Alexander Calhoun
Mit dem Abend kam das Grauen Apache Cochise Band Nr. 2 Version 1.0
Prolog Als die weißen Amerikane...
7 downloads
575 Views
502KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Alexander Calhoun
Mit dem Abend kam das Grauen Apache Cochise Band Nr. 2 Version 1.0
Prolog Als die weißen Amerikaner Mitte des 19. Jahrhunderts den Südwesten der USA zu besiedeln begannen, stießen sie auf ein indianisches Volk, das bereits die Spanier und Mexikaner hatte teuer dafür bezahlen lassen, daß sie unbefugt in ihre Jagdgründe eingedrungen waren. Die etwa ein Dutzend umfassenden Apachen-Gruppen und Großsippen, am gefürchtetsten die Chiricahua-Apachen, widersetzten sich der Niederwerfung durch die Weißen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Sie überfielen zunächst Postkutschen, Frachtwagenzüge, Armeepatrouillen, Farmen, abseits gelegene Ranches und kehrten anschließend wieder zu ihren Stützpunkten in den Bergen zurück, den sogenannten »Apacherias«, die bei den Weißen der damaligen Zeit als uneinnehmbar galten. Der Widerstand flammte zum blutigsten und grausamsten Grenzkrieg der Indianergeschichte auf, als Cochise von Mangas Colorados die Führung der Stämme übernahm. Cochises Weitblick ließ ihn letztlich erkennen, daß der Untergang der roten Rasse eine von den Weißen beschlossene Sache war, die Anspruch erhoben auf alles Land zwischen den Dragoon Mountains im Südosten, dem Mogollon-Rim im Westen und der Gran Desierto im Süden. Cochises Chiricahuas, die Kerntruppe seiner Streitmacht, blieb im Angesicht der unaufhaltsamen Flut weißer Siedler, Goldgräber und Desperados nur noch eine Devise: Raube, ohne erwischt zu werden, töte, ohne getötet zu werden. Ein Kampf ohne Erbarmen entflammte in den Canyons, Tälern und Wüsten. Ein Kampf, dessen Schilderung in dieser Serie nicht die ganze Brutalität wiedergeben kann, wie sie uns die Geschichte überliefert hat.
1871 gelang es Cochise, die meisten Stämme der Apachen zu einer einzigen Widerstandsfront gegen die Eindringlinge aus Nord und Süd, Weiße und Mexikaner, zu vereinen. Die blutigsten Massaker auf beiden Seiten waren die Folge. Auf ihren flinken Ponys überfielen die Krieger in kleinen Gruppen Wagenzüge und Posthaltereien im Norden, um am nächsten Tag schon Farmer und Goldgräber im Süden oder eine Patrouille der Army im Westen anzugreifen. Militär und Siedler waren macht- und hilflos und ohne eine Möglichkeit gezielten Widerstandes den ständigen Apachenangriffen ausgesetzt. Wenn 1870 General Sherman nach Washington schrieb: »Wir führten einen Krieg gegen Mexiko, um Arizona zu bekommen, wir sollten jetzt einen Krieg führen, um dieses Land wieder loszuwerden«, so kennzeichnen diese Worte die verzweifelte Hilflosigkeit des Militärs. Diese nach authentischen Überlieferungen verfaßte Serie soll dem größten aller indianischen Führer ein Denkmal setzen: Cochise. Dem Wirken dieses Mannes und seinem Weitblick für politische Veränderungen ist es zu verdanken, daß diese Story mit ihrer ganzen Dramatik wahrheitsnah niedergeschrieben werden kann. Unsere Autoren fühlen sich verpflichtet, neben der Herausstellung der abenteuerlichen Charaktere, die in jener Zeit Geschichte machten, auch der historischen Wahrheit die Ehre zu geben. Nichts soll verschwiegen, nichts hinzugefügt oder entstellt werden. Ihr Martin Kelter Verlag
*** Das Trompetensignal hallte über den Exerzierplatz und erstarb in der Weite hinter den Zelten. John Haggerty führt seinen müden Wallach zum Wachzelt. Ein trockener Wind fauchte von der Gila herüber und zerrte an den Planen. Es war Abend. Noch früher Abend, und der Tag hatte sich ohne besondere Vorkommnisse geneigt. John band sein Pferd am Hitchrail fest, klopfte sich den Staub aus der Kleidung und trat durch die Zeltklappe. Der Wachhabende blickte von seiner Schreibarbeit auf. »Haggerty«, sagte er näselnd, »der Alte erwartet dich seit drei Tagen.« »Ging nicht schneller«, erklärte John und setzte sich unaufgefordert auf einen Stuhl. Er drehte sich eine Zigarette und zündete sie an. »Was glaubst du, Noll, wie lange es dauert, bis man da draußen eine Spur findet? Hitze, Staub, wehender Sand und keinen Tropfen Wasser, das findest du. Und den Tod, in vielerlei Gestalten. Okay, kann ich zu ihm?« Sergeant Noll bediente eine Schelle. Ein junger Soldat stürmte herein und grüßte militärisch. »Gehen Sie zum General und fragen Sie ihn, ob er John Haggerty empfangen will. Ein bißchen Beeilung, Soldat Klymer!« Der junge Mann verschwand wie ein geölter Blitz. »Wie war's im Süden, Johnny?« »Faul.« »Sonst noch was?« »Trocken und heiß. Verdammt, frag' nicht so blöd!« Der Soldat kam wieder, grüßte, schlug die Hacken krachend zusammen und meldete: »Sie möchten bitte zuerst zu Major Tanner kommen, Sir.«
»Wo finde ich ihn?« »Ich bringe Sie hin, Sir.« Haggerty nickte, winkte Noll kurz zu und verließ das Zelt. Die Sonne war untergegangen, aber von der Abendkühle war noch nichts zu spüren. Soldat und Scout stampften durch den knöcheltiefen Sand und steuerten auf ein Zelt zu, das etwas vor der Reihe der anderen stand. Les Tanner stand von seinem Feldstuhl auf und kam Haggerty mit ausgestreckter Hand entgegen. »Willkommen im Camp«, sagte er. »Welche Nachrichten bringen Sie aus dem Süden? Will Cochise verhandeln?« John schüttelte die dargebotene Hand und nahm Platz. »Er ist bereit«, antwortete er. »Aber nur mit dem General.« »Unter welchen Umständen trafen Sie ihn?« Johns Blicke glitten in die Ferne. »Unter seltsamen, Major. Er war gerade dabei, einen Angriff auf eine Karawane einzuleiten. Ich konnte ihn nicht davon abhalten.« »Wurden sie vernichtet?« Haggerty nickte. Der Offizier stellte die nachte Frage: »Haben Sie gesehen, was er erbeutete?« »Nein. Zu diesem Zeitpunkt war ich ohne Bewußtsein. Aber er hat's mir gesagt. Waffen, Pulver und Blei.« Les Tanner stieß einen ellenlangen Fluch aus. »Dann stimmt es also nicht, daß sich die Chiricahuas nur noch auf die Jagd beschränken?« John grinste. »Die Jagd wird auf Weiße sein, Sir.« Tanner fixierte ihn scharf. »Wir werden uns für alle Fälle auf eine Teufelei vorbereiten, Scout. Sie haben erstklassige Arbeit geleistet. Gehen wir jetzt zum General.« Er stand auf, hielt John den Zeltvorhang hoch. Ein Stück gingen sie nebeneinander her durch den Sand und schwiegen. Jeder hing seinen Gedanken nach. Durch die Zeltplane des Generals schimmerte Licht. General Howard saß allein an einem Schreibtisch und machte
Notizen. Eine Kerze brannte in einem Ständer. Er sah auf, erkannte Haggerty sofort und lächelte. »Nehmen Sie doch Platz, Gentlemen. Wie ist es Ihnen ergangen, Mr. Haggerty? Erfolg gehabt?« »Das hängt von Ihnen ab, General… Sir. Cochise ist mit einer Unterredung einverstanden, zwischen ihm und Ihnen, unter vier Augen sozusagen.« »Akzeptiert. Was halten Sie davon, Major Tanner?« »Vorsicht ist immer geboten, Sir.« Er wandte sich an Haggerty: »Haben Sie auf Ihrem Ritt etwas von dem Scout Curt Miller gesehen oder gehört?« »Nein«, erwiderte John und schüttelte den Kopf. »Warum erkundigen Sie sich nach ihm, Sir? Haben Sie Gründe dafür?« »Zwingende. Well, tut im Augenblick nichts zur Sache.« »Sicher, sicher«, schaltete sich Howard wieder ein. »Wann soll die Unterredung stattfinden?« »In der Nacht zum Vollmond, also in zehn Tagen.« »Und wo?« »Im Tal des San Pedro.« »Der ist lang. Wo genau?« »Schwer zu erklären, Sir. Ich kenne die Stelle.« »Dann führen Sie uns – mich«, berichtigte er. »Kann man dem Häuptling trauen?« John Haggerty zuckte mit den Achseln. »Ich habe nichts Gegensätzliches bei ihm festgestellt, General… Sir. Er hält sein gegebenes Wort.« »Gut, waren Sie schon mal an der Stelle, die er als Treffpunkt vorgesehen hat?« »Ja, Sir. In der Nähe von Santa Rita del Cobre. Ich kenne den Weg genau. Darf ich mich nach dem Grund Ihrer Frage erkundigen?« Howard massierte seine Stirn. »Es gehen Dinge in diesem Land vor, die mir zu denken geben. Die Indianer sind nicht an allen Massakern schuld, wie
jetzt einwandfrei feststeht. Der Wagenzug jedenfalls, den wir vor rund zwei Wochen in der Gran Desierto verloren, ist nicht von Apachen überfallen worden.« »Sie meinen…?« Howard zog die Schultern hoch. Seltsam deprimierend nahm sich bei dieser Bewegung der Armstummel aus. »Warum sprechen Sie nicht weiter, Scout? Ist Ihnen denn was aufgefallen?« »Nein, nicht unbedingt, Sir. Mir ist nur bekannt, daß in diesem Land Banditen ihr Unwesen treiben. Meinen Sie das?« »Ja.« Howard nickte. »Näheres kann ich Ihnen leider nicht sagen. Mir liegt eine Anfrage der Butterfield Overland vor, die beim Apache-Paß eine Station errichten will. Was meinen Sie, können wir den Schutz der Posthalterei übernehmen?« John dachte noch über die Banditen nach und über Howards ausweichende Antwort. Er blickte auf. »In dieser Zeit? Sir, das wird schwierig werden. Cochise dürfte wohl kaum eine Station dort oben in seinem ureigensten Machtbereich dulden.« »Das nehme ich auch an«, sagte Howard. »Was ist Ihre Meinung, Major?« »Eine solche Station würde zur Verschärfung der Lage führen, Sir. Weiteres Blut dürfte vergossen werden, wenn die Posthalterei in Betrieb kommt. Tote auf beiden Seiten. Kann sich die Butterfield nicht woanders etablieren?« »Es geht um die Quellen. Tiere müssen gefüttert und getränkt werden. Aber wenn Sie meinen…« Howard verschwieg, was er dem Offizier an Meinung unterstellte. Er kam vom Thema ab und wandte sich wieder an Haggerty. »Es bleibt also dabei, Scout. Einen Tag vor Vollmond reiten wir beide los. Schaffen wir es bis zum nächsten Abend?« »Klar, Sir, es sind nur zwanzig Meilen.« Howard erhob sich, lächelte John zu und reichte ihm die
Hand. »Ich danke Ihnen, Mr. Haggerty. Sie können gehen und es sich bequem machen.« John verließ mit Major Tanner das Zelt. Draußen trennten sie sich. * In kopfloser Flucht galoppierte der einsame Reiter nach Norden. Millers Denken und Fühlen war ausgelöscht von der Angst, die ihm wie ein unbequemes Tier im Nacken saß. Schaum flockte vom Maul seines Pferdes, und manchmal, wenn es seine Hufe ungeschickt aufsetzte, stolperte es. Lange vor Mittag mußte Curt Miller sein Pferd zügeln und schließlich anhalten. Er schwang sich aus dem Sattel, suchte eine schattige Stelle und brachte den Falben hinüber. Der Felsen warf einen breiten Schatten. Die Kühle, die er spendete, war jedoch gering. Curt ließ sich in den Sand fallen und schloß die Augen. Apathisch stand sein Pferd in der Nähe und ließ den Kopf hängen. Miller schlief nicht. Dazu wäre er nach dem wilden Galopp nicht in der Lage gewesen. Er dachte nach und versuchte, seine Gedanken zu ordnen, und in bestimmte Bahnen zu lenken. Aber auch das gelang nicht. Er wurde hellwach und aufmerksam, als er ein Geräusch hörte. Sein erster Blick galt dem Pferd. Es war zu müde, um den Kopf zu heben und eine Warnung auszustoßen. Miller rappelte sich auf und lehnte sich, immer noch schweißgebadet, an den Felsen. Da war das Geräusch wieder. Er hörte es, konnte aber nicht sagen, welcher Art es war. Immer im Felsschatten, schlich er los. Er umging herabgestürzte Gesteinsbrocken und gelangte an das westliche Ende der vorspringenden Felsnase. Vorsichtig spähte er um die eine Kante.
Als hätte er den Giftzahn einer Klapperschlange gesehen, zuckte er zurück. Heftig atmend lief er zu einem Mesquitegebüsch und drängte sich mitten hinein. Angestrengt starrte er auf die Gebäude. Jemand hatte dort gewütet. Dächer waren eingedrückt und Zäune niedergerissen worden. Aus der Ansiedlung war eine trostlose, leere Ruinenlandschaft geworden. Curt hockte im Gestrüpp und suchte die Umgebung ab. Er hatte nie gewußt, daß hier Weiße oder Mexikaner gesiedelt hatten, um so mehr staunte er über die zerstörten Häuser. Nichts rührte sich dort vorn. Und doch, hatte er nicht einen Laut gehört? Er zog den Colt und spannte den Hahn. Sechs Kugeln standen zwischen ihm und der Hölle. Miller schlich weiter. Er mußte wissen, was dieses Geräusch verursacht hatte. Da war es wieder. Es klang seltsam. Und dann sah er es. Der Wüstenwind spielte mit einem schlecht befestigten Fensterladen und bewegte ihn knarrend. Curt Miller lächelte. Das Lächeln verging ihm jedoch wieder. Wie angewachsen blieb er stehen und hielt sekundenlang den Atem an. Das Stöhnen wiederholte sich. Miller blickte sich um, sah aber nichts Besonderes. Er mußte herausfinden, wer da stöhnte, ohne seinen Skalp zu verlieren. Der Anblick der zerstörten Häuser wirkte bedrückend. Niedergeschlagen aber wachsam setzte er sich in Bewegung. Balken, verbrannt zu Kohle, Bretter, mit Gewalt losgerissen, lagen umher. Er stolperte und stieß einen Fluch aus, weil ihm die Zehen schmerzten. Der menschliche Laut mochte der Anlaß gewesen sein, daß sich das Stöhnen wiederholte. Wieder blieb der Scout stehen und brachte den Revolver in Anschlag. Es geschah nichts, trotzdem blieb er angespannt und blickte lauernd in die Runde. Abwehrbereit machte er wieder ein paar Schritte und
verharrte bei der Hausecke. Er traute seinen Augen nicht, als er die Stätte der Marterung sah. An einen Zaunpfosten gefesselt hing ein Mann. Die heiße Sonne brannte auf seinen blutigen Kopf, Fliegen peinigten den Skalpierten, der noch lebte. Voller Grimm sprang der Scout vor und rannte auf den Verwundeten zu. Sie hatten ihn gemartert, ihm zugespitzte Hölzer in die Muskeln gestoßen und ihn schließlich skalpiert. Wie ein Wunder hatte der Gequälte die Tortur überlebt. Großer Gott, wie konntest du das zulassen? Miller zog sein Messer, durchschnitt die Fessel und ließ den Stöhnenden zu Boden sinken. Der Mann war kaum dreißig, nicht groß, dafür aber breit in den Schultern und muskulös. Ein Farmer, dachte der Scout. Er wußte nicht, was er tun sollte. Helfen konnte er dem armen Teufel nicht mehr. Nicht einmal dessen Schmerzen konnte er lindern. Er konnte sich lediglich so stellen, daß der Verwundete in seinem Schatten lag. »Wer…« Der Sterbende verstummte wieder, schloß die Augen, die Curt Miller angestarrt hatten, ohne ihn zu sehen. »Wer sind Sie?« fragte Curt und wunderte sich über seinen krächzenden Tonfall. »Kann ich etwas für Sie tun?« Der Mann schlug die Augen auf. Sie waren blau. Sein Mund öffnete sich, aber kein Laut kam über seine Lippen. Schließlich gelang es ihm unter äußerster Anstrengung doch, ein paar Worte hervorzubringen. Miller kniete sofort nieder, um das geflüsterte Gestammel zu verstehen. »Ward… Im Canyon… Frau…« Ein Hauch, dann fiel der Kopf zur Seite. Curt war es, als hätte der Mann nur noch gelebt, um die kurze Nachricht der Nachwelt zu übermitteln. Er blickte hoch. In der Felswand im Norden erkannte er den Eingang zu einem Canyon. Hatte der Sterbende diesen Canyon gemeint? Es konnte nicht
anders sein, denn weit und breit sah der Scout keinen weiteren Einschnitt. Er lief los. Schweiß drang ihm aus allen Poren. Wie ein Labsal empfand er die Kühle in der engen Schlucht. Spähend blieb er stehen – nichts. Nach 100 Yards machte der Canyon einen scharfen Knick nach rechts. Vielleicht dort? Miller eilte hin, hastete um die Kurve. Entsetzt blieb er stehen. Hier war der Canyon etwas breiter. Volles Sonnenlicht prallte auf den sandigen Boden. Und mitten in dieser glutheißen Hölle lag eine splitternackte Frau. Die Apachen hatten sie niedergeworfen, vier Holzpflöcke in den Boden geschlagen und die Bedauernswerte festgebunden. Mit Brandblasen am ganzen Körper bedeckt, hatte sie lange versucht, sich von den einschnürenden Riemen zu befreien. Miller sah es an dem zur Seite geworfenen Sand. Er ging hin. Die Frau lebte mindestens seit zwei Tagen nicht mehr. Ihre gebrochenen braunen Augen starrten in den Himmel, sahen ihn aber nicht. Oder doch? Vielleicht den wahren Himmel? John konnte so gut wie nichts mehr tun, nur begraben mußte er die beiden noch. Er kehrte um, lud den toten Mann auf sein Pferd, führte es in die Schlucht, nahm den Leichnam herab und bettete ihn neben der Frau. Dann begann er Steine zu sammeln. Er schleppte sie heran und schichtete sie rund um die Toten auf. Lange nach Mittag war das Grab fertig. Curt nahm den Hut ab und murmelte ein Gebet. Mit dem Pferd am Zügel ging er zurück. In der Nähe der Ruinen blieb er stehen. Wo es eine Ansiedlung gab, mußte auch Wasser sein. Er suchte, fand die Quelle aber nicht, oder was es immer auch war. Sein Pferd machte ein paar Schritte in Richtung einer abgebrannten Scheune und warf plötzlich den Kopf in die
Höhe. Unvermittelt eilte es weiter, drang trotz des Brandgeruchs in das zerstörte Bauwerk ein und blieb verschwunden. Curt Miller lief hinüber. Das Pferd stand vor einem Trog und trank. Es prustete und wieherte, als es den Reiter gewahrte. Hier war das Wasser. Die Leute hatten die Scheune darübergebaut und die Quelle eingefaßt. Miller bückte sich, schöpfte Wasser mit den hohlen Händen und spritzte es sich ins Gesicht. Dann spülte er sich den Sand aus dem Mund und trank schließlich. Frische Kräfte rannen durch seine Adern. Er fühlte sich wie neugeboren. Er nahm beide Feldflaschen vom Sattelhorn, öffnete die Verschlüsse und tauchte sie in das wenigstens drei Fuß tiefe Becken. Als sie gefüllt waren, hing er sie wieder an den Sattel. »Wir müssen weiter«, murmelte er. »Komm, Alter, wir müssen die Armee verständigen!« Er führte den Falben aus der Scheune, stieg in den Sattel und ritt an. Während er ritt, blickte er über die Schulter. Je weiter er ritt, desto kleiner wurde das Bild, bis es schließlich mit der Wüste verschmolz. * In wilder Flucht preschten vier Reiter nach Norden. Sie ritten ihre Pferde aus Angst vor Verfolgung halb zuschanden und hielten erst an, als sie Meilen von der Stelle des Überfalls entfernt waren. Auf der Talsohle wuchsen Chollas, Agaven und Mescal, an den Hängen Wacholder, Pinien und Krüppeleichen. Hank Doolin sprang aus dem Sattel und zerrte sein erschöpftes, schweißnasses Tier in den Schatten einer Gruppe Eichen. Er richtete seinen Blick nach vorn, zur Seite und nach hinten. In seinem Rücken stand das Gebirge wie eine Mauer. Vorn
stiegen die Berge steil in den Himmel, unnahbar und scheinbar endlos. Doolin wußte nicht mehr, wo er war. Er sah sich um, suchte Curt Miller. Der war nicht bei der Gruppe. Hatten sie ihn unterwegs verloren? Doolin erinnerte sich, daß Miller die letzte Wache gehabt hatte, und von da an hatte er ihn nicht mehr gesehen. Mörderisch fluchend schnallte er die Wasserflasche vom Sattel und trank einen langen Schluck. Wash kam heran. Seine Miene war finster, fast ausdruckslos. Seine Stimme klang zurückhaltend. »Er hat sich aus dem Staub gemacht, wie? Anstatt uns zu warnen, haute er einfach ab. Wenn ich ihn erwische, schieße ich ihm die Haare einzeln vom Kopf.« »Nichts dagegen«, warf Doolin ein. »Wenn du ihn erwischst…« »Was willst du damit sagen?« »Nichts Bestimmtes, aber der Kerl ist mir nie ganz geheuer vorgekommen.« »Du hast ihn doch angeschleppt. Verdammt, willst du uns dafür verantwortlich machen?« »Schwätzer!« erwiderte Doolin und wandte sich ab. Er betrachtete die Hände. Ein Bär tappte linkisch durch das Unterholz. Es gab kein Anzeichen, daß Menschen durchgekommen waren. Doolin war ziemlich sicher, daß sich keine Apachen in der Nähe aufhielten. Er nahm noch einen Schluck aus der Flasche, schraubte sie zu und hing sie wieder ans Sattelhorn. An das Pferd dachte er nicht. Hugh McDonnel warf ihm einen verächtlichen Blick zu, schüttete etwas Wasser in seinen Hut, hielt ihn seinem Tier vor und ließ es sich wenigstens die Nüstern anfeuchten. »Wo sind wir hier?« fragte er. Doolin zuckte mit den Achseln, Wash brummte etwas, und Honda gab überhaupt keine Antwort. Die Stimmung der Männer war auf den Nullpunkt gesunken.
»Aus dem Überfall auf die Pferderanch wird wohl nichts mehr?« fragte Wash und drehte sich eine Zigarette. Sein bärtiges Gesicht drückte Ungeduld und Gereiztheit aus. Hank Doolin schlug sich mit der geballten Rechten in die linke Hand. »Bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Wie sollten wir die Tiere durch das Apachengebiet treiben bei der augenblicklichen Situation? Mensch, El, denk doch mal ein bißchen.« »Das Denken hast doch du übernommen«, sagte Wash aufsässig. Doolin schnaubte verächtlich und wandte sich ab. Sie mußten weiter, wenn sie nicht Gefahr laufen wollten, doch noch mit den Apachen zusammenzustoßen. Er ging zu seinem Pferd. »Wir reiten«, sagte er. »Unterwegs müssen wir nach Wasser Ausschau halten. Haltet die Augen offen, Jungs, unsere Skalps sitzen verdammt locker.« Elvis Wash baute sich vor ihm auf. »Und das hier?« fragte er und rieb Daumen und Zeigefinger. Hank Doolin stieß ihn grob zur Seite. »Geh aus dem Weg, du Narr! Soll ich vielleicht aus Sand und Steinen Geld machen?« Er zog sich in den Sattel und verfolgte gelassen, wie sich die drei Männer müde auf ihre Pferde warfen. Im verhaltenen Tempo ritten sie nach Norden. * Miller ritt am Ufer des San Pedro entlang und vermied es, übermäßig laute Geräusche zu erzeugen. Zur Rechten sah er die schneebedeckten Gipfel der Chiricahua Mountains, zur Linken den Mogollon mit seinem sichelförmigen Rim. Die Dämmerung hing schon über dem Tal, und Curt sah sich
bereits nach einem Versteck für die Nacht um, als der Wind den Geruch von Holzrauch in seine Richtung wehte. Er glitt aus dem Sattel und griff nach dem Gewehr. Curt führte das Pferd in ein Dickicht und band es fest. Dann ging er zu Fuß weiter, dem Geruch des Rauches nach. Bald darauf sah er die Flammen. Hinter einer Bodenschwelle kauerte er in der Dunkelheit und blickte zu dem Lagerfeuer hinüber. Stimmengemurmel drang an sein Ohr. Der Geruch bratenden Fleisches vermischte sich mit dem Rauch. Hinter dem Feuer entdeckte er Pferde. Ein Soldat hielt, auf sein Gewehr gestützt, auf einer Anhöhe Wache, aber seine Aufmerksamkeit galt eher seinen Begleitern um das Feuer, als möglichen drohenden Gefahren. Trotz des Postens wäre es für die Chiricahuas eine Leichtigkeit gewesen, das Lager zu umzingeln und im passenden Moment zuzuschlagen. Miller setzte sich wieder in Bewegung. »Hallo, Camp!« rief er. Dann ließ er sich schnell fallen. Der Wächter fuhr herum und hob das Gewehr. Die Soldaten um das Feuer richteten sich auf und starrten in die Dunkelheit. Ein schlanker Offizier griff nach dem Revolver. »Wer da?« rief der Wachtposten. »Curt Miller, Scout der Dritten.« »Treten Sie ins Licht!« »Löscht das Feuer, ihr Idioten! Wollt ihr euch unbedingt als Zielscheiben anbieten?« »Was bildet sich der Bursche ein?« knurrte ein Sergeant. Miller löste sich aus dem Schatten, das Gewehr in der Armbeuge. Der Offizier trat vor. »Captain Ron Randell«, sagte er, »von Fort Yuma. Wer hat Sie geschickt?« Miller stellte das Gewehr auf den Boden und stützte sich darauf.
»Major Tanner von der Dritten. Ich stieß nur ganz zufällig auf Sie, Captain.« Randell zupfte sich an den roten Koteletten. Anscheinend wußte er nicht, wie er sich verhalten sollte. »Ganz zufällig?« fragte er mißtrauisch. Miller starrte in die Flammen. »So zufällig nun wieder nicht. Sie haben genug Spuren hinterlassen. Ein solches Feuer lockt Indianer aus zehn Meilen Entfernung an.« Auch der hochgewachsene Sergeant kam nun zu ihnen. Er war um ein paar Zoll größer als Curt, mit einem mächtigen Brustkasten, der die Uniform zu sprengen schien. »Wer, zum Teufel, sind Sie?« Miller überhörte die Frage. »Befehlen Sie Ihren Leuten, das Feuer zu löschen«, sagte er zu Ron Randell. »Wir haben noch nicht gegessen«, protestierte der Offizier. »Wenn Sie es nicht löschen, bekommen Sie Ihr Abendessen in der Hölle. Chiricahuas sind vermutlich hinter mir her.« »Was? Das wissen Sie nicht mal genau?« Miller warf einen kurzen Blick auf den Hünen und betrachtete spöttisch die drei Winkel am Ärmel. »Wenn ich's genau wüßte, wäre ich längst tot. Schwätzer!« Der Sergeant trat drohend einen Schritt vor. Seine Rechte tastete zum Revolver. »Werden Sie ja nicht frech, Mann! Beweisen Sie erst mal, wer Sie sind.« Miller blickte ihn genauer an und sah in die kältesten grünen Augen, die ihm je begegnet waren. »Ich habe gesagt, wer ich bin.« Er wandte sich an den Offizier. »Ein bißchen weit weg von Fort Yuma, wie?« »Wir wurden zur Bewachung des Apache-Passes abkommandiert. Fort Buchanan ist von nun an unsere Einheit. Zwei Züge Dragoner, Scout, altgediente Mannschaftsdienstgrade und zwei Offiziere.« Curt sah nur einen Offizier. Er fragte nach dem zweiten.
Captain Randell sagte: »Er macht die Runde um das Lager. Sicherlich kommt er gleich. Lieutenant Haller ist sehr gewissenhaft. Ah, da ist er schon!« Ein junger Mann mit roten Wangen und treuen Blauaugen trat aus der Dunkelheit. Er reichte Miller die Hand. »Ihre letzten Worte hörte ich«, sagte er mit jugendlich frischer Stimme. »Haller. Und wie heißen Sie, Scout?« Curt sagte einfach »Miller« und drückte die dargebotene Rechte. »Kennen Sie den Weg zum Apache-Paß?« »Jawohl, Sir, aber ich kann Sie nicht führen. Meine Aufgabe ist es, so schnell wie möglich zu General Howard zu gelangen. Eine dringende Meldung«, fügte er hinzu. »Es genügt, wenn Sie uns den Weg beschreiben. Wir haben eine Karte bei uns.« »Ein Stück können wir noch zusammen reiten«, sagte der Scout. »Ich beschreibe Ihnen den Weg so genau, daß Sie sich nicht verlaufen kön…« »Oho!« knurrte der Sergeant erbost. »Sind wir unmündige Kinder?« Miller beachtete ihn nicht. Er stand im Dunkel, beobachtete die Offiziere, roch den Holzrauch. »Wir vergeuden nur kostbare Zeit«, sagte er. »Verschwinden wir lieber.« »Sind sie so nahe hinter Ihnen?« fragte der Captain. »Könnte sein. Ich weiß es nicht, Sir.« Captain Randell gab Befehl, das Lager abzubrechen und aufzusitzen. * Das kleine Feuer verbreitete eine wohlige Wärme im Jacale. Cochise hielt die Hände darüber und bewegte die Finger in der warmen Aufwärtsluft. Seine Stirn war gefurcht.
In seinen Gedanken, tief verstrickt und weit zurückblickend, bewegten sich seine Krieger durch die krummen, stillen Straßen von Los Molinos, er selbst an der Spitze, das Kriegsbeil in der Hand. Alle Türen waren verschlossen und verrammelt. Die Einwohner von Los Molinos kannten das blutige Schicksal von Cuchuterachi, Batepito, Vasaraca und Oposura nur zu gut. Aber auf den Dächern der Häuser schwitzten mexikanische Federales in der mörderischen Hitze. In den hitzeglühenden Arroyos standen mexikanische Kavalleristen bei ihren Pferden. In den Bewässserungsgräben in den Feldern lagen Infanteristen und Miliz, und sie verwünschten alle die höllische Sonnenglut. Für die Mexikaner war es ein Meisterplan gewesen, die Falle für die Los Indios Diablos aufzustellen. Als alles vorbei war, sagten sie sich, daß die Geschichte von Los Molinos eigentlich nur noch aus der Angst vor den Apachen bestand. Es war lange her. Träumerisch glitten Cochises Blicke den weiten, weiten Weg zurück. Sie hatten angegriffen und alle getötet, trotz des Meisterplans. Nun war Los Molinos nur noch wegen seiner guten Quellen bekannt. Niemand wagte sich dorthin. Die Felder waren zu einem Dschungel aus Mesquite und Kakteen geworden. Ein dünnes Lächeln glitt über die strengen Züge Cochises. Triumph sprach aus seinen Augen, und wenn er den Rücken streckte, geschah dies voller Stolz. Seine Späher waren Tag und Nacht unterwegs, kämmten alle Himmelsrichtungen durch und berichteten. So wußte er auch von der Ankunft von zwei Zügen der C-Kompanie aus Fort Yuma. Sollte er sie angreifen und vernichten, oder nicht? Er hatte dem weißen Truppenführer Frieden angeboten, aber der Friede war noch nicht besiegelt. Vielleicht konnte es nicht schaden, wenn er seiner Meinung etwas mehr Nachdruck verlieh.
Wenn er sie vernichtete, sie, die Soldaten aus Fort Yuma, würde es erneut an der Grenze zum Kochen kommen. Angst verbreitete sich schneller als Hoffnung und Glauben. Angst war die stärkste Waffe der Chiricahuas, ihr mächtiger Arm. Naiche kam in die armselige Buschhütte. Still setzte er sich Cochise gegenüber und blinzelte geblendet ins Feuer. »Sorgen, Vater?« »Große Sorgen, Sohn.« »Du traust dem General nicht?« »Ich frage mich, ob ich dem Scout trauen kann.« »Er spricht nicht mit gespaltener Zunge.« »Aber er hat keine Macht.« »Er ist ein großer Krieger, Jefe. Kein Mimbrenjo ist ihm gewachsen.« »Aber die Chiricahuas. Wenn er mich hintergeht, werde ich ihn töten.« Naiches Kopf senkte sich auf seine Brust. Er stellte sich Haggertys Gesicht vor und machte dann eine abwehrende Handbewegung. »Er meint es ehrlich«, sagte er. »Wir sollten ihm vertrauen und keinen Weißen mehr töten, bis seine Mission beendet ist.« »Ein Trupp Soldaten aus dem Wüstenfort ist zum ApachePaß unterwegs. Soll ich sie vernichten?« »Ich weiß es«, sagte Naiche. »Wird es gut für die Verhandlung sein, wenn wir über sie herfallen und töten? Die Weißen haben eine andere Auffassung vom Kampf als wir.« »Es wird sie gefügiger machen.« »Nicht den einarmigen Führer der Soldaten, den sie General nennen.« Cochise brütete wieder vor sich hin. Auch Naiche blieb stumm. Draußen heulte der Bergwind und weit in der Ferne Wölfe. »Wir gehen nach Süden. Die Gelbgesichtigen postieren sich um La Linas. Zwei Abteilungen der Mounted Rifles von
Sonora, eine Schützenkompanie und das 4. KavallerieBataillon der Bavispe National Guard sperren die Zugänge der Paßstraßen zu unseren Vettern. Die Yaquis versuchten es, aber es mißlang. Den Chiricahuas wird es gelingen. How!« »How«, sagte auch Naiche und bekräftigte damit den Entschluß seines Vaters. »In acht Tagen ist Vollmond«, fuhr Cochise fort. »Wir verlassen bei Naco die Flußebene und gehen übers Gebirge. Der weiße General soll keine Sekunde auf Cochise warten.« »How!« stieß Naiche hervor. »How, how!« »Sagst du es den Häuptlingen, Sohn?« Naiche stand auf und verließ das Wickiup. Kurze Zeit später vernahm der Jefe das infernalische Gebrüll im Lager und die ständigen Rufe: »Zastee! Zastee!« Ja, töten, dachte er. Kämpfen und Töten war den Chiricahuas angeboren und ein Bestandteil ihres Lebens. Das harte Land und die karge Vegetation hatten sie von jeher zu Räubern werden lassen. Raub war für sie nichts Ungesetzliches, eher Bestimmung eines Lebenszwecks. Vom Raub ernährten sie sich, und von der Jagd, wenn es was zu jagen gab. Naiche kehrte zurück. »Alle Krieger kommen mit«, sagte er und setzte sich wieder. Cochise nickte. »Ich habe es erwartet. Wir reiten, wenn der Mond aufgeht.« Naiche erhob sich, um auch die zweite Entscheidung des Jefe den Unterhäuptlingen mitzuteilen. Als er in das Wickiup zurückkam, standen die ersten Krieger mit ihren Ponys bereits auf dem Versammlungsplatz. Während sich der Mond wie ein halber Ballon träge über das Gebirge schob, stiegen sie auf ihre Pferde und ritten los. Cochise, Naiche und ein anderer Unterhäuptling der Chiricahuas übernahmen die Spitze. Der neue Tag graute, als sie von der Mesa aus die Ebene
erreichten. Cochise hob eine Hand. Der ganze Kriegertrupp hielt an und beobachtete den Jefe. »Es ist jemand in der Nähe«, sagt er. »Ein Weißer. Ich rieche ihn.« »Ich werde ihn fangen und töten«, erbot sich Naiche. Cochise nickte. Kampf war ihr Lebenselexier, eine ständige Selbstbehauptung, um in diesem harten Land überhaupt leben zu können. Kampf bedeutete ihnen alles. Naiche stieg vom Pony und verschwand. * »Wir müssen anhalten«, sagte Captain Randell besorgt. »He, Sergeant, lassen Sie absitzen und Biwak aufschlagen. Wir dürfen unsere Pferde nicht zu sehr auspumpen.« »Sehr wohl, Sir.« Er drehte sich im Sattel um. Seine grünen Augen funkelten wie zwei Smaragde. »An-hal-teeen! Ab-sitzzeeen!« Und dann kam es trocken und knallhart aus seinem Mund: »Biwak, Kaffee und Essen!« Lieutenant Haller und Miller ritten heran, stiegen ab und brachten ihre Tiere in den schnell gespannten Seil-Corral. Haller sagte: »Mensch, Miller, habe ich einen Kohldampf! Ich könnte einen halben gebratenen Bison aufessen.« »Warum tun Sie's nicht, Lieutenant? Jagdbares Wild gibt es hier im Flußtal in Mengen.« »Meinen Sie? Aber die Apachen?« »Ich werde mir nach dem Essen ein bißchen die Gegend ansehen. Vielleicht sind sie uns wirklich nicht gefolgt.« »Well, Scout, tun Sie das. Ein saftiges Antilopensteak wäre jetzt gerade das Richtige bei der armseligen Verpflegung.« Haller lachte, und Miller stimmte mit ein. Der Sergeant ging vorbei, warf beiden dabei einen wütenden Blick zu. »Wie heißt der Mann?« fragte Miller.
Lieutenant Haller grinste. »Hallagan. Ein Ire. Für ihn ist die Armee Vater und Mutter. Kommen Sie, gehen wir zum Feuer.« Im nahen Unterholz knackte und krachte es, als wäre eine Schlacht entbrannt. Soldaten sammelten Brennholz und schleppten ganze Bündel davon zu der noch recht kleinen Feuerstelle. »Es wird langsam Tag«, sagte Miller und deutete auf das karstige Vorgebirge im Osten. »Sobald ich etwas gegessen habe, mache ich mich auf die Socken. Wenn wir uns von ihnen überraschen lassen, sieht es nicht gut für uns aus.« Ron Randell kam heran. Er hatte Millers letzte Worte gehört. »Soll ich vorgeschobene Posten aufstellen, Scout?« Miller antwortete: »Kann nicht schaden, Captain. Nach dem Abend… Morgenbrot«, fügte er grinsend hinzu, »will ich mich ein bißchen in der Landschaft umsehen. Auch das kann nichts schaden, sagt sich meines Vaters Sohn selbst.« »Glauben Sie, sie sind noch hinter uns? Können sie überhaupt in der Nacht unseren Spuren folgen?« »Captain, die verfolgen die Spur eines Vogels in der Luft. Sie sind die besten Jäger, die ich kenne.« Das Essen war schnell zubereitet. Jeder bekam einen Teil, der ausreichte, zwei hungrige Männer satt zu machen. Gleich nach dem Essen machte sich Curt Miller auf, um die Gegend im Süden abzusuchen. Ohne ein Geräusch zu verursachen, bewegte sich der Scout durch das Unterholz und näherte sich der Bergflanke. Ein Canyon mündete an dieser Stelle in das San Pedro-Tal. Vor ihm glänzte etwas. Er schlich hin, bückte sich und berührte mit den kräftigen, schmutzigen Fingern den Rand des Felsbeckens. Er lag ganz still da und schob beide Hände in das etwa zehn Zentimeter tiefe warme Wasser. Behutsam wischte er den klebrigen Schaum beiseite, schöpfte mit der hohlen Hand etwas Wasser und schlürfte es in den ausgedörrten Mund. Dann spuckte er es zur Seite und
wiederholte die Prozedur. »Gott sei Dank!« murmelte er. Im Flußtal fand man immer genügend Wasser. Für die Patrouillen war das gut, aber auch für die Indianer. Curt hob lauschend den Kopf. Der Wind hatte sich gelegt. Lautlos schob Miller sich zurück. Dann stand er auf und huschte geduckt zum Canyon-Zugang. Dort warf er sich auf den Boden und schob den Gewehrlauf über einen flachen Stein. Der Zugang zum Canyon glich einem breiten V, das sich heller gegen die zurückweichenden Felsen abzeichnete. In dieser Schlucht huschte ein gespensterhafter Schatten direkt auf Curt zu. Miller hatte plötzlich ein flaues Gefühl in der Magengegend. Seine Ausdünstung bestand aus kaltem, eingetrocknetem, saurem Schweiß, aus Leder und Wollgeruch, aus ungewaschenem Haar und verdreckter Haut. Cochise! Der gefürchtete Name explodierte förmlich in Millers Geist. Der Krieger verschwand aus Curts Blickfeld. Doch dann sah er ihn wie durch eine Nebelwand auf der linken Seite des Canyons und mindestens 50 langmähnige Indianer ganz unten warten. Minuten tickten dahin. Kostbare Minuten. Miller rieb sich die brennenden Augen. Konnte er die Soldaten rechtzeitig warnen, die Apachen aufhalten? Er zuckte zusammen. Der einzelne Apache kam dicht an ihm vorbei, nicht mehr als fünf, sechs Yards von der Gewehrmündung entfernt. Dann war auch er im großen Canyon verschwunden. In Miller mischten sich Furcht und Verzweiflung. Es gab keinen vernünftigen Grund für die Annahme, daß der Chiricahua ihn nicht gewittert hatte. Die Apachen besaßen ein Witterungsvermögen wie Bluthunde. Miller stand plötzlich auf. Der Hundesohn hatte ihn mit
seiner Nase wahrgenommen. Aber der rote Halunke war viel zu gerissen gewesen, sich davon etwas anmerken zu lassen, denn er hatte genau gewußt, daß er im gleichen Augenblick hätte sterben müssen. Miller mußte weg. Er schnappte sein Gewehr und lief gebückt ein Stück aus dem großen V. Aber er hielt sich stets dicht an der Felswand. Weiter hinten arbeitete er sich die Geröllhalde hinauf und bemühte sich, so wenig Geräusche wie möglich zu verursachen. Als er die glatte Felswand erreicht hatte, tastete er mit den Fingern sofort den Stein nach einem Halt ab. Ohne Erfolg, er war zu glatt. Miller huschte weiter. Endlich kam der Scout an eine Stelle, von der aus er nach oben klettern konnte. Keuchend zog er sich auf die Felsleiste hinauf und brach auf dem warmen Gestein zusammen. Der Atem brannte wie flüssiges Feuer in seinen Lungen. Schweiß strömte den Körper herab. In diesem Moment knatterten Schüsse durch die Nacht. Ein wilder Aufruhr entstand dort drüben im Unterholz, Männer fluchten in allen Tonarten, Todesschreie stachen wie Nadeln in die Dämmerung. Miller legte das Gesicht auf die verschränkten Unterarme. Die Vorstellung, das Gebirge bei Nacht und zu Fuß und nur mit dem bloßen Gedanken an Imajas oder Pozitos durchqueren zu müssen, bereitete ihm Übelkeit. Die Schüsse waren verklungen. Curt konnte Hufschläge hören. Vielleicht war doch einer der Soldaten entkommen. Oder sein Pferd hatte die Flucht ergriffen. Weder das eine noch das andere glaubte der Scout. Die Soldaten würden bis zum letzten Mann kämpfen. Das anschließende Triumphgeschrei sagte Miller genug. * Cochise trat in den Lichtkreis des Feuers. Er nickte, aber seine
Augen sprachen nicht von Triumph. Krieger um ihn herum. Sie skalpierten die Toten und raubten sie aus. Naiche trat auf ihn zu. »Da oben ist noch einer, an der Bergseite. Ich hole ihn jetzt.« »Er hat dir gesagt, daß hier Truppen sind?« »Sein Geruch. Die Pferdesoldaten haben einen eigentümlichen Stallgeruch, den Apachen nicht kennen.« Cochise neigte den Kopf. »Hol ihn, Naiche -- lebend! Ich brauche ihn als Boten.« Naiche stutzte, sagte aber nichts. Insgeheim bewunderte er den Scharfsinn des Jefe. Er huschte davon. Erste Schatten krochen nach Westen, wichen der morgendlichen Dämmerung. Man konnte schon ganz gut sehen. Naiche drang auf die freie Stelle im V-Abschnitt hinaus und kletterte über die Geröllhalde. Er sah, wie der Weiße den Kopf hob und ihn beobachtete. Ein Gewehrlauf richtete sich auf ihn. Ein Hahn knackte. Auf diesem Weg kam er nicht an den Weißen heran. Er mußte über ihn kommen, von oben, lautlos wie eine Katze. Alle Tapferkeit half nichts, wenn der Feind den Finger krümmte und seinen Gegner genau im Visier hatte. Seitlich von seinem Opfer sah Naiche den Spalt, der sich fünf Yards oberhalb des Mannes waagerecht fortsetzte und in einer schmalen Leiste auslief. Wie ein Wiesel huschte er hin. Seine Finger krallten sich in die Unebenheiten des Gesteins, seine Füße fanden Halt. Langsam gelangte er nach oben. Der Chiricahua warf einen Blick nach unten, sah den Weißen, der immerzu in die Tiefe starrte. Er gab sich einen Ruck und griff mit der Linken zu der Felsleiste hinüber. Sekunden hing er zwischen Himmel und Erde, den Abgrund unter sich, allein mit sich selbst und seiner Angst. Noch einmal ein kurzer Blick zurück. Naiche lag auf dem Bauch und glitt wie eine Schlange vorwärts. Genau über dem
Weißen hielt er an und ließ seine Lungen erst einmal zur Ruhe kommen. Der Weiße blickte noch immer angestrengt auf die Geröllhalde. Naiche verfolgte, wie der seinen Kopf hin und her bewegte. Was waren die Bleichgesichter doch so dumm und so einfältig. Er kroch bis zum Rand der Leiste, ließ den Unterkörper überhängen. Noch ein paar Sekunden lang hielten seine Finger den Körper, dann ließ er los und sprang knapp hinter der liegenden Gestalt federnd auf. Mit einem Schrei stürzte er sich auf den Feind. Miller wirbelte herum, als er das Geräusch hörte. Er hob das Gewehr an, ließ die Rothaut in den emporgestreckten Lauf rennen. Mit einem wütenden Schrei fiel Naiche in sich zusammen und hielt sich den Magen. Bevor Curt Miller den Lauf hochreißen und den Stecher durchziehen konnte, war der Indianer schon wieder auf den Beinen und warf sich auf den Scout. Auf dem schmalen Felsband kämpften sie verbissen miteinander. Das Gewehr wurde Miller aus der Hand geprellt. Es rollte den Hang hinunter und blieb an einem Steinbrocken hängen. Miller ballte die Rechte, schlug kräftig zu. Tränen traten Naiche in die Augen. Der verdammte Weiße hatte seine Adlernase getroffen. Noch einmal stürzte er sich auf das Bleichgesicht. Miller empfing ihn mit einem Fußtritt, schleuderte ihn an die Felswand und versuchte hastig auf die Füße zu kommen. Ein Schrei unten bei der Halde lenkte ihn ab. Er sah nichts, wollte sich dem Gegner wieder zuwenden, aber Naiche war schneller. Dessen Faust krachte in Millers Nacken, zwang ihn auf die Knie. Feuerräder tanzten vor den Augen des Scouts. Ein zweiter
Hieb traf ihn an der Schläfe. Die Sinne schwanden Miller. Schwer fiel sein Kopf zurück. Naiche stillte das rinnende Blut und schnauzte sich durch die Finger. Mit grimmigem Gesicht lud er sich den Weißen auf die Schulter und begann den Abstieg. Zwei Krieger erwarteten ihn. Einer hatte vorher gerufen, um den Scout abzulenken. Trickreich waren sie, die Apachen, das mußte man ihnen lassen. Naiche ließ den Bewußtlosen auf die Erde fallen und verpaßte ihm einen Fußtritt. Die beiden Chiricahua-Krieger faßten ihn am Kopf und an den Beinen und zerrten ihn zu ihren Ponys. Naiche legte den ganzen Weg zu Fuß zurück. Als er das Lager erreichte, erwartete ihn Cochise. Trotz des grauenden Morgens brannte das Feuer lichterloh. Gleichgültig glitten die Blicke des jungen Apachen über die nackten, skalpierten Leichen der Soldaten. Sie lagen überall verstreut, so, wie sie der Tod ereilt hatte. Auch Cochise warf ab und zu einen Blick auf die Toten. Ihn berührte der Tod nicht. In den Bergen stand er mit ihm auf du und du. Was ihn jedoch beschäftigte, war der Gedanke an den General. Wie würde er das erneute Massaker auffassen? Sicher, weiße Krieger waren nicht gerade zimperlich, wenn es darum ging, Indianer auszulöschen. Nur ein toter Indianer ist ein guter und friedlicher Indianer, sagten sie zynisch und töteten alles, was eine rote Haut hatte. Nein, darum ging es dem Jefe in diesem Augenblick nicht. Seine Krieger wollten den Kampf, aber er mußte an die vielen Frauen und Kinder der Chiricahuas denken, die in den Bergen Not litten. Irgendwann mußte der Kampf gegen die Weißen ein Ende haben. Das hatte nichts mit den Mexikanern im Süden zu tun. Die Gelbhäutigen waren die unversöhnlichsten Hasser der Apachen und rotteten alles aus, was ein Stirnband trug. Und nicht minder wurden sie von den Chiricahuas gehaßt. Gegen die Mexikaner ging der Krieg weiter.
Krieg? Cochise lächelte verächtlich. Krieg gegen die Nachkommen der Spanier gab es nicht. Sie wurden wie Ratten vernichtet, wo man sie traf. Wenn er mit den Weißen einen Frieden einging – er mußte ja nicht ewig dauern –, hatte er den Rücken frei und konnte seine Streifzüge bis weit in die Sierra Madre im Süden ausdehnen. »Er kommt zu sich.« Cochise riß sich gewaltsam aus seinen Gedanken, nickte seinem Sohn zu und sagte lobend: »Du bist ein großer Krieger, Naiche.« Er stand auf, ging zu dem gefesselten Miller. »Du bist Scout bei den Pferdesoldaten.« »Woher weißt du das? Wer bist du?« »Ich bin Cochise«, antwortete der Häuptling und registrierte das kurze Erschrecken. Miller faßte sich jedoch schnell. »Woher willst du wissen, daß ich ein Scout der Army bin?« »Dein Geruch sagt es. Stallgeruch.« Curt Miller schloß sekundenlang die Augen. Auf was man in diesem höllischen Land nicht alles achten mußte. »Nun gut, ich bin Scout. Was nun? Du willst mich töten?« »Noch nicht, aber später«, erwiderte Cochise schlicht. Es klang nicht nach Prahlerei. »Was soll das heißen, Chief: Jetzt nicht, aber später? Ich habe noch keinen Apachen erlebt, der einen Gefangenen am Leben läßt.« »Du reitest zu dem Häuptling der Pferdesoldaten und überbringst ihm eine Botschaft.« »Wie soll sie lauten?« »Dies hier.« Cochise drehte sich um seine Achse. »Das, was du hier siehst. Sag ihm, daß es allen Weißen so geht, wenn er keinen Frieden schließt. Wirst du es ihm sagen?« Miller nickte. »Was noch? Von dem Massaker wird er früh
genug erfahren. Well, was denn noch?« »Nur das.« Miller schob die Unterlippe vor. »Gut, wie du willst, Chief. Bekomme ich ein Pferd?« Cochise deutete auf die Tiere der toten Soldaten. »Such es dir aus, Bleichgesicht.« Naiche trat hinter Cochise. Miller fiel die große Ähnlichkeit zwischen den beiden auf. Der junge Indianer war derjenige, der ihn drüben bei der Felslehne überrascht hatte. Cochise durchschnitt Millers Fesseln. »Du kannst gehen!« Das war ein Befehl. Der Scout suchte sich einen stämmigen Fuchs und stieg in den Sattel. Zuerst ritt er langsam und vorsichtig, dann gab er dem Tier die Sporen und preschte in den neuen Morgen hinein. Cochise blickte ihm nach, bis die Büsche hinter seinem Rücken zusammenschlugen. »Nach Süden!« schrie er. »Auf nach Süden! Zastee!« »Zastee!« brüllte es im Chor. * Oliver O. Howard bekam die Meldung von dem Blutbad am nächsten Tag. Miller überraschte sie persönlich. Anwesend waren die Colonels White und Walmann sowie John Haggerty. Die beiden Scouts grinsten sich zu, als Miller eintrat und lässig salutierte. Die Scouts waren zwar dem Militär unterstellt, aber sie blieben Zivilisten. Nur wenige hatten die Offizierslaufbahn eingeschlagen und waren bei der Armee geblieben. Howards Augen glänzten mit jedem Wort Millers kälter. Als der Scout seinen Bericht abgespult hatte, griff sich der General mit dem gesunden Arm an den Gürtel, drehte sich um und nahm dann seine eigentümliche Wanderung wieder auf, die bei
Millers Eintritt unterbrochen worden war. »Ein Irrtum ist ausgeschlossen?« fragte er über die Schulter. »Es war Cochise?« »Er war es«, bestätigte Miller schlicht. »Er und sein Sohn Naiche sowie ungefähr fünfzig Chiricahuas.« »Ich hatte wirklich angenommen, daß sie Frieden wollen. Trugschluß«, bemerkte Howard beißend. »Den Eindruck habe ich nicht von ihnen, Sir. Cochise will dem Krieg ein Ende machen, davon bin ich überzeugt. Mit dem Massaker wollte er der Armeeführung andeuten, was passiert, wenn es nicht zu einer Einigung kommt.« »Allmächtiger! Dazu muß er zwei Züge Soldaten umbringen?« Howard blickte John an. »Was sagen Sie dazu, Mr. Haggerty?« Johns schmales Gesicht mit den braunen Augen und dem gewellten Haar richtete sich auf Miller. »Du hast ihn gesehen, Curt. Welchen Eindruck machte er?« »Den eines zielstrebigen Mannes, der genau weiß, was er will.« Haggerty wandte sich wieder dem General zu. »Sehen Sie, Sir, das ist auch meine Meinung. Cochise weiß ganz genau, wie sehr wir in der Zwickmühle stecken. Er will, daß wir uns schnell entscheiden, ohne Kompromisse, ohne Wenn und Aber, ohne die Voreingenommenheit der Weißen.« Howard zog die Brauen in die Höhe. »Voreingenommenheit?« wiederholte er. »Was meinen Sie, Haggerty?« »Ich meine etwas, an das alle Weißen glauben: die Einbildung, anderen Rassen überlegen zu sein. Cochise kennt uns genau. Er versteht es, die weiße Rasse richtig einzuschätzen. Er kennt auch unseren Hochmut, unsere Selbstüberschätzung.« »Mister, ich muß doch sehr bitten!« Howards Stirn runzelte
sich. Haggerty zuckte mit den Achseln. Eine gelangweilte Geste. Er wechselte einen Blick mit Miller, und es gelang ihm tatsächlich, ein Lächeln zu unterdrücken. »Es ist doch so, General. Die Weißen fühlen sich stets als Teufelsaustreiber und wollen den armen Indianern die Segnungen ihrer Religion und Zivilisation bringen. Sie sprechen von ihrer alten Kultur, sehen in den Indianern Wilde und vergleichen sie mit Metzgern, die den Andersfarbigen die Bäuche aufschlitzen, ihre Kopfhäute von den Schädeln reißen, um sie anschließend zu zerstückeln. Sir, darf ich fragen, wer zuerst mit den Massakern begann? Die Indianer etwa? Nein! Sie kämpften nur gegen die Spanier. Zwischen denen und den roten Völkern herrscht eine jahrhundertealte Feindschaft, die ständig wieder mit vergossenem Blut aufgefrischt wird. Als die Weißen in dieses Land kamen, glaubten die Indianer zuerst fest an die Anständigkeit dieses neuen Volkes, weil es weiß war und nicht braun oder gelb. Sie wurden bitter enttäuscht.« Howard schwieg, sah in die betretenen Gesichter der Offiziere. Nur Miller grinste. Howard faßte sich jedoch und überhörte Haggertys Anklage. Er sagte: »Es bleibt dabei. Sie, Mr. Haggerty, und ich reiten zu Cochise.« John brummte sein Einverständnis und wandte sich Miller zu. »Ich kann jetzt gehen, Sir, und diesen verlausten Kerl hier, der zehn Meilen gegen den Wind nach Rothaut stinkt, mit mir nehmen?« Howard, der schon mal einen derben Spaß vertrug, nickte und lächelte zu John hinüber. Die beiden Scouts grüßten knapp und verließen das Zelt. Haggerty wandte sich nach links, Miller nach rechts. Miller blieb stehen. »He, Mann, wo willst du denn hin?« »Ins Kantinenzelt, wohin denn sonst in diesem
gottverdammten Camp?« »Das hat doch noch Zeit«, sagte Miller. »Ich möchte zuerst Major Tanner Bericht erstatten, damit er den Fluch der Verfolgung von mir nimmt.« John blies die Wangen auf, folgte aber Miller, der die Richtung zum Südteil des Zeltlagers einschlug. »Rede nur keinen Mist zusammen, Curt.« »Keine Sorge, wirst schon sehen.« Vor einem größeren Zelt blieb er stehen. »Hallo, Major! Ich bin's, Miller!« Die Plane schlug zurück. Major Tanner stand in der Öffnung, reichte Miller die Hand. »Kommen Sie herein, Mann des Teufels! Ich machte mir schon Sorgen um Sie. Wie war's?« Haggerty betrat hinter Miller das Zelt. Curt sah sich um und griente. »Wenn ich daran denke, wie es damals hier aussah, als wir das Ding zusammen drehten, dann kann ich nur noch mit dem Kopf schütteln, Sir. Von wie vielen Patrouillen ließen Sie mich eigentlich verfolgen?« Tanner lachte. »Beinahe die halbe Garnison war hinter Ihnen her, Miller. Ich denke, wir beide spielten unsere Rolle gut.« »Wie nahm es der General auf?« fragte Miller und lächelte breit. »Oje, der… Howard blies sofort alles ab. Die Suchkommandos wurden zurückgezogen, ich bekam einen kräftigen Abputzer und die Order, keine Alleingänge mehr zu unternehmen. Hm, hatten Sie Erfolg?« Sie setzten sich an den kleinen Feldtisch. Tanner stellte eine Flasche Whisky und drei Gläser auf die Platte. Er schenkte ein, hob sein Glas und sagte: »Cheers, Gentlemen!« »Cheers!«
Als sie die Gläser absetzten, wandte sich Major Tanner an Haggerty: »Wissen Sie, um was es bei unserem Gespräch geht?« »Nein, Sir.« Tanner sah Miller an und fragte: »Nun, Erfolg?« »Nur zur Hälfte, Major. Die andere Hälfte kann als Mißerfolg gewertet werden.« Er tippte Haggerty auf den Arm, um dessen Aufmerksamkeit zu wecken, und erzählte ihm die ganze Geschichte. »Ich wurde also Bandit. Okay, der Zweck heiligt die Mittel, aber die Geschichte schmeckte mir nicht. Was ich herausbekam, ist nicht viel, jedoch bezeichnend für das, was sich in diesem Land unter den Augen der Armee abspielt.« Er schniefte, langte nach seinem Glas und genehmigte sich noch einen Schluck. »Wir – Major Tanner und ich – gingen davon aus, daß es Elemente gibt, die es darauf anlegen, den Grenzkrieg mit den Apachen noch weiter zu schüren, um im trüben fischen zu können. Es war eine Vermutung, nicht wahr, Major?« »Vieles sprach dafür, aber die Beweise fehlten uns. Wir heckten also einen Plan aus, der gelang, weil uns der Zufall zu Hilfe kam. Wegen der Posten, die durch das Lager patrouillierten, war ein besonderer Gag notwendig, um das, was wir uns ausgedacht hatten, glaubwürdig zu machen.« Er schwieg, trank einen langen Schluck aus seinem Glas. »Alles schön und gut«, sagte Haggerty ahnungslos. »Was weiter?« »In der Nacht ging ich zu Major Tanner. Er war betrunken. Alles nur fingiert, natürlich. Wir redeten uns schließlich so in Wut, daß wir Streit miteinander bekamen. Er schrie, ich brüllte, und draußen vernahmen die Posten jedes Wort. Darauf kam es an. Das Theater, das wir veranstalteten, spulte sich ab wie auf 'ner Bühne. Schließlich verpaßte ich dem Major einen saftigen Kinnhaken und verließ das Lager.«
»Was?« Haggerty sprang erregt auf. »Bist du des Teufels, Mann?« »Ruhe!« sagte Tanner. »Sachte, immer sachte!« Er zerrte Haggerty auf den Sitz zurück. »Hören Sie erst mal die ganze Geschichte. Miller hat doch gesagt, es war alles nur gestellt.« Miller nahm den Faden wieder auf. »Wo war ich stehengeblieben? Ja, also, ich knallte dem Major eine und machte mich aus dem Staub…« Haggerty unterbrach ihn schon wieder. »Was sollte diese blöde Balgerei für einen Sinn haben?« Miller schüttelte über Johns Begriffsstutzigkeit den Kopf. »Setzt bei dir das Denkvermögen aus, John, oder hast du schon Meisen unterm Pony? Liegt doch klar auf der Hand, oder nicht, Major?« Tanner nickte. »Sie müssen etwas mehr Geduld mit Mr. Haggerty haben, Miller. Ich an seiner Stelle würde auch nur langsam und sehr schwer begreifen.« John machte ein zweifelndes Gesicht. »Erzähl weiter«, sagte er. »Alles hatte nur den einzigen Sinn und Zweck, daß Suchkommandos der Armee das Land durchstreiften, um mich einzufangen und vor ein Kriegsgericht zu stellen. Wir gingen davon aus, daß die Soldaten darüber redeten und ich sozusagen als schwarzes Schaf verschrien wurde.« »Ich glaube, ich träume.« »John, du kapierst doch sonst immer alles so schnell. Es muß doch ein zwingendes Motiv vorliegen, wenn ein Scout der Army den Rücken kehrt und bei einer Verbrecherbande um Zuflucht nachsucht. Begreifst du jetzt? Es gelang, nur etwas anders, als wir es geplant hatten. Aber das ist so unwichtig, daß ich es hier nicht zu erwähnen brauche.« »Schön und gut. Weiter! Bin gespannt wie ein Paukenfell.« »Okay. Ich wollte zunächst nach Santa Magdalena, weil wir vermuteten, daß die Bande dort ihr Hauptquartier hat. Aber
auch das klappte nicht. Ich stieß auf einen einzelnen Reiter, der sich Doolin nannte. Er gab sich Mühe, mich auszufragen. Schließlich sahen wir beide die Staubfahnen der Patrouillen. Ich gestand, daß ich gesucht würde und mich auf der Flucht befand. Er erzählte mir beiläufig, daß er seinen Scout verloren habe und nach einem guten Mann suche, der die Pässe nach Sonora kenne. Ich war auf eine heiße Spur gestoßen und ließ mich von ihm anwerben.« Major Tanner schenkte die Gläser noch einmal voll. »Fahren Sie nur fort, Miller. Mr. Haggerty ist so bei der Sache, daß er seine Umgebung vergißt.« »Zunächst gaben wir unseren Gäulen die Sporen, um so schnell wie möglich aus dem Gefahrenbereich der Suchkommandos zu kommen. Auf dem Ritt erzählte er mir, daß er eine Bande von Schmugglern unterhalte, die Waren illegal nach Sonora und umgekehrt nach Arizona brächten. Er bot mir einen Job als Scout an.« »Du sagtest zu?« »Um mehr zu erfahren, ließ ich mich als Scout auf seine Lohnliste setzen. Ich wollte herausfinden, wer hinter den Überfällen und Massakern steckt, und das ist mir zum Teil auch gelungen. Wir ritten also ins Gebirge. Die Pahute-Range war sein Ziel. In einem Tal standen drei Blockhütten und ein Stallgebäude. Ein richtiges Banditennest. Jetzt kommt der zweite Teil meiner Geschichte, und der macht die ganze Sache erst richtig interessant.« Miller berichtete weiter. Es wurde mehr als ein Bericht. Ein Stück jener abenteuerlichen Zeit, in der sie lebten, stellte er so sachlich und greifbar plastisch dar, daß den Zuhörern kein Zweifel blieb, daß nicht nur die Indianer an jenen blutigen Grenzvorfällen die Schuld trugen, die ein ganzes Land in Not und Chaos trieben. *
Sonora. Ende Mai 1865. Das blutigste Gemetzel seit Beginn der Indianerkriege sollte an diesem Tag seinen Anfang nehmen. Zielstrebig stießen die indianischen Späher auf die kleine Stadt Los Molinos vor. Zum zweitenmal in diesem heißen Sommer. Cochise wußte, daß sich Federales in der Stadt aufhielten. Colonello Sebastiano Diaz hatte in Eilmärschen von Poza Grande aus Los Molinos in der Nacht erreicht und sich verschanzt. Er hatte in seiner Truppe ein paar Nedni-Apachen als Scouts. Sie fürchten zwar die wilden Broncos aus den Bergen, wußten sich aber unter den Mexikanern in guter Obhut. Die Truppe von ungefähr vierzig Soldaten setzte sich aus allen nur möglichen Elementen des Grenzgebietes zusammen. Nicht nur Mexikaner gehörten ihr an, sondern auch Tontos, Aravaipas, Coyoteros, Yavaipas, Yumas, Mohave-Apachen und Yaquis. Oberst Diaz ließ sich von seinen Spähern minütlich über das Vordringen der Chiricahuas berichten. Als am Nachmittag des glühendheißen Tages der Kampf ausbrach, ahnte Diaz, daß es sein letzter sein würde. Die Angreifer schwärmten auf die Plaza, witterten das Wasser im Brunnen und tranken Seite an Seite mit den Tieren, die trotz des Kampflärms nicht vom Wasser wichen. Pulverfeiner Staub wirbelte über den freien Platz zwischen den geduckten Adobe-Häusern, verdeckte die Sicht, gab sie wieder frei. Diaz sah die ersten Chiricahuas. Sie trugen den schwarzen Streifen der Häuptlingswürde quer zur Kriegsbemalung. Da wurde es dem Colonel zur Gewißheit, daß er den Sonnenuntergang nicht mehr erleben würde. Cochise selbst leitete den Angriff. Schließlich sah er den Jefe. In stolzer Haltung stand er beim Brunnen und gab von dort aus seine Befehle.
Der Angriff begann. Wie Katzen huschten die Chiricahuas durch die Gassen, wieselten geduckt über flache Dächer, drangen in Häuser ein und suchten den Nahkampf mit den mexikanischen Soldaten. Von den Dächern und aus den Casas fielen ganz sporadisch abgefeuerte Schüsse, die meistens nicht trafen oder von den Indianern dann sofort erwidert wurden. Als seine Vorhut den ersten Feindkontakt mit den Mexikanern hatte, gab Cochise das Zeichen zum Generalangriff. Zwanzig Krieger stürmten auf ihren Ponys in die Stadt und jagten mit schrillen Schreien durch die Gassen. »Zastee!« Der Ruf ließ die Mexikaner zittern. Ihre Herzen verkrampften sich in Angst. Der Schreck hielt sie so fest gepackt, daß sie jeder Verteidigungswille verließ. »Zastee!« Tötet! Colonello Diaz beobachtete von seiner Casa aus die dunklen, abziehenden Pulverschwaden über Los Molinos und sagte zu seinem Adjutanten: »Wenn wir schon dazu verdammt sind, an diesem heißen Tag zu sterben, so soll dies draußen geschehen und nicht in dieser dreckigen Hütte. Kommen Sie!« Sie zogen ihre Säbel und mischten sich in das Kampfgetümmel. »Viva Mexiko!« schrie Diaz, und »viva Mexiko!« brüllte auch Sancho Lopez, der Adjutant. Cochise sah den goldbetreßten Offizier. Mit seinem Kriegsbeil stürzte er sich auf Diaz, während Naiche sich mit Capitano Sancho Lopez beschäftigte. Verwundete, Sterbende und Tote lagen überall auf dem Boden. Reiterlose Pferde galoppierten blindlings durch den Pulverrauch. Die Angst der Mexikaner und der dichte Rauch kam den Chiricahuas zugute. Nichts hielt sie mehr auf. Die ersten Häuser brannten,
nachdem sie geplündert worden waren. Die Rauchschwaden wurden dichter, ätzender und atembeklemmender. Auf der Calle Royal kämpften Diaz mit Cochise, Lopez mit Naiche. Der Kampf wogte hin und her. Gegen die langen Säbel kamen die Apachen mit ihren Messern und Kriegsbeilen nicht an. Cochise war verwundet. Ein Säbelhieb hatte seine Schulter gestreift, das Calicohemd in zwei Teile getrennt. Blut lief ihm über die Brust. Mit unbeschreiblicher Wildheit stürzte er sich erneut auf den Colonel, unterlief die Klinge und stieß mit dem Messer zu. »Viva Mexiko!« Diaz brach zusammen und starb. Er hatte recht gehabt. Den Sonnenuntergang durfte er nicht mehr erleben. Lopez wehrte sich tapfer gegen Naiche, aber gegen einen geworfenen Tomahawk hatte er keine Chance. Er starb im Stehen, als sein Schädel getroffen worden war. Gegen vier Uhr nachmittags war alles vorbei, Los Molinos zum zweitenmal zerstört. Wild und triumphierend schwangen die Chiricahuas Beutestücke und Skalps. Niemand war verschont worden. Selbst Frauen und Kinder, Greise und Kranke wurden das Opfer der wilden Broncos aus den Bergen. In der heraufziehenden Nacht leuchtete die Fackel der brennenden Stadt meilenweit. Los Molinos existierte nicht mehr. * General Howard schlug die Hände vor das Gesicht und schüttelte sich wie im Fieber. Der indianische Scout stand teilnahmslos vor ihm und schürzte die Lippen. Was diese Weißen nur hatten? Leben und Tod lagen für die Indianer so nahe beieinander, daß sie kein Aufhebens davon
machten. »Großer Gott!« murmelte Howard, während die beiden Colonels erschüttert schwiegen. »Großer Gott, warum läßt du so was zu?« Colonel White gab dem Yuma einen Wink. Lautlos ging der Mann auf seinen hohen Wüstenmokassins davon. Howard wandte sich an Walmann: »Meine Herren, wer ist mehr gestraft, die toten Mexikaner oder wir?« Walmann sagte: »Sie haben es hinter sich, Sir, wir aber vor uns. Die Geißel Gottes muß vernichtet werden, koste es, was es wolle.« White warf ihm einen schiefen Blick zu, verkniff sich aber eine Bemerkung. Walmann fuhr fort: »In drei Tagen reiten Sie, General, mit dem Scout nach Süden. Versprechen Sie sich etwas davon?« »Es muß alles getan werden, diesem sinnlosen Gemetzel Einhalt zu gebieten, Colonel. Frauen, Kinder, Greise… Allmächtiger, sind das noch Menschen?« Ein Soldat trat ein, grüßte zackig. »Wie heißen Sie?« schnarrte Howard ihn an. »Dragoner Patrick O'Hara, Sir, zur Stelle!« »Stehen Sie bequem, O'Hara. Ich habe Sie rufen lassen, weil ich heute in drei Tagen einen Mann brauche, der mir etwas zur Hand geht. Feuer anzünden, Pferde halten und so… Würden Sie das gerne machen?« »Gewiß, Sir. Selbstverständlich, Sir.« »Auch wenn es zu den Apachen geht und wir nur drei Mann sind, die ihre Haut zu Markte tragen?« »Auch dann, Sir.« »Gut, O'Hara, Sie werden eine Woche vom Dienst befreit. Sind Sie Ire?« »Ein echter Paddy, mit Verlaub.« O'Hara grinste, Howard grinste, und die beiden hohen
Offiziere grinsten ebenfalls. »Ich habe gehört, die Söhne der grünen Insel seien niemals umzubringen. Stimmt das, O'Hara?« »Stimmt genau, Sir. Jedenfalls nicht von den verdammten Rothäuten.« »Sie können abtreten, O'Hara.« Der Ire knallte die Hacken zusammen und ging. General Howard setzte sich wieder. Der gesunde Arm lag auf dem Tisch. Er sah die beiden Offiziere an und wandte sich schließlich an White: »Haben Sie gehört, wie es Colonel Richards geht, Gentlemen?« White erwiderte: »Relativ gut, Sir. Er befehligt das Südlager III.« »Er soll krank sein?« »Gewesen, General… Sir. J.H. Richards geht's wieder einigermaßen. Er macht seinen Dienst und wird von Major Tanner dabei nach besten Kräften unterstützt.« In Whites Worten lag eine Frage, die Howard nicht überhören konnte. »Ja, Fieber… Fieber hatte er doch, nicht wahr?« White antwortete: »Gelbes Fieber, Sir, Wüstenfieber.« »Ich frage deshalb, weil ich wissen will, ob die Krankheit weiter um sich greift.« »Bis jetzt ist kein anderer Fall bekannt, Sir.« »Danke. Wie sehen die Nachrichten aus dem Ostteil des Landes aus, Colonel Walmann?« »Nicht besser als aus dem Süden und Westen. Überfälle sind an der Tagesordnung, Mord und Totschlag. Kein Tag vergeht, an dem keine Hiobs-Botschaften eintreffen.« »Sie halten immer noch weiße Banditen an dem Aufstand schuldig?« Walmann und White nickten gleichzeitig. »Sir, es darf nicht mehr hingenommen und aus
Toleranzgründen übersehen werden, daß Weiße die Schuldigen sind. Wir müssen sie suchen und kaltstellen. Siedler, Viehzüchter und die Minenarbeiter verlieren allmählich das Vertrauen zur Armee, die sie schließlich schützen soll. Die Butterfield-Overland-Mail verlor in einer Woche drei Kutschen. Wenn es so weitergeht, entvölkert sich das Land immer mehr. Die Armee ist verpflichtet, etwas zu tun.« »Und was, wenn ich fragen darf? Das Oberkommando lehnt die Entsendung der California Volunteers strikt ab. Meine Herren, was, in Gottes Namen, soll ich tun? Mir sind die Hände gebunden, ich fühle mich einfach hundsmiserabel.« White und Walmann sahen sich an. White runzelte die Stirn, Walmann senkte den Blick. Schleppend sagte White: »Wir alle, das ganze Camp, Sir, setzen unsere Hoffnung auf Ihr Verhandlungsgeschick. Es wird Ihnen mit Versprechungen gelingen, Cochise in seine Berge…« »Versprechen müssen auch gehalten werden, sonst beginnt der Krieg im Spätsommer wieder. Und was, Gentlemen, soll ich dem großen Häuptling versprechen, was ich auch halten kann?« White und Walmann schwiegen betreten. Sie wußten beide, daß Washington keinen der Verträge einhielt, die mit den Indianern geschlossen worden waren. Wie sollte da ein EinSterne-General halten, was er einem Häuptling in seiner Not versprochen hatte. * Im Bierzelt war es laut und stickig. Kein Lufthauch bewegte die Tabakschwaden. John Haggerty und Curt Miller saßen an einem Ecktisch und verfolgten gelangweilt das Treiben der vielen Soldaten. Ein untersetzter Mann in Zivil kam herein, sah die zwei Scouts und steuerte ihren Tisch an.
»Ich bin Josua Cartwright«, sagte er. »Wie stehen die Chancen, nach Süden durchzukommen, Scout?« »Mittelmäßig.« John wies auf einen freien Stuhl. »Setzen Sie sich. Was wollen Sie denn da unten?« »Ich bin Händler«, erklärte Cartwright. »Man hatte mir eine Eskorte versprochen, aber dann wurde die Sache wieder abgeblasen. General Howard ist der Meinung, daß er nicht jedem Reisenden in diesem Land einen Begleitschutz mitgeben kann.« »Womit er recht hat«, bemerkte Miller und musterte den Fremden. Cartwright hatte harte Züge und kleine grüne Augen. Alles an ihm wirkte klobig und irgendwie ungelenk. »Ich denke, ich kann mir ein sicheres Geleit etwas kosten lassen«, fuhr er fort und blinzelte. »Meine Geschäfte bringen so viel ein, daß mir ein Hunderter angemessen erscheint, rechtzeitig am Camino del Diablo zu sein.« »Sie werden bestimmt keinen finden, der so weit nach Süden geht, Mr. Cartwright«, sagte Haggerty hellhörig. »Bestimmt auch keinen indianischen Scout?« »Wenn er es versuchen will, muß er allein gehen. Und wenn ich ihn dabei erwische, erschieße ich ihn.« Cartwright starrte ihn an. »Sie sind wohl ein ganz Harter, wie?« »Nein. Aber ich habe einen Befehl wie wir alle, und ich werde ihn ausführen.« »Und wie lautet dieser Befehl?« »Das Gebiet der Dragoons und der Chiricahua Mountains ist für jeden Weißen bis auf weiteres gesperrt.« »Und meine Geschäfte?« fragte der Mann aufsässig. »Interessiert die Armee nicht. Wir haben genug damit zu tun, die Indianerangriffe in den Griff zu kriegen. Wir können uns nicht noch mehr aufhalsen.« »Und wenn ich auf eigenes Risiko gehe?«
»Niemand hält Sie vom vorsätzlichen Selbstmord ab. Wir leben in einem freien Land, Mister.« Miller nickte. Sein Mund verzog sich spöttisch, er wurde aber unvermittelt wachsam, als er Haggerty ansah. Johns Augen waren halb geschlossen, wirkten kalt und abweisend. Cartwright ging zur Theke und bestellte Bier. »Den hast du aber tüchtig abblitzen lassen, John. Warum?« »Ist dir nichts aufgefallen?« »Sag's mir.« »Jetzt nicht, er beobachtet uns. Wenn er geht, folgen wir ihm unbemerkt. Ich habe den Kerl in Verdacht, mit Waffen zu handeln.« »Apachen? Die rauben sich doch, was sie brauchen. Womit wollen sie moderne Waffen denn überhaupt bezahlen?« »Sie kennen goldführende Adern in den Bergen, Curt, das ist so sicher wie das Amen nach dem Gebet. Sie selbst halten von Gold nichts, weil sie nicht den Wert des gelben Metalls kennen. Aber sie tauschen es schon mal gegen Dinge ein, die sie unbedingt haben wollen.« Miller stierte auf sein halb geleertes Bierglas. »Du hältst diesen Cartwright für einen Waffenhändler, der mit den Apachen Waffengeschäfte macht? Wie kommst du auf den Trichter?« »Für ein paar Tage Zeitgewinn sind hundert Dollar viel Geld.« »Das beweist gar nichts, John. Ihn können andere Gründe leiten. Ein wichtiger Termin, vielleicht.« »Vertraue meinem Gefühl«, sagte Haggerty. »Paß auf, er geht!« Cartwright trank aus und ging durch das Zelt dem Ausgang zu. Er verließ die Kantine, ohne sich noch einmal umzusehen. »Komm!« sagte Haggerty drängend und stand auf. Er ging langsam zum Seitenausgang und blieb in der vollen Sonnenglut stehen. Curt kam ihm nach und gesellte sich zu ihm.
John Haggerty murmelte: »Er geht in Richtung Westen. Wir warten noch einen Augenblick.« Er spähte um die Zeltecke und zuckte wieder zurück. »Da drüben ist er.« »Wo? Ich sehe ihn nicht.« Miller wollte vortreten, aber Haggerty hielt ihn fest. »Vorsicht! Er kann sich noch einmal umdrehen, und dann sieht er uns und wird mißtrauisch. Verdammt, er wagt es tatsächlich, zur Scout-Unterkunft zu gehen.« Ganz kurz spähte er noch einmal um die Ecke, um den Kopf sofort wieder zurückzunehmen. »Jetzt aber Tempo, wir dürfen ihn nicht aus den Augen verlieren.« Sie huschten in eine andere Zeltgasse, in die nächste, durch eine Lücke in die übernächste. Am Ende dieser Gasse standen die Wickiups der Scouts, die ihre gewohnte Behausung den Armeezelten vorzogen. Cartwright verschwand gerade in einer Hütte. »Du mußt es sofort dem General oder einem Offizier melden«, sagte Miller. »Noch nicht. Zuerst brauchen wir Beweise. Ich mache mich nicht gerne lächerlich und dabei Pferde wild, von denen sich nachher herausstellt, daß es Esel sind. Wenn er abhaut, verfolge ihn. Wir werden uns unterwegs nach Süden schon irgendwo treffen.« Miller nickte. Nach einer halben Stunde kam Cartwright zusammen mit einem Apachen-Scout aus dem Jacale und machte einen recht zufriedenen Eindruck. Sie verließen den Lagerbezirk. Die Scouts nahmen die Verfolgung sofort wieder auf und gelangten an drei zu einem Dreieck aufgefahrenen Murphywagen. *
Pahute Range. Die Mittagssonne brannte auf die Felsen, als wollte sie alles mit ihrem Glutatem versengen. Doolin benutzte einen unbekannten Pfad, von dem er nicht wußte, wohin er führte. Lediglich nach Süden, in einen Canyon mit steilen Wänden. Es gab kaum Spuren. Der Pfad war von Menschen getrampelt worden, die zu Fuß reisten. Doolin wischte den Schweiß von der Stirn. Seine Blicke folgten dem Weg, bis er hinter Felsen verschwand. In der Ferne sah er ein Hochplateau, eine felsige Mesa, auf der Pinien und verkrüppelte Bäume wuchsen. Er überlegte sich, wer wohl den Pfad vor langer Zeit benutzt hatte und wohin er führte. Hier war er zum erstenmal geritten. Sonst benutzte er nur den schmalen Canyon, um zum Versteck zu gelangen. Das Pferd unter ihm schnaubte. Er blickte nach Norden und sah ein wild zerklüftetes Berggebiet, scheinbar unüberwindlich. Apachenland. Manchmal war der schmale Weg von Steinlawinen verschüttet oder von Wildwassern unterspült. Die Felswände der Schlucht schoben sich enger zusammen und stießen kaminartig an. Langsam kamen Doolin Zweifel, daß der Pfad irgendwohin führte. Er wollte schon umkehren und den vertrauten Weg reiten, als sich die Schlucht verbreiterte und schließlich in ein breites Tal mündete. Die umliegenden Berge kamen ihm bekannt vor. Links führte der Hang schräg zur Mesa hinauf, rechts stieg die Geröllfläche in sich gekrümmt zu Höhe, und es schien, daß ein einziger Schuß genügte, um eine Steinlawine auszulösen. Er hatte gehofft, einen zweiten Ausgang aus seinem Tal zu finden, schien sich aber geirrt zu haben. Enttäuscht richtete er sich im Sattel auf und starrte nach unten. Den Felsen, der weit hinten spitz wie ein Zuckerhut emporragte, kannte er.
Von seinem Tal aus war er genauso zu sehen, nur von der anderen Seite. Folglich mußte das Versteck hinter jenem Höhenzug liegen. Aber die Felswände wirkten hoch und unüberwindbar. Nur Gemsen schafften das wahrscheinlich ohne Mühe. Hinter ihm ertönte ein Schrei, dann folgte ein Schuß. Doolin ruckte im Sattel herum. Honda hatte geschossen. Rauch kräuselte aus seinem Revolverlauf. »Mensch, was ist los?« »Apachen!« »Quatsch! Siehst du schon Gespenster?« »Dort drüben«, stammelte Fred Honda mit schreckensbleichen Lippen. Er deutete auf eine Anhäufung von Steinen. Die anderen Banditen rissen ihre Waffen aus den Halftern und entsicherten sie. Nichts geschah. Sie stiegen von den Pferden und verteilten sich über die Breite des Tals, suchten Deckung hinter Steinen und Stachelgewächsen. Doolin lief geduckt zu der angegebenen Stelle und kletterte auf den Steinhaufen. Er sah nichts, weder Apachen noch sonst etwas. Nur Schatten glitten an den Felswänden entlang, die Schatten der von Wind bewegten Vegetation. »Nichts zu entdecken, du Narr!« rief Doolin. Honda und Wash kamen herüber, während McDonnel das Tal beobachtete. »Hast du wirklich einen Krieger gesehen?« fragte Doolin. »Ja.« Elvis Wash spuckte aus. »Er sieht alles, was er sich einbildet.« Honda wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. »Ich guckte zufällig hinüber«, sagte er nervös. »Der Wind raschelte im Dickicht. Ich sah etwas, was sich vor dem Felsen bewegte. Etwas Dunkles, mit hellen Streifen dort, wo das
Gesicht sein muß. Ich schoß darauf.« Doolin schubste ihn vor die Brust. »Hast du einen Apachen gesehen?« fragte er kalt. Fred Honda senkte den Blick. »Mit Sicherheit kann ich das nicht sagen.« Wash hob seine mächtige Faust. »Am liebsten würde ich sie dir auf deinen dummen Schädel knallen«, knurrte er. »Macht das ganze Land verrückt und schreit wie ein altes Weib.« »Auf die Pferde!« befahl Doolin ablenkend. Streit unter seinen Leuten konnte er in dieser Situation am wenigsten gebrauchen. Sie zogen sich wieder in ihre Sättel und trieben ihre Pferde weiter in das Tal hinein. Hank Doolin hatte nur den Gipfel im Auge, der einem Zuckerhut glich. Je mehr sie sich der abschließenden Felswand näherten, desto deutlicher wurde der Einschnitt zwischen dem Berg und dessen angrenzenden Felsmassen. Wie eine dünne Linie schnitt er das massive Gestein, davor wuchs ein gelbbraunes Dickicht mit langen Stacheln. Doolin sah sich um. Die Büsche bewegten sich im Wind. Selbst ein Mann mit stärkeren Nerven als Honda konnte sich einbilden, daß sich dort jemand bewegte. Er parierte sein Pferd und betrachtete die Felsformation. McDonnel ritt an seine Seite, wies auf den Zuckerhut und sagte: »Kommt mir sehr bekannt vor, Boß. Was meinst du zu Fred?« »In dieser Gegend können einem die Nerven schon mal durchgehen. Vielleicht fürchtet man das mehr, was man nicht sieht.« Er ritt wieder an und hielt genau auf den Einschnitt zu. Die Schatten wurden länger und dunkler. Langsam sank die Sonne und hinterließ eine Ahnung von kommendem Unheil. Unwillkürlich schritten auch die Pferde schneller aus. Doolin
konnte sich das Ganze nicht erklären. Der Einschnitt lag vor ihm. Grau und dunkel schnitt der Riß in das Gestein. Noch war der Weg eben und sogar zu Fuß gut begehbar. Und dann sah der Banditenboß, daß der kaum sichtbare Trampelpfad in den Einschnitt führte. Dumpf klangen die Eisen der Pferde und erzeugten mehrfachen Widerhall. Feucht und lichtlos war es hier unten. Langsam stieg der Weg an, wand sich und wurde unübersichtlicher. »He, wohin bringst du uns eigentlich, Boß?« »In unser Tal. Es muß einen zweiten Weg dorthin geben, und wir werden ihn eines Tages benutzen müssen. Kommt nur, ihr Angsthasen.« Elvis Wash biß sich ein Stück Kautabak von der Rolle in seiner Hemdtasche ab. Als das Trampeln der Hufe vor ihm stärker wurde und der Wind jaulend durch die Klamm fegte, wurde auch er nervös. Dann und wann ertönte der seltsame Schrei eines Nachtvogels, der dann plötzlich erstarb. Doolin überlegte sich, welche Männer bei einem unverhofften Angriff die verläßlichsten waren. Fred Honda würde zuerst die Nerven verlieren, dann aber seinen Revolver benutzen. McDonnel war in Ordnung, trotz seines großen Mundwerks. Am schnellsten mit einem Schießeisen war Wash. Vielleicht war gerade er der Typ, der den Schwanz einzog, sobald die Apachen auftauchten. Die Krieger der Chiricahuas hielten alle Trumpfkarten in der Hand. Doolin dachte daran, wie schnell sie die andere Bande ausgelöscht hatten. Wieder lauschte er. Vielleicht hatte Fred doch einen Indianer gesehen? In diesem Fall war er nicht allein gewesen. Ein schwaches Licht tauchte vor ihm auf. Sein Pferd ließ die Ohren spielen und blähte die Nüstern. Das Licht wurde breiter, heller. Doolin ritt in den matten Glanz des sinkenden Abends hinein und sah eine Art Plattform vor sich.
Er hielt sein Pferd an und blickte sich um. Dort unten standen die drei Blockhütten und das Stallgebäude, umgeben von einem Corral aus Birkenstangen. Er hatte einen zweiten Zugang zu seinem Tal gefunden. Stolz schwellte seine Brust. Nichts hatte sich verändert. Demnach war auch niemand in dem Tal gewesen. Als er an Curt Miller dachte, knirschte er mit den Zähnen. »Also los«, sagte er, »wir sind zu Hause.« * Drei Reiter trabten nach Süden. Sie ritten langsam, schonten die Pferde und blickten sich dabei angelegentlich um. John Haggerty hielt sich an General Oliver O. Howards Seite. Ihnen folgte Dragoner Patrick O'Hara, der Sohn der grünen Insel, mit einem Packpferd am Zügel. Das Tal des San Pedro wand sich durch das Gebirge und trennte die Chiricahua-Berge von den Dragoon Mountains. Der Fluß war nicht breit, dafür aber trocken. Spärliche Rinnsale flossen in seinem Bett zum Rio Gila, um sich bei Mayden mit ihm zu vereinigen. An manchen Stellen zeigten die flachen Uferränder üppigen Bewuchs, andere waren kahl. Die Sonne sank dem Pazifik zu und tauchte die urweltliche Landschaft in ein rötliches Licht. General Howard deutete nach Süden. »Sehen Sie dort das Gebirge, Mr. Haggerty?« »Ja. Was ist damit?« »Kennen Sie es?« »Ja, die Dragoons. Wir befinden uns im Herzen der gigantischen Apachenfestung, General… Sir.« »Dann sind Sie mit mir der Meinung daß wir bereits von roten Spähern beobachtet werden?« »Schon lange, Sir. Seit heute morgen.« »Woher wissen Sie das so genau?«
»Gefühlssache, Sir. Zehn Jahre Wildnis schärfen die Sinne.« »Gesehen haben Sie noch keinen?« »Doch, zwei. Junge Krieger, die sich ihre Sporen verdienen wollen. Sie können unbesorgt sein, Sir, kein Apache wird uns angreifen, wenn Cochise es nicht befiehlt.« Als die Schatten länger wurden, befahl Howard O'Hara, nach einem geeigneten Lagerplatz zu suchen. Sie fanden ihn nahe des Flusses, umgeben von grünen Büschen und dichtem Unterholz. O'Hara sattelte die Tiere ab, führte sie zur Tränke, machte ein Feuer an und richtete ein karges Abendbrot. Als er fertig war, wurde es dunkel. Während sie aßen, blickte der General ständig auf den ihn umgebenden Grüngürtel. John Haggerty erhob sich, machte eine Runde um das kleine Lager, gesellte sich dann wieder zu den anderen. General Howard starrte auf Johns Revolver in dem Halfter. »Sie führen uns in die Hölle, ohne die geringste Ahnung zu haben, wie wir wieder herauskommen sollen.« Haggerty grinste. »Ich sitze immerhin mit im Boot.« O'Hara feixte, erlaubte sich aber nicht, etwas zu sagen. Howards Gesicht wurde von einem gütigen Lächeln überzogen. »Ich denke, Sie machen das schon richtig. Werden wir auch jetzt beobachtet?« »Darauf möchte ich wetten«, erwiderte der Scout. »Ich sehe mich später in der Gegend um, und wenn ich einen Späher erwische, lasse ich schöne Grüße an Cochise ausrichten.« »Tun Sie das lieber nicht«, sagte Howard lachend. »Der Jefe könnte uns solche Scherze übelnehmen.« Patrick O'Hara räumte das Geschirr weg, brachte es zum Fluß, um es zu reinigen. Anschließend suchte er Brennholz für die Nacht. John erhob sich, zog den Gürtel hoch und das Halfter zurecht.
»Ich bin in einer Stunde zurück«, sagte er. »Es wird nichts geschehen, General, ich verbürge mich dafür.« Howard nickte schläfrig. Er hatte eine Zigarre angezündet und paffte vor sich hin. Woran mochte er denken? John drang lautlos ins Unterholz und wand sich wie eine Schlange durch die Büsche. Rechts von ihm eine schwache Bewegung. Ein Zweig knackte. John blieb stehen, legte den Kopf zur Seite und lauschte auf die nächtlichen Geräusche. Weit voraus glänzten die Schluchtränder silbern im Licht des beinahe vollen Mondes. Lebendes Wesen schienen die Büsche zu sein, wenn der Wind sie bewegte. Es war eine teuflische Landschaft. Aus der Ferne sah sie friedlich aus, wie eine schlummernde Katze. Aber eine Katze hat scharfe Krallen, genau wie diese Landschaft. Cochises Späher hatten sich zurückgezogen. John kehrte um und steuerte das Lagerfeuer an. Er wußte, daß sie in wenigen Minuten wieder in der Nähe sein würden, und er lächelte. O'Hara rief ihn an: »Halt, wer da?« »Junge, steck' den Schießprügel weg, bevor ein Unheil geschieht!« »Ah, Sie sind's, Scout. Kommen Sie nur, das Gewehr war gar nicht entsichert.« Haggerty grinste breit. Der junge Dragoner versuchte, sich vor seinem General ins rechte Licht zu setzen und zog eine kleine Schau ab. Er nahm beim Feuer Platz und drehte sich eine Zigarette. Cochise wußte bestimmt schon, daß sie kamen. Auch er zog sicherlich eine kleine Schau ab, um den Weißen zu imponieren. Haggerty stieß den Tabakrauch durch die Nase und starrte ins Feuer. Howard saß stumm neben ihm, in eine Decke gehüllt. Die Nächte am Fluß waren kühl und feucht. O'Hara wollte noch einmal Holz auf die ersterbenden
Flammen legen, aber der Scout hielt ihn davon ab. »Lassen Sie nur, Dragoner, wir schlafen jetzt. Morgen steht ein schwerer Tag bevor.« »Sollen wir keine Wachen aufstellen?« fragte der General. »Wozu, Sir? Die Apachen wachen für uns.« * Drei Planwagen rollten langsam nach Süden, angeführt von einem Apachen-Scout und einem Weißen, der sich Josua Cartwright nannte. Auf jedem Sitz saß ein bewaffneter Fahrer, insgesamt also fünf Mann, ziemlich wenig für einen Trip ins Apachengebiet. Weit hinter dem Treck ritt ein einzelner Reiter im gleichbleibenden Abstand. Curt Miller nutzte für sich und sein Pferd jede nur mögliche Deckung aus, um nicht durch Zufall von Cartwright oder einem anderen gesehen zu werden. Miller hatte keine Ahnung, was der Händler so Wertvolles zum Camino del Diablo bringen wollte, daß er sich nicht die Zeit nahm, bis Ruhe in das Land eingekehrt war. Der Scout nahm sich vor, in der kommenden Nacht den Wagen einen Besuch abzustatten, um einem unter die Planen zu schauen. Es versprach zwar eine helle Nacht zu werden, denn der Mond war bereits prall wie ein gefüllter Ziegenbalg, aber er hoffte, daß die Fahrer alle schliefen. Nur vor dem Scout mußte er sich in acht nehmen. Apachen hatten scharfe Ohren und einen leisen Schlaf. Weit vor ihm schwenkten die Fahrzeuge plötzlich ein. Curt erhob sich im Sattel, um besser und weiter sehen zu können. Eine Insel aus Bäumen und Büschen stand mitten in der Sandebene. Wo Bäume wuchsen, mußte es Wasser geben, und wo Wasser war, konnten sich Apachen aufhalten. Miller parierte sein Pferd und sprang aus dem Sattel. In Deckung eines kegelförmigen Felsens ließ er sich nieder. Es
war Nachmittag, und die Stunden vergingen. Als die Sonne ein Stück über dem Horizont stand und das weite Land in ein Purpurlicht tauchte, stand der Scout auf, tränkte und fütterte sein Pferd und aß selbst Brot und kaltes Fleisch. Das Purpurlicht wurde schnell von Grau und Schwarz verdrängt, aber bevor es ganz wich, zuckten die letzten Sonnenstrahlen noch einmal wie scharfe Klingen über die Wüste. Die Dunkelheit brach schnell herein. Miller wartete bis Mitternacht. Er befestigte die Zügel seines Pferdes an einer Felsnase, klopfte dem Tier noch einmal beruhigend den Hals und ging nach Süden davon. Der Mond beschien die Wüste wie eine abstrahlende Fläche aus Quecksilber. Immer weiter drang Curt Miller nach Süden vor. Er bereute es, seine Stiefel nicht gegen bequeme Mokassins vertauscht zu haben. Als er nur noch 200 Yards von dem Wagen-Camp entfernt war, setzte er sich in den Sand und schnallte die Sporen ab. Achtlos steckte er sie in die Seitentasche seines Wildlederrocks. Bevor er sich dichter an die Fahrzeuge heranschleichen konnte, hörte er ein Geräusch. Es kam von rechts hinter den Murphys. Wie vom Blitz getroffen, warf er sich in den Sand und zog den Hut tiefer ins Gesicht. Er wußte, wie sehr die helle Haut bei Mondschein Licht reflektierte. Seine Aufmerksamkeit wurde von einer Bewegung angezogen. Etwas schlich zu den Wagen. Tiere? Wölfe? Curt Miller sah näher hin. Apachen! Drei an der Zahl. Die Späher glitten lautlos durch die Wüste, die im geisterhaften Mondlicht vor ihnen lag. Dunkel und klotzig hoben sich die plangedeckten Murphys von ihrer Umgebung ab. Miller robbte gewandt ein paar Yards zu einem großen Felsbrocken zurück, der ihm bessere Deckung
als der helle Sand bot. Von hier aus beobachtete er die Rothäute. Sekundenlang sah er sie nicht. Stille lag über der Wüstenlandschaft, eine tödliche Stille, die an die Nerven ging. Der Scout ahnte, daß sich dort drüben etwas tat. Plötzlich entdeckte er die Späher wieder. Sie zogen sich vorsichtig zurück und verschwanden in Richtung Süden. Curt blieb liegen und beobachtete. Beim Wagen-Camp blieb alles ruhig. Vermutlich hatten sie nicht mal einen Posten aufgestellt. Dieser Gedanke trieb ihn an. Er wollte feststellen, welche Fracht die Fahrzeuge mit sich führten. Wie ein Wiesel huschte er hinüber und sprang unter den ersten Wagen. Ihm fielen die Spuren der Apachen-Späher auf, die sie nur oberflächlich verwischt hatten. Über sich vernahm er die Schnarchtöne eines Schläfers. Schließlich sah er den ApachenScout. Er lag mitten im Dreieck der zusammengeschobenen Wagenburg in seine Decken gewickelt. Es war seltsam. Alle taten so, als gäbe es weit und breit keine Indianer, dabei waren sie mitten in der gewaltigen Naturfestung zwischen den großen Gebirgsstöcken, die das ureigenste Land der Apachen war, und das sie mit ihrem Herzblut verteidigten, notfalls unter Aufopferung ihres Lebens. Langsam kroch Curt Miller weiter. Nur der schlafende Apache konnte ihm gefährlich werden. Er mußte aufpassen, daß er nicht eines der eisenbeschlagenen Wagenräder streifte. Das Geräusch hätte den Scout sofort geweckt. Am Ende des Wagens richtete sich Miller auf, hob die Plane etwas und warf einen Blick in den Laderaum. Längliche Kisten, fein säuberlich aufgestapelt und verseilt. Er wußte genug, ließ die Plane fallen und eilte zu seinem Ausgangspunkt zurück. Dort legte er sich neben sein Pferd und schlief ein. Ein Schnauben weckte ihn. Im Osten graute der Morgen. Der volle Mond hatte seine Bahn zurückgelegt und war hinter den
Bergen untergetaucht. Noch einmal schnaubte sein Pferd und sprang auf. Seine Ohren stellten sich nach Süden. Miller ahnte, was sich dort anbahnte. Er dachte kurz über die Möglichkeit nach, die Männer mit einem Schuß zu warnen, verwarf aber den Gedanken wieder. Jede Warnung wäre zu spät. Im gleichen Augenblick hörte er es. Ein mächtiger Schrei hallte über die Wüste. »Zastee!« »Koh Cheez!« Es fielen nur zwei oder drei Schüsse. Alles ging viel zu schnell. Die Chiricahuas waren wie Geister aus der Nacht aufgetaucht und stürzten sich auf den schlafenden Gegner, der es gewagt hatte, in ihr Land einzudringen. Als sie ihn ausgeschaltet hatten, wurde es hell. Miller vernahm nichts mehr. Er sah, wie Krieger Maulesel führten und die Zugpferde ausschirrten. Die Tiere wurden mit Kisten hoch beladen und weggebracht. Erste Flammen zuckten aus den Fahrzeugen. Schwarzer Rauch stieg zum Himmel und folgte der zurückweichenden Nacht. Nach einer halben Stunde war nichts mehr von den Chiricahuas zu sehen. Nur drei brennende Fahrzeuge standen in der Wüste und würden später, viele Jahre oder Jahrzehnte später, davon zeugen, was geschehen war und alles noch geschehen sollte. * »Da sind sie!« stieß Haggerty erregt hervor. Howard hielt sein Pferd an und gab O'Hara durch einen Wink zu verstehen, zurückzubleiben. Sie waren es tatsächlich. Cochise hockte mit Naiche, einem weiteren Apachen und einem kleinen Jungen mitten in einem
ausgetrockneten Bachbett und wartete. Ein kleines rauchloses Feuer brannte. Der Junge warf hin und wieder Zweige des Maulbeerbaumes und verdorrte Mesquite auf die Flammen. Ein angenehmer Duft verbreitete sich. Cochise und Naiche blieben ruhig sitzen, während der dritte Krieger sich erhob und bescheiden in den Hintergrund trat. »Sollen wir näher heran?« fragte der General. »General… Sir, das müssen wir. Cochise kommt nicht zu uns. Er war zuerst da und nutzt jetzt sein Hausrecht aus.« Schwerfällig stieg Howard aus dem Sattel und übergab die Zügel seines Pferdes O'Hara. John sprang einfach zur Erde und schlug seinem Pferd auf die Kruppe. Es trottete willig hinter O'Hara her, der sich mit den Tieren ein Stück zurückzog. »Recht feierlich«, sagte Howard. »Sehen Sie die Kleidung des Häuptlings, Mr. Haggerty?« John kicherte verhalten. »Er weiß eben, was sich gehört, General.« Cochise trug ein Rehlederhemd und Leggins. Um die Stirn hatte er ein helles Tuch geschlungen, seitlich verknotet, so daß die beiden Enden über seine Schulter hingen. Er blickte den beiden Weißen mit stoischer Ruhe entgegen. Besonders Howard schien ihn zu interessieren. Der einarmige General machte einen guten Eindruck auf den Indianer. Cochise erhob sich, fast gleichzeitig auch sein Sohn Naiche. Der Junge hatte sich zu dem dritten Apachen geflüchtet, der ihm eine Hand auf den Arm legte. »Wer ist der Knabe?« wollte Howard wissen. »Keine Ahnung, jemand aus seinem engsten Familienkreis. Das beweist, daß es der Jefe ehrlich meint.« »Und wer sind die beiden anderen?« »Der Jüngere ist sein Zweitältester Sohn Naiche, ein feiner junger Mann. Den älteren Krieger kenne ich nicht.« Sie waren heran. Howard machte die letzten Schritte zögernder. Er überlegte, wieviel er sich vergab, wenn er dem
Jefe mit ausgestreckter Hand entgegenging. Die Entscheidung wurde ihm abgenommen. Cochise trat auf ihn zu, ergriff mit einer natürlichen Gelassenheit Howards Rechte, schüttelte sie herzlich, hielt sie weiter fest und drehte sich um. »Mein Sohn Naiche«, erklärte er und deutete auf den jungen Krieger. »Mein kleiner Sohn Nachise und mein Bruder Naretana. Naiche ist ein tapferer Krieger, Nachise wird es noch, how!« »Setzen wir uns ans Feuer, Häuptling. Wenn du erlaubst, beginnen wir sofort mit dem Wichtigsten.« Cochise ließ Howards Hand los und wies auf einen flachen Stein, der mit einem roten Fuchsfell bedeckt worden war. Ein wahrhaft königlicher Sitz. Howard war angenehm von der Freundlichkeit Cochises berührt, als er sich niederließ. Der berühmte Häuptling nahm ihm gegenüber Platz, Naiche an seiner Seite. Der Junge blieb bei Cochises Bruder stehen und ließ kein Auge von John Haggerty. Der hatte den Eindruck, daß man in der Apacheria über ihn gesprochen hatte, und der Junge war nun neugierig. »Das wichtigste wäre Frieden, Weißauge«, sagte Cochise. »Aber kann es Friede zwischen dem weißen Volk und dem roten geben, wenn immer mehr Bleichgesichter in unser Land strömen und es ausplündern?« Howard seufzte. Er wußte, daß der Jefe recht hatte, aber er selbst konnte es nicht ändern. Das Territorium Arizona war zur Besiedlung freigegeben worden, und nichts konnte mehr rückgängig gemacht werden. Also was sollte er antworten? Als General oder als Weißer? Er wußte es nicht. Ausweichend entgegnete er: »Jefe, wir sind auf einem ungewöhnlichen Weg zusammengekommen, um dieses Problem zu erörtern. Ich denke, wir gehen es in aller Ruhe und sachlich an.«
»Das war meine Absicht, Weißauge. Ich warte auf deine Vorschläge.« Der General griff in die Brusttasche, zog ein Zigarrenetui heraus und öffnete es. Auffordernd hielt er es dem Häuptling hin. Aber Cochise wehrte ab. Howard nahm sich eine Virginia, biß die Spitze ab und ließ sich von Haggerty Feuer reichen. »Welche Vorschläge erwartest du?« Howard stieß blaue Wolken aus und blickte dem Tabakrauch nach. »Alle Weißen verlassen mein Land. Die Pferdesoldaten ziehen sich bis über den Rio Gila zurück und überlassen die Forts den Chiricahuas. Kein weißer Fuß betritt jemals wieder Chiricahualand.« Howard wechselte einen Blick mit Haggerty, der betreten zu Boden sah. Der Scout wußte, daß der General das nicht zusagen konnte. Damit wäre eigentlich die Unterredung beendet gewesen. Aber der einarmige Offizier machte einen neuen Versuch. »Jefe, ich wollte dir einen fairen Kompromiß anbieten und dich bitten, die wenigen Poststationen und Goldgräber in den Gebirgen und Tälern deiner Jagdgründe zu dulden. Ich könnte mir vorstellen, daß es nicht zum Schaden deiner Sippen gereichen würde. Die Weißen haben viel, was sie euch geben könnten, aber die Überfälle und das sinnlose Morden müssen aufhören.« Cochise sagte nur ein Wort: »Was?« »Waffen, Proviant, Pferde. Man müßte sie veranlassen, für ihren Aufenthalt in deinem Land zu zahlen. Die Weißen besitzen viel, was ihr nicht habt …« Cochises abwinkende Hand ließ Howard verstummen. »Wir wollen nichts von den Weißen, und Waffen haben wir selbst, mehr als wir brauchen können. Du kannst mir nicht dein Wort darauf geben, daß die Weißen mein Land verlassen?« Howard schüttelte den Kopf, sah seine Mission
fehlgeschlagen, setzte aber trotzdem zu einem dritten Versuch an. »Nein, Jefe, mein Wort kann ich dir nicht geben. Ich bin der Oberkommandierende der Armee in Arizona, aber ich bin nicht die Regierung in Washington. Doch ich pflichte dir in allen Punkten bei.« »Dann geht der Krieg weiter, bis alle Bleichgesichter das Land verlassen haben.« »Oder die Knochen des letzten Apachen in der Wüste bleichen«, konterte Oliver O. Howard ebenso grob wie enttäuscht. Cochise reagierte mit einem schmalen Lächeln. Er war sich seiner Macht in diesem wilden Gebiet bewußt und nicht bereit, auch nur einen winzigen Schritt von seiner Forderung abzugehen. »Unsere Apacherias sind unangreifbar, Hellauge. Aus ihnen können wir blitzschnell zustoßen und euch dort vernichten, wo ihr es am wenigsten erwartet. How!« Die Bekräftigung sagte Howard, daß der Häuptling das Gespräch als beendet betrachtete. Schnell hob er die Hand. »Moment, Jefe, warte! Ich schlage dir einen Burgfrieden von einem halben Jahr vor. Keine Überfälle durch die Chiricahuas, keine Angriffe durch die Soldaten. Die Apachen brauchen Ruhe nach dem langen Krieg, die Weißen auch. Bist du einverstanden?« Cochises mächtiger Brustkasten hob und senkte sich in einem langen Atemzug. Er wußte, daß der weiße General recht hatte. Die Apachen benötigten Ruhe zum Maisanbau, zur Jagd und für die Erledigung anderer Dinge so sehr, daß er liebend gern Howard beigepflichtet hätte. Aber sein Stolz verbot es ihm. »Gibst du Garantien?« wich er aus. »Die kann ich dir nicht geben, du weißt es, Jefe. Es gibt gute und schlechte Weiße, und die schlechten könnten Angehörigen
deines Volkes Schaden zufügen, den die Armee nicht verhindern kann. Wenn du mir solche Bösewichter übergibst, werden sie von mir abgeurteilt. Das verspreche ich dir bei meiner Ehre.« Cochise starrte den General lange und nachdenklich an. Howard hatte die Hoffnung auf eine Vereinbarung schon aufgegeben, da streckte der Jefe beide Arme aus und verkündete: »Apachen sind Krieger, Hellauge. Sie lassen sich von ihren Häuptlingen führen, aber sie unterstellen sich ihnen nicht. Auch ich kann nicht für alle Chiricahuas garantieren. So sei es. Waffenruhe für zunächst ein halbes Jahr. Danach werden wir uns wiedersehen. How!« Er sagte in seiner Sprache ein paar Worte zu Naretana, seinem Bruder, drehte sich würdevoll um und schritt davon. Howard, der ihm nachblickte, sagte zu John Haggerty: »Ein großartiger Mann, nicht wahr? Er hätte es verdient, mehr zu sein als ein Indianer, der um seine nackte Existenz kämpfen muß. Reiten wir zurück.« * Miller wandte sich nach Osten. Nur weg von dieser grauenhaften Brandstätte. Wenn er darüber nachdachte, wieviel Waffen die Apachen in den letzten Monaten erbeutet hatten, wurde ihm übel. Unklar blieb, wem Cartwright die Gewehre übergeben wollte. Hinter dem Camino del Diablo begann die Gran Desierto, die trockene Wüste. Dort gab es kein Leben in irgendeiner Form. Erst jenseits der Sierra del Pinacate gab es wieder Wasser und Ansiedlungen der Mexikaner. Möglich war auch, daß sich dort drüben wieder eine Revolution vorbereitete, daß irgendein »Generalissimo« Waffenkäufe tätigte, um seine Revolution auszurüsten.
Gegen Mittag sah Miller sich bewegende Punkte am Horizont, die vor der Kulisse des mächtigen Gebirges nach Norden zogen. Er hielt an, bedeckte die Augen mit der Hand und blickte lange hin. Drei Reiter und ein Packpferd. Miller ließ sein Pferd wieder antraben und gab ihm nach einer Weile die Sporen zu fühlen. Im mäßigen Galopp ritt er die andere Gruppe in einem spitzen, nach Norden gerichteten Winkel an. Kurze Zeit darauf erkannte er die Reiter. Er gab seinem Pferd nun voll die Zügel frei und winkte zu den Männern hinüber. John Haggerty winkte zurück. General Howard parierte sein Pferd, um auf den Scout zu warten. Miller begrüßte den General militärisch, Haggerty reichte er die Hand, und O'Hara nickte er freundlich zu. Haggerty wandte sich sogleich an ihn. »Sie haben das Lager verlassen, und du hast sie verfolgt? Etwas herausgefunden?« Miller nickte. Howard fragte: »Worüber sprechen Sie, Mr. Haggerty?« John erklärte es ihm, deutete dann auf Miller und sagte: »Erzähl weiter, Curt, den General interessiert es sicherlich, was du ermittelt hast.« »Steigen wir ab und legen eine Rast ein«, schlug Howard vor und gab dem Dragoner einen Wink. »Im Sitzen spricht es sich besser.« Er kletterte, ein wenig schwerfällig vom langen Sitzen, aus dem Sattel und suchte sich einen schattigen Platz neben einem Tamariskengebüsch. Die Sonne brannte heiß, und die Luft hatte Backofenhitze. Als sie auf den Steinen Platz genommen hatten, blickte Howard Miller auffordernd an. Miller begann: »Du hattest recht, John, Cartwright befördert Waffen. Scheinbar waren sie aber nicht für die Apachen bestimmt. Er
ließ sich von einem unserer Scouts nach Süden führen, doch dort…« »Was, von einem Army-Scout?« Howard sprang erregt auf. »Den lasse ich füsilieren, auf der Stelle.« Miller sah ihn an und machte eine abwehrende Handbewegung. »Die Patronen können Sie sich sparen, General… Sir. Der Wagenzug wurde von Apachen überfallen, und die Männer wurden niedergemacht.« »Großer Gott! Wann?« »Im Morgengrauen.« Howard setzte sich. Merklich abgekühlt, wandte er sich wieder an Curt Miller: »Woher wissen Sie, daß dieser Cartwright illegal mit Waffen handelte?« Miller berichtete nun alles, Wort für Wort, und als er erzählte, wie er zu den Fahrzeugen geschlichen war, um unter die Plane zu sehen, schüttelte der General nur den Kopf. »Nach dem Kampf wurden die Waffen auf Mulis und die Zugpferde verladen«, fuhr der Scout fort. »Die Fahrzeuge zündeten sie an.« »Hieraus schließt du, daß die Gewehre nicht für die Apachen bestimmt waren?« murmelte Haggerty vor sich hin. »Klar, sie hätten sie ja sonst nicht zu stehlen brauchen. Das bedeutete, daß Cochise jetzt über mindestens fünfzig Gewehre der neuesten Bauart mehr verfügt. Weshalb ging er dann die Vereinbarung mit Ihnen ein, General?« »Ich denke gerade darüber nach«, erwiderte Howard. »Es muß einen Grund dafür geben. Aber welchen?« »Zeitgewinn, Sir.« Howard schob den Feldhut aus der Stirn. »Ich glaube, ich weiß, was Sie damit andeuten wollen. Doch ich sage Ihnen eins: Cochise ist noch lange nicht geschlagen. Wenn wir Weißen glauben, der Chiricahua wird sich in
unserem Netz verfangen, dann irren wir. Kommen Sie, Gentlemen! Wir müssen zurück ins Camp, es gibt noch viel zu tun.« * Elvis Wash ging zu dem etwas abseits stehenden Blockhaus, klopfte an und trat ein. Hank Doolin empfing ihn. Die geblümte Weste hing aufgeknöpft über seinem Bauchansatz, darunter war ein zerknittertes, schmutziges Hemd. »Setz dich!« befahl Doolin. Wash zog sich einen Stuhl heran. »Gibt's hier einen Drink?« Doolin warf ihm einen kühlen Blick zu. »Dazu haben wir jetzt keine Zeit. Ich habe dich 'rübergerufen, El, weil ich was mit dir besprechen will. Hör zu!« »Ich bin ganz Ohr. Schieß los, Boß!« »Wir hatten in der letzten Zeit 'ne Menge Pech, El. Aus zuverlässiger Quelle weiß ich, daß der Gouverneur von Arizona zwei US-Deputys in diese Gegend geschickt hat oder noch schicken wird. Es wird am besten sein, wenn wir uns für eine Weile ruhig verhalten. Ich sehe die Sache für uns weiterhin günstig, nachdem wir einen zweiten Zugang zu unserem Versteck gefunden haben. Wir sind fast unangreifbar geworden. Wird der Druck eventueller Angreifer zu groß, ziehen wir uns über den Fluchtweg zurück und greifen sie dann von hinten an. Aber soweit sind wir nicht. Was meinst du zu meiner Idee?« Wash zuckte mit der Schulter. »Du spielst auf Miller an, wie?« »Möglich. Ein Spitzel war er auf jeden Fall. Ich könnte mir denken, daß die Armee ihn auf uns angesetzt hat. Schwamm drüber. Möglicherweise ist er tot, von den Apachen ins Jenseits
geschickt worden. Ich warte immer noch auf deine Antwort.« Wash sagte zurückhaltend: »Du bist der Boß, Hank. Ich frage mich nur, wie wir das vielleicht mehrere Wochen lang aushalten sollen. Die Männer wollen essen, trinken und rauchen, und auf den Whisky können sie auch nicht lange verzichten.« »Dafür wird gesorgt«, erklärte Doolin mit einer abschließenden Handbewegung. »Wir beide reiten in den nächsten Tagen nach Santa Magdalena und verproviantieren uns für ungefähr zehn Wochen. Ich denke, daß es richtig ist, wenn wir vorläufig nichts unternehmen. Die Armee wird annehmen, daß die Bande, die das Land unsicher machte, von den Apachen erledigt wurde. Irgendwann finden sie bestimmt die Reste unserer Freunde aus dem Galiuro.« »Du meinst…« »Genau. Wenn alles wieder ruhig geworden ist, legen wir wieder los, geben uns aber von nun an mit den Indianern nicht ab.« Elvis Wash warf einen zweifelnden Blick auf Doolin. Er hielt den Mann für feige, deshalb wollte es ihm nicht in den Kopf, daß sich der Boß zu etwas anderem herablassen könnte, als Indianer zu berauben. »Wie sollen unsere künftigen Geschäfte denn aussehen?« Doolin sagte: »Wir haben jetzt freie Bahn und keine Konkurrenz mehr zu befürchten. Den Tresoren in den Banken und den Postkutschen der Overland-Mail ist es egal, wer die überfällt und ausraubt. Ich hoffe, die Jungs werden mit meinem Vorschlag einverstanden sein.« »Bestimmt. Aber sind wir nicht ein paar Mann zuwenig für diese Geschäfte, Hank?« »Daran habe ich schon gedacht. Wenn es soweit ist, sehen wir uns nach einigen guten Leuten um, denen der Revolver locker sitzt, und die auch kräftig hinlangen können, wenn es erforderlich werden sollte. Aber das hat noch Zeit. Unnötige
Fresser können wir uns jetzt nicht leisten.« »Klingt gut«, sagte Wash und rieb sich die Nase. »Kann ich es schon den Jungs sagen?« »Nichts dagegen einzuwenden. Wenn der eine oder andere von euch in die Stadt reitet, dann verhaltet euch ruhig, und fangt keinen Streit an. Es ist ratsam, daß wir uns vollkommen zurückhalten, um so glaubhafter wird das, was ich der Armee schmackhaft machen möchte. Rede mit den Jungs.« Wash stand auf, äugte sehnsüchtig nach dem Schrank, aber Doolin machte keine Anstalten, ihn zu einem Drink einzuladen. Mit einem entsagenden Achselzucken verließ Wash die Hütte. * Cochise rief die Sippenführer und Unterhäuptlinge des Apachenvolkes zu sich, um sie mit der neuen Lage vertraut zu machen. Die darauffolgende Nacht war dazu ausersehen worden, ein großes Palaver abzuhalten. Der Mond war am Abnehmen und sandte nur wenig Licht in die Canyons der Chiricahua Mountains. Naretana, Cochises Bruder, der die Sippe der Netdahe vertrat, traf als erster ein. Ihm folgte eine Stunde später Victorio, der eine Gruppe Mimbrenjos führte. Chato und Loco, die Jüngsten unter den Häuptlingen, zogen mit einem Trupp Krieger noch vor Mitternacht in das einsame Bergtal. Tizwin wurde verteilt, wie dies bei den Stämmen üblich war, seit sie bis in die Sierra Madre in Sonora vorgedrungen waren und dort Ausweichstützpunkte errichtet hatten. Von den Yaquis hatten sie gelernt, aus Pflanzen berauschende Getränke herzustellen. Ein großes Feuer brannte in der Talmitte. Dunkel hoben sich die Jacales von den beinahe senkrecht aufsteigenden Felswänden ab. Die Augen der Krieger waren auf Cochises Lippen gerichtet, der ihnen von seiner Begegnung mit dem
weißen General berichtete. Unberührt von dem, was sie dachten, verzog sich keine Miene in ihren breiten bronzefarbenden Gesichtern. Als Cochise fertig war, standen sie wie stumme Götzenfiguren in einer antiken Arena. Sie warteten auf das, was ihre Sippenführer zu sagen hatten. Auch Cochise wartete. Er blickte Naretana an, dann Naiche, schließlich die ganze Runde. Stille. Chato stand auf. Als einer der jüngsten Häuptlinge wandte er sich zuerst an Victorio, der die Mimbrenjos führte. »Friede, koh Cheez, wo Krieg sein sollte. Friede, den niemand von uns will. Glaubst du, die Pferdesoldaten werden ihn auch nur einen Tag lang einhalten?« Das Murmeln in der Runde bestärkte ihn in der Annahme, daß die Krieger am Aufstand beteiligter Stämme ebenfalls keinen Frieden wollten. Er fuhr fort: »Sie werden uns in Sicherheit wiegen, mehr und immer mehr Weiße in unser Land lassen und ihre Forts ausbauen. Und warum wird das so sein? Weil Friede ist. Kein Apache wird diesen Frieden brechen, wenn er keinen Grund hierzu hat. Und diesen Grund werden die Pferdesoldaten nicht geben.« Das beifällige Murmeln wurde lauter. Victorio, der grimmig dreinblickende Häuptling der Mimbrenjos, nickte zustimmend. Chato warf sich in Positur, trat einen Schritt vor und wies mit der Hand auf den sitzenden Cochise. »Du hast Frieden beschlossen, Jefe, wir aber wollen den Krieg. Wir wollen ihn, weil wir nicht glauben, daß die Weißen sich an das Wort des Häuptlings der Pferdesoldaten halten. Sie dringen mit jedem Tag weiter in unser Land vor und vertreiben uns von den Quellen und dem fruchtbaren Boden, der uns von unseren Vätern vererbt wurde. Weiße Männer wühlen die Erde auf, um das silberne und goldene Metall zu suchen. Sie treiben Stollen in die Berge, leiten die Wasseradern ab, weil sie das Wasser zum Auswaschen des Gesteins benötigen. Wir gehen
dem Untergang entgegen, wenn wir nicht kämpfen, wir alle – Mimbrenjos, Chiricahuas, Aravaipas, Tontos – sind so gut wie tot, wenn wir die Waffen aus der Hand legen und dem Wort eines Weißen vertrauen.« »How!« ging es durch die Runde. »How!« sagte Victorio. Loco nickte. Cochise hätte sich wohl anders verhalten, wenn er gewußt hätte, daß zwei Paar helle Augen dem Palaver vom Canyonrand hoch oben zusahen. Er stand auf, streckte wie beschwörend den rechten Arm aus und ließ diese Pose einen Augenblick lang auf die Krieger einwirken. Dann sagte er mit lauter, klarer und deutlicher Stimme, jeder Zoll ein Fürst, jedes Wort ein königlich es Wort: »Welche Quellen nahmen sie uns weg, Chato? Nenne sie mir. Wo liegen sie, welchen Nutzen haben die Stämme der Apachen von ihnen?« Chato trat noch einen weiteren Schritt vor den Ring reglos dastehender Krieger. »Die Quellen am Apache-Paß, Cochise. Es sind die Quellen der Chiricahuas, sie gehören ihnen, seit wir als Volk denken können, und sie sind für alle Stämme lebenswichtig, die den Paß passieren.« »Unmöglich! Wer will das tun?« »Weiße, Cochise. Bleichgesichter, die ein Haus für ihre Pferde und Kutschen dort bauen.« »Ich lasse deine Angaben nachprüfen, Chato«, versprach Cochise und wandte sich Yadalanh, seinem jüngsten Neffen, zu. »Reite«, sagte er leise, »und berichte mir so schnell wie möglich!« Ohne eine Miene zu verziehen drängte sich der junge Krieger durch die unbewegliche Mauer der anderen und verschwand in der Dunkelheit. Cochise sprach wieder, und seine Worte bewiesen, daß er nicht nur ein guter Krieger, sondern auch ein ausgezeichneter Diplomat war. »Die Häuptlinge der Stämme und ihre Krieger sind meine
Gäste. Wir wollen die Nacht feiern wie nach einem Sieg und das Palaver morgen am Tag fortsetzen. How!« Gegen diesen verlockenden Vorschlag gab es keinen Einspruch. »Verdammt, wer hätte das gedacht.« »Sie sind unberechenbar, Curt, und wenn die anderen den Krieg fortsetzen wollen, kann sich Cochise mit seinen Chiricahuas nicht ausschließen. Weißt du, was dort oben beim Apachen-Paß geschieht?« »Nein«, antwortete Miller. »Ich hörte zum ersten Mal davon. Mir scheint, die Butterfield Overland benutzt diesen strategisch wichtigen Punkt, um sich dort festzusetzen.« »Das wäre schlimm, sehr schlimm.« Haggerty und Miller kauerten unter einem überhängenden Felsen und starrten gebannt in die Tiefe. Über ihnen bewegte sich eine Nachteidechse. Sand rieselte herunter. »Was machen wir jetzt?« fragte Miller. »Unser Auftrag ist eigentlich erledigt.« »Noch nicht.« Haggerty winkte ab. »Wir müssen uns anhören, was morgen geschieht.« Er blickte in den Canyon. Er konnte die gegenüberliegende Felswand wegen der Dunkelheit nicht sehen, sondern nur den wirbelden Rauch des Lagerfeuers. Curt Miller beobachtete den östlichen Teil der Schlucht. Irgendwo da unten starb in diesem Moment ein Maultier mit schrillem Schrei. Für Apachen war Maultierfleisch eine Delikatesse. »Schätze, wir legen uns ein wenig aufs Ohr«, sagte John Haggerty. »Wenn wir genau wissen, was sich abspielt, reiten wir.« Miller machte ein bedenkliches Gesicht. »Können wir die Pferde sich selbst überlassen?« fragte er. »Wenn sie hier raufkommen, stoßen sie auf die Tiere, und dann sind wir unseres Lebens nicht mehr sicher.«
»Sie kommen nicht hoch«, sagte Haggerty überzeugend. »Was sollen sie hier? Ihr Lebensraum ist das Tal, hier oben gibt es kein Wasser und keine Nahrung.« »Ich denke an Späher, John.« »Okay, aber nicht in der Nacht. Du siehst doch, wie beschäftigt sie sind. Glaubst du, auch nur ein Krieger läßt sich den Festschmaus entgehen? Die schlagen sich jetzt die Bäuche voll Maultierfleisch und besaufen sich. Ich hab's schon einmal miterlebt.« »Gut, nehmen wir eine Mütze voll Schlaf.« Sie legten sich zurück, zogen die Hüte über die Augen und waren sofort darauf eingeschlafen. Die ersten Sonnenstrahlen weckten sie. Im Canyon war es still wie in einer Gruft. Haggerty war sofort hellwach, während Miller sich erst einmal zurechtfinden mußte. »Zu ruhig dort unten. Gefällt mir nicht«, sagte er. »Womöglich sind sie alle auf und davon.« Haggerty schüttelte den Kopf. »Warte nur, bis es heller wird, Curt. Sie müssen erst ihren Rausch ausschlafen und wieder zu sich kommen. Nicht anders als bei den Weißen.« Er grinste. »Soll ich nicht mal nach den Pferden sehen? Ich könnte unser Frühstück mitbringen und den Tieren etwas Wasser geben.« »Bleib nicht zu lange weg, Curt. Man weiß nie, was passiert.« Miller kroch davon und verschwand aus Haggertys Sicht. Wind kam auf und trieb feinen Sand vor sich her. Die Sonne stieg höher und erwärmte die Felsen. Miller kam zurück. Er schleppte eine Satteltasche hinter sich her und öffnete sie, als er unter dem Felsdach angelangt war. »Alles in Ordnung«, sagte er. »Ich tränkte die Pferde und bringe unser Frühstück mit. Gibt's da unten was Neues?« »Sie schlafen noch«, erwiderte Haggerty und nahm ein Stück Brot und eine Scheibe Trockenfleisch entgegen. Kauend wies
er auf die Wickiups hinunter. Aus einer der zahlreichen Hütten trat eine junge Indianerin. Sie trug einen Krug unter dem Arm und ging mit trippelnden Schritten in den unteren Teil des Canyons. Dort mußte die Quelle sein. Haggerty erkannte sie nicht, weil er nicht ihr Gesicht sehen konnte. Als das Mädchen zurückkam, sah er, wer es war. Tla-ina. Cochises Schwester. Einmal sah sie kurz zu jener Stelle herauf, wo sich die beiden Scouts verborgen hielten. Aber das war Zufall. Das Mädchen verschwand wieder in der Hütte, und eine Weile später drang Rauch aus der Deckenöffnung. »Du machst ein Gesicht, John, als hätte es dir die Petersilie verhagelt. Kennst du das hübsche Kind?« »Ja, Tla-ina, Cochises Schwester. Ihr habe ich es zu verdanken, daß ich noch lebe.« Weit hinten im Canyon preschte ein Indianer auf seinem Pony über die Rampe in das Lager. Wickiups wurden von innen geöffnet, Krieger erschienen, als hätten sie nur auf die Ankunft des Spähers gewartet. Sekunden darauf trat Cochise auf den Plan, seinen Bruder und Sohn Naiche in seiner Begleitung. Yadalanh ritt bis nahe an sie heran und sprang von dem schnaufenden Pony. Haggerty und Miller verstanden kein Wort, aber an den Gesten der Indianer erkannten sie, daß beim Apache-Paß etwas geschehen sein mußte. Cochise wirkte nicht so gelassen wie sonst. John kannte ihn schon eine geraume Weile und schätzte ihn richtig ein. Chato und Victorio gesellten sich zu der Gruppe. Den wildesten und verwegensten Eindruck unter allen Kriegern machte Victorio. Sein scharfgeschnittenes Gesicht mit den hervorstehenden Wangenknochen wurde von den wild herabhängenden langen Haaren beinahe verdeckt. Seine Augen blitzten zornig. Kein Stirnband hielt die Flut der schwarzen Mähne
zusammen. Chato dagegen wirkte jung und unerfahren, aber das war er keinesfalls. In Einzelkämpfen gegen Weiße und Mexikaner hatte er schon viel von sich reden gemacht. Cochise ging ihm ein paar Schritte entgegen. Victorio trat zur Seite und ließ Loco in den Kreis ein. Sie lauschten Cochises Worten. Unvermittelt wandte sich der Häuptling um. Er rief etwas in seiner Sprache und gestikulierte mit den Händen. »Wenn man nur ein Wort verstehen könnte«, sagte Miller, 90 Fuß über der indianischen Gruppe. »Das brauchst du gar nicht«, sagte Haggerty. »Sieh nur hin. Sie bringen Pferde. Weißt du nicht, was dort unten vorgeht? Gnade den Weißen, die beim Apachen-Paß siedelten.« »Ich glaub's nicht. So idiotisch kann kein Weißer handeln. Ziehen wir uns zurück«, fügte er hastig hinzu, »und reiten wir zum Paß. Kennst du den Weg von hier aus?« »Nützt uns keinen Deut«, antwortete Haggerty. »Sie sind lange vor uns dort und können …« »Wir haben die besseren Pferde«, unterbrach Miller ihn. »Dafür kennen sie Abkürzungen, die uns unbekannt sind. Hilft alles nichts, Curt, wir können die Leute dort oben nicht rechtzeitig genug warnen.« Cochise und die anderen schwangen sich auf die Ponys und trabten zur Rampe. Naiche und Naretana ritten hinter dem Häuptling, die anderen folgten in einem dichten Pulk. John packte schnell die Lebensmittel in die Satteltasche und warf sie sich über die Schulter. Miller lief ihm nach. Der unsichere Weg führte durch eine Ansammlung von Felsen ohne Vegetation. Keine 100 Yards entfernt standen zwei verwitterte Gesteinsbrocken von der Größe eines Adobehauses so eng beieinander, daß sie ein ideales Versteck für zwei Pferde bildeten. Die beiden Scouts eilten in die Enge, warfen den Tieren die Sättel über, zäumten sie und stiegen auf. Haggerty überlegte, welche Route die Roten nehmen mochten, um zum Paß zu
gelangen. Er betete still zu Gott, hoffte, daß die Indianer nicht allzu genau den Boden betrachten würden. Keine Rothaut, und wäre sie noch so dämlich, hätte die Spuren übersehen. Haggerty trieb die Pferde immer tiefer in ein Felslabyrinth und parierte schließlich seinen Wallach. Sofort warf er sich aus dem Sattel und bedeckte die Nüstern des Tieres mit der Hand. Miller machte es ihm nach. Das Licht des neuen Tages flutete über die Mesa. Gar nicht weit von ihnen ritten die Roten mit wilden Schreien an dem Felsmassiv vorbei. Nach wenigen Minuten waren die Hufschläge nicht mehr zu vernehmen. * John Haggerty hielt hoch über dem Paß auf einer vorspringenden Felsnase und glitt vom Pferderücken. Miller folgte seinem Beispiel und brachte die Tiere weiter nach hinten, wo er sie an den stämmigen Ästen eines KandelaberKaktus festband. Tief unter ihnen lag die Paßstraße. Im Westen erkannten sie Fort Buchanan, und dahinter die große Ebene. Nicht weit von ihnen entfernt waren tatsächlich Weiße am Werk, irgendwelche Bauten zu errichten. Haggerty, der sehr scharfe Augen besaß, erkannte ein größeres Haus, dem das Dach noch fehlte, eine Scheune und eine offene Schmiede. Hinter dem Haus standen zahlreiche Pferde in einem Corral. Drei oder vier Männer bewegten sich dort unten. Einer war in der Schmiede beschäftigt, ein anderer mähte mit einer Sense das hohe Gras bei einem Wasserlauf, der nach einigen Yards im Erdboden versickerte. Der dritte rammte Pfosten in die Erde. Der vierte Mann war in das halbfertige Haus gegangen und hantierte dort herum. John konnte nicht sehen, was er
machte. Als er nach Osten blickte, sah er die Chiricahuas. Sie kamen die Paßstraße herauf und ritten auf die Quellen zu. Cochise führte den Pulk an. John und Curt legten sich auf den glutheißen Fels und nahmen die Hüte ab. Apachenaugen hätten die hellere Farbe vom Fels unterschieden und die richtigen Schlüsse daraus ziehen können. Cochise näherte sich den Gebäuden, hielt an und saß ab. Die anderen Indianer blieben ein Stück zurück und auf dem Rücken ihrer Pferde. Der Mann in der Schmiede bearbeitete mit einem schweren Hammer ein Hufeisen, ließ den Amboß klingen, sah jedoch die Rothaut nicht. Interessiert beobachtete der Häuptling ihn. Apachenpferde trugen keine Hufeisen. Der Jefe begriff nicht, was der Weiße da machte. Als der Schmied das Hufeisen fertig geformt hatte, kühlte er es in einem Eimer ab. In diesem Augenblick erst bemerkte er den Chiricahua. John Haggerty sah ganz deutlich, wie er zurückzuckte und nach einem Gewehr greifen wollte, das an einem Hauklotz lehnte. Ein Zuruf Cochises hielt ihn davon ab. Der Schmied blieb stehen und drehte sich um. Cochise kam auf ihn zu und sah sich gründlich dabei um. »Wer bist du, Bleichgesicht?« »Ich heiße Jim Brent und arbeite für die Butterfield Overland.« »Ich bin Cochise«, sagte der Häuptling schlicht. »Du bist unbefugt in das Land der Chiricahuas eingedrungen, weißer Mann. Warum?« Brent machte eine hilflose Geste und wußte nicht, wie und was er antworten sollte. Er wirkte wie ein großer Junge, der zwar Kraft in seinen Armen besaß, dafür aber weniger Grips im Kopf. Der zweite Mann, der Gras gemäht hatte, näherte sich, ließ
die Sense fallen, als er den Indianer sah und wollte flüchten. Aber Cochise winkte ihm beruhigend mit der Hand zu. Er bestaunte die Sense, die ihm ebenso fremd wie die Einrichtung der Schmiede war, ging zu ihr hin und fuhr mit der Daumenfläche über das scharfe Metall. »Damit schneidest du Gras?« Der Mann schwitzte vor Angst. So nahe hatte er noch nie einem Indianer gegenübergestanden. Mit bürgerlichem Namen hieß er David Slaughter. Von Beruf war er Kutscher, verstand aber auch etwas vom Schmiedehandwerk und von der Landwirtschaft. »Ja – ja«, stotterte er verwirrt. »Gras… Ja, mit der Sense schneide ich Gras.« Slaughter und Brent zitterten am ganzen Körper. Sie fürchteten sich vor dem Chiricahua und versuchten erst gar nicht, die starken Männer zu spielen. Slaughter fügte hinzu: »Das Gras wird getrocknet und als Winterfutter an die Pferde verfüttert.« »Das getrocknete Gras hält sich bis zum Winter?« »Länger, viel länger. Man kann es jahrelang in einer Scheune aufbewahren.« »Die Pferde mögen es?« »Nicht nur die Pferde, auch Rinder und Schafe.« »Was tut ihr hier oben am Paß?« »Wir bauen eine Poststation für die Butterfield-Linie.« »Kommen noch mehr Weiße?« »Nur noch zwei, wenn alles fertig und eingerichtet ist«, antwortete der Schmied. »Sind diese Weißen Krieger?« »Es sind Pferdeburschen, die sich um die Tiere kümmern werden«, erklärte der Schmied. Cochise war mit der Antwort zufrieden. Er erkannte, daß sein Stamm von Leuten der Poststation viel lernen könnte und entschloß sich in diesem Augenblick, die Station zu dulden.
Er machte lediglich zur Bedingung, daß die Weißen nur eine der drei Quellen in Beschlag nehmen durften. »Die anderen Quellen gehören den Chiricahuas«, sagte er am Schluß, drehte sich um und ging zu seinem Pferd. Victorio blickte ihm grimmig entgegen. »Du hast sie nicht getötet und skalpiert?« Cochise stieg auf seinen Pinto, blickte kurz über die Schulter, sah, daß der Schmied wieder sein Hufeisen bearbeitete, schüttelte den Kopf und ritt an. Naiche kam an seine Seite, musterte das angespannte und nachdenkliche Gesicht seines Vaters. Cochise spürte den Blick, beachtete ihn aber nicht. Heftig gab er seinem Pony die Fersen zu spüren. John Haggerty zog sein schweißnasses Hemd über den Kopf und wischte sich die Achselhöhlen trocken. Die Hitze hier oben war mörderisch. »Reiten wir hinunter«, sagte er zu Miller. »Es ist ein wahres Wunder, daß Cochise die Poststation verschonte.« »Scheinbar hält er sich an den mit General Howard geschlossenen Vertrag.« John zog die Schultern hoch. Er wußte nicht, was Cochise zu den Weißen gesagt hatte, deswegen mußte er hinunter. Sie stiegen auf ihre Pferde, Haggerty mit nacktem Oberkörper, nur den Feldhut auf dem braunen Haar. Es war kühl und dämmerig im Canyon. Ein Kojote heulte. Der Wind strich durch die breite Schlucht am Paß, ließ das Laubwerk rascheln und erfüllte die Poststation mit seinem geisterhaften Geflüster. Während Haggerty und Miller sich der Ansiedlung näherten, standen vier Weiße bei der Schmiede. David Slaughter führte das Wort. Als er den halbnackten Scout heranreiten sah, zuckte er zusammen. John hielt an, stieg ab. Mit seinem Pferd am Zügel ging er auf die Gruppe zu. Miller blieb im Sattel sitzen und
beobachtete die Paßstraße. »Hey!« grüßte Haggerty mit einem freundlichen Lächeln. »Ich bin Scout John Haggerty, Gentlemen. Habe von der Klippe aus beobachtet, wie der Apache zu der Station kam. Es ist doch eine Kutscherstation der Butterfield Overland, oder?« Slaughter nickte. »Ich bin David Slaughter, Mister. Dies hier ist Jim Brent. Der mit der unverschämten Bräune im Gesicht nennt sich Benjamin Middleton, der andere heißt Jesse Love. Wir sind eine Art Vorkommando der Butterfield.« Haggerty nahm die Männer in Augenschein. Alle waren sie hochgewachsen, muskulös und von der Natur mit starken Knochen versehen. Aber sie waren keine Kämpfernaturen. Wie es die Verwaltung der Butterfield Mail wagen konnte, mit diesen Leuten hier am Apache-Paß eine Station zu errichten, war unerfindlich. Er nickte. »Was wollte Cochise von Ihnen, Slaughter?« »Eigentlich nichts. Er sah mir zu, wie ich das Hufeisen bearbeitete, dann interessierte er sich für die Sense. Schließlich ging er wieder.« »Hat er denn gar nichts gesagt?« Slaughter deutete auf die steingefaßte Quelle neben dem Stallgebäude. »Nur diese Wasserstelle dürfen wie benutzen. Die anderen gehören den Apachen. Ich kann Ihnen flüstern, Mister, meine Kopfhaut hat ganz schön geprickelt.« »Sie hatten Schwein gehabt«, sagte der Scout. »Irgend etwas hat ihn davon abgehalten, Sie zu verjagen. Nun, weiterhin viel Glück.« Er tippte sich an die Hutkrempe, stieg in den Sattel, ritt zu Curt Miller und berichtete, was er gehört hatte. »Wir müssen auf dem schnellsten Weg zu General Howard zurück. Wenn er zuläßt, daß die Butterfield hier oben eine Station aufbaut, bricht er den Vertrag.«
Miller lenkte sein Pferd auf die abschüssige Paßstraße. »Cochise hat doch indirekt die Anwesenheit der Weißen geduldet.« »Sicher, Curt. Damit ist aber das Problem nicht gelöst. Die Gesellschaft wird weitere Stationen bauen und damit das Verhältnis zwischen den Weißen und Indianern stark belasten. Ihr gesunder Kaufmannsgeist wird ihnen sagen, daß, wenn Cochise eine Station duldet, auch weitere akzeptieren wird. Howard sollte dies alles wissen.« »Was kann der General ändern?« Haggerty zuckte mit den Achseln. »Ändern wohl nichts, aber auf die Gesellschaft seinen Einfluß geltend machen, daß keine weiteren Gebäude mehr im Chiricahua-Gebiet errichtet werden. Reiten wir.« In mäßigem Trab folgten sie der unebenen Paßstraße und sahen nach einer scharfen Kehre die gelbe Sandebene vor sich liegen. Die Ausläufer der Gila-Wüste streckten sich fingerartig bis weit in die Gebirgstäler vor. John Haggerty ritt grübelnd neben Miller, dessen Aufmerksamkeit sich konzentriert auf die Felseneinöde richtete. John verstand einiges nicht: Cochise schien den Vertrag mit Howard einhalten zu wollen, davon war er überzeugt. Aber er hatte die anderen Häuptlinge beobachtet. Ganz besonders war ihm der Indianer mit den langen Haaren und dem fehlenden Stirnband aufgefallen. Deutlich hatte er von oben dessen verzerrtes Gesicht gesehen, die Gesten, mit denen er seine an Cochise gerichteten Worte unterstützte. Er kannte die Rothaut nicht, ahnte aber, daß von ihm nicht viel Gutes für die weiße Rasse zu erwarten war. *
Fort Buchanan klebte am felsigen Hang wie ein Schwalbennest am Dachfirst. Der Hang setzte sich hinter dem Fort terrassenförmig fort und endete in einem Kegel aus Pophyr und rotem Sandstein. Auf diesem Kegel hielt ein einzelner Indianer auf einem gescheckten Pferd und starrte in die Tiefe. Von dort oben erkannte er jede Einzelheit im Fort, die Straße zum Paß hinauf und das große Seitental nördlich des Forts mit den gedrungenen Gebäuden einer Ranch. Diese Ranch gab es schon lange. Cochise hatte sie bisher verschont, weil sie in der Nähe des Forts lag und die Belange der Apachen kaum störte. In seinen Gedanken sah er das Land vor sich, wie es in seiner Jugend ausgesehen hatte: wild, zerklüftet und einsam, nur von den Adlern und Bussarden beherrscht. Um dieses Land hatten die Chiricahuas Krieg geführt und die Weißen vernichtet, wo sie sie antrafen. Aber es hatte nicht viel eingebracht. Immer mehr Weiße waren gekommen, hatten sich seßhaft gemacht. Forts waren entstanden, Patrouillen durchkämmten das Land. Wie eine Statue saß der Häuptling auf seinem Pferd, unbeweglich, wie verwurzelt mit dem Tier. Das Fort und die Ranch störten ihn. Beides gehörte nicht in die Landschaft. Aber er hatte mit dem einarmigen General ein Abkommen getroffen, das er einhalten wollte. Von seiner Seite aus sollte der Vertrag nicht gebrochen werden. Nie. Er machte eine Bewegung mit dem Arm, umriß das Gelände zu seinen Füßen und brachte mit einer Gebärde seine tiefgehenden Gedanken zum Ausdruck. Ein leichter Zug an dem Hanfseil. Sein Pferd setzte sich in Bewegung und ritt einen Kreis. Cochise lenkte es den jenseitigen Hang herab, den die Posten auf den Wachtürmen nicht einsehen konnten. Fort Buchanan lag hinter ihm, die Paßstraße erstreckte sich in langen Windungen hinauf in die
Berge, flankiert von einer wilden Vegetation in den unteren Bereichen und Felsnasen und Zinnen in den oberen. Nahe beim Paßsattel hielt er an. Die Poststation hatte sich verändert, Das Haupthaus hatte inzwischen einen Dachstuhl erhalten. Bei der Scheune war man dabei, die Balken zu errichten. Cochise ritt hin. Wieder erschrak David Slaughter, als der Apache so überraschend auftauchte. Jesse Love sprang zu seinem Gewehr und brachte es in Anschlag. Der Hahn des Karabiners schnappte mit hartem Klicken zurück. Der würdevolle Häuptling hob grüßend die Hand und glitt vom Pferd. Ungeachtet der drohenden Gewehrmündung ging er auf Slaughter zu. Jesse ließ die Waffe mit einem verkrampften Lächeln sinken, als er Cochise erkannte. »Tut mir leid, Häuptling«, sagte er. »Wenn ich einen Indianer sehe, rieselt's mir immer kalt über den Rücken.« Cochise beachtete ihn nicht, noch weniger seine Worte. Er wandte sich an Slaughter, den er für den Anführer der Weißen hielt. »Hat man euch belästigt, weißer Mann?« »Nein, Jefe. Wieso?« »Weil der Mann mit dem roten Haar überängstlich ist, wenn er einen Chiricahua sieht.« Slaughter wischte sich seine schweißfeuchten Hände an den Hosenbeinen ab. »Allen Weißen geht es so, Häuptling«, sagte er. »Wenn sie einen roten Mann sehen, selbst wenn er harmlos ist, juckt's unter ihrer Kopfhaut.« Cochises Gesicht blieb ernst, während er innerlich lächelte. Er hatte wieder etwas von den Weißen gelernt: die Beschaffenheit ihrer Seele. Sie hatten Angst vor den Chiricahua, und die Angst verführte sie dazu, schnell zur Waffe zu greifen, wenn sie einen Indianer sahen.
Das mußte er sich merken. Cochise ließ Slaughter stehen und betrachtete das Dach. Einen derartigen Holzverband hatte er noch nicht gesehen. Slaughter folgte ihm wie ein gehorsamer Hund. Die anderen blieben abwartend im Hintergrund. »Das wird ein mächtiges Dach«, sagte Cochise wie im Selbstgespräch. »Muß man lange lernen, bis man das Holz so bearbeiten kann?« »Jahre, Häuptling. Viele Jahre«, antwortete Slaughter höflich. »Hast du Hunger und Durst, Cochise? Wir haben genügend Proviant hier oben und…« Cochise schüttelte den Kopf. »Wann kommt die erste Kutsche?« »In vier Wochen, wenn wir mit allem fertig sind.« Cochise dachte an die Mimbrenjos. Die Kutsche durchfuhr auch ihr Land weiter östlich. Würde Victorio ein solches Verhalten der Weißen dulden? Er ahnte, daß sich Komplikationen mit den Mimbrenjos anbahnten, sobald die erste Postkutsche das Land durchfuhr. Victorio war ein hitzköpfiger Häuptling, stolz und unnahbar. Er hielt sich für einen großen Krieger, und er war ein Weißenhasser, der geschworen hatte, alle Bleichgesichter zu töten oder aus seinem Stammesgebiet zu verjagen. Ein weiterer Umstand fiel ihm ein, der den Frieden in diesem Land stören konnte: die Ranch dort unten beim Fort. Er wußte, daß Weiße oft hier herauf kamen oder tief in die Täler eindrangen, um nach verlaufenem Vieh zu suchen. Stieß ein jagender Indianer zufällig auf einen solchen weißen Reiter, würde er niedergeschossen werden, weil der weiße Mann zuerst schoß und dann redete. Er hatte es bei dem Rothaarigen gesehen, und das gab ihm zu denken. Sie waren nicht alle schlecht, die weißen Männer, aber sie hatten eine zu große Angst vor Indianern und verloren die Nerven, wenn sie einen von weitem sahen.
»Ich geh«, sagte er. Als er sich seinem Pferd zuwandte, dachte er einen Augenblick lang daran, die Leute zu warnen. Aber dann sagte er sich, daß es keinen Sinn hatte, weil die Weißen ihre Angst nicht überwinden konnten. Ihre Angst war es, die sie schnell zur Waffe greifen ließ. Das wußte er nun. Er ahnte auch, daß ihre tiefverwurzelte Furcht vor den Indianern und ihre berüchtigte Schießwut neue Fehden zwischen den beiden Rassen auslösen würden. Tief in seine düsteren Gedanken verstrickt, ritt Cochise auf der anderen Seite die Paßstraße hinab und verließ sie dann, um Pfade zu nutzen, die nur der rote Mann kannte. * General Oliver O. Howard hörte sich den Bericht der beiden Scouts geduldig an. Er unterbrach mit keinem Wort. Colonel White, der dem Rapport lauschte, schwieg ebenfalls. Zwei scharfe Falten standen über seiner Nasenwurzel, ein Zeichen, daß er den Bericht der Scouts geistig verarbeitete. Howard saß hinter seinem Feldtisch und warf nur dann und wann prüfende Blicke auf den Colonel und die Scouts. Als Haggerty geendet hatte, lehnte er sich zurück und wartete. Miller saß mit halb geschlossenen Augen neben Haggerty. Beide waren müde und verschwitzt. Sie rochen unangenehm nach kaltem Schweiß, nach Tabak und Wildnis. Den General schien der Mief nicht zu stören. »Was meinen Sie zu der Sache, Colonel White?« White trat vor, zuckte mit den Achseln und wedelte fahrig mit den Händen. »Ich weiß nicht so recht, General… Sir. Mr. Haggerty ist der Auffassung, daß Cochise den mündlich geschlossenen Vertrag einzuhalten beabsichtigt. Wenn jedoch die Weißen weiterhin unkontrolliert von seinem Land Besitz ergreifen, kann das
nicht gut ausgehen.« »Das ist auch meine Meinung«, sagte Howard kühl wie immer. »Schicken Sie einen Boten nach Tombstone, Colonel. Der Leiter der hiesigen Sektion soll sich bei mir melden. Ich möchte eine Erklärung für dieses Verhalten.« »Sehr wohl, Sir.« White wollte das Zelt verlassen, um sich einen geeigneten Mann im Feldlager zu suchen, aber Haggertys Stimme hielt ihn auf. »Sir«, sagte der Scout, während er sein Kinn massierte, »es gibt noch einen Punkt, den wir besprechen sollten.« Howard nickte. »Ja. Reden Sie, Mr. Haggerty.« Der strich sich mit den schmutzigen Fingern versonnen über die Augen. »Nicht nur Fort Buchanan ist den Chiricahuas ein Dorn im Auge, sondern auch die Ranch, die in der Nähe des Forts liegt. Von unserem Stützpunkt aus wird der Paß kontrolliert, okay. Daran haben sie sich mittlerweile gewöhnt. Bis zum heutigen Tage ist in diesem Gebiet zwischen Rothäuten und Armeeangehörigen auch nichts vorgekommen. Ich habe Erkundigungen über die Ranch eingezogen. Sie gehört einem John Ward. Abgesehen von seinen Raufereien in Tombstone und Tubac, kann der Mann auch sonst nicht viel taugen. Messerstechereien, illegaler Handel mit den Indianern, Waffen, Whisky, was weiß ich…« John sah auf, aber Howard hörte ihm immer noch geduldig zu. White war beim Ausgang stehengeblieben und sah John an. Die Falte auf seiner Stirn hatte sich vertieft. »Bitte, Scout, fahren Sie doch fort.« »Wir wissen, daß Ward seine Cowboys sehr oft zum Rindersuchen in die Gebirgstäler schickt, besonders im Herbst, wenn die Frühjahrsrinder sich von den Muttertieren absetzen und ihre eigenen Wege gehen. Wenn Ward dabei ist, passiert nichts, sollten sie auf Apachen stoßen. Sie kennen den Mann. Wenn sie ihn auch nicht lieben, so dulden sie ihn wenigstens,
weil sie einen gewissen Profit davon haben. Aber, wenn er einmal nicht mitreitet, sieht die Sache anders aus. Er hat ein paar rauhe Typen in seiner Mannschaft, schnell mit dem Eisen und skrupellos. Sie kennen ja die Reaktion, die einen Weißen zuerst beherrscht, wenn er unerwartet einen Indianer vor sich sieht. Er zieht und schießt. Fragen stellt er nachher. Hier sehe ich eine viel größere Gefahr für den Frieden als durch den Neubau der Poststation.« General Howard schob nachdenklich die Unterlippe vor, drehte sich zu White herum und sah ihn an. White nickte zögernd, kam zurück und fragte den Scout: »Was ist dieser John Ward für ein Mann? Ich meine, ist er streitsüchtig und rowdyhaft?« »Kann man wohl sagen. Er lebt mit einer Mexikanerin namens Jesua Martinez zusammen. Die hat einen Sohn, dessen Vater Apache ist, der sie mal in sein Jacale verschleppt hatte.« »Hm. Ist der Vater ein Chiricahua?« »Nein, ein Pinal-Apache.« »Weshalb haben Sie uns das jetzt erzählt?« wollte General Howard wissen. »Die Pinals wollen das Kind zurückhaben. Sie sind bereit, um den Besitz des Jungen einen Krieg mit den Leuten von der Ranch zu beginnen. Ich sehe Schwierigkeiten, Sir. Der Kummer liegt darin, daß die Chiricahuas und Mimbrenjos nicht untätig zusehen werden, wenn die Pinals in ihre Jagdgründe eindringen.« »Sie sind doch ebenfalls Apachen«, warf White begriffsstutzig ein. »Schon, schon«, fuhr John fort. »Aber seit Jahrhunderten befehden sich die Apachenstämme untereinander. Diese Kämpfe arteten nie aus und werden es auch jetzt nicht, wenn es zu einem Streit kommen sollte. Aber wir müssen sie im Interesse unserer Soldaten im Auge behalten.« Howard sagte: »Ich bin Ihnen für Ihre Hinweise dankbar, Mr.
Haggerty. Was schlagen Sie mir vor?« »Wir sollten unseren Einfluß auf Ward ausüben, daß der Junge den Apachen zurückgegeben wird.« »Seine Mutter wird das nicht zulassen«, sagte White. »Wir könnten Ward unter Druck setzen«, behauptete sich Haggerty. »Er liefert Schlachtrinder an das Feldlager und in die Forts. Stellen wir ihn vor die Wahl, weiterhin Rinder zu liefern und den Jungen auszuliefern. Das wird ihm an die Nieren gehen.« White bemerkte: »Das ist eine glatte Erpressung, Mr. Haggerty. Die Armee sollte sich auf so etwas nicht einlassen.« »Erpressung oder nicht, Sir, der Zweck heiligt die Mittel. Mir geht's um das Leben unserer Soldaten.« »Ich werde mir Ihren Vorschlag überlegen, Haggerty«, versprach der General. »Reiten Sie doch einmal hinauf zum Paß und sehen Sie dort nach dem Rechten.« »Okay, Sir, morgen.« Er stand auf, gab Miller einen leichten Rippenstoß. Als sie in der hitzeflimmernden Luft durch die Zeltgassen schritten, fragte Miller: »Siehst du die ganze Angelegenheit mit dem Indianerbengel nicht etwas zu schwarz, John?« »Das ist noch untertrieben, Curt. Mit Cochise ist nicht zu spaßen. Wenn er das Gefühl hat, von den Weißen betrogen zu werden, geht das Blutvergießen erneut los. Morgen reite ich zum Paß. Kommst du mit?« »Wenn es unbedingt sein muß. Um was geht's dir dort oben?« »Ich will mich umsehen und mit den Leuten reden. Ein paar Verhaltensmaßregeln könnten nichts schaden, meine ich.« »Gut, ich bin dabei. Gehen wir uns jetzt den Staub von der Haut spülen.« *
Häuptling Cochise benutzte einen Hohlweg, um auf der kürzesten Strecke zu seinem Lager in dem Hochtal zu gelangen. Der kaum sichtbare Pfad mündete in den »Canyon der Seufzer«. Hier waren vor 100 Jahren drei Jesuiten, die in diesem Gebiet missionieren wollten, von den Apachen gefoltert und schließlich getötet worden. Cochise war kaum ein Stück in den Canyon eingedrungen, als er einen klagenden Laut vernahm, der ihn blitzartig aus dem Sattel trieb. Er kauerte sich in den Schatten eines Felsens und suchte mit seinen Blicken die Schlucht ab. Er verfolgte die schwachen Zeichen eines Weges, der von links kam und in einer Mauer aus dichtem Grün weiter hinten verschwand, die sich wie ein Damm über die ganze Breite des Tales dehnte. Er sah nichts, hörte auch nichts mehr. War es der Wind gewesen, der ihm einen Streich gespielt hatte? Oder waren Bleichgesichter hier oben? Er wollte sich schon wieder seinem Pferd zuwenden, als er das Geräusch erneut vernahm: den klagenden Laut eines gequälten Menschen. Cochise setzte sich in Bewegung. Lautlos schlich er an der Felswand entlang auf den Grüngürtel zu, blieb dort geduckt stehen und lauschte angestrengt. Das leise Wimmern, unterbrochen von qualvollem Stöhnen, kam aus dem Gebüsch. Der Häuptling legte sich auf den Boden, kroch durch die Manzanitas und Stachelgewächse, stieß auf einen ausgetrockneten Bach, der wohl nur in der Regenzeit Wasser führte, und schob mit der Hand weitere Zweige zur Seite. Eine Lichtung lag vor ihm. Sonnendurchglüht, war sie der Tummelplatz von Eidechsen und anderen kleinen Reptilien. Auf einem Stein lag zusammengerollt eine Klapperschlange. Nichts rührte sich. Da, wieder jenes kurze Wimmern, in dem alle Qualen eines Menschen vereinigt waren.
Cochise dachte an die Padres, die damals hier irgendwo ihr Leben hatten aushauchen müssen. Und als er sich vorstellte, wie seine Vorfahren die frommen Männer gepeinigt hatten, sträubten sich seine Nackenhaare. Stöhnten die Seelen dieser Gemarterten? Ein neuer Laut rauschte über seinem Kopf. Er sah hoch. Eine Eule, ein riesiges Tier, von irgend etwas aufgeschreckt, flog mit klatschendem Flügelschlag über ihn hinweg. Nicht viel hätte gefehlt, und Cochise wäre aufgesprungen und geflohen. Bú, die Eule, der Bote aus der Götterwelt, erfüllte jeden Indianer mit Entsetzen, wenn sich ihr Erscheinen auf einen Toten oder etwas Unerklärliches bezog. Der Klageruf ertönte wieder. Unverkennbar waren es menschliche Laute und keine Seufzer aus dem Totenreich. Cochise kroch weiter. Er verdrängte seinen Aberglauben, drang tiefer in das Gestrüpp ein und stieß auf eine weitere Lichtung. Hier wurden die Klagelaute überdeutlich. Etwas Weißes, Helles lag im Gras, bewegte sich aber nicht. Cochise blickte zum Himmel, sah die Eule nicht mehr und faßte neuen Mut. Gegen jeden Feind wäre er angetreten, nur mit einem Messer in der Faust, aber mit den Geistern aus dem Totenreich war das eine ganz andere Sache. Geistern ging man aus dem Weg, wie Bergdämonen, denn sie brachten letzten Endes einem Indianer nur Unglück. Der Häuptling lag am Boden, konzentrierte sich auf den hellen Fleck und wartete auf einen weiteren Laut. Der kam. Langsam und wachsam schob er seinen Körper weiter vor. Wie eine Schlange bewegte sich der Apache dem Hellen und Undefinierbaren zu. Je weiter er vordrang, desto lichter wurde das Gras. Schließlich erkannte er, um was es sich handelte. Ein nackter Mann lag am Boden, die Arme weit ausgestreckt, auch die Beine. Er war ein Weißer. Cochise warf noch einen vorsichtigen Blick in die Runde,
sah im Hintergrund des Tales das einfache Blockhaus, er sah die stählernen Fangeisen, die Fuchs- und Wolfsfallen, das viele Gerät, das man braucht, um Pelztiere zu fangen. Er sprang auf die Beine und stand vor dem Mann. Der war bärtig, nicht mehr jung, und er war splitternackt. Jemand hatte ihn nach Indianerart am Boden festgenagelt. Als der Schatten eines Menschen über den Gemarterten fiel, schlug er die Augen auf und starrte Cochise an. Verwaschene blaue Augen, vom Alter und den Schmerzen getrübt. Der Häuptling ließ sich auf die Knie nieder, riß mit einem einzigen Ruck den Pflock aus der rechten Hand. Der Mann schrie und wurde ohnmächtig. Bald war auch der andere Pflock beseitigt. Bei den Füßen wurde es schwieriger. Der hohe Spann hielt die zähen Pflöcke unbeweglich fest. Ein Glück, daß der Fallensteller das Bewußtsein verloren hatte, vermutlich hätte er die Schmerzen sonst nicht ausgehalten. Cochise machte einen weiteren Versuch. Da gelang es ihm, den Pflock im Erdreich zu lockern. Blut sickerte aus der Wunde und färbte seine Hände rot. Mit der ganzen Kraft seines starken Körpers riß er den Pflock aus dem Fuß und warf ihn zur Seite. Beim anderen Fuß ging es etwas schneller. Cochise stand auf, eilte durch das Dickicht zu seinem Pferd, nahm es beim Hanfzügel und zerrte es durch den Buschgürtel zur Lichtung. Als er den Trapper so liegen sah, hatte er zwar kein besonders großes Mitleid mit der geschundenen Kreatur, aber er fragte sich, wer das getan haben könnte. Indianer – ja, das war ihm klar. Aber welche? Er nahm den prallen Ziegenbalg vom Pferderücken, öffnete ihn und träufelte dem Ohnmächtigen etwas Wasser zwischen die borkigen Lippen. Der Fallensteller schlug die Augen auf und seufzte. Cochise stellte sich vor ihn und fragte: »Wer hat das getan?«
»Mimbrenjos, fünf.« Er hob fünf Finger, ließ die Hand geschwächt wieder sinken. Der Häuptling hatte es sich gedacht. Was fing er nun mit dem Weißen an? Mitnehmen konnte er ihn nicht, allein in der Sonnenglut liegen lassen auch nicht. Er ging zu Hütte hinüber und trat ein. Ein ganz armseliges Lager im Hintergrund, ein selbstgezimmerter Schrank, ein wackliger Tisch und zwei Holzbänke waren die ganze Einrichtung. Überall lagen aufgestapelte Felle, gut präpariert und verpackt. Cochise wunderte sich, warum die Mimbrenjos die Felle nicht mitgenommen hatten. Sie ließen bei ihren Raubzügen sonst auch nichts zurück, was sie gebrauchen konnten. Das tat kein Apache. Waren sie etwa gestört worden, ehe sie das Haus plündern und verschwinden konnten? Hastig trat Cochise wieder in den Türrahmen und suchte die Felsen ringsum ab. Zu sehen war nichts, auch nichts zu hören. Er ging zu dem gemarterten Mann zurück und warf ihm ein paar Kleidungsstücke hin, die er aus der Hütte mitgenommen hatte. Aber der Alte konnte sich nicht bewegen. Mit fragenden Blicken sah er zu dem Häuptling auf, er war aber scheinbar zu schwach, um seine Neugier mit Fragen zu stillen. »Hast du Feinde?« wollte Cochise wissen. Der Mann schüttelte den Kopf mit den zotteligen weißen Haaren. »Wie heißt du? Hast du einen Namen?« »Bill – Mader … Du bist Cochise?« »Du kennst mich?« »Ich – ich sah dich – vor ein paar – Jahren«, erwiderte der Alte mit etwas mehr Festigkeit in der Stimme. »Du bist ein Fallensteller?« fragte der Häuptling und kreuzte die Arme vor der Brust. »Weshalb haben dich die Mimbrenjos
nicht beraubt?« »Sie sahen dich – über den Paß – kommen, Häuptling. Ich hörte, wie – wie sie deinen Namen nannten und – und dann aber eiligst wieder verschwanden.« Cochise sah klar. »Was fange ich mit dir an, weißer Mann? Ich muß zu meinem Volk zurück und kann mich nicht mit dir befassen.« »Bring mich in meine Hütte, Cochise. Wenn du das für mich tun willst, werde ich dir ewig dankbar sein.« Der Häuptling bückte sich, nahm den Alten auf seine Arme und trug ihn in die Hütte. Dort bettete er ihn auf das Lager mit dem dicken Bärenfell. »Du befindest dich auf meinem Land«, sagte Cochise, bevor er ging. »Du darfst aber weiter den Fuchs und die anderen Pelztiere jagen. Gibt es hier Wasser?« »Hinter der Hütte – ist eine – kleine Quelle. Im – im heißen Sommer versiegt – sie manchmal, aber das – das ist nur – von kurzer Dauer.« »Hast du ein Pferd?« »Einen Maulesel. Er steht – drüben – im Stall.« Cochise ging, verließ das Tal aber noch nicht. Zuerst besah er sich die Quelle, dann öffnete er die Tür zum Stall und warf dem Grautier Futter für die nächsten drei Tage vor. Auch einen Eimer mit Wasser stellte er vor die Raufe. Als er das Pony bestieg und den Pfad hinaufritt, blickte er noch einmal in das Tal. Es war ein ruhiges und fruchtbares Tal. Er wollte sich die Lage merken. * Der Mond war noch nicht aufgegangen. John Haggerty stand am Rande des großen dunklen Canyons. Er lauschte angestrengt, versuchte die Dunkelheit mit allen seinen Sinnen zu durchdringen. Weit hinter ihm hielt Miller die Pferde fest.
Von den Apachen war auf dem ganzen Ritt hierher nichts zu sehen gewesen. Vielleicht belauerten sie die Soldaten bei Fort Buchanan. Er grinste bei dem Gedanken. Was für ein Spiel sie alle in dieser abgeschiedenen Einöde trieben. Die Armee unterhielt ein riesiges Heerlager, um die Chiricahuas zu beeindrucken. Aber die ließen sich nicht einmal blicken. Cochise schien sein Abkommen mit Howard sehr ernst zu nehmen und nicht daran zu denken, es zu brechen. Noch einmal warf John einen suchenden Blick in die Tiefe, konnte jedoch nichts erkennen. Die Poststation mußte genau unter ihm liegen. Hier hatte er gestanden und den Jefe beobachtet, als er sich mit den Männern der Butterfield Overland unterhalten hatte. Die höchste Stelle des Apache-Passes war so düster, daß der Scout nicht mal die Umrisse der Gebäude erkennen konnte. Curt Miller hinter ihm stieß einen gedämpften Ruf aus. John wirbelte herum, sondierte das Gelände. Aber hier oben auf der Felsplatte war es genauso dunkel wie unten im Tal. Er sah etwas, aber was es war, konnte er nicht erkennen. Schwarze Punkte schienen über dem Erdboden zu schweben, kamen aber nicht näher. Der Himmel im Osten erhellte sich etwas. Bald mußte der Mond aufgehen. Haggerty ging zu Miller, nahm ihm die Zügel seines Pferdes aus der Hand und blickte über die Schultern zurück. Das Pferd an seiner Seite wieherte leise. John hielt ihm die Nüstern zu. Da war etwas, dahinten in der samtenen Schwärze der Nacht. »Aufpassen!« hauchte er. »Gib mir Flankenschutz, Curt!« »Klar.« Millers Antwort war nur ein Flüstern. John tastete sich Schritt für Schritt vorwärts, wie einer, der ins kalte Wasser steigt. Das Pferd ließ er einfach stehen. Miller würde schon aufpassen. Er sah wieder die schwebenden Punkte und verharrte. 20
Yards war er schon vorgedrungen, da glaubte er zu spüren, daß irgend etwas oder irgend jemand vor ihm stand. John Haggerty legte sich einfach auf den Bauch und sah von unten nach oben. Der Himmel klarte sich auf, Sterne blinkten, aber ihr Glanz war schwach und milchig. Ihm war, als wären die Felsen und Büsche vor ihm größer geworden. Plötzlich pfiff Curt Miller. Das Pfeifen erinnerte an den Jagdschrei des Nachtfalken, aber Indianer ließen sich nicht täuschen. Sie waren Meister in der Nachahmung von Tierstimmen und konnten sich mit den Rufen der Vögel und Landtiere über weite Entfernungen hinweg verständigen. Schließlich wurde es ein bißchen heller vor Haggerty. Er sah schwache Umrisse, erkannte Felsen, Sträucher… Menschen. Fünf. Sie waren herangekommen, hielten sich aber in respektvollem Abstand. Ganz sicher wußten sie, daß sie zwei bewaffnete Weiße vor sich hatten. John blieb stehen, wartete, was sie unternehmen würden. Aber nichts geschah. Eine Maus oder sonst irgendein kleines Tier huschte vor seinen Füßen davon. Er erschrak so, daß er vorübergehend die Fassung verlor und am liebsten zurückgelaufen wäre. In seinem Rücken knackte ein Gewehrschloß. Das war unklug. Miller mußte wissen, daß Apachen in der Nacht nicht angriffen, und bis zum Morgengrauen war es immer noch Zeit, sämtliche Gewehre der Welt zu laden. Als Haggerty wieder hinüberblickte, waren die Gestalten wie vom Erdboden verschluckt. John ging den Weg zurück. Er bat Curt Miller, ihm mit den Pferden zu folgen. Am Tag hatte er etwas weiter entfernt eine Anhäufung von Felsen gesehen, ein idealer Schutz für die Nacht. Er umging Büsche und Stachelzeug und stieß genau auf die mächtigen Quader und Felsbrocken, die säulenartig übereinander zum dunklen Nachthimmel aufragten.
»Hier werden wir bleiben«, flüsterte er. »Bring die Pferde dort drüben in den Spalt und binde sie irgendwie fest! Wenn Apachen in der Nacht auch nicht angreifen, Pferde stehlen sie doch.« »Wieviel waren es?« »Ich habe fünf gezählt. Wahrscheinlich sind noch mehr in der Nähe.« Miller kam nach einer Weile wieder und drückte sich an John Haggerty vorbei. Lange stand er so und starrte in die Dunkelheit. »Nichts mehr zu sehen«, sagte er. »Falls sie es in der Morgendämmerung versuchen, schicken wir sie mit blutigen Köpfen nach Hause.« »Das wäre nicht im Sinne der Abmachung«, erinnerte John ihn. »Verdammt! Sollen wir uns abschlachten lassen, wie Karnickel?« »Davon redet niemand. Wenn sie uns angreifen, versuchen wir's zuerst mit Warnschüssen. Das macht die Leute bei der Poststation aufmerksam und schreckt die Indianer vielleicht ab.« »Okay«, sagte Miller. »Wachen wir abwechselnd?« Er ging von den Felsen ein Stück weg, setzte sich auf einen Stein und beobachtete das Plateau. Nichts bewegte sich vor ihm, kein Nachtvogel überflog die kleine Mesa, kein Kleingetier huschte. Und das machte John Haggerty stutzig. Die Nachttiere mieden die Stelle. Aber warum? Es gab nur eine Erklärung. Indianer lagerten vor ihm, um das erste Licht des neuen Tages auszunutzen, die beiden Weißen zu überfallen. John sah über die Schulter zurück und den hellen Schimmer über dem Gebirge. Der Mond ging auf und mußte binnen weniger Minuten alles hier oben verändern. Dann konnte er alles besser sehen, aber auch gesehen werden. Es machte
nichts, denn sie wußten, daß zwei Weiße hier auf der Felsplatte waren. * Der Mond erhellte den ganzen Canyon, zeichnete die Bäume, Büsche und Felsen mit scharfen Schatten auf den Boden und an den Wänden nach. Der Creek floß zwischen den grasigen Ufern träge dahin. Der Wind ließ die dichten Kronen der Hickorybäume, die die rechte Abzweigung des Canyons blockierten, heftig schwanken. Der wild aussehende Indianer pflockte seinen Schecken an, dann watete er durch den Bach, spürte das kalte Wasser kaum, hielt den Blick wachsam auf das Gehölz gerichtet. Er ging langsam darauf zu, das Gewehr im Anschlag, geladen und gespannt, den Finger am Abzug. Er hatte den geheimen Weg gefunden und betreten, aber er wußte nicht, ob die Chiricahuas diesen Weg nicht ebenfalls kannten. Sie waren die eigentlichen Herren in diesem Gebirge, und sie kannten hier jeden Pfad und Steg. Noch ein kurzes Stück mußte er klettern, dann stand er oben auf der Paßstraße und konnte in aller Ruhe die seltsamen Gebäude beobachten, die er gesehen hatte, als er Cochise begleitet hatte. Im Schatten der letzten Bäume blieb Victorio stehen. Er sah sich um und lauschte. Alles war ruhig und friedlich, aber diese Ruhe und dieser Frieden schienen für Indianer Unheil zu bergen. Noch nie hatte er einem Weißen getraut, deswegen verstand er Cochise nicht, der plötzlich duldete, daß Bleichgesichter hier oben am Paß ein festes Haus errichteten. Er bewegte sich schnell durch das Gehölz und erreichte die andere Seite, blieb im Schutz der kahlen Felswand stehen und starrte lange auf das offene Gelände des Seitentals.
Von dort aus konnte er kletternd in wenigen Minuten zum Paß gelangen. Und da trug ihm der Wind den schwachen, bitteren Geruch eines Holzfeuers zu. Victorio blickte nach links, einen langen, steil ansteigenden Hang hinauf, und seine Augen wurden groß. Dort standen Häuser auf einer mit Gras bedeckten Felsplatte. Da begriff der Mimbrenjo, daß er sich etwas in der Richtung getäuscht hatte. Er war näher bei der Station, als er gedacht hatte, und der Hang war auch nicht so steil wie weiter hinten. Es gab Spalten und vorspringende Steinbrocken, in denen man sich festklammern oder halten konnte. Der Mimbrenjo kletterte hoch. Auf halber Höhe blickte er zurück in den Canyon. Trotz der Dunkelheit kam ihm alles klein und winzig vor, jeder Busch, jeder Baum. Nach einer halben Stunde war er oben. Hinter dem fast fertigen Stallgebäude war er herausgekommen. Victorio ließ sich auf das feuchte Gras fallen und preßte das erhitzte Gesicht in den kühlen Humusboden. Eine Weile später sah er sich um. Die Gebäude waren aus lachsfarbenen Bruch- und Feldsteinen gemauert worden. Neben schmalen Fenstern gab es Schießscharten, die dem Mimbrenjo zu denken gaben. Er wunderte sich, daß Cochise diese Öffnungen nicht bemerkt hatte. Vorsichtig kroch er weiter. In dem großen Haus, das einen Dachstuhl aber noch keine Dachbedeckung hatte, schliefen vermutlich die vier Weißen. Im Stall standen ihre Pferde und ein Maulesel, den sie zum Lastentragen verwendeten. Eigentlich hatte Victorio genug gesehen. Es mußte bald Morgen werden und sehr schnell hell. Im Osten stieg der erste graue Nebel aus den Tälern, ein Zeichen, daß der Tag nicht mehr fern war. Aus dem Schornstein des Hauses stieg Rauch. Victorio wartete ziemlich lange, aber er wußte, daß der Mond bald verblassen, ihn allein lassen würde in der
weichenden Dunkelheit und allein mit diesen abweisenden, geheimnisvollen Häusern. Schließlich machte er sich auf den Weg, nutzte jede Deckung auf dem in die Tiefe fallenden Hang aus. Fast wäre er abgestürzt, so erschrak er. Ein ständiges lautes Knattern von Schüssen hoch oben in den Bergen ließ den Schweiß aus seinen Poren brechen. Seine gekrümmten Finger suchten nach einem Halt auf der fugenlosen Wand und krallten sich in die dünnen Spalten und Risse. Er sah hoch. Von hier unten wirkten die Häuser, so klein sie in Wirklichkeit waren, wie gigantische Riesen von Bauwerken. Sein Blick glitt über die Schießscharten – nichts. Selbst der geheimnisvolle Rauch war verschwunden. Morgen, dachte er, werde ich mit meinen Kriegern wiederkommen und die Männer töten, die Häuser einäschern und die Tiere in die Täler treiben. Morgen abend! Wer allerdings weiter oben in den Bergen mit Gewehren und Revolvern feuerte, konnte er sich nicht erklären. Keine Menschenseele gesehen, und ein Apache gab acht, wenn er sich auf fremdem Gebiet bewegte. Kurz darauf war er unten und eilte zu seinem Pony. Er schwang sich auf die dicke wollene Decke – Sättel kannten Apachen nicht – und ritt an. Morgen, dachte er noch einmal grimmig. Morgen! * Das erste Lichtbündel zuckte über die Hochebene. Miller, der die letzte Wache hatte, starrte in die weichende Dunkelheit. 30 Yards vor ihm war ein Strauch. Seltsam, vor wenigen Minuten, als er auf die selbe Stelle gesehen hatte, war der Busch noch nicht dagewesen. Durch diesen seltsamen Umstand gewarnt, nahm er das
Gewehr auf und spannte den Hahn. Nichts geschah weiter. Der Busch, oder was es immer auch war, rührte sich nicht von der Stelle. Miller äugte nach rechts. Ein ähnliches Buschwerk dort, das vor ein paar Minuten nicht da gestanden hatte. Miller grinste. Den Trick kannte er. Apachentrick. Curt erhob sich, weckte John Haggerty. Schlaftrunken richtete sich der Scout auf und griff zum Gewehr. »Es geht los«, flüsterte Miller. »Sie greifen uns an.« »Konntest du sehen, wer sie sind?« »Nein, zu dunkel und zu weit entfernt. Sie verbergen sich hinter ausgerissenen Büschen und kommen schnell näher.« Haggerty folgte mit den Augen der ausgestreckten Hand des anderen Scouts und nickte. »Tatsächlich, Curt. Sie schleichen sich an. Zählen wir sie. Es müssen mindestens fünf sein.« Sie zählten beide das Buschwerk, das sich ständig veränderte und den Platz wechselte. Es waren fünf. Der erste Strauch war kaum noch zehn Yards von ihnen entfernt und bewegte sich vorwärts. John und Curt Miller konnten das gesamte Plateau übersehen. Nur diese fünf wandernden Buschinseln, sonst keine. Aus einem der Laubbündel kam etwas geflogen. Ein Pfeil zischte heran, bohrte sich in Millers linke Seite. Der Scout stieß einen Schrei aus und ließ sich fallen. Haggerty hebelte eine Patrone in die Kammer des Stutzens und schoß. Die grünen Zweige fielen zur Seite, ein Indianer sprang in die Höhe und brach zusammen. Sofort wechselte Haggerty seinen Standort, feuerte auf den nächsten Strauch, verfehlte ihn aber. Schnell repetierte er. Mit einem gewaltigen Sprung mußte er zwei Pfeilen ausweichen. John nahm kurz Ziel und drückte ab. Ein brauner Arm
erschien, verschwand hinter dem grünen Laubwerk. Ein Körper neigte sich, fiel zur Seite. Zwei, dachte Haggerty grimmig. Wartet nur, ihr braunen Teufel! Er wirbelte herum, das Gewehr im Hüftanschlag, aber die restlichen Sträucher waren verschwunden. Etwas weiter nach links hoben sich große Felsbrocken vor einem Feld aus Geröll ab. Haggerty machte ein wütendes Gesicht, feuerte aber nicht auf die Steine, weil er wußte, daß seine Schüsse keinen Erfolg gebracht hätten. Er warf sich auf den Boden und rief zu Miller hinüber: »Bleib unten, du Hohlkopf! Oder willst du dir noch einen zweiten Pfeil verpassen lassen?« »Kannst du mir helfen, John?« »Krieche zu den Klippen und verhalte dich ruhig. Ich komme.« Jede Deckung ausnutzend, robbte Haggerty in den Schutz der sich auftürmenden Quadersteine und tauchte hinter ihnen in das volle Sonnenlicht. Die Angreifer konnten ihn hier weder sehen noch mit ihren Pfeilen erreichen. Er stand auf, huschte weiter, stieß auf Curt Miller, der sich keuchend die Schulter hielt. »Dreh dich 'rum«, sagte er, »laß sehen!« Der Pfeil hatte vermutlich eine Feuersteinspitze, dafür keine Federn am Schaft. Apachenpfeil. John besah ihn sich ganz genau, bemerkte den feinen Farbring gleich hinter der Spitze. »Mimbrenjos«, sagte er. »Verdammt, diese Kerle machen Cochises Friedenspläne zunichte.« »Mensch, führ keine Selbstgespräche und zieh mir das Ding raus.« »Geduld, Junge, Geduld. Zuerst muß ich zu den Pferden und meine Satteltasche holen.« »Was willst du denn mit der verdammten Tasche?« »Willst du verbluten, du Narr? Ich brauche Verbandszeug
und Salbe. Möglicherweise war der Pfeil vergiftet.« »Alle Wetter, kannst du das sehen?« »Wenn ich ihn raushabe, ja. Warte!« Er huschte los und dankte seinem Schöpfer, daß sie in der Nacht den Spalt für die Pferde gefunden hatten. Die Tiere wären sonst längst davongelaufen. John schnallte seine Satteltasche ab, rannte den Weg zurück. Schnell öffnete er sie, nahm eine Flasche Baconora heraus und hielt sie Miller vor die Lippen. Dabei stützte er dessen Rücken. »Trink«, sagte er drängend. »Trink so viel wie möglich. Der Schnaps betäubt dich ein bißchen.« Miller nickte, leerte fast die halbe Flasche. »Allmächtiger«, keuchte er. »Wenn du's jetzt nicht schaffst, mich ins Jenseits zu befördern, dann der verfluchte Fusel.« Haggerty stellte die Flasche beiseite, zog sein Bowie-Messer, nestelte ein Päckchen Zündhölzer aus der Tasche und zündete mehrere Hölzer gleichzeitig an. Die Klinge hielt er über die Flamme, einmal von dieser, dann von der anderen Seite. Tief beugte er sich über den stöhnenden Scout, setzte die Messerspitze an und machte einen Schnitt nach unten. Dunkelrotes Blut quoll aus der Wunde und färbte die Hände des Helfenden. »Gleich«, sagte er. »Beiß die Zähne zusammen, Junge!« Miller biß auf ein Stück Holz, das ihm Haggerty zwischen die Lippen schob. John schnitt den Pfeil zwei Zoll über der Brust ab, packte den Schaft und riß ihn mit einem kraftvollen Ruck aus der Wunde. Miller bäumte sich auf und stöhnte wie ein Gepeinigter am Marterpfahl. »Hier ist er«, sagte John und hielt dem Scout die Feuersteinspitze vor die Augen. »Alles okay, nicht vergiftet. Wirklich, alles in bester Ordnung.« »Woran – erkennst du – einen vergifteten Pfeil?« stammelte Curt aschfahl und mit schmerzverzerrtem Gesicht.
»An der Farbe. Sie graben ein Stück Rinderleber in der Nähe eines Ameisenhaufens in den Boden, die großen, giftigen Sonora-Ameisen zerbeißen die Leber und spritzen ihr Gift in das Fleisch. Sonne und Hitze tun ein übriges.« »Ist das alles?« »Nicht ganz. Wenn die Leber von dem Gift so gesättigt ist, daß selbst die Ameisen nicht mehr 'rangehen, trocknen die Indianer das Organ, zerstoßen es in einem Tiegel zu Pulver und geben den Saft des Cholla-Kaktusses hinzu. Den Brei schmieren sie dann auf ihre Pfeilspitzen. Die Nedni-Apachen benutzen das Pfeilgift, von den Chiricahuas weiß ich's nicht. Hier haben wir es aber mit Mimbrenjos zu tun, und die sind wirklich noch viel unberechenbarer als die anderen Stämme.« Miller stieß einen gellenden Schrei aus. John wirbelte herum, zog den Colt, spannte mit dem Daumen den Hahn und ließ ihn los. Der erste Angreifer wurde getroffen und stürzte John vor die Füße. Der zweite kam mit geschwungenem Kriegsbeil herangeflogen. John bückte sich blitzschnell, ließ den Körper über sich hinwegsegeln. Bevor die Rothaut sich wieder erheben konnte, war John bei ihm. Er trat ihm das Beil aus der Hand, legte den Revolver an und schickte den Gegner, der ihm hätte zum Verhängnis werden können, zum Großen Manitu. »Vier«, sagte er angewidert. »Wo bleibt der fünfte?« Der kam nicht. John hastete um den Steinhaufen, den gespannten Revolver in der Hand. Weit und breit war nichts von dem fünften Mimbrenjo zu sehen. Mit ein paar Schritten war er bei den Pferden, aber die Tiere standen festgekeilt in dem Spalt und verhielten sich ruhig. John rannte zurück, umrundete den Felsen in die andere Richtung. Auch dort kein Indianer. Nichts, was darauf hingewiesen hätte, wo die Rothaut abgeblieben war. Er schob den Colt ins Halfter und ging zu Miller zurück. Der Scout lag volltrunken an der Erde und röchelte. Schmerzen
hatte er nicht mehr. John legte ihm einen Verband an, hob den Scout hoch und trug ihn in den Schatten. Miller konnte nicht reiten. Haggerty richtete sich darauf ein, ein paar Tage auf dem Plateau zu bleiben, bis es dem Partner besserging. Der Tag verlief in quälender Langeweile. Am Abend stand blutrot die kupferfarbene Sonnenscheibe im Westen, hüllte die Riesenkakteen mit ihren seitlich gespreizten Armen in ein unwirkliches Licht und ließ sie aussehen wie das Bild des Gekreuzigten. John Haggerty drehte sich eine Zigarette, zündete sie an und stieß blauen Rauch in den Himmel, der sich golden färbte, um dann blau zu werden und schließlich grün. Miller schlief. John sah auf ihn hinab. Der Scout hatte kein Fieber, aber er schlief den Schlaf aller Gerechten und stieß mit jedem Atemzug eine Wolke von Alkoholdunst aus. John wollte sich erheben, um etwas Proviant aus seiner Satteltasche zu nehmen, da geschah es. Das langgezogene Zastee der Apachen drang zu ihm empor wie der tödliche Atem der Wüste. »Zastee! Tötet!« Und dann lauter: »Zastee!« Schüsse fielen, Todesschreie trug der schwache Wind auf das Plateau. Haggertys Lippen verfärbten sich, seine Augen wurden bleich, seine Hände zitterten. Leise sagte er vor sich hin: »Mit dem Abend kommt das Grauen.« Er kroch bis zum Rand der abfallenden Mesa und sah die Häuser der Poststation unter sich liegen. Vor dem Haupthaus lagen zwei Körper. Tot und skalpiert. Apachen krochen wie Schlangen auf die Gebäude zu, andere hielten die Fenster und Schießscharten unter Feuer. Allen voran ein wildaussehender Indianer mit langen Haaren und ohne Stirnband: Victorio. Mimbrenjos griffen die Station an und waren dabei, die
Arbeit von Monaten in nur wenigen Sekunden zu vernichten. Brandpfeile zogen wie lodernde Kometen ihre Bahn, schlugen in das Dachgebälk, setzten es in Brand. Rauchschwaden verdeckten die Sicht. Der Wind trieb sie nach oben. Sie reizten Haggertys Schleimhäute. Er mußte niesen. Aus dem großen Haus fielen in sporadischen Abständen Gewehrschüsse. Einem Teil der Leute war es gelungen, sich rechtzeitig in die schützenden Mauern zu retten. Aber sie hatten keine Chance. Die Feuersbrunst, die über ihren Köpfen loderte, mußte sie jeden Moment aus dem Haus treiben, hinein in den Hagel aus Blei und Pfeilen. So kam es. John traten Tränen der Wut in die Augen. Wut deswegen, weil er hier oben lag und nicht helfen konnte. Aus der offenen Tür stürmten drei Weiße, aus allen Rohren schießend. Dutzende von Pfeilen senkten sich auf sie herab. Ganz eingehüllt in dicke Wolken schwarzen Rauches taumelten sie vorwärts, sanken tödlich getroffen in die Knie, die verschlungenen Hände wie im Gebet erhoben. Sie baten um Pardon, aber er wurde ihnen nicht gewährt. Sie drangen ein in den stinkenden Qualm, zuckten die Messer, schwangen die Kriegsbeile – zornige Rothäute, aufgestachelt bis zur Weißglut vor Haß. Entsetzliche Schreie. Wimmernde Töne, um Gnade bettelnde Laute. Aber sie waren umsonst. Die Mimbrenjokrieger stürzten sich auf die Weißen und verrichteten ihr grausames Werk. Die Schreie verstummten. Wie mit einem mitleidigen schwarzen Tuch hüllte der Qualm alles ein. John Haggerty hing halb über dem Abgrund. Er bat und flehte, daß die Weißen vor dem grausamen Foltertod verschont würden. Aber auch das war vergeblich. In diesem Augenblick schwor der Scout den Mimbrenjos voller Grimm furchtbare Rache. Ich werde euch verfolgen, bis ihr nicht mehr wißt, wohin ihr
euch verkriechen sollt. Ich werde in eure Jacales eindringen, euch mit meinen Kugeln treffen, wo ich euch finde. Keiner soll verschont werden. So will es das mosaische Gesetz: Auge um Auge, Leben um Leben, Blut um Blut… Es wurde still dort unten beim Paßsattel. Die Apachen trieben Pferde und den alten Maulesel weg. Er würde den Abend nicht mehr überleben. Für Apachen galt Maultierfleisch als Leckerbissen. Die Stille wurde von keinem Laut mehr unterbrochen. Die Apachen waren fort. Nur der Rauch wurde vom Abendwind hin und her getrieben und in die Schluchten geweht. Fünf Tote lagen auf der Paßstraße, fünf Weiße, die Cochise vertraut und seinem Wort geglaubt hatten. Langsam erhob sich John Haggerty. Er fühlte, wie kalter Schweiß auf seiner Haut klebte. Er fühlte auch die große Leere in seinem Innern, und der verlorene Glaube an das Wort eines Mannes ätzte brennend in ihm wie Säure. Er ging zu Miller. Der sah ihn an. »Es ist vorbei?« fragte er. John nickte. »Sie sind weg. Victorios Horde.« Miller schloß die Augen wieder und schlief ein. John blickte hinüber zu den quarzdurchsetzten Felsen, die blutrot im Sonnenuntergang schimmerten und einen Glanz verbreiteten, der die Augen blendete. Er sah die dunklen Augen nicht, verborgen hinter stachelbewehrter Vegetation. Er sah auch die Gestalt in der einfachen Calicokleidung nicht, die sich wie eine Schlange davonwand und ein Pony bestieg. John Haggerty sah nichts mehr. Er machte die Augen zu und schlief ein, schlief den heilsamen Schlaf des völlig Erschöpften. * Cochise erfuhr noch in der selben Nacht von dem Massaker,
General Oliver O. Howard erst am dritten Tag. Mehrere Minuten lang stand der Häuptling ganz reglos da und ließ die Meldung seines Spähers in sich einträufeln. Victorio also, sein alter Widersacher. Cochise entließ den Krieger und betrat sein Wickiup. Seine Familie war vollzählig anwesend. Finstere Gesichter sahen ihn an, dunkle Augen glühten. Cochise fragte: »Ihr habt alles gehört und verstanden?« Naretana nickte. »Es war nicht zu überhören, Bruder. Schwere Zeiten stehen für die Chiricahuas bevor.« »Sie werden mich des Wortbruchs für schuldig erklären und wie ein Heuschreckenschwarm über unsere Jagdgründe herfallen. Wie kann der weiße Häuptling einem Chiricahua noch glauben?« Er setzte sich ans Feuer, hielt die Hände darüber, und bewegte die Finger. Mit keinem Blick beachtete er die Frauen, die sich im Hintergrund der indianischen Behausung aufhielten. Eine große Leere breitete sich in Cochise aus, Verzweiflung. Von nun an war er gebrandmarkt. Er fühlte sich allein in einer Welt von Verrat, und er wurde von tiefen Zweifeln erfüllt. Er hatte für seine Sippe gesorgt und alle Unbilden von ihr ferngehalten. Viel Fleisch, gute Rastplätze, warme Decken während kalter Nächte und kühles Wasser während heißer Tage bedeuteten nichts mehr, wenn die Pferdesoldaten auftauchten, um Rache zu nehmen für die Toten am Paß. Cochise wurde unruhig. Je mehr er grübelte, desto weniger sah er eine Chance, einigermaßen heil aus dieser Affäre herauszukommen. Unter seinen Kriegern hatte sich das Massaker bereits herumgesprochen. Trommeln pochten in einem ganz bestimmten Rhythmus. Der Jefe kannte die Zeichen. Er lehnte sich nicht gegen die Sitten und Gebräuche seines Volkes auf, dafür war in dieser Situation auch nicht die Zeit. Sein Gehirn suchte nach einer
Lösung, nach einem rettenden Einfall. Unwillkürlich dachte er an John Haggerty. Eine Weile hatte er geglaubt, er wäre der Mann, der dem tragischen Schicksal der Apachen eine Wendung geben konnte. Am Anfang hatte er den Scout mit seinem harten Durchsetzungsvermögen und den bitteren Augen gehaßt. Inzwischen wußte er, daß nur einer sie retten konnte, wenn es überhaupt jemanden gab. Cochises Blick streifte Tla-ina. Seine junge Schwester beschäftigte sich mit Näharbeiten. Sho-shu-li, seine Frau, sah ihn an und senkte den Blick wieder. Sie wirkte blaß und kränklich, aß kaum noch etwas und konnte in den Nächten nicht schlafen. Cochise wußte nicht, was ihr fehlte. »Regenbogen« redete nicht darüber, dazu war sie zu stolz. Die sorgenvollen Gedanken des Häuptlings glitten ab, beschäftigten sich wieder mit den Dingen, die mit ungeheurer Gewalt auf ihn einstürmten. Spätestens in einer Woche zogen vermutlich lange Kolonnen von Pferdesoldaten in die Dragoons, um die Zugänge zu den höhergelegenen Canyons abzuriegeln. Das war das Ende aller Chiricahuas. Unruhig erhob Cochise sich, ging vor dem Feuer auf und ab. Niemand störte ihn. Was hatte der Späher außerdem gesagt? Zwei weiße Männer hätten das Massaker verfolgt. Er hatte sogar die Stelle beschrieben, von wo aus sie den Paß und die Poststation beobachtet hatten. Sein Entschluß reifte von Sekunde zu Sekunde mehr. Cochise trat vor das Wickiup. Die Hitze des Tages hatte sich verflüchtigt, und ein kühler Wind durchwehte den Canyon. Der Häuptling fühlte, wie der Wind seine heiße Haut kühlte. Er mußte etwas unternehmen, nur über das Was war er sich nicht schlüssig. Er glaubte auf Gedeih und Verderb den
Schicksalsmächten ausgeliefert zu sein. Ein Krieger näherte sich ihm. Cochise drehte sich um und hoffte, daß es sein Sohn Naiche war. Es war Naiche. Der junge Mann blieb vor Cochise stehen, deutete mit ausgestrecktem Arm nach Westen, beschrieb einen Kreis und sagte: »Sorgen erfüllen dich, Vater. Victorio hat die Sache der Apachen verraten. Gehen wir zu dem Hellauge, der Tla-ina vor dem Stich des Peitschentieres rettete.« »Wie soll er uns helfen?« »Er kann es, wenn er will. Er hat gesehen, wer die Weißen tötete.« »Für die Pferdesoldaten sind Apachen alle gleich. Sie kennen die Unterschiede nicht und verstehen es nicht, sich in unsere Welt zu versetzen.« »Laß uns reiten«, sagte Naiche. Cochise nickte, setzte sich in Bewegung. Gemeinsam gingen sie zu dem Hecken-Corral und fingen sich zwei Ponys ein. Brütendes Schweigen hing über dem Canyon, als sie über die Rampe auf die Mesa ritten. Sogar der Wind hatte sich vorübergehend gelegt. Es war, als hätte sich ein Ereignis angekündigt. * Der neue Tag brach mit Hitze und einem glutheißen Wind über die Canyons herein. Am Himmel kreisten Bussarde wie schwarze Tupfen, ließen sich treiben, stießen aber nicht herab. Haggerty wurde stutzig, als er die Raubvögel beobachtete. Immer mehr Bussarde gesellten sich zu den anderen, aber sie machten keine Anstalten, ihre von der Natur vorgeschriebene Aufgabe zu erfüllen. Irgendwo in dieser menschenmordenden Einöde mußte es noch Leben geben, was die Vögel davon abhielt, sich den Toten zu nähern. John stand auf, schob die Decken zur Seite
und griff nach der Wasserflasche. Er nahm einen tüchtigen Schluck, ging zu Miller, dem es besser zu gehen schien, der aber noch schlief. John weckte ihn und hielt ihm die Flasche vor die Lippen. »Wie geht's dir heute?« »Besser. Ich hoffe, ich kann reiten.« Haggerty nickte, wies auf die Vögel und sagte: »Irgend jemand nähert sich dem Paß. Ich möchte noch eine Weile warten, bis ich sicher bin, wer da kommt.« »Indianer?« »Weiß ich nicht. Jedenfalls keine Mimbrenjos. Apachen kehren niemals wieder dahin zurück, wo sie Tote zurückließen. Hängt mit ihrem Glauben und ihrer Vorstellung vom Jenseits zusammen. Bleib ruhig liegen, Curt. Ich möchte feststellen, weshalb sich die Bussarde so zögernd verhalten.« Er ging bis zu dem Steilabfall, legte sich auf den Boden und kroch das letzte Stück. Plötzlich hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Der fünfte Mimbrenjo fiel ihm ein, aber der hatte sich bestimmt aus dem Staub gemacht. Sosehr er seine Augen auch anstrengte, er entdeckte niemanden. Keine Bewegung beim Paß. Nur die Raubvögel hoch über seinem Kopf zogen ihre lautlosen Kreise. Noch einmal warf er einen lauernden Blick über die wilde Landschaft, dann zuckte er mit den Achseln und kroch zurück. Als man ihn von unten nicht mehr beobachten konnte, stand er auf und ging zu Miller. »Nichts zu sehen, Curt. Trotzdem, ich traue der Stille nicht mehr. Ich wette, da tut sich was in unserer Umgebung.« »Wir müssen verschwinden, John.« Haggerty winkte ab. »Heute noch nicht, das hältst du nicht aus. Eine Nacht wollen wir noch abwarten.« Unruhig machte John eine Runde um das Felsmassiv. Auf dem Plateau lagen die toten Apachen, aber auch hier hatten die
Raubvögel noch nicht mit ihrem grausigen Werk begonnen. John Haggerty beendete seine Runde und kehrte zu Miller zurück. »Nichts zu sehen. Ich mache uns jetzt ein Frühstück.« »Vielleicht haben wir die Vögel aufgeschreckt?« »Glaube ich nicht. Sie haben sich längst an uns gewöhnt. Nein, es muß etwas anderes sein, das sie stört. Warten wir's ab. Nach dem Frühstück werde ich nach deiner Wunde sehen und den Verband erneuern.« Miller gab keine Antwort. Mit weiten Augen starrte er an Haggerty vorbei. John drehte sich um und sah Cochise vor sich stehen. Hinter dem Jefe wartete sein Sohn Naiche. Beide Männer musterten sich, John mit einer kalten Wut im Bauch, Cochise zurückhaltend. Keiner sagte ein Wort oder bewegte sich. John schloß halb die Augen und verlor seine Sicherheit. Er kam sich wie ein Kind vor gegen diesen Indianer. Als John Haggerty das Schweigen zu lange dauerte, sagte er schließlich: »Das Massaker dort unten ist dein Werk, Cochise. Dafür überreicht dir die Armee einen Orden. Du und dein Volk könnt stolz auf die Auszeichnung sein, Jefe.« Cochise reagierte nicht. Er hörte den Sarkasmus aus des Weißen Stimme, und das traf ihn tief. So tief, daß er einen Augenblick lang überlegte, einfach wieder umzukehren und voller Hilflosigkeit das zu erwarten, was er nach Lage der Dinge hinnehmen mußte. Aber er überwand sich, richtete sich hoch auf und blitzte den Scout zornig an. »Du warst Zeuge des Massakers, meine Späher berichteten es.« Haggerty nickte. »Stimmt«, gab er offen zu. »Hier oben war ich sogar dabei.« Er wies auf Miller, in dessen Gesicht langsam
wieder Farbe kam. Cochise blickte umher. Er sah die Pfeilspitze am Boden, stieß sie mit dem Mokassin an. Sein Gesicht blieb dabei ausdruckslos. Während seine Nasenflügel sich blähten, wandte der sich wieder an den Scout: »Du hast gesehen, wer das Haus der Weißen überfiel und den Männern die Skalps nahm. Berichte dem weißen Häuptling, wer es war, aber behaupte nicht, daß ich schuld sei oder den Befehl dazu gab.« Haggerty glaubte ihm nicht. »Natürlich sah ich es, und ebenso sicher weiß ich, daß du hinter der Sache steckst. Der Mimbrenjo wird es nicht wagen, auch nur gegen einen deiner Befehle zu handeln. Du hast dein Wort gebrochen, Chiricahua, den Frieden zunichte gemacht und einen neuen Krieg heraufbeschworen. Du allein trägst die Verantwortung für das, was künftig geschieht.« »Harte Worte. Falsche Worte. Sag noch einmal, daß ich es war, dann zerschmettere ich dich, Wurm!« John trat zurück, zog den Revolver. »Wage es nur, mich anzurühren, Jefe!« Die Drohung ließ den Chiricahua kalt. Er wollte sich trotz der gespannten Waffe auf den verhaßten Weißen stürzen, aber ein Zuruf hielt ihn auf. Naiche trat an seine Seite. »Reite!« sagte er im Befehlston. »Reite und berichte dem einarmigen Häuptling der Weißen, daß Cochise nichts von diesem Massager wußte, daß er nicht den Befehl dazu gab und auch jetzt nicht hinzunehmen gedenkt, daß Victorio unbestraft davonkommt. Reite!« »Ich kann nicht. Siehst du nicht, daß mein Gefährte schwer verwundet ist? Von einem Apachenpfeil«, fügte er verbittert hinzu. »Immer waren es die Pfeile der Apachen«, entgegnete der Häuptling mit dunkler Stimme. »In der Desertio, am Camino del Deablo, bei Pinos Altos, an hundert anderen Stellen
zugleich, aber kein Chiricahua würde jemals die Gran Desierto betreten. Verschwinde, weißer Mann, so lange ich meinen Großmut nicht bedaure!« Haggerty ließ den Revolverhahn knacken, um den Häuptling zu warnen. »Ich gehe, wann es mir paßt und wenn mein Freund den Ritt durchstehen kann. Schätze, das wird morgen sein. Ich reite also nicht heute, sondern erst morgen. Hast du etwas einzuwenden, Jefe?« Der Grimm zuckte wie Blitz aus Cochises Augen. Er ballte die Hände und wollte sich erneut auf Haggerty stürzen. Aber wieder war es Naiche, dessen Ruf ihn zurückhielt. Der junge Krieger sagte ein paar Worte in seiner Sprache zu Cochise, die John nicht verstand. Der Jefe wurde merklich ruhiger. Sein glühender Blick richtete sich in die Ferne, und John schien es, als wäre er plötzlich irritiert. Was hatte Naiche ihm gesagt? »Du hast Tla-ina vor der giftigen Spinne gerettet. Ich stehe deswegen in deiner Schuld, Weißauge. Du kannst auf meinem Land bleiben, bis dein Gefährte wieder gesund ist, aber sage nie wieder, daß Cochise sein Wort gebrochen hat. How!« Würdevoll drehte er sich um und ging davon. Naiche folgte ihm. Beide waren hochgewachsen und ähnelten sich in ihrer grauen Wüstenkleidung. Als sie hinter den Felsen verschwanden, fühlte sich John Haggerty plötzlich einsam. * »Würden Sie das alles zu Protokoll geben, Mr. Haggerty? Auch die kleinen, aber wichtigen Details?« »Selbstverständlich, Sir. Ich schreibe heute abend den Bericht.« »Danke«, sagte General Howard freundlich. »Bitte, fahren Sie fort.«
»Cochise war plötzlich auf dem Plateau. In seiner Begleitung war sein Zweitältester Sohn Naiche. Ich beschuldigte ihn, das Massaker veranlaßt zu haben. Aber er wollte nichts davon wissen. Nun gut, es war nicht richtig, diesen stolzen Häuptling zu beleidigen. Ich weiß, wie empfindlich sie sind, wenn es um Ehre und Gewissen geht. Aber ich konnte nicht anders. In mir kochte es, und immer, wenn ich mir vorstellte, wie die Postleute unten im Paß in ihrem Blut lagen, skalpiert und geschändet, platzte mir der Kragen.« »Wie reagierte Cochise auf Ihre Beleidigung, Mr. Haggerty?« fragte Colonel White. Walmann sah nur herüber, sagte kein Wort und verhielt sich abwartend. »Er war empört, Sir. Wenn ihn Naiche nicht davon abgehalten hätte, wäre er trotz meines gespannten Revolvers mit dem Messer auf mich losgegangen.« »Hätten Sie geschossen, Mr. Haggerty?« fragte Walmann schnell und trat vor den Scout hin. »Ich weiß es nicht, Sir. Ich kann es wirklich nicht mit Bestimmtheit sagen. Jedem platzt ja mal der Kragen, oder? Muß man deswegen gleich zum Totschläger werden?« »Aha! Sehr vernünftig gesprochen, Scout«, bemerkte Colonel Walmann. Er legte Haggerty eine Hand auf die Schulter, nichts weiter als eine freundschaftliche Geste. »Was glauben Sie denn? Sind Sie der Meinung, daß Cochise das Massaker angestiftet oder geduldet hat?« Haggerty starrte auf seine staubigen Stiefel. Diese Frage hatte er sich während des Ritts zum Camp hundertmal gestellt. Sogar mit Miller hatte er darüber diskutiert. Der war jedoch zu schwach gewesen, um sich auf eine längere Auseinandersetzung einzulassen. »Nun?« fragte Colonel Walmann mit schmalen Augen. »Ich glaube es nicht, Sir«, erwiderte der Scout mit fester, überzeugender Stimme. »Ich halte ihn für einen Ehrenmann. Aber die Hautfarbe allein macht noch keinen Gentleman.«
»Was wollen Sie damit sagen?« Howard schaltete sich ein, schenkte Haggerty ein freundliches Lächeln und drehte sich dann White zu. »Da hören Sie es, Colonel. Ich glaube es übrigens auch nicht. Victorio hat sich da einen Alleingang geleistet, der Cochise teuer genug zu stehen kommen kann, wenn die Weißen keine einsichtigen Führer hätten.« »Sie meinen, Sir…?« »Ja«, entgegnete General Howard hart, »ich meine. Und daß ich richtig liege, bestätigt Haggerty.« White zog sich ein Stück zurück, bis außerhalb des Lampenscheins. Seine Miene drückte Unmut aus. »Ich frage mich immer, ob es angebracht ist, die Apachen mit Samthandschuhen anzufassen? Eines Tages wird diese Nachsicht vielen, vielen Weißen in diesem Land das Leben kosten. General… Sir, für mich ist Cochise schuldig. Greifen wir die Chiricahuas an!« »Gut und schön«, sagte Howard. »Unsere Meinungen gehen eben auseinander. Macht nicht das geringste aus. Nur, womit sollen wir die Chiricahuas angreifen? Ich meine, woher soll ich die Soldaten nehmen, wenn das Oberkommando mir zusätzliche Truppen verweigert?« White wollte aufbegehren, aber Walmanns warnender Blick hielt ihn davon ab. »Der General hat recht«, sagte Colonel Walmann ohne rechte Begeisterung. »Wir haben einfach nicht genügend Soldaten, um sie in die Berge zu schicken. Es wäre glatter Selbstmord, mit den wenigen Männern in Cochises Reich einzudringen. Wenn wir klug sein wollen, müssen wir zunächst Victorio für den Übeltäter halten. Das erspart uns eine Entscheidung, die tödlich für unsere Soldaten sein kann. Und wenn wir noch ein wenig klüger erscheinen wollen, als nur klug, lassen wir das Cochise auch irgendwie wissen. Möglicherweise hält ihn dies von unüberlegten Entscheidungen ab, die ihm vielleicht
aufgezwungen werden.« Howard nickte zu Walmanns Worten. Sein Gesicht wurde ernst und nachdenklich. Eine Weile sagte er gar nichts, dann wandte er sich wieder an Colonel Walmann: »Wie könnte das geschehen?« fragte er. Walmann deutete auf John Haggerty, aber der Scout wehrte ab. »Das riskiere ich nicht noch einmal, Sir. Cochise wird mich diesmal zu Tode martern lassen. Bei den vielen Beleidigungen, die ich ihm ins Gesicht schleuderte, wäre ich keine Minute lang meines Lebens sicher.« »Ausgeschlossen, Mr. Haggerty. Schließlich sind Sie Parlamentär und genießen einen Sonderstatus.« »General, sind Sie sicher, ob Cochise den Begriff überhaupt kennt? Weiß er, daß ein Unterhändler immun ist, nicht verletzt und nicht gefangengenommen werden darf?« »Nein, wohl kaum.« General Oliver O. Howard konnte es nicht wissen. Hilflos zuckte er mit den Achseln und schwieg. Walmann schaltete sich wieder ein: »Wie solch ein Unternehmen ausgehen kann, läßt sich mit absoluter Sicherheit nicht voraussagen, Mr. Haggerty. Nur, alle Augen in der Armee blicken auf Sie. Der Lohn müßte Ihnen eigentlich das Risiko wehrt sein.« »Sir, welcher Lohn?« »Der Ruhm, derjenige gewesen zu sein, der der Vernunft zum Sieg verhalf.« Haggerty fühlte sich überrumpelt. Mechanisch, ohne es zu wollen, nickte er. Walmann hakte sofort nach. »Also einverstanden. Wann reiten Sie, Mr. Haggerty?« »Morgen«, erwiderte John. Dabei wurde sein Rücken von einer Gänsehaut überzogen. General Howard sah ihn prüfend an.
»Wenn Sie das schaffen, Haggerty, garantiere ich Ihnen das Offizierspatent. Viel Glück und gesunde Rückkehr!«
ENDE