Klassik-Serie zusammengestellt von m. k. ruppert
Edgar Allan Po Morella
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Klassik-Serie zusammengestellt von m. k. ruppert
Edgar Allan Po Morella
1
Die KangarooBooks.de Klassik-Serie
Klassik-Serie zusammengestellt von m. k. ruppert
www.KangarooBooks.de
Adgar Allen Po Poe wurde am 19.01.1809 in Boston als Sohn von Schauspielern geboren. Er verwaiste schon im Alter von 10 Jahren. 1826 begann er ein Studium an der University of Virginia. 1827 kam er zum Militärdienst, von dem er 1831 entlassen wurde. 1838 heiratete er seine Cousine Virgiania Clemm, die 1847 starb und ihn hilflos zurückließ. Poe lebte in bitterer Armut und starb am 07.10.1849 in Baltimore unter nicht geklärten Umständen. Werke u.a.: • •
© 2001 KangarooBooks Lazise / Italy www.KangarooBooks.de Layout & Illustration: M. K. Ruppert-Ideefabrik & Dr. Susanna Mastroberti
1841 Der Doppelmord in der Rue Morgue (dt. 1846?) 1832-1839 Phantastische Erzählungen
• Berenice • Das Faß Amontillado • Das Geheimnis von Marie Rogêts Tod • Das Gut zu Arnheim • Das ovale Portraet • Das Schweigen • Das Stelldichein • Das verräterische Herz • Der entwendete Brief • Der Fall Valdemar • Der Geist des Bösen • Der Goldkäfer • Der Mann in der Menge
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Der schwarze Kater Die Feeninsel Die längliche Kiste Die Scheintoten Du hast's getan Eleonora Hopp-Frosch Landors Landhaus Liebe auf den ersten Blick Wassergrube und Pendel Morella Schatten Schweigen Ligeia
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Morella
Morella
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Ein Gefühl tiefer, doch ganz eigentümlicher Zuneigung verband mich mit mei ner Freundin Morella. Als ich sie vor vielen Jahren zufällig kennenlernte, lohte meine Seele auf in einer Glut, die ich bis dahin noch nicht empfunden hatte; doch war es nicht Liebe, und bitter wurde mein Geist von der wachsenden Über zeugung gequält, daß es mir nie möglich sein werde, die sonderbare Bedeut samkeit meiner Empfindungen zu erkennen oder ihre unbestimmte Heftigkeit in natürliche Bahnen zu lenken. Doch fanden wir einander, und das Schicksal vereinigte uns vor dem Altar. Nie sprach ich von Leidenschaft, noch dachte ich an ihre heißen Wünsche. Morella aber floh jede Gesellschaft, schloß sich an mich allein an und machte mich glücklich. Denn es ist wohl ein Glück, sich verwundern und träumen zu können. Morellas Gelehrsamkeit schien allumfassend, ihre Talente waren ungewöhn lich, ihre Geisteskräfte fast überentwickelt. Ich empfand dies und wurde in man chem ihr Schüler. Bald bemerkte ich, daß sie mit Vorliebe jene mystischen Schriften vor mir ausbreitete, die man allgemein als den bloßen Schaum der frühen deutschen Literatur betrachtet. Sie waren, aus Gründen, die ich nicht kannte, ihr beständiges und liebstes Studium, und daß sie im Laufe der Zeit auch das meine wurden, muß ich dem einfachen, aber sehr wirksamen Einfluß der Gewohnheit und des Beispiels zuschreiben. Mit alledem hatte, wenn ich mich nicht irre, mein Verstand wenig zu tun. Meine Überzeugungen waren in keiner Weise auf das Ideale gegründet, und weder in meinen Handlungen noch in meinen Gedanken war – ich müßte mich denn selbst nicht mehr kennen – ein Schatten von dem Mystizismus meiner Lek türe zu entdecken. Vollständig davon überzeugt, überließ ich mich blindlings der Führung meiner Frau und betrat mit ruhigem Herzen das Labyrinth ihrer Studien. Und dann – als ich mich in jene unheilvollen Blätter versenkte und fühlte, wie sich ein Verderben bringender Geist in mir entzündete, pflegte Morella ihre kalte Hand auf die meine zu legen und aus der Asche einer toten Philosophie ein paar düstere, sonderbare Worte aufzustöbern, deren seltsamer
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Sinn sich meinem Gedächtnis einbrannte. Und dann verträumte ich lange Stun den an ihrer Seite und lauschte auf die Musik ihrer Stimme, bis mir endlich Schrecken aus ihr widertönte; – es fiel ein Schatten auf meine Seele, ich wurde bleich und schauderte im Innern bei diesen unirdischen Tönen. Und so erstarb die Freude bald im Entsetzen, das Schönste wandelte sich zum Gräßlichen, wie einst das Tal Hinnom zur Gehenna wurde. Es ist unnötig, den genauen Charakter der Probleme zu enthüllen, die aus den Büchern, von denen ich sprach, hervorwuchsen und lange Zeit den einzigen Gesprächsstoff zwischen mir und Morella bildeten. Die Erfahrenen in jener Wis senschaft, die man theologische Moral nennen könnte, werden sie leicht begrei fen, und die Ungelehrten würden im besten Falle nur sehr wenig davon ver stehen. Der seltsame Pantheismus Fichtes, die gemäßigte Lehre der Pythago räer von der Wiedergeburt, und vor allem Schellings Identitätsdoktrinen waren die Punkte im Gespräch, die den größten Reiz auf die phantasiereiche Morella ausübten. Diese sogenannte persönliche Identität definiert Locke, glaube ich, als in der ununterbrochenen Dauer eines vernunftbegabten Wesens bestehend. Und da wir unter ›Person‹ ein denkendes, vernunftbegabtes Wesen verstehen, und da jedes Denken von einem Bewußtsein begleitet ist, so ist es dies – das Bewußtsein -, was uns von den übrigen denkenden Wesen unterscheidet und uns unsere persönliche Identität verleiht. Doch das principium individuationis, der Begriff dieser Identität, die mit dem Tode auf immer verloren geht oder nicht verloren geht, war für mich jederzeit ein Problem von tiefstem Interesse; und zwar ebensosehr wegen der eventuellen aufregenden und verwirrenden Konsequenzen wie auch wegen der besonderen, erregten Art und Weise, mit der Morella es behandelte. Doch war jetzt die Zeit gekommen, in der mich das Geheimnis der Natur mei ner Frau wie ein unenträtselbarer Zauber quälte. Ich konnte den Druck ihrer bleichen Finger, den tiefen Klang ihrer musikalischen Stimme, den Glanz ihrer melancholischen Augen nicht mehr ertragen. Sie wußte das alles, doch machte sie mir nie einen Vorwurf; sie schien meine Schwäche oder meine Torheit zu bemerken und nannte es lächelnd – ›Schicksal‹. Sie schien auch um die mir
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Adgar Allen Po
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Morella
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unbekannte Ursache der langsamen Entfremdung meinerseits zu wissen, doch gab sie mir niemals eine Erklärung oder machte eine Anspielung auf die Natur dieser Ursache. Aber sie war nur ein Weib und welkte von Tag zu Tag dahin. Nach einiger Zeit erschienen und blieben zwei purpurne Flecken auf ihren Wan gen, und die blauen Adern traten auf der weißen Stirn hervor. Mein ganzes Wesen schmolz manchmal in Mitleid, aber einen Augenblick später traf mich ein Blick aus ihren bedeutsamen Augen, und meine Seele wurde krank und von Schwindel ergriffen, wie jemand, der in einen finsteren, unergründlichen Abgrund blickt.
brachtest. Und wenn mein Geist mich verläßt, wird das Kind leben, dein Kind und meines! Aber deine Tage werden Tage des Kummers sein, des Kummers, der von immerwährendem Eindruck ist, wie die Zypresse der langlebigste der Bäume. Die Stunden deines Glückes sind vorüber, und die Freude erblüht nicht zweimal im Leben, wie die Rosen von Paestum zweimal im Jahr. Myrte und Rebe wirst du nicht kennen, sondern dein Leichentuch mit dir über die Erde tragen, gleich den Muselmännern Mekkas.« »Morella!« schrie ich auf, »Morella, wie weißt du das?« Doch sie barg ihr Gesicht in die Kissen, ein leichtes Zit tern lief über ihre Glieder, sie starb, und nie mehr hörte ich ihre Stimme.
Muß ich gestehen, daß ich oft mit heftigem, verzehrendem Verlangen den Augenblick von Morellas Tod herbeisehnte? Ich tat es; doch ihr Geist klam merte sich noch manchen Tag, manche Woche, manchen lästigen Monat an seine staubgeborene Hülle, bis meine gequälten Nerven den Sieg über meine Ver nunft davontrugen. Ich wurde wütend über die Verzögerung und verfluchte die Tage, die Stunden und die Minuten, die sich im gleichen Maße zu verlängern schienen, in dem ihr edles Leben sich neigte, wie die Schatten in der Todes stunde des Tages.
Wie sie es vorher gesagt hatte, blieb ihr Kind, das sie sterbend geboren und das erst atmete, als die Mutter zu atmen aufgehört – blieb ihre Tochter am Leben. Sie nahm sonderbar an Gestalt und Wissen zu und wurde das vollkommene Ebenbild der Abgeschiedenen. Ich liebte sie mit heißerer Liebe, als ich sie je zu einem Menschen empfunden hatte.
Aber eines Herbstabends, als alle Winde am Firmamente schliefen, rief mich Morella an ihr Lager. Ein trüber Nebel lag über der ganzen Erde und ein war mes Glühen über den Wassern, und ein Regenbogen schien vom. Himmel mit ten in das reiche Oktoberlaub des Waldes gefallen zu sein. »Dies ist der Tag der Tage«, sagte sie zu mir, als ich näher kam, »der schön ste Tag zum Leben oder zum Sterben. Es ist ein schöner Tag für die Söhne der Erde und des Lebens – ach, ein schönerer Tag für die Töchter des Himmels und des Todes.« Ich küßte sie auf die Stirn, und sie fuhr fort: »Ich sterbe, doch werde ich leben.« »Morella!« »Nie sind die Tage gewesen, an denen du mich lieben konntest – doch die du im Leben verabscheutest, wirst du im Tode anbeten.« »Morella!« »Ich wiederhole es: ich sterbe. Doch in mir ist ein Unterpfand der Neigung – ach, welch geringer -, die du mir entgegen
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Doch bald verdunkelte sich der Himmel dieser reinen Zuneigung, und Schreck und Kummer zogen wie Wolken über ihn hin. Ich sagte schon, das Kind nahm seltsam an Gestalt und Weisheit zu. Seltsam in der Tat war ihr schnelles kör perliches Wachstum, und schrecklich, ja, schrecklich waren die Gedanken, die sich tobend auf mich stürzten, wenn ich die Entwicklung ihres geistigen Seins betrachtete. Hätte es auch anders sein können, da ich täglich in den Gedanken des Kindes die ausgereifte Kraft und die Anschauungen des Weibes entdeckte, da die Lehren der Erfahrung über die roten, kindlichen Lippen kamen, ja, da ich stündlich die Weisheit und die Leidenschaften der Reife aus diesen dun klen, nachdenklichen Augen schimmern sah? Als dies alles meinen erschrocke nen Sinnen offenbar wurde, als ich es meiner Seele nicht länger verbergen konnte, ist es da zu verwundern, daß ein Argwohn schrecklicher, quälender Art in mein Hirn kroch, und daß meine Gedanken sich entsetzt der seltsamen Erzäh lungen und scharfsinnigen Theorien der verstorbenen Morella erinnerten? Ich entriß das Wesen, das mir das Schicksal zu lieben gebot, der Neugier der Welt und wachte in der strengen Abgeschlossenheit meines Heims mit tödlicher Angst über alles, was den Gegenstand meiner Liebe betraf.
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Und wie die Jahre flohen und ich Tag für Tag ihr heiliges, mildes, beredtes Ant litz betrachtete und ihre reiferen Formen beobachtete, entdeckte ich immer neue Ähnlichkeiten zwischen dem Kind und der Mutter, dem Melancholischen und der Toten. Und stündlich verdichteten sich die Schatten dieser Ähnlichkeit, wur den tiefer, bestimmter, beängstigender. Daß ihr Lächeln an das Lächeln der Mut ter gemahnte, konnte ich ertragen, doch schauderte ich vor einer so vollkom menen Ähnlichkeit; daß ihre Augen denen Morellas glichen, nahm ich hin, doch oft blickten sie in die Tiefen meiner Seele mit Morellas eigenem, durchdrin gendem, verwirrendem Ausdruck. Und im Umriß der hohen Stirn, in den sei denen Locken ihres Haares, in den bleichen Fingern, die sich in ihm vergru ben, in dem ernsten, musikalischen Tonfall ihrer Stimme und vor allem, ja, vor allem in den Wortwendungen und Ausdrücken der Toten auf den Lippen der Geliebten und Lebenden fand ich Nahrung für meine verzehrenden Gedanken und mein Entsetzen für den Wurm, der nicht sterben wollte.
dunklen Gewölbe und im Schweigen der Nacht in das Ohr des heiligen Man nes die Silben flüsterte: »Morella«? Welches dämonische Wesen krampfte die Züge meines Kindes zusammen, übergoß sie mit Todesfarbe, als sie bei dem kaum vernehmbaren Namen erzitternd ihre verglasenden Augen vom Boden zum Himmel erhob und auf den schwarzen Steinplatten unseres Familiengra bes auf die Knie sank und mir antwortete: »Hier bin ich!«?
So vergingen die ersten zehn Jahre ihres Lebens, und noch wandelte meine Toch ter namenlos über die Erde. ›Mein Kind‹, ›mein Liebling‹ waren die Namen, die meine väterliche Zuneigung ihr verlieh, und das plötzliche Ende ihrer Tage machte jeden anderen unnötig. Morellas Name war mit ihr gestorben. Zur Toch ter hatte ich nie von der Mutter gesprochen – es war mir unmöglich gewesen. Sie hatte auch während ihres kurzen Lebens keine Eindrücke von der äußeren Welt bekommen, ausgenommen die wenigen, die ihr unsere gänzliche Zurück gezogenheit verschaffen konnte. Doch nach und nach glaubte mein nervöser, erregter Geist, in der Taufe vielleicht eine Befreiung von den Schrecken mei nes Schicksals zu finden. Am Taufbecken zögerte ich, einen Namen anzuge ben. Eine Menge Bezeichnungen voll Weisheit und Schönheit, Namen aus alter und neuer Zeit, aus meinem Heimatland und aus der Fremde drängten sich auf meine Lippen, Benennungen für Liebliches, Glückliches, Gutes.
Klar, kalt, mit ruhiger Deutlichkeit fielen diese einfachen Worte in mein Ohr und drangen von da, wie geschmolzenes Blei, zischend in mein Gehirn. Jahre, Jahre können vergehen, die Erinnerung an diesen Augenblick niemals! Ach! Blumen und Weinrebe waren mir nicht unbekannt, doch Schierling und Zypresse überschatteten mich Tag und Nacht. Ich verlor jedes Bewußtsein für Zeit und Ort, und die Sterne meines Schicksals verblichen am Himmel, und die Erde wurde finster, und ihre Gestalten wanderten wie Schatten an mir vorüber, und unter allen sah ich nur – Morella! Die Winde des Himmels flüsterten nur einen Ton in mein Ohr, und die Wellen des Meeres murmelten unaufhörlich: Morella. Doch sie starb; und mit meinen eigenen Händen trug ich sie zum Grabe und lachte ein langes, bitteres Lachen, als ich in der Gruft, in die ich die zweite bet tete, keine Spuren entdeckte von der ersten – Morella.
Was stachelte mich denn an, das Andenken an die begrabene Tote wieder wach zurufen? Welcher Dämon zwang mich, jenen Namen zu flüstern, bei dessen bloßer Erinnerung mein Blut in Strömen aus den Schläfen in das Herz schoß? Welcher böse Geist sprach aus den Abgründen meiner Seele, als ich in dem
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