Miriam Fritsche Mikropolitik im Quartier
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Miriam Fritsche Mikropolitik im Quartier
VS RESEARCH Quartiersforschung Herausgegeben von Dr. Olaf Schnur, Universität Tübingen Dr. Dirk Gebhardt, Eurocities, Brüssel Dr. Matthias Drilling, Hochschule für Soziale Arbeit, Basel
Das Wohn- oder Stadtquartier hat in unterschiedlichsten Bereichen der Stadtforschung einen wachsenden Stellenwert. Neue Schwerpunkte auf Quartiersebene sind sowohl in der Praxis, etwa in Stadtentwicklung und Immobilienwirtschaft, als auch in stärker theoretisch orientierten Bereichen zu finden. In der dazwischen liegenden Grauzone hat die wissenschaftliche Begleitforschung Konjunktur, die sich mit den immer vielfältigeren planungspolitischen Interventionen in Quartieren beschäftigt. Diese Reihe möchte sich den inzwischen existierenden pluralistischen, oft auch kritisch geführten Diskurslinien der Quartiersforschung mit ihren zahlreichen Überschneidungen und Widersprüchen widmen. Sie bietet Raum für Quartiersforschung im weitesten Sinn – von Arbeiten mit theoretisch-konzeptionellem Schwerpunkt über empirisch-methodisch orientierte Studien bis hin zu explizit praxisorientierten Arbeiten über Quartiers-Themen aus dem Blickwinkel verschiedener Paradigmen der Quartiersforschung. So soll ein Forum entstehen, in dem sich Interessierte aus allen Bereichen – vom Quartiersmanager bis zum Wissenschaftler – über das Themenfeld „Quartier“ auch über den eigenen Horizont hinaus informieren können. Quartiersforschung wird innerhalb dieser Reihe interdisziplinär und multidisziplinär verstanden, wobei geographische und sozialwissenschaftliche Ansätze einen Schwerpunkt darstellen.
Miriam Fritsche
Mikropolitik im Quartier Bewohnerbeteiligung im Stadtumbauprozess
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Humboldt-Universität zu Berlin, 2010 u.d.T. Miriam Fritsche: Partizipationsprozesse in Stadtumbauquartieren: die Beispiele Tenever in Bremen und Marzahn-Nord in Berlin
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch | Britta Göhrisch-Radmacher VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-18304-6
Danksagung
Viele Kollegen, Gesprächspartner und Freunde haben in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, dass diese Dissertationsschrift entstehen konnte. Ihnen allen möchte ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aussprechen. Mein erster Dank aber gilt einer Institution: der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Sie hat mich über drei Jahre hinweg großzügig mit einem Stipendium unterstützt und damit die Weichen für das Verfassen dieser Arbeit gestellt. Das Stipendium war eingebettet in das Graduiertenkolleg 780/2 „Stadtökologische Perspektiven – Schrumpfende Großstädte: Strukturwandel als Chance für urbane Naturentwicklung und verbesserte Lebensumwelt der Stadtbewohner“. Alle an diesem interdisziplinären Graduiertenkolleg beteiligten Stipendiaten und Wissenschaftler – insbesondere die Angehörigen des Geographischen Instituts der Humboldt-Universität zu Berlin und der Kollegsprecher Prof. Dr. Wilfried Endlicher – haben mir wertvolle Einsichten in die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Sozial- und Naturwissenschaften ermöglicht und mein Selbstverständnis als Politikwissenschaftlerin gefestigt. Mein ganz besonderer Dank geht an Prof. Dr. Marlies Schulz vom Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin. Als Betreuerin und Erstgutachterin hat sie mein Dissertationsprojekt mit Engagement und Geduld begleitet sowie mir so viel Autonomie wie nötig und so viel Unterstützung wie möglich gewährt. Insbesondere ihr motivierendes Wohlwollen war mir eine große Hilfe. Sehr verbunden bin ich auch meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Uwe Altrock, Universität Kassel, Fachgebiet Stadterneuerung und Stadtumbau, und meinem dritten Gutachter Dr. Matthias Bernt für kontinuierliche und hilfreiche Diskussionen meiner Ideen und Papiere. Viele nützliche und wichtige Informationen, Anregungen und Denkanstöße sowie grundsätzliche Ermutigung verdanke ich Gesprächen und Diskussionen mit Freunden und Kollegen, allen voran Simon Güntner, Oliver Pohlisch und Britta Grell. Ihnen und meinen weiteren Helfern an der Zielgeraden sei herzlich für ihre Unterstützung gedankt. Mit meiner empirischen Arbeit war ich auf das Entgegenkommen und die Kooperation zahlreicher Personen „im Feld“ angewiesen: Hierzu zählten an erster Stelle alle Interviewpartner und informellen Gesprächspartner in Bremen, Berlin und anderswo, die mir – oftmals auch mehrfach – in ausführlichen Ge5
sprächen ihre wertvolle Zeit und ihr Wissen zur Verfügung gestellt und mir den Zugang zu verschiedenen Dokumenten und weiter führenden Materialien ermöglicht haben. Ihnen allen bin ich sehr zu Dank verpflichtet. Inge Fritsche, Linda Weywer und Elisabeth Lahusen möchte ich an dieser Stelle keineswegs vergessen: Indem sie sich liebevoll und zuverlässig um meinen kleinen Sohn kümmerten, hielten sie mir den Rücken für die Fertigstellung der Dissertationsschrift frei. Und last, but not least, geht mein Dank an Marek, der unermüdlich und immer wieder aufs Neue meinen Blick für das Wesentliche schärfte. Abschließend darf der Hinweis nicht fehlen, dass keine der genannten Personen in irgendeiner Weise für die Ergebnisse dieser Arbeit verantwortlich zu machen ist. Die volle Verantwortung dafür trägt die Verfasserin. Bremen, im April 2011
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Miriam Fritsche
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen ....................................................11 Verzeichnis der Abbildungen, Tabellen und Karten ......................................13 1. 1.1 1.2 1.3
Einleitung ....................................................................................................15 Einführung in das Thema ...........................................................................15 Problemstellung und Konzeption ...............................................................19 Aufbau der Arbeit .......................................................................................23
2 Partizipation und Stadtumbau: Grundlagen der Untersuchung ............27 2.1 „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ ...............................................28 2.1.1 Städtische Schrumpfungsprozesse ......................................................29 2.1.2 Förderprogramme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ .........32 2.1.2.1 „Stadtumbau Ost“ ...................................................................... 33 2.1.2.2 „Stadtumbau West“.................................................................... 37 2.2 Forschungsbefunde zum Zusammenhang von Partizipation und Stadtumbau .................................................................................................42 2.2.1 Konjunkturen der Schrumpfungs- und Stadtumbauforschung ...........42 2.2.2 Anspruch an Partizipation auf der Programmebene ...........................43 2.2.3 Partizipationsrealität in den Quartieren ..............................................45 2.3 Vorschläge aus Politikwissenschaft und Planungstheorie zur Untersuchung von Partizipation im Stadtumbau ........................................51 2.3.1 Entscheidungen und Nicht-Entscheidungen im Stadtumbau ..............52 2.3.2 Beteiligungsleiter und Beteiligungspyramide ....................................61 2.3.3 Partizipation und lokale Demokratie ..................................................67 2.3.4 Mikropolitik in der Gestaltung lokaler Partizipationsmöglichkeiten .68 2.3.5 Partizipationspolitik ............................................................................70 3 Methodische Grundlagen............................................................................73 3.1 Auswahl der Fallbeispiele ..........................................................................73 3.2 Angewandte Methoden der Datenerhebung, -verdichtung und -auswertung ................................................................................................75 7
3.2.1 Erhebungsmethoden ...........................................................................76 3.2.1.1 Teilnehmende Beobachtung ...................................................... 76 3.2.1.2 Felddokumente........................................................................... 82 3.2.1.3 Experteninterviews .................................................................... 85 3.2.2 Auswertungsmethoden .......................................................................87 3.2.2.1 Inhaltsanalytisches Vorgehen .................................................... 88 3.2.2.2 Auswertung von Felddokumenten ............................................. 89 3.3 Problemorientierte Darstellung ausgewählter Felderfahrungen .................90 4 Die Großsiedlungsquartiere Tenever und Marzahn-Nord ......................95 4.1 Quartiersporträt Tenever ............................................................................97 4.1.1 Lage im Stadtraum und städtebauliche Struktur .................................97 4.1.2 Konzeption und Bau der Großsiedlung ............................................100 4.1.3 Einwohnerentwicklung und soziostrukturelle Merkmale .................103 4.1.3.1 Datengrundlage ........................................................................ 103 4.1.3.2 Einwohnerentwicklung ............................................................ 104 4.1.3.3 Altersstruktur ........................................................................... 107 4.1.3.4 Arbeitslosigkeit und Sozialhilfebezug ..................................... 108 4.1.3.5 Bevölkerung mit Migrationshintergrund ................................. 109 4.1.4 Programme der Städtebauförderung in Tenever ...............................110 4.2 Quartiersporträt Marzahn-Nord ................................................................117 4.2.1 Lage im Stadtraum und städtebauliche Struktur ...............................118 4.2.2 Konzeption und Bau der Großsiedlung ............................................120 4.2.3 Einwohnerentwicklung und soziostrukturelle Merkmale .................125 4.2.3.1 Datengrundlage ........................................................................ 125 4.2.3.2 Einwohnerentwicklung ............................................................ 125 4.2.3.3 Altersstruktur ........................................................................... 128 4.2.3.4 Arbeitslosigkeit und Sozialhilfebezug ..................................... 128 4.2.3.5 Bevölkerung mit Migrationshintergrund ................................. 130 4.2.4 Programme der Städtebauförderung in Marzahn-Nord ....................131 4.3 Vergleichende Darstellung der Quartiersentwicklung in Tenever und Marzahn-Nord ...................................................................................136 5 Partizipation im Stadtumbauprozess in Tenever und in Marzahn-Nord ...........................................................................................141 5.1 Tenever .....................................................................................................142 5.1.1 Vorgeschichte: Entstehung einer Koalition zur Lösung des „Krause-Problems“ (Neunzigerjahre)...............................................142 5.1.2 Entwicklung eines Sanierungskonzeptes (2000) ..............................146 5.1.3 Konkretisierung des Sanierungskonzepts (2001-2002) ....................153 8
5.1.4 Vorbereitung des Umbaus und Durchführungsbeginn (2003-2004) ......................................................................................157 5.1.5 Baustopp und Erweiterung der Abrisskulisse (2005-2007) ..............163 5.1.6 Zwischenfazit: Partizipative Begleitung einer koordinierten Stadtumbaustrategie..........................................................................171 5.2 Marzahn-Nord ..........................................................................................176 5.2.1 Vorbereitung von „Stadtumbau Ost“ in Berlin (2000-2002) ............177 5.2.2 Entstehung eines Entwicklungskonzepts für Marzahn-Nord (2001-2002) ......................................................................................180 5.2.3 Mobilisierung gegen den Stadtumbau (2002-2003) .........................188 5.2.4 Begleitung der Durchführung des Stadtumbaus (2004-2005) ..........194 5.2.5 Erweiterung der Stadtumbaukulisse: Konflikte um das Schorfheideviertel (2006-2007) ........................................................201 5.2.6 Zwischenfazit: Fragmentierte Beteiligung im Geflecht divergierender Interessen ..................................................................207 5.3 Vergleichende Darstellung der Partizipation im Stadtumbau ..................213 6 Strukturmerkmale lokaler Partizipationspolitik: Quartiersmanager und Bewohnergremien .............................................221 6.1 Quartiersmanager als Gestalter von Beteiligungsmöglichkeiten .............221 6.1.1 Quartiersmanagement und Quartiersmanager in Tenever ................226 6.1.1.1 Programmrahmen: „Wohnen in Nachbarschaft“ und „Soziale Stadt“ ......................................................................... 226 6.1.1.2 Projektgruppe Tenever: Quartiersmanagement als Einmischungsstrategie ............................................................. 230 6.1.2 Quartiersmanagement und Quartiersmanager in Marzahn-Nord ....235 6.1.2.1 Programmrahmen: „Sozialorientierte Stadtentwicklung“ und „Soziale Stadt“ .................................................................. 236 6.1.2.2 QuartiersAgentur Marzahn-NordWest: Quartiersmanagement als Steuerungsstrategie ........................ 242 6.1.3 Vergleich der Quartiersmanagements in Tenever und Marzahn-Nord ..................................................................................246 6.2 Lokale Gremien als Arenen der Bewohnerbeteiligung ............................250 6.2.1 Stadtteilgruppe Tenever ....................................................................251 6.2.1.1 Teilnehmerspektrum ................................................................ 252 6.2.1.2 Themen .................................................................................... 254 6.2.1.3 Entscheidungsmodus ............................................................... 257 6.2.1.4 Sitzungs- und Kommunikationsregeln..................................... 262 6.2.2 Bewohnerbeirat des Quartiersmanagementgebiets Marzahn-Nordwest ...........................................................................266 9
6.2.2.1 6.2.2.2 6.2.2.3 6.2.2.4 6.2.2.5 6.2.3
Teilnehmerspektrum ................................................................ 267 Themen .................................................................................... 269 Entscheidungsmodus ............................................................... 271 Sitzungs- und Kommunikationsregeln..................................... 272 Verhältnis des Bewohnerbeirats zum neu eingerichteten Quartiersrat .............................................................................. 273 Vergleich der Quartiersgremien in Tenever und Marzahn-Nord .....280
7 Schlussbetrachtung ...................................................................................287 Quellenverzeichnis ...........................................................................................301 Anhang ..............................................................................................................321
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Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen
AG AG SPAS AHG ARGEBAU AWG AZG BauGB BBR BBSR bgmr BIG BMRBS BMVBS BMVBW BRD DDR DFG Difu DKP DM EU ExWoSt ForStaR GdW GEWOBA IBA IfS
Arbeitsgruppe(n) Arbeitsgemeinschaft für Sozialplanung und angewandte Stadtforschung Altschuldenhilfegesetz Arbeitsgemeinschaft der für Städtebau, Bau- und Wohnungswesen zuständigen Minister und Senatoren Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft(en) Allgemeines Zuständigkeitsgesetz Baugesetzbuch Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung Büro für Landschaftsplanung und Gartenarchitektur Becker Giseke Mohren Richard Bremer Investitions-Gesellschaft mbH Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Bundesrepublik Deutschland Deutsche Demokratische Republik Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutsches Institut für Urbanistik Deutsche Kommunistische Partei Deutsche Mark Europäische Union Experimenteller Wohnungs- und Städtebau Forschungsinstitut Stadt und Region Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. [ehemals Gesamtverband der Wohnungswirtschaft e.V.] Aktiengesellschaft Wohnen und Bauen Internationale Bauausstellung Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik 11
ILS InWis IRS ISSAB IWS KfW MSWV NWDS OTG PDS QM QP SED SenAFGJS SenBau SenBauW SenBU SenBWV SenStadt SenSUT SIN SPD vhw VV WBG WBS WE WHH SK WiN WLVO
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Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung Institut für Wohnungswirtschaft Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung Institut für Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte Soziale Arbeit und Beratung Institut für Wohnpolitik und Stadtökologie Kreditanstalt für Wiederaufbau Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr Brandenburg Nordwestdeutsche Siedlungsgemeinschaft Osterholz-Tenever-Grundstücksgesellschaft mbH Partei des Demokratischen Sozialismus Quartiersmanagement(s) Querwandplattenbauweise Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Der Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales der Freien Hansestadt Bremen Der Senator für das Bauwesen der Freien Hansestadt Bremen Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen Berlin Der Senator für Bau und Umwelt der Freien Hansestadt Bremen Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr Berlin Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie Berlin Städtebauinstitut Nürnberg Sozialdemokratische Partei Deutschlands Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V. [ehemals Deutsches Volksheimstättenwerk] Verwaltungsvereinbarung Wohnungsbaugesellschaft Wohnungsbauserie Wohneinheit(en) Wohnhochhaus Skelettmontageweise Wohnen in Nachbarschaften Wohnraumlenkungsverordnung
Verzeichnis der Abbildungen, Tabellen und Karten
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15:
Schematischer Aufbau der Arbeit ........................................... 23 Beteiligungsleiter..................................................................... 62 Beteiligungspyramide .............................................................. 64 Stellenwert von Beteiligung innerhalb der Planungsebenen des Stadtumbaus .................................................................... 59 Phasen einer teilnehmenden Beobachtung .............................. 77 Beobachtete, regelmäßig tagende Gremien, Runden und Treffen ..................................................................................... 79 Beobachtete, temporäre Veranstaltungen und Beteiligungsverfahren ............................................................. 80 Erstes Beobachtungsraster zum Stellenwert von Partizipation in den Quartieren................................................ 81 Zwischenergebnisse zum Stellenwert von Partizipation im Stadtumbau ......................................................................... 84 Wohnungsbestand nach Eigentümern in Tenever im Jahr 1976 ............................................................................... 102 Bevölkerungsentwicklung in Tenever von 1971 bis 2005 .... 105 Anteil von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern zum 31.12.2004 ..................................................................... 108 Bevölkerungsentwicklung in Marzahn-Nord von 1992 bis 2005 ................................................................................ 126 Anteil von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern in Marzahn-Nord zum 31.12.2003 ............................................ 129 Wohnungsbezogene Abriss- und Modernisierungsstandorte in Tenever .............................................................................. 171 Wohnungsbezogene Stadtumbau-Ost-Standorte in Marzahn-Nord ....................................................................... 207 Vorbereitung der lokalen Stadtumbauprojekte in Tenever und Marzahn-Nord ................................................................ 214 Formen und Stellenwert von Beteiligung im lokalen Stadtumbau ............................................................................ 220 13
Tabelle 16:
Binnenstruktur von Stadtteilgruppe, Bewohnerbeirat und Quartiersrat im Überblick ...................................................... 284
Karte 1: Karte 2: Karte 3: Karte 4: Karte 5: Karte 6:
Karte 7: Karte 8: Karte 9:
Lage von Tenever in Bremen .................................................. 98 Das Quartier Tenever .............................................................. 99 Lage von Marzahn-Nord in Berlin ........................................ 118 Das Quartier Marzahn-Nord .................................................. 119 Erste Umbaukonzeption für Tenever (Stand: 2000).............. 149 Konkretisierte Umbaukonzeption für Tenever (Stand: 2004) ......................................................................... 162 Erweiterung der Abrisskulisse in Tenever (Stand: 2005) ..... 166 Stadtumbaubereiche in Tenever (Stand: 2008) ..................... 170 Schwerpunktbereich des Stadtumbaus in Marzahn-Nord (Stand: 2002) ......................................................................... 182 Abrissstandort Niemegker Straße .......................................... 198 Erweiterung der Abrisskulisse in Marzahn-Nord (Stand: 2007) ......................................................................... 202 Stadtumbaubereiche in Marzahn-Nord (Stand: 2008)........... 206
Karte 10: Karte 11:
Karte 12:
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1 Einleitung
1.1 Einführung in das Thema Partizipation umfasst laut aktueller Nachschlagewerke und Lehrbücher generell all jene Handlungen und Verhaltensweisen, die Bürger freiwillig mit dem Ziel verfolgen, Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen des politisch-administrativen Systems zu beeinflussen (vgl. Nohlen/Schultze 2002, Schultze 2002, Kaase 2003, Hoecker 2006).1 Betrachtet man insbesondere die Ebene lokaler Politik, dann ist dort seit einigen Jahren eine beachtliche Ausdifferenzierung von Partizipationsformen zu beobachten, die es in dieser Form auf anderen Systemebenen nicht gibt (vgl. Vetter 2008b). Davon zeugen Reformen der Wahlsysteme in Richtung „mehr Mitbestimmung“ (so z.B. Bürgerbegehren und -entscheide, vgl. Luthardt/Waschkuhn 1997 sowie die Beiträge in APuZ 2006) sowie das weite Feld formal nicht bis ins Detail geregelter Mitwirkungsverfahren zur Meinungsbildung, Entscheidungsfindung und Interessenwahrnehmung (vgl. exemplarisch Bischoff u.a. 2005). Seitdem sich im Zuge der Neuen Sozialen Bewegungen eine Vielzahl von Bürgerinitiativen städtischen Fragen der Quartiers- und Verkehrsentwicklung, des Umweltschutzes, des Wohnens und der Stadtsanierung sowie der Kulturförderung angenommen hat, ist der Stellenwert nicht institutionalisierter Formen von Bürger-, Bewohner- bzw. Betroffenenbeteiligung in lokalpolitischen Zusammenhängen stetig gewachsen.2 Unterschiedliche Akteure beteiligen sich immer häufiger an Meinungsbildungs-, Planungs- und Entscheidungsprozessen bzw. 1
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Allerdings ist in der Fachliteratur keine einheitliche Begriffsverwendung festzustellen; dort werden synonym die Bezeichnungen „Partizipation“, „Beteiligung“, „politische Beteiligung“, „politische Teilhabe“ oder „Bürgerbeteiligung“ genutzt (vgl. die unterschiedlichen Begriffsverwendungen beispielsweise bei Klein/Schmalz-Bruns 1997, Schultze 2002: 636, EnqueteKommission 2002: 318ff., Vetter 2008b). Um lokale Partizipation nicht auf Wahlberechtigung bzw. den rechtlich definierten Status von Wahlberechtigten als „Staatsbürger“ zu verengen (und durch eine solche Kopplung an den Staatsbürgerstatus alle Migranten mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit per Definition auszuschließen), wird in dieser Arbeit nicht der Begriff „Bürgerbeteiligung“ verwendet, sondern entweder von „Beteiligung“ bzw. „Partizipation“ im Allgemeinen oder von „Bewohnerbeteiligung“ im Besonderen gesprochen. Wenn von „Betroffenen“ die Rede ist, sind alle einem sozialen Zusammenhang zuzurechnenden Personen gemeint. Im Hinblick auf Fragen der Quartiersentwicklung umfasst das alle Personen, die in einem Quartier wohnen und/oder es nutzen.
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M. Fritsche, Mikropolitik im Quartier, DOI 10.1007/978-3-531-93498-3_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
werden immer häufiger beteiligt. Eine mittlerweile kaum mehr zu überschauende Zahl von Partizipationsratgebern und Methodenhandbüchern3 verdeutlicht, dass der bereits 1997 formulierte Befund von Klein und Schmalz-Bruns, wonach die lokal verankerten Partizipationsformen den „eigentlichen Wachstumsbereich politischer Beteiligung“ darstellen (Klein/Schmalz-Bruns 1997: 33), nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da gerade auf der lokalen Ebene bzw. im Quartier Entscheidungen vorbereitet, getroffen und umgesetzt werden, die den Alltag der dort Lebenden direkt tangieren (vgl. Roth 1993 u. 1997).4 Die lokale Ebene dient beispielsweise als Schauplatz für Bürgerentscheide über die Umbenennung von Straßen, für Bürgerinitiativen zur Ausweisung von Naturschutzgebieten, für Bewohnerforen zur Begleitung der Quartiersentwicklung, für Planungswerkstätten zur Umgestaltung von Freiflächen, für Runde Tische zur Verkehrsentwicklung, für Open-Space-Verfahren zur Verbesserung der lokalen Integration oder auch für Unterschriftensammlungen für den Erhalt von sozialen Einrichtungen. Die Gemeinsamkeit dieser Partizipationsformen liegt darin, dass sie auf dem Prinzip der Freiwilligkeit basieren, sich auf Politik und damit im weitesten Sinne auf das Herstellen verbindlicher Regelungen in und zwischen Gruppen beziehen und das Ziel verfolgen, mittelbar oder unmittelbar Einfluss auf Entscheidungen auszuüben, die im Verantwortungsbereich des politischadministrativen Systems liegen.5 Dies betrifft sowohl die Entscheidungsfindung 3
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Vgl. beispielsweise die Praxishilfen im „Internetwegweiser Bürgergesellschaft“ des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement unter www.buergergesellschaft.de, die Publikationen und Arbeitshilfen der Stiftung Mitarbeit unter www.mitarbeit.de sowie den Informationsdienst für soziale Stadtteilentwicklung unter www.stadtteilarbeit.de, einschließlich der dort zu findenden Vorstellung unterschiedlicher Beteiligungsmethoden. Mehrere Praxisratgeber und Studien zu Partizipation haben mittlerweile auch die Bundeszentrale für politische Bildung (s. www.bpb.de) und die Bertelsmann-Stiftung (s. www.bertelsmann-stiftung.de) veröffentlicht (letzte Zugriffe jeweils am 6.6.2009). Vgl. zu verschiedenen Konzepten und Definitionen von Quartier den instruktiven Beitrag von Schnur (2008). Vor diesem Hintergrund ist eine Unterscheidung zwischen Partizipation und anderen Formen bürgerschaftlichen Handelns, wie z.B. bürgerschaftliches Engagement, vorzunehmen. Bürgerschaftliches Engagement ist, legt man die prominente, von der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ entwickelte Definition zugrunde, „eine freiwillige, nicht auf das Erzielen eines persönlichen materiellen Gewinns gerichtete, auf das Gemeinwohl hin orientierte, kooperative Tätigkeit. Sie entfaltet sich in der Regel in Organisationen und Institutionen im öffentlichen Raum der Bürgergesellschaft“ (Enquete-Kommission 2002: 90). Im Unterschied zu Partizipation handelt es sich bei bürgerschaftlichem Engagement in erster Linie um ein freiwilliges Tätigwerden im Rahmen von ehrenamtlichen und Selbsthilfeaktivitäten, weniger um die versuchte Einflussnahme auf politische Entscheidungen. Wenn beispielsweise eine einzelne Person in einem Sportverein unentgeltlich (d.h. ehrenamtlich) die Betreuung von Kindergruppen übernommen hat, dann handelt es sich um bürgerschaftliches Engagement. Wenn diese Person aber Unterschriften sammelt für den
als auch Detailfragen zur Umsetzung von politischen Beschlüssen und Programmen.6 Damit geht das hier eingeführte Verständnis von Partizipation bewusst über eine „politische Partizipation“ hinaus, die in erster Linie die politische Entscheidungsfindung zu beeinflussen sucht. Die Frage, wie öffentliche Administrationen den von der Politik zugestandenen Ermessensspielraum in der Umsetzung von Programmen interpretieren und nutzen, rückt gerade auf der Ebene des Quartiers in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Lokalpolitiker und Mitarbeiter kommunaler Verwaltungsstellen haben mittlerweile die Selbsthilfe- und Initiativgruppen als Potenzial erkannt: Angesichts wachsender Legitimitätsdefizite des politischen Systems, niedriger Wahlbeteiligungen und einer allgemeinen Parteienskepsis stützen und fördern sie entsprechende Strukturen. Mittels einer verstärkten Integration von Bürgern soll in den verschiedenen Phasen des politischen Prozesses die Konsens-, Entscheidungsund Zukunftsfähigkeit moderner Gesellschaften sichergestellt werden (z.B. Haus 2002, Haus/Heinelt 2005, Lösch 2005). Neben normativen Begründungen für eine gestiegene Notwendigkeit von Bürgerbeteiligung, die sich aus emanzipatorischen und kommunitaristischen Motiven speisen, gewinnt auch – nicht zuletzt angesichts der finanziellen Not vielen Kommunen – eine instrumentelle Perspektive an Gewicht, die Regieren effizienter und effektiver zu machen beabsichtigt: Demnach kann das freiwillige Engagement von Bürgern genutzt werden, um durch Sparzwänge bedrohte Angebote der sozialen Infrastruktur aufrechtzuerhalten (z.B. Bogumil 2002, Holtkamp 2002, Kersting 2004, Holtkamp u.a. 2006). Manche Autoren weisen indes darauf hin, dass Partizipation auch neue Probleme und Konflikte schaffen könne: Sollte sie nicht an den Prinzipien von freier und geheimer Wahl ausgerichtet sein, so gewährleiste Partizipation keine Repräsentativität, sondern sei „eine Sache von Minderheiten“ (Vetter 2008b: 15; vgl. dazu auch: Papadopoulos 2004). Oftmals fühlen sich in erster Linie politisch bereits aktive oder ressourcen- und organisationsstarke Gruppen und Personen von Angeboten zur Mitwirkung angesprochen, so dass Partizipation sowohl im Verfahren als auch im Ergebnis sozial selektiv wirken kann. Umstritten ist daher in der Fachdiskussion, ob „mehr Partizipation“ tatsächlich gleichzusetzen ist mit
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Erhalt von Bolzplätzen, die für die geplante Erweiterung eines Gewerbegebiets weichen sollen, dann handelt es sich um Partizipation im Sinne von versuchter Einflussnahme auf politische Entscheidungen. Allerdings wendet die Enquete-Kommission ihre eigene Unterscheidung zwischen Partizipation und bürgerschaftlichem Engagement nicht konsequent an, was insbesondere in ihren Ausführungen zu politischem Engagement deutlich wird: Dieses auf die Beeinflussung politischer Entscheidungen zielende Engagement wird als eine untergeordnete Form von bürgerschaftlichem Engagement behandelt (vgl. Enquete-Kommission 2002: 65ff., 318ff.). Damit wird einer wichtigen Erkenntnis der politikwissenschaftlichen Implementationsforschung Rechnung getragen, nämlich, dass sich die Entwicklung eines Programms und dessen Umsetzung wechselseitig beeinflussen (Mayntz 1980: 15).
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einer „Demokratisierung der Demokratie“ (Geißel 2008) oder ob partizipativkooperative Verfahren nicht vielmehr einer Zementierung bestehender Machtverhältnisse Vorschub leisten (vgl. Wendland 2002, Feindt/Newig 2005). In diesem Zusammenhang kann festgehalten werden, dass mit Beteiligung spezifische Interessen verfolgt werden, deren Spektrum von der Durchsetzung von partikularen Forderungen bis zur tatsächlichen Demokratisierung von Entscheidungsprozessen reichen kann. Beteiligung ist immer kontextabhängig und eingebettet in bestimmte historische Rahmenbedingungen, die einen Raum der partizipativen Möglichkeiten abstecken.7 Die Institutionalisierung der Aufgabenverteilung zwischen „oben“ und „unten“, in der diese unterschiedlichen Interessen ständig austariert werden müssen, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Stadterneuerung und Quartiersentwicklung in Deutschland (vgl. Selle 2000: 90ff.)8; wichtige Stationen waren bzw. sind die Verankerung von Betroffenenrechten im 1971 verabschiedeten Städtebauförderungsgesetz, aufsuchende und aktivierende Ansätze zur Stärkung und Unterstützung der Interessen von Bewohnern gegenüber professionellen Akteuren aus dem Planungs- und Baubereich (z.B. Anwaltsplanung), die „behutsame Stadterneuerung“ der Achtzigerjahre mit ihren Prinzipien von Kleinteiligkeit, Erhalt und Betroffenenmitwirkung sowie die in den letzten Jahren stetig wachsende Bedeutung von Aushandlungs- und Entscheidungspro7
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Eine solche Lesart von Partizipation sensibilisiert zudem für das demokratietheoretische Dilemma, dass sich politisch fragwürdige, antidemokratische Gruppen demokratischer Instrumente bedienen. Beispielsweise können auch von Rechtsextremen initiierte Unterschriftensammlungen gegen die Errichtung eines Asylbewerberheims oder nachbarschaftliche Initiativen gegen den Bau einer Moschee, die nach dem NIMBY- bzw. Sankt-Florian-Prinzip („Not in my back yard!“ bzw. „Heiliger St. Florian, verschon’ mein Haus, zünd’ and’re an!“) agieren, als Handlungen und Verhaltensweisen beschrieben werden, die Bürger mit der Absicht verfolgen, Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems zu beeinflussen. Beispiele dieser Art verdeutlichen, dass Partizipation nicht per se fortschrittlich, zivil und emanzipatorisch und damit automatisch als „gut“ und „wichtig“ zu bewerten ist, sondern auch von Intoleranz und Ressentiments motiviert sein und auf eine Desavouierung des demokratischen Konsens’ sowie soziale und politische Ausgrenzung zielen kann. Eine Analyse von Partizipationsprozessen hat diesen Zusammenhang zu reflektieren. Vgl. dazu auch Roth (2004), der in diesem Zusammenhang von den „dunklen Seiten der Zivilgesellschaft“ spricht. Die im Folgenden vorgestellten Phasen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen sind durch einen spezifischen historischen Kontext, nämlich dem der „alten“ BRD, bestimmt. Beteiligungsformen in der DDR werden darin nicht erwähnt. Dies ist dadurch begründet, dass es hier nicht um eine Rekonstruktion von Beteiligungstraditionen in den alten und den neuen Bundesländern geht, sondern um die Darlegung des theoretischen Zugriffs auf Beteiligung, der dieser Arbeit zugrunde liegt. Er orientiert sich an der Entwicklung in einem demokratischen Staatssystem. Ein etwaiges eigenständiges Verständnis von Beteiligung in der sozialistischen DDR ist für den konzeptionellen Beteiligungsbegriff dieser Arbeit nicht relevant. Allerdings sind Mitwirkungsmöglichkeiten auf der Ebene der Wohngebiete in der DDR im Hinblick auf die Empirie der Arbeit sehr wohl von Bedeutung, so dass entsprechende Überlegungen in Kapitel 4.2 entwickelt werden.
zessen in integrierten Stadtentwicklungsprogrammen, in denen staatliche und nicht-staatliche Akteure zur Aufgabenbewältigung kooperativ zusammenwirken müssen.9 Einen Höhepunkt in der Entwicklung partizipativer Kommunikations- und Kooperationsformen stellt das 1999 geschaffene Bund-Länder-Programm der Städtebauförderung „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“ (kurz „Soziale Stadt“) dar. Mit ihm wurden bislang in etwa 500 Quartieren in den alten und neuen Bundesländern Maßnahmen zur Koordination verschiedener Akteure und zur Aktivierung der Quartiersbewohnerschaft sowie diverse Beteiligungsangebote gefördert. Im Unterschied zu bisherigen Beteiligungsansätzen in der Städtebauförderung geht es dabei weder um ein Ausloten der Akzeptanz geplanter Maßnahmen noch um einen Schutz der Bewohner vor negativen Planungsfolgen. Bewohner müssen sich Beteiligung nicht erstreiten, sie wird vielmehr „von oben“ angeboten, unabhängig davon, ob sie „von unten“ gefordert wurde. 1.2 Problemstellung und Konzeption Mittlerweile hat sich eine schier unüberschaubare Menge von Forschungsarbeiten in verschiedenen sozialwissenschaftlichen und raumbezogenen Disziplinen wie Soziologie, Politikwissenschaft, Geographie, Stadtplanung und Gemeinwesenarbeit mit partizipativen Ansätzen auf der lokalen Ebene befasst. Die Spannbreite reicht von quartiers-, akteurs-, institutionen- oder problembezogenen Fallstudien über Arbeiten zu einzelnen Partizipationsaspekten, programmbegleitender Forschung und Durchführungstipps für die lokale Praxis vor Ort bis hin zu grundsätzlichen Überlegungen zum Zusammenhang von Demokratisierung und Deliberation.10 9
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Als neuester Trend gelten Ansätze einer partizipativen Haushaltsaufstellung: Mittels einer breit gefächerten Beteiligung von Experten und Bürgern werden kommunale Bürgerhaushalte entworfen (vgl. Franzke/Kleger 2006, Herzberg u.a. 2006, Herzberg/Cuny 2007). Vgl. in diesem Zusammenhang auch das von der Bertelsmann-Stiftung und dem nordrhein-westfälischen Innenministerium initiierte Modellprojekt „Kommunaler Bürgerhaushalt“ (BertelsmannStiftung/Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 2004) sowie die von der Bundeszentrale für politische Bildung betreute Webseite www.buergerhaushalt.org (letzter Zugriff am 6.6.2009). In modernen demokratietheoretischen Konzepten, wie sie in anglo-amerikanischen Debatten seit Mitte der Achtzigerjahre entwickelt wurden (instruktive Beiträge legten insbesondere Barber [1994] und Benhabib [1996] vor), wird mit dem Begriff der Deliberation ein prozedurales Demokratiemodell bezeichnet, das auf die Überzeugungskraft systematischer Erwägungen und Schlussfolgerungen in der öffentlichen Debatte und auf verständigungsorientiertes, kommunikatives Handeln der Beteiligten setzt. Als prominentester Vertreter im deutschsprachigen
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In sozialwissenschaftlicher Hinsicht dokumentieren verschiedene, im Umfeld der bundesdeutschen Lokalpolitikforschung entstandene Analysen der Potenziale und Grenzen von Partizipation und lokaler Demokratie das zunehmende Interesse für legale Erweiterungsmöglichkeiten der traditionell-repräsentativen Demokratie sowie für die Bedingungen, unter denen lokale Beteiligungsprozesse realisiert werden. Zu nennen sind Publikationen zu „Lokale Agenda 21“-Verfahren (z.B. Heinelt/Mühlich 2000) und zum Zusammenhang von Nachhaltigkeit und Partizipation (z.B. Feindt/Newig 2005), zum Themenkomplex von Engagement, Sozialkapital und lokaler Politik (z.B. Haus 2002, Schnur 2003), zu neuen Leitbildern des Einbezugs von Bürgern in die lokale Leistungserbringung und zu Konzepten einer „kooperativen Demokratie“ (z.B. Bogumil 2002, Holtkamp 2002, Holtkamp u.a. 2006) sowie zur Zukunft der „lokalen Demokratie“ (z.B. Kersting 2004). Zudem verdeutlichen Untersuchungen des Programms „Soziale Stadt“ (vgl. die Beiträge in Walther 2002, Walther/Mensch 2004, Greiffenhagen/Neller 2005, Güntner 2007), Studien zu einzelnen partizipativen Verfahren wie Bürgerforen (z.B. Herrmann 2002) oder Mediation (z.B. Geis 2005), zu Kontinuität und Wandel lokaler Beteiligungsarrangements (z.B. Fürst u.a. 2004, Haus u.a. 2005, Glock 2006) sowie jüngst vorgelegte Arbeiten zu den Erfolgsbedingungen lokaler Beteiligung (z.B. die Beiträge in Vetter 2008a) die wachsende Aufmerksamkeit der Sozialwissenschaften für Partizipationsphänomene. Ferner liegen einige Beiträge vor, die sich der lokalen Ebene widmen, um hier die Entstehung neuer Governance-Strukturen zu analysieren. Sie machen darauf aufmerksam, dass – neben kooperativen Formen der Interessenkoordinierung zwischen Lokalregierungen, Verwaltungen und Vertretern organisierter Interessen – auch soziale Zusammenhänge von engagierten Bürgern für die kollektive Regelung von Sachverhalten von Bedeutung sein können (vgl. Grote/Gbikpi 2002, Benz 2004, Heinelt 2004, Haus u.a. 2005 sowie Schwalb/Walk 2007).11 Weitgehend unklar ist allerdings der Stellenwert partizipativer Arrangements in den in derzeit finanziell umfangreichsten Städtebauförderungsprogrammen „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“. Sie subventionieren seit Jahrtausendbeginn umfangreiche Wohnungsabrisse und die Wohnumfeldaufwertung in schrumpfenden oder anderweitig von Strukturwandel betroffenen Stadtquartieren. Zwar verfolgen die Programme, die bundesweit einen Umbau in mittlerweile rund 650 Gebieten initiierten, ausdrücklich einen kooperativen An-
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Raum gilt Habermas (1992) mit seiner prozeduralen Theorie „deliberativer Demokratie“ (vgl. Lösch 2005: 150ff.). In diesem Zusammenhang müssen auch die Arbeiten von Froessler (1994) und Selle (1994) zu integrierenden Politikstrategien erwähnt werden. Sie haben sich bereits Anfang der Neunzigerjahre für die Bedeutung von kooperativer Problembearbeitung und für den Einbezug unterschiedlicher Akteure vor Ort in lokale Partnerschaften interessiert – zu einem Zeitpunkt, als in der bundesdeutschen Stadtforschung von Governance noch nicht die Rede war.
satz, indem sie die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit aller, für die Stadtentwicklung relevanter Akteure in den verschiedenen Programmphasen fordern. Mit Formen und Stellenwert von Partizipation im Rahmen der neuen Stadtumbauprogramme beschäftigen sich aber bislang nur wenige Arbeiten.12 Dieser Befund überrascht aus mehreren Gründen. Obgleich Stadtumbau13 im Hinblick auf den Stellenwert der öffentlichen Hand, den Gebietsbezug und die Intensität der baulichen Eingriffe deutliche Züge der etablierten Stadterneuerung aufweist, so liegen ihm Prämissen zugrunde, die sich in zentralen Punkten von denen der bisherigen Quartiersentwicklung unterscheiden: So geht es beim Stadtumbau um Schrumpfung, um eine Abnahme von Menge, um Schwund, Verringerung und Verkleinerung. Dies steht im Gegensatz zu tradierten Ansätzen der Quartiersentwicklung und -planung, die auf eine Steuerung von Wachstumsprozessen und die Milderung ihrer negativen Begleiterscheinungen zielten. Bezogen auf Wohnungen und Infrastruktur geht es im Stadtumbau nun nicht (mehr) in erster Linie um Aufwertung, sondern um ersatzlose Wegnahme. Statt der Verteilung von Wachstumsgewinnen stehen die Übernahme von Kosten und das Management des „Rückzugs“ im Mittelpunkt. Ein weiterer Unterschied zu vorangegangenen Städtebauförderungsprogrammen liegt in dem kooperativen Ansatz des Stadtumbaus: Bund und Länder machen Beteiligungsverfahren und einen intensiven Einbezug der Wohnungswirtschaft bei der Festlegung von Stadtentwicklungszielen zu Kriterien für die Bewilligung von Fördermitteln. Als Folge lässt sich einerseits in „StadtumbauStädten“ eine Konjunktur einfacher Beteiligungs- und Informationsangebote feststellen, andererseits wirken große Wohnungsunternehmen in einem Maße an der Erarbeitung von Stadtentwicklungs- und Umbaukonzepten mit, das bisher in Deutschland unbekannt war (vgl. Hunger 2003). Damit wird im Stadtumbau – im Vergleich zu anderen Programmen der Städtebauförderung – ein neuer, erweiterter Rahmen für Beteiligung geschaffen. Insofern ist von „Partizipation in einem veränderten Umfeld“ (Altrock 2005: 156) zu sprechen. Sollte sich durch Stadtumbau tatsächlich ein neues Planungsverständnis etablieren, wie von einigen Autoren – unter Verweis beispielsweise auf die Neuheit von Stadtschrumpfung, die Radikalität von Wohnungsabrissen und den Bedeutungszuwachs von Kooperationen zwischen öffentlichen und privaten Akteu-
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Vgl. ausführlich dazu und m.w.N. die entsprechenden Ausführungen in Kapitel 2.2. In Abgrenzung zu einer weiten Definition von Stadtumbau, die jegliche Veränderungen der baulichen Gestalt einer Stadt als Stadtumbau bezeichnet, werden in dieser Arbeit unter der Überschrift Stadtumbau diejenigen Maßnahmen und Instrumente zusammengefasst, die im Rahmen der Vorbereitung und Umsetzung der Bund-Länder-Programme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ entwickelt wurden und auf städtische Schrumpfungsprozesse reagieren bzw. sie zu gestalten versuchen.
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ren – behauptet,14 dann müsste sich das auch in veränderten Partizipationsformen niederschlagen; diese müssten sich abheben vom Kanon der eingeübten Ansätze der Betroffenenmitwirkung in der Quartiersentwicklung. Vor diesem Hintergrund sind die folgenden drei Leitfragen dieser Arbeit zu betrachten: • • •
Leitfrage I: Welche Formen von Partizipation kamen in der lokalen Vorbereitung und Umsetzung des Stadtumbaus zum Einsatz? Leitfrage II: In welcher Beziehung stehen Partizipationsansätze im Stadtumbau zu lokal schon vorhandenen Beteiligungsstrukturen? Leitfrage III: Welche Faktoren ermöglichten Partizipation, welche beschränkten sie?
Um diese Fragen zu beantworten, konzentriert sich diese Arbeit anhand zweier ausgewählter Fallstudien – das Stadtumbauquartier Tenever (Bremen) und das Stadtumbauquartier Marzahn-Nord (Berlin) – auf die lokalen Prozesse der Quartiersentwicklung: Denn die Vorgaben des Stadtumbaus werden in lokalen Arenen der Meinungsbildung „kleingearbeitet“ und im Prozess ihrer konkreten Umsetzung in einem spezifischen Quartier an die vor Ort vorzufindenden Rahmenbedingungen angepasst. Anzunehmen ist, dass lokale Spezifika Einfluss hatten und haben auf die Organisation von Entscheidungen, die Zusammensetzung der involvierten Akteure, den bei der lokalen Umsetzung der Stadtumbauförderung dominierenden Politikstil und damit nicht zuletzt auch auf die lokalen Beteiligungsformen und -prozesse sowie ihre jeweiligen Ergebnisse. Zu diesen Spezifika gehören zum Beispiel die Geschichte eines Quartiers, Erfahrungen mit der Umsetzung vorangegangener Förderprogramme, existierende Kooperationsverhältnisse und Konfliktmuster. Um diese Effekte analysieren zu können, wurden die Quartiere Tenever und Marzahn-Nord untersucht. Die empirische Untersuchung fand im Zeitraum von Sommer 2005 bis Sommer 2008 statt. Allerdings wurden auch Ereignisse und Zusammenhänge rekonstruiert, die zeitlich vor der eigentlichen Erhebungsphase lagen.
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So etwa Oswalt u.a. 2002, Kil 2004, Hannemann 2004, Altrock 2005.
1.3 Aufbau der Arbeit Die Arbeit ist unterteilt in sieben Kapitel: Zwei Kapitel erläutern die Grundlagen der Untersuchung – in Bezug auf die theoretische Einordnung von Stadtumbau und Partizipation und bisherige sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse zum Thema (Kapitel 2) sowie auf die Untersuchungsmethodik (Fallbeispiele und angewandte Methoden, Kapitel 3). Danach widmen sich drei Kapitel (Kapitel 4, 5 und 6) der Interpretation der erhobenen Daten sowie der Darlegung der daraus gewonnenen Ergebnisse. Eine Zusammenfassung (Kapitel 7) schließt die Arbeit ab (s. Abbildung 1). Abbildung 1:
Schematischer Aufbau der Arbeit Einleitung Kapitel 1
Einführung und Zielsetzung – Problemstellung und Leitfragen – Aufbau der Arbeit Grundlagen der Untersuchung Kontext
Methodik
Kapitel 2
Kapitel 3
Partizipation und Stadtumbau
Auswahl und Begründung der Fallbeispiele Angewandte Methoden der Datenerhebung, -verdichtung und -auswertung
Dateninterpretation und Ergebnisse Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Quartiersporträts
Partizipation im Stadtumbau in Tenever und Marzahn-Nord
Quartiersmanager und Bewohnergremien in Tenever und Marzahn-Nord
Fazit und Schluss Kapitel 7 Voraussetzungen und Bedingungen von Beteiligung im Stadtumbauprozess in Tenever und Marzahn-Nord Eigene Darstellung.
In Kapitel 2 werden städtische Schrumpfungsprozesse als Ursachen von Stadtumbau sowie die Förderprogramme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ als politische Reaktionen darauf erläutert. Im Anschluss wird der Zusammenhang von Partizipation und Stadtumbau anhand vorliegender Forschungsbefunde zum Thema diskutiert und der Ansatz der eigenen Untersuchung skizziert. 23
Kapitel 3 widmet sich der Darlegung der Fallauswahl. Danach werden die angewandten Methoden der qualitativen Sozialforschung und die Prinzipien der Datenauswertung vorgestellt. Das Kapitel dient der Ausarbeitung der zugrunde liegenden Forschungsstrategie einer „ethnographischen Politikforschung“. Mit Kapitel 4 beginnt die Darlegung der Ergebnisse der Dateninterpretation. Die Untersuchungsquartiere Tenever und Marzahn-Nord werden in Form von kurzen Quartiersporträts vorgestellt. Es wird zunächst auf ihre Entstehung als Großsiedlungsquartiere eingegangen. Danach werden ihre wesentlichen sozioökonomischen Merkmale zum Beginn der Feldforschung sowie ihre bisherige Förderprogrammgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung von Beteiligungsformen und -prozessen dargestellt. Kapitel 5 thematisiert die Partizipation in den lokalen Stadtumbauprozessen der Untersuchungsgebiete. Auf der Grundlage einer Rekonstruktion der Prozessverläufe in Tenever und Marzahn-Nord wird der jeweilige Stellenwert von Partizipation herausgearbeitet. Damit zielt das Kapitel auf eine Beantwortung von Leitfrage I. Kapitel 6 setzt bei der Beobachtung an, dass weder in Tenever noch in Marzahn-Nord die Implementierung der Stadtumbauprogramme den „Anfangspunkt“ markierte für die Einbeziehung von Bewohnern und nicht-staatlichen Akteuren in lokale Entscheidungsprozesse. Vielmehr orientierte sich die „partizipative Flankierung“ des Stadtumbaus in beiden Quartieren an bereits vorhandenen Beteiligungsstrukturen. Entstehung und Merkmale dieser Strukturen werden erläutert, um damit Leitfrage II zu beantworten. Zunächst werden die Weichenstellungen für Partizipation nachgezeichnet, die in Förderprogrammen vor dem Stadtumbau erfolgten und die jüngeren lokalen Beteiligungsprozesse entscheidend beeinflusst haben. Als entscheidend für die lokalen Weichenstellungen werden einerseits die Arbeit der Quartiersmanager als Intermediäre und die von ihnen forcierte lokale Ausgestaltung von Beteiligung sowie andererseits die vorhandenen Bewohner- bzw. Quartiersgremien – in Tenever die Stadtteilgruppe, in Marzahn-Nord der Bewohnerbeirat – identifiziert und analysiert. In Kapitel 7 werden schließlich die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst und kritisch betrachtet sowie die drei Leitfragen abschließend beantwortet. Orientiert an Leitfrage III werden mehrere ermöglichende bzw. limitierende Faktoren von Beteiligung unterstrichen: die Rolle des Quartiersmanagements als zentrales Umsetzungsinstrument der Quartiersentwicklung und damit auch der Bewohnerbeteiligung, seine Einbettung in unterschiedliche institutionelle Settings, die in der Bewohnerschaft zu findenden Erfahrungen mit und Erwartungen an Partizipation sowie der prägende Einfluss der jeweiligen Quartiersgeschichte. Dabei wird deutlich, dass die Beteiligungsstrukturen in Tenever und Marzahn-Nord nicht losgelöst von ihren jeweiligen historischen und sozial24
ökonomischen Kontexten analysiert und erklärt werden können. Entsprechende erläuternde Ausführungen dazu bilden den Abschluss der Arbeit. Einer guten Lesbarkeit des Textes zuliebe verzichte ich auf eine Sprache, die formal versucht, eine Gendersensibilität zu vermitteln. Das Mitdenken aller Formen von Geschlecht ist für mich – auch ohne eine entsprechende Kenntlichmachung – selbstverständlich.
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2 Partizipation und Stadtumbau: Grundlagen der Untersuchung
In den Förderprogrammen zum Stadtumbau ist Partizipation eine zentrale Größe: Die Einbeziehung verschiedener Akteure und damit auch von Bewohnern ist ein Bewilligungskriterium der staatlichen Förderung. Im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses der vorliegenden Arbeit stehen diejenigen Partizipationsformen, die sich in der Phase der lokalen Stadtumbauvorbereitung und -umsetzung zeigten, deren Verhältnis zu bereits vorhandenen Beteiligungsstrukturen sowie die Faktoren, die die Partizipationsprozesse in den jeweiligen Fallstudienquartieren bestimmten. Um diese Zusammenhänge aufdecken zu können, wird ein Konzept von Partizipation entwickelt, das über die konkrete Anwendung in den aktuellen Förderprogrammen zum Stadtumbau hinausreicht. Zudem wird in der Untersuchung die Tatsache berücksichtigt, dass Stadtumbaupolitik nicht ausschließlich lokale Politik ist: Zwar werden Entscheidungen über konkrete Abrisse und Rückbaumaßnahmen auf der lokalen Ebene getroffen, allerdings findet der lokale Stadtumbau in einer Politikarena15 statt, für deren Gestaltung auch überlokale Bedingungen und Akteure verantwortlich sind. Zum einen stecken die Richtlinien und Förderkriterien der Bund-Länder-Programme den Handlungsrahmen ab und stellen damit die Kulisse dar, vor der sich lokale Beteiligung abspielt. Darüber hinaus sind relevante Akteure – insbesondere die in Interessenvertretungen der Wohnungswirtschaft organisierten Hauseigentümer, aber auch städtische Administrationen – eingebunden in überlokale Netzwerke, Strukturen und Organisationen, die für sie zumindest potenziell Möglichkeiten der Einflussnahme bereithalten, die die betroffenen Bewohner nicht besitzen. Eine Kenntnis derjenigen Mechanismen, die lokale Prozesse der 15
Als „Politikarena“ wird in Anlehnung an Windhoff-Héritier (1987: 43, 63) generell das Umfeld bezeichnet, in dem bestimmte Politikinhalte durchgesetzt und realisiert werden. Damit werden nicht nur politische Akteure im engeren Sinn – Parlament und Parteien –, sondern alle bei der Entstehung eines Politikfeldes und der Umsetzung daraus resultierender Politiken tatsächlich beteiligten Akteure in den Blick genommen. Insofern kann Arena als „problemorientierte[r] Handlungszusammenhang“ (von Beyme 1997: 34) verstanden werden. Als eine „Arena des lokalen Stadtumbaus“ wird in der vorliegenden Arbeit ein Umfeld bezeichnet, in dem eine begrenzte Anzahl von Akteuren in einem zumindest mittelfristig stabilen Beziehungsgeflecht interagiert und in dem sich zugleich die für die spezifischen Problemlagen des Stadtumbaus relevanten politischen Aushandlungsprozesse vollziehen.
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M. Fritsche, Mikropolitik im Quartier, DOI 10.1007/978-3-531-93498-3_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Entscheidungsfindung strukturieren, ist Voraussetzung für die Ermittlung der Möglichkeiten zur Mitwirkung der von Stadtumbaumaßnahmen Betroffenen. Deshalb werden nachfolgend zunächst die Förderprogramme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ und die ihrem Inkrafttreten als Bund-Länder-Programme der Städtebauförderung vorausgehenden Instrumente und Förderansätze (Bundeswettbewerb „Stadtumbau Ost“ und Forschungsfeld des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus „Stadtumbau West“) umrissen. Danach erfolgt eine Vorstellung der bislang vorliegenden Forschungsbefunde zum Zusammenhang von Partizipation und Stadtumbau (2.2). Den Abschluss des Kapitels bildet eine Erläuterung derjenigen Beiträge aus Politikwissenschaft und Planungstheorie, die, zusammengeführt in dem Konzept der „Partizipationspolitik“, den empirischen Untersuchungen der Partizipationsrealität in Tenever und Marzahn-Nord als Orientierungshilfen zugrunde liegen (2.3). 2.1 „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ Nachfolgend werden die Förderansätze zum Stadtumbau erläutert. Sie stellen den überlokalen Kontext der Beteiligung auf der Quartiersebene dar. Die Stadtumbauförderung stellt eine politische Reaktion auf städtische Schrumpfungsprozesse dar.16 Mit den Bund-Länder-Programmen der Städtebauförderung „Stadtumbau Ost“ (verabschiedet im Jahr 2002) und „Stadtumbau West“ (2004) stehen den bundesdeutschen Kommunen erstmals Finanzmittel für die Anpassung städtebaulicher und wohnungswirtschaftlicher Strukturen an die Bedingungen rückläufiger Einwohnerzahlen, schwindender Arbeitsplätze und steigender Leerstandsquoten im Wohnungsbestand zur Verfügung (vgl. 16
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Mit ihrer Fokussierung auf städtische Schrumpfungsprozesse hebt sich die hier verwendete Definition von Stadtumbau (vgl. Fußnote 13) von anderen Verständnissen ab, genauer: von einem weiten Begriff von Stadtumbau sowie vom Konzept eines ökologischen Stadtumbaus. Beredtes Beispiel für ein weites Verständnis von Stadtumbau, wonach Städte – um sich in der interurbanen Konkurrenz um Entscheidungs- und Kontrollfunktionen der globalen Ökonomie behaupten zu können – zu einer kontinuierlichen Anpassung ihrer Substanz (z.B. in Form von Zentrenentwicklung, Gestaltung des öffentlichen Raums oder Wohnungsbau) gezwungen sind, stellt der Sammelband von Bodenschatz/Laible (2007) dar. Dort werden Wachstumsprozesse bzw. die Versuche, Wachstumsprozesse zu steuern, generell als Stadtumbaustrategien bezeichnet, so dass auch boomende Städte wie Barcelona und Tokio als „Stadtumbaustädte“ verstanden werden können. Dieses Verständnis lässt sich zurückverfolgen bis in die Stadtplanung und -forschung der Siebzigerjahre. Bereits damals bezeichneten Kirschenmann/Muschalek (1977) absichtsvolle Veränderungen der vorhandenen baulichen Substanz einer Stadt als Stadtumbau – analog zu Stadterweiterung und -neubau. In den Achtzigerjahren erfolgte in Kombination mit dem Attribut „ökologisch“ eine Engführung auf umweltbewusstes Bauen und Planen (vgl. Hahn 1991). Die Gemeinsamkeit dieser Stadtumbaukonzepte liegt darin, dass sie auf Entwicklungsprozesse in prosperierenden Städten, d.h. unter Wachstumsbedingungen, fokussieren.
BMVBS/BBR 2008: 23ff., 39ff.). Durch „Stadtumbau Ost“ wurden bzw. werden seit Programmbeginn im August 2002 laut Angaben des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung17 in mehr als 350 ostdeutschen Kommunen der Abriss leer stehender Wohngebäude sowie die Aufwertung unter- oder ungenutzter städtischer Flächen subventioniert, wobei sich die dafür insgesamt zur Verfügung stehenden Bundesfinanzhilfen mittlerweile auf 1,1 Milliarden Euro belaufen. „Stadtumbau West“ fördert seit 2004 in rund 300 westdeutschen Kommunen Maßnahmen zur Anpassung der Stadtstruktur an veränderte Rahmenbedingungen. Die Bundesfinanzhilfen betrugen hier bislang insgesamt 246 Millionen Euro. Vorbereitet wurde das Programm ab 2002 durch ein Forschungsfeld im „Experimentellen Wohnungs- und Städtebau“ (ExWoSt).18 Nachfolgend werden Ziele und Regelungsstruktur der beiden Programme sowie die Hintergründe ihrer Entstehung dargestellt. 2.1.1 Städtische Schrumpfungsprozesse Generell bezeichnet der Begriff „Schrumpfung“ eine Abnahme von Menge, im Sinne von Schwund, Verringerung oder Verkleinerung. Bezogen auf den gebauten Bestand einer Stadt bedeutet „Schrumpfung“ zunächst eine Verringerung der Anzahl von Bewohnern sowie einen Nachfragerückgang für die von ihnen in Anspruch genommenen Nutzungen. In der bundesdeutschen Stadtforschung konnte sich bislang keine exakte Definition von „Stadtschrumpfung“ durchsetzen (vgl. den Überblick bei Brandstetter u.a. 2005). Jedoch wird der Begriff als terminus technicus verwendet für die Analyse von Ursachen, Erscheinungsformen und Auswirkungen, die im Zuge von Deindustrialisierungsprozessen und eines beschleunigten Bevölkerungsrückgangs in einzelnen Quartieren oder gesamtstädtisch zu beobachten sind (vgl. exemplarisch die Beiträge in Berliner Debatte Initial 2002, Lang/Tenz 2003, Hannemann 2004, Kabisch u.a. 2004, Kemper 2004, Glock 2006; für den Diskurs in der Demographieforschung Kaufmann 2005).19 17
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Vgl. zu den Angaben über die an den Programmen beteiligten Kommunen und den Finanzierungsmitteln den regelmäßig aktualisierten Internetauftritt des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung unter www.bmvbs.de; hier: die entsprechenden Bereiche zu „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ unter http://www.bmvbs.de/Stadtentwicklung_Wohnen/Stadtentwicklung-,1550/Stadtumbau.htm (letzter Zugriff am 7.4.2009). „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ ist kein konventionelles Förderprogramm, sondern eine in die Praxis vor Ort integrierte Methode der Politikberatung, die zugleich darauf abzielt, anhand ausgewählter Pilotstudien generalisierbare Aussagen zur Verbesserung der rechtlichen und fördertechnischen Rahmenbedingungen zu ermitteln (vgl. BMVBW 2005: 63). Für die internationale Dimension von Stadtschrumpfung vgl. Oswalt 2004 und die Beiträge in Berliner Debatte Initial (2007).
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Räumlich begrenzte Schrumpfungsprozesse wurden in Westdeutschland bereits in den Siebziger- und Achtzigerjahren konstatiert (vgl. Häußermann/Siebel 1987). Sie konzentrierten sich dort in den Städten der traditionellen Industrieregionen, deren ökonomische Basis auf klassische Hochindustriesektoren wie Bergbau, Stahlerzeugung und Schiffsbau ausgerichtet war.20 Als Verlierer des Strukturwandels sind die betroffenen Städte auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit den Folgen dieser Entwicklung konfrontiert (vgl. Gatzweiler u.a. 2003, Glock 2006: 24ff.). Während in den alten Bundesländern Schrumpfung in der Regel ein singuläres und regional differenziertes Problem ist, das sich räumlich in Regionen wie dem Ruhrgebiet, Saarland und Oberfranken konzentriert (vgl. Gatzweiler u.a. 2003), sind in Ostdeutschland Klein- und Mittelstädte nahezu flächendeckend von den Folgen der nach 1990 einsetzenden Arbeitsplatzverluste und Abwanderungen betroffen.21 Vollzog sich die ökonomische Transformation in den traditionellen westdeutschen Industrieregionen als Strukturwandel, so kann für den Osten Deutschlands von einem Strukturbruch gesprochen werden (vgl. Glock 2006: 23-49). Dort war die ökonomische Transformation nach dem Mauerfall nicht nur durch den bloßen Abbau von Produktionsbereichen bestimmt, sondern wurde darüber hinaus geprägt durch die Dekollektivierung landwirtschaftlicher Genossenschaften sowie die Abwicklung administrativer Einrichtungen und militärischer Strukturen (vgl. Hannemann 2003 u. 2004: 71ff.). Infolgedessen kam es in Ostdeutschland zu einem Verlust an Arbeitsplätzen, der bislang nicht durch neue Dienstleistungsjobs aufgefangen werden konnte.22 Parallel zum ökonomischen Niedergang haben die neuen Bundesländer einen dramatischen Bevölkerungsverlust zu verzeichnen: In einer Welle der Fernbzw. Arbeitsmigration in prosperierende Regionen Westdeutschlands verließen zwischen 1990 und 2002 über eine Million Menschen den Osten Deutschlands (vgl. Glock 2006: 36ff.). In vielen Städten zwischen der Ostsee und dem Erzge20
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Häußermann und Siebel hatten angesichts dieser Entwicklungen bereits Ende der Achtzigerjahre die Vermutung formuliert, bei der schrumpfenden Stadt könne es sich um einen neuen Typus städtischer Entwicklung handeln (vgl. Häußermann/Siebel 1987). Allerdings konnte sich ihre Hypothese damals in der Scientific Community nicht durchsetzen. Aufgrund der schlagartig veränderten Rahmenbedingungen in Folge der politischen Umbrüche in Mittel- und Osteuropa nach 1989 trat Stadtschrumpfung als Thema zudem (vorläufig) in den Hintergrund (vgl. Forschungsagentur 2004: 9, Hannemann 2004: 71-77, Glock 2006: 23-33). Nur im Berliner Umland sowie in wenigen ostdeutschen Großstädten (Dresden, Leipzig) und/oder deren Einzugsbereichen finden sich Wachstumsgemeinden bzw. -quartiere (vgl. Gatzweiler u.a. 2003, exemplarisch zu Leipzig Herfert/Röhl 2001). Die Arbeitslosenquote in den ostdeutschen Bundesländern (einschließlich Berlin) lag im Jahr 2006 bei 19,2 Prozent (zum Vergleich: In den alten Ländern belief sie sich auf 10,2 Prozent; vgl. BMVBS/BBR 2008: 157).
birge sind Einwohnerverluste von 20 bis 25 Prozent seit 1990 keine Seltenheit. Zudem ging die Geburtenrate massiv zurück: Innerhalb von sechs Jahren, zwischen 1988 und 1994, sank die Anzahl der jährlich Geborenen um 60 Prozent (vgl. ebd.: 38). Und schließlich machte sich auch in den Ballungsräumen nach dem Ende der DDR eine nachholende Suburbanisierung bemerkbar: Die im Zuge staatlicher Subventionierungen neu errichteten Siedlungsgebiete im Umland nahezu aller ostdeutschen Städte sorgten für weitere Bevölkerungsverluste (vgl. Aring/Herfert 2001, Häußermann u.a. 2008: 204f.). Angesichts der wechselseitigen Verschränkung dieser verschiedenen Entwicklungen sind insbesondere ostdeutsche Klein- und Mittelstädte – unabhängig von ihrer Lage, ihrer wirtschaftlichen Basis, ihrer Geschichte und ihres administrativen Status – von regelrechten Funktionsverlusten betroffen (vgl. Hannemann 2003). Strukturelle Einwohner- und Arbeitsplatzverluste wirken sich – in Ost wie West – auf den Wohnungsmarkt und die Infrastruktur einer Stadt aus (vgl. Glock 2002, Bernt 2006, Bernt/Naumann 2006, Glock 2006: 43ff., BMVBS/BBR 2007: 47-55, Häußermann u.a. 2008: 206ff.): Wachsende, dauerhafte Leerstände in bestimmten Segmenten des lokalen Wohnungsmarktes sowie nicht mehr genutzte öffentliche Einrichtungen und infrastrukturelle Ausstattungen sind die deutlichsten Folgen.23 So bedeuten Einwohnerverluste auch Mieterverluste; wegfallende Mieteinnahmen können nicht durch einen Mehrverbrauch an Wohnfläche durch die verbliebenen Bewohner ausgeglichen werden. Die betroffenen Städte stehen vor der Notwendigkeit, gemeinsam mit den Eigentümern der Wohnhäuser Strategien zum Umgang mit den leer stehenden Beständen zu entwickeln. Neben der Anpassung der Wohnungsbestände wird in schrumpfenden Städten auch eine Anpassung der Fernwärme- und Wasserversorgungsnetze, des öffentlichen Nahverkehrs sowie der Schulen und Kindertagesstätten an die geringere Nachfrage erforderlich. Wenn in schrumpfenden Städten Wohnhäuser abgerissen werden, dann werden die leer geräumten Grundstücke selten wieder bebaut: Neue Freiflächen entstehen. Das kann zu Problemen führen, da die wachsenden Kosten für Aufwertung und Unterhalt nicht durch neue Nutzer aufgefangen werden. Als Folge kann sich auch der Umgang mit Frei- und Grünflächen in der Stadt verändern (vgl. Kil 2004, BMVBW/BBR 2004, BMVBS/BBR 2006b, Rößler 2007).
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Gatzweiler u.a. (2003: 564) sprechen gar von einer „negativen Zirkularität in der Stadtentwicklung“: „Bevölkerungsabnahme ist auf Wanderungsverluste zurückzuführen, hohe Arbeitslosigkeit auf starke Arbeitsplatzverluste, Rückgang von Bevölkerung und Arbeitsplätzen führen zu Kaufkraft- und Realsteuerkraftverlusten. Abnehmende private und öffentliche Mittel bewirken sinkende Investitionen in Betriebe und öffentliche Infrastruktur, was sich wiederum verstärkend auf Bevölkerungs- und Arbeitsplatzverluste auswirkt.“
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Und schließlich bedeuten Bevölkerungsverluste in mehrfacher Hinsicht eine zusätzliche Belastung der ohnehin angespannten Kommunalhaushalte (vgl. Pohlan/Wixforth 2005): Auf der Einnahmenseite ist ein Rückgang zu verzeichnen, der allerdings nicht unbedingt auch einem Ausgabenrückgang entspricht. Vielmehr bleiben Ausgaben in manchen kommunalen Aufgabenfeldern konstant (für eine Schule fallen beispielsweise weiterhin Betriebskosten an, unabhängig von der Schülerzahl), in anderen steigen sie gar im Zuge von Schrumpfungsprozessen an (zum Beispiel bei der Instandhaltung der technischen Infrastruktur). Insofern schränkt Schrumpfung die bereits geringen finanziellen Handlungsspielräume der betroffenen Kommunen weiter ein. Ausmaß und Intensität von Schrumpfungsprozessen verteilen sich allerdings selten gleichmäßig über eine Stadt. Vielmehr ballen sich soziale und räumliche Folgen von Stadtschrumpfung in einzelnen Teilräumen. In ostdeutschen Kommunen weisen beispielsweise viele Großsiedlungen am Stadtrand besonders hohe strukturelle Wohnungsleerstände auf (vgl. Liebmann/Haller 2001).24 Mit diesen hier nur skizzierten Auswirkungen bedeutet Schrumpfung für die Stadtentwicklungspolitik die Notwendigkeit einer grundlegenden Umorientierung: Nicht länger am Wachstumsparadigma orientiert, muss sie in schrumpfenden Städten ein Konzept erarbeiten, mit dem sich nicht nur die Folgen einer stagnierenden oder rückläufigen Entwicklung bewältigen lassen, sondern das auch eine positive Perspektive für eine städtische Zukunft mit limitierten ökonomischen Ressourcen und einer gesunkenen Einwohnerzahl aufzeigen kann. Das Erfahrungswissen sowie das Instrumentarium zur Bewältigung dieser neuen Planungsaufgaben sind begrenzt: Weder stehen dafür bewährte Politikstrategien noch erfolgreiche Vorbilder zur Verfügung, an denen sich die betroffenen Akteure orientieren könnten.25 2.1.2 Förderprogramme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ In der Bundesrepublik Deutschland erfolgte die politische Reaktion auf städtische Schrumpfungsprozesse zum Jahrtausendwechsel (vgl. Bernt 2002, Haller/Liebmann 2002, Kabisch u.a. 2004: 21-37, BMVBW 2005: 72f., Ruland 2006, BMVBS/BBR 2008: 23ff.). Die damalige Bundesregierung hatte eine 24 25
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Für einzelne Städte und Regionen wurde auch ein zeitliches Nebeneinander von Schrumpfungs- und Wachstumsphänomenen nachgewiesen, vgl. beispielsweise Heineberg 2004, Kemper 2004, BMVBW 2005: 12ff., Häußermann u.a. 2008: 203ff. Vgl. auch die im Städtebaulichen Bericht der Bundesregierung dokumentierte Ratlosigkeit im Hinblick auf geeignete Strategien zum Management von Schrumpfungsprozessen (BMVBW 2005: 37ff.).
Expertenkommission mit der Ermittlung und Bewertung der Lage auf dem ostdeutschen Wohnungsmarkt beauftragt. Diese unter dem Namen „Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel in den neuen Bundesländern“ arbeitende Kommission legte 2000 ihren Bericht vor (vgl. Kommission 2000). Zentrale Empfehlung der auch Leerstandskommission genannten Expertenrunde war die Forderung, in Ostdeutschland ein „Abrissprogramm“ (ebd.: 4) zur Wohnungsmarktbereinigung und Beseitigung der Angebotsüberhänge zu schaffen. Diese Forderung bildete die Grundlage für das im August 2002 vom damaligen rot-grünen Bundeskabinett beschlossene Bund-Länder-Programm der Städtebauförderung „Stadtumbau Ost – für lebenswertes Wohnen und attraktive Städte“. 2.1.2.1 „Stadtumbau Ost“ Angesichts des ermittelten Leerstands von ungefähr einer Million Wohnungen in Ostdeutschland (das waren 13 Prozent des Bestands) hatte die Leerstandskommission26 unter reger Mitwirkung von Vertretern der organisierten Wohnungswirtschaft in ihrem Bericht eine Neubewertung der Entwicklungsmöglichkeiten ostdeutscher Städte gefordert und davor gewarnt, dass „[u]ngelenkte Vorgänge der Schrumpfung und des Verfalls […] das notwendige Gleichgewicht zwischen Bevölkerung, Wohnbauten, Verkehrssystemen sowie sämtlichen Elementen der privaten und öffentlichen Infrastruktur (Dienstleistungen, Handel, Gesundheit, Schulen, Kultur) [zerstören]“ (Kommission 2000: 3).
Für das Jahr 2020 prognostizierte sie eine Verdoppelung des Leerstands auf bis zu zwei Millionen Wohnungen – vorausgesetzt, die demographischen und sozioökonomischen Bedingungen änderten sich nicht, und von Seiten der Politik erfolge keine „Umsteuerung“ (ebd.: 3). Zudem zeichnete der Bericht die Zukunft der ostdeutschen Wohnungswirtschaft in düsteren Farben: „Diese voraussehbare Entwicklung bedeutet für über tausend Wohnungsgesellschaften und Genossenschaften ebenso wie für hunderttausende private Hauseigentümer einen großen finanziellen Schaden. Die Funktionsfähigkeit der Märkte ist durch tiefgreifende Störungen gefähr26
Die 17-köpfige Kommission wurde im Februar 2000 vom damaligen Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Reinhard Klimmt, einberufen. Sie bestand aus Vertretern von Wohnungsgesellschaften, Kommunalbehörden und des Deutschen Mieterbundes sowie Stadtplanern, Wirtschaftsprüfern, Rechtsanwälten und Wirtschaftswissenschaftlern. Den Vorsitz führte der ehemalige Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, Hinrich Lehmann-Grube (deshalb wird die Leerstandskommission gelegentlich auch „Lehmann-Grube-Kommission“ genannt). Mitarbeiter des privaten Wirtschaftsforschungs- und Beratungsbüros Empirica begleiteten die Arbeit der Kommission inhaltlich und redaktionell. Der Geschäftsführer von Empirica, Ulrich Pfeifer, war zugleich Kommissionsmitglied (vgl. Kommission 2000: III).
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det, wenn es nicht gelingt, die Märkte durch ein koordiniertes Vorgehen der öffentlichen Hand und der Marktakteure zu stabilisieren“ (ebd.: 3).
Angesichts dieser Ausgangslage empfahl die Kommission Abrisse als Mittel der Anpassung der lokalen Wohnungsmärkte an die sinkenden Einwohnerzahlen: „In den ostdeutschen Städten und Gemeinden müssen in den nächsten 10 Jahren 300.000 bis 400.000 leerstehende Wohnungen abgerissen werden“ (ebd.: 4). Nachdem sich in der damals regierenden rot-grünen Koalition und im SPDgeführten Bundesbauministerium die Ansicht durchgesetzt hatte, dass die Bewältigung des Leerstandsproblems ein zentrales wohnungspolitisches und städtebauliches Ziel sei (vgl. Bernt 2007: 97), folgte sie den Empfehlungen der Expertenkommission. Ab Spätsommer 2001 wurde, noch vor der für das darauf folgende Jahr terminierten Bundestagswahl, das Programm „Stadtumbau Ost – für lebenswerte Städte und attraktives Wohnen“ mittels einer Verwaltungsvereinbarung über die Gewährung von Finanzhilfen zur Städtebauförderung auf den Weg gebracht (vgl. BMVBS/BBR 2006a: 11-14).27 In der Verwaltungsvereinbarung legten Bund und Länder gemeinsam die Erweiterung der Städtebauförderung in den ostdeutschen Bundesländern durch das Programm „Stadtumbau Ost“ fest. Als Programmziel galt „die Wiederherstellung intakter Stadtstrukturen, indem Stadtquartiere durch bauliche Maßnahmen aufgewertet und Wohnungsleerstände abgebaut werden. Auf der Grundlage von Stadtentwicklungskonzepten sollen Stadtteile stabilisiert werden, die durch physischen Verfall und soziale Erosion bedroht sind, zu sanierende und besonders wertvolle innerstädtische Altbaubestände erhalten und dauerhaft nicht mehr benötigte Wohnungen rückgebaut werden“ (VVStädtebauförderung 2002: 5).
Zuvor, im Oktober 2001, hatte das zuständige Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) den „Wettbewerb Stadtumbau Ost“ ausgelobt (vgl. BMVBW 2001a, BMVBW/BBR 2003a, auch: BMVBW 2001b). Als inhaltliche Vorbereitung auf das Programm sollte der Wettbewerb einen Anreiz zur Entwicklung von integrierten Stadtentwicklungskonzepten schaffen. Diese waren Voraussetzung für die Förderfähigkeit von Maßnahmen. „Integriert“ sollten die Konzepte insofern sein, als dass eine Berücksichtigung wohnungswirtschaftlicher und städtebaulicher Aspekte, beispielsweise Gebäudesanierung und 27
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Als Steuerungselement der bundesdeutschen Städtebauförderung regeln Verwaltungsvereinbarungen nicht nur die rein administrativ-organisatorischen Notwendigkeiten der Bund-LänderKooperation, sondern auch förderungspolitische Ziele, Gegenstände und Kostenkategorien eines Mitteleinsatzes (vgl. Eltges/Walter 2001: III). Insofern kommt ihnen – laut Eltges und Walter – eine Gesetz ersetzende Bedeutung zu (vgl. ebd.). Vgl. zur Städtebauförderung als Finanzierungsverbund aus Bund, Ländern und Gemeinden, zur Geschichte ihrer Entwicklung sowie zu ihren Erweiterungen auch Güntner 2007: 113ff.
-abriss, Freiraum- und Wegeplanung oder die Anpassung der technischen und sozialen Infrastruktur, gefordert wurde. Das Bundesbauministerium erwartete umfassende Aussagen zu Potenzialen und Defiziten der jeweiligen Gesamtstadt mit einem Planungshorizont von etwa zehn Jahren sowie detaillierte gebietsbezogene Stadtteilkonzepte (vgl. ebd.: 7ff., BMVBW/BBR 2003a: 12ff.). Weiter hieß es in der Wettbewerbsauslobung: „In die Entscheidung über die erforderlichen Umstrukturierungsmaßnahmen sollten alle Beteiligten aus Stadtplanung und Wohnungswirtschaft, vor allem aber auch die Bürger möglichst frühzeitig einbezogen werden. Die Erarbeitung von Stadtentwicklungskonzepten stellt deshalb nicht nur vom Inhalt, sondern auch vom Verfahren her einen äußerst komplexen Prozess dar“ (BMVBW 2001a: 3). 28
Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Fördermitteln im Rahmen von „Stadtumbau Ost“ ist seitdem die Festlegung von Fördergebieten durch kommunal verbindliche Beschlüsse und zugleich aber auch das Vorhandensein eines mit möglichst allen relevanten Akteuren abgestimmten Stadtentwicklungskonzeptes (vgl. VV-Städtebauförderung 2002: 9). Die Fördermittel können eingesetzt werden für den Rückbau leer stehender, dauerhaft nicht mehr benötigter Wohngebäude – d.h. für die Freimachung von Wohnungen, für den unmittelbaren Abriss und für eine Herrichtung des Grundstücks zur Wiedernutzung in Form von Rasenansaat – sowie für die Aufwertung von Stadtquartieren. Dies umfasst die Erarbeitung und Fortschreibung der Stadtentwicklungskonzepte, die Anpassung der städtischen Infrastruktur, die Wiedernutzung der freigewordenen Flächen und auch die Aufwertung des vorhandenen Gebäudebestands (vgl. ebd.: 8f.). Damit subventioniert das Stadtumbauprogramm in seiner Ost-Variante einerseits die Beseitigung von Leerstand und sorgt dadurch aus wohnungswirtschaftlicher Sicht für eine Angebotsreduzierung, andererseits will es in seinem stadtplanerischen Strang den strukturellen Disparitäten der aktuellen ostdeutschen Stadtentwicklung durch Aufwertungsmaßnahmen, integrierte Konzepte und neue Kooperationsstrukturen entgegenwirken (BMVBS/BBR 2006a: 18f.). Die Kombination aus Konzepterarbeitung, finanziellen Anreizen und Vorgaben zur Fördermittelgewährung soll die Akteure in den „Stadtumbaukommunen“ zu einer Abstimmung wohnungswirtschaftlicher mit übergeordneten stadtplanerischen Zielen bewegen, um „die einzelnen Maßnahmen des Stadtumbaus zu einem zukunftsfähigen, sinnvollen Ganzen zu verbinden“ (BMVBW 2001a: 3). 28
An dem Wettbewerb nahmen insgesamt 259 ostdeutsche Kommunen und zehn Berliner Stadtteile teil. Je nach Einwohnerzahl hatte der Bund den beteiligten Kommunen finanzielle Zuschüsse zwischen 50.000 und 125.000 Euro für die Erarbeitung der Konzepte zur Verfügung gestellt. 34 Kommunen wurden zudem für ihre „beispielhaften Stadtumbaukonzepte“ ausgezeichnet (vgl. BMVBW/BBR 2003a: 8). Zur Auswertung der Wettbewerbsbeiträge vgl. BMVBW/BBR 2003b, Röding/Veith 2003.
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Mit der Erstellung integrierter Stadtentwicklungskonzepte ist demnach eine Steuerung von Schrumpfungsprozessen intendiert. Sie sollen die „Chancen des Schrumpfens“ nutzbar machen (Häußermann u.a. 2008: 214), d.h. durch eine sinnvolle Gestaltung von Abrissen und Nachnutzungen höhere städtische Qualitäten schaffen. Bernt (2002: 9ff.) hat hinsichtlich des Stadtumbauprogramms frühzeitig auf das Dilemma zwischen langfristiger Zielplanung auf der einen und kurzfristig umzusetzenden Konzepten auf der anderen Seite, auf die grundsätzlich gebotene Vorsicht gegenüber „weichen“ Prognosen sowie die Interessenvarianz der zur Mitwirkung aufgeforderten politischen, administrativen und wohnungswirtschaftlichen Akteure hingewiesen. Er kam zu folgender Einschätzung: „Etwas salopp formuliert: die Kommunen werden durch die Vergabe von Fördermitteln und Prämien in einem eher kurzfristig angelegten Bundeswettbewerb motiviert, mit knappen Planungsressourcen bei notwendig unsicheren Prognosen, ungenügendem Informationsstand und ohne sicheres Wissen um die Durchführbarkeit innerhalb kürzester Zeit eine völlig neue Planung vorzulegen, die noch dazu die oft entgegengesetzten Interessen verschiedenartiger lokaler Wohnungsanbieter integrieren, mit den Nachbargemeinden und der Öffentlichkeit abgestimmt [sein] und zu einem Konsens führen soll. Es ist wohl kaum übertrieben, ein solches Vorhaben als ‚gewagt’ zu bezeichnen“ (ebd.: 11f.).
Durch das Bund-Länder-Programm sind für den Zeitraum von 2002 bis 2009 rund 2,7 Milliarden Euro Finanzhilfen für Abriss- und Aufwertungsmaßnahmen bereitgestellt wurden. Dabei kommt das im Rahmen der Gewährung von Bundesfinanzhilfen zur Städtebauförderung übliche Drittelprinzip der Kostenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen nicht durchweg zur Anwendung. Vielmehr ist der Anteil des Bundes an der Förderung unterschiedlich hoch: Beim Rückbau beträgt der Bundesanteil bis zu 50 Prozent des Kostenaufwands, für den restlichen Anteil kommen die Länder auf.29 Bei Aufwertungsmaßnahmen beteiligt sich der Bund hingegen zu einem Drittel an den Gesamtkosten. Die Sicherstellung der anderen Drittel obliegt jeweils Land und Kommune (vgl. Georgakis 2004: 122). Das bedeutet: Bund und Länder kamen zwischen 2002 und 2009 für jeweils 1,1 Milliarden Euro auf, während die Kommunen 500 Millionen Euro bereitstellten.30 Die Zahl der am Programm teilnehmenden Städte
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Im Abrissbereich gewährt der Bund einen Zuschuss in Höhe eines vom Land festzulegenden Pauschalbetrags je Quadratmeter rückgebauter Wohnfläche, der maximal 30 Euro betragen darf. Das Land ergänzt um weitere 30 Euro, so dass die involvierten Wohnungsunternehmen im „Stadtumbau Ost“ mit einer Subventionierung von 60 Euro je Quadratmeter abgerissener Wohnfläche rechnen können. Diese Bezuschussung ermöglicht es den Wohnungsunternehmen, den Abriss für sie kostenneutral zu gestalten. Nach einer Zusammenstellung der „Bundestransferstelle Stadtumbau Ost“ (Stand: Januar 2006) verteilten sich die Finanzhilfen des Bundes folgendermaßen auf die einzelnen Jahre:
und Kommunen ist von 197 im Jahr 2002 auf 390 im Jahr 2007 gestiegen (vgl. BMVBS/BBR 2008: 61). Trotz des politischen Ziels des Programms, gleichermaßen Abriss und Aufwertung zu ermöglichen, verdeutlichen verschiedene Überblicke zum Umfang und zu den Schwerpunkten der Stadtumbaumaßnahmen in Ostdeutschland (vgl. IfS 2004: 16, BMVBS/BBR 2006a: 70ff.), dass sich ökonomische Belange zumeist gegenüber sozial, kulturell oder ästhetisch motivierten Planungen durchsetzen konnten – Abrisse stehen im Vordergrund. Im Februar 2007 belief sich die Zahl der rückgebauten Wohnungen im Osten auf rund 193.000. Davon waren mehr als 170.000 Wohnungen (ca. 88 Prozent) ausschließlich mit Mitteln aus dem Bund-Länder-Programm „Stadtumbau Ost“ abgerissen worden (vgl. BMVBS/BBR 2007: 23). Laut Berechnungen der „Bundestransferstelle Stadtumbau Ost“31 hat sich zwischen 2002 und 2005 der Wohnungsbestand in den „Stadtumbaukommunen“ um etwa drei Prozent verringert, im gleichen Zeitraum sank die Leerstandsquote um etwa 1,4 Prozent (vgl. ebd.: 23, ebenso BMVBS/BBR 2008: 306). 2.1.2.2 „Stadtumbau West“ Im Westen durchliefen Standorte der traditionellen Hochindustriesektoren (Bergbau, Kohle, Stahl, Schiffsbau) bereits in den Siebziger- und Achtzigerjahren eine krisenhafte Entwicklung (vgl. Häußermann/Siebel 1987: 22-32, Forschungsagentur 2004).32 Die nachlassende wirtschaftliche und demographische Dynamik schlug sich auch in einer veränderten Nutzung städtischer Flächen nieder: „Die vormals industriell genutzten Flächen der großen Konzerne fielen brach, was zu Nutzungs- und Funktionsverlusten großer, innerstädtischer Flächen führte. Revitalisierungen un-
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2002, 2003: jeweils 153,4 Millionen Euro; 2004: 138 Millionen Euro; 2005: 136 Millionen Euro, 2006-2009: jährlich 89 Millionen Euro (BMVBS/BBR 2006a: 12). Die Bundestransferstelle wurde ab 2004 im Auftrag des Bundesbauministeriums am Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner aufgebaut. Ihr wesentliches Ziel ist die Schaffung einer öffentlich zugänglichen Informationsplattform zum Programm „Stadtumbau Ost“ sowie die Gewährleistung eines Wissenstransfers zwischen den beteiligten Akteuren. Zudem obliegen ihr die Erfassung des Sachstandes der Programmumsetzung, einschließlich der Darstellung von Problemen und Hemmnissen des Stadtumbauprozesses sowie Aufgaben der Politikberatung durch die Formulierung von Empfehlungen (für weitere Informationen vgl. www.stadtumbau-ost.info). Zur Begleitforschung im Programm „Stadtumbau West“ vgl. Fußnote 34). Am nachhaltigsten betroffen von Arbeitsplatz- und Einwohnerverlusten waren das Ruhrgebiet, das Saarland und das Bundesland Bremen (einschließlich Bremerhaven; vgl. dazu Glock 2006: 25f.).
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terblieben aufgrund mangelnder Nachfrage, auch weil es sich um stark kontaminierte Industriebrachen handelte, deren Widergewinnung teuer und langwierig war. […] Während in den prosperierenden Städten die aufgelassenen Industrieflächen einem neuen Verwertungskreislauf durch tertiäre Nutzungen zugeführt wurden, kam ein solcher Umwandlungsprozess in den schrumpfenden Städten nur unter massiven staatlichen Interventionen zustande“ (Glock 2006: 30).
Der nach dem Mauerfall einsetzende Wirtschaftsboom und die ersten Zuwanderungswellen aus Ostdeutschland dämpften zunächst die Krise. Ende der Neunzigerjahre verdichteten sich dann erneut – nicht zuletzt auch als Folge der gestiegenen Aufmerksamkeit für schrumpfende ostdeutsche Städte – die Hinweise auf zumeist lokale begrenzte Schrumpfungstendenzen im Westen (vgl. Gatzweiler u.a. 2003: 565, BBR 2004: 7ff.). Während „Stadtumbau Ost“ allerdings schwerpunktmäßig auf wohnungsbezogene Leerstände bezieht – sowohl in den Großsiedlungen als auch in den innerstädtischen Lagen – gerichtet ist, besteht im Westen in wohnungswirtschaftlicher Hinsicht Handlungsbedarf lediglich in Teilmärkten – insbesondere in den hochverdichteten westdeutschen Wohnanlagen der Sechziger- und Siebzigerjahre (vgl. vhw 2003: 11).33 Darüber hinaus bedürfen brach gefallene Gewerbeflächen und militärische Konversionsflächen einer Anpassung an gewandelte Stadtstrukturen. Vor diesem Hintergrund initiierte im Herbst 2002 die damalige Bundesregierung zunächst ein neues Untersuchungsfeld im Rahmen der Ressortforschung des „Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus“ (ExWoSt) mit dem Titel „Stadtumbau West“ (vgl. Goderbauer/Karsten 2003, BMVBS/BBR 2008: 4144). Unter der Überschrift „Stadtumbau West“ sollten mit einer Laufzeit von fünf Jahren Strategien des Stadtumbaus sowie der Anpassung des Stadtentwicklungsinstrumentariums an die veränderten demographischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in ausgewählten schrumpfenden westdeutschen Städten und Regionen exemplarisch erprobt und erforscht werden: „Im Forschungsfeld Stadtumbau West sollen die städtebaulichen Instrumente einschließlich der Städtebauförderung des Bundes überprüft und ggf. Ansätze zu deren Weiterentwicklung gewonnen werden. Dies betrifft insbesondere deren Eignung, rückläufige Entwicklungen, soweit sie auch im Westen Deutschlands prägend sind oder sein werden, räumlich zu steuern. Neben der Eignung bestehender Instrumente, ihres Flexibilisierungsbedarfs oder Fragen der Finanzierung werden auch Kooperations- und Akzeptanzaspekte beim Stadtumbau untersucht. […] Dabei bedarf es Pilotprojekte, die klären helfen, wie der Bund den zu erwartenden Wandel in
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Eine Gegenüberstellung der relevanten Leerstandszahlen verdeutlicht dies: Lag die durchschnittliche Leerstandsquote der vom Bundesverband der deutschen Wohnungsunternehmen (GdW) vertretenen ostdeutschen Unternehmen im Jahr 2002 bei 16,2 Prozent (ca. 1,3 Millionen Wohnungen), so belief sich die Quote im Westen auf 3,2 Prozent (ca. 120.000 Wohnungen; vgl. vhw 2003: 11).
nicht mehr durch Wachstum geprägten Stadtregionen, Städten und Stadtteilen positiv unterstützen kann“ (BBR 2004: 6).34
Für dieses Vorhaben der ExWoSt-Forschung stellte der Bund Fördermittel in Höhe von 30 Millionen Euro zur Verfügung, die durch Landes- und kommunale Mittel ergänzt wurden (zu den verschiedenen Finanzierungsformen und Kombinationsmöglichkeiten vgl. BBR 2006: 55ff., BBR 2008: 85ff.). Anfangs waren in den „Stadtumbau West“ elf Pilotstädte bzw. -stadtteile einbezogen, die allesamt hohe Bevölkerungsverluste, häufig in Kombination mit Arbeitsplatzabbau, aufwiesen (vgl. Forschungsagentur 2005); später wurde die Förderung auf zusätzliche fünf Gebiete ausgeweitet.35 Im Hinblick auf ihr für den „Stadtumbau West“ relevantes Profil ließen sich die Standorte unterscheiden in Städte, in denen ein Schwerpunkt auf dem ökonomischen Strukturwandel und der Bearbeitung seiner städtebaulichen Folgen gelegt wurde, und in Städte, die sich mit Fragestellungen des Wohnwandels bzw. des wachsenden Leerstands in einzelnen Quartieren auseinandersetzten (vgl. BBR 2004: 10) – in die zuletzt genannte Rubrik fiel unter anderem die Hansestadt Bremen mit der Großsiedlung Tenever. Der Initiierung des neuen ExWoSt-Forschungsfeldes war eine intensive Lobbyarbeit vorausgegangen (vgl. Fuhrich/Kaltenbrunner 2005: 44): Vertreter der westdeutschen Wohnungswirtschaft hatten aufmerksam registriert, dass es ihren ostdeutschen Kollegen durch den „Stadtumbau Ost“ gelungen war, Aufmerksamkeit auf und Fördermittel in ihre Bestände zu lenken. Im Gegenzug 34
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Analog zur „Bundestransferstelle Stadtumbau Ost“ vergab der Bund für den ExWoSt-Bereich „Stadtumbau West“ ebenfalls den Auftrag zur Begleitforschung und Auswertung der eingeschlagenen Stadtumbaustrategien. Ausgewählt wurde die in Oldenburg ansässige Forum GmbH als „Forschungsagentur Stadtumbau West“ (vgl. Goderbauer/Karsten 2003: 676 und den Internetauftritt unter www.stadtumbauwest.de; letzter Zugriff am 14.9.2009). Sie organisiert unter anderem jährlich stattfindende öffentliche Veranstaltungen und erstellte Sondergutachten und Expertisen zu ausgewählten Fragestellungen. Außerdem publiziert sie regelmäßige Newsletter, jährliche Sachstandsberichte, Informationsbroschüren und Auswertungen (für die Zwischenbilanz vgl. BBR 2006, für die Endauswertung BBR 2008). Nach der Übernahme des Programms in die Regelförderung wurde der Auftrag der Forschungsagentur erweitert um die wissenschaftliche Begleitung und Auswertung des neuen Bund-Länder-Programms „Stadtumbau West“. Pilotstädte der „ersten Stunde“ – von denen manche ihren Fokus auf ausgewählte städtische Teilräume, so genannte „Impulsprojekte“, legten – waren: Lübeck, die Marine- und Hafenstadt Wilhelmshaven, Bremerhaven, Bremen, die Stahlstädte Salzgitter und Völklingen, die ehemalige Bergbaustadt Oer-Erkenschwick, die ländliche Gemeinde Wildflecken (mit brachgefallenen, ehemals militärisch genutzten Flächen), die Porzellanstadt Selb, die Schuhstadt Pirmasens und die Textilstadt Albstadt (vgl. Goderbauer/Karsten 2003: 670ff.). Im Herbst 2003 wurden zudem Hamburg, Gelsenkirchen, Essen, der Gemeindeverbund Schwalm-Eder-West (ehemaliger Braunkohlestandort) sowie Saarbrücken in das Programm aufgenommen (vgl. BBR 2004: 11, dort finden sich auch Kurzprofile aller Pilotgebiete).
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nutzten sie nun ihre eigenen Kanäle, um im Bundesbauministerium auf ihre aus ihrer Sicht nicht minder existenziellen Nöte hinzuweisen und die Verpflichtung des Bundes zu betonen, die westdeutsche Wohnungswirtschaft nicht „im Regen stehen“ zu lassen. Von besonderer Bedeutung war dabei die Lobbyarbeit für ein Engagement des Bundes in der Bremer Großsiedlung Tenever (vgl. Fuhrich/Kaltenbrunner 2005: 44).36 Da keine anderen Fördermittel in Frage kamen, wurden die Grenzen des Instruments „ExWoSt“ um die Möglichkeit einer Förderung investiver Maßnahmen erweitert, so dass im Programm „Stadtumbau West“ erstmals auch größere Investitionen als „forschungsbedingte Mehrkosten“ förderfähig waren (vgl. Goderbauer/Karsten 2003: 670). Dies ist als ein Entgegenkommen gegenüber der Wohnungswirtschaft zu interpretieren und ein deutlicher Erfolg ihrer Lobbyarbeit. Im Jahr 2004 wurde „Stadtumbau West“ zum Regelförderprogramm der Städtebauförderung und in das novellierte Baugesetzbuch aufgenommen (vgl. die Vorschriften über den Stadtumbau, §§ 171a ff. BauGB in der Fassung vom 1. Juli 2005). Im Städtebaulichen Bericht von 2004 heißt es dazu: „Mit dem Programm will der Bund die Städte in den alten Ländern veranlassen, sich frühzeitig auf die notwendigen Anpassungsprozesse einzustellen. Das Programm Stadtumbau West soll auch vorbeugend eingesetzt werden, um zu vermeiden, dass künftig Wohnungen im Westen Deutschlands wegen Leerstands in gleichem Umfang zurückgebaut werden müssen, wie das heute in den neuen Ländern notwendig ist“ (BMVBW 2005: 74, Hvhbg. i. Orig.).
Auf Basis einer Ergänzung der Verwaltungsvereinbarung zur Städtebauförderung 2004 (vgl. Ergänzungs-VV Städtebauförderung 2004) wird seitdem auch in den alten Bundesländern Stadtumbau gefördert, um in den „von erheblichen städtebaulichen Funktionsverlusten betroffenen Gebieten Anpassungen zur Herstellung nachhaltiger städtebaulicher Strukturen“ (ebd.: 2) zu ermöglichen. Zwischen 2004 und 2007 standen Bundesmittel in der Höhe von 211 Millionen Euro für die Programmumsetzung zur Verfügung (vgl. BMVBS/BBR 2008: 39). Die Mittel können eingesetzt werden zur Erarbeitung und Fortschreibung städtebaulicher Entwicklungskonzepte, zur städtebaulichen Neuordnung, Wieder- und Zwischennutzung von Industrie-, Verkehrs- oder Militärbrachen, für Aufwertung, Umbau oder Rückbau des vorhandenen Gebäudebestands sowie zur Anpassung von Infrastruktur und Freiflächen (vgl. Ergänzungs-VV Städtebauförderung 2004: 3). Voraussetzungen für die Fördermittelgewährung sind – ähnlich wie im „Stadtumbau Ost“ – das Vorhandensein eines Entwicklungskonzepts37 sowie ein kommunaler Beschluss über die räumliche Abgrenzung des 36 37
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Detaillierter dazu Kapitel 5.1.2. Allerdings werden in das geforderte „städtebauliche Entwicklungskonzept“ weniger hohe Erwartungen gesetzt als in die integrierten Konzepte im „Stadtumbau Ost“. In der entsprechen-
jeweiligen Fördergebiets (vgl. ebd.: 3). Anders als beim „Stadtumbau Ost“ gilt bei der Finanzierung des Regelförderprogramms „Stadtumbau West“ durchgängig der Grundsatz der drittelparitätischen Aufteilung der Finanzierung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Für die Auswahl von Fördergebieten und förderungsfähigen Maßnahmen sind die Bundesländer zuständig. Die Schwerpunktsetzungen variieren als Folge des breiten Zielkatalogs des Programms von Bundesland zu Bundesland. Bis Ende 2006 wurden 235 westdeutsche Kommunen in das Programm aufgenommen (vgl. BMVBS/BBR 2008: 39, 45). Lassen sich die massiven Wohnungsabrisse im Osten als Strategie einer nachholenden Marktbereinigung interpretieren, so stehen im Westen städtebauliche und infrastrukturelle Anpassungen an veränderte Rahmenbedingungen im Mittelpunkt. Insofern lässt sich der „Stadtumbau West“ nicht als Abrissprogramm analog zum „Stadtumbau Ost“ bezeichnen. In Bezug auf die Unterschiede zwischen „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ betonen Fuhrich und Kaltenbrunner zudem Differenzen in der Problemwahrnehmung und den daraus abgeleiteten Handlungserfordernissen: „Darf man feststellen, daß Schrumpfung in nahezu jeder ostdeutschen Gemeinde wie auch – mit Abstrichen – auf Länderebene als Thema politisch verankert ist, so muß man für die alten Länder konstatieren, daß hier gewisse Verdrängungsmechanismen wirksam sind. Eine Erklärung dafür ist der unterschiedliche Problemdruck: Was im Osten nach einer schnellen Lösung ruft, ist im Westen ein allmähliches, mittelfristig zu Buche schlagendes Problem. Entsprechend unterschiedlich sind auch die politischen Handlungserfordernisse. Dem liegen auch sehr distinkte Mentalitäten zugrunde: Einer fundamentalen Umbrucherfahrung steht ein bislang kaum erschüttertes Wachstumsdenken gegenüber“ (Fuhrich/Kaltenbrunner 2005: ebd.: 42).
Die bislang vorliegenden sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zum Umgang mit Schrumpfungsphänomenen in westdeutschen Städten bestätigen diese Einschätzung (vgl. Glock 2006).38
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den Verwaltungsvereinbarung heißt es zum „Stadtumbau West“ knapp: „Das Konzept umfasst räumlich und sachlich die Aspekte, welche für die Stadtumbaumaßnahme im Fördergebiet sowie für die Auswirkungen und die Bedeutung der Stadtumbaumaßnahme auf und für das übrige Stadtgebiet sowie die Stadtentwicklung insgesamt bedeutsam sind“ (Ergänzungs-VV Städtebauförderung 2004: 3). Allerdings muss auch darauf hingewiesen werden, dass die deutsche Stadtforschung bislang insgesamt nur wenige empirische Analysen, die sich mit Stadtschrumpfung in Westdeutschland und/oder „Stadtumbau West“ beschäftigen, hervorgebracht hat.
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2.2 Forschungsbefunde zum Zusammenhang von Partizipation und Stadtumbau 2.2.1 Konjunkturen der Schrumpfungs- und Stadtumbauforschung Obwohl Schrumpfung und Stadtumbau als Forschungsthemen noch jung sind, können für die zum Jahrtausendwechsel einsetzende Schrumpfungsforschung, wie Großmann herausgearbeitet hat, spezifische Diskurskonjunkturen verzeichnet werden (vgl. Großmann 2007: 22ff.). Fragen zum Zusammenhang von Stadtumbau und Partizipation gelangten dabei erst verhältnismäßig spät in den Fokus der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit. Nach der langjährigen Tabuisierung des Themas in Politik und Wissenschaft dominierte zu Beginn des Jahrtausends zunächst eine Problematisierung den Diskurs zu schrumpfenden Städten. Es erschien eine Vielzahl von praxisbezogenen sowie alarmierend-appellierenden Beiträgen (vgl. m.w.N. ebd.: 23f.). Diese zielten auf eine Sensibilisierung für die dramatische Lage, insbesondere im Osten Deutschlands: „Auf der einen Seite ist von Schwierigkeiten die Rede, von einer Krise, von Verlusten und Abwärtsspiralen. Auf der anderen Seite, meist in denselben Beiträgen – und tendenziell am Schluss –[,] werden Chance und Möglichkeiten beschrieben, Experimente eingefordert, Kreativität und Mut oder Gelassenheit angemahnt“ (ebd.: 22).
Für den Zeitraum ab 2003/2004 setzte dann eine Systematisierung in der wissenschaftlichen Diskussion ein – in Form von zunehmend spezialisierten Darstellungen: Monographien einzelner Forschungsprojekte erschienen wie zum Beispiel die Fallstudie zum Stadtumbau in Weißwasser, seinen Akteuren und deren Wahrnehmung des Stadtumbaus von Kabisch, Bernt und Peter (2004), die Untersuchung von Schrumpfungsprozessen in ostdeutschen Kleinstädten, die Hannemann (2004) vorlegte, und ein Vergleich der Stadtpolitik in schrumpfenden Städten in Ost und West (Glock 2006). Des Weiteren wurden beispielsweise die Historizität von Schrumpfungsprozessen in der Geschichte der europäischen Städte analysiert (Benke 2005) oder auch die internationale Dimension von Schrumpfung genauer betrachtet (vgl. Oswalt 2004). Kennzeichen dieser Diskursphase, so Großmann, sei eine Einigkeit dahingehend, Schrumpfung nicht als ostdeutschen Sonderfall zu problematisieren, sondern als Zuspitzung einer allgemeinen, in weiten Teilen der Bundesrepublik und in allen anderen Industrienationen zu beobachtenden Entwicklung (vgl. Großmann 2007: 25).39 39
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Großmann (2007: 24f.) hebt zudem hervor, dass Brachflächen eine thematische Brücke zwischen den verschiedenen Diskurssträngen schlagen, da sich Planungspraktiker, Künstler, Architekten, Philosophen, Ingenieurswissenschaftler, Ökologen und Beteiligungsforscher glei-
Während Fragen der Partizipation in den eher problematisierenden Beiträgen noch keine Rolle spielten, stieg ihre Bedeutung in den systematisierenden und differenzierenden Arbeiten. Im Folgenden sollen bisherige Befunde der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Bedeutung von Partizipation bei der lokalen Umsetzung der Förderprogramme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ umrissen werden. Dazu wird zunächst der Anspruch an Partizipation, wie er in den offiziellen Programmdokumenten und Kommentaren zu den Stadtumbauprogrammen sichtbar wird, dargestellt. Danach erfolgt eine Zusammenfassung des relevanten vorzufindenden Wissensbestands. 2.2.2 Anspruch an Partizipation auf der Programmebene Sowohl die Agenden der Bund-Länder-Programme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ als auch die Konzipierung des den „Stadtumbau West“ vorbereitenden ExWoSt-Forschungsfelds messen dem Einbezug von Bürgern eine hohe Bedeutung bei (vgl. für die folgenden Ausführungen auch Bernt/Fritsche 2008). Die Programmdokumente betonen durchweg die Notwendigkeit einer umfassenden Beteiligung. Beispielsweise forderte bereits der Auslobungstext zum „Bundeswettbewerb Stadtumbau Ost“: „In die Entscheidungen über die erforderlichen Umstrukturierungsmaßnahmen sollten alle Beteiligten aus Stadtplanung und Wohnungswirtschaft, vor allem aber auch die Bürger frühzeitig einbezogen werden“ (BMVBW 2001a: 3).
Und weiter: „Die gebietsbezogenen Konzepte sind in enger Abstimmung mit den betroffenen Grundeigentümern im Stadtteil, den Nutzern und Bewohnern zu erarbeiten“ (ebd.: 8f.). In einer Arbeitshilfe des Bundesbauministeriums zur Erstellung der integrierten Stadtentwicklungskonzepte wird den Kommunen empfohlen, dabei „Erfahrungen, die mit der Bewohnerbeteiligung im Rahmen der ‚behutsamen’
chermaßen der Untersuchung ihrer Potenziale widmeten. An dieser inhaltlich-thematischen Schnittstelle ist im Übrigen das interdisziplinär ausgerichtete Graduiertenkolleg „Stadtökologie – Schrumpfende Städte“ zu verorten, in dessen Rahmen die vorliegende Dissertation entstand. Dieser Forschungszusammenhang ging von der Annahme aus, dass die durch Abrisse entstandenen neuen Freiflächen einerseits dahingehend entwickelt werden können, dass ihre Funktionalität für verschiedene Bedürfnisse der Bevölkerung (z.B. Erholung, Gesundheit, Sport, Spiel, Naturerfahrung) verbessert wird, und ihnen andererseits auch wesentliche ökologische Funktionen für Boden, Wasser, Luft und Klima sowie Tier- und Pflanzenwelt zukommen (vgl. Fritsche u.a. 2008).
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Stadterneuerung bzw. in der ‚Sozialen Stadt’ gemacht worden sind, einzubringen“ (BMVBW 2001b: 13). Seit der Aufnahme der Vorschriften zum Stadtumbau in das Baugesetzbuch im Zuge seiner 2004 erfolgten Novellierung ist die Anwendung des sogenannten Beteiligungsparagraphen (§ 137 BauGB) bei der Vorbereitung und Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen in Ost wie West vorgeschrieben (vgl. § 171b [3] BauGB in der Fassung vom 1. Juli 2005). Dieser Paragraph sieht vor, dass die Maßnahmen mit „Eigentümern, Mietern, Pächtern und sonstigen Betroffenen möglichst frühzeitig erörtert werden“ (§ 137 BauGB in der Fassung vom 1. Juli 2005). Zudem sollen die Betroffenen zur Mitwirkung „angeregt und hierbei im Rahmen des Möglichen beraten werden“ (ebd.) Der Ende 2004 vorgelegte Städtebauliche Bericht der damaligen rot-grünen Bundesregierung beschreibt den Einbezug zivilgesellschaftlicher Akteure als zentral für eine gelingende Stadtentwicklung. Dort heißt es: „Neue Aufgaben und ein ständig wachsender Problemdruck, insbesondere in den Städten, bereiten den Weg für einen Wechsel in der staatlichen Aufgabenerfüllung in Deutschland: zum aktivierenden und kooperativen Staat. […] Im Rahmen einer Partnerschaft sind alle Akteure in der Gesellschaft aufgerufen, ihre Ideen und Konzepte in die stadtentwicklungspolitischen Prozesse einzubringen. […] Wirtschaft, Bürgerinnen und Bürger und Stadt sind aufgerufen, ihre Ziele für ihre Stadt gemeinsam zu definieren. Diese Ziele bilden die Grundlage einer umfassenden und vom Konsens getragenen Umsetzungsstrategie“ (BMVBW 2005: 8).
Auch eine 2008 im Auftrag des Bundesbauministeriums durchgeführte Evaluierung von „Stadtumbau Ost“ unterstreicht die Bedeutung eines konsensualen Vorgehens für die lokale Umsetzung des Programms: „Die Bewältigung dieser komplexen Aufgabe [Umsetzung und Management des Stadtumbaus, M.F.] ist umso anspruchsvoller, als der Stadtumbau nach seiner Programmatik durch konsensuales Vorgehen, sowohl in der Konzept- als auch in der Umsetzungsphase, geprägt sein soll. Für die erforderliche Abstimmung und Angleichung divergierender Interessenlagen zwischen einer Vielzahl von privaten und öffentlichen Akteuren müssen geeignete Formen zur Planungsvorbereitung, Entscheidungsfindung, Umsetzung und Steuerung gefunden werden“ (BMVBS/BBR 2008: 107).
Diese Linie setzt sich fort auf der Ebene der Landespolitik. Das Brandenburger Bauministerium, das als einzige föderale Institution zu Beginn des Stadtumbaus grundsätzliche Überlegungen zu den Programmzielen veröffentlichte, macht den Gesamterfolg insbesondere von einer umfassenden Beteiligung abhängig: „Von der Qualität der Öffentlichkeitsarbeit und der Bewohnerbeteiligungen wird sowohl kurzfristig, mehr aber noch auf längere Sicht abhängen, ob der Stadtumbau erfolgreich realisiert werden kann“ (MSWV Brandenburg 2002: 6).
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Beteiligung erfährt diese hohe Wertschätzung jedoch nicht nur in den Reihen der Politik. So weist beispielsweise der Bundesverband für Wohneigentum und Stadtentwicklung (vhw) seine Mitglieder darauf hin, dass „Stadtumbau [...] nur mit dem Bürger als Betroffenen, aber auch als Auftraggeber und Mitgestalter der Politik möglich [ist]. Ohne die Einbindung der Bürger als Betroffene und Gestalter der öffentlichen Gemeinschaft wird der Stadtumbauprozess nicht zu leisten sein“ (vhw 2003: 67).
Die Zeitschrift vhw Forum Wohneigentum – das Verbandsorgan des vhw – widmete mehrere Ausgaben der Bedeutung von Bürgermitwirkung in der Stadtentwicklung im Allgemeinen sowie im Stadtumbau im Besonderen. Sie berichtete über Veranstaltungen und Workshops zum Thema und ließ einzelne Experten zu ausgewählten Bereichen Stellung nehmen (vgl. die Beiträge in vhw Forum Wohneigentum 2006a, 2006b u. 2007). Auch der Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen (GdW) betont die Notwendigkeit einer sozialverträglichen Gestaltung der Rückbauvorhaben, deren „soziale Akzeptanz bei der Bevölkerung“ nicht zu unterschätzen sei (vgl. Hunger 2003: 654). Sowohl die offiziellen Programmdokumente als auch Absichtserklärungen der verschiedenen Akteure erwecken den Eindruck, dass bürgerschaftliche Mitwirkung am Stadtumbau gewünscht ist und breite Unterstützung erfährt: Vom zuständigen Bundesministerium über die Landesverwaltungen hin bis zur Wohnungswirtschaft – überall scheint Konsens über die Notwendigkeit einer Beteiligung der betroffenen Bewohner zu herrschen. 2.2.3 Partizipationsrealität in den Quartieren Für die Realität in den Quartieren zeichnen sozialwissenschaftliche Untersuchungen jedoch ein abweichendes Bild. Generell lassen sich zwei Ebenen der Beteiligung von Bewohnern im Stadtumbau unterscheiden: zum einen die Mitwirkung in der lokalen, quartiersbezogenen Konzeptionsphase des Stadtumbaus, zum anderen die Beteiligung bei der Vorbereitung und Umsetzung von konkreten Stadtumbaumaßnahmen, einschließlich der Aneignung neu entstandener Flächen. Begleitforschung und wissenschaftliche Programmauswertung deuten darauf hin, dass die Partizipationsrealität in beiden Bereichen nicht von der Euphorie der Programmdokumente getragen zu sein scheint und sich eher problematisch darstellt: In vielen lokalen
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Stadtumbauprozessen scheinen einseitige, in erster Linie auf Information ausgerichtete Beteiligungsformen zu dominieren.40 Bereits die erste, durch das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) vorgenommene Evaluation der im „Bundeswettbewerb Stadtumbau Ost“ erarbeiteten Konzepte enthält im Hinblick auf die Mitwirkung von Betroffenen eine eher ernüchternde Einschätzung: „[D]ie Konzepte [wurden] zum Teil in Foren vorgestellt und teilweise auch im Rahmen von Workshops mit Bewohnern diskutiert. [...] Im sensiblen Bereich der Festlegung objektkonkreter Rückbaumaßnahmen hatten Kommunen und Wohnungsunternehmen dagegen oft die berechtigte Sorge, dass eine zu frühe Einbeziehung der Öffentlichkeit – insbesondere der betroffenen Mieter – eine Umsetzung der Pläne erschweren könnte“ (BMVBW/BBR 2003b: 25, vgl. auch Röding/Veith 2003).
Im Gegensatz zu der im Programm konzipierten „gemeinsamen Zieldefinition“ aller relevanten Akteure, der „engen Abstimmung“ und „frühzeitigen Einbeziehung“ von Bewohnern, zeigten maßgeblich Verantwortliche auf Seiten der Wohnungswirtschaft eine ambivalentere Haltung gegenüber der konkreten Beteiligungspraxis: „Einerseits darf keine Planung im stillen Kämmerlein erfolgen, mit der dann die Bewohnerschaft ‚beglückt’ wird. Andererseits dürfen nicht zu früh Unsicherheiten und Ängste erzeugt werden, indem in Frühphasen der Planung öffentlich mit unzureichender Professionalisierung diskutiert wird“ (Hunger 2003: 654).
Als Folge war die Konzeptionsphase der lokalen Stadtumbauprozesse von einseitigen Informationsveranstaltungen geprägt, auf denen Bewohner über bereits gefasste Beschlüsse in Kenntnis gesetzt wurden und diese gelegentlich auch diskutieren „durften“. Dem lag eine Auffassung zugrunde, die betroffene Bewohner als „scheue Rehe“ ansieht, die nicht durch zu viele, zu drastische oder zu deutliche Informationen über laufende Planungen und notwendige Rückbaumaßnahmen verschreckt werden dürfen. Der 2006 vorgelegte erste Statusbericht der Begleitforschung des Programms „Stadtumbau Ost“ (vgl. BMVBS/BBR 2006a) beschreibt die negativen Effekte dieser Sichtweise der Experten auf die Bewohner der Umbauquartiere: „Die Folge war, dass häufig Informationen über die laufenden Aushandlungsprozesse und notwendigen Rückbaumaßnahmen lange verdeckt gehalten wurden, jedoch über ‚verschlungene’ Wege dennoch vielfach publik wurden, was dann verständlicherweise Unmut bei den Betroffenen auslöste. [...] Partizipation fand in der Regel als Information nach dem Abschluss der 40
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Vgl. BMVBW/BBR 2003b, Kabisch u.a. 2004, BMVBS/BBR 2006a: 79ff., BMVBS/BBR 2007: 90-95, Kabisch u.a. 2007, Liebmann 2007, Bernt/Fritsche 2008, BBR 2008: 78-84, IRS 2008, BMVBS/BBR 2009, Hagemeister/Haller 2009.
Planungen statt, ohne die Möglichkeiten von Beteiligung oder gar Einsprüchen offen zu halten“ (ebd.: 79).
Ein im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung erarbeitetes Gutachten zum Thema „Bürgermitwirkung im Stadtumbau“ (im Folgenden auch „Mitwirkungs-Gutachten“ genannt) konstatiert in diesem Zusammenhang: „[W]enn es um Abrissplanungen und damit um die Verteilung von Kosten im Rahmen des Stadtumbaus geht, sind die kommunalen, insbesondere aber die wohnungswirtschaftlichen Akteure sehr zurückhaltend, was die Einbeziehung der Bürger angeht. Hier wird oft als Argument angeführt, Unruhe im Stadtteil vermeiden zu wollen. “ (BMVBS/BBSR 2009: 25).
Dass diese zögerliche, selektive und verspätete Mitwirkung bei den Bewohnern jedoch gerade Unzufriedenheit, Ängste und infolgedessen auch die Ablehnung der Planungen auslöste und zu einer enormen Belastung der lokalen Stadtumbauumsetzung führte, verdeutlicht eine Studie des Umweltforschungszentrums Leipzig-Halle, bei der fast 700 Haushalte in der sächsischen Stadtumbaustadt Weißwasser befragt wurden (vgl. Kabisch u.a. 2004). Deren Autoren kamen zum dem Schluss, dass die mangelnde Partizipation der Bevölkerung „eine unnötige Hypothek für den Stadtumbau“ darstellte und „vor allem Misstrauen und Unsicherheiten“ produzierte (vgl. ebd.: 163).41 Dabei ist das Verhältnis der Bewohner zum Stadtumbau von nachvollziehbaren Interessen bestimmt. Sie wünschen sich vielmehr auf frühzeitige und umfassende Informationen über die sie betreffenden Pläne. Im Falle eines unfreiwilligen Umzugs möchten Mieter zumeist einen weitgehenden Einfluss auf dessen Konditionen ausüben. Da selbst bei hohen Leerstandszahlen nur selten einzelne Gebäude komplett unbewohnt sind, müssen für einen Abriss die verbliebenen Mieter zum Auszug bewegt werden. Häufig fordern diese das Angebot einer in Grundriss, Preis und Ausstattung gleichwertigen Umsetzwohnung sowie eine Bestandsgarantie für die neue Wohnung. Zudem ist den Bewohnern von Umbauquartieren der Erhalt der Wohnumfeldqualitäten wichtig (vgl. Kabisch u.a. 2007, Bernt/Fritsche 2008). Eine Befragung in 207 ostdeutschen Programmkommunen zum Umsetzungsstand des Programms „Stadtumbau Ost“, die die Bundestransferstelle im Sommer 2006 durchführte (vgl. BMVBS/BBR 2008: 90f.), dass die Lokalpresse 41
Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die Nicht-Berücksichtigung des grundsätzlich Demokratie fördernden Aspekts von Beteiligung in Konzeption und Umsetzung von Stadtumbauprozessen eine weitere, über den Stadtumbau hinaus reichende Belastung der ostdeutschen Quartiersentwicklung darstellt bzw. negative Folgen für die dortige, im Vergleich zu westdeutschen Quartieren ohnehin nur schwach ausgeprägte Kultur der Beteiligung hat (vgl. dazu z.B. Schmitt 2004 u. 2007, Bürkner 2005).
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das bislang wichtigste Medium zur Information der Bürger über Stadtumbauprojekte war. In der Phase der Planung der Stadtentwicklungskonzepte wurden die Betroffenen nur „eher punktuell durch einmalige Veranstaltungen wie Bürgerversammlungen, Zukunftswerkstätten, Werkstattgespräche oder Bürgerforen beteiligt“ (BMVBS/BBR 2007: 91). In der Umsetzungsphase beschränkte sich die Einbeziehung der Bewohner in der Regel auf das Angebot von Beteiligungsverfahren bei konkreten Aufwertungsprojekten, also bei Entscheidungen über Gestaltung und Nutzung brach gefallener oder frei gewordener Flächen (vgl. ebd.: 93). Hagemeister und Haller fassen ihre Befunde zur Kommunikations- und Beteiligungskultur im Stadtumbau folgendermaßen zusammen: „Insgesamt besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen dem in der Anfangsphase der Programmumsetzung formulierten Anspruch der möglichst breiten und frühzeitigen Einbindung der Bürger in den Stadtumbau und dessen tatsächlicher Umsetzung im Stadtumbaualltag. Die bisher praktizierten Verfahren reichen in der Regel nicht aus, um Transparenz im Stadtumbauprozess herzustellen“ (Hagemeister/Haller 2009: 275).
Die vom Bundesbauministerium beauftragte Evaluierung des Programms hält unter der Überschrift „Bürgermitwirkung im Stadtumbau“ schlicht fest: „Partizipation beschränkt sich meist auf Information“ (vgl. BMVBS/BBR 2008: 120f). Bewohnerbeteiligung, so der Eindruck, dem die Begleitforschung Vorschub leistet, scheint im Stadtumbau zumeist in Form von Öffentlichkeitsarbeit, punktuellen Informationsveranstaltungen und Anschreiben an die Mieter vor Beginn der Umbaumaßnahmen, umgesetzt worden zu sein. Wenn überhaupt, wird die breite Bevölkerung im Stadtumbau entlang von Minimalstandards beteiligt – und das geschieht zudem erst, nachdem die wesentlichen Entscheidungen bereits gefallen sind. Bei der Entscheidung über Gestaltung und Nutzung neuer Freiflächen lässt sich eine Reihe von lokalen Beispielen für eine – allerdings anlassbezogene und punktuelle – Partizipation von Bewohnern finden (vgl. BMVBS/ BBR 2007: 93, Liebmann 2007: 31ff, BMVBS/BBR 2008: 123, BMVBS/BBSR 2009: 35f.). Im Rahmen konkreter Aufwertungsprojekte, so der zweite Statusbericht der Bundestransferstelle, „scheint die Einbeziehung von Bewohnern als Experten ihres persönlichen Lebensumfeldes einfacher zu bewerkstelligen zu sein als im gesamtstädtischen Kontext“ (BMVBS/BBR 2007: 93). Beispiele, in denen Betroffene eine intensivere Beteiligung im Stadtumbauprozess öffentlich eingefordert hätten, wurden bislang nicht wissenschaftlich begleitet und aufbereitet. Allerdings wäre es ein Trugschluss, auf Grundlage dieser (vermeintlichen) Abwesenheit von Partizipationsforderungen davon auszugehen, dass den Stadtumbauplänen und -maßnahmen allerorten eine vorbehaltlose Zustimmung und ein akteursübergreifender Konsens zugrunde lägen (so 48
etwa BMVBS/BBR 2008: 119, 121) – greift doch der Stadtumbau in sehr viel stärkerem Maße als andere Programme der Städtebauförderung unmittelbar in den Lebensalltag der Betroffenen ein. Dass sich kaum Bewohnerprotest artikuliert, lässt nicht nur auf das Fehlen von sozialen Zusammenhängen und Netzwerken schließen, aus denen heraus gegen den Stadtumbau mobilisiert werden konnte,42 sondern offenbart auch einen Mangel an Transparenz im Stadtumbauprozess: Wer weder mit den Rahmenbedingungen des Stadtumbaus vertraut noch mit Einladungen zur Mitwirkung konfrontiert ist, hat höchstwahrscheinlich Schwierigkeiten, geeignete Anknüpfungspunkte und Anlaufstellen für seine Bedenken zu identifizieren. So betont das bereits erwähnte, vom Bundesbauministerium beauftragte „Mitwirkungs-Gutachten“: „Gerade direkt vom Stadtumbau betroffene Bewohner wünschen sich in der Regel sehr konkrete Informationen zur Umsetzung der Vorhaben und häufig auch Möglichkeiten, im Diskussionsprozess einen gewissen Einfluss auf die Planungen zu nehmen“ (BMVBS/BBSR 2009: 27).
Zum Stellenwert von Partizipation in Konzeption und Umsetzung des Programms „Stadtumbau West“ liegen bislang noch keine vergleichbaren Auswertungen vor. Erste Einblicke erlaubt allerdings die Bilanz der Begleitforschung in den ExWoSt-Pilotgebieten zum „Stadtumbau West“: Danach beschränkte sich der Einbezug von Betroffenen auch dort in erster Linie auf Informations- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Imagekampagnen (vgl. BBR 2008: 78). Zusammenzufassen ist an dieser Stelle, dass die Programmrichtlinien und der offizielle Stadtumbaudiskurs explizit die Notwendigkeit eines Einbezugs nicht-staatlicher Akteure in die lokale Umsetzung betonen und von einer regelrechten Beteiligungseuphorie geprägt sind, während die verschiedenen, bislang vorliegenden sozialwissenschaftlichen Beiträge für die Partizipationsrealität der lokalen Programmvorbereitung und -realisierung ein eher ernüchterndes Bild zeichnen: Eine breite Beteiligung am Stadtumbau scheint eher Wunsch als Wirklichkeit zu sein. Obwohl alle Akteure grundsätzlich „mehr Beteiligung“ und eine gemeinsame Planung mit den Bewohnern zu wollen scheinen, wird im konkreten Stadtumbauprozess vor Ort zumeist das Durchführen einer One-way-Informationsveranstaltung als ausreichende Bewohnerbeteiligung erachtet. Die durch das Baugesetzbuch geforderten Minimalstandards einer Betroffenenbeteiligung sind mehrheitlich auf niedrigem Niveau mit einer dosierten Herausgabe von Informationen erfüllt worden. Darüber hinausgehende Beteiligungsverfahren in Gestalt von nicht-formalisierten, an spezifischen Problemen orientierten Partizipations42
Allerdings ist mittlerweile die Existenz einiger Initiativen betroffener Mieter gegen den Abriss – wenn auch nicht wissenschaftlich analysiert – zumindest dokumentiert (vgl. BMVBS/BBSR 2009: 33ff.).
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möglichkeiten fanden lediglich im Aufwertungsbereich statt und waren dort auf singuläre Mitwirkungsangebote bei der Gestaltung und Nachnutzung neuer Freiflächen beschränkt. Partizipative Arrangements, in denen sich professionelle Stadtumbauakteure und betroffene Bewohner kooperativ und auf gleicher Augenhöhe begegnen konnten, sind also bisher eine Seltenheit. Die in der Fachliteratur beschriebene Partizipationsrealität in der Umsetzung des Programms erweckt vor diesem Hintergrund den Eindruck, dass die meisten professionellen Stadtumbauakteure letztlich ein rein instrumentelles Verhältnis zur Partizipation pflegen. Eigentlich gilt sie ihnen als verzichtbares Beiwerk. Für die Experten besteht nur dann eine Veranlassung, partizipative Elemente in die Verfahren zu integrieren, wenn sich diese zum Erreichen ihrer Ziele als unbedingt notwendig herausstellen. Hinweise auf von diesem Bild abweichende Entwicklungen finden sich nur spärlich: Die Stadtumbau-Ost-Begleitforschung hat einige wenige lokale Beteiligungsmodelle identifiziert, in denen Bewohner scheinbar bereits in der Konzeptionsphase Einfluss auf die Rückbauentscheidungen hatten.43 Dort hätten sich „bereits zuvor etablierte Gremien der Bürgerbeteiligung“ – explizit erwähnt werden Bürgerforen – als geeignet erwiesen, auch „komplexe Stadtumbauthemen zu bearbeiten“ (vgl. BMVBS/BBR 2007: 92). Zudem habe das Stadtumbauprogramm – laut Bericht der Programmevaluierung – „seine Wirksamkeit in hohem Maße durch die Synergien mit anderen Programmen der Städtebauförderung [entfaltet]“ (BMVBS/BBR 2008: 126), wobei als Beispiel auch das Programm „Soziale Stadt“ erwähnt wird. So wurden die Quartiersmanagements, die im Zuge der Umsetzung des Programms „Soziale Stadt“ in bestimmten städtischen Gebieten installiert worden waren, auch zu Anlaufstellen für die Begleitung des Stadtumbauprozesses in eben diesen Quar43
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Unterschiedliche Veröffentlichungen der Begleitforschung beziehen sich in diesem Zusammenhang immer wieder auf folgende Beispiele für Bewohnerbeteiligung in der Konzeptionsphase (vgl. BMVBS/BBR 2007: 92, Liebmann 2007: 28f., BMVBS/BBR 2008: 121, BMVBS/BBSR 2009: 32): Regelmäßige Stadtforen, die in der Lutherstadt Wittenberg, Brandenburg an der Havel und Guben seit den Neunzigerjahren zu unterschiedlichen Themen der Stadtentwicklung durchgeführt werden, Stadtteilforen, die ebenfalls seit einigen Jahren in zwei gründerzeitlichen Stadtumbauquartieren in Leipzig stattfinden, das partizipative Großgruppenverfahren Charrette, das in mehreren sachsen-anhaltinischen Städten (Gräfenhainichen, Staßfurt, Merseburg) zur Erarbeitung von Stadtentwicklungskonzepten angewandt wurde (vgl. ausführlich zur Charrette die entsprechenden Anmerkungen in Kap. 5.2.5, insb. Fußnote 169), sowie das Projekt „Forster Tuch“, das im brandenburgischen Forst Bürger in den Stadtentwicklungsprozess einzubeziehen versuchte. Ob es sich bei diesen Beispielen allerdings tatsächlich um qualitativ anspruchsvolle Beteiligungsformen handelt, die „die wesentlichen Elemente von Partizipation und Kooperation“ (BMVBS/BBSR 2009: 32) vereinen, ist auf Grundlage der angeführten Publikationen nicht zu bestimmen. Dort werden die Beispiele lediglich kursorisch erwähnt; eine umfassende sozialwissenschaftliche Begleitung und Untersuchung scheint nicht erfolgt zu sein.
tieren (vgl. ebd.: 123). Im Hinblick auf Effekte, die sich aufgrund einer Überlagerung von Stadtumbau- und „Soziale Stadt“-Gebieten ergeben, heißt es im Bericht der Stadtumbau-Ost-Evaluierung: „Hierbei zeigt sich, dass die Beteiligungsverfahren im Rahmen der Sozialen Stadt deutlich eingespielter und ausgeprägter sind als im Stadtumbau Ost; die Wirkungen kommen jedoch beiden Programmzielen zugute“ (ebd.: 128).
Das „Mitwirkungs-Gutachten“ hält in diesem Zusammenhang fest: „Da die Aktivierung und Beteiligung von Bewohnern in quartiersbezogenen Projekten und die Netzwerkarbeit für die Vereine und Initiativen vor Ort bereits wesentliche Handlungsfelder im Programm Soziale Stadt darstellen, können die bestehenden Aktivitäten der Büros [gemeint sind die Büros der Quartiersmanager, M.F.] oft auch mit den Beteiligungsansätzen im Rahmen des Stadtumbaus verknüpft werden“ (BMVBS/BBSR 2009: 28).
Die Förderungen durch „Stadtumbau Ost“ und „Soziale Stadt“ ergänzen sich überwiegend in Großsiedlungsgebieten industrieller Bauweise (vgl. BMVBS/BBR 2008: 128). Jedoch wird der Zusammenhang von Stadtumbau und „Sozialer Stadt“ lediglich kursorisch erwähnt, entsprechende detaillierte Untersuchungen der konkreten Partizipationsrealität in den von beiden Programmen abgedeckten Quartieren erfolgten im Rahmen der Begleitforschung bislang nicht. 2.3 Vorschläge aus Politikwissenschaft und Planungstheorie zur Untersuchung von Partizipation im Stadtumbau Wie in den vorangegangenen Ausführungen gezeigt, kommt Partizipation im Diskurs zum Stadtumbau und in den entsprechenden Förderprogrammen eine zentrale Rolle zu, die jedoch, so stellen erste vorliegende Ergebnisse der Begleitforschung fest, in der realen Umsetzung der Programme in den Quartieren keine Entsprechung findet. In diesem Abschnitt werden nun theoretische und konzeptionelle Angebote aus den Bereichen der Politik- und Planungswissenschaften vorgestellt, die es ermöglichen sollen, diese Partizipationsrealität zu erfassen und an grundlegende, über den Stadtumbau hinausreichende Fragestellungen von Beteiligung und lokaler Demokratie anzuschließen. Zunächst wird unter Bezugnahme auf verschiedene Arbeiten der lokalen Politikforschung das Konzept der „Nicht-Entscheidungen“ eingeführt, das ermöglicht, Machtverhältnisse zwischen an Entscheidungsprozessen beteiligten Akteuren abzubilden. Aus dem Bereich der Planungswissenschaften werden die „Beteiligungsleiter“ und die „Beteiligungspyramide“ vorgestellt, die jeweils zwischen verschiedenen Stufen der Machtübergabe von der Verwaltung an die 51
Bewohner unterscheiden. Drittens werden demokratietheoretisch zwei Interpretationsarten von lokaler Partizipation unterschieden – ein instrumentelles und ein normatives. Diese Differenzierung ist hilfreich, da in der Partizipationsrealität durchaus unterschiedliche Erwartungen an Beteiligung existieren – sowohl von Seiten der Bewohner, der Verwaltung und Politik als auch innerhalb dieser jeweiligen Gruppen, was zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen in der Praxis sowie auch zu Konflikten und Spannungen führen kann. Schließlich wird mit dem der Organisationsforschung entlehnten Begriff der „Mikropolitik“ ein Konzept vorgestellt, das gerade bei der Analyse kleinteiliger Verfahrensschritte und der alltäglichen Interaktion zwischen den Akteuren, z.B. zwischen Verwaltungsmitarbeitern und Bewohnergremien, hilfreich ist. Diese Ansätze werden abschließend in dem Konzept der „Partizipationspolitik“ zusammengeführt, an dem sich die empirischen Untersuchungen der Partizipationsrealität in Tenever und Marzahn-Nord orientieren. 2.3.1 Entscheidungen und Nicht-Entscheidungen im Stadtumbau Die Frage nach den lokalen Machtverhältnissen und ihren verschiedenen Ausprägungen ist ein Kernthema der lokalen Politikforschung. Wegweisend hierfür war die später auch im deutschsprachigen Raum geführte Community-PowerDebatte in der US-amerikanischen Gemeindeforschung (vgl. Offe 1977, Mollenkopf 2007).44 Sie fragt nach den Faktoren, die lokale Entscheidungen beeinflussen, wobei das Untersuchungsfeld der zahlreichen Community-Power-Studien von den übergeordneten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen hin bis zu den lokalen Gegebenheiten und Akteuren, von Strukturen bis zu Handlungen reicht. In den Sechzigerjahren beteiligten sich die US-amerikanischen Politikwissenschaftler Peter Bachrach und Morton S. Baratz an dieser Debatte mit Überlegungen zu einem empirisch verwendbaren Begriff von Macht.45 Mit ihrem Bei44
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Community Studies trugen entscheidend zu Entwicklung einer empirischen Sozialforschung in den USA bei und wurden unter der Bezeichnung Gemeindestudien nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Deutschland durchgeführt (vgl. Häußermann/Siebel 2004: 78ff., Lindner 2004: 166ff.). Methodisch zeichnen sich solche Studien durch eine umfassende Erforschung von Lebensweisen und -gewohnheiten der Bevölkerung einer local community (verstanden als Gemeinde und Gemeinschaft) mittels eines holistisch-integrativen, mikrosoziologischen bzw. soziographischen Forschungsansatzes aus (vgl. Schnur 2008: 25). Die Anfänge der Diskussion, an der Bachrach und Baratz maßgeblichen Anteil hatten, reichen zurück bis zu den frühen Gemeindestudien der Dreißigerjahre. Die in dieser Zeit veröffentlichten Ergebnisse der Untersuchung der Gemeinde Muncie, die die Soziologen Robert S. und Helen M. Lynd durchgeführt hatten (Middletown. A Study in Modern American Culture, 1929, und Middletown in Transition. A Study in Cultural Conflicts, 1937), setzten Standards für moderne Community-Studien, indem sie bei der Untersuchung des Familien- und Gemeindelebens
trag nahmen sie Bezug auf eine wissenschaftliche Kontroverse über die Frage, ob eine kleine Elite die Macht in einer Gemeinde in den Händen hält oder ob es eine pluralistische Struktur der Machtverteilung auf lokaler Ebene gibt.46 Auf der Grundlage ihrer Untersuchung von Machtstrukturen und Entscheidungsprozessen in der Stadt Baltimore (Two Faces of Power, 1962) wiesen Bachrach und Baratz darauf hin, dass die Begrenzung der Analyse auf unmittelbar zu beobachtende, manifeste Konflikte nicht ausreiche, um Machtbeziehungen erschöpfend zu erfassen. Diese zeigten sich vielmehr – und insbesondere – auch in solchen
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einer kleinen US-amerikanischen Industriestadt die Erforschung lokaler Machtverteilungen und Einflusschancen in den Mittelpunkt stellten. Widmeten sich die Studien anfangs noch dem „typischem“ Leben in einer „typischen“ Gemeinde (vgl. Häußermann/Siebel 2004: 79ff.), so drängten sich ab Mitte der Dreißigerjahre, ausgelöst durch die Weltwirtschaftskrise, die auch vor „Middletown“ nicht halt gemacht hatte, Fragen nach der Abhängigkeit einer Community von überlokalen Regelungssystemen und Machtbeziehungen auf. Die Diskussion um die Beantwortung dieser Frage entwickelte sich in den Fünfziger- und Sechzigerjahren zu einem „Spezialgebiet der amerikanischen Politikwissenschaft“ (Offe 1977: 7) und trug wesentlich zu einer auch heute noch aktuellen sozialwissenschaftlichen Begriffsbildung über Macht, Herrschaft, Protest und soziale Bewegungen bei (vgl. Bierschenk 2003). Der elitistische Ansatz reicht zurück bis zur zweiten „Middletown-Studie“ (Middletown in Transition, 1937): Sie hatte gezeigt, dass sich eine lokale Machtelite um eine Familie gruppierte, die mit ihrem Industriebetrieb der wichtigste Arbeitgeber der Stadt war. Ohne formell dazu legitimiert zu sein, beherrschte diese Elite das Gemeindeleben und wusste dafür zu sorgen, dass städtischen Entscheidungen ihren Interessen nicht zuwiderliefen bzw. bestimmte Projekte erst gar nicht angeschoben wurden. Zu ähnlichen Befunden gelangte Hunter in einer Studie über Decision Makers in Atlanta (Community Power Structure, 1953): Aufgrund einer Befragung von wichtigen Funktionsträgern nach der „Reputationsmethode“ (Interviewpartner werden gefragt, welches ihrer Meinung nach die einflussreichsten Akteure und Institutionen in ihrem Tätigkeitsbereich sind) kam er zu dem Ergebnis, dass das politische Leben der Stadt von einer kleinen, informellen Gruppe einflussreicher Geschäftsleute bestimmt wurde, und die Business Community dabei eine wichtige Rolle spielte. Die Kritik an Begrifflichkeiten, Methoden und Ergebnissen des elitistischen Ansatzes führte zu grundsätzlichen Fragen nach Autonomie und Funktion von lokaler Politik überhaupt – und zu der methodischen Frage, wie Macht auf der lokalen Ebene überhaupt erforscht werden könne (vgl. Bierschenk 2003: 2). Infolge der Kritik an Hunters Verfahren, mithilfe des Reputationsansatzes „zugeschriebene Macht“ abzufragen, entwickelte sich zur Untersuchung von Machtstrukturen ein pluralistisch ausgerichteter Ansatz, der Decision Making Approach, bei dem die Untersuchung von Entscheidungsprozessen im Mittelpunkt stand. Als wichtiges Beispiel für den pluralistisch ausgerichteten Ansatz (vgl. Strom/Mollenkopf 2007: 110) gilt die Analyse von Machtstrukturen in der Stadt New Haven, die Dahl 1961 unter dem programmatischen Titel Who Governs? Democracy and Power in an American City vorlegte: Anhand einer Untersuchung von drei lokalen Entscheidungsbereichen – Stadtentwicklungsplanung, Schulpolitik und die Kandidatennominierung für Lokalwahlen – konnte er verdeutlichen, dass zwar nicht alle Bürger gleich großen Einfluss hatten, sondern dass jeweils relative Minderheiten regierten. Dabei handelte es sich jedoch nicht um exklusive Machtcliquen, sondern um unterschiedlich aktive Bevölkerungsgruppen, deren Einfluss sich zudem je nach Politikfeld unterschied. Dahl schloss von dieser spezialisierten Einflussnahme – in Abgrenzung zu elitistischen Konzepten, die von einer Zentralisierung von Macht ausgehen – auf das Vorhandensein von konkurrierenden Gruppen und pluralistischen Machtstrukturen auf der kommunalen Ebene (vgl. Dahl 2007).
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Fällen, in denen vorhandene Konflikte nicht thematisiert würden oder einzelne Akteure keinen Zugang zur politischen Arena hätten, um bestimmte Thematisierungen zu veranlassen. Als Konsequenz stellten Bachrach und Baratz den pluralistischen Entscheidungstheorien (Decision Making) ihr Konzept der Nicht-Entscheidung gegenüber (Non-Decision-Making, vgl. Bachrach/Baratz 1977: 78ff.). Danach wird Macht nicht zuletzt dadurch ausgeübt und zementiert, dass Entscheidungen unterbleiben bzw. von vorneherein verhindert werden. Non Decisions sind all jene Entscheidungen, „die in der Unterdrückung und Vereitelung einer latenten oder manifesten Bedrohung von Werten oder Interessen resultiere[n]“ (ebd.: 78). Sie haben die Funktion, „Forderungen nach einer Veränderung der bestehenden Allokation von Vergünstigungen und Privilegien in der Gemeinde zu ersticken, schon bevor sie artikuliert worden sind; oder [...] sie zu verdecken; oder zu Fall zu bringen, bevor sie überhaupt Zugang zur relevanten Arena der Entscheidungsprozesse finden; oder, falls das alles versagen sollte, sie im Stadium der administrativen Durchführung innerhalb des politischen Prozesses zu verstümmeln oder zu zerstören“ (ebd.: 78f.).
Nach Bachrach und Baratz können Nicht-Entscheidungen in vier Formen auftreten: a) durch Gewaltanwendung, b) durch die Androhung von Sanktionen gegen den Initiator einer potenziell bedrohlichen Forderung (wobei das Spektrum der Sanktionen von Einschüchterung hin bis zu Kooptation reichen kann), c) durch die Mobilisierung vorherrschender Werte und institutioneller Verfahren zur Unterdrückung systembedrohender Themen sowie d) durch die Umgestaltung dieser vorherrschenden Normen und Spielregeln (vgl. ebd.: 79f.). Zur Verdeutlichung der an dritter Stelle genannten Formen – „Mobilisierung feststehender Werte und Verfahren“ – führen Bachrach und Baratz aus: „Zum Beispiel kann einer Forderung nach Veränderung die Legitimität abgesprochen werden, indem man sie als sozialistisch, unpatriotisch, unmoralisch oder als Verletzung anerkannter Regeln oder Verfahren brandmarkt. Auch kann man der Herausforderung dadurch ausweichen, daß man Forderungen oder politisch brisante Angelegenheiten an Komitees oder Kommissionen zwecks detaillierter und ausgedehnter Untersuchung weiterleitet oder indem man sie durch zeitraubende und ritualisierte Routinewege schleust, die in das politische System eingebaut sind. Solche Taktiken stellen höchst wirkungsvolle Mittel dar, ‚um jede energische Bemühung um Innovation abzublocken’, und sie sind besonders wirksam im Einsatz gegen zeitweilig existierende oder schwach organisierte Gruppen (z.B. Studenten, Arme), die nur mit Mühe einer Verzögerung Widerstand leisten können“ (ebd.: 79f.).
Im Hinblick auf die vierte Form – „Umgestaltung und Ergänzung von Spielregeln“ – erläutern die Autoren: „Zum Beispiel kann die Universitätsadministration zusätzliche Regeln und Verfahren im Hinblick auf die Behandlung studentischer Forderungen nach Reformen etablieren. Eine weitere
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Technik ist die Verstärkung bestehender bzw. das Aufbauen neuer Barrieren gegen die Anstrengungen der Herausforderer, den Konfliktspielraum zu erweitern. Zum Beispiel können die Forderungen von Mietstreikenden dadurch entkräftet werden, daß man auf dem privaten Charakter der Beziehung Hausbesitzer-Mieter besteht“ (ebd.: 80)
Die Nicht-Entscheidungen sind eingebettet in einen zweistufigen Machtbegriff (Two Faces of Power): Auf der ersten Stufe analysieren Bachrach und Baratz Macht in den traditionellen Kategorien der liberalen politischen Theorie und Soziologie; nämlich handlungstheoretisch als Willensbekundung von Person A, die sich durchsetzt gegen das Widerstreben von Person B (vgl. ebd.: 74). Die Aussonderung von Alternativen durch Nicht-Entscheidungen erfolgt auf der zweiten Stufe von Macht. Sie unterliegt bestimmten, durch Normen und Institutionen präformierten Regeln, die einem auf Veränderungen abzielenden Handeln nicht zugänglich sind. In dieser Lesart liegt ein Machtverhältnis nicht nur dann vor, wenn Personen oder Gruppen in offenen Konflikten innerhalb der politischen Arena von anderen Personen oder Gruppen dazu gebracht werden, etwas zu tun, was sie sonst nicht getan hätten. Ein „zweites Gesicht der Macht“ sorgt dafür, dass Interessenskonflikte latent bleiben: Normen, Entscheidungskriterien, Institutionen und Verfahrensregeln werden so gestaltet, dass durch Gatekeeping vor der politischen Arena festgelegt werden kann, welche Entscheidungsthemen überhaupt auf die Tagesordnung gelangen: „Je mehr Alternativen auf der Stufe institutioneller Präjudizierungen bereits ‚weggefiltert’ werden, desto zuversichtlicher und unbesorgter können sich die Machthaber auf relativ offene, im Ausgang unbestimmte Machtkämpfe auf der Ebene manifesten Entscheidungshandelns einlassen. Umgekehrt gilt, daß ‚wichtige’ politische Themen nur dann auf die Tagesordnung politischer Institutionen geraten können, wenn das politische System in dem Sinne instabil ist, daß institutionelle Filter nicht zuverlässig funktionieren. In diesem Fall müssen dann die versäumten ‚Nicht-Entscheidungen’ durch manifeste ‚Entscheidungen’ kompensiert werden“ (Offe 1977: 15).
Anders formuliert: Ein konkreter Entscheidungsprozess findet in einem Feld statt, das bereits durch Entscheidungen vorstrukturiert ist, die als solche aber nicht mehr erkennbar sind. Macht wird demnach auch über die Vorbestimmung dessen, was überhaupt als Gegenstand von Entscheidungen virulent werden kann, ausgeübt. Die Vorzüge des Vorschlags von Bachrach und Baratz liegen zum einen darin, dass er eine Möglichkeit bietet, das Verhältnis von Struktur und Handeln in lokalen Entscheidungsprozessen zu reflektieren. In jedem politischen Subsystem werden bestimmte Themen und Konfliktstoffe mittels einer Mobilisierung vorherrschender Normen und Institutionen aus dem politischen Entscheidungsprozess herausgehalten. Dabei kann es sich um eine bewusste Unterdrückung von Themen (z.B. durch Praktiken des Verschweigens, Verleugnens, Verschleppens 55
und Verhinderns) durch benennbare Akteure handeln. In anderen Fällen sind es die Eigenschaften von Institutionen, die es wiederum Akteuren erlauben, Themen und den Verlauf von Konflikten vorab festzulegen, oder strukturelle Rahmenbedingungen, „die eines ausdrücklichen Entscheidungsaktes überhaupt nicht bedürfen, um wirksam zu sein, vielmehr kraft ihrer subjektlosen Geltung die Voraussetzungen dafür schaffen, daß von bestimmten Positionen der Sozialstruktur aus das Instrumentarium des ‚non-decision-making’ bestätigt wird“ (Offe 1977: 22, Hvhbg. i. Orig.).
Zudem unterscheidet der Vorschlag manifeste von latenten politischen Entscheidungen: Neben offenkundigen Entscheidungsprozessen geraten dadurch auch verborgene Politikmechanismen wie Nicht-Entscheidungen und die sie ermöglichenden Machtstrukturen in den Fokus. Demnach darf sich bei der empirischen Erforschung von Entscheidungen das Erkenntnisinteresse nicht nur auf das deutlich sichtbare Geschehen auf der Bühne richten, sondern muss auch die weniger gut ausgeleuchteten Kulissen des Aushandelns und Entscheidens in den Blick nehmen. Allerdings enthält der zweistufige Machtbegriff auch Unschärfen und Ambivalenzen. Zum Beispiel liefern Bachrach und Baratz keine eindeutige Definition von „Nicht-Entscheidung“, so dass unklar bleibt, ob es sich dabei um „Entscheidungen, etwas nicht zu tun ...“ oder um die Abwesenheit von Entscheidungen bzw. „etwas anderes als Entscheidungen, also um vorab Festgelegtes, objektiv Vorentschiedenes“ (Offe 1977: 17; Hvhbg. i. Orig.) handelt. Allerdings nutzen die Autoren den Begriff überwiegend in dem Sinne, dass über Nicht-Entscheidungen „bestimmte Themen und Konfliktstoffe strategisch aus dem politischen Entscheidungsprozess herausgehalten werden“ (ebd.: 17f.). Das wiederum ist, darauf weist Offe hin, eine problematische Dehnung des handlungstheoretischen Begriffs von Machtausübung, da Bachrach und Baratz jene verborgenen Vorentscheidungen Akteuren zuschreiben, die die strukturellen Rahmenbedingungen ihres Handelns frei wählen könnten. Damit blieben sie letztlich einem subjektivierten Machtbegriff verhaftet (ebd.: 16). Ungeklärt bleibe auch, welche Eigenschaften von Institutionen bestimmten Akteuren erlauben, Interessenkonflikte zu präjudizieren und den politischen Thematisierungsprozess unter restriktive Bedingungen zu stellen (ebd.: 18f.). Bachrach und Baratz bieten auch keine Lösung für das methodische Problem, Nicht-Entscheidungen, also Prozesse, die nicht manifest und damit nicht zu beobachten sind, auch nicht untersuchen zu können, worauf sie selbst hinweisen: „Nehmen wir an, der Beobachter [von Entscheidungsprozessen in einer Gemeinde, M.F.] vermag keine Beschwerdegründe und keinerlei faktische oder potentielle Forderungen nach Veränderungen zu entdecken. Nehmen wir mit anderen Worten an, der Status quo findet offen-
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sichtlich allgemeine Zustimmung. Besteht unter solchen Umständen, die Möglichkeit, empirisch zu klären, ob der Konsens echt ist oder nicht vielmehr durch Nicht-Entscheidungsprozesse erzwungen wurde? Die Antwort muß negativ ausfallen“ (Bachrach/Baratz 1977: 84).47
Hinzuweisen ist zudem auf einen weiteren wesentlichen Aspekt, den das Konzept von Bachrach und Baratz bereithält: Macht, verstanden als Dominanz von bestimmten Interessen sowie Durchsetzungsfähigkeit von bestimmten Akteuren und – als Gegenstück dazu – die Benachteiligung durchsetzungsschwacher Interessen sowie strukturelle Limitierung, werden in die Analyse eingeführt. Für die Untersuchung von Beteiligungsverfahren heißt das, dass sich die Perspektive nicht nur auf Entscheidungen und die dahinter stehenden Konstellationen von Interessen beschränkt, sondern der Blick zudem gelenkt wird auf die Verteilung von Machtpositionen, innerhalb derer Beteiligung stattfindet. Sei es im Hinblick auf Entscheidungsbefugnisse und Kompetenzbereiche oder auch bezogen auf unterschiedliche Wissensstände, Zeitressourcen und Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit „in eigener Sache“: Partizipative Verfahren sind nicht frei von Machtverhältnissen. Zudem halten sie für einzelne Akteure die Möglichkeit bereit, ihre Machtpositionen stärker zur Geltung zu bringen als dies in repräsentativ-demokratisch legitimierten Entscheidungsprozessen der Fall wäre.48 Für eine Einschätzung der Reichweite von Partizipation im Stadtumbau ist das Konzept der Nicht-Entscheidungen, trotz der von Offe zu Recht konstatierten Unschärfe, höchst instruktiv: Die gesamte Zielebene der Programme und die Weichenstellungen für ihre Umsetzung, d.h. einerseits die Entscheidungen auf der nationalen Ebene, dass Stadtumbau zur Bereinigung des Wohnungsmarktes notwendig ist und Abrisse von Wohngebäuden im Rahmen der Städtebauförderung subventioniert werden, sowie andererseits die objektgenauen Entscheidungen über abzureißende Gebäude und die Entwicklung entsprechender lokaler Förderanträge, wurden unter Ausschluss der betroffenen Mieter konzipiert. Im nationalen Stadtumbaudiskurs zur grundsätzlichen Festlegung der Programmziele sowie bei der Entwicklung von Richtlinien und Förderkriterien waren exklusiv 47
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Wobei es sich dabei weniger um eine Grenze empirischer Sozialforschung an sich handelt, als vielmehr um die Grenze einer bestimmten Methode, nämlich der teilnehmenden Beobachtung. Mittels einer sensiblen qualitativen Forschung, die verschiedene Methoden einsetzt, sind kognitive Orientierungen oder unterschiedliche Alltagsbewältigungsstrategien durchaus zu untersuchen. Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch auf eine grundsätzliche Einschränkung hinzuweisen: Politische Prozesse finden innerhalb von weit reichenden Strukturen statt, die durch Gesetze, Regeln und Institutionen umfassend vorgeformt sind; vor diesem Hintergrund ist die komplexe Struktur politischer Macht durch empirische Beobachtung nie vollständig zu erfassen. Für partizipative Verfahren heißt das, dass in erster Linie Spuren aufgenommen und Indizien rekonstruiert werden können, um darüber Rückschlüsse über das Vorhandensein von Machtbeziehungen zu ziehen.
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die auf Bundes- und Landesebene relevanten baupolitischen Institutionen und Akteure sowie die Lobbyverbände der organisierten Wohnungswirtschaft beteiligt (vgl. zu den verschiedenen Planungsebenen im Stadtumbau Tabelle 1). Für die Erstellung gesamtstädtischer und quartiersbezogener Entwicklungskonzeptionen waren ausschließlich Vertreter der lokalen politisch-administrativen Systeme sowie der betroffenen städtischen Wohnungswirtschaft verantwortlich. Erst auf der gebäude- bzw. wohnungsbezogenen Ebene des Stadtumbaus tauchen Mieter als relevante Akteure auf, wenn sie zur Räumung ihrer Wohnungen bewegt werden müssen, damit Abrisse realisiert werden können. Dann sind die professionellen Stadtumbauakteure erstmals auf die unmittelbare Mitwirkung der Abrissbetroffenen angewiesen: Es gilt, die Mieter über die Umbaupläne zu informieren und zur Kooperation aufzufordern, wobei die Kommunikation rund um die unmittelbare Durchführung von Abrissmaßnahmen in erster Linie zwischen Vermietern und Mietern erfolgte (vgl. BMVBS/BBSR 2009: 30).49 Festzuhalten ist, dass sich die Entscheidungen über die generelle Umsetzung des Programms, die Festlegung der Stadtumbaugebiete sowie die Sicherstellung der Finanzierung der jeweiligen Umbaukonzepte aus der Perspektive der in einem Wohnquartier von Abrissen Betroffenen im Bereich der Non-Decisions vollzogen haben: Zwar lagen den relevanten Festsetzungen langwierige und oftmals auch umkämpfte Entscheidungsprozesse zugrunde, den Betroffenen stellten sie sich aber als nicht-disponible, strukturelle Limitierungen dar. Im Bereich der städtischen und quartiersbezogenen Entscheidungen beschränkte sich Beteiligung auf die Information zur nachträglichen Legitimierung der Planungen. Hier entschieden Planer, Vertreter des politisch-administrativen Systems und Mitarbeiter von Wohnungsunternehmen darüber, welche Themen weder zur Disposition noch zur öffentlichen Diskussion standen. Dabei wären Spielräume für einen Einbezug von Betroffenen – darauf weist Altrock (2005: 156) hin – grundsätzlich denkbar gewesen: Da nur selten komplette Gebäudeensembles zum Abriss vorgesehen waren, hätte die Mitwirkung betroffener Mieter auf der Planungsebene des Quartiers darüber entscheiden können, welche Gebäude tatsächlich abgerissen werden sollten; auf der gesamtstädtischen Ebene hätten zudem Entscheidungen über das Verhältnis abzureißender Alt- und Neubauten durch Einmischung und Mobilisierung beeinflusst werden können.
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Nach Schätzungen der Begleitforschung mussten im Rahmen der Durchführung von „Stadtumbau Ost“ seit 2002 mindestens 100.000 Haushalte in andere Wohnungen umziehen (vgl. BMVBS/BBSR 2009: 30). Diese Umzüge seien „in den allermeisten Fällen [...] sehr ruhig und ohne größere Widerstände der Bewohner verlaufen“ (ebd.).
Tabelle 1: Stellenwert von Beteiligung innerhalb der Planungsebenen des Stadtumbaus Planungsebene*
Relevante Akteure
Stellenwert von Beteiligung/ Angewandte Beteiligungsformen
Nationaler Stadtumbaudiskurs
Institutionen der Baupolitik auf Bundes- und Landesebene, Lobbyverbände der organisierten Wohnungswirtschaft
programmatische Wertschätzung eines Einbezugs aller relevanten Akteure (einschließlich Betroffener); keine tatsächliche Beteiligung
Richtlinien und Förderkriterien der Stadtumbauprogramme
Institutionen der Baupolitik auf Bundes- und Landesebene
Beteiligung als nicht-spezifizierte, generelle Voraussetzung der Fördermittelvergabe; keine tatsächliche Beteiligung
Erstellen einer gesamtstädtischen Entwicklungskonzeption
städtische Baupolitiker, städtische Bau- und Planungsressorts, städtische Wohnungswirtschaft
programmatische Wertschätzung eines Einbezugs aller relevanten Akteure (einschließlich Betroffener); Durchführen von Top-down-Informationsveranstaltungen nach Abschluss der Planungen
Erstellen einer quartiersbezogenen Entwicklungskonzeption
städtische Baupolitiker, städtische Bau- und Planungsressorts, betroffene städtische Wohnungswirtschaft
Durchführen von Informationsveranstaltungen im Quartier nach Abschluss der Planungen
Wohngebäude
städtische Bau- und Planungsressorts, betroffenes Wohnungsunternehmen, Mieter
ggf. Durchführen von Mieterversammlungen zwecks Information über Abrissplanung und Verfahren des Umzugsmanagements für das Wohngebäude
Wohnung
betroffenes Wohnungsunternehmen, Mieter
Couchgespräche, individuelles Aushandeln von Leistungen
Aufwertungsmaßnahmen
Eigentümer der Fläche, Anrainer, Quartiersbewohner
punktuelle und anlassbezogene Beteiligungsangebote zur Mitentscheidung über die Nach- bzw. Neunutzung von Freiflächen
Eigene Zusammenstellung. * Die schematische Darstellung bezieht sich ausschließlich auf den wohnungsbezogenen Stadtumbau in Großsiedlungen, in denen Mieter-Eigentümer-Verhältnisse vorzufinden sind. Die Dimension des innerstädtischen Stadtumbaus in Altbauquartieren mit einer Vielzahl von Kleineigentümern wird ausgeklammert, da sie für das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit keine Relevanz hat.
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Ein tatsächlicher Einbezug von Bewohnern innerhalb einer lokalen Stadtumbaudramaturgie erfolgte erst auf der wohnungsbezogenen Ebene und damit zu einem Zeitpunkt, als die grundsätzlichen Fragen bereits geklärt waren und Beteiligung die Umsetzung der Stadtumbaupläne nicht mehr gefährden konnte. Auf dieser Ebene stand die Gewährleistung eines reibungslosen Ablaufs im Mittelpunkt. In der Lesart von Bachrach und Baratz heißt das, dass Organisation und Verfasstheit der nationalen, städtischen und quartiersbezogenen Planungsebene des Stadtumbaus dafür sorgten, dass partizipative, die Betroffenen einbeziehende Entscheidungen unterblieben bzw. von vorneherein verhindert wurden. 50 Lediglich im Bereich der Aufwertungsmaßnahmen bzw. der Entscheidungen über die Nach- und Neunutzung von Flächen, die durch Abrisse freigeräumt wurden, kann von einer Beteiligung überhaupt die Rede sein: Partizipationsangebote mit einer jedoch bereits im Vorfeld festgelegten thematischen Zuständigkeit, Dauer und Ausstattung wurden formuliert und von mehr oder weniger vielen Interessierten genutzt. Für den eigentlichen Stadtumbau stellte diese eingeräumte Beteiligung keine Bedrohung dar – Risiken und Nebenwirkungen waren nicht zu befürchten. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass der organisierten Wohnungswirtschaft eine bedeutende Rolle in diesen Entscheidungsprozessen zukam. Insbesondere Großeigentümer, die oftmals mit ohnehin schwachen finanziellen Ressourcen in schrumpfenden Regionen Ost- und Westdeutschlands vor der Aufgabe stehen, sich an den Rückgang der realen und auch potenziellen Mieterzahlen anpassen zu müssen, waren an einer schnellen Marktbereinigung durch Abrisse von Angebotsüberhängen sowie an einer hohen Flexibilität bei der Gestaltung der Abrisse interessiert. Sie sorgten dafür, dass ihre Interessen bei der Konzipierung und Verabschiedung der beiden Förderprogramme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ in besonderem Maße beachtet wurden.51 50
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Vor diesem Hintergrund erscheint es logisch, wenn die Evaluierung des Programms „Stadtumbau Ost“ angesichts der Komplexität der Stadtumbaufragen Bürgerbeteiligung als potenzielle Gefährdung des Stadtumbaukonsens’ ansieht und schlicht behauptet, „Rückbauplanungen bieten wenig Ansatzpunkte für eine Beteiligung der Betroffenen an der Entscheidungsfindung“ (BMVBS/BBR 2008: 121). Für die Wohnungswirtschaft hat das Programm sogar eine doppelte Anreizwirkung: Einerseits stehen Fördermittel für Abrisse zur Verfügung, andererseits kann durch Abrisse eine Tilgung von Altschulden erreicht werden. Die sogenannten Altschulden sind ein Phänomen, was ausschließlich ostdeutsche kommunale und genossenschaftliche Wohnungsunternehmen betrifft. Altschulden resultieren aus langfristigen Krediten, die den Wohnungsbaukombinaten der DDR für den Wohnungsbau zur Verfügung gestellt wurden. Nach 1990 wurden die entsprechenden Darlehensverträge von privaten Kreditinstituten übernommen und so gewissermaßen in reale Bankschulden umgewandelt. Im „Stadtumbau Ost“ sind Wohnungsunternehmen, deren Leerstandsquote mindestens 15 Prozent beträgt und die deshalb Teile ihrer Bestände abreißen, zur Beantragung eines Altschuldenerlasses berechtigt. Da diese Regelung für die Unternehmen sehr attraktiv ist, beteiligten sich in erster Linie diejenigen Wohnungseigentümer am Abriss,
Der Einfluss der großen Wohnungsunternehmen beschränkte sich indes nicht auf die Gestaltung der Programmebene, sondern lokale Stadtumbaukonzepte können überhaupt nur mit ihrer Mitwirkung umgesetzt werden – Eigentümer haben durch ihren grundrechtlich geschützten Besitz quasi eine Art Vetoposition für jedes Rückbaukonzept inne. Folgerichtig ist ihre Beteiligung bei der Festlegung von Stadtentwicklungszielen und -konzepten auch ein Bewilligungskriterium für die Vergabe von Stadtumbaufördermitteln. Als Konsequenz haben wohnungswirtschaftliche Akteure in einem hierzulande bisher unbekannten Maße zur Erarbeitung der Stadtentwicklungskonzepte beigetragen. 2.3.2 Beteiligungsleiter und Beteiligungspyramide Für die Untersuchung von Beteiligung an der konkreten Umsetzung von politischen Programmen der Stadterneuerung und Städtebauförderung halten die Planungswissenschaften einen breiten Fundus an Beiträgen bereit (vgl. Bischoff u.a. 2005, Rösener/Selle 2005). Im Kern gehen diese Arbeiten auf den instruktiven Beitrag von Sherry R. Arnstein zurück, die unter dem Eindruck von Konflikten um mehr Mitbestimmung in US-amerikanischen Prozessen der Quartiersentwicklung vor nahezu vier Jahrzehnten ein Modell entwickelt hat, das die verschiedenen, an Partizipation gekoppelten Interessen zu systematisieren versucht. Ihr Ordnungsschema einer „Beteiligungsleiter“ (Ladder of Citizen Participation, vgl. Arnstein 1969) bildet mehrere Stufen der Intensität von Partizipation ab (s. Abb. 2): von der Nicht-Beteiligung hin bis zur völligen Entscheidungsmacht in Bürgerhand. Arnsteins Leiter-Modell, das sich auf die Beteiligungsangebote seitens der Verwaltung bezieht, wurde von Maria Lüttringhaus am Essener Institut für Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte Soziale Arbeit und Beratung (ISSAB) um die Seite der Beteiligungsnachfrage durch Bewohner erweitert, so dass sich eine Beteiligungspyramide ergibt (vgl. Lüttringhaus 2000). Auf den untersten Stufen in Arnsteins Ordnungsschema (s. Abb. 2) findet Nicht-Partizipation statt. Beispiele sind das gezielte Vorenthalten wesentlicher Informationen durch Vertreter des politisch-administrativen Bereichs sowie die von Arnstein „pseudo-partizipativ“ (vgl. ebd.: 217) genannte Bestätigung bereits im Vorfeld getroffener Entscheidungen durch nachträglich durchgeführte Beteiligungsangebote. Die folgenden drei Stufen – „Information“, „Erörterung“ und „Beschwichtigung“ – spiegeln unterschiedliche Grade von „Alibi-Partizipation“ (degrees of die eine Teilentlastung ihrer Altschulden nach § 6a Altschuldenhilfegesetz (AHG) erhalten oder in Aussicht haben (vgl. BMVBW 2005: 55f., BMVBS/BBR 2006a: 73).
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tokenism) wider: Hier bekämen – nach Arnstein – Bürger zwar grundsätzlich Gelegenheit zur Artikulation (in Form von Anhörungen und gemeinsamen Erörterungen), allerdings blieben diese Anhörungen zumeist folgenlos. Tatsächliche Partizipation liege erst im oberen Bereich der Leiter vor, auf den Stufen der „Bürgermacht“ (degrees of citizen power). „Bürgermacht“ wird von Arnstein unterteilt in „Partnerschaft“, „Abgabe von Macht“ und „bürgerschaftliche Kontrolle“. Erst in diesem Bereich würden Bürger tatsächlich in Entscheidungsvorbereitung, -formulierung und -findung einbezogen. Zielen partnerschaftliche Kooperationen auf das gemeinsame Finden von Lösungen, streben die letzten beiden Stufen eine reale Umverteilung von Planungsmacht an – und bringen damit das konzeptionelle Ungleichgewicht zwischen Planern und Entscheidern auf der einen und Betroffenen auf der anderen Seite in Bewegung. Abbildung 2:
Beteiligungsleiter citizen control (bürgerschaftliche Kontrolle)
degrees of citizen power (Bürgermacht)
delegated power (Abgabe von Macht) partnership (Partnerschaft)
placation (Beschwichtigung)*
degrees of tokenism (Alibi-Partizipation)
consultation (Erörterung)
informing (Information)
therapy (Therapie)
nonparticipation („Nicht-Partizipation“)
manipulation (Manipulation) Nach Arnstein 1969: 217. *Arnstein verwendet den Begriff zur Bezeichnung von inszenierten Mitwirkungsmöglichkeiten, deren Geltungsbereich vorab festgelegt wurde.
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Arnsteins Verdienst ist es, darauf hingewiesen zu haben, dass die verschiedenen Stufen ihrer Leiter wesentliche Unterschiede von Beteiligung kennzeichnen können und dass diese Unterschiede in Umfang und Qualität der jeweiligen Beteiligungsformen begründet sind: „Knowing these gradiations makes it possible to cut through the hyperbole to understand the increasingly strident demands for participation from the have-nots as well as the gamut of confusing responses from the powerholders“ (ebd.: 271).
Im Ergebnis wird deutlich, dass „Beteiligung nicht gleich Beteiligung“, sondern vielmehr ein von Machtverhältnissen durchzogener Prozess ist. Unter dem Banner des dehnbaren Begriffs der Beteiligung können unterschiedliche, mehr oder weniger gleichberechtigte Strategien der Interessensdurchsetzung verfolgt werden. Zur Einordnung und Bewertung unkonventioneller Beteiligungsformen ist die Arnsteinsche Partizipationsleiter allerdings nur eingeschränkt brauchbar, da ihr Schwerpunkt einseitig auf den von Verwaltungsstellen bzw. Vertretern des politisch-administrativen Systems eingeräumten Beteiligungsmöglichkeiten liegt. Von Bürgern bzw. Betroffenen durchgesetzte Einfluss- und Interventionsmöglichkeiten werden hingegen komplett ausgeblendet. Zur Behebung dieses Defizits hat Maria Lüttringhaus eine Erweiterung des Arnsteinschen Stufenmodells vorgeschlagen (vgl. Lüttringhaus 2000: 38ff.). In ihrer Version (s. Abb. 3) findet sich zu jeder verwaltungsseitigen Stufe ein Pendant auf Seiten der Betroffenen. Damit modifiziert Lüttringhaus die Partizipationsleiter zu einer Partizipationspyramide. Der Manipulation als strategischem Ansatz der Vertreter des politisch-administrativen Systems steht auf der untersten Stufe der Nicht-Beteiligung schlicht Desinteresse der Bürger gegenüber.52 Auf der Seite der Bürger verjüngt sich die Pyramide von „Zuhören“ über „Mitreden“ zu „Mitentscheiden“ und „Mitbestimmen“ bzw. schlussendlich „Entscheiden“ (vgl. dazu auch Fritsche 2006): Auf der Stufe „Beobachtung und Begleitung“ verharren Betroffene und Bürger in der Rolle passiver Zuhörer, die über Missstände und Pläne zu deren Behebung informiert werden. Erst auf den nächsten beiden Stufen – Mitwirkung und Mitentscheidung – „reden sie mit“. Hier nutzen Betroffene die Möglichkeit, ihre Wünsche und Bedenken vorzutragen, neue Impulse zu setzen oder Projekte anzustoßen. Allerdings haben sie dabei keine Garantien, dass ihre Empfehlungen in die weitere Verwaltungsarbeit einfließen. Ein „Mitentscheiden“ vollzieht sich mit der Übernahme von Teil-Verantwortung auf der nächsten Stufe, gefolgt von 52
Diese Stufe ist in der Darstellung von den anderen Stufen abgehoben, da Nicht-Beteiligung nicht dem Spektrum partizipativer Artikulationen im eigentlichen Sinne zuzurechnen ist.
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der vollständigen Autonomie partizipativer Entscheidungsprozesse gegenüber administrativen Hierarchien. Unterschiedliche Akteure legen gemeinsam Strategien und Lösungen fest und kontrollieren sich gegenseitig bei der Einhaltung der Absprachen. Somit steigt die Qualität der Partizipation von Stufe zu Stufe. Verwaltungsseitig reichen die Stufen von Informationsangeboten über Gelegenheiten zu Austausch und Erörterung sowie partnerschaftlichen Kooperationen bis hin zur Abgabe von Entscheidungsmacht – hier steigen der Grad der Teilnahmegewährung und damit auch die Bereitschaft zum Kontrollverzicht kontinuierlich an. An der Spitze der Pyramide agieren Bürger unabhängig von einer Teilnahmegewährung seitens des politisch-administrativen Systems (vgl. Lüttringhaus 2000: 43). Deshalb bleibt die dortige Stufe auf Seiten der Verwaltung auch leer. Abbildung 3:
Beteiligungspyramide Verwaltung
Bürger
Eigenständigkeit
Delegation, Entscheidung
Partnerschaftliche Kooperation
Austausch, Erörterung
Information
Manipulation
Selbstverantwortung/ -verwaltung Mitentscheidung
Mitwirkung
Beobachtung und Begleitung
Desinteresse
Nach Lüttringhaus 2000: 44.
Bezieht man die Arnsteinsche Beteiligungsleiter und die Lüttringhaussche Beteiligungspyramide auf die sozialwissenschaftlichen Befunde zum Stadtumbau, dann dominieren in der Konzeptionsphase die unteren Stufen: Wenn die für die Durchführung des lokalen Stadtumbaus relevanten Akteure von „Beteiligung“ 64
sprechen, dann scheint sich das in der Regel im Bekanntmachen geplanter Abrisse und Aufwertungsmaßnahmen zu erschöpfen. Nachdem also die wesentlichen Entscheidungen gefallen sind und als Nicht-Entscheidungen nicht mehr zur Disposition stehen, werden die Betroffenen auf öffentlichen Veranstaltungen informiert. Dort haben sie maximal die Möglichkeit, ihren Unmut, ihre Skepsis und ihre Ängste vorzutragen. Partizipation im Sinne von Einflussnahme auf Entscheidungen durch Betroffene findet dabei nicht statt. Anstatt um Bewohnerbeteiligung muss hier von Bewohnerinformation gesprochen werden. Für Betroffene ist darin ausschließlich die Rolle des passiven Zuhörers und Zuschauers vorgesehen. Lediglich für die Aufwertungsprojekte der Nach- und Neunutzung freigeräumter Flächen kann eine Neigung der professionellen Stadtumbauakteure zu einer aktiveren Beteiligung der Bewohner konstatiert werden. Im Ordnungsschema von Beteiligungsleiter und -pyramide handelt es sich hier – im Vergleich zu den Informationsveranstaltungen der Konzipierungsphase – um eine qualitativ höhere Stufe von Beteiligung: Betroffene können mitreden und schließlich auch mitentscheiden. Allerdings erfolgen die Beteiligungsverfahren im Zuge der Aufwertungsmaßnahmen erst dann, wenn die konfliktreichen Entscheidungen über Abriss oder Erhalt von Wohngebäuden gefallen sind. Während es sich bei den Abrissentscheidungen um Verteilungskonflikte handelt, in denen mindestens eine Partei Verluste hinnehmen muss, stehen in den Aufwertungsprojekten tendenziell eher Koordinationsprobleme im Mittelpunkt. Aus Sicht professioneller Stadtumbauakteure eignen sich Aufwertungsprojekte für die Durchführung unkonventioneller Partizipationsformen, die aber bereits im Vorfeld im Hinblick auf Thema, Dauer und Zuständigkeit klar abgegrenzt wurden – Beteiligung scheint hier ohne Risiken und Nebenwirkungen gewissermaßen „im Laufstall“ stattzufinden. Auffällig ist zudem, dass Informationsangebote und Beteiligungsmöglichkeiten im Stadtumbauprozess durchweg von Vertretern des politisch-administrativen Systems eingeräumt werden. Bewohner kommen in der „partizipativen Flankierung“ des Stadtumbaus stets als zu beplanende Zielgruppe oder sozialplanerisches Problem vor, nicht aber als gleichberechtigte Partner oder Ratgeber. Beispiele, in denen Betroffene ihre Interessen öffentlich vorgetragen und verbesserte Einflussmöglichkeiten gefordert haben, sind in der Begleitforschung nicht dokumentiert. Mit dieser Feststellung ist ein Bogen geschlagen hin zu den divergierenden Interessen, die verschiedene Akteure mit Partizipation verbinden können: Wurde zu Hochzeiten der Neuen Sozialen Bewegungen in den Siebziger- und Achtzigerjahren „mehr Partizipation“ in erster Linie „von unten“, d.h. von Betroffenen,
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gefordert,53 so haben Vertreter des politisch-administrativen Systems angesichts schwindender Gestaltungsspielräume mittlerweile erkannt, dass durch Formen freiwilliger Mehrbeteiligung und durch die Zusammenarbeit mit nicht-staatlichen Akteuren ein Mehrwert in ihrem Sinne zu erzielen ist. Partizipation kann beispielsweise einen Beitrag leisten zur Vermeidung von Konfrontationen, zur Informationsgenerierung und Verfahrensbeschleunigung durch den Einbezug spezifischen Know-hows, zur Verbesserung der Passgenauigkeit von Planungen und Maßnahmen, zur Steigerung der Legitimität einzelner Vorhaben sowie zur Erweiterung von Steuerungsressourcen (vgl. exemplarisch Selle 2000: 168ff, Selle 2005: 404ff., 437ff.). Der Einbezug nicht-staatlicher Akteure ist zu einem zentralen Bestandteil lokalstaatlicher Handlungsstrategien geworden (vgl. Mayer 1995). Allerdings sind die administrativ „von oben“ angebotenen Formen der Mitwirkung bei der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung in der Regel durch mehrere Einschränkungen gekennzeichnet: Sie bewegen sich in einem durch die Initiatoren vorab festgelegten Rahmen, d.h. Entscheidungen über Thema, Dauer und Zuständigkeitsbereich des Verfahrens wurden bereits im Vorfeld getroffen und sind damit einer partizipativen Deliberation nicht zugänglich. Anders ausgedrückt: Administrativ eingeräumte Partizipation stellt bestehende ungleiche Verteilungen von Macht nicht in Frage. Auf der anderen Seite beteiligen sich auch Betroffene nicht frei von Interessen: Sie streben einen Zugang zu ihnen bislang nicht zur Verfügung stehenden Ressourcen an (z.B. materielle Vorteile, Wissen) und fordern mehr Mitsprache ein. Sie wollen konkrete Maßnahmen verhindern oder durchsetzen, einzelne Themen bearbeitet sehen, spezifische Aspekte in Entscheidungen einbringen, sich Gehör verschaffen, ihr Veto einlegen, Netzwerke zur Einflussnahme und Meinungsbildung aufbauen oder einfach nur ihre Neugier befriedigen und in ihrer Freizeit mit Gleichgesinnten politisch aktiv werden. Sie versprechen sich von ihrer Teilnahme einen Zuwachs an Einfluss, Entscheidungs- und Gestaltungsmacht, der sich dann in einer Verbesserung der eigenen Lebenssituation oder ihrer unmittelbaren Umgebung niederschlagen soll. Die divergierenden Interessen zwischen „oben“ und „unten“ bergen ein Konfliktpotenzial in sich, das aus Sicht von Mitarbeitern von Verwaltungsstellen und Vertretern des politischen Systems einerseits für partizipative Verfahren eine Belastung darstellen kann, andererseits aber gerade die Notwendigkeit einer Beteiligung von Bewohnern unterstreicht: Geht es ihnen einerseits um das dosierte und kontrollierbare Einräumen von Mitwirkungsmöglichkeiten, ohne dabei die Zügel komplett aus der Hand zu geben, sind sie auf der anderen Seite zur 53
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Beispielsweise als Reaktion auf im Rahmen von Kahlschlagsanierung geplante massive bauliche Eingriffe, als Kritik an „von oben“ angeordneten Großprojekten oder grundsätzlich als Reaktion auf einen als technokratisch empfundenen Zugang zu Planung.
Organisation von Wissen und zur Sicherstellung von Legitimation auf eine Kooperation mit den Betroffenen angewiesen. Betroffene wiederum streben wohl eher eine möglichst vollständige Umsetzung ihrer Interessen an und reagieren sensibel auf Instrumentalisierungsbestrebungen oder die Inszenierung von Beteiligung. Das – latent oder offenkundig vorhandene – Machtgefälle zwischen Bewohnern bzw. Betroffenen und Vertretern des politisch-administrativen Systems bestimmt somit wesentlich Verlauf und Ergebnis partizipativer Verfahren. 2.3.3 Partizipation und lokale Demokratie Hinter den divergierenden Interessen, die mit der Implementierung von und der Teilnahme an Partizipation verfolgt werden, stehen oftmals unterschiedliche Demokratieverständnisse. Idealtypisch kann ein instrumentelles Verständnis (Partizipation als Mittel zum Zweck) von einem normativen (partizipative Demokratie als Lebensform) unterschieden werden. Das instrumentelle Verständnis ist eingebettet in ein liberales Demokratiemodell: In ihm gelten Wahlakte und das System aus Repräsentanten und Repräsentierten als einzig adäquater politischer Interaktionsmodus. Partizipation umfasst in diesem Verständnis Handlungen, die bewusst auf die Erreichung eines spezifischen politischen Ziels ausgerichtet sind, wobei als Adressaten der Einflussnahme die Entscheidungsträger in Regierung, Parlament, Parteien etc. gelten können (vgl. Buchstein 2004: 52ff.). Das normative Partizipationsverständnis hingegen lässt sich Konzepten von deliberativer bzw. partizipatorischer Demokratie zuordnen (vgl. dazu Schmidt 1997a: 170-182, Buchstein 2004: 48ff., Lösch 2005). Hier liegt der Fokus nicht auf den Funktionsbedingungen von Institutionen und Regeln, sondern auf den „Bedingungen möglichst authentischer Beteiligung möglichst vieler an der Erörterung und Entscheidung öffentlicher Angelegenheiten“ (Schmidt 1997b: 43). Demokratie ist in diesen Konzepten etwas Transitives, an dessen Vollendung stets gearbeitet werden muss. Entsprechend wird der prozessuale Charakter von Partizipation betont: Geäußerte Positionen und deren argumentative Bezüge zueinander stehen im Mittelpunkt. Das instrumentelle Partizipationsverständnis lässt sich auf die bündige Formel „Teilhabe durch Stimmabgabe“ (Voting) bringen – hier stehen elektorale Tätigkeiten im Mittelpunkt, die in steuerungstheoretischer Hinsicht Effizienz und Stabilität gewährleisten sollen. Demgegenüber finden deliberative Ansätze unter der Überschrift „Teilhabe durch Stimmerhebung“ (Voicing) statt, d.h., ihnen geht
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es um Teilhabe durch Artikulation und Einmischung und damit letztendlich in partizipationsdemokratischer Hinsicht um Emanzipation.54 Vor diesem Hintergrund wird die strukturelle Ambivalenz von Partizipation erklärbar: Sie kann einerseits auf die Erzeugung rationaler Politikergebnisse zielen, sich aber auf der anderen Seite auch der Verringerung des Abstands zwischen „Herrschern“ und „Beherrschten“ widmen. 2.3.4 Mikropolitik in der Gestaltung lokaler Partizipationsmöglichkeiten Zur Beteiligung verschiedener Akteure an der Quartiersentwicklung haben Kommunen und Verfahrensträger diverse Gremien eingerichtet und Instrumente eingeführt, die sowohl kleinteilige Maßnahmen wie Informationsveranstaltungen und Befragungen als auch längerfristig angelegte thematische Arbeitsgruppen oder Beiräte umfassen. Das Repertoire an möglichen Instrumenten, aus denen das jeweilige Partizipationsarrangement für den Stadtumbau zusammengestellt werden kann, ist breit. Das verdeutlichen die inzwischen vielfältigen Erfahrungen aus früheren Phasen der Stadterneuerung, Beispiele aus parallel laufenden Programmen wie „Soziale Stadt“, aber auch entsprechende Beiträge und Toolkits aus Wissenschaft und Beratung.55 Die Instrumentenwahl wiederum hat Auswirkungen auf die Partizipationsrealität: Sie bestimmt den Rahmen, innerhalb dessen Bewohner angehört werden, mitreden oder mitentscheiden. Organisatorische Fragen wie die Uhrzeit einer Versammlung, die Reihenfolge der Tagesordnungspunkte, die dort vorherrschenden Sprechweisen oder die Erreichbarkeit des Versammlungsortes werden daher insofern zu politischen Fragen, als sie den Ausgang der Entscheidungsfindung beeinflussen. Um diesen Aspekt empirisch fassen zu können, bietet sich ein Rückgriff auf das Konzept der Mikropolitik an, das sich in der Politikwissenschaft auf das „Innenleben eines Politikfeldes“ bezieht (Nullmeier u.a. 2003: 9). Damit stehen nicht allein die Darstellung von Akteurskonstellationen, Institutionengefüge und 54 55
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An dieser Stelle ist allerdings erneut auf das bereits erwähnte demokratietheoretische Dilemma hinzuweisen, dass emanzipatorische Instrumente durchaus auch für nicht-emanzipatorische Zwecke angewendet werden können (vgl. Fußnote 7). Vgl. in diesem Zusammenhang beispielsweise die Arbeitshilfen, die das Institut für Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte Beratung Arbeit und Beratung (www.uni-due.de/issab), die Arbeitsgruppe um Klaus Selle am Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung der RWTH Aachen (www.pt.rwth-aachen.de) und die Stiftung Mitarbeit (www.mitarbeit.de) vorgelegt haben; zudem entsprechende Beiträge auf den Internetseiten der Bundestransferstellen „Soziale Stadt“ (www.sozialestadt.de), „Stadtumbau Ost“ (www.stadtumbau-ost.info) und „Stadtumbau West“ (www.stadtumbauwest.de) sowie den Online-Fachinformationsdienst www.stadtteilarbeit.de (letzte Zugriffe jeweils am 14.9.2009).
Regulierungsinstrumenten im Mittelpunkt der Analyse. Mikropolitologie zielt vielmehr auf die subinstitutionelle Ebene des politischen Prozesses, indem sie Praktiken der Kommunikation und Interaktion zum Untersuchungsgegenstand macht.56 Bezogen auf den Stadtumbau rücken damit insbesondere lokale Gremiensitzungen und Versammlungen ins Blickfeld, d.h. die Kommunikation unter Anwesenden in einem zeitlich und räumlich begrenzten Zusammenhang, der auf Quartiersebene der Koordinierung von Meinungsbildung und Entscheidungsfindung dient. Das dabei zugrunde liegende Verständnis von Versammlungen folgt einer Konzeption, wie sie Hurrelmann u.a. (2002) vorgelegt haben. Sie interpretieren Versammlungen als eine politische Praxis: „Im Vergleich zur Praxis der Kommunikation in Briefen, Druckerzeugnissen, Rundfunk, Fernsehen und neuerdings im Internet zeichnet sich die Versammlung durch eine Form der Kommunikation aus, die auf nicht-technikvermittelter Multimedialität und Interaktivität sowie auf einem Vorrang der Mündlichkeit beruht. In die Versammlungskommunikation sind alle Sinne und nicht-technischen Medien des Austausches einbezogen, von Körperbewegungen über taktile Praktiken bis hin zu den verschiedenen Formen des Hörens und Sehens. Versammlung bedeutet Kommunikation unter Anwesenheit und Zentrierung der Kommunikation auf eine Folge mündlicher Reden. Die Möglichkeit, als Einzelperson einen Beitrag zu liefern, der von allen Teilnehmenden gehört wird, ist die Grundvoraussetzung der Deliberation [gemeint ist Entscheidungsfindung durch argumentative Diskussion, M.F.] in Versammlungen“ (Hurrelmann u.a. 2002: 548; Hvhbg. i. Orig.).
Versammlungen werden von einer Vielzahl von Regeln und Erwartungen gesteuert, ohne die eine Versammlung eine ungeordnete soziale Aktivität, ein „kommunikatives Rauschen“ (ebd.: 551) wäre. Hurrelmann u.a. verzeichnen sie als „Kommunikationsdisziplinen“ (ebd.: 550). Dass es überhaupt zu einer Zusammenkunft zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort kommt, ist beispielsweise den „Disziplinen der zeiträumlichen Koordinierung“ geschuldet. „Zugangsdisziplinen“ hingegen regeln, wer an einer Versammlung teilnehmen kann. Die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden für das Versammlungsgeschehen wird mittels „Disziplinen der Aufmerksamkeitsregulierung“ (z.B. Ordnungsrufe, technische Verstärkung durch Mikrophone, Präsentationsregeln) gesichert; sie streben die Sicherung der „Einheit des Interaktionssystems“ (ebd.: 552) an. 56
Nullmeier u.a. (2003: 14f.) betonen, dass ihr Konzept von Mikropolitik abzugrenzen sei von dem Begriff von Mikropolitik, der sich mittlerweile in der deutschsprachigen Organisationssoziologie und auch in der Personalwirtschaftslehre zur Analyse von innerbetrieblichen Prozessen jenseits hierarchischer Steuerung etabliert hat. In der Lesart dieser Disziplinen beschränke sich Mikropolitik lediglich auf die organisationstheoretische Dimension. Auch erste politikwissenschaftliche Versuche (vgl. Bogumil/Schmid 2001), das Konzept fruchtbar zu machen, hätten, nach Nullmeier u.a., diese institutionelle Ebene nicht verlassen und konnten demnach die politischen Praktiken in Interaktionen und Kommunikationen, die unterhalb von Institutionen angesiedelt sind, nicht erfassen.
69
„Disziplinen der Redesequenzierung“ regeln die Organisation von Sprecherwechsel und -reihenfolge, Anmeldung, Erteilung und Entzug des Rederechts und sorgen für eine Hierarchisierung von Redebeiträgen (Diskussionsbeiträge, Anträge, Zurufe etc.). Und schließlich können die zur Entscheidungsfindung notwendigen „Disziplinen der Verbindlichkeitserzeugung und -vergewisserung“ sowie die „Dokumentationsordnungen“ zum Festhalten von Beratungsverläufen und Beschlüssen auch als „Kommunikationsdisziplinen“ gelten.57 Nach der Systematisierung von Hurrelmann u.a. können diese Kommunikationsdisziplinen als Recht bzw. Regel verschriftlicht sein – beispielsweise können Geschäftsordnungen grundlegende Fragen der Einberufung, Mitgliedschaft, Rollendifferenzierung und Versammlungsdurchführung regeln. Sie können aber auch als Konventionen und tradierte soziale Verpflichtungen den Akteuren vertraut sein – qua Konvention kann beispielsweise geregelt sein, wie die konkrete Redepraxis der Teilnehmer ausfallen kann und darf. Schließlich können Disziplinen aber auch aus einer Versammlungsdynamik erwachsen – im Verlauf einer Versammlung können sich situationsbezogene Erwartungen herausbilden, deren Bearbeitung weder durch Regeln noch durch Konventionen abgedeckt ist: „Je nach Ausprägung der Kommunikationsdisziplinen nimmt die Versammlung eine spezifische Gestalt an. Das Spektrum reicht von der inszenierten akklamativen Massenversammlung über emotionale oder formalistische Auseinandersetzungen etwa in Vereinsversammlungen bis zu gleichberechtigten Diskussion in freier Runde“ (ebd.: 553).
2.3.5 Partizipationspolitik Abschließend ist zusammenzufassen, dass die Partizipation von Bewohnern an der Umsetzung der Programme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“, wie in Kapitel 2.2 gezeigt wurde, von den zuständigen Ministerien explizit gewünscht und Bestandteil der Förderung ist. Für die Ausgestaltung vor Ort existiert allerdings ein breiter Spielraum, aus dessen Nutzung sich schließlich die Partizipationsrealität in den Quartieren ergibt.
57
70
Zwei weitere von Hurrelmann u.a. herausgearbeitete Kommunikationsdisziplinen sind in diesem Abschnitt nicht erwähnt: „Raum-, Körper- und Medienordnungen“ und „Disziplinen des Gewaltausschlusses (Gewaltordnungen)“. Erstere sollen laut Hurrelmann u.a. die räumliche Einheit von Versammlungen bewahren, sie sind m.E. den „Disziplinen der zeiträumlichen Koordinierung“ zuzuordnen und deshalb hier nicht gesondert aufgeführt. Die „Disziplinen des Gewaltausschlusses“, die „verhindern, dass eine Versammlung durch physische Gewalt unmöglich gemacht oder vorzeitig beendet wird“ (Hurrelmann u.a. 2002: 551) haben für die hier interessierenden Quartiersgremien keine Bedeutung und werden deshalb auch nicht aufgegriffen.
Das Handhaben und Ausfüllen dieses Spielraums wird in der vorliegenden Arbeit als Partizipationspolitik bezeichnet. Sie bezieht sich auf die Rahmensetzung und die Verfahrenssteuerung lokaler Beteiligungsprozesse. Bezogen auf den Stadtumbau beginnt die Rahmensetzung auf der Ebene der allgemeinen Initiierung der Förderprogramme sowie in der Konzipierung lokaler Stadtumbaupläne und der gebäudebezogenen Entscheidung über Abrisse und Aufwertung. Diese Praxen sind in der Regel von der öffentlichen Diskussion ausgenommen und somit partizipativen Ansätzen nicht zugänglich. Aus der Perspektive der betroffenen Quartiersbewohner erscheinen sie als strukturelle Limitierung oder als Nicht-Entscheidungen im Sinne von Bachrach und Baratz. Je umfassender und detaillierter die im Vorfeld des Stadtumbaus von einer exklusiven Runde getroffenen Festlegungen sind, desto stärker stellt sich aus Sicht der Bewohner der Stadtumbau als unausweichliches Schicksal und daher als nicht geeignet für Beteiligungsansprüche dar. Im Bereich der Verfahrenssteuerung hingegen manifestieren sich Intensitäten, Reichweiten und Zielsetzungen der lokalen Beteiligungsangebote. Zur Einordnung der Verfahrenssteuerung als tatsächliche Umsetzung von Partizipationsabsichten dienen die Modelle der Beteiligungsleiter und der Beteiligungspyramide. Sie ermöglichen eine Bewertung der Qualität von Partizipationsformen. Darüber hinaus zählen die Wahl und Gestaltung von Beteiligungsinstrumenten und -gremien sowie die mikropolitische Ausgestaltung der Verfahren und Instrumente im Partizipationsalltag zur Verfahrenssteuerung. Auf dieser Ebene geht es um das Ausloten der inneren Gesetzmäßigkeiten partizipativer Verfahren. Quer zu den Prinzipien der Rahmensetzung und der Verfahrenssteuerung verlaufen die den jeweiligen Verfahren zugrunde liegenden Demokratiekonzepte (instrumentell oder normativ). Unterschiedliche Partizipations- und Demokratieverständnisse beeinflussen die Ausgestaltung der Rahmensetzung, die Auswahl der Beteiligungsangebote sowie das konkrete Verhalten einzelner Personen auf Versammlungen. Partizipationspolitik ist somit die absichtsvolle Ausgestaltung eines Partizipationsarrangements, einschließlich der Wahl der Beteiligungsverfahren und -instrumente, mit denen die verantwortlichen Akteure in der Regelungs- und Umsetzungsstruktur des Stadtumbaus (einschließlich vertraglich eingebundener Verfahrensträger) die Beteiligung von Akteuren an der Programmumsetzung organisieren. Die einzelnen Aspekte der Partizipationspolitik werden in dieser Arbeit anhand der Stadtumbauquartiere Tenever und Marzahn-Nord näher beleuchtet.
71
3 Methodische Grundlagen
Die empirische Untersuchung zu Partizipation im Stadtumbau wurde in dem Bremer Quartier Tenever und in Marzahn-Nord in Berlin durchgeführt. Sie setzte ein im Sommer 2005 und endete im Sommer 2008. Im Folgenden wird zunächst die Auswahl der Beispielquartiere erläutert (3.1). Unterkapitel 3.2 widmet sich der Darstellung der in der empirischen Untersuchung kombinierten Erhebungsmethoden der qualitativen Sozialforschung sowie den Prinzipien der Datenauswertung. Der Methodeneinsatz erfolgte nicht chronologisch, sondern in einem steten Wechsel aus Hypothesengenerierung und -überprüfung in den verschiedenen Phasen des Forschungsverlaufs. Den rekonstruierenden Untersuchungen zum Stadtumbauverlauf und zum Stellenwert partizipativer Arrangements in den Quartieren liegt damit eine flexible, methodenplurale und kontextbezogene Strategie zugrunde. Anhand ausgewählter Felderfahrungen, die sich im Untersuchungsverlauf einstellten, werden Vorzüge und Nachteile der verschiedenen Methoden in Unterkapitel 3.3 diskutiert. 3.1 Auswahl der Fallbeispiele Die Auswahl der Untersuchungsquartiere orientierte sich an mehreren Kriterien: Da sich die Maßnahmen des Programms „Stadtumbau Ost“ bislang schwerpunktmäßig im Wohnungsbestand ostdeutscher Großsiedlungen konzentrierten (vgl. dazu auch BMVBS/BBR 2008: 92), bot sich die Durchführung von VorOrt-Untersuchungen in diesem Siedlungstyp an. Die auszuwählenden Quartiere sollten auf eine Geschichte der Umsetzung unterschiedlicher Programme der Städtebauförderung vor dem Stadtumbau zurückblicken, um darüber das gegebenenfalls Neue des Stadtumbaus besser herausarbeiten zu können. Des Weiteren sollten sich die Quartiere in Großstädten befinden, da dort existierende Partizipationsstrukturen und Erfahrungen mit verschiedenen Beteiligungsformen und -ansätzen zu erwarten waren. Aus den genannten Gründen und um etwaige Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Programme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ darstellen zu können, fiel die Wahl auf die beiden folgenden Stadtumbauquartiere: 73
M. Fritsche, Mikropolitik im Quartier, DOI 10.1007/978-3-531-93498-3_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Das zu Beginn der Siebzigerjahre nach den Prinzipien des Großsiedlungsbaus westdeutscher Prägung errichtete Hochhausviertel Tenever in Bremen (mit zu Forschungsbeginn rund 6.500 Einwohnern) sowie das in der Endphase der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) als Teil der Ost-Berliner Plattenbausiedlung Marzahn entstandene Quartier Marzahn-Nord mit zu Forschungsbeginn gut 17.000 Einwohnern.58 In beiden Gebieten wurde ab 2001/2002 der durch die Stadtumbauprogramme subventionierte Abriss von Wohngebäuden kombiniert mit lokalen Sanierungs- und Rückbaustrategien. Zudem blicken beide Quartiere auf langjährige Beteiligungserfahrungen in unterschiedlichen Programmen der Städtebauförderung zurück: Neben den Quartiersmanagements im Rahmen des Bund-LänderProgramms „Soziale Stadt“ war das im Westen der in den Achtzigerjahren initiierte städtebauliche Förderstrang „Nachbesserung von Großsiedlungen“. Im Osten handelte es sich um das in den Neunzigerjahren umgesetzte Programm zur „Weiterentwicklung von Großsiedlungen“. Sowohl in Tenever als auch in Marzahn-Nord arbeiteten im Rahmen der Umsetzung des Programms „Soziale Stadt“ Quartiersmanager. In beiden Quartieren existierten Bewohnergremien, so dass die Gewährleistung einer Beteiligung von Bewohnern in Fragen der Quartiersentwicklung zu vermuten war.59 Darüber hinaus lag die Vermutung nahe, dass die Entstehung der Großsiedlungen in zwei unterschiedlichen politischen Systemen und die daraus resultierenden Unterschiede in der Belegungspolitik in den Quartieren jeweils spezifische Bewohnerschaften mit unterschiedlichen politischen Sozialisationserfahrungen hatten entstehen lassen. Es war also anzunehmen, dass Partizipation bei der Umsetzung des lokalen Stadtumbaus in beiden Quartieren auf vorhandene Strukturen getroffen war und spezifische Dynamiken geschaffen hatte.
58
59
74
Die Entscheidung für Marzahn-Nord als Untersuchungsgebiet wurde darüber hinaus beeinflusst durch das am Geographischen Institut der Humboldt-Universität verankerte Graduiertenkolleg 780/2 „Stadtökologie – Schrumpfende Großstädte“, in dessen Rahmen die Arbeit an dieser Dissertation gefördert wurde. Dort waren Aspekte der Umsetzung von „Stadtumbau Ost“ in Berlin aus dem Blickwinkel unterschiedlicher Disziplinen zu untersuchen. Im Hinblick auf das Abriss- und Aufwertungsvolumen wurde in Marzahn-Nord das umfangreichste Stadtumbauprojekt der Hauptstadt realisiert. Konzeption und Bau der beiden Quartiere, ausgewählte soziostrukturelle Merkmale sowie ihre Förderprogrammgeschichte werden unter besonderer Berücksichtigung partizipativer Belange im Rahmen der Quartiersporträts in Kapitel 4 ausführlich erläutert.
3.2 Angewandte Methoden der Datenerhebung, -verdichtung und -auswertung Sowohl für Tenever als auch für Marzahn-Nord galt es zu Beginn der Forschung, Stadtumbau-Entscheidungen und deren Wirkungen sowie lokale partizipative Arrangements und deren Geschichte zu rekonstruieren. Zudem mussten für beide Quartiere die für die Bereiche Stadtumbau und Partizipation relevanten Akteure identifiziert werden. Um lokales Wissen über die Quartiere, die Stadtumbauverläufe, vorhandene Partizipationserfahrungen, übliche Aushandlungsprozesse sowie Gremienentstehung und Gremienentwicklung generieren zu können, wurde eine fallbasierte Forschungsstrategie eingesetzt. Standardisierte Vorgehensweisen, die sich durch eine Suche nach statistisch signifikanten Zusammenhängen auf der Basis einer festen Vorstellung des untersuchten Gegenstands auszeichnen, sind zur Erschließung eines solchen, am Beginn der Forschung nicht bekannten Wissens nur bedingt geeignet. Deshalb schlägt diese Untersuchung den Weg qualitativer Studien ein. Diese zielen darauf ab, „möglichst viele und vielfältige aktuelle und sedimentierte Äußerungsund Vollzugsformen [der] zu rekonstruierenden Wirklichkeit [zu] erfassen und interpretativ verfügbar [zu] machen“ (Honer 2000: 201). Die vorliegende Arbeit sucht nach Kausalmechanismen, die zwischen den Bedingungen und den Ergebnissen der untersuchten Prozesse vermitteln. Dazu wurden „rekonstruierende Untersuchungen“ (Gläser/Laudel 2004: 34) für die beiden Quartiere durchgeführt. Solche Untersuchungen haben die Erklärung bestimmter sozialer Sachverhalte zum Ziel. Deshalb verbleibt die empirische Untersuchung der vorliegenden Arbeit nicht allein bei der Darstellung von Akteurskonstellationen, Institutionengefügen oder Regulierungsinstrumenten. Vielmehr interpretiert sie zudem die kleinteiligen, oftmals routinisierten Praktiken des lokalen Politikgeschehens als aussagekräftige und bedeutsame Daten. Dies können beispielsweise temporäre Bündnisse ungleicher Partner, stille Einverständnisse oder auch Tagesordnungen sein. Vor diesem Hintergrund ist die Arbeit als ein Beitrag qualitativer Sozialforschung zu verorten. Eine kurze, treffende Charakterisierung des Erkenntnisinteresses qualitativer Sozialforschung lieferte Hopf bereits vor nahezu 30 Jahren: Danach zeichne qualitative Sozialforschung sich aus durch das Interesse an der Analyse von Deutungen, Wahrnehmungen und komplexen Deutungsmustern, das Interesse an der Analyse in sich strukturierter Gebilde sowie das Interesse an einer möglichst umfassenden Analyse der Handlungskontexte von Individuen (vgl. Hopf 1979: 18). Flick, von Kardoff und Steinke (2000: 20) betonen, dass diese Bedeutungen immer in sozialen Interaktionen hergestellt werden; die Merkmale qualitativ zu untersuchender Prozesse seien deshalb deren Prozesscha75
rakter, Reflexivität und Rekursivität. Daraus leiten sie einen hohen Stellenwert von Kommunikation ab: „Dementsprechend kommt der Kommunikation in der qualitativen Sozialforschung eine herausragende Rolle zu. Methodologisch bedeutet dies, dass die Strategien der Datenerhebung selbst einen kommunikativen, dialogischen Charakter aufweisen“ (ebd.: 21).
Wiesner (2003: 143) weist darauf hin, dass sich zur Bezeichnung solcher „unterschiedlichster Spielarten kommunikations- und interaktionsorientierter Forschung“ in den Sozialwissenschaften zunehmend der Begriff „Ethnographie“ durchsetze und mitunter sogar die Nachfolge des Begriffs „qualitativ“ antrete. Für das Vermessen kleinteiliger politischer Interaktionen schlägt er die Strategie einer „ethnographischen Politikforschung“ vor. Darunter versteht er „[...] eine ‚starke’ Variante teilnehmender Beobachtung […], die Deutungen politischer Phänomene auf der Grundlage ausgedehnter, anfänglich gering strukturierter Feldarbeit fortlaufend entwickelt und verdichtet, und in der Daten nicht-standardisiert produziert werden“ (ebd.: 143).60
An diesem Zugang orientiert sich die vorliegende Untersuchung. 3.2.1 Erhebungsmethoden Zur Datenerhebung wurden drei unterschiedliche Ansätze verfolgt: teilnehmende Beobachtung, das Sammeln und Sichten von Felddokumenten sowie Experteninterviews. Sie werden im Folgenden erläutert. 3.2.1.1 Teilnehmende Beobachtung In der sozialwissenschaftlichen Literatur zur Beobachtung als Methode der Datengewinnung wird unterschieden zwischen „teilnehmender“ und „nicht teilnehmender“, „strukturierter“ und „unstrukturierter“, „offener“ und „verdeckter“ sowie „direkter“ und „indirekter“ Beobachtung (vgl. m.w.N. Lamnek 1995: 247ff.). Die originär in den Disziplinen Ethnologie bzw. Kulturanthropologie und Soziologie (vgl. Lüders 2000: 385) entwickelte teilnehmende Beobachtung wird als Methode bevorzugt dort eingesetzt,
60
76
Vgl. als Beispiele für die Durchführung einer ethnographischen Politikforschung Neckel 1999, Nullmeier u.a. 2003.
„[…] wo es unter spezifischen theoretischen Perspektiven um die Erfassung der sozialen Konstituierung von Wirklichkeit und um Prozesse des Aushandelns von Situationsdefinitionen, um das Eindringen in ansonsten nur schwer zugängliche Forschungsfelder geht oder wo für die Sozialforschung Neuland betreten wird“ (ebd.: 240).
Nach Lüders (2000: 386f.) lässt sich der Forschungsprozess einer teilnehmenden Beobachtung in acht Phasen einteilen (s. Tabelle 2). Die für die rekonstruierenden Untersuchungen in dieser Arbeit gewählte Beobachtungsstrategie lässt sich charakterisieren als teilnehmend, strukturiert, offen und direkt. Die anfangs geringe, später zunehmende Strukturierung der Beobachtungen ist dem Forschungsverlauf geschuldet, der sich retrospektiv in drei Beobachtungsphasen einteilen lässt: Nach einer breit angelegten beschreibenden Phase („deskriptive Beobachtung“) richtete sich das Augenmerk genauer auf den Forschungsgegenstand („fokussierte Beobachtung“), um danach ausgewählte Aspekte detaillierter zu untersuchen („selektive Beobachtung“; vgl. dazu auch Lüders 2000: 387). Tabelle 2: Phasen einer teilnehmenden Beobachtung 1. Phase
Problemdefinition
2. Phase
Kontaktaufnahme
3. Phase
Feldeinstieg
4. Phase
Etablierung einer Feldrolle und ihre Aufrechterhaltung
5. Phase
Erheben und Protokollieren von Daten
6. Phase
Ausstieg aus dem Feld
7. Phase
Auswertung
8. Phase
theoretische Verarbeitung und Veröffentlichung der Ergebnisse
Nach Lüders 2000: 386f.
Um mit den zu erforschenden Feldern vertraut zu werden, wurde zu Beginn die nicht strukturierte Beobachtung in Form von Quartiersspaziergängen und Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen eingesetzt. Als „Felder“ werden diejenigen räumlichen und/oder sozialen Bereiche bezeichnet, in denen beobachtet und geforscht wird (vgl. Lamnek 1995: 270) – bezogen auf diese Arbeit sind das die Quartiere Tenever und Marzahn-Nord, die dortigen Stadtumbauprojekte und die für Stadtumbau und Partizipation relevanten Gremien. Daneben war ein weiteres Untersuchungsfeld von Bedeutung: das Politikfeld der Stadterneuerungspolitik mit den insbesondere im Bereich Stadtumbau wesentlichen Institutionen und 77
Akteuren. Diese Akteure sind nicht notwendigerweise im Quartier aktiv. Sie wirken mit ihren Entscheidungen allerdings auf das lokale Stadtumbaugeschehen des Quartiers ein. Als Zugangsstrategie und zur Kontaktaufnahme (vgl. Tabelle 2) wurde frühzeitig das Gespräch mit Akteuren gesucht, die zuvor als Schlüsselpersonen identifiziert worden waren – auf der lokalen Ebene waren das die jeweiligen Leiter der Quartiersmanagements. Ihnen kommt aufgrund ihrer koordinierenden Arbeit im Quartier eine hohe Bedeutung als Wissensträger bzw. Informationsvermittler zu.61 Bereits im Zuge der ersten Recherchen in den Quartieren hatten sich lokale Besonderheiten angedeutet, die nicht ignoriert werden konnten: Handelte es sich bei dem Teneveraner Beispiel anscheinend um eine regelrechte Erfolgsgeschichte gelingender Beteiligung, so schien die Partizipationswirklichkeit in Marzahn-Nord durch Erschütterungen und Konflikte bestimmt. Zur tiefer gehenden Untersuchung der hinter diesen Unterschieden stehenden Entwicklungen wurden mehrmonatige Hospitanzen in beiden Quartiersmanagementbüros (Marzahn-Nord: September bis Dezember 2005, Tenever: Januar bis April 2006) durchgeführt. Sie markierten den Übergang von der nicht standardisierten, deskriptiven zur fokussierten Beobachtung: Zu Beginn der Hospitanzen, in denen ich den Status einer „wissenschaftlichen Praktikantin“ innehatte, ging es um einen Einstieg in das Feld, das Kennenlernen der Aufgaben und Arbeitsweisen der Quartiersmanager und das Nachvollziehen der Funktionen des Quartiersmanagements im Stadtumbau. Nach kurzer Zeit kristallisierte sich zudem die Teilnahme an verschiedenen lokalen Arbeitstreffen und Runden als vielversprechender Weg zur Untersuchung der Partizipationsformen heraus. Insbesondere den regelmäßigen Sitzungen der vorhandenen Quartiersgremien kam dabei eine große Bedeutung zu, da sich in ihnen lokale partizipative Eigenheiten beobachtbar manifestierten: Durch die Etablierung meiner Feldrolle in Form von temporären Mitgliedschaften in den jeweiligen Gremien in Tenever und Marzahn-Nord konnte ich gezielte Beobachtungen anstellen. Zudem erwiesen sich in beiden Quartieren auch verschiedene Verwaltungsrunden sowie zeitlich begrenzte Beteiligungsverfahren als wertvolle Untersuchungsfelder. Tabellen 3 und 4 bieten einen Überblick über die im Rahmen der Feldforschung beobachteten Gremien, Veranstaltungen und Beteiligungsverfahren. Für die Untersuchung waren sie von unterschiedlicher Relevanz; drei Quartiersgremien wur61
78
Neben dem informativen Wert explorativer Gespräche dieser Art ist deren Türöffnerfunktion nicht zu unterschätzen: Einerseits machten mich die Gesprächspartner auf weitere, aus ihrer Sicht für die Untersuchung relevante Termine und Personen aufmerksam (und stellten teilweise auch den Kontakt her), zudem ebneten sie mir den Weg für die Hospitanzen in den jeweiligen Quartiersmanagements, indem sie mein Vorhaben befürworteten und mich ihren Mitarbeitern vorstellten.
den kontinuierlich beobachtet, bei den weiteren Runden erfolgte die Beobachtung gelegentlich. Tabelle 3: Beobachtete, regelmäßig tagende Gremien, Runden und Treffen Bezeichnung des Gremiums/der Runde/der Veranstaltung
Kurzprofil
Kontinuierliche Beobachtung Tenever
Stadtteilgruppe Tenever
Gremium zur Begleitung der Quartiersentwicklung, in dem Bewohner sowie alle relevanten Akteure und Institutionen vertreten sind
MarzahnNord
Bewohnerbeirat MarzahnNordwest62
Bewohnergremium zur Begleitung des Quartiersmanagementprozesses
Quartiersrat MarzahnNordwest
Gremium zur Begleitung des Quartiersmanagementprozesses, bestehend aus Bewohnern und Vertretern lokaler Einrichtungen
Gelegentliche Beobachtung Tenever
MarzahnNord
Projektgruppe Tenever
Arbeitsbesprechungen der Quartiersmanager
Arbeitskreis Tenever
Netzwerk der im Quartier aktiven Sozialeinrichtungen
Sanierungs-AGs Tenever
Arbeitsgruppen mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten, die den Stadtumbauprozess unter Einbezug von Bewohnern begleiteten
„Tivoli-Runde“ Bremen
Steuerungsrunde der Bremer Quartiersmanager
QuartiersAgentur Marzahn-Nordwest
Arbeitsbesprechungen der Quartiersmanager
Mieterschutzinitiative Marzahn-Nordwest
von Bewohnern zur kritischen Begleitung des Stadtumbauprozesses ins Leben gerufene Initiative
Jour Fixe der Quartiersmanagements Eigene Zusammenstellung.
62
Steuerungsrunde der Berliner Quartiersmanager
Zum Gebrauch von „Marzahn-Nord“ und „Marzahn-Nordwest“ vgl. die Ausführungen in Kapitel 4.2.3.1.
79
Tabelle 4: Beobachtete, temporäre Veranstaltungen und Beteiligungsverfahren Bezeichnung des Gremiums/der Runde/der Veranstaltung Tenever
Kurzprofil
Offene Sanierungssprechstunde
im Bedarfsfall durch die Quartiersmanager und das lokale Wohnungsunternehmen angebotene Einzelfallberatung für Stadtumbaubetroffene
Workshop zur Entwicklung von Konzepten für neue Freiflächen
von den Quartiersmanagern moderierter Bewohnerworkshop
Sanierungsversammlungen von den Quartiersmanagern und dem lokalen Ludwigshafener Straße 4-14 Wohnungsunternehmen initiierte Versammlung betroffener Mieter
Marzahn-Nord
Informationsveranstaltungen zur Situation in den Wohnhäusern Neuwieder Straße 1 und 3
von den Quartiersmanagern für betroffene Mieter zwecks Information, Austausch und Absprache gemeinsamer Aktionen initiierte Treffen
Mediationsverfahren ClaraZetkin-Park
von den Quartiersmanagern initiiertes Beteiligungsverfahren zur Umgestaltung und Nutzung neuer, durch den Stadtumbau entstandener Freiflächen
Charrette im Schorfheideviertel
von den Quartiersmanagern initiiertes Beteiligungsverfahren zur Umgestaltung und Nutzung neuer, durch den Stadtumbau entstandener Freiflächen
Bürgerversammlungen Marzahn-Nordwest
Informationsveranstaltungen von Bezirksbürgermeister und Baustadtrat zu aktuellen Themen im Quartier
Eigene Zusammenstellung.
Zudem wurden themenbezogen – sofern über Fragen des Stadtumbaus beraten wurde – Sitzungen der jeweils lokalpolitisch relevanten Gremien63 beobachtet. Für Tenever waren das Versammlungen des Beirats des Stadtteils Osterholz-Tenever, für Marzahn-Nord ausgewählte Treffen des Bauausschusses des Bezirks Marzahn-Hellersdorf. In allen Beobachtungsphasen entstanden Notizen, Mit63
80
Als „lokalpolitisch relevante Gremien“ werden hier Gremien bezeichnet, an denen Lokalpolitiker beteiligt und die grundsätzlich öffentlich zugänglich sind.
schriften und Gedächtnisprotokolle, die mit den weiter unten dargestellten Auswertungsmethoden bearbeitet wurden. Beispielhaft soll an dieser Stelle das Beobachtungsraster vorgestellt werden, das zur Rekonstruktion des Stellenwerts von Partizipation im Stadtumbauprozess entwickelt wurde (s. Tabelle 5). Tabelle 5: Erstes Beobachtungsraster zum Stellenwert von Partizipation in den Quartieren Beobachtungsbereich I: Konzipierung des Stadtumbaus Beobachtungskategorie (a)
Zeitpunkt der Erstellung des Stadtumbaukonzepts
(b)
Beginn der ersten baulichen Stadtumbaumaßnahmen
(c)
Initiatoren des Stadtumbaus
(d)
Merkmale der Information der Betroffenen über geplante Maßnahmen
(e)
Reaktionen der Bewohner nach Bekanntwerden der Stadtumbaupläne
(f)
lokaler Stellenwert des Förderprogramms „Stadtumbau“
Tenever
Marzahn-Nord
Beobachtungsbereich II: Bewohnerbeteiligung in der Konzipierung des Stadtumbaus Beobachtungskategorie (g)
grundsätzliche Bereitschaft zur Bewohnerbeteiligung bei zuständigem Wohnungsunternehmen
(h)
durchgeführte nicht-institutionalisierte Formen der Bewohnerbeteiligung
Tenever
Marzahn-Nord
Beobachtungsbereich III: vorhandene Beteiligungsstrukturen Beobachtungskategorie (i)
vorhandene Bewohnergremien
(j)
Selbstverständnis der Quartiersmanager innerhalb der partizipativen Begleitung des Stadtumbaus
(k)
Merkmale der lokalen Beteiligungsstruktur
Tenever
Marzahn-Nord
(l)
Folgen des Stadtumbauverlaufs für die vorhandene Beteiligungsstruktur Eigene Zusammenstellung.
81
Das Beobachtungsraster entstand im Verlauf der Quartiershospitanzen (Ende 2005/Anfang 2006) und besteht aus drei Beobachtungsbereichen: „Konzipierung des Stadtumbaus“, „Bewohnerbeteiligung in der Konzipierung des Stadtumbaus“ und „vorhandene Beteiligungsstrukturen“. Diese wurden unterteilt in verschiedene Beobachtungskategorien. Im weiteren Forschungsverlauf leitete dieses Raster die teilnehmende Beobachtung an, später ermöglichte es einen Einstieg in die Datenauswertung. 3.2.1.2 Felddokumente Auch wenn – im Vergleich zur teilnehmenden Beobachtung – das Sichten von Dokumenten in bzw. aus dem Feld nicht als eigenständige, in der sozialwissenschaftlichen Methodendiskussion reflektierte Erhebungsmethode gilt, so kam dem Sammeln von Felddokumenten innerhalb dieser Arbeit ein großer Stellenwert zu, der im Folgenden erläutert werden soll. Als „Dokumente des Feldes“ werden verschiedene, in unterschiedlichen Kontexten entstandene und von unterschiedlichen Autoren verfasste Texte definiert, die als „institutionalisierte Spuren“ (Wolff 2000: 502) der Partizipationsprozesse in Tenever und Marzahn-Nord gelesen werden können. Aus ihnen wurden Schlussfolgerungen über Aktivitäten, Absichten und Erwägungen ihrer Verfasser bzw. der von ihnen repräsentierten Institutionen gezogen. Eine herausragende Funktion nahmen dabei die Protokolle der Sitzungen der Quartiersgremien ein – in Tenever der Stadtteilgruppe, in Marzahn-Nord des Bewohnerbeirats. Als im Spannungsfeld von administrativen Beteiligungsangeboten und Forderungen nach Mitbestimmung aus der Bewohnerschaft institutionalisierte (und damit „untersuchungsfähige“) Gremien geben ihre Protokolle Auskunft über Entstehung und Werdegang der lokalen Partizipationskulturen. Für Tenever wurden zur Auswertung die Protokolle der Stadtteilgruppe von ihrer Gründung im April 1989 bis zur 152. Sitzung im September 2008 herangezogen; aus Marzahn-Nord-West lagen 62 Protokolle des Bewohnerbeirats vor. Sie bilden den Zeitraum von der ersten Sitzung im Juni 2000 bis zu seiner Umstrukturierung im Winter 2005/2006 ab. 64 Diese Protokolle der verschiedenen Gremiensitzungen wurden ergänzt durch Organigramme, Geschäftsordnungen, parlamentarische oder verwaltungsinterne Berichte, Vermerke und Vorlagen, Projektdokumentationen, Auftragsstudien, die einzelne Aspekte der Quartiere untersuchten, sowie Briefe, E-Mails und Artikel aus lokalen und überregionalen Zeitungen. Kennzeichen eines Groß64
82
Zudem wurde in Marzahn-Nord der im April 2006 von den Quartiersmanagern initiierte Quartiersrat begleitet. Für dieses Gremium lagen die Protokolle der ersten 13 Sitzungen vor; vgl. ausführlicher dazu Kap. 6.2.2.5.
teils der Felddokumente ist, dass sie – abgesehen von Zeitungsartikeln, einzelnen Projektdokumentationen und Quartiersstudien – nicht öffentlich zugänglich sind. Insofern zeichneten sich die Feldaufenthalte (insbesondere die Hospitanzen) auch durch ein systematisches Sichten und Sammeln relevanter Felddokumente aus. Neben der oben erwähnten Erschließung von Betriebs- und Detailwissen über einzelne Vorgänge dienten diese Dokumente auch zur Kontextualisierung der in unterschiedlichen Gesprächssituationen erhobenen Aussagen. Sie flossen in die gesamte Untersuchung und die Auswertung der erhobenen Daten ein. Sofern sie nicht explizit den Charakter vertraulicher Dokumente trugen, sind sie im Literaturverzeichnis am Ende der Arbeit aufgeführt. Weiter oben wurde das Beobachtungsraster vorgestellt, welches die erste Phase der Datenerhebung leitete bzw. zur Ermittlung des Stellenwerts von Partizipation in den lokalen Stadtumbauprozessen diente (vgl. Tabelle 5). In Tabelle 6 werden nun zur Illustrierung des Fortgangs der Datenauswertung auf Grundlage dieses Raster die ersten Zwischenergebnisse zur Partizipationswirklichkeit in Tenever und Marzahn-Nord dargestellt. Sie wurden im Frühsommer 2006, nach Abschluss der Hospitanzen und der ersten Durchsicht der bis dahin vorliegenden Felddokumente, zusammengetragen. Diese Zwischenergebnisse ermöglichten erste Einschätzungen zum Stadtumbauverlauf in Tenever und Marzahn-Nord, den dabei jeweils angewandten Partizipationsformen sowie zu Stellenwert und Funktion lokal vorhandener Beteiligungsstrukturen. Deutlich wurde aber auch, dass manche Aspekte eine tiefer gehende Recherche erforderten. Einige Beispiele: Wie war das in Tenever vorhandene breite Bündnis für den Stadtumbau entstanden (vgl. Eintragungen bei Beobachtungskategorie c)? Welche Erklärungen gab es für die unterschiedlichen Selbstverständnisse der Quartiersmanager, und wie war es in Marzahn-Nord zu Veränderungen in diesem Selbstverständnis gekommen (vgl. Eintragungen bei Beobachtungskategorie j)? Zu welchen Phasen des Stadtumbauprozesses erfolgten in Tenever die Weichenstellungen, die für eine Bestätigung der existierenden Beteiligungsstruktur sorgten, und warum wurde in Marzahn-Nord ein abweichender Pfad eingeschlagen, der letztendlich das vorhandene partizipative Arrangement in eine gefährliche Schieflage brachte (vgl. Eintragungen bei Beobachtungskategorie l)?
83
Tabelle 6: Zwischenergebnisse zum Stellenwert von Partizipation im Stadtumbau Beobachtungsbereich I: Konzipierung des Stadtumbaus Beobachtungskategorie
Tenever
Marzahn-Nord
(a) Zeitpunkt der Erstellung des Stadtumbaukonzepts
2000, d.h. vor Auflage des ExWoSt-Bereichs „Stadtumbau West“
2002, im Zuge des Bundeswettbewerbs „Stadtumbau Ost“
(b) Beginn der ersten baulichen Stadtumbaumaßnahmen
05/2004
12/2003
(c) Initiatoren des Stadtumbaus
breites Bündnis aus Verwaltungsstellen, Wohnungsunternehmen, Bewohnern, QM und Lokalpolitikern
Initiative zur Konzepterstellung: Senatsverwaltung; Initiative für konkrete Abrissentscheidungen: Wohnungsunternehmen
(d) Merkmale der Information der Betroffenen über geplante Maßnahmen
umfassende und transparente Informationspolitik
dosiertes Herausreichen von (teilweise nicht vollständigen) Informationen
(e) Reaktionen der Bewohner nach Bekanntwerden der Stadtumbaupläne
Erleichterung
Angst und Verärgerung (Folgen: Mobilisierung gegen Stadtumbau, Gründung einer Mieterschutzinitiative)
(f)
Lösungsmöglichkeit für Probleme im Baubestand
Gelegenheit zur Akquise von Fördermitteln
lokaler Stellenwert des Förderprogramms „Stadtumbau“
Beobachtungsbereich II: Bewohnerbeteiligung in der Konzipierung des Stadtumbaus Beobachtungskategorie
Tenever
Marzahn-Nord
(g) grundsätzliche Bereitschaft zur Bewohnerbeteiligung bei zuständigem Wohnungsunternehmen
vorhanden; entsprechende Standards waren bei der Umsetzung früherer Programme geschaffen worden
anfänglich nicht nachweisbar, später gezielter Einbezug von Bewohnern zur Durchsetzung eigener Pläne
(h) durchgeführte nichtinstitutionalisierte Formen der Bewohnerbeteiligung
Informationsveranstaltungen (für Gesamtquartier sowie einzelne Wohnhäuser), individuelle Beratungsangebote, Sanierungssprechstunde, Sanierungs-AGs, Workshops und Planungswerkstätten zur Entwicklung der Freiflächen, Bewohnerseminare zum Stadtumbau insgesamt
Informationsveranstaltungen (für Gesamtquartier sowie einzelne Wohnhäuser), individuelle Beratungsangebote
84
Beobachtungsbereich III: vorhandene Beteiligungsstrukturen Beobachtungskategorie
Tenever
Marzahn-Nord
(i)
vorhandene Bewohnergremien
im Rahmen des Nachbesserungsprogramms 1989 entstandene Stadtteilgruppe (60-100 Teilnehmer)
im Rahmen des QM-Prozesses 1999 entstandener Bewohnerbeirat (10-20 Mitglieder)
(j)
Selbstverständnis der Quartiersmanager innerhalb der partizipativen Begleitung des Stadtumbaus
Sprachrohr für Interessen der Quartiersbewohner
zunächst Unterstützung der Bewohner, später Auftragnehmer der Verwaltung und Dienstleister
stabile Bindungen, Stadtteilgruppe als Netzwerkknoten
temporäre Bindungen, dezentrale Runden
(k) Merkmale der lokalen Beteiligungsstruktur (l)
Folgen des Stadtumbauver- Festigung laufs für die vorhandene Beteiligungsstruktur Eigene Zusammenstellung. Stand: Juni 2006.
Fragmentierung
Darüber hinaus wurde nach Abschluss der Quartiershospitanzen deutlich, dass die Kategorien manche der beobachteten Zusammenhänge nicht abbilden konnten: Beispielsweise hatte die Mobilisierung gegen die Stadtumbaupläne in Marzahn-Nord einerseits das Verhältnis zwischen aktiven Bewohnern und Quartiersmanagern getrübt, auf der anderen Seite aber auch ein neues Zweckbündnis zwischen Bewohnern und Wohnungsunternehmen geschaffen (vgl. Eintragungen bei Beobachtungskategorien e und g). Die Rekonstruktion dieser Zusammenhänge erforderte weitere Rechercheschritte, die über die zu Beginn der Feldforschung entwickelten Beobachtungskategorien hinausreichen mussten. Diese Notwendigkeit für wiederholte und vertiefende Datenerhebungsdurchgänge unterstreicht zudem das grundsätzlich explorative, Hypothesen generierende Vorgehen der Untersuchung: Das Material musste in mehreren Phasen der kontinuierlichen Be- und Überarbeitung „verdichtet“ werden. 3.2.1.3 Experteninterviews Die teilnehmende Beobachtung konnte nicht die einzige Erhebungsmethode bleiben: Sowohl in Tenever als auch in Marzahn-Nord zeigte sich, dass die jeweilige Bewohnerbeteiligung in der Quartiersentwicklung im Untersuchungszeitraum eng mit in der Vergangenheit liegenden Prozessen zusammenhing bzw. nur aus diesen heraus zu erklären war. Zu ihrer Rekonstruktion wurde die Erhebung lokal spezifischen Wissens notwendig. Dafür wurden Experteninterviews 85
durchgeführt. Als Variante des qualitativen Interviews65 sind Experteninterviews eine verhältnismäßig neue Methode. In der deutschsprachigen Diskussion um qualitative Methoden wurden sie erstmals Anfang der 1990er Jahre von Meuser und Nagel (1991) vorgestellt. Sie dienen der Erhebung des Wissens „spezifischer, für das Fach- und Themengebiet als relevant erachteter Akteure“ (Bogner/Menz 2002: 7). Experteninterviews interessieren sich nicht für Biographien, sondern sprechen die Experten als „RepräsentantInnen einer Organisation oder Institution an, insofern sie die Problemlösungen und Entscheidungsstrukturen (re)präsentieren“ (Meuser/Nagel 1991: 444, Hvhbg. i. Orig.). Sie können entweder als teil-standardisierte und leitfadengestützte oder als offene Befragung angelegt sein (vgl. ebd.: 448). Experte ist – nach einem Definitionsvorschlag von Meuser und Nagel (1991: 443) – diejenige Person, die „in irgendeiner Weise Verantwortung trägt für den Entwurf, die Implementierung oder die Kontrolle einer Problemlösung“ oder die „über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen oder Entscheidungsprozesse verfügt“. Für die vorliegende Arbeit wurden Interviews mit Personen geführt, deren spezifisches Wissen über lokale Partizipationsformen in Tenever oder Marzahn-Nord sie zu Experten im Sinne der Fragestellung machte. Das konnten sowohl Verantwortungs- und Funktionsträger aus den Bereichen Verwaltung, Wohnungswirtschaft, Politik und Wissenschaft als auch an bestimmten Gremien teilnehmende Quartiersbewohner sein. Letztgenannten kam der Status von „Zeugen“ zu. Identifiziert wurden diese Experten entweder im Zuge der teilnehmenden Beobachtung als im Feld relevante Akteure oder im „Schneeballprinzip“ auf Empfehlung einzelner Interviewpartner. Alle Experteninterviews wurden mit Hilfe von im Vorfeld festgelegten kurzen Leitfäden, die im Gespräch als „roter Faden“ dienten, durchgeführt. Diese Leitfäden trugen den Charakter von Erzählanregungen. Sie zielten auf das Einholen von Betriebswissen über institutionalisierte Handlungsabläufe und Entscheidungsprozesse sowie zur Beschaffung von Kontextwissen, also Kontextbedingungen und auch Einschätzungen aus der jeweiligen Expertenposition (zur Unterscheidung von Betriebs- und Kontextwissen vgl. Meuser/Nagel 1991: 446f.). Da die Interviews im gesamten Forschungsverlauf erfolgten, lassen sie sich – wie die Phasen der teilnehmenden Beobachtung – ebenfalls retrospektiv einteilen in deskriptiv, fokussiert und selektiv. Waren die ersten Interviews in der explorativen, hypothesengenerierenden Phase thematisch breit angelegt, so setzte im weiteren Verlauf eine Spezialisierung ein, die am Ende im Einholen spezifischer Wissensbestände zu einzelnen Aspekten mündete. Aus diesem Grund und auf65
86
Vgl. zusammenfassend zum qualitativen Interview Lamnek 1995: 35ff., Hopf 2000.
grund der Heterogenität der verschiedenen Gesprächspartner wurde auf die Anwendung eines einheitlichen Interviewleitfadens verzichtet. Den Experten wurden individuell modifizierte, auf die jeweiligen Funktionen zugeschnittene Fragen vorgelegt. Mit manchen Personen wurde mehrmals, zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Forschungsverlauf gesprochen. Die Experten wurden entweder an ihrem Arbeitsort oder an von ihnen vorgeschlagenen Treffpunkten in den Quartieren befragt. Die Gespräche dauerten durchschnittlich zwei Stunden. Soweit die Gesprächspartner ihr Einverständnis gaben, wurden die Interviews mitgeschnitten und später transkribiert.66 Mehrfach lehnten Interviewpartner – sowohl Bewohner als auch Funktionsträger – eine Aufzeichnung ab;67 in diesen Fällen wurde unmittelbar nach dem Gespräch ein Gedächtnisprotokoll angefertigt. Konversationen, die sich im Zuge der teilnehmenden Beobachtungen ergaben (z.B. auf gemeinsamen Rückwegen aus dem Quartier, in Mittagspausen oder am Rande von Sitzungen und Veranstaltungen), trugen nicht den Charakter von Experteninterviews, da sie wenig strukturiert und nicht auf der Grundlage von Leitfäden verliefen. Ihr informatorischer Gehalt wurde in Gedächtnisprotokollen festgehalten, jedoch wurden sie nicht gesondert ausgewertet. Bei der Darstellung im weiteren Verlauf der Arbeit wurden alle Aussagen von Gesprächspartnern – teilweise auf ausdrücklichen Wunsch der Befragten – anonymisiert. Um aber den Kontext des zitierten Sprechers, der unverzichtbar ist, um die Bedeutung einer Aussage bewerten zu können, zumindest andeuten zu können, wird vor einem Zitat die jeweilige Funktion der befragten Person grob umrissen. 3.2.2 Auswertungsmethoden Die Anwendung der beschriebenen Datenerhebung erzeugte zunächst einmal Texte und Mitschriften, seien es bereits vorliegende Felddokumente fremder Autoren, Beobachtungsprotokolle oder Interviewtranskripte. Je nach Entstehungskontext und zugrunde gelegtem Ausschnitt des Untersuchungsprogramms wurden die Texte mittels inhaltsanalytischer Verfahren ausgewertet. Allen inhaltsanalytischen Verfahren ist gemeinsam, dass sie darauf abzielen, Texten inhaltliche Informationen zu entnehmen und diese Informationen in ein geeigne66 67
Da es bei den Experteninterviews um die Erhebung von Betriebs- und Kontextwissen ging, demnach Pausen, Stimmlagen und andere, nonverbale Elemente für die Auswertung keine Bedeutung hatten, wurde beim Transkribieren auf aufwendige Notationssysteme verzichtet. Auffälligerweise lehnten mehrheitlich Experten aus Marzahn-Nord bzw. Berlin die Aufzeichnung der Gespräche ab, was bereits frühzeitig auf Konflikte im untersuchten Feld hindeutete.
87
tes Format umzuwandeln, um sie dann getrennt vom ursprünglichen Text weiterzuverarbeiten (vgl. Mayring 2000, Gläser/Laudel 2004: 191f.). 3.2.2.1 Inhaltsanalytisches Vorgehen Als Verfahren der Auswertung der Interviewtranskripte wurden Elemente einer qualitativen Inhaltsanalyse gewählt, wie Meuser und Nagel (1991: 451ff.) sowie Gläser und Laudel (2004: 191ff.) sie vorschlagen. Im Gegensatz zur quantitativen (vgl. Lamnek 1995: 178) zeichnet sich die qualitative Inhaltsanalyse durch einen Verzicht auf Quantifizierung aus, sie zählt also nicht die Häufigkeiten bestimmter Aussagen, sondern analysiert deren Inhalt. Eine qualitative Inhaltsanalyse folgt einem weitgehend festgelegten Drehbuch: Im Vorfeld oder im Forschungsverlauf entwickelte Analyseeinheiten werden auf ausgewählte Dokumente angewandt, indem durch interpretative Techniken Zusammenfassung, Explikation, Strukturierung und Ausprägungen der Einheiten herausgearbeitet und bestimmten Kategorien zugeordnet werden (vgl. ebd.: 218). Bei den vorliegenden rekonstruierenden Untersuchungen, deren Gegenstandsbereiche sich erst im Verlauf der Datenerhebung manifestierten, wurde zunächst jeder Text gelesen als „das Protokoll einer besonderen Interaktion und Kommunikation, unverwechselbar und einmalig in Inhalt und Form“ (Meuser/Nagel 1991: 451). Die Analyse der Interviewtranskripte zielte darauf ab, „Aussagen über Repräsentatives, über gemeinsam geteilte Wissensbestände, Relevanzstrukturen, Wirklichkeitskonstruktionen, Interpretationen und Deutungsmuster zu treffen“ (ebd.: 452). Anstelle einer Auswertung der Texte mittels vorab entwickelter, feststehender Kategorien wurde die Strategie einer schrittweisen Entwicklung der Analysekategorien aus dem Material heraus gewählt. Insofern zeichnet sich die hier angewandte Methode der Datenauswertung durch eine induktive Kategorienbildung und eine strukturierende Inhaltsanalyse aus, die bestimmte Aspekte aus dem Material „herausfiltert“ (vgl. Mayring 2000: 472f.). Dazu wurde die von Gläser und Laudel (2004: 193ff.) vorgeschlagene Technik der Extraktion angewandt, d.h. die Entnahme der relevanten Informationen aus dem Text mittels eines groben Such- bzw. Beobachtungsrasters (vgl. Tabellen 5 und 6), das ausgehend von theoretischen Vorüberlegungen entworfen wurde. Die einzelnen Texte wurden zunächst in thematisch relevante Einheiten zerlegt, um diese Sequenzen in eigenen Worten zu paraphrasieren (vgl. Meuser/Nagel 1991: 456f.). Im nächsten Schritt wurden die paraphrasierten Passagen mit textnahen, die Terminologie der Interviewten aufgreifenden Überschriften versehen. Danach erfolgte die Trennung vom Ursprungstext, „um die Informa88
tionsfülle systematisch zu reduzieren sowie entsprechend dem Untersuchungsziel zu strukturieren“ (Gläser/Laudel 2004: 194). In den weiteren Auswertungsstufen wurden lediglich diese extrahierten Informationen weiterverarbeitet und Interview übergreifend thematisch verglichen. Die Überschriften fungierten dabei als „Steigbügel“ (Meuser/Nagel 1991: 460), um zu Verfahrensregeln und Normen der Entscheidungsfindung zu gelangen. 3.2.2.2 Auswertung von Felddokumenten Aufgrund des Entstehungsprozesses von Felddokumenten kann deren alleinige Analyse nur eingeschränkt Belege für Sachverhalte oder Entscheidungsprozesse liefern. Felddokumente sind immer Interpretationen eines Vorgangs, eines Ereignisses, eines Ausschnitts der Wirklichkeit durch einen fremden Verfasser. Sie haben einen unbekannten Wahrnehmungsfilter durchlaufen. Sie sind „als eigenständige methodische und situativ eingebettete Leistungen ihrer Verfasser“ (Wolff 2000: 504; Hvhbg. i. Orig.) anzuerkennen. Die Auswertung von Aussagen in Felddokumenten ist aufgrund ihres Repräsentationscharakters nicht vergleichbar mit den Auswertungsstrategien, die für Aussagen auf direkt erhobenen Datenebenen – beispielsweise Interviews oder Beobachtungen – angewandt werden. Vor diesem Hintergrund ist Wolff (2000) zuzustimmen, wenn er betont, die Dokumentenanalyse sei keine eigenständige qualitative Forschungsmethode, sondern eine spezifische Zugangsweise zu schriftlichen Aufzeichnungen (vgl. ebd.: 504). Aus diesem Grund wurden für die vorliegenden rekonstruktiven Untersuchungen keine inhaltsanalytischen Paraphrasierungs- und Extraktionstechniken für die Auswertung von Felddokumenten angewendet. Trotz dieser Einschränkungen spielte die Dokumentenanalyse in den verschiedenen Phasen der Forschung eine wichtige Rolle: Zum einen diente die Auswertung von Felddokumenten der Erhebung von Betriebswissen über den konkreten Verlauf der Stadtumbauprozesse, das in die Erstellung von quartiersspezifischen Stadtumbauchronologien einfloss.68 Dazu wurden die in verschiedenen Dokumenten enthaltenen Aussagen auf ihren Informationsgehalt reduziert. Zum anderen wurde für die gesonderte Auswertung der Sitzungsprotokolle der Quartiersgremien ein Suchraster entwickelt, mit dessen Hilfe Partizipationsformen im Stadtumbau, lokale Informations- und Aushandlungspolitiken, Stadtumbaukonflikte und Kommunikationsregeln der Gremien rekonstruiert werden konnten. Und schließlich stellten die in den Felddokumenten enthaltenen Kontextinformationen ein geeignetes Mittel zum Cross Checking (Meuser/Nagel 68
Vgl. Anhang.
89
1991: 467) anderer Aussagen dar: Durch die thematisch orientierte Gegenüberstellung von Expertenäußerungen und schriftlich dokumentierten Kontextinformationen konnten die Verbalaussagen zwar nicht direkt verifiziert, aber zumindest auf „innere Stimmigkeit“ (ebd.: 467) überprüft werden. Die Kombination von Dokumentenanalyse und inhaltsanalytischer Vorgehensweise ermöglichte eine kontinuierliche Qualifizierung und Überprüfung der iterativ formulierten Beobachtungseinheiten. Sie wurden zudem mehrmals an etwaige Besonderheiten neu erhobenen Materials angepasst. Dieses Vorgehen erlaubt zwar keinen systematischen Vergleich beider Quartiere, allerdings konnten Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestimmt werden, auf deren Grundlage wiederum Aussagen zur Reichweite und damit grundsätzlich zu einer potenziellen Generalisierung der Befunde getroffen werden konnten. 3.3 Problemorientierte Darstellung ausgewählter Felderfahrungen Im Verlauf meiner empirischen Untersuchung war ich mit unterschiedlichen Aufgaben und Schwierigkeiten „im Feld“ konfrontiert, die Konsequenzen für die weitere Arbeit hatten, sich gelegentlich nicht gänzlich lösen ließen, aber immer spezifische, bewusst gewählte Strategien des Umgangs erforderten. Diese Probleme und – teils eigenständig, teils mit Hilfe entsprechender Fachliteratur entwickelte – Ansätze zu ihrer Lösung werden im Folgenden umrissen. Zunächst ist hervorzuheben, dass die teilnehmenden Beobachtungen in beiden Quartieren mehrmals zu vorher nicht erwarteten Situationen führten, die sich teilweise auf die Organisation des weiteren Forschungsverlaufs auswirkten (so war beispielsweise der besondere Stellenwert der Quartiersgremien zu Beginn der Feldforschung nicht absehbar). Für den Einbezug eines solchen nicht eingeplanten Informationsgewinns erwies sich die ausgewählte Erhebungsstrategie einer flexiblen und methodenpluralen rekonstruierenden Untersuchung als geeignet. Die Kontaktaufnahme über Schlüsselpersonen und der Feldeinstieg über Hospitanzen führten in beiden Quartieren zu einem umfassenden Feldzugang. Dabei hatte ich in kleineren Runden die Rolle einer „beobachtenden (Pseudo-) Teilnehmerin“ inne, deren Anwesenheit von allen Beteiligten akzeptiert worden war. Auf größeren Treffen war ich eine unauffällige, am Geschehen „teilnehmende Beobachterin“ (vgl. zu den verschiedenen Beobachterrollen Lamnek 1995: 263ff.). Begegnete man mir in Tenever allerdings mit Wohlwollen und Neugier, so war der Einstieg in Marzahn-Nord problematischer: Manche Reaktionen auf mein Vorhaben deuteten auf eine „sozialwissenschaftliche Überforschung“ des Quartiers und eine niedrige Kooperationsbereitschaft bei einigen 90
Akteuren hin. Manche Funktionsträger fürchteten eine Einschränkung ihrer freien Rede durch meine Anwesenheit bzw. eine für sie nicht mehr kontrollierbare Verwendung ihrer Äußerungen. Die Übernahme der Rolle einer „wissbegierigen Praktikantin“, regelmäßige Konversationen sowie der behutsame Aufbau eines vertrauensvollen Verhältnisses zu einzelnen Akteuren mit kontinuierlichen Hinweisen auf die vertrauliche Behandlung der Informationen konnten viele Bedenken zerstreuen. Die dadurch entstandenen Beziehungen waren die Basis dafür, dass mir mitunter inoffizielle Einschätzungen mitgeteilt wurden und ich Einsicht in interne Dokumente erhielt. Der Zugang zu einer regelmäßig tagenden Verwaltungsrunde zur Steuerung des Marzahner Stadtumbaus blieb mir trotzdem mit dem Hinweis auf ihre Vertraulichkeit verwehrt. Gelegentlich wurde ich auch während der Arbeitstreffen anderer Gremien aufgefordert, den Raum zu verlassen.69 Diese Felderfahrungen sensibilisierten mich frühzeitig für Interessenlagen, Machtkonstellationen und etwaige Konflikte. Mit zunehmender Dauer meiner Aufenthalte im Feld baten sowohl professionelle Akteure als auch Bewohner – gewissermaßen als „Gegenleistung“ – um Feedback oder evaluatorische Bewertung: Mehrmals wurde ich unter vier Augen als „Politikberaterin“ angesprochen („unsere Forscherin“) und um Einschätzungen zu Konflikten, Unterstützung bei der Abwägung von Entscheidungen oder als Legitimationsbeschafferin um Bestätigung vertretener Meinungen und eingeschlagener Strategien gebeten. Dabei kann das Kommunizieren sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse gegenüber den Personen der Forschung grundsätzlich wertvolle Gespräche auslösen, allerdings deuten Anfragen dieser Art auf das Grunddilemma von Nähe und Distanz bzw. Teilnehmen und Beobachten in der Feldforschung hin. Eine solche Rollendiffusität kann methodologisch dadurch entstehen, „[…] daß der Beobachter Situationen objektiv beobachten soll, also eine gewisse Neutralität zu wahren hat, während er als Teilnehmer in einer spezifischen sozialen Rolle eine Gesamtpersönlichkeit darstellen muß, d.h. Meinungen, Gefühle etc. zeigen soll“ (Lamnek 1995: 266).
Das notwendige Ausbalancieren von (temporärer) Mitgliedschaft und wissenschaftlicher Grenzerhaltung war eine stetige Herausforderung: „Einerseits kommt es darauf an, mit dem Forschungsfeld und den Perspektiven der darin lebenden Untersuchten weitgehend vertraut zu werden, also eine Art kontrollierter Perspektivenübernahme zu leisten, andererseits aber die notwendige Distanz des Beobachters zu wahren, die Voraussetzung für den sezierenden und erkenntnisgewinnenden Blick des Sozialforschers ist“ (ebd.: 268).
69
Eine solche gruppendynamische Schließung beobachtete ich ausschließlich in Marzahn-Nord. In Tenever standen mir alle Runden und Treffen offen.
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Als Ausweg aus diesem Dilemma bewährten sich mehrere Strategien: Zum einen kontinuierliche Verweise auf meine wissenschaftlich gebotene Neutralität und die Vorläufigkeit meiner Beobachtungen. Zum anderen, als Reaktion auf Feedback-Bitten, das Vermeiden bewertender Aussagen und das Beschreiben meiner Beobachtungen aus dem jeweils anderen Quartier – und schließlich, in regelmäßigen Abständen, das Antreten eines temporären, von mir als „Schreibphase“ kommunizierten Rückzugs aus dem Feld. Dieses zwischenzeitliche Verlassen des Feldes bewahrte zudem vor dem Going Native, d.h. vor dem Verlust der reflexiven Distanz zum Feld. Weitere Herausforderungen brachten die Spezifika von Experteninterviews mit sich. Zunächst einmal stellen qualitative Interviews einen anspruchsvollen, sorgfältig vorzubereitenden Kommunikationsprozess dar, in dem der soziokulturelle Kontext des Befragten reflektiert werden muss. Interviewpartner können unterschiedliche Rollen einnehmen – vom „Misstrauischen“, über den „Kritiker“, den „Schweiger“, den „Plauderer“ bis hin zum „Rückversicherer“ und zum „Beichtkind“ (vgl. Gläser/Laudel 2004: 173ff.). Diese Rollen erfordern jeweils eine unmittelbare Flexibilität in der Gesprächssituation. Zudem beeinflusst die Art und Weise, wie gefragt wird, die erhaltenen Antworten. Empfehlungen zur Vorbereitung und Führung eines gelingenden Interviews werden in Methodenlehrbüchern jedoch eher kursorisch erwähnt,70 entsprechende individuelle Kompetenzen scheint man nur durch Versuch und Irrtum im Laufe eines Forscherlebens zu erwerben. Grundsätzlich ist jedoch bei Experteninterviews, wie bei jeder nicht standardisierten Sozialforschung, eine Skepsis gegenüber der Qualität von Daten, die von anderen übermittelt wurden, geboten (vgl. Honer 2000: 197). Äußerungen können lückenhaft sein – sei es, dass sich die Fragen auf weit zurückliegende Ereignisse beziehen oder dass Informationen bewusst zurückgehalten werden. Äußerungen können „glatt“ sein, wenn sie als offizielle Statements formuliert und von jeglichen Konflikten und Brüchen bereinigt wurden. Äußerungen können verklären und verschleiern, indem sie durch nachträgliches Weglassen negativer Aspekte oder durch Hinzufügungen den Befragten und sein Verhalten in einem möglichst guten Licht erscheinen lassen. Zudem handeln Akteure mitunter in Unkenntnis dessen, „was sie wollen, wollen können und wollen sollen“ (Wiesner 2003: 147). Werden sie dann nachträglich zu ihrem Handeln befragt, verschwinden etwaige Ambivalenzen oftmals hinter einer strategischen und schlüssigen Rekonstruktion der Handlungssituation. Diese Gefahren und Grenzen von Experteninterviews sind in qualitativen Forschungsansätzen niemals komplett zu kontrollieren bzw. aufzuheben. Als 70
92
Eine Ausnahme stellen die äußerst hilfreichen Ausführungen zur „Kunst des Fragens“ von Gläser/Laudel (2004: 116-138, 167-185) dar.
Schutz vor solchen Negativeffekten empfiehlt es sich zunächst, im Interview konzentriert zuzuhören und bei Unklarheiten unmittelbar nachzufragen. In meinen Interviews hat sich zudem eine Strategie bewährt, zu der Meuser und Nagel (1991: 446) raten: Um einen „immanenten Zwang zur Wahrheit“ zu schaffen, empfehlen sie, die Namen von Kollegen des befragten Experten zu erwähnen, mit denen ebenfalls Interviews geführt wurden oder werden sollen. Den Gefahren kann außerdem mit einem sorgfältigen Cross Checking begegnet werden. Letztlich wirkte sich die Kombination verschiedener Erhebungsmethoden auch positiv auf die Transparenz und den Informationsgehalt der Experteninterviews aus: Aufgrund der intimen Feldkenntnisse, die sich im Verlauf der empirischen Untersuchung notwendigerweise einstellten und die mich zu einer kompetenten, gut informierten Gesprächspartnerin werden ließen, konnten einerseits Mitteilungen anderer besser evoziert und andererseits die mitgeteilten Daten zuverlässiger kontextualisiert werden.
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4 Die Großsiedlungsquartiere Tenever und Marzahn-Nord
In diesem Kapitel werden die Quartiere Tenever und Marzahn-Nord vorgestellt. Die entsprechenden Quartiersporträts (4.1 und 4.2) bestehen jeweils aus vier Teilen: Zu Beginn werden die stadträumliche Lage und die städtebauliche Struktur des betreffenden Quartiers erläutert, dann die Konzeptions- und Baugeschichte der Siedlung dargelegt, danach stehen die Einwohnerentwicklung sowie ausgewählte soziostrukturelle Merkmale im Mittelpunkt. Dabei greift die Darstellung sowohl für Tenever als auch für Marzahn-Nord in erster Linie auf die Datenlage zurück, die zu Beginn der Feldforschung, d.h. Ende 2005 bzw. Anfang 2006, vorgefunden wurde. Abschließend wird das jeweilige Großsiedlungsquartier als Interventionsfeld der Städtebauförderung – bezogen auf die zeitlich vor dem Stadtumbau umgesetzten und initiierten Förderprogramme – beleuchtet. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf partizipativen Aspekten. Zunächst sind allerdings einige generelle Anmerkungen zu Großsiedlungen voranzustellen: Als Großsiedlungen (oft wird synonym die Bezeichnung Großwohnsiedlung verwendet) werden in sich geschlossene, zumeist in Geschosswohnungsbau errichtete, von weitem als Siedlungsbereiche erkennbare Stadträume mit mehreren tausend Bewohnern bezeichnet. Ihre Ursprünge reichen zurück bis zu den Ideen des „Neuen Bauens“ und der 1933 unter der Federführung von Le Corbusier entstandenen Charta von Athen (vgl. Jessen 2000: 105). Danach entstanden Großsiedlungen gemäß eines einheitlichen städtebaulichen Konzepts, das einzelnen Teilräumen spezifische Funktionen – Wohnen, Versorgung, Bildung und Erholung – zuwies (vgl. Sieverts 2006: 163). In der Nachkriegszeit sollten die Siedlungen in West wie Ost städtebaulich-ästhetische, infrastrukturelle, sozialpolitische und verkehrstechnische Probleme auf einen Schlag lösen und zugleich die Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum sicherstellen: „Es gab einen gemeinsamen Glauben an die industrielle Vorfertigung im Wohnungsbau. Es gab die gemeinsame Überzeugung, die Wohnbedürfnisse ließen sich mit wissenschaftlichen Methoden ein für alle mal feststellen. Und es gab die Überlegung von der heilsamen Wirkung guten Städtebaus auf seine Bewohner. Kurz: Es gab, quer über alle Ideologien und Regimes
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M. Fritsche, Mikropolitik im Quartier, DOI 10.1007/978-3-531-93498-3_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
hinweg einen fast grenzenlosen Glauben an die wissenschaftlich rationale Machbarkeit der Welt“ (ebd.: 164).71
Aufgrund ihrer planvollen Konzipierung als endgültige Wohngebiete auf zuvor freien Flächen unterscheiden sich Großsiedlungen deutlich von Quartieren, die langsam und durch kontinuierliche Erweiterungen gewachsen sind. Der 1994 durch die damalige Bundesregierung vorgelegte Großsiedlungsbericht (BMRBS 1994a) definierte Großsiedlungen als von ihrer Umgebung abgegrenzte, in Geschosswohnungsbau errichtete Wohngebiete mit mindestens 2.500 Wohnungen. Nach dieser Definition gab es Mitte der Neunzigerjahre in der Bundesrepublik 255 Großsiedlungen, von denen sich 94 in den westdeutschen und 146 in den ostdeutschen Bundesländern befanden (vgl. ebd.: 27). Die Anzahl der in Großsiedlungen gelegenen Wohnungen betrug Anfang der Neunzigerjahre landesweit 1,6 Millionen (d.h. fünf Prozent des gesamten Wohnungsbestands), davon 1,14 Millionen im Ostteil (vgl. ebd.: 29).72 Lebten zu dieser Zeit im Osten 23 Prozent der Bevölkerung in Großsiedlungen, so betrug der Anteil im Westen 1,7 Prozent: „[W]ährend nämlich im Osten fast jeder 4. Bewohner in einer Großwohnsiedlung mit 2.500 und mehr Wohnungen lebt, ist es im Westen nur knapp jeder 60. Bewohner. Noch deutlicher sind die Unterschiede, bezogen auf die größten Gebiete in der Dimension ganzer Stadtteile: hier wohnt im Osten fast jeder 8. und im Westen nur jeder 250. Bewohner“ (ebd.: 29).
Innerhalb der ehemaligen Grenzen von Ost-Berlin, wo sich die größten DDRNeubaugebiete befinden (acht Siedlungen mit etwa 195.000 Wohnungen), lebten laut Berechnungen des Instituts für Architektur und Städtebau der ehemaligen Bauakademie der DDR Anfang der Neunzigerjahre sogar annähernd 50 Prozent der Wohnbevölkerung im Großsiedlungsbestand (vgl. BMRBS 1991: 7). 73 Auch wenn diese Zahlen mittlerweile 15 Jahre alt sind, so ist die Tendenz der ungleichen Verteilung zwischen West und Ost ungebrochen. Im Gegensatz 71
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73
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Wobei darauf hinzuweisen ist, dass sich der Großsiedlungsbau nicht nur auf Ost- und Westdeutschland beschränkte, sondern vielmehr ein gesamteuropäisches Phänomen war – unabhängig von unterschiedlichen nationalen Traditionen und politisch verschiedenen Gesellschaftssystemen. Zudem belief sich der Bestand in ostdeutschen Siedlungen, die größer als 500, aber kleiner als 2.500 Wohnungen waren und damit nicht der Großsiedlungsdefinition des Berichts entsprachen, auf weitere 560.000 Wohnungen (vgl. BMRBS 1994a: 29). Für den Westteil konnte der Großsiedlungsbericht nicht auf zuverlässige Daten zurückgreifen; Schätzungen gingen von ca. 200.000 Wohnungen in den Siedlungen mit weniger als 2.500 Wohnungen aus (vgl. ebd.: 29). Zahlen zum aktuellen Wohnungsbestand in Großsiedlungen mit mehr als 2.500 Wohnungen liegen nicht vor. Zwar ging der im Jahr 2000 als Vorbereitung des Förderprogramms „Stadtumbau Ost“ vorgelegte Bericht der Kommission „Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel in den neuen Ländern“ von 2,37 Millionen Wohnungen im „DDR-Wohnungsbau“ aus, allerdings
zum Großsiedlungsbau in Agglomerationsräumen in der alten BRD entstanden in der DDR Großsiedlungen auch in kleineren Städten, parallel zu der Errichtung 74 neuer Produktionsbetriebe und Industriegebiete. Der Schwerpunkt des sozialistischen Wohnungsbaus lag aber im Erschließen neuer Standorte in randstädtischen Lagen; dort entstanden Großsiedlungen in der Größenordnung von 10.000 75 und mehr Wohnungen. 4.1 Quartiersporträt Tenever 4.1.1 Lage im Stadtraum und städtebauliche Struktur Die Großsiedlung Osterholz-Tenever (kurz: Tenever) ist Teil des Bremer Stadtteils Osterholz. Sie liegt ca. zehn Kilometer östlich vom Zentrum der Hansestadt entfernt an der Grenze zwischen den Bundesländern Bremen und Niedersachsen. Markiert wird diese Grenze durch den Verlauf der Bundesautobahn 27. Auf niedersächsischer Seite schließen sich landwirtschaftlich genutzte Flächen an, im Nordwesten stößt die Großsiedlung an die Flächen einer Sportanlage und in westlicher Richtung an die Grünanlagen eines Seniorenheims. Nach Süden befinden sich jenseits der Koblenzer Straße gewerblich genutzte Flächen und Baufelder für Eigenheimsiedlungen.
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fielen darunter alle Wohnungen in Gebäuden mit sieben und mehr Wohnungen, die zwischen 1949 und 1990 errichtet worden waren (vgl. Kommission 2000: 18). An der Großsiedlungsdefinition des Großsiedlungsberichts von 1994 orientierte Angaben zum Wohnungsbestand in Ostdeutschland finden sich nicht im Kommissionsbericht. Im Städtebaulichen Bericht der Bundesregierung (BMVBW 2005) finden sich ebenfalls keine aktuellen Zahlen. Zu Entstehung, Geschichte und Bedeutung der Neubaugebiete der DDR vgl. Hunger 1994, Rietdorf 1997, Schulz 1997, Hannemann 2000, Hannemann 2005, Liebmann 2004. Laut Großsiedlungsbericht entstanden in der DDR 26 Großsiedlungen mit mindestens 10.000 Wohnungen, während sich im Westen in dieser Größenordnung lediglich sieben Großsiedlungen fanden (BMRBS 1994: 27). Prominente ostdeutsche Beispiele sind Berlin-Marzahn mit 60.000 Wohnungen, Berlin-Hellersdorf mit 42.000 Wohnungen, Leipzig-Grünau mit 34.000 Wohnungen und das Chemnitzer Fritz-Heckert-Gebiet mit 32.000 Wohnungen (vgl. Liebmann 2004: 39f.).
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Karte 1:
Lage von Tenever in Bremen
Das Hochhausviertel erstreckt sich auf einer Länge von knapp 1.000 Metern als schmales Band am Stadtrand. Auf einer Gesamtsiedlungsfläche von 43,7 Hektar wurden zwischen 1967 und 1975 insgesamt 2.653 Wohnungen76 für rund 8.000 Menschen errichtet. Von 14 Wohngebäuden war vor dem Stadtumbau ein Drittel fünf bis neun Geschosse hoch, die restlichen zwei Drittel waren zehngeschossig und höher. Hinzu kommen zwei Punkthochhäuser mit bis zu 21 Stockwerken. Zentrale Erschließungsstraße ist die in einem Bogen von Süd nach Nordwest verlaufende Otto-Brenner-Allee (s. Karte 2). Sie teilt die Großsiedlung in einen nördlichen und einen südlichen Bereich. Im Norden befinden sich an der Neuwieder und der Andernacher Straße freistehende Wohngebäude sowie die Punkthochhochhäuser. Die Gebäude im südlichen Siedlungsbereich bilden als gestaffelte, treppenartig ansteigende und winkelförmig angeordnete Blöcke halboffene Wohnhöfe (Ludwigshafener, Kaiserslauterner, Wormser und Pirmasenser Straße sowie Pfälzer Weg).Die Wohnnutzung prägt das Quartier; niedriggeschossige Gebäude der sozialen Infrastruktur wie Schulen und Kindertagesstätten sind entlang des Pfälzer Wegs im Randbereich der Siedlung angeordnet. Gewerbliche Nutzungen und einige Möglichkeiten zur Versorgung für den täglichen Bedarf finden sich im „Tenever-Zentrum“ im südlichen Siedlungsbereich. Dort steht zudem ein Hallenbad.
76
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Die Angaben zur genauen Anzahl der Wohnungen in Tenever schwanken, in manchen Quellen werden 2.651 Wohnungen erwähnt, in anderen ist von ursprünglich 2.563 errichteten die Rede. Die hier zugrundeliegende Zahl bezieht sich auf Angaben des Wohnungsunternehmens GEWOBA (vgl. GEWOBA 2008: 13).
Karte 2:
Das Quartier Tenever
Erläuterung: Schwarz hervorgehoben sind Wohngebäude.
Das Quartier besitzt einen direkten Anschluss an die Autobahn. Eine Buslinie des öffentlichen Nahverkehrs verbindet die Großsiedlung mit dem Bremer Hauptbahnhof. Aufgrund der Höhe der Gebäude und ihrer städtebaulichen Struktur hebt sich die Großsiedlung weithin sichtbar von ihrer Umgebung ab. Neben der urbanen Hochhausinsel Tenever finden sich im Stadtteil Bremen-Osterholz in erster Linie Einfamilien- und Reihenhaussiedlungen sowie einige Bereiche mit Geschosswohnungsbauten in einer Höhe von maximal vier Stockwerken. Das Grün- und Erholungsflächenangebot ist groß: Im Nordwesten grenzen die Flächen der Bezirkssportanlage Schevemoor an das Gebiet, im Norden befinden sich Nachbarschaftsgärten, im Nordosten liegen jenseits der Autobahn der 99
Bultensee mit seinem Badestrand und die langgestreckte Grünfläche des Bultenfleets. Östlich der Großsiedlung beginnen weitläufige, von Fleeten durchzogene landwirtschaftlich genutzte Flächen mit Rad- und Wanderwegen. Zudem finden sich kleinere Grün- und verschiedene Spielflächen im Quartier selbst. 4.1.2 Konzeption und Bau der Großsiedlung Tenever entstand in der Hochzeit des westdeutschen Großsiedlungsbaus in den Sechziger- und frühen Siebzigerjahren, in der eine allgemeine Wachstumseuphorie die Planungen bestimmte.77 Anlass für die Errichtung eines Hochhausviertels an der Bremer Peripherie war eine Ende der Sechzigerjahre vorgelegte Bevölkerungsprognose, die für die Hansestadt eine deutliche Zunahme bis zum Jahr 2000 erwartete (vgl. Reuß o.J.: 16). Ab 1966 begann das gemeinnützige Wohnungsunternehmen Nordwestdeutsche Siedlungsgemeinschaft (NWDS), unterstützt von der Bremer Bauverwaltung, mit dem Erwerb von landwirtschaftlich genutzten Flächen am östlichen Stadtrand, die sich für die Errichtung einer Großsiedlung eigneten (vgl. Lückenkötter 1999: 7). Im Auftrag des Bauressorts hatte das Städtebauinstitut Nürnberg (SIN) einen städtebaulichen Entwurf für die neue Siedlung entwickelt. Er orientierte sich am Leitbild „Urbanität durch Dichte“, dem mehrere Prinzipien zugrunde lagen: eine hochverdichtete Hochhausbauweise, die Realisierung sogenannter Sonderwohnformen für kinderreiche Familien und Alleinerziehende, die Schaffung von Gemeinschaftsräumen (sowohl im Gebäudeinneren als auch im öffentlichen Raum), die strikte Trennung von Fahr- und Fußwegen durch eine Gebäude und Innenhöfe verbindende Hochebene für Fußgänger (die sogenannte „+1-Ebene“) sowie die Unterbringung des ruhenden Autoverkehrs in Tiefgaragen (vgl. Lückenkötter 1999: 7, vgl. Reuß o.J.: 21ff.). Das Bundesbauministerium förderte die Errichtung der Großsiedlung, in der 4.450 Wohnungen entstehen sollten, als „Demonstrativbauvorhaben OsterholzTenever“. Durch solche Subventionierungen verfolgte die damalige Bundesregierung den Anspruch, „das Baugeschehen bei der Planung, Neugliederung, Erweiterung oder Erneuerung von Städten und Dörfern, insbesondere auch von zentralen Orten und Entwicklungsorten richtungsweisend [zu] beeinflussen. Dabei sollen die in Forschung und Praxis erarbeiteten und bewährten Er77
100
Die Anfänge des westdeutschen Großsiedlungsbaus gehen zurück bis in die Fünfzigerjahre. Bereits wenige Jahre nach Kriegsende wurden zur Sicherstellung der Wohnraumversorgung breiter Bevölkerungskreise erste Großsiedlungen gebaut; vgl. zu Entstehung und Entwicklung der westdeutschen Großsiedlungen Häußermann/Siebel 2000: 145-166, Jessen 2000, Sieverts 2006, Strubelt 2006.
kenntnisse angewandt und verbreitet werden, mit dem Ziel, vorbildliche städtebauliche Lösungen aufzuzeigen und Kostensenkungen durch rationelle Planung und Bauausführung bei gleichzeitiger Steigerung der Güte und der Produktivität zu erreichen“ (zit. nach Strubelt 2006: 144).
In Tenever, das mit acht Millionen DM, verteilt über mehrere Jahre (vgl. Reuß o.J.: 22), gefördert wurde, „[...] sollte demonstriert werden, wieweit der Flächenbedarf künftiger Wohnungsbauprojekte bei konsequenter Verdichtung reduziert und gleichzeitig ein intensives urbanes Lebensgefühl erzeugt werden kann“ (GEWOBA 2008: 8).
Im Jahr 1970 erfolgte die Grundsteinlegung für die ersten Häuser, ab 1971 zogen die ersten Mieter ein. Die Sozialstruktur der Erstmieter war das Ergebnis der Belegungskriterien des öffentlich geförderten Wohnungsbaus in der alten Bundesrepublik und des hohen Anteils an mietpreis- und belegungsgebundenen Sozialwohnungen in der Großsiedlung. Das bedeutete, dass im Gegenzug zur Wohnungsbauförderung mit öffentlichen Geldern die Wohnungen nur an Mieter vergeben werden durften, die ihren Bedarf aufgrund zu geringer Einkommen oder spezifischer sozialer Problemlagen nicht am freien Markt decken konnten (Belegungsbindung). Dabei durfte eine bestimmte Miethöhe nicht überschritten werden (Mietpreisbindung). Einkommensobergrenzen sollten diejenigen Mieter fernhalten, deren Einkommen für eine Versorgung auf dem privatwirtschaftlichen Wohnungsmarkt ausreichte. Anfangs zogen insbesondere Alleinerziehende und junge kinderreiche Familien nach Tenever, da dort ein großer Teil der Wohnungen genau für diese Bevölkerungsgruppen konzipiert worden war. Ihre Haushaltseinkommen entsprachen dementsprechend den Richtlinien der Belegungsbindung. In dieser Phase galt die Großsiedlung als städtebauliches Prestigeprojekt; Fachplaner und städtische Entscheidungsträger begeisterten sich für Tenever. Der damalige Bürgermeister Hans Koschnick betonte in der Lokalzeitung, dass „Tenever beispielhaft für bundesdeutschen Wohnungsbau hohen Wohnwert mit Urbanität vereint“ (zit. nach Reuß o.J.: 14). Jedoch war die Euphorie der ersten Jahre schnell getrübt: Die demographischen Wachstumsprognosen und entsprechenden Bedarfseinschätzungen für den regionalen Wohnungsmarkt entpuppten sich als weit zu optimistisch (vgl. ebd.: 28), so dass die Bauarbeiten in Tenever in der zweiten Jahreshälfte 1973 gestoppt wurden. Zudem war die hochgeschossige Bauweise zwischenzeitlich in die Kritik geraten: Der Alltag in der neuen Großsiedlung verdeutlichte, dass die Anlage in vielen Bereichen nicht den Bedürfnissen der Bewohner entsprach. Von den ursprünglich geplanten neuen Infrastruktureinrichtungen war nur ein Teil realisiert worden. Er deckte den Bedarf der kinderreichen Familien bei weitem 101
nicht ab. Die Versorgungslage im Einkaufszentrum wurde von den Neubewohnern als unzureichend empfunden (vgl. Lückenkötter 1999: 9). Die Verbindung der Großsiedlung mit der Bremer Innenstadt über eine Straßenbahnlinie war zwar Teil der Planung, wurde aber nicht verwirklicht. Als Folge von gedämpften Wachstumserwartungen für Bremen, einer zwischenzeitlich aufgekommenen generellen Kritik an Großsiedlungen als zeitgemäße Wohnform und den im Quartier konstatierten Ausstattungsdefiziten gab der Bremer Bausenator nach zweijährigen Diskussionen im Sommer 1975 bekannt, dass Tenever nur halb so groß wie ursprünglich geplant werden sollte (vgl. Reuß o.J.: 31). Anstatt der geplanten 4.450 Wohnungen wurden nur 2.653 Wohnungen errichtet. Bauträger und zugleich Vermieter waren drei gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften: die gewerkschaftliche Neue Heimat Bremen, die Nordwestdeutsche Siedlungsgesellschaft sowie die Bremer Bau-Union. Im Einzelnen verteilte sich der Bestand nach Abschluss der Bauarbeiten im Jahr 1977 folgendermaßen: Tabelle 7: Wohnungsbestand nach Eigentümern in Tenever im Jahr 1976 Neue Heimat Bremen Nordwestdeutsche Siedlungsgesellschaft Bremer Bau-Union Gesamt Nach GEWOBA 2008: 13.
1.494 Wohnungen 880 Wohnungen 279 Wohnungen 2.653 Wohnungen
Festzuhalten ist, dass Tenever alle Merkmale aufweist, die Jessen (2000: 108ff.) als Entstehungsbedingungen der Großsiedlungen in der alten Bundesrepublik herausgestellt hat: die wesentliche Bedeutung der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft als Entwicklungsträgerin und Bauherrin,78 die hohe Priorität von staatlicher Wohnungspolitik und der Integrationsstrategie des sozialen Mietwohnungsbaus, die Dominanz der Wohnnutzung sowie die Orientierung an einer Versorgung der idealtypischen Zwei-Generationen-Familie. Letzteres schlug sich in den Wohnungsgrundrissen und der Ausstattung mit entsprechender Infrastruktur nieder. Zudem war die Entstehung Tenevers – wie der westdeutsche Großsiedlungsbau insgesamt – geprägt durch ein technokratisches Planungsverständ78
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Die Wohnungsunternehmen waren entweder Eigentum der Kommunen oder von nicht-kommerziellen Interessensvertretungen, insbesondere Gewerkschaften, gegründet worden und in organisatorischer und personeller Hinsicht häufig eng mit der betreffenden Kommune verflochten. Zur Entstehung der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft in der Weimarer Republik, zu ihrem „langsamen Tod“ sowie zum Ende des sozialen Wohnungsbaus vgl. Häußermann/Siebel 2000: 150ff.
nis bei Planern und in der lokalen Öffentlichkeit, so dass eine Beteiligung der Bevölkerung in der Phase der Konzipierung und Errichtung des Hochhausviertels weder gefordert noch vermisst wurde. 4.1.3 Einwohnerentwicklung und soziostrukturelle Merkmale 4.1.3.1 Datengrundlage Bevor die Zusammensetzung der Bevölkerung Tenevers, ihre soziale Lage sowie soziostrukturelle Besonderheiten des Quartiers erläutert werden, muss auf zwei grundsätzliche Einschränkungen der Datenlage hingewiesen werden: die begrenzte Aussagekraft der Angaben des Statistischen Landesamtes Bremen zum Quartier Tenever sowie den Mangel an Auftragsstudien zur Erforschung der sozialen Struktur im Gebiet. Zu den Daten des Statistischen Landesamtes ist anzumerken, dass die allgemein zugänglichen Datensätze und auch das Angebot der Online-Datenbank „Bremen kleinräumig“79 sich zumeist auf die Ebene der Ortsteile der Stadt Bremen beziehen. In Tenever sind die statistisch-administrativen Ortsteilgrenzen allerdings nicht deckungsgleich mit denen des Hochhausviertels. Der Ortsteil Tenever umfasst mehr Baublöcke als das Hochhausquartier. Gesicherte Zahlen zum Bevölkerungsstand liegen deshalb nur für den gesamten Ortsteil vor. Zum Jahresende 2003 waren für den Ortsteil Tenever beispielsweise etwa 11.000 Einwohner amtlich registriert. Nach Schätzungen der Quartiersmanager lebten rund 6.500 Personen in der Großsiedlung Tenever (SenBU/SenAFGJS 2003: 48). Erschwerend kommt hinzu, dass das Statistische Landesamt Bremen nicht zu allen auf die Kleinräume bezogenen Daten, sondern nur zu ausgewählten Zusammenhängen eine jährliche Fortschreibung veröffentlicht. Infolgedessen musste für das Quartiersporträt auf verschiedene Quellen zurückgegriffen werden: Wenn es in den folgenden Abschnitten nicht anders vermerkt ist, liegen den Ausführungen die zu Beginn der Feldforschung zugänglichen Daten zugrunde. Das waren die im Jahr 2005 vorgelegte Printpublikation Ortsteile der Stadt Bremen (Statistisches Landesamt Bremen 2005) sowie die CD-Datenbank „Bremen kleinräumig“. Die Printpublikation liefert Zahlen aus dem Jahr 2004, der Datenbank konnten Zeitreihen entnommen werden.80 79 80
Zu finden unter http://www.statistik.bremen.de „Daten und Fakten“ „Bremen kleinräumig“ „Bremen kleinräumig Infosystem“ oder direkt unter http://www.statistik-bremen.de/ soev/statwizard_ step1.cfm [letzte Zugriffe am 10.5.2009]. Zwischenzeitlich hat das Statistische Landesamt Bremen sein Online-Angebot erweitert: Neben der Datenbank „Bremen kleinräumig“ finden sich auch ausgewählte Daten auf Ebene
103
Der zweite Punkt – der Mangel an Sozialstudien zur Großsiedlung Tenever – überrascht. Für ein weit über die Stadtgrenzen hinaus bekanntes Quartier wie Tenever, das seit seiner Entstehung nicht nur im Interesse von Politik, Stadt- und Fachöffentlichkeit steht, sondern darüber hinaus auch kontinuierlich mit öffentlichen Geldern subventioniert und nachgebessert wurde, ist anzunehmen, dass es Gegenstand von kontinuierlicher sozialwissenschaftlicher Begleitforschung sein sollte. Bemerkenswerterweise ist das für Tenever nicht der Fall, so dass für die Skizzierung der sozialen Lage nicht auf entsprechende Gutachten, Studien oder Programmauswertungen zurückgegriffen werden konnte. Lediglich in der ersten Evaluierung der Umsetzung der Programme „Wohnen in Nachbarschaften“ und „Soziale Stadt“ (vgl. IfS/ForStaR 2004) sowie in den Bestandsaufnahmen, die den Fortschreibungen der Integrierten Handlungskonzepte für die Bremer „Soziale Stadt“-Gebiete vorangestellt sind (vgl. IWS/proloco 2006), finden sich einige – allerdings knappe – Hinweise. Deshalb musste an einigen Stellen auf Schätzungen und Eindrücke der vor Ort aktiven Experten zurückgegriffen werden. 4.1.3.2 Einwohnerentwicklung Tabelle 8 verdeutlicht die Einwohnerentwicklung für den gesamten Ortsteil Tenever: Deutlich wird das durch den Wohnungsneubau ausgelöste Bevölkerungswachstum von fast 150 Prozent, das Tenever in den Siebzigerjahren erlebte. In den ersten fünf Jahren bewegten sich die prozentualen Zuwächse im zweistelligen Bereich (von 1971 bis 1976 wuchs die Quartiersbevölkerung um 110 Prozent). Zwar verlor diese Entwicklung ihr Tempo ab Mitte der Siebzigerjahre, als der Bauprozess ins Stocken geriet und schließlich beendet wurde, allerdings zeugten mehr als 17 Prozent Bevölkerungszuwachs bis zum Jahr 1981 von einem weiterhin deutlichen Trend.
der Bremer Baublöcke im Internet. Zahlen zu den Baublöcken des Stadtteils Osterholz können aufgerufen werden unter http://www.statistik.bremen.de „Daten und Fakten“ „Bremen kleinräumig“ „Bremer Baublöcke“ „Stadtteil Osterholz“ oder direkt unter http://www. statistik-bremen.de/tabellen/kleinraum/baublock/ST37%20Osterholz/atlas.html [letzte Zugriffe am 10.5.2009]. Die Baublöcke des Hochhausviertels haben die Nummern 373031, 373029, 373013, 373014 sowie 373015. Zum Zeitpunkt der Feldforschung bestand dieses Angebot noch nicht, so dass die online zu findenden Angaben nicht unmittelbar in die Beschreibung der soziostrukturellen Merkmale des Quartiers einfließen konnten. Allerdings unterstrich eine nachträgliche Recherche in dieser Datenbank alle im weiteren Verlauf beschriebenen Trends für das Hochhausviertel.
104
Tabelle 8: Bevölkerungsentwicklung in Tenever von 1971 bis 2005 Jahr
Durchschnittliche Jahresbevölkerung absolut
Jährliche Entwicklung in % (gerundet)
1971 5.081 1972 6.243 +22,9 1973 7.195 +15,2 1974 8.463 +17,6 1975 9.644 +14,0 1976 10.692 +10,9 1977 11.232 +5,1 1978 11.575 +3,1 1979 11.840 +2,3 1980 12.142 +2,6 1981 12.556 +3,4 1982 12.259 -2,4 1983 11.477 -6,4 1984 11.075 -3,5 1985 10.611 -4,2 1986 10.287 -3,1 1987 10.371 +0,8 1988 11.632 +12,2 1989 12.592 +8,3 1990 13.088 +3,9 1991 13.269 +1,4 1992 13.411 +1,1 1993 13.607 +1,5 1994 13.663 +0,4 1995 13.656 +0,1 1996 13.696 +0,3 1997 13.443 -1,8 1998 13.083 -2,7 1999 12.520 -4,3 2000 11.978 -4,3 2001 11.634 -2,9 2002 11.376 -2,2 2003 11.018 -3,1 2004 10.638 -3,4 2005 10.423 -2,0 Angaben entnommen aus der Online-Datenbank „Bremen kleinräumig“ sowie eigene Berechnungen.
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Die massiven Einbrüche von rund 18 Prozent in der ersten Hälfte der Achtzigerjahre sind wiederum zurückzuführen auf die Belegungskriterien des öffentlich geförderten Wohnungsbaus in der alten BRD: Nach einer Wohndauer von fünf Jahren wurde die Wohnberechtigung von Mietern in geförderten Beständen erstmals erneut geprüft. Lag ein Haushaltseinkommen über dem zu diesem Zeitpunkt zulässigen Grenzwert, führte das zu einer deutlichen Erhöhung der Miete. In Tenever war der Anteil dieser „Fehlbeleger“ hoch. Angesichts der stagnierenden infrastrukturellen Versorgungslage im Quartier nahmen nur wenige Betroffene eine Mieterhöhung in Kauf, die meisten verließen die Großsiedlung. Mitte der Achtzigerjahre wurden in Tenever erstmals leer stehende Wohnungen verzeichnet (vgl. GEWOBA 2008: 12). Zudem veränderte sich die Zusammensetzung der Bevölkerung, der Anteil von Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen stieg: Diese Haushalte lagen unterhalb der Einkommensgrenzen und erfüllten damit die Kriterien zum Verbleib in Tenever (vgl. Lückenkötter 1999: 8). Dass die Quartiersbevölkerung Ende der Achtzigerjahre innerhalb von vier Jahren (bis 1990) um 27,2 Prozent anstieg, ist ebenfalls zurückzuführen auf sozialpolitische Interventionen: Die zuständigen Sozialbehörden hatten die leer stehenden Wohnungen in erster Linie an Migranten aus unterschiedlichen Herkunftsländern vermittelt. Das Teneveraner Wohnungsangebot war für diese oftmals kinderreichen Haushalte sehr gut geeignet.81 Lässt sich anhand der Tabelle für die erste Hälfte der Neunzigerjahre eine relative Stabilität der Bevölkerungsentwicklung nachzeichnen (die Bewohnerzahl belief sich kontinuierlich auf über 13.000 Personen), so änderte sich dies ab 1996/97 wieder: Bis zum Jahr 2005 verlor das Quartier 23,9 Prozent seiner Bevölkerung. Diese Entwicklung hat ihre Ursachen in umfassenden wohnungswirtschaftlichen Umstrukturierungen, die bereits Mitte der Achtzigerjahre in der Großsiedlung einsetzten: Nachdem die drei als Vermieter aktiven Wohnungsbaugesellschaften ihre Bestände komplett oder teilweise veräußert hatten, brach in Tenever eine Phase spekulativer Eigentümerwechsel an (vgl. Reuß o.J.: 66, GEWOBA 2008: 13). Sie gipfelte Anfang der Neunzigerjahre in dem Erwerb von insgesamt 1.416 Wohnungen durch eine Privatperson, den Architekten und Immobilienhändler Lothar Krause.82 Da der Neueigentümer nicht bereit war, in seine Bestände zu investieren, verfielen diese Wohnungen zusehends, was so-
81
82
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Beispielsweise stieg der Ausländeranteil in Tenever von 14,9 Prozent im Jahr 1986 auf 23,9 Prozent drei Jahre später (vgl. Lückenkötter 1999: 9, Reuß o.J.: 47). Integrationsangebote und -hilfen sowohl für Neuankömmlinge als auch für Alteingesessene gab es zu dieser Zeit nur sporadisch, so dass als Konsequenz soziale Spannungen im Quartier zunahmen. In Tenever wurden diese Wohnungen wegen des Nachnamens des Eigentümers „KrauseWohnungen“ genannt.
wohl zu einem umfangreichen Modernisierungsstau als auch zu einem Anstieg der Fortzüge aus dem Quartier führte (vgl. Lückenkötter 1999: 73). Entsprechend hoch ist die Mieterfluktuation in Tenever: Zwischen den Jahren 2000 und 2004 standen 4.416 Zuzügen in den Ortsteil 5.954 Fortzüge gegenüber (negativer Wanderungssaldo: 1.538.) Mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate von -27,2 Prozent pro 1.000 Einwohner lag in Tenever der mit Abstand höchste Bevölkerungsrückgang der Bremer Siedlungsgebiete vor, während die Gesamtstadt im selben Zeitraum leichte Bevölkerungszuwächse verzeichnete. 4.1.3.3 Altersstruktur In Tenever lag das Durchschnittsalter der Bevölkerung zum 31.12.2004 bei 38,7 Jahren. Die Bevölkerung Tenevers ist damit deutlich jünger als der Bremer Durchschnitt (43,0 Jahre). wie die folgende Übersicht unterstreicht: Ein Fünftel (19,3 Prozent) der Bevölkerung Tenevers ist unter 18 Jahre alt, davon sind 7,2 Prozent Unter-6-Jährige. Damit ist Tenever einer der kinderreichsten Ortsteile Bremens (Anteil der Unter-18-Jährigen in Bremen-Stadt: 11,0 Prozent, Anteil der Unter-6-Jährigen: 5,0 Prozent; vgl. Statistisches Landesamt 2005: 26f.). Mitarbeiter von lokalen Sozialeinrichtungen schätzen, dass der Großteil der Kinder und Jugendlichen im Hochhausviertel lebt. Der Quartiersmanager umschreibt den Kinderreichtum Tenevers im Gespräch folgendermaßen: „Hier wächst gewissermaßen die Zukunft Bremens und die der Sozialversicherungssysteme heran.“83 Untermauert wird diese Feststellung von der für Tenever zu verzeichnenden Verteilung der Haushaltsgröße: In 8,6 Prozent (absolut: 350) der insgesamt 4.069 Haushalte lebten zum Jahresende 2004 fünf und mehr Personen. Das ist der mit Abstand höchste Wert für Bremen (Durchschnitt: 3,7 Prozent). Durchschnittlich 2,5 Personen lebten in einem Teneveraner Haushalt (vgl. ebd.: 199f.).
83
Anlässlich der erstmaligen Verwendung eines direkten Zitats aus einem Experteninterview soll erneut auf den Umgang mit im Rahmen von Interviews gewonnenen Aussagen hingewiesen werden: Einige Interviewpartner verlangten ausdrücklich eine Anonymisierung ihrer Aussagen. Zur Vereinheitlichung wurden deshalb in der gesamten Arbeit alle auf Grundlage von Experteninterviews verwendeten Aussagen anonymisiert. Um allerdings den Kontext des jeweils zitierten Sprechers, der hilfreich zur Bewertung einer Aussage ist, zu umreißen, wird bei allen direkten Zitaten die Funktion der befragten Person erwähnt (vgl. dazu auch die entsprechenden Ausführungen in Kap. 3.2.1.3).
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4.1.3.4 Arbeitslosigkeit und Sozialhilfebezug Ein Großteil der Quartiersbevölkerung muss materielle Armut und prekäre soziale Lagen bewältigen (s. Tabelle 9): Der Ortsteil Tenever hatte zum 31.12.2004 den zweithöchsten Arbeitslosenanteil Bremens (bezogen auf die Anzahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter). Davon war fast die Hälfte (47,0 Prozent) als Langzeitarbeitslose registriert. Der Anteil der Bezieher von Sozialleistungen ist – im Vergleich zur Gesamtstadt – ebenfalls sehr hoch. Tabelle 9: Anteil von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern zum 31.12.2004 Tenever
Bremen (Stadt)
Arbeitslosenanteil
25,9 %
16,4 %
Anteil von Sozialhilfeempfängern*
23,3 %
8,3 %
davon Unter-18-Jährige* 43,1 % *Bezogen auf die Gesamtbevölkerung. Nach Statistisches Landesamt Bremen 2005: 149f., 227f.
19,7 %
2004 war zudem der Anteil von Kindern und Jugendlichen in Familien, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, mit 50 Prozent der mit Abstand höchste der gesamten Stadt. In der Rangfolge der Sozialindikatoren aller Bremer Ortsteile belegte Tenever im Jahr 2003 den Spitzenplatz unter den am stärksten benachteiligten Quartieren (vgl. SenBU/SenAFGJS 2003: 11). Diese Werte – eine vergleichsweise hohe Arbeitslosigkeit, eine hohe Sozialhilfedichte und dabei ein deutlicher Anteil von betroffenen Kindern und Jugendlichen – sind keine kurzfristigen „Negativausreißer“, sondern spiegeln die seit Jahren im Quartier dominierende soziale Realität wider. Seit Anfang der Achtzigerjahre weisen die Daten zur Sozialstruktur Tenevers auf eine Ballung prekärer Lebenslagen im Quartier hin (vgl. Reuß o.J.: 50). Dies wird auch durch eine Langzeitstudie verdeutlicht, die für den Zeitraum von 1970 bis 1989 den Zusammenhang zwischen sozioökonomischen Kennzeichen einzelner Bremer Ortsteile und der Sterblichkeitsrate unter der jeweiligen Bevölkerung verfolgte (Tempel/Witzko 1994, zit. nach Arbeitnehmerkammer Bremen 2004: 110ff.). Darin wurde Tenever als statusniedriges Gebiet mit deutlich erhöhter Mortalität klassifiziert. Begründet wurde dies durch die räumliche Konzentration benachteiligter, von gesundheitlichen Risiken besonders betroffener Bevölkerungsgruppen sowie die durch einen stetigen Abbau sozialstaatlicher Leistungen eingetretenen Verschlechterungen der Lebensbedingungen (vgl. ebd.: 112). Ebenfalls Mitte der Neunzigerjahre beschrieben Lürssen und Richters, dass aus „Klein-Manhattan“, wie Tenever in seiner Frühphase von den Bewohnern 108
nicht ohne Stolz genannt worden war, die „Bremer Bronx“ zu werden drohe (vgl. Lürssen/Richters 1994: 222f.). Insofern wird die soziale Lage im Quartier seit nunmehr mindestens 15 Jahren als problematisch erachtet. 4.1.3.5 Bevölkerung mit Migrationshintergrund Nach Angaben des Statistischen Landesamtes wurde zum Jahresende 2004 für 52,9 Prozent der Bewohner des Ortsteils Tenever ein Migrationshintergrund84 verzeichnet. Der Anteil der in Tenever registrierten nicht-deutschen Staatsbürger betrug 25,2 Prozent. Er ist vergleichsweise hoch (Gesamtstadt: 13,2 Prozent), nur drei Bremer Ortsteile wiesen einen höheren Anteil auf. Dass die Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung Tenevers heterogen ist, wird von den Rubriken des Statistischen Landesamts nur angedeutet: Die größte Gruppe ist mit 37,6 Prozent die der türkischen Staatsangehörigen, dann folgt die Gruppe der „sonstigen Staaten“ mit 29,9 Prozent, an dritter Stelle stehen Polen mit 14,5 Prozent. Nach Zählungen der Quartiersmanager leben in Tenever Menschen aus 88 verschiedenen Herkunftsländern. Zudem ist von einem hohen Anteil an Spätaussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion auszugehen; Schätzungen des Statistischen Landesamts deuten darauf hin. Für die Gruppe der Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten wird mit einem Anteil von 15,9 Prozent für Tenever der höchste Wert aller Bremer Ortsteile angegeben (Stadt Bremen insgesamt: 3,2 Prozent). Tenever kann als bevorzugtes Einwanderungsquartier für Migranten und insbesondere für Aussiedler beschrieben werden. Die Sozialeinrichtungen Tenevers stehen so immer wieder vor der Herausforderung, eine stabile Erstintegration bewerkstelligen zu müssen. Zugleich betonen lokale Experten aber auch die Potenziale der internationalen Bevölkerung Tenevers; das Miteinander verschiedener Kulturen und die Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit vieler Kinder werden von ihnen als Chance gesehen. Nach ihrer Einschätzung verlassen die Zuwandernden
84
Personen mit Migrationshintergrund sind in der Bremer Landesstatistik – im Unterschied zu der Definition des Statistischen Bundesamts – „Personen, deren erste oder zweite Staatsangehörigkeit nicht deutsch ist oder die im Ausland geboren wurden“ (Statistisches Landesamt Bremen 2005: 39). Nach der Festlegung des Statistischen Bundesamts zählen zu den Menschen mit Migrationshintergrund „alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil“ (Statistisches Bundesamt 2009: 6). In dieser Definition haben auch Kinder von bereits in Deutschland geborenen Eltern, die durch Einbürgerung Deutsche wurden, einen Migrationshintergrund.
109
nach der ersten Orientierungs- und Integrationsphase das Quartier in der Regel wieder (vgl. IWS/proloco 2006: 81). Das Durchschnittsalter der ausländischen Bevölkerung Tenevers liegt bei 32,5 Jahren und ist damit mehr als fünf Jahre niedriger als das ohnehin schon niedrige durchschnittliche Alter der Gesamtbevölkerung des Ortteils. Das deutet darauf hin, dass es einen statistischen Zusammenhang zwischen niedrigem Durchschnittsalter und hohem Ausländeranteil gibt. Der Schluss liegt nahe, dass ein Großteil der Kinder und Jugendlichen Tenevers aus Familien kommt, die einen Migrationshintergrund aufweisen. Bestätigt wird dies von Angaben aus dem Quartier: So beträgt z.B. der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund, die die im Quartier gelegene Ganztagesschule Andernacher Straße besuchen, 90 Prozent (vgl. Gieffers 2005: 127). Laut Angaben der Arbeitnehmerkammer Bremen (2005: 44) ist fast ein Drittel der Teneveraner Schüler statistisch als Ausländer registriert. 4.1.4 Programme der Städtebauförderung in Tenever Der Werdegang Tenevers in den Achtzigerjahren ist symptomatisch für die generelle Entwicklung der westdeutschen Großsiedlungen in dieser Zeit: Nach einem nur rund eine Dekade währenden Aufstieg war der Großsiedlungsbau ins Stocken geraten (vgl. dazu Sieverts 2006: 163): Materielle Voraussetzungen, Wohnansprüche und wohnungspolitische Zielsetzungen hatten sich verändert; die staatliche Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus war eingestellt worden, und in den ländlich geprägten Gemeinden rund um die Großstädte sorgte preiswertes Bauland für einen Boom von Einfamilien- und Reihenhaussiedlungen. Angesichts dieser Rahmenbedingungen waren die Großsiedlungen mit ihren strukturellen Mängeln und Ausstattungsdefiziten ins Hintertreffen geraten. Zudem waren viele Siedlungen bereits kurz nach dem Erstbezug Gegenstand einer „problematischen Publizität geworden, verbunden mit einer erstaunlichen raschen und gründlichen Umwertung“ (Jessen 2000: 111). Eine kritische bis ablehnende Berichterstattung in den Massenmedien brandmarkte die Großsiedlungen als „Schlafstädte“, „Betonburgen“, „Sozialghettos“ und „Wohnsilos“ (vgl. BMRBS 1994a: 34). Stellenwert und Ansehen der Großsiedlungen veränderten sich, sie wurden zum Symbol für einen inhumanen Städtebau. Sozialräumliche Polarisierungsprozesse verschärften die Situation zusätzlich: Die „Fehlbeleger“ im Sozialwohnungsbau hatten höhere Mieten aufzubringen, woraufhin viele Ursprungsmieter – oftmals Mittelschichtsangehörige mit festen Einkommen und deren zumeist junge Familien – die Großsiedlungsquartiere zugunsten von Wohngegenden mit günstigeren Mieten verließen. Die so 110
frei gewordenen Wohnungen wurden mit Haushalten in sozialen Notlagen belegt. Aufgrund von Diskriminierungserfahrungen auf dem freien Wohnungsmarkt waren in erster Linie Familien nicht-deutscher Herkunft auf die kommunalstaatliche Wohnraumzuweisung angewiesen. Infolgedessen erhöhte sich in den Quartieren des sozialen Wohnungsbaus ihr Anteil (vgl. Häußermann/Siebel 2000: 154). Zur Konzentration von Armut und prekären Lebenslagen in den Großsiedlungen trug zudem der in den Achtzigerjahren in der Bundesrepublik beginnende Anstieg struktureller Arbeitslosigkeit bei. Die Siedlungen wurden zu Wohngebieten, in denen sich unterschiedliche Problemlagen – Leerstände, Vermietungsprobleme, soziale Konflikte, Bauschäden und Vandalismus – wechselseitig verstärkten: „Manche der Großsiedlungen entwickelten sich zu ‚sozialen Brennpunkten’, aus denen auszog, wer konnte, in denen nur blieb, wer mußte, und in die nur einzog, wer keine andere Wahl hatte“ (Jessen 2000: 113). Zudem drohten die bereits kurz nach ihrer Entstehung problematisierten städtebaulichen Mängel und Ausstattungsdefizite für die Wohnungswirtschaft zu einem Risiko zu werden. Diese schwierige Gemengelage machte schließlich eine sozialpolitische Betreuung der Großsiedlungen notwendig: „Sehr schnell wurde klar, dass nur durch öffentliche Intervention die Situation in diesen Quartieren stabilisiert und die Entwertung des Wohnungsbestandes aufgehalten werden konnte“ (ebd.: 113). Bund, Länder und Gemeinden initiierten zur Beseitigung der Defizite sowie zur Nachbesserung, Stabilisierung und Verbesserung der Situation in den Großsiedlungen im Rahmen der Städtebauförderung und unter Einbezug der betroffenen Wohnungsunternehmen unterschiedliche Programme, Maßnahmen und Projekte. Den Auftakt machte ein im Jahr 1983 durch das Bundesbauministerium aufgelegtes Forschungsfeld des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus (ExWoSt) „Städtebauliche Lösungen für die Nachbesserung von Großsiedlungen der 50er bis 70er Jahre“ (vgl. BMRBS 1990a u. 1990b). Ein Jahr später, 1984, folgte unter gleichem Namen ein Regelförderprogramm, das neben Nachbesserungsmaßnahmen – bautechnische Sanierungen (Fassadenerneuerungen, Umgestaltung von Eingangsbereichen), und städtebauliche Korrekturen (Wohnumfeldaufwertungen, Sanierung der Quartiersinfrastruktur) – auch organisatorische Neuerungen (z.B. Umstrukturierung der Belegungspolitik und Schaffung eines mieterfreundlichen Ansatzes in der Wohnungsverwaltung) sowie soziale Programme (Ausbildungs- und Beschäftigungsinitiativen, Verstärkung der Sozialarbeit) förderte (vgl. Jessen 2000: 113).
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Auch im Quartier Tenever, dessen Errichtung bereits mit Städtebaufördermitteln als Demonstrativbauvorhaben85 finanziert worden war, wurde das Nachbesserungsprogramm umgesetzt. Bereits in den Siebzigerjahren hatten Bewohner des neuen Stadtteils darauf hingewiesen, dass die Anlage in vielen Bereichen ihren Bedürfnissen nicht gerecht wurde und insbesondere die fehlende infrastrukturelle und gewerbliche Ausstattung bemängelt. Sie organisierten sich in Mieterinitiativen, überprüften Abrechnungen der Vermieter, protestierten gegen Mieterhöhungen, unterhielten in Eigenregie Spielkreise und Krabbelstuben für Kleinkinder und gaben monatliche Mieterzeitungen heraus (vgl. Lückenkötter 1999: 10). Da die Versorgungslage jedoch stagnierte, verließen viele Bewohner das Quartier. Als Folge stiegen Wohnungsleerstand und Mieterfluktuation an, die Zusammensetzung der Bevölkerung veränderte sich. Die Negativentwicklung und die anhaltenden Proteste der verbliebenen Bewohner (vgl. Barloschky 1989) ließen den Handlungsdruck im Quartier ansteigen. Ein damaliger Mitarbeiter der Sozialverwaltung fasst die Bedeutung des Engagements aus Teilen der Bewohnerschaft zusammen: „Die haben richtig politisch [Druck gemacht], mit guten Strategien, mit öffentlichen Versammlungen, mit allem, haben richtig Druck gemacht. Und die haben da eine Stellvertreterfunktion übernommen für die großen Teile der Bewohner von Tenever, die sozusagen sich zu dem Zeitpunkt noch nicht engagiert haben. Und das war ganz wichtig. Und sie haben das sehr gut gemacht. Sie haben mit Fakten gearbeitet und sozusagen das Bewusstsein innerhalb der Verwaltung auch für diese negativen Fakten noch einmal verstärkt, weil das nicht ideologisch und polemisch war.“
Der Bremer Senat reagierte mit dem „Nachbesserungskonzept Demonstrativbauvorhaben Osterholz-Tenever“. Es wurde im September 1989 zur Behebung städtebaulicher, baulicher, sozialer, ökonomischer und infrastruktureller Defizite im Quartier beschlossen (vgl. SenBau 1989). Dieser Förderansatz war eingebettet in das o.g. bundesweite Förderprogramm „Nachbesserung von Großsiedlungen“. Zentrale Handlungsfelder waren die Verbesserung des vorhandenen Wohnungsbestands, des Wohnumfelds und der sozialen und kulturellen Infrastruktur. In Bremen sollten zudem „die Mitwirkung und Mitverantwortung der Bewohnerinnen und Bewohner gestärkt, die Kommunikation im Wohnquartier gefördert und die nachbarschaftliche Selbstorganisation entwickelt und gestützt werden“ (Schulte 1995: 3).
85
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Als im Vorfeld des Programms „Stadtumbau West“ Bremer Lobbyisten aus Wohnungswirtschaft und Politik ein finanzielles Engagement des Bundes zur Lösung der schwierigen Situation Tenevers anmahnten, begründeten sie das mit einer besonderen Verpflichtung zur Unterstützung, die sich aus einem ehemaligen städtebaulichen Demonstrativbauvorhaben wie Tenever ergebe.
Ein damals beteiligter Verwaltungsmitarbeiter erinnert sich an den Beginn des Projektes: „Engagierte Bewohner haben Druck gemacht. Die Politik hat das aufgegriffen. Und dann haben wir ein Nachbesserungskonzept entwickelt. […] Und wir haben eine Senatsvorlage gemacht für Tenever. Und der Senat hat beschlossen, dass dieses Konzept in Tenever und in anderen Gebieten gleichzeitig umgesetzt werden soll. Das ist das einzige Mal in meinem Leben gewesen, dass ich erlebt habe, dass wir eine Senatsvorlage gemacht haben, wo wir gesagt haben: ‚Das ist das, was wir wollen’, und die Antwort des sozialdemokratischen Senats war: ‚Da könnt ihr machen, was ihr wollt. Aber ihr sollt bitteschön noch mehr machen’.“
Die damals mit der Erarbeitung eines Konzepts für Tenever beauftragten Verwaltungsmitarbeiter betonen heute, dass sehr früh Einigkeit im Hinblick auf zwei zentrale Punkte herrschte: Es musste gehandelt werden – und das unter Einbezug nicht nur der verantwortlichen Wohnungseigentümer, der Stadt und dem Bund, sondern auch gemeinsam mit den Bewohnern des Quartiers. Nach Auskunft der damals Beteiligten wurde von Anfang an Wert darauf gelegt, „ein unbürokratisches Verfahren zu entwickeln, in dem als erstes immer die Bewohner gefragt werden sollten, was sie für ihren Stadtteil benötigen“. Bereits zu Beginn der Nachbesserung habe die zentrale Maxime gelautet: „Das Geld darf nur unter Beteiligung der Bewohner eingesetzt werden.“ Insofern hatte sich die einzuschlagende Interventionsstrategie nicht nur auf bauliche Projekte zur Nachbesserung zu beschränken, sondern sie sollte auch partizipative Fragestellungen und sozialpädagogische Ansätze der Gemeinwesenarbeit beachten. Als Folge entwickelte eine ressortübergreifende administrative Arbeitsgruppe unter Einbezug einer Vielzahl von Akteuren und mit breiter Beteiligung der Bewohnerschaft einen ausführlichen Maßnahmenkatalog zur Verbesserung der Großsiedlung Tenever. Dieses „Programm von oben – für eine Erneuerung von unten“ (Lürssen/Richters 1994: 224) umfasste insgesamt 70 Maßnahmen zu Nachbesserung der Siedlung. Die umfangreichsten waren der Neubau eines Kindertagesheims, die Instandsetzung und Modernisierung von rund 230 Wohnungen, Wohnumfeldverbesserungen und Freiraumgestaltungen, die Verbesserung des Anschlusses an den öffentlichen Nahverkehr sowie der Ausbau einer Sportanlage (vgl. SenBau 1989). Für die Realisierung des Konzepts bewilligte der Senat insgesamt 7,2 Millionen DM. Für die Koordinierung der Umsetzung sowie die Weiterentwicklung des Maßnahmenplans riefen die Bau- und die Sozialverwaltung die Projektgruppe Tenever ins Leben, was durch einen entsprechenden Senatsbeschluss abgesichert wurde: „Die Planungs-, Steuerungs- und Koordinierungsaufgaben bei der Umsetzung und Weiterentwicklung des Zeit- und Maßnahmenplanes vor Ort übernimmt die Projektgruppe Osterholz-Te-
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never. Hier erfolgt eine intensive, übergreifende Zusammenarbeit mit Bewohnern, Initiativen, Trägern, Ämtern, Organisationen und den kommunalpolitischen Gremien. Die mit dem Nachbesserungsprojekt verbundenen Aufgaben und Tätigkeiten sind damit zusätzlich und ergänzend zu den Aktivitäten der zuständigen Ämter zu leisten. Die beteiligten Ressorts – Senator für Inneres, Senator für Jugend und Soziales, Senator für das Bauwesen – übertragen den von ihnen benannten Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen in der Projektgruppe Tenever die entsprechenden Aufgaben und Tätigkeiten befristet für die Dauer des Projektes“ (ebd.: 8f.).
Das Sozialressort stellte kurze Zeit später für das Team der neuen Projektgruppe einen Bewohner Tenevers ein, der sich bereits in den Jahren zuvor für die Verbesserung der Lebensbedingungen im Quartier engagiert hatte.86 Zudem griffen die Verwaltungsmitarbeiter die zuvor von Quartiersbewohnern artikulierten Forderungen nach einer intensiven Beteiligung auf, indem sie die Institutionalisierung bewohnerschaftlicher Eigeninitiative und -organisation ausdrücklich unterstützten. Das Konzept sah von Anfang an die Einrichtung eines Quartiersgremiums vor, in dem Vertreter der Behörden und Verwaltungen, der verschiedenen sozialen und schulischen Einrichtungen, der Eigentümer und Bewohner über die Planungen diskutieren und entscheiden sollten. Die erste Sitzung dieses neu geschaffenen Quartiersgremiums, der Stadtteilgruppe Tenever, war zugleich der offizielle Startschuss für das Teneveraner Nachbesserungsprojekt. Zur Arbeitsorganisation der Stadtteilgruppe hielt das Protokoll fest: „[D]ie Stadtteilgruppe ist das Koordinations- und Entscheidungsgremium für das Nachbesserungskonzept. Ihre Hauptfunktion ist die Prüfung von Projekten und die Entscheidung über die Verteilung der vorhandenen Städtebauförderungsmittel. In Abwägung der unterschiedlichen Interessen in der Stadtteilgruppe und durch den gemeinsamen Verständigungsprozeß müssen einvernehmliche Entscheidungen (Konsensbildung) getroffen werden“ (Protokoll der 1. Sitzung der Stadtteilgruppe am 20.4.1989: 1).
Die ressortübergreifende Arbeitsgruppe legte die Senatsbeschlüsse zur Nachbesserung als „Selbstbeschränkung“ bzw. „Selbstverpflichtung“ der Verwaltung aus, Projekte nur dann umzusetzen, wenn sie in der Bewohnerschaft Tenevers auf Zustimmung trafen (vgl. Staud 2000: 26 u. 2002: 5). Aufgrund des ressortübergreifenden Arbeitsansatzes, der detaillierten Herangehensweise und der umfangreichen Bewohnerbeteiligung galt das Nachbesserungskonzept für Tenever als „Flaggschiff der bremischen Stadterneuerung“ (Lückenkötter 1999: 1). Die Leitlinien des in und für Tenever entwickelten Verfahrens hatten modellhaften Charakter und wurden im Rahmen der Ausweitung 86
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Dieser Angestellte der Sozialbehörde übernahm dann ab 1998 auch die Aufgaben, die die Arbeit von Quartiersmanagern kennzeichnen (s. dazu Fußnote 90). Besonderheiten und Konsequenzen der organisatorischen Ausrichtung des Bremer Quartiersmanagements als Vor-OrtTätigkeit von Mitarbeitern der Sozial- und/oder Baubehörde werden in Kapitel 6 ausführlich erläutert.
des Nachbesserungsprogramms auf weitere Bremer Großsiedlungen übertragen.87 Auch für sie galt das Prinzip des Einbezugs aller unmittelbar Beteiligten in Planungsentscheidungen. Als im Frühjahr 1997 absehbar war, dass die Städtebaufördermittel für Tenever bald ausgeschöpft sein würden, wurde das Nachbesserungskonzept überwiegend positiv bilanziert: Es habe reale Verbesserungen für die Bewohner geschaffen, zusätzliche Gelder für das Quartier erschlossen, maßgeblich zum Ausbau der sozialen Infrastruktur beigetragen, verschiedene Akteure erfolgreich vernetzt, Bewohnermitwirkung tief im Quartier verankert und in den Medien zu einer differenzierten Berichterstattung über den Stadtteil geführt (vgl. ebd.: 78f.). Die Förderung der Quartiersentwicklung in Tenever wurde dementsprechend auch nach Beendigung der Nachbesserung fortgesetzt: Der Bremer Senat hatte im Dezember 1998 ein neues Landesförderprogramm, „Wohnen in Nachbarschaften (WiN) – Stadtteile für die Zukunft entwickeln“, beschlossen: „Mit dem neuen Schwerpunktprogramm wird ein gebietsbezogener Entwicklungsansatz verfolgt, der sich auf Problemlagen von Großsiedlungen und von städtischen Quartieren im Strukturwandel bezieht. Durch die einzelnen Vorhaben sollen Probleme beseitigt und Mängel gemildert werden, verbunden mit einer positiven Entwicklungsdynamik“ (Bremische Bürgerschaft 1998: 1).
Das Programm sollte die Gefahr einer „Spaltung der städtischen Gesellschaft“ verhindern helfen und gründete auf den zurückliegenden „positive[n] Erfahrungen mit gezielt ausgerichteten Stadterneuerungsverfahren und erprobten ressortübergreifenden Handlungsansätzen zur Entwicklung von Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus“ (ebd.: 8). Der Senatsbeschluss konzipierte das Programm als „Teil einer langfristig angelegten, integrierten Stadtentwicklungspolitik für die Stadt Bremen. Im Vordergrund dieses Konzeptes steht das Leitbild einer Quartiersentwicklung und Stützung von Nachbarschaften in enger Zusammenarbeit mit Bürgerinnen und Bürgern, kommunaler Politik und Verwaltung. […] [D]aher [wird] das Konzept verfolgt, fachpolitische Handlungsansätze und Aktivitäten auf der Quartiersebene zusammenzuführen und die Umsetzung des Programms als eine handlungsorientierte Querschnittsaufgabe von Ressorts und Ämtern festzulegen. Der Aufbau von Beteiligungsformen, die aktive Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger in die Entwicklung des Quartiers, ihre Mitbestimmung und die Förderung von nachbarschaftlichen Engagement und von selbst organisierten Aktivitäten sind unverzichtbarer Bestandteil dieses Handlungskonzeptes“ (ebd.: 8f.).
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Neben Tenever bezog sich das Nachbesserungsprogramm auf sechs weitere Großsiedlungen in der Hansestadt; im Einzelnen waren das Gebiete in Lüssum, Marßel, Kattenturm und Kirchhuchting sowie die Siedlungen Varreler Bäke und Grohner Düne.
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In Tenever und neun weiteren, als „überforderte Nachbarschaften“ (ebd.: 10) beschriebenen Gebieten88 sollten städtebauliche, wirtschaftliche, soziale und wohnumfeldbezogene Problemlagen durch Einzelvorhaben und Projekte bearbeitet werden, die den Kriterien „innovativ“, „integrativ“ und „langfristig“ gerecht werden sollten (ebd.: 14). Auch wenn der Förderansatz zur Nachbesserung in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre endete, so war Tenever unter dem Einfluss des Programms zu einem Erneuerungsgebiet geworden, dessen Weiterentwicklung, Modernisierung und Aufwertung von staatlicher Seite auch weiterhin gesondert gefördert wurde. Zur Umsetzung des WiN-Programms in den Gebieten wurden lokale Quartiersmanagementteams eingesetzt; sie sollten sich der Aktivierung von Bewohnern und dem Aufbau bzw. der Weiterentwicklung akteursübergreifender Vernetzungsstrukturen im Sinne der Programmziele widmen. Zu den Aufgaben der Managements gehörte – laut Senatsbeschluss – auch die „Durchführung von öffentlichen Foren (z.B. ‚Stadtteilgruppen’) – zur Information, Vermittlung von Projekten und Erteilung des ‚WiN-Gütesiegels’“ (ebd.: 16).89 Damit wurde das im Nachbesserungsprogramm geschaffene Verfahren der Beratung von und Entscheidung über Projekte in lokalen Foren nahtlos als Fördervoraussetzung in das neue Landesprogramm übernommen. Als Ende 1999 mit dem Bund-Länder-Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“ ein neuer Ansatz der Städtebauförderung eingerichtet wurde, der ebenfalls darauf zielte, die Lebenssituation von Bewohnern benachteiligter Stadtquartiere durch eine integrative Quartiersentwicklungspolitik zu verbessern, koppelte die Stadt Bremen ihr Landesprogramm „Wohnen in Nachbarschaften“ an das Programm „Soziale Stadt“ (vgl. IfS/ForStaR 2004: 5, 10ff.). Die lokalen Managements des WiN-Programms entsprachen ohnehin den Kriterien des „Soziale Stadt“-Programms für Quartiersmanager90 und konnten nahtlos in das Bund-Länder-Programm überführt 88 89
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Neben Tenever waren das die Gebiete Blockdiek, Grohner Düne, Gröpelingen, Hemelingen, Kattenturm, Lüssum-Bockhorn, Marßel, Neue Vahr und Sodenmatt-Kirchhuchting (vgl. SenBU/SenAFGJS 2003). Die Verleihung des sogenannten „WiN-Gütesiegels“, eine Art Zertifikat für Projektanträge, geht zurück auf die Beteiligungspraxis in der Nachbesserung Tenevers; Nachbesserungsprojekte wurden dort durch die zuständigen Verwaltungsstellen nur dann bewilligt, wenn die Stadtteilgruppe als zentrales Quartiersforum sich einstimmig für ihre Umsetzung ausgesprochen hatte. Dieses Verfahren – Vorstellung und Diskussion von Projektanträgen in lokalen Stadtteilgruppen, Vergabe eines „Gütesiegels“ durch die Gremien als Voraussetzung für die Bewilligung eines Projektantrages – wurde für die Umsetzung von „Wohnen in Nachbarschaften“ übernommen bzw. beibehalten. Die Aufgaben der lokalen Managements setzten sich zusammen aus: Vor-Ort-Präsenz als Ansprechpartner, Initiierung und Unterstützung von Beteiligungsprozessen, Bewohneraktivierung, Beratung und Unterstützung von WiN-Antragstellern, Förderung von lokalen Partner-
werden. Handlungsansatz, Leitlinien und Umsetzungsstrukturen von „Wohnen in Nachbarschaften“ wurden in allen Programmgebieten nunmehr ergänzt durch „Soziale Stadt“-Mittel.91 Seitdem ist Tenever Fördergebiet des Landesprogramms „Wohnen in Nachbarschaften“ sowie des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“. Im Zeitraum zwischen 1999 und 2005/2006 wurden im Quartier mehr als 160 Projekte durch diese miteinander verzahnten Programme gefördert (vgl. IWS/proloco 2006: 12f.). Die im Zuge des Nachbesserungsprogramms geschaffene Stadtteilgruppe begleitet seitdem die Umsetzung der Programme „Wohnen in Nachbarschaften“ und „Soziale Stadt“. Ein 2003 erschienener Zwischenbericht zum stadtweiten Stand der Programmumsetzung hob hervor: „Für die Entfaltung des ‚WiN/Soziale Stadt’-Programms war es sicherlich von Vorteil, dass sich in Tenever im Rahmen des Nachbesserungsprogramms der Großwohnanlage ein tragfähiges Netzwerk mit sehr engagierten Bewohner/innen herausgebildet hat […]. Die Stadtteilgruppe hat sich zu einem lokalen Forum aller Akteure des Gemeinwesens entwickelt, in dem Konsens erreicht werden kann“ (SenBU/SenAFGJS 2003: 49).
4.2 Quartiersporträt Marzahn-Nord Marzahn-Nord war als standardisierter Bauabschnitt des industrialisierten Wohnungsbaus der DDR eingebettet in die Entstehung und Entwicklung des um ein Vielfaches größeren Ost-Berliner Stadtbezirks Marzahn. Marzahn ist eine ostdeutsche Großsiedlung der Superlative: Sie dehnt sich aus über eine Länge von ca. sieben Kilometern und eine Breite von zwei bis drei Kilometern, hat rund 60.000 Wohnungen, und ist, gemeinsam mit der benachbarten Großsiedlung Hellersdorf und deren rund 40.000 Wohnungen, das größte zusammenhängende, in der DDR in industrieller Bauweise errichtete Wohngebiet sowie eine der größten Großsiedlungen Europas (vgl. BMRBS 1991: 19).
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schaften und Vernetzungen, projekt- und programmbezogene Öffentlichkeitsarbeit sowie Mitarbeit in einer stadtweiten Steuerungsrunde (vgl. Bremische Bürgerschaft 1998: 16). Im Gegensatz zur primär investiven Ausrichtung des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“ können mit dem Landesprogramm „Wohnen in Nachbarschaften“ auch nicht-investive Zwecke verfolgt werden (vgl. IfS/ForStaR 2004: 16). Können Projektanträge komplett über „Soziale Stadt“-Mittel gefördert werden, so sieht WiN eine maximale Bezuschussung der Projekte von 50 Prozent vor. Das bedeutet, dass die Antragsteller von WiN-Projekten deren Förderung auch über das Erschließen weiterer Finanzierungsquellen sicherstellen müssen.
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4.2.1 Lage im Stadtraum und städtebauliche Struktur Marzahn-Nord entstand in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre als jüngster Bauabschnitt der zwischen 1977 und 1989 errichteten DDR-Großsiedlung Marzahn. Das knapp 190 Hektar große Quartier liegt in der nordöstlichen Peripherie von Berlin, unmittelbar an der Grenze zwischen den Bundesländern Berlin und Brandenburg. Karte 3:
Lage von Marzahn-Nord in Berlin
Im Norden des Quartiers (s. Karte 4) liegt die Brandenburger Gemeinde Ahrensfelde. In östlicher Richtung wird es durch die Hohenwalder Straße sowie die Wuhle-Freiflächen und den Eichepark begrenzt. Im Süden trennen die Flächen entlang des ehemaligen Klärwerksableiters Neue Wuhle das Quartier von den älteren Großsiedlungsgebieten Marzahns. In westlicher Richtung wird MarzahnNord durch eine sechsspurige Ausfallstraße ins nordöstliche Umland (Märkische Allee) und die Bahntrasse mit dem S-Bahnhof Ahrensfelde begrenzt. Jenseits dieser Verkehrsbarriere befindet sich das Quartier Marzahn-West, welches über eine Fußgängerbrücke mit Marzahn-Nord verbunden ist. Angesichts dieser stadträumlichen Merkmale kann – im Gegensatz zu den oftmals fließenden Übergängen zwischen einzelnen Bauabschnitten in der restlichen Großsiedlung Marzahn – von einer Insellage des Quartiers gesprochen werden. Durch die Bahnstrecke, die die Großsiedlung in Nord-Süd-Richtung erschließt, ist Marzahn-Nord direkt mit der östlichen Innenstadt Berlins verbunden. Mit der S-Bahn gelangt man innerhalb von 30 Minuten zum rund 14 Kilometer entfernten Alexanderplatz. Die Haupterschließungsstraße im Quartier ist die Havemannstraße. Sie wird von mehreren Buslinien befahren. Durch MarzahnNord verläuft zudem eine Straßenbahnstrecke in Nord-Süd-Richtung. 118
Karte 4:
Das Quartier Marzahn-Nord
Erläuterung: Schwarz hervorgehoben sind Wohngebäude.
In Marzahn-Nord befinden sich rund 11.300 Wohnungen, die hauptsächlich Mietwohnungen sind.92 Abgesehen von wenigen Ausnahmen93 dominieren dort 92
Für den genauen Wohnungsbestand von Marzahn-Nord schwanken die Angaben: Das Heimatmuseum Marzahn gibt an, dass vor dem Mauerfall 11.377 Wohnungen im Quartier entstanden (vgl. Hübner u.a. 1998: 43). Das Monitoring des Stadtumbauprozesses geht von 11.025, in Plattenbauweise errichteten Mietwohnungen aus, die sich vor dem Beginn des Stadtumbaus in Marzahn-Nord befanden (vgl. S.T.E.R.N./UrbanPlan 2004: 22). Nicht in dieser Zahl enthalten sind die nach 1989 zu Eigentumswohnungen umgewandelten Wohnungen sowie die rund 250 Wohnungen, die in den Neunzigerjahren entweder im Rahmen des Gewerbeflächenneubaus oder durch Arrondierungen des vorhandenen Gebäudebestands an den Standorten in MarzahnNord und -West neu errichtet wurden (vgl. AG SPAS 1999: 73). Die vorliegende Arbeit geht von rund 11.300 Wohnungen im Quartier aus, von denen rund 11.000 Mietwohnungen in Plattenbauweise sind.
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in Plattenbauweise errichtete Gebäude der Wohnungsbauserie (WBS) 70.94 Die Hälfte davon sind Elfgeschosser, die restlichen wurden sechsgeschossig errichtet (vgl. Peters 1998: 141). Die Gebäude sind in geschlossener oder offener Blockrandbebauung, in Zeilenbauweise oder als einzelne Gebäudescheiben angeordnet. Die für DDR-Großsiedlungen typischen Merkmale – aufgelockerte Bebauung, großzügig konzipierte wohnungsnahe Freiflächen und teilweise sehr große Straßenräume und Flächen für den ruhenden Verkehr – lassen einen Eindruck von Weitläufigkeit entstehen. Niedriggeschossige Gebäude der sozialen Infrastruktur finden sich punktuell im gesamten Quartier (insbesondere die in der DDR sogenannten Kinderkombinationen, d.h. Ensembles aus Krippen und Tagesstätten) sowie konzentriert in den Randbereichen (Schulen, Turnhallen, Gebäude für Schülerspeisung, weitere Kinderkombinationen und Jugendklubs). Das Gebiet weist außerdem drei Nahversorgungszentren am S-Bahnhof, an der Havemannstraße und an der Borkheider Straße sowie eine bereits zu DDR-Zeiten errichtete Poliklinik auf (vgl. Peters 1998: 141). Das Grün- und Freiflächenangebot im Gebiet umfasst den östlich an das Quartier grenzenden Eichepark, der im Naherholungsgebiet des offenen Landschaftsraums Barnim aufgeht. Im Bereich der Neuen Wuhle im Süden befindet sich die gestaltete Landschaft des Seelgrabenparks. Direkt im Quartier sind neben einigen Sport- und Spielflächen zudem ein gestalteter Stadtplatz, der größtenteils gepflasterte Barnimplatz, sowie der langgestreckte Clara-Zetkin-Park vorzufinden. 4.2.2 Konzeption und Bau der Großsiedlung Als Bauabschnitt der Großsiedlung Marzahn ist die Entstehungsgeschichte von Marzahn-Nord nicht zu trennen von Konzeption und Bau der gesamten Siedlung: Marzahn entstand infolge der Realisierung des auf dem VIII. Parteitag der SED (1971) beschlossenen Wohnungsbauprogramms zur „Lösung der Wohnungsfra95 ge als soziales Problem bis zum Jahr 1990“. Die dünn besiedelte, dörflich ge93 94 95
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Zudem wurden in Marzahn-Nord zwei Punkthochhäuser mit 110 und zwei „Mittelganghäuser vom Typ Gera“ mit 176 Wohnungen errichtet (vgl. Peters 1998: 141). Zu Entwicklung und Stellenwert der WBS 70 im Bauwesen der DDR vgl. Hannemann 2005, insb. 96ff. Zur schnellen und effizienten Erweiterung des durch Kriegsschäden begrenzten Wohnungsangebots hatte bereits in den Sechzigerjahren ein breites Experimentieren mit Methoden der industrialisierten Wohnungsproduktion eingesetzt. Ein entscheidender Schub ging von dem VIII. Parteitag der SED im Jahr 1971 aus. Vorbereitet unter der Losung „Alle erreichen, jeden gewinnen, keinen zurücklassen“ (Herbst u.a. 1994: 798) wurde die – wie es offiziell hieß – „Er-
prägte Gegend im Berliner Nordosten mit ihren Acker- und Rieselfeldern bot günstige Voraussetzungen für einen Wohnungsneubau im großen Stil. Neue Klärwerke hatten die Abwasserregulierung übernommen (vgl. Hübner u.a. 1998: 12). 1975 begannen die Erschließungsarbeiten. Zwischen 1977 und 1989 entstanden rund 60.000 Wohnungen. Sie wurden in mehreren Bauabschnitten von Süd nach Nord errichtet, die südlichen Teilgebiete sind damit älter als die nördlicheren, am Stadtrand gelegenen. Noch in der Bauphase erfolgte die Anbindung der Siedlung an den öffentlichen Nahverkehr durch die Errichtung mehrerer Bahnhöfe an der von Norden nach Süden verlaufenden Bahntrasse. Die rund 11.300 Wohnungen in Marzahn-Nord entstanden in der Endphase des DDR-Wohnungsbaus, als sich die Produktion hoher Stückzahlen gegen qualitative Standards durchgesetzt hatte. Im März 1982 begannen die Erschließungsarbeiten für das neue Wohngebiet, im April 1983 folgte der Aushub der ersten Baugrube. Zwischen 1983 und 1986 wurden die Gebäude südlich der Havemannstraße errichtet. Im Laufe des Jahres 1984 bezogen bereits 1.429 Familien das in Bau befindliche Quartier. Die nördlich der Havemannstraße gelegenen Häuser entstanden ab 1986 (vgl. Preußing 2007: 3f., Peters 1998: 15). Wie allen seit den Siebzigerjahren in der DDR entstandenen Großsiedlungen lagen auch Marzahn die Prinzipien des komplexen Wohnungsbaus zugrunde (vgl. Hunger 1994, Rietdorf 1997, Hannemann 2000, Liebmann: 2004): eine klare städtebauliche Funktionstrennung durch die Zusammenfassung der Gebäu96 de zu sogenannten „sozialistischen Wohnkomplexen“, industrialisierter Wohnungsbau durch die Montage von vorgefertigten Betongroßtafeln; Grundrisstypen, die einzelnen Räumen bestimmte Wohnfunktionen zuordneten, der flankierende Bau von Einrichtungen der sozialen Infrastruktur und der täglichen Ver-
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höhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes auf der Grundlage des ständigen Wachstums von Produktion und Produktivität“ zur Hauptaufgabe der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft erklärt. Kernstück sollte ein ehrgeiziges Wohnungsbauprogramm sein: Zur „Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem bis zum Jahre 1990“ beschloss das SED-Zentralkomitee 1973 die Planvorgabe, 2,8 bis 3 Millionen Wohnungen bis zum Jahr 1990 neu fertigstellen zu lassen (vgl. Wolle 1999: 40ff., 187f., Hannemann 2005: 96ff.). Nach Schulz zielte der Staat damit auf „die maximale Beeinflussung und Kontrolle des Wohnungswesens“ (Schulz 1997: 69), indem er die Fokussierung aller Ressourcen auf den zentral gelenkten staatlichen und genossenschaftlichen Wohnungsbau sowie die Durchsetzung der Industrialisierung des Bauwesens forcierte. Die Größe eines „sozialistischen Wohnkomplexes“, dem die fußläufige Erreichbarkeit aller zum Wohnkomplex zugeordneten gesellschaftlichen Einrichtungen zugrunde lag, orientierte sich an dem Einzugsbereich einer Schule mit acht Klassen und war ausgerichtet auf ca. 4.000 bis 5.000 Einwohner (vgl. Liebmann 2004: 53). Die Anordnung der Wohngebäude erfolgte in zeilenförmiger Bebauung, während der Komplex über Stichstraßen erschlossen wurde. Aufgrund der normierten Gebäudeabstände und der freien Verfügbarkeit über Grund und Boden wurden die Freiräume im Wesentlichen als undifferenzierte Grünflächen mit Spiel- und Wäscheplätzen realisiert (vgl. Hannemann 2000: 93).
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sorgung sowie die Gewährleistung der fußläufigen Erreichbarkeit der zugeordneten öffentlichen Einrichtungen und der Haltestellen des Personennahverkehrs. Nach Angaben des Bezirksamts Marzahn97 (vgl. Hübner u.a. 1998: 66) entstanden in Marzahn zwischen 1977 und 1989 im Rahmen des DDRWohnungsbauprogramms insgesamt 59.646 Wohnungen.98 Davon wurden 36.080 Wohnungen nach ihrer Errichtung durch Baukombinate zur weiteren Verwaltung und Unterhaltung der kommunalen Wohnraumverwaltung übergeben. Für 23.566 Wohnungen (39,5 Prozent des Bestands; vgl. ebd.) waren die sieben im Marzahner Wohnungsbau tätigen Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften (AWG) zuständig.99 Fast 60 Prozent des Marzahner Gebäudebestands sind Hochhäuser (Gebäude mit elf und mehr Geschossen in Zeilen sowie Punkthochhäuser mit über 18 Geschossen). Die am häufigsten vertretenen Bebauungsformen sind die Typen WBS 70, WBS 71 und QP (Querwandplattenbauweise) 71 sowie Hochhäuser des Typs WHH SK (vgl. Gudermann 1999: 166). 60 Prozent der neu gebauten Wohnungen besaßen drei und mehr Räume. Die durchschnittliche Wohnungsgröße lag bei 62 Quadratmetern. Die Neubauwohnungen waren nicht nur angesichts der allgemeinen Wohnungsknappheit und des maroden Zustands innerstädtischer Altbauwohnungen begehrt, sondern auch wegen ihrer guten Ausstattung – Bad, Innentoilette, Warmwasseranschluss und Fernheizung, zum Teil auch Balkon oder Loggia –, der niedrigen Mieten, der guten Nahverkehrsanbindung und Betreuungsinfrastruktur für Kinder. Die Belegung der Wohnungen unterlag staatlich festgelegten Kriterien: Örtliche Abteilungen der sogenannten kommunalen Wohnraumlenkung verteilten die Wohnungen auf der Grundlage des DDR-Zivilgesetzbuches und mittels der Verordnung über die Lenkung des Wohnraums (letztmalig vom Ministerrat erlassen im Oktober 1985, vgl. Verordnung 1988). Dies erfolgte auf Antrag durch die Interessenten nach der Dringlichkeit des Wohnbedarfs und unter Berücksichtigung gesellschaftlicher und sozialer Erfordernisse (vgl. Schulz 1997: 69). Junge Ehepaare mit kleinen Kindern wurden bei der Vergabe der Wohnungen bevorzugt. Die staatlich organisierte Belegung hatte weitreichende Folgen: In den einzelnen Nachbarschaften konzentrierten sich junge Zweigenerationenfamilien, 97 98
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Bis zum Jahreswechsel 2000/2001 war Marzahn ein eigenständiger Berliner Bezirk. Seit der zum 1.1.2001 erfolgten Bezirksreform ist Marzahn Teil des durch die Zusammenlegung mit dem Alt-Bezirk Hellersdorf neu geschaffenen Bezirks Marzahn-Hellersdorf. Zudem wurden 55 Kinderkombinationen, 52 Schulen, 46 Turnhallen, zwei Schwimmhallen, neun Feierabendheime, zwei Jugendhilfeheime, 18 Kaufhallen, 15 Klubgaststätten, neun Jugendklubs, acht Dienstleistungsgebäude und fünf Polikliniken errichtet (vgl. Hübner u.a. 1998: 66). Zur Finanzierung des DDR-Wohnungsbaus sowie zum Stellenwert der AWG vgl. Gudermann 1999: 173ff.
wobei sich sowohl in der Eltern- als auch in der Kindergeneration – je nach Fertigstellung und Erstbezugsjahr eines Bauabschnitts – einzelne Alterskohorten ballten. Eine auch heute noch in den ostdeutschen Großsiedlungen vorzufindende charakteristische Alterssegregation entstand: Erstbezieherfamilien in älteren Wohnungen weisen einen höheren Altersdurchschnitt auf als Familien in jüngeren Beständen, die verschiedenen Bauabschnitte sind geprägt durch sogenannte demographische Wellen (vgl. ebd.: 69). Aufgrund der administrativen Zuweisung der knappen Wohnressourcen konnten deutliche Prozesse einer Segregation nach vorwiegend ökonomischen Kriterien, wie sie die Entwicklung westdeutscher Großsiedlungen kennzeichneten, in den Großsiedlungen der DDR nicht entstehen. Insbesondere die „zweite Generation“ der Neubaugebietsbewohner, junge Familien, denen in den Siebziger- und Achtzigerjahren eine Wohnung zugewiesen worden war, wies ein höheres Qualifikationsniveau auf als die Bevölkerung älterer Neubaugebiete (vgl. Hannemann 2000: 100). Zudem führte die Wohnraumlenkung zu einer geringen Wohnmobilität. Für die im Sinne der Vergabekriterien als „versorgt“ geltenden Haushalte war ein Wohnungswechsel zumeist nur durch einen Wohnungstausch möglich (vgl. Schulz 1991). Zu diesen Rahmenbedingungen kam die hohe Wohnsicherheit in der DDR – Mieter waren in der DDR de facto unkündbar – sowie niedrige (bzw. niedrig gehaltene) Mieten und Nebenkosten.100 Daher entwickelten viele Mieter in den ostdeutschen Großsiedlungen eine Einstellung als „Quasi-Eigentümer“ ihrer Wohnung und der unmittelbaren Wohnumgebung (vgl. Liebmann 2004: 33). Die Bewohner betrachteten ihre Wohnquartiere gewissermaßen als kollektiven Besitz und fühlten sich für den Zustand ihrer Wohnungen und deren Umgebung persönlich verantwortlich. Diese Mentalität schlug sich in einer Vielzahl von Aktivitäten zum Ausbau und zur Verschönerung von Wohnungen und Balkonen nieder. In diesem Kontext sind auch die spezifischen Modi lokaler Beteiligung zu erwähnen, die sich in der DDR – teils staatlich eingeräumt, teils von Bewohnern unter staatlicher Duldung initiiert – herausgebildet haben. Zu nennen sind zum einen die stark formalisierte Variante der schriftlichen Eingabe an den Ministerrat, die sich als Möglichkeit zur Beschwerde und Lösung von Konflikten generell auf alle gesellschaftlichen Bereiche der DDR erstreckte und sich daher auch 100 In der DDR wurden die Mietpreise, ebenso wie die Kosten für Fernwärme oder Zentralheizung, staatlich auf einem niedrigen Niveau fixiert (vgl. dazu BMRBS 1994: 41), nach Häußermann und Siebel (2000: 170) bewegten sich die Mieten auf dem Stand von 1936. Im Jahr 1970 musste z.B. ein 4-Personen-Haushalt für Miete und Mietnebenkosten durchschnittlich 4,4 Prozent seines Nettoeinkommens aufbringen (vgl. Hübner u.a. 1998: 39). Die Mieteinnahmen trugen kaum zur Kostendeckung der Wohnungen und ihrer Verwaltung bei, sie deckten nicht einmal 20 Prozent der Betriebskosten ab (vgl. Häußermann/Siebel 2000: 170). Daher mussten sie in erheblichem Umfang durch Subventionen aus dem Staatshaushalt gestützt werden.
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auf Wohngebietsthemen beziehen konnte (vgl. Mühlberg 2004); zum anderen staatlich organisierte Wettbewerbe wie die Verleihung der „Goldenen Hausnummer“ und die staatlich geförderte Initiative „Schöner unsere Städten und Gemeinden – Mach mit!“ zur Mitarbeit an Instandsetzungs- und Pflegemaßnahmen im Wohngebiet (vgl. Herbst u.a. 1994: 728f.).101 Verträge, die Hausgemeinschaften mit den Wohnungsverwaltungen zur Wohnumfeldpflege abschlossen, die gemeinsame Einrichtung und Organisation von Gemeinschaftsräumen, Partykellern und Wohnumfeldflächen in Form von freiwilligen und unentgeltlichen Arbeitseinsätzen (Subbotniks) und nicht zuletzt auch die obligatorischen Arbeitsstunden im genossenschaftlichen Wohnungsbau verstärkten die Identifikation der Bewohner mit „ihren“ Siedlungen.102
101 Die „Mach-mit-Bewegung“ war seit Ende der Sechzigerjahre Hauptbetätigungsfeld der Nationalen Front der DDR. Ihre Wohngebietsausschüsse riefen regelmäßig zur freiwilligen und unentgeltlichen Mitarbeit an der Instandsetzung und Werthaltung von Wohnhäusern, Schulen, Kindertagesstätten, Jugendklubs, Sportanlagen und Seniorenheimen sowie zur gemeinschaftlichen Pflege und Reparatur von Grünflächen auf (vgl. Herbst u.a. 1994: 728f.). Damit sollte das freiwillige Engagement für die Verbesserung der materiellen und kulturellen Lebensbedingungen in den Wohnquartieren gefördert werden (vgl. ebd.: 924). Als Beispiel für die in der DDR typische Verstaatlichung nahezu aller Lebensbereiche hatte „Mach mit“ durch eine Kombination aus Appellen an den sozialistischen Wettbewerb und die individuelle Zuständigkeit für ein ordentliches Wohnumfeld freiwilliges Engagement für die Ausstattung eines Quartier als „Bürgerpflicht“ etabliert und damit einen Gruppendruck geschaffen, dem sich insbesondere in den neu errichteten Plattenbaugebieten kaum ein Nachbar entziehen konnte. Wolle spricht in diesem Zusammenhang von der Auflösung des „Widerspruch[s] zwischen schlichter Gemütlichkeit und totalitärem Anspruch“ (Wolle 1999: 229). 102 Im Unterschied zu Konzepten westdeutscher Prägung ging es bei den in der DDR in den Bereichen Wohnen und Wohnumfeld verbreiteten Mitwirkungsmöglichkeiten nicht um Aushandlungsprozesse und Interessenvermittlung zwischen der Bewohnerschaft und politischen und administrativen Strukturen. Beteiligung im Wohngebiet war vielmehr eine politisch-ideologische Aktivität, die sich in eng abgesteckten Rahmen bewegte. Bezogen auf die in Kapitel 2 vorgestellten Modelle der Beteiligungsleiter und der Beteiligungspyramide dominierten in der DDR staatlicherseits eingeräumte Formen. Die „Mach-mit-Bewegung“ kann zudem analysiert werden als „Alibi-Partizipation“, deren Rahmenbedingungen aus Bewohnersicht als Nicht-Entscheidungen festgelegt worden waren. Lediglich das Instrument der Eingabe bot die Möglichkeit für eine Beschwerde, die auf die Behebung eines Missstandes oder Defizits zielt. Allerdings bewegten sich ihre Verfasser oftmals auf einem schmalen Grat, ihre Eingabe durfte geltende politisch-ideologische Kommunikations- und Verfahrensregeln nicht missachten. Insgesamt schufen die Beteiligungsmodi der DDR in der Bevölkerung spezifische Erfahrungen mit sowie Erwartungen an Partizipation, die nach dem Mauerfall auf eine „von drüben“ implantierte partizipative Quartiersentwicklungspolitik trafen. Die daraus resultierenden Spannungen und Konflikte im Stadtumbauprozess und in der Organisation von Beteiligungsverfahren werden in den Kapiteln 5 und 6 thematisiert.
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4.2.3 Einwohnerentwicklung und soziostrukturelle Merkmale 4.2.3.1 Datengrundlage Wenn in dieser Arbeit vom Quartier Marzahn-Nord die Rede ist, dann ist damit das Gebiet östlich der Bahntrasse gemeint. Es wird in Publikationen des Bezirksamts „Sozialraum Marzahn-Nord“ genannt. Das Gebiet wiederum, das im Jahr 1999 als Förderkulisse für das Landesprogramm „Sozialorientierte Stadtentwicklung“ festgelegt wurde, heißt offiziell „Quartiersmanagementgebiet MarzahnNordwest“. Es setzt sich zusammen aus den Teilgebieten „Marzahn-Nord“ und dem westlich der Bahntrasse gelegenen Gebiet „Marzahn-West“. Dies ist insofern für die Darstellung der Sozialstruktur von Marzahn-Nord relevant, da sich die zur Verfügung stehenden Zahlen und Publikationen von Fall zu Fall auf den Sozialraum oder das Quartiersmanagementgebiet beziehen. Zugunsten einer pointierten Skizzierung ausgewählter soziostruktureller Merkmale wurden diese verschiedenen Quellen und Datensätze kombiniert. Nicht alle der verwendeten Daten lagen für den Stichtag 31.12.2005 vor, manche wurden ein bis zwei Jahre früher erhoben, andere später. Für Trendbeschreibungen eignen sie sich trotzdem. Im Gegensatz zu Tenever konnte für Marzahn-Nord auf eine Vielzahl von Untersuchungen und Gutachten zur sozialen Lage des Quartiers zurückgegriffen werden (AG SPAS 1999, QuartiersAgentur Marzahn NordWest 2000 u. 2006, Dorsch u.a. 2001: 12-47, Droste/Knorr-Siedow 2002: 127-170, 2005, Schulz 2002, Empirica 2003b: 129-138, Projektbericht 2003, Weeber und Partner 2003, S.T.E.R.N./UrbanPlan 2004 u. 2005). Neben diesen Studien wurden zu einzelnen Aspekten Einschätzungen lokaler Experten herangezogen. 4.2.3.2 Einwohnerentwicklung Am 31.12.2005 hatte der Bezirk Marzahn-Hellersdorf 247.127 Einwohner. Davon waren 17.373 Personen im Stadtteil Marzahn-Nord gemeldet (vgl. Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf 2007: 1). Die Bevölkerungsstruktur des Quartiers lässt sich auch zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR noch auf die Formel „Das Baualter bestimmt das Bewohneralter“ (Hannemann 2000: 100) zuspitzen. Wie in allen DDR-Großsiedlungen erfolgte die Belegung der Neubauwohnungen auch in Marzahn-Nord nach den Leitlinien der Wohnraumvergabe: Das Kriterium der „sozialen Dringlichkeit“ sorgte dafür, dass kinderreichen Familien, jun-
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gen Ehepaaren ohne eigene Wohnung und alleinstehenden Müttern bevorzugt Wohnungen zugewiesen wurden.103 Eine weitere demographische Auffälligkeit des Quartiers ist die negative Bevölkerungsentwicklung zwischen 1992 und 2004: Tabelle 10 verdeutlicht, dass die Einwohnerzahl in diesem Zeitraum um 41,5 Prozent gesunken ist – von 29.084 Einwohnern im Jahr 1992 auf 17.017 Einwohner im Jahr 2004.104 Tabelle 10: Bevölkerungsentwicklung in Marzahn-Nord von 1992 bis 2005 Jahr
Einwohner absolut
Jährliche Entwicklung in % (gerundet)
1992 29.084 1993 28.656 -1,5 1994 27.811 -2,9 1995 27.088 -2,6 1996 26.447 -2,4 1997 25.034 -5,3 1998 22.997 -8,1 1999 21.995 -4,4 2000 21.132 -3,9 2001 20.116 -4,8 2002 19.147 -4,8 2003 17.202 -10,2 2004 17.017 -1,1 2005 17.479 +2,7 Nach S.T.E.R.N./UrbanPlan 2005: 15, Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf 2006: 1 sowie eigene Berechnungen.
Als Gründe für die kontinuierliche Negativentwicklung der Einwohnerzahlen im Quartier können der insbesondere in den östlichen Großsiedlungsgebieten entspannte Berliner Wohnungsmarkt, ein hoher Anteil unsanierter Wohnungen mit teilweise erheblichen Mängeln in Marzahn-Nord sowie das seit den Neunziger103 Der sogenannte „Jugendberg“ zwischen den älteren und den jüngeren Siedlungsgebieten Marzahns weist auch heute noch einen Unterschied von fünf Jahren auf (vgl. Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf 2007: 9). 104 Hohe Einwohnerverluste werden seit Mitte der Neunzigerjahre für den gesamten Bezirk Marzahn-Hellersdorf verzeichnet. Erreichte die Einwohnerzahl der Altbezirke Marzahn und Hellersdorf im Jahr 1993 noch einen Höchststand von rund 298.700 Einwohnern, so sank sie seitdem kontinuierlich – 2005 betrug sie noch 247.600, d.h., zwischen 1993 und 2005 reduzierte sich die Einwohnerzahl von Marzahn und Hellersdorf um 17,1 Prozent (vgl. Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf 2007: 2). Die Rückgänge in Marzahn-Nord sind jedoch bei Weitem die höchsten.
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jahren wachsende Wohnraumangebot im Berliner Umland angeführt werden. Für 2001 liegen Angaben zu den Abwanderungszielen derjenigen Personen vor, die Marzahn-Nord verlassen haben (vgl. Weeber und Partner 2003: 9-12): Danach haben mehr als zwei Drittel innerhalb Berlins eine neue Wohnung bezogen. Überwiegend waren es junge Familien und aus ihren Elternhäusern ausziehende Haushaltsgründer, die das Quartier verließen. Der hohe Bevölkerungsrückgang im Jahr 2003 um 10,2 Prozent wird von lokalen Experten auf die Ankündigung des Stadtumbaus in dem betreffenden Jahr zurückgeführt (vgl. S.T.E.R.N./ UrbanPlan 2005: 6). Das Monitoring des Stadtumbaus verzeichnet darüber hinaus die größten Einwohnerverluste für dasjenige Gebiet nördlich der Havemannstraße, das zugleich Kerngebiet des Stadtumbaus ist (vgl. ebd.: 7). In den Jahren 2004 und 2005 deutete sich eine Konsolidierung bzw. Trendumkehr an. Das Verhältnis von Fort- und Zuzügen in Marzahn-Nord bewegt sich durchgängig auf einem hohen Niveau, so dass zusätzlich zum Bevölkerungsrückgang eine sehr hohe Fluktuation im Gebiet festzustellen ist: Im Zeitraum zwischen 1994 und 2003 haben 58.066 Menschen Marzahn-Nord verlassen und 43.591 sind zugezogen (vgl. ebd.: 5). Allerdings ist die Tendenz des Wanderungssaldos sinkend: Lag es Mitte der Neunzigerjahre bei einem Höchstwert von -7,9 Prozent, so belief es sich im Jahr 2004 nur noch auf -1,5 Prozent. Der vom Bezirksamt erstellte Bericht zur demographischen Entwicklung des Bezirks im Jahr 2006 verzeichnet für das Gebiet vor diesem Hintergrund „seit drei Jahren eine gewisse Stabilität hinsichtlich der Bewohnerzahl“ (Bezirksamt MarzahnHellersdorf 2007: 15). Zur Begründung der Stabilität werden die Stadtumbaumaßnahmen angeführt. Die starken Bevölkerungsverluste hinterließen Spuren im Quartier, konkret: leer stehende Wohnungen und Gebäude der sozialen Infrastruktur. Schätzungen gingen 2001 davon aus, dass ca. 15 Prozent der Wohnungen nicht belegt waren, mit einer Konzentration in den unsanierten Bereichen. In manchen Hausaufgängen betrug der Leerstand bis zu 40 Prozent (vgl. Cremer 2005: 175). 2003 standen nach Angaben der Wohnungsunternehmen 2.653 Wohnungen und damit 24 Prozent des Wohnungsbestands leer (vgl. S.T.E.R.N./UrbanPlan 2005: 28).105 Zudem wurden wegen rückläufiger Kinder- bzw. Schülerzahlen drei von acht Kindertagesstätten sowie eine von insgesamt vier Grundschulen nicht mehr genutzt.
105 Allerdings ist diese hohe Zahl u.a. zurückzuführen auf die zum Zeitpunkt der Schätzung bereits laufende Entmietung einzelner Gebäude zur Vorbereitung der Stadtumbaumaßnahmen. Die um diesen Stadtumbaueffekt bereinigte Leerstandsquote in Marzahn-Nord belief sich laut Angaben im Stadtumbaumonitoring auf 7,4 Prozent (vgl. S.T.E.R.N./UrbanPlan 2005: 28).
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4.2.3.3 Altersstruktur Marzahn-Nord hat eine vergleichsweise junge Bevölkerung: Aufgrund der späten Bebauung und Besiedlung als jüngster Bauabschnitt der Großsiedlung lag und liegt der Altersdurchschnitt im Quartier unterhalb der Werte der gesamten Siedlung. So war beispielsweise vier Jahre nach dem Mauerfall die Elterngeneration in Marzahn-Nord durchschnittlich zwischen 25 und 35 Jahre alt, zudem lebten im Quartier überdurchschnittlich viele Kinder im Alter von bis zu zwölf Jahren (vgl. Endbericht 1994: 24f.). Auch 2006 war der Altersdurchschnitt in Marzahn-Nord mit 36,5 Jahren noch vier Jahre niedriger als im gesamten Bezirk (40,5 Jahre, Gesamtstadt: 42,4 Jahre, vgl. Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf 2007: 33). Zudem sind die Altersgruppen der 0- bis 6-Jährigen und der 6- bis 15Jährigen deutlich überrepräsentiert (wobei der Bezirk ohnehin gekennzeichnet ist durch einen hohen Kinder- und Jugendlichenanteil; vgl. ebd.: 32). Lokale Experten weisen allerdings darauf hin, dass das Quartier zwar weiterhin von einer durchschnittlich jungen Bevölkerung bewohnt wird, der Anteil der Unter-18-Jährigen seit 1999 aber kontinuierlich sinkt: Demnach war zwischen 1999 und 2002 ein Rückgang von 27 Prozent zu verzeichnen (vgl. QuartiersAgentur Marzahn NordWest 2006: 4). 4.2.3.4 Arbeitslosigkeit und Sozialhilfebezug Die Sozialstruktur des Quartiers ist seit Jahren geprägt durch eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit: 2003 betrug der Anteil Arbeitsloser im Verhältnis zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter 19,8 Prozent. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen im Quartier belief sich auf 8,0 Prozent (s. Tabelle 11). Marzahn-Nord war 2003 das Quartier mit der höchsten Zahl von Sozialhilfebeziehern im Bezirk. Trotz der hohen Einwohnerverluste war die Sozialhilfedichte im Quartier von 2002 auf 2003 um 2,0 Prozentpunkte angestiegen (Anstieg im Bezirk: um 0,9 Prozentpunkte, vgl. Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf 2005). Das erlaubt die Schlussfolgerung, dass diejenigen Bewohner, die es sich leisten konnten, das Quartier verlassen haben.106
106 Bemerkenswert sind in diesem Kontext zudem deutliche Unterschiede zwischen den Sozialräumen: Belief sich der Anteil der Sozialhilfeempfänger in Marzahn-West auf nur 0,5 Prozent, so betrug er im Sozialraum Havemannstraße (d.h. im Quartier Marzahn-Nord) 32,9 Prozent (vgl. Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf 2005: 51).
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Tabelle 11: Anteil von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern in MarzahnNord zum 31.12.2003 Marzahn-Nord
MarzahnHellersdorf
Berlin
Arbeitslosenanteil
19,8 %
18,5 %
18,1 %
Anteil von Sozialhilfeempfängern*
14,4 %
6,5 %
7,8 %
davon Unter-18-Jährige 40,6 % 56,6% 35% *Bezogen auf die Gesamtbevölkerung. Nach S.T.E.R.N./UrbanPlan 2005: 22f., Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf 2005: 64, Statistisches Landesamt Berlin 2004.
In Marzahn-Nord war der Anteil von Kinder- und Jugendlichen in Familien, die Sozialhilfe beziehen, im Jahr 2003 der höchste im Bezirk Marzahn-Hellersdorf. Belief sich der Bezirksdurchschnitt in der Altersgruppe der Unter-7-Jährigen auf 27,4 Prozent, so erreichte er in Marzahn-Nord den Spitzenwert von 41,7 Prozent. Dort war zugleich auch der stärkste Anstieg gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen (vgl. Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf 2005: 35). Ähnlich sah es bei de Sozialhilfedichte in den Gruppen der 7- bis 15-Jährigen (mit 23,9 Prozent höchster Wert im Bezirk) und der 15- bis 18-Jährigen (zweithöchster Wert mit 11,0 Prozent) aus (vgl. ebd.: 38). Dieses Bild – eine vergleichsweise hohe Sozialhilfedichte, ein deutlicher Anteil von betroffenen Kindern und Jugendlichen sowie eine insgesamt negative Entwicklungsdynamik – wurde bereits in älteren Stadtteil- bzw. Quartiersstudien und Untersuchungen beschrieben, wobei der Trend im Verlauf der Jahre stärker geworden ist (vgl. AG SPAS 1999: 21ff., Weeber und Partner 2003: 15ff.). Im Hinblick auf den Sozialindex, der als Messwert für die soziale Belastung einer Quartiersbevölkerung gilt,107 ist Marzahn-Nord das Schlusslicht im Bezirk und damit das sozial schwächste Gebiet in Marzahn-Hellersdorf überhaupt. Seit 2003 werden für die Stadtteile (bzw. statistischen Gebiete) Berlins nicht nur der Status quo der sozialen Belastung dargestellt, sondern auch etwaige Veränderungen. Danach ist Marzahn-Hellersdorf derjenige Berliner Bezirk mit der größten Negativentwicklung, wobei sich das Quartier Marzahn-Nord auch hier auf dem letzten Platz befindet (vgl. Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf 2005: 37ff.). In der 107 Die Berliner Sozialverwaltung berechnet regelmäßig für alle Teilräume der Stadt den Sozialindex. Dies geschieht auf der Grundlage von quartiersbezogener Arbeitslosenquote, Anteil an ausländischen Bewohnern sowie Anzahl der Sozialhilfeempfänger. Zum Sozialindex erklärt das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf: „Insgesamt gilt die Aussage, wer in einem Gebiet mit schlechtem Sozialindex wohnt, hat geringere Chancen als in anderen Gebieten, gut zu verdienen, gesund und lange zu leben“ (Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf 2005: 39). Der Berliner Mittelwert liegt bei 0. Der Wert für Marzahn-Nord beträgt -1,03556.
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2003 vorgelegten Stadtteilbeobachtung der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung fällt Marzahn-Nord in die Kategorie „Gebiete mit sehr hohen Wanderungsverlusten, sehr hoher und stark steigender Arbeitslosigkeit, hoher und stark steigender Sozialhilfedichte“ (vgl. SenStadt 2003a: 24f.). 4.2.3.5 Bevölkerung mit Migrationshintergrund Ein weiteres soziostrukturelles Merkmal von Marzahn-Nord ist der vergleichsweise hohe Anteil von Spätaussiedlern an der Wohnbevölkerung. Diese sind seit Beginn der Neunzigerjahre aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion (insbesondere aus Russland, Kasachstan und der Ukraine) und anderen osteuropäischen Ländern zugewandert. Anerkannt als sogenannte Statusdeutsche, erhielten sie mit ihrer Einwanderung die deutsche Staatsangehörigkeit, so dass ihr Anteil an der Bevölkerung in der Statistik nicht gesondert ausgewiesen wird. Nach Schätzungen von Akteuren in der Integrationsarbeit beläuft er sich in Marzahn-Nord auf einen Wert zwischen zehn und 17 Prozent.108 Spätaussiedler bilden mit Abstand die größte Zuwanderergruppe in Marzahn-Nord. Die vergleichsweise hohe Konzentration ist laut Einschätzungen von Experten auf mehrere Gründe zurückzuführen: In Marzahn-West hatte sich seit der Wende ein Wohnheim für Aussiedler befunden, das Mitte der Neunzigerjahre aufgelöst worden war. Ohne Probleme hatten viele Aussiedler in der unmittelbaren Umgebung, in Marzahn-Nord, freie und bezahlbare (unsanierte) Wohnungen gefunden. Enge soziale Bindungen innerhalb der Gruppe der Zugewanderten förderten den weiteren Zuzug in das Quartier, in dem bereits Verwandte oder Freunde lebten.109 Auch wenn der Bezirk Marzahn-Hellersdorf mit 3,1 Prozent einen der niedrigsten Ausländeranteile aller Berliner Bezirke aufweist (Ausländeranteil Gesamt-Berlin: 13,3 Prozent), so ist der Anteil in Marzahn-Nord mit 4,9 Prozent der bezirksweit höchste und weist zudem eine steigende Tendenz auf (vgl. Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf 2005: 16, S.T.E.R.N./UrbanPlan 2005: 20f.). Die größte Gruppe nicht-deutscher Staatsbürger in Marzahn-Nord bilden Vietnamesen mit rund 37 Prozent. Ihre Konzentration im Quartier ist zurückzu108 Schätzungen des Quartiersmanagements gehen von 3.000 Spätaussiedlern aus (vgl. S.T.E.R.N./ UrbanPlan 2005: 7), andere Autoren schätzen ihre Anzahl auf 5.000 (vgl. Reiser 2001: 14). Auf der Grundlage der Einschulungsuntersuchungen aus dem Jahr 2005 nimmt das Bezirksamt an, dass 4.500 Spätaussiedler im Stadtteil Marzahn-Nord leben. Für den gesamten Bezirk wird die Anzahl der Spätaussiedler auf ca. 25.000 Personen geschätzt (vgl. Bezirksamt MarzahnHellersdorf 2007: 19, 13). 109 Vgl. zur Geschichte und sozialen Lage der Spätaussiedler in Marzahn-Nord und Marzahn AG SPAS 1999: 59f., Integrationsplan 2008: 23ff.
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führen auf die Geschichte der vietnamesischen Vertragsarbeiter in der DDR. Da sich in den Achtzigerjahren in Marzahn-Nord ein Wohnheim für Vertragsarbeiter befand, lebten bereits vor dem Mauerfall viele Vietnamesen im Quartier. Sie blieben auch nach 1989 in Marzahn-Nord, nun gemeinsam mit ihren zugewanderten Familien. Zudem zogen in den Neunzigerjahren weitere Flüchtlinge aus Vietnam und sogenannte Statuslose vietnamesischer Herkunft in das Quartier.110 Das Zusammenleben von deutscher bzw. in Deutschland geborener Bevölkerung und solcher mit Migrationshintergrund (wozu hier auch die Spätaussiedler gerechnet werden) stellt sich – je nach Perspektive der verschiedenen Akteure – als mal mehr, mal weniger problematisch dar.111 Unter den Integrationsexperten herrscht allerdings Einigkeit dahingehend, dass sich der Status des Quartiers verändert habe: von einer „Durchgangsstation“ mit hoher Wanderungsdynamik hin zu einem Quartier des „Ankommens und Bleibens“ (vgl. Integrationsplan 2008: 26).112 4.2.4 Programme der Städtebauförderung in Marzahn-Nord Der mit dem Mauerfall im Herbst 1989 eingeleitete Strukturbruch in Ostdeutschland schlug sich auch in den Großsiedlungen nieder. Die Folge waren baulichräumliche, soziale, wirtschaftliche und demographische Umstrukturierungen. Zwar hatten Planer und Soziologen für die DDR-Großsiedlungen angesichts ihrer günstigen Sozialstrukturen zunächst eine positive Entwicklung prognostiziert (vgl. Liebmann 2004: 82f.), allerdings traten ihr Instandsetzungs- und Sanierungsbedarf sowie die Defizite der sozialen und technischen Infrastruktur deutlich zutage (vgl. BMRBS 1991). Zudem verzeichneten die Großsiedlungen mit der einsetzenden Differenzierung der ostdeutschen Gesellschaft eine erste Auszugswelle. Parallel durchliefen die Siedlungen in der öffentlichen Debatte einen rigorosen Imagewandel: Waren die in der DDR begehrten Wohnungen in der alten 110 Vgl. zur Geschichte und sozialen Lage der Vietnamesen in Berlin und Marzahn-Nord Hentschel 2004, Kil/Silver 2006: 105-109, Lotzwig u.a. 2007, Integrationsplan 2008: 25. 111 Vgl. die Aussagen unterschiedlicher lokaler Experten und die entsprechenden Schlussfolgerungen bei Droste/Knorr-Siedow 2002: 137ff.; vgl. dazu auch SFZ 2007: 65-70. 112 In jüngster Zeit werden von lokalen Integrationsexperten auch die wachsenden Differenzierungen insbesondere innerhalb der Gruppen der Spätaussiedler, aber auch innerhalb der vietnamesischen Bevölkerung problematisiert: Als Folge von Einreisezeitpunkten, Einreisealter, Dauer der Familientrennung und unterschiedlichen Lebenswegen, Erfahrungen und Ausbildungen in den Herkunftsländern seien vielfältige Migrationsbiographien im Quartier versammelt. Sie führten zu unterschiedlichen Integrationsverläufen. Insofern ist es der sozialen Wirklichkeit im Quartier nicht angemessen, von in sich homogenen Zuwanderergruppen auszugehen bzw. von „den Spätaussiedlern“ und „den Vietnamesen“ zu sprechen.
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Bundesrepublik zunächst kaum wahrgenommen worden, so wurden sie jetzt – nicht zuletzt beeinflusst durch die Erfahrungen mit der problematischen Entwicklung westdeutscher Großsiedlungen – unter negativen Vorzeichen diskutiert. Die grauen und einheitlichen „Betonschlafstädte“ und „Arbeiterschließfächer“, die in der letzten, auf Quantität ausgerichteten Phase des Wohnungsbaus in der DDR entstanden waren, galten aus BRD-Perspektive wahlweise als Zentren des Rechtsextremismus oder PDS-Hochburgen (vgl. kritisch dazu Hannemann 2000: 150, Liebmann 2004: 84f.). Dennoch handelte es sich bei dem ostdeutschen Großsiedlungsbestand um dringend benötigten Wohnraum, dessen Sicherung und Weiterentwicklung angesichts des nach dem Mauerfall für Berlin prognostizierten Bevölkerungswachstums angestrebt wurde: „Für die Wohnungsversorgung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ist der in den Neubaugebieten vorhandene Wohnungsbestand unverzichtbar und noch auf lange Sicht von großer Bedeutung. Diesen Bestand möglichst schnell und in großer Breite dort, wo es notwendig ist, instand zu setzen, zu erhalten und weiterzuentwickeln, gehört [...] zu den herausragenden Aufgaben der Stadterneuerung in Ostdeutschland“ (BMRBS 1991: 111).
Der damalige Senatsbaudirektor Hans Stimmann erklärte im Hinblick auf die Mängel der Großsiedlungen im Ostteil der Stadt programmatisch: „Diese Defizite müssen abgestellt werden, um Abwanderungsprozesse zu verhindern und gleichzeitig Zuwanderung zu ermöglichen“ (Stimmann 1993: 9). Zur Vorbereitung des Sanierungsprozesses hatte die Berliner Senatsbauverwaltung bereits unmittelbar nach der Wende Bestand und Defizite sämtlicher in der Stadt eingesetzter Bautypen analysieren sowie die für eine Instandsetzung der Plattenwohnungen notwendigen Kosten erheben lassen (vgl. SenBauW 1993: 38). Zugleich stellte der Bund allen ostdeutschen Ländern und Kommunen zur Erneuerung und Weiterentwicklung der Großsiedlungen befristete Finanzierungshilfen und Städtebaufördermittel zur Verfügung. Zu nennen sind insbesondere das Wohnraummodernisierungsprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), das ab 1990 die Instandsetzung und Modernisierung von Wohnungen und Wohngebäuden in den ostdeutschen Großsiedlungen finanziell unterstützte (vgl. Liebmann 2004: 89), das 1991 aufgelegte ExWoSt-Forschungsfeld „Städtebauliche Entwicklung großer Neubaugebiete in den neuen Bundesländern und Berlin-Ost“113 sowie das 1993 einsetzende Bund-Länder-Programm „Städte113 In dem ExWoSt-Forschungsfeld „Städtebauliche Entwicklung großer Neubaugebiete in den neuen Bundesländern und Berlin-Ost“ sollten ab 1991 auf Initiative des Bundesbauministeriums exemplarische Lösungen für die weitere Entwicklung der ostdeutschen Großsiedlungen erarbeitet werden (vgl. BMRBS 1994a: 21ff.). Die Berliner ExWoSt-Gebiete, die Großsiedlungen Marzahn und Hellersdorf sowie das Großsiedlungsquartier Greifswalder Straße (Prenzlauer Berg), waren insbesondere im Hinblick auf die Erarbeitung und Übertragbarkeit von „Betei-
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bauliche Weiterentwicklung großer Neubaugebiete“ (vgl. BMRBS 1994b, 1996a, 1996b, BMVBW 1999, BMVBW 2005: 80). Das Programm zielte auf eine städtebauliche und auch bauliche Gebrauchswertverbesserung der Großsiedlungen sowie auf die Lösung nach dem Mauerfall entstandener wohnungswirtschaftlicher und sozialer Probleme. Es förderte die Behebung baulicher Mängel (z.B. undichte Dächer und Fugen, defizitäre Heizungssysteme und Sanitärbereiche, schlechte Wärmeisolierung) sowie eine Verbesserung der Ausstattung mit Gewerbeeinrichtungen und umfangreiche Wohnumfeldgestaltungen.114 Von den Förderungen profitierten große Teile des Großsiedlungsbestands in Ost-Berlin: Im Ergebnis wurden im Laufe der Neunzigerjahre unter Einsatz enormer finanzieller Zuschüsse 80 Prozent des Wohnungsbestands saniert, das Umfeld der Gebäude durch die Gestaltung von Hauseingängen, Höfen, anderen wohnungsnahen Flächen und Spielanlagen verbessert und städtebauliche Lücken durch Neubauprojekte geschlossen (vgl. SenBauW 1993, SenBauW 1997, Bezirksamt Marzahn 2000, Plattform Marzahn o.J.). Marzahn-Nord stand dabei bereits frühzeitig im Fokus der Aufmerksamkeit. Die weitere städtebaulich-architektonische Entwicklung des Quartiers war eines der ersten Projekte, die im Zuge der Umsetzung des ExWoSt-Modellvorhabens 115 „Integriertes Entwicklungskonzept Marzahn“ angestoßen wurden. Als größtes zusammenhängendes Neubaugebiet Ostdeutschlands und angesichts der wechselseitigen Verflechtungen von städtebaulicher Planung, Grundstücks- und Vermögenszuordnung sowie Wohnungspolitik und -bewirtschaftung wurde seit 1991 für die Großsiedlung ein verfahrensorientierter Ansatz erprobt, der auf die Erarbeitung eines tragfähigen Steuerungsmodells für die Weiterentwicklung zielte und explizit einen Einbezug von Bewohner vorsah. Organisatorischer Mittelpunkt dieser Strategie war die „Plattform Marzahn“ (vgl. Plattform Marzahn 1994). Als „Forum für Stadtentwicklung und Bürgerbeteiligung“ in der Großsiedlung war sie ebenfalls 1991 im Rahmen der ExWoSt-Förderung ins Leben ligungsmodellen zur Aktivierung und Einbeziehung örtlicher Akteure“ von Bedeutung (SenBauW 1994: 52). 114 Neben den Förderprogrammen und Finanzhilfen war zudem die Überführung der ostdeutschen Wohnungswirtschaft in marktwirtschaftlich organisierte Strukturen von Bedeutung für die Zukunft der Großsiedlungen (vgl. Liebmann 2004: 86): Neue Eigentumsstrukturen, die Übertragung der zuvor volkseigenen Wohnungen auf sich neu konstituierende Wohnungsgesellschaften, die Angleichung der Wohnungsgenossenschaften an die relevanten Rechtsvorschriften der BRD sowie neue Mechanismen der Wohnraumverteilung leiteten Anfang der Neunzigerjahre den Übergang ein. Rechtliche Anpassungen in Form des Altschuldenhilfegesetzes, das die Wohnungsunternehmen von ihren Altschulden aus der DDR entlasten sollte (vgl. Borst 1998: 108ff.), sowie eine schrittweise Mietenreform vervollständigten diesen Prozess. 115 Das „integrierte Entwicklungskonzept Marzahn“ war eines der Berliner Modellvorhaben im ExWoSt-Forschungsfeld „Städtebauliche Entwicklung großer Neubaugebiete in den neuen Bundesländern und Berlin-Ost“.
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gerufen worden (Endbericht 1994: 41). Der „Plattform“-Prozess erstreckte sich ursprünglich über vier Aufgabenfelder: Aufbau eines öffentliches Diskussionsforums, Durchführung gebiets- und maßnahmebezogener Formen von Bewohnerbeteiligung (z.B. Workshops, Befragungen Stadtteilspaziergänge und Feste), interne Koordination sowie die Einrichtung eines Vor-Ort Büros in der Großsiedlung „als Kontakt- und Informationszentrum“ (vgl. ebd.: 43ff.). Zudem ließ die „Plattform Marzahn“ eine Reihe von Studien und Gutachten erstellen, um die Planungen für die Weiterentwicklung Marzahns sozialwissenschaftlich abzusichern. Mit der Organisation des „Plattform“-Prozesses waren anfangs zwei private Planungsbüros beauftragt worden: das West-Berliner Büro für Stadtplanung, Architektur und Stadtforschung UrbanPlan GmbH sowie das Institut für Stadt116 planung und Sozialforschung Weeber und Partner aus Stuttgart. Im Gespräch beschrieb ein damaliger Mitarbeiter den Stellenwert von Beteiligung innerhalb der „Plattform Marzahn“ folgendermaßen: „Da ging es eben wirklich darum, einen integrierten Ansatz bei der Weiterentwicklung zu fahren. Und die Plattform war eben das demokratische Instrument in diesem Zusammenhang. Das heißt: [...] Über die Plattform wurde dieser Entwicklungsprozess einerseits gesteuert, andererseits wollte man auch alle Akteure vor Ort einbinden, also die Ressourcen nutzen, die lokalen Initiativen, Verwaltung und so weiter. Und da gab es eben unterschiedliche Baustellen in diesem Plattform-Prozess. [...] Es gab einmal die öffentlichen Plattformsitzungen. Das heißt: Da ging’s vor allem darum, den Bewohnern, aber auch Initiativen, Wohnungsunternehmen, Planungsinteressierten die neuen Entwicklungsthemen vorzustellen, mit ihnen zusammen zu diskutieren.“
Neben dieser „übergeordneten Bewohnerbeteiligung oder Öffentlichkeitsbeteiligung“ habe, so derselbe Gesprächspartner, ein weiterer Schwerpunkt des „Plattform“-Prozesses auf der „kleinteiligen Bewohnerbeteiligung in den Stadtteilen“ gelegen. Mittels von der „Plattform Marzahn“ initiierten und moderierten Stadtteilarbeitskreisen zu ausgewählten Themen, Bewohnerworkshops, Quartiersspaziergängen und regelmäßig erscheinenden Informationen (sog. „Plattform-Telegramme“) sei versucht worden, „über diesen normal interessierten Kreis [hinaus; gemeint sind die Teilnehmer der Plattform-Treffen, M.F.] noch stärker an die 117 Bewohner heran zu kommen“ (vgl. dazu auch Weeber und Partner 1993). 116 Auch heute noch ist die „Plattform“ aktiv, in inhaltlicher und organisatorischer Hinsicht allerdings unter veränderten Vorzeichen: Gegenwärtig steht nicht mehr die Organisation eines öffentlichen Entscheidungsfindungs- und Diskussionsprozesses im Mittelpunkt der Arbeit, sondern eher die Koordination und Steuerung einzelner Themen auf der Verwaltungsebene. Zudem liegt die alleinige Zuständigkeit mittlerweile beim Büro UrbanPlan. Die Finanzierung der Plattform, die seit der Berliner Bezirksfusion im Jahr 2001 unter dem Namen „Plattform Marzahn-Hellersdorf“ firmiert, erfolgt über die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. 117 Ein anderer Interviewpartner, der die Anfänge des Plattform-Prozesses wissenschaftlich begleitete, beschrieb die dort herrschende Beteiligungsrealität in ernüchternden Worten: „Es gab
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Für Marzahn-Nord sollte innerhalb des ExWoSt-Förderansatzes dank einer Rahmenplanung ein „Prozeß der ‚Stadtwerdung’“ (Planungszeitung Marzahn 1992) für das als „unfertig“ klassifizierte Gebiet eingeleitet werden. Die von der 118 Senatsbauverwaltung damit beauftragten Planungsbüros skizzierten ihre Überlegungen folgendermaßen: „In Marzahn-Nord soll ein lebendiges, urbanes Zentrum des Marzahner Nordens mit einem Boulevard entlang der Havemannstraße entstehen, in dem Kinos, Einkaufszentren, Cafés ebenso Platz finden wie begrünte Bereiche zum Ausruhen. In dieses Zentrum wird auch das Einkaufszentrum integriert werden, für das bereits ein Investoren-Auswahlverfahren läuft. Die vielfältigen Aufgaben in Marzahn-Nord betreffen nicht nur das Nebenzentrum, sondern auch die sinnvolle Nutzung von Flächen und qualitative Verbesserung von Freiflächen für die Bewohnerschaft. Dabei geht es u.a. um die Verbesserung vorhandener und Erstellung neuer Schulen, Kitas und einer Schwimmhalle; nicht zuletzt auch um die Schaffung von Wohnungen“ (ebd.).119
Ein Spezifikum des Quartiers liegt in der Tatsache begründet, dass die Sanierungswelle in der Großsiedlung Marzahn dem unterschiedlichen Baualter der Wohnungen von Süd nach Nord gefolgt war (wobei der Schwerpunkt auf einer Vollsanierung der Wohnungen lag, vgl. Fritsche/Lang 2007: 20). Wegen auslaufender Finanzierungen geriet der Sanierungsprozess Ende der Neunzigerjahre in den nördlichen Bereichen ins Stocken, so dass sich dort nach Beendigung der Förderprogramme zur Großsiedlungserneuerung neben modernisierten und instandgesetzten Wohnungen auch noch unsanierte und teilsanierte Bestände befanden.120 Als im März 1999 ein Beschluss des Berliner Senats die stadtweite Einrichtung von Quartiersmanagements „zur Weiterentwicklung, Stabilisierung und auch bei der Plattform Marzahn immer einen festen Kreis von Diskutanten, der sich in erster Linie zusammensetzte aus Verwaltung, Wohnungsunternehmen, vielleicht noch einige geladene Experten bis eben die Leitung der Plattform. [...] Und dann diese etwas zurückgenommenen Zuschauerreihen, war ja für das Forum auch charakteristisch. Man hat da vorne auf dem Podium diskutiert und die Zuschauer waren dabei, konnten den Prozess verfolgen. [...] Es war aber kein permanenter, unmittelbarer Austauschprozess mit der anwesenden Bewohnerschaft.“ Die in den Quartieren durchgeführte Beteiligung beschrieb er als: „Also, da pflanzen wir zehn Bäume und dann machen wir nebenher Bewohnerbefragung oder ’ne Hofbegehung. Das ist das, was ja landauf, landab typisch war. [...] Also, ich denke, da ist immer so’n klein bisschen was Oberlehrerhaftes dabei gewesen“. 118 Neben UrbanPlan war das das ebenfalls in West-Berlin ansässige Büro für Landschaftsplanung bgmr Becker Giseke Mohren Richard. 119 Zudem wurden in dem Quartier, wie in allen Ost-Berliner Großsiedlungen, die Bundesmittel zur Instandsetzung und Modernisierung der Plattenwohnungen mit einem Landesprogramm zur Verbesserung des Wohnumfelds kombiniert (Baumpflanzungen, Anlage von Kinderspiel- und Bolzplätzen, Umbau von Jugendeinrichtungen; vgl. Stimman 1993: 10). 120 Vor dem Stadtumbau waren 59,7 Prozent des Wohnungsbestands in Marzahn-Nord unsaniert, 17,2 Prozent teilsaniert und 23,3 Prozent vollsaniert (vgl. S.T.E.R.N./UrbanPlan 2005: 27).
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Aufwertung sowie zur Verminderung der Segregationsprozesse in den Gebieten“ (Abgeordnetenhaus von Berlin 1999: 31) festlegte, gehörte Marzahn-Nord zu den ersten Gebieten, in denen mit im Rahmen des Landesprogramms „Sozialorientierte Stadtentwicklung“ Quartiersmanagementverfahren eingerichtet wurden. Das Ziel dieser Verfahren war eine „nachhaltige, soziale, wirtschaftliche, städtebauliche und ökologische Entwicklung durch integriertes Handeln und vernetzte Maßnahmen im Quartier“ unter der Prämisse, dass „durch Bündelung und effizienten Einsatz von Fördermitteln, Programmen und Projekten zusätzliche Potentiale, Ressourcen und Energien freigesetzt werden“(ebd.: 32). Für die Durchführung der Programmschwerpunkte setzten die zuständigen Senatsverwaltungen externe Quartiersmanager ein. Sie sollten zuständig sein für „Bewohneraktivierung“, „Stadtteilkoordination“, d.h. die Vernetzung und Koordinierung aller Aktivitäten, Strukturen und Ressourcen auf der lokalen Ebene, sowie das Initiieren von Projekten (vgl. ebd.: 32). Die Bewohneraktivierung als „wesentliche Aufgabe des Quartiersmanagements“ umriss der Beschluss folgendermaßen: „Erarbeiten einer geeigneten Form“, „Entwickeln einer quartiersspezifisch angemessenen Organisationsform für die Trägerschaft der Bewohnerbeteiligung“ und „Unterstützung der Bewohnervertretungen, -aktivitäten und -initiativen, Selbsthilfegruppen sowie Projektträger“ (ebd.). Für das Quartiersmanagementgebiet Marzahn-Nordwest121 wurde das Büro UrbanPlan beauftragt, das bereits seit Anfang der Neunzigerjahre für die „Plattform Marzahn“ verantwortlich war. Es nahm im Frühjahr 1999 vor Ort seine Arbeit auf. Im Zeitraum zwischen 1999 und 2006 wurden im Quartier im Rahmen der Programmumsetzung mehr als 300 Projekte gefördert (vgl. QuartiersAgentur Marzahn NordWest 2006: 6). 4.3 Vergleichende Darstellung der Quartiersentwicklung in Tenever und Marzahn-Nord Zum Abschluss des Kapitels sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Quartiere Tenever und Marzahn-Nord sowie ihrer Entwicklung herausgestellt werden: Die beiden Großsiedlungsquartiere unterscheiden sich deutlich im Hinblick auf Einwohnerzahl und Anzahl der Wohnungen: Lebten in Marzahn-Nord im Jahr 2003 rund 17.200 Personen in rund 11.300 Wohnungen, so waren es in Tenever rund 6.500 Personen in rund 2.650 Wohnungen.
121 Zu den unterschiedlichen Gebietszuschnitten und -benennungen vgl. die Ausführungen zu Beginn von Kap. 4.2.3.1.
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Entstehung und Entwicklung von Tenever und Marzahn-Nord sind jeweils eingebettet in die Geschichte der Großsiedlungen in West- und Ostdeutschland. Ein Unterschied liegt jedoch im Hinblick auf das Alter der Siedlungen vor: Marzahn-Nord ist deutlich jünger als Tenever. Das Bremer Hochhausviertel entstand Ende der Sechziger- und Anfang der Siebzigerjahre in der Blütezeit des westdeutschen Großsiedlungsbaus, ausgerichtet am damals prominenten Leitbild „Urbanität durch Dichte“; Marzahn-Nord wurde Ende der Achtzigerjahre als jüngster Bauabschnitt der Ost-Berliner Großsiedlung Marzahn realisiert, die mit ihren insgesamt 60.000 Wohnungen die größte Neubausiedlung der DDR war. Zu diesem Zeitpunkt war der Großsiedlungsbau im Westen bereits weitgehend zum Erliegen gekommen.122 Die Verankerung der jeweiligen Siedlung in unterschiedlichen politischen Systemen beeinflusste ihre Belegung sowie die Zusammensetzung ihrer Bewohnerschaft: Die Erstbezieher sowohl von Tenever als auch von Marzahn-Nord waren in erster Linie junge Familien, die in den jeweiligen wohnpolitischen Systemen die Berechtigung zum Bezug einer Großsiedlungswohnung beantragen mussten. Hatten sich die Neu-Teneveraner, ausgestattet mit einer Wohnberechtigung für Bestände des sozialen Wohnungsbaus, für eine Mietwohnung in dem neuen Viertel (und damit gegen andere, grundsätzlich geeignete Wohnquartiere) entschieden, so waren die Neu-Marzahner auf Grundlage der zuvor von ihnen gestellten Anträge mit der staatlichen Zuweisung einer Wohnung in das Quartier gelenkt worden. Was die Erstbeziehergenerationen in West und Ost hingegen einte, war die Identifikation mit den modernen – im Westen als zeitgemäß, im Osten als privilegiert empfundenen – Wohnungen. Bezogen auf ihre demographische und soziale Entwicklung sowie mehrere soziostrukturelle Merkmale ähneln sich die Quartiere. In Tenever veränderte sich Mitte der Achtzigerjahre, infolge des Wegzugs der „Fehlbeleger“, die Zusammensetzung der Bevölkerung: Der Anteil von Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen stieg stetig. Ende der Achtzigerjahre fingen die Bremer Sozialbehörden zudem an, kinderreiche Familien mit Migrationshintergrund in das Quartier zu vermitteln. In Marzahn-Nord nahm nach dem Mauerfall der Anteil an Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern ebenfalls zu, da Besserverdienende das Quartier verließen. Trotzdem lässt sich die aufgrund der Erstbelegung und der geringeren Fluktuation für ostdeutsche Großsiedlungen charakteristische Alterssegregation auch heute noch nachweisen. Im Zeitraum der empirischen Untersuchung konnten beide Gebiete durch die folgenden Merkmale charakterisiert werden: vergleichsweise niedriger Altersdurchschnitt der Bewohner, kinderreich, sehr 122 Galt Tenever jedoch anfangs als Bremer Prestigeprojekt und wurde als Demonstrativbauvorhaben des Bundes gefördert, so kann Marzahn-Nord als einer von mehreren standardisierten Bauabschnitten der Großsiedlung angesehen werden.
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hohe Anteile von Empfängern von staatlichen Transferleistungen, hohe Mieterfluktuation sowie insgesamt überdurchschnittlich hohe Bevölkerungsrückgänge. Allerdings unterscheiden sich die Umfänge der Bevölkerungsverluste deutlich: Sank die Einwohnerzahl von Marzahn-Nord zwischen 1992 und 2004 um rund 41,5 Prozent, so beliefen sich die Verluste in Tenever im selben Zeitraum auf rund 20,7 Prozent. Entsprechend höher war der Anteil leerstehender Wohnungen in Marzahn-Nord. Ein weiterer Unterschied bezieht sich auf die Bevölkerung mit Migrationshintergrund: Während Tenever eine sehr heterogen zusammengesetzte Bevölkerung mit Migrationshintergrund und den höchsten Anteil an nicht-deutschen Staatsbürgern aller Stadtteile Bremens aufweist, ist ihr Anteil in Marzahn-Nord im Vergleich zur gesamten Großsiedlung zwar hoch, liegt aber trotzdem weit unter dem Berliner Durchschnitt. Im Quartier konzentrieren sich Spätaussiedler und Personen vietnamesischer Herkunft. Sowohl in Tenever als auch in Marzahn erfolgte die Quartiersentwicklung in den vergangenen Jahren bzw. Jahrzehnten über unterschiedliche Programme der Städtebauförderung. Insofern ist es für beide Quartiere berechtigt, von einer umfassenden lokalen Stadterneuerungsbiographie zu sprechen. Allerdings entstanden im Rahmen der Umsetzung der verschiedenen Förderprogramme lokale Beteiligungsstrukturen, die durch verschiedene Kontinuitäten und Brüche sowie unterschiedliche Partizipationsverständnisse geprägt waren. In Tenever wurde als Reaktion auf das Engagement der Neubewohner, die frühzeitig auf Mängel und Defizite der Siedlung hingewiesen und mehr Mitbestimmung gefordert hatten, nicht nur eine Reihe von baulichen Nachbesserungsmaßnahmen initiiert, sondern zudem entstanden in dieser Zeit mit dem Quartiersgremium Stadtteilgruppe, seinem partizipativen Vergabeverfahren und der für die Verfahrenskoordination verantwortlichen Projektgruppe qualitativ weit reichende Beteiligungsstandards, auf denen nachfolgende Förderprogramme aufbauten. Marzahn-Nord war seit dem Mauerfall zwar Gebietskulisse für verschiedene Förderprogramme, die durchweg die Notwendigkeit eines Einbezugs von Quartiersbewohnern betonten. Allerdings gelang dort keine Verstetigung der eingeräumten Beteiligungsangebote. Vielmehr wurden die Verfahren erschwert: Einerseits durch die Prinzipien und Akteure einer aus Sicht der Siedlungsbewohner unbekannten, „von drüben“ implantierten Quartiersentwicklungspolitik und andererseits durch die spezifischen Erfahrungen, die sie in der DDR mit eingeräumter und staatlicherseits „verordneter“ Beteiligung gemacht hatten. Vor diesem Hintergrund erschien ihnen allein die Vorstellung, mehr Mitbestimmung in lokalen Planungsentscheidungen zu fordern, als unrealistisch und abwegig. Marzahn-Nord weist einige Besonderheiten auf, die durch die Entstehung des Quartiers in der Endphase der DDR und die kurze Zeit nach dem Erstbezug einsetzende politische Wende begründet sind: Wie in Ostdeutschland generell 138
fand sich auch in Marzahn-Nord ein erheblicher Anteil von Menschen, die den Mauerfall und den darauf folgenden Systemwandel als Verlust bisheriger Rahmensetzungen erlebten. Die neue Ordnung empfanden sie als Zumutung oder gar Bedrohung. Aufzugeben waren beispielsweise die Position als „Quasi-Eigentümer“ der Wohnung, oftmals der bisherige soziale Status, soziale Sicherheiten und teilweise auch (vermeintliche) ideologische Gewissheiten. Unterschiedliche Brüche und Abwertungen mussten verarbeitet werden – sei es die gesamtgesellschaftliche Abwertung eines Großteils ostdeutscher Lebensentwürfe, die individuelle der Erwerbsbiographie, aber auch die der ostdeutschen Großsiedlungen insgesamt. Innerhalb kürzester Zeit mussten Strategien zur Alltagsbewältigung unter kapitalistischen Vorzeichen entwickelt werden. In Marzahn-Nord konnten sich zudem Nachbarschaften und Hausgemeinschaften aufgrund des späten Erstbezugs – teilweise nur wenige Monate vor dem November 1989 – kaum konsolidieren; entsprechend schwach waren die sozialen Bindungen und Netzwerke. Ein abschließend zu erwähnendes weiteres Spezifikum von Marzahn-Nord liegt in dem dort zu beobachtenden Aufeinandertreffen von ostdeutschen und westdeutschen Sozialisationserfahrungen, wobei in der alten Bundesrepublik Aufgewachsene äußerst selten unter den Quartiersbewohnern, sondern eher im Kreis der professionell mit der Quartiersentwicklung beschäftigten Akteure zu finden sind. Diese Grundspannung bestimmt zwar Quartiersentwicklungsprozesse in Ostdeutschland generell. In Berlin bekommt sie eine zusätzliche Brisanz aber durch die Tatsache, dass die Quartiersentwicklung im Ostteil der Stadt zumeist von Akteuren koordiniert und begleitet wird, die nur zum Arbeiten „in den Osten“ fahren und deren Lebensmittelpunkt ansonsten in West-Berlin liegt.
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5 Partizipation im Stadtumbauprozess in Tenever und in Marzahn-Nord
Im Mittelpunkt dieses Kapitels stehen die Formen von Partizipation, die sich in Tenever und Marzahn-Nord im Stadtumbauprozess zeigten. Insofern dienen die folgenden Ausführungen zur Beantwortung von Leitfrage M: Welche Formen von Partizipation kamen in der lokalen Vorbereitung und Umsetzung des Stadtumbaus zum Einsatz? Argumentativ wird an die in Kapitel 2 dargelegten sozialwissenschaftlichen Befunde zum Zusammenhang von Partizipation und Stadtumbau angeknüpft. Wobei zu fragen ist, ob sich für die beiden Untersuchungsquartiere ein ebenso ernüchterndes Bild der Partizipationswirklichkeit zeichnen lässt, wie es für andere lokale Stadtumbauverläufe beschrieben wurde. Zur Beantwortung dieser Frage waren Formen und Bedeutung von Partizipation innerhalb der lokalen Konzeptions- und Planungsphasen des Stadtumbaus in Tenever und Marzahn-Nord zu ermitteln. Dies erfolgte mit Hilfe einer methodenpluralen Strategie, so dass einerseits Vergangenes rekonstruiert und andererseits aktuelle Prozesse begleitet werden konnten. Als Einstieg in die Datenverdichtung diente das zu Beginn der Feldforschung entwickelte, in Kapitel 3 vorgestellte Raster aus verschiedenen Beobachtungskategorien. Im Folgenden werden die Ergebnisse für Tenever (5.1) und für MarzahnNord (5.2) dargelegt. Beiden Unterkapiteln liegt eine chronologische Darstellung der wesentlichen Stationen des lokalen Stadtumbaus zugrunde, wobei der jeweilige Stellenwert von Partizipation in diesen Prozessen besondere Berücksichtigung findet. Die Gliederung der Unterkapitel orientiert sich an den lokalen Besonderheiten der Untersuchungsgebiete, sie sind deshalb nicht identisch strukturiert. Ein Zwischenfazit rundet jedes Beispiel ab. Am Ende des Kapitels steht eine zusammenfassende Gegenüberstellung der Befunde für Tenever und Marzahn-Nord hinsichtlich der Vorbereitung der lokalen Stadtumbauprojekte sowie der jeweiligen Formen und des Stellenwerts von Bewohnerbeteiligung in den lokalen Stadtumbauverläufen (5.3).
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M. Fritsche, Mikropolitik im Quartier, DOI 10.1007/978-3-531-93498-3_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
5.1 Tenever Der Stadtumbauverlauf in Tenever lässt sich einteilen in fünf Phasen: (1) Vorgeschichte, (2) Konzepterstellung im Jahr 2000, (3) Konkretisierung des Sanierungskonzepts in den Jahren 2001 und 2002, (4) Vorbereitung des Umbaus und Durchführungsbeginn in den Jahren 2003 und 2004, (5) Baustopp und Erweiterung der Abrisskulisse von 2005 bis 2007.123 Die nachfolgende Darlegung zu Partizipation im Stadtumbauprozess in Tenever orientiert sich an dieser Differenzierung. 5.1.1 Vorgeschichte: Entstehung einer Koalition zur Lösung des „KrauseProblems“ (Neunzigerjahre) Die Ursprünge des Teneveraner Stadtumbaus reicht zurück bis in die Neunzigerjahre: Der Verfall der nach ihrem Eigentümer Lothar Krause benannten 1.416 „Krause-Wohnungen“ und dessen mangelnde Kooperationsbereitschaft bei der Instandsetzung der Wohnungen waren von verschiedenen Akteuren in Tenever skandalisiert worden.124 Eine zentrale Bedeutung als Informationsdrehscheibe und Diskussionsforum für Bewohner kam der Stadtteilgruppe Tenever zu.125 Sie begleitete seit 1989 im Rahmen der Umsetzung des Landesförderprogramms zur Nachbesserung von Großsiedlungen die Entwicklung Tenevers. Die zu dieser Zeit durchschnittlich 50 Teilnehmer einer Sitzung der Stadtteilgruppe deckten ein breites Spektrum unterschiedlicher Interessen ab – neben Bewohnern nahmen administrative, politische und wohnungswirtschaftliche Akteure an den regelmäßigen Treffen teil. Nachdem der Eigentümer der maroden Wohnungen im März 1996 Insolvenz angemeldet hatte und das – ohnehin bereits als Vermieterin im Quartier aktive – städtische Wohnungsunternehmen GEWOBA im Rahmen des Insolvenzverfahrens als Zwangsverwalter des Bestands eingesetzt worden war, organisierten Vertreter der Stadtteilgruppe eine Bewohnerversammlung. Rund 100 Mieter kamen zusammen, um sich von den Mitarbeitern der GEWOBA über die Zukunft der betroffenen Wohnungen informieren zu lassen (vgl. Lückenkötter 1999: 72). Zwei Monate später besuchten – auf Einladung der Stadtteilgruppe – der damalige Bürgermeister Henning Scherf und der Bremer Bausenator Bernt 123 Vgl. auch den tabellarischen Überblick über die Chronologie des Stadtumbaus in Tenever im Anhang. 124 Vgl. dazu und zu den folgenden Abschnitten die entsprechenden Ausführungen zur Entstehung Tenevers in Kapitel 4.1. 125 Vgl. dazu bspw. Protokoll der 44. Sitzung der Stadtteilgruppe Tenever am 21.6.1995.
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Schulte das Quartier und die Stadtteilgruppe, um sich am Ort ein Bild über den Zustand der „Krause-Wohnungen“ zu machen. Während der Sitzung des Gremiums nahmen Bewohnervertreter diesen Besuch zum Anlass, um auf den schlechten Zustand der Gebäude und Wohnungen und die unterlassenen Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen hinzuweisen sowie „die Notwendigkeit einer Sanierung im Bereich der Krause-Wohnungen und eine Perspektive für diesen Bereich“ zu fordern (Protokoll der 49. Sitzung der Stadtteilgruppe am 26.6.1996: 2). Damit tauchten bereits im Jahr 1996 erste Forderungen nach einem Sanierungskonzept für Tenever in der Bewohnerschaft auf. Im Jahr 1998 wurde bekannt, dass Teile der „Krause-Wohnungen“ zwangsversteigert werden sollten, wodurch erneut die Gefahr einer spekulativen Übernahme auf dem Teneveraner Wohnungsmarkt drohte. Eine zusätzliche Zuspitzung erfuhr die Lage durch die Ankündigung der involvierten Banken, die Zwangsverwaltung auflösen zu wollen. Ihre aufgrund des wachsenden Leerstands in Tenever sinkenden Einnahmen deckten nicht mehr die Ausgaben für die Wohnungen. Ein Vertreter der GEWOBA beschrieb die Situation nachträglich: „Die Dinger [gemeint sind die Wohnblöcke, M.F.] wären wieder an Krause zurückgegangen. Krause, weiß ja kein Mensch, wo der geblieben ist. GEWOBA hätte sofort die Verwaltung niedergelegt, weil, das hätte ja auch keiner mehr bezahlt. Das heißt also, die Bewohnerinnen und Bewohner hätten theoretisch keine Miete mehr bezahlen brauchen, weil sie gar nicht mehr wussten, wohin sie zahlen sollten. Auf der anderen Seite wäre der Müll nicht mehr abgeholt worden, die Aufzüge würden irgendwann mal stehen, weil die Stadtwerke den Strom abgestellt hätten. Wir hätten quasi hier ein totales Chaos [gehabt].“
Einige Bewohner organisierten daraufhin, mit Unterstützung der Stadtteilgruppe, Mieterversammlungen in den betroffenen Häusern. Die dort vorgetragenen Ängste und Beschwerden wurden auch in die Stadtteilgruppe getragen. Das in dem Gremium vertretene Bauressort der Bremer Landesverwaltung sowie Mitarbeiter der GEWOBA formulierten zwar ihr Verständnis für die Bewohner, zugleich betonten sie aber auch, dass ihnen die Hände gebunden seien.126 Angesichts dieser unbefriedigenden Situation wurden die Quartiersmanager von den Teilnehmern der Stadtteilgruppe beauftragt, einen schriftlichen Hilferuf an den Bremer Bürgermeister zu formulieren (vgl. Protokoll der 60. Sitzung der Stadtteilgruppe am 25.3.1998: 3). Der Brandbrief blieb ohne Folgen. Auch das Stadtoberhaupt konnte den Quartiersakteuren keine Hoffnungen auf eine Lösung machen. Erschwerend kam hinzu, dass der Bremer Senat in dieser Zeit eine Pri126 Vgl. beispielsweise Protokoll der 60. Sitzung der Stadtteilgruppe Tenever am 25.3.1998: 1ff., Protokoll der 64. Sitzung der Stadtteilgruppe Tenever am 29.7.1998: 1f., Protokoll der 65. Sitzung der Stadtteilgruppe Tenever am 9.9.1998.
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vatisierung der landeseigenen GEWOBA erwog. Ein städtisches Engagement für den „Krause-Bestand“ hätte diese Privatisierungspläne konterkariert. Im Ergebnis gewann die Stadtteilgruppe den Eindruck, die Stadt wolle sich aus ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung für eine auf sozialen Ausgleich ausgerichtete Wohnungspolitik zurückziehen. In dieser Situation beschlossen einige Bewohner, ihren Unmut auf der für den 18. September 1998 terminierten ersten Zwangsversteigerung von 353 Wohnungen aus dem „Krause-Bestand“ im Gerichtssaal vorzutragen und dort von den potenziellen Neueigentümern ein „Sondersanierungsprogramm“ zu fordern (vgl. Protokoll der 65. Sitzung der Stadtteilgruppe am 9.9.1998: 6). Mit einem Informationsblatt luden sie weitere Interessierte ein, an ihrer Aktion teilzunehmen. Der Quartiersmanager begleitete die Bewohner. Das Protokoll der folgenden Sitzung fasst diese Aktion zusammen: „Die Bewohner hatten gemeinsam mit dem Bewohnertreff und dem Arbeitslosenzentrum und vielen Unterstützern mit einer kleinen Aktion, Transparenten und einem witzigen KabarettProgramm auf ihre Sorgen aufmerksam gemacht und gefordert, daß nicht nur ‚kassiert[,] sondern auch saniert wird’ und die Forderung erhoben, daß nicht neue ‚Miethaie’ den Bereich übernehmen. Der Bewohnertreff fordert weiterhin, daß die Stadt sich nicht aus der Verantwortung stiehlt, sondern z.B. über eine bremische Gesellschaft die Wohnungen erwirbt“ (Protokoll der 66. Sitzung der Stadtteilgruppe am 14.10.1998: 6).
Jedoch hatten weder diese Versteigerung noch spätere Zwangsversteigerungstermine den von den Gläubigern geforderten Minimalbetrag erzielen können. Damit änderte sich im Jahresverlauf 1999 nichts an der ungewissen Zukunft der „Krause-Bestände“ – auf Seiten der Bewohner hingegen wuchsen Enttäuschung und Ärger und damit die Bereitschaft zum forcierten Protest. In den dreieinhalb Jahren, die seit der Insolvenzmeldung vergangen waren, war eine Akteurskonstellation in und für Tenever entstanden, die sich des „Krause-Problems“ annahm: Die lokalen Quartiersmanager forderten im Verbund mit Mietervertretern eine Lösung des Problems und eine Intervention der Stadtpolitik. Für diese Forderungen fanden sie nicht nur Unterstützer in der GEWOBA, sondern auch in politischen Gremien und in den involvierten Verwaltungsressorts. Regelmäßig und ausgiebig wurden Problemstellungen und aktuelle Entwicklungen rund um die „Krause-Wohnungen“ bei den Treffen der Stadtteilgruppe Tenever thematisiert. Zum Jahresende 1999 zeichnete sich abermals eine Zuspitzung der Situation ab: Angesichts eines für Februar 2000 anberaumten, erneuten Zwangsversteigerungstermins für die Wohnungen in der Kaiserslauterner Straße hatten Kaufinteressenten, deren Investitionsabsichten bis dahin weder im Quartier noch auf dem Bremer Wohnungsmarkt bekannt waren, innerhalb der Mieterschaft für Unruhe gesorgt. Da es sich bei dieser Zwangsversteigerung um den dritten Anlauf han144
delte, war klar, dass das höchste der abgegebenen Gebote den Zuschlag erhalten würde – auch wenn nur ein einziges, weit unter der von den Gläubigern geforderten Grenze liegendes Gebot abgegeben werden sollte. Damit waren die „KrauseWohnungen“ für die seit langem befürchteten „Miethaie“ attraktiv geworden. Mietervertreter, Lokalpolitiker, Quartiersmanager sowie Mitarbeiter des Bauressorts und der GEWOBA nahmen dies nicht nur zum Anlass, um auf der Stadtteilgruppensitzung erneut ihre Sorge um die Zukunft des Quartiers zum Ausdruck zu bringen (vgl. Protokoll der 75. Sitzung der Stadtteilgruppe am 26.1.2000: 3f.), sondern aktivierten mit der Bitte um Unterstützung ihre in den Jahren zuvor entstandenen Kanäle zu verschiedenen politischen Akteuren in der Stadt. Ein damals beteiligter Vertreter des Wohnungsunternehmens erinnert sich an diese Phase: „Weil uns vor Ort, aber auch den Bewohnern und auch den Initiativen vor Ort klar war, das kann nur noch einer sein [gemeint ist der Kaufinteressent, M.F.], der also noch mal versucht, jetzt den Rest, was aus so einem Ding herauszuquetschen war, auch herauszuquetschen [...] Dann gab’s denn also einen relativ politischen Druck. Und dieser politische Druck, hier initiiert aus Tenever in die Stadt hinein, in die Politik hinein, hat, sage ich mal, eines bewirkt: Dass hier die Politik Bremens begriffen hat, dass die Lösung Tenevers nicht nur ein Teneveraner Problem ist. Es ist ein bremisches Problem. Schlichtweg gesagt: Bremen konnte sich nicht erlauben, ich sag mal, so ein Schmuddelquartier am Rande der Stadt zu haben, mit der Gefahr hin, dass die Ghettoisierung also noch größer wird.“
Auch wenn die Versteigerung erneut keinen neuen Eigentümer hervorgebracht und sich die Lage vor Ort abermals nicht verändert hatte, so setzte sich in der Bremer Stadtpolitik die Ansicht durch, dass eine Gesamtlösung für Tenever unabdingbar war. Der Senat beauftragte die GEWOBA und die landeseigene Bremer Investitions-Gesellschaft mbH (BIG), ein Konzept zu entwickeln, wie die „Krause-Bestände“ in stabile Eigentumsverhältnisse überführt werden konnten, sowie einen etwaigen Erwerb der betreffenden Bestände durch das Land Bremen zu prüfen (vgl. Senat der Freien Hansestadt Bremen 2000b: 2). Die GEWOBA forderte zudem die Erstellung eines Gesamtkonzepts für Tenever, wie sich ein befragter Mitarbeiter der Bremer Bauverwaltung erinnerte: „Und das Wohnungsunternehmen hat gesagt: ‚Na ja, wenn wir dieses Risiko eingehen’ – schon damals ein gewisser Leerstand, einfach wahnsinnig hohe Fluktuation und hohe soziale Probleme –‚ dann wollen wir uns einfach parallel mal ein paar Konzepte erarbeiten lassen, wie kann man damit umgehen?’ In der Frühphase stand dabei auch die Frage des Teilrückbaus von Beständen im Vordergrund. Dass man gesagt hat: ‚Mit der Übernahme der Bestände soll auch eine Reduzierung angestrebt werden’.“
Damit standen die wesentlichen Anforderungen an das Umbaukonzept für Tenever fest: Der Senat hatte darauf hingewiesen, dass die 145
„Frage einer langfristigen Lösung für die ca. 1.400 sog. Krause-Wohnungen, die eine nachhaltige Sanierung beinhalten muss, [...] nicht isoliert von den übrigen Wohnungen [...] beantwortet werden [kann]“ (Senat der Freien Hansestadt Bremen 2000a: 3).
Zudem galt es, „das Ausmaß eines ggf. erforderlichen Rückbaus (z.B. im Umfang von ca. 350 Wohneinheiten) und den Umfang der Kosten der Sanierungsmaßnahmen verbindlich“ (SenAFGJS 2000: 3) zu ermitteln. In der Stadtteilgruppe wurden diese Überlegungen erstmals im März 2000 erwähnt, das Protokoll hielt dazu fest: „Die Zukunftsdiskussion wird über Abriß, Rückbau und Sanierung gehen“ (Protokoll der 76. Sitzung der Stadtteilgruppe am 22.3.2000: 5). Festzuhalten ist, dass die Vorgeschichte des Teneveraner Stadtumbaus begleitet wurde von einer bereits vorhandenen Beteiligungsstruktur, in deren Mittelpunkt sich die 1989 im Zuge des Landesförderprogramms zur Nachbesserung von Großsiedlungen entstandene Stadtteilgruppe Tenever befand. Das Gremium diente als Informationsdrehscheibe und Diskussionsplattform, organisierte angesichts des schlechten Zustands eines Großteils der Wohnungen Mieterversammlungen und forderte bereits 1996 ein Sanierungs- und Erneuerungskonzept für Tenever. Die lokalen Quartiersmanager der Projektgruppe Tenever koordinierten diesen Prozess. Parallel zum zunehmenden Verfall der Wohnungen fanden die Forderungen der Stadtteilgruppe immer mehr Unterstützer, so dass ein breites Akteursbündnis entstand: Neben den Quartiersmanagern und den lokalen Mietervertretern engagierten sich die Mitarbeiter der GEWOBA, der zuständigen Verwaltungsstellen sowie Ortsteil- und Landespolitiker für eine Lösung für die Großsiedlung. Damit kam dem politischen Druck, der von den Quartiersakteuren aufgebaut worden war, bei der Entwicklung der Strategien für Tenever eine wesentliche Bedeutung zu. 5.1.2 Entwicklung eines Sanierungskonzeptes (2000) Zur Entwicklung eines Umbaukonzepts für die Großsiedlung führte das Wohnungsunternehmen GEWOBA zunächst ein Werkstattverfahren als städtebaulichen Fachwettbewerb mit beschränkter Teilnahme durch. Im Frühjahr 2000 lud es vier überregional tätige Architektur- und Planungsbüros ein, Ideen und Ansätze zur Weiterentwicklung Tenevers vorzustellen.127 In der Aufgabenstellung war 127 Im Einzelnen waren das die WGK Planungsgesellschaft aus Hamburg, die Bürogemeinschaft Baumbach, Baumbach & Bräuer aus Rostock, die Planergemeinschaft Dubach Kohlbrenner aus Berlin und das Büro gibbins european architects mit Hauptsitz in Potsdam.
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ein Teilabbruch von Gebäudebeständen bereits enthalten. Zudem initiierte die GEWOBA zur fachlichen Begleitung des gesamten Verfahrens eine „Projektgruppe Osterholz-Tenever“.128 Sie bestand aus Mitarbeitern der für den Wettbewerb ausgewählten Planungsbüros, Vertretern der landeseigenen Investitionsgesellschaft BIG, der GEWOBA und der zuständigen Bremer Verwaltungsstellen sowie drei externen Experten – Prof. Dr. Werner Rietdorf, Leiter des Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS),129 Prof. Dr. Volker Eichener, Leiter des Instituts für Wohnungswirtschaft (InWis), sowie Dr. Bernd Hunger, Leiter des gleichnamigen Büros für Stadtplanung und -forschung und für Großsiedlungen und ihre Entwicklung zuständiger Referent beim Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen (GdW). Diese Expertenrunde kam zwischen April und Juli 2000 viermal zu entweder ganz- oder auch zweitägigen Arbeitstreffen in Bremen zusammen. Das erste Treffen der „Projektgruppe Osterholz-Tenever“ fand ohne Vertreter der Teneveraner Bewohnerschaft statt, allerdings hielt das Protokoll fest: „Der aus der Projektstruktur vorgesehene Verfahrensweg wurde abgestimmt. Von besonderer Bedeutung ist die vorgesehene Mitwirkung der Stadtteilgruppe [...]. Ein Vorgespräch mit Vertretern der Stadtteilgruppe findet in der 18. Kalenderwoche statt“ (Protokoll über das Projektgruppen- und Planergespräch am 26.4.2000: 1).
Ab dem folgenden Treffen nahmen die Teneveraner Quartiersmanager als Vertreter der Quartiersakteure und Vermittler zwischen der Expertenrunde und der Stadtteilgruppe regelmäßig an den Sitzungen teil: Einerseits trugen sie die aus ihrer Sicht relevanten Aspekte in die Diskussionen hinein und kommentierten die durch die beteiligten Fachplaner vorgelegten Entwurfsideen (vgl. Protokoll über das Projektgruppen- und Planergespräch am 23.5.2000). Auf der anderen Seite berichteten sie in der Stadtteilgruppe von der Konzepterstellung und den Überlegungen im Hinblick auf Abriss und Sanierung. Erstmals geschah dies im Juni 2000. Der zentrale Tagesordnungspunkt der Stadtteilgruppensitzung lautete: „Informationen durch das Amt für Wohnungsund Städtebau, die GEWOBA und die Projektgruppe über Situation und Perspektiven des ‚Krause-Wohnbereichs’“ (vgl. Protokoll der 78. Sitzung der Stadtteilgruppe am 14.6.2000: 1). Erläutert wurden die Bereitschaft des Senats, sich für die Weiterentwicklung der betreffenden Bereiche zu engagieren, das Verfahren der städtebaulichen und wohnungswirtschaftlichen Konzepterstellung mit der 128 Diese „Projektgruppe Osterholz-Tenever“ ist nicht identisch mit dem Quartiersmanagementteam in Tenever, das unter dem Namen „Projektgruppe Tenever“ arbeitet. 129 Werner Rietdorf war zugleich auch Mitglied der Kommission „Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel in den neuen Bundesländern“, deren im November 2000 vorgelegtes Gutachten das Programm „Stadtumbau Ost“ vorbereitete (vgl. dazu Kapitel 2.1).
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Beauftragung von vier Planungsbüros sowie die wesentlichen Überlegungen zum Umbau des Quartiers. Die Mitarbeiter der Projektgruppe baten die Anwesenden um Rückmeldungen, welche Aspekte sie als Vertreter der Bewohnerinteressen an die Experten herantragen sollten. Andere Verwaltungsmitarbeiter betonten die Notwendigkeit des Einbezugs der Bewohner, warben zugleich aber auch dafür, der Projektgruppe keine unrealistischen Forderungen mit auf den Weg zu geben: „Immerhin reden wir hier über Gegenstände [gemeint sind die betroffenen Häuser, M.F.], die uns nicht gehören“ (ebd.: 3). Die Quartiersmanager kündigten an, dafür Sorge zu tragen, dass die Stadtteilgruppe sich künftig – neben ihren bisherigen Aufgaben – auch der Begleitung des Umbauprozesses widmen würde. Die folgende Sitzung im Juli 2000 bildete den Auftakt eines kontinuierlichen Einbezugs der Stadtteilgruppe in den Umbauprozess, seitdem verging kein Treffen des Gremiums, auf dem nicht über den aktuellen Stand des Verfahrens informiert und diskutiert worden wäre. Schnell wurde deutlich, dass die Bewohner die Pläne zum Abriss einzelner Wohngebäude für eine angemessene Lösung hielten, zugleich aber auf sozialverträgliche Umzugskonditionen sowie den Erhalt der gewachsenen sozialen Infrastruktur und Netzwerke des Quartiers Wert legten. Dass die Mitglieder der Stadtteilgruppe in dieser Phase der Weichenstellung für den Umbau Tenevers die Quartiersmanager als Wahrer ihrer Interessen akzeptierten, ist durch zwei Umstände erklärbar: Zum einen entsprach die Arbeit an einer Lösung für die „Krause-Bauten“ den seit langer Zeit aus der Bewohnerschaft vorgetragenen Forderungen, zum anderen konnten die Stadtteilgruppenmitglieder auf langjährige Erfahrungen mit den Quartiersmanagern zurückblicken – die gemeinsame Vergangenheit hatte Vertrauen entstehen lassen. Das Ergebnis dieser koordinierten Konzeptberatung unter Einbezug der Perspektive der Quartiersbewohnerschaft (s. Karte 5) lag im Sommer 2000 vor. Zwei Gebäude mit insgesamt 391 Wohnungen sollten komplett abgerissen werden (der sogenannte „Kessler-Block“130 an der Ecke von Otto-Brenner Allee und Neuwieder Straße sowie der gegenüber, auf der anderen Seite der OttoBrenner-Allee liegende Block 410). Die z-förmigen Riegelbauten im südlichen 130 Der „Kessler-Block“ (Block 407, bestehend aus 232 Wohnungen und einer Ladenzeile im Erdgeschossbereich) wurde so nach seiner Architektin, Nina Kessler, genannt und galt in der Entstehungsphase Tenevers als Modellbauprojekt, das die Bedürfnisse benachteiligter Bevölkerungsgruppen beachtete. War Ende der Sechzigerjahre kritisiert worden, dass im Sozialen Wohnungsbau in erster Linie für Kleinfamilien gebaut worden war, sollten nun auch die Wohnbedürfnisse von Senioren, kinderreichen Familien, Alleinerziehenden und Behinderten verstärkt berücksichtigt werden. Der „Kessler-Block“ stand für diesen Ansatz der Bereitstellung von Sonderwohnformen: Neben Atelierwohnungen gab es Wohnungen für Alleinstehende und Alleinerziehende. Gemeinschaftsräume sollten deren Kommunikation untereinander fördern. Im Laufe der Jahre jedoch hatten sich die Wohnungsgrundrisse des „Kessler-Blocks“ als schwer vermietbar erwiesen. Zudem hatten sich erhebliche Konstruktionsmängel an dem gesamten Gebäude gezeigt. Mit 39 Prozent war hier die Leerstandsquote entsprechend hoch.
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Siedlungsbereich sollten in Teilen um insgesamt 111 Wohnungen zurückgebaut werden, um die bislang geschlossenen Höfe nach Westen zu öffnen (vgl. Architektengemeinschaft Baumbach, Baumbach, Bräuer 2000: 7f.). Damit standen in Tenever zunächst rund 500 der 2.649 Wohnungen zur Disposition.131 Karte 5:
Erste Umbaukonzeption für Tenever (Stand: 2000)
Erläuterung: Schwarz gefüllt sind die für einen Totalabriss vorgesehenen Gebäude, schwarz umrandet die für eine Modernisierung vorgesehenen Gebäude.
Mit dem Teilrückbau der Blöcke im südlichen Bereich einhergehen sollten die Instandsetzung der Gebäude und die Modernisierung der verbliebenen Wohnungen durch Fassadenerneuerung, einschließlich Anbringen einer neuen Wärme131 Laut Angaben der GEWOBA (vgl. GEWOBA 2008: 20) belief sich der Wohnungsbestand in Tenever vor dem Stadtumbau auf 2.649 Wohnungen, was vier Wohnungen weniger sind als die ursprünglich in der Siedlung errichteten 2.653 Wohnungen. Die Differenz wird durch zwischenzeitlich erfolgte Wohnungszusammenlegungen erklärt. Zu den verschiedenen Angaben der Anzahl der Wohnungen in Tenever vgl. auch Fußnote 76.
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dämmung, Erneuerung der Fenster, Sanierung der Treppenhäuser und wohnungsbezogener Maßnahmen (vgl. ebd.: 12f.). Damit war rund die Hälfte der „Krause-Wohnungen“ für einen Abriss vorgesehen, die andere Hälfte sollte modernisiert werden. Zudem beinhaltete das Konzept die Komplettdemontage mehrerer nicht ausgelasteter Tiefgaragen, den Umbau des Gewerbeensembles Tenever-Zentrum sowie den Abbruch der Erschließungsebene für Fußgänger und, daraus resultierend, bauliche Veränderungen der Hauseingangsbereiche in den Bereichen an der Otto-Brenner-Allee.132 Auf der politischen Ebene griff der Senat in einem Beschluss vom 20. August 2000 die Überlegungen des Konzepts auf – unter der bezeichnenden Überschrift „Krause-Objekte in Osterholz-Tenever“ (vgl. Senat der Freien Hansestadt Bremen 2000b).133 An die beteiligten Ressorts erging der Auftrag, die Weiterentwicklung Tenevers vor dem Hintergrund der städtebaulichen, wohnungswirtschaftlichen, sozialpolitischen und -planerischen, öffentlichkeitswirksamen, technischen und ökonomischen Perspektiven des Quartiers voranzutreiben (vgl. SenAFGJS 2000: 3). In dem Beschluss hieß es: „Der Senat betrachtet sein Engagement für die sog. Krause-Wohnungen als den entscheidenden Schritt zur nachhaltigen Verbesserung der Lebensverhältnisse in diesem Stadtteil, als Maßnahmenpaket, das dazu beiträgt, die Attraktivität Bremens als Wohnstandort zu steigern und damit [...] Abwanderungen zu verhindern. Die vorlegenden Ressorts [im Einzelnen: Senator für Bau und Umwelt, Senator für Finanzen, Senator für Wirtschaft und Häfen, Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales sowie die Senatskanzlei, M.F.] werden gebeten, die [...] wohnungswirtschaftlichen und städtebaulichen Konzepte bis zum 31.03.2001 zu einem Gesamtkonzept für den Ortsteil Tenever zu integrieren“ (Senat der Freien Hansestadt Bremen 2000b: 4).
Die Beibehaltung der bislang für das Quartier charakteristischen „engen Zusammenarbeit mit den Bewohnern“ bei der Konzipierung und Umsetzung städtebaulicher Förderprogramme sollte „ebenfalls zu einer langfristigen Lösung“ der Probleme des Wohngebiets beitragen (Senat der Freien Hansestadt Bremen 132 Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen der Bestandsreduzierung über und unter der Erde sowie der städtebaulichen Auflockerung und Öffnung verabschiedete das Umbaukonzept den Leitgedanken des Demonstrativbauvorhabens Osterholz-Tenever, „Urbanität durch Dichte“. In Tenever war dieser städtebauliche Ansatz realisiert worden durch eine Verdichtung der Bebauung durch städtebaulich-architektonische Großformen, die Schaffung von Kommunikationsmöglichkeiten sowie die Unterbringung des ruhenden Verkehrs unterhalb der Kommunikationsebenen (vgl. Strubelt 2006: 144ff.). Insofern lässt sich der Umbau in Tenever auch als Korrektur eines in den Siebzigerjahren eingeschlagenen städtebaulichen Wegs interpretieren. 133 Bezeichnend ist diese Überschrift insofern, als dass der politische Vorgang weder an „Stadtumbau“ noch an die geplante Sanierung des Quartiers gekoppelt wurde, sondern die Lösung des „Krause-Problems“ in Tenever im Mittelpunkt stand. Auch der zwei Jahre später verabschiedete Senatsbeschluss, der als Durchbruch für das Sanierungskonzept gilt, trug diese Überschrift (vgl. Senat der Freien Hansestadt Bremen 2002).
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2000a: 3). An die durch das Nachbesserungsprogramm geschaffene Tradition einer intensiven Bewohnerbeteiligung sollte explizit angeknüpft werden. Kurz nachdem der Bremer Senat seinen Beschluss zur Lösung des „KrauseProblems“ im August 2000 verabschiedet hatte, wurde das Konzept zum Umbau Tenevers während einer Sitzung der Stadtteilgruppen im Quartier vorgestellt. Diejenigen Sitzungsteilnehmer, die sich seit Jahren für eine Lösung der Wohnungsmisere in Tenever eingesetzt hatten, reagierten mit Freude und Erleichterung auf die Nachricht von der beschlossenen Großsanierung. Allerdings meldeten sich auch skeptische Stimmen zu Wort, insbesondere, nachdem deutlich geworden war, dass für eine zeitnahe Umsetzung des Konzepts die wohnungswirtschaftlich und ökonomisch notwendigen Rahmenbedingungen (Gesamtfinanzierung, Zugriff auf die „Krause-Bauten“) noch nicht vorlagen. Andere betroffene Bewohner formulierten unterdessen die Befürchtung, unvermittelt ihre Bleibe verlieren zu können. Angesichts der vorgetragenen Bedenken unterstrichen die Quartiersmanager ihre Funktion im Umbauprozess: Als Sprachrohr des Quartiers und seiner Akteure seien sie dafür zuständig, den städtischen Verwaltungsstellen die Sorgen und Anliegen der Bewohner vorzutragen. Zudem erläuterten sie, dass das Verfahren auf das Finden einvernehmlicher Lösungen ziele, die Abrissarbeiten rechtzeitig angekündigt werden würden und die Sanierung sich nicht auf Abrisse beschränken würde, sondern eine Kombination aus Instandsetzung, Modernisierung und Wohnumfeldverbesserung geplant sei (vgl. Protokoll der 80. Sitzung der Stadtteilgruppe am 30.8.2000: 4ff.). Die Förderprogrammgeschichte Tenevers habe gezeigt, dass immer dort, wo Bewohner in die Umsetzung einzelner Programme einbezogen wurden, gute Ergebnisse erzielt worden seien. Das Sitzungsprotokoll hielt als Fazit der Diskussion fest: „Es wird eine mehrsprachige Information für die Bewohner vorbereitet, Brief oder Faltblatt. Es wird weiter diskutiert, im Senat und in der Stadtteilgruppe“ (ebd.: 7). Unter Mitwirkung von Vertretern der Bewohnerschaft sollten außerdem Arbeitsgruppen zur Begleitung und Detaillierung des Umbaukonzepts entstehen. In der Folgezeit gingen die Quartiersakteure in eine „Informationsoffensive“: Multiplikatoren in den sozialen Einrichtungen (Kindertagesstätten, Schulen, Vereine, Begegnungsstätten) wurden mit allen notwendigen Informationen versorgt, um ihrerseits betroffene und verunsicherte Mieter beraten zu können. Alle Haushalte in Tenever erhielten ein mehrsprachiges Informationsblatt zum Sanierungsbeschluss. Darin wurde unter anderem die Einrichtung eines Umzugsmanagements angekündigt, welches neben der Hilfe und Kostenerstattung bei umbaubedingten Umzügen auch die Vermittlung von sanierten Wohnungen und die Berücksichtigung von Bewohnerwünschen bei Umzügen innerhalb Tenevers gewährleisten sollte.
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Die Quartiersmanager trugen die verschiedenen, in der Debatte um Abriss und Umbau im Quartier geäußerten Wünsche und Bedenken in einem Positionspapier zusammen. Unter der Überschrift „Perspektiven für Tenever“ hieß es darin: „Immer wieder wurde in der Stadtteilgruppe Tenever auf die negativen Folgen der Verkäufe und Käufe ganzer Straßen in Tenever und auf die Verantwortung und Einflußnahme der Stadt (und des Bundes) hingewiesen – war doch das Demonstrativ-Bauvorhaben keine Erfindung der Teneveraner, sondern erklärter Wille von Bundes- und Landesregierung. [...] Wenn es jetzt – initiiert von Politik und einzelnen Wohnungsunternehmen – zu einer Lösung im Krause-Bereich kommt und damit der Gesamtentwicklung Tenevers eine neue Chance gegeben wird, ist das aus Sicht der Stadtteilgruppe nur zu bejubeln“ (Projektgruppe Tenever 2000: 3).
Das Positionspapier erläuterte 16 Anregungen aus der Bewohnerschaft für die Weiterentwicklung des Quartiers: Begrüßt wurden die städtebaulichen Pläne einer Kombination aus Abriss, Modernisierung und Wohnumfeldverbesserung, die Reduzierung der Tiefgaragenplätze, die Demontage der Fußgängerebene und die geplante Begleitung des Umbaus durch eine professionelle Imagekampagne. Aber es wurde auch hingewiesen auf die Notwendigkeit eines sozialverträglichen Umbaus, einer Gewährleistung bezahlbarer Mieten nach abgeschlossener Sanierung und eines Erhalts der bestehenden Kinder- und Familieneinrichtungen (vgl. ebd.: 3ff.). Das Papier schloss mit folgender Forderung: „Der gesamte Sanierungsprozeß sollte die Stadtteilgruppe mit ihren Rechten und Pflichten einbeziehen“ (ebd.: 6). Festzuhalten ist, dass die Weichenstellung für einen Umbau Tenevers im Jahr 2000 stattfand – und damit mehr als zwei Jahre vor der Aufnahme des Quartiers in das ExWoSt-Forschungsfeld „Stadtumbau West“. Das Sanierungskonzept für Tenever sah nicht ausschließlich Abrisse, sondern eine Kombination aus der Beseitigung des schlechten baulichen Zustandes einer großen Anzahl von Wohnungen auf der einen und der Modernisierung der verbleibenden Bestände auf der anderen Seite vor, was allerdings zugleich einen massiven Eingriff in den Gebäudebestand bedeutete. Zudem sollten die Maßnahmen eingebettet sein in ein integriertes Umbaukonzept, das laut Einschätzung mancher lokaler Experten „das erste integrierte Stadtumbaukonzept in den alten Bundesländern“ (GEWOBA 2008: 20) darstellte. Zur Konzepterstellung initiierte die GEWOBA eine Expertenrunde, in der stellvertretend für die Stadtteilgruppe die Quartiersmanager die Interessen der Bewohner vertraten. Zum anderen erfolgten Information und Kommunikation der Umbaupläne frühzeitig und kontinuierlich über die Stadtteilgruppe Tenever. Als lokales Beteiligungsgremium zur Begleitung der Quartiersentwicklung, in dem neben Bewohnern und Quartiersakteuren auch Vertreter von Politik, Verwaltung und des Wohnungsunternehmens saßen, nahm sich die Stadtteilgruppe nun der Beglei152
tung des Stadtumbaus an. Das Gremium stellte einerseits für die Teneveraner ein Forum zur Äußerung ihrer Wünsche und Sorgen dar, auf der anderen Seite diente es zur Koordinierung unterschiedlicher Interessen sowie zur lokalen Verankerung der Umbaupläne. Die professionellen (wohnungswirtschaftlichen, politischen und administrativen) Akteure nahmen diesen Diskurs als Stimmungsseismograph und Äußerungsform lokaler Expertise ernst.134 Die bewohnerorientierte Tradition der Stadtteilgruppe stellte einen Einbezug von partizipativen Standards auch im Verfahren der Erstellung des Sanierungskonzepts sicher. Eine zentrale Vermittlerfunktion übernahmen die lokalen Quartiersmanager: Ihnen fiel – neben ihrer originären Tätigkeit der Vorbereitung und Begleitung von Maßnahmen und Projekten aus den Programmen „Soziale Stadt“ und „Wohnen in Nachbarschaften“ – die Aufgabe zu, die verschiedenen Aktivitäten der Stadtteilgruppe rund um den Stadtumbau zu strukturieren, die Diskussionen zu bündeln, gegebenenfalls im Auftrag der Stadtteilgruppe an überlokale Ansprechpartner heranzutreten und auf die Einhaltung der quartiersspezifischen Beteiligungsstandards zu achten. Darüber hinaus berichteten sie in der Stadtteilgruppe über den Verlauf der Treffen der Expertenrunde, an der sie teilnahmen. Die Existenz einer den Umbau des Quartiers befürwortenden Koalition, in der alle relevanten Akteure vertreten waren, die Beachtung von vor Ort bereits vorhandenen Informationskanälen und Beteiligungsstandards, die frühzeitig einsetzende und zudem transparente Informationspolitik sowie das Vertrauen, das die Mitglieder der Stadtteilgruppe den Quartiersmanagern entgegenbrachten, ließen im Quartier einen konstruktiven Diskurs rund um die Sanierung entstehen. 5.1.3 Konkretisierung des Sanierungskonzepts (2001-2002) Die Detaillierung der Umbaukonzeption und deren Begleitung durch die Stadtteilgruppe bestimmten die folgenden Monate: Zu Beginn des Jahres 2001 rief die GEWOBA erneut eine Expertengruppe, bestehend aus Mitarbeitern des Wohnungsunternehmens, des fachlich zuständigen Verwaltungsressorts und den Quartiersmanagern, zusammen; sie sollten die Vertiefung der städtebaulichen Planung beratend begleiten. Die Quartiersmanager präsentierten bereits zum 134 Beispielsweise begann im November 2000 eine Reihe von regelmäßigen Besuchen der Vorstandsvorsitzenden der GEWOBA in der Stadtteilgruppe. Zwecks Vorstellung der Sanierungspläne und Bilanzierung des bislang Erreichten nahmen sie anfangs halbjährlich an den Sitzungen teil. Mittlerweile wird jährlich eine Stadtteilgruppensitzung für einen Vortrag der Leitung des Wohnungsunternehmens mit anschließender Diskussion reserviert. Die für Tenever zuständigen Mitarbeiter der GEWOBA sowie der Geschäftsführer der für die Sanierung zuständigen Osterholz-Tenever-Grundstücksgesellschaft mbH (OTG) gehören ohnehin zu den ständigen Teilnehmern der Stadtteilgruppe.
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zweiten Treffen der Expertengruppe eine Tischvorlage zur Einschätzung des Zwischenstandes des Sanierungsprozesses. Darin wiesen sie auf die hervorgehobene Bedeutung einer umfassenden Bewohnerbeteiligung in der Teneveraner Quartiersentwicklung hin: „Die Stadtteilgruppe begrüßt den vom Amt für Wohnung und Städtebauförderung, der Gewoba und der Projektgruppe vorgestellten Grundsatz, die Sanierung Tenevers mit bewährter Bewohnerbeteiligung und unter Einbeziehung der Stadtteilgruppe durchzuführen. Es gibt die große Bereitschaft und Ideen vieler Akteure, auch der Bewohnerschaft, in Arbeitsgruppen etc. an der Weiterentwicklung mitzuarbeiten“ (Projektgruppe Tenever 2001).
In der Stadtteilgruppe war für das Thema Sanierung zudem ein regelmäßiger Tagesordnungspunkt eingerichtet worden, so dass Informationen und Diskussion rund um Stadtumbau und Sanierung seitdem einen feststehenden Platz in der Dramaturgie des Lokalforums hatten.135 Außerdem hatten die Quartiersmanager im März desselben Jahres einen Sanierungsrundgang durchgeführt, um die Planungen vor Ort vorzustellen und direkte Anregungen aus der Bewohnerschaft zu erhalten. In den folgenden Monaten präsentierten die beauftragten Architekten die Rahmenplanung für den Umbau vor dem Gremium. Zum Jahreswechsel 2001/2002 kam der gesamte Prozess aufgrund der ungesicherten Finanzierungssituation ins Stocken. Es hatte sich herausgestellt, dass die auf die Stadt zukommende finanzielle Belastung höher als ursprünglich konzipiert sein würde. Die Verhandlungen mit den für den „Krause-Bestand“ zuständigen Gläubigerbanken über einen Erwerb der Wohnungen hatten sich als zäh erwiesen: Das Land Bremen war aufgrund seiner angespannten Haushaltslage nicht in der Lage, einen Kaufpreis jenseits eines bestimmten Limits aufzubringen. Angesichts der ungeklärten Situation dominierten im Quartier Skepsis und Ungeduld; die Realisierungschancen für das ambitionierte Sanierungskonzept schienen stetig zu sinken (vgl. Protokoll der 94. Sitzung der Stadtteilgruppe am 17.4.2002: 6f.). Die GEWOBA hatte – um ein konkretes bauliches Zeichen zu setzen und das Aufwertungspotenzial der Teneveraner Bausubstanz zu verdeutlichen – mit der exemplarischen Sanierung eines ihrer Gebäude (Otto-Brenner-Allee 48/Pirmasenser Straße 9-11) begonnen.136 Damit unterstrich das Wohnungsunternehmen die Ernsthaftigkeit seiner Bemühungen um eine Aufwertung Tene135 Dieser regelmäßige Tagesordnungspunkt trug wechselnde Namen: Zunächst fand er statt unter der Bezeichnung „Sachstand zum Sanierungskonzept“, später hieß er „Aktuelles zur Sanierung“, „Stadtumbau und Sanierung“ oder auch „Aktuelle Informationen und Diskussion zur Sanierung“. 136 Die Maßnahmen an dem Gebäude umfassten die Modernisierung von 90 Wohnungen, der Gebäudefassade und der Außenanlagen. Die Umgestaltung des Innenhofes war unter reger Teilnahme der Bewohner, insbesondere der betroffenen Kinder, durchgeführt worden.
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vers. Sowohl die Quartiersmanager, die im Vorfeld mehrere Versammlungen für die betroffenen Mieter zur Information und Diskussion durchgeführt hatten, als auch die Stadtteilgruppe hatten dieses Vorhaben ausdrücklich unterstützt. Aufgrund der Zweifel innerhalb der Bewohnerschaft standen die Geschäftsleitung der GEWOBA und der zuständige Abteilungsleiter des Bauressorts der Stadtteilgruppe in ihrer Mai- sowie Junisitzung Rede und Antwort. Sie erklärten die Gründe der Verfahrensverzögerung und warben um Verständnis und Geduld (vgl. Protokoll der 95. Sitzung der Stadtteilgruppe am 22.5.2002: 5f., Protokoll der 96. Sitzung der Stadtteilgruppe am 19.6.2002: 4ff.). Das Protokoll der Junisitzung zitiert den Verwaltungsmitarbeiter folgendermaßen: „Eine Sanierung wie in Tenever hat es in dieser Größenordnung in Westdeutschland noch nicht gegeben. Wenn dazu noch die Haushaltslage in Bremen betrachtet wird, kann man sich vorstellen, dass die Realisierung nicht so einfach ist [...] Das alte Konzept hat sich nicht gerechnet“ (ebd.: 4).
Der Wohnungswirtschaftler erläuterte, dass die notwendige Überarbeitung des Konzepts zu einer Erhöhung der Zahl der abzureißenden Wohnungen führen werde. Er erklärte, dass sich die Überlegungen auf einen Abriss von insgesamt ca. 765 Wohnungen bezögen. Dies umfasse auch Bestände, die bislang nicht in der Umbaukulisse enthalten waren. Konkretisieren könne er diese Angaben aber erst nach der Verabschiedung der entsprechenden politischen Beschlüsse (vgl. ebd.: 5). In ihren Rückmeldungen machten die Akteure der Stadtteilgruppe einerseits klar, dass sie sich mit der erhöhten Abrisszahl notgedrungen arrangieren würden – schien dies doch der unvermeidbare Preis für das Gelingen der Realisierung des Konzepts zu sein –, auf der anderen Seite forderten sie, rechtzeitig über die konkreten Pläne informiert zu werden. Zur Jahresmitte 2002 zeichnete sich ein erfolgreicher Abschluss der langwierigen Verhandlungen mit drei der vier involvierten Gläubigerbanken ab (vgl. SenBU 2002: 4f.). Damit war ein wesentlicher Schritt für den Erwerb von 1.306 der insgesamt 1.416 „Krause-Wohnungen“ getan.137 Verschiedene Gesprächspartner sahen diese Entwicklung als „Durchbruch“ für die Sanierung Tenevers an, im Spätsommer 2002 seien die „harten Fakten“ für die Umsetzung des Konzepts geschaffen worden. Der Bremer Bürgermeister informierte die Stadtteilgruppe anlässlich ihrer Augustsitzung über die veränderte, die Realisierung des Sanierungskonzepts 137 Für die folgenden Standorte konnte laut Bericht des Bauressorts Einigkeit mit den Gläubigern erzielt werden: „Kessler-Block“ an der Neuwieder Straße (Block 407), Pfälzer Weg (Block 410), Pirmasenser Straße, Wormser Straße und Kaiserslauterner Straße (Blöcke 413, 414 und 415). Einzig das weitere Schicksal des Blocks 405 in der Neuwieder Straße 46-52 war zu diesem Zeitpunkt (Dezember 2001) noch ungewiss (vgl. SenBU 2002: 3).
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nunmehr ermöglichende Ausgangslage (vgl. Protokoll der 97. Sitzung der Stadtteilgruppe am 14.8.2002: 1). Die Anwesenden reagierten erleichtert: Nun sollten endlich Forderungen erfüllt werden, die die organisierte Bewohnerschaft Tenevers seit Mitte der Neunzigerjahre – gebündelt in den Aktivitäten der Stadtteilgruppe und koordiniert durch die Quartiersmanager – vorgetragen hatte. Vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, warum in Tenever Stadtumbau und Sanierung als Ergebnis eines über mehrere Jahre hinweg innerhalb und außerhalb des Quartiers geführten Diskurses interpretiert werden. Im Dezember 2002 standen die wesentlichen Eckpunkte zur Umsetzung des Sanierungskonzepts fest: Die Kosten sollten sich auf rund 72 Millionen Euro belaufen. Die Summe setzte sich zusammen aus 27,49 Millionen Euro für den Erwerb der betreffenden Immobilien und Grundstücke sowie aus 44,56 Millionen Euro für Abriss-, Bau-, Baunebenkosten sowie Zuschläge für das Umzugsmanagement (vgl. SenBU 2002: 5f.). Das Land Bremen plante eine Bezuschussung in Höhe von 30,88 Millionen Euro. Im Rahmen der Aufnahme des Quartiers in das im Herbst 2002 neu geschaffene ExWoSt-Forschungsfeld „Stadtumbau West“ standen Bundesmittel in Höhe von drei Millionen Euro in Aussicht (vgl. ebd.: 10). Der Restbetrag sollte von einer eigens für die Konzeptumsetzung zu gründenden Projektgesellschaft aufgebracht werden. In seinem Beschluss vom 10. Dezember 2002 stimmte der Bremer Senat diesem Finanzierungskonzept zu (vgl. Senat der Freien Hansestadt Bremen 2002).138 Der offizielle Durchbruch zur Umsetzung des Sanierungskonzepts in Tenever war erreicht. Als Folge des Senatsbeschlusses gründeten die GEWOBA und die BIG die Osterholz-Tenever-Grundstücksgesellschaft mbH (OTG) und erwarben am 21. März 2003 im Rahmen einer Zwangsversteigerung 1.306 Wohnungen aus dem „Krause-Bestand“. Dort belief sich der Leerstand auf mittlerweile über 50 Prozent (vgl. GEWOBA 2008: 24). Die OTG war auf der Grundlage eines städtebaulichen Vertrags mit der Stadtgemeinde verantwortlich für die weitere Planung sowie für die Abriss- und Modernisierungsmaßnahmen an den betreffenden Wohngebäuden. Dieser Vertrag wird von den befragten Akteuren als zentrales 138 Angesichts der Verteilung der finanziellen Lasten wird klar, warum die Aufnahme Tenevers als Pilotgebiet im ExWoSt-Forschungsfeld „Stadtumbau West“ von tendenziell nachrangiger Bedeutung war. Zudem verknüpfte der Bund die Mittelbereitstellung mit der Bedingung, sie in erster Linie zur Finanzierung der konzeptionellen und inhaltlichen Begleitung (z.B. durch Konzepte für die Neunutzung der Rückbauflächen oder auch Freiraumkonzepte) und für die Entwicklung von Imagekampagnen für das „neue Bild“ des Quartiers zu nutzen (vgl. SenBU 2002: 11). Trotzdem war das Engagement des Bundes willkommen, ein Gesprächspartner umschrieb es folgendermaßen: „Wir hätten das Ganze auch ohne diese Bundesförderung gemacht. Aber die kam dann dazu und war für uns willkommen, weil’s Geld gab. Und war für den Bund willkommen, weil sie damit so ein Objekt hatten, wo sie ihre ExWoSt-Grammatik zum Einsatz bringen konnten“.
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städtebauliches Instrument der Sanierung Tenevers angesehen. Ein Verwaltungsmitarbeiter beschrieb die Funktion des Vertrages folgendermaßen: „Und da sind ja, auf Deutsch, Geldportionen festgelegt worden für bestimmte Aufgaben. Und die sind gut kalkuliert worden. Und in diesem Rahmen muss man sich bewegen, mit bestimmten Standards. Diese Standards sind nicht im Detail beschrieben, aber sind in der Prozedur besprochen, das heißt, ein Standard ist eingehalten, wenn die Stadtgemeinde zustimmt. [...] Und da ist auch sehr genau drauf geachtet worden, dass dann das Geld konzepttreu ausgegeben wird.“
Die Konkretisierungsphase in den Jahren 2001 und 2002 verdeutlicht, dass die Klärung der zentralen Rahmenbedingungen zur Realisierung des Sanierungskonzepts – insbesondere in finanzieller und organisatorischer Hinsicht – ein aufwendiger Prozess war, der von Akteuren entschieden wurde, die sich größtenteils außerhalb der Teneveraner Konstellation bewegten. Ein partizipatives Mitentscheiden der Stadtteilgruppe spielte dabei keine Rolle. Allerdings legten Quartiersmanager und GEWOBA Wert darauf, das Gremium regelmäßig und umfassend über Stand und Fortgang der Verhandlungen zu informieren. Eine transparente Informationspolitik war damit auch in der Phase der langwierigen Finanzplanungen sichergestellt. Insofern wurde die Stadtteilgruppe nicht von den Entscheidungen abgekoppelt, sondern kontinuierlich auf dem Laufenden gehalten. Mit der Einführung eines neuen, feststehenden Tagesordnungspunktes „Stadtumbau und Sanierung“ war darüber hinaus eine verbindliche Struktur zur Sanierungsbegleitung geschaffen worden. In dieser Zeit kristallisierte sich auch das auf den Stadtumbau bezogene Kooperationsverhältnis zwischen Stadtteilgruppe, Quartiersmanagern und dem Wohnungsunternehmen GEWOBA heraus: Das Wohnungsunternehmen integrierte die Quartiersmanager als ständige Teilnehmer in seine Entscheidungsrunden, seine Vertreter gingen den Diskussionen in der Stadtteilgruppe nicht aus dem Weg und erklärten ausdauernd die Ursachen für die notwendige Erhöhung der Abrisszahlen. Das Gremium wiederum honorierte diese Offenheit, indem es die Veränderungen befürwortete. Allerdings begünstigte die Tatsache, dass alle drei Akteursgruppen von der grundsätzlichen Notwendigkeit von Abrissen überzeugt waren, das kooperative Verhältnis. 5.1.4 Vorbereitung des Umbaus und Durchführungsbeginn (2003-2004) Im Laufe des Jahres 2003 erfolgte die Detaillierung des überarbeiteten Konzepts. Auf der Quartiersebene kam der Stadtteilgruppe auch weiterhin die Funktion einer Plattform für Informationen und Diskussionen zu: Regelmäßig berichteten 157
Vertreter der GEWOBA und der neu gegründeten Sanierungsgesellschaft OTG dem Gremium vom Fortgang der Planungen, stellten Zeit- und Maßnahmepläne vor und erläuterten das flankierende Verfahren einer sozialverträglichen Regelung der notwendigen Umzüge. Die anwesenden Betroffenen nutzten die Sitzungen der Stadtteilgruppe nicht nur, um sich einzelne Fragen direkt beantworten zu lassen, sondern trugen auch ihre Ängste im Hinblick auf eine bezahlbare Unterkunft und etwaigen Ärger über den Verlauf der einzelnen Maßnahmen vor. Die Protokolle der Stadtteilgruppensitzungen aus dem Jahr 2003 verdeutlichen, dass Detailfragen zu den anstehenden Umzügen, z.B. zu den Größen der neuen Wohnungen, den zu erwartenden Miethöhen und deren Kompatibilität mit den Bestimmungen der Sozialhilfeberechtigung, das Gremium oftmals und anhaltend beschäftigten. Die Quartiersmanager versuchten, den vom Umbau Betroffenen durch Aufklärung und Information die Ängste zu nehmen. In der Sitzung im Februar 2003 wiesen sie beispielsweise darauf hin, dass „[....] niemand auf die Straße gesetzt [wird]. Alle Mieter und Mieterinnen werden persönlich angesprochen und mit ihnen gemeinsam passende Wohnungen in Tenever gesucht. Um den Umzug so unkompliziert wie möglich zu gestalten, wird es eine Umzugshilfe geben. Diese kann von hilfsbedürftigen Mietern beansprucht werden; sie hilft beim Kartons packen, beim Abbau und Wiederaufbau der Möbel und auch beim Einräumen“ (Protokoll der 101. Sitzung der Stadtteilgruppe am 19.2.2003: 5).
Ab Frühjahr 2003 führten sie zudem in ihrem Büro wöchentlich eine dreistündige offene Sanierungssprechstunde zur Einzelfallberatung durch.139 Zur Vorbereitung und Begleitung der Abriss- und Umbaumaßnahmen entstanden auf Initiative der GEWOBA und der OTG drei Arbeitsgruppen (AG): • •
AG „Planung und Technik“, zuständig für die Detailplanungen; AG „Umzugsmanagement“, betraut mit der Begleitung des Umzugsmanagements;140
139 Nicht nur Mieter, sondern auch Vertreter der sozialen Einrichtungen im Quartier begrüßten diese Sprechstunde, da insbesondere in den Kindergruppen bereits viele verunsicherte Eltern mit Anschreiben des Wohnungsunternehmens aufgetaucht waren und um Ratschläge gebeten hatten (vgl. Protokoll der 101. Sitzung der Stadtteilgruppe Tenever am 19.2.2003: 7). 140 Manche Mieter nahmen den Umbau zum Anlass, um komplett umzuziehen, andere räumten nur für die Dauer der Modernisierungsmaßnahmen ihre Wohnungen, um danach zurückzukehren. Neben der Bereitstellung einer Umsetzwohnung und gegebenenfalls der Unterstützung bei der Suche nach einer neuen Wohnung übernahm das Wohnungsunternehmen die Umzugskosten. Nach Auskunft der GEWOBA gelang es ihren Mitarbeitern, bestehende Hausgemeinschaften auf Wunsch erneut gemeinsam unterzubringen. In Einzelfällen, insbesondere bei vielköpfigen Großfamilien, konnten sie zudem die Zusammenlegung von Wohnungen oder – ursprünglich in den Planungen nicht vorgesehene – Grundrissveränderungen veranlassen. Zudem habe
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•
AG „Freiflächen und Entwicklungskonzeption“, zuständig für die Begleitung der Entwicklung der durch den Rückbau entstehenden Freiflächen.
Die Arbeitsgruppen setzten sich zusammen aus Mitarbeitern des Wohnungsunternehmens und der jeweils zuständigen Verwaltungsstellen sowie Vertretern der Stadtteilgruppe. Die Vertreter der Bewohner brachten ihre Ortskenntnisse und den rund um die Sanierung geführten Quartiersdiskurs in die Arbeitsgruppen ein und sorgten damit für eine bewohnernahe Qualifizierung der Planungen (vgl. Protokoll der 102. Sitzung der Stadtteilgruppe am 2.4.2003: 6f.). Gegebenenfalls sicherten sie ihre Positionen vorab durch das Anstoßen von Diskussionen und das Erheben von Meinungsbildern in der Stadtteilgruppe ab. Zudem berichteten sie in dem Quartiersforum regelmäßig aus den Arbeitsgruppen. In allen drei AGs gelang es den Vertretern der Stadtteilgruppe, die Entscheidungsfindung zugunsten der Quartiersbewohner zu beeinflussen. Schwerpunkt der Aktivitäten der AG „Planung und Technik“ war beispielsweise die Beschäftigung mit den veränderten Eingangssituationen an den Wohngebäuden, die durch den Abriss der Vorbauten an der Otto-Brenner-Allee und die Auflösung der Fußgängerebene entstehen würden. Die bauliche Neuorganisation der Hauseingänge war Gegenstand eines Gutachterverfahrens, in dem insgesamt sieben Architektur- und Planungsbüros aufgefordert worden waren, Ideen für die Neugestaltung der Erdgeschossbereiche, der Eingänge, der dort geplanten Conciergen sowie zur Fassadengestaltung zu entwickeln. Die AG „Planung und Technik“ begleitete das Verfahren, begutachtete die Entwürfe und wählte schließlich den Vorschlag eines Bremer Architekturbüros aus. Damit wirkte sie mit bei der Entscheidung über die gestalterischen Standards der neuen Eingangsbereiche (vgl. GEWOBA 2008: 40ff.). In der AG „Umzugsmanagement“ regte die Vertreterin der Stadtteilgruppe aufgrund ihrer Eindrücke aus dem konkreten Umzugsgeschehen an, ein Projekt zur unmittelbaren Umzugshilfe zu entwickeln (Unterstützung beim Ein- und Auspacken sowie beim Transport). Die GEWOBA schuf daraufhin in Zusammenarbeit mit einer lokalen Einrichtung zur interkulturellen Begegnung eine befristete Beschäftigungsmaßnahme für Langzeitarbeitslose aus dem Quartier. Insgesamt wurden rund 440 Umzüge begleitet. Zudem erreichte die Stadtteilgruppenvertreterin, dass das für das Quartier zuständige Amt für soziale Dienste schriftlich und verbindlich erklärte, die allen Umziehenden zustehende Pauschale in Höhe von 500 Euro nicht auf den Bezug von Transferleistungen anzurechnen (vgl. Protokoll der 104. Sitzung der Stadtteilgruppe am 2.7.2003: 10). für die Mehrzahl der betroffene Stadtumbaumieter eine neue Bleibe in Tenever zur Verfügung gestellt werden können (vgl. GEWOBA 2008: 35) – genaue Verbleibszahlen hat das Unternehmen bislang nicht veröffentlicht.
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Die Arbeitsgruppe zur Entwicklung der Freiflächen begleitete ein landschaftsarchitektonisches Gutachterverfahren zur Ideenfindung und Erstellung eines Freiraumkonzepts für den Umbaubereich: Insgesamt sechs Fachplaner waren von der OTG aufgefordert worden, Vorschläge für die Gestaltung der neuen Freiflächen und der Wohnhöfe sowie zur Verknüpfung der Freiräume und zur Ergänzung des Wegenetzes zu erarbeiten. Ausgewählt wurde der Vorschlag eines Planungsbüros aus Hannover, dessen Mitarbeiter bereits im Vorfeld das Gespräch mit verschiedenen Nutzergruppen gesucht hatten und auch im weiteren Verfahren unter der Überschrift „Grün für alle!“ dem Einbezug von Bewohnern in die Planungen einen hohen Stellenwert beimaßen (vgl. Gutachterbüro SpalinkSievers o.J.). Unter Mitwirkung verschiedener Nutzergruppen in Form von Quartiersbegehungen, dem Erheben spontaner Meinungsbilder und Ad-hoc-Planungswerkstätten sollten die Flächen entwickelt werden (vgl. ebd.). Im April 2004 ließ sich die Stadtteilgruppe das vorgeschlagene Konzept mit seinen wesentlichen Bausteinen – Entbuschung aller Grünanlagen, Entwicklung des Pfälzer Wegs zur Promenade, Umgestaltung der Wohnhöfe und eines großen Spielplatzes am Pfälzer Weg unter Beteiligung der relevanten Nutzer (Anwohner, Kinder und Jugendliche) sowie die temporäre Begrünung der neu entstandenen Freiflächen durch großflächige saisonale Pflanzenfelder – vorstellen (vgl. Protokoll der 110. Sitzung der Stadtteilgruppe am 28.4.2004: 7f.). Die folgende Sitzung im Mai war eine außerordentliche Stadtteilgruppensitzung: Sie erfolgte in Form eines Quartiersspazierganges, in dessen Verlauf die Fachplanerin vor Ort Vorschläge und Anregungen der Bewohner sammelte. Auch in den folgenden Monaten berichteten die beauftragen Fachplaner regelmäßig in der Stadtteilgruppe von ihrer Arbeit, was die dort versammelten Teilnehmer wiederum als Anlass nahmen, um weitere Anregungen für das Verfahren zu formulieren. 141 141 Die kleinteiligen, jeweils standortbezogenen Beteiligungsangebote der Freiraumplanung, die schwerpunktmäßig in der ersten Jahreshälfte 2005 stattfanden, sahen folgendermaßen aus: Für die Umgestaltung der Wohnhöfe und der Vorflächen der Z-Bauten lud die Landschaftsarchitektin zu Anwohnerversammlungen ein, um die Nutzungswünsche der Mieter (Rasen- und Spielfläche, Spielbereiche für Kleinkinder, Sitz- und Aufenthaltsgelegenheiten, Mietergärten) zu erheben. Im Vorfeld der Umgestaltung des großen Spielplatzes am Pfälzer Weg („Zentralspielplatz Tenever“) wurde in Zusammenarbeit mit dem dortigen Spielhaus eine Planungswerkstatt mit Kindern und Jugendlichen durchgeführt, in deren Verlauf u.a. eine Busfahrt zu acht ausgewählten Spielplätzen in Bremen unternommen wurde. Für die Gestaltung kleinerer Spielbereiche suchte die Architektin den Austausch mit angrenzenden Betreuungseinrichtungen. Kontinuierlich informierte sie in der Stadtteilgruppe über Fortgang und Zwischenstand der Freiraumplanung (vgl. beispielsweise Protokoll der 121. Sitzung der Stadtteilgruppe Tenever am 16.3.2005: 8ff., Protokoll der 124. Sitzung der Stadtteilgruppe Tenever am 29.6.2005: 1ff., Protokoll der 133. Sitzung der Stadtteilgruppe Tenever am 12.6.2006: 8ff.). Nach Abschluss der Maßnahmen der Freiraumgestaltung im Sommer 2006 berichteten die Quartiersmanager, es habe eine Vielzahl positiver Rückmeldungen verschiedener Nutzergruppen gegeben. Diese hätten sich mit ihren Interessen und Wünschen erfolgreich einbringen können. Im Rahmen der
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Die Quartiersmanager sahen es als ihre Aufgabe an, die verschiedenen, vom Wohnungsunternehmen und der Sanierungsgesellschaft initiierten Beteiligungsmöglichkeiten zu begleiten, regelmäßig die Beachtung partizipativer Standards zu betonen und die damit verbundenen Pflichten gegenüber den Bewohnern (z.B. Teilnahme an den AGs, Berichterstattung in der Stadtteilgruppe) und den professionellen Stadtumbauakteuren (z.B. Verständlichkeit des Planungsdiskurses auch für Laien, Anerkennung der ehrenamtlich aktiven Bewohner und tatsächliche Beachtung ihrer Empfehlungen) gegebenenfalls anzumahnen. Zudem führten sie in dieser Stadtumbauphase eine individuelle wöchentliche Sanierungssprechstunde in ihrem Büro ein. Im Frühjahr 2004 verabschiedete sich das Quartier mit einem großen Feuerwerk- und Lichtspektakel vom zwischenzeitlich komplett geräumten „KesslerBlock“ und seinen 232 Wohnungen. Zuvor war das Gebäude im Rahmen einer Kunstaktion an einem Wochenende zum Abschiednehmen geöffnet worden. Im Mai begannen die Abrissarbeiten am „Kessler-Block“. Dieses Ereignis gab auf der darauf folgenden Stadtteilgruppensitzung lediglich Anlass zur Erörterung technischer Fragen der Baustellensicherung. Die Quartiersakteure waren mittlerweile zu regelrechten „Sanierungsprofis“ geworden und beschäftigten sich in erster Linie mit Detailfragen, die die Umbaumaßnahmen flankierten (vgl. Protokoll der 112. Sitzung der Stadtteilgruppe am 9.6.2004: 5ff.). Die Abrissmaßnahmen am „Kessler-Block“ und dem gegenüberliegenden Block (Otto-Brenner-Allee 50-56/Pfälzer Weg 1-3) liefen in den folgenden Monaten bis zum Jahreswechsel gewissermaßen als ständige Begleitmusik im Hintergrund der Stadtteilgruppensitzungen. Zudem begannen 2004 an den z-förmigen Riegelbauten im südlichen Siedlungsteil der geplante Teilrückbau der nach Westen gerichteten Gebäudeflügel und die Modernisierungsmaßnahmen in den restlichen Wohnungen (s. Karte 6). Der Teilrückbau öffnete die Wohnhöfe zu den westlichen angrenzenden Grünbereichen entlang des Pfälzer Wegs. Den Auftakt bildeten Bauarbeiten am Gebäude Pirmasenser Straße 20-30 (Block 413).142 Die Modernisierung umfasste ein breites Spektrum unterschiedlicher Maßnahmen: vom Abriss der asbesthaltigen Fassadenplatten über Fassadenund Balkonerneuerung, Wärmedämmung, Erneuerung der Fenster, Neugestaltung der Eingangsbereiche, Dacherneuerung, Sanierung der Heizungsanlagen, Erneuerung der Aufzugsanlagen, Renovierung der Treppenhäuser bis hin zu Instandsetzung und Modernisierung der Wohnungen (Bäder, Küchen, Wände, Nachnutzung der durch den Abriss bzw. Rückbau freigewordenen Flächen entstand darüber hinaus das Spielhaus Tenever als neues Angebot der sozialen Infrastruktur im Quartier. 142 In diesem Bereich fing zudem der „Abriss unter der Erde“ durch die Demontage der Tiefgaragen an.
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Böden, Türen, Heizkörper und Telekommunikation; vgl. GEWOBA 2008: 47). Grundrissveränderungen waren ursprünglich nicht vorgesehen, allerdings stellte sich die Häufung eines bestimmten Wohnungstyps (3-Zimmer-Wohnungen) schnell als problematisch heraus. Deshalb kam es in Teilbereichen auch zu Grundrissveränderungen und Zusammenlegungen mehrerer Wohnungen. Karte 6:
Konkretisierte Umbaukonzeption für Tenever (Stand: 2004)
Erläuterung: Schwarz gefüllt sind die für einen Totalabriss vorgesehenen Gebäude, schwarz umrandet die für eine Modernisierung vorgesehenen Gebäude.
Geplant war, dass sich die Sanierung wellenförmig in Richtung Süden bewegen sollte, von der Wormser Straße (Block 414) zur Kaiserslauterner Straße (Block 415). Darüber hinaus sah das Konzept den Komplettabriss der nach Westen gerichteten Gebäudeflügel vor (insgesamt 211 Wohnungen) vor. Auch die den ZBauten vorgelagerten zweigeschossigen Bereiche an der Otto-Brenner-Allee sollten komplett zurückgebaut werden. 162
Unklarheit herrschte lediglich an dem Standort Pirmasenser Straße 32-36: Der aus städtebaulichen Gründen – wegen der angestrebten Öffnung in Richtung Westen – vom Wohnungsunternehmen ursprünglich favorisierte vollständige Abriss der dortigen 85 Wohnungen war im Quartier umstritten, da das Gebäude nahezu komplett vermietet war. Vor diesem Hintergrund beschloss das Wohnungsunternehmen, zunächst die weitere Entwicklung des Stadtumbaus an den Riegelbauten zu beobachten und verschob die entsprechende Entscheidung auf einen späteren Zeitpunkt. 5.1.5 Baustopp und Erweiterung der Abrisskulisse (2005-2007) Trotz der laufenden Abriss- und Modernisierungsmaßnahmen verkündete der Bremer Bausenator zum Jahreswechsel 2004/2005 einen totalen Baustopp für Tenever. Dies war zum einen dadurch begründet, dass sich wegen des weiterhin problematischen Leerstands in Tenever sowie aufgrund von Komplikationen bei der Modernisierung bei der Sanierungsgesellschaft OTG unerwartet hohe Verluste abzeichneten.143 Aufgrund des Engagements des Landes Bremen bei der OTG und der daraus resultierenden finanziellen Verpflichtungen hatte dies in der Stadtpolitik eine Grundsatzdebatte zur Zukunft des Stadtumbaus in Tenever ausgelöst. Zum anderen hatte sich zwischenzeitlich die politische Leitung des Bauressorts verändert: War das Projekt angeschoben worden mit einer SPD-Spitze, so rief die neue CDU-Leitung, Bausenator Jens Eckhoff, nunmehr den Baustopp aus. Ein Gesprächspartner beschreibt die damalige Situation folgendermaßen: „Und der Eckhoff hat gesagt: ‚Ich muss in meinen Senat rein. Ich muss denen sagen, dass das [das Umbauprojekt in Tenever, M.F.] teurer wird als seinerzeit vom Senat beschlossen.’ Jetzt kann er nicht so tun, als wisse er das nicht. Er war etwas lockerer, weil das Projekt war von seiner Vorgängerin angeschoben. Das war eine SPD-Bausenatorin. Er ist ja CDU. Das war sowieso ein SPD-Projekt. Deswegen war der nicht unbedingt in Aufruhr, weil er sagen konnte: ‚Das waren alles meine Vorgänger’. [...] Gut, der war politisch klug genug, dass er sagte: ‚Ich kann jetzt nicht die Augen verschließen.’“
Als Folge stellte der ohnehin hoch verschuldete Stadtstaat die Finanzierung des gesamten Konzepts auf den Prüfstand. Zugunsten einer Erhöhung der Abrisszahlen stand der gesamte Modernisierungsanteil zur Disposition. Ein Gesprächspartner führte dazu aus: 143 Im Laufe der Modernisierungsarbeiten war deutlich geworden, dass die mangelhafte Substanz der Gebäude zuvor nicht eingeplante Instandsetzungsmaßnahmen (z.B. Kompletterneuerung der Versorgungsschächte, Neuverputzung der Wände und Brandschutzgewährleistung) erforderlich machte.
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„Dieser Baustopp, als dann erkannt wurde, dass die Zielzahlen nicht eingehalten wurden, dass die Leerstandszahlen größer waren als erwartet und damit das ganze Finanzierungsgerüst ins Risiko geriet, also [in] ein größeres Risiko als vorgesehen. Und zu diesen Verlustprojektionen von 16 Millionen [Euro, M.F.] [...] Bremen dann gesagt hat: ‚Das können wir nicht.’ Und dann wurde ja diese Rettungsaktion gemacht, die Überlegung angestellt, sollen wie nicht alles platt machen und uns damit da rausbewegen? Oder aber: Sollen wir nach diesem städtebaulichen Konzept weitermachen, mit dem Teilabriss weiterfahren, aber dazu noch weiteren Abriss im nördlichen Bereich [...] und die BIG da rausziehen, und die OTG übernimmt das? Bis das dann ausgedacht war – rechtlich, kaufmännisch, politisch – brauchte das auch wieder ein halbes Jahr, was nicht überraschend war. Aber so lange war quasi auch ein Moratorium in die Bauaktivitäten eingekehrt.“
Für die Quartiersakteure vollzog sich diese Entwicklung unvermittelt und überraschend. Auf der Stadtteilgruppensitzung im Januar 2005 warb der Abteilungsleiter aus dem Bauressort um Verständnis. War er ursprünglich zur Zwischenbilanzierung der Sanierung eingeladen worden, so hatte er in dem Gremium nunmehr die Beweggründe seines Vorgesetzten zu erklären: Aufgrund veränderter Rahmenbedingungen, so erläuterte er, hätten sich zwischenzeitlich die Parameter des Konzepts verändert. Infolgedessen habe der neue Senator seine Mitarbeiter beauftragt, das gesamte Konzept zu prüfen. Das Sitzungsprotokoll dokumentiert nach diesen Ausführungen „Zwischenrufe und Empörung: ‚Das darf ja wohl nicht wahr sein’ und ‚unglaublich’, und ‚das lassen wir nicht zu’“ sowie mehr als 20, teilweise aufgebrachte Wortmeldungen aus den Reihen der rund 85 Teilnehmer (vgl. Protokoll der 119. Sitzung der Stadtteilgruppe am 19.1.2005: 3). Unter dem Beifall der Stadtteilgruppe führte der Quartiersmanager aus: „Wir haben als Stadtteilgruppe für die Sanierung Tenevers gekämpft; wir haben mit allen in der Stadt und im Quartier Übereinstimmung für das städtebauliche Umbaukonzept erzielt. [...] So haben die Diskussionen in der Stadtteilgruppe dazu beigetragen, dass der ursprüngliche Verlauf der Sanierung beschleunigt wurde. Zweitens hat die Stadtteilgruppe frühzeitig aufmerksam gemacht auf den Zusammenhang von Vermietung und Mietpreis und eine Lösung [...] angemahnt. [...] Es lohnt sich also immer, Bilanz zu ziehen – und die Meinung der Akteure vor Ort mit einzuholen. Nun stellt man fest, es gibt Probleme. Finanzielle Probleme, die man ernst nehmen muss. Aber die sind zum Teil nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass noch gar keine einzige Wohnung saniert ist. Es will doch wohl niemand erwarten, dass in die zum Teil verwahrlosten ehemaligen Krause-Häuser jemand einzieht [...]. Lässt man sich auf noch mehr Abriss ein, dann ist die Sanierung beendet. Die angestrebte Aufwertung des Quartiers, der Wunsch nach saniertem, modernisiertem Wohnraum ist dahin. Denn die anderen Eigentümer in Tenever werden ihre Wohnungen dann ohne Sanierungsanstrengungen voll bekommen, keinen Anreiz mehr zur Sanierung haben – und ‚neue Krauses’ drohen. Schließlich kann man den Sanierungsprozess nicht nur als Frage zwischen Daumen und Zeigefinger definieren, sondern [muss] auch die volkswirtschaftliche [...] und sozialpolitische Dimension berücksichtigen“ (ebd.: 5).
Zudem bemängelten die Akteure der Stadtteilgruppe, dass sie nicht früher über die Entwicklungen informiert und in die Entscheidungsfindung einbezogen wor164
den waren. In der Nachbetrachtung beschrieb ein Befragter die Situation: „Im stillen Kämmerlein redeten sich sechs Menschen die Köpfe heiß“, das habe in der Stadtteilgruppe für erhebliche Verärgerung gesorgt. Der Baustopp war Auftakt für eine Diskussion um Zwischenstand und Perspektiven des Stadtumbaus in Tenever, die in den folgenden sechs Monaten sowohl die Stadtteilgruppe als auch die relevanten bau- und stadtentwicklungspolitischen Akteure Bremens beschäftigte. Mieter organisierten Unterschriftensammlungen und forderten die Fortsetzung der Modernisierung. Im Auftrag der Stadtteilgruppe schrieben die Quartiersmanager Briefe an den Bremer Bürgermeister und die zuständigen Senatoren, in denen sie um Auskunft baten und für eine Fortsetzung des Umbaus warben. Im April 2005 trafen sich auf Einladung der Quartiersmanager interessierte Bewohner zu einem mehrtägigen Seminar außerhalb Bremens, um sich über die Zukunft der Sanierung Tenevers auszutauschen. Überraschend nahm auch der Bausenator an dem Seminar teil, um den Bewohnern Rede und Antwort zu stehen. Im Verlauf der Diskussion kündigte er an, sich für eine Weiterführung des ursprünglichen Sanierungsplans einsetzen zu wollen – darauf reagierten die Anwesenden zwar mit Erleichterung, betonten aber auch, dass die Stadtteilgruppe als zentrales Quartiersforum zukünftig nicht mehr umgangen werden dürfe. Ähnlich reagierten die Teilnehmer der folgenden Stadtteilgruppensitzung: Auch sie äußerten verhaltene Freude über den signalisierten Fortgang der Sanierung. Es häuften sich aber auch diejenigen Stimmen, die den Alleingang des Bauressorts und die Nicht-Beachtung der Stadtteilgruppe grundsätzlich sowie konkret wegen der daraus entstandenen Verunsicherung im Quartier kritisierten. Der an der Sitzung teilnehmende Vertreter des Bauressorts betonte in seinem Redebeitrag einerseits die Bereicherung des Umbauprozesses durch eine intensive Beteiligung, zugleich deutete er aber auch die Grenzen von Beteiligung an, als er unterstrich, dass der Senat die alleinige Verantwortung für den geschätzten Mehrverlust von mehreren Millionen Euro zu tragen habe (vgl. Protokoll der 122. Sitzung der Stadtteilgruppe am 16.4.2005: 10). Andere Verwaltungsvertreter wiesen vor diesem Hintergrund darauf hin, dass angesichts der Tragweite dieser Entscheidungen das ansonsten in Tenever in der Umsetzung der Programme „Wohnen in Nachbarschaften“ und „Soziale Stadt“ gepflegte Konsensprinzip nicht zur Anwendung kommen könne: „Wenn man Eigentümer mit im Boot haben will, kann man keine Mehrheitsbeschlüsse durchziehen.“ Diese Einsicht sei bereits Grundlage für Entscheidungen im Rahmen des Nachbesserungsprogramms gewesen, insofern seien die Akteure der Stadtteilgruppe mit dieser Regelung vertraut gewesen. Als Ergebnis der grundsätzlichen Überprüfung wurde im Sommer 2005 der bis dahin eingeschlagene Stadtumbaukurs zwar bestätigt, so dass die Abriss- und 165
Modernisierungsarbeiten in Tenever fortgesetzt werden konnten. Allerdings vereinbarten der Senat und die GEWOBA zusätzlich die Erweiterung der Stadtumbaukulisse und die Erhöhung der Anzahl der abzureißenden Wohnungen. Hatten sich die Umbaupläne bis dahin auf den südlichen Siedlungsteil konzentriert, gerieten nun Teile des Bestands im nördlichen Bereich in den Fokus der Aufmerksamkeit (s. Karte 7): der letzte „Krause-Block“ mit 107 Wohnungen in der Neuwieder Straße 46-52 sowie das Gebäude Neuwieder Straße 44/Andernacher Straße 2 (Block 402 mit 110 Wohnungen). Karte 7:
Erweiterung der Abrisskulisse in Tenever (Stand: 2005)
Erläuterung: Schwarz gefüllt sind die für einen Totalabriss vorgesehenen Gebäude.
Der Ankauf der beiden Gebäude durch die GEWOBA bzw. die OTG hatte bereits zu Beginn der Stadtumbauplanungen auf der Agenda gestanden, konnte damals aber nicht realisiert werden. Zwischenzeitlich war mit den Eigentümern erfolgreich über einen Erwerb der Anlage verhandelt worden. Die beiden Gebäude mit insgesamt 217 Wohnungen sollten komplett abgeräumt werden. 166
Mit der Aufhebung des Baustopps erfolgte zudem eine Anpassung der Organisationsstruktur des Stadtumbauprojekts: Die GEWOBA übernahm von der BIG deren Anteile an der Sanierungsgesellschaft OTG und trug fortan die alleinige Verantwortung für die Wirtschaftlichkeit. Im August 2006 trat eine entsprechende Vereinbarung auf der Grundlage des vorhandenen städtebaulichen Rahmenvertrags in Kraft. Die darin bereits zu einem früheren Zeitpunkt festgelegten Maßgaben, Standards und Ziele blieben gültig. Nach der Darstellung eines Mitarbeiters des Bauressorts sorgte die Veränderung des Organisationsmodells für eine merkliche Verkleinerung des Kreises involvierter Akteure: „Nun, diese Kompliziertheit all dieser Steuerungsrunden, die wir in der Vergangenheit hatten unter dieser OTG-Konstruktion – da gab’s ja diese Arbeitskreise und so weiter –, das ist jetzt alles abgeschafft. Und wir treffen ganz unkompliziert, in ganz kleinem Kreis [Entscheidungen] und klären das quasi bilateral. Und diese ganze Beteiligungskosmetik, die bisher galt, in und mit diesen Arbeitskreisen, das haben wir nicht mehr. Machen wir nicht mehr. Und wenn ich frage: ‚Warum nicht?’ – Weil es eben doch immer aufwendig war, und wurde es eben alles dreimal diskutiert. Und es war eigentlich jetzt [...], dass die gesagt haben: ‚Lasst uns das verschlanken!’ Und wenn man zu zweit reden kann und zum Ergebnis kommt, ist das besser, als wenn man immer zu acht redet. [...] Und da saßen dann immer auch so zwölf, zehn, zwölf Leute immer an dem Tisch aus allen möglichen Aspekten. Und ich hielt das auch für produktiv, weil man dann gleichzeitig diese Denkarbeit – was sollen wir machen? – und die Vermittlungsarbeit – warum haben wir uns so entschieden? –, das ging in einem Aufwasch. Das heißt, die Leute, die beim Ausdenken dabei waren, die hatten das dann auch gleich begriffen und konnten das weitererzählen. Aber es war gleichwohl der Wunsch, [...] das schlanker zu machen.“
Der Bausenator informierte die Stadtteilgruppe offiziell anlässlich ihrer Sitzung im August 2005 über die Fortführung der Sanierung sowie die Erweiterung der ursprünglichen Umbaukulisse. Laut Sitzungsprotokoll bedankte er sich „bei allen, die dazu beigetragen haben, dass die Verantwortlichen in den letzten Monaten in Ruhe diskutieren konnten“ und „insbesondere für die Anregungen aus Tenever“ (vgl. Protokoll der 125. Sitzung der Stadtteilgruppe am 31.8.2005: 3). Manche Teilnehmer der Sitzung formulierten ihre Erleichterung, andererseits wurden die vom Bausenator vorgetragenen Pläne, zusätzlich 85 Wohnungen im Gebäude Pirmasenser Straße 32-36 aufzugeben, deutlich kritisiert.144 Die Bewohner des Gebäudes, das wegen seiner Wohnungsgrundrisse nahezu komplett vermietet war, hatten sich in einer Unterschriftensammlung gegen die Ab144 Das im rückwärtigen Bereich der Pirmasenser Straße (Richtung Pfälzer Weg) gelegene Gebäude mit den Hausnummern 32-36 (Block 412) war zuvor noch Teil der Modernisierungskulisse gewesen. Nun hatte sich das Wohnungsunternehmen jedoch zwischenzeitlich und angesichts der veränderten Rahmenbedingungen für einen Komplettabriss als städtebaulich sinnvolle Lösung der Öffnung der Höfe zum Pfälzer Weg hin entschieden. Als Begründung führte die GEWOBA die hohen Kosten einer etwaigen Sanierung der dortigen 85 Wohnungen an, die Rede war von 20 Millionen Euro.
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risspläne ausgesprochen. Unterstützt wurden sie von den Quartiersmanagern, die auf von ihnen organisierten Bewohnerversammlungen dafür plädierten, zunächst den weiteren Sanierungsverlauf zu beobachten, um erst in einigen Jahren eine Entscheidung über die Zukunft des Gebäudes herbeizuführen (vgl. ebd.: 5). Auf der folgenden Sitzung der Stadtteilgruppe, im Oktober 2005, konnte schließlich ein Moratorium für den Block verkündet werden. Die Entscheidung sollte bis ins Jahr 2008 vertagt werden (vgl. Protokoll der 126. Sitzung der Stadtteilgruppe am 12.10.2005: 4). In der Nachbetrachtung betonten mehrere Befragte, die Stadtteilgruppe habe anlässlich ihres nicht erfolgten Einbezugs bei der Entscheidung für einen Abriss an der Pirmasenser Straße 32-36 „gemurrt“, es habe ein „Heidentheater“ gegeben, und das Umbauprojekt sei darob in eine „kritische Phase“ geraten; ein Befragter kam zu der Einschätzung: „Da war ein Bruch in dem Ganzen drin.“ Gleiches galt für die Überlegungen, die den südlichsten der z-förmigen Gebäudewinkel an der Ludwigshafener Straße betrafen: Die dortigen Mieter lehnten ebenfalls einen Abriss ab. Auch hier entschied sich die GEWOBA zunächst für einen Aufschub. Aus Sicht eines Gesprächspartners hat sich das Wohnungsunternehmen an diesem Block nicht „verkämpfen“ wollen. Damit wäre die grundsätzlich erzielte Zustimmung der Stadtteilgruppe zur erweiterten Abbruchkulisse unnötig gefährdet worden – eine solche konfrontative Situation habe man vermeiden wollen. Im Januar 2006 bestätigte der Vorstandsvorsitzende der GEWOBA als Gast der Stadtteilgruppe den Aufschub für die Standorte an der Pirmasenser Straße und an der Ludwigshafener Straße. Für die geplanten Abrisse an der Neuwieder Straße sollte das bereits bewährte Umzugsmanagement durchgeführt werden. Bis ins Jahr 2007 sollten auch die Modernisierungsarbeiten an den Riegelbauten entlang der Otto-Brenner-Allee abgeschlossen sein. Zudem bezog er sich positiv auf den Stellenwert der Bewohnerbeteiligung bei der bisherigen Erörterung von Sanierungsfragen: Die „Kompetenz der Bewohner ist für solch eine komplexe Sanierung von großer Bedeutung. Sie hilft, bewohner- und damit kundenorientierte Lösungen zu finden“ (Protokoll der 128. Sitzung der Stadtteilgruppe am 18.1.2006: 4). Nach der Aufhebung des Baustopps, der Erweiterung der Abrisskulisse und der Umwandlung des Organisationsmodells verlief der Umbau Tenevers in ruhigerem Fahrwasser. Anfang 2007 entschied die GEWOBA endgültig über die bis dahin offene Zukunft der Standorte Pirmasenser Straße 32-36 und Ludwigshafener Straße 16-18: Die 85 Wohnungen in der Pirmasenser Straße sollten erhalten und in der Ludwigshafener Straße insgesamt 55 Wohnungen zurückgebaut werden. Für die verbleibenden Wohnungen wurde eine Instandsetzung von Fassaden, Fenstern, Fluren und Treppenhäusern angekündigt (vgl. Protokoll der 138. 168
Sitzung der Stadtteilgruppe am 31.1.2007: 7). Dies sollte allerdings nicht zu Wertsteigerungen und damit Mieterhöhungen führen. Die Instandsetzungsmaßnahmen wurden durch mehrere Mieterversammlungen vorbereitet und begleitet, worüber in der Stadtteilgruppe berichtet wurde (vgl. Protokoll der 139. Sitzung der Stadtteilgruppe am 21.3.2007, Protokoll der 141. Sitzung der Stadtteilgruppe am 27.6.2007). Im Verlauf des Jahres wurde der Großteil der Sanierungsmaßnahmen an und in den Riegelbauten an der Otto-Brenner-Allee abgeschlossen. Der Abriss der 217 Wohnungen im nördlichen Bereich hatte ebenfalls begonnen, die dortigen Flächen entlang der Neuwieder Straße waren im Sommer 2008 komplett freigeräumt worden. Festzuhalten ist, dass die Ereignisse rund um den Baustopp zu einer doppelten Belastungsprobe für den Stadtumbau in Tenever wurden: Einerseits sorgten die steigenden finanziellen Belastungen für eine grundsätzliche Infragestellung des gesamten Projekts in städtebaulicher, organisatorischer und insbesondere in finanzieller Hinsicht. Auf der anderen Seite gefährdeten der Kommunikationsstil des Bremer Bauressorts und seine Strategie der Entscheidungsfindung sowie die sechsmonatige Ungewissheit über den Ausgang des Moratoriums die Zukunft des lokalen partizipativen Arrangements, das die Sanierung bis dahin unterstützt hatte. Angesichts der befürchteten, erheblichen finanziellen Mehrbelastung für den Landeshaushalt fühlten sich die über die Zukunft der Sanierung entscheidenden Vertreter des politisch-administrativen Systems nicht weiter an die in Tenever üblichen partizipativen Gepflogenheiten von Transparenz, Diskussion und Konsensprinzip gebunden. Hatten sie diese Prinzipien über Jahre hinweg beachtet und ihren Erfolg auch gewürdigt, so interpretierten sie den Ansatz nunmehr als „Beteiligungskosmetik“, die den Sanierungsprozess eher hindere als fördere. In der Nachbetrachtung gilt befragten Experten der Baustopp als zweite wesentliche Hürde, die das Stadtumbaukonzept – neben dem Erwerb der „KrauseBestände“ – zu nehmen hatte und – mit der Sicherstellung der Finanzierung und der Erweiterung der Abrisskulisse – auch erfolgreich gemeistert hat. Auch wenn es sich der Bremer Bausenator nicht nehmen ließ, die Stadtteilgruppe über den Ausgang des Moratoriums und die Fortführung der Sanierung zu informieren – womit er wieder an die partizipative Strategie von transparenter Information und konstruktiver Diskussion anknüpfen wollte –, so verdeutlichten die Stadtteilgruppensitzungen der folgenden Monate, dass die zuvor breite Unterstützung von Abriss und Modernisierung gebröckelt war. Beteiligte beschreiben diese Phase als „Bruch“, von dem sich die Stadtteilgruppe erst einige Monate später erholen sollte.
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Von den vor dem Stadtumbau in der Großsiedlung vorhandenen 2.649 Wohnungen waren bis zu Sommer 2008 im Zuge der Umsetzung des Sanierungskonzepts insgesamt 874 Wohnungen abgerissen, 521 Wohnungen modernisiert und 110 Wohnungen instandgesetzt worden (zu den einzelnen Standorten s. Karte 8). Damit bezog sich das Konzept auf fast 60 Prozent des Teneveraner Wohnungsbestands. Tabelle 12 dokumentiert den Umfang der wohnungsbezogenen Maßnahmen an den verschiedenen Standorten. Karte 8:
Stadtumbaubereiche in Tenever (Stand: 2008)
Erläuterung: schwarz gefüllt sind die für einen Totalabriss vorgesehenen Gebäude, schwarz umrandet die für eine Modernisierung vorgesehenen Gebäude.
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Tabelle 12: Wohnungsbezogene Abriss- und Modernisierungsstandorte in Tenever Standort
Umfang
Realisierung
Otto-Brenner-Allee 48/Pirmasenser Str. 911 (Block 411)
Modernisierung: 90 Wohneinheiten (modellhafte Sanierung im Vorfeld des Stadtumbaus)
2003
Neuwieder Str. 4-14/22-42 (Block 407, „Kessler-Block)
Abriss: 232 Wohneinheiten (WE) (Totalabriss)
2004
Pirmasenser Str. 20-30 (Block 413)
Modernisierung: 203 WE
2004-2005
Otto-Brenner-Allee 50-56/Pfälzer Weg 1-3 (Block 410)
Abriss: 159 WE (Totalabriss)
2005
Wormser Str. 17-19, Wormser Str. 9-16, Kaiserslauterner Str. 17-20, Kaiserslauterner Str. 9-16 (Blöcke 414 und 415)
Abriss: 211 WE Modernisierung: 228 WE
2005-2007
Neuwieder Str. 46-52 (Block 405)
Abriss: 107 WE (Totalabriss)
2007
Neuwieder Str. 44/Andernacher Str. 2 (Block 402)
Abriss: 110 WE (Totalabriss)
2007-2008
Ludwigshafener Str. 16, 18 (Teile von Block 418)
Abriss: 55 WE Instandsetzung: 25 WE
2007-2008
Pirmasenser Str. 32-36 Instandsetzung: 85 WE 2008 (Block 412) Eigene Zusammenstellung nach Angaben der GEWOBA (Stand: 10/2005 und 4/2008) und der Projektgruppe Tenever (Stand: 5/2008).
5.1.6 Zwischenfazit: Partizipative Begleitung einer koordinierten Stadtumbaustrategie Auf Grundlage der Rekonstruktion des Stadtumbauverlaufs in Bremen-Tenever und der Untersuchung der dabei eingesetzten Partizipationsformen können zusammenfassend die folgenden Aspekte festgehalten werden: Die Sanierung und der Stadtumbau in der Großsiedlung haben eine lokal spezifische Vorgeschichte. Die Gründe für die in baulicher, wohnungswirtschaftlicher und sozialer Hinsicht zu Beginn des Stadtumbauprozesses schwierige Situation Tenevers lassen sich zurückverfolgen bis in die frühen Neunzigerjahre: Infolge der Spekulationsaktivitäten eines Immobilienhändlers geriet der lokale Wohnungsmarkt in eine bedrohliche Schieflage. Seit Mitte der Neunzigerjahre 171
arbeitete ein Kreis von wohnungswirtschaftlichen, administrativen und politischen Akteuren unter der Überschrift „Sanierung“ an einer Lösung für dieses Problem – wobei die Dringlichkeit einer Intervention parallel zum Verfall der betroffenen Gebäude anstieg. Bei der Entwicklung von Strategien für Tenever kam dem politischen Druck, der von Quartiersakteuren aufgebaut worden war, eine wesentliche Bedeutung zu: Aus dem lokalen Quartiersforum, der Stadtteilgruppe Tenever, waren bereits im April 1996, unmittelbar nach der Insolvenz des Eigentümers von mehr als der Hälfte der Wohnungen, Forderungen nach einem Sanierungs- und Erneuerungskonzept für die Großsiedlung vorgetragen worden. Durch medienwirksame Aktionen und das gezielte Ansprechen von Funktionsträgern – vom Bürgermeister und den zuständigen Senatoren über Bremer Bundestagsabgeordnete, Stadt- und Ortspolitiker bis hin zu fachlichen Experten aus Wohnungswirtschaft und Wissenschaft – gelang es den Quartiersakteuren, ihr Anliegen in der gesamtstädtischen Öffentlichkeit zu verankern. Als Konsequenz begann eine Koalition aus unterschiedlichen städtischen Akteuren bereits zwei Jahre vor der Einrichtung der ExWoSt-Ressortforschung „Stadtumbau West“ mit der Entwicklung eines umfassenden Konzepts für den Umbau des Quartiers. Bei der Erschließung verschiedener Quellen zur Finanzierung des Projekts bezog sich diese Sanierungslobby auf die zeitgleich auf Bundesebene stattfindenden Vorbereitungen zur Verabschiedung des Städtebauförderprogramms „Stadtumbau Ost“. Hingewiesen wurde auf die Notwendigkeit einer entsprechenden Fördervariante auch für westdeutsche Städte und Regionen. Als Plattform zur Interessensdurchsetzung diente den Bremer Akteuren einerseits die Landesarbeitsgemeinschaft der Bauminister, ARGEBAU, zudem waren aber auch bilaterale Kontakte, gute Informationskanäle und parteipolitischer Proporz von Bedeutung. Im Ergebnis nahm die Sanierung Tenevers als Pilotprojekt einen hervorgehobenen Stellenwert bei der Ausgestaltung der im Herbst 2002 aufgelegten ExWoSt-Ressortforschung „Stadtumbau West“ ein. Insofern blickte Tenever, als „Stadtumbau West“ als Begriff und Konzept in die bundesweite Fachdebatte eingeführt wurde, bereits auf mehrjährige konzeptionelle Vorarbeiten zurück und wies zudem eine funktionsfähige Akteurskoalition auf, die nur auf den Startschuss zur Konkretisierung und Umsetzung des Umbaus wartete.145 Eine weitere Besonderheit war das bereits vorhandene partizipative Arrangement im Quartier: Die Stadtteilgruppe sowie die Projektgruppe Tenever, die bereits Ende der Achtzigerjahre im Zuge des Bremer Landesprogramms zur Nachbesserung der Großsiedlung Tenever entstanden und ab 1999 nahtlos in das 145 Deshalb ist in Bremen auch häufig von der „Sanierung“ Tenevers und weniger vom „Stadtumbau“ die Rede.
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Landesprogramm „Wohnen in Nachbarschaften“ und das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ überführt worden waren. Seit den Neunzigerjahren hatten die Mitarbeiter der Projektgruppe in einer Mischung aus Quartiersmanagement und Gemeinwesenarbeit an der Etablierung dieses partizipativen Arrangements gearbeitet. Als Sanierung und Stadtumbau implementiert wurden, blickte das Quartier in institutioneller und auch in personeller Hinsicht auf eine mehrjährige funktionierende Kooperationsstruktur und Beteiligungskultur zurück. Diese vorhandene Struktur wurde zur Vorbereitung, Konkretisierung und Begleitung des Quartiersumbaus genutzt. Als hilfreich erwies sich die ständige Teilnahme von Vertretern des lokalen Wohnungsunternehmens und der städtischen Verwaltungsstellen sowie von Kommunalpolitikern. So konnten Fragen und Probleme rund um das Sanierungsthema schnell geklärt werden. Dank einer transparenten Informationspolitik, der vermittelnden Funktion der Quartiersmanager und der Stadtteilgruppe als institutionelle Kommunikationsplattform konnte eine breite Unterstützung für die Stadtumbaupläne hergestellt werden. Begünstigend kam hinzu, dass die Quartiersakteure, einschließlich der in der Stadtteilgruppe vertretenen Bewohner, die Umbaukonzepte des Wohnungsunternehmens durchweg befürworteten. Die unmittelbare Betroffenheit durch den zunehmenden Verfall von mehr als 50 Prozent des Wohnungsbestands hatte für einen Mobilisierungsschub in der Bewohnerschaft im Hinblick auf Informationsbedürfnis, Diskussions- und Mitwirkungsbereitschaft gesorgt. Die Protokolle der Stadtteilgruppensitzungen aus dem Zeitraum von 2000 bis 2003, von der Phase der Konzepterstellung bis zum Durchführungsbeginn der Sanierung, belegen beispielsweise einen Zuwachs an Teilnehmern: Ihre Zahl stieg in diesen vier Jahren von durchschnittlich 54 (Jahr 2000) über 60 (2001) und 68 (2002) hin bis zu 74 Interessierten pro Sitzung im Jahr 2003. Dies erlaubt den Schluss, dass die Stadtteilgruppe während der Konzipierungs- und Konkretisierungsphase des Stadtumbaus personell deutlich gestärkt wurde. Eine wichtige Bedingung des Erfolgs der partizipativen Flankierung des Stadtumbaus stellte die bei dem Wohnungsunternehmen GEWOBA vorhandene Bereitschaft dar, die Einbeziehung von Bewohnern bzw. Vertretern der Stadtteilgruppe und ihrer Interessen zu gewährleisten. Diese Bereitschaft war im Rahmen des Nachbesserungsprogramms entstanden; frühzeitig hatte das Wohnungsunternehmen die Vorteile einer solchen Einbeziehung erkannt. Ein Wohnungswirtschaftler erklärte in diesem Kontext: „Ich finde, man darf keine Angst haben, sich mit den Menschen hier einzulassen. Weil, die sind ja nicht doof. Sie wissen schon, was Sache ist. Und dieses kann man ja also auch nutzen. Und ganz davon abgesehen, dass zumindest Wohnungswirtschaftler, die so ein bisschen sozialpolitisch ausgerichtet sind, dass die eigentlich wissen, dass also mit Beteiligung irgendwie eine ganz andere Akzeptanz dessen ist, was wir hier machen. Und wenn Menschen sich, sage
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ich mal, an ihrem Wohnumfeld beteiligen, [...] wenn die da irgendwie mit in die Pflicht und in Verantwortung genommen werden, dass sie natürlich ’ne ganz andere Wertschätzung von Dingen haben und die auch ganz anders pflegen und ganz anders mit umgehen und auch ’ne ganz andere Identifikation damit haben. Das weiß eigentlich jeder, der so’n bisschen, sagen wir mal, sich damit beschäftigt. Das ist wie im richtigen Leben.“
Quartiersbewohner mussten sich demnach gegenüber dem Wohnungsunternehmen ihre Mitwirkung nicht erstreiten, sondern vielmehr formulierte die GEWOBA in Absprache mit der Stadtteilgruppe frühzeitig entsprechende Angebote: die ständige Teilnahme von Vertretern des Wohnungsunternehmens an den Stadtteilgruppensitzungen, um dort Rede und Antwort zu stehen und unmittelbar auf Mängelanzeigen reagieren zu können, das umfangreiche, auf individuelle Mieterbedarfe reagierende Umzugsmanagement und die Arbeitsgruppen zur Sanierung, an denen jeweils ein Vertreter der Stadtteilgruppe teilnahm. Die Bewohner konnten – als tägliche Nutzer der neuen Anlagen – nicht zuletzt unmittelbar auf konkret-praktische Schwachstellen hinweisen, z.B. Fahrstuhltüren, die sich für elektrische Rollstühle zu schnell schlossen, Mängel bei der Zugänglichkeit der Briefkastenanlagen in den Foyers, zu kleine Kinderwagenräume im Erdgeschoss oder auch die Notwendigkeit zusätzlicher Fahrradräume in den Gebäuden. Über die Beteiligung der Quartiersbewohner stellte das Wohnungsunternehmen nicht nur die Zufriedenheit der Mieter und die Nutzung lokalen Know-hows sicher, sondern erwies sich zugleich als verlässlicher Partner in der Teneveraner Beteiligungsstruktur. Auch die Tatsache, dass sich für die Freiraumgestaltung ein Vorschlag durchsetzen konnte, der explizit auf die Mitwirkung verschiedener Nutzergruppen in einer Reihe von klassischen, planungsbegleitenden Werkstattverfahren setzte, verdeutlicht, dass Partizipation in Tenever als Selbstverständlichkeit angesehen wurde: Dafür hatte das Engagement der Quartiersakteure als Reaktion auf die Schieflage Anfang der Neunzigerjahre und die Schaffung von Beteiligungsstandards im Rahmen darauf folgender Förderprogramme gesorgt. Dass überall dort, wo Bewohnerinteressen tangiert waren, Bewohner auch in Entscheidungen einbezogen wurden, musste in Tenever nicht mehr durchgesetzt werden. Die Quartiersmanager wiederum, die zugleich als Vertreter der Stadtteilgruppe bereits in die Erstellung des Umbau- und Sanierungskonzepts einbezogen waren, sahen es als ihre Aufgabe an, die Beteiligungsbereitschaft der GEWOBA, der Verwaltungsressorts und der involvierten Fachplaner zu kontrollieren und im Bedarfsfall anzumahnen, die Kommunikation zwischen der Stadtteilgruppe und anderen Stadtumbauakteuren sicherzustellen und das Gremium in den Stadtumbaurunden zu vertreten.
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Die Ereignisse rund um den Baustopp verdeutlichen jedoch die Grenzen dieses Beteiligungsmodells: Über den Fortgang der Sanierung, die konkreten Abrissstandorte und die Finanzierung der Maßnahmen des Stadtumbaus befand letzten Endes doch nur ein kleiner Kreis aus Vertretern des politischadministrativen Systems. Eine Unterstützung der Entscheidungen durch ein positives Votum der Bewohnerschaft spielte dabei keine Rolle. Eine Strategie der exklusiven Top-down-Entscheidungsfindung ersetzte die in den älteren Förderprogrammen erprobten, dialogorientierten Strategien, was zu erheblichen Konflikten führte. In der Stadtteilgruppe sorgte dieses Vorgehen einerseits für Irritation und Empörung. Auf der anderen Seite nahm das Gremium z.B. den „von oben“ verordneten Baustopp aber auch zum Anlass, um erneut politischen Druck auszuüben und durch offene Briefe an verschiedene Senatoren und umfangreiche Pressearbeit für den Fortgang des von ihr befürworteten Umbaukonzepts zu werben. Als die Bauarbeiten wieder aufgenommen wurden, entsprach das zwar dem Wunsch des Quartiersgremiums, zugleich wurden aber die Vertreter des Bauressorts wegen der Nichtbeachtung der Stadtteilgruppe massiv kritisiert. Konflikte um die Erweiterung der Abrisskulisse wurden in der Folgezeit deutlich benannt. Die Quartiersmanager luden zu Bewohnerversammlungen ein und halfen den betroffenen Mietern bei der Organisation ihres Protests. Dabei nahmen sie einerseits die Position von Anwälten der Bewohnerinteressen ein, andererseits suchten sie gemeinsam mit den Mitarbeitern des Wohnungsunternehmens und der Bauverwaltung nach einer einvernehmlichen Lösung. Allerdings schlug den Vertretern des Bauressorts nach den Ereignissen rund um den Baustopp auf den Stadtteilgruppensitzungen der folgenden Monate ein grundsätzliches Misstrauen entgegen. Die Arbeitsfähigkeit der Stadtteilgruppe wurde durch die Konflikte jedoch nicht beeinträchtigt. Der Baustopp und seine Folgen können als Lehrstück für die Belastbarkeit einer vorhandenen Partizipationsstruktur und den hohen Stellenwert eines insgesamt konstruktiven Zusammenwirkens verschiedener beteiligter Akteure gelesen werden. Auch wenn sich das Verhältnis zwischen Stadtteilgruppe und Bauressort eintrübte, so hat sich das in der Vorbereitung des Stadtumbaus geschaffene klare Partizipationsarrangement in einer kritischen Phase insgesamt bewährt und zudem dazu beigetragen, dass Anpassungsprobleme in einem Lernprozess gelöst werden konnten. Entgegen der bisherigen sozialwissenschaftlichen Befunde zu Formen und Stellenwert von Partizipation im Stadtumbau, wonach in der Konzeptionsphase die untersten Beteiligungsstufen in Form von Bewohnerinformation dominierten und Beteiligung ansonsten bei der Umsetzung konfliktarmer Aufwertungsprojekte eingeräumt wurde, ist insgesamt für Tenever ein abweichendes Bild zu zeich175
nen. Bezogen auf die in Kapitel 2 dargelegten Überlegungen zu Beteiligungsleiter und Beteiligungspyramide und deren Stufen – „Zuhören“, „Mitreden“, „Mitbestimmen“ und „Entscheiden“146 – ist festzuhalten, dass sich im Quartier bereits vor dem Stadtumbau ein außergewöhnlich weit reichendes Niveau von Beteiligung entwickeln konnte: Auf Seiten der Bewohner war Beteiligung auf den ersten drei Stufen (Beobachtung und Begleitung, Mitwirkung sowie Mitbestimmung) sichergestellt. Verwaltungsseitig strebten die entsprechenden Akteure eine partnerschaftliche Kooperation mit den Bewohnern an. Im Stadtumbau erwies sich das Beteiligungsniveau als so stabil und belastbar, dass die Wohnungsunternehmen und Verwaltungsmitarbeiter die Stadtteilgruppe als Quartiersforum und Interessensvertretung der Bewohnerschaft nicht ignorieren konnten. Zwar war die Stadtteilgruppe nie – wie beispielsweise bei den Entscheidungen über die Vergabe der Gelder aus den Programmen WiN und „Soziale Stadt“ – das beschlussfassende Organ des Stadtumbaus; aus Sicht des Gremiums erfolgten die für den Stadtumbau relevanten Festsetzungen dennoch nicht im Bereich der Non Decisions. Als Quartiersforum war die Stadtteilgruppe von Anfang an und kontinuierlich über die Umbaupläne informiert worden, sie begleitete kritisch den Fortgang der Planungen und später deren Umsetzung, diskutierte regelmäßig aktuelle Entwicklungen und formulierte Empfehlungen an die anderen Stadtumbauakteure. Ein Interviewpartner betonte vor diesem Hintergrund: „Ganz entscheidend war, dass etwas Eingeübtes vorhanden war“, und „wenn man da an Punkt Null hätte anfangen müssen, hätte man das in der Kürze der Zeit nicht geschafft“. Das im Umgang mit anderen Programmen der Städtebauförderung eingeübte diskursive Verfahren in Tenever strahlte somit einerseits auf den gesamten Stadtumbauprozess aus, andererseits sorgte der Stadtumbau für eine Bestätigung und Stabilisierung des vorhandenen partizipativen Arrangements. 5.2 Marzahn-Nord Marzahn-Nord, der jüngste Bauabschnitt der Ost-Berliner Großsiedlung Marzahn, ist ein Zielgebiet wohnungsbezogener Maßnahmen der Berliner Umsetzung des Programms „Stadtumbau Ost“: Von den zwischen 1982 und 1988 rund 11.400, in industriell vorgefertigter Plattenbauweise errichteten Wohnungen wurden seit 2004 im Zuge der Umsetzung des Programms rund 1.500 Wohnungen demontiert. 146 Vgl. Kap. 2.3.2.
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Der Rekonstruktion und Bewertung des Stellenwerts von Partizipation in diesem Stadtumbauprozess lagen dieselben Fragen zugrunde wie der Analyse für Tenever. Auch hier ging es einerseits um eine Bestimmung der Bedeutung partizipativer Ansätze innerhalb der lokalen Konzeptions- und Planungsphasen, andererseits um die Formen und um den Stellenwert von Beteiligung bei der Konkretisierung der lokalen Stadtumbaumaßnahmen. Anders als im Fall Tenevers bzw. Bremens konzentrierten sich die Stadtumbauplanungen in Berlin nicht ausschließlich auf das Quartier Marzahn-Nord, so dass die Rekonstruktion auch die Vorbereitung des Programms auf der Ebene der Gesamtstadt zu beachten hatte. Diese und weitere lokale Besonderheiten gliedern die nachfolgende Darlegung des Stadtumbauverlaufs in Marzahn-Nord; sie ist aufgeteilt in fünf Phasen: (1) Vorbereitung von „Stadtumbau Ost“ in Berlin in den Jahren 2000 bis 2002, (2) die parallel dazu stattfindende Entstehung eines Entwicklungskonzepts für Marzahn-Nord in den Jahren 2001 und 2002, (3) Mobilisierung gegen den Stadtumbau in den Jahren 2002 und 2003, (4) Begleitung der Durchführung in den Jahren 2004 und 2005, (5) Erweiterung der Stadtumbaukulisse von 2006 bis 2007.147 5.2.1 Vorbereitung von „Stadtumbau Ost“ in Berlin (2000-2002) Bereits zum Jahresbeginn 2001, noch vor dem Beginn des Programms „Stadtumbau Ost“ und der Auslobung des entsprechenden Bundeswettbewerbs, hatte die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Abstimmung mit dem Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf die Erstellung eines integrierten Entwicklungsund Handlungskonzepts für die Großsiedlungen Marzahn und Hellersdorf auf den Weg gebracht. Wachsende Leerstandsquoten in Wohngebäuden sowie Unternutzungen im Bereich der Einrichtungen der sozialen Infrastruktur ließen diesen Schritt opportun erscheinen: „Der integrative Ansatz der Planung konzentrierte sich auf die Strategiefelder ‚Bevölkerungsund Wohnungsentwicklung, Wohnungswirtschaft, Wohnungspolitik, ‚Städtebau und Infrastrukturentwicklung’ sowie ‚Freiraum- und Wohnumfeldentwicklung’. Sonstige sozial- und wirtschaftspolitische Aspekte blieben dabei angesichts der Fokussierung auf die wohnstandortbezogenen Fragestellungen weitgehend im Hintergrund“ (Tibbe 2007: 137).
Den Auftrag dazu erhielt eine Arbeitsgemeinschaft, bestehend aus dem Berliner Stadtplanungsbüro Gruppe Planwerk, der in Hamburg ansässigen Beratungsgesellschaft für Wohnen, Immobilien und Tourismus mbH Analyse & Konzepte 147 Vgl. auch den tabellarischen Überblick über die Chronologie des Stadtumbaus in MarzahnNord in Anhang.
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und dem Büro für Landschaftsplanung und Gartenarchitektur bgmr – Becker Giseke Mohren Richard aus Berlin. Die Projektgemeinschaft nahm im Frühjahr 2001 ihre Arbeit an dem integrierten Konzept auf und empfahl sechs Monate später im Rahmen eines internen Workshops, mehrere tausend Wohnungen in den Großsiedlungen Marzahn und Hellersdorf abzureißen, sowie, angesichts der steigenden Leerstandszahlen, die Sanierungsmaßnahmen in den Plattenbauquartieren umgehend zu stoppen. Diese Vorschläge stießen zunächst auf große Vorbehalte, insbesondere bei Vertretern der betroffenen Wohnungsunternehmen (vgl. ebd.: 137f.). Obwohl sich zu diesem Zeitpunkt auf Bundesebene bereits die Einrichtung von „Stadtumbau Ost“ als Förderprogramm zur Leerstandsbeseitigung in ostdeutschen Großsiedlungen abzeichnete, wurden Leerstände und Abrisse in Berlin weiterhin tabuisiert. Eine mit der wissenschaftlichen Begleitung von „Stadtumbau Ost“ beschäftigte Expertin beschrieb ihre Eindrücke aus dieser Zeit folgendermaßen: „[...] wie sich so auf der Ebene der Verwaltung lange eine Problemverdrängung gerade in Berlin ergeben hat. Das hat’s natürlich auch in den neuen Ländern insgesamt gegeben, ich meine, wer gibt schon gerne zu, ‚ich schrumpfe!’. Aber da hat eben diese Phase, im Wesentlichen 2000, 2001, mit der Kommission zum wohnungswirtschaftlichen Strukturwandel [...] plus Frühphase des Wettbewerbs und auch davor, mit der Aufforderung von einzelnen Ländern, Stadtentwicklungskonzepte zu erstellen, dazu beigetragen, sich offen mit der Problematik auseinanderzusetzen. Und nur Berlin hat zu diesem Zeitpunkt immer gesagt: ‚Wir haben das Problem nicht. Und wir werden es nie kriegen.’“
Zwar hatten sich angesichts der Zunahme des Wohnungsneubaus im Berliner Umland insbesondere seit der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre in Teilbereichen der Ost-Berliner Großsiedlungen bereits deutliche Leerstandsentwicklungen abgezeichnet. Trotzdem dominierte in den zuständigen Fachverwaltungen und Wohnungsunternehmen die Auffassung, die Dynamik der Stadtentwicklung in der Millionenstadt und die Rahmenbedingungen des lokalen Mietwohnungsmarktes seien nicht gleichzusetzen mit den Problemen schrumpfender Städte in Ostdeutschland. Entsprechend gering war anfangs die Aufmerksamkeit für das Thema, wie ein Vertreter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung während einer Veranstaltung unterstrich: „Beim Abriss von Wohnungen war die Diskussion in Berlin bis weit in das Jahr 2002 hinein sehr stark auf die Frage ausgerichtet, ob in Berlin überhaupt ein Abriss in nennenswerten Größenordnungen erforderlich werden könne“ (vgl. Schulgen 2004: 17).148
148 Eine andere, von befragten Experten angeführte Begründung für die nachrangige Bedeutung, die das Programm „Stadtumbau Ost“ in Berlin erfuhr, war die, dass eine umfassende Stadtentwicklungsplanung, die das Programm in vielen ostdeutschen Kommunen erstmals ermöglichte, in Berlin längst verfolgt wurde.
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Die Bevölkerungsentwicklung in den Großsiedlungen in Marzahn und Hellersdorf, die dort steigenden Leerstandszahlen sowie die damit einhergehenden Belastungen der Wohnungsunternehmen gaben jedoch bald Anlass, über eine Änderung der bisherigen Position nachzudenken (vgl. Mühlberg 2005: 7). Die anfängliche Zurückhaltung bei der Vorbereitung und Initiierung von „Stadtumbau Ost“ wurde mit der Auslobung des Bundeswettbewerbs und der damit absehbaren Implementierung des neuen Programms der Städtebauförderung aufgegeben. Die in Aussicht gestellten Bundesfinanzhilfen wirkten als Anreiz, das drängende Problem der aufgrund der demographischen Entwicklung im Ostteil zahlreich leer stehenden Infrastruktureinrichtungen (Kindertagesstätten und Schulen), zu lösen. Vertretern des Landes gelang es, bei den Verhandlungen zur Ausgestaltung des Bund-Länder-Programms in der ARGEBAU eine Sonderregelung zur Finanzierung der Beseitigung von ungenutzten Infrastruktureinrichtungen durchzusetzen. Seitdem ermöglicht „Stadtumbau Ost“ ausschließlich in Berlin den Abriss nicht mehr benötigter Gebäude der sozialen Infrastruktur.149 Ein damals an den Verhandlungen zur Verwaltungsvereinbarung beteiligter Gesprächspartner vertrat die Ansicht, diese „Lex Berlin“ habe in der Hauptstadt als entscheidender Anreiz für eine Teilnahme am Programm „Stadtumbau Ost“ gewirkt. Am 31. Juli 2002 reichte die Stadt „Integrierte Entwicklungs- und Handlungskonzepte“ für zehn Gebiete zum Bundeswettbewerb „Stadtumbau Ost“ ein. Am 20. August 2002 verabschiedete der Senat zudem einen Beschluss zur Umsetzung des Programms „Stadtumbau Ost“. In der Begründung sind die bereits erwähnten Berliner „Besonderheiten“ aufgeführt, dort heißt es: „Die Problematik des hohen Wohnungsleerstands trifft auf viele ostdeutsche Städte zu, in Berlin stellt sich die Situation jedoch anders dar: Der Wohnungsleerstand hat in Berlin eine Größenordnung von rund 130.000 Wohnungen erreicht (Stichtagsleerstand Ende 1999, 6,9% des Gesamtbestandes), wovon ca. 30.000 Wohnungen dem Markt vorübergehend wegen Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen, Privatisierungsabsichten, etc. nicht zur Verfügung stehen; somit beträgt der vermietungsfähige Leerstand rund 100.000 Wohnungen (5,4% des Gesamtbestandes). Zieht man davon die benötigte Fluktuationsreserve von ca. 3% des Gesamtbestandes (56.000 Wohnungen) ab, verbleiben als tatsächlicher, kritischer Leerstand rund 40.000 Wohnungen; das entspricht einer mittel- bis langfristigen Leerstandsquote von 2,2% des Gesamtbestandes von 1,86 Mio. Wohnungen in Berlin. Der Schwerpunkt des Wohnungsleerstands liegt v.a. im Ostteil der Stadt, und hier sowohl im Altbau als auch in den Großsiedlungen des komplexen Wohnungsbaus. Der Wohnungsleerstand stellt sich somit in Berlin nicht als gesamtstädtisches, sondern als teilräumliches, quartiersbezogenes Problem dar“ (SenStadt 2002: 2). 149 Allerdings beschränkt sich die Förderung durch das Programm nicht nur auf den Abriss der Gebäude und das Freiräumen der betreffenden Flächen, sondern beinhaltet auch eine Aufwertung der Flächen durch Neu- bzw. Umgestaltung. Dabei handelt es sich zumeist um die Entwicklung von Grün- und Freiflächen mit Sport- und Freizeitnutzungen.
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Für den dispersen Leerstand erwartete der Senatsbeschluss perspektivisch auch keine relevanten Veränderungen. „Von gravierenderer Bedeutung“ (ebd.: 2) sei allerdings der Leerstand sozialer Infrastruktureinrichtungen: „Die verbleibenden, dauerhaft leerstehenden Einrichtungen bilden eine finanzielle Belastung und wirken in hohem Maße negativ und destabilisierend auf die Umgebung“ (ebd.: 2). Um angesichts dieser Rahmenbedingungen möglichst große Spielräume beim Einsatz der Bundesfinanzhilfen sicherzustellen, legte der Senat eine sehr weit gefasste Stadtumbauförderkulisse fest: Sie umfasst neben den Gebieten des Bundeswettbewerbs alle Großsiedlungen, die förmlich festgelegten Sanierungsgebiete, das im Ostteil der Stadt (am Ostkreuz) gelegene Fördergebiet des EUProgramms URBAN II sowie alle Quartiersmanagementgebiete im Ostteil der Stadt (vgl. SenStadt 2005a: 87). Diese Stadtumbaukulisse setzte sich zusammen aus insgesamt 26 Gebieten mit einer Fläche von 4.500 Hektar und ca. 590.000 Einwohnern (vgl. SenStadt 2002: 5). Im Hinblick auf Partizipation ist für die Phase der konzeptionellen Vorbereitung des Stadtumbau-Ost-Programms auf der gesamtstädtischen Ebene praktisch die völlige Abwesenheit jeglicher Formen von Beteiligung zu konstatieren – und zwar sowohl bei der Festlegung der Förderkriterien als auch der Stadtumbaubereiche. Die Stadtumbauvorbereitung erfolgte vielmehr exklusiv in politisch-administrativen, planerischen und wohnungswirtschaftlichen Fachkreisen. 5.2.2 Entstehung eines Entwicklungskonzepts für Marzahn-Nord (2001-2002) Nach der Auslobung des Wettbewerbs zum „Stadtumbau Ost“ durch das Bundesbauministerium und der absehbaren Implementierung des Programms „Stadtumbau Ost“ wurde der Arbeitsauftrag der Projektgemeinschaft, die bereits seit einigen Monaten an der Erstellung eines Entwicklungskonzeptes für die Großsiedlungen Marzahn und Hellersdorf arbeitete, zum Jahresbeginn 2002 um den Baustein „Integriertes Stadtteilkonzept Großsiedlungen Marzahn-Hellersdorf“ erweitert. Die Arbeitsgemeinschaft begrenzte das Konzept in thematischer und räumlicher Hinsicht auf insgesamt fünf Schwerpunktgebiete (sogenannte „Vertiefungsbereiche“). Einer dieser räumlichen Vertiefungsbereiche war MarzahnNord.150 Hier befanden sich die jüngsten Wohnungen der Großsiedlung, zudem war der Anteil unsanierter Wohnungen hier verhältnismäßig hoch. Zunehmender
150 Weitere Vertiefungsbereiche waren die Ringkolonnaden in Marzahn-Mitte, der Bereich rund um das Gut Hellersdorf westlich des Hellersdorfer Zentrums, das Quartier Magdeburger Allee und der Bereich Kienbergstraße/Am Anger.
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Substanzverfall, hohe Leerstandszahlen151 und hohe Fluktuationen prägten das Quartier. Vor diesem Hintergrund galt Marzahn-Nord von Anbeginn an als geeignete Kulisse für bestandsreduzierende Maßnahmen, d.h. Abrisse. Zur Koordination des Abstimmungsprozesses initiierte die Arbeitsgemeinschaft eine „Projektgruppe Vertiefungsbereich Marzahn-Nord“, die sich im Verlauf des Jahres 2002 im Abstand von vier bis sechs Wochen traf. Neben den Mitarbeitern der beauftragten Planungsbüros nahmen Vertreter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, unterschiedlicher bezirklicher Ressorts (Bereiche für Stadtplanung, Tiefbau, Jugend, Natur- und Umweltschutz) und unterschiedlicher im Gebiet aktiver Wohnungsunternehmen sowie Mitarbeiter der „Plattform Marzahn-Hellersdorf“152 und die im Gebiet tätigen Quartiersmanager teil. Bereits im Protokoll des ersten Treffens wurde festgehalten: „Es wird davon ausgegangen, dass im Vertiefungsbereich Marzahn Nord (im Gegensatz zu den anderen Vertiefungsbereichen) eine Reduzierung des Wohnungsbestandes in größerem Umfang nicht vermieden werden kann“ (Protokoll des Treffens der Projektgruppe Vertiefungsbereich Marzahn-Nord am 19.3.2002: 3).
Allerdings wurde frühzeitig deutlich, dass ein Rückbau des Wohnungsbestands in den äußeren Bereichen Marzahn-Nords nicht umsetzbar war, da im Jahr zuvor drei elfgeschossige Wohnblöcke am östlichen Gebietsrand, die zu dieser Zeit hohe Leerstände aufwiesen, von der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Marzahn mbH (WBG Marzahn) verkauft und von dem neuen (privaten) Eigentümer saniert worden waren (vgl. Schulz 2004: 14). Damit war der Weg für einen Rückbau des Quartiersrands und damit einer städtebaulichen Verdichtung des Quartiers von außen nach innen versperrt. Vor diesem Hintergrund gerieten auf Vorschlag der WBG Marzahn deren unsanierte Bestände im Bereich Rosenbecker Straße, Havemannstraße und Eichhorster Straße (ca. 1.500 Wohnungen) in das Blickfeld der Stadtumbauplaner (s. Karte 9).153 151 In einigen Häusern entlang der Havemannstraße belief sich die Leerstandsquote im Oktober 2002 beispielsweise auf bis zu 30 Prozent (vgl. Schulz 2004: 14). 152 Die „Plattform“ war 1991 als „Forum für Stadtentwicklung und Bürgerbeteiligung“ in der Großsiedlung Marzahn im Rahmen der ExWoSt-Förderung ins Leben gerufen worden (vgl. Kap. 4.2.4). Der Träger der „Plattform“, das Planungsbüro UrbanPlan, war zugleich auch zuständig für das Quartiersmanagement in Marzahn-Nord. 153 Die WBG Marzahn war Anfang der Neunzigerjahre aus der kommunalen Wohnraumvergabeverwaltung des Bezirks Marzahn als landeseigenes Wohnungsunternehmen hervorgegangenen. Vor dem „Stadtumbau Ost“ besaß die Wohnungsbaugesellschaft rund 55 Prozent der Wohnungen im Quartier. Die restlichen Wohnungen verteilten sich auf sechs weitere Großeigentümer – sowohl Genossenschaften als auch private Wohnungsunternehmen. Im Jahr 2002 wies der Gesamtbestand der WBG Marzahn eine Leerstandsquote von über 15 Prozent auf, was das Unternehmen berechtigte, bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau einen Antrag zur Altschuldenentlastung zu stellen. Dieser Antrag wurde bewilligt mit der Maßgabe, 4.119 Wohnungen abzu-
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In Absprache mit der zuständigen Senatsverwaltung schlug die WBG Wohnungsbestände für den Abriss vor, die im Rahmen der Umsetzung des Berliner Landesprogramms zur Weiterentwicklung der Großsiedlungen in den Neunzigerjahren nicht saniert worden waren und zudem einen hohen Leerstand aufwiesen. Die konkrete Entscheidung über Abriss, Sanierung oder Verkauf lag bei der Unternehmensleitung (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin 2005: 2f.). Damit orientierte sich die für Marzahn-Nord eingeschlagene Stadtumbaustrategie nicht an städtebaulichen Kriterien, sie war vielmehr auf unsanierte Bestände ausgerichtet. Karte 9:
Schwerpunktbereich des Stadtumbaus in Marzahn-Nord (Stand: 2002)
Für den Teilraum im Quartier, der sich ausschließlich aus Beständen der WBG Marzahn zusammensetzte, wurden im Rahmen des integrierten Entwicklungsreißen (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin 2005: 3). Insofern musste sich die WBG Marzahn – im Gegensatz zu den anderen in Marzahn-Nord vertretenen Wohnungsunternehmen und -genossenschaften – im „Stadtumbau Ost“ engagieren.
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konzepts drei mögliche Konzeptvarianten untersucht (vgl. BMVBW/BBR 2003b: 64-67, CD 2): •
•
•
„11:4“: Diese Variante sah einen horizontalen Teilrückbau der elfgeschossigen Wohngebäude auf drei bis sechs Geschosse sowie eine Veränderung der Wohnungsgrundrisse und -größen (und damit eine Terrassierung des Bestands in Form eines Zurückbauens) vor. „Zentraler Quartierspark“: Grundlage für dieses Szenario war der Komplettabriss der Wohnbebauung beiderseits der Havemannstraße. Auf den neu entstehenden Flächen sollte dann ein waldähnlicher Park angelegt werden. „Patchwork“: Diese Variante schlug eine Kombination aus punktuellen Komplettabrissen und Teilrückbau vor.
Diese Konzeptvarianten für den Vertiefungsbereich Marzahn-Nord waren Teil des Entwicklungs- und Handlungskonzepts für die Großsiedlungen in MarzahnHellersdorf, mit dem Berlin sich am Bundeswettbewerb „Stadtumbau Ost“ beteiligte. Im September 2002 wurde es mit einem der zehn ersten Preise für „beispielhafte Stadtumbaukonzepte“ (BMVBW/BBR 2003b: 8) ausgezeichnet. Laut Einschätzung eines Beteiligten erwuchs aus dieser Prämierung eine „gewisse normative Kraft, die sich in den weiteren Abstimmungen und Einzelentscheidungen zum Stadtumbau als hilfreich erwies“ (Tibbe 2007: 138). Bis zur Fertigstellung des Berliner Wettbewerbsbeitrags kam es weder zu einer Einbeziehung der Quartiersbewohner noch gar zu ihrer Mitwirkung bei der Konzepterstellung. Die Diskussionen um die etwaige Notwendigkeit von Abrissen leer stehender Wohnungen in den Ost-Berliner Großsiedlungen und dafür geeignete Standorte beschränkte sich auf einen Kreis aus professionellen Akteuren aus Stadtplanung, Bauverwaltung und Wohnungswirtschaft. Für die Versendung der Protokolle der „Projektgruppe Vertiefungsbereich Marzahn-Nord“ war beispielsweise ein Verteiler eingerichtet worden, der eine Information aller in Marzahn-Nord tätigen Wohnungsunternehmen, weiterer Verwaltungsstellen des Bezirksamts sowie der Ansprechpartner bei der Treuhand Liegenschaftsgesellschaft und dem Berliner Liegenschaftsfonds über die geplanten Stadtumbaumaßnahmen gewährleistete.154 Eine vergleichbar strukturierte Information der Quartiersbewohner erfolgt indes nicht. Strukturen und Gremien, die dazu hätten genutzt werden können, 154 Die Rekonstruktion des Teilnehmerkreises und des Verteilers geht zurück auf die Einsicht in die Protokolle der „Projektgruppe Vertiefungsbereich Marzahn-Nord“, die der Verfasserin von damals Beteiligten gewährt wurde. Dem voraus waren mehrere Anfragen nach Einsichtnahme gegangen, die unter Hinweis auf die Vertraulichkeit dieser Sitzungen noch abschlägig beschieden worden waren.
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waren allerdings vorhanden: Als einziges Großsiedlungsquartier gehörte das Gebiet Marzahn-Nord seit Beginn des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“ im Jahr 1999 zu den Berliner Quartiersmanagementgebieten.155 Wie in allen anderen Gebieten mit Quartiersmanagement (QM) hatten auch in Marzahn-Nord Quartiersmanager am Aufbau lokaler Beteiligungsstrukturen und der Aktivierung der Bewohnerschaft gearbeitet. Sie hatten zu Beginn ihrer Arbeit ein regelmäßig tagendes Gremium aus Quartiersbewohnern, den „Bewohnerbeirat der QuartiersAgentur Marzahn NordWest“ (kurz: Bewohnerbeirat) initiiert.156 Angenommen wurde dieses Angebot in erster Linie von Vertretern der Erstbeziehergeneration in Marzahn-Nord.157 Ein wissenschaftlicher Begleiter der Anfangszeit des Bewohnerbeirats beschrieb diese Zusammensetzung als „sehr alters- und in gewisser Weise auch schichthomogen“. Seit der Jahresmitte 2000 kamen zwischen fünf und 20 Teilnehmer zu monatlichen Sitzungen zusammen, um die Quartiersmanager in allen im Gebiet und/oder für das Programm „Soziale Stadt“ relevanten Fragen zu beraten. Allerdings erfolgte in der Phase der Erstellung des Stadtumbaukonzepts kein gezielter Einbezug dieses Gremiums zur Sicherstellung eines transparenten Informationsflusses in das Quartier. Angesichts der Prämierung des Berliner Beitrags im Rahmen des Wettbewerbs „Stadtumbau Ost“ ist dieser Befund umso überraschender: Die Ausschreibung hatte eine Einbeziehung möglichst aller betroffenen Akteure in die Planungen zum Stadtumbau gefordert; das Konzept für Marzahn und Hellersdorf wurde in dieser Hinsicht in der Auswertung als positiv hervorgehoben: „In Marzahn-Hellersdorf bestehen mit der ‚Plattform Marzahn’, der ‚Lenkungsgruppe Hellersdorf’, den ‚Gestaltungsbeiräten’ Hellersdorf und Marzahn traditionelle Beteiligungsgremien, in die Politik, Verwaltung, Wohnungswirtschaft und die Gebietsbevölkerung eingebunden sind. Dort wurde das Stadtumbaukonzept erörtert und konkretisiert. Vorarbeiten leisteten das ‚Quartiersmanagement Marzahn NordWest’ und die Gebietskoordination ‚Südspitze’“ (BMVBW/BBR 2003b: CD 2, Dok. 67).
Diese Aussage erweckt den Eindruck einer gesicherten Einbeziehung der betroffenen Bewohner, waren die Stadtumbaupläne mit ihnen doch angeblich im Rahmen der bestehenden Partizipationsstrukturen erörtert worden.
155 Vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen in Kap. 4.2.4. 156 Vgl. zu den unterschiedlichen Benennungen – „Marzahn-Nord“, „Marzahn-West“ und (QMGebiet) „Marzahn NordWest“ – die Anmerkungen in Kap. 4.2.3.1. 157 Ein Bewohner beschrieb seine Motivation zur Teilnahme am Bewohnerbeirat beispielsweise als einen Weg, „solidarisch und engagiert für den Stadtteil etwas zu bewirken“. Aus seiner Sicht lasse sich eine Parallele zwischen dem Quartiersmanagementprozess und der „Mach-mitBewegung“ in der DDR ziehen, „das Quartiersmanagement ist irgendwie ‚Mach mit’ unter kapitalistischen Vorzeichen“. Vgl. zur „Mach-mit-Bewegung“ Kap. 4.2.4, insb. Fußnote 102.
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Rekonstruiert man den Grad der Beteiligung der Quartiersbewohner in der Phase der Konzepterstellung im Detail, dann ergibt sich jedoch ein anderes Bild: Ein kooperativer Ansatz fehlte. Auf den ersten Abstimmungstreffen für den Vertiefungsbereich Marzahn-Nord im Frühjahr 2002 verabredeten die Beteiligten (Vertreter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, der Bezirksverwaltung, der Wohnungsunternehmen, des Quartiersmanagements und der Projektgemeinschaft der Auftragnehmer) zunächst ein Vorgehen in kleiner Runde, um Chancen und Grenzen der unterschiedlichen diskutierten Ansätze ausloten zu können. Auf einem Treffen der „Projektgruppe Marzahn-Nord“ Ende April 2002 wurde eine Veröffentlichung der geplanten Rückbaumaßnahmen erstmals thematisiert: „Im Ergebnis der Konzeptentwicklung sind die Bewohner über die voraussichtlichen Zeitpunkte geplanter Stadtumbaumaßnahmen, insbesondere Rückbaumaßnahmen, zu informieren, verbunden mit detaillierter, offener Information über die beabsichtigten Aufwertungsmaßnahmen und sonstiger Veränderungen“ (Protokoll des Treffens der Projektgruppe Vertiefungsbereich Marzahn-Nord am 30.4.2002: 1).
Drei Monate später, im Juli 2002, hielt ein Protokoll unter der Überschrift „Öffentlichkeitsarbeit“ (bemerkenswerter Weise nicht: „Bewohnerbeteiligung“) fest, dass „die Positionierung der Senatsverwaltung, des Bezirksamts und der WBG zu den städtebaulichen Varianten für Marzahn Nord“ notwendige Voraussetzung für eine öffentliche Information, Diskussion und Konsensfindung sei. Zudem wurde aus dem Quartier berichtet, dass sich die Stimmung in der Bewohnerschaft „zwischen Interesse und Betroffenheit“ bewege (vgl. Protokoll des Treffens der Projektgruppe Vertiefungsbereich Marzahn-Nord am 2.7.2002: 2). Erstmals erwähnt wurden die Pläne für den „Stadtumbau Ost“ auf einer Sitzung des Bewohnerbeirats im April 2002. Allerdings wurden die Sitzungsteilnehmer im Hinblick auf konkrete Informationen auf „später“ vertröstet. Das Protokoll der Sitzung hielt dazu fest: „In den nächsten Wochen soll zusammen mit den Bewohnern über mögliche Planungen und Veränderungen im Gebiet diskutiert werden“ (Protokoll der Sitzung des Bewohnerbeirats am 30.4.2002: 2). Betonte das im Wettbewerb „Stadtumbau Ost“ prämierte Konzept zur Sicherstellung einer umfassenden Information der Bewohnerschaft noch die Notwendigkeit einer Verschränkung von Stadtumbaumaßnahmen mit denen der „Sozialen Stadt“ (vgl. Gruppe Planwerk u.a. 2003: 30), hatte sich im Quartier MarzahnNord allerdings eine andere Beteiligungspraxis durchgesetzt: Anstatt, wie gewohnt, stadtteilrelevante Fragen im Bewohnerbeirat vorzustellen und zu diskutieren, erfolgte die Herausgabe von Informationen von „oben“ nach „unten“. Als der Bewohnerbeirat im Juni 2002 darüber informiert wurde, dass eine erste, zum Monatsende geplante öffentliche Informations- und Diskussionsver185
anstaltung zum „Stadtumbau Ost“ kurzfristig „aufgrund des derzeitigen Verfahrensstandes“ verschoben werden musste (vgl. Protokoll der Sitzung des Bewohnerbeirats am 25.6.2002: 1), formulierten die Mitglieder des Bewohnerbeirats erstmals ihre Kritik: Sie bemängelten ein Informationsdefizit sowie die Tatsache, dass der Großteil der Informationen mittlerweile unkommentiert über die Tagespresse in das Quartier gelange. Zudem betonten sie ihre Bedeutung als die „eigentlichen Experten des Wohngebiets“. Dass sie erst nach der Erstellungsphase der Konzepte beteiligt werden sollten, empfanden sie einerseits als zu spät und andererseits als Abwertung ihres lokalen Know-hows. Vor diesem Hintergrund forderten sie eine gründliche Information über Ziele und Verfahren des Programms sowie die sofortige Beteiligung der Betroffenen bei der Konzeptentwicklung. Es wurde vereinbart, sich mit einem Brief an die entsprechenden Stellen im Bezirk, in der Senatsverwaltung und bei der WBG Marzahn zu wenden (vgl. ebd.). In der Augustsitzung versuchte daraufhin ein Vertreter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die Wogen zu glätten: Die Öffentlichkeit werde noch nicht informiert „aus Angst vor Gerüchten und damit provozierten Abwanderungstendenzen“ (Protokoll der Sitzung des Bewohnerbeirats am 27.8.2002: 2). Dieser Ansatz wurde von den Bewohnern massiv kritisiert, aus ihrer Sicht schürte diese Hinhaltetaktik erst recht die Verunsicherung innerhalb der Mieterschaft. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Bedeutung von Partizipation in der Phase der Erstellung des Entwicklungs- und Handlungskonzepts für den Stadtumbau in Marzahn-Nord charakterisiert war durch die weiter oben beschriebene Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Einerseits war in den Wettbewerbsunterlagen die Rede von einer Sicherstellung der Einbeziehung von Bewohnerinteressen, auf der anderen Seite ließen die involvierten politisch Verantwortlichen, die Wohnungsunternehmen und die fachlichen Experten unter Verweis auf Komplexität und Vertraulichkeit der Umbauplanungen Bewohnervertreter bei der Konzepterstellung außen vor. Erschwerend kam hinzu, dass sich in dem Gremium in erster Linie Vertreter der Erstbeziehergeneration von Marzahn-Nord sammelten, so dass die professionellen Stadtumbauakteure die Repräsentativität des Beirats und somit grundsätzlich seine Legitimierung als Interessensvertretung der Quartiersbewohner anzweifeln konnten. Zur Konkretisierung und Prüfung der Vorschläge aus dem Wettbewerbsentwurf („11:4“, „Zentraler Quartierspark“, „Patchwork“) wurden weitere Abstimmungen notwendig: Einerseits stand fest, dass ein Rückbau in der Quartiersmitte nicht zu umgehen war, da besser geeignete Bestände aufgrund von Privatisierungen oder bereits abgeschlossenen Gebäude- und Wohnungssanierungen für den Abbruch nicht mehr zur Verfügung standen. Andererseits entsprach nur die zweite Variante – Abriss der Wohngebäude und anschließende 186
Anlage eines Quartiersparks – den Finanzierungsrichtlinien des Bundesprogramms „Stadtumbau Ost“. Die erste und die dritte Variante erforderten zusätzliche Gelder für den Umbau des Gebäudebestands, die das Land Berlin und der betroffene Eigentümer aufbringen mussten. Dabei handelte es sich um Modernisierungsmittel in einer Größenordnung von zehn Millionen Euro. Das entsprach den letzten noch zur Verfügung stehenden Ressourcen aus dem in den Neunzigerjahren aufgelegten Landesprogramm zur Modernisierung der Ost-Berliner Großsiedlungen. Die WBG Marzahn und Bezirksvertreter warben trotzdem für die Kombination aus Abriss und Modernisierung, während der damalige Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) angesichts der vergleichsweise schlechten demographischen und sozioökonomischen Daten von Marzahn-Nord einen Totalabriss favorisierte. Da über die Freigabe dieser Gelder monatelang Unklarheit herrschte, verzögerte sich die weitere Konkretisierung der Stadtumbaupläne. Ein wissenschaftlicher Begleiter des Stadtumbauprojekts wies im Gespräch darauf hin, dass ein umfangreicher Einbezug von Bewohnern in dieser Planungsphase kontraproduktiv gewesen wäre: „Natürlich, aus der Binnensicht des Quartiers und aus der Sicht seiner Bevölkerung, die seit vielen Jahren dort wohnt, kann die einzige Lösung eigentlich nur sein: Erhalten, Umbauen, weiter Aufhübschen, Schönmachen. Natürlich will man nie akzeptieren, dass es möglicherweise auch keine Perspektive gibt. [...] Ist dann auch die Frage, welche Rolle Partizipation dann spielt, inwieweit muss man sich möglicherweise [...], also gerade in diesem Prozess der Schrumpfung muss man sich teilweise auch über die Bedürfnisse der vor Ort lebenden Bevölkerung dann hinwegsetzen. Es gibt vielleicht keine Alternative zu ’nem Abriss.“
Für Marzahn-Nord war ein Einbezug der Betroffenen erst nach Abschluss der Planungen vorgesehen. Durch diese Zurückhaltung entstand nicht nur ein Nährboden für Gerüchte. Die Stadtumbauakteure vergaben dadurch auch die Chance, in einem gemeinsamen Prozess eine weitgehend konstruktive Atmosphäre für die Umsetzung der Stadtumbaumaßnahmen zu schaffen (vgl. dazu auch Walter 2004: 78ff.). In den nächsten Monaten bestimmten als Folge dieser problematischen Weichenstellung Skepsis und Misstrauen die Reaktionen der Bewohnerschaft auf die Stadtumbaupläne.
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5.2.3 Mobilisierung gegen den Stadtumbau (2002-2003) Die Sitzung des Bewohnerbeirats im September 2002 widmete sich angesichts der unter den Bewohnern wachsenden Unzufriedenheit über die Informationspolitik ausschließlich dem Thema „Stadtumbau Ost“. Vertreter der Senatsverwaltung, des Bezirksamts Marzahn-Hellersdorf und der WBG Marzahn nahmen an dieser Sitzung teil. Neben den verschiedenen Konzeptvarianten zum Stadtumbau, die beim Bundeswettbewerb eingereicht worden waren, wurde auch die Möglichkeit des Rückbaus nicht mehr benötigter Infrastruktureinrichtungen ausgiebig vorgestellt. Die Vertreter des Wohnungsunternehmens bestätigten erstmals die Pläne für den Abriss von mehr als 1.100 und den Erhalt von rund 500 Wohnungen im Bereich der Havemannstraße und kündigten die Einrichtung eines Beratungsbüros vor Ort sowie die Übernahme der Umzugskosten durch die WBG an. Auch die finanzielle Dimension wurde während des Treffens thematisiert, sowohl die Kostenverteilung für Abriss und Umbau als auch die angespannte finanzielle Lage des Wohnungsunternehmens wurden dargelegt. Zudem wurde auf die noch nicht abgeschlossene Prüfung der Finanzierungsmöglichkeiten hingewiesen (vgl. Protokoll der Sitzung des Bewohnerbeirats am 24.9.2002). Welche Häuser für den Abriss vorgesehen waren, erfuhren die betroffenen Mieter im September 2002 schließlich aus der Berliner Tagespresse (vgl. Berliner Morgenpost 2002, Der Tagesspiegel 2002). In den entsprechenden Berichten in der Berliner Morgenpost hieß es unter der Überschrift „Guten Morgen Marzahner Mieter!“: „Das Gerücht machte bereits geraume Zeit die Runde, dass in Ihrem Bezirk, in Marzahn, Plattenbauten abgerissen werden sollen. Nur wusste bislang niemand genau, welche Wohnblöcke betroffen sein würden. Jetzt liegen die Pläne für den Abriss von 2800 Wohnungen auf dem Tisch. Für viel von Ihnen dürfte die Nachricht schockierend sein. Vor allem, wenn Sie zu den Mietern dieser Häuser zählen. Denn mit Ihnen hat im Vorfeld kein Verantwortlicher gesprochen. Zur Panik besteht allerdings kein Grund“ (Berliner Morgenpost 2002).
In der Retrospektive bewerten mehrere Gesprächspartner den Zeitpunkt des Herausreichens von Informationen als „nicht optimal“: Damals hätten für das Stadtumbauprojekt weder eine eindeutige städtebauliche Zielstellung noch eine klare organisatorische Federführung, geschweige denn ein brauchbares Beteiligungskonzept oder die Bereitschaft aller relevanten Akteure zur Mitwirkung vorgelegen. Die an sich notwendige „Gratwanderung zwischen Diskretion und Indiskretion“ sei dadurch einer Hysterisierung des Vorhabens gewichen. Dies habe es zum einen erschwert, weitere Fürsprecher für das Projekt, insbesondere in der Finanzverwaltung, zu finden, auf der anderen Seite habe man aufgrund der vorzeitigen Indiskretion weder den strategischen Aufwertungsansatz des Stadt188
umbaus noch die darin enthaltenen Chancen für das Quartier kommunizieren können. Als Folge dieser „fehlgeschlagenen Kommunikation“ seien „harte Zeiten“ auf den Stadtumbau in Marzahn-Nord zugekommen (vgl. dazu auch Cremer 2005: 176ff.). In dieser Situation ging die WBG Marzahn in die Offensive: Unmittelbar nach den ersten Meldungen in der Presse informierte das Unternehmen seine Mieter schriftlich über das Rückbauvorhaben. Daraufhin richtete sich die Wut der Bewohner zunächst ausschließlich gegen die WBG, die zudem bereits 14 Tage später mit der Entmietung der betroffenen Wohnungen begann. Der Bewohnerbeirat, der die Informationspolitik bereits seit Monaten als ein „Übergehen“ und „Hinwegsetzen“ interpretiert hatte, mobilisierte im Quartier gegen die Stadtumbaupläne und wurde damit zum Sprachrohr einer großen Zahl von verunsicherten und ob des Verfahrens verärgerter WBG-Mieter.158 Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, wurde ein um den Beirat organisierter Kreis von Protestlern aktiv. Er verfasste ein Positionspapier zum Stadtumbau Ost (vgl. Bewohnerbeirat Marzahn NordWest 2002), in dem Informationen und Aufklärung über die Kriterien der geplanten Abrissentscheidungen, eine stärkere Berücksichtigung der Bewohnerbelange sowie eine Klärung der Auswirkungen des Stadtumbaus gefordert wurden. Im Hinblick auf die Beteiligung der Bewohner hieß es darin beispielsweise: „Im bisherigen Verfahren wurden die Bewohner nicht ausreichend informiert. Der Beirat fordert deshalb, dass die Bürger seitens der WBG, des Senates und des Bezirkes über die bisher erarbeiteten Konzepte sowie das Förderprogramm Stadtumbau Ost im Rahmen eines Quartiersstammtisches informiert und beteiligt werden. Für die Bewohner in den betroffenen Wohngebäuden müssen Mieterversammlungen durchgeführt werden, um über das Umbaukonzept, den Zeitplan sowie über die Auswirkungen für die Mieter (mietrechtliche, finanzielle und soziale Fragen) zu informieren“ (ebd.: 2).
Verschickt wurden diese Forderungen in den ersten Januartagen 2003 an die für Marzahn-Nord relevanten Stadtumbauakteure. Vertreter des Wohnungsunternehmens, der Senats- und der Bezirksverwaltung sowie der Stadtentwicklungssenator erhielten Post aus dem Quartier. Noch im selben Monat fand im Quartier eine Informationsveranstaltung zum „Stadtumbau Ost“ statt, die der Bewohnerbeirat in Zusammenarbeit mit dem Berliner Mieterverein organisiert hatte. Vertreter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, des Bezirks Marzahn-Hellersdorf und der WBG Marzahn waren erschienen. Einige der 350 Teilnehmer machten ihrem Ärger Luft: Dem 158 Im Zuge des Stadtumbauprotests änderte sich die bisherige homogene Teilnehmerzusammensetzung des Beirats: Er entwickelte sich zum Sammelbecken für Unmutsäußerungen prinzipiell aller betroffenen Mieter im Quartier.
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Wohnungsunternehmen wurde vorgeworfen, das Quartier vernichten und seine Bewohner vertreiben zu wollen. Der überwiegende Teil der anwesenden Betroffenen fühlte sich nicht ausreichend über das Stadtumbauprojekt informiert. Die Leiterin des Quartiersmanagements in Marzahn-Nordwest beschrieb auf einem Vortrag im Frühjahr 2003 die Funktion dieser Informationsveranstaltung als „paradoxe Intervention“: „[V]iele Bewohner haben in erster Linie ihren Frust abgelassen und das Anliegen, sich zu informieren und Entwicklungsperspektiven zu erörtern, endete in einer Streitdebatte. Das Dampfablassen hat dann aber wieder positive Wirkungen ausgelöst, da es andere Bewohner und auch die Entscheidungsträger in einigen Fragen aufgerüttelt und den Weg für eine sachbezogene Gesprächsebene vorbereitet hat.“
Im Verlauf der Veranstaltung wurde erstmals quartiersöffentlich kommuniziert, dass die bisherige Hinhaltetaktik bei der Herausgabe von Informationen zurückzuführen war auf Verzögerungen im gesamten Entscheidungsprozess. Diese waren wiederum durch Abstimmungsschwierigkeiten zwischen der zuständigen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und der WBG Marzahn bezüglich der Finanzierung des Modernisierungsanteils des geplanten Teilrückbaus begründet (vgl. NORDWEST 2003: 1, 3). Heftige Kontroversen bestimmten die folgenden Monate: Einerseits kam es zu Konflikten zwischen den Verantwortlichen des integrierten Stadtteilkonzepts, den Planern der Senatsverwaltung und den finanzierenden Stellen über die grundsätzlichen Zuständigkeiten und Finanzierungsverpflichtungen im Stadtumbau. Andererseits gingen auch in konzeptioneller Hinsicht die Auffassungen weit auseinander. Der zuständige Bausenator zögerte bei der Mittelbewilligung für Marzahn-Nord. Aufgrund der rückläufigen Einwohnerentwicklung des Quartiers beschwor er die „Gefahr einer Investition in den Leerstand“. Er plädierte für einen Komplettabriss der für das Stadtumbauprojekt ausgewählten Elfgeschosser. Dem widersprachen die Vertreter der Zielstellung „Erhalt und Erneuerung auf der Grundlage des vorhandenen Bestands“. Der Bewohnerbeirat hatte sich indes für den Vorschlag eines Teilabrisses mit Modernisierung ausgesprochen. Einige seiner Mitstreiter hatten im Februar 2003 die „Mieterschutzinitiative Marzahn-Nord“ gegründet. Gemeinsam wurden Informationsblätter mit der Überschrift „Keiner muss wegziehen“ in die Briefkästen der betroffenen Gebäude verteilt. Der Stadtumbau und die unmittelbare Abrissbetroffenheit wirkten zwischenzeitlich als temporärer Mobilisierungsanlass für zuvor nicht im Quartier engagierte Bewohner, was auch die gut besuchte, vom Bewohnerbeirat organisierte Informationsveranstaltung zeigte. Ab dem Frühjahr 2003 verzeichnete zudem der Bewohnerbeirat auf seinen Sitzungen einen deutlichen Anstieg der 190
Teilnehmerzahlen. Zielten die Sitzungen des Gremiums bis dahin auf die Sicherstellung einer kontinuierlichen Einbeziehung von Bewohnerinteressen im Rahmen der Umsetzung des Programms „Soziale Stadt“ durch einen Dialog zwischen den Quartiersmanagern und den Bewohnern, so änderte sich ihr Charakter grundlegend im Zuge der Sitzungen zum Jahresende 2002 bzw. zum Jahresanfang 2003. Angesichts des beherrschenden Stadtumbauthemas nahmen nunmehr regelmäßig auch Vertreter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, der bezirklichen Verwaltungsstellen und der WBG Marzahn sowie hin und wieder externe Verfahrensbeobachter und den Stadtumbau begleitende Fachplaner, Architekten und Wissenschaftler an den Treffen teil. Das Gremium wurde gewissermaßen aufgewertet und entwickelte sich zu einer monatlich tagenden Plattform für Informationen, Diskussionen und zur Koordination von Quartiersaktivitäten rund um den Stadtumbauprotest. Vorbereitet, moderiert und nachbereitet wurden die Sitzungen in Absprache mit den Bewohnervertretern von den Quartiersmanagern. Zur Entlastung der Quartiersmanager wurde auf der Sitzung im März 2003 eine stärkere Unterstützung der Bewohner bei Protokollführung und Einladung zu den Sitzungen verabredet. Dies wurde bis zum Jahresende 2003 beibehalten. Die Tatsache, dass die Finanzierung der Abrisse gesichert war, die der Modernisierungsmaßnahmen hingegen nicht, hatte sich unterdessen nicht geändert. Im Rahmen einer spontanen Fragestunde im Berliner Abgeordnetenhaus am 22. Mai 2003 erläuterte der damalige Stadtentwicklungssenator Peter Strieder sein Zögern: „Es geht um die Frage, ob es richtig ist, 1700 Wohnungen abzureißen, oder ob es richtig ist, 1200 Wohnungen abzureißen und 500 Wohnungen zu sanieren. Das Vorhaben der WBG Marzahn besteht darin, 11-geschossige Gebäude auf vier Geschosse zurückzubauen. Man könnte auch auf Null zurückbauen und alles abreißen. Das macht aber nur einen Sinn, wenn man weiß, dass die Wohnungen nicht mehr gebraucht werden. Umgekehrt macht es auch nur dann einen Sinn, Wohnungen zu sanieren, wenn man weiß, dass man sie brauchen wird. […] Darüber zu entscheiden, ob man vorhandenen, volkswirtschaftlich wertvollen Wohnraum abreißen soll, fällt mir schwer. Aber mir fällt es auch schwer, einfach zu sagen: ‚Ist doch egal, was es kostet. Große Teile davon sind Bundesmittel. Wir sanieren jetzt erst einmal.’ Um dann in vier Jahren festzustellen, dass wir diese Wohnungen auch nicht mehr brauchen können“ (Abgeordnetenhaus von Berlin 2003: 2381).
Nachdem der Senator für Stadtentwicklung seit vier Monaten weder auf das Positionspapier mit den Forderungen des Bewohnerbeirats noch auf Anschreiben der Mieterschutzinitiative und auf eine Einladung in das Quartier reagiert hatte, beriet der Bewohnerbeirat im Mai 2003 seine weiteren Schritte. Ein damals beteiligter Bewohner erinnert sich:
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„Unser größtes Problem war, dass sich außerhalb unseres Drehs kaum jemand in Berlin für die Ansichten der direkt oder indirekt betroffenen Bewohner interessierte. Der Stadtumbau wurde nur aus der Sicht der Leute dargestellt, die dieses Verfahren betreiben und beherrschen. […] [D]er Senat stellte sich stur. Und die Medien blieben stumm“ (Preußing 2004: 20).
Deshalb entschied sich der Beirat zu einem öffentlichkeitswirksamen Schritt: Er schrieb den Amtsdirektor der benachbarten Ortschaft Ahrensfelde an und bat um seine Unterstützung. Nach einer Schilderung der Stadtumbausituation trug der Bewohnerbeirat in dem Brief seine Einschätzung vor: „Allein bis heute ist es bei tausenden guten und ebenso vielen harten Worten geblieben. Nur die Bewohner, die bleiben nicht. Und trotz des Engagements der Bezirksvertreter, mehrerer Briefe und Petitionen von dort und von hier an die zuständige Senatsverwaltung sowie Appelle an die Öffentlichkeit blieben die Berliner Stadtväter und -mütter schweigsam wie ein Grab und tatenlos auf den notwendigen Geldern sitzen. Mehr noch: Der Bewohnerbeirat kann sich des Gefühls nicht erwehren, Marzahn NordWest ist von der Hauptstadt bereits abgeschrieben und – bildlich gesprochen – beerdigt worden“ (Bewohnerbeirat Marzahn NordWest 2003).
Im Anschluss erging an den Amtsdirektor die Bitte, eine Aufnahme des Quartiers in die Brandenburgische Gemeinde zu prüfen: „Deshalb an Sie die Frage […)]: Inwieweit ist es uns als Bürger möglich, unter Ausnutzung der aktuellen brandenburgischen Gemeindereform die Abtrennung des Zipfels Marzahn NordWest von Berlin und seine Aufnahme in die Gemeinde Ahrensfelde bzw. den Amtsbereich Ahrensfelde/Blumberg zu begehren?“ (ebd.).
Kopien dieses Anschreibens wurden, gemeinsam mit einer Pressemitteilung, an diverse Redaktionen von Berliner Tageszeitungen geschickt. Dieser „Fluchtversuch nach Brandenburg“ (Preußing 2004) löste in den folgenden Tagen ein breites Medienecho aus: „Radio- und TV-Teams streiften durch den Kiez und die betroffenen Wohnungen. Auch das Dorf Ahrensfelde war in aller Munde, Bürgermeister und Amtsdirektor ob der unverhofften Werbung aus dem Häuschen. […] Endlich wurden wir gehört! Endlich nahm die ganze Stadt Notiz von unserem Anliegen. Gut eine Woche lang erschienen Schlagzeilen über den ‚Fluchtversuch’ nach Brandenburg. Selbst überregionale Blätter wie die taz oder Süddeutsche Zeitung schauten sich hier um. Das Neue Deutschland räumte uns sogar eine ganze Seite in seiner Wochenendbeilage ein. Überschrift: ‚Der Aufstand’. […] Es war ein Spiel über die Bande, ein außergewöhnlicher Hilferuf um drei Ecken in Richtung Senat: Macht uns unseren Stadtteil nicht kaputt! Es heißt Stadtumbau und nicht Stadtabriss Ost“ (ebd.: 21f., Hvhbg. i. Orig.).
Als Höhepunkt berichtete das Berliner Regionalfernsehen am 3. Juni 2003 live aus dem Stadtumbauquartier und ließ die Bewohner mit ihrer Kritik zu Wort kommen.
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Die im Juni 2003 noch in den Stadtumbaugebäuden lebenden Haushalte wurden bei einer Befragung durch Studierende des Geographischen Instituts der Berliner Humboldt-Universität um eine Bewertung von „Stadtumbau Ost“ gebeten (vgl. Projektbericht 2003). Deutlich wurde dabei, dass das Vorhaben die Mieter in zwei Gruppen spaltete: Die eine Hälfte der Befragten konnte die Entstehung der Leerstandsproblematik sowie Abrisse als Lösungsweg nachvollziehen, die andere Hälfte bewertete Abrisse von Wohnungen als „nicht notwendig“ (ebd.: 30). Zudem wurde deutlich, dass eine Mehrheit der Betroffenen sich nicht ausreichend über das lokale Stadtumbauprojekt informiert fühlte und deshalb weitere Beratungsleistungen, insbesondere durch das Wohnungsunternehmen, wünschte (vgl. ebd.: 44, 53).159 Festzuhalten ist: Der sich schon während der Konzipierung offenbarende Widerwillen der Stadtumbauakteure in Politik und Verwaltung, einen offenen, kooperativen Dialog mit den betroffenen Bewohnern zu führen, mündete in eine unkoordinierte Kommunikation der lokalen Umsetzung des Programms „Stadtumbau Ost“. Die unzureichende Informationspolitik schürte das Misstrauen der Betroffenen den Stadtumbauplänen und -akteuren gegenüber, was wiederum deren Berührungsängste noch verstärkte. Bemerkenswerterweise ging die Frustration nicht bei allen betroffenen Mietern in Resignation und in den Rückzug ins Private über. Bei einigen entstanden aus der Enttäuschung kreative und engagierte Formen des Protests. Insofern kam den Stadtumbauplänen für Marzahn-Nord die Funktion eines lokalen Mobilisierungsereignisses zu. Aus Sicht der WBG Marzahn unterstützten die Aktivitäten des Bewohnerbeirats die eigenen Bemühungen des Unternehmens um eine Entscheidung des Stadtentwicklungssenators für die Finanzierung von Abriss und Umbau. Entsprechend beglückwünschte der Geschäftsführer des Wohnungsunternehmens den Bewohnerbeirat zu der erfolgreichen Pressearbeit rund um den „Fluchtversuch“, die den Stadtentwicklungssenator als Blockierer des Stadtumbaus hatte erscheinen lassen. In der Sitzung des Bewohnerbeirats im Juni 2003 betonte der Geschäftsführer der WBG „den Signalcharakter“ des „Auswanderungsbestrebens“. Zudem regte er an, einen Brief an die Fraktion von Linkspartei/PDS im Abgeordnetenhaus zu schreiben, um den politischen Druck auf deren Koalitionspartner SPD zu erhöhen – was der Bewohnerbeirat umgehend realisierte (vgl. Protokoll der Sitzung des Bewohnerbeirats am 24.6.2003). 159 Walter (2004: 86) kommt auf Grundlage ihrer ebenfalls 2003 durchgeführten Vor-Ort-Untersuchung zu ähnlichen Ergebnissen, sie weist darauf hin, dass „[...] aufgrund der sehr zurückhaltenden Öffentlichkeitsarbeit die Chance vergeben [wurde], umzugsbetroffene Bewohner im Stadtteil zu halten bzw. sie für die umzubauenden Wohnungen zu gewinnen“. Zwar sei der überwiegende Teil der Stadtumbaubetroffenen in Marzahn und auch in Beständen der WBG Marzahn verblieben, das Wohnungsunternehmen habe die Mieter jedoch nicht in MarzahnNord halten können (vgl. ebd.).
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Im Dezember 2003 bewilligte der Senat schließlich die ausstehenden Fördermittel für den Modernisierungsanteil und gab damit grünes Licht für die Umsetzung des Umbauprojekts (vgl. WBG Marzahn 2005: 60). Nachdem die Pläne für einen Totalabriss in Marzahn-Nord abgewendet waren, entspannte sich die Lage vorerst. Letzten Endes hatten sich also die relevanten Vertreter von Politik, Verwaltung und der WBG Marzahn – unter überdurchschnittlichem Einsatz finanzieller Mittel – auf einen baulichen Kompromiss geeignet. Lokale Stadtumbauexperten schreiben dem „Fluchtversuch“ einen wesentlichen Beitrag im Prozess der Entstehung dieser Entscheidung zu (vgl. Cremer 2005). Nichtsdestotrotz waren zwischen dem Ruchbarwerden der ersten Stadtumbaupläne im Sommer 2002 und der endgültigen Entscheidung für eine Kombination aus Abriss und Teilrückbau im Dezember 2003 anderthalb Jahre vergangen. In der Gemengelage aus divergierenden Interessen, unsicherer Finanzierung, unkoordinierter Stadtumbaustrategie und dosierter Herausgabe von Informationen waren die ursprünglichen ambitionierten Pläne einer gezielten, Schritt für Schritt vorgehenden Beteiligung der Bewohner im Stadtumbau, die zudem von Synergieeffekten mit dem Programm „Soziale Stadt“ profitieren sollte, ins Hintertreffen geraten. In dieser lange Zeit ungeklärten Situation entwickelten der Bewohnerprotest und die gesamte quartiersöffentliche Kommunikation über den Stadtumbau eine eigene Dynamik, die auch durch die Quartiersmanager nicht zu steuern war. Vielmehr wurde ihnen von Seiten der Bewohnerschaft unterstellt, im Stadtumbauprozess keine neutrale, vermittelnde Position einzunehmen. Die Annahme machte die Runde, die Quartiersmanager hätten von ihrem Auftraggeber, der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, einen „Maulkorb“ angelegt bekommen und würden allein in deren Interesse agieren. Das ehedem konstruktiv-kooperative Verhältnis zwischen Bewohnerbeirat und Quartiersmanagern war angesichts der Herausforderungen des Stadtumbaus erheblich unter Druck geraten. 5.2.4 Begleitung der Durchführung des Stadtumbaus (2004-2005) Im Dezember 2003 begannen die Abrissarbeiten an der Havemannstraße. Am 12. Januar 2004 wurde die erste Platte demontiert (vgl. WBG Marzahn 2005: 62).160 160 Dieses Datum wird oft als Beginn des Stadtumbaus in Marzahn-Nord angeführt. Dabei wird allerdings außer Acht gelassen, dass ab September 2003 bereits 170 unsanierte Wohnungen in einem nahezu vollständig leer stehenden Elfgeschosser an der Niemegker Straße (Hausnummern 17-23) abgerissen worden waren – finanziert auf der Grundlage des Programms „Stadtumbau Ost“. Diese Wohnungen lagen abseits vom zentralen Stadtumbaubereich der „Ahrensfelder Terrassen“ und werden im Quartier auch nicht mit Stadtumbau in Verbindung gebracht (s. Karte 10). Soweit es im Rahmen der Vor-Ort-Befragungen und Beobachtungen festgestellt
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Die Umbaukonzeption, auf die sich Vertreter der Stadtentwicklungsverwaltung und der WBG Marzahn schließlich geeinigt hatten, sah eine Variante des im Wettbewerbsbeitrag vorgeschlagenen „Patchwork“-Ansatzes vor: Rückbau elfgeschossiger, unsanierter Wohngebäude auf zumeist fünf bis sechs (in einigen Fällen auch auf drei) Stockwerke, Modernisierung der verbliebenen Wohnungen sowie Aufwertung der Wohnumfeldflächen. Im Einzelnen handelte es sich um die Standorte Havemannstraße 7-15 und 14-22, Rosenbecker Straße 1-5, 4-8 und 10-22, Eichhorster Straße 2-12 und 44-60 sowie Wörlitzer Str. 1 und 41 (vgl. Karte 9). Insgesamt umfasste der Stadtumbaubereich rund 1.680 Wohnungen vom Typ WBS 70, die vorwiegend in den Jahren 1987 und 1988 errichtet worden waren. Hier lebten im Juni 2003 rund 1.400 Haushalte (vgl. Schulz 2004: 16). Die Kosten für das Projekt sollten ca. 30 Millionen Euro betragen, die drittelparitätisch von der WBG Marzahn, dem Land Berlin und dem Bund aufzubringen waren. Aufgrund der durch Terrassen geprägten vorgesehenen Dachlandschaft und der unmittelbaren Nähe zur Gemeinde Ahrensfelde firmierte das Stadtumbauprojekt in der Folge unter dem Namen „Ahrensfelder Terrassen“. Bereits im Oktober 2003 hatte die WBG Marzahn zur Vorbereitung und Begleitung der Entmietung der betroffenen Wohnungen ein Büro in der Havemannstraße 17a eingerichtet (vgl. WBG Marzahn 2005: 33f). Mitarbeiter der WBG informierten die vom Stadtumbau Betroffenen entweder in diesem Büro oder im Rahmen von Hausbesuchen (sogenannte „Couchgespräche“) über die Pläne des Wohnungsunternehmens und erklärten die Rahmenbedingungen, die die Abrisse notwendig gemacht hatten. Zudem schlugen sie den Mietern Alternativ- und Umsetzwohnungen im Bestand der WBG Marzahn vor. Das Wohnungsunternehmen trug zudem einen Teil der Umzugskosten. Der Bewohnerbeirat und die aus seiner Mitte hervorgegangene Mieterschutzinitiative begleiteten die Räumung der Wohnungen kritisch und unterstützten Mieter bei Problemen mit der WBG Marzahn. Die Mieterschutzinitiative organisierte Informationsveranstaltungen zu Rechten und Pflichten von Mietern und Vermietern bei Wohnungskündigungen und lud regelmäßig Lokalpolitiker und Vertreter des Wohnungsunternehmens zur Diskussion ein (vgl. Cremer 2005: 178). Auch nahmen ihre Vertreter – falls von den Stadtumbaubetroffenen gewünscht – an den sogenannten „Couchgesprächen“ im Rahmen der Hausbesuche durch die WBG teil (vgl. WBG Marzahn 2005: 12).161 Auf den Sitzungen werden konnte, spielten die Abrisse an der Niemegker Straße in den quartiersöffentlichen Debatten keine Rolle; auch der Bewohnerbeirat beschäftigte sich nicht mit ihnen. Aus Sicht des betroffenen Wohnungsunternehmens und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung verliefen die Abrisse an dem Standort reibungslos. Dies wird erklärt durch den Umstand, dass die beiden Gebäude bereits nahezu komplett leer standen. 161 Vertreter der Mieterschutzinitiative wiesen beispielsweise im Gespräch darauf hin, dass diese Begleitung einschließlich kritischer Nachfrage während der „Couchgespräche“ insbesondere
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des Bewohnerbeirats wurde regelmäßig über den Fortgang des Projekts und über aktuelle Entwicklungen des Stadtumbaus informiert. Erste Aufwertungsmaßnahmen kündigten sich Bereits Anfang des Jahres 2004 an: Im Bewohnerbeirat wurden die Konzepte zur Umgestaltung der Havemannstraße und des Vorplatzes am S-Bahnhof vorgestellt und eine Befragung von verschiedenen Nutzergruppen zur Steigerung der Passgenauigkeit der Planungen verabredet. Die ursprünglich konfrontative Ausgangslage wich im Verlauf des Umbauprozesses einer sachlichen Vorbereitung und Begleitung der Stadtumbaumaßnahmen im Interesse der Mieter. Beteiligte beschrieben insbesondere das Verhältnis zwischen Bewohnerbeirat und WBG Marzahn in dieser Phase des Stadtumbaus als „äußerst kooperativ“. Deutlich wurde die Allianz zwischen Bewohnerbeirat und WBG in den Konflikten um die Zukunft der Gebäude in der Rosenbecker Straße. Die WBG Marzahn hatte sich frühzeitig für eine Terrassierung und den Erhalt von 38 Wohnungen an diesem Standort ausgesprochen, die nach Abschluss der Modernisierungsarbeiten in Eigentumswohnungen umgewandelt werden sollten (vgl. ebd.: 38). Diese Pläne waren bei der Senatsverwaltung auf Skepsis gestoßen. Die dortigen Experten bezweifelten das Vorhandensein einer ausreichend großen Nachfrage nach Eigentumswohnungen in den „Ahrensfelder Terrassen“ und favorisierten deshalb einen Abriss der Gebäude. Die Vertreter des Bewohnerbeirats und engagierte Anwohner wiederum fürchteten im Falle einer Komplettdemontage die Entstehung einer großen Brachfläche an der Rosenbecker Straße und setzten sich, unterstützt durch die Geschäftsführung der WBG, für den Vorschlag des Wohnungsunternehmens ein. Im Frühjahr 2004 wandten sich Bewohner aus Marzahn-Nord erneut schriftlich mit der Bitte um Aufklärung und Unterstützung an die Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus, den dortigen Petitionsausschuss und schließlich auch an den Regierenden Bürgermeister. Im Mai 2004 stimmte die Nachfolgerin von Peter Strieder, Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer, schließlich dem Erhalt der zusätzlichen 38 Wohnungen und ihrer Umwandlung in Eigentumswohnungen unter mehreren Auflagen zu: Die WBG wurde verpflichtet, an einem anderen Standort in Marfür vom Stadtumbau betroffene vietnamesische Mieter sehr hilfreich gewesen sei, da diese häufig – neben sprachlichen Schwierigkeiten – nicht nur Informationsdefizite im Hinblick auf den Stadtumbau, sondern auch bezüglich ihrer Rechte und Pflichten als Mieter aufgewiesen hätten. Gleiches habe für Teile der russischsprachigen Mieterschaft gegolten. So hätten manche von ihnen Schwierigkeiten gehabt, die Anschreiben der WBG zu verstehen. Diesen Mietern sei allerdings eine frühzeitige Vernetzung zwischen dem Bewohnerbeirat bzw. der Mieterschutzinitiative und lokal aktiven Interessenvertretungen der Spätaussiedler entgegengekommen. In den entsprechenden Anlaufstellen für Spätaussiedler hätten die dortigen Berater bei Fragen zum „Stadtumbau Ost“ und zu den zu wählenden Strategien in den Verhandlungen mit dem Wohnungsunternehmen auf Russisch weiterhelfen oder den Kontakt zu weiteren Ansprechpartnern herstellen können.
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zahn die entsprechende Wohnfläche (rund 3.000 Quadratmeter) abzureißen; die für Demontagen in der Rosenbecker Straße bereits bewilligten Fördermittel sollten auf einen anderen Standort übertragen werden; und die Sicherstellung der Modernisierungsfinanzierung musste alleinige Aufgabe der WBG bleiben. Sie durfte keinesfalls mit Modernisierungsmitteln aus dem Landesprogramm erfolgen. Nicht nur die WBG Marzahn, sondern auch der Bewohnerbeirat und die Mieterschutzinitiative verbuchten diesen Beschluss als erneuten Erfolg gegenüber der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (vgl. Preußing 2004: 23f.). Sie hatten gemeinsam und erfolgreich für die Varianten eines Teilrückbaus in Marzahn-Nord „getrommelt“. Bewohner, die an den damaligen Aktivitäten und Treffen mit der WBG Marzahn beteiligt waren, betonten in verschiedenen Gesprächen, dass sich die Rolle des Wohnungsunternehmens im Verlauf der ersten Stadtumbauphase vollends gewandelt hatte: Sei sie anfänglich als Vernichter der Plattenbauten der größte Gegner der Bewohner gewesen, so habe sie sich im Laufe der Ereignisse in den Jahren 2003 und 2004 als wichtigster Partner und Verbündeter entpuppt. Ebenfalls im Mai 2004 verließen die letzten „Rückbaumieter“ ihre Wohnung (WBG Marzahn 2005: 64). Und bereits zum 1. August 2004 wurde die erste modernisierte Wohnung in den „Ahrensfelder Terrassen“ bezugsfertig an ihre neuen Mieter übergeben. Sieben Wochen später feierte die WBG Marzahn die Modernisierung der 100. Wohnung. Im Sommer 2005 wurde das Gesamtprojekt offiziell fertiggestellt (vgl. ebd.: 65ff.). Für das Projekt „Ahrensfelder Terrassen“ wurden 1.223 Wohnungen abgerissen und 409 Wohnungen modernisiert (Höhne/Kröber 2007: 39). Von insgesamt 22 Einzelgebäuden wurden sechs komplett und 16 Gebäude teilweise demontiert, d.h. von elf auf drei bis maximal sechs Geschosse zurückgebaut. Elf Prozent der Wohnungen verfügen über eine Dachterrasse (ebd.: 46). Zudem gehörten Wohnumfeldgestaltungen – wenige Spielflächen, viele ruhige Aufenthaltsbereiche und ausreichend Pkw-Stellplätze – zum Stadtumbauprojekt (ebd.: 41f.). Diese wurden ebenfalls im Rahmen von „Stadtumbau Ost“ finanziert. Eine Beteiligung der Bewohner erfolgte dabei nicht. Sie wurde jedoch bei anderen Aufwertungsmaßnahmen für das Quartier eingeräumt. Ein aufwendiges Verfahren initiierten die Quartiersmanager in der zweiten Jahreshälfte 2005 zur Erweiterung des Clara-Zetkin-Parks: Durch Abrisse an der Niemegker Straße (s. Karte 10) waren in unmittelbarer Nachbarschaft zum vorhandenen Clara-Zetkin-Park neue Flächen frei geworden.162 Ihre Einbindung in
162 S. ausführlicher zu den Abrissen an der Niemegker Straße Fußnote 160.
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den Park sollte nun unter anderem mit Mitteln aus dem Aufwertungsbereich des Stadtumbaus finanziert werden. Karte 10: Abrissstandort Niemegker Straße
Um Nutzungskonflikte zu identifizieren, Lösungsvorschläge zu entwickeln und eine belastbare Planungsgrundlage zu schaffen, beauftragte das Quartiersmanagement den externen Träger Camino – Werkstatt für Fortbildung, Praxisbegleitung und Forschung im sozialen Bereich gGmbH – mit der Durchführung eines Mediationsverfahrens zur Erweiterung des Clara-Zetkin-Parks.163 Im November 2005 stellten Camino-Mitarbeiterinnen das Vorhaben im Bewohnerbeirat vor: Auf regelmäßigen Treffen sollten Vertreter aller für die Weiterentwicklung des Parks relevanten Akteurs- und Interessengruppen – Bewohner, Wohnungsunternehmen, bezirkliche Fachämter (die Bereiche Natur und Umwelt, Stadtpla163 Vgl. grundlegend zu Möglichkeiten und Grenzen von Mediationsverfahren Geis 2005, die das Beteiligungsverfahren zur Erweiterung des Frankfurter Flughafens untersucht hat.
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nung sowie Tiefbau), anliegende Gewerbetreibende, freie Träger und das QMTeam – angehört und beteiligt werden. Das Mediationsverfahren zielte auf die Findung und Verabschiedung eines von allen Beteiligten getragenen Gestaltungsvorschlags für die Parkerweiterung. Auch die Vertreter des Bewohnerbeirats wurden zu den Sitzungen eingeladen. Ab Dezember 2005164 fanden im Rahmen des Mediationsverfahrens zunächst mehrere Informationsabende mit durchschnittlich 20 Teilnehmern statt, auf denen die Finanzierungsgrundlagen vorgestellt und die Interessen und Wünsche zur Umgestaltung gesammelt wurden. Einige Teilnehmer wirkten dabei als Multiplikatoren, sprachen im Auftrag einzelner, an den Park angrenzender Institutionen oder als Vertreter einzelner Nutzergruppen und brachten jeweils deren spezifische Wünsche ein. Für die weitere Konkretisierung fanden sich ab Februar 2006 mehrere Interessierte zu regelmäßigen, sogenannten Rundtischgesprächen. Sie trafen sich monatlich bis zum September 2006 im Quartier und erarbeiteten unter Anleitung des Mediatorenteams unterschiedliche, mit der Erweiterung des Clara-Zetkin-Parks zu gewährleistende Nutzungsanforderungen (z.B. Spielplatzbereich, Beachvolleyballfelder, Tischtennisplatten, Rasenflächen, Ruhezonen mit Bänken, Kunst im öffentlichen Raum, unterschiedliche Bepflanzungen etc.). Die verschiedenen Bausteine wurden abschließend zu einem Gesamtkonzept zusammengefügt. Insgesamt ließen sich rund um das Mediationsverfahren keine Kontroversen ermitteln. Hier scheint sich die Vermutung zu bestätigen, dass partizipative Ansätze im Rahmen von Aufwertungsmaßnahmen, bei denen es nichts (mehr) zu verlieren gibt, weniger Konfliktpotenzial in sich bergen als die bedrohlichen Dimensionen von Abriss und Rückbau.165 Die Aufwertungsmaßnahmen, die auf den Abriss nicht mehr benötigter Gebäude der sozialen Infrastruktur folgten, liefen in dieser Stadtumbauphase nahezu vollständig an der Quartiersöffentlichkeit vorbei. Hier vollzog sich gewissermaßen ein zweiter, „stiller Stadtumbau“. Marzahn-Nord war – unabhängig von den Protest mobilisierenden und öffentlichkeitswirksamen Stadtumbaumaßnahmen im Bereich der Wohngebäude – auch Kulisse für den Abriss von Kindertagesstätten und Schulen.166 Aufgrund des Status’ als QM-Gebiet konnten Abriss und Aufwertungsmaßnahmen an diesen Standorten in Marzahn-Nord nicht nur 164 Die Informationen in diesem und dem folgenden Absatz beziehen sich entweder auf Eindrücke aus der unmittelbaren teilnehmenden Beobachtung der Treffen oder auf Einblicke, die auf der Grundlage einer Auswertung der Protokolle des Mediationsverfahrens gewonnen werden konnten. Alle Protokolle lagen der Verfasserin vor. 165 Die in dem Mediationsverfahren entwickelte und abgestimmte Planung wurde in zwei Bauabschnitten in den Jahren 2006 und 2007 umgesetzt. 166 Laut Auskunft von Mitarbeitern des Bezirksamts Marzahn-Hellersdorf wurden in MarzahnNord bis zum Sommer 2007 an neun Standorten leer stehende Kindertagesstätten und an zwei Standorten Schulgebäude bzw. Teile von Schulgebäuden abgerissen.
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über Stadtumbaumittel, sondern auch über Mittel aus dem Programm „Soziale Stadt“ oder über eine Kombination beider Programme finanziert werden. Bei der Gestaltung der neu entstandenen Freiflächen dominierten tendenziell kostengünstige Varianten: Entweder wurden die Flächen nach dem Abräumen der Gebäude überhaupt nicht oder lediglich durch eine schlichte Rasenansaat gestaltet; in einem Fall wurden zudem einige Obstbäume neu gepflanzt.167 Eine partizipative Vorbereitung oder Begleitung dieser Maßnahmen fand nicht statt. Im Rahmen der empirischen Untersuchung fanden sich auch keine Hinweise darauf, dass entsprechende Forderungen von Quartiersbewohnern formuliert worden waren. Eine Ausnahme stellen die „Interkulturellen Gärten“ auf den Flächen einer abgerissenen Kindertagesstätte an der Golliner Straße 8/10 dar: Mit ihnen sollte ein Ort der Begegnung mit niedrigschwelligen Angeboten – unter anderem eine gemeinsame Flächenbewirtschaftung – für Vertreter der verschiedenen im Quartier lebenden Migrantengruppen (Spätaussiedler aus Kasachstan, der Ukraine und Russland sowie Vietnamesen) und der „einheimischen“ Bevölkerung geschaffen werden (vgl. Liebmann 2007: 32). 2005 entstand, gefördert durch Mittel aus den Programmen „Stadtumbau Ost“ und „Soziale Stadt“, Pachtland zur gärtnerischen Betätigung. Das gesamte Projekt ist eingebettet in ein partizipatives Verfahren und folgt einem sozialpädagogischen Ansatz zur Integrationsförderung: Die späteren Nutzer legten gemeinsam und unter Anleitung eines professionellen, eigens damit beauftragten Moderatorenteams das Konzept und seine Umsetzung fest. Dabei hatten sie zunächst eine für alle Beteiligten akzeptable Diskussionsatmosphäre schaffen müssen, um daran anschließend verschiedene Konflikte um Detailfragen bezüglich der Aufgabenbereiche, Zuständigkeiten und gestalterischen Vorgaben für die Parzellen lösen zu können (vgl. Hoffmann u.a. 2007: 12f.). Nachdem die Weichen für die Realisierung des Stadtumbaus in MarzahnNord gestellt und die wesentlichen Entscheidungen über Umfang, Standorte und Finanzierung des Abrisses getroffen worden waren, bestimmten in den Jahren 2004 und 2005 die konkrete Umsetzung und ihre Begleitung durch die Bewohnerschaft den lokalen Stadtumbauverlauf. Dabei lassen sich die Maßnahmen aufteilen in wohnungsbezogen und wohnumfeldbezogen. Bewohnerbeirat und Mieterschutzinitiative konzentrierten sich auf eine kritische Begleitung der wohnungsbezogenen Maßnahmen im Projekt „Ahrensfelder Terrassen“ und unterstützten Mieter bei Problemen mit der WBG Marzahn. Das anfangs konfrontati167 Ausgewählte Beispiele für ausgebliebene Gestaltung oder eine einfache Rasenansaat finden sich an folgenden ehemaligen Standorten von Kindertagesstätten (Stand 05/2008): Wittenberger Straße 16/18, Wörlitzer Straße 7/9, Wörlitzer Straße 23, Kölpiner Straße 9/11 und Hohenwalder Straße 15/17; Obstbäume wurden auf der Fläche Klandorfer Straße 34/36 gepflanzt.
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ve Verhältnis zur WBG wandelte sich hin einer kooperativen Zusammenarbeit, deren augenfälligstes Ergebnis die Durchsetzung des Erhalts der Wohnungen an der Rosenbecker Straße gegenüber der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung war. Hinsichtlich der wohnumfeldbezogenen Maßnahmen sind zwei Aspekte hervorzuheben: Bei den Maßnahmen im unmittelbaren Umfeld der „Ahrensfelder Terrassen“ fand keine Beteiligung statt; sie wurde auch nicht eingefordert. Allerdings wurden thematisch und zeitlich begrenzte Beteiligungsverfahren bei der Weitentwicklung großer, zusammenhängender Stadtumbauflächen angeboten, wie z.B. bei der Erweiterung des Clara-Zetkin-Parks und bei der Einrichtung der „Interkulturellen Gärten“. Aufwertungsprojekte dieser Art zeichnen sich dadurch aus, dass durch sie – im Gegensatz zu den „harten“ Entscheidungen um Abriss und Rückbau – keine Verluste zu befürchten sind. Im Gegenteil: Sie bieten Gestaltungsmöglichkeiten. Insofern ist ihr Konfliktpotenzial niedrig. Innerhalb der Entscheidungsstrukturen des Stadtumbaus hatten diese Verfahren der Planungsbegleitung durch Bewohner einen nachgeordneten Stellenwert. 5.2.5 Erweiterung der Stadtumbaukulisse: Konflikte um das Schorfheideviertel (2006-2007) Zum Jahresende 2005 zeichnete sich ab, dass der Stadtumbau in Marzahn-Nord mit dem Projekt „Ahrensfelder Terrassen“ nicht abgeschlossen war: Die WBG Marzahn hatte sich im Rahmen der Altschuldenentlastung zum Abriss von mehr als 4.000 Wohnungen verpflichten müssen. Dieses Soll war zum Jahreswechsel 2005/2006 bei Weitem nicht erfüllt. Als Abrisskontingente für eine zweite Stadtumbaurunde tauchten im November die Marzahner Standorte Ringkolonnaden, Cecilienstraße/Wuhlestraße und das Schorfheideviertel in Marzahn-Nord in der Berliner Tagespresse auf (vgl. z.B. Berliner Zeitung 2005). Die Rede war von insgesamt 1.256 dort zusätzlich abzureißenden Wohnungen. Für die unsanierten Gebäude im Schorfheideviertel sahen die ersten Planungen eine Weiterführung des Modells „Ahrensfelder Terrassen“ vor, d.h. eine Kombination aus Komplettabriss, Terrassierung durch Teilrückbau und Modernisierung. Die sechsgeschossigen Gebäude Golliner Straße 45-49 sowie Kölpiner Straße 13-23 sollten terrassiert und modernisiert, zwei unsanierte Elfgeschosser (Schorfheidestraße 2/4 und 10/12) sollten komplett demontiert werden. Die Planungen bezogen sich auf insgesamt 262 Wohnungen (s. Karte 11). Das Land Berlin hatte für alle drei Marzahner Standorte bereits Fördermittel in der Höhe von rund 8,5 Millionen Euro bewilligt (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin 2005: 2). 201
Karte 11: Erweiterung der Abrisskulisse in Marzahn-Nord (Stand: 2007)
Die Rahmenbedingungen für den Abriss waren ungewöhnlich, da der Bereich für den Totalabriss an der Schorfheidestraße Teil eines dreizügigen Wohnblocks war. Dessen mittlerer Teil (Nr. 6/8) kam für Abrisse nicht infrage, da er in den Neunzigerjahren an einzelne Mieter und Kleineigentümer veräußert worden war. Die ursprünglich avisierte Privatisierung der benachbarten Wohngebäude (Hausnummern 2/4 und 10/12) musste mangels Nachfrage aufgegeben werden, so dass diese Wohnungen im Bestand der WBG Marzahn verblieben. War bereits die partielle Einzelprivatisierung von Wohnungen in einem elfgeschossigen Gebäudekomplex in einer Ost-Berliner Großsiedlung untypisch, so sorgte die Entscheidung, die benachbarten Aufgänge komplett zu demontieren, nun auch für eine komplexe Ausgangslage im Stadtumbau: Eine Vielzahl von Einzeleigentümern musste informiert und einbezogen werden. Deutlich wurde, dass die im Schorfheideviertel vorzufindenden Rahmenbedingungen für Abrisse nicht optimal geeignet waren. Auch hier verhinderten – ähnlich wie bei dem Vorläuferprojekt 202
„Ahrensfelder Terrassen“ – Entscheidungen, die in den Neunzigerjahren getroffen worden waren, die Realisierung eines städtebaulich sinnvollen Umbaus. Eingedenk der Probleme in der ersten Stadtumbauphase initiierten die Quartiersmanager ein durch das Programm „Soziale Stadt“ finanziertes Beteiligungsverfahren zur Ermittlung von Nutzungs- und Gestaltungsoptionen für die durch die geplanten Abrisse im Schorfheideviertel freiwerdenden Flächen. Der lokale Quartiersrat,168 Vertreter der Stadtentwicklungs- und der Bezirksverwaltung sowie der WBG Marzahn unterstützten das Vorhaben. Zur Umsetzung des Verfahrens wurde ein externer Bewerber ausgewählt, der die Durchführung einer Charrette169 für den betroffenen Teilraum vorgeschlagen hatte. Sie fand im März 2007 an mehreren Tagen direkt im Umbaubereich statt. Zeitgleich verkündete die WBG Marzahn überraschend für alle anderen involvierten Akteure eine Änderung ihrer Stadtumbaustrategie: Hatten sich die bis dahin öffentlich gemachten Abrissplanungen auf 132 Wohnungen in den zwei Elfgeschossern an der Schorfheidestraße beschränkt (vgl. Wir in Marzahn 2006), so sollten jetzt zusätzlich die drei Sechsgeschosser (mit insgesamt 130 Wohnungen) an der Golliner und Kölpiner Straße komplett niedergerissen werden. Sie waren bis dahin für einen Teilrückbau mit ergänzender Modernisierung im Stil der „Ahrensfelder Terrassen“ vorgesehen.170 In der WBG Marzahn hatte es seit 168 Der Quartiersrat für das QM-Gebiet Marzahn-Nordwest wurde im Frühjahr 2006 von den Quartiersmanagern ins Leben gerufen. In dem Gremium entscheiden Vertreter der Bewohner sowie der freien Träger, Vereine, Bildungsinstitutionen und Wohnungsunternehmen über die Vergabe aller dem Quartier zur Verfügungen stehenden Mittel aus dem Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“. In Berlin liegt mittlerweile die Entscheidung über „Soziale Stadt“-Mittel in allen QM-Gebieten bei eigens dafür installierten lokalen Quartiersräten; vgl. dazu Kap. 6.2.2.5. 169 In einer Charrette (frz.: „Karren“; ein innerhalb der US-amerikanischen New Urbanism-Bewegung in den Achtzigerjahren entwickeltes Planungsverfahren, dessen französischer Name sich auf den Fertigstellungsprozess der Examensarbeiten der Pariser Kunstakademie im 19. Jahrhundert bezieht: Die letzten Pinselstriche wurden oftmals – und unter reger Anteilnahme der Bevölkerung – noch auf dem Karren, mit dem die Arbeiten zur Akademie transportiert wurden, erledigt; vgl. Kegler 2005) erarbeitet eine interdisziplinär zusammengesetzte Gruppe in einer offenen Planungswerkstatt, die sich über mindestens vier Tage erstreckt, mit diversen Interessengruppen, Betroffenen, Entscheidungsträgern und Experten auf der Grundlage einer städtebaulichen oder freiraumplanerischen Fragestellung ein Ergebnis, das in Form von Entwicklungskonzepten oder Masterplänen formuliert wird (vgl. Kegler 2005, Bischoff u.a. 2005: 143147). Trotz ihrer methodischen Flexibilität gelten auch für eine Charrette die grundsätzlichen Chancen und Grenzen informeller Beteiligungsverfahren für Großgruppen: Gelingt die Einbeziehung vieler Interessen, dann können sie einen größtmöglichen Konsens über das Ergebnis garantieren. Wenn das Verfahren allerdings nicht konsequent öffentlich und transparent organisiert ist, oder die verantwortlichen Entscheidungsträger den Prozess, seine Weiterführung und Umsetzung nicht tragen, dann muss auch eine Charrette scheitern. 170 Angedeutet hatte sich dieser Kurswechsel bereits im Sommer 2006: In Experteninterviews, die Studierende des Geographischen Instituts der Humboldt-Universität im Rahmen eines Projektseminars zur zweiten Stadtumbauphase in Marzahn-Nord führten, betonten verschiedene
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dem Abschluss des Projekts „Ahrensfelder Terrassen“ einen Wechsel in der Geschäftsführung gegeben. Nunmehr hieß es aus dem Unternehmen: „Wir können es uns an diesem Standort nicht leisten, den Leerstand zu sanieren.“ Damit orientierte sich die neue Leitung ausgerechnet an der Maxime, die in der ersten Stadtumbauphase den damaligen Stadtentwicklungssenator mit seiner Zustimmung für die Fördermittel hatte zögern lassen. Ein Teil der für die Modernisierung im Schorfheideviertel bereitgestellten Gelder sollte in ein seniorengerechtes Umbauprojekt in einen anderen Stadtumbaustandort in Marzahn (Bereich Ringkolonnaden) fließen, der andere Teil sollte den Einbau von Fahrstühlen in teilsanierten Gebäude in der Schorfheidestraße finanzieren. Die Erweiterung der Abrisskulisse und die beiläufige und nachträgliche Kommunikation dieser Entscheidung durch die WBG Marzahn belasteten die Durchführung der Charrette171: Bewohnerbeirat und Mieterschutzinitiative warfen dem Wohnungsunternehmen vor, mit seinem „Überrumpelungsversuch“ schnell Tatsachen schaffen zu wollen und sich über die in der ersten Stadtumbauphase entwickelten Absprachen und Kommunikationskanäle hinwegzusetzen. Sie unterstellten der WBG, die Planungswerkstatt zur pseudo-partizipativen Legitimierung ihres Alleingangs missbrauchen zu wollen. Die organisierten Bewohner protestierten mit Plakataktionen, offenen Briefen, Pressemitteilungen und einem absichtlichen Fernbleiben von der Charrette. Die Ablehnung der Charrette als Reaktion auf den Kurswechsel der WBG Marzahn beschränkte sich nicht nur auf den Bewohnerbeirat, sondern zog sich durch verschiedene Einrichtungen im Quartier. Beispielsweise entschied sich ein Schulleiter gegen eine zuvor zugesagte Mitwirkung seiner Schüler an der Charrette, da es sich bei dem Verfahren seiner Ansicht nach nur noch um eine „Alibibeteiligung“ und einen „Missbrauch von Engagement“ handelte. War die Einrichtung der Charrette als Forum für die Planung der weiteren Entwicklung des Teilraums zunächst von allen Akteuren im Quartier (einschließlich Vertretern der Bewohner und der WBG Marzahn) getragen worden, geriet das Verfahren angesichts der Veränderung der Planungsgrundlage durch das Wohnungsunternehmen in eine folgenreiche Schieflage. Mit ihrem Alleingang desavouierte die WBG Marzahn alle zuvor getroffenen Kooperationsvereinbarungen. Sie bezeichnete ihre Entscheidung als feststehendes Ergebnis einer internen Überprüfung der Stadtumbaustrategie und sah sich weder zu einer tieferGesprächspartner die Einmaligkeit der „Ahrensfelder Terrassen“ und die Notwendigkeit, in der zweiten Phase aus Kostengründen den Abrissanteil in den Vordergrund rücken zu müssen (vgl. Huhn/Bergmann 2007: 15ff.). 171 Die Informationen in diesem Absatz beziehen sich entweder auf Eindrücke aus der unmittelbaren teilnehmenden Beobachtung der Treffen oder auf Einblicke, die auf der Grundlage einer Auswertung der Unterlagen zur Charrette gewonnen werden konnten (vgl. Gruppe F/TS Redaktion 2007).
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gehenden Begründung der Kursveränderung noch zur Diskussion ihrer Entscheidung im Quartier veranlasst. Implizit unterstützt wurde dieses Vorgehen von der für die Programmsteuerung und die Bereitstellung von Fördermitteln zuständigen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Die hatte bereits 2005 festgelegt, dass die „Entscheidungen über Abriss, Sanierung oder Verkauf von Wohnungsbeständen […] die Geschäftsleitung des jeweiligen Wohnungsunternehmens in eigener Verantwortung [trifft]“ (Abgeordnetenhaus von Berlin 2005: 2).
Damit illustrieren die Ereignisse rund um die Charrette auch die ambivalente Beteiligungsstrategie der für den Stadtumbau zuständigen Senatsverwaltung: Auf der einen Seite wird ein Einbezug der betroffenen Bewohner grundsätzlich begrüßt, auf der anderen Seite wird aber nichts unternommen, um im Konfliktfall das landeseigene Wohnungsunternehmen auf den unbequemen Weg der Partizipation zu verpflichten. Bewohnerbeteiligung wird damit gewissermaßen zu einem vom Wohnungsunternehmen zu gewährenden „Gnadenakt“. Im Verlauf und in den Ergebnissen der Charrette zeichnete sich zudem eine weitere, in partizipativer Hinsicht interessante Wendung ab: Aufgrund des Fernbleibens verschiedener Akteure wurden die Einzeleigentümer aus dem Elfgeschosser Schorfheidestraße 6/8 zur im Verfahren am stärksten vertretenen Anwohnergruppe. Sie hatten frühzeitig den Wunsch nach Garagen auf den neu entstehenden Flächen vorgetragen. Dem mussten die Fachplaner – in Ermangelung weiterer, von anderen Quartiersakteuren formulierter Vorstellungen – getreu des Ansatzes der Charrette auch gerecht werden. Um zumindest perspektivisch Nutzungsoptionen offen zu halten, wurden die Garagen in Form von Multifunktionsboxen umgesetzt. Die Planungen sahen vor, diese als Werkstatt, Hobby-, Vereins- und Proberaum, Nachbarschaftstreffpunkt oder eben auch als Garage zu vermieten. Damit setzte sich in einem Beteiligungsverfahren, das durch das Programm „Soziale Stadt“ gefördert wurde, das partikularistische Interesse von Einzeleigentümern an einer abschließbaren und überdachten Unterbringung ihrer Fahrzeuge durch. Der grundsätzliche Anspruch des Quartiersmanagements, alle Bewohnergruppen erreichen zu wollen, trat in den Hintergrund. Ermöglicht wurde ein solches Ergebnis nicht zuletzt durch das Prinzip der Charrette, orientiert sie sich doch an dem Grundsatz „Wer dabei ist, nimmt teil; wer weg bleibt, wird nicht beachtet“. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass dialogische Verfahren dieser Art die Einbindung möglichst vieler relevanter Nutzungsinteressen nicht unbedingt gewährleisten können. An der Schorfheidestraße wurden die für den Abriss vorgesehenen Elfgeschosser im Verlauf des Sommers 2007 abgeräumt. Im Frühjahr 2008 wurden die Häuser an der Golliner und Kölpiner Straße ebenfalls vollständig beseitigt. 205
Insgesamt wurden in Marzahn-Nord im Rahmen von „Stadtumbau Ost“ an drei verschiedenen Standorten bzw. Teilräumen 1.655 Wohnungen abgerissen (s. Karte 12). Karte 12: Stadtumbaubereiche in Marzahn-Nord (Stand: 2008)
Die den Stadtumbau ergänzenden Modernisierungsmaßnahmen bezogen sich auf 541 Wohnungen im Quartier (vgl. Tabelle 13). Mit einem Abriss von 1.223 Wohnungen ragt das im Jahr 2002 konzipierte und 2003/2004 umgesetzte Projekt „Ahrensfelder Terrassen“ nicht nur in Marzahn-Nord, sondern auch bezogen auf Gesamt-Berlin deutlich hervor.172 172 Die Abrisse im Rahmen des Programms „Stadtumbau Ost“ gehen in Berlin nicht nur in einem Stadtumbaugebiet vonstatten, sondern finden an verschiedenen Standorten unterschiedlicher Größe statt. Teils handelt es sich dabei um einzelne Gebäude, teils um Standorte, die sich über mehrere Straßen erstrecken. Laut Auskunft der Stadtentwicklungsverwaltung wurden bis zum Jahr 2007 insgesamt 4.415 Wohnungen abgerissen (vgl. SenStadt 2007). Der Großteil der Wohnungen befand sich in den Großsiedlungen Marzahn und Hellersdorf (lediglich zwei
206
Tabelle 13: Wohnungsbezogene Stadtumbau-Ost-Standorte in Marzahn-Nord Standort
Umfang
Realisierung
Niemegker Str. 17-23
Abriss: 170 Wohneinheiten (WE)
2003
„Ahrensfelder Terrassen“: Havemannstr. 7-15, 14-22; Rosenbecker Str. 15, 4-8, 10-22; Eichhorster Str. 2-12, 44-60, Wörlitzer Str. 1, 41.
Abriss bzw. Rückbau: 1.223 WE Modernisierung: 409 WE + 38 Eigentums-WE
2004-2005
„Schorfheideviertel“: Abriss: 262 WE 2007-2008 Schorfheidestr. 2/4, 10/12; Golliner Str. 45-49; Modernisierung: 94 WE Kölpiner Str. 13-23; Schorfheidestr. 14-26 Eigene Zusammenstellung nach Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin (Stand: 01/2007) und des Bezirksamts Marzahn-Hellersdorf (Stand: 06/2007).
5.2.6 Zwischenfazit: Fragmentierte Beteiligung im Geflecht divergierender Interessen Zusammenfassend sind mehrere Punkte zum Zusammenhang von Stadtumbau und Partizipation in Marzahn-Nord festzuhalten: In Entsprechung zum Ausschluss der breiten Bevölkerung von der konzeptionellen Vorbereitung des Programms „Stadtumbau Ost“ auf der Berliner Landesebene wurden auch die Bewohner von Marzahn-Nord nicht an der Konzeptentwicklung für den Stadtumbau in ihrem Quartier beteiligt. Die Konzeptvarianten entstanden in einem vertraulich arbeitenden Kreis aus professionellen Akteuren der Bauverwaltung, Wohnungswirtschaft und Stadtplanung. Es kann auch keine Rede davon sein, dass Quartiersbewohner frühzeitig über die entsprechenden Pläne informiert worden sind. Entgegen der Darstellung des Beitrags für den Bundeswettbewerb „Stadtumbau Ost“, der den Eindruck einer gesicherten Einbeziehung von Bewohnern in die Stadtumbauplanungen für Marzahn-Nord vermittelte, erfuhren diese tatsächlich erst durch die Tagespresse von den Abrissplänen. Folglich betrieben die zuständigen Verwaltungsstellen und das Wohnungsunternehmen Beteiligung als Versuch einer nachträglichen LegitimationsStandorte lagen außerhalb, nämlich im Stadtumbaugebiet am Ostkreuz). Angesichts eines Bestands von mehr als 100.000 Wohnungen in den beiden Großsiedlungen stellen die dort realisierten Abrisse von insgesamt gut 4.400 Wohnungen – abgesehen von Marzahn-Nord – eher punktuelle Eingriffe in die einzelnen Quartiere dar (vgl. Fritsche/Lang 2007). Im Rahmen der Umsetzung des Stadtumbauprogramms macht Berlin zudem von der Möglichkeit subventionierter Abrisse leer stehender Gemeinbedarfseinrichtungen (insb. Kindertagesstätten, Schulen und Schulcontainer) Gebrauch. Bis zum Frühjahr des Jahres 2007 wurde an 220 Standorten ein Abbruch bewilligt. Die Hälfte dieser Standorte (113) befindet sich in Marzahn-Hellersdorf (vgl. ebd.: 24, Grunze 2007: 51-56, Gruppe Planwerk u.a. 2005).
207
beschaffung in Form von punktuellen Informationsveranstaltungen und erklärenden Anschreiben an betroffene Mieter. Damit bestätigt die Rekonstruktion des Stadtumbauverlaufs in MarzahnNord für die Konzeptionsphase einen Teil der Befunde der sozialwissenschaftlichen (Begleit-)Forschung zu „Stadtumbau Ost“173: Erst nachdem Gerüchte und Vermutungen über etwaige Abrisse überhandnahmen und betroffene Mieter Aufklärung forderten, wurden Wohnungsunternehmen und Stadtentwicklungsverwaltung aktiv und machten mittels einer One-way-Informationsstrategie im Rahmen von Versammlungen die bereits getroffenen Entscheidungen im Quartier bekannt. Allerdings informierten sie nicht klar und umfassend über die Planungen, vielmehr war die offizielle Informationspolitik geprägt durch eine „Salami-Taktik“ des scheibchenweisen, selektiven Herausreichens von Wissen. Im Hinblick auf die Lüttringhaussche Beteiligungspyramide174 handelte es sich dabei schlicht um die untersten Beteiligungsstufen: „Beobachtung und Begleitung“ auf der Seite der Bewohner, „Information“ auf der Verwaltungsseite. Die in der Konzeptions- und Vorbereitungsphase des Stadtumbaus in MarzahnNord dominierende Form der Bewohnerbeteiligung lässt sich – im Sinne Arnsteins – als nachträglich inszenierte Pseudo-Partizipation interpretieren: Einerseits versicherten die für die Konzepterstellung Verantwortlichen, dass der Einbezug der Bewohnerschaft gewährleistet sei, andererseits waren alle grundsätzlichen Fragen bereits im Vorfeld, bevor die Quartiersbewohner in Kenntnis gesetzt wurden, entschieden worden. Dieser Strategie lag schlussendlich die Figur des unmündigen Bürgers zugrunde, der nicht durch zu viele Informationen überfordert und verschreckt werden darf. Wenn Beteiligung systematisch und gezielt angeboten wurde, dann im Rahmen der Aufwertungsprojekte des Stadtumbaus – wie z.B. bei der Erweiterung des Clara-Zetkin-Parks oder der Einrichtung des „Interkulturellen Gartens“. Dabei handelte es sich um Beteiligungsverfahren, die in finanzieller und auch organisatorischer Hinsicht vom Programm „Soziale Stadt“ und seinen lokalen Strukturen profitierten. Innerhalb der Entscheidungsstrukturen des Stadtumbaus hatten diese Partizipationsangebote jedoch einen nachrangigen Stellenwert: Sie fanden statt, nachdem strittige Stadtumbaufragen bereits geklärt waren, zeichneten sich durch eine inhaltliche Begrenzung auf Fragen der Nachnutzung von Freiflächen aus und schufen damit eine Ausgangslage, in der kein Beteiligter Verluste zu befürchten hatte. Insofern können sie als klassische Verfahren der Beteiligung bei Fragen der Wohnumfeldgestaltung angesehen werden. Im Hinblick auf das Beteiligungsniveau bewegen sich Verfahren dieser Art zwar in den Bereichen von „mitwirken“ und „mitentscheiden“, indem aber Inhalte und Gel173 Vgl. die entsprechenden Ausführungen in Kap. 2.2. 174 Vgl. zu Beteiligungsleiter und Beteiligungspyramide Kap. 2.3.2.
208
tungsbereich des Partizipationsangebots verwaltungsseitig vorab festgelegt (und insofern eingeräumt) werden, handelt es sich bei ihnen eher um eine Beteiligung ohne Risiken und Nebenwirkungen. Für Marzahn-Nord ist der Befund eines weitreichenden Ausschlusses von Bewohnern überraschend, da partizipative Strukturen und Gremien, die für eine frühzeitige und offene Einbeziehung hätten genutzt werden können, existierten: Mitte der Neunzigerjahre hatten Mitarbeiter der „Plattform Marzahn“ im Rahmen des „Integrierten Entwicklungskonzepts Marzahn“ versucht, einen Arbeitskreis in Marzahn-Nord aufzubauen, ab 2000 traf sich auf Initiative der zwischenzeitlich beauftragten Quartiersmanager regelmäßig der Bewohnerbeirat zur Begleitung des QM-Prozesses und der Quartiersentwicklung. Dieses Gremium hätte zur Sicherstellung eines Informationsflusses in das Quartier sowie zur Organisation einer Bewohnerbeteiligung genutzt werden können. Zudem nahmen die Quartiersmanager an den Expertenrunden zur Entwicklung der Konzepte für den Stadtumbau teil; grundsätzlich wären sie für eine Vermittlung der Pläne in das Quartier geeignet gewesen. Da sie den vertraulichen Charakter der Stadtumbaukonzipierung jedoch nicht gefährden wollten, beschränkten auch sie sich darauf, die Informationen, die auf anderen Kanälen bereits in das Quartier gesickert waren, zu bestätigen. Als Gründe für den Ausschluss von Bewohnern und die Nicht-Beachtung partizipativer Minimalstandards führten verschiedene Interviewpartner diffuse Ängste vor einem nicht kontrollierbaren Dialog mit Betroffenen oder die Komplexität und Vertraulichkeit der Planungen an. Entscheidend war darüber hinaus die unklare Stadtumbaustrategie der Berliner Landespolitik: Als im Spätsommer 2002 die Notwendigkeit von Abrissen im Quartier erstmals kommuniziert worden war, lagen weder ein klares städtebauliches und organisatorisches Konzept noch eine gesicherte Finanzierung des Stadtumbauprojekts vor. Die ursprünglich von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung propagierte strukturierte Information und Beteiligung der Bewohnerschaft, die zudem von Synergieeffekten mit dem Programm „Soziale Stadt“ profitieren sollte, konnte so nicht realisiert werden. Als Folge der unzureichenden Informationspolitik und des über Monate hinweg ungeklärten Stadtumbaukurses begleiteten Skepsis und Misstrauen aus der Bewohnerschaft die Stadtumbaupläne. Die Erfahrung des Übergangenwerdens rief Empörung hervor und mobilisierte Kritik und Gegenrede, so dass die Konkretisierung der Pläne für Marzahn-Nord von einer unerwarteten, Anfang 2003 aufflammenden und anderthalb Jahre andauernden Protestdynamik begleitet wurde: Als Gegenbewegung zur offiziellen Hinhaltetaktik organisierten betroffene Mieter ihre Belange und Interessensbekundungen weitgehend in Eigenregie. Zum Dreh- und Angelpunkt dieser selbstorganisierten Beteiligung wurde 209
der Bewohnerbeirat. Seine Mitglieder führten Einwohnerversammlungen durch, verteilten Informationsblätter, gründeten eine Mieterschutzinitiative, schrieben offene Briefe und parlamentarische Eingaben, suchten die Diskussion mit verschiedenen Stadtumbauakteuren, gingen eine strategische Allianz mit dem Wohnungsunternehmen ein, wählten mit dem „Fluchtversuch“ nach Brandenburg eine kreative Form des Protests und stellten so schließlich eine weit über die Quartiersgrenzen hinausreichende Öffentlichkeit für ihre Forderungen her. Insofern ist Marzahn-Nord ein Beispiel für produktive, Protest und Engagement hervorbringende Reaktionen der Bewohnerschaft auf den Stadtumbau und die damit einhergehenden Ausschlusserfahrungen. Ein beteiligter Bewohner wies im Gespräch darauf hin, dass die Mehrzahl der Beiratsmitglieder nicht nur zu den Erstbeziehern des Quartiers gehörte, sondern zudem auch jeder Einzelne nach dem Mauerfall die Entwertung seines Ausbildungsweges, seiner Arbeitsbiographie und seines gesamten bisherigen Lebensentwurfes ohnmächtig mit ansehen musste. Angesichts dieser einenden Erfahrungen bezeichnete er die Quartiers- und Stadtumbauaktivitäten der Gruppe als „einzige Möglichkeit, den Transformationsfrust positiv zu wenden und zugleich dem Verantwortungsgefühl für das Wohngebiet Ausdruck zu geben“. Bezogen auf die konkrete Umsetzung der Stadtumbaupläne fand dieses Engagement seinen Höhepunkt in der Freigabe der für die „Ahrensfelder Terrassen“ notwendigen Modernisierungsmittel durch den Bausenator im Dezember 2003 sowie in der Modifizierung der Abrissentscheidung für die Rosenbecker Straße im Mai 2004. Im Verlauf ihres Engagements erachteten die Bewohner die WBG Marzahn, die anfangs als „Wohnraumzerstörerin“ und „Quartiersvernichterin“ galt, zunehmend als ihre Verbündete, mit der sie die „Schlacht“ gegen den Bausenator gewonnen hatten. Dementsprechend fassungslos reagierten sie auf den Alleingang des Wohnungsunternehmens bei der Erweiterung der Abrisskulisse im Schorfheideviertel drei Jahre später – als sie realisierten, dass die veränderten Pläne mit der Initiierung einer Charrette lediglich einen partizipativen Anstrich erhalten sollten. Vor diesem Hintergrund sind drei für den Zusammenhang von Partizipation und Stadtumbau in Marzahn-Nord konstitutive Aspekte zu unterstreichen: die Rolle der WBG Marzahn als Beteiligung fördernder bzw. hemmender Akteur, die Bedeutung des Bewohnerbeirats als Zentrum der Protestmobilisierung und die ambivalente Position des Quartiersmanagements dabei. War die WBG in der ersten Stadtumbaurunde eine strategische Allianz mit dem Bewohnerbeirat zum Erhalt eines ursprünglich für den Abriss vorgesehenen Gebäudes eingegangen, so wurde im Zuge ihres Alleingangs bei der Entscheidung über die Totalabrisse im Schorfheideviertel deutlich, dass die Zusammenarbeit mit dem Gremium instrumentell und nicht dauerhaft war. In den Plänen des Wohnungsunternehmens erschien der Bewohnerbeirat anfangs als nützlicher 210
Partner und seine gezielte Versorgung mit exklusiven Informationen als opportun. Bei der Erweiterung der Abrisskulisse in der zweiten Stadtumbaurunde wurde er als störender Faktor in der Entscheidungsfindung begriffen. Im Schorfheideviertel war die strategische Einbeziehung von Bewohnern zum Erreichen der Ziele des Unternehmens nicht relevant, die Allianz mit dem Bewohnerbeirat erwies sich als Sollbruchstelle. Maßgeblich für den Stadtumbaukurs der WBG war eine Sachzwanglogik, die sich als von Standort zu Standort unterschiedliches Zufallsprodukt aus dem Zusammenwirken von Finanzierungsmöglichkeiten, Förderpolitiken und Unternehmensstrategie ergab. Deutlich wurde darüber hinaus, dass das Wohnungsunternehmen als ein zentraler Akteur der Stadtumbaudurchführung eine erheblich höhere Vetomacht am Verhandlungstisch besaß als die Bewohner. Dem Bewohnerbeirat kam im Stadtumbau eine schillernde Bedeutung zu: Das Bewohnergremium, das die Entwicklung des „Soziale Stadt“-Gebiets begleitete, wurde zu Anfang weder von der Senatsverwaltung noch vom Wohnungsunternehmen zur Information und Kommunikation des Stadtumbauvorhabens genutzt. Damit wurde die Chance vergeben, die vorhandene Partizipationsstruktur um eine koordinierte Begleitung des Stadtumbaus zu erweitern. Bei den Mitgliedern des Beirats ließ dies eine grundsätzlich konfrontative Grundhaltung entstehen, die schließlich dafür sorgte, dass der Beirat als Keimzelle, Drehscheibe und Katalysator des selbstorganisierten Bewohnerprotestes gegen den Stadtumbau fungierte. Allerdings wandelte sich der Stellenwert des Beirats nach dem Erfolg der modifizierten Abrissentscheidung in der Rosenbecker Straße: Den Mitgliedern gelang weder eine Besetzung neuer Themen, noch eine Erweiterung des Kreises von Mitstreitern. Die in der Vorbereitung der Umbaumaßnahmen zeitweilig an den Treffen teilnehmenden interessierten Bewohner konnten nicht über den Stadtumbau hinaus im Beirat gehalten werden. Interne Auseinandersetzungen um Selbstverständnis und inhaltliche Ausrichtung lähmten das Gremium zusätzlich. Zudem wirkte sich die Instrumentalisierungserfahrung im Konflikt um das Schorfheideviertel auf die Engagementbereitschaft der Mitglieder des Bewohnerbeirats aus: Enttäuschung, Wut und der Rückzug ins Private waren die Folgen. Als problematisch lässt sich das Verhältnis zwischen Bewohnerbeirat und Quartiersmanagern bewerten: Wurde der Beirat zu Beginn der Protestmobilisierung noch von den Quartiersmanagern unterstützt, so stellte der Stadtumbauverlauf mit seinen Kommunikationsdefiziten eine stetig anwachsende Belastung des Verhältnisses zwischen Quartiersmanagern und Bewohnerbeirat dar. Mitglieder des Beirats warfen den Quartiersmanagern vor, an der Entwicklung des Stadtumbaukonzepts mitgewirkt und den Rat dabei hintergangen zu haben. Dass die Quartiersmanager in der Runde aus Stadtumbauexperten nur einen Zuhörerstatus 211
und keinerlei direkten Einfluss auf städtebauliche, wohnungswirtschaftlich sensible oder finanzielle Entscheidungen sowie ihrerseits für eine koordinierte Einbeziehung der Quartiersbewohner plädiert hatten, konnte in den heftigen Kontroversen nicht vermittelt werden. Der Tiefpunkt des Verhältnisses war erreicht, als den Quartiersmanagern unterstellt wurde, als verlängerter Arm der Senatsverwaltung an der „Zerstörung“ von Marzahn-Nord mitzuwirken. Im Zuge der Aktivierung von Bewohnern im „Soziale Stadt“-Prozess waren Strukturen entstanden, die sich nun im Stadtumbauprotest verselbständigt hatten. Darüber hinaus gelangte die Kooperation zwischen Bewohnerbeirat und Quartiersmanagern in den Stadtumbaukonflikten an ihre Grenzen und wurde nachhaltig erschüttert. Festzuhalten ist, dass es in Marzahn-Nord zwar bereits vor dem Stadtumbau mehrjährige Erfahrungen mit Beteiligung gegeben hatte, die Umsetzung des Stadtumbaus aber weder in partizipativ-strategischer noch in organisatorischer Hinsicht von den vorhandenen Beteiligungsstrukturen profitieren konnte. Vielmehr wurde deutlich, dass es in den Jahren vor dem Stadtumbau engagierten Bewohnern und Quartiersmanagern weder gelungen war, das Wohnungsunternehmen und Akteure aus Politik und Verwaltung auf einen gemeinsamen Diskurs zur Quartiersentwicklung zu verpflichten, noch belastbare und verbindliche Beteiligungsstandards zu schaffen, auf deren Einhaltung sie im Stadtumbau hätte pochen können. Erschwerend kamen Größe und personelle Zusammensetzung des Bewohnerbeirats hinzu: Mit durchschnittlich zehn, in den Hochzeiten des Stadtumbaus zeitweilig auch zwanzig Teilnehmern, die sich größtenteils aus Angehörigen der Erstbeziehergeneration mit spezifischen, den Blick auf Beteiligung prägenden Erfahrungen und Ansichten rekrutierten, bildete er lediglich einen Ausschnitt der im Quartier vertretenen Lebensentwürfe ab.175 Das Beispiel Marzahn-Nord verdeutlicht, dass es zu kurz gegriffen wäre, die Gewährleistung von Beteiligungsstandards im Stadtumbau an das Vorhandensein lokaler Bewohnergremien zu koppeln. Vielmehr wurden in MarzahnNord die Spielräume, in denen Beteiligung stattfand, von einem für Bewohner nur schwer zu durchschauenden und kaum zu beeinflussenden Geflecht aus divergierenden Interessen und (vermeintlichen) Handlungszwängen auf Seiten des Wohnungsunternehmens und der Verwaltungsstellen bestimmt. Mal war Beteiligung erwünscht, zu anderen Anlässen wurde sie als verzichtbar angesehen, mal wurde sie zwar angeschoben, aber dann wieder abgebrochen. Die ständig wechselnden Signale und die Kommunikationsdefizite auf der Seite der Politik und der Wohnungswirtschaft wurden von den Bewohnern mit Skepsis beäugt, als frustrierend oder auch undemokratisch empfunden und zum Teil massiv kritisiert. Deutlich wird am Beispiel Marzahn-Nords, dass unkoordinierte Partizipati175 Vgl. dazu auch die Anmerkungen zu Mitwirkungsmöglichkeiten in der DDR auf der Ebene der Wohngebiete in Kap. 4.2.2.
212
onsangebote die Entstehung akteursübergreifender Prozesse der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung im lokalen Stadtumbau eher erschweren als ermöglichen. 5.3 Vergleichende Darstellung der Partizipation im Stadtumbau An dieser Stelle sollen die bereits in den Schlussfolgerungen am Ende der beiden Fallbeispiele präsentierten Zusammenfassungen pointiert und in tabellarischer Form einander gegenübergestellt werden. Dafür werden die in Tenever und Marzahn-Nord zum Stellenwert von Partizipation gemachten Beobachtungen sowie die Resultate der rekonstruierenden Analyse des Stadtumbauverlaufs grob in zwei Bereiche unterteilt: Vorbereitung des lokalen Stadtumbauprojektes im Allgemeinen (vgl. Tabelle 14) sowie Stellenwert und Formen von Bewohnerbeteiligung im lokalen Stadtumbauverlauf im Besonderen (vgl. Tabelle 15). Die Gegenüberstellungen verdeutlichen, dass nicht nur Vorgeschichten und Verläufe der lokalen Stadtumbauprojekte voneinander abweichen, sondern zudem auch Formen und Stellenwert von Beteiligung im Stadtumbau sich deutlich unterscheiden. Während in Tenever ausschließlich quartierspezifische Entwicklungen (Spekulationen auf dem lokalen Wohnungsmarkt, damit einhergehender Modernisierungsstau, zunehmender Verfall von Gebäuden und Wohnungen und wachsende Leerstände) die Erstellung eines Umbaukonzepts dringlich machten, glich die Ausgangssituation in Marzahn-Nord denen anderer ostdeutscher Großsiedlungen, weshalb das Quartier in das Förderschema des Programms „Stadtumbau Ost“ passte: Kontinuierliche Einwohnerverluste in den Neunzigerjahren hatten zu Leerständen geführt und mit der WBG Marzahn war ein zur Beantragung von Stadtumbaugeldern berechtigtes Wohnungsunternehmen vorhanden, das im Quartier zudem über einen vergleichsweise hohen Bestand an unsanierten Wohnungen verfügte. Die Repräsentanten des politisch-administrativen Systems und des involvierten Wohnungsunternehmens betrachteten das Förderprogramm „Stadtumbau Ost“ als finanziellen Anreiz zur Ordnung des lokalen Wohnungsmarkts. Anlässlich der Ausschreibung des Bundeswettbewerbs „Stadtumbau Ost“ veranlasste die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Erstellung eines Umbaukonzepts, welches als Wettbewerbsbeitrag eingereicht werden konnte. Bei der Erstellung knüpften die Konzeptverantwortlichen an Überlegungen zur Weiterentwicklung der Großsiedlungen in Marzahn und Hellersdorf an, die bereits zwölf Monate zuvor angestellt worden waren. Die Quartiersbewohnerschaft war dabei nicht involviert. Zudem fand sich kein Beleg dafür, dass die einen Umbau notwendig machenden Rahmenbedingungen in der Quartiersöffentlichkeit thematisiert worden wären. 213
Tabelle 14: Vorbereitung der lokalen Stadtumbauprojekte in Tenever und Marzahn-Nord Tenever
Marzahn-Nord
Vorgeschichte des Stadtumbaus
quartiersspezifische Entwicklungen; Bewohner fordern seit Mitte der Neunzigerjahre ein Sanierungskonzept für das Quartier
für ostdeutsche Großsiedlungen charakteristische Entwicklungen; in der Bewohnerschaft werden die erwähnten Entwicklungen nicht thematisiert
Jahr der Erstellung des Stadtumbaukonzepts
2000, d.h. noch vor der Initiierung von „Stadtumbau West“
2002, in Folge der Ausschreibung des Bundeswettbewerbs „Stadtumbau Ost“: Entwicklung eines Konzepts für Marzahn-Nord (ab 2001 Arbeit an einem allg. Konzept für die Großsiedlungen Marzahn und Hellersdorf)
Initiierende Akteure für Konzepterstellung
Wohnungsunternehmen, Verwaltungsstellen, Politik
Landesverwaltungsstellen
Förderprogramm wurde im Quartier aufgefasst als...
... von allen relevanten Akteuren als willkommene Ergänzung einer lange gesuchten Lösung
... von Akteuren aus Verwaltung und Wohnungswirtschaft als weitere finanzielle Gelegenheit zur Ordnung des Wohnungsmarktes, ... von Bewohnern als Bedrohung
Informationspolitik im Hinblick auf Konzept und Konzepterstellung
eher transparent, alle Quartiersakteure einbeziehend
eher selektiv, hinhaltend, „Salami-Taktik“
Erste Bewohnerreaktionen auf Stadtumbaupläne
Freude und Erleichterung
Skepsis und Angst
Mai 2004
Januar 2004
Beginn der Umbaumaßnahmen Eigene Zusammenstellung.
Insofern fanden in Marzahn-Nord die Weichenstellungen für die Umsetzung des Stadtumbauprogramms aus Bewohnersicht im Bereich der Non-Decisions176 statt: Die grundsätzlichen Entscheidungen – einerseits Stadtumbaugelder zur Bereinigung des Wohnungsbestands im Quartier zu nutzen, andererseits die abzureißenden Gebäude objektgenau festzulegen – wurden unter Ausschluss der 176 Vgl. die entsprechenden Ausführungen in Kapitel 2.3.
214
Quartiersöffentlichkeit getroffen. Eine Runde aus Vertretern des Wohnungsunternehmens und der involvierten Verwaltungsstellen sowie verschiedenen mit der Konzepterstellung und der Prozessbegleitung beauftragten Planern entschied exklusiv darüber, welche Themen nicht zur Disposition und öffentlichen Diskussion gestellt werden sollten. Für Bewohnergruppen oder Mietervereinigungen hatten sie in dieser Phase der Konzepterstellung keine Funktion vorgesehen. Demgegenüber übernahmen die Teneveraner Quartiersakteure – einschließlich der in der Stadtteilgruppe organisierten Bewohner – eine deutlich aktivere Rolle in der Vorgeschichte des Umbauprojekts, indem sie verschiedene politische Entscheidungsträger über Jahre hinweg auf die Notwendigkeit einer umfassenden Lösung für das Quartier hinwiesen und damit zur Entstehung eines nicht mehr zu ignorierenden Handlungsdrucks beitrugen. Bereits Ende der Neunzigerjahre hatte eine Koalition, bestehend aus dem städtischen Wohnungsunternehmen GEWOBA, den relevanten Verwaltungsstellen und weiteren Vertretern des lokalen politisch-administrativen Systems, die Arbeit an Plänen zum Umbau des Wohnungsbestands aufgenommen. Als Folge lag ein entsprechendes Umbaukonzept in groben Zügen bereits zwei Jahre vor der Initiierung des ExWoSt-Forschungsfeldes „Stadtumbau West“ vor. Vor diesem Hintergrund wurde die Unterstützung durch „Stadtumbau West“ als willkommene Ergänzung begrüßt. Die Stadtteilgruppe als Interessensvertretung der Quartiersakteure wurde nicht nur regelmäßig über den Fortgang der Planungen informiert, ihre Vertreter nahmen auch an den entsprechenden Expertenrunden teil. Die Weichenstellungen des Stadtumbaus waren also keinesfalls ohne eine Einflussnahme der Quartiersbevölkerung vorgenommen worden. Sie stellen aus Sicht der Teneveraner keine Nicht-Entscheidungen dar – was das Projekt zu einem atypischen Fall in der gesamten Stadtumbaulandschaft werden lässt. Die unterschiedlichen Rahmenbedingungen, in denen der lokale Stadtumbau in Tenever und Marzahn-Nord konzipiert wurde, haben auch zu unterschiedlichen Informationsstrategien seitens der Umbauverantwortlichen geführt. Diese wichen im Hinblick auf Vollständigkeit, Aktualität und Detaillierungsgrad deutlich voneinander ab: In Tenever wurden Bewohner und andere interessierte Quartiersakteure von Anfang an zeitnah und umfassend über den Fortgang der Konzepterstellung informiert. In Marzahn-Nord erhielten die Bewohner erst nach Abschluss der Konzipierung Kenntnis von den Umbauplänen. Zudem wurden konkrete Details von Seiten der professionellen Stadtumbauakteure nur bruchstückhaft, zögerlich und auf Drängen der Bewohner öffentlich gemacht. Im Verlauf des Jahres 2004 begannen in beiden Quartieren die Umbauarbeiten. Die Konzepte sahen jeweils eine für den ansonsten durch Abrisse dominierten Stadtumbau untypische Kombination aus Komplett- und Teilabrissen sowie Aufwertungsmaßnahmen im Wohnumfeld vor. Der Charakter der baulichen 215
Eingriffe ähnelte sich somit.177 Doch infolge der unterschiedlichen Breite des Bereichs der Non Decisions wurde der lokale Stadtumbau in den beiden Quartieren unter gegensätzlichen atmosphärischen Bedingungen umgesetzt: Während den Teneveranern eine entscheidende Bedeutung beim Aufbau von politischem Druck zur Lösung der baulichen Missstände zugekommen war, sie als Teil einer breiten Akteurskoalition mit Erleichterung auf die Sanierungsvorschläge reagiert hatten und diese in der Folgezeit auch im Wesentlichen unterstützten, entwickelte sich in Marzahn-Nord die anfängliche Skepsis zu einer grundsätzlich ablehnenden, widerständigen Haltung. Anders als im Fall des Modernisierungsstaus in den Teneveraner „Krause-Beständen“ lag für Marzahn-Nord kein gemeinsam erkanntes Problem vor, das den Druck zu einer Kooperation zwischen Bewohnern, Wohnungsunternehmen und Verwaltungsmitarbeitern hätte erhöhen können. Vielmehr stellte der Stadtumbau für die Bewohner eine massive Bedrohung ihres Alltags dar. Die Nichteinbeziehung in der Konzepterstellung und die anschließende dosierte Herausgabe von Informationen ließen bei den Betroffenen in Marzahn-Nord den Eindruck entstehen, den Plänen zu Abriss und Umbau im Quartier ohnmächtig ausgeliefert zu sein. In beiden Quartieren waren bereits einige Jahre vor dem Stadtumbau lokale Quartiersmanagementteams eingerichtet worden, die u.a. mit dem Aufbau und der Begleitung partizipativer Strukturen beschäftigt waren. In beiden Quartieren stand im Mittelpunkt dieser Strukturen ein lokales Gremium: in Tenever die bereits 1989 im Zuge der Nachbesserung der Großsiedlung von der Verwaltung initiierte Stadtteilgruppe, die eine hervorgehobene Funktion bei der Umsetzung der Förderprogramme „Wohnen in Nachbarschaften“ und „Soziale Stadt“ inne hatte, und in Marzahn-Nord der 2000 durch die Quartiersmanager zur Begleitung der Umsetzung von „Soziale Stadt“ ins Leben gerufene Bewohnerbeirat. Die unterschiedlich großen Gremien – an Sitzungen der Teneveraner Stadtteilgruppe nahmen zwischen 60 und 100 Personen teil, im Bewohnerbeirat in MarzahnNord trafen sie zwischen fünf und 20 Bewohner – stellten für beide Quartiere den Rahmen zur Information der Bewohnerschaft bezüglich der Stadtumbaupläne dar (vgl. Tabelle 15).
177 Allerdings wurden in Tenever an den Seiten der Gebäude vertikale, in Marzahn-Nord hingegen horizontale Teilabrisse in Form von Terrassierungen realisiert.
216
Tabelle 15: Formen und Stellenwert von Beteiligung im lokalen Stadtumbau Tenever
Marzahn-Nord
Funktion von Bewohnern in der Vorgeschichte des Stadtumbaus
entscheidende Bedeutung beim Aufbau von politischem Druck für eine Sanierungslösung
Bewohner stellen zu beplanende Zielgruppe dar
Einbezug von Bewohnern in die Konzepterstellung
nicht direkt, aber vermittelt über Quartiersmanager, die die Pläne offen im Quartier kommunizieren
nicht direkt, aber vermittelt über Quartiersmanager, die sich an Geheimhaltung orientierten
Zur Information und Diskussion von Stadtumbauentscheidungen genutzte Partizipationsstruktur
Stadtteilgruppe (zwischen 60 und 100 Teilnehmer); Moderation durch Quartiersmanager; von Anfang an begleitendes Forum für Stadtumbau und Sanierung
Bewohnerbeirat (zwischen 5 und 20 Teilnehmer); Moderation durch Quartiersmanager; anfangs als Gremium der Begleitung von „Soziale Stadt“Maßnahmen von Stadtumbauplanungen ausgeschlossen, nach Bewohnerprotesten wurde das Gremium regelmäßig durch Mitarbeiter von Verwaltung und Wohnungsunternehmen über Stadtumbauverlauf informiert
Formen der Bewohnerbeteiligung nach erfolgter Abrissentscheidung
Wohnungsbezogen Umzugsmanagement durch Wohnungsunternehmen, kritische Begleitung durch Stadtteilgruppe; Quartiersmanager führen Bewohnerversammlungen und Hausgespräche durch
Umzugsmanagement durch Wohnungsunternehmen, kritische Begleitung durch Bewohnerbeirat und Mieterschutzinitiative
Wohnumfeldbezogen Teilnahme an Sanierungs-AGs; aufeinander aufbauende Werkstattverfahren bei der Gestaltung aller neu entstandener Freiflächen; Quartiersmanager führen Bewohnerseminare durch; alle Beteiligungsansätze und deren Ergebnisse an Stadtteilgruppe gekoppelt Charakter der Beteiauf den Aufbau von Kontinuität ligung insg. zielend Eigene Zusammenstellung.
unterschiedliche, jeweils in sich geschlossene Verfahren bei der Gestaltung einiger neu entstandener Freiflächen, Mediationsverfahren, Begleitung der „Interkulturellen Gärten“, Planungswerkstatt Charrette; Beteiligungsverfahren nicht an Bewohnerbeirat gekoppelt wenig koordiniertes „Abarbeiten“ einzelner Planungsaufgaben
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Sowohl in Tenever als auch in Marzahn-Nord moderierten die Quartiersmanager die Sitzungen der jeweiligen Gremien. Da sie zudem an der Erstellung der jeweiligen Stadtumbaukonzepte teilnahmen, verfügten die Quartiersmanager frühzeitig über exklusive Informationen zum Stadtumbau. Sie befanden sich damit an der Schnittstelle zwischen den Expertenrunden, die das Umbauprojekt in Gang setzten, und der zu informierenden bzw. an Aufklärung interessierten Quartiersöffentlichkeit. Während die Quartiersmanager in Tenever dabei ausdrücklich die Funktion von Informationsvermittlern übernahmen und die Abrissund Sanierungspläne im Quartier umfassend bekannt machten, waren die Quartiersmanager in Marzahn-Nord angesichts der ungesicherten Finanzierung des Stadtumbaus weitgehend zur Geheimhaltung der Pläne verpflichtet worden. Sie wurden somit aus Sicht der Bewohner und entgegen anders lautender Profilbeschreibungen zum Teil der Struktur aus Nicht-Entscheidungen. Gleichwohl kam dem lokalen Quartiersmanagementteam in Marzahn-Nord eine ebenso zentrale Bedeutung in der Ausgestaltung der Bewohnerbeteiligung zu wie dem in Tenever – allerdings wurden dabei unterschiedliche Richtungen eingeschlagen. In Tenever wurde eine weitere Festigung der ohnehin bereits deutlich ausgeprägten partizipativen Standards angestrebt, wobei die vorhandene Struktur davon profitierte, dass die GEWOBA, einzelne Verwaltungsstellen und relevante Stadtumbauakteure längst Teil des partizipativen Arrangements waren.178 Anders in Marzahn-Nord: Vor dem Stadtumbau hatte es zwar punktuelle, auf konkrete Anlässe bezogene Kontakte zwischen dem Bewohnerbeirat auf der einen und Vertretern der WBG Marzahn sowie der relevanten Verwaltungsstellen auf der anderen Seite gegeben, allerdings hatten sich daraus keine belastbaren Kooperationsbeziehungen entwickelt. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Form der im Stadtumbau in Marzahn-Nord zu beobachtenden Partizipation als wenig koordiniertes, inkrementalistisches Abarbeiten der sich jeweils aktuell stellenden Aufgaben charakterisieren. Bei den Umbauverantwortlichen besaß sie nur einen nachgeordneten Stellenwert, was das dahinter stehende instrumentelle Partizipationsverständnis verdeutlicht. Die Unterschiede zwischen den Partizipationsarrangements in Tenever und Marzahn-Nord setzten sich in den wohnungsbezogenen Beteiligungsangeboten fort: In beiden Quartieren organisierten die Wohnungsunternehmen ein Umzugsmanagement mit Couchgesprächen und Einzelfallberatungen. In Tenever wurde das Verfahren sowohl von den verschiedenen in der Stadtteilgruppe vertretenen Akteuren als auch von den Quartiersmanagern aufmerksam begleitet. Letztere hielten flankierende Unterstützungsangebote für betroffene Mieter be178 Nur so ist die Besonderheit zu erklären, dass die GEWOBA – unaufgefordert und freiwillig – Arbeitsgruppen zur Begleitung einzelner Sanierungsaspekte ins Leben rief und der Stadtteilgruppe die Teilnahme ihrer Vertreter an den AGs vorschlug.
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reit, und die vorhandenen, reibungslos funktionierenden Kommunikationskanäle sorgten dafür, dass Informationen über etwaige Umsetzungsschwierigkeiten die GEWOBA schnell erreichten. In Marzahn-Nord hingegen versuchte allein ein Teil der im Bewohnerbeirat organisierten Mieter, das Umzugsmanagement kontinuierlich und kritisch zu begleiten – entweder unter dem Dach des Beirats oder als Vertreter der eigens gegründeten Mieterschutzinitiative. Da ihr Informationsstand jedoch zumeist nicht aktuell und zudem auch lückenhaft war und sie von den Quartiersmanagern nur noch sporadisch unterstützt wurden, führte der Kampf der Vertreter des Bewohnerbeirats zu hohen Reibungsverlusten. Erst nachdem ihre Protestaktivitäten über die Quartiersgrenzen hinweg bekannt geworden waren, informierten Mitarbeiter der WBG und der Verwaltungsstellen das Gremium regelmäßig über den Fortgang des Stadtumbaus. Die vor dem Stadtumbau etablierten partizipativen Strukturen prägten zudem in beiden Quartieren die Beteiligungsangebote im Bereich der wohnumfeldbezogenen Aufwertungsmaßnahmen: In Tenever bauten die verschiedenen Verfahren – koordiniert durch Stadtteilgruppe und Quartiersmanager – aufeinander auf, in Marzahn-Nord wurden unterschiedliche, nicht miteinander verbundene Beteiligungsverfahren durchgeführt, über die der Bewohnerbeirat nur beiläufig von den Quartiersmanagern informiert wurde. Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass im Stadtumbau in den Großsiedlungsquartieren Tenever und Marzahn-Nord Beteiligung nicht auf einem leeren Blatt stattfand, sondern vielmehr anknüpfte an bereits vorhandene Strukturen mit jeweils spezifischen Entstehungsgeschichten, Formen, Routinen und Akteurskonstellationen – wobei die Umsetzung der Förderprogramme aus dem Bereich der sozialorientierten Quartiersentwicklung einen hervorgehobenen Stellenwert hatte. In beiden Quartieren existierten Gremien, die – in unterschiedlichem Ausmaß und unterschiedlicher Intensität – zur Koordinierung von Bewohnerreaktionen und -interessen im Stadtumbauverlauf genutzt werden konnten. Über die partizipative Vorgeschichte der Quartiere ist zu erklären, warum in Tenever der Stadtumbau koordiniert verlief und für eine Bestätigung der vorhandenen Strukturen – insbesondere der Stadtteilgruppe – sorgte, während es in Marzahn-Nord im Stadtumbauprozess zu einer Infragestellung der bisherigen Rolle des Bewohnerbeirats sowie zur Mobilisierung von Protestpotenzial kam. Nicht nur die Entscheidungen über die generelle Umsetzung des Programms und die Festlegung Marzahn-Nords als Stadtumbaukulisse vollzogen sich aus der Perspektive der betroffenen Mieter im Bereich von Nicht-Entscheidungen, dies galt auch für die Rahmenbedingungen der Beteiligung. Als Folge geschah die Einbeziehung von Bewohnern erst ab dem Zeitpunkt, als die grundsätzlichen Fragen geklärt waren. Sie geriet damit zur legitimierenden Absicherung der 219
Umbauplanungen und kann insofern als „Alibi-Partizipation“ im Arnsteinschen Sinne gelten. Dass es den Stadtumbauverantwortlichen angesichts dieser Ausgangslage nicht gelang, den Quartiersbewohnern die ungesicherte Finanzierung des Umbauprojekts und die darob verursachten Verzögerungen der Entscheidungsprozesse als Grund für die Zurückhaltung von Informationen verständlich zu machen, überrascht kaum. Vor diesem Hintergrund sind einerseits die in Marzahn-Nord als Reaktionen auf den Stadtumbau dominierenden Artikulationen von Betroffenen – aus Enttäuschung und Abwehr gespeiste Initiativen gegen den Abriss – zu erklären. Andererseits wird deutlich, weshalb die zeitlich nachfolgenden Partizipationsangebote im Aufwertungsbereich von den Bewohnern als relativ positiv bewertet wurden: Hier ging es tatsächlich mal um „mitreden“ und „mitentscheiden“. Wobei die zur Disposition gestellten Themen so beschaffen waren, dass keiner der am Entscheidungsprozess Beteiligten etwas zu verlieren gehabt hätte. Die Rekonstruktion der Stadtumbauverläufe weist darauf hin, dass die Existenz von im Rahmen der Umsetzung des „Soziale Stadt“-Programms entstandenen Beteiligungsstrukturen sich nicht automatisch positiv auf Formen und Stellenwert von Partizipation im Stadtumbau auswirken muss. Sie ist vielmehr abhängig von lokal spezifischen Rahmensetzungen. Dabei handelt es sich um strukturelle Bedingungen, die die zu treffenden Entscheidungen beeinflussen, sowie um die tradierte Art und Weise, wie Bewohner an diesen Entscheidungen beteiligt werden. Die bisherige Partizipationsgeschichte der Quartiere ist offensichtlich ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis der im Stadtumbauverlauf festgestellten Unterschiede zwischen Tenever und Marzahn-Nord. Dabei kommt den Quartiersmanagern und den schon vor dem Stadtumbau vorhandenen Bewohnergremien – Stadtteilgruppe in Tenever und Bewohnerbeirat in MarzahnNord – eine zentrale Rolle bei den lokal unterschiedlichen Ausgestaltungen von Beteiligung zu. Ihre Analyse steht im Mittelpunkt des folgenden Kapitels.
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6 Strukturmerkmale lokaler Partizipationspolitik: Quartiersmanager und Bewohnergremien
In den vorangegangenen Ausführungen wurde gezeigt, dass die Umsetzung der Förderprogramme zum Stadtumbau in Tenever und Marzahn-Nord entscheidend von dem jeweiligen lokalen Kontext geprägt wurde. Lokale Institutionen – verschiedene Gremien und insbesondere die vor Ort tätigen Quartiersmanager – beeinflussten und gestalteten den Rahmen für Beteiligung. Sie legten spezifische Kommunikations- und Entscheidungsregeln fest und bestimmten über Inhalte, Zeitpunkte und Formen von Beteiligung. Im Folgenden soll deshalb zunächst die spezifische Rolle der Quartiersmanager bei der Ausgestaltung von Partizipationsprozessen näher beleuchtet werden. Im Anschluss werden dann die in den Quartieren vorhandenen Gremien als lokale Arenen der Bewohnerbeteiligung vorgestellt und erklärt. Die Regeln, an denen sich die Versammlungen dieser Gremien orientierten, werden dabei – wie in Kapitel 2 bereits erläutert – als Mikropolitik konzipiert. 6.1 Quartiersmanager als Gestalter von Beteiligungsmöglichkeiten Bei der Untersuchung von Formen und Stellenwert von Partizipation in den Stadtumbauprozessen in Tenever und Marzahn-Nord wurde deutlich, dass in beiden Quartieren die Quartiersmanager eine hervorgehobene Bedeutung bei der Organisation der beobachteten Beteiligungsformen innehatten. Sie nahmen als Vertreter der Bewohnerschaft jeweils an internen Steuerungsrunden zum Stadtumbau teil und verfolgten unterschiedliche Strategien bei der Information der betroffenen Mieter über die Umbauplanungen. Dies wirkte sich nicht nur – positiv wie negativ – auf das Verhältnis zwischen Quartiersmanagern und Bewohnern aus, und beeinflusste grundsätzlich die Zusammenarbeit im Umsetzungsprozess der Umbaukonzepte. Deshalb ist die Bedeutung der Quartiersmanager als lokale Akteure, die einerseits als Interpreten sowohl definitorisch als auch konkret den Rahmen für Beteiligung abstecken, andererseits als Wächter unterschiedliche Formen der Interessenartikulation durch die Bewohner vorfiltern, in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken. Sie sind quasi das Nadelöhr, das 221
M. Fritsche, Mikropolitik im Quartier, DOI 10.1007/978-3-531-93498-3_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
bewohnerschaftliche Artikulationen und partizipative Ansätze passieren müssen. Insofern sind sie zentrale Dreh- und Angelpunkte der Organisation der Bewohnerbeteiligung. Der Terminus „Quartiersmanager“ reicht in die frühen Neunzigerjahre zurück, als sowohl in der sozialarbeiterischen Tradition der Gemeinwesenarbeit als auch in der Stadterneuerung über Ansätze zur Stabilisierung benachteiligter Quartiere diskutiert wurde (vgl. Hinte 1992, Froessler u.a. 1994, Alisch 1998, Krummacher u.a. 2003). Der Begriff wurde dann vom 1999 aufgelegten Förderprogramm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“ für diejenigen intermediären Akteure benutzt, die die Umsetzung des Programms in den jeweiligen Fördergebieten koordinieren. Durch Partizipation, Integration und Kooperation strebt das Programm in einer Vielzahl von Handlungsfeldern eine Mobilisierung und Bündelung zusätzlicher Mittel und Kräfte an, um Anstrengungen zur Verbesserung der Situation in den betroffenen Gebieten auf eine breite Grundlage zu stellen. Darüber hinaus wurden im Rahmen des „Soziale Stadt“-Förderansatzes neue Steuerungs- und Koordinierungsformen eingeführt. Neben der Einrichtung lokaler Quartiersmanagements (QM) umfassen sie horizontale und vertikale Kooperationen und Partnerschaften zwischen Fachpolitiken und unterschiedlichen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren, die ein Interesse an der Quartiersentwicklung eint.179 Anfang der Neunzigerjahre firmierten Ansätze einer Politik der Stabilisierung benachteiligter Quartiere unter der Überschrift „lokale Partnerschaften“. Selle betonte beispielsweise bereits 1994, dass „Quartierserneuerung als soziale Aufgabe zu begreifen“ sei und im Unterschied zu traditionellen Formen der 179 Auf Bundesebene profitierte die Erprobung und Konkretisierung des neuen Handlungsansatzes von Erfahrungen, die eine Reihe von (ausschließlich westdeutschen) Städten bereits mit unterschiedlichen Pilotprojekten und Landesprogrammen zur ressortübergreifenden Bewältigung der neuen Problemlagen gemacht hatte: So wurden insbesondere im Zusammenhang mit dem 1993 gestarteten nordrhein-westfälischen Programm „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“ und mit dem 1994 in Hamburg aufgelegten „Armutsbekämpfungsprogramm“ Erfahrungen im Aufbau und in der Förderung integrierter Stadtteilpolitiken gesammelt, die spätere Initiativen beeinflussten. Das Bundesland Hessen förderte ab 1997 ebenfalls Modellprojekte der integrierten Stadtteilentwicklung. Neben den Stadtstaaten Bremen und Berlin begannen auch die Flächenstaaten Niedersachsen und Schleswig-Holstein ebenfalls noch vor der Verabschiedung des bundesweiten Programms „Soziale Stadt“ im Rahmen von spezifischen Landesprogrammen mit der Umsetzung lokaler Strategien. Das Bundesland Hessen förderte ab 1997 ebenfalls Modellprojekte der integrierten Stadtteilentwicklung. Neben den Stadtstaaten Bremen und Berlin begannen auch die Flächenstaaten Niedersachsen und Schleswig-Holstein ebenfalls noch vor der Verabschiedung des bundesweiten Programms „Soziale Stadt“ im Rahmen von spezifischen Landesprogrammen mit der Umsetzung lokaler Strategien (vgl. IfS 2004: 23f.). Die Ursprünge dieser „Vorläuferprogramme“ wiederum reichten zurück bis zu den Ansätzen einer nicht-investiven Flankierung baulicher Stadterneuerungsmaßnahmen, die seit den Siebzigerjahren entwickelt worden waren (vgl. ebd.: 25).
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baulich orientierten Stadterneuerung „veränderte Arbeitsweisen und Organisationsformen“ erfordere: „Dem komplexen Wirkungsgefüge der Ausgrenzung muß erstens ein ebenso vieldimensionales Handlungskonzept gegenübergestellt werden. Das bedingt die Integration verschiedener bislang getrennter Handlungsfelder sowie deren Ausrichtung auf die Ebene der städtischen Quartiere (‚Territorialisierung’). Verbunden ist damit zweitens intensives Bemühen um Kooperation: Staat, Gemeinden, gesellschaftliche Organisationen und freie Träger müssen gemeinsam handeln. Und drittens sollen die Menschen, um die es hier geht, bei der Suche nach Lösungsansätzen direkt beteiligt werden. Auf drei Schlagworte reduziert: Diese Strategien sind integriert, kooperativ und aktivierend zugleich“ (Selle 1994: 36).
Alisch brachte einige Jahre später die Bezeichnung Stadtteilmanagement in die Diskussion ein, womit sie ein „Instrument der Quartierspolitik“ bezeichnete, „das sich mehr oder minder demonstrativ von dem bisherigen Umgang mit Armut und ihrer räumlichen Konzentration in bestimmten städtischen Teilgebieten abheben will“ (Alisch 1998: 12). Weiter führte sie aus: „Es soll auf der Quartiersebene Rahmenbedingungen für nachhaltige Entwicklungsprozesse schaffen. Es umfaßt damit mehr als eine Sanierungsträgerschaft und mehr als die sozialarbeiterische Gemeinwesenarbeit. Die wesentlichen Handlungsprinzipien des Stadtteilmanagements lassen sich mit den Begriffen quartiersbezogen, prozeßhaft und bewohnerorientiert beschreiben“ (ebd.: 13).
Zahlreiche Kongresse, Veröffentlichungen, Forschungsberichte und wissenschaftliche Evaluierungen haben seitdem verdeutlicht, dass mit den Begriffen Stadtteil- und Quartiersmanagement eine Bandbreite unterschiedlicher Aufgabenbereiche, Inhalte und Konzepte verbunden wird (für einen Überblick m.w.N. vgl. Grimm 2004: 130ff.). Quartiersmanagement gilt als „unverzichtbares Element einer integrierten Stadtteilentwicklung“ (IfS 2004: 95), in der lokalen Umsetzung von „Soziale Stadt“ ist es „‚antreibende Kraft’ vor Ort“ (Franke/Löhr 2000: 2) und damit „Schlüsselinstrument“ (Franke 2003). Durch Quartiersmanagement „soll eine horizontal und vertikal vernetzte Kooperations- und Managementstruktur auf Verwaltungs- und Quartiersebene, zwischen diesen Ebenen sowie mit allen anderen lokal relevanten Akteuren gewährleistet werden, um insbesondere die Aktivierung und Beteiligung sowie die Vernetzung von Bewohnerschaft und lokalen Akteuren zu fördern und zu stützen“ (Becker u.a. 2003: 12).
Grimm fasst die verschiedenen Deutungen zum Aufgabenfeld „Quartiersmanagement“ folgendermaßen zusammen: „Der Bedeutungsgehalt bewegt sich in einer Spanne von neuer Etikettierung bestehender Arbeitsansätze und Organisationsformen (wie etwa Gemeinwesenarbeit oder intermediäre Orga-
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nisationen) über die Definition von Aufgaben und Zielen eines integrierten Stadt(teil)entwicklungsansatzes bis hin zu der Formulierung eines interdisziplinären Anspruchs, der sich in erster Linie auf die Formulierung von Qualifikationsansprüchen aus den Bereichen Markt, Staat, Soziales und Planung bezieht“ (Grimm 2004: 134f.).
Entsprechend weit gesteckt ist das Aufgabenprofil von Quartiersmanagern: Es reicht von der Koordination verschiedener Akteure und Interessen im Quartier über die Organisation von Bewohnerbeteiligung mit dem – mehr oder minder explizit formulierten – Ziel des Aufbaus selbsttragender Strukturen180 bis hin zur Initiierung und Begleitung der durch das Programm geförderten Maßnahmen. Quartiersmanager sind zuständig für die Aktivierung und Vernetzung von Bewohnern und anderen Akteuren im Quartier, sie erfüllen eine Scharnierfunktion zwischen den Quartiersakteuren und den beteiligten Verwaltungsstellen und in Zusammenarbeit mit den kommunalen Programmverantwortlichen vertreten sie das Programm und seine Anliegen in der Regel auch in administrativen und/oder politischen Gremien (vgl. IfS 2004: 93ff.). Darüber hinaus sollen sie intermediäre Brücken- bzw. Mittlerinstanz sein, „zwischen den Bewohnergruppen, dem politisch-administrativen System (Politik und Verwaltung), dem privaten Wirtschaftssektor (lokale Ökonomie) und anderen lokalen Akteuren (Wohlfahrtsverbände, Kirchen, vereine etc.) vermitteln, Kooperationen, Vernetzungen anregen, ‚stille’ Ressourcen und Potenziale aktivieren (Ideen, Geld, professionelles und ehrenamtliches Engagement)“ (Krummacher u.a. 2003: 208).
Quartiersmanager fungieren „als Aufspürer und Koordinierer bzw. ‚Netzwerker’ vorhandener Ressourcen und Akteure sowie als institutioneller Entrepreneur und Wegbereiter für neue Initiativen“ (Güntner 2007: 238). Dass angesichts dieser disparaten Funktionszuweisungen Spannungsfelder zwischen verschiedenen Interessen und Arbeitsweisen vorprogrammiert sind, ist kaum überraschend. In ihrer konkreten Praxis vor Ort rekurrieren die Manager auf unterschiedliche Konzepte: Sie können sich als Gemeinwesenarbeiter oder Sozialpädagogen, als Projektentwickler, Planer, Moderatoren oder Stadterneuerer verstehen und begründen ihr Selbstverständnis auf entsprechende Kompetenzen und Qualifikationen. Bisherige berufliche Erfahrungen der Quartiersmanager – sei es im Sozial- und Bildungsbereich, in Planungsbüros, bei Sanierungsträgern oder Wohnungsunternehmen – beeinflussen die lokalen Schwerpunkte der Umsetzung von Quartiersmanagement. Auf der Umsetzungsebene lassen sich Modelle, die sich
180 Dementsprechend tauchen in nahezu allen Programme sogenannte Exit-Strategien auf, d.h.: Quartiersmanagement soll sich mit Auslaufen der Förderung überflüssig gemacht und die Verantwortung für die Weiterführung der Quartiersentwicklung an andere lokale Akteure delegiert haben.
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verstärkt an sozialpädagogischen Prinzipen der Gemeinwesenarbeit orientieren, von stadtplanerischen Arbeitsansätzen unterscheiden. Die Organisation des Quartiersmanagements in den Programmgebieten erfolgt – entsprechend der Komplexität von Anforderungsprofil und vorhandenem Erfahrungswissen sowie resultierend aus der bisherigen Tradition lokaler Stadtentwicklungspolitik – durch unterschiedliche Trägermodelle und Umsetzungsstrategien (vgl. Grimm 2004: 135): Quartiersmanager können bei Verwaltungsstellen Beschäftigte oder beauftragte Dritte, im betreffenden Gebiet neu oder seit langer Zeit verankert, in Form von professionellen Planungsbüros oder als Verein organisiert sein.181 Festzuhalten ist: Die Ziele, die mit der Etablierung lokaler Quartiersmanager erreicht werden sollen, sind vage und kaum fassbar; den Quartiersmanagern obliegen so disparate Aufgaben wie die Aktivierung von Bewohnern zur Beteiligung und Mitwirkung am Quartiersentwicklungsprozess, die Koordination der verschiedenen in einem Quartier vorfindbaren Akteure und Interessen, der Aufbau von Kooperationsverhältnissen und Netzwerken sowie Hilfestellungen bei der Initiierung und Durchführung von Projekten aus unterschiedlichen baulichräumlichen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Handlungsfeldern. Die lokal eingeschlagenen Pfade zur Ausdeutung, Strukturierung und Ausgestaltung dieses breiten Anforderungsprofils variieren, je nach dem bisherigen Tätigkeitsbereich der Quartiersmanager (Sanierung/Stadtplanung oder Sozial- bzw. Gemeinwesenarbeit), ihrem persönlichen Selbstverständnis, ihrer Verankerung im Gebiet, ihrem Verhältnis zur zuständigen Verwaltung (Auftragnehmer oder dort Beschäftigte) und nicht zuletzt auch je nach den lokalen Traditionen der Stadt- und Quartiersentwicklung sowie den vor Ort vorgefundenen bzw. wahrgenommenen Problemen. Insofern ist die Deutungsmacht der Quartiersmanager bei der Beschreibung und Interpretation der Inhalte, Formen und Geltungsbereiche von Beteiligung nicht zu unterschätzen. Im Folgenden sollen deshalb die Faktoren, die jeweils in Tenever und Marzahn-Nord diese Rahmensetzung beeinflussten, erläutert werden.
181 Begünstigt wurde diese organisatorische Vielfalt durch die von der Bauministerkonferenz der Länder (ARGEBAU) formulierten Leitfäden zur Ausgestaltung des Bund-Länder-Programms. Sie ließen für die Kommunen Umsetzungsspielräume sowohl bei der konkreten Ausgestaltung des Aufgabenprofils als auch bei der grundsätzlichen Organisation des Quartiersmanagements (vgl. etwa ARGEBAU 2000: 11).
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6.1.1 Quartiersmanagement und Quartiersmanager in Tenever Die Ausrichtung der Arbeit der Quartiersmanager in Tenever sowie die Organisation des dortigen Quartiersmanagements ist durch eine besondere Konstellation gekennzeichnet: In dem bzw. für das Hochhausviertel besteht seit den Anfängen des Nachbesserungsprogramms im Jahr 1989 eine Organisationsstruktur, die sich aus den Elementen Quartiersbezug, Einbeziehung externer Akteure, Mittelbündelung, Bewohnerbeteiligung und Ressortkooperation zusammensetzt. Die Ende der Neunzigerjahre vom Bremer Senat veranlasste stadtweite Einrichtung von Quartiersmanagements orientierte sich an dieser Struktur. Insofern kann die Umsetzung der Nachbesserung, die in Tenever mit einer intensiven Beteiligung von Bewohnern erfolgte, als Vorbild für die Einrichtung von Quartiersmanagements angesehen werden. Darüber hinaus erfüllte das Aufgabenprofil der zu Beginn der Nachbesserung geschaffenen Projektgruppe Tenever bereits alle wesentlichen Anforderungen an die Tätigkeit von Quartiersmanagern, so dass ihre Struktur – sowohl in institutioneller als auch in personeller Hinsicht – nahtlos in das neue Programm überführt werden konnte. Das Teneveraner Quartiersmanagement ist durch eine unmittelbare Kontinuität gekennzeichnet, deren Ursprünge weit vor der Einrichtung des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“ liegen. Dieser Kontext soll im Folgenden ausführlicher vorgestellt werden. 6.1.1.1 Programmrahmen: „Wohnen in Nachbarschaft“ und „Soziale Stadt“ Bereits die in den Achtzigerjahren zur Nachbesserung der Bremer Wohnsiedlungen der Nachkriegszeit und insbesondere Tenevers eingeschlagene, Ressort übergreifende Interventionsstrategie hatte sich nicht nur auf bauliche Projekte beschränkt, sondern beinhaltete auch partizipative Fragestellungen und sozialpädagogische Ansätze der Gemeinwesenarbeit.182 Als Folge hatte sich in der Bremer Verwaltung, gefördert durch die jeweiligen politischen Spitzen der Ressorts für Bau und Soziales, die Einsicht durchgesetzt, dass für die Realisierung des umfangreichen, auch soziale Aspekte beachtenden Konzepts beide Seiten – die „Stadterneuerer“ des Bauressorts und die „Sozialarbeiter“ der Sozialverwaltung – einander benötigten. Die im Stadtstaat Bremen traditionell „kurzen Wege“ und die durch die stadtbremische Verwaltungsstruktur begründete Konsensorientierung183 begünstigten die Etablierung dieser systematischen Zusammenarbeit 182 Vgl. dazu die Ausführungen zum Nachbesserungsprogramm sowie zur Entstehung von Stadtteilgruppe und Projektgruppe in Tenever in Kap. 4.1.4. 183 Das politische System der Hansestadt ist folgendermaßen aufgebaut: Die von den Bremer Bürgern gewählte Bürgerschaft, das Bremer Parlament, wählt aus ihren Reihen den Senat, ge-
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zwischen der Bau- und der Sozialverwaltung. Ein damals beteiligter Verwaltungsmitarbeiter führte zur Entstehung der Ressortkooperation aus: „Wenn Sie sich die Geschichte dieser ganzen Sache angucken, dann ist das eine ressortübergreifende, zwischen Bau- und Sozialressort […] unter Federführung des Bauressorts arbeiteten wir an einer ganz, ganz engen Kooperation, die wirklich ungewöhnlich war, auch für Bremen […]. Als Sozialressort alleine hatten wir weder das Standing noch die Power in Bremen, solche Konzepte alleine durchzusetzen. Wir sind also eine Allianz mit dem Bauressort eingegangen. […] Das war eine klassische strategische Entwicklung. Die Bauleute haben gesagt: ‚Ohne euch bleiben wir immer nur in unserem alten Rahmen. Wir wollen neue Konzepte’. […] Also, wir haben es von Anfang an gefahren als ein ressortübergreifendes, integratives Konzept der Bauund Sozialverwaltung. Und das hatte richtig, sozusagen, politische Gründe, wenn Sie so wollen, weil wir gefunden haben, die städtebaulichen Aspekte allein bringen es nicht. Die sozialen Aspekte allein bringen es auch nicht. Wir brauchten in der Struktur, politisch sichtbar, um sozusagen damit auch Forderungen zu verbinden, zur Unterstützung der Forderungen, die aus dem Quartier kamen, brauchten wir ein integriertes, ressortübergreifendes Konzept. […] Wir hatten richtig politisches Backing im Sozialressort und auch im Bauressort.“
Als der Bremer Senat im Dezember 1998, parallel zum Auslaufen des Nachbesserungsprogramms, das Landesprogramm „Wohnen in Nachbarschaften (WiN) – Stadtteile für die Zukunft entwickeln“ (vgl. Bremische Bürgerschaft 1998) beschloss, unterstrich er die Bedeutung des Nachbesserungsprogramms bei der Formulierung des neuen Programmansatzes. So heißt es beispielsweise in dem Senatsbeschluss: „Positive Erfahrungen mit gezielt ausgerichteten Stadterneuerungsverfahren und erprobten ressortübergreifenden Handlungsansätzen zur Entwicklung von Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus waren die Grundlage zur Erarbeitung eines neuen Handlungskonzeptes der Quartiers- und Stadtteilentwicklung in ausgewählten Gebieten“ (ebd.: 8).
„Wohnen in Nachbarschaften“ zielte auf die Verbesserung der alltäglichen Wohn- und Lebensbedingungen in Quartieren mit besonderem Entwicklungsbedarf. In diesen Gebieten sollten Bewohnerengagement gestärkt, die Zusammenarbeit lokaler und städtischer Partner erhöht, neue Ideen und Konzepte gefördert sowie eine Effektivierung des Mitteleinsatzes erreicht werden (vgl. ebd.: 9, SenBU/SenAFGJS 2003: 8). Das Programm wurde konzipiert als „Teil einer langwissermaßen die „Regierung“. Der Senat besteht aus dem Bürgermeister und weiteren Senatoren, denen jeweils Aufgabenbereiche und entsprechende Behörden zugeordnet sind. Jeder dieser Senatoren ist für seinen Bereich politisch eigenverantwortlich. Es gibt also im Stadtstaat Bremen keine Einzelperson, die kraft ihres Amtes den Ressorts verbindliche Anweisungen geben und damit eine koordinierte Politik herstellen könnte (vgl. Prigge u.a. 2001: 86f.). Stattdessen werden alle wichtigen Entscheidungen zwischen den Ressorts ausgehandelt, d.h.: Entscheidungen können nur im Konsens getroffen werden (vgl. Lückenkötter 1999: 22). „Bremische Verhältnisse“ sind dadurch gekennzeichnet, dass sie keine verpflichtende, sondern ausschließlich eine freiwillige Kooperation der beteiligten Ressorts ermöglichen.
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fristig angelegten, integrierten Stadtentwicklungspolitik für die Stadt Bremen“. Es sollte die Gefahr einer „Spaltung der städtischen Gesellschaft“ verhindern helfen und gründete auf den zurückliegenden „positive[n] Erfahrungen mit gezielt ausgerichteten Stadterneuerungsverfahren und erprobten ressortübergreifenden Handlungsansätzen zur Entwicklung von Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus“ (ebd.: 8). Verschiedene Gesprächspartner betonten, dass die Entstehung von „Wohnen in Nachbarschaften“ unmittelbar mit der Vorgeschichte und Umsetzung des Nachbesserungsprojektes in Tenever verbunden gewesen sei. Ein Verwaltungsmitarbeiter erklärt dazu beispielsweise: „[...] das Nachbesserungskonzept, das wir dann ja umgewandelt haben in das WiN-Konzept. Von daher hatten wir immer diese politische Unterstützung. Das ist nie in Frage gestellt worden. [...] als Konzept oder als ressortübergreifender Ansatz oder wie immer Sie das nennen wollen, ist es in dem Sinne nie in Frage gestellt worden.“
Ein beteiligter Mitarbeiter des Bauressorts führte aus, dass sich Ende der Neunzigerjahre das Nachbesserungskonzept „politisch verbraucht“ hatte – „irgendwann kann man keine Aufmerksamkeit mit laufenden Programmen mehr gewinnen“ – und deshalb „eine neue Adresse, ein neuer Button zur Profilierung“ notwendig geworden sei. Die habe zur Umwandlung des Nachbesserungsansatzes in das Landesprogramm „Wohnen in Nachbarschaften“ geführt. Dementsprechend betonte auch der WiN-Senatsbeschluss, dass zur Förderung und Unterstützung des Bewohnerengagements die positiven Erfahrungen, die „durch Mitwirkungsrechte, z.B. in ‚Lokalen Foren’“ im Rahmen der Nachbesserung gemacht worden waren (Bremische Bürgerschaft 1998: 9), fortgeführt werden sollten. Auf diese Kontinuität einer institutionalisierten Bewohnerbeteiligung nach dem Vorbild Tenevers hebt ein weiterer Verwaltungsmitarbeiter ab: „Wir haben ja in Tenever diese Nachbesserungsprozesse über, ich weiß nicht, sogar Jahrzehnte. Und die gehen vor allem l a n g e. Ich weiß gar nicht, wann das begonnen hat. Und dann hieß das irgendwann mal WiN, da gab’s so ’nen Namenswechsel, was aber im Prinzip dasselbe war. […] Und da hatte sich Bremen ja quasi selbst verpflichtet, so’ne Art lokale Autonomie in diesen Problemgebieten zu etablieren, wo auch richtig in diesen Stadtteilgruppen oder Stadtteilkonferenzen über Geld entschieden wurde.“
Die hohe Übereinstimmung des WiN-Programmansatzes mit dem des Programms „Soziale Stadt“ – Quartiersbezug, ressortübergreifende Verantwortung, Bündelung von Mitteln, Akteuren und Kompetenzen, Beteiligung und Aktivierung von Bewohnern – führte zu einer Koppelung beider Programme: Die zehn stadtbremischen WiN-Gebiete wurden zugleich zu Fördergebieten der „Sozialen Stadt“ erklärt (vgl. Bremische Bürgerschaft 1998: 7). Beide Ansätze wurden zu 228
einer Strategie verknüpft, wobei das WiN-(Landes-)Programm in Bremen das 184 bekanntere ist und den städtischen Diskurs dominiert. Während die WiN-Mittel überwiegend nicht-investiv eingesetzt werden, finanzieren „Soziale Stadt“Mittel investive Maßnahmen. Im bundesweiten Vergleich gilt diese Verschränkung von Landes- und Bundesprogramm als „bremische Besonderheit“ (Farwick/Petrowsky 2005: 147). Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass in Tenever auf Grundlage der Ende der Achtzigerjahre formulierten Nachbesserungsprinzipien – Beteiligung der Bewohner an Entscheidungen über bauliche Veränderungen, Verfahrensorganisation durch Planungsbegleitung vor Ort und eine zentrale Stadtteilgruppe, administrative Zuständigkeit beim Bau- sowie beim Sozialressort – ein Beteiligungsmodell entstand, das die Nachbesserung weiterführte und als Vorbild und Orientierung für die Ende der Neunzigerjahre folgenden Programme der Städtebauförderung und Quartiersentwicklung diente. Die Umsetzung des Nachbesserungsprogramms in Tenever legte in organisatorisch-institutioneller Hinsicht Grundsteine für „Wohnen in Nachbarschaften“. Für den neuen Programmrahmen wurde ebenfalls eine ressortübergeifende Arbeitsgruppe eingerichtet. Zudem wurde der Aufbau eine umfassenden Bewohnerbeteiligung durch lokale Stadtteilgruppen nach dem Vorbild Tenevers für alle Programmgebiete angestrebt (vgl. Farwick/Petrowsky 2005: 149f.). Für die konkrete Umsetzung des Landesprogramms in den Gebieten sind Quartiersmanager verantwortlich. Im WiN-Beschluss des Senats heißt es dazu: „Die Fachkräfte des ‚Lokalen Managements’ sind im Rahmen einer ressortübergreifenden Dienstleistung für die Umsetzung des Programms in den einzelnen Gebieten zuständig. Ihre Funktion ist insbesondere die Aktivierung von Bewohnerinnen und Bewohnern, die Unterstützung einer positiven Entwicklungsdynamik im Gebiet und die Förderung der Zusammenarbeit bei der Schwerpunktsetzung und Umsetzung von Einzelvorhaben des Programms WiN“ (Bremische Bürgerschaft 1998: 15f.).
Jedes der zehn WiN- und „Soziale Stadt“-Gebiete wird von mindestens einem Quartiersmanager betreut. Ihre Tätigkeit umfasst die folgenden Aufgaben und Funktionen: Ansprechpartner für Bewohner, Initiativen, freie Träger und Eigentümer, Initiierung und Unterstützung von Beteiligungsprozessen und Förderung von Selbstorganisation, Akteursvernetzung, Initiierung und Konkretisierung von Projekten, Formulierung von inhaltlichen und strategischen Schwerpunkten der Quartiersentwicklung, Mitarbeit in unterschiedlichen relevanten Gremien sowie 184 So sind beispielsweise alle relevanten Beschlüsse des Bremer Senats und die jeweils mit ihnen zusammenhängende parlamentarischen Vorgänge mit „Wohnen in Nachbarschaften“ überschrieben. Wer in den entsprechenden Archiven mit dem Stichwort „Soziale Stadt“ sucht, wird nicht fündig.
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Öffentlichkeitsarbeit (vgl. ebd.: 16). In ihre Zuständigkeit fällt zudem die „Durchführung von öffentlichen Foren (z.B. ‚Stadtteilgruppen’) zur Information, Vermittlung von Projekten und Erteilung des ‚WiN-Gütesiegels’“ (ebd.).185 Angesichts dieser vielfältigen Ansprüche an die lokalen Manager schreibt die Programmevaluierung ihnen eine „Schlüsselposition bei der Bewältigung der komplexen Aufgaben und Ziele integrierter Stadtentwicklung“ zu (IfS/ForStaR 2004: 31). Das Quartiersmanagement stelle „den Knotenpunkt von Aktivitäten im Quartier und gleichsam den Motor der Quartiersentwicklung dar. […] Die Vielfalt und der Umfang der mit dieser Position zusammenhängenden Aufgaben erfordert [sic!] ein hohes Maß an Einsatz und Engagement. Zu den mit den Aufgaben verbundenen Qualifikationen gehören neben den Kernkompetenzen im Sozial- oder Planungsbereich ausgesprochen gute kommunikative und organisatorische Fähigkeiten, Erfahrungen mit Moderation und Mediation, Erfahrung im Umgang mit öffentlichen Fördermitteln sowie Führungskompetenzen: Zeitmanagement, Teambildung, Eigen- und Mitarbeitermotivierung“ (ebd.: 31).
In der Mehrzahl der WiN-Gebiete arbeiten die Quartiersmanager im Rahmen von Stellen, die dem Sozialressort zugeordnet sind. Fünf dieser Stellen wurden bereits im Zuge des Nachbesserungsprogramms eingerichtet und lediglich in den neuen Aufgabenbereich überführt, überwiegend unter Beibehaltung der bisherigen Beschäftigungsverhältnisse. Bei diesen bei der städtischen Verwaltung angestellten Quartiersmanagern handelt es sich in erster Linie um Personen mit sozialpädagogischen Ausbildungen (vgl. Farwick/Petrowsky 2005: 150). In einem Gebiet beauftragte das Bauressort ein externes Planungsbüro mit dem Quartiersmanagement. In einem weiteren Gebiet finanziert das dortige Wohnungsunternehmen den Quartiersmanager. 6.1.1.2 Projektgruppe Tenever: Quartiersmanagement als Einmischungsstrategie Zuständig für die Umsetzung des Quartiersmanagements in Tenever ist die Projektgruppe Tenever. Sie ist 1989, im Zuge des Nachbesserungskonzepts für die Großsiedlung entstanden. Damals hatten das Bau- und das Sozialressort zur Steuerung und Koordinierung der Nachbesserung sowie zur Weiterentwicklung des Maßnahmenplans den Aufbau einer Projektgruppe Tenever vereinbart, womit Mitarbeiter aus beiden Ressorts beauftragt wurden. Im Rahmen der Nachbesserung oblag der Projektgruppe die „intensive, übergreifende Zusammenarbeit mit Bewohnern, Initiativen, Trägern, Ämtern, Organisationen und den kommu185 Vgl. zum „Win-Gütesiegel“ die entsprechenden Erläuterungen in Fußnote 89.
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nalpolitischen Gremien“ (SenBau 1989: 8). Seit 1990 liegt zudem die Geschäftsführung der Stadtteilgruppe in ihrer Zuständigkeit, die Mitarbeiter der Projektgruppe sind verantwortlich für Vorbereitung, Moderation und Organisation der Stadtteilgruppensitzungen. Das Büro der Projektgruppe befindet sich seitdem im Quartier. Die Mitarbeiter der Projektgruppe begreifen „Initiierung, Begleitung und Vorantreiben aller im Zusammenhang mit der Großwohnsiedlung Tenever stehenden Planungen und Aktivitäten“ als ihre Aufgabe.186 Seit dem Senatsbeschluss, der 1998 im Rahmen der Umsetzung des Landesprogramms Wohnen in Nachbarschaften die Einrichtung von Quartiersmanagements (anfangs „lokale WiN-Koordinatoren“ genannt) in zehn Programmgebieten beschloss, wird der Tätigkeitsbereich der Projektgruppe als Quartiersmanagement bezeichnet. Das Team koordiniert die lokale Ausgestaltung der Programme „Wohnen in Nachbarschaften“ und „Soziale Stadt“, initiiert Beteiligungsprozesse im Quartier und fördert die Selbstorganisation der Bewohner. Im Rahmen ihrer Zuständigkeit für die Öffentlichkeitsarbeit beraten die Mitarbeiter alle an Tenever Interessierten, bieten Stadtteilführungen an und versorgen Pressevertreter mit Informationen. Einen großen Stellenwert nimmt die Netzwerkarbeit ein: Die Projektgruppe steht in einem ständigen Austausch mit Behörden, Wohnungsbaugesellschaften, Lokalpolitik den Einrichtungen der schulischen und sozialen Infrastruktur im Gebiet sowie Bewohnern und Bewohnerinitiativen. Zudem ist sie in unterschiedlichen Arbeitskreisen im Quartier vertreten. Das Team in Tenever setzt sich zusammen aus Mitarbeitern der Sozial- und der Bauverwaltung. Die Mitarbeiterin der Bauverwaltung ist in erster Linie zuständig für die Begleitung der Fördermittelbeantragung und die Kontrolle bewilligter Projekte, ihr Arbeitsplatz befindet sich in der Innenstadt. Der Mitarbeiter der Sozialverwaltung sieht seine Hauptaufgabe in der quartiersbezogenen Gemeinwesenarbeit und der Initiierung von Bewohnerbeteiligung, er ist vor Ort tätig. Während der Feldforschungsphase (viertes Quartal 2005 bis zweites Quartal 2006) arbeiteten zudem eine Sozialarbeiterin, die befristet zur Begleitung des Stadtumbaus eingestellt worden war, sowie eine Sozialarbeiterin im Rahmen ihres einjährigen Anerkennungspraktikums in dem Team. Fragt man in Bremen nach den Gründen für die intensive Bewohnerbeteiligung in Tenever und den Bedingungen ihres Erfolgs, dann fällt in jedem Gespräch der Name des für die Organisation der Beteiligung zuständigen Quartiersmanagers. Er war Anfang der Achtzigerjahre nach Tenever gezogen, hatte mit der dortigen Ortsgruppe der DKP ein „Sofortprogramm für Tenever“ formuliert und dafür einen wachsenden Unterstützerkreis organisiert. Als Ende der Achtzigerjahre die Ressorts für Bauen und Soziales das Nachbesserungspro186 Vgl. Selbstdarstellung der Projektgruppe Tenever unter www.bremen-tenever.de (letzter Zugriff am 2.6.2009).
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gramm vorbereiteten, war er der Sprecher der organisierten Bewohner. Angesichts der Forderungen der Quartiersbewohner nach Mitsprache bei der Konzeption der Nachbesserung (vgl. Lückenkötter 1999: 11ff.) stellte die Sozialverwaltung ihn schließlich für das neu geschaffene Team der Projektgruppe ein. Er sollte den Einbezug der Bewohnerinteressen im Nachbesserungsprogramm garantieren. Rückblickend beschreibt er die Neunzigerjahre folgendermaßen: „[M]eine Stelle wird geschaffen beim Amt für Soziale Dienste. Gegen den Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst kämpfe ich mit vielen BewohnerInnen und Pastoren und dem Arbeitskreis Tenever als engagierte Selbstorganisation der sozialen Einrichtungen und Initiativen für die neu geschaffene Stelle eines Quartiersmanagers in Tenever. Prädestiniert bin ich durch meine Aktivitäten als Bewohneraktivist in Tenever, den Aufbau eines Bewohnertreffs und Mieterdemos – und werde zum Abschluss meines Betriebswirtsstudiums zunächst befristet beim Amt für Soziale Dienste eingestellt“ (Barloschky 2007: 10).
Das Teneveraner Quartiersmanagementteam zeichnet sich demnach nicht nur dadurch aus, dass es verwaltungsintern besetzt ist, d.h., die Mitarbeiter haben reguläre, unbefristete Arbeitsverhältnisse mit der jeweils anstellenden Fachverwaltung. Zudem arbeitet erwähnter Quartiersmanager bereits seit 1990 als Mitarbeiter der Projektgruppe im Quartier. Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass er vor seiner Anstellung durch die Sozialverwaltung bereits als Sprecher der Bewohnerschaft aktiv Quartierspolitik betrieben hat. Die in den Achtzigerjahren vorgetragenen Forderungen aus der Bewohnerschaft nach einer kommunalen Intervention zur Lösung der baulichen Probleme und der immobilienwirtschaftlichen Schwierigkeiten Tenevers hatten nicht nur den Weg für das Nachbesserungsprogramm geebnet, sondern auch dazu geführt, dass die Verwaltung den Mietersprecher kooptierte, um über eine Einfriedung des Protests einen frühzeitigen und umfassenden Einbezug von Bewohnerinteressen zu gewährleisten. Der Quartiersmanager selbst beschreibt seine Arbeit in dieser Position als „mein[en] tägliche[n] Reformismus – bei gleichzeitiger Systemkritik“ (ebd.: 12). Er verfolgt einen Ansatz von Bewohnerbeteiligung, der weit über die vorgeschriebenen Beteiligungsmöglichkeiten hinausgeht, und versteht – zentralen Ansätzen der Gemeinwesenarbeit verpflichtet – Bewohner als „(handelnde) Subjekte und nicht als Objekte, ‚für die’ Politik und Verwaltung handelt. Das ist sowohl eine Frage des grundsätzlichen Blickwinkels als auch ein ganz praktisches Ding. Bewohner/innen handeln mit, planen mit, packen mit an, verändern!“ (Barloschky 1997: 49).
Damit „Planung und Ergebnis ein einheitlicher Prozess werden“, sollten Bewohner als Betroffene bei allen Maßnahmen, mit deren Folgen sie zu leben haben, „mitwirken und mitentscheiden“; als Experten ihres Wohnumfelds und ihrer Wohnungen brächten sie wesentliche Kompetenzen in den Planungsprozess ein; 232
als Ideenproduzenten könnten sie mehr Vorschläge zu einen Planungsprozess beisteuern als eine Handvoll Planer und anderer Fachexperten (ebd.: 49). Seit mittlerweile mehr als 20 Jahren geht es dem Quartiersmanager in Tenever darum, „Menschen zu ermutigen, sich einzumischen, Interessen zu vertreten“ (Barloschky 2007: 11). „Ziel, Weg und auch Ergebnis der erweiterten Beteiligungsmöglichkeiten“ in Tenever seien: „eine Stärkung des Selbsthilfepotentials, eine Vergrößerung der Aktivität von Bewohnern [...], die Stärkung von Bewohnerorganisationen und ein vergrößerter Einfluß der Bewohner gegenüber Verwaltung, Politik und zum Teil den Wohnungseigentümern. Nicht übersehen werden sollte, daß es durch diesen Prozeß auch zu einer Abmilderung von Widersprüchen (‚Befriedung’) und zu einem Abbau der Kluft zwischen Politik, Verwaltung einerseits und Bewohnern andererseits kommen kann“ (Barloschky 1997: 49, Hvhbg. i. Orig.).
Quartiersmanagement versteht er „als sozialräumliche Strategie [...], die den Fokus ganzheitlich auf das Quartier richtet, zielgruppenübergreifend, ressourcen- und bedürfnisorientiert handelt und die selbstbestimmte, aktive Gestaltung der eigenen Lebensbedingungen zum Ziel hat“ (Barloschky/Schreier 2006: 325).
Zur frühzeitigen Ermittlung der Interessen und Wünsche der Bewohner und anderer Quartiersakteure werden in Tenever unterschiedliche Methoden angewendet (vgl. Barloschky 1997: 49f.): verschiedene Formen von Versammlungsverfahren (auf Haus- oder Hofgemeinschaften bezogen, thematisch ausgerichtet, Zielgruppenversammlungen und Planungsgruppensitzungen), Ansprache und Nutzung von vorhandenen Bewohnernetzwerken und -zusammenhängen (z.B. Elternbeiräte in Bildungseinrichtungen, Migrantenvereine, Bewohnerinitiativen), Nutzen von Bewohner- und Quartiersfesten, um zu informieren und Anregungen und Kritik aufzunehmen, Beobachten und Durchführen von Umfragen (z.B. Türklingelaktionen, Hausinformationen, Nutzerbefragungen). Durch ideelle und finanzielle Unterstützung der Selbstorganisation als auch durch konkrete Hilfe bei dem Erstellen von Flugblättern, bei Unterschriftensammlungen, Demonstrationen und anderen Aktionen soll zudem die Interessenartikulationen der Bewohner gestärkt werden. Als „höchste Form der Bewohnerbeteiligung“ (ebd.: 50) gilt dem Quartiersmanager jedoch die Mitarbeit in der Stadtteilgruppe: „Das Demonstrativbauvorhaben Tenever (‚Urbanität durch Dichte’ versprachen die Planer und dann endete es wie bei Christian Morgenstern: ‚Der Architekt jedoch entfloh / nach Afri- od Americo’) entwickelt sich zum Demokratie-Vorhaben: Bewohnerbeteiligung, Mitentscheidungsrechte des Volkes in der Stadtteilgruppe Tenever über die Vergabe von Steuermitteln für Projekte“ (Barloschky 2007: 10, Hvhbg. i. Orig.).
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In der Stadtteilgruppe formulieren Bewohner und Bewohnerinitiativen Projektideen und tragen diese direkt an die vor Ort vertretene Verwaltung heran. Alle Projektideen werden auf den Stadtteilgruppensitzungen beraten, wobei Prioritäten gemeinsam festgelegt werden. Die Vergabe des partizipativen „Gütesiegels“, das Voraussetzung für die Finanzierung von Projekten im Rahmen der zur Verfügung stehenden Förderprogramme ist, erfolgt ebenfalls gemeinsam mit den Bewohnern.187 Für den Bremer Quartiersmanager liegt das zentrale Prinzip einer solchen, um Mitentscheidungsrechte erweiterten Bewohnerbeteiligung darin, Bewohner als aktive Mitgestalter des Quartiers bzw. des Gemeinwesens anzuerkennen. Er begreift seine Arbeit nicht nur als Flankierung städtebaulicher Programme, sondern auch explizit als Intervention in Quartiersprozesse: „Eine an den Bedürfnissen, Interessen und Anliegen der Bewohnerschaft orientierte Quartiersentwicklung hat sich als Einmischungsstrategie zu verstehen“ (Barloschky/Schreier 2006: 329). Die Grenzen einer solchen Einmischung werden von ihm allerdings klar reflektiert: „Ich denke, durch Nachbesserung, durch Sanierung, durch Gemeinwesenarbeit mit Geld, durch Quartiersentwicklungsprogramme, durch soziale Stadterneuerungspolitik, egal wie Sie es nennen, dadurch können einzelne Verbesserungen herbeigeführt werden, kleine ‚Highlights’ gesetzt werden, sowie insgesamt eine größere soziale Aktivität und Kommunikation entfaltet werden, aber Grundfragen für die Menschen, wie sie sich aus der Wohnungspolitik, aus Vermietungspraxis ergeben oder auch die Grundbedürfnisse nach Arbeit und sozialer Sicherheit und Perspektive müssen politisch erstritten (ja, auch erkämpft) und durchgesetzt werden. Dafür ist auch unser Engagement verantwortlich“ (Barloschky 1997: 53, Hvhbg. i. Orig.).
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass das Quartiersmanagement in Tenever nicht nur auf die Optimierung von Planungen durch den frühzeitigen Einbezug von Bewohnern und deren lokalem Know-how zielt, sondern explizit eine Strategie der politischen und politisierenden Bildung verfolgt. Einerseits initiieren und fördern die Quartiersmanager lokale Strukturen, die die Prinzipien von Mitbestimmung, Toleranz, Solidarität und offener Kommunikation im Quartiersalltag praktizieren, verankern und einüben, andererseits versuchen sie, als Vorbilder diesen Prinzipien selbst gerecht zu werden. Festzuhalten ist zum einen, dass der Arbeit des Teneveraner Quartiersmanagementteams ein politisches Beteiligungsverständnis zugrunde liegt: Beteiligung ist darin nicht nur Mittel zum Zweck, sondern auch Wert an sich. Ausdrücklich begreifen die Quartiersmanager ihre Arbeit als parteiische Einmischung zugunsten der Bewohnerschaft des Quartiers. Zum anderen ist das Quartiersmanagement charakterisiert durch institutionelle und personelle Kontinuitä187 Vgl. ausführlicher zur Mikropolitik der Stadtteilgruppe Tenever Kap. 6.2.1.
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ten: Mit der Projektgruppe hat eine lokale Institution das Quartiersmanagement übernommen, die seit nahezu zwei Jahrzehnten für die Organisation von Bewohnerbeteiligung im Hochhausviertel zuständig ist. Geschaffen wurde die Projektgruppe als außerordentliche administrative Arbeitsgruppe im Zuge des Nachbesserungskonzeptes, ihr ursprüngliches Aufgabenprofil wurde übertragen auf die Begleitung der Programme der sozialen Stadtpolitik. Insofern entstand Ende der Achtzigerjahre in Tenever eine Instanz, die bereits damals Aufgaben erledigte, die mittlerweile das Anforderungsprofil von Quartiersmanagementteams kennzeichnen. Die in der Nachbesserung entwickelte Tradition der kooperativen Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern des Bau- und des Sozialressorts umfasste auch die personelle Besetzung des lokalen Quartiersmanagementteams, in dem fest angestellte Mitarbeiter beider Ressorts im „Tandem-Modell“ zusammenarbeiten. Im Hinblick auf das Personal des Quartiersmanagements liegt in Tenever eine weitere Kontinuität vor: Der Quartiersmanager war in den Achtzigerjahren bereits Mietersprecher, wurde von der Sozialverwaltung für das Team der Projektgruppe angestellt und organisiert seitdem Bewohnerbeteiligung vor Ort. 6.1.2
Quartiersmanagement und Quartiersmanager in Marzahn-Nord
Auch in Berlin ist das Instrument des Quartiersmanagements in einer bis in die Achtzigerjahre zurückreichenden Traditionslinie zu verorten. Eine erste, wesentliche Etappe waren die im Kontext der Stadterneuerung in Kreuzberg erarbeiteten „Grundsätze zur behutsamen Stadterneuerung“ (1983 vom Berliner Abgeordnetenhaus „zustimmend zur Kenntnis“ genommen). Dort wird „eine offene Form der Entscheidungsfindung und Diskussion mit Stärkung der Betroffenenvertretung und Einrichtung vor Ort tagender Entscheidungsgremien“ gefordert (Grundsatz 9; vgl. Bernt 2003: 55). Zehn Jahre später, nach der Wende, gingen auch die 1993 vom Senat beschlossenen „Leitsätze zur Stadterneuerung“ auf Organisationsfragen ein: „In den Sanierungsgebieten sind Betroffenenvertretungen zu bilden. Durch Sozialplanverfahren und offene Beratung sind die Belange der Bewohner und Nutzer einzubringen“. Mit Blick auf die Situation in OstBerlin wurde angefügt: „Die hohen Erwartungen in den östlichen Bezirken an die Demokratie […] sind durch eine konsequente Anwendung des Sozialplanverfahrens und der Mitwirkungsmöglichkeiten der Betroffenen einzulösen“ (Leitsatz 11; vgl. ebd.: 143). Ein dritter Meilenstein ist das 1999 aufgelegte Programm zur „Sozialorientierten Stadtentwicklung: Einrichtung von integrierten Stadtteilverfahren – Quartiersmanagement – in Gebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf“, mit dem das Quartiersmanagement (QM) als Verfahrensinstrument eingeführt wurde (Güntner 2007: 195). Auch im Bezirk Marzahn 235
wurde ein Quartiersmanagementverfahren installiert (QM-Gebiet MarzahnNordwest). Neben diesen stadtweiten Diskursen und Programmen ist speziell für die Großsiedlung Marzahn auch die 1990 eingerichtete „Plattform Marzahn“ als im Rahmen des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus gefördertes Modellprojekt zur Sicherung von „Transparenz und Öffentlichkeit zu unterschiedlichen Planungsansätzen“ zu nennen (vgl. Plattform Marzahn 1994). Dieses Diskussionsforum wurde von dem West-Berliner Planungsbüro UrbanPlan betreut, das später auch das Quartiersmanagement in Marzahn-Nord stellte. 6.1.2.1 Programmrahmen: „Sozialorientierte Stadtentwicklung“ und „Soziale Stadt“ Der Berliner Senat beschloss das Programm „Sozialorientierte Stadtentwicklung: Einrichtung von integrierten Stadtteilverfahren – Quartiersmanagement – in Gebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf“ im März 1999 (vgl. Abgeordne188 tenhaus von Berlin 1999). Mit dem Programm wird seitdem das Ziel verfolgt, „eine nachhaltige, soziale, wirtschaftliche, städtebauliche und ökologische Entwicklung durch integriertes Handeln und vernetzte Maßnahmen im Quartier zu bewirken“ (ebd.: 32), wobei „in den ausgewählten Quartieren durch Bündelung und effizienten Einsatz von Fördermitteln, Programmen und Projekten zusätzliche Potentiale, Ressourcen und Energien freigesetzt werden“ sollen (ebd.). Wesentliche Elemente des Programms sind die Einrichtung von lokalen Quartiersmanagements sowie die Sicherstellung eines kooperativen, ressortübergeifenden Verwaltungshandelns zur Flankierung der integrierten Quartiersentwicklung. Als Aufgaben der Quartiersmanager wurden „Bewohneraktivierung“, „Stadtteilkoordination“ sowie das Initiieren von Projekten hervorgehoben (vgl. ebd.: 32). Zudem wurden die verschiedenen involvierten Verwaltungsstellen zu einer übergreifenden Zusammenarbeit aufgefordert, um die „Funktionsfähigkeit der integrierten Stadtteilverfahren“ zu gewährleisten (ebd.: 33). Angemahnt wurde eine Kooperation der auf Landesebene zuständigen, sektoral organisierten Fachverwaltungen (insbesondere die Senatsverwaltungen für Bauen, Wohnen und Verkehr sowie für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie, aber auch andere, „bei Bedarf“ hinzuziehende Ressorts), die Zusammenarbeit der Senatsverwaltungen mit den Bezirksverwaltungen sowie eine engere ämterübergreifen189 de Zusammenarbeit auf bezirklicher Ebene (vgl. ebd.). 188 Vgl. dazu auch Kap. 4.1.4. 189 Die Berliner Bezirke sind keine Kommunen mit eigenständiger Selbstverwaltung, sondern der Fach- und Rechtsaufsicht des Landes Berlin unterstellt. Nach dem Allgemeinen Zuständig-
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Damit sind die wesentlichen programmatischen Merkmale des Berliner Quartiersmanagements umrissen: Es soll aktivierend, kooperativ und integrativ wirken. Aktivierend insofern, als dass es die Mobilisierung der betroffenen Bewohner im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe anstrebt, kooperativ insofern, als dass es auf eine Zusammenarbeit nicht nur der mit der Gebietsentwicklung befassten Verwaltungsstellen, sondern aller im Gebiet ansässigen oder dort tätigen Einrichtungen und Personen abzielt; und integrativ insofern, als dass Quartiersmanagement bauliche Erneuerung um unterschiedliche Handlungsfelder – Arbeitsmarktpolitik, Infrastrukturpolitik, Stadtteilökonomie, Wirtschaftsförderung, Integrationspolitik, Bildungspolitik und Gesundheitspolitik – erweitern und unterschiedliche Ressourcen aus diesen Feldern bündeln soll. Im Hinblick auf Zielsetzung und Handlungsschwerpunkte ähneln sich die Quartiersmanagementansätze in Berlin und Bremen: Die Manager sind als „Netzwerker“ zuständig für die Koordination von Akteuren und Interessen, als „Wegbereiter“ obliegt ihnen die Organisation von Bewohnerbeteiligung und als „Aufspürer“ initiieren sie projektförmige Maßnahmen, für die sie zudem geeignete Träger finden müssen. Allerdings erklärt sich die konkrete Ausgestaltung des Programms in Berlin erst unter Beachtung einiger Besonderheiten: Das Berliner Landesprogramm wurde nur wenige Monate vor der Unterzeichnung der Verwaltungsvereinbarung aufgelegt, die die Ergänzung der Städtebauförderung um den neuen Ansatz „Soziale Stadt“ auf Bundesebene besiegelte (vgl. VV Städtebauförderung 1999). Auch wenn es insofern im Vergleich zu den Vorläuferprogrammen anderer Bundesländer als verhältnismäßig späte Initiative gelten kann (vgl. IfS 2004: 23), so hat die Etablierung eines Ansatzes zur Förderung von Maßnahmen der integrierten Quartiersentwicklung in der heuti-
keitsgesetz (AZG) der Berliner Verwaltung kommt ihnen in erster Linie die Aufgabe zu, Vorgaben der Landesverwaltung auszuführen (vgl. AZG 1996). Hatten sie bis zum Senatsbeschluss zur Einrichtung von Quartiersmanagement nur zu Informationszwecken und ohne Entscheidungsbefugnisse an der Vorbereitung der QM-Verfahren teilgenommen, nahm der Beschluss sie nun in die Pflicht: Die Bezirke sollten die QM-Gebiete zu Schwerpunkten der bezirklichen Entwicklung erklären und zur Koordinierung der Maßnahmen einen sogenannten Quartierskoordinator (oft auch: Bezirkskoordinator) einsetzen. Dadurch sollten ein „Höchstmaß an Effektivität“ und die „Bündelung von Maßnahmen und Programmen“ (Abgeordnetenhaus von Berlin 1999: 33) gesichert werden. Allerdings erhielten die Bezirke keine eigenen Programmmittel für diese Zusatzaufgabe. Auf diese Konstellation reagierten einige Bezirksverwaltungen mit der Verweigerung einer Zusammenarbeit (vgl. Empirica 2003a: 111ff.). Indes konnte diese Blockade nur begrenzt aufrechterhalten werden, da die Bezirke sich mit einer grundsätzlichen Ablehnung des Programms die Möglichkeit verbaut hätten, zusätzliche staatliche Gelder zur Quartiersentwicklung in ihr Territorium zu lenken. Wollten sie die QM-Mittel nutzen, dann mussten sie kooperieren. Die Senatsebene, der Zuständigkeit, Aufsicht und Kontrolle über das Programm oblagen, versah die Bezirke mit den „goldenen Zügeln“ der finanziellen Förderung und sicherte damit deren Bereitschaft zur Zusammenarbeit.
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gen Bundeshauptstadt auch eine spezifische, einige Jahrzehnte in die Geschichte der Stadtpolitik zurückreichende Vorgeschichte. Güntner (2007: 195ff.) hat herausgearbeitet, dass „sozialorientierte Stadtentwicklung“ in Berlin eine Verknüpfung zweier stadtentwicklungspolitischer Pfade – Stadterneuerung und Stadtentwicklungsplanung – darstellt. Auf der einen Seite steht die „behutsame Stadterneuerung“, die als Gegenmodell zu der im West-Berlin der Siebzigerjahre praktizierten Kahlschlagsanierung entstanden 190 war, auf der anderen Seite die Anfang der Neunzigerjahre einsetzende Initiative der Stadtentwicklungsplanung zur detaillierten Abbildung der sozialräumlichen Entwicklung der Stadt mithilfe eines Berichtssystems. Interpretierten die „Stadterneuerer“ die integrierte Quartiersentwicklung als Weiterentwicklung bzw. Anpassung ihres Ansatzes an veränderte Rahmenbedingungen, so stand dem auf Seiten der „Entwicklungsplaner“ eine Deutung als innovativer, auf neue Handlungserfordernisse reagierender Politik entgegen. In dem administrativen Prozess der Formulierung und Ausgestaltung des neuen Landesprogramms Ende der Neunzigerjahre sammelten sich die „Stadterneuerer“ unter dem Dach der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr (SenBWV), die „Entwicklungsplaner“ gehörten der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie (SenSUT) an. Im Ansatz der sozialorientierten Stadtentwicklung fanden sich Elemente aus beiden Disziplinen und Diskursen: Aus der Stadterneuerungstradition wurden die Prinzipien einer Orientierung an den Bedürfnissen der Bewohner sowie ein kleinteiliges, inkrementelles Vorgehen übernommen. Sie hatten die veränderten Anforderungen, mit denen sich die Berliner Stadterneuerung nach dem Mauerfall konfrontiert sah – „Zentrumsneubau“ und „Entwicklungsmaßnahmen am Innenstadtrand und in der städtischen Peripherie“ (SenBauW 1994: 11) – „überlebt“: „[D]ie Überzeugung bzw. die Rede davon, dass Stadterneuerung über die bauliche Dimension hinausgehen muss, blieb [...] bei allen Verschiebungen beibehalten und wurde zudem auf die ‚Neubau-Erneuerung’ übertragen, auf die Großsiedlungsstrategie West und die Großsiedlungsstrategie Ost. Wohnumfeldverbesserungen und Beiratsverfahren wurden hier zu Standards“ (Güntner 2007: 203).
190 „Wegmarken“ auf dem Weg zur „Behutsamkeit“ waren neben der Kritik der Kahlschlagsanierung die in Charlottenburg demonstrierte „erhaltende Erneuerung“ des Blocks 103 im dortigen Sanierungsgebiet Klausener Platz, die „Strategien für Kreuzberg“, in denen Bewohner ihr Wohnquartier bewerten, Verbesserungsvorschläge entwickeln und mit Verwaltung und Architekten diskutieren sollten, die Berliner Instandbesetzungsbewegung, die Anfang der Achtzigerjahre zu politischen Erschütterungen und zur Durchsetzung der „behutsamen Stadterneuerung“ geführt hatte, sowie die Durchführung einer Internationalen Bauausstellung 1984, die die Abkehr von der technokratischen Stadtplanung besiegelte (vgl. Bodenschatz 1987: 199ff., Bernt 2001: 48ff., Häußermann u.a. 2002: 23ff).
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Prominentes Verfahren war das in das ExWoSt-Forschungsfeld „Städtebauliche Entwicklung großer Neubaugebiete in den neuen Bundesländern und Berlin-Ost“ eingebettete „Integrierte Entwicklungskonzept Marzahn“: Seit 1991 wurde für die Großsiedlung ein verfahrensorientierter Ansatz erprobt, der auf die Erarbeitung eines tragfähigen Steuerungsmodells für die Weiterentwicklung zielte und explizit einen Einbezug von Bewohner vorsah. Die Ansprüche an das Verfahren waren hoch gesteckt: „Auf den Erfahrungen der behutsamen Stadterneuerung aufbauend, war es das Ziel, den in den 1990er Jahren anstehenden Entwicklungsprozess von Marzahn [...] zu demokratisieren“ (Cremer 2007: 125). Eine hervorgehobene Bedeutung hatte dabei die Einrichtung der „Plattform Marzahn“ 191 als „Forum für Stadtentwicklung und Bürgerbeteiligung“. Eine weitere, in der „behutsamen Stadterneuerung“ gründende Linie bezog sich auf das Stadterneuerungspersonal. Ein Großteil der relevanten Akteure hatte prägende berufliche Erfahrungen in den Achtzigerjahren im Umfeld der Internationalen Bauausstellung (IBA) Berlin und der zur ihrer Durchführung gegründeten Gesellschaft „IBA GmbH“ gesammelt: Senatoren, Staatssekretäre, Abteilungsleiter und Sachbearbeiter in den Verwaltungen, Geschäftsführer und Mitarbeiter von Sanierungsträgern, Vertreter von Mieterberatungen und lokalen Initiativen rekrutierten sich aus dem Netzwerk. Bernt (2003: 74) spricht in diesem Zusammenhang von der „Elitenschmiede IBA“, Güntner (2007: 199) von einer 192 Policy Community, deren prägendes Erlebnis die Rettung Kreuzbergs war. Parallel dazu arbeiteten die „Stadtentwicklungsplaner“ der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie (SenSUT) am Aufbau eines Systems zur vergleichenden Beobachtung der sozialräumlichen Entwicklung der Stadt. Mit der Identifizierung von strategischen Ansätzen, der Entwicklung von Indikatoren und der Formulierung von Handlungsempfehlungen beauftragten sie eine Arbeitsgemeinschaft um den Stadtsoziologen Hartmut 193 Häußermann. Ihre im Oktober 1998 veröffentlichte Studie „Sozialorientierte 191 Vgl. dazu auch Kap. 4.2.4. 192 Das bei der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr seit 2000 mit der Koordinierung der Quartiersmanagementverfahren und -gebiete betraute Referat „Soziale Stadt“ war beispielsweise Nachfolger derjenigen Arbeitsgruppe, die bis zum Jahrtausendwechsel zuständig war für die Steuerung der Großsiedlungserneuerung im Ostteil. Diese Gruppe wiederum hatte bereits die Umsetzung der „behutsamen Stadterneuerung“ begleitet (vgl. Güntner 2007: 204). Auf administrativer Ebene lag dadurch eine unmittelbare personelle und inhaltliche Kontinuität vor. Sie gewährleistete den Einbezug des Erfahrungswissens der Stadterneuerer zur Stabilisierung und Aufwertung einzelner Quartiere mit dem Instrumentarium der Städtebauförderung und insbesondere ihrer Expertise im Umgang mit investiven Fördermitteln in die Umsetzung des neuen Programmansatzes „sozialorientierte Stadtentwicklung“. 193 Die Arbeitsgemeinschaft bestand aus dem von Häußermann gegründeten Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik IfS und der Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung S.T.E.R.N. Dem Auftrag waren zwei Pilotstudien – „Stadtentwicklung sozial“ (vgl. Häußer-
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Stadtentwicklung“ (sogenanntes „Häußermann-Gutachten“; SenSUT 1998) kam zu dem Ergebnis, dass die für einige Stadtgebiete diagnostizierten Abwanderungsbewegungen für eine soziale Entmischung sorgten: Besserverdienende zögen an der Stadtrand bzw. ins Umland, zurück blieben einkommensschwache Bevölkerungsschichten (vgl. ebd.: 14f.). Um diese Entwicklung aufzufangen, schlugen die Verfasser die Einrichtung von ortsbezogenen und kleinteiligen Stadtteilverfahren vor. Sie empfahlen dem Berliner Senat, unter Einsatz intermediärer Organisationen die Erarbeitung von gebietsbezogenen integrierten Konzepten zur Bewohnerbeteiligung, Akteursvernetzung und Quartiersentwicklung zu initiieren (vgl. ebd.: 80). Zentrales Element dieser Strategie war die Einrichtung von Quartiersmanagements. Deutlich wird: Auch wenn die jeweiligen Begründungszusammenhänge anders lauteten, so waren sich die Stadtentwicklungs- und die Bauverwaltung Ende der Neunzigerjahre einig in der Frage der Einrichtung von Quartiersmanagements. Die Ausformulierung der Zielstellung des Quartiersmanagements bzw. der integrierten Quartiersentwicklung insgesamt lag dann auch bei beiden Fachverwaltungen. Die Vorlage, auf deren Grundlage der Berliner Senat 1999 die Einrichtung von integrativen und partizipativen Verfahren in der Quartiersentwicklung beschloss (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin 1999), ist Ergebnis dieser Zusammenarbeit von „Stadterneuerern“ und „Stadtentwicklungsplanern“. In einem Abstimmungsprozess hatten sie die 15, im Senatsbeschluss bestätigten 194 Programmgebiete ausgewählt. Bei der Auswahl und Beauftragung der Träger des Quartiersmanagements verfuhren die beiden Senatsverwaltungen indes unterschiedlich: Während die SenSUT über öffentliche Ausschreibungen nach Quartiersmanagern für die von mann/Kapphan 1995) und „Pilotstudie Lichtenberg“ (vgl. Häußermann/Kapphan 1996) vorausgegangen, die im Auftrag der SenSUT ebenfalls von Häußermann und seinen Mitarbeitern erstellt worden waren. 194 Bei diesen Quartiersmanagementgebieten der ersten Stunde handelte es sich um innerstädtische Altbauquartiere in beiden Stadthälften sowie um Teilbereiche der Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus im Westteil und der Großsiedlungen des komplexen Wohnungsbaus im Ostteil. Einige Gebiete waren durch das Häußermann-Gutachten als „problembehaftet“ klassifiziert worden, in anderen wurden bereits Programme der Städtebauförderung umgesetzt. Die auf das „Häußermann-Gutachten“ zurückzuführenden Gebiete waren Sparrplatz (Altbezirk Wedding), Wrangelkiez (Altbezirk Kreuzberg), Schillerpromenade (Neukölln), Arnimplatz (Altbezirk Prenzlauer Berg) und Boxhagener Platz (Altbezirk Friedrichshain). Sie lagen im Zuständigkeitsbereich der SenSUT. Die SenBWV brachte zehn weitere Gebiete ein, in denen sie bereits die Umsetzung von Förderprogrammen koordinierte; im Einzelnen waren das: Beusselstraße (Altbezirk Tiergarten), Soldinerstraße (Altbezirk Wedding), Hemholtzplatz und Falkplatz (beide Altbezirk Prenzlauer Berg), Neues Kreuzberger Zentrum/Wassertorplatz (Altbezirk Kreuzberg), Bülowstraße/Wohnen am Kleistpark (Altbezirk Schöneberg), Rollbergsiedlung und Sonnenallee (beide Neukölln), Oberschöneweide (Köpenick) sowie Marzahn-Nord (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin 1999).
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ihr betreuten Gebiete suchte, trug die SenBWV das neue Programm an professionelle, in den jeweiligen Gebieten bereits tätige Akteure der Stadterneuerung heran und erweiterte bzw. verlängerte bereits existierende Verträge. Gemeinsamkeit der in Berlin mit der Durchführung lokaler Quartiersmanagements Beauftragten ist jedoch, dass sie als externe Träger (zumeist sind es Planungs- und Beratungsbüros) von den Senatsverwaltungsstellen mit der Durchführung von Quartiersmanagement beauftragt wurden. Dies erfolgte in Form von Einjahresverträgen, die jährlich verlängert werden müssen. Damit haben privatrechtliche Organisationen (zumeist eingetragene Vereine oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung), die vollständig oder zu großen Teilen mit öffentlichen Geldern finanziert werden und Aufgaben für eine öffentliche Administration erledigen, eine zentrale Bedeutung in der Programmumsetzung erhalten. Sie verkaufen ihre Leistungen – im Gegensatz zu öffentlichen Verwaltungen – als warenförmige Angebote auf einem Markt, auf dem sie mit anderen Anbietern ihrer Branche konkurrieren. Hinsichtlich ihrer Arbeitsinhalte sind sie eher der staatlichen Sphäre zuzuordnen, in Bezug auf ihre Organisationsstruktur eher der privatunternehmerischen. Diese Zwitterstellung zwischen Markt und Staat schafft – im Vergleich zur öffentlichen Verwaltung – einen wesentlichen schwächeren Zwang zu Formalisierung und Rechtsbindung. Auf den ersten Blick scheinen die Berliner Quartiersmanager daher deutlich flexibler als Verwaltungen handeln zu können und scheinen eher in der Lage zu sein, neuen, außergewöhnlichen Handlungsanforderungen zu genügen. Allerdings haben diese Regelungen der Beauftragung auch spezifische Abhängigkeiten entstehen lassen: Die Einjahresverträge sorgen dafür, dass die Quartiersmanager „an der langen Leine“ von Verwaltung und Politik agieren müssen. Bei Unstimmigkeiten und Konflikten ist die Verwaltung in der Lage, Aufträge zu entziehen. Diese Abhängigkeit bestimmt den Rahmen für das Handeln der Quartiersmanager: Um ein möglichst regelmäßiges Mittelaufkommen zu sichern, sind sie gezwungen, ein gutes Verhältnis zu ihren Auftraggebern aufzubauen und ihr laufendes Handeln an deren Vorstellungen und Wünsche anzupassen. Um ihre Beauftragung und damit ihr Einkommen nicht zu gefährden, müssen die Intermediären kontinuierlich vorzeigbare Erfolge organisieren und in eine harmonische Öffentlichkeitsarbeit einbetten. Aus diesem Grund bevorzugen die Berliner Quartiersmanager in der Regel konfliktarme, leicht zu realisierende und gut zu kommunizierende Projekte (vgl. Fritsche 2003, Bernt/ Fritsche 2005).
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6.1.2.2 QuartiersAgentur Marzahn-NordWest: Quartiersmanagement als Steuerungsstrategie Die „Stadterneuerer“ und „Großsiedlungsentwickler“ in der Bauverwaltung 195 sorgten dafür, dass das Gebiet Marzahn-Nordwest als einziges Quartier der Ost-Berliner Großsiedlungen zu den 15 QM-Gebieten der ersten Stunde gehörte. Durch die fachliche Betreuung des ExWoSt-Modellprojekts zur integrierten Erneuerung Marzahns waren die Mitarbeiter der SenBWV seit 1991 mit den Entwicklungstendenzen in der Großsiedlung vertraut. Im Rahmen der Erstellung des „Integrierten Entwicklungskonzepts Marzahn“ war eine Konzentration auf die jüngsten und damit am wenigsten entwickelten Großsiedlungsbereiche in den Randlagen vorgenommen worden (vgl. Endbericht 1994: 60f.). Marzahn-Nord war eines der Schwerpunktgebiete des Konzeptes; für die weitere bauliche Entwicklung und infrastrukturelle Ausstattung des Quartiers war eine Rahmenplanung erstellt worden, zudem wurde die Sozialstruktur der Bevölkerung unter196 sucht (vgl. Weeber und Partner 1993). Ende der Neunzigerjahre, als sich die Etablierung von Quartiersmanagements als integrierte Verfahren auf der Quartiersebene abzeichnete, stand fest, dass eine komplette Modernisierung des Gebäudebestands von Marzahn-Nord nicht mehr zu realisieren war. Aufgrund veränderter finanzieller Rahmenbedingungen war die Sanierungswelle der Großsiedlungserneuerung ins Stocken geraten. Entsprechend hoch war der Bestand unsanierter Wohnungen im Quartier. Das „Häußermann-Gutachten“ hatte für Marzahn-Nord das mit Abstand höchste Wanderungssaldo aller Ost-Berliner Großsiedlungen, das höchste Erwerbstätigenwanderungssaldo sowie einen hohen Anteil von Arbeitslosen verzeichnet (vgl. SenSUT 1998: 68f.). Damit wurden die auf Erfahrungswissen basierenden Einschätzungen der Mitarbeiter des Bauressorts, in Marzahn-Nord liege eine Ballung verschiedener Problemlagen vor, bestätigt, so dass sich die beiden Fachverwaltungen in der Frage der Notwendigkeit einer Einrichtung von Quartiersmanagement in dem Gebiet einig waren. Bei der Beauftragung der Quartiersmanager und der Organisation des Verfahrens setzte die Bauverwaltung auf Kontinuität: Den Auftrag zur Einrichtung und Durchführung von Quartiersmanagement erhielt das 1989 gegründete privatwirtschaftliche Planungs- und Beratungsbüro „UrbanPlan – Gesellschaft für Projektsteuerung, Architektur, Städtebau, Strukturplanung und Forschung mbH“,
195 Das QM-Gebiet setzt sich zusammen aus den Quartieren Marzahn-Nord (Untersuchungsgebiet der vorliegenden Arbeit) und Marzahn-West, vgl. dazu auch Kap. 4.2.3.1. 196 Vgl. die entsprechenden Ausführungen dazu in Kap. 4.2.4.
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das bereits die Geschäftsstelle der „Plattform Marzahn“ unterhielt. Im Rahmen des „Plattform“-Auftrags war UrbanPlan bereits seit Anfang der Neunzigerjahre zuständig für die Koordinierung des Diskussionsforums, aller planungsvorbereitenden Beteiligungsmaßnahmen sowie der Begleitforschung. Als Koordinator und Auftraggeber dieser Aktivitäten wies das Planungsbüro eine umfassende gebietsbezogene Expertise und Kontakte zu den Akteuren vor Ort auf. Die Senatsbauverwaltung erweiterte die existierenden vertraglichen Verpflichtungen mit dem Büro um den Baustein „Einrichtung eines Quartiersmanagements in Marzahn-Nordwest“. Auch der Aufbau der Steuerungs- und Lenkungsrunden des Quartiersmanagements erfolgte unter Rückgriff auf bereits vorhandene Strukturen. Im Wesentlichen waren dabei Akteure vertreten, die bereits seit Jahren im „Plattform“-Prozess zusammengearbeitet hatten: Mitarbeiter von UrbanPlan, des Bezirksamts Marzahn (Fachverwaltungen und bezirklicher Beauftragter für das QM-Gebiet), der Senatsbauverwaltung und der örtlichen Wohnungsunternehmen (vgl. Güntner 2007: 260f.). Die neuen Quartiersmanager – Mitarbeiter von UrbanPlan, von denen bereits einige im Büro der „Plattform Marzahn“ gearbeitet hatten – nahmen bereits im Frühjahr 1999, vor der formalen Beauftragung, ihre Arbeit auf. Als Träger des Verfahrens obliegt ihnen seitdem die Durchführung der drei Programmschwerpunkte auf der Gebietsebene – Bewohneraktivierung, Stadtteilkoordination und Projektinitiierung. Mit der Eröffnung eines Vor-Ort-Büros im Juli 1999 verankerte sich das QM für die Bevölkerung sichtbar und zugänglich im Quartier. Am Anfang des Quartiersmanagementverfahrens stand ein umfassender Konsultationsprozess: Zur Erarbeitung eines konkreten Handlungskonzepts für das Quartier und zum Aufbau einer themengenerierenden Begleitstruktur suchten die Quartiersmanager das Gespräch mit den von ihnen als relevant erachteten Akteuren. Dazu veranstalteten sie im September 1999 eine Quartierskonferenz, an der Vertreter des Bezirksamts und der Fachverwaltungen, der im Quartier tätigen freien Träger und der Wohnungsunternehmen teilnahmen (vgl. QuartiersAgentur Marzahn NordWest 2000). Im Zuge dieses Zusammentreffens von Planern, Verwaltungsmitarbeitern und fachlichen Experten entstand die Idee, eine regelmäßig tagende Runde von Bewohnern als Beratungsgremium für Vorhaben des Quartiersmanagements zu etablieren. Ein damals am Verfahren Beteiligter erinnerte sich im Gespräch an die Anfänge der Bewohnerbeteiligung im Zuge des lokalen Quartiersmanagementprozesses: 197 Vgl. das Unternehmensprofil des Planungsbüros auf der Webseite www.urbanplan.de (letzter Zugriff am 1.8.2009).
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„Also insgesamt, glaube ich, ist es schon ein bisschen ein Durchwursteln gewesen. Man hatte so ein paar Eckpunkte, von denen man dachte, das ist sinnvoll, wenn man das aufbaut am Anfang, also so eine Art Gremium und eine kleine Struktur schaffen und Anreize schaffen, aber dann halt ein bisschen ausprobieren, was funktioniert, wo[rauf] springen sie [die Bewohner, M.F.] an? Also jetzt auch: Wo bringen sie sich selbst auch ein?“
Der Interviewpartner charakterisierte die Bemühungen zum Aufbau der Bewohnerbeteiligung in Marzahn-Nord als „ein bisschen selbst gestrickt“; weil es „Hauptbestandteil und Legitimation des QMs“ war, habe man beteiligen müssen, „aber es ist natürlich dann trotzdem oft ja auch ein kleiner Störfaktor. Also, es braucht Zeit, es sind nicht besonders viele Leute da, es bringt unter’m Strich keine Erfolge.“ In den ersten Jahren des Quartiersmanagements habe die Bewohnerbeteiligung darauf abgezielt, „nicht immer nur über die ganz großen Dinge [zu] reden, sondern – das war auch der Ansatz – einfach auch nur mal [zu] verhandeln, wo eine Bank hin kann“. Außerdem, so fügte der Interviewpartner hinzu, „waren sie [die Bewohner, M.F.] für uns da ja auch so ein bisschen in einer Expertenrolle, weil, sie haben uns ja erklärt, wo was fehlt“ und „sie sollten so ein bisschen das Scharnier zum Stadtteil sein“. Deutlich wird: Die Quartiersmanager widmeten sich dem Aufbau von Beteiligungsstrukturen, da ihr Auftraggeber, die damalige Senatsbauverwaltung, es von ihnen erwartete. Sie gingen bei der Bearbeitung dieser Aufgabe nicht systematisch vor, sondern hangelten sich eher von Versammlung zu Versammlung, von Versuch zu Versuch, von Beteiligungsangebot zu Beteiligungsangebot. Als Orientierung dienten ihnen die Beteiligungserfahrungen der „Plattform Marzahn“. Deren Beteiligungsstrategie hatte sich zusammengesetzt aus der Schaffung fester Strukturen und dem Durchführen punktueller, räumlich oder inhaltlich begrenzter Beteiligungsverfahren. Die Geschäftsführerin von UrbanPlan skizzierte das Quartiersmanagement sogar als „Tochterunternehmung“ der „Plattform Marzahn“ (vgl. Cremer 2000: 46) sowie als „neues Instrument“, das „sowohl über die Aufgaben der Plattform hinausgeht, als auch an deren Methoden und Instrumentarien der Beteiligung anknüpft“ (ebd.: 48). An anderer Stelle charakterisierte sie das Quartiersmanagement als einen von „verschiedenen[n] Ansätze[n] einer kommunikativen und partizipativen Entwicklungssteuerung“ (Cremer 2007: 125), deren Fundament die „Plattform Marzahn“ geschaffen habe. Der Einsatz unterschiedlicher „Beteiligungs- und Steuerungsinstrumente“ orientiere sich an den angestrebten Zielen: „Ausschlaggebend dabei ist, ob räumliche Entwicklungsfragen im Mittelpunkt stehen, ob ein übergreifendes Thema verhandelt wird oder ob eine spezielle Zielgruppe erreicht werden soll. Gleichfalls spielt es eine Rolle, welche Akteursgruppen beteiligt werden müssen“ (ebd.: 126).
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Zwar lag dem „Plattform“-Prozess ein anderer Maßstab als dem Quartiersmanagementverfahren zugrunde, aber für die Beauftragten standen bei beiden Ansätzen die vertikale und horizontale Vernetzung von Kommunikations- und Beteiligungsansätzen sowie ein „koordiniertes Vorgehen von Planung und Umsetzung“ (Cremer 2000: 41) im Mittelpunkt. Partizipation diente dabei zur Gewährleistung einer optimalen Entwicklungssteuerung,198 denn „[d]urch Bewohnerbeteiligung wird mehr und unterschiedliches Wissen über den Ort und den Alltag in den Entwicklungsprozess eingebunden als ausschließlich das fachspezifische Wissen der professionellen Planer und Entscheidungsträger, durch Bewohnerbeteiligung [...] werden Weg und Zeitdauer des Informationsaustauschs verkürzt und Entscheidungen strukturiert, da frühzeitig Akzeptanz, aber auch Kritik und Alternativvorschläge geäußert werden sowie unterschiedliche Vorhaben besser aufeinander abgestimmt werden, entsteht größere Planungs-, Handlungs- und Investitionssicherheit“ (ebd.: 45f.)
Dazu verfolgten die Quartiersmanager verschiedene Ansätze: „Bei allen Beteiligungs- und Koordinierungsaufgaben stehen meist einfache Fragen im Mittelpunkt: Wer muss beteiligt werden, wer soll mit wem kommunizieren bzw. wessen Aktivitäten sollen wie koordiniert werden? [...] Das Spektrum möglicher Antworten reicht vom Anspruch, soweit wie möglich alles öffentlich zu verhandeln, bis zur Forderung, bestimmte Themen ausschließlich bilateral zu besprechen“ (Cremer 2007: 129).
In dieser Lesart ist Beteiligung eine zum Erreichen eines bestimmten Ziels einzusetzende Strategie. Um die Stimmung in der Bewohnerschaft kennenzulernen, führten die Quartiersmanager zunächst regelmäßige offene „Quartiersstammtische“ zu einem jeweils aktuellen Thema (z.B. Vandalismus, Naherholungsflächen, Situation des Einzelhandels im Quartier) durch. Um feste Partizipationsstrukturen aufzubauen, initiierten sie die Gründung von Bewohnervertretungen: Neben dem im Jahr 2000 ins Leben gerufenen Bewohnerbeirat trat ebenfalls auf Initiative der Quartiersmanager im Jahr 1999 ein „Freies Forum der Spätaussiedler“ zur Erörterung spezifischer Probleme und Interessen dieser Bevölkerungsgruppe im Quartier zusammen (vgl. QuartiersAgentur Marzahn NordWest 1999: 16). Um Mitwirkungsanreize zu setzen und die Akzeptanz einzelner Maßnahmen zu steigern, förderten die Quartiersmanager insbesondere bei der Umgestaltung öffentlicher Flächen (z.B. bei der Gestaltung des Barnimplatzes, bei Schulhofsanierungen und Grünflächengestaltungen) punktuelle Beteiligungsformen (vgl. Empirica 2003b: 133).
198 „Entwicklungssteuerung durch Partizipation“ lautete der programmatische Titel eines Aufsatzes der Geschäftsführerin von UrbanPlan über die Grundzüge von Beteiligung bei der Großsiedlungsentwicklung, im Quartiersmanagement sowie im Stadtumbauprozess (vgl. Cremer 2007).
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Deutlich wird zudem der strategische Ansatz, an dem sich Bewohnerbeteiligung ausrichtete: Die Quartiersmanager interpretierten die Organisation von Beteiligung als einen Baustein in einem übergeordneten lokalen Steuerungsprozess, in dem es – laut Aussage eines damals Beteiligten – galt, „die Leute, die im Quartier eine Rolle spielten, also Wohnungsunternehmen, Verwaltung, Bewohner, zu koordinieren“. In Marzahn-Nord war Beteiligung nicht „von unten“, d.h. von der Bewohnerschaft, gefordert worden, sondern vielmehr „von oben“, auf Initiative der Verwaltung und der Quartiersmanager, eingerichtet worden. Bewohner wurden von den Quartiersmanagern beteiligt, um Vorgaben des Auftraggebers zu erfüllen, um lokales Know-how zur Optimierung ihrer Planungen und Entwicklungsideen zu organisieren, um ihre Arbeit mit einer legitimatorischen Absicherung zu versehen und nicht zuletzt auch um Planungen schneller und effizienter umsetzen zu können. Während der ersten Feldforschungsphase in Marzahn-Nord, im letzten Quartal 2005 und im ersten Quartal 2006, arbeiteten in dem Team vor Ort drei, beim Büro UrbanPlan angestellte Quartiersmanager: ein Stadtplaner, eine Geographin und ein Journalist. Während der Journalist für den Aufgabenbereich Integration und Lebenslagen von Migranten im Quartier verantwortlich war, lag bei der Geographin die Zuständigkeit für die Projektbegleitung und -abrechnung. Der Stadtplaner deckte den Bereich der Beteiligung, Aktivierung und Kommunikation ab. Vor ihm hatten seit 1999 nacheinander bereits zwei andere Mitarbeiterinnen diese Aufgaben übernommen, die das Team aber nach zwei bzw. drei Jahren wieder verlassen hatten. Die Geschäftsführerin von Urbanplan GmbH begleitete als Projektleiterin das Quartiersmanagementverfahren von Anfang an. Ihr Arbeitsplatz befand sich allerdings in dem Schöneberger Hauptsitz der Planungsgesellschaft in West-Berlin. Auch wenn die Quartiersmanager in MarzahnNord im Detail unterschiedliche Schwerpunkte in der Bearbeitung des Aktivierungs- und Beteiligungsbausteins gesetzt hatten, so hatten die Personalwechsel keinen Einfluss auf den grundsätzlich strategischen Einsatz von Beteiligung. Problematisch waren sie trotzdem, da sie den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zwischen Quartiersmanagern und Bewohnern erschwerten. 6.1.3 Vergleich der Quartiersmanagements in Tenever und Marzahn-Nord In der Umsetzung der Förderprogramme zur integrierten Quartiersentwicklung fällt den Quartiersmanagern sowohl in Tenever als auch in Marzahn-Nord als intermediäre Instanzen eine zentrale Rolle zu: Sie haben eine Informations- und Mittlerfunktion zwischen der Regieebene der Programme, der Verwaltung, und der Ebene der lokalen Implementation, den lokalen Netzwerken und Bewohnern, 246
zu erfüllen. Sie müssen Interessenskonflikte zwischen den Ebenen und innerhalb einzelner Akteursgruppen moderieren und aushalten. Darüber hinaus sind sie beteiligt am Prozess der Konzeptentwicklung für die Quartiere, generieren ständig neue Projektideen und sind verantwortlich für das Initiieren und den Ausbau lokaler Partnerschaften und Netzwerke. Auf der Programmebene wird für beide Quartiere dem Organisieren von Beteiligung durch die Quartiersmanager ein sehr hoher Stellenwert beigemessen. „Wohnen in Nachbarschaften“ in Bremen, „Sozialorientierte Stadtentwicklung“ in Berlin sowie der gesamte Förderansatz „Soziale Stadt“ zielen auf die Aktivierung lokaler Potenziale, Hilfe zur Selbsthilfe und die Schaffung selbsttragender Bewohnerorganisationen sowie stabiler nachbarschaftlicher Netzwerke. Das Organisieren und Moderieren von Beteiligungsprozessen gehört zu den Hauptaufgaben der Quartiersmanager. Sie müssen geeignete, möglichst niedrigschwellige Formen entwickeln und umsetzen. Das Spektrum der Bewohnerbeteiligungsformen erstreckt sich von der Alltagsarbeit des Vor-Ort-Büros, über Befragungen, Veranstaltungen, konkrete Beratungen und punktuelle Partizipationsangebote und -verfahren bis hin zu kontinuierlich arbeitenden Beteiligungsgremien. Dabei müssen sich die Quartiersmanager auf lokal unterschiedliche Rahmenbedingungen beziehen: In Tenever findet sich eine gewachsene, diskurs- und aktionsfähige Szene aus bereits vernetzten sozialen Einrichtungen, Projektträgern, Basisinitiativen und Bewohnergruppen. Die Resultate einzelner Beteiligungsangebote und -formen laufen zusammen in einem Zentrum, der Stadtteilgruppe. Dort werden in einem ganzheitlichen Beteiligungsprozess mit transparenten Kommunikationsregeln sowohl Bedürfnisse und Selbsthilfepotenziale in der Bewohnerschaft als auch Konflikte mit der Verwaltung ermittelt, Lösungen ausgehandelt und die Bedingungen für eine erweiterte Beteiligung hergestellt. In Marzahn-Nord hingegen zerfällt die Akteurslandschaft in viele, hinsichtlich ihrer Teilnehmerzahlen mehr oder weniger stabile und nur lose miteinander verbundene Runden, Arbeitskreise und Zusammenhänge. In ihnen herrschen unterschiedliche Kommunikationsstile und Verbindlichkeitsgrade. Als Folge stehen bei der Arbeit der Quartiersmanager in Marzahn-Nord der Aufbau von kohärenteren Strukturen und deren Moderation im Mittelpunkt. Erschwerend kommt dabei hinzu, dass sich sowohl im Quartiersmanagementteam als auch in den begleitenden Strukturen auf der Verwaltungsebene in erster Linie westdeutsch ausgebildete und sozialisierte Professionelle finden, während die von ihnen zu beteiligende Bewohnerschaft sich zuvorderst aus ehemaligen DDR-Bürgern zusammensetzt. Dass die Kommunikation zwischen diesen verschiedenen Gruppen selten unbeschwert verläuft, sondern oftmals durch Berührungsängste und Missverständnisse irritiert wird, überrascht kaum. 247
In beiden Gebieten nähern sich die Quartiersmanager mit jeweils spezifischen Auffassungen und Erfahrungen ihren Aufgaben: Der Teneveraner Aktivist, der sich bereits vor 20 Jahren als damals Betroffener für mehr Mitbestimmung für die Quartiersbewohnerschaft einsetzte und sich in seiner Arbeit an den Prinzipien einer parteinehmenden Sozial- bzw. Gemeinwesenarbeit orientiert, verortet sein Verständnis von Beteiligung in einem anderen Bezugssystem als die von der Verwaltung für Marzahn-Nord beauftragten Quartiersmanager, die mit der „Plattform Marzahn“ bislang für die Steuerung und Moderation der Großsiedlungserneuerung zuständig waren. Die Quartiersmanager in Marzahn Nord interpretieren Beteiligung entlang einer instrumentalistischen Perspektive als Baustein einer Entwicklungsplanung und -steuerung. Dabei zielt die Beteiligung von Bewohnern in erster Linie darauf ab, einen reibungslosen Planungsverlauf unter Einbezug lokalen Know-hows zu gewährleisten. Für sie sind Bewohner eine Gruppe von Planungsakteuren, deren Belange von der Konzipierung und Durchführung eines Entwicklungsvorhabens berührt werden. Sich selbst sehen die Quartiersmanager als Moderatoren des Kommunikationsprozesses, der eine möglichst reibungslose Projektumsetzung ermöglicht. Eine Parteinahme für Bewohnerinteressen, wie es in Tenever geschieht, ist dabei nicht vorgesehen. Demgegenüber soll Beteiligung in Tenever zwar ebenfalls die legitimatorische Basis der Quartiersentwicklung sicherstellen, wird aber als „Einmischungsstrategie“ als Beitrag zur praktischen politischen Bildung und Demokratisierung des Quartiersalltags begriffen. Das kann auf die stärkere Einbindung der in Bremen aktiven Quartiersmanager in sozialarbeiterische Diskurse zurückgeführt werden. Ein „doppeltes Mandat“ – im Sinne einer Parteinahme für Verwaltung und Klienten – ist dort fest verankerter Bezugspunkt der professionellen Selbstreflexion. Deutlich wird: Die lokal zu beobachtenden unterschiedlichen Reichweiten und Ansprüche der Organisation von Beteiligung im Rahmen der Umsetzung von „Soziale Stadt“ sind Resultate eines umfassenden Interpretationsprozesses, der der konkreten Ausgestaltung von Beteiligung auf der Quartiersebene vorausgeht: In beiden Gebieten bündeln und gewichten die Quartiersmanager Informationen, vorgefundene Strukturen, vermeintliche und reale Erwartungen sowie Interessenartikulationen. Die Annahmen der Quartiersmanager, wie Beteiligung zu organisieren ist, welche Formen, Inhalte und Reichweiten sie erhalten soll, haben Konsequenzen für die spezifischen Beteiligungsrealitäten in den Quartieren. Sowohl für Tenever als auch für Marzahn-Nord kann das professionelle Selbstverständnis der Quartiersmanager als zentraler Faktor in der Ausgestaltung von Beteiligungsverfahren angesehen werden. Von Bedeutung sind auch die unterschiedlichen zeitlichen Horizonte, innerhalb derer die Quartiersmanager an der Organisation von Bewohnerbeteiligung arbeiten: In Tenever konnten sie zu Beginn des Quartiersmanagements bereits 248
auf eine zehnjährige Tätigkeit zurückblicken und sich eines starken Rückhalts innerhalb der aktiven Bewohnerschaft und in den lokal vorhandenen Netzwerken sicher sein. In Marzahn-Nord war das Büro UrbanPlan als Träger des Quartiersmanagements zwar mit den lokalen Gegebenheiten durch vorangegangene Förderprogramme vertraut, allerdings konnten seine Mitarbeiter nicht auf eine ähnliche Verankerung im Quartier und ein gewachsenes Vertrauensverhältnis zu den Bewohnern wie in Tenever zurückgreifen. In Marzahn-Nord mussten die Quartiersmanager solche Strukturen erst aufbauen. Dafür wählten sie eine inkrementalistische Strategie unterschiedlicher Versammlungs- und Kooperationsformen. Zudem ist die Ausdeutung von Beteiligung, die die Quartiersmanager vornehmen, eingebettet in lokale Traditionen der Implementation von Förderprogrammen. Sie beeinflussen das jeweils dominierende Organisationsmodell von Quartiersmanagement sowie Beauftragung und Status der jeweiligen Quartiersmanager: In Tenever liegt eine institutionelle und personelle Kontinuität vor, die zudem eingebettet ist in eine verbindliche Kooperation zwischen den Ressorts für Bau und Soziales. Zwei der Quartiersmanager für Tenever sind unbefristet angestellte Mitarbeiter der Verwaltung. In Marzahn-Nord wird – wie in allen Berliner QM-Gebieten – das Verfahren ausschließlich vom Ressort für Stadtentwicklung gesteuert. In dem Großsiedlungsquartier musste das Quartiersmanagement erst aufgebaut werden. Die Mitarbeiter kamen als Externe, ausgestattet lediglich mit Einjahresverträgen, neu in das Gebiet. Zudem wechselte das Personal in der Folge häufig, so dass eine personelle Kontinuität vor Ort nur schwer entstehen konnte. Im Teneveraner Beispiel stärkte die Art der Organisation und Beauftragung des Quartiersmanagements bereits vorhandene institutionelle und personelle Kontinuitäten und stellte eine Einbeziehung der Prinzipien einer stadtteilbezogenen Sozial- und Gemeinwesenarbeit sicher.199 In allen Berliner QM-Gebieten hingegen – so auch in Marzahn-Nord – mussten und müssen die Quartiersmanager als Verwaltungsexterne, die mit Einjahresverträgen ausgestattet sind, ihr Handeln an die Wünsche und Vorstellungen ihrer Auftraggeber in der Administration anpassen. Diese Abhängigkeit wirkt sich auf ihre Arbeit aus: In Hinblick auf Beteiligungsprozesse haben sie ein ausgeprägtes Interesse an vorzeigbaren Ergebnissen und Erfolgen. Diese Befunde stehen im Gegensatz zu den Ergebnissen und Empfehlungen der Evaluierung der Umsetzung des Programms „Soziale Stadt“: Demnach habe
199 Wobei dies auch grundsätzlich ein Problem darstellen kann: Problematisch kann die Beauftragung „alter Bekannter“ dann werden, wenn die bisherigen Arbeitsroutinen lediglich unter einem neuen Label fortgesetzt werden und von den Intermediären keinen neuen Perspektiven und Impulse ausgehen.
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„ein verwaltungsexternes Quartiersmanagement, das als unabhängige Vertretung des Stadtteils wahrgenommen wird, in der Regel bessere Voraussetzungen für die Zusammenarbeit mit Bewohnern und Akteuren im Stadtteil [...] und [kann] seine Moderationsfunktion besser wahrnehmen“ (IfS 2004: 93f.).
Ein verwaltungsinternes Organisationsmodell, so die von der Evaluatoren geäußerte Befürchtung, gefährde die Unabhängigkeit der Quartiersmanager (vgl. ebd.: 94). Die Beispiele Tenever und Marzahn-Nord zeigen aber, dass es sich auch umgekehrt verhalten kann: In Tenever führt die Zugehörigkeit der Quartiersmanager zur Verwaltung nicht automatisch zu einer Regiesteuerung des QM-Prozesses durch die Verwaltung, sondern vielmehr dominiert eine quartiersorientierte, Partizipation betonende und fördernde Prozesssteuerung. Das Beispiel Marzahn-Nord belegt weniger die unterstellte Unabhängigkeit verwaltungsexterner Quartiersmanager, sondern vielmehr, dass in der Beauftragung „unkomplizierte“ Akteure bevorzugt werden, mit denen die Verwaltung „gute Erfahrungen“ gemacht hat. Abschließend ist festzuhalten, dass das institutionelle Arrangement der Organisation von Quartiersmanagement in beiden Quartieren die Etablierung einer spezifischen Beteiligungskultur beeinflusste. Sie kann für Tenever als „kontinuierlich“ und für Marzahn-Nord als „spontanistisch“ umschrieben werden. 6.2 Lokale Gremien als Arenen der Bewohnerbeteiligung Im Folgenden steht die Analyse mikropolitischer Implementierungs- und Durchführungsaspekte der Quartiersgremien in Tenever und Marzahn-Nord im Mittelpunkt. In ihrer Binnenstruktur folgen Gremien, darauf wurde bereits in den Ausführungen zur Mikropolitik von Versammlungen in Kapitel 2 hingewiesen, spezifischen Regeln, die die Zusammensetzung der Akteure, ihre Interessen und Problemperspektiven sowie auch die Verteilung von Machtpositionen widerspiegeln. Diese Regeln können sich äußern in vermeintlich nebensächlichen Details, wie z.B. in der Organisation des Zugangs zu Sitzungen (Teilnehmerkreis, Informationen über Versammlungstermine), dem während Versammlungen angeschlagenen Ton, dem Leitungsstil der Moderatoren, den informellen Spielregeln der Kommunikation und des Agenda Settings, d.h. dem Wechselspiel aus Setzung und Umgehung einzelner Themen, das Entscheidungsprozesse auslösen oder auch verhindern kann. Deshalb liegt das Augenmerk der folgenden Ausführungen auf der Frage, wie diese mikropolitischen Aspekte in den Quartiersgremien in Tenever und Marzahn-Nord geregelt sind: Wer wird dort beteiligt bzw. wer beteiligt sich? Wie wird die Teilnahmeberechtigung geregelt? Wie wird in den Gremien infor250
miert, diskutiert, entschieden und beteiligt? Was ist überhaupt Gegenstand von Erörterungen und gegebenenfalls von Entscheidungen? Im Hinblick auf den letztgenannten Aspekt – Entscheidungsfindung – sind grundsätzlich verschiedene Formen denkbar: Beschlüsse können herbeigeführt werden durch Akklamation (Annahme oder Ablehnung vorgegebener Optionen durch Zuruf oder Beifall), Aggregation (Abstimmungen nach spezifischen Mehrheitsverhältnissen), Bargaining (Aushandeln von Kompromissen) oder Deliberation (Erzeugung eines konsensualen Willens durch diskursive Beratschlagung, d.h. Äußerung und Austausch von Argumenten; vgl. Hurrelmann u.a. 2002: 545f.).200 6.2.1 Stadtteilgruppe Tenever Die Stadtteilgruppe tagt alle sechs bis acht Wochen, bei Bedarf auch im vierwöchigen Rhythmus, an einem Wochentag in einem Versammlungsraum im Quartier. Die Sitzungen sind öffentlich. Sie beginnen immer um 18 Uhr und dauern, je nach Tagesordnung, zwei bis vier Stunden. Die Teilnahme ist nicht beschränkt, d.h., jeder Interessierte kann teilnehmen. Die Sitzungstermine werden zu Jahresbeginn gemeinsam festgelegt. Die Einladung erfolgt per E-Mail, per Post, über Aushänge und durch Multiplikatoren im Quartier. Das Gremium ist im Zuge der Umsetzung des bundesweiten, 1984 aufgelegten Städtebauförderprogramms zur Nachbesserung von Großsiedlungen entstanden.201 In Tenever setzte die Stadtteilgruppe auch nach der Beendigung des Nachbesserungsprogramms in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre ihre Arbeit fort, indem sie sich nunmehr der lokalen Umsetzung des Landesprogramms „Wohnen in Nachbarschaften“ (seit 1998) und des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“ (seit 1999) widmete.202 200 Denkbar sind zudem hierarchische Entscheidungen über Befehl und Anordnung. Allerdings kamen sie im Rahmen der untersuchten Quartiersgremien nicht zur Anwendung. 201 Vgl. zur Stadtteilgruppe und ihrer Entstehung die entsprechenden Anmerkungen in Kap. 4.1. 202 Vgl. dazu auch SenBU/SenAFGJS 2003: 49. Auch die ExWoSt-Begleitforschung weist auf diese Teneveraner Besonderheit der partizipativen Kontinuität hin. In ihren im Dezember 2007 vorgelegten abschließenden Erkenntnissen im ExWoSt-Forschungsfeld wird die vorhandene Beteiligungskultur als beispielhaft für den Einbezug der Kompetenzen und des Engagements von Bewohner bei der Ausgestaltung des Umbauprozesses eingestuft (vgl. Forschungsagentur 2007: 5): „Schon seit den 1990er Jahren gibt es in Tenever eine aktive Bewohnergruppe, die sich um die Belange der Siedlung und ihrer Bewohner kümmert. Sie verfügt seit langem über einen Verfügungsfonds, aus dem wichtige – insbesondere soziale – Projekte unterstützt werden. Diese Bewohnergruppe wurde über den Prozess laufend informiert, Mitglieder der Bewohnergruppe waren auch in Arbeitsgruppen zum Stadtumbau-Vorhaben direkt beteiligt. Diese Einbindung dürfte für die hohe Akzeptanz des Stadtumbau-Prozesses in Tenever zumindest mitverantwortlich sein“ (ebd.: 5).
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In der Stadtteilgruppe werden weiterhin aktuelle Quartiersprobleme angesprochen und diskutiert, Projekte zur Verbesserung der Wohn- und Lebenssituation im Quartier entwickelt und über die Vergabe von Geldern aus den Programmen „Wohnen in Nachbarschaften“ und „Soziale Stadt“ entschieden. Das aus den Programmtöpfen gespeiste Quartiersbudget belief sich im Jahr 2005 beispielsweise auf rund 400.000 Euro. Die Entscheidung über die Mittelvergabe erfolgt auch weiterhin, wie bereits auf der ersten Stadtteilgruppensitzung am 20. April 1989 festgelegt, im Konsensprinzip. Die Geschäftsführung der Stadtteilgruppe liegt weiterhin in den Händen der Quartiersmanager, d.h. beim Team der Projektgruppe. Es besteht mittlerweile aus zwei Mitarbeitern des Amts für Soziale Dienste und einer Mitarbeiterin der Bremer Baubehörde. Sie sind im Rahmen ihrer Tätigkeit als Quartiersmanager für die lokale Begleitung und Umsetzung der Programme „Wohnen in Nachbarschaften“ und „Soziale Stadt“ zuständig. Nach fast zwei Jahrzehnten ist die Stadtteilgruppe als Mittelpunkt der Bewohnerbeteiligung und „zentrales Forum der Quartiersentwicklung“ (Barloschky/Schreier 2006: 324) fest in Tenever verankert. Im Frühjahr 2008 fand die 150. Sitzung statt. 6.2.1.1 Teilnehmerspektrum Die Stadtteilgruppe besitzt eine hohe Anziehungskraft. An den Sitzungen nehmen zwischen 50 und 100 Menschen teil, manche von ihnen regelmäßig, andere nur gelegentlich. Für Themen, die im Quartier auf breites Interesse stoßen, dokumentieren die Teilnehmerlisten gelegentlich auch 130 und mehr Besucher: So waren beispielsweise die verschiedenen Sitzungen, die sich der Wohnraumsanierung und dem Stadtumbau widmeten, regelmäßig überdurchschnittlich gut besucht. Je nach Themen und aktueller Tagesordnung sind auch einzelne Bewohnergruppen aus dem Quartier stärker vertreten: Wenn die Stadtteilgruppe zum Beispiel über die weitere Finanzierung eines Kraftsportraums für Jugendliche oder die Übernahme der Planungskosten für den Umbau des Teneveraner Jugendcafés entscheidet, dann nehmen größere Gruppen von Jugendlichen als Nutzer dieser Einrichtungen an den Sitzungen teil; wenn eine Schülergruppe ihre im Unterricht erarbeiteten Ergebnisse zum Thema Kinderarmut in Bremen vorstellt, dann sind in der Zuhörerschaft auch mehr Lehrer und Schüler als üblich vertreten; bei Kooperationsprojekten mit einem lokalen Seniorenheim und bei der Debatte um den Ausbau der „Interkulturellen Gärten“ sind entsprechend mehr ältere Bewohner bzw. mehr Migranten im Sitzungsraum versammelt. Nach Angaben der Projektgruppe kommen zwischen 40 Prozent und 70 Prozent der
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Teilnehmer der Stadtteilgruppensitzungen aus der lokalen Bewohnerschaft (vgl. Barloschky/Schreier 2006: 324). Aber nicht nur Quartiersbewohner besuchen die Sitzungen. Das Spektrum der ständigen Teilnehmer reicht – neben organisierten und nicht-organisierten Bewohnern – von Vertretern der lokalen Politik (Mitglieder des Beirats Osterholz und der Bremischen Bürgerschaft), Vertretern der im Quartier aktiven Wohnungsunternehmen, Vertretern der sozialen, kulturellen und schulischen Einrichtungen und Vereine im Gebiet, Mitarbeitern der öffentlichen Verwaltungsstellen (Amt für Soziale Dienste, Baubehörde, Polizei, Stadtgrün Bremen, Ortsamt Osterholz) bis hin zu lokalen Gewerbetreibenden. Die Beweggründe für eine Teilnahme sind unterschiedlich: Bewohner können durch ihre Mitwirkung bei der Abstimmung über die Verwendung des Quartiersbudgets Projekte für ihr Quartier fördern oder verhindern. Projektbeantragende können die Diskussionen um andere Anträge verfolgen und ihr eigenes Vorhaben optimieren. Mitarbeiter der Verwaltungsstellen, der Wohnungsunternehmen und der Lokalpolitik können durch ihre Teilnahme an den Sitzungen einerseits einen direkten Draht in das Quartier sichern und andererseits unmittelbar Bedenken bei einzelnen Ideen oder Vorschlägen vortragen. Die Mitglieder der Stadtteilgruppe wissen, dass ihre Teilnahme und ihre Stimme nicht vergeblich sind und ihr Engagement nicht folgenlos bleibt. Deshalb „opfern“ sie bereitwillig einen Abend im Monat für die Sitzungen. Die Motive der verschiedenen Akteure zur Teilnahme liegen aber nicht nur in der direkten Entscheidung über die Mittelvergabe begründet, sondern auch in den durch die Sitzungen gebotenen Gelegenheiten zur Diskussion, zum Vorbringen bestimmter Anliegen, zur Information über aktuelle Entwicklungen und zum Treffen anderer Quartiersakteure. Die Stadtteilgruppe Tenever ist nicht allein Entscheidungsgremium, sondern auch Informations- und Diskussionsforum für alle im Quartier relevanten Themen und damit ein soziales Ereignis. Wer die Stadtteilgruppe besucht, weiß, dass er unterschiedliche Ansprechpartner für spezifische Fragen und Probleme dort versammelt findet. Dementsprechend sieht man auch vor und nach den Sitzungen sowie während der Pause verschiedene Teilnehmer in Gespräche vertieft. Befragt zu seiner Motivation, an den Sitzungen teilzunehmen, antwortete zum Beispiel ein Mitarbeiter der Bremer Bauverwaltung: „Partizipation in Tenever. Da kann man sich ja gar nicht entziehen. Also, das ist schon mal das Erste. Das Zweite: Man sollte sich auch nicht entziehen.“ Dieser heterogene Teilnehmerkreis der Stadtteilgruppe existierte nicht von Anfang an, sondern ist erst im Laufe der Zeit entstanden. Die ersten Stadtteilgruppensitzungen waren noch deutlich durch die Dominanz administrativer Akteure (Verwaltungsvertreter und Mitarbeiter des Wohnungsunternehmens) geprägt. Die Bewohnerschaft wurde damals durch die Sprecher einer lokalen Mie253
terinitiative repräsentiert.203 Sie wiesen von Anfang an auf eine aus ihrer Sicht notwendige Ausweitung des Teilnehmerkreises hin. Das Protokoll der ersten Sitzung dokumentiert eine entsprechende Absprache, „daß aufgrund von Wünschen, Erwartungen und Forderungen von Bewohnern die Form der Vertretung verändert werden kann“ (Protokoll der 1. Sitzung der Stadtteilgruppe am 20.4.1989: 1). Der daran anschließende Diskussionsprozess zum Stellenwert der Bewohnerbeteiligung in der Stadtteilgruppe endete bereits in der dritten Sitzung mit dem Beschluss, künftig offene Versammlungen im Quartier204 abzuhalten (vgl. Protokoll der 3. Sitzung der Stadtteilgruppe am 3.7.1989: 3). Seit seiner vierten Sitzung trat das Quartiersgremium dann unter stetig wachsender Beteiligung von Quartiersbewohnern öffentlich zusammen. Seitdem kann jeder Interessierte an den Versammlungen teilnehmen. Die Termine werden zu Jahresbeginn für die folgenden zwölf Monate gemeinsam festgelegt. Die Quartiersmanager verschicken – als Geschäftsführung der Stadtteilgruppe – im Vorfeld Einladung und Tagesordnung der jeweils anstehenden Sitzung per E-Mail an ihren umfangreichen, rund 150 Adressen enthaltenden Verteiler. Zudem machen kurze Ankündigungen in kostenlosen Wochenblättern und auf der Internetseite der Projektgruppe Tenever auf die nächsten Versammlungen aufmerksam. Und schließlich erfahren viele Besucher der Stadtteilgruppe auch durch direkte Ansprache von den Terminen. Wenn sie sich zum Beispiel mit Beratungsbedarf zu spezifischen, das Zusammenleben im Quartier betreffenden Themen an Mitarbeiter von sozialen Einrichtungen wenden, dann laden diese sie zur Teilnahme an der nächsten Sitzung der Stadtteilgruppe ein, um dort auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. 6.2.1.2 Themen Seit ihrer Entstehung im Jahr 1989 entscheidet die Stadtteilgruppe über die Vergabe von Fördergeldern aus unterschiedlichen, teilweise aufeinanderfolgenden Programmen: War in den Neunzigerjahren der Fördertopf des Programms städtebauliche Nachbesserung Gegenstand der Entscheidungen, so wurde das Verfahren auch nach Programmabschluss beibehalten und 1998/99 auf die neuen Programme „Wohnen in Nachbarschaften“ und „Soziale Stadt“ übertragen. Das Gremium entscheidet seit fast zwei Jahrzehnten über die Verwendung von öffentlichen Geldern im Quartier. Dieses Quartiersbudget beläuft sich derzeit auf 203 Unter den Aktivisten aus der Bewohnerschaft befand sich auch der spätere Quartiersmanager Tenevers. 204 Die ersten Versammlungen hatten in den Räumen der Bremer Baubehörde stattgefunden, was für die Bewohnervertreter einen Anreiseweg von 30 bis 45 Minuten erforderlich gemacht hatte.
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jährlich rund 350.000 Euro (vgl. Barloschky/Schreier 2006: 324). Damit ist ein unmittelbarer Anreiz zur Teilnahme gesetzt. Der entsprechende Punkt wird in jeder Sitzung unter dem Tagesordnungspunkt „Beschlussfassung über neue Projekte“ aufgerufen. Bei den zur Abstimmung vorgelegten Vorhaben ging es in der Vergangenheit beispielsweise um Wohnumfeldverbesserungsprojekte, die Einrichtung von Conciergen in den Hauseingängen und die Verbesserung der Quartiersinfrastruktur (z.B. durch das Gestalten von Spielplätzen, Schulhöfen, Kindergruppenräumen). So wurden seit Bestehen der Stadtteilgruppe ein Mütterzentrum errichtet, ein Gesundheitstreffpunkt geschaffen, eine Umweltlernwerkstatt etabliert, ein interkultureller Nachbarschaftstreff ausgebaut, die Einrichtung eines Kinderbauernhofs gefördert und der Bau der „Halle für Bewegung“, einer Quartierssporthalle, unterstützt. Neben diesen Großprojekten förderte das Gremium auch eine Vielzahl von kleineren Vorhaben. In der Stadtteilgruppe folgt der Tagesordnungspunkt zur Behandlung dieser Themen einem festgelegten Ablauf: An die Information über die einzelnen Projektideen, -vorschläge und vorhaben schließt sich die Diskussion an; jeder Sitzungsteilnehmer kann seine Unterstützung für oder seine Kritik an einem Projekt vortragen. Die Aussprache mündet dann in einen Beschluss.205 Die Stadtteilgruppe ist aber nicht ausschließlich der Ort der Entscheidungsfindung über die Vergabe des Quartiersbudgets, sondern zudem wird hier ein Diskurs über alle das Quartier und seine Bewohner betreffenden Belange geführt. Unterschiedliche feststehende Tagesordnungspunkte sorgen für die Thematisierung einer Vielzahl von quartiersrelevanten Fragen. Die Tagesordnungspunkte „Aktuelle Fragen und Probleme“ sowie „Bericht über Aktivitäten zu den in der letzten Sitzung angesprochenen Problemen“, die zu Beginn einer jeden Sitzung aufgerufen werden, sind für die Bewohner und das Vorbringen ihrer Sorgen und Nöte reserviert. Im Punkt „Aktuelle Fragen und Probleme“ sind die Sitzungsteilnehmer aufgerufen, alle aus ihrer Sicht relevanten Aspekte der Quartiersentwicklung sowie Beobachtungen und Anregungen aus dem Lebensalltag in Tenever einzubringen – im Untersuchungszeitraum waren das beispielsweise defekte Straßenlaternen, mangelhaft gesicherte Baustellen, Gehwegschäden, Konflikte unter einzelnen Mietparteien, Probleme mit der Hausverwaltung, Unzulänglichkeiten in der Fahrstuhlwartung, nicht korrekt entsorgter Hausmüll oder auch die Empörung über eine Fernsehreportage oder einen Zeitungsbericht, in dem der Stadtteil negativ dargestellt wurde. Dieser Tagesordnungspunkt wurde 1991, anlässlich der 22. Sitzung, auf Wunsch der Bewohner eingeführt (vgl.
205 Das Beschlussverfahren wird weiter unten (Kap. 6.2.2.3) detailliert vorgestellt.
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Protokoll der 22. Stadtteilgruppensitzung vom 5.6.1991: 1) und steht seitdem am Anfang jeder Sitzung.206 Aus Bewohnersicht ist damit der direkte Weg zu den verantwortlichen Stellen gesichert, die ihrerseits wiederum sich der vorgetragenen Punkte annehmen und während der folgenden Sitzung unter der Überschrift „Bericht über Aktivitäten zu den in der letzten Sitzung angesprochenen Problemen“ über Ergebnisse und Lösungen informieren. Insofern sind die Bewohner nicht nur motiviert, zur nächsten Sitzung zu erscheinen, sondern sie wissen auch, dass ihre Bedenken und Anregungen aufgegriffen werden. Darüber hinaus ist dieser Tagesordnungspunkt ein Kaleidoskop der Stimmungen. Wer diesen Punkt aufmerksam verfolgt – sei er Verwaltungsmitarbeiter, Vertreter einer lokalen Einrichtung oder anderweitig Interessierter –, erfährt viel über die aktuellen Befindlichkeiten und Sorgen im Quartier. Eine am Aufbau der Stadtteilgruppe beteiligte Mitarbeiterin der Verwaltung erinnert sich, dass diese Funktion von den Verwaltungsvertretern nicht für das Gremium vorgesehen war, sie sich dann trotzdem von ihrer Relevanz überzeugen ließen: „Und dann hat sich diese zweite Funktion der Stadtteilgruppe entwickelt, […] dass sie ein zusätzliches Forum wurde, wo solche Dinge dann, die von allgemeinem Interesse waren und sozusagen sich losgelöst hatten von dem engeren Auftrag der Stadtteilgruppe – dass das eben eine zusätzliche Qualität und ein zusätzliches Forum war, wo man eben auch über diese anderen Dinge diskutiert hat und dann auch gesagt hat: ‚Das finden wir richtig. Und das wollen wir so machen.’“
Im Zuge der Stadtumbaumaßnahmen garantierte die unkomplizierte Aufnahme eines neuen, regelmäßigen Tagesordnungspunktes zum Thema „Stadtumbau und Sanierung“ im Sommer 2000 (vgl. Protokoll der 78. Stadtteilgruppensitzung am 14.6.2000: 2) eine unmittelbare Information der versammelten Stadtumbaubetroffenen. Zudem bietet dieser Tagesordnungspunkt Raum für Fragen und Kritik rund um das Abriss- und Sanierungsgeschehen, worauf die anwesenden Vertreter des verantwortlichen Wohnungsunternehmens direkt reagieren müssen. Insgesamt hat die Stadtteilgruppe über die Jahre hinweg die ihr ursprünglich zugedachte Funktion der Entscheidung über die Mittelvergabe und der Bereitstellung von Ortskenntnis und Meinungsbildern für Planungsentscheidungen 206 Das Beispiel verdeutlicht zudem, dass Tagesordnungen nicht nur die Kommunikation während einer Versammlung strukturieren, sondern zugleich als Machtinstrument zur Informationsselektion sowie zur Steuerung der thematischen Öffnung und Schließung eingesetzt werden können. Die Verweigerung einer Diskussion oder Aussprache unter Hinweis auf die Tagesordnung kann nicht nur die Behandlung von Themen unterbinden, sondern auch Teilnehmer bzw. Teilnehmergruppen komplett ausgrenzen. In Tenever wurde diese Gefahr minimiert mit der Institutionalisierung der bewohnerorientierten Tagesordnungspunkte.
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erweitert und sich auf diesem Weg als ein Forum der Quartiersentwicklung und -politik etabliert. Das Gremium konzentriert sich heute nicht ausschließlich auf die Begleitung der Programme „Soziale Stadt“ und „Wohnen in Nachbarschaften“, sondern widmet sich allen auf das Quartier bezogenen Themen, die von den Teilnehmern eingebracht werden. Zur Sicherstellung dieser thematischen Bandbreite haben die Beteiligten im Laufe der Jahre den Versammlungsverlauf durch eigens dafür geschaffene Tagesordnungspunkte erweitert und strukturiert. 6.2.1.3 Entscheidungsmodus In Tenever werden die öffentlichen Mittel aus dem Quartiersbudget erst dann für ein beantragtes Projekt im Quartier bewilligt, wenn die Stadtteilgruppe im Konsens darüber entschieden hat, d.h., ein Antrag muss von allen Abstimmenden einstimmig angenommen werden. Der Entscheidungsmodus wurde bereits auf der ersten Stadtteilgruppensitzung am 20. April 1989 festgelegt. Nach einer intensiven Diskussion mit den Bewohnervertretern über Für und Wider des Konsensprinzips verständigten sich die Verwaltungsmitarbeiter, die damals noch die Stadtteilgruppe dominierten, auf diesen Entscheidungsmodus. Ein damals beteiligter Mitarbeiter des Sozialressorts erklärt die Beweggründe: „Wir haben unterschiedliche Modelle diskutiert. Wir haben diskutiert, ob wir das mit Mehrheitsentscheidung machen sollen. […] Und dann kam der ganze Quatsch mit der Legitimierung und so. Das kriegen wir alles nicht hin. Und wir haben uns im Grunde genommen auf dieses Konsensprinzip verständigt, weil wir gedacht haben, das ist genau das Gegenmodell zu der Art und Weise, wie Entscheidungen normalerweise laufen auf Verwaltungsebenen. Denn entweder wird das durch Legitimierung, also Funktion, entschieden, oder eben durch Abstimmung. Und das lief so unter der Überschrift: ‚Wir wollen das anders machen. Wir wollen experimentieren. Wir wollen ‚rauskriegen, ob auch andere Formen laufen.’ […] Der entscheidende, ausschlaggebende Grund war dann, dass wir gesagt haben, wir wollen das Konsensprinzip, weil das bedeutet, dass alle die gleiche Macht haben in der Situation, Bewohner und Verwaltung. […] Und der Machtaspekt und unsere Ziele der Bewohnerbeteiligung haben uns da dazu gebracht, dass wir gesagt haben, wir müssen die Bewohner sozusagen in eine Situation versetzen, dass ihr Leben, dass ihre Stimmung und ihre Meinung und ihre Wünsche Gewicht haben. Und das erschien uns dann am besten zu realisieren durch dieses Konsensprinzip.“
Ein Vertreter der Bauverwaltung umschreibt den aus seiner Sicht zentralen Grund für die Entstehung des Konsensprinzips folgendermaßen: „Wenn man die Eigentümer mit im Boot haben will, kann man keine Mehrheitsbeschlüsse durchziehen.“ D.h.: Die Möglichkeit, dass sich ein Wohnungsunternehmen auf bewohnerschaftliche Mehrheitsbeschlüsse gegen seinen Willen einlässt, wurde als dermaßen unrealistisch angesehen, dass Konsensentscheidungen als einzige praktikable Option erschienen – wollte man den Einbezug möglichst aller rele257
vanten Akteure sicherstellen. In der Frühphase waren zudem Überlegungen zur Entwicklung einer Geschäftsordnung oder Satzung angestellt worden, allerdings konnten sich entsprechende Vorschläge nicht durchsetzen, da die Befürchtung aufkam, monatelang und auf Kosten der eigentlichen Aufgabe über eine Geschäftsordnung verhandeln zu müssen. Die Verpflichtung auf das Konsensprinzip erfolgte demnach 1989 in einer Kombination aus demokratietheoretischen, emanzipatorischen und effizienzorientierten Überlegungen seitens der Gründungsmitglieder der Stadtteilgruppe und hat sich aus Sicht der Beteiligten bewährt. Seit nahezu zwei Jahrzehnten entscheidet die Stadtteilgruppe im Konsensprinzip über die Vergabe der Programmgelder. Jeder Teilnehmer kann mit seinem Veto ein zur Abstimmung stehendes Projekt stoppen. In der Teneveraner Stadtteilgruppe ist grundsätzlich jeder Anwesende stimmberechtigt. Allerdings machen externe Besucher und Beobachter des Verfahrens von diesem Stimmrecht keinen Gebrauch, um die Entscheidung den versammelten Bewohnern zu überlassen. Der Entscheidungsmodus aus Konsensprinzip und Vetorecht ist nach Einschätzung der Mitarbeiter der Projektgruppe der Erkenntnis geschuldet, „dass Bewohnerinnen und Bewohner Experten ihres Wohnumfeldes und Alltagslebens sind und nicht zuletzt die Betroffenen von allen Maßnahmen im Quartier. Dementsprechend stehen sie im Mittelpunkt der Quartiersentwicklung und erhalten besondere, für sie praktikable Mitbestimmungsrechte. Ziel ist es, die verschiedenen Interessensgruppen in einem gemeinsamen Prozess der Gestaltung und Entscheidungsfindung in allen sie betreffenden Fragestellungen und Belangen einzubeziehen und so gemeinsam zu einem Konsens zu kommen“ (Barloschky/Schreier 2006: 324f.).
Bei Beobachtern, die erstmalig von diesem Verfahren hören, stößt ein solch ausgedehntes Mitbestimmungsrecht in der Quartiersentwicklung gelegentlich auf Skepsis. Diese drückt sich beispielsweise in der Befürchtung aus, Bewohnern fehlten Sachverstand und Verantwortlichkeit, um tatsächlich sorgsam mit öffentlichen Geldern umzugehen. Deshalb soll das in der Stadtteilgruppe angewandte Prozedere im Folgenden beispielhaft anhand der im Januar 2006 beobachteten Behandlung des Tagesordnungspunktes „Beschlussfassung über die Vergabe von Mitteln für Projekte“ skizziert werden: Allen Teilnehmern war am Beginn der Sitzung von den Quartiersmanagern eine Tischvorlage ausgehändigt worden, auf der die an diesem Abend zur Abstimmung stehenden fünf Projektanträge kurz aufgeführt waren. Nacheinander wurden die Projekte von den Quartiersmanagern als Sitzungsleitern aufgerufen. Die Beantragenden waren anwesend, um ihr Vorhaben vorzustellen und dem Gremium Rede und Antwort zu stehen. Als erstes beantragte die „Interkulturelle Werkstatt“, eine ehrenamtlich von Migranten betriebene Begegnungsstätte für alle Teneveraner, eine Unterstützung in Höhe von 14.700 Euro für die Fortsetzung ihrer Arbeit. Auf Nachfrage aus dem Gremium erläuterte der Antragsteller die geplante Verwendung der beantragten
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Mittel, sie sollten in die Finanzierung von Betriebskosten und Büroräumen sowie in Veranstaltungen fließen. Ein weiterer Redner tadelte die Öffentlichkeitsarbeit der Einrichtung, es läge immer noch kein Informationsfaltblatt über die Aktivitäten der Interkulturellen Werkstatt vor. Der Antragsteller versprach Besserung. Nachdem keine weiteren Wortmeldungen vorlagen, beschloss das Gremium die Unterstützung des Antrages. Die Nachfragen zum folgenden Projektantrag – eine Kunstaktion, bei der Bewohner die Balkone eines bereits entmieteten Wohnhauses gestalten und damit das Thema „Stadtumbau“ künstlerisch umsetzen sollten – beschränkten sich auf uneingeschränkte Zustimmung, eine Förderung dieses Projektes mit 5.000 Euro wurde ebenfalls beschlossen. Auch die anteilige Finanzierung eines „Internationalen Kochbuchs“, für das Rezepte aus allen Bremer „Soziale Stadt“-Quartieren zusammengetragen und zunächst in Vor-Ort-Einrichtungen nachgekocht werden sollten, stieß auf Zustimmung. Das Projekt war in Tenever entwickelt worden, in Zusammenarbeit mit dem Mütterzentrum war ein Tenever-Kochbuch entstanden, was bereits vergriffen war. Die Neuauflage sollte wieder in Kooperation mit dem Mütterzentrum stattfinden, die Vertreterin der Einrichtung forderte alle Interessierten auf, an den entsprechenden Kochabenden teilzunehmen. Diese Termine seien in der Vergangenheit von Frauen unterschiedlicher Herkunft besucht worden, das gemeinsame Kochen habe sich als niedrigschwelliges Angebot zum interkulturellen Austausch bewährt. Einige anwesende Frauen bestätigten diese Einschätzung. Die für das Projekt beantragten 7.400 Euro wurden bewilligt. Mehrere Nachfragen rief dann der folgende Antrag hervor: Die „Interkulturelle Werkstatt“, auch zuständig für die Koordinierung der „Internationalen Gärten“ im Quartier, beantragte eine Unterstützung für die Herrichtung des Geländes. Die Gärten waren als Grabeland für Bewohner auf einer Freifläche am Rande Tenevers angelegt worden und stießen auf eine große Nachfrage innerhalb des Quartiers: Bewohner unterschiedlicher Herkunft hatten auf den Flächen Obst- und Gemüsegärten eingerichtet. Die Nachfragen bezogen sich zunächst auf die Projektbenennung als „Herrichtung“, ein Bewohner fragte, wie etwas hergerichtet werden könne, was bereits vorhanden sei. Eine andere Bewohnerin empfand die beantragte Summe von 10.000 Euro als zu hoch und forderte eine genauere Information über die geplante Mittelverwendung. Weitere Redner stimmten dieser Forderung zu. Eine Rollstuhlfahrerin mahnte die Sicherstellung des Flächenzugangs für Schwerbehinderte an. In seiner Antwort skizzierte der Antragsteller die geplanten Maßnahmen: Am Rande der Gartenflächen sollte ein kleines Haus mit einem WC für die Gärtner errichtet werden, zudem wurde das Geld für das Anlegen von Wegen, Pergolen und Zäunen benötigt. Der Zugang für Schwerbehinderte sei dann nach den kleineren Umbauten gewährleistet. In anderen Wortbeiträgen wurde von Nachbarn berichtet, die ebenfalls gerne eine Fläche in den „Internationalen Gärten“ pachten wollten, von den Mitarbeitern der „Interkulturellen Werkstatt“ aber „weggeschickt“ worden seien. Dieses Missverständnis konnte geklärt werden: Die Flächen reichten bislang für 45 Pächter aus, allerdings habe die Werkstatt bereits eine Warteliste mit genau so vielen Interessenten, so dass Neulinge tatsächlich auf eine etwaige Ausdehnung der Anlage vertröstet werden mussten. „Weggeschickt“, darauf legte der Projektleiter Wert, werde allerdings niemand. Nach dieser Diskussion beschloss die Stadtteilgruppe die Unterstützung für das Projekt. Abschließend stand ein Antrag des lokalen alkoholfreien Jugendcafés, ein bereits seit mehreren Jahren bestehender, von Sozialarbeitern betreuter Treffpunkt für Jugendliche aus dem Quartier, auf der Liste: Sanierungsbedingt hatte die Einrichtung in der Vergangenheit mehrfach umziehen müssen, nun war ein Standort für einen festen Neubau gefunden. Zur Finanzierung der für den Neubau notwendigen Planungen bat die Leiterin des Cafés um die Unterstützung der Stadtteilgruppe. Das Gremium bewilligte die beantragte Unterstützung von 2.719,60 Euro.
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Am Ende des Abends hatte die Stadtteilgruppe über die Vergabe von rund 39.800 Euro entschieden.207
Die im Teneveraner Quartiersforum etablierte Form der partizipativen Entscheidungsfindung über beantragte Projekte stellt hohe Aushandlungsanforderungen an alle Beteiligten. Die Beschlussfassung über die Mittelvergabe aus dem Quartiersbudget wurde im Laufe der Jahre durch verschiedene Regeln institutionalisiert. Alle Beteiligten können auf der Grundlage eines vorgegebenen und erprobten Ablaufplans agieren. Zu den aktuellen Standards der Beschlussfassung gehört zunächst die allen Teilnehmern zugängliche Tischvorlage, auf der die zur Abstimmung stehenden Projektanträge kurz aufgeführt sind. Die Vorlage ist standardisiert und enthält: Titel des Projekts, kurze Beschreibung, Name der beantragenden Einrichtung und beantragte Fördersumme. Die Moderatoren leiten den Beschlussfassungsblock zumeist durch allgemeine Hinweise zur Aufgabe und zu den Regeln der Entscheidungsfindung ein. Die Projekte werden dann nacheinander aufgerufen. Die Beantragenden sind in der Regel anwesend, stellen ihr Vorhaben vor und stehen dem Gremium Rede und Antwort. Die Dauer der anschließenden Diskussionen variiert. Sofern keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, stellen die Moderatoren das Projekt zur Abstimmung. Sie erfolgt offen und per Handzeichen. Nach der Beschlussfassung im Konsensprinzip gratulieren die Moderatoren den Antragstellern, wünschen ihnen Erfolg mit ihrem Vorhaben und erinnern daran, dass die Stadtteilgruppe über den Verlauf des Projektes informiert werden möchte. Eine rituelle Bekräftigung der verbindlichen Festlegung in Form von Applaus nach jedem erfolgreichen Konsensbeschluss schließt das Verfahren. Seit 1999 fasste die Stadtteilgruppe auf diesem Weg mehr als 300 Konsensbeschlüsse zur Verwendung von Mitteln aus den Programmen „Soziale Stadt“ und „Wohnen in Nachbarschaften“ (vgl. Barloschky/Schreier 2006: 325). Das in der Stadtteilgruppe etablierte Vetorecht sieht vor, dass jeder Anwesende gegen ein beantragtes Projekt reden und seine Bedenken während der Versammlung vortragen kann. Eine beteiligte Bewohnerin erläutert das Vetorecht aus ihrer Sicht: „Zum Vetorecht fällt mir z.B. die Schulhofgestaltung der Grundschule Pfälzer Weg ein. Wir vom Bewohnertreff waren von den vorgelegten Planungen nicht überzeugt. Aus unserer Sicht war die Vergabe von WiN-Mitteln nicht nachvollziehbar, zumal der Schulhof wesentlich besser gestaltet ist als andere Schulhöfe im Stadtteil. Deswegen wurde auf der Sitzung durch unser Veto eine Geldvergabe verhindert. Aber es wurde ein Sondertermin vereinbart, an dem die Planung noch einmal von den Eltern und Lehrern den Bewohnern vor Ort erläutert wurde. Dabei konnten wir Verbesserungsvorschläge und Anregungen in die Planung einbringen und den Plan noch weiter qualifizieren. Allerdings haben wir uns auch überzeugen lassen von der Be207 Zu den Details vgl. Protokoll der 128. Sitzung der Stadtteilgruppe am 18.1.2006.
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rechtigung und Notwendigkeit der Umgestaltung. Deswegen konnten wir bei der folgenden Stadtteilgruppensitzung zustimmen, als es um den Konsens bei der Vergabe der WiN-Mittel für dieses Projekt ging“ (Barloschky/Priemel 2001: 22f.).
Von ihrem grundsätzlichen Vetorecht machen Vertreter der Wohnungsunternehmen, der Lokalpolitik, der Verwaltung und auch Bewohner gelegentlich Gebrauch – so wurde manches Projekt in der Vergangenheit auch verhindert. Aus Sicht der Projektgruppe war das „wahrscheinlich auch gut so, da der nötige Rückhalt im Quartier gefehlt hat“ (Barloschky/Schreier 2006: 325). Einzelne Vetos haben aber auch zu einer Qualitätsverbesserung mancher Projekte beigetragen: Die Beantragenden mussten „nachsitzen“ und konnten ihr Projekt in nachgebesserter Form nochmals zur Abstimmung stellen (vgl. ebd.). Vor diesem Hintergrund lässt sich als weiteres Merkmal des in Tenever gepflegten Entscheidungsmodus’ die Kombination aus Argumentieren und Verhandeln herausarbeiten, die jede Entscheidungsfindung flankiert: Durch argumentative Diskussionen werden unterschiedliche Perspektiven und Präferenzen erläutert, überprüft und im Zuge der Debatte oftmals auch verändert. Die Diskussionen dienen zudem auch dem Austausch von Anregungen und Forderungen mit dem Ziel einer Weiterentwicklung der zugrunde liegenden Ansätze. Das gesamte Verfahren der Entscheidungsfindung ist gewissermaßen als kollektiver Lernprozess konzipiert, in dem sich Erwartungen und Strategien Einzelner in den Erwartungen und Strategien Anderer widerspiegeln, um gemeinsam die möglichst beste Alternative zu identifizieren. Verfestigte Positionen werden in einem solchen Zugang nicht als unversöhnlich, sondern vielmehr als Aufforderung zu „Nachverhandlungen“ interpretiert. Konsensprinzip, Vetorecht, Argumentieren und Verhandeln haben sich bei der Mittelvergabe in Tenever grundsätzlich bewährt: Nicht nur aus Sicht der Quartiersmanager konnten damit Qualität und Effizienz der Maßnahmen gesteigert werden, zudem sicherten der offene Diskussionsprozess, die Mitbestimmungsmöglichkeiten und die Transparenz der Mittelvergabe eine hohe Akzeptanz der Projekte und förderten die Identifikation aller Beteiligten mit dem Quartier.208 Außerdem habe sich gezeigt, dass gerade Bewohner sehr kritisch und
208 Dabei ist es für das Ergebnis der Entscheidungen zunächst irrelevant, ob es sich um tatsächliche kollektive Konsensbildungsprozesse oder aber um Konsensfiktionen (vgl. Herrmann 2002: 172) handelt. Konsensfiktionen können dann vorliegen, wenn Skeptiker sich in der Abstimmung über ein Projekt enthalten, um den Konsens nicht zu gefährden (beispielsweise berichteten Bewohner von der absichtsvoll eingeschlagenen Strategie, den Raum bei bestimmten Abstimmungen verlassen zu haben). In solchen Fällen basieren Beschlüsse oder Kommunikationsverläufe nicht auf einem Konsens, sondern auf einer Konsensfiktion. Allerdings stellen sie für das Verfahren keine Bedrohung dar, im Gegenteil. Die Enthaltungen bewirken, dass nicht alles und jedes in Frage gestellt werden muss und stabilisieren so die Funktionsfähigkeit des
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kostenbewusst über den Mitteleinsatz entscheiden (vgl. ebd.: 322). Die Vorzüge der Quartiersbudgets werden von verschiedenen Gesprächspartnern ohne Einschränkungen bestätigt: Das partizipative Vergabeverfahren habe die Transparenz von Entscheidungen und die Teilhabe unterschiedlicher Akteure an diesen Entscheidungen gesteigert und den Vernetzungsgrad der Quartiersakteure erhöht. Folgerichtig wird diese Verfahren nicht nur in Tenever, sondern auch in den anderen neun Bremer Zielgebieten der Programme WiN und „Soziale Stadt“ angewendet. 6.2.1.4 Sitzungs- und Kommunikationsregeln Die in den Versammlungen der Stadtteilgruppe stattfindende Kommunikation folgt spezifischen Regeln, die auf die Beratung quartiersrelevanter Themen und die Herstellung verbindlicher Konsensentscheidungen zielen. Innerhalb der langjährigen Geschichte des Gremiums haben sich in einem stetigen Prozess der Weiterentwicklung und Verbesserung der Passgenauigkeit der Verfahren bestimmte Regeln und informelle Ordnungen herausgebildet. Neben der bereits erwähnten grundsätzlichen Zugangsfreiheit für alle Interessierten, der Verbindlichkeitserzeugung durch Konsensentscheidung und der damit einhergehenden umfassenden Wertschätzung des Diskurses sowie der Sicherung der sachlichthematischen Strukturierung durch feststehende Tagesordnungspunkte sind das ein bewohner- bzw. verständigungsorientierter Kommunikationsstil und durch Konvention entstandene Dokumentationsordnungen. Zum Zeitpunkt dieser Untersuchung hatten sich diese Regeln soweit in der Vergangenheit bewährt und stabilisiert, dass weder ihre Infragestellung durch einzelne Sitzungsteilnehmer noch grundsätzliche Struktur- und Verfahrensdiskussionen beobachtet werden konnten. Die Handlungsfähigkeit war sichergestellt.209 Gremiums – wer die Chance nicht wahrnimmt, gegen ein Projekt zu votieren, stimmt implizit zu. 209 Was allerdings nicht heißt, dass es Konflikte über Verfahrensgrundsätze und Strukturdiskussionen nicht gegeben hat. Nach Auskunft verschiedener Gesprächspartner waren Grundlagen und Geltungsbereich der Empfehlungen bzw. Beschlüsse der Stadtteilgruppe insbesondere in ihrer Konstituierungsphase umstritten; die Ausführungen zum Teilnehmerspektrum, zur Entstehung der thematischen Breite und auch zum Konsensprinzip sollten dies bereits verdeutlicht haben. Eine Besonderheit der Untersuchung in Tenever bestand allerdings darin, dass diese Kontroversen allesamt in der Vergangenheit lagen und demnach nicht beobachtet werden konnten. Zwar erwies es sich als hilfreich, dass alle Protokolle der insgesamt 148 Stadtteilgruppensitzungen vorlagen, zur (annähernden) Beantwortung mancher Fragen musste allerdings das Gedächtnis derjenigen am Prozess Beteiligten bemüht werden, die heute noch aktiv sind. Die damit einhergehenden Gefahren von Erinnerungslücken und nachträglicher Verklärung wurden in Kap. 3 erläutert.
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Die Sitzungen finden statt in einem großen Gruppenraum des Teneveraner Horthauses, in dem tagsüber Kinder betreut werden. An der Fassade des Gebäudes hängt ein unübersehbares Transparent, das den jeweils aktuellen Termin der Stadtteilgruppensitzung ankündigt. Die Quartiersmanager sind bereits 60 Minuten vor dem Sitzungsbeginn anwesend, um ansprechbar zu sein für Fragen und Probleme oder um einzelne Themen für die Besprechung vorzubereiten. Die im Raum vorhandenen Tische werden vor der Sitzung von den Quartiersmanagern in einem großen Viereck angeordnet, zudem werden mehrere Stuhlreihen an zwei Seiten des Raumes hergerichtet. Eine feststehende Tisch- und Sitzordnung gibt es zwar nicht, jedoch nehmen die Quartiersmanager, Verwaltungsmitarbeiter und die Mitarbeiter des Wohnungsunternehmens an den Tischen Platz. Ansonsten sind die „Tischplätze“ für Bewohner vorgesehen, Institutionenvertreter, Besucher und Gäste suchen sich ihre Plätze in den Stuhlreihen. Der Versammlungsraum ist durch eine Durchreiche mit der Küche des Horthauses verbunden, dort werden – gegen eine Beteiligung an den Kosten – Getränke für die Sitzungsteilnehmer bereitgestellt. Als Geschäftsführer210 der Stadtteilgruppe sind die Quartiersmanager verantwortlich für die Moderation, Vor- und Nachbereitung sowie Protokollierung der Sitzungen. Mit diesen Leitungsfunktionen besetzen sie eine hervorgehobene Position innerhalb der Binnenstruktur des Quartiersgremiums. Sie achten darauf, dass die zentralen Prinzipien der Stadtteilgruppe – Offenheit, Egalität und Konsens – im Sitzungsverlauf, in allen Wortbeiträgen und bei der Beschlussfassung eingehalten werden –, und zugleich lassen auch sie sich von diesen Prinzipien leiten. In Kontroversen übernehmen sie eine ausgleichende Vermittlerfunktion. Bei auftretenden Fragen stehen sie mit Informationen und Erklärungen bereit. Ein beteiligter Mitarbeiter des Wohnungsunternehmens erklärt die Bedeutung der Quartiersmanager: „Also, dieses Konsensprinzip, lebt von Joachim Barloschky [der Quartiersmanager, M.F.]. Und das ist ein brillanter Mensch, der Sachen ziemlich schnell auf den Punkt bringt. Der ist natürlich auch in der Lage, ja, also dort immer wieder Konsens herbeizuführen. Wenn das jemand Anderes machen würde, wenn da so ein Brataal stehen würde, und ... [lacht], den könnten sie mit dem Konsensprinzip, sage ich mal, erschlagen. Das liegt ja auch an den Akteuren. [...] Der ist natürlich auch in der Lage, auch Wege zum Konsens zu finden. Das ist bei dem im Blut. [...] Wenn man dann ein Gespür dafür hat: Wo kracht das, wo knackt das? Das ist halt eine Überzeugungsarbeit. Wo kann man denn die Bedenken noch mit aufnehmen, wo kann man sie einschreiben, wo kann man sie doch abmildern, wo kann man sie ausräumen? Da muss man sich die Mühe machen, da mal hinter zu gehen.“
210 Die Quartiersmanager bezeichnen sich selbst gelegentlich auch als „Sprachrohr der Stadtteilgruppe“.
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In den Stadtteilgruppensitzungen wird der Diskurs über alle das Quartier und seine Bewohner betreffenden Belange öffentlich und allgemein verständlich geführt (vgl. Barloschky/Schreier 2006: 325). Die Quartiersmanager, die die Sitzungen moderieren, achten als Geschäftsführung der Stadtteilgruppe auf das Einhalten dieses Anspruches. Zudem nutzen sie nahezu jede Sitzung, um auf Aufgaben und Selbstverständnis des Gremiums (lokales Forum zur kritischen Begleitung der Quartiersentwicklungsplanung, Diskussion von Entwicklungen, Formulierung von Anregungen und Beschlussfassung über Projekte im Konsensprinzip) hinzuweisen; darüber rufen sie einerseits den ständigen Teilnehmern die kollektiv geltende Grundlage des Gremiums in Erinnerung bzw. stärken die Gruppenidentität (Ausdruck einer „Egalitätsphilosophie“ der Stadtteilgruppe), andererseits werden damit Erstbesucher einer Sitzung beiläufig mit den Zielen und Spielregeln vertraut gemacht. So lässt es sich möglicherweise auch erklären, dass im Untersuchungszeitraum trotz der heterogenen Zusammensetzung und der hohen Anzahl von Teilnehmern das (vermutlich vorhandene) Informations- und Erfahrungsgefälle zwischen „Pionieren“ des Gremiums und „Neulingen“ nie Gegenstand (beobachtbarer) Kontroversen war. In der Stadtteilgruppe scheint sich über die Jahre hinweg eine Sitzungskultur herausgebildet zu haben, die Interessierten jederzeit ein „Einfädeln“ in die Strukturen des Gremiums ermöglicht. Ein Vertreter des Bauressorts umschreibt die Sitzungskultur der Stadtteilgruppe folgendermaßen: „Wir haben aber diesen Vorteil mit der Stadtteilgruppe hier, dass wir im Grunde ein Forum haben, in dem all diese Dinge vorgetragen werden und erörtert werden. Und wo man auch ein Feedback bekommt, was konstruktiv ist. Die könnten auch sagen: ‚Ihr seid alle so blöd, und wir sind immer die Looser’ und so. Das ist aber nicht so, weil da von der gesamten Sprache her eben eine Stimmung besteht, die eher konstruktiv ist. [...] Wir erreichen dadurch so eine gewisse Binnenstabilität, auch so ’ne lokale Verantwortung. Und zumindest die Leute, die dort mitbestimmen dürfen, die fühlen sich da wohl, weil sie da ... das ist ’ne soziale Veranstaltung ... und gehen dort hin, können da richtig was entscheiden, diskutieren und so.“
Weiter betonte er den Beitrag jedes einzelnen Teilnehmers zur Schaffung und zur Aufrechterhaltung der anspruchsvollen Sitzungskultur: „Und da muss man sich selber auch einschließen. Man muss sich also selber fragen: Bin ich eher konfrontativ? Oder bin ich eher konstruktiv? Oder bin ich nicht genug konfrontativ? Man muss immer gucken, wie man agiert. Aber man muss immer sehen, wie man weiter kommt. Ich kann nicht Porzellan zerschlagen an irgendeiner Sachfrage, und dann komme ich beim nächsten Mal, stehe ich da völlig ratlos, hilflos und verständnislos einander gegenüber. Man muss ja immer sehen, wie kann man miteinander weitergehen. Und man muss den anderen immer in seinem Rollenspiel und Rollenverständnis ernst nehmen und respektieren. [...] Dieses Vertrauen, das muss da sein. Und das ist in diesem Fall so. Und dass die Leute ja miteinander agieren und miteinander können.“
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Indem die Kommunikation niedrigschwellig und grundsätzlich offen für jeden Redebeitrag ist, sind eine Transparenz des Redens sowie eine wechselseitige Anerkennung der Redenden gesichert. Rednerlisten und das Prinzip der NichtUnterbrechung eines Redners strukturieren die Beiträge. Die Anerkennung des Engagements der Teilnehmenden spiegelt sich zudem wider in der thematischen Offenheit der Stadtteilgruppensitzungen für alle quartiersrelevanten Themen, der Anwesenheit der zahlreich vertretenen Funktionsträger als direkte Ansprechpartner sowie in der Etablierung der entsprechenden Tagesordnungspunkte „Aktuelle Fragen und Anregungen“ und „Bericht über die Aktivitäten zu den in der letzten Sitzung angesprochenen Problemen“. Thematische Schließungsmechanismen wie „Das gehört hier nicht her“ oder „Dafür haben wir jetzt keine Zeit mehr“ traten im Untersuchungszeitraum nicht auf, im Gegenteil: Als Ergebnis der über Jahre hinweg entstandenen, in der Stadtteilgruppe etablierten „Kultur der Anerkennung“ werden alle Teilnehmer – insbesondere Quartiersbewohner – durch die Sitzungsleiter angehalten, während der zu diesem Zweck institutionalisierten Tagesordnungspunkte keine Scheu zu zeigen und jedes vermeintlich abseitige Thema zur Sprache zu bringen. Zudem wird durch die umgangssprachlich geprägten Beiträge die Wahrscheinlichkeit aufkommender Verständigungsschwierigkeiten gesenkt: Sollten Gäste einen elaborierten und abschweifenden Vortragsstil pflegen, werden sie aufgefordert, in anschaulichen Worten auf den Punkt zu kommen. Weitere Besonderheiten der Versammlungen sind das Verlesen der Namen derjenigen Teilnehmer, die sich für eine Sitzung entschuldigt haben, die direkte Würdigung positiv entschiedener Projektanträge durch Applaus und Beglückwünschung sowie die Danksagung durch die Antragsteller. Sowohl sie als auch alle abstimmenden Stadtteilgruppenmitglieder erfahren dadurch nicht nur eine positive Anerkennung ihrer Tätigkeit, sondern das Zusammengehörigkeitsgefühl der Sitzungsteilnehmer wird auch gestärkt. Auch die Dokumentationsregeln verdeutlichen den bewohnerorientierten Kommunikationsstil: Jede Sitzung ist durch umfangreiche Verlaufsprotokolle dokumentiert. In den 10 bis 15 Seiten umfassenden Dokumenten sind nicht nur die einzelnen Vergabeentscheidungen des Gremiums protokolliert, sondern zudem alle Wortbeiträge einer Sitzung namentlich aufgeführt. Das Protokoll bietet nicht nur die Möglichkeit, den Verlauf einer Sitzung sowie einer konkreten Entscheidung detailliert zu rekonstruieren, sondern sichert darüber hinaus die Verbindlichkeit von Entscheidungen und mündlich vorgetragenen Selbstverpflichtungen. Zudem sorgt es dafür, dass in der Stadtteilgruppe vorgetragene Kritikpunkte und Verbesserungsvorschläge nicht „verloren gehen“. Außerdem spiegelt es die Wertschätzung der Bewohnermeinungen wider: Die Bewohner finden sich mit ihren jeweiligen Wortbeiträgen in den Dokumentationen – damit erkennen 265
die Protokolle der Stadtteilgruppensitzungen nicht nur den Wert der Expertenaussagen an, sondern auch deutlich den der Bewohnerbeiträge. Die Protokolle der Stadtteilgruppe erfüllen damit mehrere Funktionen: Information über Themen, Beratungsverläufe und Beschlüsse für An- und auch Abwesende, Anerkennung der Redner durch die Dokumentation ihrer Wortbeiträge, Veröffentlichung der Sitzungsinhalte und Herstellung von Verbindlichkeit. Zudem symbolisieren sie die Zugehörigkeit zur Gruppe. Während der Stadtteilgruppensitzungen kreisen Teilnehmerlisten durch das Publikum. Jeder Anwesende, der darauf Namen und Adresse (Postanschrift oder E-Mail-Adresse) hinterlässt und das Feld „Protokoll“ ankreuzt, wird in den Verteiler der Stadtteilgruppe aufgenommen und erhält zukünftig Protokolle, Einladungen und weiterführende Informationen durch die Quartiersmanager. Der EMail-Verteiler zur Versendung des Protokolls umfasst mittlerweile rund 150 Adressen. Am Ende einer Sitzung finden sich immer genügend Teilnehmer, die freiwillig bleiben, um den Raum aufzuräumen und die Tisch- und Stuhlordnung für den am nächsten Morgen stattfindenden Tagesbetrieb im Horthaus wiederherzustellen. 6.2.2 Bewohnerbeirat des Quartiersmanagementgebiets Marzahn-Nordwest Der Bewohnerbeirat war ein Zusammenschluss von Quartiersbewohnern, die zur Verbesserung der Lebensbedingungen im Gebiet beitragen wollten. Die Sitzungen des Beirats fanden monatlich, immer am letzten Dienstag, statt. Sie begannen um 18 Uhr und endeten zwei bis drei Stunden später. Grundsätzlich waren die Sitzungen öffentlich, die Teilnahme war nicht beschränkt; informelle Bedingung für eine Mitarbeit war allerdings das Wohnen im Quartier. Die Mitglieder des Bewohnerbeirats wurden per E-Mail und Post durch die Quartiersmanager eingeladen.211 Der Bewohnerbeirat wurde im Sommer des Jahres 2000 durch die Mitarbeiter des lokalen Quartiersmanagements, der QuartiersAgentur, ins Leben gerufen. Deshalb war sein offizieller Name auch „Bewohnerbeirat der QuartiersAgentur Marzahn-NordWest“. In einem Informationsblatt charakterisierten die Quartiersmanager den von ihnen initiierten Bewohnerbeirat als 211 Ab April 2006 trat neben den Bewohnerbeirat ein neues lokales Gremium, der Quartiersrat. Im Folgenden soll allerdings zunächst der Bewohnerbeirat „alter Prägung“ im Mittelpunkt stehen, d.h. Form und Organisation des Beirats seit seiner Entstehung bis zur Umstrukturierung zum Jahreswechsel 2005/2006. Die Folgen der Umstrukturierung und das Verhältnis des Bewohnerbeirats zum neuen Quartiersrat werden abschließend in Kap. 6.2.2.5 reflektiert.
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„freiwillige[n] Zusammenschluss von Bürgerinnen und Bürger des Stadtteils, die ihr soziales, am Gemeinwohl orientiertes Interesse in Verbesserungen der Lebensbedingungen und des Ansehens von Marzahn NordWest verwirklichen wollen“ (Bewohnerbeirat Marzahn NordWest o.J.[a]).
Die in diesem Flyer aufgezählten Aufgaben des Bewohnerbeirats wurden von den Mitgliedern als Grundlage der gemeinsamen Arbeit angesehen; sie lauteten im Einzelnen: „Der Bewohnerbeirat Marzahn NordWest wirkt als unabhängiges beratendes Gremium der QuartiersAgentur Marzahn NordWest; ist Ansprechpartner für die Sorgen und Probleme der hiesigen Einwohner, gibt ihnen gegenüber politischen, behördlichen oder gemeinnützigen Akteuren Stimme und Gewicht; mischt sich kritisch in stadtteilbezogene Diskussionen ein, die das Lebensklima, das Erscheinungsbild und das Ansehen des Stadtteils berühren; benennt Schwachpunkte, Problembereiche und Schmuddelecken und beteiligt sich an deren Beseitigung; entwickelt eigene Projektideen und begleitet deren Umsetzung; inspiriert Bürgerinitiativen und gibt Anstöße für bürgerfreundliche Angebote der Vereine für Sozial-, Kultur- und Gemeinwesenarbeit im Stadtteil“ (ebd.).
Bis zu seiner organisatorischen Neuausrichtung zum Jahreswechsel 2005/2006 arbeitete der Bewohnerbeirat als beratendes Organ der QuartiersAgentur. Im Folgenden sollen die mikropolitischen Merkmale des Bewohnerbeirats bis zu seiner Umstrukturierung im Mittelpunkt stehen. 6.2.2.1 Teilnehmerspektrum Über schriftliche Einladungen, Aushänge im Quartier und direkte persönliche Ansprache über diese neue Initiative der Quartiersmanager in Kenntnis gesetzt, trafen sich im Juni 2000 erstmals sechs interessierte Bewohner zur Gründungssitzung des „Bewohnerbeirats des Quartiersmanagements Marzahn NordWest“ (so der Kopf des Protokolls der ersten Sitzung). Die Quartiersmanager moderierten und protokollierten, was sie bis zur Entlassung des Gremiums in die Selbstorganisation zum Jahreswechsel 2005/2006 auch beibehielten. Bereits auf der ersten Sitzung skizzierten die Quartiersmanager Anlass und Ausrichtung des neuen Gremiums: „Aus Sicht der Bewohner sollen hier Möglichkeiten und Ideen für die Weiterentwicklung des Stadtteils diskutiert werden sowie erste Schritte zu deren Umsetzung verabredet werden. Dem Bewohnerbeirat kommt u.a. die Rolle zu, die Ideen und Projekte an einen größeren Kreis von Bewohnern als Anregung weiterzugeben, ggf. Arbeitsgruppen zu gründen oder zu leiten“ (Protokoll der Sitzung des Bewohnerbeirats am 21.6.2000: 1).
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Hinsichtlich der anzustrebenden Teilnehmerzahl verständigten sich die anwesenden sechs Bewohner mit den Quartiersmanagern darauf, „dass sich der Beirat als arbeitsfähiges Gremium auf etwa zehn Mitglieder beschränken sollte. Weitere Bewohner und Interessierte sollten jedoch für Aktivitäten, Arbeitsgruppen und ähnliches geworben werden“ (ebd.: 1). Zur nächsten Sitzung, im August 2000, erschienen elf Bewohner in den Räumen der QuartiersAgentur. Zudem nahmen auf Einladung der Bewohner auch Vertreter der Bezirksverordnetenversammlung Marzahn und des zuständigen Bürgeramts teil. Diese Teilnahme von Experten bzw. in administrativer Hinsicht Zuständigen wurde in den nächsten Monaten ausgebaut: Vertreter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, der im Gebiet aktiven Wohnungsunternehmen, unterschiedlicher freier Träger sowie der bezirklichen Verwaltungsstellen besuchten in der Folgezeit die Sitzungen des Beirats – zunächst nur gelegentlich, wenn die Tagesordnung ihre fachliche Beratung vorsah, ab Herbst 2002 bzw. Januar 2003 schickten die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf regelmäßig einen Mitarbeiter zu den Sitzungen des Bewohnerbeirats. Bis zum Jahreswechsel 2005/2006 protokollierten die Quartiersmanager die Treffen; demnach besuchten zwischen fünf und 17 Bewohner die monatlichen Beiratssitzungen. In den Protokollen sind hinter den Namen der Teilnehmer zudem die Zusätze „Bewohnerbeirat“ oder „Bewohner“ bzw. „Bewohnerin“ verzeichnet. Dies wirft die Frage nach der Mitgliedschaft im Bewohnerbeirat auf. Für die Zugehörigkeit zum Bewohnerbeirat gab es keine formalen Kriterien, vielmehr gehörten diejenigen zum Beirat, die regelmäßig an den Sitzungen teilnahmen und sich gewissermaßen durch ein „stilles Bekenntnis“ mit den Aufgaben des Gremiums identifizierten. Ein Bewohner bezeichnete die Zugehörigkeit zum Bewohnerbeirat als „eine Frage des Gefühls“; Voraussetzung für eine Mitarbeit sei das „Wohnen im Quartier“ gewesen. Die „gefühlten Mitglieder“ des Bewohnerbeirats legten Wert darauf, dass das Gremium für jeden Quartiersbewohner offen sei; für Neulinge gab es weder Wahlen noch andere Aufnahmeverfahren. Ein Begleiter der Konstituierungsphase des Bewohnerbeirats beschreibt die Zusammensetzung der teilnehmenden Bewohnerschaft in den ersten Jahren als „sehr alters- und in gewisser Weise auch schichthomogen“: „Also, ich glaube schon, dass es von denen, die sich engagiert haben, so ein bisschen eine gemeinsame Erzählung über Marzahn-Nord gab. […] Ein paar waren ja auch von den ‚Gummistiefeln’,212 die auch von Anfang an dabei waren […] und daher auch die hohe Identifikation.
212 Da die Erstbeziehung der Großsiedlung parallel zu ihrer Fertigstellung erfolgte und oftmals zwar die Wohnhäuser bereits bezugsfertig, das Wohnumfeld aber noch nicht hergerichtet war,
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[…] Da war erst einmal eine große Bereitschaft, Zeit zu investieren. Das, würde ich sagen, war schon mal keine große Hürde, die man nehmen musste. Dann war auch klar, zumindest bei denen, die im Bewohnerbeirat waren, sie wissen eigentlich ganz gut über den Stadtteil Bescheid. Und sie hatten […] keine Hemmungen in dem Kreis, in dem wir uns getroffen haben, sich zu artikulieren. Also, man musste jetzt nicht sonst was machen, dass Lieschen Müller auch redet. Aber die war auch gar nicht dabei.“
Ein Verwaltungsmitarbeiter, der den Bewohnerbeirat erst später kennenlernte, kommt zu einer ähnlichen Einschätzung: „Der Bewohnerbeirat ist natürlich auch so’n bisschen altershomogen, also altershomogen und sozial homogen. Da, würde ich mal sagen, sind Dreiviertel eine hoch homogene Kerngruppe, ja, und dann gibt es so’n paar nicht ganz so homogene Ränder. Aber Dreiviertel sind im Alter zwischen 55 und 65, arbeitslos, ehemalige Funktionsträger der untergegangenen DDR, nicht notwendigerweise Stasi oder Partei, aber schon eher privilegierter. Und dann gibt es ein paar Jüngere und ganz wenige Ältere, die dann auch schon über 65 sind.“
Angesichts der Zusammensetzung der Teilnehmer sowie eingedenk der Tatsache, dass die Sitzungen von durchschnittlich zehn Personen besucht wurden, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Bewohnerbeirat alle in der Quartiersbewohnerschaft vertretenen Gruppen und Interessen auch nur annähernd widerspiegelte. Vielmehr reduzierte sich der Kreis auf wenige Personen mit ähnlichen biographischen Hintergründen und gemeinsamen Erwartungen an Partizipation. 6.2.2.2 Themen Themen und Beratungsinhalte des Bewohnerbeirats ergaben sich aufgrund seines Entstehungskontextes in der Anfangsphase des Quartiersmanagements: Einerseits galt es, zur Anbahnung von „Soziale Stadt“-Projekten lokales Know-how aus der Bewohnerschaft zu organisieren, andererseits sollten Bewohner mit ihren kleinteiligen Anregungen ernst und damit gewissermaßen mit auf den Weg des wohnten die ersten Mieter gewissermaßen „auf der Baustelle“ und mussten insbesondere bei widrigen Witterungsverhältnissen auf ihren Wegen durch das Quartier baustellenkompatibles Schuhwerk – Gummistiefel – tragen. Anekdotisch berichten Erstbezieher von den „Gummistiefelkolonnen“, den Berufstätigen, die werktags den Weg von und zur S-Bahn-Station antraten, um dann, dort angekommen, die Gummistiefel in einer Tüte zu verstauen und normales Schuhwerk anzuziehen. Gummistiefel in Plastiktüten seien damals das Ost-Berliner Erkennungszeichen für Erstbezieher der Großsiedlungen gewesen. Die umgangssprachliche Benennung der Neumieter als „Gummistiefel“ scheint den Mauerfall demnach überlebt zu haben. Zudem klingt in dieser Bezeichnung noch eine weitere mögliche Interpretationsebene an: Die aktive handwerkliche Unterstützung der Neumieter bei der Gestaltung ihrer Wohnumfelder (vgl. dazu auch Kap. 4.2.2).
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Quartiersmanagementverfahrens genommen werden. Demzufolge widmete sich der Bewohnerbeirat in seiner Arbeit einerseits der Meinungsbildung zu einzelnen, vom Quartiersmanagement vorgetragenen Vorschlägen, oder er strebte andererseits eine Erweiterung seiner Informationsgrundlagen an, indem er verschiedene Fachleute und Verwaltungsmitarbeiter einlud, oder er initiierte selbst Diskussionen über aus seiner Sicht quartiersrelevante Themen. Dieser Dreiklang wurde bereits auf der ersten Sitzung des Beirats angeschlagen: Neben einer – vom Quartiersmanagement unterstützten – besseren Vernetzung des Beirats mit bezirklichen Verwaltungsstellen und Bezirksverordneten verständigten sich die Teilnehmer darauf, gemeinsam Stadtteilspaziergänge durchzuführen, um die Quartiersmanager mit Teilräumen des Quartiers vertraut zu machen. Schließlich fand ein frühes Projekt der QuartiersAgentur, die Aufstellung von Informationssäulen im Quartier, Unterstützung – mit der Begründung: „Um nicht allein beim Reden stehen zu bleiben, sondern auf die Diskussion möglichst schnell Taten folgen zu lassen und im Stadtteil optische Zeichen zu setzen“ (Protokoll der Sitzung des Bewohnerbeirats am 29.8.2000: 2). Eine Durchsicht der Protokolle der Bewohnerbeiratssitzungen zwischen Juni 2000 und November 2005 untermauert diesen Eindruck: Regelmäßig informierten die Quartiersmanager den Bewohnerbeirat über laufende „Soziale Stadt“-Projekte. Sobald sie bauliche Maßnahmen – wie zum Beispiel Spielplatz-, Platz-, Park- oder Freiflächengestaltungen, Beleuchtungskonzepte im öffentlichen Raum oder Zwischen- bzw. Nachnutzungen auf aufgegebenen Standorten der sozialen Infrastruktur – initiieren wollten, zogen die Quartiersmanager als beratendes Gremium den Bewohnerbeirat hinzu, sowohl am Anfang eines Gestaltungsprozesses als auch mehrmals in seinem Verlauf. Allerdings beschränkte sich dieser Einbezug in erster Linie auf unmittelbar im öffentlichen Raum wirksame Projekte der „Sozialen Stadt“. Zum einen diente die Ortskenntnis der Bewohnerschaft der Steigerung der Passgenauigkeit dieser Maßnahmen, zum anderen konnte so frühzeitig für eine Unterstützung der Projekte durch die Bewohner geworben werden. Der Vernetzungsaspekt schlug sich in Einladungen an die lokalen Wohnungsunternehmen, an einzelne Verwaltungsressorts sowie in thematischen Sondersitzungen, beispielsweise zum „Stadtumbau Ost“ und zur „Situation der Kinder- und Jugendeinrichtungen im Stadtteil“, nieder. Die Quartiersmanager regten jeweils die Beschäftigung mit aus ihrer Sicht dringlichen Themen an, die Mitglieder des Bewohnerbeirats folgten diesen Vorschlägen – teils aus Einsicht in deren Notwendigkeit und Relevanz, teils aus Neugier – und baten entsprechende Vertreter unterschiedlicher Institutionen, ihnen Rede und Antwort zu stehen. Ein wissenschaftlicher Begleiter des Quartiersmanagementprozesses in Marzahn-Nord erinnerte sich im Gespräch an die Funktion der Quartiersmanager als Stichwort- und Taktgeber für den Bewoh270
Qerbeirat und beschrieb die Aktivitäten der Bewohner mit den Worten: „So ein bisschen wurden sie ja auch zum Jagen getragen.“ Als „Themenjäger im Auftrag der Quartiersmanager“ brachten einzelne Bewohner im Laufe der Jahre auch eigenständige Inhalte in den Beirat ein: Die Verbesserung der quartiersinternen sowie der berlinweiten Kommunikation von Quartiersthemen durch eine Stadtteilzeitung und eine gezielte Pressearbeit waren ebenso Thema von Beiratssitzungen wie die Ankündigung der Schließung der öffentlichen Stadtteilbibliothek, die Umstrukturierung der Anbindung des Quartiers an den öffentlichen Nahverkehr oder die Diskussion der geplanten Ortsumfahrung Ahrensfelde und ihrer Konsequenzen für Marzahn-Nord. 6.2.2.3 Entscheidungsmodus Eine Entscheidungskompetenz, vergleichbar mit der der Stadtteilgruppe in Tenever über das dortige Quartiersbudget, besaß der Bewohnerbeirat nie. Aufgaben und Aktivitäten des Beirats waren weder über eine Satzung noch eine Geschäftsordnung formalisiert. Einige Mitglieder sahen den gemeinsam mit den Quartiersmanagern entwickelten, oben erwähnten Flyer als eine „inoffizielle Geschäftsordnung“ des Bewohnerbeirats an, die aus ihrer Sicht ein Minimum an Verbindlichkeit schuf. Alle anderen mikropolitischen Ausprägungen des Beirats entwickelten sich bei Bedarf oder geronnen mit der Zeit zur allgemein akzeptierten Konvention. Entsprechend bildeten sich weder spezifische, verbindliche Modi der Entscheidungsfindung noch der Vor- und Nachbereitung von Entscheidungen heraus. Als einem Beratungsorgan für das Quartiersmanagement standen im Bewohnerbeirat Information und Austausch über bereits geplante oder bereits laufende lokale Projekte im Programm „Soziale Stadt“ im Mittelpunkt. Diese Projekte wurden dem Gremium nicht zur Abstimmung, sondern lediglich zur Beratung vorgelegt. Die Quartiersmanager sammelten dadurch Anregungen, Ideen und Kritik für ihre weitere Arbeit und konnten zudem eine erfolgreiche Bearbeitung des Bausteins „Bewohneraktivierung“ in der lokalen Umsetzung des QM-Verfahrens vorweisen. Eine wissenschaftliche Begleiterin der Anfangsphase des Gremiums der fasst diese Funktion des Bewohnerbeirats folgendermaßen zusammen: „In gewisser Weise war er [der Bewohnerbeirat; M.F.] ja schon eine zentrale Legitimität für die Arbeit des Quartiersmanagements gewesen. Also, das Quartiersmanagement definiert sich darüber, dass es Bewohner beteiligen soll, muss, so dass das die Arbeit trägt. Und dass man auch schon ein bisschen den Finger, sagen wir mal, an den Punkten hat, wo die Bewohner gerne Veränderungen sehen möchten, wo sie auch Stärken und Schwächen des Stadtteils sehen.“
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Ein Bewohner wiederum betonte im Gespräch, Themen und Aufgaben des Bewohnerbeirats seien durch das Quartiersmanagement strukturiert gewesen, im Mittelpunkt habe die beratende Begleitung der Arbeit der QuartiersAgentur gestanden. 6.2.2.4 Sitzungs- und Kommunikationsregeln Bis zu seiner Entlassung in die Selbstorganisation zum Jahresbeginn 2006 fanden die Treffen des Bewohnerbeirats monatlich, immer am Abend des letzten Dienstags eines Monats, im Büro der Quartiersmanager statt. Regelmäßige Teilnehmer wurden durch die Quartiersmanager per E-Mail oder durch schriftliche Einladungen über den nächsten Termin informiert; zusätzlich erhielten sie mit der Einladung eine auf der vorangegangenen Sitzung festgelegte Tagesordnung sowie das Protokoll der letzten Sitzung. Die Tagesordnungen waren nicht standardisiert, zumeist brachten die Quartiersmanager die Themen ein und setzten sie als Einladende auch in eine ihnen plausibel erscheinende Reihenfolge. In erster Linie handelte es sich bei den Tagesordnungspunkten um Informationen und Austausch über laufende, von den Quartiersmanagern betreute Projekte oder um die Vorstellung geplanter Projekte und Projektideen. Gelegentlich setzten die Bewohner eigene Themen und Anliegen auf die Tagesordnung. Der Formalisierungsgrad der durchschnittlich zwei Stunden dauernden Treffen war niedrig: Auf Teilnehmerlisten dokumentierten die Besucher ihre Anwesenheit. Moderation, Rederechterteilung und Protokollierung oblagen den Quartiersmanagern. Die Teilnehmer konnten die zwischen 1,5 und drei Seiten langen Protokolle – je nach Themen und Protokollant eine Kombination aus Verlaufs- und Ergebnisprotokoll, in denen jedoch nie wörtliche Zitate auftauchen – auf der jeweils nächsten Sitzung kommentieren oder auch korrigieren. Ein Tagesordnungspunkt zur formalen Verabschiedung des Protokolls der jeweils letzten Sitzung existierte nicht. Frühzeitig schlugen die Quartiersmanager den Teilnehmern vor, aus ihrer Mitte zwei Sprecher des Bewohnerbeirats zu bestimmen. Die entsprechende Wahl, zu der zwei Mitglieder kandidierten, erfolgte offen und mit einfacher Mehrheit als Abstimmungsmodus. Während der Treffen des Beirats übernahmen diese Sprecher keine sitzungsspezifischen Funktionen, vielmehr lagen Moderation und Protokollverantwortung auch weiterhin in den Händen der Quartiersmanager. Wenn sich allerdings der Bewohnerbeirat durch Pressemitteilungen oder offene Briefe in quartiersrelevante Fragen einmischte, dann verfassten und unterzeichneten in der Regel die beiden Sprecher die zuvor im Beirat diskutierten Schriftstücke und standen mit ihren Privatanschriften und Telefonnummern auch 272
für etwaige Nachfragen zur Verfügung. Im Laufe der Zeit gewannen die Sprecher durch ihre Expertise und ihre rhetorischen Kompetenzen im Bewohnerbeirat die Funktion von „Ersten unter Gleichen“; sie koordinierten nicht nur die außerhalb der Sitzungen stattfindenden Aktivitäten und galten als Ansprechpartner des Bewohnerbeirats, sondern entwickelten sich in den Sitzungen zu Wort- und damit auch zu Meinungsführern. Gelegentlich lud der Bewohnerbeirat einzelne Experten, insbesondere aus der Bezirksverwaltung, zu aktuellen Themen, zum Beispiel Schule und Bildung oder Ordnung und Sicherheit, zu seinen Sitzungen ein. Diese Einladungen organisierten die Quartiersmanager in Absprache mit dem Bewohnerbeirat. Ab Ende 2002/Anfang 2003 nahmen zudem regelmäßig jeweils ein Vertreter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sowie des Bezirksamts an den Treffen teil. Die Funktion des Bewohnerbeirats für das Quartiersmanagement spiegelte sich auch in der Organisation des Gremiums wider: Getreu der Zielstellung – auftragsgemäßer Aufbau einer kontinuierlichen Bewohnermitwirkung und Organisation lokalen Know-hows für „Soziale Stadt“-Projekte – war das Quartiersmanagement in den ersten Jahren gewissermaßen Dreh- und Angelpunkt des Bewohnerbeirats, was sich auch in der Verantwortlichkeit der Quartiersmanager für Organisation, Themensetzung, Ablauf sowie Vor- und Nachbereitung der einzelnen Sitzungen niederschlug. Trotz dieser deutlichen Funktionalisierung des Bewohnerbeirats für die Belange des Quartiersmanagements verlief die Zusammenarbeit in den ersten Jahren überraschend reibungslos: Die Bewohner schienen mit dieser Form der „Laufstallbeteiligung“ durch eine funktional eingepasste Möglichkeit zur Mitsprache, die den Rahmen für Themen und Aktivitäten klar absteckte und lediglich – aus Bewohnersicht: immerhin – Platz zum Mitreden schuf, zufrieden; schließlich wurden sie als Beratungsgremium des Quartiersmanagements – oftmals noch vor der interessierten Quartiersöffentlichkeit – informiert und gefragt. Dass die tatsächlichen Entscheidungsprozesse auf einer administrativen Ebene ohne Einbezug des Bewohnerbeirats stattfanden, wurde nie hinterfragt. 6.2.2.5 Verhältnis des Bewohnerbeirats zum neu eingerichteten Quartiersrat Geriet das Arrangement der kooperativen Zusammenarbeit zwischen Quartiersmanagern und Bewohnerbeirat im Verlauf der lokalen Durchführung des Stadtumbauprogramms in den Jahren 2003 und 2004 ins Wanken, so brach es im Zuge der 2005 initiierten Umstrukturierung des Berliner Quartiersmanagements vollends auseinander.
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Anknüpfend an die Empfehlungen der stadtweiten Evaluierung der Programmumsetzung (vgl. Empirica 2003a, 2003b) hatte der Berliner Senat eine „strategische Neuausrichtung“ der Quartiersmanagementverfahren beschlossen, die aus mehreren Eckpunkten bestand (vgl. SenStadt 2005b, SenStadt 2006b): Erweiterung bzw. Veränderung der Gebietskulisse (Beendigung des Quartiersmanagements in drei Gebieten, Neuaufnahme von 16 Gebieten in die Förderung, so dass sich die Zahl der Fördergebiete erhöhte auf insgesamt 30), Differenzierung der quartiersbezogenen Instrumente, eine zukünftig anzustrebende inhaltliche Fokussierung auf die Handlungsfelder Integration, Bildung und Arbeit sowie eine Veränderung der lokalen Beteiligungsstrukturen in allen Quartiersmanagementgebieten (vgl. Güntner 2007: 293ff.). Künftig sollten neu zu schaffende Quartiersräte bzw. Quartiersbeiräte,213 bestehend aus Bewohnern und Vertretern unterschiedlicher lokaler Einrichtungen der sozialen Infrastruktur, Vereinen und Wohnungsunternehmen, in allen Fördergebieten über die Vergabe der Mittel aus dem Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ entscheiden. Mit der Einrichtung von Quartiersräten zielte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung – laut Eigendarstellung – auf eine breitere Legitimierung der Projektmittelverwendung und eine Verstetigung des Einbezugs möglichst vieler Interessen aus dem Quartier sowie von „Bewohnergruppen (…), die bislang nicht ausreichend vertreten waren“ (vgl. SenStadt 2006c: 3).214 Im Quartiersmanagementgebiet Marzahn-Nordwest hatten die Quartiersmanager zur Vorbereitung dieser Umstrukturierung bereits seit Monaten den Ansatz verfolgt, für den Bewohnerbeirat eine neue Organisationsstruktur, die sogenannte „Selbstorganisation des Bewohnerbeirats“ zu entwickeln (vgl. zu den folgen213 In vielen Berliner QM-Gebieten wird das Gremium „Quartiersbeirat“ genannt. Im QM-Gebiet Marzahn-Nordwest setzte sich jedoch die Bezeichnung „Quartiersrat“ durch. 214 Die Entscheidung zur Einführung solcher partizipativer Vergabeverfahren ging zurück auf die Erfahrungen mit den „Millionenfonds“, die die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in den Jahren 2001 und 2002 unter der Überschrift „Kiez wird Millionär“ allen Berliner QM-Gebieten zur Verfügung gestellt hatte. Quartiersjurys, bestehend aus Bewohnern und professionellen, im Quartier tätigen Akteuren, hatten gewissermaßen „außer der Reihe“ und auf der Grundlage von zuvor gesammelten Projektanträgen über die Verwendung von einer Million DM pro Quartier entscheiden (vgl. für Berlin insgesamt SenStadt 2003b, SenStadt 2004, für Marzahn-Nordwest UrbanPlan 2004). Die durchweg positiven Noten, die diese Fonds in verschiedenen Evaluierungen in den Fächern „Aktivierung“ und „Verstetigung von Bewohnerbeteiligung“ erhalten hatten (vgl. IfS 2004: 129ff., Empirica 2003a: 181-198) bestärkten die Verantwortlichen auf der Senatsverwaltungsebene bei der Einrichtung der neuen Gremien (vgl. Krumm 2005). Kritische Befunde von Berliner Stadtforschern, die auf der Grundlage der Begleitung ausgewählter Quartiersjurys auf Schwächen und Tücken des Modells hingewiesen hatten (z.B. Aktionismus, Zeitdruck, keine Absicherung der Legitimation der Jurys durch ungenügende Repräsentation, Nicht-Berücksichtigung von Migranten, Bevorzugung von „Kiez-Eliten“; vgl. m.w.N. Güntner 2007: 290ff.), waren allerdings nicht in die Konzipierung der partizipativen Vergabeverfahren eingeflossen.
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den Ausführungen auch Fritsche 2008). In Absprache mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung stellten sie tradierte, und, wie sich herausstellen sollte, vermeintliche Selbstverständlichkeiten des Bewohnerbeirats – Funktion, Organisation und Kooperationsverhältnis – auf den Prüfstand: Künftig sollte der Bewohnerbeirat unabhängig in eigenen Räumen tagen und seine Sitzungen ohne Unterstützung der Quartiersmanager eigenständig moderieren, protokollieren sowie vor- und nachbereiten. Durch die Anmietung eines kleinen Gewerberaums („Infoladen“ genannt) schuf die QuartiersAgentur einen neuen Treffpunkt für Bewohner, den sie zudem mit einem PC-Arbeitsplatz für Recherchen ausstattete. Als Schlüsselverwalter und Ansprechpartner des „Infoladens“ schlug sie die Wahl eines Geschäftsführers aus den Reihen der Mitglieder des Bewohnerbeirats vor. Die Mehrheit der Beiratsmitglieder interpretierte diese Initiative als Beschneiden der Kompetenzen des Beirates; hatten sie zuvor nicht nur räumlich, sondern auch organisatorisch und inhaltlich „am Tisch der QuartiersAgentur“ gesessen, so sollte dieses Privileg jetzt nicht nur entfallen, sondern in ihrer Lesart auch der gesamte Beirat durch seine organisatorische und symbolische Entwertung abgewickelt werden. Das in den Anfangsjahren des Quartiersmanagements kooperative Verhältnis zwischen Bewohnerbeirat und QuartiersAgentur wandelte sich so zu einem konfrontativen. In den folgenden monatelangen Auseinandersetzungen tauchte plötzlich der Vorwurf auf, der Bewohnerbeirat gebärde sich als „Aufsichtsrat des Quartiersmanagements“. Im Hinblick auf den neu zu schaffenden Quartiersrat waren im Bewohnerbeirat sowohl der Status des Gremiums als auch die grundsätzliche Teilnahme daran umstritten: Den „Realisten“, die im Quartiersrat die Chance sahen, auf Entscheidungen einzuwirken, und sich für eine mehr oder weniger enge Zusammenarbeit mit dem Quartiersmanagement aussprachen, standen die „Skeptiker“ gegenüber, die eine Marginalisierung des Bewohnerbeirats als beratendes Gremium des Quartiersmanagements befürchteten. Zudem, so ihre Sorge, würden Bewohner zukünftig nicht mehr in sämtlichen quartiersrelevanten Fragen zurate gezogen werden, sondern hätten nur noch über feststehende Projektanträge zu befinden. Befürchtet wurde, dass der Quartiersrat für Themen, die nicht den Förderzusammenhang „Soziale Stadt“ berührten – wie beispielsweise die drohende Schließung der Stadtteilbibliothek oder auch die kritische Begleitung des Stadtumbauprozesses – schlichtweg nicht zuständig sein würde. In der Lesart der „Skeptiker“ sollten diejenigen Bewohner, die sich bislang aktiv und kritisch vor allem in den Stadtumbauprozess eingebracht hatten, durch die Einrichtung eines neuen Quartiersrats „ausgebremst“ und abgewickelt werden. Der Bewohnerbeirat habe sich durch seine kritischen Nachfragen und Interventionen im Stadtumbau-
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prozess als unbequem herausgestellt, deshalb habe er aus Sicht der Quartiersmanager „ausgedient“, so die Einschätzung einiger Mitglieder. In einem Brief, mit dem sich die „Skeptiker“ mit der Bitte um Unterstützung an alle im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien gewandt hatten, erläuterten sie ihre Bedenken: „Dieser Quartiersbeirat soll vor allem Geld, welches über den Senat in den Stadtteil fließt, verteilen. Mitsprache in anderen Fragen, die nicht das Geld betreffen, ist nicht mehr erwünscht. [...] Wird es wirklich mehr Demokratie bringen, wenn es Beiräte ohne Ende gibt? Was wird mit den Bürgerinnen und Bürgern, die sich bisher aktiv eingebracht haben? Sollen sie ausgebremst werden, um keine Fragen mehr zu stellen und nur noch Geld zu verteilen?“ (Bewohnerbeirat Marzahn NordWest o.J.[b]).
Dieser Brief wurde kurz vor dem Jahreswechsel, zwischen zwei Sitzungen des Bewohnerbeirats, verschickt; nicht alle Mitglieder waren vorab informiert worden. Daraufhin eskalierte die Lage in der Januarsitzung. Das Protokoll des turbulenten Treffens verzeichnet emotionale Wortbeiträge, in denen von „Kompetenzgerangel“, „Strukturensalat“, „illegalen Treffen“ und „nicht gesicherten Informationsrückläufen“ die Rede ist (Protokoll der Sitzung des Bewohnerbeirats am 31.1.2006: 1).215 Als der Quartiersrat im April 2006 erstmals zusammentrat, gehörten ihm indes sechs Vertreter des Bewohnerbeirats an. Von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung formulierte „Mindeststandards für Beteiligung“ (SenStadt 2005c: 4) regelten die Größe und Zusammensetzung des Gremiums und forderten die Verabschiedung einer verbindlichen Geschäftsordnung. Die Größe des Gremiums hat sich beispielsweise an der Einwohnerzahl des betreffenden Quartiersmanagementgebiets zu orientieren (pro 1.000 Einwohner ein Quartiersratsmitglied). Für das QM-Gebiet Marzahn-Nordwest bedeutet das 23 stimmberechtigte Quartiersratsmitglieder. Des Weiteren sahen die Vorgaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vor, dass Bewohner (bereits aktive und neu hinzutretende Personen) mit 51 Prozent anteilsmäßig die Mehrheit stellen sollten. Die restlichen 49 Prozent sollten sich aus Vertretern lokaler Institutionen zusammensetzen. Zur „Sicherung von Neuzugängen aus der örtlichen Anwohnerschaft“ galt es, „mindestens 25 Prozent“ (ebd.: 3) der Quartiersratsmitglieder per Zufallsziehung aus dem Melderegister zu ermitteln. Für die geforderte Geschäftsordnung hatte die Senatsverwaltung als Orientierungshilfe eine entsprechende „Muster-Geschäftsordnung“ entworfen (vgl. SenStadt 2006a). Die konkrete 215 Die Information des ebenfalls an der Sitzung teilnehmenden zuständigen Bezirksstadtrats, dass im Bezirk Marzahn-Hellersdorf im Rahmen des Stadtumbaus weitere 1.700 Wohnungen – einige davon auch in Marzahn-Nord – abgerissen werden sollten, ging in dem Durcheinander schlichtweg unter.
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Ausgestaltung der Teilnehmerzusammensetzung und formal-organisatorische Detailfragen entschieden jedoch die Quartiersmanager in Absprache mit der Verwaltung (vgl. SenStadt 2005c: 2). In Marzahn-Nord modifizierten die Quartiersmanager die Richtschnur der Verwaltung zur Teilnehmerzusammensetzung auf das Verhältnis 60 Prozent Bewohnervertreter zu 40 Prozent Institutionenvertreter (vgl. QuartiersAgentur Marzahn NordWest 2005). Demnach sollten sich die 23 Mitglieder zusammensetzen aus 14 Bewohnern und neun Vertretern professioneller Interessen. Letztgenannte wurden durch die Quartiersmanager aufgrund der ihnen zugeschriebenen Multiplikatorenfunktion ausgewählt und um eine Teilnahme an dem neuen Gremium gebeten. Von den 14 Bewohnerstimmen galten sechs Vertreter des Bewohnerbeirats als gesetzt. Zudem legten die Quartiersmanager Wert auf eine Beteiligung von Migranten, so dass zwei Sitze an im Quartier wohnende Spätaussiedler fielen. Weitere sechs Bewohner sollten per Zufallsprinzip aus dem Melderegister ausgewählt werden. Da sich die in der Ziehung ermittelten Personen nicht an einer Mitarbeit interessiert zeigten, fand vor der ersten Zusammenkunft des Gremiums eine Quartiersversammlung statt, auf der das neue Verfahren vorgestellt und für ein Engagement im Quartiersrat geworben wurde. Allerdings konnten auch dort keine Interessenten rekrutiert werden.216 Angesichts dieser Startschwierigkeiten gingen die Quartiersmanager dazu über, einzelne Bewohner gezielt von einer Mitarbeit im Quartiersrat zu überzeugen. Ständige Teilnehmer des Quartiersrats sind das Quartiersmanagement, Vertreter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und des Bezirksamts MarzahnHellersdorf. Sie haben allerdings kein Stimmrecht. Im Jahresverlauf finden durchschnittlich zehn Sitzungen des Gremiums statt. Die Treffen sind öffentlich. Der Quartiersrat entscheidet, für welche Projekte Finanzmittel aus dem Fördertopf „Soziale Stadt“ verwendet werden sollen. Die Abstimmungen erfolgen offen und über Kartenzeichen. Den Entscheidungsmodus regelt die Geschäftsordnung, im entsprechenden Paragraphen dazu heißt es: „Der QRat [Quartiersrat, M.F.] ist beschlussfähig, wenn mindestens 75% der Mitglieder anwesend sind. Der QRat entscheidet bei Abstimmungen und Beschlussfassungen mit einer Zweidrittelmehrheit“ (Geschäftsordnung 2006: 3). Diese Regelung sorgte mehrmals dafür, dass einzelne Projektanträge abgelehnt wurden oder nur hauchdünne Mehrheiten – je nachdem, wie viele Stimmberechtigte anwesend waren – vorweisen konn-
216 Laut Einschätzungen verschiedener Gesprächspartner war diese dürftige Mitwirkungsbereitschaft zurückzuführen auf unterschiedliche Ursachen: unzureichende Werbung für das neue Gremium, das Fehlen einer gezielten Strategie der Ansprache und Aktivierung potenzieller Mitstreiter und ein generelles Desinteresse in großen Teilen der nicht engagierten Bewohnerschaft.
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ten.217 Über Bedenken bei vorgelegten Projektanträgen oder die Gründe für eine Ablehnung derselben wurde im Quartiersrat nicht diskutiert; entsprechend war auch die Möglichkeit einer Überarbeitung oder Anpassung eines Antrages nicht gegeben. In seinem ersten Arbeitsjahr (ab April 2006) befürwortete das Gremium beispielsweise Projekte, für die insgesamt 900.000 Euro veranschlagt waren. Neben Bauprojekten zur Aufwertung von Freiflächen waren das u.a. Förderungen für Sprachkurse, Schülerzeitungen, außerschulische Bildungs- und Bewegungsprojekte, ein Stadtteilfest, Projekte zur sexuellen Aufklärung Jugendlicher, Elternarbeit in einer Kindertagesstätte, Beratungsangebote für Migranten sowie die Organisation einer Integrationskonferenz im Quartier. Die Entstehung von Projektideen und -anträgen unterschied sich allerdings nicht von den Gepflogenheiten vor der Einrichtung des Quartiersrats: Die Quartiersmanager formulierten als „Projektentwickler und Prozesskoordinatoren“ (QuartiersAgentur Marzahn NordWest 2006: 6) – in Absprache mit verschiedenen Verwaltungsstellen und im Quartier tätigen Institutionen – jährlich ein sogenanntes „Integriertes Strategisches Handlungskonzept“. Dieses Konzept legte Handlungsfelder für die Quartiersentwicklung fest, die dann von den jeweiligen Projektträgern mit Maßnahmen versehen wurden. Entweder schlugen die Antragsteller den Quartiersmanagern die Projekte vor oder sie entwickelten sie auf Initiative der Quartiersmanager. Die Regeln der Entscheidung über die Förderung von Projektanträgen hatten sich indes geändert: Entschieden in den Jahren vor der Einrichtung des Quartiersrats die Quartiersmanager in Zusammenarbeit mit einer Arbeitsgruppe aus professionellen Akteuren über die Anträge, so lag die Entscheidung nunmehr in der Zuständigkeit des neuen Gremiums. Auf den ersten Blick schien damit Beteiligung qualitativ tiefer zu reichen: Vom unverbindlichen Mitreden durch den Bewohnerbeirat hin zum Mitbestimmen bei der Geldvergabe durch den Quartiersrat. Jedoch wiesen Kontroversen, die im Vorfeld und auch während des ersten Arbeitsjahres um den Aufgabenbereich des Quartiersrats geführt wurden, auf eine Sollbruchstelle des Modells hin: die thematisch selektive Eingrenzung auf Fragen und Projekte rund um das Förderprogramm „Soziale Stadt“. Diese insbesondere von Mitgliedern des Bewohnerbeirats getragene Kritik gab der Sorge Ausdruck, dass Bewohner nicht mehr in allen quartiersrelevanten Fragen zurate gezogen werden sollten – wie es zuvor durch die beratende Funktion des
217 Im Rahmen der Datenerhebung konnte beobachtet werden, dass knappe Zweidrittelmehrheiten vor allem dann entstanden, wenn die Vertreter der professionellen Interessen sowie wenige Bewohner für ein Projekt stimmten, während die Mehrheit der Bewohnervertreter mit „Nein“ votierte.
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Bewohnerbeirats gewährleistet war –, sondern in erster Linie als „Stimmvieh“ für bereits feststehende Projekte zu dienen hätten. Eine Auswertung der Protokolle der Quartiersratssitzungen der ersten 18 Monate bestätigt diese Befürchtungen: Thematisch wurden die Sitzungen dominiert von Abstimmungen über Projektanträge. Lediglich am Ende der Sitzungen bestand unter dem Tagesordnungspunkt „Sonstiges“ die Gelegenheit, Veranstaltungen anzukündigen oder kurz auf aktuelle Entwicklungen im Quartier hinzuweisen. Strategische Beratungen, beispielsweise über die zukünftige Ausrichtung der lokalen Fördermittelvergabe oder über die Position des Gremiums zu einzelnen quartiersrelevanten Themen, fanden nicht statt.218 Flankiert wurde diese inhaltliche Schließung von einem hohen, immer wieder von Quartiersmanagern und Verwaltungsmitarbeitern betonten Termindruck. Das Gremium musste seit seiner ersten Sitzung über die Mittelvergabe entscheiden. Ein Bewohner brachte dies auf die bündige Formel: „Beim Quartiersrat geht es heute um Projekte, nicht mehr um Probleme“. Festzuhalten ist, dass die Etablierung des Quartiersrats im Quartiersmanagementgebiet Marzahn-Nordwest umstritten und im Bewohnerbeirat Gegenstand heftiger Kontroversen war. Letztere trugen dazu bei, dass parallel zur Einrichtung des neuen Gremiums eine symbolische und organisatorische Entwertung des Bewohnerbeirats erfolgte. Sie bedeutete für das Gremium zunächst einen Statusverlust.219 In dem auf Arnstein zurückgehenden Modell der Beteiligungsleiter lässt sich der Bewohnerbeirat folgendermaßen verorten: Vor den Bemühungen um eine Selbstorganisation war er ein „Mitrede“-Verfahren; ein auf spezifische Art betroffener Kreis von Quartiersbewohnern wurde durch die Quartiersmanager nicht nur über Missstände und Pläne zu deren Behebung informiert, sondern erhielt zudem auch die Möglichkeit, Wünsche und Bedenken vorzutragen und damit möglicherweise auch neue Projekte anzustoßen. Allerdings erhielten die Bewohner dabei weder eine verbindliche und kontrollierbare Garantie, dass ihre Empfehlungen auch in die weitere Arbeit einflossen, noch waren sie an der Fest218 Eine Evaluierung von zwölf ausgewählten Quartiersratsverfahren durch das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) beschreibt für alle untersuchten Gebiete eine Vernachlässigung strategischer Zieldiskussionen. In dem Bericht heißt es diesbezüglich: „Befragte Mitglieder von Quartiersbeiräten verweisen darauf, dass ihnen bei der Priorisierung von Projekten häufig eine strategische Grundlage fehle, die diesen Entscheidungsprozess vereinfache“ (Difu 2007: 20). 219 Enden muss die Darstellung des Zusammenhangs von Bewohnerbeirat und Quartiersrat mit dem Nachtrag, dass es weder den Mitgliedern des Bewohnerbeirats noch dem QM-Team gelang, die im Zuge der verordneten Selbstorganisation und der Einrichtung des Quartiersrats ausgelöste nachhaltige Erschütterung und Verunsicherung des Bewohnerbeirats in eine konstruktive Perspektive zu überführen: Im Januar 2008 beschloss der Bewohnerbeirat MarzahnNordwest im achten Jahr seiner Existenz und nach zwei Jahren umstrittener Selbstorganisation einstimmig seine Selbstauflösung.
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legung übergeordneter Entwicklungsstrategien beteiligt (wie es in der „Mitbestimmen“-Dimension der Fall sein müsste). Bemerkenswerterweise genügte den beteiligten Bewohner aber diese mittlere Partizipationsintensität, sie stellten sie nie in Frage. Zudem empfanden sie die im Zuge der Etablierung des Quartiersrates geschaffene – vordergründig – qualitative Verbesserung der Beteiligung – vom Mitreden zum Mitbestimmen über die Verwendung des Quartiersbudgets – als Bedrohung und Überforderung, der sie sich nicht gewachsen fühlten. Hier zeigt sich erneut das Dilemma administrativ „von oben“ initiierter Beteiligungsformen: Der Wechsel der partizipativen Arena – von der informellen Arena des Bewohnerbeirats zur formalisierten Arena des Quartiersrates – war gewissermaßen ein verordneter Wechsel, der zu keiner Zeit im Quartier „von unten“ gefordert, sondern vielmehr hingenommen wurde. Deutlich wurde dabei, dass die beiden Arenen unterschiedliche Handlungsstrategien ermöglichten bzw. beschränkten und dass die Bewohnervertreter die Arena ihres Beirats „alter Prägung“ favorisierten. Anders formuliert: Ist die qualitative Ausweitung der Beteiligung durch den Wechsel vom „Mitreden“ im Bewohnerbeirat zum „Mitbestimmen“ im Quartiersrat unter rein demokratietheoretischen Gesichtspunkten zu begrüßen, so verdeutlicht die Praxis im Quartiersmanagementgebiet, dass dieser Wechsel, solange er von den Bewohnern nicht unterstützt wird, nicht per se auch angemessen ist. 6.2.3 Vergleich der Quartiersgremien in Tenever und Marzahn-Nord Die bisherigen Ausführungen verdeutlichten, dass die Binnenstruktur der lokalen Gremiensitzungen und Versammlungen in Tenever und Marzahn-Nord erhebliche Differenzen aufweist, die sich in der unterschiedlichen Koordinierung von Meinungsbildung und Entscheidungsfindung niederschlagen (s. die Gegenüberstellung in Tabelle 16). In Tenever nehmen an den im sechs- bis achtwöchigen Turnus stattfindenden Sitzungen der Stadtteilgruppe in der Regel zwischen 60 und 120 Personen teil. Die Teilnehmer setzen sich zusammen aus Bewohnern, Mitarbeitern der Ressorts für Bauen und für Soziales, den Quartiersmanagern, Vertretern des lokalen Wohnungsunternehmens und des Grünflächenamts, Lokalpolitikern, Kontaktbereichsbeamten der Polizei sowie Mitarbeitern verschiedener, im Gebiet tätiger Vereine und Einrichtungen der sozialen Infrastruktur (Schulen, Kindergärten, Einrichtungen der Jugendhilfe, Seniorenwohnheim). Das Quartiersgremium ist weder über eine Geschäftsordnung noch über eine fixierte Satzung formal institutionalisiert. Die Teilnahme an der Stadtteilgruppe unterliegt keiner Zugangsregelung, jeder am Quartier und seiner Entwicklung Interessierte kann die 280
Sitzungen besuchen. Zwar lassen sich bei kontinuierlicher teilnehmender Beobachtung regelmäßige von gelegentlichen Teilnehmern unterscheiden, grundsätzlich sind aber auf allen Sitzungen die verschiedenen lokalen Akteursgruppen vertreten. Die Sitzungsmoderation liegt bei den Quartiersmanagern. Die in den Sitzungen der Stadtteilgruppe verhandelten Inhalte lassen sich in zwei Bereiche aufteilen: Einerseits werden – wie in einem Forum – die von den Teilnehmern eingebrachten quartiersrelevanten Themen bearbeitet, auf der anderen Seite widmet sich das Gremium der Beschlussfassung über Empfehlungen zur Vergabe der Fördermittel aus den Programmen „Soziale Stadt“ und „Wohnen in Nachbarschaften“. Die Quartiersmanager als Geschäftsführung der Stadtteilgruppe legen den Teilnehmern projektförmig aufbereitete Anträge Dritter zur Diskussion sowie zur anschließenden Entscheidung vor. Die Antragsteller sind in der Regel anwesend und skizzieren ihr Projekt. Der Modus der Beschlussfassung folgt dem Konsensprinzip, d.h., erst dann, wenn sich die Stadtteilgruppe einstimmig für ein Projekt ausgesprochen hat, wird es auch bewilligt. Zudem wird jedem Teilnehmer der Stadtteilgruppe ein Vetorecht eingeräumt, d.h., jeder kann Bedenken und Kritik an einzelnen, zur Abstimmung vorgelegten Projektanträgen vortragen. Die Abstimmungen erfolgen offen und über Handzeichen. Dabei ist grundsätzlich jeder Anwesende stimmberechtigt, nur machen nicht alle Teilnehmer von ihrem Stimmrecht Gebrauch. Die anspruchsvolle Konstruktion des Entscheidungsmodus’ spiegelt sich auch in der dem Egalitätsprinzip verpflichteten Sitzungskultur der Stadtteilgruppe wider: Sie lässt sich charakterisieren als eine konstruktive, an der Konsensfindung orientierte Kombination aus Argumentieren und Verhandeln, die keine Aufspaltung in Mehrheit und Minderheit ermöglicht, sondern Entscheidungen als Ergebnis einer diskursiven Übereinkunft aller Beteiligten zu schaffen versucht. Darüber hinaus verdeutlichen die Sitzungs- und Kommunikationsregeln der Stadtteilgruppe die Bewohnerorientierung des Gremiums, was sich in spezifischen Tagesordnungspunkten, der regelmäßigen Anmahnung verständlicher Wortbeiträge und umfangreichen Protokollen mit ausführlichen wörtlichen Zitaten niederschlägt. Anders verhielt es sich mit dem Bewohnerbeirat: Die ursprünglich intendierte Funktion als beratender Beirat des lokalen Quartiersmanagements verdeutlicht bereits sein vollständiger Name: „Bewohnerbeirat der QuartiersAgentur Marzahn-Nordwest“. Während der Dauer seiner Existenz (2000 bis 2008) trafen sich zwischen fünf und 20 Teilnehmer zu monatlichen Sitzungen. Dabei standen bis zur Entlassung des Gremiums in die Selbstorganisation (ab 2006) die Bereitstellung lokalen Know-hows für die Quartiersmanager, Ideenentwicklung für bzw. die Anbahnung von „Soziale Stadt“-Projekten sowie die Bearbeitung quartiersrelevanter Themen im Mittelpunkt. In den zwei Jahren der unfreiwillig er281
folgten und daher strittigen Selbstorganisation, die begleitet wurde von einer Fraktionierung der Mitglieder in Unterstützer und Kritiker der Eigenständigkeit, dominierten Diskussionen und Konflikte über die künftige Ausrichtung des Gremiums. In der Konstituierungsphase nahmen ausschließlich Bewohner an den von den Quartiersmanagern initiierten und moderierten Sitzungen teil. Nach der Eskalation um die Abrisspläne besuchten auch Vertreter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und des Bezirksamts Marzahn-Hellersdorf regelmäßig sowie Mitarbeiter des lokalen landeseigenen Wohnungsunternehmens gelegentlich die Treffen des Bewohnerbeirats. Ab 2006, nachdem der Beirat gegen den Willen des Großteils seiner Mitglieder von den Quartiersmanagern in die Selbständigkeit entlassen worden war, blieben die Bewohner in der Regel unter sich (abgesehen von wenigen Gästen auf einzelnen Sitzungen). Die Arbeit des Bewohnerbeirats war weder durch eine Geschäftsordnung noch durch eine Satzung geregelt. Als niedrige Zugangsschwelle wirkte die Teilnahmevoraussetzung „Quartiersbewohner“. Durch regelmäßige Teilnahme und stilles Bekenntnis zur Mitwirkung entstand ein kleiner Kreis von informellen, „gefühlten“ Mitgliedern des Bewohnerbeirats. Angesichts der ausschließlichen Beratungsfunktion des Gremiums bildete sich kein spezifischer Entscheidungsmodus heraus, vielmehr standen für die Quartiersmanager als Initiatoren des Gremiums die Ermittlung von Zustimmung und Ablehnung sowie die Erarbeitung von Verbesserungsvorschlägen im Mittelpunkt. Als auffällige Sitzungs- und Kommunikationsregeln bildeten sich mit der Zeit die Struktur gebende Funktion der Quartiersmanager als Verantwortliche für Moderation und Protokollierung sowie eine schwache Hierarchisierung innerhalb der Gruppe der beteiligten Bewohner durch die Wahl von zwei Vorsitzenden des Bewohnerbeirats heraus. Nach dem Rückzug der Quartiersmanager aus der Sitzungsleitung setzte eine kontinuierliche Erosion der bis dahin gepflegten Sitzungskultur ein. In der Phase der Eigenständigkeit endeten die Sitzungen zumeist mit Vorhaltungen und Anwürfen gegen Einzelne oder Beiratsfraktionen. Der seit April 2006 im Quartiersmanagementgebiet Marzahn-Nordwest bestehende Quartiersrat wiederum widmet sich – wie die Stadtteilgruppe in Tenever – der Beschlussfassung über die lokale Mittelvergabe aus dem Programm „Soziale Stadt“. Anders als die Stadtteilgruppe ist er jedoch aufgrund einer Geschäftsordnung durch einen hohen Formalisierungsgrad bestimmt, der sowohl für eine deutliche Hierarchisierung der Teilnehmer sorgt als auch den gesamten Sitzungsverlauf prägt. Es gibt 23 stimmberechtigte Mitglieder, deren Stellvertreter, ständige Begleiter und Gäste. 60 Prozent der Mitglieder kommen aus der Bewohnerschaft, die restlichen 40 Prozent sind Vertreter lokaler Institutionen. Letztere wurden von den Quartiersmanagern gezielt um eine Teilnahme am 282
Gremium gebeten. Die Gruppe der teilnehmenden Bewohner setzt sich zusammen aus Vertretern des Bewohnerbeirats und Interessierten, die bislang nicht organisiert waren. Abstimmungen erfolgen im Quartiersrat offen und über Kartenzeichen. Als Modus der Beschlussfassung schreibt die Geschäftsordnung Mehrheitsentscheide auf der Grundlage einer Zweidrittelmehrheit unter den anwesenden Stimmberechtigten vor. Die Quartiersmanager sind als Geschäftsführung des Quartiersrates für die Vor- und Nachbereitung der Sitzungen verantwortlich. Im Gegensatz zur Teneveraner Stadtteilgruppe geht es im Quartiersrat nicht um das Erzielen einer diskursiven Übereinkunft, sondern um das Organisieren von temporären Abstimmungsmehrheiten. Die Festlegung von thematischer Zuständigkeit und Entscheidungsgrundlage war seit der Entstehung des Gremiums Gegenstand mehrerer Kontroversen. Auf der Grundlage der Untersuchung der Stadtteilgruppe und des Quartiersrats lässt sich zudem ein weiterer Punkt diskutieren: Die Bedeutung von Quartiersbudgets und entsprechenden Gremien, die über die Vergabe von Programmmitteln entscheiden. Sie stellen eine qualitativ weit entwickelte Form der Mitbestimmung in der Quartiersentwicklung dar: Die Beschlussfassung liegt nicht (mehr) ausschließlich im Verantwortungsbereich administrativer Akteure, sondern erfolgt unter Einbezug von Vertretern möglichst aller in der Quartiersentwicklung relevanten Interessengruppen. Die Beispiele der Stadtteilgruppe und des Quartiersrats verdeutlichen allerdings, dass die partizipativen Vergabeverfahren nicht nur hohe Anforderungen an alle Beteiligten stellen, sondern dass obendrein Zusammensetzung, Grundlagen, Organisation und Entscheidungsmodus Gremien sich erheblich voneinander unterscheiden können: von dem in Tenever qua diskursiver Übereinkunft und Konvention etablierten Konsensprinzip bis hin zum qua Geschäftsordnung fixierten Prinzip von (Zweidrittel-)Mehrheit und Minderheit in Marzahn. Der unterschiedliche organisatorische Zuschnitt der Gremien schlägt sich zudem in ihrer Binnenstruktur nieder – die wiederum ihren partizipativen Output (einstimmige Unterstützung vs. hauchdünne Mehrheiten) beeinflusst. Während die Binnenstruktur der Stadtteilgruppe eine parteien- und akteursübergreifende „Bündnispolitik“ für das Quartier ermöglichte, dominierte in dem Gremium in Marzahn „Parteipolitik“ in Form von strategischen Volten und Kampfabstimmungen. Schlussfolgernd lässt sich feststellen: Partizipative Vergabeverfahren pauschal als qualitative Verbesserung von Beteiligung anzusehen, würde zu kurz greifen. Vielmehr ist auch hier zu fragen: Wer entscheidet über was wie? Zusammenzufassen ist, dass sich die drei Gremien – Stadtteilgruppe, Bewohnerbeirat und Quartiersrat – zwar allesamt als vom politisch-administrativen System im Rahmen von unterschiedlichen Programmen der Städtebauförderung ins Leben gerufene Beteiligungsformen auf der lokalen Ebene charakterisieren 283
lassen, die jeweils eingeschlagenen Wege der Ausgestaltung dieser Beteiligungsformen allerdings erhebliche Unterschiede aufweisen. So dominierten in den Gremien jeweils unterschiedliche Funktionen: In Tenever stellt die Stadtteilgruppe das zentrale Forum der Quartiersentwicklung und -politik dar, der Bewohnerbeirat war vor seiner unfreiwilligen Selbstorganisation beratender Beirat des lokalen Quartiersmanagements (im Zuge der Eigenständigkeit konnte er keine neue Funktion entwickeln), und der Quartiersrat des Quartiersmanagementgebiets Marzahn-Nordwest lässt sich als exklusive, mit spezifischen Rechten und Pflichten ausgestattete Jury beschreiben. In allen drei Beispielen wirkte sich die jeweilige Funktion des Gremiums auf seine Binnenstruktur, sein Teilnehmerspektrum, die Themensetzung, Entscheidungsregeln und auch auf seine Sitzungskultur aus. Diese wiederum zementierten die partizipative Forumsfunktion der Stadtteilgruppe, die beratende Rolle des Beirats und die exklusive Juryfunktion des Quartiersrats. Die Herausbildung dieser Funktionen und der mit ihnen einhergehenden mikropolitischen Merkmale sind, das verdeutlichen die jeweiligen Entstehungskontexte der Gremien in den beiden Untersuchungsquartieren, Ergebnis eines lokalen, gremienspezifischen Prozesses der Festlegung von Aufgabenbereichen, Zuständigkeiten, Verfahrensregeln und Verhandlungsmodi. Tabelle 16: Binnenstruktur von Stadtteilgruppe, Bewohnerbeirat und Quartiersrat im Überblick Stadtteilgruppe Sitzungsturnus
Bewohnerbeirat
Quartiersrat
monatlich
alle 4-6 Wochen
Teilnehmer/ 50-120 Sitzung
5-20
16-30
Zusammen- Bewohnerschaft, Versetzung der waltungsstellen, QM, Teilnehmer Wohnungsunternehmen, Lokalpolitik, Vereine, Einrichtungen der sozialen Infrastruktur
verschiedene Phasen: zunächst Bewohnerschaft und QM, dann zudem Verwaltungsstellen und Wohnungsunternehmen, ab 2006 ausschließlich Bewohnerschaft
Bewohnerschaft (Bewohnerbeirat und bislang nicht Organisierte), Vertreter lokaler Institutionen (Wohnungsunternehmen, Vereine, Einrichtungen der sozialen Infrastruktur), Verwaltungsstellen, QM
284
alle 6 bis 8 Wochen
Status der Teilnehmer
grundsätzlich statusgleich, QM als Geschäftsführung für Moderation und Protokollierung zuständig
(„gefühlte“) informelle Mitglieder und ständige Teilnehmer, QM für Moderation und Protokollierung zuständig, ab 2006 QM nur noch gelegentlicher Sitzungsteilnehmer
formale Mitglieder, Stellvertreter und ständige Teilnehmer, QM als Geschäftsführung
Themen
quartiersrelevante Themen; Beschlussfassung über Mittelvergabe aus den Programmen „Soziale Stadt“ und „Wohnen in Nachbarschaften“
Ideenentwicklung für „Soziale Stadt“-Projekte; quartiersrelevante Themen
Beschlussfassung über Mittelvergabe aus dem Programm „Soziale Stadt“
Kriterien der Stimmberechtigung
Anwesenheit; individuelle Zugehörigkeitsdefinition („stilles Bekenntnis“)
Herkunft aus der Bewohnerschaft; regelmäßige Teilnahme; individuelle Zugehörigkeitsdefinition („stilles Bekenntnis“)
23 qua Ernennung oder Kooptation ermittelte, durch SenStadt formal bestätigte Stimmberechtigte (Bewohner und Vertreter lokaler Institutionen)
Modus der Beschlussfassung
diskursive Übereinkunft durch Konsensprinzip und Vetorecht; Argumentieren und Verhandeln als eingeübte Spielregeln; offene Abstimmungen per Handzeichen
Dialog zwischen QM und Bewohnern sowie der Bewohner untereinander; Zustimmung oder Ablehnung als Beratungsergebnis
per Geschäftsordnung fixiertes Prinzip von Mehrheit und Minderheit; Zweidrittelmehrheiten; offene Abstimmungen per Kartenzeichen
Sitzungs-/ Kommunikationsregeln
Anerkennungskultur; Bewohnerorientierung
Hierarchisierung durch Meinungsführerschaft/ Expertise
Hoher Formalisierungsgrad, starke Hierarchisierung der Teilnehmer
Funktion
Quartiersforum
Beirat des Quartiersmanagements
Quartiersjury
Eigene Zusammenstellung.
285
7 Schlussbetrachtung
Die Förderprogramme „Stadtumbau West“ und „Stadtumbau Ost“ markieren einen Wendepunkt in der Geschichte der Stadterneuerung. Zielten tradierte Ansätze der Quartiersentwicklung und -planung auf eine Steuerung von Wachstumsprozessen und der Milderung ihrer negativen Begleiterscheinungen, so geht es in den Stadtumbauprogrammen in erster Linie um eine ersatzlose Wegnahme durch Abrisse, die Übernahme von Kosten und ein Managements des Rückzugs. Entsprechend stellen sich neue Fragen und Anforderungen an die Beteiligung von Bewohnern und somit auch an das dafür vorhandene Instrumentarium an Verfahren und Methoden, welches sich seit dem verstärkten Auftreten partizipativer Formen von Lokalpolitik im Zuge der Neuen Sozialen Bewegungen herausgebildet hat. Wie in der Praxis mit dieser Umbruchsituation umgegangen wird, war Gegenstand der Beobachtungen in den Stadtumbauquartieren Tenever in Bremen und Marzahn-Nord in Berlin. In den Fallstudien wurden die Vorgeschichte und Verlauf der lokalen Stadtumbauprozesse rekonstruiert. Besonderes Augenmerk lag dabei auf der Rahmensetzung, insbesondere der Entstehung vermeintlich unabwendbarer Stadtumbau-Entscheidungen, sowie der Verfahrenssteuerung durch die Akteure und Gremien vor Ort. Die Untersuchung orientierte sich an drei Leitfragen: • • •
Leitfrage I: Welche Formen von Partizipation kamen in der lokalen Vorbereitung und Umsetzung des Stadtumbaus zum Einsatz? Leitfrage II: In welcher Beziehung stehen Partizipationsansätze im Stadtumbau zu lokal schon vorhandenen Beteiligungsstrukturen? Leitfrage III: Welche Faktoren ermöglichten Partizipation, welche beschränkten sie?
Diese Fragen sollen im Folgenden zusammenfassend beantwortet werden.
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M. Fritsche, Mikropolitik im Quartier, DOI 10.1007/978-3-531-93498-3_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Partizipationsformen in der lokalen Stadtumbauvorbereitung und -umsetzung (Leitfrage I) Die Beteiligung der Bewohner an der Vorbereitung und Umsetzung der Stadtumbauprojekte unterscheidet sich deutlich zwischen den beiden Quartieren. In Tenever wurde ein umfassendes Beteiligungsverfahren angewandt, in MarzahnNord hingegen wurden Informationen über die Umbaupläne nur dosiert herausgereicht. Tatsächliche Mitwirkungsmöglichkeiten wurden den Bewohnern lediglich im Rahmen einzelner Aufwertungsmaßnahmen eingeräumt. Diese Unterschiede hängen eng mit der erheblich voneinander abweichenden Sanierungs- und Erneuerungsgeschichte der Quartiere zusammen: In Tenever machten in erster Linie quartierspezifische Entwicklungen die Erstellung eines Umbaukonzepts dringlich: Spekulationen auf dem lokalen Wohnungsmarkt, damit einhergehender Modernisierungsstau, zunehmender Verfall von Gebäuden und Wohnungen, wachsende Leerstände sowie steigender Druck aus der Bewohnerschaft zur Lösung des Problems. Bereits einige Jahre vor der Initiierung des ExWoSt-Forschungsfelds „Stadtumbau West“ hatte eine Koalition, bestehend aus dem städtischen Wohnungsunternehmen GEWOBA und relevanten Verwaltungsstellen, die Arbeit an Plänen zum Umbau des Wohnungsbestands aufgenommen. Als Folge wurde die Unterstützung durch „Stadtumbau West“ von allen relevanten Akteuren als willkommene Ergänzung des ohnehin geplanten Umbaus des Hochhausviertels begrüßt. Anders als im Fall des Modernisierungsstaus in den Teneveraner „KrauseBeständen“ lag für Marzahn-Nord kein gemeinsam benennbares Problem vor, das zu einer Kooperation zwischen Bewohnern, Wohnungsunternehmen und Verwaltungsmitarbeitern hätte führen können. Eher war hier die Aussicht auf Fördermittel die wesentliche Triebkraft bei der Antragstellung. Die Ausgangssituation in Marzahn-Nord ähnelte der anderer ostdeutscher Großsiedlungen, so dass das Quartier in das Förderschema des Programms „Stadtumbau Ost“ passte: Kontinuierliche Einwohnerverluste in den Neunzigerjahren hatten zu Leerständen geführt und mit der WBG Marzahn war ein zur Beantragung von Stadtumbaugeldern berechtigtes Wohnungsunternehmen vorhanden, das im Quartier zudem über einen vergleichsweise hohen Bestand an unsanierten Wohnungen verfügte. Die lokalen Akteure aus Politik, Verwaltung und Wohnungswirtschaft betrachteten das Förderprogramm als finanziellen Anreiz zur Ordnung des lokalen Wohnungsmarktes. Die spezifischen Rahmenbedingungen der Konzipierung der lokalen Stadtumbauprojekte führten zu unterschiedlichen Informationsstrategien seitens der Umbauverantwortlichen: In Tenever wurden Bewohner und andere interessierte Quartiersakteure von Anfang an zeitnah und umfassend über den Fortgang der 288
Konzepterstellung informiert. In Marzahn-Nord erhielten die Bewohner erst nach Abschluss der Konzipierung Kenntnis von den Umbauplänen. Zudem wurden konkrete Details von Seiten der professionellen Stadtumbauakteure nur bruchstückhaft, zögerlich und auf Drängen der Bewohner öffentlich gemacht. In Tenever nahmen Quartiersakteure – einschließlich der in dem lokalen Quartiersgremium organisierten Bewohner – eine aktive Rolle schon in der Vorgeschichte des Umbauprojekts ein: Über Jahre hinweg wiesen sie politische Entscheidungsträger auf die Notwendigkeit einer umfassenden Lösung für das Quartier hin. Als etablierte Interessensvertretung der Quartiersakteure sowie der Bewohner wurde die Stadtteilgruppe Tenever dann auch nicht nur regelmäßig über den Fortgang der Planungen informiert, ihre Vertreter nahmen auch an den entsprechenden Expertenrunden zur Konkretisierung der Umbaupläne teil. Die Weichenstellungen für den Stadtumbau waren also keinesfalls ohne eine Einflussnahme der Quartiersbevölkerung vorgenommen worden und stellten aus Sicht der Teneveraner keine Non Decisions dar. Auch im weiteren Stadtumbauverlauf begleitete die Stadtteilgruppe als Quartiersforum kontinuierlich und kritisch die Umsetzung einzelner Maßnahmen, diskutierte regelmäßig aktuelle Entwicklungen und formulierte Empfehlungen an die anderen Stadtumbauakteure. In Tenever mussten sich Quartiersbewohner gegenüber Vertretern des politischadministrativen Systems oder Mitarbeitern des Wohnungsunternehmens ihre Mitwirkung nicht erstreiten. Zudem nahmen die professionellen Stadtumbauakteure an den Stadtteilgruppensitzungen teil, um den Bewohnern dort Rede und Antwort stehen und unmittelbar auf Mängelanzeigen reagieren zu können. Sie entwickelten ein auf individuelle Mieterbedarfe reagierendes Umzugsmanagement, luden Vertreter der Stadtteilgruppe zur Teilnahme an den Arbeitsgruppen zur Sanierung ein und führten Workshops und Werkstattverfahren durch. Insgesamt ist die Konzipierung und Durchführung des Teneveraner Umbauprojekts durch ein weit reichendes Niveau von Beteiligung charakterisiert: Dies betrifft sowohl das Interesse und Engagement der Bewohner als auch die Beteiligungsangebote der Verwaltung. Nimmt man das Modell der Beteiligungspyramide als Referenz, kann auf Seiten der Bewohner Beteiligung auf den ersten drei Stufen attestiert werden (Beobachtung und Begleitung, Mitwirkung sowie Mitbestimmung); verwaltungsseitig strebten die entsprechenden Akteure eine partnerschaftliche Kooperation mit den Bewohnern an. Anders verhielt es sich in Marzahn-Nord: Hier war die Quartiersbewohnerschaft nicht an der Konzepterstellung beteiligt. Aus Bewohnersicht fanden die Weichenstellungen für die Umsetzung des Stadtumbauprogramms im Bereich der Non Decisions statt: Die grundsätzlichen Entscheidungen – einerseits Stadtumbaugelder zur Bereinigung des Wohnungsbestands im Quartier zu nutzen, andererseits die abzureißenden Gebäude objektgenau festzulegen – wurden unter 289
Ausschluss der Quartiersöffentlichkeit getroffen. Eine Runde aus Vertretern des Wohnungsunternehmens und der involvierten Verwaltungsstellen sowie verschiedenen, mit der Konzepterstellung und der Prozessbegleitung beauftragten Planern entschied exklusiv darüber, welche Themen nicht zur öffentlichen Diskussion gestellt werden sollten. Für Bewohnergruppen oder Mietervereinigungen hatten sie in der Phase der Konzepterstellung keine Funktion vorgesehen. Erst nachdem Gerüchte und Vermutungen über etwaige Abrisse überhand nahmen und betroffene Mieter Aufklärung forderten, wurden das Wohnungsunternehmen und die Stadtentwicklungsverwaltung aktiv. Mittels einer One-way-Informationsstrategie machten sie im Rahmen von Versammlungen die bereits getroffenen Entscheidungen im Quartier bekannt. Allerdings informierten sie nicht klar und umfassend über die Planungen, vielmehr war die offizielle Informationspolitik geprägt durch ein selektives Herausreichen von Wissen. Die Nichteinbeziehung in die Konzepterstellung und die anschließende dosierte Herausgabe von Informationen ließen bei den Betroffenen den Eindruck entstehen, den Plänen zu Abriss und Umbau im Quartier ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Als Folge dominierte innerhalb der Bewohnerschaft eine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber den als massive Bedrohung ihres Alltags empfundenen Umbauplänen. Dass es den Stadtumbauverantwortlichen angesichts dieser Ausgangslage nicht gelang, den Quartiersbewohnern die ungesicherte Finanzierung des Umbauprojekts und die Verzögerungen der Entscheidungsprozesse als Grund für die Zurückhaltung von Informationen verständlich zu machen, überrascht kaum. Insofern fand in der Konzeptions- und Vorbereitungsphase des Stadtumbaus in Marzahn-Nord Bewohnerbeteiligung lediglich auf den untersten Stufen der Beteiligungspyramide statt: „Beobachtung und Begleitung“ bzw. „Zuhören“ auf der Seite der Bewohner, „Information“ auf Seiten der zuständigen Verwaltungsstellen und der Vertreter des Wohnungsunternehmens. Beteiligung wurde von ihnen als Schadensbegrenzung und Versuch einer nachträglichen Legitimationsbeschaffung für die Umbaupläne in Form von punktuellen Informationsveranstaltungen und erklärenden Anschreiben an betroffene Mieter betrieben. Dieser Strategie lag die Figur des unmündigen Bürgers zugrunde, der nicht durch zu viele Informationen überfordert und verschreckt werden darf. In Anlehnung an Arnsteins Ordnungsschema der Beteiligungsleiter lässt sich dies als nachträglich inszenierte „Alibi-Partizipation“ interpretieren: Alle grundsätzlichen Fragen waren bereits im Vorfeld, bevor die Quartiersbewohner in Kenntnis gesetzt wurden, entschieden worden. Im Rahmen spezifischer Aufwertungsprojekte jedoch wurde in MarzahnNord Beteiligung durchaus systematisch und gezielt angeboten. Innerhalb der Entscheidungsstrukturen des Stadtumbaus hatten diese Partizipationsangebote jedoch einen nachrangigen Stellenwert: Sie fanden statt, nachdem strittige Fra290
gen bereits geklärt waren und zeichneten sich durch eine inhaltliche Begrenzung auf Aspekte der Nachnutzung von Freiflächen aus. Im Hinblick auf das Beteiligungsniveau bewegten sich diese Verfahren zwar in den Bereichen von „Mitwirken“ und „Mitentscheiden“, indem aber Inhalte und Geltungsbereiche der Angebote verwaltungsseitig vorab festgelegt (und insofern eingeräumt) worden waren, handelte es sich bei ihnen eher um eine Beteiligung ohne Risiken und Nebenwirkungen: Die zur Disposition gestellten Themen waren so beschaffen, dass keiner der am Entscheidungsprozess Beteiligten etwas zu verlieren gehabt hätte. Insgesamt bestätigt die Rekonstruktion des Stadtumbauverlaufs in MarzahnNord damit zentrale Befunde der sozialwissenschaftlichen Begleitforschung zu „Stadtumbau Ost“: In der Konzeptionsphase dominierten die untersten Beteiligungsstufen, anfangs in Form eines kompletten Ausschlusses von relevanten Entscheidungen, später in Form eines punktuellen Herausreichens von Informationen. Tatsächliche Beteiligungsangebote wurden erst bei der Umsetzung konfliktarmer Aufwertungsprojekte eingeräumt. Die im Stadtumbau in MarzahnNord zu beobachtenden Partizipationsformen lassen sich als wenig koordiniertes, inkrementalistisches Abarbeiten der sich jeweils aktuell stellenden Aufgaben charakterisieren. Die Umbauverantwortlichen maßen Beteiligung nur einen nachgeordneten Stellenwert bei, was auf ein instrumentelles Partizipationsverständnis bei den relevanten Akteuren hindeutet. Demgegenüber ist für Tenever im Hinblick auf Formen und Stellenwert von Partizipation im Stadtumbau ein abweichendes Bild zu zeichnen: Da sich maßgebliche Akteure in der Entwicklung der Großsiedlung von einem deliberativemanzipatorischen Partizipationsverständnis leiten ließen, kam es hier zu einer koordinierten „partizipativen Flankierung“ des Stadtumbauprozesses. Insofern kann der Umbau der Bremer Großsiedlung im Hinblick auf die dort angewandten Partizipationsformen als atypischer Fall in der Stadtumbaulandschaft gelten. Partizipation im Stadtumbau und vorhandene Beteiligungsstrukturen (Leitfrage II) Die Suche nach Gründen für diese Unterschiede zwischen den Untersuchungsquartieren führte in der Analyse zu den schon vor dem Beginn des Stadtumbaus vorhandenen lokalen Beteiligungsstrukturen – und somit zu Leitfrage II (In welcher Beziehung stehen Partizipationsansätze im Stadtumbau zu lokal schon vorhandenen Beteiligungsstrukturen?) Berücksichtig man die vorhandenen Beteiligungsstrukturen, lässt sich klären, warum in Tenever der Stadtumbau koordiniert verlief und für eine Bestätigung des vorhandenen Partizipationsarrangements – insbesondere der Stadtteilgruppe – sorgte. Ebenso kann man auf diese Weise 291
zeigen, warum in Marzahn-Nord die Beteiligung im Stadtumbau eine nachrangige Bedeutung hatte, arbiträre Züge annahm und die Bewohner dem Projekt kritisch gegenüber standen. In Tenever war mit der Stadtteilgruppe ein funktionierendes Arrangement etabliert, das sich in der partizipativen Begleitung verschiedener Förderprogramme – vom Nachbesserungsprogramm zu „Wohnen in Nachbarschaften“ bis hin zu „Soziale Stadt“ – bereits erfolgreich bewährt hatte. Dieses Gremium war in den Achtzigerjahren als Reaktion auf die anhaltenden Forderungen der Teneveraner nach mehr Mitsprache in der baulichen Nachbesserung der Großsiedlung von Verwaltungsstellen ins Leben gerufen worden. Seitdem trafen sich Bewohner, Vertreter involvierter Behörden und Verwaltungen, Mitarbeiter von verschiedenen sozialen und schulischen Einrichtungen sowie des Wohnungsunternehmens GEWOBA, um über Fragen der Quartiersentwicklung nicht nur zu diskutieren, sondern auch zu entscheiden. Mit dem in der Stadtteilgruppe praktizierten partizipativen Vergabeverfahren – bestehend aus Stimm- und Vetorecht für alle Beteiligten, Konsensprinzip sowie Selbstverpflichtung der Verwaltung, die Empfehlungen des Gremiums als bindend anzuerkennen – und der Einrichtung der für die Verfahrenskoordination verantwortlichen Projektgruppe Tenever entstanden in dem Hochhausviertel bereits Ende der Achtzigerjahre qualitativ weit reichende Beteiligungsstandards, die auch in den nachfolgenden Förderprogrammen genutzt wurden. Auch wenn in Tenever weder die Grundsatzentscheidung über die Notwendigkeit von Abrissen noch die objektkonkreten Festlegungen der betroffenen Stadtumbaustandorte Gegenstand einer Entscheidungsfindung in der Stadtteilgruppe waren, so mussten die relevanten Stadtumbauakteure die Stadtteilgruppe und ihre Prinzipien von Argumentieren und Verhandeln sowie der Wertschätzung einer diskursiven Übereinkunft aller Beteiligten in ihre Überlegungen einbeziehen. Als Resultat wurde das Gremium immer zeitnah und umfassend über die relevanten Umbaupläne informiert und zudem nahmen seine Vertreter an allen wichtigen Sitzungen zur Koordinierung des Stadtumbaus teil. Komplizierter war der Fall in Marzahn-Nord: Das Gebiet war seit dem Mauerfall zwar Kulisse für verschiedene Förderprogramme, in denen durchweg die Notwendigkeit eines Einbezugs von Quartiersbewohnern betont worden war. Allerdings konnte eine Verstetigung der eingeräumten Beteiligungsangebote nicht erreicht werden. Vielmehr wurden die Verfahren in mehrfacher Hinsicht erschwert: Einerseits durch die Prinzipien und auch Akteure einer aus Sicht der Großsiedlungsbewohner unbekannten, „von drüben“ implantierten Quartiersentwicklungspolitik und andererseits durch die spezifischen Erfahrungen, die die Bewohner in der DDR mit eingeräumter und staatlicherseits „verordneter“ Beteiligung gemacht hatten. Vor diesem Hintergrund erschien ihnen allein die Vorstellung, mehr Mitbestimmung in lokalen Planungsentscheidungen zu fordern, 292
als unrealistisch und abwegig. Folgerichtig war der Bewohnerbeirat, auf den die Stadtumbauumsetzung im Quartier traf, auch nicht aufgrund von Forderungen aus der Quartiersbewohnerschaft nach mehr Mitsprache entstanden, sondern ging zurück auf eine Initiative der lokalen Quartiersmanager. Im Zuge der Umsetzung des Programms „Soziale Stadt“ hatten sie den Beirat als begleitenden und beratenden Diskussionszusammenhang für relevante Fragen der Quartiersentwicklung eingerichtet. Im Unterschied zur Stadtteilgruppe in Tenever war der Bewohnerbeirat somit nicht passgenaues Resultat einer quartiersspezifischen Entwicklung, sondern Ausdruck eines von außen zur Organisation von Bewohnerbeteiligung über das Quartier gelegten Schemas, was den Gegebenheiten vor Ort nur eingeschränkt entsprach. Insofern wies der Bewohnerbeirat bereits vor dem Stadtumbau strukturelle Konstruktionsfehler auf, die das Gremium empfänglich für Störungen machten. Eine frühzeitige oder gar kritische Begleitung der Stadtumbauplanungen war in dem durch die Quartiersmanager definierten Zuständigkeitsbereich des Bewohnerbeirats – Bereitstellung lokalen Know-hows für die Quartiersmanager, Ideenentwicklung für bzw. die Anbahnung von „Soziale Stadt“-Projekten – auch nicht vorgesehen, so dass das Gremium in der Anfangsphase des Stadtumbaus keine Rolle spielte. Hinzu kam der offensichtliche Widerwille der Stadtumbauakteure in Politik und Verwaltung, einen offenen Dialog mit den betroffenen Bewohnern zu führen. Angesichts der unübersichtlichen Gemengelage des Stadtumbaus – divergierende Interessen, unsichere Finanzierung, unkoordinierte Strategie, selektive Herausgabe von Informationen – waren die ursprünglich vorhandenen Beteiligungskonzepte in den Hintergrund getreten. Dadurch wurde der gesamte Stadtumbauprozess zusätzlich belastet: Innerhalb der Bewohnerschaft wuchsen Enttäuschung, Frustration und Misstrauen ob der Abrisspläne und der Informationspolitik der verantwortlichen Akteure. Sie gaben den Anlass zur Mobilisierung von Protest. Basis der Aktivitäten war der Bewohnerbeirat, der sich in dieser Phase vom bisherigen Mittelpunkt seines Koordinatensystems, dem Quartiersmanagement, entfernte. Insofern vergaben die professionellen Stadtumbauakteure zu diesem Zeitpunkt die Chance, die vorhandene Beteiligungsstruktur des Bewohnerbeirats für eine kontinuierliche Begleitung der Stadtumbaumaßnahmen zu nutzen. Darüber hinaus geriet die ehedem konstruktiv-kooperative Zusammenarbeit zwischen Bewohnerbeirat und Quartiersmanagern im Zuge des Stadtumbaus erheblich unter Druck. Auf der anderen Seite aber stellte die vorhandene Beteiligungsstruktur in Marzahn-Nord den Ausgangspunkt der Mobilisierung von Bewohnerprotest dar. Die Reaktionen der Stadtumbauakteure und auch der Quartiersmanager auf diese Forderungen nach mehr Mitsprache waren zwiespältig: Generell begrüßten sie Artikulationen dieser Art als Resultat einer erfolgreichen Aktivierung der Bewohner und als ersten Schritt in Richtung 293
ihrer selbstorganisierten Eigenständigkeit, doch wollten sie die ohnehin fragilen Stadtumbauverhandlungen durch eine Anhörung von Betroffenen nicht noch weiter gefährden. Aus ihrer Sicht hatten sich die Bewohner für ein äußerst problematisches Feld aktivieren lassen. Insgesamt konnten für beide Stadtumbauquartiere vorhandene Beteiligungsstrukturen nachgewiesen werden, die bereits Jahre (bzw. im Teneveraner Beispiel sogar Jahrzehnte) vor dem Stadtumbau entstanden waren. Die konstatierten qualitativen Unterschiede zwischen der Stadtteilgruppe in Tenever und dem Bewohnerbeirat in Marzahn-Nord sind begründet in ihren jeweiligen spezifischen Entstehungskontexten. Insbesondere die Unterschiede im Hinblick auf die Passgenauigkeit der vorhandenen Strukturen verlängerten sich bis in die lokalen Stadtumbauprozesse hinein und sorgten dafür, dass die partizipative Begleitung der Umbaumaßnahmen in den Quartieren unterschiedlich hoch angesiedelt wurde: In Tenever als unabdingbare Voraussetzung, in Marzahn-Nord als verzichtbares Beiwerk. Insofern bestätigen die Befunde der Untersuchung die eingangs erwähnte Annahme, dass lokale Spezifika Einfluss hatten auf die Organisation des bei der Umsetzung der Stadtumbauförderung lokal dominierenden Politikstils und damit auch auf die lokalen Beteiligungsformen und -prozesse sowie ihre jeweiligen Ergebnisse. Vor dem Hintergrund der Befunde ist indes auch darauf hinzuweisen, dass in Gebieten, in denen sich die Umsetzung von verschiedenen Förderprogrammen, wie etwa „Soziale Stadt“ und „Stadtumbau“, überschneiden, im Hinblick auf die Organisation von Beteiligung und die Nutzung vorhandener partizipativer Strukturen nicht grundsätzlich von positiven Synergieeffekten ausgegangen werden kann. Vielmehr ist für diesbezüglich von der StadtumbauBegleitforschung vorschnell vorgetragene Vermutungen dringend eine Rückkoppelung an konkrete Partizipationsprozesse in den Stadtumbauquartieren bzw. deren differenziertere Analyse anzumahnen. Partizipation ermöglichende und beschränkende Faktoren (Leitfrage III) Wenn die lokalen Partizipationstraditionen eine zentrale Bedeutung für die jeweilige Gestaltung der Beteiligung im Stadtumbau haben, stellt sich die Frage, ob sich innerhalb dieser Arrangements konkrete Faktoren benennen lassen, die ermöglichend oder beschränkend auf Beteiligung wirken (Leitfrage III). Auf Grundlage der Fallstudien lassen sich hier insbesondere drei Aspekte nennen: Der vorab festgelegte Möglichkeitsraum für partizipative Entscheidungen bzw. die als Non Decisions aus diesem Raum ausgeklammerten Entscheidungen, die
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Rolle der Quartiersmanager und schließlich die Mikropolitik der Beteiligungsgremien. Einen grundsätzlich limitierenden oder ermöglichenden Faktor stellt der Umfang des Bereichs der Non Decisions dar: Je umfassender und detaillierter die im Vorfeld des Stadtumbaus von einer exklusiven Runde getroffenen Festlegungen waren, desto stärker stellte sich aus Sicht der Bewohner der Stadtumbau als unausweichliches Schicksal und daher als nicht geeignet für Beteiligungsansprüche dar. Deutlich wurde der Zusammenhang zwischen der Reichweite, der Transparenz und der Exklusivität der relevanten Stadtumbauentscheidungen auf der einen Seite und den Rahmensetzungen für Beteiligung auf der anderen Seite. Allerdings ist zu betonen, dass Nicht-Entscheidungen im Stadtumbau keinen starr fixierten Bereich darstellen, sondern vielmehr sind sie auf konkrete Akteure zurückzuführen. Diese Akteure tragen mit ihren jeweiligen partizipativen Erfahrungen und Erwartungen ebenfalls entscheidend zur Rahmensetzung für Beteiligung bei. Besonders hervorzuheben ist dabei die Bedeutung der Quartiersmanager und des ihrer Arbeit zugrunde liegenden Partizipationsverständnisses. Ihnen fällt in der Umsetzung der Förderprogramme zur integrierten Quartiersentwicklung eine zentrale Rolle zu: Sie erfüllen Informations- und Mittlerfunktionen zwischen verschiedenen Akteuren und Akteursebenen und sind beauftragt mit der Organisation und Moderation von Prozessen der Bewohnerbeteiligung. In beiden Gebieten waren die Quartiersmanager an der Festlegung des Bereichs der Non Decisions beteiligt und hatten grundsätzlich die Möglichkeit, kraft ihrer Position auf die Konzipierung der Gegenstandsbereiche von Beteiligung einzuwirken. In Tenever nutzten die Quartiersmanager diese Gestaltungsoption und pochten auf das Einhalten der eingeübten partizipativen Standards, in Marzahn-Nord ordneten sich die Quartiersmanager der Maxime unter, das Stadtumbauprojekt nicht durch eine zu frühe oder zu umfassende Einbeziehung von Bewohnern gefährden zu wollen. Diese Weichenstellungen wirkten sich nicht nur – positiv wie negativ – auf das Verhältnis zwischen Quartiersmanagern und Bewohnern aus, sondern beeinflussten grundsätzlich auch die weitere Partizipation im Stadtumbauverlauf. Des weiteren konnte herausgearbeitet werden, dass die Quartiersmanager in Tenever und Marzahn-Nord sich mit jeweils spezifischen Auffassungen und Erfahrungen ihren Aufgaben nähern: Der Teneveraner Quartiersmanager, der bereits Mitte der Achtzigerjahre als Sprecher der organisierten Quartiersbewohnerschaft aktiv war, orientiert sich in seiner Arbeit an den Prinzipien einer parteinehmenden Sozial- und Gemeinwesenarbeit und verfolgt ein deliberativemanzipatorisches Verständnis von Beteiligung. Das für Marzahn-Nord mit der Umsetzung des Quartiersmanagements beauftragte Planungsbüro, das seit Anfang der Neunzigerjahre für die Koordination und Moderation der „Plattform 295
Marzahn“ zuständig ist, verfolgt als „Gesellschaft für Projektsteuerung, Architektur, Städtebau, Strukturplanung und Forschung“ zwar ebenfalls einen diskursiven Planungsansatz, in dem allerdings die Bewohner lediglich ein Akteur unter vielen anderen bleiben. Nicht die Parteinnahme für Bewohner ist ihr Antrieb, sondern sie streben mit ihrer Arbeit die Sicherstellung der Rahmenbedingungen für eine Ergebnisse zeitigende strategische Entwicklungsplanung an. Bewohnerbeteiligung ist dabei einer von mehreren Bausteinen bzw. Mittel zum Zweck. Insofern zeichnet sich ihre Arbeit tendenziell eher durch ein instrumentelles Partizipationsverständnis aus. Deutlich wurde, dass die Annahmen der Quartiersmanager, wie Beteiligung zu organisieren ist, welche Formen, Inhalte und Reichweite sie haben soll, sowohl in Tenever als auch in Marzahn-Nord die spezifischen Beteiligungsrealitäten der Stadtumbaubegleitung beeinflussten. Einen wesentlichen Schauplatz der Ausdeutung von Beteiligung stellten die lokalen Bewohner- bzw. die Quartiersgremien dar – in Tenever die Stadtteilgruppe, in Marzahn-Nord anfangs der Bewohnerbeirat und später auch der Quartiersrat. In allen drei Beispielen wirkte sich die jeweilige Funktion des Gremiums – partizipatives Forum, beratender Beirat und exklusive Jury – auf seine mikropolitische Binnenstruktur, die Zusammensetzung der Teilnehmer, die Themensetzung, die Entscheidungsregeln und auch die Sitzungskultur aus. In den Gremien wurde – mal mehr, mal weniger offensichtlich – über Inhalte, Zeitpunkte und Formen von Beteiligung bestimmt. Kraft ihrer Leitungsfunktionen kam den Quartiersmanagern auch hier wieder eine herausragende Bedeutung zu. Die in den Gremien dominierende Mikropolitik wiederum wirkte als fördernder oder hemmender Faktor auf die konkreten Beteiligungsprozesse ein. Die Ausdeutungen von Beteiligung, die einerseits die Quartiersmanager vornehmen, die auf der anderen Seite in den lokalen Gremien aber auch im Zusammenspiel verschiedener Akteure erfolgen, sind eingebettet in lokale Traditionen der Implementation von Förderprogrammen. Sie beeinflussen das jeweils dominierende Organisationsmodell von Quartiersmanagement sowie die Beauftragung und den Status der jeweiligen Quartiersmanager: In Tenever liegt eine institutionelle und personelle Kontinuität vor, die zudem eingebettet ist in eine verbindliche Kooperation zwischen den Ressorts für Bau und Soziales. Die Mitarbeiter der dortigen Sozialadministration sind mit den gemeinwesenarbeiterischen Verfahrensprinzipien vertraut. Darüber hinaus sind zwei der Quartiersmanager für Tenever unbefristet angestellte Mitarbeiter der Verwaltung. In Marzahn-Nord wird – wie in allen Berliner Quartiersmanagementgebieten – das Verfahren ausschließlich vom Ressort für Stadtentwicklung und den dortigen Vertretern von Planungs- und Ingenieursberufen gesteuert. In dem Großsiedlungsquartier musste das Quartiersmanagement erst aufgebaut werden. Die Mit296
arbeiter kamen als Externe, ausgestattet lediglich mit Einjahresverträgen, neu in das Gebiet. Zudem wechselte das Personal in der Folge häufig, so dass eine personelle Kontinuität vor Ort nur schwer entstehen konnte. Diese unterschiedlichen Implementationskulturen stellen einen weiteren, auf lokale Beteiligungsprozesse einwirkenden Faktor dar. Deutlich wurde auch, dass die innere Verfasstheit dieser Implementationskulturen ein wesentlicher Aspekt bei den Möglichkeiten und Grenzen der Ausgestaltung von Beteiligung ist: Zu fragen ist, ob sie insgesamt eine Kontinuität der Beteiligungsstrukturen begründen oder eher auf fragmentierte Strukturen und somit Diskontinuität hinweisen. So verdeutlicht dass Teneveraner Beispiel, dass die langjährig aktive Stadtteilgruppe mit ihren in lokalen Bewohnerprotesten liegenden Ursprüngen, ihren qualitativ weit reichenden partizipativen Prinzipien und ihrer erfolgreichen Mitwirkung bei der Umsetzung verschiedener Städtebauförderprogramme, die passgenaue Organisation des Quartiersmanagements und seine Einbettung in Ansätze des Bau- und auch des Sozialressorts sowie die Vorgeschichte und das Partizipationsverständnis des lokalen Quartiersmanagers Voraussetzungen zur Entstehung einer umfassenden Kontinuität der Beteiligungsstruktur in personeller, organisatorischer und administrativ-institutionell Hinsicht darstellen. Dem gegenüber veranschaulicht das Beispiel Marzahn-Nord, dass eine sprunghafte, sporadische und arbiträre Gestaltung von Beteiligung die Herausbildung eines belastbaren partizipativen Arrangements, das breite Mitwirkungsmöglichkeiten bereithält, erschwert. In Marzahn-Nord kreuzten sich unterschiedliche Hemmnisse für Beteiligung und verstärkten sich gegenseitig. Hervorzuheben sind insbesondere das wechselnde, mit der Organisation von Bewohnerbeteiligung beauftragte Personal sowie die verschiedenen, nicht miteinander verbundenen Beteiligungsformen und -gremien, beispielsweise der Bewohnerbeirat, dessen Funktion sich zudem im Lauf seiner Existenz von der Beratung der Quartiersmanager über die Organisation von Protest hin bis zur unfreiwilligen Entlassung in die Autonomie durch die Quartiersmanager wandelte, der später von den Quartiersmanagern installierte, für die Entscheidung über die Verwendung des Quartiersbudgets zuständige Quartiersrat oder auch die selektiv auf Aufwertung bezogenen Verfahren im Stadtumbau. Dieses unübersichtliche, kaum koordinierte Patchwork aus Beteiligungsformen, -gremien und angeboten konnte weder in personeller noch in organisatorischer Hinsicht Kontinuitäten schaffen. Vor dem Hintergrund dieser Befunde gewinnen auch Faktoren wie Verlässlichkeit und Vertrauen an Erklärungskraft. In Tenever vertrauten die Teilnehmer der Stadtteilgruppe dem Quartiersmanager als Vertreter ihrer Interessen und Wahrer von Transparenz im Stadtumbauprozess. Die Verankerung der Quartiersmanager im Quartier kann als eine Schlüsselressource für die erfolgreiche 297
Organisation von Beteiligung angesehen werden. In Marzahn-Nord wurde das Verhältnis zwischen den Mitgliedern des Bewohnerbeirats und den Quartiersmanagern einerseits von unterschiedlichen, entweder ost- oder westdeutsch sozialisierten Mentalitäten, Partizipationsverständnissen und Erwartungen an Beteiligung grundsätzlich beeinträchtigt, andererseits erschwerten die häufigen Personalwechsel die Entstehung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit noch zusätzlich. Dies verweist auf den Eigensinn der vorgefundenen, „zu beteiligenden“ Quartiersbevölkerung bzw. ihres sich engagierenden Teils: Während in Tenever, gemäß den Prinzipien der Betroffenenbeteiligung in der westdeutschen Quartiersentwicklung, Forderungen nach mehr Mitsprache aus der Quartiersbewohnerschaft „von unten“ an die Vertreter des politisch-administrativen Systems „da oben“ vorgetragen wurden und der Protest schließlich nicht mehr ignoriert werden konnte – was sich auch heute noch in der deutlichen Bewohnerorientierung der Stadtteilgruppe niederschlägt –, wurde in Marzahn-Nordwest zu keiner Phase des im Jahr 1999 einsetzenden Quartiersmanagementprozesses Mitbestimmung explizit aus dem Quartier eingefordert. Im Gebiet herrscht vielmehr noch viele Jahre nach dem Mauerfall eine wende-induzierte Verunsicherung, die auch die von westdeutschen Stadt- und Sozialplanern vorgetragenen Angebote einer Beteiligung der Quartiersentwicklung betraf. In Ermangelung eines von den Bewohnern anerkannten Vermittlers aus ihren eigenen Reihen, der nicht nur mit den West-Strukturen vertraut war, sondern sie auch in die Sprache der Quartiersbevölkerung hätte übersetzen können, mussten sich die aktiven Bewohner das neue Partizipationsfeld mühsam und Schritt für Schritt selbst erschließen. Angenommen wurde das Angebot in erster Linie von Vertretern der Erstbeziehergeneration. Manche von ihnen versprachen sich von ihrem Engagement eine Wiederbelebung der aus DDR-Zeiten vertrauten „Mach mit!“-Aktivitäten bei der Gestaltung ihres Wohngebiets, andere wollten ihrer Stimme zumindest im Quartier Gehör verschaffen. Ihnen saßen in Westdeutschland bzw. West-Berlin sozialisierte Quartiersmanager gegenüber, die mit spezifischen Erwartungen und auch Berührungsängsten ihre Arbeit im Quartier aufgenommen hatten. Dass dabei Irritationen, Missverständnisse und auch Konflikte entstanden und angesichts dieser Reibungsverluste verschiedene engagierte Bewohner ihre Mitwirkung in den lokalen Beteiligungsstrukturen einstellten, überrascht kaum. Ebenso erscheint es folgerichtig, dass der Bewohnerbeirat als von den Quartiersmanagern angestoßenes Gremium zusammen brach, nachdem sich die Initiatoren zurückgezogen hatten. Im Umkehrschluss kann daraus abgleitet werden, dass das Vorhandensein administrativer Ansprechpartner und Anlaufstellen sowie sozialer Netzwerke als Partizipation fördernd angesehen werden kann.
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Partizipationspolitik – ein unterschätzter, aber bedeutender Faktor in der Programmgestaltung Die Befunde aus der Betrachtung der Partizipationsrealität in Tenever und Marzahn-Nord belegen, dass die Umsetzung der Stadtumbauprogramme nicht als bloße Abwicklung vorab festgelegter Programme und Verfahren verstanden werden darf, sondern als eine Kombination aus mehr oder weniger ergebnisoffener Rahmensetzung und Verfahrenssteuerung. Somit ist die Phase der Umsetzung selbst grundsätzlich politisch, was insbesondere für die Ausgestaltung des Möglichkeitsraums für Bewohnerbeteiligung gilt. Dies ist mit dem Begriff der Partizipationspolitik gemeint, der in dieser Arbeit eingeführt wurde. Partizipationspolitik ist die absichtsvolle Ausgestaltung eines partizipativen Arrangements, einschließlich der Wahl von Verfahren und Instrumenten, mit denen verantwortliche Akteure und vertraglich eingebundene Verfahrensträger in der Regelungsund Umsetzungsstruktur des Stadtumbaus die Beteiligung an der Programmumsetzung organisieren. Diese Ausgestaltung kann, wie die beiden kontrastierenden Fallstudien zeigen, zu unterschiedlichen Ergebnissen führen – zwischen Ausgrenzung, paternalistischer Bevormundung, Parteinahme oder Verantwortungsabgabe sind viele Spielarten denkbar. Nicht-intendierte und paradoxe Effekte sind vor allem dann erwartbar, wenn auf intransparente Weise zentrale Entscheidungen von einer Beteiligung ausgenommen werden oder wenn ihre befristeten Vertragsverhältnisse es den Quartiersmanagern nicht ermöglichen, ein dauerhaftes Vertrauensverhältnis zur Bewohnerschaft herzustellen und stattdessen Hektik, Angespanntheit und Druck die Beteiligungsformen dominieren. Schließlich wirken sich Aspekte wie das Festlegen von Teilnehmerkreisen und Tagesordnungen für relevante Veranstaltungen auf das Verhältnis zwischen Bewohnern und Verfahrensträgern aus und können den Ausgang von Entscheidungen maßgeblich beeinflussen. Beteiligung kann von den Bewohnern als Zumutung empfunden werden, wenn sie etwa das Gefühl bekommen, in der Entscheidung von Mittelkürzungen instrumentalisiert zu werden, oder wenn sie stundenlanges Diskutieren über Detailfragen über sich ergehen lassen müssen. Sie können auf der anderen Seite zu ernsthaften Partnern in der Quartiersentwicklung werden, wenn sich ihre Stimme in den Entscheidungen niederschlägt und die Ergebnisse sichtbar werden. Die Gestaltung solcher qualitativ weit reichender Beteiligungsprozesse ist voraussetzungsvoll und anspruchsvoll, was in der weiteren Entwicklung von Stadterneuerungsprogrammen auf Bundes- und Landesebene ebenso berücksichtigt werden sollte wie in Verfahren zur Auswahl von Quartiersmanagern und in der Gestaltung ihrer Verträge. Hier sind auch die Transferstellen und die Begleitforschung zu den Programmen aufgefordert, Handreichungen zu bieten und einen Raum zur Reflexion 299
über Wirkungen und Nebenwirkungen von lokaler Partizipationspolitik zu schaffen. Ebenso sollte Fragen der lokalen Demokratie und Entscheidungsfindung in der Ausbildung von Stadtplanern und Gemeinwesenarbeitern ein zentraler Stellenwert eingeräumt werden, so dass die zukünftigen Praktiker ihre Aufgaben mit einem professionellen Selbstverständnis interpretieren und gestalten, welches deren politisches Mandat ausreichend würdigt. Und schließlich ist vor Ort eine transparente und enge Kopplung der Verfahren und Entscheidungen an die Gremien der Lokalpolitik unabdingbar, um allen an deliberativen Verfahren Beteiligten zu vermitteln, dass ihr Engagement, ihre Bereitschaft, sich auf oftmals mühevolle und langwierige öffentliche Diskussionsprozesse einzulassen, und somit ihr „Voicing“ nicht vergeblich waren, sondern ihre Empfehlungen anerkannt und in weitere Entscheidungsprozesse integriert werden.
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Quellenverzeichnis
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Protokolle Tenever Stadtteilgruppe Protokoll der 1. Sitzung der Stadtteilgruppe am 20.4.1989. Protokoll der 3. Sitzung der Stadtteilgruppe am 3.7.1989. Protokoll der 22. Sitzung der Stadtteilgruppe am 5.6.1991. Protokoll der 44. Sitzung der Stadtteilgruppe am 21.6.1995. Protokoll der 49. Sitzung der Stadtteilgruppe am 26.6.1996. Protokoll der 60. Sitzung der Stadtteilgruppe am 25.3.1998. Protokoll der 65. Sitzung der Stadtteilgruppe am 9.9.1998. Protokoll der 66. Sitzung der Stadtteilgruppe am 14.10.1998. Protokoll der 75. Sitzung der Stadtteilgruppe am 26.1.2000. Protokoll der 76. Sitzung der Stadtteilgruppe am 22.3.2000. Protokoll der 78. Sitzung der Stadtteilgruppe am 14.6.2000. Protokoll der 80. Sitzung der Stadtteilgruppe am 30.8.2000. Protokoll der 94. Sitzung der Stadtteilgruppe am 17.4.2002. Protokoll der 95. Sitzung der Stadtteilgruppe am 22.5.2002. Protokoll der 96. Sitzung der Stadtteilgruppe am 19.6.2002. Protokoll der 97. Sitzung der Stadtteilgruppe am 14.8.2002. Protokoll der 101. Sitzung der Stadtteilgruppe am19.2.2003. Protokoll der 102. Sitzung der Stadtteilgruppe am 2.4.2003. Protokoll der 104. Sitzung der Stadtteilgruppe am 2.7.2003. Protokoll der 110. Sitzung der Stadtteilgruppe am 28.4.2004. Protokoll der 112. Sitzung der Stadtteilgruppe am 9.6.2004. Protokoll der 119. Sitzung der Stadtteilgruppe am 19.1.2005. Protokoll der 121. Sitzung der Stadtteilgruppe am 16.3.2005 Protokoll der 122. Sitzung der Stadtteilgruppe am 16.4.2005. Protokoll der 124. Sitzung der Stadtteilgruppe am 29.6.2005 Protokoll der 125. Sitzung der Stadtteilgruppe am 31.8.2005. Protokoll der 126. Sitzung der Stadtteilgruppe am 12.10.2005. Protokoll der 128. Sitzung der Stadtteilgruppe am 18.1.2006. Protokoll der 133. Sitzung der Stadtteilgruppe am 12.6.2006 Protokoll der 138. Sitzung der Stadtteilgruppe am 31.1.2007. Protokoll der 139. Sitzung der Stadtteilgruppe am 21.3.2007. Protokoll der 141. Sitzung der Stadtteilgruppe am 27.6.2007.
Expertengruppe zur Begleitung der Entwicklung eines Umbaukonzepts Protokoll über das Projektgruppen- und Planergespräch am 26.4.2000. Protokoll über das Projektgruppen- und Planergespräch am 23.5.2000.
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Marzahn-Nord Bewohnerbeirat Protokoll der Sitzung des Bewohnerbeirats am 21.6.2000. Protokoll der Sitzung des Bewohnerbeirats am 29.8.2000. Protokoll der Sitzung des Bewohnerbeirats am 30.4.2002. Protokoll der Sitzung des Bewohnerbeirats am 25.6.2002. Protokoll der Sitzung des Bewohnerbeirats am 27.8.2002. Protokoll der Sitzung des Bewohnerbeirats am 24.9.2002. Protokoll der Sitzung des Bewohnerbeirats am 24.6.2003. Protokoll der Sitzung des Bewohnerbeirats am 31.1.2006.
Projektgruppe Vertiefungsbereich Marzahn-Nord zur Begleitung der Entwicklung eines Umbaukonzepts Protokoll des Treffens der Projektgruppe Vertiefungsbereich Marzahn-Nord am 19.3.2002. Protokoll des Treffens der Projektgruppe Vertiefungsbereich Marzahn-Nord am 30.4.2002. Protokoll des Treffens der Projektgruppe Vertiefungsbereich Marzahn-Nord am 2.7.2002.
320
Anhang
Stadtumbauchronologie Tenever 1990-1995
1996
März
Juni Aug.
1998
1999
2000
Febr. März
Die Stadtteilgruppe thematisiert mehrfach den Modernisierungsstau in einem Großteil der Wohnungen des Quartiers. Das Gremium war 1989 im Zuge des Förderprogramms zur Nachbesserung von Großsiedlungen entstanden und begleitete seitdem die Quartiersentwicklung. Insolvenz des Großeigentümers Krause; als Zwangsverwalter der betroffenen 1.416 Wohnungen wird das landeseigene Wohnungsunternehmen GEWOBA eingesetzt, das einen eigenen Bestand von 847 Wohnungen im Quartier aufweist. Die Stadtteilgruppe organisiert Versammlungen der betroffenen Mieter und skandalisiert den schlechten Zustand der Wohnungen. In der Stadtteilgruppe tauchen erstmals Forderungen nach einem Sanierungskonzept für Tenever auf. Die geplante Zwangsversteigerung eines Teils der „Krause-Wohnungen“ scheitert, Quartiersbewohner nutzen den Gerichtstermin, um ihre Forderungen nach einem Sanierungsprogramm vorzutragen. Beginn des Bremer Landesprogramms „Wohnen in Nachbarschaften“ zur Förderung einer integrierten Quartiersentwicklungspolitik, Tenever gehört zu den Programmgebieten. Beginn des Bund-Länder-Programms „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“, Tenever gehört zu den Programmgebieten. Angesichts der weiterhin ungewissen Zukunft der „Krause-Wohnungen“ bildet sich eine aus Bewohnern, Stadtteilgruppe, Vertretern lokaler Sozialeinrichtungen, Quartiersmanagern, Vertretern der GEWOBA, der Ressorts für Bauen und Soziales sowie Ortsteilpolitikern bestehende Koalition, die an einer Lösung für das Quartier arbeitet. Die geplante Zwangsversteigerung eines Teils der „Krause-Wohnungen“ scheitert erneut. Zur Entwicklung eines Konzeptes für die Zukunft der Großsiedlung initiiert die GEWOBA einen städtebaulichen Fachwettbewerb, zu dem sie vier Architektur- und Planungsbüros einlädt; eine Expertenrunde „Projektgruppe Osterholz-Tenever“, an der die Quartiersmanager als Vertreter der Stadtteilgruppe teilnehmen, begleitet das Verfahren; erstmals werden Überlegungen zu einer Kombination von Abriss und Modernisierung angestellt.
321
M. Fritsche, Mikropolitik im Quartier, DOI 10.1007/978-3-531-93498-3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
2001
2002
Jan.
Juni
Sept.
Dez. 2003
Febr.
März
2004
322
April
Zur Konkretisierung des Umbaukonzepts initiiert die GEWOBA erneut eine Expertenrunde, dieses Mal bestehend aus Mitarbeitern des Wohnungsunternehmens, der zuständigen Fachressorts und den Quartiersmanagern. Die Stadtteilgruppe richtet einen regelmäßigen Tagesordnungspunkt „Stadtumbau und Sanierung“ ein. Die Quartiersmanager führen einen Sanierungsrundgang durch, um die Planungen vor Ort vorzustellen und zu diskutieren. Um die Potenziale des Bestands zu verdeutlichen, beginnt die GEWOBA mit einer modellhaften Modernisierung des Gebäudes Otto-Brenner-Allee 48; die Stadtteilgruppe unterstützt das Vorhaben. Ungeklärte Modalitäten eines Erwerbs der „Krause-Wohnungen“ durch das Land Bremen lassen die Realisierungschancen für das Umbaukonzept sinken. Die GEWOBA informiert die Stadtteilgruppe über die Notwendigkeit einer Überarbeitung des Konzepts, nunmehr sollen insgesamt 764 Wohnungen abgerissen werden. Drei der vier Gläubigerbanken der „Krause-Immobilien“ erklären sich zu einem Verkauf ihrer entsprechenden Bestände an das Land Bremen bereit. Die Sanierung Tenevers wird Pilotprojekt im neu aufgelegten Bereich der Ressortforschung des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus „Stadtumbau West“. Der Bremer Senat beschließt das Finanzierungskonzept zur Sanierung Tenevers. Als Folge des Senatsbeschluss gründen die GEWOBA und die BIG als Sanierungsgesellschaft die Osterholz-Tenever-Grundstücksgesellschaft mbH & Co. KG (OTG); ein städtebaulicher Vertrag zwischen der Stadt Bremen und der OTG legt die Verantwortlichkeiten in der Planung und Durchführung der Abriss- und Modernisierungsmaßnahmen fest. Die OTG erwirbt im Rahmen einer Zwangsversteigerung 1.306 Wohnungen aus dem „Krause-Bestand“. Auf Initiative von GEWOBA und OTG entstehen drei Arbeitsgruppen zur Vorbereitung und Begleitung der Abrissmaßnahmen: AG „Planung und Technik“, AG „Freiflächen und Entwicklungskonzeption“, AG „Umzugsmanagement“; neben Mitarbeitern des Wohnungsunternehmens und der Verwaltungsstellen nehmen die Quartiersmanager und Vertreter der Stadtteilgruppe an allen drei AGs teil. GEWOBA und OTG initiieren ein architektonisches Gutachterverfahren zur baulichen Neuorganisation der Erdgeschossbereiche der modernisierten Gebäude. Die Sanierungs-AG „Planung und Technik“ begleitet das Verfahren. Mit einem Feuerwerk- und Lichtspektakel verabschiedet Tenever den „Kessler-Block“ als erstes abzureißendes Gebäude.
Mai
2005
Jan.
April
Juli
Aug. Okt.
2006
Die Stadtteilgruppe lässt sich den Siegerentwurf („Grün für alle!“) des von GEWOBA und OTG beauftragten landschaftsarchitektonischen Gutachterverfahrens zur Freiflächenentwicklung vorstellen. Die SanierungsAG „Freiflächen und Entwicklungskonzeption“ hatte das Verfahren begleitet. Beginn der Abrissarbeiten am „Kessler-Block“ (Otto-Brenner-Allee/Neuwieder Straße). Im Rahmen einer außerordentlichen, als Quartiersspaziergang durchgeführten Stadtteilgruppensitzung sammeln die beauftragten Landschaftsarchitekten Anregungen aus der Bewohnerschaft zur Freiflächenentwicklung. Beginn des Teilrückbaus und der Modernisierungsarbeiten an den Riegelbauten im südlichen Siedlungsbereich (Pirmasenser Straße). Beginn der Abrissarbeiten am Gebäude Otto-Brenner-Allee/Pfälzer Weg. Die weiterhin problematische Leerstandsentwicklung und steigende Kosten des Sanierungsprojekts veranlassen den Bausenator, einen Baustopp für die Sanierung Tenevers zu verkünden. Die Stadtteilgruppe reagiert mit Verärgerung und Empörung, das bis dahin in Tenever eingesetzte Verfahren einer transparenten Information sei umgangen worden. Mieter organisieren Unterschriftensammlungen für die Fortsetzung der Sanierung, im Auftrag der Stadtteilgruppe bitten die Quartiersmanager bei Bremer Landespolitikern um Unterstützung. Der Bremer Bausenator nimmt überraschend an einem von den Quartiersmanagern organisierten Bewohnerseminar zur Sanierung Tenevers teil, um sich der Diskussion mit den Anwesenden zu stellen; er signalisiert, für eine Weiterführung der Sanierung einzutreten. Aufhebung des Baustopps, Bestätigung des bisherigen Stadtumbauansatzes und Fortsetzung der Abriss- und Modernisierungsarbeiten an der Wormser Straße und der Kaiserslauterner Straße, zusätzlich erfolgen eine Erweiterung der Abrisskulisse und eine Erhöhung der Abrisszahlen (um weitere, zwischenzeitlich von der GEWOBA angekaufte 217 Wohnungen im nördlichen Siedlungsbereich an den Standorten Neuwieder Str. 46-52 und Neuwieder Str. 44/Andernacher Str. 2). Anpassung der Organisationsstruktur des Sanierungsprojektes, die BIG zieht sich zugunsten der GEWOBA aus der OTG zurück, die Arbeit der Sanierungs-AGs wird für beendet erklärt. Der Bausenator informiert die Stadtteilgruppe über die Aufhebung des Baustopps und die Erweiterung der Abrisskulisse. Die GEWOBA verkündet einen Aufschub der Abrisse an den Standorten Pirmasenser Str. 32-36 und Ludwigshafener Str. 16-18. Zuvor hatte die Stadtteilgruppe gegen die dort geplanten Abrisse mobilisiert. Fortsetzung und an einigen Standorten bereits Abschluss der Modernisierungsmaßnahmen.
323
2007
Jan.
Die GEWOBA informiert die Stadtteilgruppe über ihre Entscheidungen im Hinblick auf zwei umstrittene Standorte: Pirmasenser Str. 32-36 bleibt erhalten, Ludwigshafener Str. 16-18 wird in Teilen rückgebaut und instandgesetzt. Die Stadtteilgruppe unterstützt die Entscheidung. Abriss der Standorte Neuwieder Str. 46-52 und Neuwieder Str. 44/Andernacher Str. 2.
Stadtumbauchronologie Marzahn-Nord 2000
Nov.
2001
Febr.
Aug. Sept.
Okt.
2002
324
Jan.
Der Bericht der Leerstandskommission erscheint: Angesichts eines Leerstands von ca. 1 Million Wohnungen in Ostdeutschland wird ein umfassendes Abrissprogramm empfohlen; die Vorbereitungen für „Stadtumbau Ost“ als neues Bund-Länder-Programm der Städtebauförderung beginnen; in Berlin sind Wohnungswirtschaftler, Baupolitiker und zuständige Verwaltungsstellen der Auffassung, bei den Leerständen handele es sich um ein ostdeutsches Phänomen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und das Bezirksamt MarzahnHellersdorf beauftragen eine Arbeitsgemeinschaft aus privaten Planungsbüros mit der Erstellung eines integrierten Handlungs- und Entwicklungskonzepts für die Großsiedlungen Marzahn und Hellersdorf. Das Bundeskabinett beschließt die Einführung von „Stadtumbau Ost“ als neuem Programm der Städtebauförderung zum 1. Januar 2002. Die mit der Erstellung eines Handlungs- und Entwicklungskonzepts beauftragte Arbeitsgemeinschaft empfiehlt den Abriss leer stehender Wohnungen und den Stopp aller Sanierungsmaßnahmen in den Großsiedlungen; die Empfehlungen sind umstritten und werden nicht veröffentlicht; in Fachkreisen entwickelt sich eine Debatte über Wohnungsleerstände und die Notwendigkeit von Abrissen in Berlin; allerdings setzt das Land bei den Verhandlungen zur Initiierung des Stadtumbauprogramms eine „Lex Berlin“ durch, die die Förderung von Abrissen leer stehender Gebäude der sozialen Infrastruktur im Ostteil der Stadt erlaubt. Das Bundesbauministerium lobt als inhaltliche Vorbereitung auf das Förderprogramm „Stadtumbau Ost“ einen gleichnamigen Bundeswettbewerb aus, der Wettbewerb soll Kommunen zur Erstellung integrierter Stadtentwicklungskonzepte veranlassen. Der Auftrag der Arbeitsgemeinschaft, die bereits an einem Entwicklungskonzept für die Großsiedlungen Marzahn und Hellersdorf arbeitet, wird erweitert um die Erstellung eines Beitrages für den Bundeswettbewerb „Stadtumbau Ost“; die Arbeitsgemeinschaft konzentriert sich auf fünf Vertiefungsbereiche in den Großsiedlungen, wovon einer Marzahn-Nord ist.
April
Juni
Juli
Aug. Sept.
2003
Nov. Jan.
Febr.
Zur Koordination des Entwicklungskonzepts für Marzahn-Nord initiiert die Arbeitsgemeinschaft eine „Projektgruppe Vertiefungsbereich Marzahn-Nord“, an der Verwaltungsvertreter, Vertreter der relevanten Wohnungsunternehmen, der Plattform Marzahn und die lokalen Quartiersmanager teilnehmen. Auf Vorschlag der WBG Marzahn konzentrieren sich die Überlegungen auf unsanierte Bestände entlang der Havemannstraße. Auf einer Sitzung des Bewohnerbeirats werden die Pläne zur Umsetzung von „Stadtumbau Ost“ im Quartier unter Verweis auf die laufende Konzepterstellung kurz erwähnt. Eine Informations- und Diskussionsveranstaltung zum für Marzahn-Nord geplanten Stadtumbau wird kurzfristig abgesagt; Mitglieder des Bewohnerbeirats bemängeln die Informationspolitik und den Ausschluss der Bewohnerschaft. Berlin reicht integrierte Entwicklungs- und Handlungskonzepte für zehn Gebiete im Ostteil der Stadt, u.a. für die Großsiedlungen in Marzahn und Hellersdorf, zur Teilnahme am Bundeswettbewerb „Stadtumbau Ost“ ein; für Marzahn-Nord werden drei Varianten („11:4“, „Zentraler Quartierspark“ und „Patchwork“) vorgelegt, Quartiersbewohner waren in keiner Phase in die Überlegungen und Planungen einbezogen worden. Beschluss des Senats zur Umsetzung des Programms „Stadtumbau Ost“. Im Rahmen des Bundeswettbewerbs wird das Entwicklungs- und Handlungskonzept für Marzahn und Hellersdorf mit einem Preis ausgezeichnet. Auf der Sitzung des Bewohnerbeirats werden erstmals „Stadtumbau Ost“, die drei Vorschläge des Wettbewerbsbeitrags zu Marzahn-Nord und die Möglichkeit von Abrissen von Einrichtungen der sozialen Infrastruktur vorgestellt, hingewiesen wird zudem auf die noch nicht geklärte Finanzierung des Umbauprojekts; Vertreter der Senatsverwaltung, des Bezirksamts und der WBG Marzahn nehmen an der Sitzung teil. Berliner Tageszeitungen veröffentlichen die standortgenauen Abrissplanungen für Marzahn-Nord, woraufhin die WBG Marzahn ihre Mieter im Quartier schriftlich über den geplanten Umbau informiert. Die WBG Marzahn beginnt mit der Entmietung ihrer Wohnungen. Aus Empörung über den Ausschluss von den Stadtumbauplanungen und -entscheidungen schickt der Bewohnerbeirat sein Positionspapier zum Stadtumbau, in dem ein Einbezug von Quartiersbewohnern gefordert wird, an Landes- und Bezirkspolitiker, alle im Abgeordnetenhaus vertretenen Fraktionen und Vertreter der WBG Marzahn. In Marzahn-Nord findet eine vom Bewohnerbeirat organisierte Informationsveranstaltung zum geplanten Stadtumbau mit rund 350 Teilnehmern statt; als Grund für die unzureichende Aufklärung der Mieter werden Abstimmungsschwierigkeiten zwischen der Senatsverwaltung und der WBG Marzahn angeführt. Mitglieder des Bewohnerbeirats gründen die „Mieterschutzinitiative Marzahn-Nord“ zur kritischen Begleitung des Stadtumbauprozesses.
325
Die Finanzierung des Stadtumbauprojekts ist weiterhin nicht gesichert, die betroffenen Mieter sind verunsichert. Mai
Der Bewohnerbeirat bittet den Amtsdirektor der Brandenburgischen Nachbargemeinde Ahrensfelde, eine Aufnahme von Marzahn-Nord zu prüfen; der „Fluchtversuch“ löst ein breites Medienecho aus, Zeitungen, Rundfunk und TV berichten über den geplanten Stadtumbau und die empörten Quartiersbewohner; die Geschäftsführung der WBG sucht die Zusammenarbeit mit dem Bewohnerbeirat.
Sept.
An der Niemegker Straße beginnt der Abriss von zwei unsanierten Elfgeschossern mit insgesamt 170 Wohnungen.
Okt. Dez.
Der Abriss leer stehender Gebäude der sozialen Infrastruktur beginnt. Die WBG Marzahn richtet zur Vorbereitung und Begleitung des Entmietungsprozesses ein Büro im Quartier ein. Der Berliner Senat bewilligt die Landesmittel für den Modernisierungsanteil des Stadtumbauprojekts, damit ist die Finanzierung von Abriss- und Modernisierungsmaßnahmen in Marzahn-Nord gesichert; der Bewohnerbeirat reagiert mit Erleichterung auf die Entscheidung. An der Havemannstraße beginnen die Vorbereitungen für die Abrissarbeiten.
2004
Jan.
Demontage der ersten Plattenteile in Marzahn-Nord. Bewohnerbeirat und Mieterschutzinitiative verstehen sich als kritische Begleitung des Umzugsmanagements und des gesamten Stadtumbauprozesses.
März
Unterstützt durch die WBG Marzahn, wirbt der Bewohnerbeirat bei den relevanten Akteuren in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung für den Erhalt von 38, ursprünglich für einen Abriss vorgesehenen Wohnungen im Stadtumbaubereich an der Rosenbeckerstraße sowie deren Umwandlung in Wohneigentum.
Mai
Die Stadtentwicklungssenatorin bewilligt unter Auflagen die Pläne der WBG für die Wohnungen an der Rosenbeckerstraße, was vom Bewohnerbeirat als Erfolg gefeiert wird. Die letzten Wohnungen im Stadtumbaubereich werden von ihren Mietern geräumt.
2005
Aug.
Im Stadtumbauprojekt „Ahrensfelder Terrassen“ beziehen die ersten Mieter die modernisierten Wohnungen.
Juli
Offizielle Fertigstellung des Stadtumbauprojekts „Ahrensfelder Terrassen“. Auf den Flächen einer abgerissenen Kindertagesstätte entstehen, initiiert von den Quartiersmanagern und u.a. gefördert durch „Soziale Stadt“Mittel, „Interkulturelle Gärten“, ein Projekt zur Integrationsförderung durch gemeinsame Flächenbewirtschaftung.
326
Dez.
Ein von den Quartiersmanagern initiiertes, durch „Soziale Stadt“-Mittel gefördertes Mediationsverfahren zur Neu- und Umgestaltung des erweiterten Clara-Zetkin-Parks beginnt; im Quartier finden monatliche Treffen von Anwohnern, Interessenvertretern, Mitarbeitern der WBG und des Bezirksamts zur Entwicklung eines Konzepts statt. In der Berliner Tagespresse werden weitere Abrisspläne der WBG Marzahn öffentlich gemacht, betroffen sind auch Gebäude im Bereich der Schorfheidestraße in Marzahn-Nord. In Marzahn-Nord ist die erste Stadtumbauphase im Wohnungsbereich größtenteils abgeschlossen, Bewohner, Verwaltung, Politik und Wohnungsunternehmen bewerten die „Ahrensfelder Terrassen“ als gelungen; der Bewohnerbeirat widmet sich anderen Themen.
2006
Lediglich einzelne Aufwertungsmaßnahmen werden noch durchgeführt, allerdings ohne einen systematischen Einbezug von Bewohnern. Sept.
Das Mediationsverfahren zur Neu- und Umgestaltung des erweiterten Clara-Zektin-Parks wird abgeschlossen. Die WBG Marzahn veröffentlicht ihre Pläne für das Schorfheideviertel, vorgesehen ist eine Kombination aus Abriss und Modernisierung wie bei den „Ahrensfelder Terrassen“. Die Quartiersmanager regen an, für die Nutzung der durch die Abrisse im Schorfheideviertel entstehenden neuen Freiflächen ein Beteiligungsverfahren durchzuführen, die Finanzierung erfolgt über „Soziale Stadt“Mittel; Bewohner und weitere Quartiersakteure unterstützen das Vorhaben.
2007
März
Im Schorfheideviertel wird eine Charrette als Werkstattverfahren zur partizipativen Planungsbegleitung durchgeführt; parallel dazu verkündet die WBG die Überarbeitung ihrer Stadtumbaupläne, die betroffenen Gebäude sollen nunmehr komplett abgerissen werden; der Bewohnerbeirat und andere Quartiersakteure mobilisieren gegen eine Teilnahme an der Charrette und die geplanten Totalabrisse. Trotz einzelner Proteste beginnen die Abrissarbeiten an den Gebäuden an der Schorfheidestraße.
2008
Im Schorfheideviertel werden die Gebäude an der Golliner Straße und an der Kölpiner Straße abgerissen.
327