Sir Henry Rider Haggard (1856–1925), einer der be deutendsten englischen Erzähler der Jahrhundertwen de, gehört zu de...
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Sir Henry Rider Haggard (1856–1925), einer der be deutendsten englischen Erzähler der Jahrhundertwen de, gehört zu den Klassikern des phantastischen Aben teuerromans. Seine exotischen und farbenprächtigen Fantasy-Epen spielen vornehmlich im dunklen Her zen Afrikas, das zu jener Zeit noch weitgehend uner forscht und von wilden Völkerschaften bewohnt war und Raum bot für Spekulationen über geheimnisvolle unentdeckte Reiche und legendäre uralte Zivilisation. Ägypten, das mächtige Reich am Nil, steht in Blüte, doch über dem Palast des Pharao steht ein Unstern. Der Herrscher ist kinderlos, und Abi, sein Halbbru der, Prinz von Memphis, spekuliert auf den Thron. Da wird dem Herrscher durch die Gnade der Göt ter doch noch ein Kind geschenkt: eine Tochter, Neter-Tua, die zu einer schönen Jungfrau heranwächst, um deren Gunst die mächtigsten Fürsten des Landes und ferner Reiche wetteifern. Doch Abi, ihr Onkel, gibt seinen Machtanspruch nicht auf, nachdem er als Freier abgewiesen wurde. Mit Hilfe von Kaku, sei nem mächtigen Zauberer, schmiedet er einen teufli schen Plan, um mit Mord und Schwarzer Magie auf den Pharaonenthron zu gelangen, den Neter-Tua als legitime Nachfolgerin ihres Vaters erben soll.
Von Henry Rider Haggard erschienen in der Reihe HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY: Sie · 06/4130 Allan Quatermain · 06/4131 Ayesha – Sie kehrt zurück · 06/4133 Sie und Allan · 06/4133 König Salomons Diamanten · 06/4134 Die heilige Blume · 06/4135 Das Halsband des Wanderers · 06/4136 Tochter der Weisheit · 06/4137 Das Sehnen der Welt · 06/4138 Morgenstern · 06/4146 Als die Welt erbebte · 06/4147 Das Nebelvolk · 06/4148 Das Herz der Welt · 06/4149 Kleopatra · 06/4150 Weitere Ausgaben sind in Vorbereitung.
HENRY RIDER HAGGARD
Morgenstern
Fantasy Roman
10. Band der Haggard-Ausgabe
Deutsche Erstveröffentlichung
Mit einem Nachwort
von Bernhard Heere
WILHELM HEYNE VERLAG � MÜNCHEN � Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!! �
HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY � Band 06/4146 �
Titel der englischen Originalausgabe � MORNING STAR � Deutsche Übersetzung von Hans Maeter � Das Umschlagbild schuf Vicente Segrelles/Norma �
Redaktion: Wolfgang Jeschke � Ein Vorabdruck des Romans erschien in der Zeitschrift � ›Christian World News of the Week‹ zwischen Oktober 1909 � und März 1910 (Bd. 53/54, Nr. 2742-2762). � Die Erstausgabe als Buch erschien im März 1910 bei Cassell � in London und im Mai bei Longman, Green in New York
Copyright © 1985 der deutschen Übersetzung � by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG. München � Printed in Germany 1985 � Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München � Satz: Schaber, Wels � Druck und Bindung: Elsnerdruck, Berlin � ISBN 3-453-31210-4 �
INHALT
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
Widmung .................................................... Anmerkung des Autors .............................
7 � 8 �
Das Komplott Abis .................................... Das Versprechen des Gottes ..................... Rames, die Prinzessin, und das Krokodil Die Anrufung Amons ................................ Wie Rames gegen den Prinzen von � Kesh kämpfte ............................................. Der Schwur Rames' und Tuas .................. Tua kommt nach Memphis ....................... Das magische Abbild ................................. Die Verhexung des Pharao ....................... Das Kommen des Ka .................................. Der Traum Abis ......................................... Die königliche Hochzeit ............................ Abi erfährt die Wahrheit ........................... Das Boot Ras ............................................... Tua und der König von Tat ....................... Der Bettler und der König ......................... Tua findet ihre Liebe ................................. Das Urteil der Götter .................................
12 � 27 � 44 � 63 � 77 � 104 � 121 � 142 � 166 � 186 � 207 � 229 � 249 � 262 � 284 � 304 � 320 � 342 �
Weiße – und Schwarze Magie � Nachwort von Bernhard Heere ................ 355 �
Widmung
An Dr. Walter Budge, Kurator für assyrische und ägyptische Altertümer, Britisches Museum Mein lieber Budge, nur unsere seit vielen Jahren bestehende Freundschaft hat mir, einem Amateur, den Mut dazu gegeben, Ihnen anzutragen, einen Roman über das alte Ägypten Ihnen zu widmen, einem der besten Kenner der Sprache und der Geschichte jenes großen Volkes, das dieser Tage aus seinen heiligen Gräbern aufersteht und die Geheimnisse seiner Geschichte und seines Glaubens preisgibt. Mit starken Zweifeln habe ich Ihnen diese Geschichte vorgelegt, mit der Bitte, auch einige Seiten zu akzeptieren, die, wie ich fürchte, nicht frei von Fehlern sein können, und habe mit großer Überraschung und Freude unter anderen wohlwollenden Bemerkungen lesen können, daß Sie mir raten ›alles genau so zu lassen, wie es ist‹. Also werde ich Sie beim Wort nehmen, obwohl ich mir kaum vorstellen kann, daß ich auf so fernen und schwierigen Pfaden vermeiden konnte, hin und wieder vom Wege abzuweichen. Was immer deshalb auch die Fehler sein mögen, welche Ihre Güte mir verborgen gehalten hat, und da diese Geschichte glücklicherweise Sie, ihren ersten Kritiker, zufriedenzustellen und zu interessieren scheint, möchte ich sie Ihnen in Hochachtung für Ihr Wissen und Ihre Arbeit widmen. Hochachtungsvoll, Ihr H. RIDER HAGGARD Ditchingham
Anmerkung des Autors
Man mag denken, selbst in einer Geschichte über das Alte Ägypten sei das Ka oder zweite Ich, das in akti ver Rolle auf dem Thron verbleibt, während das an dere Ich sich auf eine lange Reise begibt und ver schiedene Abenteuer erlebt, nichts anderes als eine wilde Spekulation über dieses zweite Ich. Doch glau be ich, daß dies nicht der Fall ist. Das Ka oder zweite Ich, welches von Wiedermann sehr richtig als ›die Persönlichkeit einer Person‹ bezeichnet wird, scheint, jedenfalls nach der ägyptischen Theorie, eine eigene Existenz zu besitzen. Es stirbt nicht, wenn der Körper stirbt, da es unsterblich ist und die Wiederauferste hung dieses Körpers erwartet, mit dem es dann er neut vereinigt und mit ihm auf ewig leben wird. Um noch einmal Wiedermann zu zitieren: ›Das Ka konnte ohne den Körper leben, der Körper jedoch nicht ohne das Ka und dennoch ... war es auf die gleiche Weise materiell, wie es der Körper war.‹ Außerdem schien es, als ob es auf eine gewisse Weise dem Körper überlegen und stärker als er war, da die ägyptischen Monarchen oft dabei dargestellt wurden, wenn sie dem ihnen eigenen Ka Opfer darbrachten, als ob diese Götter wären. In der Geschichte von ›Setna und das Buch der Magie‹, das von Maspero und auch von Mr. Flinders Petrie in seinen ›Ägyptischen Geschichten‹ übersetzt wurde, spielt das Ka eine sehr entscheiden de, eigene Rolle. So wurde der Ehemann in Memphis begraben, und die Ehefrau im Koptos, doch das Ka der Frau lebte im Grab ihres Mannes, das mehrere hundert Meilen von dem ihren entfernt lag, und
sprach mit dem Fürsten, der gekommen war, um das magische Buch zu stehlen. Obwohl ich zwar keinen wirklichen Präzedenzfall dafür anführen kann, trifft dies oft bei einem beson ders mächtigen Double zu, wie dem von Königin Neter-Tua, spirituelle Tochter des Gottes Amon, dem größten der ägyptischen Götter, und deshalb scheint es berechtigt, anzunehmen, daß, um sie vor dem Greuel einer erzwungenen Ehe mit ihrem Onkel und Mörder ihres Vaters, zu bewahren, dem Ka die Er laubnis gegeben wurde, den Dingen ein wenig vor zugreifen und die Rolle zu spielen, die auf diesen Seiten niedergelegt wurde. Es sollte jedoch verstanden werden, daß die Vor stellung, den eigenen Onkel zu heiraten, die Ägypter nur wenig beeindruckte, da es, besonders beim Kö nigshaus, durchaus üblich war, den Bruder oder die Schwester zu ehelichen, so wie in dieser Geschichte Mermes seine Halbschwester Asti heiratet. Ich darf hinzufügen, daß das Wachs-Ebenbild, das von dem Zauberer Kaku und seiner Komplizin be nutzt wurde, um den Pharao zu verzaubern, authen tisch belegt ist. In den Tagen Ramses III., vor über tausend Jahren, wurde ein Komplott geschmiedet, um den König zu ermorden, und dabei wurden sol che Ebenbilder benutzt. ›Götter aus Wachs zu formen ... um die Glieder von Menschen zu schwächen‹, wa ren damals ›große todeswürdige Verbrechen, das größte Greuel im Lande‹. Es wurde auch eine gewisse ›magische Rolle‹ ins Spiel gebracht, welche ihren Be nutzer in die Lage versetzte, ›die magischen Kräfte der Götter anzuwenden‹. Am Ende jedoch setzten alle diese Zauberer ande
ren nicht gerade ein ermutigendes Beispiel, denn sie wurden für schuldig befunden und gezwungen, sich das Leben zu nehmen. Doch selbst wenn man mir vorwerfen sollte, die Rolle des Ka übertrieben zu haben oder die Rolle des wächsernen Ebenbildes, welches, nebenbei gesagt, bis zu unseren Tagen überlebt hat und in Westafrika, als Fetisch, noch immer mit Nadeln oder Nägeln durch stochen wird, kann ich zu meiner Entschuldigung an führen, daß ich versucht habe, so weit dies einem Menschen unserer Tage möglich ist, etwas von der Atmosphäre und dem Kolorit des alten Ägypten zu reproduzieren, wie es mir als Reisendem in jenem Land und beim Studium seiner geschichtlichen Un terlagen erschienen ist. Wenn Neter-Tua nie auf sei nem Thron gesessen haben sollte, so hat doch zumin dest eine andere Tochter Amons, die mächtige Köni gin Hatschepsut, die Kronen des Oberen und des Unteren Ägypten getragen und ihre Botschafter aus gesandt, um die Geheimnisse des Landes Punt zu er gründen. Liebesaffären unter hochgestellten Persön lichkeiten müssen auch in großer Zahl vorgekommen sein, wenn auch die kurzen Niederschriften oder die religiösen Texte von Priestern sich nicht mit solchen Dingen befassen. Auf jeden Fall habe ich, in der Hoffnung, daß sie Leser der heutigen Zeit interessieren mag, eine solche Liebesaffäre entdeckt und niedergeschrieben, deren Motiv mit Sicherheit noch weitaus älter ist als die al ten Ägypter – nämlich der Triumph der wahren Liebe über große Schwierigkeiten und Gefahren. Es ist an genehm zu träumen, daß die Götter auf der Seite sol cher Liebenden stehen, sich für ihre Sache einsetzen
und die Wunder hervorbringen, an die die Mensch heit seit Tausenden von Jahren geglaubt hat, obwohl die Wissenschaftler uns predigen, daß sie unmöglich sind. Um zu erkennen, wie gewaltig der Anteil von Wundern und der Magie der höchsten und der schrecklichsten Art am Leben des alten Ägypten war, und auch am Leben der Völker, mit denen es Kriege führte und Handel trieb, können wir jederzeit im zweiten Buch Mose nachlesen. Außerdem ist die Ge schichte des Landes voll davon, da es bei den Ägyp tern eine Glaubensfrage war, daß die Gottheit, die sie unter so vielen Namen und Symbolen verehrten, von solch mysteriösen Mitteln Gebrauch machte, um die Angelegenheiten der Menschen zu beeinflussen und die Erfüllung Ihrer Gesetze durchzusetzen. H. R. H.
1
Das Komplott Abis
Es war Abend in Ägypten, vor Tausenden von Jah ren, als Prinz Abi, der Gouverneur von Memphis und großer Gebiete des Deltas sein Staatsschiff am Kai unterhalb der äußeren Mauern der mächtigen Stadt Uast oder Theben festmachte, die wir heute unter den Namen Luxor und Karnak kennen. Abi, ein großer, kräftiger Mann von sehr dunkler Hautfarbe – seine Mutter hatte zu den verhaßten Hyksos-Barbaren ge hört, die einst den Thron Ägyptens usurpiert hatten – saß auf dem Deck seines Schiffes und starrte auf die versinkende Sonne, die für einen Moment stillzuste hen schien, eine runde Feuerkugel über den kahlen, schroffen Bergketten, die das Tal der Könige einfaß ten. Er war zornig, wie die beiden Sklavinnen, die links und rechts von ihm standen und ihm Kühlung zufä chelten, an dem finsteren Ausdruck seines grob ge schnittenen Gesichts und dem Glühen seiner großen schwarzen Augen erkennen konnten. Und dann spürten sie seinen Zorn auch, denn eine der beiden, die zu den Tempeln und Palästen der wunderbaren Stadt hinüberblickte, welche von den Strahlen der untergehenden Sonne vergoldet wurde, zu jener Stadt, von der sie so oft gehört hatte, berührte aus Unachtsamkeit seinen Kopf leicht mit den Federn ih res Fächers. Abi sprang sofort auf, offenbar glücklich, ein Opfer für seine düstere Laune gefunden zu haben, und schlug ihr so hart ins Gesicht, daß das arme
Mädchen auf Deck niederstürzte. »Ungeschickte Katze!« schrie er. »Wenn du das noch einmal tust, lasse ich dich peitschen, bis dir die Haut in Fetzen herunterhängt!« »Verzeiht mir, mächtiger Herr«, sagte das Mädchen und begann zu weinen, »es war ein Versehen; der Wind hat meinen Fächer erwischt.« »Und der Stock wird deinen Rücken erwischen, wenn du nicht vorsichtiger bist, Merytra. Hör auf zu schnüffeln und schick Kaku, den Astrologen, zu mir! Geht alle beide, ich kann eure häßlichen Gesichter nicht mehr ausstehen!« Das Mädchen erhob sich und lief gemeinsam mit der anderen Sklavin zu der Leiter, die zum tiefer ge legenen Mitteldeck hinabführte. »Eine Katze hat er mich genannt«, zischte Merytra der anderen Sklavin zwischen zusammengebissenen, perlweißen Zähnen zu. »Nun, wenn ich eine Katze bin, dann ist Sekhet, die Katzenköpfige, meine Patin, und sie ist die Göttin der Rache.« »Ja, und er hat uns beide häßlich genannt«, ant wortete die andere. »Uns, die wir von allen Herren, die an den Hof kommen, so bewundert werden! Oh, ich wünschte, daß ein heiliges Krokodil ihn fressen würde, dieses schwarze Schwein!« »Warum kaufen sie uns dann nicht?« sagte Me rytra. »Abi würde selbst seine Töchter verkaufen, um so eher doch Fächer-Sklavinnen – wenn der Preis stimmt.« »Weil sie hoffen, uns umsonst haben zu können, meine Liebe, und wenn ich es schaffen kann, soll ei ner von ihnen mich auch kriegen, denn ich bin dieses Lebens müde. Genieße es, solange du kannst, sagen
die Menschen. Wer kann wissen, an welcher Ecke Osiris, der Herr des Todes, auf einen wartet?« »Still!« flüsterte Merytra. »Dort steht dieser Schur ke von Astronom, und auch er sieht finster aus.« Hand in Hand traten sie auf den hageren, gelehrten Mann zu und verbeugten sich demütig vor ihm. »Meister der Sterne«, sagte Merytra, »wir haben ei ne Botschaft für dich. Nein, blicke nicht auf meine Wange, jene Spuren sind nicht magischen Ursprungs, sondern wurden von den göttlichen Fingern der wunderbaren Hand des erhabenen Prinzen Abi hin terlassen, dem Sohn des Pharao, welcher jetzt glück lich im Reiche Osiris' herrscht, von königlich ägypti schem Blute – von der einen Seite zumindest – von der anderen ein Abkömmling jener göttlichen Dame, welche Khem, der Geist, oder Ptah, der Schöpfer, es gefiel, in einen Trog voller schwarzer Farbe zu tun ken.« »Hmmm!« sagte Kaku und warf einen nervösen Blick über die Schulter. Dann, als er sah, daß niemand in der Nähe war, setzte er hinzu: »Du solltest vor sichtiger sein mit dem, was du sagst. Der königliche Abi hat es nicht gern, wenn jemand die Hautfarbe seiner Mutter so genau beschreibt. Aber warum hat er dir ins Gesicht geschlagen?« Sie sagte es ihm. »Nun«, sagte er dann, »ich an seiner Stelle hätte es lieber geküßt, denn es ist sehr hübsch, ja, wirklich hübsch.« Und dieser gelehrte Mann vergaß sich so weit, Merytra zuzublinzeln. »Siehst du, Schwester«, sagte das Mädchen, »ich habe dir immer wieder gesagt, daß rauhe Schalen oft süße Nüsse enthalten. Ich danke dir für dein Kom
pliment, Meister der Gelehrsamkeit. Würdest du uns, auch wenn wir nichts bezahlen können, unsere Zu kunft voraussagen?« »Gerne, gerne«, antwortete er. »Zumindest wird die Gebühr, die ich dafür verlange, euch beide nicht ärmer machen. Aber hört jetzt mit dem Unsinn auf«, setzte er nervös hinzu. »Ich nehme an, daß er schlechte Laune hat.« »Ich habe ihn noch nie schlechterer Laune gesehen, Kaku. Ich bin froh, daß du es bist, der ihm die Sterne lesen muß, und nicht ich. Hört!« Während sie sprach, ertönte ein wütendes Brüllen vom oberen Deck. »Wo ist dieser verfluchte Astrologe?« schrie die wütende Stimme. »Was habe ich dir gesagt? Oh! Laß doch die ande ren Papiere; deine Robe steckt doch ohnehin voller Schriftrollen.« »Ja, das ist richtig«, rief Kaku, während er zur Lei ter eilte, »die Frage ist nur, ob es ihm gefällt, was auf diesen Rollen steht.« »Die Götter mögen mit dir sein!« rief eines der bei den Mädchen ihm nach. »Du wirst sie alle brauchen!« »Und falls du lebend zurückkommen solltest, ver giß nicht dein Versprechen wegen unseres Horo skops«, rief die andere. Kurz darauf warf dieser Sucher des Himmels, ein hagerer, hakennasiger Mann, sich vor Abi, der in sei nem Pavillon auf dem hinteren Deck saß, zu Boden, und zwar so heftig, daß seine nach syrischer Art ge schnittene Kappe ihm vom kahlen Kopf flog. »Warum hast du so lange gebraucht?« herrschte Abi ihn an.
»Weil deine Sklavinnen mich nicht gleich gefunden haben, königlicher Sohn der Sonne. Ich war in meiner Kabine, in meine Arbeit vertieft.« »Wirklich? Ich glaubte sie eben mit dir kichern zu hören. Wie hast du mich genannt? Den königlichen Sohn der Sonne? Das ist der Name des Pharao! Haben die Sterne dir gezeigt ...?« Und er sah ihn erwar tungsvoll an. »Nein, Prinz, das nicht. Und ich glaube nicht, daß es nötig ist, bei dieser Angelegenheit ihren Rat zu su chen, da sie mehr oder weniger feststeht.« »Mehr oder weniger«, antwortete Abi düster. »Was meinst du mit ›mehr oder weniger‹? Hier stehe ich an einer Wegkreuzung meines Lebens und weiß nicht, ob ich der Pharao des Oberen und Unteren Landes sein werde, oder nur der jämmerliche Herr einer Stadt und einer Handvoll Provinzen im Delta, und du befriedigst meinen Hunger nach Wahrheit mit der leeren Schüssel von ›mehr oder weniger‹. Mann, was soll das bedeuten?« »Wenn Majestät seinem Diener gütigerweise sagen würde, was sie zu wissen wünscht, könnte ich diese Frage vielleicht beantworten«, sagte Kaku unterwür fig. »Majestät! Nun, ich wünsche zum Beispiel zu wis sen, aus welchem Grund du mich ›Majestät‹ nennst, der ich nur der Prinz von Memphis bin. Haben die Sterne dir das eingegeben? Hast du mir gehorcht und sie nach meiner Zukunft befragt?« »Natürlich, natürlich. Wie könnte ich Ungehorsam wagen? Ich habe sie alle während der letzten Nacht beobachtet und war bis jetzt mit der Ausarbeitung meiner Resultate beschäftigt; offen gesagt, war ich
noch nicht ganz damit fertig. Doch frage, und ich werde antworten!« »Du wirst antworten, ja, aber was wirst du ant worten? Nicht die Wahrheit, denke ich, weil du ein Feigling bist, obwohl, falls irgendeiner imstande sein sollte, die Zukunft zu lesen, du es bist. Mann!« setzte er wütend hinzu. »Falls du es wagen solltest, mich anzulügen, werde ich dir den Kopf abschlagen und ihn dem Pharao als den eines Verräters zuschicken, und dein Leichnam soll nicht in der herrlichen Grab kammer liegen, die du dir gebaut hast, sondern in dem Bauch eines Krokodils, aus welchem es keine Wiederauferstehung gibt. Hast du mich verstanden? Dann laß uns zur Sache kommen! Siehe, die Sonne versinkt dort hinter den Gräbern der Könige, wo die fortgegangenen Pharaos Ägyptens bis zum Tage ihrer Auferstehung ruhen. Es ist ein schlechtes Omen für mich, ich weiß, der ich diese Stadt am Morgen zu er reichen wünschte, als Ra im Hause des Lebens stand, im Osten, und nicht im Hause des Todes, im Westen, doch der verfluchte, von Typhon gesandte Wind hat mich zurückgehalten, so daß es mir nicht möglich war. Nun, laß uns mit dem Ende beginnen, das ja einmal kommen muß. Sag mir, du Leser des Him mels, ob ich dereinst in jenem Tal schlafen werde!« »Das glaube ich, Prinz, zumindest sagt dein Planet das. Siehe dort oben!« Und er deutete auf eine leuch tende Kugel, die unmittelbar über dem roten Rand der untergehenden Sonne aufgetaucht war. »Du verschweigst mir etwas«, sagte Abi und blickte Kaku drohend ins Gesicht. »Werde ich in mei ner Grabstätte des Pharao schlafen, in meinem ewi gen Haus, welches schon bereit gemacht wird, um
mich aufzunehmen?« »Das, Sohn des Ra, kann ich nicht sagen«, antwor tete der Astrologe. »Göttlicher, ich will offen zu dir sein. Selbst wenn du deshalb zornig auf mich werden solltest, will ich dir die Wahrheit sagen, wie du es mir befohlen hast. Ein böser Einfluß nagt an deinem Haus des Lebens. Ein anderer Stern kreuzt deinen Pfad, immer und immer wieder, und obwohl du ihn für ei ne lange Zeit zu schlucken scheinst, wird er dich doch zuletzt auslöschen – er und einer, der mit ihm zieht.« »Welcher Stern ist es?« fragte Abi heiser. »Der Stern des Pharao?« »Nein, Prinz, der Stern Amons.« »Amons! Welchen Amons?« »Des Gottes Amon, Prinz des mächtigen Vaters der Götter.« »Des Gottes Amon«, wiederholte er mit vor Ehr furcht ersterbender Stimme. »Wie kann ein Mensch gegen einen Gott kämpfen?« »Sage lieber, gegen zwei Götter, denn mit dem Stern Amons geht der Stern Hathors, der Göttin der Liebe. Seit einem Zeitraum von Tausenden von Jah ren haben sie nicht mehr nebeneinander gestanden, doch jetzt eilen sie aufeinander zu, und so wird es während deines ganzen Lebens bleiben. Sieh!« Kaku deutete auf den östlichen Horizont, über dem noch immer ein rosiger Schein lag. Während sie hinüberblickten, zerschmolz dieser Schein, und dort, am klaren Abendhimmel, dicht über dem Punkt, an dem er auf das Land zu stoßen schien, leuchtete ein heller, wunderbarer Stern, und für das Auge so nahe neben ihm, daß er ihn fast zu berühren schien, ein Zwillingsstern. Ein paar Minu
ten lang nur waren sie zu sehen, dann verschwanden sie unter dem Horizont. »Der Morgenstern Amons, und mit ihm der Stern Hathors«, sagte der Astrologe. »Und, du Narr, was ist mit ihnen?« rief Abi. »Sie sind weit genug von meinem Stern entfernt; und au ßerdem sind sie es, die untergehen, nicht ich, der ich mit jedem Moment höher emporsteige.« »Ja, Prinz, doch werden sie in einem kommenden Jahr deinen Stern verfinstern. Amon und Hathor ste hen gegen dich, Prinz. Sieh her, ich werde dir ihren Weg auf diesem Papyrus zeigen, dann wirst du se hen, wie sie dich drüben fressen werden, ja, dort drü ben, über dem Tal der Könige, obwohl bis dahin noch zwanzig oder mehr Jahre vergehen müssen; doch nimm dies zu deinem Trost: Während dieser Jahre wirst du allein scheinen.« Und er begann einen Papy rus aufzurollen. Abi riß ihn ihm aus den Händen, zerknüllte ihn und schleuderte ihn dem Sterndeuter ins Gesicht. »Lügner!« schrie er. »Glaubst du etwa, daß du mir Angst machen kannst mit deinem Geschwätz über die Sterne? Hier ist mein Stern.« Er riß sein kurzes Schwert aus der Scheide und hielt es über den Kopf des zitternden Kaku. »Diese scharfe Bronze ist der Stern, dem ich folge, und sei ja vorsichtig, daß er dich nicht verfinstert, du Vater der Lügen.« »Ich habe dir die Wahrheit gesagt, so wie ich sie sehe«, antwortete der arme Astrologe in dem Ver such, wenigstens einen Rest von Würde zu bewahren, »aber wenn du befiehlst, daß ich dir in Zukunft nur Angenehmes prophezeie, so läßt sich das sehr leicht bewerkstelligen. Außerdem bin ich der Meinung, daß
dieses Horoskop gar nicht so schlecht ist, da es dir über zwanzig Jahre Leben und Macht verspricht, was viel mehr ist, als die meisten Menschen erwarten können – in deinem Alter. Wenn danach Schwierig keiten kommen und das Ende, was ist daran schon schlimm?« »Das stimmt«, antwortete Abi versöhnt. »Es war meine schlechte Laune. Alles ist heute schiefgegan gen. Nun, ein goldener Becher, mein eigener, soll dich dafür entschädigen. Trage es mir nicht nach, gelehrter Schreiber, vor allem jedoch erzähle mir keine Lügen über die Botschaften der Sterne, denen du dienst. Die Wahrheit ist es, die ich suche, die Wahrheit. Wenn sie nur erkannt werden mag, wenn sie sich ergreifen lie ße, wäre es mir egal, wie ihr Gesicht aussieht.« Froh über die Wendung, die die Dinge genommen hatten, und besonders über das Versprechen des kostbaren Bechers, den er schon lange begehrt hatte, verneigte Kaku sich schweigend. Er hob seinen zer knüllten Papyrus auf und wollte sich gerade zurück ziehen, als er im Dunkel der herabsinkenden Nacht mehrere auf Eseln berittene Männer über das schlammige Ufer auf das Schiff zukommen sah. »Der Kommandeur meiner Leibwache«, sagte Abi, als er einen Bronzehelm im Sternenlicht schimmern sah, »der mir die Antwort des Pharao bringt. Nein, geh noch nicht! Bleib und hör sie dir an, Kaku, und gib mir dann deinen Rat darüber, deinen ehrlichen Rat!« Also blieb der Astrologe und wartete, bis der Kommandeur vor Abi trat und salutierte. »Was sagt der Pharao, mein Bruder?« fragte der Prinz.
»Er sagt, daß er dich empfangen wird, obwohl du, da er nicht nach dir schickte, nichts Wichtiges zu sa gen haben kannst, und daß er von deinem Sieg über die Wüstenbarbaren bereits vor langer Zeit erfahren hat und auf die eingesalzenen Köpfe der Feinde, die du ihm mitgebracht hast, keinen Wert legt.« »Gut«, sagte Abi verächtlich. »Der göttliche Pharao war schon immer ein solches Weib in dieser Bezie hung, wie auch in anderen. Er sollte dankbar sein, daß er Heerführer hat, die wissen, wie man Krieg führt, und die seinen Gegnern die Köpfe abhacken, um sein Reich zu erhalten. Wir werden ihm morgen unsere Aufwartung machen.« »Herr«, sagte der Kommandeur der Garde, »das ist nicht alles, was der Pharao mich beauftragt hat, dir auszurichten. Er sagt, man habe ihm berichtet, daß du von einer Leibwache von dreihundert Männern be gleitet seist. Diese Männer dürfen das Palasttor nicht passieren. Er läßt dir aber sagen, daß du mit nur fünf Begleitern eingelassen werden wirst.« »Wirklich?« sagte Abi mit einem verächtlichen La chen. »Befürchtet der Pharao, daß ich ihn und sein ganzes Heer und diese große Stadt mit dreihundert Kriegern besiegen könnte?« »Nein, Prinz«, antwortete der Kommandeur offen, »doch scheint er zu fürchten, daß du ihn töten und dich, als nächsten Blutsverwandten, zum Pharao ma chen könntest.« »Ah!« sagte Abi. »Als nächsten Blutsverwandten – das heißt, daß es am Hof noch immer keine Kinder gibt?« »Keine, o Prinz. Ich habe Ahura gesehen, die kö nigliche Gemahlin, die schönste aller Frauen, und
auch zwei der Nebenfrauen und ungezählte Sklavin nen, doch hatte keine von ihnen ein Kind an ihrer Brust oder auf ihren Knien. Der Pharao ist noch im mer kinderlos.« »Ah!« sagte Abi noch einmal. Dann trat er aus dem Pavillon hinaus und stand eine Weile schweigend an der Bordwand des Schiffes. Inzwischen war es Nacht geworden und der rie senhafte Mond, der direkt aus der Erde zu steigen schien, warf sein silberiges Licht auf die Wüste, auf die Berge, auf die unendlich erscheinende Weite der Stadt Theben, und auf die strömenden Fluten des Nils. Die Pylonen und Obelisken, mit Kupfer und mit Gold glänzend, ragten zum Himmel empor. Aus den Fensteröffnungen der Paläste und der Tausenden von Häusern leuchteten Lampen wie Sterne. Von den Gärten, Straßen und den Höfen der Tempel tönten leise Klänge von Musik herüber, und auf den hohen, zinnengekrönten Mauern riefen die Wachen einander die Stunde zu. Es war ein wunderbares Bild, und das Herz Abis weitete sich, als er es anblickte. Welch ein Reichtum lag dort drüben, und welche Macht. Dort war der herrliche Palast seines Bruders, des Pharao, des Got tes in menschlicher Gestalt, der aber trotz all seiner Göttlichkeit kein Kind hatte, das ihm auf den Thron folgen konnte, wenn er zu Osiris hinaufging, was er, da er kränklich war, sicher bald tun würde. Ja, doch bevor es soweit war, mochte ein Wunder geschehen und auf diese oder die andere Weise ein Thronfolger gefunden und anerkannt werden, denn waren der Pharao und sein Haus nicht bei allen Prie stern Amons beliebt, und auch bei dem Volke, und
war nicht er, Abi, gefürchtet und unbeliebt, weil er grausam war, und weil das verhaßte, wilde Blut in seinen Adern floß? Oh, welcher böse Gott hatte es in das Herz seines Vaters gelegt, ihm eine Prinzessin der Hyksos zur Mutter zu geben, jener Hyksos, die die Ägypter haßten, wo er unter den schönsten Frauen der ganzen Welt wählen konnte? Aber wie dem auch sei, er hatte es getan, und es konnte nicht mehr unge schehen gemacht werden, obwohl er deswegen sei nen Anspruch auf den größten Thron auf Erden ver lieren mochte. Und war es nicht das wilde HyksosBlut, dem er seine Kraft und seine Energie verdankte? Warum sollte er warten? Warum sollte er sein Glück nicht aufs Spiel setzen? Er hatte dreihundert Krieger bei sich, ausgesuchte und tapfere Männer, Kinder der See und der Wüste, seinem Haus und sei nen Interessen verschworen. Es war die Zeit der Fe ste, die Tore würden schlecht bewacht sein. Warum sollte er sie nicht in der Stille der Nacht niederreißen, sich seinen Weg in den Palast erzwingen, den Pharao zu seinen Vätern versammeln und am Morgen selbst auf dem Thron des Pharao sitzen? Bei dem Gedanken daran machte das Herz Abis einen Sprung, seine breiten Nasenlöcher blähten sich, und er hob seinen kräftigen Kopf, als ob er darauf bereits das Gewicht der Doppelkrone spürte. Dann wandte er sich um und trat in den Pavillon zurück. »Ich habe mich entschlossen zuzuschlagen«, sagte er. »Sage mir, Kommandeur, würden du und deine Männer mir heute nacht in das Herz jener Stadt fol gen, um einen Thron zu gewinnen – oder ein Grab? Falls es das erstere sein sollte, werde ich dich zu mei nem obersten Heerführer machen, und du, Astrologe,
sollst mein Wesir werden, ja, nach dem Pharao sollt ihr beiden die Größten im Lande sein.« Sie starrten ihn an und fanden keine Worte. »Ein riskantes Unternehmen«, sagte der Komman deur schließlich, »doch wenn eine solche Beute winkt, will ich es wagen. Für meine Männer kann ich aller dings nicht sprechen. Zuerst muß man es ihnen sa gen, und wer weiß, ob unter so vielen nicht ein paar sind, denen der Mut versagt? Ein Wort von einem Verräter, und morgen um diese Zeit haben die Bal samierer viel Arbeit, oder die Schakale.« Abi nickte und blickte von ihm zu dem Sterndeu ter. »Prinz«, sagte Kaku, »weise solche Gedanken bes ser weit von dir. Vergrab sie sehr tief und laß sie nie wieder an die Oberfläche kommen. In den Sternen habe ich zwar etwas über diese Angelegenheit gese hen, es jedoch damals nicht verstanden, doch jetzt se he ich, wie sich unter unseren Füßen eine schwarze Schlucht auftut. Ja, die Hölle würde unser Heim sein, wenn wir es wagen sollten, unsere Hände gegen den göttlichen Pharao zu erheben. Ich sage euch, daß die Götter selbst gegen uns kämpfen würden. Laß es sein, Prinz, laß es sein, und du wirst viele Jahre des Regie rens vor dir haben, doch wenn du jetzt zuschlägst, wirst du nichts gewinnen als eine Krone der Schande, ein namenloses Grab, und die ewigen Qualen der Verdammten.« Während er sprach, betrachtete Abi das Gesicht des Mannes und sah, daß alle Verschlagenheit aus ihm gewichen war. Dies war kein Scharlatan, der zu ihm sprach, sondern einer, der ernsthaft an das glaubte, was er sagte.
»So sei es«, antwortete er. »Ich nehme deinen Rat an und werde auf mein Geschick warten. Außerdem habt ihr beide recht. Die Sache ist zu gefährlich, und Unheil fällt oft auf die Häupter jener, die mit Pfeilen nach den Göttern schießen, besonders, wenn sie nicht genügend Pfeile haben. Soll der Pharao leben, wäh rend ich mich auf seine Nachfolge vorbereite. Viel leicht werde ich ihn schon morgen zu überreden ver suchen, mich als seinen Erben zu benennen.« Der Astrologe seufzte erleichtert auf, und der Kommandeur wirkte auch nicht gerade enttäuscht. »Ich habe das Gefühl, daß mein Kopf wieder fester auf meinen Schultern sitzt als noch eben«, sagte er, »und zweifellos gibt es Zeiten, zu denen Weisheit besser ist als Mut. Schlafe wohl, Prinz! Der Pharao erwartet dich morgen zwei Stunden nach Sonnenauf gang. Haben wir deine Erlaubnis, uns zurückziehen zu dürfen?« »Wenn ich weise wäre«, sagte Abi und spielte mit dem Griff seines Schwertes, während er sprach, »würdet ihr beiden euch für immer zurückziehen, da ihr jetzt das Geheimnis meines Herzens kennt und durch ein Flüstern meinen Untergang herbeiführen könntet.« Nun blickten die beiden einander mit furchtsamen Augen an, und der Kommandeur begann ebenfalls mit dem Griff seines Schwertes zu spielen. »Das Leben ist allen Menschen wertvoll, Prinz«, sagte er bedeutsam, »und wir haben dir nie Grund dazu gegeben, an unserer Treue zu zweifeln.« »Nein«, sagte Abi. »Wäre das der Fall gewesen, so hätte ich erst zugeschlagen und dann gesprochen. Nur müßt ihr mir jetzt mit einem Eid, der nicht ge
brochen werden kann, schwören, daß weder im Le ben, noch im Tode je ein Wort davon über eure Lip pen kommen wird.« Sie schworen es, beim Namen des heiligen Osiris, des Richters und Erlösers. »Du hast mir gut gedient«, wandte Abi sich nun an den Kommandeur seiner Garde. »Dein. Sold wird verdoppelt, und ich wiederhole das Versprechen, das ich dir gab: wenn ich jemals dort drüben herrsche, sollst du mein Heerführer sein!« Während der Kommandeur sich vor ihm verneigte, sagte der Prinz zu Kaku: »Meister der Sterne, mein goldener Becher ist schon dein. Gibt es sonst noch etwas unter dem, das mein ist, das du begehrst?« »Jene Sklavin«, antwortete der gelehrte Mann, »Merytra, die du vorhin ins Gesicht geschlagen hast ...« »Woher weißt du, daß ich sie ins Gesicht geschla gen habe?« fragte Abi sofort. »Haben die Sterne dir das auch erzählt? Nun, ich bin diese vorlaute Katze ohnehin leid. Nimm sie dir! Bald, denke ich, wird sie dich ins Gesicht schlagen.« Doch als Kaku nach Merytra suchte, um ihr die frohe Botschaft zu sagen, daß sie nun ihm gehöre, konnte er sie nicht finden. Merytra war verschwunden.
2
Das Versprechen des Gottes
Es war Morgen in Theben, und die große Stadt lag im Licht der aufgehenden Sonne. In der königlichen Bar ke saß Abi, der Prinz, prächtig gekleidet, und bei ihm waren Kaku, der Astrologe, der Kommandeur seiner Garde und drei von dessen Unterführern, während in einer zweiten Barke Sklaven folgten, welche zwei ge fangene Häuptlinge und im Kriege erbeutete Sklaven bewachten, sowie die Kisten mit den eingesalzenen Köpfen und Händen von Feinden, die dem Pharao als Gaben dargebracht werden sollten. Die Ruderer in ihren weißen Gewändern zogen an ihren langen Riemen, und das schnelle Boot schoß den Nil hinauf, durch eine Doppelreihe von Wach schiffen, auf deren Decks sich Bewaffnete drängten. Abi blickte auf die Schiffe, welche der Pharao dort zu seinem Empfang aufgereiht hatte, und erkannte, daß Kaku ihm einen weisen Rat gegeben hatte, als er ihn anflehte, nicht voreilig zu handeln, denn auf solche Art Überraschungen war der Pharao offensichtlich vorbereitet. Er dachte dieses wieder, als er bei Errei chen der Pier aus behauenen Steinen die Fußtruppen und Reiter sah, die dort aufmarschiert waren, und auf den Mauerkronen Hunderte anderer Männer, alle bewaffnet, denn jetzt erkannte er, was geschehen wä re, wenn er mit seiner kleinen Horde von Männern versucht hätte, diesen eisernen Ring wachsamer Krieger zu durchbrechen. Auf der Pier wurde er von Heerführern in Rüstung
und Priestern in ihren Roben empfangen, die sich ehrfurchtsvoll vor ihm verneigten. So königlich es kortiert schritt Abi durch die Tore und Pylonen des herrlichen Tempels, welcher der Dreieinigkeit von Theben geweiht war, ›das Haus Amons im Südlichen Apt‹*, wo bunte Banner von den Masten wehten, die lange, von Häusern und Gärten eingefaßte Straße entlang, bis er die Palastmauer erreichte. Hier rollten weitere Wachen die schweren Bronzetore zur Seite, welche er noch vor ein paar Stunden in seiner Kurz sichtigkeit geglaubt hatte, niederreißen zu können, und entlang einer von blühenden Bäumen gesäumten Straße wurde er in die von Pfeilern gestützte Audi enzhalle geführt. Nach dem hellen Sonnenlicht draußen kam ihm diese Halle beinahe dunkel vor; nur ein einziger Lichtstrahl fiel durch eine Öffnung des Dachfirstes auf das Ende der Halle und beleuchtete den gekrön ten Pharao und seine Königin, die in vollem Ornat auf ihren Thronen aus Gold und Elfenbein saßen, umstanden von Schreibern, Beratern und Komman deuren, und hinter ihnen saßen die anderen Königin nen auf ihren geschnitzten Stühlen, jede von Hofda men in Galakleidung umgeben. Hinter den Thronen und in Abständen zwischen den Säulen standen die zweihundert Krieger der berühmten nubischen Leib garde, die ›Diener des Körpers des Pharao‹, wie sie genannt wurden, jeder einzelne von ihnen nach Loyalität und Mut ausgewählt. Der Mittelpunkt all dieser Pracht war der Pharao; * von architektonisch apteral: Gebäude ohne flankierende Säulen – Anm. d. Übers.
auf ihn fiel das Sonnenlicht, ihm waren alle Augen zugewandt, und wohin sein Blick fiel, dort neigten sich Köpfe und wurden Knie gebeugt. Ein kleiner, hagerer Mann von etwa vierzig Jahren und einem ge furchten, freundlichen und immer sorgenvoll wir kenden Gesicht und einer Stirn, die von dem Gewicht der Doppelkrone eingedrückt zu werden schien, ob wohl diese, mit Ausnahme des königlichen Schlan gensymbols aus hohlem Gold, schließlich nur aus Leinen bestand, ein Mann mit schmalen, nervösen Händen, die an den Stickereien seiner goldenen Robe zupften: das war der Pharao, der mächtigste Herr scher der Welt, der König, den Millionen von Men schen, die ihn nie gesehen hatten, als Gott verehrten. Abi, der kräftige, dicklippige, dunkelhäutige, run däugige Abi, der vom selben Vater gezeugt worden war, starrte ihn verwundert an, denn es waren Jahre vergangen, seit sie sich zum letzten Mal gesehen hat ten, und als sie Kinder waren, hatte stets ein Abgrund zwischen ihnen geklafft, zwischen dem Nachkommen einer königlichen Mutter und dem Kind einer Hyksos-Konkubine, die aus Gründen der Staatsraison in den Haushalt aufgenommen worden war. In seiner Lebenskraft und der Macht seiner Männlichkeit starrte er diesen Schwächling an, den Sohn eines Bruders und einer Schwester, und Enkel eines Bru ders und einer Schwester. Doch lag da etwas in die sen gütigen Augen, eine Essenz ererbter Majestät, vor der seine grobe Natur sich verneigte. Der Körper mochte verächtlich sein, doch wohnte in ihm der stol ze Geist des Nachfahren von hundert Königen. Abi trat vor die Stufen des Throns und kniete dort, bis der Pharao ihm, nach einer kleinen Pause, sein
Zepter zum Kusse entgegenstreckte. Dann sprach er ihn mit seiner hellen, raschen Stimme an. »Willkommen, Prinz und Bruder«, sagte er. »Wir haben vor langer Zeit oft Streit miteinander gehabt, und viele Jahre sind vergangen, seit wir uns zuletzt sahen, doch die Zeit heilt alle Wunden, und – will kommen, willkommen, Sohn meines Vaters! Ich brau che nicht zu fragen, ob es dir gut geht.« Und blickte neidisch auf die mächtige Gestalt des Mannes, der vor ihm kniete. »Heil deiner göttlichen Majestät!« antwortete Abi mit seiner tiefen Stimme. »Gesundheit und Kraft sei en mit dir, Schwinger der Geißel Osiris', Träger der Federn Amons, Sterblicher, der mit der Pracht Ras gekrönt ist.« »Ich danke dir, Prinz«, antwortete der Pharao freundlich, »und jene Gesundheit und Kraft brauche ich, der ich fürchte, sie erst zu finden, wenn ich die Geißel Osiris', von der du sprichst, dem zurückgege ben haben werde, der sie mir geliehen hat. Doch ge nug von mir. Laß uns von den Geschäften reden, da nach können wir wieder von anderen Dingen spre chen. Warum hast du deinen Posten in Memphis verlassen, ohne vorher meine Erlaubnis einzuholen, um mich hier in meiner Stadt der Tore aufzusuchen?« »Sei nicht zornig auf mich«, antwortete Abi demü tig. »Vor einiger Zeit habe ich, deinem göttlichen Be fehle gehorchend, die Barbaren angegriffen, welche deine Dominien in der Wüste bedrohten. Wie Men thu, der Gott des Krieges, bin ich über sie hergefallen. Ich habe sie überrascht, ich habe sie geschlagen, und Tausende von ihnen bissen vor mir in den Sand. Zwei ihrer Könige habe ich zusammen mit deren Frauen
gefangengenommen – sie warten draußen, um von deiner Majestät getötet zu werden. Ich bringe mit mir die Köpfe von hundert ihrer Führer und die Hände von fünfhundert ihrer Krieger, um die Wahrheit mei ner Worte zu beweisen. Laß sie vor dir ausbreiten. Ich melde deiner göttlichen Majestät, daß es diese Barba ren nicht mehr gibt, daß ich zumindest für eine Gene ration das Land bis zu deinen nördlichsten Dominien gesichert habe. Erlaube, daß die Köpfe und die Hän de hereingebracht und vor den Augen deiner Maje stät ausgebreitet und gezählt werden, damit ihr Ge ruch wie Weihrauch in deine göttliche Nase steige.« »Nein, nein«, sagte der Pharao hastig, »meine Kommandeure sollen sie draußen zählen, denn ich mag einen solchen Anblick des Todes nicht und glau be dir, daß die von dir genannte Zahl stimmt. Wel chen Lohn verlangst du für deinen Dienst, mein Bru der, mit welchen großen Gaben soll ich dich beloh nen, der für mich und für Ägypten so Großes gelei stet hat?« Bevor er antwortete, blickte Abi die schöne Köni gin, Ahura, an, die neben dem Pharao saß, und auch die Nebenfrauen und Konkubinen. »Majestät«, sagte er, »ich sehe hier viele Gemahlin nen und andere Frauen, doch keine königlichen Kin der. Vergönne es mir – denn zweifellos sind sie in ih ren Zimmern – vergönne es mir, o Pharao, daß ich zu ihnen geführt werde, damit meine Augen sich an ih rer königlichen Lieblichkeit erfreuen, und daß ich von ihnen, von jedem einzelnen von ihnen, ihren Vettern berichten kann, die mich in Memphis erwarten.« Bei diesen Worten breitete sich Röte, wie von Scham, über das wunderbare Gesicht Ahuras, der
königlichen Gemahlin, während die anderen Frauen ihre Köpfe abwandten und bitter miteinander tu schelten, denn die Beleidigung traf sie tief. Nur der Pharao blieb ruhig und antwortete mit Würde: »Prinz Abi, jene zu kränken, welche die Götter geschlagen haben, seien sie Könige oder Bauern, ist eine unwür dige Tat, welche die Götter nicht vergeben werden. Du weißt sehr wohl, daß ich keine Kinder habe. War um also bittest du mich, dich ihre Lieblichkeit sehen zu lassen?« »Ich habe Gerüchte gehört, o Pharao«, antwortete der Prinz, »nicht mehr. Offen gesagt, wollte ich ihnen nicht glauben, denn wo so viele Frauen sind, muß es doch auch ein paar Mütter geben. Deshalb meine Frage, um sicher zu sein, bevor ich meine Bitte vor trüge, was ich jetzt tun will, nicht um meiner selbst willen, sondern für Ägypten und für dich, o Pharao. Habe ich deine Erlaubnis, vor den anderen zu spre chen?« »Sprich!« sagte der Pharao streng. »Alles, das dem Wohlergehen Ägyptens dient, kann in Ägypten ge hört werden.« »Der Pharao hat mir berichtet«, sagte Abi, mit einer Verbeugung, »daß die Götter in ihrem Zorn dir Kin der verweigert haben. Nicht einmal ein Mädchen deines Blutes wurde dir von ihnen gegeben, um dei nen Thron einzunehmen, nachdem du, wenn es dir zu gegebener Zeit gefällt, zu Osiris eingehen wirst. Wäre dem anders, gäbe es auch nur ein einziges weibliches Kind deines göttlichen Blutes, würde ich nichts sagen, sondern so still wie ein Grab bleiben. Doch es ist nun einmal so, und obgleich deine Frauen schön und zahlreich sind, scheint es, als ob es auch so
bleiben würde, da die Ohren der Götter, die gegen über deinem Flehen so lange taub geblieben sind, obwohl du ihnen herrliche Tempel erbaut und zahllo se Opfer dargebracht hast, sich bestimmt nicht mehr öffnen werden. Selbst Amon, dein Vater, Amon, des sen Namen du trägst, wird für dich kein Wunder vollbringen, o Pharao, der du so groß bist, daß er be schlossen hat, dich allein strahlen zu lassen, wie den vollen Mond in der Nacht, damit du deine Herrlich keit nicht mit auch nur einem einzigen Stern zu teilen brauchst.« Jetzt sprach Ahura, welche die ganze Zeit reglos gesessen und nur aufmerksam zugehört hattet zum ersten Mal, und sagte mit rascher, verärgerter Stim me: »Woher willst du das wissen, Prinz von Mem phis? Manchmal geben die Götter nach und gewäh ren endlich das, was sie für eine Weile zurückgehal ten haben mögen. Mein Gemahl lebt, und ich lebe, und ein Kind von ihm mag doch noch auf dem Thron Ägyptens sitzen.« »Dem mag so sein«, sagte Abi, sich vor ihr vernei gend, »und was mich betrifft, so bete ich darum, daß es so sein möge, denn wer bin ich, daß ich die Ziele der Könige und des Himmels kennen sollte? Wenn auch nur ein Mädchen dir und dem Pharao geboren werden sollte, nehme ich jedes meiner Worte zurück und gebe dir jenen Titel, der seit Jahren fälschlich auf deinen Thronen und auf deinen Monumenten steht, den Titel: Königliche Mutter.« Nun wollte sie ihm eine scharfe Antwort erteilen, denn dieser stechende Hohn traf sie zutiefst, doch der König legte seine Hand auf ihr Knie und sagte: »Sprich weiter, Prinz und Bruder, wir haben bisher
nur von dir gehört, was wir nur zu gut wissen: daß ich kinderlos bin. Sage uns etwas, das wir nicht wis sen, deinen Herzenswunsch, der hinter all diesen Worten liegt.« »Pharao, es ist dieser: Ich bin von deinem heiligen Blute, gezeugt von demselben heiligen Vater ...« »Aber geboren von einer Mutter, die nicht heilig war«, unterbrach Ahura, »von einer Mutter, die einer Rasse entstammte, welche viele Flüche über Ägypten gebracht hat, wie jeder Spiegel dir beweisen kann, Prinz von Memphis.« »Pharao«, fuhr Abi fort, ohne ihre Worte zu be achten, »du wirst schwach; der Himmel verlangt nach dir, die Erde zerschmilzt unter dir. Im Norden und im Süden wird Ägypten durch viele Gefahren be droht. Wenn du plötzlich ohne Erben sterben solltest, werden Barbaren von Norden und von Süden in das Reich einfallen, und die Großen des Landes werden um deinen Thron kämpfen. Pharao, ich bin ein Krie ger; ich bin stark; meiner Kinder sind viele; mein Haus ist auf Fels gebaut; das Heer vertraut mir; die Millionen der Menschen lieben mich. Nimm mich al so zum Mit-Herrscher und ernenne vor den Ohren der ganzen Welt mich und meine Söhne zu deinen Nachfolgern, auf daß unser königliches Blut für Ge nerationen und Generationen über das Land herr sche. So kannst du deine Tage in Frieden und Hoff nung beenden. Ich habe gesprochen.« Nun drang die Bedeutung seiner Forderung in aller Herzen ein, und alle Mitglieder des Hofes tuschelten und starrten, und die Königin Ahura zerdrückte in ihrer Wut die Lotusblume, die sie in ihrer Hand hielt, und warf sie zu Boden. Nur der Pharao saß ruhig und
still, die Augen geschlossen, wie im Gebet versunken. Eine Minute oder länger saß er so, und als er sein blasses, freundliches Gesicht wieder hob, stand ein Lächeln darauf. »Abi, mein Bruder«, sagte er mit seiner sanften Stimme, »hör mir zu! Auf diesem Thron haben vor mir solche gesessen, die beim Hören solcher Worte ihre Zepter auf dich gerichtet hätten, woraufhin, Abi, deine Lippen für immer versiegelt worden wären und du und dein Name und die Namen aller deines Hauses durch den Tod ausgelöscht worden wären. Doch warst du, Abi, schon immer mutig, und ich vergebe dir, daß du die Gedanken deines Herzens mir offen dargelegt hast. Und dennoch, Abi, hast du uns nicht alles gesagt. Zum Beispiel hast du ver schwiegen«, fuhr er langsam und inmitten ange spannter Stille fort, »daß du erst gestern abend davon gesprochen hast, ob es dir möglich wäre, mit deiner Leibwache meinen Palast zu stürmen, mich zu töten und dich selbst zum Pharao zu machen – durch das Recht des Blutes; ja, Abi, durch das Recht meines, durch dich vergossenen Blutes, mein Bruder.« Als diese Worte die königlichen Lippen verließen, erhob sich ein Tumult in der großen Halle, die Frauen und die Heerführer sprangen auf, die Kommandeure traten vor und zogen ihre Schwerter, um dieses ent setzliche Sakrileg zu rächen. Doch der Pharao hob sein Zepter, und alle waren still, bis auf Abi, der schrie: »Wer hat es gewagt, dir eine so unverschämte Lüge zuzuflüstern?« Dabei starrte er erst Kaku, dann den Kommandeur seiner Leibwache an, die hinter ihm standen und vor Wut oder Furcht oder beidem zitterten.
»Verdächtige nicht deine Männer, Prinz«, fuhr der Pharao noch immer lächelnd fort, »denn sie sind un schuldig, darauf gebe ich dir mein königliches Wort. Aber, Abi: der Pavillon auf dem Deck eines Schiffes ist kein guter Ort, um den Tod von Königen zu pla nen. Der Pharao hat viele Spione, und manchmal wispern auch die Götter, denen er, wie du sagst, schon so nahe ist, ihm im Schlafe etwas zu. Verdäch tige also nicht deine Männer, Abi, obwohl ich jenem Meister der Sterne, der hinter dir steht, vielleicht dankbar sein sollte, da ich, wenn du versucht hättest, diesen törichten Plan durchzuführen, gezwungen gewesen wäre, dich zu töten, Abi, so wie man eine Schlange tötet, die einem unter die Matte kriecht. Astrologe, du sollst ein Geschenk von mir erhalten, da du ein wahrlich weiser Mann bist. Es könnte dich für das entschädigen, welches du verloren hast; war es nicht eine gewisse Sklavin, welche dein Herr dir gestern abend gab – nachdem er sie für etwas bestraft hatte, das nicht ihre Schuld war?« Kaku warf sich vor dem Pharao zu Boden und be griff jetzt, daß es das verschwundene Mädchen Me rytra war, das sie belauscht und verraten hatte. Doch ohne ihn weiter zu beachten, fuhr der Pharao fort: »Abi, Prinz und Bruder, ich vergebe dir die Tat, die du wohl plantest, jedoch nicht durchzuführen versuchtest. Mögen die Götter und die Geister deiner Väter dir ebenfalls vergeben, wenn es in ihrem Willen liegt. Doch nun zu deiner Forderung. Du bist mein einziger noch lebender Bruder, und deshalb werde ich darüber nachdenken. Vielleicht mag es gut sein, wenn du, obgleich nicht ganz königlichen Geblütes, wenn auch in deinen Adern Blut fließt, das Ägypten
haßt, und obwohl du die Ermordung deines Herrn und Königs planen konntest, nachdem ich gegangen bin, meinen Platz einnehmen wirst, denn du bist mu tig und stammst zur Hälfte von der alten Rasse ab, wenn auch zur anderen von einer niedriggeborenen. Noch aber bin ich nicht tot, und Kinder mögen mir noch immer kommen. Abi, willst du als mein Gefan gener leben, bis Osiris mich ruft, oder willst du einen Eid schwören?« »Ich will einen Eid schwören«, sagte Abi heiser, da ihm seine Schande bewußt war, und auch die Gefahr, in der er schwebte. »Dann knie vor mir nieder und schwöre bei dem furchtbaren Namen, daß du niemals deine Hand ge gen mich heben, noch ein Komplott gegen mich schmieden wirst. Schwöre, daß du, so mir ein Kind geboren werden sollte, sei es männlich oder weiblich, diesem Kinde treu dienen wirst, als deinem rechtmä ßigen Herrn und Pharao. Im Angesicht all dieser Menschen schwöre es, und in dem Wissen, daß, soll test du diesen Schwur jemals brechen, sei es in Buch staben oder im Geiste, alle Götter Ägyptens ihre Flü che auf dein lebendes Haupt schütten und dich im Tode den ewigen Qualen der Verdammten überant worten werden.« Abi, der wußte, daß ihm kaum eine andere Wahl blieb, schwor also diesen Eid und küßte das Zepter, um ihn zu besiegeln. Es war Nacht. Dunkel und feierlich war der innere Schrein des riesigen Tempels, das ›Haus Amons im Nördlichen Apt‹, welches wir heute Karnak nennen, das Allerheiligste, in dem, aus Stein gehauen und mit
der befiederten Krone auf seinem Haupte, die Statue Amon-Ras stand, des Göttervaters. Hier waren allein die Hohepriester und Mitglieder des königlichen Hauses zugelassen, und der Pharao und seine Ge mahlin Ahura knieten wie das gewöhnliche Volk in braune Umhänge gekleidet, zu Füßen des Gottes und beteten. Unter Tränen und Flehen beteten sie darum, daß ihnen ein Kind gegeben werden möge. Dort, an jenem heiligen Ort, der nur von einer ein zigen Lampe erhellt wurde, welche seit mehreren Zeitaltern brannte, erzählten sie ihre Leidensge schichte, während hoch über ihnen das Antlitz des Gottes durch das Halbdunkel zu starren schien, wie es seit tausend Jahren im Glück und im Leid auf jene herabgestarrt hatte, die vor ihn getreten waren. Sie erzählten ihm von den höhnischen Worten Abis, der verlangt hatte, ihre Kinder zu sehen, die Kinder, die es nicht gab; sie erzählten ihm von ihrer Angst vor den Menschen, die verlangten, daß sie einen Erben bestimmen sollten; sie erzählten ihm von dem Ver hängnis, das über dem uralten Königshause schweb te, das von einem Pharao zum anderen, alle eines Blutes, seit vielen Generationen hier gebetet und ge opfert hatte. Sie versprachen Gaben und Opferungen, prächtige Tempel und weite Ländereien, wenn ihnen nur dieser eine Wunsch erfüllt werden würde. »Laß mich nicht länger das Gespött der Menschen sein«, schrie die wunderschöne Königin und schlug ihre Stirn auf den Stein zu Füßen des Gottes. »Laß mich ein Kind tragen, das den Thron meines Gemahls einnehmen wird, und dann nimm mein Leben als Be zahlung dafür, wenn du es so willst!« Doch der Gott antwortete nicht, und als sie
schließlich erschöpft waren, erhoben sie sich und verließen den Schrein. Vor seiner Tür wurden sie von dem Hohepriester erwartet, einem gebeugten, alten Mann. »Der Gott hat uns kein Zeichen gegeben, o Prie ster«, sagte der Pharao traurig; »keine Stimme hat zu uns gesprochen.« Der alte Priester blickte die weinende Königin an, und ein Ausdruck des Mitleids trat in seine Augen. »Mir, der ich draußen lauschte«, sagte er, »schien es aber, als ob eine Stimme gesprochen hätte, doch das, was sie sagte, darf ich nicht enthüllen. Geht jetzt zu eurem Palast zurück, o Pharao, und o Königin Ahura, und legt euch Seite an Seite zur Ruhe. Ich denke, daß euch in eurem Schlafe ein Zeichen gege ben werden wird, denn Amon ist barmherzig und liebt seine Kinder, welche ihn lieben. Nach Anwei sung dieses Zeichens sprecht dann mit Abi, und sprecht ohne Furcht oder Zweifel, denn, ob zum Gu ten oder zum Schlechten, es wird erfüllt werden.« Nun schritt das königliche Paar Hand in Hand durch die riesige Säulenhalle bis zu dem Tor des Tempels, das vor ihnen aufgestoßen wurde, setzte sich in seine Sänfte und wurde entlang der Allee widderköpfiger Sphinxe zu einer Geheimtür in der Palastmauer getragen. Es war nach Mitternacht. Tiefe Dunkelheit und schwere Stille lagen über Theben, nur unterbrochen von dem gelegentlichen Heulen von Hunden und dem Rufen von Wachen auf der Mauer. Seite an Seite lagen der Pharao und seine Königin in dem goldenen Bett, in tiefen Schlaf versunken. Plötzlich schreckte
Ahura auf. Sie setzte sich auf und starrte mit angstgeweiteten Augen ins Dunkel, sie streckte ihre Hand aus, umklammerte den Arm des Pharao und flüsterte erregt: »Wach auf! Wach auf! Ich habe etwas, das ich dir erzählen muß.« Der Pharao setzte sich auf, da in der Stimme Ahu ras etwas war, das ihm auf der Stelle die Schleier des Schlafes vertrieb. »Was ist geschehen, Ahura?« fragte er. »O Pharao, ich habe einen Traum geträumt, falls es wirklich nur ein Traum gewesen sein sollte. Es kam mir vor, als ob sich all dieses Dunkel öffnete und ich in diesem Dunkel eine Pracht sähe, die weder Gestalt, noch Form hatte. Doch aus ihr sprach eine leise, sanfte Stimme und sagte: ›Königin Ahura, meine Tochter, ich bin jener Geist, zu dem du und dein Ge mahl heute abend im Schrein des Tempels gebetet haben. Es schien euch beiden, als ob eure Gebete un gehört geblieben wären, doch dem ist nicht so, wie mein Priester es weiß. Königin Ahura, du und der Pharao, dein Gatte, habt seit Jahren euer Vertrauen in mich gesetzt, und dieses nicht vergebens. Dir und dem Pharao soll eine Tochter gegeben werden, und mein Geist wird in diesem Kinde sein. Sie wird so schön und wunderbar sein, wie keine Frau vor ihr, denn ich werde ihr Gesundheit und Macht und Weisheit verleihen. Sie soll über das Nördliche und das Südliche Land herrschen, ja für viele Jahre soll die Doppelkrone auf ihrem Haupte ruhen, und kein Kö nig, der vor ihr war, und kein König, der ihr folgen wird, soll größer sein in Ägypten. Schwierigkeiten und Gefahren werden sich ihr entgegenstellen, doch wird der Geist, den ich ihr geben werde, sie gegen sie
alle beschützen, und sie soll ihre Feinde unter ihren Füßen zertreten. Ein königlicher Geliebter wird auch zu ihr kommen, und in seiner Liebe soll sie ihr Glück finden, aus ihr sollen viele Könige und Prinzen ent springen. Neter-Tua – Morgenstern – soll ihr Name sein, und das Amt der Hohepriesterin Amons – kein geringeres – ihr Amt, denn sie ist mein Kind, das ich aus dem Himmel geholt und zur Erde entsandt habe, das Kind, welches ich dem Pharao und dir gegeben habe, das Kind, das ich liebe, und dem ich die guten Göttinnen zu Gefährten geben und für die ich Osiris befehlen werde, sie am Ende ihrer Tage würdevoll zu empfangen. Siehe, zum Zeichen dieses lege ich mein Symbol auf deine Brust, und auch auf ihrer Brust soll dieses Symbol sein. Wenn ich es von deiner Brust nehme und du deine Augen aufschlägst, dann wecke den Pharao, der dir zur Seite liegt, und laß diese, meine Worte auf einem Papyrus niederschreiben, damit nicht eines von ihnen verloren gehe.‹ Dann, o Pharao«, fuhr Ahura fort, »streckte sich aus dem Leuchten eine Hand heraus, und diese Hand hielt das Symbol des Lebens, das strahlte, als ob es in Flammen stünde, und die Hand legte es auf meine Brust, und es brannte mich wie mit Feuer, und ich erwachte und siehe! Dunkelheit war um mich, nichts als Dunkelheit, und mir zur Seite hörte ich dich schla fen.« Der Pharao hatte der Schilderung dieses Traumes schweigend zugehört und küßte nun die Königin und segnete sie, weil es ein gutes Omen war, und dann klatschte er die Hände, um die Ehrendamen herein zurufen, die vor der königlichen Kammer schliefen.
Sie kamen hereingestürzt, brennende Lampen in ih ren Händen, und in deren Licht sahen sie, daß dicht unterhalb der Kehle Ahuras ein rotes Mal prangte von der Form des Lebenszeichens; ja, dort war der Kreis, und unter dem Kreis das Kreuz. Der Pharao befahl, daß der oberste seiner Schreiber mit Papyri und Schreibmaterialien zu ihm kommen solle, und man den Hohepriester Amons sofort aus seinem Tempel hole. Also trat der Schreiber in die Schlafkammer des Pharao, und in Gegenwart des Hohepriesters wurden alle die Worte Amons nieder geschrieben und keines von ihnen ausgelassen, und der Pharao und die Königin unterzeichneten die Schriftrolle, und der Hohepriester unterschrieb sie als Zeuge, und trug sie, nachdem mehrere Kopien davon angefertigt worden waren, in die geheime Schatz kammer Amons. Und das Zeichen des Lebens aus Ring und Kreuz blieb auf der Brust der Königin Ahu ra bis zu dem Tage, an dem sie starb. Am kommenden Morgen rief der König seinen Hof zusammen und befahl, daß Prinz Abi vor ihn ge bracht würde. Der Prinz erschien, und der Pharao be grüßte ihn freundlich. »Sohn meines Vaters«, sagte er, »ich habe über dei ne Bitte, dich als Mitregenten auf den Thron Ägyp tens zu erheben und dich und deine Söhne zu meinen Erben zu ernennen, lange nachgedacht, und sie ist abgelehnt. Wisse, daß mir und meiner königlichen Gemahlin Ahura durch den größten aller Götter of fenbart wurde, es werde zu gegebener Zeit unserem Hause eine Tochter geboren werden, welche Morgen stern Amons genannt werden soll, und daß sie und
ihr Blut nach mir Pharaonen sein sollen. Deshalb freue dich mit uns, kehre auf deinen Posten zurück, Prinz Abi, und sei glücklich mit unserer Liebe und mit den Gütern und der Größe, welche die Götter dir gegeben haben.« Abi begann vor Wut zu zittern, da er glaubte, daß diese Geschichte lediglich ein Trick und eine Falle wäre. Doch da ihm bewußt war, in welch großer Ge fahr er sich befand, solange er am Hofe des Pharao war, antwortete er nur, daß sein Stern dem Morgen stern seine Reverenz erweisen werden, sobald dieser aufginge, obwohl er sich an die Prophezeiung seines Astrologen Kaku erinnerte, daß der Morgenstern Amons seinen Stern verdunkeln würde. »Du glaubst, daß ich die Unwahrheit spreche, nicht wahr, Prinz Abi, ja, daß ich meine Lippen mit Lügen verunreinige«, sagte der Pharao indigniert. »Nun, ich will dir auch das vergeben. Geh nun und warte den Lauf der Dinge ab, und erkenne an diesem Zeichen, daß ich die Wahrheit gesprochen habe: Wenn die Prinzessin Neter-Tua geboren ist, wird man auf ihrer Brust das Symbol des Lebenszeichens erkennen. Geh nun, damit ich nicht zornig werde! Die Gaben, die ich dir versprochen habe, werden dir nach Memphis fol gen.« Also kehrte Abi zu der von weißen Mauern um schlossenen Stadt Memphis zurück, brütete dumpf vor sich hin und ließ verlauten, daß ein Komplott ge schmiedet würde, durch das er um sein Erbe gebracht werden sollte. Doch Kaku bestritt das insgeheim und sagte, daß der Morgenstern, Neter-Tua, aufgehen werde, da es von Amon, dem Göttervater, so be stimmt worden sei.
3
Rames, die Prinzessin, und das Krokodil
Zu gegebener Zeit wurde Ahura, der königlichen Gemahlin, ein Kind geboren, ein Mädchen mit einem frischen, hübschen Gesicht und gelocktem Haar, und Augen, die vom ersten Tage an so blau waren wie der abendliche Sommerhimmel. Auf seiner Brust befand sich ein Mal von der Größe eines Fingernagels, wel ches wie das heilige Zeichen des Lebens geformt war. Der Pharao und sein Haus und die Priester in allen Tempeln, ja, alle Menschen Ägyptens, wurden fast verrückt vor Freude, wenn es auch einige gab, welche über das Geschlecht des Kindes jammerten und murrten, daß ein Mann und keine Frau die Doppel krone tragen sollte. Dieses sagten sie jedoch nicht laut, da die Geschichte dieses Kindes sich im ganzen Lande herumgesprochen hatte und die Leute be haupteten, es sei von den Göttern geschickt worden, und daß die Göttinnen Isis, Nephtis und Hathor, und auch Khemu, der Schöpfer der Menschheit, in der Geburtskammer gesehen worden seien, und sie hät ten wie Gold geschimmert. Der Pharao erließ ein Dekret, wonach der Name der Königin Ahura überall im Lande eingemeißelt werden sollte, und dazu der Titel ›Durch den Willen Amons die Mutter von Morgenstern‹, und daß eine neue Halle im Nördlichen Apt des Amon-Tempels erbaut werden sollte, in deren Wände die Geschichte des Kommens von Prinz Abi und der Vision der Kö nigin eingemeißelt werden sollte.
Doch Ahura erlebte die Fertigstellung dieser prächtigen Halle nicht mehr, da sie von der Stunde der Geburt ihrer Tochter an schwächer und immer schwächer wurde. Am vierzehnten Tage, dem Tag der Reinigung, befahl sie der Amme, ihr das bildhüb sche Kind zu bringen, blickte es lange an und segnete es, und sprach mit dem Ka oder zweiten Ich des Kin des, welches sie, wie sie sagte, neben dem Kinde auf ihrem Arm liegen sah, und befahl dem Ka es im Le ben und im Tode, bis zur Stunde der Wiederauferste hung vor allen Gefahren zu beschützen. Dann sagte sie, daß sie Amon rufen höre, ihm jetzt ihren Preis zu bezahlen, den sie ihm als Gabe für dieses göttliche Kind versprochen habe, den Preis ihres eigenen Le bens, und sie lächelte den Pharao, ihren Gemahl, an, und starb glücklich, mit einem Lächeln auf ihrem Ge sicht. Nun verwandelte sich die Freude in Trauer, und während all der Tage des Einbalsamierens weinte ganz Ägypten um Ahura, bis schließlich der Tag kam, an dem ihr Körper über den Nil zu dem herrlichen Grabmal gerudert wurde, das im Tal der Königinnen für sie vorbereitet worden war, und an dem auf Be fehl Ahuras Steinmetzen und Maurer und Künstler Tag und Nacht gearbeitet hatten, da sie von der Nacht ihrer Vision an gewußt hatte, daß sie bald zu sterben hatte, und wußte, daß die Grabkammern der Toten so bleiben, wie die Hände der Lebenden sie zu rücklassen, da nur wenige Lebende Gold und Arbeit für das ewige Haus eines verschwenden, der tot ist. So wurde Ahura mit großem Pomp begraben und mit all ihren Juwelen, und der Pharao, der tief um sie trauerte, brachte im Schrein ihrer Grabkammer reiche
Opfer dar, und nachdem sie auf das vordere Deck des Begräbnisbootes gelegt und über den Nil gebracht, und endlich in ihrer Grabkammer zur ewigen Ruhe gebettet worden war, verschloß er diese für immer und ließ eine dicke Sandschicht darüberschaufeln, damit bis zum Tage der Wiederauferstehung nie mand sie finden sollte. Das Kind wuchs und gedieh, und als es sechs Mo nate alt war, wurde es zur Schule der Priesterinnen Amons gebracht, um dort aufgezogen und gelehrt zu werden. Nun geschah zu dem Tage der Geburt der Prinzessin Neter-Tua noch eine weitere Geburt, die ebenfalls mit dieser Geschichte zu tun hat. Kommandeur der Wa che am Tempel des Amon war ein gewisser Mermes, der seine Halbschwester geheiratet hatte, Asti, die ei ne Zauberin war. Wie überall bekannt, war nun die ser Mermes durch Recht und durch Geburt der letzte Nachkomme jenes Hauses der Pharaonen, welches auf dem Thron Ägyptens gesessen hatte, bis seine Li nie vor vielen Generationen von jener niedergewor fen wurde, die jetzt über das Land herrschte, und von welcher jetzt nur noch der derzeit regierende Pharao und seine Tochter Neter-Tua verblieben waren. Vor langer Zeit, in den frühen Tagen seiner Herrschaft, hatten die Berater ins Ohr des Pharao geflüstert, daß er diesen Mermes und seine Schwester töten solle, damit nicht der Tag käme, an dem er sich, auf das Recht seines Blutes pochend, gegen ihn erhöbe. Doch der Pharao, der gütig war und den Mord haßte, ließ Mermes nicht töten, sondern befahl ihn zu sich und berichtete ihm alles.
Daraufhin warf sich Mermes, ein Mann von edlem Aussehen, gemäß der Wurzel, aus welcher er kam, auf den Boden und sagte: »O Pharao, warum solltest du mich töten wollen? Es hat den Göttern gefallen, mein Haus zu erniedrigen und das deine zu erhöhen. Habe ich jemals meine Hand gegen dich erhoben, weil meine Vorväter Könige waren, oder mit den Un zufriedenen Komplotte geschmiedet, um dich zu stürzen? Siehe, ich bin zufrieden mit meiner Lage, welche die eines Edlen und eines Kommandeurs in den Heerscharen ist. Darum laß mich und meine Halbschwester, die weise Asti, welche ich zu heiraten gedenke, als deine ehrlichen und ergebenen Diener in Frieden leben. Tauche nicht deine Hände in unschul diges Blut, o Pharao, auf daß die Götter nicht auf dich und dein Haus einen Fluch herabbeschwören und unsere Geister aus ihrem Grab zurückkommen, um deinen Nächten ihren Schlaf zu rauben.« Als der Pharao diese Worte hörte, wurde ihm das Herz in seiner Brust bewegt, und er streckte sein Zepter Mermes entgegen, daß dieser es küssen möge, und gewährte ihm dadurch Leben und Schutz. »Mermes«, sagte er, »du bist ein ehrenhafter Mann, und meinesgleichen im Blute, wenn auch nicht an Po sition. Denn aus Gründen, die nur ihnen bekannt sind, erheben die Götter den einen, und werfen den anderen nieder in den Staub, damit ihre Ziele erfüllt werden mögen. Ich glaube dir, wenn du sagst, daß du mir und den Meinen nichts Böses willst, und deshalb werde ich auch nichts Böses gegen dich und deine Schwester Asti unternehmen, welche eine Meisterin der Magie ist, sondern du sollst mein Freund und Be rater sein.«
Dann bot der Pharao ihm einen hohen Rang und ein hohes Amt an, doch weigerte Mermes sich, dieses anzunehmen, und sagte, daß sich dann Neid gegen ihn regen könnte und man ihn auf diese oder andere Weise zu Fall bringen mochte, da hohe Bäume immer als erste umstürzten. Also ernannte der Pharao Mer mes schließlich zum Kommandeur der Wache Amons und gab ihm Land und Häuser, so daß er wie ein Mann seines Ranges leben konnte, doch nicht mehr. Außerdem wurde Mermes ein Freund des Pharao und einer seiner engsten Berater, auf dessen Stimme er immer hörte, da Mermes ein in seinem Herzen ehrlicher Mann war. Kurz darauf heiratete Mermes seine Halbschwester Asti, doch blieb er, wie der Pharao, lange Zeit kin derlos, da er keine anderen Frauen nahm. Am Tage der Geburt von Prinzessin Tua, des Morgensterns Amons, gebar Asti jedoch einen Knaben, ein könig lich aussehendes Kind von großer Kraft und Schön heit und von sehr heller Hautfarbe, so wie der Tradi tion nach die Könige seiner Rasse gewesen sein soll ten, doch mit schwarzen, glänzenden Augen. »Siehe«, sagte die weise Frau, die das Kind geholt hatte, »hier ist ein Kopf, der dafür geformt ist, eine Krone zu tragen.« Woraufhin Asti, die Mutter, in ihrer Freude die gewohnte Vorsicht vergessend, und vielleicht von den Göttern inspiriert, da sie von Kindheit an eine Seherin gewesen war, sagte: »Ja, und ich denke, daß dieser Kopf und eine Krone einander sehr nahe kommen werden.« Und sie küßte ihn und gab ihm den Namen Rames, nach ihrem königlichen Vorvater, dem Begründer ihrer Linie.
Der Zufall wollte es jedoch, daß ein Spion diese Worte mithörte und sie den Räten mitteilte, und die Räte drängten den Pharao, den Jungen töten zu las sen, wie sie es bereits im Fall seines Vaters, Mermes, getan hatten, wegen der Worte des Omens, die Asti gesprochen hatte, und weil sie ihrem Sohn einen kö niglichen Namen gegeben und ihn nach der Majestät Ras benannt hatte, als ob er der Sohn eines Königs wäre. Doch der Pharao weigerte sich, das zu tun, und fragte sie nur mit seinem gütigen Lächeln, ob sie vielleicht wollten, daß er seine Tochter mit dem Blut eines anderen Kindes taufe, welches seinen ersten Atemzug am gleichen Tage getan hatte, und er setzte hinzu: »Ra ergießt seine Pracht über alle, und dieser hochgeborene Knabe mag jener, die Amon Ägypten gegeben hat, irgendwann ein Freund in der Not sein. Laßt die Dinge so kommen, wie es die Götter be schlossen haben! Wer bin ich denn, daß ich mich zu einem Gott machen und ein Leben zerstören sollte, das sie geschaffen haben?« Also blieb der Junge Rames am Leben und gedieh, und Asti, die von dieser Sache hörte, dankte dem Pharao und segnete ihn. Nun befand sich das Haus Mermes', als Komman deur der Wache, innerhalb der Mauern des großen Amon-Tempels, nahe dem Palast der Priesterinnen Amons, in dem die Prinzessin Neter-Tua aufgezogen wurde. So geschah es, daß nach dem Tode der Köni gin Ahura Mermes' Gemahlin Asti bestimmt wurde, die Prinzessin zu säugen, da diese keine Milch sol cher trinken sollte, die kein königliches Blut in ihren Adern hatten. So wurde Asti zu Neter-Tuas Nähr mutter, und Nacht für Nacht schlief sie in Astis Ar
men, gemeinsam mit deren eigenem Sohn, Rames. Und auch später, als sie entwöhnt waren, wurde bei den Kindern gemeinsam gelehrt, zu gehen und zu sprechen, und noch später wurden sie zu Spielge fährten. So kam es, daß diese beiden einander vom ersten Tag ihres Lebens an liebten, so wie Bruder und Schwester einander lieben, wenn sie Zwillinge sind. Doch obwohl der Junge stolz und tapfer war, wurde er von Anfang an von der kleinen Prinzessin be herrscht, nicht, weil sie eine Prinzessin und die Erbin des Thrones Ägyptens war – denn alle die hohen Ti tel, die man ihr verlieh, fielen bei ihr auf taube Ohren, und sie machte sich auch nichts aus sich verneigen den Höflingen und Priestern – sondern aus einer Stärke heraus, die in ihr war. Sie war es, die be stimmte, welche Spiele sie spielten, und wenn sie sprach, war er gezwungen, zuzuhören, denn wenn gleich sie so normal und gesund war, unterschied diese Neter-Tua sich doch von allen anderen Kindern. So hatte sie, was sie ihre ›stillen Stunden‹ nannte, in denen sie nicht duldete, daß irgend jemand sich ihr näherte. Dann pflegte sie, von den Frauen des Hofes in angemessener Distanz gefolgt, zwischen den ge waltigen Säulen des Tempels einherzuwandeln und die Skulpturen an seinen Wänden zu betrachten, und auch, da dem Kind Pharaos alle Räume offen stan den, in die Schreine zu treten und die Götter anzu blicken, welche dort, aus Granit und Alabaster ge formt, standen. Dieses tat sie selbst beim Schein des Mondes, wenn alle Sterblichen Furcht hatten, sich den heiligen Schreinen zu nähern, und trat nach sol chen Besuchen heiter lächelnd aus ihnen heraus.
»Was siehst du dort, Morgenstern?« fragte der kleine Rames sie einmal. »Sie sind doch langweilig, diese Steingötter, die sich seit Anbeginn der Zeit nicht ein einzigesmal bewegt haben. Außerdem habe ich Angst vor ihnen, besonders, wenn Ra untergegangen ist.« »Sie sind nicht langweilig, und mir machen sie kei ne Angst«, antwortete Neter-Tua; »sie sprechen zu mir, und wenn ich auch nicht alles verstehen kann, was sie sagen, bin ich doch glücklich mit ihnen.« »Sprechen!« sagte er verächtlich. »Wie können Steine sprechen?« »Das weiß ich nicht. Ich glaube, daß es Geister sind, welche sprechen und die mir Geschichten von Ereig nissen erzählen, die geschahen, bevor ich geboren wurde, und die geschehen werden, nachdem ich tot bin, ja, und nachdem sie gestorben zu sein scheinen. Und nun schweig! Ich sage dir, daß sie zu mir spre chen – und das ist genug.« »Mir wäre das mehr als genug«, sagte der Junge, »aber schließlich werde ich nicht das Kind Amons genannt, der ich lediglich Menthu anbete, den Gott des Krieges.« Als Rames sieben Jahre alt war, wurde er jeden Mor gen in die Schule des Tempels gebracht, wo die Prie ster ihn lehrten, mit Schilffedern auf hölzerne Tafeln zu schreiben, und ihm mehr über die Götter Ägyp tens erzählten, als er jemals wieder zu hören wünschte. Während dieser Zeit wurde Neter-Tua – mit Ausnahme der Stunden, zu denen sie von den obersten Hofdamen oder den Hohepriesterinnen ge lehrt wurde, sich selbst überlassen, da auf Befehl des
Pharao keinen anderen Kindern erlaubt wurde, mit ihr zu spielen, vielleicht, weil es im Tempel keine an deren Kinder gab, die auch von edler Geburt waren. Einmal, als er am Abend von seiner Schule nach Hause ging, fragte Rames sie, ob sie sich ohne ihn nicht einsam gefühlt habe. Sie antwortete ihm, daß dem nicht so gewesen sei, da sie einen anderen Ge fährten gehabt habe. »Wer ist er?« fragte er eifersüchtig. »Zeig ihn mir, und ich werde mit ihm kämpfen!« »Es ist niemand, den du sehen kannst, Rames«, antwortete sie. »Es ist mein Ka.« »Dein Ka! Ich habe von Kas gehört, jedoch noch nie eines gesehen. Wie sieht es aus?« »Genau so wie ich, außer, daß es keinen Schatten wirft, und es kommt nur, wenn ich völlig allein bin, und selbst dann höre ich es oft nur, kann es jedoch nicht sehen, weil es mit dem Licht vermischt ist.« »Ich glaube nicht an Kas«, rief Rames verächtlich. »Die sind doch nur Phantasie.« Nicht lange nach diesem Gespräch geschah jedoch etwas, das Rames dazu brachte, seine Ansicht über Kas gründlich zu ändern, zumindest über das Ka Ne ter-Tuas. In einem verborgen gelegenen Hof des Tempels befand sich ein tiefes Bassin mit einem durch Steine befestigten Rand, in welchem, wie be hauptet wurde, ein heiliges Krokodil lebte, ein riesi ges Tier, das schon seit mehreren Jahrhunderten dort hauste. Rames und Neter-Tua, die von diesem Kro kodil gehört hatten, sprachen oft von ihm und waren begierig darauf, es zu sehen, was ihnen jedoch nicht möglich war, da das Bassin von einer hohen Mauer umschlossen war, deren Kupfertür ständig verschlos
sen gehalten wurde, mit Ausnahme jener Stunde, zu der die Priester, einmal alle acht Tage, Nahrung für das Krokodil hineinbrachten: lebendige Ziegen und Schafe, und manchmal auch ein Kalb. Eines Tages nun, als Rames sie herauskommen sah, beobachtete er, daß der Priester, welcher der Hüter des Tores genannt wurde, seine Hand hinter den Rücken streckte, um den Schlüssel, mit dem er gerade die Tür verschlossen hatte, in seinen Beutel zu stek ken, jedoch die Öffnung des Beutels verfehlte, so daß der Schlüssel zu Boden fiel, und dann ruhig weiter ging, da er dies nicht bemerkt hatte. Als er so eilig davonschritt – er war ein fetter, alter Priester, und die Zeit des Mittagessens stand bevor – stürzte Rames sich auf den Schlüssel und verbarg ihn in seinem Gewand. Dann suchte er die Prinzessin auf. »Morgenstern«, sagte er, »heute abend, wenn ich von der Schule zurückkomme und mit dir spielen darf, können wir uns dieses wunderbare Tier in dem Bassin ansehen, denn siehe, ich habe den Schlüssel, den der fette Priester erst in acht Tagen vermissen wird, und kurz vorher kann ich ihn zu ihm bringen und sagen, daß ich ihn im Sand gefunden hätte, oder ihn auch unbemerkt in seinen Beutel stecken.« Als Neter-Tua dieses hörte, strahlten ihre Augen, denn mehr als alles andere wünschte sie dieses heili ge Monster zu sehen. Am Abend jedoch, als der Jun ge aufgeregt zu ihr gelaufen kam – denn er hatte während des ganzen Nachmittags an nichts anderes gedacht, als an das Krokodil, und einem anderen Schüler eine Taube abgekauft, womit er es zu füttern gedachte –, fand er Neter-Tua in einer anderen Stim mung vor.
»Ich halte es nicht für gut, wenn wir uns das heilige Krokodil ansehen, Rames«, erklärte sie und sah ihn nachdenklich an. »Warum denn nicht?« rief er erstaunt. »Es ist nie mand in der Nähe, und ich habe den Schlüssel mit Fett eingerieben, damit er kein Geräusch macht.« »Weil mein Ka bei mir war, Rames, und mir gesagt hat, daß es schlecht sei und Plagen über uns kommen würden, wenn wir es täten.« »Oh! Möge der böse Set dein Ka zu sich holen«, antwortete der Junge wütend. »Zeig es mir, und ich werde mit ihm reden!« »Das kann ich nicht, Rames, weil es ich ist. Außer dem: wenn Set es holte, würde er auch mich holen, und es wäre böse, wenn du dir das wünschen solltest.« Nun begann der Junge vor Wut zu weinen und sagte schluchzend, daß man ihr nicht trauen könne, und daß er das Bronzemesser, welches der Pharao ihm bei seinem letzten Besuch im Tempel geschenkt habe, für die Taube hergegeben habe, mit der er das Krokodil anlocken wollte, obwohl jenes Messer viele Tauben wert sei und der Pharao böse sein würde, wenn er erführe, daß er es weggegeben habe. »Warum sollen wir das Leben einer armen Taube opfern, nur um unsere Neugier zu befriedigen?« fragte Neter-Tua, etwas nachgiebiger werdend, als sie seinen Gram sah. »Es ist bereits geopfert«, antwortete er. »Sie hat so geflattert, daß ich mich auf sie setzen mußte, um sie vor dem Priester zu verbergen, und als er gegangen war, war sie tot. Sieh!« Er öffnete den Leinenbeutel, den er umgehängt hatte, und zeigte ihr die Taube, die tot und starr darin lag.
»Da du nicht vorhattest, sie zu töten, ist es etwas anderes«, sagte Neter-Tua großmütig. »Nun, viel leicht hat mein Ka nichts dagegen, wenn wir nur mal einen raschen Blick hineinwerfen, und es wäre doch schade, diese Taube zu vergeuden, die dann für nichts gestorben wäre.« Rames stimmte ihr zu, daß es jammerschade wäre, und so schlichen die beiden Kinder zwischen den Bäumen des Gartens hindurch in den Schatten der Mauer, an der entlang sie bis zu der Kupfertür liefen. Nun steckte Rames, mit einem Anflug von schlech tem Gewissen, den großen Schlüssel in das Schloß, und unter Zuhilfenahme eines ebenfalls mitgebrach ten Holzscheites, das er als Hebel in die Öse des Schlüssels steckte, gelang es den beiden, die schweren Riegel zurückzuwuchten. Nachdem sie den Schlüssel abgezogen hatten, da mit er sie nicht verriete, zogen sie die Tür ein Stück auf und drängten sich durch den Spalt an jenen ver botenen Ort. Doch kaum hatten sie das getan, als sie wünschten, möglichst weit fort zu sein, denn es war etwas um diesen Ort, das sie vor Furcht erschauern ließ, gar nicht zu sprechen von dem entsetzlichen Ge ruch, der bei Neter-Tua Übelkeit erregte. Innerhalb der Mauern befand sich ein großes Bassin mit einer künstlichen Insel in seiner Mitte, mit schmutzigem, schaumigem Wasser gefüllt, das im Schatten jener hohen Mauern beinahe schwarz wirkte, und um das ein schmaler, mit Steinen gepflasterter Weg verlief. An einer Stelle dieses Weges, wo er von düster wir kenden Bäumen und Büschen überwuchert wurde, befand sich eine ins Wasser führende Schräge, eben falls mit Steinen gepflastert, und an dieser Schräge
war ein Boot halb herausgezogen, den Bug im Was ser, und in diesem Boot lagen Ruder. Doch von dem Krokodil war nichts zu sehen. »Es wird irgendwo schlafen«, flüsterte Tua. »Laß uns gehen, ich mag diesen Gestank nicht.« »Welchen Gestank?« antwortete Rames. »Ich rieche nichts, außer dem Duft der Wasserlilien. Laß uns es aufwecken! Es wäre albern, jetzt fortzugehen. Du hast doch nicht etwa Angst, Morgenstern?« »O nein, ich habe keine Angst«, antwortete Tua stolz. »Doch dann wecke es rasch auf!« Was Rames ihr nicht sagte, war, daß es ihnen un möglich war, zurückzugehen, da die Kupfertür hinter ihnen zugefallen war und, wie er entsetzt festgestellt hatte, sich kein Schlüsselloch an ihrer Innenseite be fand. Also gingen sie um das Bassin herum, doch wo immer das schlafende Krokodil sich verbergen mochte, es dachte nicht daran, sich zu zeigen. »Laß uns in das Boot steigen und nach ihm su chen«, schlug Rames vor. »Vielleicht verbirgt es sich auf der Insel.« Also führte er sie zu der ins Wasser führenden Schräge, auf der Tua zu ihrem Entsetzen die Überre ste der letzten Mahlzeit des Krokodils liegen sah, ein Anblick, der sie veranlaßte, alle ihre Bedenken zu vergessen und sofort in das Boot zu springen. Dann stieß Rames es vom Ufer ab und sprang ebenfalls hinein, so daß sie auf dem Wasser trieben. Nun er griff der Junge eines der Ruder, trat in den Bug des Bootes und lenkte das Boot um die Insel herum, doch noch immer konnten sie keine Spur von dem Kroko dil entdecken.
»Ich glaube, es gibt hier überhaupt kein Krokodil«, sagte er, als sein Mut wiederkehrte. »Du könntest es ja mal mit der Taube versuchen«, schlug Tua vor, die jetzt, da der Geruch schwächer war, ihre Neugier wiederkehren spürte. Dies war ein guter Vorschlag, den Rames auch so fort befolgte. Er zog den toten Vogel aus seinem Beutel, breitete dessen Flügel aus, damit er aussah, als ob er noch lebte, und warf ihn auf das Wasser, wobei er schrie: »Wach auf, Heiliges Krokodil!« Mit einer furchterregenden Plötzlichkeit, woher, konnten sie nicht sehen, schoß das Krokodil an die Oberfläche. Ein schrecklicher, schuppiger Kopf mit gelben Augen und einer Doppelreihe nach innen ge bogener Zähne tauchte auf, und dahinter Elle um Elle eines monströsen Körpers. Der aufgesperrte Rachen packte die Taube, und die Schreckensgestalt tauchte wieder unter. »Das war das Heilige Krokodil«, sagte Rames ton los und starrte in das quirlende Wasser, »das seit den Regierungszeiten von acht Pharaonen hier lebt, viel leicht sogar länger. Nun haben wir es gesehen.« »Ja«, antwortete Tua, »und ich will es nie wieder sehen. Bring mich fort von hier, schnell, oder ich sage es deinem Vater!« So ermahnt ergriff der Junge sofort sein Ruder, als das uralte Krokodil, das jetzt die Taube verschlungen hatte, seinen Kopf unmittelbar hinter ihnen aus dem Wasser streckte und dem Boot folgte. Jetzt begann Tua laut zu schreien und rief nach ihrem Ka. »Sag ihm, es soll uns das Krokodil vom Halse hal ten!« rief Rames, der mit aller Kraft ruderte. »Nichts kann einem Ka etwas anhaben.«
Doch das Krokodil ließ sich nicht vertreiben; im Gegenteil, es schob seinen Kopf und eine seiner Klau en über die hintere Bordwand des Bootes und drückte es herab, so daß Rames mit seinem Ruder nicht mehr das Wasser erreichte, drückte es beinahe unter Was ser und schnappte mit seinen schrecklichen Kiefern. »Oh! Es kommt ins Boot! Es wird uns fressen!« schrie Tua. In diesem Augenblick berührte das Boot die Lan deschräge und schwang herum, so daß sein Bug, in dem Tua saß, gegen den Kopf des Krokodils ge schleudert wurde, was die Bestie in Wut zu versetzen schien. Jedenfalls warf sie sich in das Boot und drückte durch sein Gewicht den vorderen Teil herab, so daß es vollzulaufen und zu sinken begann. Jetzt bewies der kleine Junge, Rames, was in ihm steckte. »Spring an Land! Spring an Land!« rief er Tua zu, drängte sich an ihr vorbei und schlug dem Krokodil das Ruderblatt auf seinen häßlichen Schädel. Es riß seinen greulichen Rachen auf, und er stieß das Ruder hinein und hielt es fest. »Laß los!« schrie Tua, als sie an Land taumelte. Doch Rames wollte nicht loslassen, denn in seinem kleinen, tapferen Herzen fürchtete er, daß das Kroko dil Tua folgen und sie fressen würde, wenn er das Ruder losließe. Also umklammerte er es, bis es ihm aus den Händen gerissen wurde. Und selbst dann gab er noch nicht auf; als das Krokodil das dicke Ru derblatt durchgebissen und ausgespien hatte und es noch immer zu der Schräge drängte, an der es ge wohnt war, gefüttert zu werden, sprang er ins Wasser und schlug ihm mit seiner kleinen Faust ins Auge. Als das Monster den Schmerz des Schlages spürte,
schnappte es nach ihm, packte ihn bei der Hand und begann, ins tiefe Wasser zu tauchen, wobei es den Jungen mit sich zog. Rames stieß keinen Laut aus, doch Tua, die bereits auf dem festen Ufer stand, sah die Todesangst auf seinem Gesicht. »Hilf mir, Amon!« schrie sie, lief zurück, packte Rames' linken Arm, als er unter Wasser gezogen wurde, stemmte ihre Hacken in einen Spalt zwischen den Steinen und hielt fest. Einen Moment lang wurde sie vorwärtsgezogen, so daß sie schon glaubte, sie würde ins Wasser stürzen und zusammen mit Rames gefressen werden, doch im nächsten Augenblick gab irgend etwas nach, und sie und der Junge taumelten auf die Steine und brachen dort zusammen. Sie stan den sofort auf und krochen die Schräge hinauf. Dabei bemerkte Tua, daß Rames auf seine rechte Hand blickte, und daß sie blutig war, und daß der kleine Finger fehlte. Dann erinnerte sie sich an nichts mehr, außer an das Schreien und an das wuchtige Häm mern von Schlägen an die Kupfertür. Als sie wieder zu sich kam, lag sie im Hause Mer mes' und sah Asti über sich gebeugt und weinen. »Warum weinst du, meine Amme?« fragte sie, »da ich doch in Sicherheit bin?« »Ich weine um meinen Sohn, Prinzessin«, antwor tete sie durch ihr Schluchzen. »Ist er an seinen Wunden gestorben, Asti?« »Nein, Morgenstern, er liegt krank in seiner Kam mer. Doch bald wird der Pharao ihn töten, weil er je ne, die die Königin Ägyptens sein wird, in Lebensge fahr gebracht hat.« »Nein«, rief Tua und sprang auf, »denn er hat mir
das Leben gerettet!« Während sie das rief, wurde die Tür geöffnet, und der Pharao selbst trat herein, den man eiligst aus dem Palast herbeigerufen hatte. Sein Gesicht war bleich, und er zitterte vor Angst, denn man hatte ihm be richtet, daß sein einziges Kind ertrunken sei. Als er sah, daß Tua lebte und nicht einmal verletzt war, konnte er nicht an sich halten vor Freude, riß sie in seine Arme, sank auf die Knie und dankte den Göt tern und den Schutzgeistern. Sie küßte ihn, dann be trachtete sie sein Gesicht mit ihren weisen Augen und fragte ihn, warum er eine solche Angst gehabt habe. »Weil ich dachte, du seiest getötet worden, meine Tochter.« »Warum hast du das gedacht, Vater, da doch der große Gott, Amon, dir noch vor meiner Geburt ver sprochen hat, mich immer zu beschützen, obwohl es zutrifft, daß ohne Rames ...« Nun, da sein Name fiel, wurde der Pharao von wilder Wut erfüllt. »Sprich nicht von jenem verruchten Jungen!« rief er. »Weder jetzt, noch später, denn er soll verflucht sein, bis er stirbt!« »Mein Vater«, rief Tua und sprang auf. »Vergiß diese Worte, denn wenn Rames stirbt, werde auch ich sterben! Ich bin es, die schuldig ist, nicht er, denn mein Ka warnte mich davor, die Bestie aufzusuchen, doch hat zu Rames kein Ka gesprochen. Außerdem: falls dieser böse Gott mich fressen wollte, so war es Rames, der gegen ihn kämpfte und sich ihm an mei ner statt anbot. Höre mich an, Vater, während ich dir die Geschichte erzähle!« Also hörte der Pharao zu, und als Tua zum Ende
gekommen war, schickte er nach Rames. Kurz darauf wurde der Junge hereingetragen, da er so viel Blut verloren hatte, daß er nicht gehen konnte, und auf ei nen Stuhl gesetzt. »Töte mich, o Pharao«, sagte er mit matter Stimme, »denn ich habe gesündigt! Doch werde ich glücklich sterben, da mein Geist mir die Kraft verlieh, die Bestie von der Prinzessin fortzujagen, die ich in Gefahr ge bracht habe.« »Ja, du hast etwas Schlimmes getan«, sagte der Pharao und schüttelte den Kopf, »und dafür wirst du vielleicht deine Hand verlieren, oder sogar dein Le ben. Und doch, mein Kind, hast du ein königliches Herz, der du zuerst deine Spielkameradin rettetest und dann, sogar in meiner Gegenwart, alle Schuld auf dich genommen hast. Deshalb vergebe ich dir, Sohn Mermes', und außerdem sehe ich jetzt ein, daß es weise war, nicht auf jene zu hören, welche mir rie ten, dich sofort nach deiner Geburt töten zu lassen.« Und der Pharao beugte sich über den Jungen und küßte ihn auf die Stirn. Außerdem gab er den Befehl, daß die größten Ärzte des Landes ihn behandeln und das Gift der Zähne des Krokodils aus seinem Körper treiben soll ten, und als er gesundete – was er, bis auf den Verlust des kleinen Fingers seiner rechten Hand auch tat – überreichte er ihm ein Schwert mit einem goldenen, in Form eines Krokodils geformten Griff, als Ersatz für das Messer, welches er für die Taube hergegeben hatte, mit dem Befehl, es während seines ganzen Le bens tapfer in Verteidigung jener zu gebrauchen, die eines Tages seine Königin sein würde. Außerdem verlieh er ihm trotz seiner Jugend zum Beweis seiner
Liebe und Gunst den Titel eines ›Verteidigers einer königlichen Dame‹. Nachdem er gegangen war, sah Asti, die Prophetin, das Schwert an, das der Pharao ihrem Sohn gegeben hatte. »Ich sehe königliches Blut an seiner Klinge«, sagte sie und reichte es Rames zurück. Doch war Rames und Tua von da an nicht mehr erlaubt, allein miteinander zu spielen, denn die Prin zessin wurde nun immer von Hofdamen und von ei ner bewaffneten Leibwache begleitet. Außerdem wurde der Junge nach einem oder zwei Jahren in die Obhut eines Heerführers gegeben, um zum Krieger ausgebildet zu werden, einem Beruf, der ihm überaus lag, so daß er und Neter-Tua sich von jener Zeit an nur noch sehr selten sahen. Doch bestand ein Bund zwischen ihnen, der auch durch längere Trennung nicht gebrochen werden konnte, denn sie liebten sich bereits, und an jedem Morgen und an jedem Abend, wenn Tua zu Amon betete, erbat sie, nachdem sie seinen Segen für den Pharao, ihren Vater, und den Geist ihrer königlichen Mutter, Ahura, erfleht hatte, auch um seinen Segen für Rames, und daß sie ihn bald wiedersehen möge. Denn die Monate, in denen der Blick ihrer Augen nicht auf ihn fiel, waren einsam für Tua.
4
Die Anrufung Amons
Die Jahre vergingen, und die Prinzessin Neter-Tua, welche der Morgenstern Amons genannt wurde, war schließlich zur Frau herangewachsen und mußte die Zeremonie der Reinigung über sich ergehen lassen. In ganz Ägypten gab es kein Mädchen, das so weise und so aufgeweckt und so schön war. Hochgewachsen und schlank war ihre Gestalt, blau wie die See waren ihre Augen, rosig wie der junge Morgen ihre Wan gen, und wenn sie ihr Haar nicht in einem Netz aus Goldfäden trug, hing es ihr in schwarzen Locken fast bis zur Taille. Außerdem war sie sehr gebildet, denn Priester und Priesterinnen hatten sie alles gelehrt, was sie wissen mußte, auch die Kunst des Harfen spiels, des Gesanges und des Tanzes, während ihr ei gener Geist, jenes überragende Ka, das Amon ihr ver liehen hatte, sie in die tieferen Weisheiten einführte, welche sie unbewußt im Schlafe und in Wachträumen aufnahm, so wie die schlummernde Erde nächtens Tau aufnimmt. Außerdem öffnete ihr Vater, der weise, alte Pharao, ihr die Türen der Regierungskunst, durch welche sie über das Volk herrschen und seine Feinde besiegen können würde. Sie tat sogar noch mehr, denn als ihre Ausbildung abgeschlossen war, bat er sie, ihm bei der Regierung über Ägypten zu helfen. »Ich, dem es immer an körperlicher Kraft geman gelt hat, werde alt und gebrechlich«, sagte er. »Diese mächtige Krone wird zu schwer, um sie alleine zu
tragen. Tochter, du mußt ihre Last mit mir teilen.« So wurde die junge Neter-Tua zur Königin, und prächtig war die Zeremonie ihrer Krönung. Die Ho hepriester und -Priesterinnen, in die Roben und Sym bole ihrer Götter und Göttinnen gekleidet, brachten Reden auf sie aus und segneten sie in ihrem Namen, verliehen ihr alle guten Gaben und versprachen ihr ewiges Leben. Prinzen und Edle brachten ihr Ge schenke dar, ausländische Häuptlinge und Könige beugten ihr Haupt vor ihr durch Entsendung von Botschaftern. Die Fürsten und Stammesführer der beiden Länder schworen ihr Treue, und schließlich setzte der Pharao selbst in Gegenwart des ganzen Ho fes die Doppelkrone auf ihr Haupt und gab ihr den Thron-Namen ›Strahlend in Ra, und Hathor-stark in Schönheit‹. Für einige Zeit saß Tua auf ihrem goldenen Thron, während die Menschen sie anbeteten, doch in jener Stunde des Triumphes suchten ihre Augen nur ein Gesicht, das des hochgewachsenen, tapferen Kom mandeurs Rames, ihres Nährbruders, und ruhten für eine Weile zufrieden auf ihm. Ja, ihre Blicke trafen sich, jene der neugekrönten Königin auf ihrem Thron, und die des jugendlichen Edlen in der Menge unter ihr. Nur kurz war diese Begrüßung, denn im näch sten Moment sah sie schon wieder fort, doch bedeu tungsvoller als alle Ansprachen dieses Tages. ›Die Königin vergißt nicht, woran das Kind sich erinnerte, und die Göttin ist nach wie vor eine Frau‹, schien ihr Blick ihm zu sagen. Und so eindringlich war diese Nachricht, daß Rames aus dem Palast tau melte wie einer, der von der Sonne geblendet ist.
Endlich wurde es Abend, und nachdem das ermüdete Mädchen Sekretäre, Schreiber und Hofdamen entlas sen hatte, saß sie nun, in einfaches Weiß gekleidet, allein in ihrer Kammer. Sie dachte an den Glanz der Zeremonie, welche sie erlebt hatte; sie dachte an den Glanz ihrer königlichen Stellung, an die Macht, die sie jetzt besaß, und an die herrliche Zukunft, die vor ihr lag. Am meisten jedoch dachte sie an das Gesicht des jungen Rames, des Spielgefährten ihrer Kindheit, den Mann, den sie liebte, und fragte sich – ah, und wie sie sich das fragte –, ob es ihr bei all ihrer Macht gelingen würde, ihn an ihre Seite zu ziehen. Wenn nicht, wozu war es dann gut, über Millionen zu herr schen, über diese Dominien der Welt? Man nannte sie eine Göttin, und manchmal glaubte sie wirklich, halb göttlich zu sein, doch wenn dem so war, warum schmerzte dann ihr Herz wie das eines gewöhnlichen Dorfmädchens? Außerdem: Stand sie wirklich über dem Unglück ihrer Rasse? Konnte ein Thron, und sei er noch so schwer von Gold, sie über die Leiden der Menschen hinausheben? Es drängte sie, die Wahrheit zu wissen, die wirkliche Wahrheit. Ihr Geist trieb sie dazu, die Dinge zu erfahren, die kommen würden, ihnen se henden Auges gegenüberzutreten, selbst wenn sie schlecht sein sollten. Nun, sie glaubte, die Kraft dazu an ihrer Seite zu haben, obwohl sie sie noch nie zu Hilfe gerufen hatte. Doch konnte dieses nicht allein getan werden. Tua dachte eine Weile darüber nach, dann trat sie zur Tür ihrer Kammer und befahl der Hofdame, die vor ihr wartete, Asti, die Priesterin Amons und Deuterin des Himmels, zu ihr zu rufen. Wenig später erschien Asti,
die jetzt wie immer auf die Wünsche der neu ge krönten Königin wartete, eine hochgewachsene, edel wirkende Frau mit fein geschnittenen Gesichtszügen und blauschwarzem Haar, das, obwohl sie bereits fünfzig Jahre zählte, noch keine Spur von Grau zeigte. »Ich war in meinem Schrein, als deine Majestät mich rufen ließ«, sagte sie und deutete auf die heilige Robe, welche sie trug. »Verzeihe mir deshalb, wenn ich zu lange gebraucht haben sollte.« Doch die Königin hob sie auf, küßte sie und sagte: »Ich bin aller Titel müde, von denen ich heute mehr als genug gehört habe. Nenn mich Tua, o meine Mutter, denn das bist du immer für mich geblieben, von deren Brüsten ich die Milch des Lebens sog.« »Was fehlt dir, mein Kind?« fragte Asti. »War die Krone zu schwer für dein junges Haupt?« setzte sie hinzu und streichelte über Tuas schwarzes, lockiges Haar. »Ja, Mutter, ihr Gewicht schien mich mit ihrem Gold und ihren Juwelen zu erdrücken. Ich bin müde, und dennoch kann ich nicht schlafen. Sag mir, warum hat der Pharao nach dem Festbankett den Rat einbe rufen? Mermes ist einer seiner Mitglieder, also müß test du es wissen. Und warum wurde nicht auch ich, die von nun an mit dem Pharao herrschen soll, dazu gerufen?« »Möchtest du das wissen?« fragte Asti mit einem kleinen Lächeln. »Nun, als Königin hast du das Recht dazu. Es geschah, um die Frage deiner Heirat abzu sprechen.« Einen Augenblick lang glänzte ein Licht auf Tuas Gesicht. Dann fragte sie begierig: »Meine Heirat? Und mit wem?«
»Oh! Es wurden viele Namen genannt, Kind, da je ne, die über Ägypten herrscht, keinen Mangel an Be werbern hat.« »Nenn sie mir, Asti, und rasch!« Und Asti nannte sie ihr; es waren ihrer sieben: der Prinz von Kesh, Söhne ausländischer Könige, große Edle, und ein Heerführer, der eine Abstammung von einem früheren Pharao behauptete. Bei jedem Namen, der von Astis Lippen fiel, winkte Tua ab und sagte verächtlich solche Worte wie: »Den kenne ich nicht«, »zu alt«, »fett und widerlich«, »ein ausländischer Hund, der auf unsere Götter spuckt«, und so weiter, bis sie schließlich sagte: »Fahr fort!« »Das sind sie alle, kein weiterer Name wurde er wähnt, und der Rat hat sich vertagt, um über diese nachzudenken.« »Kein weiterer Name?« »Vermißt du vielleicht einen, Tua?« Sie antwortete nicht, nur ihre Lippen schienen sich zu einem Namen zu formen, den sie nicht zu äußern wagte. Die beiden Frauen blickten einander an, dann schüttelte Asti den Kopf. »Es darf nicht sein«, flüsterte sie, »und aus vielerlei Gründen nicht, darunter den, daß unser Blut, aus Gründen, die ich dir bereits nannte, durch ein heiliges Dekret für immer vom Thron verbannt wurde. Nie mand würde wagen, es zu brechen, nicht einmal der Pharao selbst. Du wirst doch meinem Sohn nicht den Tod bringen wollen, Tua, doch wenn du ihn noch einmal so anblickst, wirst du es zweifellos tun.« »Nein«, antwortete sie langsam, »ich will ihm nicht den Tod bringen, sondern Leben und Ehre und – Lie be, und eines Tages werde ich Pharao sein. Doch die
ses sei sicher, Asti: wenn du mich verrätst, werde ich dir den Tod bringen, obwohl ich dich so liebe.« »Ich werde dich nicht verraten«, antwortete die Priesterin und lächelte wieder. »Offen gesagt besteht keinerlei Grund dazu, selbst wenn ich es wollte. Sag mir jetzt, aus welchem Grunde wurde ein gewisser Kommandeur fast ohnmächtig und lief so eilig aus der Halle, als heute dein Blick zufällig auf ihn fiel?« »Es wird die Hitze gewesen sein«, antwortete Tua errötend. »Ja, es war heiß, doch ist er stärker als die meisten Männer und hat sie lange ertragen – wie die anderen. Doch sind da gewisse Feuer ...« »Weil er Furcht vor meiner Pracht hatte«, unter brach Tua eilig. »Du weißt, daß ich sehr königlich ausgesehen habe, Mutter.« »Ja, sicher wurde er von Furcht beherrscht – oder von einem anderen Gefühl. Aber, mein Kind, dräng dieses Gefühl aus deinem Herzen, so wie ich es tue. Wenn du Pharao bist, wirst du lernen, daß ein Mon arch ein Sklave des Volkes und des Gesetzes ist. Atme seinen Namen in Liebe und sieh ihn nicht mehr, be vor ihr euch vor Osiris wiedertrefft.« Tua barg ihre Augen für einen Moment in ihren Händen, dann sah sie auf, und jetzt war ein seltsa mer, neuer Ausdruck in ihren Augen. »Wenn ich Pharao sein werde«, sagte sie, »gibt es gewisse Dinge, in denen ich mein eigenes Gesetz bin, und wenn es dem Volke nicht gefallen sollte, so mag es sich einen anderen Pharao suchen.« Asti starrte sie ob dieser Worte an, und ein Funke von Glück trat in ihre dunklen Augen. »Wahrlich, dein Herz ist stolz«, sagte sie, »aber oh,
wenn du mich liebst – und einen anderen –, so begrabe diesen Gedanken, oder er wird es nie erleben, daß du allein auf den goldenen Thron gehoben wirst. Wisse, Tua, daß ich schon jetzt Stunde um Stunde in Angst um ihn lebe – daß er einen Giftbecher leere, daß er des Nachts in einen Speer renne, daß ein Pfeil ihn treffe – und niemand wüßte, wessen die Mörderhand war.« Tua ballte ihre Hände zu Fäusten. »Wenn das geschehen sollte, wird Ägypten einen Rachefeldzug erleben, wie es ihn seit den Tagen Me nas nie wieder gegeben hat.« »Und was nützt die Rache, Kind, wenn das Herz leer und die Grabkammer versiegelt ist?« Wieder dachte Tua nach. Dann sagte sie: »Es gibt weitere Götter außer Osiris. Wie nennen mich die Menschen? Nein, nicht meine königlichen Namen.« »Sie nennen dich den Morgenstern Amons; sie nennen dich die Tochter Amons.« »Ist jene Geschichte wahr, Asti, die Magierin?« »Ja, zumindest hat deine königliche Mutter diesen Traum geträumt, denn sie erzählte ihn mir, und ich habe die Niederschrift gelesen, da ich eine Priesterin Amons bin.« »Dann muß dieser hohe Gott mich lieben, nicht wahr? Dann muß er meine Gebete erhören und mir Kräfte verleihen – dann muß er jene beschützen, die mir teuer sind. Mutter, man sagt, daß du, die Meiste rin geheimer Dinge, die Ohren der Götter öffnen und ihre Münder zwingen kannst zu sprechen. Mutter, ich befehle dir jetzt als deine Königin, meinen Vater Amon vor mich zu rufen, damit ich mit ihm sprechen kann, denn ich habe Worte für ihn, auf die er hören muß.«
»Hast du keine Angst?« fragte Asti und blickte sie neugierig an. »Er ist der größte aller Götter, und ihn leichtfertig zu rufen ist ein Sakrileg.« »Muß eine Tochter ihren Vater fürchten?« antwor tete Tua. »Als deine göttliche Mutter und der Pharao in sei nem Schrein vor ihm knieten und ihn anflehten, daß ihnen ein Kind geschenkt werden möge, hat Amon sich nicht dazu herabgelassen, selbst vor ihnen zu er scheinen, sondern erst nachher in einem Traum ge sprochen. Willst du mehr wagen als sie? Leg dich nieder und träume, o Stern des Morgens!« »Nein, ich vertraue keinen Träumen, die wetter wendisch sind wie Sommerwolken und genauso rasch verfliegen«, antwortete das Mädchen stolz. »Wenn der Gott mein Vater ist, sei es im Geiste oder im Fleische, ich weiß nicht, welches es ist, so lasse ihn hier vor mir Angesicht zu Angesicht erscheinen. Ich will ihn um Weisheit für mich und um eine Gunst für einen anderen bitten. Ruf ihn herbei, wenn du die Macht dazu hast, Asti! Ruf ihn herbei, selbst wenn er mich töten sollte! Es wäre besser, daß ich stürbe, als daß ich ...« »Still!« sagte Asti, und legte einen Finger auf ihre Lippen. »Sprich nicht den Namen aus! Nun, ich ver füge über einiges Wissen, und um deinetwillen – und das eines anderen – will ich es versuchen, doch nicht hier. Vielleicht wird er auf mich hören, vielleicht auch nicht, oder vielleicht müssen du und ich, wenn er kommt, den Preis bezahlen. Leg wieder deine Robe an, o Königin, und darüber einen Schleier, und folge mir – wenn du es wagst!«
Durch enge Gänge krochen sie, und manche geheime Stiege hinab, bis sie schließlich eine Tür am Fuße ei nes langen, steil abfallenden, felsigen Gangs erreich ten. Diese Tür schloß Asti auf und verschloß sie wie der hinter sich, als sie hindurchgetreten waren. »Wo sind wir hier?« flüsterte Tua. »Im Grabgewölbe der Hohepriesterinnen Amons, in dem, wie gesagt wird, der Gott wacht. Seit fast dreißig Jahren hat niemand es betreten. Sieh, hier im Staube sind die Fußspuren jener, welche die letzte Priesterin zu ihrer ewigen Ruhe gebettet haben.« Sie hob die Lampe empor, und in ihrem Licht er kannte Tua, daß sie sich in einer riesigen Höhle be fanden, deren Wände ringsum mit den Figuren der Götter bemalt waren. In jeder der vielen Nischen die ser Höhle befand sich ein Sarg mit einem vergoldeten Gesicht, und hinter ihm die Alabasterstatue derer, die in ihm lag, und davor ein Altar mit Opfergaben. Am Kopfende der Krypta stand ein kleiner Altar aus schwarzem Stein, sonst war sie leer. Asti führte Tua zu einer Stufe, die sich vor dem Altar befand, kniete nieder und legte ihre Lampe ab, die sie in irgendeinem Seitengang verbarg, so daß jetzt absolute Dunkelheit herrschte. Kurz darauf hörte Tua sie in der tiefen Stille rückwärts kriechen, denn obwohl sie kaum aufzutreten wagte, schien der Staub unter ihren Füßen zu schreien und jeder Schritt von den Wänden widerzuhallen. Außerdem ging jetzt ein Leuchten von ihr aus, das Leuchten ihres Lebens in dieser Höhle des Todes. Sie schritt an Tua vorbei und kniete sich vor den Altar, und das Echo ihrer Bewe gungen erstarb. Nur schien es Tua, als ob sich aus je dem der Gräber zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken
das Ka jener erhöbe, welche dort begraben lagen, und sich ihnen näherte, um zuzusehen und zuzuhören. Sie konnte sie nicht hören, sie konnte sie nicht sehen, und doch wußte sie, daß sie da waren und konnte sie zählen – dreißig und zwei waren es – während in ihr die Bilder von ihnen entstanden, jede von ihnen an ders, doch alle in Weiß gekleidet, erwartungsvoll, ernst. Jetzt hörte Tua, wie Asti geheime Formeln mur melte, die sie nicht verstand. An jenem Ort und in je ner Stille klangen sie unheimlich und schrecklich, und zum ersten Mal wurde sie von Furcht über mannt. Sie sank auf die Knie und beugte den Kopf, bis er fast die Erde berührte, und betete zu Amon, daß er geneigt sein möge, sie zu hören und die Sehn sucht ihres Herzens zu stillen. Sie betete und betete, bis sie ermattet und müde wurde, während Asti nach wie vor ihre Beschwörungen murmelte. Doch kam keine Antwort, keine Gottheit erschien, keine Stimme sprach. Schließlich erhob Asti sich, trat zu ihr und flüsterte in ihr Ohr: »Laß uns gehen, bevor die wa chenden Geister, deren Ruhe wir gestört haben, auf uns zornig werden! Der Gott hat seine Ohren ge schlossen.« Also erhob sich Tua und klammerte sich an Asti, denn jetzt, obwohl sie nicht wußte, warum, hatte ihre Furcht sich vertieft. Einen Moment lang stand sie auf den Füßen, dann sank sie wieder auf die Knie, denn dort, am anderen Ende des langgestreckten Grabge wölbes, nahe der Tür, durch die sie hereingekommen waren, erschien plötzlich ein Leuchten im Dunkel. Allmählich nahm es Gestalt an, die Gestalt einer Frau, die in die königlichen Roben Ägyptens gekleidet war
und ein Zepter in ihrer Linken hielt. Die Lichtgestalt näherte sich ihnen, so daß sie ihr Gesicht erkennen konnten. Tua kannte das Gesicht nicht, obgleich es ih rem eigenen ähnlich zu sein schien, doch Asti er kannte es sofort und warf sich bei seinem Anblick zu Boden. Jetzt stand die Gestalt vor ihnen, eine Form aus Licht inmitten des Dunkels, und jetzt sprach sie mit einer sanften, leisen Stimme. »Sei gegrüßt, Königin von Ägypten«, sagte sie. »Sei gegrüßt, Neter-Tua, Tochter Amons. Hast du Furcht, jene anzublicken, welche dich geboren hat, du, die du den Mut aufbrachtest, den Göttervater herabzurufen, auf daß er tue, was du ihm befiehlst?« »Ja, ich fürchte mich«, antwortete Tua, am ganzen Körper zitternd. »Und du, Asti, die Zauberin, fürchtest auch du dich, die eben noch gewagt hat, Amon-Ra zuzurufen: ›Komm aus deinem hohen Himmel herab und ant worte mir!‹?« »So ist es, o Königin Ahura«, murmelte Asti. »Frau«, fuhr die Stimme fort, »deine Sünde ist schwer, und schwer ist auch die Sünde dieser König lichen an deiner Seite. Wenn Amon euch erhört hätte, wie würdet ihr beiden vor der Pracht dieses Erhabe nen gestanden haben, die ihr schon beim Anblick die ser, meiner Gestalt, welche einst sterblich war wie ihr, zitternd am Boden kauert? Ich sage euch beiden: Hätte der Gott sich erhoben, wie ihr es in eurer Sünd haftigkeit verlangt habt, würdet ihr dort, wo ihr jetzt kniet, gestorben sein. Doch ist er, der alles weiß, gnä dig, und hat mich als Boten geschickt, damit ihr lebt und die morgige Sonne aufgehen seht.«
»Amon möge uns vergeben«, rief Tua atemlos. »Es war meine Sünde, o Mutter, denn ich habe sie Asti befohlen, und sie hat mir gehorcht. Mich allein trifft die Schuld, nicht sie, denn ich bin von Zweifeln und Ängsten zerrissen, um mich selbst und um einen an deren; ich wollte die Zukunft erfahren.« »Warum, o Königin Neter-Tua, warum wolltest du die Zukunft erfahren? Wenn die Hölle unter deinen Füßen wartet, warum willst du ihre Qualen sehen? Wenn der Himmel auf dich wartet, warum willst du vor der Zeit durch ihr goldenes Tor spähen? Die Zu kunft ist den Sterblichen verborgen, weil sie, könnten sie ihren Schleier lüften, von ihren Schrecken zer malmt werden würden. Wenn alles Leid von Leben und Tod den Blicken offen läge, wer würde dann noch zu leben wagen, und wer – oh, wer wagte es noch, zu sterben?« »Dann wartet also Leid meiner, o du, die du meine Mutter warst?« »Wie könnte es anders sein? Licht und Dunkelheit machen den Tag, Glück und Leid formen das Leben. Du bist menschlich, also fasse dich in Geduld!« »Und auch göttlich, o Ahura, wenn alles wahr sein sollte, was gesagt wird.« »Dann zahle für deine Göttlichkeit mit Tränen und sei zufrieden! Behagen ist der Lohn der Tiere, Götter jedoch werden von den Flügeln des Schmerzes auf wärts getragen. Wie kann ein Gott rein sein, der nie das Feuer kennenlernte?« »Du sagst mir gar nichts«, klagte Tua, »und ich bitte ja nicht um mich. Ich bin hübsch, ich bin die Tochter Amons, und groß ist mein Erbe. Dennoch, o in Osiris Weilende, du, die du einst jene Stellung in
nehattest, die heute die meine ist, sage ich dir, daß ich all das hergeben würde, wenn ich sicher sein könnte, daß ich nicht liebelos leben muß, daß ich nicht wie ei ne Sklavin einem gegeben werde, den ich hasse, daß einer, den ich nicht hasse, leben wird, um mich seine – Frau zu nennen. Große Gefahren bedrohen ihn – und mich; Amon ist mächtig, er ist der Töpfer, der den Ton der Menschen formt; wenn ich sein Kind bin, wenn mir sein Odem eingehaucht wurde, oh, dann lasse ihn mir jetzt helfen.« »Laß deinen Glauben dir helfen. Sind nicht die Worte Amons, welche er dich betreffend sprach, nie dergeschrieben worden? Studiere sie und stell keine Fragen mehr! Die Liebe ist ein Pfeil, der nie sein Ziel verfehlt, sie ist das vom Himmel entsandte unsterbli che Feuer, das Wind und Wasser nicht löschen kön nen. Deshalb liebe. Deine Liebe soll nicht vergebens sein. Königin und Tochter, lebe wohl!« »Nein, nein! Noch ein Wort, Unsterbliche! Ich dan ke dir, du Bote der Götter, doch wenn diese Leiden über mich kommen – und über einen anderen – wenn die Wogen der Gefahren über unseren Köpfen zu sammenschlagen, wenn Schande mich bedroht und ich einsam bin, was sehr gut geschehen könnte, an wen soll ich mich dann um Hilfe wenden?« »Dann hast du etwas in dir, das ein starker Helfer ist. Es wurde dir bei deiner Geburt gegeben, o Stern Amons, und Asti kann es hervorrufen. Tritt zu mir, Asti, und rasch, denn ich muß fort und will es dir vorher sagen!« Asti kroch vorwärts, und die schimmernde Gestalt in der königlichen Robe beugte sich über sie, so daß ihr Licht auf Astis Gesicht fiel. Sie beugte sich über sie
und schien ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Dann hob sie ihre Arme und wandte die Handflächen Tua zu, wie um sie zu segnen, und war fort. Wieder standen die beiden Frauen allein in Tuas Kammer. Bleich und erschüttert blickten sie einander in die Augen. »Du hattest deinen Willen, Königin«, sagte Asti, »denn wenn auch Amon nicht erschien, so sandte er doch einen Boten, und einen königlichen.« »Erklär mir diese Vision«, antwortete Tua, »denn soweit es mich betrifft, hat dieser Geist nur sehr we nig gesagt.« »Nein, vieles hat er gesagt. Er sagte, daß deine Lie be ihren Lohn finden soll, und was willst du mehr wissen?« »Dann bin ich glücklich«, rief Tua strahlend. »Sei nicht zu glücklich, Königin, denn heute nacht haben wir gesündigt, da wir es wagten, Amon von seinem Thron zu rufen, und Sünde findet auch immer ihren Lohn. Blut ist der Preis für jenes Orakel.« »Wessen Blut, Asti? Das unsere?« »Nein, schlimmer: das Blut jener, die uns lieb sind. Krieg erhebt sich über Ägypten, Königin.« »Du wirst mich nicht verlassen, wenn er ausbricht, nicht wahr, Asti?« »Ich könnte es nicht, selbst wenn ich es wollte. Das Schicksal hat uns bis zum Ende aneinandergekettet, und das Ende liegt, glaube ich, noch in weiter Ferne. Ich bin dein, so wie du einst mein warst, als du an meiner Brust lagst, doch befehle mir nicht noch ein mal, Amon von seinem Thron zu rufen!«
5
Wie Rames gegen den Prinzen
von Kesh kämpfte
Nun fanden einen vollen Mond lang Feste in Theben statt, und bei allen mußte Neter-Tua, ›Erhabene in Ra, Hathor-stark an Schönheit, Morgenstern Amons‹ als neu gekrönte Königin Ägyptens teilnehmen. Ein Ban kett folgte dem anderen, und bei jedem war einer der Bewerber um ihre Hand der Ehrengast. Und jedesmal wurde sie nach einem solchen Ban kett von ihrem Vater, dem Pharao, und seinen Bera tern gefragt, ob jener Mann ihr gefiele. Da Tua weise war, vermied sie direkte Antworten, wurde jedoch die meisten von ihnen auf diese Weise los. Sie verlangte, daß die Niederschrift des Traumes ihrer Mutter, Ahura, zu ihr gebracht und ihr vorgele sen würde, und als sie verlesen worden war, wies sie darauf hin, daß Amon ihr einen königlichen Gemahl versprochen habe, und daß alle diese Häuptlinge und Heerführer nicht königlichen Geblütes seien und deshalb Amon nicht sie gemeint haben konnte, und sie nicht wage, ihre Augen einem zuzuwenden, wel chen der Gott ihr nicht bestimmt hatte. Von anderen, die Könige waren, sich jedoch, da sie ihr Land nicht verlassen konnten, durch Botschafter vertreten ließen, sagte sie, daß sie nicht entscheiden könne, da sie sie nicht gesehen habe. Wenn sie am Hofe Ägyptens erscheinen würden, wäre sie jedoch bereit, sie zu berücksichtigen. So blieb schließlich nur ein Bewerber übrig: der
Mann, den, wie sie wußte, der Pharao und seine Be rater als ihren Gemahl wünschten. Es war dies Ama thel, der Prinz von Kesh, dessen Vater, ein alter Kö nig, in Napata regierte, einer großen Stadt weit im Süden, in einem Land, das man eine Insel nannte, weil es von den beiden Armen des Nils umschlossen wurde. Man sagte, daß dieses Land nach Ägypten das reichste der Welt sei, denn es gab dort so viel Gold, daß die Menschen es für weniger wertvoll hielten als Kupfer und Eisen; auch gab es dort Minen, in denen herrliche Edelsteine gefunden wurden, und der Boden trug reiche Früchte. Außerdem hatte in einer lange zurückliegenden Zeit eine Dynastie von Pharaonen, die dieser Stadt Napata entstammte, auf dem Thron Ägyptens geses sen, bis sich eines Tages die Menschen Ägyptens, unter Führung der Priester, erhoben und sie gestürzt hatten, da sie Ausländer waren und nubische Sitten im Land eingeführt hatten. Deshalb war durch ein unumstößliches Dekret bestimmt worden, daß keiner ihrer Rasse jemals wieder die Doppelkrone tragen sollte. Von den Nachkommen dieser Pharaonen war Rames, Tuas Spielgefährte, der letzte Sproß. Doch obwohl die Ägypter sie gestürzt hatten, trau erten sie in ihrem Herzen noch immer dem Reichtum des Landes nach, das ihnen verlorengegangen war, denn als jene Pharaonen fielen, erklärte Kesh seine Unabhängigkeit und stellte eine andere Dynastie auf, die über das Land herrschen sollte, und von dieser Dynastie war Amathel, Prinz von Kesh, der Erbe. Deshalb hofften der Pharao und seine Berater, daß dieses reiche Land durch eine Heirat zwischen Amathel und der jungen Königin Neter-Tua an
Ägypten zurückfallen würde. Seit ihrer Geburt hatten die großen Herren des Landes und die Berater, ja, selbst der Pharao, der keinen Sohn hatte, welcher sie nach Brauch des Landes heiraten konnte, auf dieses Ziel hingearbeitet. Durch ein Geheimabkommen wurde arrangiert, daß Amathel bei den Krönungsze remonien der Königin anwesend war und ihm deren Hand unter der einzigen Bedingung zugesagt wurde, daß er mit ihr in Theben residieren würde. Natürlich wußte man auch von den anderen Bewerbern, doch waren diese nicht mehr als Figuren in einem Spiel, das zur Unterhaltung des Volkes gespielt wurde. Der Prinz, der dazu ausersehen war, die große Kö nigin heimzuführen, war Amathel, und kein anderer. Tua wußte davon, denn Asti hatte es ihr verraten, und allein aus Furcht vor diesem Mann und aus ihrer Liebe zu Rames hatte sie gewagt, das Sakrileg zu be gehen, Amon aus dem Himmel zu rufen. Doch bis jetzt hatte der Pharao noch nicht mit ihr über Ama thel gesprochen, noch hatte sie ihn kennengelernt. Es war gesagt worden, daß er in Verkleidung bei ihrer Krönung anwesend gewesen wäre, denn dieser stolze Prinz hatte verlauten lassen, daß er keine zu seiner königlichen Gemahlin machen würde, und sei sie zehnmal die Königin Ägyptens, wenn sie ihm nicht gefiele, und daß er sie deshalb erst sehen müsse, be vor er um sie würbe. Nun, da er sie in all ihrer Schönheit und Pracht er blickt hatte, verkündete er, daß er mit ihrem Ausse hen zufrieden sei, was natürlich eine starke Unter treibung war, da sie in Wahrheit sein südliches Blut in Brand gesetzt hatte und er nichts mehr ersehnte, als sie seine Frau nennen zu können.
An dem Abend, der dazu bestimmt war, daß Amathel die ihm zugedachte Braut treffen sollte, wurde ein Bankett vorbereitet, das alle vorhergegan genen bei weitem übertraf. Tua, die Unkenntnis vor gab, fragte ihren Vater, den Pharao, als sie mit ihm in die große, dachlose Halle trat, die von Hunderten von Fackeln erhellt wurde und in der zahllose Festtafeln standen, wer der Ehrengast sei, welcher mit einem solchen Gepränge empfangen werden sollte, das eher einem Gott als einem Menschen zukäme. »Meine Tochter«, antwortete der alte Pharao ner vös, »es ist kein geringerer als der Prinz von Kesh, welcher in seinem Lande als göttlich verehrt wird, so wie wir hier in Ägypten als göttlich angesehen wer den, und der einer der größten aller Könige ist oder es zumindest sein wird.« »Kesh!« rief sie. »Ich dachte, daß wir Souveränität über dieses Land beanspruchen.« »Einst war es unser, Tochter«, sagte ihr Vater seuf zend, »oder, genauer gesagt, die Könige von Kesh waren auch Könige Ägyptens, doch wurde ihre Dy nastie gestürzt, bevor mein Ur-Ur-Großvater auf den Thron berufen wurde, und jetzt sind nur noch drei ih res Blutes vorhanden: Mermes, der Kommandeur der Legion Amons, Asti, die Seherin und Priesterin, und der junge Rames, ein Kommandeur in unseren Heer scharen, welcher dein Spielgefährte war und der dich einst, wie dir vielleicht noch erinnerlich sein mag, vor dem Heiligen Krokodil errettete.« »Ja, ich erinnere mich daran«, sagte Tua. »Aber warum ist dann nicht Mermes König von Kesh?« »Weil das Volk der Stadt Napata ein anderes Haus zu seinem König erhob, von dem Amathel der Erbe ist.«
»Ein usurpierender Erbe sicherlich, mein Vater, falls das Blut irgendeine Bedeutung hat.« »Sage das nicht«, antwortete der Pharao scharf, »denn dann würde Mermes auch der Pharao dieses Landes sein.« Tua antwortete nicht, und erst als sie ihre Plätze auf den goldenen Stühlen am Kopfende der Halle einnahmen, fragte sie wie unbeteiligt: »Ist dieser Prinz von Kesh ebenfalls ein Bewerber um meine Hand, o Pharao?« »Was sonst sollte er sein, meine Tochter? Hast du das nicht gewußt? Sei liebenswürdig zu ihm, da be schlossen worden ist, daß er dein Gemahl sein soll. Still! Antworte mir nicht, denn dort kommt er!« Während er so sprach, klang eine wilde Musik auf, und am anderen Ende der riesigen Halle tauchte eine Gruppe von Musikern auf, die grellfarbig gekleidet waren und aus Stoßzähnen von Elefanten gefertigte Hörner bliesen, Messingbecken aneinanderschlugen und auf vergoldete Trommeln einhieben. Diese traten ein Stück in die Halle herein und blieben weiterspie lend dort stehen, während eine Leibwache aus zwan zig riesigen nubischen Kriegern hereinmarschierte, die Speere mit breiten Klingen und Schilde aus Flußpferdhaut trugen und in Tuniken und Kappen aus Leopardenfell gekleidet waren. Dann folgte der Prinz von Kesh selbst, ein klein wüchsiger, dicklicher, breitschulteriger junger Mann mit einem grobgeschnittenen Gesicht und großen, rollenden Augen. Er war in festliche Roben gekleidet und mit schweren Goldketten behängt, deren Schlie ßen mit glitzernden Steinen besetzt waren, während von seinem krausen, schwarzen Haar ein großer
Busch aus Straußenfedern wippte. Fächerträger gin gen links und rechts von ihm, und die Schleppe sei nes langen Umhangs wurde von zwei schwarzen, ab stoßend häßlichen Zwergen getragen, ausgewachse nen Männern, die jedoch nicht größer als achtjährige Kinder waren. Mit einem einzigen abschätzenden Blick, während er noch ein gutes Stück von ihr entfernt war, musterte Tua diesen Mann von Kopf bis Fuß – und haßte ihn, wie sie noch nie zuvor einen Mann gehaßt hatte. Dann hob sie den Kopf und blickte über ihn hinweg, was ihr von dem erhöhten Podium aus möglich war, und sah, daß hinter ihm eine zweite Leibwache aus ausgewählten ägyptischen Kriegern folgte, und daß ihr Kommandeur, bescheiden in seinen Schuppen panzer aus Bronze gekleidet, an seiner Linken das Schwert mit dem goldenen Griff, das der Pharao ihm einst geschenkt hatte, kein anderer als Rames war, ihr Spielgefährte und Nährbruder, der Mann, den ihr Herz liebte. Beim Anblick seiner hochgewachsenen, edlen Gestalt und seines gutgeschnittenen Gesichts, das sich über die grobschlächtige, dicke Figur des äthiopischen Prinzen erhob, lief Tuas Gesicht rot an, doch der Pharao, der dieses bemerkte, dachte nur, wie auch andere, daß dies seinen Grund darin habe, zum ersten Male den Mann zu sehen, welcher ihr Gemahl sein sollte. Warum, fragte Tua sich, war Rames dazu erwählt worden, den Prinzen Amathel zu beschützen? Und sofort bildete sich die Antwort in ihrem Kopf. Zwei fellos war das geschehen, um den Stolz Amathels zu befriedigen, nicht durch den Pharao, der von solchen Dingen nichts wußte, sondern von irgendeinem be
stochenen Berater oder einem Bediensteten des Hau ses. Rames war von älterem Geblüt als Amathel und sollte rechtmäßig der König von Kesh sein, wie auch der Pharao Ägyptens; deshalb war er zu dieser Auf gabe erniedrigt worden, ein Diener Amathels zu sein. Außerdem vermutete man, daß die junge Königin diesen Rames gern hatte, mit dem sie aufgewachsen war und der, wie sie, gut aussah. Deshalb war er, um ihn in ihren Augen zu erniedrigen, dazu befohlen worden, im Gefolge Amathels zu schreiten und für den Schutz seiner geheiligten Person zu sorgen. Tua begriff dies alles sofort und legte vor ihrem Vater, Amon, einen Schwur ab, daß früher oder spä ter jene, die diese Beleidigung geplant hatten, dafür bezahlen sollten, und sie vergaß diesen Schwur auch nicht in späteren Tagen. Inzwischen war der Prinz auf das Podium gestie gen und verbeugte sich tief vor dem Pharao und vor ihr, und sie mußten sich erheben und sich vor ihm verneigen. Dann hieß der Pharao ihn mit ein paar kurzen, wohlgesetzten Worten in Ägypten willkom men, sprach ihn mit all seinen Titeln an und erwähnte mit Nachdruck die alten Bande, die ihre beiden Kö nigtümer vereinigt hatten, und welche, wie er hoffte, in Bälde wiederhergestellt werden mochten. Er schwieg und blickte Tua an, welche, als Königin, ebenfalls eine Rede halten mußte, die ihr in schriftli cher Form vorgegeben worden war. Obwohl sie ihren Inhalt im Gedächtnis hatte und die Papyrusrolle ne ben ihr lag, las sie doch nicht ein Wort davon ab, sondern wandte sich um und befahl einer ihrer Hof damen, ihr einen Fächer zu reichen. Nach einer Pause, die recht lang erschien, gab nun
Amathel seine Antwortrede, die er offensichtlich auswendig gelernt hatte, denn er sprach von ›liebe vollen Worten von den Lippen der göttlichen Köni gin, die sein Herz zum Erblühen brächte wie die Wü ste nach dem Regen‹, obwohl sie überhaupt nichts gesagt hatte. Daraufhin sah Tua, die über den Rand ihres Fächers hinwegblickte, Rames grimmig lächeln, und einige der hochgestellten Gäste des Festes, die nicht länger an sich halten konnten, in lautes Lachen ausbrechen und dann ihre Köpfe senken, um ihre Belustigung zu verbergen. Der Prinz runzelte verärgert die Stirn und befahl, daß die Gaben gebracht werden sollten. Nun traten Sklaven herein, die Kelche aus getriebenem Gold brachten, Elefanten und andere Tiere, in Gold nach gebildet, und goldene Vasen, die mit Weihrauch ge füllt waren, und die er dem Pharao im Namen seines Vaters, dem König von Kesh, und in seinem eigenen Namen überreichte, wobei er protzend sagte, daß diese Dinge in seinem Lande im Überfluß vorhanden seien und er viel mehr davon mitgebracht haben würde, wenn es nicht um das Gewicht gegangen wä re. Als der Pharao ihm gedankt und ihm geantwortet hatte, daß Ägypten auch nicht gerade arm sei, was er morgen, wie er hoffe, feststellen würde, ließ der Prinz, seine persönlichen Geschenke an die Königin präsentieren, darunter unermeßlich kostbare Brust schilde und Halsketten, die mit Amethysten und Sa phiren besetzt waren. Außerdem, weil bekannt war, daß sie die beste Musikerin und die beste Sängerin des Landes war – denn dieses waren die größten der Gaben, welche Tua von Amon erhalten hatte – gab er
ihr eine wunderbar gearbeitete, aus Elfenbein ge formte Harfe mit goldenen Saiten, deren Klangkörper die Form eines Frauenkörpers aufwies, und dazu zwei schmuckbehängte Sklavinnen, von denen gesagt wurde, daß sie die besten Sängerinnen jenes südli chen Landes seien. Nun flüsterte der Pharao Tua zu, eine der Halsket ten umzulegen, doch sie weigerte sich, das zu tun, indem sie vorgab, daß die Farbe der Steine nicht zu ihrer weißen Robe paßte, und zu der blauen Lotus blume, die sie trug. Also dankte sie Amathel kühl, doch höflich für seine Gaben und befahl, ohne sie an zusehen, der königlichen Amme Asti, welche hinter ihr stand, sie fortzutragen und in einiger Entfernung niederzulegen, da die Duftwässer, die über sie gegos sen worden waren, sie störten. Nur die Elfenbeinhar fe, fügte sie hinzu, als ob es ihr erst jetzt einfiele, sollte sie liegen lassen. So begann das Bankett unter keinem guten Vorzei chen. Amathel trank in dessen Verlauf zu viel von dem süßen Wein aus Asi oder Zypern und befahl Rames, welcher hinter ihm stand, immer wieder, sei nen Becher zu füllen, obwohl Tua nicht sagen konnte, ob er dies tat, weil Rames ihm am nächsten stand, oder um ihn zu dem Rang eines Dieners zu erniedri gen. Da Rames jedoch keine andere Wahl blieb, ge horchte er, obwohl das Füllen von Bechern keine Aufgabe war, die einem Edlen von Ägypten und ei nem Kommandeur der Leibwache des Pharao zukam. Als die Hofdamen, in Netzroben gekleidet, welche von goldenen Spangen gehalten wurden, die Reste des Banketts abgetragen hatten, traten Zauberer auf, die wunderbare Beispiele ihrer Kunst gaben, unter
anderem das Erscheinen der Königin Neter-Tua, in ihre königlichen Roben gekleidet und mit einem Stern an ihrer Stirn, aus einer Vase. Dann wollten sie dasselbe mit Prinz Amathel tun, doch Asti, die mehr magische Kräfte besaß als sie alle zusammen und die alles, hinter Tuas Thron stehend, verfolgte, streckte ihre Macht aus und legte einen Bann auf sie. Siehe! Anstelle des Prinzen, welchen die Zauberer, laut seinen Namen rufend, herbeibeschworen, tauchte ein Affe aus der Vase auf, ein Affe mit einem Busch aus Straußenfedern auf dem Kopf, der jedoch eine unverkennbare Ähnlichkeit mit ihm hatte, und dieser schwarze, häßliche Affe stand eine Weile so, schien wirres Zeug zu reden, und sank, dann wieder in die Vase zurück. Nun lachten einige der Zuschauer, und andere blieben stumm, doch der Pharao, der nicht wußte, ob dies ein Komplott war oder ein böses Omen, das von den Göttern geschickt worden war, runzelte die Stirn und blickte seine Gäste verdrossen an. Es geschah je doch, daß der Prinz, von dem vielen Wein angefeuert, die Schönheit Tuas so konzentriert anstarrte, daß er nichts von diesem Schauspiel bemerkt hatte, und die Königin blickte durch das offene Dach zu den Sternen empor und schien nichts davon zu sehen. Was die Zauberer betraf, so flohen sie jedoch aus der Halle, da sie um ihr Leben fürchteten und sich fragten, was für ein mächtiger Geist in die Vase eingetreten sein mochte, der den von ihnen so sorgsam vorbereiteten Trick verdorben hatte. Als sie aus der Halle stoben, nahmen rasch Sänge rinnen und Tänzerinnen ihre Plätze ein, bis Tua, des
Starrens von Amathel überdrüssig, ihnen abwinkte und sagte, daß sie die beiden nubischen Sklavinnen zu hören wünsche, deren Stimmen angeblich so wunderbar seien. Also wurden sie vor Tua gebracht, mit ihren Harfen, und nachdem sie sich vor ihr auf den Boden geworfen hatten, begannen sie zu singen und zu spielen, nubische Lieder, melancholisch und wild, deren Bedeutung nur wenige verstanden. So wunderbar sangen sie, daß Neter-Tua sagte: »Ihr habt mir eine große Freude bereitet, und zum Dank dafür sollt ihr eine königliche Gabe erhalten. Ich schenke euch eure Freiheit, und von nun an sollt ihr an diesem Hofe singen, wenn ihr hier bleiben wollt, und nicht als botmäßige Sklaven.« Die beiden Frauen warfen sich wieder vor Tua zu Boden und segneten sie, denn sie wußten, daß sie durch ihre Gabe zu Reichtum gelangen konnten, und die reichen Höflinge, die den Wink der Königin ver standen, warfen ihnen Ringe und Schmuckstücke zu, so daß sie innerhalb einer Minute mehr Gold besaßen, als sie es sich je zu erträumen gewagt hatten, die sie doch nur verschleppte Sklavinnen waren. Doch Prinz Amathel wurde wütend und rief: »Vielleicht hätte jemand diese unbezahlbare Gabe der besten Sängerinnen der Welt gerne behalten.« »Meinst du wirklich, daß diese mit süßen Stimmen begabten Frauen die besten Sängerinnen der Welt sind, o Prinz?« sagte Tua und sprach ihn zum ersten Male an. »Wenn es dir gefallen sollte zuzuhören, for derst du mich heraus, dir eine Kostprobe meiner ei genen, kleinen Begabung zu geben, damit ich erfahre, um wieviel schlechter ich bin als die besten Sängerin nen der Welt.«
Sie nahm die elfenbeinerne Harfe auf, strich mit ih ren Fingern über deren Saiten, probierte ihre Stim mung und korrigierte sie mit den Achat-Wirbeln; da bei blickte sie ständig Amathel an, mit einem heraus fordernden Blick in ihren herrlichen Augen. »Nein, nein, meine Tochter«, sagte der Pharao, »es schickt sich nicht, daß die Königin Ägyptens vor die ser illustren Gesellschaft singt.« »Warum nicht, mein Vater?« fragte sie. »Heute er weisen wir doch dem Erben des Königs von Kesh die Ehre. Der Pharao empfängt ihn, die Tochter des Pha rao empfängt seine Gaben, und er wird von den Größten des Landes umgeben.« Sie machte eine Pau se und fuhr dann sehr langsam fort: »Einer, der älte ren Blutes ist als jener, dient ihm als Mundschenk, ei ner, dessen Rasse den Thron errichtete, auf welchem sein Vater sitzt«, und sie deutete auf Rames, der hin ter dem Prinzen stand, um seinen Kelch aus einer mit Wein gefüllten Vase nachzufüllen. »Warum also sollte nicht auch Ägyptens Königin versuchen, unse ren königlichen Gast zu erfreuen, so gut sie es kann – da sie keine andere Gabe für ihn hat?« Totenstille folgte diesen Worten, deren Bedeutung niemand mißdeuten konnte, und während die Stille anhielt, erhob sich Neter-Tua, Morgenstern Amons, von ihrem Thron. Sie drückte die Elfenbeinharfe ge gen ihre junge Brust, beugte sich über sie, ihr Haupt mit der Krone Oberägyptens gekrönt, auf welcher der goldene Uräus glänzte, eine zum Zustoßen bereite Schlange, und fuhr mit ihrer Hand über die wohlge stimmten Saiten. Eine solche Magie lag in dieser Berührung, daß so fort alles andere vergessen war, und selbst der Pharao
lehnte sich in seinem Thron zurück, um ihr zu lau schen. Leise schlug sie den ersten Akkord an, die fol genden lauter und immer lauter, bis die Klänge der Harfe die ganze säulengetragene Halle erfüllten. Dann, endlich, erhob sie ihre himmlische Stimme und begann ein Lied zu singen, das so süß und so wild war, daß es bis zu den lauschenden Sternen hinauf zuklingen schien. Es war ein trauriges, altes Liebeslied, das sie sang, welches davon berichtete, wie eine Priesterin Hathors von hoher Geburt einen einfachen Schreiber liebte und von diesem geliebt wurde, welchen sie nicht hei raten durfte. Es berichtete, wie dieser Schreiber, von seiner Leidenschaft überwältigt, eines Nachts in den Schrein ihres Tempels schlich, in der Hoffnung, sie dort zu finden, und für sein Sakrileg von der Göttin getötet wurde. Es erzählte, wie die schöne Priesterin, die allein in den Schrein trat, wo sie die Göttin bitten wollte, ihr die Kraft zu verleihen, ihrer Liebe entsa gen zu können, dort über die Leiche ihres Geliebten stolperte und aus Gram über seinen Tod starb. Es er zählte, wie Hathor, die Göttin der Liebe, durch diesen Anblick gerührt wurde und ihnen wieder Leben ein atmete und sie, da sie auf Erden nicht bleiben konn ten, in die Unterwelt blies, wo sie erwachten, einan der in die Arme fielen und auf ewig dort lebten, tri umphierend und glücklich. Alle hatten diese uralte Geschichte bereits mehr mals gehört, doch noch niemals so göttlich gesungen. Als Tuas reine und liebliche Stimme sie umschmei chelte, schienen die Zuhörer diesen Liebenden, der alles wagte, leibhaftig vor sich zu sehen, wie er sich in den geheiligten Schrein des Tempels schlich. Sie sa
hen Hathor erscheinen und ihn in ihrem Zorn töten. Sie sahen die schöne Prinzessin mit ihrer Lampe und hörten, wie sie, auf dem Leichnam ihres Liebsten lie gend, ihr Leben aufgab; sie sahen auch, wie die bei den Toten von Geistern über die Grenzen des Lebens hinweg in eine andere Welt getragen wurden. Dann kam jener letzte Ausbruch anrührender und göttlicher Musik, und die reichen, leidenschaftlichen Klänge schienen vor ihren Augen die Pforten des Himmels aufzustoßen. Dort, in der Bläue des Him mels, sahen sie das Erwachen der Liebenden und ihre glückselige Umarmung, und als die Pracht des Him mels sie verbarg, hörten sie den Triumphgesang der Priesterin der Liebe, der langsam, allmählich ver klang, immer leiser wurde, bis schließlich seine letz ten, fernen Echos in der absoluten Stille jenes Ortes der Seelen erstarben. Tua ließ die Harfe sinken. Das Instrument vibrierte noch, als sie es auf die Tischplatte legte und sich dann auf ihrem Thronsessel zurücklehnte, erschöpft und zitternd; doch die blauen Augen in ihrem bleichen Gesicht glänzten wie Sterne. Absolute Stille lag über der Halle; die magische Stimme hielt die Menschen noch immer in ihrem Bann; keiner applaudierte, es schien, als ob sie sich nicht einmal zu bewegen wag ten, als einige von ihnen sich daran erinnerten, daß diese wunderbare, junge Königin eine Tochter Amons sein sollte, des Herrn der Welt, und glaubten, daß ih nen die Gnade gewährt worden war, nicht einer kö niglichen Jungfrau zu lauschen, sondern einer vom Himmel herabgestiegenen Göttin. Reglos und still saßen sie, wie vom Schlaf überfal len, doch die Augen aller Männer unter ihnen starr
ten auf das bleiche Gesicht und die strahlenden Au gen Tuas. Trunken von Leidenschaft und von Wein stützte Amathel, Prinz von Kesh, seinen schweren Kopf in die Hand und starrte sie an, wie alle anderen. Doch ihre Augen sahen nicht ihn an. Wäre er ein Stein gewesen, so hätte sie ihn nicht weniger beachten können; ihr Blick ging über ihn hinweg und suchte etwas, das sich hinter ihm befand. Langsam wandte er den Kopf, um zu erfahren, was es war, das das Interesse des Morgensterns Amons so gefangennahm, und sah, daß der junge Komman deur, der ihn bediente, und von dem gesagt wurde, daß er einer Familie entstammte, die älter und reiner war als die seine, er, dessen Haus in dem Südlichen Lande geherrscht hatte, als seine Vorfahren nicht mehr als Goldhändler waren, die königliche Sängerin ebenfalls anblickte. Ja, er stand sogar leicht vorge beugt, wie in einem Bann befangen, in einem Bann von den Augen der Königin, und in seinem Gesicht stand jener Ausdruck, den selbst der trunkene Nubier nicht mißdeuten konnte. Rames hielt eine große, goldene Vase mit Wein in seinen Händen, und als Amathel seinen Stuhl wütend zurückstieß, schlug die Elfenbeinlehne gegen den Fuß dieser Vase und kippte sie um, so daß der rote Wein sich wie eine Kaskade über den Kopf des Prinzen und über seine prächtige Robe ergoß und ihn von dem Federbusch bis zu den Füßen durchnäßte und wie mit Blut färbte. Außer sich vor Zorn sprang der Prinz von Kesh auf. »Du Hund von einem Sklaven!« brüllte er. »Sau köpfiger Bruder von Schweinen! Ist das deine Art, meine königliche Hoheit zu bedienen?« Mit diesen
Worten schlug er Rames den Becher, den er in seiner Hand hielt, ins Gesicht und riß dann sein Schwert heraus, um ihn zu töten. Doch Rames trug ebenfalls ein Schwert an seiner Seite, jenes Schwert mit dem goldenen Griff in Form eines Krokodils, das der Pharao ihm vor langer Zeit geschenkt hatte – jenes Schwert, welches die sehe risch begabte Asti rot von königlichem Blut gesehen hatte. Mit einem leisen, wilden Schrei riß er es nun aus der Scheide, und um dem Schlag auszuweichen, den Amathel gegen ihn führte, bevor er sich decken konnte, sprang er rückwärts vom Podium herab und auf die offene Fläche, welche für die Tänzerinnen freigelassen worden war. Amathel sprang ihm nach, schrie »Feigling!« und im nächsten Moment hallten die Säulen der Halle nicht mehr von Tuas Gesang wider, sondern von dem harten Klirren von Bronze auf Bronze. Jetzt blickten die Menschen erschrocken und furchtsam zum Pharao empor und erwarteten, daß dieser eingriffe, doch der Pharao schien, von dem schrecklichen Anblick überwältigt, in Ohnmacht ge fallen zu sein; auf jeden Fall war er auf seinem Thron sessel zurückgesunken und lag dort mit geschlosse nen Augen, als ob er schliefe. Nun blickten sie die Königin an, doch Tua rührte sich nicht; mit leicht ge öffneten Lippen und wogender Brust sah sie dem Kampf zu, sah ihm zu und wartete auf seinen Aus gang. Was Rames betraf, so vergaß er alles andere und wußte nur noch, daß er, ein Krieger und ein Edler königlicher Abkunft, von einem schwarzen Nubier, der sich Prinz nannte, ins Gesicht geschlagen worden
war. Sein Blut kochte in seinen Adern, und wie durch einen roten Schleier sah er Tuas wunderbare Augen, die ihn zum Sieg anfeuerten. Er sah es und sprang auf Amathel los wie ein zuschlagender Löwe, die Spitze seines Schwertes auf dessen Kehle gerichtet. Der Schlag landete zu hoch, und nur eine Straußenfeder fiel zu Boden – nicht mehr, und Amathel war ein er fahrener Kämpfer, und er kämpfte mit der Kraft un bezähmbarer Wut. Außerdem war seine Waffe län ger; sie schlug klirrend auf den Schuppenpanzer Ra mes' und trieb ihn zurück, sie traf ihn wieder, diesmal auf die Schulter und ließ ihn in die Knie brechen. Sie traf ihn ein drittes Mal, glitt von seinem Panzer ab und verwundete ihn am Oberschenkel, so daß Blut floß. Jetzt schrie ein Krieger der Leibwache des Pha rao seinem Kommandeur Mut zu, und die Nubier schrien ihrem Prinzen zu, dem ägyptischen Schwein die Kehle aufzuschlitzen. Nun erst schien Rames richtig wach zu werden. Er sprang auf, und sein Hieb traf, obwohl der Panzer, welchen der Nubier unter seiner Robe trug, den Schlag auffing. Wieder schlug er zu, noch härter, und jetzt floß auch das Blut Amathels. Dann beugte er sich fast zu Boden, um dem Gegenschlag Amathels aus zuweichen, und sprang mit aller Kraft seiner für den Krieg trainierten jungen Glieder auf den Nubier los. Die Klinge stieß zu, und siehe, zwischen den breiten Schultern Amathels ragte plötzlich die Spitze des Schwertes heraus, das ihn durchbohrt hatte. Einen Augenblick stand der Prinz reglos, dann kippte er rückwärts zu Boden und war tot. Nun stürzten sich die Riesen der nubischen Leib wache auf Rames, um den Tod ihres Herrn zu rächen,
so daß er vor ihren Speeren rückwärts ausweichen mußte, bis in die Reihen der Krieger des Pharao. So fort fielen die Nubier auch sie an, und im nächsten Moment brach eine furchtbare Schlacht los, denn die se Männer haßten einander, wie ihre Väter es vor ih nen getan hatten, und keiner war da, der sich zwi schen sie werfen konnte, da bei diesem Bankett nie mand Waffen trug, außer den Leibwachen. Blutig war der Kampf, doch die Nubier hatten keinen Führer mehr, während Rames an der Spitze von erfahrenen Kämpfern stand, die wegen ihres Mutes und ihres Könnens ausgewählt worden waren. Die Riesen wurden zurückgeschlagen. Reihenweise fielen sie, bis schließlich nur noch drei von ihnen auf den Füßen waren, die ihre Waffen zu Boden warfen und um Gnade flehten. Jetzt erst begriff Rames, was er getan hatte. Mit gesenktem Kopf, sein vom Blut rotes Schwert in der Hand, stieg er auf das Podium, kniete sich vor den Thron des Pharao und sagte: »Ich habe meine Ehre und die Ehre Ägyptens gerächt. Töte mich, o Pharao!« Doch der Pharao antwortete nicht, da die Ohn macht ihn noch immer gefangen hielt. Nun wandte sich Rames Tua zu und sagte: »Der Pharao schläft, das Zepter ist in deiner Hand. Töte mich, o Königin!« Jetzt schien Tua, welche während der ganzen Zeit reglos gesessen hatte, wie eine, die zu Stein geworden war, wieder zum Leben zu erwachen. Ihre Gefahr war vorüber. Sie konnte nun nicht mehr gezwungen werden, diesen rohen, schwarzseeligen Nubier zu heiraten, denn Rames hatte ihn getötet. Dort unten lag er tot in all seiner prächtigen Gewandung, und
um ihn herum seine abstoßenden Riesen, wie gefällte Bäume, und oh, in ihrem rebellischen menschlichen Herzen segnete sie Rames für diese Tat. Doch wußte sie, die in der Staatsführung ausgebil det worden war, nur zu gut, daß er zwar dem Schwert Prinz Amathels entkommen, dafür jedoch in eine noch größere Gefahr geraten war, aus der es kein Entkommen zu geben schien. Dieser tote Prinz war der Erbe eines großen Königs gewesen, eines so gro ßen Königs, daß Ägypten ein Jahrhundert lang nicht gewagt hatte, Krieg gegen sein Land zu führen, denn es lag weit entfernt, war stark befestigt, und um zu ihm zu gelangen, mußte man Wüsten durchqueren und Stämme von Wilden niederkämpfen. Außerdem war dieser Mann bei einem Bankett am Hofe des Pha rao getötet worden, und sogar von einem Komman deur der Leibwache des Königs, welcher danach auch noch seine Eskorte vor den Augen des Pharao und der Königin getötet hatte, deren Hand zu gewinnen jener gekommen war. So eine Tat bedeutete bitteren Krieg für Ägypten, und für den, der diesen Schlag ge führt hatte – den Tod, wie Rames selbst sehr wohl wußte. Tua blickte ihn an, als er vor ihr kniete, und ihr Herz schmerzte ihr. Wild und verzweifelt überlegte sie, streckte ihre Seele weit hinaus, um Weisheit zu suchen, und einen Weg, um Rames zu retten. Kurz darauf entstand in der Schwärze ihrer Gedanken ein Plan, und wie es immer ihre Art war, reagierte sie so fort darauf. Sie hob den Kopf und befahl, daß alle Tü ren verschlossen und bewacht werden sollten, so daß niemand herein- oder hinausgelangen könne, und daß die Ärzte, welche sich unter den Geladenen be
fanden, nach den Verwundeten sehen sollten und nach dem Pharao, der ohne Besinnung sei. Dann rief sie den Hohen Rat des Reiches zusammen, der sich vollzählig unter den Gästen befand, und sprach mit kühler, ruhiger Stimme zu den Männern, die sich um sie drängten. »Es hat den Göttern gefallen«, sagte sie, »zur Er langung ihrer eigenen, uns unbekannten Ziele eine schreckliche Tat geschehen zu lassen. Der Gast Ägyptens und seine Leibwächter sind vor den Augen der Könige Ägyptens getötet worden, ja, auf ihrem Bankett und in ihrer Gegenwart, und es wird landauf, landab gesagt werden, daß dieses durch Verrat ge schehen sei. Doch wißt ihr genausogut wie ich, daß es kein Verrat war, sondern ein Unglück. Der göttliche Prinz, der tot ist, war trunken, wie es die Art seines Volkes ist, und hat in seiner Trunkenheit einen hoch geborenen Mann, einen Edlen Ägyptens und Kom mandeur der Leibwache des Pharao, welcher als be sondere Ehrung zu seiner persönlichen Bedienung bestimmt wurde, ins Gesicht geschlagen, ihn mit un flätigen Worten beleidigt und schließlich sein Schwert gegen ihn gezogen, um ihn zu töten. Habe ich recht? Habt ihr diese Dinge so gesehen und gehört?« »Ja«, antworteten die Räte, und auch die anderen Zuhörer. »Dann«, fuhr Tua fort, »hat dieser Diener des Pha rao, alles andere außer seiner verletzten Ehre verges send, gewagt, um sein Leben zu kämpfen, selbst ge gen den Prinzen von Kesh, und da er ein besserer Kämpfer ist, diesen getötet. Danach griffen die Diener des Prinzen von Kesh ihn und die Leibwache des Pharao an und wurden geschlagen, wobei die mei
sten von ihnen den Tod fanden, da keiner von euch bewaffnet war, um sie voneinander trennen zu kön nen. Habe ich die Wahrheit gesprochen?« »Ja, o Königin«, antworteten sie wieder. »Rames und der königlichen Leibwache ist kaum ein Vorwurf zu machen.« Und von den anderen kam zustimmen des Murmeln. »Nun ist«, fuhr Tua mit wachsendem Selbstver trauen fort, da sie spürte, daß alle die Dinge mit ihren Augen sahen, »der Pharao, mein Vater – um die Din ge noch schlimmer zu machen – von den Göttern niedergeschlagen worden. Er schläft; er kann nicht sprechen; ich weiß nicht, ob er leben oder sterben wird, und deshalb muß ich, als die gekrönte Königin Ägyptens, in seinem Namen handeln, wie es für ei nen solchen Fall festgelegt ist, da diese Angelegenheit sehr dringlich ist und nicht aufgeschoben werden darf. Ist es euer Wille«, fuhr sie an die Mitglieder des Rates gewandt fort, »daß ich so handeln soll, wie die Götter es mich weisen werden?« »Es ist richtig und gut so«, antwortete der Wesir des Königs für alle. »Dann, Priester, Räte und Gäste«, fuhr die Königin fort, »erhebt sich die Frage, welchen Kurs wir in die ser schlimmen Situation steuern sollen. Ich könnte, mit euer aller Stimmen sprechend, befehlen, daß der Edle Rames und all jene anderen ausgewählten Män ner, welche dem Pharao teuer sind und die an seiner Seite kämpften, sofort getötet werden. Und dieses«, fuhr sie langsam und mit leiser Stimme fort, »würde ich am liebsten tun, denn obwohl Rames eine uner trägliche Beleidigung erfahren hatte, wie sie kein hochgeborener Mann hinnehmen kann, selbst nicht
von einem Prinzen, und er und die anderen lediglich kämpften, um ihr Leben zu retten und den Nubiern zu zeigen, daß wir hier in Ägypten keine Feiglinge sind, haben sie doch den Erben von Kesh und seine schwarzen Riesen getötet, welche unsere Gäste waren und für diese Tat ihr Leben verwirkt.« Sie machte eine Pause und blickte in die Gesichter ihrer Zuhörer, und obwohl da und dort eine Stimme rief: »Ja«, oder: »Sie müssen sterben«, kam von allen anderen ablehnendes Murmeln. Denn in ihrem Her zen standen sie auf der Seite Rames' und der Leibwa che des Pharao. Außerdem waren sie stolz auf den Mut und das Können des jungen Kommandeurs und glücklich darüber, daß die Nubier, welche sie mit ei nem uralten Haß verfolgten, von geringeren Männern Ägyptens geschlagen worden waren, von denen eini ge ihre Freunde und Verwandten waren. Während sie nun untereinander argumentierten, erhob sich Tua von ihrem Thronsessel und trat zum Pharao, um den sich mehrere Ärzte kümmerten, seine Hände rieben und Wasser auf seine Stirn gossen. Dann kehrte sie zu ihrem Thron zurück und verkün dete mit Tränen in den Augen – denn sie liebte ihren Vater – und schwerer Stimme: »Der Pharao ist sehr krank. Der böse Set hat ihn niedergeworfen, und es ist möglich, daß er von uns genommen wird und wir wegen des schlechten Benehmens eines königlichen Fremden auch dieses Leid auf uns nehmen müssen, denn ich kann nicht vergessen, was es war, das dieses Unglück hervorgerufen hat.« Die Zuhörer stimmten ihr zu, daß dieses wirklich nicht vergessen werden könne, und blickten die drei überlebenden Nubier drohend an. Doch Tua, die sich
mit aller Kraft zusammenriß, fuhr fort: »Wir müssen die Schläge ertragen, die das Schicksal auf uns nie derprasseln läßt, und dürfen nicht dulden, daß unser persönlicher Kummer das Schwert der Gerechtigkeit stumpf werden läßt. Wie ich bereits sagte, sollten der Edle Rames und seine tapferen Kameraden, selbst wenn wir sie als unsere Brüder und unsere Ehemän ner lieben, einen Tod der Schmach erleiden, einen Tod, wie er der Blüte von Pharaos Leibwächtern kaum ansteht.« Wieder machte sie eine Pause und fuhr dann bei absoluter Stille fort – denn selbst die Ärzte hörten auf zu arbeiten, um ihr Dekret als oberster Richter Ägyptens zu hören. »Und doch, und doch, mein Volk, während ich schon bereit war, mein Urteil über sie zu fällen, die Verdammung auszusprechen, die nicht rückgängig gemacht werden kann, sandte irgendein Schutzgeist unseres Landes einen Gedanken in mein Herz, an dem es meiner Ansicht nach richtig ist, euren Urteils spruch auszurichten. Wenn wir diese Männer töten, so wie es mein Wunsch ist, wird man dann nicht in dem Südlichen Land und bei allen ihm benachbarten Völkern sagen, daß wir ihnen erst befohlen haben, den Prinzen von Kesh und seine Eskorte zu ermor den, und sie dann selbst hinrichten ließen, um unser Verbrechen zu bemänteln? Wird man nicht glauben, daß Blut an den Händen des Pharao und an den Händen Ägyptens klebt, das Blut eines königlichen Gastes, welcher, wie wohl bekannt ist, hier mit Liebe und Freude empfangen wurde, damit er mich – oh, verzeiht mir, ich bin nur eine Jungfrau, ich kann es nicht aussprechen. Nein, bemitleidet mich nicht und
antwortet mir nicht, bis ich den ganzen Fall so einge hend dargelegt habe, wie es mir möglich ist, was, wie ich fürchte, mir nicht gut gelingen mag. Es ist jedoch sicher, daß dieses gesagt werden wird, ja, und auch geglaubt werden wird, und daß wir alle – alle Ägyp ter – Verräter genannt werden, und daß diese Män ner, die doch, ohne Rücksicht darauf, wie schlimm ih re Tat sein mag, tapfer und ehrlich sind, in den Bü chern aller Länder als gewöhnliche Mörder verzeich net werden würden und mit dem Brandmal eines un ehrenhaften Namens zu Osiris hinabgehen müssen. Ja, und ihre Schande wird an den reinen Händen des Pharao und seiner Räte kleben.« Bei dieser Vorstellung erhob sich erregtes Gemur mel, und einige der vornehmen Frauen begannen zu weinen. »Wie aber wäre es«, fuhr Tua mit ihrem überre denden Tonfall fort, »wenn wir eine andere Richtung einschlagen würden? Wie wäre es, wenn wir dem Edlen Rames und seinen Gefährten befehlen würden, mit einer starken Eskorte, wie sie einem Gesandten des Pharao zukommt, zu der fernen Stadt Napata zu reisen und dem großen König jenes Landes durch Schriften und durch den Mund von Zeugen die trau rige Geschichte vom Tode seines einzigen Sohnes darzulegen? Wie wäre es, wenn wir Briefe an den König von Kesh schickten, in denen wir ihm sagen: ›Du hast unseren Bericht gehört und kennst nun all unser Leid. Also richte! Wenn du edlen Herzens bist und es dir gefällt, diese Männer freizusprechen, so spreche sie frei, und wir werden dich preisen. Wenn du jedoch zornig und streng sein solltest und es dir gefällt, diese Männer zu verdammen, so verdamme
sie und schicke sie uns zurück, damit wir an ihnen die Strafe vollstrecken, die du über sie verhängst.‹ Ist das gut, mein Volk? Kann der König von Kesh sich beschweren, wenn wir ihn zum Richter über sein ei genes Anliegen einsetzen? Können die Könige und Herrscher anderer Länder dann behaupten, daß wir in Ägypten unsere Gäste ermorden? Sagt mir, die ich so wenig Weisheit besitze, ob dieser Plan gut ist, der, wie ich zu sagen wage, mir gut erscheint?« Nun riefen alle Mitglieder des Rates und alle ande ren wie mit einer Stimme, und besonders die Leib wächter, deren Leben hier auf dem Spiel stand, alle außer Rames, der noch immer schweigend vor der Königin kniete, daß er sehr gut sei. Ja, sie klatschten sogar in die Hände und schrien, daß diese junge Kö nigin ihres Landes der zur Erde herabgestiegene Geist der Weisheit und mit der Seele eines Gottes er füllt sei. Doch sie runzelte ihre Stirn über solche Lobeshym nen, hob ihr Zepter und befahl energisch Ruhe. »Dieses also ist euer Dekret, o meine Berater«, rief sie, »und das Dekret aller hier Anwesenden, welche die Edelsten meines Volkes sind, und ich, die ich durch meinen Krönungseid daran gebunden bin, verkünde und ratifiziere es hiermit, ich, Neter-Tua, die ich Stern und Tochter Amons genannt werde, die ich die Pracht in Ra genannt werde, die ich Hathor stark an Schönheit genannt werde, die ich zur Köni gin von Ober- und Unterägypten gekrönt wurde. Ich verkünde – schreib es nieder, o Schreiber, und laß es noch in dieser Nacht registrieren, damit dieses Dekret gültig bleibt, solange die Welt besteht –, daß zweitau send Mann ausgewählter Truppen Ägyptens sofort
den Nil hinauf nach Kesh segeln sollen, und daß ihr Kommandeur, damit alle von seinem Verbrechen er fahren, der junge Edle Rames sein soll, und daß alle ihn begleiten werden, die mit ihm an dieser Bluttat beteiligt waren.« Nach dieser Verkündung, die mehr wie eine Beför derung klang, denn eine Bestrafung, fuhren einige der Menschen überrascht zusammen, und Rames blickte auf und zitterte am ganzen Körper. »Ich befehle«, fuhr Tua rasch fort, »daß sie, wenn sie nach Napata kommen werden, vor seinem König niederknien und sich seinem Urteil unterwerfen, und nach Verkündigung dieses Urteils zurückkehren und uns den Spruch seiner Majestät sagen sollen, damit er so vollstreckt werden möge, wie der König von Kesh es befiehlt. Laßt die Truppen und die Schiffe noch heute nacht bereitstellen, und dem Edlen Rames be fehlen, daß er, mit Ausnahme solcher Gelegenheiten, wo er dienstliche Befehle entgegenzunehmen hat, zum Zeichen unseres Zornes von unserem Hofe und unserer Gegenwart verbannt ist und seine Männer unter Arrest gestellt werden.« So sprach Tua, und nachdem das königliche Dekret sofort niedergeschrieben und laut verlesen worden war, siegelte sie es mit ihrem Petschaft als Königin, damit es nicht mehr verändert oder zurückgenom men werden konnte, und befahl, daß Kopien davon an alle Gouverneure der Provinzen Ägyptens ge schickt werden sollten, und ein Duplikat vorbereitet und der königlichen Gesandtschaft – denn als das be zeichnete sie sie – übergeben würde, welche sie zu sammen mit Kondolenzschreiben und den üblichen zeremoniellen Geschenken und der Leiche Amathels,
der jetzt in Osiris ruhte, dem König von Kesh über bringen sollte. Dann, endlich, wurden die Türen wieder geöffnet, und die Menschen verließen rasch die Halle; Rames und die Leibwachen wurden von Mitgliedern des Rates hinausgeführt und in Gewahrsam gebracht. Der Pharao, der noch immer bewußtlos war, jedoch ruhig atmete, wurde zu seinem Bett getragen, und die To ten zu den Balsamierern, während Tua, die so müde war, daß sie sich kaum auf den Beinen halten konnte, sich schwer auf die Schulter ihrer königlichen Amme Asti, der Mutter des Rames, stützte, während sie in ihre Gemächer ging.
6
Der Schwur Rames' und Tuas
Ohne sich auszukleiden warf Tua sich auf eine Couch, da sie nicht zu Bett gehen wollte, solange Asti bei ihr war. »Du hast heute seltsame Dinge getan, o Königin«, sagte Asti mit ihrer ruhigen Stimme. Tua wandte den Kopf und blickte sie an; dann antwortete sie: »Sehr seltsame Dinge, Amme. Weißt du, die Götter und dein beunruhigender Sohn und die plötzliche Krankheit des Pharao haben die Fäden des Schicksals in meine Hände gelegt und – ich habe sie gezogen. Mich hat es schon immer fasziniert, Fä den zu ziehen, doch hat sich bisher noch nie eine Ge legenheit dazu ergeben.« »Ich habe den Eindruck, daß du sie für eine Anfän gerin recht hart gezogen hast«, sagte Asti trocken. »Ja, Amme, so hart, daß ich glaube, deinen Sohn vom Schafott auf einen ehrenvollen Platz gezogen zu haben, wenn er das Geschick hat, sich auf ihm zu halten, obwohl der Rat und die anwesenden Herren und Damen annahmen, daß sie sie gezogen hätten. Man muß ihnen nur die Richtung angeben, die man selbst einschlagen will.« »Du bist sehr klug, o Königin; du wirst eines Tages ein großer Pharao sein – falls du dich nicht über nimmst.« »Nicht halb so klug, wie du es warst, Asti, als du vorhin den Affen aus der Vase kommen ließest«, antwortete Tua mit einem etwas hysterisch klingen
den Lachen. »Oh! Sieh mich nicht so unschuldig an, ich weiß, daß es deine Magie war, denn ich konnte sie spüren, als sie über meinen Kopf hinwegzog. Wie hast du das geschafft, Asti?« »Wenn du mir verrätst, wie es dir gelungen ist, die Obersten Ägyptens dazu zu bringen, ihre Einwilli gung dafür zu geben, eine bewaffnete Expedition nach Kesh zu entsenden, und noch dazu unter dem Kommando eines Mannes, der gerade seinen Thro nerben vor ihren Augen getötet hatte, welches De kret, so wie ich Rames kenne, Krieg zwischen Kesh und Ägypten zur Folge haben wird, werde ich dir auch verraten, wie ich jener Vase einen Affen entstei gen ließ.« »Dann werde ich es nie erfahren, Amme, denn ich kann es dir nicht sagen, weil ich es nicht weiß. Es kam mir unvermittelt in den Sinn, so wie Musik in meine Kehle kommt, das ist alles. Rames hätte auf der Stelle enthauptet werden müssen, weil er sich nicht von den Hauern dieses schwarzen Ebers durchbohren ließ, nicht wahr? Glaubst du, daß er Amathel den Wein absichtlich über den Kopf gegossen hat?« fragte sie und lachte wieder. »Ja, ich denke, daß er hätte sofort getötet werden sollen, was auch geschehen wäre, wenn du ihn nicht so lieben ...« »Um beim Wein zu bleiben«, unterbrach Tua rasch, »gib mir einen Becher davon. Der göttliche Prinz von Kesh, welcher mein Ehegemahl werden sollte – hast du eigentlich begriffen, daß man mich wirklich dazu bringen wollte, diesen schwarzen Barbaren zum Manne zu nehmen? –, ich wollte sagen, daß dieser göttliche Prinz, der jetzt am Tische Osiris' tafelt, so
viel trank, daß ich nicht einen Tropfen herunterbrin gen konnte und deshalb müde und durstig bin, und heute nacht noch immer einiges zu erledigen habe.« Asti trat zu einem Tisch, auf dem eine Karaffe mit Wein stand, daneben Becher aus Glas, von denen sie einen füllte und Tua brachte. »Ich trinke auf die Erinnerung des göttlichen Prin zen, und darauf, daß er die Tafel Osiris' verlassen ha ben möge, bevor ich dort erscheine. Und ich trinke auch auf die Hand, die ihn dorthin schickte«, setzte Tua mit rücksichtsloser Offenheit hinzu. Dann leerte sie den Becher bis auf den letzten Tropfen und warf ihn auf den Marmorboden, wo er in tausend Scher ben zersplitterte. »Welcher Gott ist in dich eingetreten, o Königin?« fragte Asti ruhig. »Einer, der weiß, was er will, denke ich«, antwor tete Tua. »So, jetzt fühle ich mich wieder kräftiger und werde den Pharao aufsuchen. Komm mit mir, Asti!« Als Tua die Schlafkammer des Pharao erreichte, stellte sie fest, daß das Schlimmste überstanden war. Da die Ärzte um sein Leben gefürchtet hatten, hatten sie ihn zur Ader gelassen, und nun war der Ohn machtsanfall vorüber und seine Augen waren offen, doch konnte er noch immer nicht sprechen und er kannte weder sie, noch irgendeinen anderen. Sie fragte die Ärzte, ob er am Leben bleiben oder sterben würde, und sie antworteten ihr, daß er leben würde, doch für eine lange Zeit absolute Ruhe brauche, so wenige Menschen wie nur möglich sehen und vor allem nicht mit Staatsgeschäften belastet werden dür fe, da er, wenn er ermüdet oder aufgeregt würde, ei
nen Rückfall erleiden könne, der ihn töten mochte. Glücklich über diese Nachricht, die besser war, als sie zu hoffen gewagt hatte, küßte Tua ihren Vater auf die Stirn und verließ ihn. »Wirst du jetzt zu Bett gehen, o Königin?« fragte Asti, als sie zu ihren Gemächern zurückkehrten. »Ich denke nicht daran«, antwortete Tua. »Ich trage jetzt die Schuhe des Pharao und habe heute noch viel zu tun. Ruf Mermes, deinen Gemahl!« Mermes kam und trat vor sie. Er war noch immer so, wie er in alter Zeit gewesen war, als Tua als Kind in seinem Hause gespielt hatte, ein ernster, edel aus sehender und wortkarger Mann, doch war sein Haar inzwischen weiß geworden, und sein Gesicht zeigte Spuren tiefen Grams, sowohl um seines Sohnes wil len, dessen heißes Blut diesen in eine so große Gefahr gebracht hatte, als auch deshalb, weil der Pharao, der sein Freund war, auf Leben und Tod darnieder lag. Tua blickte ihn an und liebte ihn noch mehr als je zuvor, denn jetzt, da sein Gesicht von Leid geprägt war, zeigte es eine neue Ähnlichkeit mit dem Rames', die sie zuvor nie auf ihm gesehen hatte. »Fasse Mut, edler Mermes!« sagte sie sanft. »Man sagt, daß der Pharao noch eine Weile bei uns bleiben wird.« »Dafür danke ich Amon«, antwortete er, »denn wenn er gestorben wäre, würde sein Blut auf das Haupt meines Hauses gekommen sein.« »Nein, Mermes, das Blut wäre an den Händen der Götter gewesen. Du entstammst einer königlichen Li nie; was würdest du gesagt haben, wenn dein Sohn, nachdem er von diesem fetten Nubier ins Gesicht ge schlagen worden war, ihm zu Füßen gekrochen wäre
und wie ein Sklave um sein Leben gebettelt hätte?« Mermes errötete ein wenig, dann lächelte er und sagte: »Die Frage ist doch vielmehr, was du gesagt haben würdest, o Königin?« »Ich?« antwortete Tua. »Nun, als Königin hätte ich ihn belobigt, weil dadurch Ägypten große Schwierig keiten erspart geblieben wären, als Frau und Freund aber hätte ich nie wieder ein Wort mit ihm gespro chen. Die Ehre ist mehr als das Leben, Mermes.« »Selbstverständlich ist die Ehre mehr als das Le ben«, antwortete Mermes und blickte angestrengt zur Decke empor, vielleicht um den Ausdruck seines Ge sichts zu verbergen, »und für eine Weile scheint Ra mes diesen Pfad entlangzuschreiten. Doch solche, die hoch erhoben werden, haben tief zu fallen, o Königin, und – vergib mir! – er ist mein einziges Kind. Wenn nun der Pharao ganz wiederhergestellt ist ...« »Wird Rames weit fort sein«, unterbrach ihn Tua. »Geh und schick ihn sofort zu mir, und mit ihm den Wesir und den Obersten Schreiber des Rates. Nimm diesen Ring, er wird dir alle Türen öffnen!« Damit zog sie ihren Siegelring vom Finger und reichte ihn Mermes. »Um diese Stunde, Königin?« fragte Mermes zwei felnd. »Habe ich es nicht gesagt?« antwortete sie unge duldig. »Wenn es um das Wohl Ägyptens geht, schla fe ich nicht.« Mermes verneigte sich und ging hinaus, und Tua ließ sich von Asti das Haar bürsten, und in eine ande re Robe helfen, die ihr, obwohl sie es nicht sagte, bes ser stand, und anderen Schmuck anlegen. Dann setzte sie sich in ihrem Empfangszimmer auf einen Sessel
und wartete, während Asti neben ihr stand und keine Fragen stellte, obwohl sie sich in ihrem Herzen vieles fragte. Schließlich wurde die Tür aufgestoßen, und herein trat Mermes mit dem Wesir, und dem Obersten Schreiber, die sich beide bemühten, ihre Schläfrigkeit abzuschütteln, denn man hatte sie aus dem Bett ge holt und sie waren es nicht gewohnt, zu dieser Stun de arbeiten zu müssen. Hinter ihnen humpelte Rames herein, da seine Wunde inzwischen verkrustet war; er wirkte ein wenig verwirrt, war aber sonst genauso wie zu dem Zeitpunkt, da er das Bankett verlassen hatte. Ohne die üblichen Zeremonien und Begrüßungen abzuwarten, begann Tua den Wesir zu fragen, welche Maßnahmen zur Erfüllung ihrer Dekrete getroffen worden wären, und als der ihr versicherte, daß die notwendigen Anordnungen erlassen worden seien, ging sie alles bis ins letzte Detail mit ihm durch, von den Schiffen und Mannschaften bis zur Verprovian tierung der Männer. Dann begann sie, Befehle und Nachrichten an die Kommandeure der Festungen am oberen Nil zu diktieren, in denen sie diese von den königlichen Dekreten in Kenntnis setzte, und von dem Auftrag Rames', durch den er, dessen Hand das Unglück verschuldet hatte, an die Spitze einer großen Gesandtschaft gestellt wurde, die nach Kesh zog, um Sühne zu leisten. Nachdem das getan war, schickte sie den Schreiber fort, der den Rest der Nacht damit zubrachte, sie in zweifacher Ausfertigung niederzuschreiben, um sie ihr am nächsten Morgen zum Siegeln vorzulegen. Dann wandte sie sich Rames zu, dem sie befahl, am
kommenden Morgen mit solchen Soldaten, die ab marschbereit waren, nach Takensit aufzubrechen, das oberhalb des ersten Nil-Katarakts lag und die Grenz festung Ägyptens war, um dort zu warten, bis der Rest der Truppen zu ihnen stieße, welche die Ge schenke für den König von Kesh mitbringen würden, und auch die einbalsamierte Leiche des Prinzen Amathel. Rames verneigte sich und sagte, daß er diesem Be fehl gehorchen würde, und da die Audienz damit be endet war, ging er, gestützt von Mermes, sich noch immer verneigend, rückwärts zur Tür, seinen Blick auf das Gesicht Tuas gerichtet, die mit gesenktem Kopf in ihrem Sessel saß, die Hände um seine Lehnen gekrampft, als ob sie von schweren Zweifeln gepackt wäre. Als er einige Schritte entfernt war, schien sie jedoch zu einem Entschluß zu kommen, denn sie er hob sich mit sichtlicher Anstrengung, blickte Rames an und sagte: »Komme zurück, ich will dir noch eine Botschaft für den König von Kesh geben, diesen un glücklichen Mann, der seinen Sohn und Erben verlo ren hat, und es ist eine, die keine anderen Ohren hö ren dürfen. Laßt mich eine Weile mit diesem Kom mandeur allein, Mermes und Asti, und sorgt dafür, daß niemand unser Gespräch belauscht. Ich werde euch bald wieder rufen, um ihn zurückzubringen.« Die beiden zögerten, da sie dieses sehr seltsam fan den, doch als sie den Blick bemerkten, mit dem Tua sie ansah, verschwanden sie durch die Tür hinter ih rem Thronsessel. Jetzt waren Rames und die Königin allein in jenem großen, hellen Raum. Mit gesenktem Kopf und vor der Brust verschränkten Armen stand er vor ihr, und
sie blickte ihn aufmerksam an, schien jedoch keine Worte zu finden. Erst nach einer ganzen Weile sagte sie mit sanfter, leiser Stimme: »Es ist viele Jahre her, seit wir zusam men auf den Höfen jenes Tempels dort drüben spiel ten, und seitdem sind wir nie mehr allein zusammen gewesen, nicht wahr, Rames?« »Nein, Tua«, antwortete Rames, »denn du warst dafür geboren, Königin zu sein, und ich bin nur ein einfacher Krieger, der nicht hoffen darf, der Gefährte von Königinnen zu sein.« »Wer darf nicht hoffen! Würdest du es dir also wünschen, wenn du es könntest?« »O Königin«, antwortete Rames und biß sich auf die Lippe. »Warum gefällt es dir, mich zu verhöh nen?« »Das wünsche ich am allerwenigsten, denn bei meinem Vater Amon, Rames, ich wünschte, daß wir wieder Kinder wären, denn das waren glückliche Ta ge, bevor man uns voneinander trennte und dich den Beruf des Kriegers erlernen ließ, und mich die Kunst der Staatsführung.« »Du hast deine Kunst sehr gut gelernt, Stern des Morgens«, sagte Rames und warf ihr einen raschen Blick zu. »Nicht besser als du die deine, Spielgefährte Ra mes, wie ich an deinem heutigen Schwertkampf er kennen konnte. Also scheint es, daß wir beide auf dem Wege sind, Meister unseres Faches zu werden.« »Was soll ich dir darauf antworten, o Königin? Du hast mein Leben gerettet, als ich es verwirkt hatte.« »So wie du einst das meine gerettet hast, als es verwirkt schien, und mit einem größeren Risiko. Blick
auf deine rechte Hand, sie wird dich immer daran erinnern. Und, mein Freund Rames, an dem heutigen Abend war ich nahe daran, von einem schlimmeren Krokodil gefressen zu werden, als von dem, welches in jenem Bassin lebt.« »Daran hatte ich gedacht, o Königin, und allein dieser Gedanke hat mich zum Wahnsinn getrieben. Wenn es nicht darum gewesen wäre, hätte ich ihn le diglich zu Boden gestreckt. Jetzt wird dieses Krokodil keine Jungfrauen mehr fressen.« »Nein«, antwortete Tua nachdenklich, »das Kroko dil ist fortgegangen, um von Set gefressen zu werden, dem Verschlinger von Seelen, nicht wahr? Doch fürchte ich, daß es eine Auseinandersetzung geben wird zwischen Ägypten und Kesh, und was der Pha rao zu der Sache sagen wird, wenn er sich wieder er holt hat, weiß ich wirklich nicht. Mögen die Götter mich vor seinem Zorn bewahren!« »Sage mir, o Königin, was mein Schicksal sein wird. Ich bin zum Führer dieser Gesandtschaft er nannt worden, und über die Köpfe vieler hinweg, ich, der ich nur ein Kommandeur und ein junger Mann und ein Übeltäter bin. Soll ich während der Reise ge tötet oder von dem König von Kesh hingerichtet werden?« »Falls irgend jemand dich während der Reise töten sollte, müssen sie mir darüber Rechenschaft ablegen, und wenn es die Götter selbst wären, und was die Rache des Königs von Kesh betrifft – nun, du hast zweitausend ausgewählte Männer bei dir und die Mittel, auf dem Wege noch viele andere anzuwerben. Hör mich an, denn dies ist nicht in den Dekreten nie dergelegt!« fügte sie hinzu. »Ägypten hat Spione in
Khem und da ich fleißig bin, habe ich ihre Berichte gelesen. Die Menschen dort hassen die aus dem Nichts hervorgekrochene Dynastie, welche sie regiert, und der König, nach dem Tode Amathels ihr letzter Sproß, ist alt und halb verrückt, weil diese ganze Fa milie zu viel trinkt. Wenn es also zum Schlimmsten kommen sollte, glaubst du, daß dann du getötet wer den würdest?« sagte sie mit Nachdruck, »der, wenn das Haus Amathels nicht wäre, der letzte Abkömm ling der Könige von Kesh sein würde, so wie du, wenn mein Haus nicht wäre, der Pharao Ägyptens sein würdest?« Rames studierte eine Weile den Marmor des Bo dens, dann blickte er auf und fragte: »Was soll ich tun?« »Es sieht so aus, als ob du das selbst herausfinden müßtest«, antwortete Tua und studierte nun die Dek ke. »Wenn ich an deiner Stelle wäre, glaube ich zu wissen, was ich tun würde. Eines jedoch würde ich nicht tun. Wie immer das Urteil des göttlichen Königs von Kesh über dich lauten mag – und das läßt sich leicht voraussagen –, würde ich nicht mit meiner starken Eskorte nach Ägypten zurückkehren, wenn ich nicht sicher wäre, daß ich dort willkommen ge heißen würde. Nein, ich denke, daß ich in Napata bleiben würde, was, wie mir berichtet wurde, eine recht schöne und angenehme Stadt sein soll, und ver suchen, ihre Angelegenheiten zu ordnen, in der Hoff nung, daß Ägypten, zu dem es einst gehörte, mir da für vergeben würde.« »Ich verstehe«, sagte Rames. »Was immer gesche hen mag, ich allein muß meinen Kopf dafür hinhal ten.«
»Ja, und es gibt glücklicherweise keine Zeugen für dieses Gespräch. Hast auch du in deinen freien Stun den Unterricht in der Kunst der Staatsführung ge nommen, Rames, so wie ich mich bemüht habe, etwas von der Kriegskunst zu erlernen?« Rames antwortete nicht, doch die beiden Ver schwörer blickten einander an und lächelten. »Du bist müde, o Königin«, sagte er, »ich muß dich allein lassen.« »Du mußt müder sein als ich, Rames, mit deiner Wunde, die noch nicht verbunden wurde, wie ich se he, obwohl es wahr ist, daß wir heute abend beide gekämpft haben. Rames, du trittst eine lange Reise an; ich frage mich, ob wir uns jemals wiedersehen werden.« »Ich weiß es nicht«, antwortete er mit einem Stöh nen, »doch wäre es um meinetwillen besser, wenn wir uns nie wiedersehen würden. O Morgenstern, warum hast du mich heute abend errettet, der ich gern gestorben wäre? Hat dein Ka dir nicht gesagt, daß ich froh gewesen wäre, zu sterben, oder meine Mutter, die eine Zauberin ist?« »Ich habe mein Ka nicht mehr gesehen, Rames, seit wir zusammen in den Höfen des Tempels spielten – ah, das war eine glückliche Zeit, nicht wahr? Und deine Mutter ist überaus diskret und spricht mit mir nur selten über dich, und wenn, so hauptsächlich, um mich zu warnen, dir keinerlei Gunst zu zeigen, damit nicht andere neidisch werden und dich ermorden. Würde es dir leid tun, wenn wir uns nie wiederse hen? Sicher nicht, da du so gerne sterben und mich los sein willst und alles, das wir gekannt haben.« Rames preßte die Hand auf sein Herz, wie um sein
Schlagen anzuhalten, und blickte in Verzweiflung umher. Denn sein Herz schien ihm tatsächlich bersten zu wollen. »Tua«, sagte er verzweifelt, »kannst du für einen Augenblick vergessen, daß du die Königin des Obe ren und Unteren Reiches bist, die vielleicht bald Pha rao sein wird, der mächtigste Monarch der Welt, und dich nur daran erinnern, daß du eine Frau bist, und als Frau ein Geheimnis hören und es bewahren?« »Wir haben heute schon über Geheimnisse gespro chen, Rames, wie auch vor langer, langer Zeit, und du wirst die meinen, die den Staat betreffen, nicht ver raten. Warum also sollte ich die deinen weitererzäh len? Doch mach es kurz, da es spät wird, oder früh, richtiger gesagt, und wir uns nicht wiedersehen wer den, wie du weißt.« »Gut«, antwortete er. »Königin Neter-Tua, ich, dein Untertan, bin so vermessen, dich zu lieben.« »Und, Rames? Ich habe Millionen von Untertanen, die alle bekennen, mich zu lieben.« Er machte eine verärgerte Handbewegung und fuhr fort: »Ich bin so vermessen, dich zu lieben, wie ein Mann eine Frau liebt, nicht, wie ein Untertan sei ne Königin liebt.« »Ah!« antwortete sie mit einer anderen, gebrochen klingenden Stimme, »das ist etwas anderes. Nun, alle Frauen wollen geliebt werden, obwohl einige von ih nen Königinnen sind und andere Bäuerinnen, warum also sollte ich darüber ärgerlich sein? Rames, jetzt, wie in vergangenen Tagen, danke ich dir für deine Liebe.« »Das ist nicht genug«, sagte er. »Wozu ist es gut, Liebe zu geben? Liebe sollte verliehen werden. Die
Liebe ist ein Wucherer, der hohe Zinsen fordert. Nein, nicht nur Zinsen, sondern das Kapital und die Zinsen dazu. Oh, Morgenstern! was geschieht mit dem Manne, der so wahnwitzig ist, die Königin von Ägypten zu lieben?« Tua dachte über diese Frage nach, als ob sie ein Rätsel wäre, dessen Lösung sie suchte. »Wer weiß?« antwortete sie schließlich mit leiser Stimme. »Vielleicht wird es ihn das Leben kosten, oder vielleicht – vielleicht wird er sie heiraten und der Pharao Ägyptens werden. Viel hängt davon ab, ob so eine Königin einen solchen Mann mag.« Jetzt zitterte Rames wie ein Schilfrohr im Abend wind und blickte sie mit glühenden Augen an. »Tua«, flüsterte er, »könnte es möglich sein – meinst du ehrlich, daß ich dir willkommen wäre, oder willst du mich nur in Schande und Verderben stür zen?« Sie antwortete ihm nicht mit Worten; mit einer ern sten Gebärde legte sie das kleine Elfenbeinzepter ab, das sie in ihrer Hand hielt, blickte ihm in die Augen, beugte sich vor und streckte ihre Arme nach ihm aus. »Ja, Rames«, murmelte sie kurz darauf in sein Ohr, »ich ziehe dich an das, was immer in meinem Busen gefunden werden mag, Liebe oder Majestät, oder Schande, oder Verderben, oder der Tod eines von uns oder von uns beiden, oder von allen Menschen. Bist du bereit, die Risiken dieses hohen Spieles auf dich zu nehmen, Rames?« »Frag doch nicht, Tua! Du weißt es, du weißt es!« Sie küßte ihn auf die Lippen, und ihr ganzes Herz und ihre ganze Jugend lagen in diesem Kuß. Dann schob sie ihn sanft von sich und sagte: »Bleibe so, ich
will mit dir sprechen, und, wie ich bereits sagte, ha ben wir nicht viel Zeit. Höre, Rames! Du hast recht. Ich weiß, wie ich es immer gewußt habe, und wie auch du es wissen müßtest, wenn du nicht so kin disch wärst. Du liebst mich, und ich liebe dich, denn so wurde es bestimmt, als unsere Seelen geschaffen wurden, und so ist es von Anbeginn an gewesen, und so wird es bis zum Ende sein. Du, ein Edler Ägyp tens, liebst die Königin Ägyptens, und sie gehört dir und keinem anderen Mann. So lautet das Dekret des sen, der uns am gleichen Tage geboren sein und von derselben gütigen Brust nähren ließ. Und warum auch nicht? Wenn die Liebe uns den Tod bringen sollte, was sehr wohl geschehen mag, wird uns zu mindest die Liebe bleiben, die alles wert ist, und die auch nach dem Tode bestehen bleibt.« »Nur dieses noch, Tua: Ich will die Frau, nicht den Thron, und siehe, durch mich magst du von deinem hohen Stand gerissen werden.« »Der Thron gehört zur Frau, Rames, und die bei den können nicht voneinander getrennt werden. Doch sage, da fällt mir gerade etwas ein: Wenn ich eine Ausgestoßene wäre, eine Wandernde, die nichts anderes besäße als diesen Körper und diese Seele, und du wärst es, welcher auf dem Thron säße, wür dest du mich trotzdem lieben, Rames?« »Warum stellst du eine solche Frage?« antwortete er indigniert. »Außerdem ist sie kindisch. Auf wel chem Thron sollte ich jemals sitzen?« Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich bei seinen Worten. Sie hörte auf, die hingebungsvolle, leiden schaftliche Frau zu sein und wurde wieder zur wil lensstarken, weitblickenden Königin.
»Rames«, sagte sie, »du verstehst, aus welchem Grunde ich dich, selbst wenn es mir das Herz zer reißt, so weit fort und in so viele Gefahren schicke, nicht wahr? Ich tat es, um dein Leben zu retten, denn nach dem, was heute geschah, würdest du auf die ei ne oder andere Art bestimmt sterben, so wie du, hätte ich nicht diesen Plan gefaßt, vor einigen Stunden ge storben wärst. Es gibt viele, die dich hassen, Rames, und der Pharao mag wiederhergestellt werden, wie ich zu den Göttern bete, daß es geschehen möge, und mein Dekret durch ein eigenes zunichte machen, da du einen Gast des Hofes getötet hast, der hergeholt wurde, um mich zu heiraten.« »Ich verstehe alle diese Dinge, Königin.« »Dann wach auf, Rames! Blick in die Zukunft und verstehe sie auch, da du, wie ich glaube, den Ver stand dazu hast! Ich entsende dich mit einer sehr starken Eskorte, nicht wahr? Nun, dieser König von Kesh ist alt und gebrechlich, und du hast einen An spruch auf seine Krone. Nimm sie dir, Rames, setze sie auf dein Haupt und erbitte als König von Kesh die Hand der Königin Ägyptens! Wer könnte dich dann abweisen? Sicher nicht Ägyptens Königin, und auch nicht das Volk Ägyptens, das nach dem reichen Süd lichen Land hungert, das ihm verloren ging.« So sprach sie, und als diese Worte von ihren Lip pen kamen, sah sie so wunderbar und so königlich aus, daß Rames, von der Größe ihrer Majestät ge blendet, sich vor ihr verneigte wie vor einem Gott. Dann, als ihm bewußt wurde, daß sie ihn auf der Waage ihrer Einschätzung abwog, richtete er sich auf und sprach zu ihr wie ein regierendes Haupt zu ei nem anderen.
»Stern Amons«, sagte er, »es ist wahr, daß das Blut meines Vaters und das meine so edel ist wie das dei ne, und vielleicht sogar älter, auch wenn wir hier nur bescheidene Untertanen sind. Und es ist auch wahr, daß jetzt, nachdem Amathel tot ist, ich nach meinem Vater durch das Blut jener, die vor uns waren, ein größeres Anrecht als jeder andere auf die Krone von Kesh habe. Königin, ich habe deine Worte vernom men, und ich werde sie mir nehmen, so mir das mög lich sein sollte, nicht um ihrer selbst willen, sondern um dadurch dich zu gewinnen, und wenn es mir nicht gelingen sollte, so weißt du, daß ich im Kampf um dieses Ziel gestorben bin. Königin, wir trennen uns jetzt, und dies ist eine lange Reise. Vielleicht werden wir uns nie wiedersehen, günstigstenfalls werden wir jedoch für eine lange Zeit getrennt sein. Königin, du hast mich mit deiner Liebe geehrt, und deshalb möchte ich dir ein Versprechen abverlangen, nicht nur als Frau, sondern auch als Königin. Ich möchte dein Versprechen, daß du, solange ich lebe, was auch immer die Umstände sein mögen, und ganz gleich, welche Staatsräson dich dazu treiben mag, keinen anderen Mann zum Gemahl nehmen wirst – und wenn er dir die halbe Welt als Mitgift anbieten sollte.« »Ich gebe es dir«, antwortete sie. »Falls du erfahren solltest, daß ich mit irgendeinem Manne auf Erden verehelicht bin, sollst du auf meinen Namen als Frau spucken und mich als Königin stürzen, so dir das möglich ist. Tue mit mir in einem solchen Falle das, was ich mit dir tun würde. Nur vergewissere dich der Wahrheit deiner Nachrichten, bevor du sie glaubst. Und nun bleibt nichts mehr zu sagen. Lebe wohl,
Rames, bis wir uns wiedersehen, unter der Sonne oder jenseits von ihr. Unser Pakt ist geschlossen. Komm, besiegele ihn und geh!« Sie erhob sich und streckte ihm ihr Zepter entge gen, welches er als treuer Untertan küßte. Dann hob sie mit einer schnellen Bewegung ihren goldenen Uräus-Reif von ihrem Haupte und setzte ihn für einen Moment auf das seine, wodurch sie ihn zu ihrem Kö nig krönte, und während er den Königsreif trug, beugte sie ihr Knie vor ihm. Dann ließ sie Krone und Zepter zu Boden fallen und warf sich als Frau an die Brust ihres Geliebten, und die Strahlen der aufgehen den Sonne, die plötzlich durch das östliche Fenster fielen, umhüllten sie beide mit einer Robe aus flam mendem Licht. Bald, nur zu bald, trennten sie sich voneinander, und Tua, die im Licht stehenblieb, blickte Rames nach, der in den Schatten verschwand, und fragte sich, wann und wie sie ihn wieder hereinkommen se hen mochte. Denn ihr Herz war schwer in ihrer Brust, und selbst in dieser Stunde triumphierender Liebe hatte sie große Furcht vor der Zukunft und ihren Ga ben.
7
Tua kommt nach Memphis
An jenem Tage also brach Rames nach Takensit auf, mit so vielen Schiffen und Männern, die in der Eile herangeschafft werden konnten. Dort, in jener Grenz feste, wartete er, bis der Rest seiner Truppen dort eintraf, welche die hastig einbalsamierte Leiche des Prinzen Amathel, den er getötet hatte, und die Gaben für den König von Kesh mit sich führten. Dann brach er unverzüglich mit seiner kleinen Heerschar zu der langen Reise nach Süden auf, da er befürchtete, daß ihn, wenn er länger verbliebe, Befehle erreichen mochten, die ihn nach Theben zurückriefen. Außer dem wollte er Napata erreichen, bevor die Nachricht vom Tode des Königssohnes dort eintraf, und bevor man dort über den Anmarsch der ägyptischen Ge sandtschaft informiert wurde. Mit Tua hatte er nicht mehr gesprochen, doch als die Galeere unter den Mauern des Palastes vorbeige rudert wurde, sah er in einem Fenster der königlichen Gemächer eine weißverschleierte Gestalt stehen, die zu dem Schiff herabblickte. Sie stand im Schatten, so daß er sie nicht deutlich sehen konnte, doch sein Herz sagte ihm, daß es die Königin selbst war, die dort stand, um ihm ein letztes Lebewohl zu wünschen. Also hatte Rames sich von dem Stuhl erhoben, auf dem er wegen seines verwundeten Beines saß, mit seinem Schwert salutiert und der Mannschaft befoh len, sie durch Heben der Ruder zu grüßen. Daraufhin hatte die schlanke Gestalt sich dankend verneigt, und
er war weitergefahren, um seine Bestimmung zu erfül len, und hatte Neter-Tua, den Morgenstern Amons, zurückgelassen, damit sie die ihre erfülle. Bevor er aufgebrochen war, hatten ihn jedoch M er mes, sein Vater, und Asti, seine Mutter, aufgesucht. »Du bist unter einem seltsamen Stern geboren, mein Sohn«, sagte Mermes, »und ich weiß nicht, wo hin er dich führen mag, bete jedoch darum, daß er kein Meteor ist, welcher plötzlich am Himmel auf leuchtet und wieder verschwindet, um nie wiederzu kehren. Alle Menschen reden von der Gunst, welche die Königin dir erwies, als sie dich, anstatt dich für deine Tat, die ihr einen königlichen Gemahl raubte, sofort hinrichten zu lassen, zum Kommandeur einer mächtigen Gesandtschaft ernannte, dich, der du fast noch ein Junge bist, und dich in Privataudienz emp fing, eine Ehre, die nur wenigen zuteil wird. Das Schicksal hat mich übergangen, jedoch dir die Würfel in deine junge Hand gegeben, wie sie aber fallen werden, weiß ich nicht, und werde es wohl auch nicht mehr erleben.« »Spreche keine Worte so bösen Omens, mein Va ter«, antwortete Rames liebevoll, da sein Vater und er sich sehr liebten. »Mir scheint es wahrscheinlicher, daß ich es bin, der nicht mehr lange leben wird, denn es ist ein seltsames und gefährliches Unternehmen, zu dem ich jetzt aufbreche, um einem großen König die Nachricht zu überbringen, daß sein einziger Sohn tot ist – und das durch meine Hand. Mutter, du bist darin geübt, in den Büchern der Weisheit zu lesen und kannst sehen, was unseren Augen verborgen ist. Hast du kein Wort, das uns trösten könnte?« »Mein Sohn«, antwortete Asti, »ich habe die Zukunft
erforscht, doch bei all meinem Wissen will sie mir nur wenige ihrer Geheimnisse preisgeben. Einiges aber habe ich erfahren können. Große Reichtümer liegen vor dir, und ich denke, daß du und ich uns wiederse hen werden. Deinem Vater jedoch sage Lebewohl.« Bei diesen Worten wandte Rames seinen Kopf zur Seite, um seine Tränen zu verbergen, doch Mermes befahl ihm, nicht um ihn zu trauern. »Groß ist das Geheimnis unserer Schicksale, mein Sohn«, sagte er. »Manche sind der Meinung, daß wir nicht mehr sind als Schaumblasen auf einem Bach, die von dem Bach wieder verschlungen werden, Wolken am Himmel, die vom Himmel wieder auf gelöst werden, die Ergebnisse von Zufällen, wie die Tiere, und die Vögel, und wie die Mücken, die eine Stunde lang im Sonnenlicht tanzen und dann ver schwunden sind. Aber ich glaube das nicht, der ich davon überzeugt bin, daß die Götter zur Erreichung ihrer eigenen Ziele uns in die Robe des Fleisches klei den, und daß der Geist in uns von jeher war und auf immer sein wird. Deshalb hänge ich nicht am Leben und fürchte den Tod nicht, da ich weiß, daß diese le diglich Pforten sind, welche zu dem unsterblichen Hause führen, das für uns vorbereitet ist. Das königli che Blut, das in deinen Adern fließt, hast du von dei ner Mutter und von mir, doch daß unsere Leben be scheiden waren, während das deine, vielleicht, glanzvoll sein wird, macht mich nicht neidisch, der ich eventuell das geworden sein mochte, zu dem du einst wirst. Du gehst dahin, um deine Bestimmung zu erfüllen, die, wie ich glaube, groß sein mag, und ich bleibe zurück, um die meine zu erfüllen, die mich in die Grabkammer führen wird. Ich werde dich nie an
der Spitze der Macht sehen, wenn Macht zu dir kommen sollte, und deine triumphierenden Schritte werden meinen Schlaf nicht stören. Doch, Rames, denk immer daran, auch wenn du über goldgewirkte Stoffe schreitest und über die ge beugten Nacken von Feinden, auch wenn die Liebe dein Begleiter ist, und Diademe deine Krone, auch wenn Schmeicheleien dich umschweben wie Weih rauch in einem Schrein, bis du dir schließlich selbst wie ein Gott vorkommst, daß deine Schritte dich trotzdem zu der dunklen Grabkammer führen wer den, und von dort weiter vor das Gericht. Sei groß, so dir das möglich ist, doch sei auch gut, und nicht nur groß. Nimm keinem Menschen das Leben, nur weil du stark bist und ihn haßt; nimm keine Frau, nur weil sie schwach ist oder gekauft werden kann. Denk im mer daran, daß das Bettlerkind, welches im Sand spielt, eine höhere Bestimmung haben mag als du, wenn die große irdische Rechnung aufgelegt wird. Denk daran, daß du die Luft, die du atmest, mit dem Rind und dem Wurm teilst. Geh deinen Weg, genieße dein gutes Aussehen, und deine Jugend, und die Ga ben, die dir gegeben wurden, doch wisse, Rames, daß am Ende ich, der im Schatten Osiris' auf dich wartet, daß ich, dein Vater, Rechenschaft über alles verlangen werde, und daß hinter mir die Götter der Gerechtig keit stehen werden, um das Gewebe zu prüfen, das du gewoben hast. Und nun, Rames: Mein Segen und der Segen dessen, der uns geschaffen hat, seien mit dir. Lebe wohl!« Dann küßte Mermes ihn auf die Stirn, wandte sich rasch um und verließ den Raum, und sie sahen sich nie wieder.
Doch Asti blieb zurück; sie trat auf Rames zu, blickte ihm i n die Augen und sagte: »Trauere nicht. Die Tren nung ist nichts Neues, und der Tod ist nichts Neues; all dieses Leid gibt es seit Millionen von Jahren auf Erden und wird es für weitere Millionen von Jahren geben. Lebe dein Leben, freue dich, wenn seine Tage gut sind, und sei zufrieden, wenn sie schlecht sind, bedauere nichts außer deinen Sünden, fürchte nichts und erwarte nichts, da alle Dinge vorbestimmt sind und nicht geändert werden können!« »Ich höre«, antwortete er demütig, »und ich werde deine Worte nicht vergessen. Ob ich siegen oder eine Niederlage erleiden werde, auf jeden Fall sollst du dich meiner nicht schämen müssen.« Jetzt wandte sich seine Mutter ebenfalls zum Ge hen, blieb jedoch noch einmal stehen und sagte: »Ich habe eine Gabe für dich, Rames, von einer, deren Name nicht ausgesprochen werden darf.« »Gib sie mir«, sagte er begierig, »ich fürchtete schon, daß alles nur ein Traum war.« »Oh!« antwortete Asti und blickte ihn forschend an. »Also war da ein Traum, nicht wahr? Ist er dir in der vergangenen Nacht gekommen, als die Tochter Amons, meine Nährtochter, allein mit dir sprach?« »Die Gabe«, sagte er und streckte seine Hand aus. Nun lächelte seine Mutter auf ihre stille Art, zog aus dem Ausschnitt ihrer Robe etwas, das in Leinen gewickelt war, drückte das königliche Siegel, mit dem die Umhüllung verschlossen war, an ihre Stirn und überreichte es Rames. Mit zitternden Fingern erbrach dieser das Siegel, und in dem Leinen lag ein Ring, welchen Tua, wie Rames erkannte, viele Jahre lang auf ihrem rechten Zeigefinger getragen hatte. Er war
aus massivem Gold gearbeitet und trug eine Platte, in die das Sonnensymbol eingeschnitten war, zu dessen beiden Seiten ein Mann und eine Frau knieten, die beide mit der Doppelkrone Ägyptens gekrönt waren und in ihren rechten Händen das Zeichen des Lebens hielten, das sie der Sonne entgegenstreckten. »Weißt du, wer diesen Ring in lange zurückliegen der Zeit getragen hat?« fragte Asti ihren Sohn, als der ihn an seine Lippen drückte. Er schüttelte den Kopf und dachte nur daran, daß Tua ihn getragen hatte. »Es war einer meiner Vorväter, Rames, der letzte der königlichen Herrscher unserer Linie, der über Ägypten und auch über das Land Kesh regierte. Vor einiger Zeit haben die Balsamierer seinen göttlichen Körper in der Grabkammer neu gekleidet, und die Prinzessin, die deinen Vater und mich dorthin be gleitet hatte, zog diesen Ring von seiner toten Hand und bot ihn Mermes an, der ihn jedoch nicht anneh men wollte, da er sah, daß er ein königliches Siegel darstellt. Also trug sie ihn selbst und hat ihn jetzt aus ihren eigenen Gründen dir geschickt, vielleicht, damit er dir in Kesh Autorität verleihe, wo dieses mächtige Siegel wohlbekannt ist.« »Ich danke der Königin«, murmelte er, »ich werde ihn immer tragen.« »Dann trage ihn an deiner Brust, bis du die Grenze überschritten hast, damit dir nicht jemand Fragen stellt, die du nur schwer beantworten kannst. Mein Sohn«, fuhr sie rasch fort, »du wagst es, diese, unsere Königin zu lieben?« »Ja, Mutter, so ist es. Hast du, die du sonst alles weißt, das nicht gewußt? Außerdem ist es auch deine
Schuld, die uns zusammen aufgezogen hat.« »Nein, mein Sohn, die Schuld liegt bei den Göttern, welche es so bestimmt haben. Aber – liebt sie dich auch?« »Du bist doch ständig mit ihr zusammen, Mutter, also frage sie selbst, wenn du das schon fragen mußt! Zumindest hat sie mir ihren eigenen Ring gesandt. Oh! Mutter, Mutter, bewache sie bei Tag und bei Nacht, denn wenn ihr ein Unglück geschehen sollte, werde ich sterben. Mutter, Königinnen können sich nicht weggeben, wie andere Frauen; es ist Brauch, daß ihnen Ehemänner aufgezwungen werden. Sorge dafür, daß ihr dieses nicht geschieht, Mutter. Obwohl sie das den Thron kosten kann, flehe ich dich an, nicht zuzulassen, daß sie in die Arme eines Mannes gestoßen wird, den sie haßt. Beschütze sie vor solcher Unbill, falls solche kommen sollte; und wenn ihre Kräfte versagen und die Götter sie verlassen, dann verberge sie in dem Gewebe der Magie, die du be sitzt, und bewahre sie nicht verunreinigt, dann will ich deinen Namen auf ewig segnen.« »Du fliegst auf einem seltenen Vogel, Rames, und es gibt noch stärkere Habichte außer jenem, den du erschlugst; ja, königliche Adler, die auf euch beide herabstoßen könnten. Doch werde ich mein Bestes tun, die ich diese Stunde seit langem vorhergesehen habe, und die ich darum bitte, daß meine Augen, be vor sie sich schließen, dich noch auf dem Thron dei ner Vorväter sitzen sehen mögen, gekrönt mit Macht und geliebt von einer Schönheit, wie sie einem Men schen noch nie gegeben war. Verberge nur diesen Ring gut an deiner Brust und verschließe dein Ge heimnis gut in ihr, wie auch ich es tun werde, auf daß
du wieder nach Ägypten zurückkehren mögest. Au ßerdem folge deinem königlichen Stern und keinem anderen! Wie immer der Rat lauten mag, welchen sie dir gegeben hat, folge auch ihm und weiche weder nach links noch nach rechts von ihm ab, denn ich sa ge dir, daß in der jungfräulichen Brust der Königin die Weisheit der Götter wohnt.« Dann hob Asti ihre Hände über seinen Kopf, um ihn zu segnen und verließ ihn ebenfalls. So verließ Rames die Stadt und wurde nicht mehr ge sehen, und allmählich erstarb das Gerede über die Af färe mit dem Prinzen von Kesh, und auch über seine Ernennung zum Führer der prächtigen Sühnege sandtschaft zu dem alten König, dem Vater des To ten, durch eine Laune der jungfräulichen Königin, da kein Stoff mehr da war, von dem es sich nähren konnte. Tua bewahrte absolutes Schweigen, und über das mitternächtliche Gespräch mit dem jungen Rames war nichts bekannt. Außerdem lag Napata weit ent fernt, so weit, daß die Gesandtschaft kaum vor dem Ablauf von zwei Jahren zurückkehren konnte, falls sie überhaupt jemals zurückkehren sollte. Und nur wenige glaubten, daß Rames noch bei ihr sein würde, wenn sie zurückkehren sollte, da behauptet wurde, daß seine Eskorte Befehl erhalten hatte, ihn zu töten, sowie die Grenze überschritten sei, und seine Leiche als Friedensgeschenk nach Napata zu bringen. Alle priesen den Verstand und die Weisheit der Königin, die sich durch diesen geschickten Schachzug mit so geringem Aufsehen aus einer schwierigen Si tuation gezogen hatte und vermied, sich die Hände
mit dem Blut eines Nährbruders zu beschmutzen. Hätte sie seine sofortige Hinrichtung beschlossen, sagten sie, hätte man annehmen können, daß sie ihn beseitigt habe, weil er von königlichem Geblüt sei, ei ner, der in der Zukunft zu einem Rivalen werden konnte oder zumindest eine Rebellion auslösen mochte. Inzwischen füllten auch größere Fragen die Mün der der Menschen. Würde der Pharao sterben und Neter-Tua, die junge, schöne Königin, allein auf dem Thron lassen? Und wenn es so käme, was würde ge schehen? Es war tausend Jahre her, seit eine Frau über Ägypten geherrscht hatte, und noch niemals ei ne, welche nicht verheiratet war. Deshalb schien es notwendig, ihr so bald wie möglich einen Gemahl zu finden. Doch der Pharao starb nicht. Im Gegenteil, er er holte sich völlig, wenn auch sehr langsam, und war schließlich kräftiger als seit Jahren, denn der Anfall schien sein Blut gereinigt zu haben. Etwa drei Monate lang lag er hilflos wie ein Kind, erfreute sich wie ein Kind an kleinen Dingen, sprach von Kindern, die er in seiner Jugend gekannt hatte, und wenn einige von denen ihn, jetzt alte Männer geworden, besuchten, bat er sie, mit ihm Spiele seiner Kindheit zu spielen. Dann, eines Tages, trat die Veränderung ein; er er hob sich von seinem Bett und befahl seine Berater zu sich, und als sie kamen, fragte er sie, was geschehen sei, und warum er sich seit dem Bankett an nichts er innern könne. Sie beschwichtigten ihn mit behutsamen Worten, und er wurde ihrer bald müde und entließ sie. Doch nachdem sie gegangen waren und er gegessen hatte,
schickte er nach Mermes, dem Kommandeur der Wa che Amons und seinem Freund, und befragte ihn da nach. »Das letzte, woran ich mich erinnere«, sagte er, »war der Kampf zwischen dem trunkenen Prinzen von Kesh mit deinem Sohn, jenem stolzen, feurigen Rames, den irgendein Narr, oder ein Feind, dazu be stimmt hatte, jenen bei Tische zu bedienen. Es war ein hündischer Trick, Mermes, da dein Blut schließlich reiner und älter ist als das des derzeitigen Königs von Kesh. Nun, das Entsetzen des Anblicks, meinen kö niglichen Gast, einen Bewerber um die Hand meiner Tochter, mit einem Kommandeur meiner eigenen Leibwache kämpfen zu sehen, traf mich, wie das Messer des Metzgers einen Ochsen trifft, und danach war alles dunkel. Was ist geschehen, Mermes?« »Dies, o Pharao: Mein Sohn hat Amathel in einem fairen Kampf besiegt, und dann griffen die Nubier unsere Leibwache an, doch unter Führung von Rames haben die Ägypter, obwohl an Zahl und Größe un terlegen, sie geschlagen und die meisten von ihnen getötet. Ich bin ein alter Krieger, doch nie habe ich ei nen eindrucksvolleren Kampf gesehen.« »Einen Kampf!« keuchte der Pharao. »Das bedeutet Krieg zwischen Kesh und Ägypten. Und was geschah dann? Hat der Rat befohlen, Rames hinzurichten, wie er es verdient hatte, was auch du zugeben mußt, auch wenn du sein Vater bist?« »Nein, o Pharao. Außerdem gebe ich das nicht zu, denn wenn er vor den Augen aller Edlen Ägyptens den Feigling gespielt hätte, würde ich ihn mit eigener Hand getötet haben.« »Ah!« sagte der Pharao. »Das ist die Stimme des
Kriegers und Vaters. Ich verstehe. Er ist von jenem schwarzen Mann beleidigt worden, nicht wahr? Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich dasselbe sagen. Jedoch – was geschah weiter?« »Deine Majestät ist bewußtlos geworden«, erklärte Mermes, »und so nahm die Königin Neter-Tua diese Angelegenheit in die eigenen Hände, wie es durch ih ren Krönungseid ihre Pflicht ist. Sie hat eine SühneGesandtschaft, bestehend aus zweitausend ausge suchten Kriegern, zum König von Kesh geschickt, welche den einbalsamierten Leichnam des göttlichen Amathel und viele königliche Geschenke mit sich führt.« »Das ist recht gut auf seine Art«, sagte der Pharao. »Aber warum zweitausend Mann, die sehr hohe Ko sten verursachen werden, wo auch zwanzig ausge reicht hätten? Das ist ja schon eine Heerschar und keine Gesandtschaft mehr, und wenn mein königli cher Bruder von Kesh sie anrücken sieht, welche das böse Omen der einbalsamierten Leiche seines einzi gen Sohnes überbringt, könnte er zum Kriege aufru fen.« Mermes stimmte ehrerbietig zu, daß dem so sein mochte. »Und welcher Heerführer kommandiert diese Ge sandtschaft, wie du sie zu nennen beliebst?« »Rames, mein Sohn, o Pharao.« Nun sprang der Pharao, so schwach er auch noch war, von seinem Stuhl auf. »Rames! Dieser junge Heißsporn, der den Prinzen tötete! Rames, welcher der letzte der rechtmäßigen, alten Dynastie von Kesh ist! Rames, ein kleiner Kommandeur, an der Spitze von zweitausend meiner
besten Truppen! Wer hat ihm dieses Kommando ge geben?« »Die Königin Neter-Tua, der Stern Amons, hat es ihm gegeben, o Pharao. Unmittelbar nach dem Kampf in der Halle erließ sie ein Dekret und sorgte dafür, daß es auf die übliche Art niedergeschrieben wurde.« »Schicke nach der Königin!« sagte der Pharao mit einem schweren Stöhnen. Also wurde Tua herbeigerufen und trat kurz dar auf, in eine prächtige Robe gekleidet, herein; als sie ihren Vater aufsitzend und gesund vor sich sah, lief sie auf ihn zu und umarmte ihn und weigerte sich für eine lange Zeit, über Angelegenheiten des Staates mit ihm zu sprechen. Schließlich aber zwang er sie, sich neben ihn zu setzen, und während sie noch immer seine Hand hielt, fragte er sie, aus welchem Grunde, im Namen Amons, sie diesen jungen Hitzkopf, Ra mes, als Kommandeur der Gesandtschaft nach Kesh geschickt habe. Nun sagte sie mit sanfter Stimme, daß sie ihm diese Frage gerne beantworten würde. Und das tat sie auch, und so eingehend, daß der Pharao, dessen Kraft noch sehr beschränkt war, einschlief, bevor sie zu Ende gesprochen hatte. »Jetzt verstehst du es sicher«, sagte sie so laut, daß er erschrocken auffuhr. »Die Verantwortung war mir übertragen, und ich habe getan, was ich für das Beste hielt. Diesen jungen Rames zu töten, wäre unmöglich gewesen, da alle Herzen bei ihm waren.« »Aber sicher, Tochter, hättest du ihn irgendwie aus dem Weg schaffen können.« »Das, mein Vater, habe ich ja getan. Ich habe ihn nach Napata entsandt, das sehr weitab vom Wege liegt – viele Monde weit, wie mir gesagt wurde.«
»Aber was wird geschehen, Tua? Entweder wird der König von Kesh ihn und meine zweitausend Krieger töten, oder Rames wird den König von Kesh töten, wie er dessen Sohn getötet hat, und sich den Thron erobern, den seine Vorväter für Generationen besaßen. Hast du daran gedacht?« »Ja, mein Vater, ich habe daran gedacht, und wenn das letztere ohne unsere Schuld geschehen sollte, glaubst du, daß Ägypten darum weinen würde?« Nun blickte der Pharao Tua an, und Tua blickte den Pharao an, und der Pharao lächelte. »Ich sehe, Tochter«, sagte er langsam, »daß du das Zeug zu einer großen Königin hast, denn in der sei denen Scheide einer weiblichen Torheit erkenne ich nun das bronzene Schwert eines Staatsmannes. Nur lauf nicht zu schnell, auf daß du nicht fällst und die ses Schwert dich aufspießt.« Tua, die solche Ermahnungen schon früher von Asti gehört hatte, lächelte wieder, antwortete jedoch nicht. »Du brauchst einen Ehemann, der dich im Zaume hält«, fuhr der Pharao fort, »einen großen Mann, den du lieben und achten kannst.« »Finde mir einen solchen Mann, und ich will ihn mit Freuden heiraten«, antwortete Tua mit sanfter Stimme. »Doch weiß ich nicht«, fuhr sie fort, »wo man einen solchen suchen sollte, nun, da der göttliche Amathel tot ist, erschlagen von der Hand Rames, des Führers unserer Gesandtschaft nach Kesh.« Als der Pharao kräftiger wurde, setzte er seine Su che nach einem Mann für die Königin Ägyptens fort. Natürlich gab es jetzt wie zuvor keinen Mangel an Bewerbern. Botschafter und Berater schlugen eine
Unmenge von ihnen vor, doch wenn sie Tua genannt wurden, hatte sie gegen jeden von ihnen einen Ein wand, bis schließlich gesagt wurde, daß sie für einen Gott bestimmt sein mußte, da kein Sterblicher ihren Ansprüchen genüge. Doch als ihr dieses mitgeteilt wurde, antwortete Tua nur, daß ihr ein königlicher Geliebter bestimmt sei, von dem Amon ihrer Mutter in einem Traum gesprochen habe: Nicht ein Gott, je doch einer von den Göttern Erwählter, und daß sie, wenn sie ihn sähe, ihn sofort erkennen und sehr lie ben würde. Nachdem einige Monate vergangen waren, fragte der Pharao, dieses Spiels müde geworden, seine Be rater um Rat. Sie schlugen ihm vor, daß er eine Reise durch alle großem Städte Ägyptens unternehmen sollte, sowohl weil so ein Wechsel die königliche Ge sundheit wiederherstellen mochte, als auch in der Hoffnung, daß die Königin Neter-Tua während die ser Reise einen Mann königlichen Geblüts treffen mochte, den sie lieben konnte. Denn inzwischen war allen klar geworden, daß sie keinen Mann heiraten würde, den sie nicht liebte. Also fragte der Pharao seine Tochter noch in der selben Nacht, ob sie eine solche Reise zu unterneh men wünsche. Sie antwortete, daß ihr nichts lieber wäre, da sie Thebens müde sei und die anderen großen Städte des Landes sehen wolle, um denen bekannt zu werden, welche darin lebten und in jeder von ihnen als zu künftige Herrscherin verkündet zu werden. Außer dem wollte sie den Ozean sehen, von dem sie gehört hatte, daß er so groß sei, daß alle Wasser des Nils, die Tag für Tag und Nacht für Nacht in ihn flößen, seinen
Stand nicht um eine Fingerbreite höben. So begann die Reise, welche Tua später als Ge schichte ihrer Regierungszeit in die Mauern der wunderbaren Tempel, welche sie erbaute, einmeißeln ließ. Ihr Wunsch war es, daß sie zunächst zu den südlichen Grenzen Ägyptens segeln sollten, da sie dort Nachrichten von Rames und seiner Gesandt schaft zu erhalten hoffte, von der letztlich nichts Ge wisses gehört worden war. Dieser Vorschlag wurde jedoch überstimmt, da es im Süden keine großen Städte gab, und auch weil die Bewohner der angren zenden Wüsten aufsässig waren und jeden Moment angreifen mochten. Also fuhren sie schließlich den Nil hinab und nicht hinauf, wobei sie in jeder größeren Stadt für eine Weile verblieben, besonders lange in Abtu, jenem heiligen Ort, an dem der Kopf Osiris' begraben liegt und Zehntausende der Großen Ägyptens ihre Grab stätten haben. Hier wurde Tua unter dem Jubel der Bevölkerung noch einmal gekrönt. Dann fuhren sie weiter nach On, der Sonnenstadt, und brachten dort reiche Opfergaben bei den Pyra miden dar, welche von einigen der frühen Könige Ägyptens erbaut worden waren, um ihnen als Grab stätten zu dienen. Neter-Tua betrat diese Pyramiden, um die Körper dieser Pharaos anzublicken, die seit Tausenden von Jahren tot waren, und deren Taten man der Vergessen heit hatte anheimfallen lassen, doch ihr Vater mochte sie nicht begleiten, da die Stufen zu steil waren und er es nicht wagte, sie hinabzusteigen. Danach stieg sie auf ein Dromedar und ritt mit Asti und einer kleinen Eskorte von arabischen Häuptlingen der Wüste im
Mondlicht um die Pyramiden herum, in der Hoff nung, den Geistern jener Könige zu begegnen, und daß jene mit ihr sprechen würden, wie es der Geist ihrer Mutter getan hatte. Doch sah sie keine Geister, und Asti wollte sie auch nicht aus ihrem Schlaf er wecken, wenngleich Tua sie anflehte, dieses zu tun. »Laß sie in Frieden«, sagte Asti, als sie im Schatten der größten der Pyramiden anhielten und auf deren Fassade starrten, welche von der Basis bis zur Kuppe mit vielen geheimnisvollen Inschriften bedeckt war. »Laß sie in Frieden, damit sie nicht so zornig wer den, wie es Amon war, und dir Dinge sagen, die du nicht hören willst. Bewundere ihre mächtigen Bauten, wie sie kein König unserer Zeit mehr errichten kann, und laß sie darin ruhen, ungestört von schwächeren Menschen.« »Dieses nennst du mächtige Bauten?« fragte NeterTua verächtlich, da sie verärgert war, daß Asti sich weigerte, die Toten aus ihren Gruften zu rufen. »Was sind sie denn, außer einer Menge von Steinen, die durch die Arbeit von Menschen aufeinandergetürmt wurden, um ihre Eitelkeit zu befriedigen? Und was bleibt von denen, die sie erbaut haben? Nicht einer ist da, um eitle Legenden zu bewahren. Wenn mir das Leben bleiben sollte, werde ich ein viel größeres Denkmal hinterlassen, eines, durch das die Ge schichte bis zum Ende der Zeit von mir berichten wird.« »Vielleicht, Neter-Tua, wenn du leben solltest und die Götter es so wollen; ich jedoch glaube, daß diese alten Steine die meisten deiner Taten überleben wer den.«
Am Morgen nach dem Besuch der Pyramiden mach ten der Pharao und die Königin, seine Tochter, ihren Besuch in der großen, von weißen Mauern umschlos senen Stadt Memphis, in der sie mit allen königlichen Ehren vom Bruder des Pharao, dem Prinzen Abi empfangen wurden, welcher noch immer der Herr scher über diese Stadt und mehrere angrenzende Provinzen war. Wie es der Zufall wollte, hatten diese beiden einander nicht mehr gesehen, seit Abi vor vielen Jahren nach Theben gekommen war, um einen Anteil an der Krone Ägyptens zu fordern und zum Erbnachfolger des Pharao ernannt zu werden. Wie jeder andere Gouverneur des Reiches war er zur Krönung Neter-Tuas eingeladen worden, hatte jedoch im letzten Moment eine Entschuldigung ge schickt mit der Behauptung, daß er krank sei, was auch zuzutreffen schien. Auf jeden Fall meldeten die Spione, daß er bettlägerig gewesen sei, obwohl nicht zu beweisen war, ob eine Krankheit oder sein eigener Wille ihn an das Bett fesselten. Zu jener Zeit hatten der Pharao und seine Berater sich gewundert, daß er keinen seiner Söhne, von denen er vier hatte, als Ge mahl für ihre königliche Base, Neter-Tua, vorgeschla gen hatte, es sich jedoch damit erklärt hatten, daß keiner von ihnen von ihr akzeptiert worden wäre. In der Folgezeit hatte Abi sich still verhalten und sich um seine eigenen Regierungsgeschäfte gekümmert, die er gut wahrgenommen hatte, hatte seine Steuern an Theben immer pünktlich und mit einem Begleit schreiben der Ergebung abgeliefert, und ihre Summe sogar erhöht. So kam es, daß der Pharao, der von Natur aus freundlich und ohne Arg war, jedes Mißtrauen ge
genüber seinem Bruder beiseite geschoben hatte, des sen Machtgelüste, dessen war er sicher, mit der Ge burt einer Thronerbin erloschen waren. Doch als der Pharao, durch eine Leibwache von le diglich fünfhundert Mann begleitet – denn dies war schließlich ein Freundschaftsbesuch – in die riesige Stadt einzog und sah, wie uneinnehmbar ihre Mauern waren, und wie stark ihre Tore, und ihm auch nicht entging, daß ihre Straßen von Tausenden von Be waffneten gesäumt waren, schlichen sich doch Zwei fel, die er bisher für unwürdig gehalten hatte, in sein Herz ein. Und wenn er ihnen auch keine Stimme gab, so war Tua, die neben ihm auf dem Streitwagen stand, nicht so zurückhaltend. »Mein Vater«, sagte sie leise, während die Menge ihnen zujubelte, »dieser mein Onkel hält einen großen Hof zu Memphis.« »Ja, meine Tochter, und warum sollte er es auch nicht tun? Er ist der Gouverneur.« »Ein Fremder, der das nicht weiß, könnte anneh men, daß er der König sei, mein Vater, und um ehr lich zu sein, wenn ich der Pharao wäre, der gekom men ist, um ihn zu besuchen, so wäre ich mit einer größeren Streitmacht hier eingezogen.« »Wir können ja jederzeit wieder gehen, wenn es uns gefällt«, sagte der Pharao nervös. »Du meinst, mein Vater, daß wir jederzeit gehen können, wenn es dem Prinz, deinem Bruder, gefällt, jene dicken Bronzetore zu öffnen, welche ich hinter uns zufallen hörte – nur dann, und nicht eher.« In diesem Augenblick mußten sie ihr Gespräch ab brechen, da der Streitwagen vor den Stufen der gro ßen Halle hielt, auf denen Abi wartete, um seine kö
niglichen Gäste zu empfangen. Er stand am Kopfende der Treppe, ein riesiger, vitaler Mann von etwa sech zig Jahren, auf dessen fettem, dunkelhäutigem Ge sicht seltsamerweise noch immer eine gewisse Ähn lichkeit mit den edlen Zügen des Pharao verblieben war. Tua schätzte ihn mit einem einzigen Blick ab und haßte ihn vom ersten Moment an sogar noch mehr, als sie Amathel, den Prinzen von Kesh, gehaßt hatte. Auch war sie, die den hohlköpfigen, trunksüchtigen Amathel nicht gefürchtet hatte, von einer unerklärli chen Angst vor diesem Mann befangen, welchen sie als stark und intelligent erkannte, und dessen große, gierige Augen ihre Schönheit anstarrten, als ob sie sich nicht von ihr lösen könnten. Sie stiegen die Stufen hinauf, und Prinz Abi hieß sie in seinem ›bescheidenen Heim‹ willkommen, sprach beide mit ihren Thronnamen an und versi cherte ihnen, wie glücklich er sei, sie, seine Souverä ne, in den Mauern von Memphis begrüßen zu dürfen, und während der ganzen Zeit starrte er Tua an. Der Pharao, der ermüdet war von der Reise, ant wortete ihm nicht, doch die junge Königin, die ihn jetzt ebenfalls anstarrte, antwortete: »Wir danken dir für deine Worte der Begrüßung, doch, Onkel Abi, warum hast du uns nicht vor den Toren von Mem phis empfangen, wo wir den Gouverneur der Stadt wartend zu finden hofften, um die Schlüssel der Stadt des Pharao den Begleitern des Pharao zu überrei chen?« Abi, der erwartet hatte, ein verschüchtertes Kind, mit den Emblemen einer Königin ausgestattet, zu se hen, blickte diese hochgewachsene, königliche Jung
frau, die eine so scharfe Zunge besaß, verblüfft an und fand keine Worte für eine Antwort. Sie schritt an ihm vorbei und befahl, daß man ihr zeige, wo sie in Memphis wohnen würden. Sie wurden zum größten Palast der Stadt geführt, welcher für sie und den Pharao vorbereitet worden war, einem Palast, der, von Palmenhainen umgeben, im Zentrum der Stadt gelegen war, doch nachdem sie ihn mit kritischem Blick kurz gemustert hatte, ver kündete sie, daß er ihr nicht zusage. Also wurde nach einer anderen Möglichkeit gesucht, und schließlich entschied sie sich für einen kleineren Palast, welcher einst ein Tempel Sekhets gewesen war, jener tiger köpfigen Göttin der Rache und der Keuschheit, des sen Pylonentore zum Ufer des Nils führten, und bei Flut von seinen Wassern umspült wurden. Sie waren jetzt Teil der Stadtmauer von Memphis, denn das be nachbarte Tor war mit riesigen Steinquadern ge schlossen worden. Der Palast und seine äußeren Höfe waren von den alten Gärten des Tempels umgeben, in denen die Priester der Sekhet sich zu ergehen pflegten, und von einer hohen Mauer aus Kalkstein umschlossen. Unter dem Vorwand, daß die vom Fluß herüberwehende frische Luft gesünder für ihn sei, überredete Tua den Pharao, sich und seinen Hofstaat dort einzuquartie ren, und die Leibwache, unter dem Kommando sei nes Freundes Mermes, in den äußeren Kolonnaden und Gärten zu stationieren. Als man die Königin darauf hinwies, daß die weni gen verbliebenen Wohnräume für sie ungeeignet sei en, erwiderte sie, daß ihr das nichts ausmache, da sich in dem rechten Pylonenturm zwei Kammern be
finden, welche aus der starken Stadtmauer herausge schlagen worden waren, und die ihr sehr zusagten, da sie einen wunderbaren Blick auf den Nil und das weite, fruchtbare Land der Ebene böten und man aus den hochgelegenen Fenstern sogar die fernen Pyra miden sehen könne. Also wurden diese alten Kam mern, die seit Generationen nicht mehr benutzt wor den waren, eilig gereinigt und möbliert, und in ihnen nahmen Tua und ihre Nährmutter Asti Residenz.
8
Das magische Abbild
In jener Nacht blieben der Pharao und Tua und jene Mitglieder des Hofstaates, die sie mitgenommen hat ten, ungestört, doch am nächsten Morgen begann ei ne Reihe von Festen, wie man sie in der Geschichte Ägyptens selten verzeichnet findet. Das Bankett, mit dem sie eröffnet wurde, war prächtiger als alles, was Tua selbst in Theben jemals erlebt hatte, es über strahlte sogar das ihrer Krönung und das jenes Tages von Blut und Glück, als Amathel und seine nubischen Leibwächter getötet wurden und sie und Rames sich ihre Liebe gestanden hatten. Bei diesem Bankett sa ßen der Pharao und die junge Königin auf Stühlen aus massivem Gold, und Prinz Abi saß neben ihr und nicht zur linken Seite des Pharao, wie es als Gastge ber und Untertan seine Pflicht gewesen wäre. »Ich fühle mich zu sehr geehrt«, sagte Tua und blickte ihn aus den Augenwinkeln heraus an. »War um sitzt du nicht neben dem Pharao, mein Onkel?« »Wer bin ich, daß ich mir diesen Ehrenplatz anma ßen dürfte, wenn meine Souveräne mich besuchen?« antwortete er und neigte seinen riesigen Kopf. »Mag er für den Hohepriester Osiris' reserviert bleiben, je nes heiligen Gottes, den wir hier nach Ptah vor allen anderen Gottheiten verehren, da dieser heilige Mann in die Majestät des Totengottes gekleidet ist.« »Des Totengottes«, sagte Tua. »Setzt du ihn deshalb an die Seite meines Vaters?« »Ganz gewiß nicht«, antwortete Abi und spreizte
die Hände, »obwohl ich, wenn eine Wahl getroffen werden müßte, ihn lieber an die Seite eines setzen würde, welcher alt ist und bald ›ewig-lebend‹ ge nannt werden wird, als an die Seite der schönsten Königin, die Ägypten jemals sah, und von der gesagt wird, daß Amon selbst ihr ein langes Leben verspro chen habe.« Dabei verneigte er sich abermals. »Du willst damit sagen, daß der Pharao bald ster ben wird. Nein, leugne es nicht ab, Prinz Abi, ich kann deine Gedanken lesen, und sie sind bösen Omens«, sagte Tua scharf, wandte den Kopf ab und begann die Menschen um sich herum zu beobachten. Bald bemerkte sie, daß hinter Abi neben anderen Männern auch ein großer, hagerer, grauhaariger Mann stand, der in die Robe und die Kappe eines Astrologen gekleidet war und alles sehr aufmerksam zu beobachten schien, besonders aber den Pharao und sie, denn wenn immer sie sich umblickte, fand sie den Blick seiner stechenden, schwarzen Augen auf sich gerichtet. »Wer ist dieser Mann?« flüsterte sie wenig später Asti zu, die sie bediente. »Der berühmte Astrologe Kaku, Königin. Ich habe ihn schon einmal gesehen, als er mit dem Prinzen nach Theben kam; das war vor deiner Geburt. Ich werde dir später von ihm berichten. Behalte ihn im Auge!« Tua beobachtete ihn aufmerksam und entdeckte mehrere Dinge, darunter, daß Kaku genau verfolgte, was der Pharao und sie taten, was sie aßen, mit wem sie sprachen, und was sie sagten. Er nahm jedes Wort auf, das von ihren Lippen fiel, so zum Beispiel jene, die sie über den Gott Osiris geäußert hatte, und no
tierte sie von Zeit zu Zeit auf Wachstafeln, zweifellos, um sie später bei seinen Auslegungen der Omen für die Deutung der Zukunft zu benutzen. Nun befand sich unter den Hofdamen, welche dem Pharao mit Fächern Kühlung zuwehten und ihn be dienten, auch jenes Mädchen, das vor vielen Jahren Abis Komplott in Theben verraten hatte, Merytra, jetzt Hüterin der Fußbank und eine Frau von mittle ren Jahren, doch noch immer schön, welche Tua seit langem gefährlich erschien, die der Pharao jedoch mochte, da sie eine kluge und witzige Unterhalterin war und ihn amüsierte. Das war auch der Grund da für, daß er ihr, trotz ihres dunklen Vorlebens, zu Reichtum und Ansehen verholfen hatte und sie zu seiner Unterhaltung in seiner engeren Umgebung be ließ. Irgend etwas im Verhalten dieser Frau erregte Tuas Aufmerksamkeit, und sie bemerkte, daß sie ständig zu dem Astrologen Kaku hinüberblickte, bis dieser sie bemerkte und sie anlächelte, als ob er eine alte Freundin wiedererkannt hätte. Dann, als eine an dere an der Reihe war, ihren Platz hinter dem Pharao einzunehmen, trat Merytra zu Kaku und flüsterte ihm, durch ihren Fächer abgeschirmt, rasch ein paar Worte zu, als ob sie eine Verabredung mit ihm träfe, und nachdem Kaku zustimmend genickt hatte, trat sie wieder von ihm fort. Das Bankett nahm seinen langwierigen Verlauf, bis endlich die Türen geöffnet wurden und Sklaven die Mumie eines Toten hereintrugen, die sie in der Mitte der Halle auf die Füße stellten, worauf eine Stimme rief: »Trinkt und seid fröhlich, all ihr Großen der Er de, die ihr nicht wißt, wie bald ihr diesen letzten, niedrigen Stand erreichen werdet.«
Nun war dieses Hereintragen einer Mumie zwar ein uralter Ritus, jedoch einer, der allgemein der Ver gessenheit anheimgefallen war, so daß Tua, welche ihn noch nie praktiziert gesehen hatte, ihm mit Neu gier folgte, die jedoch nicht frei von Ekel war. »Warum wird dieser tote König aus seiner Grab kammer in die Welt der Lebenden zurückgezerrt, mein Onkel?« fragte sie und deutete auf die königli chen Embleme, die diese Leiche trug. »Das ist kein König«, antwortete Abi, »sondern nur die Hülle eines gewöhnlichen Menschen, oder viel leicht lediglich eine Holzfigur, die man mit dem Uräus und dem Zepter geschmückt hat, zu Ehren des Pharao, unseres verehrten Gastes.« Tua runzelte unwillig die Stirn, und der Pharao, der dieses Gespräch mitgehört hatte, lächelte traurig. »Ein nicht sehr geschmackvolles Kompliment, mein Bruder, für einen, der wie ich alt und kränklich und seiner ewigen Wohnstätte nicht mehr weit entfernt ist«, sagte er. »Doch warum sollte ich mich darüber beschweren, der keine solche Erinnerung an das nötig hat, was mich und alle anderen erwartet?« Und er lehnte sich schwer zurück und seufzte, und Tua blickte ihn besorgt an. Nun befahl Abi, die Mumie zu entfernen und er klärte unter vielen Entschuldigungen, daß sie nur hereingebracht worden sei weil dies eine alte Sitte in Memphis wäre, das seine Gewohnheiten nicht so rasch wechsele wie Theben. Er setzte hinzu, daß diese selbe Leiche oder Holzfigur – er wisse nicht, welches von beiden es sei, da er sich nie die Mühe gemacht habe, nachzufragen – von mindestens dreißig Pha raonen angesehen worden sei die jetzt alle so tot wä
ren wie sie, daß es sich um dieselbe handele, die frü her bei den Banketten des Königshofes verwendet worden war, vor langer langer Zeit, bevor der Regie rungssitz nach Theben verlegt worden sei. »Wenn dem so ist«, unterbrach Tua scharf, »so wird es Zeit, daß sie endlich begraben wird, falls sie aus Fleisch und Knochen ist, oder verbrannt, so aus Holz. Doch der Pharao ist ermüdet. Haben wir deine Erlaubnis, uns zurückzuziehen, mein Onkel?« Ohne ihr zu antworten, erhob sich Abi, um die Ta fel aufzuheben, wie Tua annahm. Doch dem war nicht so, denn er hob einen großen, goldenen Wein kelch und sagte: »Bevor wir uns trennen, meine Gä ste, laßt Memphis einen Willkommensschluck auf den mächtigen Herrn Beider Reiche trinken, der uns zum ersten Mal in seiner langen und glücklichen Herrschaft heute mit seiner Anwesenheit ehrt. Doch wie mein königlicher Bruder soeben sagte, ist er schwach vom Alter und kränklich, und wir dürfen nicht hoffen, daß er nach Abschluß dieses Besuches je wieder in diese Stadt zurückkehren wird. Doch haben die Götter ihm eine Gunst erwiesen, welche sie ihm lange vorenthielten: seine wunderbare Tochter, die seinen Thron mit ihm teilt, und die, wie wir hoffen und von den Göttern erbitten, nach ihm herrschen wird, wenn es ihm gefällt, in das Königreich Osiris' emporzusteigen. Doch, meine Freunde, ist es übel, daß die gesicherte und rechtmäßige Herrschaft über Ägypten von einem einzigen schwachen Leben ab hängig sei. Deshalb ist dieses, worauf ich trinken werde: daß die Königin Neter-Tua, der Morgenstern Amons, Hathor-stark an Schönheit, die so viele Be werber zurückgewiesen hat, bevor sie wieder von uns
scheidet, einen finden möge, der ihr gefällt, einen Gemahl königlichen Geblütes, erfahren in der Kunst des Herrschens, dessen Stärke und Wissen ihr helfen, ihre weibliche Schwäche und ihre Unerfahrenheit zu stärken, wenn jene schwere Stunde kommt, zu der sie sich allein auf dem Thron findet.« Die Zuhörer, welche die innere Bedeutung und den Zweck dieser Worte sehr wohl verstanden, erhoben sich nun und jubelten ihm zu, so wie man es ihnen befohlen hatte, erhoben ihre Kelche und leerten sie, und sie schrien: »Wir kennen diesen Mann. Nimm ihn dir, große Königin, nimm ihn dir, Tochter Amons, und herrsche auf ewig!« »Was meinen sie damit?« murmelte der Pharao. »Ich verstehe es nicht. Danke du ihnen, meine Toch ter, da meine Stimme schwach geworden ist, und laß uns gehen.« Also erhob sich Tua, als endlich wieder Ruhe ein gekehrt war, blickte mit blitzenden Augen umher und sagte mit ihrer klaren Stimme, die bis in die äu ßersten Winkel der großen Halle drang: »Der Pharao, mein Vater, und ich, die Königin des Oberen und des Unteren Reiches, drücken euch, unseren Untertanen dieser Stadt, unseren Dank für eure loyale Begrüßung aus. Was jedoch die Worte des Prinzen Abi betrifft, so verstehen wir sie nicht. Mein Gebet ist, daß der Pha rao noch viele Jahre herrschen möge, doch wenn er von uns geht und ich allein zurückbleibe, so wisset, o Untertanen, daß ihr durch die Schwäche und Uner fahrenheit eurer Königin nichts zu fürchten habt. Er fahret außerdem, daß sie keinen Gemahl sucht, und diesen, wenn sie es täte, gewiß nicht innerhalb der Mauern von Memphis finden würde. Schlafet wohl, o
Untertanen, und auch du, mein Onkel Abi, was wir, mit deiner Erlaubnis, nun ebenfalls tun werden.« Dann wandte sie sich um, nahm ihren Vater bei der Hand und ging ohne ein weiteres Wort davon; Abi blieb reglos stehen und starrte seine Gäste an, und die Gäste starrten zurück. Als Tua den Pylonenturm erreicht hatte, in dem sie wohnte, und ihre Damen sie ausgekleidet hatten und gegangen waren, rief sie nach Asti, die in der benach barten Kammer wohnte, und sagte: »Du bist weise, meine Amme, sage mir, was hat Abi gemeint?« »Wenn du das nicht selbst gemerkt hast, o Königin, bist du nicht so klug, wie ich es angenommen hatte«, antwortete Asti auf ihre ruhige, trockene Art, und setzte dann hinzu: »doch ich will versuchen, es dir auszudeuten. Der Prinz Abi, dein edler Onkel, wollte dir damit sagen, daß er dich hier in die Falle gelockt hat und du diese Stadt nicht mehr verlassen wirst, es sei denn, als seine Frau.« Tua wurde von einer kalten Wut ergriffen. »Wie kannst du es wagen, so etwas auszuspre chen?« rief sie und sprang auf. »Ich als Frau dieses alten Flußpferdes, meines Vaters Bruder, welcher mein Großvater sein könnte, dieses widerlichen, alten Lüstlings, der sich damit brüstet, hundert Söhne und Töchter gezeugt zu haben; ich, die Königin Ägyptens, deren Geburt von Amon beschlossen war, ich – wie kannst du es wagen?« und sie schwieg, fast erstickt von ihrer Wut. »Die Frage ist doch: wie kann er es wagen, Königin. Dies jedoch ist sein Plan, welchen er auch durchfüh ren wird, wenn er dazu fähig sein sollte. Ich habe so etwas von Anfang an vermutet, und das war auch der
Grund dafür, daß ich mich gegen einen Besuch von Memphis ausgesprochen habe, doch wirst du dich erinnern können, daß du mir befohlen hast, zu schweigen, da du entschlossen seiest, die älteste Stadt Ägyptens zu sehen.« »Du hättest nicht schweigen dürfen, du hättest sa gen sollen, was du befürchtetest, selbst wenn ich dich hinausgeschickt haben sollte. Weder Abi, noch einer seiner Söhne haben sich um meine Hand bemüht, als die anderen es taten. Ich habe deshalb nichts be fürchtet.« »Wie es die Art der Frauen ist, die ihr Herz bereits vergeben haben, o Königin, und vergessen, daß sie noch andere Dinge zu geben haben: ein Königreich, zum Beispiel. Die Schlange brüllt nicht wie der Löwe, und doch ist sie mehr gefürchtet.« »Sobald ich aus dieser Stadt heraus bin, wird es die Schlange sein, die Grund zum Fürchten hat, Asti, denn ich werde ihr das Rückgrat brechen und sie zuckend den Geiern zum Fraß vorwerfen. Amme, wir müssen Memphis verlassen.« »Das ist nicht einfach, Königin, da für jeden der nächsten acht Tage irgendeine Zeremonie geplant ist. Wenn der Pharao fortgehen und an ihnen nicht teil nehmen würde, wären alle Völker des Nordens, die er seit seiner Krönung nicht besucht hat, darüber ge kränkt und empört.« »Dann sollen sie eben empört sein; der Pharao kann tun, was er will.« »Ja, Königin, zumindest wird dies gesagt. Aber glaubst du, daß der Pharao einen Bürgerkrieg riskie ren würde, durch den seine Krone und die deine in Gefahr geraten könnte? – Höre! Abi ist sehr mächtig
und hat unter seinem Kommando größere Heerscha ren, als sie der Pharao zu diesen Friedenszeiten zu sammenrufen könnte, denn außer seinen ausgebil deten Truppen erkennen auch die Beduinenstämme der Wüste mit Tausenden von Kriegern ihn als ihren Herrn an und würden auf sein Wort über den Reich tum Ägyptens herfallen wie Geier über einen gemä steten Ochsen. Außerdem hast du hier lediglich eine Leibwache von fünfhundert Mann, während Abis Truppen, die zu deiner Begrüßung aufmarschiert wa ren, nach Tausenden zählen und die Straße nach Sü den abriegeln können, und seine Kriegsschiffe den Fluß. Wie also willst du Memphis verlassen, wenn er es dir nicht gestattet? Wie willst du selbst Boten hin ausschicken, um Hilfe herbeizurufen, welche nicht vor fünfzig Tagen hier sein könnten?« Als Tua nun die Größe der Gefahr erkannte, in der sie sich befand, wurde sie sehr ruhig. »Du hast Unrecht getan, Asti«, sagte sie. »Wenn du diese Dinge vorausgesehen hast, an die ich überhaupt nicht gedacht habe, hättest du den Pharao und seine Räte warnen müssen!« »Ich habe sie gewarnt, Königin, und auch Mermes hat sie gewarnt, doch wollten sie nicht auf mich hö ren und sagten, dies seien doch nur die eitlen Träume einer, welche versucht, einen Blick in die Zukunft zu werfen, und dort falsche Bilder sieht. Der Pharao ließ mich sogar selbst zu sich befehlen und sagte mir, daß er mir und Mermes danke, jedoch selbst Erkundigun gen eingeholt und keinen Grund dafür entdeckt habe, Abi oder einem seiner Männer mißtrauen zu müssen. Dann verbot er mir noch ausdrücklich, mit dir dar über zu sprechen, damit du, die du jung und eine
Frau bist, nicht verängstigt würdest und so dein Ver gnügen an der Reise verdorben werden könnte.« »Wer war sein Berater in dieser Sache?« fragte Tua. »Eine Frau, Königin. Du kennst seine Dienerin, Me rytra, die er sehr mag, und die heute abend mit einem Fächer hinter ihm stand.« »Ja, ich kenne sie«, antwortete Tua mit Nachdruck. »Sie hat bei dem Bankett eine Weile mit dem hageren Astrologen getuschelt. Doch seit wann läßt sich der Pharao von Dienerinnen seines Haushalts beraten?« »Von dieser seit geraumer Zeit, wie es scheint, Kö nigin. Vielleicht kennst du ihre Geschichte nicht. Im Jahr vor deiner Geburt kam Merytra mit Abi den Nil herauf. Sie war damals sehr jung und sehr hübsch; eine von Abis Sklavinnen. Es scheint, daß der Prinz sie wegen irgendeines Versehens geschlagen hatte, und da sie überaus schlau ist, beschloß sie, sich an ihm zu rächen. Wenig später fand sie die Gelegenheit dazu, denn sie hörte, wie Abi und der Astrologe Ka ku, derselbe Mann, den du heute abend mit ihr spre chen sahst, über einen von Abi gefaßten Plan berie ten, den Pharao zu ermorden und sich auf seinen Thron zu setzen, wovon Kaku ihm abriet. Als sie nun sein Geheimnis kannte, und da sie mutig war, floh sie sofort von Abis Schiff und berichtete noch in jener Nacht alles dem Pharao. Der jedoch vergab Abi und sandte ihn, der für seinen Verrat hätte getötet werden sollen, in Ehren nach Memphis zurück. Doch Merytra verblieb am Hofe, und von der Zeit an machte der Pharao, der ihr vertraute und von ihrer Schönheit und ihrem Geist gefangengenommen war, es sich zur Gewohnheit, sie zu sich rufen zu lassen, wann immer er etwas über Memphis zu erfahren wünschte, wo sie
geboren wurde, da sie immer bestens über alles in formiert schien, was in dieser Stadt geschah, selbst über die geheimsten Dinge. Und meist erwiesen ihre Informationen sich als richtig.« »Das ist kaum verwunderlich, Amme, da sie zwei fellos von diesem Kaku stammten, Abis Astrologen und Magier.« »Ja, Königin, es ist nicht verwunderlich, besonders, da sie ein Geheimnis mit einem anderen bezahlte. Bald nachdem ich den Pharao vor dem gewarnt hatte, was ich wußte – frage mich nicht, woher ich es wußte –, sandte er nach dieser Merytra, die darüber nur ver ächtlich lachte und ihm versicherte, daß Abi, sein Bruder, schon lange jeden Ehrgeiz aufgegeben habe und mit seinem großen Lande und seiner großen Macht, die einer seiner Söhne einst von ihm erben würde, sehr zufrieden sei. Sie erklärte ihm auch, daß die Truppen nur zusammengezogen worden wären, um dem Pharao größere Ehren zu erweisen, der kei nen treueren Untertan habe als den Prinzen Abi, wel chen sie aus gutem Grunde haßte, so wie sie den Pha rao und sein Haus liebe – ebenfalls aus gutem Grun de. Wenn auch nur die geringste Gefahr bestünde, so fragte sie, wie könnte sie es dann wagen, sich in die Reichweite Abis zu begeben, jenes Mannes, den sie einstens verraten hatte, weil ihr Herz rein und ehrlich sei und sie ihrem König treu ergeben. Also glaubte der Pharao ihr, und ich gehorchte den Befehlen des Pharao, da ich fürchtete, daß er sonst zornig werden und mich vielleicht von dir, meiner geliebten Königin und Nährtochter, trennen könnte, was jetzt, da Rames so weit entfernt ist, meinen Tod bedeutet hätte. Und doch fürchte ich, daß ich falsch gehandelt habe.«
»Ja, auch ich fürchte, daß du falsch gehandelt hast, Asti, doch alles wird jenen vergeben, welche aus Lie be Fehler machen«, antwortete Tua sanft und küßte sie auf die Stirn. »Oh, mein Vater Pharao! Welcher Gott hat dich so schwach geschaffen, daß ein böser Geist in der Gestalt einer Frau das Ruder deiner Poli tik sein kann! Laß mich jetzt allein, Asti, denn ich muß schlafen und Amon anflehen, seiner Tochter zu helfen. Die Falle ist zwar stark und geschickt gestellt, doch vielleicht wird er mir in meinem Traum zeigen, wie man sie aufbrechen kann.« In jener Nacht kehrte Merytra, die Lieblingsdienerin des Pharao, nach Beendigung des Banketts nicht mit dem Rest des Gefolges in den Tempel zurück, in wel chem er residierte. Als sie die Halle verließen, flü sterte sie dem Ersten Bediener des Haushaltes ein paar Worte ins Ohr, welcher wußte, daß sie vom Prinzen die Erlaubnis hatte, nach Belieben ein- und auszugehen, und ihr versicherte, daß das Tor für sie geöffnet werden würde. Also verbarg sich Merytra, die Kapuze ihres dunk len Umhangs über den Kopf gezogen, hinter einer be stimmten Statue in der Vorhalle und wartete, bis we nig später eine hochgewachsene Gestalt, ebenfalls in einen dunklen Umhang gehüllt, erschien und ihr winkte. Sie folgte der Gestalt durch mehrere Gänge und eine fast endlos erscheinende Stiege hinauf, bis diese Gestalt eine schwere Tür öffnete und sie hinter ihnen sofort wieder verschloß. Merytra fand sich in einem kostbar eingerichteten Raum, der von Hängelampen erleuchtet wurde und offensichtlich die Wohnung eines war, welcher die
Sterne beobachtete und Magie praktizierte, denn überall sah sie seltsame Geräte aus Messing und Pa pyrusrollen, die mit geheimnisvollen Zeichen bedeckt waren, und über dem Tisch hing eine prächtige Wahrsagerkugel, Merytra sank auf einen Stuhl und warf ihren dunklen Umhang ab. »Wahrlich, mein Freund Kaku«, sagte sie, als sie wieder zu Atem gekommen war, »du wohnst sehr nahe bei den Göttern.« »Ja, meine liebe Merytra«, antwortete er mit einem trockenen Kichern, »ich unterhalte sozusagen ein Haus auf halbem Wege zum Himmel. In meine Ein samkeit eingeschlossen, sehe und notiere ich, was dort oben vor sich geht« – er deutete zum Himmel empor –, »und gebe diese Informationen, oder zu mindest soviel davon, wie es mir richtig erscheint, an die kleinen Wichte weiter, die unter mir hausen.« »Für einen Preis, nehme ich an, Kaku.« »Natürlich für einen Preis, und für einen sehr ho hen Preis, sollte ich hinzufügen. Niemand hält viel von einem Arzt, der niedrige Gebühren verlangt. Gut, also hast du es geschafft, hierher zu kommen, und nach all den Jahren bin ich froh, dich wiederzusehen, fast so jung und so schön wie damals. Verrate mir dein Geheimnis ewiger Jugend, liebe Merytra.« Merytra, die sehr eitel war, lächelte über diese Schmeichelei, welche, ehrlich gesagt, verdient war, denn in einem Alter stehend, in dem die meisten Ägypterinnen fast greisenhaft waren, sah sie noch immer frisch und schön aus. »Ein ruhiges Gewissen«, antwortete sie, »ein guter Appetit und ein tugendhaftes, stilles Leben, welches das Los der Damen am Hofe des Pharao ist – hier hast
du mein Geheimnis, Kaku. Ich fürchte, daß du zu spät ins Bett gehst, und das ist der Grund dafür, daß du so weiß geworden bist, und so ausgedörrt wie ei ne Mumie – doch in deiner langen Robe siehst du noch immer gut aus«, setzte sie hinzu, um ihm die bittere Pille zu versüßen. »Es ist meine Arbeit«, sagte er und machte ein ge quältes Gesicht, denn auch er war eitel. »Meine Mü hen zum Guten anderer, und auch Verdauungsbe schwerden und der ständige Zug in diesem ver fluchten Turm, wo ich Nacht für Nacht sitze und zu den Sternen emporstarre, was mir nur Rheumatismus einbringt. Jetzt spüre ich beides wieder und muß meine Medizin nehmen.« Er füllte zwei Becher aus einer Karaffe und reichte ihr einen. »Trink, in Theben findest du einen solchen Wein nicht!« »Er ist sehr gut«, sagte Merytra, nachdem sie ge trunken hatte, »doch auch sehr schwer. Wenn ich zu viel davon trinke, würde ich sicher auch ›Rheuma tismus‹ bekommen. Doch sage mir jetzt, mein Freund, bin ich hier sicher? Nein, nicht vor dem Pha rao, denn der vertraut mir und läßt mich gehen, wo hin ich will, sondern vor seinem königlichen Bruder. Er war schon immer sehr nachtragend, und nach sei nem Aussehen zu urteilen, glaube ich nicht, daß seine Launenhaftigkeit sich gelegt hat. Du magst dich dar an erinnern, daß er mich einst ins Gesicht geschlagen hat, und auf welche Weise ich ihm das heimgezahlt habe.« »Er weiß bis heute nicht, daß du es warst, Merytra. Da er ein Muster an Einbildung ist, glaubte er, du sei est weggelaufen, weil er dich aus seiner königlichen Gegenwart verbannt und dich – mir gegeben hatte.«
»Oh, das dachte er, nicht wahr? Was für ein eitler Narr!« »Es war ein sehr übler Streich, den du mir gespielt hast, Merytra«, fuhr Kaku indigniert fort, denn der schwere Wein war jetzt in seinem Blut und weckte wieder den Stachel seines Verlustes. »Du weißt, wie sehr ich dich immer gemocht habe, was ich, offen ge sagt, noch immer tue«, setzte er hinzu und blickte sie begehrlich an. »Ich fühlte, daß ich eines so gelehrten und hervor ragenden Mannes nicht wert sei«, antwortete sie und sah ihn mit ihren dunklen Augen an. »Ich wäre nur eine Belastung für dich gewesen, mein lieber Kaku, also trat ich statt dessen in den Haushalt jener armen Kreatur, des Pharao, ein – das Kloster des Pharao nennen wir ihn. Aber du wirst doch Abi nichts davon sagen, nicht wahr?« »Nein, ich denke nicht, Merytra, wenn wir uns weiterhin so gut verstehen wie jetzt. Doch du hast dich erholt, also laß uns vom Geschäft reden, denn sonst müßtest du die ganze Nacht hierbleiben, und der Pharao könnte zornig werden.« »Oh, zu Set mit dem Pharao! Obwohl man zugeben muß, daß er ein guter Zahlmeister ist und den Wert einer klugen Frau erkennt. Aber, was ist dieses Ge schäft?« Das Gesicht des alten Astrologen wurde hart und verschlagen. Er trat zur Tür, vergewisserte sich, daß sie verschlossen war, und zog einen Vorhang davor. Dann nahm er einen Hocker und setzte sich vor Me rytra, in einer solchen Position, daß ihr das Licht voll ins Gesicht fiel, während das seine im Schatten blieb. »Ein großes Geschäft, Merytra, und bei den Göt
tern, ich weiß nicht, ob ich dich damit betrauen sollte. Du hast mich einmal hereingelegt, du legst den Pha rao seit Jahren herein; woher soll ich wissen, daß du nicht dasselbe Spiel noch einmal spielen und mir den Befehl einhandeln wirst, mir selbst die Kehle durch zuschneiden und so Leben und Seele zu verlieren?« »Wenn du das glaubst, Kaku, solltest du vielleicht lieber die Tür aufschließen und mir eine Eskorte nach Hause geben, denn dann verschwenden wir nur un sere Zeit.« »Ich weiß nicht, was ich von dir halten soll, denn du bist genauso gerissen wie schön. Hör zu, Frau!« fuhr er mit einem harten Flüstern fort und packte ihr Handgelenk. »Wenn du falsch spielst, wirst du eines entsetzlichen Todes sterben, denn wo das Messer und das Gift versagen, bin ich kein Scharlatan – ich kenne meine Künste. Ich kann dich so häßlich machen, daß ein jeder sich schaudernd von dir abwendet, ich kann deine Nächte heimsuchen, daß du nie wieder Schlaf finden wirst, außer bei vollem Sonnenlicht, und ich werde dies alles tun, und noch mehr. Und wenn ich sterben sollte, gehen wir zusammen hinab. Wirst du mir jetzt schwören, ehrlich zu sein, wirst du mir das mit dem Eid aller Eide schwören?« Die Spionin blickte unruhig umher. Sie kannte Ka kus Macht, die in ganz Ägypten berühmt war und, wie behauptet wurde, von der übelsten Art, und sie fürchtete ihn. »Es scheint, als ob dies eine sehr gefährliche Ange legenheit wäre«, sagte sie unsicher, »und ich glaube, dein Ziel erkennen zu können. Wenn ich dir also da bei helfe, Kaku, was bekomme ich dann?« »Mich«, antwortete er.
»Ich fühle mich sehr geschmeichelt, aber was noch?« »Nach dem Pharao die höchste Stellung und die größte Macht in Ägypten als Frau des Wesirs.« »Die Frau? Nach allem, was ich über dich gehört habe, Kaku, gibt es noch weitere Frauen, mit denen ich diese Ehre teilen müßte.« »Keine weitere Frau – bei meiner Ehre, keine, Me rytra.« Sie dachte einen Moment lang nach und blickte da bei den weißbärtigen, doch energisch wirkenden al ten Magier an. »Ich werde diesen Eid schwören und meinen Teil davon halten«, sagte sie schließlich. »Sieh zu, daß du den deinen hältst, Kaku, oder es wird dir schlecht er gehen, denn Frauen haben ihre eigenen bösen Kräf te.« »Das weiß ich, Merytra, und von Anbeginn an ha ben die Weisen erkannt, daß ihr Geist nicht im Her zen, oder im Gehirn, oder in der Leber der Frauen wohnt, sondern in ihrer Zunge. Steh auf!« Sie tat es, und aus einem Versteck in der Wand zog Kaku eine Rolle, die mit magischen Zeichen bedeckt war, welche in einem Band aus Eisen steckte, dem Metall des bösen Gottes Typhon. »Es gibt kein zweites Buch wie dieses«, sagte er, »denn es ist von dem größten Zauberer geschrieben worden, der jemals gelebt hat, noch vor der Zeit Me nas, als die Gottkönige über Ägypten herrschten, und ich selbst habe es zwischen seinen Knochen heraus gesucht, eine entsetzliche Arbeit, denn sein Ka erhob sich aus dem Grabe und bedrohte mich. Einer, der dieses Buch lesen kann, wie es bei mir der Fall ist,
gewinnt große Macht, doch möge jeder sich hüten, einen Eid zu brechen, den er auf dieses Buch schwört. Drück es jetzt an dein Herz, Merytra, und sprich mir nach!« Dann zitierte er den schrecklichen Eid, welcher je den, der ihn geschworen hatte und ihn brach, zu allen Krankheiten und zu allem Unglück in dieser Welt verdammte, und in der nächsten zu ewigen Qualen in den Klauen und Zähnen tierköpfiger Dämonen, wel che im Dunkel jenseits der Sonne leben, und jene bei ihren Namen aufrief, welche diese Foltern bereiten sollten, und sie zu Zeugen des Paktes bestellte. Merytra hörte schweigend zu, dann sagte sie: »Du hast deinen Teil des Eides ausgelassen, mein Freund, nämlich dein Versprechen, daß ich die einzige Frau von Pharaos Wesir sein und dieselbe Macht haben soll wie er.« »Ich vergaß«, sagte Kaku und fügte es hinzu. Dann schworen sie beide, wobei sie das Buch mit ihren Stirnen berührten, und als Merytra wieder auf blickte, sah sie in der Zauberkugel, die über ihr hing, ein seltsames, flammenartiges Licht pulsieren, das kurz darauf von einem Rot durchschossen wurde, so wie Blut aus einer Wunde fließen mag, bis sie in ei nem dunklen Rot erglühte, aus welchem ein großes Auge sie anblickte. Dann verschwand das Auge, und auch das Blut verschwand, und an ihrer Stelle sah sie die Königin Neter-Tua auf ihrem Thron sitzen, wäh rend das Volk sie anbetete, und neben ihr saß ein Mann in königlichen Roben, dessen Gesicht von einer Wolke verdeckt wurde. »Was siehst du?« fragte Kaku, der ihrem Blick in die Kugel folgte.
Sie sagte es ihm und er dachte eine Weile darüber nach. Dann sagte er zweifelnd: »Ich denke, daß dies ein gutes Omen ist; der königliche Gemahl sitzt an ih rer Seite. Nur, warum ist sein Gesicht verborgen?« »Das weiß ich nicht«, antwortete Merytra. »Ich glaube, du hast etwas in diesen starken, roten Wein getan, und er ist mir zu Kopfe gestiegen. Doch komm, wir haben jetzt diesen Eid geschworen, welcher auf mehr Arten wirken mag, als wir es erraten können, denn solche verfluchten Schwerter haben zwei Schneiden. Also heraus mit dem Plan, und deck ein Tuch über diese Kugel, da ich nicht noch mehr Bilder sehen will!« »Das ist schade, da du eine seherische Gabe zu be sitzen scheinst«, antwortete Kaku mit dem gleichen, zweifelnden Tonfall. Doch tat er, wie sie ihm gehei ßen hatte und verdeckte die Kugel mit einer Mumien binde, die er bei seinen Beschwörungen verwendete. »Ich werde mich kurz fassen«, sagte er. »Mein fet ter Herr, Abi, will der Pharao von Ägypten werden, und der leichteste Weg zu diesem Ziel scheint ihm, sich auf den Thron seiner Nichte zu setzen, einen Platz, den die meisten Männer anstreben.« »Du meinst, indem er sie heiratet?« »Natürlich. Was denn sonst? Er, der die Königin heiratet, herrscht mit dem Recht der Königin.« »Das stimmt. Weißt du irgend etwas von NeterTua?« »Soviel wie jeder andere Mann von ihr weiß; doch was meinst du damit?« »Ich meine, daß mir der Mann leid tut, der sie ge gen ihren Willen heiratet, so schön und so hochste hend sie auch sein mag. Ich sage dir, daß diese Frau
eine Flamme ist. In ihr steckt mehr Kraft, als in allen Magiern Ägyptens, dich eingeschlossen. Man sagt, daß sie eine Tochter Amons sei, und ich glaube das. Ich glaube, daß die Götter in ihr wohnen, und Gnade dem, den sie zu hassen beliebt, wenn er als Ehemann zu ihr kommt.« »Das ist Abis Angelegenheit, nicht wahr? Die unse re ist es, ihn dorthin zu bringen. Wir können also an nehmen, daß ihr das nicht recht ist?« »Mit Sicherheit nicht, Kaku«, antwortete sie. »Ge rüchte besagen, daß sie den jungen Rames liebt, der vor ihren Augen gegen den Prinzen von Kesh ge kämpft und ihn getötet hat und jetzt an der Spitze ei ner Heerschar nach Süden gezogen ist, um dem Kö nig von Kesh, seinem Vater, Sühne anzubieten.« »Das mag wohl wahr sein, Merytra. Warum auch nicht? Er ist ihr Nährbruder und von königlichem Geblüt, und auch mutig und gut aussehend, wie ge sagt wird. Aber Königinnen haben kein Recht, zu lie ben. Das ist das Privileg einfacherer Menschen, wie du und ich, Merytra. Sage, ist sie mißtrauisch? Was den Prinzen Abi betrifft, meine ich.« »Das weiß ich nicht, aber Asti, ihre Amme und be vorzugte Hofdame, die Frau Mermes' und Mutter Rames', ist sehr mißtrauisch. Sie ist eine Zauberin und ein größerer Magier als du es bist, Kaku, und wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte der Pharao niemals seinen Fuß in die Stadt Memphis gesetzt. Doch ich bekam deinen Brief und habe ihn dazu überredet, den armen Narren. Du mußt verstehen, daß er mich für eine treue Dienerin seines Hauses hält, und allein deshalb ist es mir möglich, jetzt hier zu sein und In formationen einzuholen.«
»Ah! Was Asti weiß, wird auch die Königin wissen, und sie ist stärker als der Pharao und könnte trotz aller Krieger und Schiffe des Pharao aus Memphis ausbrechen und Krieg gegen ihn führen. Also geht es darum: Der Pharao muß hier bleiben, denn seine Tochter wird ihn nicht verlassen.« »Und wie willst du ihn dazu zwingen, hierzublei ben, Kaku? Doch nicht etwa durch ...« Und sie warf einen ängstlichen Blick auf die verhängte Kugel. »Nein, kein Blut – wenn es nicht unvermeidlich ist. Man darf nicht merken, daß er wie ein Gefangener gehalten wird. Doch es gibt eine andere Möglichkeit.« »Was für eine Möglichkeit? Gift?« »Auch zu gefährlich. Aber wenn er krank werden sollte, so wie er vorher krank war, und sich nicht rüh ren könnte, würde uns das genügend Zeit geben, die Heirat zu erzwingen, nicht wahr? Oh! Ich weiß, daß er sich zur Zeit recht gut fühlt – doch sieh her, Me rytra, ich muß dir etwas zeigen!« Nun trat Kaku zu einer kleinen Schachtel aus glat tem Zedernholz, welche wie eine Mumie geformt war, hob ihren Deckel auf und enthüllte eine Wachs figur von der Größe einer Hand. Diese Wachsfigur war sehr künstlerisch als Ebenbild des Pharao ge formt und trug die Doppelkrone Ägyptens. »Was ist dies?« fragte Merytra und schreckte zu rück. »Ein Ushapti, das ihm ins Grab gesetzt werden soll?« »Nein, Frau, es ist ein magisches Ka, unter vielen Beschwörungen nach jener uralten Schriftrolle ge formt, welches ihn in sein Grab setzen kann, wenn es richtig gehandhabt wird, wie du es handhaben wirst.«
»Ich!« rief sie und fuhr zusammen. »Wie?« »Auf diese Weise: Als eine der Lieblingsdienerin nen des Pharao hast du Zutritt zu der Kammer, in der er schläft. Du brauchst weiter nichts zu tun, als sie allein zu betreten und sie so auf das Bett des Pharao zu legen, daß sein Atem in sie eintritt. Danach nimmst du sie wieder von dem Bett und sagst diese Worte: ›Figur, Figur, ich befehle dir bei den in dir wohnenden Kräften und im Namen des Herrn des Bösen, daß so, wie deine Glieder erschlaffen, auch die jenes, in dessen Ebenbild du geschaffen wurdest, er schlaffen.‹ Nachdem du so gesprochen hast, wirst du die Beine dieser Figur über die Flamme einer Lampe halten, bis sie halb geschmolzen sind, und sie dann zu deinem eigenen Schlafplatz bringen und dort gut verstecken. So wird es geschehen, daß während jener Nacht die Nerven und Muskeln in den Beinen des Pharao verdorren und unbrauchbar werden und er gelähmt ist und sich nicht bewegen kann. Später, wenn es sich als nötig erweisen sollte, werde ich dir mehr sagen.« Nun bekam Merytra, so mutig sie auch sein moch te, es mit der Angst zu tun. »Das kann ich nicht tun«, sagte sie. »Das wäre Schwarze Magie gegen einen, der ein Gott ist, und würde meine Seele in die Hölle bringen. Finde ein anderes Mittel, oder leg dieses wächserne Gespenst selbst in das Bett des Pharao, Kaku!« Das Gesicht des Magiers wurde hart und grausam. »Komm mit mir, Merytra!« sagte er, packte sie beim Handgelenk und führte sie zu einem offenen Fenster, von dem aus er die Sterne beobachtete. So schwindelnd war die Höhe dieses Turmes, daß
die Häuser unter ihr klein und weit entfernt wirkten, und der Himmel sehr nahe. »Blicke auf Memphis und den Nil, und auf das weite Land Ägypten, das im Mondlicht schimmert, und auf die Pyramiden der alten Könige. Du willst über all dies herrschen, so wie ich – nicht wahr, Me rytra? – und wenn du mir gehorchst, wirst du es auch!« »Und wenn ich dir nicht gehorche?« »Dann werde ich einen Fluch auf dich laden, und deine Sinne werden dich verlassen, und du wirst kopfüber auf jenen weißen Strich fallen, welcher eine Straße ist, und bis morgen früh werden die Hunde deine zerbrochenen Knochen abgenagt haben, so daß niemand dich erkennen kann, denn du hast zu viel gehört, um diesen Raum lebend zu verlassen, wenn du nicht tust, was ich dir befehle. Oh, nein! Glaube nur nicht, daß du sagen kannst, du wirst es tun, um mich später zu hintergehen, denn jenes Abbild, das du mit dir nimmst, ist zugleich mein Diener und wird dich beobachten und mir berichten, und auch dem Gott, seinem Herrn. Also wähle!« »Ich werde dir gehorchen, Kaku«, flüsterte Merytra kaum hörbar, und als sie das sagte, glaubte sie in der Luft vor dem Fenster ein Lachen zu hören. »Gut. Nun versteck die Schachtel unter deinem Umhang und laß sie nicht fallen, denn wenn du das tust, wird das, was darin ist, laut schreien, und man wird dich als Hexe töten. Falls nicht von mir ein an derer Befehl kommen sollte, wirst du diese Figur morgen abend in das Bett des Pharao legen und zur Stunde des Mondaufgangs in deiner eigenen Kammer ihre Glieder in die Flamme halten, und sie dort ver
stecken und sie danach zu mir zurückbringen, damit ich sie erneut verzaubern kann, falls dieses notwen dig werden sollte. Komm jetzt, ich werde dich selbst zu dem alten Tempel der Sekhet begleiten, in wel chem der Pharao wohnt!«
9
Die Verhexung des Pharao
Als Asti am nächsten Morgen in die Kammer der Kö nigin trat, um sie für die Zeremonie dieses Tages an zukleiden, fragte sie, ob Amon ihr während der Nacht die Weisheit gegeben habe, nach der sie suchte. »Nein«, antwortete die junge Königin. »Alles, was er mir gab, waren sehr böse Träume, und in jeden von ihnen war eine Dienerin meines Vaters verwik kelt, diese Merytra, von der du sprachst. Wenn ich an Omen glaubte, so würde ich sagen, daß sie irgendein Übel über unser Haus bringen wird.« »Dem mag wirklich so sein, Königin«, antwortete Asti, »und wenn dem so sein sollte, so ist sie, wie ich glaube, bereits dabei. Jedenfalls sah ich sie, als ich aus dem kleinen Fenster meiner Kammer blickte, gegen Mitternacht im Licht des Mondes über den Tempel hof zurückkehren. Außerdem schien es mir, als ob sie etwas unter ihrem Umhang verborgen trüge.« »Von woher ist die zurückgekehrt?« »Von der Stadt, nehme ich an. Sie hat die Geneh migung des Pharao, nach Belieben ein und aus zu ge hen. Ich habe Mermes veranlaßt, den Kommandeur der Wache zu befragen, und dieser sagte, daß sie in Begleitung eines großen, hageren Mannes gekommen sei, welcher einen dunklen Umhang trug und ernst auf sie einredete, bevor er sie verließ. Nach der Be schreibung muß das dieser Astrologe, Kaku, gewesen sein, mit dem sie während des Banketts gesprochen hat.«
»Das ist eine schlechte Nachricht, Amme. Was sonst hast du mir zu berichten?« »Nur dieses, Königin: Die Tore werden noch stren ger bewacht, als wir es angenommen hatten. Ich habe heute morgen versucht, einen Boten mit einer eigenen Nachricht nach Theben zu schicken – es spielt keine Rolle, was diese Nachricht war –, und die Wachen haben ihn zurückgeschickt.« »Bei den Göttern«, rief Tua, »bevor ich ein Jahr über dieses Land herrsche, soll jedes Tor von Mem phis zu Kochtöpfen umgeschmolzen werden, und ih re Wachen sollen in den Minen der Wüste fronen. Nein, solche Drohungen sind kindisch, also nehme ich sie zurück. Ich werde zuschlagen, wenn die Zeit dazu gekommen ist, doch das ist noch nicht der Fall. Kann ich mit dem Pharao sprechen?« »Nein, Königin. Er ist bereits aufgestanden, emp fängt die Edlen von Memphis in Audienz und richtet über Fälle aus dem Unteren Reich, bis es Zeit für die Zeremonie der Grundsteinlegung für den Tempel ist, zu der du ihn begleiten mußt. Und das mag so gut sein – bis heute abend mögen wir mehr wissen. Komm, laß mich die Krone auf dein Haupt setzen, damit diese Hunde von Memphis ihre Herrin erken nen!« Die Zeremonie erwies sich als sehr langwierig. Als er stes erfolgte eine lange Fahrt in Streitwagen durch die Straßen, in denen sich jubelnde, schreiende Menschen drängten; der Pharao und Abi standen in dem ersten Streitwagen, und Tua mit dessen ältester Tochter, ei ner rundäugigen Dame, die erheblich älter war als sie, in dem zweiten. Ihnen folgten die Priester
Amons, über welche Neter-Tua, als Tochter und Ho hepriesterin Amons, präsidieren mußte, wenn der Tempel dem Ruhme dieses Gottes geweiht wurde. Anschließend der Wagen mit den Gaben, die in den Grundstein eingemauert werden sollten: Kleine Va sen und Modelle von Handwerkszeug, und ein Ring, von der Hand des Pharao gezogen und mit seinem königlichen Namen graviert, welche von den Prie stern gesegnet und von den Maurern in dafür vorbe reitete Nischen gesetzt, auf die anschließend die bei den großen Kantsteine herabgelassen wurden, welche sie auf immer verbargen. Danach erklärten der Pha rao und Neter-Tua, der Morgenstern Amons, gemein sam, daß der Grundstein des Tempels richtig und ordnungsgemäß gelegt sei. Anschließend legten Architekten, jene Männer, welche ›die Linie ziehen‹, Pläne des Tempels vor und erhielten reiche Gaben aus der Hand des Pharao, und als das vorbei war, folgten das Mittags-Bankett und einige Reden. Schließlich war alles überstanden, und die große Prozession kehrte auf einem anderen Wege zum Tempel der Sekhet zurück, in welchem der Pharao re sidierte, ein recht langer und anstrengender Weg in der heißen Mittagssonne, der entlang der ganzen Stadtmauer von Memphis führte, mit Unterbrechun gen bei allen Tempeln der Götter, bei deren jedem der Pharao Opfer darbringen mußte. Und auch dann kam der Pharao, der sehr ermüdet war, nicht zur Ruhe, denn im äußeren Hof des alten Tempels waren Thronsessel aufgestellt worden, und er und Tua wur den zu ihnen geleitet und mußten bis zum Anbruch der Dunkelheit Bittsteller anhören und Urteile fällen.
Doch auch das ging schließlich zu Ende, als sich der Pharao aber, völlig erschöpft, von seinem Thron erheben wollte, erklärte Abi sein Bruder, welcher ihn während der ganzen Zeit nicht eine Sekunde allein gelassen hatte, daß auch er selbst eine Bitte vorzutra gen habe. Also gingen sie in die innere Halle, welche ehemals ein Schrein der Göttin gewesen war, und setzten sich wieder. Neben dem Pharao, der Königin und den Schreibern waren nur einige Berater, Mer mes, der Kommandeur der Leibwache, und einige Frauen des königlichen Haushalts anwesend, unter ihnen Asti, die Amme der Königin, und Merytra, die Lieblingsdienerin des Pharao. Bei Asti waren sein Astrologe, Kaku, seine beiden ältesten Söhne, und ei nige seiner höchsten Berater, sowie die Hohepriester aller Tempel von Memphis und drei mächtige Häuptlinge von Wüstenstämmen. »Was ist deine Bitte, mein Bruder?« fragte der Pha rao, sobald die Türen geschlossen worden waren. »Es ist eine große Bitte, o Pharao«, antwortete der Prinz und warf sich zu Boden, »welche du mir, wie ich es erflehe, zum Besten Ägyptens, und zu deinem, und auch zu meinem, der ich dich als loyaler Unter tan verehre, erfüllen magst!« Er erhob sich und sagte langsam: »Ich bin hier, um dich um die Hand der er habenen Königin Neter-Tua, Tochter Amons, zu bit ten.« Der Pharao starrte ihn verblüfft an, während Tua, die gewußt hatte, was kommen würde, ihren Kopf abwandte und einen Berater, der in ihrer Nähe stand, fragte, ob in der ganzen Geschichte des Landes ir gendeine Königin Ägyptens ihren Onkel geheiratet habe.
Der Berater, der für seine eingehenden historischen Studien berühmt war, sagte ihr, daß er sich keines solchen Falles erinnern könne. »Dann«, sagte Tua kühl, immer noch an ihn ge wandt, »wäre es wohl nicht klug, einen Präzedenzfall zu schaffen, dem andere arme Frauen königlichen Geblüts zu folgen gezwungen werden könnten.« Der Pharao hörte einige dieser Worte, Abi jedoch nicht, da sie sehr leise gesprochen worden waren. Der Pharao versuchte, einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden und sagte: »Die Königin NeterTua sitzt mir zur Seite und ist die Mitregentin dieses Königreiches; ihr Wille ist mein Wille, und wenn sie etwas gutheißt, so ist es wahrscheinlich, daß auch ich es gutheißen werde. Also wende dich mit deiner Bitte an sie!« Nun wandte Abi sich der Königin zu, legte seine Hand auf sein Herz, verneigte sich, stierte Tua an und begann: »Eine verzehrende Liebe zu deiner erhabe nen Majestät bewegt mich ...« »Ich bitte dich, mein Onkel«, unterbrach Tua, »dei ne Worte zu korrigieren, welche lauten sollten: ›Eine verzehrende Liebe zum Thron und zur Macht deiner erhabenen Majestät bewegen mich‹, und so weiter.« Abi runzelte wütend die Stirn, während alle ande ren lächelten, selbst der Pharao und der Astrologe Kaku. Abi versuchte einen neuen Anfang seiner Rede, der jedoch so konfus war, daß Tua ihn zum zweiten Male unterbrach. »Ich bin nicht taub, edler Prinz und Onkel. Ich habe die Worte gehört, welche du an den Pharao richtetest, und ihre Bedeutung verstanden. Ich habe sogar schon diesen, unseren Berater konsultiert, einen gelehrten
Meister des Rechts, und ihn nach der Legalität einer Verbindung gefragt, wie du sie vorschlägst, und er hat mir davon abgeraten.« Nun starrte Abi diesen Berater an, einen beschei denen, alten Mann, der sein ganzes Leben mit dem Studium von Schriftrollen und Chroniken zugebracht hatte. »Bitte, o Königin«, rief er jetzt mit dünner, erregter Stimme, »ich habe lediglich festgestellt, daß ich mich nicht erinnern kann, eine Erwähnung so einer Ver bindung je gesehen zu haben, wiewohl ich glaube, daß einmal eine Königin ihren Neffen adoptierte, welcher später Pharao wurde.« »Das ist das gleiche, mein Freund«, antwortete Tua mit sanfter Stimme, »denn das, wovon es in der lan gen Geschichte Ägyptens keine Niederschrift gibt, muß notwendigerweise ungesetzlich sein. Trotzdem, wenn mein Onkel mich zu adoptieren wünscht, wer de ich ihm dafür dankbar sein, und obwohl seine ge setzlichen Erben dieses Gefühl sicher nicht teilen dürften, ist dies trotzdem ein Angebot, über das ich nachzudenken gewillt bin.« Nun merkte Abi, daß sie ein Spiel mit ihm trieb und wurde wütend. »Ich will dir eine ehrliche Frage stellen, o Königin«, sagte er, »und vielleicht bin ich einer ehrlichen Ant wort wert. Wie es allen Menschen bekannt ist, o Kö nigin, ist es an der Zeit, daß du heiraten solltest, und ich biete mich dir als Ehemann an. Es stimmt zwar, daß ich ein wenig älter bin als du ...« »In welchem Jahre wurde Prinz Abi geboren?« wandte Tua sich für alle Umstehenden hörbar an den alten und gelehrten Berater, »sagtest du nicht, im
gleichen Jahre wie du?« Woraufhin der alte Mann hinter ihrem Thron verschwand und nicht mehr ge sehen wurde. »Aber«, fuhr Abi fort, ohne sich von dieser Unter brechung stören zu lassen, »habe ich dir sonst viel zu bieten. Ich herrsche hier, o Königin, der ich ebenfalls königlichen Geblütes bin, und es gibt eine starke Un zufriedenheit in diesem Nördlichen Land, besonders unter den großen Stämmen der Wüste, welche die Grenzen des Königreiches schützen. Wenn nun diese Verbindung zustande käme und ich als Mitregent auf dem Doppelthron säße, würden sie sich loyal verhal ten, und Norden und Süden wären stärker vereint als je zuvor. Wohingegen, wenn dieses nicht geschehen sollte ...« Hier tippte Kaku, unter dem Vorwand, eine Fliege verscheuchen zu wollen, mit seiner Hand auf den Ärmel von Abis Robe, ein Zeichen, das seinen Herrn zum Schweigen brachte. »Sprich weiter, mein Onkel! Ich bitte dich darum«, sagte Tua. »Wenn dies nicht geschehen sollte, was dann?« »Dann, Königin, könnte es zum Kriege kommen. Nein, Magier, laß mich in Ruhe, ich will die Wahrheit sagen, egal, was geschehen mag. Pharao, du hast viele Jahre lang geherrscht; ja, vierzig Mal ist der Nil über seine Ufer getreten, seit wir unseren göttlichen Vater in seine Grabkammer gelegt haben. Während all dieser Jahre ist dir nur ein Kind geboren worden, und das erst, nachdem ich zu dir nach Theben ge kommen bin und dich gebeten habe, mich zu deinem Erben zu machen. Wisse, Pharao, daß es viele gibt, die dies sehr seltsam finden und sich fragen, ob diese schöne Königin, welche die Tochter Amons genannt
wird und körperlich und geistig so wenig Ähnlichkeit mit dir hat, zu Recht auf dem Thron Ägyptens sitzt. Wenn ich sie heirate, wird man diese Frage nicht mehr stellen. Wenn ich sie nicht heirate, könnte das Flüstern der Männer zu einem Sturm werden, der ihr die Krone vom Kopfe wehen mag.« Ein Schrei der Furcht und des Entsetzens erhob sich von allen, die diese dreisten und hochverräteri schen Worte hörten, und Tua, deren Gesicht bis zu den Haarwurzeln rot anlief, beugte sich vor, wie um zu antworten. Doch bevor sie ein Wort herausbringen konnte, sprang der Pharao auf die Füße, völlig ver ändert durch seine unbezähmbare Wut. All seine ge duldige Freundlichkeit war von ihm abgefallen, und er sah so zornig und königlich aus, daß alle Anwe senden, selbst Abi, sich ängstlich vor ihm duckten. »Dankst du mir so, daß ich dich so lange ertragen habe, mein Bruder?« schrie er und zerriß sich die Kleider. »Dankst du mir so, daß ich dich vor Jahren in Theben verschont habe, als dein Leben durch deinen Verrat verwirkt war? Dankst du mir so, daß ich dich zu großer Macht und Ehre aufsteigen ließ und du fast wie ein König in meiner Stadt Memphis herrschst? Hat es dir nicht gereicht, daß ich schwieg, als du, ein alter Mann, der Sohn einer Barbarensklavin unseres Vaters, der zügellos lebende Despot, wagtest, die rei ne Hand der Königin Ägyptens zu verlangen, du, ihr Onkel, der dem Alter nach ihr Großvater sein könnte? Muß ich mir auch noch anhören, wenn dein lästerli cher Mund ihre königliche Geburt in den Schmutz zieht, und die Ehre ihrer göttlichen Mutter, und Amon, den Vater der Götter, beleidigt? Nun, Amon wird sich mit dir befassen, wenn du zu den Portalen
des Ewigen Hauses kommst, doch hier auf Erden bin ich sein Sohn und sein Diener. Mermes, ruf meine Wachen! Nimm diesen Mann fest und halte ihn in Gewahrsam! In Theben, wohin wir morgen aufbre chen werden, soll er nach den Gesetzen unseres Lan des gerichtet werden.« Mermes stieß einen schrillen Pfiff auf der silbernen Pfeife aus, welche an einer Schnur um seinen Hals hing, sprang auf den Prinzen zu und packte ihn beim Arm. Abi riß sein Schwert heraus, um ihn niederzu strecken, und beim Anblick der Klinge liefen alle, die bei Abi waren, zur Tür, um zu entkommen, und auch einige der Dienerinnen des Pharao, unter ihnen Me rytra. Doch bevor sie die Tür erreichen konnten, stürmten die Leibwachen, die das Signal Mermes ge hört hatten, mit erhobenen Speeren herein und trie ben sie zurück. Sie stürzten sich auf Abi, rissen ihm das Schwert aus der Hand und warfen ihn zu Boden, und trieben die anderen zusammen wie eine Herde verängstigter Schafe. »Bindet diesen Verräter und haltet ihn in Gewahr sam, denn morgen wird er uns nach Theben beglei ten!« sagte der Pharao. »Was ist mit seinen Söhnen und den anderen, die bei ihm sind?« fragte Mermes. »Laßt sie gehen«, antwortete der Pharao müde, »denn sie haben nicht gegen uns gesündigt! Laßt sie gehen, denn das Schicksal ihres Herrn wird ihnen ei ne Warnung sein!« Nun war in dem Durcheinander Merytra gegen Kaku getrieben worden. »Höre!« flüsterte der Astrologe ihr ins Ohr. »Tue, was ich dir gestern befohlen habe, und alles wird gut
werden! Tue es oder stirb! Hast du mich verstan den?« »Ich habe dich verstanden, und ich werde gehor chen«, antwortete Merytra leise. Dann wurden sie getrennt, denn die Wachen nah men Kaku beim Arm und stießen ihn aus dem Tem pel, zusammen mit den beiden Söhnen Abis. Eine Stunde später standen Mermes und Asti vor dem Pharao und flehten ihn an, Memphis noch in dieser Nacht zu verlassen, und setzten hinzu, daß dies auch der Rat der Königin und seiner Berater sei. Doch der Pharao war zu ermüdet und weigerte sich, auf sie zu hören. »Morgen, wenn ich geschlafen habe, ist noch Zeit genug dazu«, antwortete er. »Außerdem: Soll ich wie ein Dieb aus meiner eigenen Stadt fliehen, da nichts für unsere Reise bereitgemacht wurde? Warum drängt ihr mich zu einem solchen Akt der Feigheit?« fügte er verärgert hinzu. »Aus diesem Grunde, o Pharao«, antwortete Mer mes. »Wir sind sicher, daß ein Komplott besteht, dich hier festzuhalten. Heute nachmittag hättest du die Stadt nicht verlassen können, selbst wenn du es ver sucht hättest, doch heute nacht ist Abis Volk durch seine Gefangennahme entmutigt und ohne Führer und wird dir die Tore öffnen. Morgen jedoch könnte ein neuer Führer gefunden worden sein, und dann sind die Tore durch Riegel und Wachen doppelt gesi chert.« »Was!« sagte der König verächtlich. »Willst du da mit sagen, daß ich ein Gefangener bin, und das hier in Ägypten, über das ich herrsche? Nein, meine Freun de, auf das Wort des Pharao werden die Tore sich
öffnen, und wenn sie es nicht tun, so werde ich Memphis Stein um Stein niederreißen lassen und sei ne Menschen hinaustreiben, damit sie ihre Höhlen mit den Schakalen teilen. Glauben sie etwa, daß ich, weil ich freundlich und sanft bin, nicht das Schwert heben kann, wenn es notwendig sein sollte? Haben sie vergessen, wie ich in meiner Jugend jene Rebellen schlug, ihre Städte den Flammen überantwortete und mein Joch auf Syrien legte, das ihnen geholfen hatte? Morgen werden wir aufbrechen, und nicht eher! Ich habe gesprochen.« Mermes verneigte sich und wollte hinausgehen, denn wenn diese Worte von den Lippen des Pharao gefallen waren, durfte man nicht weitersprechen. Asti jedoch wagte es, dieses zu tun. »O Pharao«, sagte sie, »bitte zürne deiner Dienerin nicht. Wie du weißt, o Pharao, besitze ich Kenntnis im Umgang mit den Göttern; die Geister der Toten flüstern mir manchmal von Dingen zu, die sein werden. Es schien mir, daß gerade eben, als ich die Königin, mein Nährkind, verlassen hatte und einen Moment alleine stand, die göttliche Gestalt deiner königlichen Ge mahlin, Ahura, welche meine Freundin und Herrin war, neben mir stand und sagte: ›Geh sofort zum Pharao, Asti, und sage dem Pha rao, daß große Gefahr ihn und unsere königliche Tochter bedroht. Sage ihm, er soll aus Memphis flie hen, auf daß er nicht dort für die Grabkammer vorbe reitet werde und der Stern Amons nicht von einer Wolke der Schande verhüllt werde. Befehle ihm, sich vor einer zu hüten, die um seinen Thron ist, und vor dem bösen Magier, mit dem sie gestern nacht einen Pakt geschlossen hat!‹«
Der Pharao blickte nun Asti an und sagte: »O Träumerin von Träumen, erläutere mir diesen, deinen Traum. Wer ist jene, die um meinen Thron ist, und wer ist jener Magier, mit dem sie einen Pakt schloß?« »Das hat mir die göttliche Königin nicht gesagt, Pharao«, antwortete Asti mit fester Stimme, »doch mein eigenes Wissen sagt es mir. Sie ist Merytra, dei ne Lieblingsdienerin, und der Magier ist Kaku, den sie gestern nacht aufgesucht hat.« »Was!« rief der Pharao lachend. »Dieser dürre, alte Astrologe mit der bemalten Kappe, der so schnell weggelaufen ist, als sein Herr gefangen wurde? Der ist doch nichts anderes als ein Spion, den ich seit vie len Jahren bezahle, ein Scharlatan, der Wissen vor täuscht, damit er dem Prinzen seine Geheimnisse entlocken kann. Und auch Merytra, die mich in ver gangener Zeit vor einem kindischen Komplott dieses Abi gewarnt hat. Asti, du bist hochgeboren und wei se, und eine, die ich sehr liebe und ehre, genauso wie die Königin, meine Tochter, doch kannst auch du ei fersüchtig sein, wie ich seit längerer Zeit erkannt ha be. Asti, laß dich nicht täuschen, es war die Eifer sucht, die in deine Ohren flüsterte, nicht der Geist der göttlichen Ahura. Geh nun und nimm deine Schrek ken mit dir, denn diese dunkle Verschwörerin, Me rytra, wartet in meiner Kammer, um mich zu entklei den, und um mich mit ihren vergnüglichen Scherzen und mit Hofklatsch zu unterhalten, bis ich einschla fe.« »Der Pharao hat gesprochen, ich werde gehen«, sagte Asti mit ihrer ruhigen Stimme. »Möge die Ruhe des Pharao süß sein, und sein Erwachen glücklich.«
In jener Nacht fand Tua keinen Schlaf. Wann immer sie die Augen schloß, erschienen Visionen vor ihren Augen, entsetzliche, phantastische Visionen, und in allen von ihnen spielte der fette, widerliche Abi eine Rolle. So sah sie wieder jene Szene des tödlichen Ban ketts, das ihr Vater für den Prinzen von Kesh gegeben hatte, als Astis Magie einen Affen der Vase des Zau berers entsteigen ließ. Nur war es dieses Mal Abi, der aus der Vase stieg, ein schrecklich aussehender Abi, mit einem blutigen Schwert in der Hand und der Krone des Pharao auf dem Kopf. Er sprang aus der Vase heraus, er verschlang sie mit seinen gierigen Augen, er schlich mit lautlosen Schritten auf sie zu, um sie zu packen, und sie konnte kein Glied rühren, irgend etwas hielt sie auf ihrem Thron fest. Sie konnte es nicht länger ertragen – sie öffnete die Augen und starrte in das Dunkel, und aus dem Dunkel drangen Stimmen, die ihr von Krieg und Tod sprachen. Sie preßte ihre Hände an die Ohren und versuchte, ihre Gedanken auf Rames zu lenken, ihren schlanken, strahlenden Geliebten, nach dem sie sich so sehnte, ohne den sie sich so einsam und hilflos fühlte. Wo mochte Rames jetzt sein? fragte sie sich. Wel ches Schicksal hatte er erlitten? Irgend etwas in ihr schien zu antworten: den Tod. Oh! Was sollte sie tun, wenn Rames tot wäre? Was nützte es ihr, die Königin von Ägypten zu sein, die erste Frau der Welt, wenn Rames tot war? Einsamkeit, unerträgliche Einsamkeit schien von ihr Besitz zu ergreifen. Sie erhob sich von ihrem Bett und glitt aus ihrer Kammer im Pylonentor. Sie über querte den schmalen Treppenabsatz und stand vor der Tür der anderen Kammer, in der Asti schlief. Ir
gend jemand sprach mit ihr! Vielleicht war Mermes bei seiner Frau, und wenn dem so war, durfte sie nicht eintreten. Nein, es war nur Astis Stimme, die sie hörte, und als sie an der Tür lauschte, vernahm sie, daß Asti mit ernstem Tonfall Gebete oder Beschwö rungen sprach. Sie drückte die Tür auf und trat ein. Eine kleine Lampe brannte in dem Raum, und in ih rem matten Licht sah sie in einer weißen Robe Asti, deren Gestalt von ihrem langen Haar umflossen wurde, mit aufwärtsgewandtem Blick und himmel wärts gestreckten Armen mitten im Raum stehen. Plötzlich bemerkte Asti sie, konnte sie jedoch nur un deutlich erkennen, da sie im tiefen Schatten stand. »Nähere dich, o Geist und erkläre dich, denn noch nie zuvor wurde deine Hilfe so nötig gebraucht!« »Es ist kein Geist; ich bin es«, sagte Tua. »Was für Geschäfte sind es, die du jetzt, in der tödlichsten Stunde der Nacht, mit Geistern betreibst, Asti? Sind wir nicht schon von genug Schrecken umgeben, daß du auch noch deine vertrauten Geister rufen mußt, um sie zu vermehren?« »Ich rufe die Geister an, um uns vor diesen Schrek ken zu erretten, Königin, denn, so wie du, glaube ich, daß wir inmitten von Gefahren stehen. Diese Nacht ist voller Hexerei; ich rieche sie in der Luft und ver suche, Bannfluch mit Bannfluch zu begegnen. Aber warum schläfst du nicht?« »Ich kann nicht schlafen, Asti, ich kann es nicht. Angst hat von mir Besitz ergriffen. Oh, ich wünschte, daß wir nie in dieses verhaßte Memphis gekommen wären oder seinen böser Omen vollen Herrn gesehen hätten, jenes widerliche Tier, das mich zu seiner Frau machen will.«
»Hab keine Furcht!« sagte Asti und schlang ihre Arme um Tuas schlanke, zitternde Gestalt. »Morgen früh werden wir aufbrechen; das hat der Pharao mir versichert, und die Diener bereiten schon alles für un sere Reise vor; und was den verfluchten Abi betrifft, so ist der im Kerker.« »Es gibt keinen Kerker, der ihn halten kann, Asti, außer dem des Grabes. Oh, warum hat mein Vater nicht befohlen, ihn auf der Stelle zu töten, wie ich es getan haben würde? Dann wären wir endgültig von ihm befreit, und er könnte mich niemals heiraten.« »Weil es anders bestimmt ist, o Neter-Tua, und der Pharao sein Schicksal und das unsere erfüllen muß, denn er ist von Natur aus gütig, und niemand kann ihn ändern.« Während sie dies sagte, ertönte tief unterhalb von ihnen ein Schrei, ein Schrei der Angst oder der Trau er, und dann kamen Schritte die Treppe heraufge poltert. »Was gibt es?« fragte Asti und sprang zur Tür. »Der Pharao ist tot oder liegt im Sterben«, antwor tete die entsetzte Stimme von draußen. »Die Königin möge sofort zum Pharao kommen!« Beide Frauen rafften ihre Roben, liefen die engen Stiegen hinab und durchquerten mehrere Hallen, bis sie die Kammer des Pharao erreichten. Er lag dort auf seinem Bett, umgeben von den Ärzten des Hofes. Er konnte nicht sprechen, doch seine Augen waren ge öffnet, und er erkannte seine Tochter, denn er hob matt die Hand und deutete auf seine Beine. »Was ist es?« fragte sie den Obersten Arzt, welcher statt einer Antwort das Leintuch des Bettes hob und ihr die Beine und Füße des Pharao zeigte, die weiß
und verdorrt waren, wie von Feuer. »Was für eine Krankheit ist das?« fragte Tua wie der. »Das wissen wir nicht, o Königin«, antwortete der Arzt, »denn in unserem ganzen Leben haben wir so etwas noch nicht gesehen. Das Fleisch ist plötzlich ge schrumpft, und die Glieder sind gelähmt.« »Aber ich weiß es«, unterbrach Asti. »Dies ist keine Krankheit, sondern Hexerei. Der Pharao ist durch ei nen Bannfluch Abis oder seiner Zauberer niederge worfen worden. Sage, wer war als letzter bei ihm?« »Es scheint, daß die Hüterin der Fußbank, Merytra, ihn in den Schlaf gesungen hat, wie es seine Ge wohnheit war«, antwortete der Arzt, »und ihn vor etwa zwei Stunden verlassen hat, sagen die Wachen. Als ich gerade eben hereinkam, um zu sehen, wie der Pharao ruhe, fand ich ihn in diesem Zustand.« Jetzt hob Tua den Kopf und sagte: »Mein göttlicher Vater ist hilflos, deshalb regiere ich wieder allein über Ägypten. Hört mich und gehorcht! Laßt den Prinzen Abi aus dem Kerker in die innere Halle bringen, denn ich will sofort mit ihm sprechen. Und laßt auch die Dienerin, Merytra, dorthinbringen, unter Bewachung mit gezogenen Schwertern.« Der Befehlshaber der Nachtwache verneigte sich und verließ den Raum, um die Befehle der Königin auszuführen, während andere zur Halle eilten, um sie zu erleuchten. Wenig später erschien er wieder in einem Vorraum, in den Tua sich zurückgezogen hatte, während die Ärzte sich um den Pharao kümmerten. »O Königin«, sagte er mit schreckensbleichem Ge sicht, »sei nicht zornig, doch Prinz Abi ist fort. Er ist
aus dem Kerker geflohen, und die Dienerin, Merytra, ist ebenfalls verschwunden.« »Wie konnte das geschehen?« fragte Tua mit eisiger Stimme. »O Königin, das kleine Tor stand offen, da ständig Menschen ein und aus gingen, um die Vorbereitun gen für den morgigen Aufbruch zu treffen. Es hat den Anschein, als ob Merytra zu diesem Tor kam, den Wachen das Siegel des Pharao vorwies und sagte, daß sie im Auftrag des Pharao unterwegs sei. In ihrer Be gleitung befand sich ein fetter Mann in der Robe eines Meisters der Kamele, den die Wachen in der Dunkel heit für einen gewissen Araber aus der Wüste hielten, welcher dort mit seinen Kamelen ein und aus geht. Jetzt nimmt man an, daß dieser Mann kein anderer war, als der Prinz Abi, der sich in die Robe dieses Arabers gekleidet und die Kerkerzelle durch eine ihm bekannte geheime Passage verlassen hatte, eine Pas sage, die einst von den alten Priestern dieses Tempels angelegt wurde. Der Araber, dem diese Kleider gehö ren, konnte bisher nicht gefunden werden; vielleicht liegt er schlafend oder tot in irgendeiner Ecke.« »Verriegelt die Tore«, sagte Tua, »und laßt nie manden herein und hinaus! Asti, nimm ein paar Männer und durchsuche die Kammer Merytras. Vielleicht ist sie wieder zurückgekehrt.« Asti ging fort und kehrte wenig später zurück, in der Hand etwas, das in ein Tuch geschlagen war. »Merytra ist fort, o Königin«, sagte sie düster, »und dies hat sie unter ihrem Bett versteckt zurückgelas sen.« Sie legte das kleine Bündel auf den Tisch. »Was ist das? Die Mumie eines Kindes?« fragte Tua und wich zurück.
»Nein, Königin, das Abbild eines Mannes.« Nun schlug Asti das Leinentuch auf und enthüllte eine Wachsfigur, welche eine exakte Darstellung des Pharao war, zumindest das, was noch von ihr übrig war, denn ihre Beine waren zerschmolzen und ver dreht, und man konnte unter dem Wachs die Kno chen aus Elfenbein sehen, und die Sehnen aus dün nem Draht, um die sie geformt worden war. Durch das Kinn waren scharfe Dornen in die Mundhöhle gestoßen worden. Die Figur war lebensecht und schrecklich, und so wie sie war, so war auch der Pha rao auf seinem Bett. »Ruft die Ärzte herbei, und die Mitglieder des Ra tes, und auch solche Oberen der Leibwache, die ent behrt werden können, damit jeder von ihnen dieses abscheuliche Verbrechen, das an dem Pharao von seinem Bruder, dem Prinzen Abi, und dem Zauberer Kaku, und deren Komplizin, Merytra, verübt wurde, sehe und zu seinen Zeugen werde!« Also wurden sie gerufen, und sie kamen, und als sie das entsetzliche Ding sahen, das in seiner wäch sernen Blässe vor ihnen lag, begannen sie zu jammern und verfluchten jene, die diese entsetzliche Zauberei an dem Pharao verübt hatten. »Verflucht sie nicht«, sagte Neter-Tua, »die bereits verflucht sind und dem Verschlinger von Seelen an heimfallen werden, wenn ihre Zeit gekommen ist! Haltet diese Tat auf euren Papyri fest, o Schreiber, und beeilt euch damit!« Also zeichneten die Schreiber all dies auf, und die Königin und die anderen, welche anwesend waren, unterschrieben diese Aufzeichnung als Zeugen. Dann befahl Neter-Tua, daß das Abbild fortgebracht und
vernichtet würde, bevor es noch mehr Unheil an richten konnte, und ein Priester Osiris', der anwesend war, nahm es und trug es hinaus. Neter-Tua jedoch ging zur Kammer des Pharao, kniete sich neben sein Bett nieder und blickte ihn an, denn er schien zu schlafen. Kurz darauf erwachte er, blickte wild umher, und bewegte die Lippen. Eine Weile konnte er nicht sprechen, doch plötzlich brach ein heiserer, unnatürlicher Schrei aus seinem Mund. »Sie haben mich verhext! Ich verbrenne! Ich ver brenne!« schrie er und rollte sich auf dem Bett hin und her. »Räche mich, meine Tochter, und habe keine Furcht, denn die Götter sind bei dir! Ich kann ihre schrecklichen Augen sehen. Oh! Ich verbrenne! Ich verbrenne!« Dann sank sein Kopf zurück und der Frieden des Todes breitete sich über sein zerquältes Gesicht. Tua küßte seine leblose Stirn, kniete sich neben ihn und betete. Nach einer Weile erhob sie sich und sagte: »Es hat dem Pharao gefallen, zu seinem ewigen Heim in Osiris zu gehen. Verkündet, daß der Gott tot ist und ich allein über Ägypten herrsche! Holt den Prie ster Osiris' herbei, damit er das Ritual der Abreise spreche! Und du, Arzt, tu deine Pflicht!« Der Priester kam sofort, doch bei der Tür packte Asti ihn beim Arm und fragte: »Wie hast du das Wachs-Abbild vernichtet?« »Ich habe es auf dem Altar des alten Schreins die ses Tempels verbrannt«, antwortete er. »O du Narr! Du Narr!« rief Asti. »Du hättest es vergraben sollen. Wisse, daß du mit diesem verhex ten Ding auch das Leben des Pharao verbrannt hast!«
Der Priester sank bewußtlos zu Boden, und ein an derer mußte gerufen werden, um das Ritual zu spre chen.
10
Das Kommen des Ka
Es war Morgen geworden, und während die Ärzte den Leichnam des Pharao einbalsamierten, so gut sie es konnten, sprach Tua mit ihren Beratern. Lange und ernst war dieses Gespräch, denn sie alle spürten, daß sie sich in großer Gefahr befanden. Abi war entkom men, und keiner wußte besser als er, daß sein Tod und der seines Hauses der Lohn für seine Verbrechen und Hexereien sein würde, was er nur auf eine Weise verhindern konnte: Durch seine Heirat mit der Köni gin von Ägypten. Außerdem hatte er Tausende von Soldaten in der Stadt und um sie herum, die ihm den Treueeid geschworen hatten, während die pharaoni sche Leibwache lediglich aus fünf Gruppen zu je hundert Mann bestand, die in einer Falle aus Straßen und Mauern gefangen saßen. Einer von ihnen schlug vor, die Tempelmauer zu durchbrechen und zu den königlichen Barken zu flie hen, die unterhalb des Tempels am Nilufer lagen, und dieser Plan wurde schließlich angenommen. Doch als sie sich daranmachen wollten, die Mauer zu durchbrechen, sahen sie, daß die Barken bereits er obert worden waren und nilaufwärts segelten. Also verblieben ihnen nur noch zwei Möglichkeiten: sie konnten innerhalb der Mauern bleiben und Boten ausschicken, um Hilfe herbeizuholen, oder sie konn ten offen durch die Straßen der Stadt marschieren, die Tore niederbrechen, falls diese vor ihnen geschlossen werden würden, Boote erobern und mit ihnen ni
laufwärts zu irgendeiner loyalen Stadt zu segeln, oder, falls ihnen das nicht gelänge, ihre Chancen im offenen Land suchen. Nun waren die einen für diesen Plan, andere für den anderen, so daß die Entscheidung schließlich bei der Königin lag. Sie überlegte eine Weile, dann sagte sie: »Hier wer de ich nicht bleiben, um ausgehungert zu werden, was unweigerlich geschehen wird, bevor eine Heer schar hier eintreffen kann, um uns zu erretten, oder in die Gewalt dieses widerlichen und verbrecherischen Mannes zu fallen, des Mörders von meinem Vater, diesem guten Gott. Es wäre besser, daß ich kämpfend in den Straßen stürbe, denn dann werde ich zumin dest nicht verunreinigt in das Ewige Haus jenseits der Sonne treten. Wir marschieren um Mitternacht.« Die anderen beugten sich ihrem Befehl und berei teten den Aufbruch vor, während die Frauen des Hauses die Totenklage für den Pharao anstimmten und die Herolde von den Türmen und Mauern des Tempels die Erbfolge Neter-Tuas, Morgenstern Amons, Prächtig in Ra, Hathor-stark an Schönheit, als einzige Herrscherin und Souverän des Nordens und des Südens und aller Ägypten botmäßigen Länder verkündeten. Immer wieder riefen sie es aus, und von den Menschenmassen, die unter ihnen standen und es hörten, jubelten einige, doch die meisten von ihnen blieben still, da sie die Rache des Prinzen fürchteten, den die Herolde aufforderten, der Königin seine Re verenz zu erweisen, der sich jedoch nicht sehen ließ. Endlich brach die Nacht herein. Auf ein Zeichen Tuas hin wurden die Tore des Tempels geöffnet, und auf den Schultern von vier Beratern, hinter einer klei
nen Gruppe von Leibwachen, und gefolgt von den Frauen und Dienern seines Haushaltes, wurde der Leichnam des Pharao, in einem flüchtig aus dem Sy komorenholz des Tempels gezimmerten Sarg ruhend, hinausgetragen. Mit ernsten, langsamen Schritten, als ob sie nichts zu befürchten hätten, gingen die Priester und Sänger und intonierten eine uralte Trauerhymne. Ihnen folgten die Träger, und denen die königliche Leibwache, in deren Mitte die Königin, welche, in ei nen Schuppenpanzer gekleidet wie ein Mann, in ei nem Streitwagen fuhr, neben sich ihre Hofdame, Asti, die Frau Mermes'. Anfangs ging alles gut, denn der große Platz vor dem Tempel war leer. Die Prozession mit dem Leich nam des Pharao überschritt ihn und verschwand in einer Straße, welche auf das Haupttor der Stadt zu führte. Die Leibwache formierte sich zu einer Reihe, um ebenfalls in diese Straße einzutreten, als plötzlich eine große Menge von Kriegern aus Seitenstraßen hervorbrach und ihnen den Zugang versperrte. Eine Stimme schrie »Halt!« und während die Leib wachen sich zu einem Karree um die Königin for mierten, trat eine Abordnung, unter der sich die vier legalen Söhne Abis befanden, auf sie zu und ver langte im Namen des Prinzen, daß die Königin ihnen übergeben werden solle, und fügten hinzu, daß sie mit allen Ehren behandelt werden würde und daß alle, die sich in ihrer Begleitung befänden, die Stadt ungehindert verlassen könnten. »Antworte, daß die Königin Ägyptens sich nicht in die Hände von Rebellen und Mördern begibt, dann fallt über sie her und tötet sie bis auf den letzten Mann!« rief Neter-Tua, als Mermes ihr diese Forde
rung überbracht hatte. Nun begann ein so harter, blutiger Kampf, wie man ihn viele Generationen lang in Ägypten nicht gesehen hatte. Die Leibwache des Pharao war zwar nur ein kleiner Haufen, doch bestand sie aus ausgewählten Männern, die mit dem Mut der Verzweiflung und der Wut kämpften. Außerdem spielte Tua, die Königin in dieser Nacht keine Frauenrolle, denn als ihre Männer angriffen, um ihr einen Weg durch die Feinde freizu hauen, griff sie mit ihnen an, und man sah sie im Mondlicht wie eine zornige Göttin in ihrem Wagen stehen und Pfeil um Pfeil abschießen. Und weder sie wurde verletzt, noch solche, die bei ihr waren, und auch nicht die Pferde, die ihren Wagen zogen, als ob sie von einer unsichtbaren Kraft geschützt würde, welche die Klingen der Schwerter und die Spitzen der Speere beiseite lenkte. Doch war alles vergebens, denn die Männer Abis befanden sich in einer gewaltigen Überzahl, und der Leibwachen waren wenige. Langsam, in immer wei ter verminderter Zahl, wurden sie zurückgeschlagen, zunächst zu den Mauern des alten Sekhet-Tempels, und dann in dessen äußeren Hof. Nun versuchten die letzten von ihnen, weniger als fünfzig Männer unter dem Kommando von Mermes, das Tor zu halten. Sie kämpften verzweifelt, und einer nach dem anderen fiel unter einem Regen von Speeren. Tua war von ihrem Streitwagen gestiegen und stand auf ihren Bogen gelehnt, denn sie hatte alle ihre Pfeile verschossen, und beobachtete gemeinsam mit Asti den Kampf. Brüllend stürmten die Männer Abis das Tor und töteten viele bei ihrem Ansturm. Zu sammen mit allen Männern, die verblieben waren –
es war nicht einmal mehr ein Dutzend –, wurden sie durch die inneren Höfe zurückgetrieben, durch die Hallen, bis zum Fuß der Treppe, die zu den Kam mern des Pylonenturms emporführte. Hier leisteten sie letzten Widerstand. Stufe um Stu fe hielten sie die Treppe, bis zuletzt nur noch Tua, Asti und Mermes, ihr Mann übrigblieben, der Kom mandeur, der aus vielen Wunden blutete. Auf dem kleinen Absatz der Treppe, welche zwischen den Räumen Tuas und Astis lag, wandte sich Mermes, als die Angreifer einen kurzen Moment pausierten, halb wahnsinnig vor Trauer und Schmerzen, zu seiner Frau um und küßte sie. Dann verneigte er sich vor Tua und sagte: »Was ein Mann tun kann, um dich zu retten, habe ich getan, o Königin. Jetzt werde ich gehen und Meldung beim Pharao machen und dich in den Händen Amons zu rücklassen, der dich beschützen möge, und den Hän den Rames, meines Sohnes, den Erben der Rache. Le be wohl, o Tochter Amons, bis ich deinen Stern in der Dunkelheit der Unterwelt aufgehen sehe, und auch du, geliebte Frau, lebe wohl!« Dann stieß er den Kriegsruf seiner Väter aus, jener Pharaonen, die einst über Ägypten herrschten, packte sein Schwert mit beiden Händen und stürzte sich auf die erneut heraufstürmenden Feinde, und erschlug viele von ihnen, bis er selbst erschlagen wurde. »Komm mit mir, o Frau eines königlichen Helden!« sagte Tua zu Asti, die ihre Augen mit den Händen bedeckt hatte und an der Wand lehnte. »Witwe, nicht Frau, Königin. Hast du nicht gese hen, wie sein Geist ihn verließ?« Tua führte sie die restlichen Stufen zum flachen
Dach des Turmes hinauf, wo Asti vor Trauer und Gram schluchzend zusammensank. Tua trat an den Rand des Turmdaches und wartete dort auf das En de. Es war der Anbruch der Dämmerung. Am östli chen Horizont hob sich der rote Rand der Sonnenku gel aus der Wüste in den klaren Himmel. Und auf dem hohen Turm, in eine schimmernde Rüstung ge kleidet, und auf dem Kopf einen Helm, der wie die Krone des Unteren Ägypten geformt war, stand Tua in ihren goldenen Strahlen, eine Flammengestalt über einer Welt des Schattens. Die Tausende von Men schen, die von den Straßen zu ihr heraufblickten, und von Booten auf dem Nil, sahen sie und stießen Rufe der Verwunderung und der Verehrung aus. »Die Tochter Amon-Ras!« riefen sie. »Seht! Sie ist in der Pracht des Gottes gekleidet!« Jetzt kamen Krieger die letzten Stufen der Treppe emporgestürmt, und mit ihnen kam Prinz Abi, da die Schlacht ja nun vorbei war. »Ergreift sie!« keuchte er, denn die Treppe war steil, und er war außer Atem. Doch die Männer blickten sie an und wichen vor der Majestät Ägyptens, die in eine Robe von Licht ge kleidet war, ängstlich zurück. »Wir fürchten«, antworteten sie, »daß der Geist des Pharao vor ihr steht.« Nun sprach Neter-Tua. »Abi, einst ein Prinz von Ägypten und erblicher Herr von Memphis, doch jetzt ein Ausgestoßener, ein Mörder, schwarz von dem Blut unseres Königs und vieler loyaler Männer, höre mich, die gesalbte Köni gin Ägyptens, höre mich, o Mann, über den ich das Urteil des ersten und des zweiten Todes verhänge.
Komm auch nur einen Schritt näher, und ich werde mich vor deinen Augen, und vor den Augen der Menschenmenge, welche zu uns heraufblickt, von diesem entsetzlichen Ort in die Fluten des Nils stür zen. Bevor ich jedoch zu dem toten Pharao gehe und Seite an Seite mit ihm unsere Anklagen vor die ewi gen Götter bringe, höre den Fluch, den ich über dich verhänge! Von diesem Tage an soll eine Schlange in deinem Körper nagen und sich bis zu deinem Herzen durchfressen. Die Geister des Pharao und all seiner Diener, die du getötet hast, sollen deinen Schlaf heimsuchen, und nie wieder sollst du eine Stunde glücklicher Ruhe finden. Für den Rest deines Lebens sollst du vor jedem Schatten fliehen, und wenn du auf einen Thron steigst, so soll es einer sein, der von tödlichen Tiefen des Dunkels umgeben ist. Und in diese Tiefen sollst du schließlich hinabstürzen, und die bösen Götter sollen dich packen und dich zwi schen die Kiefer des Verschlingers von Seelen schlei fen, und in seinem Schlund sollst du für immer und ewig verschwinden, du und all dein Haus, und alle, die dir anhängen. Dieses sagt dir Neter-Tua, die mit der Stimme Amons spricht, der sie schuf, mit der Stimme ihres Vaters und des Gottes aller Götter.« Als die Männer Abis diese schrecklichen Worte hörten, wandte sich einer nach dem anderen von ih nen ab und kroch die Treppe hinab, bis schließlich nur noch drei zurückgeblieben waren: die Königin, Asti, die zusammengesunken zu ihren Füßen hockte, und der fette Abi, Tuas Onkel. Er blickte sie an und versuchte dreimal, zu spre chen, brachte jedoch keinen Ton heraus, denn die Worte blieben ihm in der Kehle stecken. Er setzte
zum vierten Mal zum Sprechen an, und die Worte kamen erstickt und heiser aus seinem Munde. »Nimm deinen Fluch wieder von mir, o mächtige Königin«, sagte er, »und ich will dich ungehindert gehen lassen. Ich bin alt, heute nacht sind alle meine legitimen Söhne getötet worden. Nimm deinen Fluch von mir und laß mir mein Land, und auch wenn ich dich mehr begehre als den Thron Ägyptens, o Schön ste, werde ich dich doch gehen lassen.« »Nein«, antwortete die Königin, »das kann ich nicht, selbst wenn ich es wollte. Denn nicht ich habe den Fluch ausgesprochen, sondern ein Geist, der sich in meinem Munde befand. Tu dein Schlimmstes, o Sohn Sets! Der Fluch bleibt auf dir!« Nun zitterte Abi vor Wut und antwortete: »Sei es drum, Stern Amons. Da ich nichts mehr zu fürchten habe, werde ich mein Schlimmstes tun. Der Pharao, mein Feind, ist tot, und du, seine Tochter, wirst aus freiem Willen meine Frau werden, oder ich werde dich, da kein Mann den Finger an dich zu legen wagt, hier in diesem Turm verhungern lassen. Aber noch bist du nicht tot; ich werde dich haben, das ist mir ge schworen worden. Herrsche mit mir, wenn du es willst, oder verhungere ohne mich. Ich sage dir, Tochter Amons, daß ich dich eines Tages haben wer de.« »Und ich sage dir, Sohn Sets, daß jenem Tag ein langer Alptraum von Nacht folgen wird, die keinen Morgen kennt.« Als er keine Antwort auf diese Worte fand, wandte er sich um und ging. Als er fort war, stand Neter-Tua noch eine Weile am Rand des Turmdaches und blickte auf die Tau
sende von Menschen hinab, die auf dem großen Platz zusammengeströmt waren, auf welchem die Schlacht stattgefunden hatte, und die in tödlichem Schweigen zu ihr heraufstarrten. Dann trat sie von der Kante zu rück, nahm Asti beim Arm und führte sie die Stufen hinab zu der kleinen Kammer, in der sie geschlafen hatte. Sechs Tage waren vergangen, und die Königin NeterTua und Asti saßen hungernd in dem Pylonenturm. Bisher hatte wenigstens das Wasser ausgereicht, da ein guter Vorrat davon in Kannen und Krügen vor handen gewesen war, doch jetzt war auch das zu En de gegangen; und als Nahrung hatten sie nichts wei ter gehabt als etwas Honig von wilden Bienen, die zwischen den obersten Steinen des Turmes nisteten, und den Asti nachts herausgeholt hatte. Aber an die sem Tage war auch der Honig zu Ende; ohne Wasser hätten sie jedoch ohnehin nichts von diesem kleberi gen Zeug herunterbringen können. Und wenn NeterTua auch in späteren Jahren in Erinnerung an ihre Hilfe, die Biene zu ihrem königlichen Symbol machte, konnte sie sich doch nicht dazu bringen, noch einmal die Früchte ihrer Arbeit zu essen. »Komm, Amme!« sagte Tua. »Laß uns aufs Dach hinaufgehen und dem Untergehen Ras zusehen, vielleicht zum letztenmal, da ich glaube, daß wir ihm bald durch die Westlichen Portale folgen werden.« Einander stützend gingen sie die Treppe hinauf, da sie sehr schwach geworden waren. Von diesem ho hen Aussichtspunkt aus sahen sie, daß drei Seiten des Tempelkomplexes von einer Doppelreihe Bewaffneter umstellt waren und an der Seite des Flusses Kriegs
schiffe Abis patrouillierten, und hinter den Soldaten, auf dem Platz, welcher der Schauplatz des großen Kampfes gewesen war, hatten sich Tausende von Menschen versammelt, welche wußten, daß die ver hungernde Königin bei Sonnenuntergang auf der Pylone zu erscheinen pflegte. Als sie ihrer ansichtig wurden, in die Rüstung ge kleidet, welche sie noch immer trug, erhob sich ein Murmeln aus der Menge, das wie das Murmeln der See war, und von einer tiefen Stille gefolgt wurde, da sie das Mitleid nicht zu äußern wagten, das sie alle bewegte. Inmitten dieser Stille, während die Sonne hinter den Pyramiden der alten Könige versank, er hob Neter-Tua ihre wunderbare Stimme und sang die Abendhymne für Amon-Ra. Als die letzten Töne in der stillen Luft verklangen, erhob sich wieder ein Murmeln, während sich die Dunkelheit auf die Pylo ne herabsenkte und sie den Blicken der Menschen entzog. Hand in Hand, wie sie heraufgekommen waren, gingen die beiden verlassenen Frauen die Treppe hinab zu ihrer Schlafkammer. »Sie wagen es nicht, uns zu helfen, Asti«, sagte Tua, »wir wollen uns niederlegen und sterben.« »Nein, Königin«, antwortete Asti, »wir wollen uns an einen wenden, der den Hilflosen Hilfe gibt. Erin nerst du dich der Worte, welche der lichtvolle Geist der göttlichen Ahura gesprochen hat?« »Ich erinnere mich an sie, Asti.« »Königin, ich habe lange gezögert, da der magische Spruch, den sie mir damals zuflüsterte, nur ein einzi ges Mal gebraucht werden kann, doch jetzt, dessen bin ich sicher, ist der Moment gekommen, wo das,
welches in dir lebt, hervorgerufen werden muß, um dich zu retten.« »Dann rufe es hervor, Asti«, antwortete Tua müde, »wenn du die Macht dazu hast. Wenn nicht, oh, laß uns sterben! Aber sage, wen willst du hervorrufen? Die Pracht Amons, oder den Geist des Pharao, oder Ahura, meine Mutter, oder einen der Schutzgötter?« »Keinen von diesen«, antwortete Asti, »da man mir etwas anderes befohlen hat. Leg dich nieder und schlafe, mein Nährkind, denn ich habe in den Stun den der Dunkelheit viel zu tun. Wenn du erwachst, sollst du es erfahren.« »Ja«, sagte Tua, »wenn ich erwache, falls ich jemals wieder erwachen sollte. Hast du vor, mich im Schlaf zu töten, Asti? Ist das der Befehl, den du erhalten hast? Wenn dem so sein sollte, nehme ich dir das nicht übel, denn dann werde ich mein langes Fasten mit dem Pharao und meiner göttlichen Mutter bre chen, mit Ahura, die mich geboren hat, und zusam men werden wir in den lieblichen Gefilden des Frie dens auf Rames warten, meinen Geliebten, und dei nen Sohn. Da ich Königin bin, wird man mir eine Kammer im Grabe meines Vaters geben, und das ist alles, was ich von den Menschen noch verlange, und von dieser ermüdenden Welt. Sing mich in den Schlaf, Amme, wie du es getan hast, als ich klein war, und bleib bitte nicht zu lange hinter mir zurück.« Also legte sie sich auf das Bett, und die edle Asti nahm ihre so dünn gewordene Hand in die ihre, beugte sich im Dunkeln über sie und begann, ein sanftes Lied zu singen. Tuas Augen schlossen sich, ihr Atem wurde lang sam und tief. Nun hörte Asti, die Magierin, zu singen
auf, sammelte all ihre geheimen Kräfte, streckte ihre Gebete aus, ein Gebet nach dem anderen, bis ihre Seele schließlich völlig gereinigt war und sie es wag te, jenen schrecklichen Zauberspruch zu murmeln, den Ahura in ihr Ohr geflüstert hatte. Und als sie die se heiligen Worte murmelte, schrien wilde Stimmen durch die Nacht, die festgemauerte Pylone schwankte hin und her, und in der Stadt wurde die Zauberkugel, in welche Kaku und Merytra starrten, plötzlich in Scherben gesprengt, und Abi sprang, bleich vor Ent setzen, aus seinem Bett. Dann sank Asti ebenfalls in Schlaf – oder in Ohn macht –, und alles war still in jener Kammer, still wie in einem Grab. Neter-Tua erwachte. Durch das kleine Fenster ihrer Kammer kroch das erste graue Licht der Morgen dämmerung. Ihr Blick fiel auf die in eine dunkle Robe gekleidete Asti, die in einem Sessel schlief, den Kopf in eine Hand gestützt. Dann wurde er von einer Hel ligkeit am Fußende ihres Bettes angezogen, und dort, in ein schwaches, weißes Licht gehüllt, das aus dem Licht des Mondes und der Sterne gezogen zu sein schien, mit der Doppelkrone Ägyptens auf dem Kopf und in die königlichen Roben Ägyptens gekleidet sah sie – sich selbst stehen. Nun wußte Tua, daß sie träumte, und lag eine lan ge Weile reglos, denn es gefiel ihr, halbverhungert und elend wie sie war, eine Gefangene in den Hän den von Feinden, ein im Netz zappelnder Vogel, die se strahlende Erscheinung anzublicken, die Erschei nung dessen, was sie war, bevor ein böses Schicksal, das mit der Stimme Merytras, der Hüterin der Fuß
bank, sprach, den Pharao nach Memphis gelockt hat te. Wenn mit ihr alles gut gegangen wäre, würde sie so sein, wie die Vision jetzt aussah, jene Vision, wel che ihre Krone und ihre Staatsrobe trug, und, ja, so gar ihre Juwelen. So rasch konnte das Glück sich än dern, selbst für Königinnen, deren Thron auf Fels zu ruhen schien, Königinnen, welche der Gott der Götter gezeugt hatte. Noch nie zuvor in ihrem jungen Leben war ihr das so klar geworden, denn selbst durch Hunger und Angst hatte ihr Stolz sie aufrecht gehal ten. Doch in dieser kalten Stunde, die der Dämme rung vorausgeht, jener Stunde, zu der, wie man sagt, viele Menschen sterben, war es anders. Ihr Ende war nahe – sie wußte es und begriff nun, daß zwischen der mächtigsten Herrscherin und dem bescheidend sten Bauernmädchen zuletzt kein Unterschied mehr besteht, es sei denn, vielleicht, um die in ihnen woh nenden Seelen. Hier lag sie nun, ein Schatten, welcher zwischen dem Tod durch Durst und Hunger und einer entsetz lichen Heirat wählen mußte. Und was nützte es ihr nun, daß sie der Morgenstern Amons genannt wurde, daß sie das einzige Kind des Pharao und seiner kö niglichen Gemahlin war, und daß sie, wenn sie tot war, ein Staatsbegräbnis erhalten und man ihren Namen in die Königsliste meißeln würde, während Abi der verräterische Usurpator, auf ihrem Thron sä ße. Hier, auf diesem Bett, lag das, was sie war, und dort, am Fußende des Bettes, stand das, was sie sein würde, wenn die Götter sie nicht verlassen hätten. Ihr armes Herz war von Bitterkeit erfüllt, wie ein Becher mit Essig, und die Bitterkeit floß durch ihre Adern, als sie an diesem Ort des Blutvergießens lag.
Es war hart für sie, so jung sterben zu müssen, sie, die sie von den Menschen eine Göttin genannt wurde; ih rer Krone beraubt zu werden, ihrer Rache beraubt zu werden, und ihre tiefe, unerfüllte Liebe mit sich in die Gruft nehmen zu müssen. Würden sie und Rames sich jenseits des Grabes wiedertreffen? fragte sie sich. Würden sie dort heiraten und Kinder haben, die als Pharaonen in der Unterwelt herrschen sollten? Wür de Osiris ihr sterbliches Fleisch erlösen, und Amon, der Vater, sie zu sich nehmen, oder würde sie sofort in die ewige Dunkelheit gestoßen werden, wo der Schlaf alles in allem ist? Oh! Nur für eine Stunde Macht und Freiheit, eine kurze Stunde nur an der Spitze ihrer Heerscharen, während sie über das rebellische Memphis herfielen und die hohen Mauern niederrissen, die Paläste den Flammen überantworteten und dann den verfluchten Prinzen den Krokodilen zum Fraß vorwarfen. Ihre eingesunkenen Augen glänzten bei dem Gedanken daran, und ihre abgemagerte Brust hob und senkte sich, und siehe, die Augen der göttlichen Königin, die sie in ihrem Traume vor sich stehen sah, glänzten ebenfalls, wie zur Antwort, und die Juwelen an ihrem Busen hoben und senkten sich, wie in Stolz oder Wut. Und nun geschah das Wunder, denn das wunder schöne Gesicht – konnte das ihre einst so wunder schön gewesen sein? –, dieses königliche Gesicht beugte sich ein wenig vor, und von seinen Lippen ertönte eine Stimme – ihre eigene Stimme – und sie sagte: »Nenn mir deinen Willen, und er soll getan werden. Ich, die ich hier stehe, bin deine Dienerin, die auf deine Befehle wartet, o Morgenstern, o königli ches Kind Amons.«
Tua setzte sich im Bett auf und lachte laut auf. »Meinen Willen?« sagte sie. »O Traum, warum spottest du meiner? Doch laß mich nachdenken. Was ist mein Wille? Nun, Traum, es ist der eines Bettlers beim Tempeltor: Ich möchte einen Schluck Wasser und eine Brotrinde.« »Dort sind sie«, antwortete die Gestalt und deutete mit dem gläsernen Zepter, das sie in der Hand hielt, auf einen Tisch neben dem Bett. Fast widerstrebend wandte Tua den Kopf – und es war tatsächlich so. Auf dem Tisch stand ein silberner Becher, der mit klarem Wasser gefüllt war, und neben ihm lagen kleine Brote auf einem goldenen Teller. Sie streckte die Hand danach aus, denn diese Phantasie vorstellung war wirklich schön, und ergriff diesen Geist eines Silberbechers – ihres eigenen Bechers, den der Pharao ihr als Kind geschenkt hatte – setzte ihn an die Lippen, und – siehe! – reines, kaltes Wasser floß in ihre Kehle, bis schließlich ihr quälender Durst gestillt war. Dann streckte sie die Hand wieder aus, nahm die kleinen Brote von dem Teller und schlang sie hungrig hinunter, und als sie das letzte gegessen hatte, rief sie in bitterer Beschämung: »Oh, wie konnte ich so eigennützig sein! Nun habe ich alles getrunken und gegessen und nichts für meine Nähr mutter, Asti, übriggelassen, die dort schläft und vor Hunger und Durst sterben wird.« »Fürchte nichts«, antwortete der Traum. »Sieh, dort ist mehr davon für Asti.« Und dem war auch so, denn der Silberbecher war wieder randvoll mit Wasser ge füllt, und auf dem Goldteller lagen weitere Brote. Nun sprach der Traum wieder. »Bestimmt«, sagte er, »sind noch weitere Wünsche
in deinem Herzen, o Morgenstern, als nur jene kör perlichen Überlebens?« »Ja, o Traum, ich möchte Rache an Abi nehmen, dem Verräter, an Abi, dem Mörder meines Vaters, an Abi, der mir die größte Schmach zufügen wollte, die einer Frau angetan werden kann. Ich will Rache an Abi und an allen, die ihm anhängen.« Die Lichtgestalt verneigte sich, streckte ihre mit Juwelen geschmückten Hände aus und antwortete: »Ich bin deine Dienerin und werde dir gehorchen. Es soll geschehen, o Königin, du sollst gerächt werden und auf eine Weise, von der du nicht einmal träumen kannst; durch eine Rache, die Tropfen um Tropfen in seine Adern fließt, durch die Qualen enttäuschter Liebe, durch die Schrecken einer entsetzlichen Furcht, durch die Folter von verliehener Macht, welche sofort wieder genommen wird, durch die Tortur eines To des in Schande, und durch die ewigen Foltern des Verschlingers von Seelen – diese Rache soll Abi heim suchen, und alle, die ihm anhängen. Ist nicht noch ein weiterer Wunsch in deinem Herzen, o Morgenstern, o göttliche Königin?« »Ja«, antwortete Tua, »doch kann ich nicht davon sprechen, nicht einmal zu mir selbst im Schlaf.« »Er soll dir gewährt werden, o Morgenstern. Du wirst deinen Geliebten wiederfinden, wenn auch weit entfernt von hier, jenseits des Horizontes, und er wird mit dir zurückkehren, und ihr beide sollt über das Obere und das Untere Reich und über all die Länder jenseits davon herrschen, in einer Pracht, wie man sie in Ägypten noch nie gesehen hat.« Jetzt, endlich, schien Tua zu erwachen, Sie rieb sich die Augen und blickte umher. Dort war die schlafen
de Asti; dort auf dem Tisch neben ihr waren das Was ser und das Brot; dort am Fußende des Bettes, im matten Licht des frühen Morgens schimmernd, stand die Gestalt ihrer selbst, in prachtvolle Roben geklei det. »Wer bist du? Was bist du?« rief sie. »Bist du ein Gott oder ein Geist, oder bist du nur eine spottende Vision, die im Netz meines Wahnsinns gefangen ist?« »Ich bin nichts davon, o Morgenstern. Ich bin du. Ich bin das Ka, welches dein Vater Amon dir bei dei ner Geburt gab, um in dir zu wohnen und dich zu be schützen. Erinnerst du dich nicht mehr daran, daß du als Kind mit mir gespielt hast?« »Ich erinnere mich«, antwortete Tua. »Du hast mich vor den Gefahren des heiligen Krokodils im Bassin des Tempels gewarnt, doch seither habe ich dich nicht mehr gesehen. Was gibt dir die Kraft, im Fleische vor mir zu erscheinen, mein Doppelgänger, mein anderes Ich?« »Die Magie Astis, mit der sie von hoch oben be traut wurde, um dich zu retten, Neter-Tua. Wisse, daß ich, auch wenn du mich nicht immer zu sehen vermagst, doch ständig bei dir bin. Ich begleite dich durch dein ganzes Leben, und wenn du stirbst, bewa che ich deine Grabkammer, erhalte deine Weisheit und deine Schönheit und alles, das dein ist, bis zum Tage der Wiederauferstehung. Ich besitze Macht, ich besitze das geheime Wissen, das in dir ist, obwohl du es nicht verstehen kannst; ich erinnere mich der Ver gangenheit, der langen, unendlich langen Vergan genheit, die du vergaßest, ich blicke voraus in die Zukunft, in die endlose, endlose Zukunft, die deinen Blicken verborgen liegt, für die das Leben, welches
du kennst, nicht mehr ist als ein einziges Blatt an ei nem Baum, nicht mehr als ein einziges Sandkorn in einer unendlichen Wüste. Ich blicke in die Gesichter der Götter und höre ihr Flüstern; das Schicksal gibt mir sein Buch zum Lesen; ich schlafe sicher in der Gegenwart des Ewigen, welcher mich zu dir entsandt hat, und zu dem ich schließlich, wenn mein Weg zu Ende gegangen und meine Arbeit getan ist, wieder zurückkehren werde, dich auf meinen heiligen Ar men tragend, o Morgenstern. Die magischen Sprüche Astis haben mich in dieses magische Fleisch geklei det, die Macht Amons hat mich auf die Füße gestellt. Ich, deine untertänigste Dienerin, bin hier, um dir zu gehorchen.« Nun rief Tua überrascht, verwirrt: »Erwache, Am me, erwache, denn ich muß wahnsinnig geworden sein! Ich glaube zu sehen, daß ein himmlischer Bote, in mein eigenes Fleisch gekleidet, vor mir steht und zu mir spricht.« Asti öffnete die Augen, und als sie die Lichtgestalt sah, erhob sie sich und erwies ihr ihren Respekt, sagte jedoch kein Wort. »Setz dich«, sagte das Ka, »und hör mich an, denn die Zeit ist kurz! Ich wurde durch den Ruf geweckt, und ich bin gekommen, und ich werde bleiben, bis der Bann wieder von mir genommen wird und ich dorthin zurückkehre, woher ich gekommen bin. O Dolmetscherin, erkläre mir den Willen jener, die ich bin, damit ich ihn auf meine eigene Art erfüllen kann. Dort ist Nahrung, iß und trink, dann wollen wir spre chen.« Also aß und trank Asti, wie Tua es getan hatte, und als ihr Hunger und ihr Durst gestillt waren – siehe! –,
verschwanden der Becher und der Teller. Nun sprach sie mit ruhiger, langsamer Stimme: »O Schatten dieses königlichen Sterns, der du durch meinen magischen Spruch verkörpert wurdest, dies ist unser Anliegen: Wir hungern und dürsten hier un serem Ende entgegen, und vor den Toren des Tem pels wartet Abi. Wenn die Königin am Leben bleiben sollte, wird er sie sich nehmen, die ihn haßt, und wenn sie stirbt, wird er sich ihren Thron nehmen. Un sere Weisheit ist am Ende. Was müssen wir tun, um den Morgenstern zu retten, damit er strahle, bis die vorbestimmte Zeit seines Untergehens anbricht?« »Ist das alles, war ihr wollt?« fragte das andere Ich, als Asti zu Ende gesprochen hatte. »Nein«, sagte Tua eilig. »Ich will nicht alleine strahlen, ich suche einen anderen Stern, der meinen Himmel mit mir teilt.« »Habt ihr Vertrauen, und werdet ihr mir gehor chen?« fragte das andere Ich wieder. »Denn ohne Vertrauen kann ich nichts tun.« Asti blickte Tua an, die zustimmend den Kopf neigte, dann antwortete sie: »Wir haben Vertrauen, und wir werden gehorchen.« »So sei es«, sagte das Ka. »Gleich wird Abi hier er scheinen, um die Königin zu fragen, ob sie bereit ist, seine Frau zu werden, oder ob sie es vorzieht, hierzu bleiben, bis sie stirbt. Ich, die ich die Gestalt der Kö nigin trage, werde hinausgehen und seine Frau sein – oh, eine Frau, wie sie noch kein Mann jemals gehabt hat.« Und als sie das sagte, trat ein schrecklicher Ausdruck in ihr Gesicht, und ihre Augen flammten. »Ich werde mit diesem sterblichen Manne gehen, der einen Geist heiratet, welcher ihn haßt und den Befehl
hat, ihn in sein Verderben zu führen«, setzte sie hin zu. Asti und Tua verstanden ihren Plan und lächelten. Dann sagte die Königin: »Also wirst du auf meinem Platz sitzen, und Abi, als dein Gemahl, auf dem Thron des Pharao, den er sehr hart finden wird. Doch was wird aus Ägypten und meinem Volk?« »Fürchte nichts für Ägypten und für dein Volk, o Morgenstern. Beiden soll es gut ergehen, bis du wie derkehrst und deine Herrschaft zurückforderst.« »Und was wird aus meiner Gefährtin und aus mir?« fragte Tua. Das Ka hob sein Zepter und deutete damit auf das offene Fenster, unterhalb dessen, in schwindelerre gender Tiefe, die Wasser des Nils strömten. »Ihr werdet euch in die Tiefe des Wassers stürzen«, sagte es feierlich. Die Königin und Asti starrten einander an. »Das bedeutet, daß wir zu Osiris gehen müssen«, sagte Tua, »da niemand einen solchen Sturz lebend überstehen kann.« »Glaubst du das, Morgenstern? Wo ist jetzt das Vertrauen, das du mir versprochen hast, und ohne das ich nichts tun kann? Nein, sag nichts! Entweder du tust, was ich dir sage, oder aber laß mich gehen und tu mit Abi, was dir beliebt. Entscheide dich rasch, denn er kommt.« Und noch während sie das sagte, hörten sie die schweren Bronzetore des Tem pels in ihren Angeln knirschen. Tua erschauerte bei dem Geräusch, sprang dann vom Bett auf, warf stolz den Kopf zurück und sagte: »Was mich betrifft, so habe ich meine Wahl getroffen. Nie soll gesagt werden können, daß die Tochter des
Pharao ein Feigling war. Lieber die Brust Osiris', als die Arme Abis oder ein langsamer Tod in diesem Kerker. In Amon und in dich, o mein Ka, lege ich mein Vertrauen.« Der Schatten blickte von ihr zu Asti, deren Antwort sehr kurz war. »Wohin meine Königin geht, dorthin folge ich ihr, im Wissen, daß Mermes immer auf mich wartet. Was sollen wir tun?« Das Ka wies sie durch Gesten an, sich nebeneinan der auf den Sims der schmalen Fensteröffnung zu stellen, und dies taten sie, ihre Arme um die Taille der anderen gelegt. Dann hob die Lichtgestalt ihr Zepter und sprach das Wort. Ein Feuerblitz zuckte vor ihren Augen auf, ein scharfer Wind fuhr gegen ihre Stirnen, und dann schwanden ihnen die Sinne.
11
Der Traum Abis
In der Nacht, in der Neter-Tuas Ka hervorgezogen wurde, saßen Kaku, der Zauberer, und Merytra, die Spionin, jene, die die Hüterin der Fußbank des Pha rao gewesen war, in der hochgelegenen Kammer zu sammen, in welcher Merytra ihren Eid geschworen und das magische Abbild erhalten hatte. »Warum siehst du so verstört aus?« fragte der Astrologe seine Komplizin, die ständig über seine Schulter hinweg zu blicken schien und sehr beunru higt wirkte. »Es ist doch alles gut gegangen. Wenn Set selbst jenes Abbild geschaffen hätte, es hätte seine Aufgabe nicht gründlicher erfüllen können.« »Sehr gründlich, fürwahr!« sagte Merytra scharf. »Du hast mich hereingelegt, Zauberer! Ich habe dir versprochen, den Pharao zu lähmen, nicht aber, ihn zu ermorden!« »Still, meine Geliebte«, sagte Kaku nervös. »Mord ist ein häßliches Wort, und Mörder nehmen ein schlimmes Ende – manchmal. Ist es etwa deine Schuld, wenn ein verfluchter Narr von einem Priester beschloß, die Figur auf einem Altar zu verbrennen und so den Pharao zu seinem bedauernswerten Ende zu bringen?« »Nein«, antwortete Merytra, »es ist nicht meine Schuld, und auch nicht die jenes Priesters, sondern die deine und die jenes Schweines, Abi; und Set ist der Herr von euch beiden. Mir aber wird man die Schuld dafür anlasten, denn die Königin und Asti
kennen die Wahrheit, und früher oder später wird sie herauskommen, und man wird mich als Hexe ver brennen und in die Unterwelt schicken, mit dem Blut des Pharao an meinen Händen, des Pharao, der mir nur Gutes getan hat. Und was wird dann mit mir ge schehen?« Offensichtlich wußte Kaku das nicht, denn er stand auf und trat ihr gegenüber, kratzte sich das schmale Kinn und lächelte auf eine vage, unentschlossene Art, die Merytra wütend machte. »Hör auf, zu grinsen, wie ein Affe auf dem Felsen«, sagte sie, »und sag mir, wie das Ende dieses ver ruchten Geschäftes aussehen wird!« »Warum machst du dir Sorgen um das Ende, Schö ne?« fragte er. »Das Ende liegt noch ein großes Stück entfernt; die besten Philosophen behaupten sogar, daß es ein Ende gar nicht gibt. Du kennst das heilige Symbol der Schlange, die sich in den Schwanz beißt, und die ganze Welt umschließt; sie beginnt dort, wo sie endet, und sie endet dort, wo sie beginnt. Es hat den Anschein, als ob eine jede Grabkammer ...« »Hör auf, von Schlangen und Grabkammern zu sprechen!« schrie Merytra. »Allein der Gedanke dar an macht mich schaudern!« »Aber gerne, Geliebte. Ich war schon immer der Meinung, daß wir Ägypter uns zu sehr mit Gräbern befassen, und mit dem, was hinter ihnen liegt, das natürlich stark in Zweifel gezogen werden kann – glücklicherweise. Also wollen wir uns von Gräbern und Leichen ab und Palästen und Leben zuwenden. Und, wie ich gerade sagte, stehen die Dinge – trotz des Pharaos Tod und aller seiner Leibwachen – und, wie ich hinzufügen möchte, auch des Todes der vier
legitimen Söhne Abis – recht gut für uns. Heute habe ich von dem Prinzen in schriftlicher Form meine Er nennung zum Wesir und Ersten Berater des Königs erhalten, die in Kraft tritt, sowie er den Thron be steigt, was jetzt unumgänglich ist, und du hast heute, unter allen üblichen öffentlichen Riten und Zeremo nien, den Titel meiner Gemahlin erhalten, wie ich es dir versprochen habe. Merytra, du bist jetzt die Frau des großen Wesirs, des Obersten Herrn, des Ersten Beraters des Königs von Ägypten, eine erhabene Po sition für eine, die bei dem verstorbenen Pharao nur eine Lieblingsdienerin und Hüterin der Fußbank war.« »Eine Fußbank aus Seide ist ein bequemerer Sitz als ein Prunksessel, der aus blutigen Schwertern errichtet ist. Höre, Kaku! Ich habe Angst! Du sagst, daß du der größte aller Seher bist und die Zukunft lesen kannst. Gut, ich will jetzt die Zukunft wissen, also zeig sie mir, wenn du kein Scharlatan bist!« »Ein Scharlatan! Wie kannst du so etwas sagen, nachdem du die Wirksamkeit des Abbildes mit eige nen Augen gesehen hast!« »Das mag ein Zufall gewesen sein. Der Pharao war seit Jahren kränkelnd und hatte vor einiger Zeit einen Schlaganfall. Wenn du kein Betrüger bist, zeig mir al so die Zukunft in jener magischen Kugel! Lieber will ich das Schlimmste wissen, damit ich ihm entgegen treten kann, wenn es kommt.« »Gut, Frau, ich werde es versuchen, obwohl bei so hohen Visionen der Geist ruhig sein sollte, was der deine, wie ich fürchte, nicht ist. Nein, werde nicht wütend! Wir wollen es versuchen, wir wollen es ver suchen. Setz dich jetzt hierher und blick in die Kugel,
und vor allem, sei still, während ich die notwendigen Formeln spreche!« Nachdem er die Kugel auf den Tisch gestellt hatte, starrten sie beide hinein, während Kaku seine Sprü che und Beschwörungen murmelte. Eine ganze Weile sah Merytra nichts, doch dann formte sich plötzlich ein Schatten in der Kugel, der sich langsam wieder auflöste und den Leichnam des Pharao zeigte, der mit Mumienbinden umwickelt war. Und als sie auf schreien wollte, schien die Gestalt ihre Hände aus den Binden zu lösen und sie nach beiden Seiten zu schlagen, worauf die Glaskugel zersprang, so daß ih re Scherben durch den ganzen Raum flogen, und eine von ihnen ihren Mund traf, ihr die Lippe durch schnitt und zwei Vorderzähne ausschlug. Merytra stieß einen gellenden Schrei aus und stürzte rücklings zu Boden; Kaku sprang von seinem Stuhl auf, als ob er fortlaufen wollte, überlegte es sich dann jedoch anders und blieb reglos stehen, am gan zen Körper zitternd. »Was war das?« keuchte Merytra, während sie auf stand und sich das Blut von ihrer aufgeschnittenen Lippe wischte. »Ich weiß es nicht«, antwortete Kaku mit bebender Stimme. »Es hat den Anschein, als ob die Götter uns jenes Wissen um die Zukunft, welches du haben willst, verwehren. Also sei zufrieden mit der Gegen wart, Merytra!« »Zufrieden mit der Gegenwart!« schrie sie außer sich vor Wut. »Sieh doch, was die Gegenwart mir ge geben hat, einen Mund voll Blut und Zähnen! Ich, die ich schön war, bin jetzt für immer entstellt; ich bin zu einer alten Vettel geworden. Der Pharao hat die Ku
gel mit seinen Händen zerschmettert und ihre Scher ben nach mir geworfen. Ich habe gesehen, wie er es getan hat, und du hast ihn dorthin gebracht. Hund, ich werde dir diesen üblen Trick heimzahlen!« Sie sprang auf Kaku los, riß ihm die Astrologenkappe vom Kopf, und auch die Perücke, die er darunter trug, und schlug ihm beides so lange auf seinen kah len Schädel, bis er um Gnade flehte. In diesem Augenblick wurde die Tür aufgestoßen, und ein atemloser, nur halb bekleideter, vor Angst bleicher Prinz Abi stürmte herein. »Was geht hier vor?« keuchte er und ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen. »Ist dies die Art, auf die du deine mitternächtlichen Studien betreibst, Kaku?« »Natürlich nicht, Hoher Herr«, antwortete der Astrologe, und versuchte, sich zu verbeugen, ohne Merytra aus den Augen zu lassen, welche neben ihm stand, die Hand, in der sie die zerrissene Perücke hielt, zum Schlag erhoben. »Natürlich nicht, erhabe ner Prinz. Eine kleine, häusliche Meinungsverschie denheit, das ist alles. Diese Wildkatze von einer Frau, die ich geheiratet habe, hatte einen kleinen Unfall, der ihr Blut in Wallung brachte.« »Wiederhole das«, rief Merytra, »und ich werfe dich aus dem Fenster, damit du herausfinden kannst, ob deine Zauberei Pflastersteine so weich wie Luft machen kann! Siehe Herr, was er mir mit seiner ver fluchten Hexenkunst angetan hat« – sie zeigte ihm die beiden blutigen Vorderzähne, die sie in ihrer zittern den Hand hielt – »ich sage dir, daß er den Geist des Pharao, den zu töten er mich verführt hat, in die Glaskugel gebracht hat, denn ich sah ihn darin, in seine Mumienbinden gewickelt, und er hat den toten
Pharao veranlaßt, die Glaskugel zu zerschmettern und mich mit ihren Scherben zu verstümmeln.« »Sei still, Frau!« rief Abi. »Oder ich laß dich mit Stöcken schlagen, bis deine Fußsohlen mehr schmer zen als dein Mund. Was ist dies über den Geist des Pharao, Kaku? Ist er überall? Denn wisse, um von dem Pharao zu sprechen, der jetzt bei Osiris wohnt, bin ich gekommen.« »Erhabenster Herrscher des Nordens, Sohn königli chen Geblütes, erblicher Prinz, der König sein wird ...« »Hör auf mit diesen Titeln, Bursche!« rief Abi, »und hör mir zu, denn ich brauche Rat, und wenn du mir keinen geben kannst, werde ich einen finden, der es kann. Gerade eben, als ich auf meinem Bett lag und schlief, kam eine entsetzliche Vision zu mir. Ich träumte, daß ich erwachte und ein Gewicht neben mir auf dem Bett spürte, und als ich den Kopf wandte, um zu sehen, was es war, erkannte ich dort den Leichnam meines Bruders, des Pharao, in seine Mu mienbinden gewickelt ...« »So wie ich ihn in der Glaskugel sah«, unterbrach Merytra. »Hat er auch nach dir etwas geworfen, o Abi?« »Nein, Frau, er hat Schlimmeres getan, er hat zu mir gesprochen. Er sagte: ›Du, mein Bruder, dem ich alle Sünden vergeben habe, du und diese Schlange von Frau, die ich an meinem Busen nährte, und dein Diener, jener schwarzseelige Magier, ihr Komplize, habt mich auf eine grauenhafte Weise zu Tode ge bracht und die Königin Beider Reiche, Amons könig liches Kind, zusammen mit der edlen Asti in jenen Turm gesperrt, damit sie dort verhungere oder dich zum Manne nähme – dich, ihren Onkel, der sowohl
ihre Schönheit als auch meinen Thron sucht. Ich habe jetzt für dich eine Nachricht von den Göttern, die sol che Dinge in ihren ewigen Büchern niederschreiben, um sie bis zum Tag des Gerichtes aufzuheben, wenn wir alle vor ihnen stehen und für unsere Taten Re chenschaft ablegen müssen, mit Osiris, dem Erlöser, zu unserer Linken stehend, und mit dem Verschlin ger von Seelen zu unserer Rechten. Und dieses ist die Nachricht, o Abi: Gehe zum Tempel der Sekhet, wenn der Tag graut. Dort wirst du jene königliche Schönheit finden, die du begehrst, nimm es dir, denn es wird dich nicht mehr zurück weisen. Heirate mit großem Pomp und vor aller Au gen Ägyptens diese Schönheit, und herrsche mit dem Recht des Königtums, bis du einem gewissen Rames begegnen wirst, dem Sohn des Mermes, welchen du ebenfalls ermordetest, und mit ihm einem gewissen Bettler, der ebenfalls beauftragt ist, dir eine Botschaft zu übermitteln, o Abi. Fahr den Nil hinauf nach The ben, und leg diesen meinen Leichnam in die pracht volle Grabkammer, die ich für ihn vorbereitet habe, und sitze auf meinem Thron und tu die Dinge, wel che die königliche Schönheit, die du geheiratet hast, dir zu tun befiehlt, denn ihr sollst du gehorchen. Doch beeile dich, beeile dich, Abi, eine Grabkammer für dich richten zu lassen, und laß sie nahe der mei nen sein, denn wenn du tot bist, wird dieses, mein Ka, dich besuchen kommen, so wie es das heute tut.‹ Dann hörte das Ka, oder der Leichnam des Pharao – ich weiß nicht, was es war, auf zu sprechen und lag eine Weile reglos neben mir und starrte mich mit sei nen kalten, toten Augen an, bis schließlich die Geister meiner vier Söhne, welche tot sind, hereintraten, die
Gestalt aufhoben und hinaustrugen. Ich wachte auf, zitternd wie ein Schilfhalm im Wind, und kam hier her, tausend Stufen hinauf, um dich hier mit dieser niedriggeborenen Dirne streiten zu sehen, einen ab getretenen Schuh des Pharao, den ich schon vor lan ger Zeit von meinem Fuß geschleudert hatte.« Merytra hatte eine scharfe Erwiderung bereit, da sie solche Worte nicht schätzte, doch die beiden Männer blickten sie so drohend an, daß ihre Wut ver rauchte und sie still blieb. »Deute mir diese Vision, Mann, und mache schnell, denn ihre Bedrohung lastet schwer auf mir!« fuhr Abi fort. »Solltest du es nicht können, entkleide ich dich aller Ämter und laß deinen Kadaver so lange prügeln, bis du Weisheit findest. Du warst es, der mich auf diesen Pfad gedrängt hat, und – bei den Göttern! – du wirst mir das Leben bewahren oder stückweise ster ben.« Kaku, der die große Gefahr erkannte, in der er schwebte, wurde plötzlich ruhig und verschlagen. »Es ist wahr, o Prinz, daß ich dich auf diesen Pfad geführt habe, diesen hohen und herrlichen Pfad, und es ist auch wahr, daß ich dich von Anbeginn an sicher auf ihm festgehalten habe. Wäre es nicht um mich und meinen Rat gewesen, würdest du schon längst ein vergessener Verräter sein. Erinnere dich an jene Nacht in Theben, als du in deinem eitlen Ehrgeiz das Herz des Pharao durchbohren wolltest und ich deine Hand zurückgehalten habe; und erinnere dich daran, wie oft mein Rat dich geführt hat, wenn du in deinem unüberlegten Eifer gescheitert oder getötet worden wärst! Auch ist es wahr, Prinz, daß du in der Zu kunft, wie in der Vergangenheit, mit mir und durch
mich stehen oder fallen wirst. Doch wenn du anderer Meinung sein solltest, so suche dir einen weiseren Mann, der dich führt, und warte das Ende ab. Alle Stöcke Ägyptens können nicht auf meinem Rücken zerschlagen werden, o Abi. Also, soll ich jetzt mit ei nem sprechen, der wissend ist, oder willst du dir ei nen anderen Berater suchen?« »Sprich!« erwiderte Abi düster. »Wir sind Fische im selben Netz und teilen unser Schicksal bis zum Ende, ob dieses nun Sets Feuerrost sein wird, oder die Spielwiese Ägyptens. Fürchte nichts! Was ich dir ver sprochen habe, sollst du bekommen, solange es mein ist, um es wegzugeben.« »Eben noch hast du mir Stöcke versprochen«, be merkte Kaku, verzog das Gesicht zu einer Grimasse und stülpte den traurigen Rest seiner Perücke auf seinen kahlen Schädel, »doch lassen wir das. Was nun deinen Traum betrifft, so finde ich seine Bedeutung gut. Wie ist der Pharao zu dir gekommen? Nicht als ein lebender Geist, sondern in der Gestalt eines Toten, und wer kümmert sich schon um Tote?« »Ich, zum Beispiel, wenn sie mir meinem Mund mit Glasscherben zerschneiden«, unterbrach Merytra, die ihre Wunden in einer Schüssel mit Wasser badete. »Ich wünschte, sie hätten dir die Zunge zerschnit ten und nicht die Lippen«, sagte Abi wütend. »Sprich weiter, Kaku, und kümmere dich nicht um sie!« »Und was war seine Bedeutung?« fuhr der Magier fort. »Nun, daß du die Königin von Ägypten heiraten und mit ihrem Recht regieren und auf dem Thron des Pharao sitzen wirst. Und sind das nicht alle die Din ge, die du begehrst und nach denen du so lange ge strebt hast?«
»Ja, Kaku, aber du hast die Worte über diesen ge wissen Rames vergessen, und das Grab, das ich mir eilig richten soll, und alles andere.« »Rames? Von dem kann dir Merytra einiges sagen, Prinz. Er ist ein hitzköpfiger junger Mann, der den Prinzen von Kesh getötet hat und von Neter-Tua weit in die Südländer geschickt wurde, damit die Barba ren, die dort hausen, ihn beseitigen können, ohne daß es zu einem Skandal kommt. Falls er jemals von dort zurückkommen sollte, mit dem Bettler und dessen Nachricht – was nicht anzunehmen ist –, kannst du ihm die Antwort geben, die ihm gebührt.« »Ja, Kaku, doch welche Antwort wird die Königin ihm geben? Es sind da Gerüchte im Umlauf ...« »Lügen, alles nur Lügen, Prinz. Sie hätte ihn sofort hinrichten lassen, wenn Mermes und Asti, ihre Nährmutter, nicht so auf sie eingeredet hätten. Dieser Rames ist von dem Geblüt der letzten Dynastie, und der Stern Amons ist nicht eine, die ihren Himmel mit einem rivalisierenden Stern teilen will, falls er nicht ihr gesetzlicher Gemahl ist, und das wirst du sein. Falls Rames oder dieser stinkende Bettler dir irgend eine Nachricht bringen sollten, so die, daß du auch König von Kesh wie von Ägypten bist, und dann kannst du ihn töten und das Erbe antreten. Ver schwende also keinen Gedanken an Rames und die sen Bettler!« »Vielleicht hast du recht«, sagte Abi etwas erleich tert, »auf jeden Fall fürchte ich diese Gefahr nicht. Doch was ist mit all dem Gerede des Pharao über Gräber?« »Da er tot ist, Prinz, ist es doch nur natürlich, daß die Gedanken seines Ka sich um Gräber und sein be
vorstehendes, königliches Begräbnis drehen, das wir ihm aus staatsmännischen Gründen geben müssen. Außerdem liegt keine Gefahr in dieser Prophezeiung, da das Grab auf uns alle wartet, besonders auf solche von uns, die mehr als sechzigmal den Nil über seine Ufer treten sahen – was bei mir der Fall ist«, setzte er rasch hinzu. »Wenn wir die Grabkammer erreichen, haben wir Zeit genug, uns mit diesen Dingen zu be fassen, bis dahin jedoch laß uns mit dem Leben zu frieden sein, und mit den guten Dingen, die es uns bietet, so wie Throne, die Liebe der schönsten Frau der Welt, und alles andere. Ernte dein Korn, wenn es reif ist, Prinz, und mach dir keine Sorgen um die Ernte des nächsten Jahres, oder ob das Ka im Grabe des Pharaos weißes Brot ißt oder dunkles. Pharaos Tochter – oder Amons – ist dein Geschäft, nicht sein Geist.« »Ja, guter Wahrsager«, antwortete Abi, »sie ist mein Geschäft. Doch noch eine Frage. Warum hat die verfluchte Mumie von ihr als ›Es‹ gesprochen – in meinem Traum, meine ich – als ob sie keine Frau wä re, sondern ein Ding, etwas, das jenseits von Frauen ist?« Einen Augenblick zögerte Kaku, da diese Frage schwer zu beantworten war, dann antwortete er forsch: »Weil, wie ich glaube, diese Frau, mit welcher die Götter deine Verdienste belohnen, als Amons Tochter, tatsächlich mehr als eine Frau ist und des halb in dem Reich, aus dem sie gekommen ist, nicht als Frau, sondern unter ihrem Titel ›Königliches Wunder‹ bekannt ist. – Oh!« fuhr Kaku mit einem Enthusiasmus fort, der in Wahrheit nicht in seiner Brust glühte. »Groß und erhaben ist dein Los, König
der Welt, und prächtig der Pfad, den du deinen tri umphierenden Schritten geöffnet hast. Ich war es, der dir zeigte, wie der Pharao in die Falle gelockt werden konnte, und ich war es – oder vielmehr jene Merytra –, die ihn dir vom Halse geschafft hat. Und jetzt bin es wieder ich, der Meister, welchen du mit Stock schlägen bedroht hast, der allein imstande ist, dir die glücklichen Omen eines Traumes zu erläutern, wel chen du für furchterregend hieltest. Denk an das Ziel, Prinz, und verbanne jeden Zweifel! Wer hat denn den toten Pharao hinausgetragen? Deine Söhne waren es, was den Triumph deines Hauses symbolisiert!« »Doch haben sie keinen Anteil an ihm, Kaku«, sagte Abi mit einem Stöhnen, »da sie tot sind.« »Und was ist so schlimm daran? Sie sind tapfer ge storben, und wir betrauern sie, doch auch hier war das Glück auf deiner Seite, denn wenn sie am Leben geblieben wären, hätte es zu Auseinandersetzungen kommen können zwischen ihnen und jenen anderen Söhnen, welche die Königin von Ägypten dir gebären wird.« »Vielleicht, vielleicht«, antwortete Abi und winkte ab, da dieses Thema ihm schmerzlich war, denn er hatte seine Söhne sehr geliebt, »doch ist diese Königin noch nicht meine Frau. Sie sitzt hungernd in jenem Turm. Was soll ich tun? Wenn ich mich ihr aufzwin ge, wird sie sich töten, wie sie es mir geschworen hat, und wenn ich sie noch länger dort lasse, wird sie, da sie eine Sterbliche ist, umkommen. Und das darf ich nicht wagen, denn selbst diese Menschen von Mem phis, die mich lieben, beginnen schon zu murren. Die Königin Ägyptens ist die Königin Ägyptens, und sie werden nicht dulden, daß sie elend zugrundegeht, da
sie schön und jung ist und ihre Herzen bei ihr sind. Heute abend bei Sonnenuntergang haben sie sich zu Zehntausenden um den Turm geschart, um sie ihre Abendhymne an Ra singen zu hören, und danach zo gen sie an meinem Palast vorbei und riefen im Dun kel: ›Gib der Königin zu essen und befreie sie, oder wir werden es tun!‹ Außerdem müssen die Nach richten von hier inzwischen Theben erreicht haben, und eine große Heerschar sammelt sich dort, um sie zu befreien oder sie zu rächen. Was soll ich tun, Pro phet?« »Tu, was der tote Pharao dich in deinem Traum zu tun geheißen hat, Prinz! Geh zur Stunde der Morgen dämmerung zum Tempel der Sekhet, wo du die Kö nigin bereitfinden wirst, sich deinen Wünschen zu beugen, denn hat der Traum dir nicht erklärt, daß sie dich nicht zurückweisen wird? Dann führe sie in dei nen Palast und heirate sie vor dem Angesicht aller Menschen, und herrsche durch das Recht ihrer Maje stät und deines siegreichen Armes.« »Man könnte es versuchen«, sagte Abi, »und dann werden wir zumindest erfahren, ob Wahrheit in Träumen liegt. Aber was ist mit dieser Asti, ihrer Ge fährtin?« »Asti war ein schlechter Einfluß auf die Königin, Prinz«, antwortete Kaku und rieb sich das Kinn, wie er es immer tat, wenn er Böses im Schilde führte. »Außerdem ist sie in fortgeschrittenem Alter und muß von Hunger und Trauer geschwächt sein. Falls sie noch am Leben sein sollte, wird Merytra sie in ihre Obhut nehmen und sich um sie kümmern. Ihr beiden seid doch gute Freundinnen, nicht wahr, Merytra?« »Die besten Freundinnen«, sagte diese mit Nach
druck, »wie eine Katze und ein Vogel, die vom selben Herrn gehalten werden. O ja, wir werden einander viel zu erzählen haben. Doch hüte dich, mein Ehe mann, Asti ist nicht schwach. Deine Magie mag stark sein, doch die ihre ist stärker, da sie eine große Zau berin ist und ihre Kraft von den Göttern bezieht – nicht von Teufeln.« So geschah es, daß beim Grauen des nächsten Mor gens Prinz Abi, in prächtige Roben gekleidet und von seinen Beratern begleitet, unter denen sich auch Kaku befand, und von einer kleinen Leibwache, in einer Sänfte zum Tor des Tempels der Sekhet getragen wurde, denn er war zu fett, um so weit laufen zu können. Da niemand dort war, um sie zu verteidigen, passierten sie diese Tore ohne jede Schwierigkeit und ließen die Leibwache vor ihnen zurück. Als sie in den inneren Hof gelangten, blieb Abi stehen und fragte, wo sie nach Tua suchen sollten. »Nur an einem Ort, Prinz«, antwortete Kaku, »in jenem Pylonenturm, welcher den Nil überblickt, denn dort hungert die Königin mit Asti.« »Im Pylonenturm«, knurrte Abi. »Bin ich gestern nacht nicht genügend Treppen hinaufgestiegen? Doch gehen wir!« So erreichten sie die schmale, steile Treppe, welche Kaku wie eine Katze hinauflief, während die Berater den gewichtigen Abi hinter ihm die Stufen empor schoben. Auf dem dritten Treppenabsatz blieben sie auf Abis Befehl hin stehen. »Nicht so schnell«, sagte er mit einem heiseren Flü stern. »Die Königin wohnt im nächsten Stockwerk dieses elenden Turmes, und da Asti bei ihr ist, kann
sie nicht überrumpelt werden. Hütet euch also davor, sie durch euer plötzliches Auftauchen zu erschrecken, damit sie nicht auf das Dach des Turmes läuft und sich in den Nil stürzt, was zu tun sie geschworen hat! Bleibt jetzt hier; ich werde sie rufen, sowie ich wieder zu Atem gekommen bin.« Also rief er nach einer Weile: »O Königin, hör auf, dich in dieser elenden Bleibe zu Tode zu hungern und komm herab, um mit deinen treuen Untertanen im Überfluß zu leben!« Er rief dies einmal, und zweimal, und dreimal, doch kam keine Antwort. Nun bekam Abi es mit der Angst zu tun. »Sie muß gestorben sein«, sagte er, »und Ägypten wird ihr Blut verlangen, das an meinen Händen klebt. Kaku, gehe hinauf und sieh, was geschehen ist. Du bist ein Magier und hast nichts zu fürchten.« Doch war der Astrologe sich dessen nicht so sicher und zögerte, bis Abi wutentbrannt seinen Zedernstab hob, um ihn ihm auf den Rücken zu schlagen. Dann ging er die Treppe hinauf, langsam, Stufe um Stufe, wobei er auf jeder stehen blieb, um Gebete und Lob reden an die Königin von Ägypten zu richten. Schließlich erreichte er die Tür ihrer Kammer, kniete nieder und blickte vorsichtig hinein. Sie war leer. Als nächstes kroch er über den Treppenabsatz zu der ge genüberliegenden Kammer, von der er vermutete, daß sie das Gemach Astis war, und fand sie ebenfalls leer. Nun lief er, von neuem Mut erfüllt, die letzte Stufe hinauf, die auf das Dach des Pylonenturms führte. Doch auch hier war niemand zu sehen. Also kehrte er zurück und sagte Abi, was er vorgefunden hatte.
»Bei Ptah, dem großen Herrn von Memphis!« rief Abi. »Entweder ist sie entkommen, um ganz Ägypten gegen mich auf die Beine zu bringen, oder sie hat den Tod im Nil gesucht, um die Götter gegen mich auf stehen zu lassen, was noch schlimmer wäre. Soviel zu deinen Deutungen von Träumen, du Betrüger!« »Warte, bis du sicher bist, bevor du mich bei sol chen Namen nennst, Prinz!« erwiderte Kaku indig niert. »Laß uns den Tempel durchsuchen, sie mag an einem anderen Ort sein.« Also durchsuchten sie den Tempel, Hof um Hof, und Halle um Halle, bis sie zu jener inneren Halle vor dem ehemaligen Schrein kamen, in welcher der Pha rao seinen Thron aufgestellt hatte, während er in Memphis weilte. Diese Halle war sehr dunkel, da ihre Decke aus schweren Granitblöcken bestand, welche auf ihren lotusförmigen Säulen ruhten, und Licht le diglich durch ein paar Gitteröffnungen in den Gesim sen hereinfiel. Jetzt, zur Stunde des Sonnenaufgangs, war die Dunkelheit noch absolut, so sehr, daß die Su chenden nichts sehen konnten und sich ihren Weg von einer Säule zur anderen ertasten mußten. Kurz darauf fiel jedoch ein Lichtstrahl durch eine Öffnung in der östlichen Mauer, welche wie das Auge Osiris' geformt war, und traf, wie er das seit Tausenden von Jahren getan hatte, auf den Schrein der Göttin, und auf den Thron, welcher vor diesem Schrein stand. Und auf diesem Thron saß Neter-Tua, die Königin von Ägypten. Erhaben sah sie aus, eine Flammengestalt inmitten des Dunkels. Die königliche Robe, die sie trug, schimmerte im Sonnenlicht, das ihr Zepter, ihre Ju welen und die Uräi an ihrer Doppelkrone glänzen
ließ; doch mehr als sie alle glänzten ihre harten, herr lichen Augen. Es lag ein so schrecklicher Ausdruck in diesen Augen, daß die Menschen, die sie so plötzlich vor sich sahen, furchtsam zurückwichen und einan der zuflüsterten, daß hier eine Göttin säße, und keine sterbliche Frau. Denn in ihrer Ruhe, ihrer stolzen Schönheit und ihrem Schweigen erschien sie ihnen wie eine Unsterbliche, wie eine, die über den Tod tri umphiert hat, und nicht wie eine Frau, welche sieben Tage lang hungernd in einem Turm gesessen hat. Sie wichen zurück, sie drängten sich in der Nähe der Tür zusammen und blieben dort wispernd ste hen, bis das stärker werdende Licht auch auf sie fiel. Doch die Gestalt auf dem Thron kümmerte sich nicht um sie, sondern starrte reglos über ihre Köpfe hin weg, wie in Mysterien und Gedanken versunken. Schließlich sagte Kaku, allen Mut zusammenneh mend, zu Abi: »Das ist deine Braut, o Prinz, eine Braut, wie sie noch nie ein Mann sein eigen nennen konnte Geh und nimm sie dir!« Und alle anderen wiederholten: »Geh und nimm sie dir, o Prinz!« So aufgefordert, allein, um sich nicht beschämen zu lassen, trat Abi langsam auf sie zu, wobei er häufig hinter sich blickte, bis er den Fuß des Thrones er reichte, dort stehen blieb und sich tief verneigte. Eine ganze Weile stand er so gebeugt, bis er dessen sehr müde wurde, denn er wußte nicht, was er sagen sollte. Dann, plötzlich, sprach eine klare, silbrige Stimme über ihm, und sie sagte: »Was tust du hier, Herr von Memphis? Warum bist du nicht in der Kerkerzelle, in welche der Pharao dich verbannt hat? Oh! Ich erinne
re mich: die Hüterin der Fußbank, Merytra, deine be zahlte Spionin, hat dich herausgelassen, nicht wahr? Warum ist sie nicht hier, zusammen mit Kaku, dem Zauberer, der das magische Abbild schuf, welches den Pharao zu Tode brachte? Ist es, weil sie zurück blieb, um ihre falschen Lippen zu behandeln, die zer schnitten wurden, bevor du jenen Kaku aufsuchtest, um dir von ihm einen gewissen Traum deuten zu las sen, der diese Nacht dir kam?« »Woher weißt du von diesen Dingen? Hast du Spione in meinem Palast, o Königin?« »Ja, mein Onkel, ich habe Spione in deinem Palast und überall sonst. Was Amon sieht, weiß seine Tochter. Du bist jetzt gekommen, um mich als deine Frau heimzuführen, nicht wahr? Nun, ich habe dich erwartet, ich bin bereit. Tu es, wenn du es wagst!« »Wenn ich es wage? Warum sollte ich es nicht wa gen, o Königin?« fragte Abi mit zweifelnder Stimme. »Diese Frage mußt du dir selbst beantworten. Doch sag mir dies: warum ist die Glaskugel in Kakus Zim mer gestern nacht zersprungen, und warum, glaubst du, hat Kaku dir jede Bedeutung deines Traumes ge nannt, er, welcher nie die Wahrheit spricht, wenn er nicht durch Stöcke dazu gezwungen wird?« »Ich weiß es nicht, o Königin«, antwortete Abi, »doch mit Kaku kann ich später sprechen; wenn es nötig sein sollte, auf die Art, die du vorschlägst.« Da bei warf er dem Magier einen haßerfüllten Blick zu. »Nein, Prinz Abi, du weißt nichts, und Kaku weiß nichts – außer daß Stöcke das Rückgrat von Schlan gen brechen, falls sie nicht eine Mauer finden, in der sie sich verkriechen können«, und sie deutete auf den Astrologen, der sich verstohlen in die Schatten zu
rückzog. »Niemand weiß etwas, außer mir, der Amon die Weisheit des Vorausblicks in die Zukunft gegeben hat, und was ich weiß, behalte ich für mich. Wenn es anders wäre, o Abi, könnte ich dir Dinge erzählen, Abi, die dein graues Haar weiß werden ließen, und dir, Kaku, und dir, Merytra, der Spionin, Belohnung versprechen, die eine Folterkammer wie ein Daunen bett erscheinen ließ. Doch das darf ich nicht, und sie würden auch nicht angenehm klingen zu dieser Stunde unserer Brautschaft.« Während Kaku im Dunkel zwischen klappernden Zähnen hervor Schutzbeschwörungen murmelte, starrten Abi und seine Höflinge diese schreckliche Königin an, so wie Jungen, die im Schilf nach Voge leiern suchen und über einen Löwen stolpern, diesen anstarren, bevor sie vor ihm fliehen. Zweimal wandte der Prinz sich um und blickte zur Tür und in das helle Licht, das draußen herrschte, denn es kam ihm vor, als ob er einen düsteren und unsicheren Weg beträte. Dann sagte er: »Deine Worte, o Königin, verwun den wie ein zweischneidiges Schwert, und ich glaube, daß sie auch Gift in die Wunden bringen. Sage mir: wenn du sterblich bist, wie kommt es, daß nach sie ben Tagen des Hungerns dein Fleisch nicht abgezehrt ist und deine Schönheit nicht gelitten hat? Sage mir auch, wer dir diese wunderbaren Roben brachte, wel che du hier, in diesem leeren Tempel, trägst, und wo deine Nährmutter, Asti, ist.« »Die Götter haben mich ernährt«, antwortete die Königin milde, »und sie haben mir auch die Roben gebracht, damit ich deiner würdiger sei, Prinz. Was Asti betrifft, so habe ich sie nach Zypern entsandt, um
mir von dort ein Parfüm zu holen, welches allein auf jener Insel hergestellt wird und sonst nirgends. O nein, ich vergaß, gestern war es, daß ich sie fort schickte, um mir das Parfüm aus Zypern zu holen, welches nun in meinem Haar ist; heute befindet sie sich in Theben, um dort etwas für mich zu erledigen. Dies ist kein Geheimnis: es ist alles in den Darstellun gen über den Verrat und die Ermordung des Pharao verzeichnet, welche sich in der ersten Kammer seiner Gruft befinden.« Bei diesen magischen und von bösen Omen bela denen Worten verließ die Menschen endgültig ihr Mut, so daß sie rückwärts zur Tür wichen, und Abi mit ihnen. »Was!« rief die Königin mit anklagender Stimme, die von Hohn geschwängert schien. »Willst du mich, deine Braut, hier allein lassen? Machen meine Macht und meine Weisheit dir Angst? Wie schade! Es ist nicht meine Schuld, denn wenn die volle Vase ge kippt wird, läuft der Wein aus, und wenn Licht hinter Alabaster gesetzt wird, muß der weiße Stein leuchten. Doch bin ich eine, die dazu bestimmt ist, den Palast des Königs zu schmücken, selbst eines Königs, wie du einer sein wirst, o Abi, den Osiris liebt. Siehe, ich werde jetzt für dich tanzen und singen, so wie ich einst vor dem Prinzen von Kesh gesungen habe, be vor das Schwert Rames' sein Leben auslöschte, auf daß du mich abschätzen kannst, Abi, der du so viele schöne Frauen besessen hast.« Während sie sprach, glitt sie langsam, so langsam, daß man kaum eine Bewegung bemerkte, von dem Thron und stand vor ihnen, und begann ihre Füße und ihren Körper zu bewegen und ein Lied zu singen.
Was die Worte dieses Liedes waren, konnte später keiner von ihnen sagen, doch öffnete es bei jedem Mann eine Tür in seinem Herzen und brachte ihm die Erinnerung an seine Jugend zurück. Sie, die er am meisten geliebt hatte, tanzte vor ihm, ihre zärtlichen Hände waren es, die ihn liebkosten, und die Worte, die sie sang, waren Seufzer, die diese Toten in seine Ohren geflüstert hatten. Selbst Abi, fett, ungeschlacht und tief in Intrigen verstrickt, kamen diese sanften Visionen, obwohl es ihm schien, als ob diese wunder bare Sängerin ihn an den Rand eines Abgrundes führte, und daß er, als sie ihr Lied beendete und zu verschwinden schien, um sie wiederzufinden, in die Wolken sprang, welche unter ihm vorbeizogen. Der Tanz war zu Ende, und die letzten Echos des Gesangs verhallten an den uralten Wänden, von de nen die Abbilder Sekhets, der Katzenköpfigen, sie mit ihrem grausamen, rachelüsternen Lächeln ansahen. Der Tanz war vorbei, und die wunderbare Tänzerin stand vor ihnen, ohne davon erhitzt zu sein, doch lei se lachend. »Geh jetzt, göttlicher Prinz«, sagte sie, »und auch ihr, seine Gefolgsleute! Geht und laßt mich in meinem einsamen Haus zurück, bis der Pharao nach mir schickt, damit ich sein neues Reich mit ihm teile, wel ches er jenseits des Westens erbt!« Doch jetzt wollten sie nicht gehen, und konnten es auch nicht, denn irgendeine Macht band sie an sie, und was Abi betraf, so konnte er nicht seinen Blick von ihr wenden und warf sich, ohne Rücksicht dar auf, wer ihn sehen oder hören mochte, ihr zu Füßen und sprudelte seine Leidenschaft für sie heraus, wäh rend die anderen ihn eifersüchtig anstarrten. Sie hörte
ihm zu, immer mit jenem Lächeln auf ihren Lippen, das so süß war, und doch so unmenschlich. Dann, als er erschöpft innehielt, sprach sie endlich zu ihm. »Was! Liebst du mich jetzt mehr, als du mich fürchtest, wie der Prinz von Kesh liebte, als Amons Stern für ihn gesungen hatte? Möge dein Schicksal glücklicher sein, o edle? Abi, doch das wirst du zu gegebener Stunde selbst sehen, da ich es dir nicht sa gen darf. Abi, es wird eine königliche Hochzeit in Memphis geben, mit so viel Vergnügen und Festlich keiten, wie man sie noch nie in den Annalen des Nördlichen und des Südlichen Reiches verzeichnet fand, und für die dir zugemessene Zeit sollst du an der Seite von Ägyptens Königin sitzen und in ihrem Lichte erstrahlen. Hast du diesen Platz nicht durch das Recht des Blutes verdient, o Besieger des Pharao, und hat der Pharao es dir nicht in deinem Traum ver sprochen? Komm, die Sonne dieses neuen Tages scheint, laß uns in ihr schreiten und den Schatten Le bewohl sagen.«
12
Die königliche Hochzeit
Ein seltsames Gerücht verbreitete sich in Memphis. Es wurde behauptet, daß die Königin nachgegeben hätte; es wurde gesagt, daß sie den Prinzen Abi hei raten würde, und daß sie sich bereits in dem großen, weißen Palast befände und auf die Hochzeit warte. Die Menschen stritten sich auf den Straßen darüber. Sie schworen, daß dies nicht wahr sein könne, denn würde diese Königin, der gesalbte Pharao Ägyptens, den Mörder ihres Vaters und ihren eigenen Onkel zum Manne nehmen? Würde sie nicht lieber in ihrem Gefängnisturm sterben, auf welchem sie sie des Abends stehen sehen und singen gehört hatten? In ih rem Herzen waren sie sicher, daß sie eher sterben würde, denn so schätzten sie sie ein, diese reine, hochherzige Tochter Amons, die das Schicksal in ei nem bösen Netz gefangen hatte. Ja, und da sie Män ner waren, waren sie dafür, daß sie sterben sollte, um eine Geschichte in der Welt zurückzulassen, auf die Ägypten stolz sein konnte. Ihre Frauen und Töchter jedoch machten sich über sie lustig. Schließlich war sie nur eine Frau, argu mentierten sie, und war es dann wahrscheinlich, daß sie den Pomp des Herrschens und die Aussicht auf ein langes Leben wegwerfen würde, um sich in das Dunkel eines vergessenen Grabes zu stehlen? Von nun an würde sie sich natürlich mit dem zweiten Platz begnügen müssen, denn Abi würde ihr ein ge strenger Herr sein. Doch auf jeden Fall war das besser
als eine Begräbnis-Barke. Sie hatte drüben in jenem alten Tempel das Nagen des Hungers gespürt; ihr stolzer Geist war gezähmt worden; sie hatte den Stock geküßt, und Abi würde, nach so vielen langen Jahren des Wartens, der Pharao Ägyptens sein. Der Disput erhitzte sich, denn selbst jene Männer, die gegen sie waren, hielten sie im Grunde ihren Her zens in hohen Ehren, und es betrübte sie, sich vorzu stellen, daß sie, die hochgeborene Königin, ihren Nacken unter das Joch der Umstände beugen und sich für ihr Leben und für einen Platz auf den Stufen ihres eigenen Thrones verkaufen müßte. Doch die Frauen lästerten weiter und erklärten, daß sie nicht besser sei als andere ihres Geschlechts. Wenig später jedoch wurde diese Streitfrage ge schlichtet, denn Herolde gingen durch die ganze Stadt und verkündeten an allen Orten, daß an diesem Tage, eine Stunde vor Sonnenuntergang, in der gro ßen Halle des weißen Palastes die Hochzeit stattfin den würde. Nun lachten die Frauen triumphierend, und die Männer wurden still. Es war zur festgesetzten Stunde, und die Halle war bis zum Bersten mit Menschen gefüllt. Zwischen den hohen Obelisken, welche zu beiden Seiten der breiten Tür aus Zedernholz standen, deren Flügel jetzt weit geöffnet waren, drängten sich Menschentrauben auf den Stufen wie Bienenschwärme, und der große Platz und die Straßen, die zu ihm führten, waren schwarz von Menschen. Von hier aus konnten sie zwar nichts sehen, trotzdem kämpften sie verbissen um ihren Platz, und manche, die zu Boden sanken, standen nicht wieder auf. Am oberen Ende der Halle waren zwei Throne
aufgestellt worden, der größere und kostbarere für Abi, den Prinzen, der geringere für Neter-Tua, die Königin. Er hatte dies mit Kaku so abgesprochen, der ihm in seiner verschlagenen Art geraten hatte, vom ersten Tage an den Menschen zu zeigen, daß er es war, der herrschte, und nicht die Tochter des Pharao. Es war zur festgesetzten Stunde, und auf ein Zei chen hin begannen von allen Tempeldächern der Stadt Trompeten zu blasen. Dreimal wurden sie ge blasen, dann verklangen ihre Echos in der heißen, ru higen Luft, nachdem sie auf diese Weise verkündet hatten, daß im Tempel der Hathor, und im Beisein der Priester aller Götter, die Hände von Abi und Neter-Tua im Ehebund vereinigt worden waren. Nun begann ein anderes Gerücht sich durch die Menge zu verbreiten; wie die Wellen auf dem Wasser eines Teiches, in den man einen Stein geworfen hat, lief es von Mund zu Mund und zog immer weitere Kreise. Wunder seien in dem Tempel der Hathor gesche hen, behauptete dieses Gerücht. Und es gab auch Einzelheiten an: Der Hohepriester habe der Braut eine Lotusblume überreicht, die Blume der Göttin, wie es der Brauch befahl, und siehe, in ihrer Hand habe ihre Blüte sich geöffnet. Auch wurde behauptet, daß ihr Stengel sich danach in ein Zepter aus Gold verwan delt habe, und die Blüte zu einem Kelch aus Saphiren, die perfekter waren als alle, die man jemals aus den Minen der Wüste geholt habe. Und dies sei noch längst nicht alles, wurde weiter gesagt, denn als Abi, wie es seine Pflicht war, im Schrein Hathors eine weiße Taube opferte, sei ein Falke durch die offene Tür herabgestoßen und habe
die Taube in seiner Hand getötet. Ja, dort im düsteren Licht des Schreins habe er sie getötet und blutend auf den Knien der Göttin zurückgelassen – und sei wie der fortgeflogen! Wie nun konnte der Falke wagen, einen solchen Frevel zu begehen, fragten die Menschen einander, falls er nicht von dem falkenköpfigen Horus entsandt worden war, dem Sohn Amon-Ras. Doch bald waren all diese Dinge vergessen, denn jetzt wurde bekannt, daß das königliche Paar gleich die große Halle betreten werde, um sich dem Volke zu zeigen und die Ehrerbietung der Edlen, Häuptlin ge und Heerführer entgegenzunehmen. Als erste er schienen, durch einen verdeckten Gang, der vom Tempel der Hathor zum Palast führte, die in ihre be sten Roben gekleideten Priester, die Hymnen singend in die Halle einzogen, gefolgt von den Zeremonien meistern, Haushofmeistern und Herolden. Ihnen folgte, umgeben von seiner Leibwache, Abi selbst, in Begleitung seines Wesirs, Kaku, durch dessen Magie der Pharao, wie gesagt wurde, sein Ende gefunden habe. Doch all dieser Pomp und all diese Pracht, und auch nicht der Glanz seiner weißen Robe, die wie viele bemerkten, mit dem bösen Omen von Blut ge sprenkelt war, und selbst nicht die königliche Krone, welche jetzt, zum ersten Mal, auf seinen großen, run den Schädel gesetzt wurde, konnten jene, die zusa hen, darüber hinwegtäuschen, daß der Bräutigam sehr beunruhigt war. Als er dort stand, zitterte das Zepter, das er in seiner dicken Hand hielt, und seine Lippen waren bleich und bebten. Trotzdem lächelte er und verneigte sich zum Dank für die Rufe und
Schreie, die aus der Menge zu ihm heraufdrangen, bis sie endlich verstummten und Stille sich über die Halle senkte. Abi war jetzt vergessen, und alle warteten auf das Kommen der Königin, und obwohl kein Herold sie ankündigte, spürten die Tausende doch in ihrem Herzen, daß sie sich ihnen näherte. Und siehe, dort stand sie! Sie hatten sie voller Spannung und Auf merksamkeit erwartet, doch nicht einer von ihnen hatte sie kommen sehen, wahrscheinlich, weil die Schatten in der Halle zu tief waren. Doch dort stand sie nun, allein am Rand des Podiums, vor den beiden Thronen, und – oh! – sie war so anders, als sie sie sich vorgestellt hatten. So trug sie keine prachtvollen Ro ben, sondern ein einfaches Gewand von reinstem Weiß, mit einem tiefen Ausschnitt, so daß aller Augen im Licht der untergehenden Sonne, deren Strahlen in die Halle fielen, auf ihrem Busen das dunkle Mal er kennen konnten, welches wie das Kreuz des Lebens geformt war. Nur zwei Schmuckstücke trug sie: die Doppelschlange des Königtums, aus Gold geformt und mit roten Augen, welche über ihrer Stirn an der hohen, weißen Kappe prangte, und die niemand au ßer ihr tragen durfte, die Doppelkrone des Unteren und Oberen Reiches und aller ihm ergebenen Länder, und in ihrer Hand ein Zepter aus Gold, dessen Ende mit einer Lotusblume aus Saphiren geschmückt war, jenes Zepter, von dessen magischem Ursprung die Gerüchte gesprochen hatten. Ja, sie war anders. Sie hatten erwartet, eine blasse, geschwächte Frau vor sich zu sehen, deren Augen noch immer von Gram gerötet waren, deren Gesicht noch immer Spuren von Tränen zeigte, einer, die
durch Unglück, Hunger und Todesangst gezähmt worden war, von denen sie sich nun von ihrem Be zwinger freigekauft hatte. Doch war dem nicht so, denn noch nie hatte der Stern Amons auch nur halb so hell gestrahlt, noch nie hatte man eine solche Maje stät in jenen tiefblauen Augen gesehen, welche durch die Menschen hindurchzublicken schienen, als ob sie die Geheimnisse lesen könnten, die im Herzen eines jeden von ihnen verborgen lagen. Ihre hochgewach sene, schlanke Gestalt war nicht im geringsten abge zehrt, ihre Wangen waren gerötet von der Frische der Gesundheit; Macht und Würde strahlten von ihr aus, und jede Furcht schien tief unter ihren Füßen zu lie gen. Keine Stimme erhob sich; sie starrten sie nur schweigend an, und sie antwortete ihnen mit einem kleinen Lächeln und einem Blick ihrer ruhigen Au gen, bis sie ihre Blicke vor ihnen senkten. Dann, end lich, inmitten jener tiefen, drückenden Stille, die nie mand zu brechen wagte, wandte sie sich um, und man hörte das Rascheln ihrer seidenen Robe auf dem Alabasterboden. Mit sichtlicher Anstrengung traten nun zwei Kammerherren vor, um sie zu ihrem Thron zu gelei ten, doch sie winkte sie zurück und sagte mit ihrer klaren Stimme: »Nein, hier bin ich allein; von all den Millionen, welche Amons Tochter und der Königin Ägyptens dienen, ist nicht einer übriggeblieben, um sie zu ihrem rechtmäßigen Platz zu geleiten. Deshalb wird sie ihn sich aus eigener Kraft nehmen, jetzt und für immer!« Dann trat sie, noch immer inmitten absoluter Stille, auf den größeren Thron zu, welcher für Abi vorbe
reitet worden war, setzte sich auf ihn und wartete. Jetzt erhob sich Gemurmel unter den Höflingen, und Kaku flüsterte in Abis Ohr, während die Menge den Atem anhielt. Abi stampfte mit dem Fuß auf und rief einen Befehl, den auszuführen sich jedoch alle zu scheuen schienen. Schließlich trat er selbst auf die Königin zu. »Gemahlin«, sagte er mit heiserer Stimme, »wahr scheinlich weißt du es nicht, doch jener Platz ist der meine; dein Thron steht links von ihm. Habe also die Güte, ihn einzunehmen.« »Warum, Prinz Abi?« fragte sie ruhig. »Weil der Ehemann höher steht als die Ehefrau, und«, setzte er bedeutungsvoll hinzu, »der Sieger hö her als die Besiegte.« »Der Sieger steht höher als die Besiegte?« wieder holte sie mit ihrer wohlklingenden Stimme. »Hättest du nicht sagen sollen: Der Mörder steht höher als der Ermordete und sein Same? Nein, Prinz Abi, du irrst dich. Die Herrscherin Ägyptens durch göttliches Recht steht höher als ihr Vasall, obwohl es den Göt tern gefallen hat, deren Willen zu erfüllen sie hier hergekommen ist, ihr zu gebieten, ihn zu ihrem Manne zu ernennen, bis jener Wille genauer bekannt ist. Komm und zeig jetzt deine Unterwürfigkeit für deine Königin, und nach dir jene Sklaven, die gewagt ha ben, ihr Schwert gegen sie zu erheben.« Nun brach ein großer Tumult aus, ein Tumult von Wut und Furcht, denn fast alle, welche in dem riesi gen Palast waren, hatten Anteil an jenem Verbrechen gehabt und wußten, daß, wenn Neter-Tua sich durchsetzen würde, die Grube des Todes vor ihnen klaffte.
Sie schrien Abi zu, nicht auf sie zu hören. Sie schrien ihm zu, sie vom Thron zu reißen, sie zu töten und ihre Krone zu rauben. Sie zogen ihre Schwerter und tobten wie ein stürmisches Meer. Jene, unter ih nen, welche dem Hause des Pharao ergeben waren, und solche, die eine Auseinandersetzung fürchteten, begannen, sich langsam zurückzuziehen und schlüpften zu zweien und zu dreien durch die offe nen Türen hinaus, bis Tua nicht mehr ein einziger Freund in der Halle verblieben war. Und für jeden, der hinausging, drängten sich andere, die aufsässig und rebellisch gewesen waren und an dem Ab schlachten der Leibwache des Pharao teilgenommen hatten, von dem draußen tobenden Mob herein. Wilde Wüstenbewohner der Beduinenstämme, die seit Tausenden von Jahren die erbitterten Feinde Ägyptens gewesen waren; Nachkommen der Hyksos, deren Vorfahren das Land für ein Dutzend Genera tionen beherrscht hatten und schließlich vertrieben worden waren, jener Hyksos, deren Blut in Abis Ve nen floß, und die zu ihm aufschauten, damit er sie wieder auf ihren alten Platz erhöbe; Übeltäter, welche unter seiner Schirmherrschaft Schutz gefunden hat ten, hakennasige Semiten aus dem Libanon; schwar ze, barbarische Wilde von den Küsten Punts – mit solchen wurde die Halle gefüllt. Abi war die Hoffnung jedes einzelnen von ihnen; zu ihm blickten sie auf, um den Reichtum Ägyptens zu erbeuten, und vor ihnen, auf Abis Thron, sahen sie jetzt die Frau, welche zwischen ihnen und ihren Zie len stand, welche in ihrem alten Stolz verlangte, daß er, ihr Ehemann, ihr seine Unterwürfigkeit zeigen solle, und die sie morgen, wenn sie ihn besiegen soll
te, dem Schwert überantworten würde. »Reißt ihn in Stücke«, schrien sie, »diesen Bastard, den der kinderlose Pharao dem Lande unterschoben hat! Sie ist eine Hexe, die sich an Luft mästen kann – ein böser Geist. Fort mit ihr! Oder, wenn du es dich nicht traust, laß es uns tun!« Schließlich hatten sie sich heiser geschrien und wurden still. Nun sprach Abi, der während der gan zen Zeit zögernd vor ihr gestanden und sich hin und wieder umgewandt hatte, um Kaku zuzuhören, wel cher ihm ins Ohr flüsterte, an Tua gewandt: »Du hast gesehen und du hast gehört, Königin. Mein Volk mißtraut dir, und es sind rauhe Leute unter ihm, die ich nicht lange zurückhalten kann. Wenn sie zu dir gelangen, wird dieser, dein makelloser Körper bald in mehr Stücke zerrissen sein, als es der Osiris' war, nachdem Set ihn in Händen gehabt hatte.« Jetzt schien Tua, die bis dahin reglos und gleich gültig dagesessen war, wie eine, die das alles über haupt nicht interessierte, aufzuwachen. »Ein sehr schlechtes Beispiel, Prinz«, sagte sie, »denn Osiris ist wieder auferstanden, nicht wahr?« Dann lehnte sie sich zurück und versank wieder in Schweigen. »Verlangst du noch immer, daß ich dir meine Un terwürfigkeit zeige, ich, dein Ehemann?« fragte er nun. »Ja!« antwortete sie. »Ich habe gesprochen. Ein De kret des Pharao kann nicht geändert werden, und wenngleich ich eine Frau bin, so bin ich doch – der Pharao.« Abi wurde bleich vor Wut und wandte sich seinen Leibwachen zu, um ihnen zu befehlen, sie vom Thron
zu zerren. Doch Tua, die ihn nicht aus den Augen ließ, hob plötzlich ihr Zepter und sprach mit einer neuen Stimme, einer klaren, kräftigen Stimme, welche die ganze Halle erfüllte und selbst jene erreichte, die sich vor ihr auf den Stufen drängten. »Es gibt eine Frage zwischen mir und euch, o Volk«, sagte sie, »und die Frage ist diese: Soll ich, eu re Königin, in Ägypten herrschen, wie es meine Väter getan haben, oder soll jener Mann herrschen, welchen ich durch ein Dekret Amons zum Mann genommen habe? Diejenigen von euch, welche Hyksos-Blut in ih ren Adern haben, so wie er, wollen natürlich, daß er herrschen soll, und ihr habt den guten Gott, meinen Vater, getötet, und wollt Abi zu eurem König ma chen, und mich als seine Magd sehen, eine, welche ihm Kinder meiner königlichen Rasse gebiert, und nicht mehr. Sehet! Ihr seid eine große Menge, und meine Legionen sind weit entfernt, und ich – ich bin allein, ein Lamm unter Schakalen, unter Tausenden und Tausenden von Schakalen, die seit langem hung rig sind. Wie also, soll ich mich mit euch messen?« »Das kannst du nicht!« rief ein wild aussehender Mann. »Komm herunter, du Lamm, und knie nieder vor dem Löwen, Abi, oder wir, seine Schakale, wer den dich in Stücke reißen. Wir werden dich niemals anerkennen, die wir von dem stolzen Hyksos-Blute sind. Solange die Obelisken vor jenem Zederntor ste hen, jene Obelisken, welche von dem großen HyksosPharao errichtet wurden, dessen Nachfahrin Abis Mutter war, solange jene Obelisken stehen, die für die Ewigkeit errichtet worden sind, werden wir dich nicht anerkennen. Komm herab und nimm deinen Platz im Harem unseres Herrn ein, du Bastard
Tochter des Pharao!« »Ah!« wiederholte Tua, »solange die Obelisken stehen, welche der Hyksos-Dieb errichtet hat, werdet ihr mich also nicht anerkennen, mich, die BastardTochter des Pharao!« Sie schwieg eine Weile und schien verstört; sie rang die Hände und sagte mit erstickter Stimme: »Ich bin nur eine Frau, die allein unter euch weilt. Mein Vater, der Pharao, ist tot, und ihr befehlt mir, meine Krone abzulegen und von nun an nur durch ihn zu regieren, welcher den Pharao in eine Falle gelockt und ihn zu Tode gebracht hat. Was also, kann ich tun?« »Sei eine gute Magd und gehorche deinem Manne, wie es sich gehört, du Bastard!« rief eine spöttische Stimme, und während des brüllenden Gelächters, das folgte, blickte Tua den Sprecher an, einen Komman deur von Abis Leibwache, der maßgeblich an der Ermordung der pharaonischen Gardisten beteiligt gewesen war. Sehr seltsam blickte sie ihn an, und jene, die neben diesem Manne standen, sahen, daß seine Lippen bleich wurden und er so schwach wurde, daß er, wä re er nicht von der dicht gedrängt stehenden Menge aufrecht gehalten worden, umgefallen wäre. Kurz darauf schien er sich jedoch wieder erholt zu haben und bat die Priester, welche in seiner Nähe standen, in ihren Kreis treten zu dürfen, da die Hitze auf den Stufen des Palastes zu groß sei. Sie erlaubten es ihm und machten für ihn Platz, und er trat in ihre Mitte, was Tua ebenfalls bemerkte. Nun sprach sie wieder. »Böse Worte, die der gesalbten Königin Ägyptens entgegengeschleudert werden, die vom Gott selbst im
Schrein seines heiligsten Tempels gekrönt und bestä tigt wurde«, sagte sie, ihren Blick noch immer auf den Kommandeur gerichtet. »Doch dies ist eure Stunde, und sie muß sie hinnehmen, die sie keine Freunde in Memphis hat. Oh! Was soll ich nur tun?« Und wieder rang sie die Hände. »Meine guten Leute, es ist mir ge schworen worden, daß Amon, der größte der Götter, seinen Geist in mich gab, als ich geboren wurde, und schwor, mir in der Stunde der Not zu Hilfe zu kom men. Seht!« Sie deutete mit ihrer Hand nach Westen. »Dort versinkt die rote Sonnenkugel; bald, sehr bald, wird sie verschwunden sein. Gebt mir die Zeit, bis sie in die Portale des Westens eingetreten ist, um zu Amon zu beten, und dann, wenn mir keine Hilfe kommt, werde ich mich euren Befehlen beugen und mich diesem edlen Prinzen von Hyksos-Geblüt un terwerfen, der den Pharao, seinen Bruder, in eine Falle gelockt und mit Hilfe seiner Zauberer und sei ner Spionin, Merytra, zu Tode gebracht hat.« »Ja, mein Volk, gewährt ihr diese Frist«, rief Abi, der nichts von Amon befürchtete, jener etwas obsku ren Persönlichkeit, und der nur Angst davor hatte, daß es zu einem Aufruhr kommen könnte, in dessen Verlauf seine schöne, neu gewonnene Frau getötet oder entstellt werden könnte. Also gewährten sie ihr die Frist, um die sie gebeten hatte. Tua erhob sich, hob die Arme und ihren Blick himmelwärts und begann laut zu beten. »Höre mich, Amon, mein Vater, im Hause deiner Ruhe, wie du es mir geschworen hast, zu tun. O Amon, mein Vater, du siehst mich in einer mißlichen Lage. Ist es dein Wille, daß deine Tochter sich vor diesem Manne, welcher seinen König und Halbbru
der ermordete, beugen soll. Wenn dem so ist, werde ich dir gehorchen; doch wenn nicht, so zeige deinen Willen durch Macht oder durch Wunder, und laß ihn und alle seine Leute, die ihren Spott mit mir treiben und mich einen Bastard nennen, sich vor mir vernei gen. O Amon, sie verleumden dich in ihren Herzen und verehren andere Götter, wie jene Barbaren, deren Same sie sind, welche deine Schreine in Ägypten nie derrissen, doch ich weiß, daß du mich ausgesandt hast, und in dich setze ich all mein Vertrauen, ja, selbst, wenn du mich töten solltest. Amon, mein Va ter, dort drüben versinkt die Sonne, in deren Pracht du deinen Geist verbirgst. Nun, bevor sie unterge gangen ist und die Nacht sich über die Welt senkt, erkläre dich, damit alle Menschen wissen, daß ich tat sächlich dein Kind bin; oder, wenn dies dein Wille sein sollte, verlaß mich und Ägypten und überlaß mich meiner Schande.« Sie beendete ihr Gebet, sank auf ihren Thron zu rück, stützte ihr Kinn in die Hand und blickte zu der Pracht der sinkenden Sonne hinüber. Und das tat sie nicht allein, denn jeder Mann in der riesigen Halle wandte sich um und starrte auf die vergehende Pracht. Sie standen in dem roten Licht und starrten, und da die Türflügel weit geöffnet waren, fielen die Schatten der riesigen Obelisken auf sie wie die Schatten von Schwertern, zwischen deren Spitzen Tuas Thron stand. Sie glaubten nicht, daß irgend et was geschehen würde, nein, nicht einmal die Priester glaubten das, die hier in Memphis, der Stadt Phaths, wenig von Amon hielten, dem Gott Thebens. Sie dachten, daß dieses flehentliche Gebet nicht mehr sei, als der letzte Schrei eines sterbenden Glaubens, der
sich dem Elend einer stolzen, gefallenen Frau entrang. Und dennoch starrten sie zur sinkenden Sonne hinaus, denn sie hatte mit einer seltsamen Zuversicht gesprochen, wie eine, die den Gott kannte, und wur de sie nicht Stern Amons genannt, und gab es nicht wundersame Geschichten über ihre Geburt, und war nicht die Lotusblume in der Hand dieser jungen, ge salbten Königin, welche das Kreuz des Lebens auf ih rem Busen trug, scheinbar zu Gold und Juwelen ge worden? Nein, nichts würde geschehen, aber den noch starrten sie in die versinkende Sonne. Es war ein seltsamer Sonnenuntergang. Seit Tagen war die Hitze groß gewesen, doch jetzt wurde sie drückend, und außerdem herrschte eine ungewöhnli che Stille am Himmel und auf Erden. Nichts schien sich zu rühren in der großen Stadt, kein Hund bellte, kein Kind schrie, kein Palmwedel bewegte sich; Memphis war wie eine Stadt der Toten. Dann zogen dicke Wolken über den Himmel, ob wohl sich kein Windhauch rührte. Wo die Strahlen der Sonne sie berührten, waren sie golden und rot und purpurn, darüber jedoch von tiefster Schwärze. Sie nahmen seltsame Formen an, diese Wolken, und zogen aufeinander zu wie eine Heerschar, die sich zur Schlacht sammelt. Dort waren die Kommandeure, die rasch hin und her eilten, dort die Streitwagen, und dort die langen Reihen der Krieger mit ihren funkelnden Speeren. Nun breitete sich eine der Wol ken, die höher als alle anderen stand, über den Him melsbogen aus, und diese war wie die Gestalt einer Frau geformt, wie die Gestalt einer Frau mit wehen dem, goldenem Haar. Ihre Füße standen auf der Son
ne, ihr Körper bog sich dem Himmel entgegen, und am fernen westlichen Horizont hielten ihre Hände die dünne Sichel des ersten Mondes. Die Zuschauer fürchteten sich vor dieser Wolke. »Es ist Isis, mit dem Mond in ihren Händen«, sagte einer. »Nein, es ist die Muttergöttin Nout, welche über der Welt sitzt«, meinte ein anderer. Und obwohl sie nur leise sprachen, drangen ihre Stimmen in der absoluten Stille bis zu Tuas Thron herüber, und zum ersten Male zeigte sich eine Regung auf ihrem Ge sicht, auf das jetzt ein seltsames, kaltes Lächeln trat. Kaku begann nervös in Abis Ohr zu flüstern, und in den Augen beider stand Angst. Kaku deutete zu zwei Sternen hinaus, die plötzlich durch den grünen Dunst oberhalb des Glühens der untergegangenen Sonne strahlten, dann wandte er sich um, blickte die Königin an und stieß seinem Herrn drängend in die Seite. Endlich reagierte der. »Ra ist untergegangen«, sagte er. »Komm, laß uns diese Komödie beenden!« »Noch nicht«, antwortete Tua ruhig, »noch nicht ganz.« Während sie diese Worte sprach, bogen sich plötz lich all die hohen Palmen, die in dem großen Garten am Flußufer wuchsen, ostwärts, wie um sich vor der auf ihrem Thron sitzenden Königin zu verneigen. Dreimal bogen sie sich so, ohne daß ein Windhauch in der Luft war, dann standen sie wieder gerade und still. Nun drängten sich die dunklen Wolken zusam men, so daß sie wie ein schwarzer Vorhang vor dem Himmel lagen; nur im Westen fiel rotes Licht durch eine Öffnung in diesem Wolkenvorhang, die wie ein riesiges, wütendes Auge war. Langsam verging das
Licht, bis nur noch ein schmaler, roter Rand davon übrigblieb. Darauf herrschte tiefes Dunkel in der Halle, und aus dem Dunkel hörte Tua Stimmen, die Amon anriefen. »Ra ist tot!« schrie eine andere Stimme. »Mach Schluß, Bastard! Ra ist tot!« »Ja«, rief sie mit kalter, triumphierender Stimme, »doch Amon lebt! Seht sein Schwert, ihr Verräter!« Als diese Worte von ihren Lippen kamen, wurde der Himmel von einem gewaltigen Blitz in zwei Teile gespalten, und in seinem grellen Licht sahen die Menschen, daß die Palmen sich abermals verneigten, diesmal noch tiefer. Dann sprangen heulende Winde auf, und unter ihrem Ansturm begann die Erde zu beben, als ob ein Riese sie anhöbe. Dreimal erbebte sie, hob und senkte sich wie eine riesige Woge, und beim dritten Mal erscholl ein Schrei des Schmerzes und des Entsetzens aus dem tiefen Dunkel, gefolgt von dem Krachen und Poltern fallender Steine. Nun schien der ganze Himmel im Feuer zu schmelzen, und in dem unheimlichen Licht sah man Tua, den Stern Amons, auf ihrem Thron sitzen, ihr Zepter gen Himmel recken und in triumphierender Freude lachen, denn die beiden hohen Obeliske zu beiden Seiten der breiten Zederntür, welche der alte Hyksos-Löwe ›für die Ewigkeit‹ dort hatte errichten lassen, waren auf die niedrigen Säulen und die Tür flügel gestürzt und hatten sie zertrümmert. Auf die Köpfe jener, die sich auf den Stufen drängten, waren sie gestürzt, waren beim Fallen in Trümmer gegangen und hatten Hunderte von Menschen zerschmettert. Unter dem Kopfstück des einen Obelisken, das bei seinem Fall abgelenkt und mitten in den Kreis der
Priester geschleudert worden war, lag eine formlose Masse. Sie war jener Mann gewesen, der die Königin verhöhnt hatte und unter ihrem Blick fast ohnmächtig geworden war. Aus den Trümmern des Westteils der Halle flohen nun jene, die am Leben geblieben waren, ein vor Angst wahnsinniger Mob, von dem Dutzende zu To de getrampelt wurden, und die wütend gegeneinan der kämpften, um dem Rachedurst Amons und seiner Tochter zu entkommen. Die Priester hatten sich zu Boden geworfen, und jeder flehte seinen Gott um Gnade an. Vor dem Thron, auf den Knien lag Abi, dem die königliche Krone von seinem Kopf ge schleudert worden war, umklammerte die Füße Ne ter-Tuas und schrie, daß sie ihm vergeben möge, während über ihm, leuchtend wie ein Feuer, Es, das auf dem Thron saß, mit dem Zepter auf Tod, Verwü stung und Chaos deutete, und lachte und lachte. Bald waren sie alle fort, außer den murmelnden Priestern, den Sterbenden, den Toten, und Abi mit seinem Gefolge. Die Wolken verzogen sich, der Mond und die Ster ne brachen hervor und erfüllten die halb zertrüm merte Halle mit ihrem sanften Licht. Nun blickte Tua auf den jammernden Abi hinab, der vor ihr am Boden kauerte. »Sag mir nun, mein Ehemann«, sagte sie, »wer der Gott in Ägypten ist?« »Amon, dein Vater«, keuchte er. »Und wer ist Pharao in Ägypten?« »Du und niemand anders, o Königin.« »Ah«, sagte sie, »dies war doch der Punkt, über den wir uns stritten, nicht wahr? Was mich, die dir so
hilflos erschien, zwang, mir Helfer zu suchen. Sieh, dort sind die Spuren ihrer Schritte! Sie schreiten schwer, findest du nicht auch, mein Onkel?« Und sie deutete auf die riesigen Trümmer der zerbrochenen Obelisken. Er wandte den Kopf und blickte durch die verwü stete Halle, auf die Sterbenden und die Toten. »Du bist wahrlich Pharao«, wiederholte er mit Schaudern. »Laß deinem Diener seinen Atem und erlaube ihm, in deinem Schatten zu leben.« »Das erste ist nicht mein, dir zu geben«, antwortete sie kühl, »obwohl es Amon gefallen mag, dich noch eine Weile von jenem Ort zurückzuhalten, wo du deine Rechnung mit jenem begleichen mußt, der vor mir ging, und mit seinen Gefährten, die in den Stra ßen dieser Stadt starben. Ich hoffe es, denn damit hast du Arbeit genug. Was das zweite betrifft: Erhebt euch, ihr Priester und Höflinge, und seht, wie dieser Prinz sich der Königin von Ägypten unterwirft!« Sie erhoben sich und klammerten sich zitternd an einander, denn ihre Herzen hatten sie verlassen. Dann deutete sie mit dem Zepter auf ihren Fuß, und vor aller Augen kniete Abi sich nieder und küßte ihre Sandale. Ihm folgten die anderen, die Priester, die Kommandeure, die Berater, die Hausmeier, und die Kammerherrn, bis sich als letzter Kaku, der Astrolo ge, vor ihr zu Boden warf, am ganzen Körper zit ternd. Doch ihm wollte sie nicht einmal gestatten, sie zu berühren. »Sag mir«, sprach sie ihn an und zog ihren Fuß zu rück, »du, der du ein Magier bist und die geheimen Schriften studiert hast, wie kommt es, daß du noch lebst, wenn so viele für weit geringere Verbrechen
hier tot liegen, du, der du mit dem Blute des Pharao befleckt bist?« Als er diese Worte von ihr hörte, welche das Schlimmste befürchten ließen, schlug Kaku mit der Stirn auf den Boden, brabbelte Verleugnungen dieses schrecklichen Verbrechens und flehte gleichzeitig um Gnade für das, was er angeblich nicht getan hatte. »Schweig!« rief sie. »Und erfahre, daß dein Leben für eine Weile verschont bleiben soll. Ja, und selbst das Merytras. Außerdem wirst du auch dein Amt als Wesir behalten – für eine Weile.« Nun begann er, Dankesworte hervorzusprudeln, doch sie unterbrach ihn abermals, indem sie sagte: »Danke nicht mir, da du das Ende dieser Angelegen heit nicht kennst. Vielleicht ist es dir verborgen, da ihr sonst wahnsinnig werden würdet, du und deine Frau Merytra, sie, welche des Pharaos Hüterin der Fußbank war und ihn in den Schlaf gesungen hat. Blick mich an, Hexer, und sage mir, wer ich bin!« Und sie beugte sich über ihn. Er blickte zu ihr auf, und ihre Blicke trafen sich, und er konnte den seinen nicht wieder von ihr lösen. »Komm!« sagte sie. »Wie du heute gelernt haben magst, besitze auch ich einiges Wissen über die ver borgenen Dinge. Denn wie sonst konnten die Erde erbeben und die für die Ewigkeit erbauten Säulen umstürzen, als ich es so befahl? Nun, zwischen zwei en eines Faches sollte es keine Geheimnisse geben, al so will ich dir etwas sagen, was du vielleicht bereits erraten hast, da ich sicher bin, daß du es selbst nicht deinem Herrn oder Merytra offenbaren wirst. Denn dies will ich hinzufügen: Der Augenblick, an dem du meine Worte wiederholst, wird der Augenblick dei
nes Todes sein, und der Beginn jener Bestrafung, wel che ich jetzt noch zurückhalte. Nun, im Namen des Verschlingers von Seelen, hör mir zu, du Former wächserner Abbilder!« Dann beugte sie sich zu ihm herab und flüsterte ihm etwas zu. Einen Moment später sprang der große, hagere Ka ku mit einem Ausdruck tödlichen Entsetzens im Ge sicht auf und taumelte rückwärts wie ein Trunkener. Wahrhaftig, wenn Abi ihn nicht beim Arm gepackt hätte, wäre er über den Rand des Podiums gestürzt. »Was hat sie dir gesagt?« murmelte Abi, denn die Königin, welche ihn völlig vergessen zu haben schien, blickte in die andere Richtung. Doch Kaku antwortete ihm nicht; er riß sich los und floh aus der Halle.
13
Abi erfährt die Wahrheit
Ein Mond war vergangen, und am ersten Tag des neuen Mondes saß Kaku, der Wesir, in der Großen Halle der Berater in Memphis und überprüfte die Li sten der Einnahmen der Stadt. Es war dies keine leichte Arbeit, denn während der vergangenen zehn Tage waren diese Listen zweimal von der Königin – oder dem Pharao, wie sie sich nannte – mit Anfragen über einzelne Posten und anderen peinlichen Forde rungen zurückgeschickt worden. Abi hatte solche Sa chen immer großzügig übersehen, da er gelernt hatte, daß ein treuer Diener seinen Lohn wert ist – voraus gesetzt, daß er sich selbst bezahlt. Doch jetzt schienen die Dinge anders zu liegen, und man schien zu er warten, daß der eingenommene Betrag auch der war, welcher der Krone übergeben wurde, weder mehr, noch weniger. Nach den Listen war da jedoch ein er heblicher Unterschied, der von irgendwoher ausge glichen werden mußte, mit anderen Worten, aus Ka kus Privatschatulle. Wütend befahl er, die beiden HauptSteuereinnehmer zu ihm zu bringen, und als diese sich weigerten, die fehlende Summe zu bezahlen, ließ er sie von den Bütteln zu Boden werfen und so lange mit Stöcken auf die Fußsohlen schlagen, bis sie ver sprachen, die fehlende Summe zu ersetzen, deren größten Teil er selbst gestohlen hatte. Dann, ein wenig beruhigt, zog er sich von der Halle in sein Amtszimmer zurück, wo er sich Abi gegen
übersah, der dort auf ihn wartete. So verändert war der Prinz von seinem früheren, wohlgenährten Selbst, so gealtert und abgezehrt und jammervoll sah er aus, daß Kaku ihn im trüben Licht der Kammer nicht er kannte. In der Annahme, daß er ein Bittsteller sei, be gann er ihn anzuschreien, um ihn loszuwerden. Nun brach alle angestaute Wut aus Abi heraus. Er stürzte sich auf den Astrologen, packte ihn bei seinem Bart und schlug ihm ins Gesicht. »Hund! Ist das die Art, mit deinem König zu sprechen? Nun, an dir kann ich mich wenigstens rächen!« »Vergib mir, o König!« rief Kaku. »Ich habe dich in diesen Schatten nicht erkannt. Du hast dich in letzter Zeit sehr verändert.« »Verändert!« rief Abi und ließ Kakus Bart los. »Wer würde sich nicht verändern, der so leidet wie ich, seit ich auf deinen Rat hörte und versuchte, auf den Thron des Pharao zu steigen? Vorher war ich glück lich mit meinen Söhnen; ich hatte meine Frauen, so viele, wie ich nur haben wollte. Ich hatte meine Ein künfte und meine Heerscharen. Jetzt ist alles fort. Meine Söhne sind tot, meine Frauen vertrieben, mei ne Einnahmen mir genommen, und meine Heerscha ren dienen einer anderen.« »Zumindest«, sagte Kaku tröstend, »bist du der Pharao, und der Mann der schönsten und weisesten Frau der Welt.« »Pharao!« stöhnte Abi. »Die armseligste Mumie in den Gewölben des gemeinen Volkes dieser Stadt ist ein größerer König, als ich es bin, und was das andere betrifft ...« Er winkte ab und stöhnte wieder. »Was ist dir geschehen, o König?« fragte Kaku. »Es ist mir geschehen, unter den Einfluß eines üb
len Planeten geraten zu sein.« »Den Einfluß von Amons Stern«, mutmaßte der Astrologe. »Ja, von Amons Stern, von jener wunderschönen Schreckensgestalt, den du Narr meine Frau nennst! Sie ist mir keine Frau. Höre! Neulich ging ich in ihre Gemächer, und niemand verwehrte es mir, und ich fand sie dort vor einem Spiegel sitzen und singen, bekleidet nur von einem dünnen, weißen Gewand und ihrem schwarzen Haar – oh, Kaku, noch nie hast du solch ein Haar gesehen – das fast bis zum Boden reichte. Sie lächelte mich an, sie sprach freundlich zu mir, sie zog mich mit ihren glitzernden Augen zu sich heran – ja, sie nannte mich sogar ihren Ehemann, und seufzte und sprach von Liebe, bis ich mich ihr schließlich näherte und meine Arme um sie schlang.« »Und dann ...?« »Und dann, Kaku, war sie plötzlich verschwunden, und wo ihr süßes Gesicht hätte sein sollen, sah ich den gelben, mumifizierten Kopf des Pharao, der bei Osiris ist, und er schien mich anzugrinsen. Ich öffnete meine Arme wieder, und siehe, dort saß sie, lachte laut und fragte mich, was mit mir sei, daß ich so bleich geworden wäre, und ob solches das Benehmen eines Ehemannes sei. Nun, das war vor fast einem Mond, und wie es be gann, so ging es auch fort. Ich suche meine Frau und finde den Mumienkopf des Pharao, und ständig treibt sie ihren Spott mit mir. Und ich darf auch die ande ren Frauen nicht mehr sehen, da sie befohlen hat, sie fortzujagen, selbst jene, die seit vielen Jahren bei mir waren, weil sie alleine herrschen will.« »Ist das alles?« fragte Kaku.
»Ganz und gar nicht, denn so, wie sie mich quält, quält sie auch jeden anderen Mann, der in ihre Nähe kommt. Sie fängt ihn mit ihrem Lächeln ein, sie be hext ihn mit ihren Augen, bis er vor Liebe zu ihr wahnsinnig wird, und dann schickt sie ihn lächelnd fort. Schon sind zwei von ihnen, welche Führer bei dem großen Komplott waren, durch eigene Hand ge storben, und ein dritter hat den Verstand verloren, während alle anderen insgeheim meine erbitterten Feinde geworden sind, da sie alle meine Königin lie ben und jeder glaubt, daß nur ich zwischen ihm und ihr stünde.« »Ist das alles?« fragte Kaku wieder. »Nein, noch längst nicht, denn meine Macht ist mir genommen. Ich, der ich einst groß war – der Größte im ganzen Land nach dem Pharao – bin jetzt nicht mehr als ein Sklave. Vom Morgen bis in die Nacht muß ich Arbeiten tun, die ich hasse: ich muß Tempel für Amon bauen, ich muß Kanäle graben, und muß mich um das gemeine Volk kümmern, mir seine Kla gen anhören und seine Steuern weitergeben. Außer dem muß ich die Beduinen in Zucht nehmen, welche von jeher meine Freunde waren, und – im kommen den Mond einen Krieg gegen den König der Khita führen, mit welchem ich einen geheimen Pakt ge schlossen hatte, und dessen Tochter, die ich einst hei ratete, zu ihm zurückgeschickt wurde, weil ich sie liebte.« »Und dann?« fragte Kaku. »Oh, dann, wenn die Khita geschlagen und Ägyp ten unterworfen sind, plant die Königin nach Theben zurückzukehren, um sich ›um den Bau meiner Grab kammer zu kümmern‹, da dies, wie sie sagt, keinen
Aufschub dulde. Tatsächlich macht sie schon jetzt Zeichnungen dafür, schreckliche und geheimnisvolle Zeichnungen, die ich nicht deuten kann, und bringt sie zu mir, damit ich sie mir ansehe. Außerdem, wisse dieses, mein Freund: Von meiner Grabkammer zweigt eine weitere, kleinere ab: für dich. Und heute morgen hat sie eine Schar von Männern in die Wüste geschickt, um von dort drei Steinblöcke zu holen, ei nen für meinen Sarkophag, einen für den deinen, und einen für den deiner Frau, Merytra. Denn sie sagt, daß sie nach alter Tradition uns beide mit diesen Ga ben ehren will.« Als Kaku dies hörte, konnte er nicht länger an sich halten; er begann hin und her zu gehen, vor sich hin zu murmeln und an seinem Bart zu zerren. »Wie kannst du das ertragen?« rief er schließlich. »Du, der du ein großer Prinz warst, bist zum Sklaven einer Frau geworden, den sie wie den Staub unter ih ren Füßen behandelt, den sie zum Gespött jener macht, über die du herrschst, den sie zwingt, zu dul den, daß deine Frauen und dein Haushalt fortgetrie ben werden, gequält werden und verhöhnt werden, daß sie andere Männer ansieht, welche in deiner Gunst stehen, daß sie dich mit einem frühen Tod be droht. Oh! Warum duldest du das alles? Warum tö test du sie nicht und machst ein Ende?« »Weil ich es nicht wage«, antwortete Abi, »denn wenn ich von solchen Dingen auch nur träumte, würde sie es wissen und mich töten. Narr, erinnerst du dich nicht mehr des Sturzes der ewigen Obelisken auf meine treuesten Männer, und daran, was jenem Manne geschah, der sie verhöhnte, sie einen Bastard nannte und dann Schutz bei den Priestern suchte?
Nein, ich wage es nicht, auch nur einen Finger gegen sie zu heben.« »Dann, Prinz, mußt du dein Joch tragen, bis es dir die Knochen bis aufs Mark durchscheuert, welches der Zeitpunkt sein wird, zu dem die Grabkammer fertig ist.« »Nein«, antwortete Abi schaudernd, »denn ich ha be einen anderen Plan; um über ihn zu sprechen, bin ich zu dir gekommen. Freund Kaku, du mußt sie tö ten. Höre, du Meister der Bannflüche! Die Magie, welche den Vater besiegte, wird auch gegen seine Tochter wirksam sein. Du brauchst doch nur ein wächsernes Abbild von ihr zu machen und sie Kraft hineinatmen zu lassen, und alles ist überstanden, und dann ... – denk an die Belohnung!« »An die denke ich in der Tat, edler Prinz«, ant wortete der Astrologe sarkastisch. »Soll ich dir sagen, was die Belohnung sein würde? Mein Tod durch langsame Folter. Außerdem ist es unmöglich, denn wenn du die Wahrheit kenntest, wüßtest du auch, daß sie nicht getötet werden kann.« »Was meinst du damit, du Narr?« fuhr Abi ihn wütend an. »Alles Fleisch muß sich dem Tode beu gen.« Ein kaltes Lächeln breitete sich über Kakus hageres Gesicht, als er antwortete. »Ein Wort, das deiner Weisheit wert ist, Prinz. Natürlich ist es die Erfahrung der Menschheit, daß alles Fleisch sich dem Tode beugen muß. Ja, alles Fleisch!« »Hör auf, mich anzugrinsen, du Bergaffe!« zischte Abi wütend, »oder ich werde es an deiner spottenden Kehle beweisen.« Damit riß er sein Schwert heraus,
hielt es an Kakus Hals und sagte drohend: »Sag mir jetzt, was du damit meinst, oder ...!« »Prinz«, stammelte Kaku und fiel auf die Knie, »ich darf es nicht, ich kann es nicht. Verschone mich! Es ist ein Geheimnis der Götter.« »Dann geh du zu den Göttern, du verlogener Scha kal, und sprich mit ihnen darüber!« rief Abi, und schwang sein Schwert. »Zumindest wird sie mir kei nen Vorwurf machen, wenn ich dich dorthin schicke.« »Gnade, Gnade!« winselte Kaku und warf sich zu Boden, während sein Herr das Schwert über seinen kahlen Schädel hielt, und war entschlossen, lieber zu reden, als zu sterben. In diesem Augenblick, als das Schicksal des Astro logen an einem seidenen Faden hing, erreichten die Laute von Stimmen ihre Ohren, und eines hellen, belustigten Lachens, das ihnen wohlbekannt war. Abi vergaß sein Vorhaben, trat zum Fenster und blickte hinaus. Dann wandte er sich um, winkte Kaku zu sich und sagte: »Komm her und sieh, was da ist! Zum Sterben hast du dann immer noch Zeit.« Der Wesir kam auf Händen und Knien zum Fenster gekrochen, zog sich am Sims empor und starrte hin aus. Und dies war es, was er sah: In dem von Mauern umgebenen Garten unter ihm, dem geheimen Garten des Palastes, stand die Königin Neter-Tua, und das Sonnenlicht, das durch das Gezweig eines blühenden Busches fiel, zeichnete Streifenmuster aus Hell und Dunkel auf ihre Schönheit. Sie war nicht allein, denn vor ihr kniete ein Mann, der in die reichen Roben ei nes Edlen gekleidet war. Kaku erkannte ihn sofort, denn obwohl noch jung, war er doch Abis LieblingsKommandeur, ein Mann, den er wegen seiner Klug
heit und Tapferkeit zu hohem Rang erhoben und dem er sogar eine seiner Töchter zur Frau gegeben hatte. Auch hatte er bei dem großen Komplott gegen den Pharao eine führende Rolle gespielt, und er war es gewesen, der Mermes, dem Ehemann Astis, den To desstreich versetzt hatte. Jetzt aber spielte er eine andere Rolle, nämlich die eines Liebhabers der Königin, denn er hatte mit sei nen Händen den Saum ihrer Robe umklammert und drückte Küsse darauf, während er sie leidenschaftlich beschwor, ihn zu erhören. Einige seiner Worte konn ten sie verstehen. Er hätte sein Leben riskiert, als er die Mauer des Gartens überstieg, sagte er. Er bete sie an. Er könne ohne sie nicht mehr leben. Er sei bereit, alles zu tun, was sie ihm befehle – eine Gruppe von Männern zu sammeln, und Abi zu töten; das würde nicht schwer sein, da jeder Mann auf den Prinzen eifersüchtig sei und ihn für ihrer unwürdig hielte. Wenn sie ihre Lie be ihm schenkte, würde er sie wieder zum alleinigen Pharao Ägyptens machen und zufrieden sein, ihr als Sklave dienen zu dürfen. Zumindest möge sie ihm doch ein freundliches Wort schenken. So sprach dieser Mann, unbeherrscht, flehend, wie trunken vor Leidenschaft, als ob er nicht wüßte, was er sagte oder tat, und Neter-Tua hörte ihm ruhig zu und lachte hin und wieder ihr klares, helles Lachen. Schließlich erhob er sich von den Knien und ver suchte, ihre Hand zu ergreifen, doch scheuchte sie ihn, noch immer lachend, mit einer abweisenden Ge ste zurück. »Du hast Mermes erschlagen, als er von Wunden geschwächt war«, sagte sie, »und er war der Mann
meiner Nährmutter. Gut, gut, es geschah in einer Schlacht, und du mußt ein tapferer Mann sein, ge nauso tapfer wie schön, denn sonst hättest du nicht gewagt, hierher zu kommen, wo ein Wort von mir dich zu Tode bringen könnte. Doch nun geh wieder, mein Freund! – Geh zurück zu der Tochter meines Gemahls, welche deine Frau ist! Und wenn du es wa gen solltest – sage ihr, wo du gewesen bist, und war um, der du ein so tapferer Mann bist!« Und wieder lachte sie auf. Er begann erneut, sie anzuflehen und bettelte um ein Zeichen ihrer Zuneigung, bis sie schließlich weich zu werden und Mitleid mit ihm zu haben schien, denn sie streckte ihre Hand aus, brach eine der vielen Blüten ab und reichte sie ihm; dann deutete sie mit der Hand auf die Bäume, welche einen Teil der Mau er verbargen, und zwischen diesen verschwand er dann, taumelnd im Delirium seines Glückes. Sie blickte ihm nach, mit einem merkwürdigen Lä cheln auf ihren Lippen, blickte dann auf den Busch, von dem sie die Blüte gepflückt hatte, und Kaku sah, daß es eine Blüte war, die allein von Balsamierern verwendet wurde, um Stirnkränze für die Toten dar aus zu flechten. Abi jedoch bemerkte das nicht. Er vergaß seinen Streit mit Kaku und alles andere, keuchte und schäum te vor eifersüchtiger Wut und schrie, daß er diesen Kommandeur töten würde, und, ja, auch diese falsche Königin, die es wagte, Liebesschwüre anzuhören und ihrem Liebhaber Blüten zu schenken. Ja, und wenn sie zehnmal der Pharao sei, würde er sie töten, wie das sein Recht sei, und, das nackte Schwert noch in der Hand, wandte er sich um und wollte hinausstürzen.
»Wenn das dein Wille ist«, sagte Kaku gepreßt, »so bleibe hier!« »Warum, Mann?« »Weil die Königin heraufkommt«, antwortete er, »und dieser Raum gut dafür geeignet ist. Niemand außer mir betritt ihn.« Während er noch diese Worte sprach, wurde die Tür geöffnet und wieder geschlossen, und vor ihnen stand Neter-Tua, der Stern Amons. Im Halbdunkel des Raums schien sie als erstes die bloße Klinge in Abis Hand zu erkennen. Einen Mo ment lang blickte sie darauf, sah dann ihn an und warf schließlich einen Blick auf Kaku, welcher in der Ecke kauerte. Dann fragte sie mit ihrer ruhigen Stimme: »Warum hast du dein Schwert gezogen, o Ehemann?« »Um dich damit zu töten, Ehefrau«, antwortete er wütend, da er seine innere Erregung nicht länger be herrschen konnte. Sie blickte ihn verwundert an und lächelte dann auf ihre seltsame Art. »Wirklich?« fragte sie dann ru hig. »Aber warum heute mehr als früher? Hat Kakus Rat dir Mut dazu gemacht?« »Mußt du das auch noch fragen, schamlose Frau? Führt dieses offene Fenster nicht auf den Garten hin aus?« »Oh! Ich verstehe, jener Kommandeur, der so hoch in deiner Gunst steht – jener, der Mermes tötete, der Ehemann deiner Tochter, der mir seine Liebe gestand – so glühend, daß ich ihn dafür mit einer Begräbnis blume belohnte, da ich wußte, daß du uns beobach tetest. Begleiche deine Rechnung mit ihm, wie du und seine Frau es für richtig halten; das ist nicht meine
Sache. Doch möchte ich dich warnen: Wenn du Män nern das Leben für solche Vergehen nimmst, bleiben dir bald keine Diener mehr übrig, da sie alle Sünder sind, die deinen Platz einnehmen wollen.« Nun brach Abis Wut hervor. Er verfluchte und be schimpfte sie und schwor, daß sie sterben würde, weil sie alle Männer betörte, aber keines Geliebte war, und die ihn vor ganz Ägypten in Spott und Schande gestoßen habe. Neter-Tua hörte ihm schweigend zu, bis er sich ausgetobt hatte. »Du redest viel und tust wenig«, sagte sie dann. »Das Schwert ist in deiner Hand. Ge brauche es doch, ich bin hier!« Außer sich vor Wut durch ihre verächtlichen Wor te, riß er die Waffe empor und stürzte sich auf sie, nur, um zurückgeschleudert zu werden, wie von ei ner unsichtbaren Macht. Er stand einen Moment lang keuchend an die Wand gelehnt, dann stürmte er wie der auf sie zu, und taumelte wieder zurück. »Du bist ein armseliger Schlächter«, sagte sie schließlich, »nach so vielen Jahren der Praxis. Laß es doch Kaku versuchen. Ich glaube, daß der mehr Ge schick im Morden hat.« »Oh! Pharao«, flehte der Astrologe, »nimm diese grausamen Worte zurück, du, die du weißt, daß ich eher tausend Tode sterben würde, bevor ich die Hand gegen dich erhöbe.« »Ja«, antwortete sie ernst, »Prinz Abi hat es gerade eben von dir verlangt, nicht wahr, nachdem du es ihm vorgeschlagen hattest, und du hast dich gewei gert – aus deinen eigenen Gründen?« Das Schwert fiel Abi aus der Hand, und es war to tenstill in dem Raum.
»Wovon habt ihr gesprochen, Abi, bevor du aus dem Fenster blicktest und mich mit deinem Kom mandeur zusammen im Garten sahst, und warum wolltest du diesen Hund, Kaku, töten?« fuhr sie fort. »Soll ich die Frage für dich beantworten? Ihr spracht davon, wie ihr mich beseitigen könntet, und du wolltest ihn töten, weil er nicht wagte, dir zu sagen, warum er das nicht tun kann, da er weiß, daß er ster ben müßte, wenn er es dir enthüllte. Nun, da du es zu wissen wünschst, sollst du es erfahren, und zwar so fort. Sieh mich an, du jämmerlicher Tropf, welchen die Menschen meinen Gemahl nennen! Sieh mich an, du verfluchter Sklave, welchen Amon in meine Hand gegeben hat, damit ich dich schon hier auf Erden be strafe, bevor du in die Unterwelt hinabgehst.« Er sah sie an, und Kaku sah sie ebenfalls an, weil beide nicht anders konnten – doch was sie sahen, ha ben sie nie erwähnt. Sie warfen sich zu Boden und stöhnten und schlugen ihre Stirn auf die Steinplatten. Schließlich schien der eisige Terror von ihren Her zen gehoben worden zu sein, und sie wagten wieder, aufzublicken, und sie sahen sie wieder als das, was sie zuvor gewesen war: eine sehr königliche und sehr schöne Frau, doch nicht mehr. »Was bist du?« keuchte Abi. »Die Göttin Sekhet im Fleische, oder Isis, die Königin des Todes, oder Tuas Geist, der hierhergeschickt wurde, um sie zu rä chen?« »Alles dies – und keines davon, wie du es willst. Doch ist es wahr, Mann, daß ich hergeschickt worden bin, um Rache zu üben. Frag doch jenen Zauberer dort. Er weiß es, ich gebe ihm jetzt die Erlaubnis, es dir zu sagen.«
»Sie ist das andere Ich von Amons Tochter«, stöhnte Kaku. »Sie ist ihr Ka, das freigesetzt wurde, um jene ins Verderben zu stürzen, die ihr Unrecht getan ha ben. Sie ist ein Geist, der mit der Macht der Götter bewaffnet ist, und wir alle, die wir gegen den toten Pharao, und gegen sie, und gegen ihren Vater Amon gesündigt haben, sind in ihre Hand gegeben, um ge quält und zu unserer Verdammnis geführt zu wer den.« »Und wo ist dann Neter-Tua, welche die Königin Ägyptens war?« keuchte Abi und rollte seine großen Augen. »Ist sie bei Osiris?« »Ich werde es dir sagen, Mann«, antwortete die kö nigliche Gestalt. »Sie ist nicht tot – sie lebt und ist fortgegangen, um einen zu suchen, den sie liebt. Wenn sie mit ihm und einem gewissen Bettler zu rückkehrt, dann werde ich davongehen, und ihr bei de werdet sterben, denn das ist die Strafe, die über euch verhängt worden ist. Aber bis dahin: Steht auf und gehorcht meinen Befehlen!«
14
Das Boot Ras
Tua, der Stern Amons, öffnete die Augen. Für einige Zeit schon hatte sie gelegen wie eine, die zwischen Wachen und Schlafen ist, und es schien ihr, als ob sie das Geräusch von Rudern hörte, und das Plätschern von Wasser an den Seitenwänden eines Schiffes. Sie glaubte zu träumen. Zweifellos war sie in ihrem Pa last in Theben, und bald, sowie es hell wurde, wür den ihre Hofdamen kommen, um sie zu wecken. In ihrem Palast in Theben? Jetzt erinnerte sie sich wieder, daß es viele Monde her war, seit sie jene Kö nigsstadt gesehen hatte und seither weit gereist und letztlich zu der von weißen Mauern umschlossenen Stadt Memphis gekommen war, wo sie viel Schlim mes erlitten hatte. Stück für Stück kam es ihr ins Ge dächtnis zurück: die Falle, die Ermordung des Pharao durch Magie, die Schlacht, der Tod ihrer Garde, das Hungern in dem Turm, mit der Wahl zwischen einem elenden Sterben und Abi; die wunderbare Vision je nes Geistes, der ihr Gesicht trug und sagtet daß er das Ka sei, das ihr bei ihrer Geburt gegeben worden war, die Worte, die das Ka gesprochen hatte, und ihr schrecklicher Entschluß; und zuletzt Asti und sie auf dem Sims jenes Fensters hoch über dem Nil stehend, dann ein Flammenstoß vor ihrem Gesicht und der entsetzliche Sturz. Oh, zweifellos war es vorbei; sie war tot, und diese Träume und Erinnerungen waren von der Art, wie sie zu den Bewohnern der Unterwelt kommen. Doch
warum hörte sie dann das Rauschen von Wasser und das Eintauchen von Rudern? Sehr langsam öffnete sie die Augen, da sie große Furcht vor dem hatte, was sie sehen mochte. Licht fiel in ihre Augen, das Licht des Mondes, der am Himmel hing wie eine große goldene Lampe. In seinem Schein sah sie, daß sie in eine weiße Robe gekleidet auf einer Couch in einem Pavillon lag, dessen Vorhänge zu rückgeschlagen und an den vergoldeten Pfosten fest gezurrt waren. Ihr zur Seite, in eine graue Robe ge kleidet, lag eine Frau, und sie wußte sofort, daß dies Asti war. Sie lag reglos, so reglos wie eine, die kein Leben mehr hat und, doch wußte sie, daß Asti nicht tot war. Vielleicht träumte Asti ebenfalls und konnte sie in ihrem Träumen hören. »Asti«, flüsterte sie, »Asti, kannst du mich hören?« Die graue Gestalt an ihrer Seite regte sich, und ihr Kopf wandte sich ihr zu. Und dann antwortete ihr die Stimme Astis: »Ja, Königin, ich höre und sehe dich. Doch sage: wo sind wir jetzt?« »In der Unterwelt, denke ich, Asti. Oh, jenes Feuer war der Tod, und jetzt fahren wir zu dem Ort der Seelen.« »Wenn dem so ist, Königin, ist es seltsam, daß wir noch Augen und Fleisch und Stimmen haben wie sterbliche Frauen. Wir wollen uns aufsetzen und uns umschauen.« Also setzten sie sich auf, ihre Arme umeinander gelegt, und blickten durch den offenen Vorhang. Sie he! Sie waren auf einem Schiff, das prächtiger war als jedes, das sie jemals gesehen hatten, denn es schien mit Gold und Silber bedeckt zu sein, und süße Düfte stiegen aus ihm hervor. Ihr Pavillon befand sich in
der Mitte des Schiffes, und als sie zu seinem Heck blickten, sahen sie im Schatten der Bordwände meh rere Reihen weißgekleideter Ruderer sitzen, und auf dem hochgezogenen Heck stand ein ebenfalls in Weiß gekleideter Steuermann, dessen Gesicht von einer Maske bedeckt war, und hinter seiner hohen Gestalt sahen sie im matten Schein des Mondes das Wasser eines breiten, silbern schimmernden Flusses, und an seinen entfernten Ufern Palmen und Tempel. »Es ist das Boot Ras«, murmelte Tua, »das uns den Fluß des Todes hinab zum Königreich jenseits der Sonne bringt.« Dann sank sie auf die Kissen zurück und verfiel wieder in tiefen Schlaf, oder in eine Ohnmacht. Tua erwachte wieder, und siehe, die Sonne schien hell, und Asti saß an ihrer Seite und blickte sie an. Vor ihnen stand ein Tisch mit erlesenen Gerichten. »Sage mir, was geschehen ist, Amme«, sagte sie matt, »denn ich bin verwirrt und weiß nicht, in wel cher Welt wir reisen.« »In der unseren, glaube ich, Königin«, antwortete Asti, »doch sind wir in den Händen solcher, die nicht von ihr sind, denn ganz sicher ist dies kein Schiff von Sterblichen noch sind es Sterbliche, die es zu seinem Hafen bringen. Komm, wir brauchen Nahrung! Laß uns essen, solange wir das können!« Also aßen und tranken sie mit gutem Appetit, und als sie damit fertig waren, wagten sie sogar, aus ih rem Pavillon hinauszutreten. Sie blickten umher und sahen, daß sie sich auf dem erhöhten Deck in der Mitte eines großen Schiffes befanden, daß dieses Deck jedoch von einem Netz aus Silberschnüren einge schlossen war, in dem sie keine Öffnung entdecken
konnten. Als sie durch seine Maschen hinausblickten, sahen sie, daß die Ruder eingezogen worden und das purpurfarbene Segel am Mast aufgezogen worden war, und daß auch die Ruderer verschwunden wa ren, vielleicht, um sich unter Deck auszuruhen, wäh rend im Bug des Schiffes sein Kapitän stand, in wei ßer Robe und mit einer Maske, und im Heck der Steuermann, ebenfalls mit einer Maske, so daß sie ih re Gesichter nicht sehen konnten. Sie fuhren jetzt nicht mehr auf einem Fluß, sondern durch einen Ka nal, der zu beiden Seiten von hohen Dämmen einge faßt war, jenseits derer sich die Wüste erstreckte, weiter als das Auge reichte. Asti blickte auf die Wüste hinaus, dann wandte sie sich um und sagte: »Ich glaube, ich kenne diesen Ka nal, Königin, da ich als Kind einmal durch ihn gefah ren bin. Ich glaube, es ist jener, der von den alten Pharaos gegraben und nach dem Fall der HyksosKönige wieder instand gesetzt wurde, und der von Bubastis zu jener Bucht führt, von welcher Reisende der aufgehenden Sonne entgegensegeln.« »Vielleicht«, antwortete Tua. »Auf jeden Fall ist dies die Welt, die uns geboren hat, und keine andere, und durch die Gnade Amons und die Kraft meines Geistes sind wir noch am Leben und nicht tot – zu mindest scheint es so. Ruf jetzt den Kapitän! Viel leicht sagt er uns, wohin er uns mit seinem magischen Schiff bringt.« Also rief Asti nach ihm, doch der gab keinerlei Zei chen, daß er sie sah oder hörte. Nun rief sie nach dem Steuermann, doch obwohl dessen Gesicht ihnen zu gewandt war, reagierte auch er nicht, so daß sie schließlich glaubten, daß dies entweder Geister sein
mußten, oder Männer, die taub und stumm geboren waren. Schließlich, als sie es müde waren, auf das herrliche Schiff zu starren, und auf den Kanal, und auf die Weite der Wüste zu beiden Seiten von ihm und sich zu fragen, auf welche Weise sie hierher ge langt waren, kehrten sie in den Pavillon zurück, um sich der Hitze der grellen Sonne zu entziehen. Hier stellten sie fest, daß während ihrer kurzen Abwesen heit unsichtbare Hände die seidenen Laken ihrer Lie gen glattgezogen und die Reste ihres Mahls abge räumt und neue Teller und Platten auf den Tisch ge stellt hatten. »Wahrlich, hier ist Zauberei am Werke«, sagte Tua, als sie sich auf einen lederbespannten Elfenbeinstuhl setzte, der für sie bereitgestellt worden war. »Wer kann daran zweifeln?« antwortete Asti ruhig. »Durch Zauberei bist du geboren worden; durch Zauberei wurde der Pharao ermordet; durch Zaube rei sind wir errettet worden, zu einem Ende, das wir nicht kennen; durch Zauberei, oder das, was die Menschen so nennen, bewegt sich die ganze Welt, doch weil wir ihr so nahe sind, erkennen wir das nicht.« Tua dachte eine Weile nach, dann sagte sie: »Nun, auf jeden Fall ist dieses goldene Schiff besser als der Stall von Abi, dem Schwein, und ich glaube nicht, daß diese Reise keinen Zweck erfüllen soll. Ich frage mich nur, was jener Geist, der sich mein Ka nannte, auf dem Thron Ägyptens treibt, und auf welche Wei se wir an Bord dieses Schiffes gelangt sind, und auch, wohin wir fahren.« »Denk nicht daran, denn alle diese Dinge wirst du zu gegebener Zeit erfahren. Und was mich betrifft, so
fühle ich Mitleid mit Abi, auch wenn ich ihn hasse«, antwortete Asti trocken. Also saßen sie in dem Pavillon und blickten auf die Wüste hinaus, auf deren Sand das Schiff dahinzu gleiten schien, bis schließlich die Sonne tiefer sank und sie sich ein wenig an Deck ergehen konnten. Dann kehrten sie zurück und aßen von den Gerich ten, die stets reichlich für sie bereitstanden, und als es dunkel wurde, legten sie sich nieder und versanken sofort in tiefen Schlaf, da sie sehr müde waren. Als sie wieder erwachten, war es heller Tag, ob wohl die Sonne durch eine Wolkenschicht schien, und ihr Schiff segelte außer Sicht des Landes über ein weites, graues Meer. Auch der seidene Pavillon um sie herum war verschwunden und durch eine Kabine aus festem Zedernholz ersetzt worden, was jedoch Tua und Asti, die von Wundern übersättigt waren, kaum wahrnahmen. Außerdem wurden die beiden, die noch nie zuvor auf einem stürmischen Ozean ge wesen waren, von einem seltsamen Schwindelgefühl ergriffen, das sie dazu zwang, drei volle Tage und Nächte lang viel zu schlafen und wenig zu denken. Schließlich, eines Abends, als die Sonne versank, spürten sie, daß die heftigen Bewegungen des Schif fes aufgehört hatten, und so auch das Heulen des Sturmes, der sie während der ganzen Zeit mit einer rasenden Geschwindigkeit vorwärtsgetrieben hatte. Sie verließen ihre Kabine aus Zedernholz und sahen, daß sie in die Mündung eines breiten Flusses einge fahren waren, an dessen Ufern riesige Bäume wuch sen, welche lange, gebogene Luftwurzeln ins Wasser senkten, und daß zwischen diesen Luftwurzeln Kro kodile und andere widerliche Reptilien lagen. Auch
waren die weißgekleideten Ruderer wieder erschie nen, die, da nun kein Wind mehr wehte, das Schiff flußaufwärts ruderten, bis sie schließlich zu einer Sandbank kamen, die in den Fluß hereinragte, und dort Anker warfen. Tuas und Astis Hunger war wieder zurückgekehrt, und sie aßen. Als sie gerade fertig waren und die Sonne ziemlich rasch versank, standen zwei mas kierte Männer vor ihnen, von denen jeder einen Korb in der Hand hielt. Asti begann, ihnen Fragen zu stel len, doch genau wie der Kapitän und der Steuermann schienen sie taub und stumm zu sein. Jedenfalls ga ben sie keine Antwort, sondern warfen sich nur de mütig zu Boden und deuteten zum Ufer, wo Tua ein Feuer auf einer Felsenklippe brennen sah. »Sie wollen, daß wir hier das Schiff verlassen«, sagte Asti. »Komm, Königin, laß uns unserem Schick sal folgen.« »Wie du meinst«, antwortete Tua, obwohl sie nicht wußte, wer das Feuer entzündet haben mochte, »da wir sicherlich nicht ohne irgendeinen Grund hierher gebracht worden sind.« Also folgte sie jenen Männern zur Bordwand des herrlichen Schiffes, denn jetzt war das Silbernetz, das sie gefangengehalten hatte, verschwunden, und sie sahen, daß eine breite Planke von seiner Bordwand zum Ufer gelegt worden war. Als sie auf diese Planke traten, reichten ihre beiden maskierten Begleiter jeder von ihnen einen der Körbe, verneigten sich unterwür fig und waren verschwunden. Kurz darauf hatten sie das Ufer erreicht, und kaum hatten ihre Füße den fe sten Boden berührt, als die Planke auch schon zu rückgezogen wurde und die langen Ruder das
schlammige Wasser zu schlagen begannen. Das Schiff schwang herum und hing für einen Moment in der Mitte des Flusses. Dort stand der Ka pitän auf dem Vorderdeck, und dort war der Steuer mann an seinem Ruder, und das rote Licht der unter gehenden Sonne verwandelte sie in Flammengestal ten. Plötzlich, mit einer gleichzeitigen Bewegung, ris sen diese beiden Männer die Masken herunter, so daß Tua und Asti für einen Augenblick ihre Gesichter sa hen – und siehe, das Gesicht des Kapitäns war das Gesicht des Pharao, Tuas Vater, und das Gesicht des Steuermanns war das Gesicht Mermes', Astis Mann. Nur für einen Augenblick sahen sie sie, dann ver deckte eine dunkle Wolke die versinkende Sonne, und als sie vorbeigezogen war, war das Schiff ver schwunden. Die beiden Frauen blickten einander an und waren zum erstenmal von großer Furcht erfüllt. »Wahrlich«, sagte Tua, »wir sind besessen, wenn jemals Sterbliche besessen waren, denn jenes Schiff hatte Geister als Mannschaft.« »Ja, Königin«, antwortete Asti, »das habe ich von Anfang an vermutet. Trotzdem: fasse Mut, denn jene Geister waren einst Männer, welche uns sehr liebten und uns zweifellos noch immer lieben! Sei versichert, daß wir zu keinem üblen Zweck der Hand Abis ent rissen und von den Schatten des Pharao, deines Va ters, und Mermes', meines Ehemannes, sicher an die ses geheime Ufer gebracht worden sind. Siehe, dort drüben brennt ein Feuer! Laß uns hinübergehen und mutig abwarten, was uns geschehen mag, in der Ge wißheit, daß es nur Gutes sein kann!« Also gingen sie zu jener Felsenklippe und setzten
sich an das Feuer, neben welchem Holz zum Nachle gen gestapelt war, und neben dem Holzstapel lagen weiche Roben aus Kamelhaar, um sie vor der Nacht kühle zu schützen. Diese Roben zogen sie dankbar an, und nachdem sie Feuerholz nachgelegt hatten, fielen ihnen die Körbe ein, die ihnen mitgegeben worden waren, als sie das Schiff verlassen hatten, und sie öffneten sie. In dem ersten Korb, welchen Asti ge bracht hatte, fanden sie Kuchen, Trockenfleisch und Datteln, so viel, wie eine Frau tragen konnte. Der zweite Korb jedoch, welcher Tua gegeben worden war, hatte einen anderen Inhalt, denn in ihm lag zu oberst eine herrliche, mit Gold verzierte elfenbeinerne Harfe, deren Klangkörper wie eine Frauengestalt ge formt war. Tua nahm sie heraus und blickte sie im Schein des Feuers an. »Es ist meine eigene Harfe«, sagte sie in ehrfürchti gem Ton, »jene Harfe, welche der Prinz von Kesh, den Rames tötete, mir als Geschenk mitgebracht hat te, und zu deren Begleitung ich das Lied von den Lie benden gesungen habe, kurz bevor ihr Geber starb. Ja, in der Tat, es ist meine eigene Harfe, die ich in Theben zurückließ. Sage mir, Amme, wie ist sie hier her gekommen?« »Beantworte meine Frage, und ich werde die deine beantworten.« Tua legte die Harfe beiseite, blickte wieder in ihren Korb und sah, daß unter einer Schicht von Papyrus Perlen verborgen lagen, Tausende von Perlen in allen Größen, und von einem solchen Glanz und einer sol chen Schönheit, wie sie sie nie zuvor gesehen hatte. Sie waren auf Seidenfäden gereiht, jeweils solche von gleicher Größe auf einen Faden, mit Ausnahme der
allergrößten, welche so groß wie ein Fingernagel wa ren, oder noch größer, und die einzeln in Tücher ein geschlagen am Grunde des Korbes lagen. »Wahrlich«, sagte Tua überrascht, »keine Königin hat jemals eine Mitgift von so kostbaren Perlen er halten. Aber was sie und die Harfe uns in dieser Wildnis nützen sollen, kann ich nicht einmal erraten.« »Zweifellos werden wir das zu gegebener Zeit her ausfinden«, sagte Asti. »Doch jetzt wollen wir den Göttern danken und essen.« Also aßen sie, und dann, da sie nichts anderes zu tun hatten, legten sie sich neben dem Feuer nieder und wollten schlafen. Doch kaum hatten sie ihre Augen geschlossen, als das wilde Land zum Leben zu erwachen schien. Als erstes hörten sie vom Flußufer ein schreckliches Brüllen, das, wie sie wußten, von Löwen kommen mußte, denn es gab zahme Tiere dieser Art in den Gärten von Theben. Als nächstes hörten sie das Heu len von Wölfen und Schakalen, und dazwischen lau tes Schnauben, wie es die Rhinozerosse und Flußpferde von sich geben. Näher und näher kamen diese schrecklichen Laute, bis sie schließlich gelbe Augen, die sich wie Sterne bewegten, im Dunkel leuchten sahen, während über die Sandbank, die sich unterhalb ihres Felsens befand, rasche Schatten huschten, die hin und wieder innehielten und schnüf felnd auf sie zukamen. Am Ufer des Flusses tauchten nun riesige, schweinsartige Tiere auf, mit glänzenden Hauern und roten, riesigen Mäulern, und hinter ih nen brach eine gigantische Bestie durch das Gehölz, welche ein gekrümmtes Horn auf der Nase trug. »Jetzt ist unser Ende gekommen«, sagte Tua erge
ben, »denn sicherlich werden diese Kreaturen uns verschlingen.« Asti jedoch warf lediglich mehr Holz auf die Flammen und wartete, in der Hoffnung, daß das Feu er sie vertreiben würde. Doch das tat es nicht, denn sie waren so neugierig oder so hungrig, daß die Lö wen näher und näher krochen, bis sie fast in Sprungweite des Felsens waren, wo sie sich niederkauerten und mit ihren Schwänzen peitschten, während sie auf der anderen Seite, wie die Mitglieder eines Hofes bei ihren Monarchen, die Hyänen und andere Tiere ver sammelten. »Sie werden uns gleich anspringen«, flüsterte Tua. »Haben die Geister des göttlichen Pharao, deines Vaters, und Mermes', meines Ehemannes, uns in dem Boot Ras hierhergebracht, damit wir von wilden Tie ren verschlungen werden, wie verirrte Schafe in der Wüste?« fragte Asti. Dann, als hätte sie eine Inspirati on, setzte sie hinzu: »Königin, nimm deine Harfe und spiel etwas, und singe dazu!« Also nahm Tua die Harfe, fuhr mit ihren Fingern über die Saiten und begann mit ihrer wunderbaren Stimme zu singen. Anfangs zitterte ihre Stimme ein wenig, doch nach und nach vergaß sie alles andere, und ihre Musik wurde stark und klang süß durch die Stille der Wildnis und des breiten, langsam dahin strömenden Flusses. Und siehe, während sie so sang, wurden die wilden Bestien ruhig und schienen ihr zuzuhören, als ob sie verzaubert wären. Ja, selbst eine Schlange kam zwischen den Steinen herausgekro chen, lauschte ihrer Stimme und wiegte ihren Kopf hin und her. Schließlich hörte Tua auf, und als die Echos ihres
Liedes erstarben, wandten sich die Bestien, eine nach der anderen, ab und verschwanden zwischen den Bäumen oder im Fluß, alle mit Ausnahme der Schlange, welche sich zusammenrollte und dort, wo sie war, einschlief. Asti und Tua schliefen gleich dar auf ebenfalls, und sie wachten erst auf, als die Sonne ihnen hell ins Gesicht schien. Dann erhoben sie sich, im Zweifel, ob die Ereignis se der vergangenen Nacht Wirklichkeit gewesen sein mochten, und gingen zu der Sandbank hinab, die bis zum Flußufer mit den Fußspuren von Tieren übersät war, und tranken und wuschen sich und blickten da bei ständig durch den Morgennebel, weil sie glaub ten, vielleicht noch einmal das goldene Schiff mit der maskierten Mannschaft zu entdecken, das sie von Memphis hierher gebracht hatte, und das in der Mitte des Flusses auf sie warten mochte. Doch kein Schiff war dort; nichts war dort, außer den Flußpferden, welche aus dem Wasser auftauch ten und wieder in ihm versanken, und den Krokodi len am schlammigen Ufer, und den Raubvögeln, die von der See landeinwärts flogen, um zu fressen. Also gingen sie zu der Asche ihres Feuers zurück und aßen von den Vorräten in Astis Korb. Sie blickten sich rat los an, denn sie wußten nicht, was sie tun sollten. »Komm, Amme, laß uns aufbrechen. Den Fluß hin auf oder den Fluß hinab können wir nicht gehen, da dort überall Gestrüpp und Schlamm am Ufer ist, also müssen wir landeinwärts marschieren, wohin die Götter uns auch führen mögen.« Asti nickte, und, in die leichten und warmen Roben aus Kamelhaar gekleidet, setzte jede von ihnen ihren Korb auf den Kopf, wie es die Art der Bauersfrauen
Ägyptens war, und brachen auf, und die Harfe aus Elfenbein und Gold hing auf Tuas Rücken. Stunde um Stunde gingen sie so durch die Wildnis, suchten sich ihren Weg zwischen riesigen Baum stämmen hindurch, immer weiter nach Süden, denn in dieser Richtung lagen mit Bäumen bestandenen Lichtungen, hinter denen sich dichter Busch erhob. Affen schrien über ihnen im Geäst der Bäume, und hin und wieder kreuzte ein Raubtier ihren Weg und verschwand im dichten Unterholz, doch sonst begeg nete ihnen nichts. Schließlich, gegen Mittag, begann der Boden anzusteigen, und die Bewaldung wurde dünner, bis sie schließlich den Rand einer Wüste er reichten und auf eine kleine Oase zugingen, wo grü nes Gras ihnen zeigte, daß sie dort Wasser finden würden. In dieser Oase befand sich eine Quelle, und dort ließen sie sich nieder, um zu ruhen. Plötzlich hörte Tua eine Stimme, und als sie er schrocken auffuhr, sah sie vor sich einen Mann ste hen, der sich auf einen Stab aus Dornbaumholz stützte und auf sie beide herabblickte. Er war ein sehr seltsamer Mann, anscheinend von hohem Alter, denn weißes Haar fiel ihm bis auf die Schultern, und ein weißer Bart reichte ihm bis zum Gürtel. Einst mußte er sehr hochgewachsen gewesen sein, doch war seine Gestalt jetzt vom Alter gebeugt, und die Knochen seines hageren Körpers stachen durch seine zer lumpte Kleidung. Seine Augen wirkten trübe, und es hatte den Anschein, als ob er kaum sehen könnte, denn er beugte sich tief über sie, um ihre Gesichter anzustarren. Sein Gesicht war von Tausenden von Falten durchzogen, und beinahe schwarz von Sonne und Wind, dennoch aber von einer wunderbaren
Zartheit und Schönheit. In der Tat, mit Ausnahme, daß es viel älter und seine Züge grober waren, erin nerte es Tua an das Gesicht des Pharao, als dieser tot war. »Mein Vater«, sagte Tua, als sie sich aufsetzte, denn ein Impuls veranlaßte sie, diesen Wanderer so zu nennen, »sage mir, woher du kommst und was du mit deinen Dienerinnen zu tun gedenkst.« »Meine Tochter«, antwortete der alte Mann mit sanfter, ernster Stimme. »Ich komme aus der Wildnis, welche meine Heimat ist. Seit langem habe ich alle meiner Generation überlebt, ja, und auch deren Kin der. Deshalb sind die Wildnis und die Wälder, die sich nicht verändern, meine einzigen Freunde, da sie allein mich kannten, als ich noch jung war. Hab Mit leid mit mir, denn ich bin arm, so arm, daß seit drei vollen Tagen keine Nahrung über meine Lippen ge kommen ist. Es war der Geruch des Fleisches, das ihr bei euch habt, welches mich zu euch geführt hat. Gib mir etwas von diesem Fleisch, Tochter, denn ich ver hungere.« »Es ist dein, o ...« Sie unterbrach sich. »Ich werde Kepher genannt.« »Kepher, Kepher«, wiederholte Tua, denn sie hielt es für seltsam, daß ein Bettler nach jenem SkarabäusInsekt heißen sollte, welches bei den Ägyptern das Symbol der Ewigkeit war. »Gut, nimm und iß, o Ke pher«, sagte sie und reichte ihm den Korb mit dem, was von ihrem Vorrat übrig war. Der Bettler nahm ihn, und nachdem er zum Him mel emporgeblickt hatte, wie um den Segen der Göt ter für sein Mahl zu erflehen, setzte er sich auf den Sand und begann heißhungrig zu essen.
»Königin«, flüsterte Asti, »er wird alles essen, und dann müssen wir in der Wüste verhungern. Er ist ei ne Heuschrecke und kein Mensch«, setzte sie hinzu, als er auch noch einen Kuchen verschlang. »Er ist unser Gast«, antwortete Tua ernst, »laß ihn nehmen, was wir zu geben haben.« Eine Weile war Asti still, dann wollte sie wieder Einwände erheben. »Gib Frieden, Amme!« sagte Tua. »Ich habe gesagt, daß er unser Gast ist, und das Recht der Gastfreund schaft darf nicht gebrochen werden.« »Das Recht der Gastfreundschaft wird uns dem Hungertod ausliefern«, murmelte Asti. »Wenn so, dann soll es so sein, Amme; jedenfalls wird dieser arme Mann jetzt satt werden; und was alles andere betrifft, müssen wir, wie immer, Amon, meinem Vater vertrauen.« Doch während sie sprach, traten Tränen in ihre Augen, denn sie wußte, daß Asti recht hatte, und jetzt, wo all ihre Nahrung verschwunden war, von der sie zwei Tage oder länger hätten leben können, würden sie bald ihre Kräfte verlieren und sterben, falls ihnen keine Hilfe zuteil wurde, was in dieser verlassenen Gegend nicht wahrscheinlich war. Vor noch nicht allzu langer Zeit, hatten sie schon einmal gehungert, und es war das Denken an jenen langsam nagenden Schmerz, der die Tränen in ihre Augen trieb. Inzwischen hatte Kepher, dessen Appetit für einen so alten Mann wirklich erstaunlich war, den Inhalt des Korbes bis zur letzten Dattel vertilgt, reichte ihn Tua zurück und sagte: »Ich danke dir, Tochter; die Königin Ägyptens hätte mich nicht besser bewirten
können ...« – er blickte sie mit seinen trüben Augen an –, »und ich, dessen Magen so lange leer gewesen ist, hat ihn wieder füllen dürfen, und da ich es dir nicht vergelten kann, werde ich darum beten, daß die Götter es tun mögen. Schöne Tochter, du magst nie mals wissen, wie es ist, hungrig zu sein.« Bei diesen Worten konnte Tua nicht länger an sich halten. Ein große Träne fiel auf Kephers rauhe Hand, als sie mit einem Schluchzen antwortete: »Ich bin glücklich, daß du satt geworden bist, doch spotte nicht unser, Freund, da wir verlorene Wanderer sind, welche bald sterben werden, weil unsere Nahrung nun verbraucht ist.« »Was, Tochter«, sagte der alte Mann erstaunt, »was? Soll ich glauben, daß ihr alles, was ihr hattet, einem Bettler in der Wildnis gegeben habt und still dagesessen seid, während er es verschlang? Und ist das der Grund dafür, daß du weinst?« »Vergib mir, Vater, doch so ist es«, antwortete Tua. »Ich schäme mich solcher Schwäche, doch meine Freundin und ich haben erst kürzlich die Qual des Hungers kennengelernt, und die Furcht davor hat mich überwältigt. Komm, Asti, laß uns weitergehen, solange wir noch die Kraft dazu haben!« Kepher blickte auf, als sie diesen Namen nannte, wandte sich dann Tua zu und sagte: »Tochter, dein Gesicht ist schön, und dein Herz ist makellos, denn sonst hättest du mich nicht so behandelt, wie du es getan hast. Trotzdem scheint es mir, als ob dir eines fehlte: der unwandelbare Glaube an die Güte der Götter. Obwohl es solchen«, setzte er langsam hinzu, »die jenen von Löwen bevölkerten Wald heil durch quert haben, nicht an Glauben mangeln dürfte. Sag
mir jetzt, wie seid ihr hergekommen?« »Wir sind Damen aus Ägypten«, sagte Asti hastig, »oder zumindest ist es diese Jungfrau, denn ich bin nur ihre alte Amme. Menschenraubende Piraten aus Phönizien haben uns versklavt, während wir uns am Ufer des Nils ergingen, und mit ihrem Schiff hierher gebracht, auf welcher Route, wissen wir nicht. Schließlich ankerten sie in jenem Fluß, um ihren Was servorrat zu ergänzen, und wir konnten ihnen bei der Nacht entfliehen. Wir sind entkommene Sklaven, nicht mehr.« »Ah!« sagte Kepher. »Diese Piraten werden ihren Verlust jetzt sehr bedauern, und ich frage mich fast, warum sie euch nicht verfolgt haben. Wahrlich, ich glaubte, daß ihr andere wärt, denn, seltsamerweise, wurde ich in der vergangenen Nacht im Traum von einem Geist der Unterwelt aufgesucht, und dieser be fahl mir, nach einer gewissen Asti zu suchen, und ei ner anderen, die sich bei ihr befände – ich kann mich an deren Namen nicht mehr erinnern; doch erinnere ich mich an den Namen jenes Geistes: er hieß Mer mes.« Nun stieß Asti einen kleinen Schrei aus, sprang auf und blickte Kepher forschend an, und dessen Augen wichen den ihren nicht aus. »Ich glaube«, sagte sie langsam, »daß du, der du ein Bettler zu sein scheinst, auch ein Seher bist.« »Vielleicht, Asti«, antwortete er. »Im Laufe meines langen Lebens habe ich oft bemerkt, daß Männer mehr waren, als sie zu sein schienen – und Frauen ebenfalls. Vielleicht hast du dasselbe bemerkt, da Ammen in großen Häusern viele Dinge erfahren können, wenn sie das wollen. Doch ich denke, daß es
besser ist, wenn wir nicht mehr davon sprechen. Du und deine Gefährtin – wie ist ihr Name?« »Neferte«, antwortete Asti, ohne zu zögern. »Neferte, ah! Das war bestimmt nicht der Name, den jener Geist mir nannte, obwohl er mit dem glei chen Laut begann, wie ich glaube. Also seid ihr bei den, du und deine Gefährtin Neferte, diesen schlim men Piraten entkommen und habt sogar einige Dinge mit euch nehmen können, wie zum Beispiel diese wunderbare Harfe, welche mit einem Kranz von Uräi verziert ist, und ... – aber was ist in dem zweiten Korb?« »Perlen«, sagte Tua rasch. »Und einem großen Korb voller Perlen. Darf ich sie sehen? Oh, habt keine Angst, ich werde nicht jene be rauben, deren Nahrung ich aß. Das wäre gegen das Gesetz der Wüste.« »Selbstverständlich darfst du sie sehen«, antwor tete Tua. »Ich habe nie angenommen, daß du uns be rauben würdest, denn wenn du vom Stamme der Diebe wärst, würdest du reicher und weniger hung rig sein, als du es offenbar bist. Ich dachte nur, daß du fast blind seiest, Vater Kepher, und deshalb nicht den Unterschied zwischen einer Perle und einem Kie sel erkennen könntest.« »Mein Fühlen ist mir verblieben, Tochter Neferte«, antwortete er mit einem leichten Lächeln. Nun reichte Tua ihm den Korb. Er öffnete ihn und hob die Perlenschnüre heraus, befühlte sie, beroch sie und berührte sie mit seiner Zunge, besonders die großen, welche einzeln eingewickelt waren. Schließ lich, nachdem er sie alle so geprüft hatte, tat er sie in den Korb zurück und sagte trocken: »Es ist wirklich
sehr seltsam, Amme Asti, daß diese phönizischen Menschenräuber euch nicht verfolgten, denn diese Perlen – ob sie nun die euren sein mögen oder die ih ren – sind genug, um ein Königreich damit zu kau fen.« »Perlen können wir nicht essen«, wandte Asti ein. »Nein, aber Perlen können mehr kaufen, als ihr zum Essen braucht.« »Nicht in einer Wüste.« »Das ist wahr, doch gibt es eine Stadt in dieser Wü ste, und sie liegt gar nicht so weit entfernt.« »Heißt diese Stadt Napata?« fragte Tua eifrig. »Napata? – Nein. Doch ich kenne eine Stadt dieses Namens; sie wird die Stadt des Goldes genannt. Ein mal habe ich sie sogar besucht; in meiner Jugend, vor über hundert Jahren.« »Vor über hundert Jahren! Kannst du dich noch an den Weg dorthin erinnern?« »Ja, mehr oder weniger, doch zu Fuß wäre es eine Reise von über einem Jahr, und der Weg führt durch weite Wüsten und durch die Länder wilder Stämme. Nur wenige erreichen diese Stadt lebend.« »Ich aber werde sie erreichen oder sterben, Vater.« »Vielleicht wirst du sie erreichen, Tochter Neferte, vielleicht wirst du sie erreichen, doch nicht jetzt, glaube ich. Du hast eine Harfe, also nehme ich an, daß du spielen und singen kannst; und du hast Per len. Die Bewohner jener Stadt, von der ich sprach, lie ben die Musik, und sie lieben auch Perlen, und da du deine Reise erst in drei Monden antreten kannst, wenn die Regen im Bergland die Brunnen der Wüste gefüllt haben, möchte ich vorschlagen, daß ihr euch für eine Weile dort niederlaßt. Amme Asti könnte ei
ne Perlenhändlerin sein, und du ihre Tochter, eine Musikantin. Was sagt ihr dazu?« »Ich sage, daß ich mich mit Freuden überall nie derlassen würde, wenn es nur nicht in dieser Wüste ist. Führe uns zu dieser Stadt, Vater Kepher, wenn du den Weg dorthin weißt!« »Ich weiß den Weg und werde euch dorthin füh ren, zum Lohn für das gute Mahl, das ihr mir gabt. Also kommt, folgt mir!« Er nahm seinen langen Stab und schritt vor ihnen her. »Dieser Kepher ist erstaunlich gut zu Fuß für einen Mann seines Alters«, sagte Tua wenig später. »Als wir ihn zuerst sahen, schien er kaum humpeln zu können.« »Mann!« antwortete Asti. »Er ist kein Mensch, son dern ein Geist, ob ein guter oder ein böser, der die Gestalt eines Bettlers angenommen hat. Könnte ein Mensch so viel essen – unseren ganzen Korb leeren? Spricht ein Mensch von Städten, die er vor über hun dert Jahren in seiner Jugend aufgesucht hat, oder er klärt, daß mein Mann im Traum zu ihm gesprochen habe? Nein, nein, er ist ein Geist, genau wie jene auf dem Schiff.« »Um so besser«, sagte Tua fröhlich, »da Geister immer unsere guten Freunde waren, denn wenn sie nicht gewesen wären, würden wir heute tot sein oder in Schande leben.« »Das werden wir herausfinden, wenn wir zum En de der Geschichte kommen«, antwortete Asti, die verstimmt und müde war, da die Sonne heiß vom Himmel brannte. »Bis dahin aber müssen wir ihm folgen. Es bleibt uns nichts anderes übrig.« Stunde um Stunde gingen sie, bis sie schließlich,
gegen Sonnenuntergang, als sie fast am Ende ihrer Kräfte waren, einen langen Hang aus Sand und Stei nen hinaufstiegen, von dessen Höhe sie eine große, von weißen Mauern umschlossene Stadt sahen, die in einem grünen und fruchtbaren Tal unterhalb von ih nen lag. Auf diese Stadt zu führte sie nun Kepher, welcher ein gutes Stück voraus ging, bis er eine Baumgruppe am Rande des bebauten Landes er reichte. Hier blieb er stehen, und als die beiden Frau en ihn erreicht hatten, führte er sie zwischen die Bäume. »Legt jetzt eure Schleier an und wartet hier!« sagte er. »Und falls irgend jemand zu euch kommen sollte, so sagt, daß ihr arme Wandermusikanten wäret, die sich ein wenig ausruhen wollten. Und gebt mir eine der kleinsten Perlen, damit ich sie in der Stadt, wel che Tat genannt wird, verkaufen und für euch Nah rung erstehen kann, und ein Haus, in welchem ihr wohnen könnt.« »Nimm eine ganze Kette!« sagte Tua erschöpft. »Nein, nein, Tochter, eine Perle ist genug, denn in dieser Stadt sind Perlen rar und haben einen hohen Wert.« Also gab sie ihm eine Perle, oder ließ vielmehr ihn sie von dem Seidenfaden lösen, was er, der fast blind zu sein schien, mit erstaunlicher Geschicklichkeit tat, um dann mit ausgreifenden Schritten auf die Stadt zuzugehen. »Ob Mensch oder Geist, ich frage mich, ob wir ihn wiedersehen werden«, sagte Asti. Tua antwortete ihr nicht – sie war zu müde dazu –, sondern lehnte sich gegen einen Baumstamm und war sofort eingeschlafen. Als sie wieder erwachte,
war es völlig dunkel geworden, und vor ihr stand der Bettler Kepher mit zwei schwarzen Männern, deren jeder ein gesatteltes Maultier am Zügel führte. »Steigt auf, Freunde!« sagte er. »Ich habe ein Haus für euch gefunden.« Sie stiegen auf die beiden Maultiere und wurden zum Tor der Stadt geführt, welches auf ein Wort Ke phers für sie geöffnet wurde, und dann eine lange Straße entlang zu einem Haus, das in einem von Mauern umgebenen Garten stand. In dieses Haus traten sie ein, nachdem die beiden schwarzen Männer die Maultiere fortgeführt hatten, und fanden, daß es gut und bequem eingerichtet war, und in seinem Vor raum ein Tisch stand, auf dem reichliches Essen für sie bereitgestellt war. Sie aßen davon, alle drei, und als sie damit fertig waren, befahl Kepher einer Frau, welche sie bediente, Tua und Asti in ihren Schlaf raum zu führen und sagte, daß er selbst im Garten schlafen würde. Sie zogen sich ohne weitere Fragen zurück, warfen sich auf die für sie vorbereiteten Betten, und waren sofort eingeschlafen.
15
Tua und der König von Tat
Am nächsten Morgen, nachdem Tua und Asti die rei nen Roben angezogen hatten, welche für sie bereitla gen, und dann gegessen hatten, sahen sie, als sie auf blickten, Kepher, den alten Bettler der Wüste, plötz lich vor sich stehen, obwohl keiner von ihnen ihn hereinkommen gehört oder gesehen hatte. »Du kommst leise, Freund«, sagte Asti und blickte ihn prüfend an. »Ein Ka könnte sich nicht lautloser bewegen, und – wo ist dein Schatten?« fügte sie hin zu, nachdem sie erst in das helle Sonnenlicht und dann auf den Boden geblickt hatte, auf dem er stand. »Ich habe ihn wohl vergessen«, antwortete er mit seiner tiefen Stimme. »Einer, der so arm ist wie ich, kann sich nicht immer einen Schatten leisten. Doch siehe, da ist er wieder. Aber was weißt du von Kas, welche solche, die nicht instruiert sind, nicht zu er kennen vermögen? Ich habe einmal von einer ägypti schen Dame gehört, die zufälligerweise den gleichen Namen trug wie du, welche die Kraft besitzt, nicht nur Kas zu erkennen, sondern sie auch aus den Kör pern der Lebenden hervorzuholen und sie mit dem Anschein sterblichen Lebens zu versehen. Auch habe ich gehört, daß sie, welche jetzt über Ägypten herrscht, so ein Ka besitzt, welches ihre Stelle ein nehmen kann, und daß niemand einen Unterschied festzustellen vermag, außer daß dieses Ka, welches Amon ihr bei ihrer Geburt gab, die Rache der Götter vollstreckt, ohne Erbarmen und ohne Bedauern. Sag
mir, Freundin Asti, ob du jemals von solchen Dingen hörtest, als du Sklavin in Ägypten warst?« Er blickte Asti an, und Asti blickte ihn an, bis er schließlich seine alten Hände auf eine gewisse Weise bewegte, worauf Asti den Kopf senkte und schwieg. Tua jedoch, die dieses Gespräch beängstigend fand, da sie nicht wußte, was ihnen geschehen mochte, wenn die Wahrheit bekannt würde, unterbrach es und sagte: »Willkommen, Vater, wie immer du auch kommen mögest, mit oder ohne Schatten. Wir haben dir viel zu danken, der du uns ein so schönes Haus und Diener und Essen beschafft hast – übrigens, magst du nicht essen?« »Nein«, antwortete er lächelnd, »wie du schon ge stern magst erraten haben, berühre ich nur selten Nah rung, in der Regel einmal in drei Tagen, und dann fülle ich meinen Magen. Das Leben ist so kurz, daß man nicht so viel Zeit mit Essen verschwenden kann.« »Oh!« sagte Tua, »wenn selbst du so fühlst, dessen Jugend vor mehr als hundert Jahren begann, wie muß es dann uns anderen erscheinen? Aber, Vater Kepher, was sollen wir tun in dieser Stadt Tat?« »Das habe ich euch doch bereits gesagt. Asti wird mit Perlen und anderen Waren handeln, und du wirst singen, doch immer hinter einem Vorhang, da hier in Tat kein Mann deine Schönheit erblicken darf, und am wenigsten jener, der in dieser Stadt herrscht. Gib mir jetzt noch zwei Perlen, denn ich muß Dinge kau fen, welche gebraucht werden, und danach wirst du mich vielleicht für eine lange Zeit nicht mehr sehen. Doch wenn ihr in Schwierigkeiten geraten solltet, so tritt an ein Fenster, wo immer du auch sein magst, fahre mit der Hand über die Saiten deiner Harfe und
ruf dreimal meinen Namen, Kepher. Irgend jemand wird dich hören und mir deine Nachricht in die Wü ste hinausbringen, wo ich wohne, der ich die Städte hasse, und dann könnte ich dir vielleicht helfen.« »Ich danke dir, mein Vater, und ich werde mich dessen erinnern. Doch verzeih mir, wenn ich dich frage, wie einer, der so ...« Sie sprach nicht weiter. »Der so alt und so abgerissen und so elend ist, ei nem anderen helfen kann – das wolltest du doch sa gen, Tochter Neferte, nicht wahr? Nun, man sollte nie nach der äußeren Erscheinung urteilen; guter Wein findet sich oft in einfachen Tonkrügen, und das Feu er, das sich in einem rohen Feuerstein versteckt, kann eine Stadt zerstören.« »Und deshalb vermag ein Wanderer, der seinen Schatten verschlucken kann, anderen Wanderern hel fen, die sich in Not befinden«, sagte Tua trocken. »Mein Vater, ich verstehe, die ich, obwohl noch sehr jung, viele Dinge gesehen habe und erst kürzlich von seltsamen Händen aus tiefem Wasser gezogen wurde.« »Wie aus den Händen jener phönizischen Piraten«, sagte Kepher. »Also lebt wohl! Ich werde für diese beiden Perlen kaufen, was ihr braucht, und dann ruft mich die Wüste für eine Weile. Erinnert euch daran, was ich euch sagte, und versucht nicht, diese Stadt Tat zu verlassen, bevor der Regen in den Bergen ge fallen ist und die Brunnen der Wüste gefüllt sind. Le be wohl, Freundin Asti! Wenn ich wiederkehre, wer den wir mehr über Kas sprechen, doch bis dahin mö ge der große Gott Ägyptens – er heißt Amon, nicht wahr? – dich und deine Gefährtin in seiner Obhut bewahren.« Dann wandte er sich um und ging.
»Was ist das für ein Mensch?« fragte Tua, als sie das Schließen der Haustür hinter ihm gehört hatten. »Mensch?« anwortete Asti, »ich habe dir doch ge sagt, daß er kein Mensch ist. Können Menschen ihren Schatten ablegen wie einen Umhang? Er ist ein Gott oder ein Geist, der die Gestalt eines Bettlers trägt.« »Mensch oder Geist, ich mag ihn, denn er hat uns in der Stunde der Not beigestanden, Amme.« »Das werden wir erst wissen, wenn er mit uns fer tig ist«, antwortete Asti. Eine Stunde später, während sie noch immer von Kepher sprachen, und von all den Wundern, welche ihnen widerfahren waren, trafen Träger ein, die schwere Bündel brachten, welche, als sie sie öffneten, Seidenstoffe und Stickereien mit Gold- und Silberfä den enthielten, und reich verzierte Lederarbeiten, wie sie die Araber herstellen, und Alabastergefäße mit wohlriechenden Salben, und Messingarbeiten aus Sy rien, und Kupferkannen von Zypern, und viele ande re Güter, die alle sehr kostbar waren, in der Menge mehr, als man für das Lager eines reichen Händlers brauchte. Diese Dinge stellten die Träger auf die Regale und Matten des großen Vorraums im Hause, der sich zur Straße hin öffnete und dazu wie geschaffen schien, sie aufzunehmen. Dann gingen sie wieder, forderten keinen Lohn, und nach ihnen erschien ein Mann auf einem wunderbaren weißen Pferd, der abstieg, sich gegen das Gitterwerk verneigte, hinter welchem Tua und Asti verborgen waren, eine Schriftrolle auf den Tisch legte und wieder fortritt. Als er außer Sicht war, öffnete Asti die Tür in dem Gitterwerk und nahm die Schriftrolle zur Hand, die sie, wie sie feststellte, sehr
gut lesen konnte, da sie mit ägyptischen Schriftzei chen und in ägyptischer Sprache abgefaßt war. Sie erwies sich als die Besitzurkunde für das Haus und den Garten, die ihnen gemeinsam überschrieben worden waren, und auch für die reichen Güter, wel che man ihnen gebracht hatte. Und unten auf der Rolle standen diese Worte: ›In Empfang genommen von Kepher, dem Wande rer, in Bezahlung für drei Perlen und einem Mahl von Fleisch und Datteln.‹ Darunter befand sich das Siegel Kephers in Wachs, ein fein geschnittener Skarabäus, welcher das Son nensymbol zwischen seinen Vorderbeinen hielt. »Ein stolzes Siegel für einen verschlissenen Wande rer, obwohl es nur sein in Wachs gegossener Name ist«, sagte Tua. Doch Asti antwortete nur: »Wenn kleine Perlen ei nen so hohen Wert in dieser Stadt haben, welchen Preis könnten dann die großen bringen? Aber laß uns zu unseren Geschäften kommen, denn wir haben viel Zeit vor uns und können nicht von Perlen und kost baren Dingen leben.« So geschah es, daß Neter-Tua, der Stern Amons, Kö nigin von Ägypten, und Asti, ihre Amme, Händler in der Stadt Tat wurden. Und so war ihr Tagesablauf: Eine Stunde am Mor gen und eine Stunde am Nachmittag saßen Asti und eine der Dienerinnen, welche sie in dem Haus vorge funden hatten, inmitten ihrer Waren vor diesem Haus und handelten mit allen, die vorbeikamen, nahmen als Bezahlung Goldstaub oder andere Gegenstände von Wert, und kauften von solchen, welche ihnen
Waren anboten. Dann, wenn diese Stunde sich ihrem Ende näherte, zog Tua, welche hinter dem Gitterwerk des Hauses verborgen saß, ihre Harfe hervor und be gann zu singen, worauf alle Menschen aufhörten zu schwatzen und ihr lauschten, denn noch nie zuvor hatten sie eine so süße Stimme gehört. Ja, zu diesen Zeiten war die breite Straße voller Menschen, denn ihr Ruf als Sängerin hatte sich rasch durch die ganze Stadt verbreitet und auch durch das Land, das jen seits von ihr lag. Damit war die jeweilige Stunde des Handels zu Ende, und Asti und Tua ließen ihre Wa ren in der Obhut ihrer Dienerinnen und zogen sich ins Haus zurück, um zu essen, oder sie ergingen sich in dem großen, von einer Mauer eingeschlossenen Garten, welcher hinter dem Hause lag. So vergingen mehrere Wochen, und bald begannen sie reich zu werden, obwohl sie erst wenige der Per len verkauft hatten, und nur von den kleinsten, denn von den großen sprachen sie nicht, und besaßen so viel Gold in Form von Staub oder Batzen und so viele andere wertvolle Dinge, daß sie nicht wußten, was sie damit anfangen sollten. Doch war dies eine friedvolle Stadt, oder zumindest versuchte niemand, sie zu be rauben oder zu belästigen, vielleicht, weil ein Gerücht im Umlauf war, daß diese Fremden, die aus der Wildnis gekommen waren, unter dem Schutz irgend eines Gottes stünden. Es gab keinerlei Hinweis darauf, auf welche Art dieses Gerücht zustande gekommen war, doch erlit ten seinetwegen, wenn nicht aus anderen Gründen, die Perlenhändlerinnen, wie sie genannt wurden, kein Unrecht, und obwohl sie nur hilflose Frauen wa ren, wurde jeder Kredit, den sie einräumen mochten,
immer bezahlt. Und auch die Dienerinnen, von denen sie noch mehr einstellten, als sie die Mittel dazu besa ßen, waren ihnen alle treu ergeben. Also blieben sie in der Stadt und handelten, bewahrten ihre Geheimnisse und warteten auf den festgesetzten Zeitpunkt, zu dem sie die Stadt verlassen konnten, und sie verlie ßen nie die Sicherheit ihres umfriedeten Hauses. Nun geschah es, daß der König von Tat zur Zeit ih rer Ankunft nicht in seiner Stadt weilte, da er Krieg gegen einen anderen König führte, dessen Land an der Meeresküste lag. Doch nachdem sie mehrere Wo chen dort gewesen waren, kehrte dieser König, des sen Name Janees war, siegreich aus dem Kriege heim und traf Vorbereitungen, seinen Triumph festlich zu feiern. Während dieser Vorbereitungen berichteten seine Höflinge ihm von den Perlenhändlerinnen, und da er Perlen zum Schmuck seiner Robe für diesen großen Tag brauchte, ging er verkleidet zu dem Hause jener zwei Frauen, welche solche verkauften. Er traf dort spät ein und fragte nach den Perlen, als Tua gerade begann, auf ihrer Harfe zu spielen. Dann begann sie zu singen, und König Janees, der ein Mann von knapp vierzig Jahren war, lauschte hingegeben ihrer wunderbaren Stimme und vergaß völlig, daß er ei gentlich hergekommen war, um Perlen zu kaufen. Als Tuas Gesang zu Ende war, erhob sich die verschlei erte Asti, verneigte sich vor den Menschen, die sich vor dem Haus versammelt hatten, und befahl den Dienerinnen, die Waren einzupacken und ins Haus zu bringen. »Aber ich wollte noch Perlen kaufen, wenn du sol che anzubieten hast«, sagte Janees.
»Dann mußt du am Nachmittag wiederkommen«, sagte Asti und blickte prüfend in sein bleiches, hochmütiges Gesicht, »denn selbst, wenn du der Kö nig von Tat wärst, würde ich dir außerhalb meiner festgesetzten Stunden nichts verkaufen.« »Du sprichst große Worte, Frau«, sagte Janees är gerlich. »Groß oder klein, sie sagen, was ich meine«, ant wortete Asti und ging fort. So kam es, daß dieser König Janees am Abend zu rückkam, getrieben mehr von seinem Wunsch, die wunderbare Stimme wieder zu hören, als um Perlen zu kaufen. Trotzdem bat er, sie sehen zu dürfen, und Asti zeigte ihm ein paar, die er jedoch als zu klein zu rückwies. Nun holte sie einige hervor, die etwas grö ßer waren, jedoch ebenfalls zurückgewiesen wurden, und so ging es eine ganze Weile weiter. Schließlich zog Asti aus ihrer Robe zwei der größten Perlen her vor, die sie besaß, perfekt gerundet und von der Grö ße eines Fingernagels, und bei ihrem Anblick leuch teten Janees Augen auf, denn solche Perlen hatte er noch nie gesehen. Dann fragte er nach dem Preis. Asti sagte desinteressiert, daß er sicher höher sei, als er zu zahlen bereit war, da es auf der ganzen Welt nur we nige so perfekte Perlen gäbe, und sie nannte ihm ein Gewicht in Gold, das ihn verblüfft zurücktreten ließ, denn es entsprach einem Viertel des Tributs, den er von seinem neu eroberten Königreich gefordert hatte. »Frau, du scherzest«, sagte er, »bestimmt gibt es da einen Nachlaß.« »Herr«, antwortete sie, »ich scherze nicht; es gibt keinen Nachlaß.« Und sie steckte die Perlen wieder in ihre Robe.
Jetzt wurde er wütend und fragte: »Weißt du, daß ich der König von Tat bin und dir die Perlen ohne jede Bezahlung wegnehmen könnte, wenn ich das wollte?« »So, bist du das?« fragte Asti und blickte ihn kühl an. »Das hätte ich nie erraten. Doch wenn du meine Waren stehlen solltest, was zu tun du imstande wä rest, wie du gesagt hast, wirst du auch der König der Diebe sein.« Nun fingen alle, die diese Worte hörten, zu lachen an, und der König hielt es für das Beste, in ihre Fröh lichkeit einzustimmen. Dann ging das Handeln wei ter, doch bevor es zu einem Abschluß kam, begann Tua hinter ihrem Gitterwerk zu singen, da der Zeit punkt dafür gekommen war. »Hör auf!« sagte der König zu Asti. »Morgen wer de ich dir deinen Preis zahlen. Jetzt möchte ich dieser Musik lauschen, welche unbezahlbar ist.« Janees hörte Tuas Gesang zu wie einer, der unter einem Bann steht. Schritt für Schritt trat er immer weiter auf das Gitterwerk zu, was Asti nicht be merkte, da sie ihre Waren im Auge behalten mußte. Schließlich hatte er es erreicht, streckte seine Finger durch die Öffnungen zwischen den dünnen Holzlei sten und lehnte sich dagegen, wie ein Mann, der einer Ohnmacht nahe ist. Dann, plötzlich, mag es Absicht oder Zufall gewesen sein, sank er zurück und riß da bei das feine Holzgitter heraus. Die zerbrochenen Lei sten fielen zu Boden, und siehe, dort saß, unver schleiert, und in eine kostbare Robe gekleidet, Tua, deren Finger über die Harfe aus Elfenbein und Gold strichen. Wie Sonnenlicht, das plötzlich hinter einer Wolke hervorbricht, fiel der Anblick ihrer Schönheit in die Augen der Menschen, die vor dem Haus ver
sammelt waren, und schien sie zu blenden, denn für eine lange Weile herrschte absolute Stille. Dann rief einer: »Diese Frau muß eine Königin sein.« Und ein anderer antwortete: »Nein, eine Göttin ist sie.« Doch im selben Moment war Tua verschwunden. Janees, der König, hatte sie mit offenem Munde an gestarrt. Dann, als sie geflohen war, wandte er sich an Asti und fragte: »Ist das deine Sklavin?« »Nein, König, meine Tochter, an der du schlecht gehandelt hast, als du ihr nachspioniertest.« »Dann«, sagte Janees langsam, »möchte ich, der ich weniger tun könnte, diese deine Tochter zu meiner Frau machen – verstehst du das, Perlenhändlerin? –, zu meiner Königin; und als Gabe dafür sollst du noch einmal so viel Gold erhalten, wie ich dir für deine Perlen versprochen habe.« »Andere Könige haben dasselbe gewollt und mehr geboten, doch ist sie nicht für dich oder für einen an deren bestimmt«, antwortete Asti, und blickte ihm ins Gesicht. Janees machte eine Bewegung, als ob er sie schla gen wolle, doch er beherrschte sich und sagte: »Eine grobe Antwort auf ein freundliches Angebot, ange sichts dessen, daß niemand weiß, wer ihr seid, und woher ihr kommt. Doch es sind Augen auf uns ge richtet. Ich werde morgen wieder mit dir sprechen, bis dann, ruhe in Frieden.« »Das hat keinen Sinn«, begann Asti, doch er war bereits verschwunden. Kurz darauf traf Asti Tua im Garten und berichtete ihr alles. »Jetzt wünschte ich, daß Kepher aus der Wüste bei
uns wäre«, sagte Tua nervös, »denn es scheint, daß ich wieder in einer Falle sitze, da ich diesen Janees nicht mehr mag als Abi oder den Prinzen von Kesh und niemals seine Königin sein werde.« »Dann sollten wir vielleicht lieber in die Wildnis fliehen und ihn noch heute nacht dort suchen«, sagte Asti, »denn du weißt, Königin, was Männern ge schieht, die deine Schönheit erblicken.« »Ich weiß, was dem Prinzen von Kesh geschah, und was Abi durch die Hände jener geschehen mag, die ich zurückgelassen habe, kann ich mir denken; vielleicht wird es diesem Janees nicht besser ergehen. Trotzdem, laß uns gehen.« Asti nickte, dann ging sie, als ob ihr etwas einge fallen wäre, ins Haus und richtete einige Fragen an die Dienerinnen. Kurz darauf trat sie wieder heraus und sagte: »Es hat keinen Sinn; das Haus ist bereits von Wachen umstellt, und einige unserer Frauen, die hinaus wollten, sind zurückgewiesen worden. Die Wachen sagten, daß auf Befehl des Königs niemand das Haus verlassen dürfe.« »Soll ich jetzt mit den Fingern über die Saiten der Harfe streichen und Kephers Namen rufen, wie er ge sagt hat?« fragte Tua. »Noch nicht. Die Gefahr mag vorübergehen, oder die Nacht mag Rat bringen. Er könnte zornig werden, daß wir ihn ohne Grund gerufen haben.« Sie gingen ins Haus, und während sie beim Essen saßen, hörten sie plötzlich ein Geräusch, und als sie aufblickten, sahen sie im Licht der Lampe, daß Frau en sich in den Raum drängten, angeführt von zwei Eunuchen.
Tua riß den Dolch heraus, den sie in ihrer Robe trug, und sprang auf, doch der oberste Eunuche, ein alter, weißhaariger Mann, verbeugte sich tief vor ihr und sagte: »Hohe Dame, du kannst mich töten, wenn du das willst, ich bin unbewaffnet, doch stehen viele von uns draußen, also ist es sinnlos, Widerstand zu leisten. Höre! Weder dir, noch deiner Gefährtin soll irgendein Leid geschehen, doch ist es der Wille des Königs, daß eine, die so königlich und schön ist, bes ser residieren sollte als in diesem schlichten Handels haus. Deshalb hat er mir befohlen, dich und deinen ganzen Haushalt und all dein Gut zu keinem geringe ren Ort als seinem eigenen Palast zu bringen, wo er mit dir zu sprechen wünscht.« »Steck deinen Dolch in die Scheide zurück und verschwende kein Wort an diese Sklaven, Tochter«, sagte Asti. »Da uns keine andere Wahl bleibt, laß uns gehen.« Nachdem sie ihre Umhänge und Schleier angelegt hatten, stiegen sie in eine Doppelsänfte, in die sie auch ihre Perlen und das Gold luden, während die Frauen des Königs alle ihre andere Habe zusammen suchten und sie zusammen mit den Dienerinnen mit sich nahmen, so daß das Haus völlig leer zurückblieb. Dann wurden sie, von Bewaffneten begleitet, durch die stillen Straßen getragen, bis sie zu den großen To ren des Palastes kamen, die sich hinter ihnen schlo ssen. Die Sänfte wurde in einem großen Saal abge stellt, in dem parfümiertes Öl in silbernen Lampen brannte. Hier und in benachbarten Räumen fanden sie Frauen des königlichen Haushaltes und ihre eige nen Dienerinnen, welche bereits dabei waren, ihre Besitztümer zu ordnen.
Wenig später war es getan, und nachdem ein Imbiß und Wein für sie bereitgestellt worden waren, wur den sie allein gelassen. »Soll ich jetzt die Harfe anschlagen und rufen?« fragte Tua. »Noch nicht. Laß uns erst erfahren, was der König von uns will, bevor wir um Hilfe rufen.« Und als sie dies sagte, öffnete sich die Tür, und Janees, der Kö nig, trat ein. Nun befand sich in der Mitte des großen Raumes ein Marmorbecken, das mit klarem Wasser gefüllt war, und das als Bad für die Königinnen gedient ha ben mochte, die in früheren Zeiten hier gelebt hatten, oder vielleicht war es dazu gedacht, bei der Hitze des Tages Kühlung zu spenden. Tua und Asti standen am einen Rand des Beckens, und ans andere trat nun der König. Dreimal verneigte er sich vor Tua, und dann sagte er: »Hohe Dame, welche, wie deine Dienerinnen mir sagten, als Neferte bekannt ist, eine Jungfrau Ägyp tens. Hohe Dame, ich komme zu dir, um mich für et was zu entschuldigen, das dir als ein schweres Un recht erscheinen mag. O Neferte, vielleicht kannst du mir verzeihen, wenn ich dir sage, daß mir keine ande re Wahl blieb. Durch einen Zufall – ich kann noch nicht sagen, ob es ein glücklicher oder ein unglückli cher war – habe ich heute dein Gesicht erblickt, und nun bin ich nur noch von dem Wunsch beseelt, es wiederzusehen. Die Göttin der Liebe, die ihr in Ägypten Hathor nennt, hat mich zu ihrem Sklaven gemacht, so daß ich nicht länger an Macht und Pomp und Reichtum denke, oder an andere Frauen, sondern nur noch an dich, an dich allein. Hohe Dame, ich will
dir nichts Böses, denn ich biete dir die Hälfte meines Throns. Du, nur du allein, sollst meine Königin sein. Gib mir deine Antwort.« »König Janees«, sagte Tua, »welcher böse Geist ist in dich gefahren, daß du ein Harfenmädchen, die Tochter einer Händlerin, die zufällig in deine Stadt gekommen ist, zur Königin machen willst? Laß mich gehen und halte jene hohe Stellung frei für eine der Großen dieser Erde. Schick nach Abi welcher, wie ich hörte, jetzt als Pharao über Ägypten herrscht, und bitte ihn um eine Tochter seines Blutes, denn man sagt, daß er deren mehrere hat, oder zu den Fürsten Syriens, oder zu dem König von Byblos nahe dem Li banon, oder zu den Herren von Kesh, oder zur ande ren Seite der Wüste zum Herrscher von Punt, und laß ein armes Harfenmädchen ihres Weges ziehen.« »Dieses arme Harfenmädchen«, wiederholte Janees ihren Ausdruck, »das – oder dessen Mutter ...« – da bei verneigte er sich lächelnd vor Asti, »Perlen zum Verkauf anbietet die den Wert der Einnahmen eines Königreiches haben; dieses Harfenmädchen, das eine Harfe besitzt, deren elfenbeinerne Frauengestalt mit den königlichen Uräi Ägyptens geschmückt ist; dieses Harfenmädchen, dessen Schönheit von einer Art ist, wie sie vielleicht unter den Töchtern der alten Könige gefunden werden mag; dieses Harfenmädchen, des sen Stimme die Herzen von Menschen und Tieren be zaubern kann! Gut, Neferte, ich danke dir für deine Warnung, doch bin ich nach wie vor bereit, dieses Ri siko einzugehen, in der Hoffnung, daß meine Kinder sich nicht des Blutes eines Harfenmädchens wie die ses schämen, das, wie ich bemerkte, als das Holzgit terwerk herabfiel, unterhalb ihrer Kehle das heilige
Zeichen trägt, das die Menschen an den Ufern des Nils anbeten.« »Ich fühle mich sehr geehrt«, erwiderte Tua kühl, »doch kann es nicht sein. Unter meinem einfacheren Volke habe ich einen Geliebten, und diesen werde ich heiraten und keinen anderen Mann.« »Du hast einen Geliebten! Dann halte seinen Na men vor mir geheim, denn sonst würde ich den Set zu seinem Osiris spielen und ihn in Stücke reißen. Du schüttelst den Kopf, sicher, weil du weißt, daß dieser Mann groß ist, aber dennoch versichere ich dir, daß ich ihn besiegen und in Stücke reißen werde, für das Verbrechen, von dir geliebt zu werden. Höre! Ich wollte dich zu meiner Königin machen, aber Königin oder nicht, du sollst mein werden, da du dich in mei ner Gewalt befindest. Ich will dich nicht drängen, ich werde dir Zeit lassen. Doch wenn du dich am dritten Tag noch immer weigern solltest, meinen Thron mit mir zu teilen, dann wirst du eben auf der Fußbank sitzen und nur das Bett mit mir teilen.« Da warf Tua in ihrer Wut den Schleier zurück und blickte ihm in die Augen. »Du hältst mich für groß«, sagte sie, »und wahrlich, du hast recht, denn was immer auch mein Rang sein mag, meine Götter sind immer bei mir, und durch ih re Macht ist meine Unschuld groß. Laß mich in Frie den, du kleiner König von Tat, auf daß ich nicht den Zorn meiner Götter auf dich herabbeschwöre.« »Du hast bereits den Zorn einer Göttin auf mich herabbeschworen, jener Hathor, von der ich sprach, und die anderen fürchte ich nicht. Mögen sie tun, was sie wollen. In der dritten Nacht wirst du mir gehören, sei es als Königin oder als Sklavin, das schwöre ich
dir! Und diese Frau, welche du deine Mutter nennst, sei Zeuge meines Schwurs und seiner Erfüllung.« »Ja, König«, unterbrach Asti. »Ich werde Zeuge des Schwures sein, doch was seine Erfüllung angeht, so kenne ich den Ausgang nicht. Möchtest du ihn wis sen? In meinem Lande wird gesagt, daß ich eine be sondere Gabe besäße, ich meine, auf dem Felde der Magie. Sie ist irgendwann zu mir gekommen – ich weiß nicht, woher – und sie ist sehr ungewiß; manchmal ist sie meine Dienerin, zu anderen Zeiten kann ich nichts tun. Doch um deinetwillen will ich es versuchen. Ist es dein Wunsch, das Ende dessen zu sehen, wovon du sprachst, das Ergebnis deiner Versuche, jene Jung frau durch Zwang zu deiner Königin oder deiner Sklavin zu machen?« »Ja, Frau«, antwortete Janees. »Wenn du einen Trick beherrschst, so laß ihn sehen. Warum nicht?« »So sei es, König; aber habe ich dein Wort darauf, daß du mir keine Schuld dafür anlasten wirst, wenn das Ergebnis nicht deinen Erwartungen entspricht – dein königliches Wort? Nun stell dich hierher und blicke ins Wasser dieses Beckens, während ich unsere Götter, die Götter meines Landes, um die Gnade an flehe, dir zu zeigen, wie es um diese Stunde des drit ten Abends sein wird, um die, wie du sagst und hoffst, deine Hochzeitsnacht beginnen soll. Sing, meine Tochter, sing jenes alte und geheiligte Lied, das ich dich lehrte. Es wird uns helfen, die Langeweile des Wartens zu mildern, bis die Götter sich erklären, falls das ihr Wille ist.« Darauf kniete Asti sich an den Rand des Beckens und streckte ihre Hände über das Wasser aus, und Tua fuhr mit den Fingern über die Saiten ihrer Harfe
und begann mit ernster Miene in einer unbekannten Sprache zu singen. Die Worte ihres Liedes waren sanft und süß, doch schien es Janees, als ob sie wie Eis in sein heißes Blut fielen und es in seinen Adern zum Gefrieren brachten. Anfangs hielt er seinen Blick auf ihr Gesicht gerichtet, doch dann wurde er wie durch eine magische Kraft auf das Wasser des Beckens ge richtet. Siehe! Nebel formten sich auf ihm. Dann lichteten sie sich wieder, und er sah in dem Wasser, wie in ei nem Spiegel, ein Bild. Er sah sich nackt und tot liegen, ein armseliger, unverhüllter Leichnam, dessen weit aufgerissene Augen zum Himmel emporstarrten, und aus dessen zerschnittener Kehle und Brust Blut auf den Marmorboden der Halle strömte, die von Feuer zerstört war und deren rauchgeschwärzte Säulen zum Mond hinaufwiesen wie anklagende Finger. Er lag allein, nur ein Hund stand bei ihm, sein eigener Hund, der den Kopf hob und klagend zu heulen schien. Die letzten Töne von Tuas Lied verklangen, und mit ihnen verblaßte das Bild. Janees sprang vom Rand des Beckens zurück und starrte Asti wütend an. »Hexe!« schrie er, »wenn du, die du dich die Mut ter jener nennst, welche meine Königin sein soll, nicht mein Gast wärst, würdest du noch heute für diesen deinen betrügerischen Trick zu Tode gefoltert wer den.« »Doch wie die Dinge stehen«, antwortete Asti, »glaube ich, daß ich nicht sterben werden, da jene, welche die Götter anrufen, deren Orakelspruch nicht anzweifeln dürfen. Außerdem weiß ich nicht, was du gesehen hast, und es mag nicht mehr gewesen sein,
als eine Phantasie deines Gehirns oder des meinen. Nun laß uns allein, o König, denn wir sind müde, und überlaß die Geheimnisse des Orakels der Zu kunft. In drei Tagen werden wir wissen, was sie sind.« Ohne ein Wort der Antwort wandte Janees sich um und verließ den Raum. »Was war es, das in dem Becken lag, Amme?« fragte Tua. »Ich habe nichts gesehen.« »Der Schatten eines toten Mannes, glaube ich«, antwortete Asti ernst. »Irgendein eifersüchtiger Gott hat diesen armen König angeblickt, dessen Verbre chen darin besteht, dich zu begehren, und deshalb muß er sterben. Ehrlich gesagt, o Stern Amons, haben solche, die dich lieben, ein schreckliches Schicksal, und ich frage mich manchmal, ob einer, der mir teuer ist, vor deinen königlichen Augen ein glücklicheres Los haben wird. Falls ihm Böses widerfahren sollte, werde ich dich vielleicht am Ende hassen, die ich vom ersten Augenblick an liebte.« Bei dem Gedanken, daß sie auch Rames den Tod bringen könnte, sammelten sich Tränen in Tuas Au gen, und ihre Stimme erstickte in ihrer Kehle. »Sprich nicht solche Worte bösen Omens«, sagte sie, »die du sehr wohl weißt, daß ich, wenn er mir genommen wird, für den ich alle diese Leiden ertra ge, ihm über den Rand der Welt folgen muß. Außer dem bist du ungerecht. Habe ich den Prinzen von Kesh getötet, oder war es ein anderer?« »Ein anderer, Königin, doch tat er es um deinet willen.« »Und hättest du gewollt, daß ich Abi heirate, das fette Schwein, den Mörder meines Vaters und deines
Gemahls? Und noch einmal: War ich es, welche die sem Barbarenhäuptling einen Schatten im Wasser zeigte, oder war es Asti, die Hexe, die Seherin Amons? Und schließlich: Wird dieser Mann sterben, falls er sterben muß, weil er mich liebt, was ich ihm, da ich eine Frau bin, vergeben kann, oder weil er mich mit Gewalt zu seiner Königin oder seiner Ge liebten machen will, was ich ihm nicht vergebe? Oh, Asti, du weißt doch, daß ich nicht so bin wie andere Frauen. Vielleicht ist es wahr, daß etwas von dem Blut, das in meinen Adern fließt, nicht menschlich ist: zumindest aber erfülle ich ein Verhängnis, das mir schon vor meiner Geburt auferlegt wurde, und ich, ob ich Glück oder Unglück bringe, dorthin gehe, wohin meine Füße von Geistern und Göttern gelenkt wer den. Warum, also, tadelst du mich?« Und sie begann unbeherrscht zu schluchzen. »Nein, nein, tröste dich, ich tadele dich nicht«, sagte Asti und zog sie an ihre Brust. »Wer bin ich denn, daß ich Amons Stern, meiner Tochter und mei ner Königin, Vorwürfe machen dürfte? Ich weiß sehr wohl, daß das Haus deines Schicksals errichtet ist, und daß du, ob du flußaufwärts oder flußabwärts fährst, schließlich in seine Tür eintreten mußt. Es war meine Angst um Rames, die mich veranlaßte, so bitte re Worte zu gebrauchen, um Rames, mein einziges Kind, falls er wirklich noch am Leben sein sollte, denn ich, die ich über soviel magische Kräfte verfüge, kann weder von Menschen noch von Geistern erfah ren, ob er mir noch geblieben ist oder schon bei Osiris weilt, da zwischen unseren Seelen schwarze Schleier hängen. Ich habe Angst davor, daß die Götter auf deine große Liebe eifersüchtig werden könnten, und
ihn, der es gewagt hat, sie zu erringen, in ihrem Zorn vor seiner Zeit ins Grab bringen mögen, und dieser Gedanke zerreißt mir das Herz.« Nun war es an Tua, Trost zu spenden. »O Nähr mutter«, sagte sie, »du scheinst das Versprechen zu vergessen, das Amon, der König der Götter, vor mei ner Geburt Ahura gab, welche mich gebar, daß ich ei nen königlichen Geliebten finden soll, und daß dieser Liebe viele Könige und Prinzen entspringen werden, und wenn dem so sein soll, muß Rames leben.« »Warum muß er leben, da es, selbst wenn er als königlich bezeichnet werden kann, auch andere Kö nige gibt?« »Nein, Asti«, murmelte Tua und legte ihre Hand auf ihre Brust, »für mich gibt es keine anderen, und es soll mir kein Kind geboren werden, das Rames nicht seinen Vater nennt. Was immer auch sonst zweifel haft sein mag, dies ist sicher. Deshalb lebt Rames und er wird leben, oder der König der Götter hat gelo gen.« »Du argumentierst gut«, sagte Asti und küßte sie. Dann überlegte sie einen Moment lang und fügte hinzu: »Und nun an die Arbeit, es ist Zeit. Nimm dei ne Harfe, tritt ans offene Fenster und rufe, wie der Bettler es dir befohlen hat, wenn du in Not geraten solltest.« Also trat Tua zum Fenster und blickte in den gro ßen Hof hinab, der vom Licht des Mondes erhellt wurde. Dann schlug sie ihre Harfe an und rief laut: »Kepher! Kepher! Kepher!« Und das Echo ihres Rufes schallte zurück, bei je dem Mal lauter, bis es schien, als ob Erde und Him mel mit dem Klang des Namens erfüllt wären.
16
Der Bettler und der König
Es war der Nachmittag des dritten Tages. Tua und Asti, die am Fenster ihres vornehmen Gefängnisses saßen, blickten durch das Gitterwerk aus Holzleisten auf den großen Hof hinab, wo König Janees im Schatten saß und Recht sprach und die Bittgesuche seiner Untertanen anhörte, wie es zu dieser Stunde der Brauch war. Die beiden Frauen waren sehr unru hig, denn die gesetzte Frist war fast verstrichen. »Die Nacht rückt näher«, sagte Tua, »und mit ihr kommt Janees. Siehe, wie er immer wieder zu diesem Fenster heraufstarrt, wie ein hungriger Löwe, der darauf wartet, gefüttert zu werden. Und von Kepher ist kein Zeichen gekommen; vielleicht ist dieser Bett ler nach seinen vielen Jahren des Wanderns nur von seltsamen Phantasien erfüllt, oder vielleicht ist er tot, was bei einem Mann seines Alters kein Wunder wäre. Auf jeden Fall hat er kein Zeichen gegeben, und auch Amon, zu dem ich so viel gebetet habe, hat mir keine Antwort auf meine Gebete gesandt. Ich bin verlassen. Oh! Asti, was soll ich nur tun?« »Vertraue den Göttern!« sagte Asti. »Es sind noch immer drei Stunden bis zum Sonnenuntergang, und innerhalb von drei Stunden können die Götter, für die Zeit nichts bedeutet, die Welt zerstören und wie der neu aufbauen. Erinnere dich, was uns geschah, als wir hungernd in jenem Pylonenturm in Memphis saßen. Erinnere dich an den Todessprung und an das Boot Ras und an jene, die es lenkten. Erinnere dich
daran und vertraue den Göttern!« »Ich vertraue ihnen – wirklich, Asti, und doch – oh, laß uns von etwas anderem sprechen! Ich frage mich, was in Memphis geschehen sein mag, seit wir es auf eine so seltsame Art verlassen haben. Glaubst du, daß mein schreckliches Ka dort als Königin herrscht, mit Abi als ihrem Ehemann? Wenn dem so sein sollte, so habe ich beinahe Mitleid mit ihm, denn es war etwas in ihren Augen, das mein sterbliches Blut gefrieren ließ, und doch sagst du, daß sie ein Teil von mir ist, ein unsterblicher Geist, der in meine Form gegossen und mir bei der Geburt gegeben wurde. Ich wünsch te, ich hätte noch ein Ka, das du jetzt aus mir heraus holen könntest, Asti, um diesen Janees zu behexen und ihn festzuhalten, während wir fliehen. Siehe, der Fall scheint sich endlich seinem Ende zu nähern. Ja nees spricht das Urteil, oder, richtiger gesagt, sein Be rater tut es, denn er flüstert ihm ständig etwas zu. Kannst du sein Flüstern hören? Was Janees selbst be trifft, so sind seine Gedanken hier bei mir, ich fühle, wie seine Blicke mich durch dieses Gitter hindurch brennen. Jetzt will er sich erheben. Was ist? Wer kommt? Tritt näher, Amme, und sieh!« Asti tat es. Dort, beim Tor des Hofes sah sie einen hochgewachsenen Mann, weißbärtig, mit sonnenver branntem Gesicht, mit trüben Augen, uralt, der in Lumpen gehüllt war und sich auf einen Stab aus Dornenholz stützte und blind umherstarrte, als ob die Sonne ihn blendete. Die Wachen kamen, um ihn hin auszuwerfen, doch er hob nur seinen Stab, und sie taumelten zurück, als ob eine verborgene Kraft in ihm steckte. Jetzt schienen seine schildkrötenartigen Au gen den glitzernden Thron zu entdecken, und jenen,
der auf ihm saß, und er ging mit langen Schritten auf den Thron zu und blieb vor ihm stehen, wobei er sich wieder auf seinen Stab stützte. »Wer ist dieser Bursche?« fragte Janees verärgert, »der hier steht und dem König die Ehrerbietung ver weigert?« »Bist du ein König?« fragte Kepher. »Ich bin fast blind. Ich dachte, du seiest nur ein gewöhnlicher Mann, so wie ich es bin, lediglich in hübschere Roben gekleidet. Sag mir, wie es ist, ein König zu sein und alles unter seinen Füßen zu haben? Kannst du hoffen und leiden und den Tod fürchten, wie ein normaler Mensch? Ist das Fleisch unter dem Gold und Purpur das gleiche wie das meine unter meinen Fetzen? Wirst du von alten Erinnerungen gequält, Erinnerun gen an die Toten, welche nicht mehr sind? Kannst du Trauer fühlen, und den Schmerz der Enttäuschung?« »Sitze ich hier, um Rätsel zu lösen, du Narr?« ant wortete Janees wütend. »Werft diesen Burschen hin aus! Ich habe zu tun.« Auf diesen Befehl des Königs sprangen die Wachen wieder vor, doch wieder hob Kepher seinen Stab, und wieder taumelten sie zurück. Es schien wahrhaftig, als ob irgendeine Kraft in jenem Stabe steckte. »Ja, du hast zu tun, König«, sagte er. »Doch nicht mit Staatsgeschäften, sondern mit einer, die dort drü ben wohnt«, und er deutete auf das von Gitterwerk verschlossene Fenster, hinter dem Tua saß und ihn beobachtete. »Nun, das ist noch drei Stunden hin, nachdem die Sonne untergegangen ist, also hast du noch Zeit, mein Bittgesuch anzuhören, was du auch tun wirst, da es dieselbe Dame betrifft, mit der du zu tun hast.«
»Was weißt du von jener Dame, du alter Narr, und von meiner Angelegenheit mit ihr?« fragte Janees wütend. »Viel von beiden, o König, denn ich bin ihr Vater, und ... – soll ich weitersprechen?« »Ihr Vater! Du dreckiger Lügner!« unterbrach Janees. »Ja, ihr Vater, und da unser Blut älter ist als das deine, will ich dich nicht als Schwiegersohn, genau sowenig wie meine Tochter dich als Ehemann wünscht.« Einige der Höflinge, welche diese Worte hörten, begannen laut zu lachen, doch Janees lachte nicht. Sein dunkles Gesicht wurde bleich vor Wut, und er rang nach Luft. »Schleift diesen Verrückten hinaus«, schrie er schließlich, »und schneidet ihm seine unverschämte Zunge heraus!« Wieder sprangen die Wachen vor, doch bevor sie Kepher erreichen konnten, sprach dieser mit einer neuen Stimme, mit einer Stimme, die so schrecklich klang, daß sie stehenblieben und nicht wagten, ihn zu berühren: »Hütet euch, einen Finger an mich zu legen, ihr Männer von Tat«, rief er, »denn ihr wißt nicht, wer unter diesen Lumpen steckt? Janees, der du dich Kö nig nennst, höre den Befehl eines mächtigeren Herr schers, dessen Thron dort oben über der Sonne steht. Bevor die Nacht sich über die Erde senkt, wirst du je ne Jungfrau, der du dich aufzwingen wolltest, und ihre Gefährtin und alle ihre Güter vor das Südtor die ser Stadt bringen und sie dort unbehelligt verlassen! Dieses ist der Befehl des Königs der Könige, welcher hoch oben wohnt!«
»Und wenn ich des Befehles jenes Königs spotte?« fragte Janees. »Spotte nicht!« antwortete Kepher. »Denk an ein gewisses Bild, welches Asti dir im Wasser zeigte und spotte nicht!« »Das war doch nur ein ägyptischer Zaubertrick, und einer, in dem du, wie ich sehe, deine Hand hat test. Geh! Ich lache über dich und deine Zaubereien, und über deinen König. Heute nacht wird die Jung frau meine Frau werden.« »Dann, Janees, Herr von Tat, höre das Urteil, das über dich verhängt wurde, und das ich dir verkünden soll! Heute nacht wirst du eine andere Braut umar men, und ihr Name ist Tod. Außerdem sollen wegen ihrer Sünden, und weil ihre Augen böse sind und sie die Götter verleugnet haben, viele deiner Untertanen dich auf der Reise in die Dunkelheit begleiten, und morgen wird ein anderer König, der nicht von dei nem Haus ist, in Tat herrschen.« Kepher schwieg, wandte sich um und schritt lang sam über den Hof und durch das Tor, und niemand hob auch nur einen Finger, um ihn aufzuhalten, denn jetzt schien um diesen alten Mann eine Majestät zu sein, welche ihnen alle Kraft nahm. »Bringt diesen Zauberer zurück und tötet ihn vor meinen Augen!« schrie Janees, und als der Bann sich von den Männern löste, eilten sie los, um den Befehl des Königs auszuführen. Doch als sie durch das offene Tor gelaufen waren, konnten sie ihn dort nicht finden. Eine Frau hatte ihn hier gesehen, ein Kind dort, ein paar Sklaven hatten ihn drüben vorbeigehen sehen und waren davonge laufen, als sie sahen, daß er keinen Schatten hatte.
Schließlich, nach langem Hin- und Herlaufen, gelang es ihnen, seinen Weg bis zum südlichen Tor zu ver folgen, und die Wachen, die dort standen, sagten ih nen, daß so ein Bettler hinausgegangen sei, als sie ge rade das Tor schließen wollten, und in dem Sand sturm verschwunden sei, welcher sich plötzlich erho ben hatte. Sie liefen hinaus, doch war der Sandsturm so heftig, daß sie bei der Suche einander aus den Au gen verloren und erst kurz vor Sonnenuntergang ein zeln zum Palast zurückkehrten. Der König war dar über so wütend, daß er befahl, ihnen Hiebe auf die Fußsohlen zu versetzen. Als es dunkel wurde und die festgesetzte Stunde anbrach, wappnete Janees sein Herz und stieg zu dem Raum hinauf, in welchem Tua und Asti wohn ten, und ließ seine Leibwachen und Eunuchen vor der Tür zurück. Die Lampen brannten in dem großen Raum, und seine Fensterläden waren geschlossen, doch draußen heulte der Wüstensturm, und die Luft war voller Sand. Wie drei Tage zuvor standen Tua und Asti auf der anderen Seite des Marmorbeckens und erwarteten ihn. »Neferte«, sagte er, »es ist die vereinbarte Stunde, und ich verlange deine Antwort.« »König«, erwiderte Tua, »hör mich an, und um dei netwillen, nicht um meinetwillen. Ich bin mehr, als ich zu sein scheine. Ich habe Freunde auf Erden und in der Luft; hat nicht einer von ihnen dich heute auf jenem Hofe aufgesucht? Vergiß diese Verrücktheit und laß mich in Frieden, denn ich wünsche dir Gutes, und nichts Böses. Wenn du aber auch nur einen Fin ger an mich legst, dann, fürchte ich, wird Böses sich dir nähern, und wenn nicht, so werde ich von eigener
Hand sterben.« »Hör auf mit deinen Drohungen!« sagte Janees mit eisiger Stimme. »Ich verlange eine Antwort.« »König«, sagte Tua, »zum letztenmal flehe ich dich an. Du glaubst, daß ich lüge, um mich zu retten. Doch dem ist nicht so. Ich möchte dich retten. Sieh her!« Sie schlug den Schleier beiseite und öffnete den oberen Teil ihrer Robe ein kleines Stück. »Blicke auf das, was meine Haut zeichnet, und überlege dir, ob es ratsam ist, einer Frau, die dieses heilige Siegel trägt, Gewalt anzudrohen?« »Ich habe von einer solchen gehört«, sagte Janees heiser, denn der Anblick ihrer Schönheit beraubte ihn der Stimme. »Es wird gesagt, daß sie in Theben gebo ren wurde, und von einem seltsamen Vater ab stammt, doch wie kommt sie dann hierher? Ich habe gehört, daß sie als Pharao über Ägypten herrscht.« »Stell diese Frage deinen Orakeln, o König, doch denk daran, daß nicht alle Gerüchte falsch sind, und laß die Tochter dieses seltsamen Vaters in Frieden.« »Es gibt noch einen, der behauptet, dein Vater zu sein, falls meine Soldaten ihn inzwischen nicht zu Tode gegeißelt haben: ein abgerissener Bettler.« »Welchen jene Soldaten nicht finden und nicht be rühren konnten«, sagte Asti. »Aber«, fuhr Janees fort, ohne auf ihre Worte zu achten, »ob dein Vater nun ein Bettler oder ein Gott ist, ja wenn du Hathor selbst wärest, die vom Himmel zur Erde herabgestiegen ist, um Männern den Tod zu bringen, wisse, daß ich dich zu der Meinen machen werde. Zum drittenmal: Antworte mir! Willst du aus freiem Willen meine Königin werden, oder müssen meine Frauen erst diese Hexe im Wasser zu deinen
Füßen ertränken und dich mit Gewalt fortschlep pen?« Tua antwortete nicht. Sie ließ schweigend ihren Schleier zu Boden fallen, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete. Asti jedoch konnte sich ihres Spottes nicht enthalten und rief mit lauter Stimme, damit er sie durch das Heulen des Sturmes hörte: »Ruf deine Frauen, König, denn die Luft ist voller Sand, der meine Kehle austrocknet, und mich ver langt nach dem Wasser, das du mir versprochen hast!« Jetzt fuhr Janees wutentbrannt herum und schrie: »Kommt herein, Sklaven und tut, was ich euch be fohlen habe!« Während er sprach, wurden die Türflügel aufge stoßen, und durch sie trat Kepher, der Wanderer, herein, nun nicht mehr in Lumpen gekleidet, sondern in eine weiße Robe und mit einer weißen Kopfbedek kung, und hinter ihm kamen wild aussehende Häuptlinge von Wüstenstämmen, bärtig, schwarz häutig, mit Goldketten behängt, die gegen ihre Brustpanzer klirrten, und blutigen Schwertern in den Händen, Söhne der Wüste, die weder Furcht noch Gnade kannten. Janees blickte sie an und verstand. Er riß sein Schwert heraus und stand unentschlossen, während die Männer einen Kreis um ihn bildeten und abwar teten, ihre Blicke auf Kepher gerichtet. »Verschone ihn, Vater, wenn dem so sein mag«, sagte Tua, »da die Liebe ihn verrückt gemacht hat!« »Zu spät!« sagte Kepher feierlich. »Solche, die nicht auf die Warnungen der Götter achten, müssen die Strafe der Götter erleiden. Janees, der du einer hilflo
sen Frau Gewalt antun wolltest; dein Palast brennt, deine Stadt ist in meiner Hand, und die wenigen, welche bei dir standen, sind getötet. Janees, morgen soll ein anderer an deiner Statt herrschen. Amon, der Vater, hat deinen Untergang beschlossen.« »Ja«, antwortete Janees mit belegter Stimme, »zu spät! Sterbliche können nicht gegen Götter kämpfen, die ihr Spiel mit ihnen treiben. Ein Gott hat befohlen, daß ich lieben soll. Ein Gott hat befohlen, daß ich sterbe. So sei es denn, ich bin froh, zu sterben; ich wollte, ich wäre nie geboren worden, um Leid und Tod kennenzulernen. Sag mir, Prophet, welche böse Macht ist es, welche bestimmt, daß wir geboren wer den und leiden müssen?« Kepher winkte Tua und Asti zu, und sie folgten ihm und ließen Janees in dem Kreis grausam blicken der Männer zurück. »Lebewohl«, rief er Tua zu, als sie vorbeiging. »Hier und im Jenseits erinnere dich an dies von Ja nees, dem König von Tat: Er, der sein Leben hätte retten können, zog es vor, aus Liebe zu dir zu ster ben.« Dann gingen sie hinaus und sie sahen ihn nie wie der. Sie traten vor die Tür jenes großen Marmorraumes und sahen dort Leibwachen und Eunuchen tot in ih rem Blute liegen; sie gingen die Treppe hinab und durch das Palasttor, bei dem weitere Wachen tot la gen, und als sie sich umblickten, sahen sie, daß der Palast in Flammen stand. Sie erreichten den vor ihm gelegenen Platz und setzten sich auf Befehl Kephers in eine Sänfte, in der sie von schwarzen Sklaven ei nem unbekannten Ziel entgegengetragen wurden.
Die ganze Nacht hindurch wurden sie, wachend und schlafend, so getragen, bis endlich der Morgen graute und sie aus der Sänfte stiegen und sahen, daß sie sich in einer Oase befanden, in der eine gewaltige Heerschar von Wüstenkriegern lagerte. Von der Stadt Tat war nichts zu sehen; wie ein Traum war sie aus ihrem Leben verschwunden, und sie sollten auch nie wieder von ihr oder von ihrem König hören. Doch in dem Zelt, das für sie vorbereitet worden war, fanden sie ihre Perlen und ihr Gold, und auch Tuas elfenbei nerne Harfe. Sie legten sich nieder und schliefen, da sie sehr müde waren, und erwachten erst, als der nächste Tag dämmerte. Sie standen auf und aßen von der Nah rung, die für sie bereitgestellt war, und verließen das Zelt. Im Schatten einiger Palmen stand Kepher und erwartete sie, und bei ihm standen mehrere der har ten Wüsten-Häuptlinge, die sich verneigten, als Tua und Asti sich ihnen näherten. »Höre, Neferte! Und auch du, Asti, ihre Gefährtin!« sagte Kepher zu ihnen. »Ich muß fortgehen, da ich, nachdem diese Sache abgeschlossen ist, mein Brot an einem weit entfernten Ort erbetteln muß. Doch habt keine Furcht und wisset, daß diese Herren der Wüste eure Diener sind und allein dazu geboren wurden, um euch auf eurem Weg zu helfen. Wiederholt meine Befehle«, sagte er dann, an die Häuptlinge gewandt. Der Oberste von ihnen allen antwortete: »Wande rer, der du schon unseren Vätern und unseren Groß vätern bekannt warst, Hüter unserer Rasse, durch den wir leben und triumphieren, dies sind deine Be fehle: daß wir diese göttliche Dame und ihre Begleite rin auf einer Reise von vielen Monden durch die Wü
sten und über die Berge geleiten, bis wir schließlich die Tore der Goldenen Stadt erreichen, wo unsere Aufgabe erfüllt ist. Und solange auch nur noch einer von uns auf den Füßen steht, sollen sie ausgeführt werden.« »Du hast gehört«, sagte Kepher zu Tua. »Setz dein Vertrauen in diese Männer. Geht in Frieden während des Tages, und schlaft in Frieden in der Nacht, denn seid versichert, daß diese euch nicht enttäuschen werden. Falls jedoch sie oder irgendein anderer euch Schwierigkeiten bereiten sollten, so schlage du, Tua, deine Harfe an und rufe den Namen, der dir bekannt ist, so wie du ihn im Hause von Janees, des Wahnsin nigen, gerufen hast und wisse, daß jemand zu euch kommen wird. Ihr Herren der Wüste, deren Urgroß väter ich schon gekannt habe, und die durch meine Weisheit leben, diese göttliche Jungfrau steht jetzt unter eurem Schutz. Sorgt dafür, daß ihr sie bewacht, wie ihr es sollt, und wenn die Reise abgeschlossen ist, kehrt zurück und erstattet mir Bericht. Lebt wohl!« Er hob seinen Stab und schritt, ohne eine weiteres Wort an Tua oder Asti zu richten, durch die Reihen der Wüstenkrieger davon, die ihre Kamele auf die Knie zwangen und ihn ehrfürchtig grüßten, als er an ihnen vorbeiging. Schließlich sahen sie ihn allein auf einem Bergkamm stehen und eine Weile zu ihnen herüberblicken. Und dann war er plötzlich ver schwunden. »Wer ist jener Mann, o Häuptling, auf dessen Be fehl die Wüste von Kriegern überquillt und Könige in ihr Verderben gebracht werden?« fragte Asti, als sie gesehen hatte, wie er plötzlich verschwunden war. »Das kann ich dir nicht sagen«, antwortete er,
»doch er ist von Anbeginn an der Herr der Wüste gewesen und aller, die in ihr leben. Auf seinen Befehl hin hat sich gestern der Sandsturm erhoben, um un seren Anmarsch zu tarnen, auf seinen Befehl brechen Quellen auf und werden Stämme groß oder versin ken. Wir glauben, daß er ein Geist ist, der dorthin geht, wohin er gehen muß, und der die Befehle des Himmels ausführt. Zumindest jedoch gehorchen ihm alle Bewohner der Wildnis, obwohl sie ihn nur selten zu Gesicht bekommen, so wie wir ihm gehorchen, und schlecht ergeht es solchen Bewohnern von Städten, welche nicht die Macht erkennen, welche unter jener zerfetzten Robe atmet, wie ihr es selbst gesehen habt.« »Ich danke dir«, sagte Asti. »Ich glaube genau wie du, daß dieser Wanderer ein Geist ist, und ein großer, ein so großer, daß ich seinen Namen nicht nennen will. Häuptlinge, meine Gebieterin ist bereit, zu der Goldenen Stadt aufzubrechen, zu der ihr uns führen werdet.« Tag um Tag, Woche um Woche, Mond um Mond zo gen sie in südlicher und westlicher Richtung durch die Wüste, und in der Mitte ihrer Heerschar saßen Tua und Asti, tief verschleiert, auf ihren Kamelen. Einmal griffen wilde Bergstämme sie an, als sie eine Schlucht passierten, doch wurden sie zurückgeschla gen, und einmal kam es zu einer großen Schlacht mit anderen Stämmen der Wildnis, welche gehört hatten, daß sie eine Göttin bei sich hätten und diese für sich selbst erobern wollten. Diese Stämme schlugen sie auch nach einem blutigen Kampf, denn als der Sieg in der Schwebe hing, führte Tua selbst einen Angriff der Reiterei an, und als die Feinde ihrer ansichtig wur
den, ergriffen sie die Flucht. Einmal mußten sie zwei volle Monde lang in einer Oase lagern, um auf Regen zu warten, denn das dahinter liegende Land hatte Mangel an Wasser. Endlich kam der Regen, und sie zogen weiter, weiter und weiter über das endlose Land, bis sie eines Abends ihr Zelt auf einem Hügel errichteten. Beim ersten Dämmern des neuen Tages traten Tua und Asti hinaus, und dort, unterhalb von ihnen, in der Nähe des Ufers eines großen Flusses, von dem sie wußten, daß es der Nil war, sahen sie die Pyramiden und Tempel von Napata, der Goldenen Stadt, der südlichen Stadt Amons, und dankten den Göttern, die sie sicher hierher geleitet hatten. Während sie noch auf ihre im roten Licht der auf gehenden Sonne erstrahlenden Pracht blickten, trat der Oberste der Wüstenkrieger zu ihnen und ver neigte sich vor ihnen. »Göttliche Dame«, sagte er, »Göttin oder Frau, was immer du sein magst, wir haben den Befehl ausge führt, der uns von Kepher, dem alten König der Wildnis, erteilt wurde. Vor dir liegt Napata, wohin wir in so vielen langen Monden gezogen sind; doch dürfen wir uns ihr nicht weiter nähern, die wir von einer Generation zur anderen darauf verschworen sind, niemals eine Stadt zu betreten, es sei denn, im Kriege. Unsere Aufgabe ist erfüllt, und unsere Män ner wollen in ihre Heimat zurückkehren, wo ihre Frauen und Kinder ihrer harren, bevor die Menschen Napatas glauben, daß wir Feinde sind, und heraus stürmen, um uns anzugreifen.« »Es ist gut«, sagte Tua. »Ich danke euch, und die Götter werden euch euren Lohn geben. Verlaßt uns
jetzt und zieht in eure Heimat zurück. Doch bevor ihr geht, nehmt eine Gabe von mir!« Sie schickte nach dem Gold, das sie durch ihren Handel in der Stadt Tat erworben hatte, und gab es ihnen, damit sie es unter sich aufteilten, und es war ein großer und reicher Schatz. Sie behielt nur die Perlen zurück, und ein wenig von dem Gold. Die Häuptlinge grüßten sie ehrerbietig, und im Morgen nebel ritten sie und ihre dunkelhäutigen Krieger den Weg zurück, den sie gekommen waren, und wurden bald von einer riesigen Staubwolke verschlungen. Auf den Rücken ihrer Kamele sitzend sahen Asti und Tua sie verschwinden wie einen Traum der Nacht. Dann wickelten sie sich fester in ihre dunklen Umhänge und ritten ohne ein Wort zu wechseln, da ihre Lippen von Hoffnung und Verwunderung ver schlossen waren, zu der Straße hinab, die am Nilufer entlang auf die Mauern von Napata zuführte. Zu sammen mit anderen Menschen, die der Stadt zu strebten, überquerten sie eine Ebene, auf der Pyrami den standen, und gelangten zu dem prächtigen nörd lichen Tor, das mit Gold bedeckt war, und warteten dort, da dieses Tor noch nicht geöffnet war. Eine Frau, die drei mit grüner Gerste und Gemüse belade ne Esel zu Markte trieb, sprach sie an und fragte, wo her sie kämen. Asti antwortete, daß sie aus der Stadt Meroe kämen und setzte hinzu, daß sie Sängerinnen und Perlen händlerinnen seien. »Dann seid ihr in die richtige Stadt gekommen, denn Perlen sind selten in Napata, weil es so weit von der See entfernt liegt: außerdem wird gesagt, daß der junge König den Gesang sehr liebt, wenn er gut ist.«
»Der junge König?« fragte Asti. »Wie ist sein Na me, und wo ist der alte König?« »Ihr könnt nicht lange in Meroe gelebt haben, Fremde«, antwortete die Frau mißtrauisch, »denn sonst würdet ihr wissen, daß der alte König bei Osiris wohnt und unter jener Pyramide dort liegt, wo der Heerführer des Pharao von Ägypten, der nun hier herrscht, ihn nach der großen Schlacht bestatten hat lassen. Oh, es ist eine seltsame Geschichte, und ich weiß nicht, ob sie stimmt, die ich nur mein Gemüse verkaufe und mich wenig um solche Dinge kümmere. Doch während der letzten Nilschwemme kam dieser Heerführer mit dreitausend ägyptischen Kriegern und der Leiche des Prinzen von Kesh, den er irgend wo im Norden getötet hatte, weil beide die Gunst der Königin von Ägypten erlangen wollten, wie gesagt wird. Und auf Befehl dieser Königin sollte er sich dem König von Napata unterwerfen, um für sein Verbrechen verurteilt zu werden. Dieses tat er auch, und der König befahl in seiner Wut, daß er am Mast des heiligen Bootes Amons aufgehängt werden sollte. Der Heerführer antwortete, er sei bereit, aufgehängt zu werden, wenn der König ihn aufhängen könne. Dann kam es zum Krieg zwischen der Bevölkerung von Napata und den Ägyptern, zu denen viele Krie ger der Stadt übertraten, da sie ihren Herrn haßten und gegen seine Herrschaft rebellierten, die immer sehr grausam gewesen war. Das Ende davon war, daß die Ägypter und die Rebellen gewannen, und da der König in der Schlacht gefallen war, krönten sie den ägyptischen Heerführer an seiner Statt. Sein Name? – Oh, ich habe ihn vergessen, er hat deren so viele, doch ist er ein sehr gutaussehender
Mann und alle lieben ihn, obwohl er verrückt ist. Seht, das Tor ist endlich offen. Lebt wohl!« Und ihre drei Esel am Strick hinter sich herziehend ver schwand die Bauersfrau in der Menge, die zum Tor strömte. Tua und Asti mischten sich ebenfalls unter die Menge und ritten eine breite Straße entlang, bis sie schließlich zu einem großen Platz gelangten, der von Bäumen umstanden war, und an dessen einer Seite sich ein wunderbarer Palast erhob. Hier hielten sie ih re Kamele an, da sie nicht wußten, wohin sie sich wenden sollten, und als sie so unschlüssig standen, wurde das Tor des Palastes aufgestoßen, und eine Gruppe von Reitern, in Schuppenpanzer gekleidet, kam heraus. »Sieh doch die Schriftzeichen auf ihren Schilden«, flüsterte Asti. Tua blickte hinüber und las, und siehe, dort, in der königlichen Kartusche war ihr Name, und darunter neue Titel: Königin des Oberen und des Unteren Rei ches, Öffnerin der Pforte des Südens, Göttliche Herrin von Napata durch die Gnade Amons, des Vaters der Götter. »Es scheint, daß ich Untertanen hier habe«, mur melte sie, »die ich anderenorts keine habe«, und dann sprach sie nicht weiter, denn nun kam einer auf ei nem herrlichen Pferd durch das Palasttor geritten, dessen Gestalt ihr bekannt vorkam, wenngleich er noch weit entfernt war. »Wer ist das?« flüsterte Tua mit ersterbender Stimme. »Mein Herz sagt mir, daß es Rames, mein Sohn, ist«, antwortete Asti und griff nach ihrem Sattelknopf.
17
Tua findet ihre Liebe
Es war zweifellos Rames; Rames, der älter und ernst geworden war, und in dessen Gesicht ein Ausdruck von Trauer stand, doch es war Rames und kein ande rer, und ihre Augen schwammen und ihre Herzen schlugen wild bei seinem Anblick. »Sollen wir uns zu erkennen geben?« fragte Asti. »Nein«, antwortete Tua, »nicht hier und jetzt. Er würde uns nicht glauben, und wir können uns hier, vor all den Männern nicht entschleiern. Außerdem will ich vorher mehr in Erfahrung bringen. Laß ihn vorbeireiten.« Rames ritt weiter, bis er auf der Höhe der beiden Frauen war, die auf ihren weißen Kamelen unter ei nem Baum saßen, als irgend etwas seinen Blick auf sie zog. Er sah sie flüchtig an und wandte den Kopf wieder ab. Er sah ein zweites Mal zu ihnen herüber, und wandte den Kopf wieder ab, wenn auch etwas zögernder. Er sah sie ein drittes Mal an, und jetzt blieb sein Blick auf den beiden verschleierten Frauen haften. Dann, wie einem Impuls folgend, zügelte er sein Pferd und ritt auf sie zu. »Wer seid ihr, fremde Damen?« fragte er, »die ihr so wunderbare Kamele besitzt?« Tua neigte ihren Kopf, damit die Falten ihres Schleiers ihre Gestalt verbargen, doch Asti antwortete mit verstellter Stimme: »Herr, wir sind beide Händle rinnen, und eine ist auch Harfenspielerin und Sänge rin. Wir sind den Nil herauf zu dieser Stadt gereist,
da wir hörten, daß Perlen in Napata selten und kost bar sind. Auch wurde uns gesagt, daß der neue König dieser Stadt den Gesang liebt, und meine Begleiterin, welche die Harfe spielt und singt, hat ihre Kunst in Ägypten erlernt, sogar in der heiligen Stadt Theben. Doch wer bist du, Herr, daß du uns Fragen stellst?« »Ich bin ein Ägypter«, antwortete Rames, »welcher diese Stadt für die Königin von Ägypten hält, die ich einst kannte. Oder vielleicht sollte ich sagen, daß ich sie für den Pharao von Ägypten halte, da Boten mir berichtet haben, daß der Stern Amons den Prinzen von Memphis, Abi, zum Gemahl genommen hat, ob wohl man sagt, daß er sie als eine sehr beherrschende Frau kennengelernt hat.« Und er lachte bitter. »Herr«, sagte Asti, »es ist lange her, seit wir das heilige Theben verließen, mehrere Jahre schon, und wir wissen nichts von diesen Dingen, die wir von ei nem Ort zum anderen ziehen, um unseren Handel zu treiben. Doch wenn du der Gouverneur dieser Stadt bist, so zeige uns, die wir Landsleute von dir sind, wo wir in Sicherheit wohnen können, und gestatte uns, daß wir heute nachmittag, wann immer es dir recht ist, unsere Perlen vor dir ausbreiten, und daß, wenn das getan ist und du sie entweder gekauft oder zu rückgewiesen hast, wie es dir gefällt, meine Begleite rin dir einige alte Lieder Ägyptens vorsinge.« »Ihr Damen«, antwortete Rames, »ich bin Soldat und würde lieber Schwerter als Perlen kaufen. Au ßerdem bin ich ein Mann, der alleine lebt, einer, in dessen Haushalt keine Frau zu finden ist. Doch weil ihr aus meinem Lande seid, oder Amon mag wissen, aus was für einem Grunde, will ich euch eure Bitte gewähren. Ich reite jetzt hinaus, um diese Truppe in
der Kunst der Kriegsführung zu unterweisen, doch nach Sonnenuntergang sollt ihr in meinen Palast kommen, und ich will eure Waren sehen und eure Lieder hören. Kommandeur«, wandte er sich an einen Mann, der ihm gefolgt war, »führe diese Ägypterin nen und ihre Kamele zum Gästehaus, wo sie unbelä stigt wohnen können, und bringe sie bei Sonnenun tergang zu mir.« Dann wandte Rames sein Pferd und ritt davon, wobei er sie noch immer anstarrte, als ob sie seine Augen in ihren Herzen festhielten, und der Kom mandeur führte sie zum Gästehaus des Palastes. Es war zur Stunde des Sonnenunterganges, als Tua, mit einer wunderbaren, weißen Robe bekleidet, die mit einer Purpurborte verziert war, ihr langes Haar ausgekämmt und mit Parfüm besprüht, einen Strang großer Perlen auf ihrem Busen, einen Schleier über ihren Kopf gelegt, und ihre Harfe aus Elfenbein und Gold in der Hand, darauf wartete, zu Rames geführt zu werden. Asti, seine Mutter, wartete ebenfalls dar auf, doch war sie in eine einfache, dunkle Robe ge kleidet, und ihr Kopf war mit einem schwarzen Schleier bedeckt. Kurz darauf erschien der Komman deur, der sie zu dem Gästehaus gebracht hatte, und fragte sie, ob sie bereit seien, zum Vizekönig von Na pata geführt zu werden. »Vizekönig?« fragte Asti erstaunt. »Ich dachte, er sei König.« »Das ist er auch, gute Frau«, antwortete der Kom mandeur, »doch gefällt es ihm, sich der Vizekönig Neter-Tuas zu nennen, des Sterns Amons, der Frau des Usurpators Abi, welcher in Ägypten herrscht. Ei
ne seltsame Laune, wo er selbst Pharao sein könnte, doch es ist nun einmal so.« »Weißt du, Herr«, sagte Asti, »wir Händlerinnen haben mit solchen hohen Angelegenheiten nichts zu tun. Führ uns zu diesem Pharao, oder Heerführer, oder Vizekönig, mit dem wir ein Geschäft abzu schließen hoffen!« Also führte der Kommandeur sie zur Seitentür des Palastes, und von dort durch mehrere Korridore und Hallen, in denen Tua einige ihrer eigenen Komman deure erkannte, welchen sie befohlen hatte, Rames zu begleiten, in einen nicht allzu großen Raum, wo er ihnen zu warten befahl. Sie setzten sich. Kurz darauf öffnete sich eine Tür, und Rames trat herein, in die einfache Uniform eines ägyptischen Feldherrn ge kleidet, an der er, wie sie sahen, kein Schlangensym bol oder ein anderes der Zeichen des Königtums trug. Nur an seiner rechten Hand, deren kleiner Finger fehlte, glänzte ein gewisser königlicher Ring, den Tua kannte. Mit ihm traten auch mehrere Kommandeure seiner Heerscharen herein, mit welchen er über mili tärische Belange sprach. Als er der beiden Frauen ansichtig wurde, ver neigte er sich höflich vor ihnen und bat sie, ihm zu verzeihen, daß er sie habe warten lassen. Dann sagte er: »Was war es, das ihr mir zeigen wolltet? – Oh! Ich erinnere mich. Edelsteine. Nun, ich fürchte, daß ihr euch da einen schlechten Markt aus gesucht habt, da Napata, obwohl die Goldene Stadt genannt, all ihren Reichtum für eigene Zwecke benö tigt, von dem ich lediglich meinen Sold als Heerfüh rer beziehe, so wie eine Summe zur Aufrechterhal tung meines kleinen Haushaltes. Trotzdem laßt mich
eure Waren ansehen, denn wenn ich auch selbst nichts kaufen kann, bin ich vielleicht doch in der La ge, euch einen Käufer zu finden.« Als sie diese schlichten Worte hörten und das edle Gesicht und die edle Haltung des jungen Mannes sa hen, begannen die Herzen von Asti und Tua, seiner Mutter und seiner Geliebten, so heftig zu schlagen, daß sie für eine Weile nicht sprechen konnten. Sie waren sehr froh, daß sie Schleier trugen, welche ihre Gesichter vor seinen Augen verbargen, die sie, wie am Morgen, aufmerksam anblickten. Schließlich, nachdem sie sich unter Aufbietung al ler Kraft zur Ruhe gezwungen hatte, antwortete Asti: »Vielleicht, Herr, würde die große Dame des Hauses, deine Gemahlin, oder die Damen, welche deine Ge sellschafterinnen sind, etwas kaufen, wenn du es nicht tust.« »Habe ich dir nicht bereits gesagt, Händlerin, daß ich keine Frau habe, und auch keine Gesellschafterin nen?« sagte Rames verärgert. »Ja, das hast du gesagt«, antwortete sie demütig, noch immer mit verstellter Stimme sprechend, »doch vergib uns, wenn wir das nicht glauben, da meine Tochter und ich während unserer Reise viele Prinzen kennengelernt haben, und wissen, daß so etwas ei gentlich nicht ihrer Natur entspricht. Trotzdem wol len wir dir unsere Waren zeigen, denn bestimmt sind nicht alle Männer Napatas unverheiratet.« Bei diesen Worten zog sie eine Schachtel aus par fümiertem Zedernholz hervor, und als sie sie öffnete, sah Rames, daß sie ein Diadem aus Perlen enthielt, das in der Form des königlichen doppelten Uräus ge formt war und das sie in Tat so hatte arbeiten lassen,
und auch einige ihrer größten einzelnen Perlen. »Wahrlich wunderbar«, sagte Rames, als er das Diadem anblickte, »doch gibt es nur eine einzige, welche das Recht hat, diese Krone zu tragen, die göttliche Königin des Oberen und Unteren Reiches.« Er seufzte. »Nein, Herr«, antwortete Asti, »denn ihr Gemahl darf sie ebenfalls tragen.« »Es würde nur schlecht auf dem fetten Kopf Abis sitzen, nach allem, was ich gehört habe«, sagte er und lachte bitter. »Oder«, fuhr Asti fort, ohne seinen Einwurf zu be achten, »ein Heerführer, der ein großes Land erobert hat, könnte sie sich nehmen, und es würde sich keiner finden, ihm das zu verwehren, besonders nicht, wenn er selbst zufällig königlichen Geblüts wäre.« Jetzt blickte Rames sie scharf an. »Du sprichst seltsame Worte«, sagte er, »doch das ist sicher nur Zufall. Händlerin, diese deine Perlen sind für Menschen, die reicher sind als ich es bin; ver schließe sie wieder in einer Truhe und laß deine Tochter ein altes Lied von Ägypten singen, denn so eines sehne ich mich zu hören.« »So sei es, Herr«, antwortete Asti. »Doch behalte das Diadem als Geschenk, da es für dich allein ge macht wurde, und es mag dir einmal nützlich sein. Wer weiß? Es ist der Preis, den wir dir für die Gunst zahlen, in deinem Reich Handel treiben zu dürfen. – Nein, wenn du es nicht annimmst, wird meine Toch ter nicht singen.« »Laß es dort liegen, fürstliche Händlerin, und wir wollen später über diese Angelegenheit sprechen. Doch jetzt das Lied.«
Nun, da ihr Augenblick endlich gekommen war, stand Tua auf und fuhr mit den Fingern über die Saiten der Harfe, welche sie unter ihrem Schleier hielt. Sie begann zu singen, leise und verhalten, ein kurzes und zärtliches Liebeslied, das bald zu Ende war. »Das war sehr schön«, sagte Rames, als der letzte Ton verklungen war, »und es erinnerte mich an ir gend etwas ... Doch hast du kein ergreifenderes Lied? Wenn dem so ist, so möchte ich es hören, bevor ich euch eine gute Nacht wünsche.« Sie senkte den Kopf und antwortete beinahe flü sternd: »Herr, wenn du es wünschst, werde ich die Geschichte von einem singen, der seinem Herzen ein zu hohes Ziel setzte, und von dem, was ihm durch die Hände einer zornigen Göttin geschah.« »Sing dieses Lied!« antwortete er. »Einst habe ich eine solche Geschichte gehört – an einem fernen Ort.« Nun fuhren Tuas Finger über die Saiten ihrer Har fe, und sie sang wieder, dieses Mal mit all ihrer Kraft und aus tiefster Seele. Als die ersten wunderbaren Töne von ihren Lippen kamen, erhob sich Rames von seinem Stuhl und starrte sie wie verzaubert an. Das Lied klang, wie sie es in der Banketthalle des Pharao in Theben gesungen hatte, so sang sie es in der Kam mer Rames' in Napata. Der Schreiber wagte sich in den Schrein, wo die zornige Göttin ihn tötete; die Hohepriesterin jammerte und trauerte, die Königin der Liebe wurde erweicht und gab ihm sein Leben zurück. Dann kam die letzte, herrliche Strophe, wo die beiden Liebenden, zum Himmel erhoben, von al len Sünden gereinigt, ihren Triumph zu den Sternen emporsangen und das Lied allmählich verklang.
Mit bleichem Gesicht und am ganzen Körper zit ternd stand Rames an einen Pfeiler des Raumes ge klammert, während Tua erschöpft auf ihren Stuhl sank und die Harfe aus ihrer Hand glitt und zu Bo den fiel. »Woher hast du diese Harfe?« fragte Rames keu chend. »Es kann nicht zwei solcher Harfen auf der Welt geben. Frau, du hast sie gestohlen. Nein, wie kannst du auch die Stimme und das Lied gestohlen haben? Vergib mir, kein böser Gedanke ist in meinem Herzen, doch oh, erweise mir eine Gunst. Den Grund dafür werde ich dir später erklären. Erweise mir eine Gunst: Laß mich dein Gesicht sehen!« Tua hob die Hände und knüpfte die Zuhalte ihres Schleiers auf, der zu ihren Füßen auf den Boden fiel, worauf sie in der kostbaren Robe einer Prinzessin von Ägypten vor ihm stand. Sein Blick traf den ihrer wunderbaren Augen, und für eine Weile blickten sie einander an wie Menschen in einem Traum. »Was für ein Trick ist dies?« sagte er schließlich zornig. »Vor mir steht der Stern Amons, Ägyptens gesalbte Königin. Die Harfe, die sie bei sich hat, ist das königliche Geschenk des Prinzen von Kesh, wel cher in jener Nacht durch mein Schwert getötet wur de. Die Stimme ist Ägyptens Stimme, das Lied ist Ägyptens Lied. Nein, wie kann das sein? Ich bin dem Wahnsinn verfallen, ihr seid Zauberinnen, die ge kommen sind, um mich zu verhöhnen, denn jener Stern, Amons Tochter, herrscht weit entfernt in The ben, mit dem Manne, den sie sich erwählte, Abi, ih rem eigenen Onkel, welcher, wie behauptet wird, den Pharao tötete. Geht jetzt, ihr Zauberinnen, damit ich nicht den Priester Amons, den ihr ebenfalls verhöhn
tet, befehle, euch wegen Gotteslästerung den Flam men zu überantworten.« Langsam, sehr langsam, zog Tua den oberen Teil ihrer Robe auseinander, so daß das Zeichen des Le bens sichtbar wurde, das von Geburt an über ihren Brüsten eingeprägt war. »Wenn die Priester Amons dieses heilige Zeichen sehen, o königlicher Sohn Mermes', glaubst du wirk lich, daß sie mich dann den Flammen überantwor ten?« »Warum nicht?« antwortete er. »Wenn du die Macht hast, in einer Sache zu lügen, hast du auch die Macht, in allen zu lügen. Sie, welche die Schönheit von Ägyptens Selbst stehlen kann, vermag auch das Siegel des Gottes zu stehlen.« »Sage, o Rames, hast auch du jenes Siegel, das du an deiner Hand trägst, gestohlen, welches, wie ich glaube, die Gabe einer Königin ist, und einst von ei nem Pharao getragen wurde? Und sage mir auch, wie du den kleinen Finger deiner rechten Hand verloren hast. War es vielleicht durch die Zähne eines gewis sen Gottes, der in dem geheimen Bassin eines Tem pels im heiligen Theben wohnt?« So sprach Tua und wartete eine Weile, doch Rames antwortete ihr nicht. Er öffnete zwar den Mund, um zu antworten, doch Stummheit versiegelte ihm die Lippen. »Amme«, sagte sie schließlich, »ich kann diesen Herrn nicht davon überzeugen, daß ich Neter-Tua bin und keine andere. Versuch du es!« Nun löste Asti ihren schwarzen Schleier und ließ ihn zu Boden sinken. Er starrte auf ihre edlen Ge sichtszüge und ihr ergrauendes Haar, und dann
schrie er: »Mutter, meine Mutter! Man hat mir ge schworen, du seist in Memphis umgekommen!« Und er warf sich ihr an die Brust und begann zu weinen. »Ja, Rames«, sagte Asti, »deine Mutter, sie, die dich geboren hat, und keine andere, und bei ihr ist eine, deren königliches Herz dich liebt, jetzt wie von An beginn an, und die Mond um Mond, zwei volle Jahre lang, die Gefahren der Wüste und durch böse Männer auf sich genommen hat, bis Amon, ihr Vater, sie end lich sicher an deine Seite brachte. Glaubst du es jetzt?« »Ja«, antwortete Rames, »ich glaube es.« »Dann, o treuer Heerführer«, sagte Tua, »nimm diese Gabe von der Königin Ägyptens, die du noch eben von dir stoßen wolltest, und sei der Herr Ägyp tens und der meine.« Sie hob das Perlendiadem mit den königlichen Uräi empor und setzte es auf sein Haupt, wie sie es schon einmal getan hatte, zu jener Stunde in Theben, als sie sich ihm verlobt hatte. Es war Nacht, und sie hatten ihm ihre wundersamen Erlebnisse berichtet. »Dies ist unsere Geschichte, Rames, mein Sohn«, sagte Asti, »und du wirst lange suchen müssen, um eine zu finden, die ihr gleich kommt. Jetzt erzähl uns die deine!« »Sie ist nur kurz, Mutter«, antwortete er. »In Befol gung der Befehle der Königin« – und er verneigte sich dabei vor Tua, welche am anderen Ende des Tisches saß, an welchem sie speisten – »reiste ich den Nil hin auf zu dieser Stadt. Da der alte König, der Vater des Prinzen von Kesh, mich töten wollte, griff ich ihn an, zuerst nur mit meinen Ägyptern, dann unter Mithilfe seiner eigenen Untertanen, und ... – nun, er ist gestor
ben. Und niemand hat ihm nachgetrauert, da er ein schlechter König war, und ich trat an seine Stelle und bin seither damit beschäftigt, die Dinge hier zu ord nen, was dringend vonnöten ist. Schon längst wäre ich nach Ägypten zurückgekehrt, doch meine Spione haben mir von allem berichtet, was dort vorgefallen ist. Man hat mir, zum Beispiel, von der Ermordung des Pharao durch die Hexerei Abis und seiner Helfer erzählt; man hat mir mitgeteilt, daß des Pharaos Tochter, der Stern Amons, alles vergessend, auch den Eid, den sie mir geschworen hat, ihren alten Onkel Abi geheiratet habe, um ihr Leben und ihren Thron zu retten.« »Und du hast ihnen geglaubt?« sagte Tua vor wurfsvoll. »Was sonst hätte ich denn glauben sollen, da diese selben Spione beschworen, daß sie dich in Memphis auf dem Thron sitzen gesehen hätten, und auch in Theben, und daß Abi von dir hin und her gehetzt würde wie ein kleiner Hund, und dir auf jede Weise gehorchen müsse? Woher hätte ich wissen sollen, daß es dein Ka war, das Abi geheiratet hat?« »Ich denke, daß Abi es inzwischen weiß«, antwor tete Tua, »da es scheint, daß ein Ka jedem Mann eine schlechte Frau ist. Aber was wollen wir jetzt tun?« »Willst du mich nicht erst einmal heiraten?« schlug Rames vor. »Danach können wir über alles andere nachdenken.« »Ja«, antwortete sie, »ich werde dich heiraten, wie ich es dir versprochen habe, doch nur an einem Ort: dem Tempel Amons in Ägypten. Gewinne mir zuerst meinen Thron zurück, dann bitte mich um meine Hand.«
»Es soll so sein«, antwortete er, »obwohl ich nicht weiß, auf welche Art, da eine andere auf deinem Thron sitzt, welche vielleicht nicht willens sein mag, sich von ihm zu erheben.« »Wir werden ihr eine Nachricht schicken, Sohn«, sagte Asti. »Nun verlasse uns, wir müssen schlafen.« »Wo ist dein Bote?« fragte Rames, als er hinaus ging. »Du kennst mich nun schon seit so vielen Jahren, mein Sohn; weißt du noch immer nicht, daß ich Die ner habe, die du nicht sehen kannst?« antwortete Asti. Es war Mitternacht, und in ihrer Kammer im Palast Rames' knieten Asti und Tua Seite an Seite im Gebet zu Amon, dem Vater der Götter. Als sie ihre Gebete beendet hatten, erhob sich Asti und sprach wieder, wie einst im Pylonenturm zu Memphis, die schreckli chen Worte, welche ihr in lange zurückliegender Zeit von dem Geist Ahuras, der in Osiris Göttlichen, zuge flüstert worden waren. Es erhob sich ein Geräusch wie von Wispern, ein Geräusch wie von schlagenden Flügeln. Sieh, im Schatten jenseits des Lichtkreises der Lampe zog sich eine Nebelwolke zusammen, die nach und nach hel ler wurde und Gestalt annahm, die Gestalt einer kö niglichen Frau, welche in die Roben und die Insignien von Ägyptens Königin gekleidet war, und deren Ge sicht das Gesicht Neter-Tuas war, nur härter und unirdischer. Schweigend stand sie vor ihnen und blickte sie mit glänzenden Augen an. »Woher kommst du, Ka?« fragte Asti. »Von jenem Ort, an dem dein Ruf mich erreichte, o
Meisterin der geheimen Dinge, aus dem Hause von Abi in Theben, in welchem er als Pharao zu herrschen glaubt«, antwortete die Gestalt mit kühler Stimme. »Wie geht es Abi, und wie geht es Ägypten, o Ka?« »Abi geht es schlecht; er magert ab vor Arbeit und Furcht und Sehnen und kennt nicht eine glückliche Stunde. Doch Ägypten geht es gut. Noch niemals, o Herrin der Kraft, war das Land größer, als es heute ist, denn in allem habe ich die Befehle ausgeführt, welche mir auferlegt worden sind, und jetzt möchte ich wieder in dem Busen ausruhen, aus welchem ich kam.« Und sie deutete auf Tua, die schweigend zu sah. »Noch nicht, o Ka, da es noch immer Arbeit für dich gibt, doch dann sollst du deine Ruhe haben bis zu dem Tage des letzten Erwachens. Höre! Kehre nach Theben zurück und verkünde den Ohren Abis und seiner Berater eine falsche Geschichte. Sage, daß Rames, der Ägypter, welcher die Herrschaft über Kesh erobert hat, sich durch das Recht seiner Ab stammung zum Pharao von Ägypten erklärt habe, und zu deinem Ehegemahl durch das Versprechen dessen, der vor dir auf dem Thron saß, und den Abi zu Tode brachte. Veranlasse, daß dieser Abi eine gro ße Heerschar aufstellt und mit ihr nach Süden zieht, um mit Rames ein Ende zu machen. Doch flüstere heimlich in die Ohren der Heerführer, es sei wahr, daß der göttliche Pharao, welcher zu Osiris gegangen ist, dich Rames versprochen habe, mit deinem Ein verständnis, und durch den Befehl Amons, des Vaters der Götter, und deines Geistes. Flüstere ihnen zu, daß Amon auf Abi wegen seines Verbrechens zornig sei, wie er ihnen zu gegebener Zeit zeigen werde, und
daß solche, die sich gegen ihn erheben, seiner Liebe und seiner Gunst teilhaftig werden sollen. Bei der Pforte des Südens, wo der Nil zwischen hohen Fels wänden nordwärts strömt, wird Rames auf die Heer scharen Abis stoßen. Mit ihm wird jene kommen, welche du bist, und ich, die ich gehorchen muß; und vielleicht auch einer, welcher größer ist, als wir alle. Dort, bei jener Pforte des Südens, soll deine Aufgabe erfüllt sein, und du wirst die Ruhe finden, welche du suchst. Es ist gesagt.« »Ich höre den Befehl, und es soll so getan werden«, antwortete das Ka Tuas mit seiner kalten, leiden schaftslosen Stimme. »Nur, Herrin der Geheimnisse, Erfüllerin göttlichen Willens, zögere nicht zu lange, damit ich nicht, ausgelaugt, wie eine Flamme in jene Brust, welche mein Heim ist, zurückschieße, mit mei nem Kommen töte und Zerstörung hinter mir zu rücklasse.« Dann ging die Gestalt so fort, wie sie erschienen war, wurde blasser und blasser und verschwand in der Nacht, aus der sie gekommen war. Es war Morgen in Theben, und Abi saß in der großen Halle des Pharao und erledigte Staatsgeschäfte; zu seiner Seite stand Kaku, der Wesir. Beide hatten sich stark verändert, seit sie in Memphis den Tod ihres Gastes und Königs beschlossen hatten, denn Abi war jetzt so ausgelaugt von Arbeit und Furcht und Elend, daß seine königlichen Roben in losen Falten um seine hagere Gestalt hingen, während Kaku ein sehr, sehr alter Mann geworden war, der am ganzen Körper zitterte und sich kaum noch auf den Füßen halten konnte.
»Ist diese Sache endlich erledigt?« fragte Abi unge duldig. »Nein, mächtiger Herr«, antwortete Kaku, »es ist noch immer genug Arbeit da, um dich bis Mittag hier festzuhalten, und danach mußt du den Rat und die Botschafter empfangen.« »Ich werde sie nicht empfangen. Sollen sie einen Tag warten. Bursche, willst du mich zu Tode schin den, der ich keine Stunde der Ruhe und des Friedens mehr gekannt habe, seit jener glücklichen Zeit, da ich als Prinz von Memphis herrschte?« »Herr«, antwortete Kaku und verneigte sich de mütig, »ob du erschöpft bist oder nicht, du mußt sie empfangen, denn so ist es von der Königin bestimmt worden, deren Befehl nicht gebrochen werden darf.« »Die Königin!« rief Abi mit leiser Stimme und rollte die eingesunkenen Augen, wie in Furcht. »Oh, Kaku, ich wollte, ich hätte die Königin nie gesehen. Ich sage dir, daß sie in der Tat keine Frau ist, was du sehr gut weißt, sondern ein Dämon mit einem Herzen aus Eis, und mit der giftigen Verschlagenheit einer Schlange. Ich werde der Pharao genannt, doch bin ich nichts anderes als ihre Puppe, die ihre Befehle ausführen muß. Man nennt mich ihren Ehemann, doch ist sie mir bis heute keine Frau, und auch keinem anderen, obwohl alle Männer sie lieben und durch diese Liebe oft in die Verdammnis geraten. Gestern nacht ist sie wieder plötzlich von meiner Seite verschwunden, als ich neben ihr saß und ihre Befehle entgegennahm, und kurz darauf, siehe, war sie wieder neben mir, ge nau wie zuvor, nur ein wenig erschöpft schien sie mir. Ich fragte sie, wo sie gewesen sei, und sie ant wortete: ›Weiter, als du in einem ganzen Jahr reisen
könntest, um einen zu besuchen, den ich so sehr liebe, wie ich dich hasse.‹ – Wer könnte das sein, Kaku?« »Rames, denke ich, Herr; er, welcher sich zum Kö nig von Kesh gemacht hat«, antwortete Kaku flü sternd. »Zweifellos hat sie diesen Mann geliebt, als sie eine Frau war, doch wen sie jetzt liebt, wissen allein die bösen Götter. Wir befinden uns in ihrer Gewalt und müssen ihrem Willen gehorchen, denn, Herr, so wir das nicht tun, werden wir sterben, da jenseits je ner Portale der tote Pharao uns erwartet.« Bei diesen Worten stöhnte Abi laut auf und wischte mit der Ecke seiner Robe den Schweiß von seinem bleichen Gesicht. »Da sprichst du die Wahrheit«, sagte er. »Geh und hol die Schreiber, und laß uns weitermachen mit den Geschäften der Königin.« Kaku wandte sich zum Gehen, um dem Befehl zu gehorchen, als plötzlich Herolde in die leere Halle traten und riefen: »Die Königin wartet mit großem Gefolge vor dieser Tür und erbittet eine Audienz von ihrem guten Herrn, dem göttlichen Pharao des Obe ren und Unteren Reiches.« Abi und Kaku blickten einander mit einem Aus druck der Verzweiflung an. »Laßt die Königin eintreten!« sagte Abi mit leiser Stimme. Die Herolde zogen sich zurück, und durch die Tür aus Zedernholz trat die Königin herein. Sie bot einen wunderbaren Anblick, wunderbar in ihrer stolzen Schönheit, wunderbar in ihrer königlichen Robe, wunderbar mit ihren königlichen Symbolen. Feierlich schritt sie durch die Halle, gefolgt von Merytra, die ihren Fächer und ein Kissen trug, denn sie hatte be
stimmt, daß diese Frau ihr Tag und Nacht zu Dien sten sein sollte, ohne Pause und ohne Ruhe, obwohl jene, die einst so hübsch gewesen war, durch Arbeit und Angst zu einer hageren Greisin geworden war. Hinter Merytra folgten Leibwachen und Hoheprie ster, und nach denen die großen Herren des Rates und die Heerführer. Sie durchschritt die Halle und erreichte den Thron, auf welchem Abi saß; auf einen Wink von ihr hin legte Merytra das Kissen auf seine unterste Stufe, und sie kniete sich darauf. »Ich komme als treue Ehefrau zu meinem Herrn, dem Pharao, um vor den Mitgliedern des Hofes eine untertänige Bitte vorzubringen«, sagte sie. »Erhebe dich und sprich, o Königin!« antwortete Abi. »Es ist nicht richtig, daß du vor mir kniest.« »Nein, es ist richtig, daß die Königin des Pharao vor dem Pharao kniet, wenn sie seine göttliche Gunst zu erlangen sucht.« Trotzdem erhob sie sich, setzte sich auf einen Stuhl, der gebracht worden war, und sagte: »O Pharao, in dieser Nacht hatte ich einen Traum. Ich träumte von Rames, dem Sohn des Mer mes, dem letzten Sproß jener königlichen Dynastie, welche vor der unseren über Ägypten herrschte. Ich meine den Mann, welcher in dieser Halle den Prinzen von Kesh tötete, und den ich, da mein Vater krank war, nach Napata entsandte, um von dem König von Kesh für seine Tat verurteilt zu werden, welcher je doch, wie es scheint, jenen König gestürzt und sein Kö nigreich im Namen Ägyptens in Besitz genommen hat. Ich träumte, daß dieser stolze und fähige Mann sich mit dem reichen Kesh nicht zufrieden geben will, und deshalb den Plan gefaßt hat, Ägypten anzugrei
fen, dich, o großer Herrscher, zu töten und durch das Recht des älteren Blutes sich selbst zum Pharao zu machen, und noch mehr: er will mich, deine treue Ehefrau, zu der seinen machen und dadurch seinen Thron sichern.« »Ohne Zweifel, o Königin, mag dieser unruhige Rames an solche Dinge denken«, antwortete Abi, »und insofern mag dein Traum richtig sein; doch er innere dich, daß er derzeit in Napata ist, das sehr weit entfernt liegt, und wahrscheinlich nur eine kleine Heerschar zu seiner Verfügung hat, warum also soll ten wir uns Gedanken darüber machen, was er denkt?« »O Pharao, dieses war nicht mein ganzer Traum, denn in ihm sah ich zwei Bilder. Das erste war von diesem wagemutigen Rames, welcher Theben angriff und es eroberte, ja, und mich fortschleppte, über dei ne Leiche hinweg, o Pharao, um seine Frau zu sein. Das zweite Bild zeigte dich und deine Heerscharen, die sich ihm bei der Pforte des Südens entgegenstell ten, wie du ihn tötetest und das Königreich von Kesh und die Goldene Stadt erobertest und für Ägypten bis zu deinem Tode über es herrschtest.« »Da es zwei Träume sind, o Königin, sage mir, wel chem davon du folgen würdest, da nicht beide richtig sein können?« »Wie kann ich das wissen, Pharao, und wie kannst du das wissen? Doch dir zur Seite steht einer, der es wissen muß, da er der erste unter den Magiern des Landes ist, und ein erwählter Dolmetscher der Her zen der Götter. Gewähre, daß er hier Klarheit schafft.« Und sie deutete auf Kaku, der neben dem Thron stand.
»Göttliche Königin«, stammelte Kaku, »diese Sache ist zu hoch für mich. Ich habe keine Botschaft, ich kann dir nicht sagen ...« »Du warst schon immer sehr bescheiden, Kaku«, sagte die Königin. »Befehle ihm, o Pharao, das Licht seiner Weisheit auf uns zu ergießen, denn zweifellos kennt er die Wahrheit.« »Ja, ja«, sagte Abi, »er kennt sie, er weiß alles. Halte uns nicht länger hin, Kaku und erläutere der Königin ihren Traum.« »Das kann ich nicht, das will ich nicht«, stotterte der alte Astrologe. »Fragt doch meine Frau, Merytra, danach, die weiser ist als ich.« »Meine liebe Freundin Merytra hat mir bereits ihre Meinung darüber gesagt, jetzt warten wir auf die deine. Ein Prophet muß sprechen, wenn die Götter ihn dazu aufrufen, oder«, setzte sie langsam hinzu, »er wird aufhören, ein Prophet zu sein, da er die Götter verrät, indem er ihren hohen Rat geheimhält.« Nun sah Kaku keinen Ausweg mehr, und da er selbst den Namen Rames' fürchtete, war er längst ent schlossen, den Traum in dem Sinne auszudeuten, daß der Pharao den Angriff dieses Rames in Theben ab warten solle, und während alle ihn erwartungsvoll anblickten, begann er so zu sprechen. Doch als er sprach, spürte er die glänzenden Augen jenes Geistes, der die Königin genannt wurde, auf sich ruhen und seine Zunge beherrschen, so daß er gerade das sagte, was er nicht sagen wollte. »Ein Licht erstrahlt in mir«, rief er, »und ich sehe, daß die zweite Vision der Königin die wahre Vision ist. Du mußt deine Heerscharen zu der Pforte des Sü dens führen, o Pharao, und dich dort diesem Usur
pator Rames entgegenstellen, damit die Dinge zu ih rem von den Göttern vorbestimmten Ende geführt werden.« »Ihrem vorbestimmten Ende? Welchem vorbe stimmten Ende?« schrie Abi. »Zweifellos dem, welches die Königin träumte«, antwortete Kaku. »Auf jeden Fall ist es mir auferlegt, dir zu sagen, daß du zur Pforte des Südens gehen mußt.« »Dann wünschte ich, daß die Pforte des Südens auch dir auferlegt wäre, du Prophet des Bösen«, rief Abi. »Erst seit zwei Jahren herrsche ich über Ägypten, und siehe, drei Kriege waren mein Los: Ein Krieg ge gen das Volk von Syrien, ein Krieg gegen die Men schen der Wüste, und ein Krieg gegen die Neun Bogen-Barbaren, welche in das Untere Land einge fallen waren. Muß ich jetzt, in meinem Alter, nun auch noch einen Krieg gegen die schrecklichen Söhne von Kesh führen? Laß diesen Hund, diesen Rames, doch kommen, wenn er kommen will, und ich werde ihn am Tor Thebens aufhängen.« »Nein, nein, o Pharao«, erwiderte Kaku, »es ist mir auferlegt, dir zu sagen, daß du ihn in der Wüste, weit, weit von Theben entfernt, hängen mußt. Dies ist die Ausdeutung jener Vision, dies ist der Befehl der Göt ter.« »Die Götter haben durch den Mund ihres Prophe ten gesprochen«, rief die Königin mit einer jubelnden, trimphierenden Stimme. »Also, Pharao, Priester, Be rater und Feldherren Ägyptens, laßt uns alle nötigen Vorbereitungen treffen, um zur Pforte des Südens zu marschieren und dort den Hund Rames in dem Wü stenland zu erhängen, auf daß Ägypten und der Pha
rao Ägyptens und Ägyptens Königin von dieser Ge fahr befreit werden und in Frieden schlafen können, und auf daß der Reichtum der Goldenen Stadt unter euch allen aufgeteilt werden möge.« »So sei es! So sei es!« antworteten die Priester, Be rater und Feldherren, und die schrille Stimme Kakus führte den Chor an, noch immer gegen seinen Willen. »Laßt uns sofort aufbrechen, und laßt die Königin uns begleiten.« »Ja«, sagte die Königin, »ich werde euch begleiten, denn obwohl ich nur eine Frau bin, wie dürfte ich vor etwas zurückschrecken, was der Pharao, mein ge liebter Gemahl, wagt? Wir werden bei Anbruch des neues Mondes lossegeln.« In jener Nacht standen Abi und Kaku einander Ange sicht zu Angesicht gegenüber. »Was ist das, was du da getan hast?« fragte Abi. »Erinnerst du dich nicht mehr an die Worte des toten Pharao, welche er in jener schrecklichen Vision ge sprochen hat, die mir in Memphis kam, als er mir be fahl, die königliche Schönheit, welche ich begehrte, zu meiner Frau zu machen? Erinnerst du dich nicht mehr daran, daß er mir befahl, in ihrem Rechte zu herrschen, bis ich ›einem gewissen Rames, Sohn des Mermes‹ begegnen würde, und mit ihm einem Bett ler, welcher beauftragt sei, mir eine weitere Botschaft zu überbringen?« »Ich erinnere mich«, sagte Kaku mit hohler Stim me. »Was ist dann diese Botschaft, welche von Rames und diesem Bettler kommt? Ist es nicht die Botschaft meines Todes, und des deinen, deren Grabkammern
gerade gestern fertiggestellt worden sind.« »Dem mag so sein, Herr.« »Warum hast du dann den Traum der Königin in der Form gedeutet, daß ich nach Süden eilen muß, um diesen Rames zu treffen – und mein Verhäng nis?« »Weil ich nicht anders konnte«, stöhnte Kaku. »Je ner Geist, welcher die Königin genannt wird, hat mich dazu gezwungen. Abi, wir können nicht mehr entkommen; wir sind im Netz des Schicksals gefan gen – wenn du nicht wagst – wenn du nicht wagst ...« Und er blickte bedeutungsvoll auf das Schwert, das am Gürtel des Pharao hing. »Nein, Kaku«, antwortete er, »ich wage es nicht. Laß uns leben, solange uns das möglich ist, im Wis sen, was uns jenseits der Pforte erwartet.« »Du hast recht«, stöhnte Kaku, »jenseits der Pforte des Südens, wo wir Rames, den Rächer, finden wer den, und jenen Bettler, welcher eine Botschaft für uns hat.«
18
Das Urteil der Götter
Drei Monde waren vergangen, und die großen Heer scharen des Pharao hatten jenseits der südlichen Pforte ein Lager aufgeschlagen, und die Kriegsschilfe des Pharao ankerten dicht an dicht zu beiden Ufern des Nils. Dort lagerten sie und bereiteten sich auf die Schlacht vor, denn Spione hatten ihnen gemeldet, daß Rames, der Herr von Kesh, rasch nordwärts zöge, je doch mit einer so kleinen Heerschar, daß diese leicht vernichtet werden könne. Deshalb wartete Abi dort, um sie ohne weitere Mühen zu schlagen, und seine schreckliche Königin widersprach ihm nicht. Ihr schien es auch recht zu sein, hier zu warten. Eines Abends, als die Sonne gerade unterging, wurde ihnen gesagt, daß die Truppen Rames' er schienen seien und die Berge auf dem rechten Nilufer besetzt hätten, wo sie um den Amon-Tempel herum lagerten, welcher seit Tausenden von Jahren dort stand. »Gut«, sagte die Königin. »Morgen wird der Pha rao sie angreifen und diese Angelegenheit zu Ende führen. Nicht wahr, Pharao?« setzte sie hinzu und blickte ihn mit ihren glitzernden Augen an. »Ja, ja«, antwortete Abi, »je eher, desto besser, denn ich bin müde und will nach Theben zurückkehren. Und doch«, fuhr er mit unsicherer Stimme fort, »mißtraue ich diesem Krieg. Ich weiß auch nicht, warum. Was ist am Himmel, das du so anstarrst, Ka ku?«
Nun richteten sich die Augen der Berater auf Kaku, den Wesir, und sie erkannten, daß er äußerst verstört war. »Seht!« sagte er und deutete mit zitterndem Finger zum Himmel empor. Sie folgten seinem Deuten und sahen dicht über dem Abendrot einen sehr hellen und wunderbaren Stern, und nahe ihm einen weiteren, blasseren Stern, den er jetzt zu verdecken schien. »Der Stern Amons«, sagte Kaku mit zitternder Stimme, »und dein Stern, o Pharao. Der Stern Amons frißt ihn auf, dein Stern verschwindet und wird von lebenden Menschen nie wieder gesehen werden. Oh! Abi, das, was ich vor vielen Jahren vorausgesehen habe, ist Wirklichkeit geworden. Dein Tag ist vorüber und deine Nacht beginnt, o Abi.« »Wenn dem so sein sollte«, schrie Abi in Wut und Furcht, »sei dieses sicher, du Hund: daß du sie mit mir teilen wirst.« Als er dieses sagte, hörte man sich näherndes Schreien, und dann stürzte Merytra, die Frau Kakus, in ihre Mitte. »Die Rache der Götter! Höre, Abi! Als ich eben in meinem Zelt schlief, die ich nachts nie mehr schlafen kann, erschien mir der Geist des toten Pharao, des Pharao, den wir durch Magie töteten, und er sagte: ›Verkünde dem Mörder Abi und dem verkommenen Zauberer Kaku, deinem Ehemann, daß ich sie beide vor mir sehen werde, bevor die Sonne noch einmal untergeht, und du, Frau, wirst mit ihnen kommen!‹ Der Tod steht vor unserer Tür, Abi, der Tod und die füchterliche Rache des Gottes!« Und Merytra trat Schaum vor den Mund, und sie brach zusammen.
Nun wurde Abi wahnsinnig vor Wut. »Sie sind Zauberer«, schrie er, »die mich behexen wollen. Bringt sie fort und setzt sie gefangen, und laßt Kaku mit Stöcken schlagen, bis er wieder zu Verstand kommt. Morgen, wenn ich Rames getötet habe, werde ich diesen Zauberer am Mast meines Schiffes aufhän gen.« Die Königin jedoch lachte nur und wiederholte sei ne Worte. »Ja, ja, mein lieber Gemahl, morgen, wenn du Ra mes getötet haben wirst, soll dieser Zauberer an dem Mast deines Schiffes hängen. Hab keine Furcht, was immer auch geschehen mag, ich werde dafür sorgen, daß es getan wird.« Merytra, die sich von ihrem Anfall erholt hatte, lag auf einer Bettstatt, als eine Frau hereintrat und sich über sie beugte. Als sie aufblickte, sah sie, daß es die Königin war. »Hör mich an!« sagte die Königin mit eisiger Stim me. »Und gib alle meine Worte, die ich dir sagen werde, an Abi weiter. Meine Zeit ist vorüber, und ich verlasse ihn. Wenn er Neter-Tua, den Morgenstern Amons, die Herrin Ägyptens, wiedersehen will, so mag er sie im Lager Rames' suchen. Dort wird er sie im Tempel Amons finden, welcher auf dem Berg in der Mitte des Lagers steht.« Dann war sie verschwunden. Merytra erhob sich von dem Bett und rief die Wa chen, um von ihnen zu Abi geführt zu werden. Als sie hereintraten, sagte sie ihnen, daß sie eine wichtige Nachricht für ihn habe, die sie ihm sofort mitteilen müsse, und schließlich ging einer der Männer zu ihm
und teilte ihm ihre Worte mit, und er kam zu ihr. »Was gibt es jetzt, Zauberin?« fragte er. »Hast du wieder Träume bösen Omens geträumt?« »Nein, Pharao«, antwortete sie, »doch die Königin ist zu Rames geflohen.« Und dann wiederholte sie Wort für Wort, was ihr gesagt worden war. »Das ist eine Lüge!« sagte Abi wütend. »Wie kann sie durch eine dreifache Postenkette geflohen sein?« »Dann suche sie und finde es selbst heraus, o Pha rao.« Also suchte Abi, doch obwohl niemand sie hatte vorbeigehen gesehen und niemand mit ihr gegangen war, konnte die Königin nicht gefunden werden. Es war Mitternacht, und während noch alle nach ihr suchten, sah man im Licht des Mondes eine hoch gewachsene Gestalt, in zerfetzte Lumpen gekleidet, die einen Dornbaumstab in der Hand hielt und einen weißen Bart trug, welcher bis zu ihrer Mitte herab hing, durch das Lager hin und her gehen. »Wer ist dieser Bursche?« fragte Abi, und als er dies sagte, rief die Gestalt mit lauter Stimme: »Hört, Ihr Berater, Heerführer und Krieger Ägyp tens, den Befehl Amons, welcher von den Lippen sei nes Boten, Kephers, des Wanderers, verkündet wird! Erhebt kein Schwert gegen Rames, den Herrn von Kesh, denn er ist mein Diener und soll als Pharao über euch herrschen und der Gemahl eurer Königin sein und der Vater zukünftiger Könige. Ergreift Abi, den Usurpator, den Mörder des Pharao, seines Bru ders, und Kaku, den Zauberer, und Merytra, die Ver räterin, und bringt sie beim Grauen des Morgens zu meinem Tempel auf der Kuppe jenes Berges, wo ich euch in dem Schrein des Tempels meinen Willen er
klären werde. Auf diese Weise soll Friede über euch kommen und über ganz Ägypten, und der Atem des Lebens in euch bleiben.« Als Abi diese schrecklichen Worte hörte und sich der Prophezeiung des toten Pharao von einem Bettler erinnerte, welcher ihm eine Botschaft bringen würde, riß er sein Schwert heraus und stürzte auf diesen Mann zu. Doch bevor er auch nur in seine Nähe kam, war der Wanderer verschwunden und siehe, sie hör ten ihn seine Botschaft in weiter Ferne wiederholen. Sie rannten dorthin, doch nun wurden die Worte des Verhängnisses auch auf den Schiffen verbreitet, und auf ihren Vordecks sahen sie seine hochgewachsene Gestalt stehen, einmal auf diesem, und dann auf je nem. »Es sind die Götter, die zu uns sprechen«, rief einer der Priester. »Laßt uns den Göttern gehorchen!« Und sie warfen sich auf Abi und banden ihn, und Kaku und Merytra banden sie ebenfalls, und warteten auf das Dämmern des Morgens. Doch von dem hochge wachsenen, weißbärtigen Mann in den Lumpen eines Bettlers hörten und sahen sie nichts mehr. Zur selben Stunde schlief Tua in einer Kammer jenes Tempels auf dem Berg, und Asti saß neben ihr und blickte sie an. Plötzlich wehte ein Wind in die Kam mer, und Asti, die aufblickte, sah eine Gestalt, welche sie nur zu gut kannte, die Gestalt Tuas, die auf dem Bett lag und schlief. »Was ist dein Wille, o Ka?« fragte Asti. »Mein Wille ist, mir meine Ruhe zurückzugeben«, antwortete das Ka. »Meine Aufgabe ist erfüllt, und ich bin müde. Sprich das geheime Wort der Macht, das in
deinem Besitz ist, und laß mich zu jener zurückkeh ren, aus der ich gekommen bin, und bis zum Tage des Erweckens in ihrem Busen schlafen.« Also sprach Asti, die wußte, daß es ihr so befohlen war, jenes geheime Wort, und während sie es sprach, wurde die herrliche Gestalt blasser und blasser, bis sie schließlich ganz verschwunden war. Und Tua richtete sich auf, reckte die Arme und seufzte und sank dann zurück und schlief bis zum anderen Mor gen. Dann erwachte sie und fragte, was geschehen sei da sie sich so anders fühle. »Dies ist geschehen, o Königin: Jenes, das durch den Befehl Amons von dir ausgesandt wurde, ist in dich zurückgekehrt, da seine Aufgabe erfüllt war. Er hebe dich nun und schmücke dich, denn dieses ist dein Tag des Sieges und der Hochzeit.« Als die Sonne aufging, war Tua schöner als der junge Morgen und fand Rames vor den Toren des Tempels, in seine Rüstung gekleidet, auf sie wartend, während aus den im Tal lagernden Nebeln Geräusche heraufklangen, als ob eine große Heerschar im An marsch sei. »Was geschieht?« fragte Tua, und es war mehr Lie be in ihren Augen als Wasser im Nil. »Ich glaube, daß Abi angreift, Königin«, sagte er und beugte die Knie vor ihr, »und ich habe Furcht um dich, da unser Heer nur klein ist, im Vergleich zu den Heerscharen aus dem Norden.« »Hab keine Furcht vor Abi oder vor irgend etwas anderem, Rames, obwohl es wahr ist, daß du an die sem Tage deine Freiheit verlieren wirst«, antwortete sie mit einem sanften und zärtlichen Lächeln, und er dachte lange über diese Worte nach.
Doch dann, bevor er ihr antworten konnte, kamen zwei Kommandeure seiner Vorposten hereingeeilt und berichteten, daß draußen Priester und Herolde stünden, welche in Frieden vom Lager der Heerscha ren Abis kämen. »Bringt diese Priester und Herolde herein«, sagte Rames, »doch hütet euch, ihr alle, daß diese Gesandt schaft nicht eine Kriegslist ist! Komm, Königin, du bist es, mit der sie sprechen wollen, und nicht ich, der ich nur ein Statthalter deiner Provinz Kesh bin.« Und er folgte ihr in den inneren Hof, in welchem, vor dem Schrein, ein hochlehniger Stuhl stand, auf den sie sich, von ihm dazu aufgefordert, setzte, wie es einer mächtigen Königin zukam. Nun trat, eskortiert von Rames' Kommandeuren die Gesandtschaft herein, welche drei verhängte Sänften mit sich führte, und Tua und Rames sahen, daß sich unter dieser Gesandtschaft die größten Feld herren und die höchsten Priester Ägyptens befanden. Auf ein Zeichen hin warfen sie sich vor der Königin zu Boden, alle außer den Männern, welche die Sänf ten trugen. Dann trat der würdige Hohepriester Amons in Theben aus der Reihe der anderen hervor und stand mit geneigtem Kopf vor Tua, bis sie ihm durch ein Zeichen befahl, zu sprechen. »O Morgenstern Amons«, begann er, »nachdem du gestern nacht unser Lager verlassen hattest, erschien ein Bote des Vaters der Götter bei uns ...« »Halte ein, o Hohepriester!« unterbrach Tua. »Ich habe euer Lager nicht verlassen, weil ich nie dort war und zwei Jahre lang nicht meinen Fuß auf den heili gen Boden Ägyptens gesetzt habe. Nein, nicht seit ich aus Memphis geflohen bin, um mich vor dem Tode
zu retten, oder – was noch schlimmer gewesen wäre – der Verunreinigung durch eine erzwungene Heirat mit Abi, meinem Onkel und dem Mörder des Pha rao.« Nun wandte der Hohepriester sich um und starrte die anderen an, und alle, die bei ihm waren, starrten die Königin an. »Verzeih«, sagte er, »doch wie kann das sein, da wir dich während dieser zwei Jahre Tag um Tag als die Gemahlin Abis unter uns gesehen haben?« Tua blickte Asti an, die neben ihr stand, und die edle Asti blickte den Hohepriester an und sagte: »Ihr kennt mich, nicht wahr?« »Ja«, antwortete er, »wir kennen dich. Du bist die Frau Mermes', des letzten Sprosses eines königlichen Baumes, und die Mutter des Rames, der dort steht, und gegen den Krieg zu führen wir ausgezogen sind. Wir kennen dich gut, o größte aller Seherinnen Ägyptens, Meisterin der geheimen Dinge. Doch glaubten wir, daß du im Tempel der Sekhet umge kommen seist, jenem Tempel, in dem der Pharao starb. Jetzt verstehen wir, daß du, da du eine Zaube rin bist, nur von dort verschwunden warst.« »Was tragt ihr dort?« fragte Asti und warf einen Blick auf die Sänften. »Bringt die Gefangenen her!« befahl der Hoheprie ster. Die Vorhänge wurden aufgezogen, und die Träger zogen Abi, Kaku und Merytra heraus, welche mit starken Schnüren gefesselt waren, und stellten sie vor der Königin auf die Füße. »Dieses sind die Mörder meines Vaters, des Pharao, welche auch mich töten oder in Schande bringen
wollten. Warum werden meine Augen durch ihren Anblick beleidigt?« sagte Tua indigniert. »Weil der Bote der Götter, der als Bettler verkleidet zu uns kam, es befohlen hat, o Königin«, antwortete der Hohepriester. »Jetzt wissen wir, daß wir sie her bringen sollten, damit ihnen das Urteil für die Er mordung des Pharao gesprochen werde, des guten Gottes, welcher dein Vater war.« »Soll eine Frau über ihren Ehemann richten?« rief Abi. »Du Narr«, sagte Tua, »ich war nie deine Ehefrau. Wie kann ich deine Frau gewesen sein, die ich dich seit dem Tode des Pharao nicht gesehen habe? Hört mir zu, ihr alle, und erfahrt das Wunder, das gesche hen ist! Bei meiner Geburt – du, o Hohepriester, soll test dich gut daran erinnern können – wurde mir von Amon ein Ka gegeben, ein Ich innerhalb meines Ich, das mich vor allen Gefahren schützen sollte. Die Ge fahren kamen, und Asti, die Zauberin, meine Nähr mutter, sprach das Wort, welches ihr von dem Geist der göttlichen Ahura, die mich gebar, genannt wor den war, rief dadurch das Ka in mir hervor und ließ es dort zurück, wo ich gewesen war, um die Frau Abis zu werden, eine Frau, nehme ich an, wie sie noch kein Mann jemals gehabt hat. So wurde ich von Amon, meinem Vater, gerettet, und mit mir Asti, und durch ihn in einem Boot Ras zu diesen fernen Län dern gebracht und vor vielen Gefahren errettet, bis wir schließlich zu der Stadt Napata gelangten, wo wir einen gewissen Diener von mir fanden, welchen ich – liebe.« Sie blickte Rames an und lächelte. »Währenddessen erledigte mein Schatten alle die Aufgaben, die ihm aufgetragen worden waren,
herrschte an meiner Statt in Ägypten und zog Abi in sein Verderben. Gestern nacht jedoch kehrte er in mich zurück und wird von den Menschen nicht wie der gesehen werden, außer, vielleicht, in meiner Grabkammer, nachdem ich tot bin. Urteilt jetzt, ob meine Erzählung wahr ist und ob ich wirklich NeterTua, die Tochter Amons, bin.« Sie öffnete den Halsteil ihrer Robe und entblößte das heilige Zeichen, welches oberhalb ihrer Brüste eingeprägt war. »Der Hohepriester sollte dieses Zeichen kennen«, fügte sie hinzu, »da er es bei meiner Geburt sah.« Nun trat der alte Mann näher, betrachtete es und sagte: »Es ist das Zeichen. Hier strahlt der Stern Amons, und kein anderer. Trotzdem verstehen wir nicht. Berichte du uns davon, Asti.« Also trat Asti vor und erzählte die ganze Ge schichte, ohne auch nur das geringste auszulassen, und dann berichtete Rames von seinen Erlebnissen, von Tua und Asti gelegentlich kommentiert, und ob wohl die Sonne schon hoch am Himmel stand, als er endlich zum Schluß kam, wurde keiner des Zuhörens müde, außer Abi Kaku und Merytra, die den Tod in jedem Wort hörten. Schließlich war die Erzählung zu Ende, und eine große Stille senkte sich über den Platz, da die Zungen der Menschen gebunden waren. Dann erhob der Ho hepriester, welcher während der ganzen Zeit mit ge senktem Kopf gestanden hatte, seinen Blick himmel wärts und rief: »O Amon, Vater des Geistes dieser Königin, zeig uns deinen Willen, damit wir ihn erfah ren und ihm gehorchen können!« Eine Weile blieb es still, doch plötzlich hörten sie aus dem Schrein, in welchem die Statue des Gottes
stand, ein Geräusch, als ob jemand einen Stock auf den Granitboden stieße. Dann wurden die Vorhänge des Schreines aufgezogen, und heraus trat die Gestalt eines alten, weißbärtigen Mannes mit trüben Augen, der in die Lumpen eines Bettlers gekleidet war. Es war jener Mann, den Tua und Asti in der Wildnis ge troffen hatten und der ihre Nahrungsvorräte aufge gessen hatte. Es war jener Mann, der sie im Palast des Wüstenkönigs errettet hatte. Es war jener Mann, der in der vorherigen Nacht ins Lager Abis gekommen war. »Ich bin jener Bote, den die Menschen von Anbe ginn an Kepher genannt haben«, sagte er. »Ich bin der Bewohner der Wildnis, den eure Väter kannten, und den eure Söhne kennen werden. Ich bin jener, der Almosen erbittet und sie mit Leben und Tod zurück zahlt. Ich bin die Feder von Toth, dem Registrator, ich bin die Geißel Osiris'. Ich bin die Stimme Amons, des Gottes der Götter. Hört mich, ihr Menschen Ägyp tens! Nicht um eines kleinen Zieles willen sind alle diese Dinge geschehen, sondern, damit ihr lernt, daß es im Himmel einen Plan gibt, und auf der Erde Ge rechtigkeit, und, nach der Gerechtigkeit, das Urteil. Der Pharao, der treue Diener der Götter, wurde auf niedrige Art ermordet, von seinem eigenen Bruder, dem er vertraute. Neter-Tua, seine Tochter und die Tochter Amons, wurde zur Schande verurteilt. Ra mes, von königlichem Geblüt, wurde in Gefahr und Tod entsandt, fern von jener, die er liebte, und die auch ihn liebte, durch jenen göttlichen Befehl, wel cher die Herzen der Menschen beherrscht. Dies nun ist der Befehl der Götter: Laßt diese beiden heiraten und Ägypten als ihr Erbe nehmen, damit sie es zu
Frieden und zu Größe führen. Was jedoch diese Mör der und Zauberer betrifft« – er deutete auf Abi, Kaku und Merytra – »so laßt sie in den Schrein Amons bringen und wartet ab, was er mit ihnen tun wird.« So sprach Kepher, der Bote, und verschwand dort hin, woher er gekommen war, und in jener Generati on sah man ihn nie wieder. Nun nahmen sie Abi, Kaku und Merytra, zer schnitten ihre Fesseln und stießen sie in den dunklen Schrein, vor die große Steinstatue des Gottes. Sie schlossen die Türen hinter ihnen und ließen sie dort, jammernd und fluchend, während der Hohepriester Amons die Hände von Rames und Tua ineinander legte und sie für nun und immer zu Mann und Frau erklärte. Nachdem dies getan war, fuhren der Pharao und seine Königin in ihrem goldenen Streitwagen durch die Reihen der Heerscharen Ägyptens und nahmen ihren Treueeid entgegen, bevor diese den Marsch nach Norden, nach Theben antraten. Als es Nacht wurde, kehrten sie in das Lager Rames' zurück und saßen Seite an Seite bei dem großen Hochzeitsban kett, und wieder nahm Tua ihre Harfe von Elfenbein und Gold und sang jenes uralte Lied von einem, wel cher um der Liebe willen viel gewagt und den Sieg davongetragen hatte. So gelangten Rames und Tua, der Morgenstern Amons, in jenen dunklen, vergessenen Zeiten zu ih rem Glück, welches ihnen auch in dem neuen, un sterblichen Königreich, verblieb, das sie vor langer, langer Zeit gewannen. Als Asti am kommenden Morgen wagte, die Türen zu
öffnen und in den dunklen Schrein zu blicken, bot sich ihr ein schrecklicher Anblick. Denn dort, zu Fü ßen des Gottes, lagen Abi, der seinen Bruder ermor dete, und Kaku, der Zauberer, und Merytra, die Ver räterin, leblos, getötet durch eigene Hand oder einer durch die Hand des anderen, und die steinernen Au gen des Gottes starrten auf sie herab.
Nachwort
Weiße – und Schwarze Magie
von Bernhard Heere Obwohl er im deutschen Sprachraum nie recht be kannt wurde, gehörte Sir Henry Rider Haggard (1856–1925), dieser eigenwillige und malerische Er zähler aus dem England der Jahrhundertwende, zu den beliebtesten Autoren seiner Zeit. Rider Haggard, der das Schreiben nur nebenberuflich betrieb, führte von Jugend an ein abenteuerliches und bewegtes Le ben. Von seinem Vater nach Südafrika geschickt, war er zunächst in Pretoria als britischer Kolonialbeamter tätig, gab aber dann völlig unerwartet seinen gesi cherten Regierungsposten auf, um Straußenfarmer und Großwildjäger zu werden, und kehrte schließ lich, während die Kolonialkriege gegen die Buren immer blutiger wurden, wieder nach England zu rück. Hier begann er ein Jurastudium, beschäftigte sich mit Agrarwissenschaft und wurde wegen seiner Verdienste um die englische Krone am Ende seines Lebens in den Ritterstand versetzt. Man hat es also, möchte man meinen, bei Rider Haggard mit dem typischen anglosächsischen Ver treter eines gehobenen Dilettanten und weltgewand ten Beamten-Gentleman zu tun, wie es einmal im bri tischem Empire als das Ideal des gebildeten Konser vativen galt. Der äußere Schein mag hier jedoch et was trügen, denn Rider Haggard fühlte sich in der steifen Gesellschaft des viktorianischen Englands nie recht wohl, und die gewünschte Anerkennung als
Person des öffentlichen Lebens blieb ihm weitgehend versagt. Dazu gehörte seine ganze Leidenschaft viel zu sehr jenem wilden und geheimnisvollen Kontinent Afrika, in den es ihn immer wieder verschlug und den er in seinen zahllosen Abenteuerromanen so ein drucksvoll beschrieben hat. Es waren deshalb auch seine Bücher, und weniger seine etwas unglücklich verlaufende äußere Karriere, die ihn berühmt ge macht haben. Vor allem zwei seiner Bücher begründeten seinen literarischen Weltruhm und machten ihn über Nacht zu einem Bestseller-Autor: ›König Salomons Dia manten‹, eine Schatzsuche im damals noch uner forschten Herzen Afrikas, und die Geschichte von Ayesha, der sagenhaften weißen Königin aus dem Felsenland Kôr, genannt ›Sie‹, von der Henry Miller schwärmte, und über die der Tiefenpsychologe C. G. Jung eigens eine Studie schrieb. Ähnlich wie Ayesha in ›Sie‹ steht auch in ›Morgen stern‹ eine Prinzessin und weibliche Schönheit im Vordergrund, die zum Inbegriff männlicher Sehn süchte und Wunschträume stilisiert ist. Sie heißt Neter-Tua, wird der Morgenstern Amons genannt und gilt als die spirituelle Tochter des mächtigen Sonnen gottes Amun-Râ, den die Ägypter in der Zeit des Neuen Reiches als oberste Gottheit verehrten. Bei ih rer Geburt erfüllt sich eine Prophezeiung Kakus, des Astrologen von Memphis, der voraussagt, daß der Stern Amons zusammen mit dem Hathors, der Göttin der Liebe, aufgehen werde, und der Geburtsstern Abis, des Halbbruders und Mörders des Pharao, da durch verdunkelt werden würde. Diese Allegorie, kennzeichnend für das kosmische
und magische Denken Rider Haggards, ist Thema und Schlüssel für die vorliegende Geschichte. Es geht um den Triumph von Liebe und Gerechtigkeit über Intrige, Mord und Thronraub. Der Usurpator Abi und seine Helfershelfer, der Astrologe Kaku und die Ver räterin Merytra, erleiden am Ende ihren verdienten Tod, während Neter-Tua zusammen mit ihrer großen Liebe Rames den für sie bestimmten Thron besteigt und über das vereinigte Reich von Ober- und Un terägypten herrscht. Man mag einwenden, daß es sich dabei um ein all zu triviales Klischee handelt, das man in vielen schlechten und weniger geglückten FantasyGeschichten vorfindet: der Kampf des Guten gegen das Böse, in dem schließlich die Mächte des Lichts und der Gerechtigkeit den Sieg davontragen. Vieles in der Geschichte Rider Haggards erinnert an diese einschlägigen Bilder und Vorstellungen, die man auch in Märchen und Fabeln findet. Da ist die makellos schöne und jungfräuliche Prin zessin, über die der Gott Amon schützend seine Hand hält, und die selbst unter den aussichtslosesten Umständen nie den Glauben an ihren Gott und ihre Liebe verliert. Daneben steht ebenso moralisch unan gefochten der gütige Pharao, der dem Komplott Abis zum Opfer fällt, der jugendlich-loyale Held Rames und die gute Seherin Asti, die durch ihre übersinnli chen Kräfte jedes Unheil von ihrer Nährtochter NeterTua abwendet. Auf der Seite der Bösartigen findet man zuvorderst Abi den heimtückischen Mörder des Pharao, den verschlagenen Astrologen und schwar zen Magier Kaku und die freigelassene Sklavin Me rytra, das ausführende Organ für die Mordintrige.
Ist Rider Haggard also ein Trivialautor und Produ zent naiver Fantasy-Geschichten? Obwohl dieser Autor sicher mehr zum Unterhaltungs- und Abenteu ergenre neigt, würde man ihm mit einer solchen Wertung zweifelsohne Unrecht tun, hat er doch seine eigenen unbestrittenen literarischen Qualitäten, die ihn von den Erzeugern billiger Grusel- und Unter haltungsware unterscheiden. Auch im vorliegenden Fall zeigt es sich, welch ein hervorragender Geschichtenerzähler Rider Haggard ist, und wie geschickt er es versteht, systematisch Spannung aufzubauen und den Leser durch seine ambitionierte Erzählkunst in die rätselhafte und ge heimnisvolle Welt des alten Ägyptens zu versetzen. Rider Haggard muß ein Liebhaber und profunder Kenner der Ägyptologie gewesen sein, was nicht verwunderlich ist, da er seiner eigenen Überzeugung nach Okkultist war und in der ägyptischen Religion und Mythologie eine Bestätigung für seine Weltan schauung fand. Diese Sachkompetenz merkt man ge rade bei diesem Roman, der weit davon entfernt ist, ein bloßes spekulatives Phantasieprodukt zu sein, sondern vielmehr eine genaue Kenntnis der ägypti schen Geschichte und Kultur verrät. Die Gestalt Neter-Tuas ist, wie Rider Haggard in seiner Vorbemerkung schreibt, nach dem historischen Vorbild der Königin Hatschepsut entstanden, die um 1500 v. Chr., zu Beginn der 18. Dynastie, herrschte und das gespaltene Reich wiedervereinigte. Die Kö nige der Folgezeit, Thutmosis und Amenophis, er oberten in zahlreichen Feldzügen Palästina und Syri en, machten Ägypten mit seiner Hauptstadt Theben zu einem Weltreich und erhoben den Sonnengott
Amun-Râ zum höchsten Staatsgott. Historisch belegt sind in der Geschichte Ägyptens auch die ständigen eifersüchtigen Auseinanderset zungen zwischen den Städten Theben und Memphis um die Vormachtstellung im Reich, die dauernd zu Revolutionen, Unruhen und Reichsspaltungen führ ten. Diesen historischen Konflikt hat Rider Haggard ebenfalls in seiner Geschichte verarbeitet, und zwar ist es Abi, der unsympathische Despot von Memphis, der immer wieder versucht, den Pharao von Theben aus dem Wege zu räumen und sich durch eine er zwungene Heirat mit seiner Nichte Neter-Tua die Herrschaft über das Reich anzueignen. Daß diesem niederträchtigen Vorhaben des Böse wichts schließlich ein Strich durch die Rechnung ge macht wird, befriedigt zweifelsohne den Leser, ist aber in der Logik der Geschichte das Ergebnis von weißer Magie, die der rechten Sache und dem Willen der Götter dient. Als nämlich Abi seine Nichte zwingt, ihn zu heiraten, indem er sie in einen Hun gerturm sperrt, läßt Asti, die gute Zauberin, durch ei ne geheime Beschwörungsformel eine Art Double Neter-Tuas erscheinen, das sogenannte Ka, von dem in diesem Roman viel die Rede ist. Nach den Vorstellungen der alten Ägypter war das Ka der unsterbliche Teil des eigenen Selbst und war tete nach dem Tod des Menschen auf eine Wieder auferstehung und eine erneute Reinkarnation. In der Geschichte Rider Haggards verhilft dieses Ka der ein gesperrten Prinzessin und der Seherin Asti zur Flucht, während es selbst den Platz Neter-Tuas ein nimmt, ohne daß jemand den Unterschied bemerkt. Dieser Geist willigt nun in die Heirat mit dem ver
haßten Onkel ein, um die Rache der Götter an Abi und den Verschwörern von Memphis zu vollstrecken. Während der Krönungsfeierlichkeiten läßt das K a Neter-Tuas zwei Obelisken auf den Mob herabstür zen, als man sie zwingen will, das Joch Abis anzuer kennen, und auch Abi selbst wird von diesem Ka fast zu Tode gequält, bis er schließlich an der Pforte des Südens von dem heranrückenden Heer Rames gefan gen genommen und im Tempel Amons für seine Mis setaten bestraft wird. Sicher hat Rider Haggard die Rolle, die das Ka in dieser Geschichte spielt, ins Phantastische überstei gert, jedoch wirkt das Übernatürliche und Übersinn liche bei diesem Autor nie aufdringlich oder aufge setzt, sondern fügt sich zwanglos in die Geschichte und den Vorstellungshorizont der handelnden Per sonen ein. Das besonders macht ihn zu einem Phan tasten von literarischem Rang, denn nie entgleitet ihm die Ebene des Wirklichen und Nachvollziehbaren zu gunsten einer rein spekulativen Welt der Geister und Dämonen, wie man es oft bei vielen und weniger ta lentierten Fantasy-Autoren beobachten kann. Mit ›Morgenstern‹ ist es Rider Haggard gelungen, mit viel Einfühlungsvermögen und Sachverstand ein lebendiges und mitreißendes Bild des alten Ägyptens zu zeichnen, in dem der Glaube an Magie und Wun der zu einem selbstverständlichen Bestandteil des Lebens gehörte. Fetischbeschwörungen und schwarze Magie gibt es bei den sogenannten primitiven Völkern in Afrika bis in unsere Tage. So kann man es kaum als eine spe kulative Erfindung bezeichnen, wenn Rider Haggard hier ein Beispiel dieser schwarzen Kunst beschreibt,
welche dem Pharao das Leben kostet. Will man einen Feind töten oder in seiner Lebens kraft schwächen, so muß man nach dem Glauben der Fetischbeschwörer ein bestimmtes Ritual inszenieren, in deren Verlauf eine Puppe oder ein sonstiges kör perliches Symbol des Opfers verletzt oder verstüm melt wird. Daß eine verhexte Wachspuppe, der man die Beine abschmilzt, zur Paralyse oder zum Tod ei nes Menschen führen können, ist in den Augen der westlichen aufgeklärten Zivilisation und Wissen schaft sicherlich ein Aberglauben. Und doch gibt es ernstzunehmende Berichte über Voodoo-Riten, Na gelfetische und parapsychologische Kräfte, die ihre Wirkung nicht verfehlten. Die westliche materialisti sche Wissenschaft scheint zur Klärung dieser Phäno mene nichts mehr beitragen zu können, und es waren oft Dichter und Okkultisten, die die Mysterien und Abgründe des Seins zu erforschen suchten. Rider Haggard scheint eine dieser Persönlichkeiten gewe sen zu sein, über den Henry Miller einmal schrieb: »Vielleicht können wir das wahre Format Rider Hag gards erst ermessen, wenn unsere Wissenschaftler auf die Wahrheiten kommen, die seine Einbildungskraft schon gesehen hatte.« Copyright © 1985 by Bernhard Heere