Western-Bestseller Neuauflage der großen Romane des berühmten Autors
G.F. Unger Band 1696
Montana Wade Es war Spätfrü...
59 downloads
931 Views
854KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Western-Bestseller Neuauflage der großen Romane des berühmten Autors
G.F. Unger Band 1696
Montana Wade Es war Spätfrühling, fast schon Sommer, als ich aus den Bitter Roots hinunter zum Missouri kam. Es lag ein guter Jagdwinter hinter mir, und meine drei Packpferde hatten an meiner Pelzausbeute schwer zu tragen ge habt. Über dreitausendfünfhundert Dollar hatte sie mir eingebracht. Dreitausend hatte ich auf meinem Konto gutschreiben lassen. Über fünfhundert trug ich noch bei mir, um sie in Fort Benton auf den Kopf zu hauen. Das hatte ich mir nämlich redlich verdient, so glaubte ich. Auf dem Rückweg zu meinem Tal würde ich dann noch einen Besuch bei den Nez Percé Indianern ma chen. Ich war ja zu einem Viertel einer von ihnen, und wir verstanden uns prächtig miteinander. Nachdem ich also die geschäftlichen Dinge erledigt hatte, schlenderte ich ein Stück am Fluss entlang, um mir das Leben und Treiben dort anzusehen. Plötzlich kam ich an eine Stelle, wo sich eine kleine Menschenmenge um zwei Käfige versammelt hatte, die sich auf zwei Wagen gegenüberstanden. In den Käfigen
befanden sich zwei Hunde. Neugierig ging ich näher. Wie hätte ich ahnen können, dass diese beiden Hunde schon bald mein Leben gewaltsam verändern sollten! Der vorliegende Roman erschien schon einmal in dieser Reihe als Band 1137 und im Unger-Western als Band 971.
In jedem dieser Käfige war also ein Hund oder jedenfalls ein Tier, welches man für einen Hund halten konnte. Und dennoch unterschieden sie sich äußerlich sehr. In dem einen Käfig befand sich ein Prachtexemplar von einem Wolfshund, ein großer und gewiss auch klu ger Bursche, ein Rüde. Ja, ich glaubte sofort, dass er Wolfsblut in den Adern hatte. Ganz ruhig hockte er da und schien die Blicke der Leute nicht zu bemerken und ihre Stimmen nicht zu hö ren. Denn es war ein fortwährendes Stimmengewirr um die beiden Käfige. Ich sah in den anderen Käfig und dachte auch schon: O Himmel, was ist das? Ja, in diesem Käfig war auch ein Hund, aber in ihm waren viele Rassen vertreten. Dieses Tier war für den Kampf gezüchtet. Wahrscheinlich waren seine Väter und Mütter, also seine Vorfahren, Bullterrier, Bluthunde, Wölfe und irgendwelche Rassen anderer Erdteile, die ich nicht kannte. Dieser Bursche da, der immerzu knurrte, sah gefähr lich aus. Und sein Fang ließ gewiss auch im Tode nicht mehr los, was er einmal gepackt hatte. O Hölle, der da war ein Killer! Man sah es ihm an. Und ständig witterte und knurrte er zum anderen Käfig hinüber, so als könnte er es kaum erwarten, dem Artgenossen den Garaus zu machen, ihm also an die Kehle zu gehen und nicht mehr loszulassen. Eine Stimme rief durch das Stimmengewirr: »Also,
Leute, es werden noch Wetten angenommen! Es geht darum, wie lange der Wolf gegen Tigerkiller durchhalten kann. Denn dass er verlieren wird, leuchtet jedem Men schen ein. Aber wie lange hält er durch – eine Minute, zwei, drei, vier, fünf – oder gar zehn? Und für die Einsät ze zahlen wir den Minuten entsprechend. Hält der Wolf also zehn Minuten durch, zahlen wir für einen Dollar zehn. Wer wagt es? Für einen Dollar können Sie zehn be kommen, wenn der Wolf durchhält!« Ich hörte es und wollte es nicht glauben. Aber es war so. Dies hier war eine verdammte Bande. Sie hatte einen Killerhund, den sie Tigerkiller nannten und gegen den kein anderer Hund auf dieser Erde eine Chance besaß. Sie konnten gewiss nirgendwo einen gleichwertigen Gegner finden. Also wurde nur auf die Minuten gewettet, die der Wolfshund noch am Leben blieb und die der ungleiche Kampf dauerte. Ja, der Wolfshund war zum Tode verurteilt. Denn die Bestie würde ihn zerfetzen. Noch niemals in meinem Leben sah ich so einen Hund. Ich konnte mir bis her nicht mal vorstellen, dass es solch einen Hund über haupt gab. Der Wolf tat mir Leid. Ich drängte mich durch die Menge und trat dicht an seinen Käfig. Und als hätte ich leise etwas zu ihm gesagt, wandte er den Kopf und sah mich an. O Himmel, in seinen Augen war ein fast menschlicher Ausdruck. Jedenfalls empfand ich das so. Ich erkannte in seinen Augen Stolz und Mut,
aber zugleich wusste er wohl, dass er zum Tode verur teilt war. Dennoch verlor er nicht seinen Stolz. Er hockte ruhig auf seinem Hinterteil, hatte die Vor derbeine steif am Boden und sah mich ruhig an. Was für ein prächtiger Bursche er war! Er war ein Hund – aber irgendwie kam er mir wie ein Bruder vor. Denn war ich nicht auch einer von der Sorte, die selbst im Angesicht des Todes ihren Stolz und Mut nicht verlie ren würden? Und verdammt allein war er, einsam – nur umgeben von einer gierigen Menge, die Wetten darauf abschloss, in welcher Minute ihn der Tigerkiller erledigt haben wür de. Verdammt, dachte ich, das lasse ich nicht zu. Immer noch sah ich in seine Augen, und es war mir, als veränderten sie ihren Ausdruck. Sollte er tatsächlich irgendwie spüren, dass er nun nicht mehr allein war in seiner Not? Ich sah mich endlich nach den Kerlen um, die dieses schmutzige Wettgeschäft betrieben. Zwei waren Brüder, vielleicht sogar Zwillingsbrüder, jedenfalls sahen sie so aus. Sie waren dunkel wie ich, in dianerhaft, und wahrscheinlich hatten sie sogar Indianer blut in sich. Doch weil sie böse waren, überwog das In dianerblut gewiss nicht in ihnen. Denn Indianer sind nie mals böse gegen Tiere, ja, sie achten sogar die Pflanzen als gleichberechtigte Lebewesen in ihrer Welt. Der dritte Mann war von einer anderen Sorte. Er war
blond, löwenhaft, ein Riese, aber dabei geschmeidig. Wahrscheinlich war er ein ehemaliger Preiskämpfer. Denn in seinem Gesicht waren die Narben harter Fäuste. Dieser Mann trat zu mir und fragte: »Wollen Sie auch auf ihn setzen? Sie haben ihn soeben genau geprüft, nicht wahr? Wird er zehn Minuten durchhalten?« Ich schüttelte nur den Kopf, wandte mich ab und ging. O ja, ich hatte noch Zeit. Der Hundekampf sollte erst nach Mitternacht bei Feu erschein stattfinden. Die drei Kerle, die ihn veranstalte ten, wollten ja noch viele Wetten annehmen. Und es soll te sich ja auch noch herumsprechen in Fort Benton. Ich sah im Weggehen noch einmal auf den Wolfshund. Und ich dachte dabei: Wolf, ich werde dir helfen. Dich bringt dieser Tigerkiller nicht um. Dafür sorge ich. Ich ging davon. Als ich mich durch die Menge drängte, hörte ich einen der Neugierigen sagen: »Das ist Duke McCabe mit den Cheyenne-Brüdern. Der war mal der große Champ zwi schen New Orleans und Saint Louis. Der schlug sie alle. Doch er zerschlug sich dabei die Fäuste. Nun lässt er einen Killerhund für sich kämpfen.« Ich wusste nun sogar schon ihre Namen. Der blonde Hurensohn war ein gewisser Duke McCabe. Die beiden indianerhaften Burschen waren die Cheyenne-Brüder. Aber was sind schon Namen? Wenn ich diesen Wolf erst befreit hatte, würde ich mich auf die Socken machen. Und niemand würde mich finden können in meinem verborgenen Tal.
O ja, ich wusste genau, dass ich diesen drei Hurensöh nen ein großes Geschäft vermasseln würde – auch, dass sie gefährlich waren. Aber wenn ich erst in meinem Jagdgebiet war – falls sie überhaupt den Versuch machen sollten, mir zu folgen und sich an mir zu rächen –, würde ich mich gegen jeden Feind behaupten können. Ich ging also, um Vorräte zu kaufen, die Packtiere zu beladen und dann abzuwarten, bis es Nacht wurde. Denn vorher konnte ich nichts unternehmen. Der Tag verging für mich wie im Flug, aber ich hatte ja auch eine Menge zu tun mit meinen Einkäufen. Denn auch Geschenke kaufte ich für meine entfernten Ver wandten im Indianerdorf der Nez Percés, dessen Häupt ling der Sohn meiner Großmutter war, also der Bruder meiner Mutter und somit mein Onkel. Meine Mutter war einst das schönste Mädchen der Nez Percés, doch vom zweiten Mann meiner Großmutter, einem Trapper fran zösischer Herkunft. Mein Vater jedoch war ein Ire. Und deshalb hieß ich ja auch Mahoney, Wade Mahoney. Nun, als es Nacht geworden war, ließ ich meine vier Pferde fertig zum Abritt im Hof der Handelsagentur von French Pete Laquer stehen und machte mich auf den Weg. Es war etwa zwei Stunden vor Mitternacht, und dort, wo der Hundekampf stattfinden sollte, war es noch ru hig. Einige Gruppen lagerten in der Nähe. Man hatte einen kreisrunden Zaun errichtet. Der Durchmesser des Zaunkreises betrug etwa sechs Yards. Innerhalb dieses
Kreises sollte der Hundekampf stattfinden. Man würde Feuer anzünden, aber es waren auch Lei nen ausgespannt, an denen Lampen hingen, hoch über den Köpfen der zu erwartenden Zuschauer, Karbidlam pen, wie man sie auch auf den Schiffen verwandte. Als ich mich den beiden Käfigen näherte, begann die ser Tigerkiller in seinem Zwinger sofort böse zu knurren, so als ahnte er schon, dass ich ihn um seinen »Spaß« brin gen wollte und als könnte er mich als seinen Feind wit tern. Der andere Hund dagegen, den ich in meinen Gedan ken immer nur Wolf nannte, verhielt sich still. Ich konnte diesen Tigerkiller nur undeutlich sehen, doch weil ich ihn ja schon bei Tageslicht gesehen hatte, vermochte ich ihn mir gut vorzustellen. Nun, er knurrte also böse, und gewiss hatte er auch seinen fürchterlichen Fang geöffnet, war bereit zum blitz schnellen Zuschnappen. Ich kümmerte mich nicht um sein Knurren, sondern trat zu dem anderen Käfig, der sich auf der Plattform des zweiten Wagens befand. Plötzlich tauchte eine lautlose Gestalt wie ein Geist ne ben mir auf. Aber es war kein Geist, sondern ein Chinese. Ich erkannte es im schwachen Lichtschein, der von den Schiffen, aus der Stadt und von den Gestirnen am Him mel herrührte. Denn die Feuer und die Karbidlampen, die den Kampfplatz erhellen würden, waren noch nicht angezün det.
Er sagte scharf: »Halt! Weg von hiel! Hiel dülfen Sie nicht sein! Was wollen Sie übelhaupt?« »Aaah, mein lieber Freund«, erwiderte ich, »die Neu gierde trieb mich her. Sind Sie vielleicht der Besitzer ei nes der beiden Hunde? Gehört der Wolf Ihnen?« »Nein«, erwiderte der bullige Chinese. »Ich bin del Boss von Tigelkillel-Dog. Ich blachte ihn aus China mit. El wal ein Pilatenhund.« Nun staunte ich. »Ein Piratenhund?« So fragte ich. »Yes, ein Pilatenhund«, bestätigte er. »China-Pilaten züchten solche Killel-Dogs. Sie nehmen sie mit, wenn sie an Land gehen, um Städte zu elobeln. Killel-Dogs kämp fen fulchtbal gut.« Nun wusste ich es endlich genau. Dieser Hund war ein Piratenhund, eine böse Kampf maschine, welche von den Piraten des Chinesischen Mee res mitgenommen wurden, wenn sie an Land gingen, um dort wie die alten Wikinger zu plündern, zu brandschat zen, Frauen zu rauben und dergleichen mehr zu tun. Was gab es nicht alles auf unserer Erde! Aber ich staunte nicht lange, sondern fragte weiter: »Und dieser Wolf hier – hat er überhaupt eine Chance?« »Keine«, erwiderte der Chinese stolz. »Vielleicht übel steht el einige Minuten.« Ich hatte nun alles gehört. Nun waren meine letzten Zweifel beseitigt. Dieser bullige Chinese war nicht das, was man einen gelben Gentleman nennen konnte. Und so gab ich es ihm.
Zuerst knallte ich ihm die Linke auf die Leber und zog die Rechte als Aufwärtshaken hoch, traf präzise sein Kinn. Aber er war ein harter Bursche – vielleicht selbst ein ehemaliger Pirat der Chinaküste – und hatte schon eine ganze Menge Kämpfe hinter sich und dabei alle nur möglichen Tricks gelernt. Er taumelte nur zwei halbe Schritte zurück. Auch ver daute er den Leberhaken unwahrscheinlich gut. Sein Bein knickte nicht weg, wie ich gehofft hatte. Er knurrte nun fast wie sein verdammter Hund, als er sich gegen mich warf. Aber das war sein Fehler, denn ich glitt so weit zu rück, als er gegen mich hechtete und seine Arme um mei ne Kniekehlen zu schlingen versuchte, dass ihn mein hochgerissenes Knie nochmals unters Kinn traf. Ich brach ihm fast das Genick, so sehr stieß ihm mein Knie den Kopf in den Nacken. Nun fiel er auf den Rücken, breitete Arme und Beine aus und rührte sich nicht mehr. Ich schnaufte nur wenig, trat an den Käfig, schob dort den Riegel zurück und öff nete die Gittertür. »Na, dann komm, Wolf«, flüsterte ich, »komm in die Freiheit. Du wirst dich darin gewiss gut behaupten. Und traue keinem Menschen mehr. Komm schon, mein Jun ge.« Ich trat zurück. Und er glitt aus dem Käfig und verschwand wie ein Schatten in der Nacht. O ja, er war ein kluger Bursche. Er floh gewiss nicht aus Feigheit, sondern weil er zu klug
war, um den Helden zu spielen. Eine Stimme rief: »He, was ist da los? Yellow Joe, was ist da los?« Aber ich gab ihm keine Antwort. Auch ich glitt davon. Denn jetzt wurde es Zeit für mich. Ich hatte die Chey enne-Brüder und diesen Duke McCabe gesehen und wusste, sie waren eine üble Bande mit diesem Chinesen, welcher wahrscheinlich der einzige Mensch war, der mit Tigerkiller zurechtkommen konnte. Vielleicht hatte er ihn großgezogen und trainiert und wollte nun mit ihm die Welt erobern. Ich hörte immer lauter werdende Rufe und böses Ge brüll, indes ich am Ufer entlang lief und bald die bei den Schiffen wartenden Frachtwagen erreichte. Sie gaben mir Deckung. Wenige Minuten später saß ich im Hof der Handels agentur im Sattel meines wunderschönen Appaloosas, nahm die Leine mit meinen drei Packpferden in die Lin ke und ritt davon. Mein Appaloosa schnaubte zufrieden. Denn er wusste, es ging wieder in seine alte Heimat. Denn das war das Nez-Percé-Land für alle Appaloosas. * Ich ritt am Fluss entlang nach Westen, aber westlich der Großen Fälle würde ich den Fluss überqueren müssen, denn er kam ja aus dem Three-Forks-Land, also aus dem Süden, machte einen mächtigen Bogen im Norden, um
dann noch gewaltiger wieder nach Süden zu fließen, wo bei er stets ein wenig nach Osten tendierte. Nun gut, ich ritt also in den Morgen hinein, der um diese Jahreszeit sehr früh kam. Und weil das Land und der Fluss ja Gefälle hatten, konnte ich weit auf meiner Fährte zurückblicken, denn diese lag ja stets tiefer, so oft ich mich umwandte. Ich war recht froh, ohne weiteren Verdruss wegge kommen zu sein. Als ich mich wieder einmal umsah, da dachte ich an den Wolfshund, den ich Wolf getauft und dem ich die Freiheit geschenkt hatte. Wohin mochte er wohl gelaufen sein? Und wie mochte es ihm nun ergehen in der Frei heit? Eigentlich machte ich mir keine großen Sorgen um ihn. Ich traute ihm zu, dass er sich von der Jagd ernähren konnte und keinen Menschen brauchte. Wem mochte er wohl gehört haben? Hatte er seinen Herrn verloren? War er verkauft worden? Ich hätte es gerne gewusst. Doch si cherlich würde ich das nie erfahren. Auf jeden Fall war er jetzt frei. Und die Freiheit zählt mehr als alles andere. O ja, ich glaubte, dass es dem Wolf nun prächtig ging. Im nächsten Moment sah ich ihn. Tatsächlich, da kam er auf meiner Fährte! Himmel, er war zwar in der Nacht verschwunden, als ich ihn aus dem Käfig entkommen ließ. Doch dann muss te er mir gefolgt sein. Er musste meinen Abritt aus dem Hof der Handelsagentur beobachtet haben, sodass er der Fährte meiner Pferde folgen konnte. Oha, was war er doch für ein kluger Bursche.
Er war mir gefolgt, so als wollte er, dass wir in Zu kunft zusammen unserer Wege ziehen würden. Oder warum sonst kam er auf meiner Fährte? Ich wartete im Sattel, bis er herangetrottet war und sich keine fünf Yards entfernt auf seine Hinterbacken setzte, die Vorderbeine steif einstemmte und zu mir hochblickte. »Hey, Wolf«, sprach ich zu ihm. »Da bist du ja. Dir macht es wohl keinen Spaß allein – oder? Aber ich warne dich. Dort, wo ich hinreite, da gibt es ein paar Dutzend Hunde jeder Sorte. Kennst du die Hunde eines Indianer dorfes? Die beißen alles, was nicht zu ihnen gehört. Du wirst durch viele Kämpfe gehen müssen, bis sie dich re spektieren. Aber keiner wird dich umbringen wollen so wie dieser Tigerkiller. Die wollen nur herausfinden, auf welchen Platz in der Rangordnung du deinen Anspruch geltend machst. Ja, komm mit, mein Junge, wenn du möchtest. Denn du gefällst mir.« Er ließ ein freundliches Winseln hören. Ja, es war un verkennbar ein Laut der Freude. Er schien den Sinn mei ner Worte verstanden zu haben. Als ich wieder anritt, trabte er neben meinem prächti gen Appaloosa und witterte zu mir hoch. Ich sah in seine Augen, und ich wusste, wir würden miteinander eine wunderbare Freundschaft haben, so wie sie zwischen ei nem Mann und einem Hund einfach einmalig ist. Denn auch ein Hund hat ein Herz. Warum soll nicht auch er eine Seele haben? Wir blieben den ganzen Tag in Bewegung. Ich war gu
ter Laune. Immer wieder sprach ich zu Wolf. Als es fast schon Abend war, da sagte ich vom Pferd herunter: »Eines wollen wir gleich klarstellen, mein Gu ter. Wenn wir unterwegs sind, musst du dir selbst etwas erjagen. Das gehört zu deiner Freiheit. Also lauf und schnapp dir irgendwo dein Abendbrot. Denn ich werde heute Fisch essen. Ich glaube nicht, dass dir Fische schmecken – oder?« Es war wie ein Wunder. Er konnte meine Worte nicht verstehen, denn dann hätte er ja die Menschensprache beherrschen müssen. Und dennoch schien er den Sinn meiner Worte zu begreifen. Denn er verschwand plötzlich in den Büschen. Ich aber ritt weiter, denn ich kannte einen guten Lagerplatz weiter stromaufwärts in Richtung der Großen Fälle. Dort konnte ich mir leicht ein paar Fische fangen. Als ich über einen Felsenrücken ritt, hielt ich oben mit meinen drei Packtieren noch einmal an und blickte zu rück. Von Wolf war nichts zu sehen. Der jagte irgendwo in den Uferbüschen. Ich aber sah plötzlich etwas und konnte es nicht glau ben. Ich wischte mir sogar über Stirn und Augen, so als könnte ich auf diese Art wieder aus einem Traum in die Wirklichkeit gelangen. Doch was ich gesehen hatte, war immer noch vorhan den. Es war Tigerkiller. Und er kam wahrscheinlich nicht auf meiner, sondern auf der Fährte des von mir befreiten Wolfshundes. An
ders konnte es nicht sein. Ich fluchte bitter und holte mit einem schnellen Zu griff meine Sharps aus dem Scabbard. Denn eins war mir sofort klar: Dieses Ungeheuer von einem Hund musste ich abschießen. Aber war dieses von verantwortungslosen Menschen irgendwo auf dieser Erde gezüchtete Tier überhaupt ein Hund? Er sah aus wie ein riesengroßer, gefleckter und sich leicht bewegen der Hund. Aber war er es wirklich? Dieser Tigerkiller mochte um die hundert Pfund wiegen. Jetzt kam er schnüffelnd auf unserer Fährte. Wo waren seine Besitzer, diese verdammte Bande, die ihm gewiss überall schon Hunde zum Töten überließ? War er ihnen weggelaufen, weil sein ganzer Instinkt auf Wolf ausgerichtet war – oder folgten sie ihm wie die Jä ger ihrem Bluthund? Wie es auch sein mochte, ich musste ihn abschießen. Die Entfernung betrug noch etwa zweihundert Yards, als ich meine schwere Sharps abfeuerte. Es war für mich und meinen Büffel- und Bärentöter keine besondere Ent fernung. Ich war mir meines Schusses völlig sicher. Der Pulverdampf nahm mir dann ein wenig die Sicht, doch ich war fest davon überzeugt, dass ich getroffen hatte. Von Tigerkiller war nichts mehr zu sehen. Er lag jetzt gewiss im fast kniehohen Gras und dem Buschzeug. Ich glaubte sogar seinen gescheckten Körper zwischen Grä sern und Gebüsch erkennen zu können. Ja, dort musste er liegen. Einen Moment lang war ich versucht, hinzureiten und
nachzusehen. Aber dann ließ ich es bleiben. Denn ich war völlig sicher, getroffen zu haben. Es gab wenig später – indes ich noch zögernd verharr te – noch einen zweiten Grund zum Abhauen. Reiter kamen auf der Fährte des Tigerkiller-Dogs. Sie tauchten ganz plötzlich hinter einer kleine Waldinsel auf, und natürlich hatten sie das Krachen meiner Sharps ge hört. Das Krachen war in diesem Land meilenweit zu hö ren – fast wie der Donner nach einem Blitz. O verdammt, das waren sie. Ja, da kamen die Chey enne-Brüder, Duke McCabe und auch dieser Yellow Joe. So hatte ja einer den Chinesen gerufen. Sie ritten also hinter Tigerkiller her. War er ihnen nur weggelaufen, weil er sich Wolf schnappen wollte? Mussten sie ihm folgen, weil er für sie so wertvoll war? Oder hatten sie es auf den Mann abge sehen, der Wolf befreit hatte? Wie es auch sein mochte, sie waren hinter mir und Wolf her. Vielleicht glaubten sie, dass dies nur eine kurze Jagd sein würde. Doch nun waren sie schon eine halbe Nacht und fast einen Tag auf der Fährte, ein Zeichen, wie zäh sie waren und dass sie so schnell nicht aufgaben. Doch jetzt hatten sie verloren. Denn ich hatte ihnen dieses verdammte Ungeheuer von Hund abgeschossen und würde ihnen in der bald einsetzenden Nacht entkommen. Sie hatten verloren, so glaubte ich. Und deshalb zog ich mein Pferd herum, nahm wieder
die Leine meiner Packtiere und ließ sie traben. Mein Vor sprung betrug etwa eine halbe Meile. Sie würden bald bei ihrem toten Tigerkiller-Dog ankommen und erst ein mal anhalten. Ohne ihn würden sie meiner Fährte nicht mehr lange folgen können. Denn bald war es Nacht. Ich machte mir keine Sorgen mehr. Nur den schönen Rastplatz am Fluss würde ich nicht aufsuchen können, um dort Fische zu fangen und diese an Stecken über der Glut des Feuers zu braten. Ich muss te in der Nacht erst noch einige Meilen reiten. Irgendwann in der Nacht dann hörte ich das gewaltige Rauschen der Großen Fälle. Und hier leuchteten Feuer in der Nacht. Ich wusste sofort, was es für Feuer waren, nämlich die eines Wagenzuges, der Fracht von Fort Ben ton in die Goldfundgebiete brachte, zu den Campstädten, die dort nach den ersten Funden wie Pilzkolonien aus dem Boden schossen. Zehntausende von Glücksjägern lebten dort, und es kamen auf dem Landweg von Laramie und auf dem Flussweg nach Fort Benton und von dort über Land im mer mehr hinzu. Ich mied diese Menschen, und so ritt ich an den Feuern vorbei bis zu jener Furt, die ich gut genug kannte, um auch bei Nacht überzusetzen. Es war nicht einfach in der Nacht, obwohl diese hell geworden war mit einem Silbermond und Milliarden funkelnder Sterne. Aber es war eine gute Furt. Meine Pferde mussten nicht schwimmen. Das wäre ih nen mit den Packlasten auch fast unmöglich gewesen. Wir kamen gut auf die andere Seite.
Und als wir drüben verschnauften, da kam noch je mand. Es war Wolf. Als er sich neben uns die Nässe aus dem Fell schüttel te, da begrüßte ich ihn mit den Worten: »He, da bist du ja. Hattest du ein gutes Abendessen?« Er stieß ein freundliches Winseln aus. Ich saß ab, denn nun wurde es endlich Zeit, das Camp aufzuschlagen. Mein Magen knurrte. Da ich hier gewiss keinen Fisch fangen konnte, würde ich mir Pfannkuchen mit Speck braten. Es war dann schon nach Mitternacht, als ich meine Pferde abgeladen, versorgt und endlich mein Essen zube reitet hatte. Wolf hockte mir gegenüber und leckte sich fortwäh rend die Schnauze. Ich sah ihm an, dass er etwas abha ben wollte. Deshalb sagte ich: »Pass auf, ich erkläre es dir noch mal, mein Junge. Du musst dir dein Fressen selbst erja gen. Denn du bist gewiss kein Haushund. Das Land ist groß und weit, und überall findest du Beute. Von mir gibt’s nichts. Verstanden? Betrachte mich nicht als deinen Ernährer, so als wärest du ein degenerierter Köter in der Stadt. Du bist frei. Also versorge dich selbst. Hast du das kapiert?« Ich sprach freundlich zu ihm, nicht abweisend oder gar böse. Aber er begriff offenbar, dass er nichts bekom men würde. Und so zog er sich ein Stück zurück bis au ßerhalb des Feuerscheins. Dort rollte er sich zusammen
und bedeckte wie ein Schlittenhund im Schnee seine Schnauze mit dem Schwanz. Ich hockte nicht mehr lange am Feuer, denn die Nacht wurde kühl. Ich aß meinen letzten Bissen, leerte auch den letzten Rest des Kaffees aus dem Blechbecher und ging mit dem Geschirr hinunter zum Wasser, um es zu reinigen. Als ich am Rande des Wassers kauerte und mit Sand die Pfanne, die Kaffeekanne und den Blechbecher wusch, da witterte ich hinüber auf die andere Seite. Der Missouri war hier nicht so breit wie unterhalb der Fälle, aber es waren immer noch an die hundert Yards bis auf die andere Seite, wo etwas unterhalb die Feuer des Wagenzuges brannten. Ich dachte an die vier Verfolger und auch an Tigerkil ler. Hatte ich ihn wirklich erledigt oder nur angeschos sen? Das war die Frage. Und die zweite Frage war: Waren sie umgekehrt oder wollten sie nun erst recht Rache an mir nehmen? Denn es war ja so, dass ich ihnen mit dem Tod des Killerhundes eine Menge Schaden zugefügt hatte. Ja, sie würden meinen Skalp haben wollen. Ich hatte mein Geschirr nun sauber und erhob mich aus der Hocke. Und da hörte ich es durch das Rauschen des Flusses. Es war ein Geheul, fast wie ein Wolfsgeheul, aber den noch anders. Es war auch nicht das Geheul eines Hun des, denn es klang sehr viel böser, wilder. Es war das Ge heul eines bösen Lebewesens voller Wut und Angriffs
lust. Ich wusste mit untrüglicher Sicherheit sofort, wer da drüben auf der anderen Flussseite heulte. Tigerkiller! Dieser verdammte Hund, der vielleicht gar kein richti ger Hund war, sondern nur etwas Hundeblut in den Adern hatte, der heulte irgendwo dort drüben. Also hatte ich ihn nicht getötet, vielleicht nur angeschossen. Er war dann im hohen Gras und in den Büschen liegen geblie ben. Also musste er instinkthaft schlau sein. Verdammt, er lebte also noch! Und er hatte meine Fährte nicht verloren. Wolf stand plötzlich neben mir und witterte wie ich hinüber. Ich sah, dass er am ganzen Körper vibrierte und seine Nackenhaare sich sträubten. Aus seiner Kehle kam ein heiseres Knurren. Ich sah zu ihm nieder und sagte: »Beim nächsten Mal treffe ich besser. Er soll nur kommen.« Sollte ich meine Pferde wieder beladen und die Flucht ergreifen? Ich dachte nicht daran. Denn ich war Montana Wade Mahoney, ein Bergläufer und Trapper, der schon mit Grizzlys gekämpft hatte. Ich würde mich doch nicht vor einem Hund fürchten. Und die vier Reiter konnten in der Nacht meiner Fähr te nicht gefolgt sein. Der Hund war ihnen weit vorausge laufen. Ich ging zu meinen Decken und legte mich lang, den Revolver griffbereit neben mir. Das Feuer erlosch lang
sam. Wolf legte sich neben mich. Ich wusste, er würde diesen Killer-Dog wittern, bevor dieser bei uns war. Oho, er sollte nur kommen! * Etwa vier Stunden später graute der Tag, und so erhob ich mich. Wolf hockte unten am Ufer und witterte hinüber. Of fenbar befand sich dieser Tigerkiller noch drüben. Viel leicht war er zu müde. Oder ich hatte ihn doch so ver wundet, dass er sich ausruhen musste. Es konnte aber auch sein, dass er auf seinen Herrn, den Chinesen, und die drei anderen Reiter wartete. Ich belud meine Pferde, sattelte den Appaloosa und saß auf. »Na komm, Wolf«, sprach ich vom Pferd zum Fluss hinunter. Wolf wandte sich mir sofort zu. Ich wusste, er hatte für mich Wache gehalten. Vielleicht konnte er seinen großen Feind drüben sogar wittern. Denn der Wind kam von dort. Ich war noch keine Viertelmeile fort, da hörte ich wie der das Geheul. Es war schaurig, böse, hassvoll und wild. Was war das für ein Spiel! Wolf blieb zwei oder drei Meilen lang bei mir und den Pferden. Dann verschwand er in einem Waldstück. Ich wusste, er war jetzt auf der Jagd nach Beute. Ich blieb bis gegen Mittag im Sattel und ritt dann über eine kleine
Ebene von etwa drei Meilen und zu einem Hügelsattel hinauf. Hier endlich hielt ich an. Meine Pferde – besonders die Packtiere – brauchten eine Rast. Unter einem mächtigen Baum, welcher den Rauch meines Feuers sozusagen filterte und nicht sichtbar zum Himmel steigen ließ, machte ich ein Kochfeuer an. Aber immerzu beobachtete ich von meinem Lager platz die Fährte. Ich hatte unterwegs in einem Bach einige Forellen ge griffen, so wie ich es schon als kleiner Junge bei den In dianern lernte, mit denen mein Vater Handel trieb. Nun briet ich die Fische. Als ich den dritten Fisch aß, sah ich Wolf über die Ebe ne trotten. Ich nahm mein Fernrohr, zog es aus und hielt es an mein rechtes Auge. Die Entfernung betrug etwa zwei Meilen. Manchmal verschwand Wolf im tiefen Gras oder zwischen Büschen. Doch immer wieder tauchte er auf. Plötzlich aber veränderte er sein Verhalten und suchte sich da und dort erhöhte Plätze, also Bodenwellen, Fel senrücken und einmal einen umgefallenen Baum. Er witterte und starrte dorthin zurück, von wo er auf getaucht war. Ich richtete nun mein Fernrohr weit genug auf die Ge gend hinter ihm, und da sah ich das gefleckte Ungeheu er, das ein Hund sein sollte und so böse heulen konnte. Einige Male sah ich ihn ohne Deckung und vermochte zu erkennen, dass er nur mühsam lief und leicht hinkte.
Er war also doch angeschossen worden von mir. Wolf brauchte ihn vorerst nicht zu fürchten, denn er war sehr viel schneller auf seinen Pfoten als unser Verfolger. Ja, es war ein unbeirrbarer, sturer Verfolger, so als hät te ihn sein Herr, der Chinese, hypnotisiert. Er folgte uns wie ein unabänderliches Schicksal. Irgendwie spürte ich, dass dieses Wesen nicht mit all gemein gültigen Maßstäben zu messen war. Ich nahm meine Sharps auf und machte sie fertig für einen Weitschuss. Dann erhob ich mich, trat hinter einen Baum und fand eine Astgabel, sodass ich stehend aufge legt schießen konnte. Dennoch war ich nicht sicher, ob er nahe genug heran kommen würde. Ich kannte seinen feinen Instinkt. Er würde ihn warnen. Und vielleicht sah er auch besser als alle anderen Hunderassen. Wolf trabte nun näher und näher. Tigerkiller aber folg te Wolf im Abstand von mehr als dreihundert Yards. Ich wartete mit der Geduld eines erfahrenen Jägers. Wenn er mir näher als vierhundert Yards kommen sollte, würde ich ihn diesmal voll erwischen. Dann war Wolf bei mir auf dem Hügelsattel. Er stieß ein warnendes Winseln aus. Deshalb sagte ich schnell: »Schon gut, schon gut. Ich habe ihn bereits gesehen.« Dann warteten wir auf Tigerkiller. Aber bald hielt er an. Nun war er gut zu erkennen, doch die Entfernung zwischen ihm und uns betrug mehr als vierhundert Yards. Ich konnte ihn also mit der Sharps nicht mit Sicherheit erreichen. Sein Instinkt hatte ihn
rechtzeitig innehalten lassen. Und so verharrte er auf einem Felsenrücken wie ein Denkmal und witterte in unsere Richtung. Ja, er war gut zu erkennen und so verdammt schlau. Ich wusste, er würde nicht näher kommen. Erst wenn wir wieder unterwegs waren, würde er uns folgen. Und hinter ihm würden gewiss bald sein Herr und die drei anderen Männer auftauchen. Diese Jagd war wahr scheinlich für sie zu einer Herausforderung geworden. Was also sollte ich tun? Ich wusste nun, dass Tigerkiller einen ganz besonde ren Instinkt für lauernde Gefahr hatte, also mich selbst dann wittern würde, wenn ich verborgen in einem Hin terhalt lag. Dies schien unmöglich zu sein, aber dennoch glaubte ich es, traute es ihm zu. Ich beschloss nun, doch einen Schuss zu wagen, ob wohl es eigentlich unmöglich war, ihn auf diese Entfer nung zu treffen. Das Visier konnte ich nicht mehr auf eine weitere Ent fernung einstellen, musste praktisch nach Gefühl schie ßen. Ich tat es, betätigte den Abzug und behielt dabei das Zielfernrohr – es war ein Fabrikat aus Germany – im Auge. Oho, ich sah meine Kugel dicht vor seinen Vorderpfo ten in den Felsrücken einschlagen. Steinsplitter spritzten hoch und verletzten ihn, indes er sich fast nach hinten überschlug, so heftig reagierte er. Ja, er machte fast einen Salto nach hinten.
Ich grinste zufrieden und knurrte: »Da habe ich dich wohl mächtig erschreckt, du verdammter Hurensohn. Jetzt wirst du uns wohl noch etwas mehr von der Pelle bleiben.« Ich hatte kaum ausgesprochen, da hörten wir ihn wie der böse und wild heulen. Wolf knurrte neben mir, und ich sah, wie sich seine Nackenhaare sträubten und er am ganzen Körper vibrierte. Ich saß wieder auf, schob die Sharps in den Scabbard, nahm die Leine meiner Packpferde und machte mich wieder auf den Weg. * Der Tag verging. Ich blieb mit meinen drei Pferden in Be wegung, zog Meile um Meile meinem fernen Ziel entge gen. Wolf verschwand manchmal, aber er tauchte immer wieder auf und begleitete mich. Der Tag ging dem Ende zu. Zweimal legte ich mich unterwegs auf die Lauer, stets oben auf Berg- oder Hü gelsätteln, die nicht zu umgehen waren. Und immer sah ich ihn auftauchen in weiter Entfernung. Mit meinem Fernrohr bekam ich ihn deutlich zu sehen, denn es hatte eine sechsfache Vergrößerung. Er hinkte stärker als am Morgen oder Mittag. Ja, er war ziemlich am Ende seiner Zähigkeit und würde bald eine längere Pause benötigen. Ich musste mit meinen Tie ren nur in Bewegung bleiben, so erschöpft sie auch sein mochten.
Als ich gegen Abend das zweite Mal auf ihn lauerte, sah ich später, als die Dämmerung die Sicht schon zu be einträchtigen begann, die vier Reiter kommen. Ja, sie folgten ihm immer noch. Er war ja zu wertvoll für sie. Und gewiss wollten sie immer noch Rache. Doch nun konnte er wohl bald nicht mehr. Seine Ver wundung musste sich verschlimmert haben. Ich machte mich in der einsetzenden Dämmerung wie der auf den Weg und durchfurtete den Kanasca Creek. Es war ein wilder Creek. Selbst hier bei der Furt war die Strömung so stark, dass sich die schwer beladenen Pfer de auf dem grobkiesigen Grund kaum auf den Hufen halten konnten. Dieser Höllenhund würde schwimmen müssen und abgetrieben werden. Er würde es in der Nacht nicht wagen, zu mir auf mei ne Seite zu kommen. Ich ritt nur noch eine Viertelmeile und bezog dann mein Camp. Wolf war bei mir. In dieser Nacht hörte ich Tigerkiller nicht heulen. Wahrscheinlich konnte er nicht mehr laufen, sondern war zurückgeblieben, um erst mal seine Wunden zu le cken. Und wenn das so war, dann mussten auch die vier Reiter bei ihm angelangt sein. Sie würden seine Wunde versorgen – und vielleicht mit ihm umkehren. Ja, das hoffte ich sehr. Am anderen Morgen brach ich nach einem Frühstück auf. Immer wieder beobachtete ich Wolf und konnte er
kennen, wie sehr er nach allen Seiten witterte. Doch of fenbar gab es keine Gefahr mehr. Wir brachen auf, und in drei oder vier Tagen würden wir im Nez-Percé-Dorf von Jacomo sein. So hatten ihn mal die weißen Padres getauft. Aber sein Nez-PercéName war »Gewaltiger Donner«. * Das Sommerdorf der Nez Percés lag in einem weiten Hochtal, zu dem einige Canyons und Schluchten aus Ne bentälern führten. In etwa zwei Monaten würde das Dorf auf die Wan derschaft gehen, nämlich aus den Bergen hinunter auf die Prärie ziehen, um dort die nötige Menge Büffel für den Winter zu jagen. Denn obwohl es in diesem Land reichlich Wild gab – Rehe, Hirsche, Elche, Bären, Berg schafe und Bergziegen –, auch reichlich Fische in allen Gewässern, brauchten die Nez Percés die Häute des Büf fels, sein Fleisch und überhaupt alles von ihm. Aber noch war es nicht so weit, dass sie aus den Bitter Roots zur Prärie im Osten zogen, um Pte, den Büffel, zu jagen. Als ich mich am vierten Tag dem Dorf näherte, hatte ich Tigerkiller und dessen vier Besitzer oder Begleiter schon fast vergessen. Denn ich hatte ihn nicht mehr auf unserer Fährte gesichtet, auch nicht wieder heulen ge hört. Ich sah von meinem Pferd auf Wolf nieder und sprach
zu ihm: »Jetzt pass gut auf, mein Freund, gleich wird die ganze Hundeschar des Dorfes ankommen, um dich un freundlich zu begrüßen. Denn für sie bist du erst mal ein Eindringling. Also, mein Freund, lass dir nichts gefallen. Zeig es ihnen. Na, dann komm.« Und so war es auch wenig später. Einer der um das Dorf streunenden Hunde hatte uns gewittert. Und als sein Alarmgeheul ertönte, da erhielt er viel stimmige Antwort. Dann kamen sie auch schon – mehr als dreißig waren es. Und mit ihnen kamen einige junge Krieger, die sich beim ersten Geheul auf ihre ungesattel ten Pferde warfen. Ich hielt an. Denn nun musste sich Wolf behaupten, und ich wollte endlich wissen, ob er ein Feigling oder ein Kämpfer war. Oho, er zeigte es mir und der ganzen Meute. Als sie auf ihn losstürmten, da sprang er ihnen entge gen und nahm sich gleich den Größten, der ihr Anführer war, »zur Brust«. O ja, er wusste sofort Bescheid, wie man es zu machen hat. Das ist ja immer so: Wenn man sich inmitten einer Meute nicht Platz für Platz empor kämpfen will, muss man sich den stärksten Burschen vornehmen. Das machte Wolf. Und die ganze Hundehorde des Dorfes mischte sich nicht ein. Das war ungeschriebenes Gesetz. So ist es ja auch in jeder Mustangherde, wenn zwei Hengste kämp fen, und unter fast allen Herdentieren.
Der Anführer der Dorfhunde war ein großer Bursche. Er sah aus wie ein riesiger Husky, ein Schlittenhund also. Er mochte etwa siebzig Pfund wiegen. Doch gegen Wolf hatte er keine Chance. Und dennoch war es kein böser Kampf. Sie wollten sich nicht gegenseitig töten. Es war die Hemmschwelle der Artgenossen in ihnen. Dies hier war kein Kampf, wie er zwischen Tigerkiller und Wolf stattgefunden hätte. Es war mehr eine Balgerei. Die jungen Krieger, die mit den Hunden herangalop piert waren, hielten nun neben mir. Sie kannten mich. Ei nige nannten mich Onkel. Rotfeder sagte zu mir: »Hoka, Onkel, wen hast du denn da mitgebracht? Ist das ein richtiger Wolf?« »Dann würde er mit Schlitzohr nicht balgen«, erwider te ich. »Sieh doch, er hat ihn an der Kehle, aber er beißt nicht zu. Er ist ein guter Hund.« Wahrscheinlich spürte das auch Schlitzohr, denn er gab sich plötzlich geschlagen und legte sich auf den Rücken, überließ Wolf seine Kehle. Er hatte gespürt, dass Wolf nicht zubeißen wollte. Sie lösten sich nun voneinander, standen da und be schnüffelten sich. Dann wandte Wolf den Kopf und sah zu mir herüber. »Gut, gut«, rief ich ihm zu. »Jetzt mach ihn zu deinem Freund! Und dann lass es dir gut gehen. Du wirst hier eine Menge Hundeflöhe bekommen, oho!« Ich rief es lachend. Aber so war es wohl auch. Die Hunde eines jeden Indianerdorfes hatten Flöhe. Da konn
te man nichts machen. Schlitzohr und Wolf trotteten nun gemeinsam davon, und die ganze Meute folgte ihnen. Nein, ich staunte nicht sehr, aber eines wusste ich nun sicher: Wolf war schon mal der Anführer und Leithund einer Meute gewesen. Er kannte sich aus mit den Sitten und Gebräuchen, die dort herrschten. Woher mochten ihn diese vier Hurensöhne bekommen haben, um ihn für hohe Wettsummen bei einem Hunde kampf gewissermaßen zu opfern? Denn so prächtig Wolf auch war und wie leicht er auch mit Schlitzohr fertig wurde – gegen Tigerkiller hätte er gewiss keine drei Mi nuten durchhalten können. Ich ritt nun in Begleitung der jungen Krieger ins Dorf. Vor seinem Häuptlingszelt stand Jacomo, der Halb bruder meiner Mutter und sozusagen mein Halbonkel. Als er mich erkannte, hob er die Hand zum Gruß. Ich sah ihm an, dass er sich freute. »Willkommen, Rothaarsohn«, sagte er in der Sprache der Sahaptin, zu denen die Nez Percés gehörten. »Steig ab und fühl dich daheim wie immer.« Ich mochte ihn. Er nannte mich Rothaarsohn, denn Rothaar, so nannten sie meinen irischen Vater. Also war ich Rothaars Sohn oder Rothaarsohn. So einfach war das bei den Nez Percés. Hinter ihm kamen seine Squaw und seine drei Söhne aus dem Tipi. Ich war ja auch mit ihnen verwandt. Wir waren Halbvettern, nicht wahr? Sie waren schon junge Krieger. Ich sah an den Einschnitten in ihren Federn, dass
sie schon gekämpft und auch getötet hatten. Auch ver wundet wurden sie schon, dies war deutlich in ihren Fe dern eingeschnitten zu erkennen. Jeder von ihnen trug die drei Federn eines Kriegers. Ich saß ab, und sie kamen, um mir die Pferde abzu nehmen. Sie würden bald abladen und die Tiere gut ver sorgen. Doch zuerst traten sie vor mich hin. Wir reichten uns die Hände, legten sie uns auch gegenseitig auf die Schul tern. Und sie sprachen höfliche und respektvolle Worte zu mir, so als wäre ich nicht ihr Halbvetter, sondern ihr Onkel. Denn sie respektierten mich als den älteren, erfah reneren Jäger und Krieger. Als sie mit den Pferden um das Tipi herum ver schwanden, da sagte ich ernst zu Jacomo: »Nun sind sie alle drei Krieger, die töten mussten. Was ist geschehen?« »Goldgräber«, erwiderte er. »Sie hatten nach einem langen Winter nicht mehr genug zu essen und überfielen unser Dorf. Es war eine starke Horde. Wir mussten sie fast alle töten. Goldgräber kommen nun auch in die Bitter Roots. Und wenn sie Hunger haben, sind sie so verrückt wie Wölfe nach einem langen Blizzard. Ja, meine Söhne mussten töten, um unser Dorf zu schützen. Aber kein Nez Percé tötet wegen Kriegerruhm oder gar aus Lust am Töten. Das Leben wird immer härter und gnadenlo ser, selbst hier in den Bitter Roots, unserem Nez-PercéLand seit Urzeiten. Das Gold macht die Weißen ver rückt.« Er trat zur Seite, damit ich endlich meine Halbtante
Silberwasser begrüßen durfte. »Ich freue mich, Rothaarsohn«, sagte sie. Oh, sie war immer noch schön. Alle Nez-Percé-Frauen und -Mädchen waren schön, zumindest hübsch. Aber sie war die Schönste von allen. Und man sah ihr nicht an, dass sie drei Söhne hatte, die schon Krieger waren. Ich war froh, einige Tage hier in diesem Dorf sein zu können. Es war fast wie eine Heimkehr. Diese Menschen waren meine einzigen noch lebenden Angehörigen. Sie mochten mich. Und ich mochte sie. Als wir nacheinander ins Tipi gingen, um uns dort niederzusetzen, zu reden und wenig später auch zu es sen – und als man ein Teil meines Gepäcks hereinbrachte, aus dem ich die Geschenke entnahm, da hatte ich diesen verdammten Höllenhund und Tigerkiller und die vier Reiter, welche ihm und mir folgten, völlig vergessen. * Es folgten drei schöne Tage im Dorf der Nez Percés, de ren Häuptling Gewaltiger Donner mein Halbonkel war. Ich jagte mit den Kriegern, schwamm mit ihnen im See, ritt wie sie die wilden Pferde ein – und ich saß mit ihnen am Feuer und lauschte den Geschichten, erzählte auch selbst welche. Doch dann – in der vierten Nacht –, da heulten die Hunde des Dorfes immer wieder warnend. Noch nie hat ten sie so geheult. Ich lag mit den anderen im Tipi und lauschte.
Gewaltiger Donner erhob sich mehrmals im Verlauf der Nacht und glitt hinaus. Als er es zum dritten Mal tat, da folgte ich ihm. Wir verharrten draußen vor dem Tipi, lauschten. Andere Krieger tauchten auf, die ebenfalls durch das Geheul der Hunde beunruhigt waren. Denn die Hunde des Dorfes waren dort draußen in der Nacht. Sie bellten und heulten wie verrückt. Gewaltiger Donner sagte zu uns: »Dort draußen ir gendwo muss etwas sein. Es umkreist unser Dorf. Auch unsere Hunde umkreisen es und befinden sich ständig zwischen dem fremden Wesen und dem Dorf. Sie wollen es nicht durchlassen. Was mag es sein? Ein Tier? Pferde diebe eines anderen Volkes, der Crows zum Beispiel? Was mag es sein? Hört euch das Geheul unserer Hunde an. Sie fürchten sich und machen sich gegenseitig Mut mit ihrem Geheul.« Wir hörten seine Worte. Er machte selten so viele Wor te. Doch nicht nur er, wir alle waren ratlos – ja, auch ich, denn ich vermochte noch nicht zu glauben, dass dieser Höllenhund Tigerkiller mir bis hierher gefolgt war. Nein, ich konnte oder wollte es nicht glauben. Gewaltiger Donner sagte: »Wenn es hell genug ist, se hen wir nach. Was es auch für ein Wesen sein mag dort draußen, es muss eine Fährte hinterlassen, es sei denn, es könnte fliegen wie ein Adler.« Wir gingen wieder in die Tipis, verließen uns auf die Dorfwachen und die Hunde. Aber ich konnte nicht mehr einschlafen bis zum frühen Morgen. Ich musste immerzu an Tigerkiller denken.
Auch fragte ich mich, wo Wolf jetzt war. Denn er war ja der Anführer der Dorfhunde geworden. Er befand sich mit ihnen dort draußen. Hatte er Tigerkiller gewittert? Sorgte er deshalb dafür, dass sich die Dorfhunde ständig zwischen ihm und dem Dorf befanden, es also ebenfalls umkreisten wie dieser verdammte Höllenhund? * Sobald es Tag geworden war, versammelten sich die er fahrensten und wichtigsten Krieger des Dorfes um Ge waltiger Donner. Auch ich gehörte dazu. Wir waren ein gutes Dutzend und ritten hinaus. Irgendwo heulten immer noch unsere Hunde. Und dann – als wir etwa eine halbe Meile geritten waren – ka men sie uns entgegen – winselnd, angstvoll kläffend und auch traurig heulend. Wolf war nicht dabei. Verdammt, wo war Wolf? Ich hatte plötzlich Angst um ihn. Die Hunde machten mit uns kehrt, und so ritten wir, begleitet von ihnen, mehr als eine weitere halbe Meile vom Dorf weg. Dann sah ich Wolf. Er verharrte auf einem Felsen, der fast die Form eines versteinerten Riesensauriers hatte, und witterte in die Ferne. Als wir den langen, schräg aufragenden Felsen er reichten, stieß er ein böses Heulen aus. Aber dann kam er
herunter und lief neben meinem Pferd. Und dann sahen wir es. Da vor uns lagen drei Hunde des Dorfes mit durchge bissenen Kehlen oder zermalmtem Genick. Nun wusste ich es genau. Der Höllenhund Tigerkiller war gekommen. Er hatte das Dorf umkreist, weil er wusste, dass ich dort war. Wolf hatte ihn irgendwie gewittert oder sonst wie gespürt. Und so hatte er die Hunde des Dorfes hin ausgeführt. Sie hatten das Dorf umkreist und sich immer zwischen dem Dorf und Tigerkiller gehalten. Aber einige Hunde wollten wohl ihren Mut beweisen oder hatten sich aus anderen Gründen zu weit von der Meute ent fernt. Zu dritt mussten sie Tigerkiller angegriffen haben. Und da hatte dieser sie offensichtlich getötet wie ein Kater drei Mäuseriche, die so verwegen waren, ihn anzu greifen. Wir verhielten die Pferde und starrten auf die toten Hunde. Ich sah auf Wolf nieder. Er vibrierte am ganzen Kör per, und da wusste ich Bescheid. Aber das war noch nicht alles. Es gab noch einen anderen Beweis. Denn in diesem Moment erklang in der Ferne jenes böse, wilde, schreckliche Geheul, welches ich vor vielen Nächten immer wieder auf meiner Fährte gehört hatte. Ja, das war er. Er war gekommen. Seine Verwundung war offenbar geheilt. Er hatte meine Fährte wieder aufge nommen und dann herausgefunden, dass ich in diesem
Dorf weilte. Wolf war zu schlau gewesen, sich ihm zu stellen wie die drei nun toten Hunde. Es war wohl endlich an der Zeit, Gewaltiger Donner und den Kriegern Aufklärung zu geben. Wir saßen immer noch auf den Pferden, als ich sagte: »Krieger der Nez Percés, macht eure Ohren auf und hört mir zu. Denn ich weiß jetzt, was dies für ein Wesen ist. Jetzt, da wir dieses Geheul hören, bin ich sicher.« Als ich verstummte, schlossen sie mich zu Pferde ein in einem Kreis. Sie umgaben mich und Gewaltiger Don ner. Und dann erzählte ich ihnen die ganze Geschichte, so wie sie begonnen hatte in Fort Benton am Big Muddy. Sie lauschten mir schweigend und saßen fast völlig be wegungslos auf ihren herrlichen Appaloosas. Denn es war ja wirklich eine besondere Geschichte, eine von jenen Geschichten, welche später die Alten den Jungen erzählen – und die von Generation zu Generation ausgeschmückt werden, bis sie zu wundersamen Legen den wurden. Als ich endlich geendet hatte, schwiegen sie eine Wei le. Denn das alles mussten sie gründlich überdenken. Gewaltiger Donner sprach dann langsam Wort für Wort: »Es ist gut, dass wir jetzt Bescheid wissen. Aber wenn es sich nur um einen besonders großen und wilden Hund handelt, dann wird er nicht mehr lange leben in unserem Tal. Also los, jagen wir ihn und auch jene Män ner, zu denen er gehört oder die zu ihm gehören. Jagen wir sie!«
Die letzten drei Worte stieß er scharf und antreibend aus. Und alle Krieger antworteten mit einem scharfen: »Hoh!« Die Jagd begann. Ich ritt neben Gewaltiger Donner, und meine Gedan ken und Gefühle jagten sich. Irgendwie spürte ich, dass es keine normale Jagd werden würde. Die Nez Percés waren gute Jäger. Sie jagten Berglöwen und Bären, nicht nur Büffel und anderes friedliches Getier, natürlich auch Wölfe, welche nach langen Blizzards gefährlich waren. Gewaltiger Donner und das gute Dutzend Krieger glaubten, dass es nur eine Jagd auf gefährliches Raub wild werden dürfe. Auch wegen der vier Begleiter von Tigerkiller machten sie sich keine großen Sorgen. Denn dies hier war ihr Land, ihr Tal – waren ihre Jagdgründe. Hier waren sie die Herren. Dies alles war mir bewusst. Dennoch verspürte ich große Sorge. * Etwa eine Stunde später begriffen wir, dass er auf der Flucht vor uns war und auf seiner eigenen Fährte, die er bei seinem Kommen hinterließ, wieder aus dem Tal woll te. Es kam nun darauf an, ihm den Weg zum Pass abzu schneiden. Es war ein Rennen über etwa sieben Meilen. Denn so weit war der Passanstieg entfernt. Einmal ritten wir über
ein erloschenes Feuer und sahen, dass es ein Camp gewe sen war. Hier mussten die vier Reiter campiert haben, also jener Duke McCabe, die beiden Cheyenne-Brüder und Yellow Joe, der Chinese, von dem Tigerkiller irgend wie durch einen Zauber beherrscht wurde. Wir sahen die Fährte ihrer Pferde. Ja, auch sie hatten die Flucht ergriffen. Als wir an den Passanstieg bis auf eine Meile herange kommen waren auf unseren immer noch galoppierenden Pferden, da sahen wir sie. Bisher hatten wir immer wie der Waldstücke umreiten oder durchqueren müssen, welche uns die Sicht versperrten. Doch nun war freie Sicht, und das Gelände stieg an. Wir sahen den Höllen hund – ich wusste keinen besseren Namen für ihn und hielt den Namen »Tigerkiller« für untertrieben – hinter den Reitern. Fast konnte man denken, dass er sie jagte. Aber es war wohl so, dass ihm allmählich die Puste ausging. Er war ja ein schweres und muskulöses Tier. Gewiss war er auf kurzer Strecke sehr explosiv, aber jetzt lief er schon mehr als sieben Meilen mit aller für ihn nur möglichen Schnel ligkeit. Ja, er machte schlapp. Und dennoch würden wir ihn nicht vor dem Passanstieg einholen können. Ich rief Gewaltiger Donner zu: »Pass auf, Onkel, wenn die Reiter ein gutes Büffelgewehr haben – nur eines ge nügt –, dann halten sie uns von dort oben auf!« Er stieß einen wilden Schrei aus. »Wir reiten schnell!«, rief er zurück. »Wir bieten kein
gutes Ziel!« Er hoffte also, dass man uns nicht lange genug anvisie ren konnte, um auf weite Entfernung zu treffen. Vielleicht war es so, denn das unebene Gelände zwang unsere Pferde immer wieder in einen leichten Zickzack kurs. Auch sprangen sie über Büsche, Steine und andere Hindernisse, umgefallene Bäume oder Bodenvertiefun gen. Nun, wir kamen bis auf eine Viertelmeile an den im mer langsamer werdenden Höllenhund heran. Er lief nun hinter den Reitern den Passanstieg hinauf. Ich glaub te plötzlich ziemlich sicher, dass ich ihn erwischen wür de. Denn der Anstieg für ihn wurde immer schwerer. Mit Gewaltiger Donner jagte ich immer noch an der Spitze. Doch nun riss ich die Sharps aus dem Scabbard. Ich hatte sie schon vor unserem Abritt schussbereit ge macht, auch das Zielfernrohr aufgesetzt, so als hätte ich das, was jetzt geschah, insgeheim schon geahnt. Ich rief Gewaltiger Donner zu: »Reitet mir nicht vor die Mündung! Ich versuche es mit der Sharps!« Dann hielt ich an, saß ab, stellte mein Pferd quer, legte den Lauf der Sharps schräg über den Sattel und suchte mein Ziel. Das Visier stand auf dreihundert Yards, und in weni gen Sekunden würde diese Entfernung stimmen. Er sprang ja mit jedem Satz einen Yards oder mehr weiter. Ich stieß einen fast jauchzend klingenden Laut aus. Ja, es war eine wilde Freude in mir, weil ich wusste, dass er verzweifelt mit letzter Kraft auf der Flucht war. Dieses
Wesen hatte schon zu viele andere Lebewesen gejagt und getötet. Nun sollte er selber spüren, wie das war. Ich wusste, ich musste nun Glück haben. Denn auf dreihundert Yards einen springenden Hund zu treffen – und wäre dieser noch so groß –, dazu gehört eine Menge Glück. Ich konnte nicht lange warten, nur drei oder vier Sekunden. Und dann schoss ich. Es krachte böse in meinen Oh ren. Mir taten auch die Ohren meines guten Pferdes Leid. Und dann sah ich, dass ich danebengeschossen hatte. Der Höllenhund würde entkommen. Er war mit dem Teufel verbündet. Es konnte gar nicht anders sein. Dann aber geschah noch etwas. Gewaltiger Donner, der immer noch an der Spitze der Krieger ritt, überschlug sich mit seinem Pferd. Das Tier musste mitten im Galopp die Kugel in den Kopf bekom men haben. Die Kerle dort oben auf dem Pass hatten auch eine Sharps. Sie hielten auf einer Terrasse. Ich stieß einen gellenden Schrei aus vor Wut. Dann lud ich das Gewehr neu, schwang mich wieder auf mein Pferd und jagte vorwärts. Ich wusste, nun würde es ein Duell zwischen uns Sharpsschützen geben. Für alle anderen Schützen war die Entfernung noch zu weit. Ich jagte also auf den Pass zu. Eine Kugel kam von oben und zupfte an meiner Schulterspitze. Der Huren sohn dort oben schoss recht gut. Ich ließ mich vom Pferd gleiten, ohne es anzuhalten.
Ich landete gut mit dem Büffelgewehr in der Rechten, kam wieder auf die Füße, kniete nieder und stützte einen Ellbogen auf das Knie, den linken. Ich musste schräg nach oben zielen, denn dort oben am Rand der Terrasse kniete der Sharpsschütze der Bande. Es musste einer der beiden Cheyenne-Brüder sein, dies konnte ich noch er kennen. Aber dann schoss ich. Und traf! Ja, es war ein Volltreffer, denn ich konnte durch den Pulverdampf meines Gewehres mit Hilfe des Zielfern rohres erkennen, dass meine Kugel den Man zurückstieß, sodass er gewissermaßen verschwand. Die Krieger jagten nun an Gewaltiger Donner vorbei nach oben. Aber sie bekamen nun Feuer aus den Karabi nern, wahrscheinlich Winchester oder Spencer. Ich lief zu Gewaltiger Donner hinüber. Aber dieser erhob sich benommen, drehte sich tau melnd im Kreis und hielt beide Hände an seinen Kopf. Doch dann überwand er seine Not und sah mir entgegen. Als ich bei ihm war, betrachteten wir uns eine Weile schweigend. Dann blickten wir hinauf zum Pass. Die Krieger hatten angehalten und Deckung gesucht. Sie wa ren nicht so dumm, deckungslos auf einem ansteigenden Passweg gegen drei Karabiner anzureiten. Ich sagte zu Gewaltiger Donner: »Wir haben verloren. Sie können den Pass verteidigen bis zum Anbruch der Nacht. Und wenn die Welt dann dunkel wird, bekom men sie eine ganze Nacht Vorsprung. Du hast ein gutes
Pferd verloren, Onkel, sie aber einen von sich. Reiten wir heim.« Von ganz oben gellte eine Stimme auf uns nieder: »Du verdammter Hurensohn von einem stinkenden Trapper, du hast meinen Bruder getötet! Ich bin Lark Cheyenne, und ich hole mir deinen Skalp! Und deinen Kadaver wird Tigerkiller fressen! Du wirst Hundefutter sein!« Die Stimme war gewiss eine Meile weit zu hören. Ich verstand jedes Wort und wusste Bescheid. Ich hatte einen der beiden Cheyenne-Brüder in die Hölle geschickt. Nun hatte die Bande noch einen Grund mehr, mich zu töten. »Reiten wir heim«, sagte ich abermals zu Gewaltiger Donner. Wolf kam zurückgetrottet. Alle anderen Hunde waren bei den Kriegern zurückgeblieben, als diese anhielten und mit ihren Pferden in Deckung gingen. Es gab ja überall elefantengroße Felsen. Wolf war allein weitergelaufen. Doch jetzt kam er zurück. Und von ganz oben, wo die Wasserscheide des Passes war, klang nun das böse, wilde und hassvolle Geheul, welches einem das Blut in den Adern gefrieren ließ. Tigerkiller war wieder einmal entkommen. Und er würde auf meiner Fährte bleiben. Ich wusste es. Wir ritten heim. Gewaltiger Donner saß auf dem Pferd eines jungen Kriegers, der bei einem anderen aufgesessen war.
Ich wusste, ich konnte nicht länger im Dorf von Ge waltiger Donner bleiben und mich gewissermaßen dort verkriechen. Denn die Nez Percés würden mir helfen wollen und dabei vielleicht Verluste an Menschenleben erleiden. Ich wollte weiter in mein Jagdrevier. Dorthin sollte diese Bande mit dem Höllenhund nur kommen. Da wür den sie was erleben. * Als es Nacht wurde, war ich fertig zum Aufbruch. Ge waltiger Donner, Silberwasser, ihre drei Söhne und noch viele andere Nez Percés hatten zum Abschied einen Kreis gebildet. Gewaltiger Donner sagte: »Du solltest noch bleiben, Rothaarsohn. Dieses Tier, welches wie ein Hund aussieht und wahrscheinlich keiner ist, hätten wir zusammen ja gen können, so wie wir oftmals gemeinsam Wölfe, Ber glöwen oder Bären jagten. Und auch diese drei Reiter hätten wir gemeinsam…« »Nein«, unterbrach ich ihn und fügte schnell hinzu: »Verzeih mir, Onkel, dass ich dich unterbrochen habe. Aber dies ist mein Kampf. Ich hatte Schatten auf meiner Fährte und hätte deshalb nicht herkommen dürfen. Die Kugel, die dein Pferd traf, hätte auch dich treffen können. Niemals hätte ich mir das verziehen, bis an mein Lebens ende nicht. Es ist mein Kampf. Lebt wohl, ihr Nez Percés!«
Ich ritt an, hielt die Leine meiner Packtiere in der Hand. Und der Kreis öffnete sich. Sie ließen mich durch. Ihre Stimmen folgten mir. Sie murmelten durcheinander. Ich verstand die Worte »Gute Jagd« und »Du bist ein großer Krieger, Rothaarsohn«. Und eine lautere Stimme rief durch das Gemurmel: »Wenn er dir folgt, dann wirst du ihn töten! Bring uns seine Ohren mit beim nächsten Besuch!« Ich hörte es, und mir tat es Leid, fortzureiten. Doch ich wollte mich nicht im Schutz dieses Dorfes verkriechen. Ich ritt durch das weite Tal unter den funkelnden Ster nen. Der Mond war noch nicht über den Bergen aufge gangen. Ich musste durch eine kleine Schlucht aus dem Tal, denn über den Pass, den ich bei meinem Kommen benutzte, wollte und konnte ich nicht. Dort oben lauerten sie vielleicht noch mit Tigerkiller, dem Höllenhund. Ich ritt in guter Deckung durch das Tal und ver schwand einige Meilen danach im dunklen Maul der Schlucht, die mich weiter in die Bitter Roots hinein und zu meinem Jagdrevier führte. Ich musste noch drei Tage reiten. Dann war ich bei mir daheim, diesmal früher als sonst. Denn der Sommer war noch nicht vorbei. Ich würde lange in der Einsamkeit le ben. Aber da fiel mir Wolf ein. Wo war er jetzt? Würde er im Dorf bleiben, wo er der Anführer der Dorfhunde geworden war? Ich war sicher, dass er mei
nen Aufbruch mitbekommen hatte. Als ich nach zwei Meilen aus der Schlucht heraus kam, befand ich mich in einem nach Westen zu ansteigenden Tal. Und vor mir ragten die Bitter Roots in den Sternen himmel. Plötzlich war dann auch der Mond am Himmel. Die Nacht wurde hell und klar mit meilenweiter Sicht. Es war ein gutes Reiten. Auch meine drei Packtiere trabten willig unter den Lasten. Am Himmel jagten die Nachtfalken und stießen immer wieder ihren pfeifenden Schrei aus. Und dann war Wolf plötzlich wieder bei mir. Ja, er war mir nachgelaufen, blieb mir treu. »He, Junge«, sprach ich froh aus dem Sattel zu ihm nieder. »Hast du keine Hundelady im Dorf gefunden, die dich verhexen konnte, sodass du mir untreu wurdest?« Er stieß ein freundliches Winseln aus, ein Jaulen, so als hätte er meine Worte dem Sinn nach verstehen können. Ich hatte ein gutes und dankbares Gefühl in mir. Wolf war mir nachgelaufen. Er wollte bei mir sein. Wir waren echte Gefährten geworden. Und so war ich doppelt froh darüber, dass ich ihn aus dem Käfig befreit hatte – selbst für den Preis, dass ich nun Todfeinde auf der Fährte hat te. Aber vielleicht gaben sie auf. Es würde ohnehin schwer genug für sie sein, meine Fährte wiederzufinden und dieser zu folgen. Denn sie konnten es nicht wagen, noch einmal in das Nez-Percé-Tal zu reiten und dort meine Fährte aufzuneh men. Sie mussten außen herum. Nur dann bekamen sie
keinen Ärger mit den Indianern. Eigentlich brauchte ich mir keine Sorgen mehr zu ma chen. Aber da war dieser Höllenhund, da war dieser Chine se, der den Hund mit einer Art Zauberkraft zu beherr schen schien. Und da war auch noch Lark Cheyenne, der seinen Bruder rächen wollte. Sie alle würden sich verdammt viel Mühe geben, mei ne Fährte zu finden. * Als ich den Clark Fork erreichte südlich des Flathead Lake, da lag das Dorf von Gewaltiger Donner schon zwei Tage und zwei Nächte hinter mir. Durch eine schmale Schlucht kam ich zur Furt. Und hier erlebte ich die vielleicht größte Überra schung meines Lebens. Denn es kam ein Reiter durch die Furt, der sich beim zweiten Hinsehen als Reiterin entpuppte, obwohl sie wie ein Mann in befranstes Leder gekleidet war. Ihre Haare waren unter einem Hut verborgen, aber ich sah an ihrem Reiten dennoch, dass sie eine Frau war und ganz sicher keine Indianerin. Ich blinzelte gewiss wie ein Uhu und glaubte zu träu men. Himmel, wie kam eine Frau hier in die Einsamkeit der Bitter Root Mountains? Ich erwartete sie und saß bewegungslos im Sattel. Als sie fast bei mir war, da sah ich, dass ihr Pferd mit flocki
gem Schweiß bedeckt war. Sie musste scharf geritten sein und war vielleicht auf der Flucht. Dann hielt sie vor mir an. Sie hatte grünblaue Augen, die mich scharf und prüfend musterten. Und mehr als hübsch würde sie sein, wenn sie sich waschen, ihr Haar ausschütteln und ein Kleid tragen würde. »Ma’am«, sagte ich, »Sie haben es sehr eilig, ja?« Sie musste hart schlucken, doch dabei nickte sie heftig. »Verdammt eilig«, stieß sie dann hervor. »Und es ist ein Glück, dass ich hier in der Einsamkeit der Bitter Roots auf jemanden treffe. Ich brauche Hilfe.« Ich nickte. »Ja, diesen Eindruck machen Sie. Ist jemand hinter Ihnen her? Wurden Sie irgendwo entführt? Sind Sie auf der Flucht?« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Nein, so ist es nicht! Ich bin unterwegs, um irgendwo und irgendwie Hilfe zu finden. Und ich habe immerzu Gebete gen Himmel ge sandt, dass ich auf Menschen stoße. Kommen Sie, Mister! Helfen Sie uns!« »Wem noch? Und wohin?« So fragte ich kurz. Sie vibrierte vor Ungeduld am ganzen Körper. »Verdammt, Mann, reiten wir! Ich erzähle Ihnen das unterwegs. Jede Minute ist kostbar. Es sind viele Meilen – vielleicht acht oder zehn. Ich bin geritten wie der Teu fel. Los, kommen Sie mit mir!« Sie war so richtig wild, vielleicht sogar verzweifelt. Und so folgte ich ihr. Sie blickte böse auf meine drei Packtiere, denn diese behinderten natürlich unser Vor wärtskommen. Am liebsten wäre sie mit mir galoppiert.
Wolf, der verschwunden war, um sich sein Fressen zu ja gen, tauchte neben uns auf. Sie fragte herüber: »Ist das ein richtiger Wolf?« »Was weiß ich«, erwiderte ich. »Er kann es mir nicht sagen. Doch warum haben wir es so eilig?« »Mein Mann«, erwiderte sie, und ihre Stimme klang spröde. »Mein Mann liegt unter einer Steinplatte begra ben. Ich kann ihn nicht darunter wegziehen und auch die Platte nicht heben. Vielleicht hat sie ihn schon erdrückt.« Nun wusste ich Bescheid. Sie war wahrscheinlich die Gefährtin eines Goldsu chers. Diese Gold- und Silbersucher drangen jetzt auch immer mehr in die Bitter Roots ein und suchten nach weiteren Goldvorkommen. Wir ritten nun schweigend Meile um Meile. Wolf sprang neben uns her und blickte immer wieder wie fra gend zu mir hoch. Doch ich konnte Wolfs Neugierde nicht befriedigen. Es war schon ziemlich dunkel, als wir in einen Creek ritten, der aus einer tief eingeschnittenen Bergfalte kam. Wir ritten in die Falte hinein und erreichten die Höhlen öffnung, die den Creek ausspuckte. Die Frau sprang vom Pferd und lief hinein. Dabei rief sie: »Phil, ich bin wieder hier! Ich habe Hilfe geholt. Wir kommen, Phil!« Ich war ihr gefolgt. Doch es ging keine zwanzig Schritt in den Berg hinein. Dann erreichten wir auch schon die Stelle, wo es nicht mehr weiterging. Das Hangende der Höhle war zusammengebrochen,
und das Geröll, die Steinplatten und irgendwelcher Kies reichten bis zur Höhlendecke. Es war ziemlich dunkel hier drinnen, denn draußen herrschte bereits die Dämmerung. Ich konnte keinen Mann unter einer Steinplatte entdecken. Doch die Frau begann mit bloßen Händen das Geröll wegzuräumen. Sie arbeitete wie wild und achtete dabei nicht darauf, dass sie ihre Hände ruinierte. Ich fasste sie an der Schulter. »He, wie weit ging das von hier in die Höhle hinein bis zu Ihrem Mann?«, rief ich ihr ins Ohr. Da kam sie endlich zu sich in ihrer Verzweiflung. Sie erwachte wie aus einem wilden Traum. Sie atmete schluchzend aus. »Noch weit«, erwiderte sie, »weiter als hundert Schrit te.« »Dann brachen mehr als tausend Tonnen Gestein und Kies nieder. Dann ist der Mann dort längst tot. Wir könn ten diesen Niederbruch gemeinsam nicht in vielen Jahren wegräumen. Verstehen Sie? Und wahrscheinlich wird noch mehr herunterkommen. Der Creek kommt aus dem Berg und hat eine Menge gelockert und bringt es auch weiterhin ins Rutschen. Wir müssen raus hier.« Wir standen bis fast zu den Knien im Wasser. Überall rann und tropfte es. Und unter dem niedergebrochenen Geröll und Kies rann es hervor, so wie unter einem brü chig gewordenen Staudamm. »Er ist tot«, wiederholte ich und führte sie hinaus. Wir waren kaum draußen, da hörten wir, dass aber
mals in der Höhle was runterkam. Nun wurde es Zeit, dass wir aus der Creekschlucht herauskamen. Dies war ein gefährlicher Ort. Der ganze Berg über der Höhle konnte zu einer Mure werden, die nicht nur die Creek schlucht füllte, sondern wie eine Lawine bis weit hinaus ins Tal donnerte. »Raus hier!« Ich rief es scharf und zwang die Frau auf ihr Pferd. Dann schwang auch ich mich auf mein Tier, nahm die Leine der Packpferde und rief zum zweiten Mal, nur noch schärfer: »Raus hier!« Sie gehorchte endlich. Nun hatte sie die Kontrolle über sich wiedergefunden. Jetzt zeigte sie mir, dass sie eine Frau war, die nicht so leicht zerbrach oder den Kopf ver lor. Es war dann fast schon Nacht, als wir aus der kurzen Schlucht hinausritten. Ich wandte mich nach links und rief ihr zu: »Reiten wir noch eine Viertelmeile! Dann schlagen wir ein Camp auf!« Sie erwiderte nichts, doch sie folgte mir, Wolf und den Packpferden. * Als das Feuer brannte und ich die Pferde versorgt hatte, sah ich, dass sie meinen Proviantsack aufgemacht und schon Kaffee gekocht hatte. Nun war sie dabei, Pfannku chen mit Speck zu braten. Sie sah zu mir auf und sagte: »Unsere ganzen Sachen befanden sich in der Höhle, auch
Phils Pferd und das Packtier. Doch die Tiere müssen her ausgelaufen sein, als alles niederbrach. Ob wir sie mor gen bei Tag hier im Tal finden?« »Wahrscheinlich«, erwiderte ich. »Tiere haben einen besseren Instinkt als ein Goldsucher, den das Gold taub und blind macht. Wir werden sie finden, denke ich. Wer sind Sie, Ma’am? Ich bin Wade Mahoney. Erzählen Sie mir mal Ihre Geschichte.« Sie schwieg noch eine Weile, goss erst Kaffee in den Blechbecher und legte mir einen Pfannkuchen mit Speck auf den Blechteller. Dann erst bediente sie sich selbst und schlürfte den heißen Kaffee vom Rand meines zweiten Bechers. Schließlich sagte sie: »Ich bin Jane McAllister. Und ich war mit Phil Marlowe unterwegs. Er war ein Spieler in Last Chance City und anderen Camps. Als er einen Mann erschoss, waren wir auf der Flucht vor dessen Brüdern und Freunden. Wir wollten über die Bitter Roots zur Westküste. Dann fanden wir im Creek, als wir rasteten, ein paar Goldkörner. Der Creek kam aus der Höhle. Also musste in der Höhle die Goldader sein, so dachten wir. Da wir kein Werkzeug hatten, dafür jedoch reichlich Mu nition, nahm Phil aus fast all unseren Patronen das Pul ver heraus. Er glaubte, durch eine kleine Sprengung die Goldader freilegen zu können. Doch dann begrub ihn eine große Steinplatte. Oh, ich wusste, dass er verloren war. Doch ich musste alles versuchen, ihm zu helfen, nicht wahr?« Ich sah sie im Feuerschein an und nickte.
Ja, sie war wohl eine Frau von jener Sorte, die einem Mann eine gute Gefährtin ist. Jetzt hatte sie den Hut ab genommen, und ich sah ihr rotgoldenes Haar im Feuer schein glänzen. Ja, sie war mehr als nur hübsch. Und dennoch glaubte ich, dass sie eine Abenteurerin und Glücksjägerin war, nicht das, was man eine Lady nennt. Sie trank und biss auch in den zusammengerollten Pfannkuchen. Dann sagte sie: »Nehmen Sie mich mit über die Bitter Roots, Wade Mahoney, ja?« Ich sah sie an, und ich wusste, sie würde ihren Preis zahlen. Ja, ich würde sie unter meine Decke bekommen können, denn auf diese Weise hatte sie wahrscheinlich auf ihren rauen Wegen schon mehr als einmal bezahlt. Sie war eine begehrenswerte Frau für einen Burschen wie mich. Ja, genau diese Sorte mochte ich. Ich wiegte meinen Kopf und erwiderte: »Jane, ich glaube nicht, dass ich dich über die Bitter Roots zum Co lumbia oder gar zur Westküste bringen werde. Denn ich bin ein Trapper und unterwegs in mein Tal zu meiner Hütte. Ich werde erst wieder im späten Frühling aus den Bergen zum Big Muddy hinunterziehen – nicht nach Westen. Ich kann dich nicht irgendwohin bringen.« Sie saß starr da und starrte mich im Feuerschein an. »Aber ich komme doch allein nicht aus diesen ver dammten Bergen hinaus«, murmelte sie. »Allein verirre ich mich sicherlich. Oder ich falle Indianern in die Hän de, nicht wahr? Oder einer Bande von Mistkerlen. He, willst du mich vielleicht in deine Hütte mitnehmen, da
mit ich dich in den Winternächten wärme wie eine Squaw, du verdammter Trapper?« Oho, sie war nun wütend und verriet mit ihrer Aus drucksweise nun noch mehr, dass sie zwar ein schönes Weib, aber gewiss keine Lady war. Doch sie wollte Hilfe holen für Phil Marlowe. Sie war bereit zu kämpfen wie eine gute Gefährtin. Allein das zählte wohl. Ich zuckte mit den Schultern und erwiderte: »Schwes ter, ich habe selbst ein paar Probleme. Und wenn du nicht unter meine Decke willst, dann lass es bleiben, ver dammt! Aber ich bin unterwegs zu meinem Tal, und dort bleibe ich.« Ich machte eine Pause und dachte darüber nach, ob ich sie vielleicht zum Dorf von Gewaltiger Donner bringen sollte. Doch durch den Hin- und Rückweg würde ich fünf Tage verlieren. Und mein Vorsprung vor diesem Höllenhund und den drei Mistkerlen wäre mehr als da hin gewesen. Nein, ich konnte nicht umkehren, sondern musste so rasch wie möglich in den Bitter Roots verschwinden, um meine Fährte zu verwischen. Und so fügte ich meinen ersten Worten hinzu: »Jane McAllister, ich bin auf der Flucht. Du kannst bei mir blei ben, wenn du möchtest. Aber ich kann dich nicht in Rich tung Fort Benton bringen. Es gibt gewiss nach Süden zu einige Goldgräbercamps, die du allein erreichen könn test, wenn wir erst bei Tag eure Pferde finden.« Ich hatte kaum ausgesprochen, da hörten wir ein Schnauben. Ich glitt hoch und sofort aus dem Lichtschein
des Feuers. Sie aber blieb sitzen. Es dauerte nicht lange, da kamen zwei Pferde zum Feuer. Jane sagte über die Schulter zu mir: »Das sind unsere Tiere. Es sind gute und brave Tiere, die sich nur in der Nähe der Menschen sicher fühlen und deshalb zum Feu er kamen. Es sind unsere Tiere, doch ohne Sättel und un ser weniges Gepäck. Verdammt, es ging wohl alles verlo ren in dieser verdammten Höhle.« Ich trat wieder ans Feuer und bewunderte die Klug heit der beiden Pferde. Sie waren aus der engen Schlucht gelaufen, noch bevor in der Höhle alles niedergebrochen war. Nun hörten wir ein gewaltiges Knirschen und Grollen. Obwohl wir eine Viertelmeile vom Schluchtausgang ent fernt waren, wusste ich sofort, was das zu bedeuten hat te. Der Berg, in dem sich die Höhle befand, hatte sich in eine gewaltige Mure verwandelt. Auf der Suche nach Gold hatte der Spieler Phil Marlowe durch seine Spren gung Hohlräume geschaffen, auf die der Berg drückte. Nun würde die Mure wie ein kalter Lavastrom die enge und kurze Schlucht füllen und bis ins Tal gekrochen kommen. Ich sah, dass Jane den Atem anhielt, so lauschte sie. Dann sah sie im Feuerschein zu mir hoch und sagte: »Lederstrumpf, ich komme mit dir. Vor wem bist du auf der Flucht?« »Hoffentlich wirst du das nie herausfinden«, erwiderte
ich nur. »Denn dann würdest du bald in heiliger Furcht vor einem Ungeheuer leben. Vielleicht solltest du dir doch lieber allein den Weg zu einem Goldgräbercamp su chen. Es muss nach Süden zu welche geben.« »Nein«, erwiderte sie. »Weißt du, auch ich bin auf der Flucht. Denn Phil Marlowe und ich, wir waren ein Paar.« * Wir aßen schweigend unser Abendbrot und hörten das Knirschen und Ächzen der Mure, die sich durch die kur ze Schlucht schob. Ich blickte über das Feuer hinweg auf Jane McAllister. Verdammt, war ich von allen guten Geistern verlas sen, mir diese Frau gewissermaßen aufzuhalsen? Doch was hätte ich sonst tun können? Sie hatte in den Bergen allein keine Chance. Da ich nicht zurück nach Osten wollte, auch nicht nach Süden in die Goldfundgebiete, musste ich sie mitnehmen in mein verborgenes Tal. Sie hatte vorhin gesagt, dass auch sie auf der Flucht sei, weil sie ja zu Phil Marlowe gehörte. Also hatten sie sich beide Feinde gemacht. Ich fragte: »Dieser Marlowe – war er ein verdammter Kartenhai mit üblen Kartentricks wie ein Zauberkünstler? Musstet ihr euch den Weg freischießen, weil man ihn erwischt hatte mit einem Ass im Ärmel oder einem anderen Kunststück? Sag mir die Wahrheit, Jane, denn wir werden einige Monate in der Einsamkeit
leben und einander vertrauen müssen. Ich sage dir gleich, du wirst wahrhaftig wie eine Squaw leben müs sen.« Sie starrte mich böse an. »Du verdammter Hurensohn«, sprach sie dann, »du könntest mich gewiss zur Westküste bringen. Was ist denn dein Preis?« Weil ich nicht gleich antwortete, fügte sie hinzu: »Ver dammt, bring mich zum Columbia jenseits der Bitter Roots! Das kann doch nur ein Zehntagesritt sein, oder nicht?« Ich schüttelte den Kopf. »Es geht nicht«, erwiderte ich. »Es ist ein zu harter Weg vom Hellgate River über die Bitter Roots. Das schaffst du nicht auf einem Pferd ohne Ausrüstung, selbst nicht mit meiner Hilfe.« »Dann gib mir deine Ausrüstung«, fauchte sie. »Du siehst fast aus wie ein Indianer. Vielleicht bist du ein hal ber. Und Indianer können auch ohne Ausrüstung überle ben, oder? Verdammt, ich will zum Columbia River. Dort bekomme ich gewiss ein Schiff nach Vancouver.« Ich schüttelte den Kopf. Aber weil sie mich böse an starrte, versuchte ich es ihr nochmals zu erklären. Ich sprach ganz ruhig und fast sanft: »Pass auf, du rothaari ges Grünauge, ich erkläre es dir jetzt endgültig und für immer. Ich bin auf der Flucht vor einem Untier und drei gefährlichen Burschen. Am Anfang waren es vier. Einen habe ich bereits getötet. Ich will in mein vertrautes Jagd revier, um es dort mit ihnen auszutragen. Denn ich glau be, sie würden mir bis ans Ende der Welt folgen. Also muss ich mich ihnen stellen. Ich kann dich nicht irgend
wohin bringen. Alles, was ich kann, ist, dir den Weg zum nächsten Goldgräbercamp zu beschreiben. Die liegen im Süden. Wenn ich dir die Formationen der Gebirgskette genau beschreibe, wirst du nicht in den falschen Canyon reiten und die falschen Pässe benutzen. Also?« »Nein«, erwiderte sie schlicht. »Hinter mir sind die Brüder und Freunde eines Mannes her, den Phil mit mei ner Hilfe beim Spiel betrog und den er dann erschießen musste. Ich kann nicht nach Süden, wahrscheinlich auch nicht nach Osten, ich kann nur zum Columbia. Vielleicht wirst du mich eines Tages doch noch vor dem Winter über die Bitter Root Mountains bringen.« Oha, ich wusste, wie sie es meinte. Sie glaubte, dass ich bald alles für sie tun würde, weil sie eine schöne und begehrenswerte Frau war, die fast je den Mann verhexen konnte. Ich grinste kauend. Vielleicht war es so. Aber bei mir würde sie sich verdammt viel Mühe geben müssen. * Wir sprachen auch am nächsten Morgen kein Wort. Ich hatte ihr Pferd gesattelt, indes sie unser Lagergerät zu sammenpackte. Sie selbst besaß keinerlei Ausrüstung. Al les war bei Phil Marlowe in der Höhle gewesen und ver schüttet worden. Wenig später saßen wir schweigend auf. Sie folgte mir mit den beiden sattellosen Pferden. Und dann ritten wir fast den ganzen Tag, ohne ein ein
ziges Wort miteinander zu reden, so als wären wir zwei Fremde. Nur wenn ich sie ansah, konnte ich erkennen, wie sehr sie vor Wut innerlich kochte. Aber sie würde sich daran gewöhnen müssen, dass al les nach meinem Kopf ging, nicht nach ihrem. Als wir am Abend das Camp aufschlugen, übernahm sie wieder das Kochen. Ich versorgte die Tiere. Und als wir uns schließlich beim Feuer gegenüber saßen, fragte sie zwischen zwei Bissen: »Hast du wenigstens eine ver nünftige Hütte in deinem Jagdrevier?« »Lass dich überraschen«, erwiderte ich. »Und du soll test nicht so böse sein mit mir. Vielleicht wird es ganz hübsch. Und wenn du mir hilfst, dann bekommst du auch einen Anteil von der Beute.« »Und wie hoch wäre der?« Sie fragte es sofort präzise und hart. »Vielleicht tausend Dollar oder etwas mehr. Denn ich würde dir nur ein Drittel abgeben.« »Tausend Dollar«, höhnte sie. »Für ein halbes Jahr mit einem Trapper als Squaw in einer stinkenden Hütte. O Mann, tausend Dollar hab ich manchmal in einer Nacht beim Poker oder Black Jack verdient.« »Wie schön.« Ich grinste. »Aber nun bist du hier. Ich weiß ja, dass es auf deinen Wegen immer wieder Männer gab, die dir jeden Wunsch zu erfüllen versuchten. Aber ich bin nur ein stinkender Trapper. Was kannst du da er warten?« »Nichts«, erwiderte sie. Und dann beendeten wir unser Abendbrot und legten
uns schlafen. Wolf, der bei uns war und im Verlauf des Tages nur manchmal verschwand, um sich sein Fressen zu erjagen, würde für uns wachen. Bevor ich einschlief, lauschte ich noch einmal. Verdammt, dachte ich, werde ich noch einmal das schaurige Geheul von diesem Höllenhund hören müssen, den sie Tigerkiller nennen? Wird er mich finden oder werden sie aufgeben? Aber als ich mich dies fragte, wusste ich schon, dass dies nicht der Fall sein würde – jetzt erst recht nicht, nachdem ich einen der Cheyenne-Brüder getötet hatte. * Es war ein beschwerlicher Weg. Manchmal drohten unse re Pferde auf den schmalen Felsbändern abzustürzen. Ei nige Male mussten wir über Spalten springen. Dann wie der ging es durch tiefe, nasse Schluchten, in die kein Son nenlicht fiel. Jane war für eine Frau zwar eine gute Reiterin, aber ohne mich hätte sie an so mancher Stelle nicht weiterge konnt. Es war am vierten Tag und noch am Vormittag, als wir in mein Tal blicken konnten. Ich wandte mich zu ihr um und grinste sie stolz an. »Das ist es«, sagte ich. »Wir sind daheim.« Sie erwiderte nichts, aber sie sah sich alles mit schma len Augen misstrauisch an. Doch was sie sah, war wun
derschön. Es war ein großes Tal, gut zwanzig Meilen lang und bis zu zehn Meilen breit. Von Norden her kam der Creek. Es gab dort an der großen Felswand einen Wasserfall. Der Creek floss nach Süden ab, doch die Biber hatten einen gewaltigen Damm errichtet, sodass ein See entstan den war, so als wäre er von Menschenhand mit Hilfe ei ner Staumauer errichtet worden. Ich wusste, ich konnte diesen See trockenlegen, wenn ich wollte. Ich musste nur die gewaltigen Biberdämme zerstören. Aber ich jagte ja die Biber. Mir war es recht, wenn sie dort zu Hunderten lebten. Der See war an die fünf Meilen lang und an die drei Meilen breit. Und jedes Jahr wurde er größer. Die Biber aber holzten den Wald überall an den Rändern des wach senden und sich ausdehnenden Sees ab. An einigen Stel len gab es schon so etwas wie Sumpf und dichten Pflan zenwuchs. Die ganze Natur veränderte sich. Es war mein Tal. Jane sah sich alles vom Passeinschnitt aus an. Sie nahm sich Zeit und saß entspannt im Sattel. Ja, sie war ein Vollblutweib, eine schöne, begehrens werte Frau. Und ich war ein Mann. Verdammt, wie lange würde ich mich beherrschen können in der ständigen Nähe einer solchen Frau? Wenn sie sich mit mir einließ, würde sie ihren Preis verlangen. Und dieser Preis war der Ritt mit ihr zu einer Schiffslandestelle am Columbia River. Denn ein Hundesohn war ich nicht. Niemals würde
ich sie mit Gewalt zu nehmen versuchen. Denn dann würde ich meine Selbstachtung verlieren, meinen Stolz. Und nur Stolz und Selbstachtung machten einem Mann von meiner Sorte das Leben lebenswert. Ich blickte auf Wolf, der zwischen uns und den Pfer den stand und ebenfalls in das Tal witterte. »Na, mein Junge, gefällt es dir? Kannst du die gute Jagd wittern, die dort unten auf uns wartet? Aber aufpas sen musst du gewaltig. Da gibt es Berglöwen und Grizz lybären. Und selbst die Biber werden keine Angst vor dir haben. Manchmal kommen auch Wölfe ins Tal. Du wirst gut aufpassen müssen, mein Junge.« Als ich verstummte, sprach Jane spröde: »Und wo ist die Hütte, diese verdammte Hütte, in der ich mit dir wer de leben müssen? Ich sehe nirgendwo eine Hütte. Oder werden wir in einer Höhle leben müssen, Lederstrumpf?« Ich grinste nur und gab ihr keine Antwort. Aber ich ritt vorwärts und begann mit meinen Pferden den Ab stieg. Jane folgte mir mit ihren Tieren. Und sie rief böse: »Verdammt, gib Antwort, wenn ich mit dir rede!« Ich wandte mich im Sattel um. »Oh, meine Süße«, sag te ich, »du wirst die Hütte schon noch zu sehen bekom men, bevor die Sonne untergeht. Ich kann dich beruhi gen, es ist eine prächtige Hütte. Sie heißt Mahoneys Lod ge. Und so manches Liebespaar würde dort gerne die Flitterwochen verbringen. Reg dich ab, mein Engel. Nimm es, wie es ist. Denn wir wurden vom Schicksal zu
einem Paar bestimmt. Es ist nur eine Frage der Zeit.« »Merde«, erwiderte sie, »merde, verdammt!« * Als wir die Hütte erreicht hatten, war es später Mittag. An die drei Stunden hatten wir benötigt, um vom Pass herunter und fast um den halben See herum unser Ziel zu erreichen. Ich hatte die Hütte aus Bruchsteinen unter eine über hängende Felswand gebaut. Sie war vor dieser Felswand nur aus der Nähe zu entdecken, wurde auch von Bäu men und großen Büschen fast völlig verborgen. Gleich neben der Hütte war eine Höhle, die ich zum Pferdestall ausgebaut hatte. Auch Heu für den Winter lagerte ich hier. An dieser Hütte und der Einrichtung hatte ich vier Jahre gebaut und gewerkelt. Zweimal hatten mir Squaws dabei während vieler Monate geholfen. Ja, zweimal hatte ich mir eine Frau mitgenommen, hübsche Mädchen. Und beide Male hatte ich Pech gehabt mit ihnen. Eine wurde beim Beerensammeln von einem Grizzly erschlagen, die andere starb an einer Krankheit, die ich nicht kannte. Sie bekam plötzlich hohes Fieber nach einem Bad im See. Es war schon fast Winter. Vielleicht hatte sie eine Lungen entzündung. Natürlich tat ich alles für sie, doch ich konnte ihnen nicht helfen. Mir fiel das alles wieder ein, indes ich mit Jane die letzten fünfzig Yards zurücklegte, und ich fragte mich,
ob Jane hier den Frühling erleben würde. Verdammt, warum hatte ich sie mitgenommen? Ja, ich fühlte mich jetzt doch etwas schuldbewusst. Doch wenn ich sie allein hätte reiten lassen, wären ihre Chancen ge wiss sehr viel schlechter gewesen als hier unter meinem Schutz. Wir saßen ab. Wolf lief schnüffelnd umher. Ich öffnete die Tür, ging hinein und stieß die Fenster läden auf. Nun wurde es hell in der zweiräumigen Stein hütte. Das Dach bestand aus zolldicken Steinplatten, die ich aus Schiefergestein abgespalten hatte. Es war eine so lide Hütte, in der eine Menge Arbeit steckte. Und wenn im Winter die Blizzards getobt hatten und es manchmal wochenlang nicht möglich gewesen war, nach den Fallen zu sehen, hatte ich in der Hütte an der Einrichtung gearbeitet, Stühle gebaut, Bänke, einen Tisch, Regale, die Schlafstelle und viele andere Dinge mehr. Jane kam herein und sah sich alles an. Und sie sah auch die Kleidung indianischer Frauen an den Wandhaken. Sie sagte dazu aber kein Wort. Nach einer Weile wandte sie sich mir zu und sah mich an. Dann sprach sie: »Du wolltest nur eine Squaw fürs Bett, nicht wahr?« Doch ich schüttelte den Kopf und erwiderte: »Du wirst schon noch herausfinden, was für ein Bursche ich bin. Ich weiß nicht, mit wem du bisher Umgang hattest, aber ei nes ist sicher, denke ich: Die meisten Kerle in deinem Le ben waren mieser als ich. Darauf kannst du wetten. Diese
Hütte hat zwei Räume. Nimm den hinteren für dich. Aber wenn dir danach ist, dann komm zu mir.« Nun wurde ihr Blick schmal und vor lauter Misstrau en richtig schrägäugig. Sie blickte wie eine lauernde Kat ze, die im nächsten Moment zu fauchen und zu kratzen anfängt. Ich wandte mich ab, denn die Tiere mussten abgela den werden. Wir waren daheim. Ich hatte eine Menge mitgebracht. Und alles musste verstaut und eingeräumt werden. Auch einige neue Fallen brachte ich in den an grenzenden Schuppen. Es war ein heißer Tag gewesen, ein schöner Tag des zu Ende gehenden Sommers. Ich war zu früh hergekom men, fast zwei Monate zu früh. Doch nun hatte ich viel Zeit für Verbesserungen – und auch zum Heumachen für den langen Winter. Am späten Nachmittag setzte ich mich nur in der Un terhose auf mein Pferd und ritt zum See hinunter. Es war weiter als eine halbe Meile bis zu meiner Badestelle. Ich hatte frisches Zeug, ein Handtuch und auch Seife mit. Um Jane kümmerte ich mich nicht. Aber als ich dann im Wasser war – es reichte mir fast bis unter die Achselhöhlen, da kam auch sie angeritten. Sie steuerte eine Stelle an, die einen Steinwurf weit von meiner Badestelle entfernt war, und verschwand dort hinter den Büschen. Als sie im Wasser war, schwamm ich zu ihr hin. »Na, ist das nicht ein herrlicher See?« So fragte ich und prustete dann ins Wasser. »Hier wirst du dich mächtig
wohl fühlen. Das hier ist besser als eine verräucherte Spielhalle – oder?« »Merde«, fauchte sie nur. Dann aber schwamm sie ans Ufer und stieg aus dem Wasser wie jene Schaumgeborene, die man auch Venus nannte. Ja, sie drehte mir den Rücken zu, aber ich sah ih ren wunderschönen Körper von hinten nackt. Verdammt, wollte sie mich verrückt machen, um gleich von Anfang an Macht über mich zu bekommen? Ich kam dann später zur Hütte. Und da sah ich, dass sie sich eines der Kleider ihrer indianischen Vorgängerin nen angezogen hatte. Es war nicht irgendein Kleid, sondern beste und schönste indianische Lederarbeit, kunstvoll bestickt. So etwas trugen indianische Prinzessinnen. Ihr stand das Kleid gut. Sie sagte: »Ich musste mein eigenes Zeug waschen und in Ordnung bringen. Wenigstens scheinen die Squaws hier zur sauberen Sorte gehört zu haben. Was geschah mit ihnen, Squawman?« »Sie starben«, erwiderte ich. Meine Stimme klang nun hart. »Und sie waren beide prächtige Frauen. Ich war mit jeder nach Stammessitte verheiratet. Sie waren keine Flittchen, sondern wunderschöne, gute und edle Ge schöpfe. Ich habe um sie getrauert. Also sprich nicht ab fällig über sie.« Sie starrte mich mit einem Ausdruck von Staunen an. Doch sie sagte nichts mehr.
* Einige Tage vergingen. Wir hatten uns eingerichtet, und ich hatte schon eine ganze Menge Gras gemäht, welches gewendet werden musste. Das tat Jane. Nein, sie drückte sich vor keiner Arbeit. Ich ritt an einem dieser Tage zum See hinunter und holte mein Kanu aus dem Versteck. Es war ein gutes Kanu. Ich hatte mein ganzes Können aufgeboten beim Bau. Nun musste ich es von Käfern und Spinnen säubern. Mit Baumharz musste ich einige undichte Stellen abdich ten, und so war ich länger als einen halben Tag mit dem Kanu beschäftigt. Wolf, der mir lange Zeit interessiert zugesehen hatte, verschwand für zwei Stunden, doch als ich das Kanu ins Wasser schob, war er wieder da und sprang sofort hin ein. »Aha«, sagte ich, »du kennst dich also aus. Na schön, dann machen wir mal eine Probefahrt. Sehen wir uns mal nach guten Stellen für die Biberfallen um.« Wir fuhren los. Ich paddelte immer am Ufer entlang. Überall sah ich die Biberbauten, und als ich dann den Damm erreichte, den die Biber zu einer starken Stau wand ausgebaut hatten, an der sich Schlamm, Pflanzen und das Laub des vergangenen Herbstes – vom Sturm in den See geweht – zu einer Schicht vermischten, da wurde mir klar, dass aus meinem schönen See binnen weniger Jahre ein Sumpf werden würde, wenn ich nicht bald ein
großes Loch in den Biberdamm machte. Aber vielleicht würde eine lange Regenzeit den See überlaufen lassen wie eine zu volle Talsperre. Ich paddelte weiter und weiter. Wenn ich den See um rundete, dann würde ich erst spät in der Nacht wieder zum Ausgangspunkt gelangen. Aber es war notwendig, dass ich das Seeufer abfuhr und mir alle Veränderungen einprägte. Auch Fische gab es im See schon seit einiger Zeit. Es war dann später Nachmittag, als ich die Stelle er reichte, wo der Grizzly meine damalige Frau angefallen und getötet hatte. Sie war um den See geritten, um auf dieser Seite Bee ren und Pilze zu sammeln, welche hier besonders gut ge diehen. Ich war mit dem Kanu um den See gefahren, um nach den Fallen am Ufer zu sehen. Da hörte ich das angstvolle Wiehern des Pferdes, den Schrei meiner Frau und das böse Grollen des Grizzlys. Ich paddelte wie wild, doch ich kam zu spät. Mit meiner Sharps konnte ich ihn nur verwunden, und bevor ich an Land kam, war er im Wald verschwunden. Natürlich verfolgte ich ihn nicht, denn ich musste mich ja um »Sommersonne« kümmern. Ja, Sommersonne hieß sie. Aber ich nannte sie nur einfach Sun, und sie war ja auch so etwas wie meine Sonne. Sie starb in meinen Armen. Ich konnte nichts dagegen tun. Er hatte sie mit seinen Tatzen zu schlimm zugerich tet. Ich brachte dann mit dem Kanu eine Tote über den
See zur Hütte. Jetzt, da ich die Stelle erreichte, fiel mir das alles wie der ein. Es war vor zwei Jahren geschehen, und nun schi en es mir, als wäre es erst vor wenigen Tagen passiert. Ich legte an, stieg ans Ufer und drängte mich durch die Büsche. Doch dann hörte ich hinter mir Wolf war nend knurren, dann böse anschlagen. Er stürmte plötz lich an mir vorbei durch die Büsche. Ich wusste sofort, da war etwas. Aber was? Natürlich dachte ich zuerst an den riesigen Grizzly, der meine Sun so böse zugerichtet hatte, dass sie eine halbe Stunde später in meinen Armen gestorben war. Ich hielt inne zwischen den hohen Uferbüschen, lauschte auf das Bellen von Wolf, auf sein Knurren und Heulen. Er war wie verrückt. Und dann hörte ich noch etwas anderes. Ja, es war tatsächlich das grollende Fauchen und Knurren eines Grizzlys. Ich kannte diesen Laut. Dann kam Wolf zurück in wilder Flucht. Erst als er mich erreichte, hielt er an und tanzte neben mir in höchs ter Erregung. Wahrscheinlich war er zum ersten Mal ei nem Grizzly begegnet. Vielleicht hatte er soeben schon von einer Tatze einen Wischer abbekommen und sich überschlagen. Jedenfalls hatten ihn Vorsicht und Klugheit die Flucht ergreifen lassen. Vielleicht wollte er auch deshalb schnellstens zu mir, um mich am Weitergehen zu hin
dern. Denn er blickte zu mir hoch und winselte. Es war ein warnender Laut. Nicht feige oder voller Furcht, son dern vorsichtig und warnend. Ich hatte mein Gewehr im Kanu gelassen, denn hier zwischen dem Ufergebüsch hätte ich damit nichts aus richten können. Diese langläufige Waffe war nur etwas für weite Entfernungen. Aber ich hatte ja meinen Colt. Es war ein so genannter 1860er Colt Army, Kal. 44 mit einem langen Lauf und ei nem bunt gehärteten Rahmen, sodass auch starke Pulver ladungen möglich waren. Dennoch wartete ich und zischte zu Wolf nieder: »Halts Maul!« Ja, ich war nervös. Wolf machte zu viel Lärm. Ich aber wollte etwas hören. Wolf verstummte tatsächlich. Und da hörte ich ihn kommen. Ja, es war ein Silvertip, ein Grizzly. Ich erkannte sei nen Kopf bis zu den Schultern über den Büschen, ahnte darunter seinen mächtigen Körper mit dem weißen Fleck – dem Silvertip – auf der Brust. Als er nur noch etwa ein Dutzend Yards von mir ent fernt war, begann ich zu schießen, aber schon nach dem dritten Schuss musste ich fliehen. Denn er ließ sich nicht aufhalten mit vierundvierziger Kugelblei. Ganz gewiss traf ich ihn, verwundete ich ihn. Aber er erreichte mich fast. Wolf aber sprang ihn von der Seite her an, verhalf mir zu einem kleinen Vorsprung, und so konnte ich das Kanu
vom Ufer abstoßen, indes ich mich hineinwarf. Hinter mir kam Wolf hereingesprungen. Der Grizzly warf sich hinter uns ins Wasser, und fast konnte er noch das Kanu mit einem Tatzenschlag erwischen. Es fehlten nur wenige Zoll. Dann aber paddelte ich schnell außer Reichweite seiner Tatzen. Doch nun glaubte ich ihn zu haben. Ich griff nach der Sharps, stellte mich auf und zielte auf ihn. Doch Wolf, der vor mir im Bug des Kanus seinen Platz hatte, tanzte wie wild herum und bellte wütend. Das Kanu schwankte, und so traf ich mit dem ersten Schuss nur den dicken Pelz des Grizzlys. Er machte kehrt im Wasser, sprang mit langen Sätzen an Land und ver schwand in den Büschen, bevor ich eine neue Patrone im Lauf hatte. Ich jagte ihm eine Kugel hinterher, aber ich war nicht sicher, ob ich ihn ernsthaft traf, denn das Kanu schwankte immer noch stark. Fast wäre ich über Bord ge stürzt. Ich fluchte wütend auf Wolf und rief: »Oh, du ver dammter Dummkopf von einem Hund! Wie kann ich ihn treffen, wenn du das Kanu zum Tanzen bringst wie ein Wildpferd?« Doch ich hatte den Grizzly gewiss mehrmals verwun det, das war sicher. Vielleicht zog er sich nun aus dem Tal zurück, verkroch sich irgendwo, um seine Wunden auszuheilen. Ich überlegte, ob ich wieder an Land gehen sollte, diesmal mit dem Gewehr, um ihm zu folgen. Denn ich
musste ihn abschießen. Ich war fast völlig sicher, dass es der Grizzly war, der damals vor zwei Jahren meine Sun tötete und dann die ganze Zeit verschwunden blieb. Ich entschloss mich also, paddelte wieder an Land und stieg aus. Auch Wolf sprang aus dem Kanu. Ich zischte ihm zu: »Halt nur die Schnauze, sonst bin de ich sie dir zu!« Ich zog das Kanu mit dem Bug etwa einen Yard an Land, nahm das Gewehr und machte mich auf den Weg. An den Blättern der Büsche war Blut – Bärenblut. Ich hatte ihn also angeschossen. Er musste aus mehreren Wunden bluten. Ich dachte an Sun. Denn nun endlich konnte ich sie rä chen. Aber was ist schon Rache an einem Tier? Für die sen Grizzly war Sun damals ein Eindringling in sein Re vier gewesen. Denn auch er fraß gerne Beeren und Pilze. Dieser Silvertip gehorchte nur seinen Instinkten. Aber er hatte meine Sun getötet. Und nun war wieder eine Frau mit mir in diesem Tal. Es konnte sich alles eines Tages wiederholen. Ich musste ihn also töten. Ich drängte mich durch die Büsche und erreichte einen freien Streifen, wo nur kniehohes Gras wuchs. Wolf trot tete neben mir und verhielt sich still. Doch er witterte und schnüffelte ständig, war erregt. Das war verständ lich, denn zum ersten Mal in seinem Leben war er auf der Fährte eines Großwildes. Diese Fährte war klar zu erkennen. Der Bär blutete stark aus mehreren Wunden. Das Gras war rot von sei
nem Blut. Jenseits des Grasstreifens stieg das Gelände an. Es gab wieder hohe Büsche und auch alte Bäume. Nun würde es bald wieder gefährlich werden. Denn er konnte nun überraschend aus sicherer Deckung hervorkommen und angreifen. Aber hatte ich nicht Wolf bei mir, der mich rechtzeitig warnen würde? Ich lief also weiter – und insgeheim hoffte ich, dass ich ihn so schwer angeschossen hatte, dass er sich irgendwo hinlegen musste, um zu sterben. Dann aber sah ich etwas, was mich fluchen ließ. Zuerst wollte ich es kaum glauben, aber es war wirklich so. Jane kam auf ihrem Pferd angeritten. Wahrscheinlich wollte sie das Tal erkunden auf eigene Faust, alles in der Umgebung rings um den See besser kennen lernen. Dann hatte sie meine Schüsse gehört und kam nun herangerit ten. Vielleicht hoffte sie, dass ich ein Wild erlegt hätte und wir nun Frischfleisch haben würden. Vielleicht woll te sie auch von Land her beobachten, was ich mit dem Kanu auf dem See anstellte. Sie hatte gewiss viele Grün de, einmal mit dem Pferd für einige Stunden auszureiten. Doch nun ritt sie vielleicht in den Tod. Dort irgendwo vor mir steckte der angeschossene Grizzly. Wenn sie ihm zu nahe kam, würde er sie und das Pferd angreifen. Ich sprang in die Höhe, sodass sie mich sehen musste, schwang das Gewehr und brüllte, so laut ich konnte: »Hau ab! Verdammt, mach kehrt und hau ab!« Aber sie reagierte nicht. Vielleicht war auf dem Boden
der Hufschlag ihres trabenden Pferdes zu laut – oder sie wollte aus Trotz nicht hören. Denn wir waren ja immer noch keine Freunde geworden. Jedenfalls ritt sie weiter, so als wollte sie an mir vorbei, ohne sich auch nur im Geringsten um mich zu kümmern. Ich brüllte: »Pass auf, du dämliches Huhn, da ist ein Grizzly! Der frisst dich ohne Zucker, verdammt! Hau ab, bevor du in seine Nähe kommst!« Sie war jetzt etwa hundert Yards von mir entfernt. Der Grizzly hatte sich keine zehn Yards weiter im Ge büsch niedergetan, um auszuruhen und seine Wunden zu lecken. Nun raffte er sich noch einmal auf und griff Pferd und Reiterin an. Das Pferd stand fast auf dem Kopf und schlug dann aus. Dann raste es ohne seine Reiterin davon. Jane aber kugelte durch das kniehohe Gras, schnellte auf und lief auf mich zu. Der Bär wollte zuerst hinter dem Pferd her, sodass Jane etwas Vorsprung bekam. Doch dann folgte er ihr und nicht dem Pferd. Wahr scheinlich hatte er begriffen, dass er Jane leichter bekom men würde. Sie kamen also beide auf mich zu. Ich stand breitbeinig da und zielte stehend mit der Sharps. Aber Jane, die ja vor diesem mächtigen und ge waltigen Silvertip herlief, war mir ständig im Weg. Sie deckte ihn – und weil sie immer wieder über kleine Sträucher und Büsche sprang, kam sie stets ziemlich hoch.
Verdammt, ich würde sie treffen können. Und so setz te ich das Gewehr wieder ab und lief ihr entgegen. Dabei brüllte ich: »Zur Seite! Spring zur Seite! Schlag Haken wie ein Hase, du dumme Ziege!« Ja, ich war wütend. Denn sie brachte mich um jede Chance mit meiner Sharps. Ich rannte ihr und dem Grizzly also entgegen. Und dann endlich begriff sie mein Brüllen. Sie sprang zur Seite und entkam mit knapper Not dem Tatzenhieb des Riesenbären. Ich hörte nun auch ihr kreischendes Schreien. Ja, sie war in Panik, rannte und sprang zur Sei te. Ich hielt inne und legte an. Ich sah, wie meine schwere Kugel traf. Aber sie hielt den Grizzly nicht auf – noch nicht. Verdammt, was war das nur für ein Bursche! Mit solch einer Sharpskugel konnte man einen Büffelbullen fällen, wenn man ihn gut genug traf. Ich hatte den Grizzly also nicht gut genug getroffen. Er hatte schon eine Menge Blut verloren – aber er kam immer noch unaufhaltsam. Ich lud nochmals nach. Nun war er nur noch sechs Schritte von mir entfernt. Als ich abdrückte, rannte er mit seinem Leib gegen meine Mündung. Und dann war er über mir, vom Schwung seines An griffs getragen. Eine seiner Tatzen traf mich von der Seite am Kopf. Dann wusste ich nichts mehr. *
Irgendwann hörte ich wie aus weiter Ferne immer wie der eine Stimme rufen: »Wach auf, Wade Mahoney! Auf wachen! Ich kann dich nicht schleppen! Du bist zu schwer. Wie soll ich dich in das Kanu bekommen, wenn du mir nicht hilfst? Aufwachen, Wade Mahoney!« Ja, dies hörte ich zuerst wie aus weiter Ferne. Dann aber begriff ich endlich alles. Der Bär hatte mich schlimm erwischt. Ich spürte, dass er mich mit einem Tatzenschwinger am Kopf erwischt hatte. Aber auch mit meinen Rippen war etwas passiert. Mein Brustkorb schmerzte bei jedem Atemzug. Ich bekam endlich die Augen auf. Der Tag war noch nicht gestorben. Jane hockte neben mir. Offenbar hatte sie sich bereits um meine Wunden gekümmert. Auch Wolf war da. Er winselte. Ich hörte mich sagen: »Na gut, dann hilf mir auf die Beine, du dumme Kuh! Warum hast du auf meine Zurufe nicht gehört? Warum hast du nicht kehrtgemacht? Oh, wärst du nur eine Indianersquaw, dann hättest du dich nicht aus Trotz so dämlich benommen. Na los, hilf mir hoch.« Sie tat es. Und dann schob sie ihre Schulter unter meine Achsel höhle und schlang ihren Arm um meine Taille. So stützte sie mich und half mir. Denn in meinem Kopf drehte sich alles. Ich hätte alleine nicht gehen können, sondern wäre
getaumelt ohne Richtungssinn wie ein Betrunkener. Mühsam machten wir uns auf den Weg zu meinem Kanu. Denn ihr Pferd war in Panik davongerannt. Unter wegs fragte ich einmal, obwohl es mir so böse ging: »Ist er tot?« »Ja«, sagte sie heiser. »Der war schon so gut wie tot, als er über dich fiel und im Todeskampf wütete. Es tut mir Leid, Wade. Verdammt, es tut mir Leid!« Ich hörte es wie aus weiter Ferne. Aber dann bekam sie mich irgendwie in das Kanu. Als ich drinnen lag, verlor ich wieder das Bewusstsein. Fast war mir, als würde ich auf den Grund des Sees versin ken. Ich wusste nicht, wie lange ich bewusstlos war. Aber als ich erwachte, da lag ich immer noch im Kanu. Wie hätte Jane mich auch ohne Hilfe da herausheben können? Ich wog schließlich fast hundertachtzig Pfund, war also bei aller Hagerkeit ein schwergewichtiger Mann. Denn ich hatte starke Knochen und eine Menge Muskeln. Ich lag also noch im Kanu, aber meine Wunden waren verbunden. Mit einer Decke war ich zugedeckt und hatte auch ein Kopfkissen. Ich begriff, dass dieses Kanu schon eine Weile mein Krankenbett war. Jane hatte mich so gut versorgt, wie ihr das möglich war. Mein Leben zu erhalten, das lag ja auch in ihrem Interesse. Denn was hatte sie schon für eine Chance ohne mich hier mitten in den Bitter Roots? Dennoch war ich ihr dankbar.
So dumm sie sich auch angestellt hatte, als sie mir das Schussfeld auf den Bären versperrte, nun hatte sie es wie der gutgemacht. Ich lag hilflos in einem Kanu, war schlimm zugerichtet worden, hatte gewiss eine Menge Blut verloren und konnte nur hoffen, dass sich die Wunden nicht entzünde ten. Trotz aller Not war ein Gefühl grimmiger Genugtuung in mir. Denn ich hatte den Mörder von Sommersonne ge tötet. Er hatte mir dieses Tal streitig machen wollen und war nun der Verlierer. Ich hatte schon Dutzende von großen Grizzlybären ge sehen und auch mit ihnen zu tun gehabt. In meiner Hütte lagen einige Bärenfelle. Aber noch nie hatte ich es mit solch einem Riesenbären zu tun bekommen. Wo mochten Jane und Wolf sein? Wenig später, als ich schon wieder einschlafen wollte – das Kanu lag im Schatten eines großen Baumes im fla chen Wasser –, da hörte ich das mir vertraute Winseln und leise Jaulen. Ja, das war Wolf. Kurz darauf sprang er auch schon zu mir ins Kanu und beschnüffelte mich, versuchte mein Gesicht zu le cken. Ich wehrte ihn mühsam und unter Schmerzen ab. Da bei hörte ich mich heiser mit einer mir fremden Stimme sagen: »Hör auf, mein Freund, lass es sein! Du bist keine schöne Fee, von der ich mich gerne küssen ließe. Du bist nicht mal wie Jane. Lass es sein.«
Da ließ er von mir ab, aber er blieb bei mir, beschnüf felte mich nur immer wieder und stieß mich mit seiner Nase an, so als wollte er mich aufmuntern oder auffor dern, aufzustehen. Aber das ging nicht. Ich wusste, dass die Wunden wie der zu bluten beginnen würden. Auch in meinem Kopf würde sich alles drehen. Nein, ich musste liegen bleiben und warten. Verdammt, diese Jane McAllister hatte mir kein Glück gebracht. Hätte ich den Grizzly nach Trapper- oder Berg läuferart jagen können, würde ich ihn ohne eigenen Scha den erwischt haben. Sie war mir dazwischengekommen. Eigentlich musste ich sie zur Hölle wünschen. Aber dann hatte sie mir wie ein guter Partner und Ge fährte geholfen, obwohl sie doch eine Frau war, die sich gewissermaßen in einer völlig fremden Welt befand. Ich dachte in diesen Minuten wieder an den Höllen hund Tigerkiller. Auch er war ein Untier, obwohl körperlich nicht so ge waltig wie dieser mächtige Silvertip, aber sehr viel schlauer noch, hinterlistiger. So ein Bär kam offen, grol lend, fauchend, brummend. Tigerkiller jedoch würde sich lautlos anschleichen. Aber wahrscheinlich hatte er meine Fährte längst ver loren. Und damit war es auch den drei Mistkerlen un möglich geworden, mich zu finden. Selbst der in diesem Land gewiss sehr erfahrene Lark Cheyenne hatte ohne den Höllenhund aufgeben müssen. Daran glaubte ich jetzt. Denn es waren ja schon viele
Tage und Nächte vergangen. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, denn ich hörte Hufschlag. Wenig später tauchte Jane neben dem Kanu auf, kletterte hinein und drängte Wolf von mir weg. Dabei sagte sie: »Geh weg, mach Platz. Wie kann ich diesen Bärentöter füttern, wenn du mich nicht an ihn ranlässt?« Ja, sie war es. Wolf machte ihr Platz. Und so hockte sie kurz darauf an seiner Stelle neben mir und zeigte mir einen Topf, dessen Deckel sie festgebunden hatte. »Das ist eine gute Suppe«, sagte sie. »Eigentlich müss test du Hunger haben. Oder geht es dir zu schlecht? Was machen deine Wunden? Hämmern und hacken sie? Oh, ich habe dir eine Menge scharfen Schnaps draufgegossen, auch die Pflaster und Verbände damit feucht gehalten. Eine Wunde über der Rippe musste ich mit Zwirn nähen wie ein Chirurg. Der Bär hat dich übel zugerichtet. Und ich weiß auch, dass ich mich wirklich wie eine störrische Ziege benommen habe. Wade, wenn ich alles nur wieder gutmachen könnte.« »Schon gut«, murmelte ich. »Immerhin lebe ich noch. Weißt du, es war der Grizzly, der vor zwei Jahren meine indianische Frau beim Beerensammeln erwischt und ge tötet hat.« Sie hatte den Topfdeckel nun losgebunden und rührte mit einem Löffel in der Suppe herum. Dann ließ sie mich kosten. Es war eine gute Suppe aus Fleisch und Mehlklöß chen. Als ich den ersten Löffel davon geschluckt hatte,
verspürte ich mit einem Mal einen wilden Hunger. »Wie lange liege ich hier schon?« So fragte ich heiser zwischen zwei Löffeln Suppe und sah in ihre Augen. »Seit gestern«, erwiderte sie. »Ich musste die halbe Meile zur Hütte laufen, um alles zu holen. Zurück konnte ich reiten, und ich war voller Furcht, dass du inzwischen gestorben sein könntest. Wade Mahoney, ich will dir et was sagen: Ich habe seit vielen Jahren wieder gebetet, richtig gebetet und den Himmel um Hilfe angefleht. Ich hätte nie geglaubt, dass ich noch ein einziges Mal in die ser verdammten Welt beten würde.« Sie verstummte herb. Und ich sah sie immer noch an und begriff, dass sich zwischen uns etwas verändert hatte. Zumindest würden wir nicht mehr wie Hund und Katze sein. Die Suppe schmeckte mir von Löffel zu Löffel besser. Jane fühlte mehrmals nach meiner Stirn, auch nach mei nem Puls. »Du hast leichtes Fieber«, sprach sie dann. »Es wird schlimmer werden«, erwiderte ich. »Und es ist anzunehmen, dass die Wunden nicht sauber heilen, sondern sich entzünden. Du musst in den kleinen Schup pen gehen, wo ich die Fallen und Werkzeuge aufbewah re. Unter dem Dach hängen einige Beutel mit Tee. Es sind alte Zuckersäcke. Mit Tintenstift schrieb ich auf das Lei nen, für was der enthaltene Tee gut ist. Ich brauche Blut reinigungstee. Und aus einigen dieser Pflanzen musst du einen dicken Sud machen, den man auf die entzündeten Wunden legt. Es sind alles bewährte indianische Rezep
te.« Jane hörte aufmerksam zu, nickte immer wieder und stellte auch Fragen, wenn sie etwas nicht verstand. Doch bevor sie sich verabschiedete, um nochmals zur Hütte zu reiten, fragte sie: »Deine Frau – ich meine die Indianerin, welche von diesem Ungeheuer getötet wur de, das auch dich fast geschafft hätte –, war sie sehr schön? Und von welchem Stamm war sie?« »Sie war eine Arapahoe«, erwiderte ich. »Und die Ara pahoe-Mädchen sind neben den Nez-Percé-Mädchen die schönsten. Sie war eine Häuptlingstochter und hatte fünf Jahre lang die Missionsschule von Pater de Smet besucht. Sie war gebildeter als die meisten Weißen im Land. Wir lernten uns kennen, als ich nach Fort Laramie kam, wel ches damals noch ein Handelsfort war. Sie war etwas Be sonderes.« Jane sagte nichts mehr. Sie kletterte aus dem Kanu. Wenig später entfernte sich der Hufschlag ihres Pferdes. Aber Wolf blieb bei mir. Er würde meinen Schlaf bewachen, denn ich war wirk lich sehr müde und fiel sozusagen in bodenlose Tiefen. Denn noch konnte ich das Kanu nicht verlassen. Meine Wunden mussten erst ein wenig verkrusten. Wolf leckte noch einmal über mein stoppelbärtiges Ge sicht. Ich war zu müde, ihm das zu verwehren. * Es wurde eine schlimme Woche. Das Wundfieber beutel
te mich böse. Und immer wieder war Jane bei mir, flößte mir Tee ein, versorgte meine Wunden, die sich entzündet hatten. Sie machte aus bestimmten Teeblättern einen di cken Sud, tränkte damit zusammengefaltete Baumwoll tücher und legte sie mir auf die entzündeten Wunden. Sommersonne hatte damals noch all diese Tees und Heilkräuter gesammelt. Nun rettete sie damit wahr scheinlich noch nachträglich mein Leben. Denn nach einer Woche etwa ging es mir besser. Ich brachte es mit Janes Hilfe fertig, das Kanu zu ver lassen und auf das Pferd zu klettern. Dann ritten wir heim. Drinnen legte ich mich erschöpft auf eines der Bärenfelle, aber ich wusste, nun würde es aufwärts gehen mit mir. Ich hatte das Schlimmste über standen und war auf dem Wege zur Genesung. Und das war auch notwendig. Denn der Spätsommer war bald vorbei. Ich musste noch eine Menge Heu ma chen für die Winterzeit. Dann musste ich auch alle Fallen gebrauchsfertig herrichten. Die Biber hatten sich vermehrt. Ich würde zumindest hundert Biberfelle bekommen, dazu noch viele Edelpelz tiere erlegen. Es würde ein guter Jagdwinter werden, daran glaubte ich. Ich lag erst einen Tag in der Hütte auf meinem Lager, als der Sommer sich mit einem unangenehmen Wetter verabschiedete. Es war noch einmal schwül geworden. In der Ferne grollte immer wieder Gewitterdonner. Ich dachte dabei: Nun wird bald die letzte Fährte von mir verwischt.
Jane kam bei Nachtanbruch an mein Lager und brach te mir das Abendessen. Sie musste mich nicht mehr füt tern. Ich konnte halb sitzend und halb liegend nun selbst meinen Hunger stillen. Jane musste irgendwann eine An tilope erlegt haben. Denn wir hatten genügend Frisch fleisch. Und überhaupt erwies sich Jane immer mehr als eine gute und umsichtige Gefährtin. Als sie sich an jenem Abend auf den Rand meines La gers setzte, grollte draußen der Donner besonders böse. Und durch die kleinen Fenster sahen wir die Blitze zu cken. Sie erhellten das ganze Tal. Ich begriff plötzlich und sah es auch im Schein der Öl lampe, dass Jane sich fürchtete, und so fragte ich: »Was ist mit dir?« In diesem Moment krachte wieder ein gewaltiger Don ner, so als würde die ganze Welt zerbersten. Und zuvor zuckten Blitzbündel überall. Jane zitterte am ganzen Körper. »Ich habe mich schon als Kind vor Donner und Blitz gefürchtet«, hörte ich sie wie betend sagen. Und dann fragte sie mich: »Was ist, wenn der Blitz in diese Hütte einschlägt?« »Das wird er nicht«, beruhigte ich sie. »Diese Hütte steht ziemlich trocken unter der überhängenden Fels wand. Wenn der Sturm den Regen nicht in unsere Rich tung weht, wird unser Dach nicht mal richtig nass. Es ist ein Steindach. Du bist hier vor dem stärksten Gewitter der Welt sicher. Aber es ist beruhigend zu wissen, dass du dich noch wie ein kleines Mädchen fürchten kannst.«
Ich sprach die letzten Worte grinsend. Sie sah mich kritisch an. Dann sprach sie: »Wahr scheinlich bist du doch kein richtiger Indianer. Denn dir wächst ein Vollbart. Ich sah noch nie einen bärtigen In dianer. Du sagtest einmal, dass du hier hintereinander zwei Frauen hattest. Wie war die andere? Warum starb sie?« Ich wusste, sie wollte sich mit mir unterhalten, um das Gewitter zu vergessen. Und überdies war sie neugierig. Ich kaute erst einen Bissen klein und machte meinen Mund leer. Dann sprach ich: »Die hatte ich beim Poker gewonnen in Jackson Hole. Jackson Hole, dies ist ein Tal in Wyo ming. Dort kommen jedes Jahr alle Trapper und Bergläu fer zusammen, um ein großes Fest zu feiern, welches län ger als eine Woche dauert. Und es kommen viele fahren de Händler, auch Indianersippen, manchmal sogar ganze Dörfer. Elster gehörte einem versoffenen Trapper, der sie von den Kiowas im Süden kaufte. Sie kam mit ihm nach Jackson Hole. Er war auch ein Spieler. Als sein Geld alle war, setzte er sie für hundert Dollar beim Pokern ein. Denn er vertraute auf zwei Paare. Es waren zwei Damen und zwei Könige, aber ich hatte einen Flush. Und so be kam ich sie. Weil sie niemanden hatte und ich sie nicht dem versoffenen Trapper überlassen wollte, nahm ich sie mit. Ich war damals ein noch recht junger Bursche, gera de erst fünfundzwanzig. Und sie war ein hübsches Kio wa-Mädchen. Ich brachte ihr in den langen Winternach ten, wenn draußen der Blizzard tobte, sogar das Lesen
und Schreiben bei. Aber sie hatte einen Tick. Sie ging auch in der größten Kälte baden. Ich glaube, dass sie sich eine Lungenentzündung holte. Ich war damals zwei Tage und zwei Nächte fort, weil ich zu den entferntesten Fal len musste und ein Blizzard mich überfiel. Als ich in die Hütte kam, lag sie schon im Sterben. Ihr Fieber verbrann te sie. Sie hieß Elster und war noch keine zwanzig Jahre alt, vielleicht erst siebzehn oder achtzehn. Sie tat mir Leid. Vielleicht hätte sie bei dem versoffenen Trapper überlebt.« Ich verstummte bitter. Jane sah mich lange an. Dann sagte sie: »Vielleicht bin ich die dritte Frau hier, die in diesem verdammten Tal bei dir sterben wird. Warum hast du mich nicht über die Bitter Roots zum Co lumbia gebracht? Längst säße ich auf einem Dampfboot oder wäre sogar schon in Portland.« Ich nickte. »Ja, vielleicht«, sagte ich. Dann krachte wieder der Donner und zuckten drau ßen die Blitze. Das Echo des Donners hallte durch das Tal und kam von den Bergen zurück. Wolkenbrüche gingen nieder. Ich dachte einen Moment an den Biberdamm. Würde er halten? Denn jetzt kamen gewaltige Wassermassen von den Bergen in mein Tal. Ich hatte den Teller leer. Jane nahm ihn mir ab und legte sich neben mich auf das Bärenfell. »Lass mich hier bei dir liegen«, flüsterte sie. »Ver dammt, was kann ich dafür, dass ich mich vor Blitz und
Donner so sehr fürchte?« Sie lag nun neben mir, und ich spürte ihren Körper. Verdammt, was war das? War sie wahrhaftig so furchtsam bei einem Unwetter? Oder wollte sie mich ih ren geschmeidigen, so sehr lebendigen Körper spüren lassen? Doch ich war ja noch längst nicht wieder gesund und bei Kräften. So mochte wohl die erste Möglichkeit sie ne ben mich getrieben haben – die Furcht eines kleinen Mädchens. Oha, wer kennt sich schon mit Frauen aus! * Eine Woche später war ich wieder auf den Beinen. Ja, ich hatte ein paar Narben mehr an meinem Körper, und eini ge sahen böse aus. Dennoch wusste ich, dass ich bald wieder im Vollbesitz meiner körperlichen Fähigkeiten sein würde. Der Bär hatte mich nicht zum Krüppel ma chen können. Der See war angeschwollen, denn der Biberdamm hat te gehalten. Das Wasser war über ihn hinweg abgeflos sen. Ich musste wieder einmal mehr die Biber bewun dern und ihnen meinen ganzen Respekt zollen. Sie waren große Baumeister. An diesem Tag rasierte ich mich sorgfältig, zog mir fri sches Zeug an und machte mich auf den Weg zu den Gräbern meiner beiden indianischen Frauen. Als ich dort verharrte und sie mir in meine Erinnerung
zurückrief, da dachte ich an Janes Worte. Glaubte sie an ein böses Omen, an ein Schicksal, wel ches jede meiner Frauen hier in diesem Tal ereilte? Fürch tete sie sich davor, hier wie Elster und Sun sterben zu müssen, weil das Tal keiner Frau Glück brachte, sondern jede hier zum Untergang verurteilt war? Der Grizzly hatte Jane ja fast erwischt, bevor er dann mich angriff, weil er in mir den gefährlicheren Feind er kannte. Ich sah zur Seite, als sie neben mich trat. Und dann schob sie ihre Hand in die meine. Sie sah von der Seite her zu mir hoch und versuchte zu lächeln. »Du hast sie also wirklich mit dem Herzen geliebt«, sprach sie. »Gewiss waren es wundervolle Geschöpfe, als Menschen vielleicht sogar besser als ich. Wade, ich weiß jetzt, dass du ein besonderer Mann bist. Du hast dich hierher geflüchtet vor einem Ungeheuer und drei gefähr lichen Männern. Als du im Fieber gelegen hast, erzähltest du nicht nur wirres Zeug. Ich weiß jetzt gut Bescheid über dich. Du wirst mich vielleicht erst wieder im Früh sommer von hier wegbringen können. Nun gut, dann lass mich von nun an deine dritte Frau sein. Ich will nicht mehr in diesem wilden Tal allein unter meiner Decke lie gen. Ich will deine Arme fühlen, die mich halten in der Einsamkeit. Ich habe versucht, dich zu hassen, zu verach ten – aber ich kann es nicht mehr.« Ich hörte ihre Worte und konnte es noch nicht glau ben. Doch es war so. Wir würden noch diese Nacht ein Paar werden.
Nun, wir standen also Hand in Hand an den Gräbern meiner beiden indianischen Frauen. Dann gingen wir zu rück zur Hütte. Wir sprachen nicht viel an diesem Tag. Und auch als es Nacht geworden war und sich Jane zu mir legte, als ich sie in meine Arme nahm und wir ein Paar wurden, brauchten wir keine Worte. Wir waren einsam in einem wilden Tal und beschenk ten uns mit Zärtlichkeiten. Mir fiel irgendwann in dieser Nacht ein, dass ich – wenn ich mich nicht verrechnet hatte mit dem Datum – um Mitternacht zweiunddreißig Jahre alt geworden war. Jane mochte etwa sechs Jahre jünger sein. * Die Tage und Wochen vergingen. Das Wetter war schlecht. Es regnete und stürmte immer wieder. Der Herbst war gekommen. Wir arbeiteten hart, denn wir mussten für unsere Pfer de eine Menge Heu machen. Ich musste für einen großen Holzvorrat sorgen, auf die Jagd nach Frischfleisch gehen und auch schon überall im ganzen Tal die Fallen vertei len. Doch vorerst stellte ich sie noch nicht mit Ködern auf. Die Pelztiere hatten noch nicht ihr schönstes Winterfell. Nur die Biber konnte ich schon fangen. Manchmal ritten Jane und ich bis zum anderen Ende des Tales oder umritten es in weiter Runde. Dann muss ten wir unterwegs übernachten, denn der Weg zurück
zur Hütte war zu weit. Ich hatte überall im Tal kleine Nothütten oder Unter stände in Höhlen. Denn wenn ich zu den entlegensten Fallen unterwegs war und von einem Blizzard überrascht wurde, hatte ich schon oft irgendwo eine ganze Woche unterkriechen müssen. Ein halbes Dutzend solcher Un terkünfte hatte ich geschaffen. Eine befand sich auf einer kleinen Erhebung, die inzwischen im angestauten See zu einer Insel geworden war, unsichtbar zwischen Büschen. Man konnte sie von den Ufern aus nicht sehen. Ich hatte sie damals errichtet als einen letzten Zufluchtsort für den Fall, dass ich von einer feindlichen Indianerhorde hier im Tal überrascht wurde. Wir suchten alle Hütten auf, brachten Fallen dorthin und sorgten auch für Feuerholz. Die Hütte auf der Insel rüstete ich dazu mit allen notwendigen Dingen aus, die einen Aufenthalt von ein paar Wochen erlauben würden. Jane hielt sich prächtig, und manchmal schien es mir, als machte ihr dieses Trapperleben sogar Freude. Einige Male hörte ich sie singen. Ja, es war eine totale Verände rung mit ihr vorgegangen. Sie hatte Jahre in einer unhei len Welt gelebt, war wie eine Raubkatze auf Beutefang gewesen mit gewiss wechselnder männlicher Begleitung oder männlichem Schutz. Sie war eine Abenteurerin, Spielerin und Glücksjägerin gewesen, zuletzt auf der Flucht mit ihrem Partner. Jetzt lebte sie anders, völlig anders. Und ganz offensichtlich genügte ich ihr als Mann, ja, vielleicht war ich sogar ihr bisher bester Liebhaber.
So lebten wir also in meinem Tal als Paar wie auf einer einsamen Insel. Nur manchmal fragte ich mich, ob ich dem verdammten Höllenhund und den drei Kerlen ent kommen war. Eigentlich konnte es gar nicht anders sein. Es war ja auch kaum anzunehmen, dass sie immer noch auf meiner Fährte waren. Normale Menschen hätten schon längst aufgegeben. Aber waren sie normal? Das war die Frage, und immer dann, wenn ich sie mir stellte, kam ich zu der instinktiven Einschätzung, dass sie nicht normal waren, weder sie noch ihr verdammter Höl lenhund. Ich ahnte immerzu, wenn ich an dieses Tier dachte, dass es mit ihm ein Geheimnis gab. Dies musste mit sei nem Herrn, dem Chinesen Yellow Joe, zusammenhän gen. Vielleicht hatte er das Tier auf irgendeine Weise hypnotisiert und so erst zu einem unbesiegbaren Untier gemacht. Und weil es nicht sein durfte, dass es verlor, sondern stets nur siegen musste, war es notwendig, dass sie mich fanden. Außerdem hatte ich den Höllenhund angeschossen. Deshalb musste er mich und Wolf aufspüren und erledi gen. Und das wurde er vielleicht auch noch nach Mona ten versuchen. Ja, so mochte es sein. * In einer dieser Nächte sagte Jane mir, dass sie glücklich
sei mit ihrem Leben hier bei mir im Tal und sie niemals geglaubt hätte, eines Tages so empfinden zu können. »Wenn ich an mein früheres Leben denke«, sprach sie weiter, »dann war das doch ein verdammt elendes Le ben, ständig auf der Jagd nach zweibeinigen Schafen und Hammeln, denen man das Fell abziehen konnte. Wade, ich bin froh, dass du mich mitgenommen hast in dein schönes Tal. Und dennoch muss ich dir sagen, dass ich Angst habe vor dem Winter, wenn die Blaueisblizzards kommen und die Hölle aufbricht. Denn so ist es doch wohl – oder?« »Ja, so ist es«, erwiderte ich. »Dann bricht wirklich die Eishölle auf. Aber ich bin ja bei dir. Und ich habe schon viele Blizzards erlebt.« Ich hatte kaum ausgesprochen, als ich einen Laut wie aus weiter Ferne zu hören glaubte, den zu hören ich nicht glauben konnte und mir sicherlich nur einbildete. Ich lag still, hielt Jane in meinem Arm und wandte den Kopf, sodass ich nicht von ihrem leisen Atem gestört wurde beim Lauschen. Nochmals lauschte ich angestrengt. Hatte ich es wirklich gehört? Oder war es nur Einbildung? Doch dann glaubte ich, durch die offenen Fenster es wieder zu hören. Verdammt, das konnte nicht wahr sein! Ich löste mich von Jane, erhob mich und verließ die Hütte. Draußen verharrte ich nackt, wie ich war, und lauschte. Ich musste lange warten, und die Kühle der
Nacht ließ mich schon daran denken, wieder in die Hütte zu gehen und mir etwas anzuziehen, um dann hier drau ßen länger ausharren zu können. Aber dann hörte ich es wieder. Es kam von weit her, nämlich vom fernen Pass nieder, über den ich mit Jane vor vielen Wochen in mein Tal ge kommen war. Und dort oben auf dem fernen Pass, wahrscheinlich auf der Wasserscheide, da heulte dieser verdammte Höl lenhund. Ja, er musste es sein. Kein anderes Lebewesen auf unserer Erde konnte so heulen. Ich verspürte ein Frösteln, das nicht von der Nacht kühle erzeugt wurde. Und ich dachte mit Bitterkeit und einem Gefühl der Resignation: Er hat mich gefunden. Nach vielen Wochen konnte er mich hier in den unwegsamen und unüber sichtlichen Bitter Roots finden. Verdammt, was ist er nur für ein Wesen? Das kann doch nicht wirklich wahr sein. Er hat mich gefunden! Nun heult er dort oben ins Tal nie der, als wüsste er genau, dass ich ihn hören würde. Und diese drei Killer waren gewiss bei ihm. Jane tauchte neben mir auf. Auch sie war nackt wie ich. Und so standen wir nebeneinander und lauschten über das Tal hinweg zum Pass hinauf. Wieder heulte der Höllenhund sein grausiges, schreck liches »Lied«. »Ist er das?« So fragte Jane und drängte sich an mich, sodass ich meinen Arm um ihre Schulter legen konnte. »Ja, das ist er«, erwiderte ich. »Nun hörst du ihn
selbst. Jane, unsere schöne Zeit ist vorbei.« »Was werden wir tun?« Sie fragte es ruhig. Sie fragte nicht, was ich tun würde, sondern sprach von uns. Ich antwortete nicht sogleich, sondern witterte mit all meinen Sinnen zum fernen Pass hinauf, versuchte mit meinem Instinkt etwas zu erahnen, vorauszusehen und zu begreifen. Er war also dort oben mit seinen drei Begleitern. Was würden sie tun? Ich sagte zu Jane: »Die kommen noch nicht herunter ins Tal – nein, nicht in dieser Nacht. Sie werden erst bei Tag das Tal gewissermaßen studieren, sich alles einzu prägen versuchen – jede Hügelkette, Bodenwelle, die Waldstücke, den See. Vielleicht werden sie zwei Tage brauchen, um unsere Hütte zu finden. Denn man kann sie ja erst entdecken, wenn man ihr sehr nahe ist. Aber die Jagd wird bald beginnen. Jane, ich bringe dich mit dem Kanu zur Hütte auf der Insel im See hinüber. Dort ist ja inzwischen alles, was du für einige Zeit benötigst. Du bist auf der Insel ziemlich sicher. Ich kann dich bei der Jagd nicht gebrauchen. Du würdest mir hinderlich sein. Aber es könnte sein, dass ich zu dir auf die Insel flüchten muss. Deshalb musst du in den Nächten das Kanu bereithalten und auf ein Lichtzeichen achten. Ich würde einen trockenen Busch anzünden. Dann musst du mir mit dem Kanu entgegenkommen. Du darfst in den Nächten also nicht schlafen, sondern musst nach Norden und Nordwesten zu auf Lichtzeichen achten. Die Insel liegt nach Norden und Nordwesten über eine Meile weit
vom Ufer weg im See. Na, komm zurück in die Hütte.« Sie zitterte in meinem Arm. Aber dann sagte sie: »Du hast den Grizzly getötet, also wirst du auch mit einem gefährlichen Hund fertig wer den. Ja, ich sehe ein, dass ich dir hinderlich wäre bei der Jagd. Und ich darf wohl auch nicht in die Hände der drei Kerle fallen, die mit diesem Tier ins Tal kommen werden, nicht wahr?« »Nein«, erwiderte ich, »das darfst du nicht. Denn wenn sie dich haben, dann hätten sie auch mich. Ich wür de mich ihnen ergeben, um dein Leben zu retten. Ich würde das wahrhaftig tun. Deshalb darfst du dich von ihnen nicht erwischen lassen. Doch auf der Insel wirst du sicher sein.« * Die Nacht war schwarz. Als Jane ins Kanu kletterte, machte ich mir Sorgen, ob sie zur Insel finden würde. Denn wenn sie die Richtung nicht einhielt, konnte es ge schehen, dass sie an der kleinen Insel, die einmal ein Hü gel gewesen war, vorbeipaddelte. Ich gab ihr noch einmal die Richtung an und sagte: »Wenn du unsicher wirst, dann warte auf dem See bis zum Morgengrauen. Dann wirst du die Insel früher se hen als die Kerle vom Pass aus. Sie können das Kanu erst dann zur Insel fahren sehen, wenn der Tag schon ziem lich hell wurde und die Nebel sich gelichtet haben. Pass gut auf dich auf, Jane.«
»Und du auf dich«, erwiderte sie schlicht. Dann stieß ich das Kanu vom Ufer ab in den See. Wolf war plötzlich bei mir. Er war die ganze Nacht verschwunden gewesen wie in fast allen Nächten. Ich war sicher, dass auch er das Heulen gehört hatte. Nun verharrte er neben mir. Er knurrte warnend. Ich sagte: »Ja, ich habe es gehört. Er ist da, hat uns auf gespürt. Und er wird auch dich haben wollen. Diesmal ist er nicht angeschossen, sondern im Vollbesitz seiner Kräfte. Aber im Wettrennen kannst du ihn immer schla gen. Lass dich nicht von ihm erwischen.« Ich nahm die beiden Pferde, auf denen Jane und ich zum See gekommen waren. Noch war die Nacht schwarz. Niemand konnte uns vom Pass aus zur Hütte reiten sehen. Doch wenn sie erst ins Tal heruntergekom men waren, würden sie leicht alle Fährten erkennen. Aber würden sie schon am ersten Tag kommen? Ich glaubte es nicht. Denn sie würden erst viele Stun den das Tal beobachten. Sicherlich hatten sie ein Fernrohr bei sich. Nun, wir würden sehen. * Als der Tag kam, hockte ich über der Hütte in einer Spal te der Felswand. Ich hatte mein Fernrohr bei mir, auch genug zu essen und eine Flasche mit Tee. Ich wartete geduldig. Immer wieder blickte ich mit dem Fernrohr zum Pass hinauf. In Luftlinie mochten es
an die sieben Meilen sein. Aber es war dort oben nichts zu sehen – keine Bewe gung, kein Blinken in der Sonne von einem Fernglas oder Metall. Wolf lag unten auf der Erde. Ich hatte ihn nicht mit heraufnehmen können. Er war nun mal keine Bergziege. Manchmal richtete ich mein Fernrohr auf die Insel. Vom Kanu war nichts zu sehen. Auch Jane hielt sich gut verborgen. Sie hatte in den vergangenen Wochen sehr viel gelernt. Der Tag verging. Nichts geschah. Aber dann, als die Sonne schon tief im Westen stand und in den nächsten Minuten hinter den Bergen ver schwinden würde – die Felswand, in deren Spalte ich hockte, lag schon lange im Schatten –, da sah ich drüben auf dem Pass ein Blinken. Ich wusste, es wurde von einem Fernrohr erzeugt, auf welches das Sonnenlicht fiel. Nun hatte ich Gewissheit. Sie waren immer noch dort oben. Und sie würden bei Anbruch der Dunkelheit ins Tal herunterkommen. Morgen würden sie noch vor Mittag meine Hütte fin den und meine Fährte aufnehmen. Ich wartete in der Felswand, bis die Schatten noch tiefer wurden und von Osten her über den Pass die Däm merung kam. Dann kletterte ich hinunter und ließ alle Pferde frei bis auf meinen Appaloosa. Als ich losritt, war ich gut ausgerüstet. Morgen würde die Jagd beginnen. Wolf trottete neben
mir. Nach etwa fünf Meilen erreichten wir eine Hügelket te mit lichtem Wald. Hier hielt ich an. Ich aß von meinem kalten Proviant und legte mich zur Ruhe. Ja, ich schlief sofort ein. Denn Wolf war ja bei mir. Klar, dass er mit seinem untrüglichen Instinkt längst Bescheid wusste und wa chen würde. * Es wurde ein kalter, windiger Sonnentag mit guter Sicht. Gegen Mittag sah ich durch mein Fernrohr, dass sie ka men. Tigerkiller führte sie geradewegs zu meiner Hütte. Aber das war einfach, denn es gab ja genügend Fährten. Etwa zweihundert Yards vor der Felswand, unter der sich die Hütte befand, hielt der Höllenhund an und stieß sein Geheul aus. Ich konnte es schwach hören, denn der Wind kam von Süden oder Südosten. Wolf stand auf seinen Beinen und vibrierte am ganzen Körper. Er ließ ein böses Knurren hören. Ich sagte zu ihm: »Schon gut, mein Junge. Ich sehe ihn ja. Er ist noch meilenweit entfernt.« Dann sah ich, wie die drei Reiter ihre beiden Packpfer de stehen ließen und zueinander einen weiten Abstand hielten. Sie saßen ab und blieben in Deckung ihrer Pfer de, während sie diese in Richtung Hütte führten. Sie ver schwanden dann zwischen den Bäumen und Büschen. Ich wusste, sie würden jetzt in meine Hütte eindringen und diese in Besitz nehmen.
Der verdammte Höllenhund aber begann umherzu schnüffeln. Ich konnte ihn durch das Fernrohr in der kla ren Luft ganz gut beobachten. Ich dachte: Nun, dann komm doch! Lauf ihnen auf meiner Fährte voraus. Ich warte auf dich. Komm nur! Und tatsächlich, er nahm plötzlich die Fährte von Wolf und meinem Pferd auf. Er wusste, dass ich auf diesem Pferd saß und Wolf bei mir war. Ja, er kam. Aber wie nahe würde er herankommen? Wolf knurrte jetzt neben mir, als wüsste oder spürte er genau, dass sich ihm nun jenes Tier näherte, das ihn da mals töten sollte. Ich fragte mich, wie weit Tigerkiller sich von seinem Herrn, dem Chinesen Yellow Joe, entfernen durfte. Und so richtete ich mein Fernrohr auch immer wieder dorthin, wo unter der überhängenden Felswand und hinter Bäu men und Büschen meine Hütte lag. Doch dort zeigte sich nichts. Auch die Pferde waren nicht mehr zu sehen. Vielleicht fraßen sie nun in der Stallhöhle mein gutes Heu. Und ihre Besitzer machten es sich in meiner Hütte bequem. Sie verließen sich gewiss auf ihren verdammten Höllenhund, ließen ihn draußen überall herumschnüffeln und machten sich wenig Sor gen, dass ich ihn beim nächsten Mal besser mit der Sharps erwischen würde. Mehr als zwei Stunden vergingen. Nun war er schon sehr nahe, bis auf etwa vierhundert Yards. Und immer wieder hatte er auf der letzten Meile angehalten und in
meine Richtung gewittert. Ich lag auf dem Hügel gut fünfzig Yards höher als er. Mit Hilfe meines Fernrohres war er mir sechsmal näher als in Wirklichkeit. Ich konnte ihn genau betrachten. Sein Fell war struppiger als damals am Fluss bei Fort Benton. Er musste mit seinen Begleitern viele Wochen im Freien gelebt haben. Ich begriff, dass sie die ganze Zeit nach meiner Fährte gesucht hatten. Dieser Tigerkiller musste sie wahrscheinlich durch einen großen Teil der Bitter Roots geführt haben, getrieben von einem uner klärbaren Instinkt. Nun hockte er sich auf sein Hinterteil, stemmte die Vorderbeine ein und witterte herauf. Ich musste seinen Instinkt bewundern. Er wusste genau, dass ich hier oben auf dem bewaldeten Hügel auf der Lauer lag. Dabei war ich sicher, dass er mich nicht sehen konnte – auch Wolf und mein Pferd nicht. Wir waren gut verbor gen. Er konnte uns also nur ahnen. Nicht mal der Wind strich von uns zu ihm. Was war er nur für ein Wesen? Wolf hockte immer noch neben mir und knurrte leise. Er witterte feinnervig und starrte zu ihm hinunter, als rechnete er mit einem Angriff. Ich wusste jedoch, dass Tigerkiller nicht näher kom men würde. Und plötzlich stieß dieser sein schreckliches Geheul aus, legte den Kopf in den Nacken und ließ jenen bösen, markerschütternden Laut hören. Es war wie das Geheul von Wölfen und das Fauchen von Berglöwen. Dazu kam
ein Grollen wie von einem Feuer speienden Drachen. Aber ich konnte ihn mit meiner Sharps auf diese Ent fernung nicht erwischen, selbst nicht mit dem aufgesetz ten Zielfernrohr und einer besonders starken Pulverla dung in der Papppatrone. Er blieb einfach um mindestens ein bis zwei Dutzend Yards außer Schussweite. Was sollte ich tun? Ich blickte auf Wolf nieder. Der sah zu mir hoch und hatte seinen Fang geöffnet, hechelte leise. In seinen Au gen erkannte ich Mut und begriff, dass er bereit war, eine Aufgabe zu übernehmen, so etwa wie ein guter Jagd hund, der auf einen Befehl zum Einsatz wartete. Ich sprach zu ihm nieder, so als könnte er meine Wor te verstehen wie ein Mensch: »Pass auf, Wolf, du bist schneller als er. Lauf hin und fordere ihn heraus. Er soll hinter dir herjagen wie der Teufel hinter einer Seele. Und dann bringe ihn mir in Schussweite. Hast du das verstan den? Kannst du begreifen, was ich von dir will? Na los! Wenn er nahe genug ist, dann erschieße ich ihn mit die sem Ding hier.« Ich zeigte Wolf meine Sharps. Und ich wusste, dass er nun begriff. Denn mehr als einmal hatte er mir Wild vor den Lauf getrieben. Er kannte dieses Spiel. Noch einmal sah er zu mir hoch und ließ ein bereitwil liges Winseln hören. Dann setzte er sich in Bewegung und lief den Hügel hang durch den lichten Wald abwärts. Er lief geradewegs auf Tigerkiller zu.
Dieser erwartete ihn bewegungslos, witterte ihm nur entgegen. Wolf trottete immer näher und näher. Manchmal hielt er inne mit einer erhobenen Pfote und bellte, so als riefe er Tigerkiller zu: »Na komm doch! Jage mich!« Doch Tigerkiller verharrte bewegungslos, wartete nur. Einige Male witterte er zu mir herauf, und ich begriff in diesen Minuten, dass er das Spiel, das ich mit Wolfs Hilfe versuchte, genau durchschaute. Verdammt, hatte er ein Hirn, das dem eines Menschen in Bezug auf Klugheit ziemlich nahe kam? Immer näher kam ihm Wolf, hielt immer öfter inne, wandte sich zur Flucht, machte einige Sätze und blickte wieder zurück. Aber Tigerkiller verharrte. Dann jedoch stieß er abermals sein schreckliches Ge heul aus. Es war meilenweit in der Runde zu hören und kam als Echo von den Bergwänden zurück, hallte über den See und zur Insel hinüber – und natürlich auch bis zu meiner Hütte. Ich richtete das Fernrohr dorthin, aber es wurden kei ne Reiter sichtbar, die dem Ruf des Höllenhundes folg ten. Ließen sie ihn im Stich, weil sie in meiner Hütte genü gend Vorräte gefunden, sich ein Essen zubereitet und auch meinen Brandy gesoffen hatten? Wolf hatte sich seinem Feind nun bis auf ein Dutzend Yards genähert und verharrte wieder lauernd und lo ckend zugleich, war bereit, herumzuwirbeln und die
Flucht zu ergreifen. Aber dieser verdammte Tigerkiller, der vielleicht nur zur Hälfte ein Hund und zur anderen Hälfte ein Höllen tier war, ließ sich nicht herausfordern. Ja, er wandte sich sogar ab, kehrte Wolf einfach den Rücken und trottete zurück in Richtung Hütte. Es war für mich, als zeigte mir jemand verächtlich den Hintern. Heiliger Rauch, was war das für ein Spiel! Er hatte uns aufgespürt, durch sein Geheul gewisser maßen Signal gegeben und wurde von seinen Begleitern im Stich gelassen. Nun war er zu schlau, es allein zu ver suchen. Ich hatte genug von diesem Spiel. Nun sollte er mich erst richtig kennen lernen. Das war bisher noch nicht der Fall gewesen. Und so erhob ich mich, ging hinter Felsen und Bäumen zu meinem Pferd, schob die Sharps in den Scabbard und zog meinem Appaloosa den Bauchgurt stramm. Dann sagte ich ruhig: »Nun, mein Junge, jetzt machen wir Jagd auf ihn. Mal sehen, ob du schneller bist als er. Weißt du, ich will ihn mit dem Colt erledigen. Aber dazu muss ich dicht genug herankommen. Also sei nicht faul, mein Guter. Jetzt musst du verdammt schnell rennen.« Der Appaloosa spitzte die Ohren wie ein Hund. Ich ritt an, ließ den Appaloosa-Wallach ruhig den Hü gel abwärts traben. Tigerkiller war stehen geblieben und hatte sich mir wieder zugewandt. Ich hatte den Eindruck, dass er mich staunend erwar
tete. Wolf kam mir entgegen. Er bellte freudig, so als freute er sich auf die Jagd. Als er mich erreicht hatte, machte er kehrt und trottete neben meinem Wallach her. Manchmal sah er zu mir hoch. Ich sprach auf ihn nieder: »Pass nur gut auf dich auf, Wolf, mein Freund. Denn wenn du ihm zu nahe kommst, bricht er dir das Genick.« Immer noch trabte mein Pferd ruhig unter mir. Und Tigerkiller wartete. Glaubte er vielleicht, dass wir uns nicht an ihn heranwagen würden wie vorhin Wolf? Aber diesmal würde es anders sein. Hinter dem Höllenhund war fast eine halbe Meile frei es Feld. Es gab nur wenige Büsche im hohen Gras und noch weniger Bäume. Auch nach rechts und links war keine Deckung für ihn. Ich konnte ihn also eine halbe Meile weit jagen. Erst dann würde er untertauchen können im Wald oder zwi schen dichten Buschinseln. Aber wie nahe ließ er mich herankommen? Am besten wäre es, dachte ich, er würde mich angrei fen, so wie der Grizzly es getan hatte. Immer näher kam ich ihm. Nun erkannte ich, dass er unruhig wurde, unsicher. Bis auf etwa fünfzig Yards ließ er mich heran. Dann wandte er sich um, so wie vorhin, als Wolf sich ihm genähert hatte, und trottete davon. Aber er blickte fortwährend zurück. Ich stieß einen wilden Indianerschrei aus. Es war mein Jagdschrei. Mein Wallach wusste sofort Bescheid, und so
sprang er geschmeidig an und hatte schon nach wenigen Sprüngen seine Höchstgeschwindigkeit erreicht. Die Jagd war im Gange. Oho, wir machten eine Menge Boden gut. Ja, wir hol ten ihn ein, Yard für Yard, so sehr er sich auch anstreng te. Wolf lief mühelos mit, und so kamen wir dem Höllen hund immer näher. Ja, ich wollte ihn töten. Es war ein böser Wille in mir. Denn er hatte die drei Kerle nach wochenlanger Suche bis in mein Tal geführt. Ich wusste, ich würde keinen Frieden mehr finden, solange er und seine Begleiter leb ten. Ich sah, wie er sich mühte, so schnell zu sein wie noch nie in seinem Leben. Doch er war zwar gewaltig stark und konnte mit seinem Fang alles zermalmen. Er war auch klug und schien einen unfehlbaren Instinkt zu ha ben. Aber er konnte nicht so schnell laufen wie Wolf und mein Pferd. Als ich nur noch etwa ein Dutzend Yards von ihm ent fernt war, begann ich mit dem Colt zu schießen. Aber das war nicht so einfach. Denn ich saß ja auf ei nem galoppierenden Pferd. Tigerkiller lief auch nicht ge radeaus, denn schon nach dem ersten Schuss, dessen Ku gel ihm wie ein Peitschenschlag das Fell an der linken Schulter aufriss, begann er Haken zu schlagen wie ein schwerfälliger Hase. Ich musste meinen Appaloosa immer wieder herum reißen. Mit dem zweiten oder dritten Schuss traf ich ihn nicht, ritzte ihn nicht einmal.
Dann sprang ihn Wolf von der Seite her an, denn er hatte ihn eingeholt und wollte ihn beim Hakenschlagen hindern. Aber ich hatte nun Angst, Wolf zu treffen, und brüllte: »Weg von ihm, Wolf! Weg von ihm!« Doch in diesem Moment wandte er sich gegen Wolf, der sich an ihm verbeißen wollte, mit wirklich dummer Furchtlosigkeit. Sie kugelten übereinander, grollten, knurrten und bissen sich. Dann sprang Tigerkiller auf und jagte weiter. Wolf jedoch blieb liegen. Ich fluchte wild, hielt den Wallach an und sandte dem verdammten Höllenhund – oder was er auch sonst sein mochte – mei ne letzten Kugeln nach. Vielleicht verwundete ich ihn so gar, aber ich war mir nicht sicher. Ich riss den Appaloosa herum und ritt zu Wolf zurück, an dem mich der Schwung meines Pferdes vorbeigetra gen hatte. Mit einem wilden Ruf warf ich mich aus dem Sattel und kniete neben Wolf. Er war gewissermaßen mein Freund. Ich konnte ihn nicht ohne Hilfe lassen. Also ließ ich Tigerkiller entkom men. Wolf lebte noch, aber er war von drei Bissen schlimm zugerichtet worden. Zwar hatte er gewiss auch seinem Gegner böse Bisse zugefügt, aber ihm war fast die Kehle durchgebissen worden. Auch im Genick hatte es ihn er wischt. Nur sein dichtes Nackenfell hatte ihn letztlich vor dem Tod bewahrt. Dieser gewaltige Fang von Tigerkiller konnte gewiss ein Männerbein glatt durchbeißen. Wolf winselte. Ich musste ihn retten, durfte keine ein zige Sekunde mehr an dieses Ungetüm von Höllenhund
verschwenden. Überdies waren meine sechs Schüsse gewiss meilen weit im Tal gehört worden. Nun würden auch die drei Kerle endlich aus der Hütte kommen. Ich nahm Wolf in meine Arme und stieg auf den Ap paloosa, ohne hierfür meine Hände zu benutzen, mit de nen man sich ja sonst in den Sattel zog. Mit Wolf in den Armen ritt ich nach Norden. Wir mussten ein Versteck finden. * Ich ritt durch eine enge Schlucht, welche fast völlig von einem Creek ausgefüllt wurde. Unterwegs hatte ich Wolf notdürftig versorgt, sodass er zumindest kein Blut mehr verlor. Er winselte manchmal dankbar und leckte meine Hand, die vor ihm die Zügel hielt. Wahrscheinlich würde ich ihm die bösen Bisswunden nähen müssen. Aber würde er stillhalten? Ich hatte genügend Ver bandszeug und alle anderen notwendigen Dinge für eine Wundbehandlung bei mir. Denn damit hatte ich rechnen müssen. Bevor ich in die enge Schlucht ritt, saß ich ab, ließ Wolf quer über dem Pferdenacken liegen und suchte nach meinen Fallen, die ich hier versteckt hatte. Denn hier aus dieser engen Schlucht kamen im Winter stets die Silber füchse und andere wertvolle Pelztiere. Es waren drei Fallen, Wolfs- und Fuchsfallen.
Als ich sie spannte und auslegte, gut dabei tarnte, hoffte ich, dass der verdammte Höllenhund hineintreten würde. Doch es war nur eine Hoffnung. Ich glaubte, dass er die Fallen wittern würde. Er besaß zu viel Instinkt und war zu schlau. Aber vielleicht hatte ich dennoch Glück. Am Ende der Schlucht war dann die Höhle in der rechten Schluchtwand, wo ich ein Notquartier eingerich tet hatte. Schon einmal musste ich hier während eines Eisblizzards eine ganze Woche aushalten. Und auch diesmal war ich schon mit Jane hier gewe sen und hatte Vorsorge getroffen, auch für reichlich Feu erholz gesorgt. Ich ritt in die Höhle und machte schon bald ein Feuer. Dann begann ich mich im Licht des Feuerscheins um Wolf zu kümmern. Als ich ihm die Wunden zunähte mit Nadel und ge wachstem Zwirn, da knurrte er zwar vor Schmerz, doch er ließ es geschehen. »Braver Bursche«, sagte ich immer wieder zu ihm. Er lag dann erschöpft und ausgebrannt da, indes ich absattelte und mein Lager herrichtete. Später kochte ich Kaffee, briet mir ein mitgebrachtes Antilopensteak und aß ein paar harte Biskuits dazu. Dabei dachte ich immerzu an Tigerkiller und dessen drei Begleiter. Was würden sie tun? Wann würde er sie an den Ein gang dieser Schlucht führen? Und wann traten sie dann in meine Fallen?
Aber ich wusste, dass sie erst bei Tag in die Schlucht eindringen würden. Die Fallen würden sie zu stark war nen vor weiteren Überraschungen. Ich hatte Zeit zum Ausruhen. Und besonders Wolf brauchte Erholung. * Ich wusste, diesmal konnte mich Wolf nicht warnen, denn er war ziemlich erledigt. Er schlief tief und fest. Deshalb schlief ich selbst sehr unruhig. Immer wieder er wachte ich und lauschte. Einige Male erhob ich mich und verließ die Höhle. Denn mein Wallach machte zu viele Geräusche. Doch in der Schlucht blieb es still. Und so verging die Nacht, ohne dass sie kamen. Als es Tag wurde, aß ich kaltes Fleisch und schob mir eine Hand voll Trockenobst in den Mund. Dann nahm ich meine Waffen und ging durch die Schlucht nach vorn zu deren Eingang. Es war nur eine Viertelmeile weit bis zu den Fallen. Sie waren unberührt. Aber ich fand die Fährte von Tigerkiller. Ja, es waren unverkennbar seine. Er war also hier gewesen, hatte den Stahl der Fallen gewittert und sie beschnüffelt. Ich konn te das deutlich an den Spuren erkennen. Wo war er jetzt? Wartete er hier irgendwo auf seinen Herrn und Gefährten? Oder war er immer noch allein? Als ich mich das fragte, hörte ich auch schon sein
schauriges Geheul. Er war irgendwo in der Nähe und rief die drei Reiter, denn diese hatten wohl in der Nacht den Anschluss an ihn verloren. Nun würden sie kommen. Ich brauchte nur zu warten, musste mir jedoch eine gute Position suchen, von der aus ich sie mit meiner Sharps erledigen konnte. Ja, ich musste sie töten, wollte ich selbst am Leben bleiben. Sie waren nicht viele Wochen auf meiner Fährte gewesen, um mit mir zu plaudern oder mich nur zu ver prügeln – nein, sie wollten die Jagd zu Ende bringen durch den Abschuss des Wildes. Und das Wild war ich. Ich kletterte ein Stück an der ziemlich steilen Schlucht wand hinauf dicht beim Eingang und erreichte zehn Yards über der Schluchtsohle und dem Creek eine Ter rasse. Die Bergwand war von tiefen Spalten durchbro chen. Auf der keine zwei Yards breiten Terrasse wuchsen Stachelbüsche, lagen auch große Steine. Ich machte meine Sharps schussbereit und wartete. Noch zweimal erklang das schaurige Geheul von Ti gerkiller. Dann blieb es still. Doch er war immer noch nicht zu sehen. Irgendwo musste er auf einem der klei nen Hügel, die das Tal durchzogen, in einem Waldstück stecken. Ich wartete geduldig. Der Tag wurde heller. Im Osten stand die Sonne nun gewiss schon mehr als eine Handbreit über den Bergen. Nur hier lagen noch die Schatten. Um in die Schlucht zu scheinen, musste die Sonne fast senkrecht über ihr ste
hen. Plötzlich sah ich die drei Reiter. Sie hatten auch ihre beiden Packtiere dabei, hatten sich also auf eine lange Jagd eingestellt. Ich fragte mich, ob sie meine Hütte verwüstet oder al les dort geschont hatten, weil sie selbst darin eine Weile bleiben wollten, nachdem sie mich erledigt hatten. Sie kamen näher und näher. Dann tauchte Tigerkiller plötzlich bei ihnen auf. Er lief ein Stück vor ihnen her in Richtung Schlucht. Dann hielt er an. Denn nun betrug die Entfernung exakt die Grenze der Reichweite meiner Sharps. Oha, wie klug dieses Ungetüm war! Er wusste genau, wie weit er sich mir am hellen Tag nähern konnte. Auch die drei Reiter hielten an. Ich betrachtete sie durch mein Fernrohr, Mann für Mann. Ja, da war dieser Yellow Joe, dann Lark Cheyenne und schließlich der lö wenhaft wirkende Duke McCabe, der gewiss ein Revol vermann war. Sie wirkten abgerissen, ungepflegt, verwildert. Ja, sie waren wochenlang unterwegs gewesen, angetrieben von dem fanatischen Willen, die Jagd auf mich zu einem er folgreichen Ende zu bringen. Wolf und ich waren zu einer Herausforderung für sie geworden, die sie erfolgreich abschließen mussten, wenn sie sich nicht das ganze Leben als Verlierer fühlen woll ten. Und Lark Cheyenne wollte Rache für den Bruder.
Nun, sie hatten also angehalten und berieten sich. Yel low Joe redete dann zu Tigerkiller. Doch dieser rührte sich nicht, machte keinen Schritt mehr vorwärts. Ich wartete hinter meiner Sharps, deren Lauf ich auf einem großen Stein liegen hatte, hinter dem ich kauerte. O ja, ich konnte warten. Und Wolf in der Höhle konnte jede Stunde Schlaf gut gebrauchen. Was würden sie tun? Wie klug waren sie? Eines stand fest. Wenn sie mich jetzt angriffen, befand ich mich in der besseren Position. Es gab nicht genug De ckung für sie. Ich würde sie abschießen können, bevor sie bei mir waren. Tigerkiller hatte das begriffen wie ein Mensch. Ich sah, wie Yellow Joe ihm zuredete, erkannte es auch an seinen Armbewegungen. Doch Tigerkiller bewegte sich keinen Zoll mehr in meiner Richtung vorwärts, ja, es schien mir fast, als würde er wie ein Mensch den Kopf schütteln. Was für ein unglaubliches Tier er war! Er hatte bis jetzt auf seinem Hinterteil gehockt. Nun erhob er sich auf alle vier Pfoten und machte kehrt. Ja, er lief einfach weg, kümmerte sich nicht mehr um Yellow Joe und die beiden anderen Reiter. Er entfernte sich, drehte auch mir den Hintern zu, so als wollte er mir zu verstehen geben: »Ich weiß, dass du mit deinem ver dammten Gewehr nur darauf wartest, dass ich näher komme. Aber da kannst du lange warten.« Heiliger Rauch, er trabte fast verächtlich wirkend da
von. Was aber würden Duke McCabe, Lark Cheyenne und Yellow Joe tun? Fiel ihnen etwas ein? Waren sie weniger klug als ihr Hund? Ich sah durch mein Fernrohr, dass sie diskutierten, er kannte es an ihren heftigen Gesten. Sie schienen sogar böse und wütend zu streiten. Dann aber wurden sie ruhi ger und schienen endlich nüchtern und kalt zu überle gen. Es wurde für mich erkennbar, dass sie offensichtlich zu einer Übereinkunft kamen. Plötzlich ritten Duke McCabe und Yellow Joe davon. Der Chinese folgte seinem Höllenhund – aber Duke Mc Cabe nahm einen anderen Weg. Beide nahmen sie auch je eines der Packpferde mit. Lark Cheyenne aber blieb auf seinem Pferd wie ein be wegungsloses Denkmal zurück. Ich staunte und versuchte es zu begreifen. Das war gar nicht so schwer nach einigem Nachden ken: Lark Cheyenne wollte seinen Bruder rächen. Er wusste, dass ich nicht aus der Deckung kommen würde, solange sie in der Übermacht waren. Deshalb hatte er die beiden Partner weggeschickt. Dass sie aber nicht zusammenblieben, sondern sich trennten, dies konnte nur eine einzige Bedeutung haben: Es war eine Herausforderung an mich. Wenn ich Lark Cheyenne schaffen sollte, würde jeder von ihnen mich irgendwo im weiten Tal erwarten. Sie hatten begriffen, dass sie mich nur auf diese Weise her
auslocken konnten. Denn ich war hier daheim. Ich kann te das Tal sehr viel besser als sie und konnte ihnen immer wieder dort Fallen stellen, wo ich die bessere Position hatte. Wenn sie mich zu dritt angriffen, würde ich sie ab schießen können ohne Warnung und nicht im fairen Du ell. Sie wollten es anders. Wahrscheinlich hatten sie Lark Cheyenne das Vorrecht eingeräumt, weil ich seinen Bru der im Fernduell mit unseren Sharpsgewehren damals im Tal der Nez Percés hatte töten können. Er wartete also. Was sollte ich tun? Sollte ich ihn warten lassen, mich ihm nicht stellen? Jede Stunde, die Wolf sich ausruhen konnte, würde seine Genesung beschleunigen, sodass er mir weniger zur Last fiel. Ich sah durch das Fernrohr noch eine ganze Weile auf Lark Cheyenne, und als ob dieser es wüsste, machte er nun eine einladende und auch herausfordernde Armbe wegung, so als wollte er mir zurufen: »Na komm endlich! Stell dich! Gib mir Genugtuung für meinen Bruder! Komm schon! Oder bist du zu feige?« Ja, so etwa war es gemeint und verstand ich es auch. Ich wusste, ich musste sie Mann für Mann nieder kämpfen, besiegen – und vielleicht sogar töten, wollte ich am Leben bleiben und das nächste Frühjahr in meinem Tal erleben. Und wenn sie mir also die Chance gaben, Mann gegen Mann, dann musste ich diese Chance nutzen.
Ich nahm die Sharps nur deshalb mit, weil Lark Chey enne die Sharps seines Bruders im Sattelfutteral hatte. Und so kletterte ich wieder in die Schlucht hinab, um ging in deren Eingang vorsichtig die drei Fallen und machte mich auf den Weg zu Lark Cheyenne. Als er mich aus der Schlucht treten sah, kam er mir entgegengeritten. Es war ja noch ein weiter Weg von ihm zu mir, nämlich eine Viertelmeile. Er ritt im leichten Trab. Ich ging mit ruhigen, leichten Schritten. Und so näherten wir uns Yard für Yard, und beide wussten wir, dass einer von uns besiegt werden würde. War ich verrückt, mich ihm zu stellen? Er konnte ein schneller Revolvermann sein, dem ich nicht gewachsen war. Und auf der Insel wartete Jane auf mich. In der Schlucht lag der so arg verletzte Wolf. Und ich ging in ein Duell, dessen Ausgang völlig offen war. Ja, ich musste verrückt sein! Aber ich war nun unter wegs, und es war nichts mehr umzukehren oder aufzu halten. Als wir nur noch etwa ein Dutzend Yards voneinander entfernt waren, hielt er das Pferd an, blieb jedoch noch im Sattel. »Feige bist du nicht«, sagte er über die Ohren seines Pferdes hinweg zu mir. Dann saß er ab, trat von seinem Pferd weg, und es war klar, dass wir es mit unseren Revolvern austragen wür
den. Ich fragte: »Warum konntet ihr nicht schon am Strom bei Fort Benton die relativ kleine Niederlage schlucken? Ich hatte doch nur den Hund freigelassen. Warum muss tet ihr die große Fehde daraus machen? Dein Bruder könnte noch leben.« Er schüttelte heftig den Kopf. Seine langen Haare flo gen. Er war gewiss zur Hälfte ein Cheyenne. »Nein«, erwiderte er, »wir mussten weg von Fort Ben ton. Denn wir hatten die Wetteinsätze schon kassiert und wollten sie nicht mehr wegen des ausgefallenen Hunde kampfes zurückzahlen. Es waren mehr als zehntausend Dollar. Sie waren ja schon so gut wie gewonnen, weil Ti gerkiller den Wolf weggeputzt hätte wie einen Hasen. Wir sind also weg wegen des Geldes. Aber wir wollten uns auch den wilden Spaß einer Jagd gönnen – und je länger sie dauerte, umso verbissener wurden wir. Denn wir mussten uns beweisen, dass wir keine Verlierer sind. Auch Tigerkiller war wie verrückt. Er war auf diesen Wolfshund eingestellt worden von Yellow Joe und nicht mehr umzudrehen. Aber nun haben wir genug geplau dert. Ich töte dich jetzt für meinen Bruder.« Er hatte seinen Revolver vorn hinter dem Hosenbund stecken und holte ihn nun heraus. Es war ein blitzschnel ler Griff, gewiss tausend Mal geübt. Er zog nicht langsa mer als ein Revolverschwinger aus einem tief sitzenden Holster. Aber ich war schneller mit meinem Green-River-Mes ser.
Ich holte es aus der Nackenscheide und warf es an meinem rechten Ohr vorbei mitten in seine Magengrube. Bis zum Heft fuhr es hinein. Er schoss vor mir in den Boden. Dann fiel er auf die Knie. Als er versuchte, den Lauf der Waffe nochmals zu heben und die Mündung auf mich zu richten, schaffte er es nicht mehr. Ich trat langsam zu ihm. »Das musste nicht sein«, sagte ich bitter. »Warum konntet ihr eure Niederlage am Strom nicht hinnehmen? Was ist daraus geworden, verdammt?« »Einer von den beiden anderen wird dich schaffen«, flüsterte er heiser zu mir hoch. »Und wenn nicht, dann bringt Tigerkiller dich um.« Es waren seine letzten Worte. * Ich war gewiss kein Killer, und deshalb war ich angefüllt mit Bitterkeit. Eine tiefe Resignation wollte Besitz von mir ergreifen. Verdammt, was waren das für Verrückte? Irgendwie mussten sie süchtig geworden sein nach den Erfolgser lebnissen einer Menschenjagd, der Jagd auf mich, Wade Mahoney, den man in diesem Land hier Montana Wade nannte. Nun hatte ich schon zwei von ihnen getötet. Und es war immer noch nicht zu Ende. Ich legte den Toten quer über dessen Pferd, brachte
ihn zu einer Felsspalte, hüllte ihn in seine Decke und be erdigte ihn dort unter Steinen, die ich auf ihn legte. Einen Moment dachte ich daran, einfach die Flucht zu ergreifen, aus meinem Tal zu verschwinden – irgendwo hin. Doch der Höllenhund, den ich bisher noch nicht ab schießen konnte, würde mir folgen. Ich wusste es. Und da waren ja auch noch Jane auf der Insel und Wolf in der Höhle, die meine Hilfe brauchten. Ich konnte nicht fortlaufen, sondern musste weiterma chen. Es war dann eine knappe Stunde später, als ich die Schlucht verließ. Es war nun fast schon Mittag geworden. Ich ritt nicht vorn aus der Schlucht, wo ich die Fallen aus gelegt hatte, sondern hinten hinaus, verließ also mein Tal. Aber ich würde noch vor der Abenddämmerung durch eine andere Schlucht wieder ins Tal zurückkehren. Wolf hatte ich vor mir quer über meinen Oberschen keln liegen. Er hatte sich etwas erholt und hätte zur Not auch laufen können. Doch er sollte sich noch schonen. * Es war in der Nacht, als ich das Seeufer erreichte und einen trockenen Busch anzündete, der für weniger als eine Minute als Fackel in der Nacht leuchtete – aber nur zur Insel hinüber, denn in dieser Richtung war die Lich tung offen. Ich konnte also hoffen, dass nur Jane das Si gnal bemerkte.
Nun musste ich warten. Ich lauschte aufmerksam. Wolf lag neben meinem Ap paloosa am Boden. Der Wallach verhielt sich ruhig, so als hätte er begriffen, dass er schon beim Atmen Geräusche machte, die mein Lauschen störten. Bis zur Insel im See war es etwa eine Meile. Selbst wenn Jane mit dem Paddel gut umging, brauchte sie gewiss die gleiche Zeit für die Meile, wie ein Fußgänger sie benötigt hätte. In weiter Runde war es still. Wo waren Duke McCabe, Yellow Joe und Tigerkiller? Ich wartete immer ungeduldiger, und ich wäre nicht überrascht gewesen, hätte ich das schreckliche Geheul des Höllenhundes hören müssen. Endlich kam das Kanu mit Jane. Ich nahm Wolf in meine Arme und watete in das Was ser, trat dicht an das Kanu und legte ihn hinein. »Hey, Jane«, sagte ich ruhig. »Pflege Wolf gut. Der Höllenhund hat ihn fast in Stücke gerissen. Ich musste die Wunden nähen. Wie geht es dir, mein Mädchen?« »Das Warten ist schlimm«, erwiderte sie. »Es macht einen verrückt.« »Bald ist alles vorbei, Jane«, beruhigte ich sie. »Es sind nun nur noch zwei gegen mich – nur zwei außer dem Hund. Ich schaffe sie, ich gebe dir mein Wort. Aber achte in den Nächten stets auf meine Feuersignale.« Ich drehte das Kanu, selbst bis zu den Hüften im Was ser stehend, wieder mit dem Bug in Richtung Insel und stieß es in den See. Wenig später saß ich im Sattel und ritt leise wie ein
Schatten auf meinem Appaloosa durch die Nacht. Ich rief Jane nichts nach. Auch sie rief nichts zurück, indes ihr leiser Paddelschlag sich entfernte. * Als es Tag wurde, befand ich mich auf dem höchsten Hü gel im ganzen Tal. Es war nicht einfach gewesen, hinauf zukommen. Ein Stück weiter abwärts hatte ich meinen Wallach gut versteckt zurücklassen müssen. Er hatte das letzte Stück nicht geschafft. Dazu hätte er eine Bergziege sein müs sen. Ich lag mit dem Fernrohr in guter Deckung und beob achtete mein Tal nach allen Seiten. Aber von meinen Feinden war nichts zu sehen – nichts von McCabe, nichts von Yellow Joe und seinem Tier. Der Tag verging ohne Ereignisse. Nichts war im Tal zu sehen, nur das übliche Wild, das es ja hier reichlich gab. Auch als die Nacht kam, blieb es still im Tal. Dennoch spürte ich, dass etwas in der weiteren Umge bung des Hügels sein musste. Denn die Nachtfalken am Sternenhimmel jagten nicht über dieser Gegend. Mond und Sterne leuchteten, doch alle aufragenden Dinge warfen tiefe Schatten, in denen sich Unheil verber gen konnte. Ich nickte immer wieder ein, schreckte aber ständig auf, lauschte mit angehaltenem Atem. Manchmal blickte ich mit dem Fernrohr zur Insel hinüber, die ich von mei
nem Standort gut sehen konnte. Der See schimmerte sil bern. Aber auch auf dem See und auf der Insel regte sich nichts. Ich konnte nur hoffen, dass die Kerle noch nicht her ausgefunden hatten, wer da auf der Insel war. Denn dann… Ich versuchte mir das erst gar nicht auszudenken. Es war dann irgendwann zwischen Mitternacht und Morgen, als sich der Himmel mit Wolkenschleiern bezog und die Hölle losbrach. Ich hörte meinen Wallach loswiehern voller Schrecken. Wie eine schrille Trompete klang es. Ich wusste sofort, was los war, und brüllte ebenfalls wild voller hilfloser Wut. Dann konnte ich den Appaloosa den Hügelhang ab wärts sausen sehen, gefolgt von Tigerkiller, dem Höllen hund. Er hatte meinen Wallach aufgespürt und ihn ge wiss auch angesprungen. Nun jagte er ihn, und ich wusste, er würde ihn töten. Er würde ihm an die Nase oder an den Hals springen. Mein Wallach hatte gegen diese Bestie keine Chance. Ich war allein. Als ich noch überlegte, was ich tun sollte, da hörte ich ein Geräusch hinter mir und rollte mich zur Seite. Dort, wo ich soeben noch auf dem Bauch gelegen und mich mit dem Oberkörper aufgerichtet hatte, da landete Yellow Joe mit dem Messer, das er mir in den Rücken stoßen wollte.
Wir sprangen beide gleichzeitig hoch. Und dann begann unser Kampf. Ich bekam mein Green-River-Messer verdammt schnell in die Hand, doch ich konnte es nicht werfen, weil die Entfernung zu ihm zu kurz war. Es hätte nicht genug Schwung bekommen, um bis ans Heft in ihn ein zudringen. Er warf sich gegen mich und stach zu. Ja, er traf mich, aber das Messer glitt an einer meiner Rippen ab, weil ich mich drehte. Verdammt, er hatte mich erwischt. Er war gefährlich wie ein chinesischer Pirat und verstand sich auf den Kampf mit Messern. Er war zwar nicht so groß wie ich, aber sehr muskulös, ein Schwergewicht aus federnder Muskelmasse und explosiver Kraft. Wir umkreisten uns, fintierten, glitten vor und zurück. Dann stolperte ich über einen Stein, der am Boden lag. Ich ließ mich fallen, rollte zur Seite – und als er sich auf mich warf, um das Messer in meinen Hals zu stechen, be kam ich den Fuß des angezogenen Beins vor seine Brust. Ich stieß ihn von mir, indes sein Messer mich unterhalb der Hüfte noch einmal ritzte. Er fiel auf den Rücken, und ich warf mich auf ihn, entging seinem Messer und bekam meine Chance. Es war ein glatter, schneller Schnitt, wie ihn die Sioux und Nez Percés machten, wenn sie im verzweifelten Nahkampf den Gegner töten müssen. Er lag da und kam nicht mehr hoch. Ich stöhnte nicht nur vor Schmerz. Ich stöhnte auch vor hilfloser Bitterkeit.
Warum wurden mir diese Prüfungen auferlegt? Ich wollte doch nur in meinem Tal in Frieden leben, abseits von den Menschen. Ich hatte vierhundert Meilen zwi schen mich und Fort Benton gebracht. Aber sie waren mir gefolgt – und alles nur, weil ich Wolf aus dem Käfig befreit hatte, um ihn vor dem siche ren Tod zu retten. Nun hatte ich abermals töten müssen. Ich erhob mich keuchend. Das Blut floss mir aus zwei Wunden. Und ich hatte mein Pferd verloren. Dieser Höllenhund hetzte es nun durch das Tal. Und der Herr und Meister dieser Bestie hatte es höchstpersönlich gegen mich ver sucht. Mein armer Appaloosa! Ich wusste, er war verloren. Aber dieser Yellow Joe musste ja wohl irgendwo sein Pferd gelassen haben. Auch ein Packpferd musste dabei sein. Ich musste dieses Tier finden. Denn ich brauchte Verbandszeug. So machte ich mich auf den Weg, hielt dabei in einer Hand meine Sharps und drückte mir die andere Hand gegen die aufgeschnittene Seite über der Rippe. Ich presste mein Lederhemd dagegen und versuchte so, die Blutung ein wenig zu stillen. * Ich fand die Tiere etwas mehr als eine Stunde später hin ter dem Hügel im Wald an dessen Fuß. Und ich fand
auch Verbandszeug und eine Flasche Schnaps. Es war mein eigener Brandy aus meiner Hütte. Endlich konnte ich meine Wunden versorgen. Aber ich hatte viel Blut verloren, und es konnte durchaus sein, dass ich bald ein böses Wundfieber bekam. Was sollte ich tun? Vor allen Dingen musste ich erst einmal nach meinem Appaloosa sehen. Vielleicht war er diesem Höllenhund doch entkommen und noch zu retten. Es wurde langsam Tag. Von Osten her kam das erste Grau heraufgezogen. Bald würde ich die frischen Fährten meines Appaloosas und des Höllenhundes erkennen können. Ich kannte ja die Richtung, in die mein Appa loosa geflüchtet war, gefolgt von der Bestie. Ich zog mich in den Sattel von Yellow Joes Pferd. Es versuchte mich abzuwerfen, doch ich zeigte ihm sofort, wer von uns beiden der Boss war. Ich war gewiss nicht in freundlicher Stimmung. Das Packpferd, bei welchem ich das Verbandszeug und den Schnaps in einer der Satteltaschen gefunden hat te, lief von selbst mit. Ich brauchte es nicht an der Leine mitzuziehen. Meine Seite schmerzte, aber ich musste durchhalten. Die zweite Wunde war nicht so schlimm. Ich ritt auf gut Glück in die Richtung, in die mein Wal lach davongerast war, verfolgt von Tigerkiller. Yellow Joe musste ihn auf meinen Wallach angesetzt haben, um mich abzulenken. So war er dicht an mich her angekommen und hätte mich fast mit seinem Messer er
wischt. Es wurde langsam Tag, und noch im ersten Grau fand ich die Spur. Mein Wallach blutete stark, lahmte auch bei jedem Sprung. Und dieser verdammte Höllenhund war hinter ihm her wie ein großer Büffelwolf hinter einer kranken Büffelkuh. Ich wusste, ich würde zu spät kommen. Noch nie in meinem Leben hatte ich ein Tier gehasst, aber jetzt war es so. Diesen Tigerkiller hasste ich wie die Verkörperung des Bösen. Dabei war auch er nur das Pro dukt von Menschen, denn sie hatten ihn gezüchtet. Sie hatten ein böses Ungetüm haben wollen, und deshalb waren ja eigentlich sie die Verbrecher. Dennoch hasste ich ihn, denn ich wusste, ich würde meinen Appaloosa nicht mehr retten können. Ich konnte nämlich an der Fährte erkennen, wie mein braver Appaloosa immer stärker lahmte und müde wur de. Es war eine erbarmungslose Hetzjagd. Dieser ver dammte Höllenhund hetzte ein braves Pferd zu Tode, und er tat es nicht wie ein Wolf, der ja von der Schöpfung dazu geschaffen wurde, alles Kranke und Schwache zu töten, damit nur das Starke und Gesunde sich fortpflan zen konnte. Nein, dieser Höllenhund jagte aus einem wilden, bö sen und mörderischen Instinkt heraus, der ihm ange züchtet worden war. Meile um Meile legte ich zurück. Manchmal dachte ich an den Revolvermann Duke McCabe. Denn der war ja auch noch im Spiel. Er befand sich irgendwo dort im wei
ten Tal und beobachtete mich vielleicht von einem der Hügel. Es war ein böses Spiel. Als die Sonne hochkam über die Berge im Osten und die Schatten im Tal immer dichter an die Ostwand der Berge herankrochen, erreichte ich meinen treuen und braven Appaloosa. Da lag er und war tot. Ich hielt bitter fluchend an und glitt aus dem Sattel. Tigerkiller war ihm an die Kehle gesprungen und hat te sich dort festgebissen. Der Wallach hatte verzweifelt gekämpft, sich dann auch am Boden gewälzt und alles ihm nur Mögliche versucht, Tigerkiller abzuschütteln, aber der hatte nicht mehr losgelassen. Wo war dieser Höllenhund jetzt? Vielleicht suchte er irgendwo seinen Herrn und Meis ter Yellow Joe. Aber er würde ihn nicht finden. Es gab ihn nicht mehr. Yellow Joe lag unter Steinen in einer Fels spalte. Es gab nur noch Duke McCabe. Wann und wo würde er mich zu stellen versuchen? Ich sah mich um. Dabei hielt ich mir die Seite. Das Rei ten hatte mir nicht gut getan. Unter dem Verband, den ich mir um den Körper gewickelt hatte, blutete meine Wunde wieder. Und die Rippe schmerzte bei jedem Atemzug, obwohl ich mir Mühe gab, flach zu atmen. Die Wunde am Oberschenkel, fast schon an der Hüfte, bereitete mir weniger Pein. Ich nahm meinem toten Wallach den Sattel ab, auch
die Sattelrolle und die beiden Satteltaschen. Der Rotfuchs von Yellow Joe war ein erstklassiges Pferd, zäh, stark und schnell. Doch ich hätte meinen Wallach nicht gegen tausend solcher Tiere eingetauscht. Ich sattelte den Rotfuchs um. Dann zog ich mich unter Schmerzen mühsam in den Sattel. Meine Sharps steckte jetzt wieder im richtigen Scabbard. Mein Colt saß griffbe reit – also nicht durch die Schlaufe gesichert – im Holster. Und in der Nackenscheide befand sich mein Green-Ri ver-Messer. Ein zweites Messer steckte vorn in meinem Gürtel. Ich zog mich mühsam in den Sattel. Der Krieg war noch nicht beendet – oder besser ge sagt: die Jagd noch nicht vorbei. Ich beschloss, zu meiner Hütte zu reiten. Wenn dieser Duke McCabe was von mir wollte, dann sollte er nur kommen. Ich würde es mir in meiner Hütte bequem machen und auf ihn warten. Ja, ich hatte die dreifache Herausforderung angenom men. Zweimal hatte ich schon gekämpft und meinen je weiligen Gegner besiegt. Und auch Duke McCabe konnte einen Zweikampf von mir bekommen, so angeschlagen ich auch sein mochte. Ich würde nicht kneifen. * Es war später Vormittag, fast schon Mittag, als ich am See entlang ritt und bald darauf meine Hütte erreichte.
Ich blickte nur zwei- oder dreimal zur Insel hinüber, ob wohl ich ja Jane und Wolf dort wusste. Aber vielleicht be obachtete mich Duke McCabe, und deshalb wollte ich der Insel keine besondere Aufmerksamkeit schenken. Die Hütte war leer. Und in der Pferdestallhöhle war kein Tier. Ich trat langsam ein, hielt dabei meinen Revolver schussbereit in der Faust. Aber es gab hier keinen Duke McCabe. Ich stöhnte vor Erleichterung. Sie hatten die Hütte nicht verwüstet. Das wäre auch dumm von ihnen gewe sen, denn ein besseres Quartier hätten sie nach dem Ende der Jagd nicht finden können. Ich schleppte mich zu meinem Lager und ließ mich vorsichtig der Länge nach darauf nieder. Oh, was tat es gut, sich zu entspannen. Die Schmerzen ließen allmählich nach. Ich war so dankbar, hier liegen zu können, mochte da draußen sein, was wollte. Es war mir eine Weile vollkommen gleich. Ja, ich schlief sogar einmal ein, ein Zeichen, wie ausge brannt ich war. Ich konnte nur hoffen, dass die böse Messerwunde, die meine Rippe freigelegt hatte, unter dem Verband zu bluten aufhörte. Ja, ich schlief, den Revolver griffbereit neben mir. Die Tür hatte ich verriegelt. Wer zu mir hereinwollte, konnte dies nicht ohne Geräusche tun. *
Als ich erwachte, war es später Nachmittag, fast schon Abend. Ich wusste zuerst nicht, was mich geweckt hatte. Doch dann hörte ich, dass jemand draußen war und offenbar einen Stein gegen die Tür der Hütte warf. Ja, genau so hörte es sich an. Und dann klang draußen Duke McCabes Stimme: »He, komm raus, Lederstrumpf! Ich bin hier, McCabe. Willst du dich da drinnen verteidigen – oder willst du herauskommen und wie ein Mann kämpfen?« Ich hörte es und dachte: Das ist es also. Draußen steht er und wartet auf mich. Soll ich mich stellen? Habe ich das nötig? Denn ich war ja schlimm verwundet – er nicht. War es nicht geradezu Selbstmord, wenn ich jetzt hin ausging? Hatte das überhaupt noch etwas mit Stolz zu tun? War es nicht einfach nur Dummheit? Wieder warf er draußen einen Stein gegen die Tür. Es polterte laut. Und in mir war immer noch der Streit zwischen mei nem Stolz, der sicherlich dumm war, und meinem Ver stand, der mir sagte, dass ich draußen verloren war. Dann erhob ich mich und nahm den Revolver in die Faust – in die Linke. Oha, ich wusste genau, dass ich ihn mit dem Revolver nicht würde schlagen können, und so schob ich ihn nicht ins Holster, sondern legte den Waffengürtel ab. Ich schob die schwere Waffe so hinter den Hosenbund, dass man
denken musste, ich würde ihn mit der Linken ziehen, weil der Kolben nach links zeigte. Dann nahm ich den Querbalken von der Tür, öffnete sie und trat hinaus. Duke McCabe stand etwa zwanzig Schritte entfernt. Ich näherte mich ihm, und er musste nun erkennen, dass ich verwundet war, ganz und gar nicht im Vollbesitz meiner Fähigkeiten. Ein Dutzend Schritte vor ihm verhielt ich und sprach ruhig: »Deine Partner sind tot – alle. Ich bin von Yellow Joe schlimm mit dem Messer verwundet worden. Ein Sieg von dir über mich würde nicht viel zählen. Warum also verzichtest du nicht auf dieses Duell und reitest dei ner Wege?« Er grinste schmal. »Das kann ich dir sagen, Lederstrumpf. Mit meinem Glas sah ich gestern schon die Frau auf der Insel. Wir alle sahen auch hier ihre Spuren. Sie musste also irgendwo sein. Gestern sah ich sie in meinem Fernglas. Sie ist schön. Ich will sie haben. Das wäre ein guter Abschluss dieser Jagd. Ich werde der Sieger sein und den Preis be kommen.« Als er verstummte, konnte ich ein bitteres Stöhnen kaum unterdrücken. Und jede Hoffnung war dahin. Wenn er mich töten konnte, bekam er Jane. Es ging ihm also nicht nur um den Sieg als letzter Mann von ihnen über mich, sondern noch mehr um den Preis oder, besser gesagt, um die Beute. Er hatte Jane gesehen. Also musste ich am Leben bleiben. Alle Chancen ge
hörten ihm. Denn ich sah, wie er seinen Colt trug. Er war ein großspuriger Bursche, der eine Hinrichtung vorhatte. Ich war ein Dummkopf gewesen, die Hütte zu verlas sen und mit ihm reden zu wollen. Nun musste ich sehen, wie ich davonkommen konnte. »Pass auf«, sagte er. »Wenn der Vogel da im Wald wieder loskreischt, dann ziehe ich.« Er meinte einen Eichelhäher, dessen Keckern im Wald zu hören war. Ich wartete nicht so lange, sondern hob meine Hand, die rechte. Er aber achtete auf meine Linke. Ich sagte: »Pass auf, Langer, ich werde dich jetzt töten, weil du es nicht anders willst.« Ich hatte die Rechte bis in Ohrhöhe erhoben, so als wollte ich mit dieser Geste Aufmerksamkeit für meine Worte erheischen. Doch im selben Moment zog ich das Messer aus der Nackenscheide und warf es. Aber ich konnte ihn nicht schlagen. Vielleicht war ich wegen meiner Wunde auch langsamer als sonst. Als mein Messer in seine Magengegend fuhr, sah ich in sein Mündungsfeuer und stieß mich seine Kugel. Er war unheimlich schnell. Ich taumelte rückwärts. Die Kugel saß in meiner Schulter. Ich fiel dann auf die Knie und stöhnte voller Schmerz und Bitterkeit. Ich hatte alles versucht, um am Leben zu bleiben ge gen diesen schnellen Revolvermann. Aber er hatte mir
dennoch eine Kugel verpassen können. Ich begann zu begreifen, dass ich die Kugel noch in der Schulter hatte. Es gab kein Ausschussloch im Rücken. O Himmel, wann endlich war alles vorbei! Doch da begriff ich, dass ja alles vorbei war. Denn er schoss kein zweites Mal. Er lag auf der Erde und verblu tete. Ich war in mein Tal geflüchtet. Die Kerle waren mir gefolgt. Ich musste sie Mann für Mann besiegen. Und nur noch Tigerkiller war da, der verdammte Höl lenhund, dieses Untier aus der Unterwelt, das sogar mein Pferd getötet hatte. Wo war er? Ich begriff, dass ich auch mit ihm rechnen musste. Und ich konnte gewiss nicht mehr kämpfen gegen ihn, wenn er mich überraschend anfiel. Und ich wusste, er würde es tun. Er hasste mich zu sehr, weil ich ihn ver wundet und dann sogar zu Pferde gejagt hatte, wobei ich alle sechs Kugeln aus meinem Colt auf ihn abfeuerte. Was sollte ich tun? Mich in der Hütte verkriechen? Doch wer holte mir da die Kugel aus der Schulter? Sollte ich Jane von der Insel herüberzurufen versu chen? Aber wenn sie aus dem Kanu an Land stieg und Tiger killer sie anfiel? Ich musste dies alles in meine Rechnung einbeziehen. Ich kniete noch immer am Boden. Mir wurde schwarz vor Augen, und ich dachte immer wieder: Nur nicht be
wusstlos werden, nur nicht die Übersicht verlieren! Endlich kam ich hoch. Bis zum See war es eine halbe Meile. Ich würde sie kaum schaffen. Ich musste noch ein mal auf ein Pferd und sah mich nach einem Tier um. Aber die Pferde, mit denen ich gekommen war – also Yellow Joes Pferd und das Packtier –, waren offenbar in der Stallhöhle. Ich hatte sie nicht abgesattelt, sondern war in die Hütte gewankt, um mich dort langzulegen. Nun erwies sich das als ein Vorteil. Ich stemmte mich auf die Füße und machte mich auf den Weg. Wie ich in der Stallhöhle in den Sattel kam, weiß ich nicht, aber irgendwie kam ich hinauf. Dann befand ich mich auch schon auf dem Weg zum See. Jane musste drüben auf der Insel den Schuss gehört haben. Sie musste mich gewiss auch am Ufer erkennen können. Ich würde ihr zuwinken. Vielleicht kam sie dann so schnell sie konnte mit dem Kanu herüber. * Es schien mir eine Ewigkeit zu dauern. Ich hatte das Pferd bis zum Bauch ins Wasser getrie ben und wartete im Sattel. Denn so mussten meine Beine nicht mein Gewicht tragen. Vor meinen Augen waren immer wieder dichte Nebel oder gar tiefe Schatten. Ich kämpfte ununterbrochen gegen meine Bewusstlosigkeit an.
Immer dann, wenn es vor meinen Augen heller wurde und ich wieder sehen konnte, starrte ich über den See zur Insel hinüber. Sie war eine Meile weit vom Ufer entfernt, vielleicht sogar noch mehr. Und dann sah ich das Kanu kommen. Es kam um die Inselspitze herum. Jane hatte es erst von dort holen müs sen. Sie hatte aufgepasst. Als sie den Schuss gehört hatte, war sie vielleicht auf einen Baum am Ufer geklettert und konnte mich auf mei nem Pferd zum Seeufer kommen sehen. Ich stöhnte erleichtert. Ja, da kam sie. Ich würde mich in das Kanu legen. Und drüben würde sie mir die verdammte Kugel aus der Schulter holen, bevor diese mich umbringen konnte. Ja, da kam sie. Ich war so erleichtert und froh. Doch dann musste ich plötzlich an Tigerkiller denken. In meinem Kopf war alles dumpf und mühsam. Manchmal drohten mir die Sinne zu schwinden. Das Denken fiel mir so unsäglich schwer. Ich sah mich um. Zum Glück war mein Blick wieder für eine Weile klar. Plötzlich sah ich ihn. Er kam aus Richtung Hütte angetrottet. Gewiss hatte er dort den toten Duke McCabe beschnüffelt. Und viel leicht hatte er sogar auch das Grab in der Felsspalte von Yellow Joe gefunden und diesen unter den Steinen wit tern können. Nun war er auf meiner Fährte. Er kannte ja die Witte
rung vom Pferd seines Herrn und Meisters nur zu gut. Ich trieb das Pferd tiefer ins Wasser. Nun reichte es schon bis zum Sattelhorn. Wieder sah ich mich nach dem Höllenhund um. Irgendwie hatte er wohl begriffen, dass ich vor ihm flüchtete, also in Not sein musste wie ein krankes Wild. Auch hatte er längst schon die Witterung meines Blutes, das auf den Boden getropft war. Und nun kam er. Aber er würde ziemlich weit schwimmen müssen. Und das Kanu mit Jane war schon ziemlich nahe. Ich trieb das Pferd weiter in den See hinein. Nun musste es mit mir auf seinem Rücken schwimmen. Wir schwammen dem Kanu entgegen. Als ich mich umsah, erkannte ich, dass Tigerkiller das Ufer erreicht hatte und ebenfalls ins Wasser ging. Aber kein Hund konnte ein Pferd im Schwimmen schlagen – und erst recht nicht ein vom Paddel angetrie benes Kanu. Als Jane damit neben das schwimmende Pferd kam, ließ ich mich einfach zur Seite hineinfallen. Fast wären wir gekentert. Aber dann begriff ich, dass ich in Sicherheit war. Nun erst verlor ich das Bewusstsein. * Es war wieder einmal ein böses Erwachen, denn wie schon einmal, nachdem mich der Grizzly fast getötet hat
te, hörte ich Janes Stimme fordernd sagen: »Wach auf und hilf mir. Ich kann dich nicht allein tragen. Du bist zu schwer. Wach auf, Wade Mahoney, du verdammter In dianer, wach auf!« Endlich begriff ich, dass ich angeschossen im Kanu saß, und erinnerte mich auch wieder, wie ich hineinge kommen war. Der verdammte Höllenhund hatte mich mitsamt dem Pferd in den See gejagt, und dann hatte ich mich vom Pferderücken ins Kanu fallen lassen. Fast wären wir da bei gekentert. Ja, die Erinnerung war wieder da. Ich öffnete die Augen und sah Jane über mir. Mit geballten Fäusten stand sie neben dem Kanu im flachen Wasser am Strand der Insel. Und abermals for derte sie, dass ich aufwachen und ihr helfen sollte. Mit ihrer Hilfe setzte ich mich auf, kam auf die Füße und stieg aus dem Kanu. »Du musst es jetzt an Land ziehen«, krächzte ich hei ser. »Sonst …« »Schon gut«, unterbrach sie mich. »Sag mir nur nicht, was ich tun soll. Spar dir deinen Atem, denn du wirst ihn noch brauchen.« O ja, sie war wütend und verbittert, aber ihr Zorn galt gewiss nicht mir. Sie war jetzt gewiss wütend auf die ganze Welt und auf alles, was schicksalhaft gegen uns war. Jane führte mich an Land bis zu einem Baum, an dem ich Halt finden konnte. Dann ging sie noch einmal zu
rück, um das Kanu weiter herauf an Land zu ziehen. Als sie wieder zu mir kam, sagte sie: »Wir müssen zur Hütte. Dort kann ich mich um dich kümmern. Komm, Wade, gehen wir. Ich stütze dich.« Mir wurde immer wieder schwarz vor Augen. Aber mit meinen Gedanken war ich bei diesem ver dammten Höllenhund. »Was hat er gemacht?« So fragte ich heiser. Jane wusste sofort, wen ich meinte. Sie stand nun dicht bei mir. »Er ist uns weiter als hundert Yards schwimmend ge folgt«, sagte sie. »Ja, es sah eine Weile so aus, als wollte er hinter dem Kanu bis herüber zur Insel schwimmen. Er schwimmt schnell für einen Hund, sehr schnell.« »Er ist kein Hund«, widersprach ich ihr heiser. »Nein, niemals ist dieses Ungeheuer ein Hund, eher ein Sohn des Teufels, der die Gestalt eines Riesenhundes ange nommen hat.« Wir setzten uns nun in Bewegung, und irgendwie er reichten wir die Hütte. Sie war klein und primitiv, nur eine der Notunterkünfte, von denen ich in meinem Tal ja mehr als ein halbes Dutzend hatte. Ich fiel auf das Lager und war wieder einmal »weg«. Doch dann weckte mich ein böser Schmerz. Ich stöhn te auf und wollte hoch. Aber jemand drückte mich auf das Lager zurück. Janes Stimme sagte herb: »Bleib liegen, Wade. Bleib ruhig lie gen. Ich habe dir die Kugel herausgeschnitten. Sie saß nur einen knappen Zoll tief in der Schulter, dicht unter
dem Schlüsselbein. Du hattest Glück, dass sie dir das Schlüsselbein nicht zerschmettert hat. Nun blutet die Wunde heftig, doch ich lasse sie noch ein wenig bluten. Dann werde ich Brandy hineingießen. Wenn ich sie ver sorgt habe, sehe ich mir deine anderen Wunden an. Das sind Messerwunden, nicht wahr?« »Ja«, erwiderte ich. »Verschwende den Brandy nicht nur für die Wundbehandlung. Gib mir einen Schluck zu trinken.« »Sicher«, sprach sie, und nun war ein Klang von Mit leid in ihrer Stimme. »Du bist schlimm zugerichtet wor den, fast schlimmer noch als damals vom Grizzly. Aber ich bekomme dich schon wieder hin.« * Immer wieder träumte ich von einem Kampf mit dem Höllenhund. Aber ich träumte diesen Fiebertraum nicht zu Ende, erlebte nie, ob ich der Sieger oder der Verlierer war. Jane war immerzu bei mir. Sie tat alles für mich, was eine gute Krankenschwester nur tun konnte. Und auch Wolf war immer wieder an meinem Lager und leckte manchmal mein Gesicht. Ich hörte Jane einmal zu ihm sagen: »Du brauchst ihn nicht abzulecken, denn er wird von mir gewaschen und rasiert. Hör auf mit der Leckerei, Beißer!« Sie nannte ihn zumeist Beißer, aber das war nie böse gemeint.
Wolf war also wieder einigermaßen gesund geworden. Sonst hätte er nicht immer wieder an meinem Lager hocken können. Ich wusste nicht, wie viele Tage vergingen, doch ir gendwann war mein Kopf wieder klar und spürte ich kein Fieber mehr. Ich konnte mich aufsetzen und die Suppe selbst löf feln, die Jane mir brachte. Wieder war es so wie damals eine Fleischsuppe mit Mehlklößchen. Ich konnte spüren, wie gut sie meinem Magen tat und dass sie mir Säfte gab, die sich in Kräfte verwandeln würden. Ja, ich hatte eine Menge Substanz verloren, die sich er neuern musste. Jane und ich, wir sahen uns immer wieder in die Au gen. Ich erkannte die Freude in den ihren. »Jetzt hast du es überstanden«, sagte sie ruhig. »Du und dieser Beißer, den du Wolf nennst, ihr seid offenbar aus dem gleichen Stoff.« »Und was macht der Höllenhund?« So fragte ich, denn mir fiel das Untier plötzlich wieder ein. Ich konnte erkennen, wie Jane zögerte, wie ihre Lip pen schmal wurden, und dann wich sie meinem Blick aus, so als müsste sie befürchten, dass ich sonst in ihren Augen etwas erkennen könnte. »Sag mir alles«, forderte ich. »Schone mich nicht. Ich muss wissen, was die Bestie macht. Oder ist er drüben nicht mehr zu sehen?« Sie leckte sich über die Lippen. »Doch«, erwiderte sie und wischte sich dann über das
Gesicht. »Da du jetzt nicht mehr im Wundfieber liegst, sondern wieder bei klarem Verstand bist, wirst du ihn diese Nacht heulen hören. Er heult jede Nacht. Und stets aus einer anderen Richtung. Er muss fortwährend den See umrunden Tag und Nacht. Er umkreist auf diese Weise am Seeufer die Insel wie ein Wolf ein Wild. Er weiß, dass wir auf der Insel sind. Vielleicht kommt er in einer Nacht herübergeschwommen.« Ich dachte über ihre letzten Worte nach. Konnte ein großer Hund so weit schwimmen? Es war von überall her vom Seeufer bis zur Insel weiter als eine Meile. Ich traute ihm zu, dass er auf die Insel zu kommen versuchte, wenn er lange genug drüben an Land gelauert hatte. Dass er den See und damit auch die Insel ständig umkreiste, dies ließ klar erkennen, wie sehr er es immer noch auf mich und Wolf abgesehen hatte. Vielleicht hatte ihm Yellow Joe irgendein Zauberwort eingegeben, das nur durch ein anderes Zauberwort wie der gelöscht werden konnte. Und so glich er irgendwie einer Sprengladung mit be reits brennender Lunte, die man löschen oder austreten musste. Ja, so etwa mochte es sein. Ich löffelte meine Suppe. Jane beobachtete mich. Als ich den Blick hob, da sah sie fest in meine Augen. »Sage es mir«, verlangte sie. »Wird er herüberge schwommen kommen?«
»Ja, das glaube ich«, erwiderte ich. »Und deshalb ist es Zeit, dass ich wieder auf die Beine komme. Wo ist mein Revolver? Hast du noch den Spencerkarabiner?« »Beides ist hier«, erwiderte sie. »Den Revolver hattest du hinter dem Hosenbund stecken, als du dich vom Pferd ins Kanu fallen ließest.« * Als es Nacht wurde, kam ich auf die Beine. Mit Jane und Wolf ging ich zum Rand der Insel und verhielt im Schat ten der Bäume. Denn es war eine helle Nacht mit einem vollen Mond und all der glitzernden und funkelnden Sternenpracht. Der Himmel wirkte wie ein Gewölbe. Der See glänzte silbern. Ein leichter Wind kräuselte die blitzenden Wellen. Ich setzte mich an einem Baum nieder und lehnte mei ne gesunde Schulter dagegen. Die Schusswunden – und auch die Wunden von Yellow Joes Messer – waren gut verharscht. Ich durfte mich nur nicht schnell bewegen oder irgendwelche Kraftanstrengungen machen, denn dann würden sie wieder aufbrechen. Jane saß neben mir. Sie flüsterte: »Es ist eine so wunderschöne Nacht. Al les wirkt so rein und friedlich, so sauber und gut, sodass man sich freuen müsste, in dieser herrlichen Welt leben zu können. Riechst du die Düfte des Landes, Wade – den See – alles? Und dann muss man plötzlich daran denken,
dass dort drüben eine böse Bestie …« Sie kam nicht weiter, denn von drüben her aus der Richtung meiner Hütte ertönte das Geheul. Es erfüllte das stille und so weite Tal, kam über den See und ließ uns innerlich erschauern. Und Wolf, der am Wasser stand und etwas davon ge soffen hatte, hob seinen Kopf und wollte das Geheul er widern. Aber ich zischte: »Still, Wolf! Sei still, mein Guter! Schweig!« Er stieß dann nur ein leises Jaulen und Winseln aus. Dann kam er wieder zu uns in den Schatten der Bäume. Ich hatte mein Fernrohr nicht mehr. Deshalb konnte ich nicht bis hinüber zum Ufer und alles sechsmal näher sehen. Dennoch glaubte ich in der hellen Nacht etwas umherlaufen zu sehen vor den Büschen am Ufer. Irgendwo weiter im Süden, wo der Biberdamm war, fiel am Ufer ein Baum nieder. Ich wusste, irgendein Biber hatte ihn gefällt. Dann war es wieder still, doch nicht lange. Dann heul te das Untier wieder so wild und böse, so angriffslustig und drohend. Ich sagte zu Jane: »Er wird kommen in der ersten schwarzen Nacht. Er ist zu schlau, um im Silberlicht der Gestirne den See bis zur Insel zu durchschwimmen. Aber er wird kommen.« Als ob Wolf meine Worte verstanden hätte, begann er böse zu knurren. Aber wir hatten noch eine Gnadenfrist.
Als ich mir der Bedeutung des letzten Wortes meines gedachten Satzes klar wurde, da begehrte ich innerlich auf. Verdammt, nicht wir hatten eine Gnadenfrist, sondern er! Und die hatte er so lange, wie er nicht herüber auf un sere Insel kam. Ich brauchte nur noch drei oder vier Tage, dann würde ich es mit ihm aufnehmen können. Vielleicht blieben die nächsten Nächte noch so hell wie diese. * Es war nicht so. Denn die nächste Nacht wurde eine Re gennacht, und sie war so schwarz wie eine schwarze See le. Ich wusste, er würde kommen. Jane musste in der Hütte bleiben. Ich selbst blieb draußen, und neben mir wartete Wolf. Wir standen unter den Bäumen am Ufer der Insel, ge nau dort, wo die Entfernung zum Land am kürzesten war. Ich wusste, er würde auf dem kürzesten Weg her übergeschwommen kommen. Aber er ließ lange auf sich warten, sehr lange. Gewiss brauchte er für die gute Meile länger als eine halbe Stunde. Wir wurden schon müde, und es war kurz vor Mor gengrauen, als wir ihn hörten. Denn was da im Wasser leise plätscherte, waren keine Biber, keine Fische oder an deres Wassergetier.
Er kam geschwommen. Wir hörten seinen hechelnden Atem. Aber wir konnten ihn nicht sehen. Die Nacht war zu schwarz. Keine drei Yards weit konnte man sehen. Wir hörten dann, wie er die Insel erreichte und sich das Wasser aus dem Fell schüttelte. In dieser Hinsicht be nahm er sich wie ein Hund oder Wolf. Doch dann wurde es still. Wir hörten nichts mehr. Ich wusste, er würde uns nun bald wittern und sofort angreifen. Ich hielt in der einen Hand den Revolver und in der anderen das Messer. Nun komm schon!, dachte ich, und es war wie ein Schrei in mir. Neben mir knurrte Wolf und sprang plötzlich los. Of fenbar prallte er mit Tigerkiller in der Luft zusammen. Sie knurrten fürchterlich. Es waren animalische Laute. Man hörte, wie sie zubissen. Und dann sprang er mich an. Ja, er hatte Wolf binnen einer Sekunde aus dem Weg geräumt. Offenbar witterte er genau, wo ich stand. Er kam über mich – so wie da mals der Grizzly. Er sprang in mein Revolverfeuer und in mein Messer zugleich. Und sein mörderischer Fang ver fehlte meine Kehle nur knapp, schnappte ins Leere. Ich überschlug mich nach hinten und rollte zur Seite. So bekam er mich nicht unter sich im Todeskampf. Denn ich hatte ihn mit der vierundvierziger Kugel und auch mit meinem Messer zugleich voll getroffen. Er war letzt lich doch kein Grizzly, vielleicht nur ein übergroßer, bö
ser, aggressiver Hund, den die Menschen durch Kreu zung zu einer Bestie züchteten. Er wollte mich nochmals anspringen, doch ich rollte noch weiter von ihm weg. Dann hörte ich ihn röchelnd sterben. Ich setzte mich stöhnend auf und rief nach Wolf. Aber Wolf gab keinen Laut mehr von sich. Ich wusste, der Höllenhund hatte ihn diesmal besser an der Kehle er wischt. Wolf hatte ihn nur für zwei oder drei Sekunden auf halten können. Es war alles vergebens gewesen damals in Fort Ben ton. Ich hatte Wolf aus dem Käfig befreit und mir die ganze Fehde eingehandelt. Nun war er tot. Aber ich lebte. War das verdient? * Es kam ein langer Winter. Jane und ich wurden ein Paar. Und als wir im späten Frühling mit unserer Pelzaus beute zum Missouri aufbrachen, da fragte sie mich: »Und was wird sein, Montana Wade?« Sie sprach das Wort Montana absichtlich betont. Ich begriff den Grund. Und so sagte ich: »Pass auf, du rothaariges Grünauge. Ich bin kein armer Bursche. Bei meinem Händler, dem ich seit Jahren die Pelze abliefere, habe ich ein dickes Konto von mehr als fünfzehntausend Dollar. Damit kann
man etwas anfangen.« Sie nickte. »Ja«, sagte sie, »damit kann man etwas anfangen – zum Beispiel in Kalifornien, wo man Pfirsichplantagen anlegt und die warme Luft vom Pazifik weht. Das wäre was, nicht wahr?« »Oder eine große Sägemühle am Columbia«, sagte ich grinsend. »Wir werden etwas finden, Grünauge. Wollen wir es versuchen? Doch zuerst besuchen wir das NezPercé-Dorf von Gewaltiger Donner, denn ich muss ihm die Ohren von Tigerkiller zeigen. Das versprach ich da mals den Nez Percés.« Sie nickte und sah mich an. »Du willst mich doch nur deinen rothäutigen Ver wandten vorstellen«, sagte sie und lächelte. »Und wenn«, erwiderte ich. »Unsere Kinder werden nur zu einem Achtel Indianerblut in sich haben.« »Von mir aus zur Hälfte«, schnaubte sie. »Du glaubst doch nicht, dass ich was gegen Rothäute habe?« Nein, das hatte sie sicherlich nicht. Ich wusste es längst. Sie hatte sich in meinem Tal gewandelt, war völlig an ders geworden in der Wildnis und unterschied sich kaum von meinen beiden Squaws, die ich hier hatte beer digen müssen. Mit Jane würde ich mehr Glück haben. Und so machten wir uns auf den Weg. *
P.S. Wir kauften uns eine Sägemühle am Columbia in Oregon. Und es kam dann immer mehr dazu – auch Söh ne und Töchter. Noch oft dachten wir an das Tal in den Bitter Roots und an Wolf, der sein Leben gab, weil er uns vor einem Höllenhund schützen wollte. Wade Mahoney. ENDE