR, 07.04.2005, Rainys u.a., Nr. 70665/01 u.a. EGMR, 13.05.2005, Timishev, RJD 2005-XII EGMR (GK), 06.07.2005, Nachova, RJD 2005-VII = EuGRZ 2005, S. 693 EGMR, 06.10.2005, Draon, Nr. 1513/03 EGMR, 25.10.2005, Niedzwiecki, Nr. 58453/00 EGMR, 25.10.2005, Okpisz, Nr. 59140/00 = NJW 2006, S. 917 EGMR (GK), 10.11.2005, Leyla Șahin, RJD 2005-XI = EuGRZ 2004, S. 707 EGMR, 13.12.2005, Bekos, RJD 2005-XIII EGMR, 12.01.2006, Mizzi, RJD 2006-I = EuGRZ 2006, S. 129 EGMR (K), 07.02.2006, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325 /00 EGMR, 23.02.2006, Ognyanova und Choban, Nr. 46317/99 EGMR, 16.03.2006, Zdanoka, Nr. 58278/00 EGMR, 28.03.2006, Sukhovetskyy, Nr. 13716/02
Verzeichnis der Rechtsfälle
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EGMR, 12.04.2006, Stec u.a, Nr. 65731/01 und 65900/01 EGMR, 23.05.2006, Grant, Nr. 32570/03 EGMR, 19.06.2006, Hutten-Czapska, RJD 2006-VIII EGMR, 20.6.2006, Zarb Adami, Nr. 17209/02 EGMR, 29.06.2006, Zeman, Nr. 23960/02 = ÖJZ 2007, S. 210 EGMR, 22.08.2006, Barrow, Nr. 42735/02 EGMR, 22.08.2006, Pearson, Nr. 8374/03 EGMR, 10.10.2006, Paulik, Nr. 10699/05 EGMR, 14.11.2006, Hobbs u.a., Nr. 63684/00 EGMR, 07.12.2006, Österreichischer Rundfunk, Nr. 35841/02 EGMR (K), 12.12.2006, Burden und Burden, Nr. 13378/05 EGMR, 27.02.2007, Case of Associated Society of Locomotive Engineers & Firemen (ASLEF), Nr. 11002/05 EGMR, 20.03.2007, Tysiąc, Nr. 5410/03 EGMR, 26.04.2007, Kalanyos, Nr. 57884/00 EGMR, 31.05.2007, Grande Oriente D’Italia di Palazzo Giustiniani (Nr. 2), Nr. 26740/02 EGMR, 31.05.2007, Šečić, Nr. 40116/02 EGMR, 28.06.2007, Wagner und J.M.W.L. v. Luxemburg, Nr. 76240/01 = FamRZ 2007, S. 1529 EGMR, 19.07.2007, Krasnov und Skuratov, Nr. 17864/04 und 21396/04 EGMR, 26.07.2007, Angelova und Iliev, Nr. 55523/00 EGMR, 26.07.2007, Cobzaru, Nr. 48254/99 EGMR (GK), 13.11.2007, D.H. u.a. v. Tschechische Republik, Nr. 57325 /00 = NJW 2008, S. 533 EGMR, 27.11.2007, Luczak, Nr. 77782/01 EGMR, 29.11.2007, Ismailova, Nr. 37614/02 EGMR, 06.12.2007, Petropoulou-Tsakiris, Nr. 44803/04 EGMR (GK), 22.01.2008, E.B. v. Frankreich, Nr. 43546/02 = ÖJZ 2008, S. 499 EGMR (GK), 12.02.2008, Kafkaris, Nr. 21906/04 EGMR, 04.03.2008, Stoica, Nr. 42722/02 EGMR (GK), 29.04.2008, Burden und Burden, Nr. 13378/05 EGMR, 22.05.2008, Petrov, Nr. 15197/02
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Verzeichnis der Rechtsfälle
EGMR, 05.06.2008, Sampanis u.a., Nr. 32526/05 EGMR (K), 17.07.2008, Oršuš u.a., Nr. 15766/03 EGMR, 31.07.2008, Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovahs, Nr. 40825/98 = ÖJZ 2008, S. 865 EGMR (K), 04.11.2008, Carson u.a., Nr. 42184/05 EGMR, 18.02.2009, Andrejeva, Nr. 55707/00 EGMR, 10.03.2009, Turan Cakir, Nr. 44256/06 EGMR, 19.03.2009, Lang, Nr. 28648/03 EGMR, 31.03.2009, Weller, Nr. 44399/05 EGMR, 07.04.2009, Žičkus, Nr. 26652/02 EGMR, 30.04.2009, Glor, Nr. 13444/04 EGMR, 12.05.2009, Korelc, Nr. 28456/03 EGMR, 28.05.2009, Bigaeva, Nr. 26713/05 EGMR, 28.05.2009, Brauer, Nr. 3545/04 EGMR, 09.06.2009, Opuz, Nr. 33401/02 EGMR, 25.06.2009, Beganovic, Nr. 46423/06 EGMR, 30.07.2009, Danilenkov, Nr. 67336/01 EGMR, 15.10.2009, Yuriy Nikolayevich Ivanov, Nr. 40450/04 EGMR, 29.10.2009, Si Amer, Nr. 29137/06 EGMR, 03.12.2009, Zaunegger, Nr. 22028/04 EGMR, 08.12.2009, Muñoz Díaz, Nr. 49151/07 EGMR, 22.12.2009, Sejdić und Finci, Nr. 27996/06 u. 34836/06 EGMR, 02.03.2010, Kozak, Nr. 13102/02 EGMR (GK), 16.03.2010, Carson u.a., Nr. 42184/05 EGMR (GK), 16.03.2010, Oršuš u.a., Nr. 15766/03
UN-Menschenrechtsausschuss (MRA) MRA, 09.04.1981, 35/1978, Shirin Aumeeruddy-Cziffra, EuGRZ 1981, S. 391 MRA, 24.03.1988, 267/1987, M.J.G. v. the Netherlands, U.N. Doc. CCPR/C/32/D/267/1987 MRA, 27.07.1988, 197/1985, Kitok v. Sweden, U.N. Doc. CCPR/C/33 /D/197/1985
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MRA, 29.03.1989, 218/1986, Hendrika S. Vos, U.N. Doc. CCPR/C/35 /D/218/1986 (1989) MRA, 03.04.1989, 196/1985, Ibrahima Gueye et al., U.N. Doc. CCPR /C/35/D/196/1985 MRA, 30.10.1989, 297/1988, H.A.E.d.J. v. the Netherlands, U.N. Doc. CCPR/C/37/D/297/1988 MRA, 23.10.1992, 406/1990 & 426/1990, Lahcen B.M. Oulajin und Mohamed Kaiss v. Niederlande, U.N. Doc. CCPR/C/46/D/426 /1990 MRA, 31.03.1993, 359/1989 u. 385/1989, John Ballantyne u.a., HRLJ 1993, pp. 171-178 MRA, 14.07.1993, 309/1988, Carlos Orihuela Valenzuela, U.N. Doc. CCPR/C/48/D/309/1988 MRA, 26.07.1993, 478/1991, A.P.L.-v.d.M. – Niederlande, U.N. Doc. CCPR/C/48/D/478/1991 MRA, 31.03.1994, 488/1992, Nicholas Toonen, U.N. Doc. CCPR/C/50 /D/488/1992 MRA, 15.07.1994, 425/1990, Neefs, UN. Doc. CCPR/C/51/D/425 /1990 MRA, 19.07.1995, 516/1992, Alina Simunek u.a., HRLJ 1996, pp. 13-17 MRA, 22.07.1996, 608/1995, Franz Nahlik, U.N. Doc. CCPR/C/57 /D/608/1995 MRA, 23.07.1996, 584/94, Adam, U.N. Doc. CCPR/C/57/D/586/1994 MRA, 23.07.1996, 566/1993, Ivan Somers, U.N. Doc. CCPR/C/57/D /566/1993, HRLJ 1996, p. 412 MRA, 14.07.1997, 643/95, Drobek, U.N. Doc. CCPR/C/60/D/643 /1995 MRA, 23.07.1997, 658/1995, Jacob and Jantina Hendrika van Oord, U.N. Doc. CCPR/C/60/D/658/1995 MRA, 24.03.1998, 212/1986, P.P.C. v. Niederlande, EuGRZ 1990, S. 21 MRA, 21.10.1998, 669/95, Malik, U.N. Doc. CCPR/C/64/D/669/1995. MRA, 21.10.1998, 670/95, Schlosser, U.N. Doc. CCPR/C/64/D/670 /1995 MRA, 03.11.1999, 694/1996, Waldman, U.N. Doc. CCPR/C/67/D /694/1996 MRA, 04.04.2001, 819/1998, Joseph Kavanagh, U.N. Doc. CCPR/C/71 /D/819/1998
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Verzeichnis der Rechtsfälle
MRA, 21.07.2001, 790/1997, Cheban, U.N. Doc. CCPR/C/72/D/790 /1997 MRA, 31.10.2001, 774/1997, Robert Brok, U.N. Doc. CCPR/C/73/D /774/1997 MRA, 26.03.2002, 919/2000, Michael Andreas Müller und Imke Engelhard, U.N. Doc. CCPR/C/74/D/919/2000 MRA, 15.07.2002, 1087/2002, Hesse, U.N. Doc. CCPR/C/75/D/1087 /2002 MRA, 15.07.2002, 932/2000, Marie-Hélène Gillot et al., U.N. Doc. CCPR/C/75/D/932/2000 MRA, 17.07.2002, 902/1999, Joslin u.a., U.N. Doc. CCPR/C/75/D/902 /1999 MRA, 03.08.2003, 998/2001, Rupert Althammer et al. v. Österreich, U.N. Doc. CCPR/C/78/D/998/2001 MRA, 01.04.2004, 976/2001, Cecilia Derksen v. Niederlande, U.N. Doc. CCPR/C/80/D/976/2000 MRA, 07.07.2004, 943/2000, Guido Jacobs, U.N. Doc. CCPR/C/81/D /943/2000 MRA, 09.07.2004, 1160/2003, Godfried und Ingrid Pohl u.a. v. Österreich, U.N.Doc. CCPR/C/81/D/1160/2003 MRA, 21.10.2005, 1249/2004, Sister Immaculate Joseph u.a., U.N. Doc. CCPR/C/85/D/1249/2004 MRA, 24.07.2006, 1314/2004, Michael O'Neill and John Quinn, U.N. Doc. CCPR/C/87/D/1314/2004 MRA, 28.07.2009, 1614/2007, Dagmar Dvorak, U.N. Doc. CCPR/C /96/D/1614/2007
Sonstige Gerichte BVerfGE 5, 85, 205 – KPD-Verbot BVerfGE 7, 198, 209 f. – Lüth BVerfGE 58, 137, 150 – Pflichtexemplarentscheidung CCSA., 17.02.1998, City Council of Pretoria v. Walker, CCT 8/97, [1998] ZACC 1; 1998 (2) SA 363; 1998 (3) BCLR 257 CSCt, Auton (Guardian ad litem of) v. British Columbia (Attorney General), [2004] 3 S.C.R. 657, 2004 SCC 78
Verzeichnis der Rechtsfälle
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CSCt, Hodge v. Canada (Minister of Human Resources Development), [2004] 3 S.CR. 357, 2004 SCC 65 EuGH, 19.10.1977, Rs. 117/76, Ruckdeschel v. Hauptzollamt Hamburg, Slg. 1977, 1753 EuGH, 27.10.1993, Rs. C-127/92, Enderby, Slg. 1993, I-5535 EuGH, 30.10.1993, Rs. C-189/91, Kirsammer-Hack, Slg. 1993, I-6185 EuGH, 17.10.1995, Rs. C-450/93, Kalanke, Slg. 1995, I-3051 EuGH, 23.05.1996, Rs. C-237/94, John O’Flynn, Slg. 1996, I-2617 EuGH, 11.11.1997, Rs. C-409/95, Marshall, Slg. 1997, I-6363 EuGH, 09.02.1999, Rs. C-167/97, ex parte Nicole Seymour-Smith und Laura Perez, Slg. 1999, I-623 EuGH, 28.3.2000, Rs. C-158/97, Georg Bedeck u.a., Slg. 2000, I-1875 EuGH, 06.04.2000, Rs. C-226/98, Jørgensen, Slg. 2000, I-2447 EuGH, 06. 06.2000, Rs. C-281/98, Angonese, Slg. 2000, S. I-4139 EuGH, 06.07.2000, Rs. C-407/98, Abrahamsson, Slg. 2000, I-5539 EuGH, 19.03.2002, Rs. C-476/99, Lommers, Slg. 2002, I-2891 EuGH, 06.02.2003, Rs. C-25/02, Katharina Rinke v. Ärztekammer Hamburg, Slg. 2003, I-8349 EuGH, 11.07.2006, Rs. C-13/05, Sonia Chacón Navas v. Eurest Colectividades SA, Slg. 2006, I-6467 IAKMR, Marta Lucia Alvarez Giraldo v. Colombia, Case 11.656, Report Nº 71/99, OEA/Ser.L/V/II.106 Doc. 3 rev. at 211 (1999) IAGMR, 08.09.2005, The Yean and Bosico Children v. Dominican Republic, Serie C, No. 130 (2005) IAKMR, Access to justice for women victims of violence in the Americas, OEA/Ser.L/V//II., Doc. 68, 20.01, 2007 IGH, South West Africa, Second Phase, Judgment, I.C.J. Reports 1966, p. 6 IGH, Barcelona Traction, Light and Power Co., ICJ Rep. 1970, 3 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.03.1988, 3 Wx 290/87 = NJW 1988, 2615 Ontario Board of Inquiry, Bhadauria v. Toronto (City) Board of Education, (1990), Canadian Human Rights Reporter D/105 StIGH, Certain Questions relating to settlers of German origin ceded by Germany to Poland (1923), Serie B Nr. 6, S. 23 ff.
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Verzeichnis der Rechtsfälle
StIGH, Treatment of Polish Nationals and other Persons of Polish Origin or Speech in the Danzig Territory (1932), Serie A/B Nr. 44, S. 28 U.S. Court of Appeals for the Fifth Circuit, Beazley v. Johnson, 242 F.3d 248, 267 (5th Cir. 2001) USSCt, Dred Scott v. Sandford, 60 U.S. 393 (1857) USSCt, The Slaughterhouse Cases, 83 U.S. 36 (1873) USSCt, Munn v. Illinois, 94 U.S. 113 (1876) USSCt, Strauder v. West Virginia, 100 U.S. 303 (1879) USSCt, McGowan v. Maryland, 366 U.S. 420 (1961) USSCt, Griswold v. Connecticut, 381 U.S. 479 (1965) USSCt, Dandridge v. Williams, 397 U.S. 471 (1970) USSCt, Griggs v. Duke Power Co., 401 U.S. 424 (1971) USSCt, San Antonio Independent School District v. Rodriguez, 411 U.S. 1 (1973) USSCt, Craig v. Boren, 429 U.S. 190 (1976) USSCt, Washington v. Davis, 426 U.S. 220 (1976) USSCt, Regents of the University of California v. Bakke, 438 U.S. 265 (1978) USSCt, Personnel Administrator of Mass. v. Feeney, 442 U.S. 256 (1979) USSCt, City of Cleburne, Texas v. Cleburne Living Center, Inc., 473 U.S. 432 (1985) USSCt, Church of Lukumi Babalu Aye, Inc. v. City of Hialeah, 508 U.S. 520 (1993)
Sachregister Accommodation, siehe Rechtfertigung Akzessorietät: 134-64, 345, 351, 354, 358, 359, 364, 371, 384, 389, 492 – Akzessorietät und prozessuale Geltendmachung des Diskriminierungsverbots: 139-46 – Akzessorietät und Rechtsnatur des Diskriminierungsverbots: 135-39 – Akzessorietät und Regelungsbereichsberührung: 146-56 – Akzessorietät und Subsidiarität des Diskriminierungsverbots: 142-46 – keine Akzessorietät beim allgemeinen Diskriminierungsverbot: 158-61 – Kritik am Erfordernis der Akzessorietät: 156-58 Alter, siehe Differenzierungsgründe Analyse, konzeptionelle: 42931 Anerkennung, siehe Prinzipien, rechtsethische Aristoteles: 1, 13, 404, 416, 425-29, 437, 459-62, 463, 486 Aristoteles-Prinzip: 13 Behinderung, siehe Differenzierungsgründe Beurteilungsspielraum: 96, 160, 171, 180, 185, 197-201,
205, 231, 241-49, 258, 284, 316, 333, 335, 348, 372, 379, 383 Beweiserleichterungen: 252, 382 Beweismaß: 251 Beweisprobleme: 298, 302, 377, 396 Civil Rights Act (U.S.): 105 Coleman, Jules: 429-31 Darlegungs- und Beweislast: 249-53, 303, 336 derivative Teilhabe: 369-72 Differenzierungsgründe – – “einfache”: 178, 190-96, 209 – – “verdächtige”: 144, 172, 179-90, 202, 205, 209, 249, 285, 302 – Alter: 186-87 – Anknüpfung an Differenzierungsgründe: 265-66 – Behinderung: 188-90, 194, 200, 219, 262, 291, 385, 387, 388, 456, 482, 484 – Differenzierungsgründe und So-Sein-Können: 201 – Dogmatik der Differenzierungsgründe unter der EMRK: 177-209 – ethnische Herkunft: 2, 42, 99, 116, 144, 179, 200, 202, 213, 250, 252, 278, 448 – Familienstand: 187-88 – Funktionen der Differenzierungsgründe: 196-209
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– genetische Prädisposition: 186-87 – Geschlecht: 99, 113, 116, 129, 144, 152, 172, 179, 181, 183, 200, 203, 221, 250, 262, 266, 277, 410 – Hierarchie der Differenzierungsgründe: 42, 201-3, 386 – Rasse: 213 – Religion: 37, 51, 103, 150-53, 172, 179, 181, 202, 203, 213, 217, 219, 260, 311, 350, 468 – sexuelle Orientierung: 99, 144, 172, 179, 184-86, 213 – soziale Herkunft: 9, 35, 42, 51 – und Regulierung der Rechtfertigungsanforderungen: 197-206 – Unterscheidung “einfacher” und “verdächtiger” Differenzierungsgründe: 178-96 Diskriminierung (allgemein) – allgemeiner Tatbestand der Diskriminierung: 113-14 – Begriff der Diskriminierung: 97-114 – Begriff der Diskriminierung im menschenrechtlichen Sinne: 110-12 – Begriff der Diskriminierung im Völkerrecht: 107-10 – Begriff der Diskriminierung in der politischen Philosophie: 101-2 – Begriff der Diskriminierung unter der EMRK: 124-27 – Etymologie: 99-100 – Irrelevanz einer Absicht der Diskriminierung: 265-66 – Rechtsbegriff der Diskriminierung: 103-10
Sachregister
– Unterscheidung zwischen “primärer” und “sekundärer” Diskriminierung: 101-2, 474 – Ursprünge des Rechtsbegriffs der Diskriminierung: 103-7 Diskriminierung, direkte: 25566 – Anknüpfung an Differenzierungsgrund bei direkter Diskriminierung: 265-66 – Begriff und Struktur: 255-56 – durch Gleichbehandlung: 257-65 – durch Ungleichbehandlung: 256-57 – Irrelevanz einer Diskrimierungsabsicht: 265-66 – Rechtsethik der direkten Diskriminierung: 476-78 Diskriminierung, indirekte: 266-303 – Abgrenzung von der direkten Diskriminierung durch Gleichbehandlung: 262-64 – Bestimmung des erheblichen Nachteils: 286-95 – Beweisprobleme: 303 – durch allgemeine Maßnahmen: 279-83 – durch Normsetzung: 274-79 – Entwicklung der Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung im Menschenrechtsschutz: 266-72 – Irrelevanz einer Diskriminierungsabsicht: 301-3 – Rechtsethik der indirekten Diskriminierung: 478-83 – Struktur: 273
Sachregister
Diskriminierung, passive: 30486 – Abgrenzung von der direkten Diskriminierung durch Gleichbehandlung: 264-65 – Abgrenzung zur positiven Diskriminierung: 385-86 – diskriminierungsfreie Teilhabegewährleistung: 356-72 – Entwicklung der Rechtsfigur der passiven Diskriminierung im Menschenrechtsschutz: 309-14 – gleichheitsrechtliche Untersuchungspflichten: 372-83 – Rechtsethik der passiven Diskriminierung: 483-85 – Stuktur: 314-16 Diskriminierung, positive (affirmative action): 387-89 Diskriminierungsverbot unter der EMRK: 121-396 – Akzessorietät: 134-64 – allgemeines Diskriminierungsverbot in Art. 1 ZP 12: 158-64 – Begründungsgebot, kein Unterscheidungsverbot: 209-13 – Dogmatik der Differenzierungsgründe: 177-209 – einheitlicher Grundtatbestand: 124-27 – Geltungsbereich: 127-64 – Grundrechtsberechtigte: 127-32 – Grundrechtsverpflichtete: 132-34 – indirekte Diskriminierung: 266-303
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– Minderheitenproblematik: 136 – Normzwecke: 472-73 – passive Diskriminierung: 304-86 – positive Diskriminierung (affirmative action): 387-89 – Rechtfertigungsmodelle: 214-21 – Rechtfertigungsniveau: 221 – Rechtfertigungstests: 222-40 – Unterscheidung zwischen “symmetrischer” und “asymmetrischer” Schutzkonzeption: 127-29 – Vergleichbarkeitstest: 165-77 Dworkin, Ronald: 19-21, 34, 92, 412 – envy test: 19 – Ressourcengleichheit: 19-21 Effizienz, siehe Prinzipien, rechtsethische Europäische Sozialcharta: 137, 162, 163 Faktum des Pluralismus: 23, 242 Genetische Prädisposition, siehe Differenzierungsgründe Gerechtigkeit: 458-72 – ausgleichende Gerechtigkeit (iustitia correctiva): 459-62, 476-78 – Gegenstand der diskriminierungsspezifischen Gerechtigkeitsforderung: 465-72 – Gerechtigkeit bei Aristoteles: 459-62 – Gerechtigkeit und Diskriminierung: 225, 237, 238, 263, 475-85
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– Gerechtigkeit und Gleichbehandlung: 12, 77, 81, 86, 93, 101 – Prinzipien der Gerechtigkeit: 462-64 – Rawls’ Grundsätze der Gerechtigkeit: 18 – Tauglichkeit der Gerechtigkeit als rechtsethisches Prinzip: 475-85 – Verhältnis der Gerechtigkeit zur Moral: 473-75 – verteilende Gerechtigkeit (iustitia distributiva): 45962, 478-85 Gewährleistungspflichten, gleichheitsrechtliche: 31683 Gleichbehandlung – akt- oder folgenbezogende Deutung der Gleichbehandlung: 46 – deskriptive Gleichbehandlung: 10-11 – formale Gleichbehandlung als Rechtsprinzip: 414-20 – präskriptive Gleichbehandlung: 11 Gleichheit – arithmetische Gleichheit: 460 – Begriff der Gleichheit: 5-25 – Bezugsobjekte der Gleichheitsoperation: 8-10 – Definition der Gleichheit: 7 – deskriptive Zustandsgleichheit: 11 – geometrische Gleichheit: 460 – Gleichheit als “essentially contested concept”: 16, 72
Sachregister
– Gleichheit der Fähigkeiten (capability approach): 21-24, 468, 471, 472 – Gleichheit der Grundgüter: 17-18, 406–11, 471 – Gleichheit der Ressourcen: 19-21 – Konzeptionen der Gleichheit: 15-24 – praktischer Gleichheitsbegriff: 14 – präskriptive Zustandsgleichheit: 11 – Vergleich des menschenrechtlichen und des philosophischen Problems der Gleichheit: 400-411 Gleichheitsrecht – Allgemeines Gleichheitsrecht (Modell 1): 49-97 – Begriff: 27-30 – Funktionen: 44-45 – Modelle des Gleichheitsrechts: 49-115 Gleichheitssatz, allgemeiner völkerrechtlicher: 49-97 – Allgemeinheit des Anwendungsbereichs: 61 – als Leistungsrecht: 60 – als modales Abwehrrecht: 59-60 – Art. 26 IPbpR als “Modellfall”: 50-59 – Differenzierungsallgemeinheit: 64-65 – Eingriffsmodell: 84-90 – Modell der Gleichheitspräsumtion: 66-84 – Rechtsnatur: 59-65 – Reduktionsmodell: 90-97 – Statusallgemeinheit: 61-64 – Vergleichbarkeitstest: 67-70
Sachregister
Herkunft, ethnische, siehe Differenzierungsgründe Inklusion, politische und soziale, siehe Prinzipien, rechtsethische Kant, Immanuel: 323, 428, 441-46, 459, 472 Menschenrechte – Unterscheidung zwischen Menschen- und Grundrechten: 28 Menschenwürde, siehe umfassend bei Prinzipien, rechtsethische – Menschenwürde als ein Konstitutionsprinzip des Menschenrechtsschutzes: 36 – Menschenwürde bei Immanuel Kant: 441-46 – Menschenwürde in der EMRK: 446-47 – Menschenwürde und staatliche Schutzpflicht: 332 – Verletzung der Menschenwürde bei rassistischer Diskriminierung: 376 Möglichkeit einer allgemeinen Dogmatik: 31-33 Nichtdiskriminierungsrecht (Modell 2) – einheitlicher Grundtatbestand des Nichtdiskriminierungsrechts unter der EMRK: 126 – Modell des Nichtdiskriminierungsrechts: 97-115 – Vorteil des Nichtdiskriminierungsrechts gegenüber dem allgemeinen Gleichheitsrecht: 491
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Nussbaum, Martha C.: 188, 468, 471 öffentlich/privat-Abgrenzung: 330-35 Prinzipien, rechtsethische – Adäquanz als Tauglichkeitskriterium: 433 – Anerkennung: 452-54 – Begriff des Rechtsprinzips: 411-12 – Effizienz: 456–57 – Gerechtigkeit: 458–85 – Kohärenz als Tauglichkeitskriterium: 433 – konzeptionelle Orientierung als Tauglichkeitskriterium: 433 – Menschenwürde: 439-52 – politische und soziale Inklusion: 455 – Prinzipienbegriff (allgemein): 33 – Status: 434-37 – Tauglichkeitskriterien: 43334 privat/öffentlich-Abgrenzung: 330-35 Prot. Nr. 12 (EMRK): 121, 133, 156, 164, 156-64, 190, 218, 224, 254, 255, 270, 284, 319, 324, 326, 330, 354, 359, 364, 365, 370, 387, 388, 391, 394, 395 – allgemeines Diskriminierungsverbot: 158-61 – Grenzen des allgemeinen Diskriminierungsverbots: 161-64 Rawls, John: 17-18, 22, 242, 402, 406-11, 419, 433, 437, 471
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– Gerechtigkeitsgrundsätze: 18 – Gleichheit der Grundgüter: 17 Rechte, sozioökonomische: 137, 141, 156, 157, 159, 160, 249, 390, 395, 408 Rechtfertigung – durch “accommodation”: 215-20 – materielle Dimension der Rechtfertigung: 214-40 – Niveau: 221 – prozedurale Dimension der Rechtfertigung: 240-49 – rechtfertigende Zwecke: 214-15, 226-32 – Rechtfertigung aus der “Natur der Sache”: 220-21 – Rechtfertigung bei indirekter Diskriminierung: 295301 – Rechtfertigung beim allgemeinen Gleichheitssatz: 7184 – Rechtfertigung beim Diskriminierungsverbot (allgemein): 209-40 – Rechtfertigung beim Eingriffsmodell: 87-90 – Rechtfertigungstests: 222-40 Rechtsanwendungsgleichheit: 54-57 Rechtsetzungsgleichheit: 5759 Rechtsgleichheit, Prinzip der: 33-44 – Begriff und Bedeutung: 3337 – Funktionen: 42-44 – in der EMRK: 253-55
Sachregister
– Rechtgleichheit und ius cogens: 39-42 Regelungsbereich (“ambit”): 146-56 – choice grounds-Ansatz: 150 – ordinary understandingAnsatz: 149 – penumbra-Ansatz: 153 – state intent-Ansatz: 149 – Wechselwirkungsansatz: 154 Rekonstruktion, rechtsethische: 423-85 – Begriff: 423-24 – methodische Abgrenzungen: 431-32 – methodischer Hintergrund: 425-31 – Zwecke: 424-25 Sachgerechtigkeit: 58, 77, 79, 80, 81, 90-97, 117, 118, 490, 491 sachspezifisches Gleichheitsrecht: 123 Sen, Amartya: 21-24, 139, 472, 484 – Fähigkeitengleichheit: 21-24 So-Sein-Können: 218, 219, 363, 390, 466-72, 473, 476, 484, 487, 492 – und “verdächtige” Differenzierungsgründe: 201 Subsidiarität – Subsidiarität des konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots: 142-46, 158, 171, 193 – Subsidiarität des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes: 75, 96, 118, 168, 198, 244, 333, 344
Sachregister
Substantielle Gleichbehandlung – als Moralprinzip: 16-24, 420 – als Rechtsprinzip: 85, 212, 218, 258, 420-22 Unterscheidung zwischen der “akt”- und “folgenbezogenen” Deutung der Gleichbehandlung: 46-49 Untersuchungspflichten, gleichheitsrechtliche: 37283 Vergleichbarkeitsprüfung – Vergleichbarkeitsprüfung beim allgemeinen Gleichheitssatz: 67-70, 87, 490
549
– Vergleichbarkeitsprüfung beim Diskriminierungsverbot: 113, 117, 127, 16577, 192, 248, 250, 256, 28485, 365, 370, 384 Verhältnismäßigkeit – Verhältnismäßigkeit und allgemeiner Gleichheitssatz: 82-84, 87-90 – Verhältnismäßigkeit und Diskriminierungsverbot: 232-40 Verteilung der Darlegungsund Beweislast: 250
Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Hrsg.: A. von Bogdandy, R. Wolfrum Bde. 27–59 erschienen im Carl Heymanns Verlag KG Köln, Berlin (Bestellung an: Max-Planck-Institut für Völkerrecht, Im Neuenheimer Feld 535, 69120 Heidelberg); ab Band 60 im Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo, Hong Kong, Barcelona 223 Tilmann Altwicker: Menschenrechtlicher Gleichheitsschutz. 2011. XXX, 549 Seiten. Geb. E 99,95 222 Stephan Bitter: Die Sanktion im Recht der Europäischen Union. 2011. XV, 351 Seiten. € € € E 84,95 Geb. 221 Holger Hestermeyer, Nele Matz-Lück, Anja Seibert-Fohr, Silja Vöneky (eds.): Law of the Sea € in Dialogue. 2011. XII, 189 Seiten. Geb. E 69,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 220 Jan Scheffler: Die Europäische Union als rechtlich-institutioneller Akteur im System der € Vereinten Nationen. 2011. XXXV, 918 Seiten. Geb. E 149,95 219 Mehrdad Payandeh: Internationales Gemeinschaftsrecht. 2010. XXXV, 629 Seiten. Geb. E 99,95 217 Michael Duchstein: Das internationale Benchmarkingverfahren und seine Bedeutung für den gewerblichen Rechtsschutz. 2010. XXVI, 528 Seiten. Geb. E 99,95 216 Tobias Darge: Kriegsverbrechen im nationalen und internationalen Recht. 2010. XXXV, 499 Seiten. Geb. E 94,95 215 Markus Benzing: Das Beweisrecht vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten. 2010. L, 846 Seiten. Geb. E 139,95 214 Urs Saxer: Die internationale Steuerung der Selbstbestimmung und der Staatsentstehung. 2010. XLII, 1140 Seiten. Geb. E 169,95 213 Rüdiger Wolfrum, Chie Kojima (eds.): Solidarity: A Structural Principle of International Law. 2010. XIII, 238 Seiten. Geb. E 69,95 212 Ramin S. Moschtaghi: Die menschenrechtliche Situation sunnitischer Kurden in der Islamischen Republik Iran. 2010. XXIII, 451 Seiten. Geb. E 94,95 211 Georg Nolte (ed.): Peace through International Law. The Role of the International Law Commission. 2009. IX, 195 Seiten. Geb. E 64,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 210 Armin von Bogdandy, Rüdiger Wolfrum, Jochen von Bernstorff, Philipp Dann, Matthias Goldmann (eds.): The Exercise of Public Authority by International Institutions. 2010. XIII, 1005 Seiten. Geb. E 149,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 209 Norman Weiß: Kompetenzlehre internationaler Organisationen. 2009. XVIII, 540 Seiten. Geb. E 99,95 208 Michael Rötting: Das verfassungsrechtliche Beitrittsverfahren zur Europäischen Union. 2009. XIV, 317 Seiten. Geb. E 79,95 207 Björn Ahl: Die Anwendung völkerrechtlicher Verträge in China. 2009. XIX, 419 Seiten. Geb. E 289,95 206 Mahulena Hofmann: Von der Transformation zur Kooperationsoffenheit? 2009. XIX, 585 Seiten. Geb. E 299,95 205 Rüdiger Wolfrum, Ulrike Deutsch (eds.): The European Court of Human Rights Overwhelmed by Applications: Problems and Possible Solutions. 200 9. VIII, 128 Seiten. Geb. E 59, 95 zzgl. landesüblicher MwSt. 204 Niels Petersen: Demokratie als teleologisches Prinzip. 2 0 09. XXVII, 280 Seiten. Geb . E 79, 95 203 Christiane Kamardi: Die Ausformung einer Prozessordnung sui generis durch das ICTY unter Berücksichtigung des Fair-Trial-Prinzips. 2009. XVI, 424 Seiten. Geb. E 89, 95 202 Leonie F. Guder : The Administration of Debt Relief by the International Financial Institutions. 2009. XVIII, 355 Seiten. Geb. E 84, 95 zzgl. landesüblicher MwSt. 201 Silja Vöneky, Cornelia Hagedorn, Miriam Clados, Jelena von Achenbach: Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht. 2009. VIII, 351 Seiten. Geb. E 84,95 200 Anja Katarina Weilert : Grundlagen und Grenzen des Folterverbotes in verschiedenen Rechtskreisen. 2009. XXX, 474 Seiten. Geb. E 94,95
199 Suzette V. Suarez: The Outer Limits of the Continental Shelf. 2008. XVIII, 276 Seiten. Geb. E 79,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 198 Felix Hanschmann: Der Begriff der Homogenität in der Verfassungslehre und Europarechtswissenschaft. 2008. XIII, 370 Seiten. Geb. E 84,95 197 Angela Paul: Kritische Analyse und Reformvorschlag zu Art. II Genozidkonvention. 2008. XVI, 379 Seiten. Geb. E 84,95 196 Hans Fabian Kiderlen: Von Triest nach Osttimor. 2008. XXVI, 526 Seiten. Geb. E 94,95 195 Heiko Sauer: Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen. 2008. XXXVIII, 605 Seiten. Geb. E 99,95 194 Rüdiger Wolfrum, Volker Röben (eds.): Legitimacy in International Law. 2008. VI, 420 Seiten. Geb. E 84,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 193 Doris König, Peter-Tobias Stoll, Volker Röben, Nele Matz-Lück (eds.): International Law Today: New Challenges and the Need for Reform? 2008. VIII, 260 Seiten. Geb. E 69,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 192 Ingo Niemann: Geistiges Eigentum in konkurrierenden völkerrechtlichen Vertragsordnungen. 2008. XXV, 463 Seiten. Geb. E 94,95 191 Nicola Wenzel: Das Spannungsverhältnis zwischen Gruppenschutz und Individualschutz im Völkerrecht. 2008. XXXI, 646 Seiten. Geb. E 99,95 190 Winfried Brugger, Michael Karayanni (eds.): Religion in the Public Sphere: A Comparative Analysis of German, Israeli, American and International Law. 2007. XVI, 467 Seiten. Geb. E 89,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 189 Eyal Benvenisti, Chaim Gans, Sari Hanafi (eds.): Israel and the Palestinian Refugees. 2007. VIII, 502 Seiten. Geb. E 94,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 188 Eibe Riedel, Rüdiger Wolfrum (eds.): Recent Trends in German and European Constitutional Law. 2006. VII, 289 Seiten. Geb. E 74,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 187 Marcel Kau: United States Supreme Court und Bundesverfassungsgericht. 2007. XXV, 538 Seiten. Geb. E 99,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 186 Philipp Dann, Michal Rynkowski (eds.): The Unity of the European Constitution. 2006. IX, 394 Seiten. Geb. E 79,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 185 Pál Sonnevend: Eigentumsschutz und Sozialversicherung. 2008. XVIII, 278 Seiten. Geb. E 74,95 184 Jürgen Bast: Grundbegriffe der Handlungsformen der EU. 2006. XXI, 485 Seiten. Geb. E 94,95 183 Uwe Säuberlich: Die außervertragliche Haftung im Gemeinschaftsrecht. 2005. XV, 314 Seiten. Geb. E 74,95 182 Florian von Alemann: Die Handlungsform der interinstitutionellen Vereinbarung. 2006. XVI, 518 Seiten. Geb. E 94,95 181 Susanne Förster: Internationale Haftungsregeln für schädliche Folgewirkungen gentechnisch veränderter Organismen. 2007. XXXVI, 421 Seiten. Geb. E 84,95 180 Jeanine Bucherer: Die Vereinbarkeit von Militärgerichten mit dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 8 Abs. 1 AMRK und Art. 14 Abs. 1 des UN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte. 2005. XVIII, 307 Seiten. Geb. E 74,95 179 Annette Simon: UN-Schutzzonen – Ein Schutzinstrument für verfolgte Personen? 2005. XXI, 322 Seiten. Geb. E 74,95 178 Petra Minnerop: Paria-Staaten im Völkerrecht? 2004. XXIII, 579 Seiten. Geb. E 99,95 177 Rüdiger Wolfrum, Volker Röben (eds.): Developments of International Law in Treaty Making. 2005. VIII, 632 Seiten. Geb. E 99,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 176 Christiane Höhn: Zwischen Menschenrechten und Konfliktprävention. Der Minderheitenschutz im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). 2005. XX, 418 Seiten. Geb. E 84,95 175 Nele Matz: Wege zur Koordinierung völkerrechtlicher Verträge. Völkervertragsrechtliche und institutionelle Ansätze. 2005. XXIV, 423 Seiten. Geb. E 84,95 174 Jochen Abr. Frowein: Völkerrecht – Menschenrechte – Verfassungsfragen Deutschlands und Europas. Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Matthias Hartwig, Georg Nolte, Stefan Oeter, Christian Walter. 2004. VIII, 732 Seiten. Geb. E 119,95