Mit siebzehn hat man noch Träume Miranda Lee
Romana 1320
12/1 2000
gescannt von suzi_kay korrigiert von Geisha0816
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Mit siebzehn hat man noch Träume Miranda Lee
Romana 1320
12/1 2000
gescannt von suzi_kay korrigiert von Geisha0816
1. KAPITEL Der Jumbojet, der am Flughafen von Mascot eintraf, hatte sich um zwanzig Minuten verspätet. Antonio war einer der ersten Passagiere, die das Flugzeug verließen. Der Vorsitzende der europäischen Abteilung von Fortune Productions sah nicht gerade so aus, als hätte er einen anstrengenden vierundzwanzigstündigen Flug von London nach Sydney hinter sich. Sein modischer grauer Anzug saß weiterhin tadellos, keine Knitterfalten waren zu sehen. Er hatte das glatte schwarze Haar nach hinten gekämmt und war frisch rasiert. Die dunklen Augen sahen klar und erholt in die Welt. Natürlich hing dies mit den Vorzügen eines Fluges in der ersten Klasse zusammen. Aber Antonio Scarlatti war nicht immer auf diese luxuriöse Weise geflogen. Er wusste, wie es war, stundenlang gedrängt in einem Zug zu stehen, keine Zeit zum Schlafen zu haben und dann auf Leute zu treffen, die die Nase über ihn rümpften, weil sein Anzug zerknittert und sein Job alles andere als prestigeträchtig war. Er hatte nicht die geringste Absicht, auf dieses Niveau wieder herabzusteigen. Es war ihm gelungen, ganz nach oben an die Spitze zu gelangen, und dort wollte er auch bleiben. Die Welt war für Gewinner da. Und für die Reichen. Mit vierunddreißig war Antonio endlich beides.
Die Firmenlimousine stand mit laufendem Motor am üblichen Platz für ihn bereit. Antonio stieg hinten ein und ließ sich erleichtert in die weichen Polster sinken. "Morgen, Jim", begrüßte er den Chauffeur. "Morgen, Tone." Antonio lächelte leise. Er war wieder in Australien, das ließ sich nicht leugnen. In London und überall sonst in Europa sprachen ihn die Fahrer nur mit "Mr. Scarlatti" an. Aber hier war alles viel zwangloser. Außerdem kannten Jim und er sich jetzt schon seit vielen Jahren. Schön, wieder zu Hause zu sein, dachte Antonio. Endlich konnte er dem üblichen Rummel einmal für zwei Wochen entgehen. In seinem Vertrag stand, dass er alle drei Monate zwei Wochen lang nach Hause fliegen und sich dort erholen konnte. Das war auch nötig, denn für gewöhnlich arbeitete er sieben Tage in der Woche. Es war seine Aufgabe, die vielen hundert Fernsehprogramme, an denen Fortune Productions die Rechte besaß, an die europäischen Fernsehsender zu verkaufen und dafür Werbung zu machen. Dieser Job beschäftigte ihn rund um die Uhr. "Direkt nach Hause, Jim", sagte er und schloss die Augen. Er hatte sich vor einigen Jahren ein luxuriöses Apartment gekauft, das einen wunderbaren Blick auf das Hafenbecken von Sydney bot. Er konnte es kaum noch erwarten, den Komfort, den die Wohnung bot, zu genießen. In den letzten Tagen war er von einem Termin zum anderen gehetzt und hatte viele wichtige Leute treffen müssen. Jetzt brauchte er nur noch Ruhe und Frieden. "Tut mir Leid, Tone, aber daraus wird nichts", entgegnete der Chauffeur, während er an der langen Reihe von Taxies vorbeifuhr, die dort auf die nächsten Passagiere warteten. "Der Boss möchte, dass du mit ihm frühstückst." Antonio öffnete die Augen und stöhnte leise. Er hoffte, dass es sich bei diesem Frühstück nicht um eines jener Medientreffen
handelte, für die Conrad eine Schwäche hatte und die er von Herzen verabscheute. "Und wo, zum Teufel, soll das stattfinden?" fragte er irritiert. "Im Taj Mahal." "Na, wenigstens etwas", murmelte Antonio. Das Taj Mahal war Jims Spitzname für Conrad Fortunes Residenz in Darling Point. Der Name war gut gewählt. Es gab in der Gegend nur wenige Gebäude, die so protzig waren. Und Darling Point war einer der exklusivsten Vororte von Sydney. Die Fassade des Hauses zierten mehr Säulen als das Kolosseum, im Foyer lag mehr Marmor aus als im Britischen Museum, und die zahlreichen Statuen und Springbrunnen im Garten hätten einer römischen Villa alle Ehre gemacht. Hinter dem Haus befanden sich ein solarbeheizter riesiger Swimmingpool und zwei Tennisplätze. Antonio fand das Haus ausgesprochen geschmacklos. Aber es war gleichzeitig auch imponierend, daran konnte kein Zweifel bestehen. Junge Debütantinnen rissen sich geradezu um Einladungen auf eine von Conrads berühmten Partys, zu der Prominente aus dem ganzen Land kamen. Magazine und Fernsehprogramme berichteten live über diese Ereignisse, und alle wollten wissen, was sich hinter den gut gesicherten hohen Mauern abspielte. "Hast du eine Idee, was der alte Knabe von mir will?" fragte Antonio stirnrunzelnd. "Keine Ahnung", erwiderte Jim. Antonio gab es auf, darüber nachzudenken. Er würde den Grund schon noch erfahren. Fünfzehn Minuten später hielt die Limousine in der Einfahrt an. Diesmal ging Jim um den Wagen und öffnete Antonio die Tür. "Den wirst du nicht brauchen", bemerkte er, als Antonio nach seinem Laptop greifen wollte.
Antonio warf ihm einen scharfen Blick zu. Jim wusste also doch, was Conrad von ihm wollte. Es sah ganz so aus, als wäre es keine geschäftliche Angelegenheit. Das wurde ja immer merkwürdiger! Auf sein Klingeln hin öffnete die Haushälterin ihm die Tür. Evelyn musste etwa Ende vierzig sein. Sie war eine füllige, mütterliche Frau, genauso bieder wie alle anderen Hausangestellten. Nachdem Conrad einmal in seinem Leben auf ein Hausmädchen hereingefallen war, das ebenso attraktiv wie ehrgeizig gewesen war, hatte er seine Lektion gelernt. Obwohl er inzwischen fast siebzig war, interessierte er sich noch immer sehr für das andere Geschlecht. Man munkelte, dass er drei Geliebte habe - eine hier in Sydney, eine in Paris und eine auf den Bahamas. Evelyn war jetzt bereits seit über zehn Jahren seine Haushälterin. Sie war tüchtig und zuverlässig. Aber was noch wichtiger war, sie war sehr verschwiegen, besonders der Presse gegenüber. "Mr. Conrad erwartet Sie bereits", sagte sie zu Antonio. "Er ist im Salon." Der Salon führte hinaus auf die Terrasse, die an den Pool grenzte. Die hohen Fenster lagen nach Nordosten, was bedeutete, man hatte das ganze Jahr über Licht. An einem Wintermorgen war dieser Raum ein richtiger Traum. Im Sommer wurde es dort allerdings trotz der Klimaanlage manchmal sehr heiß. Auch im Frühling war es schön, dann besaß die Luft eine erfrischende Kühle. Conrad saß an dem großen, ovalen Glastisch in der Mitte des Raums. Er trug einen dunkelblauen Morgenmantel. Trotz seines fortgeschrittenen Alters besaß er noch immer eine volle silbergraue Haarmähne. Auffallend waren seine stechenden hellblauen Augen. Als Antonio eintrat, begutachtete sein Boss ihn von Kopf bis Fuß. Antonio blieb dies natürlich nicht verborgen. Was fiel dem alten Knaben ein, prüfte er ihn etwa
auf seine Tauglichkeit als Serienstar? Was mochte er von ihm wollen? "Setzen Sie sich, Antonio", befahl Conrad. "Wie war's mit einem schönen starken Kaffee?" Ohne Antonios Antwort abzuwarten, nahm er die Kaffeekanne und goss ihm eine Tasse ein. "Also, was ist los? Warum wollten Sie mich sprechen?" fragte Antonio, nachdem er die Tasse entgegengenommen hatte. Conrad warf ihm einen abschätzigen Blick zu, und Antonio spürte erneut, wie sich ihm der Magen zusammenzog. Er wusste instinktiv, dass ihm das, was sein Boss ihm zu sagen hatte, nicht gefallen würde. "Paige ist wieder da", verkündete dieser unvermittelt. Na und, hätte Antonio fast gefragt. Was war daran so ungewöhnlich? Conrads unberechenbare Tochter war seit ihrem siebzehnten Lebensjahr immer wieder von zu Hause fortgelaufen. Genauso regelmäßig war sie auch wieder zurückgekehrt, etwa im Abstand eines Jahres. Aber kaum war sie wieder da, hatte sie meist auch schon begonnen, ihre Koffer zu packen. In den meisten Fällen hatte sie ihrem Vater verkündet, dass sie mit Freundinnen zusammenziehen werde. Aber in dem Bericht des Privatdetektivs, den ihr Vater engagiert hatte, stand meist, dass sie mit einem gut aussehenden Mann zusammengezogen war, einem Künstler oder Musiker. Paige hatte offensichtlich eine Schwäche für kreative Menschen. Natürlich teilten sie mehr als nur den Kühlschrank miteinander. Zuerst hatte Conrad sich Sorgen gemacht, dass man Paige wegen ihres Geldes ausnutzen würde. Eine ganze Familie hätte ohne Probleme von der monatlichen Überweisung leben können, die er seiner Tochter schickte. Aber merkwürdigerweise hatte Paige von Anfang an nicht einen Penny von dem Geld angerührt. Dabei hatte es sich um beträchtliche Summen gehandelt. Als Conrad feststellen musste, dass sie das meiste
davon an Greenpeace überwiesen und sich einen Job gesucht hatte, hatte er die Zahlungen eingestellt. "Dann soll sie doch arbeiten, wenn sie es unbedingt will", hatte er damals wütend zu Antonio gesagt. Aber natürlich gefiel es ihm gar nicht, wenn er erfuhr, dass sie als Kellnerin in irgendeinem Cafe oder als Barfrau in einem Club arbeitete. Seine größte Angst bestand allerdings darin, dass Paige von einem ihrer Wohngemeinschaftsfreunde schwanger wurde und das Baby dann mit nach Hause bringen würde. Babys waren Conrad ein Gräuel. Und dieser Umstand brachte Antonio auf eine Idee. "Sie ist doch nicht zufällig schwanger, oder?" fragte er besorgt. "Nein, aber sie wird ziemlich viel Ärger bekommen, wenn nicht langsam etwas passiert, das versichere ich Ihnen. Wussten Sie eigentlich, dass sie nächste Woche dreiundzwanzig Jahre alt wird?" Antonio war überrascht. Wie schnell die Zeit vergangen war! "Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie alles probiert haben", sagte er aufrichtig. Die meisten Mädchen hätten sich um das gerissen, was Paige alles hatte. Ein wunderschönes Heim. Designerkleidung. Eine monatliche Zuwendung, die einer Prinzessin würdig gewesen wäre. Aber sie hatte alles zurückgewiesen. "Nein", sagte Conrad in diesem Moment. Er sah Antonio scharf an. "Es gibt etwas, was ich noch nicht probiert habe." "Und das wäre?" "Heirat", verkündete Conrad. "Einen Mann zu heiraten, der sie im Griff hat." Antonio konnte nicht anders, er musste einfach lachen. "Sie glauben doch wohl nicht ernsthaft, dass Paige einen Mann heiraten würde, den Sie ihr ausgesucht haben, oder?"
"Nein, natürlich nicht. Ich dachte mehr an einen Mann, den sie sich ausgesucht hat. Um es genau zu sagen, habe ich an Sie gedacht." Antonio blickte ihn entgeistert an. "An mich?" Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. "Ja, an Sie. Jetzt tun Sie doch nicht so, als würde Sie das groß überraschen. Meinen Sie, ich wüsste nicht, was passiert ist, bevor Paige damals zum ersten Mal von zu Hause fortgelaufen ist? Nachdem ich den Privatdetektiv engagiert habe, hat er als Erstes unser Personal interviewt. Jemand hat den kleinen Zwischenfall am Pool zwischen Paige und Ihnen mitbekommen. Das hätten Sie nicht gedacht, was?" Als Antonio die Situation erklären wollte, bedeutete Conrad ihm zu schweigen. "Sie brauchen sich vor mir nicht zu rechtfertigen", verkündete er. "Meiner Meinung nach haben Sie genau das Richtige getan. Woher hätten Sie auch wissen können, dass das kleine Dummchen Ihre Zurückweisung so ernst nehmen und mit gebrochenem Herzen davonlaufen würde?" "Aber ihr Herz war doch gar nicht gebrochen", erwiderte Antonio empört. "Jedenfalls hat sie nicht lange gezögert, sich den nächsten Liebhaber zu angeln. Mit ihrem Kummer kann es also nicht weit her gewesen sein." "Aber ein Mädchen vergisst ihre erste Liebe niemals." "Unsinn! Ich war nie ihre erste Liebe. Das hat sie sich alles nur eingebildet." Das war ja unglaublich! Er hatte Paige damals noch nicht einmal geküsst. Er war sehr höflich zu ihr gewesen, als sie in den Ferien aus dem Internat nach Hause gekommen war, und er hatte sich öfter angeregt mit ihr unterhalten, wenn sie sich zufällig trafen. Er hatte damals als Conrads persönlicher Assistent gearbeitet, es war sein erster Job bei Fortune Productions gewesen. Niemand war überraschter gewesen als er,
als Paige sich ihm an jenem Tag am Pool praktisch in die Arme geworfen und ihm ihre glühende Liebe gestanden hatte. Natürlich war dies nur die Schwärmerei eines verliebten Teenagers gewesen, und er hatte die Sache dementsprechend behandelt. Trotzdem war ihm klar, dass Paige die personifizierte Verführung für jeden Mann war, denn sie war außerordentlich hübsch. Außerdem hatte sie an jenem denkwürdigen Tag einen so knappen Bikini getragen, dass er den Blick kaum hatte abwenden können. Er hatte nämlich eine Schwäche für blonde Frauen, besonders für große, schlanke blonde Frauen mit blauen Augen, mit einer großen Oberweite und einer Taille, die man mit zwei Händen umspannen konnte. All dies besaß Paige in reichem Maß. Antonio hatte sie damals resolut zurückgewiesen und ihr klipp und klar erklärt, dass er ihre Gefühle nicht erwidere. Er konnte sich auch noch erinnern, sie als ein dummes kleines Ding bezeichnet zu haben. Das hatte nicht gestimmt, wie er sich selbst eingestehen musste. Sie mochte ein dummes kleines Ding sein, aber sie war gleichzeitig ungewöhnlich hübsch und sehr, sehr sexy. Als er sie an manchen Abenden beim Essen in ihren kurzen, engen Kleidern gesehen hatte, hatte er viele verbotene Träume gehabt. Wenn Paige die Tochter eines anderen Mannes gewesen wäre, wäre die Szene am Pool vielleicht anders verlaufen. Aber Antonio lag viel an seinem Job, und er würde ihn bestimmt nicht wegen eines jungen Mädchens aufs Spiel setzen, das die Tochter seines Bosses war. Vielleicht hätte ich sie nicht so brutal zurückweisen sollen, hatte er im Nachhinein gedacht. Es war ihm nicht entgangen, wie gedemütigt sie sich hinterher gefühlt hatte. Sie hatte sogar Tränen in den Augen gehabt. Und natürlich hatte er sich auch Vorwürfe gemacht, als er erfuhr, dass sie fortgelaufen und nicht zur Schule zurückgekehrt war. Das war kurz vor ihrer Abschlussprüfung gewesen.
Doch als der Privatdetektiv wenig später berichtete, dass sie an der Nordküste mit einem Surfer zusammenlebe, der viel älter war als sie, hatten sich Antonios Schuldgefühle gelegt. Offensichtlich besaß die Hütte, in der die beiden ihr romantisches Leben lebten, nur ein einziges Schlafzimmer. Man konnte sich also unschwer vorstellen, was sich dort abspielte. Die Beziehung war ganz gewiss nicht nur rein platonisch. Paige hatte es auch gar nicht bestritten, als Antonio höchstpersönlich auf Conrads Bitte dort aufgetaucht war, um sie wieder zurückzuholen. Antonios Ego hatte einen schweren Schlag erlitten, als er sah, wie gleichgültig sie ihn begrüßt hatte. Sie schien über ihre Schwärmerei schnell hinweggekommen zu sein. Aber die Gefühle, die er vielleicht für sie hätte entwickeln können, lösten sich schnell in Luft auf, als er sah, unter welchen Umständen sie mit ihrem Freund lebte. In seinen Augen bedeutete Paige nichts Gutes, mit ihr hatte man nur Ärger. Deshalb vermied er auch jede Begegnung mit ihr, was glücklicherweise nicht so schwer war. Zuletzt hatte er sie auf Conrads letzter Weihnachtsparty im vorigen Jahr gesehen. Damals hatte sie ein extrem kurzes rotes Cocktailkleid getragen, das reizvolle Einblicke in ihr Dekollete gewährte. Verärgert hatte Antonio sich eingestehen müssen, dass er sie am liebsten auf der Stelle in ihr Schlafzimmer getragen, dort ausgezogen und die ganze Nacht geliebt hätte. Stattdessen hatte er versucht, sie zu ignorieren, und sich alle Mühe gegeben, sich um seine damalige Begleiterin, eine Anwältin, die ebenfalls für die Firma arbeitete, zu kümmern. Seit jenem denkwürdigen Abend hatte er Paige nicht mehr gesehen, schließlich hatte er sie komplett vergessen. Und jetzt machte ihr Vater ihm diesen Vorschlag! "Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Conrad", erwiderte er kopfschüttelnd. "Es ist mein voller Ernst."
"Aber die Idee ist doch absurd!" "Ja? Warum? Damals war sie bis über beide Ohren in Sie verliebt, ob Ihnen das nun gefällt oder nicht. Glauben Sie etwa, ich hätte nicht gemerkt, wie Frauen auf Sie reagieren? Wenn Sie wollten, könnten Sie jede haben. Ein junges Mädchen wie Paige sollte für Sie doch gar kein Problem sein." "Aber ich will gar nicht, dass sie sich in mich verliebt", entgegnete Antonio heftig. "Und ich habe auch nicht vor, sie zu heiraten. Schlagen Sie sich die Sache aus dem Kopf." "Darf ich fragen, warum?" Antonio hätte es ihm erklären können, wenn er gewollt hätte. Es war noch gar nicht so lange her, da hatte er sich unsterblich verliebt - ausgerechnet in die Tochter seines ehemaligen Bosses. Er war davon ausgegangen, dass Lauren ihn genau so liebte wie er sie. Aber als es dann um ihre Entscheidung ging, hatte sich herausgestellt, dass sie doch nicht bereit war, sich mit einem Mann zu verbinden, dessen Eltern italienische Einwanderer gewesen waren und der außer seinem guten Aussehen wenig vorzuweisen hatte. Antonio hatte damals als Weinhändler gearbeitet und ein durchschnittliches Gehalt bezogen. Aber das hatte Lauren nicht genügt. Er war für sie nur eine kurze Episode gewesen, dann hatte sie sich schließlich in die Arme eines Mannes geflüchtet, der ebenso reich war wie ihr Vater. Antonio hatte das sehr getroffen. Er war am Abend ihrer Verlobung total betrunken auf der Party erschienen und hatte ihr eine Szene gemacht. Natürlich war er sofort gefeuert worden, und es hatte mehrere Monate gedauert, bis er einen neuen Job gefunden hatte. In der Zwischenzeit hatte er von der Hand in den Mund gelebt. Als Conrad ihn schließlich als persönlichen Assistent engagiert hatte, war er überglücklich gewesen. Wahrscheinlich war ihm die Tatsache, dass er über fünf Sprachen fließend sprach, dabei zu Hilfe gekommen. Seit jenem Tag hatte Antonio wie ein Verrückter gearbeitet, um kontinuierlich in der Firma aufzusteigen. Jetzt war er fast an
der Spitze, und er dachte nicht im Traum daran, alles, was er erreicht hatte, für ein verwöhntes junges Ding aufs Spiel zu setzen. "Falls ich jemals heiraten sollte, Conrad", sagte er eisig, "muss ich in diese Frau unsterblich verliebt sein." Dass das geschehen würde, war ziemlich unwahrscheinlich. Als sein Boss darauf nichts erwiderte, fragte er nach: "Wenn ich mich weigere, kostet es mich dann meinen Job?" Conrad schüttelte entschieden den Kopf. "Nein, natürlich nicht. Wofür halten Sie mich?" Diese Frage wollte Antonio lieber nicht beantworten. Aber es war allgemein bekannt, dass man nicht aus reiner Menschenliebe zu einem der reichsten Männer Australiens wurde. In den sechs Jahren, in denen er für Conrad arbeitete, hatte Antonio viele Informationen über dessen Geschäftsmethoden gesammelt. Conrad kam von ganz unten. Er war der Sohn bettelarmer polnischer Immigranten und hatte damals seinen Namen von "Fortuneski" in "Fortune" verändert. Er hatte das Glück gehabt, einer der Männer der ersten Stunde für das australische Fernsehen zu sein. Das war in den fünfziger Jahren gewesen. Er hatte als Kameramann angefangen, später eine eigene Firma gegründet und schließlich die Hechte für eine amerikanische Gameshow erworben, die wie eine Bombe eingeschlagen hatte. So hatte er seine erste Million gemacht. Dem waren weitere Gameshows und noch mehr Millionen gefolgt. In den sechziger Jahren war er dann der Erste gewesen, der eigene Soaps entwickelt hatte, darunter eine Serie, die besonders erotisch und skandalös war. Durch diesen Erfolg wurde sein Vermögen noch vermehrt, und inzwischen zählte Fortune Productions zu den größten Firmen im Lande. Conrad hatte immer für seine Arbeit gelebt und nicht im Traum daran gedacht, jemals zu heiraten. Damals war er erst fünf und vierzig Jahre alt gewesen. Aber dann hatte er den
Fehler gemacht, seiner Haushälterin freie Hand gegeben, das Personal nach Belieben einzustellen und auch zu feuern, und sie hatte Paiges Mutter engagiert, damit sie bei Tisch bediente. Es kam, wie es kommen musste. Nach einem längeren alkoholisierten Abendessen wurde Paige gezeugt. Für Conrad war dies ein Schlag ins Gesicht gewesen. Doch angesichts der drohenden Vaterschaft hatte er das einzig Richtige getan und die Frau geheiratet. Natürlich hatte er gehofft, dass sie ihm einen Sohn schenken würde, der irgendwann einmal das Geschäft übernehmen konnte. Stattdessen wurde Paige geboren. Die Verbindung zwischen ihm und der Frau war nicht sehr glücklich, und als sie nach einem Jahr mit einem Vertreter nach Amerika floh, war Conrad nicht besonders erschüttert gewesen. Antonio vermutete, dass die Nachricht ihres Todes - sie war wenige Jahre später an einer Überdosis Schlaftabletten in einem New Yorker Hotel gestorben - Conrad ebenfalls wenige schlaflose Nächte beschert hatte. Er war schließlich kein besonders sentimentaler Mann. "Ich habe vor, mich gegen Ende des Jahres aus dem Geschäft zurückzuziehen", fuhr Conrad in diesem Moment fort. Antonio kehrte schlagartig in die Gegenwart zurück. "Ich plane, für die restlichen Jahre auf den Bahamas zu leben. Dann wird natürlich meine Position als Vorstand der Firma frei. Ich möchte Ihnen hiermit mitteilen, dass ich Sie als meinen Nachfolger ausersehen habe", setzte er genüsslich hinzu. Antonio hielt den Atem an. Das war ja eine fantastische Nachricht! "Aber nur, wenn Sie bis dahin mein Schwiegersohn sind." "Das ist ja ungeheuer", rief Antonio wütend aus. "Wissen Sie, wie man das nennt? Erpressung!" Conrad schüttelte den Kopf. "Sie irren sich, mein Lieber. So pflegt man Geschäfte zu machen, das ist alles. Wer kann sich besser um eine Firma
kümmern als ein Mitglied der Familie? Als Italiener sollten Sie doch wissen, wovon ich spreche." Antonio konnte sich nur noch mühsam zurückhalten. "Und was passiert, wenn ich ablehne?" "In diesem Fall würde ich Brock Masters dasselbe Angebot machen. Er kommt meiner Meinung nach ebenfalls für diesen Job infrage - für beide Jobs." Antonio biss sich auf die Lippe. Brock Masters war Vorsitzender der North American Division. Nach außen hin war er sehr charma nt, aber man konnte ihm nicht trauen. Er war zwar sehr attraktiv, aber seine Moralvorstellungen glichen denen des Marquis de Sade. "Er würde die Firma ruinieren", sagte Antonio entsetzt. "Und er würde Ihre Tochter zerstören", setzte er hinzu. "Wenn Sie das wirklich glauben", meinte Conrad, "wissen Sie doch, was zu tun ist." "Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, dass Sie völlig skrupellos sind?" "Schon öfter." "Wollen Sie deshalb, dass ich Ihre Tochter heirate?" Conrad schüttelte den Kopf. Er wirkte plötzlich sehr ernst. "Paige braucht endlich einen richtigen Mann, nicht immer diese Jungen, mit denen sie sich umgibt. Einen richtigen Mann, der ihr Grenzen setzt und der ihr aber auch das gibt, was sie braucht." "Und das wäre?" "Was alle Frauen sich wünschen. Liebe natürlich." "Aber Conrad! Verdammt noch mal, Sie wissen doch ganz genau, dass ich sie nicht liebe." Conrad zuckte die Schultern. "Liebe ist doch sowieso nur eine Illusion. Sagen Sie Paige einfach, dass Sie sie lieben. Solange der Sex zwischen Ihnen beiden gut ist, wird sie den Unterschied gar nicht merken. Und
ich gehe davon aus, dass er gut sein wird. Die Damen scheinen in dieser Hinsicht ja alle sehr zufrieden mit Ihnen zu sein." Antonio starrte seinen Boss an. Einen Moment lang tat ihm Page fast Leid, weil sie einen so kaltblütigen Mann zum Vater hatte. Aber er war natürlich auch nicht dumm, und er wusste ganz genau, dass seine Tage bei Fortune Productions gezählt waren, wenn er das Angebot ablehnte. Brock Masters war sein schärfster Konkurrent. Er würde sich alle zehn Finger nach einem solchen Angebot lecken. Es gab natürlich immer die Möglichkeit, dass er kündigte und sich nach einem anderen Job umsah. Aber er hatte schon viel in die Firma investiert, und natürlich lag ihm seine Karriere sehr am Herzen. Die Vorstellung, dass Conrad seine einzige Tochter mit einem Mann verkuppeln wollte, der für seine Kokainsucht, seine amoralische Haltung und seine perversen Vorlieben bekannt war, gefiel Antonio ganz und gar nicht. Nein, das hatte Paige nicht verdient, auch wenn sie ein naives junges Ding sein möchte. Er gab sich einen Bück und nickte. "Also gut", sagte er entschlossen. "Ich nehme Ihr Angebot an. Aber ich möchte, das wir alles schriftlich festhalten." "Natürlich, mein Junge." Conrad strahlte. "Gar kein Problem. Ich werde sofort meinen Anwalt bitten, ein entsprechendes Schreiben aufzusetzen. Wenn Sie heute Abend zum Dinner kommen, können Sie es gleich mitnehmen." Antonio sah ihn stirnrunzelnd an. "Heute Abend?" Conrad nickte. "Ich dachte, je früher Sie loslegen, desto besser. Schließlich müssen Sie in vierzehn Tagen wieder in London sein. Eine kleine Romanze wird Ihnen gut tun. Paige könnte dann als Ihre Verlobte gleich mit Ihnen zurückfliegen." Antonio blickte ihn ungläubig an. "Sie erwarten doch wohl nicht, dass es so schnell geht, oder? Glauben Sie, sie willigt in so kurzer Zeit ein, mich zu heiraten?"
"Ich kann mich erinnern, dass Sie in kürzerer Zeit weitaus schwierigere Verhandlungen erfolgreich zum Abschluss gebracht haben", sagte Conrad augenzwinkernd. "Und da wir gerade über Verträge reden ... An dem Tag, an dem Sie meine Tochter heiraten, werde ich Sie zum Vorstandsvorsitzenden meiner Firma machen. Außerdem habe ich vor, Ihnen dieses Haus zu schenken." "Das ist wirklich sehr großzügig von Ihnen", erwiderte Antonio sarkastisch. "Der Vertrag reicht mir. Ich würde nicht im Traum daran denken, hier zu leben. Das Haus ist einfach nicht nach meinem Geschmack." Conrad lächelte. "Na gut, wie Sie wollen. Ich hatte mir so etwas schon gedacht. Dann dürfen wir Sie also gegen halb acht erwarten?" "Wird Paige auch da sein?" Antonio konnte sich mit Conrads Plan noch immer nicht so recht anfreunden. "Natürlich wird sie hier sein. Ach, das wissen Sie ja noch gar nicht. Ihr letzter Freund hat sie nicht besonders gut behandelt. Um genau zu sein, er hat sie geschlagen." "Er hat sie geschlagen?" Das war Antonios einziger wunder Punkt. Er konnte es einfach nicht ertragen, wenn Frauen körperlich misshandelt wurden. "Ich nehme an, Sie wissen, wie der Typ heißt und wo er wo hnt, ja?" "Tut mir Leid. Damit kann ich Ihnen nicht dienen." "Warum nicht? Sie haben doch schließlich einen Privatdetektiv auf sie angesetzt." Conrad stieß einen tiefen Seufzer aus. "Ich habe Lew im letzten Jahr gefeuert. Irgendwie konnte ich ihn nicht mehr ertragen. Deshalb weiß ich auch nicht, was sie seit Januar getrieben hat. Sie hat mich gestern Nacht völlig überraschend gegen ein Uhr angerufen und gefragt, ob Jim sie vom Bahnhof abholen könnte. Sie klang ziemlich verängstigt, was, wie Sie wissen, für Paige völlig ungewöhnlich ist. Aber mir war natürlich sofort klar, was los war, als ich den riesigen
blauen Fleck auf ihrer Wange sah. Natürlich habe ich sofort nachgefragt, aber sie wollte mir nichts sagen. Vielleicht ist sie Ihnen gegenüber ja offener." "Vielleicht." Wenn ja, würde er, Antonio, diesem Typ eine Lektion erteilen, die er nie wieder vergessen würde. Aber im Grunde genommen überraschte ihn diese Geschichte überhaupt nicht. Mit Paiges Menschenkenntnis schien es nicht sehr weit her zu sein. Sie verliebte sich immer in die falschen Männer und sah überhaupt nicht, welche Risiken sie damit einging. Wenn Antonio sich vorstellte, was mit ihr geschehen würde, wenn sie in die Hände von einem skrupellosen Schuft wie Brock Masters geraten würde, wurde ihm ganz schlecht. Wahrscheinlich gab es einen Grund dafür, dass sie sich immer die falschen Männer aussuchte. Antonio vermutete, dass es mit der fehlenden Liebe und Fürsorge in ihrem Elternhaus zusammenhing. Aber er hatte doch gehofft, dass sie inzwischen etwas gelernt hatte. Immerhin war sie schon dreiundzwanzig. "Haben Sie eigentlich schon einmal daran gedacht, was passiert, wenn Paige sich weigern sollte, mich zu heiraten?" Sein Boss nickte. "Ja, selbstverständlich. In diesem Fall würde ich Ihnen zu einem altbewährten Mittel raten." "Und das wäre?" "Sorgen Sie dafür, dass sie schwanger wird." Antonio sah ihn fassungslos an. "Nun tun Sie doch nicht so, als wären Sie entsetzt. Was, glauben Sie, ist aus Ihrer kleinen Romanze vom letzten Jahr geworden? Ich habe aus berufenem Mund gehört, dass Ihre Freundin sich einer kleinen Operation unterziehen musste, bevor sie Jansen und seine Millionen heiratete: Sie konnte ihrem neuen Mann schließlich kein Baby unterschieben, das von einem anderen Mann war."
Antonio wurde einen Moment lang ganz blass. Lauren war also schwanger gewesen, nachdem sie ihn verlassen hatte? Und dann hatte sie das Kind abgetrieben, nur um einen reichen Mann heiraten zu können? Einen Moment lang drehte sich alles vor seinen Augen. "Sie wissen wirklich, wie man jemanden unter die Gürtellinie trifft, Conrad", sagte er dann bitter. "Seit wann hatten Sie Kenntnis von meiner Beziehung zu Lauren?" "Ich wusste es von Anfang an", erwiderte Conrad. "Glauben Sie ernsthaft, ich würde jemanden als meinen persönlichen Assistenten anstellen, ohne seinen Hintergrund zu durchleuchten? Vergessen Sie Lauren, Antonio. Sie besaß überhaupt keinen Verstand, genau wie ihr Vater. Heiraten Sie meine Tochter, und Sie werden es niemals bereuen." Antonio sah ihn zweifelnd an. Er stand auf und streckte seinem zukünftigen Schwiegervater die Hand hin. "Also abgemacht." Conrad nahm seine Hand und schüttelte sie erfreut. "Prima, mein Junge. Ausgezeichnet! Ich wusste, Sie würden die richtige Entscheidung treffen. Dann sehen wir uns also heute Abend gegen halb acht." Antonio verzichtete auf die Antwort. Er nickte nur, drehte sich um und ging zur Tür. Fast wäre er dabei mit Evelyn zusammengestoßen, die sich gerade noch von ihrer Lauscherposition am Schlüsselloch zurückziehen konnte.
2. KAPITEL Paige wachte am frühen Nachmittag auf und blickte starr an die Decke. Sie war also wieder zu Hause. Wenn man dieses Monstrum von Haus ein Heim nennen konnte. Normalerweise verband man mit diesem Wort Vorstellungen von Frieden, Geborgenheit und Wärme. Dort konnte man sich entspannen, wurde geliebt und respektiert. Aber in ihrem Fall war es nie so gewesen. Fortune Hall war ein kalter, herzloser Ort, mit dem sie nichts als Versagen und Zurückweisung verband. Sie hatte nie das Gefühl gehabt, dass sie geliebt wurde, daher hatte sie auch nie herausfinden können, wer sie war und was sie vom Leben erwartete. Nur ein einziges Mal war sie hier fast glücklich gewesen - als Antonio Scarlatti erschienen war, um hier mit ihnen zu leben. Nie würde sie ihr erstes Treffen vergessen. Es war ihr letztes Jahr auf der High School gewesen, und sie war in den Osterferien nach Hause gekommen. Aber es fing schon schlecht an, denn ihr Vater hatte ihr ausrichten lassen, dass er sie nicht am Bahnhof treffen könne. "Nimm dir einfach ein Taxi, Paige", hatte er ungeduldig geantwortet, als sie sich daraufhin beschwerte. "So weit ist es doch gar nicht. Ich kann schließlich kein wichtiges Treffen absagen, nur wegen eines dummen kleinen Dings wie dir."
Ein dummes kleines Ding! Das war sie für ihn, und das war sie auch immer gewesen. Eine Plage. Eine Zumutung. Etwas, was ihn von der Arbeit abhielt. Er hatte sich nie um sie bemüht. Paige war damals am Bahnhof ausgestiegen und hatte sich suchend nach einem Taxi umgesehen. Doch zu ihrer Überraschung war ein dunkelhaariger, gut aussehender Mann auf sie zugegangen, hatte sie begrüßt und sich als der persönliche Sekretär ihres Vaters vorgestellt. Antonio Scarlatti. Besonders hatten Paige seine dunklen Augen gefallen, und es ließ sich nicht leugnen, dass er ungeheuer sexy war. "Ihr Vater hat mich über Ihre Ankunft informiert", sagte er, "und mir gefiel die Vorstellung nicht, dass Sie ganz allein mit dem Taxi nach Hause fahren sollten. Deshalb habe ich ihm vorgeschlagen, dass ich Sie abholen würde, und er hatte nichts dagegen. Kommen Sie, bitte." Dann hatte er sie galant am Arm genommen und sie zum Wagen geführt. Von diesem Moment an war es um sie geschehen. Sie verliebte sich unsterblich in ihn. Schließlich war sie nur ein junges Mädchen im Teenageralter, das sich nach Liebe verzehrte. Der Glamour, den ihre Lieblingsstars für sie besaßen, verblasste angesichts von Antonios Gegenwart. Am Ende der zwei Wochen flüchtete sie sich in einen romantischen Traum, in dem er ihr einziger Held war. Sie weinte, als die Ferien zu Ende waren, und während des nächsten Schuljahrs verbrachte sie viele Stunden damit, sich Szenen auszumalen, in denen Antonio sie auf Händen trug. Irgendwann begann sie dann, diese Fantasien zu glauben, und sie war fest davon überzeugt, dass er sich in sie genau so verliebt hatte wie sie sich in ihn. Natürlich litt ihre Arbeit in der Schule darunter, und ihr Zeugnis fiel nicht besonders positiv aus. Paige fehlt es an Konzentration. Sie ist sehr intelligent, aber in Gedanken oft nicht bei der Sache.
Natürlich stimmte das auch. Aber Paige war es egal. Sie sonnte sich in ihrem Glück und zählte bereits die Stunden bis zu ihrem nächsten Treffen mit Antonio. Bestimmt konnte er es auch kaum noch erwarten, sie zu sehen. Sein Verhalten in den Ferien schien ihre Hoffnungen zu bestätigen. Paige ließ ihn nicht aus den Augen. Für sie hatte jedes Wort, jeder Blick, den er ihr zuwarf, eine verborgene Bedeutung. Wenn er ihr die Hand gab, wurden ihr die Knie weich, und manchmal konnte sie ihn kaum ansehen, weil sie Angst hatte, sich lächerlich zu machen. Wahrscheinlich wartete er nur auf ihren achtzehnten Geburtstag, um dann um ihre Hand anhalten zu können. Davon war sie felsenfest überzeugt. Es stand für sie außer Frage, dass sie bald heiraten und viele Kinder bekommen würden. Für diese Kinder wünschte Paige sich die Liebe und Fürsorge, die sie selbst nie genossen hatte. Als sie schließlich nach dem letzten Jahr im September wieder nach Hause kam, war sie völlig besessen von Antonio. Als Erstes sah sie ihn einige Runden im Swimmingpool drehen. Der Anblick seines athletischen Körpers raubte ihr den Atem. Als er plötzlich hochblickte und sie entdeckte, wurde sie rot. Antonio starrte sie ebenfalls einige Sekunden lang an. Dann drehte er sich um und schwamm ruhig weiter. Paige gab diese Szene den Rest. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie nicht länger darauf warten konnte, die Schule zu beenden. Sie musste ihm ihre Liebe gestehen. Doch als sie zum Frühstück herunterging, erfuhr sie, dass sich ihr Vater und sein Sekretär auf eine Geschäftsreise begeben hatten und nicht vor einer Woche zurückkehren würden. Das wurde die längste Woche ihres Lebens, und sie konnte vor Aufregung kaum schlafen. Als Antonio dann schließlich zurückgekehrt war, hatte sie die nächstbeste Gelegenheit genutzt, um ihm ihre Gefühle zu offenbaren.
Merkwürdigerweise konnte sie sich später nicht mehr daran erinnern, was sie genau zu ihm gesagt oder was er ihr geantwortet hatte. Sie wusste nur noch, dass er sie ein dummes kleines Ding genannt ha tte. Diese Worte hörte sie manchmal jetzt noch, und das überwältigende Gefühl der Demütigung würde sie niemals vergessen. Es war einer der schrecklichsten Momente ihres Lebens gewesen. Es war viel schlimmer als das, was Jed ihr angetan hatte. Gut, er hatte sie geschlagen und eingeschüchtert. Nur aus Angst vor ihm war sie wieder nach Hause zurückgekehrt. Aber er konnte sie nicht wirklich verletzen, denn Paige gab sich in dieser Hinsicht keinerlei Illusionen hin - sie liebte ihn nicht. Nachdenklich ließ sie die Hand noch einmal über den Bluterguss auf ihrer Wange gleiten. Ich hätte es wissen müssen, dachte sie bitter. Erneut hatte sie sich auf den falschen Mann eingelassen. Nach der niederschmetternden Zurückweisung durch Antonio hatte sie sich ihrer besten Freundin anvertraut. Diese hatte versucht, ihr zu erklären, dass ihre Verliebtheit in Antonio nichts anderes als die Schwärmerei eines unreifen Teenagers sei, eine romantische Besessenheit, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun habe. "Du kennst den Mann doch gar nicht", hatte sie vernünftig argumentiert, nachdem Paige ihr alles erzählt hatte. "Du wünschst dir jemanden, den du lieben kannst und der deine Gefühle erwidert. Aber das ist nicht real, Paige. Im Gegenteil, du tust dir nur weh, wenn du dich an solche Träume klammerst. Am besten vergisst du das Ganze schnell wieder." Paige hatte versucht, diesen Rat zu befolgen, und als sie Brad kennen gelernt hatte, war sie froh gewesen, die Erinnerung an Antonio verbannen zu können. Am Anfang war auch alles gut gewesen, denn Brad war ein zärtlicher, einfühlsamer Liebhaber. Bei ihm konnte sie sich
entspannen, und er stärkte ihr Selbstwertgefühl wieder. Er bestätigte sie darin, sich an der Universität einzuschreiben, und mit ihm schöpfte sie wieder neuen Mut. Aber an einem stürmischen Nachmittag endete ihre sorgenfreie Existenz jäh. Sie wohnten schon einige Wochen in dem kleinen Strandhaus. Brad hatte die Miete für drei Monate im Voraus bezahlt, und eine Weile war Paige dort wirklich auch sehr glücklich. Aber dann fühlte sie sich einsam, und es war auch Neugier, die sie bewegte, wieder nach Hause - und damit auch zu Antonio - zurückzukehren. Das war ein Fehler. Ein großer Fehler. Denn nichts hatte sich verändert. Überhaupt nichts. Eines Tages schließlich antwortete sie auf eine Anzeige in der Zeitung und zog mit zwei jungen Frauen zusammen. Als Nächstes suchte sie sich einen Job und fing an, in einem Cafe als Kellnerin zu arbeiten. Aber auch das war ein Fehler. Nicht der Job, denn sie kellnerte eigentlich gern. Es machte ihr Spaß, mit Menschen in Kontakt zu sein. Doch auch hier, wie schon zuvor, bekam sie Probleme mit ihren Mitbewohnerinnen. Es ließ sich nun einmal nicht leugnen, dass Paige sehr attraktiv war. Das fanden anscheinend auch die Freunde ihrer Freundinnen. Nach einem extrem unangenehmen Zwischenfall forderte eine der Frauen Paige auf, auf der Stelle auszuziehen, und ihr blieb gar nichts anderes übrig. Also stand sie wieder einmal mit ihren Koffern auf der Straße. Doch diesmal holte Antonio sie nicht vom Bahnhof ab. Paige wusste inzwischen, dass er in der Firma aufgestiegen war und sein eigenes Apartment bezogen hatte. Natürlich war sie sehr enttäuscht, aber noch hatte sie die Hoffnung nicht aufgegeben. Wenn sie ehrlich war, tauchte sie deshalb Jahr für Jahr immer wieder Weihnachten zu Hause auf.
Ihr Vater gab um diese Jahreszeit regelmäßig Partys, und Paige wusste, dass Antonio dabei stets anwesend sein würde. Nach jenem schrecklichen Zusammentreffen hatten sich ihre Gespräche auf ein gegenseitiges knappes Grüßen reduziert. Antonio war Paige dabei gegenüber immer sehr höflich - mehr aber auch nicht. Sie wusste, dass er sich vor Verehrerinnen kaum retten konnte, das hatte sie durch geschicktes Fragen vom Personal erfahren. Aber obwohl er genug Freundinnen hatte, schien es für ihn niemand Besonderes zu geben ... jedenfalls nicht bis zur Weihnachtsfeier im letzten Jahr. Paige war im Oktober zweiundzwanzig Jahre alt geworden. Sie fühlte sich gut, und sie wusste, dass sie auch hinreißend aussah. Zu diesem Anlass hatte sie ein besonders kurzes rotes Kleid ausgesucht, und sie hoffte wider besseres Wissen, dass Antonio endlich erkennen würde, dass sie jetzt eine richtige Frau und kein dummes kleines Ding mehr war. Er tauchte mit einer seiner Freundinnen auf, einer blendenden Erscheinung. Sie musste etwas über dreißig sein. Neben ihr kam sich Paige erneut linkisch und naiv vor. Antonio betrachtete sie zwar flüchtig, aber ihr Anblick schien ihn mehr zu irritieren als zu erfreuen. An diesem Abend musste sie sich eingestehen, dass ihre Träume nur Luftschlösser waren, die mit der konkreten Realität nichts, aber auch gar nichts zu tun hatten. Wie ein Dolch traf sie jeder Blick mitten ins Herz, den Antonio seiner Begleiterin zuwarf. Wenn er ihr einen Drink brachte oder mit ihr tanzte, war das für Paige jedes Mal die Hölle. Aber das Schlimmste kam noch. Irgendwann trat Paige vor lauter Frustration hinaus ins Freie und überraschte die beiden auf der Terrasse, wie sie sich küssten - wobei "küssten" nicht das richtige Wort war. Sie waren ineinander verschlungen gewesen und hatten sich leidenschaftlich geliebt, und zwar in aller Öffentlichkeit.
Paige war völlig entsetzt, sie schlug die Hände vors Gesicht, drehte sich auf dem Absatz um und floh. Aber das Bild der beiden verfolgte sie stets aufs Neue. Sie zweifelte nicht daran, dass die beiden im Bett gelandet waren. Nach dieser schrecklichen Enttäuschung stürzte sich Paige Hals über Kopf in die nächste Affäre. Am Anfang verliebte sie sich in Jed vor allem deshalb, weil er ihr gegenüber so aufmerksam und ritterlich war. Er gab ihr das Gefühl, dass sie die Frau war, auf die er schon immer gewartet hatte. Aber wahrscheinlich hatte sie sich in dieser Hinsicht schon wieder etwas vorgemacht. Vorsichtig berührte Paige noch einmal den Bluterguss. Sie wollte gerade ins Bad gehen, um noch einmal in den Spiegel zu sehen, als ein Klopfen an der Tür ertönte. "Ja, bitte?" fragte sie aufgeregt. Sie hoffte, dass es nicht wieder ihr Vater war. Er hatte sie am letzten Abend stundenlang ausgefragt, hatte unbedingt wissen wollen, was geschehen war und warum ihr Freund ihr das angetan hatte. Aber Paige hatte ihm nicht geantwortet, sondern ihm nur einen kalten Blick zugeworfen. Schließlich hatte er es aufgegeben, etwas aus ihr herausholen zu wollen, und Paige war erleichtert auf ihr Zimmer geflohen. "Wer ist da?" "Ich bin's, Evelyn", antwortete die vertraute Stimme der Haushälterin. "Ich habe Ihnen etwas zu essen gebracht." Im nächsten Moment wurde die Tür geöffnet, und Evelyn betrat mit einem Tablett in den Händen das Zimmer. "Dir Vater hat mir aufgetragen, dafür zu sorgen, dass Sie regelmäßig etwas zu sich nehmen. Er erwartet von Ihnen, dass Sie alles aufessen, was ich Ihnen bringe. Außerdem will er Sie heute Abend um acht unten sehen. In einem Kleid", setzte sie hinzu und betrachtete geringschätzig Paiges Jeans.
"Ich habe aber keine Kleider mitgebracht", entgegnete Paige störrisch. Sie bereute schon jetzt, nach Hause zurückgekehrt zu sein. "Unsinn, Paige", erwiderte die Haushälterin resolut. "Sie haben den ganzen Schrank voll davon. Als ich dachte, dass Sie nicht zurückkehren würden, habe ich sie alle in den Schrank im Gästezimmer gehängt. Es müssen mindestens zwanzig Kleider darunter sein." "Also bitte, Evelyn", protestierte Paige. "Sie können doch nicht von mir erwarten, dass ich dieselben Sachen trage wie damals mit siebzehn!" "Und warum nicht? Die Kleider, die Sie gekauft haben, waren doch sowieso viel zu erwachsen für Sie. Ich bin sicher, Sie werden etwas Passendes darunter finden. Schließlich haben Sie kein Gramm zugenommen. Sie sind immer noch genau so dürr wie damals." Evelyn hatte sich schon immer abfällig über ihre Figur geäußert, und Paige hasste sie dafür. Sie war sehr groß und schlank, aber doch nicht dürr. "Ganz wie Sie meinen, Evelyn." Paige war viel zu müde, um sich mit der Haushälterin zu streiten. Außerdem war es das wirklich nicht wert. Evelyn beugte sich vor und betrachtete den Bluterguss. "Das sieht ja ziemlich übel aus", bemerkte sie hämisch. "Sind Sie mit einer Tür zusammengestoßen?" "Ja, so ähnlich." "An Ihrer Stelle würde ich in Zukunft besser aufpassen", sagte sie und verließ das Zimmer und ließ dabei absichtlich die Tür offen stehen. Seufzend stand Paige auf und schloss sie wieder. Dann betrachtete sie das Tablett, das Evelyn ihr gebracht hatte. Darauf befanden sich zwei große Clubsandwiches mit viel Mayonnaise, ein riesiges Stück Schokoladenkuchen und ein Erdbeermilchshake. Also viel zu viel, aber sie wusste, dass sie
alles aufessen musste. Evelyn würde es sonst bestimmt ihrem Vater berichten, der sich wieder über ihre Undankbarkeit beklagen würde. Und das musste sie auf jeden Fall verhindern. Schade, dass Blackie nicht mehr am Leben ist, dachte sie bedauernd, als sie die Hälfte des Essens in die Toilette kippte. Blackie, ihr kleiner schwarzer Hund, war der perfekte Müllschlucker gewesen. Seinetwegen hatte sie den ersten richtigen Streit mit ihrem Vater gehabt. Blackie war ausgesprochen hässlich gewesen, eine Promenadenmischung, die ihr eines Tages zugelaufen war. Ihr Vater hatte sie ausgeschimpft, als sie damit nach Hause gekommen war, und gedroht, den Hund sofort ins nächstbeste Tierheim schaffen zu lassen. Aber zum ersten Mal hatte Paige rebelliert und darauf bestanden, Blackie behalten zu dürfen. Sie war damals erst neun Jahre alt gewesen, aber sie hatte sich vorbildlich um ihn gekümmert. Sie und Blackie waren unzertrennlich gewesen bis zu jenem schrecklichen Tag, als ihr Vater sie aufs Internat geschickt hatte. Was hatte sie geweint! Die Haushälterin hatte ihr hoch und heilig versprechen müssen, sich während ihrer Abwesenheit um das Tier zu kümmern. Aber als Paige ein halbes Jahr später in den Ferien zurückkehrte, war die Haushälterin verschwunden, und Evelyn hatte ihre Stelle eingenommen. Blackie war tot, man sagte Paige, er wäre von einem Lastwagen überfahren worden. Sie hatte nie herausfinden können, ob dies der Wahrheit entsprochen hatte oder nicht, aber insgeheim befürchtete sie, dass ihr Vater ihn ins Tierheim gebracht hatte. Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, einen anderen Hund zu kaufen, doch es war nie dazu gekommen. Blackies Verlust war so schmerzlich für sie gewesen, dass sie diese schreckliche Erfahrung nicht wiederholen wollte. Nachdem Paige gezwungenermaßen eines der beiden Sandwiches gegessen hatte, machte sie sich auf den Weg ins
Gästezimmer, um die Kleider zu inspizieren, die sie mit siebzehn gekauft hatte. Der Inhalt des Schranks sprach Bände. Er zeugte von ihrer damaligen Schwärmerei für Antonio. Ein Kleid war provozierender als das andere, alle hatten nur den einen Zweck, den Mann zu verführen, auf den sie es abgesehen hatte. Kein Wunder, dass Antonio sie damals am Esstisch immer angestarrt hatte. Paige wusste, wie attraktiv sie war, das musste man ihr nicht sagen. Aber es muss doch irgendetwas geben, was nicht zu kurz oder zu sexy ist, dachte sie und sah noch einmal genau nach. Und schließlich fand sie, wonach sie gesucht hatte - unter all den Abendkleidern hing auch ein dunkelblauer Hosenanzug von schlichter Eleganz. Ja, das war genau das Richtige für ein Abendessen mit ihrem Vater. Paige konnte sich noch genau an den Tag erinnern, als sie ihn gekauft hatte. Es war ein Sonderangebot gewesen, und die Verkäuferin in der Boutique hatte ihr versichert, wie gut sie darin aussehe. Aber Paige hatte ihn nie getragen, denn sie hatte irrtümlicherweise gedacht, dass er zu brav und bieder für sie sei. Aber jetzt gefielen ihr der klare Schnitt und die unauffällige Eleganz des Anzugs sehr. Außerdem war Blau ihre Lieblingsfarbe. Sie unterstrich vorzüglich ihr blondes Haar und die blauen Augen. Doch leider war es kein Kleid, und hatte ihr Vater nicht ausdrücklich auf einem Kleid bestanden? Aber das lässt sich nun einmal nicht ändern, dachte sie und holte den Anzug aus dem Schrank. Glücklicherweise fand sie auch noch dazu passende Schuhe mit niedrigen Absätzen. Als sie dann schließlich vor dem Spiegel stand, war sie mit ihrer Erscheinung sehr zufrieden. Sie durfte nicht vergessen, den Anzug mitzunehmen, wenn sie Fortune Hall wieder verließ. Wann immer das auch sein mochte ...
Bedauernd dachte sie an ihre Kleider, die sie bei ihrer überstürzten Flucht aus der gemeinsamen Wohnung mit Jed zurückgelassen hatte. Aber wahrscheinlich würde sie sich damit abfinden müssen. Sie konnte schlecht zurückkehren und ihn bitten, ihr die Sachen auszuhändigen. Nein, dieser Abschnitt ihres Lebens lag hinter ihr. Was sollte sie als Nächstes tun? Paige wusste, dass es im Norden von Queensland viele Jobs für eine attraktive junge Frau gab. Allerdings würde sie zunächst Geld brauchen, denn bevor sie an eine neue Arbeit denken konnte, brauchte sie eine Wohnung. Sie hatte zwar ein wenig gespart, aber würde das auch reichen? Natürlich konnte sie ihren Vater um Geld bitten. Er würde ihr sicher die monatliche Zuweisung wieder zukommen lassen, wenn sie ihn darum ersuchen würde. Aber das ging gegen ihren Stolz. Nein, sie musste die Suppe selbst auslöffeln, die sie sich eingebrockt hatte. Vielleicht konnte sie ja eine Weile hier bleiben und sich hier einen Job suchen. Es würde schon nicht so schlimm sein, Evelyn und ihren Vater einige Wochen lang zu ertragen. Jedenfalls so lange, bis sie eine neue Garderobe beisammenhatte. Immerhin besaß sie ja schon einen guten Anzug, in dem sie sich vorstellen konnte. Paige beschloss, ein heißes Bad zu nehmen. Das hatte ihr schon immer geholfen, wenn sie in Schwierigkeiten gewesen war. Also lag sie wenig später in der Wanne, atmete den Lavendelduft des Schaumbads tief ein und malte sich eine Welt aus, in der es nichts Hässliches gab, wo sie nicht geschlagen, sondern geliebt und verwöhnt wurde. Nach einer Weile konnte sie sich endlich entspannen. Und als sie schließlich aus dem Wasser stieg, fühlte sie sich seltsam getröstet. Um fünf vor acht verließ Paige dann ihr Zimmer, ging die große Wendeltreppe hinunter und betrat den kleinen Salon, in dem ihr Vater vor dem Essen einen Drink einzunehmen pflegte. Er machte dies jeden Abend, unabhängig davon, ob Besucher da
waren oder nicht. Normalerweise kam Paige nicht dazu, zum einen, weil sie nicht gern Alkohol auf leeren Magen trank, aber vor allem, weil sie ihrem Vater keine Gelegenheit geben wollte, sie erneut zu verletzen. Sie wusste aus Erfahrung, dass das Trinken ihn sarkastisch machte. Da Montag war, nahm sie an, dass sie unter sich sein würden. Aber als sie die Tür zum Salon öffnete, musste sie überrascht feststellen, dass dies keineswegs der Fall war. Mit allem hatte sie gerechnet, aber nicht mit Antonio, der in einem eleganten Sessel vor dem Kamin saß und ein Glas Champagner in der Hand hielt. Paige blickte ihn überrascht an. Plötzlich schämte sie sich des großen dunklen Flecks auf ihrer Wange, der von der Verachtung zeugte, die ihr ein anderer Mann entgegengebracht hatte. Am liebsten hätte sie sich auf dem Absatz umgedreht, um wieder nach oben zu verschwinden.
3. KAPITEL Sekundenlang stand Paige wie erstarrt da. Sie spürte ihr Herz heftig pochen - wie immer bei seinem Anblick. Heute war es nicht anders, doch gleichzeitig überstürzten sich ihre Gedanken. Warum hatte Evelyn sie nicht davor gewarnt, dass Antonio beim Essen anwesend sein wurde? Sie hatte es doch bestimmt gewusst. Aber die Antwort lag auf der Hand. Evelyn hatte sie nicht warnen wollen. Sie hatte es darauf angelegt, dass sie sich in seiner Anwesenheit lächerlich machte, so wie es früher oft geschehen war. Paige wusste, dass in Fortune Hall nur wenig passierte, von dem die Haushälterin keine Kenntnis hatte. Evelyn war schlau und gerissen. Sie hatte Mittel und Wege, um an die Geheimnisse anderer zu gelangen. Mehr als einmal hatte Paige sie dabei erwischt, wie sie am Schlüsselloch gelauscht oder Telefongespräche mit angehört hatte. Die Tatsache, dass sie ihr, Paige, nichts von Antonio erzählt hatte, konnte nur bedeuten, dass sie ihre Gefühle für ihn kannte. Das war kein sehr angenehmer Gedanke. Aber Paige rief sich ins Gedächtnis, dass sie nicht mehr das linkische kleine Mädchen von früher war. Sie war jetzt eine erwachsene Frau, die es gelernt hatte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. Inzwischen war sie erwachsen und
entschlossen, dies sowohl ihm wie auch ihrem Vater zu beweisen. "Hallo, Antonio", sagte sie deshalb gleichmütig, als sie in den Salon trat und auf die Bar zuging. "Wie schön, Sie zu sehen! Niemand hat mir Bescheid gesagt, dass Sie heute Abend zum Essen kommen. Sie sehen gut aus", fügte sie hinzu und biss sich dann auf die Lippe. Das war nun wirklich untertrieben. Antonio sah nicht nur gut, sondern ausgesprochen sexy aus. Er trug einen maßgeschneiderten schwarzen Anzug, einen schwarzen Rollkragenpullover und schwarze Schuhe. Schwarz brachte seine leicht gebräunte Haut sowie die dunklen Haare und blauen Augen noch mehr zur Geltung, was Paige natürlich nicht entging. Er stand auf und erwiderte galant, "Dasselbe könnte ich von Ihnen sagen, Paige. Natürlich bis auf die kleine ..." Sein Blick fiel auf ihr Gesicht und wurde finster. "Sie meinen, bis auf den hübschen kleinen Bluterguss?" erwiderte sie. Das Leben in Fortune Hall hatte sie gelehrt, dass Angriff manchmal die beste Verteidigung war. "Also, Paige, bitte", protestierte ihr Vater auch gleich nervös. "Was denn, Vater?" fragte sie ärgerlich und nahm das Glas Champagner entgegen, das Antonio ihr reichte. "Wir wollen doch nicht um den heißen Brei herumreden. Antonio gehört praktisch zur Familie." Ihr entging nicht, dass die beiden Männer sich bei diesen Worten einen Blick zuwarfen, doch sie fuhr fort: "Und darf ich fragen, was der Anlass für dieses festliche Treffen ist? Habt ihr wieder einen neuen Geschäftsabschluss getätigt, der die Konkurrenz um Längen zurückwirft?" Aber die beiden Männer sahen sie nur an und erwiderten nichts. Paige hob abwehrend die Hand.
"Bitte, bitte, wenn es ein Geheimnis ist, will ich mich nicht aufdrängen. Kleine Mädchen verstehen nun einmal nichts vom Geschäft. Damit muss ich mich wohl abfinden." Antonio lächelte ihr unerwartet zu. "In diesem Fall irren Sie sich", erwiderte er. "Ihr Vater wird Sie sicher gleich einweihen." Conrad nickte und erhob sein Glas. Widerwillig stieß Paige mit ihm an. "Es handelt sich um eine besonders vielversprechende ... Fusion", fuhr Antonio fort, und erneut tauschten die beiden Männer einen Blick miteinander aus. "Leider sind die Verhandlungen noch nicht so weit gediehen, dass sich an diesem Punkt viel sagen ließe." "Das klingt ja alles sehr vage", bemerkte Paige misstrauisch. Sie hatte das Gefühl, als würden die beiden etwas im Schilde führen. Erneut kam sie sich klein und unbedeutend vor - wie immer in Fortune Hall. Es war wahrscheinlich ein Fehler gewesen zurückzukommen. "Also dann lassen Sie uns doch anstoßen auf diese ... wie sagten Sie noch, viel versprechende Fusion", fuhr sie fort und sah Antonio herausfordernd an. Er nickte, und in diesem Moment geschah etwas Seltsames. Der Blick, mit dem er sie betrachtete, wurde plötzlich ausgesprochen intim, er glitt über ihren Körper und blieb schließlich auf Paiges vollen Lippen ruhen. Es war eine sexuelle Aufforderung, wie sie deutlicher nicht hätte sein können. Paige war so überrascht darüber, dass sie sich verschluckte. Sofort war Antonio bei ihr und klopfte ihr auf den Rücken, bis sie sich wieder etwas beruhigt hatte. Dann reichte er ihr stillschweigend ein blütenweißes Taschentuch. Auf Grund seiner Nähe fand sie es schwierig, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Einen Moment lang
überlegte Paige, ob sie sich das Ganze nicht nur eingebildet hatte. "Möchten Sie nach oben gehen und sich umziehen?" fragte Antonio teilnahmsvoll. Paige schüttelte den Kopf. "Nein, ich ... Das geht nicht, ich habe leider nichts anderes zum Anziehen", erwiderte sie. Antonio sah sie stirnrunzelnd an. "Außerdem hast du dazu auch keine Zeit mehr", mischte sich ihr Vater ein, der das Ganze irritiert beobachtet hatte. Er setzte sein Glas ab und wies auf die Flügeltüren, die ins Esszimmer führten. "Es wird gleich serviert." Die drei gingen nach nebenan. "Warum haben Sie nichts anderes zum Anziehen?" fragte Antonio Paige mit gedämpfter Stimme. "Oder wollen Sie es mir nicht sagen?" Plötzlich verspürte sie das überwältigende Gefühl, sich endlich alles von der Seele zu reden. Plötzlich war er nicht mehr der distanzierte, unerreichbare Mann, von dem sie so lange vergeblich geträumt hatte. Paige erinnerte sich an ihr erstes Treffen am Bahnhof. Wie charmant er damals zu ihr gewesen war, wie höflich und rücksichtsvoll. Gab es vielleicht doch noch Hoffnung auf die Erfüllung ihres Traums? Hatte Antonio endlich begonnen, sie als eine erwachsene Frau zu sehen und nicht mehr länger als verwöhnten Teenager? "Das erkläre ich Ihnen später", flüsterte Paige ihm zu, als er ihr einen Stuhl zurechtrückte. "Ich freue mich schon darauf", flüsterte er ihr ins Ohr, und sie errötete leicht. Das Abendessen war die reine Qual. Es war Folter und Ekstase zugleich. Paige unterhielt sich angeregt mit Antonio, und ihre Augen glänzten. Doch dann befielen sie erneut Zweifel. Sie stotterte, fühlte sich unsicher und kam sich vor wie ein kleines Schulmädchen. Irgendwann hatte sie den Eindruck,
überhaupt nichts mehr zu sagen zu haben. Außerdem hatte sie die ganze Zeit über das Gefühl, dass Antonio und ihr Vater ein Komplott ausgeheckt hatten. Steckte vielleicht ihr Vater hinter dem Ganze n? Hatte er Antonio befohlen, nett zu ihr zu sein? Nein, das kann nicht sein, entschied sie, als sich das Essen endlich dem Ende näherte. Sie spürte, dass seine Zuneigung echt war. Und nicht nur seine Zuneigung. An den Blicken, die er ihr von Zeit zu Zeit zuwarf, erkannte sie, dass er auch sexuell an ihr interessiert war. Diese Erkenntnis traf sie wie ein Schock. Aber sie hatte es schon zu oft erlebt, um sich zu irren. Antonio wollte mit ihr schlafen, das sagte ihr seine Körpersprache. Der Gedanke war ungla ublich ... unglaublich aufregend. Aber Paige machte sich nichts vor - es war eine rein körperliche Angelegenheit. Sie war schließlich nicht naiv. Antonio war ein Lebemann, ein überzeugter Junggeselle, dem es in Bezug auf Frauen nur um Eroberungen ging. Seine Leidenschaft gehörte seiner Arbeit, seine ständig wechselnden Freundinnen hatten in seinem Leben kaum eine Bedeutung. In dieser Hinsicht ähnelten ihr Vater und er sich. Das Personal von Fortune Hall erzählte sich hinter vorgehaltener Hand, dass Antonio bisher nicht ein einziges Mal dieselbe Frau zum Abendessen mitgebracht habe. Wenn ... und nur wenn Paige ihm erlauben sollte, sie zu verführen, wusste sie, was für ein Risiko sie damit einging. Einem kurzen Vergnügen wurde eine lange Zeit des Kummers folge n, daran zweifelte sie nicht. Andererseits ... allein der Gedanke an die Möglichkeit... Energisch verbot Paige sich, diesen Tagträumen nachzuhängen. "Wie bitte?" fragte sie verwirrt. Ihr Vater hatte anscheinend etwas zu ihr gesagt, doch sie hatte es nicht gehört. "Warum hörst du denn nie zu, Kind?" fragte er ärgerlich. "Evelyn hat dich gefragt, ob du noch mehr Nachtisch möchtest.
Was, zum Teufel, ist heute nur mit dir los? Manchmal redest du wie ein Wasserfall, und dann träumst du vor dich hin." Paige biss sich auf die Lippe. Evelyn sah sie erwartungsvoll an. Erneut merkte sie, wie sehr sie die Frau verabscheute. "Ich möchte keinen Nachtisch mehr, vielen Dank", erwiderte sie kühl. "Ich würde an Ihrer Stelle aufpassen, dass ich nicht wieder magersüchtig werde", bemerkte die Haushälterin boshaft. Paige sah sie wütend an. "Ich war noch nie magersüchtig, da besteht überhaupt keine Gefahr", erwiderte sie heftig. "Schlagen Sie sich die Vorstellung aus dem Kopf." "Dann beweis es uns, und iss noch ein Stück Apfelkuchen", sagte ihr Vater streng. "Bringen Sie Paige bitte ein großes Stück, Evelyn. Mit viel Sahne!" Triumphierend schwebte Evelyn aus dem Zimmer. Paige warf ihr einen hasserfüllten Blick nach, aber sie wagte nicht zu widersprechen. Wenn Antonio nicht da gewesen wäre, hätte sie in diesem Moment das Zimmer verlassen. Stattdessen fühlte sie sich wieder klein und unmündig. Sie senkte den Blick. Es war demütigend, vor ihm so behandelt zu werden. Paige konnte nur noch mit Mühe die Tränen zurückhalten. Doch er kam ihr unerwartet zur Hilfe. "Ihre Tochter will deshalb keinen Nachtisch mehr haben", sagte er überraschend zu ihrem Vater, "weil wir beide noch essen gehen wollen. Ich hätte das Dessert ebenfalls ausschlagen sollen." Paige war über diese Ankündigung genauso überrascht wie ihr Vater. Sie hatte zwar versprochen, sich später mit Antonio zu unterhalten. Aber niemand hatte etwas von Abendessen gesagt. Conrad schien das Gleiche zu denken. "Sie und Paige wollen noch ausgehen?" fragte er verblüfft. "Heute Abend?" Antonio nickte gleichmütig.
"Wenn Sie nichts dagegen haben ..." Paige sah ihn verständnislos an. Ihr Vater hatte sich inzwischen von seiner Überraschung erholt und schüttelte den Kopf. "Nein, nein, ich... natürlich habe ich nichts dagegen. Ich staune nur, das ist alles." Nicht nur er, dachte Paige verwundert. "Sie sind doch heute Morgen erst angekommen", hakte Conrad nach. "Sind Sie denn überhaupt nicht müde?" Antonio schüttelte den Kopf. "Ich habe im Flugzeug ein Nickerchen gemacht. Sie wissen doch, dass ich nur für zwei Wochen hier bin. Das ist verdammt kurz. Ich denke nicht daran, meine Ferien zu verschlafen. Da gibt es doch bessere Möglichkeiten, die Freizeit zu verbringen. Was meinen Sie, Paige? Wollen wir los, bevor Evelyn zurückkommt und versucht, uns zwangszuernähren?" Auf diese Frage hatte Paige nur gewartet. Sie stand eilig vom Tisch auf und hätte dabei um ein Haar ein Glas umgestoßen. Aber es war zu spät. Evelyn kehrte in diesem Moment mit einem vollen Tablett zurück. Paige sah sie zögernd an, aber Antonio ließ sich durch ihr Erscheinen überhaupt nicht irritieren. "Es tut mir wirklich Leid, Evelyn", sagte er freundlich zu ihr, "aber ich fürchte, Miss Conrad und ich haben jetzt keine Zeit mehr für den Nachtisch." Paige wartete mit angehaltenem Atem auf Evelyns Reaktion. Bestimmt bekam sie gleich einen Wutanfall. Doch sie sah sich in ihren Erwartungen getäuscht. "Kein Problem, Mr. Scarlatti. Ich bewahre den Kuchen einfach im Kühlschrank für Sie auf. Viel wichtiger ist doch, dass Sie und Miss Conrad sich wieder so gut verstehen." Paige blickte sie erstaunt an. Was für eine Heuchlerin die Frau war.
"Sie brauchen nicht auf uns zu warten", versicherte Antonio ihrem Vater noch, ehe sie hinausgingen. "Und machen Sie sich keine Sorgen. Ihre Tochter ist bei mir in guten Händen."
4. KAPITEL Antonio hätte fast gelacht, als er Conrads verblüffte Miene sah. Es war eine Sache, einen Angestellten zu erpressen. Doch es war etwas ganz anderes, wenn dieser Mann dann tatsächlich die Initiative ergriff. Antonio vermut ete, dass sein Boss sich die Angelegenheit noch einmal überlegen würde. Aber dazu war es jetzt zu spät. Die Würfel waren gefallen, und er hatte sich entschlossen, das Ganze bis zum bitteren Ende durchzuziehen. "Mein Wagen steht draußen", sagte er zu Paige, während er sie durchs Foyer führte. Sie nickte, erwiderte jedoch darauf nichts, was ihn nicht weiter störte. Er war froh, dass es ihm gelungen war, sie zu entführen. Das war die erste Voraussetzung, um überhaupt mit ihr sprechen zu können. Denn wenn er sich schon auf diesen zwiespältigen Handel einließ, sollte es wenigstens zu seinen Bedingungen geschehen. Er konnte es nicht zulassen, dass Conrad jetzt wieder einen Rückzieher machte, nur weil ihm eingefallen war, dass ein italienischer Einwanderer vielleicht doch nicht der richtige Schwiegersohn war. Um ehrlich zu sein, fand Antonio die ganze Sache inzwischen ziemlich pervers. Nachdem er sich Conrads Vorschlag noch einmal überlegt hatte, schien es ihm ungeheuer, dass sein Boss ihn erpressen wollte. Als er später in Fortune
Hall eingetroffen war, war er total wütend auf Conrad gewesen. Einzig und allein der Gedanke, dass Brock Masters den Job bekommen würde, für den er die ganze Zeit so schwer gearbeitet hatte, hatte ihn davon abgehalten, aus dem Handel auszusteigen. Aber als er Paige an diesem Abend in ihrem überraschend eleganten Hosenanzug erblickte, hatte er das Ganze in einem völlig anderen Licht gesehen. Denn trotz des Anzugs hatte sie umwerfend sexy ausgesehen. Wahrscheinlich gibt es etwas Schlimmeres, als eine so hübsche junge Frau heiraten zu dürfen, entschied er. Insgeheim hatte er aber schon überlegt, wie er sich aus der Affäre ziehen konnte. Antonio hatte nicht die Absicht, ewig mit Paige verheiratet zu bleiben. Außerdem hatte er inzwischen einen Vertrag in der Tasche, in dem mit keinem Wort erwähnt wurde, dass er seinen Job als Vorstandsvorsitzender von Fortune Productions verlieren würde, wenn er sich von ihr scheiden ließe. Er hatte die Absicht, diesen Vertrag mit seinem Anwalt durchzusprechen, so dass er völlig wasserdicht war, wenn Conrad und er ihn an seinem Hochzeitstag unterzeichnen würden. Aber natürlich blieb das ursprüngliche Problem davon unberührt, nämlich Paige dazu zu bewegen, ihn überhaupt zu heiraten. Antonio zweifelte nicht daran, dass er keine Schwierigkeiten haben würde, sie zu verführen. Er spürte, dass seine versteckte Nachricht bei ihr angekommen war, und er hatte nicht das Gefühl, als würde sie ihm viele Widerstände entgegensetzen. Allerdings musste man sagen, dass Paige auch eine junge Frau war, die es verstand, Fantasien bei einem Mann anzuregen. Sie brauchte ihn mit ihren großen blauen Augen nur anzusehen, und schon malte er sich die aufregendsten Szenen aus. Vielleicht zeigte sich am Ende noch, wer wen verführen würde. Aber Paige, die man offensichtlich nicht lange überreden musste, damit sie mit jemandem ins Bett ging, dazu zu bringen, ihn zu heiraten, war wahrscheinlich doch nicht so ganz einfach.
Schließlich hatte sie keinen ihrer ehemaligen Liebhaber geheiratet. Warum sollte sie in seinem Fall anders reagieren? Conrads naive Annahme, dass sie noch immer für ihn schwärme, wagte Antonio inzwischen zu bezweifeln. Schließlich war Paige kein kleines Schulmädchen mehr, und sie hatte große Erfahrung mit Männern. Insgeheim bezweifelte er, dass sie sich bisher jemals richtig verliebt hatte. Sorgen Sie dafür, dass Sie schwanger wird, war Conrads herzloser Rat gewesen. Antonio fragte sich, ob sein Boss das noch immer für eine gute Idee hielt. Ihm gefiel dieser Vorschlag überhaupt nicht, obwohl es gut sein konnte, dass ihm überhaupt keine andere Wahl blieb. Er würde natürlich probieren, eine Romanze mit Paige zu beginnen. Eine Romanze mit viel Sex. Das war schließlich seine Spezialität. Wie er dann von da die Kurve zu einem späteren Heiratsantrag kriegen sollte, war ihm schleierhaft, aber er vertraute auf sein Improvisationstalent. Gleichzeitig war Paige auch die verwöhnte Tochter seines Arbeitgebers, und sie hatte in der Vergangenheit öfter bewiesen, dass sie durchaus ihren eigenen Kopf durchsetzen konnte. Außerdem schien sie gern zu experimentieren. Anders ließen sich ihre vielen Freunde und Verehrer nicht erklären. Sie entsprach also kaum dem Ideal einer treuen Ehefrau. Aber Antonio hatte sich inzwischen entschlossen, die Herausforderung anzunehmen. Er würde sie heiraten, koste es, was es wolle. Plötzlich merkte er, dass Paige ihn ansah, und er kehrte schlagartig wieder in die Gegenwart zurück. Ihr Blick brachte ihn zur Vernunft, denn es war ein sehr verletzlicher Blick. Außerdem fiel ihm wieder die Schwellung hinter ihrem Ohr auf ... und er bekam plötzlich Gewissensbisse. Sie hatte gerade eine sehr traumatische Beziehung hinter sich. Wie konnte er überhaupt daran denken, sie skrupellos zu verführen? Anscheinend hatte Conrads herzlose Art auf ihn abgefärbt.
Doch was war die Alternative? Sollte er sie Brock Masters überlassen? Verglichen mit dem, war er ein Musterbeispiel an Ritterlichkeit. Er hatte sich vorgenommen, Paige nicht zu verletzen, sondern auf ihre Gefühle Rücksicht zu nehmen. Er würde sehr nett zu ihr sein, sie mit Komplimenten überschütten und ihr schließlich sagen, dass er sie liebe. Du willst sie anlügen, meldete sich wieder die kühle, unbestechliche innere Stimme. "Antonio? Antonio! Sind Sie noch da?" Plötzlich stand Conrad vor der Haustür. Die beiden befanden sich jetzt vorm Tor, und Antonio zögerte. Aber Paige packte ihn am Ärmel und zog ihn fort. "Beeilen Sie sich", sagte sie drängend. Sie nickte dem Mann vom Wachdienst zu, und dieser ließ sie ohne Probleme durch das schmiedeeiserne Tor. Sie waren also in letzter Minute entkommen. Antonios schwarzer Jaguar parkte gegenüber vom Haus, und wenige Minuten später brausten sie davon. "Schnell!" sagte Paige und sah sich noch einmal um. Antonio nickte und trat aufs Gaspedal. Kurz darauf war Fortune Hall aus ihrem Blickfeld verschwunden. Ja, dachte er, die Würfel sind gefallen. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
5. KAPITEL Je schneller sie fuhren, desto heftiger pochte Paiges Herz. Doch sie stellte erleichtert fest, dass Antonio zur Stadtmitte fuhr. "Sie können den Sicherheitsgurt jetzt loslassen", meinte er amüsiert. Mit hochrotem Kopf stellte Paige fest, dass sie sich wie ein kleines Mädchen an den Gurt geklammert hatte. Aber genauso fühlte sie sich auch. Sie hatte das Gefühl, als würde Antonio sie entführen. Es war aufregend und beängstigend zugleich. "Was wollte mein Vater eigentlich von Ihnen?" fragte sie, als sie endlich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. "Ach, ich nehme an, es ging wie immer ums Geschäft", erwiderte Antonio betont locker. "Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig." Paige sah ihn verwirrt an. Er sprach in Rätseln. War er ihr nicht schon immer widersprüchlich vorgekommen? Sie musste plötzlich an die Szene denken, wie sie ihn bei der leidenschaftlichen Umarmung mit seiner damaligen Freundin beobachtet hatte. Da hatte sie zum ersten Mal gesehen, was in ihm steckte. Doch nach außen hin war er völlig beherrscht, ein Muster an Selbstbeherrschung, dem man nie zutrauen würde, dass er auch einmal die Nerven verlieren würde. Ach, wenn ich nur halb so kontrolliert wäre wie er, dachte Paige seufzend. Dann wäre ihr Leben vermutlich in wesentlich geordneteren Bahnen verlaufen.
Dieser letzte Gedanke brachte sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Was tat sie denn nun eigentlich hier neben Antonio in seinem Wagen? Wohin fuhren sie? Und, was noch viel wichtiger war, was hatte er mit ihr vor? Sie wusste, dass sein Ruf, was Frauen anging, nicht der beste war. Frauen waren für ihn nur ein Zeitvertreib. Er erlaubte niemandem, ihm nahe zu sein. Das war die andere Seite seiner Selbstbeherrschung. Im Grunde war er unnahbar. Vielleicht war ihr Vater deshalb nicht besonders glücklich über ihr Verschwinden gewesen. Bestimmt kannte auch er Antonios Reputation, und er wusste, wie seine Einladungen zum Abendessen normalerweise endeten. Wahrscheinlich war Conrad das egal, solange Antonio sein Privat- vom Berufsleben trennte. Aber sie, Paige, war schließlich seine Tochter, und sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihm die Vorstellung, Antonio könnte sie verführen, besonders zusagen würde. Sie machte sich nichts vor. Mit ihr hatte das wenig zu tun, es war für ihn eine Frage der Ehre. Ihr Vater hatte ihr schon oft ihre zweifelhafte Moral vorgeworfen, aber solange sie sich weit weg von zu Hause mit irgendwelchen jungen Männern herumtrieb, war ihm das relativ egal gewesen. Doch Antonio gehörte, wie sie selbst gesagt hatte, praktisch zur Familie. Der Gedanke, dass er mit Paige verkehrte, war für ihren Vater bestimmt schwer zu ertragen. Bei der Vorstellung, mit Antonio intim zu werden, wurde ihr die Kehle ganz trocken, sie schluckte. Sie war zwar keine Jungfrau mehr, aber es gab andere Bereiche, in denen sie sich jung und unerfahren fühlte. Zum Beispiel auf der Gefühlsebene. Natürlich hatte sie bisher jeden ihrer Freunde sehr gemocht. Aber richtig berührt hatte sie bisher niemand. Sie hatte sich ihnen körperlich zwar hingegeben, aber ihr Herz und ihre Seele waren davon unberührt geblieben. Doch bei Antonio lag die Sache ganz anders. Paige räusperte sich.
"Mein Vater schien nicht sehr erfreut darüber zu sein, dass wir beide heute Abend noch weggehen", sagte sie zu ihm. "Er wird sich schon daran gewöhnen", erwiderte er gleichmütig. Paige blickte ihn erstaunt an. "Was ... was meinen Sie damit?" "Für einen Vater ist es nie einfach, zuzugeben, dass aus seinem kleinen Mädchen eine erwachsene Frau geworden ist. Auch wenn Sie vielleicht glauben, dass er sich nicht besonders viel aus Ihnen macht." "Er hat mich immer nur als kleines dummes Ding gesehen", bekla gte sie sich. "Genau wie Sie, Antonio." "Sie irren sich!" "Ach ja? Wie können Sie das behaupten?" "Ganz einfach. Es ist wahr", entgegnete er und zuckte die Schultern. Paige lachte bitter. "Damals am Pool haben Sie mir aber etwas ganz anderes gesagt." "Nun ja, man ändert sich eben. Sie müssen lernen, auf die Körpersprache eines Mannes zu achten, nicht auf seine Worte. Glauben Sie mir, ich fand Sie schon immer ausgesprochen attraktiv." "Attraktiv?" Antonio nickte. "Ja, aber damals waren Sie erst siebzehn. Ob Sie es nun glauben oder nicht, ich bin ein ziemlich moralischer Mensch." Paige blickte ihn überrascht an. "Wollen Sie mir etwa weismachen, dass Sie mich aus Gewissensgründen damals zurückgestoßen haben?" Er lächelte sie an, und sie wurde plötzlich ganz schwach. "Lassen Sie es mich so sagen ... Ich war sehr froh, dass ich wenigstens meine Badehose anhatte."
Diese Antwort musste sie erst einmal verdauen. Dann wurde ihr klar, dass er über Sex sprach. Natürlich, worüber sonst? Ihm ging es nicht um Gefühle, sond ern um die Befriedigung seiner Bedürfnisse. Sie durfte sich in dieser Hinsicht nichts vormachen. "Oh, ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie lange gelitten haben", erwiderte sie bissig. "Vergessen Sie nicht, ich kenne Ihren Ruf als Schürzenjäger." Antonio lachte. "Seien Sie nicht zu streng mit mir. Wer im Glashaus sitzt, darf nicht mit Steinen werfen." Paige runzelte die Stirn. "Aber ich bin schon lange keine siebzehn mehr", betonte sie. Antonio nickte und warf ihr einen beredten Blick zu. "Ich weiß, Ihr Vater hat mir erzählt, dass Sie nächste Woche dreiundzwanzig werden. An welchem Tag genau?" "Am Mittwoch." "Das müssen wir feiern." Paige sah ihn misstrauisch an. Sie wollte keine Geburtstagsparty, schon gar nicht, wenn sie von ihrem Vater oder Evelyn ausge richtet wurde. "Das ist nicht nötig", entgegnete sie steif. "Heißt das, Sie haben bereits andere Pläne?" Sie schüttelte den Kopf. "Nein." "Was ist mit Ihrem Freund? Vielleicht entschuldigt er sich bei Ihnen für das, was er Ihnen angetan hat." Wie unsensibel von ihm, sie jetzt daran zu erinnern. "Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst", erwiderte Paige aufgebracht. "Glauben Sie, ich würde zu einem Mann zurückkehren, der mich geschlagen hat? Ob er sich nun entschuldigt oder nicht, wir sind geschiedene Leute." Antonio sah sie besorgt an. Vielleicht merkte er selbst, dass er zu weit gegangen war.
"Natürlich haben Sie Recht", erwiderte er bedauernd. "Ich würde gern wissen, wie der Mann heißt, der Sie geschlagen hat." "Das geht Sie gar nichts an", gab sie hitzig zurück. "Vielleicht nicht. Aber ich mag nun einmal keine Schläger. Und Männer, die Frauen schlagen, finde ich besonders verachtenswert." "Er hat es ja nur einmal getan." "Und? Hat Ihnen das nicht gereicht? Ich versichere Ihnen, beim nächsten Mal wäre es wahrsche inlich noch schlimmer gekommen. Es war richtig von Ihnen, ihn zu verlassen." Paige nickte. "Ja, das glaube ich auch. Wollen Sie wissen, was passiert ist?" "Natürlich." Stockend fing sie an zu erzählen. "Jed und ich hatten gerade miteinander geschlafen. Aber es hat ihm nicht gefallen, und er bekam einen Wutanfall. Er hat mir vorgeworfen, ich würde ihn nicht lieben. Er wollte wissen, ob es noch einen anderen Mann in meinem Leben gebe. Als ich daraufhin nichts erwidert habe, ist er völlig ausgerastet und hat mich geschlagen." Sie verstummte. Antonio wusste nicht, was er davon halten sollte. Spielte sie damit etwa auf ihre Schwärmerei für ihn an? Plötzlich hatte er das Gefühl, als würde er sich auf sehr gefährlichem Terrain bewegen. In diesem Moment hielten sie an einer roten Ampel. Antonio räusperte sich. Als er sprach, klang seine Stimme unerwartet kühl. "Das war wahrscheinlich ziemlich dumm von Ihnen, Paige. Das Ego eines Mannes zu verletzen ist immer sehr riskant. Ging es da nicht vielleicht noch um mehr?" "Wie meinen Sie das?"
"Sie haben gesagt, ihm habe der Sex nicht gefallen. Vielleicht war es umgekehrt, Sie waren nicht befriedigt, und er hat Ihnen vorgeworfen, dass Sie sich von ihm trennen wollen." Paige zuckte die Schultern. "Mir ist irgendwann klar geworden, dass ich es nicht mehr ertragen konnte, von ihm berührt zu werden. Ich habe ihn dann das glauben lassen, was er glauben wollte." "Es gibt also keinen heimlichen Liebhaber, der nur darauf wartet, dass Sie ihn rufen?" "Es gibt niemanden - außer Ihnen, Antonio." Damit hatte er nicht gerechnet. Er zuckte zusammen. In diesem Moment sprang die Ampel auf Grün. Der Wagen schoss nach vorn, Antonio blieb stumm. Paige bedauerte ihre Worte sofort. Wahrscheinlich hielt er sie jetzt für eine kleine Schlampe, die ihre Liebhaber verließ, sobald sie sie im Bett nicht mehr spannend fand. Mochte er es doch ruhig glauben. Er konnte schließlich nicht wissen, dass Jed seit Brad der erste Mann war, mit dem sie überhaupt geschlafen hatte. Vielleicht ist es besser so, dachte sie. Sie wollte auf jeden Fall vermeiden, noch einmal so verletzt zu werden wie damals. Es konnte nur gut sein, wenn Antonio sie für eine abgebrühte, erfahrene Frau hielt, die sich nie sehr auf einen anderen Menschen einließ. Dann respektierte er sie wenigstens, denn schließlich war er ja nicht anders. Plötzlich fiel ihr auf, dass sie über die Brücke in Richtung Norden fuhren. "Wohin bringen Sie mich?" fragte sie alarmiert. "Wohin möchten Sie denn gebracht werden?" fragte Antonio lächelnd. "Hatten Sie nicht etwas von einem Abendessen gesagt? Ich dachte, wir würden in die Stadt fahren." "Ich habe es mir anders überlegt. Ich würde lieber zu mir fahren. Mein Apartment ist ganz in der Nähe. Es besitzt mehrere
Vorzüge, die ein Nachtclub nicht hat. Einen sicheren Parkplatz zum Beispiel. Einen fantastischen Ausblick. Außerdem gibt es einen exzellenten Zimmerservice. Sie haben doch bestimmt nichts dagegen, einen kleinen Snack auf meiner Dachterrasse mit Blick auf den Hafen einzunehmen, oder?" "Da bin ich mir nicht sicher", erwiderte Paige scharf. Das wurde ja immer schöner! Von dieser Dachterrasse bis zu seinem Schlafzimmer waren es bestimmt nur einige Meter. Bestimmt hielt Antonio das für den allerbesten Vorteil überhaupt. Paige hätte am liebsten abgelehnt. Aber sie fa nd die Aussicht, endlich seine Privaträume kennen zu lernen, auch sehr verlockend. Wenn du ihn heute zurückstößt, wirst du nie mehr eine andere Chance bekommen, flüsterte eine kleine innere Stimme. Er hat nur zwei Wochen Urlaub, und er möchte heute nicht allein sein. Das Schicksal meint es gut mit dir, Paige. Wenigstens schien er endlich gemerkt zu haben, dass sie eine Frau war. Paige machte sich nichts vor - es gab in Sydney bestimmt ein gutes Dutzend Frauen, die nur auf Antonios Anruf warteten. Frauen, die alles stehen und liegen lassen würden, nur um mit ihm zusammen zu sein. Er würde bestimmt nicht lange trauern, wenn sie ihn zurückwies. Und er würde die Nacht auch nicht allein verbringen. Männer wie Antonio hatten das einfach nicht nötig. Hätte sie es ertragen, zu wissen, dass heute Nacht eine andere Frau in seinem Bett lag? Hätte sie überhaupt ein Auge zutun können? Die schlichte Antwort war "nein". Nein, das hätte sie nicht. "Wie weit ist es denn bis zu Ihrem Apartment?" Antonio hörte die Anspannung in ihrer Stimme. Einen Moment lang tat ihm der Mann, den sie verlassen hatte, fast leid. Bestimmt war er nach ihr verrückt gewesen und bedauerte ihren Verlust jetzt sehr. Er konnte sich die Szene lebhaft ausmalen:
Die beiden hatten sich geliebt, und danach hatte Paige ihm gesagt, dass es ihr nicht gefallen habe. Kein Wunder, dass der Mann ausgerastet war. Frauen wie sie konnten einen Mann bis aufs Blut reizen. Sie machten ihm schöne Augen, taten alles, damit er ihnen ins Netz ging, und wenn sie seiner dann irgendwann überdrüssig wurden, verließen sie ihn. Das galt für viele Frauen, aber besonders für solche, die so hübsch waren wie Paige. Conrads Tochter war die personifizierte Verführung. Sie war ungewöhnlich hübsch und hatte außerdem noch eine umwerfend gute Figur. Wie sollte ein Mann da nicht schwach werden? Antonio brauchte sich nur vorzustellen, wie sie nackt auf seinem Bett lag, um ... In diesem Moment hupte ein entgegenkommender Wagen, denn Antonio hatte einen kleinen Schlenker gemacht und wäre um ein Haar von der Fahrbahn abgekommen. Energisch zwang er sich, seine Gedanken im Zaun zu halten. "Wir sind gleich da", erwiderte er kurz angebunden auf Paiges Frage und bog bei der nächsten Einfahrt ab. Wenig später waren sie am Milsons Point, dort begann das Hafenbecken. Antonio war nur zwei Häuserblocks von seiner Wohnung entfernt, als sein Handy klingelte. Ungeduldig fuhr er an den Bürgersteig und stellte den Motor ab. "Ja?" fragte er ungeduldig. Es gab Zeiten, da verfluchte er es, überall erreichbar zu sein. "Hier ist Conrad", klang ihm die tiefe Stimme seines Arbeitgebers entgegen. "Bitte, sagen Sie meiner Tochter nichts davon. Ich habe nichts dagegen, dass Sie mit ihr unterwegs sind, das wollte ich Ihnen nur sagen. Aber es schien mir sicherer zu sein, so zu tun, als wäre ich dagegen. Verstehen Sie?" "Ja, ich verstehe." Antonio nickte. "Und? Wie läuft's? Sind Sie schon in Ihrer Wohnung?"
Antonio biss die Zähne zusammen. Was fiel Conrad ein, ihn dauernd zu belästigen? Wenn der alte Knabe von ihm erwartete, dass er seine Tochter nach Strich und Faden verführte, sah er sich getäuscht. "Danke, dass Sie sich gemeldet haben", erwiderte er stattdessen. "Tut mir Leid, ich muss jetzt auflegen." Er drückte auf den Knopf und beendete das Gespräch. "Wer war das?" fragte Paige neugierig. "Sie müssen es mir natürlich nicht sagen." Antonio zögerte, dann gab er sich einen Kuck. "Das war Ihr Vater", teilte er ihr mit. Sie sah ihn mit großen Augen an. "Mein Vater? Was wollte er?" "Ach, er wollte mir nur etwas mitteilen. Sie kenne n ihn ja." Paige stieß einen tiefen Seufzer aus. "Ja, ich kenne ihn. Ihn interessiert eigentlich nur sein Geschäft." Antonio verkniff sich eine Antwort. Er startete den Motor erneut, und sie fuhren los. Paige runzelte die Stirn, er konnte sehen, wie es in ihr arbeitete. Aber auf den Gefühlsausbruch, der erfolgte, nachdem sie in die Tiefgarage gefahren waren und den Wagen abgestellt hatten, war er nicht gefasst. Paige wandte sich ihm mit flammenden Augen zu. "Jetzt weiß ich Bescheid", sagte sie mit hoher, schriller Stimme. "Mein Vater steckt hinter der ganzen Geschichte. Hat er Sie etwa bezahlt, damit Sie mich zu Jed zurückbringen? Ich hätte nie gedacht, dass Sie sich auf so etwas einlassen würden, Antonio. Deshalb hat er auch angerufen, stimmt's? Er wollte wissen, wo wir sind. Damals hat er mir den verdammten Privatdetektiv auf den Hals gehetzt, und jetzt versucht er, Sie für seine schändlichen Zwecke einzuspannen. Aber warum machen Sie da mit? Ich bin sehr enttäuscht von Ihnen. Und ich denke nicht daran, zu Jed zurückzukehren. Niemals, haben Sie mich verstanden?"
Antonio blickte sie überrascht an. Zuerst wusste er gar nicht, wovon sie redete. Doch dann dämmerte es ihm plötzlich. "Soll das heißen, Ihr ehemaliger Freund wohnt auch hier in diesem Gebäude?" Paige lachte höhnisch. "Machen Sie sich doch nicht lächerlich, Antonio. Wollen Sie etwa behaupten, das hätten Sie nicht gewusst?" Er schüttelte den Kopf. "Ob Sie es nun glauben oder nicht - ich besitze hier eins der beiden Penthouse-Apartments. Das ist die Wahr heit, ich schwöre es Ihnen." "Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?" Jetzt begann Antonio, langsam die Geduld zu verlieren. "Sehe ich etwa so aus?" erwiderte er unbeherrscht. Paige atmete tief ein. Sie blieb sitzen und blickte starr und stumm vor sich hin. Ihre Brust hob und senkte sich. Er dachte fieberhaft nach. Jetzt wusste er also mehr über ihren Exliebhaber. Er hieß Jed und wohnte tatsächlich im selben Gebäudekomplex wie er. Wer konnte das sein? Der Besitzer des anderen Penthouse hieß Jed Waltham, er war ein erfogreicher Börsenspekulant. Antonio hatte ihn ein mehrere Male getroffen, denn sie benutzten den gleichen Lift. Er musste etwa Anfang dreißig sein, sah gut aus und wirkte ziemlich arrogant. Kein Zweifel, das war der Mann, der Paige geschlagen hatte! "Seit wann leben Sie schon mit Jed Waltham zusammen?" fragte Antonio mit mühsam beherrschter Wut. Sie sah ihn schockiert an. Er merkte, dass sie wirklich Angst hatte. "Kennen ... kennen Sie ihn?" fragte sie ausdruckslos. Antonio schüttelte den Kopf.
"'Kennen wäre wirklich zu viel gesagt. Ich habe ihn ein paar Mal im Lift getroffen, das ist alles. Nein, warten Sie, ich glaube, einmal war er auch im Pool." "In was für einem Pool?" "Waren Sie nie im Pool? Er befindet sich ganz oben auf dem Dach." Paige schüt telte den Kopf. "Ich ... nein, ich ... also, wenn Sie es ganz genau wissen wollen. Ich bin gestern erst dort eingezogen." "Sind Sie schon lange mit ihm zusammen?" Eigentlich hatte er fragen wollen, ob sie schon lange miteinander ins Bett gingen. "Wir kenne n uns schon eine ganze Weile", antwortete sie ausweichend. Das konnte alles und nichts bedeuten. "Und wo habt ihr euch kennen gelernt?" "Bei der Arbeit. Ich habe eine Zeit lang als Aushilfssekretärin in seiner Firma gearbeitet. Das wundert Sie, nicht wahr? Ja, irgendwann hatte ich einfach das Gefühl, dass ich nicht ewig kellnern konnte. Daher habe ich an der Uni einen Fremdsprachen- und Computerkurs belegt und mich dann von einer Agentur vermitteln lassen. Ich sollte zunächst als Aushilfe arbeiten, um mehr Praxis zu bekommen. Irgendwann war dann bei Waltham & Coates eine Stelle frei, und ich habe sie bekommen." Antonio war beeindruckt. Es sah so aus, als würde Paige endlich erwachsen. Er fragte sich im Stillen, ob ihr Vater es wusste. "Wann haben Sie dort angefangen?" fragte er interessiert. "Am zehnten Juli. Letzten Freitag hatte ich meinen letzten Arbeitstag." "Und zwei Tage später sind Sie mit dem Chef zusammengezogen", vervollständigte er den Satz für sie. In dieser Hinsicht hatte sie sich nicht verändert. Paige konnte offensichtlich nicht allein sein.
"Darauf muss ich doch wohl nicht antworten, oder?" fragte sie kühl. "Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass meine Beziehung zu Jed Sie nichts angeht. Ich glaube schon, dass er mich auf seine Art geliebt ha t. Aber deshalb hätte er mich trotzdem nicht schlagen dürfen." Sie strich das Haar zurück und zeigte Antonio erneut den Beweis für Jeds Brutalität. Antonio zog sich der Magen zusammen, als er auf die Prellung blickte, die sich quer über ihre Wange zog. Sie schien von Minute zu Minute dunkler und hässlicher zu werden. Falls er je einen Moment Sympathie für Paiges ehemaligen Liebhaber gehegt hatte, war dieser jetzt vergangen. Er brauchte nur in ihre Augen zu sehen, um zu wissen, dass Jed viel größeren Schaden angerichtet hatte, als er vermutlich wusste. "Sie haben Recht", sagte er entschieden. "Nichts rechtfertigt das. Kommen Sie, Paige, steigen Sie aus. Lassen Sie uns nach oben fahren."
6. KAPITEL Aber Paige dachte offensichtlich nicht daran. Sie drückte sich gegen den Sitz und schüttelte den Kopf. "Nein, ich will nicht", sagte sie mit heller, klarer Stimme. "Sie können mich nicht dazu zwingen." "Was denken Sie eigentlich von mir?" fragte Antonio empört. "Ich würde nicht im Traum daran denken, Sie zu Waltham zu bringen. Für das, was er Ihnen angetan hat, gehört er bestraft. Verlassen Sie sich darauf, ich werde selbst zu ihm gehen und ..." "Und was?" fragte sie und sah ihn mit großen Augen an. "Und ihn bitten, Ihre Kleider herauszugeben, zum Beispiel", fuhr Antonio ungerührt fort. "Und um ein Wort unter Männern mit ihm zu sprechen", sagte er, und seine Augen funkelten dabei gefährlich. Paige musste daran denken, dass er Italiener war. Sie hatte plötzlich die Vorstellung eines Mafiakillers vor Augen, der sein Opfer langsam und genüsslich zu Tode quälte. Aber das war ja Unsinn. Antonio war ein kultivierter Mann. Er würde sich bestimmt nicht dazu hinreißen lassen, sich an Jed zu vergreifen. "Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist", meinte sie zweifelnd. "Das lassen Sie mal meine Sorge sein. Mir scheint, als hätte Waltham eine kleine Lektion verdient. Ich habe Ihnen doch schon einmal gesagt. Wenn mich etwas wütend macht, dann sind es Männer, die sich an Frauen vergreifen. Aber natürlich
werde ich nicht hingehen, wenn Sie es wünschen." Er sah Paige argwöhnisch an. "Sie wollen mir doch wohl nicht erzählen, dass Sie noch immer an ihm hängen, oder?" Sie schüttelte den Kopf. "Nein, aber ich ... Glauben Sie mir, das ist die Sache nicht wert. Es ist wirklich nett von Ihnen, dass Sie meine Kleider abholen wollen. Aber das ist alles nicht so wichtig. Mir ist lieber, Sie lassen ihn in Ruhe. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn Ihnen etwas passieren würde." Dieser Abend läuft nicht wie geplant, dachte Antonio. Gegen seinen Willen begann er, sich immer mehr für Paige zu interessieren, und zwar nicht nur als Frau, sondern auch als Mensch. Es verlangte ihn danach, die Teile des Puzzles, die sie ihm präsentierte, zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Was stimmte von dem, was sie ihm erzählt hatte, und was war gelogen? War sie wirklich so oberflächlich, wie er immer geglaubt hatte, oder verbarg sich hinter der schönen Oberfläche eine Frau mit tiefen Gefühlen? War sie wirklich provokativ, oder hatte es ihr bisher nur an Liebe gefehlt? Wer war Paige wirklich? Als er darüber nachdachte, fiel Antonio auf, dass die meisten ihrer Liebhaber einige Jahre älter gewesen waren als sie. Vielleicht suchte sie unbewusst ja doch nach einer Vaterfigur. Er wusste sehr wohl, wie es war, als Kind nicht die Liebe zu bekommen, die man brauchte. Seine Kindheit war nicht besonders glücklich gewesen. Als er Lauren kennen gelernt hatte, hatte er gehofft, dass sie all seinen Schmerz heilen könnte. Aber er hatte sich in ihr getäuscht - genau wie Paige sich wahrscheinlich in Waltham getäuscht hatte. Was mochte in jener Nacht genau passiert sein? Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass ein Mann wie Waltham kein guter Liebhaber war. Wenn er nicht gut im Bett war, warum hatte Paige sich dann überhaupt auf ihn eingelassen?
Aber leider sah es nicht so aus, als würde sie ihm noch mehr erzählen. Wie dem auch sei, Waltham würde für das, was er Conrad Fortunes Tochter angetan hatte, büßen müssen, so viel stand fest. Sein Nachbar wusste nicht, was er beruflich tat. Bestimmt hielt Jed ihn für einen Geschäftsmann. Antonio gehörte nicht zu denen, die den Glamour des Gewerbes zu ihrem eigenen Ruhm missbrauchten. Sein Bild erschien kaum in den Zeitungen und Gesellschaftsmagazinen, die seinem Boss so viel bedeuteten. Antonio hingegen war sein Privatleben wichtiger. "Wusste Waltham eigentlich, dass Sie Conrad Fortunes Tochter sind?" fragte er neugierig. Paige schüttelte den Kopf. "Nein, natürlich nicht. Wofür halten Sie mich? Ich bin schließlich nicht dumm!" "Was meinen Sie damit?" "Vom Sicherheitsrisiko einmal abgesehen ... Ich möchte, dass man mich um meiner selbst willen liebt, und nicht, weil ich die Tochter eines reichen Mannes bin." Paige wuchs immer mehr in Antonios Achtung. Eine solche Haltung hätte er ihr nicht zugetraut. Sein ursprünglicher Plan, sie zu verführen, rückte in immer weitere Ferne. Dafür wurde sie ihm von Minute zu Minute sympathischer. "Kommen Sie jetzt mit nach oben?" fragte er. "Oder wollen Sie hier unten warten, bis ich Ihre Kleider aus der Wohnung geholt habe?" "Woher wollen Sie wissen, ob Jed überhaupt da ist?" "Ist das nicht sein Wagen dort drüben?" erwiderte Antonio und zeigte auf den großen roten Ferrari, der ebenfalls in der Garage parkte. Sie nickte. "Na also. Dann ist er auch zu Hause."
Paige biss sich auf die Lippe, sie schien seinen Vorschlag zu überdenken. "Also gut", sagte sie schließlich. "Aber ich will ihn nicht sehen." "Das verspreche ich Ihnen", erwiderte Antonio grimmig. Sein Zorn auf Waltham wurde immer größer. Der Bursche sollte seine eigene Medizin zu schmecken bekommen. Widerspruchslos ließ Paige sich von ihm nach oben in seine Wohnung fuhren. Er schärfte ihr ein, niemandem zu öffnen, solange er weg sei. Dann zeigte er ihr die Bar. "Sie können auch fernsehen, wenn Sie wollen", schlug er vor. "Ich bin bestimmt bald zurück." Sie warf ihm einen besorgten Blick zu. "Seien Sie vorsichtig", bat sie ihn. Er nickte und ging hinaus. Dann klingelte er entschlossen an der gegenüberliegenden Tür. Zuerst dachte er, dass Waltham doch nicht zu Hause sei, da sich nach mehrmaligem Klingeln nichts rührte. Doch schließlich erschien sein Nachbar missgelaunt an der Tür. Er schien sich in aller Eile angezogen zu haben, das Hemd hing ihm noch aus der Hose. "Was, zum Teufel, wollen... Ach, Sie sind's! Tony, nicht wahr?" "Antonio", korrigierte er ihn kühl. "Antonio Scarlatti." "Tatsächlich? Sie haben ja gar keinen italienischen Akzent." Waltham stopfte sich das Hemd in die Hose. "Entschuldigen Sie meinen Aufzug, aber ich war gerade beschäftigt." Er grinste verschwörerisch. Antonio blickte ihn starr an, er war entsetzt und angewidert. Wie war Paige nur auf diesen lächerlichen Schürzenjäger hereingefallen? Der Börsenmakler wurde langsam ungeduldig. "Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, Tony? Brauchen Sie vielleicht Zucker? Oder ein Päckchen Kondome?"
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie noch welche übrig haben", entgegnete Antonio eisig. Das Lächeln des anderen verschwand schlagartig. "Was ist los, Liebling?" erklang plötzlich eine weibliche Stimme aus dem Hintergrund. "Mir wird langsam kalt. Wenn's noch länger dauert, muss ich mich wieder anziehen." "Ich bin gleich wieder bei dir, Schatz", erwiderte Waltham. "Du kannst ja schon mal ein Bad einlassen. Ich komme gleich nach." Die Frau kicherte, und Antonios Lippen verzogen sich verächtlich. "Also bitte, was wollen Sie? Sie sehen doch, dass ich beschäftigt bin", wiederholte Waltham genervt. "Ja, das sehe ich. Ich bin gekommen, um Miss Fortunes Kleider abzuholen." Waltham starrte ihn an. "Miss Fortunes Kleider? Ich verstehe Sie nicht ganz." Antonio war jetzt selbst kurz davor, die Geduld zu verlieren. Dieses Schwein kannte nicht einmal Paiges Nachnamen! "Ihr Vorname ist Paige", informierte er ihn. "Aber Sie haben sie wahrscheinlich ,Liebling' genannt - genau wie Ihre neue Bekanntschaft." Walthams Miene veränderte sich, er starrte Antonio finster an. "Ach so, verstehe", entgegnete er höhnisch. "Sie hat sich Ihnen in die Arme geschmissen, stimmt's? Wahrscheinlich hat Sie Ihnen einen ganzen Haufen Lügen erzählt, wie schlecht ich sie behandelt habe und so weiter. Aber es war doch schließlich nur ein kleiner Kratzer. Von jemand anders wäre sie wahrscheinlich verprügelt worden. Lassen Sie sich doch nicht von ihr einseifen, Scarlatti. Sie ist nichts anderes als eine kleine Schlampe, die es auf Ihr oder mein Geld abgesehen hat. Und außerdem ist sie noch kühl wie ein Eisblock."
Antonio zuckte zusammen. Das zu hören, hatte er nicht erwartet. "Ja, da staunen Sie, nicht wahr?" fragte Waltham wütend. Er redete sich langsam richtig in Rage. "Wenn man sie so ansieht, sollte man es kaum glauben. Ich habe ein Vermögen verschwendet, bin mit ihr in die besten Restaurants und Ausstellungen gegangen. Aber hat sie es mir gedankt? Nein, nicht die Spur. Zuerst hat sie sich die ganze Ze it geziert wie eine Jungfrau, und dann behauptete sie plötzlich, sie könnte mit einem Mann, der sie nicht liebt, nicht schlafen. Sie hat mich so verrückt gemacht, dass ich ihr schließlich gesagt habe, ich würde sie lieben. Ich habe sie sogar gebeten, zu mir zu ziehen, nur um es ihr zu beweisen. Das war natürlich ihr Plan. Sie wollte zu einem Mann ziehen, der Kohle hat, um ihn so richtig schröpfen zu können. Normalerweise lasse ich mich auf solche Sachen gar nicht ein. Aber ich muss sagen, sie hat mir den Kopf verdreht." Antonio blieb stumm. Er hatte das Gefühl, es wäre am besten, Waltham erst einmal ausreden zu lassen. "Das alles hätte mir ja auch gar nichts ausgemacht, wenn ich wenigstens meinen Spaß mit ihr im Bett gehabt hätte. Aber Sie glauben nicht, wie sie sich angestellt hat. Hinterher hat sie stundenlang geheult und gesagt, sie wollte es nie wieder tun. Dann dachte ich, vielleicht steht sie auf andere Sachen, und habe das auch versucht. Aber das hat genauso wenig gebracht. Na ja, und irgendwann ist mir dann die Hand ausgerutscht. Dann hat sie einen Riesenaufstand gemacht, sich im Badezimmer eingeschlossen und sich so aufgeführt, als wäre ich Jack the Ripper. Sie ist eine Ewigkeit dort drin geblieben. Ich habe mir ein paar Drinks hinter die Binde gegossen, weil ich so frustriert war. Irgendwann bin ich dann einfach eingeschlafen. In diesem Moment muss sie rausgegangen sein. Und dann hat sie sich zu Ihnen geflüchtet. Das sieht der kleinen Schlampe ähnlich." Antonio schüttelte den Kopf und sah ihn finster an.
"Sie irren sich, Waltham. Sie ist nicht zu mir gekommen." "Nein? Was denn sonst? Haben Sie sie im Lift getroffen? Wie dem auch sei, ich kann Sie nur warnen, mein Lieber. Diese Frau bedeutet nichts als Ärger. Schmeißen Sie sie lieber raus, bevor sie Sie genauso einwickeln kann wie mich. In der Zwischenzeit sollten Sie ihr kein Wort glauben. Sie lügt nämlich wie gedruckt." "Was ist dann mit dem Bluterguss, den sie Ihnen zu verdanken hat?" erwiderte Antonio scharf. "Ich glaube nicht, dass sie eine Schlampe ist, was immer Sie auch behaupten mögen. Schlampen geben nämlich Männern das, was sie brauchen. Was Paiges angebliche Geldgier anbetrifft wahrscheinlich haben Sie es mehr auf ihr Geld abgesehen als umgekehrt." Waltham starrte ihn an. "Wovon sprechen Sie überhaupt? Das Mädchen hat nicht einen Penny auf der hohen Kante. Sie hat ja nicht einmal einen Job." Antonio schüttelte den Kopf. "Sie selbst besitzt vielleicht nichts. Aber ihr Vater ist einer der reichsten Männer im Lande. Er könnte Ihre Firma jederzeit aufkaufen, das würde ihn nicht einmal ein müdes Lächeln kosten. Paige ist Conrad Fortunes einzige Tochter und damit eine der besten Partien des Landes - unabhängig davon, ob sie im Bett gut ist oder nicht." Waltham öffnete verblüfft den Mund. Doch es hatte ihm offensichtlich die Sprache verschlagen. "Ich nehme an, Sie haben schon von Fortune Productions gehört, oder?" fuhr Antonio fort. "Es handelt sich um eine der größten Film- und Fernsehproduktionsgesellschaften in ganz Australien. Wir haben schon viele Preise gewonnen." Waltham entgegnete noch immer nichts. Diese Information hatte ihn völlig umgehauen.
"Zufällig arbeite ich für Mr. Fortune. Ich bin für seine persönliche Sicherheit verantwortlich." Er lächelte, aber es war ein gefährliches Lächeln. "Sie wissen vielleicht, dass Italiener besonders gute Leibwächter sind." Antonio war froh, dass er so viele Mafiafilme gesehen hatte. Man nahm ihm den Killer problemlos ab. Waltham wurde sichtlich blass. "Es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Miss Fortune nichts zustößt. Deshalb war ich ziemlich geschockt, als sie plötzlich zu Hause auftauchte und uns gezeigt hat, was Sie ihr angetan haben. Auch Mr. Fortune ist darüber alles andere als erfreut, das kann ich Ihnen versichern." "Aber ich habe doch gar ..." Antonio hob abwehrend die Hand. "Moment, ich bin noch nicht fertig. Sie haben wirklich Glück, dass Miss Paige nicht auf einer Wiedergutmachung besteht. Sie will lediglich ihre Kleider. Deshalb würde ich es sehr begrüßen, wenn Sie sie holen könnten. Danach sind Sie mich dann auch gleich wieder los." Aber Waltham schüttelte den Kopf. "Ich ... Tut mir Leid, ich kann die Kleider nicht holen." "Und warum nicht?" "Weil ich ..." Er gab sich einen Ruck. "Wenn Sie es genau wissen wollen, ich habe sie verbrannt." Antonio starrte ihn an. "Sie haben sie verbrannt?" Waltham nickte. "Na ja, versetzen Sie sich in meine Lage. Als ich aufgewacht bin, war sie verschwunden. Ich war natürlich total wütend und..." "Und?" "Und dann habe ich mir ihre verdammten Klamotten geschnappt und sie verbrannt. Was hat sie denn erwartet, nach dem, was sie mir angetan hat? Ich wollte ihr eine Lektion
erteilen, das ist alles. Ich wollte ihr zeigen, dass sie so etwas mit mir nicht machen kann." "So. Ich glaube, Sie haben mich immer noch nicht verstanden, Waltham. Derjenige, dem eine Lektion erteilt wird, sind Sie." Er holte aus. Noch bevor der andere zurückweichen konnte, hatte Antonio ihm schon einen Schlag versetzt. Seine Hand landete mit ganzer Kraft auf Walthams Wange. Eine rote Spur zog sich sofort über das ganze Gesicht. Doch damit war es noch nicht genug. Noch ehe der überraschte Mann reagieren konnte, hatte Antonio ihn schon beim Kragen gepackt. Dann rammte er ihm das Knie zwischen die Beine. Waltham schrie auf und stürzte zu Boden. "Keine Angst, Sie werden es schon überleben", meinte Antonio verächtlich. "Vergessen Sie nicht, im Bad wartet Ihre neue Flamme auf Sie. Sie können sie gern beglücken, aber nicht heute. Für heute sollten Sie sich ruhig ins Bett legen und über alles nachdenken, was ich Ihnen gesagt habe. Ich muss doch wohl nicht hinzufügen. Wenn Sie Paige noch einmal belästigen sollten, wenn Sie es wagen sollten, sie auch nur anzusprechen, werde ich Ihnen eine Lektion erteilen, die Sie in Ihrem ganzen Leben nicht mehr vergessen werden. Haben wir uns verstanden?" Noch immer wimmernd, nickte Waltham. "Prima", erwiderte Antonio und drehte sich um.
7. KAPITEL Während Antonios Abwesenheit versuchte Paige vergeblich, sich irgendwie abzulenken. Sie konnte sich nicht aufs Fernsehe n konzentrieren, und sie hatte auch keine Lust, etwas zu trinken. Hunger hatte sie nicht, daher ging sie nur die ganze Zeit unruhig im Zimmer auf und ab. Sie achtete nicht auf die luxuriöse Umgebung, sondern sah nur immer wieder nervös auf die Uhr. Dabei war es ja klar, dass Jed ein wenig Zeit brauchen würde, um ihre Kleider zusammenzupacken. Aber ihre Intuition sagte Paige, dass etwas anderes nebenan vor sich ging. Sie strengte sich an, um irgendetwas zu vernehmen, konnte jedoch nichts hören, denn dazu waren die Wände viel zu dick. Als sie es im Zimmer nicht mehr aushielt, trat sie hinaus auf den Balkon. Von hier hatte man einen wunderbaren Ausblick auf den Hafen und die Umgebung. Sie lehnte sich aufatmend ans Geländer und ließ sich die frische Seeluft um die Nase wehen. Der Hafen von Sydney bot einen imposanten Anblick. Plötzlich musste Paige an die Villa ihres Vaters denken, die auf der anderen Seite der Brücke bei Port Jackson lag. Vor ihr erstreckten sich das Hafenbecken und ein Teil der Innenstadt von Sydney. Die Lichter glitzerten in der Dunkelheit. In der Feme konnte sie Darling Harbour erblicken, wo das Kasino lag. Wahrscheinlich war dort um diese Zeit noch etwas los, aber der Rest der Stadt lag schweigend da. Schließlich war Montagnacht.
Die warmen Sommernächte, für die Sydney so berühmt war, lagen noch vor ihnen. Plötzlich merkte Paige, dass sie fröstelte. Sie sollte besser wieder hineingehen. Was machte Antonio nur? Warum dauerte es so lange? Nervös ging sie wieder hinein und sah sich das Apartment an, das wesentlich eleganter war als Jeds Wohnung. Der Boden im Foyer war aus grauem Granit, im Wohnzimmer lag ein dicker burgunderroter Teppich. Die Möbel bestanden vorwiegend aus chinesischen Antiquitäten, das große Sofa und die Sessel waren aus cremefarbenem Leder. Bei Jed standen in jedem Kaum Spiegel herum. Sein Einrichtungsstil war ziemlich vulgär. Im Nachhinein konnte Paige sich gar nicht mehr erklären, was sie an ihm gefunden hatte. Jed war ein typischer Macho, ein Angeber, der es darauf anlegte, Frauen zu imponieren. Antonio hingegen hatte das nicht nötig. Er besaß Klasse und einen exzellenten Geschmack. Und nicht nur Geschmack, dachte Paige. Das Apartment musste eine Million Dollar gekostet haben. Der Jaguar war auch nicht gerade billig gewesen. Antonios Garderobe war bestimmt nicht von der Stange, Natürlich, ihr Vater war schließlich kein Narr. Er bezahlte Antonio gut und sicherte sich so exklusiv seine Dienste. Außerdem hatte Antonio keine Familie. Er konnte also mit dem Geld machen, was er wollte. Er schien Paige nicht der Mann zu sein, der es darauf anlegte, zu heiraten und Kinder zu kriegen. Dabei war er schließlich nicht mehr ganz so jung. Sie wusste zwar nicht genau, wie alt er war, aber sie schätzte ihn auf Mitte dreißig. Plötzlich hörte sie, wie der Schlüssel im Schloss umgedreht wurde. Im nächsten Moment trat Antonio ein. Ängstlich suchte Paige sein Gesicht nach Spuren eines Kampfes ab. Doch sie
fand keine. Ihr fiel auf, dass er mit leeren Händen gekommen war. "War Jed nicht da?" fragte sie enttäuscht. Aber in diesem Fall wäre Antonio doch bestimmt nicht so lange weg gewesen. "O doch, er war zu Hause." "Und? Wollte er meine Kleider nicht herausrücken?" "Das konnte er leider nicht mehr." "Das verstehe ich nicht. Haben Sie sich etwa mit ihm geprügelt?" Ihr war das verräterische Funkeln in seinem Blick nicht entgangen. Antonio war ein Mann, dem man alles zutrauen konnte. "Natürlich nicht", erwiderte er und ging zur Bar. "Ich glaube, ich brauche jetzt einen Drink." Dann schenkte er sich einen großen Whisky ein. "Für Sie auch?" "Nein, danke." Paige wurde langsam ungeduldig. "Nun lassen Sie sich doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen, Antonio. Was, zum Teufel, ist dort drüben passiert?" Er hob sein Glas und prostete ihr zu. Dann lächelte er unerwartet. "Sagen wir mal so, Paige ... Ich habe Sie gerächt. Jed wird morgen mit einer Schwellung im Gesicht herumlaufen, die doppelt so groß ist wie Ihre. Leider wird das der Dame, die in der Badewanne auf ihn gewartet hat, gar nicht gefallen. Aber sonst geht es ihm gut." Paige wusste immer noch nicht, was sie von dem Ganzen halten sollte. Anscheinend hatte Antonio es seinem Nachbarn ja tüchtig gegeben. Doch die andere Neuigkeit traf sie unerwartet. "Jed hatte ... eine Frau da?" fragte sie und schluckte. Dass er sie so bald vergessen würde, hatte sie nun doch nicht gedacht. "Warum, glauben Sie, habe ich ihn wohl geschlagen?" Paige erwiderte darauf nichts. Sie kam sich völlig lächerlich vor. Warum hatte sie sich auch nur eine Minute lang wegen Jed schuldig gefühlt? Sein Ärger ihr gegenüber hatte nichts mit
einem gebrochenen Herzen, dafür aber sehr viel mit einem verletzten Ego zu tun. "Übrigens konnte er mir Ihre Kleider nicht geben", ergänzte Antonio, "weil er sie verbrannt hat." Paige blickte ihn schockiert an. "Er hat sie verbrannt?" wiederholte sie ungläubig. "Aber warum denn nur?" "Weil er es anscheinend nicht ertragen hat, dass Sie ihn zurückgewiesen haben", erwiderte Antonio ruhig. "Männer wie er mögen so etwas nun einmal nicht. Andere natürlich auch nicht, aber einen Typ wie Waltham trifft so etwas doppelt hart. Ich nehme an, als er aufgewacht ist und feststellen musste, dass Sie verschwunden waren, musste er seine Wut an irgendetwas auslassen. Sie hatten nur die Kleider dagelassen, also hat er sie vernicht et. Und direkt danach ist er rausgegangen und hat sich eine Frau gesucht, die sein Ego wieder aufbauen sollte. Aber eins steht fest, Paige. Er hat Sie nie geliebt." Paige war ganz blass geworden. "Du meine Güte, war ich dumm", sagte sie erschüttert. "Ich habe wirklich geglaubt, er wurde sich etwas aus mir machen." Vielleicht hat Vater ja doch Recht, dachte sie insgeheim. Sie verstand nichts von Männern. Jed hatte sie getäuscht. Er hatte ihr einige Komplimente gemacht, und schon hatte sie gedacht, er hätte sich in sie verliebt. Dabei hatte er nur mit ihr schlafen wollen. Sie war wirklich immer noch ziemlich naiv. Antonio beobachtete sie eine Weile schweigend. Dann trat er auf sie zu und nahm sie ohne ein weiteres Wort in den Arm. Paige erschien das so natürlich, dass sie sich an ihn lehnte und endlich ihren Tränen freien Lauf ließ. "Kommen Sie", sagte er mit weicher Stimme und strich ihr beruhigend übers Haar. "So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Es lohnt sich nicht, dass Sie seinetwegen weinen, glauben Sie mir."
Aber Paige weinte ja gar nicht wegen ihres verflossenen Liebhabers. Sie weinte, weil sie immer wieder ein Desaster mit Männern erlebte. Und dabei hatte sie wirklich gedacht, dass sie ihr Leben langsam im Griff hatte. Sie hatte den Kurs belegt und erfolgreich abgeschlossen, sie hatte einen neuen Job gefunden und, wie sie anfangs geglaubt hatte, einen neuen Freund, der ihr hätte helfen können, Antonio endgültig zu vergessen. Aber ihren Job war sie inzwischen los, genau wie ihren Freund. Und ihre neue n Kleider, auf die sie so stolz gewesen war, waren auch weg. Bei dem Gedanken an ihr Unglück flössen ihre Tränen noch stärker. Denn jetzt saß sie wieder in der Falle. Sie war gezwungen gewesen, nach Hause zurückzukehren, und sie hatte feststellen müssen, dass sie Antonio mehr denn je liebte. Doch langsam verebbte ihr Schluchzen, und sie kehrte wieder in die Gegenwart zurück. Als sie merkte, dass er sie immer noch im Arm hielt, machte sie sich unvermittelt los. Sie durfte nicht wieder den gleichen Fehler machen. Antonio verstand ihre Reaktion falsch. "Ich glaube, ich sollte Sie jetzt besser nach Hause bringen", meinte er und sah sie besorgt an. Paige biss sich auf die Lippe, dann schüttelte sie den Kopf. "Vielen Dank, aber ich will noch nicht nach Hause." Er lächelte spöttisch. "Bitte verzeihen Sie, Paige, aber ich habe den Eindruck, Sie wissen gar nicht, was Sie wollen." "O doch", erwiderte sie und sah ihn wütend an. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als wäre nur er schuld an ihrer ganzen Misere. "Ich weiß gena u, was ich will. Ich will Sie, Antonio." "Mich?" Er lachte laut auf und schüttelte den Kopf. "Haben Sie das von Waltham nicht auch geglaubt?" "Das ist doch nicht dasselbe. Ich habe mich nach Jed nie so gesehnt wie nach Ihnen, ich ..."
"Gesehnt?" Er trat auf sie zu und fasste ihr unters Kinn. "Was bedeutet das? Sex? Sie können von mir nicht erwarten, dass ich Ihnen sage, dass ich Sie liebe." "Das tue ich ja gar nicht", erwiderte sie empört. "Aber haben Sie Waltham nicht erzählt, Sie würden nur mit Männern schlafen, die Sie lieben?" Hatte Jed ihm das erzählt? "Was hat er Ihnen denn noch gesagt?" "Dass Sie letzte Nacht zum ersten Mal miteinander geschlafen haben. Stimmt das?" "Ja, es stimmt." "Hat er ... hat er ein Kondom benutzt?" Paige nickte. "Ihre anderen Liebhaber auch?" "Wie bitte? Ja, natürlich. Jedes Mal." Brad hatte immer darauf bestanden. "Das ist gut." Er beugte den Kopf zu ihr herunter und sah ihr tief in die Augen. "Wenn ich Sie küsse", warnte er sie, "gibt es kein Zurück mehr." "Ja, ich weiß." "Ich sollte Sie eigentlich vor mir warnen", erwiderte er. Und dann berührten seine Lippen ihre. Widerstreitende Gefühle bewegten Antonio, als er Paige küsste. Er wusste, dass es falsch war. Sie hatte zwar gesagt, dass sie ihn wolle, aber man hätte ihm leicht vorwerfen können, dass er die Situation ausnutzte. Sie war im Moment schließlich besonders verletzlich, zum einen wegen der Szene mit ihrem früheren Liebhaber und zum anderen auf Grund dessen, was heute geschehen war. Ihr Selbstbewusstsein hatte schwer gelitten, und sie zitterte noch immer. Eigentlich waren dies schlechte Voraussetzungen für die Umsetzung seines Plans.
Antonio fühlte sich noch aus einem anderen Grund schuldig. Er wusste natürlich von ihrer Schwärmerei für ihn, hatte diese aber nie besonders ernst genommen. Doch jetzt nutzte er diesen Umstand aus, was ihm nicht gerade zur Ehre gereichte. Sie war zwar jetzt keine siebzehn mehr, aber ihre Haltung ihm gegenüber war noch dieselbe. Sein Gewissen riet ihm, sie in Ruhe zu lassen. Seine Selbstachtung verlangte, dass er Conrads finstere Machenschaften enthüllte und sich von ihm trennte. Er war gut genug, er würde schon eine andere Stelle finden. Nein, er brauchte Fortune Productions nicht. Aber wie würde er sich fühlen, wenn er die einmalige Gelegenheit verpasste, die sich ihm jetzt bot? Die starke Anziehung, die stets zwischen ihnen bestanden hatte, schien heute noch stärker als sonst zu sein. Antonio hatte den Eindruck, als wäre Paige nie schöner gewesen. Er hielt dieses bildhübsche Mädchen in den Armen, sie ließ sich von ihm bereitwillig küssen, und da sollte er aus moralischen Gründen verzichten? War das nicht mehr, als man von einem Mann verlangen konnte? Seufzend gab er sich ihrem Kuss hin, der immer leidenschaftlicher wurde. Paige hatte leise zu stöhnen angefangen, und seine letzten Skrupel verschwanden. Sein letzter Gedanke war nur noch, ob er irgendwo irgendwelche Gummis herumliegen hatte. Doch als sie erneut aufstöhnte, löste sich auch diese Überlegung in Luft auf - genau wie seine Schuldgefühle. Paige legte ihm die Arme um Nacken und zog ihn zu sich herunter. Sie hatte das Gefühl, sich in seinem Kuss zu verlieren. "Antonio", flüsterte sie, als er kurz den Kopf hochhob und sie ansah. Aber dann küsste er sie erneut, mit einer verzehrenden Leidenschaft, die ihr den Atem nahm. Jetzt wusste sie, worauf sie so lange gewartet hatte und dass es sich gelohnt hatte. Sie wusste, warum sie keinen anderen Mann hatte lieben können.
Sie hatte sich gewünscht, dass es Jed mit all seiner Erfahrung gelingen würde, Antonio aus ihren Gedanken zu verbannen. Aber das Gegenteil war der Fall gewesen. Außerdem hatte er sie auch als Liebhaber enttäuscht. Er war schnell und ungeduldig gewesen, überhaupt nicht zärtlich oder liebevoll. Es hatte ihr wirklich keinen Spaß gemacht. Sie war froh gewesen, als es vorüber gewesen war. Aber Antonios Kuss löste wilde, leidenschaftliche Gefühle in ihr aus, von deren Existenz sie bisher noch nichts gewusst hatte. Paige merkte, dass sie am ganzen Leib zu glühen begann, und sie hatte plötzlich den dringenden Wunsch, ihn überall zu berühren und zu streicheln, das Feuer mit ihm zu teilen, das wie flüssige Lava durch ihre Adern rann. Bei der Vorstellung, dass er sie entkleiden und überall küssen würde, wurde ihr ganz heiß. Sie wünschte sich, ja, sie verzehrte sich danach, sich ihm endlich hingeben zu dürfen. Und zwar aus freien Stücken. Weil sie es wollte. Weil sie ihn brauchte. Schwer atmend begann Antonio, sie auszuziehen. Paige half ihm dabei, sie hakte mit bebenden Fingern ihren BH auf, als er damit Schwierigkeiten hatte, dann streifte sie ihn ab und ließ ihn achtlos zu Boden fallen. Sie war jetzt von der Taille aufwärts nackt. Paige konnte es kaum noch erwarten, von Antonio geliebt zu werden. Als er ihre vollen, wohlgerundeten Brüste sah, stockte ihm der Atem. Es war offensichtlich, dass sie erregt war, die rosigen Knospen hatten sich aufgerichtet. Aber er hielt sich noch zurück. Er wollte warten, bis sie ganz nackt vor ihm stand. "Zieh dich aus", bat er sie mit heiserer Stimme. Nach kurzem Zögern kam Paige seiner Aufforderung nach. Er ließ sie nicht aus den Augen. Sie war sogar noch schöner, als er es sich
vorgestellt hatte. Eine goldene Göttin. Die personifizierte Verführung. Paige wusste nicht, wie ihr geschah, während Antonio ihre Nacktheit bewunderte. Sie hätte nicht erregter sein können, wenn er sie tatsächlich berührt hätte. Ihr zog sich der Magen zusammen. Ihre Brustspitzen richteten sich auf. Ihre Knie begannen zu zittern. "Bleib so", befahl er ihr und begann, sich ebenfalls vor ihren Augen auszuziehen. Zuerst kam sein Jackett, dann das Hemd. Beide flogen zu Boden. Antonios Blick war weiterhin auf Paige gerichtet, er schien sie mit den Augen geradezu zu verschlingen. Alles sagte ihr, dass er sie mehr begehrte, als ein Mann sie jemals bege hrt hatte. Schnell zog er die Schuhe aus, dann die Socken. Als Nächstes kam seine Hose, und schließlich folgte der Rest. Paige schluckte. Ihr war klar, dass ihr ein ganz besonderes Erlebnis bevorstand. Die Atmosphäre im Zimmer war zum Zerreißen gespannt. Plötzlich wusste sie, dass sie auf diesen Moment schon immer gewartet hatte. Sie hatte sich nach Antonio verzehrt, seit sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Und jetzt, jetzt würden ihre Träume endlich Wirklichkeit werden. Kurz musste sie noch einmal an Brad denken, ihren ersten Liebhaber, der sie zärtlich und liebevoll behandelt hatte. Dafür hatte ihr manchmal die Leidenschaft gefehlt. Und Jeds Grobheit war auch nicht gerade nach ihrem Geschmack gewesen. Aber Antonio ... "Komm", sagte er sanft und streckte die Hand nach ihr aus. Paige hatte das Gefühl, als würde sie sich in Zeitlupe bewegen, während sie langsam auf ihn zuging und sich von ihm in die Arme nehmen ließ. Sie waren jetzt beide nackt, und ihre Körper glühten vor Verlangen. Sie bot ihm die Lippen zum Kuss dar. Aber er küsste sie nicht, sondern sah ihr in die weit geöffneten Augen.
"Ich nehme an, dir ist klar", sagte er mit rauer Stimme, "dass ich auch nicht eine Minute länger warten kann." "Mir ... mir geht es genauso", erwiderte Paige schluckend. Dann entrang sich ihr ein leises Stöhnen. Noch nie hatte sie sich so sehr nach einem Mann verzehrt. Das war ihr ganz neu, bisher hatte sie immer das Gefühl gehabt, die Kontrolle auszuüben. Aber Antonio löste ein stürmisches Verlangen in ihr aus, das sie durch seine Heftigkeit erschreckte. Auch sie konnte es kaum noch erwarten, mit ihm vereint zu sein. Sie wollte mit ihm das Intimste teilen, was ein Mann und eine Frau überhaupt nur teilen konnten. "Mach schon", drängte sie. "Mach schon." Das brauchte sie ihm nicht zweimal zu sagen. Er hob sie hoch und drang ohne weiteres in sie ein. Paige war überrascht, aber ihr Körper war bereit. Sie öffnete sich weit für ihn und barg den Kopf an seinem Hals. Dann trug er sie hinüber zum Sofa und ließ sie dort nieder. Ihr Atem ging stoßweise, sie stöhnte laut. Die Position war überraschend bequem und gleichzeitig auch sehr erotisch. Bewundernd betrachtete Paige Antonios athletischen Körper. Sein Duft, die wilde, animalische Zärtlichkeit, mit der er sie überschüttete, berauschten sie. Paige war einen Moment lang verlegen, aber dann warf sie die letzten Bedenken über Bord und gab sich ganz ihrem ungezügelten Liebesspiel hin. Antonio begann jetzt, sich langsam und aufreizend in ihr zu bewegen. Paige passte sich seinem Rhythmus an, bis sie es schließlich vor Spannung kaum noch aushielt. "O nein", stöhnte sie und schloss die Augen. Dann zog sie Antonio noch näher an sich. Sie wollte ihn ganz in sich aufnehmen. In ihrem Kopf dröhnte es, ihr Herz schlug immer schneller. Sie hatte das Gefühl, als würde sich alles um sie her drehen ... und mit ihrer Kontrolle war es schon lange vorbei.
Und dann geschah e.: Die Welt um sie her schien stillzustehen. Laut rief sie Antonios Namen, dann wurde es dunkel um sie, und sie vergaß alles um sich her. Tränen standen ihr in den Augen. Sie wusste nur eins - dass sie etwas so Überwältigendes noch nie erlebt hatte. Und noch etwas war ihr klar - Antonio empfand nicht das Gleiche für sie. Er liebte sie nicht, und er würde sie niemals lieben. Genau wie Jed.
8. KAPITEL Antonio war überrascht von der Stärke ihres Orgasmus. Überrascht und erfreut, denn er merkte, dass ihm daran gelegen war, Paige wirklich zu befriedigen. Das war ziemlich ungewöhnlich für ihn. Bisher hatte er nicht zu den Männern gehört, die es nötig hatten, sich im Bett zu beweisen. Aber bei Paige war es anders. Ihm lag viel an ihr, er wollte, dass sie ihn nicht mehr vergaß. Selbst mit Lauren war der Sex nicht so leidenschaftlich gewesen. Plötzlich wurde es ihm überdeutlich klar. Er hatte sich lange etwas vorgemacht, aber in Wirklichkeit war die Sache ganz einfach. Seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er Paige begehrt. Sie hatte ihn oft in seinen Träumen verfolgt. Obwohl er es sich nicht eingestanden hatte, hatte er sie von Anfang an besitzen wollen und jetzt war es endlich so weit. Ihre Reaktion brächte ihn an die Grenze seiner Selbstbeherrschung. Aber er konnte sich jetzt nicht gehen lassen, denn schließlich hatte er nicht an Kondome gedacht. Er war sich ziemlich sicher, dass er noch ein Päckchen im Bad oder im Schlafzimmer haben musste. Es kam schließlich immer wieder vor, dass er Besuch hatte, und für solche Fälle musste man gerüstet sein. Doch irgendwie war ihm bei Paige die Sache über den Kopf gewachsen. Als sie sich ihm ohne weiteres hingegeben hatte, war ihm alles andere egal gewesen.
Natürlich war es dafür noch nicht zu spät. Er hätte sich einfach zurückziehen können. Und dann kam ihm noch ein zweiter, erschreckender Gedanke. Was hatte Paiges Vater zu ihm gesagt? Er solle dafür sorgen, dass sie schwanger wurde? Doch das würde ja alles noch viel komplizierter machen. Er konnte sich schließlich nicht gut von der Mutter seines Kindes scheiden lassen. Das Bedürfnis zu kommen wurde immer stärker. Und er wollte auch kein Gummi. Er wollte sie uneingeschränkt fühlen können, wollte weiterhin die unglaubliche Ekstase verspüren wie in diesem Moment. Paiges Körper zuckte noch immer. Es war wirklich unglaublich. Dann rief sie erneut seinen Namen, bog den Kopf zurück und bäumte sich noch einmal auf. Das war zu viel für Antonio, der sich sowieso kaum noch hatte zurückhalten können. Er kam wie der Blitz, und sein Schrei erschütterte sie beide. Er krallte die Finger in Paiges Schultern, während er auf den Höhepunkt zusteuerte. Paige begann plötzlich zu weinen, sie schluchzte herzzerreißend. Antonio wurde dadurch für einige Sekunden aus seiner Ekstase gerissen. Was war nur mit ihr los? Waltham hatte erwähnt, dass sie nach dem Sex immer weinte, aber er hatte nicht den Eindruck, als wäre sie enttäuscht oder gar frustriert. Er wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte, hätte jedoch gern etwas Tröstendes zu ihr gesagt. "He", sagte er schließlich zärtlich und begann, ihr unbeholfen über das Haar zu streichen. "Weine nicht, Liebling. Es ist alles in Ordnung. Wein nicht mehr." Irgendwann beruhigte sie sich dann und sah mit tränenfeuchten Augen zu ihm auf. Der nächste Satz kam für ihn völlig überraschend. "Liebe mich, Antonio. Bitte, liebe mich."
Er blickte sie fassungslos an. Was, glaubte sie, hatte er bisher getan? Doch dann wusste er plötzlich, wovon sie sprach. Er kannte den Grund für ihre Tränen. Die Enttäuschung über Jed und über ihre anderen Liebhaber. Sex genügte Paige nicht. Sie wollte Liebe. Sie wollte eine Romanze. Es war genauso, wie Conrad gesagt hatte. Sag ihr doch einfach, dass du sie liebst, erklang plötzlich eine innere Stimme. Dann kannst du mit ihr machen, was du willst. Sie wird einwilligen, dich zu heiraten, und all deine Probleme werden schlagartig gelöst sein. Aber der Gedanke an eine so grausame Täuschung missfiel ihm. Paige verdiente etwas Besseres als einen Mann, der sie nicht wirklich liebte, für den sie nur ein Mittel zum Zweck war. Wenn sie ihm überhaupt etwas bedeutete, sollte er sich auf der Stelle von ihr trennen. Und dann? fragte die Stimme weiter. Willst du sie Brock Masters überlassen? Und alles aufgeben, wofür du so lange so hart gearbeitet hast? Viele widersprüchliche Gefühle tobten in ihm. Doch eines war am stärksten Schuld. Er hatte bezüglich dessen, was heute Abend geschehen war, starke Schuldgefühle. Schwer atmend schloss er die Augen und beugte sich erneut über Paige, um sie zu küssen. Dabei bat er sie insgeheim um Verzeihung. Paige war auf die Sanftheit seines Kusses nicht gefasst. Und die Zärtlichkeit, mit der er sie danach betrachtete, nahm ihr den Atem. Erneut spürte sie, wie ihr die Tränen kamen. Ihre Seele sehnte sich so sehr danach, aber sie war nicht daran gewöhnt. "Antonio", flüsterte sie und strich ihm über die Wange. Ohne ein weiteres Wort hob er sie hoch und trug sie hinüber in das dunkle Schlafzimmer. Und dann begann er erneut, sie am ganzen Körper zu streicheln.
Paige gab sich seinen Zärtlichkeiten schrankenlos hin. Ihr genügte der Blick, mit dem er sie vorhin betrachtet hatte. Jetzt konnte sie sich einreden, dass sie ihm nicht ganz gleichgültig war, dass dies auch für Antonio mehr war als nur ein flüchtiges Abenteuer. Die Wirklichkeit übertraf ihre Vorstellungen bei weitem. Sie genoss jede Minute ihres Liebesspiels, das diesmal in einem gemeinsamen Orgasmus gipfelte. Erst später, als Antonio in ihren Armen lag und friedlich schlief, kehrte Paige wieder in die Gegenwart zurück. Ihre Erkenntnis war ernüchternd. Nie wieder würde sie es sich erlauben, in solche Traumwelten abzutauchen. Einmal war genug. Mit diesem einen Mal konnte sie leben. Ein zweites Mal hingegen würde sie vernichten. Ein Gutes hatte die Sache allerdings. Die Möglichkeit einer Schwangerschaft war ausgeschlossen, weil sie bereits seit einigen Jahren die Pille nahm. Natürlich warf dies auch kein besonders gutes Licht auf Antonio. Was hatte er sich dabei gedacht, auf ein Verhütungsmittel zu verzichten? Hatte er stillschweigend angenommen, dass sie sich darum kümmern würde? Oder glaubte er etwa, sie würde freiwillig abtreiben, wenn es zu einer Schwangerschaft kam? Natürlich lag die Verantwortung, dass es überhaupt so weit gekommen war, auch bei ihr. Sie war freiwillig mitgegangen, hatte ihren Teil dazu beigetragen, dass sie in Antonios Bett gelandet waren. Und hatte sie ihn nicht sogar gebeten, sie noch einmal zu lieben? Wahrscheinlich hielt er sie für eine kleine Schlampe, die bereitwillig mit jedem ins Bett ging. Eigentlich konnte ihr das ja egal sein. Am besten war es, so schnell wie möglich aus seinem Leben zu verschwinden. Wenn Antonio so wie die meisten anderen Männer war, würde er es
wahrscheinlich für den Rest seines Urlaubs mit ihr treiben wollen. Wahrscheinlich stellte er sich vor, mit ihr all seine sexuellen Fantasien ausleben zu können. Paige spürte, wie ihr erneut die Tränen kamen, aber sie drängte sie energisch zurück. Sie hatte heute schon genug geweint. Kein Mann war das wert. Es war wichtig, dass sie ihr Leben wieder selbst in die Hand nahm. Sie durfte nicht zulassen, dass ihre Gefühle ihren Verstand beherrschten. Entschlossen warf sie die Bettdecke zurück und stieg aus dem Bett. Sie vermied es, Antonio anzusehen, dazu hatte sie jetzt nicht die Kraft. Vielleicht später, nachdem sie geduscht und die Spuren ihres Liebesspiels abgewaschen hatte. Aber sicher war sie sich nicht. Antonio wachte auf, als jemand ihn heftig schüttelte. Er blinzelte ein paar Mal verständnislos und brauchte eine Weile, bis er in die Gegenwart zurückkehrte. Irgendjemand stand vor ihm im Licht. Paige, erkannte er schließlich, es war Paige. Sie war bereits vollständig angezogen und sah ihn ungeduldig an. "Entschuldige, dass ich dich geweckt habe", sagte sie kurz angebunden. "Aber ich muss sofort nach Hause, und ich habe leider kein Geld dabei." Antonio konnte noch immer nicht klar denken. "Und wofür brauchst du Geld?" "Für ein Taxi natürlich. Du glaubst doch wohl nicht, dass ich von dir erwarte, dass du mich nach Hause fährst, oder? Bestimmt bist du total müde nach der langen Reise." Sie lächelte. "Und nach dem langen Abend. Verstehe mich nicht falsch, ich will mich nicht beschweren. Du bist genauso gut im Bett, wie ich gedacht habe. Nach der Katastrophe mit Jed war das wirklich eine Erholung. Aber machen wir uns doch nichts vor, Antonio. Du bist nicht scharf auf eine feste Beziehung - im Gegensatz zu mir. Eigent lich mochte ich One-Night-Stands
noch nie. Deshalb bin ich auch immer gleich mit meinen Freunden zusammengezogen." Antonio erwiderte nichts, er hörte nur zu. "Also, mein Lieber", fuhr sie fort, "obwohl ich wirklich sehr auf dich stehe, sollten wir es meine r Meinung nach bei diesem einen Mal belassen. Ach übrigens, falls du dir jetzt Sorgen machen solltest, ob wir vielleicht einen kleinen Nachfolger gezeugt haben - nur keine Angst. Ich nehme die Pille. Normalerweise erwähne ich das gar nicht. Aber ich wollte dich in dieser Beziehung nicht im Unklaren lassen." Antonio blickte sie entgeistert an, er wusste wirklich nicht, was er darauf entgegnen sollte. Die Nachricht, dass sie die Pille nahm, hätte ihn eigentlich erleichtern müssen. Aber merkwürdigerweise tat sie das nicht. Er war völlig durcheinander, doch eines war klar. Obwohl Paige im Bett seine kühnsten Erwartungen übertreffen hatte, war sie wohl doch nicht so sehr von ihm eingenommen, wie er gedacht hatte. "Wir waren beide ziemlich dumm, findest du nicht?" fuhr Paige in demselben gönnerhaften Ton fort. "Aber wir sollten uns nicht zu sehr verurteilen für das, was geschehen ist. Ich war wahrscheinlich noch nicht über die Sache mit Jed hinweg, und du ... Ich nehme an, du hast einfach zu viel gearbeitet. Zu viel Arbeit und kein regelmäßiger Sex - das schafft den stärksten Mann. Aber jetzt hattest du ja wenigstens eine kleine Kostprobe. Ich würde dir vorschlagen, eine deiner zahlreichen Freundinnen anzurufen, damit sie dir helfen kann, die nächsten vierzehn Tage zu überstehen. Und ich werde mir jemanden suchen, der meinen Bedürfnissen nach einer festen Beziehung eher entspricht. Einverstanden?" Antonio nickte stumm. Er hatte zwar Mühe, was sie ihm sagte, zu verarbeiten. Aber eines war klar. Paige war in keiner Weise frigide, wie dieser Idiot Waltham gesagt hatte. Im Gegenteil, sie war eine fantastische Geliebte. Aber sie wollte einen festen Freund. Wer hätte ihr das verdenken können?
Sie wollte eine feste Beziehung - das waren ihre eigenen Worte gewesen. Sie suchte einen Mann, der bereit war, Verantwortung zu übernehmen. Dann ging es ihr gar nicht um Liebe oder eine Romanze. Konnte es sein, dass ihr Vater sich geirrt hatte? Verantwortung - es war ja nicht so, dass er, Antonio, nicht fähig wäre, die zu übernehmen. Das bewies schließlich seine jahrelange aufopferungsvolle Arbeit für Fortune Productions. Vielleicht sollte er dieselbe Taktik nun bei Paige anwenden. "Musst du denn wirklich schon nach Hause?" fragte er, um Zeit zu gewinnen, und richtete sich auf. Paige nickte. "Ja, unbedingt. Oder hattest du etwa erwartet, dass ich die ganze Nacht hier bleibe? Ich habe schließlich auch meinen Stolz." Antonio runzelte die Stirn. "Was hat das denn mit Stolz zu tun?" "Eine ganze Menge. Dein Ruf ist schließlich allgemein bekannt. Du bist der Mann, der niemals zweimal mit der gleichen Frau auftaucht. Ob du es nun verstehst oder nicht, ich habe keine Lust, zu deinen Eroberungen zu gehören. Es reicht mir, dass ich mich einmal deinetwegen zum Narren gemacht habe. Ich habe nicht vor, das Ganze zu wiederholen. Diese Genugtuung möchte ich Evelyn nicht verschaffen. Von meinem Vater gar nicht zu reden. Das heißt, du springst jetzt entweder ganz schnell aus dem Bett und fährst mich brav nach Hause, oder du leihst mir Geld für ein Taxi. Mir ist beides recht." Antonio gefiel überhaupt nicht, was sie da sagte. Wenn Paige dachte, ihn so einfach abschütteln zu können, hatte sie sich geschnitten. Plötzlich erwachte sein Jagdinstinkt. Sie würde seine Frau werden, ob sie nun wollte oder nicht. Und er würde alles daransetzen, dass dies auch geschah. "Ein Taxi kommt gar nicht infrage", erwiderte er und stieg aus dem Bett. "Ich brauche nur ein paar Minuten."
Paige sah ihm verstohlen nach, als er ins Badezimmer ging. Warum sah er nur so verdammt gut aus? Das machte es ihr nicht gerade leichter, ihren Entschluss, ihn möglichst schnell zu verlassen, in die Tat umzusetzen. Außerdem schien es ihr, als wäre Antonio durchaus daran gelegen, ihre Beziehung fortzusetzen. Denn sonst hätte er ihr ja einfach ein Taxi rufen können, und der Fall wäre erledigt gewesen. Aber ihre Entscheidung, ihn nicht mehr sehen zu wollen, schien ihn aufgerüttelt zu haben. Sie lächelte schwach. Eine solche Behandlung war er von einer Frau wahrscheinlich nicht gewohnt. Bestimmt drängelten sich alle darum, mit ihm zusammen zu sein. Seine Raffinesse in sexueller Hinsicht sprach durchaus dafür. Aber sie meinte es ernst. Sie wollte nicht zu den zahlreichen Eroberungen gehören, mit denen er nicht einmal eine flüchtige Erinnerung verband. O ne in. Und sie würde stark bleiben, das nahm sie sich vor. Sie hatte ihm gesagt, was sie wollte, und es war die Wahrheit gewesen. Sie sehnte sich tatsächlich nach einer festen Beziehung - nach einem Mann, mit dem sie durch dick und dünn gehen und auf den sie sich verlassen konnte. Sie hatte die Nase gestrichen voll von Männern, die erwarteten, dass sie nach einem kurzen Abendessen gleich mit ihnen ins Bett hüpfte. Sie wünschte sich jemand, der die gleichen Bedürfnisse hatte wie sie. Jemanden, den sie lieben konnte und von dem sie wiedergeliebt wurde. Sie wollte ... wahrscheinlich das Unmögliche. Paige stieß einen tiefen Seufzer aus. In diesem Moment wurde die Badezimmertür geöffnet, und Antonio kam heraus. Er hatte offensichtlich gerade geduscht, denn sein Haar glänzte noch, und auf seiner Stirn standen feine Wassertropfen. Glücklicherweise war er jetzt nicht mehr nackt, sondern hatte sich ein Handtuch um die Hüften geschlungen. Paige lächelte ihn amüsiert an.
"Willst du mich in diesem Aufzug nach Hause bringen? " Er erwiderte provozierend ihr Lächeln. "Würde dir das gefallen?" Sie errötete. "Unsinn", erwiderte sie scharf. Er zuckte die Schultern. "Gut, dann muss ich mich wohl anziehen", meinte er und ging ins Wohnzimmer. Paige machte den Fehler, ihm zu folgen. So musste sie zusehen, wie er sich aufreizend langsam anzog. Er legte das Handtuch beiseite und fing mit dem Slip an. Dann setzte er sich aufs Sofa - auf dasselbe Sofa, auf dem sie sich zum ersten Mal geliebt hatten - und zog seine Socken und die Schuhe an. Paige konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Erneut bewunderte sie seinen muskulösen Oberkörper, seine durchtrainierte Gestalt. Eines musste man ihm lassen, Antonio war wirklich gut in Form. Und nicht nur das. Er wusste, wie man eine Frau glücklich mache n konnte. Es würde ihr nicht leicht fallen, ihn zu vergessen. Wirklich schade. dachte sie bedauernd. "So, ich bin fertig", sagte Antonio in diesem Moment, und Paige kehrte schlagartig wieder in die Realität zurück. Plötzlich fiel ihr auf, dass er sie betrachtete. Ob er ihre Gedanken erraten hatte? Möglich war es schon. In gewisser Weise war sie wie ein offenes Buch. Das hatte man ihr schon oft gesagt. Sie hatte es immer noch nicht gelernt, ihre Gefühle zu verbergen. Bestimmt hatte er geahnt, was sich in ihrem Kopf abspielte. Es war ja auch nicht schwer zu erraten. Sie räusperte sich und nickte kurz. "Prima", sagte sie rau. "Dann lass uns fahren." Sie ging zur Tür und blieb dort abwartend stehen. Antonio folgte ihr, doch als sie den Lift betraten, griff er wie selbstverständlich nach ihrer Hand. Paige hatte plötzlich ein flaues Gefühl im Magen. Wahrscheinlich ging ihr das Ganze doch näher, als sie gedacht hatte.
Ich bin einfach zu verletzlich, dachte sie. In Zukunft, so nahm sie sich fest vor, würde sie es vermeiden, mit Antonio allein zu sein. Sie wollte ihm nicht zeigen, wie sehr sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Deshalb entzog sie ihm ihre Hand nicht, sondern begnügte sich mit einem spröden Lächeln. Doch insgeheim sah sie ihre Befürchtungen bestätigt. Antonio war offensichtlich nicht der Mann, der leicht aufgeben würde. Vielleicht drehte er den Spieß jetzt um. Was sollte sie tun, wenn sich herausstellte, dass er derjenige war, der mehr von ihr wollte? Ach, mach dir doch nichts vor, meldete sich eine innere Stimme. Vielleicht würde er die nächsten zwei Wochen mit ihr verbringen wollen. Doch danach würde Antonio sein altes Leben wieder aufnehmen. In dieser Hinsicht durfte sie sich keine Illusionen machen. Paige nahm sich fest vor, sich kein zweites Mal von ihm einwickeln zu lassen. Sie hatte schon genug Energie damit verschwendet, sich nach ihm zu verzehren. Es war wirklich Zeit, sich nach jemand Zuverlässigerem umzusehen. In diesem Moment kam der Aufzug im Erdgeschoss an. Sie entzog Antonio ihre Hand und ging schnellen Schritts durchs Foyer. Antonio sah sie zwar ein wenig überrascht an, schien es aber nicht weiter krumm zu nehmen, dass sie sich von ihm distanzierte. Oder vielleicht doch? Irgendwie erschien ihr seine Haltung steifer als zuvor. Hatte er ihr nicht selbst geraten, die Körpersprache eines Mannes mehr zu beachten als seine Worte? Natürlich, Antonio war es gewohnt zu siegen. Wenn er diese Fähigkeit nicht besessen hätte, hätte er es nie zu der Position gebracht, die er jetzt in der Firma ihres Vaters innehatte. Was er wollte, bekam er auch. Und das galt ganz bestimmt auch für Frauen. Für Paige bedeutete dies, sie musste besonders auf der Hut sein. Sie durfte keine Einladungen von ihm annehmen, egal, wie
harmlos sie auch klangen. Und egal, wie sehr sie sic h wünschte, von Evelyn und ihrem Vater wegzukommen. Sie musste jetzt stark sein. Sie musste konsequent bleiben. Sie musste lernen, Nein zu sagen.
9. KAPITEL "Und was machst du morgen?" Paige hatte mit der Frage gerechnet. "Heute, meinst du wohl", korrigierte sie ihn. "Nun sei doch nicht so pedantisch, Paige." "Oh, ich habe eine Menge zu tun", erwiderte sie. Antonio sah sie ungläubig an. "Was denn, wenn ich fragen darf? Soviel ich weiß, bist du doch im Moment arbeitslos, oder?" Sie nickte. "Stimmt. Ich werde mir so schnell wie möglich einen Job suchen." "Und wie?" Paige hob den Kopf. "Du scheinst vergessen zu haben, dass ich bei einer Agentur bin. Die Leute bieten die ganze Zeit über Jobs an, besonders für Teilzeitkräfte. Wenn ich sie anrufe, kann es gut sein, dass sie mir sofort einen Vorstellungstermin besorgen. Mein einziges Problem ist, dass ich nichts zum Anziehen habe , außer dem Anzug natürlich." Er blickte sie erstaunt an. "Du hast nichts zum Anziehen?" "Nur ein paar Kleider, aber die sind dafür nicht sehr geeignet. Ich weiß nicht, ob du dich noch daran erinnern kannst, aber sie stammen aus der Zeit, als ich für dich geschwärmt habe. Und so sind sie auch geschnitten - ultrakurz, tiefer Ausschnitt und so
weiter." Sie lachte. "Jedenfalls nicht das Richtige, als dass ich mich darin vorstellen könnte." Er nickte. "Ja, ich erinnere mich sehr genau. Du hast Recht definitiv nicht jugendfrei. Allerdings muss ich dir gestehen, dass sie ihren Zweck bei mir nicht verfehlt haben." Paige blickte ihn überrascht an. "Nein?" Damit hatte sie nicht gerechnet. Er schüttelte den Kopf. "O nein. Sie haben tausend Fantasien bei mir ausgelöst." Sie durchquerten das Parkhaus und steuerten auf Antonios Wagen zu. Er öffnete ihr die Autotür, und Paige ließ sich wortlos auf den Beifahrersitz sinken. Während der Fahrt blieb sie zunächst still, denn sie musste diese Information erst mal verdauen. Hatte Antonio die Wahrheit gesagt? Oder hatte er ihr nur schmeicheln wollen? Wenn er sie damals so attraktiv gefunden hatte, wie er behauptete - warum hatte er sie dann nicht einmal gebeten, mit ihm auszugehen? War sie für ihn zu jung gewesen? Und was dachte er jetzt von ihr? Plötzlich spürte sie seinen Blick auf sich gerichtet. Sie straffte sich und sah starr geradeaus. "Hast du das rote Kleid noch?" fragte er interessiert. "Du weißt schon, welches ich meine. Du hast es letztes Jahr zur Weihnachtsfeier getragen." Paige schüttelte den Kopf. "Nein, ich ... Das habe ich nicht mehr", erwiderte sie stockend. Das rote Kleid hatte sie gleich am nächsten Tag im Garten verbrannt - zusammen mit all ihren Illusionen. Voller Genugtuung hatte sie zugesehen, wie es in Flammen aufgegangen war. Plötzlich verstand sie, was Jed empfunden haben musste, als er ihre Sachen verbrannt hatte. Sie verspürte sogar ein wenig Sympathie für ihn. "Wirklich schade", bemerkte Antonio.
"Warum denn?" erwiderte Paige. "Das wäre doch wohl auch nicht das Richtige für ein Vorstellungsgespräch." Er sah sie nicht an, sondern konzentrierte sich auf den Verkehr. "Daran habe ich auch nicht gedacht", erwiderte er schließlich ruhig. "Aber du hättest es heute Abend anziehen können. Ich wollte dich nämlich zum Abendessen einladen." Eines muss man ihm lassen, dachte Paige. Er war wirklich hartnäckig. Oder einfach nur arrogant? Sie schüttelte den Kopf. "Tut mir Leid, aber daraus wird nichts." "Ja, das lässt sich jetzt nicht mehr ändern", entgegnete er ungerührt. "Ich erinnere mich auch noch an ein anderes Kleid in Gold, mit einem superkurzen Rock und tiefem Ausschnitt. Als du es damals getragen hast, bin ich fast verrückt geworden, so verführerisch hast du darin ausgesehen. Insgeheim habe ich mich immer gefragt, was wohl passieren würde, wenn ich dir den Reißverschluss aufziehen und ..." Sie, Paige, hätte nie gedacht, dass er sich noch an all diese Einzelheiten erinnern würde. Vielleicht hatte sie ihn ja doch unterschätzt. "Manchmal habe ich sogar von dir geträumt", fuhr er fort. "Jedenfalls verdanke ich dir einige meiner schönsten erotischen Fantasien, das kann ich dir versichern." Sie war völlig sprachlos. "Oh, habe ich dich in Verlegenheit gebracht?" Er lachte. "Entschuldige. Das wollte ich wirklich nicht." "Nein, nein, ist schon in Ordnung", erwiderte sie schnell. "Ich bin einfach nur überrascht, das ist alles. Über ... über vieles, was heute Abend passiert ist." . Nicht nur du, dachte Antonio. Der Verlauf des heutigen Tages war wirklich erstaunlich. Zuerst hatte Conrad ihm dieses unmoralische Angebot gemacht, und plötzlich sah er sich einer großen persönlichen Herausforderung gegenüber - vielleicht der größten überhaupt. Inzwischen hatte er keinerlei Skrupel mehr,
sich auf den Handel einzulassen. Er wollte nur noch Paige gewinnen. Er musste zugeben, dass er sie unterschätzt hatte. Von einem blind verliebten Teenager hatte sie sich zu einer selbstbewussten jungen Frau entwickelt - einer jungen Frau, die ihren eigenen Kopf hatte und die es gewohnt war, selbstständig Entscheidungen zu treffen. Genau wie ihr Vater. Aber inzwischen konnte er sie besser verstehen, und mehr noch ... er begehrte sie mehr, als er je zuvor eine Frau begehrt hatte. Natürlich war ihm nicht entgangen, wie sie ihn angesehen hatte, als er sich angezogen hatte. Sie wollte ihn, daran konnte gar kein Zweifel bestehen. Und dieses Wissen erregte ihn über alle Maßen. Er musste sie dazu bewegen, dass sie sich öfter sahen. Dann würde sie sich nicht mehr so leicht von ihm distanzieren können. Er verstand Frauen und ihre Bedürfnisse schließlich viel besser als dieser brutale Tölpel Waltham. "Ich weiß ja nicht, wie es dir geht", sagte er nachdenklich. "Aber ich fand es wunderbar mit uns beiden. Besser als mit jeder anderen Frau. Um ehrlich zu sein, bin ich ziemlich überrascht - positiv überrascht." O nein, da war er wieder, dieser verletzliche Blick, der ihn mitten ins Herz traf. Damit konnte er einfach nicht umgehen. Er zog es vor, wenn Paige hart und zynisch war. Aber wenn sie ihn so ansah, hatte er sofort das Gefühl, ein ausgemachter Schurke zu sein. Paige musste diese Information erst einmal verdauen. Sie wusste, dass sie sich nicht in etwas hineinsteigern durfte, was sich später als Illusion entpuppte. Sie sah ihn prüfend an und fand ihre Befürchtungen bestätigt. Er lachte zwar, aber seine Augen blickten kühl, fast kalt. Ihr Mut sank, und sie nahm sich fest vor, sich zu schützen koste es, was es wolle.
"Ach ja?" fragte sie daher spöttisch. "Besser als mit jeder anderen Frau? Und was war mit der Lady, die du letztes Jahr auf die Weihnachtsfeier mitgebracht hast? Die Dame, die du praktisch vor aller Augen auf der Terrasse geliebt hast?" Er zuckte zusammen, und sie fand ihren Verdacht bestätigt. "Komm schon, Antonio", sagte sie kopfschüttelnd, "mach mir doch nichts vor. Du musst dir etwas Besseres ausdenken, wenn du mich herumkriegen willst." Es entstand eine kleine Pause. "Du hast Recht", erwiderte er schließlich. "Um ehrlich zu sein, möchte ich heute Abend gar nicht mit dir ausgehen." . Damit hatte sie nicht gerechnet. Aber sie merkte, wie enttäuscht sie war. "Ich möchte dich entführen", fuhr er fort. Überrascht sah sie ihn an. "Ich habe am Hawkesbury River für zehn Tage ein Hausboot gemietet", teilte er ihr mit. "Wenn es dir recht ist, werde ich dich am Mittwoch abholen. Mein Plan war eigentlich, ein paar Tage richtig auszuspannen. Du weißt schon, ein bisschen mit dem Boot herumfahren, in der Sonne liegen, lesen, kochen, Musik hören. Immer wenn ich aus Europa komme, muss ich mich erst mal von dem anstrengenden Konkurrenzkampf erholen. Eigentlich dachte ich, ich fahre allein. Aber nach dem, was heute passiert ist ..." Er schüttelte den Kopf und lächelte sie an. "Ich fürchte, ich würde sowieso die ganze Zeit nur an dich denken." "Ja, aber..." "Moment, ich bin noch nicht fertig. Es mag dir komisch erscheinen, aber auch ich komme langsam an einen Punkt in meinem Leben, wo ich mich nach einer festen Beziehung sehne. Wenn du es also wirklich ernst gemeint hast - dass du dir einen Mann wünschst, der bereit ist, Verantwortung zu übernehmen -, dann komm einfach mit." "Ich weiß nicht, Antonio, ich ..."
"Bitte!" Stimmten seine Worte sie um oder der Klang seiner Stimme? Antonio hörte sich so anders an, so ... aufrichtig. Hatte sie ihn falsch eingeschätzt? War er vielleicht doch nicht der herzlose Schürzenjäger, für den sie ihn gehalten hatte? Konnte sie seinen Worten trauen? "Wenn ich mit dir komme", sagte sie langsam, "was erzähle ich dann meinem Vater?" "Heißt das, du kommst mit?" Sie zögerte kurz und gab sich dann einen Ruck. Sie war schließlich nicht dumm. Falls dies die Chance war, ihre Träume wahr werden zu lassen, durfte sie sie nicht verpassen. "Also gut, ich komme mit. Aber mach dir keine falschen Hoffnungen. Was ich dir vorhin gesagt habe, habe ich auch so gemeint. Ich erwarte mehr von einer Beziehung als nur großartigen Sex." "Natürlich, das kann ich gut verstehen. Was deine Frage nach deinem Vater betrifft - seit wann ist dir seine Meinung denn so wichtig? Wenn du Angst hast, dass er es dir verbieten würde, sag ihm einfach nichts davon. Er ist am Mittwoch sowieso in der Firma. Warum hinterlässt du ihm nicht eine Nachricht und sagst ihm, du würdest mit einer Freundin ein paar Tage Ferien machen? Das glaubt er dir doch bestimmt, oder?" "Was ist mit deiner Position in der Firma?" erwiderte sie. "Hast du schon einmal daran gedacht, was es für dich bedeuten würde, wenn du mit mir ein Verhältnis anfangen würdest?" Offensichtlich war das nicht der Fall, denn er sah sie schockiert an. "Wie meinst du das?" fragte er scharf. Paige bereute es sofort, das Thema überhaupt angeschnitten zu haben. Wahrscheinlich würde Antonio es sich jetzt noch einmal überlegen. Aber er wusste doch ganz genau, wie skrupellos ihr Vater manchmal sein konnte.
"Du hast ihn doch heute Abend erlebt", erklärte sie. "Es hat ihm überhaupt nicht gefallen, dass wir beide uns abgesetzt haben. Und ich bin mir ganz sicher, dass es ihm überhaupt nicht gefallen würde, wenn er denkt, wir würden ihn hintergehen. Mein Vater hasst es, wenn jemand sich seinen Plänen entgegenstellt. Ich bin mir ganz sicher, dass er dich sofort entlassen würde, wenn er glaubt, du würdest etwas gegen ihn im Schilde führen." "Mach dir mal keine Sorgen", erwiderte Antonio besänftigend. "Ich garantiere dir, dass dein Vater nichts dagegen hat, wenn wir uns näher kommen. Im Gegenteil, ich glaube, es würde ihn freuen, wenn er sieht, dass du mit einem Mann ausgehst, dem es nicht nur um Sex geht." Paige schluckte. "Aber ist das ... ist das denn auch wahr?" brachte sie hervor. "Willst du wirklich mehr von mir, Antonio? Oder sagst du das nur so?" "O nein, ich meine es ernst, Paige. Du wirst schon sehen, wie ernst." Zweifel und Hoffnung bewegten Paige gleichermaßen. Alles kam so überraschend, so ... Plötzlich hatte sie das Gefühl, als wäre es bis Mittwoch noch eine kleine Ewigkeit. "Möchtest du ... ich meine, sollen wir nicht trotzdem heute Abend ausgehen?" fragte sie schüchtern. Antonio überlegte kurz. "Besser nicht", sagte er dann. "Wahrscheinlich hast du Recht, was deinen Vater angeht. Wir sollten ihn nicht unnötig misstrauisch machen." "Verstehe." Sie klang sehr enttäuscht. "Ich weiß, was du fühlst. Mir geht es genauso. Aber wenn wir noch warten, wird die Vorfreude umso größer. Ich werde dich also am Mittwoch morgen um neun Uhr abholen, wenn dir das recht ist."
"Natürlich. Nur vergiss nicht ... ich habe nicht viel zum Anziehen." Das war ein sehr verlockender Gedanke, wenn sie es auch anders gemeint hatte. "Du brauchst auch nicht viel", versicherte er ihr. "Jeans, ein oder zwei Blusen - mehr ist für einen solchen Trip nicht nötig. Die Wettervorhersage ist gut, es wird sonnig und warm. Ach ja, vielleicht noch eine dicke Jacke, falls es doch regnen sollte. Und deinen Anzug, wenn wir irgendwo ein nettes Restaurant finden, wo wir anlegen können." Paige musste plötzlich an das goldene Kleid denken, an das er sich so gut zu erinnern schien. Würde sie es wagen, es einmal für ihn zu tragen? Und was würde er machen, wenn ...? Nun komm schon, du weißt doch ganz genau, was er dann machen würde, meldete sich eine zynische innere Stimme erneut. Er will mit dir schlafen, genau wie alle anderen. Nur darum geht es bei diesem kleinen Ausflug. Um Sex, Sex und noch mal Sex. Glaubst du etwa diesen Unsinn, er wäre bereit für eine dauerhafte Beziehung? Das sagt er doch nur, um dich ins Bett zu kriegen. Und du bist auf ihn hereingefallen. Hast du eigentlich immer noch nichts gelernt? Aber jetzt war es zu spät, um noch einen Rückzieher zu machen. Sie hatte Ja gesagt. Um ehrlich zu sein, freute sie sich schon auf die Zeit mit Antonio. Die Einladung klang so verlockend, so aufregend. Bestimmt würde es wundervoll werden. Ihr Entschluss von vorhin, sich nie wieder mit ihm zu treffen, löste sich in Nichts auf. Und so ignorierte sie auch die nörgelnde innere Stimme. Wer weiß, dachte sie, vielleicht entwickelt sich ja doch etwas zwischen uns. Vielleicht.
10. KAPITEL Am nächsten Morgen klingelte bei Antonio um sieben das Telefon. Er ignorierte es zunächst, doch es hörte nicht auf zu läuten. Es gibt nur einen Menschen, dachte er, der so rücksichtslos ist. Ärgerlich nahm er schließlich den Hörer auf. "Conrad!" sagte er, ohne abzuwarten, bis der Anrufer sich zu erkennen gab. "Was soll das? Ich habe Urlaub, vergessen Sie das nicht." "O nein, für mich sind Sie weiter im Dienst - nur in einer besonderen Mission unterwegs", erwiderte sein Boss und lachte. "Also, wie war es gestern Abend? Evelyn hat mir erzählt, dass Paige ziemlich spät nach Hause gekommen ist." "Haben Sie sie deshalb angestellt? Damit sie für Sie herumspioniert?" "Unsinn! Ich erwarte von meinen Angestellten einfach nur Loyalität." "Das bedeutet, sie müssen Tag und Nacht für Sie bereitstehen, stimmt's?" "Sie interessiert sich nun einmal für das, was in diesem Haus vor sich geht, das ist alles." Antonio dachte an das, was sich gestern bei Tisch zwischen den beiden Frauen abgespielt hatte. Es war klar, dass er auf Paiges Seite war.
"Außerdem ist das unwichtig", fuhr Conrad fort "Ich will wissen, ob Sie mit meiner Tochter geschlafen haben oder nicht. Und ob sie eingewilligt hat, Sie zu heiraten." "Ich denke nicht daran, diese Fragen zu beantworten", erwiderte Antonio. "Ich glaube auch nicht, dass ich Ihnen Rechenschaft schuldig bin," "Nein, natürlich nicht." Offensichtlich merkte Conrad, dass er zu weit gegangen war. "Sie werden aber hoffentlich verstehen, dass mir das Wohl meiner Tochter sehr am Herzen liegt." "Natürlich", meinte Antonio ironisch. "Das merkt man. Ich verspreche Ihnen eines. Wenn sie einwilligt, mich zu heiraten, sind Sie der Erste, der es erfährt." "Aber es lief doch nicht schlecht gestern, stimmt's?" Antonio seufzte. Er wusste, Conrad würde nicht lockerlassen, bis er mehr erfuhr. "Ich werde morgen ein paar Tage mit ihr wegfahren", informierte er ihn. "Reicht Ihnen das?" "Natürlich. Das ist ja fantastisch! Sie operieren wirklich schnell. Und wohin geht die Reise, wenn man fragen darf?" "Das ist mein kleines Geheimnis." "Sie halten sich ja ziemlich bedeckt, Antonio." "Ich bin es gewohnt, eigenständig zu arbeiten, Conrad. Und ich kann Ihnen versichern. Ich hasse es, erpresst oder unter Druck gesetzt zu werden." "Ja, ja, ist ja gut. Sie verstehen, meine Tochter ..." "Ach, hören Sie doch schon auf", unterbrach Antonio ihn ärgerlich. "Ihre Tochter interessiert Sie keinen Penny. Sie wollen nur keinen Ärger mehr mit ihr, das ist alles. Machen wir uns doch nichts vor, Conrad. Ich kann Sie nur warnen. Versuchen Sie ja nicht, Paige wegen gestern Abend auszufragen. Stellen Sie sich vor, sie macht sich Sorgen, dass Sie mich entlassen würden, wenn Sie erfahren, dass wir uns näher gekommen sind. Sie haben Ihre Rolle gestern Abend ziemlich gut gespielt, muss ich sagen."
"Ja, ich dachte ja immer, an mir wäre ein Schauspieler verloren gegangen. Es hat also funktioniert." "Lassen Sie Paige in Ruhe, Conrad. Oder Sie bekommen es mit mir zu tun." "Nanu, was ist los? Sie liegt Ihnen ja anscheinend wirklich am Herzen. Das hätte ich nicht gedacht." Antonio hätte fast laut gelacht. "Sagen wir einmal so - es ist auch in meinem Interesse, dass ich sie gut behandle." Diese Sprache verstand sein Boss. "Ich habe Sie also doch richtig eingeschätzt", bemerkte er zufrieden. "Sie sind der perfekte Schwiegersohn, mein Junge." "Ich bin nicht Ihr Junge, merken Sie sich das." "Ja, ich weiß. Ich bin stolz auf Sie, Antonio. Bestimmt werden Sie auf der ganzen Linie Erfolg haben." "Das hängt nicht nur von mir, sondern auch von Ihrer Tochter ab." "Glauben Sie?" Conrad lachte und hängte ohne ein weiteres Wort ein. Frustriert blickte Antonio den Hörer an, dann knallte er ihn auf die Gabel. Erst in diesem Moment legte Evelyn zufrieden lächelnd ebenfalls den Hörer auf die Gabel. Sie stand im Wohnzimmer, wo sich noch ein zweiter Apparat befand. Als sie um acht Uhr mit einem Tablett in den Händen Paiges Zimmer betrat, schlief Paige noch immer. Die Haushälterin betrachtete ihr makelloses Profil und verspürte einen heftigen Stich der Eifersucht. Am liebsten hätte sie das ganze Tablett über ihr ausgekippt. Aber natürlich beherrschte sie sich und stellte es vorsichtig neben dem Bett ab. Sie hatte Paige von Anfang an gehasst. Sie hasste ihre Jugend, ihre Schönheit und das Vermögen, das sie einmal erben
würde. Aber am meisten hasste sie, dass Paige darauf überhaupt keinen Wert zu legen schien. Ihre einzige Schwachstelle schien Antonio zu sein. . Ja, sie war verrückt nach ihm. Sie würde völlig zusammenbrechen, wenn sie erfuhr, dass er sie nicht aus Liebe geheiratet hatte, sondern nur, um seinen Ehrgeiz zu befriedigen. Für Evelyn stand fest, dass das dumme kleine Ding ihn heiraten würde. Antonio würde das bekommen, was er sich wünschte - eine reiche Frau und den Vorsitz von Fortune Productions. Aber sie, Evelyn, würde im Hintergrund auf den richtigen Moment warten, um Paiges Illusionen ein für alle Mal zu zerstören. Nur für diesen Moment lebte sie. Natürlich würde dies erst nach der Hochzeit geschehen. Die Haushälterin wusste genau, was sie von Antonio zu halten hatte. Sie konnte sein Motiv gut nachvollziehen. Beide kamen sie aus einfachen Verhältnissen und hatten hart arbeiten müssen, um es zu etwas zu bringen. Sie beneidete Antonio nicht, der von seinem Boss erpresst wurde, dessen Tochter zu heiraten. Andererseits ... der Gewinn, den ihm das bringe n würde, war natürlich auch nicht zu verachten. Evelyn hatte keine Angst, dass ihr Arbeitgeber sie nach der spektakulären Enthüllung wahrscheinlich entlassen würde. Sie hatte sowieso schon lange die Nase voll davon, sich von anderen Leuten herumkommandieren zu lassen. In den letzten Jahren hatte sie ein wenig Geld beiseite gelegt und war sich sicher, dass sie es auch ohne Conrad und seine Intrigen schaffen würde. Ja, irgendwann würde ihr Tag kommen. Und danach würde nichts mehr sein wie vorher. Als Paige me rkte, dass noch jemand im Zimmer war, fuhr sie im Bett auf. Sie erhaschte gerade noch den Blick, mit dem die Haushälterin sie betrachtete. Er war voller Hass. Sie schüttelte sich und strich sich das Haar aus dem Gesicht.
"Sie ... Sie haben mich erschreckt, Evelyn", sagte sie stockend. "Oh, das tut mir aber Leid", erwiderte die Haushälterin zuckersüß. "Ich wollte Ihnen nur das Frühstück bringen. Ich habe geklopft, aber Sie haben mich nicht gehört." Paige glaubte ihr nicht. "Es war wirklich nicht nötig, dass Sie mir etwas hinaufbringen. Ich kann ebenso gut zum Frühstück herunterkommen. Sie brauchen mich nicht zu bedienen." "Ich bekomme meine Anweisungen von Ihrem Vater", erwiderte Evelyn scharf. "Er ist schließlich hier der Boss. Und er hat gesagt, dass Sie alles aufessen sollen, was ich Ihnen bringe." Sie lächelte, aber es war kein angenehmes Lächeln. "Sie wissen doch, italienische Männer mögen ihre Frauen lieber füllig." Dann drehte sie sich um und verließ hoch erhobenen Hauptes das Zimmer. Paige merkte, dass ihr das Herz bis zum Halse schlug. Was für eine missgünstige, hasserfüllte Person Evelyn doch war. Warum hatte ihr Vater sie nur angestellt? Die Anspielung auf die italienischen Männer war hoffentlich nur ein Zufall. Oder wusste sie etwas? Plötzlich musste sie wieder an Antonio denken. Antonio, mit dem sie sich letzten Abend geliebt hatte. Sie hoffte so sehr, dass er sie ernst nahm und nicht mit ihr spielte wie Jed. Hatte er ihr nicht versichert, er hätte sie schon immer attraktiv gefunden? Und sie hatte geglaubt, er würde sich nichts aus ihr machen. Auch wenn ihre Menschenkenntnis sie in Bezug auf Männer schon öfter im Stich gelassen hatte, hatte er so aufrichtig geklungen, dass Paige ihm einfach hatte glauben müssen. Plötzlich lächelte sie, und die schlechte Stimmung, die sich durch Evelyns Erscheinen auf ihr Gemüt gelegt hatte, war verschwunden. Nein, Antonio meinte es ernst mit ihr. Er war ein Mann von Ehre.
Vielleicht begehrte er sie bisher nur und war noch nicht richtig in sie verliebt... vielleicht. Aber es bestand schließlich Hoffnung, dass sich das noch ergeben würde. Plötzlich war sie voller Optimismus. Wie sich die Dinge entwickeln würden, hing auch von ihr ab, und sie würde sich alle Mühe geben, um ihn zu gewinnen. Sie würde ihm zeigen, dass das Leben mit ihr wunderbar sein konnte. Wenn die zehn Tage vorüber waren, würde er sich so nach ihr verzehren, dass er sie auf Knien bitten würde, bei ihm zu bleiben. Und wer hätte es schon zu sagen vermocht - möglicherweise würde er sie ja sogar bitten, ihn zu heiraten!
11. KAPITEL Pünktlich am Mittwochmorgen um neun hielt Antonio auf der gegenüberliegenden Seite des Hauses. Wenig später öffnete sich das Tor, und Paige kam heraus. Sie trug Jeans und eine schwarze Jeansjacke. Eine bunte Sporttasche hing ihr quer über die Schulter. Antonio merkte, wie sich ihm der Magen bei ihrem Anblick zusammenzog. Sie sah umwerfend hübsch und sexy aus. Ganz besonders gefiel ihm der Glanz in ihren Augen. Und noch etwas fiel ihm auf. Von der hässlichen Prellung war fast nichts mehr zu sehen. In diesem Moment kam sie ihm sehr jung vor, jung und verletzlich. Plötzlich musste er wieder an ihr erstes Treffen denken, als er sie vom Bahnhof abgeholt hatte. Genauso war sie ihm damals erschienen ... mit großen Augen in die Welt blickend, sehr jung und zerbrechlich. Inzwischen hatte er sich überlegt, dass er sich nicht von ihr scheiden lassen würde, sobald er Vorstandsvorsitzender der Firma geworden war. Warum auch? Paige besaß alle Voraussetzungen, eine perfekte Ehefrau und Mutter zu sein. Nur in einem Punkt war er sich nicht sicher. Sie wollte Liebe, und er wusste nicht, ob er ihr die geben konnte. Und so weit würde er nicht gehen. Er würde ihr nichts vorlügen. Auch wenn er sich auf diesen Handel mit ihrem Vater
eingelassen hatte - dies war seine persönliche Grenze, die zu überschreiten er nicht vorhatte. Doch in diesem Moment stand sie schon vor ihm und strahlte ihn an. Er rang sich ein Lächeln ab und öffnete ihr den Wagenschlag. "Gib mir die Tasche", sagte er und griff danach. "Danke." Staunend betrachtete Paige Antonio, der zum ersten Mal keinen Anzug, sondern ebenfalls Jeans trug. Das ließ ihn viel lockerer erscheinen, weniger förmlich und distanziert. Außerdem trug er ein blaues T-Shirt und schien sich erst vor kurzem geduscht zu haben, denn sein schwarzes Haar glänzte in der Sonne. "Ganz schön schwer", bemerkte er, nachdem er die Tasche im Kofferraum verstaut hatte. "Ich habe dir doch gesagt, du sollst nicht so viel mitnehmen." Paige verschwieg ihm, dass sie das goldfarbene Kleid eingepackt hatte, das ihm damals so gut gefallen hatte. Und noch einige andere Sachen, von denen sie hoffte, dass sie ihm damit eine Freude machen würde. Natürlich, es wird ihm gefallen, sie dir auszuziehen, hatte ihre innere Stimme angemerkt. Wie immer hatte Paige sich Mühe gegeben, sie zu ignorieren. "Ach, du weißt doch, wie Frauen sind", bemerkte sie und ließ sich auf den Beifahrersitz sinken. "Wir nehmen immer zu viel mit. Und mein Schminkkoffer wiegt eine ganze Menge." "Aber wir fahren doch aufs Land", entgegnete er stirnrunzelnd. "Da brauchst du kein Make-up." Paige erwiderte darauf nichts. Sie kam sich plötzlich wieder so jung und unerfahren vor wie damals als Schulmädchen. Hoffentlich bedauerte er nicht jetzt schon, sie mitgenommen zu haben. Sie nahm sich vor, in Zukunft erst zu überlegen, bevor sie etwas Falsches sagte. Sie atmete tief ein.
"Jedenfalls freue ich mich sehr auf diesen Ausflug", sagte sie ernsthaft. Antonio lächelte und nickte. "Ja, ich auch. So, und jetzt lass uns erst einmal aus der Stadt herauskommen. Ich fahre nicht gern bei so dichtem Verkehr. Und wenn du neben mir sitzt, fällt es mir noch viel schwerer, mich zu konzentrieren." Paige fasste seine Worte als Kompliment auf und blieb während der nächsten zwanzig Minuten mucksmäuschenstill. In Gedanken malte sie sich die nächsten zehn Tage aus, und ihre Vorfreude wuchs von Minute zu Minute. Schließlich hatten sie die Stadtmitte hinter sich gelassen, und Antonio fuhr durch den Tunnel zum Hafen. Erst dann wandte er sich wieder Paige zu. "Wollte dein Vater eigentlich wissen, wie unser Abend war?" Sie schüttelte den Kopf. "Nein. Ich habe ihn die ganze Zeit über kaum gesehen. Am nächsten Morgen war er schon weg, und abends hatte er eine Einladung zum Essen. Heute Morgen habe ich ihn auch nicht gesehen. Aber ich habe ihm ein Fax ins Büro geschickt, damit er weiß, wo ich bin." "Was steht denn in dem Fax?" fragte er interessiert. "Dass ich mit einer Freundin für zehn Tage an die Küste fahre und mir danach eine neue Wohnung suchen werde." Er sah sie überrascht an. "Das ist dein Plan?" Sie nickte. Die letzten Tage in Gesellschaft von Evelyn und ihrem Vater hatten sie davon überzeugt, dass es Zeit war zu verschwinden, und zwar je eher, desto besser. "Hast du etwas dagegen?" fragte sie besorgt. Antonio war ungewöhnlich still. Sie hatte das Gefühl, dass ihm etwas durch den Kopf ging. "Hängt davon ab", erwiderte er. "Es hängt von den Leuten ab, mit denen du zusammenziehen willst. Dein Vater hat mir erzählt, dass du einige Probleme mit deinen Mitbewohnern
hattest. Entweder wollten die Jungen mit dir ins Bett gehen, oder die Mädchen waren eifersüchtig auf dich, weil du ihnen ihre Freunde abspenstig gemacht hast." Er lachte. "Er hat sich schrecklich aufgeregt, als er erfuhr, dass du mit zwei Männer zusammengewohnt hast, von denen jeder behauptet hat, mit dir ein Verhältnis zuhaben." "Er hat es gerade nötig", bemerkte Paige spitz. Wahrscheinlich hatte ihr Vater mehr Geliebte gehabt als sie Liebhaber. Es war ihr egal, was er von ihr dachte. Aber die Vorstellung, dass Antonio sie für promiskuitiv halten würde, passte ihr ganz und gar nicht. "Ich nehme an, er meinte Paul und Les", erwiderte sie., "Kann sein", antwortete Antonio steif. Paige stieß einen tiefen Seufzer aus. Wenn sie gewusst hätte, dass ihr Vater Antonio berichten würde, was der Privatdetektiv herausgefunden hatte, hätte sie den Sachverhalt richtig gestellt. Aber sie war damals so wütend auf ihren Vater gewesen, dass ihr völlig egal gewesen war, was er über sie dachte. Nicht egal war ihr jedoch Antonios Meinung über sie. Sie beschloss, ihm reinen Wein einzuschenken. "Paul und Les waren ein schwules Paar", erklärte sie. "Um es genauer zu sagen, bin ich in den letzten Jahren nur mit schwulen Männern zusammengezogen. Ich mag Schwule. Sie sind meist netter als Frauen und wesentlich zuverlässiger als heterosexuelle Männer. Der einzig normale Mann, mit dem ich bisher eine Wohnung geteilt habe, war Brad. Und Jed ... Nun, ich hatte vor, mit ihm zusammenzuleben. Aber du weißt ja, was dann passiert ist." Antonio sah sie an. Sie registrierte den Zweifel in seinem Blick. "Ich schwöre dir, es ist wahr", sagte sie heftig. "Soll das heißen, du hast die beiden ... Wie hießen sie noch, Paul und Les? Du hast die beiden bestochen, dem Detektiv ein Märchen aufzutischen? "
Paige errötete, dann nickte sie. "Ja, ich ... ich habe ihnen erzählt, dass mein Vater einen Schnüffler auf mich angesetzt hat. Darüber haben sie sich so aufgeregt, dass wir beschlossen, ihm eine faustdicke Lüge aufzutischen. Du musst wissen, dass beide ziemlich männlich ausgesehen haben, wie viele Schwule übrigens." Ihre Erklärung schien Antonio nicht zu überzeugen. "Heißt das, du hast mich auch angelogen, als du mir gesagt hast, du würdest gern mit deinen Freunden zusammenziehen?" "Nein, das war nicht ge logen." "Ich verstehe dich nicht, Paige", erwiderte Antonio irritiert. "Willst du im Ernst behaupten, du hättest bisher nur mit zwei Männern geschlafen? Und mit einem von ihnen nur einmal? Aber das ist doch lächerlich!" "Ist es nicht", erwiderte Paige aufgebracht. "Das ist die Wahrheit. Nein, nicht die ganze Wahrheit. Ich habe insgesamt mit drei Männern geschlafen, Antonio. Du bist der dritte." Er stieß einen kräftigen Fluch aus, dann verstummte er. "Glaubst du mir etwa nicht?" fragte sie, als das Schweigen zu drückend zu werden begann. "Ich ... Nun ja, mir bleibt ja wohl nichts anderes übrig, oder? Warum solltest du mich anlügen?" "Warum glaubst du, dass ich dich anlügen würde?" Ja, warum? Weil er Conrads Aussagen für bare Münze genommen hatte. Aber dann stimmte das Bild ja gar nicht, was er sich von ihr gemacht hatte. "Also gut, ich glaube dir", erklärte er schließlich. Ihr fiel ein Stein vom Herzen, und sie strahlte ihn an. "Nicht zu fassen, dass du uns allen etwas vorgemacht hast", meinte Antonio und schüttelte den Kopf. "Dein Vater hat sich schreckliche Sorgen um dich gemacht. Und ich habe es auch getan, ich ... ich war sehr beunruhigt, als du zum ersten Mal von zu Hause fortgelaufen bist."
Paige erstaunte es, das zu hören. Sie hatte wirklich nicht den Eindruck gehabt, als würde ihn ihr Schicksal besonders berühren. Aber Antonios nächste Sätze überraschten sie noch mehr. "Es hat mir Leid getan, dass ich dich am Pool so habe abfahren lassen. Ich habe mir deswegen tagelang Vorwürfe gemacht. Als ich dich damals abgeholt habe, wollte ich mich eigentlich für mein Verhalten entschuldigen. Aber dann hatte ich nicht den Eindruck, dass du an gebrochenem Herzen leiden würdest, und ich ließ es sein. Was ist denn damals zwischen dir und Brad passiert? Das hast du auch niemandem erzählt." Paige zuckte die Schultern. "Gar nichts ist passiert. Wir waren ziemlich glücklich miteinander. " "Warum hast du ihn dann verlassen?" "Ich habe ihn nicht verlassen. Er ist gestorben." "Nein! Und wie?" "Er hatte einen schweren Unfall beim Surfen. Er hat sich das Genick gebrochen." "Ja, aber ... aber warum hast du uns das denn nicht gesagt?" "Ich hatte nicht das Gefühl, dass es euch interessieren würde." Antonio brauchte eine Weile, um diese Information zu verdauen. "Hast du dich deshalb so lange nicht mehr auf jemanden eingelassen? War Brad deine große Liebe?" Paige wollte ihm schon die Wahrheit sagen, doch dann überlegte sie es sich anders. Es wäre eine zu große Belastung für Antonio, wenn er erführe, dass er ihre große Liebe war. Vielleicht ergab sich für das Geständnis später eine Gelegenheit. "Wenn du es genau wissen willst - ich bin froh, endlich über seinen Tod hinweggekommen zu sein." "Das ist keine Antwort."
"Ich habe ihn sehr gern gemocht", erwiderte Paige seufzend, und ihre Augen füllten sich plötzlich mit Tränen. Antonio beschloss, sie in Ruhe zu lassen. "Ich muss sagen, du überraschst mich", meinte er lächelnd. "Und was ist mit dir?" fragte sie herausfordernd. "Was soll mit mir sein?" "Was ist mit den Frauen in deinem Leben? Wie viele waren es eigentlich? Weit über hundert?" Antonio lachte. "Meine liebe Paige, ich versichere dir, die Leute übertreiben. Ich bin nicht der herzlose Verführer, für den du mich hältst. Die Frauen, mit denen ich ein Verhältnis hatte, wussten alle, worauf sie sich einließen. Ich habe nie jemandem etwas vorgemacht, das kannst du mir glauben. Ein einziges Mal war ich bisher richtig verliebt. Es passierte, kurz bevor ich anfing, für deinen Vater zu arbeiten. Lauren ist zwar nicht gestorben, doch sie hat mich verlassen. Sie behauptete, mich zu lieben, aber es war eine Lüge. Um ehrlich zu sein, bin ich immer noch ziemlich verbittert über ihren Verrat." Paige hörte ihm aufmerksam zu. Sie fühlte sich geschmeichelt, dass Antonio so ehrlich zu ihr war. Wer hätte sich vorstellen können, dass auch er an Liebeskummer leiden würde? Sie dachte über die Frau nach, die ihn zurückgewiesen hatte. "War sie sehr schön?" fragte sie nach einer Weile. Antonio nickte knapp. Sie spürte, dass er nicht mehr darüber sprechen wollte. Sie hatten die Stadt inzwischen hinter sich gelassen und fuhren jetzt am Meer entlang. "Wir sind bald da", verkündete er, und die gedrückte Stimmung im Auto löste sich auf. "Erzähl mir etwas über das Hausboot."
"Du kannst es wohl kaum noch erwarten, was? Eines kann ich dir versprechen: Du wirst die nächsten zehn Tage nicht so leicht vergessen." Das glaubte Paige ihm aufs Wort. Während sie auf die Brücke zufuhren, die den kleinen Wasserlauf überspannte, dachte Antonio noch einmal über Paige nach. Er war weiterhin erstaunt, dass sie sich als so anders entpuppt hatte, als er sich vorgestellt hatte. Schon am letzten Abend, als sie miteinander geschlafen hatten, hatte er eine Tiefsinnigkeit an ihr entdeckt, die er nicht vermutet hatte. Und heute überraschte sie ihn immer mehr. Er fragte sich insgeheim, was sie ihm noch alles offenbaren würde. Eines war klar: Seine Vorurteile ihr gegenüber ließen sich nicht aufrechterhalten. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass ihr erster Freund einen so tragischen Tod gestorben war. Das allein war schon schlimm, doch womit er nicht gerechnet hatte, war die Eifersucht, die er verspürt hatte, als Paige ihm davon erzählt hatte. Besonders tief getroffen hatte ihn ihr Geständnis, dass sie all die Jahre darunter gelitten hatte. Vielleicht hatte sie ja deshalb nach dem Sex so geweint. Wahrscheinlich hatte sie sich daran erinnert, wie es mit dem Mann gewesen war, den sie geliebt hatte. Brad musste ja ein fantastischer Liebhaber gewesen sein, wenn er einen solchen Eindruck auf sie gemacht hatte. Dieser Gedanke schürte seine Eifersucht noch. Oder war es sogar Neid? Ich bin neidisch auf ihn, dachte Antonio. Eifersucht hätte ja bedeutet, er wäre viel engagierter gewesen. Aber er beneidete Paige um das Wissen, dass sie jemanden geliebt und auch von jemandem wiedergeliebt worden war. Denn diese Erfahrung hatte er bisher noch nicht gemacht. Und er hatte auch nicht den Eindruck, dass er sie noch machen würde - jedenfalls so lange nicht, bis er bereit war, sich an jemanden zu binden.
Es gab wirklich keinen Grund für ihn, sich zu beklagen. Der Sex mit Paige war fantastisch gewesen und hatte alles in den Schatten gestellt, was er bisher erlebt hatte - sogar mit Lauren. Wenn er ehrlich war, musste er sich eingestehen, dass Lauren im Bett nicht besonders kreativ gewesen war. Und ziemlich egoistisch. Lauren ... Vielleicht war es falsch gewesen, Paige davon zu erzählen. Er hatte sich selbst strikt verboten, über die ganze Angelegenheit nachzudenken. Ihm wäre am liebsten gewesen, wenn er sie hätte vergessen können. Er hasste es, an sie zu denken. Immer wenn er es tat, kam er sich wie ein Versager vor. Und wenn er eines verabscheute, war es, sich als Versager zu fühlen. Er betrachtete die wunderschöne junge Frau neben sich verstohlen, und sein Entschluss stand fest. Dieses Mal würde er nicht versagen. Er würde alles tun, um zu gewinnen. Er wollte nicht nur Paiges Einverständnis zu ihrer Hochzeit - er wollte ihr Herz. Diesmal würde er auf der ganzen Linie siegen. Was den Job und die Frau anbetraf. "Pass auf", warnte Paige ihn, als er gefährlich nahe an den Bordstein heranfuhr. "Du musst mehr auf die Straße achten." Antonio lachte. "Stimmt", gab er zu. "Aber ich kann mir nicht helfen. Ich muss dich immer wieder ansehen." Paige freute sich über das Kompliment. "Gleich kommt die Abzweigung nach Brooklyn", sagte sie. Er fluchte und schaffte es noch im letzten Moment, auf die richtige Spur zu wechseln. Dann konzentrierte er sich wieder auf seine Beifahrerin. "Ich hoffe, du hast das goldene Kleid mitgebracht." "Welches goldene Kleid?" Er sah sie erstaunt an und merkte plötzlich, dass sie ihn auslachte. Sie sah in diesem Moment so vergnügt und sorglos
aus, dass er sie am liebsten umarmt hätte. Verdammt, wenn er nicht aufpasste, würde er sich tatsächlich noch in sie verlieben. Ungeheuerlich, diese Augen, dachte er. Manchmal war ihr Blick so unschuldig und verletzlich, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Und dann gab es wieder andere Momente, da sah sie so sexy aus, dass er am liebsten auf der Stelle mit ihr ins Bett gegangen wäre. Kein Wunder, dass sich all diese Männer in sie verliebt hatten. Fast war er Brad dankbar, denn er war offenbar gut mit ihr umgegangen und hatte Paige in die Freuden des Sex eingeweiht, ohne dass sie eine schlechte Erfahrung hatte machen müssen. Waltha m hätte sein Nachfolger werden können, aber er hatte seine Chance verspielt. Antonio freute sich plötzlich sehr auf die Tage, die vor ihnen lagen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger würde er seine Chance nutzen, das nahm er sich fest vor.
12. KAPITEL Eine Stunde war bereits verstrichen, nachdem sie am Yachthafen von Brooklyn angekommen waren und das Boot startklar gemacht hatten. Unter einem Hausboot hatte Paige sich zunächst einen zwar romantischen, aber etwas heruntergekommenen alten Kahn vorgestellt. Doch das Boot hatte sich als eine luxuriöse kleine Yacht mit allem Komfort entpuppt. Zwanzig Minuten lang hatten sie gemeinsam ein Video angesehen, damit Paige wenigstens über die Grundsätze der Navigation Bescheid wusste. Dann hatte der Besitzer ihnen das Boot gezeigt und sie mit den wichtigsten Funktionen vertraut gemacht. Sie hatten ihr Gepäck aufs Boot gebracht. Nachdem sie noch eine Wasserkarte mitbekommen hatte, hatte Antonio den Motor angelassen, und sie waren langsam aus dem kleinen Hafen getuckert. Als sie sich langsam aufs offene Wasser zubewegten, spürte Paige ein Freudengefühl, das ihr fast den Atem nahm. Sie trat hinaus aufs Deck, lehnte sich an die Reling und sog die frische Brise in langen Zügen ein. Sie bewunderte die Flusslandschaft und kehrte dann wieder zu Antonio zurück, der am Steuer stand. "Na, gefällt's dir?" fragte er lächelnd. "Und wie!" erwiderte sie strahlend. "Ich glaube, das wird ein richtiges Abenteuer."
Antonio wusste genau, was sie meinte, denn ihm ging es genauso. Mit Paige zu verreisen war auf jeden Fall ein Abenteuer. Sie war so voller Leben, so begierig, etwas Neues zu erleben. Sie inspirierte ihn, und er war sehr dankbar über ihre Gesellschaft. Das Hausboot hatte ihn ebenfalls überrascht. Er hätte nicht gedacht, dass es ihm so viel Spaß machen würde, den Fluss hinunterzufahren. Die Idee war ihm gekommen, als er eine Sendung im Fernsehen über das Thema gesehen hatte. Die Flusslandschaft hatte es ihm sofort angetan, dabei war ihm der Gedanke gekommen, mit Paige irgendwohin zu fahren, wo sie ungestört sein konnten. Offensichtlich hatte sich die Landschaft seit der Zeit der frühen Siedler, der australischen Ureinwohner, nicht sehr verändert. Damals hatten die Aborigines in Höhlen in den Bergen gewohnt, an denen sich der Fluss entlanggewunden hatte. Es standen noch immer einige Häuser am Ufer, und hin und wieder fuhren sie auch an einem Restaurant oder einem Laden vorbei, wo Touristen sich mit Proviant versorgen konnten. Aber insgesamt war der Fluss so unverändert wie vor hundert Jahren. Nicht weit von Sydney gelegen, war dies eine ideale Gegend, um einen Kurzurlaub zu verbringen. Erst als Paige sich einverstanden erklärt hatte mitzukommen, hatte Antonio die nötigen Vorbereitungen getroffen. Er hatte am Vortag fast eine Stunde lang telefoniert und mit dem Bootsbesitzer die Konditionen ausgehandelt. Die Miete für das Hausboot war nicht gerade billig, und er hatte noch etwas Geld drauflegen müssen, da er sich so spät zu der Reise entschieden hatte. Abends hatte er darüber nachgedacht, ob es nicht besser wäre, einfach eine Suite in einem Hotel zu buchen. Der Preis wäre etwa der gleiche gewesen. Aber als er jetzt Paiges Reaktion sah, war er sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Ihre wunderschönen blauen Augen hatten hell aufgeleuchtet, während sie übers Wasser fuhren - nur der Himmel war noch blauer gewesen. Und sie hatte sich über alles gefreut, beim Wetter angefangen über den Fluss bis hin zu ihrem Boot. Antonio war inzwischen davon überzeugt, dass sich die Investition gelohnt hatte. An Bord gab es einen großen Aufenthaltsraum, der ganz in nautischem Blau gehalten war, einen Essbereich mit dunklen Mahagonimöbeln und einen großen Schlafraum im hinteren Teil, ebenfalls in Blau, an den sich ein geräumiges Bad anschloss. Über dem großen Bett befanden sich zwei Bullaugen, und die Decke bestand aus einer breiten Glasfläche, so dass genügend Licht einfallen konnte. Draußen gab es ein Sonnendeck. Zum Boot gehörte auch ein kleines Dingi, mit dem sie an Land gehen konnten, wenn sie Proviant holen oder irgendwo anlegen wollten. Antonio war sich nicht sicher, ob er Lust auf ein Picknick hatte, aber er hatte sich fest vorgenommen, Paige in eines der vorzüglichen Restaurants am Fluss auszuführen. Zu diesem Zweck hatte er extra einen Führer gekauft. Und er freute sich schon sehr darauf, sie in dem sexy goldfarbenen Kleid zu sehen. Um es ihr später wieder auszuziehen. Mit diesen Gedanken war er beschäftigt, als er Paige betrachtete, die nur einige Meter von ihm entfernt stand und hinaus auf den Fluss sah. Sie hatte ihre, schwarze Jacke ausgezogen. Er verspürte plötzlich das Bedürfnis, sie näher bei sich zu haben. "Komm", sagte er und streckte die Hand nach ihr aus. Willig ließ sie sich von ihm ans Steuer ziehen. Er stand jetzt direkt hinter ihr. Sie lehnte sich an ihn und atmete seinen herben, männlichen Duft tief ein. Plötzlich fühlte sie sich unbeschreiblich glücklich. Es hatte nichts mit Sex zu tun, es war mehr ein überwältigendes Gefühl von Stimmigkeit, das sie erfüllte. Sie
war voller Frieden, es schien ihr, als wäre sie endlich nach Hause gekommen. Ja, sie war dort, wo sie hingehörte - bei Antonio. "Entspann dich nicht zu sehr", warnte er sie. "Schließlich musst du darauf aufpassen, dass wir mit niemandem zusammenstoßen. Auf welcher Seite ist noch mal Steuerbord? Schau mal, was uns da entgegenkommt! Ich habe das Gefühl, wir sollten besser ausweichen." Mit schreckgeweiteten Augen verfolgte Paige die große Yacht, die direkt auf sie zuzukommen schien. Es machte nicht den Eindruck, als würde sie ausweichen wollen. Aber glücklicherweise erinnerte sie sich noch an die Instruktionen auf dem Video. "Rechts", sagte sie aufgeregt. "Du musst rechts vorbeisteuern." "Aye, aye, Kapitän", erwiderte Antonio scherzhaft und steuerte gekonnt an dem Boot vorbei. "Herzlichen Glückwunsch", sagte Antonio zu Paige. "Du hast den ersten Test mit Bravour bestanden." Sie strahlte ihn an. "O Antonio", sagte sie, "ich bin so froh, dass ich mitgekommen bin!" "Ja, ich ebenfalls. So, jetzt müssen wir uns entscheiden. Wir könnten hier nach links einbiegen und unter der Brücke vorbeifahren oder nach rechts den Fluss hinunter nach Broken Bay." "Warte, ich sehe mal nach", erwiderte Paige eifrig. "Die Karte liegt noch auf dem Tisch. Ich muss sie schnell holen." "Nicht nötig", entgegnete Antonio, der sie offensichtlich nicht gehen lassen wollte. "Ich habe mich entschlossen, den Fluss hinunterzufahren." Und er drehte das Steuer nach rechts. Paige sah ihn erstaunt an. "Warum?"
"Weil er hier breiter ist. Wahrscheinlich gibt es hier auch nicht so viel Verkehr. Ich würde nämlich gern irgendwann eine schöne kleine Anlegestelle für uns finden. Der Tag ist so schön, wir sollten uns an Deck die Sonne auf den Pelz scheinen lassen." Paige lachte. "Das ist ja ein ungewöhnlicher Vorschlag von einem so aktiven Mann wie dir." Er nickte. "Ob du es nun glaubst oder nicht, ich brauche wirklich Ferien. Aber weißt du, was ich noch viel dringender brauche?" Sie schüttelte den Kopf. "Küss mich", bat er sie. Das ließ Paige sich nicht zweimal sagen. Sie drehte sich um und bot ihm ihre Lippen zum Kuss dar. Es war wirklich erstaunlich, wie schnell sich ihre friedliche Stimmung in Leidenschaft verwandelte. Als sie ihm so nahe war, spürte sie, wie das Verlangen nach ihm erneut von ihr Besitz ergriff. Ihr Körper begann zu glühen, ihr Atem ging stoßweise, als Antonio sie lange und ausdauernd küsste. Seine Erregung war unverkennbar, und schließlich lösten sie sich widerstrebend voneinander. "Wenn wir jetzt nicht aufhören", meinte er mit schiefem Lächeln, "werden wir nirgendwo ankommen. Ich würde dir raten, erst mal deine Sachen auszupacken." Aber Paige wollte ihn nicht verlassen. Sie wollte für immer in seinen Armen bleiben. Doch natürlich war das unmöglich, und es wäre ihm gegenüber auch nicht fair gewesen. Sie nickte und machte sich von ihm los. "Gut, ich werde mich schnell umziehen", schlug sie vor. "Und dann sehe ich nach, was ich uns zum Mittagessen machen kann." Bei der Inspektion des Küchenschranks hatte sie bereits die vielen Vorräte bestaunt. Antonio hatte wirklich gut vorgesorgt.
"Guter Vorschlag. Ich glaube, ich hätte nichts gegen ein Glas Wein. Ach ja, und hol mir doch bitte die Karte, bevor du nach unten gehst. Ich werde eine gute Anlegestelle auswählen." Paige folgte seiner Aufforderung. Doch als sie ihm die Karte reichte, merkte sie, wie frustriert sie war. Wenn es nach ihr gegangen wäre, wäre sie bei ihm geblieben. Ja, sie hätte sogar nichts dagegen gehabt, wenn sie sich auf der Stelle geliebt hätten. Aber sie verbot sich diesen Gedanken. Insgeheim war sie überrascht über ihre Bereitschaft, sich ihm hinzugeben. Als Jed versucht hatte, sie zu einigen exotischen Positionen zu bewegen, hatte sie sich mit aller Macht gewehrt und war entrüstet über diese Zumutung gewesen. Aber Antonio hätte noch mehr von ihr verlangen können, und sie hätte es ihm bereitwillig gegeben. Der Gedanke war sehr aufregend, dennoch war sie froh, dass es dazu nicht gekommen war. Das bedeutete, er respektierte ihre Gefühle, und sein Interesse an ihr war nicht nur sexuell. Paige warf ihre Tasche auf das große Bett und fing an, ihre Sachen auszupacken. Als sie ihren pinkfarbenen Bikini in den Händen hielt, zögerte sie kurz, dann lachte sie. Auch wenn Antonio sie respektierte - es gab viele Sachen, die sie gern mit ihm ausprobieren würde. Als er allein am Steuer war, stieß Antonio einen erleichterten Seufzer aus. Was, zum Teufel, hatte er sich dabei gedacht, als er Paige gebeten hatte, ihn zu küssen? Sie befanden sich mitten auf dem Fluss, und er stand zum ersten Mal in seinem Leben am Steuer eines Bootes. Das war wohl kaum der richtige Platz für eine romantische Begegnung. Obwohl er eigentlich auch nicht an eine Romanze gedacht hatte. Als er ihre Lippen gespürt und gemerkt hatte, wie rückhaltlos Paige seinen Kuss erwidert hatte, war ihm einen Moment lang schwarz vor Augen geworden. Am liebsten hätte er sie auf der Stelle genommen. Aber das war doch Wahnsinn! Woher hatte sie nur solche Macht über ihn?
Er bezweifelte nicht, dass sie mit ihm geschlafen hätte, wenn er darauf bestanden hätte. Aber das war nicht Teil seines Plans. Natürlich freute er sich darauf, viel Sex mit ihr zu haben. Doch der Zweck dieser Reise war nicht nur, sie zu verführen. Es war ihm wirklich daran gelegen, mit ihr eine Beziehung zu entwickeln. "Na, kannst du dich daran noch erinnern?" Paige stand plötzlich in ihrem pinkfarbenen Bikini vor ihm. Um ein Haar wäre ihm fast das Steuer entglitten. Sie sah umwerfend sexy aus. Der Bikini bestand aus zwei kleinen Stoffstücken, die von goldenen Trägem zusammengehalten wurden. Antonio hatte schon einige provokante Badeanzüge in seinem Leben gesehen, aber das war alles nichts im Vergleich zu dem, was Paige ihm jetzt bot. Er hatte das Gefühl, dass ihr Körper im Verlauf der letzten Jahre noch schöner, noch perfekter geworden war. Erneut wurde er von dem Verlangen erfasst, es hier auf der Stelle mit ihr zu treiben, aber er beherrschte sich. "Jetzt weiß ich auch, warum ich die ganze Zeit von dir geträumt habe", sagte er rau. "Ach ja?" Paiges Augen glänzten. Sie war sich des Effekts, den das knappe Kleidungsstück auf ihn hatte, sehr wohl bewusst. Antonio nickte. "Wie kannst du das bezweifeln? Aber ich warne dich. Bleib mir vom Leib, oder wir werden es beide bereuen." Er lachte. "Ich kann schon die Schlagzeilen sehen: "Hausboot auf Grund gelaufen! Totes Liebespaar nackt im Fluss gefunden!" Wahrscheinlich hätte Paige trotz dieser Worte seine Warnung nicht beachtet, wenn in diesem Moment nicht erneut ein Boot sehr nah an ihnen vorbeigefahren wäre. Hinter dem Steuer stand ein Mann, seine drei Kinder saßen auf Deck und ließen die Beine über die Reling baumeln. Als sie Antonio und Paige
erblickten, winkten sie fröhlich zu ihnen herüber. Einer der Jungen stieß einen bewundernden Pfiff aus. Antonio winkte zurück. Paige war das Ganze peinlich, und sie wurde knallrot. Bald waren sie wieder allein. "Und?" fragte er, um ein neutrales Thema bemüht. "Was hast du jetzt vor?" "Vielleicht ist es besser, wenn ich mir etwas überziehe", schlug sie schalkhaft vor. "Gute Idee." Er nickte zustimmend. "Braves Mädchen." Sie sah ihn herausfordernd an. "Möchtest du, dass ich ein braves Mädchen bin?" Er schüttelte den Kopf. "Nein." "Gut", erwiderte sie, drehte sich ohne ein weiteres Wort um und ließ ihn allein. Antonio sah ihr verblüfft nach, dann musste er plötzlich laut lachen. "Warte nur, bis wir anlegen", rief er hinter ihr her. Paige, die bereits an der Tür stand, drehte sich noch einmal um. "Glaub mir, ich kann es kaum abwarten", meinte sie lachend und verschwand an Deck. Während Antonio eine passende Anlegestelle suchte, berauschte sich Paige an der Vorfreude auf das, was kommen würde. Sie wusste, was sie mit dem Bikini ausgelöst hatte, und auch sie verzehrte sich von Minute zu Minute mehr nach Antonio. Sie bereitete ein kaltes Mahl für sie zu und dachte dabei die ganze Zeit über an Antonio. Schließlich kam er zu ihr in die Kombüse. Das Verlangen in seinem Blick nahm ihr den Atem. "Was kann ich für dich tun?" fragte sie. "Mal sehen. Trägst du eigentlich immer noch den Bikini unter diesen Shorts und dem T-Shirt?"
"Natürlich. Warum fragst du?" "Wie war's mit einer kleinen Runde Schwimmen vor dem Essen?" Paige sah ihn entgeistert an. "Bist du verrückt? Das Wasser ist doch bestimmt eisig kalt." "Ja, und?" Er sah sie durchdringend an. "So können wir uns vorher wenigstens noch ein bisschen abkühlen." "Hast du das nötig?" "Und wie!" Sein Blick verharrte auf ihrem T-Shirt. Paige hatte das Gefühl, als würde er sie mit den Augen ausziehen. Sie merkte, wie ihr Körper darauf reagierte. Plötzlich hatte sie keinen Hunger mehr. "Zieh es aus!" bat er sie rau. "W... was denn?" "Die Shorts und das Shirt. Nicht den Bikini. Dieses Vergnügen wirst du mir hoffentlich nicht nehmen wollen." "Meinst du ... hier?" "Ja, klar. Hier und jetzt." Ohne ein weiteres Wort kam Paige seiner Bitte nach. Wenige Minuten später lag ihre Kleidung am Boden. Sie war so aufgeregt, dass sie sich zunächst verhaspelte. Antonio ließ sie dabei keine Sekunde lang aus den Augen. Sie konnte seine Erregung fast körperlich spüren. Als sie dann nur in ihrem Bikini vor ihm stand, atmete er tief ein. "O nein!" sagte er ergriffen. "Du machst mich völlig verrückt." Paige genoss ihre Wirkung auf ihn. Sie merkte plötzlich, dass sie am ganzen Körper zu zittern begonnen hatte. Ohne ein weiteres Wort trat Antonio auf sie zu und umspannte ihre Brüste. Dann küsste er Paige mit verzehrender Leidenschaft. Sie erwiderte seine Zärtlichkeiten hingebungsvoll, denn genau das hatte sie sich gewünscht, seit sie zum ersten Mal das Boot betreten hatten.
Paige zögerte keine Sekunde lang, ihm zu zeigen, wie sehr sie ihn begehrte. Inzwischen war sie sich ihrer Gefühle für ihn völlig sicher. Sie liebte diesen Mann, daran konnte kein Zweifel mehr bestehen. Sie liebte ihn. Plötzlich wusste sie, wie riskant das war. Aber sie lief sehenden Auges in die Gefahr, denn ihr war klar, dass sie keine andere Wahl mehr hatte. Antonio, der sich nicht mehr zurückhalten konnte, begann, sie überall zu streicheln. Schon bald glühten ihre Körper. Es war, als würde flüssige Lava durch ihre Adern rinnen, so sehr entzündeten sie sich aneinander. Mit zitternden Händen hakte Antonio den Verschluss ihres BHs auf. Er presste sich an sie, und Paige spürte, wie erregt er war. Sofort stellte sie sich vor, wie es sein mochte, mit ihm wieder vereint zu sein. Sie merkte, dass sie nicht viel länger warten konnte. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte er sie schon hochgehoben und trug sie hinüber ins Schlafzimmer. Sie hatte den Kopf an seinem Hals geborgen, klammerte sich an ihn und wartete schwer atmend, bis er sich ebenfalls völlig ausgezogen hatte. Dann trat er auf sie zu und betrachtete sie schweigend. "Ich kann nicht glauben, wie schön du bist", sagte er ergriffen. "Antonio, bitte ... komm. Ich kann nicht länger warten." Er begann sie zu streicheln, und dann geschah etwas Ungewöhnliches. Er beugte den Kopf und küsste sie an ihrer empfindsamsten Stelle. Damit hatte Paige nicht gerechnet, sie schrie auf, als die Lust sie wie ein Pfeil durchbohrte. Noch nie zuvor war sie so erregt gewesen. Ihr Körper war ein Instrument, auf dem Antonio nach Herzenslust spielen konnte. Sie war überrascht, wie zärtlich er trotz seiner Leidenschaft war. Beides machte den Ansturm auf ihre Sinne für sie geradezu unerträglich.
"O Antonio", stöhnte sie, als die Wogen der Leidenschaft über ihnen zusammenzuschla gen drohten. "Bitte, ich..." Er wusste, worum sie ihn anflehte, und auch er ertrug es nicht länger, von ihr getrennt zu sein. Ihre Vereinigung war wie ein Rausch, und die Erlösung kam schnell. Paige rief seinen Namen, und Antonio antwortete ihr. In diesem Moment wurde ihr bewusst, wie viel sie ihm bedeutete, dass es auch für ihn anders und besser war als mit jeder anderen Frau. Als alles vorüber war, lagen sie sich noch eine Weile in den Armen. Paige hatte Tränen in den Augen und strich ihm übers feuchte Haar. "O Antonio", sagte sie bewegt, "es war wundervoll... einfach wundervoll..."
13. KAPITEL Wundervoll. Paige ist diejenige, die wundervoll ist, dachte Antonio, und in den nächsten Tagen dachte er es noch öfter. Sie war eine wundervolle Gefährtin. Eine wundervolle Geliebte. Und eine wundervolle Zuhörerin. Sie bewirkte, dass er sich ihr anvertrauen wollte, sie löste in ihm das unwiderstehliche Verlangen aus, jede freie Minute des Tages mit ihr zu verbringen. Schon nach kurzer Zeit merkte er, dass er sich ihr gegenüber öffnete, wie er es noch nie zuvor einem Menschen gegenüber getan hatte, weil er Angst gehabt hatte, dass man ihn auslachen würde. Er erzählte ihr von seiner Geburt in einem kleinen italienischen Dorf. Gina, seine Mutter, war das schwarze Schaf der Familie gewesen. Seit ihrem vierzehnten Lebensjahr hatte sie immer wieder neue Männer gehabt. Als sie mit achtzehn dann schwanger wurde, könnte sie den Vater nicht mit Sicherheit benennen. Aber er musste ziemlich groß sein, was die meisten Männer im Dorf ausschloss. Gina mochte große Männer. Sie mochte allerdings auch kleine Männer, dicke Männer, reiche Männer. Als sie den ständigen Klatsch leid waren, warfen ihre Eltern Gina und ihren Sohn aus dem Haus. Sie zog nach Rom, wo sie Antonio als allein stehende Mutter großzog. Aber es wurde für sie immer schwieriger, sich durch ehrliche Arbeit über Wasser
zu halten, und so wurde sie schließlich Prostituierte. Antonio konnte sich noch an die Szene erinnern, wo er ganz allein in seinem kleinen Zimmer im Bett gelegen und versucht hatte, nicht auf die Laute im angrenzenden Raum zu hören. Er war damals sieben Jahre alt gewesen. Schließlich kam es, wie es kommen musste. Gina wurde irgendwann bei einem Streit von einem ihrer Freier erschlagen. An diesem Punk t der Geschichte hatte Paige Tränen in den Augen gehabt, und sie hatte Antonio an sich gezogen. "Du Armer", sagte sie mitfühlend. "Das muss ja ganz furchtbar für dich gewesen sein!" Antonio hatte es gut getan, sich von ihr trösten zu lassen. Zum ersten Mal war ihm dabei klar geworden, warum er immer so heftig reagierte, wenn eine Frau von einem Mann geschlagen wurde. Danach war es ihm auch leicht gefallen, Paige den Rest der Geschichte zu erzählen. Nach dem Tod seiner Mutter war er wieder zu seinen Großeltern gekommen, aber sie hatten sich vor den anderen Dorfbewohnern für ihn geschämt. Mit zwölf Jahren war er dann zu Verwandten nach Australien gekommen. Sie waren darüber auch nicht gerade begeistert gewesen, aber wenigstens hatten sie dafür gesorgt, dass er auf eine anständige Schule kam. Dort hatte er sich alle Mühe gegeben, Sprachen zu lernen, was seiner natürlichen Begabung entsprach. Er war so früh wie möglich von seinen Verwandten weggezogen und hatte seitdem keinen Kontakt mehr zu ihnen. Auch seine Großeltern waren vor ein paar Jahren gestorben. "Wie schade", sagte Paige mitfühlend. "Bestimmt wären sie sehr stolz auf dich, wenn sie wüssten, wie weit du es inzwischen gebracht hast." Ihre Sympathie hatte Antonio gut getan. Er hatte begonnen, sie über ihre Mutter auszufragen, über die sie ebenfalls nicht viel wusste. Sie war offensichtlich ein Waisenkind gewesen und in
mehreren Heimen groß geworden. Bei ihrem Tod hatte sie keine Verwandte hinterlassen. Es war im Grunde die gleiche Geschichte - finanzielle Armut und emotionale Vernachlässigung. Wahrscheinlich war Paiges Mutter deshalb auch so ehrgeizig und skrupellos gewesen. Aber Paige hatte nichts davon, wofür er sehr dankbar war. Und von ihrem Vater schien sie auch nur die guten Seiten geerbt zu haben - seine Intelligenz und die ungeheure Lebenslust. Sie hatten sich inzwischen überall auf dem Hausboot geliebt, in jeder möglichen Ecke und in jeder nur denkbaren Position. Sie waren weiter den Fluss hinuntergefahren und hatten immer schönere Anlegestellen gefunden. Wenn sie sich nicht gerade liebten, hatte Antonio die Zeit an Deck mit einem Buch verbracht, oder er hatte geangelt. Paige hatte ihre Mahlzeiten in der Kombüse zubereitet. Bisher waren sie noch nicht ein einziges Mal in einem Restaurant gewesen. Sie hatten keine Lust verspürt, unter Menschen zu sein. Aber inzwischen war es bereits Montag. Die Zeit verging wie im Flug. Am Mittwoch hatte Paige Geburtstag. Antonio hatte seinen Restaurantführer zu Rate gezogen und einen Tisch für den Abend gebucht. Er hatte vorgesorgt und ihr auch ein paar Geschenke besorgt. Und noch immer quälte ihn die bange Frage, ob sie sich auch tatsächlich in ihn verliebt hatte. Sie hatte nichts mehr davon erwähnt, doch sie hatte ihn des öfteren mit einem Blick voller Zärtlichkeit bedacht, der ihn hoffen ließ. Aber vielleicht war es ja auch nur Verlangen, und er irrte sich, was ihre Gefühle für ihn betraf. Als er sich an Deck sonnte, kam Paige und küsste ihn auf den Nacken. "Das ist gut", meinte sie, "endlich ruhst du dich einmal aus." Er lachte und richtete sich auf. "Das war ja schließlich der Grund für diese Reise, nicht wahr?" fragte er augenzwinkernd und setzte hinzu: "Unter anderem."
Paige lachte auch. "Und?" fragte sie. "Was hast du noch alles für heute geplant?" "Na ja, ich wollte eigentlich ein wenig angeln. Wir brauchen langsam neue Vorräte." Paige sah auf ihre Uhr. "Es ist doch erst eins. Hast du mir nicht erzählt, die Fische würden am ehesten in der Dämmerung anbeißen? Bis dahin haben wir ja noch ein bisschen Zeit." "Warum legst du dich dann nicht zu mir?" schlug er vor. "Ein wenig Sonne würde dir auch gut tun. Du bist immer noch ziemlich blass." Paige sah an sich hinunter. Sie trug zwar nur ein kurzes Sonnenkostüm, aber... "Meinst du, ich sollte mich ganz ausziehen?" fragte sie leicht schockiert. Er nickte, amüsiert über ihre Verlegenheit. Nicht möglich, dass dies dieselbe Paige war, die ihm gestern, mit nichts anderem als einer Schürze bekleidet, das Abendessen gebracht hatte. Es war ein entzückender Einfall gewesen. Leider hatte er darüber das Essen fast vergessen. "Hast du damit etwa ein Problem?" fragte er herausfordernd. "Außer uns ist hier meilenweit niemand. Seit wann hast du etwas gegen Nacktheit? Darf ich dich an die letzte Nacht erinnern?" Paige errötete noch tiefer. "Das war etwas anderes", erwiderte sie. "Außerdem ist Nacktbaden total ungesund. Ich möchte jedenfalls in zehn Jahren keinen Hautkrebs bekommen. Bei dir ist es anders, du kommst aus dem Süden. Dir kann die Sonne nichts antun. Aber ich bekomme unzählige Sommersprossen vom Sonnenbaden." "Was glaubst du, warum ich die Sonnencreme mitgebracht habe?" fragte Antonio und hielt die Tube herausfordernd hoch. "Noch dazu mit einem hohen Schutzfaktor. Ich könnte dir den
Rücken eincremen. Und nicht nur den Rücken", setzte er bedeutungsvoll hinzu. Paige sah ihn entsetzt an. "Ausgerechnet diese Creme? Weißt du, was für eine Note sie beim letzten Verbrauchertest bekommen hat?" Antonio schüttelte den Kopf. "Nein, keine Ahnung. Findest du nicht, dass du ein wenig übertreibst? Gut, wenn du nicht willst, ich kann dich nicht zwingen. Aber es wäre nett, wenn du mich einreiben könntest. Ich komme einfach nicht an meinen Rücken." Er legte sich wieder hin und wartete, dass sie anfangen würde. Aber nichts rührte sich. Er sah auf. Paige blickte stirnrunzelnd auf ihn hinab. "Was ist los?" fragte er irritiert. Er hatte eigentlich erwartet, dass sie sich mit Feuereifer an diese Aufgabe machen würde. Normalerweise musste er sie nicht zweimal bitten. "Nichts, gar nichts", erwiderte sie und seufzte plötzlich. Es sah ganz so aus, als wäre seine Aufforderung eine Zumutung für sie. Antonio fand sich damit ab, dass er sie wohl nie ganz verstehen würde. Paige wusste, auf welch gefährliches Terrain sie sich begab, wenn sie Antonios Bitte nachkam. Dabei war eigentlich nicht einzusehen, warum sie ihn nicht eincremen sollte. Sie hatte ihn in den letzten Tagen schließlich bereits überall berührt. Sein Körper war also kein Geheimnis mehr für sie. Aber die Sache mit dem Eincremen war eine ihrer geheimen sexuellen Fantasien, die sie noch nie jemandem verraten hatte. Um es richtig zu machen, würde sie sich dabei total hingeben müssen. Und das hatte in ihren Augen etwas mit Liebe zu tun. Einer Liebe, die sie Antonio bisher nicht gestanden hatte. Was würde geschehen, wenn sie die Kontrolle über sich verlieren und ihr Geheimnis ausplaudern würde? Damit begab sie sich vollkommen in seine Hand. Vielleicht würde er es mit der Angst bekommen und sie verlassen.
Nein, es wäre besser, seiner Bitte nicht nachzukommen. Ihr gesunder Menschenverstand warnte sie davor, diese letzte Hürde zu überschreiten. Sie riskierte dabei zu viel, und es war gut möglich, dass sie am Ende als Verliererin dastehen würde. Andererseits ... ihr gesunder Menschenverstand hatte bisher in ihrem Verhältnis zu Antonio immer nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Die Versuchung, ihre Fantasien endlich einmal in die Tat umzusetzen, war zu groß für Paige. Und sie war zu schwach, um ihr zu widerstehen. Antonio freute sich schon auf das, was kommen würde. Nach längerem Zögern hatte Paige sich neben ihn gekniet und die Tube mit der Sonnencreme entgegengenommen. Jetzt tat sie ihm etwas davon auf den Rücken und begann, sie mit sanften, kreisenden Bewegungen überall zu verreiben. Er schloss genüsslich die Augen und ließ es geschehen. Doch dann tat sie etwas Unerwartetes. Sie ließ sich auf ihm nieder und begann, seine Muskeln zu massieren, bis sie spürte, dass er sich langsam entspannte. "Fantastisch", stöhnte er nach einer Weile. "Warum machst du das nicht beruflich?" "Weil..." "Jedenfalls scheinst du dich damit sehr gut auszukennen." Paige nickte. Sie kicherte unerwartet. "Ja, ich habe eine Zeit lang in einem Massagesalon gearbeitet." "Wie bitte?" Erschrocken hob er den Kopf. Doch sie lachte nur und drückte ihn wieder auf die Liege zurück. "Nein, das war nur ein Witz. Ich erzähle es dir später. Aber jetzt sei still. Ich kann dich nicht massieren und gleichzeitig dabei reden. Ich muss mich konzentrieren." Und so war es auch. Sie genoss es, Antonios Haut zu berühren. Sie ging in dieser Tätigkeit ganz auf. "So, und jetzt die Beine", verkündete sie nach einer Weile und erhob sich, um sich seine Waden vorzunehmen.
Sie fing mit den Füßen an und arbeitete sich dann langsam über die Waden, die Knie und Oberschenkel bis hin zu seinem Po vor. Er hatte das Gefühl zu schweben. Es war bei weitem die erotischste Massage, die er je bekommen hatte. Auch Paige schien das Ganze sehr zu erregen, denn ihm fiel auf, dass sie schwer atmete. "So", sagte sie schließlich, "und jetzt dreh dich um." Er wandte den Kopf. "Ich glaube, das ist keine so gute Idee", sagte er heiser. Aber Paige lächelte ihn nur an. "Ich schon", erwiderte sie. Er zuckte die Schultern und kam ihrer Bitte nach. "O Mann" war alles, was sie sagen konnte, als sie ihn ausschließlich betrachtete. Nachdem er sich an den Gedanken gewöhnt hatte, gab Antonio sich ganz in ihre Hand. Paige kostete ihre Macht aus und massierte jeden Zentimeter seines Körpers, bis Antonio das Gefühl hatte zu schweben. Irgendwann bot er dann an, das Gleiche für sie zu tun, aber sie schüttelte den Kopf. "Das ist meine Fantasie", sagte sie entschieden, und er ergab sich wohl oder übel in sein Schicksal. Nach einer Weile schien es ihm, als wäre es noch aufregender, ihr bei der Arbeit zuzusehen. Sie massierte ihn mit einer solchen Hingabe, dass er wusste, er würde diesen Moment nie wieder vergessen. Er wurde immer erregter, aber auch das schien sie nicht zu stören. Sie machte einfach weiter, und als er glaubte, die Spannung nicht mehr aushalten zu können, ließ sie sich auf ihm nieder. Es dauerte nicht lange, und sie waren wieder vereint. Antonio stöhnte laut, er wusste, dass er jeden Moment kommen würde. "Paige", rief er warnend, als sie begann, sich kreisend auf ihm zu bewegen.
Aber er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Denn sie kam ihm zuvor, stieß einen lauten Schrei aus und ließ sich dann von der Kraft ihres Orgasmus tragen. Antonio spürte ihre heftige Reaktion, was ihn noch mehr erregte. Um seine Kontrolle war es geschehen, er ließ sich völlig gehen und beeilte sich, ihr auf den Gipfel der Ekstase zu folgen. Es war ein Crescendo, wie es beide selten erlebt hatten. Antonio hatte Mühe, wieder in die Wirklichkeit zurückzukehren. Das war ein unglaublich erotisches Erlebnis gewesen. Er fragte sich inzwischen nicht mehr, wieso sie ihn derartig professionell massieren und so gekonnt zum Höhepunkt hatte bringen können. Das also empfand sie für ihn: Lust. Einen Moment lang machte ihn die Erkenntnis betroffen, dann schickte er sich in das Unvermeidliche. Offensichtlich hatte sie in ihrem Leben bisher nur einen Mann geliebt, und dieser Liebe war sie treu über den Tod hinaus. Ihm kam anscheinend nur die Rolle des Liebhabers zu. Aber was war mit dem Plan, den ihr Vater und er geschmiedet hatten? Brad war schließlich tot. Würde Paige sich wirklich weigern, ihn, Antonio, zu heiraten, wenn er um ihre Hand anhalten würde? Er war sich nicht sicher. Vielleicht kannte sie den Unterschied zwischen Lust und Liebe ja auch gar nicht so genau, wie Conrad vermutete. Er durfte nicht vergessen, dass sie immer noch ziemlich jung war. Deshalb nahm er sie in die Arme und sagte ihr, wie wundervoll sie sei. Paige erwiderte darauf nichts. Sie hatte den Kopf auf seine Brust gelegt und gab sich ganz dem süßen Gefühl der Erfüllung hin. Wenigstens weint sie nach dem Sex nicht mehr, ging es Antonio durch den Kopf, und er begann, ihr sanft übers Haar zu streichen. "Erzählst du mir jetzt endlich, wo du so gut zu massieren gelernt hast?" fragte er sie schließlich.
Paige hob den Kopf und sah Antonio mit glänzenden Augen an. "Ganz einfach", erklärte sie. "Brad hat es mir beigebracht. Er war ziemlich gut darin, aber nach einer Weile habe ich ihn noch übertroffen." Antonio gefiel die Vorstellung, dass sie mit einem anderen Mann so intim geworden war, überhaupt nicht. Er merkte plötzlich, wie eifersüchtig er war. "Ach ja?" fragte er mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen. Paige nickte. "Ja, aber es war nicht, wie du glaubst", klärte sie ihn auf. "Die Massagen, die ich ihm gegeben habe, hatten überhaupt nichts Sexuelles." Sie merkte, dass er ihr nicht glaubte, und fuhr fort: "Das ... also, ich habe mir immer vorgestellt, einen Mann einmal so zu berühren wie gerade dich. Aber getan habe ich es nie." Sie wirkte so aufrichtig, dass er ihr einfach glauben musste. Seinem männlichen Ego tat das natürlich gut. "Und wofür brauchte Brad Massagen?" fragte er interessiert. "Er hatte Arthritis", informierte sie ihn. "Und zwar in fortgeschrittenem Stadium. Als Kind fing es bei ihm an, und dann wurde es immer schlimmer. Deshalb ist er auch in den Norden gezogen. Weil es dort wärmer war." "Verstehe", erwiderte Antonio. "Wie habt ihr euch eigentlich kennen gelernt?" "Oh, ich kannte Brad seit Jahren. Er hat damals in einem Imbiss am Bondi Beach gearbeitet. Aber mit seiner Arthritis fiel ihm das lange Stehen zu schwer. Deshalb hat er auch Surfen gelernt. Ich habe einen ganzen Sommer dort verbracht, und er war immer sehr nett zu mir. Ich mochte ihn, weil er so unkompliziert war. Und er hat mir das Surfen beigebracht." "Hat er nie versucht, dich zu verführen?" Paige schüttelte den Kopf.
"Nein, nie." "Wieso nicht? Fand er dich nicht attraktiv?" "Doch, aber am Anfang waren wir nur Freunde." "Und er war älter als du?" "Ja, aber er sah jünger aus." Antonio dachte nach. "Wann hast du dich in ihn verliebt? Ich dachte immer, du hättest dich zuerst in mich verliebt." "So war es ja auch", erwiderte Paige. "Aber nachdem du mich damals am Pool zurückgewiesen hast, bin ich direkt zu ihm gegangen und habe mich bei ihm ausgeweint. Er wollte gerade nach Norden ziehen, und da es mir so schlecht ging, habe ich mich entschlossen, ihn zu begleiten. Er war einverstanden, weil er Angst hatte, dass ich mir sonst etwas antun würde. Sehr viel später sind wir dann erst ein Paar geworden." "Und du hast ihn geliebt?" fragte Antonio beharrlich nach. Paige zögerte. "Ja, schon. Aber nicht so wie dich. Brad war ein Mann, auf den die Frauen geflogen sind. Er mochte mich, aber er hätte genauso gut mit einer anderen zusammen sein können. Er war überhaupt nicht eifersüchtig oder besitzergreifend. Wenn ich ihn verlassen hätte, hätte er mich bestimmt nicht daran gehindert." "Das klingt ja wirklich nicht sehr leidenschaftlich", bemerkte Antonio skeptisch. Paige schüttelte den Kopf. "Das habe ich ja auch nie behauptet. Es war mehr wie eine Freundschaft." Antonio beschloss, es dabei zu belassen. Er wurde aus Paige einfach nicht schlau. Er selbst hätte nie mit jemandem zusammen sein können, ohne Leidenschaft zu empfinden. So war er nun einmal. Wahrscheinlich hing das mit seinem italienischen Blut zusammen. Vielleicht passt ein älterer Mann, der sie beschützen und in ihrem Selbstbewusstsein stärken kann, besser zu ihr, dachte er.
Er räusperte sich. "Du hast doch einmal gesagt, dass du dir eine feste Beziehung wünschst", fuhr er fort. "Was hast du eigentlich genau damit gemeint?" Paige wurde rot. Sie richtete sich auf und zog sich wieder an. Dabei überstürzten sich ihre Gedanken. Wie kam er denn jetzt darauf? War es falsch gewesen, ihm von Brad zu erzählen? "Na ja, was schon?" erwiderte sie schließlich. Antonio wartete offensichtlich auf eine Antwort. "Heiraten und Kinderkriegen natürlich. Warum?" Aber er antwortete ihr überraschend mit einer Gegenfrage. "Und wann?" Paige blickte ihn überrascht an, sie war ganz blass geworden. "Was meinst du mit ,wann'?" "Ich meine, wann soll das passieren? Bald? Oder irgendwann in ferner Zukunft? Du bist zwar noch ziemlich jung, aber ..." Sie warf trotzig den Kopf zurück. "Das Alter hat nichts damit zu tun", erklärte sie fest. "Man muss sich nur sicher sein." "Sicher in Bezug auf was?" "Dass man wirklich gebraucht wird." Er runzelte die Stirn. "Und nicht geliebt?" "Doch, natürlich. Aber manchmal kommt das erst später." Paige wusste, sie befand sich auf Glatteis. Hoffentlich sagte sie jetzt nichts Falsches. Ihr war klar, dass Antonio sie nicht liebte. Das hatte sie seinen Worten entnommen, als er über seine verflossene Liebe gesprochen hatte. Anscheinend war er über Lauren immer noch nicht hinweg. Er dachte offensichtlich über das nach, was sie ihm gesagt hatte, aber der Ausdruck seiner Augen war nicht zu deuten. "Du meinst... so wie bei Brad?" fragte er schließlich. Paige nickte. "Ja, genau."
"Aha. Heißt das, wenn ich dir jetzt sagen würde, dass ich dich will und brauche - würde dir das reichen?" Paige schluckte. "Sagst du das denn?" Antonio nickte. Sie atmete tief ein. "Bittest du mich ernsthaft, dich zu heiraten?" "Ja. Ich möchte, dass du meine Frau wirst." Paige sank auf die Knie. "O nein", sagte sie erschüttert. "Ja oder nein?" "Ja. Ich meine, nein. Ja ..." Er sah sie amüsiert an. "Ich mag Frauen, die wissen, was sie wollen." Sie konnte es immer noch nicht fassen. "Aber ... bist du dir ganz sicher ... meinst du es wirklich ernst?" "Natürlich meine ich es ernst. Komm her!" Er streckte die Hand nach ihr aus und zog sie auf die Liege. "Falls du es immer noch nicht bemerkt haben solltest: Ich bin verrückt nach dir. Bitte, heirate mich. So schnell wie möglich." "Wie schnell?" "So schnell, wie es sich arrangieren lässt." Paige hatte das Gefühl, als würde sie vor Freude platzen. Im Moment fehlten ihr seine Liebesschwüre nicht. Manchmal bedeuteten Worte ja sehr wenig. Ihr genügte der Blick, mit dem er sie betrachtete, und die Stärke, die in seiner Stimme mitklang. Die Liebe würde noch kommen, dessen war sie sich sicher. Außerdem besaß sie genug davon - genug für beide. "Wie lautet deine Antwort?" Sie merkte plötzlich, dass sie Tränen in den Augen hatte. "Sie lautet natürlich ,ja'. Was dachtest du denn?" Er nickte.
"Ich möchte, dass du meine Frau wirst", wiederholte er feierlich. Träume wurden manchmal also doch wahr. Wer hätte das gedacht? Paige war selig.
14. KAPITEL "Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein Liebling", sagte Antonio und prostete Paige mit seinem Glas Champagner zu. Er hatte gewonnen. Und zwar, ohne sich sonderlich anstrengen zu müssen. Paige war glücklich. Er war glücklich. Er hatte auf der ganzen Linie gesiegt. Alles war viel besser gelaufen, als er je zu hoffen gewagt hatte. Als sie miteinander anstießen, sah er in die Augen seiner wunderschönen zukünftigen Braut und fragte sich, warum er mit dem Heiratsantrag so lange gewartet hatte. Er freute sich schon auf Conrads Gesicht, wenn er ihm verkündete, dass seine Tochter eingewilligt hatte, seine Frau zu werden. Er schuldete Paige eine richtige Hochzeit mit allem, was dazu gehörte. "Ich habe etwas für dich", verkündete er. Sie sah ihn mit großen Augen an. "Du hast mir ein Geburtstagsgeschenk gekauft? Was ist es denn?" "Das wirst du gleich sehen." Er lächelte sie an und griff in seine Tasche. Er hat noch nie so gut ausgesehen wie heute Abend, dachte Paige, als sie ihn betrachtete. Die Woche auf dem Boot hatte ihm gut getan und die Sorgenfalten um seinen Mund verschwinden lassen. Außerdem war er viel brauner geworden.
Er kämmte sich das Haar auch nicht mehr so streng aus der Stirn, was ihn viel jünger erscheinen ließ. Zur Feier des Abends trug er eine cremefarbene Hose und ein schwarzes Seidenhemd, das am Hals offen stand. Als sie Hand in Hand den Bootssteg entlanggegangen waren, war Paige nicht verborgen geblieben, wie die Frauen ihn angestarrt hatten. Zuerst hatten sie Antonio mit offenem Mund angesehen und ihr dann giftige, neidische Blicke zugeworfen. Sie war so stolz auf ihn gewesen, dass sie das Gefühl gehabt hatte, vor Freude platzen zu müssen. Jetzt betrachtete sie das kleine Kästchen in Antonios Hand, das das Finnenlogo eines der bekanntesten Juweliere von Sydney trug, und sah ihn stirnrunzelnd an. "Hast du das gekauft, bevor wir losgefahren sind?" Sie hatte eigentlich gedacht, dass er ihr ein kleines Andenken aus einem der zahlreichen Souvenirshops am Fluss gekauft hatte. Antonio nickte. "Ich habe dir doch gesagt, dass dein Vater mich auf deinen Geburtstag hingewiesen hat." "Ja, aber ich habe trotzdem kein Geschenk von dir erwartet." "Das finde ich wirklich reizend von dir", meinte er amüsiert. "Ich mag Frauen, die keine großen Erwartungen haben." Paige zog ein Gesicht, dann nahm sie das Kästchen in Empfang. Natürlich war ihr klar, dass es Schmuck enthalten musste. Aber auf die wunderschöne Goldkette mit dem großen Diamantanhänger war sie wirklich nicht gefasst. "O nein!" sagte sie erschüttert. "Die muss ja ein Vermögen gekostet haben!" "Gefällt sie dir?" "Antonio, das ... das ist viel zu viel. Wirklich! Das kann ich nicht annehmen." "Natürlich kannst du das. Die Kette ist für dich. Leg sie an. Ich will wissen, ob sie zu deinem Kleid passt." "Brauchst du Hilfe?" fragte er, als sie Schwierigkeiten mit dem Verschluss hatte.
"Nein, es geht schon. So! Wie sehe ich aus?" Die Kette passte fantastisch zu dem tiefen Ausschnitt ihres goldfarbenen Kleides. Es war ein Anblick, wie er bezaubernder nicht hätte sein können. "Wunderschön", meinte Antonio zufrieden. "Aber es fehlt noch etwas." "Was denn?" "Das hier." Er griff erneut in die Tasche und holte ein zweites, etwas kleineres Kästchen hervor. Sie machte große Augen. "Was ist das?" "Mach es auf, dann wirst du es sehen." Aber sie war vollkommen sprachlos. Sie hatte nicht mit einem zweiten Geschenk gerechnet. Daher öffnete er das Kästchen für sie und hielt es ihr hin. In dem Samtfutter glitzerte ein Ring mit einem großen Diamanten. "Für die zukünftige Frau Scarlatti", sagte er feierlich. "Damit jeder Mann sofort weiß, dass du schon vergeben bist." Paige hatte Tränen in den Augen und war tief bewegt. "Gefällt er dir nicht?" fragte er besorgt. "Natürlich. Er ist wunderschön. O Antonio, das alles ist so ... so romantisch. Ich weiß überhaupt nicht, was ich sagen soll." "Du brauchst nichts zu sagen", meinte er lächelnd. "Steck ihn einfach an. Mal sehen, ob er passt." Der Ring war ein wenig eng, aber das war Paige egal. Sie war überglücklich und hätte vor Freude weinen können. Doch natürlich wollte sie Antonio nicht in Verlegenheit bringen. "Möchtest du noch ein Glas Champagner? Vielleicht sollten wir eine weitere Flasche bestellen, um unsere Verlobung zu feiern. Was meinst du?" "Unbedingt", erwiderte sie fröhlich. "Wir müssen ja heute nicht mehr weiterfahren." Sie waren vor dem Restaurant vor Anker gegangen, und ein Angestellter hatte sie mit einem
kleinen Powerboot abgeholt. Er würde sie später auch wieder zum Hausboot zurückbringen. Das gehörte zum Service. "Aber ich warne dich ... Ich werde dann ziemlich beschwipst sein", fuhr sie fort. "Das macht nichts. Ich glaube, ich war schon seit Jahren nicht mehr richtig beschwipst. Wenn ich arbeite, kann ich mir nicht erlauben zu trinken. Und eigentlich arbeite ich ja immer", fügte er amüsiert hinzu, während Paige noch eine zweite Flasche bestellte. "Weißt du, was ich nicht verstehe?" fragte sie dann. "Warum arbeitest du eigentlich immer noch für meinen Vater? Er ist doch ein Tyrann. Mit deiner Erfahrung und deinem Wissen könntest du bestimmt eine eigene Firma aufmachen." "Das sagst du nur, weil du nicht viel vom Geschäft verstehst", erwiderte er. "Es ist nicht so einfach, eine Firma aufzumachen, die dann auch wettbewerbsfähig ist und sich gegen die etablierten Firmen am Markt durchsetzen kann. Außerdem habe ich sehr hart gearbeitet, um dahin zu kommen, wo ich jetzt bin. Es wäre verrückt, an diesem Punkt auszusteigen." "Entschuldige", erwiderte sie. "Natürlich hast du Recht. Ich weiß, dass du hart gearbeitet hast. Was mich viel mehr interessiert: Wo werden wir eigentlich leben, wenn wir verheiratet sind? Glaubst du, dass du noch lange in Europa bleiben wirst?" Antonio schüttelte den Kopf. "Nein, ich glaube nicht. Ich muss nächste Woche noch einmal weg, aber wenn ich Weihnächten zurückkomme, werde ich erst mal hier bleiben. Ich weiß nicht, ob er es dir schon gesagt hat. Aber dein Vater plant, sich Ende des Jahres zur Ruhe zu setzen." Paige sah ihn entgeistert an. "Machst du Witze? Vater will in den Ruhestand gehen? Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen."
"Es stimmt aber, er hat es mir selbst gesagt. Deshalb brauchst du dir wegen unserer Zukunft auch keine Sorgen zu machen. Dein Vater hat mir angeboten, sein Nachfolger zu werden." Sie konnte die Neuigkeiten kaum fassen. "Wirklich?" Antonio nickte. "Wir handeln gerade die Einzelheiten des Vertrags aus." "Aber das ist ja fantastisch!" Ihre Augen leuchteten auf. "Herzlichen Glückwunsch, Antonio." "Vielen Dank." "Darauf müssen wir anstoßen!" Der Kellner kam gerade mit der neuen Flasche. Paige und Antonio prosteten sich zu. "Und jetzt", meinte er danach, "sollten wir über unsere Hochzeit sprechen. Wäre es dir recht, wenn wir noch vor Weihnachten heiraten? Oder geht dir das zu schnell? Ich weiß, du hättest dann - nur sechs Wochen Zeit, um alles zu organisieren." Paige war das völlig egal. Antonio und sie würden heiraten, alles andere zählte nicht. "Ich möchte gern in der Kirche getraut werden", fuhr er fort. "Meiner Meinung nach schließt man den Bund fürs Leben für die Ewigkeit. Das bedeutet, ich will mich auch nicht von dir scheiden lassen - egal, was passiert." Sie nickte. "So sehe ich das auch." Sie kiche rte, denn sie hatte das Gefühl, dass sie schon ziemlich beschwipst war. "Sollen wir eine Nicht-Scheidungs-Klausel in unseren Ehevertrag aufnehmen?" Er sah sie erstaunt an. "Willst du wirklich einen Ehevertrag?" "Natürlich nicht. Es sollte nur ein Witz sein. Aber dir ist hoffentlich klar, dass du durch unsere Ehe irgendwann zu einem sehr reichen Mann werden wirst, oder? Das heißt, wenn Vater mich vorher nicht enterbt." Antonio ließ sich Zeit mit der Antwort.
"Ob du es glaubst oder nicht", sagte er dann, "aber dieser Gedanke ist mir noch gar nicht gekommen." Paige sah ihn besorgt an. "Ist das ein Problem für dich?" Er schüttelte den Kopf. "Nein, überhaupt nicht. Mir gefällt nur die Vorstellung nicht, dass du glauben könntest, ich würde dich nur deines Geldes wegen heiraten." "Wie kommst du denn darauf?" entgegnete sie empört. "An so etwas würde ich nie denken. Wenn du mich aus diesen Gründen heiraten würdest, hättest du dich doch schon vor Jahren an mich heranmachen können. Also, lass uns nicht mehr darüber nachdenken. Ich würde lieber mit dir darauf anstoßen, dass wir uns niemals scheiden lassen werden." Antonio hob sein Glas, aber er trank den Rest des Abends nicht mehr viel. Irgendwie hatte er nach ihrem Gespräch keine Lust mehr dazu. Er versuchte natürlich, Paige nichts davon merken zu lassen, aber ein Schatten hatte sich auf ihn herabgesenkt. Die Wahrheit war, dass sie mit ihrer Bemerkung den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Er fühlte sich wie ein Betrüger, der es allein auf ihr Geld abgesehen hatte. Schließlich hatte er Conrad erlaubt, ihn zu erpressen. Er hatte sich zu einem Werkzeug seines Plans machen lassen. Und zwar aus einem einzigen Grund: Rache. Er hatte sich für das rächen wollen, was das Leben ihm angetan hatte. Das Leben und Lauren. Lauren war ihm inzwischen ziemlich egal. Paige bedeutete ihm zehnmal mehr. Und was das Leben anging ... Es war falsch, seine Vergangenheit für alles verantwortlich zu machen. Er hatte sich seine Position in der Firma durch eigene harte Arbeit verdient. Durch Arbeit und seine Integrität. Doch diese Integrität stellte er inzwischen selbst infrage. Bei dem Gedanken, dass er sich in Conrads Hände begeben hatte, wurde ihm ganz anders.
Aber als ihnen schließlich zum Abschluss des Essens der Kaffee gebracht wurde, kam er zu einem Entschluss, der ihn etwas erleichterte und ihn in bessere Stimmung versetzte. Ja, genau das würde er tun. Er würde Paige jetzt noch nichts davon sagen. Es war besser, bis nach der Hochzeit zu warten. Und auch seinem Boss gegenüber würde er davon nichts verlauten lassen. Er wusste genau, wie unangenehm Conrad werden konnte, wenn man ihm in die Quere kam. Er konnte nur hoffen, dass Paiges Vater ihrem Glück nicht im Wege stehen würde. Aber er würde vorsichtig sein müssen - sehr vorsichtig! "Hat nicht funktioniert", meinte Paige, nachdem sie den Kaffee getrunken hatte. "Ich bin immer noch ziemlich beschwipst. Du hast ja noch gar nicht ausgetrunken", sagte sie vorwurfsvoll zu Antonio und wies auf dessen volles Champagnerglas. Er betrachtete sie und dachte erneut, wie schön sie war. Die Kette funkelte im Schein der Kerzen, und sie sah so verführerisch aus wie nie. "Vielleicht war das ja mein Plan", erwiderte er. "Dich betrunken zu machen, damit ich dich umso leichter verführen kann." Sie kicherte. "Dazu brauc hst du mich doch gar nicht betrunken zu machen." Antonio lachte. In diesem Moment brachte ihnen der Kellner die Rechnung, die ziemlich hoch war. Aber das war es wert, dachte er und reichte dem Mann seine Kreditkarte. Dann stand er auf. "So, komm, Prinzessin. Ab ins Bett mit dir." "Gern", antwortete Paige, die beim Aufstehen ein wenig schwankte.
Antonio nahm ihren Arm und führte sie durchs Restaurant. Dabei merkte er, dass sie wirklich ziemlich angeheitert war, denn sie war unsicher auf den Beinen. "Vielen Dank, mein Held." Sie lachte und lehnte sich an ihn. "Ich muss dich warnen", sagte sie dann zu ihm, als sie endlich wieder auf ihrem Boot waren. "Dieses Kleid lässt sich nicht so leicht ausziehen, wie du glaubst. Der Verschluss ist ziemlich kompliziert." "Keine Angst, das bekommen wir schon hin", beruhigte er sie. Er hatte nicht vor, sie zu verführen - goldfarbenes Kleid oder nicht. Paige musste jetzt vor allem ins Bett und ihren Rausch ausschlafen. Er wollte nicht, dass sie morgen mit einem Kater aufwachte und sich nicht mehr an ihr Liebesspiel erinnerte. "Ich will aber nicht schlafen", beschwerte sie sich. "Das wäre reine Zeitverschwendung. Ich bin viel zu glücklich, um schlafen zu können. Ich brauche jetzt nur ein bisschen frische Luft. Dann geht es mir bestimmt gleich wieder gut." Sie umklammerte die Reling und atmete tief ein. "Aber es ist doch viel zu kalt hier draußen", sagte Antonio. Tatsächlich hatte sie bereits eine Gänsehaut. "Wenn du unbedingt hier bleiben willst, hole ich dir eine Jacke, okay?" "Okay." Sie lächelte ihn an, und er schmolz geradezu dahin. Dann eilte er hinein, um ihr die Jacke zu holen. "Ich kann alles ganz deutlich sehen", rief sie ihm zu. "Da ist ein Mann in einem kleinen Boot mitten auf dem Fluss. Ich glaube, er angelt. Oh, und er hat einen Hund. Einen süßen kleinen Hund. Er ... O Antonio, komm schnell! Der Mann hat den Hund in den Fluss geworfen!" Antonio ließ die Jacke fallen und eilte wieder an Deck. Paige schrie, sie packte ihn am Arm und wies hinaus aufs Wasser. In diesem Mome nt heulte ein Außenbordmotor auf. "Er hat ihn einfach in den Fluss geworfen", rief sie empört. "Ohne sich um ihn zu kümmern. Ist einfach weitergefahren und
hat dabei noch gelacht. Der arme kleine Hund hat versucht, ihm nachzuschwimmen. Aber natürlich ist das Boot viel zu schnell für ihn. Du musst etwas tun, Antonio!" "Beruhige dich doch, Paige", sagte er. "Der Hund kann schließlich schwimmen. Er wird schon nicht untergehen." "Natürlich kann er untergehen. Bis zum Ufer ist es doch noch weit. Sieh mal, da vorn schwimmt er. So ein süßer kleiner Hund. Und er ist so klein. Er ist... O nein, ich kann ihn nicht mehr sehen. Tu etwas, Antonio, so tu doch endlich was!" Er zögerte, dann zuckte er resigniert die Schultern. "Na gut. Wenn du unbedingt darauf bestehst. Hauptsache, du beruhigst dich." Dann machte er eilig das Dingi los. Aber es dauerte eine Weile, bis er das Seil entwirrt hatte. Die ganze Zeit über hatte er Paiges Schluchzen im Ohr. "Da, ich kann ihn wieder sehen", rief sie aufgeregt. "Er tut mir so schrecklich Leid. Was für ein Ungeheuer dieser Mann sein muss! Wie kann man einem Tier nur so etwas antun? Irgendwann werden ihm die Kräfte ausgehen, und dann kann er sich nicht mehr über Wasser halten. Warum dauert es denn so lange, Antonio? Soll ich einfach ins Wasser springen und zu ihm hinschwimmen?" "Auf gar keinen Fall!" schrie er zurück. Entsetzt sah er, wie Paige ihre Schuhe auszog. Und dann sprang sie doch tatsächlich über die Reling und tauchte in das tief schwarze Wasser ein. Antonio zögerte nicht eine Minute. Er ließ das Seil los und sprang ihr nach. Sie war ihm schon ein Stück voraus. In diesem Moment verhüllte eine Wolke den Mond, und alles wurde dunkel. Antonio rief ihr nach, aber sie reagierte nicht. Er versuchte, nicht in Panik zu geraten, aber es wollte ihm nicht gelingen. Dabei hatte er nur einen Gedanken: Ihr durfte nichts passieren. Sie war betrunken. Wenn er sie nicht rechtzeitig erreichte, würde ein Unglück geschehen.
Er schwamm, so schnell er konnte, hinter ihr her. Plötzlich verschwand die Wolke wieder, und er konnte Paige sehen. Sie schwamm im Kreis und hielt nach dem Hund Ausschau. Bei ihrem Anblick war er sehr erleichtert. Aber er war auch wütend über ihren Leichtsinn. Wütend, dass sie ihr Leben wegen eines dummen kleinen Hundes riskierte. Wusste sie denn immer noch nicht, wie viel sie ihm bedeutete? Der Gedanke, dass ihr etwas zustoßen konnte, war ihm unerträglich. Nach einigen kräftigen Zügen hatte er sie endlich erreicht. Bestürzt stellte er fest, wie erschöpft sie aussah, und sein Zorn auf sie wuchs. "Bist du verrückt", schimpfte er. "Das war ein Riesenleichtsinn! Du hättest selbst untergehen können - in deinem Zustand!" "He, ihr beiden! Ist es nicht ein bisschen spät zum Schwimmen?" erklang plötzlich eine männliche Stimme. Antonio wandte den Kopf und sah ein kleines Motorboot auf sie zukommen. An Deck stand der kleine Hund, er schüttelte sich das Wasser aus dem Fell. "Das ... das ist er", rief Paige erregt und deutete auf den Mann. "Sie Ungeheuer! Sie haben versucht, Ihren Hund zu töten. Leugnen Sie nicht! Ich habe Sie beobachtet." Der Mann lachte. Antonio hätte ihn am liebsten erwürgt. Inzwischen hatte das Boot sie erreicht. Der Mann beugte sich vor, griff nach Paiges Hand und zog sie aus dem Fluss. Er war groß, hatte einen grauen Bart und ein wettergegerbtes Gesicht. "Ich hätte nicht im Traum daran gedacht, Mitzy ersaufen zu lassen", sagte er dann. "Sie ist eine gute Schwimmerin. Wie Sie sehen, geht es ihr gut. Und Sie, junger Mann", sagte er zu Antonio, "sollten auch besser einsteigen. Nachts zu schwimmen ist keine gute Idee. Besonders nicht in Kleidung", setzte er trocken hinzu.
Antonio musste ihm recht geben. Er ließ sich von dem alten Mann ins Boot ziehen, aber sein Zorn war noch lange nicht verraucht. Plötzlich merkte er, wie kalt es draußen war. Der Mann holte eine Decke und legte sie den beiden um die Schultern. "Die Sache ist so", sagte er dann, "meine Frau mag es nicht, wenn Mitzy nach Fisch stinkt. Deshalb lasse ich sie immer eine Runde schwimmen, bevor wir nach Hause fahren. Nachts ist sie darauf nicht so scharf, deshalb muss ich ein wenig nachhelfen." "Meine Verlobte ist fast ertrunken, als sie versuchte, Ihren Hund zu retten", sagte Antonio empört. Der Mann sah ihn überrascht an. "Wirklich? Das tut mir Leid. Ich dachte, Sie beid e würden sich einen Spaß machen." Er betrachtete Paige und grinste Antonio dann an. "Sieht so aus, als hätte ich mich getäuscht. Na ja, man schwimmt ja auch nicht so ohne weiteres in Partykleidung. Aber jetzt geht es ihr doch schon besser. Sie haben Glück, mein Lieber. Eine so hübsche Frau hätte ich auch gern." "Ja", erwiderte Antonio grimmig. "Das kann ich mir lebhaft vorstellen." "Es tut mir so Leid", sagte Paige, als Antonio sie endlich ins Bett brachte. "Ich habe uns den schönen Abend verdorben." Nachdem der alte Mann sie wieder auf dem Hausboot abgesetzt hatte, war Antonio ungewöhnlich ruhig gewesen. Bestimmt hielt er sie für ein ausgemachtes Dummchen. Und natürlich hatte er Recht. Es war sehr unbedacht von ihr gewesen, einfach ins Wasser zu springen. Das wäre bestimmt nie passiert, wenn sie nüchtern gewesen wäre. Antonio setzte sich auf die Bettkante und strich Paige eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dabei sah er so ernst aus, dass sich Paige der Magen zusammenzog. "Ich habe mir schreckliche Sorgen um dich gemacht", sagte Antonio schließlich rau. "Die Vorstellung, dass ich dich verlieren könnte, war furchtbar."
Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Er war also gar nicht wütend auf sie. Er hatte sich Sorgen um sie gemacht. Sie nahm seine Hand und drückte sie. "Du wirst mich nie verlieren", versprach sie gerührt. Ihre Blicke trafen sich. Sie atmete tief ein. "Ich liebe dich", sagte sie schlicht. Er zuckte zusammen, und sie zögerte. Vielleicht würde sie ihn verlieren, wenn sie ihm alles gestand. Aber dies schien der richtige Moment zu sein, um ihm endlich die Wahrheit zu sagen. "Ich ... ich habe dich immer geliebt", stieß sie hervor. Plötzlich hatte sie Tränen in den Augen. "Hast du das nicht gewusst? Ich habe nie einen anderen Mann als dich geliebt. Brad war wirklich nur ein Freund, nicht mehr. Und Jed ... Jed war ein Fehler. Ich habe mich ihm aus lauter Verzweiflung an den Hals geworfen, weil ich dachte, dass du dir nichts aus mir machst. Ich war so verzweifelt, als ich dich letztes Jahr Weihnachten mit der anderen Frau gesehen hatte. Und ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten, mich nach dir zu verzehren - ohne Hoffnung. Deshalb habe ich versucht, mein eigenes Leben zu leben ..." Sie schüttelte den Kopf und lächelte traurig. "Wie du weißt, hat es nicht funktioniert." Antonio wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Die Nachricht traf ihn völlig unvorbereitet. "O Paige, liebste Paige ... Ich hatte ja keine Ahnung ..." sagte er stockend. "Woher auch? Ich habe es dir ja nie gesagt - außer damals am Pool." "Als ich dir das Herz gebrochen habe ..." "Ja, aber inzwischen ist es wieder geheilt. Es gehört dir, Antonio, nur dir." Ergriffen führte er ihre Hand an die Lippen und küsste die Innenfläche. "Das habe ich nicht verdient. Ich kann dir gar nicht sagen, wie viel du mir bedeutest. Und wie sehr ich dich brauche." Er
zögerte kurz, dann sagte er mit Nachdruck: "Ich liebe dich nämlich auch." Paige setzte sich kerzengerade im Bett auf und sah ihn überrascht an. "Du liebst mich auch?" Er nickte. "Natürlich. Ich kann nicht behaupten, dass ich dich immer geliebt habe, denn das wäre eine Lüge. Bis vor einer halben Stunde war mir nicht klar, wie sehr ich dich brauche. Weißt du, ich habe mich immer für einen gefühllosen Menschen gehalten, weil keine der Frauen, mit denen ich zusammen war, mir je etwas bedeutet hat. Aber bei dir ist es völlig anders. Ich liebe dich wirklich. Von Lauren war ich nur besessen, denn ich habe sehr genau gespürt, dass sie mich nicht wirklich geliebt hat. Aber du ... du bist die wundervollste Frau, die ich in meinem ganzen Leben getroffen habe. Ich kann es kaum noch erwarten, dich zu heiraten und mit dir eine Familie zu gründen." Paige strahlte ihn an. Nie hätte sie gedacht, dass sich Antonio zu einer solchen Liebeserklärung hinreißen lassen würde. "Nun, das wird nicht mehr lange dauern", verkündete sie lächelnd. "Was meinst du damit?" "Ganz einfach - ich werde aufhören, die Pille zu nehmen. Bestimmt werde ich bald schwanger. Wäre es nicht sehr romantisch, wenn wir unser erstes Kind in der Hochzeitsnacht zeugen würden?" "Du willst sofort Kinder?" Paige nickte. "Ja", erwiderte sie feierlich. "Und was ist mit deiner Arbeit?" "Ich habe doch schon eine Stelle gefunden, oder?" zog sie ihn auf. "Als deine Frau und Mutter deiner Kinder. Das ist mehr, als ich je zu hoffen gewagt habe."
Antonio betrachtete sie und dankte im Stillen dem Himmel für das große Geschenk, das er erhalten hatte. Die Erinnerung an Lauren verblasste. Fast erschien es ihm, als hätte es sie nie gegeben. Endlich konnte er jemanden lieben - eine Frau, von der er ebenfalls geliebt wurde. Jetzt erst wusste er, was wirkliches Glück bedeutete. Sie liebten sich, und erneut weinte Paige danach. Diesmal kannte er den Grund. Ihre Tränen hatten seiner Liebe gegolten, die zu erringen sie nicht mehr geglaubt hatte. Er schwor sich, dass er alles wieder gutmachen würde, was sie seinetwegen hatte durchmachen müssen. Nichts, so nahm er sich fest vor, würde sie je trennen. Paige war sein Leben, sie bedeutete ihm alles.
15. KAPITEL Am Morgen ihres Hochzeitstags war Paige so glücklich wie noch nie in ihrem ganzen Leben. Sie freute sich auf den Tag, und selbst das Wetter schien mitzuspielen. Es war warm und sonnig. Aber noch viel mehr freute sie sich über die vergangenen Wochen, in denen sie nur Positives erlebt hatte. Selbst Evelyn hatte die Nachricht von ihrer Verlobung erfreut zur Kenntnis genommen. Vielleicht hatte sie sich ja doch in ihr getäuscht. Jedenfalls war sie bei den Hochzeitsvorbereitungen sehr hilfreich gewesen. Was ihren Vater betraf, so war er völlig aus dem Häuschen über die bevorstehende Verbindung. Er hatte versprochen, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Zum ersten Mal in ihrem Leben schien er wirklich zufrieden mit ihr zu sein. Aber in Wirklichkeit bedeutete ihr nur Antonio etwas. Natürlich hatte sie ihn sehr vermisst, und auch seine zahlreichen Anrufe hatten die Sehnsucht nach ihm nicht stillen können. Sie konnte es kaum noch abwarten, ihn endlich wieder zu sehen. Am Vortag war er aus London eingeflogen. Er hatte bis zur letzten Minute arbeiten müssen, um seinen Stellvertreter in alles einzuweihen. Obwohl er ihr angeboten hatte, gleich zu ihr zu kommen, hatte Paige abgelehnt, denn sie hatte seiner Stimme angehört, wie müde und erschöpft er war. Deshalb hatte sie ihn
gebeten, zuerst in seine Wohnung zu fahren und sich zu erholen, um für die Hochzeit fit zu sein. Ihr gefiel die Vorstellung, dass sie sich erst in der Kirche sehen würden, und zwar um drei Uhr. Sie sollten in der katholischen Kirche am Ort getraut werden, danach gab es einen großen Empfang in der Villa ihres Vaters, Paige hatte anfangs nicht viele Leute einladen wollen, aber ihr Vater hatte auf einer großen Party bestanden, und sie hatte ihm die Freude nicht verderben wollen. Er hatte alle seine Geschäftsfreunde eingeladen und freute sich schon wie ein Schneekönig. Vielleicht liebt er mich ja doch und hat es nur nicht zeigen können, dachte sie. Antonio hatte sich gegen Conrads Wunsch verwehrt, ihnen zur Hochzeit ein Haus zu schenken. Das wollte er selbst tun. Er hatte sein Penthouse bereits zum Verkauf angeboten und die Möbel in ein Lager bringen lassen. Mehrere Makler waren damit beschäftigt, ein passendes Heim für sie zu finden. Paige wollte kein Haus, das allzu groß war. Sie mochte kein Personal. Aber es sollte möglichst am Meer liegen, schon der Kinder wegen. "Du bekommst alles, was du dir wünschst", hatte Antonio ihr versprochen. "Auch einen Hund." In diesem Moment klopfte es an der Tür, und Paige kehrte wieder in die Gegenwart zurück. "Ja?" "Ich bin's, Evelyn. Ich habe Ihnen ein ga nz besonderes Hochzeitsfrühstück gemacht. Kann ich hereinkommen?" "Natürlich. Ich muss sowieso gleich aufstehen." Evelyn betrat lächelnd das Zimmer. "Ist es nicht aufregend?" fragte sie mit leuchtenden Augen. "Ich habe die ganze Nacht kaum ein Auge zugemacht", verkündete Paige und sprang aus dem Bett. "Genau wie ich, meine Liebe."
Paige war kurz vor dem Hochzeitstermin so nervös, dass sie sich hinterher kaum noch an die Zeremonie erinnern konnte. Sie wusste nur noch, wie gut Antonio in seinem schwarzen Anzug ausgesehen hatte. Ihr Kleid hatte viel Bewunderung erregt, obwohl es eigentlich ganz einfach geschnitten war. Es hatte einen weiten Rock und ein enges Oberteil, dazu trug sie lange Handschuhe und einen kleinen Schleier. Ihre einzige Brautjungfer war eine alte Schulfreundin aus dem Internat, mit der sie immer in Verbindung geblieben war. Der andere Trauzeuge war ein Freund von Antonio aus der Firma, den Paige nicht kannte. "Weißt du, was ich mir wünsche?" fragte sie Antonio nach der Trauung. "Dass wir viele gemeinsame Freunde haben werden." Er lächelte ihr zu. "Keine Angst, das wird bestimmt ganz schnell gehen." "Und wie? Ich werde schließlich viel Zeit zu Hause mit den Kindern verbringen." "Ja, aber nicht nur. Ich habe daran schon gedacht. Eine intelligente junge Frau wie du braucht mehr zum Leben als nur Haus und Kinder. Ich wollte dir eigentlich ein Angebot für einen Job machen." "Ach ja? Was denn?" fragte sie interessiert. Das war das Einzige, was sie bisher ein wenig bedauert hatte: ihr rasches Versprechen, nur noch Hausfrau und Mutter zu sein. Denn in Wirklichkeit war sie gern unter Leuten. "Das erzähle ich dir später", sagte er geheimnisvoll. "Warum nicht jetzt?" "Weil ich zuerst mit deinem Vater darüber sprechen muss. Und das möchte ich gern erst nach dem Empfang machen, wenn alle weg sind." "Hat es etwas mit Fortune Productions zu tun?" Er nickte. "Wunderbar! Ich wollte schon immer in der Firma arbeiten."
"Ach ja? Wieso denn das?" fragte er überrascht. "Weil ich gute Ideen für neue Programme habe. Ich habe schon lange den Eindruck, dass Vater nicht mehr ganz auf dem Laufenden ist. Aber ich kenne viele Leute, und ich glaube zu wissen, was sie interessiert." "Das klingt sehr vielversprechend, Liebling." Er beugte sich vor und küsste sie auf die Wange. "W ir werden heute Abend in aller Ruhe darüber sprechen." "Das glaubst du auch nur", antwortete Paige lachend. "Wenn du denkst, dass ich mich in meiner Hochzeitsnacht mit dir über das Geschäft unterhalte, hast du dich geirrt. Wir haben Wichtigeres zu tun." Antonio sah sie gespielt enttäuscht an. "Wirklich?" "Ich bestehe darauf." Beide lachten. Jetzt freute sich Paige noch mehr auf den bevorstehenden Empfang. Evelyn sah die beiden bei der Ankunft. Sie schienen bester Laune zu sein. Es gelang ihr, sich bis zum Ende des Empfangs zurückzuhalten. Dann beobachtete sie, wie Antonio Paige kurz allein ließ, um mit ihrem Vater zu sprechen. Die beiden gingen in Conrads Arbeitszimmer. Wahrscheinlich wollte Antonio sich seinen Vertrag abholen. Die Sache war gelaufen, jetzt konnte er den Preis absahnen. Gespannt sah Evelyn, wie Paige sich auch von ihrer Brautjungfer verabschiedete. Sie sagte ihr, dass sie nach oben gehen und sich umziehen wolle. Das glückliche Paar wollte die Nacht in einem teuren Luxushotel in Sydney verbringen, um dann in die Flitterwochen nach Tasmanien zu fliegen. Danach würden sie Weihnachten wieder in Fortune Hall sein und auch Silvester dort verbringen. Aber Evelyn bezweifelte, dass es dazu noch kommen würde, nachdem sie Paige über den wahren Sachverhalt aufgeklärt hatte. Jetzt schien der richtige Moment dafür gekommen zu sein.
Sie hatte ihre Sachen bereits gepackt, das Kündigungsschreiben steckte in ihrer Tasche. Sie würde es Conrad geben, wenn sie ging. Entschlossen stieg sie die Treppe herauf, und diesmal klopfte sie nicht erst an, als sie Paiges Zimmer betrat. Nur mit einem Slip bekleidet, hatte Paige offensichtlich nicht damit gerechnet, sie errötete. Neidisch betrachtete Evelyn Paiges makellosen jungen Körper, an dem kein Gramm Fett zu viel war. Sie freute sich schon darauf, Paiges Glück zu zerstören. Wochenlang hatte sie auf diesen Moment gewartet, und jetzt war es endlich so weit. "Sie hätten anklopfen können, Evelyn", sagte Paige vorwurfsvoll. Sie griff nach ihrem Morgenmantel und zog ihn sich rasch über. Evelyn betrachtete sie schadenfroh und nickte. "Stimmt", sagte sie und schloss die Tür hinter sich. Paige bemerkte die veränderte Stimmung im Raum sofort. Es schien plötzlich kälter zu werden. "Was ist los?" fragte sie beunruhigt, aber sie ahnte bereits, was vor sich ging. Evelyn war zwar in den letzten Wochen immer sehr nett zu ihr gewesen, aber sie hatte ihr nur etwas vorgemacht. Paige wusste nur nicht, warum. "Was soll schon los sein?" entgegnete die ältere Frau und sah Paige hasserfüllt an. "Alles ist wunderbar. Ich selbst hätte es nicht besser planen können. Ich wusste ja immer, dass Sie ein dummes kleines Ding sind, und heute haben Sie die größte Dummheit Ihres Lebens gemacht." Paige gab sich Mühe, nicht zu reagieren. Diese Genugtuung wollte sie Evelyn nicht verschaffen. "Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen", sagte sie distanziert. "Ach nein? Nun, dann kann ich Sie aufklären. Ihr Ehemann liebt Sie nicht und hat Sie nie geliebt. Wenn Sie die Wahrheit
wissen wollen: Ihr Vater hat ihn erpresst. Antonio hatte gar keine andere Wahl." Paige blickte sie entgeistert an. Das konnte doch nicht wahr sein. Sie wusste, dass er sie liebte. Bestimmt irrte Evelyn sich. "Am Morgen nachdem Sie wieder aufgetaucht sind, hat Ihr Vater ihn hierher zitiert. Heiraten Sie meine Tochter, hat er zu ihm gesagt und ihm versprochen, dass er selbst dann abtreten und Antonio Vorstandsvorsitzender von Fortune Productions werden wird. Er hat sich zuerst dagegen gewehrt." Evelyn lachte. "Natürlich, wer will schon ein Dummchen wie Sie zur Frau - ein Dummchen und eine Hure? Aber dann kam der Clou. Wenn Sie sie nicht heiraten, hat Ihr Vater gesagt, vermähle ich sie mit Brock Masters. Und das hätte das Ende seiner Karriere bedeutet. Es blieb ihm also gar nichts anderes übrig, als einzuwilligen." Paige war total schockiert. Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Sie erinnerte sich noch dunkel daran, dass die beiden Männer damals im Arbeitszimmer gewesen waren. Um was zu besprechen? Eine neue, viel versprechende Fusion ... Plötzlich war ihr alles klar. Diese Fusion war nichts anderes als ihre Verbindung gewesen. "Conrad bestand darauf, dass Antonio sich mit Ihnen verlobte, bevor er nach Europa zurückflog", fuhr Evelyn fort. "Als er ihn fragte, wie er es bewerkstelligen sollte, Sie in so kurzer Zeit zur Heirat zu bewegen, gab ihm Ihr Vater einen guten Rat. Verführen Sie sie, und sagen Sie ihr, dass Sie sie lieben. Wenn das alles nicht funktioniert, sorgen Sie dafür, dass sie schwanger wird!" Paige musste plötzlich an das erste Mal denken, als sie miteinander geschlafen hatten. Antonio hatte kein Kondom dabeigehabt. Das allein war schon ungewöhnlich gewesen. "Aber Sie haben es ihm ja auch nicht besonders schwer gemacht, oder?" fuhr Evelyn gnadenlos fort. "Sie haben sich ihm praktisch in die Arme geworfen. Sie wollten glauben, dass
er Sie liebt. Sie sind auf den Schwindel hereingefallen. Aber es ging ihm gar nicht um Sie, sondern nur um die Firma. In diesem Moment erhält er den Vertrag, der ihn zum Vorstandsvorsitzenden der Firma macht." Sie sah Paige triumphierend an. "So, jetzt wissen Sie endlich Bescheid." Paige hätte ihr so gern widersprochen, hätte ihr gern ins Gesicht geschrien, dass sie sich irre. Aber obwohl es so schrecklich war, spürte sie, dass Evelyn die Wahrheit sagte. "Wie ich Sie kenne", fuhr die Haushälterin verächtlich fort, "haben Sie ja nicht einmal den Mut, es ihm zu sagen. Sie würden lieber den Rest Ihres Lebens bewundernd zu ihm aufsehen, statt ihn mit der Wahrheit zu konfrontieren. Aber das wird nicht mehr so leicht sein. Sie wissen jetzt, dass Ihr Vater Ihnen einen Bräutigam gekauft hat, nur damit er Sie endlich loswird." Paige wusste selbst nicht, wie es ihr gelang, Haltung zu bewahren. Irgendetwas, vielleicht war es ihr Stolz, bewahrte sie davor, vor Evelyns Augen zusammenzubrechen. "Es tut mir Leid, Sie enttäuschen zu müssen, Evelyn", sagte sie kalt. "Sie erzählen mir nichts, was ich nicht schon weiß. Antonio hat mir von dem Handel mit meinem Vater erzählt. Er hat sich trotzdem in mich verliebt. Ob Sie es glauben oder nicht, er hat sogar angeboten, auf den Posten zu verzichten. Aber ich habe ihn darin bestärkt, es nicht zu tun. Deshalb muss ich Sie enttäuschen. Ihr Coup ist misslungen, und Sie haben Ihren Job für nichts und wieder nichts verloren. Oder haben Sie schon Ihr Kündigungsschreiben aufgesetzt?" Paige schien den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben. Evelyn hielt einen Umschlag in den Händen, den sie jetzt nervös zerdrückte. "Sie können es mir geben", sagte Paige und streckte die Hand danach aus. Sie brauchte all ihre Willenskraft, um der anderen Frau nicht zu zeigen, wie sehr sie sie getroffen hatte. "Ich werde
es Vater geben. Ich hoffe nur, Sie erwarten keine Referenzen von uns, denn Sie werden keine bekommen." Evelyn war wie vom Donner gerührt. Aber sie machte einen letzten, schwachen Versuch, sich zu wehren. "Ich ... ich glaube Ihnen nicht, Paige. Das sagen Sie doch nur, um mich zu täuschen. Sie können das alles gar nicht gewusst haben!" "Nein? Ich bin nicht so dumm, wie Sie glauben. Meinen Sie, ich würde nicht wissen, dass Sie damals meinen Hund umgebracht haben?" Die Haushälterin starrte sie mit offenem Mund an. "Zum letzten Mal: Ja, ich habe Antonio immer begehrt, und jetzt habe ich ihn endlich bekommen. Mir ist völlig egal, ob er zu der Hochzeit gezwungen wurde oder nicht. Mein Vater hat mir einen großen Gefallen getan, denn jetzt bin ich Antonios Frau, und ich werde dafür sorgen, dass es auch so bleibt." Sie hob den Kopf und sah Evelyn wütend an. "So, und jetzt verschwinden Sie, bevor ich Antonio hole. Das würde Ihnen gewiss nicht gefallen. Sie hätten sehen sollen, was er mit dem Mann gemacht hat, der mich geschlagen hat." Paige hielt sich so lange aufrecht, bis Evelyn das Zimmer verlassen hatte. Aber kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, sank sie ermattet aufs Bett. Die Enthüllung war wie ein Schlag für sie gewesen und hatte ihr all ihre Kraft genommen. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Immer wieder ging es nur um das eine: Hatte Antonio sie wirklich verraten, oder hatte Evelyn sich das Ganze nur ausgedacht? Sie saß noch immer auf dem Bett, als Antonio plötzlich ins Zimmer stürmte. "Paige! Komm schnell", rief er aufgeregt. "Dein Vater ... Er ist krank geworden." Aber sie blieb sitzen und sah ihn nur an.
"Hast du mich nicht gehört? Dein Vater ... Ich glaube, er hat einen Herzanfall. Er ist plötzlich zusammengebrochen. Ich habe einen Krankenwagen holen lassen. Was ist los mit dir, warum siehst du mich so an? Ist das der Schock? Soll ich Evelyn holen, damit sie dir hilft?" Paige schüttelte den Kopf. "Nein! Auf gar keinen Fall. Evelyn ist... Sie ist weg." Er sah sie verständnislos an. "Was meinst du damit?" "Sie hat uns verlassen. Für immer. Hier ist ihr Kündigungsschreiben." "Aber warum denn, um alles in der Welt? Und warum gerade heute?" Er sah sie besorgt an. "Geht es dir nicht gut?" Paige erhob sich mühsam. "Nein, es ist alles in Ordnung. Hör zu, du gehst jetzt runter und kümmerst dich um Vater. Ich ziehe mich schnell an und bin in ein paar Minuten bei dir." Er schien noch immer verunsichert zu sein, drehte sich dann aber doch um und verließ das Zimmer. Paige hatte das Gefühl, sich mitten in einem Albtraum zu befinden. Als sie endlich fertig war, hatte der Krankenwagen ihren Vater schon ins Krankenhaus gebracht. "Wie ... wie ge ht es ihm denn?" fragte sie mühsam. "Etwas besser", erwiderte Antonio. "Ich wusste ja gar nicht, dass er etwas mit dem Herzen hat. Offen gestanden fühle ich mich ziemlich schuldig. Hoffentlich hat meine Nachricht diesen Anfall nicht ausgelöst." "Welche Nachricht?" fragte Paige. Sie war noch immer sehr blass. "Ich habe ihm meine Kündigung überreicht", sagte Antonio überraschend. "Ich werde nicht mehr für Fortune Productions arbeiten." In diesem Moment erschien der Chauffeur und führte sie zur Limousine. Paige blickte Antonio sprachlos an.
"Aber warum ... warum hast du das getan?" fragte sie schließlich. "Weil ich unabhängig sein möchte", erwiderte Antonio und ließ sich auf dem Rücksitz nieder. "Ich möchte mein eigenes Leben führen - mit meiner Frau und meinen Kindern. Respekt ist das Wichtigste im Leben. Ich möchte mich selbst respektieren können. Und ich möchte, dass du mich respektierst." Er griff nach ihrer Hand und küsste sie. Paige merkte plötzlich, dass sie Tränen in den Augen hatte. Alles, was sie zu Evelyn gesagt hatte, hatte also gestimmt. Antonio liebte sie doch! Jetzt war nur die Frage, ob sie ihm erzählen sollte, dass sie von dem Händel wusste, oder nicht. "Ich mache mir nur Sorgen um deinen Vater", setzte er hinzu. "Die Nachricht hat ihn sehr getroffen." "Seinetwegen brauchst du dir wirklich keine Sorgen zu machen", erwiderte sie. "Er ist unverwüstlich." Sie war noch lange nicht bereit, Conrad zu verzeihen. Er hatte sie verschachern wollen wie einen Gegenstand. Aber Antonio schüttelte den Kopf. "Ich glaube, du tust ihm unrecht. Er liebt dich sehr. Stell dir vor, er hat mir gesagt, wie Leid es ihm tut, dass er bisher so ein schlechter Vater war. Aber er hatte solche Angst, dass du auf die schiefe Bahn geraten könntest. Er meinte, heute wäre der glücklichste Tag seines Lebens gewesen." Diese Nachricht musste Paige erst einmal verdauen. Als sie im Krankenhaus ankamen, stellte sich glücklicherweise heraus, dass die Sache doch nicht so schlimm war. Conrad ging es schon wesentlich besser. Wahrscheinlich war die ganze Aufregung auch für ihn zu viel gewesen. "Tut mir Leid, dass ihr euch meinetwegen Sorgen gemacht habt", sagte er zu seinem neuen Schwiegersohn. "Ja, das sollte es auch", mischte Paige sich ein. Auch sie war froh, dass es ihrem Vater wieder besser ging. "Also werd schnell wieder gesund, und vergiss die Idee mit dem Ruhestand. Du
musst dich um deine Firma kümmern, das kannst du schließlich am besten." "Sieh sie dir an", meinte Conrad lächelnd, "sie ist noch nicht einmal einen Tag verheiratet, und schon glaubt sie, ihrem Vater die Leviten lesen zu können. Ach übrigens, Antonio ... Könntest du mich nicht wenigstens vertreten, bis ich wieder gesund bin?" "Kann Brock Masters das nicht tun?" fragte Antonio. "Brock Masters? Du machst wohl Witze! Stell dir vor, dieser Typ ist mit Drogen erwischt worden. Ich habe sein Kündigungsschreiben bereits aufsetzen lassen." "Gute Idee! Nein, tut mir Leid, Conrad. Sie kennen die Gründe, warum ich nicht in der Firma bleiben kann. Ich habe sie Ihnen vorhin genannt." Resigniert fügte Conrad sich in sein Schicksal. Die beiden Männer lächelten sich an. Er mag ein alter Schurke sein, dachte Antonio. Aber trotzdem verdankte er seinem ehemaligen Boss das Kostbarste in seinem Leben. Auch Paige war inzwischen zu derselben Ansicht gekommen. Als sie am Abend nach einem ausgedehnten Liebesspiel endlich miteinander im Bett lagen, stellte sie Antonio eine wichtige Frage: "Hättest du lieber als Erstes einen Jungen oder ein Mädchen?" Als Julius Richard Scarlatti neun Monate später geboren wurde, waren seine Eltern bereits in ein schönes, geräumiges Haus am Maroubra Beach gezogen. Paige hatte endlich auch einen Hund, einen kleinen Mischling, der ihnen eines Tages am Strand zugelaufen war. Außerdem hatten sie an einer Programmkonzeption gearbeitet, die die romantischsten Ferienhotels Australiens präsentieren sollte. Das war Paiges Idee gewesen. Das Programm wurde ein großer Erfolg, was vor allem den beiden Produzenten zu verdanken war. Auf den Fotos in den
Zeitungen sah man sie die meiste Zeit Händchen halten und miteinander lachen. Alle sagten, dass sie sehr glücklich sein müssten. Und genauso war es auch.
-ENDE