Devra Newberger Speregen
Mission to Mars Roman zum Film
scanned by Jamison corrected by ~DeltaCain
Kapitel 1
HOUSTO...
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Devra Newberger Speregen
Mission to Mars Roman zum Film
scanned by Jamison corrected by ~DeltaCain
Kapitel 1
HOUSTON, TEXAS - 4. Juli 2020 »T minus zehn, neun, acht. . . Klar zur Zündung! Fünf, vier drei, zwei, eins... Zündung! Und los!« NASA-Astronaut Phil Ohlmyer blinzelte in die späte Nachmittagssonne eines herrlichen Sommertags. Sein Blick war auf einen kleinen roten Lichtstreifen geheftet, der emporraste und sich in den Himmel bohrte. Doch plötzlich verschwand der rote Strahl, und eine kleine Explosion erschütterte den kristallklaren blauen Himmel. Ohlmyer beobachtete, wie Rauch und Trümmer sich in der Luft verteilten und sanft wieder zur Erde schwebten. Ehe er noch reagieren konnte, sah er sich von einer Schar lachender Kinder umgeben.
»Ich bin dran! Ich bin dran!«, schrien die Kinder. »Nein, ich! Onkel Phil, Onkel Phil! Darf ich auch mal? Ich will auch mal!« Lachend entledigte sich Ohlmyer eines besonders hartnäckigen Kindes und erhob sich von den Knien. Neben ihm stand ein Raketenwerfer, den er aus einer leeren Bierflasche konstruiert hatte. Er warf einen Blick auf die restlichen Feuerwerkskörper, dann auf die lärmenden Kinder. »Komm schon, Onkel Phil! Bitte!« Grinsend fuhr Ohlmyer mit den Fingern durch sein blondes Haar. »Langsam, Freunde! Bitte! Das Zeug hier ist ziemlich gefährlich. Und ich bin ein hoch spezialisierter Fachmann.« Die Kinder stöhnten enttäuscht. »Okay, okay!«, gab Ohlmyer lachend nach. »Onkel Phil wird noch eine Rakete zünden...« Aus dem Augenwinkel sah Ohlmyer, wie sich eine hoch gewachsene, durchtrainierte Gestalt näherte. Es war die junge Astronautin Renee Cote, die ein neues Sixpack in der Hand hielt. Er winkte ihr zu, und sie warf ihm lächelnd ein eisgekühltes Bier zu. Ohlmyer fing die Flasche am Hals auf und wandte sich wieder den Kindern zu. ». . . sobald er mit Auftanken fertig ist«, vollendete er den Satz. Renee Cote schüttelte den Kopf und ging lachend an Phil und den Kindern vorüber. Die attraktive Französin schritt über den weitläufigen Rasen, die restlichen fünf Flaschen unter den Arm geklemmt.
Es überraschte sie, was für ein Andrang auf Luke Grahams Party zum 4. Juli herrschte. Diesen Sommer hatte sich Luke selbst übertroffen. Aber dieses Jahr gab es auch weit mehr zu feiern als den Geburtstag der Nation. Renee mochte vielleicht aus Frankreich stammen, aber an diesem 4. Juli hatte sie vor, ganz groß zu feiern. Alles, was bei NASA Rang und Namen hatte, war da - Astronauten, Ingenieure, Mechaniker und natürlich Dutzende von Familienangehörigen. Countrymusik tönte aus mehreren über den Hof verteilten Lautsprechern, und überall hingen Trauben von roten, weißen und blauen Ballons. Krepppapier in denselben Farben schmückte die Tische, und der Duft von Gegrilltem lag in der Luft. Renee ließ ihren Blick durch den riesigen Garten der Grahams schweifen, über die Gäste, die herumspazierten oder Frisbee spielten, bis er an einem großen Banner hängen blieb, auf dem »BON VOYAGE, MARS EINS!« stand. Ihre dunklen Augen glitzerten in der Sonne, als sie das Banner anstarrte und - für den Bruchteil einer Sekunde - über die bevorstehende bon voyage nachdachte. Schließlich kehrte sie in die Gegenwart zurück und setzte ihren Slalom durch die für das Picknick ausgebreiteten Decken fort, um zum Grill zu gelangen. Auf dem Weg dorthin hörte sie, wie Nick Willis sein Bestes gab, um ein hübsches Mädchen zu beeindrucken. Renee biss sich auf die Lippen, um
nicht über seine ungeschickten Bemühungen zu lachen. »Wir werden schon sechs Monate brauchen, um den Mars zu erreichen«, sagte er. »Dann bleiben wir ein Jahr oben, dann wieder sechs Monate für den Rückweg. Das sind zwei Jahre.« Renee grinste und warf ihrem Freund eine Flasche zu. Er fing sie mit der rechten Hand auf und legte den linken Arm um die schlanke Taille der jungen Schönheit. Wenn Phil Ohlmyer die Antithese eines NASA-Traummannes war, dann war Nicholas Willis das genaue Gegenteil. Willis, knapp über zwanzig, hätte sich gut auf dem Werbeplakat einer Rekrutierungskampagne gemacht. Und er wusste das besser als jeder andere. »Was ich sagen will, ist«, säuselte er weiter, »dass mir diese Nacht ganz besonders in Erinnerung bleiben wird. Schließlich wird es die allerletzte Nacht hier auf der Erde sein, verstehst du?« Das hübsche Mädchen löste sich aus seinem Griff und lachte. »Vergiss es, Nick«, sagte sie und ging davon. Jetzt konnte sich Renee das Lachen nicht mehr verkneifen. Ehe sie ihren Weg in Richtung auf den vom Grill aufsteigenden Rauch fortsetzte, bemerkte sie gerade noch Willis' gleichmütiges Achselzucken. Geschickt duckte sie sich vor einem durch die Luft fliegenden Federball und trat an den Grill, wo sich ein ganzes Schwein am Spieß drehte. Sie
verteilte die restlichen Bierflaschen und beteiligte sich an der Unterhaltung ihrer Kollegen. Unter den Astronauten, die um den Grill herumstanden, befand sich auch Woody Blake, ein großer, schlaksiger Mann, der sich für die Party mit Cowboyhut und Hawaii-Hemd herausgeputzt hatte ganz zu schweigen von der Schürze, auf der »Küss den Chefkoch« stand. Woody grinste von einem Ohr zum anderen, während er sich abwechselnd seiner Bierflasche und dem Begießen des Schweins widmete. Renee reichte die letzte Flasche Sergej Kirov, der aufmerksam ein paar Kinder beobachtete, die ein paar Meter weiter Federball spielten. »Hey, Woody«, sagte Sergej, nachdem er sich mit einem Kopfnicken bei Renee bedankt hatte. »Unsere Mars-Eins-Mannschaft fliegt erst zehn Tage, nachdem ihr mit Mars Zwei in unserem Basiscamp gelandet seid, wieder zur Erde zurück. Das wird ein ziemlich langes Rendezvous.« Grinsend begoss Woody das Schwein. Zischend tropfte die fettige Flüssigkeit in die Flammen. »Worauf willst du hinaus, Sergej?«, fragte er freundlich. Der russische Kosmonaut lächelte. »Vielleicht solltest du einen Baseballschläger mitnehmen«, empfahl er. »Na? Amerikanischer Baseball? Unsere beiden Mannschaften könnten um die Sonnensystem-Meisterschaft spielen.«
Woody lachte. »Also wirklich. Die Hälfte eurer Mannschaft besteht doch aus Ausländern. Wir würden euch platt machen.« »Nein, nein, die Mannschaften sind gleich stark«, widersprach Sergej. »Drei Männer, eine Frau. Gleiches Handikap.« Er grinste Cote sarkastisch an, die ihm eine Grimasse schnitt. Woody blickte gerade rechtzeitig von dem Schwein auf, um zu sehen, wie seine Frau mit einer Platte mit Maiskolb en auf sie zukam. »Sieh dich vor, Sergej, du sprichst von meiner Frau. Terri ist zufällig ein wahnsinnig guter Shortstop.« Dr. Terri Fisher blieb vor ihrem Mann stehen und küsste ihn liebevoll auf die Wange. Dann wirbelte sie zu Kirov herum. »Schnelle Würfe, keine Steals, Schläger meldet seine eigenen Schläge an«, legte sie ungerührt fest. »Machen tausend Dollar die Sache interessant?« Kirov war wie vor den Kopf geschlagen. Einen Augenblick lang starrte er Terri an, dann wandte er seinen Blick zu Cote. »Eh bien«, erwiderte Renee gelassen. »Der Gewinner bekommt alles.« »Gut.« Terri lächelte Kirov selbstgefällig an. »Bring was zum Spielen mit«, konnte sie sich nicht verkneifen hinzuzufügen. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und ging mit den Maiskolben weiter. Sie hörte, wie die anderen hinter ihr anfingen, Kirov aufzuziehen.
Ein breites Grinsen legte sich über Woodys Gesicht, als er seiner Frau nachblickte. »Wisst ihr, was das Traurige daran ist?«, fragte er die anderen. »Technisch gesehen habe ich den höheren Rang. Aber wenn wir auf Mars Zwei wenigstens ein bisschen Frieden haben wollen, werde ich wohl ziemlich oft >Ja, Liebes< sagen müssen.« Alle lachten, obwohl sie wussten, dass Woody und Terri sich so nahe standen, wie das bei einem Paar nur möglich war. Terri schwankte mit ihrem schweren Tablett, als eine Bande lärmender Kinder vorbeitobte. Indem sie sich geschickt durch die Gruppe hindurchlavierte, entging sie einer Maiskolben-Katastrophe und stellte die Platte auf einen der Picknicktische neben eine Reihe von Behältern mit Kartoffelsalat, gebackenen Bohnen und Kohlsalat. Ein paar Ehefrauen der anderen Astronauten waren damit beschäftigt, die Behälter immer wieder neu anzuordnen. Terri schnappte ein paar Fetzen der Unterhaltung auf, als sie die Maiskolben abstellte. Sie sprachen über sie. »Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll, dass die NASA ein Ehepaar gemeinsam auf so eine Mission schickt«, meinte eine der Frauen. Aus dem Augenwinkel sah Terri, wie ein andere Frau zu ihr herüber blickte und warnend eine Augenbraue hob. »Das ist nicht persönlich gemeint, Terri«, meinte die erste Frau verlegen. »Es ist nur, naja, es ist
irgendwie komisch für die, die hier zurückbleiben müssen.« Terri bemühte sich, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. »Sämtliche Untersuchungen zeigen, dass ein Ehepaar auf diesen langen Fahrten für Stabilität sorgen wird«, erklärte sie ihnen. Eine der Frauen kicherte. »Dann haben die aber ein paar von den Ehepaaren, die ich kenne, nicht untersucht«, scherzte sie. Die anderen Frauen lachten, während Terri nur höflich lächelte. Sie hatte nicht viel mit ihnen gemeinsam und fühlte sich in ihrer Nähe meist unwohl. Ruhig entschuldigte sie sich und ging zum anderen Ende des Tisches, um die Platten zurechtzuschieben. Sie spürte die Blicke der anderen auf sich gerichtet, deshalb gab sie vor, großes Interesse an einer übervollen Schüssel mit gebackenen Bohnen zu haben. »Hat jemand Jim McConnell gesehen?«, fragte eine der Frauen. »Ich glaube nicht, dass er kommt«, antwortete eine andere. »Mein Gott, der arme Mann. Wie geht's ihm?« »Er ist total fertig, soweit ich gehört habe«, tratschte die erste Frau. »Kann weder schlafen noch essen. Geht jeden Tag an ihr Grab.« Terri musste sich anstrengen, um den letzten Teil zu verstehen. »Es heißt, er könnte seinen Platz bei der Mission verlieren.«
Terri spürte, wie ihr Blut zu kochen begann, während die Frauen sich das Maul über ihren Freund zerrissen. Offenbar war ihnen nicht klar, dass Terri sie hören konnte. »Es ist wirklich traurig und so tragisch«, fuhr eine Frau fort. »Da gehst du nichts Böses ahnend zur Routineuntersuchung, und - peng!« »Und das nach all den Jahren Ausbildung. Es war ihr großer Traum.« »Muss ziemlich komisch für Luke Graham sein, meint ihr nicht auch? Jetzt wird er in den Geschichtsbüchern stehen.« Terri konnte es nicht mehr mit anhören. Für diese Frauen war das alles so dramatisch... wie eine Seifenoper im Fernsehen. Für Terri jedoch war es nur allzu real. Es war ihr Leben. Sie steckte eine große Serviergabel in eine Platte mit Kohlsalat und entfernte sich so weit wie möglich von den Frauen. Sehnsüchtig blickte Debra Graham ihren Mann an, der mit dem Rücken zu ihr neben der Garage in der Einfahrt stand und wartete. Sie beobachtete ihn eine Weile, froh, dass er sie nicht bemerkt ha tte. Sie ließ den Moment auf sich wirken, nahm alles, was an ihm wundervoll war, tief in sich auf und vertraute es ihrem Gedächtnis an, um zwei ganze Jahre lang davon zehren zu können. Diese starken Arme und Schultern... seine glatte dunkle Haut... das schiefe Grinsen . .. Leise trat sie hinter ihn und legte ihm sanft die Hand auf die Schulter.
»Er kommt nicht, Luke«, sagte sie traurig. Luke sah seine wunderschöne Frau an und antwortete mit einem leichten Nicken. »Jim hat das hier genauso verdient wie wir«, meinte er ruhig. »Alle seine Freunde sind hier.« Er machte eine Pause. »Und es ist mein letzter Abend.« Debra schluckte schwer. »Auch dein letzter Abend mit uns«, erinnerte sie ihn. Ihre wundervollen dunklen Augen glänzten im Sonnenlicht. Luke berührte zärtlich ihre Wange, dann legte er einen Arm um ihre Taille. Sie drängte sich an ihn, und er hielt sie noch fester, während er sie auf die Stirn küsste. »Ich liebe dich, Deb«, flüsterte er. »Ich liebe dich auch«, hauchte sie in seine Brust. Sie schob sich ein Stück von ihm fort und blickte in sein Gesicht. »Aber vielleicht solltest du noch ein bisschen Zeit mit Bobby verbringen.« Lukes einziger Sohn hatte seinen Vater während der ganzen Vorbereitungen wirklich stolz gemacht. Erst sieben Jahre alt, hatte Bobby auf die Abreise seines Vaters wie ein sehr viel älteres, reiferes Kind reagiert. Dennoch konnte ein Siebenjähriger in einer Situation wie dieser nicht unbegrenzte Kräfte aufbringen. Seine Abwesenheit würde schlimm für den Jungen sein, das wusste Luke. »Mach ich«, versprach er. »Wo steckt er?« »Oben in seinem Baumhaus«, antwortete Debra. Luke drückte seiner Frau noch einen zarten Kuss auf die Stirn, dann machte er sich auf den Weg in
den Garten. Damals hatte er die Schaukel und das Baumhaus für Bobby auf der anderen Seite des Gartens gebaut, so dass er sich jetzt einen Weg durch die Partygäste bahnen musste. Er lächelte Ohlmyer zu, der immer noch mit den Kindern Raketen abschoss. Langsam näherte er sich dem Baumhaus am hinteren Ende des Gartens - aber nicht ohne vorher Willis zu bemerken, der mit einem umwerfend schönen Mädchen auf einer Decke lag. »Der Weltraum ist so einsam«, erzählte Willis dem Mädchen gerade. »So kalt. Aber ich schätze, meine Erinnerungen werden mich warm halten...« Luke schüttelte den Kopf und lachte. Willis war ein hoffnungsloser Fall. Schließlich erreichte er den Spielplatz. Luke ergriff die Leiter und kletterte hinauf. Bobby saß auf einer hölzernen Plattform neben seinem Teleskop. Das Herz tat Luke weh, als er seinen Sohn sah. Bobby sah so einsam aus. Bobby blickte kurz hoch, dann drehte er Luke den Rücken zu und blickte in den Himmel hinauf. »Und wer soll mir jetzt abends im Bett vorlesen?«, fragte er leise. Die Frage überraschte Luke. Offenbar konnte Bobby die Rolle des großen Jungen nicht mehr durchhalten. »Das macht Mommy«, antwortete er. Bobby fuhr herum und starrte Luke zornig an. »Ich will aber, dass du das machst!«, platzte er mit zitternder Stimme heraus. Der Junge bemühte sich
mit aller Kraft, nicht zu weinen. »Jetzt werden wir unser Buch nie zu Ende kriegen!« Luke wusste nicht, was er sagen sollte. Ihm war klar, dass dies für Bobby sehr schwer war - es gab keine Möglichkeit, einen Siebenjährigen auf so etwas vorzubereiten. Zwei Jahre ohne Kontakt mit seinem Vater waren eine lange Zeit. Luke räusperte sich und kämpfte gegen seine eigenen Tränen an. »Pass mal auf, ich sag dir was«, fing er an. »Ich hab auch schon darüber nachgedacht. Und ich hab mir überlegt, wie war's, wenn ich mir ein eigenes Buch mitnehmen würde?« Bobby sah ihn an. »Und jeden Abend, egal, wo ich bin, lese ich ein Stück weiter«, fuhr Luke fort. »Und dann weiß ich, dass du und Mommy, egal, wo ihr seid, auch in dem Buch lest. Dann ist das so, als ob wir immer noch zusammen lesen. Ich weiß ja nicht, wie es dir geht aber ich will unbedingt wissen, wie der alte Ben Gun auf diese Insel gekommen ist. Was meinst du?« Bobby brachte ein Lächeln zustande und nickte ein bisschen. Plötzlich war Luke so stolz auf seinen Sohn wie nie zuvor. Ganz schön viel Mut für so einen kle inen Kerl, dachte er. »Prima«, sagte er und rückte näher an seinen Sohn heran. »Kannst du mich mal umarmen?« Bobby beugte sich vor und schlang seine kleinen Arme fest um den Hals seines Vaters. Luke erwiderte die Umarmung, erfüllt von einem Gefühl des Stolzes und der Liebe, wie er es noch nie
empfunden hatte. Er würde Bobby mehr vermissen als alles andere. Im Stillen fragte er sich - zum millionsten Mal -, wie er es aushallen sollte, so lange von seiner Familie getrennt zu sein. Seine Gedanken wurden durch das Geräusch eines näher kommenden Autos unterbrochen. Er spähte über das Geländer des Baumhauses und konnte ein Stück der Straße erkennen. Der offene Jeep bog gerade von der Straße in die Auffahrt der Grahams ein. Seinen Sohn immer noch fest an sich gedrückt, seufzte Luke erleichtert auf. Ein strahlendes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Jim war doch noch gekommen. Debra erwartete ihren letzten Gast auf dem Rasen vor dem Haus. Sie spürte einen Kloß im Hals, als Jim McConnell müde aus dem Jeep stieg und auf das Haus zukam. Er hielt etwas in der Hand. Eine Flasche Champagner. Jim war mit Anfang vierzig ein gut aussehender Mann. Doch während der vergangenen zwei Jahre, seit Maggies Diagnose, war er extrem gealtert. Immer hatte er denselben Gesichtsausdruck - traurig, distanziert und einsam. Nie verschwanden die dunklen Ringe unter seinen Augen. Seine Kleider waren ständig zerknittert, als hätte er darin geschlafen. Erleichtert eilte Debra ihm entgegen und lief direkt in seine zur Begrüßung geöffneten Arme. Sie war so glücklich, dass er sich entschlossen hatte, zu
kommen. Ihr war klar, wie sehr es Luke verletzt hätte, wenn er es nicht getan hätte. Sie umarmte ihn fest, spürte förmlich seinen Schmerz. »Wir hatten schon Angst, du würdest nicht kommen«, sagte sie. McConnell grinste. »Ich habe euren Grill gerochen«, erwiderte er. »Da konnte ich nicht anders.« »Da draußen in Galveston?«, scherzte Debra. »So ungefähr«, meinte McConnell. Dann schwieg er. Einen Moment blickte er Debra an, bis er schließlich die Worte fand, nach denen er gesucht hatte. »Das ist sein Abend, Deb«, meinte er sanft. »Ich wollte ihm das nicht verderben.« »Verderben?«, entgegnete Debra schockiert. »Er hat die ganze Zeit Ausschau nach dir gehalten und ist dabei fast verrückt geworden.« Über ihre Schulter hinweg sah McConnell, wie Luke auf sie zukam, einen Arm um Bobby gelegt. Sekunden später waren sie nur noch ein paar Schritte voneinander entfernt. Die beiden Männer blickten sich an, wechselten einen Blick, der keiner Worte bedurfte. Sie standen sich näher als Brüder, hatten alles gemeinsam durchgemacht, und jetzt, nun - dies war etwas, was sie nicht teilen würden. Dafür hatte das Schicksal gesorgt. Sie brauchten keine Worte, um einander zu verstehen. Das Band zwischen ihnen war so stark, als wären sie als Brüder auf die Welt gekommen.
Lukes Lächeln war ein Trost. »Los, komm mit«, forderte er seinen Freund auf. »Eine Menge Leute hier werden sich verdammt freuen, dich zu sehen.«
Kapitel 2 Bei Einbruch der Dunkelheit, nachdem die letzten Gäste gegangen waren, saß Luke auf dem Boden neben dem Grill und trank mit Jim und Woody ein Bier. Er ließ den Blick über den Garten schweifen und bemerkte, dass sich eine Ecke des Banners mit »BON VOYAGE, MARS EINS!« gelöst hatte und leise gegen den Baum schlug, an dem es befestigt war. Woody nahm ein Stück Holz und schob es in die Flammen. Die drei Männer sahen zu, wie rote und gelbe Funken zu den Sternen aufstoben. »Ich wünschte, wir würden alle mitgehen«, brach Woody das Schweigen. »Zusammen.« Der Nachdruck in Woodys Stimme überraschte die anderen - sogar Woody selbst. Sie schwiegen verlegen, bis Luke leise lachte. »Dann hast du ein schlechtes Gedächtnis«, meinte er. »Denk doch mal daran, wie wir in der zweiten Woche von unserem Lunartraining drauf waren.«
Im Licht des Feuers sah Luke, wie Woody die Augen verdrehte. »Oh, Mann, du willst doch wohl nicht wieder damit anfangen...« Luke lachte lauter. »Ich versuche mich nur zu erinnern. Mal sehen«, fuhr er fort, »wer von uns hat da oben am schlechtesten abgeschnitten?« »Du kannst es wohl einfach nicht lassen...« »Oh, Mann, drei Commander auf demselben Schiff?«, meinte Luke und dachte darüber nach, wie es wäre, wenn Woodys Wunsch in Erfüllung ginge. »Wenn man uns zusammen zum Mars schicken würde, gab's gar nicht genug Treibstoff, um all diese Egos vom Boden heben zu können!« Woody lachte. »Quatsch«, entgegnete er. »Wir wären 'ne tolle Mannschaft gewesen.« »Dazu wäre es nie gekommen«, schaltete sich McConnell in die Unterhaltung ein. »Ich war immer mit Maggie zusammen in einem Team, und meistens waren wir nur Schreibtischtäter. Ihr wisst schon: Systeme, Nutzlast. . .« »Jetzt hört euch den an!«, frotzelte Luke. »Unser Titelblattheld!« »Genau; wer hat denn das ramponierte Block II Shuttle gelandet?«, fragte Woody. »Und wer hat bei den Tests auf dem Mond am besten abgeschnitten?«, legte Luke nach. Endlich erschien ein Lächeln auf Jims Gesicht. »Okay, ich hab ein bisschen Staub aufgewirbelt«, meinte er. »Aber den ersten Fuß auf den Mars setzen? Nein, das ist was für Typen, die ihre
Doktorarbeit darüber geschrieben haben, wie man den Planeten kolonialisieren könnte.« Dabei warf er Luke einen viel sagenden Blick zu. »Und für Typen, die als Kind zu viel ScienceFiction-Romane gelesen haben und immer noch kleine Flash-Gordon-Raumschiffe um den Hals tragen«, fügte er an Woody gewandt hinzu. Scherzhaft griff er nach Woodys Hals, doch der schlug ihm lachend auf die Finger. »Du hast dieselben dämlichen Science-FictionBücher gelesen wie ich!«, wehrte sich Woody. »Du bist bloß nicht Manns genug, Schmuck zu tragen!« Er zog sein geliebtes Flash-Gordon-Raumschiff aus dem Hemdkragen und ließ es spöttisch an der Kette baumeln. Die drei Männer brachen in Gelächter aus. »Du hättest Flash wohl gerne!«, stichelte Woody. »Du weißt genau, dass du scharf auf ihn bist. Aber du kriegst ihn nur über meine Leiche!« Luke griff nach Woodys Arm und hielt ihn fest, damit McConnell sich die Kette schnappen konnte. Es gelang Woody, sich zu befreien, und die beiden rangelten miteinander wie kleine Jungen. McConnell, der die beiden beobachtete, wurde plötzlich von seinen Gefühlen übermannt. »Mein Gott, sie hätte euch beiden Spinner bestimmt gerne noch mal gesehen«, meinte er leise. »Nur noch ein einziges Mal.« Er versuchte zu lächeln, doch seine Traurigkeit überwältigte ihn. Er spürte, wie sein Gesicht zu brennen begann, und sein Brustkorb hob und senkte
sich krampfhaft. Vergeblich bemühte er sich, Haltung zu bewahren. Die Gefühle, die ihn den ganzen Abend - eigentlich schon den ganzen Monat - bedrängt hatten, waren stärker. Woody streckte tröstend die Hand aus, doch es nützte nichts. McConnell stand hastig auf und ging fort. Besorgt blickten sich Woody und Luke an. Doch sie wussten, dass es keine Worte gab, die ihn hätten trösten können. Das Leben hatte ihrem Freund miserable Karten zugeteilt, und es gab nichts, was sie oder jemand anderes hätten tun können. Kurz darauf stieg Woody in seine alte Corvette und startete den Motor. Luke und McConnell, der seine Fassung zurückgewonnen hatte, standen neben dem Wagen. Es war Zeit für den großen Abschied. »Hey, Woodrow, war's nicht endlich mal Zeit, das Ding da einem Museum zu vermachen?«, witzelte Luke, der genau wusste, dass diese Corvette nach Terri Woodys zweite große Liebe war. Als Antwort trat Woody das Gaspedal durch. Der aufheulende Motor klang voll und rund, und Woody warf seinen Freunden ein schiefes Grinsen zu. »Geht doch nichts über einen Verbrennungsmotor, Jungs.« Die Männer lachten. Woody blickte zu McConnell hinüber, und sein Gesicht wurde ernst. »Jim«, fing er an. »Wenn es jemals...wenn es irgendwas gibt, das Terri und ich tun können...« Jim schüttelte den Kopf. »Mir geht's ganz gut«, entgegnete er. »Wirklich. Aber trotzdem, danke.«
Woody griff nach Lukes Hand. Ihr nächstes Wiedersehen würde auf dem roten Planeten stattfinden. »Wir sehen uns auf dem Mars«, meinte er und spürte einen Kloß im Hals. »Lös nicht gleich alle Geheimnisse des Universums auf einmal, hörst du? Lass denen, die nach euch kommen, auch noch was übrig.« Luke grinste. »Ich werde sehen, was ich tun kann. Und du vergiss nicht, frisches Bier mitzubringen.« Woody lächelte. »Klar.« Luke war einerseits traurig, Woody fortfahren zu sehen, andererseits jedoch war er froh über die Gelegenheit, endlich mit Jim allein zu sein. Er hatte den ganzen Abend darauf gewartet, mit seinem Freund zu reden - es gab etwas, was er Jim unbedingt sagen wollte. Wahrscheinlich hätte er sogar am nächsten Morgen gar nicht zu der Mission aufbrechen können, wenn er das nicht hätte loswerden können. Luke holte tief Luft, dann sprach er es aus. »Das hätte deine Mission sein sollen, Jim«, fing er leise an. »Deine... und Maggies.« Jim blickte den Rücklichtern der Corvette nach, die sich auf der Straße entfernten. Regungslos stand er da und hörte Luke zu. »Keiner von uns hat sich so sehr gewünscht, zum Mars zu fliegen, wie ihr beide«, fuhr Luke fort. »Nicht einmal Woody. Zwölf Jahre habt ihr auf
diese Chance gewartet, habt dafür gearbeitet und trainiert...« »Das ist jetzt alles vorbei«, unterbrach ihn Jim. Seine Trauer stieg wieder in ihm hoch, und er kämpfte um seine Fassung. »Wenn Maggie nicht krank geworden wäre wenn du nicht aus dem Rotationsverfahren ausgestiegen wärst, um sie zu pflegen ...« McConnell sah ihm direkt ins Gesicht; in seinen Augen lag eine Mischung aus Wut, Trauer und Mitleid. Luke spürte, dass sich Jim nicht weiter auf dieses Thema einlassen wollte, doch er gab nicht nach. »Nein, ich will dir das sagen. Ich muss es sagen«, beharrte er. Er schluckte, dann fuhr er fort. Jetzt oder nie. »Ich wollte bei Mars Eins dabei sein. Verdammt noch mal, ich habe bei jedem einzelnen Schritt auf dem Weg dorthin mit dir darum gekämpft! Noch nie in meinem Leben habe ich jemanden so unbedingt ausstechen wollen. Aber nicht so ... nicht auf diese Art.« Luke schwieg. Sein Herz raste. So lange hatte er sich danach gesehnt, mit Jim darüber zu reden. Doch es war nie der richtige Zeitpunkt dafür gewesen. Außerdem sprach Jim nicht gern über das, was mit Maggie passiert war. Mit jedem Wort, das ihm unbeholfen über die Lippen kam, fühlte er sich etwas mehr erleichtert. Er war froh, dass es endlich draußen war.
»Jim, ich würde das alles sofort aufgeben, wenn uns das Maggie zurückbringen könnte.« McConnell sackte der Unterkiefer herunter. Mit einem Kloß im Hals schaute er zu Boden. Er traute seiner eigenen Stimme nicht, doch irgendwie fand er die Worte für eine Antwort. »Das weiß ich«, sagte er. »Das brauchst du mir nicht zu sagen.« Plötzlich wusste er, dass er seine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle behalten könnte, wenn er nur noch einen Moment hier bei Luke bliebe. Es war Zeit zu gehen. Zeit für den Abschied. »Der Mars gehört jetzt dir«, konnte er noch sagen. Er blickte zu seinem Freund auf und brachte sogar ein Lächeln zustande. »Hol ihn dir.« Luke nickte. Die Situation war für beide schwierig, so viel war klar. »Pass auf dich auf.« »Ja, du auch.« Eine Sekunde lang hielten sie die Hand des anderen fest, drückten sie, dann ließen sie sich wieder los. Luke drehte sich um und ging langsam zur Haustür hinüber. Da drin warten noch mehr schwierige Abschiede, dachte er. Debra stand im Türrahmen. Er trat durch die Tür, und sie umarmten sich. Luke brachte es nicht fertig, sich noch einmal zu Jim umzudrehen. Jim jedoch blickte Luke nach, als er ins Haus ging und in Debras wartende Arme sank. Als die Haustür ins Schloss fiel, öffnete er die Tür seines Jeeps. Doch ehe er einstieg, schaute er zum Himmel
auf. Sein Blick ruhte auf einem kleinen, rötlichen Punkt, der gleichmäßig leuchtend seine Bahn zog. Eine wilde Mischung verschiedener Gefühle tobte in ihm, und alles, woran er denken konnte, war Verlangen, Bedauern, verlorene Liebe und das, was nie sein würde.
Kapitel 3 MARS: EBENE VON CYDONIA - ACHT MONATE SPÄTER Luke schwang den Geologenhammer hoch über den Kopf und ließ ihn auf das mehrschichtige Sedimentgestein niedersausen. Der Hammer, der sich dank der geringen Anziehungskraft auf dem Mars mühelos handhaben ließ, zertrümmerte die Oberfläche. Rötlicher Staub wirbelte auf und bedeckte Lukes Raumanzug. Luke hielt den abgesplitterten Felsklumpen dicht vor sein Visier und betrachtete ihn aus der Nähe. Gerade wollte er eine weitere Probe losschlagen, als sein Funkgerät knisterte. Es war Cote. »Luke, hörst du mich?«, ertönte ihr französischer Akzent durch den Lautsprecher. »Ja, Renee.« »Luke, ich habe gerade die Ares-8 online, und, na ja, wir dachten, das willst du dir bestimmt mal ansehen.«
Luke starrte das Funkgerät an - er konnte die Aufregung in Renees Stimme hören. Er unterbrach seine Arbeit nur ungern, aber Renees rätselhafte Nachricht machte ihn neugierig. »Verstanden«, erwiderte er und machte sich auf den Weg zu seinem ATV-Erkundungsfahrzeug. Luke lenkte den einsitzigen ATV durch die breiten Valles Marineris zurück zum Mars-EinsBasiscamp. Die gigantische Größe der Valles Marineris war erschreckend - auf der Erde hätten sie sich von New York bis nach Los Angeles erstreckt. Während er über die felsige Oberfläche "des Planeten fuhr, fragte er sich, was die Ares-8 wohl gefunden haben mochte. Im Basiscamp stieß Luke auf Kirov, Willis und Cote, die bereits vor den Monitoren der Ares-8 saßen und voller Ehrfurcht auf die Videobildschirme starrten. Luke blickte auf einen der Monitore und erstarrte mitten in der Bewegung. Dann trat er näher heran, weil er dachte, dass ihn vielleicht seine Augen getäuscht hätten. Vor sich auf dem Monitor sah er das Bild eines großen, von Geröll und Staub bedeckten Berges, doch was ihn wirklich verblüffte was ihm sprichwörtlich den Atem raubte -, war eine weiße Bergkuppe, die sich auf einer Länge von etwa zwei Dritteln des Bergkamms durch das Geröll bohrte. Das Weiß stand in deutlichem Kontrast zu dem typischen rostorangefarbenen Geröll, das den Berg umgab. Luke beugte sich weiter vor, um besser
sehen zu können. Die Oberfläche der seltsamen Kuppe war eigenartig glatt, aus vielen Flächen zusammengesetzt, die eine gewisse Symmetrie erkennen ließen. »Was, zum Teufel, ist das?«, fragte Luke, wie betäubt von dieser Entdeckung. »Keine Ahnung, Boss«, antwortete Cote. »Wo ist das?«, wollte Luke von ihr wissen. Er bemerkte, dass sie mit den anderen Blicke austauschte; jetzt erst fiel ihm auf, dass sie alle verstohlen grinsten - als ob sie ein Geheimnis miteinander teilten, das er noch nicht kannte. »Das wird dir nicht gefallen«, antwortete Willis. Luke konnte seine Erregung nicht verbergen. »Kommt schon! Was ist daran so lustig? Gebt mir die Koordinaten. « Er beugte sich vor, um die digitale Anzeige zu lesen, doch Cote streckte die Hand aus und bedeckte sie scherzhaft. »Breite einundvierzig Grad Nord, Länge neun Grad West«, verkündete sie. Luke runzelte die Stirn. »Die Ebene von Cydonia. Und?« Die anderen grinsten immer noch und warfen sich viel sagende Blicke zu. Langsam dämmerte es ihm... »O nein«, sagte Luke. »Ihr wollt doch wohl nicht sagen...« Als die anderen Lukes ungläubige Miene sahen, dröhnte lautes Lachen durch die Kabine.
»Oui, exactement«, sprudelte Renee aufgeregt hervor. »Das ist Kirovs Schuld, er hat den Sektor für heute ausgesucht.« »Hey, komm schon!«, wehrte sich Kirov. »Wir haben die wissenschaftliche Pflicht, das Ding da zu überprüfen.« Luke übernahm die Ares-8-Fernsteuerung von Cote. Er bemühte sich, ein schärferes Bild zu bekommen, doch die Auflösung wurde nicht besser. »Toll. Das ist einfach toll. Die erste Anomalität, auf die wir stoßen, und sie liegt genau an dem einzigen Ort, der die NASA garantiert wie einen Haufen Idioten dastehen lässt! Habt ihr eine Ahnung, wie viele Bücher schon über diesen verdammten Berg geschrieben worden sind?« »Das Ding haben bestimmt die Ägypter da hingestellt«, witzelte Re nee. »Nein, die Amazonen«, widersprach Kirov lachend. »Nein, das waren die kleinen grünen Männchen!« Willis hatte der Versuchung nicht widerstehen können. Luke schüttelte den Kopf, ohne den Blick vom Monitor zu wenden. Er bemühte sich immer noch um eine bessere Bildauflösung. »Und das alles nur, weil ein paar lausige Krater zufällig wie Augenhöhlen aussehen«, murmelte er. »Wenn das hier rauskommt, wird jeder Ufo-Spinner auf der Erde in den Sechs-Uhr-Nachrichten seinen
Senf dazugeben wollen. Los jetzt, Leute, lasst mal was hören. Ist das ein Schlackenkegel?« Kirov starrte über Lukes Schulter auf den Monitor. »Nein, zu glatt. Zu eckig. Vulkanische Aufwölbung?« Cote schüttelte den Kopf. »Keine Spalten, keine Einsturzkrater.« »Eine Aufwölbung ist es mit Sicherheit«, meinte Luke. »Aber vielleicht nicht vulkanisch...« Er brach mitten im Satz ab und beugte sich näher zum Bildschirm. »Schaut euch die Farbe an«, sagte er und zeigte auf den Monitor. »Und wie das Ding glänzt. Ich könnte schwören, dass das Eis ist...« »So weit im Süden?«, fragte Renee zweifelnd. »Unmöglich«, widersprach Willis. »Auf diesem Breitengrad kann es kein Eis geben. Es sei denn...« Seine Stimme erstarb, als ihm klar wurde, was er sagen wollte. Er wirbelte zu Luke herum, der von seinem Platz aufge sprungen war und nach seiner Ausrüstung griff. »Oh, mein Gott!«, keuchte Willis. Luke hatte die Lage bereits im Griff. »Wie weit ist es von hier entfernt?«, fragte er den Russen. »Sechzehn Kilometer nordöstlich«, antwortete Kirov. »Wir brauchen zwanzig Minuten bis dorthin.«
Luke nickte. »Zuerst schicken wir eine Nachricht an die Zentrale. Dann sehen wir uns das Ding mal an.« Eilig stellte die Mannschaft einen Bericht für die Kommandozentrale der Mission zusammen. Während des Mittagessens zeichneten sie eine kurze Nachricht auf und schickten sie über den Telekommunikations-Kanal ab, dann legten sie ihre Raumanzüge an und eilten hinaus, um das viersitzige Erkundungsfahrzeug für die kurze Fahrt zu besteigen. Die vier Astronauten kletterten durch die Heckluke in den Wagen und schlössen sie von innen. Luke und Renee überprüften sofort ihre Bildschirme; als alles eingestellt war, legte Luke den Gang ein. Staub wirbelte auf, als sich das Fahrzeug in Bewegung setzte, vorbei an dem zylinderförmigen Wohnmodul und fort vom Basiscamp. ORBIT DER ERDE, KONTROLLRAUM DER MARSMISSION (KRMM) IN DER INTERNATIONALEN WELTRAUMSTATION (ZEITVERZÖGERUNG 20 MINUTEN) Von seinem Platz am zentralen Steuerpult an Bord der Internationalen Weltraumstation aus blickte Capsule Communicator Jim McConnell mit verhaltener Erregung auf das Bild seines Freundes auf dem Hauptbildschirm.
»Das ist wirklich eine anomale Formation«, fuhr Luke in der aufgezeichneten Videobotschaft fort. »So etwas haben wir bis jetzt noch nie gesehen. Es scheint eine kristalline Struktur zu haben, zumindest von dem Blickwinkel aus betrachtet, den uns Ares-8 bietet.« Jims Freund grinste in die Kamera. »Wir versuchen hier oben nicht durchzudrehen«, fuhr Luke fort. »Aber wir glauben, dass dies durchaus eine Extrusion einer tiefer gelegenen Wasser führenden Schicht sein könnte. Und wenn wir Recht haben .. .« Luke und seine Mannschaft wechselten leuchtende Blicke, ». . . dann haben wir den Schlüssel für eine permanente Kolonisation durch Menschen gefunden.« Gemurmel breitete sich im Kontrollraum aus. Techniker, Flugingenieure und Wissenschaftler gleichermaßen konnten sich angesichts einer solchen Entdeckung kaum noch beherrschen. McConnell jedoch gab sich reserviert und professionell, obwohl er genauso aufgeregt war wie der Rest der Mannschaft. »Sagen Sie den Geologen und Hydrologen, dass das hier Vorrang hat«, wies er einen Techniker an. »Dringlichkeitsstufe eins.« Der Techniker nickte und war im nächsten Augenblick verschwunden. McConnell blickte wieder auf den zentralen Bildschirm. Luke und die anderen grinsten immer noch breit. McConnell wusste, dass der Mannschaft auf dem Mars nur allzu
klar war, wie diese Nachricht hier einschlagen würde. »Auf jeden Fall werden wir rausgehen, um uns das Ding aus der Nähe anzuschauen und zu versuchen, eine Vorstellung von seiner Zusammensetzung zu bekommen«, fuhr Luke fort. »Wenn ihr diese Nachricht erhaltet, müssten wir bereits vor Ort sein.« McConnell atmete tief ein und ließ die Luft langsam wieder ausströmen. Das waren wirklich unglaubliche Neuigkeiten. MARSOBERFLÄCHE, CYDONIA
EBENE
VON
Das Erkundungsfahrzeug schoss in Richtung der Ares-8 über die Ebene, die wie ein Irischer Setter immer noch treu in Position stand und ihr Ziel im Auge behielt. Als das Fahrzeug die Ares-8 erreichte, brachte Luke es zum Stehen und kletterte mit den anderen hinaus. Vor ihnen leuchtete die geheimnisvolle Formation blendend weiß in der Sonne. »Mein Gott. ..« Kirov fand als Erster die Sprache wieder. Wie sie es zuvor auf dem Monitor in ihrer Unterkunft gesehen hatten, waren die Facetten eben und glatt, wie auf dem Reißbrett entworfen. Die seltsame Kuppe bohrte sich am diesseitigen Ende der Flanke durch die obere Geröllschicht des großen
Berges - ein einzelner spitzkuppiger Riese, der sich gut drei Kilometer von links nach rechts erstreckte. Langsam gingen die Astronauten auf den großen Berg zu. Schon nach ein paar Schritten empfingen sie über die Kopfhörer ihrer Funkgeräte Störsignale in Form eines sehr tiefen, sehr leisen abgehackten Tons. »Hört ihr das auch?«, fragte Luke. »Ja«, antwortete Cote. »Was ist das?« »Hört sich an, als wäre unsere Antenne nicht mehr in Phase«, meinte Willis. »Kriegst du das hin?«, fragte Luke »Ich kriege alles hin.« »Angeber«, konterte Luke lachend. »Renee, Sergej, lasst uns die Radarkanone rausholen und nachsehen, woraus das Ding besteht.« INTERNATIONALE WELTRAUMSTATION, KORRIDOR AUSSERHALB DES KRMM Ray Beck, der Chef des NASA-Mars-Programms, scheuchte eine Gruppe männlicher und weiblicher Botschafter verschiedener Hautfarben und Nationalitäten durch die Korridore der belebten Internationalen Weltraumstation. Sie waren aufgeregt wie Schulkinder. Beck war Mitte fünfzig, ein hart gesottener PR-Profi mit Bürstenschnitt. Er vergaß niemals, um was es ging. Vor der Tür zum KRMM blieb er stehen.
»... und das ist der Kontrollraum der MarsMission«, erklärte er der aufmerksamen Gruppe. »Ich habe erfahren, dass gerade ein Missionsbericht vom Basiscamp Mars Eins eingetroffen ist vielleicht interessieren Sie sich ja dafür.« Er öffnete die Tür und führte seine Herde hinein. Der Tumult im Kontrollraum war noch viel aufregender, als die Botschaftergruppe es sich je ausgemalt hatte. Noch immer herrschte Euphorie wegen Lukes Nachricht. Die Botschafter waren schwer beeindruckt von den vielen Mitarbeitern, und vor allem von dem riesigen Bildschirm, auf dem der Rest der Videobotschaft von Mars Eins zu sehen war. Durch ein großes Fenster auf der anderen Seite des Raums erblickten sie das Schiff Mars Zwei, das in seinem Dock auf seine eigene Marsmission wartete, die in acht Monaten beginnen sollte. Die Botschafter schössen Fotos wie überdrehte Touristen. Der nigerianische Botschafter warf einen Blick auf McConnell, der immer noch wie angewachsen auf seinem Platz an der Hauptkonsole saß und einer Gruppe Techniker mit ruhiger Stimme präzise Befehle erteilte. »Der Mann da drüben - ist er hier der Chef?« Beck lächelte nachsichtig. »Nein, das ist Jim McConnell, der CAPCOM, unser Verbindungsmann zu den Astronauten«, erklärte er. »Jim hat von Anfang an zum bemannten Marsprogramm gehört. Einer unser echten Pioniere.«
»Wird er auch mit zum Mars fahren?«, fragte der Botschafter. »Äh, nein«, antwortete Beck. »Weiter als bis hier kommt er nicht.« Auf dem Hauptbildschirm hatten Luke und seine Mannschaft ihr Mittagessen beendet und räumten die Reste und das Geschirr fort. »Das wäre so ungefähr alles«, sprach Luke in die Kamera. »Wir werden einen weiteren Bericht schicken, sobald wir zurück sind.« Auf dem Bildschirm räusperte sich Renee und warf Luke einen Blick zu. »Ach ja, richtig!«, fuhr Luke fort und drehte sich wieder zur Kamera um. »Noch was. Heute ist ein besonderer Tag für einen guten Freund von uns, und ich weiß, dass er jetzt gerade da unten ist.« McConnell hielt in seiner Tätigkeit inne und schaute besorgt zum Bildschirm hinauf. Was hatte Luke vor? »Na ja, er kann solche Sachen nicht ausstehen«, erklärte Luke. »Deshalb werde ich seinen Namen nicht erwähnen...« McConnell seufzte erleichtert. ». . . denn das Letzte, was ich tun möchte, ist, jemanden wie Jim McConnell in Verlegenheit zu bringen.« McConnell zuckte zusammen. O nein! Bevor er protestieren konnte, erschien Kirov auf dem Bildschirm. Er hielt einen Napfkuchen in den Händen, in dem eine Kerze steckte. Sekunden später
gab die Mars- Eins-Mannschaft eine sehr laute und sehr falsche Version von »Happy Birthday« zum Besten. »Na los, ihr Schlafmützen da unten, singt mit!«, rief Luke auf dem Bildschirm. Plötzlich sang der ganze Kontrollraum einschließlich ein paar der Botschafter - mit Ausnahme von Ray Beck. Beck stand stocksteif da, offenbar abgestoßen von solch unprofessionellem Betragen. »Hey, Ray!«, rief Luke in die Kamera. »Jetzt schau ihn dir mal an! Er ist doch bestimmt knallrot im Gesicht und hat dieses Ich-bin-ja-keinSpielverderber-Grinsen aufgesetzt, oder?« Gereizt blickte Beck zu McConnell hinüber, der tatsächlich hochrot angelaufen war und ein Ich-binkein-Spielverderber-Grinsen aufgesetzt hatte. »Und jetzt schaut euch mal Ray an!«, fuhr Luke erbarmungslos fort. »Der sieht bestimmt aus, als wollte er sagen: >Das gehört nicht zum Missionsplan!<« Beck brachte ein missbilligendes dünnes Lächeln zustande. »Dagegen wirst du nichts machen können, Ray!«, meinte Luke von Mars Eins. »Wir sind hundertsiebzig Millionen Kilometer weit weg!« Er hob den Kuchen hoch. »Alles Gute zum Geburtstag, Jimbo! Jetzt darfst du dir was wünschen!« Luke und die anderen beugten sich vor, um die Kerze auf dem Küchen auszublasen. Sie lachten wie
ausgelassene Kinder und winkten zum Abschied. Offensichtlich amüsierten sie sich prächtig. Sichtlich verärgert, warf Beck erneut einen Blick zu McConnell hinüber, als trüge er irgendwie die Schuld an dieser Verletzung des Protokolls. »Bis bald«, sagte Luke, bevor er sich abmeldete. »Pass auf dich auf, Kumpel. Ende der Übertragung.« Er griff nach der Kamera und schaltete sie ab. Im Kontrollraum wurde der Bildschirm dunkel. MARSOBERFLÄCHE, CYDONIA
EBENE
VON
Renee starrte auf den Bildschirm, der auf dem Dach des Erkundungsfahrzeugs montiert war. Kirov stand ganz in der Nähe, mit einer riesigen, auf einem Dreifuß befestigten Radarkanone, die er genau auf den Berg richtete. »Und?«, fragte Luke ungeduldig. »Was ist da drunter?« Renee sah verwirrt aus. »Je ne sais pas«, antwortete sie. »Ich ... ich glaube, da stimmt was nicht mit dem Gerät.« »Was?«, fragte Luke. »Ich meine, das kann nicht stimmen. Es zeigt an ... es zeigt an, dass da drunter Metall ist.« Luke verzog das Gesicht. Metall? Das konnte nicht sein. Er trat zum Bildschirm, um selbst nachzusehen.
Renee deutete auf den Schirm. »Hier, da ist eine zehn, zwölf Meter dicke Schicht Geröll und Sand, und dann... eindeutig Metall.« »Das ergibt keinen Sinn. Das muss eine Erzader sein.« Renee schüttelte den Kopf. »Nein, es ist unter dem ganzen Berg.« Während sie sprach, wurde der tiefe, pulsierende Ton immer lauter. Luke runzelte die Stirn. »Nick«, sagte er in sein Mikrofon, »könnte es sein, dass die Antennenstörung die Radarmessung beeinflusst?« »Möglich«, meinte Willis. »Renee, Sergej, versucht näher heranzukommen und erhöht die Leistung«, ordnete Luke an. »Ich werde den Bildschirm im Auge behalten.« KONTROLLRAUM DER MARSMISSION Nachdem Beck und seine Botschaftergruppe den Kontrollraum verlassen hatten, zeichnete McConnell eine Sprachnachricht für Mars Eins auf. »Also, wir sind hier ziemlich aus dem Häuschen wegen dieser Formation, die ihr da entdeckt habt, Mars Eins. Die Geologen und Hydrologen gehen gerade sämtlich Fotokarten durch und suchen nach etwas Ähnlichem...« MARSOBERFLÄCHE, CYDONIA
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Der tiefe, vibrierende Ton war immer noch zu hören, als sich Renee und Kirov mit der Radarkanone dem Berg näherten. Sie setzten sie wieder auf das Stativ und richteten sie auf den Berg aus. Willis war immer noch mit der Antenne auf dem Fahrzeug beschäftigt, während sich Luke über den seltsamen Ton aufregte. »Wie sieht's mit der Antenne aus, Nick?«, fragte er. »Ich mach so schnell, wie's eben geht, Boss«, erwiderte Willis. Luke blickte zu Renee und Kirov hinüber, die über dem Radargerät kauerten und mit den Schaltern hantierten. Schließlich gab Kirov auf. »Hey, Nick«, meldete er sich bei Willis. »Komm mal her und zeig mir, wie blöd ich bin. Ich kriege das Ding nicht zum Laufen.« Willis blickte Luke an. Luke seufzte, dann nickte er und bedeutete ihm, sich den anderen anzuschließen. Die Antenne würde eben warten müssen. KONTROLLRAUM DER MARSMISSION Während McConnell seine Sprachnachricht für Mars Eins aufzeichnete, reichte ihm ein technischer Assistent einen Zettel. »Ich soll dich daran erinnern, dass du mit deinem Bluttest schon drei Tage zu spät dran bist. Ich weiß,
dass das nervig ist, aber du musst sie machen, sonst. . . sonst weiß ich auch nicht, was. Mach sie einfach, ja?« MARSOBERFLÄCHE, CYDONIA
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Mit Willis Hilfe brachten Renee und Kirov die Radarkanone in Gang. Kirov informierte Luke über ihre Fortschritte. »Alles klar hier, Chef.« Luke schob sich zum Bildschirm auf dem Erkundungsfahrzeug hinüber. »Okay«, instruierte er die Mannschaft über den Störton hinweg, der immer noch gleichmäßig laut in ihren Funkgeräten zu hören war. »Dreht den Saft auf und lasst mal sehen, was in diesem Ding steckt.« KONTROLLRAUM DER MARSMISSION McConnell überprüfte die Liste der Aktualisierungen auf seinem Klemmbrett. Es war Zeit, die Nachricht an Mars Eins zu schicken. »Ich glaube, das war's erst mal«, sagte er, bevor er sich abmeldete. »Aber was mich persönlich betrifft, muss ich euch sagen, dass ... äh ... keiner von euch singen kann.« MARSOBERFLÄCHE, CYDONIA
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Luke blickt auf den Bildschirm, während Kirov einen Schalter an der Radarkanone betätigte und sie langsam über den nahen Abhang des Berges schwenkte. Er schien das Gerät sehr hoch eingestellt zu haben; Luke konnte das kräftige Radarsignal sowohl hören als auch spüren. Zu ihrer Überraschung hatte der pulsierende Ton plötzlich aufgehört, als das Radarsignal eingesetzt hatte. Erstaunt blickte Luke vom Bildschirm auf. »Warum hat es aufgehört?«, fragte er seine Mannschaft. Den Bruchteil einer Sekunde später bekam Luke die Antwort. Mit ohrenbetäubendem Lärm fegte ein heftiger Windstoß über die Ebene. Fassungslos beobachtete Luke, wie sich ein riesiger durchsichtiger Zylinder aus der Bergspitze erhob. Der Zylinder wirbelte rasend schnell herum, während er in die Höhe wuchs, und riss Geröll, Steine und Sand von der Oberfläche des Abhangs mit sich. Die vier Astronauten starrten wie betäubt auf das Schauspiel, das sich ihnen bot. Im Geist gingen sie die Möglichkeiten durch - ein Zyklon? Eine Energiewelle? Es war unerklärlich. Sie waren so fasziniert, dass sie nicht einmal Angst empfanden. Der Zylinder erhob sich kerzengerade und stieg immer höher, bis er das Ausmaß eines Wolkenkratzers erreicht hatte. Mit jedem Meter, den er wuchs, gewann er an Geschwindigkeit und unglaublicher Kraft.
Luke war völlig gebannt. Was, zum Teufel, ging da vor sich? Doch ehe er den Mund öffnen konnte, um die anderen zu fragen, verstärkte sich die Kraft des wirbelnden Zylinders noch mehr. Er zog so viel Sand und Steine und jetzt sogar schon kleine Felsbrocken an, dass er dadurch fast undurchsichtig wurde. Renee, Willis und Kirov standen wie erstarrt am Fuß des Berges. Sie wechselten verblüffte Blicke, unfähig, ein Wort zu sagen. Was, zum Teufel, ging hier vor? KONTROLLRAUM DER MARSMISSION McConnell gähnte, dann räusperte er sich und sprach wieder ins Mikrofon. Um ihn herum waren die anderen Mitarbeiter mit ihren eigenen Aufgaben beschäftigt. »Ehrlich gesagt, Luke«, sagte McConnell, »wenn ihr nichts Besseres mit eurer Zeit anzufangen wisst, könnte ich dem medizinischen Betreuungsdienst der Mission ein paar Vorschläge machen. Ihr wisst ja, es gibt noch weitaus Schlimmeres als Bluttests.« Das brachte ihm etliche Lacher, aber auch einiges Gestöhne seitens der Mannschaft des Kontrollraums ein. MARS, CYDONIA
OBERFLÄCHE,
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Luke hatte den Blick fasziniert auf den herumwirbelnden Zylinder geheftet. Plötzlich jedoch wurde seine Aufmerksamkeit von etwas anderem abgelenkt. Sand und Steine schössen mit beängstigender Geschwindigkeit an seinem Helm vorbei - von hinten. Verwirrt drehte er sich um, und ein stetiger Strom von Sand wurde gegen sein Visier geschleudert. Die nähere Umgebung verschwamm, als sich der ungeheure Vakuumeffekt langsam über die gesamte Gegend ausbreitete. Innerhalb weniger Sekunden war der Ansturm von Sand und Geröll kaum noch auszuhalten. Dann brach der Bann. Luke kehrte in die Realität zurück. Wir müssen sofort weg hier, dachte er. Er versuchte sein Funkgerät zu aktivieren, um die anderen zu warnen. Verzweifelt brüllte er in sein Kehlkopfmikrofon, damit sie sich von dem Zylinder entfernten und zum Fahrzeug zurückkehrten, doch seine Stimme kam nicht gegen den heulenden Wind an. Schließlich fuchtelte er wild mit den Armen, bis die anderen ihn bemerkten und den Rückzug antraten. Auch Luke wich zurück, doch er konnte den Blick noch immer nicht von dem mächtigen Zylinder abwenden. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Willis sich nicht von der Stelle gerührt hatte. Er zog sich nicht zurück wie die anderen ... er war damit beschäftigt, Bilder von dem Zylinder zu schießen.
Gegen den Wind ankämpfend, eilte Luke zu Willis, zerrte an seinem Raumanzug und gab ihm Zeichen, dass er so schnell wie möglich hier verschwinden sollte. Doch irgendetwas in Willis' verängstigtem Gesichtsausdruck veranlasste Luke dazu, sich nach dem Zylinder umzudrehen. Er folgte Willis' Blick. Zu seinem Entsetzen ereignete sich dort das Unvorstellbare. Der Zylinder bewegte sich. Zuerst neigte er sich etwas, dann bog er sich seitlich, so dass Luke in die riesige Öffnung an seinem Ende blicken konnte. Sand und Felsbrocken wurden in der Tiefe durcheinander gewirbelt. Plötzlich schob sich der gewaltige klaffende Schlund über die Kante des Bergs und drehte sich wie wild in alle Richtungen. Luke hatte das seltsame Gefühl, als ob der Zylinder nach etwas suchte - als ob er nach ihnen suchte. Einen Moment später, als der Zylinder mit einem heftigen Ruck in ihre Richtung vorstieß, war er sich dessen sicher. Voller Angst wirbelten Luke und Willis herum und versuchten, so schnell wie möglich zum Fahrzeug zu flüchten. Doch der Sog des Wirbels war inzwischen so stark geworden, dass sie kaum vom Fleck kamen - als würden sie an Drähten zurückgehalten. Der Boden unter ihnen bebte und rumpelte. Quer über die Ebene wurden Spalten aufgerissen. Das Dröhnen des Wirbels und das Grollen des Bodens
hörten sich an wie ein näher kommender Schnellzug. Im Malstrom des fliegenden Gerölls konnten Luke und Willis Renee und Kirov kaum erkennen, die sich nur wenige Meter vor ihnen befanden. Schließlich erblickte Luke Renee. Sie versuchte verzweifelt sich gegen den Sog zu stemmen, um nicht von ihm fortgerissen zu werden. In diesem Moment krachte ein Felsbrocken von der Größe eines Basketballs gegen ihren Helm. Luke schrie entsetzt auf, als der mächtige Stein Renees Schädel zertrümmerte. Doch sein Schrei ging im Chaos des Sturms unter. Von Panik erfasst, musste er mit ansehen, wie Renees Blut in den Wind spritzte und in der eisigen Atmosphäre augenblicklich zu roten Kügelchen kristallisierte. Luke kämpfte gegen den Sog an, so gut er konnte. Er musste zum Fahrzeug zurück. Er musste Kirov finden und Willis in Sicherheit bringen. Doch zu seinem Entsetzen sah Luke durch sein zerkratztes Visier, wie Sergej in rasendem Tempo an ihm vorbeigeschleudert wurde. Die gewaltige Kraft des Sturms riss ihn fort; er schlug mit Armen und Beinen um sich, sein Mund war zu einem lautlosen Schrei aufgerissen. Dann war er verschwunden, direkt vor Lukes Augen. Luke blieb kaum eine Sekunde Zeit, um zu reagieren,, als sich der Boden unter seinen Füßen öffnete und ihn hilflos in eine Spalte rutschen ließ. Er wollte sich irgendwo festhalten, griff wild um sich und klammerte sich schließlich mit Helm und
Ellbogen an die Bruchkante, um nicht noch weiter zu fallen. In Todesangst krallte sich Luke ins Erdreich. Schutt und Geröll polterten um ihn herum in die Tiefe... Unmengen von Sand drohten ihn lebendig unter sich zu begraben. Fast bewusstlos hob Luke den Kopf, während er versuchte sich festzuhalten. Dann musste er mit ansehen, wie der Letzte seiner Mannschaft, Willis, in den schwarzen Schlund des Wirbels gesaugt wurde - sein Körper war entsetzlich entstellt durch die Kräfte, die ihn mit sich rissen. »Neiiin!«, schrie Luke mit letzter Kraft. Doch es gab nichts, was er tun konnte. Der Sturm war zu stark. Luke stieß wieder einen gequälten Schrei aus, als er sah, wie Willis' Raumanzug aufplatzte und sein Körper in eine Million Teile explodierte, die von dem höllischen Wirbel verschluckt wurden. Dann verschwand der Wirbel plötzlich ebenso schnell, wie er gekommen war. Alles war still. Die letzten Kieselsteine und Felsbröckchen prasselten, vom Sog des Zylinders befreit, herab und hüpften, als sie auf den Boden auftrafen. Wolken aus Sand und Staub trieben dahin und sanken sanft zu Boden. Die zerklüftete orangefarbene Landschaft lag wieder still da. Friedlich. Und dann vernahm Luke aus der Richtung des Berges erneut den tiefen, pulsierenden Ton.
KONTROLLRAUM DER MARSMISSION »Oh, und ich habe mit Debra gesprochen«, fügte McConnell mit einem Grinsen hinzu, obwohl er wusste, dass Luke es nicht sehen konnte. »Ihr und Bobby geht es gut. Ich soll dir sagen, sie lesen das Buch schon zum dritten Mal und sind jetzt auf Seite 125. Sie schicken dir all ihre Liebe und sagen, du sollst auf dich aufpassen. Das Gleiche sagen wir dir hier auch. Also, bis zum nächsten Mal.« Er griff über die Konsole hinweg, um den Rekorder auszuschalten. »Ende der Übertragung«, sagte er, bevor er die Taste drückte.
Kapitel 4 MARSOBERFLÄCHE, EBENE VON CYDONIA Eine unheimliche Stille breitete sich über der Ebene von Cydonia aus. Kein Wind war zu hören, kein Laut außer dem seltsamen, pulsierenden Ton in der Ferne. Alles war still. Das Erkundungsfahrzeug, übel zugerichtet, war seitlich in einen kleinen Krater gekippt. Die kleine Ares-8 lag ein Stück weiter entfernt ebenfalls auf der Seite, halb unter einem Felsbrocken begraben. Sie gab ein letztes erbärmliches Pfeifen von sich, ehe sie endgültig verstummte. In der Nähe, wo Luke und Willis verzweifelt versucht hatten, das Fahrzeug zu erreichen, waren noch ein paar Spalten zu sehen, doch die meisten Risse hatten sich mit Sand und Geröll gefüllt. Nirgendwo ein Zeichen von Leben...
ORBIT DER ERDE, INTERNATIONALE RAUMSTATION, COCKPIT DER (ANGEDOCKTEN) MARS ZWEI In Schwerelosigkeit ließ sich Woody Blake ins Cockpit von Mars Zwei hinauftreiben. Mit einem NASA-Overall bekleidet, balancierte er ein dickes Handbuch in den Händen, in dem er las, während er dahinschwebte. »Problem: Fehlfunktion der Lukenklappe«, las er laut. »Ausfall der Notstromaggregate, Versagen der Handbedienung. Lösung: Überlastschalter 907B ersetzen.« Woody schnallte sich im Pilotensitz fest und starrte auf die Steuerkonsole vor sich. Er nahm einen Anschlusskasten ins Visier, der sich am Ende des Schaltpults befand. »Okay... kein Problem«, murmelte er. Dann öffnete er das Gehäuse und legte das beängstigende Gewirr von Drähten und Sicherungen frei. Er stieß einen Seufzer aus. »Mein Gott, wer hat sich bloß diesen Albtraum ausgedacht?« In diesem Moment schwebte Terri an ihm vorbei und schnallte sich auf dem Sitz des Kopiloten fest. »Du brauchst gar nicht vom Thema abzulenken«, meinte sie. »Tu ich doch gar nicht!«, protestierte Woody. »Wir haben über die Hochzeit deiner Schwester geredet, oder?«
»Sehr witzig«, erwiderte Terri. »Und wir haben über Tanzstunden geredet. Vor der Hochzeit meiner Schwester.« Woody verdrehte die Augen. »Schatz, ich hoffe, es macht dir nichts aus«, sagte er, »aber ich muss mich um diesen katastrophalen Stromausfall kümmern.« Übertrieben besorgt spähte er in das Gehäuse. Terri ignorierte sein Bemühen. »Woody, wir sind verheiratet«, fuhr sie fort. »Würde es dich umbringen, mich ab und zu zum Tanzen aufzufordern?« »Ich habe doch auf unserer Hochzeit mit dir getanzt.« Terri schnitt eine Grimasse. »Ich rede nicht davon, dass du mit den Füßen über den Boden schlurfst, während du meinen Hintern begrabbelst. Ich meine richtiges Tanzen. Cha-Cha-Cha, Rumba, Jitterbug.« Woody blickte ihr ins Gesicht. »Finde dich damit ab, Schatz«, sagte er. »Manche Paare tanzen, andere fliegen zum Mars. So ist das Leben.« Terri platzte beinahe der Kragen. »Ich meine es ernst! Wir sind noch zwei Monate in diesem Trainingszyklus, aber sobald wir nach Hause kommen, fangen wir in der Tanzschule an. Wenn wir nie tanzen, werden die Leute glauben, mit uns stimmt irgendwas nicht.«
»Wenn sie mich tanzen sehen, wissen sie, dass was nicht stimmt.« Mit einem verzweifelten Seufzer griff Terri an ihrem Mann vorbei und zog den Unterbrecherkontakt heraus, den er gesucht hatte. »Du bist ein Trottel«, meinte sie gutmütig. Überrascht sah Woody sie an, dann grinste er. Doch bevor er antworten konnte, fing die über ihnen angebrachte Sprechanlage an zu knacken. »Cockpit, hier Kontrollraum.« Es war Phil. Terri räusperte sich. »Kontrollraum, hier Cockpit.« »Äh, Terri, wir sollen alle in die Station zurückkommen«, sagte Phil. »Meldet euch im KRRM.« »Wer hat ge sagt, dass wir uns im Kontrollraum melden sollen?«, fragte Terri. »Die kleinen Männchen, die in meinem Kopf wohnen«, gab Phil sarkastisch zurück. »Komm schon, Phil!«, protestierte Woody. »Wir haben diese Übung doch gerade erst angefangen.« »Woody, es war Ray Beck«, erklärte Phil. Jetzt klang er ernst. »Er hat gesagt, ich soll die Mannschaft zusammentrommeln. Sofort.« Woody und Terri wechselten besorgte Blicke. Im Kontrollraum bekamen sie die Antwort. Woody starrte auf den Hauptbildschirm, wo ein Computerbild des Mars rasend schnell von einem Strom grüner Zahlen überzogen wurde. Und der Standort des Mars-Eins-Basiscamps war mit einem
roten Warnlicht markiert. Woody und seine Mannschaft schauderten vor Angst. Im KRRM herrschte Chaos. Ingenieure und Manager rannten umher. Techniker standen dicht zusammengedrängt oder sprachen fieberhaft in Mikrofone. McConnell und Beck standen neben Terri und Woody und erläuterten ihnen die Situation. »Dann, um 14:17 Uhr brach der kontinuierliche X-Band-Datenstrom vom Mars ab«, berichtete Beck. »Keine Daten mehr - weder medizinische noch die Umgebungsdaten, nichts mehr. Während wir versucht haben, herauszufinden, was da vor sich ging, haben wir ein Signal von den Leuten vom Large Array in Soccoro bekommen. « »Im selben Augenblick, in dem der Datenstrom abbrach, haben sie einen massiven Energieausbruch auf dem Mars registriert«, erklärte McConnell. Woodys Augen wurden schmal. »Was heißt >massiv«, fragte er. McConriell zögerte. »Katastrophal«, antwortete er. . Woody und die anderen sahen sich an. »Was ist passiert?«, flüsterte Woody. McConnell schüttelte den Kopf. »Wir sind nicht sicher.« »Was ist mit der Mannschaft?«, fragte Terri. Beck antwortete ihr. »Bei dem Energieniveau des Impulses... schien es keine Überlebenschancen zu geben.«
»Was ist mit der REMO?«, wollte Woody wissen. »Sie ist vergangene Woche in die Umlaufbahn des Mars eingetreten. Vielleicht könnte die uns Aufschluss geben.« »Gut gedacht, Woody«, erwiderte McConnell. »Genau das haben wir als Nächstes probiert.« Er beugte sich vor und drückte ein paar Tasten auf der Konsole. Woody und seine Leute blickten wieder auf den Bildschirm, wo sie ein orangefarbenes Kästchen, das eine leuchtende Spur hinter sich herzog, in der ellipsenförmigen Umlaufbahn des Mars sahen. McConnell drückte weitere Tasten, isolierte das Kästchen auf seinem kleinen Monitor und vergrößerte es. Die Computeranimation eines kleinen, hässlichen unbemannten Versorgungsraumschiffs mit der Aufschrift »REMO« erschien auf dem Großbildschirm. »Das Nachschubmodul ist in Ordnung«, erklärte McConnell. »Keine Fehlfunktionen, keine Statusänderungen. Die Umlaufbahn wird exakt eingehalten. Aber da war noch was anderes. Der Computer der REMO hat eine Uplink-Nachricht gespeichert - eine sehr schwache, ziemlich verzerrte Übertragung vom Mars-Eins-Basiscamp.« Terri schluckte schwer. »Also hat jemand überlebt«, meinte sie. »Ja«, bestätigte McConnell. »Und wie?«, fragte Phil.
Beck zeigte auf den Monitor auf der anderen Seite des Kontrollraums. »Die Nachricht lässt sich kaum entschlüsseln«, erklärte er. »Zwei Teams arbeiten noch dran. Ihr schaut euch das besser selber mal an.« McConnell, Woody, Terri und Phil drängten sich mit Beck und zwei erschöpften Technikern um den Monitor. »Wir konzentrieren uns immer noch auf die Audionachricht«, erläuterte einer der Techniker. »Wir haben noch ein paar Worte mehr herausfiltern können, aber wir haben noch einen Haufen Arbeit vor uns.« »Zeigt uns schon mal, was ihr gefunden habt«, forderte Woody ihn auf. Der zweite Techniker drückte die Starttaste. Woody und die Mannschaft beugten sich vor. Der Schirm war schwarz, dann folgte statisches Flimmern. In diesem Flimmern erschien ein schwaches Bild von Luke, der allein in der Unterkunft am Küchentisch saß. Woody fühlte, wie ihn ein Schauer überlief. Luke sah furchtbar aus. Getrocknetes Blut klebte an seinem Gesicht, und seine Augen waren blutunterlaufen. Das Bild war streifig und verschwommen. Das meiste, was er sagte, ging im Rauschen unter. ».. . mich beeilen«, sagte Luke auf dem Band. ». .. vielleicht einzige Mög...«
Es folgte eine lange Pause, gefüllt mit statischem Knistern. Woody und die anderen blickten einander an. Allen schoss der gleiche Gedanke durch den Kopf: O Gott! »... einen tiefen Ton, den wir nicht einordnen konnten. Und plötzlich war da dieses furchtb... teme sind im Moment stabil, aber ich weiß nicht, wie lange ich ...« Dann wurde der Monitor dunkel. »Das war's«, berichtete der Techniker. Woody starrte immer noch erschüttert und schweigend auf den Bildschirm. Die Katastrophe war einfach zu gewaltig, um sie zu begreifen. Einige Minuten später hatten sich Woody und seine Mannschaft mit Beck und McConnell in einem leeren Aufenthaltsraum versammelt. Die Astronauten hielten ihre Styropor-Kaffeebecher umklammert und blickten durch ein großes Fenster auf die vor dem schwarzen Hintergrund funkelnden Sterne. »Wenn es ein Erdbeben war, wie wir im Moment annehmen«, meinte Beck, »gibt es gewöhnlich eine auditive Komponente.« Woody stellte seinen Becher auf einen Tisch. »Aber dieser Energieimpuls, den sie in Neu Mexiko aufgefangen haben...«, begann er. »Elektromagnetische Strahlung«, erklärte Phil. »So was ist nicht unüblich bei geophysikalischen Ereignissen in dieser Größenordnung.«
Woody blickte ihn ungläubig an. »Die solche Schäden verursachen? Das glaube ich nicht. Irgendwas stimmt hier nicht.« McConnell seufzte. »Woody, im Moment stimmt so ungefähr gar nichts.« »Was ich nicht verstehe, ist«, schaltete sich Terri ein, »warum Luke nicht einfach in seinen ERV steigt und sich vom Acker macht. Das Ding ist so einfach konstruiert, dass ein Mitglied der Mannschaft auch allein damit zur Erde zurückfliegen kann.« »Das kann er nicht«, vermutete Phil. »Dieser Energieimpuls hat bestimmt die Computer des ERV lahm gelegt, oder?« Beck nickte. »Abgesehen von den Computern - was wissen wir darüber, in welchem Zustand der ERV ist?«, fragte Woody. »Nun, laut unserer Prognosen müsste er noch ziemlich gut in Schuss sein«, meinte Beck. »Was bedeutet«, fuhr Woody fort, » dass es jetzt an uns liegt, neue Motherboards, Laufwerke und Software auf den Mars zu schaffen. Und zwar schnell.« McConnell blickte ihn an, dann nickte er. Doch Beck war zurückhaltender. »Hey, jetzt mal langsam«, forderte er. »Wir werden Wochen brauchen, um die Daten auszuwerten.« »Stimmt, aber in der Zwischenzeit müssen wir einen Missionsplan ausarbeiten«, beharrte Woody. »Luke braucht uns jetzt.«
»Luke ist vielleicht schon tot«, widersprach Beck. »Und selbst wenn nicht, ist es zweifelhaft, ob noch einmal eine Übertragung durchkommt. Also wissen wir nicht, ob eine Landung gefährlich ist, bis ihr schon fast dort seid.« »Was ist mit der Saturn-Bildsonde?«, fragte Phil. »Die SIMA wird auf ihrem Weg durch das Sonnensystem um den Mars kreisen. Sie könnte umprogrammiert werden, um Bilder zu machen und die Strahlung zu messen.« »Gute Idee, Phil«, meinte McConnell. »Wir werden den Rettungsplan so ausarbeiten, dass wir jederzeit umkehren können.« »Wenn die SIMA feststellt, dass Luke nicht überlebt hat und eine Landung gefährlich ist, drehen wir eine Runde um den Mars und kommen sofort zurück.« Beck schüttelte den Kopf. »So einfach ist das nicht«, erklärte er. »Das größte Problem habt ihr übersehen.« Alle Augen richteten sich auf ihn. »Der Mars steht jetzt ungünstig«, fuhr er fort. »Das nächste brauchbare Startfenster ist erst in etwa acht Monaten.«
Kapitel
5
McConnell fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Er konnte nicht zulassen, dass irgendein Problem ihn aufhielt. Egal, womit Beck ankam, McConnell würde immer eine Lösung finden. Das musste er auch. Er wusste, dass sich Luke auf ihn verließ. »Wir könnten früher losfliegen und schneller dort sein, wenn wir weniger Nutzlast und mehr Treibstoff mitnehmen«, meinte er zu Beck. »Wir haben ein Konzept dafür entwickelt, Ray. Ich habe es entwickelt.« »Auf dem Papier, ja«, gab Beck zurück. »Aber das ist nie im Weltraum erprobt worden.« »Das Schiff schafft das schon«, beharrte McConnell. »Ich habe nicht nur an das Schiff gedacht.« Enttäuschung kroch in ihm hoch. Aber das war egal. Er musste weiter drängen. »Ich kenne die Richtlinien für eine MarsRettungsmission besser als jeder andere. Ich habe
dabei geholfen, sie zu entwickeln«, sagte er zu Beck. Er deutete auf Woody und seine Mannschaft. »Und ich sage dir, diese Jungs können das schaffen.« Woody trat einen Schritt vor. »Er hat Recht, Ray. Wir haben eine echte Chance.« Beck vergrub sein Gesicht in den Händen. Als er wieder aufblickte, sah er Woody direkt ins Gesicht. »Bringt mir bis morgen früh um acht Uhr einen aktualisierten Missionsplan. Dann werde ich darüber nachdenken.« »Du hast ihn um sechs Uhr«, versprach McConnell. Erleichtert gab er Woody und den anderen ein Zeichen. »Machen wir uns an die Arbeit«, ordnete er an, während er bereits den Flur entlangeilte. Terri und Phil folgten ihm, doch als sich auch Beck auf den Weg machen wollte, hielt Woody ihn zurück. »Chef, kann ich mal mit dir sprechen?«, fragte er. Woody suchte nach den richtigen Worten, um auszudrücken, was er auf dem Herzen hatte. »Ray, ich habe nicht mehr die richtige Mannschaft.« Beck sah ihn überrascht an. »Wie meinst du das? Bjornstrom kann mit dem nächsten Shuttle raufkommen.« Woody schüttelte den Kopf. »Bjornstrom ist Geologe. Er ist gut, aber für so was nicht geeignet. Meine Leute haben gerade acht Monate Training sausen lassen. Das hier ist eine andere Mission, mit einem anderen Ziel.«
»Ich habe diese Mission noch nicht genehmigt«, erinnerte ihn Beck. »Aber wenn du es tust, sollte sie die besten Voraussetzungen dafür haben, zu gelingen.« Er holte tief Luft und fuhr mit aller Überzeugung, die er aufbringen konnte, fort. »Ich will McConnell auf dem rechten Platz dabei haben.« Becks Gesichtsausdruck wurde hart. »Er hat keinen Missionsstatus mehr«, wandte er ein. »Ja, weil du ihn zurückgestuft hast.« »Er hat sich selbst zurückgestuft«, erwiderte Beck. »Er hätte nur noch ein paar Psycho-Tests bestehen müssen, aber er hat sich geweigert.« Woody sah Beck direkt in die Augen »Seine Frau ist vor seinen Augen elendig krepiert«, sagte er. »Was war sein Vergehen, Ray? Dass er sich nicht auf eine Couch legen und sie mit Fremden teilen wollte?« »Jeder muss die psychologischen Einstufungstests über sich ergehen lassen«, unterwies Beck ihn in seiner üblichen >LautVorschrift<-Manier. »Ohne Ausnahme. Das wusste er auch.« »Ja, er wusste das«, meinte Woody. »Aber du hättest etwas mehr Geduld mit ihm haben können. Und auf jeden Fall hättest du ihm eine andere Mission übertragen können.« Beck furchte kampflustig die Stirn. »Willst du allen Ernstes behaupten, Jim McConnell sei derselbe
Mann wie vor zwei Jahren? Willst du, dass ich dafür vier weitere Menschenleben aufs Spiel setze?« Woody zögerte. Er wusste, dass er irgendwann hierfür würde bezahlen müssen, aber wen kümmerte das jetzt? Ohne McConnell würde er nicht auf diese Rettungsmission gehen. Er holte tief Luft, dann fuhr er fort. »Als Maggie gestorben ist, ja, da ging's ihm total beschissen. Da ging's uns allen beschissen. Aber du weißt genauso gut wie ich, dass er immer noch unser bester Mann ist. Er und Maggie haben alles über den Mars in Erfahrung gebracht, was es zu lernen gibt. Er hat mehr Stunden im Simulationslabor verbracht als wir alle zusammen! Ray, wir können es schaffen. Gib mir McConnell als Kopilot, und wir bringen Luke nach Hause.« Er räusperte sich und nahm Haltung an. »Das ist ein Versprechen.« WELTRAUM Die ehemalige Mars Zwei, äußerlich ihrem Schwesterschiff Mars Eins zum Verwechseln ähnlich, glitt durch den Weltraum. Umbenannt in »Mars Recovery« und befehligt von Woody Blake und seinem Kopiloten Jim McConnell, war sie bereits seit 172 Tagen auf ihrer Rettungsmission unterwegs. Im vorderen Teil des Schiffs, in der Luftschleuse, bastelte Phil äußerst konzentriert an einem
schwebenden 3-D-Muster aus M&Ms. Als er das letzte blaue M&M in das gewichtslose Puzzle einfügte, tauchte McConnell aus dem zentralen Verbindungsgang auf. Er kam aus dem unteren Teil des Raumschiffs, wo sich die Unterkünfte befanden. Grinsend bewunderte er Phils Arbeit. »Was ist das?«, fragte er. »Das ... ist die exakte chemische Zusammensetzung meiner Traumfrau.« »Gewesen«, korrigierte ihn McConnell, der sich ein paar M&Ms herauspickte und sie in den Mund steckte. »Hey!«, beschwerte sich Phil. McConnell grinste noch breiter. »Und was ist es jetzt?«, fragte er. Traurig blickte Phil auf sein schwebendes Modell. »Ein Frosch«, antwortete er achselzuckend. McConnell musste lachen, ebenso wie Terri, die nicht weit entfernt über einem Mikroskop kauerte. Phil griff mit beiden Händen nach seinen M&Ms und stopfte sie sich in den Mund. »Ich glaube, wir haben die Antwort auf die Frage gefunden, welche Auswirkungen ein langfristiger Weltraumaufenthalt auf das menschliche Gemüt hat. Die Antwort ist Phil.« McConnell lächelte. »Ich werde versuchen, neue Daten von der SIMA zu bekommen. Sie musste schon so nah dran sein, dass sie ein paar Oberflächenbilder machen könnte.«
Er schwebte zu einer Leiter hinüber und hinauf ins Cockpit. Dort saß Woody vor dem Schaltpult und blickte auf einen Monitor. »Schau dir das mal an«, forderte Woody ihn auf, als er ihn sah. McConnell kam näher heran, um besser sehe n zu können. Der Bildschirm wurde vollständig vom Mars eingenommen. Alle Einzelheiten der Oberfläche waren sichtbar. Im Südosten hing ein amorpher brauner Wirbel. »Wie erklärst du dir das?«, fragte Woody seinen Kopiloten. »Ein Sandsturm«, antwortete McConnell. »Südliche Hemisphäre, er kommt aus dem Osten. Scheint ein riesiges Ding zu sein.« »Zieht in Richtung Chryse Planitia.« »Stimmt. Könnte ein bisschen haarig werden, wenn wir landen.« »Wir werden uns beeilen müssen. Vielleicht auch unsere geschätzte Ankunftszeit vorverlegen. So ein Sturm kann sich über den ganzen Planeten erstrecken und bis zu einem Jahr dauern.« Woody hoffte, dass er Unrecht hatte. Das hofften sie beide. »Wann fliegt die SIMA vorbei?«, fragte McConnell. »Morgen früh um sechs Uhr«, antwortete Woody. »Dann wissen wir, ob wir den ganzen Weg umsonst gemacht haben.«
Die beiden Männer blickten sich an. McConnell wusste, dass Woody Recht hatte, aber der Gedanke war einfach zu schrecklich, um sich damit zu befassen. »Ich setze auf Luke«, sagte er leise. Am nächsten Morgen schwebte Phil um 05:45 Uhr durch den Verbindungstunnel zur Kabine, wo Woody und Terri in der Schwerelosigkeit tanzten. Entzückt beobachtete er, wie Woody seine Frau herumwirbelte. Sie wirkten ausgelassen und über alle Maßen verliebt. »Was hat dich denn gebissen?«, fragte Phil. »Schwerelosigkeit«, antwortete Woody. »Meine letzte Chance, Anmut zu zeigen. Wenn wir in der Anziehungskraft vom Mars sind, werde ich wieder mit den Füßen schlurfen und ihren Hintern begrabbeln.« Terri grins te. »Ich nehme alles mit, was ich kriegen kann.« Kurz darauf kam auch McConnell hinzu, und Sekunden später meldete sich der Computer mit einem Zirpen. »Achtung. Eintreffendes Datenpaket«, verkündete er. Sie blickten sich an. Darauf hatten sie gewartet! Hastig drehte sich Woody um und schaltete die Musik aus. Dann eilte er durch das Schiff zum Cockpit, wo er sich mit seiner Mannschaft um den Bildschirm versammelte, um den Bericht der SIMASonde zu erwarten.
Ein Blick auf den Bildschirm bestätigte, dass die Nachrichten nicht gut waren. Das hoch aufgelöste Satellitenfarbbild vom Mars-Eins-Basiscamp zeigte eine gespenstische, von Sand und Staub überzogene Anlage. Keinerlei Anzeichen von Leben. »Sieht verlassen aus«, sagte Woody leise. »Immerhin steht es noch«, betonte Phil. »Der ERV auch. Und seht mal, da ist das Gewächshaus.« »Zumindest wissen wir, dass Luke ein paar Stunden überlebt hat«, meinte McConnell. »Die Frage ist, ob es Anzeichen dafür gibt, dass es dort in letzter Zeit irgendwelche Aktivitäten gegeben hat.« Aufmerksam ließen sie ihre Blicke über den Bildschirm wandern, bis Phil schließlich etwas entdeckte. »Da!«, sagte er, griff nach einem Stift und berührte damit den Bildschirm. Das Bild wurde größer, und etwa fünfzig Meter von der Unterkunft entfernt tauchten drei längliche Erdhaufen auf. »Was, zum Teufel, ist das?«, fragte Phil. »Gräber«, antwortete McConnell einsilbig. Schweigend ließen sie die Situation auf sich wirken. »Moment mal«, brach Phil plötzlich das Schweigen. »Da sind nur drei. Das heißt. . .« »Phil. . .«, wandte Terri ein. »Das heißt, Luke muss noch am...« Terri legte sanft die Hand auf Phils Schulter. »Nein. Das heißt nur, dass niemand mehr da war, um ihn zu begraben.« Wieder herrschte tiefes Schweigen.
»Strahlungsniveau überprüfen«, befahl Woody. »Normal«, antwortete Phil und drückte noch ein paar andere Knöpfe. » Schauen wir uns mal die Gegend genauer an, wo das Desaster passiert ist.« Phil ließ mit dem Stift weitere Bilder erscheinen. Die nähere Umgebung, bedeckt mit Geröll. Saubere Spiralen aus Geröllschutt, auf unheimliche Weise wie riesige Erdskulpturen zusammengefügt. In der Mitte ein großer, kreisrunder Krater. Phil fokussierte das Zentrum des Kraters, doch plötzlich flimmerte das Bild. »Was ist los?«, fragte McConnell. »Ich weiß nicht«, antwortete Phil. »Magnetische Störungen?« Er drehte den Stift auf dem Monitor, doch das Bild wurde nicht schärfer. »Geh auf Infrarot«, ordnete Woody an. Phil hämmerte auf die Tastatur ein, doch selbst auf Infrarot war das Bild immer noch unscharf. Verzweifelt lehnte er sich zurück. »Muss ein Problem mit der SIMA sein. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein sechs Monate zurückliegendes Erdbeben solch eine Störung verursachen könnte.« McConnell schüttelte den Kopf. »Das war kein Erdbeben«, stellte er fe st. »Was, zum Teufel, war es dann?«, wollte Woody wissen. Wieder schüttelte McConnell den Kopf.
Kapitel
6
MARS RECOVERY - DERSELBE TAG, SPÄTER Beim Abendessen sah sich die Mannschaft die letzte Nachricht von Ray Beck auf Videoband an. »Wir werden weiter versuchen herauszufinden, wo das Problem bei diesen Aufnahmen liegt«, sagte Beck in der Aufzeichnung. »Ehrlich gesagt tappen wir genauso im Dunkeln wie ihr. Aber was die Gräber angeht, stimmen wir zu, dass hierfür kein Beweis vorliegt. Nur eine Untersuchung vor Ort kann Lukes Status bestätigen. Wir denken, dass morgen früh eurem Eintritt in den Marsorbit nichts mehr im Wege steht. . .« Noch bevor er den Satz beendet hatte, brach die Mannschaft in Freudenschreie aus. Woody und Terri schlugen die Hände aneinander. »Gott schütze euch. Gute Nacht«, verabschiedete sich Beck, bevor er abschaltete. »Ende der Übertragung.«
In dieser Nacht waren alle viel zu unruhig, um zu schlafen. Terri spielte mit Phil Computer-Monopoly und schob ihre Figuren über das virtuelle Spielbrett, indem sie ihren Bildschirm berührte. Dann sah sie Phil bei seinem M&M-Auswahlritual zu, bei dem er alle roten aussortierte, ehe er seinen Zug machte. Terri schüttelte den Kopf. »Was wäre eigentlich, wenn du eines Tages dein Fresspaket aufmachst und feststellst, dass jemand, statt alle Farben außer rot reinzutun, einen Fehler gemacht und nur rote reingetan hat?« Phil blickte nicht auf, sondern fuhr fort, die roten M&Ms herauszusuchen. »Hey, das ist 'ne echt komische Idee«, antwortete er trocken. »Und was wäre, wenn du in deinem Fresspaket statt braunem Reis nur Stacheln mit Sprungfedern findest, die dir um die Ohren fliegen, wenn du die Tüte aufmachst?« Terri starrte ihn an. »Wie bist du eigentlich durch die psychologischen Tests gekommen?« »Als Schizophrener wird man höher eingestuft.« In seiner Kabine konnte auch McConnell keine Ruhe finden. Die Erinnerungen an Maggie ließen ihn nicht los. Er stieg aus dem Bett und legte eine CD in seinen Computer. Auf dem Bildschirm erschien ein Video, aufgenommen ein paar Jahre zuvor. Eine spontane Feier in ihrem Wohnzimmer, damals, als er und Maggie zum Captain und CoCaptain von Mars Eins ernannt worden waren. Luke,
Debra, Terri, Woody, Phil, Cote, Kirov . .. alle hatten sie mit ihnen gefeiert. Jim sah sich das Video ein paar Minuten lang an das Gelächter und Herumgealbere stimmte ihn nur noch trauriger. Doch ehe er abschaltete, fixierte er seinen Blick noch einmal auf das hübsche Gesicht seiner Frau auf dem Bildschirm. Ihre Augen ... ihr Haar... ihre Stimme. Alles an ihr war faszinierend gewesen. Selbst auf dem Video hatte sie alle mit ihren Theorien über den Mars in ihren Bann gezogen. Er drückte in dem Moment auf den Lautstärkeregler, als Woody in der Tür erschien. »In all unseren Mythen «, sagte Maggie auf dem Video, »in jeder menschlichen Kultur hat der Mars eine besondere Anziehungskraft ausgeübt. Was ist, wenn das etwas zu bedeuten hat? Auch wenn wir es noch nicht verstehen... Das Universum ist kein Chaos. Es ist Verbindung. Leben streckt sich nach Leben aus. Dafür sind wir geboren worden, oder nicht? Um auf einer neuen Welt zu stehen und jenseits ihrer Grenzen nach der nächsten zu schauen. Das macht uns zu Menschen.« Fast zärtlich tippte Jim auf der Tastatur und schaltete auf Standbild um. Seine Gefühle überwältigten ihn. Er und Woody blickten sich mit tränennassen Augen an. »Wir haben keine Kinder«, sagte McConnell leise. »Ich muss immer daran denken. Wir hatten nie viel Zeit, außerhalb des Programms. Aber das war in
Ordnung so, wir dachten ja, wir würden den Mars bekommen. Unser ganzes Leben, alle unsere Träume... alles hat sich auf diesen kleinen roten Fleck konzentriert. Als sie starb, ist auch ein Teil von mir gestorben. Der Mars kann das nicht wieder zum Leben erwecken. Vielleicht hatte Ra y Recht. Ich weiß nicht, ob mir noch genügend geblieben ist.« Woody ließ seinen Blick von Maggies Bild zu Jim wandern. »Du hast die Chance gekriegt, die sie nie hatte«, sagte er sanft. »Meinst du nicht, sie hätte gesagt, du sollst sie ergreifen? Jim, sie hat es gewusst. Sie war die Einzige von uns, die jemals geglaubt hat, dass da unten etwas sein könnte.« McConnell erwiderte seinen Blick. »Was auch immer der Mars Eins zugestoßen ist«, fuhr Woody fort, »wenn es kein Erdbeben war, dann hat etwas anderes die Katastrophe verursacht. Oder sie geplant. Erzähl mir nicht, dass du nicht dasselbe denkst.« »Ich hatte immer schon an so etwas gedacht«, gab McConnell zu. »Mein Gott, weißt du, was das bedeutet?«, fragte Woody aufgeregt. »Immer einen Schritt nach dem anderen, Woody.« »Okay. Aber wir fliegen nicht zurück, ehe wir es herausgefunden haben. Abgemacht?« McConnell nickte und schüttelte Woody die Hand.
Kurz bevor auf dem Mars der Morgen anbrach, lag der Rote Planet direkt vor den Fenstern des Cockpits - riesengroß, wunderschön und näher als jemals zuvor. Auch ohne Teleskop oder Kamera waren rosa Wolkenwirbel und größere Oberflächenstrukturen zu erkennen. »Entfernung 6783, abnehmend«, las McConnell von einer Anzeige in der Nähe seines Kopilotensitzes ab. »Noch fünfunddreißig Minuten bis zum Erreichen der Mars-Umlaufbahn.« »Okay, Leute, schön vorsichtig. Wenn wir das hier vermasseln, gibt's kein Zurück mehr«, warnte Woody. »Genau«, meinte Phil von seinem Sitz in der Schleuse hinter dem Cockpit. »Durch die Ewigkeit zu treiben kann einem echt den Tag versauen.« Terri saß neben Phil. »Delta-V-Systeme initialisiert«, meldete sie. »Primäres Außenstromaggregat laden«, befahl Woody. »In Betrieb, geladen«, erwiderte Terri. »Hochdrucktanks für Landeanflug ansteuern.« »Sind angesteuert.« »Hauptantrieb mit System koppeln«, befahl McConnell. »Leistung bereit«, erwiderte Phil. »H2O2-Hochdruckeinheiten und Treibstofftanks öffnen.« »H2O2-Steuerventile geöffnet.«
»Ladung ein«, hörte Terri den Befehl von Woody. »Geladen und online«, antwortete sie. »PW zurücksetzen.« »Gesetzt.« Es folgten McConnells Anordnungen. »Übertragung der Protokolldaten von der EVAStation.« »Erwarte Transfer...« Ehe Phil den Satz beenden konnte, hörte er irgendwo über seinem Kopf einen lauten trockenen Knall. Dann spürte er einen scharfen, stechenden Schmerz in der Hand und stöhnte auf. Er hielt die Hand hoch und erblickte das kleine Loch - glatt durch Handschuh und Hand hindurch. Gleich neben seiner Hand hatte der Computerbildschirm ebenfalls ein Loch abbekommen, und mit einem lauten Knacken zog sich ein Spinnennetz über das Glas. »Was, in Gottes...«, fing Terri an. Dann erblickte sie Phils Hand. Das Blut tropfte heraus und wirbelte herum, wurde von der durch das kleine Loch über Phils Kopf ausströmenden Kabinenluft, dicht bei der Ablage, wo die Helme der Astronauten auf ihren Einsatz warteten, angesaugt. Plötzlich ertönte eine schrille Alarmsirene, und weitere winzige Wurfgeschosse wurden mit einem lauten Pling gegen die Außenwand des Raumschiffs geschleudert.
Woody und McConnell wirbelten auf ihren Sitzen herum und starrten entsetzt auf Phils umher schwebendes Blut. »Mikrometeoride!«, rief Woody. McConnell überprüfte die Sensoren. »Risse in der Außenhülle!« Terri löste ihren Gurt, griff nach Phils verletzter Hand und versuchte die Blutung durch Druck zum Stillstand zu bringen. Phil verzog das Gesicht und starrte auf die Anzeigen vor sich. »Sauerstoffverlust!«, rief er. »Wir verlieren Druck!« Woody schnallte sich los und schwebte vom Cockpit nach hinten in die Schleuse. So schnell er konnte, hangelte er sich weiter zu einem Spind, riss ihn auf und holte eine Spritzpistole mit Dichtungsmasse heraus. In der Schwerelosigkeit folgte er den Blutstropfen bis zu den baumelnden Astronautenhelmen - das Loch. Er stieß sich ab und glitt nach oben, schob den Helm zur Seite, auf dem »McCONNELL« stand. Das Visier war vollständig zertrümmert. Das Einschlagloch befand sich genau hinter dem Helm. Zerfetzter Metallrand, herausquellende Isolierung. Blutstropfen wirbelten auf das Loch zu und wurden ins Vakuum des Alls gesaugt. Hastig schob Woody die Mündung der Spritzpistole in die Öffnung und schoss die dicke, graue Dichtungsmasse hinein. Ein paar metallene
Schläge hallten noch durch die Kapsel, verebbten jedoch bald. Nur die Sirenen heulten noch. »Stellt den verdammten Alarm aus!«, rief Woody. Im Cockpit drückte McConnell auf einen Knopf und brachte die Sirenen zum Schweigen. Die Mannschaft verharrte still und lauschte aufmerksam. Schweiß stand auf den angespannten Gesichtern. Schließlich war klar, dass der Meteoritenschauer vorüber war. Phils Blutstropfen hingen in der Luft. Wie unheimliche kleine Kügelchen taumelten sie in der Schwerelosigkeit - ein seltsamer Anblick. Plötzlich jedoch bewegten sie sich wieder, diesmal in eine andere Ric htung, durch den Verbindungsgang, der in die unten gelegenen Unterkünfte führte. McConnells Blick auf die Instrumententafel bestätigte seine Vermutung. »In den unteren Unterkünften verlieren wir immer noch Sauerstoff!«, rief er. »Da muss noch ein Loch sein, sogar ein noch größeres.« »Rasanter Druckabfall!«, rief Phil. »Bald ist der Unterdruck zu stark!« »Computer, wie lange noch bis Null Atmosphäre?«, wollte Woody wissen. »Vier Minuten, neun Sekunden«, antwortete der Computer. Phil umklammerte seine verletzte Hand und blickte Woody erschrocken an. »Wenn wir unter
zehn Prozent Atmosphärendruck kommen, wird der Strom abgeschaltet! « »Bist du sicher?«, fragte Terri. »Klar! Ein Vakuum im Schiff würde einen totalen elektrischen Zusammenbruch verursachen. Die Navigationscomputer würden durchbrennen!« McConnell schluckte. »Die ganze Steuerung würde versagen«, meinte er zu Woody. »Wir würden nicht mehr genug Saft auf die Triebwerke bekommen, um die Umlaufbahn zu verlassen.« Woody bemühte sich, vor der Mannschaft Ruhe zu bewahren. »Wir nehmen den Sauerstoff aus den Anzügen«, ordnete er an. »Wir haben das im Simulator in den Griff gekriegt, also können wir das hier auch. Jim, du übernimmst das Schiff, ich gehe in die Schleuse.« Alle starrten ihn an, wie gelähmt von der gewaltigen Aufgabe, die vor ihnen lag. »Na los, Leute!«, forderte Woody sie auf. »Gehen wir das Problem an!« Terri setzte erst ihren eigenen Helm auf, dann half sie Woody mit seinem. Doch irgendetwas hinderte den Helm daran, richtig in die Halterung einzurasten. Woody griff in seinen Anzug und zog das Hindernis heraus. Seine Halskette mit dem Flash-GordonRaumschiff. Er nahm sie ab und reichte sie Terri. Als sich ihre Hand um den Talisman schloss, traf sie die Realität dieses Augenblicks mit erbarmungsloser Härte. Terri
wusste, dass eine Mission wie diese immer mit Gefahr verbunden war, doch jetzt wurde sie direkt damit konfrontiert. Liebevoll blickte sie ihren Mann an, als sie seinen Helm befestigte. Im Stillen betete sie, dass sie ihm auch dabei würde helfen können, ihn wieder abzulegen, wenn das Chaos vorüber war. Woody streckte die Hand aus und strich mit dem Handschuh über ihr Visier, dann eilte er zum zentralen Schacht. Phil musste beide Hände nehmen, um die Riegel der Luke zu betätigen. Er zuckte vor Schmerz zusammen. »Großer Gott, es blutet immer noch.« »Weiter draufdrücken!«, rief Terri. »Atmosphärendruck achtzig Prozent«, meldete der Computer. Die Tür der äußeren Luftschleuse öffnete sich. Abertausende von Sternen funkelten in der unendlichen Galaxie. Ausgerüstet mit einer MMU, einer überdimensionalen Lenkeinheit, trat Woody hinaus und schwebte durch den Weltraum.
Kapitel 7 In der Schleuse wickelte Terri wie besessen Pflasterstreifen um Mullkompressen, die wiederum um Phils Handschuh gebunden waren. Über ihr schwebte McConnells zerschmetterter Helm vorbei. »Jim, du musst deinen Helm aufsetzen«, rief sie ihm zu. McConnell blieb im Cockpit, wo er mit rasanter Geschwindigkeit Schalter betätigte, um unwichtige Systeme, die Energie verbrauchten, zu deaktivieren. »Keine Zeit!«, rief er zurück. »Wir verlieren Druck. Du könntest eine Embolie kriegen.« Sie wurden vom Computer unterbrochen. »Atmosphärendruck siebzig Prozent.« McConnell antwortete nicht. Stattdessen schob er sich vom Schaltpult fort, an Terri vorbei, und tauchte in die Unterkünfte hinab. Draußen kauerte Woody auf der Höhe der Unterkünfte über dem Rumpf. Das Problem war, dass er wegen der Rotation des Schiffskörpers nicht
an die defekte Stelle, aus der Dampf ausströmte, herankam. »Jim, wie sieht's mit der künstlichen Gravitationsrotation aus?«, fragte er über Funk. McConnell eilte zu einem Terminal in der Unterkunft und klickte mit der Maus. »Sekunde«, murmelte er gereizt. »Komm schon, komm schon...« »Sprach-Identifizierung«, antwortete der Computer. McConnell hatte große Lust, die Faust durch den Bildschirm zu rammen und zu fragen: »Na, kennst du mich jetzt?« Stattdessen antwortete er: »McConnell!« »Akzeptiert«, meldete der Computer. »Deaktiviere künstliche Gravitationsrotation.« Ein Geräusch oben am Verbindungsgang zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Er drehte sich um und sah Terri, die eine kleine Sauerstoffflasche in der Hand hielt. »Warte!«, rief McConnell. Doch bevor er sie erreichen konnte, fingen die Lageregelungstriebwerke des Raumschiffs an, Impulsstöße zu feuern. Sofort verlangsamte sich die Rotation. Sekunden später bewegte sich nichts mehr. Schwerelosigkeit. McConnell schwebte. Dann hörten er und Terri das schreckliche Zischen der Luft, die durch die beschädigte Hülle ausströmte. »Atmosphärendruck sechzig Prozent«, meldete sich der Computer wieder.
»Leuchtet mal auf das Loch, damit ich es lokalisieren kann«, bat Woody von außen. »Ich hab eine bessere Idee!«, rief McConnell. »Terri, du bleibst hier!« Er hangelte sich zu Phils Spind hinüber und wühlte sich durch Comics und M&M-Tüten. »Ich bin auf der Oberseite, Jim!«, berichtete Woody. »Weißt du, welcher Sektor?« McConnell kramte herum, aber er brauchte noch ein paar Sekunden, um zu finden, was er suchte. Er wusste, dass jeder Augenblick kostbar war, also bemühte er sich, ruhig zu bleiben. »Ich arbeite dran!«, rief er zurück. Draußen suchte Woody die Wand der unteren Kabinen ab. Er betätigte seine Triebwerke und glitt über die Metalloberfläche des Raumschiffs hinweg. Wie sollte er das Loch jemals finden? »Mein Gott«, murmelte er. »Das ist wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.« Endlich fand McConnell, was er suchte - eine Dose Cola. Er schüttelte sie kräftig, dann warf er sie Terri zu, die immer noch in der Gangöffnung wartete. Sie fing die Dose auf und schaute McConnell verwirrt an. McConnell schnappte nach Luft. Der Sauerstoff wurde spürbar knapp. »Schütte sie aus!«, rief er keuchend. »Jim, ich...« »Schütte sie dicht bei der Außenwand aus!«
Terri riss die Dose auf und schüttete den Inhalt aus. Dann folgte sie dem braunen Strom, der sich in Wirbeln mit der ausströmenden Luft vermischte, mit den Augen. Wie ein Minitornado stieg die Flüssigkeit an die Decke. »Atmosphärendruck fünfzig Prozent. . .« Fasziniert beobachtete Terri die Flüssigkeit, deren Wirbel sich verdichteten und einen kleinen Strudel bildeten, der durch das Loch in der Wand gesaugt wurde. Plötzlich war das hässliche Loch deutlich zu sehen. McConnell keuchte heftig. »Woody!«, konnte er gerade noch rufen. »Das Loch ist in Sektor vier! Sektor vier, verstanden?« »Verstanden«, antwortete Woody. »Ich bin auf dem Weg dorthin.« Bei näherem Hinsehen erkannte Woody, dass die kleine Fontäne aus bräunlichen kleinen Kristallen, die aus dem Loch spritzten, aus Cola bestand. »Du Schweinehund«, sagte er erstaunt zu sich selbst. »So was hast du im Simulator nie gemacht.« Begeistert von McConnells Cola-Triumph wandte Terri sich zu ihm um und sah gerade noch, wie er auf dem Boden unter ihr zusammenbrach. Er war leichenblass und bewusstlos. Hastig stieß sie sich von der Leiter ab und schwebte zu McConnell hinunter. Sie öffnete die Ventile der Sauerstoffflasche und stülpte die Plastikmaske über McConnells Gesicht. Als er den
Sauerstoff einatmete, bekam seine Haut wieder Farbe. Im Cockpit kämpfte Phil unter heftigen Schmerzen mit der Steuerung. Mit beiden Händen mühte er sich ab, den Stromfluss zu drosseln und die Computer am Leben zu erhalten. Doch trotz seiner Anstrengungen waren einige kleinere Bildschirme und Messinstrumente bereits gestört. Datenströme auf den Anzeigen verwandelten sich in elektronisches Schneegestöber. »Durchhalten!«, flehte Phil die Computer an. »Haltet durch...« Genau in diesem Augenblick begann der Navigationsmonitor wie wild zu flackern. Phil blieb beinahe das Herz stehen, als er bemerkte, dass sich das Raumschiff immer mehr dem kritischen Eintrittspunkt in die Mars-Umlaufbahn näherte. Das schaffen wir nie! dachte er. Die Computerstimme schien seine Befürchtungen zu bestätigen. »Atmosphärendruck vierzig Prozent.« McConnell nahm einen tiefen Zug aus der Sauerstoffflasche, dann schnappte er sich die Spritzpistole aus dem Schrank. Er nickte Terri zu, und sie stießen sich vom Boden ab und schwebten zu dem Einschlagloch auf der anderen Seite der Kabine hinüber. Terri schleppte die Sauerstoffflasche mit und ließ McConnell hin und wieder eine tiefen Zug aus der Maske nehmen. »Atmosphärendruck dreißig Prozent.« Der Computer schien sie zu verspotten.
Als sie das Loch erreichten, stellten sie entsetzt fest, dass die Cola dort eine n dicken Eisklumpen gebildet hatte. Mit dem Boden der Sauerstoffflasche hackte Terri auf das Eis ein. Endlich hatte sie es abgeschlagen und machte den Weg frei für McConnell und seine Epoxy-Pistole. Schwankend wegen des Sauerstoffmangels, betätigte er die Pistole, um das Loch abzudichten. Im Cockpit brach mittlerweile das Chaos aus. Phil hieb wie rasend auf die Steuerkonsole ein, doch sie reagierte nicht mehr. Überall heulten und knackten die elektronischen Instrumente. Funken sprühten. Entsetzt starrte Phil auf den Navigationsmonitor, der ein letztes Mal aufflackerte und dann völlig den Geist aufgab. Jetzt gab es keine Möglichkeit mehr, festzustellen, wo sie sich befanden. »Atmosphärendruck zwanzig Prozent.« Im Cockpit und in der Unterkunft flackerte das Licht. »Atmosphärendruck zehn Prozent.« Terris und McConnells Blicke begegneten sich. Beide dachten das Gleiche: In ein paar Sekunden sind wir tot. Die Lichter gingen aus. Draußen hämmerte Woody auf den Eisklumpen ein, der sich auf dem Metallrumpf des Schiffs gebildet hatte, um an das Loch zu gelangen. Gekonnt hantierte er mit seiner eigenen Spritzpistole, klatschte einen großen viereckigen
Flicken über das Loch und zog die Rückseite ab. Der Flicken veränderte seine Farbe, als er schrumpfte und sich mit dem Metall verband. »Atmosphärendruck zehn Prozent«, meldete sich der Computer wieder. In der Unterkunft riss McConnell die Augen weit auf, als er begriff, dass dies dieselben Messwerte waren wie vor ein paar Sekunden. »Druck stabilisiert sich«, fuhr der Computer fort. »Sauerstoffgehalt steigt.« Tränen der Erleichterung traten Terri in die Augen. Sie umarmte McConnell stürmisch, dann hielt sie ihm die Sauerstoffmaske vors Gesicht. Er griff danach, um einen langen, tiefen Atemzug zu nehmen. Jetzt erwachten auch die Lichter und der Computer flackernd wieder zu neuem Leben. Phil war in Ekstase. »Ja!«, schrie er. »Klasse! Er hat es geschafft! Ja!« Ohne an seine Verletzung zu denken, schlug Phil triumphierend mit der Faust auf das Schaltpult. »Scheiße!« Doch er hatte jetzt keine Zeit, sich um den Schmerz zu kümmern - der Navigationsmonitor hatte sich wieder eingeschaltet, und zu Phils Schrecken befanden sie sich bereits gefährlich nahe am Eintrittspunkt der Mars-Umlaufbahn. Phil riss erschrocken die Augen auf. Hastig stellte er sein Mikrofon ein. »Kommt wieder rein, Jungs!«
Kapitel 8 Bevor Woody wieder ins Schiff zurückkehrte, überprüfte er das reparierte Loch und die es umgebende Oberfläche der Außenwand. »Jim«, sagte er in sein Mikrofon, »hier draußen sind verdammt viele Kratzer. Ich suche lieber gleich nach weiteren Löchern, wenn ich schon mal hier draußen bin.« »Nein, keine Zeit, Woody. Komm rein.« Jims Stimme klang drängend. »Wir müssen die Checkliste für den Eintritt in die Umlaufbahn durchgehen.« Woody war erstaunt. Offenbar befanden sie sich bereits gefährlich dicht am Eintrittspunkt. »Verstanden«, antwortete er. »Ich komme rein.« Woody flog zur geöffneten Luke der Schleuse zurück. Er wollte gerade wieder hindurchsteigen, ließ sich aber einen Augenblick von der atemberaubenden Aussicht aufhalten. Die Sonne ging über dem Mars auf, und der riesige Planet zeigte sich in seiner ganzen unirdisch
roten Schönheit. Er war bereits so nah, dass sich einzelne Konturen mit dem bloßen Auge erkennen ließen. Woody hielt den Atem an und ließ das Schauspiel auf sich wirken - die riesigen Abgründe der Valles Marines und den Olympus Mons, der durch die Atmosphäre des Mars emporstieß. Es war ein überwältigender Anblick. Woody war wie gebannt, als sich das Sonnenlicht seitlich über das Raumschiff ergoss und von seinem Visier reflektiert wurde. Der Tag brach an - und das nach einer wirklich langen Nacht. »O Mann, ist das schön«, flüsterte er atemlos. Noch ein letzter Blick, dann riss er sich los, um sich seiner bevorstehenden Aufgabe zu widmen. Es gab nur ein winziges Zeitfenster, um in die Umlaufbahn des Mars zu gelangen. Jetzt oder nie, im wahrsten Sinne des Wortes. Er flog durch die Luke hindurch, die er hinter sich schloss. Zurück im Schiff, konnte er die kleinen Löcher entlang der dicken, silberfarbenen Rohre, die zu den Treibstofftanks führten, nicht sehen. Die Löcher waren klein, etwa so groß wie ein Radiergummi am Ende eines Bleistifts, doch groß genug, um gefährliche Mengen von Treibstoff ausfließen zu lassen, sobald die Motoren gezündet werden würden. . . In der Luftschleuse legte er die MMU ab. Er war in Schweiß gebadet. McConnell wartete auf ihn. Einen Moment lang blickten sich die beiden Männer
völlig ungläubig an. Hatten sie das gerade wirklich geschafft? Eine Sekunde später lagen sie sich erleichtert in den Armen. »Weißt du was?«, flüsterte Woody. »Dir ist wirklich noch genug geblieben.« McConnell nickte. Der Augenblick war einfach überwältigend. Terri war gerade dabei, Phils Hand zu nähen. Als Woody auf sie zukam, sah er Tränen in ihren Augen. Tränen der Erleichterung... Tränen des Stolzes. »Und, ein Kinderspiel?«, fragte sie mit zitternder Stimme. Woody grinste. »Na ja... leichter als Cha-ChaCha«, witzelte er, bevor er sie leidenschaftlich küsste. Jetzt merkte Woody, das auch Phils Augen feucht waren, doch Phil blinzelte die Tränen weg. »Ich weiß gar nicht, worauf ihr euch was einbildet«, meinte er. »Bei den Simulationen haben wir mindestens zweimal besser abgeschnitten.« Er lächelte Woody zu. »Was macht die Hand?«, fragte Woody. Terri hob Phils Hand in die Luft. »Scheint in Ordnung zu sein«, berichtete sie. »Ein paar Sehnen werden noch eine Weile spannen. Versuch mal eine Faust zu machen, Phil, schön langsam und vorsichtig.«
Phil tat, wie ihm seine hübsche Ärztin befohlen hatte, ließ aber einen Finger - den mittleren - in altbekannter Weise stehen. Er grinste fröhlich. »Na, wenigstens kann ich noch fahren.« Die vier brachen in brüllendes Gelächter aus. Aufgedreht, wie sie nach der ganzen Anspannung waren, konnten sie gar nicht wieder aufhören. O Mann, war das ein verdammt schönes Gefühl.
Kapitel 9 Groß und blutrot lag der Mars vor dem CockpitFenster. Majestätisch in seiner Pracht. Geradezu Ehrfurcht gebietend. »Gut, wir sind so weit, um die Kerze anzünden zu können«, meinte Woody zu den anderen. Die vier Astronauten saßen, mit Raumanzügen und Helmen ausgerüstet, festgeschnallt auf ihren Sitzen. »Start/Stopp für Bremszündung und Eintritt in die Marsumlaufbahn. Triebwerke?« »Ein«, erwiderte McConnell. »Systeme?« »Ein«, antwortete Terri. »Navigation?« »Ein«, sagte Phil. »Wir können zünden«, meldete Woody. »Ich öffne jetzt die Treibstoffzufuhr.« In schneller Reihenfolge betätigte er drei Schalter. »Optimaler Eintrittswinkel minus sieben Grad«, sagte Phil. »Sechs... fünf. . .«
Woody warf noch einen Blick auf seine Mannschaft, dann griff er nach dem letzten Schalter. »Vier . .. drei...« Woody zögerte, dann wandte er sich an McConnell. »Jim?«, fragte er. »Würdest du das übernehmen?« McConnell strahlte über das ganze Gesicht. Der Countdown-Anzeiger erreichte die Zahl oooo.oo.oo, und das letzte Signal wurde ausgelöst. McConnell kippte den Schalter. »Auf geht's zum Mars.« Die Maschinen zündeten geräuschlos. Den Bruchteil einer Sekunde später gab es eine furchtbare Treibstoff- Explosion. Die Astronauten wurden in ihren Gurten heftig nach vorn geschleudert, während gleichzeitig der Alarm losheulte. »Was, zum...«, fing Woody an. »Maschinen aus!«, schrie McConnell. Er und Woody griffen, gegen die unglaublichen Beschleunigungskräfte ankämpfend, nach vorn. Sie schafften es, den roten Schalter zu erreichen, und kippten ihn nach unten. Aber es war zu spät. In einer grauenvollen Kettenreaktion explodierten die Treibstofftanks der Reihe nach. Die metallenen Stützstreben verdampften. Solarpaneele wurden aus den Verankerungen gerissen. Zwei der riesigen Triebwerke wurden zur Seite geschleudert, während das Dritte wie eine in Flammen stehende
Kanonenkugel davonraste und Teile der Haube hinter sich her zog. Der gesamte hintere Teil des Schiffes einschließlich der Unterkünfte zerbarst und verkohlte zu einem Gewirr aus Metall. Was von dem Schiff übrig blieb, die Luftschleuse und das Cockpit, geriet außer Kontrolle und stürzte taumelnd und sich um die eigene Achse drehend auf den Mars zu. Im Cockpit verschwand der Mars immer wieder aus dem Blickfeld. Die Astronauten kämpften gegen die Ohnmacht an, während sie hin und her geschleudert wurden. »Triebwerke negativ! Keine Reaktion!«, rief Woody. »Ich habe keine Kontrolle mehr!« McConnell dachte schnell nach. »Manuell separieren!«, befahl er. »Sprengt die Verankerung!« »Negativ! Die Steuerkapsel hat nicht mehr genug Triebwerksleistung, um diese Rotation auszugleichen!« »Wir sind zu steil!«, rief Phil voller Angst. »Wir stürzen in die Atmosphäre! Mein Gott, bei diesem Winkel werden wir verglühen!« Woody riss die Augen vor Schreck weit auf, als er einen Blick auf die Warnleuchten vor sich warf. KRITISCHER EINTRITT! HOCHZIEHEN! »Wie viel Zeit haben wir noch?«, fragte er. »Ich weiß nicht«, antwortete Phil. »Drei Minuten? Ich weiß es nicht!« McConnells Gedanken rasten. »Wo ist die REMO?«, fragte er.
»Die REMO? Warum...«, wollte Phil wissen. »Wo ist sie?«, drängte McConnell. Phil drückte ein paar Knöpfe, bis die REMO als orangefarbener blinkender Punkt auf dem Bildschirm auftauchte. Sie schien auf Kollisionskurs mit der Mars Recovery zu sein. »Wie nah ist sie?«, fragte McConnell. Phil war sichtlich durcheinander. »Ziemlich nah! Ich ... ich weiß nicht. Ich brauche etwas Zeit. . .« »Wir haben keine Zeit!«, rief McConnell. »Find's raus! Sofort!« Wie besessen tippte Phil Befehle in den Computer. Woody atmete schwer. »Jim, die Triebwerke sind tot«, sagte er. »Es gibt keine Möglichkeit, das Schiff für ein Andockmanöver zu manövrieren!« McConnell blickte ihn an. »Nic ht das Schiff. Nur uns. Wir müssen in die Schleuse.« Die drei anderen blickten ihn verblüfft an. »Du... du willst, dass wir in Raumanzügen da rüberwechseln?«, fragte Phil. »Mein Gott, Jim, wenn wir das nicht schaffen«, meinte Terri besorgt. »Wenn wir die REMO verfehlen...« »Wir haben keine andere Wahl!«, rief Jim. »Phil... wie nah ist sie?« Phil schüttelte den Kopf. »Einen Kilometer, mehr nicht.« Alle Köpfe wandten sich Woody zu. Vier Menschenleben hingen von seiner nächsten
Entscheidung ab. Er holte tief Luft und atmete hörbar wieder aus. »Vorbereiten zum Verlassen des Schiffs.« Draußen waren die Astronauten mit elastischen langen Seilen untereinander verbunden. An anderen Seilen, die an ihren Anzügen befestigt waren, zogen sie Taschen mit der nötigsten Ausrüstung hinter sich her. Phil umklammerte einen silberfarbenen Metallkoffer seine kostbare ComputerReparaturausrüstung. Woody lenkte die MMU von dem rotierenden Schiff fort. Er gab den anderen den Befehl zum Zünden, und als sie es taten, trieben sie von dem Schiff fort und versuchten, ihren Flug unter Kontrolle zu bekommen. Ein letztes Mal blickte die Mannschaft auf die zerfetzte, dem Untergang geweihte Mars Recovery zurück, die von ihnen fortwirbelte - ihr Zuhause für die letzten sechs Monate. Schweigend schauten sie sich gegenseitig an. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Woody gab ihnen ein Zeichen, sich festzuhalten. »Okay, dann mal los!«, sagte er und zündete die großen Triebwerke der MMU. Das Seil zwischen ihm und den anderen spannte sich. Vor dem Hintergrund des blutroten Planeten führte Woody seine Mannschaft von dem zerstörten Raumschiff fort - vier kleine Gestalten, allein im Weltraum. Während sie der MMU folgten, ließ Phil seinen Blick über die Sterne schweifen. »Was suchst du?«, fragte Terri.
»Die Erde«, antwortete er traurig. Terri räusperte sich. »Hey, wenn wir zurück sind, sollten wir das hier mal im Simulator ausprobieren.« Phil versuchte zu lächeln. »Wie sieht's mit dem Treibstoff aus, Woody?«, fragte McConnell. Woody sah auf eine kleine Anzeige auf seinem Unterarm. »Ich bin bei fünfzig Prozent«, sagte er. »Aber ich sehe die REMO nicht.« Die vier Astronauten blickten auf die Rundung des Mars, die sich vor dem schwarzen Hintergrund abzeichnete, und beteten, dass die REMO dahinter sichtbar werden möge. Terri entdeckte sie zuerst. »Da ist sie!«, rief sie glücklich und deutete auf das kleine Versorgungsraumschiff, das über dem roten Planeten trieb. Woody teilte ihre Begeisterung nicht. »Mein Gott! Sie ist nicht dort, wo ich sie vermutet habe«, stellte er fest. »Wir werden sie verfehlen«, stieß Phil angstvoll hervor. Woody warf wieder einen Blick auf seine Anzeige. Seine Besorgnis war offensichtlich. »Was meinst du?«, fragte McConnell. »Wir können sie nicht erreichen«, meinte Woody. »So jedenfalls nicht.« McConnells Gedanken rasten. »Nimm die Seilpistole.« Woody zog aus einem Fach an der Seite der MMU eine Seilpistole heraus, etwa in der Größe
einer durchschnittlichen Leuchtpistole. An der Pistole befand sich vorn ein Karabinerhaken von zwölf Zentimetern Durchmesser. »Wir haben nur einen, vielleicht zwei Schüsse, bevor sie außer Reichweite ist«, sagte McConnell zu ihm. Woody dachte eine Sekunde nach. »Es wird besser sein, wenn ich euch die Pistole hier lasse, während ich zur REMO fliege. Dafür reicht mein Treibstoff noch.« McConnell schüttelte heftig den Kopf. »Du wirst zu schnell sein.« »Ich werde versuchen, ein Stück über sie hinauszufliegen, dann mit voller Kraft zu bremsen und mich ihr in einem Bogen zu nähern.« McConnell starrte ihn an. Vielleicht war das ihre einzige Chance, doch es war immer noch verdammt riskant. Bevor er etwas sagen konnte, hatte Woody schon einen Schalter an der Pistole betätigt und riss an dem Karabinerhaken, mit dem er den Draht aus der Pistole zog. Er befestigte den Haken an der MMU und reichte McConnell die Pistole. »Bis gleich«, verabschiedete er sich mit einem Nicken in McConnells Richtung. Mit einem liebevollen Blick auf Terri drehte er sich um und schaltete die Triebwerke der MMU auf volle Kraft. Während er sich von den anderen entfernte, spulte sich das Seil aus der Pistole ab. Woody jagte die REMO von oben, als säße er in einem Flugzeug und versuchte, auf einem auf der
Autobahn dahinrasenden Wagen zu landen. Er gewann schnell an Geschwindigkeit und schaute wieder auf die Anzeige an seinem Unterarm. »Okay, ich fliege an ihr vorbei«, berichtete er über Mikrofon. »Ich bremse jetzt ab.« Er bremste die MMU-Triebwerke, so stark er konnte. Sie spuckten orangefarbene Flammen, setzten dann aber plötzlich aus. Erschrocken riss Woody die Augen auf und überprüfte noch einmal die Anzeige. »Ich habe keinen Treibstoff mehr. Immer noch zu schnell. Es ist noch weit.« Er machte eine Pause. »Gebe die MMU auf, bremse mit dem Triebwerk im Anzug.« Woody drückte ein paar Knöpfe, und die Schnappverschlüsse der MMU sprangen auf. Er griff nach dem Haken, der mit der Leine verbunden war, dann befreite er sich von der MMU und zündete seine kleinen Düsen. Er war zu schnell. McConnell und die anderen beobachteten die sich abspulende Leine und Woody, der auf die REMO zuraste. Terris Herz drohte zu zerspringen. »Oh, mein Gott. . .« Selbst aus dieser Entfernung konnten die anderen sehen, dass Woody zu schnell war. »Anzugtriebwerke leer. Aber ich werde die REMO erreichen«, berichtete er. »Mit welcher Geschwindigkeit?«, fragte McConnell. »Der Aufprall wird ein bisschen heftig werden.«
»Mit welcher Geschwindigkeit?«, wiederholte McConnell. Woody zögerte. »Zweiunddreißig«, antwortete er schließlich. McConnell und Terri sahen sich an - Terris Gesicht war kreidebleich. »Ich werde dich mit der Pistole abbremsen!«, rief McConnell. »Nein! Wenn du mich bremst, schaffe ich es nicht!« »Du bist zu schnell, Woody!« »Geht nicht anders. Mir wird schon nichts passieren.« Woody glitt mit über dreißig Stundenkilometern auf das Modul zu. Mit einer Hand hielt er den Haken vor sich, während er mit der anderen die Leine umklammerte. Und dann krachte er gegen die REMO. Einen Augenblick lang war Woody benommen, doch er riss sich zusammen und stieß den Haken gegen einen am Rumpf der REMO angebrachten Empfänger. Zu seiner Erleichterung rastete der Haken ein. Woody griff nach der Leine, doch sein Schwung war immer noch zu stark, so dass ihm die Leine aus den Händen gerissen wurde. Von panischer Angst erfasst, glitt Woody über den Rumpf der REMO, verzweifelt auf der Suche nach etwas, woran er sich festhalten konnte. Doch es war vergebens. Woody flog an der REMO vorbei, im freien Fall auf den Mars zu.
»Woody!«, schrie Terri, die das Ganze von oben beobachtete. Hastig drückte McConnell einen Knopf auf der Seilpistole, um sich und die anderen durch das sich aufwickelnde Seil an die REMO heranzuziehen. Währenddessen versuchte Woody sein Anzugtriebwerk wieder in Gang zu bringen, doch es war leer. Schwer atmend sah er zu, wie die REMO von ihm forttrieb. McConnell und die anderen zogen sich mithilfe der Leine an die REMO heran. Es waren nur noch ein paar hundert Meter bis zum rettenden Schiff. »Woody, wie ist dein Status?«, fragte McConnell. Woody zögerte. »Na ja, die Triebwerke im Anzug sind leer, und ich bin immer noch verdammt schnell.« »Sobald wir an der REMO festgemacht haben, werden wir dich holen«, sagte McConnell. »Äh... negativ, Jim.« »Meinst du die Übertragung?« »Nein«, erwiderte Woody. »Ich habe dich verstanden. Negativ, was das Manöver betrifft. Ihr könnt mich nicht retten.« »Woody, das ist Blödsinn!«, beharrte Terri. »So schnell fliegst du doch gar nicht.« Woody schwieg einen Augenblick, bevor er weitersprach. »Das hängt von der Menge des Treibstoffs ab, Terri. Die Triebwerke im Anzug sind zur Lageregelung konzipiert worden, nicht, um
damit auf Reisen zu gehen. Und mit der REMO werdet ihr es auch nicht schaffen. « »Es muss funktionieren!«, rief Phil. »Hey, glaubt mir, mir gefällt das genauso wenig wie euch«, meinte Woody. »Woody...«, setzte Terri an. »Überprüf die Werte, Jim«, ordnete Woody an. »Mach ich«, antwortete Jim. Als er fertig war, blickte er zu Terri hinauf. An seinen rot geränderten Augen sah sie, dass das Ergebnis nicht gut war. »Woody, halt durch!«, ermunterte ihn McConnell. »Wir steigen in die REMO, starten sie, bringen sie in eine niedrigere Umlaufbahn und gabeln dich auf.« »Hört sich gut an, Jim«, erwiderte Woody ruhig. Terri war außer sich. »Es wird eine halbe Stunde dauern, um die REMO in Position zu bringen!«, rief sie. »Bis dahin ist... ist Woody in der Atmosphäre!« »Dann müssen wir die REMO eben auf Trab bringen«, sagte McConnell. »Wir haben keine Zeit!« »Hör lieber auf das, was Jim sagt, Schatz. Es ist ein guter Plan.« »Nein!«, beharrte Terri. »Wir werden...« Sie wurde plö tzlich von Phil unterbrochen, der nach unten zeigte. »Oh, mein Gott, seht mal! Das Schiff!« Weit entfernt glühte das Cockpit der Mars Recovery zuerst rot, dann orangefarben und schließlich weiß. Innerhalb weniger Sekunden
explodierte es in einem riesigen Feuerball, ausgelöscht von der Reibung in der Atmosphäre. Zufällig blickte McConnell wieder nach oben. »Passt auf!«, schrie er der Mannschaft zu. Mit hoher Geschwindigkeit trieben sie auf die REMO zu. Alle drei Astronauten zündeten gleichzeitig ihre Anzugtriebwerke, um abzubremsen. Mit etwa einem Zehntel der Geschwindigkeit, die Woody gehabt hatte, knallten sie gegen die REMO. Hastig versuchten sie sich festzuhalten. Als sie sich alle gesichert hatten, löste McConnell den Haken vom Rumpf der REMO. Phil zog den Riegel zur Luftschleuse auf. »Okay, dann nichts wie rein!«, befahl McConnell. »Phil, du schmeißt die Ladung raus, sonst ist nicht genug Platz für uns.« »Aber wir brauchen die Sachen für...«, wollte Phil protestieren. »Schmeiß die Ladung raus!«, wiederho lte McConnell. »Halt durch, Woody!« »Wird gemacht, Jim.« Woody lächelte, als er sah, dass Terri es wohlbehalten in die REMO geschafft hatte. Unter ihm nahm der Mars sein gesamtes Blickfeld ein. »Hey, ist das schön«, sagte er leise. Terris Gedanken rasten. Sie konnte kaum atmen. Woody war so nah, und doch nicht nah genug, um ihn zu retten. Dann wusste sie, was sie zu tun hatte. Aber sie wusste auch, dass Jim sofort sein Veto
einlegen würde, wenn sie es ihm vorschlug. Also riss sie ihm wortlos die Seilpistole aus der Hand und stieß sich von der REMO ab. McConnell wollte nach ihr greifen und sie zurückhalten. »Terri! Nein!« Aber es war zu spät. Sie war bereits außer Reichweite, zündete ihre Anzugtriebwerke und entfernte sich schnell von der REMO. Entsetzt blickte McConnell ihr nach. Er wollte seine eigenen Triebwerke aktivieren, wurde aber von Phil aufgehalten. Die beiden Männer starrten einander an, bis sich McConnell gequält aus Phils Griff befreite und Terri nachstarrte. »Verdammt noch mal, Terri! Das wird nicht klappen!« Terri antwortete nicht. Sie flog ihrem Mann entgegen, entschlossen, sein Leben zu retten. Woody erblickte die kleine Gestalt seiner Frau, die von der REMO aus auf ihn zustrebte. »Terri! Was machst du denn?« Terri schluckte. »Ich kann dir sage n, was ich nicht tun werde, Woody. Ich werde nicht zusehen, wie du stirbst. Du würdest für mich dasselbe tun.« Hilflos mussten McConnell und Phil mit ansehen, wie Terri auf das ferne Blinken von Woodys Anzuglichtern zustürzte. »Geh wieder rein«, befahl McConnell. »Wirf die Ladung raus und fahr die Systeme hoch.« Phil rührte sich nicht. »Beweg dich!«
Woody bemühte sich, mit ruhiger Stimme zu Terri zu sprechen. »Nein, das würde ich nicht tun. Nicht, wenn es einfach unmöglich wäre.« »Ich werde es schaffen!«, beharrte Terri. »Nein, Terri, das wirst du nicht! Du hast nicht genug Treibstoff, um mich zu erreichen, uns beide abzubremsen und dann umzukehren. Verdammt, wenn du noch ein Stück näher kommst, wirst du nicht einmal genug haben, um allein zurückzufliegen.« Terri gab keine Antwort. »Hör mir zu, verdammt noch mal! Du musst anhalten! Du musst sofort anhalten!« »Er hat Recht, Terri«, sagte McConnell traurig. »Es hat keinen Sinn.« Terri überprüfte die Treibstoffanzeige auf ihrem Arm - sie fiel von fünfzig Prozent auf neunundvierzig, achtundvierzig. . . Sie nahm den Daumen von der Steuerung, und im selben Moment stand das Triebwerk still. Sie trieb auf der gleichen Bahn dahin wie Woody. Etwa hundert Meter waren sie voneinander entfernt, aber es hätte ebenso gut eine Ewigkeit sein können. »Alles in Ordnung, Schatz?«, fragte Woody mit brechender Stimme. »Du wirst jetzt zurückfliegen.« »Den Teufel werde ich tun.« Sie hob die Seilpistole und drückte den Abzug. Der Haken schoss aus der Mündung und zog in rasantem Tempo den Draht hinter sich her.
Woody riss die Augen auf, als er den Haken auf sich zurasen sah. Doch dann - tack! Das Seil war zu Ende, und der Haken blieb stehen - zehn qualvolle Meter von ihm entfernt. Woody atmete schwer, starrte auf den treibenden Haken, seinen einzigen Lebensretter. Blitzartig drückte Terri den Knopf an der Pistole, und der Draht wurde wieder aufgewickelt. »Was hast du vor?«, fragte Woody. »Ich werde ein bisschen näher kommen und es noch einmal probieren«, antwortete sie. »Terri, wenn du nur noch einen Tropfen Treibstoff vergeudest, um näher zu kommen, wirst du es nicht mehr zurück schaffen. Und wenn die anderen versuchen dich zu holen, werden sie auch sterben!« Terri überhörte seinen Einwand. Der Haken knallte gegen die Mündung der Pistole. In fliegender Hast machte Terri sie wieder feuerbereit. »Liebling, bitte kehr um«, flehte Woody. Seine Stimme brach, so nahe war er den Tränen. »Geh zurück und hilf den anderen bei der Landung.« »Ich lasse dich nicht sterben«, entgegnete Terri mit eiserne m Willen, während sie die Pistole vorbereitete. »Ich... ich kann nicht zulassen, dass du das tust«, flüsterte Woody kaum hörbar. »Ich kann nicht. Es tut... es tut mir Leid.«
Terri riss den Kopf hoch und blickte zu Woody hinüber, der zweihundert Meter vor ihr schwebte. Sie bemerkte den veränderten Ton in seiner Stimme. »Woody...« Voll hilfloser Qual musste sie mit ansehen, wie Woody die Hand an seinen Helmring hob. Seine Augen leuchteten. »Ich liebe dich, Terri«, sagte er. »Mein Gott, wie sehr ich dich liebe.« Er schraubte den Ring auf und öffnete die Dichtung. Die herausschießende Luft riss ihm den Helm vom Kopf. Er schloss die Augen und öffnete den Mund. »Woody! Neiiiin!«, schrie Terri. Woodys letzter Atemstoß kristallisierte vor seinem Mund zu Eiskristallen. Er kämpfte nicht gegen den Tod an, ließ ihn einfach kommen. Terris Gesicht war tränenüberströmt. Ihre Brust hob und senkte sich krampfhaft, bis sie das Gefühl hatte, ihr eigener Atem würde aus ihr herausgesaugt, während sie mit ansah, wie Woodys Leben erlosch. »Woody, oh, Woody! Bitte, lieber Gott, nein!« Sie legte den Daumen auf die Triebwerkssteuerung, bereit, den Knopf zu drücken und ihm zu folgen. Da hörte sie McConnells müde und schmerzerfüllte Stimme. »Komm zurück, Terri«, bat er. Sie ließ den Daumen auf dem Knopf. Der Tod wäre eine Gnade. »Bitte, Terri. Wir brauchen dich.«
Sie zitterte am ganzen Körper, als sie sich widerstrebend umdrehte. Hemmungslos weinend startete sie die Triebwerke und flog zur REMO zurück.
Kapitel
10
KONTROLLRAUM DER MARSMISSION (ZEITDIFFERENZ 20 MINUTEN) Ray Beck stand neben dem neuen CAPCOM und blickte hinauf zum Hauptbildschirm, als ein leuchtend grünes, mit »MARS RECOVERY« beschriftetes Symbol die Umlaufbahn erreichte. »Okay, sie sind bereit zur Zündung und für den Eintritt in die Marsumlaufbahn«, berichtete der CAPCOM, der der Audioaufzeichnung lauschte. »Sie müssten in etwa... jetzt zünden.« Doch plötzlich spielten die Daten auf dem Bildschirm verrückt. Das Bild zitterte, bekam Streifen und löste sich auf, bis es völlig erlosch. Das grüne Symbol leuchtete heller, dann verschwand es. Verblüfftes Schweigen erfüllte den Kontrollraum. Dann brach ein verängstigtes, verwirrtes Stimmengewirr los.
Beck trat einen Schritt vor und starrte hilflos auf den Schirm. Sein Gesicht wurde kreidebleich. Direkt vor seinen Augen spielte sich der schlimmste Alptraum seines Lebens ab. Und das schon zum zweiten Mal. VERSORGUNGSSCHIFF REMO In der bitterkalten REMO versuchten die drei überlebenden Astronauten zu begreifen, was mit Woody geschehen war. McConnell war am Boden zerstört; das quälende Bild vom Tod seines Freundes ließ ihn nicht los. Starr blickte er auf einen kleinen Bildschirm und zwang sich zur Konzentration, um den schwierigen Aufgaben gewachsen zu sein, die vor ihnen lagen. Codierte Schalter, Anzeigelämpchen und Com-Ports surrten und blinkten um ihn herum. Er drückte ein paar Tasten des Minicomputers in seiner Hand, den er mit dem Bordcomputer der REMO verbunden hatte, dann hielt er inne und drehte sich zu den anderen um. Phil und Terri kauerten dort, wo auf der Erde der Boden der REMO gewesen wäre. Um nicht fortzutreiben, hielten sie sich an Frachtgurten fest, und Phil umklammerte seinen Computer-Koffer wie ein Kind seinen Teddybären. Er zitterte vor Kälte und vor Angst. Terri war noch schlimmer dran. Schweigend starrte sie mit tränenlosen Augen blicklos ins Nichts.
Für McConnell bestand kein Zweifel, dass sie unter Schock stand. Er wusste, dass er die beiden beschäftigen musste. »Phil?«, sagte er leise. Keine Reaktion. »Hey, Phil.« Langsam hob Phil den Kopf. »Wir werden blind einfliegen«, fuhr McConnell fort. »Und die Fallschirme per Laptop aktivieren. Ich muss die Software korrigieren und versuchen, die Landung dieser Blechdose hier etwas weicher zu gestalten. Ich könnte deine Hilfe bei der Softwarekorrektur brauchen.« Nach einem kurzen Moment ließ Phil seinen Gurt los und stieß sich in McConnells Richtung ab. Ausdruckslos starrte er eine Weile auf den Bildschirm, bis er schließlich den kleinen Computer von McConnell entgegennahm. Er begann auf die Tasten zu drücken, zuerst langsam, dann mit mehr Selbstvertrauen. »Prima«, lobte ihn McConnell. Nun wandte er sich an Terri. »Hey, Terri, meinst du, du kannst aus den Frachtgurten ein paar Sicherheitsgurte zusammenbasteln?« Terri blickte zu McConnell auf, dann schaute sie auf den Gurt in ihrer Hand, als hätte sie ihn noch nie gesehen. Wortlos griff sie nach einem zweiten Gurt und knotete ihn mit dem ersten zusammen.
McConnell atmete tief durch, als er den beiden zusah. Sie bewegten sich wie Roboter, aber zumindest bewegten sie sich. Ein paar Augenblicke später brachten die kleinen Triebwerke der REMO das Raumschiff in die richtige Position für den Eintritt in die Atmosphäre. Dann zündeten die Triebwerke gemeinsam, um die REMO auf ihrem Landeanflug zum Mars abzubremsen. Festgeschnallt mit Terris improvisierten Gurten, lagen die drei Astronauten auf dem Boden. Sie klammerten sich mit aller Kraft fest, während sie unter heftigen Erschütterungen durch die Atmosphäre stießen und die unglaublichen Beschleunigungskräfte zu spüren bekamen. Ihre Gesichter verzerrten sich, sie konnten nicht mehr scharf sehen. Jeder von ihnen war überzeugt, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hätte. Als die REMO in die Atmosphäre eintrat, schoss sie wie eine Sternschnuppe zum Mars hinunter und zog einen roten Schweif hinter sich her. Sie kam der Oberfläche immer näher, flog am Mars-EinsBasiscamp vorbei und verschwand schließlich hinter weit entfernt liegenden Bergen. KONTROLLRAUM DER MARSMISSION Ray Beck stand vor einem der Panoramafenster und starrte in den Weltraum hinaus. Er hatte gerade vier gute Freunde verloren. Und um die Tragödie
noch schlimmer zu machen, war das Marsprogramm möglicherweise für alle Zeit erledigt. Ganz zu schweigen von seiner Karriere. »Ray?« Der CAPCOM rief ihn. Mit rot geränderten Augen drehte Beck sich um. Dem CAPCOM war sichtlich unwohl in seiner Haut. »Wir haben ein paar neue Daten«, berichtete er. »Sie kommen gerade rein. Wir können sie... sie ergeben keinen Sinn. Wir sind uns nicht sicher, was das bedeuten soll.« »Daten?«, fragte Beck erstaunt. »Ja, Sir. Laut Telemetrie hat die REMO ihre Umlaufbahn verlassen und die Marsoberfläche erreicht.« Beck schluckte. »Abgestürzt?« »Nein, Sir. Mit eigener Kraft.« Beck riss dem Mann den Bericht aus der Hand. Ungläubig starrte er darauf. Dann hob er mit leuchtenden Augen wieder den Kopf. »Wann?«, fragte er. »Dreiundsechzig Minuten nachdem wir die Mars Recovery verloren haben«, antwortete der CAPCOM. »Sir, die Grafik sieht aus, als hätte es eine kontrollierte Landung gegeben. Aber das kann überhaupt nicht...« Becks Augen füllten sich mit Freudentränen. Das hier konnte nur eins bedeuten... »Sie haben die REMO als Landefähre benutzt«, sagte er atemlos. »McConnell... er muss es sein!
Niemand sonst hätte das zustande gebracht. So ein Wahnsinnskerl! Sie leben.« MARSOBERFLÄCHE, BASISCAMP
MARS-EINS-
Sprachlos und entsetzt sahen sich McConnell, Terri und Phil um. Das fast vollständig unter Sandverwehungen begrabene Camp vor ihnen sah aus wie eine verlassene Geisterstadt. Hinter dem Camp war schemenhaft der ERV zu erkennen, immer noch bereit zum Start. Die unteren Sprossen seiner Leiter steckten tief im Sand. Auch die Unterkunft war mit Sand bedeckt, ebenso die Seiten des Tunnels und des Gewächshauses, die wegen des Druckverlusts zum Teil in sich zusammengesackt waren. Die Sauerstoff- und Treibstoffanlagen waren unter dem Sand kaum zu erkennen. Sonnensegel flatterten und quietschten in der schwachen Brise, einige waren durch Mikrometeoriten schwer beschädigt worden. Schließlich fiel ihr Blick auf die amerikanische Flagge, die, immer noch an dem umgestürzten Mast befestigt, im Sand kaum noch zu sehen war. McConnell sank der Mut beim Anblick des Camps. Er blickte zu den anderen hinüber, die genauso erschüttert waren. Wortlos kniete er neben dem Fahnenmast nieder und fing an, ihn auszugraben. Er schob den Sand zu Seite, stellte den Mast aufrecht hin und stieß ihn kräftig in den Boden.
Mit den Stiefeln trat er den Sand fest. Schließlich trat er zurück und blickte zu der Flagge hinauf. Seine Augen wurden feucht. Trotz aller Verluste hatten sie es zum Mars geschafft. »Besser?«, fragte er Phil und Terri. »Viel besser«, antwortete Phil. »Terri, schau doch mal, ob du die Sauerstoffanlage wieder in Gang bringen kannst. Phil, du überprüfst den ERV. Ich übernehme die Unterkunft. Wenn ihr Luke findet...« Er beendete den Satz nicht. Phil und Terri blickten ihn an. Schließlich räusperte sich McConnell. »Haltet Kontakt«, sagte er. Die drei machten sich an die Arbeit. Phil stieg die Leiter des ERV hinauf. In der Nähe stand das viersitzige Erkundungsfahrzeug; an den Rädern türmte sich der Sand. Terri kniete sich vor die Sauerstoffanlage und schaufelte den Sand mit den Händen zur Seite. Sie fühlte sich immer noch wie betäubt, als sei sie nicht richtig anwesend. Beim Arbeiten war ihr Kopf leer. Das war besser, als nachdenken zu müssen. »Ich bin an der Tür zur Hauptschleuse«, berichtete McConnell über Funk. Er entriegelte die Luke mit der manuellen Öffnungsvorrichtung, griff nach dem Nothebel und zog daran. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Tür ächzend aufschwang. Kleine Staub- und Sandwolken wurden aufgewirbelt und sanken wieder zu Boden.
»Ich gehe jetzt rein«, berichtete McConnell. Auf der anderen Seite des Camps benutzte Phil einen batteriebetriebenen Bohrer, um die Luke des ERV zu öffnen. Er hob die schwere Abdeckung und ließ sie in den Sand fallen. »Habe Zugang zum ERV«, berichtete er. »Ich gehe rein. Terri, alles klar bei dir?« Terri befreite an der Sauerstoffanlage die erste Reihe der Anzeigen von den letzten Sandresten. »Ja«, antwortete sie. »Das hier wird eine Weile dauern.« In der Unterkunft von Mars Eins betrat McConnell die Küche. Er schauderte, als er den Tisch erblickte. Hier hatten Luke und seine Mannschaft gesessen, um ihre letzte Nachricht aufzuzeichnen. Sein Blick fiel auf einen Gegenstand auf dem Tisch, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Sein Geburtstagskuchen. Er stand immer noch dort, wirkte unheimlich mit dem abgebrannten Kerzenstummel. Jim lief ein Schauer über den Rücken. Im Pilotensitz des ERV streckte Phil die Hand aus und schaltete den Computer ein. Zuerst flackerte der Bildschirm nur schwach und versetzte ihm einen gelinden Schrecken, dann erschienen weiße Streifen und der Monitor flimmerte. »Der ERV scheint von der Struktur her intakt zu sein«, meldete er den anderen. »Die Computer sind durchgebrannt, genau wie wir gedacht haben.«
An der Sauerstoffanlage war Terri dabei, weitere Messgeräte und Ventile zu reinigen. Immer noch hatte sie ein Gewirr von Rohren vom Sand zu befreien. »Ich habe hier geplatzte Filter und verstopfte Zuführungen. Ein ziemlicher Putzjob, aber so weit keine größeren Schäden.« McConnell verließ die Küche und ging weiter durch die Unterkunft in Richtung Gewächshaus. Er rechnete damit, dass sich die Tür schwer öffnen lassen würde, und bereitete sich darauf vor, sie mit Gewalt aufzustoßen. Zu seiner Überraschung jedoch schwang die Tür ohne Schwierigkeiten auf. McConnell betrat das Gewächshaus und schnappte nach Luft. Ungläubig ließ er seinen Blick durch den Raum gleiten. Hier drinnen herrschte eine dschungelähnliche Atmosphäre mit wild wuchernden Pflanzen, von denen einige sogar an das zusammengesackte Dach stießen. Auf den Blättern und am Dach hatte sich Kondenswasser gebildet und tropfte durch sorgfältig konstruierte Rohre in allen Formen und Größen in eine Vielzahl von Behältern. Flüssiges Wasser. McConnell griff in einen Eimer, berührte das Wasser mit seinem Handschuh, den er vor sein Gesicht hob. Staunend beobachtete er, wie das Wasser herabtropfte. Es fiel ihm schwer, die Bedeutung diese Phänomens zu erfassen. Er schaute auf die Anzeige an seinem Unterarm.
Zwei Dinge erregten seine Aufmerksamkeit: die blinkenden roten Ziffern, die »2,5°C« anzeigten, und die Tatsache, dass sein aufgeblähter weißer Anzug schrumpfte und sich die Form seines Armes abzuzeichnen begann. Hier herrscht normaler Luftdruck, dachte er verblüfft. Auf der winzigen Tastatur tippte er noch ein paar Zahlen ein und las: Nitr. 78% / O2 20% / CO2 1% / Spurengase 1%. Langsam hob McConnell die Hände zu seinem Helm und löste den Ring. Einen Moment zögerte er, doch dann hob er den Helm vom Kopf und nahm in der reinen Luft einen tiefen, gierigen Atemzug. Er hielt die Luft an, ehe er sie langsam ausströmen ließ. Unglaublich. Einen Augenblick lang traute er seiner eigenen Stimme nicht, als er leise in sein Helmmikro sprach. »Ich bin im Gewächshaus«, sagte er. »Ihr... ihr solltet lieber herkommen und euch das selbst ansehen.« Während er auf die anderen wartete, ging er auf Entdeckungsreise durch die überwältigend üppige Vegetation. Ständig musste er Farnwedel zur Seite schieben, um vorwärts zu kommen. Das tropfende Blattwerk war so dicht, dass der Weg beinahe verschluckt wurde. Überall, wo er hinblickte, wurde sein Eindruck bestätigt, dass es sich hier um ein zusammengebasteltes, improvisiertes Biotop handelte.
Über sich entdeckte er einen aus Stücken von Plastikplanen zusammengenähten Blasebalg, der langsam Luft einsaugte und sie durch eine Öffnung in den oberen Stock der Unterkunft blies. McConnell folgte der Konstruktion mit den Augen, bis er ein einfaches Wasserrad entdeckte - die Energiequelle für den Blasebalg. Das Wasserrad aus Eimern und Streben, mit Isolierband zusammengehalten, erinnerte ihn an einen riesige n Bausatz für Hobbykonstrukteure. Unglaublich. Erstaunlich. McConnell war voller Bewunderung für diese genialen Apparate. Fragen rasten durch seinen Kopf: Wie und wann war das alles errichtet worden? Und vor allem: Von wem? Langsam wandte er sich von dem Wasserrad ab und folgte dem Weg weiter durch das dichte Gestrüpp. Immer noch in Gedanken versunken, wusste er kaum, wie ihm geschah, als plötzlich eine zerlumpte Gestalt durch das Laub sprang und ihn mit einem Satz zu Boden warf. McConnell blieb bei dem Angriff die Luft weg; Sekunden später lag er auf dem Rücken, über ihm die wilde Kreatur. Er wehrte sich gegen den Angreifer, so gut er konnte. Arme und Fäuste ruderten durch die Luft. Es ging alles so schnell doch endlich konnte McConnell einen Blick auf das Gesicht seines Angreifers werfen. Trotz der verwitterten, zerfurchten Haut des anderen und seines langen, verfilzten Bartes hatte McConnell keine Zweifel.
Es war Luke!
Kapitel 11 McConnells Herz setzte einen Schlag aus. Luke lebte! Verzweifelt versuchte McConnell sich von seinem halb verrückten Freund zu befreien. Es war kein Wunder, dass Luke ihn nicht erkannte. McConnell konnte sich nicht sicher sein, ob Luke nach dieser ganzen Zeit allein auf dem Mars überhaupt noch bei Verstand war. Er öffnete den Mund, um zu sprechen, doch bevor er ein Wort herausbrachte, holte Luke mit einem Geologenhammer aus, bereit, die Spitze in McConnells Schädel zu treiben. Verzweifelt packte McConnell Lukes Arm. »Luke, ich bin's! Jim McConnell!« Unsicher blinzelte Luke mit verängstigten Augen hinter dem zerzausten Haar hervor. Er riss seinen Arm aus McConnells Griff und hob den Hammer noch höher. McConnell sah, dass Lukes Arm zitterte.
»Deine Frau heißt Debra!«, rief er. »Dein Sohn heißt Bobby! Du hast mit ihm Die Schatzinsel gelesen .. .« Schließlich zeigte sich ein Flackern des Erkennens in Lukes Gesicht. Er sah McConnell scharf an, und seine Augen leuchteten auf. Doch ehe er sich bewegen konnte, wurde er von hinten gepackt und rückwärts zu Boden geschleudert. Der Hammer wurde ihm aus der Hand gerissen. Terri und Phil hielten seine Arme fest. McConnell richtete sich auf. »Tut ihm nicht weh!«, rief er. Er kniete neben Luke nieder und gab Terri und Phil ein Zeichen, dass sie ihn loslassen konnten. Sie traten zurück und nahmen keuchend und atemlos die Helme ab. Luke setzte sich auf und starrte in die vertrauten und gleichzeitig so fremden Gesichter. Er betrachtete die drei von oben bis unten, immer noch unsicher, ob sie am Ende genauso schnell wieder verschwinden würden, wie sie gekommen waren. Als er sprach, war seine seit langem unbenutzte Stimme heiser und rau. »Ich dachte, ich würde nie wieder ein menschliches Gesicht sehen«, würgte er. »Ich dachte, ich würde hier krepieren, allein. Phil... Terri... Jim.« Er versuchte zu lächeln, während sich seine Augen mit Freudentränen füllten. »Willkommen auf dem Mars«, brachte er noch heraus, ehe seine
Freudentränen zu einem heftigen Schluchzen wurden. Seine Schultern bebten. Es war mehr, als er verkraften konnte. McConnell legte die Arme um ihn, fand aber keine tröstenden Worte. Das Ganze war viel zu irreal, als dass er gewusst hätte, was er sagen sollte. Nachdem sich Luke wieder etwas gefangen hatte, führte er die Astronauten in einen kleinen, mit Planen abgeschirmten Bereich des Gewächshauses, wo er während der vergangenen sechs Monate gehaust hatte. Eine Kochplatte und ein paar Töpfe standen dort, daneben lag frisch geerntetes Gemüse. Luke setzte sich auf seine Pritsche, die anderen kauerten sich um ihn herum. »Luke, was ist hier passiert?«, fragte McConnell. Angst flackerte in Lukes Augen auf. Doch er begann die tragische Geschichte zu erzählen. »Wir haben die Radarkanone benutzt«, sagte er kaum hörbar. »Es ist gekommen, und sie sind gestorben.« »Was ist gekommen?«, fragte McConnell. Luke antwortete nicht, sondern erzählte weiter. »Die anderen sind alle gestorben, aber ich wurde verschont. Warum? Es musste einen Grund dafür geben. Und plötzlich wusste ich, warum ich übrig geblieben bin.« Er senkte die Stimme zu einem leisen Flüstern. »Jemand musste übrig bleiben, um das Geheimnis herauszufinden.« Nickend tippte er sich auf die Stirn. Die anderen blickten sich unsicher an.
»Luke«, sagte McConnell sanft, »ich glaube, wir haben immer noch nicht verstanden.« Luke erhob sich und eilte davon. Er winkte ihnen ungeduldig. »Kommt mit«, forderte er sie auf. »Kommt mit, kommt mit, kommt mit.« Eine Weile blickten sie ihm nach, bis Phil das Schweigen brach. »Bin ich jetzt total durchgedreht, oder hat er nicht mehr alle Tassen im Schrank?« »Ein langer Aufenthalt in einem schwachen Gravitationsfeld kann einen ungünstigen Einfluss auf das Gehirn haben«, meinte Terri. »Vielleicht leidet er aufgrund des Sauerstoffmangels unter einer Art Asphyxie.« »Oder vielleicht ist auch seine gesamte Mannschaft draufgegarigen und er ist ganz allein auf dem Mars zurückgeblieben«, entgegnete McConnell. »Lassen wir ihm ein bisschen Zeit, um wieder klar im Kopf zu werden. « Sie folgten Luke hinaus zum Basiscamp. Luke hatte seinen geflickten Druckanzug angezogen und den reichlich mitgenommenen Helm aufgesetzt und schaute unglücklich auf den improvisierten Schlitten und die magere Ausrüstung hinab. Auch die anderen hatten ihre Helme aufgesetzt und hörten Luke über Funk zu. »Also..., um das erst mal klarzustellen«, fing Luke an. »Euer Schiff ist mit der ganzen Ausrüstung in die Luft geflogen. Dann habt ihr die Fracht aus der REMO geworfen, und die REMO ist bei der
Landung auch zu Bruch gegangen. Ihr habt keine Lebensmittel, kein Wasser, keinen Reservesauerstoff, nichts außer dem, was ich hier sehe?« McConnell und die anderen schwiegen ein wenig verlegen. Luke grinste. »Was für 'ne Rettungsmission soll das eigentlich sein?« »So eine«, antwortete McConnell und zeigte auf Phil mit seinem Koffer. »Schau mal«, sagte Phil eifrig. »Neue Navigations-Boards für den ERV. Ich habe vier Rückfahrkarten hier drin, Baby.« Luke sah ihn verwirrt an. »Vier? Und was ist mit Woody. Ist er nicht mit euch gekommen?« Terri blickte auf den Sand hinunter. »Ursprünglich ja«, antwortete McConnell traurig. Luke warf ihm einen schmerzerfüllten Blick zu. Dann sah er Terri an. Sie erwiderte seinen Blick, und auch ohne Worte sprachen ihre Augen Bände. Luke schloss die Augen und wandte sich ab. Auf seltsame Weise hatte die Nachricht vom Tod seines Freundes etwas in ihm ausgelöst, etwas, das langsam sein altes Ich wieder zurückbrachte. Er öffnete die Augen und winkte ihnen mit der Hand. »Hier lang«, sagte er und machte sich auf den Weg quer über den Sand. McConnell, Terri und Phil folgten ihm schweigend.
Als sie an den Gräbern vorbeikamen, blickten die vier Astronauten auf die drei Hügel hinab. »Als ich wieder zu mir kam und mich aus dem Sand gebuddelt hatte«, erzählte Luke, »war mein Visier gesprungen. Ein übles Leck. Ich hab's kaum bis zum Camp geschafft. Es hat Wochen gedauert, bis ich mich dazu aufraffen konnte, zurückzugehen, um nach ihren...« Luke machte eine Pause, um sich zu sammeln. Er schluckte, dann fuhr er fort. »Renee war die Einzige, die ich finden konnte. Aber es erschien mir irgendwie nicht richtig, nur ein Grab auszuheben.« Bedrückendes Schweigen legte sich über die Gruppe, als sie an ihre toten Kollegen dachten. Luke hob den Kopf und blickte über die riesige Ebene. McConnell folgte seinem Blick. »Sandsturm?«, fragte er. Luke nickte. »Wir haben ihn vom Weltraum aus gesehen. Zieht er hierher?« »Es ist zu früh, um das sagen zu können«, antwortete Luke. »Wir sollten ihn allerdings besser im Auge behalten. « McConnell trat vor Luke und sah ihm direkt ins Gesicht. »Diese - was auch immer es war - diese Kraft - du sagst, sie kam direkt aus der Bergspitze?« »Ihr glaubt mir nicht«, stellte Luke enttäuscht fest. »Das ist schon okay. Aber ich bin nicht verrückt, Jim.«
»Was hast du mit >Geheimnis< gemeint? Was für ein Geheimnis?«, fragte McConnell. Luke schüttelte seinen Kopf. »Das solltet ihr euch besser selber ansehen«, sagte er schließlich. Er drehte sich um und ging zurück zur Unterkunft. McConnell, Terri und Phil folgten Luke durch die Unterkunft ins Labor. Als sie beim Eintreten die Helme absetzten, blieben sie stocksteif stehen. Der unglaubliche Anblick vor ihnen verschlug ihnen den Atem. Das Labor war zum Bersten mit Stein- und Sandproben voll gestopft. Jede Probe war mit einer Aufschrift versehen. Die Wände waren mit Zeichnungen und Diagrammen bedeckt Zeichnungen von Marslandschaften, Landkarten mit Anmerkungen, und unzählige Zeichnungen von dem Wirbel, der die Mannschaft der Mars Eins vernichtet hatte. »Ihr Fehler war, dass sie offenbar geplant hatten, dass es von der Erde aus zu sehen sein würde...«, fing Luke an. McConnell runzelte die Stirn. Es war eisig kalt, so dass Luke einen elektrischen Heizstrahler neben seinen Computer zog. Als die Drähte zu glühen begannen, rieb er, über die Tastatur gebeugt, seine Hände. »Wer sind >sie«, fragte McConnell. Die verständnislosen Blicke der anderen überraschten Luke. Kapierten sie denn nicht? Frustriert versuchte er zu erklären.
»Das ist doch ganz einfach. Inzwischen sind hunderte Millionen von Jahren verstrichen. Es hat Erosionen gegeben, Sandstürme, Lavaströme, Meteoriteneinschläge - mein Gott, nach so langer Zeit wird sich die gesamte Oberfläche verändert haben. Also ist es kein Wunder, dass wir es vorher nie gesehen haben. Na ja, ich denke, wir haben es schon gesehen, aber nicht so, wie sie es ursprünglich vorhatten. Es lag einfach zu viel Dreck drauf.« Die anderen wechselten besorgte Blicke. War er vollkommen übergeschnappt? »Was gesehen?«, fragte Terri. Luke tippte auf ein paar Tasten, dann drückte er einen Knopf. »Das hier«, erwiderte er dramatisch. Alle Augen richteten sich auf den Monitor, wo Bilder von dem Gesicht nach dem Unglück erschienen, aufgenommen vom Boden aus. Aus einem Ring aus Felsen und Geröll erhob sich das Profil eines riesigen leuchtend weißen Gesichts. Seine Oberfläche war glatt und undurchdringlich. Es war so groß wie ein Berg, doch seine Flächen und Kanten waren ganz offensichtlich nicht natürlichen Ursprungs. »Großer Gott...«, rief Phil. Wie betäubt standen sie da. »Was ist das?«, fragte Terri. »Ich weiß es nicht. Aber was auch immer das ist, jemand hat es gebaut. Aber nicht wir.«
Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, während die Astronauten das Gesehene zu verdauen versuchten. »Was ist mit dem Ton?«, fragte McConnell in die Stille hinein. »Dieses Signal, das ihr vor der Explosion gehört habt.« Luke nickte. »Gut, Jim, gut. Das ist der Schlüssel.« Er klickte mit der Maus, und plötzlich dröhnten und pulsierten tiefe Basstöne durch das Labor. »Hört ihr die Pausen?«, fragte Luke. »Daran habe ich gemerkt, dass es ein Muster ist - ein Muster, das sich ständig wiederholt.« »Mathematisch?«, wollte McConnell wissen. Luke schluckte, um seine trockene Kehle zu befeuchten. Er zitterte vor Aufregung. So lange hatte er darauf gewartet, seine faszinierende Entdeckung jemandem mitteilen zu können. Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. »Das dachte ich auch«, antwortete er. »Es gibt deutlich abgegrenzte Blöcke in dem Muster, und in jedem Block sind die Töne in Dreiergruppen zusammengefasst. Drei-drei-drei. Ich hab mich monatelang abgemüht, sie zu analysieren, hab unterschiedliche Konstrukte ausprobiert... und dann bin ich auf Dimensionen gekommen.« »X-Y-Z-Koordinaten«, schlug McConnell vor. »Genau! Drei Gruppen entsprechen drei Dimensionen. Also hab ich versucht, den einzelnen Blöcken, Gruppen und Tönen unterschiedliche
grafische Werte zuzuordnen. Und dann habe ich endlich...« Er gab einen Befehl auf der Tastatur ein, und eine leuchtende Kette erschien auf dem Monitor - die universal vertraute Doppelhelix, die elegante Blaupause des Lebens. »Mein Gott!«, rief Phil. »Ist das da das, wofür ich es halte?« Terri schnappte nach Luft. »DNS... Das ist ein DNS-Modell!« Luke seufzte vor Erleichterung. »Ihr erkennt es also auch. Gott sei Dank! Ich hatte schon Angst, ich würde wegen des Sauerstoffmangels unter einer Art Asphyxie leiden.« Er warf Terri einen Blick zu, die sichtlich überrascht und verlegen war, dass Luke ihre Worte mitbekommen hatte. Er lächelte, um ihr zu zeigen, dass er nicht gekränkt war. »Also gut - jemand hat dieses Ding hier gelassen, jemand, der kein menschliches Wesen ist«, meinte Phil, dessen Stimme etwas nervös klang. »Aber was, zum Teufel, ist das?« »Meine Vermutung ist, dass es sich um eine Signatur handelt«, antwortete Luke. »Ein Selbstporträt der Spezies, die das Gesicht erschaffe n hat.« »Aber die DNS sieht menschlich aus«, wandte McConnell ein. »Auf keinen Fall«, widersprach Terri. »Das letzte Chromosomenpaar fehlt, seht ihr?« »Ja, aber es ist ähnlich, verdammt ähnlich.«
»Der Unterschied zwischen einem Menschen und einem Affen beträgt weniger als drei Prozent, was das genetische Material angeht«, fuhr Terri fort. »Aber diese drei Prozent machen einen Mozart und einen Einstein aus.« »Und einen Jack the Ripper«, fügte Phil hinzu. Die anderen warfen ihm einen Blick zu, dann starrten sie wieder auf die geheimnisvolle, sich langsam drehende DNS. Nach ein paar Augenblicken riss McConnel sich zusammen. Ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen, sprach er weiter. »Na schön. Phil, schaff die Boards rüber zum ERV und konzentriere dich darauf, zuerst die Kommunikationsleitungen wieder hinzukriegen.« Phil nickte. »Sobald wir Saft haben«, fuhr McConnell fort, »werden wir ein Datenpaket an die Zentrale schicken und ihnen sagen, dass Luke in Ordnung ist und dass wir eine Weile hier bleiben werden. Wir werden ihnen auch von dem Ding hier erzählen. Wir anderen machen eine Bestandsaufnahme der Vorräte und schauen, wie's aussieht.«
Kapitel 12 In der Unterkunft wühlten sich McConnell und Luke gerade durch die aus der REMO geborgenen Vorräte, als Terri eintrat und ihren Helm abnahm. Sie atmete ein paar Mal tief durch - die Luft hier enthielt genug Sauerstoff, so dass die Astronauten auch ohne Helme auskamen -, dann erstattete sie Bericht. »Der Reservegenerator lässt sich reparieren«, sagte sie. »Ebenso zwei der Sonnensegel. Ich bin ziemlich sicher, dass ich auch die Sauerstoffanlagen wieder in Gang bringen kann. Wir scheinen also gar nicht so schlecht dazustehen.« »Gut gemacht, Terri«, lobte Luke. In diesem Moment hob McConnell Phils Rucksack auf, um dort nach Vorräten zu suchen. Eine offene Tüte M&Ms fiel heraus, deren Inhalt sich klickernd und hüpfend über den Boden verteilte. McConnell schmunzelte bei der Vorstellung, dass Phil es geschafft hatte, bei der Explosion des
Schiffes seine M&Ms zu retten. »Jetzt schaut euch das an«, lachte er. »Phils Vorstellung davon, was lebensnotwendig ist.« Luke und Terri lächelten, als er sich bückte, um die bunten Schokoladenkugeln aufzuheben. Dabei musste McConnell an das M&M-Modell einer »idealen Frau« denken, das Phil damals in der Schwerelosigkeit gebaut hatte. Er hatte zu Phils Ärger ein paar M&Ms aus dem Modell geklaut. Doch genau diese Lücken in dem Modell waren es, die ihm jetzt keine Ruhe ließen. Plötzlich begann McConnell vor Erregung zu zittern. »Es ist keine Signatur!«, sagte er zu den beiden anderen. »Was?«, fragte Luke verwirrt. »Dieses Geräusch von dem Gesicht! Das ist keine Signatur ... es ist ein Test.« Er rannte ins Labor hinüber. Luke und Terri folgten ihm. McConnell saß bereits vor dem Computer und betrachtete das mysteriöse DNS-Modell. Aufgeregt drehte sich McConnell um. »Es fragt uns nach der richtigen Antwort«, erklärte er. »Es will, dass wir das fehlende Chromosomenpaar einsetzen.« »Aber warum?«, fragte Luke. »Wir sollen beweisen, dass wir Menschen sind«, antwortete McConnell. »Wir haben das Ding mit Radar bestrahlt. Konzentrierte Schallwellen...«
». . . die es als falsche Antwort interpretiert hat«, beendete McConnell den Satz für ihn. »Genau! Es ist wie... wie ein Sicherheitsalarm. Wenn es eine falsche Antwort bekommt, verteidigt es sich.« Phil, der dem Gespräch über Funk lauschte, schaltete sein Mikrofon ein. »Und was passiert, wenn es die richtige Antwort kriegt?«, fragte er beunruhigt. McConnell sah die anderen an. »Keine Ahnung, Phil. Das müssen wir herausfinden. Luke, kannst du das Ganze mal andersherum probieren? Herausfinden, welche Töne den fehlenden Chromosomen entsprechen könnten und sie dann in deine Aufzeichnung der Signale einfügen?« »Ich glaube, das geht, ja.« »Was ist mit der Radarkanone? Kann man so eine Eingabe programmieren? Können wir ein vervollständigtes Signal an das Gesicht übertragen?« Luke starrte ihn entgeistert an, als ihm die möglichen Folgen klar wurden. Auch Phil fühlte sich bei diesem Gedanken nicht wohl. »Hey, hey, warte mal, Jim«, meldete er sich über Funk. »Was ist, wenn du dich irrst? Egal, wer da rausgeht... ich meine, was ist, wenn du falsch liegst? Drei Menschen sind wegen des Dings da draußen schon drauf gegangen.« Niemand antwortete. »Vier«, korrigierte Terri ihn schließlich.
McConnell schaute sie an. Sie war aufgebracht, hatte Angst. »Ich weiß, dass du eine Abmachung mit Woody hattest«, sagte sie leise. »Aber jetzt für ihn zu sterben, hilft ihm auch nicht mehr.« McConnell war vollkommen überrascht darüber, dass sie von der Abmachung zwischen ihm und Woody wusste. Dennoch drängte er weiter. »Wenn wir ohne eine Antwort von hier weggehen, sind sie alle umsonst gestorben.« Terri schüttelte den Kopf. »Wir wissen einfach zu wenig über... über dieses Ding da draußen, um noch mehr zu riskieren.« »Wozu sind wir denn hier, wenn nicht, um etwas zu riskieren?«, fragte McConnell. Wieder schwiegen alle. Nie zuvor hatten die anderen Jim so leidenschaftlich erlebt. Er deutete auf den Computerbildschirm. »Das hier heißt, dass wir nicht allein sind«, fuhr er fort. »Es heißt, dass wir vor der größten Entdeckung in der Geschichte der Menschheit stehen. Aber wir müssen es noch beweisen. Wer weiß, wann wieder jemand hier heraufkommt? Oder ob überhaupt noch mal jemand hier heraufkommt? Ihr wisst doch, wie der Kongress über die Marsmission denkt. Es wird heißen, es sei zu gefährlich, es hätte zu viele Menschenleben gekostet und man sollte lieber wieder unbemannte Raumschiffe hochschicken. Vielleicht sind wir für die nächsten Jahrzehnte die letzten Forscher hier.
Wir oder keiner, Leute.« Er atmete tief durch. »Wir oder keiner.« »Wir müssen nicht da rausgehen«, sagte Luke schließlich. »Es gibt eine bessere Möglichkeit.«
Kapitel 13 MARSOBERFLÄCHE, EBENE VON CYDONIA Die unverwüstliche kleine Ares-8 rollte über den ockerfarbenen Sand, die Radarkanone notdürftig auf ihrem Rücken montiert. Ihr Video-Objektiv surrte und fuhr aus. »Videoübertragung wird überprüft«, meldete Luke, während er in der Unterkunft mit der Fernsteuerung der Ares-8 hantierte. Die anderen standen um ihn herum und sahen zu, wie er Knöpfe drückte und Hebel bediente. Der Bildschirm knisterte und erwachte zum Leben. Erst zeigten sich weiße Streifen, dann erschien ein verschwommenes Bild, das Luke mit einem Knopfdruck vergrößerte. Er riss die Augen weit auf, als es schärfer wurde. »Da!«, stieß er aufgeregt hervor. Auf dem Bildschirm war das weiße Gesicht zu sehen, aufgenommen von der Ares-8 auf
Bodenniveau. Atemlos sahen die anderen zu, wie Luke die Ares-8 vorsichtig mit dem Joystick manövrierte. »Wie nah müssen wir ran?«, fragte McConnell. »Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht halten wir besser neben diesem Felsen da.« Genau dort stoppte er die Ares-8. Das große Gesicht erhob sich hinter dem Felsblock. Die Radarkanone drehte sich und suchte ihr Ziel. Dann verharrte sie, bereit zum Senden. Die Astronauten wechselten nervöse Blicke. Schließlich nickten sie Luke zu. Einen Augenblick lang schwebte seine Hand über der roten Taste - ein Augenblick der Unsicherheit und Gefahr. Mit einem letzten Nicken gab McConnell den Befehl, und Luke drückte auf die Taste. Der Radar auf der Ares-8 sendete ein klares, hochfrequentes Signal in Richtung des Gesichts, ein Signal, das wie eine Stimmgabel vibrierte. Nachdem die Übertragung geendet hatte, passierte einen Augenblick lang nichts. Aber auch das Brummen hörte auf. Das einzige Geräusch, das noch zu hören war, kam vom Wind, der über den Ebenen des Mars den Sand aufwirbelte. Dann geschah es. Eine riesige, gewölbte weiße Fläche schoss plötzlich aus dem Boden nach oben. Sie sah aus wie das Tor zu einem Hangar, glitt nach oben und verschwand in irgendeinem Zwischenraum. Aus der Öffnung drang ein blendendes weißes Licht.
Den Astronauten stockte der Atem. Sie blickten tatsächlich in das Gesicht hinein. »Oh, mein Gott...«, brach Phil das Schweigen. Luke zitterte vor Erregung. »Es hat geklappt! Es hat funktioniert!« »Strahlung überprüfen«, forderte McConnell ihn auf. Luke gab ein paar Befehle ein und wartete auf das Ergebnis. »Normal. Seismischer Zustand... normal. Windmessung konstant. Kein Anzeichen eines Wirbels.« Phil schluckte. »Ich weiß zwar nicht, was wir gemacht haben, Leute, aber - sieht das für euch nach einer feindlichen Geste aus?« Terri schüttelte den Kopf. »Nein, eher wie eine Einladung.« »Oder wie ein weiterer Test«, meinte Luke. McConnell, den Blick starr auf die geheimnisvolle Öffnung gerichtet, war immer noch wie gelähmt. Sie waren so dicht dran. »Luke, funktioniert das Erkundungsfahrzeug noch?« Draußen war der Wind stärker geworden, und Sandwölkchen tanzten über den Boden. McConnell und die anderen traten hinaus. Überrascht blickten sie zum Himmel hinauf, dessen Farbe vom üblichen Lachsrot zu einem fast schwarzen Violett gewechselt hatte. Der Sandsturm war nur noch
sechzig Kilometer entfernt und kam immer näher. Es war ein beängstigender Anblick. »Wie lange dauert es noch, bis er hier ist?«, fragte McConnell durch sein Helmmikrofon. In seiner Stimme schwang Besorgnis mit. »Vielleicht eine Stunde, vielleicht auch weniger«, antwortete Luke. »Wie schlimm?« Lukes Antwort kam erst nach einer kurzen Pause. »Ein Sturm wie dieser? Er könnte sich auf den ganzen Planeten ausdehnen - und ein ganzes Jahr dauern.« McConnell schaute ihn an. »Er wird uns festnageln, und wir könnten nicht mehr starten. Wenn das passiert, bei den wenigen Vorräten, die uns geblieben sind... wir würden verhungern.« McConnell blickte zum Horizont, dem drohenden Sturm entgegen, dann wandte er sich den fragenden Gesichtern seiner Mannschaft zu. Auf der anderen Seite stand das Erkundungsfahrzeug, bereit zur Abfahrt. »Phil, wie lange brauchst du noch mit dem ERV?«, fragte er. »Vielleicht eine Dreiviertelstunde. Es wird knapp, aber wir können es schaffen.« »Dann haben wir noch genug Zeit, da rauszufahren und wieder zurückzukommen«, stellte McConnell fest. Er wandte sich Luke und Terri zu,
um zu sehen, ob sie dasselbe dachten. Sie nickten zustimmend. »Du bleibst hier«, befahl McConnell Phil. »Mach weiter mit der Reparatur. Wenn was schief geht, brauchen wir jemanden, der zur Erde zurückfliegt und berichtet, was passiert ist.« Phil riss die Augen auf. »Zurückfliegen? Allein?« McConnell blieb äußerlich ruhig, um die anderen nicht zu verunsichern, doch in seinem Innern litt er Höllenqualen. »Wenn wir in fünfundvierzig Minuten nicht zurück sind, machst du alles startklar und fliegst los.« Er warf einen Blick auf die Anzeige an seinem Arm. »Das ist um neunzehn Uhr fünfzig.« Phil fühlte sich mit diesem Befehl nicht wohl. Überhaupt nicht wohl. »Jim...«, wollte er einwenden. »Das ist kein Vorschlag«, unterbrach ihn McConnell streng. »Das ist ein Befehl. Verstanden?« »Verstanden«, antwortete Phil widerwillig. »Aber...« »Und was genau hast du verstanden?«, fragte McConnell. Phil hielt McConnells Blick stand. »Wenn ihr um neunzehn Uhr fünfzig nicht zurück seid, starte ich.« Jim nickte. »Los geht's«, sagte er zu Luke und Terri. Das Fahrzeug ratterte über die Ebene von Cydonia auf das Gesicht zu. Schweigend blickten die Astronauten dem heraufziehenden Sturm
entgegen. In dem fast schwarzen Himmel jenseits des Gesichts zuckten Blitze, und kleine Tornados wuchsen unten aus der violettschwarzen Wand heraus. McConnell stoppte das Fahrzeug vor dem Gesicht und der riesigen Öffnung. Das herausströmende Licht war sogar noch heller geworden und erleuchtete den schwarzen Himmel. Voller Staunen über das kosmische Geheimnis, stiegen die Astronauten aus dem Fahrzeug. Sie blickten zur Öffnung hinauf, geblendet von dem weißen Licht. McConnell stellte sein Mikrofon ein. »Phil, hörst du mich?«, fragte er. Im Cockpit des ERV schaltete Phil, der fieberhaft an dem defekten Computer arbeitete, sein eigenes Mikrofon ein. »Ja, Jim. Dein Signal wird von dem Sturm etwas gestört, aber ich verstehe dich ganz gut.« McConnells Gesicht war in helles Licht getaucht. Er sprach langsam und vorsichtig. »Wir sind bei dem Gesicht. Wir werden hier ein paar Minuten brauchen. Gleiche Frist, Start um neunzehn Uhr fünfzig. Mit oder ohne uns. Verstanden?« Phil antwortete nicht sofort. »Verstanden«, sagte er schließlich. Terri und Luke, die rechts und links von McConnell standen, warfen sich einen besorgten Blick zu.
»Jim, bist du dir sicher, dass du das wirklich tun willst?«, fragte Terri. »Ich bin mir über gar nichts mehr sicher«, antwortete McConnell. »Aber ich fliege nicht hundertsiebzig Millionen Kilometer, nur um auf den letzten drei Metern wieder umzukehren.« Luke grinste. McConnell fasste die beiden anderen an den Händen, und gemeinsam schritten sie vorwärts... hinein in das Licht.
Kapitel 14 Das Licht war so hell, blendete so stark, dass sie weder Entfernungen noch Formen oder Farben erkennen konnten. Sie sahen keine Wände, keine Decke, nicht einmal den Boden. »Die Oberfläche scheint fest und eben zu sein«, meinte McConnell über Funk. »Sehe ich auch so«, fügte Luke hinzu. »Gla tte Struktur.« »Ich finde einen stabilen Stand, keine Hindernisse«, meinte Terri ihrerseits. »Schauen wir mal. . .« Bevor sie den Satz beenden konnte, vernahmen die drei Astronauten ein lautes Zischen hinter sich, als würde sich eine riesige Luftschleuse schließen. Sie ließen die Hände der anderen los und wirbelten herum. Terri und Luke rannten auf den Eingang zu, wurden jedoch von einer Art Wand aufgehalten. Die riesige Türöffnung, durch die sie eingetreten waren, hatte sich hinter ihnen geschlossen. »Sie ist zu!«, rief Terri. »Wir sitzen in der Falle!«
»Nicht bewegen«, befahl McConnell. »Nicht die Orientierung verlieren.« Starr vor Angst blieben sie stehen: drei von Helmen umrahmte Gesichter, die in der gewaltigen Helligkeit zu schweben schienen. McConnell versuchte es mit dem Mikrofon. »Phil? Phil, kannst du mich noch hören?« Im Cockpit des ERV schickte Phil ein Stoßgebet zum Himmel, dann streckte er die Hand aus und schaltete den Hauptcomputer an. Zu seiner Freude funktionierte er! »Computer sind online!«, berichtete er den anderen begeistert. »Lade jetzt die Software. Aber hört mal, Leute, die Sicht wird hier draußen immer schlechter.« Er sah zum Cockpitfenster hinaus auf den vom Wind gepeitschten Sand. Der Sturm schien in den vergangenen Minuten zugenommen zu haben. Plötzlich bemerkte er, dass er über sein Funkgerät nichts mehr hörte. »Hey, Leute! Jim? Luke? Terri? Seid ihr noch da?« Keine Antwort. Entsetzt starrte Phil sein Funkgerät an. »Lasst mich nicht allein«, flehte er völlig verängstigt. McConnell stellte fest, dass sein Raumanzug schrumpfte und sich sein Arm darunter abzeichnete, genau wie in Lukes Gewächshaus. Er zögerte,
schraubte jedoch schließlich den Dichtungsring an seinem rechten Handschuh auf. »Jim!«, schrie Terri voller Angst. »Was machst du da? Du wirst Druck verlieren!« »Das glaube ich nicht«, erwiderte McConnell zuversichtlich. Eine letzte Umdrehung an dem Gewinde - und zischend drang die Luft in seinen Anzug. »Jim, mach ihn wieder zu!«, rief Luke. »Nein! Das war Luft, die in meinen Anzug geströmt ist, nicht umgekehrt. Schaut doch eure eigenen Anzüge an, die sind schon ganz schlaff. Hier herrscht normaler Luftdruck.« »Ein höherer Druck als auf der Marsoberfläche?«, fragte Terri. »Das ist unmöglich.« McConnell drehte sich zu ihr um. »Wir sind Millionen von Kilometern von der Erde entfernt und stehen in einem riesigen, weißen Gesicht. Was ist da noch unmöglich?« Terri gab auf ihrer Anzeige am Arm ein paar Befehle ein. »Hier drin herrscht leichter Überdruck. Stickstoff und Sauerstoff vorhanden.« »Könnte man auch Luft dazu sagen?«, fragte Luke grinsend. Terri nickte. McConnell und Luke nahmen bereits ihre Helme ab. »Hey, es könnten ein paar tödliche Spurengase dabei sein, die ich noch nicht entdeckt habe, oder... oder..., ach was, scheiß drauf. « Sie schraubte ihren
Helm auf und hob ihn sich vom Kopf. Sekunden später atmete auch sie tief durch. Luft. Es war einfach unvorstellbar. In diesem Moment tauchte vor ihnen etwas auf eine weiße metallene Wand, die hoch über ihnen aufragte. Sie bestand aus aufwändig zusammengefügten Bändern, Platten und Schrägen und wurde vor ihren Augen immer größer. Eine Luke in der Wand öffnete sich langsam. Strahlend weißes Licht strömte heraus und bildete einen leuchtenden Tunnel und eine Rampe bis hinab zu den Astronauten. Sie hoben die Hände, um ihre Augen gegen das blendende Licht zu schützen. Blinzelnd versuchten sie, in dem Tunnel etwas zu erkennen. Dann sahen sie, wie eine Gestalt am anderen Ende erschien. Den drei Astronauten stockte der Atem. Langsam kam das Wesen auf sie zu, während es sich zu einer leuchtenden menschlichen Gestalt formte - einer weiblichen Gestalt, wie sie mehr spürten als sahen. Sie schien friedfertig, unwirklich. Lange blickte die leuchtende Marsianerin die Astronauten an. Dann winkte sie ihnen zu wie zur Aufforderung, den Tunnel zu betreten und ihr zu folgen. Ihre Bewegungen hatten nichts Bedrohliches, sie wirkten ruhig und anmutig. McConnell, Luke und Terri sahen sich an, unfähig, zu sprechen oder sich zu bewegen, wie gebannt von dem Phänomen, das sich vor ihnen abspielte. Besonders McConnell war vollkommen
hingerissen. Trotz der Anspannung und Unsicherheit in dieser Situation verspürte er plötzlich einen seltsamen inneren Frieden, als wäre all das, was dort geschah, für ihn bestimmt. Langsam, aber entschlossen schritten die Astronauten vorwärts, die Helme in den Händen. Sie gingen den Aufgang hinauf in den Lichttunnel hinein, folgten der Marsianerin durch die Öffnung und verschwanden im Inneren. Sie betraten einen runden, offenen Platz, der durch keine Wände begrenzt zu sein schien. Lediglich eine glatte Metalltür war zu erkennen. Die Marsianerin hielt vor der Tür an und drehte sich um. Auch die Astronauten blieben stehen, unsicher, was von ihnen erwartet wurde. Die Marsianerin vollführte eine Geste mit der Hand, und eine große zylinderförmige Holografie erhob sich aus dem Boden. In ihrem Innern schwirrten Millionen von unheimlichen Lichtern wie kosmische Leuchtkäfer. McConnell legte seinen Helm auf den Boden und näherte sich vorsichtig der Säule. Terri und Luke folgten ihm und stellten sich mit ihm zu einem lockeren Dreieck um die Holografie. Die Myriaden von Lichtern wurden von ihren Augen und Raumanzügen reflektiert. Die umherwirbelnden Lichter verwandelten sich in Bilder. Zuerst erschien das Bild eines blauen Planeten.
»Glaubt ihr dasselbe wie ich?«, flüsterte McConnell den anderen zu. »Ja«, antwortete Luke. »Das ist der Mars.« Plötzlich tauchte ein riesiger Asteroid in der Holografie auf, der durch den Weltraum auf den Planeten zuflog. »Oh, mein Gott...«, sagte Terri, doch ihre Stimme erstarb, als Tausende von Raumschiffen erschienen, die von der Oberfläche des blauen Planeten abhoben und aus dem Sonnensystem flohen. Dann schlug der Asteroid auf, und eine Woge aus Feuer und Geröll brandete über den Planeten hinweg. Die Ozeane kochten und verdampften. Zwei riesige Blöcke wurden aus dem Planeten gerissen und wirbelten in den Weltraum hinaus. Die Astronauten fuhren bei der Explosion zusammen. Dann verfolgten sie wie gebannt den Rest der Geschichte des blauen Planeten, die sich vor ihren Augen abspielte. Sandstürme jagten über die kalte, leblose Oberfläche. Flammende Brocken geschmolzenen Gesteins kühlten zu Zwillingsmonden ab. Die Geschichte des Mars. Erschüttert und tief beeindruckt, betrachteten sie die gewaltige Zerstörung. Als Nächstes wurde der Strom von Raumschiffen auf ihrer Reise zu einem neuen Sonnensystem immer dünner. Atemlos wurden McConnell und die anderen Zeugen, wie sich ein einzelnes Schiff aus dem Verband löste und in eine andere Richtung flog.
In der Holografie wurden Grafiken aufgerufen, die ein Modell von dem zeigten, was das Schiff enthielt: Die Doppelhelix der DNS. McConnell riss die Augen auf, als das Schiff schließlich Kurs auf einen anderen blauen Planeten in unserem Sonnensystem nahm... Die Erde. »Die Erde von damals, als es noch Pangäa gab«, sagte Terri leise, kaum lauter als ein Flüstern. »Bevor sich die Kontinente trennten.« Das einsame Raumschiff vom Mars drang mit einem heftigen Blitz durch die Erdatmosphäre und tauchte in den Ozean. Im selben Moment wuchs das Bild der DNS-Doppelhelix und füllte die ganze Säule aus. Sie wirbelte im Kreis herum und pulsierte, bis sie zu einem Strudel von bunt wechselnden neuen Bildern zerfiel. Überwältigt von der stroboskopischen Kraft der Holografie, schrien die Astronauten erschrocken auf. Die hellen Lichtblitze brachten sie zum Blinzeln. Alle möglichen Formen von Leben erschienen in der Säule, flatterten, schwammen, wuchsen, krabbelten, hüpften und flogen: einzellige mikroskopisch kleine Organismen, Plankton, Pflanzen, Insekten, schließlich Fische, Dinosaurier, Vögel, kleine Säugetiere, größere Säugetiere - das gesamte, verblüffende Panorama der Evolution, destilliert zu einer einzigen explosionsartigen Abfolge. Die Bilder überschwemmten die tief beeindruckten Astronauten, bis sich die Holografie schließlich
unvermittelt auflöste. Die Astronauten blickten sich über den leeren Raum hinweg an, wo zuvor die Säule gewesen war. Niemand sprach ein Wort. Überwältigt von ihren Gefühlen, ließen sie das, was vor ihren Augen geschehen war, auf sich wirken. Plötzlich kam die Marsianerin auf sie zu, die Arme in einer einladenden Geste vor sich ausgestreckt. Sie stellte sich zwischen Terri und Luke, McConnell gegenüber, und vervollständigte den Kreis. Dann streckte sie die Arme seitlich aus, forderte die anderen auf, sich an den Händen zu halten. McConnells Augen leuchteten euphorisch, als er die Marsianerin ansah. Nie zuvor hatten die anderen ihn eine solche Freude ausstrahlen sehen. Zwischen ihm und der Marsianerin bestand über den Kreis hinweg eine sonderbare Verbindung - und dann hatte er es begriffen. »Sie sind wir - und wir sind sie«, staunte er. »Wir sind Marsianer?«, fragte Luke verwirrt. »Genau das meint sie«, antwortete McConnell. Terri schnappte nach Luft. »Oh, mein Gott! Das muss die Kambrische Explosion gewesen sein.« Die anderen blickten sie erstaunt an, während sie erklärte. »Vor fast sechshundert Millionen Jahren gab es auf der Erde eine plötzliche Ausbreitung von Leben. Die ersten mehrzelligen Pflanzen und Tiere tauchten auf. Niemand hat bisher verstanden, warum...« Ihre Stimme erstarb.
»Sie haben das Leben auf die Erde gebracht«, sagte Luke voller Staunen. Das war eine ungeheure Behauptung, dennoch schien alles zusammenzupassen. Schweigend grübelten sie über diese letzte Schlussfolgerung nach. Die Stille wurde unterbrochen, als sich ein futuristisch anmutender Stuhl genau an der Stelle aus dem Boden erhob, wo sie zuvor die Säule mit den Holografien gesehen hatten. Verblüfft traten die Astronauten zurück und lösten die Hände voneinander. Erneut erhob sich eine Lichtsäule aus dem Boden - ein durchsichtiger Ring um den Stuhl. Die Säule hatte breite Streifen, deren Farbe von gelb am oberen Rand über orangefarben in der Mitte zu rot am Boden wechselte. Der Stuhl war deutlich durch den durchsichtigen Ring zu erkennen, und ein einzelner glockenähnlicher, hallender Ton erklang. Plötzlich leuchtete der gelbe Lichtstreifen um den Stuhl herum heller als die anderen. Terri und Luke sahen sich verwirrt an, als die Marsianerin auf McConnell zuging. Sie bedeutete ihm, er solle sich auf den Stuhl setzen. In dem Augenblick erfüllte ein lautes statisches Knistern den Raum und ließ alle aufschrecken. Es kam von den Helmen, die auf dem Boden lagen. »...mmen, bitte ... ihr mich?« Es war Phil.
Terri rannte zu ihrem Helm und hob ihn auf. Sie hielt ihn vors Gesicht und sprach in das Mikrofon. »Phil, wir sind hier! Wir hören dich!« Trotz der gestörten Übertragung hörten sie die Erleichterung in Phils Stimme. Und die Verzweiflung. »Gott sei Dank!«, übertönten seine Worte das Knacken. »Hört mal, der Sturm ist... ein paar Minuten, ich kann nicht... ihr müsst zum ERV zurückkommen!« Eine Sekunde später war seine Stimme weg, und sie hörten nur noch Rauschen. »Phil? Phil?«, rief Terri in das Mikrofon. Sie erhielt keine Antwort. Es war sinnlos. Die Verbindung war abgerissen. Terri drehte sich zu McConnell um und wartete auf Anweisungen, doch dieser starrte immer noch wie gebannt die Marsianerin an. Plötzlich ertönte der glockenähnliche Ton erneut, und der leuchtend gelbe Ring verblasste. Im selben Augenblick nahm der orangefarbene Streifen an Leuchtkraft zu. Endlich löste McConnell seinen Blick von der Marsianerin und schaute in das orangefarbene Licht. Als er schließlich wieder die Marsianerin ansah, winkte sie wieder in Richtung des Stuhls. Langsam dämmerte ihm, wo sie waren und was all dies zu bedeuten hatte.
»Wir sind auf einem Raumschiff«, flüsterte er atemlos. »Dies ist ein Raumschiff! Und der Countdown hat schon begonnen.« Terri warf Luke einen besorgten Blick zu. »Ich glaube, er hat Recht«, sagte Luke zu ihr. Terri riss die Augen auf. »Na, dann nichts wie raus hier!«, rief sie. Sie warf Luke seinen Helm zu. Als er ihn auffing, rannte sie bereits in Richtung Ausgang. Luke folgte ihr, dann jedoch wirbelte er noch einmal herum, weil er bemerkt hatte, dass sich McConnell nicht von der Stelle bewegt hatte. McConnell stand immer noch bei der Marsianerin und schaute ihr in die Augen. Sie forderte ihn ein drittes Mal auf, sich zu setzen. »Jim...«, rief Luke seinem Freund zu. McConnell rührte sich nicht. »Jim, wir müssen los!« »Ich komme nicht mit«, antwortete McConnell. Seine Worte trafen die beiden anderen wie ein Schlag. Terri stieß einen kurzen Schrei aus. »Was? Was redest du denn da? Jim, wir müssen nach Hause!« McConnell sprach leise, mit ruhiger Stimme. Noch nie hatte Terri ihn so gesehen. »Genau dorthin werde ich gehen«, entgegnete er. Auf seinem Gesicht lag ein seltsamer Ausdruck der Freude. »Versteht ihr denn nicht? Sie bittet mich, nach Hause zu kommen.« Terri ging auf ihn zu, doch Luke streckte den Arm aus und hielt sie zurück.
»Ihr drei kommt mit dem Start schon zurecht«, sagte McConnell. »Die Computer werden den Rest übernehmen. Geht zurück und erzählt ihnen, was passiert ist. Versucht es ihnen begreiflich zu machen.« Terri hatte Tränen in den Augen. »Terri, mir geht es gut«, versicherte er ihr. »Ich weiß, was ich tue. Aber euch läuft die Zeit davon. Ihr müsst zum ERV zurück und von diesem Planeten verschwinden. Bitte!« Luke trat ein Stück auf McConnell zu, innerlich zerrissen von der Entscheidung seines Freundes, aber beeindruckt von dessen leidenschaftlicher Überzeugung. »Früher hatte ich das Gefühl, dass ich deinen Platz eingenommen hätte«, sagte er leise. »Aber jetzt glaube ich, dass du vielleicht meinen einnimmst. Wahrscheinlich bin ich ein bisschen neidisch.« Einen Moment lang schlössen sich ihre Hände umeinander, ein Griff, der ein Leben der Freundschaft und eine Ewigkeit des Abschieds ausdrückte. »Danke, dass du mir das Leben gerettet hast«, sagte Luke. McConnell lächelte. »Nein. Du hast meins gerettet.« Luke nickte. Der Kloß in seinem Hals wurde immer größer. Schließlich drehte er sich um und schloss seinen Helm.
Dann trat Terri zu McConnell. Ihre Augen glänzten ebenso feucht wie seine. »Maggie wäre so stolz auf dich«, sagte sie mit tränenerstickter Stimme. »Sie ist hier, Terri. Ich kann sie spüren.« Terri nickte, dann schob sie die Hand in eine Tasche ihres Anzugs und zog etwas heraus, was sie McConnell in die Hand drückte. Als seine Finger es umschlossen hatten, ging sie zu Luke zurück und schloss dabei ihren Helm. Mit einem letzten, schweigenden Lebewohl verschwanden die beiden Astronauten in der Dunkelheit. Als sie fort waren, öffnete McConnell seine Faust, um zu sehen, was Terri ihm gegeben hatte. Es war Woodys Kette mit dem Flash-GordonRaumschiff. McConnell hielt es fest in der Hand. Dann atmete er tief ein und blickte zu der Marsianerin hinauf. Er nickte ihr zu. Er war bereit.
Kapitel 15 Phil saß im Cockpit des ERV. Sein Herz raste. Die Lichter waren eingeschaltet, alle Systeme liefen, das Schiff war startbereit. Zum millionsten Mal spähte er aus dem Cockpitfenster und hielt nach dem Erkundungsfahrzeug Ausschau. Doch der Sturm war noch näher gekommen, so nah, dass bereits Sand und Staub an die Fenster geschleudert wurden und man fast nichts mehr sehen konnte. Mit dem Helm auf dem Kopf blickte er voller Angst noch einmal auf die digitale Anzeige: 19:45. Noch fünf Minuten bis zum Start. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Luke und Terri traten durch den Ausgang des Gesichts, der sich zum Glück geöffnet hatte, ins Freie. Doch das, was sie dort erwartete, machte ihre Hoffnungen zunichte. Der Sturm hatte sie erreicht, und sie konnten nur noch ein paar Meter weit sehen. Der Wind pfiff um ihre Helme, als sie das Erkundungsfahrzeug suchten. Hinter ihnen war
wieder der tiefe, pulsierende Ton zu hören, der mit seinem lauten Muster den Lärm des Windes übertönte. Besorgt drückte Luke auf sein Mikrofon. »Phil? Bist du da? Phil?« Im Cockpit war Phil kurz vorm Überschnappen. Verzweifelt versuchte er den Rest der Mannschaft über Funk zu erreichen, aber es gelang ihm nicht. Er begann hilflos zu weinen; schluchzend drückte er hastig auf die Knöpfe. Auch wenn es das Letzte war, was er tun wollte, ging er dennoch die Checkliste für den Start durch. McConnell nahm unter den Blicken der Marsianerin auf dem futuristischen Stuhl Platz. Zu seiner Überraschung neigte er sich und glitt nach unten. Die Rückenlehne kippte zurück, und am unteren Teil wurde eine Fußstütze ausgefahren - fast wie bei einem Fernsehsessel. Trotz seiner Unsicherheit, was als Nächstes passieren würde, spürte er einen tiefen Frieden in sich. Er war voller freudiger Erwartung auf das, was vor ihm lag - die Verwirklichung seines lebenslangen Traums. Vor ihm schaltete die Countdown-Anzeige von Orangefarben auf Rot. Es würde nicht mehr lange dauern. Endlich hatten Luke und Terri das Erkundungsfahrzeug gefunden und stiegen ein. Der Sturm wurde immer schlimmer; ein wirbelnder Albtraum, immer wieder kurz erleuchtet von den Blitzen am Himmel.
Vergeblich bemühte sich Luke, Funkkontakt herzustellen. »Phil? Phil, hörst du mich?« Keine Antwort. »Er hört nichts!«, rief er Terri zu. »Ich kann dich auch kaum hören!«, schrie Terri. »Sehen wir zu, dass wir hier abhauen.« Luke startete das Fahrzeug und fuhr los, direkt in den Sturm hinein. McConnells Blick folgte den neuen Lichtbändern, die seine Stiefel umgaben, dann an seinen Knöchel und Unterschenkeln und weiter am Körper emporstie gen. Die Bänder waren keine Bedrohung, auch wenn sie ihn umhüllten - sie waren beruhigend, als böten sie Schutz wie ein Kokon. Die Bänder stiegen bis zu seinem Helm hinauf, und dennoch war seine Sicht nicht behindert, als er sich zurücklehnte und nach oben blickte. Die Marsianerin beugte sich über ihn, als wollte sie sich vergewissern, dass alles in Ordnung war. Ihre Blicke trafen sich, und zum ersten Mal schien sie zu lächeln. Doch plötzlich verschwand sie genauso schnell, wie sie erschienen war. Verzweifelt beendete Phil seine Checkliste für den Start. Heftig schluchzend spähte er ein weiteres Mal aus dem Fenster und betete um die Rückkehr der anderen. Er wagte nicht, sich auszumalen, was vor ihm lag, falls sie es nicht schafften. Sie mussten einfach zurückkommen! Widerstrebend blickte er auf die Uhr. 19:50.
Mein Gott! Zitternd hob er die Hand zum Computer und ließ einen Finger über der Starttaste schweben. Er versuchte zu schlucken, doch seine Kehle war völlig trocken. Nervös kniff er die Augen zu und drückte auf die Taste. Der Computerbildschirm blitzte auf: Zündungssequenz eingeleitet. Die Countdown-Anzeige sank in den untersten, dunkelroten Bereich. Durch sein Visier und durch die Bänder aus schützendem Licht hindurch sah McConnell, wie sich ein riesiges Fenster über ihm öffnete. Plötzlich wurde er auf seinem Sitz kräftig durchgeschüttelt. Er sah alles nur noch verschwommen, doch schließlich konzentrierte er sich auf den Sturm, der draußen vor dem Fenster tobte. Luke lenkte das Erkundungsfahrzeug, fast ohne etwas zu sehen, während Terri den Computerbildschirm am Armaturenbrett im Auge behielt. Sie mussten laut schreien, um den Wind zu übertönen. »Mein Gott, ich hab das Signal vom Basiscamp verloren!«, rief Terri entsetzt. Luke blickte erschrocken auf die Anzeige. Die Nadel wirbelte herum; sie konnte keine Richtung mehr angeben. »Wir fahren blind!« Terri geriet in Panik. »Ich versuche, geradeaus zu fahren!«, rief Luke. »Das ist unsere einzige Chance!«
»Keine Sorge!«, rief Terri über den Lärm hinweg. »Ich arbeite seit vier Jahren mit Phil zusammen. Ich weiß, dass Jim ihm einen klaren Befehl erteilt hat, aber er wird trotzdem nicht ohne uns abfliegen!« Kaum hatte sie den Satz beendet, blitzte am Horizont ein grelles Licht auf. Das Schiff. Phil hatte das Raumschiff gestartet! »Er würde was nicht tun?«, fragte Luke. Sein Herz sank. Terri warf einen hoffnungslosen Blick zum Raumschiff hinüber. Wie hatte er nur ohne sie starten können? Doch plötzlich erlosch das Licht wieder. »Was, zum Teufel...« Verwirrt starrten sie aus dem Fenster. Die Lichter am Raumschiff gingen an und wieder aus. Und dann noch einmal an und wieder aus. Terris Herz hüpfte in ihrer Brust. »Er zeigt uns, wo wir hinfahren müssen!«, schrie sie. »Phil zeigt uns den Weg er weiß, dass wir kommen!« Der Pilotensitz unter Phil vibrierte heftig, während das Triebwerk des ERV röhrte. Er schaltete es aus und stellte sein Mikrofon ein. Er musste es einfach noch einmal probieren. Er schluckte. »Hier ERV, hört ihr mich?«, fragte er voller Hoffnung. »Hört ihr mich?« Eine Sekunde verstrich, dann noch eine. Keine Antwort. Hemmungslos ließ er seinen Tränen freien Lauf, als er den Finger auf die Starttaste legte.
Er konnte einfach nicht glauben, dass das hier wirklich passierte. Doch dann ertönte wie durch ein Wunder über Funk ein lautes Knacken. Phil schnappte nach Luft und drückte hastig auf sein Mikrofon. »Hier ERV! Hört ihr mich?«, rief er. Eine leise Stimme kämpfte gegen das Rauschen an. »Heb dir den Treibstoff auf, Phil«, antwortete Luke. »Wir kommen.« Wieder schluchzte Phil auf, diesmal noch heftiger als zuvor. Gott sei Dank! Schließlich drängte er seine Tränen zurück und betätigte noch einmal das Mikrofon. »Äh, Phil ist im Moment nicht da«, sagte er und zog die Nase hoch. »Er ist vor fünf Minuten zur Erde geflogen. Bitte hinterlassen Sie nach dem Piepton eine Nachricht.«
Kapitel 16 Das riesige Gesicht spaltete sich der Länge nach. Felsbrocken und Geröll stürzten in den Spalt, als es sich öffnete wie ein Planetarium. Aus der Tiefe tauchte ein riesiges, flaches Raumschiff auf. Immer schneller stieg die metallene, oben und unten gewölbte Scheibe empor. Plötzlich schoss derselbe wirbelnde Zylinder hervor, der die Mannschaft der Mars Eins vernichtet hatte, und umhüllte das Raumschiff, das sich immer schneller um die eigene Achse drehte. McConnell, der immer noch wie in einem Kokon auf seinem Platz saß, wurde immer heftiger durchgeschüttelt. Die starken Beschleunigungskräfte, die beim Start auftraten, zerrten an seinem Körper. Er fragte sich, ob er diese Reise wohl überleben würde. Doch es gab kein Zurück mehr. Phil stand am Fuß der Leiter zum ERV und klammerte sich verzweifelt an den Sprossen fest. Der Wind peitschte vorüber und der Sand wirbelte
um seine Füße, während er ängstlich auf das Erkundungsfahrzeug wartete. Als es schließlich in dem Sandsturm auftauchte, war es für Phil der herrlichste Anblick seines Lebens. Luke und Terri stiegen aus und kämpften sich gegen die Windböen zum Raumschiff durch. Phil streckte die Arme aus, packte sie an den Händen und zog sie nacheinander zur Leiter. Dann bemerkte er, dass jemand fehlte. »Wo ist Jim?«, rief er über den Lärm hinweg. Terri kletterte bereits ins Raumschiff. »Der hat eine andere Mitfahrgelegenheit!«, rief sie zurück. Verwirrt blickte Phil ihr nach. »Das erzählen wir dir drin«, meinte Luke. »Jetzt ist keine Zeit! Lass uns starten!« Die Astronauten kletterten in ihre Sitze im Cockpit des ERV. Phil drückte eilig Knöpfe und legte Schalter um. Dann schnallten sie sich an und bereiteten sich auf den Start vor. Als das Raumschiff über den Sandsturm hinweg in eine sichere Höhe außerhalb der Atmosphäre des Planeten stieg, warfen die drei müden, glücklichen Astronauten einen letzten Blick auf den Mars. Es würde eine lange, lange Reise nach Hause werden. Das riesige Raumschiff, in dem McConnell saß, drehte sich so schnell, dass die Konturen verwischten. Der Wirbel stieg immer höher und dröhnte mit erschreckender Kraft. Schließlich bog er
sich wie ein Teleskop und zeigte auf einen bestimmten Punkt am Himmel. McConnells Gesicht verzerrte sich. Er kniff die Augen zusammen und kämpfte gegen die Ohnmacht an. Das Raumschiff stieg in den Weltraum, ins Unbekannte. Er hoffte nur, dass er überleben würde, um dies alles sehen zu können. Bilder aus seiner Vergangenheit durchzuckten ihn und verschwanden wieder in leuchtend weißem Licht. Er selbst als kleiner Junge unter dem Weihnachtsbaum, der Seine neue Spielzeugrakete aus der leuchtend bunten Verpackung wickelt und strahlend lächelt. Blitz! Als Teenager mit Maggie auf ihrer Terrasse unter dem Nachthimmel. Sie beobachten die Sterne durch ein Teleskop. Maggie lächelt. Blitz! Er und Maggie in Fliegeranzügen, die Helme unter den Armen, auf dem Flügel eines Kampf jets ein strahlendes junges Paar in einem leidenschaftlichen KUSS vereint. Blitz! Maggie McConnell, die in einem Raumanzug schnell dahinschwebt und eine lange Leine einzieht. Die behandschuhte Hand eines Mannes streckt sich nach ihr aus. Mit triumphierendem Ausdruck auf dem Gesicht hinter dem Visier ergreift sie diese Hand und .. .
Blitz! Sie ist fort.