Märchen aus dem Jemen Mythen und Märchen aus dem Reich von Saba Gesammelt, übersetzt und herausgegeben von Werner Daum
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Märchen aus dem Jemen Mythen und Märchen aus dem Reich von Saba Gesammelt, übersetzt und herausgegeben von Werner Daum
EUGEN DIEDERICHS VERLAG
Redaktion: Claudia Henn-Schmölders Die vier Illustrationen dieses Bandes stammen von dem jemenitischen Künstler ‘Ali Ghaddāf. Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Märchen aus dem Jemen Mythen und Märchen aus d. Reich von Saba ges., übers, u. hrsg. von Werner Daum 2., überarbeitete Aufl., – München: Diederichs, 1992 (Die Märchen der Weltliteratur) NE: Daum, Werner [Hrsg.]
2., überarbeitete Auflage 1992 © Eugen Diederichs Verlag, München 1983 Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Ute Dissmann, München Produktion: Tillmann Roeder, München Satz: Passavia, Passau Druck und Bindung: Wiener Verlag, Himberg ISBN 3-424-00763-3 Printed in Austria
1. Water, o Vater, wieviel mußt du pissen, Hast die Wadis schon gefüllt und alles flache Land
E
s war einmal ein Mann aus dem Volk des Landes, der heiratete. Nach einer Weile kam seine Frau nieder und brachte ein Mädchen zur Welt, es wurde Wurayqa al Ḥanā’ (= Hennablättlein) genannt. Die Mutter starb bei der Geburt. Da wußte der Mann nicht mehr ein und aus. Deshalb entschloß er sich, wieder zu heiraten. Er fand eine Frau aus guter Familie, heiratete sie und nahm sie in sein Haus auf. Nach einer Weile war sie schwanger, und als sie das Kind zur Welt brachte, war es ebenfalls ein Mädchen. Der Mann freute sich über das zweite Töchterchen und sagte zu sich selbst: ›so ist es am besten, daß auch meine zweite Frau ein Mädchen geboren hat, so kann sie die beiden Kinder zusammen erziehen.« Die Frau aber war böse auf die erste Tochter ihres Mannes, weil sie so schön war, ihr eigenes Kind aber keineswegs vollkommen, sondern vielmehr von so häßlichem Äußeren, daß sie von allen nur Dscharram (= die Zottige) genannt wurde. Das erbitterte die Frau so sehr gegen die erste Tochter ihres Mannes, daß sie ihm ständig mit Klagen im Ohr lag: »Deine Tochter hat nichts getan, nichts gearbeitet hat deine Tochter, deine Tochter ist faul!« Bald fing der Mann an, Wurayqa al Ḥanā’, die Tochter seiner verstorbenen Frau, zu schlagen, und das alles nur wegen der Zwietracht, die seine zweite Frau säte. Und Wurayqa al Ḥanā’ war so schön wie der frisch erblühte Jasmin! Zeit kam und Zeit ging, beten laßt uns zum Propheten, dem besten der Menschen, dem Mond, der voll am Himmel steht. Eines Tages kam es so weit, daß die Frau zu ihrem Mann sagte: 5
»Hör zu!« – »Ja?« – »Bis hierher und nicht weiter, ich kann nicht mehr!« – »Aber was ist denn los?« – »Deine Tochter tut nicht, was ich ihr auftrage, widerspenstig ist sie und hört nicht auf meine Worte!« – »Ach, es ist halt ein dummes Kleines, zieh sie nur groß, Alte, Allah wird es dir vielfach lohnen.« – »Nein, ich kann sie nicht aufziehen, niemals! Höre, entweder bleibt deine Tochter hier im Haus und ich muß gehen, oder ich bleibe und sie muß gehen!« – »Aber Frau, das ist doch keine gerade Rede. Wo soll ich sie denn hingeben, das Kind ist doch noch viel zu klein.« – »Das ist nicht meine Sorge, du mußt dich entscheiden, entweder wählst du mich, oder du wählst deine Tochter.« – »Bei Allah, was soll ich tun, ich weiß es nicht, ich weiß es nicht!« Acht Tage lang sprach der Mann immer wieder mit seiner Frau über diese Frage, doch ohne Erfolg. Entschlossen blieb sie bei dem, was sie gesagt hatte: »Auf jetzt, Mann, du bringst deine Tochter weg von hier, ich will sie nicht mehr sehen!« Endlich gab der Mann nach und stöhnte: »Bei Allah, ihm gehört meine Seele und zu ihm wird sie zurückkehren.« Er dachte sich einen Plan aus. Zu seiner Frau sagte er: »Beeil dich, setze Wurayqa al Ḥanā’ hinter mir auf das Pferd, schnell!« Das tat sie. Der Mann machte sich auf den Weg, schlug die Hufe seines Pferdes auf die weit ausgestreckte Hand des Allbarmherzigen und zog dahin. Weites Land blieb zurück, weites Land tat sich auf, beten laßt uns zu Mohammed, dem Propheten, dem Einzigen. So ritt er durch einen wüsten Wald, bis er in eine noch größere Wildnis gelangte, in der gar niemand mehr lebte. Hier stieg er vom Pferd, hob das kleine Mädchen herab, hockte sich neben es, und als es ihn fragte Wohin gehen wir denn Vater?«, beruhigte er es mit den Worten: »Bleib sitzen, ich gehe nur zum Pissen und komm dann zu dir zurück.« – »Aber Vater, ich fürchte mich!« – »Hab keine Angst, ich bin gleich wieder da!« Mit diesen Worten ließ er Wurayqa al Ḥanā’ zurück, schwang sich auf sein Pferd und ritt nach Hause, während sein Töchterchen wartete und in schrecklicher Angst immer wieder sprach: 6
»Vater, o Vater, wieviel mußt du pissen, Hast die Wadis schon gefüllt und alles flache Land!« So rief das kleine Mädchen immerzu und irrte seinem Vater nach. Plötzlich erschien Al Chadr bin ‘Abbās in dieser Wüstenei und hörte das Mädchen rufen: »Vater, o Vater, wieviel mußt du pissen, Hast die Wadis schon gefüllt und alles flache Land!« Als er das Mädchen so jammern hörte, näherte er sich ihm und sprach: »Kind, was hat dich denn hierher gebracht?« – »Mein Vater hat mich hierher gebracht, weil meine Stiefmutter mich nicht mehr im Hause haben wollte. Er muß pissen gehen, hat er gesagt, doch in Wahrheit ist er fort und kommt nie mehr zurück. Ich fürchte mich so, und die wilden Tiere werden mich auffressen!« – »Hab nur keine Angst, ich lege mich neben dich, damit du keine Angst zu haben brauchst.« – »Oh, ich danke dir.« – »Hör zu, Kind, wo kann ich denn hier mein Pferd anbinden?« – »Binde es an meinen Fuß!« – »Und wo soll ich schlafen?« – »Hier, hier kannst du schlafen und dein Haupt auf meinen Schenkel legen!« Das kleine Mädchen war so froh, daß Al Chadr bin ‘Abbās gekommen war. »Hör zu« – sagte jetzt Al Chadr zu Wurayqa al Ḥanā’ – »wenn du morgen früh aufwachst und den ersten roten Streifen am Himmel siehst, dann weckst du mich und, aufgepaßt, du darfst es nicht vergessen!« – »Sei unbesorgt, ich werde gut aufpassen.« Al Chadr schlief, doch das Mädchen wachte, und als am nächsten Morgen der erste rote Saum des Sonnenaufgangs sich zeigte, weckte es Al Chadr mit den Worten: »Vater, o Vater, den Streifen Seh rot ich über den Himmel schweifen, Auf, bei Allah, steh auf!«
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»Auf, steh auch du auf und geh hinter mir her« – mit diesen Worten erhob sich Al Chadr bin ‘Abbās. Das kleine Mädchen tat wie ihm geheißen und folgte ihm. Sie gingen nur eine kurze Strecke, bis sie zu einer Stelle gelangten, wo durch die Macht Allahs und die Tugend des Al Chadr ein Fluß entstanden war. »Höre«, sagte er jetzt zu dem Mädchen, »ich bleibe hier am Ufer dieses Flusses stehen. Du aber watest hinein und schwimmst, und wenn du genug hast, dann kommst du wieder heraus, ich warte hier auf dich. Verstanden?« Da sprang Wurayqa al Ḥanā’ in den Fluß und als sie wieder auftauchte, war sie übervoll behangen mit Gold und Schmuck an den Handgelenken, an den Füßen, an ihren Ohren, und am ganzen Körper. Da sagte Al Chadr zu ihr: Weißt du, wo euer Haus steht, damit du zu deinem Vater zurückfindest?« – »Bei Allah, Herr, ich weiß es nicht und habe keine Kenntnis, wo ich mich jetzt befinde.« – »Gut, dann zeige ich dir den Weg zurück zu eurem Haus.« Und er wies mit der Hand in eine bestimmte Richtung. Das kleine Mädchen hielt sich an die Anweisung, die ihr Al Chadr gegeben hatte. Der rief ihr jetzt noch nach: »Schließe deine Augen und öffne sie erst wieder, wenn du merkst, daß du auf dem Dach eures Hauses angekommen bist!« – »Ja, so will ich es tun.« Wurayqa al Ḥanā’ schloß ihre Augen und nur wenig später bemerkte sie, daß sie auf dem Dach ihres Hauses stand. Da öffnete sie die Augen und rief laut: »Vater, o Vater, wieviel mußt du pissen, Hast die Wadis schon gefüllt und alles flache Land!« In diesem Augenblick war ihre Stiefmutter – die zweite Frau ihres Vaters – gerade dabei, das Haus zu fegen. Vom Dach erklang eine Stimme, Ringe fielen herunter, und eine Halskette mit Silberkugeln und Schmuck aus Gold! Da rief sie nach ihrem Mann: »He du, steig aufs Dach und sieh nach, wer dort oben ist. Da fällt Gold herunter! Schau nach, woher der Schmuck kommt und wem er gehört!« – »Ich geh schon, Frau!« So 9
schnell er konnte stieg der Mann hinauf auf das Dach und fand dort seine Tochter, die er in der Wildnis ausgesetzt hatte, über und über behangen mit Gold und Schmuck, und immerfort rufend: »Vater, o Vater, wieviel mußt du pissen, Hast die Wadis schon gefüllt und alles flache Land!« »Mein Töchterchen ist es, mein liebes Kind, Allah schütze dich!« – »Ja Vater, ich bin es.« Der Mann brachte seine Tochter nach unten zu seiner Frau. Auch die Nachbarn erfuhren, was er seiner Tochter angetan hatte und wie sie wieder zurückgekehrt war, ganz und gar bekleidet mit Gold und Schmuck. Da sagte seine Frau, die Mutter der zottigen Dscharram, mit ihrem grausamen Herzen voller Neid gegen das Mädchen Wurayqa al Ḥanā’, da sagte sie zu ihrem Mann: »Führe meine Tochter an den gleichen Ort, wo du deine damals zurückgelassen hast, heute abend muß es noch geschehen, sonst bleibe ich nicht länger hier in diesem Haus. Dann gehört dein Haus wieder dir allein, meine Tochter nehme ich mit und gehe auf der Stelle zurück zu meinen Leuten.« – »Ach Alte, versündige dich doch nicht, sprich doch nicht so! Wer weiß, ob das, was mit meiner großen Tochter geschah, als sie Gold und Schmuck errang, ob das nicht bloß schieres Glück war? War doch der Ort, an dem ich sie zurückließ, die schlimme Wildnis, wo allenfalls wilde Tiere und Ungeheuer sie auffressen konnten. Wer von solch wüstem Ort wieder heimkehrt, der hat halt Glück für ein langes Leben gehabt.« – »Schluß mit deiner Rede. Meine Tochter bringst du dorthin, wo du deine Tochter ausgesetzt hast, dort soll auch meine Tochter ihr Glück versuchen!« – »Nun gut, wie du es haben willst.« Der Mann wartete den Sonnenuntergang ab, bestieg sein Pferd und rief seiner Frau zu: »Los denn, hebe deine Tochter hinter mir aufs Pferd.« Sie setzte ihre Tochter Zottel hinten auf das Pferd, und der Mann ritt solange, bis er zu jenem Ort gelangte,
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wohin er seine erste Tochter gebracht hatte. Angekommen, stieg er ab, hob seine Tochter Zottel herunter und gab ihr auf ihre Frage Vater, wohin willst du gehen« die Antwort: »Ich gehe, um zu pissen. Du bleibst hier sitzen und wartest auf mich bis ich wiederkomme.« »Ach mein Vater, ich kann doch nicht allein sitzen bleiben, da kommen die wilden Bestien und fressen mich auf. Bitte Vater, nimm mich mit!« – »Nein Kind, du bleibst hier, wachst an dieser Stelle, ich komme bald wieder.« – »Nein Vater, ich fürchte mich.« – »Mach dir keine Sorgen, ich gehe jetzt, um zu pissen und bin schnell wieder zurück. Und du wartest hier auf mich!« Damit wandte er sich von seiner Tochter ab, bestieg sein Pferd und ritt zurück zu seinem Haus, wo seine Frau schon auf ihn wartete. »Hast du meine Tochter Zottel an jenen Ort gebracht?« fragte sie ihn gleich. »Ja, genau dorthin habe ich sie gebracht.« Als das Mädchen merkte, daß sein Vater nicht mehr zurückkommen würde, jammerte es in seiner Einsamkeit: »Vater komm zurück zu mir, wie lange brauchst du noch zum Pissen? Fortgegangen bist du und mich hast du hier ausgesetzt!« Die ganze Nacht saß Zottel da, weinte und schrie immerzu nach ihrem Vater. Zur vorbestimmten Zeit aber erschien Al Chadr bin ‘Abbās. »Was hat dich denn hierher an diesen Ort gebracht?« – »Mein Vater war es, der hat mich hierher gebracht und mich dann verlassen. Angst habe ich vor den wilden Tieren, daß sie mich auffressen könnten!« – »Gut denn, wenn du dich fürchtest, dann setze ich mich zu dir und leiste dir Gesellschaft. Doch sag mir erst noch, wo ich mein Pferd anbinden kann?« – »Binde es doch an dem Baum dort drüben an!« – »Aber wo kann ich mich ausruhen?« – »Ruh dich dort in der Lichtung aus!« – »So?« – »Ja!« – Eine Zeitlang blieb Al Chadr sitzen, dann sagte er noch: »Hör zu, morgen früh weckst du mich, sobald die schwarzen Wolken am Himmel aufziehen und sichtbar werden, hast du verstanden?« – »Jawohl, verstanden. Mach dir keine Gedanken, ich wecke dich schon auf!« 11
Früh am Morgen des nächsten Tages weckte das Mädchen Al Chadr bin ‘Abbās vom Schlafe auf. »Steh du auch auf«, sagte er. In der Erwartung, Al Chadr werde sie nun nach Hause zurückbringen, stand sie auf. Doch statt dessen liefen sie eine Zeitlang, bis sie den Fluß erreichten. »He du, höre« – sagte Al Chadr jetzt zu dem Mädchen – »steige in diesen Fluß und tauche ein wenig unter. Wenn du dich gewaschen hast, dann kommst du wieder heraus. Hier am Ufer warte ich auf dich.« Das Mädchen tauchte in den Fluß und als sie wenig später herauskam, war sie über und über bedeckt mit Schlangen, Würmern, Flöhen und allem nur denkbaren schrecklichen Unrat. All das hing fest am Körper des Mädchens Zottel, so daß es sich nicht mehr abschütteln ließ. Zottel fürchtete sich und sagte weinend zu Al Chadr: Was für ein Unglück, was sind das für schreckliche Dinge, die da an mir hängen?« – »Fürchte dich jetzt nicht, ich bringe dich in dein Haus zurück, zu deiner Mutter. Weißt du denn, wo euer Haus ist?« – »Nein, das weiß ich nicht und eine Vorstellung, wo wir hier sind, oder wo unser Haus steht, habe ich auch nicht!« – »Gut, du willst doch zurück zu deiner Mutter, oder?« – »Ja!« – »Dann schließe jetzt einfach deine Augen!« – »Ja.« Das Mädchen schloß die Augen, Al Chadr versetzte ihr einen kleinen Schlag mit der Hand, und dank der Macht Allahs und des Segens, der auf Al Chadr ruht, gelangte das Mädchen auf das Dach seines Hauses. »Mutter, Mutter, ich fürchte mich«, rief Zottel laut. Als ihre Mutter das Rufen hone, war sie gerade dabei, das Haus zu fegen. Im gleichen Augenblick mußte das Mädchen niesen, und die Schlangen und Würmer lösten sich und regneten herunter auf ihre Mutter. Die Frau bekam schreckliche Angst und schrie nach ihrem Mann. »He Mann, komm und schau nach was los ist! Erst höre ich ein Niesen oben auf dem Dach und gleich darauf fallen Schlangen und Würmer auf mich herunter. Auf, steig schnell nach oben und sieh nach!« – »Nein, steig doch du hinauf und sieh selber nach!« Die Mutter stieg, von Angst erfüllt, hinauf und fand ihre Toch12
ter Zottel, über und über behangen mit Schlangen, Würmern und Flöhen. Das Mädchen befand sich in einem schrecklichen Zustand und ihre Mutter hatte großen Ekel vor ihr. Dann aber führte sie sie doch hinunter zu ihrem Mann. Warum hast du meine Tochter an diesen bösen Ort gebracht? Ein Betrüger bist du! Deine Tochter hast du an einen Ort gebracht, wo man Ruhe findet und Erholung und angenehme Gesellschaft, ganz mit Gold und Schmuck war sie behangen, als sie zurückkam – und meine Tochter, sieh nur her, in welch schrecklicher Verfassung sie ist! Also, was soll ich mit dir machen?« – »Nichts machst du mit mir, bei Allah. An den gleichen Ort habe ich deine Tochter gebracht, an den gleichen, wo ich auch Wurayqa al Ḥanā* ausgesetzt hatte. Hole schnell Arzneien, damit deine Tochter wieder kräftig wird, schnell, schnell, ruf auch die anderen Frauen, damit sie alles wegzupfen und dieses Getier entfernen!« – »Gut, recht hast du.« Schnell rannte die Frau weg und kam bald darauf mit zwei anderen zurück. Sie setzten sich vor das Mädchen, zupften Zottel die Schlangen ab und die Würmer, und säuberten sie so von diesem scheußlichen Getier. Einige Zeit darauf erschien ein junger Mann. Er bat um die Hand der älteren Tochter Hennablättlein und seine Verwandten erklärten: »An einem der nächsten Tage kommen wir wieder, um die Braut abzuholen.« Das Nötige wurde vereinbart, und an dem für die Heimführung festgesetzten Tag kamen die Verwandten des Bräutigams. Die Braut trug ihre schönsten Kleider und darüber den Schīdir. Doch die neidische Stiefmutter hatte sich einen neuen bösen Plan ausgedacht. Sie wartete, bis die Leute ein wenig unaufmerksam waren und schob dann ihre Tochter Zottel unter, indem sie sie an den Platz der Braut setzte. Der wahren Braut, der Tochter ihres Mannes aus seiner ersten Ehe, aber befahl sie voller Wut, in die Küche zu gehen. »Da bleibst du und arbeitest!« – »Ist schon gut, Mutter.« Die wahre Braut aber war ein kluges Mädchen. Sie wartete, bis ihre böse Stiefmutter beschäftigt war und ging dann zu ihrer 13
Schwester Zottel hinein. »Zottel, Schwester, gib mir doch den Schīdir und laß ihn mich mal anziehen. Und du, geh jetzt erst einmal in die Küche, da stehen Fleisch und feinstes Essen!« – Wirklich?« – »Jawohl, geh nur und du wirst selber sehen, daß ich die Wahrheit gesprochen habe!« – »Oh, das will ich tun!« Die wahre Braut nahm den Schīdir, zog ihn über und setzte sich wieder auf den Platz der Braut, wo sie am Anfang schon gesessen hatte. Zottel aber war überglücklich in der Küche, drehte das Fleisch auf dem Spieß, nahm hier einen Topf, nahm da einen Teller, und ihre Mutter kümmerte sich derweilen um die Gäste. Jetzt kam der Augenblick, wo die Verwandten des Bräutigams die Braut mitnehmen wollten. Die Mutter freute sich maßlos, weil sie ja der Meinung war, daß die Verwandten des Bräutigams ihre Tochter Zottel heimführten. Sie hörte das Klappern der Küchengeräte und glaubte, daß dort die Tochter Hennablättlein arbeitete. »He du, wo bist du denn, du Küchenmädchen?« rief sie laut. »Hier Mutter, hier bin ich, deine Tochter Zottel!« – »Jetzt hat man dich doch noch geopfert, Zottel! Bist die Zottel zwischen Pfannen, Zottel zwischen Töpfen und Kannen.« – »Mir ist’s schon recht, Mutter, ich will doch Fleisch essen!« Die Verwandten des Bräutigams aber führten die wahre Braut in das Haus des Ehemannes. Doch die Stiefmutter, jetzt wußte sie, wie die tückische List, die sie sich ausgedacht hatte, gescheitert war, rannte hinter ihnen her, zusammen mit ihrer Tochter Dscharram. Am Haus des Bräutigams angekommen, es war schon Morgen geworden, rüttelte sie mit gewaltiger Kraft am Tor. Der Bräutigam und seine Frau Wurayqa al Ḥanā’ waren auf das Dach geflohen, und als endlich die Sonne aufging über ihnen, da nahm der Jüngling große Steine, warf sie hinunter auf die Stiefmutter und erschlug sie. Und das Mädchen half ihm dabei. So wurde Hennablättlein seine Stiefmutter los, die verfluchte mit dem neidisch-bösen Blick.
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2. O Schläfer in der Nacht
E
in Kaufmann im Osten hatte Frau und Sohn. Da starb seine Frau, doch der Mann faßte sich in Geduld und als sein Sohn ein gut aussehender Jüngling geworden war, sprach er zu ihm: »Sohn, ich möchte dich verheiraten!« – »Aber Vater, hier in unserem Land möchte ich nicht heiraten, ich will gen Westen reisen!« – »Und ich, wo lassen wir mich, lieber Sohn?« – »Ich will auf Reisen gehen und umherziehen, solange, bis ich ein schönes Mädchen finde, das zu mir paßt, dann will ich heiraten!« – »Und ich, mein Sohn, ich muß mitkommen mit dir, denn außer dir habe ich niemanden auf der Welt!« – »Gut Vater, dann begleite mich auf meiner Reise!« Der Kaufmann begab sich nun zu einem Freund, hinterlegte bei ihm Vermögen und Geld und sagte dazu: Wenn Allah will, werden wir eines Tages von unserer Reise wieder zurückkommen. Was ich an Vermögen und Geld dir anvertraue, das will ich dann wieder an mich nehmen. Sollten wir aber nicht mehr zurückkehren, weil uns der Befehl Allahs traf, dann verteile alles an die Armen und Bedürftigen, zum Preise Allahs, des Allerhöchsten!« – »Ich will dein Gut verwahren, geht nur auf eure Reise, und wenn Allah will, werdet ihr wohlbehalten zurückkommen.« Am nächsten Morgen verließen der Kaufmann und sein Sohn ihr Haus, legten ihre Hand vertrauensvoll in die des Allbarmherzigen – weites Land beginnend, weites Land vor ihnen werdend, und die Erde so weit und flach – beten laßt uns zum Propheten, dem einzig Geliebten. So zogen sie von Land zu Land bis sie in die Stadt eines Königs kamen. Hier wollten sie bleiben, und als sie auf der Straße einem alten Mann begegneten, fragten sie ihn nach einer Unterkunft: »Alter«, redete ihn der Kaufmann an, »Fremde sind wir und haben keinen Platz in dieser Stadt, wo wir wohnen können.« – »Macht euch nur keine Sorgen! Ihr kommt mit mir und wohnt in meinem Haus.« – »Dank für deine Ehre und Güte!« 15
Ungefähr zehn Tage waren inzwischen vergangen, eine Dienerin für die Arbeit im Hause und zum Kochen war eingestellt, da geschah es, daß die Tochter des Königs ein Fenster des dem Haus gegenüberliegenden Schlosses öffnete und den Jüngling erblickte, der in eben diesem Augenblick ebenfalls aus seinem Fenster schaute. Er sah sie und auf den ersten Blick liebte er sie. Genauso war ihm aber auch von diesem Augenblick an die junge Prinzessin zugetan, denn er war ein schöner und starker Jüngling. Die Prinzessin wartete bis zum Sonnenuntergang, nahm einen Sklaven als Begleiter und ging hinüber in das Haus des Kaufmanns. Dort ließ sie sich zu dem Jüngling führen: »Friede sei mit dir und Allahs Barmherzigkeit! Ihr seid nicht von hier?« – »Auch mit euch Friede und Allahs Barmherzigkeit. Fremde sind wir und auf unserer Reise hierher gelangt.« – »Höre, weißt du, wer ich bin?« – »Nein!« – »Ich bin die Tochter des Königs dieses Landes!« – »Ich danke für die Ehre eures Besuches.« – »Habt ihr Geld?« – »Ja, Geld haben wir, Allah sei Dank!« – »Also gut dann für heute, ich gehe jetzt, aber vorher, da, nimm diesen Sack mit Geld. Bewahre ihn sorgfältig auf, man weiß nie, ob man eines Tages darauf angewiesen ist!« – »Aber wir brauchen wirklich nichts!« – »Los, nimm ihn schon.« – »Nun gut, dann also danke.« – »Und jetzt höre gut zu: heute abend komme ich wieder!« – »Ja, ich freue mich sehr!« Kaum war das schöne Mädchen gegangen, lief der junge Mann zu seinem Vater. »Hör zu, Vater, gerade hat mich die Tochter des Königs dieses Landes besucht. Einen Sack voll Geld hat sie dagelassen. Erst habe ich abgelehnt, doch sie bestand darauf. Vater, das Mädchen ist so unendlich schön und heute Nacht will sie wiederkommen und dann wollen wir zusammen in den Garten ihres Vaters reiten!« – »Was denn mein Sohn, die Tochter des Königs dieses Landes? Sieh dich vor, sonst stürzt du uns in schlimmes Unglück. Aber was hast du ihr geantwortet?« – »Einverstanden war ich!« – »Na ja, gar nicht schlecht gesprochen, du mußt aber genau auf ihre Worte hören!« – »Das will ich tun.« 16
Als dann die Tochter des Königs wieder erschien, saß der Sohn des Kaufmanns gerade beim Abendessen. Artig erhob er sich, begrüßte sie und bat sie, sich dazuzusetzen. Mit den Worten »Danke, ich habe schon zu Abend gegessen« wartete sie, bis der Sohn des Kaufmanns seine Mahlzeit beendet und seine Hände gewaschen hatte und sagte schließlich: »Steh jetzt auf!« – »Gut, wie du befiehlst!« Der Sohn des Kaufmanns ergriff sein Schwert, holte sein Pferd und beide ritten nun aus der Stadt hinaus in die Wildnis, wo sie bald zu einem großen Garten gelangten, in dem die schönsten Bäume, Früchte und Pflanzen wuchsen. In der Mitte des Gartens aber erhob sich ein großes Schloß und davor gab es ein wunderschönes Wasserbecken. »He Wächter« – sagte das Mädchen beim Hineinreiten – »schau dir diesen jungen Mann genau an und merke ihn dir. Wann immer er kommt, er darf hinein, und wehe, du wolltest es ihm verbieten, dann werde ich dich vor allen Leuten zur Rechenschaft ziehen!« – »Dein Befehl, o Herrin!« Die beiden ritten noch eine Weile, bis sie zu einem Birnbaum gelangten, an ihm banden sie ihre Pferde fest. In der Nähe lag ein großer Felsen, auf den sollte sich der junge Mann setzen, während die Prinzessin sich davor auf dem Boden niederließ. Die Luft war lau und es saß sich so angenehm. Sie unterhielten sich gut, bis der Kopf der Prinzessin schwer wurde und sie zum Aufbruch befahl. Von heute an kommst du jeden Abend in den Garten, dann werde ich dich auch bald zu mir nach Hause mitnehmen!« Und dieser Garten war so riesengroß, du könntest sagen, von Aden bis Lahidsch! Sie ritten zurück, zum Tor des Gartens hinaus und in die Stadt. Vor dem Haus des Alten stand schon der Vater, wie auf glühenden Holzkohlen, war der Jüngling doch sein einziger Sohn. Die Emirin verabschiedete sich – »Lebewohl und auf Wiedersehen« – rief sie ihm zu, und der Jüngling rief ihr nach – »Lebewohl, im Glück will ich dich wiedersehen!« – Jetzt aber wollte der Vater alles erfahren. »Also, was ist geschehen, wo seid ihr gewesen?« 17
– »Wunderbar war es, die Emirin nahm mich mit in einen Garten, lange Zeit saßen wir dort, in der angenehmsten Stimmung unterhielten wir uns!« – »Dann ist ja alles gut!« Am nächsten Abend begab sich der Jüngling erneut in den Garten und setzte sich auf den gleichen Felsen wie am Vorabend. Lange Zeit wartete er, doch schließlich übermannte ihn der Schlaf. Wenig später erschien die Emirin und fand den Jüngling schnarchend und schlafend vor. Doch statt ihn zu wecken, schrieb sie auf den Felsen: »O Schläfer in der Nacht Hast deine Herrin du verfehlt Als sie an dir vorbei hier ritt! Schau die Blüten, die dir jeden Wunsch erfüllen, Die Blüten kamen, als du schliefst, wie du es immer tust. Ach, hättest du gewacht, So hättest du den Ritt der Blüte nicht verfehlt!« Dann setzte sie ihren Namen unter diese Reime und ritt davon. Der Jüngling aber schlief bis zum Morgen. Als er erwachte, sagte er zu sich: ›Bei Allah, seltsam, warum nur ist die Emirin nicht gekommen, wie sie versprochen hatte?‹ Als er sich aber jetzt umschaute, da entdeckte er die Verse: »O Schläfer in der Nacht Hast deine Herrin du verfehlt Als sie an dir vorbei hier ritt! Schau die Blüten, die dir jeden Wunsch erfüllen, Die Blüten kamen, als du schliefst, wie du es immer tust. Ach, hättest du gewacht, So hättest du den Ritt der Blüte nicht verfehlt!« 18
Beschämt kehrte er nach Hause zurück, wo auch schon sein Vater fragend auf ihn wartete. »Wo bist du gewesen? Nicht einmal zum Schlafen bist du nach Hause gekommen!« – »Bei Allah, ich bin im Garten eingeschlafen, die Emirin hatte sich verspätet. Aber kaum war ich eingeschlafen, muß sie erschienen sein. Statt mich zu wecken, schrieb sie Verse auf den Felsen, in denen sie mich für meinen Schlaf tadelte: ›O Schläfer in der Nacht Hast deine Herrin du verfehlt Als sie an dir vorbei hier ritt! Schau die Blüten, die dir jeden Wunsch erfüllen, Die Blüten kamen, als du schliefst, wie du es immer tust. Ach, hättest du gewacht, So hättest du den Ritt der Blüte nicht verfehlt!«« »Hör mir gut zu, mein Sohn, du hast nur noch einen Versuch, du darfst nicht mehr einschlafen, wenn du auf die Emirin wartest. Sonst wird sie zornig über dich und läßt dir den Kopf abschlagen. Hast du verstanden?« – »Ja, Vater.« – »Und jetzt mein Vorschlag: Wenn du wieder im Garten bist, darfst du nicht einschlafen. Sobald du also spürst, daß Schlaf dich überkommen will, stehst du auf, hebst einen Stein hoch, den trägst du eine Strecke weit, dann wirfst du ihn hin, ruhst dich eine Weile aus, und sobald du dich wieder munter fühlst, ergreifst du den Stein wieder, läßt ihn fallen, und so immerzu, bis die Emirin erscheint. Schau, dein Vater ist schon lange ein Mann!« – »Gut Vater, so werde ich es halten.« Die Sonne ging unter, der Jüngling nahm sein Abendessen und sagte dann seinem Vater Lebewohl. »Nimm dich in acht mein Sohn, vergiß nicht, was ich dir geraten habe. Wenn du Erfolg haben willst, bleibe wach wie am ersten Abend. Wenn du gewinnen willst, schlafe nicht, und wenn Allah will, dann kommt sie zu dir auf deine Hand wie ein Vögelein, ganz so, wie du es wünschest!« 19
Der Jüngling ritt in den Garten, setzte sich auf den Felsen, aber schon bald verspürte er Schläfrigkeit. Da erhob er sich, packte einen Stein, trug ihn eine Strecke von fünfzig Schritten, ließ ihn fallen, setzte sich darauf, bis er sich erholt hatte, hob ihn dann wieder auf, schleppte ihn zurück, und so immer fort, bis die Emirin vor ihm stand. »Gut, heute abend gefällst du mir, komm, laß uns jetzt ein Stück weitergehen!« – »Aber hier ist es doch so angenehm, warum sollen wir von hier fort?« – »Zu einem noch schöneren Ort als diesem hier!« – »Wie du befiehlst!« Sie bestiegen ihre Pferde, ritten durch den Garten und gelangten bald zu einem noch herrlicheren Schloß. Don banden sie die Pferde an und betraten den Palast durch ein Spalier von Dienern und Sklaven. Die Emirin ließ alle Lichter entzünden und die Lampen aus Alabaster, bis das ganze Schloß hell erstrahlte. Dann führte sie ihren jungen Geliebten in ihr Schlafzimmer, setzte sich auf ihre schön geschnitzte Liege und forderte ihn auf, sich neben sie zu setzen. Schließlich streckte sie sich aus und bat ihn, sich neben sie zu legen, denn sie liebte diesen Jüngling und sagte es ihm auch: »Dich begehre ich!« – »Und ich begehre dich genauso wie du mich, und noch viel mehr!« So blieben sei eine Weile, dann brachten die Diener Essen jeglicher Art, Röstfleisch und junges Schaf vom Lande, und noch viele andere Köstlichkeiten. »Steht nun auf, Herrin, das Essen ist bereit«, sprach die oberste Dienerin, und, berauscht vom Glück, kauerten das Mädchen und der Jüngling sich nieder an die auf dem Boden ausgebreitete Matte und aßen nach Herzenslust. Nach dem Essen kehrten sie zurück in das Schlafgemach, und jetzt war die Emirin fester entschlossen als je, den Jüngling für sich zu gewinnen, auf welche Weise auch immer! Ja, er wäre glücklich, wenn er sie besitzen dürfe, antwortete er – doch erst nach der Hochzeit! So verweilten sie bis in die frühen Morgenstunden, löschten schließlich die Öllampen und die Leuchter und ritten zurück in die Stadt. »Vater, ich habe es genauso gemacht, wie du mir geraten hattest. 20
Als ich anfing, müde zu werden, trug ich einen schweren Stein so lange hin und her, bis die Emirin kam und wir zu einem anderen großen Schloß ritten, mitten in dem Garten. Die Diener dort bereiteten uns ein köstliches Mahl. Dann führte mich die Emirin in ihr Schlafzimmer, wir haben uns auf ihre Liege gelegt und uns lange unterhalten. Und gegen Ende der Nacht bat mich das Mädchen, ihren Vater aufzusuchen und um ihre Hand anzuhalten im Madschlis, da wo sich der König mit seinen Ministern trifft, wo er Musik hört und Gesang, und sich die Zeit vertreibt. Meine besten Kleider solle ich tragen, hat sie befohlen. Die Diener würden mich erst nicht eintreten lassen wollen, ich solle aber gar nicht auf sie achten, Mut fassen und hineingehen. Dann müsse ich vor den König treten und erklären, daß ich mit ihm über seine Tochter, die Emirin, sprechen wolle. Ein Fremder sei ich, von Osten gekommen. Der König werde viel, viel Geld als Brautpreis für seine Tochter fordern. Dem müsse ich sofort und ungeteilt auf der Stelle zustimmen ohne Zögern, was er auch verlange. Und sollte mir an dem Betrag etwas fehlen, dann würde sie selbst es beischaffen und mir schenken. So hat es die Emirin mir versprochen. Was hältst du von alledem, Vater?« – »Gute Nachrichten, mein Sohn. Mein Geld, alles was ich besitze, gebe ich dir gerne dazu. Du aber bitte Allah, daß er dir Erfolg schenke.« Am Morgen legte der Jüngling seine besten Kleider an und begab sich ins Madschlis. Da saßen der König, die Minister und die Vornehmen, alle saßen sie da. Auf des Jünglings Gruß: »Friede sei mit euch, Allahs Barmherzigkeit und sein Segen« gab ihm der König freundlich zur Antwort: »Nun mein Sohn, was bringt dich hierher?« – »Bei Allah, aus einem fernen Lande komme ich, und mein sehnlichster Wunsch ist es, eine Braut zu finden. Jetzt habe ich gehört, daß der König eine Tochter hat und deshalb, lieber Herr, bin ich hier erschienen als Werber und Bitter, deine Tochter mir zur Frau zu geben ersuche ich dich.« – »Gut, an sich habe ich keine Einwände, aber den Brautpreis wirst du nicht bezahlen können!« – Was du forderst, so wie du 21
es bestimmst, das will ich zahlen!« – »Der Brautpreis für meine Tochter ist Gold, Gold auf der Waage: Die Tochter auf der einen Waagschale, und das Gold auf der anderen. Kannst du diese Bedingungen erfüllen?« – »Nur keine Sorge. Wenn du mir das Mädchen anvertrauen willst, dann bekommst du ihr Gewicht in Gold: Das Mädchen auf der einen Waagschale und auf der anderen ihr doppeltes Gewicht in Gold!« – »Ha, damit bin ich aber sehr einverstanden. Wann bist du zum Abwiegen bereit?« – »Morgen, so Allah will!« – »Sehr gut!« Auf der Stelle begab sich der König zu seiner Tochter, um ihr alles zu berichten. »Als ich mit meinen Ministern und Edlen im Madschlis saß, da erschien ein junger Mann und erklärte, daß er als Werber und Bitter um dich gekommen sei. Schmutz in sein klares Wasser wollte ich ihm gießen und verlangte von ihm dein Gewicht in Gold, du auf der einen Waagschale und das Gold auf der anderen. Damit war er nicht nur gleich einverstanden, sondern bot dazu an, dein Gewicht gleich zweimal zu bezahlen! Was sagst du dazu? Bist du damit einverstanden, ihn zu heiraten?« – Wenn du damit einverstanden bist, Vater, dann bin ich es auch. Wann soll denn gewogen werden?« – »Morgen früh, so Allah will. Morgen früh kommst du in das Madschlis herunter zum Wiegen, so wie es abgesprochen ist.« – »Gut, Vater.« Schnell holte das Mädchen jetzt Gold aus der Schatzkammer seines Vaters und füllte einen großen Sack damit. Dann befahl sie ihrem Sklaven, diesen Sack in das Haus des Jünglings, den sie so sehr liebte, zu tragen. Und etwas später ging die Emirin selber hinüber zu dem Haus, um sich zu überzeugen, daß der Goldsack wohlbehalten eingetroffen war. Schnell verabschiedete sie sich jedoch wieder und kehrte ins Schloß zurück. Am nächsten Tag machte sich der Jüngling bereit. Angetan mit seinen besten Kleidern begab er sich in das Schloß. Der König, die Minister, die Edlen und die Sklaven waren bereits versammelt und erwarteten den Jüngling. Wenn du dein Versprechen nicht erfüllen und das Gold nicht aufbringen kannst, dann wird dir der Kopf abgeschlagen«, sagte man ihm. 22
»Friede sei mit euch!« – »Und Friede mit dir.« – So trat der Jüngling ein, bekam einen Ehrenplatz zugewiesen und durfte niedersitzen. »Also, das Gold, das du bringen wolltest, wo ist es?« – »Gebt mir einen Sklaven, damit er mir beim Tragen hilft!« – »Gut, Mubarak geh mit diesem Jüngling und hilf ihm beim Tragen seines Sackes, in dem das Gold sein soll!« Inzwischen war auch schon die Braut gekommen und hatte in einer Ecke des Madschlis Platz genommen. Der Jüngling kam mit dem Sklaven zurück. Der schleppte den Ledersack mit dem Gold und als er ihn abzusetzen versuchte, ließ er ihn fallen, so schwer war er. Die Tochter des Königs stieg auf die Waagschale, den Ledersack mit dem Gold setzte man auf die andere. Da wog das Gold so schwer, daß die Schale mit dem Mädchen in die Höhe schnellte und das Mädchen oben schwebte. Der König wollte das Gold, das über das doppelte Gewicht seiner Tochter hinausging, wegnehmen lassen, doch der Jüngling beschied ihn: »Nein, lieber Schwiegervater, laß den Mehrbetrag als Zeichen der Ehrerbietung für deine Tochter und bestimme, wann der Ehevertrag geschlossen werden soll!« – »Jetzt gleich, mein Sohn, jetzt gleich wird der Vertrag geschlossen, so Allah will!« Man holte den Kadi, er kam und traute das Mädchen dem Jüngling an, und auch der Kaufmann, der Vater des Jünglings, war dabei. Der Hochzeitszug fand statt und der überglückliche Jüngling nahm die Braut auf in sein Haus. Der König veranstaltete ein großes Freudenfest, Tiere wurden geschlachtet, Festmähler gegeben, Freude herrschte und Glück, eine ganze Woche lang dauerten die Feste. Eine Zeitlang blieben sie noch im Haus des Kaufmanns wohnen, dann aber zogen beide hinüber in das Schloß. Hier lebten sie in Seligkeit und Glück und zeugten Söhne und Töchter.
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3. Der Strauß des Sultans
E
s war einmal ein schönes Mädchen in der schönsten Blüte ihrer Jugend. Stolz auf ihre Schönheit schaute sie herab auf alle Menschen des Landes: keine konnte sie entdecken, die schöner war als sie. Eines Nachts öffnete sie die Türe des Hauses ihres Vaters und begab sich hinaus in die Wildnis an einen einsamen Ort, und als der Mond aufging, sprach sie ihn an: »Lieber Mond, gibt es ein schöneres Mädchen in diesem Land als mich?« – »Nein, niemals, ein so schönes Mädchen wie dich gibt es nicht in diesem weiten Land!« – »Ich danke dir, lieber Mond.« Das Mädchen kehrte nun wieder in das Haus ihres Vaters zurück. Einige Tage später geschah es, daß sie heiratete. Und als sie eine Zeitlang verheiratet war, erwartete sie ein Kind, freute sich sehr darauf und wünschte sich, einen Sohn zur Welt zu bringen. Doch als der Augenblick der Niederkunft kam, da gabar sie ein Mädchen. Sie war traurig darüber, da sie sich doch so sehr einen Knaben gewünscht hatte. Drei Tage später ging sie wieder, diesesmal mit ihrem Töchterchen auf dem Arm, aus dem Haus, um den Mond zu befragen. Sie begab sich zu der bekannten Stelle, und als der Mond aufging, rief sie ihm zu: »O Mond, hier bin ich vor deinem Angesicht. Gibt es hier in den Häusern oder im Lande einen Menschen, der schöner ist als ich?« – »Ja, heute abend gibt es eine, die schöner ist als du!« – Wer soll das sein, die da schöner ist als ich?« – »Dieses Kindchen da auf deinem Schoß, das wird schöner als du!« – »Seltsam, bei Allah, dieses Wort!« Da beschloß die junge Frau, ihr Töchterchen zum Schloß des Afrit zu bringen, damit der Afrit es auffräße, weil sie niemanden dulden wollte, der schöner sei als sie. Ein wenig größer werden ließ sie ihre Tochter noch, dann aber brachte sie sie zum Eingang des Schlosses des Afrit, das dort an eben jenem einsamen Ort lag. Sie schaute sich um, weit und breit war niemand zugegen, legte ihre Tochter auf die Treppe und rannte davon. Das 24
Kindchen schrie, doch niemand fand sich, der ihm geantwortet hätte. Als der Afrit in derselben Nacht zu seinem Schloß zurückkam, hörte er das Schreien des kleinen Mädchens, suchte nach ihm und sprach zu sich selbst: ›Das ist ein kleines Mädchen, es zu fressen lohnt nicht. Am besten ist es, wenn ich es aufziehe und lasse es werden und halte es so, wie wenn es meine eigene Tochter wäre, und noch besser. Das wird ein Werk für Allah und nach Allahs Wunsche.‹ Der Afrit holte Milch und gab dem Kind zu trinken. Nach geraumer Zeit wurde aus dem Kind ein Mädchen, der Afrit verwöhnte es und schenkte ihm, was es sich nur wünschte, Essen und Kleider, und vieles mehr. Auch ließ er dem Mädchen die allerbeste Erziehung angedeihen. Und das Mädchen war des Glaubens, der Afrit sei sein Vater. Eines Tages beschloß der Afrit, auf Reisen zu gehen und sagte zu dem Mädchen: »Höre, jetzt gehe ich fort und werde lange umherziehen. Was ich dir sage, ist wichtig, das mußt du dir gut merken. Während meiner Abwesenheit darfst du im ganzen Schloß umhergehen, jedes Fenster magst du öffnen, doch jenes Fenster dort, das öffne niemals! Hast du meine Rede gut verstanden?« – »Jawohl, Vater!« Das Mädchen hielt sich nach der Abreise des Afrit genau an das, was er ihm befohlen hatte. Doch eines Tages sprach es zu sich selbst: ›Bei Allah, seltsam ist das. Warum hat mir mein Vater erlaubt, alle Fenster zu öffnen, mir aber verboten, dieses eine hier aufzumachen? Da muß es ein Geheimnis geben. Ich will das Fenster öffnen und nachsehen. Doch besser ist’s, wenn ich erst noch einmal darüber nachdenken Drei Tage wartete es noch und dachte über die Geschichte mit dem Fenster nach, dann sagte es sich: ›Bei Allah, ich muß es öffnen, dieses Fenster, und sehen, was für ein Geheimnis dort wartet.‹ Sie öffnete es und erblickte ein Schloß, an seinen vier Ecken von stolzen Hörnern gekrönt, und im Garten des Schlosses entdeckte sie einen wunderschönen Vogel Strauß. Den redete sie gleich an: »Einen Morgen voller Glück, o Strauß des 25
Sultans!« – »Einen Morgen voller Licht, o Tochter des Afrit, deines teuflischen Vaters: Noch pflegt er dich und hätschelt dich – Doch einmal kommt er spät nach Haus – Dann packt er dich und frißt dich auf!« Das Mädchen zog sich zurück, setzte sich und dachte nach: ›Wieso soll mich mein Vater denn auffressen? Das gibt doch keinen Sinn, was also soll diese Rede?‹ Doch von da an fühlte sich das Mädchen jeden Tag erneut zu dem Fenster hingezogen, das sich zwischen den beiden Schlössern auftat, rief dem Strauß den Morgengruß zu und sprach ihn an: »Einen Morgen voller Glück, o Strauß des Sultans!« Aber der Strauß antwortete ihr immer wieder, jeden Morgen, mit den gleichen bösen Worten: »Einen Morgen voller Licht, o Tochter des Afrit, deines teuflischen Vaters: Noch pflegt er dich und hätschelt dich – Doch einmal kommt er spät nach Haus – Dann packt er dich und frißt dich auf!« So ging es eine ganze Zeitlang, das Mädchen beunruhigte sich immer mehr, aß nicht mehr, seine Gesundheit wurde immer schlechter. Und wie sie jeden Tag dünner wurde, da redete sie der zurückgekehrte Afrit fragend an: »Tochter, komm, setz dich vor mich hin.« – »Ja, gern.« – »Hör zu, meine Tochter. Ich habe dich aufgezogen und dir jeden Wunsch erfüllt. Nie habe ich dir in all diesen Jahren etwas verweigert, und wenn man es vom Ende der Welt hätte bringen müssen, und von da, wo die Sonne aufgeht. Nun aber mußt du mir sagen, was dich so krank macht, du bist ja nur noch zur Hälfte übriggeblieben. Was ist es, das dich so unglücklich macht; du mußt mir erzählen, was dir geschehen ist, damit ich dir helfen und dir deine Gesundheit und deine frühere Gestalt wiedergeben kann. Ich mache mir große Sorgen um dich.« 26
»Wenn ich ganz offen mit dir spreche, Vater, wirst du dann auch nicht böse sein mit mir, und wirst du mich auch nicht schlagen?« »Was denn, ich bin doch dein Vater, ich werde dich nie schlagen. Erzähle nur, sprich voller Vertrauen mit mir, ich werde dich gewiß nicht aus meinen Augen verbannen. Und warum sollte ich dich schlagen, wo du doch meine geliebte Tochter bist!« »Also, Vater, höre: Hattest du mir nicht untersagt, ein bestimmtes Fenster zu öffnen? Doch ich habe es nicht lassen können. Als du fort warst, mußte ich es öffnen. Da entdeckte ich drunten im Garten einen Vogel Strauß. Ich habe ihm ›einen Morgen voller Glück, o Strauß des Sultans‹ gewünscht, und der Strauß hat darauf geantwortet: Einen Morgen voller Licht, o Tochter des Afrit, deines teuflischen Vaters! Noch pflegt er dich und hätschelt dich – Doch einmal kommt er spät nach Haus – Dann packt er dich und frißt dich auf! Und dann hat sich dieser Gruß in meinem Kopf festgesetzt, darum bin ich so ängstlich geworden, darum fing ich an, das Leben zu hassen.« – »So sehr hat es sich dir in den Verstand eingeprägt?« – »Ja, Vater!« – »Hör zu, von jetzt an und in Zukunft darfst du das Fenster mit meiner Erlaubnis öffnen. Und wenn dich dann der Strauß mit seinem Gerede bedroht, dann antwortest du ihm mit starken Worten: ›Einen Morgen voller Glück, o Strauß des Sultans: Mein Vater zieht mich auf und hätschelt mich – Mit dem Sohn des Sultans verheiratet er mich – Doch wenn Allah will, dann packt man dich – Und über dein Federkleid hin schreite ich!‹
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Und mit diesen Worten schlägst du ihm das Fenster vor der Nase zu.« – »Gut, lieber Vater, so wie du gesagt hast, werde ich es tun.« Als der Afrit am nächsten Tag das Haus verlassen hatte, ging das Mädchen zum Fenster, öffnete es und redete den Strauß an: »Einen Morgen voller Glück, o Strauß des Sultans! Mein Vater zieht mich auf und hätschelt mich – Mit dem Sohn des Sultans verheiratet er mich – Doch wenn Allah will, dann packt man dich – Und über dein Federkleid hin schreite ich! Da wunderst du dich nun, ha, hast du’s verstanden?« Von da an verlor der Strauß an Gewicht und wurde dünner und dünner jeden Tag. Seine Federn fielen aus und das, obwohl der Sultan in seinem Garten nichts so sehr liebte wie diesen schönen Vogel. Als der Sultan feststellen mußte, wie der Strauß dünner und dünner und ganz räudig wurde, da fiel der Sultan über die Sklaven her, die in seinem Garten arbeiteten. Mit der Pferdepeitsche schlug er sie – ssst. Was mochte nur der Grund sein, daß der Strauß abmagert, daß er räudig wird und ihm alle seine Federn ausfallen? Seine Diener fuhr der Sultan an: »Ihr Schurken, ihr kümmert euch nicht um den Strauß, das muß es sein, ihr schaut nicht nach ihm, ihr pflegt ihn nicht, ihr füttert ihn nicht, ihr vernachlässigt ihn!« »Bei Allah, jeden Tag kümmern wir uns um ihn, füttern ihn, pflegen ihn, tun alles für ihn. Den Grund für seine Krankheit können wir uns nicht erklären. Du, unser Herr und Sultan, schlägst uns, dabei sind wir, Allah ist Zeuge, unschuldig!« Wenn ihr euch nicht um den Strauß sorgt, bekommt ihr noch mehr Schläge. Tragt Sorge, daß er wieder so wird wie er war!« Die Diener des Sultans setzten sich im Garten zusammen und überlegten, was sie tun müßten, denn sie fürchteten sich vor den Schlägen. So redeten sie untereinander und miteinander, und schließlich sagte ihr Oberaufseher: »Bei Allah, der Sultan liebt 28
seinen Strauß mehr als alle Tiere in diesem Garten. Der Vogel ist krank geworden, doch wir wissen nicht, was ihm fehlt. Der Sultan hat seine Schläge auf uns niederfahren lassen, bei Allah, wir müssen einen Ausweg finden! Mein Vorschlag ist, dem Strauß scharf nachzuspähen, so scharf wie ein Jäger, vom frühen Morgen bis hin zum Ende der zwölften Stunde am Abend. So werden wir das Geheimnis seiner Krankheit aufdecken!« Der Oberaufseher blieb im Garten und ließ den Strauß nicht mehr aus den Augen, vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Und plötzlich konnte er beobachten, wie der Strauß erst hin- und hersuchte und sich dann zu der Wand mit dem Fenster begab. Es öffnete sich, ein schönes Mädchen schaute heraus, wartete, bis es den Strauß erblickte und redete ihn dann mit den Worten an: »Einen Morgen voller Glück, o Strauß des Sultans! Mein Vater zieht mich auf und hätschelt mich – Mit dem Sohn des Sultans verheiratet er mich – Doch wenn Allah will, dann packt man dich – Und über dein Federkleid hin schreite ich!« Zu Ende gesprochen, warf das Mädchen den Fensterladen zu und verschloß ihn. Der Oberaufseher aber hatte alles beobachtet. Er zog sich in einen Winkel zurück und versteckte sich. So hielt er es am ersten Tag, am zweiten Tag, am dritten Tag. Er wollte es ganz genau wissen, denn wäre er zum Sultan gegangen, ohne seiner Sache völlig sicher zu sein, hätte ihn schwere Strafe getroffen. Jeden Tag konnte er nun beobachten, wie früh am Morgen der Fensterladen aufging, wie das Mädchen erschien und wie es stets die gleiche Rede wiederholte und dann das Fenster schnellstens wieder zuwarf. An diesem dritten Tag kam der Sohn des Sultans in den Garten, zornig über die Krankheit, die den Vogel seines Vaters befallen hatte. »He ihr Diener, welchen Grund habt ihr herausgefunden 29
für die Krankheit des Vogels Strauß, mein Vater ist maßlos zornig!« Da erhob der Oberaufseher des Gartens seine Stimme: »Warte, Sohn unseres Herrn und Sultans, den Grund für die Krankheit des Vogels Strauß kennen wir. Doch da gibt es ein Geheimnis. Kommt, ich werde euch die Geschichte unter vier Augen erzählen.« – »Gut, wird es auch die Wahrheit sein?« – »Kommt nur mit, und ich werde euch alles zeigen und erzählen.« Der Oberaufseher nahm den Sohn des Sultans zur Seite: »Ihr seht dort das Schloß des Afrit?« – »Ja, sehe ich.« – »Hört, an dem Fenster dort erscheint ein Mädchen. Ich habe es genau beobachtet, scharf wie ein Jäger, jeden Morgen öffnet dieses schöne Mädchen das Fenster und redet den Strauß mit den Worten an: ›Einen Morgen voller Glück, o Strauß des Sultans! Mein Vater zieht mich auf und hätschelt mich – Mit dem Sohn des Sultans verheiratet er mich – Doch wenn Allah will, dann packt man dich – Und über dein Federkleid hin schreite ich!‹« »So redet sie mit dem Strauß?« – »Jawohl!« – »Am besten sehe ich mir das selbst an und überzeuge mich.« – »Gut so!« Am nächsten Morgen versteckten sich der Sohn des Sultans und der Oberaufseher, wenig später ging auch schon das Fenster auf. Das schöne Mädchen erschien und sagte seinen Spruch. Danach warf es das Fenster schnell wieder zu. Der Sohn des Sultans aber war verwundert und betroffen. Das Mädchen gefiel ihm so sehr, und ihr schönes weiches Haar, wie er solches in seinem Leben noch nie gesehen hatte, ging ihm nicht mehr aus dem Sinn. Zum Oberaufseher aber sprach er: »Woher kommt dieses Mädchen in all seiner Schönheit, wie ich solche noch niemals gesehen habe, nicht in diesem Land und nicht in einem anderen?« – »Diese Jungfrau lebt im Nachbarschloß.« – »Seltsam, bei Allah, diese Sache.« 30
Und auf der Stelle ging der Sohn des Sultans zu seinem Vater: »Das Sultanat will ich nicht, und auch sonst will ich nichts, gar nichts!« – Wieso denn mein Sohn, was ist denn geschehen?« – »Ich möchte, daß du auf mein Ziel und meinen Wunsch eingehst. Und wenn du auf meinen Wunsch nicht eingehen solltest, dann bin ich dein Sohn nicht mehr und gehe fort und stürze mich ins Meer!« – »Bitte mich um was du willst und ich habe es dir schon vorher gegeben, mach dir keine Sorgen!« – »Dann hör zu, Vater: Wie du weißt, ist es nun einen Monat her, seit der Strauß im Garten vor sich hinstirbt. Du hast die Diener geprügelt, doch ich kenne jetzt das Geheimnis. Es hängt mit dem Schloß zusammen, das an unseren Garten grenzt und dem Afrit gehört. Jeden Tag öffnet die Tochter des Afrit das Fenster und fällt mit schlimmen Worten über den Strauß her. Ich habe sie selbst gesehen und noch niemals zuvor erblickte ich so etwas unglaublich Schönes wie sie. Vater, was ich mir wünsche, ist, daß du mich mit diesem Mädchen zusammenbringst, sonst muß ich mich ins Verderben stürzen, denn so sehr liebe ich sie, daß ich ohne sie nicht mehr leben kann!« »Aber das ist doch ein Afrit, mein Sohn, wie soll es denn da möglich sein, daß er eine Tochter hat?« – »Doch, Vater, dieser Afrit hat eine Tochter, ich habe sie mit meinen eigenen Augen gesehen, mehr weiß ich nicht, und wenn es mir jemand anders berichtet hätte, würde ich ihn als erster einen Lügner nennen. Das ist die Wahrheit – ich habe mich selber vergewissert.« – »Nun, wenn es so ist, dann will ich mir Gedanken darüber machen.« Der Sultan dachte drei Tage lang über einen geeigneten Weg nach. Dann, am nächsten Morgen, schickte er eine Gesandtschaft zum Afrit. Der Afrit empfing sie und fragte: Was wünscht ihr, welche Nachricht bringt ihr?« – »Bei Allah, der Sultan, Herrscher des Landes, hat uns zu dir gesandt. Er läßt dir ausrichten, um deine Tochter werbe und bitte er. Von dir wünscht er, du mögest einverstanden sein mit der Heirat zwi31
sehen seinem Sohn und deiner Tochter!« – »Sagt eurem Sultan, er möge aufhören mit seiner Rede, denn ich bin ein Afrit und ein Afrit hat keine Söhne und keine Töchter. Wenn euer Sultan nochmals solche Rede führt, dann wird er erleben, was ich mit ihm anfange! Dann soll er kein Vertrauen setzen in sein Heer oder in sonst irgendetwas! Das berichtet ihm ganz deutlich, solch dumme Rede will ich nie mehr hören!« Die Gesandtschaft des Sultans kehrte zurück in das Schloß und berichtete: »Der Afrit hat uns erklärt, er habe keine Söhne und keine Töchter. Er warnte uns, ein zweites Mal zu erscheinen. Wenn dies doch geschehe, dann hättest du dich selber für die Folgen zu tadeln, denn dann werde er dir dein Land zuunterst und zuoberst kehren. Er fürchte dich nicht, und nichts auf der Welt, so sagte er, und er erkenne niemand an, nur sich selbst!« Da wandte sich der Sultan seinem Sohne zu: »Hast du vernommen, was der Afrit, dessen Tochter du zur Frau begehrst, hat ausrichten lassen?« – »Gar nichts habe ich gehört, ich will das Mädchen und werde es selber aufsuchen, und wenn der Afrit mich umzubringen droht!« – »Du mein Sohn, du übst dich erst einmal in Geduld, ich denke mir schon einen besseren Weg aus!« Am Tag darauf schickte der Sultan erneut eine große Gesandtschaft, zehn Personen. Als der Afrit sie kommen sah, rief er ihnen zu: »Was ist los, und was wollt ihr schon wieder?« – »Der Sultan schickt uns noch einmal zu dir. Er läßt dir ausrichten, daß er deine Tochter zur Braut für seinen Sohn wünscht und dich um dein Einverständnis bittet!« – »Habe ich euch nicht schon beim vorigen Mal erklärt, daß ich keine Töchter habe? Und habe ich euch nicht gewarnt, wiederzukommen und euch Ärger einzuhandeln?« – »Doch, das waren deine Worte, aber heute sind wir zehn und es wäre eine Schande, wenn du uns zurückweist. Darum gib dein Einverständnis zur Heirat unseres jungen Herrn mit deiner Tochter!« – »Ich weise euch ab und wiederhole, ich weise euch ab und ab! Eurem Sultan aber erklärt ihr, dieser Afrit will das Gerede vom Heiraten nicht, niemals, 32
weil er keine Tochter hat. Wenn sich der Sultan stark genug fühlt, dann möge er sein Heer gegen mich führen. Dann wird er schon erkennen, was dabei herauskommt! Habt ihr meine Rede verstanden?« – »Jawohl, wir haben!« Über dieser Antwort saßen sie einen ganzen Monat lang. Jeden Morgen ging der Sohn des Sultans in den Garten und immer wieder überzeugte er sich davon, daß ein Mädchen im Schloß des Afrit lebte und daß sie es war, die der Afrit nicht verheiraten wollte. Schließlich sandte der Sultan einhundert Männer als Gesandtschaft zum Afrit: »Zum dritten Mal schickt uns der Sultan und läßt dir bestellen, er bitte um deine Tochter, um sie mit seinem Sohn zu verheiraten!« – »Nun gut jetzt, hört mich an: Sagt eurem Sultan, heute abend soll er mit seinem Sohn und seinem ganzen Heer hier erscheinen. Auf dem großen Platz wird das Heer stehenbleiben und er und sein Sohn müssen vortreten.« – »Gut, diese Botschaft werden wir überbringen.« Die Gesandtschaft kehrte zum Sultan zurück, dessen Sohn angstvoll auf die Antwort des Afrit wartete. Diesmal konnte der Führer der Gesandtschaft endlich etwas Neues berichten: Der Afrit sei einverstanden, sie zu treffen, den Sultan und seinen Sohn, am nächsten Tag. Der Sultan müsse mit seinem Heer auf dem großen Platz erscheinen, dort wolle der Afrit mit dem Sultan und dem Sohn des Sultans reden. Bei Sonnenuntergang rückten der Sultan, sein Sohn und das Heer aus, auf Pferden und mit Musik, und zogen auf den großen Platz. Hier warteten sie die ganze Nacht. Am nächsten Morgen erschien der Afrit, ließ den Sultan und seinen Sohn vortreten, so daß sie zwischen ihrem Heer und dem Schloß des Afrit standen, dann kam er selbst herab. »Friede sei mit euch – gibt’s was Neues?« – »Und Friede mit dir! Doch die Nachricht hast du längst gehört! Wir kommen, um deine Verwandten werden zu dürfen, meinen Sohn möchte ich mit deiner Tochter verheiraten. Um gegen dich zu kämpfen, deswegen sind wir gewiß nicht gekommen!« – »Ich könnte euch in die Luft wirbeln, euch alle, mitsamt dem ganzen Heer. Was 33
wollt ihr denn? Ließ ich euch nicht ausrichten, daß ich keine Töchter habe, was ist das also für leeres Gerede?« – Warum sprichst du so? Gekommen sind wir, weil dieser mein Sohn das Mädchen sah, das vom Fenster deines Schlosses aus mit dem Strauß redet. Mein Sohn ist vor Liebessehnsucht schon beinahe gestorben. Darum komme ich zu dir, um deine Tochter zu werben, wie es sich gehört, und um dein Einverständnis einzuholen!« »Höre Sultan, ich habe keine Töchter, aber ein Mädchen lebt bei mir, das ich seit seiner Kindheit aufgezogen habe, seit sie fünfzehn Tage alt war. Jetzt ist sie zu einer schönen Jungfrau herangewachsen. Weil du, o Sultan, so offen und hingebungsvoll zu mir gesprochen hast, so wisse denn, daß diese junge Frau in meinem Schloß lebt. Ich will sie fragen, ob sie gewillt ist, zu heiraten. Niemand wird sie zur Heirat zwingen, und selbst wenn du dein ganzes Heer aufbieten würdest, so könntest du sie nicht zwingen, niemals. Und aufgepaßt! Versucht in solchem Falle nicht, euch meinem Schloß auch nur zu nähern. Ist diese meine Rede klar?« – »Ja. Und was sollen wir tun?« – »Habt einen Monat lang Geduld, ich werde inzwischen handeln.« – »Einverstanden, Dank dir und auf Wiedersehen!« – »Geht in Frieden!« Der Afrit kehrte in sein Schloß zurück und machte sich eine angenehme Zeit, ohne Erinnerungen und Sorgen, und als er seine Tochter eines Tages besonders glücklich sah, besprach er sich mit ihr. »Tochter!« – »Ja, Vater?« – »Komm, setz dich neben mich.« – »Ich höre und gehorche.« – »Ich habe etwas mit dir zu besprechen. Ahnst du vielleicht, was ich dir erzählen möchte?« – »Natürlich nicht, was sollte ich ahnen?« – »Gut, also du mußt ganz offen zu mir sein wie jemand, der mit seinen lieben Angehörigen spricht und sage nicht, das ist doch mein Herr Vater. Trau mir nur, wie stets in allen Dingen, und sei ganz offen!« – »Gut, aber so ist es doch immer, sprich nur!« »Also nun höre, meine Tochter: Heute enthülle ich dir die Wahrheit. Und die Wahrheit ist: Du bist nicht von meinem 34
Fleisch, doch ich liebe dich mehr, als wenn du es wärest. Aufgezogen habe ich dich von dem Tage an, als du noch ein Kindchen warst, fünfzehn Tage alt, hingeworfen auf meine Treppe. Jetzt bist du erwachsen, um selbst zu entscheiden, was gut für dich ist, was dir gefällt und was dir nicht gefällt. Hast du das verstanden?« – »Ja, ich habe alles verstanden, sprich weiter, lieber Vater!« – »Der Sohn des Sultans, dem das Land gehört – sechs Monate sind es nun schon her, daß dieser Sohn hinter dir herläuft – erzählt, wie er dich am Fenster hat stehen sehen, und er hat gehört, wie du mit dem Strauß im Garten des Sultans sprichst. Er liebt dich und immer wieder sendet sein Vater Männer, die um dich werben sollen. So sehr besteht er auf seinem Verlangen, daß ich schon zweimal daran war, ihn zu töten. Doch dann habe ich beschlossen, dich zu fragen und nach deiner Meinung zu handeln. Wenn du heiraten willst, nach Recht und Gesetz, dann sage es mir. Habe keine Scheu, sei ganz freimütig. Wenn du aber noch nicht heiraten möchtest, dann sage mir auch das in aller Offenheit. Was du mir vorschlägst, werde ich tun!« – »Ich? Ich wünsche das, was du willst. Deine Tochter bin ich, wenn du mich verheiraten willst, dann verheirate mich, und wenn du mich bei dir behalten willst, dann behalte mich. Wenn du mich fortjagen willst, dann jage mich fort, und wenn du mich töten willst, dann töte mich. Tu mit mir, was du für richtig hältst, und so soll es sein. Du bist ja so viel klüger als ich!« – »Also gut, dann will ich abwarten und nachdenken, vier Tage lang, dann treffe ich die Entscheidung. Du aber, auch du machst dir Gedanken, damit ein gutes Ergebnis zustande kommt.« – »Ja, wir wollen zusammen nachdenken!« Die vier Tage vergingen und der Afrit kam zu seiner Tochter, um wieder mit ihr zu sprechen: »Nun, meine Tochter, was hast du zu sagen?« – »Meine Meinung hast du doch schon beim letzten Mal gehört, mach dir also nicht das Leben schwer. Was dir recht ist, mit dem bin auch ich einverstanden. Unter deiner Hand stehe ich, unter deiner Aufsicht. Was du willst, das befiehl mir, ich bin dir gehorsam.« 35
»Also, ich will dich verheiraten.« – »Ganz wie du magst.« – »Ich nehme die Werbung des Sultans an, doch nur unter einer Bedingung: Am Tag der Hochzeit muß er befehlen, den Strauß im Garten töten zu lassen, noch bevor du das Schloß betrittst. Ich gehe vor dir her und du setzt deinen Fuß auf den Nacken des Straußes und auf sein Gefieder. So rächst du dich an ihm für Krankheit und Angst. Der Tag der Rache an dem Strauß ist jetzt gekommen.« – »O ja, Vater! Das will ich! Er hat mich so schrecklich gepeinigt, krank gemacht und mich dich fürchten lassen.« – »Gut, so sind wir uns also einig?« Zehn Tage später rief der Afrit den Sultan und seine Leute. Und die wollten wissen: »Wird es also gut werden, welche Nachricht gibst du uns heute?« – »Es ist alles geregelt, das Mädchen ist einverstanden mit der Heirat und ich bin es auch.« – »Dann nenne uns jetzt die Brautgabe!« – Was soll ich verlangen?« – Willst du Gold?« – »Nein, Gold habe ich genug.« – »Dann fordere was du willst und – in scha’ Allah – ich werde es dir beschaffen!« – »Alles gehört mir! Nur eine einzige Sache will ich: Der Vogel Strauß muß aus dem Garten verschwinden, jener Strauß, der meine Tochter so sehr verängstigte und sie so lange krank gemacht hat. Wenn ich am Tage der Hochzeit meine Tochter in euer Schloß bringe, dann müßt ihr den Strauß vor das Tor führen lassen. Wie eine schwarze Wolke werde ich dann über euch kommen. Ihr tötet den Strauß und legt ihn vor das Tor. Meine Tochter, die Braut, wird ihren Fuß auf seinen Nakken setzen und auf sein Federkleid.« – »Einverstanden sind wir, was du befiehlst, das führen wir aus.« »Und nun noch etwas: Meine Tochter darf von euch nicht getadelt werden, niemand darf sie böse anreden wie einen Sklaven, den man aus dem Wege scheucht. Was sie sich wünscht, das muß gebracht werden. Und solltet ihr irgendetwas tun, womit ihr sie kränkt, so wisset, ich werde es erfahren. Dann erscheine ich, um euch zu bestrafen. Dies sind meine Bedingungen, hier habe ich sie euch genannt, und, wo Bedingung steht, da steht der Preis.« 36
»Einverstanden. Gern und sorgfältig werden wir tun, was du uns aufgetragen hast.« – »Danke, und falls es doch Schwierigkeiten gibt, dann werde ich in euer Schloß kommen, um meine Tochter zurückzuholen aus eurer Mitte. Und bedenket: Ich bin der Afrit, unerhört ist meine Macht und niemand kann vor mir bestehen!« – »Dein Wort ist gut und wohl von uns verstanden!« So hatten sie denn die Bedingungen angenommen. Die Leute des Sultans brachten Lastkamele und Kamele mit Frauenthronen und beförderten die Sachen des Mädchens ins Sultansschloß. Der Afrit aber verwandelte sich in eine gewaltige Kugel, zu einer schwarzen Wolke wurde er. Und als der Zug beim Schloß des Sultans eintraf, rief einer der Diener: »Bringt den Strauß!« Man brachte den Strauß, zwölf Männer hatten ihn fangen müssen, vor dem Tor wurde er niedergestreckt. Da verwandelte sich der Afrit wieder in ein menschliches Wesen, gewaltig wie ein hochaufragender Berg. Und er sprach: »Auf jetzt, opfert den Strauß und laßt meine Tochter ihren Fuß auf ihn setzen und auf sein Federkleid!« – »Ja, so soll es geschehen!« Der Strauß wurde geopfert, die Braut setzte ihren Fuß auf ihn und auf sein Federkleid. Dann betrat sie das Schloß, mit ihr ging der Afrit. Der rief nach der Sultanin: Wo ist die Sultanin?« – »Hier, ich bin die Sultanin.« – »Und ich bin der Afrit und dies ist meine Tochter, die ich mit eurem Sohn verheirate. Seid bedacht, daß keiner von euch in ihr Leben eingreife, oder sie jemals zurechtweise. Ich spreche zu euch mit Freimut. Wenn einer von euch sie zurechtweist, dessen Leben werde ich auslöschen. Habt ihr alle das gehört?« – »Niemand wird sie tadeln, niemals, wird sie doch die Frau unseres geliebten Sohnes. Du sollst ohne Sorge sein.« – »Dann lebet wohl in Frieden«, sagte der Afrit, »so soll es sein.« Braut und Bräutigam wurden in den großen Saal geführt. Die Hochzeit fand statt, Tiere wurden geschlachtet und Gastmähler gegeben, sieben Tage lang währte das Freudenfest. Von da an lebten sie alle in Freude und Glück. Knaben und Mädchen wurden ihnen geschenkt, und umgaben sie bis an ihr Lebensende. 37
4- Die Wildstreune
E
s war einmal vor langer, langer Zeit, ihr ehrenwerten Herren, da gab es einen Sultan, und dieser Sultan hatte viele Kinder. Zwei seiner Kinder waren schon zu Jugendlichen herangewachsen, ein Junge und ein Mädchen. Tage kamen, Tage gingen, da brach die Natur des Mädchens auf, das in Wahrheit eine Wildstreune war, also so etwas wie ein reißendes, wildes Tier. In der Nacht schlich sie sich aus dem Schloß ihres Vaters, des Sultans, drang ein in die Häuser der Menschen und fraß deren Kinder auf. Eines Nachts drang sie in ein Haus ein, in dem gerade ein Knabe geboren worden war, packte ihn, fraß ihn, kehrte dann in das Schloß ihres Vaters zurück und legte sich wieder zwischen ihren Geschwistern zum Schlafen nieder, so als hätte sie gar nichts getan. Und so ging es ständig fort: Jede Nacht verließ sie das Schloß, drang ein in die Häuser der Menschen, und wo sie ein Neugeborenes fand, ergriff sie es, ein Kind, oder auch zwei, und fraß es auf. Danach kehrte sie jedesmal wieder ins Schloß zurück, spülte ihren Mund und legte sich an ihren Platz, neben ihre Geschwister, so als wäre nichts geschehen. Bald ging durch das ganze Volk eine Erregung wie ein Sturm. Es erhob seine Stimme und rief: »Wer ist es, der da in unsere Häuser eindringt und unsere Kinder frißt?« Dieser sagte, sein Töchterchen sei verschwunden, jener sprach: »Mein Söhnchen ist fort, aber den Verbrecher findet man nicht.« Da einigten sie sich darauf, Wache zu halten in jeder Nacht, bis sie herausgefunden hätten, wer die Kinder des Volkes fortschleppt. In jener Nacht gingen die, die man für die Wache eingeteilt hatte, nach draußen und spähten, scharf wie Jäger, nach jeder Bewegung aus. Plötzlich sahen sie die Tochter des Sultans, wie sie in das Haus einer Wöchnerin schlüpfte, das Kind packte und es auffraß. Doch wagten die Leute aus dem Volk es nicht, mit ihrem Vater, dem Sultan, zu sprechen, denn der hätte sie umbringen lassen, wenn sie sich in solcher Sache an ihn gewandt 38
hätten. »Leidenschaftlich und unüberlegt handelt unser Sultan, aber er ist der Herr im Lande, was sollen wir tun?« Noch ein Tag verging, dann setzten die Leute sich wieder zusammen, um sich zu beraten. Schließlich schlug einer vor: »Am besten, wir lassen sie weitermachen. Denn wenn ihr Vater euch sagen hört, seine Tochter fresse unsere Kinder, dann wird ihn seine gewaltige Wut ergreifen und er wird euch keinen Glauben schenken. Heute nacht wollen wir sie noch einmal zu ihren Geschwistern zurückkehren lassen, morgen aber wollen wir uns mit dem Sohn des Sultans beraten. Der junge Mann wird uns eine Antwort geben.« Daraufhin sprachen die Alten und Vormänner des Volkes: »Gut, wir sind einverstanden mit deinem Vorschlag.« Als der Sohn des Sultans am folgenden Tag das Schloß verließ, näherten sich ihm die Leute: »Bei Allah, der alte Soundso und der Obmann Soundso möchten mit dir eine Angelegenheit bereden!« – »Gerne, selbstverständlich, doch wo sollen wir uns treffen?« – »In der Madrassa, heute nachmittag zur achten Stunde« (d.i. 14 Uhr). – »Gut, ich bin einverstanden!« Die Leute gingen zu ihren Vormännern und berichteten ihnen von der Abmachung mit dem Sultanssohn. Als dieser nun zur festgesetzten Zeit in der Madrassa erschien, wartete schon eine große Menge Volkes auf ihn. Dann kamen vier Obmänner aus der Menge nach vorne und setzten sich dem Sohn des Sultans gegenüber. Der fragte sie: »Also, was wollt ihr allesamt?« – »Dich riefen wir nicht an diesen Ort, hätten wir nicht eine schlimme und schwierige Angelegenheit zu besprechen und wärest du nicht der Sohn unseres Sultans. Der Sultan, heute lebt er, doch wenn ihm etwas geschähe, dann wärest du unser Sultan!« – »Gut also, sprecht!« »Höre: Das ganze Volk rast vor Empörung, doch du weißt es nicht und auch dein Vater, der Sultan, weiß es nicht. Deine große Schwester ist eine Wildstreune, die Kinder des Landes bringt sie um. Keine Nacht vergeht, ohne daß sie nicht ein Kindchen frißt, oder auch zwei, dann kehrt sie wieder zurück in den Palast. Oft hat man sie beobachtet, doch wir rieten ab, sie 40
zu ergreifen, weil der Sultan auf eine solche Anklage wie ein Wilder strafend und mordend um sich schlüge und auf niemandes Rede hören würde. Der einzige Ausweg schien uns, dir, ihrem Bruder, die Angelegenheit vorzutragen.« »Aber stimmt denn das alles?« – »Ja, so ist es, wir belügen dich nicht. Wir haben alles beobachtet und wenn dieses Unglück kein Ende findet, dann steht das ganze Volk auf!« – »Gut, in einigen Tagen werdet ihr meine Antwort hören.« Der Sohn des Sultans ließ einen Tag verstreichen und legte sich am nächsten Abend, wie üblich, zu seinen Brüdern schlafen. Die Mädchen, seine Schwestern, schliefen im Zimmer daneben. In dieser Nacht jedoch blieb der Jüngling wach, spähte scharf wie ein Jäger nach seiner Schwester aus, und in der Tat, zur halben Nacht, schreckte das Mädchen aus dem Schlaf hoch, legte ihr Nachtgewand ab und zog ein Tageskleid an. Sie stieg die Treppe hinunter und verließ das Schloß, ihr Bruder folgte ihr vorsichtig nach. Bald drang sie in ein Haus ein, ergriff einen kleinen Knaben und fraß ihn auf. Nicht genug, lief sie zu einem zweiten Haus, drang ein und fraß noch ein Kind. Ihr Bruder, als er alles beobachtet hatte, eilte ins Schloß zurück, um vor ihr da zu sein und legte sich schnell hin. Als die Wildstreune zurückkam und ihre Geschwister schlafend vorfand, zog sie das blutige Gewand aus, ihr Nachtgewand an und legte sich zu ihren Schwestern schlafen. Der junge Mann aber nahm sich in seiner Bestürzung vor, am nächsten Morgen zu seinem Vater zu gehen und ihm zu berichten, was vorgefallen war. Schon früh am Morgen des nächsten Tages suchte er seinen Vater auf: »Vater, ich muß dir etwas berichten.« – »Wird doch wohl etwas Gutes sein, in scha’ Allah!« – Weißt du, was mit dem Volk los ist?« – Was soll denn los sein mit dem Volk?« – »Das ganze Volk bis hin zum Letzten, ist in Aufruhr!« – »Was geht uns das Volk an? Laß es doch seinen Aufruhr machen! Ich kümmere mich nur um mich selbst, um dich und meine übrigen Kinder!« Vater, nun höre, was ich dir zu berichten habe: Einige von den 41
Obmännern des Landes sind zu mir gekommen und haben geklagt. Meine Schwester, so sagen sie, tötet die Kinder des Landes, eine Wildstreune ist sie, die in jeder Nacht ein Kind frißt oder auch zwei. Man hat sie gesehen und ertappt. Nach geschehener Tat kehrt sie wieder ins Schloß zurück und legt sich schlafen, so als sei nichts geschehen. In jeder Nacht geschieht das gleiche, doch die Leute wollten sie nicht fangen, sondern diese Geschichte erst uns vortragen.« »Was für Dinge erzählst du da?« – »Es stimmt, Vater.« – »Was, auch du behauptest, es stimmt?« – »Es stimmt, Vater!« – »Was?« – »Ich selbst habe sie gesehen!« – »Was, du sagst gegen deine eigene Schwester aus, behauptest, du selbst hättest sie dabei gesehen? Auf dehn, wenn du dich so hast hereinlegen lassen, dann ist es am besten, wenn du dich jetzt und auf der Stelle erhebst, dir einpackst, was du mitnehmen kannst und von hier verschwindest. Ich will dein Antlitz nicht mehr sehen! Bei Allah, weg mit dir, und auf der Stelle!« Voller Bitterkeit dachte der Jüngling: ›Was soll ich den Leuten für eine Antwort bringen?‹ Und als er einige von ihnen traf, erklärte er ihnen nur, daß er aus dem Land fortziehe, weil er nicht mehr bleiben könne, und daß sie selber handeln müßten. Er war reisefertig, nahm noch etwas zu essen mit und legte seine Hand vertrauensvoll in die des Allbarmherzigen mit den Worten: ›O Erde, sei mir weit und flach.‹ So ritt er los, bis er zu einer Ansiedlung kam, in der ein Sultan regierte, Vater von sieben Töchtern, jede von ihnen besser und schöner als die vorhergehende. Über die Gegend aber herrschte ein Afrit, ein böser Dämon. Dieser Afrit sperrte das Wasser und ließ es erst wieder fließen, wenn man ihm eine von den Töchtern des Sultans überließ. Man mußte sie an den Mund des Wadi bringen, gekleidet wie eine Braut. Dort ergreift sie der Afrit und läßt das Wasser wieder fließen. Vier von den Töchtern des Sultans hatte er auf diese Weise bereits geholt. Als unser Jüngling an jenem Tag in die Stadt kam, traf er dort auf keine einzige Seele, weil alle Einwohner sich aus Angst vor 42
dem Afrit versteckt hielten. An diesem Tage nämlich mußten sie wieder eine Tochter des Sultans an den Mund des Wadi bringen. Während der Jüngling so dahinritt, traf er auf sechs Männer, die ein schönes Mädchen im Hochzeitszug zum Wadi führten. Zu gleicher Zeit entdeckte er eine kleine Hütte, klein wie ein Nest, sprang über die Umfriedung aus stachligen Büschen und traf eine alte Frau an. »He, du, Wanderer in der Nacht! Was ist los mit dir, Jüngling, was willst du hier?« – »Bei Allah liebe Mutter, ich bin aus einem anderen Land, ein Fremder!« – »Nun, so komm herein, schnell!« – »Wieso, was gibt es denn?« – »Bei Allah, heute ist der Tag, an dem der Afrit wieder eine Tochter des Sultans holt. Hast du sie denn nicht gesehen, als du an den sechs Männern vorbeigeritten bist?« – »Doch, sechs Männer habe ich gesehen und ein wunderschönes Mädchen.« – »Jetzt bringen sie sie hinauf zum Mund des Wadi, wo der Afrit sie holen wird. Dann läßt er das Wasser fließen, damit die Menschen trinken und von dem Wasser holen können, ein ganzes Jahr lang. Wenn aber das Jahr um ist, dann fordert der Afrit die nächste Schwester.« – »Hör zu, Mutter, ich bin ein Fremder, diesem Afrit will ich nachgehen. Mein Pferd, mein Geld, das laß ich bei dir. Dem schönen Mädchen will ich folgen versuchen, es zu retten. Und wenn Allah mir den Sieg über diesen Afrit schenkt, dann werde ich zu dir zurückkommen und nehmen, was mir gehört, doch sollte ich scheitern, dann behälst du Pferd und Geld.« »Nein mein Sohn, ich will dein Pferd nicht und nicht dein Geld und nicht, daß du losziehst, niemals, denn dieser Afrit ist verflucht! Bleib bei mir, es ist besser so.« – »Nein Mutter, ich kann nicht bleiben, ich muß versuchen, das Mädchen zu retten.« Mit diesen Worten zog er sein Schwert und ging der Gruppe nach. Die sechs Männer hatten inzwischen die Tochter des Sultans zum Wadi gebracht, dort, wo er an der Steilwand des Felstales seinen Ausgang nimmt, und stellten das Mädchen vor einen gewaltigen Felsblock. Die Schatten der Felsen begannen zu fallen, als die Männer sich wandten, um in die Stadt zurückzukehren und die Jungfrau allein zurückließen. 43
Jetzt aber trat der Jüngling aus seinem Versteck hervor und fragte das Mädchen: »Was tust du hier?« – »Und du, was hat dich hierhergebracht? Geh schnell fort, es ist besser für dich!« – »Und warum soll ich gehen?« – »Der Afrit wird über dich kommen und dich auffressen, entferne dich, bevor er erscheint und folge den anderen!« – »Bei Allah, er wird dich, du Mädchen, nicht auffressen. Hier neben diesen Felsen will ich mich setzen und wenn der Afrit kommt, dann soll er uns beide fressen, und wenn er nicht uns beide frißt, dann wird er auch dich nicht bekommen! Hier hinter diesem Felsen will ich mich verstecken, du aber sei mutig und habe keine Angst, denn wisse, der, der heute stirbt, ist der Afrit und ich bin es, der ihn ausrottet, und seine ganze Sippe dazu, so Allah will! Drum fürchte dich nicht, ich bin bei dir!« – »Ach, so wäre es gut und recht!« Da rollten auch schon Felsbrocken den Wadi hinunter. Der Afrit erschien und sprach: »Ich rieche Menschenfleisch, Fleisch nicht aus meinem Reich. Zermahlen will ich es mit meinen Zähnen, Den Schneide- und den Backenzähnen.« »Was hast du denn Afrit, ich bin doch ganz allein hier bei dir, ich bin es, das Menschenkind! Was willst du noch mehr? Heirate mich, und wenn du willst, zermahle mich!« – »Ich rieche aber Menschenfleisch.« – »Das bin doch ich!« Der Afrit näherte sich dem Mädchen, das Schwert legte er neben sich. In diesem Augenblick sprang der Jüngling hinter dem Felsen hervor wie ein Blitz, packte das scharfe Schwert des Afrit, zückte es und mit einem einzigen gewaltigen Hieb schlug er dem Afrit das Haupt ab, daß es niederfiel und mit dumpfem Ton aufschlug. Den Afrit kann man nämlich nur mit seinem eigenen Schwert töten und mit einem einzigen Schlag. Da aber fing das Haupt des Afrit an zu sprechen: »Noch einen Schwerthieb!« Der Jüngling aber antwortete: 44
»Nur einen und nicht zwei! Gab doch auch meine Mutter mir den Teig nicht roh Und ungebacken nie das Brot! Stirb, du Feind Allahs!« »Trete mich mit deinem Fuß, trete mich!« »Zu kurz ist mein Fuß, Verfluchter!« »Dann spuck doch wenigstens auf mich!« »Ausgetrocknet ist mein Mund!« Hingeschmettert lag er da. Und jedesmal, wenn er sprach, quoll das Blut aus seinem Kopf und strömte dahin auf die Erde. Dann starb der Afrit. Der Jüngling ergriff die Tochter des Sultans bei der Hand. »Auf«, sagte er zu ihr, »jetzt gehst du zurück zu deinem Vater, bevor die Nacht ganz über uns herunterfällt.« Dann tauschten die beiden ihre Ringe und das Mädchen kehrte in die Stadt zurück. Dort hielten sich die Leute in ihrer großen Furcht noch immer in ihren Häusern verborgen. Die Tochter des Sultans aber ging geradewegs zum Schloß, wo das Tor zum Schloßhof offenstand, das Innentor aber war verriegelt. Das Mädchen klopfte an das Tor. »Wer?« antwortete es von drinnen. »Ich bin es, ich bin zurückgekommen, macht auf!« – Wer hat dir denn gesagt, zurückzukehren? Jetzt kommt der Afrit wieder und beginnt sein böses Tun!« – »Bei Allah, öffnet doch und habt keine Angst, umgebracht ist dieser Afrit. Schaut doch nach im Wadi! Wasser fließt dort für ein ganzes Jahr. Ein Mann kam und tötete den Afrit. Und wenn ihr mir nicht glaubt, dann geht doch hinaus in den Wadi und überzeugt euch!« Da lugten sie hinter den Zinnen des Schlosses hervor und entdeckten, wie der Wadi voller Wasser stand. Schnell öffneten sie nun das Tor und fragten nach dem Mann, der den Afrit getötet habe. »Draußen, da draußen ist er!« Doch sie fanden ihn nicht. Der Jüngling war nämlich zu der Alten in die Hütte zurückgekehrt. Die alte Frau war überglücklich und richtete ein schmackhaftes Abendessen. Er aß, hungrig und durstig war er. 45
Seit dem frühen Morgen hatte er nichts gegessen. Danach machte er es sich bequem und saß mit der Alten bei angenehmer Unterhaltung zusammen. Am Morgen darauf überzeugten sich die Leute des Sultans, daß der Wadi wirklich voller Wasser stand. Daraufhin befahl der Sultan dem Dauschän, in allen Dörfern und allen Orten des Landes auszurufen: »Eingeladen ist ein jeder zum Festmahl beim Sultan! Und keiner darf sich selber ein Feuer zum Kochen anblasen! Und wer es dennoch tut, den verbrennt der Sultan in seinem eigenen Feuer.« Das wurde ein gewaltiges Festmahl, Tiere wurden geschlachtet, überall wurden Essen gegeben, doch der Bräutigam fehlte. Das Mädchen, der Vater und die Mutter standen oben auf des Schlosses Dach und hielten Ausschau nach dem heldenhaften Jüngling. Am ersten Tag sah das Mädchen den Jüngling nicht, und auch am zweiten nicht. Schließlich schickte der Sultan seine Männer aus, die den Jüngling suchen sollten. Sie fanden wohl drei Männer in der Moschee. »Bringt sie her, auf der Stelle!« Doch keiner von den dreien sei der Gesuchte, sagte das Mädchen. Vielmehr: »Stark und hallend Machtvoll und schallend! Das ist mein Jüngling. Hier hab ich seinen Ring Und er trägt den meinen!« Als der Sultan so vor sich hinbrütete und zu sich selber sprach: ›Was soll ich tun, wo ist nur dieser Mann, den ich belohnen möchte?«, da kam eine alte Frau vorbei und fragte: Was ist mit dir, Sultan, Herr der Zeit, die Welt freut sich und du bist traurig?« – »Bei Allah, zornig bin ich, weil ich den Mann noch nicht gefunden habe, der das Ungeheuer, den Afrit, getötet hat. Ich will es ihm doch lohnen, mit dem besten Lohn!« – Wieso, hast du ihn denn noch nicht getroffen?« – »Bei Allah, nein!« – »Das 46
ist doch gewiß der junge Mann mit dem Pferd, der bei der Alten im Wadi wohnt! Hast du den denn noch nicht holen lassen?« – »Was für einer Alten?« – »Na, der Alten dort im Wadi. Bei der wohnt ein junger Mann mit einem Pferd, weiß nicht, woher er kommt!« Auf der Stelle schickte der Sultan zehn seiner Männer los, die den Jüngling auch fanden und ihn zum Schloß brachten. Voller Freude erkannte ihn das Mädchen und als der junge Mann den Diwan betrat, wo das Mädchen, der Vater, die Mutter und alle Verwandten saßen, da entbot ihm der Sultan überglücklich seinen Gruß: »Willkommen, ein Willkommen dir. Eine große Ehre tust du uns an! Erzähle, wie geht es dir?« – »Gut geht es mir, Allah schütze dich!« – »Sag, von wo kommst du her?« – »Mein Land ist Allahs Land!« – »Und genauer?« – »Friede sei mit dir!« – »Nun gut, mein lieber Sohn. Du hast meine Tochter befreit und das ganze Volk.« – »Durch Allahs Willen, nicht durch meinen, ich bin ja nur ein schwacher Mensch.« – »Ich möchte dich belohnen, jetzt!« – »Warum willst du mich belohnen? Der Lohn kommt von Allah!« – »Schau her, da ist dieses Mädchen, sie hat noch zwei Schwestern, du pflückst dir diejenige heraus, die du willst. Vier meiner Töchter hat mir schon der Afrit geholt. Wenn du das Mädchen möchtest, das du befreit hast, dann gehört sie dir!« »Ich würde gerne, doch bin ich ein Mann ohne Heimat, einer, der dahinzieht durch die Welt!« – »Du bist ein freier Mensch, nimm das Mädchen mit dir, wohin du willst, sie wird bei dir sein, auch wenn du hinaufziehst zum Himmel, und wenn du hinabsteigst zur Erde! Du weißt, daß der Afrit sie holen sollte, wir hatten sie ihm schon gebracht, du aber hast sie mehr verdient als er. So nimm sie mit, wohin du auch ziehen magst.« – »Nun gut, dann bin ich einverstanden!« So heiratete der Jüngling die Tochter des Sultans. Doch nach einiger Zeit wollte er weiterziehen. »Ich komme mit dir!« – »Nein, ich werde nicht lange fort sein, bleibe hier und warte auf mich!« – »Auch gut.« 47
Vertrauensvoll legte er seine Hand in die des Allbarmherzigen und zog fort, von Land zu Land, bis er in eine Gegend mit Wäldern und wilden Tieren gelangte. Mitten in dem Wald stand ein Schloß mit stolzen Hörnerzinnen an den vier Ecken und als er an das Tor klopfte, da antwortete ihm die Stimme eines Mädchens: »We – eer klopft an die Tür?« Dieses Schloß aber gehörte einem Afrit. In jedem Jahr raubt er ein Mädchen, nimmt sie zur Frau und hängt sie auf an ihren Haaren. Seine Tage verbringt der Afrit mit der Jagd. Wenn er zurückkommt, ist er hungrig. Das erste was er dann tut: Er frißt einen ganzen Stall voller Ziegen auf, und säuft einen Teich voller Wasser leer. Dann legt er sich hin, das Mädchen muß sich neben ihn setzen und er legt seinen Kopf auf ihren Schenkel. Er schläft ein, fängt an zu schnarchen, und wenn er mitten im tiefsten Schlaf angelangt ist, dann läßt er einen Furz, daß das ganze Schloß ins Wanken gerät. Das ist das Zeichen, daß er tief schläft und das Mädchen sich mit seinen eigenen Dingen beschäftigen kann. Zu diesem Schloß also war der Jüngling gekommen, und auf sein Klopfen öffnete ihm das Mädchen das Tor und ließ ihn eintreten. Ach, wie bezauberte ihn der Anblick dieses Mädchens, so schön und wohlgestaltet war es. Dann entdeckte er, wie in einem der Räume zwei Mädchen an den Haaren aufgehängt waren, beide lebten noch, doch stand ihr Leben schon auf der Schneide des Todes. Und das Mädchen, das ihm geöffnet hatte – schön war sie wie eine Gazelle – dieses Mädchen war jetzt die Frau des Afrit. Da sprach der Jüngling zu ihr: »Wer ist der, der dies alles angerichtet hat?« – »Ein gewaltiger Afrit ist es, jener beiden Mädchen dort hat er sich schon entledigt, die atmen fast schon nicht mehr. Dich aber hat Allah geschickt!« – Was kann ich tun?« – Wisse, dieser Afrit frißt dich auf, denn er ist ein wildes Ungeheuer. Wenn er erscheint, ist er wie die alles bedeckenden schwarzen Wolken. Ach Bruder, plane für dich selbst, geh fort von hier, schnell!« – »Bei Allah, ich gehe nicht fort, es sei denn mit dem Kopf dieses Afrit.« – »Ach Bruder, vergiß diesen gewaltigen Afrit. Ein Gigant ist er und 48
kommt daher wie die schwarze Wolke, dann verwandelt er sich und nimmt menschliche Gestalt an, so hoch aufragend wie zehn Menschen zusammen, und sein Kopf allein ist so groß, daß ich ihn nicht erreichen kann.« – »Hab nun keine Angst mehr und überlaß mir die Sache.« – »Gut, dann muß ich dir aber alles erklären: Die beiden aufgehängten Mädchen dort – um die kümmert er sich schon gar nicht mehr. Wenn er heute abend kommt, dann frißt er als erstes einen Stall voller Ziegen leer und säuft einen Teich voll Wasser aus. Dann befiehlt er mir: Auf Frau, setz dich. Ich setze mich hin und er legt seinen Kopf auf meinen Schenkel. Dann fängt er an zu schnarchen. Aber aufgepaßt! Solange er schnarcht, ist er bei vollem Bewußtsein. Wenn er aber dann wirklich in Schlaf fällt, dann läßt er einen solchen Furz, daß das ganze Schloß von dem Bummern ins Wanken gerät. Dann erst, wirklich dann erst, schläft er tief.« – »Gut, das war genau das, was ich wissen muß.« Jetzt schaute der Jüngling sich nach einem Versteck um, entdeckte Säcke mit Gras und auf den Rat des Mädchens hin verbarg er sich dazwischen. Auf diese Weise konnte er ihr nahe bleiben. Eine Stunde verging, da erschien der Afrit: »Ich rieche Menschenfleisch, Fleisch nicht aus meinem Reich. Zermahlen will ich es mit meinen Zähnen – Den Schneidezähnen und den Backenzähnen.« »Hier ist doch niemand außer mir, und ich stehe vor dir und du vor mir!« – »Na, dann ist es gut!« Nach diesen Worten stürmte der Afrit davon, ergriff vierzig oder fünfzig Ziegen, fraß sie auf und soff einen Teich voll Wasser auf einen Schlag leer. Das Mädchen setzte sich, der Afrit, zurückgekommen, legte seinen Kopf auf sie und begann zu schnarchen. Als er dann wirklich eingeschlafen war, ließ er einen Furz, der das Schloß erschütterte und die Bäume des Waldes zum Wanken brachte. Nun schlich der Jüngling aus seinem 49
Versteck und das Mädchen flüsterte ihm zu: »Noch etwas muß ich dir sagen, den Afrit kann man nur mit seinem eigenen Schwert töten, und nur mit einem einzigen Schlag! Darum: Wenn du sein Schwert ziehst, mußt du Baumwolle daranhalten, damit der Afrit nicht das Sirren seines Schwertes hört. Zieh es langsam, nach und nach, aus seiner Scheide, und immer mußt du gleich die Baumwolle nachschieben, sonst weckt ihn das Sirren des Schwertes aus dem Schlaf.« Der Jüngling zog das Schwert, so langsam, wie es ihm das Mädchen geraten hatte, aus der Scheide. Dann befahl er dem Mädchen: »Auf, zieh dich zurück, aber vorsichtig« – schwang das Schwert und schlug dem Afrit das Haupt ab. Der Kopf fiel hierhin und der Körper dorthin. Da begann der Kopf des Afrit zu sprechen: »Noch einen Schlag!« Der Jüngling antwortete: »Nur einen, und nicht zwei! Gab doch auch meine Mutter mir den Teig nicht roh, Und ungebacken nie das Brot! Stirb, du Feind Allahs!« »Gib mir einen Tritt!« »Zu kurz ist mein Fuß!« »Schlag mich!« »Zu kurz ist meine Hand, bis zu dir hin reicht sie nicht!« »Spuck doch wenigstens auf mich!« »Trocken ist mein Mund! Stirb, du Feind Allahs!« Da starb der Afrit. Hingeschmettert lag er da, himmelaufragender als ein aufragender Himmel. Schnell lösten jetzt der Jüngling und das Mädchen die beiden Aufgehängten. Alle vier setzten sich zusammen, um etwas Wasser zu trinken. Die Mädchen waren erfüllt von Dankbarkeit dem Jüngling gegenüber, der sie von dem verfluchten Afrit erlöst hatte und sagten: »Sei uns, was auch immer du willst, unser 50
Bruder, unser Vater, unser Gatte. Was du wählst, damit wollen wir einverstanden sein, deine Sklavinnen sind wir!« – »Nichts von alledem, nicht Sklaven sollt ihr mir sein, Schwestern sollt ihr mir werden.« – »Gut, dann bleiben wir hier zusammen in diesem Schloß, von allen Dingen gibt es hier genug für dreißig Jahre!« – »Ach, liebe Schwestern, ich kann nicht hierbleiben, nur drei Tage will ich euch Gesellschaft leisten, dann muß ich weiterziehen. Geschick und Schicksal, sie brachten mich an diesen Ort, Geschick und Schicksal, sie sind es, die mich weitertreiben, und deshalb muß ich wieder fort!« – »Dann kommen wir mit!« – »Nein, ich bin ein Mann ohne Heim, einer, der herumzieht, was sollte ich mit euch anfangen?« – »Wir holen uns Pferde und ziehen mit dir.« – »Ach, sorgt euch nur nicht um mich. Bleibt in diesem Schloß, hier habt ihr nun ein angenehmes Leben, ich bin ja euer Bruder, der euch erlöst hat von dem Bösen. Lebt wohl, liebe Schwestern, bleibt gut und betet für mich!« – »Allah schenke dir Erfolg in allem, was du unternimmst!« Der Jüngling wollte sein Pferd besteigen, doch da bat ihn eines der Mädchen, eine von den beiden Aufgehängten, noch einen Augenblick zu warten: »Ich möchte dir etwas Gutes tun. Ich habe etwas!« – »Ich will aber nichts, ich will auch kein Geld, ich will nur, daß ihr gesund bleibt!« Das Mädchen bat ihn aber trotzdem: »Komm in mein Zimmer, da steht eine kleine Schachtel. Siehst du sie?« – »Jawohl!« – »Hier drinnen, lieber Bruder, ist eine Nadel. Nimm sie mit, vielleicht brauchst du sie, wenn du in einer schwierigen Lage steckst, in einem Kampf oder im Unglück. Nimm sie, und wirf sie zwischen dich und deine Feinde. Dann wird mit Allahs Hilfe ein Gebirge zwischen euch sich erheben, nimm sie mit für die Zeit der Not.« – »Danke!« Da lächelte ihn auch schon die zweite an: »Auch ich möchte dir etwas Gutes tun, lieber Bruder!« – »Tausendfach falle es zurück auf dich, liebe Schwester!« Sie gingen in einen anderen Raum. Aus der Wandnische holte das Mädchen eine Büchse mit einem 51
Salzkristall heraus. »Nimm diese Büchse mit dem Salzkristall, behalte sie bei dir und wenn ein Übel über dich kommt oder eine Not, dann wirf den Salzkristall hinter dich. Zu einem Salzberg wird er sich auftürmen und dich von deinem Feind trennen. Erst dann, wenn du schon tausend Straßen zwischen dich und ihn gebracht hast, wird sich dein Feind wieder rühren können!« – »Dank auch dir, liebe Schwester, Allah vergelte es dir tausendfach, wahrlich, deine Pflicht hast du tausendfach getan, und noch viel mehr als deine Pflicht.« Jetzt war das Mädchen an der Reihe, das ihm das Tor geöffnet hatte, die Braut des Afrit. »Bei Allah, meine Schwestern haben dir etwas Gutes getan. Und ich, ich habe auch etwas, der Afrit hat es mir erzählt, vor acht Tagen!« – »Und was ist dieses Etwas?« – »Ich zeige es dir, auf, komm mit!« Das Mädchen führte ihn zu einer Stelle, wo ein Vogelkäfig stand. Darinnen waren zwei weiße Tauben. »Nimm diesen Käfig mit den Tauben!« – »Aber Schwester, was soll ich mit den Tauben anfangen? Die Welt ist voll von Tauben!« – »Taube ist nicht Taube!« – Wieso?« – »Wenn du zum Beispiel in Indien wärest und wir hier, und dich dort der unergründliche Ratschluß Allahs träfe (= Tod) oder dir sonst etwas zustoßen sollte, dann würden die Tauben anfangen, aufgeregt und geschäftig im Käfig hin und her zu flattern! Solange es dir aber gut geht, verharren sie still im Käfig. Wenn sie anfangen zu flattern, muß man ihnen den Käfig öffnen. Dann verwandeln sie sich in zwei gewaltige Flügelrosse und kommen dir zu Hilfe. Du besteigst das eine, und das zweite Pferd fliegt vor dir her, so bringen sie dich zurück in die Heimat!« – »Bei Allah, das ist die großartigste Sache. Sei tausendmal bedankt.« Der Jüngling verließ das Schloß, die Nadel und die Büchse mit dem Salzstein verbarg er in seinem Gewand, den Käfig mit den Tauben trug er in der Hand. So zog er von Ort zu Ort, drei volle Jahre lang. Endlich beschloß er, zu seiner Frau und zu seinem Schwiegervater, dem Sultan, zurückzukehren. Seine Frau war überglücklich, sein Schwiegervater, der Sultan, gab ein 52
großes Freudenfest und alle waren unzertrennlich. Doch nach ein paar Tagen mußte der Jüngling plötzlich an seine Eltern und Geschwister denken: ›Bei Allah, lang ist es her, daß ich meine Verwandten zum letzten Mal gesehen habe. Ich sollte zu ihnen zurückkehren, sehen, wie es mit ihnen steht und wie es ihnen geht.‹ Er tat diese Absicht seiner Frau kund, die ihn verwundert fragte: »Wohin ziehst du?« -- »In mein Land, die Erde meiner Väter und Großväter!« – »Und wer sind sie, deine Verwandten?« – »Ich bin der Sohn des Sultans Soundso. Doch die Schicksale ziehen dahin, so zog auch meines. Ich griff mir das Leben in seiner Länge und Breite. Dich habe ich herausgeholt, und andere mehr habe ich herausgeholt, jetzt aber will ich zurückkehren und meine Familie wiedersehen.« – »Ach, nimm mich doch mit!« – »Nein, diesmal noch nicht, aber beim nächsten Mal, in scha’ Allah! Beim nächsten Mal reist ihr mit, du und unsere Kinder. Diesmal werde ich noch allein reisen und bald wiederkehren. So ist mein Schicksal, ein Mann ohne Heimat bin ich!« – »Gut, wie du meinst.« Jetzt erklärte der Jüngling seiner Frau noch das Geheimnis der Tauben: Wenn du die Tauben ruhig sitzen siehst, ist alles gut. Wenn sie aber aufgeregt hin- und herflattern, dann weißt du, daß ich in Gefahr bin. Dann mußt du sie auf der Stelle freilassen!« – »Oh, keinen Schritt werde ich von hier weg tun, hier bleibe ich sitzen und will nur noch die Tauben beobachten!« Tage um Tage ritt der Jüngling dahin, bis er in das Land seines Vaters gelangte. Die Sonne ging schon unter, als er endlich das Schloß seines Vaters vor sich sah. Inzwischen aber hatte das Mädchen, die Wildstreune, das ganze Volk des Landes, sogar ihren Vater und zuletzt auch ihre Geschwister, ausgerottet, nur sie allein war noch übriggeblieben im Schloß. Als der Jüngling das Schloß erblickte, weinte er bittere Tränen und zu sich selbst sprach er: ›Jetzt muß ich noch ins Schloß meiner Väter zurückkehren!‹ Doch das Mädchen, die Wildstreune, hielt rundum auf dem Dach Ausschau, und als sie ihren Bruder erblickte, da 53
rannte sie flink herunter, weil sie ihn zur Jagdbeute haben wollte. ›Vier oder fünf Tage bin ich schon ohne Nahrung, hungrig bin ich, doch heute ist meine Jagdbeute von selbst gekommene Als ihr Bruder sie erblickte, ritt er näher. Da rief sie ihm auch schon zu: »Wo bist du all diese Zeit gewesen? Krank und hungrig bin ich und ganz allein in diesem Schloß!« – »Sag mir, wo sind Vater und Mutter, wo sind meine Geschwister und wo ist das Volk?« – »Unser Vater starb, unsere Mutter starb, und unsere Geschwister starben, und alle Menschen des Landes starben, alle. Der Allbarmherzigste der Allbarmherzigen hat sie zu sich gerufen. Jetzt aber, lieber Bruder, komm schnell herein mit mir!« – »Gut, liebe Schwester.« Er brachte sein Pferd in den Stall im Erdgeschoß des Schlosses, dann stiegen sie gemeinsam nach oben. Nun aber entschuldigte sich die Schwester, sie habe drunten noch schnell etwas zu erledigen, rannte hinab in den Stall und fiel über das Pferd her. Der Jüngling hörte es wiehern, lief hinab und fand seine Schwester, außer sich und völlig wahnsinnig. Da floh er, denn er wußte ja, daß sie eine Wildstreune war. Sie aber rannte hinter ihm her, und so lief er um sein Leben. Da erinnerte sich der Jüngling an die Nadel und an den Salzstein. Er warf die Nadel zu Boden und ein Gebirge tat sich auf aus der Erde. Doch seine Schwester, die Wildstreune, verdoppelte ihre Kräfte und nach einer ungeheuren Anstrengung war sie wieder knapp hinter ihrem Bruder. Da erinnerte er sich an den Salzstein und warf diesen zwischen sich und seine Schwester und ein Berg aus Salz türmte sich auf. Die Wildstreune rutschte und rutschte und glitt immer wieder ab, doch schließlich konnte sie auch den Salzberg überwinden und verfolgte den Jüngling weiter mit aller Schnelligkeit. Endlich ging die Sonne auf. In diesem Augenblick bemerkte die Frau des Sultanssohnes, wie der Käfig mit den Tauben heftig hin- und herschaukelte und erschrak sehr darüber. Eilends öffnete sie den aufgeregten Tauben den Käfig. Und diese flogen 54
los, zu Rössern verwandelt kamen sie zu der Stelle, wo der Jüngling, der Sohn des Sultans, in höchster Not um sein Leben lief. Die Rösser kamen zu ihm heran, er bestieg eines der beiden Pferde und konnte so vor seiner Schwester, dem wilden Ungeheuer, fliehen. Das zweite Roß flog hinter ihm her und bewachte ihn von rückwärts. So war ihm das Glück günstig und die Rettung gelungen. Der Jüngling kehrte zu seiner Frau zurück, doch schwieg er über seine Schwester und erzählte statt dessen nur, eine schlimme Krankheit sei über das Land hereingebrochen und habe seinen Vater dahingerafft, seine Mutter, alle seine Geschwister und das ganze Volk. Er lobte Allah und lebte von nun an mit Frau und Kindern in Seligkeit und Glück.
5. Der Garguf
E
s war einst in einem Dorf, da lebten sieben Mädchen. Als sie einmal in der Nähe ihrer Häuser spielten, sagte die älteste: »Hört zu, Mädchen, was haltet ihr davon: Wir ziehen unsere schönsten Kleider an und wandern hinaus in den wilden Wald zum ‘Ilb-Baum, dort wollen wir seine Dó-um-Früchte sammeln!« – »Ja, wir sind dafür und wenn du willst, dann wollen wir auch gehen. Auf, los, ziehen wir uns an!« Die Mädchen gingen in ihre Häuser, ein jedes zog ein schönes Kleid an und machte sich fertig zum Fortgehen. Nur das jüngste trug noch seine alten Kleider, weil es so arm war. Sie wanderten alle los, bis sie zum ‘Ilb-Baum kamen. Als sie bemerkten, wie der Baum mit Dó-um-Früchten beladen war, freuten sich alle sehr. Sie forderten die Älteste auf: »Steig du auf den Baum, du bist die größte von uns, dann schüttelst du den Baum und wir sammeln die Dó-um in unsere Körbe, auch deinen Korb füllen wir dir, genauso wie unsere eigenen!«
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»Wieso ich? Ich soll hinaufklettern mit dem neuen Gewand, das mir gar nicht gehört, sondern meiner Mutter? Wenn ich hinaufsteige, zerreißt es und meine Mutter schlägt mich und bringt mich um! Ich, ihr Schwestern, ich steige nicht hinauf! Soll doch eine von euch hinaufklettern, dann füllen wir ihr den Korb wie unsere eigenen, und sammeln auch für sie die Früchte ein.« Jetzt redeten sie mit dem Zweitältesten Mädchen: »Auf, steig du auf den Baum und schüttle Dó-um. Wir suchen sie zusammen, sammeln auch in deinen Korb und heben ihn auf, bis du wieder herunterkommst.« – »Nein, meine Schwestern, ich habe die neuen Sandalen an, die meiner Mutter gehören. Sie hat sie selbst noch nie getragen, mir hat sie sie jetzt zum ersten Mal gegeben, als ich ihr erzählte, daß ich mit euch gehen wollte. Wenn ich hinaufklettere und die Sandalen bleiben hängen, was mache ich dann, was erzähle ich ihr? Sie schlägt mich und bringt mich um. Bestimmt, ich steige nicht auf den Baum, niemals. Wenn ihr wollt, könnt ihr ja hinaufklettern, macht nur, das ist eure Sache, ich, ich werde nicht hinaufsteigen, niemals!« Nun redeten sie dem dritten Mädchen zu, hinaufzuklettern: »Am besten ist es, wenn du hinaufsteigst auf den Baum, dann schüttelst du ihn, daß die Dó-um herunterfallen.« – »O nein, ich klettere nicht hinauf. Meine Mutter hat mir ihr neues Kopftuch gegeben und wenn ich auf den Baum klettere, dann reißt es vielleicht. Wie komme ich dann mit meiner Mutter zurecht, die schlägt mich und bringt mich um. O nein, ich kann nicht hinauf, niemals. Aber soll doch eine andere von uns hinaufsteigen, dann lesen wir Dó-um auch in ihren Korb, wenn sie vom Baum herunterkommt, erhält sie einen vollen Korb!« Jetzt forderten sie das vierte Mädchen auf. Doch auch es weigerte sich. »Wie soll ich denn hinaufklettern können, wo ich doch den neuen Gesichtsschleier meiner Mutter trage, den sie selbst noch nicht einmal benutzt hat. Wenn irgend etwas mit dem Schleier geschieht, dann schlägt mich meine Mutter und bringt mich um. Ich steige nicht auf den Baum, und wenn ihr Dó-um haben wollt, dann soll eine andere hinauf.« 56
Dann sagten sie zur fünften: »Steig doch du hinauf, du Fünfte, und schüttle die Dó-um vom Baum. Wir sammeln dir viele Früchte in deinen Korb, genauso wie für uns selbst.« – »Ich würde ja gerne hinaufsteigen, wenn nicht die neuen Hosen meiner Mutter wären. Sie hat sie erst ein einziges Mal getragen! Wenn ich auf den ‘Ilb-Baum hinaufklettere, dann reißt die Hose und meine Mutter schlägt mich und bringt mich um. O nein, ich steige nicht auf den Baum hinauf, niemals, aber wenn eine von euch hinaufklettert, der sammeln wir den Korb voll, wie es sich gehört.« »Auf nun, du Sechste«, hieß es nun. »Bei Allah, los du Sechste, du steigst auf den Baum und schüttelst uns eine Menge Dó-um, wir füllen dir auch deinen Korb und wenn du herunterkommst, dann ist er voll und du brauchst ihn nur noch wegzutragen. Einverstanden?« – »Nein, denn wie soll ich hinaufklettern mit der Silberkette meiner Mutter um den Hals? Die ist viel Geld wert, wie ihr wißt, und meine Mutter hat mir ausdrücklich aufgetragen, daß ich auf die Kette achtgeben muß. Ich klettere nicht hinauf, niemals. Dó-um oder keine Dó-um – ich muß auf meine Mutter hören. Und auf den Baum steige ich nicht!« Schließlich sagten sie: »Jetzt ist nur noch die Siebte übrig.« Sie war die jüngste und wurde gefragt: »Was hast du beschlossen, Jüngste? Deine Kleider sind alt und zerrissen, du kannst auf den Baum steigen, alles andere machen wir für dich. Die schönsten Dó-um suchen wir für dich aus und sammeln sie dir in deinen Korb, machen ihn dir ganz voll und heben ihn auf, bis du wieder herunterkommst, mach dir nur keine Sorgen!« »Also gut, dann bin ich einverstanden, doch helft mir beim Hinaufklettern und beim Herunterkommen. Allein kann ich nicht herabsteigen. Gut so?« »Mach dir doch keine Gedanken, wir bringen dich hinauf und auch herunter, deinen Korb füllen wir mit Dó-um und heben ihn dir auf. Wenn du wieder herunten bist, brauchst du ihn nur noch fortzutragen. Jetzt aber los, steig hinauf!« Das Mädchen setzte sein Vertrauen auf Allah, die anderen hal57
fen ihm den Stamm hinauf, bis es die Äste erreicht hatte und selbst weiterkam. Es pflückte und warf die Dó-um hinunter zu den sechs Mädchen, die ihre Körbe füllten, während das jüngste oben die größten Dö-um-Früchte aussuchte. Manchmal schüttelte es auch den Baum, so daß sich die Körbe rasch füllten. Schließlich hatten die sechs genug, nahmen ihre Körbe und rannten davon. Das kleine Mädchen ließen sie auf dem Baum zurück, wo es weinte, schrie und jammerte und ihnen nachrief: »Schwestern, kommt doch zurück und holt mich herunter, sonst fressen mich die Teufel auf und die Afriten.« Doch die Mädchen liefen weiter und überließen die betrogene Jüngste ihrem Schicksal. Unglückselig und allein blieb sie zurück. Ohne Hilfe aber konnte sie nicht mehr heruntersteigen vom Baum, weil er so hoch und dick war und sie selbst so ein kleines schwaches Mädchen. Es schaute rundherum und plötzlich sah es einen Mann näher kommen. Das war der Garguf, der Dschinni der Wüste! Das kleine Mädchen freute sich sehr und sagte sich: ›Allah hat meine schlimme Lage umgekehrt und schickt mir diesen Mann, der mir beim Heruntersteigen helfen kann.« Der Mann näherte sich dem Baum, hob plötzlich den Kopf und rief: »Hier riech ich Menschenfleisch, Fleisch nicht aus meinem Reich, Zermahlen will ich es mit meinen Zähnen, Den Schneidezähnen und den Backenzähnen!« »Einen wunderschönen guten Abend, Oheim, ich bin ein kleines Mädchen und sitze auf diesem Baum. Rette mich und hilf mir, von diesem Baum herunter zu steigen.« »Bei Allah, hätt nicht erst den Gruß und dann die Rede ich gehört, Mit Fleisch und Knochen längst schon hätt ich dich verzehrt. 58
Doch mußt du wissen, daß ich der Garguf bin, der Dschinni der Wüste und hinter mir her kommen sechs andere Gargufs, jeder noch maßloser als sein Vordermann. Dein Leben will ich dir lassen, das habe ich jetzt beschlossen, weil du als erste mich gegrüßt und mir Frieden gewünscht hast. Erst kam der Gruß und dann die Rede dein. Doch vielleicht ist unter den anderen sechs Gargufs, die noch kommen, einer, der sich deiner erbarmt und dich befreit, und das ist dann dein Glück.« Der Garguf ging, und wenig später sah das Mädchen einen anderen Mann kommen – jetzt wußte sie, daß auch er ein Garguf war. Als er näher gekommen war, rief das kleine Mädchen ihm zu: »Einen schönen Abend, lieber Oheim, lieber Garguf!« »Bei Allah, hätt nicht erst den Gruß und dann die Rede ich gehört, Mit Fleisch und Knochen längst schon hätt ich dich verzehrt.« »Ich bin klein und unwissend und ganz elend, bitte hilf mir doch!« – »Gut, ich will dir nichts tun, will dich am Leben lassen und weitergehen, und wenn du nicht ›einen schönen Abend« gesagt hättest, dann hätt zermahlen und zerbröselt ich dein Fleisch mitsamt den Knochen.« Mit den Worten »hinter mir kommen noch andere Gargufs« entfernte er sich. Da kam auch schon der dritte Garguf und dem kleinen Mädchen auf dem Baum geschah genau das gleiche wie beim ersten und beim zweiten. So zogen sechs Gargufs vorbei. Schließlich kam der siebte Garguf und als das kleine Mädchen ihn erblickte, rief es wiederum: »Einen wunderschönen Abend voller Glück, lieber Oheim, lieber Garguf! Ich bin hier oben und sitze schon eine ganze Weile auf dem Baum, und bin so klein und habe Angst. Bitte erbarm dich meiner, befreie mich und helfe mir herunter von diesem Baum, weil ich so armselig bin. Die anderen Mädchen haben mir einen bösen Streich gespielt, als sie mich auf den Baum klettern ließen und mir versprachen, auch für mich einen Korb voll Dó-um zu sammeln. Statt dessen sind 59
sie fortgelaufen, haben mich auf diesem Baum zurückgelassen, ohne Rat und ohne Ausweg. Beistand suche ich jetzt bei Allah und bei dir. Hab Mitleid mit mir, erbarm dich meiner und hol mich herunter von diesem Baum!« »Hör mich an!« – »Ja, gerne.« – »Dann nenn ich dir meine Bedingungen.« – »Ich bin schon vorher einverstanden!« – »Schau her, du springst herunter und ich fange dich mit meinen Händen auf: Wenn du auf meinen Daumen fällst, dann fresse ich dich, wenn du auf den Zeigefinger fällst, dann hebe ich dich wieder hinauf in den Baum, wenn du auf den mittleren Finger fällst, dann heirate ich dich, gut so, einverstanden?« – »Einverstanden!« – »Wenn du auf den vierten Finger fällst, dann schlachte ich dich, wenn du aber auf den kleinen Finger triffst, dann entlaß ich dich in Allahs Freiheit und du darfst in meinem Namen ziehen, wohin du willst! Jetzt spring! Los, was sagst du dazu?« – »Ich bin einverstanden, habe es gerade schon gesagt, ich bin bereit, ich springe!« Da sprang das kleine Mädchen auf die Hand des Garguf und fiel auf den mittleren Finger – den Finger des Heiratens. »Schau her, du hast den mittleren Finger getroffen«, sagte da der Garguf, »und nach unserer Abmachung bist du jetzt meine Frau geworden, gut so?« »Gut, tu, was Allah dir befiehlt, ich bin zufrieden!« – »Also dann, gehen wir in unser Haus.« Die Erde rollte sich auf vor ihnen und sie durchflogen das Land, bis sie zu einem Schloß gelangten, einem gewaltigen Schloß auf dem Gipfel eines hohen Berges. Der Garguf öffnete das Schloß und danach einen nach dem anderen der sechs Räume des Palastes und zeigte seiner Frau alles, was darinnen war. Als sie aber zum siebten Zimmer kamen, öffnete er es nicht. Der Garguf war sehr glücklich. Er erleuchtete sein Schloß mit Lichtern und Leuchten, hatte Menschengestalt angenommen und setzte sich, fröhlich und strahlend, als hübscher junger Mann neben seine Frau, zeigte ihr seinen Edelmut und seine Liebe. Ihr Mann sah so gut aus, gepriesen sei der Schöpfer, der 60
ein solches Wunder schuf, daß das junge Mädchen ihn zu lieben begann, die Furcht sie verließ und sie anfing, sich in dem Haus auf Dauer einzurichten. ›Gelobt sei Allah, der mir diesen Lohn geschenkt hat und diesen schönen jungen Mann‹, sagte sie zu sich selbst. Das Mädchen war glücklich über sein neues Leben, sie aß und trank und der Garguf war stets so gut zu ihr, daß sie alles vergaß. Eines Tages sagte der Garguf: »Ich will dir etwas erzählen, was gut zu wissen ist, gut für dich und gut für mich. Schau, ich habe dir alle Zimmer gezeigt bis auf eines, das ich dir verboten habe. Wenn du mich liebst, dann, Achtung, öffne es nicht und suche niemals nach den Schlüsseln für jenen Raum, versprich mir das!« – »Ich habe deine Rede gehört!« Tage gingen und Tage kamen, zum Propheten laßt uns beten, dem vollkommen vollen Mond. Eines Tages aber wurde das Mädchen vom Teufel der Neugierde gepackt und sie beschloß, das siebte Zimmer zu öffnen. Sie suchte den Schlüssel, schließlich fand sie ihn, öffnete den Raum, aber als sie ihn betrat, da entdeckte sie, daß er voll gefüllt war mit Schädeln und Knochen von Kindern Adams! Ein furchtbarer Schrecken überfiel das Mädchen und in größter Eile schloß sie das Zimmer wieder ab. Und von dieser Stunde an wurde sie krank. Als der Garguf an diesem Abend in sein Schloß zurückkehrte, bemerkte er gleich, wie seine Frau litt. Was hast du, Frau, was ist mit dir geschehen?« – »Bei Allah, ich bin ein bißchen krank heute, aber es wird schon wieder gut, in scha’ Allah!« – »Ist etwas geschehen, hast du irgend etwas gesehen?« – »Nein, bei Allah, nichts habe ich gesehen, ich habe Fieber, fühle mich ein bißchen krank.« Jetzt ließ der Garguf seine Frau nicht mehr aus den Augen. Von Tag zu Tag verschlimmerte sich ihr Zustand. Sie haßte das Leben mit dem Garguf, denn nun wußte sie, daß er Menschen fraß, daß er böse war und gefährlich, auch für sie. Sie dachte an Flucht, doch wußte sie nicht, wie sie es anfangen sollte, weil sie merkte, wie der Garguf jetzt jeden ihrer Schritte verfolgte. 61
Einige Tage vergingen, ihr Zustand hatte sich immer noch nicht gebessert, verängstigt war sie und bleich. Jetzt war der Garguf ganz sicher, daß etwas vorgefallen war und daß sie das siebte Zimmer geöffnet haben mußte. Das wollte er nun herausfinden. »Schau her«, sagte er, »hör zu, ich sehe, wie deine Gesundheit sich jeden Tag verschlechtert, das beste ist, ich gehe und hole dir deine Mutter.« – »Wirklich, kannst du mir meine Mutter holen?« – »Ja, ganz einfach.« – »Wie schön, das wird ein Glück sein, aber du brauchst dir wirklich nicht solche Sorgen um mich zu machen!« Der Garguf ging hinaus in die Wüste und nahm die Gestalt der Mutter seiner Frau an. Dann kehrte er zurück, so wie wenn er die Mutter seiner Frau wäre. Als seine Frau ihn sah, rief sie voller Freude: »Willkommen, willkommen, liebste Mutter, wie geht es dir und meinem Vater und meinen Brüdern?« – »Bei Allah, gut geht es mir, nichts fehlt uns außer dir. Aber du, wie geht es dir, meine Tochter? Du siehst krank aus und abgezehrt, ist dein Mann schlecht zu dir, oder schlägt er dich? Oder was ist sonst der Grund, sage es mir, mir deiner Mutter!« – »Bei Allah, liebe Mutter, ich bin zufrieden und heiter, nichts geht mir ab, Allah sei Dank. Ja, Mutter, schau dir nur dieses große Schloß an, in dem ich lebe. Nur gerade jetzt bin ich ein wenig krank und erschöpft, aber das kommt nicht von meinem Mann, niemals, der ist so großmütig und edel, und behandelt mich so gut!« Der Garguf, der die Gestalt der Mutter seiner Frau angenommen hatte, sprach noch eine Zeitlang mit seiner Frau, als er aber schließlich bemerkte, daß sie das siebte Zimmer nicht erwähnte, verabschiedete er sich: »Auf jetzt, ich gehe, ich will nicht zu spät zu deinen Brüdern zurückkehren, weil sie sich sonst große Sorgen um mich machen. Aber deinen lieben Bruder Ali will ich dir gelegentlich zu Besuch schicken.« – »Sei’s also, auf Wiedersehen Mutter, aber denk daran und lasse meinen Bruder Ali kommen, schnell!« – »In scha’ Allah, mach dir nur keine Sorgen!« Die Mutter, die ja in Wahrheit der verwandelte Garguf 62
war, ging, und wenig später kam ihr Ehemann in seiner richtigen Gestalt als Garguf aus der Wüste zurück in sein Schloß: »Wer hat dich denn besucht, war es nicht deine Mutter? Wie geht es ihr?« – »Gut!« – »Oh, das freut mich!« Der Garguf war sich seiner Sache aber immer noch nicht sicher und beobachtete seine Frau weiter scharf, wie ein Jäger auf der Jagd das Wild. Als er bemerkte, wie sich ihre Gesundheit immer weiter verschlechterte, versprach er ihr, eine ihrer Freundinnen zu bringen. »Wie, du kannst sie hierherholen?« – »Ja, für dich kann ich sie holen, selbst vom Ende der Welt!« Der Garguf ging in die Wüste und nahm die Gestalt der Freundin an. Bald darauf kam er in das Schloß zurück zur größten Freude seiner Frau. Willkommen, willkommen, wie geht es dir, meine liebe Freundin«, begrüßte sie sie überglücklich. »Gut geht es mir, aber erzähle mir doch, wie steht es mit dir, Freundin? Erzähl mir alles und verberge mir nichts, du siehst ja so elend aus und ausgelaugt, und überhaupt nicht so, wie man sich das wünscht!« »Bei Allah, Schwester, einen Mann habe ich, alles hat er mir geschenkt, nichts fehlt mir, gar nichts! Alle meine Wünsche erfüllt er mir, nur eine einzige Sache gibt es, die mir nicht gefällt!« »Eine einzige Sache? Welche denn, Schwester, sag es heraus, mir mußt du den Grund für deine Krankheit und dein Elend sagen!« »Also schau, siehst du hier diese sechs Zimmer? Sechs sind es und alles gehört mir, was darinnen ist, alle Dinge, die man sich nur vorstellen kann, alles aus Silber und Gold, nichts fehlt und ich könnte gar nicht mehr zufrieden sein. Doch von dem siebten Zimmer hat mir mein Mann gesagt: ›öffne es nichts aber dann habe ich es trotzdem aufgemacht, heimlich und er weiß es nur noch nicht. Und drinnen, was habe ich da gefunden? Leichen von Adamskindern, das ganze Zimmer voll mit Menschenknochen. Mein Mann, der Garguf, hat sie aufgefressen!« – »Ja und dann, was hast du dann gemacht?« – »Seitdem, seit ich die 63
Leichen der Adamskinder gesehen, kann ich nichts mehr essen und will nichts mehr unternehmen. Das Leben mit meinem Mann hasse ich, weil ich weiß, daß er ein Afrit ist. Mein Gewissen quält mich jeden Tag und ich bin unfähig, irgend etwas zu tun. Angst habe ich und bin elend, und mein Mann hat Verdacht geschöpft gegen mich, darum hat sich meine Gesundheit so sehr verschlechtert.« »Ach, Schwesterchen, dein Mann liebt dich doch und gibt dir alles, was du brauchst. Du mußt nur geduldig sein und mit diesem Gerede aufhören! Ich aber muß jetzt schnell wieder nach Hause, ich habe mich schon zu lange verspätet. Du mußt ganz einfach mit deinem Mann leben wie bisher, und noch lieber zu ihm sein als bisher, dann, das glaube mir, dann wird er dir gewiß nichts tun!« »Danke dir, auf Wiedersehen, ich will’s schon versuchen. Und meine Grüße allen Verwandten, und in scha’ Allah, wird schon alles gut werden!« – »Leb wohl!« Der Garguf wanderte ein Stück in die Wüste, wo er wieder in seine ursprüngliche Gestalt schlüpfte und kehrte nach Hause zurück. »Ist deine Freundin gekommen?« fragte er seine Frau .und ließ sich von dem Besuch erzählen. Seine Frau hatte also das Geheimnis herausgefunden! Zuerst wollte der Garguf sie auf der Stelle auffressen, doch dann entschloß er sich, noch ein wenig zuzuwarten und erst einmal zu sehen, was noch geschehen würde. Seine Frau aber dachte ständig nach, wie sie vor ihrem niederträchtigen Mann, dem Garguf, fliehen könnte. Tage gingen, Tage kamen. Und schließlich sah sie als einzigen Ausweg, davonzulaufen, hinaus in die Wüste. Sie eilte dahin und wanderte und wanderte, bis sie plötzlich in der Ferne einen jungen Hirten sah. »He du Bub, komm doch her«, rief sie ihm zu. Der Jüngling kam näher und sie traute ihren Augen nicht: der Hirte war ihr Bruder Ali! Was hat dich denn an diesen Ort geführt, lieber Bruder?« – »Bei Allah liebe Schwester, überall suchen wir dich!« – »Aber wieso, hat mich doch meine Mutter 64
besucht und gesehen, daß ich verheiratet bin und in einem großen Schloß lebe?« – Was, Mutter? Nein, Mutter ist nie bei dir gewesen und hat dich auch nicht gesehen!« – »Seltsam, bei Allah!« Doch auf einmal verstand sie alles und merkte, daß ihr Mann sie in anderer Gestalt besucht hatte. Aber während die beiden noch nach einer List sannen, wie sie fliehen könnten, erschien der Garguf vor ihnen. Jetzt mußte die Frau ihm berichten, daß der Hirte ihr Bruder war. Der Garguf hieß ihn willkommen, und wenn man ihn so reden hörte, freute er sich sehr über Alis Eintreffen, während er ihm in Wahrheit doch Böses und Unheil zudachte. Alle begaben sich jetzt in das Schloß, aßen zu Mittag, saßen zusammen und unterhielten sich. Zwei Tage verstrichen, und als der Garguf das Gefühl hatte, daß seine Frau sich beruhigt hatte, machte er ihr einen Vorschlag: »Jetzt gehe ich mit deinem Bruder in den Sūq und kaufe einige Sachen.« – »Gut, geht nur, Allahs Friede sei mit euch!« Der Garguf aber führte seinen Schwager ein Stück in die Wüste hinaus, dort zog er plötzlich ein Messer, packte den Ali und schlachtete ihn. Einen Teil des Fleisches fraß er auf der Stelle, den Rest füllte er in einen Korb und machte sich auf den Weg zurück ins Schloß. Da zog ein weißes Geierweibchen über ihn hin, stieß hernieder und schnappte sich ein Stück von dem Fleisch: den Finger des getöteten Knaben, an dem noch sein Ring steckte. Das weiße Geierweibchen flog über das Schloß und ließ den Finger mit dem Ring in den Hof fallen, wo die Frau gerade bei der Arbeit saß, und rief ihr zu: »O Maryam, o Maryam, gemordet ist dein Bruder, o Maryam, Das ist sein Finger und das sein Ring!« »Wer ruft denn da?« – »Ich, das weiße Geierweibchen, den Finger deines Bruders habe ich dir gebracht und seinen Ring! Der Garguf hat deinen Bruder getötet, bald kommt er nach 65
Hause mit einem Korb und in dem Korb ist das Fleisch deines Bruders!« Eine Stunde später kam der Garguf und erzählte ihr: »Dein Bruder wollte, als wir im Sūq fertig waren, gleich nach Hause zurück und bat mich, dich zu grüßen. Das da in dem Korb habe ich eingekauft. Mach uns ein gutes Mittagessen davon!« Die Frau erhob sich und ging an den Herd. Als sie das Essen auftrug, sagte der Garguf: »Nun, komm und iß mit!« – »Nein, ich bin so satt, ich kann jetzt wirklich nichts essen!« Der Garguf aß, die Knochen ließ er liegen, stand auf, trank etwas Wasser und legte sich schlafen. Die Frau aber nahm sich ein Herz, sammelte die Knochen ein und was sonst noch übrig war, grub eine Grube und legte alles hinein. Dann nahm sie den Finger mit dem Ring, den sie sorgsam versteckt hatte, und beerdigte auch ihn in der Grube. Und von da an wässerte sie die Grube jeden Tag, bis ein Baum daraus hervorwuchs. Eines Tages, als sie, wie jeden Tag, wieder zu dem Baum kam, der aus der Grube emporwuchs, und einen Zweig abpflückte, kam ein schöner kleiner Knabe aus dem Zweig heraus. Die Frau nahm das Kind auf, gab ihm Milch und freute sich sehr. Bald darauf kam der Garguf nach Hause: »Ich rieche Menschenfleisch, Fleisch nicht aus meinem Reich, Zermahlen will ich es mit meinen Zähnen, Den Schneidezähnen und den Backenzähnen!« »Was? Hier bin nur ich und dein Sohn!« – Wer? Mein Sohn?« – »Das ist dein Sohn, den ich dir zur Welt gebracht habe!« – »Das mein Sohn?« – »Ja!« Jetzt freute sich der Garguf, da er erfuhr, daß seine Frau ihm einen Sohn geschenkt hatte. Er besorgte alles für ihn, selbst Dinge, die man kaum bekommen kann. Seine Frau aber zog den kleinen Knaben auf, der in Wahrheit ihr Bruder und über den Baum wieder auferstanden war. Immerzu sorgte sie für ihn, bis er jung und stark geworden war 66
und das Geheimnis, das sie ihm nun preisgab, verstehen konnte: Weißt du, wer ich bin?« – »Ja, meine Mutter bist du!« – »Nein, nicht mein Sohn bist du, sondern mein Bruder! Kannst du dich erinnern, wie ich dir in der Wüste begegnet bin, damals, als ich von hier zu fliehen versuchte? Doch mein Mann, der verfluchte Garguf, entdeckte uns, beide mußten wir mit ihm hierher zurück in das Schloß. Dann dachte er sich die List mit dem Sūq aus, er müsse Fleisch kaufen und du mußtest ihn begleiten. In der Wildnis draußen aber packte er dich, tötete dich und fraß dein Fleisch. Doch ein weißes Geierweibchen brachte mir deinen Finger mit dem Ring daran. Den Finger mit dem Ring habe ich in einer Grube begraben und jeden Tag das Grab begossen. Da wuchs ein hoher Baum heraus und aus einem seiner Zweige erschienst du. Ich brachte dich in das Schloß und als der Garguf dich sah und dich auffressen wollte, erzählte ich ihm, du seiest sein Sohn. Er freute sich sehr und liebt dich, doch zugleich blieb er stets wachsam und vorsichtig. Die Wahrheit aber ist, du bist mein leiblicher Bruder! Jetzt will ich von dir wissen, wie du dich selber siehst! Bist du stark und mutig, daß wir uns an diesem verfluchten Garguf rächen können? Sag es, denn ein harmloses Opfer ist der Garguf nicht!« »Ja, ich muß mich rächen und dich von ihm befreien. Dann aber wollen wir zurückkehren zu unseren Verwandten und zu unserem Haus. Du Schwester, sorge dich nicht mehr, faß wieder Mut!« »Gut, in Allahs Namen. Dann erzähle ich dir jetzt meinen Plan: Am Abend, nach dem Abendessen, gehst du an deinen Platz und tust, als ob du schlafen würdest. Der Garguf geht, wie du weißt, früh zu Bett. Wenn er sieht, daß auch ich mit dem Abendessen fertig bin und ins Schlafzimmer komme, dann legt er seinen Kopf auf meinen Schenkel und schläft ein. Eines aber mußt du auch noch wissen: Der Garguf hält, wenn er ganz fest schläft, die Augen weit geöffnet, dann ist er in der Tiefe des Schlafes. Wenn aber seine Augen geschlossen sind, aufgepaßt, denn dann wacht er noch. Und ein weiteres will ich dir sagen: 67
Töten kann man den Garguf nur mit seinem eigenen Schwert und nur mit einem einzigen Streich. Danach darfst du nichts weiter mehr tun, auch wenn er dich noch so sehr bittet – denn wenn du auf seine Worte hörst, dann erhebt er sich wieder und tötet dich! Sei also sehr vorsichtig und das Schwert versteckst du hier!« Wenig später gab das Mädchen seinem Bruder noch einen Ratschlag: »Wenn du das Schwert des Garguf aus der Scheide ziehst, dann halte Baumwolle daran, damit es nicht klingt und den Garguf aus seinem Schlaf weckt. Wenn du das Schwert immer nur ein wenig herausziehst, mußt du gleich die Baumwolle daranhalten, bis du es ganz gezückt hast. Wenn ich dann sehe, daß du bereit bist und das Schwert in deiner Hand glänzt, dann mache ich mich frei und du schlägst dem Garguf das Haupt ab. Aber bedenke immerzu: Wenn du ihn erschlagen hast, wird er zu dir sprechen, doch du, höre nicht auf seine Worte, niemals! Jetzt will ich Allah um Erfolg bitten, den Sieg soll er dir schenken über diesen verfluchten Afrit und uns von ihm befreien!« Wenig später gab der Jüngling seiner Schwester das Zeichen, daß er fertig und das Schwert bereit sei. Die Frau machte sich vorsichtig frei, schob ein Kissen unter den Kopf des Garguf und sagte zu ihrem Bruder: »Bei Allah, jetzt tu deine Arbeit.« – »Laß das nur meine Sorge sein.« Und der Jüngling versetzte dem Garguf einen gewaltigen Schwerthieb und mit einem einzigen Schlag trennte er ihm das Haupt vom Hals. Das Haupt aber fing an zu reden: »Noch einen!« »Nur einen und nicht zwei Gab doch auch meine Mutter mir den Teig Nicht roh, und ungebacken nie das Brot! Stirb, du Feind Allahs!« »Trete mich mit deinem Fuß, trete mich!« »Zu kurz ist mein Fuß, Verfluchter.« 68
»Dann spuck doch wenigstens auf mich!« »Ausgetrocknet ist mein Mund, stirb, du Feind Allahs! Denn in dieser Nacht hat das Schicksal dich erreicht, Der du so viele Seelen hast gemordet!« Den toten Garguf ließen sie liegen, wo er war. Eine Stunde später ging die Sonne auf. Das Mädchen und sein Bruder holten die Esel, beluden sie mit Schmuck und Gold und zogen wie in einem Hochzeitszug mit all diesen Schätzen zu ihrem Elternhaus. Als sie in ihr Dorf kamen, sahen die Leute das Gold und all die anderen wertvollen Dinge und staunten: »Woher kommt denn das alles?« – »Von unserem Schwiegersohn!«
6. Al-Miqdādi bin ich, der Schwarze, vom Stamme der Kinda
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s war einmal ein Mann vom Stamme der Kinda. Als er starb, ließ er einen Sohn zurück, sein Name war Al-Miqdādi. In der gleichen Stadt lebte noch ein anderer freier Krieger. Als auch dieser seinen Tod nahen fühlte, nahm er, weil ihm das Schicksal keinen Sohn geschenkt hatte, sein Schwert und hängte es an die Wand in seinem Hause. Seinem edlen arabischen Pferd schnitt er die Ohren ab und den Schwanz, und verunstaltete es auf diese Weise so, daß es einem Pferd genausowenig wie einem Esel ähnelte. Al-Miqdādi ibn al-Kindi aber erlernte die Reitkunst und den Gebrauch des Schwertes, wurde ein gewandter, starker Ritter, der seinesgleichen nicht hatte im ganzen Land. Seine Kusine, die Tochter eines seiner Onkel, der auch ein Kindi war, hieß Mayāssa. Mayāssa war berühmt für ihr ritterliches Können und für ihre Schönheit, doch ihr Vater wollte sie nur dem zur Frau geben, der bei einem ritterlichen Zweikampf 69
das Zaumzeug ihres Pferdes ergreifen und Mayāssa gefangennehmen würde. Der Preis sollte Mayāssa selbst sein und die Frau des Erfolgreichen werden. Viele versuchten ihr Glück, doch alle scheiterten. Keinem gelang es, das Zaumzeug zu ergreifen und Mayāssa, die Tochter des Kindi, zu gewinnen. Auch Al-Miqdādi hörte von der tapferen Mayāssa, der Tochter seines Onkels, hörte, welch hervorragende Reiterin sie war, und beschloß, sie zur Frau zu gewinnen. Er bat seine Mutter um ein Pferd und ein Schwert, um in die Stadt seines Onkels ziehen zu können und Mayāssa in ritterlichem Kampf herauszufordern. Gewiß würde er die Oberhand über die Tochter seines Onkels gewinnen, tröstete er seine Mutter. Die aber war bedrückt, weil sie kein Geld hatte, um ihm ein edles Pferd zu kaufen und ein gutes Schwert. Da erinnerte sie sich an ihre Nachbarin, deren Mann gestorben war und vor seinem Tode das Schwert an die Wand gehängt, seinem Pferd Ohren und Schwanz abgeschnitten, und seiner Frau geboten hatte, Pferd und Schwert niemandem mehr zu übergeben. Al-Miqdādis Mutter ging dennoch zu der Witwe, bat sie um Pferd und Schwert, doch die lehnte ab. Al-Miqdādis Mutter gab dennoch nicht auf, sondern bat die Witwe inständig, erklärte ihr die Geschichte, vor allem auch, daß ihr Sohn diese beiden Dinge nur für ein wichtiges Turnier an einem einzigen Tag benötigte, danach werde er Pferd und Schwert sogleich wieder zurückbringen. Die Witwe hatte Mitgefühl mit Al-Miqdādis Mutter und war schließlich einverstanden, ihr zu helfen. Die Mutter lief nach Hause zurück und erzählte ihrem Sohn voller Freude von dem Erfolg. Auf der Stelle ging Al-Miqdādi zu der Witwe, holte Pferd und Schwert, seine mächtige Lanze hielt er bereits in der Hand. Er freute sich maßlos, als er das Pferd mit den abgeschnittenen Ohren und dem abgeschnittenen Schwanz ritt, denn es ging wie eine leichte Welle und war von unerhörter Schnelligkeit. Bald kam er in die Stadt seines Onkels, ritt ohne anzuhalten auf den großen Platz, bedeckte sein Gesicht und rief: 70
»Hör mich Kindi, hör mich Kindi! Als Bräutigam für deine Tochter komme ich, Sag deine Antwort, Kindi!« »Vor dir der Platz, und meine Tochter auf ihrem Pferd! Prüfe dein Glück und versuche, ihr Zaumzeug zu greifen! Wenn du sie gefangennimmst, Mayāssa, meine Tochter, wenn dir das gelingt, dann wird sie dir zur Frau. Doch wenn du scheiterst, dann ist der Tod dein Lohn! Auf sprich!« – »Einverstanden bin ich und stehe schon bereit hier auf dem großen Platz!« Al-Miqdādi ließ sein Pferd mit so unerhörter Geschwindigkeit losstürmen, daß die Leute ihren Augen nicht trauen wollten, vor allem, weil er ein Pferd ritt, dem Ohren und Schwanz fehlten, ein maßlos lächerlicher Anblick. Dann führte er eine Reihe ritterlicher Spiele vor, die alle in Erstaunen versetzten, sogar den Kindi, den Vater des Mädchens, bis schließlich die Leute sagten: ›Dieser Reiter muß ein Teufel sein!‹ Jetzt griff er Mayāssa, die Tochter des Kindi, an und zwang sie – zum ersten Mal in ihrem Leben – zurückzuweichen. Stärker war er als sie und gewandter, sie konnte ihm nicht standhalten. Da wandte Mayāssa eine List an, mit der sie Al-Miqdādi zu täuschen hoffte: sie hob ihren Schleier, damit Al-Miqdādi von der Schönheit ihres Antlitzes geblendet würde! Doch Al-Miqdädi schaute sie nicht an, nahm all seine Kraft zusammen und drang weiter auf sie ein. So kämpften sie, bis Al-Miqdādi seine Onkelstochter völlig vom Platz gedrängt hatte. Als er seinen Sieg erkannte und daß ihm nur noch wenig fehlte, um sie zu ergreifen, da schrie er ihr zu: »Mein Schwur, mein Glaube, beim Herrn der Welten, steig herunter, ergib dich und nimm den Zügel deines Pferdes in die Hand, sonst wird die Spitze dieser Lanze dein Herz durchbohren! Verstanden, oder nicht? Ergib dich jetzt in Frieden und rette dein Leben! Antworte!« Mayāssa sah den Tod vor Augen und sprach: Wer denn bist du, o mutiger Ritter?« – »Deines Onkels Sohn bin ich, Al-Miqdādi, der Schwarze bin ich, vom Stamme der Kinda, Al-Miqdādi 71
al-Aswad al-Kindi!« Da stieg Mayāssa von ihrem Pferd. AlMiqdādi ergriff sie, den Zügel ihres Pferdes nahm er in die Hand und führte das Mädchen zu ihrem Vater, dem Kindi. Der stand schon in der Mitte des großen Platzes und um ihn herum all die anderen Zuschauer. ›Allahu akbar‹, riefen die Leute, und Mayāssa wandte sich an ihren Vater: »Mit diesem tapferen Ritter bin ich einverstanden, Vater, welch starker Held, mutig und edel!« – »Gut, dann ist er auch mir recht, er kann in sein Land zurückkehren und die Brautgabe bringen!« Al-Miqdādi ritt davon auf seinem verstümmelten Pferd, das Schwert in der Scheide, wissend, wie arm er war und daß er nie eine angemessene Brautgabe zusammenbringen würde. Da sah er plötzlich auf seinem Weg eine große Karawane, beladen mit zahllosen Gütern, heranziehen. Die hat mir Allah gesandt, das ist meine Gelegenheit, sprach er zu sich selbst. Dieser Karawane muß ich den Weg verstellen und so die Brautgabe für meines Onkels Tochter Mayāssa gewinnen! Er ritt hinauf auf die Paßhöhe, stellte sich mitten in den Hohlweg, mit beiden Händen hielt er seine gewaltige Lanze und als die Karawane sich näherte, schrie er mit lauter Stimme: »Ich bin Al-Miqdādi al-Aswad al-Kindi! Al-Miqdādi bin ich, der Schwarze, vom Stamme der Kinda!« – Was willst du?« – »Ich brauche eine Brautgabe für die Tochter meines Onkels und wenn ich dafür eure ganze Karawane rauben müßte!« – »Zwanzig Kamele gebe ich dir freiwillig, das ist doch genug als Morgengabe« – antwortete ihm der eine Karawanenführer! »Gut, und von mir bekommst du noch zehn dazu, dreißig Kamele also, beladen mit den berühmtesten Waren und mit den wertvollsten Lasten!« – »Einverstanden, Dank für eure Freigebigkeit und euer Verständnis, möge Allah es euch reichlich lohnen!« – »Auf, Leute, jetzt schnell weiter! Du aber leb wohl!« – »Geht in Frieden!« Al-Miqdādi brachte die dreißig Kamele auf der Stelle zu seinem Onkel. »Diese Kamele sind beladen mit allem was schön ist und wertvoll: Gewänder, Duftstoffe, Weihrauch und noch vieles mehr. 72
Diese Kamele sind meine Morgengabe für deine Tochter Mayāssa. Wirst du sie mir jetzt zur Frau geben?« Natürlich war der Kindi einverstanden, und die Hochzeit fand statt zwischen Al-Miqdādi und Mayāssa, der Tochter seines Onkels. Nachdem die Festzeit vorüber war, brachte Al-Miqdādi seine junge Frau nach Hause zu seiner Mutter, und ihr ganzes Leben lang lebten sie in Glück und Seligkeit.
7. Die beiden Leoparden Kolbi und Fuadi und das Pferd Geierschnapper
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or langer langer Zeit gab es einen Sultan, Herr über große Macht und unendliches Vermögen. Er heiratete eine schöne Frau und bekam von ihr zwei Kinder geschenkt, einen Jungen und ein Mädchen. Seinen Sohn lehrte er Reiten und Kämpfen und alle anderen Künste, die ihm in Zukunft nutzen könnten. Seiner Tochter hielt er die besten Lehrerinnen und Erzieherinnen. Und alle waren miteinander sehr glücklich. Doch das Glück des Sultans und seine Freude dauerten nicht lange. Seine geliebte Frau starb und ging ein in die Barmherzigkeit Allahs, des Allerhöchsten. Von tiefer Trauer erfüllt, ließ er ein großes Begräbnis veranstalten. Alle Armen und Bedürftigen klagten über den Tod der Sultanin und erflehten Allahs Gnade und Vergebung für sie, und ihre Aufnahme in das Paradies. Und allen gab der Sultan reichlich Almosen. Als einige Zeit vergangen war, rieten ihm seine Freunde, wieder zu heiraten und sein Leben der Einsamkeit und Trauer aufzugeben. Er dachte lange darüber nach, endlich entschloß er sich, zögernd und fast gegen seinen eigenen Willen, zum zweiten Mal zu heiraten, um seinen geliebten Kindern wieder eine Mutter zu geben. Die Hochzeit wurde anberaumt, die Hochzeitszeremonien fanden statt, und der Hochzeitsabend wurde festlich begangen. Die neue Sultanin war schön und jung und fröhlich und 73
brachte dem Sultan am Beginn des gemeinsamen Lebens das Glück und die Zufriedenheit, die er erhofft hatte. Doch nach einer Weile wurde die Frau von Eifersucht gepackt, weil sie sah, wie der Sultan seiner Tochter mehr Zeit als ihr selbst widmete. Deshalb dachte sie sich eine List aus, mit der sie den Sultan zwingen würde, seine Tochter zu entfernen. Sie gab sich traurig und niedergeschlagen, und als der Sultan sie fragte, was mit ihr los sei, war ihre Gelegenheit gekommen: Sie habe einen bösen Traum gehabt und in diesem Traum gesehen, wie seine Tochter als schweres Unglück auf dem Sultanat liege, und daß er sie beseitigen und aus dem Wege schaffen müsse, damit er selbst, seine Herrschaft und die ganze Familie nicht untergingen. Der Sultan schenkte dieser Geschichte zuerst keinen Glauben, aber dennoch ließ ihn die Erzählung nicht los. Deshalb befahl er seinem obersten Diener, er solle auf der Stelle den obersten Sterndeuter der Stadt holen. Wenig später erschienen beide, der oberste Diener und der oberste Sterndeuter. Der Sultan hatte heißer als auf glühenden Kohlen gesessen und als der Sterndeuter vor ihm stand, befahl er ihm, sofort die Sterne zu befragen. Seiner Tochter wegen solle er die Sterne deuten und herausfinden, welches ihr Schicksal sei und was die Zukunft bringe. Auf der Stelle fing der oberste Sterndeuter mit seiner Arbeit an. Nach einer Weile begann er: »O du gewaltiger Sultan, unglücklich bin ich über das, was ich dir verkünden muß. Wenn deine Tochter bei dir bleibt, ist die Zukunft dunkel und überaus gefährlich. Dinge werden geschehen, die deine Herrschaft und deine Familie für immer zerstören! Mein Ratschlag ist es, dich von diesem Kinde loszusagen, weil es schlimmes Unglück bringt, Schaden und Heimsuchung für dich, für dein Sultanat und für alle Glieder deiner Familie. Die Gefahr ist nahe, keine Zeit darfst du verlieren, ohne Zaudern mußt du das Notwendige tun, du mußt deine Tochter verbannen aus deiner Nähe, so schnell wie möglich! Dies alles ist mir klar erschienen und bei dir liegt es jetzt, das Erkannte schnellstens und ohne Zögern auszuführen!« 74
Wie ein Blitz trafen den Sultan diese Worte. Mit Mühe nahm er sich vor den Leuten zusammen und bezahlte dem obersten der Sterndeuter eine hohe Summe. So erregt war der Sultan, daß er nicht mehr denken konnte, sondern bewegungslos dasaß. Nun befragte er auch seine obersten Minister. Die rieten ihm, schnell zu handeln, um das Unglück abzuwenden. Da verließ der Sultan schweigend sein Madschlis, begab sich in das Zimmer seines Sohnes und befahl ihm, die Schwester auf der Stelle weit wegzubringen, ein Grab auszuheben und sie sodann lebendig darin zu begraben, weil nur durch ihren Tod das Unglück vermieden werden könne und die Gefahr. Und dies alles habe keine Weile und müsse, so schärfte er seinem Sohn ein, genau in dieser Form vollzogen werden. Der Sohn des Sultans wanderte mit seiner Schwester, ohne ihr etwas über ihr Schicksal zu erzählen, aus der Stadt hinaus. In einer wüsten, unbewohnten Gegend angekommen, grub er ein Grab, packte die Schwester und warf sie hinein. Da flehte sie ihren Bruder an: »Sag mir, was habe ich getan, um eine solche Strafe zu verdienen?« Ihr Bruder aber gab ihr keine Antwort, sondern fuhr mit seiner Arbeit fort. Als er schon viel Erde in das Grab geschaufelt hatte, erbarmte sich sein Herz über ihr Weinen und Flehen. Ihm wurde klar, daß sie kein todeswürdiges Verbrechen begangen haben konnte. Er änderte seine Meinung und beschloß, zusammen mit seiner Schwester in eine von dem Sultanat seines Vaters weit entfernte Stadt zu ziehen, wo niemand sie kennen würde. Dort wollte er mit seiner Schwester ein neues Leben in Bescheidenheit beginnen. Allah ist mit denen, die geduldig sind! Als sie sich einer Stadt näherten, in der sie leben wollten, kamen der Sohn des Sultans und seine Schwester zu einem einsamen Ort und jetzt erst merkten sie, wie hungrig und durstig sie waren. Doch nur wenig später standen sie vor einem großen, gewaltigen Haus, freuten sich und klopften an. Die Tür ging auf und vor ihnen stand eine schöne junge Frau. Ihr Anblick traf den Sultanssohn, ihr Gang nahm ihn gefangen, sein Herz wurde 75
zum Sklaven und er selbst zum Bettler! Jedem anderen Sterblichen wäre es ebenso ergangen, der den Propheten liebt, Allah segne ihn und halte seine schützende Hand über ihn. Die junge Frau forderte die beiden auf, einzutreten. »Wir wollten etwas Essen und ein wenig Wasser erbitten«, sagten sie, und schon eilte die junge Frau und brachte Speise und Trank, um den Bauch zu füllen und den Durst zu stillen. Als sich die beiden verabschieden wollten, fing die junge Frau an, ihnen ihre Geschichte zu erzählen: Sie sei mit dem Afrit verheiratet, einem Manne von den Dschinn, der ihr dieses große Schloß errichtet habe. Doch sei sie nicht glücklich mit ihm und flehe ständig zu Allah, dem Höchsten und Gepriesenen, er möge sie von diesem Mann befreien. Da zog der Sohn des Sultans sein scharfes Schwert und schwor, er werde das Haus nicht verlassen, ohne mit diesem verfluchten Afrit gekämpft und ihn getötet zu haben. Mit Allahs Hilfe werde er siegreich bleiben! »Du aber habe keine Angst!« – »Gut, zu Befehl«, sagte das Mädchen, aber hier gibt es ein Geheimnis: »Den Afrit kann man nur mit seinem eigenen scharfen Schwert töten!« Die Sonne ging unter, da erschien eine schwarze Wolke im Zimmer, schwarz wie schwarzer Rauch. Schnell bedeutete die junge Frau dem Sohn des Sultans, daß er sich verstecken müsse, das sei ihr Ehemann, der Afrit. Die Tochter des Sultans war bereits in ein anderes Zimmer des großen Palastes gelaufen, um sich dort zu verbergen. Sehr schnell hatte der Afrit Menschengestalt angenommen. In diesem Augenblick ergriff der Sultanssohn das Schwert des Afrit, drang ein auf ihn mit der scharfen Klinge und trennte ihm mit einem einzigen Schlag das Haupt vom Körper. Da fing das Haupt an zu reden: »Noch einen!« »Nur einen und nicht zwei Gab doch auch meine Mutter mir den Teig nicht roh Und ungebacken nie das Brot! 76
Stirb, du Feind Allahs!« »Trete mich mit deinem Fuß, trete mich!« »Zu kurz ist mein Fuß, Verfluchter!« »Dann spuck doch wenigstens auf mich!« »Ausgetrocknet ist mein Mund!« So fand dieser verfluchte, verschlagene Afrit sein Ende von der Hand des tapferen Sultanssohnes. Als nun die Geschwister Weiterreisen wollten, drang die junge Frau in sie, bei ihr in diesem riesigen Palast zu bleiben, damit sie nicht so allein sei. Hier im Palast gebe es alles, was man sich vorstellen könne, alles was ein Auge je gesehen und wovon kein Ohr je gehört habe, das gebe es hier! Am meisten aber machte sie den Sohn des Sultans begierig, als sie ihm von dem Geheimnis des Wundersteines erzählte. Beim Reiben dieses Steines erschienen seine Diener: zwei Leoparden und ein Pferd. Der eine Leopard heiße Qalbi – ›mein Herz‹ – und der andere Fu’ādi – ›meine Seele« – und das Pferd trage den Namen Geierschnapper, weil es nach den weißen Geiern schnappe. Das war ein Geheimnis nach dem Sinne des Sultanssohnes, der seit seiner frühesten Jugend die Reit- und Ritterkunst liebte und jetzt auch die schöne junge Frau aus der Gewalt des verfluchten Afrit befreit und ihn durch einen schrecklichen Tod getötet hatte. Das Pferd und die beiden Leoparden seien Kämpfer. So stark seien sie, daß selbst ein gewaltiges Heer sie nicht besiegen könne! Einen Wunderstein wie diesen wollte der Sultanssohn natürlich besitzen. Und hinzu kam, daß er sich in diese schöne junge Frau verliebt hatte, genau wie sie ihm aus der Tiefe ihres Herzens heraus zugetan war. Begonnen hatte diese Liebe mit jenem Blick der Augen, als sie sich zum ersten Mal sahen. Darum heirateten sie und lebten zufrieden in dem gewaltigen Palast. Nach einer Weile wurde die junge Frau krank. Obwohl der Sohn des Sultans und seine Schwester sie pflegten so gut sie es nur vermochten, konnten sie sie nicht retten. Die junge Frau 77
ging ein in die Barmherzigkeit Allahs. Jetzt waren der Sohn des Sultans und seine Schwester allein in jenem Schloß. Es war ein schönes Leben in Glück und Wohlbefinden, die größte Freude für den Sohn des Sultans aber war es, wenn er auf seinem Pferd mit den beiden Leoparden ausritt. Er hätte seinen Mut gerne einmal ausprobiert, doch fand er vorläufig noch keine Gelegenheit dazu. Eines Tages – Segen über Allahs Propheten, den Besten der Menschen – kämmte die Tochter des Sultans ihr schönes Haar. Eines der Haare fiel zu Boden, wurde in den Wadi geweht, wo das fließende Wasser es mit sich trug in eine andere Stadt. Dort trank das Pferd des Königssohnes jener Stadt gerade aus dem Wadi und das angeschwemmte Haar wickelte sich um seine Zunge. Das Pferd konnte von Stund an nicht mehr fressen und wurde immer magerer, so daß der Königssohn schließlich seinen obersten Diener beauftragte, das Pferd zu untersuchen. Dabei fand man das Haar, entfernte es mit großer Sorgfalt und der Vorsteher der Diener brachte es dem Sohn des Königs. Der dankte ihm für seine Arbeit und für die Rettung des Pferdes. Das Pferd war geheilt, der Sohn des Königs wurde krank. Seine Gedanken beschäftigten sich mit der Eigentümerin des schönen Haares. Er bat darum einige alte Frauen, hinauszugehen in die Städte und Dörfer in der Nähe und in der Ferne, um die Eigentümerin des Haares ausfindig zu machen. Die listigen alten Frauen suchten überall und lange, doch war ihnen nicht mehr Erfolg beschieden als dem Wehen der Winde, wenn sie dahinziehen über das Meer. Eines Tages aber kam eine dieser Frauen zu dem Schloß, in dem die Tochter des Sultans mit ihrem Bruder lebte. Die alte Frau kannte sich aus mit den verschiedenen Arten von Haar, und als sie das Mädchen erblickte, wußte sie, daß sie ihr Ziel erreicht hatte. Sie sei müde, ob sie sich ein wenig ausruhen dürfe, fragte sie. »Gerne, Mutter, komm nur herein und bleibe.« Als das Mädchen sich die Haare kämmte, sagte die Alte, sie wisse, wie man Haare richtig kämme und sie wolle gerne dabei helfen. Die 78
Tochter des Sultans war einverstanden. Die Alte nahm den Kamm, ergriff die Gelegenheit und schnitt ein Haar ab, genau so lang und so schön wie das, das sie bei sich trug. Da freute sich die Alte aber gewaltig! Mit dem Haar vom Haupt der Tochter des Sultans eilte sie auf der Stelle zurück in das Schloß des Königssohnes. Der erwartete sie schon, ungeduldiger als auf heißen Kohlen sitzend. Jetzt endlich wußte er, wo seine Geliebte wohnte, die er nie gesehen hatte, und deren Haar fast zum Tode seines geliebten Pferdes geführt hätte. Sein Entschluß war gefaßt, er ging zu seinem Vater, bat ihn, ohne lange darüber nachzudenken, einige Minister zum Bruder des schönen Mädchens zu schicken, um sie zur Braut zu erbitten. König und Königin freuten sich und waren von Herzen einverstanden, weil die Zeit für ihren einzigen Sohn gekommen war, eine Frau zu nehmen. Die Gesandtschaft wurde also ausgeschickt, um den Bruder des schönen Mädchens zu treffen. Der Sultanssohn hieß die Gesandtschaft gastfreundlich willkommen. Aber die Bitte, seine Schwester zu verheiraten, lehnte er rundweg ab. »Wenn euer König wirklich so mächtig ist, dann soll er ein Heer schicken und sich mit mir auf dem Schlachtfeld messen! Der Preis für seinen Sieg soll die Ehe seines Sohnes mit meiner Schwester sein!« Der König verstand diesen seltsamen Vorschlag nicht. Und weil die Schlachten der Tod der Männer sind, wollte der König für einen solchen Anlaß sein Heer nicht in den Kampf schicken. Der Sohn des Königs aber war von solcher Leidenschaft zu dem Mädchen gepackt, daß er beständig in seinen Vater drang, das Heer auszusenden und jenen widerspenstigen Sultanssohn zur Vernunft zu bringen. Schließlich tat sein Vater ihm den Willen und schickte ein starkes Heer unter der Führung seines obersten Heerführers gegen den Sultanssohn. Auf dem Schlachtfeld erwartete der Sohn des Sultans, der Bruder des Mädchens, das Heer des Königs. Er rieb seinen Stein und sogleich erschienen die beiden Leoparden Qalbi und Fu’ādi und das Pferd Geierschnapper. Gemeinsam 79
griffen sie das gewaltige Heer des Königs an und rieben es in einer wilden Schlacht völlig auf. Da rüstete der König eine neue Truppe aus und schickte sie gegen den Sultanssohn. Jetzt hatte er zwei Gründe: Rache, und das Heimholen der Braut für seinen Sohn, der krank, schwermütig und traurig herumsaß, das Leben haßte, mit niemand mehr sprechen wollte, unfähig, noch irgend etwas zu tun. Diesesmal war der königliche Heerführer besonders vorsichtig und schickte statt der ganzen Truppe erst einmal eine kleine, besonders geübte Abteilung in den Kampf. Der Sultanssohn erwartete die Krieger. Er rieb seinen Stein, die beiden Leoparden und das Pferd erschienen und die Schlacht wogte im Kreise. Der Kampf blieb lange unentschieden, doch schließlich gewannen der Sohn des Sultans, die Leoparden Qalbi und Fu’ādi und das Pferd Geierschnapper die Oberhand. Eine Abteilung nach der anderen erledigten sie und das Heer des Königs erlitt eine gewaltige und vollständige Niederlage. Wer jetzt noch am Leben war, ergriff die Flucht. Als der König die Nachricht von der zweiten Niederlage seines Heeres erfuhr, wurde ihm klar, daß ein Kampf mit dem Sohn des Sultans keine Aussicht auf Erfolg hatte. Deshalb dachte er daran, sein Ziel mit List zu erreichen. Alte Frauen mußte er zu dem Mädchen schicken, um das Geheimnis der Macht des Sultanssohnes herauszufinden. Er ließ die gleiche Alte rufen, die das Mädchen entdeckt und ein zweites Haar mitgebracht hatte. Die Alte zog los, kannte schon bald das Geheimnis, und erzählte der Schwester des Sultanssohnes, wie wunderbar die Ehe sei. Allein ihr Bruder wolle ihr Glück verhindern. Mit schönen Worten sprach die Alte, mit Worten süß wie Honig und nach einer Weile hatte sie sich das Mädchen geneigt gemacht und es dazu gebracht, seinen Bruder zu hassen, diesen ungerechten und grausamen Bruder, der nicht weiß, was Barmherzigkeit und Liebe sind und der seiner Schwester Freude und Glück nicht gönnen will! 80
So hatte denn das alte Weib erreicht, wozu sie gekommen war. Zur Verwirklichung ihrer Pläne trug sie dem Mädchen auf, das Pferd mit Ḥulba einzureiben, und den beiden Leoparden ein Stück Baumwolle in die Ohren zu stecken. Das Mädchen, ganz im Banne der alten Frau und ihrem Truge Glauben schenkend, tat, was ihr die Alte befohlen hatte. Die Alte begab sich zu ihrem König, der gierig auf ihre Rückkehr wartete. Als er sie kommen sah, erhob er sich so geschwind wie der Rauch eines Feuers. Es gefiel ihm, wie die Alte das Mädchen geneigt und wie sie das Pferd und die beiden Leoparden unschädlich gemacht hatte. Diesesmal würde er dem Sultanssohn eine Niederlage beibringen, das wußte er! Am nächsten Morgen schickte er ein Heer los, unter der Führung seines tapfersten Mannes. Auf dem Schlachtfeld stand, wie stets, der Sohn des Sultans, am Zügel sein gewaltiges Pferd Geierschnapper haltend, neben ihm die Leoparden Qalbi und Fu’ādi. Als die Schlacht begann, wollte der Sohn des Sultans sein Pferd besteigen, doch es war mit Ḥulba eingerieben und er glitt ab. Und als er seine beiden Leoparden Qalbi und Fu’ādi mit lauter Stimme in den Kampf schicken wollte, blieben sie stehen, wo sie waren, und bewegten sich nicht. Er war verwirrt. Allein stand er dem ganzen Heer gegenüber! Da aber drangen schon die Männer des Königs wild und grausam auf ihn ein, um ihre toten Brüder aus den ersten beiden Schlachten zu rächen. Die Klingen ihrer Schwerter durchbohrten seinen Körper, schwer fiel er nieder auf die Erde. Die Männer des Königs hielten ihn für tot. Jetzt würden sie vor seinem bösen Tun sicher sein. Inzwischen machten sich die Alte und einige andere Frauen aus dem Schloß auf und suchten das Mädchen. Es war einverstanden und kam gerne mit in das Schloß des Königs. Dort waren alle überglücklich über die Braut des Königssohnes. Tiere wurden geschlachtet, Festmähler wurden gerichtet, Freude herrschte und Glück, eine ganze Woche lang dauerten die Feste. Der Sohn des Sultans aber lag scheinbar tot auf dem Schlacht81
feld, über und über durchbohrt von den Schwertern seiner Feinde. Doch zu seinem Glück war noch ein wenig Leben in ihm und als die Karawane eines Kaufmanns vorbeizog, hörte dieser das Stöhnen des Sultanssohnes. So erbärmlich war dessen Zustand, daß sich des Kaufmanns Herz erbarmte, aber auch, weil er selbst keine Kinder hatte. Der Kaufmann verteilte die Last eines seiner Kamele auf die übrigen, den Sohn des Sultans legte er über den leeren Sattel. Endlich kam die Karawane in der Stadt an. Der Kaufmann brachte den Halbtoten, so schnell es ging, in sein eigenes Haus zu seiner Frau. Die war überglücklich, sie hatte einen Sohn gefunden! Schon am nächsten Tag begann der Jüngling wieder zu sprechen, und nach langer Zeit der liebevollen Fürsorge hatte er sich ganz erholt. Nun fing er an, sich im Reiten zu üben und nicht lange, da hatte er nicht bloß seine frühere Gewandtheit wiedergewonnen, sondern war sogar, dank des guten Essens und der liebevollen Pflege, stärker und schneller als zuvor. Das alles verdankte er dem gütigen Kaufmann und seiner Frau, die ihn behandelten, als wäre er ihr eigener und wahrer Sohn. Nach einiger Zeit beschloß der Jüngling, in die Stadt zu gehen, wo seine Schwester den Sohn des Königs geheiratet hatte. Den guten Kaufmann und seine Frau bat er um die Erlaubnis, fortzuziehen. Er verkleidete sich als fremder Inder auf Pilgerfahrt zu den heiligen Stätten. In der Stadt angekommen, ging er als erstes zum Palast und schlich sich in die Stallungen des Königs ein. Da stand sein Pferd! Und dort die beiden Leoparden! Als sie ihn sahen und rochen, da fingen sie an zu brüllen. Zuerst ging er zu seinem Pferd, streichelte es und gab ihm Futter. Dann spielte er mit den beiden Leoparden und die wilden Tiere boten ein Bild von Sanftmut und Zufriedenheit. Als er sie untersuchte, fand er in ihren Ohren ein Stück Baumwolle. Und nun konnte er sich erklären, wie man ihn betrogen hatte – mit Ḥulba und einem Stückchen Baumwolle! Auf der Stelle entfernte er die Baumwolle aus den Ohren der beiden Tiere. Dann ging er zum Schloß und fand Arbeit als Pferdeknecht. So lebte er bei seinem 82
Pferd und den beiden Leoparden und durfte täglich auf dem großen Platz mit ihnen üben. Nach einiger Zeit waren das Pferd und die beiden Leoparden so lebendig wie früher. Der als indischer Pilger und Pferdeknecht verkleidete Sultanssohn schlug nunmehr dem König vor, ein Pferderennen zu veranstalten, an dem die Größten des Stammes, die Fürsten, die Minister, und wer sonst noch wollte, teilnehmen sollten. Der Zeitpunkt für das Wettrennen wurde festgelegt: nach dem Abendgebet sollte es stattfinden, am vorbestimmten Tag. Da zeigte nun der Sultanssohn ein unerhörtes Geschick, siegte über alle, die mitgeritten waren, über alle, die teilgenommen hatten und errang den Siegespreis. Der König, hocherfreut, wollte ihn auszeichnen. Doch der Sultanssohn bat darum, statt dessen einen Schuß abfeuern zu dürfen, auf die weiße Taube im Schwarm der Raben wolle er schießen! Man gewährte ihm seinen Wunsch. Er feuerte, aber auf seine Schwester, die den Sohn des Königs geheiratet hatte und dem Rennen von der Dachterrasse des Schlosses aus zugesehen hatte. Er schoß und traf, tödlich. Schnell rieb er jetzt seinen Stein, schrie seine beiden Leoparden Qalbi und Fu’ādi herbei und voll Kampfeslust flog er dahin auf seinem edlen Pferd Geierschnapper. Entsetzen packte die Menge, als sie ihn auf dem Pferd-Geierschnapper so dahinfliegen sah, den Leopard Qalbi zur Linken, den Leopard Fu’ādi zur Rechten. Sofort befahl der König seinen Soldaten, ihm zu folgen und ihn zu ergreifen. Doch keine Macht, wie gewaltig auch immer, konnte vor ihm Bestand haben. Wer von den Soldaten überlebte, floh, und der Sohn des Sultans blieb allein als Sieger zurück, nachdem er das ganze Heer des Königs zerstreut hatte.
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8. Eselsfell
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s war einmal ein Sultan, seine Frau war die Tochter eines Sultans, und beide hatten einen einzigen Sohn. Da starb die Mutter des Knaben. Der Sultan heiratete erneut und die zweite Frau schenkte ihm weitere Kinder. Doch eines Tages verliebte sich die zweite Frau in ihren jungen Stiefsohn, dessen Mutter gestorben war. Immer wieder versuchte sie, ihn zu verführen, aber wenn sie sich ihm näherte, ging ihr der Sohn des Sultans aus dem Wege. Da dachte sie sich eine List und einen Hinterhalt aus, um dem Jüngling etwas anzutun und berichtete ihrem Mann: »Höre, dein Sohn belästigt mich! Hier im Schloß kann ich nicht mehr mit ihm Zusammensein, du mußt wählen, wählen zwischen ihm und mir.« »Was redest du denn da, Frau?« »Nur so, entweder du entscheidest dich für ihn oder für mich!« – Wenn du darauf bestehst, dann soll es sein. So werde ich also meinen Sohn aus dem Schloß verstoßen und verweise ihn aus dem Land, um deinetwillen.« Der Sultan beriet sich nicht mit seinem Sohn, er stellte keine Fragen und bat um keine Antwort, sondern sagte nur: »Höre, Sohn, du bist undankbar und lebst in Unfrieden mit deiner Stiefmutter, meiner Frau. Nimm dir Geld und pack zusammen, was du sonst noch mitnehmen willst und ziehe fort von hier, in welches Land auch immer.« »Dein Befehl, Vater.« Der Prinz spürte, wie bestimmt und entschlossen sein Vater war, ihn fortzujagen, und alles Vertrauen auf die Worte seiner Frau setzte. Am besten ist es, sagte er sich, wenn ich das Land verlasse. Was ich zum Leben brauche, erhoffe ich mir von Allah statt von meinem Vater oder von sonst jemandem in der Welt. Allah will ich bitten, mir fortan beizustehen. Der Prinz nahm sein Pferd und etwas Geld und ritt davon. In einer weiten Wüste überkam ihn schließlich die Müdigkeit und 84
er versank in tiefen Schlaf. Während er schlief, erschien die Tochter des Königs der Dschinn, weckte ihn und sprach: »He, du da! Willkommen, wer bist du? Kennst du mich?« »Nein?!« »Ich bin die Tochter des Königs der Dschinn und frage dich, hast du Geschwister?« »Nein, Brüder oder Schwestern habe ich keine, doch Halbgeschwister von meiner Stiefmutter.« »Deine Geschichte kenne ich. Höre, was ich dir sage: von heute an sollst du mich als deine Schwester ansehen, nicht etwa als deine Frau. Ich mag dich gern und bin hierhergekommen und habe dich vom Schlaf aufgeweckt, damit wir Geschwister werden. Wenn dies auch dein Wunsch ist, so sage es mir.« »Allah, Allah, du willst meine Schwester werden! Wie glücklich bin ich, überglücklich, denn bisher hatte ich ja keine Geschwister, doch jetzt habe ich eine Schwester gefunden, die einzige in dieser Welt.« »Gut also, deine Schwester bin ich und wohin du auch gehst, wo du auch hinziehst, ich bin an deiner Seite. Nimm jetzt dieses Haar und wenn du in Not bist, wenn du in Bedrängnis gerätst und Hilfe brauchst, dann verbrenne es und ich werde sogleich bei dir sein. Was du dir dann erbittest, wirst du finden, von jetzt an wirst du keine Sorgen mehr leiden. Was immer du verlangst, bei Allah, auf der Stelle und ohne Mühen werde ich es dir verschaffen! Deine Antwort?« »Du bist überaus gütig. Nie mehr werde ich Unglück leiden müssen. Wenn die Not mich bedrängt, werde ich ein Haar verbrennen, und, so Allah will, wirst du kommen und mir helfen.« »Gern und freudig werde ich kommen, du wirst schon merken, daß ich wahr gesprochen habe.« »Ach, wie sehr ich dir zu danken habe!« Dann schnitt sie ein langes Haar von ihrem Haupte ab: »Dieses Haar reicht für ein ganzes Jahr. Wenn du mich rufen willst, dann mußt du nur ein kleines Stückchen davon verbrennen.« Mit diesen Worten verabschiedete sich die Tochter des Königs 85
der Dschinn und war verschwunden, der Prinz aber legte sich erneut zum Schlafen nieder. Am frühen Morgen des nächsten Tages bestieg er sein Pferd und setzte seine Reise fort, bis er in einen Wadi gelangte. Am Ende des Wadis wuchs dichtes Gehölz und hier, in diesem Wäldchen, lag ein toter Esel. Der junge Mann machte sich über den Esel her, zog ihm das Fell ab und schnitt sich einen langen Umhang daraus, der ihm von ganz oben bis ganz unten reichte, ihn also ganz und gar bedeckte. Dann schlang er die Kūfīa wieder ums Haupt, steckte sein Geld in seinen Beutel, bestieg sein Pferd und ritt, bis er in die Nähe einer Stadt kam, in der ein Sultan mit seinen sieben Töchtern lebte. Der Jüngling ließ sein Pferd zurück und wanderte zu Fuß weiter bis in die Stadt hinein. Als die Leute dieser Stadt ihn erblickten, wie er mit dem Fell eines Esels bekleidet war, riefen sie: »Ein Willkommen für den Eselsfell!« Eselsfell aber gab nichts darauf, sondern wanderte ruhig auf und ab. Dabei bemerkte er, wie die Leute aus der Stadt zu einer großen gemauerten Zisterne in der Nähe zogen und wie einige von ihnen darin herumschwammen. Eselsfell wartete, bis alle Leute gegangen waren und er allein an der Zisterne zurückblieb. Als niemand mehr um ihn herum zu sehen war, legte er das Eselsfell ab, sprang in das Wasser und schwamm eine Weile. Dann zog er das Eselsfell wieder über und ging nachdenklich seines Weges. Warum nur hat mein Vater, der Sultan, mir das angetan und mich so behandelt, fragte er sich. Ich muß erkunden, welches mein Schicksal ist und was mir geschrieben steht! Einige Tage später begab sich Eselsfell wieder zu der Zisterne, wartete, bis die Leute gegangen waren, zog das Eselsfell aus und sprang ins Wasser, um herumzuschwimmen. In eben diesem Augenblick aber schaute die jüngste Sultanstochter aus ihrem Fenster. Sie sah den Jüngling, er gefiel ihr sehr und auf den ersten Blick hin verliebte sie sich in ihn. Eselsfell blickte, als er aus dem Wasser heraus wollte, nach rechts und nach links, und als er bemerkte, daß er allein war, stieg er aus dem Wasser, legte sein Eselsfell an und ging wie üblich davon. 86
In der Nähe des Landes des Sultans lag ein anderes, in dem ein noch mächtigerer Sultan herrschte, der von seinem Nachbarn mit Gewalt Tribut eintrieb. Eines Tages saß der Sultan, in dessen Land Eselsfell lebte, in seinem Palast und dachte sich: ›Sieben schöne Töchter habe ich und da ist dieser große Sultan, der immer wieder seinen Tribut einzieht. Wenn ich mich weigere, dann schickt er mir sein Heer, um mich zu bestrafen. Am besten wäre es doch, wenn ich meine sieben Töchter mit den Scheichs der Stämme und mit den Edlen verheirate! Dann kann ich auf ihre Hilfe und Unterstützung rechnen, vor allem dann, wenn uns das Heer des großen Sultans angreift. Ja, so habe ich es jetzt beschlossen, auf der Stelle will ich es im ganzen Land verkünden lassen!‹ Der Sultan befahl, den Ausschreier kommen zu lassen und trug ihm auf, hinaus aufs Land zu ziehen und dem ganzen Volk mitzuteilen, der Sultan Fulān ibn Fulān habe erklärt, er wolle seine sieben Töchter verheiraten, und wer die Botschaft höre, berichte sie dem, der noch ferne stehe. »Ihr, Stamm der Soundso, und ihr, Stamm der Soundso, hört her: wer eine der Töchter des Sultans heiraten will, muß auf den großen Platz vor dem Schloß des Sultans kommen, wer ein Pferd besitzt, mit seinem Pferd, wer ein Rennkamel sein eigen nennt, mit seinem Rennkamel! Eine jede von den sieben Töchtern des Sultans wird einen Apfel in der Hand halten und diesen auf den werfen, den sie sich zum Ehegatten aussucht.« Am nächsten Tag kamen die jungen Männer von allen Ecken und Enden und von allen Stämmen, denn alle wollten sie gerne beim Sultan einheiraten, der Schönheit seiner Töchter wegen. Auch Eselsfell beschloß, an diesem Wettbewerb teilzunehmen, begab sich zum Sultan und sagte: »Ein schönes Pferd, um mit all den anderen am Wettbewerb teilzunehmen, besitze ich nicht. Ich bitte dich, gib mir ein Pferd, damit auch ich, wie alle anderen, mein Glück versuchen kann. Ich würde gern dein Verwandter werden, und eine deiner Töchter heiraten.« »Na dann also Männer, gebt ihm die alte Stute und das schartige 87
Schwert! Also, was sagst du dazu?« – »Ich nehme es an, denn deinem Befehl muß man gehorchen, und unmöglich ist es, ihn nicht zu erfüllen!« Die Männer des Sultans gaben Eselsfell eine lahme Mähre und ein Schwert mit gebrochenem Griff. Am nächsten Morgen zogen die Stammeskrieger und die Söhne der Vornehmen auf ihren edlen arabischen Pferden und mit den prächtigsten Schwertern in den Händen vor dem Palast des Sultans auf und ritten um das Schloß herum, auf dessen Dachterrasse die sieben Mädchen standen. Sobald eine einen schönen jungen Mann erblickte, der ihr gefiel, warf sie ihren Apfel hinunter und der Erwählte mußte ihn auffangen. Sechs der Töchter des Sultans hatten sich ihre zukünftigen Ehegatten schon ausgesucht, alle, bis auf die Jüngste, die siebte, die noch niemanden gewählt hatte. Als aber Eselsfell nun vor dem Schloß erschien, da endlich warf sie ihren Apfel, und leicht und elegant fing er ihn auf. Der Sultan und seine Männer waren überzeugt, das Mädchen habe sich geirrt und einen anderen treffen wollen. Daß gerade Eselsfell den Apfel gefangen habe, müsse ja wohl ein Zufall sein. Doch das Mädchen bestand darauf: »Ich habe nicht verworfen, Vater! Diesen Jüngling da, den Eselsfell, den will ich und niemand sonst. Das ist mein freier Wille, meine freie Wahl, ich weiß genau, was ich tue. Warum sollte ich denn vor Dir, lieber Vater, noch einmal zögern, du selbst hast uns doch die Freiheit der Wahl gegeben!« »Aber Tochter, schau ihn dir doch an, wie er aussieht. Dazu ist er arm, hat weder Rang noch Geld, wenn du den heiratest, dann bedeutet das Schande und Scham für uns alle. Am besten, meine Tochter, du überdenkst alles noch einmal, hörst auf meine Rede und wählst dir einen anderen jungen Mann aus, einen von den Söhnen der starken Stämme. Nun, Tochter, was meinst du zu diesem Vorschlag?« »Nein Vater! ich kann mich anders nicht entscheiden! Diesen Jüngling liebe ich, ihn habe ich mir zum Mann erwählt, denn du hast uns ja erlaubt, den herauszusuchen, den wir uns wünschen. 88
Meine Wahl ist dieser Jüngling, ihn zu heiraten, ist mein einziger Wunsch. Und daß es so richtig ist, das denke ich, meine Wahl zu ändern ist nicht möglich.« »Seltsam, Kind! Wenn du wirklich darauf bestehst, diesen jungen Mann zu heiraten, dann muß ich wohl einverstanden sein, aber gegen meine eigene Überzeugung.« Jetzt brachte man schon den Kadi, der die Ehen zwischen den sieben Jungfrauen und den sieben Jünglingen schloß, für alle zur gleichen Zeit. Der Sultan ließ jedem Ehemann und seiner Frau ein Zimmer in dem großen Schloß zuweisen, doch als auch die jüngste Tochter um ein Zimmer bat, herrschte er sie an: »Ein Zimmer willst du für dich und diesen jungen Kerl da, Eselsfell? Niemals! Ihr Sklaven, bringt meine jüngste Tochter und ihren Mann Eselsfell in die Ställe, da wo die Pferde stehen. Dort sollen sie wohnen.« – »Warum willst du uns in die Ställe schicken, Vater? Das ist doch nicht gerecht!« – »Bei Allah bringt sie in den Stall, auf der Stelle.« Und es war ein erbärmliches Leben, das die junge Prinzessin und ihr Mann von da an führen mußten. Eines Tages erschien eine Gesandtschaft des Großsultans vor dem Siebentöchtervater-Sultan, um den jährlichen Tribut von ihm einzufordern. Der Anführer der Gesandtschaft sprach zum Sultan: »Befohlen hat uns der Großsultan, dir zu vermelden, daß du den jährlichen Zehnten leisten mußt, und wenn du ihn nicht leisten willst, dann hast du dich auf dem Schlachtfeld dem Heer des Großsultans zu stellen.« Der Sultan beriet sich mit seinen Schwiegersöhnen und beschied dann die Gesandtschaft wie folgt: »Dieser euer Sultan macht mir Ungelegenheiten in jedem Jahr. Jedes Jahr verlangt er den Tribut, doch ich habe nichts und kann nicht bezahlen.« Dann übergab er der Gesandtschaft vier Schwerter mit den Worten: »Auf jetzt, lebt wohl!« »Wir werden unserem Herrn, dem Sultan, deine Rede überbringen. Lebewohl!« Als die Gesandtschaft das Schloß verlassen hatte, erklärte der 89
Sultan seinen Schwiegersöhnen: »Nunmehr gebe ich Nachricht an eure Stämme, die Stämme, zu denen ihr gehört, damit sie kommen, um uns beim Kampf beizustehen.« – »Ja, Schwiegervater, sie werden deinem Aufruf folgen, weil du ihnen die Ehre angetan hast, ihnen deine Töchter zu verheiraten. Bis auf die Jüngste, die sich so seltsam benommen hat und den Eselsfell einem Stammeskrieger vorzog. Die lassen wir natürlich zurück, sie und ihren Mann.« Als der Großsultan erkannte, daß der Sultan den jährlichen Tribut innerhalb der gesetzten Frist nicht ablieferte, sandte er sein mächtiges Heer. Der Siebentöchter-Sultan ritt ihm entgegen mit all seinen Kriegern, mit seinen Schwiegersöhnen und deren Verwandten, den tapferen Stammeskriegern. Auch Eselsfell schloß sich auf seinem lahmen Pferd und mit seinem schlechten Schwert zunächst dem Heereszug an, doch bog er bald ein in den Wadi. Am Mund des Wadis angekommen, stieg er vom Pferd, band es an. Nun zog er das Haar hervor, jenes Geschenk des schönen Mädchens, der Tochter des Königs der Dschinn, zündete es an und im gleichen Augenblick erschien die Herrin des Haares vor ihm: »Dich hör ich und gehorche, sieh mich, In deiner Hand die Sklavin bin ich, Worum du bittest, erfüll dir ich, Gewähre es dir schwesterlich.« »Bei Allah, liebe Schwester, mein Schwiegervater, der Vater meiner geliebten Frau, ist in einer schwierigen Lage. Der Großsultan im Nachbarland will von ihm Tribut einfordern, doch mein Schwiegervater kann nicht bezahlen. Jetzt hat der Großsultan ein starkes und zahlreiches Heer ausgesandt, bald beginnt die Schlacht. Sag, liebe Schwester, wie kannst du uns helfen?« »Mach dir keine Sorgen, wenn du willst, gebe ich dir ein Pferd, das durch die Lüfte fliegt und mit den Winden um die Wette rennt. Was willst du mehr?« 90
»Ein Pferd, das auf der Erde mit den Winden um die Wette rennt, wäre mir schon lieber als eines, das durch die Lüfte fliegt, damit die Leute nicht anfangen, sich zu wundern! Ginge das?« »Ja! Ein solches Pferd sollst du haben! He du, du Pferd, das auf der Erde mit den Winden um die Wette rennt, ich befehle dir, auf der Stelle hier zu erscheinen, hörst du mich? Bei Allah, du Pferd, tue was ich dir befohlen habe in aller Eile!« »Dein Befehl, Herrin« – und vor ihnen stand ein herrliches Pferd. »Bei Allah, ist das ein prächtiges Tier. Dank dir Schwester, für dieses wunderbare Geschenk.« – »Keinen Dank für meine Pflicht! Jetzt aber zieh los in die Schlacht, der Sieg wird dir gehören!« Die Tochter des Königs der Dschinn überreichte ihm noch ein prächtiges Gewand und ein kostbares scharfes Schwert. Dann ritt Eselsfell auf seinem schnellen Pferd dahin. Nach nur wenigen Augenblicken stand er auf dem für die Schlacht bestimmten Feld, und als das Heer des Großsultans eintraf, griff Eselsfell sofort an. Eine Stunde schlug er sich auf dem rechten Flügel und eine Stunde auf dem linken. Er trieb seine Gegner und schlug auf sie ein, so lange, bis fast keiner mehr von dem großen Heer übrig war. Nur wenige Männer des Großsultans vermochten zu fliehen und ihre Haut in dem harten Kampf zu retten, einem Kampf, wie sie ihn noch nie erlebt hatten. Als die Krieger des Siebentöchter-Sultans eintrafen, war die Schlacht schon geschlagen. Alles was sie noch bemerkten waren einige der Männer des Großsultans, die in schrecklicher Angst flohen. Wie mochte das geschehen sein und noch dazu in so staunenerregender Geschwindigkeit? Eselsfell aber kehrte zum Wadi zurück und ließ das Pferd frei, das auf der Erde mit den Winden um die Wette rennt. Sein eigenes lahmes Pferd band er ab, ergriff sein schartiges Schwert und ritt nach Hause. Unterwegs traf er auf die Krieger seines Sultans, die ihn auslachten, weil er sich verspätet hatte. Vorweg 91
ritt der Sultan, überglücklich. Doch als er jetzt Eselsfell bemerkte, rief er ihm zu: »Allah, Allah, Eselsfell, jetzt kommst auch du noch an!« »Jawohl, lieber Schwiegervater, aber ich...« »Sag nur nicht ›Schwiegervater‹ zu mir!« »Ich will auch mitkämpfen!« »Mitkämpfen willst du?« »Schande hast du über uns gebracht, Mann, auf, weg von hier! Schuld daran, daß du überhaupt hier bist, hat nur meine Tochter, sie wollte dich heiraten, ich werde es ihr schon noch zeigen, dieser verfluchten Tochter! Schau dich doch an, Eselsfell, wie lächerlich dein Aufzug ist!« Die Leute zerstreuten sich, kehrten zurück in ihre Heimatorte und verwunderten sich über jenen Jüngling, der alleine gegen das Heer des Großsultans gekämpft und ihm eine so schreckliche Niederlage beigebracht hatte. Im Schloß fragte die Sultanin ihren Mann nach dem Verlauf der Schlacht. »Hör zu«, berichtete er ihr, »das ist die Wahrheit: Gerade als wir uns aufgestellt hatten, um anzugreifen, da erschien ein junger Ritter, ein Ritter, wie ich ihn im Leben noch nie gesehen habe. Woher er kam, das weiß ich nicht, ob er ein Königssohn oder ein Dschinni war, das weiß ich nicht. Wir hatten noch nicht einmal ganz den für die Schlacht bestimmten Ort erreicht, da war dieser Jüngling schon auf das Heer des Großsultans eingedrungen, eine Stunde auf dem rechten Flügel, eine Stunde auf dem linken Flügel. Der Jüngling kämpfte nach der einen Seite, sein Pferd nach der anderen. Als wir schließlich alle auf dem Schlachtfeld versammelt waren, da war das Heer des Großsultans bereits geschlagen und die wenigen Männer, die die Schlacht überstanden hatten, flohen aus Angst um ihr Leben. Bei Allah, liebe Frau, es war eine heiße, glühend heiße Schlacht, mein ganzes Leben lang werde ich sie nicht vergessen.« »Ihr kennt ihn nicht, diesen heldenhaften Jüngling? Und warum habt ihr ihn nicht festgehalten, um zu erkunden, wer er ist?« 92
»Er ritt schnell wie ein Blitz, so schnell wie er aufgetaucht war, verschwand er auch wieder. Aber wenn er sich ein zweites Mal zeigen sollte, dann will ich ihn angreifen und zeichnen! Das ist ein mutiger Held, man kann es nicht beschreiben, und er ist schön und edel. Was mich aber am meisten ratlos macht, ist die Frage, woher ihm die Liebe und die Zuneigung zu uns gekommen sind?« »Sei nur getrost, Allah wird schon alles lenken!« »Bei Allah, eines muß ich dir noch sagen: Von all den Ehemännern deiner Töchter kommt keiner diesem heldenhaften Jüngling gleich – wirklich!« »Was? Die Ehemänner meiner Töchter sind tapfere Jünglinge, von den besten Stämmen, nur keine üble Nachrede – abgesehen von Eselsfell, dem Narr und Witzbold.« »Also Frau, du kannst so reden, weil du nicht mit eigenen Augen gesehen hast, wie dieser Jüngling aus der Fremde gekämpft hat, und darum kannst du die Männer deiner Töchter auch gar nicht gegen ihn verteidigen. Ich habe schon manche Schlacht durchstanden, das weißt du, aber, auf Ehre und Gewissen, einen Kämpfer so tapfer wie diesen Jüngling habe ich noch nie gesehen!« »Nun gut also, aber wenn er noch einmal erscheint, dann mußt du versuchen, ihn zu zeichnen. Vielleicht werden wir dann erfahren, wer sich hinter ihm verbirgt.« »Das will ich tun!« Eine Woche später rief der Sultan ein Turnier auf dem großen Platz aus. Sein ganzes Heer, aber auch die Söhne seiner Töchter erschienen. Mit dem Volk fand sich auch Eselsfell auf seinem lahmen Pferd und dem zerbrochenen Schwert in der Hand ein. Er ritt indes gleich zum Wadi weiter und zündete das Haar an. Da erschien seine Schwester, er bat sie um das Pferd, das auf der Erde mit den Winden um die Wette rennt, und da stand es auch schon. Eselsfell ritt eilends zum großen Platz zurück, wo die Gäste seines Schwiegervaters und die jungen Leute, die mit den Schwestern seiner Frau verheiratet waren, aufgereiht bereit 93
standen. Er nahm sie ins Visier, trieb sie auseinander, jagte ihnen Angst und Schrecken ein und vertrieb alle vom Platz. Nur der Sultan erinnerte sich an seine Absicht, den Jüngling zu zeichnen, er hielt stand, und als Eselsfell in seine Nähe kam, versetzte er ihm einen leichten Schlag an der Schulter. Der Jüngling erkannte, daß ihm sein Schwiegervater entgegengetreten war, darum erwiderte er den Schlag nicht und ritt davon. Eselsfell kehrte zum Wadi zurück, ergriff sein lahmes Pferd und ritt nach Hause. Als er auf die Soldaten des Sultans traf, da lachten sie über ihn, weil er schon wieder zu spät kam. Zu Hause angekommen, ängstigte sich seine Frau sehr, als sie Eselsfells verletzte Schulter sah. Er beruhigte sie und offenbarte ihr, ihr Vater, der Sultan, sei es gewesen. Nur einen leichten Schlag habe er ihm versetzt. »Allah lenke meinen Vater!« Die Frau machte sich gleich daran, die Wunde zu säubern, brachte Medizin und etwas zu Essen. Er aß und trank. Dann bat er sie, die Wunde mit öl einzureiben. Weil seine Frau aber kein öl zur Hand hatte, ging sie zu ihrer Mutter, erzählte ihr, ihr Mann sei verletzt und bat um etwas öl. Erst lehnte ihre Mutter ab, doch als der Sultan die beiden so reden hörte, sagte er zu seiner Frau: »Gib doch der Tochter das Öl!« »Dein Befehl!« Die junge Frau ging zurück in ihr kleines Haus neben den Ställen der Pferde, in das sie mittlerweile hatten einziehen dürfen und behandelte ihren Mann Eselsfell. Unterdessen erzählte der Sultan seiner Frau: »Es war gut so, daß wir ihr das öl gegeben haben. Denn heute habe ich denselben Jüngling gesehen wie bei der Schlacht gegen den Großsultan. Er kam auf den großen Platz, trieb die Männer auseinander, keiner konnte ihm standhalten. Doch ist es mir – gelobt sei Allah – gelungen, ihn zu zeichnen, ich konnte ihm einen leichten Schlag auf die Schulter versetzen. Am Ende ist gar Eselsfell jener tapfere Jüngling, der all diese Taten vollbrachte? Niemand weiß es, alles ist denkbar. Gehen wir doch einmal, ich und du, 94
jetzt, wo die Nacht über der Welt liegt, in das Haus von Eselsfell. Wir wollen ihn besuchen, er soll ja verletzt sein.« »Gut, wenn du meinst, dann gehen wir gleich.« Als der Sultan und seine Frau im Haus von Eselsfell ankamen, freute sich ihre jüngste Tochter sehr über ihr Kommen. Doch der Sultan ging sofort auf Eselsfell zu, sah die Schulterverletzung und sagte: »Jetzt ist mir alles klar, da ich das Zeichen an deiner Schulter erkenne. Bei Allah, so bist also du dieser tapfere Jüngling, der uns beim Kampf mit dem Großsultan geholfen und ihm die Niederlage beigebracht hat in jener entscheidenden Schlacht, die mich von dem jährlichen Tribut befreite. Allah weiß, was für ein Held du bist! Heute habe ich dich mit meinem Schwert geschlagen, mein Sohn, um dich zu zeichnen während des Wettkampfes, den ich auf dem großen Platz ausgerichtet hatte, weil ich endlich herausfinden mußte, wer der tapfere Jüngling war! Jetzt weiß ich, daß du es bist. Bei Allah, tapfer bist du und ein starker Krieger!« »Hast du es also herausgefunden, Schwiegervater?!« »Lieber Sohn, verzeihe mir. Zu Recht mußt du auf mich zornig sein, verzeih mir meine Grausamkeiten – du hast dich besser erwiesen als alle meine Schwiegersöhne zusammengenommen. Obgleich ich so böse zu dir war, hast du dich edel gezeigt und tapfer. Allah weiß, was für ein Held du bist. Jetzt aber kommt beide, du und deine Frau, kommt mit in das Schloß, wo ihr im besten Flügel meines hohen Palastes wohnen sollt. Allah helfe und segne euch!« »Nein, wir bleiben lieber hier, wir fühlen uns hier wohl, ich und meine Frau. Sei bedankt, lieber Schwiegervater!« »Unmöglich diese Rede. Los jetzt – ohne Verzug. Ich bin müde geworden, mein Sohn, komm jetzt mit. Das Sultanat will ich dir in die Hände legen. Denn Söhne habe ich keine, das weißt du, nur meine sieben Töchter und du verdienst das Sultanat mehr als jeder andere. Das hast du auf dem Schlachtfeld bewiesen und deinen Adel, deine Ehre und deinen kühnen Edelsinn gezeigt. Allah weiß, was für ein Held du bist.« 95
»Nun gut, Schwiegervater, wenn du es so wünschst, dann kommen wir mit ins Schloß, meine Frau und ich.« Der Sultan nahm Eselsfell und dessen Frau an der Hand und alle vier begaben sich hinüber ins Schloß. Dort angekommen, befahl der Sultan seinen Dienern, einen Flügel des Palastes herzurichten, und die schönsten Kissen, Teppiche und all die anderen wertvollen Sachen hinzubringen. Dann ließ er die Ehemänner seiner Töchter kommen und fragte sie: »Wißt ihr, wer der tapfere Jüngling ist, der uns in der Schlacht gerettet hat?« »Nein, Schwiegervater! Wir wissen es nicht. Edel sah er aus, dieser Jüngling, und tapfer war er, einen wie den haben wir in unserem ganzen Leben noch nicht gesehen. Allah weiß, was für ein Held er ist und wer sich hinter ihm verbirgt.« »Nun, wenn ihr ihn nicht kennt, ich kenne ihn. Es ist euer Schwager, Eselsfell. Versteckt hat er sich, aber bei dem jüngsten Wettkampf und Pferderennen habe ich ihn an seiner Schulter gezeichnet und so alles herausgefunden. Gott allein kennt dich, o Eselsfell, du Held!« Man brachte nun Eselsfell; und alle, die da waren, beklatschten und priesen ihn, den großen Helden, für seinen Mut und seine Geschicklichkeit. Dann ergriff der Sultan noch einmal das Wort: »Hör zu, mein lieber Sohn, Mann meiner geliebten Tochter, heute habe ich beschlossen, das Sultanat an dich abzutreten, von heute an bist du der Sultan dieses ganzen Landes. Allah segne dich!« Und so wurde Eselsfell in der Tat der Sultan jenes Landes und seine Frau wurde die Sultanin. Sie gaben ein großes Freudenfest und alle lebten von nun an bis ans Ende ihrer Tage ein Leben voller Glück, zeugten Söhne und Töchter.
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9. Die Dunkelheit
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s lebte einmal, lang ist es her, eine Familie, ein Mann, seine Frau und seine beiden Kinder. Sie lebten ihr Leben in Glück und Seligkeit, in ungetrübter Ruhe, nichts störte das Glück. Die beiden Kinder erfüllten das Haus mit Freude und Vergnügen. Doch das Glück dauerte nicht und auch der Friede dieses Hauses verdüsterte sich mehr und mehr, als eine Krankheit die Mutter erfaßte und jeden Tag ein wenig schlimmer wurde. Schließlich schied die Mutter dahin. Trauer senkte sich auf das Haus hernieder, und der Kummer über den Tod der Frau ließ das Herz des Mannes schwer werden. Als er so allein dastand und darüber nachdachte, wie es mit ihm und den beiden Kindern weitergehen sollte, kam er zu dem Schluß, daß keine zweite Frau den Platz der ersten in seinem Leben und in seinem Haus einnehmen solle und daß er selbst die Lücke ausfüllen und die Sorge um die Kinder übernehmen müsse. Sonst, so fürchtete er, würden sie anders behandelt, als sie es gewohnt waren zu Lebzeiten ihrer Mutter. Das Mädchen, älter als sein Brüderchen, würde ihm helfen. Tage und Monate vergingen, der Mann mühte sich, die Lücke zu füllen, die der Tod seiner Frau im Leben der Kinder hinterlassen hatte, damit sie das schlimme Los der Waisen nicht zu sehr verspürten. Im ganzen Dorf gab es niemand, der sie besucht hätte, niemand, der sich um sie gesorgt hätte, bis eines Tages eine Witwe, die mit der Frau befreundet gewesen war, erschien und die Familie dann von Zeit zu Zeit besuchte. Die Witwe kehrte das Haus, wusch die Kinder, und dabei vergaß sie auch nicht, den Kindern beim Kommen und Gehen über das Haupt zu streichen und ihnen einen Kuß zu geben. Mit der Zeit entwickelte sich dieses Verhältnis, und die Frau kümmerte sich mehr und mehr um die Kinder, bereitete ihnen das Essen und verbrachte schließlich die meiste Zeit in deren Haus. Alle ihre Anstrengungen verwandte sie darauf, die Sorgen und das Unglück des Mannes zu vertreiben, jeden Tag ein 97
bißchen mehr, und so brachte sie es dahin, daß der Mann, wenn er die Frau im Hause bei den Kindern wußte, beruhigt fortgehen konnte. Schließlich war es so weit, daß die Witwe schaltete und waltete, als wäre sie die Herrin des Hauses. Auch die Gefühle des Mannes ihr gegenüber wurden stärker. Von den wahren Absichten der Frau und wie sie wirklich zu den Kindern stand, merkte er nichts, denn für ihn war das wichtigste, daß er sie nie schimpfen hörte und sie niemals schlagen sah und auch nie wahrnahm, daß sie den Kindern das Los der Waisen vorwarf. Und so schien sie ihm wie gesandt, die Nachfolge seiner dahingeschiedenen Frau anzutreten. Darum bat er sie um die Ehe und versagte sich nicht, sie zu heiraten, damit sie mit ihm lebe als Herrin des Hauses. Die Tochter aber hatte Zweifel verspürt von dem Tag an, als die Witwe das Haus betrat und so deutlich zum Ausdruck brachte, wieviel ihr an den Kindern lag, und deren Zuneigung zu offensichtlich und Stück für Stück zu gewinnen suchte, wie sie es darauf anlegte, daß die Kinder ihre Mutter vergessen sollten, damit sie selbst den Platz der Mutter im Haus und im Herzen des Mannes einnähme, um schließlich ihre Stiefmutter zu werden. Das Mädchen brauchte nicht lange zu warten, denn als die Witwe Herrin des Hauses geworden war, da fing sie an, sich weniger um die Kinder zu kümmern, und dafür nur noch ihren Mann, mit Entschlossenheit und immer noch mehr, zu umsorgen, und gleichzeitig sich über die Kinder zu beklagen und zu beschweren. Jedesmal wenn sich der Mann ihr nähern wollte, klagte und jammerte sie über die übergroße Mühe, die sie mit den Kindern habe, statt angenehm neben ihrem Mann sitzen zu können. Bald fing er an, auf ihre Klagen einzugehen und sich selber weniger um seine Kinder zu kümmern, doch jedesmal, wenn er der Frau nachgab, hatte sie schon eine neue Forderung bereit, bis er seine Kinder ganz und gar vernachlässigte. So lebten sie für sich allein dahin und nur das Mädchen erwies seinem Bruder Zuneigung und Zärtlichkeit. 98
Jetzt sah die Stiefmutter den Tag für gekommen, wo sie zu ihrem Mann sprechen konnte: »Ich kann die Gegenwart deiner Kinder hier bei uns nicht mehr ertragen!« Über diese Rede war er nun doch sehr verwundert, denn so etwas hatte er nicht erwartet. Er versuchte, alles schnell wieder zu vergessen, doch immer wieder brachte sie ihre Forderung vor. »Wenn die Kinder nicht hier bei uns bleiben können, wo sollen sie denn sonst leben?« – sagte er zu ihr. Doch sie: »Irgendwo und wo auch immer!« Er lächelte ihr zu, wußte gar nicht, ob sie im Ernst oder im Scherz redete und sagte: »Aber es sind doch unsere Kinder!« – »Deine Kinder! Von einer anderen! Wieso soll ich mich denn aufopfern für die Kinder einer anderen?« Er versuchte erst gar nicht, mit ihr zu streiten oder zu rechten, um nicht den Frieden des Ehelebens zu trüben und zog es vor, zu schweigen, bis sie ihm plötzlich die Forderung stellte: »Du hast jetzt die Wahl, entweder ich gehe fort aus dem Haus, oder deine Kinder gehen fort!« Als er sah, wie entschlossen sie war, die Kinder loszuwerden und wie ernst sie es damit meinte, ihn zu verlassen und davonzugehen, wenn er nicht die Kinder fortjagte, da war er ganz und gar ratlos und verwirrt, viel mehr noch als seinerzeit nach dem Tode seiner Frau. Wie sollte er sich nur verhalten, wo doch die Kinder noch so klein waren, daß sie allein nicht leben konnten, besonders der Junge, und ob er auf die Frau hören und die Kinder aus dem Haus schaffen solle, oder ob er seine Frau hinauswerfen oder sie davongehen lassen solle, um selber wieder für die Erziehung seiner Kinder frei zu sein? Da saß er und wog die Zuneigung zu der Frau mit der Zuneigung zu den Kindern ab und spürte, daß er die Trennung von den Kindern überstehen könnte, aber nicht die Trennung von der Frau: Wenn ich sie wirklich aus dem Haus schaffe, wohin sollen sie denn gehen und wer soll sich um sie kümmern?« Mit Mühe unterdrückte die Frau ihre Freude, jetzt hatte sie gewonnen! Mit beherrschter Stimme antwortete sie: »Führe sie hinaus aus dem Dorf, dort läßt du sie allein, damit sie in ein anderes 99
Dorf gehen können.« Und dabei dachte sie an eine ganz bestimmte Stelle, wo die Kinder nicht lange am Leben bleiben würden wegen der vielen wilden Tiere und Bestien, die es dort gab. Der Mann schwieg eine Zeitlang und dachte darüber nach, wohin ihn sein Eingehen auf ihren Vorschlag gebracht hatte. Schließlich sagte er: »Richte ihnen einige Vorräte, was sie brauchen können in ihrer Verlassenheit, Brot und Mehl!« Auf der Stelle machte sich die Frau daran, mahlte Mehl, der Vater bereitete Brot, tat alles in einen Sack und das Mehl in einen anderen und schnürte die Säcke sorgfältig zu. Dann ging er zu den Kindern, war freundlich zu ihnen, brachte sie zum Schlafen, so gütig, wie er es seit seiner Heirat nie mehr getan hatte. Da wunderten sich die Kinder sehr und fragten sich, was das wohl zu bedeuten habe. Lange herzte ihr Vater sie und erzählte ihnen Märchen, die Kinder konnten es kaum glauben, daß es ihr Vater war, der bei ihnen saß und so lieb zu ihnen war, wie sie es aus jener behüteten Zeit vor dem Tode ihrer Mutter gewohnt waren. Und wie überrascht und erfreut waren sie, als er ihnen ankündigte: »Morgen früh gehen wir gemeinsam in ein fernes Land, das will ich euch zeigen!« – »Und du erzählst uns Märchen den ganzen Tag?« fragte der Junge seinen Vater und schaute ihm in die Augen. »Natürlich, den ganzen Tag lang«, antwortete der Vater – und schaute weg, um dem zweifelnden Blick seines Sohnes auszuweichen. »Und du bleibst doch bei uns, und läßt uns nicht allein zurück?« – »Nein, ich verlasse euch doch nicht!« Und weil er plötzlich fürchtete, daß seine Liebe zu den Kindern doch stärker sein könnte als seine Gefühle gegenüber der Stiefmutter, und er seinen Entschluß, die Kinder auszusetzen, wieder ändern könnte, sagte er jetzt schnell zu ihnen: »Es ist schon spät, schlaft jetzt, damit ihr morgen früh bald aufwacht!« Die Kinder waren glücklich, daß ihr Vater sie wie früher seine Zuneigung spüren ließ, die gleiche Liebe und Hingabe wie vor seiner Wiederverheiratung mit der neuen Frau und sie jetzt wie100
der das gewohnte Glück einer Familie mit Märchen und Erzählungen erlebten. Und weil sie so ganz miteinander beschäftigt waren, machte sich die Frau schnell an die beiden Säcke heran, die der Vater für seine Kinder mit Brot und Mehl gefüllt hatte, leerte sie, und schüttete dann in den einen Asche statt Mehl, und in den zweiten getrocknete Kuhfladen, band sie fest zu und legte sie wieder an ihren Platz. Als der Vater am nächsten Morgen seine Kinder wecken wollte, um sie nach draußen, fern vom Dorf, mitzunehmen, da saßen sie schon erwartungsvoll da, weil die Vorfreude auf die gemeinsame Reise ihnen den Schlaf aus den Augen getrieben hatte. Der Vater lud die beiden Säcke auf die Schulter, vor ihm liefen die beiden Kinder her und während sie dahinwanderten, erzählte er ihnen Geschichten und Märchen und gab ihnen Antwort auf alles, was sie fragten. Schließlich erreichten sie eine kleine Erhebung am Ufer eines breiten Wadi. Vom Wasser ausgehöhlt, hatte die Spitze der Erhebung einen kleinen Überhang gebildet. Diesen Ort richtete der Vater zum Unterschlupf für seine Kinder her, weil er sie hier zurücklassen wollte. »Was meint ihr«, sagte er, »wenn wir uns hier im Wadi ein wenig hinsetzen, eine Zeitlang ausruhen und unser Essen verzehren?« Damit waren die Kinder gerne einverstanden. Der Vater legte die Säcke in die Höhle, setzte sich zu den Kindern und redete weiter mit ihnen, damit sie kein Mißtrauen schöpften. Als dann der Augenblick der Trennung und seine Rückkehr nach Hause kam, sagte er: »Wartet hier, ich muß pissen gehen, hier hinter diesem Hügel!« Das sagte er und ging ein Stück dorthin, aber es war die Richtung zurück ins Dorf. Die Kinder warteten auf seine Rückkehr, eine Stunde verging, und zwei, und als er immer noch nicht zurückkam, sagte der Knabe: »Ich habe Hunger!« Seine Schwester aber schimpfte, daß er einen vollen Bauch haben wolle statt zu warten, bis ihr Vater zurückkomme, um dann gemeinsam zu essen. »Jeden Augenblick wird unser Vater zurück sein«, sagte sie, »und dann essen wir alle zusammen.« Da mußte der Kleine wohl oder übel 101
einverstanden sein und mit ihr zusammen warten, um erst dann zu essen, wenn der Vater zurück sein würde. Noch mehr Stunden gingen vorbei und die Sonne neigte sich schon dem Westen zu, doch der Vater kam nicht. Jetzt war auch das Mädchen beklommen, der Hunger zog ihre Eingeweide zusammen. »Unser Vater hat sich sehr verspätet beim Pissen«, sagte sie zu ihrem Bruder, »auf, wir wollen nach ihm rufen, er soll sich beeilen mit der Rückkehr.« Der Junge war mit dem Vorschlag einverstanden und mit einer Stimme begannen sie, nach ihrem Vater zu rufen: »Ach, unser Vater, wieviel willst du noch pissen? Hast des Wadis öde Leere schon getränkt! Wo Unfruchtbarkeit war, hast du geschüttet. Ach, unser Vater, wieviel willst du noch pissen? Hast des Wadis öde Leere schon getränkt Und zur Regenzeit ihn strömen lassen!« So sangen sie lange Zeit ihr Lied und wiederholten ihren Ruf, bis die Sonne untergegangen war und die Schatten der hohen Berge herabfielen auf den Wadi. Jetzt zweifelten sie an seiner Rückkehr, Angst begann sie zu erfüllen, und das Mädchen merkte, daß ihr Vater sie verlassen hatte, daß er sie nicht zu jenem versprochenen Ort führen werde. »Ich glaube nicht, daß er noch zurückkommt«, sagte sie zu ihrem Bruder, »am besten, wir essen jetzt.« Sie streckte ihre Hand nach dem Brotsack aus, holte ihn heran, öffnete ihn und wollte einige Brotfladen herausnehmen – da war nur getrockneter Dung im Sack. Sie ergriff den zweiten Sack, öffnete ihn und drinnen war Asche. Sie schaute ihren Bruder an, ihr Bruder schaute sie an, beide klammerten sich aneinander, schweigend und harrten des Unbekannten. Wie sie so aneinandergeklammert dasaßen und ihre Augen zum Horizont richteten, da erblickten sie einen gewaltigen Vogel, von weißer Farbe, die Flügel schlagend, immer näher kom102
mend, bis er sich neben ihnen, am Eingang ihrer Höhle, niederließ. Da ängstigten sie sich sehr, hatten große Furcht und drückten sich noch enger aneinander. Doch wie schnell wich die Angst von ihnen, wie schnell verschwand ihr Schrecken, wie glücklich waren sie, und wie drängten sie näher zu ihm hin, als sie den Vogel mit einer nicht ungewohnten Stimme reden hörten: »Habt keine Angst, ihr meine Kinder, eure Mutter bin ich, aus dem Paradies zurückgekommen, um euch zu schützen, als ich euch so einsam sitzen sah in dieser Höhle, dem Unterschlupf der wilden Bestien.« Sie schwieg eine Weile und fuhr dann fort: »Seit ich gestorben bin, schwebt mein Geist über euch und folgt eurem Leben!« Da freuten sich die Kinder über ihre Anwesenheit und daß sie mit ihr zusammen sein durften. Sie gab ihnen Essen, das hatte sie mitgebracht. Die Kinder stillten ihren Hunger, lächelten einander zu, schauten ihr ins Gesicht, und ihre Mutter blickte auf sie. Nun begann das Mädchen zu erzählen, was ihnen alles seit dem Tod der Mutter widerfahren war, und die Mutter hörte ihnen zu. Als der Schlaf die Kinder schließlich überwältigte, ruhten sie, bedeckt vom Gefieder ihrer Mutter, und die Mutter schützte sie mit ihrem Schnabel vor den wilden Tieren, die in die Höhle einzudringen versuchten. Noch bevor die Sonne aufging, weckte sie die Kinder vom Schlafe auf, sagte ihnen Lebewohl und mahnte sie: »Am Abend kehre ich zurück zu euch, wenn die Sonne untergeht, seid achtsam und erzählt niemand, daß ich euch besuchen komme!« Das Mädchen beruhigte sie, ja, sie würden aufpassen und schweigen. Von nun an spürten die Kinder keine Angst mehr und keine Einsamkeit, jetzt wußten sie sich beschützt vom Geist ihrer Mutter, die allabendlich zu ihnen herniederschwebte, um ihnen Gesellschaft zu leisten und auf sie acht zu geben und mitbrachte, was sie zum Essen brauchten. Bald begannen sie, tagsüber die Umgebung des Wadi zu durchstreifen. Sobald sich der Abend näherte, gingen sie zurück zu ihrer Höhle und warteten auf das Einschweben ihrer Mutter. 103
Eines Tages erwachte die Neugier in ihrer Stiefmutter. Sie wollte wissen, welches Schicksal den Kindern widerfahren war. Sie verkleidete sich und wanderte ganz allein zu der Höhle, in der der Vater die Kinder ausgesetzt hatte. Wie sehr erstaunt war sie, den Knaben lebendig zu sehen, wie er, ganz allein, am Höhleneingang saß. Sie wunderte sich, wie er ohne Essen noch am Leben sein konnte und wie er sich vor den wilden Tieren geschützt hatte. Seine Schwester aber, so nahm sie an, habe ihr Schicksal gefunden und allein der Knabe sei am Leben geblieben. Sie tat lieb zu ihm, umarmte ihn und fragte: »Lebst du hier ganz allein, mein Junge? Deine Familie, wo ist die denn? Haben die dich hier an solchem Ort ausgesetzt?« – »Ich lebe hier mit meiner Schwester«, sagte der Junge. »Und wo ist die?« – »Den Wadi hinunter.« – »Und dein Vater und deine Mutter?« – »Unsere Mutter starb, dann hat unser Vater nocheinmal geheiratet, und unsere Stiefmutter befahl ihm, uns fortzuschaffen aus dem Haus. Hierher hat er uns gebracht, und ging dann nach Hause zurück.« – »Und wie macht ihr das mit dem Essen? Wer speist euch denn?« – »Der Geist unserer Mutter schwebt zu uns herab, an jedem Abend, wacht über uns und speist uns.« Da packte die Frau der Zorn, der stärkste Schmerz zerriß ihr den Leib, doch sie nahm sich zusammen und fragte weiter: »Und wo läßt er sich nieder, der Geist eurer Mutter?« – »Da, da setzt er sich hin.« So antwortete der Junge und deutete auf die Stelle, wo die Mutter niederzuschweben pflegte. Die Stiefmutter redete weiter, um den arglosen Knaben abzulenken und derweil streute sie lauter Stacheln dort, wo der Geist der Mutter sich niederließ. Dann wandte sie sich schnell ab, um wieder nach Hause in ihr Dorf zurückzukehren. Als die Schwester vom Wadi zurückkam, hatte der Knabe die Geschichte von der Frau und der Unterhaltung schon ganz vergessen, und statt von dem Besuch zu erzählen, setzten sich die Kinder wie üblich nebeneinander und warteten auf das Erscheinen ihrer Mutter. Die Sonne sank, der weiße Vogel kam herangeflogen, wie er es stets zu tun pflegte, um sich auf seinem Platz 104
niederzulassen. Kaum saß die Mutter, da liefen die Kinder schon zu ihr hin. Doch sie stieß einen lauten Schmerzensschrei aus, weil sie auf den Stacheln gelandet war, die die Stiefmutter ausgesät hatte und die sich in ihren Körper bohrten. Als sie ihren Schmerzensschrei ausstieß und sich nur noch mit Mühe bewegen konnte, schaute sie die Kinder an und fragte: »Wer war es, der euch heute besucht hatte?« – »Niemand heute«, sagte das Mädchen. Doch der Junge fiel ein: »Eine Frau ist gekommen, doch ich kannte sie nicht. Meine Schwester war eben im Wadi. Die Frau blieb eine Zeitlang, fragte mich nach meiner Familie und wovon ich lebe und ich habe ihr die Wahrheit erzählt.« Da rief die Mutter mit Trauer und Schmerz in der Stimme: »Das war eure Stiefmutter, gekommen war sie, um sich von eurer beider Tod zu vergewissern. Als sie sah, daß es euch gut geht und sie erfuhr, daß ich euch besuchen komme, da säte sie die Stacheln aus, da wo ich mich niederlasse, damit sie in meinen Körper eindringen.« Das Mädchen schimpfte mit seinem Bruder, daß er ihr den Besuch verschwiegen hatte und für sein Gerede mit der Stiefmutter. Wenn er ihr alles erzählt hätte, ach, dann hätte sie vor dem Kommen der Mutter die ausgesäten Stacheln einsammeln können! Die Kinder machten sich daran, ihrer Mutter in ihrem Schmerz und Elend zu helfen und die eingedrungenen Stacheln herauszuziehen, und immer, wenn sie einen Stachel herauszogen, quoll Blut hervor. Doch die Kinder taten ja nur, was ihre Mutter ihnen auftrug, bis alle Stacheln entfernt waren. Die Mutter blieb und wachte über die Kinder, wie sie es immer getan hatte, den Schmerz ihrer Wunden zu überwinden versuchend. Gegen Morgen sagte sie ihnen Lebewohl und dazu noch: Von heute an werde ich nicht mehr zu euch kommen, und ihr werdet mich nicht mehr sehen. Die Stacheln zerrissen mir den Körper und meine Wunden schmerzen mich. Ihr aber müßt nun scharf ausspähen nach dem Horizont, dort, vor euch, genau gegenüber dem Ort, wo die Sonne untergeht, und wenn ihr dort morgen 105
früh eine weiße Wolke erblickt, wie sie am Horizont aufsteigt, dann wartet auf meine Wiederkehr. Doch wenn ihr eine schwarze Wolke am Horizont erblickt, dann wartet nicht mehr auf mich und bleibt nicht mehr in dieser wüsten Höhle. Verlaßt sie und sucht euch einen anderen Ort!« Die Nacht verging, sie wurde den Kindern lang und-schwer und beladen mit Kummer und Sorge. Das Aufgehen der Sonne erwarteten sie, das über ihr Leben entscheiden und ihr Schicksal bestimmen würde: ob sie bleiben könnten an diesem Ort, und ob der Geist ihrer Mutter, erneuert in dem Geist des weißen Vogels, sie auch weiter bewachen würde, oder ob die Verletzungen stärker wären und sie nie mehr zurückkehrte, und die Kinder fortziehen müßten aus dem Wadi auf der Suche nach ihrer Zukunft. Im Morgengrauen entdeckten sie am Horizont eine dunkle, schwarze Wolke. Hoffnungslosigkeit erfüllte sie und keine andere Wahl mehr blieb ihnen, als ihre Höhle zu verlassen, im Wadi dahinzuwandern, bevor die Angst noch schwerer über sie herfiel. Ein Stück des Weges weiter kamen sie zu einem großen Baum, den kletterten sie hinauf, um in ihm Schutz zu suchen vor den wilden Tieren. Dort oben wollten sie die nächste Nacht verbringen. Am andern Morgen wanderten sie weiter in diesem endlosen Wadi, ihren Weg kannten sie nicht, und wo sie bleiben sollten, wußten sie nicht. Doch da, zur Mittagszeit, erblickten sie ein kleines Haus, nahe ihrem Pfad, freuten sich sehr und gingen gleich hinüber, um dort ein wenig auszuruhen und den Herrn des Hauses um sein Erbarmen für ein wenig Essen zu bitten. Kaum hatte das Mädchen an die Tür geklopft, schaute eine Alte heraus, den Rücken gebeugt, bleichen Gesichts, mit tiefliegenden Augen, die ein starkes Licht aussandten. Die Alte freute sich sehr über den Anblick, hieß die Kinder willkommen, ergriff sie und zerrte sie nach innen. Die Alte, die ihnen geöffnet und sie hereingeholt hatte, das war Ad Dugra, ›Die Dunkelheit‹, und das Haus, das war ihr Haus, hier lebte sie mit ihren beiden Kindern, einem Jungen und ei106
nem Mädchen gleichen Alters wie die beiden Neuankömmlinge, die aber von alledem nichts ahnten. Denn als Die Dunkelheit ihre Türe geöffnet hatte, um nachzusehen, wer da klopfe, da sah sie in den Geschwistern eine köstliche Mahlzeit, die sich ihr und ihren eigenen Kindern von selber anbot! So hatte sie sie also nach drinnen gezogen, konnte ihre Güte gar nicht genug übertreiben, vor allem, als sie merkte, daß das Mädchen keineswegs so arglos war, wie es schien. »Wo seid ihr denn her«, fragte Die Dunkelheit, »und wo ist denn eure Familie, die euch diesen einsamen Weg so allein hat gehen lassen?« Trotz ihrer Vorsicht mußte das Mädchen jetzt wegen der übergroßen Zuvorkommenheit von Ad Dugra die ganze Geschichte erzählen und dachte, so ihre Zuneigung zu gewinnen. »Möge Allah euren Vater verdammen und ihm nie Verzeihung gewähren! Hat er auf die Reden eurer Stiefmutter gehört und euch aus dem Haus verstoßen, ihretwegen! Bleibt hier bei mir, das Haus ist groß und – Allah sei Dank – hat Platz genug. Ihr lebt hier mit meinen Kindern, und was ich für sie tue, das will ich euch tun. So will ich es ansehen, daß Allah mir vier Kinder geschenkt hat und nicht nur zwei!« Das Mädchen zeigte große Freude über das Angebot der Alten, blieb aber, ganz in seinem Innern, voller Zweifel über dieses Willkommen und aufmerksam auf die Behandlung. So beobachtete sie das Verhalten Der Dunkelheit sorgfältig, um herauszufinden, was diese wirklich vorhatte, andererseits wußte sie ja auch nicht, wo sie sonst hätten schlafen sollen. Die Dunkelheit hatte also die Kinder so großmütig aufgefordert, bei ihren eigenen Kindern im Haus zu verbleiben. Nun wartete sie gierig auf das Hereinfallen der Nacht. Derweilen sollten die Geschwister mit ihren eigenen Kindern spielen und sich unterhalten. Früh am Abend sollten sie dann schlafen gehen. Dann wollte sie sie mahlen und fressen. Doch plötzlich überkam Die Dunkelheit Angst, sie könnte die Kinder verwechseln und in ihrer Verwirrung die eigenen Kinder mit den Vorbeigekommenen vertauschen, weil sie doch alle vier neben107
einander schliefen. Deshalb sagte sie zu sich selber: ›Ich muß sie zeichnen, bevor sie einschlafen, damit ich sie im Finstern nicht verwechsle!‹ So sprach sie und suchte sogleich nach einem Kennzeichen, damit sie die Kinder unterscheiden könne. Sie holte zwei Schüsseln, löste in der einen etwas Henna auf und in der anderen getrocknete Kuhfladen. Dann sprach sie zu dem Mädchen: »Was schmerzt mir das Herz über euren traurigen Zustand! Ohne Zweifel müssen euch von dem langen Weg und dem vielen Marschieren die Füße weh tun. Deshalb habe ich euch eine Henna-Paste bereitet, damit will ich eure Füße einstreichen. Henna wird euch das Brennen lindern und wird euch in Ruhe schlafen lassen! Und wenn ich euch dann mit Henna eingerieben habe, will ich nicht, daß meine Kinder sagen, ich hätte sie nicht mehr lieb, nicht so lieb wie euch, und darum habe ich für sie auch eine Schüssel mit Henna bereitet.« »Aber Mütterchen«, gab ihr das Mädchen zur Antwort, »all diese Mühe braucht es nicht, es ist schon genug, daß du uns zu essen gibst und einen Unterschlupf. Das ist schon eine wahrhaft gute Tat!« – »Bei Allah, ich tue für euch nicht mehr als für meine eigenen Kinder und vollkommen wird meine Freude sein, wenn ich es euch hier bei uns angenehm machen kann, und ihr mit meinen Kindern lebt.« – »Ach, und wir freuen uns so, daß wir dich getroffen haben. Wie du uns so gut behandelst, das erinnert uns an unsere verstorbene Mutter. Gerne wollen wir hierbleiben und bei dir leben, in deinem Haus, wo wir uns fühlen, als sei unsere eigene Mutter hier, als seien wir hier geboren!« Die Dunkelheit freute sich über die Worte des Mädchens, zufrieden und froh war sie in dem Glauben, das Mädchen und seinen Bruder schon betrogen zu haben: »Das Haus ist euer Haus und ich bin eure Mutter und meine Kinder sind eure Geschwister! So, nun streiche ich eure Füße ein.« Die beiden Kinder streckten ihre Füße vor und die Alte bestrich sie mit der Paste aus Kuhfladen. Dann trug sie das Mädchen und den Jungen in eine Ecke zum Schlafen, ging zu ihren eigenen Kindern, 108
bestrich deren Füße mit Henna und trug ihre Kinder hinüber zu dem Mädchen und dem Knaben. Doch das Mädchen tat nur so, als ob es schliefe, und seinem Bruder hatte es aufgetragen und ihm eingeschärft, daß er ja nicht einschlafen dürfe! Als Die Dunkelheit sich jetzt entfernte, um selber zu schlafen, da machte sich das Mädchen daran und schabte die Paste von seinen und den Füßen seines Bruders, und Henna von den Füßen der beiden Kinder der Alten ab, schmierte deren Füße mit Kuhfladen-Paste ein und ihre und des Bruders Füße mit Henna. Sie blieb wach und wartete auf das, was Die Dunkelheit jetzt tun würde! Als Die Dunkelheit sicher war, daß die Kinder schliefen, schlich sie ins Zimmer und schnupperte nach dem Kuhmist, um ihrer Beute gewiß zu sein. Dann witterte sie den Hennaduft, um ihrer eigenen Kinder gewiß zu sein. So schnupperte sie also nach dem Kuhmist, den sie mit eigener Hand den fremden Kindern an die Füße geschmiert hatte, ergriff ihre Beute, bei der sie den Kuhmist gerochen hatte, am Hals, eine nach der anderen, und schleppte sie zu ihrer Feuerstelle, um sie zu kochen. Dann wollte sie davon fressen und den Rest bis zum Morgen für ihre eigenen Kinder aufheben. Das Mädchen und der Junge verhielten sich ganz still und voll Angst und Entsetzen beobachteten sie das Tun Der Dunkelheit in der Finsternis: wie sie ihre eigenen Kinder erdrosselte. Als die beiden merkten, wie die Alte in der Küche beschäftigt war, stahlen sie sich aus dem Haus und flüchteten, bevor die Frau ihren Irrtum bemerken würde. Denn dafür, daß sie ihre eigenen Kinder getötet und gefressen hatte, würde sie sich gewiß an ihnen rächen. So schnell sie konnten, eilten sie nun im Wadi weiter und die Angst, Die Dunkelheit könnte mit ihnen machen, was sie ihren eigenen Kindern angetan hatte, beschleunigte ihre Schritte noch mehr. Immer wieder schauten sie sich auf der Flucht um, ob Die Dunkelheit ihren Spuren folge, und als die Sonne schließlich ihre ersten Strahlen in den Wadi sandte, da bemerkten sie, daß Die Dunkelheit hinter ihnen her109
lief und sie zu fangen versuchte. Die Kinder rannten, doch Die Dunkelheit rannte immer schneller hinter ihnen her. Plötzlich waren die Kinder am Mund des Wadi angekommen, da wo er an der Steilwand entspringt, ein gewaltiger Felsen ragte vor ihnen auf und schloß das Wadibett ab! Da standen sie und wußten nicht weiter. Erst versuchten sie, hinaufzuklettern, mit ihren Nägeln sich festzuklammern in kleinen Aushöhlungen. Vergeblich! Als jetzt das Mädchen in seiner Angst, Die Dunkelheit würde sie einholen und ergreifen, nach oben blickte, sah sie dort einen jungen Hirten stehen, der schweigend zu ihnen herabsah. »Hilf uns, hinaufzukommen«, rief sie ihm zu. »Die Dunkelheit ist hinter uns her und will uns fressen!« Und sie berichtete die ganze Geschichte. »Wenn ich euch vor Der Dunkelheit rette, heiratest du mich dann?« – »Ja, wenn du uns hilfst und uns von ihr befreist, dann heirate ich dich!« Der Hirte freute sich, daß sie ihn heiraten wollte und warf ihr ein langes Seil hinunter. Das band sie ihrem Bruder um die Brust und mahnte ihn, es ganz fest zu halten mit beiden Händen. Der Hirte zog, bis er den Kleinen oben hatte, dann warf er das Seil zum zweiten Mal hinunter. Das Mädchen band sich an, hielt sich fest an dem Seil, und oben zogen der Hirte und der Bruder, bis das Mädchen glücklich ankam. Und schon war Die Dunkelheit da, unten am Felsabsturz, und suchte nach den Kindern. Von oben rief ihr der Hirte zu, wie sie sich um sich selbst herumdrehte: Was läufst du so herum, was suchst du denn da, Mütterchen?« – »Zwei Kinder suche ich«, rief sie nach oben, »meine eigenen haben sie umgebracht und dann sind sie geflüchtet! Hast du sie gesehen?« – Wenn du ein Mädchen meinst und seinen kleinen Bruder, die habe ich gesehen, hier über die Felswand sind sie heraufgeklettert und dann ihres Weges gezogen!« Die Dunkelheit prüfte den Felsen mit ihren Augen, um herauszufinden, wo sie hinaufklettern könnte und sah, es war unmöglich. »Ich schaffe es nicht allein«, rief sie nach oben, »hilf du mir beim Hinaufklettern!« – Versuch es nur, die sind ja auch allein 110
heraufgekommen. Schichte doch einen Haufen aus Pflanzen, Holz und Gras auf am Fuß des Felsens, so hoch, daß ich dir die Hand reichen kann.« Das schien Der Dunkelheit ein guter Vorschlag zu sein. Sie sammelte Holz zusammen und Pflanzen und legte alles aufeinander am Fuße des Felsens, bis sie einen gewaltigen Haufen aufgetürmt hatte. Sie stieg auf den Haufen und freute sich über die Hilfe des Hirten, zu dem sie jetzt gleich gelangen würde. Der Hirte ließ ihr das Seil hinab, sagte ihr, sie solle es ganz fest um sich binden, so fest, daß sie nicht fallen könne. Dann zog er sie nach oben, bis sie über dem Haufen schwebte. Und jetzt warf er ein Feuer in den Holz- und Pflanzenstoß und die Flammen schlossen Die Dunkelheit ein, von unten und von allen Seiten. Da schrie sie und flehte um Hilfe und rief dem Hirten zu, er solle sie retten. Doch der Hirte ließ das Seil aus und Die Dunkelheit stürzte in das Flammenmeer. Das Mädchen und sein Bruder schauten zusammen mit dem Hirten zu, wie Die Dunkelheit verbrannte und wie sie sich vor Zorn verzehrte, weil die Kinder gerettet waren und sie selber sterben mußte. Lange noch schrie Die Dunkelheit und beschwor den Hirten immer wieder, er solle ihr helfen und sie aus den Flammen erretten. Doch der Hirte, das Mädchen und der Knabe lachten nur und schauten zu, bis das Feuer sie ganz und gar verzehrt hatte. Dann gingen sie fort, dahin, wo der Hirte wohnte und trieben die Tiere vor sich her. Der Hirte und das Mädchen aber heirateten und wurden eine Familie. Das Mädchen kümmerte sich um das Haus, ihr Bruder half dem Hirten beim Hüten.
10. Wie der schlaue Jude die Ehre des Qabīli rettete
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a war ein armer Mann, ohne Geld, er heiratete eine Frau, lebte mit ihr. Doch die Nachbarn warfen den bösen Blick auf sie, indem sie ›Glückwunsch, Glückwunsch‹ sagten. Ein 111
wenig Geld hatte er noch, das gab er alles im gleichen Monat aus, am Ende des Monats war nichts mehr übrig. Seine Frau: »Auf, bei Allah, wir brauchen Mehl, Fett, Weizen, Feuerholz.« Er: »Ich bin am Ende, ich hab nichts mehr, gar nichts mehr!« Sie: Wie denn, du hast gar nichts mehr?« Die Frau hatte Freunde, die gerne mal eine Nacht mit ihr verbracht hätten. Denen hatte sie sehr direkte Versprechungen gemacht für die Zeit, wenn sie einmal verheiratet sei: dann werde es schon klappen. Einer ihrer Freunde, ein ziemlich junger Mann, großgewachsen, wartete nach der Hochzeit eine Zeitlang. Dann sandte er eine Botenfrau: »Sag ihr, daß ich mich leidenschaftlich nach ihr sehne!« Zu ihrem Ehemann aber sagte die Frau: »Jetzt sind wir arme Leute, nichts hast du mehr, gar nichts mehr. Versuch’s doch mal und gehe in den Sūq, wo das Vieh verkauft wird und makle zwischen denen, die verkaufen wollen und den Käufern. So holst du dir drei Rial, oder vier, oder fünf.« Er: Wie macht man denn das?« Sie: »Mach es so wie die anderen Männer, du makelst zwischen ihnen um das Vieh und dann kriegst du deinen Lohn. Hier hast du noch ein Brot.« Er aß, setzte sein Vertrauen auf Allah und zog los. Zu Hause gab es nichts mehr: kein Fett, keinen Honig, gar nichts mehr. Der Mann ging seines Wegs, da begegnete ihm ein Jude. Der fragte: »Wohin, Nachbar?« Er: »Bei Allah, ich bin auf dem Weg zum Sūq. Dort will ich zwischen den Leuten makeln, die Vieh verkaufen oder kaufen wollen, da wird auch etwas Geld für mich übrigbleiben. Dann kann ich wieder meinen eigenen Dingen nachgehen.« Der Jude: »Geh lieber wieder zurück, du, mit deinem kleinen Verstand, ich zeige dir das Geld, wo es ist! Warte bis morgen früh!« Unser Mann begleitete den Juden zu dessen Haus. Der ließ ihm ein Mittagessen reichen, sie tranken zusammen Kaffee. Am Abend bat der Jude unseren Mann: »Zeig mir mal genau die Türe deines Hauses!« Sie gingen hin, schauten alles an und begaben sich zum Hause des Juden zurück. Da übernachtete unser Mann dann auch. 112
Am nächsten Morgen standen sie gemeinsam auf. Der Jude steckte den Mann in einen Schlafsack, und Schlafsack und Mann in eine Schamla, den großen, gewebten Wollsack, schnitt zwei Löcher hinein, damit der Mann sehen konnte, wohin es ging. Den Sack warf sich der Jude über die Schulter und trug ihn bis zum Haus des Mannes. »Ja, das ist mein Haus«, sagte der Mann. Und der Jude: »Gut!« Jetzt schrie der Jude: »Mahl-stein-aufrauhen, Mahl-stein-aufrauhen!« In einem Fenster erschien die Frau und rief: »Jude – Mahlsteinaufrauher?« Er: »Jawohl!« Sie: »Komm rein!« Sie macht die Tür auf, der Jude tritt ein und fragt: »Wo sind die Mahlsteine?« Sie: »Hier sind zwei Mahlsteine, schleif sie sorgfältig!« Und der Ehemann schaute aus seinem Schlafsack zu. Der Jude: »Nachbarin, ich rauhe dir deine Mahlsteine gut auf, dafür will ich aber auch ein anständiges Mittagessen, seit gestern arbeite ich hart. Einen Eintopf mit Brot will ich und Fleischbrühe!« Die Frau: »Gern, haben wir.« Er: »Du da, du bist ja wirklich eine Schönheit, wie sieht denn da dein Mann aus?« Sie: »Mein Mann? Einen, der so gut aussieht wie der, den gibt es in der ganzen Welt nicht noch einmal!« In Wahrheit aber sprach sie von ihrem Freund, der zu ihr gekommen war. Und der Jude: »Auf, bring mir jetzt erst mal Kaffee und was zum Frühstücken, und schick mir doch mal deinen Mann runter, damit ich ihn kennenlernen kann.« Sie sagte »gut« und ging hinauf zu dem Mann: Wirklich, der Jude ist verrückt, er will dich sehen. Aber meinst du nicht, daß er dich vielleicht kennt?« Hand in Hand gingen sie dann hinunter zu dem Juden, der sie sah und sagte: »Bei Allah, seinem Willen gemäß, auf Erden bindet er durch Heirat nur, was er auch im Himmel bindet!« Darauf die Frau: Was soll das?« Der Jude: »Bei Allah, seinem Willen gemäß, er möge euch eurer Jugend sich erfreuen lassen!« Und der Ehemann, der in seinem Schlafsack in der Ecke des Zimmers steckte, schaute und hörte zu. Als der Mann und die Frau wieder hinaufgegangen waren, ging der Jude zum Schlafsack hinüber. »Mach den Sack auf«, schrie der Ehemann, »ich 113
will rauf, umbringen will ich ihn, hinauf muß ich, bei Allah, ich will ihn töten mitsamt seinem Vater und seiner ganzen Familie!« Doch der Jude zu ihm: »So nicht, bei Allah, Geduld!« Zur Mittagszeit brachte die Frau dem Juden Essen und Wasser, der Ehemann steckte noch immer in seinem Sack. Einiges später kam sie wieder und fragte: »Jude, wo schläfst du heute?« Der Jude: »Ich schlafe hier. Kenne die Juden der Stadt nicht. Bin von weither gekommen und möchte gerne hier übernachten. Morgen früh mache ich eure Arbeit fertig und ziehe weiter.« Sie zu ihm: »Ist schon recht.« Dann aß der Jude zu Abend. Und sagte: »Ich höre Tanzen und Geheimnisvolles hier bei euch, also, bei Allah, wenn du mir erlaubst, dann komme ich nach oben und tanze euch unsere jüdischen Tänze vor!« Sie: »Kannst du auch singen?« Er: »Allah, Allah! Ich, singen? Großartig! So einen wie mich gibt es nicht noch einmal!« Sie: »Na dann, gut!« Als auch die Frau und ihr Liebhaber zu Abend gegessen hatten, sagte sie zu ihm: »Der Jude will zu uns heraufkommen und uns seine Tänze vorführen.« Er: »Gut, laß ihn kommen.« Die Frau ging hinunter. »Also komm rauf«, sagte sie zu ihm. Der Jude packte seinen Sack, in dem unser Mann steckte. Die Frau: Was denn, laß doch diesen Sack draußen!« Der Jude: »Nein, nur wenn ich den bei mir habe, kann ich arbeiten.« Er schleppte den Sack hinauf und als er oben in das Madschlis gekommen war, ließ er ihn fallen – bumm. Nun wandte sich der Liebhaber an ihn: »Jude, du kannst tanzen?« Er: »Jawohl, unsere Tänze tanze ich.« Der Liebhaber holte ein Tamburin hervor und schlug es. Und der Jude tanzte, bis alle aus ihren Haaren schwitzten. Schließlich sagte der Jude: »Mit Verlaub, jetzt gehe ich hinunter, um zu schlafen, ich bin müde.« Er griff seinen Sack und stieg hinab in den Raum, wo er übernachten sollte. Dort angekommen, sagte der Ehemann zu ihm: »Bei Allah, laß mich jetzt raus, ich will ihn umbringen, den Liebhaber, mitsamt seinem Vater und allen seinen Verwandten, jetzt, wo die Nacht über der Welt liegt.« Doch der Jude: Warte noch!« Derweil saßen die beiden oben, aßen wieder, tranken Kaffee, 114
kauten Qāt. Schließlich schlief der Liebhaber ein, die Backe voller Qāt. Die Frau erhob sich, brachte dem Juden noch einen Rest Essen. Der aß, als er fertig war, stieg er hinauf, um nachzusehen, ob die beiden noch wach waren oder ob sie schon schliefen. Sie schliefen. Jetzt holte der Jude in der Küche einen Teller Marraq-Fleischbrühe – und brachte ihn dem Ehemann im Sack. »Auf, jetzt kannst du raus!« Und der andere kletterte heraus, steif und müde kletterte er aus seinem Sack. Jetzt erzählte ihm der Jude seinen Plan. Der Ehemann solle eine Schöpfkelle voll Marraq mitnehmen, sich auf den Liebhaber werfen und ihn erwürgen. »Ja, so machen wir es!« Der Ehemann lief nach oben, sprang auf den anderen und erdrosselte ihn. Dann drückte er ihm den Mund auf und der Jude goß dem Liebhaber den Marraq in den Hals. Nach der Tat gingen die beiden vorsichtig wieder nach unten, der Jude steckte unseren Mann in den Sack und in die Schamla. Dann schaute der Jude aber noch einmal oben nach, wischte dem Toten die Fleischbrühe vom Mund ab und stellte ihm die Wasserpfeife auf die Brust. Als die Frau aufwachte und nach ihrem Liebhaber sah, bewegte er sich nicht mehr, obwohl sie ihn ›Liebling, Liebling, Liebling‹ rief. Schnell rannte sie hinunter zu dem Juden: »He, Salem, Salem!« Der Jude: »Laß das doch, Nachbarin!« Sie: »Bei Allah, höre, ich weiß nicht, was mit meinem Mann ist.« Der Jude: Was hat er denn?« Sie: »Er ist tot.« Er: »Ja-auh!« Sie: »Sei doch still, du Hund, du Hundesohn, mach keinen Skandal!« Der Jude: »Wieso, war er etwa gar nicht dein Mann?« Sie: »Nein, er war nicht mein Mann, er war mein Liebhaber.« Er: »Und jetzt?« Sie: »Dann komm rauf und schau.« Der Jude stieg hinauf. Erst zog er dem Liebhaber die Dschanbīya heraus, nahm ihm sein Geld ab und steckte beides in seine Lihfa. Und zu der Frau sagte er: »Los, gib mir das Gold an deinem Hals.« Sie: »Warum denn?« Er: »Willst du, daß ich dein Geheimnis für mich behalte?« – »Ja«, sagte sie da, und gab ihm das Gold und alles, was sie sonst noch hatte. »Habt ihr einen Keller hier im 115
Haus?« Und als sie auch das bejahte, mußte sie den Toten am Kopf ergreifen, der Jude packte ihn an den Füßen. Und so schleppten beide den Toten in den Keller. Dort schaufelten sie eine Grube und vergruben ihn. Und der Jude sprach: »Hör zu, keiner hat etwas gesehen!« Sie: »Unter deinen Schutz stelle ich mich, bei Allah, ich beschwöre dich, laß nichts davon bekanntwerden!« Er: »Nein, bei meinem Angesicht.« Der Jude legte sich schlafen, am nächsten Morgen stand er auf, packte seinen Sack und schleppte ihn in sein Haus. Dort ließ er den Qabīli heraus, der war ganz vertrocknet, seine Füße konnte er nicht mehr strecken, ganz steif war er. Der Qabīli holte Öl, rieb sich die Füße ein und blieb bis zum nächsten Tag bei dem Juden. Dann forderte ihn der Jude auf: »Auf, jetzt gehst du und klopfst an deine Haustüre. Du wirst merken, daß sie dir erst nicht antwortet, eine volle Stunde lang, endlich macht sie dann auf und behauptet, sie sei krank.« Unser Mann zog also los, klopfte, schließlich machte die Frau ihm unter lautem Stöhnen das Tor auf. »Was hast du?« »Seit du fortgegangen bist, bin ich so krank, ich sterbe fast!« Er trug sie nach oben und sagte: »Du Arme, keine Macht gibt es und keine Stärke, denn bei Allah!« Trauben und Äpfel brachte er ihr. Dann ging er zurück zum Juden, um ihm alles zu berichten. Darauf der Jude: »Bei Allah, wenn du sie noch einmal berührst und noch einmal mit ihr sprichst, will ich auch dich vernichten, so wie ihren Liebhaber. Laß sie krank sein, laß sie tun, was sie mag.« Am nächsten Tag kommt der Jude zum Haus des Ehemanns und will alles genau wissen: »Was war los mit der Frau?« Er: »Immer noch krank!« Darauf der Jude: »Die Arme, ich will ihr Trauben bringen und alles sonst.« Doch jetzt meinte der Ehemann: »Genug habe ich von ihr, ich kann sie nicht mehr ertragen.« – »So ist es recht, endlich«, sagte der Jude, »und jetzt mußt du einen Brief verfassen, als ob ihr Vater schreiben würde, er sei krank geworden und brauche die Hilfe seiner Tochter, auch die Mutter sei krank geworden. Die Tochter müsse schnell 116
kommen, sonst würden sie beide sterben, ohne ihre Tochter noch einmal gesehen zu haben.« Als die Frau die Nachricht bekommen hatte, sagte sie: »Morgen früh muß ich los!« Ihr Mann ging zum Juden. »Also, was hat die Frau im Sinn?« – »Morgen früh gehen wir los«, antwortete der Mann, Der Jude: »Auf, du mietest dir ein Kamel, ein Maultier und einen Esel, und morgen früh komme ich. Und besorge dir eine Ghirāra, eine große Kameltasche, die füllst du mit Rosinen, Mandeln, Trauben, Datteln, Äpfeln, Birnen und was du sonst noch an guten Sachen findest. Und dann besorgst du dir noch eine zweite Ghirāra, die läßt du leer.« Am nächsten Tag früh erschien der Jude, packte den ausgegrabenen Toten in die leere Ghirāra und band sie am Kamel fest. Der Jude ging vorweg; an der einen Seite des Kamels hing die Satteltasche mit den Rosinen, Mandeln, Trauben, Datteln, Äpfeln und Birnen; die Satteltasche mit dem Toten hing auf der anderen. Die Frau sollte auf dem Maultier reiten und ihr Mann auf dem Esel. Der Jude führte das Kamel aus der Stadt, behauptete, er sei gerade Muslim geworden, bedeckte sich seine Stirnlöckchen und hatte ein langes weißes Qamīs übergezogen. Jetzt kam auch schon die Frau aus der Stadt herausgeritten und als sie den Juden das Kamel führen sah, sagte sie zu ihrem Mann: Wirklich, der junge Kerl sieht gut aus, aber gleicht er nicht dem Juden, der zu uns ins Haus kam, um unsere Mahlsteine zu schleifen?« Der Mann antwortete: »Schäm dich Frau, das ist ein Muslim, kein Jude!« Als sie bei den Eltern angekommen waren, hießen diese sie willkommen: »Unser Land ist euer Land.« Der Vater der Frau hatte noch sieben andere Kinder. Man saß zusammen, aß zu Mittag. Am Abend kam der Vater herunter, öffnete die große Satteltasche und fand den Toten. Dann öffnete er die andere Satteltasche und fand darin Rosinen und Trauben, Mandeln und alles übrige. Er rief nach seiner Frau. »Was sagst du dazu? In dieser Ghirāra sind Geschenke, 117
und in jener – was ist da drinnen?« Da rief die ganze Familie: Wir müssen unseren Schwager verhören und alles herausfinden! Entweder sagt er die Wahrheit oder wir bringen ihn um.« Sie gingen zum Schwager: »Da ist eine Ghirāra mit Rosinen und Mandeln, Äpfeln und vielen anderen Dingen, und dann ist da noch eine, in der steckt ein Adamssohn.« Er: »Fragt den Juden!« – »Wo ist denn hier ein Jude?« – »Der da!« – Was, du bist ein Jude?« Dieser: »Ja!« – »Aber warum hast du dann mit uns gebetet?« Er: »Heute, als ich zu euch kam, bin ich Muslim geworden, jetzt bin ich wieder Jude.« Da sagten sie zu ihrem Schwager: »Jetzt mußt du uns die ganze Geschichte erzählen, was ist geschehen? Mit dem Juden wollen wir nichts zu tun haben!« Doch der Jude ergriff das Wort: »Ich habe die Ehre eurer Frauen gerettet, und die eures Schwagers. Ein echter Qabīli ist er und mit niemanden hat er über die Sache geredet! Aber diese eure Tochter, das ist eine, die man kaufen kann. Ihren Mann schickt sie fort, damit er sich im Sūq als Viehmakler versucht, und währenddessen kommt ein fremder Mann zu ihr. Da treffe ich ihren Ehemann, stecke ihn in einen Sack und zeige ihm alles, was eure Tochter macht. Dann bringe ich den Liebhaber um und vergrabe ihn im Keller des Hauses. Euer Schwager wollte mit eurer Tochter Schluß machen, als er das Geheimnis herausgefunden hatte, doch ich habe alles bis hierher geführt. Ihr sollt entscheiden! Das ist eure Tochter, das ist euer Schwager und das« – er deutet auf den Toten – »das ist der Schuldige.« Da sagte der Vater zu seiner Tochter: »Bei Allah, geh hinunter, damit ich dich töte.« Doch der Jude: »So nicht, sonst wird das ganze Geheimnis bekannt. Holt lieber ein Leichentuch, in das wir den Verbrecher einwickeln, das Mädchen aber steckt ihr in das Vorratsloch für Getreide drunten im Keller und begrabt sie darin. Morgen früh stimmt ihr das Trauergeschrei an und wenn dann die Leute fragen, was los sei, dann sagt ihr, daß eure Tochter gestern zu Besuch gekommen ist, von Ḥāschid, und in der Nacht sei sie gestorben!« 118
So begruben sie also auch den Leichnam des Verbrechers und als alles vorbei war, sagte der Vater zu dem Juden: »Ich danke dir, du warst es, der die Ehre unserer Familie bewahrt hat, und jetzt verlange von mir, was du haben willst.« Der Jude: »Gar nichts will ich.« Und drei Tage später sagte er zum Vater: »Jetzt verheiratest du deine zweite Tochter mit diesem Mann, zu dritt sind wir gekommen und zu dritt kehren wir in unser Dorf zurück. So ist es das beste, für dich und für uns, wenn du die Schwester mit ihm verheiratest. Dann können wir sagen, die eine starb und deswegen hat der Mann ihre Schwester geheiratet.« Am folgenden Tag verheiratete der Vater den Qabīli mit seiner zweiten Tochter. Noch einen Tag weiter setzte der Mann sie auf das Maultier und zog zurück in sein Dorf. Und so wurde die zweite Tochter die Frau des Qabīli auf immerfort und Ewigkeit.
11. Die Tochter des Königs der Dschinn des Ostens und der Sohn des Königs der Dschinn des Westens
E
s war einmal vor langer, langer Zeit, ihr Herren und ehrenwerten Leute, da gab es eine Tochter des Königs der Dschinn des Ostens und einen jungen Mann, Sohn des Königs der Dschinn des Westens. Als die Tochter des Königs der Dschinn des Ostens volljährig geworden war, freundete sie sich mit der – menschlichen – Tochter des Sultans des Ostens an. Dieses Mädchen, so schön war es, daß sein Anblick einen jeden verwirrte, und sein Gang einen jeden, der den Propheten (gesegnet sei er, Allahs Gnade über ihn und sein Segen) liebt, gefangen nahm, sein Herz zum Sklaven machte und ihn selbst zum Bettler. Bald waren die beiden Freundinnen einander zugetan wie Geschwister. Gleiches geschah dem Sohn des Königs der Dschinn des We119
stens. Er freundete sich an mit dem Sohn des Sultans des Westens. Beide verstanden sich wie Brüder und verbrachten ihre Zeit gemeinsam mit Reiten, Kampf und sportlichen Spielen. Stark und gewandt waren sie und von klugem Verstand. Eines Tages wollte es der Zufall, daß der Sohn des Königs der Dschinn des Westens die Tochter des Königs der Dschinn des Ostens traf. Woher kommst du?« fragte er sie. »Ich komme von meiner Freundin, der Tochter des Sultans des Ostens, meiner allerbesten Freundin! Und woher kommst du?« – »Ich komme von meinem engsten Freund, dem Sohn des Sultans des Westens. Kein anderer junger Fürst sieht so gut aus wie er und für mich ist er wie mein eigener Bruder.« – »Das gibt es in der ganzen Welt nicht, jemand, der schöner aussieht und besser ist als meine Freundin«, gab ihm die Tochter des Königs der Dschinn des Ostens zur Antwort. »Du lügst«, sagte daraufhin der Sohn des Königs der Dschinn des Westens, »mein Freund, der Sohn des Sultans des Westens, ist schöner und besser als irgend jemand sonst in der Welt!« Nachdem sie eine Zeitlang so hin- und hergestritten hatten, beschlossen sie, den Sohn des Sultans des Westens und die Tochter des Sultans des Ostens nebeneinanderzustellen, um dann den Beweis führen zu können, wer von den beiden besser und schöner sei, und machten auch sogleich einen Zeitpunkt für diese Gegenüberstellung aus. Am festgesetzten Tag brachten der Sohn des Königs der Dschinn des Westens und die Tochter des Königs der Dschinn des Ostens den jungen Sohn des Sultans des Westens in das Haus der Tochter des Sultans des Ostens, wo sie den schönen Jüngling auf das Bett der Tochter des Sultans des Ostens legten, wo die schöne Sultanstochter schlief. Der Sohn des Königs der Dschinn des Westens und die Tochter des Königs der Dschinn des Ostens versteckten sich, niemand konnte sie sehen. Als der Sohn des Sultans des Westens aufwachte, wunderte er sich sehr über das schöne Mädchen an seiner Seite. Ach, sprach er zu sich selbst, diese schöne Braut muß mir mein Vater gebracht haben, 120
sie ist über alle Maßen wunderbar, aber warum nur hat mir mein Vater vorher nichts davon berichtet? Nun bat die Tochter des Königs der Dschinn des Ostens den Sohn des Königs der Dschinn des Westens, den Jüngling wieder in Schlaf zu versetzen, weil sie jetzt ihre Freundin aufwecken wollte. Als die Tochter des Sultans des Ostens ihre Augen aufschlug, entdeckte sie einen gutaussehenden jungen Mann neben sich. Zuerst wollte sie ihren Augen nicht trauen und fragte sich: was hat Allah mit diesem schönen jungen Mann vor, wo kommt er her? Den muß mir mein Vater gebracht haben! Weil ich nicht heiraten wollte, hat mein Vater mir den da als Bräutigam ausgesucht. Am besten nehme ich ihm gleich mal seinen Ring ab und stecke ihm meinen zur Erinnerung an! Sie versuchte nun, ihn aufzuwecken, doch er war – wie ich schon erzählt habe – verzaubert vom jungen Dschinni. Die beiden Dschinn hatten nun also beobachtet, wie sich die Tochter des Sultans des Ostens verhalten hatte und wie sie den Sohn des Sultans des Westens liebte. Sie ließen die Tochter des Sultans des Ostens wieder einschlafen und fingen erneut an zu streiten: »Ich bin der Sieger«, sagte der Sohn des Königs der Dschinn des Westens, »weil mein Freund, als er deine Freundin sah, Vernunft zeigte und Verstand. Deine Freundin aber, als sie meinen Freund bemerkte, hat sich auf den ersten Blick in ihn verliebt. Und darum habe ich unsere Wette gewonnen.« »Ja, recht hast du, meine Freundin handelte übereilt und nicht so vernünftig wie dein Freund. Ja, ich muß wiederholen, du hast die Wette gewonnen.« Und nun brachten sie den Sohn des Sultans des Westens, der immer noch unter dem Einfluß des Bannes stand, zurück in das Schloß seines Vaters. Als der Sohn des Sultans des Westens am nächsten Morgen aufwachte, wies er sein Frühstück zurück und bat seine Mutter, sie möge doch den Sultan zu ihm in sein Schlafzimmer bitten, er sei krank und müde. Der Sultan erschien und hörte folgende Rede: »Wo ist denn das schöne Mädchen, das du mir gestern gebracht hast? Keine andere will ich zur Frau als dieses Mäd121
chen! Früher, Vater, hast du immer vom Heiraten gesprochen und eine jede habe ich abgelehnt, doch dieses Mädchen von gestern, das will ich heiraten, noch heute, auf der Stelle!« Der Sultan war ganz verwundert: »Aber mein Sohn, ich habe dir gestern abend doch keine Braut und nichts dergleichen gebracht! Du mußt einen Traum gehabt haben. Aber sorge dich nicht, deine Mutter und ich, wir werden dir eine süße Braut zur ehrenwerten Ehefrau aussuchen!« »Vater, hör zu, keine andere will ich außer dem Mädchen, das du mir gestern abend gebracht hast, niemanden sonst! Lach nicht über mich und denke nicht, ich hätte geträumt, oder ich sei verrückt geworden. Niemals! Mit all meinen Gefühlen und mit all meinem Verstand will ich nichts als dieses schöne Mädchen, nach ihm allein steht mein ganzes Sinnen!« Der Sultan des Westens glaubte indes, sein Sohn sei krank und träume, und noch lange versuchte er, ihn zu beruhigen, doch ohne Erfolg. Die Sultanin weinte über ihren einzigen Sohn und betete für seine schnelle Genesung, doch auch sie blieb ohne Erfolg. Da rief der Sultan des Westens seine Minister und seine übrigen Berater zu einer Sitzung in sein wohlgebautes Schloß. Sie schlugen vor, den Jüngling selbst seine Geschichte vortragen zu lassen. Der junge Mann wurde gebracht und er wiederholte: »Das Mädchen will ich, das mir mein Vater in der Nacht gebracht hat, und das er neben mich gelegt hat! Es stimmt, was ich euch sage, ich bin nicht verrückt, ich träume nicht, ich sage nur die Wahrheit, nichts als die Wahrheit!« Da wandte sich einer der Männer des Sultans an den jungen Mann: »Des Teufels böser Blick hat dich getroffen, mein Sohn, aber dein Vater wird dich verheiraten mit dem schönsten Mädchen im Lande. Doch laß jetzt diese Rede, die doch nichts bringt und spinne diese Gedanken nicht ständig weiter.« Da gab ihm der Jüngling zur Antwort: »Kommst auch du noch mit dieser Rede und sprichst, wie wenn ich von Sinnen wäre! Nein, niemals, keine andere will ich, nur das Mädchen, das mein Vater gestern abend in mein Zimmer gebracht hat und das ich in 122
Fleisch und Blut gesehen habe, und in all seiner bezaubernden Schönheit!« Jetzt war der Sultan des Westens überzeugt, daß sein Sohn verzaubert oder krank im Geiste sei und daß er einem Traumbild nachhing. Im Osten aber ging es der Tochter des Sultans ähnlich. Erst wollte sie ihr Frühstück nicht essen, dann rief sie ihre Mutter und bat, mit ihrem Vater reden zu dürfen. Das Mädchen war so unglücklich, daß seine Mutter Angst um seine Gesundheit bekam und auf der Stelle zu ihrem Mann, dem Sultan, ging. Als nun beide zurückkehrten, rief ihnen die Tochter schon entgegen: Wo ist er denn, Vater, der junge Mann, den du mir gestern abend gebracht hast, schön ist er und, ach, ich liebe ihn so. Ich bitte dich, bringe ihn auf der Stelle wieder her. Du erinnerst dich doch, Vater, immer in der Vergangenheit, wenn du mir jemand als Brautwerber vorgestellt hast, habe ich abgelehnt. Jetzt aber habe ich mich auf den ersten Blick verliebt in diesen jungen Mann, den du mir gestern abend gebracht hast, und wirklich, schön ist er und niemals hat mein Auge einen wie ihn gesehen!« Der Sultan wurde über diese Rede sehr zornig und glaubte, seine Tochter sei krank oder habe in der Nacht einen schlimmen Traum geträumt, den sie jetzt wie etwas wirklich Vorgefallenes ansehe. Was ihn aber am meisten aufbrachte, war ihre Behauptung, er selbst, der Sultan, habe ihr einen schönen fremden Jüngling ins Bett gelegt! Der Sultan des Ostens ließ seine Minister und Ratgeber rufen und bat sie um ihren Ratschlag. Auch hier wurde das Mädchen geholt, doch es bestand auf seiner Erzählung. Da waren sich alle einig, daß das Mädchen krank im Geiste geworden sei. Ihr Vater ließ alle Ärzte des Landes rufen, doch keiner vermochte es zu heilen. Da beschloß der Sultan, seine Tochter müsse gesund werden, auf welchem Wege auch immer. Er ließ den Ausschreier rufen und befahl ihm, vor allen Leuten zu verkünden: »Kundgetan sei hiermit allen, wer eine Arznei für die Tochter 123
des Sultans hat und sie zu heilen vermag, dessen Lohn wird sein die Ehe mit ihr. Wer es aber versucht und ohne Erfolg bleibt, dem wird zur Strafe der Kopf abgeschlagen, auf dem großen Platz.« Viele kamen und versuchten sich an der Heilung der Tochter des Sultans, doch ohne Erfolg. Und ihrer aller Los war die Strafe der Enthauptung, unter den Augen des Volkes auf dem großen Platz. Tage gingen, Tage kamen, der Reinste der Menschen (= Mohammed) sei gesegnet. Da kam ein gelehrter Mann in das Schloß des Sultans und sprach: »Ich bin nicht gekommen, wie die anderen, um deine Tochter zu heilen, nur einen Ratschlag will ich dir geben! O du Sultan der Zeit, bau deiner Tochter ein Schloß am Strande des Meeres, gib ihr Diener und Helfer und alles, was sie sich nur wünschen mag, und laß sie sich erholen für eine lange Weile. So Allah will, wird sich ihr Zustand bessern und ihre Gesundheit wiederkehren.« Da ließ der Sultan ein prächtiges Schloß am Strande des Meeres errichten und schickte all die Diener, die der gelehrte Mann vorgeschlagen hatte. Auch dem Sultan des Westens gab ein gelehrter Mann einen Rat: »O Hoheit, o Sultan, wie es scheint, liegt die Krankheit deines Sohnes in seinem Herzen. Eine Seereise wäre ihm zu Nutzen, bei der er alle Länder bereist. So wird ihm seine Gesundheit wiederkehren, und er wird sein wie früher, und noch viel besser.« So unglücklich war der Sultan des Westens, daß er mit allem einverstanden war, damit Allah seinen Sohn von der Krankheit, die ihn geschlagen hatte, heile. Er gab den Befehl, ein großes Schiff auszurüsten, voll mit Proviant, Getränken, und allem sonst, was man auf einer langen Reise braucht. Eine Mannschaft starker Männer wurde ausgesucht, die sollten das Schiff sicher führen über die hohen Wogen der See. Der Sohn des Sultans des Westens, den alle Leute für krank hielten, bestieg das große Schiff und segelte davon. Sobald sie 124
ein fremdes Land erreichten, legten sie an, der Sohn des Sultans verließ das Schiff und besuchte das Land. Das ging so eine ganze Zeit lang. Eines Tages nun kam das Schiff in einen Hafen und ging dort, wie stets, vor Anker. Der Sohn des Sultans begab sich an Land, um umherzustreifen. Plötzlich erblickte er ein schönes, großes Schloß und erkundigte sich, wem es gehöre. »Das ist das Schloß der Tochter unseres Sultans! Krank ist sie und keine Arznei und keine Heilung hat man für sie gefunden. Viele haben es versucht, doch alle sind sie ohne Erfolg geblieben und mehr als sechzig Männern ließ der Sultan den Kopf abschlagen, so wollte es die Bedingung zwischen ihnen und dem Sultan. Diese Bedingung aber lautet, wer die Tochter des Sultans heilt, dem gibt er sie zur Frau. Wer aber ohne Erfolg bleibt, dessen Lohn ist der Tod durch das Schwert.« Da sprach der Sohn des Sultans des Westens, er könne dieses Mädchen heilen! Doch die Leute rieten ihm, seine Absicht aufzugeben, denn sein Schicksal werde das gleiche sein, wie das all der anderen, deren Häupter der Sultan habe abschlagen lassen. Dennoch ließ sich der Jüngling nicht umstimmen. »Ich kann dieses Mädchen heilen«, sagte er, und begab sich zum Schloß. Beim Schloß am Strande des Meeres angekommen, rief er laut: »Ich bin der Arzt, der Heiler Allahs bin ich!« Zu diesem Augenblick besuchte der Sultan gerade seine Tochter und ließ den jungen Mann rufen. Der Sohn des Sultans des Westens erschien vor dem Sultan des Ostens und hörte die Bedingungen. Ja, er sei einverstanden, und – ganz ungeduldig – hoffe sehr, die Gesundheit des kranken Mädchens wieder herstellen zu können. Doch der Sultan hatte in seinem Herzen Mitleid mit dem jungen Mann und sprach zu ihm: »Was ist mit dir, mein Sohn? Warum willst du dich dem Tode weihen? Du bist ein so angenehmer junger Mensch. Man spürt, du stammst aus guter Familie, warum willst du diese Aufgabe versuchen? Denn wenn du ohne Erfolg bleibst, wird dir dein Haupt abgeschlagen werden, wenn du aber dein Ziel erreichst, dann werde ich dich mit meiner 125
geliebten Tochter verheiraten!« – »Ich bin einverstanden, Hoheit, so Allah will, werde ich Erfolg haben und deiner Tochter die Gesundheit zurückgeben, und sie wird so sein wie früher, und noch viel besser!« Der Sultan, der Sohn des Sultans des Westens und das ganze Gefolge betraten das Zimmer des kranken jungen Mädchens. Da saß es auf einer schönen, bequemen Liegebank, schaute nicht auf und sprach kein einziges Wort. Der Sultanssohn aber sah sie und erkannte sie sofort. Er bat ihren Vater, alle Leute aus dem Zimmer zu weisen und als jetzt nur noch die beiden jungen Leute im Zimmer waren, da erkannte auch sie ihren Geliebten, stand auf, ging dem jungen Mann entgegen und sprach ihn an: »Du da – der?« – »Und du da – die!« – Wo bist du all diese Zeit gewesen?« – »Und du, wo bist du all diese Zeit gewesen?« – »Ich war bei dem, dem dieser Ring gehört!« – »Und ich war bei der, der dieser Ring hier gehört!« – »Allah, dem, der alles verbindet, sei Preis! Aber nun hör zu, du, hast du denn keinen Hunger?« – »Ja!« – »Ich auch, so viele Tage lang habe ich schon nicht mehr gegessen!« Das Mädchen rief den Dienern zu: »Holt schnell etwas zu essen und bringt Wasser zum Trinken!« Und die beiden jungen Leute, das Mädchen und der Sohn des Sultans des Westens, fielen über das Essen her. Am nächsten Morgen kam ihr Vater, der Sultan, um sich Gewißheit über das Ergebnis zu verschaffen, und als er sah, wie das Mädchen sein früheres Wesen ganz und gar wiedergewonnen hatte, da freute er sich sehr und mit ihm seine ganze Familie. Der Sultan erfüllte sein Versprechen und stand zu seiner Bedingung. Am Abend lud der Sultan des Ostens deshalb alle ein, um den Ehevertrag zu schließen. Als der Kadi den jungen Mann nach seinem vollständigen Namen und nach seiner Herkunft fragte, erfuhren alle, daß er der Sohn des Sultans des Westens war. »O welche Freude, ein Willkommen dem Sohn des Sultans des Westens, wie glücklich bin ich darüber, daß du so klug und 126
mutig warst, und meine Tochter von ihrer Krankheit geheilt hast. Aus der Tiefe meines Herzens heraus bin ich glücklich, dich mit meiner geliebten Tochter verheiraten zu können. Dein Schwiegervater bin ich jetzt, ich, der Sultan aller Länder des Ostens!« Dann wurde die Hochzeit gefeiert, sieben Tage lang, und alle Söhne des Landes freuten sich sehr, weil die Tochter ihres Sultans von der Krankheit genesen war und weil sie den Sohn des Sultans des Westens zum Manne nahm. Ein ganzes Jahr lang blieb der Sohn des Sultans des Westens bei seiner Frau, und am Ende dieses Jahres wurde ihnen ein prächtiger Sohn geboren. Jetzt aber bat der Sohn des Sultans des Westens seinen Schwiegervater, Lebewohl sagen zu dürfen, bestieg mit Frau und Sohn sein Schiff und segelte in Eile zurück in den Westen. Heimgekehrt in das Land des Westens, bereiteten ihm sein Vater, seine Mutter und seine Verwandten in ihrer Freude einen großen Empfang. Der Sultan des Westens lud alle Einwohner der Stadt zu dem Fest und alle waren glücklich, weil ihr Sultan gerecht, freigebig und ehrenwert war. Und alle lebten ihr ganzes Leben lang in Freude und Glück, zeugten Söhne und Töchter.
12. Am Morgen haben wir Koran gelesen, doch am Abend liest sich alles anders
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s war einmal ein Mann, der hatte einen Sohn und eine Tochter. Eines Tages entschloß er sich, mit seinem Sohn auf Pilgerfahrt zu gehen und so die Vorschrift Allahs zu erfüllen.’ »Gut, Vater«, sagte der Sohn, »laß uns also unser Vertrauen auf Allah setzen. Aber wie sorgen wir während unserer Abwesenheit für meine Schwester?« – »Die lassen wir hier!« – »Aber Vater, das geht doch nicht, das darf man doch nicht, eine Sünde wäre es, wer soll sich denn um sie kümmern?« – »Unser Faqīh, 127
der Imam Al Mihdār, fromm, fastend, gottesfürchtig!« So machten sie sich auf ihre Reise und der Faqīh nahm sich des Mädchens an. »Liest du auch den Koran?« – »Ja, ich möchte gerne!« Er lehrte es, den Koran zu lesen, Morgen für Morgen, bis er eines Tages zu ihm sagte: »Heute abend komme ich wieder, um dich zu lehren!« Nach dem Abendessen kam der Faqīh und sagte zu dem Mädchen: »Am Morgen haben wir Koran gelesen, doch am Abend liest sich alles anders!« – »Fürchte Allah, schau auf Allah«, rief es ihm zu, »hat man mich doch dir anvertraut!« – »Nein, jetzt wird nicht mehr gelesen!« – »Weg, fort von hier mit dir!« Das Mädchen drängte den Faqīh aus dem Hause, unter der Türe rief er ihm noch zu: »Dafür laß ich dich hinrichten, umbringen laß ich dich!« Der Faqīh schrieb an den Vater und berichtete, seine Tochter sei eine solche und was sie für Dinge treibe. Da wurde der Vater maßlos zornig und schickte seinen Sohn nach Hause, damit er die Tochter umbringe. Als der junge Mann bei seiner Schwester eintraf, fragte er sie: »Was ist los mit dir, Schwester? Was hast du getan?« – »Ach Bruder, nichts, gar nichts ist wahr an dieser Nachricht. Nichts habe ich getan und diese Geschichte hat sich der Faqīh gegen mich ausgedacht.« Der Jüngling brachte seine Schwester von zu Hause fort, hinaus in die Wildnis, bis er in den Wadi kam, grub ein Grab, aber statt sie hineinzustoßen, ließ er sie frei. Jetzt mußte sich das Mädchen durchs Leben betteln. Wenn es in eine Moschee kam, setzte es sich hin, um den Koran zu lesen und die Leute gaben ihm Almosen. Eines Tages, es saß gerade in einer Moschee, kam der König des Landes, um zu beten. Da fiel sein Blick auf das Mädchen wie es dasaß und den Koran las. Es war so schön, daß sein Anblick verwirrte und sein Gang einen jeden, der den Propheten – Allahs Gnade und Segen über ihn – liebt, gefangen nahm, sein Herz zum Sklaven machte und ihn selbst zum Bettler. So schön war es, daß der König nicht anders konnte, als es zur Ehe zu 128
erbitten. Sie heirateten, er nahm es in sein Schloß auf, und es schenkte ihm im Laufe der Jahre drei Söhne. Schon lange verspürte die junge Frau große Sehnsucht nach ihren Verwandten, und eines Tages entschloß sie sich, zu ihnen zu reisen, um sie wiederzusehen. Der König gab ihr Geschenke und Geld für ihre Familie mit und ließ sie und die drei Kinder von einem Sklaven begleiten. So wanderten sie dahin, bis sie zu einem Wadi gelangten, wo der Sklave plötzlich zu ihr sagte: »Auf, nun sei mir zu Willen!« – »Welch eine Sünde von dir! Fürchte Allah, auf Allah werfe deinen Blick!« – »Niemals, du mußt mir gehorchen.« – Welch eine Sünde von dir, aber dein Vorhaben wirst du nicht erreichen!« – »Dann schlachte ich deine Kinder!« – »Schlachte sie!« Der Sklave schlachtete den ersten Sohn, dann den zweiten und schließlich den dritten. Dann stellte er sich vor ihr auf. »Bring mir erst noch etwas Wasser«, bat sie ihn. Der Sklave senkte den ledernen Eimer ein paarmal auf den Grund des Wasserlochs im Wadi, und als er beim Wasserschöpfen einen Augenblick unaufmerksam war, ergriff die junge Frau die Gelegenheit und floh den Berg hinauf. Allein kehrte der Sklave in das Schloß seines Königs zurück und auf die Frage nach Frau und Kindern gab er zur Antwort: »Zum Vater deiner Frau habe ich sie gebracht!« Die Frau aber floh durch die Berge und wanderte, bis sie schließlich völlig erschöpft in das Land ihres Vaters gelangte und eine Stelle in einem Kaffeehaus, gegenüber dem Schloß, annahm. Lange Zeit blieb sie dort und verkaufte Kaffee. Der König, ihr Ehemann, hatte inzwischen beschlossen, seiner Frau und den Kindern nachzureisen, um sie zu suchen. Den Sklaven, der seine Frau begleitet hatte, nahm er mit auf die Reise. Sie zogen dahin, bis sie in das Land seiner Frau gelangten, dort stiegen sie in dem Kaffeehaus ab. Am Abend versammelten sich die Männer der Stadt in dem Kaffeehaus, auch der König des Landes war darunter, und begannen, Geschichten zu erzählen. Der junge König erzählte eine Geschichte, der König des Landes – der ja der Vater des Mädchens war – erzählte eine 129
Geschichte, und schließlich war auch das Mädchen an der Reihe und erzählte von einem Faqīh und einem Mädchen, vom Lesen des Koran und von einem jungen König und seinem Sklaven, der des Mädchens Kinder geschlachtet hatte! »Ja, hört nur«, sagte es schließlich: »Dieser König ist mein Mann! Und der da unser Sklave! Der Faqīh ist der eine Verbrecher, Übeltäter, Lügner, er hat versucht, mich umbringen zu lassen. Dieser Sklave hier ist der andere Verbrecher, er hat meine Kinder getötet. Du aber, Vater, hast dich täuschen lassen und dem Gerede des verbrecherischen Faqīh Glauben geschenkt! Wäre nicht mein Bruder gewesen – Allah blicke wohlmeinend auf ihn herab. Er ist es, der mir das Leben gerettet hat, vor dem Tod und vor den Lügen des grausamen Faqīh!« Da erhob sich der junge König und schlug seinem Sklaven den Kopf ab. Alle Leute liefen zusammen, als der König jetzt den Faqīh rufen und ins Gefängnis werfen ließ, während der Vater des Mädchens ihn auf der Stelle töten wollte. Am Ende nahm der König seine Frau, seinen Schwiegervater und all die Verwandten seiner Frau mit sich zurück in sein Land. Sie begannen ein neues Leben in Glück und Zufriedenheit, zeugten Söhne und Töchter.
13. Die vierzehn Königstöchter
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s war einmal ein junger Mann, Sohn einer Nebenfrau. Nach ihr heiratete der Vater noch einmal, eine zweite Hauptfrau. Von jeder der Frauen hatte er einen Sohn, doch den Sohn der Nebenfrau liebte er besonders. Am meisten ärgerte dies die erste der drei Frauen. Und eines Tages sagte sie deshalb zu ihrem Mann: »Eh, wieso hast du eigentlich den Sohn der Nebenfrau so gern und meinen Sohn liebst du nicht?« – Weil der ein ganzer Mann ist!« Und um es zu beweisen, holte der Vater ein Schwert, hängte es an der Decke des Raumes auf, rief seine 130
Frauen und Kinder zusammen und sprach: Wer ist der Löwe, der das Schwert im Sprung von der Decke herunterholen kann?« Der Sohn der Araberin versuchte als erster, das Schwert herunterzuholen, doch es gelang ihm nicht. Dann versuchte der Sohn der zweiten Hauptfrau, das Schwert zu ergreifen, doch auch er blieb ohne Erfolg. Jetzt wandte sich der Vater an den Sohn der Nebenfrau: »Nun bist du an der Reihe, von dir weiß ich, daß du es schaffen wirst. Auf jetzt, versuch es!« – »Gut, Vater!« Und er hatte Erfolg. Die Araberin, die erste der drei Frauen, war zornig. »Der Sohn der Nebenfrau muß aus dem Haus, und die Ziegen hüten gehen«, befahl sie. Und bald darauf beschloß sie, den Sohn der Sklavin umzubringen, um ihn endgültig loszuwerden. Sie bereitete ein Gift, mischte es einem Mittagessen bei und befahl dem jüngsten Sohn: »Bring dieses Essen deinem Bruder hinaus auf die Weide!« Der Jüngste ging hinaus zu seinem Bruder und brachte ihm das Essen: »Hier Bruder, ist das Essen!« – »Stell es erst einmal zur Seite.« In diesem Augenblick stürzte ein Vogel herab und schnappte sich einen Bissen. Aber statt davonzufliegen, fiel der Vogel tot zu Boden. Da regte sich Mißtrauen in dem Sohn der Nebenfrau und als ein Hund in die Nähe kam, der sich ihnen zugesellte, warf ihm der Jüngling einige Brocken zu. »Friß!« – Warum machst du das?« fragte der Bruder. Weil ich etwas ausprobieren möchte!« Kaum hatte der Hund einige Brocken geschluckt, wälzte er sich schon auf dem Boden und ging ein an den Folgen des Giftes, das dem Essen beigemischt war. Da fragte der jüngere Bruder den Sohn der Nebenfrau: »Was ist denn da los, was ist im Essen gewesen?« – »Unsere Stiefmutter hat Gift untergemischt, weil sie mich umbringen will, doch Allah hat es nicht zugelassen. Allah sei Dank und zum Zeugen rufen wir diesen Hund an!« Mit diesen Worten stand der Sohn der Nebenfrau auf, jagte ein Tier, röstete es und die beiden Brüder verzehrten es. Der jüngere der beiden Brüder kehrte nach Hause zurück und 132
führte Klage bei seinem Vater: »Meinem Bruder habe ich das Essen hinaus auf die Weide gebracht. Wir ließen es eine Weile stehen, dann warf mein Bruder einige Bissen einem gerade vorbeikommenden Hund zu. Der fiel auf der Stelle tot um. Meinen Bruder habe ich gefragt ›warum fällt denn der Hund tot um?‹ ›Dies ist die Tat meiner Stiefmutter, sie hat Gift in das Essen gemischt, um mich zu töten, doch Allah hat mich vor ihrem bösen Tun errettet!«« Inzwischen war auch der Sohn der Nebenfrau heimgekommen: »Lieber Vater, weil meine Stiefmutter mir nach dem Leben trachtet, bitte ich dich, laß mich ziehen und meines Weges gehen.« – »Nein, deine Stiefmutter ist es, die das Haus verlassen muß!« Doch der Sohn der Nebenfrau wollte nicht mehr länger bleiben. Er ergriff sein Gewehr, zog die Türe hinter sich zu und verließ, von seinem jüngsten Bruder begleitet, der ihn nicht allein gehen lassen wollte, das Land. Immer weiter und weiter zogen sie, bis sie in eine Stadt kamen, wo die Leute in großer Angst vor einem Afrit lebten, der in einer Hütte vor dem Stadttor hauste. »Was ist los hier?« fragte der Sohn der Nebenfrau. »Da ist ein Afrit«, antworteten ihm die Leute aus der Stadt, »einer von den Dschinn, er pflückt sich die Töchter der Könige. Und uns hat er das Wasser gesperrt. Heute ist er gekommen, bis morgen früh wird er warten. Wenn die Sonne aufgeht, stößt man ihm ein Mädchen hinaus. Der Afrit ergreift es, dann läßt er das Wasser laufen im Wadi, genug für ein Jahr!« – »Paßt auf, den hole ich aus seiner Hütte!« – »Auffressen wird er dich!« – »Das laßt nur meine Sorge sein!« Nach diesen Worten zog der Jüngling aus der Stadt, dorthin, wo der Afrit wartete, drang in seine Hütte ein, packte ihn und zerrte ihn vor allen Leuten heraus. Dann sagte er zu dem Afrit: »Wenn du jetzt das Wasser fließen läßt, und mich zu deinem Wohnplatz bringst, dann lasse ich dich am Leben.« Der Afrit ging voraus und der Jüngling und sein Bruder hinterher. So wanderten sie den ganzen Tag, bis sie zu einer Höhle in der 133
Wildnis kamen, und diese Höhle war der Wohnplatz des Afrit. »Zeige mir, was du alles in dieser Höhle verwahrst!« befahl der Jüngling. Der Afrit öffnete das erste Tor, dahinter hingen sieben Königstöchter an ihren Haaren an der Decke. Dann mußte der Afrit das zweite Tor aufmachen, und auch da hingen sieben Königstöchter. Voller Entsetzen drückte der Jüngling den Afrit in einen dritten Gang hinein, riegelte die Tür schnell von außen zu und versperrte ihm so den Weg zurück. Jetzt zog der Jüngling sein Schwert und schnitt das erste der Mädchen ab, dann das zweite und so weiter. »Wessen Töchter seid ihr, aus welchem Land stammt ihr?« wollte er wissen. »Ich bin die Tochter des Königs Soundso, aus dem Lande Soundso.« Bald stellte sich heraus, daß jede der vierzehn Mädchen eine Königstochter war, und jeweils die nächste noch schöner als die vorige! Der Jüngling ging erneut zu dem Afrit. Was das bedeuten solle – verlangte er zu wissen. »Jedes Jahr hole ich mir eine Königstochter, dann öffne ich dem Volk das Wasser, damit es trinken kann, ein ganzes Jahr lang, und wenn man mir eine verweigert, dann sperre ich das Wasser!« Da packte der Jüngling das Schwert des Afrit, drang auf ihn ein, und trennte ihm mit einem gewaltigen Schlag das Haupt vom Körper. Den Afrit kann man nämlich nur mit seinem eigenen Schwert töten, und nur mit einem einzigen Schlag. Wie nun so das Haupt des Afrit zu Boden dröhnte, fing es an zu sprechen: »Noch einen!« »Nur einen, und nicht zwei Gab doch auch meine Mutter mir den Teig nicht roh Und ungebacken nie das Brot!« »Trete mich mit deinem Fuß, trete mich!« »Zu kurz ist mein Fuß, Verfluchter!« »Dann spuck doch wenigstens auf mich!« »Ausgetrocknet ist mein Mund!« Nun verwandelte sich der Körper des Afrit in eine Schlange, die sich in die Erde hineinzuwühlen versuchte. Doch der Jüngling 134
hielt sein Schwert zwischen den Afrit und die Erde, zwischen ihn und sie, brachte ihn so zu Tode. Hingeschmettert lag der Afrit jetzt da, himmelaufragender als ein aufragender Himmel. So tötete der Jüngling diese Elternschande, diesen Afrit, und befreite die vierzehn Mädchen, vierzehn Königstöchter, so schön, wie es sie in der ganzen Welt nicht noch einmal gibt. Am nächsten Morgen holte er aus dem Stall des Afrit zwei Pferde. Das eine bestieg er selbst, auf dem zweiten ritt sein jüngerer Bruder und dahinter her wanderten die vierzehn Mädchen. Sie zogen dahin, ein ziemliches Stück, schließlich kamen sie in eine Stadt, deren König gerade gestorben war. Dieser König war der Vater eines der vierzehn von dem tapferen Jüngling befreiten Mädchen. In dieser Stadt galt das Gesetz, daß beim Tode eines Königs derjenige sein Nachfolger wird, der als erster am nächsten Morgen die Stadt betritt. Als sich der kleine Zug am Morgen dieses bestimmten Tages der Stadt näherte, beschloß der Sohn der Nebenfrau, seinen jüngeren Bruder König werden zu lassen. Und so ritt dieser voraus. Da riefen die Leute: »Das ist der König, alles soll ihm gehören, alle Schätze des alten Königs!« Das Mädchen, dessen Vater der verstorbene König gewesen war, eine der vierzehn Geretteten, war gerade elf Jahre alt geworden. Darum mußte noch ein Monat vergehen, ehe das Mädchen und der neue König heiraten konnten. Alle die anderen Mädchen ließ der neue König frei und schickte ein jedes mit drei Sklaven zu ihren Familien zurück. Und schon nach kurzer Zeit trafen Geschenke bei ihm ein, geschickt von den dreizehn Königen, deren Töchter der Sohn der Nebenfrau befreit hatte. Der aber saß allein in einem Kaffeehaus, weil sein jüngerer Bruder – der inzwischen König geworden war – ihn vergessen hatte. Darum beschloß der junge Mann, wieder in die Welt hinauszuziehen und erneut sein Glück zu versuchen. Als darum ein paar Tage später ein Inder erschien, als Gast eine Zeitlang in diesem Kaffeehaus blieb und den Jüngling fragte, ob er Lust verspüre, mit ihm nach Indien zu segeln, damit er ihm 135
die Wunder der Welt zeigen könne, da willigte unser Jüngling gerne ein und gemeinsam begaben sie sich auf die Reise. Die Flucht des Taubenmädchens Sie bestiegen ihre Pferde und ritten, bis sie zu einem riesigen Berg kamen, wie es einen solchen in der ganzen Welt nicht noch einmal gibt. Der Jüngling fragte den Inder: Warum sind wir hierher geritten?« – »Willst du reich werden oder nicht?« – »Ja, aber wie sollen wir das anstellen?« – »Steig auf den Gipfel dieses Berges, dort findest du, was uns reich machen wird. Und das trockene Holz, das dort oben liegt auf dem Gipfel, das wirfst du herunter!« – »Aber wie soll ich auf diesen Berg hinaufkommen?« – »Einfach! Siehst du dort das Kamel? Das schlachten wir und ziehen ihm das Fell ab. Dann stecken wir dich hinein. Wenig später kommen Adler und tragen dich in der Kamelhaut auf den Gipfel!« Genauso machten sie es. Sie schlachteten das Kamel, der Jüngling kroch in die Haut, die Vögel kamen, packten das Fell und trugen es auf den Gipfel des Berges. Dort oben kletterte der Sohn der Nebenfrau aus seinem Fellsack und blickte sich um. Da lagen drei Männer, zwei davon schon tot, der dritte auf dem Weg vom Leben zum Tod. »Wer hat dich denn hierhergebracht?« fragte unser Jüngling den, der noch lebte. »Der dich hierhergebracht hat, der hat auch mich hierhergebracht. Ich habe nur noch ein kurzes Stück zum Tode und nach mir wirst auch du sterben« – und mit diesen Worten ging er ein in die Herrlichkeit des Allbarmherzigen! Der junge Mann wandte sich ab und begann, das überall herumliegende trockene Holz aufzusammeln und hinunterzuwerfen. Dieses Holz aber war in Wahrheit reines Gold. Schließlich rief der Inder von unten herauf: »Noch mehr Holz oben?« – »Nur noch wenig!« – Wirf auch das noch runter, ich will auch noch den Rest, laß nichts oben zurück!« – »Gut!« Als alles Holz
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unten war, rief der Jüngling dem Inder zu: »Schluß jetzt, das ganze Holz ist unten, jetzt muß ich selbst hinunter, und wie mache ich das?« – Verweile und stirb!« Da saß der Jüngling nun oben auf dem Gipfel des Berges, der Sohn der Nebenfrau, zwei volle Tage lang, unter ihm auf der einen Seite das Meer und auf der anderen der Felsenabgrund. Der Tod war ihm gewiß. Darum flehte er zu Allah und betete, er möge ihn aus dieser schlimmen Gefahr erretten. »Im Namen Allahs, des Allmächtigen, des Allbarmherzigen«, rief er laut, denn wer ›bismillah‹ ruft, der kann sogar auf dem Meer wandeln. Dann stürzte er sich hinab in das Meer, trieb zwei Tage herum. Nach zwei Tagen fand er endlich eine Tonne, mit deren Hilfe er an eine Insel gelangte. Dort ging er an Land und stand plötzlich vor einem Palast, wie es größer keinen in der Welt gibt. ›In Allahs Namen, zu diesem Haus gehe ich hinüber und will mir dort ein bißchen Essen und ein wenig Wasser erbitten.« In diesem Haus aber lebten sieben Töchter von den Töchtern des Königs der Dschinn des Westens. Am freundlichsten empfing ihn die Jüngste, die ihn gleich fragte: »Wer hat dich denn hierher gebracht?« Da erzählte der Jüngling dem Mädchen alles, was ihm von dem Inder widerfahren war. »Allah sei gelobt für deine Rettung«, rief es da aus, »Allah war es, der dich hierher geschickt hat, uns zum Bruder!« Jetzt führte die jüngste der Töchter den jungen Mann ins Haus, wo ihre Schwestern warteten und den Jüngling ausfragten. Die jüngere erklärte ihnen, daß er jetzt ihr Bruder sei. Einiges später traf der Vater der sieben Mädchen ein und begann, im Haus herumzuschnüffeln: »Menschenfleisch rieche ich hier bei euch!« – »Das ist der Fremde, der aus dem Meer kam, zu unserem Bruder haben wir ihn gemacht!« Wieder einige Zeit später entschlossen sich die Mädchen, auf eine ihrer Reisen zu gehen, dem Jüngling aber befahlen sie, auf keinen Fall den Garten des Hauses zu betreten. So saß er denn in dem Haus und sprach zu sich selbst: ›Bei Allah, ich muß das Tor zu diesem Garten öffnen und nachsehen, was es darin gibt!‹ 137
Schließlich konnte er nicht mehr widerstehen, betrat den Garten und erblickte sieben wunderschöne weiße Tauben, die aussahen wie Menschenkinder, in Wahrheit aber waren sie die sieben Töchter des Königs der Dschinn des Ostens. Hierher in diesen Garten flogen sie immer, um in seinem Bassin zu spielen und zu schwimmen. Und auch jetzt sprangen die sieben Mädchen in den Teich, ihre Flügelkleider ließen sie am Beckenrand zurück. Das jüngste der Mädchen war das schönste und in einem unbeobachteten Augenblick entwendete der Jüngling ihm das Federkleid, lief damit in das Haus zurück und verbarg sich. Als die Jüngste nach dem Schwimmen als einzige ihr Federkleid nicht mehr finden konnte, suchte sie es. Sie ging auch in das Haus, und da stand plötzlich der junge Mann vor ihr! »Bist du ein Mensch oder ein Dschinni?« wollte sie wissen. »Ein Mensch bin ich.« – »Und was hat dich hierher gebracht?« – »Schicksal. Und dich, was hat dich hierher gebracht?« – »Geheimnisse lasse bei Allah!« Wenig später kamen die anderen sieben Mädchen, denen das Haus gehörte, zurück und fanden ihren Bruder mit dem Taubenmädchen. Ein paar Tage ließen sie verstreichen, dann sagten sie zu ihr: »Du hast jetzt kein Federkleid mehr, auf, heirate unseren Bruder!« Und so geschah es. Doch nach ein paar Monaten bekam der Jüngling Sehnsucht nach seinem Heimatland und entschloß sich, zurückzukehren. Eine seiner Schwestern setzte ihn und seine Frau auf ihre Schultern und trug sie in das Land, wo sein jüngerer Bruder als König herrschte. Der war überglücklich, als er seinen älteren Bruder wiedersah. Wo bist du nur solange gewesen, lieber Bruder?« Er stellte ihm zwölf Sklaven, mit ihnen sollte er zum Haus seines Vaters ziehen und sich an seiner Stiefmutter rächen. Doch in seinem Lande angekommen, erfuhr er, daß sein Vater gestorben war, und auch die Stiefmutter war tot, begraben an der Schwelle des Hauses und der Wind hatte schon die Spuren verweht. Erde lag darüber, ein Meter oder zwei. Er klopfte an das Tor. Im Haus lebte nur noch seine Mutter. Die rief: Wer 138
klopft da an unser Tor, hat doch schon mehr als eineinhalb Jahre niemand mehr hier angeklopft?« – »Mach auf, Mutter, ich bin es, dein Sohn!« – Willkommen, willkommen, willkommen, Sohn!« Ein ganzes Jahr blieb er bei seiner Mutter, dann baute er ein neues, großes Haus, weil er ja reich war und für seine Frau und seine inzwischen geborenen beiden Kinder Platz brauchte. Sechs Monate verbrachte er in dem neuen Haus, dann beschloß er, wieder fortzuziehen. Er sehnte sich nach seinen Schwestern und wollte sie wiedersehen. Seiner Mutter aber schärfte er ein: »Laß meine Frau niemals aus dem Tor hinaus, laß sie nirgendwo hingehen! Dieses Federkleid da muß ein Geheimnis bleiben und nur du darfst davon wissen. Achte gut darauf, nimm es niemals aus der Truhe und laß vor allem meine Frau nie erfahren, wo es verborgen ist. Sie darf überhaupt nicht wissen, daß du das Federkleid verwahrst!« Nach diesen Worten zog er davon. Ein paar Tage später fand im Schloß des Königs eine Hochzeit statt. Die junge Frau, die niemals ihr Haus verließ aber schaute von der Dachterrasse aus zum Schloß hinüber. Dort sagten die Ratgeber zum König: »Im Nachbarhaus lebt eine Frau, so schön, so etwas gibt es in der ganzen Welt nicht noch einmal. Aber ihr Mann läßt sie nie aus dem Haus, und die Frau kommt von weit her!« Diese schöne Frau wollte der König auf jeden Fall zum Fest einladen und bat die Königin, hinüberzugehen und die junge Frau zur Hochzeitsfeier zu bitten. Die Frau des Königs sprach mit der Schwiegermutter der jungen Frau, doch die lehnte ab. Da schickte der König drei seiner Sklaven, die ergriffen das Mädchen und die Schwiegermutter und brachten beide in das Schloß. Als der König die junge Frau sah, rief er: »Allah, Allah, solche Schönheit, in der ganzen Welt gibt es das nicht noch einmal und dieser Mann versteckt so etwas in seinem Haus!« Dann begann man zu tanzen, und die Frau tanzte einen Tanz aus ihrem Land, der den Gästen besonders gut gefiel. »Hört«, sagte die junge Frau, »wenn meine Schwiegermutter mir mein Federkleid geben würde, dann könnte ich euch einen 139
wunderschönen Tanz vorführen. Dazu müßtet ihr auch das Fenster öffnen, denn dieser Tanz wird in der Luft getanzt!« – »Ein Federkleid? So etwas habe ich nicht!« – »Aber ich weiß, daß du es verwahrst, hol doch das Federkleid, bitte!« Doch die Alte ließ sich nicht bewegen, das Federkleid zu holen. Darum befahl der König seinen Sklaven, es mit Gewalt ins Schloß zu bringen. Die junge Frau streifte es über und tanzte einen wunderschönen Tanz aus ihrem Land. »Macht mir doch das Fenster auf!« Das Fenster wurde geöffnet und bald fing sie an, in der Luft zu schweben, höher und immer höher! Schließlich ergriff sie noch ihre beiden Kinder, setzte sie auf ihre Schultern und flog davon, rief aber noch zurück: »Liebe Schwiegermutter, sage meinem Mann, wenn er mich und die Kinder wieder haben will, dann soll er uns folgen zu den Inseln Wāq Al Wāq!« Dorthin flog sie jetzt, zu den Inseln Wāq Al Wāq, wo die Königin der Inseln sie für ihr spätes Kommen schwer bestrafte. Als unser Jüngling vom Haus seiner Schwestern zurückkehrte, traf er Frau und Kinder nicht mehr an. Und seine Mutter gab ihm die Auskunft: »Deine Frau ist gestorben, und deine Kinder sind gestorben.« Nachdem die Frau ihres Sohnes zusammen mit den Kindern fortgeflogen war, hatte die Mutter nämlich drei Gräber vor dem Haus ausgehoben. Auf diese Gräber deutete sie jetzt: »Dies ist das Grab deiner Frau und dort sind die Gräber deiner Kinder.« Der Jüngling aber öffnete die Gräber und fand sie leer. Da wollte er von seiner Mutter wissen, warum sie gelogen hatte. »Sag mir die Wahrheit, beim Rosenkranz des Vertrauens!« Weinend berichtete die Mutter jetzt ihrem Sohn alles, was geschehen war, und erzählte ihm auch, wie die Frau des Königs erschienen war, um die Schwiegertochter zur Hochzeit zu laden, wie sie, die Mutter, es verweigert habe und wie die Sklaven die junge Frau mit Gewalt in das Schloß gebracht hätten. Dort habe die junge Frau zu tanzen begonnen und erklärt, wenn man noch mehr von ihrer Kunst sehen wolle, dann brauche sie ihr Federkleid für einen noch schöneren Tanz, einen Tanz in der 140
Luft. Man bat mich um das Federkleid, doch ich habe abgelehnt. Da hat der König erneut seine Sklaven in dein Haus geschickt. Sie fanden das Federkleid, brachten es in das Schloß, deine Frau zog es sich über und begann, in der Luft zu tanzen. Schließlich bat sie darum, ihr ein Fenster zu öffnen. Dann flog sie durch das Fenster davon. Dabei rief sie mir noch zu: Schwiegermutter, sag meinem Mann, wenn er mich und die Kinder wiederfinden will, dann soll er uns nachfolgen zu den Inseln Wāq Al Wāq!‹ – »Ach, wie soll ich es denn anfangen, zu den Inseln Wāq Al Wāq zu gelangen?« – »Allah wird dir helfen, mein Sohn! Geh nur immerzu dahin, wo die Sonne aufgeht, und Allah schütze dich!« Der Jüngling zog erneut los und nach vier Tagen traf er zwei junge Leute, die miteinander stritten. »Friede sei mit euch«, sagte er zu ihnen. »Was habt ihr denn, es sieht so aus, wie wenn ihr euch gerade umbringen wolltet!« – »Brüder sind wir, und unser Vater war ein Afrit. Diesen Stab und diese Kūfīa und dieses Schwert hat er uns hinterlassen. Ich will die Kūfīa und den Stab, das Schwert aber soll mein Bruder haben, er aber will lieber den Stab und die Kūfīa und mir das Schwert lassen!« – Wozu soll diese Kūfīa gut sein?« – »Diese Kūfīa macht unsichtbar, wenn man sie aufsetzt!« – »Und der Stab?« – »Wenn du in Not bist oder jemand dich angreift, dann stößt man ihn auf den Boden und Tausende von Dschinn erscheinen, helfen dir, und vertreiben die Angreifer!« – »Und das Schwert?« – »Dieses Schwert dient im Kampf dem, der es braucht!« – Wollt ihr meinen Ratschlag hören?« – »Ja, gern!« – »Ich mache den Schiedsrichter zwischen euch.« – »Gut!« – »Das hier ist mein Wanderstock, den werfe ich jetzt weit weg, und wer von euch ihn mir als erster zurückbringt, der bekommt den Stab und die Kūfīa zum Lohn, der zweite muß sich mit dem Schwert begnügen!« – »Gut, einverstanden!« Der Jüngling warf nun den Stock weit weg, die zwei Brüder rannten hinterher, so schnell sie konnten. Einer ergriff den Stock und lief zurück. Doch als er zurückkam, war unser Jung141
ling verschwunden. Er hatte inzwischen die Kūfīa aufgesetzt und hockte etwas zur Seite und die Brüder sahen ihn nicht mehr. »Also jetzt«, meinte der eine zum anderen, »bist du nun zufrieden, du Elternschinder! Hat uns unser Vater nicht den Rat gegeben, das, was uns gehört, niemals einem Jemeniten in die Hand zu geben! Und da kommt einer daher und schon haben wir nichts mehr, keine Kūfīa, keinen Stab und kein Schwert!« Der Schiedsrichter, der daneben saß, hörte die Rede der Brüder, während sie ihn ja nicht sehen konnten. So war der Jemenite sicher, daß es stimmte, was sie über die Kūfīa gesagt hatten. Die Brüder gingen traurig davon. Und jetzt probierte unser Mann auch den Stab aus. Er stieß ihn auf den Boden, da erschien schon ein Dschinni vor ihm: »Ich höre und gehorche, Sklave bin ich in deiner Hand.« – »Bring mir zwanzig oder dreißig Dschinn, jetzt, auf der Stelle!« – »Zu Diensten!« Dreißig Dschinn erschienen und unser Mann befahl ihnen: »Zwei von euch sollen mich jetzt zu den Inseln Wāq Al Wāq bringen.« – »Zu Diensten!« So trugen die Dschinn ihn zu den Inseln Wāq Al Wāq und setzten ihn dort in einer einsamen Gegend ab. Als er hier so traurig herumsaß und nicht wußte, wo er Frau und Kinder suchen sollte, erhob er sich und ging ein Stück, bis er zu einer Wegkreuzung kam. An dieser Kreuzung sah er eine alte Frau sitzen. Sie wandte ihm den Rücken zu und ihre Brüste hatte sie nach hinten über ihre Schultern geworfen. Er näherte sich der Dschinnia und begann, an der einen Brust zu saugen: »Einen Abend voller Licht wünsche ich dir, Mutter«, sagte er dazu. Da wandte sich die Alte ihm zu und sprach: »Bei Allah, hätt nicht erst den Gruß und dann die Rede ich gehört Mit Fleisch und Knochen längst schon hätt ich dich verzehrt! Was also willst du von mir, Sohn? Was hat dich hierher gebracht?« 142
»Ach, Mutter, auf der Suche nach meiner Frau und meinen Kindern bin ich, geflohen sind sie vor mir, denn meine Frau besitzt ein Federkleid, mit dem sie fliegen kann. Ich weiß, daß sie hierher auf die Inseln Wāq Al Wāq geflogen sind. Mach dich auf die Suche nach ihnen. Hier sind hundert Rial und wenn du meine Verwandten gefunden hast, dann laß sie wissen, daß ich hier bin.« Die Alte zog los und suchte im ganzen Land, doch die Gesuchten fand sie nicht. Schließlich mußte sie ohne Erfolg zu dem Jüngling zurückkehren, aber einen Rat, was jetzt als einziger Weg noch zu beschreiten sei, den konnte sie ihm geben: Der Jüngling solle ein Papier an die Königin schreiben, denn die Königin kenne alle Frauen der Insel, alle gingen sie an ihrer Hand! Also begab sich der Jüngling zur Königin und erzählte ihr: »Meine Frau ist mir entflohen, zusammen mit meinen beiden Kindern. Jetzt bin ich hier auf der Suche nach ihnen!« – »Morgen führe ich dir alle Frauen des Landes vor, du schaust genau hin, und wenn deine Frau darunter ist, dann sagst du es und ich werde sie dir zurückgeben!« Am nächsten Tag fand die Vorstellung statt und der Jüngling schaute aus einem Winkel zu. Doch seine Frau war nicht unter der Menge. »Aber das waren wirklich alle Frauen unseres Landes!« – »Nein, meine Frau war nicht dabei! Gibt es denn sonst keine Frau mehr bei euch?« – »Nein, außer mir natürlich!« Da schaute der Jüngling der Königin scharf in die Augen und erkannte die seiner eigenen Frau. »Ach, die Augen meiner Frau sind wie die deinigen!« Jetzt wußte die Königin, daß er ihre Schwester meinte, die geflohen war und die ihre sechs Schwestern im Stich gelassen hatte! »Das ist der Verbrecher, der meine Schwester verführt hat«, sprach sie leise und befahl, den Fremden ins Gefängnis zu werfen. Dieses Gefängnis aber befand sich ganz in der Nähe des Gefängnisses, in dem seine Frau festgehalten wurde. Bis zum nächsten Morgen schlief der Jüngling, dann setzte er 143
seine Kūfīa auf und schlich sich aus seinem Gefängnis davon, hin zu dem Verlies, wo seine Frau gefangen war, aufgehängt an ihren Haaren. Dort nahm er die Kūfīa ab. Da sahen ihn seine Kinder und riefen »Vater, Vater«. Schnell stülpte er sich die Kūfīa wieder über. Er hörte, wie die Mutter fragte: »Euer Vater, wo ist er denn, wer hat ihn denn hierher gebracht?« Ein zweites Mal nahm er die Kūfīa ab und die Kinder riefen wiederum »Vater, Vater!« Eiligst stülpte er sie sich wieder über den Kopf, nur, um sie gleich darauf ein drittes Mal abzunehmen, als seine Frau gerade stöhnte: Was ruft ihr denn nach eurem Vater, ist er denn da?« – »Gerade jetzt haben wir ihn gesehen!« – »Unmöglich!« Dreimal hatte der Mann die Kūfīa abgenommen und seine Kinder Vater, Vater« rufen hören, doch die Mutter fuhr fort: »Warum denkt ihr denn gerade heute an euren Vater, niemals wird es ihm gelingen, bis hierher vorzudringen!« – »Aber doch, Mutter, gerade war er hier neben uns!« – »Unmöglich, unmöglich!« Jetzt nahm der Mann die Kūfīa ein viertes Mal ab und trat vor seine Frau. »Wie bist du nur hierher in dieses Land gekommen?« fragte sie ihn voller Freude und Verwunderung. »Durch die Kraft Allahs, des Allmächtigen und Allerhöchsten!« Nach diesen Worten zog er sein Schwert aus der Scheide, schnitt die Frau vom Haken, an dem sie aufgehängt war, ab und sagte: »Ich bin dir gefolgt, obwohl du vor mir geflohen bist aus meinem Land, und sogar die Kinder hast du mitgenommen. Wenn du meine Frau bleiben willst, dann nehme ich dich mit. Doch wenn du hier bleiben möchtest, hier in deinem Land, dann gehen wir, die Kinder und ich!« – »Nein, ich bin doch deine Frau, ich will fort von hier, gemeinsam mit dir! Nur, wie sollen wir diese Inseln verlassen können?« – »Das laß meine Sorge sein.« Am Abend setzte der Mann die Kūfīa auf, nahm Frau und Kinder auf seine Schultern und ging mit ihnen hinaus vor die Stadt. Jetzt schliefen sie erst einmal bis zum Morgen. Als an diesem Morgen die Soldaten der Königin ins Gefängnis kamen, waren die Gefangenen verschwunden. Schnell eilten sie zur Kö144
nigin und berichteten ihr von der Flucht. Da befahl die Königin ihrem Heer, auszureiten und den Geflohenen nachzusetzen. Als der Jüngling und seine Frau erwachten, sahen sie plötzlich das Heer, die Pferde und die ganze Streitmacht der Königin näher rücken. Voller Entsetzen rief die Frau: »Man greift uns an mit Heer und Pferden, mit der ganzen Streitmacht!« – »Mach dir keine Sorgen, ich weiß schon einen Ausweg!« Nach diesen Worten stieß er seinen Stab auf die Erde und ein Dschinni stand vor ihm und sagte: »Ich höre und gehorche, Sklave bin ich in deinen Händen, was wünschest du?« – »Eine starke Macht brauche ich, die dieses Heer zurückschlägt, zurück in die Stadt dieser Insel!« – »Gut!« Da zog ein Heer der Dschinn heran und jagte die Streitmacht der Königin in die Stadt zurück und ihr Feldherr konnte nur klagen: »Eine ungeheure Macht besitzen sie, ein starkes Heer und Waffen, nichts vermochten wir gegen sie!« Der Jüngling befahl jetzt den Dschinn, ihn, seine Frau und die Kinder in das Haus seiner Schwestern zu bringen. Die waren sehr zornig auf die junge Frau: »Warum machst du solche Dinge? Das ist doch dein Mann, und das sind deine Kinder! Du fliehst vor ihm und ziehst Gefängnis und Schande vor. Wenn du noch einmal so etwas tust, stecken wir dich in unser Gefängnis und foltern dich!« Acht Tage lang blieb die Familie bei den Schwestern des Jünglings, dann entschloß er sich, in sein eigenes Haus zurückzukehren. Jetzt aber war er klüger geworden. Er verbrannte das Federkleid, dann fing er sich den verräterischen Inder, tötete und verbrannte auch ihn. Ein halbes Jahr verging, dann zog er auf die Inseln Al Dahlak und errichtete einen Palast mit prachtvollen Hörnern an den Ecken. Mit seiner Frau, den Kindern und den Verwandten lebte er dort in Glück und Seligkeit, zeugte Söhne und Töchter. Was er sich auch wünschte, das brachten ihm der Stab, die Kūfīa und das Schwert: Soldaten, Geld und Diener, Essen, Kleider, und alles sonst, alles das und vieles mehr. 145
14. Das Schloß des Sklaven
E
s war einmal ein Sultan, der hatte einen großen Garten, den ließ er von einem seiner Sklaven bewachen. Eines Tages kam ein Mädchen zu diesem Garten und bat den Wächter um ein paar Früchte. »Nein, das geht nicht! – der Sultan hat verboten, irgend etwas ohne seine ausdrückliche Zustimmung aus dem Garten nach draußen zu bringen!« Die junge Frau aber hörte nicht auf zu weinen und den Wächter anzuflehen. Schließlich erbarmte er sich und ließ sie eine Wassermelone mitnehmen. Am nächsten Tag kam ein Mann, sah die schönen Wassermelonen und bat den Wächter um eine. Der lehnte wieder ab und sagte, »der Sultan hat verboten, irgend etwas ohne seine ausdrückliche Zustimmung aus dem Garten wegzugeben.« Dem Mann gefielen die Wassermelonen so sehr, daß er mit der Antwort nicht zufrieden war, sondern zum Melonenbeet rannte, eine besonders große Wassermelone pflückte und damit ganz schnell davonlief. Während der Wächter hinter ihm herschrie und drohte, erschien der Sultan mit seinen Dienern im Garten und sah gerade noch, wie ein Fremder mit einer schönen Wassermelone davonlief. »Ergreift den Dieb«, rief der Sultan, »und den Wächter nehmt auch fest. Der Dieb der Wassermelone bekommt drei Tage Gefängnis, für den Wächter aber befehle ich lebenslanges Gefängnis, weil er ein Verräter ist und sich nicht an meine Anordnungen gehalten hat!« Armselig saß der Wächter im Gefängnis, immerzu dachte er an den Mann, der die Melone gestohlen hatte und die Ursache seines Leides war, und daß er selbst doch unschuldig war. Und er sagte sich auch, so eine geringe Sache wie der Diebstahl einer einzigen Wassermelone kann solche Pein und Strafe nicht rechtfertigen. Im Laufe der Zeit verlor der Wächter den Verstand. Schließlich flehte er zu Allah, dem Allmächtigen und Höchsten, er möge ihn bald durch den Tod aus dieser Verstrickung erlösen. 146
Eines Tages erschien eine junge Frau im Gefängnis. Das war das schöne Mädchen, das damals in den Garten des Sultans gekommen war und eine Wassermelone zum Geschenk erhalten hatte, obwohl der Wächter dies zunächst abgelehnt, dann aber, auf ihr beständiges Flehen hin und ihre Tränen sich ihrer erbarmt hatte und sie die Melone pflücken ließ. Der Gefangene hielt das Mädchen zunächst für ein Menschenwesen – doch im gleichen Augenblick spürte er, daß sie eine Dschinnia war. Die junge Frau machte ihm Mut, mit ihr zu fliehen und weil sie eine Dschinnia war, gelang es ihnen, aus dem Gefängnis zu entkommen. Einige Zeit später beschlossen die beiden, zu heiraten. Nun nahm die junge Frau ihren Mann mit auf eine lange Wanderschaft und sie wanderten eine Strecke von sieben Tagen, dahin, wo die Sonne aufgeht, bis sie schließlich an den Fuß eines riesigen Berges gelangten. Hier rollte das Mädchen einen gewaltigen Felsen zur Seite, dahinter tat sich eine Höhle auf. Sie durchschritten die Höhle und bald standen sie vor einem großen Haus, wo die Verwandten des Mädchens wohnten. Diese fragten die junge Frau: »Wen hast du denn da mitgebracht?« – »Das ist mein Mann, gebt uns ein schönes Zimmer, wo wir wohnen können.« Die Verwandten richteten den beiden ein eigenes Zimmer her. Hier wohnte die junge Dschinnia mit ihrem Mann, dem früheren Sultanswächter, eine Zeitlang. Jetzt aber dachte er an Rache. »Du weißt, wie uns der Sultan behandelt hat und wie er mich einer einzigen Wassermelone wegen ins Gefängnis hat werfen lassen. Nun mußt du mir helfen! Tu für mich, um was ich dich bitte: Ich möchte ein großes Schloß, schöner noch als das des Sultans. Es soll seinem Schloß genau gegenüber stehen, dort will ich ihm meine Macht und meine Geschicklichkeit zeigen! Ich muß mich an ihm rächen!« – »Gut so«, sagte die Frau, »das Schloß, das du dir wünschst, morgen früh steht es da, dem Schloß des Sultans genau gegenüber, und wir beide, du und ich, werden darin wohnen!« Als sich der Sultan früh am Morgen des nächsten Tages vom 147
Schlaf erhob, öffnete er sein Fenster und schaute hinaus. Da erblickte er zu seiner größten Verwunderung seinem eigenen Schlosse gegenüber ein anderes, mit stolzen Hörnern an den Ecken, und im gleichen Augenblick schaute die junge Frau aus ihrem Fenster und der Sultan sah auch sie. Er schrie nach seinen Dienern und befahl ihnen: »Auf der Stelle geht ihr hinüber und erkundigt euch nach den Besitzern dieses neuen Schlosses und wer dieses schöne Mädchen ist!« Die Diener gingen hinüber und sagten: »Der Sultan des Landes wünscht zu wissen, wem dieses Schloß gehört und wer darin wohnt!« – »Sagt eurem Sultan, daß dieses Schloß seinem alten Wächter gehört, dem, der im Garten arbeitete und den er einer Wassermelone wegen ins Gefängnis hatte werfen lassen. Jetzt aber lebt er in diesem Schloß zusammen mit seiner Frau, und, wie ihr seht, ist unser Schloß schöner und besser als das eures Sultans.« – »Aber, wie bist du zu diesem herrlichen Schloß gekommen?« – »Das geht euch nichts an und auch euren Sultan nicht. Geht zurück und berichtet alles!« Die Männer des Sultans kehrten in dessen Schloß zurück und berichteten ihm, was sich zwischen ihnen und dem Herrn des neuen Schlosses abgespielt hatte, und wie herrlich das Schloß sei, voll mit Dingen, wie sie sie in ihrem Leben noch nie gesehen hätten. Und als sie sich beim Herrn des neuen Schlosses danach erkundigt hätten, woher dieses Schloß über Nacht gekommen sei, habe er ihnen geantwortet, daß sie das nichts angehe und auch ihr Sultan habe kein Recht, danach zu fragen. Der Sultan wurde maßlos zornig, nahm seine sieben stärksten Sklaven, gab ihnen starke Peitschen in ihre Hände und sagte: »Seltsam ist das alles. Der kleine Wächter im Garten, der will dieses herrliche Schloß errichtet haben und versucht nun obendrein, mich zu erniedrigen und antwortet mir mit unverschämter Rede – dem muß ich’s zeigen! Auf, kommt mit zum Schloß dieses Mannes, ich werde ihn lehren, diesen armseligen Dummkopf, werde ihn lehren, wer der Herr ist!« Der Sultan und seine Leute traten hinaus auf den großen Platz, 148
da rief der ehemalige Wächter seinem früheren Sultan zu: »Bleib an deiner Grenze stehen und betrete nicht mein Schloß ohne Erlaubnis! Sonst bekommst du, was dir nicht gefällt!« – »Du Sklave, wie unverschämt redest du mit mir? Warte ab, wenn ich in dein Schloß komme und dir meine Macht zeige, dann wirst du sie für den Rest deiner Lebenstage nie mehr vergessen, du Dummkopf!« »Ich rate dir, betrete mein Schloß nur dann, wenn ich es dir erlaube, sonst wird die Folge schlimmer sein für dich! Besser, du rettest dich jetzt und flüchtest, solange deine Haut noch unversehrt ist. Du bist ein Sultan, aber auch das wird dich nicht vor der schlimmen Strafe schützen, die du für deinen Hochmut und deine Tyrannei zugemessen bekommst!« »Allah verfluche dich, jetzt wiederholst du sogar deine hohlen Worte!« – »Auf, Männer, stürzt euch auf ihn, prügelt ihn mit euren harten Peitschen, ohne Mitleid! Ergreift ihn, bindet ihn, bringt ihn in das große Gefängnis. Und in seinem Schloß werde ich selber wohnen, ich und meine Familie. Vorwärts, beeilt euch, führt meine Befehle aus und lehrt ihm anständiges Benehmen, diesem frechen Hund!« – »Schon gut, Hoheit, wir führen die Befehle aus. Ihr selbst aber bleibt besser hier zurück.« – »Auf keinen Fall! Den ersten Peitschenhieb muß ich selber führen, mein Schlag soll den Rücken dieses verfluchten Dummkopfes treffen, dem meine Befehle nichts bedeuten!« – »Gut, Hoheit, dann fangt ihr an!« »O du hochmütiger Sultan! Ich habe dich gewarnt, mehr als einmal gesagt, betrete mein Schloß nicht ohne meine Erlaubnis und handle nicht unüberlegt. Wenn du aber mein Schloß zu betreten versuchst, dann wirst du im gleichen Augenblick erleben, daß du falsch gehandelt hast. Du selber wirst die Folgen tragen!« Der Sultan griff zur Peitsche, stürmte los und drang in das Schloß ein – doch als er versuchte, seinen früheren Wächter, den Herrn des neuen Schlosses, zu schlagen, da traf der Peitschenhieb den Rücken des Sultans! Der schrie nach seiner» Sklaven, 149
doch diese konnten ihm nicht helfen und rannten schnell davon. »Rettet mich vor diesem verfluchten Wächter, ihr Feiglinge«, rief er seinen Sklaven nach – doch die waren schon geflohen. »Habe ich dir nicht erklärt, niemand werde dir helfen? Voll Hochmut und Tyrannei hast du mich seinerzeit wegen solch einer kleinen Sache, für eine einzige Wassermelone, eingesperrt. Jetzt gehört die Macht mir, durch meine Schwäger, die Dschinn. Hast du das denn nicht gemerkt, als in einer einzigen Nacht hier ein solches Schloß entstand, ein Bauwerk, für das man sonst Jahre braucht? Nun kennst du die Wahrheit, du hochmütiger Sultan, du schrecklicher Tyrann!« Der Sultan gab keine Antwort, verließ das Schloß seines früheren Sklaven, geschlagen, finster und beschämt über das, was ihm widerfahren war, aber auch voller Wut, weil er sich nicht an seinem Sklaven hatte rächen können. Doch der Fehler lag bei ihm, es war sein Hochmut, seine Halsstarrigkeit, sein Geiz und seine Tyrannei. Jetzt endlich hatte er die ihm gebührende Strafe erhalten aus der Hand seines eigenen ehemaligen Wächters. Der aber lebte in seinem Schloß mit seiner Frau, der Tochter des Königs der Dschinn des Ostens, in Seligkeit und Glück.
15. Zermahlt ihm seine Knochen, zu feinstem Mehl von Knochen
E
s war einmal ein Sultan, verheiratet mit der Tochter seines Onkels. Weil sie ihm bisher noch keine Kinder geschenkt hatte, pflegte der Sultan zu stöhnen: Wann endlich wird diese Frau ein Kind zur Welt bringen?« Der Sultan ließ Frauen kommen, die nach ihr schauten und Arzneien mitbrachten, doch alles half nicht. Eines Tages aber kam der Teufel über die Frau und sie besuchte den Barbier des Sultans. Sie wurde schwanger und brachte einen Knaben zur Welt. Der Sultan war überglücklich. Endlich hatte er einen Sohn, und darum veranstaltete er ein 150
großes Freudenfest. Einige Zeit später begab sich die Frau zum Metzger des Schlosses und auch von ihm wurde sie schwanger. Als sie einen zweiten Sohn gebar, freute sich der Sultan noch viel mehr als beim ersten Mal und lud alle zu einem großen Festmahl, so groß, daß im ganzen Land, außer im Schloß des Sultans, nirgendwo mehr ein Koch oder ein Ofenanbiäser zu finden waren. Tage kamen und Tage gingen und schließlich wurde die Frau des Sultans auch noch ein drittes Mal schwanger, diesmal aber vom Rücken ihres Mannes und schenkte einem dritten Knaben das Leben. Der Sultan war maßlos glücklich, jetzt hatte er drei Söhne, und wenn er sie anschaute, rief er vor Dankbarkeit aus: »La ilāha il’Allah – Es gibt keinen fremden Gott neben Gott!« Die Kinder wurden größer und wenn sie zusammen spielten, rief der Sohn, dessen Vater der Barbier war, seinen Brüdern zu: »Auf, kommt her, ich rasiere euch eure Köpfe, niemand kann es besser als ich!« Der andere, der Sohn des Metzgers, rief seinen Brüdern zu: »Auf, kommt her, eine Ziege schlachte ich und ihr bekommt das beste Fleisch!« Der aber, der der echte Sohn des Sultans war, rief den anderen zu: »Auf, kommt her, zum Minister mache ich euch, und wenn ihr euch streitet, sitze ich zu Gericht über euch. Und das Reiten bringe ich euch bei und die Kriegskunst!« So tat jeder der drei Söhne das, was sein Vater und sein Großvater verstanden: der Sohn, dessen Vater der Barbier war, konnte Haareschneiden; der Sohn des Metzgers verstand zu schlachten, und der Sohn des Sultans übte die Kunst seines Vaters im Richten, Reiten und Kriegführen. Das blieb den Leuten nicht verborgen. Sie gingen zum Sultan und sprachen: »O Sultan, Herr der Zeit, bei Allah, von deinen Söhnen der älteste ruft den anderen zu: ›Kommt her, ich rasiere euch und schneide euch die Haare.‹« Der zweite ruft, er wolle ihnen Ziegen schlachten, während der jüngste, wenn sie sich streiten, zu Gericht sitzen will und sie die Reitkunst und das 151
Kriegshandwerk lehren möchte!« Der Sultan erwiderte: »Laßt sie, Kinder sind es, die spielen nur.« Zeit ging dahin, Zeit kam, die Kinder wurden größer und wuchsen zu jungen Männern heran. Eines Tages kam ein Fremder an den Hof des Sultans. Seit vielen Tagen und Nächten war er gewandert, war hungrig und durstig. Im Garten des Sultans fand er Wasser und pflückte ein paar Früchte. Als ihn der Wächter erblickte, rief er dem Fremden zu, der Sultan habe doch bekannt gemacht, das Betreten des Gartens sei verboten, und wer ihn dennoch betrete, dem werde der Kopf abgeschlagen. Der Mann indes, als er gegessen und getrunken hatte, fiel bewußtlos um und schlief ein, so müde war er von den übergroßen Anstrengungen, die er auf seiner Reise erduldet hatte. Da lief der Wächter zum Schloß des Sultans und meldete: »O Sultan, Herr der Zeit, ein Mann ist in den Garten eingedrungen, hat sich darin nach seinem Gutdünken umgetan und jetzt liegt er dort und schläft!« Da sprach der Sultan: »Gehen wir in den Garten, auf!« Der Sultan ließ den Mann so lange schlafen, bis er von allein aufwachte und sich erhob. »Was ist los?« – Was hast du getan?« – »Ich? Gar nichts habe ich getan!« – »In den Garten bist du eingedrungen, hast Trauben und andere Früchte gepflückt und Wasser getrunken. Verboten ist das! Hast du die Bekanntmachung nicht gelesen?« – »Bei Allah, hungrig und durstig war ich und an Bekanntmachungen und so ähnliche Dinge habe ich nicht gedacht. Soll der Sultan mit mir tun, was Allah ihm befiehlt. Urteilen soll er über mich, wie er es für richtig hält!« Der Sultan befahl, die Leute zusammenzutrommeln und den großen Platz mit Wasser zu besprengen, damit alle sich dort einfinden könnten. Als die Leute versammelt waren, begann die Gerichtsverhandlung über den Mann, der in den Garten eingedrungen war. Der Sultan wandte sich an seine Söhne und sagte: »Hört, Kinder, ich überlasse es euch, in dieser Sache zu richten. Dazu müßt ihr wissen, dieser Mann da ist heute in den Palastgarten eingedrungen und dort hat er getan, was verboten ist. 152
Nun müssen wir ihn bestrafen, damit in Zukunft nicht auch andere in den Garten eindringen.« Die Söhne befragten den Mann: »Warum bist du in den Garten eingedrungen, wo du doch wissen mußtest, daß das Betreten verboten war?« – »Zuerst einmal bin ich ein Fremder und dann war ich hungrig und durstig und mir war übel und schwindlig. Und jetzt macht mit mir, was Allah euch befohlen hat!« Da wandten sie sich an den ältesten Sohn des Sultans: »Wie ist dein Urteilsspruch über diesen Mann, der den Garten Eures Vaters, des Sultans, betreten hat, obwohl es verboten war? Heute ist er es und morgen machen es alle Leute genauso!« – »Mein Urteil: Bringt Rasiermesser und zerstückelt seinen Körper, in lauter Streifen sollt ihr ihn zerschneiden!« Darauf der Angeklagte: »Bei Allah, das Urteil des Sohnes ist das Urteil seines Vaters und seines Großvaters!« Dann wurde der zweite Sohn, dessen Vater in Wahrheit Metzger war, aufgefordert, einen Urteilsspruch über den Mann abzugeben. »Mein Urteil: Zermahlt ihm seine Knochen Zu feinstem Mehl von Knochen Und laßt ihm keinen Knochen, Den ihr ihm nicht zuvor gebrochen!« Darauf der Angeklagte: »Bei Allah, das Urteil des Sohnes ist das Urteil seines Vaters und seines Großvaters!« Nun kam die Reihe an den Jüngsten, den echten Sultanssohn: »Und du, welches ist dein Urteilsspruch?« »Anwesende, Zuhörer, ja, ich habe ein Urteil! Zuerst einmal, dieser Mann ist ein Fremder, kein Sohn unseres Landes. Sodann, hungrig und durstig war er, und niemand weiß, wie viele Tage schon. Wäre er ein Sohn des Landes und hätte er gewußt, daß es verboten ist, den Garten des Sultans zu betreten, die Entscheidung fiele uns leicht. Dann könnten wir ihm die Strafe zumessen, die ihm gebührt. Doch dieser Mann ist ein Fremder, hungrig und durstig war er, darum ist es unsere Pflicht, ihm 153
noch etwas Geld dazuzugeben, ein bißchen mehr, ein bißchen weniger, und ihn dann aus unserem Lande auszuweisen. Sollte er aber zurückkehren und erneut in den Garten eindringen wollen, dann werden wir ihn einen Verräter nennen!« Darauf der Angeklagte: »Bei Allah, das Urteil des Sohnes ist das Urteil seines Vaters und seines Großvaters. Du bist ein Sultan, Sohn eines Sultans!« Da wandte sich der Sultan an den Mann: Was sagst du da?« – »Die Wahrheit sage ich. Der erste der drei Jünglinge ist der Sohn eines Barbiers, der zweite der Sohn eines Metzgers, der dritte aber, das ist dein Sohn o Sultan, und sein Urteil ist das Urteil der Sultane und das Urteil der Könige.« Während der ganzen Verhandlung stand die Frau des Sultans neben ihrem Gemahl. »Hast du gehört, was dieser Mann gesagt hat?« – wandte sich der Sultan an sie. »Stimmt das?« – »Ja mein Herr, es stimmt!« »Bei Allah, da nimm deine beiden Kinder, verlasse dieses Land, verstoßen bist du!« Die Frau ergriff die Hände ihrer Kinder, verließ das Land, voller Scham und Schande.
16. Du da an der Tür – weg von meinem Tor Es war einmal ein Scheich, der hatte einen schönen Sohn, den liebte er über alles. Die edle Kunst des Reitens lehrte er ihn und was es sonst noch an nützlichem Wissen gibt. Eines Tages starb der Scheich und ging ein in die Barmherzigkeit Allahs. Der Jüngling war nun sein eigener Herr geworden, der Himmel über ihm war sauber und klar. Er schloß Freundschaften mit reichen jungen Leuten, begann zu spielen und verschleuderte sein ganzes Geld für alle möglichen Dinge. Und keine drei Jahre waren vergangen, bis er alles verloren hatte, was er besaß und alles was er an beweglicher Habe und an Grundbesitz von sei154
nem Vater ererbt hatte. Doch obwohl sein ganzes unermeßliches Vermögen innerhalb so kurzer Zeit verlorengegangen war, seinen Mut und sein Ansehen und den Ruf seines Vaters vermochte er trotz allem zu erhalten. Zur gleichen Zeit lebte in einem an das Scheichtum seines Vaters angrenzenden Land ein Scheich mit sieben Söhnen und einer Tochter. Viele Freier hatten schon um die Tochter geworben, doch stets hatte ihr Vater es abgelehnt, sie zu verheiraten. Eines Abends ging die Tochter dieses Scheichs mit ihren Freundinnen wie gewohnt zum Brunnen außerhalb des Dorfes. Und als zu gleicher Zeit ein schöner Jüngling an diesen Brunnen kam, verliebte sich das Mädchen in ihn. Was aber wirklich geschah: Jeder der beiden liebte den anderen in einer Weise, wie man nur eine Gottheit verehrt, und das vom ersten Blick an! Der junge Mann wußte, wer dieses bezaubernd-schöne Mädchen war: die Tochter des Scheichs jener Gegend. Und ebenso stellte er bald fest, daß ihr Vater bisher keiner Heirat zugestimmt hatte, nicht einmal mit reichen Leuten, die eine großzügige Brautgabe bezahlen konnten. Da dachte sich der Jüngling eine List aus. Er verkleidete sich als schmutziger, landfahrender Bettler, einer von denen, die sich Almosen erbetteln und mit denen anständige Leute nicht reden. Und am nächsten Morgen begab er sich zum Hause des Scheichs, wo das Mädchen oben auf der Terrasse stand. Sie merkte sofort, was er vorhatte, und mit Vergnügen machte sie bei der gemeinsam zu spielenden Komödie mit! Da stand also der Jüngling unten vor dem Haus des Scheichs, mitten im Dorf, so abstoßend, daß selbst der Ärmste im Dorf ihn nicht ins Haus gelassen hätte, und oben auf dem Dach begann die Tochter des Scheichs zu reimen: »Du da an der Tür – weg von meinem Tor! Laß dich nicht verführen von meinem weißen Schenkel Und glaube dann, daß du mich liebst! Wenn du schmutz’ge Reden führen willst, Dann such dir eine andere aus! 155
Doch wenn du Heirat willst, komm rauf. Komm rauf und sprich mit meinen Lieben Zahl die Dirham – und runter meine Kleider!« Jetzt mußte er ihr nur noch in der gleichen Weise antworten, um die ›Schande‹ voll zu machen: »Arm bin ich, und wenn die Zeit des Abendbrotes kommt Schlägt man vor mir die Türen zu. Arm bin ich, und fort muß ich von Tür zu Tür. Und dennoch bin ich dir hörig vor Lieb und Leidenschaft, So hörig wie ein gejagtes Tier Aufgespießt auf der Lanze des Jägers!« Als die Söhne des Scheichs die ungebührliche Rede des Jünglings hörten, erschraken sie, doch weil ihre Schwester damit begonnen hatte, mußten sie ihn zu ihrem Vater schicken. Auf der Stelle begab sich der junge Mann zum Scheich und bat um die Hand seiner Tochter. Der Scheich fragte seine Tochter, ob sie diesen jungen Mann heiraten wolle. Da gestand sie ihrem Vater, wie sehr sie diesen Jüngling liebte! Und als der Scheich schließlich noch erfuhr, aus welcher Familie der junge Mann trotz seiner Verkleidung und seines Auftretens stammte, war er mit der Heirat einverstanden. Die Hochzeit wurde gebührend gefeiert, sie lebten in Wohlbefinden und Glück, zeugten Söhne und Töchter.
17. Die Regenschöne
E
s war einmal vor langer, langer Zeit, ihr ehrenwerten Herren, da gab es einen König im Osten, der hatte geheiratet, doch Kinder schenkte ihm seine Frau nicht. Da bat er sie um ihre Zustimmung, denn sie war die Tochter seines Onkels, eine 156
zweite Frau heiraten zu dürfen. Sie war einverstanden und der König heiratete, aber als er nach drei Jahren auch von der zweiten Frau keine Kinder bekam, trennte er sich wieder von ihr und blieb nur noch bei seiner ersten Frau. Eines Tages, gerade hatte er gebetet zum Propheten, dem zu den Menschen Gesandten Allahs, eines Tages also saß der König mit seiner Frau zusammen. Da hörten sie einen herumziehenden Händler mit lauter Stimme rufen: Wessen Frau von meinen Süßigkeiten, die als ›Sterne‹ berühmt sind, ißt, dem schenkt sie Kinder!« Der König wollte seinen Ohren nicht trauen, aber als er sich überzeugt hatte, daß der wandernde Händler nun nahe beim Schloß stand, befahl er einem seiner Diener, auf der Stelle hinunterzugehen und alle Süßigkeiten zu kaufen. Wenig später kam der Diener nach oben. Er hielt einen Korb voller Süßigkeiten in der Hand. Der König freute sich sehr, öffnete schnell den Deckel des Korbes, nahm eine ziemliche Menge Süßigkeiten heraus und gab sie seiner Frau. Die aß, langsam und mit Bedacht, und »im Namen Allahs« sprach sie dabei. Jetzt beteten alle, daß die Königin endlich Kindern das Leben schenken möge und ihr Mann, der König, und das ganze Volk sich freuen könnten. Tage kamen, Tage gingen, zum vollen Mond wollen wir in Demut schauen, da spürte die Königin, daß sie in der Tat guter Hoffnung war. Und als der König an diesem Tag mit seinen Ministern aus dem Diwan zurückkehrte, da erzählte ihm die Königin, was sie fühlte. Hocherfreut war der König und befahl ein abendliches Fest, bei dem die frommen Gebete und Gesänge zu Allah, dem Allmächtigen und Höchsten, erklangen. Alle Anwesenden beteten, Allah möge das Kind schützen und es in guter Gesundheit das Licht der Welt erblicken lassen. Die Zeit der Schwangerschaft verging und die Königin brachte ein wunderschönes Mädchen zur Welt, es wurde Wasīla, das Mädchen von der Regenflut, genannt. Und obwohl der König lieber einen Sohn als Erstgeborenen gehabt hätte, zweifelte er 157
nicht an Allahs Barmherzigkeit und Güte und ließ Festmähler und Freudenfeste veranstalten. Viele Tiere wurden geschlachtet und die Armen und die Mittellosen und alle Söhne der Stadt waren eingeladen. Und das Freudenfest dauerte eine volle Woche. Einige Zeit später beschloß der König, seine Tochter nicht mehr im Hause zu behalten, sondern ihr ein prachtvolles Schloß zu errichten, angefüllt mit allem, was Freude und Vergnügen macht, wo die Prinzessin spielen konnte und tun, was immer sie wünschte. Dieses Schloß war ganz aus Glas gebaut. Jeden Tag brachten Diener die erlesensten Mahlzeiten, die Reste trugen sie wieder ab. Eines Tages aber vergaßen sie, einen großen Hammelschlegel mitzunehmen, und als die Tochter des Königs diesen loswerden wollte, versuchte sie, ihn nach draußen zu werfen. Das Schloß aber war aus Glas gebaut und überall verschlossen, nirgendwo hatte es Fenster, die man hätte öffnen können. Als daher das Mädchen den Knochen gegen die Glaswand warf, da zerbarst diese und eine Öffnung tat sich auf. Jetzt konnte die Königstochter, hinausgebeugt, all das beobachten, was draußen vor dem Schloß geschah. Dinge, von denen sie während ihres jungen Lebens noch nichts gesehen hatte, weil sie ja nur das kannte, was in ihrem gläsernen Schloß um sie war. Nicht lange darauf kam ein schöner Jüngling auf seinem edlen Pferd sitzend am Schloß der Tochter des Königs vorbei. Es war der Sohn ihres Onkels, den sie aber nicht kannte, weil sie ihn noch nie gesehen hatte. Ihr Herz liebte diesen Jüngling vom ersten Augenblick an, in leidenschaftlicher Liebe zu ihm war es erfüllt. Der schöne Jüngling – Sohn ihres Onkels – wußte indes genau, wessen Schloß das war, doch seine Base hatte auch er noch nie gesehen, weil sein Onkel die Tochter vor den Augen der Leute fernhalten wollte, um ihr erst die beste und feinste Erziehung zukommen zu lassen. Auch der Jüngling war wie vom Blitz getroffen, als er diese bezaubernde Schönheit sah, diesen Blick und dieses Leuchten, 158
und er liebte sie auf der Stelle so sehr, wie man es gar nicht beschreiben kann. Der junge Mann kehrte zu seinem Vater zurück und bat ihn, sogleich im Schloß seines Bruders, des Königs, um die Hand seiner Tochter Wasīla anzuhalten. Der Vater des jungen Mannes war darüber sehr erfreut und begab sich sogleich zum Schloß seines Bruders. Der König war gerne einverstanden mit dieser Heirat, doch wolle er erst noch mit seiner Tochter sprechen und ihr Einverständnis einholen. Sein Bruder solle am nächsten Tag wiederkommen. Zuerst beriet sich der König mit seiner Frau, der Mutter des Mädchens. Die war überglücklich, ihrer Tochter wünschte sie nur das Allerbeste! Dann ging der König hinüber zum gläsernen Schloß seiner Tochter Wasīla. Als das Mädchen von den Plänen erfuhr und hörte, daß ihr Verlobter der junge Mann sein sollte, der am Schloß vorbeigeritten war, da freute sie sich über alle Maßen. Schüchtern wie sie war, wollte sie ihre Liebe vor ihrer Familie nicht offen zeigen, doch der König spürte, daß er das Einverständnis seiner Tochter zur Heirat mit seinem Brudersohn erreicht hatte, und war sehr glücklich. Die Hochzeit wurde gefeiert und der Jüngling zog zu seiner Frau, der Königstochter, in deren gläsernes Schloß. Doch nur zwei Tage blieb der Bräutigam bei ihr, dann traf es ihn, daß er davonziehen mußte, doch seiner Frau sagte er kein einziges Wort. Am dritten Tage wachte die Tochter des Königs auf, da fand sie ihren Mann nicht mehr! Ihr Verstand fing an zu rasen, fast wahnsinnig wurde sie. Und sie beschloß, das gläserne Schloß zu verlassen, in die Welt zu ziehen und überall nach ihrem Mann zu suchen. Wohin sie auch kam, sprach sie: »Die Schöne von der Regenflut bin ich, Das Mädchen vom fruchtbaren Lande, und ziehe dahin, Um den Geliebten wein’ ich, der mir entfloh Am ersten Abend war er Mensch in menschlicher Gestalt, Am zweiten Abend wie Jasmin und Minze so süß. Ach, ich wünschte, hätt’ ich die Liebe doch nie gekannt!« 159
Viele Tage und Nächte zog sie mutig dahin, von Land zu Land, reitend auf ihrem edlen Pferd, und keine Mühe war ihr zu groß und kein Kummer zu schwer, weil sie ihren Mann liebte und diese Liebe sie antrieb, immer weiter nach ihrem Geliebten zu suchen. Sie suchte und suchte und machte sich Mut mit den Worten ›hibbi dibbi – weiter jetzt‹ – gesegnet sei der Prophet, der Einzige, betet zu Allah, der ihn segnen möge – bis sie eines Tages zu einem Kaffeehaus kam und dort um Almosen bat. Der Besitzer des Kaffeehauses öffnete dem schönen Mädchen die Tür und ihr Anblick, ihr Gang nahmen ihn so gefangen, daß sein Herz zum Sklaven wurde und er selbst zum Bettler! Vor allem aber war er geblendet von dem goldenen Haar, wie er solches noch nie gesehen hatte. Er ließ das Mädchen hereinkommen und fragte es, ob es seine Tochter werden wolle, ihm und seiner Frau, denn sie hatten keine Kinder. Die goldene Schöne lächelte ihm zu: »Ja, gerne.« Von diesem Tag an änderte sich das Leben des Kaffeehausbesitzers, Glück und Segen waren eingekehrt in sein Haus und die Menschen kamen von überall her, um dieses wunderschöne goldene Mädchen zu sehen und die Leute gaben eine Menge Geld in seinem Kaffeehaus aus. Tage kamen, Tage gingen, und eines Morgens geschah es, da öffnete das Mädchen ein Fenster des Kaffeehauses, um hinauszuschauen in die Welt. Zur gleichen Zeit aber öffnete der Sultanssohn im Schloß des Sultans gegenüber ein Fenster, sah es und beschloß, dem Mädchen nachzuspähen, scharf wie ein Jäger. Als das Mädchen am Morgen darauf auf das Dach des Hauses stieg, entdeckte der Sultanssohn es wieder und hatte seinen Entschluß gefaßt: Obwohl er schon vier Frauen besaß, wollte er auch noch das Mädchen heiraten. »Vater«, sprach er zum Sultan, »ich will das Reich nicht, und deine Vorratslager nicht, gar nichts, und wenn du mir dieses schöne Mädchen nicht verheiratest, das ich liebe, dann stürze ich mich ins Meer.« Der Sultan schickte seinen Minister zu dem Kaffeehausbesitzer. »Als Werber und Bitter hat mich der Sultan, Herrscher des Landes, gesandt«, sagte der Minister, »um deine Tochter als 160
Braut zu erbitten für seinen einzigen Sohn! Sag, wieviel willst du als Brautgabe?« Der Kaffeehausbesitzer aber lehnte ab, bat um Bedenkzeit, sprach mit dem Mädchen: »Schau Tochter, der verrückte Sohn des Sultans des Landes hat dich auf dem Dach gesehen, und jetzt schickte der Sultan seinen Minister, um dich als Frau für seinen Sohn zu erbitten. Erst einmal habe ich abgelehnt und eine Frist erbeten, weil ich dich mehr liebe als wenn du meine leibliche Tochter wärest. Und wer sollte mir sonst bei der Arbeit im Hause helfen, beim Saubermachen, beim Kochen?« – »So ist es mir recht, Vater, mit dem, was du beschlossen hast, bin ich einverstanden.« Am Tag darauf erschien der Minister wieder: »Ha, also was forderst du als Brautgabe?« – »Nichts, gar nichts, meine Tochter will ich nicht verheiraten und auch sie ist gegen eine Heirat!« – Am dritten Tag kam der Minister wieder, mit den Männern des Sultans. Sie drangen in das Haus des Vaters des Mädchens ein, legten ihn vor das Tor und ritten mit den Pferden über ihn hinweg, das Mädchen aber brachten sie ins Schloß, wo es die Frau des Sultanssohnes werden mußte. Tage kamen – Tage gingen, und der Sultanssohn liebte Wasīla, die Regenschöne vom fruchtbaren Lande, mehr als seine vier Frauen. Deshalb wurden diese eifersüchtig auf Wasīla al-Dhahab, vor allem, weil sie so wunderschön war und so herrliches goldenes Haar hatte. Sie beratschlagten sich mit ihrer Schwiegermutter, der Frau des Sultans, wie sie das Mädchen beseitigen könnten. Die Schwiegermutter aber kannte Wege und Möglichkeiten, Wasīla beim Kämmen zu verzaubern. Die Schwiegermutter war es auch, die ihre Schwiegertöchter jeden Morgen kämmte. »Komm her meine Tochter«, sagte sie am nächsten Morgen zu Wasīla, »ich will dir dein wunderschönes goldenes Haar kämmen!« Sie begann mit dem Kämmen. Dabei steckte sie sieben verzauberte Stacheln des ‘Ilbbaumes hinten in das goldene Haar der jungen Frau. Und diese Stacheln verwandelten das Mädchen in eine Taube, die davonflog, hinaus zum Fenster. 161
Nach sechs Monaten geschah es, daß der Vetter der jungen Frau, ihr erster Ehemann, auf seinem Pferd reitend in diese Gegend kam, nachdem er solange die Welt durchstreift hatte. Er stieg in dem Kaffeehaus ab, wo ihn der Besitzer begrüßte, in dem seinerzeit noch ein wenig Leben geblieben war und den, als er vor Schmerzen stöhnend mitten auf der Straße lag, seine Frau in ihr Haus zurückgeschleppt und ihn so gut gepflegt hatte, daß er wieder war wie vorher, und besser. Schon am nächsten Tag ritt der Jüngling wieder hinaus aus der Stadt in die Wildnis, bis er im Wadi ankam. Und weil es schon Abend wurde, band er sein Pferd an einen Baum und legte sich darunter, um hier die Nacht zu verbringen. Bei Sonnenaufgang wachte er auf, sah nach oben und erblickte da eine Taube, die auf einem Ast saß und ihn anschaute. Und plötzlich begann die Taube zu weinen und zu sprechen: »Die Schöne von der Regenflut bin ich, Das Mädchen vom fruchtbaren Lande, und ziehe dahin, Um den Geliebten wein’ ich, der mir entfloh Am ersten Abend war er Mensch in menschlicher Gestalt, Am zweiten Abend wie Jasmin und Minze so süß. Ach, ich wünschte, hätt’ ich die Liebe doch nie gekannt!« Die Taube hörte nicht auf zu weinen, so sehr weinte sie, daß bald ein starker Regen zu fallen begann. Der Jüngling wunderte sich sehr, vor allem, als jetzt die Taube herunterflog und sich auf seinen Fuß setzte. Er nahm sie in die Hand und dabei spürte er, wie in ihrem Gefieder sieben Stacheln steckten. Einen nach dem andern zog er heraus und als er den letzten entfernt hatte, da stand Wasīla al-Dhahab vor ihm, die goldene Schöne von der Regenflut, seine Frau, die er verlassen hatte. Und sie sprach: »Die Schöne von der Regenflut bin ich, Das Mädchen vom fruchtbaren Lande, und ziehe dahin, Um den Geliebten weinte ich, der mir entfloh – 162
Am ersten Abend war er Mensch in menschlicher Gestalt, Am zweiten Abend wie Jasmin und Minze so süß. Ach, ich wünschte, hart’ ich die Trennung doch nie gekannt!« Da ging er hin, tötete die Schwiegermutter, die verfluchte, verabschiedete sich von dem überglücklichen Kaffeehausbesitzer, nahm seine Braut Wasīla al-Dhahab, die Regenschöne vom fruchtbaren Lande, mit sich in sein Reich und nahm sie auf in sein Schloß. Von da an lebten sie in Glück und Seligkeit, zeugten Söhne und Töchter.
18. Wāhā-Māhā – Der volle Brunnen
E
s war einmal ein König im Osten, verheiratet mit der Tochter des Königs aus einem anderen Land. Tage kamen und Tage gingen und die Frau des Königs gebar einen Knaben. Und wenig später war dieser Knabe zu einem Jüngling herangewachsen, denn die Kinder in den Märchen werden sehr schnell groß, wie man weiß. Der König und die Königin beschlossen, ihren jungen Sohn zu verheiraten. Und als das Volk davon hörte, da kamen die Töchter der Edlen und die Töchter der reichen Kaufleute, und jedes dieser Mädchen wünschte sich, die Frau des Königssohnes zu werden. Dem jungen Königssohn jedoch gefiel keine einzige von ihnen allen. Darum machten sich jetzt die alten Frauen auf die Suche nach einer Braut und suchten und suchten überall, doch ohne Erfolg, denn mit keiner war der junge Fürst einverstanden. Schließlich erklärte der Prinz seinem Vater: »Ich will auf Reisen gehen und mir selbst eine Frau suchen. Und das Mädchen, das ich heiraten werde, das muß mir gefallen und selber will ich sie ausgesucht haben!« – »Gut mein Sohn, ich bin einverstanden. Unter Allahs Segen stehst du und was du tun willst, das sollst du auch tun dürfen.« 163
Der junge Fürst sattelte sein Pferd und ritt von Ort zu Ort. Schließlich kam er in eine Wüste, und am Abend jenes Tages, als schon die Sonne unterging, fand er einen Brunnen. »Oh, WāhāMāhā, Voller Brunnen!« rief er, durstig war er, seit dem Morgen hatte er nichts getrunken. Um den Brunnen stand eine Gruppe von Mädchen herum. Alle waren wunderschön, jedes einzelne noch wohlgestalteter als das danebenstehende. Da gab der Prinz seinem Pferd die Sporen und führte einige Reiterspiele vor. Die Mädchen schauten bewundernd zu und fragten sich, wo dieser schöne junge Mann wohl herkommen könnte. Jetzt ritt der Prinz näher an den Brunnen heran und rief: »Ihr Mädchen, tränkt mir doch mein Pferd!« Da rannten sie in ihrer Schüchternheit alle fort, bis auf eines, und das war die Tochter des Königs dieses Landes. Die Prinzessin ging auf den Reiter zu und sagte: »Nähere dich und sei willkommen, ich werde dein Pferd tränken.« Dann nahm sie ihren Eimer, füllte ihn, tränkte das Pferd, bis es genug hatte und fragte dann den Jüngling: »Hat dein Pferd jetzt genug Wasser?« – »Ja, aber ich selber bin auch noch da und würde gerne trinken!« – »Gib mir die Ehre und laß mich auch dir zu trinken geben!« – »Nein danke, für mich will ich mir das Wasser selber schöpfen und selbst mich tränken!« Der junge Prinz trug einen Ma‘adschir, ein langes, sehr langes um die Hüfte geschlungenes Gürteltuch. Diesen Gürtel löste er, verknotete ihn an seinem Ende so, daß er damit Wasser schöpfen konnte, und ließ ihn in den Brunnen hinab. So konnte er etwas von dem kühlen Wasser nach oben ziehen und seinen Durst löschen. Un das Mädchen schaute ihm glücklich zu. Jetzt aber sprach der Jüngling zu dem Mädchen, das ihm geholfen hatte, sein Pferd zu tränken, und von dem er nicht wußte, daß sie eine Prinzessin, die Tochter des Königs dieses Landes, war: »Tausendfach möge es dir Allah zurückerstatten, daß du mein Pferd getränkt hast. Mich aber habe ich selbst versorgt. Und nun, wo ich die Sitte verletzt und dir die Ehre gemindert habe, kann ich dich auch nach deinem Namen fragen!« – »Oh, mein 164
Name ist ›Zauberhaft‹ – und du, wie heißt du?« – »Ich? Mein Name leuchtet schon auf deiner Stirn, Qamr heiße ich, ›Junger Mond‹.« – »Das ist aber ein wunderschöner Name!« – »Sag Mädchen, möchtest du mich heiraten?« – »Nun, wir werden sehen. Geh erst einmal zu meinem Vater, dem Herrscher des Landes, und besprich dich mit ihm!« – »Guter Vorschlag!« Die Prinzessin ließ sich den Ring des jungen Mannes geben, reichte ihm den ihrigen und kehrte zum Schloß ihres Vaters zurück. Auch der junge Mann ritt in die Stadt, stieg bei einer alten Frau ab und band sein Pferd bei ihrem Haus an. Geld und Gold behielt der junge Prinz bei sich. Die Nacht verbrachte er in diesem Hause, am nächsten Morgen sagte die Alte ihm noch einmal Willkommen und erkundigte sich, ob sie ihm irgendeinen Dienst erweisen könne. »Ja, Mutter, fremd bin ich in diesen Häusern. Darum bitte ich dich, geh für mich zum Schloß des Königs und dort zu seiner Tochter!« – »Aber der König hat drei Töchter, mit welcher von den dreien soll ich denn sprechen?« – »Du gehst zu seiner jüngsten Tochter, die, die ›Zauberhaft‹ heißt.« – »Ach die Zauberhaft, die kenne ich gut, die ist die Schönste von den dreien!« – »Nun gut, du suchst also Zauberhaft, zeigst ihr diesen Ring und sagst ihr, der, der das Versprechen gegeben habe, sei gekommen. Den Ring aber bringst du wieder zurück.« – »Gut, dein Befehl!« Die Alte ging zum Schloß des Königs und dort in das Zimmer, wo Zauberhaft saß und sagte zu ihr: »Von Wāhā-Māhā, Voller Brunnen, ist dieser Ring, Dem, der das Wasser schöpft aus eigener Kraft!« »Warte Alte, und hab Geduld! Ich will es gleich meinem Vater berichten.« Die Prinzessin Zauberhaft eilte zu ihrem Vater, dem König, und erzählte ihm alles. »Und wo ist dieser Jüngling?« – »Er wohnt bei der alten Frau, die in meinem Zimmer wartet!« Der König rief nach der Alten und trug ihr auf, den Jüngling in 165
das Schloß zu schicken. Die Alte lief nach Hause, richtete ihren Auftrag aus und der Jüngling begab sich in das Schloß. »Wessen Sohn bist du?« – »Ich bin der Sohn des Königs Soundso. Fortgezogen bin ich aus meinem Land, weil mein Vater mich verheiraten wollte, aber unter all den Mädchen hat mir keines gefallen. Ich war’s nicht zufrieden und beschloß deshalb, auf Reisen zu gehen und mir selber eine schöne Braut zu suchen. Und als ich draußen vor eurer Stadt ankam, war dort ein Brunnen, an dem eure Tochter stand, zusammen mit anderen Mädchen. Und sie war es, die mein Pferd getränkt hat. Vom ersten Blick meiner Augen an war ich in sie verliebt, und jetzt bin ich bei dir erschienen, um dich zu bitten, mein Verwandter zu werden und mir deine Tochter Zauberhaft zur Frau zu geben. Jede Bedingung, die du stellst, will ich erfüllen, und jeden Betrag, den du als Brautgabe für deine Tochter verlangst, will ich dir gerne zahlen.« »Willkommen, sei herzlich willkommen. Aber was deinen Wunsch angeht, muß ich dir sagen, daß ihr Onkel drei Söhne hat, und alle drei möchten sie heiraten. Jeder von den dreien will den Brautpreis zahlen, wie hoch er auch sein möge. Angenommen, ich wäre aber trotzdem mit dir einverstanden, was würdest du denn zahlen? Ich verlange nämlich soundsoviel!« – »Einverstanden, ich zahle, was du forderst!« – »Hast du jetzt schon Geld bei dir?« – »Ja, ich lasse dir eine Anzahlung für mein Versprechen da. Dann reite ich in mein Land zurück und bringe dir die ganze Mitgift und die volle Brautgabe, wie du sie forderst!« – »Einen Monat setze ich dir als Frist, vom heutigen Tag an gerechnet, dem ersten des Monats bis zum ersten des nächsten Monats. Und wenn du zur festgesetzten Stunde nicht kommst, dann denke ich an die Söhne ihres Onkels, die alle sie heiraten wollen, und jeden Tag kommen und nach ihr fragen. Wenn du den Zeitpunkt versäumst, auf den wir uns geeinigt haben, dann – das mußt du wissen – werde ich sie einem von ihnen geben. Also, was ist deine Rede?« – »Einverstanden!« Der junge Prinz ritt nach Hause zu seinem Vater zurück. Dieser 166
war überglücklich über die Heimkehr seines einzigen Sohnes und befahl auf der Stelle ein großes Fest mit Musik und Gesang. Nach einigen Tagen berichtete der Jüngling all seine Erlebnisse. Sein Vater überreichte ihm Geld und Schmuck, der Prinz verabschiedete sich und ritt in das Land seines künftigen Schwiegervaters, des Vaters seiner geliebten Zauberhaft. Dort angekommen, ging er als erstes zu der Alten, bei der er schon beim ersten Mal abgestiegen war. Doch zu seinem Unglück hatte sich der Prinz um zwei Tage verspätet. Er klopfte an die Tür. Wer klopft denn da?« – »Ich bin es, Mutter, mach mir die Türe auf!« – »Preis sei Allah, der dich heil wieder hierhergebracht hat. Wie geht es dir, mein Sohn?« – »Allah sei gepriesen, gut geht es mir! Aber Mutter, was ist denn los im Schloß? Ich höre die Freudentriller der Frauen.« – »Bei Allah, mein Sohn, sie feiern die Hochzeit der Königstochter Zauberhaft, und heute nacht wird sie zum Haus des Bräutigams geführt.« – »Unmöglich, so wahr ich der Prinz Junger Mond bin!« – »Und doch ist es so, mein Prinz, denn du hast dich um zwei Tage verspätet und heute ist ihr Hochzeitstag mit ihres Onkels Sohn!« – »Hör zu, willst du mir einen Dienst erweisen, willst du im Schloß etwas für mich tun?« – »Ich, ich helfe dir, du bist mir wie meine eigenen beiden Augen! Und wenn man mir den Kopf abschlägt, dort am Tor!« »Gut, du gehst ins Schloß, in den Raum, wo die Frauen feiern.« – »Das werde ich tun, überall hin gehe ich für dich!« – »Dann suchst du Zauberhaft, überreichst ihr diesen Ring und sprichst dazu: ›Von Wāhā-Māhā, Voller Brunnen, ist dieser Ring, Dem, der das Wasser schöpft aus eigener Kraft!‹ Und vergiß nicht, noch hinzuzufügen: Bei Allah, er steht zu seinem Wort!« – »Ich eile schon, gerne tu ich es!« – »Allah schütze dich, Mutter!« Die Alte ging zum Schloß, begab sich sogleich in den Raum, wo die Prinzessin Zauberhaft mit ihrer Mutter, der Königin, und 167
den anderen Frauen saß. Es war die Stunde, zu der der Bräutigam zum ersten Mal in das Frauengemach geführt worden war. Die Alte überreichte Zauberhaft den Ring und sprach dabei: »Von Wāhā-Māhā, Voller Brunnen, ist dieser Ring, Dem, der das Wasser schöpft aus eigener Kraft!« Damit wollte sie wieder gehen, doch die Königin, die Mutter der Braut, hielt sie zurück. »Höre«, sagte sie zum Bräutigam, »hast du verstehen können, was die Alte Zauberhaft zugeflüstert hat? Hast du ihr Geraune gehört? Bist etwa gar du damit gemeint? Sollst du eine Kuh sein, die ›Wāhā-Māhā‹ ruft?« – Verflucht sei diese Zauberhaft, wenn ich hier so bloßgestellt werde«, rief da der Bräutigam voller Zorn. »Geh, geh, geh, soll sie doch zu dem gehen, den sie liebt!« Da sprang Zauberhaft auf und rief laut: »Nun Mutter, hat der Bräutigam nicht gesagt ›Verflucht sei diese Zauberhaft, soll sie doch zu dem gehen, den sie liebt‹? Ja, ich werde jetzt zu dem gehen, der mich liebt und den ich liebe. Und ihr, bei Allah, lebt wohl in Frieden.« Ihr Vater, der König, fand gar keine Gelegenheit mehr, mit Zauberhaft zu reden, ihre Mutter war wütend und saß ratlos und bestürzt da. Die alte Frau hatte alles genau beobachtet, vor allem, wie Zauberhaft ihrem Bräutigam entkommen war. So verließ sie schnell das Schloß und eilte zu dem jungen Prinzen zurück, der, heißer als auf einem Feuer sitzend in ihrem Hause wartete, und dem sie sogleich alles ganz genau erzählte. Am nächsten Tag begab sich der junge Prinz zum Schloß, zum König: »Lieber Schwiegervater, sieh es mir nach, daß ich mich um zwei Tage verspätet habe, zwei Tage über den festgesetzten Zeitpunkt hinaus!« – »Höre mein Sohn, das Glück war dir günstig. Weil du nicht erschienen bist, wollte ich meine Tochter Zauberhaft mit dem Sohn ihres Onkels verheiraten. Doch als du durch die Alte euer Kennwort schicktest, da hat sich der Bräuti168
gam ereifert, wurde zornig und hat die Scheidungsformel über Zauberhaft gesprochen und so ist – Preis sei Allah – alles richtig geworden!« – »Ja, alles ist gut ausgegangen. Darum laß mich jetzt den Rest des Brautpreises zahlen, hier, Schwiegervater, ist er.« – »Ja, ich bin einverstanden, daß du nun meine liebe Tochter Zauberhaft zur Frau nimmst!« – »Allah erhalte dich uns, lieber Schwiegervater!« Der König richtete eine neue Hochzeit aus, ein großes Freudenfest wurde gefeiert. Nach drei Tagen fand der Brautzug statt, Tiere wurden geschlachtet und Festmähler gegeben, Freude und Vergnügen dauerten eine ganze Woche, alle Söhne der Stadt nahmen teil. Nach der Hochzeit blieb der Prinz noch zwei Monate im Schloß seines Schwiegervaters, dann bat er ihn um die Erlaubnis, mit seiner jungen Frau in sein eigenes Land zurückkehren zu dürfen. Sklaven und Diener führten den jungen Prinzen mit seiner Gemahlin in einem Hochzeitszug zurück zu seinem Vater. Das ganze Volk freute sich über die Heirat und glückliche Heimkehr seines geliebten jungen Fürsten mit seiner schönen Frau, der Prinzessin Zauberhaft. Sie lebten in Freude und Glück, zeugten Söhne und Töchter.
19. Der Holzsammler und seine Hühnchentochter
E
s war einmal vor langer Zeit, da lebte ein Mann, er war Holzsammler, sammelte Holz, hackte und verkaufte es. Er war verheiratet, doch Kinder hatte er keine. Mit Geduld schickte er sich in den Willen Allahs und seiner Frau machte er keine Vorwürfe dafür, daß sie ihm keine Kinder schenkte. Die Frau hielt einiges Kleinvieh, Ziegen und Schafe, und verkaufte die Milch an die Nachbarn. Die Kinder der Nachbarschaft ärgerten die Tiere und als die Frau es ihnen beredete, sagten ihr deren Mütter: »Du Kinderlose, Allah hat dir keine Kinder anvertraut und deshalb schimpfst du unsere Kinder immerzu und 169
wirfst neidisch deinen bösen Blick auf sie, weil wir Kinder haben, die uns die Freude ins Haus bringen.« Die Frau des Holzsammlers litt unter diesen bösen Worten, weinte und klagte ihren Kummer ihrem Mann, dem Holzsammler. »Sag doch einfach ›Um euch wird Allah sich kümmern‹, wenn sie dich wieder kränken«, gab er ihr zur Antwort. Als die Frau des Holzsammlers ein paar Tage später ihr Haus verließ, um nach ihren Tieren zu suchen und dabei beobachten mußte, wie wieder einige Kinder mit Steinen nach den Tieren warfen und mit Stöcken auf sie einschlugen, wollte sie den Kindern ihr Tun bereden. Da kam eine von den bösartigen Nachbarinnen, fragte nichts, sagte nichts, rechtfertigte sich nicht, sondern rief ihr nur zu: »Jetzt fängst du sogar schon an, Kinder zu hassen, immerzu schimpfst du sie, neidisch bist du und schaust sie schief an, weil Allah dir um deines bösen Blickes willen keine Kinder geschenkt hat.« – »Um dich wird Allah sich kümmern!« – »Und um dich der Teufel!« Da lief die Frau des Holzsammlers in ihr Haus zurück, voller Empörung und Trauer über das Weib, das sie so beleidigt hatte, und über die Bosheiten, die sie von den Nachbarn erdulden mußte. Sie vollzog die Waschungen vor dem Gebet, kniete nieder und betete, und als sie die ehrwürdigen Worte gesprochen hatte, flehte sie zu Allah, er möge ihr ein Kind schenken, und wenn es nur ein Hühnchen sei. Tage kamen, Tage gingen und die Frau des Holzsammlers brachte ein Hühnchen zur Welt. Sie war überglücklich über ihr Hühnchenkind und ihr Mann freute sich mit ihr. Sie umhegte es wie ein menschliches Kind und wenn sie zu dem Hühnchenkind sprach, gab sie sich selbst die Antwort. Das Hühnchen blieb nicht im Haus, sondern zog mit den anderen Hühnchen friedlich umher. Manchmal war es verschwunden und dann machte sich seine Mutter auf die Suche, von Ort zu Ort, bis sie es wieder gefunden hatte und nach Hause zurückbringen konnte. Das Hühnchen aber hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, 170
einen ganz bestimmten Weg zu gehen, der zu einem Garten außerhalb der Stadt führte. In dem Garten war ein schönes Wasserbecken und das Hühnchen liebte es, in diesem Becken zu schwimmen. Und wenn es glaubte, daß niemand es sehen könne – der Garten lag nämlich abgeschlossen außerhalb der Stadt – dann zog es sein weißes Federkleid aus und tauchte hinein in das Wasser. So vergnügte es sich, vielleicht eine Stunde lang, dann stülpte es sein Federkleid wieder über, wurde zum Hühnchen und kehrte nach Hause zurück. Seine Mutter machte sich, wenn es solange fort war, Sorgen. Sie kannte ja das Geheimnis des Hühnchens, ihrer Tochter, nicht und wußte auch nicht, daß es in den Garten zum Schwimmen ging. Das Hühnchen aber begab sich wieder und wieder, jeden Tag, in den Garten, legte das Federkleid ab, schwamm in dem Bekken herum und wanderte, wenn es genug hatte, nach Hause zurück. Doch eines Tages bemerkte der Wächter des Gartens das Geschehen: Er sah das Hühnchen kommen, beobachtete, wie es sein Federkleid auszog und wenig später in das Becken sprang. Der Wächter staunte und wollte seinen Augen nicht trauen, als er sah, welch herrlich schönes Mädchen unter dem Federkleid hervorgeschlüpft war. Als das Mädchen genügend lange herumgeschwommen war, zog es sein Federkleid wieder über und machte sich auf den Heimweg. In weitem Abstand folgte der Wärter, solange, bis das Hühnchen an einem bestimmten Haus angelangt war und hineinmarschierte. Der Wächter kehrte in seinen Garten zurück. Am nächsten Tag überprüfte er die Geschichte noch einmal und begab sich dann am dritten Tag in das Schloß des Sultans. Dort berichtete er seinem Herrn, dem Sultan, alles über das Hühnchen, und was es jeden Tag im Wasserbecken des Sultansgartens unternahm. Als der Wächter mit dem Sultan sprach, war auch der junge Sohn des Sultans zugegen. Der Sohn hatte Spaß an der Erzählung und bat seinen Vater um die Erlaubnis, in den Garten gehen zu dürfen, um sich vom Bericht des Wächters überzeugen zu können. 171
Am nächsten Morgen versteckten sich der Sohn des Sultans und der Wächter in einem Winkel des Gartens. Und siehe, wenig später kam schon das Hühnchen, die Tochter des Holzsammlers, und marschierte geradewegs auf das Wasserbecken los. Dort zog es sein Federkleid aus und sprang ins Wasser. Fröhlich tauchte es unter, kam wieder herauf, tummelte sich etwa eine Stunde lang. Dann stieg es heraus, zog das Federkleid über und kehrte nach Hause zurück. Der Sohn des Sultans aber hatte sich vom ersten Augenblick an in das Hühnchenmädchen verliebt. Auf der Stelle begab er sich zu seinem Vater, dem Sultan, und berichtete ihm: »Der Wächter hat nicht gelogen, das Mädchen ist wunderhübsch!« Und auf seine inständigen Bitten hin erklärte sich der Sultan schließlich damit einverstanden, einige seiner Leute zum Hause des Holzsammlers zu schicken. Dort begann der Anführer der Gesandtschaft zu reden: »Unser Herr, der Sultan, hat uns gesandt. Sein Sohn will deine Tochter heiraten!« – Wenn ich eine richtige Tochter hätte, welch eine unerhörte Ehre wäre das für uns, einen solch edlen Jüngling, und noch dazu den Sohn des Sultans, als Verwandten zu gewinnen. Doch ich habe keine Tochter, sonst würde ich sie dem Sohn unseres Herrn und Sultans nicht verweigern. Wir, wir haben ja nur eine Hühnchentochter!« – »Aber der Sohn des Sultans besteht darauf, diese deine Hühnchentochter zu heiraten! Er nimmt sie so, wie sie ist: ein Hühnchen!« – »Bei Allah, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, ihr habt mich ganz verwirrt. Aber wenn er darauf besteht, meine Hühnchentochter zu heiraten, gut dann, dann gebe ich sie ihm, und gerne!« – »Und wieviel verlangst du als Brautgabe, Mann?« – »Eine Brautgabe will ich nicht. Bringt das Hühnchen umsonst zum Sohn des Sultans, sein Antrag ist schon Ehre genug für uns.« – »Der Sultan hat beschlossen, dir eine Brautgabe für deine Hühnchentochter zu überreichen – hier nimm sie!« Der Holzsammler und seine Frau wunderten sich über den festen Entschluß des Sultanssohnes, ihre Hühnchentochter zu heiraten, doch waren sie glücklich, daß der Sultan sich über ihr 172
Einverständnis gefreut hatte. Der Sultan gab ein großes Festmahl, während die Leute untereinander über diese seltsame Ehe lachten, weil ja keiner das Geheimnis des Hühnchenmädchens kannte. Eines Tages aber verschwand das Hühnchen, die Frau des Sultanssohnes, aus dem Schloß. Da schrie der Sohn des Sultans umher und wurde fast wahnsinnig. Schließlich erinnerte er sich, daß sie an ihren geliebten Ort gegangen sein müsse, zu dem Wasserbecken im Garten seines Vaters. Er bestieg sein Pferd, ritt auf dem kürzesten Weg zum Garten und versteckte sich in einer Ecke, neben einem Baum. Genau in diesem Augenblick legte seine Frau ihr Federkleid ab, sprang in das Wasser und tauchte glücklich spielend auf und unter. Versteck ihr das Federkleid!« sagte der Sultanssohn zum mitgekommenen Wärter. Als das Hühnchenmädchen genug vom Schwimmen hatte, fand es sein Federkleid nicht mehr, statt dessen stand ihr geliebter Mann, der schöne Sohn des Sultans, vor ihr! Wo ist mein Federkleid, mein Federkleid will ich!« – »Dein Federkleid habe ich verbrannt, und ich, ich bin dein Mann, das weißt du doch!« Während er seiner Frau die hübschen Kleider gab, die er mitgebracht hatte, lächelte sie und freute sich. Sie zog die Kleider an und war wunderschön anzusehen, wie der volle Mond! Der Sohn des Sultans hob sie auf sein Pferd und ritt mit ihr zum Schloß seines Vaters zurück. Dort rief er seinen Vater, seine Mutter und die ganze übrige Familie zusammen und berichtete ihnen, jetzt wolle er ihnen seine Frau zeigen, die Frau, die einst ein Hühnchen war. Sie wartete in einem Zimmer und als alle dorthin kamen, erblickten sie den Gipfel der Schönheit, und waren überglücklich. Nun holte der Sultanssohn aber auch seinen Schwiegervater, den Holzsammler, und seine Schwiegermutter ins Schloß. Die beiden konnten zuerst nicht glauben, daß dies ihre Tochter sei, als sie das Mädchen in all ihrer Schönheit erblickten. Doch dann freuten sie sich über alle Maßen, daß aus dem Hühnchen ein solch schönes Mädchen geworden war. Der Sultan aber ließ noch einmal ein Freudenfest feiern. Tiere 173
wurden geschlachtet und am Boden Decken für die Gäste ausgelegt, alle aßen, tranken und waren glücklich. Tage und Nächte vergingen mit Geselligkeit, Freude, Gesang, Musik und Tanz. Und das Leben des Sultanssohnes und der Tochter des Holzsammlers war überstrahlt von Glück und Seligkeit, Söhne und Töchter umgaben sie bis an ihr Lebensende.
20. Das Mädchen gehört dem Faqīh
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s war einmal ein Sultan im Osten, der hatte drei Söhne. Den ältesten hatte Allah ihm von seiner Frau, der Araberin, geschenkt, den zweiten von seiner zweiten Frau, und den dritten von einer der dunklen Nebenfrauen im Palast. Zeit kam, Zeit ging, und aus den Knaben wurden Jünglinge, voller Kraft und Gesundheit. Eines Tages kam der Älteste zu seinem Vater, dem Sultan, und sagte: Vater, ich möchte Kaufmann werden und in Allahs weites Land reisen, so wie es meine Freunde – Söhne von Kaufleuten – taten. Reisen unternahmen sie in fremde Länder und sammelten gewaltige Reichtümer, all das erwarben sie sich mit ihren Handelsgeschäften.« Der Sultan zögerte und wußte nicht, was er antworten sollte. Doch seine Frau, die Mutter des jungen Mannes meinte: »Gib ihm eine Gelegenheit, damit er zeigen kann, wie fähig er ist. Sind doch auch die Söhne der Nachbarn auf Reisen gegangen, und, als sie wieder nach Hause kamen, brachten sie Schätze mit und Reichtümer. Das ist dein erstgeborener Sohn, du mußt ihm Mut machen.« Der Sultan bedachte diese Worte, dann war er einverstanden. Er gab seinem Sohn eine Summe Geldes und warnte ihn, nicht zu betrügen, nicht zu lügen und nicht faul zu sein. Der Sohn des Sultans machte sich auf den Weg, hin über Allahs Erde, die flache Hand des Allerbarmers, und gelangte auf seiner 174
Reise bald in eine große Stadt. Er hörte, in dieser Stadt gebe es eine reiche Alte mit großem Vermögen und einer schönen Tochter, die sie nur dem verheiraten wolle, der es fertig brächte, daß die Tochter sich erhebt, ihn anschaut und zu ihm spricht, wenn sie mit ihm zusammen in einem Zimmer sei. Wem das gelinge, dem wolle die Alte ihr ganzes Vermögen geben und ihre Tochter zur Frau. Doch sollte der Bewerber es nicht schaffen, das Mädchen zum Sprechen zu bringen, dann gehöre alles, was er besitzt, der Alten, der Mutter des Mädchens. Der älteste Sohn des Sultans betrat das Haus der Alten, doch hatte er keinen Erfolg und mußte am nächsten Morgen alles herausgeben, alles Vermögen und alles Geld. Als einziger Ausweg blieb ihm nun, bei einem kleinen Gastwirt Arbeit anzunehmen. Und seine Lage war bemitleidenswert. Sechs Monate vergingen, da sagte auch der zweite Sohn zu seinem Vater, dem Sultan: »Vater ich will auch auf Handelsreisen gehen, hinaus in Allahs weites Land, so wie mein älterer Bruder.« Er reiste los, kam in die gleiche Stadt, zu der gleichen Alten. Auch er blieb ohne Erfolg, und am nächsten Morgen fand er sich bei dem gleichen Gastwirt ein, wo schon sein Bruder arbeitete. Der dritte Sohn, Ali, Sohn der dunklen Nebenfrau, bat jetzt ebenfalls seinen Vater um Geld, so, wie es seine Brüder erhalten hatten. Auch er wolle auf Handelsreisen gehen und mit Gewinn wieder zurückkehren in seine Vaterstadt. Der Sultan zögerte sehr, weil seine beiden Söhne, denen er so viel Geld überlassen hatte, noch nicht zurückgekehrt waren. Doch wußte er auch, daß er seinem Sohn Ali das Gleiche schuldete wie den beiden anderen. Ali bekam das Geld, setzte sein Vertrauen auf Allah, und reiste in ein fernes Land. Schließlich gelangte Ali, der Sohn der Schwarzen, in jene große Stadt, über die ein König herrschte, und beschloß, sich hier als Kaufmann niederzulassen und Gewinn zu machen. Als erstes ging er umher und erkundigte sich bei den Leuten, welche Art von Handel man hier trieb. So fand er zahlreiche 176
Dinge heraus und bildete sich über alles eine Meinung. Die Leute berichteten ihm auch von einer gewaltig reichen Alten mit großem Vermögen und einer schönen Tochter, die sie nur dem verheiraten wolle, der es fertig brächte, ihre Tochter dazu zu bringen, sich zu bewegen, den Brautwerber anzuschauen und zu ihm zu sprechen, wenn sie mit ihm allein in einem Zimmer sei. Wem das gelinge, dem wolle die Alte ihr ganzes Vermögen geben und ihre Tochter zur Frau. Ali, der Sohn der Schwarzen, wunderte sich über diese Rede und sprach zu sich: Bei Allah, das ist meine Gelegenheit! Auf diese Weise kann ich ein schönes Mädchen erringen und zur Frau nehmen, und dazu gewinne ich das Geld der alten Frau und kann es meinem Vater, dem Sultan, bringen. Gewiß werde ich Erfolg haben! Dieser Alten werde ich bestimmt keine Möglichkeit geben, mir mein Geld abzunehmen mit ihrer Bedingung, von der es heißt, daß sie dem, der sein Ziel nicht erreicht – nämlich das Mädchen dazu zu bringen, zu gehen, zu sprechen und den Bewerber anzuschauen –, daß sie dem alles abnimmt, was er besitzt. Ich vertraue auf mein Glück, ich werde es schon erreichen, daß das Mädchen mit mir spricht! Dann erfuhr Ali, der Sohn der Schwarzen, daß er sich zum Schloß des Königs der Stadt begeben müsse. Der König benenne den Schiedsrichter zwischen der Alten und dem, der bei ihr sein Glück versuchen wolle. So ging Ali, der Sohn der Schwarzen, zum Schloß des Königs und bat um eine Unterredung über die Bedingungen der alten Frau. Man führte ihn vor den König und der erzählte ihm dies: »Die Bedingung dieser Alten, ihre einzige Bedingung, ist es, daß sie dem, der bei ihrer Tochter sein Glück versuchen will, erlaubt, im gleichen Zimmer die Nacht zu verbringen. Und wenn er es fertigbringt, das Mädchen dazu zu bewegen, ihm seinen Kopf zuzuwenden und mit ihm zu sprechen, dann gehört ihm das ganze gewaltige Vermögen der Alten. Wenn das Mädchen aber nicht mit ihm spricht, dann gehört alles, was der junge Mann besitzt, der Alten, der Mutter des Mädchens. Einen meiner Männer schicke ich mit 177
dir, der wird der Zeuge sein!« – »Danke, Hoheit! Ich nehme die Bedingung an!« Ali, der Sohn der Schwarzen, ging mit einem der Männer des Königs zum Haus der alten Frau. Als ihn die Alte erblickte, freute sie sich, weil sie Alis großen Sack mit den vielen Münzen bemerkte. Sie hieß ihre Besucher willkommen und hörte dann von dem Zeugen, den der König mitgeschickt hatte, daß der junge Mann die Bedingungen kenne. Und die Alte war auch einverstanden. Am Abend begaben sich der junge Mann und der Zeuge in das Zimmer der Tochter. Der junge Mann saß in einer Ecke, das Mädchen in der anderen und der Zeuge in der Mitte. Um Mitternacht sagte der Jüngling zum Zeugen: »Ich weiß eine schöne Geschichte, die würde ich dir gerne erzählen.« – »Bei Allah, erzähl diese Geschichte, damit wir uns die Zeit angenehm vertreiben, ich darf doch nicht schlafen!« – »Gut, gelobt sei der Prophet Allahs! Betet zu Allah und Heil und Segen seinem Propheten! Höre also jetzt meine Geschichte: Es waren einmal drei Freunde, einer war ein Korangelehrter, ein Faqīh, der andere war Schreiner und der dritte Schneider. Als sie eines Tages nach Hause in ihr Dorf zurückwandern wollten, fiel die Nacht herein, die Dunkelheit kam über sie und sie konnten ihren Weg nicht fortsetzen. So beschlossen sie, da zu bleiben, wo sie sich gerade befanden. Es war ein schlimmer Ort und angsterregend, und darum einigten sie sich, daß immer zwei von ihnen schlafen und der dritte Wache halten solle. Sie losten, und die Wache für die erste Stunde fiel auf den Schreiner. Dann losten sie zwischen dem Faqīh und dem Schneider, und als zweiten traf es den Schneider. Der Faqīh und der Schneider legten sich schlafen, während der Schreiner seine Pflicht tat. Doch schon nach kurzer Zeit spürte der Schreiner, wie ihn der Schlaf überkam und er sagte sich: ›Das beste ist, wenn ich mir mit irgend etwas die Zeit vertreiben Er nahm seine Säge, sägte einen Baum ab und arbeitete mit großer Geschicklichkeit die Gestalt eines Mädchens aus dem 178
Holz heraus. Als er fertig war, stellte er fest, daß die Zeit, während der er zu wachen hatte, schon vorüber war und weckte deshalb den Schneider. Der war nämlich jetzt an der Reihe. Auch dem Schneider wurde die Zeit lang und während er zwischen seinen beiden schlafenden Freunden auf und ab ging, sah er das Mädchen, das der Schreiner geschnitzt hatte. Es gefiel ihm so gut, daß er beschloß, ihm schöne Kleider zu nähen. Als er sein Werk beendet hatte, zog er die Kleider über das Holzmädchen und es sah nun aus wie ein lebendiges Wesen. Er freute sich und stellte es aufrecht hin. Damit aber war die Wache des Schneiders zu Ende und die Reihe kam an den Faqīh. Der Schneider weckte den Faqīh mit den Worten: »Steh auf, Faqīh, jetzt bist du dran!« Der Faqīh erhob sich und begann, im Koran zu lesen und mit schöner Stimme die heiligen Verse zu singen. Und als er so den Koran rezitierte, blickte er auf und sah in die Runde. Plötzlich fiel sein Blick auf das hölzerne Mädchen, da erschrak er sehr und hörte auf mit der Rezitation, weil er glaubte, eine Dschinnia sei ihm erschienen. Er machte sich Mut mit dem Thronvers und ging zu dem Mädchen hin, das noch immer da stand, wo es der Schneider aufgestellt hatte. Als sich der Faqīh ihm näherte, bewegte es sich nicht, denn es war ja nur eine Holzfigur. Der Faqīh faßte Mut, berührte es und stellte fest, daß es aus Holz war und daß die Kleider, die es trug, neu und sehr hübsch waren. Im gleichen Augenblick fiel ihm ein, daß die Stunde des Gebets zum Sonnenaufgang gekommen war. Er vollzog die Waschung, betete zu Allah und zum Ende des Gebets richtete er an Allah, den Allmächtigen, die Bitte: ›Herr gib diesem Mädchen den Geist, denn vollkommen ist es, nur der Geist fehlt ihm.‹ Dieser Faqīh war ein frommer und gottesfürchtiger Mann und darum erhörte Allah sein Gebet: Das hölzerne Mädchen fing an, sich zu bewegen und so schön war es, daß sein Anblick einen jeden verwirrte, und sein Gang einen jeden gefangen nahm, sein Herz zum Sklaven machte und ihn selbst zum Bettler! Als Ali, der Sohn der Schwarzen, die Geschichte bis zu diesem 179
Punkt vorgetragen hatte, wandte er sich an den Zeugen, der wie berauscht der schönen Erzählung zugehört hatte und sagte zu ihm: »Was meinst du, wer von den drei Freunden hat dieses Mädchen zur Frau verdient? Der Schreiner, der sie aus Holz gebildet hat, oder der Schneider, der sie mit den passenden hübschen Kleidern geschmückt hat, oder der Faqīh, der zu Allah gebetet hatte, er solle ihr den Geist schenken – wer von den drei Freunden verdient das Mädchen? Sag, Bruder, wer hat sie verdient?« Der Zeuge überlegte nicht lange und sagte: »Der Schreiner, der sie gefertigt hat! Ohne ihn wäre sie nicht da und meiner Meinung nach verdient nur einer dieses hübsche Mädchen, nämlich der Schreiner!« Als die Tochter der alten Frau diese Worte hörte, kam sie aus ihrer Ecke und rief: »Unerhört, nur eines ist richtig, das Mädchen gehört dem Faqīh, der hatte für sie zu Allah gebetet! Allah erhörte sein Gebet und schenkte dem Mädchen den Geist. Ohne Geist wäre aus ihr nie ein Mensch geworden, sondern sie wäre ein Stück Holz geblieben, und Holz gibt es überall!« Da wunderte sich der Zeuge, als er die Tochter der alten Frau reden hörte. Ali, der Sohn der Schwarzen, aber war überglücklich. »Du hast es genau gehört, sie hat gesprochen und auch, was sie gesagt hat! Von ihrem Platz ist sie aufgestanden und hat dich für deine Meinung über das hölzerne Mädchen sogar getadelt – stimmt es oder stimmt es nicht? Jetzt mußt du aber auch vor unserem Herrn, dem König, die Wahrheit bezeugen. Du erzählst ihm, was du gehört und mit deinen Augen erblickt hast, nichts fügst du hinzu, nichts läßt du weg. Über das Wort des Zeugnisses aber wacht nur Allah allein, und dein Gewissen!« Der Zeuge, den der König für die beiden Seiten mitgeschickt hatte, sagte: »Ja, ich habe gehört, wie die Tochter der alten Frau gesprochen hat, ich habe gesehen, wie sie von ihrem Platz aufgestanden ist, wie sie zornig war auf mich, und der Meinung war, das hölzerne Mädchen, dem Allah, dank der Bitten des Faqīh, den Geist eingegeben hatte, müsse dem Faqīh zustehen 180
und nicht dem Schreiner, wie ich es vorgeschlagen hatte. Dieses mein Zeugnis werde ich vor unserem König wiederholen.« Jetzt ging die Sonne auf, Morgenstund hat Nutzen im Mund, und sogleich gingen Ali, der Sohn der Schwarzen, und der vom König mitgeschickte Zeuge zum Schloß. Der König ließ die Alte holen und als alle anwesend waren, forderte der König den Zeugen auf: »Berichte uns in allen Einzelheiten, was geschehen ist und was du gesehen und gehört hast!« »Bei Allah, dies war das erste Mal, daß ich die Tochter der alten Frau habe sprechen hören. Also, es verhielt sich so: Der Jüngling da hat uns eine wunderschöne Geschichte erzählt. Als er zu Ende war, fragte er mich um meine Meinung, welcher von den Freunden den Preis verdiene. Ich habe meine Meinung gesagt, aber die Tochter der Alten war damit nicht einverstanden und gab ihre Ansicht zum besten. Sie hat nicht bloß ein paar Worte gesagt, nein, sie war richtig aufgebracht und so zornig, ich dachte, sie würde mich schlagen, so sehr war sie gegen meine Meinung! Schließlich erhob sie sich sogar von ihrem Platz und lief aus der Ecke, in der sie gesessen hatte, hinüber zur anderen Ecke des Zimmers, wo das Fenster war, öffnete es und schaute hinaus in die Welt!« »Hast du gehört, Alte, wie dieser Jüngling da es erreichte, deine Tochter zum Sprechen zu bewegen? Klug ist er und schlau. Diese List hat er sich ausgedacht, um deine Tochter dazu zu bringen, sich zu ärgern und dann zu sprechen. Jetzt ist alles klar, weiterer Worte bedarf es nicht. Dieser junge Mann hat deine Bedingung erfüllt und den Einsatz gewonnen. Dir bleibt jetzt nur noch, ihm alles zu übergeben, was du besitzt, all dein Vermögen, dein Handelsgeschäft und alles, was du sonst noch dein eigen nennst, alles gehört jetzt diesem klugen Jüngling.« Auch die letzte Bedingung wurde, wie abgemacht, erfüllt und es fand die Hochzeit statt zwischen dem jungen Mann und der Tochter der alten Frau. Weil der König an dem jungen Mann Gefallen gefunden hatte, erlaubte er ihm, die Hochzeit in seinem stolzen Schloß zu feiern. Alle Leute freuten sich aber auch, 181
weil diese Alte sie so oft übervorteilt hatte und niemand es je mit ihr hatte aufnehmen können, und weil es noch nie einem geglückt war, was dieser kluge Jüngling erreicht hatte. Tage vergingen und Tage kamen, beten laßt uns, beten zum Mond, wenn er voll am Himmel steht. Eines Tages begab sich unser kluger Jüngling in den Sūq. Wie groß war da seine Überraschung, als er seine beiden älteren Brüder traf, wie sie müde, mit zerrissenen, schmutzigen Kleidern bei einem Wirt und Bäkker arbeiteten! Sein Herz wurde von Mitleid mit den Brüdern ergriffen und er befahl dem Wirt: »Laß diesen jungen Mann und den anderen Diener Essen für vier Personen in mein Haus bringen.« Der Wirt freute sich über das Geschäft und bereitete eine feine Mahlzeit für vier Personen. Seine Gehilfen ließ er das Essen zu Ali, dem Sohn der Schwarzen bringen. Inzwischen war Ali wieder zu Hause angekommen und erzählte seiner Frau die Geschichte von seinen Brüdern, wie sie verloren hatten, was ihnen ihr Vater, der Sultan, überlassen und wie sie jetzt so unglücklich als Diener in einer Wirtsstube für einen erbärmlichen Lohn arbeiteten. Die Brüder erschienen bei Ali. Erst schickte er sie in den Baderaum, und hieß sie, sich gründlich zu waschen, dann gab er ihnen schöne Kleider. Als sie aus dem Baderaum wieder herauskamen, lud er sie ein, gemeinsam mit ihm und seiner Frau zu essen. Die beiden Brüder nahmen die Einladung dankbar an, aßen und alle waren sehr glücklich. Ali beschloß, seine Brüder jetzt bei sich wohnen zu lassen. Da gab es aber noch eine Schwierigkeit. Ali war der Sohn der Schwarzen, und seine Brüder Söhne von Freien. Ali wußte, daß die Mütter seiner Brüder, wenn sie alle drei ins Elternhaus zurückkehren würden, eine List fänden, um den Sultan dazu zu bringen, ihre eigenen Söhne vorzuziehen. Und das, weil beide Frauen Töchter von Sultanen waren, während Alis Mutter nur eine der schwarzen Nebenfrauen im Palast war, bei den Dienern lebte, ohne Achtung und Ansehen. Deshalb dachte sich Ali einen Beweis dafür aus, daß er erfolg182
reicher und schlauer gewesen war als seine Brüder, denn wahrscheinlich würde es nicht ausreichen, wenn er mit Geld und Schmuck und anderen wertvollen Dingen beladen zu seinem Vater zurückkehrte, während seine Brüder, die ihr Geld verloren hatten, in einer ärmlichen Garküche hatten arbeiten müssen, um sich durchzuschlagen. Ali schüttete deshalb seinen Brüdern ein Schlafmittel in den Kaffee. Als sie fest schliefen, brannte er ihnen eine Besitzmarke auf den Rücken, ohne daß es jemand bemerkt hätte. Auch seine Brüder spürten nichts davon, standen sie doch unter dem Einfluß des Schlafmittels. Nun beschloß Ali, der Sohn der Schwarzen, mit seiner Frau und seinen Brüdern nach Hause zurückzukehren. Er belud drei Schiffe mit allem, was er besaß. Die ganze Stadt war unglücklich, als sich herumsprach, daß Ali fortgehen werde, hatte er doch stets für jedermann ein offenes Ohr und eine offene Hand gehabt. Zugleich freuten sich die Leute aber auch für ihn, weil er zu seiner Familie zurückkehren wollte. Die drei Schiffe verließen den Hafen und als sie sich ihrem Heimatland näherten, planten Alis Brüder, ihn zu hintergehen. Alis Frau wollte der älteste der Brüder als seine eigene ausgeben, und das ganze Hab und Gut wollten sich die beiden teilen. Daheim angekommen, begrüßten Alis Brüder den Sultan mit den Worten: Was meinst du, Vater, sind wir dir schlaue Söhne oder nicht? Schau, welche Werte wir erworben haben! Unser Handel erstreckt sich über alle Länder, und meine Frau ist die Tochter reicher Leute!« – »Bei Allah, großartig ist das! All diese Reichtümer, wie ich sie in meinem Leben nie gesehen habe, und dazu diese süße Braut! Allah segne dich, und auch dich, mein Sohn, und helfe euch auch weiterhin! Aber, was ist aus eurem Bruder Ali geworden, und wo ist sein Geld?« – »Unser Bruder Ali hat einen Verstand wie seine schwarze Mutter. Sein ganzes Geld hat er verloren, verspielt, verjubelt und vertrunken, nichts ist ihm geblieben, kein einziger Dirham, und als kleiner Handlanger mußte er in einer Garküche arbeiten. Deinetwegen, Vater, haben wir ihn jetzt auf unserer Reise hierher mit zurückgebracht, so Unglück183
lieh war sein ganzes Leben, so schwer und voller Sorgen, wie er da lebte zwischen Pfannen und Steintöpfen.« – »Dank euch meine Söhne, daß ihr euch eures Bruders erbarmt und ihn mitgebracht habt, Allah schütze und erhalte euch!« Ali, der Sohn der Schwarzen, hielt sich in einer Ecke verborgen und hörte von da aus diese Unterredung. Über alle Maßen war er empört und voll Widerwillen gegen das verräterische Spiel seiner Brüder, die all das Gute vergessen hatten, das er für sie getan. Ali ließ seine Brüder zu Ende sprechen und beobachtete, wie die Minister und die Edlen seinen Brüdern die Hand reichten. Als Ali schließlich vortrat, schauten ihn alle voll Verachtung an. Da wurde Ali zornig. Jetzt konnte er sich nicht mehr in Geduld fassen und rief mit einer so lauten Stimme, daß sein Vater es hören mußte: »Nichts als Lügen, Verleumdungen und Betrug sind die Reden meiner Brüder. Und ich kann beweisen, was ich sage!« Mit Zorn in der Stimme antwortete der Sultan: »Was höre ich für ein leeres Geschwätz, was gibst du da von dir? Deine Brüder haben mehr Glück gehabt als du, mit einem großen Vermögen sind sie zurückgekommen, und dein ältester Bruder hat noch dazu ein schönes Mädchen, Tochter aus reichem Hause, mitgebracht. Du hingegen hast kein Glück gehabt, nichts erreicht, und was ich dir mitgegeben hatte, das hast du verloren. Du kommst zurück, gescheitert, erfolglos. Laß wenigstens deine Brüder aus dem Spiel und versuche nicht, ihnen neidisch mit dem bösen Blick zu schaden!« – »Es ist die Wahrheit, Vater, was ich gesagt habe. Ich habe es nicht erfunden, niemals. Es stimmt!« Da ergriff der erste Minister des Sultans das Wort: »Geben wir ihm Gelegenheit, sich zu beweisen. Wenn er gelogen hat, verdient er Strafe, auch wenn er dein Sohn ist, denn Lügen ist eine Schande!« Der Sultan war einverstanden und sagte zu seinem Sohn Ali, dem Sohn der Schwarzen: »Also, bei Allah, beweise deine Worte!« – »Gut, Vater, gewähre mir eine Viertelstunde, dann wirst du dich überzeugen können, wer von uns die Wahr184
heit spricht, meine Brüder oder ich! Meine Brüder sollen jetzt ihr langes weißes Qamīs ausziehen!« Der Sultan wunderte sich über diese Bitte Alis, und genauso wunderten sich die übrigen Anwesenden, doch der Minister sagte: »Wir müssen mit Alis Bitte einverstanden sein, deine Söhne müssen ihr Qamīs ausziehen. Wir sind alle Männer und so ist es keine Schande, wenn sie nackt vor euch stehen.« Der älteste Sohn des Sultans zog sich aus, und jetzt sahen alle ein großes eingebranntes Besitzzeichen auf dem Rücken des Jünglings. Dann zog sich der zweite aus, und auch er trug eine Besitzmarke. »Kommt her, kommt näher zu mir«, sagte der Sultan. Was ist das für ein Stempel auf eurem Rücken?« – »Gar nichts ist, Vater, schenke doch diesem neidischen Bruder mit dem bösen Blick keinen Glauben!« – »Aber dieser Stempel, das ist doch der eures Bruders Ali und ihr seid als seine Diener gekennzeichnet! Wie kommt denn das?« Jetzt forderte der Sultan seinen Sohn Ali, den Sohn der Schwarzen, auf, ihm die ganze Geschichte zu erzählen und Ali begann wie folgt: »Ich war es, der das Glück gewonnen hatte. Ich habe der alten Frau den Preis abgenommen, ihren ganzen Besitz und ihre schöne Tochter. Meine erbärmlichen Brüder aber habe ich im Sūq gefunden, wo sie sich in einer Garküche abquälten, unglücklich, krank, angetan mit gebrauchten Kleidern, für einen bescheidenen Lohn, der niemals reichte. Ich habe sie aus ihrer Pein erlöst, aus der Wirtsstube geholt, in mein Haus gebracht. Zum Dank haben sie mir diese große Schmach angetan, und alles ausgeklügelt, trotz des Guten, das sie von mir erfahren hatten. Doch kurz ist das Leben der Lüge. Und weil ich den Charakter meiner Brüder kenne – schon früher haben sie mich doch immer als ›Sohn der Schwarzen‹ beschimpft – deshalb habe ich, lieber Vater, ihnen diesen Stempel aufgebrannt. Ich habe es geahnt und gewußt – alles würden sie auf den Kopf stellen! Und genau das haben sie dann auch getan. Darum mußte ich alles vor euch aufdecken. Es tut mir leid, ihr mußtet 185
es erfahren, daß diese Betrüger keinen Erfolg hatten, daß sie, lieber Vater, alles was du ihnen mitgegeben hast, bei Ausschweifung und Glücksspiel und bei der Wette verloren hatten!« Da forderte der Sultan seinen Sohn Ali, den Sohn der Schwarzen, auf, den Platz neben ihm einzunehmen. »Du Ali sollst mein Nachfolger im Sultanat sein! Wenn ich gestorben bin, bist du der Sultan! Alle deine Taten beweisen, wie klug und schlau du bist, wie fleißig und wie voll Mitleid!« Einen Monat später wurde der Sultan krank und schied hin in Allahs Barmherzigkeit. Sein Sohn Ali, der Sohn der Schwarzen, bestieg den Sultansthron. Er lebte lange und war der beste Sultan. Alle liebten ihn, weil er mildtätig war und gerecht. Und seine Frau schenkte ihm edle Kinder und war glücklich über den Erfolg ihres Mannes.
21. Wie zwei Prinzessinnen sich den Holzsammler Qusāmī zum Manne einfingen
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s war einmal vor langer, langer Zeit, da lebte ein Holzsammler in der Nähe eines dichten Waldes. Sein Name war ›Qusāmī der Holzsammler‹, er war stark und mutig. Vom Verkauf seines Brennholzes bestritt er seinen Lebensunterhalt. Als er einmal keinen Käufer fand, tauschte er sein Holz mit einem Qāt-Verkauf er, gab ihm das Brennholz und nahm den Qāt. Qusāmī konnte sich Qāt nur ganz selten leisten und war ihn darum gar nicht gewohnt. Er kaute den Qāt, trank Wasser dazu. Und die Folge war natürlich, daß er am Abend nicht einschlafen konnte. In der gleichen Stadt lebte ein Sultan. Seine einzige Tochter war inzwischen herangewachsen, so schön war sie wie der Mond, wenn er voll am Himmel steht. Doch ihr Vater wollte sie nicht verheiraten. So sehr war er um seine Tochter besorgt, daß er 186
eine große Truhe für sie anfertigen ließ, in der sie sicher schlafen konnte und niemand ihr näherzukommen vermochte. Diese seltsame Truhe ließ sich nur von innen verschließen: Von jetzt an war die Tochter des Sultans sicher und geborgen, und fern von Schaden und allem Bösen. Eines Nachts aber drangen von der Rückseite des Palastes her Räuber in das Schloß ein. In einem d zr Zimmer fanden sie eine verschlossene Truhe. »Den Schatz des Sultans haben wir entdeckt!« Die Truhe war außerordentlich schwer, doch die Diebe waren kräftig und trugen die Truhe mit größter Vorsicht, ganz leise, damit niemand sie hören könne, davon. Im Freien angekommen, berieten sie, wie sie den Schatz in der Truhe aufteilen sollten. Weil sie sich nicht gleich einigen konnten, beschlossen sie, die Truhe erst einmal in den Wald zu bringen und dort in Ruhe das Problem zu lösen. Im Wald fingen sie an zu reden und zu streiten, welchen Anteil jeder von ihnen von den Juwelen, die sie in der Truhe vermuteten, haben sollte. Qusāmī der Holzsammler konnte in dieser Nacht wegen des Qātgenusses nicht schlafen. Deswegen hörte er die Diebe streiten, merkte, worum es ging, ergriff einen dicken Prügel, ging auf die Räuber los, und als diese Qusāmī den Holzsammler erblickten, rannten sie erschrocken davon, um ihre Haut zu retten. Die schwere Truhe aber mußten sie stehen lassen. Qusāmī brachte die Truhe in sein Häuschen und dachte nach, was er damit anfangen sollte. Da öffnete sich die Truhe plötzlich von innen, und es entstieg ihr ein Mädchen, so schön, daß ihn der Anblick traf, der Gang ihn gefangen nahm, sein Herz zum Sklaven wurde und ihn selbst zum Bettler machte. So schön war das Mädchen! Lob sei dem Propheten, über den Allah seine Hand und seinen Segen halten möge. Qusāmī der Holzsammler erschrak über diesen Anblick, weil er das schöne Mädchen für eine Dschinnia halten mußte. Es aber beruhigte ihn, und als es ihm erklärte, daß sie ein Menschenwesen sei, kehrte dem Qusāmī der Verstand zurück: Ja, sie war wirklich ein Menschenwesen und er liebte sie, weil er solche Schönheit 187
noch nie gesehen hatte, denn schön war sie wie der Vollmond, und Allah erschafft, was er will! In dem armen Haus gab es nichts zu essen. Darum holte die Tochter des Sultans aus ihrer Truhe eine prachtvolle, von ihr gefertigte Stickerei und überreichte sie Qusāmī dem Holzsammler. Im Sūq solle er sie verkaufen und dafür etwas zu essen und einige Kleidungsstücke für sich selbst erstehen, denn er besaß nichts weiter als eine einzige Füja. Als Qusāmī der Holzsammler in den Sūq kam, konnte er gar nicht begreifen, warum sich die Kaufleute auf die Handarbeit stürzten und soviel dafür zahlen wollten. Von dem Erlös konnte er eine Menge zu essen kaufen, und ein schönes Gewand noch dazu. Trunken vor Freude und überglücklich brachte er alles in seine Hütte zurück. Die Tochter des Sultans freute sich über das, was Qusāmī der Holzsammler nach Hause brachte. Weil sie hungrig war und weil sie sich diesem fremden Mann gegenüber gastfreundlich erweisen wollte, besonders aber, weil sie sich maßlos in ihn verliebt hatte, bereitete sie gleich ein köstliches Essen. Wie er sie denn vor dieser Bande von Räubern gerettet habe, wollte sie wissen, und ließ sich alles erzählen. Wenn er nicht gewesen wäre, wäre sie sicher zugrunde gegangen und niemand hätte erfahren, welchen Schmerz und welchen Kummer sie ihr angetan hätten, diese Diebe, Verbrecher, Räuber, Betrüger, Mörder! Also, das Mädchen liebte Qusāmī, und er liebte das Mädchen so sehr, daß er den Verstand verloren hatte. Darum beschlossen sie, zu heiraten nach der Sunna Allahs und seines Propheten. Es war eine bescheidene Hochzeit, ohne Gäste. Sie lebten glücklich, weil Qusāmī der Holzsammler immer wieder Stickereien seiner Frau im Sūq verkaufen konnte. Eines Tages, gesegnet sei der Prophet, der Reinste aller Menschen, brachte einer der Kaufleute, bei denen Qusāmī die Handarbeiten der Sultanstochter absetzte, diese in die Hauptstadt und legte sie dort in seinem Laden aus. Einige Frauen aus dem Schloß des Sultans 188
kamen und sahen diese schönen Handarbeiten und kauften sie auf der Stelle. Im Palast prüften sie die Stickereien und waren sicher, daß nur die Tochter des Sultans sie gearbeitet haben konnte. »Deine Tochter ist noch am Leben und mit Handarbeiten verdient sie sich ihren Unterhalt« – berichteten sie dem Sultan. Er müsse einen seiner Wesire ausschicken, um die Sache näher zu untersuchen und um die ganze Wahrheit herauszufinden. Der Wesir begab sich in den Sūq jener Stadt, in dessen Nähe Qusāmī und die Tochter des Sultans lebten. Als Qusāmī erschien, um Stickereien zu verkaufen, bot der Wesir einen Preis, höher als den, den bisher die Händler im Sūq bezahlt hatten. Er würde gerne noch mehr kaufen, sagte er, und ob er Qusāmī dazu nach Hause begleiten dürfe? Qusāmī hatte nichts dagegen einzuwenden und nahm den verkleideten Wesir mit in sein Haus. Die Tochter des Sultans erkannte den Wesir: »Das ist einer von den Wesiren meines Vaters, des Sultans! Um mich zu suchen, ist er gekommen. Ich weiß aber schon einen Ausweg: einen Kaffee mit Schlafmittel werde ich zubereiten, und in einem anderen Gefäß gewöhnlichen Kaffee. Dann schenkst du dem Wesir von dem berauschenden Kaffee ein und du selbst trinkst den einfachen!« Doch Qusāmī verwechselte die Tassen, gab dem Wesir den einfachen Kaffee, trank selber den berauschenden, wurde ganz benommen und schlief ein. Der Wesir fand die Tochter des Sultans im Dachzimmer, rief seine Leute herbei und gemeinsam brachten sie sie zurück ins Schloß. Als Qusāmī der Holzsammler aus tiefem Schlaf erwachte, war seine Frau, die Tochter des Sultans, verschwunden. Wahnsinnig vor Liebe faßte er einen Plan: Er veränderte sein Aussehen, begab sich in die Nähe des Schlosses und trieb sich dort herum. Endlich erblickte er die Tochter des Sultans, gab ihr ein geheimes Zeichen und verabredete mit ihr die Flucht. Die Tochter des Sultans mußte sich als Knabe verkleiden, bestieg eines der edlen Araberpferde ihres Vaters, ritt aus dem Hoftor, ließ ihren Mann Qusāmī aufsitzen, und bald lag das Schloß weit hinter ihnen. 189
Ohne anzuhalten, ritten sie bis zum Abend und legten sich dann schlafen. Als die Morgenröte aufkam, wachte Qusāmī als erster auf und sah, daß seine Frau eine schöne goldene Halskette trug. Eine solche Kette hatte Qusāmī noch nie gesehen, nahm sie in die Hand, um sie näher zu betrachten, doch im gleichen Augenblick tauchte ein großer Rabe auf und schnappte sich die goldene Kette. Qusāmī war maßlos zornig und rannte hinter dem Vogel her, von Baum zu Baum. Schließlich waren beide erschöpft und der Vogel blieb auf einem hohen Baum sitzen. Qusāmī kletterte hinauf und ergriff die goldene Kette. Inzwischen aber war eine Menge Leute zusammengelaufen und schrie, eine solche goldene Kette müsse er in das Schloß des Königs dieser Stadt bringen. Qusāmī versuchte, zu fliehen – vergebens. Die Leute ergriffen ihn und brachten ihn zum Sohn des Königs. Wem diese goldene Kette gehöre, wollte der Sohn des Königs wissen. Weil Qusāmī schwieg, befahl der Sohn des Königs, Qusāmī ins Gefängnis zu werfen, zur Strafe für den hinterhältigen Diebstahl, den der Holzsammler begangen haben mußte. Die immer noch als Knabe verkleidete Frau des Qusāmī hörte in der Stadt, in die sie auf der Suche nach ihrem Mann gekommen war, die Geschichte eines Mannes, der eine goldene Halskette gestohlen habe. Sie begab sich zum Sohn des Königs, beschrieb die Kette und erklärte, sie gehöre ihr, ihr Sklave habe sie gestohlen und sei damit verschwunden. Sie bäte um die Kette und den Sklaven, den sie mitnehmen wolle. Der Königssohn war einverstanden, zum Abschied gab er ein Festessen. Für die Nacht wurde dem verkleideten jungen Mann, der in Wirklichkeit die Tochter des Sultans und die Frau des Qusāmī war, und seinem Sklaven ein gemeinsames Zimmer zugewiesen. Die Tochter des Königs aber hatte sich in den vorgeblichen Jüngling verhebt und bestürmte ihren Vater, den König, ihr diesen zum Bräutigam zu geben, den und keinen anderen! Der König wollte seiner Tochter gerne den Willen tun und schlug dem jungen Mann die Heirat mit seiner Tochter vor. Die 190
Antwort des Jünglings: »Gern, doch nur unter einer Bedingung. Deine Tochter muß mich begleiten, denn unstet bin ich und immerzu auf Reisen, auch hier in deiner Stadt kann ich nicht verweilen!« – »Einverstanden« – sagte der König, und in größter Eile wurde die Hochzeit gefeiert. Der verkleidete Jüngling nahm die Tochter des Königs zu sich aufs Pferd, Qusāmī ging hinterher, einen ganzen Tag lang. Am Abend erreichten sie ein Dorf, der vorgebliche junge Mann mietete für sich und seine Frau ein Häuschen und bat seinen ›Sklaven‹ Qusāmī, sich in der Nähe versteckt zu halten. Der verkleidete junge Mann, der in Wahrheit die Ehefrau Qusāmīs war, bat nun Qusāmī, sich ganz an ihren Plan zu halten, damit die Geschichte nicht ans Licht käme und der König zornig über sie herfallen würde: Und genau nach diesem Plan wartete der vorgebliche junge Mann bis Mitternacht, dann verließ er das Haus, tauschte seine Kleider mit Qusāmī, befahl ihm, zu der Braut, der Tochter des Königs, hineinzugehen und mit ihr zu schlafen. Qusāmī tat, was ihm seine Frau befahl, ging in die Hütte, schlief mit der Braut. Im Morgengrauen tauschte er wieder die Kleider mit seiner ersten Ehefrau. Sie kam zurück in das Haus und benahm sich so, als sei sie der junge Mann, der die Tochter des Königs geheiratet hatte. Nach ein paar Tagen aber kam die Tochter des Königs doch hinter das Spiel. Anstatt zornig zu werden, hatte sie sich in Qusāmī verliebt, der mit ihr das Liegekissen und sich selbst zwischen ihr und seiner ersten Frau geteilt hatte. Gern wollte sie Qusāmīs zweite Ehefrau werden. Die Ehe wurde rechtmäßig und in gültiger Form geschlossen mit Einverständnis der schönen Tochter des Sultans.
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22. Die Braut mit der Dschanbīya
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s war einmal ein König des Iraq, seine Herrschaft war prachtvoll, eine Frau hatte er und einen Sohn. Da starb die Frau und er blieb mit seinem Sohn zurück. Sein Gefolge redete dem König immer wieder zu, er solle den Sohn verheiraten, doch es gefiel dem Vater nicht. Immer und immer wieder sprachen sie ihm davon, doch als er jedesmal ablehnte, fragten sie ihn schließlich: Warum weigerst du dich eigentlich, deinen Sohn zu verheiraten?« – »Ich lasse meinen Sohn nicht heiraten, bevor ich nicht gestorben bin. Damit Schluß jetzt, ich will von dieser Sache nichts mehr hören!« – Verheirate deinen Sohn doch, solange du lebst und freue dich, wenn er glücklich ist, und freue dich über seine Kinder!« – »Nein, ich will nicht, mein Sohn wird heiraten, wenn ich gestorben bin.« Nun hielten sich die Ratgeber an diesen Befehl und wollten abwarten, bis der Tod den König empfangen würde. Doch eines Tages rief dieser seinen Sohn zu sich und sprach zu ihm: »Mein Sohn, höre mein Vermächtnis: Wenn du heiratest, dann soll es eine Frau sein, von hohem Wuchs und breit in ihren Schultern. Paß auf! Heirate wirklich nur ein Mädchen, wie ich es dir beschrieben habe. Das ist der Ratschlag aus meinem Gewissen zu deiner Ehre!« – »Gut Vater, so will ich es tun.« Wie der Königssohn seine Braut fand und wie sie ihn aus dem Todesbrunnen rettete Der alte König starb und wurde beerdigt. Sein Sohn wartete zwei Monate, dann beschloß er, zu heiraten. Er trug seinen Wunsch den Ratgebern vor: »Ich will heiraten, doch nur ein Mädchen, breitgebaut und hochgewachsen!« – »Ein Mädchen, so wie du es da beschreibst, das gibt es nicht in unserer Stadt, aber beim König der Abessinier gibt es so etwas! Mach dich auf zum König der Abessinier, dort wirst du dein Mädchen finden!« 192
So entschloß sich der Königssohn, zum König der Abessinier zu reisen. Er stellte sein Pferd bereit, Maultier und Sklave. Das Pferd bestieg er, das Maultier belud er mit Schmuck und Juwelen, der Sklave begleitete ihn. Schließlich traf er beim König der Abessinier ein. Drei Tage lang war er sein Gast, dann trat er vor den König der Abessinier hin und sprach: »Gekommen bin ich, weil ich heiraten möchte. Meine Ratgeber haben mich an deinen Hof verwiesen, weil es nur bei euch eine solche Braut geben soll, wie ich sie wünsche, hochgewachsen und breit in ihren Schultern!« – »Bei uns gibt es ein solches Mädchen nicht, aber beim König von Ägypten, da findest du so etwas!« Der Jüngling zog zum König von Ägypten und verbrachte auch bei ihm drei Tage als Gast. Dann trug er dem König von Ägypten die Sache mit der Heirat vor, beschrieb ihm die Körpergröße und die breitgebauten Schultern der Braut, so wie er sie haben wollte. Doch auch der König von Ägypten mußte ihm antworten: »Das gibt es nicht bei uns, das mußt du in Chaulān im Jemen suchen! Was du da beschreibst, das gibt es nirgendwo, außer in Chaulān, beim Scheich der Scheichs!« Der Jüngling setzte sein Vertrauen auf Allah und reiste in den Jemen. Er erkundigte sich nach Chaulān, kam nach Chaulān, fragte nach dem Namen des Scheichs, den man ihm in Ägypten genannt hatte. Endlich fand er ihn, drei Tage blieb er als Gast. Als die drei Tage vorüber waren, sprach er zum Scheich: »Mit Verlaub, als ein Werber und Bitter bin ich gekommen, wenn es bei dir etwas gibt, so wie es mein Vater mir beschrieben hat.« – »Ja, ein Mädchen, das so aussieht, genau das haben wir. Herzlich willkommen! Meine Bedingung für den Brautpreis: Sieben Kūfīas mit Gold gefüllt!« Der junge König war auf der Stelle einverstanden. Er rief nach seinem Sklaven, trug ihm auf, die ledernen Satteltaschen hereinzubringen und befahl: »Fülle sieben Kūfīas mit Gold und übergebe sie dem Scheich.« Und den sieben Söhnen seines Schwiegervaters überreichte der junge König noch sieben Edelsteine, einen Edelstein für einen jeden von ihnen, und erklärte dann, daß er nunmehr zu heiraten gedächte. 193
»Gut, dann besprechen wir einen Termin. Wann willst du heiraten und wann willst du wieder in dein Land zurückkehren?« – »In einem Monat soll die Hochzeit stattfinden, in einem Monat von jetzt an.« – »Einverstanden!« Der junge König brach auf, um in sein Land zurückzukehren, und so wanderten sie immerzu, das Pferd, der Sklave, das Maultier. Als der junge König einmal heftigen Durst verspürte, befahl er seinem Sklaven: Wasser will ich!« – »Hier gibt es kein Wasser, weiter vorne, da ist Wasser!« In Wirklichkeit aber gab es Wasser in dieser Gegend, doch der Sklave wollte ihn nicht trinken lassen. So zogen sie weiter, bis sie zu einem Wadi gelangten, in dem sich ein Brunnen befand. Der junge König befahl seinem Sklaven erneut: »Auf, hol uns jetzt Wasser herauf!« – »Dein Eigentum bin ich, dein Mameluck, doch Wasser aus diesem Brunnen kann ich dir nicht holen.« – »Wieso nicht?« – »Nur so, ich kann nicht!« – Was ist denn das für eine Rede, willst du, daß wir vor Durst sterben, ich und du, und das Pferd und das Maultier?« – »Ich kann nicht, ich kann nicht!« – »Also her mit deinem Gürtel und ich gebe meinen Gürtel dazu!« Der junge König band die beiden Gürtel zusammen und ließ sich daran in den Brunnen hinab, während der Sklave oben das andere Gürtelende festhielt. Doch plötzlich ließ der Sklave los und der junge König fiel hinab in die Tiefe des Brunnens. Welch verräterisches Verbrechen des Sklaven an seinem Herrn! Und der Sklave sprach: »Jetzt bin ich der König. Das Pferd besitze ich und das Geld, und seinen Dolch habe ich auch.« Während aber der Sklave glaubte, der junge König sei tot, konnte der sich an der Seitenwand des Brunnens anklammern. Pferd und Maultier drängten sich jetzt ganz nahe an den Rand des Brunnens, schauten hinab und entdeckten, daß ihr junger König noch am Leben war. Mit einem Satz sprangen sie auf den Sklaven zu, um ihn niederzutrampeln, doch der konnte sich gerade noch in die Krone eines riesigen Baumes retten, während unten Pferd und Maultier den Baum umzingelten, um dem Verräter das Ende zu bereiten, sobald er herunterkommen würde. 194
Das Pferd beschloß nun, sein Vertrauen auf Allah zu setzen und dorthin zu laufen, wo sie hergekommen waren, in das Land der Braut. Das Maultier blieb zurück und belagerte weiter den Sklaven oben im Baum. Nicht lange, und das Pferd erreichte das Dorf der Braut, und genau in jenem Augenblick stand das Mädchen auf dem Dach des Hauses, bemerkte den Staub, den das Pferd aufwirbelte und dachte: ›Seltsam, was bedeutet dieser Staub, wer kommt und welche Nachricht verbirgt sich dahinter?‹ Als das Pferd vor dem Haus anhielt, da erkannte es die Braut. Das ist das Pferd dessen, der als Gast bei uns war! Das Pferd schlug gegen das Tor, stampfte auf den Boden und wieherte. Da wußte das Mädchen, daß ihrem Verlobten etwas zugestoßen sein müsse. Es eilte zu seinem Vater und berichtete ihm: »Das Pferd des Mannes, der unser Gast war, ist zurückgekommen, hat gegen unser Tor geschlagen, stampft die Erde und wiehert. Allah allein mag wissen, was dies zu bedeuten hat!« – »Gut, ich rufe deine Brüder.« Der Scheich rief seine sieben Söhne zusammen: »Söhne, schaut das Pferd, eurem Schwager ist etwas zugestoßen, entweder ist er tot, oder es ist ihm ein Leid geschehen. Auf, macht eure Pferde bereit, reitet hinter seinem Pferde her, wohin es auch läuft!« – »Zu Befehl, Vater!« Die Söhne bestiegen ihre Pferde, das Pferd des jungen Königs rannte vor ihnen her, sie ritten ihm nach, bis sie zu dem Brunnen kamen. Das Maultier belagerte den Sklaven noch immer. Und das Pferd begann, die Erde zu stampfen, es wieherte, steckte seinen Kopf in den Brunnen und weinte, und die Trännen fielen hinab in den Brunnen. Jetzt erblickten die Jünglinge auch den Sklaven droben im Baum: »Wo ist der junge König?« – »Im Brunnen!« – »Lebendig oder tot?« – »Weiß nicht!« Sie steckten ihre Köpfe in den Brunnen und da erblickten sie ihren Schwager. Er lebte noch und hielt sich an der Innenwand des Brunnens fest. Jeder der sieben zog nun seinen langen Stoffgürtel aus, sie knoteten die Teile aneinander und ließen sie in den Brunnen hinab. Der Jüngling band sich selbst hinein, endlich 195
konnten sie ihn. hochziehen. Sie fragten ihn: »Was ist vorgefallen?« – »Das ist die Tat des Sklaven auf dem Baum dort oben.« – »Auf, schlagt ihn mit der Waffe, diesen Verräter, bringt ihn um«, schrien sie. Und so töteten die sieben Brüder den Sklaven im Baum. Als er herunterfiel, da sprangen das Pferd und das Maultier auf ihn, wieder und immer wieder, und stampften ihn zusammen und gruben ihn in die Erde hinein. Aus ganzem Herzen dankte der junge König seinen Schwägern: »Schüfe Allah doch mehr Männer nach eurem Beispiel!« – »Brauchst du uns noch, sollen wir dich begleiten für den Rest des Weges?« – »Nein, ich bedarf der Hilfe nicht. Nur eines braucht man auf dieser Welt, das Gute! Nochmals Dank euch, und schüfe Allah doch mehr Männer nach eurem Beispiel. Lebt wohl, jetzt kehre ich in mein Land zurück.« – »Aber du hast doch keinen Freund und niemanden sonst bei dir, der dich begleitet.« – »Meine Freunde sind das Pferd und das Maultier. Sie bewahren mich vor jeder Gefahr!« Mit diesen Worten setzte er sein Vertrauen auf Allah und kehrte in sein Land zurück. Bei der Ankunft fragten ihn seine Ratgeber: Wo ist dein Sklave?« – »Gestorben.« – »Was hast du unternommen, wo bist du hingezogen, hast du eine Braut gefunden?« – »Also, dahin und dorthin bin ich gezogen, aber das, was mein Vater mir beschrieben hatte, das fand ich erst im Jemen, in Chaulān!« – »Allah sei gelobt! Und einen Zeitpunkt für die Hochzeit hast du auch vereinbart?« – »Ja, einen Monat danach!« – »Gepriesen sei Allah!« Der Tag des Eheversprechens rückte näher. Der Jüngling ließ seine Stadt schmücken und sandte Botschaft nach Chaulān, der Tag der Hochzeit sei nahe! Der Vater der Braut und seine sieben Söhne legten ihr Festgewand und ihre Waffen an, aber auch die Tochter, die Braut, kleidete sich genauso wie ihre Brüder. Dschanbīya, Waffen, Gewehr, Patronengürtel um die Hüfte, Patronengürtel über die Schulter! Sogar den Indigo-Turban wand sie sich um den Kopf, und jeder nahm sie für einen der Brüder. Alle setzten ihr Ver196
trauen auf Allah und gelangten so in die Stadt des jungen Königs, alle zusammen: Der Alte, seine sieben Söhne und die Tochter, die so aussah, wie einer der jüngsten Söhne. Man begrüßte sie, auf Pferden und mit Musik, doch dann wurde gefragt: »Die Braut, wo ist sie? Gehört dieser ganze Zug der Braut?« – »Nein, Braut ist keine hier, die Braut kommt erst am Abend!« Mit den Einwohnern zogen sie durch die Stadt, der Alte, die Söhne, die verkleidete Braut, bis sie zu dem Haus kamen, wo sie wohnen sollten. »Für wen ist dieses Haus?« fragte die Braut. »Das ist für die Männer, und das da für die weiblichen Hochzeitsgäste!« Da marschierte die Frau mit ihren Waffen in das Haus für die weiblichen Gäste, wo viele Frauen saßen, redeten, Essen kochten. Als die Frauen im Haus die verkleidete Braut erblickten, schrien sie und rannten voller Schreck davon! Das Mädchen rief ihnen nach: »Fürchtet euch nicht, habt doch keine Angst! Ich bin eine von euch!« Schnell zog sie die Kleider, die sie trug, aus und Frauenkleider an, dann bereitete sie alles für die Hochzeit vor, alles, was für eine Hochzeit zu tun war, das tat sie. Ihr Vater und die sieben Brüder blieben sieben Tage lang als Gäste bei dem jungen König. Nachdem die Hochzeitsfeier vorüber war, sagten sie ihm Lebewohl und machten sich wieder auf den Heimweg. Zuvor aber fragten sie noch: Wie fühlst du dich, und dein Mann, wie ist er?« – »Ich habe ihn ja noch gar nicht zu sehen bekommen und weiß also noch gar nicht, wie er ist«, antwortete die Schwester. »Allah sei gelobt, was für ein ehrenhafter Mensch!« sagten sie und ritten davon. Von den sieben Räubern, und wie die schlaue Braut mit ihnen fertig wurde Am gleichen Abend zog der junge König zu seiner Braut, die Frauen der Stadt kamen zu Besuch in das Haus der Braut, um zu reden, und das tägliche Leben begann für sie alle. 197
Da geschah es, daß sieben Räuber in die Stadt kamen. Die Sieben erkundigten sich bei den Frauen, wie es denn um diese neue Braut des Königs bestellt sei. »Schön ist sie, so eine wie die gibt es in der ganzen Welt nicht noch einmal, so schön, so ehrenhaft, so edel!« Da beschlossen die sieben Räuber, in das Schloß einzudringen, um an diese Frau heranzukommen. Wir müssen uns einen Plan ausdenken«, sagte der eine. »Was für einen Plan?« fragten die anderen. »Ich meine, wir suchen eine alte Frau, der geben wir Geld, zwanzigtausend Rial. Sie soll alles herausfinden und dann warten wir, bis der König das Schloß verläßt. Dann sehen wir weiter.« Bald hatten sie eine Alte, die ihnen bei dem Plan helfen wollte, gefunden. Sie gaben ihr Geld, aber die Alte wollte noch einen Strohhut – »und eine Hose will ich und ein langes Qamīs., auch ein Kopftuch, einen Rosenkranz und einen Wanderstab!« Alles das mußten sie ihr noch geben, und dafür wollte sie ihnen helfen, in das Schloß hineinzukommen. Am Abend setzte sich die Alte in den Hof des Hauses des jungen Königs und blieb dort die ganze Nacht. Am Morgen kam der König angeritten, stieg ab und fragte sie: Was treibst du hier, Alte, willst du etwas?« – »Auf Pilgerfahrt bin ich gewesen zum heiligen Hause Allahs. Eine alte Frau bin ich, habe drei Kinder und nun bin ich auf dem Heimweg, will mich ein wenig ausruhen.« – »Dann bleib doch eine Weile bei uns.« Sieben Tage blieb sie, beobachtete alles genau, und am achten Tag sprach sie wieder mit dem jungen König: »Erzähle mir von dir!« – »Ich bin der König dieses Landes. Und vor mir war mein Vater der König. Ich kann mich nicht beklagen, Allah sei bedankt!« – »Und dein Vater war nur ein König?« – »Nein, mein Vater war Kaufmann und zu gleicher Zeit König dieses Landes!« – »Und du, wieso arbeitest du nicht wie dein Vater in Handelsgeschäften, und sitzt nur hier herum und bist bloß König?« – »Ich habe genug Geld, Allah sei gelobt!« – »Irgendwann wird es nicht mehr reichen, wenn du nicht die Handelsgeschäfte deines Vaters weiterführst!« – »Ja, und wie soll ich das machen?« – »Geh 198
nach Aden und Hodeidah, Mokka und Alexandria, und überall hin, geh kaufen und verkaufen!« – »Ja, warum nicht?« Der junge König sattelte sein Pferd, belud seine Kamele mit Schmuck und Gold, zog nach Hodeidah und kaufte Waren für viel, viel Geld. Derweilen war die Alte immer noch im Schloßhof, noch drei weitere Tage lang, beschäftigte sich ein wenig und weinte immerzu. Schließlich fragte die junge Frau des Königs: Was ist denn los mit dir?« – »Ach, meine Kinder!« – »Dann eile und bring sie hierher, wir kümmern uns um sie.« – »Nein, ich muß zurück zu ihnen.« – »Gut, auch recht; hier nimm, ein bißchen Geld für deine armen Kinder.« Mit diesen Worten gab ihr die Königin fünftausend Rial, genug für Weizen, Butterfett, Honig, Geschenke. Die Alte wanderte nun davon, nicht ohne noch zuvor den sieben Räubern die versprochene Nachricht zu hinterbringen: »Es ist alles gelungen, den jungen König habe ich fortgeschickt, für einen ganzen Monat und nicht nur für eine Nacht, wie ich euch versprochen hatte!« – »Dank dir, das hast du gut gemacht.« In der folgenden Nacht drangen die Räuber in das Schloß ein. Erst gingen sie durch den Vorhof, dann klopften sie an das große Tor. Die Nebenfrau hörte das Klopfen und sagte zur Königin: »Hör das Klopfen. Nur Allah weiß, wer da klopft. Wer kann das sein, jetzt, zu dieser Stunde, mitten in der Nacht?« Die Königin befahl der Nebenfrau, einige Lampen anzuzünden, öffnete das Tor, und als sie die Sieben davorstehen sah, hieß sie sie herzlich willkommen. »Kommt herein, gelobt sei Allah, der euch hierhergebracht hat. Gestern haben wir euch schon auf der Straße gesehen.« So waren also die Räuber in das Schloß gekommen, die Königin reichte ihnen Kaffee und fragte auch: »Kann einer von euch ein Schaf schlachten?« Alle bejahten. »Nein, ich will nur einen, der schlachten geht.« – »Aber wir möchten nicht, daß du ein Schaf schlachten läßt, wir wollen nur eine Nacht bleiben!« – »Nein, es muß geschlachtet werden, ihr seid meine Gäste und ich will euch als Gäste bewirten, wie es sich gehört.« – »Nun, so sei bedankt!« 199
Einer der Räuber ging, um ein fettes Schaf zu schlachten. Als die Nebenfrau das Fleisch in der Küche wusch, kam die Königin dazu, aber nicht, um zu helfen, sondern mit einem Auftrag: »Füll mir sieben Kaffeeschalen, zur Hälfte mit Schlaftrunk, und zur anderen mit Kaffee!« Das tat die Nebenfrau, brachte die Schalen ins Zimmer, jeder der Räuber trank und schlief ein! Jetzt stieg die Königin hinunter in den Lagerraum ihres Mannes, holte Teer, die Nebenfrau machte ihn heiß, die Königin holte den Siegelring ihres Mannes, tauchte ihn in den Teer, zog dem ersten der sieben den Ma’awaz hoch, drückte ihm den Stempel aufs Hinterteil. Und genauso verfuhr sie mit den sechs anderen. Dann sagte sie zu der Nebenfrau: »Jetzt brauche ich die Schere!« Die Nebenfrau holte die Schere und die Königin schnitt dem ersten Räuber sein Glied ab, dann schnitt sie dem zweiten sein Glied ab, und verfuhr genau so bis zum siebten. Dann ergriffen sie die schlafenden Räuber, einen nach dem anderen, schleppten sie hinunter in das Erdgeschoß des Hauses und warfen sie zu den Maultieren. Die Königin nahm den Räubern die Dschanbīyas weg und beide Frauen banden die Räuber, je zwei, auf den Rücken eines Maultieres. Die Nebenfrau führte das Maultier in die Stadt hinaus, warf die Räuber in den Staub und kehrte zurück ins Schloß. Mit der zweiten Ladung verfuhren sie ebenso und mit der dritten, und schließlich beförderten sie auch den letzten der Räuber hinaus in die Stadt. Als sie ihre Sache zu Ende gebracht hatten, gingen die Königin und die Nebenfrau ins Haus, verriegelten das Tor und legten sich schlafen. Am Morgen wachten die sieben Räuber auf, ohne Dschanbīyas, ohne Waffen, wie Frauen waren sie geworden! Da sagte einer zum andern: »Du, möchtest du Kaffee?« – »Und du, möchtest du Fleischbrühe? Ha, der wollen wir es heimzahlen, wir werden uns rächen!«
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Wie die sieben Räuber den Königssohn zum Sklaven machten, dabei aber nicht mit seiner klugen Frau rechneten Da hielten die Sieben Rat, und – weil es nichts nützen würde, noch einmal zum Schloß zurückzukehren, die Königin würde sie ja umbringen lassen –, so beschlossen sie, nach Hodeidah zu gehen und dort beim König von Hodeidah den jungen Kaufmann zu verleumden. Dieser Kaufmann, wollten sie berichten, habe ihnen übel mitgespielt, betrogen habe er sie, und das Geschäft des jungen Kaufmanns sei in Wahrheit ihr eigenes, er sei nichts anderes als ihr Diener! Und in Hodeidah gilt das Recht, daß zwei einen Anspruch geltend machen können, und drei legen Zeugnis ab, und zwei weitere können ein Urteil verlangen. In Hodeidah angekommen, gingen sie zum Herrscher: »Das Vermögen dieses jungen Mannes gehört uns, und alles was er an Waren hat, gehört uns, betrogen und belogen hat er uns, der da, nichts anderes ist er als unser Diener«, sagten die beiden Kläger. »Das ist doch nicht die Wahrheit! Dieses Vermögen und dieses Handelsgut, das gehört doch alles mir. Und diese Leute da kenne ich überhaupt nicht, ich habe sie noch nie gesehen!« – »Gut, vor Gericht braucht man drei Zeugen!« – Wir bringen drei Zeugen!« Sie brachten drei der ihren; die legten Zeugnis ab, daß die Rede der beiden Kläger richtig sei, und ihnen das Vermögen und das Handelsgut gehöre. Jetzt verlangte das Gericht aber zwei weitere Eidhelfer, um ein Urteil sprechen zu können. Zwei weitere von den Sieben erschienen und legten das gleiche Zeugnis ab wie ihre Vorgänger. Da erging das Urteil gegen den jungen König, er müsse alles herausgeben was er besitze, an Geld, an Pferden, an festem Vermögen, alles sei zu übergeben gemäß dem Urteilsspruch. So war das Urteil, und der König völlig mittellos. Nicht einmal genug Geld hatte er mehr, um nach Hause zurückkehren zu können – so schlimm war seine Lage. Deshalb verdingte er sich als Arbeiter in einer kleinen Garküche. Die Königin aber wartete eine Woche, und noch eine, und eine 201
dritte und die vierte Woche, bis ein ganzer Monat vorüber war. Danach aber beschloß sie, sich auf die Reise zu machen, um nach ihrem Mann zu suchen. Zur Nebenfrau sagte sie: »Paß gut auf das Haus auf, wie auf deinen eigenen Kopf! Unter deiner Verantwortung lasse ich es, wenn ich losziehe, um in Hodeidah, in Alexandria, im Iraq, und überall nach meinem Mann zu suchen!« Die Königin zog Männerkleidung an, steckte die Dschanbīya in den Gürtel, belud ein Maultier mit Geld. Sie bestieg ein Pferd und ritt nach Hodeidah. Dort kehrte sie in der gleichen Garküche ein, in der ihr Mann, der junge König, arbeitete. Der Wirt begrüßte den Neuankömmling mit den Worten: Willkommen der Herr Hauptmann!« – »Hast du ein Zimmer, wo ich absteigen kann?« – »Ja, haben wir, herzlich willkommen, Herr Hauptmann!« – »Schickt mir einen Jungen. Er soll nach meinem Pferd sehen, ihm zu fressen geben und es tränken.« Der Wirt ruft: »Wo bist du denn, du Elternschande! He, komm her, du Schande deiner Eltern.« – »Hier bin ich schon, zu Befehl.« Der Diener erschien: es war der Ehemann der Frau. Sie erkannte ihn auf der Stelle und sagte zum Wirt: »Den da will ich. Er soll mir zu Diensten sein und dafür zahle ich seinen vollen Lohn.« – »Sehr wohl!« – »Wie hoch ist denn sein Lohn am Tag?« – »Fünfzig Rial am Tag.« – »Hier sind die ersten fünfzig Rial.« Drei Tage lang kümmerte sich der Diener um das Pferd, fütterte und tränkte es und diente dem Mann beim Essen. Schließlich richtete der Fremde das Wort an den jungen Mann: »Hör zu Junge, woher bist du und was ist deine Abstammung?« – »Wenn ich es dir sage, woher ich bin, und wessen Sohn ich bin, dann nähmst du deinen Schuh, um mich damit zu schlagen!« – »Also, wessen Sohn?« – »Der Sohn des Königs Soundso, Sohn des Soundso, der bin ich!« Und schließlich erzählte der junge Diener dem Fremden seine ganze Geschichte. Und der Fremde antwortete ihm: »Hör zu, für das Antlitz Allahs will ich dir Gutes tun, so ich es 202
vermag. Morgen, am frühen Morgen stehst du auf, kümmerst dich um deine Arbeit wie gewohnt, versorgst mein Pferd, bürstest und sattelst es und deckst es mit Decken ab. Ich schlafe ein bißchen länger, derweilen gehst du los und findest heraus, zu welcher Stunde der König die Stadt auf seinem Morgenritt verläßt. Sobald du es weißt, kommst du und sagst es mir, dann will ich dem König von Hodeidah nachreiten.« – »Gut, zu Befehl.« Am nächsten Tag stand der Jüngling früh am Morgen auf, weckte Pferd und Maultier, bürstete und sattelte sie und deckte beide ab. Dann schaute er scharf nach dem König von Hodeidah aus, bis der sich auf seinen Morgenritt machte. Er lief, um seinem Hauptmann die Nachricht zu überbringen. »He Hauptmann, steh auf, soeben ist der König zur Stadt hinausgeritten.« Der Hauptmann bestieg sein Pferd und ritt dem König von Hodeidah nach. Bald hatte er ihn eingeholt und als der König ihn bemerkte, grüßte er den König: »Friede sie mit dir!« – »Und Friede mit dir, junger Mann, wie geht es, seid ihr glücklich, alles in Ordnung?« – »Ja, Allah sei Dank, man kann sich nicht beklagen.« – »Beim Allmächtigen, da hat er aber ein Meisterstück an schönem jungen Mann erschaffen!« Der König kehrte um, vor ihm die Soldaten und die Trommeln. In der Nähe des Königsschlosses angekommen, lud er unseren ›Mann‹ zum Mittagessen ein. »Du kommst doch?« – »Das freut mich sehr, doch mit Verlaub will ich erst noch in meine Herberge und mein Pferd versorgen lassen. Danach komme ich gleich zum Schloß.« – Wir warten auf dich.« Der Hauptmann begab sich zur Herberge und trug seinem Diener folgendes auf: »Höre, wenn du gegessen hast, dann kommst du zum Schloßtor und rufst so laut du kannst: ›Bei Allah und seinem Propheten Mohammed ibn Abdallah bitte ich, reinige mich von denen, die mich zu Unrecht beschuldigt haben!‹ Verstanden? Und wenn ich dann deine Stimme höre, dann werde ich den König fragen, wer denn da ruft und ob er hier eine Klage nicht beschieden habe. Dann bringe ich ihn dazu, daß er dich holen läßt, dich anhön und der Sache nachgeht. Man läßt 203
dich also herein und du erklärst, daß diese Sieben da, die dich angeklagt haben, daß sie in Wahrheit die Sklaven deines Vaters sind, und schon deines Großvaters, und daß ihnen das Siegel deines Vaters auf dem Hintern eingebrannt ist, und daß sie überhaupt keine Männer sind!« – »Aber ich?« – »Kein ›aber‹, genau das sagst du, und dann fügst du noch hinzu: Und wenn meine Rede unwahr ist, dann sollst du mir den Kopf abschlagen lassen! Verstanden?« – »Gut!« – »Paß auf, daß du nur das sagst, was ich dir vorgesprochen habe, du darfst nur das erzählen, nur das, was ich dir gesagt habe!« Der Hauptmann ritt zum Schloß, und als er am Tor ankam, stand die Tochter des Königs auf dem Dach des Schlosses und erblickte den Hauptmann. »Diesen Jüngling will ich als Mann und keinen anderen«, sagte sie zu ihrer Mutter, »und wenn ich den nicht bekomme, stürze ich mich vom Dach.« – »Gut, gut, Kind«, antwortete die Mutter, »ich werde mit deinem Vater sprechen und dann wird sich schon alles richten, in scha’AUah!« Der König empfing seinen Gast, man aß zu Mittag, wusch die Hände und setzte sich zum Qāt-Kauen, als plötzlich draußen vor dem Tor jemand schrie: »O Obrigkeit, o Herrscher, o Volk, hört mich an ihr alle! Bei Allah und bei Mohammed, dem Propheten Allahs, ich bitte euch, wascht mich rein vom Unrecht!« – Wer schreit denn da?« – »Das ist der Taugenichts, natürlich habe ich schon ein Urteil in seiner Sache gesprochen. Zur Hölle mit ihm und seinem Vater!« Doch der Hauptmann unterbrach ihn und sagte: »Diese Worte wird dir Allah nicht verzeihen können, eine solche Rede darfst du nicht führen. Ich bitte dich beim lebendigen ewigen Gott, hör ihn an, was er vorzubringen hat, und wenn es nicht stimmt, dann schlägst du ihm den Kopf ab!« – »Also gut, bringt ihn herein, Männer!« Die Leute des Königs brachten den Jüngling herein. »He, du da! Was hast du vorzubringen?« – »Ich sage dir, König, wie es wirklich ist: Diese Sieben, die mich angeklagt haben, das sind in Wahrheit die Sklaven meines Vaters und schon meines Großvaters gewesen. Und das Siegel meines Vaters ist ihnen auf dem Hinterteil 204
eingebrannt. Und im übrigen sind sie nicht einmal richtige Männer!« Da kam Bewegung in alle Anwesenden und sie riefen durcheinander: »Hört, hört, dieser Schamlose!« Und andere sagten: »Um der Gerechtigkeit, wenn wir ihr folgen, dann müssen wir nachsehen. Und wenn wir wirklich das Siegel auf ihrem Hinterteil entdecken? Und wenn es stimmt, daß sie keine Männer sind?« – »Ja, hört mich nur an! Mit Gewißheit werdet ihr das Siegel meines Vaters auf ihrem Rücken finden. Und wenn meine Rede nicht wahr ist, dann soll der König den Befehl erteilen und mir den Kopf abschlagen lassen!« Da befahl der König dem Stadtvorsteher, die Sieben zu suchen. Auf dem Rücken des ersten entdeckte man das Brandzeichen: ›Sklave des Soundso, Sohn des Soundso‹; und auf dem zweiten Rücken: ›Sklave des Soundso, Sohn des Soundso.‹ Und auf dem dritten, dem vierten, dem fünften, dem sechsten, dem siebten: immer der gleiche Stempel. Nachdem alle Anwesenden sich überzeugt hatten, daß die Sieben mit dem Stempel des Vaters des Jünglings gezeichnet und also wirklich seine Sklaven waren, da befahl der König von Hodeidah: »Nun her mit dem Geld, her mit dem Gut und her mit allem übrigen!« Die Sieben wurden auf den großen Platz geführt, sieben Soldaten führten sie. Dort mußten sie dem Jüngling alles herausgeben, was sie ihm weggenommen hatten: das Geld, die Juwelen, die Häuser, die Karawansereien, die Waren, die Pferde, die Maultiere, alles und alle Dinge, den ganzen Reichtum. So hatte die Wahrheit gesiegt, und der Jüngling kehrte in seine Herberge zurück. Den sieben Räubern aber ließ der König den Kopf abschlagen.
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Von der Königstochter, die sich in die Braut verliebt, von der Braut als Kriegsheld und ihrem braven Ehemann, und wie sie am Ende ihren Gemahl zu ihrem Gebieter macht Der Hauptmann saß inzwischen immer noch beim König von Hodeidah und als die elfte Stunde kam, sagte er: »Mit Verlaub, gestattet mir jetzt zu gehen!« – »Aber nein, was hast du denn, du bleibst noch, jetzt beten wir zum Sonnenuntergang, und später verrichten wir zusammen das Nachtgebet!« – »Gut denn, wie du befiehlst!« Sie beteten das Sonnenuntergangsgebet, später das Abendgebet, und nach dem Abendgebet richtete der König das Wort an den Hauptmann: »Hör zu, ich habe eine Tochter. Die ganze Welt ist gekommen, um sie zur Braut zu erbitten, doch keiner hat ihr gefallen, bis sie heute dich vom Dach des Palastes aus erblickte. Seit diesem Augenblick besteht sie darauf, nur dich zu heiraten, sonst will sie sich vom Dach des Palastes in die Tiefe stürzen. Was ist deine Meinung dazu? Ich, von mir aus, würde sie gerne mit dir verheiraten!« – »Aber ich habe kein Geld, gar nichts besitze ich.« – »Das ist unwichtig, du brauchst nichts zu geben, wirklich nichts!« – »Nun, dann bin ich einverstanden!« – Der Hauptmann streckte dem König die Hand entgegen und nahm das Heiratsangebot an. Sie blieben sitzen bis zur zweiten Stunde des Abends, dann schickte der König den Jüngling nach oben: »So, nun geh zu deiner Ehefrau!« – »Gut, lieber Schwiegervater!« Der Hauptmann begab sich nach oben und zählte dabei die Stufen, die von dem Zimmer, wo er mit dem Vater der Braut, dem König, gegessen hatte, bis zu dem Zimmer des Mädchens führten. Angelangt, erblickte er Dinge, wie sie nur das Auge des Allmächtigen sehen darf. Beide blieben lange wach und unterhielten sich und zur fünften Stunde der Nacht, sagte er schließlich zu dem Mädchen: Wollen wir uns jetzt hinlegen?« – »Ja, gerne!« Der Hauptmann ging noch einmal hinaus, um sein Bedürfnis zu erledigen. Inzwischen hatte das Mädchen die Sitzkissen und Liegeteppiche ausgelegt, und beide legten sich nieder. Der 206
Hauptmann: Während der Qātsitzung bei deinem Vater habe ich gehört, daß es da in der Tihāma bestechliche Verwalter geben soll. Da habe ich mir einen Eid geschworen, daß ich mich dir erst dann nähern will, wenn ich im Auftrag deines Vaters dieses Land von der Bestechlichkeit gesäubert habe. Dann komme ich zu dir zurück.« – »Ja, wenn du das so willst, dann bin ich einverstanden!« Der Morgen kam, die junge Braut stieg hinab zu ihrem Vater, dem König, und der wollte alles wissen: »Wie geht es dir und wie steht es um deine Ehe?« – »Bei Allah, so einen gibt es auf der Welt nicht noch einmal! Da ist nur eine einzige Schwierigkeit: Gestern hat mein Gatte bei euch, Vater, im Qātzimmer erfahren, daß es in einigen Orten der Tihāma Verwalter gibt, die gegen euch bestechlich sind. Da hat er sich geschworen, daß er sich mir erst dann nähern will, wenn du ihm den Befehl gegeben hast, hinauszuziehen und die Tihāma zu säubern, und wenn er dann glücklich wieder zu Hause angekommen ist. Jetzt, lieber Vater, liegt es an dir: Du mußt ihm Waffen geben und Soldaten und Vorräte, damit er dieses Land Tihāma säubern kann.« – »Gut, liebe Tochter, das wollen wir tun!« Einiges später kam auch der Hauptmann herunter zu seinem königlichen Schwiegervater, begrüßte ihn und hörte diese Rede: »Du hast uns gestern über die Tihāma sprechen hören?« – »Ja, und geschworen habe ich bei Allah, ich will mich deiner Tochter nicht früher nähern, als bis ich hinausgezogen bin und dieses Land gesäubert habe.« – »Und wann willst du weg?« – »Morgen früh, so Allah will.« – »Gut!« Auch der König nahm jetzt die Sache ernst, gab dem Hauptmann Geld, Soldaten und Trommler, Waffen, Lebensmittel und andere Vorräte. Etwas später erschien der junge Mann aus der Herberge und wollte den Hauptmann begleiten: »Wohin du auch gehst, ich bleibe bei dir, bis ich sterbe!« – »Nein, du bleibst bei deiner Arbeit!« – »Niemals! Ich laß dich nicht, solange ich lebe, da kannst du gar nichts dagegen tun!« – »Also dann, dann begleite mich!« 207
So zogen sie in die Tihāma, vier Tage blieben sie da. Der Hauptmann verteilte Geld unter die Scheichs und Geschenke, von den Bestechlichen aber nahm er die Söhne als Geiseln und säuberte so das Land. Schließlich kam er auch in die Nähe von Al Mahwlt. Dort gingen sie zu einem Kaffeehausbesitzer: »Ein Zimmer will ich, wir sind zu zweit!« – »Wieso?« – »Ausruhen will ich, müde bin ich von der großen Anstrengung, jetzt also will ich mich ausruhen!« – »Hör zu«, erklärten die Männer des Königs dem Kaffeehausbesitzer: »Der Hauptmann will einen Platz, ausruhen will er, weil er müde ist.« – »Na gut, Zimmer habe ich.« Sie aßen zu Abend, tranken Kaffee, ruhten. Dann befahl der Hauptmann seinem Jüngling: »Jetzt will ich vier Behälter voll Wasser, fünf Stück Seife und fünf Lederfläschchen mit Duftwasser!« – »Sofort!« – »Mit Seife will ich mich waschen, weil ich schmutzig und voller Schweiß bin.« – »In Ordnung, ich besorge alles!« Der Jüngling ging in den Ort, kaufte Seife und Duftwasser und kam zurück zum Hauptmann: »Hier ist das Wasser, die Seife habe ich besorgt und das Duftwasser, frische Kleider bringe ich - alles ist da!« Der Hauptmann erhob sich, zog seine Kleider aus und hatte nur noch sein langes Untergewand an. »He du«, sagte er zu dem Jüngling, »zieh dich auch aus und wasch dich!« »Wieso denn?« – »Zieh deine Kleider aus, weil du da sitzt wie die Diener, schmutzig und gelb wie Messing!« Da zog sich auch der Jüngling aus und ging in den Waschraum, nahm Wasser und fünf Stück Seife und rieb sich gut ab. »So Hauptmann, wasch du dich jetzt!« Mit diesen Worten kam er naß zurück ins Zimmer. Da nahm der Hauptmann ein Tuch und trocknete ihn ganz langsam und sorgfältig ab und begab sich dann selbst in den Waschraum. Als er zurückkam, hatte der Jüngling des Hauptmanns Qamīs angezogen und dessen Stirnreifen aufgesetzt und seine Dschanbīya und seine anderen Waffen angelegt, und auf den Kopf hatte er des Hauptmanns Perücke mit dem langen, wilden Haar. Jetzt sah er genauso aus wie der Hauptmann, ganz genauso! Zum Hauptmann aber sagte er: »So machst du es also 208
mit mir, verkleidet hast du dich, und warum das alles?« – »Nun, dann höre mir gut zu: Eine Geschichte will ich dir erzählen, und wenn du ein echter Stammeskrieger bist, großmütig und ehrenhaft, dann darfst du jetzt nicht nein sagen!« – »Also sprich!« »Höre: Ich weiß, daß du verheiratet bist und daß du eine Frau hast, wie es sie ein zweites Mal nicht gibt auf dieser Erde. Die sollst du mir für eine Nacht geben!« – »Was sagst du da? Eine Schande ist es, daß du so etwas überhaupt aussprichst. Davon will ich nichts mehr hören, niemals mehr! Allah ist mein Zeuge, alles was mein ist, das habe ich dir gelobt, und alles, was meines Vaters war, auch das alles habe ich dir gelobt, aber über die Frau sprich mir nie mehr, nie mehr. Auch wenn du das nicht hören willst!« – »So, dann will ich dir aber jetzt eine wahre Geschichte erzählen: In deinem Empfangszimmer hast du da und da die Sitzkissen, und in deinem Schlafzimmer sieht es so und so aus, und deine Waffen hast du da und da, und in dem kleinen Sitzzimmer, in das du nur deine Frau hineinläßt, da liegen die Teppiche so und so. Und genau da habe ich einen Monat lang geschlafen!« – »Und wenn schon, wenn du in der Tat in meinem Haus gewesen wärest, müßte ich das nicht wissen, und die Leute auch? Und glaubst du wirklich, daß meine Frau einen Hauptmann in ihr Schlafzimmer gelassen hätte?« – »Ich sage dir doch, daß ich bei ihr übernachtet habe, ich habe dir berichtet, wo du deine Waffen aufbewahrst und wieviele Teppiche du besitzt. So, genauso sieht es aus in deinem Haus!« – »Also, wenn du bei meiner Frau warst, dann möge Allah dich schützen. Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich nun tun soll.« Der Jüngling ging hin und ging her, doch es brachte ihm nichts ein. Endlich sagte der Hauptmann zum Jüngling: »Hör zu, und wenn ich eine Frau, deine Frau, die Soundso, wäre?« – »Fürchte Allah und schäme dich, Hauptmann, das ist doch die allerschändlichste Rede! Für was für einen hältst du mich denn?« – »Ich sage dir aber doch ...« – »Bei Allah und bei dir, frevle nicht, frevle nicht gegen Allah und frevle nicht gegen dich! So 209
weit ist dein Sinnen gekommen!« – »Ich sage doch nur, wenn es geschähe, daß ich deine Frau wäre!« – »Schäme dich, Hauptmann.« – »Nun hör zu: Ich bin es wirklich, deine Frau Soundso.« Sie öffnete ihren Schleier und er erkannte nun, daß sie seine Frau war! Voller Glück blieben sie bis zum Morgen zusammen und sie erzählte ihm alles, was seit seiner Abreise vorgefallen war. Am nächsten Morgen erhoben sie sich zeitig, und jetzt zog der Jüngling, der Diener, das Gewand des Hauptmanns an und der Hauptmann schlüpfte in das Gewand des Dieners. Auf Befehl wurde dann die Trompete geblasen und der Zug rüstete sich zum Aufbruch und zum Einzug in die Stadt des Königs. Vor der Stadt angekommen, übergab der bisherige Hauptmann dem Jüngling, der jetzt der Hauptmann war, die Liste, in der all die Waffen verzeichnet waren, die sie erhalten und die sie dazu erobert hatten, und alles, was sie in der Tihāma an Abgaben eingezogen hatten. Auch die Namen der betrügerischen Scheichs standen auf der Liste und am Ende die Namen der Geiseln, die sie mit sich führten. Und als sie vor der Stadt standen, sagte der ehemalige Hauptmann zu dem, der jetzt die Kleider des Hauptmanns trug: »Mir reicht es jetzt, ich ziehe in unser Land und in unser Haus. Du aber trittst vor den König und berichtest ihm vom Erfolg unserer Arbeit. Dann wird er zu dir, wenn die zweite Stunde des Abends angebrochen ist, sagen, daß du zu deiner Frau hinaufsteigen sollst. Soundsoviele Stufen sind es, merke es dir genau! Du wirst ihn daran erinnern, daß du die Tihāma gesäubert und dein Gelübde erfüllt hast, bittest ihn um seine Tochter und um seine Herrschaft.« Der Jüngling, im Schloß angekommen, setzte sich zum König, und beim Qātkauen berichtete er ihm von allem, was in der Tihāma vorgefallen war, nannte ihm die Namen der Scheichs und übergab ihm alle Waffen. Und zur zweiten Stunde des Abends sagte der König zum Jüngling: »Nun geh zu deiner Frau hinauf, sie erwartet dich!« – »Mein Versprechen, mich ihr 210
nicht zu nähern, bis ich die Tihāma gesäubert hätte, habe ich erfüllt. Jetzt, wo ich dir die Tihāma zurückerobert habe, mußt du mir aber auch deine Herrschaft übergeben!« – »Gut! Aber woher weiß ich denn, daß du wirklich mein Schwiegersohn bist? Wieviele Stufen sind es denn von hier, dem Zimmer deines Schwiegervaters, bis hinauf zum Zimmer deiner Frau?« Der Jüngling nannte die Zahl, er wußte sie ja, ging hinauf, und blieb einen vollen Monat lang bei der Tochter des Königs. Dann sammelte er sein Hab und Gut ein, alles, was den Dieben abgenommen worden war und bereitete sich vor, damit und mit den Gütern des Königs in sein eigenes Land zurückzukehren. »Mein Land will ich besuchen«, sagte er dem König und dieser war einverstanden. So kam unser Jüngling mit seiner zweiten Frau in sein Land zurück, wo seine erste Frau schon auf ihn wartete. »Ruht euch aus, einen Monat lang, oder zwei, oder drei, solange ihr wollt! Seid willkommen«, sagte sie, »und laßt es euch gut gehen.« – Wir danken dir.« Die erste Frau bediente sie und so blieb es zwei Monate. Jetzt aber bekam die zweite Frau Heimweh nach ihrem Vater und ihren Verwandten. Der Mann wollte sie gerne reisen lassen und natürlich begleiten. Doch bei der Abreise nahm ihn seine erste Frau zur Seite: »Du bringst sie jetzt zu ihrem Vater. Nach drei Tagen bittest du ihren Vater um die Erlaubnis, gehen zu dürfen. Und wie sehr du auch wünschen mögest, dort zu bleiben, du nimmst Urlaub von ihnen allen und kehrst hierher zurück!« So zog der Mann also zu seinem Schwiegervater, dem König, blieb dort einige Tage, dann sagte er Lebewohl und kehrte zurück in sein Haus. Seiner zweiten Frau aber gestattete er, so lange bei ihrem Vater zu weilen, wie es ihr gefalle.
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23. Bin der Hüpf er, töte Tausend jeden Tag
E
s war einmal ein Mann mit weichem Herzen, ein Mann ohne Mut, die Leute nannten ihn ›Hüpfer‹. Gern schnitt er auf mit seiner Tapferkeit, aber in Wahrheit konnte er nicht einmal einen Hund umbringen. Hüpfer pflegte in den Sūq zu gehen und dort die Fliegen zu erschlagen, und wenn er dann nach Hause zurückkam, sagte er zu seiner Frau: »Höre Frau!« – »Was gibt’s?« – »Schau her, ich bin der Hüpfer, Tausend bringe ich um, und Tausend nehme ich gefangen, und Tausend lasse ich in Allahs Freiheit.« Da fürchtete sich seine Frau sehr vor ihm, weil Hüpfer mit solchen Reden kein Ende fand. Und wenn er im Fleischsüq war, bespritzte er sich mit Blut, kam zurück zu seiner Frau und fing gleich wieder an mit dem Gerede von seiner Tapferkeit. Immer wieder fragte er seine Frau: Weißt, du, wer ich bin?« – Wer du bist?« – »Der Hüpfer bin ich, töte Tausend jeden Tag, Tausend nehme ich gefangen, und Tausend laß ich frei nur aus Barmherzigkeit!« Eines Tages sprach der König des Landes zu seinen Wesiren: »Bei Allah, ich habe von der Tapferkeit eines Mannes gehört, den sie ›Hüpfer‹ nennen. Er tötet, er tut dies, er läßt jenes, er tut jenes, läßt dieses, so wird mir berichtet! Wie ihr wißt, habe ich sieben Töchter, ein großes Wettrennen will ich veranstalten mit Pferden, und alle Leute dazu vor das Schloß laden. Dann sollen meine sieben Töchter aus jenen, die da um die Wette laufen, sich die Männer auswählen, die sie sich wünschen, und wenn eine meiner Töchter sich für einen der edlen jungen Männer entschieden hat, dann soll sie einen Apfel auf ihn werfen. Und wen meine Töchter sich auserwählt haben, dem gebe ich sie zur Frau. Sorgt dafür, daß auch der tapfere Hüpfer an dem Wettlauf teilnimmt.« Der Ausschreier zog hinaus, die Trommeln wurden geschlagen, allen Leuten wurde die Nachricht überbracht von dem Reiterspiel, und wie die Töchter des Königs den auswählen würden, der ihnen unter all den jungen Männern gefalle. Alle Jünglinge 212
des Landes kamen mit ihren Pferden herbeigezogen, am vorbestimmten Tag ritten sie im Kreis um das Schloß herum. Sechs der Töchter warfen ihre Äpfel auf die jungen Leute, die sie sich ausgesucht hatten. Die jüngste Tochter aber wählte Hüpfer, warf eine Frucht nach ihm, die er geschickt auffing. Und der König verheiratete seine sieben Töchter mit den sieben Auserwählten. Im Nachbarland gab es einen mächtigen König, der jedes Jahr von diesem König – dem Vater der sieben Mädchen – einen Tribut einzog. Und wenn der Siebentöchterkönig seinen Tribut nicht ablieferte, dann überzog der Großkönig ihn mit Kampf. Doch diesesmal rief der König die sieben Ehemänner seiner sieben Töchter und sprach zu ihnen: »Hört mich an, Kinder! Meine Töchter habe ich euch zur Frau gegeben. Jetzt aber brauche ich eure Hilfe in schwerer Zeit, denn ich kann den Großkönig nicht bezahlen, der von mir den jährlichen Tribut fordert. Ruft eure Verwandten aus den tapferen Stämmen zusammen, kommen sollen sie und uns gegen diesen gewalttätigen König helfen. Er bedroht uns, und wenn ich ihm den Tribut nicht bringe, den er fordert, dann führt er Krieg gegen uns. Jetzt brauche ich Männer zum Kampf gegen diesen schrecklichen Herrscher, und mit Allahs Einverständnis werden wir ihn besiegen.« »Keine Sorge, Schwiegervater, du gibst ihm zur Antwort, daß wir Schwerter besitzen und er uns auf dem Felde empfangen soll! Und wenn er kommt und den Tribut fordert, Schwiegervater, dann überreichst du ihm ein Schwert.« – »Ein guter Gedanke.« Bald sandte der größere König seine Männer zum Siebentöchterkönig und ließ ausrichten: »Gekommen sind wir, um den jährlichen Tribut zu fordern!« – »Bei Allah, Tribut gibt’s nicht, jetzt stehen Männer euch gegenüber. Dieses Schwert, nehmt es, es ist das Zeichen unserer Weigerung, den jährlichen Tribut werden wir nicht zahlen! Und entschieden wird die Sache auf dem Felde der Schlacht. Am Tage soundso wollen wir euch 213
gegenübertreten!« – »Gut, wir werden dies dem Großkönig, unserem Herrn, berichten und ihm das Schwert überreichen. Gewaltig ist seine Macht, und wie die schwarzen Wolken wird er auf euch herabsteigen, er und sein ganzes Heer.« Am Tage der Schlacht ritten die Männer des Königs aus, mit ihnen die Ehemänner seiner Töchter und ihre Verwandten von den Stämmen, und die Trommler und Daüaschin. Auch Hüpfer nahm sein Pferd, um sich ihnen anzuschließen. Doch plötzlich ging sein Pferd mit ihm durch, und Hüpfer schrie in seinem Entsetzen: Wohin? Allah allein weiß, wohin es mich ›hüpfert‹.« Endlich sah Hüpfer einen großen Baum und klammerte sich mit aller Kraft an einem starken Ast fest. Dabei riß der ganze Baum aus, und das Pferd mit Hüpfer und dem Baum attackierten das feindliche Heer. Da rief der größere König voller Entsetzen: »Schaut nur, bei Allah, mit Schwertern kämpfen die Menschen, doch der da greift mit Bäumen an.« Und als das Heer des größeren Königs den Hüpfer mit dem riesigen Baum in Händen auf sich zureiten sah, da wurden die Männer von gewaltiger Furcht ergriffen und flohen vom Schlachtfeld. So erlitt der Großkönig eine schreckliche Niederlage. Zu Hause saß des Hüpfers erste Frau, zornig, weil er sie verlassen hatte, um die Tochter des Königs zu heiraten. Seitdem war Hüpfer nie mehr zu seiner ersten Frau zurückgekehrt. Doch eines Tages fand sie ihre Gelegenheit. Ihr Vetter kam zu Besuch, fragte sie, wie es ihr gehe und sie beklagte sich bitter über alles, was ihr Mann ihr Widerwärtiges angetan hatte, der Aufschneider mit seinem ›er töte Tausend jeden Tag‹. Der Vetter wußte ganz genau, daß Hüpfer ein Angeber war, und gemeinsam mit ihr dachte er sich einen Trick aus: »Wenn er doch einmal wieder kommt, um dich zu besuchen, dann gehst du mit ihm hinaus aus der Stadt, dort will ich auf euch warten, und wenn ich euch sehe, dann falle ich über ihn her! Und du wirst bemerken, was für ein Aufschneider, was für ein jämmerlicher Ängstling er wirklich ist! Ich überfalle dich und entführe dich und du wirst sehen, daß er einfach zuschaut.« – »Einverstanden.« 214
Und tatsächlich, ein paar Tage später erschien Hüpfer, um nach seiner Frau zu sehen, die mit brennenden Augen dasaß und ihn anschrie: »Die Tochter des Königs hast du geheiratet, mich hast du allein gelassen und außerdem ist es schon so lange her, daß ich meine Familie nicht mehr gesehen habe. Auf, jetzt gehst du mit mir zum Hause meines Vaters, hier in diesem Haus will ich nicht mehr länger bleiben!« – »Gut, gehen wir.« Sie verließen das Haus, die Frau ritt auf einem Esel, ihr Mann ging hinterher. Draußen, vor der Stadt angekommen, tauchte plötzlich der Vetter der Frau vor ihnen auf, als Räuber verkleidet, und rief: »Haltet den Esel an!« – »Ja, ja, wir halten schon, und was sollen wir sonst tun?« – »Abgestiegen, Frau!« – »Steig doch ab Frau!« – »Hör zu Frau, du kommst mit mir, ich gehe hinter dir her!« – »Also Frau, du gehst jetzt mit ihm, er geht hinter dir her, was sollten wir sonst tun?« – »Du da, du wiegst die Hoden des Esels, schau wieviel Pfund sie wiegen!« – »Mach ich, mach ich.« Der Vetter ergriff die Ehefrau, die Tochter seines Onkels, und entführte sie ein Stück weit, dann wartete er mit ihr unter einem Baum. Sonst tat er nichts, denn er wollte ja nur beweisen, daß der Ehemann ein Lügner und Angsthase war und zu nichts taugte. Nach einiger Zeit gingen sie zu Hüpfer zurück und der Vetter der Frau schrie ihn an: »Ha du, hast du jetzt dem Esel die Hoden gewogen?« – »Jawohl!« – »Also, wieviel wiegen sie?« – »Jeder wiegt genau drei Pfund.« Der Vetter brachte die Frau wieder zurück nach Hause und auf halbem Wege sagte er zu ihr: »Nun hast du selber gesehen, was für ein Feigling dein Mann in Wirklichkeit ist. Ich habe getan, als ob ich dich entführen würde und er hat keinen Widerstand geleistet und nichts unternommen. Na, beweist das nicht, was für ein ängstlicher Feigling er ist? Und was wäre geschehen, wenn ein echter Räuber über euch hergefallen wäre? Was hätte der dann mit dir angestellt und dein Lügenehemann hätte bloß zugeschaut und nichts unternommen!« – »Bei Allah, deine Rede ist wahr.« 215
Zeit ging und Zeit kam, beten laßt uns zu dem Besten der Menschen. Und die Ehefrau saß noch immer weinend in ihrem Hause. Schließlich kam ihr Mann doch wieder zu ihr zurück, aber jetzt erlaubte sie ihm nicht mehr, mit ihr zusammen zu sein. Sie sprach: »Neu für neu, o junger Täuberich So wärst du mehr mir noch als früher, Kämst du wieder, wie es früher war, Küßtest mir den Fuß und dann die Hände. Doch ach, weil du wüst bist und von hartem Herzen, Fort mit dir, weit fort!« Ihr Mann gab ihr zur Antwort: »Von eurem Brunnen trank ich, als er süß war In den Tagen des Honigs und des Herzens voller Liebe. Doch seit damals, ach über euren Brunnen, und ach über sein Wasser, Und ach über das Herz, das trank von ihr und das sie liebte.« »Leb wohl«, sagte er, und ging davon.
24. Wie der Adener Stadtheilige Al-‘Aīdrūs ein Wunder wirkte Saiyid ‘Abdallah Al-‘Aīdrūs, der berühmte Heilige von Aden, war zu seinen Lebzeiten befreundet mit dem frommen Scheich Dschauhar, und von beiden erzählt man folgende Geschichte: Eines Nachts, damals, als beide noch am Leben waren, gingen Saiyid Abdallah Al-‘Aīdrūs und sein Freund, der fromme 216
Dschauhar, am Meeresstrand im Adener Stadtteil Huqat spazieren. Der Mond schien voll in dieser Nacht, so hell, daß ein Mensch eine Nadel vom Boden aufheben konnte. Da sagte Al‘Aīdrūs zu Scheich Dschauhar: »Du bist mein Zeuge. Wenn in dieser Nacht irgendetwas geschieht, im Osten oder im Westen, dann muß ich helfen!« – Wieso das, mein Lieber?« – »Nur so, dann muß ich helfen, du sollst Zeuge dafür sein!« Zu dieser Zeit geschah es in Bagdad, daß ein Mann eine schöne Jungfrau heiratete. Ihr Name war Ḥalīma und ihre Familie bereitete ihr ein großes Hochzeitsfest mit vielen Gästen. Als dann die Tage des Festes und der Freude vorüber waren, ließen die Verwandten des Bräutigams und die Verwandten der Braut die jungen Eheleute allein und glücklich zurück in ihrem Haus. Am Abend wollte die Frau ins Badezimmer gehen und bat ihren Mann, mitzukommen, weil sie vor den Mäusen Angst habe. Der verstand nicht gleich, darum ging Ḥalīma voraus, hinein in das Badezimmer mit einer großen Lampe in der Hand, damit sie ihr in der Dunkelheit leuchte. Wenig später rief ihr Mann, der mit ihr spielen wollte, von außerhalb des Bades: »Ḥalīma, hast du dich versteckt?« – »Nein, ich verstecke mich doch nicht, niemals!« Der Mann sah einen Lichtschein aus der Türe schimmern und sagte scherzhaft: »Lampe, hole du die Ḥalīma!« Diesen Ruf hörte ein Dschinni mit dem Namen ›Lampe‹. Auf der Stelle erschien er im Bad, setzte Ḥalīma auf seine Schultern und flog mit ihr zur Insel Al-Wāq al-Wāq. Der Ehemann aber stand vor der Badezimmertür, wartete und wartete, und als Ḥalīma immer noch nicht herauskam, rief er nach ihr, doch ohne Erfolg und ohne Antwort. Bald begann er sich zu ängstigen, dachte, seiner Frau sei etwas geschehen und klopfte an die Türe. Als er auch jetzt keine Antwort erhielt, brach er die Türe auf und drang in das Bad ein: Es war leer! Da wurde er wild vor Verrücktheit, wußte nicht mehr, wie er sich verhalten oder was er tun sollte. Er rannte heraus, überall im Haus suchte er nach seiner Frau, doch er fand sie nicht. Er lief zu den Nachbarn, und als er 217
Ḥalīma auch dort nicht entdeckte, ging er zu ihren Verwandten, weil er sie dort vermutete. Nein, seit dem letzten Tag der Hochzeit hätten sie Ḥalīma nicht mehr gesehen. Die Verwandten der Braut wurden zornig und schleppten den Ehemann vor den Richter in Bagdad. Dem Richter erklärte der Vater der Braut: »Dieser Mann da hat meine Tochter geheiratet gemäß der Sunna Allahs und seines Propheten, und jetzt ist sie verschwunden. Nur Allah weiß, was er mit ihr angestellt haben mag. Er muß sie wiederbringen. Wir wollen unsere Tochter zurück, von der Erde oder vom Himmel!« Der Richter verhörte den Ehemann, um herauszufinden, wohin die Ehefrau gegangen sein könnte. »Ich kann es mir nicht erklären, wo sie sich versteckt hat. Sie ging in das Badezimmer, um sich zu waschen, und plötzlich war sie verschwunden. Nirgendwo habe ich sie mehr gesehen – im Bad nicht, im Haus nicht, bei den Nachbarn nicht, nirgendwo!« Da sprach der Richter zum Ehemann: »Hierher mußt du deine Frau bringen, suche sie überall. Die Frist, die ich dir setze, beträgt drei Monate, und deine drei Brüder müssen mit ihrem Leben für dich bürgen. Wenn du aber keinen Erfolg hast, dann wird deine Strafe schwer sein: Der Tod wird dich treffen!« Auf der Suche nach seiner Frau zog der Mann von Land zu Land, kam nach der Gegend Schäm, suchte dort in jeder Stadt, doch er fand sie nicht. Er reiste nach Ägypten, zog auch dort von Ort zu On – vergebens. Schließlich reiste er in den Jemen, durchwanderte ihn im Kreise und gelangte endlich nach Aden. Hier betrat er die Moschee, in der der Scheich Dschauhar lebte, kniete nieder und verrichtete sorgfältig sein Gebet. Bei Sonnenuntergang sah ihn Scheich Dschauhar und fragte: Warum willst du hier in der Moschee über Nacht bleiben? Bist du ein Fremder in dieser Gegend?« – »Ja, ehrwürdiger Scheich. Doch laßt die Geheimnisse bei Allah, ich aber will hier in der Moschee bleiben, bis unser Herr mir Tröstung schenkt.« – Vielleicht kann ich dir aber bei deinen Schwierigkeiten helfen? Erzähl mir deine Geschichte!« 218
»Bei Allah, o Scheich Dschauhar, ich bin aus Bagdad und habe dort vor kurzem geheiratet. Eines Abends, es war ein Donnerstag, der fünfzehnte, vor über zweieinhalb Monaten, wollte meine Frau ein Bad nehmen und ging dazu in den Ḥammām unseres Hauses. Sie nahm eine Lampe mit in das Bad und als sie länger nicht herauskam, wo ich doch mit ihr spielen wollte, rief ich: »O Lampe, hol du mir meine Frau, meine Braut Ḥalīma.« – »Gut, gut, warte einen Augenblick, damit ich das Datum aufschreiben kann, das du mir gerade genannt hast, und dann erzählst du deine Geschichte weiter.« »Doch Ḥalīma kam und kam nicht mehr aus dem Ḥammām heraus, schließlich mußte ich die Tür aufbrechen, doch statt sie zu finden, war das Bad leer. Ich konnte mir nicht erklären, wohin sie gegangen sein könnte, wo sie sich nur versteckt haben könnte. Ich fragte die Nachbarn, ich fragte ihre Familie. Als ihre Verwandten vom Verschwinden Ḥalīmas erfuhren, klagten sie mich an beim Richter von Bagdad, ich selbst hielte meine Frau verborgen. So befahl mir der Richter, Ḥalīma wiederzubringen, von der Erde oder vom Himmel und setzte mir eine Frist von drei Monaten, und meine drei Brüder müssen für mich bürgen. Einen Monat habe ich im Lande Schäm verbracht, doch ich fand sie nicht. Einen Monat suchte ich in Ägypten, vergeblich. Hier im Jemen ist mein letzter Monat, droben im Norden habe ich sie gesucht und nicht gefunden, jetzt bin ich hier in Aden, müde von der Wanderschaft. In diese Moschee bin ich gekommen, um Allah zu bitten, er möge mich meine arme Frau finden lassen, denn bald geht die Frist zu Ende.« Nach dem Abendgebet in der Moschee brachte ihm der Scheich Dschauhar etwas zu essen und begab sich dann zu Al-‘Aīdrūs, um ihm die Geschichte dieses Fremden aus Bagdad zu erzählen. Scheich Dschauhar war voller Mitgefühl, weil der Fremde so erschöpft war, und weil er ein ehrenwerter und vertrauenswürdiger Mann zu sein schien, der nicht mehr wußte, was er jetzt noch tun sollte. Scheich Dschauhar begann seinen Bericht über den Mann aus Bagdad mit dem Datum jener Nacht: War 219
es nicht jene Nacht gewesen, in der sie beide, der Scheich und der Saiyid, am Strande von Huqät entlangspazierten? Scheich Dschauhar berichtete nun dem Saiyid Al-‘Aīdrūs, wie der Mann aus Bagdad mit seiner Frau habe spielen wollen, als sie im Bad war, und wie er ihr zugerufen habe ›Lampe, hol du die Ḥalīma.‹ Seitdem sei sie verschwunden, nirgendwo habe er sie wiedergefunden. Jetzt aber bliebe ihm nur noch eine einzige Woche von der ihm gesetzten Frist von drei Monaten. Und wenn er seine Frau bis dahin nicht finde, dann werde er bei seiner Rückkehr nach Bagdad die Todesstrafe erleiden! Saiyid Al‘Aīdrūs und Scheich Dschauhar begaben sich sogleich zur Moschee, wo sich der Mann aus Bagdad aufhielt: »Heute nacht schläfst du hier in der Moschee und morgen – in scha’Allah – morgen wird alles gut.« Den ganzen folgenden Tag verbrachte der Mann aus Bagdad in der Moschee. Nach dem Abendgebet, als die Frommen sich wieder zerstreut hatten, waren nur noch Al-‘Aīdrūs, Scheich Dschauhar und der Fremde aus Bagdad da. Jetzt erhob Al‘Aīdrūs seine Stimme: »O Lampe, bring das Mädchen Ḥalīma zurück, bring sie glücklich zurück und in Ehren. Tust du es nicht, dann verbrenne ich dich, dich und deine ganze Sippe! Hörst du mich, Lampe? Eiligst sollst du sie bringen hierher, jetzt auf der Stelle, ohne Aufschub, sonst wird die Strafe dich ereilen!« Wenig später erschien der Dschinni namens Lampe mit Ḥalīma, der Frau des Mannes aus Bagdad, und setzte sie in der Moschee mit den Worten ab: »Hier ist deine Frau, du Mann aus Bagdad, nimm sie. Als du mich gebeten hattest, sie zu holen, habe ich sie geholt – und jetzt, auf den Befehl des Al-‘Aīdrūs, habe ich sie zurückgebracht. Mit meinem Namen hat er mich gerufen und ich habe seinem Ruf gehorcht!« »Ja, das stimmt, so habe ich es gesagt ›O Lampe, hole du die Ḥalīma‹. Aber das war doch nur ein Scherz. Woher sollte ich denn wissen, daß es einen solchen ›Lampe‹ gibt, der sie auf der Stelle holen würde?!« 220
»Jetzt, o Lampe, nimmst du Ḥalīma und ihren Mann auf die Schultern und bringst sie dorthin zurück, wo du Ḥalīma geholt hast, nach Bagdad. Dann aber kehrst du zu uns hierher zurück, hierher in die Moschee!« »Gut, ich tue wie du befohlen hast, o Saiyid ‘Aīdrūs«, antwortete der Dschinni. Der Mann aus Bagdad dankte dem Saiyid und dem Scheich Dschauhar mit den Worten: »Auf Wiedersehen,*Friede sei mit euch!« – »Ja, möge der Friede euer Begleiter sein möget ihr sicher nach Bagdad gelangen, in scha’Allah! Du aber eile, o Lampe!« Lampe nahm den Mann und die Frau auf und brachte sie nach Bagdad zurück. Als er seinen Auftrag erfüllt hatte, kehrte er in die Moschee zu Saiyid ‘Aīdrūs zurück, so wie es vereinbart war. Der Ehemann aber ging mit seiner Frau zu seinem Haus, klopfte an die Türe und als ihm seine Mutter öffnete, konnte er ihr alles berichten: »Al hamdulillah, Allah sei Lob und Dank. Nach vielen Mühen habe ich meine Frau Ḥalīma wiedergefunden, dank der Hilfe eines frommen Mannes in Aden namens Saiyid ‘Aīdrūs. Tausendfach schenke Allah ihm Gutes!« Überglücklich legten sie sich zu Bett. Am nächsten Morgen begaben sie sich zum Schloß des Richters von Bagdad und berichteten ihm alles. »Gesegnet sei eure gemeinsame Rückkehr in Frieden«, rief der Richter, und gab ihnen wertvolle Geschenke. Der Mann und die Frau kehrten in ihr Haus zurück, glücklich und selig. Und von da an lebten sie, der Mann aus Bagdad und seine Frau Ḥalīma, in Glück und Freude, bekamen Söhne und Töchter, aßen Rosinen und brachen Kandiszucker. »Den Propheten wollen wir anrufen, ihr und wir, den Propheten aller, die sich lieben!«
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NACHWORT Das Land, aus dem die Mythen kommen Dieses Buch ist – von den im Literaturverzeichnis genannten wissenschaftlichen Veröffentlichungen abgesehen – die erste einem interessierten Publikum zugedachte Sammlung von Märchen aus Arabien. ›Arabien‹, die arabische Halbinsel also, ist der westlichste Subkontinent Asiens, insgesamt größer als Indien. Diese riesige Landmasse, weithin menschenfeindliche Wüste, extrem dünn besiedelt, ist die Heimat der Araber. Der Prophet Mohammed und die Verkündung des Koran einigten die arabischen Stämme der Halbinsel, eine neue Zeitrechnung (622 n. Chr. = Jahr 1 der Hidschra) begann, und die arabischislamische Welteroberung begründete im Verlauf eines Jahrhunderts ein Weltreich vom Atlantik bis nach China. In diesem islamischen Reich setzte sich die arabische Sprache nach und nach durch. Kein Wunder, daß der in arabischer Sprache aufgezeichnete reiche Märchenschatz von Ländern wie Ägypten, Syrien oder Iraq für den westlichen Leser den Begriff des arabischen Märchens‹ geprägt hat. Demgegenüber enthält die vorliegende Sammlung zum ersten Mal Märchen aus Arabien, genauer gesagt, aus dem südwestlichen Teil Arabiens, dem Jemen. Aus dem größten Land der Arabischen Halbinsel, SaudiArabien, sind keine Märchen bekannt, ebenso nicht aus den Staaten des Golfs, oder aus Oman. Dies ist kein Zufall. Jemen bedeckt zwar nur einen vergleichsweise kleinen Teil der Oberfläche Arabiens (immerhin sind es 533 000 qkm, anderthalbmal so viel wie das vereinigte Deutschland), ist dafür aber, dank seines regenreichen Monsunklimas das am dichtesten bevölkerte Land der Halbinsel und – vielleicht noch wichtiger – das Land der ältesten arabischen Kultur, dem legendären, dank zahlreicher Inschriften inzwischen weithin erforschten Reich von Saba’. Hier im Jemen blühte ungefähr vom Jahre 1000 v. Chr. an eine 223
der großen alten Hochkulturen der Menschheit. Doch fangen wir nicht gleich mit dem Reich der Königin von Saba’ an, beginnen wir mit dem Namen ›Jemen‹. Die alte semitische Wurzel bedeutet ›rechts‹, und auch ›Süden‹. Natürlich ist es nicht das Land ›rechts der Ka‘ba‹, südlich von Mekka also, wie es fromme muslimische Historiker des Mittelalters deuteten; denn Jemen ist als Kulturland älter als Mekka, und in der Antike hätte man gewiß eher Mekka in bezug auf den Jemen als umgekehrt definiert. Das jemenitische Bergland bildet eine eigene, sehr charakteristische Kulturlandschaft. So kam sie insgesamt zum Namen »Süden«, genauso wie Syrien noch heute al-Schām, Land des Nordens, heißt. Den Gegensatz zu diesem Bergland bildet – klimatisch, ethnisch, religiös, politisch – die Tihāma, das Flachland, 30-50 km breit, entlang der Küste des Roten Meeres, dem Gebirge vorgelagert. Im Westen also, von Nord nach Süd, die flache, glühend heiße Tihāma, im zentralen Jemen das Hochland, übergehend in die große arabische Wüste, das ›Leere Viertel‹, und schließlich als dritte große naturräumliche Landschaft der Ḥadramaut im Osten, an der Küste des Indischen Ozeans. Insgesamt verfügt der Jemen – der Name des Hochlandes ist zum Staatsnamen geworden – über rund 1400 km Küstenlinie am Roten Meer und am Golf von Aden. Im Hochland (der Dschabal Ḥazūr Nabī Schu‘aīb erreicht 3760 m) lebt der größte Teil der Bevölkerung, treibt an den kunstvoll terrassierten Berghängen eine intensive Landwirtschaft. Hirse ist das Hauptanbauprodukt. Kaffee, der einstmals vom Jemen aus, verschifft über Mokka (al-Macha’), die Welt eroberte, hat nur noch geringe wirtschaftliche Bedeutung. Viele Bauern verdienen ihr Geld mit der – insgesamt harmlosen – Droge Kat (qāt). Kleine Staudämme in den Wadis verteilen das Wasser der beiden Regenzeiten (Frühjahr und Hochsommer) auf die Felder. Hier im Hochland lebt der größte Teil der Bevölkerung, liegen die Städte Sanaa, die Hauptstadt mit ihrem ganzjährig temperierten Klima (auf rund 2200 m Höhe), Sa‘da im Norden, nahe 224
der saudischen Grenze, Ta‘iz im Süden. Die antiken Siedlungen dagegen befanden sich fast alle am östlichen Gebirgsabhang, dort, wo Wadis das Gebirge verließen und für Bewässerung sorgten, wo gleichzeitig aber die flache Wüste den Karawanenverkehr möglich machte. Hier lagen, von Süden nach Norden, die Städte Schabwa (Hauptstadt des antiken Reiches Ḥadramaut), Timna‘ (Hauptstadt des antiken Reiches Qatabān), Mārib (Hauptstadt von Saba’) und Ma‘īn (Hauptstadt des Minäerreiches). Diese Namen zeigen auch die Route der Weihrauchstraße an, auf der die jemenitischen Karawanenführer die begehrten Produkte ihres Landes (vor allem des Ḥadramaut), nämlich Weihrauch und Myrrhe, nach Ägypten, Hellas und Rom transportierten. Die Weihrauchstraße führte 3000 km weit durch die Arabische Halbinsel, über Mekka bis zu ihrem Endpunkt Ghāza am Mittelmeer. Dieser Handel war es, der die Staaten des antiken Jemen so unendlich reich machte, daß die Griechen und Römer jenes ferne, märchenhafte, unbekannte Land ›Arabia felix‹ nannten – Glückliches Arabien! Während der Norden des Landes nie kolonisiert wurde, entstand im Süden seit der Besetzung Adens im Jahre 1839 britisches Einflußgebiet. Der Süden wurde 1967 unabhängig und bald zum einzigen marxistischen Staat Arabiens. Im Norden wurde der Imam, dessen Dynastie über 1000 Jahre lang regiert hatte, 1962 gestürzt, der sich anschließende schlimme Bürgerkrieg im Jahre 1970 durch eine nationale Versöhnung abgeschlossen. Die Sehnsucht der Jemeniten, die sich immer als ein Volk fühlten, nach einem gemeinsamen Staat fand durch die friedliche Wiedervereinigung ihres Landes am 22. Mai 1990 ihre Erfüllung. »Jemenitische Republik« lautet der offizielle Name des neuen Staates, mit zehn bis zwölf Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land der Arabischen Halbinsel. Das Klima ist – vom Bergland abgesehen – so glühend heiß wie kaum sonst in der Welt. Hier ist das Wasser besonders kostbar, wenn es nach den Regenfällen der Monsunmonate die Wadis füllt – kein Wunder, daß dieses Wasser in den Wadis ein zentrales 225
Thema auch der Märchen bildet. Eine ausgeklügelte Bewässerungskultur war die Grundlage des Wohlstands der antiken Reiche des Jemen. Der älteste und berühmteste dieser Staaten war das Reich von Saba’. Seine Hauptstadt Mārib ist heute über eine Asphaltstraße von Sanaa aus erreichbar, knapp 200 km ostwärts. Rund um die kleine Siedlung liegen die Ruinen des gewaltigen ovalen Tempels ›Mahram Bilqīs‹ (= Heiligtum der Königin von Saba’), der Säulenperistyl des sogenannten Mondtempels, vom Flugsand der Wüste fast zugeweht, und vor allem jenes berühmteste Bauwerk des alten Jemen, zugleich das bedeutendste technische Monument der antiken Welt: der Staudamm von Mārib, eines der sieben Weltwunder. Den Beginn künstlicher Bewässerung an dieser Stelle und der ersten technischen Anlagen kann man auf die Mitte des 3. Jahrtausends v.Chr. datieren. Die imposanten Reste des letzten Dammes (ab 6.Jahrhundert v.Chr.) lassen die einstige Funktion ahnen. Hier wurde mit dem Wasser des Wadi Dhana die Wüste bewässert, ein riesiger Garten grünte in der Wildnis, ernährte 30000 oder noch mehr Menschen. Der endgültige Bruch dieses Dammes, ein halbes Jahrhundert vor Mohammed, war ein Ereignis, das die Menschen der Arabischen Halbinsel so sehr erschütterte, daß sie es sich nur als Zeichen Gottes wider die Ungläubigen deuten konnten. Im Koran heißt es in Sure 34, Verse 15-17: ›Für Saba’ hat Er ein Zeichen gesetzt: ihre Wohnung war in der Mitte, zwei Gärten rechts und links davon. Genießet, was der Herr euch gewährt und saget ihm Dank – für ein herrliches Land und einen verzeihenden Herrn! Doch sie wendeten sich ab. Da sandten Wir gegen sie die Flut des Dammbruchs und gaben ihnen statt der beiden Gärten zwei andere Gärten mit bitterer Frucht, mit Tamarisken und wilden Beeren...‹ Inschriftlich ist das Reich von Saba’ fast tausend Jahre vor Christus nachweisbar, aber gewiß älter. Die berühmte Königin 226
hat man noch nicht belegen können – doch was tut’s: wir halten uns an Bibel und Koran und geben uns gerne damit zufrieden: ›Als aber die Königin von Saba vom Rufe Salomos hörte, da kam sie, um ihn mit Rätselfragen auf die Probe zu stellen. Sie kam nach Jerusalem mit sehr großem Gefolge und mit Kamelen, die Spezereien, Gold und Edelsteine trugen ... Dann schenkte sie dem König hundertzwanzig Talente Gold, und eine überaus große Menge Spezereien und Edelsteine. Niemals mehr ist eine solche Menge Spezereien eingeführt worden, wie sie die Königin von Saba’ dem König Salomo geschenkt hat‹. (1 Könige 10) Und im Koran, Sure 27, Vers 17ff., heißt es: ›Salomo ließ seine Truppen – Dschinn, Menschen und Vögel – zu einem Feldzug versammeln und in Reih und Glied antreten ..., (aber der Wiedehopf, der sonst dazugehörte, fehlte!). Warum sehe ich den Wiedehopf nicht? (fragte Salomo)... Doch nicht mehr lange blieb der Wiedehopf aus (und als er zurückkehrte) sprach er: Ich habe etwas erkundet, was du nicht gewahrtest, aus Saba’ bringe ich dir genaue Nachricht. Eine Frau herrscht in jenem Land, versehen ist sie mit einem jeden Ding, einen gewaltigen Thron besitzt sie. Ich fand, daß sie und ihr Volk die Sonne anbeten, anstelle Gottes, und wohlgefällig sein ließ ihnen der Satan diese Handlung.. .‹. Ähnlich imposante Ruinen wie die von Mārib haben sich auch in den anderen antiken Städten erhalten – hier im Jemen entwickelte sich die früheste arabische Hochkultur, von hier leiten die Araber ihren Stolz als eine der ältesten Kulturnationen der Menschheit her. Dabei berufen sie sich meist auf den letzten der antiken jemenitischen Staaten, auf das Reich Himyar, dem es zwischen 115 v. Chr. und 525 n. Chr. nach und nach gelang, den Jemen mit Gewalt zu einigen. Der Jemen folgte der Botschaft Mohammeds schon in den allerersten Jahren des Islam. Von den drei ältesten Moscheen des Islam liegen zwei im Jemen (die dritte ist natürlich der Ḥarām 227
von Mekka). Es sind dies die Moschee von al-Dschanad, nördlich von Ta‘iz, und die Große Moschee von Sanaa. Seit Beginn des Islam gehört der Jemen zum Kernland des neuen Glaubens, und seitdem prägen die architektonischen und geistigen Schöpfungen des Islam das Land und seine Menschen. Hierzu gehören die mächtigen Moscheen, die Burg- und Palastanlagen (etwa in der Tihāma oder in Dhī-Bīn, in Kaukabān oder Schahāra), eine bis heute aktiv bewahrte und lebendig fortgeführte Bautradition, die Handschriften in den Bibiliotheken, die Münzprägungen der zahlreichen mittelalterlichen Dynastien, und ein einmalig reicher Schatz traditionellen Silberschmucks, wohl der technisch raffinierteste und schönste der islamischen Welt. Vor allem aber ist es der Stolz der Menschen auf ihre Geschichte und ihr Land, der sich aber nicht in Ablehnung des Fremden, sondern in Offenheit, Neugierde, Sympathie und herzlicher Mitmenschlichkeit äußert. Der Jemen geht heute entschlossen den Weg in eine moderne Zukunft, mit weltlichen Schulen, mit Straßen, Krankenstationen, mit rationalen Verwaltungsstrukturen und einem nationalen Heer. Dabei entsteht naturgemäß Distanz zu einer insgesamt als rückständig und bedrückend empfundenen Vergangenheit. Das Wertvolle, Schöne und Menschliche dieser Vergangenheit wird wohl erst in ferner Zukunft auch von den Jemeniten selbst wieder so geliebt werden, wie wir Ausländer es heute suchen. Unsere Erzählungen schildern deshalb eine verlorene Welt, eine schwere, harte und schöne Welt, in der die Menschen zugleich gebunden und geborgen waren. Doch sind diese Texte mehr als historische Dokumente eines bestimmten Stadiums der sozioökonomischen Entwicklung: sie sind formvollendet und spannend, und weise, und – wie wir in diesem Nachwort noch sehen werden – in ihrer mythologischen Botschaft aufs innigste verwandt mit den drei Hochreligionen der Menschheit.
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Der Jemen – ein Märchenland? Die Anregung, jemenitische Märchen zu sammeln, kam von meiner Mutter. Der Gedanke schien mir lohnend, ohne große Mühe zu verwirklichen. Wer den Jemen bereist, oder auch nur einen Bildband über dieses farbigste arabische Land durchgeblättert hat, der erinnert sich an die vielen würdigen alten Männer, an die Stammeskrieger in den Dörfern und Weilern, an die Gewürz-Sūqs in den Städten – an jene Atmosphäre, jenes Gewinkel, jenen Duft, die wir Europäer unwillkürlich mit der Vorstellung von 1001-Nacht verbinden. Wenn es irgendwo noch das alte Arabien geben soll, dann im Jemen! So war ich davon überzeugt, daß ich nur zu einem jener ehrwürdigen Greise zu gehen brauchte, die mit Krummdolch im Gürtel und weißem Bart müßig saßen, und nur darauf zu warten schienen, einen aufmerksamen Zuhörer zu finden. Dies alles erwies sich als Illusion – nur: jetzt war mein Interesse geweckt und die unerwarteten Schwierigkeiten verstärkten meine Entschlossenheit. Auf der Suche nach Märchen zog ich los, begleitet von meinem alten Wächter, dem Ḥādsch Ḥusayn, in die entlegensten Winkel des hintersten Jemen. Immer wieder wurde ich enttäuscht, blieb der mühselige Weg ohne Erfolg. Wo man auch fragte, bekam man zur Antwort: »Natürlich, Märchen kennen wir, ja, jeder Alte bei uns hier im Dorf kann erzählen«! Aber wenn man dann beim alten Mohammed anklopfte, oder beim alten Abdallah, dann stellte sich heraus, daß weder der alte Mohammed noch der alte Abdallah Märchen wußten ... »aber im nächsten Dorf, ja, da kennt jeder Märchen, und erst der Faqīh Ali im übernächsten Tal ...«. Aber auch der Faqīh Ali wußte keine Märchen zu erzählen. Und das, was ich überall hörte, das interessierte mich nicht: Anekdoten aller Art, witzige Erzählungen, meist für Herrengesellschaften, Geschichten aus der Türkenzeit (die Türken zogen 1918 aus dem Jemen ab), lokale historische Begebenheiten. Es war unendlich enttäuschend. Schließlich aber flössen hier ein Hörensagen und da ein 229
Hinweis zusammen, eine Spur zeigte sich: »Ja, Geschichten, so wie du sie suchst, die gibt es, aber nicht auf den Dörfern, sondern bei manchen Saiyids (der religiösen Aristokratie der islamischen Welt, den Nachkommen des Propheten).« In Kaukabān habe man früher solche Geschichten erzählt. Kaukabān ist eine der aufregendsten Stadtanlagen in dem an Naturschönheiten gewiß nicht armen Jemen: auf einem Felsabsturz, 250 m über der Ebene gelegen, etwa 40 km nordwestlich von Sanaa, erhebt sich der Ort, voll ummauert, mit stolzen Palästen. Kaukabān, im Mittelalter Sitz einer unabhängigen Dynastie, war eine bedeutende Stadt schon in der Antike. Ein steiler Treppenweg führt den Felsen hinauf, links und rechts davon sind antike Kammergräber eingelassen. Man darf wohl davon ausgehen, daß die Saiyids-Familien, die heute die Einwohnerschaft von Kaukabān ausmachen, durch Einheirat und Konversion die Nachfahren der antiken Herren der Stadt sind. Im Bürgerkrieg wurde Kaukabān anfangs der 60er Jahre stark durch Luftangriffe zerstört – manche der Paläste sind Ruinen, unbewohnt. Hier in Kaukabān nahm ich mir viel Zeit, war bei den großen Familien zu Gast und spürte, daß man – endlich, zum ersten Mal – genau verstand, was ich wollte, aber Märchen erzählte man mir keine. Heute weiß ich, daß der heidnische, vorislamische Charakter der Märchen den Erzählern zwar nicht bewußt ist, aber doch irgendwie gespürt wird, und daß ein Teil der religiösen Elite deshalb diesen Märchen mit tiefem Mißtrauen gegenübersteht. Nach diesem letzten Mißerfolg gab ich die aktive Suche auf, bis mir eines Tages der Zufall zu Hilfe kam. Ich war, wie schon mehrfach zuvor, in Al-Ṭawīla (ca. 40 km westlich von Kaukabän, seinerzeit einen guten Tagesmarsch weit, heute zwei Stunden im Landrover), einem malerischen alten Städtchen mit prächtigen jemenitischen Häusern in fruchtbarer Gebirgsgegend (ca. 2000 m hoch gelegen). Al-Ṭawīla wird von drei Felskegeln überragt, auf einem steht die Burg, auf antiken Grund230
mauern errichtet. Auch die im Keller der Burg befindliche Zisterne stammt noch aus der Antike. Bei der Belagerung im Bürgerkrieg war sie während zweier Monate die Wasserversorgung der Mannschaft. Hier in Al-Ṭawīla saß ich gegen Abend beim Dorfschmied und ließ mir seine Techniken und Werkzeuge erklären. Vorher hatte ich ihm, wie stets, gesagt, ich würde mich auch für Märchen interessieren und ob er da nicht eine Idee hätte. Einiges später kam ein alter Mann vorbei, der Schmied deutete auf ihn: »Der da, der kennt solche Geschichten, wie du sie suchst!« Meine anfänglichen Bedenken (hatte ich doch nur wieder Witze und Anekdoten erwartet) wichen freudiger Überraschung. Dieser Mann, der Ḥādsch Ḥamūd al Baydahī, war ein echter Märchenerzähler. Seit 20 oder 30 Jahren hatte niemand mehr seine Geschichten hören wollen. Von ihm stammt eine Anzahl der Texte dieses Buches. Über ihn lernte ich dann den zweiten Erzähler von Al-Ṭawīla kennen, den Ḥādsch und Saiyid Ahmed al Aschwal, Träger des Namens einer der berühmtesten Familien im Jemen. Die schönsten und mythologisch aufschlußreichsten Erzählungen habe ich jedoch im Südjemen (Demokratische Volksrepublik Jemen) aufzeichnen können, dank der Hilfe von Mohsin Hassan Khalifa. Er verstand und erfaßte sofort, um was es mir ging und warum ich mich für dieses ›alte Geschwätz‹ (schon im Koran wird es als ›Geschichten der FrühereiK abgewertet) interessierte. Hassan Khalifa fand schließlich nach langer Zeit und intensivem Suchen den wohl letzten Märchenerzähler des Südjemen, den Chāl Abdallah, dessen Texte die aufregendsten und inhaltsreichsten dieses Buches bilden. Hassan Khalifa war es auch, der meine Tonbandaufnahmen auf Papier übertrug und mit Schreibmaschine die arabischen Texte schrieb. Für seine entscheidende Mithilfe sei ihm auch an dieser Stelle Dank gesagt. Die Texte haben wir sodann gemeinsam gelesen, dunkle Stellen erneut mit den Tonbandaufnahmen verglichen. Bei schwer verständlichen Abschnitten, besonders bei ungewöhnli231
chen Dialektausdrücken, halfen andere Jemeniten – vor allem ‘Abdulwāhid Muqbil ‘Alī – mit Begeisterung. Der Stoß der arabischen Texte lag schwarz auf weiß vor, als ich nach Europa zurückversetzt wurde. Die Wochenenden und Ferien verbrachte ich seitdem mit meinen Märchenhelden aus dem Jemen. Etwa zwei Jahre dauerte das Übersetzen. Und da von Anfang an zu spüren war, daß sich hinter den Geschichten und unterhaltsamen Stoffen Religion verbarg, eine Religion, die jedenfalls vorislamisch war, bin ich gleichzeitig diesen Fragen nachgegangen. Doch bevor ich dazu Genaueres sage, wollen wir mehr über die Person meiner Erzähler hören, und auch über die Tradition des Märchenerzählens im Jemen, soweit sie sich heute noch rekonstruieren läßt. Wenn man etwa in der Enzyklopädie des Märchens unter dem Stichwort ›Arabisch-Islamische-Erzählstoffe‹ nachschlägt, so findet man dort die verschiedenen arabischen Termini für das Wort ›Erzählung‹. Ein Wort fehlt dabei, das im Jemen gebräuchliche. Es hat genau die Bedeutung unseres Wortes ›Märchen‹ oder ›Zaubermärchen‹; im außer jemenitischen Arabisch gibt es dazu keine Parallele. In den verschiedenen Gegenden des Landes nimmt dieses Wort unterschiedliche dialektale Formen an: in Sanaa sagt man hazwiya, in Arhab hörte ich es als huzaya, so auch in der Ḥudscharīa (südlich von Ta‘iz). In den meisten Gegenden des nördlichen Nordjemen ist wohl die Form mihzaya (ein Partizip) gebräuchlich, die Plurale lauten mahāzī (so im westlichen Südjemen) oder huzayät. Einen anderen Plural hörte ich im westlichen Nordjemen, hazāwi. Nun zu den einzelnen Erzählern: Chāl Abdallah. ›Chāl‹ ist ein Ehrentitel, ähnlich wie vielleicht früher bei uns ›Gevatter‹, eigentlich heißt es ›Mutteronkel‹. Chāl Abdallah heißt mit vollem Namen Abdallah (er selbst) Ahmed (sein Vater) Ali (sein Großvater). Er wurde um 1900 in dem Dorf Al-Chattābīa bei Ṭūr alBäha (ca. 50 km nordwestlich von Aden) im damaligen Sultanat Lahidsch geboren. Wenig später starb sein Vater, und die Mutter zog mit ihren Kindern zu Verwandten nach Al-Waht. einem 232
kleinen Städtchen zwischen Aden und Lahidsch (etwa 10km südlich von Lahidsch am Wādī al-Kabīr gelegen). Hier in AlWaht liegt die Heimat unserer Märchen. Als Abdallah etwa i8 Jahre alt war, begann er als Karawanenführer zu arbeiten, in der Regel für die Strecke Al-Waht-Aden, als Endtransporteur für den Kaffee aus dem jemenitischen Hinterland, und für Güter, die in Aden angelandet wurden, um im Jemen verkauft zu werden. Manche seiner Reisen führte ihn weit hinauf ins Gebirge und in das Reich des Imams. Etwa ein gutes Dutzend Jahre später, als Motorfahrzeuge die Karawanen überflüssig machten, bewarb er sich bei der Polizei in Aden, arbeitete rund 30 Jahre lang als Polizist, meist als Wärter und Wächter. Als ich die Märchen aufzeichnete, lebte er in einer kleinen Hütte, in einer ›Al-Qāhira‹ genannten Siedlung am Rande des Adener Vororts Scheich ‘Uthmān, 1981 starb er. Seine Geschichten hat schon seit vielen Jahrzehnten niemand mehr hören wollen, und dennoch beherrscht er sie so präzise, so genau, daß wir bei technischen Pannen des Tonbandgerätes mit dem gleichen Wortlaut ein Stück zurück wieder anknüpfen konnten. Auf Fragen nach Erläuterung einzelner Stellen lächelte Abdallah mit einem weisen, gütigen und sehr müden Gesicht, vermochte aber nichts zu erklären, sondern wiederholte nur seinen Text. Seinerzeit war ich darüber ein wenig unglücklich, heute weiß ich, daß nur so diese Mythen sich erhalten konnten. Chāl Abdallah ist Analphabet – vielleicht konnte er gerade deshalb sich so vollkommen auf diese Texte konzentrieren und sie über einen Zeitraum von etwa 70 Jahren überliefern. Gehört hat Chāl Abdallah seine hazāwi in Al-Waht als kleiner Junge. Al-Waht ist eine ganz ungewöhnliche Siedlung, ein heiliger Ort gewiß seit vorislamischer Zeit, und im westlichen Südjemen der einzige seiner Art. Im Ḥadramaut gibt es mehrere solcher vorislamischer Asylplätze; halbwegs zwischen Aden und Mukalla liegt ein anderer: Al-Ḥauta, Stapelplatz der antiken Weihrauchstraße. Auch im Nordjemen ist diese Institution
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nicht unbekannt. Wichtiges Beispiel ist Chamr, seit vorislamischer Zeit Sitz der Oberscheichs des Stammes Ḥāschid. Doch zurück nach Al-Waht und zu den hazāwi. Vergessen wir dabei nicht: eigentlich müßte alles, was ich im folgenden als Präsens ausdrücke, korrekterweise im Imperfekt gesagt werden. Die Welt des traditionellen Jemen mit seiner den einzelnen beengenden, aber auch Sicherheit gebenden Klassenstruktur, mit seinen uralten religiösen Institutionen und Sitten, diese Welt existiert nicht mehr, und wenn, dann nur noch ganz mittelbar und im Verborgenen. Die folgende Schilderung ist daher kein Zeitgemälde, sondern ethnologische Archäologie, die vor 20 Jahren vielleicht gerade noch greifbar war. Al-Waht bestand aus drei Stadtteilen, in einem wohnten Saiyids, im zweiten religiöse Scheichsfamilien (Maschāyich) und im dritten ‘Arab. Natürlich waren alle drei Gruppen Araber im sprachlichen Sinn – der Terminus ›‘Arab‹ bedeutet hier vielmehr ›freie (seßhafte) Stammeskrieger‹. Saiyids sind die Nachkommen des Propheten Mohammed, von alters her in den islamischen Ländern in hoher Achtung gehalten. Sie sind die Schriftgelehrten, Vorbeter, die Angesehensten auch in weltlichen Dingen, kurz: die religiöse Aristokratie der islamischen Länder. Aus ihnen rekrutieren sich die Herrscherhäuser (z.B. in Marokko oder in Jordanien, oder – zur Zeit des Königreichs Jemen – die Familie des Imam). Die religiösen Scheichs dagegen sind eine spezifisch jemenitische Gruppe – trotz des gleichen Namens nicht mit den Stammesscheichs, den Anführern der arabischen Stämme, zu verwechseln. Alles deutet darauf hin, und die europäischen Islamwissenschaftler sind sich darin einig, daß diese jemenitischen Scheichsfamilien die Nachfahren der vorislamischen Priesterfamilien sind. Bis heute bewahren sie manche Funktion, die in diese frühe Zeit zurückreicht, freilich stets in islamischem Gewand. Die Maschāyich sind besonders fromme Muslime. Sie führen ein vorbildhaftes Leben im Sinne aller Vorschriften und Reseln des Koran.
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Hier in Al-Waht, in dieser sehr rigiden, sehr religiös gefärbten Umwelt, hörte Chāl Abdallah als Kind also seine Erzählungen. Die kleinen Jungen kamen zu einigen Saiyids oder Maschāyich in den Hof, der jedes jemenitische Haus umschließt, setzten sich im Halbkreis um den alten Saiyid und lauschten seinen hazāwi. Sinn und Zweck dieser Erzählungen lagen ganz ausdrücklich nicht in Zeitvertreib und Unterhaltung: es sollte eine Art von Schule sein und die Kinder erziehen. Wozu, das wurde natürlich nicht definiert, wir können es aus dem Inhalt der Texte erschließen. Neben dem Erziehungsgedanken stand auch der der Sprachübung. Die Kinder sollten gutes Arabisch hören, die begabtesten sollten es nacherzählen lernen. Wie ungewöhnlich eine solche Methode ist, noch dazu im Kernland des Islam, wo Unterricht natürlich und nur am Koran vollzogen wird, das kann sich ein Europäer kaum vorstellen. Dies muß wohl auch der Weg gewesen sein, auf dem die jemenitischen Märchen von Generation zu Generation weitergereicht wurden, seit einigen tausend Jahren. Wichtig ist dabei vor allem, daß es sich nicht um ›Volks‹märchen handelt, sondern um kunstvolle Texte, tradiert von der religiösen Elite des Landes innerhalb der Männergesellschaft. Eine Generation weiter konnte ich den Ursprung dieser Erzählungen noch zurückverfolgen (also etwa in die Mitte des 19. Jahrhunderts). In Al-Waht hatte es etwa ein halbes Dutzend Erzähler gegeben. Saiyid Abdallah Häschim Bukayr und Saiyid Hassan ‘Aīdrūs waren Angehörige von zwei der berühmtesten SaiyidFamilien des Jemen, mit ursprünglichem Sitz im Ḥadramaut (östlich von Aden). Die Brüder Mohammed und ‘Ali Durayb gehörten zu den Maschāyich-Familien von Al-Waht. Auch Abu Salem al-Bayhāni und Abdallah al Ba‘adāni erzählten den Kindern in Al-Waht »Märchen«. Bayhān und Ba‘dān (ca. 50 km östlich von Ibb) sind ebenfalls größere antike Siedlungen. Das ist insofern besonders interessant, als dort in der Antike ein Sonnenheiligtum gestanden haben muß; Ba‘dān ist der antike Beiname der Sonnengöttin im Winter. In der Gegend soll es vor etwa 30 235
Jahren noch einen, damals angeblich schon hundertjährigen, Erzähler gegeben haben: Dahān Fāri‘a al-Wadschīh aus dem Stamm der Āl al-‘Amāhi al-Ḥarith. Das ist insofern besonders interessant, als dort in der Antike ein Sonnenheiligtum gestanden haben muß; Badan ist der antike Beiname der Sonnengöttin im Winter. In der Gegend soll es vor etwa 30 Jahren noch einen, damals angeblich schon hundertjährigen, Erzähler gegeben haben: Dahān Fāri‘a al-Wadschīh aus dem Stamm der Āl al-‘Amāhi al-Ḥarith. Auch unser Abdallah Ahmed Ali stammt aus einer Familie religiöser Scheichs, den Maschāyich Beni ‘Ulliyān. Dieser Name allein führt uns schon wieder in die Antike zurück: ›Än‹ ist der altsüdarabische Artikel, ›‘Ulli‹ bedeutet ›Höchster‹ und hängt mit dem Namen ›Ali‹ zusammen. Die Maschāyich Beni ‘Ulliyān sind also die Leute der Söhne des Höchsten. Die Zugehörigkeit zu einer Maschāyich-Familie war nach dem Tode des Vaters auch der Grund für den Umzug der Familie nach Al-Waht, wo die Mutter Verwandte hatte. In den Heiligen Familien des Jemen ist der Segen, baraka, von alters her symbolisiert. So war es auch mit der Familie unseres Erzählers Abdallah, und weil es sich hier um eines der grundlegenden ethnologischen Phänomene des alten Arabien handelt, wenig bekannt und inzwischen – wie so vieles – ausgestorben, muß ich hier ein wenig ausführlicher werden. Das alte Arabien war ein Land ständiger Unsicherheit. Die Stämme zogen durch ein weites Territorium, das sie als das ihrige betrachteten und für das sie keinen anderen Oberherrn als sich selbst anerkannten. Reisende und Händler mußten jeweils in Verhandlungen Begleiter durch ein Stammesgebiet gewinnen. Der Bedu lebte von seinen Schafen und Ziegen und vom Raub, der Razzia, übrigens ein arabisches Wort. Nichts Ehrenvolleres gab es als eine (erfolgreiche!) Razzia, noch lange würde man davon an den Lagerfeuern erzählen. Zum Schutze des einzelnen gab es in dieser wilden, rauhen Gesellschaft nur eine einzige Institution, die Blutrache. Wenn ein Stammesfrem236
der einen Stammesangehörigen getötet hatte, mußte dieses Blut mit dem Blut eines Angehörigen des fremden Stammes weggewaschen werden. Jeder wußte das, und der soziale Druck von Familie und Stamm war so stark, daß unnütze Morde unter allen Umständen verhindert wurden, um nicht fremde Rache zu beschwören. So paradox es klingt: die Blutrache sicherte trotz allem ein gewisses Maß an Frieden, aber eben nur ein gewisses. Hier entwickelten sich nun, vor allem bei den seßhaften Araberstämmen des Südens, sozial-religiöse Institutionen, die dem Verfolgten Asyl gewährten, die den Reisenden sicherten (Gastfreundschaft), die an bestimmten Tagen und Orten die Blutrache außer Kraft setzten und Handel gestatteten. So entstanden die Marktplätze in Arabien, so kam auch die Hadsch von Mekka schon in vorislamischer Zeit zu Bedeutung als Ort, wo man gefahrlos sich versammeln, Nachrichten und Erzählungen, Frauen und Waren tauschen konnte. Der Ursprung dieser heiligen und zugleich sicheren Orte ist unmittelbar mit den Heiligen Familien verknüpft. Eines ihrer Mitglieder erklärt ein Stück Land (oft bei einer Quelle, an einem Wadi) für unverletzbar. Wenn die umliegenden Stämme diesen Asylplatz eine Zeitlang anerkennen, ist eine ›Ḥawta‹ oder ›Hidschra‹ geschaffen, eine Wallfahrt entwickelt sich, und wo gewallfahrtet wird, da lassen sich Handel und Wandel nieder. Viele dieser Plätze sind geheiligt seit unvordenklichen Zeiten, an die Gründung anderer durch Mitglieder einer Heiligen Familie erinnert man sich noch. So auch bei dem Großvater unseres Erzählers. Es muß etwa um 1860/70 gewesen sein, als der Großvater ‘Ali bin ‘Umar starb und gleich darauf auch sein Bruder. In Al-Chattābīa, wo die Familie seit je ansässig war, fromm und geachtet, mußte das den Leuten als Zeichen gelten. Eine Qubba, eines der kleinen jemenitischen Kuppelgräber, wie man sie Angehörigen von Saiyid-Familien oder Maschāyich-Familien errichtet, wurde gebaut. Doch wenig später erschien der Großvater seinem Sohn im Traum: er wolle nicht unter einer Qubba auf dem Friedhof begraben liegen, sondern in einem Schrein237
grab ein Stück außerhalb des Dorfes, die Menschen sollten ihn leichter besuchen können. Das Wort »besuchen bedeutet im Arabischen auch ›wallfahren‹. Die Wallfahrt zu einem Heiligengrab ist religiöse Zeremonie und weltliches Fest, Gelegenheit zu Frömmigkeit, Freude und Handel. Nun, der Sohn berichtete von der Erscheinung, das Grab (›Walī‹) wurde gebaut, die Pilgerfahrt begann und lebt bis heute. Die Pilger kamen und taten, was man im alten Arabien an einem Heiligengrab zu tun pflegte: sie hängten, wie in Mekka über die Ka‘ba, ein großes Tuch (Kiswa = Kleid) über die Grabkuppel, sie pflanzten Fahnen (Bayraq) auf, und hängten bunte Lappen in die Bäume neben dem Grab. Doch der Heilige wollte das Kleid nicht und die Gaben auch nicht. In der Nacht stand er auf und verbrannte alles. Seitdem nennt man ihn deshalb ‘Am ‘Irwān, Der Nackte (›Am‹ ist die Dialektform des hocharabischen Artikels ›Al‹). Um das Grab herum wurde ein heiliger Bezirk abgesteckt, in dem ein Verfolgter Schutz finden konnte, wo das Waffentragen verboten und die Blutrache außer Kraft gesetzt war. Viele der über ‘Am ‘Irwān überlieferten Wunder beziehen sich auf die Wahrung dieses heiligen Bezirks. Als einmal ein Stammeskrieger sah, daß einer seiner Feinde den Wall besuchte, verbarg er seine Dschanbīya (den Krummdolch) unter seinem Hüftrock, dem Ma’awaz, folgte seinem Feind und wollte ihn töten. Da erstarrte ihm die erhobene Hand mit der Dschanbīya genau in jenem Augenblick, als er zustoßen wollte. Erst als die Familie des Missetäters Abbitte geleistet und Geld für die Unterhaltung des Grabes gespendet hatte, heilte der Sohn des ‘Am ‘Irwān (der inzwischen zum Wärter, Quyyūm, des Grabes geworden war) den steifen Arm durch Berühren. Ein andermal wollte ein Qablli, ein Stammeskrieger, besonders schlau sein und einen seiner Feinde mit einem Gewehrschuß von außerhalb des heiligen Bezirks töten – doch der Schuß ging nicht los, der Arm erstarrte, der Missetäter mußte die Hilfe des ‘Am ‘Irwān erflehen. Als der Vater unseres Erzählers starb, hätte eigentlich er, Chāl 238
Abdallah, die Nachfolge als Wärter antreten müssen. Doch weil er zu jung war, wurde sein Onkel der Quyyūm und heute ist es dessen Sohn. Einige meiner Erzählungen stammen von Abdallahs dritter Frau (als junger Mann hatte er zweimal geheiratet und sich ebenso schnell wieder geschieden) Chadīga bint Mohammed. Sie wurde als Tochter eines Motorbootfahrers des Adener Hafens etwa 1905 geboren, als kleines Mädchen verheiratet, zwei oder drei Jahre später starb ihr Mann. Etwa im Jahre 1920 heiratete sie Abdallah und lebte mit ihm bis zu ihrem Tod am 26. März 1980. Wie ihr Mann, konnte Chadīga nicht schreiben und lesen (eine Fähigkeit, die – wie man aus Europa weiß – nicht notwendig auf Intelligenz deutet). Vielleicht hat auch sie sich gerade deshalb die alten Texte um so besser eingeprägt. Chadīga war in Aden als Erzählerin bekannt, häufig lud man sie in die großen Häuser ein, um Frauen und Kinder zu unterhalten. Ihre Geschichten hatte sie nicht von ihrem Mann gehört, sondern als Kind im Hause der Āl Bāzar‘aa, Großkaufleute in Aden, einer alten angesehenen Familie aus Wādī Da’än im Ḥadramaut. Wie viele Kinder armer Eltern war die kleine Chadlga im Alter von etwa 5 Jahren in eines der großen Häuser Adens aufgenommen worden (die islamische Tugend der Freigebigkeit, besonders gegenüber Armen, Witwen und Waisen, begegnet uns regelmäßig auch in den Märchen), um nach etwa 10 Jahren zu heiraten. Später arbeitete sie die meiste Zeit ihres Lebens als Dienerin und Kindermädchen bei Adener Familien. Hier, im Āl Bāzar‘aa-Haus, lebte damals auch eine alte Frau aus Kaukabān; alle Leute, und natürlich auch die Kinder, nannten sie ›Umm as-Sirwāl‹ – ›Mutter der Hosen‹. Im nördlichen Jemen tragen die Frauen Hosen und für einen Mann wäre es eine Schande gewesen, wenn man ihn mit Hosen gesehen hätte. Die typische Männertracht ist – auch heute noch – vielmehr ein rockartiges Hüfttuch, Fūta (zusammengenäht), früher Ma’awaz (ungenäht) genannt. Im südlichen Jemen tragen die Männer zwar auch den üblichen Rock, die Frauen jedoch nur Kleider. Darum 239
waren den Adener Kindern im Āl Bāzar‘aa-Haus die Hosen der Frau aus Kaukabān so ungewohnt, daß bald jeder die Frau nur noch unter diesem (natürlich gar nicht böse gemeinten) Spitznamen kannte. Diese ›Mutter der Hosen‹ – Umm as-Sirwāl – war keine gewöhnliche Dienerin, sondern eine Faqīha, eine Korangelehrte, eine fromme Frau aus einer Familie frommer Leute. Sie war auf Ḥādsch gegangen, ein paar Jahre hatte sie in Mekka gelebt und auch das Grab des Propheten in Medina besucht. Im Āl Bāzar‘aa-Haus lehrte sie die Kinder den Koran und erzählte ihnen und den Frauen des Harems die hazāwi, die sie selbst als junges Mädchen gehört hatte. Umm as-Sirwāl ist die Quelle Chadigas. Damit sind wir wieder im Nordjemen, wo ich in Al-Ṭawīla, westlich von Kaukabān, meine ersten Texte gefunden hatte. Ḥādsch Ḥamūd al-Baydahī ist dort mein Haupterzähler und auch hier lohnt es, der Person und dem Ursprung der »Märchen« nachzugehen. Die Familie stammt aus Baydah, einem Dorf in Arhab (nordöstlich von Sanaa). Seit je waren ihre Angehörigen Kadis. Vor etwa 150 Jahren kam die Familie nach Karriat al-Käbil (dem Hauptort im Wadi Dahr), später dann auch nach Kaukabän, 1918 (Abzug der Türken) verließen sie Kaukabān und wurden, als vom Imam eingesetzte Richter, Kadis von Al-Ṭawīla. Diese Funktion übt heute der Bruder von Ḥādsch Ḥamūd aus, der Kadi Ahmed Saghīr Al-Baydahī, eine würdige, eindrucksvolle Gestalt, der einzige Mann im Jemen, den ich noch mit dem alten indigogefärbten Turban sah. Die Baydahī kann man durchaus als die (neben dem Scheich) angesehenste Familie in AlṬawīla bezeichnen, mit europäischen Termini würde man von Dienstadel sprechen. Einige seiner Erzählungen hörte Ḥādsch Ḥamūd als Kind in Kaukabān von Saiyids; die meisten aber sind, über seinen Vater und die Familie, aus dem Wadi Dahr überliefert; wo sie (im vorigen Jahrhundert) der aus Nihm stammende Gouverneur erzählt hatte. Ḥādsch Ḥamūd war in Al-Ṭawīla noch immer als Erzähler bekannt, doch hatte sich schon lange niemand mehr für 240
seine Geschichten interessiert, so daß es eines ziemlichen Anstoßes bedurfte, ihn zum Reden zu bewegen. Doch dann, ja dann, übten die »Märchen« sofort ihren alten Reiz, ihre alte Anziehungskraft wieder aus: in wenigen Minuten hatten sich zehn bis zwanzig Männer im Qātzimmer versammelt (freilich alles andere als still und brav!). Ḥādsch Ḥamūd begann: ›Ohs‹ und (besonders an den auf das Herrenpublikum zugeschnittenen Stellen) genüßliche Zwischenbemerkungen zeigten die Spannung an und, als am Ende das Gute siegte, der böse Inder getötet wurde, und der Held die Heldin bekam, da atmeten alle glücklich auf, und mein alter Wächter, der Ḥādsch Ḥusayn, wiederholte befriedigt »Den verbrecherischen Inder aber töteten sie«! In Al-Ṭawīla nahm ich auch noch einige Erzählungen von Saiyid Ahmed al-Aschwal auf, einem schon ganz zahnlosen, sehr, sehr alten Herrn, so zahnlos, daß man ihn kaum verstand, so zahnlos, daß er nicht einmal mehr seinen geliebten Qāt kauen konnte und darum die Blätter mit einer kleinen Kaffeemühle zu Pulver mahlte. Die Familie al-Aschwal ist eine der bekanntesten SaiyidFamilien des Nordjemen, mit einem ihrer Stammsitze in Kaukabān. Wenn ich hier so ausführlich von den Erzählern sprach, dann hat dies seinen guten Sinn. Einmal, weil die in diesem Band Vereinigten ganz offensichtlich die letzten sind, die die alten Geschichten noch kennen. Natürlich werden einheimische Forscher noch den einen oder anderen finden, wenn sie bald, sehr bald, an ihre Arbeit gehen. Erzähler mit einigem Repertoire sind aber auch in der Vergangenheit schon außerordentlich selten gewesen; auch im vorigen Jahrhundert lebte offenbar in den größeren Städtchen und Siedlungen, wenn es hochkam, nur ein einziger echter Erzähler. Das zweite und beinahe noch auffälligere Phänomen ist ihre soziale Zugehörigkeit: Es sind nicht Leute aus dem Volk, keine alten Frauen, Wanderarbeiter oder Schmiede, auch nicht die Beduinen (wie oft habe ich – ihre Gastfreundschaft genießend – nach alten Geschichten gefragt), sondern einzelne Angehörige, sei es auch in dienender Position, 241
der obersten Schichten der Gesellschaft. Sie geben mit Würde weiter, was sie selbst an hazāwi von Mitgliedern ›ihrer‹ sozialen Gruppe gehört haben. Zur mythologischen Interpretation von Märchen Seit hundert Jahren werden Märchen mythologisch interpretiert und über-interpretiert. Daß bei Azteken, Mongolen und im Tschad Menschen geopfert wurden, muß noch lange keine Parallele zu Niobe und Schneewittchen sein. Die Resultate der Märchen-Mythen-Forschung sind deshalb eher enttäuschend: wo der eine indogermanischen Ursprung sieht, glaubt der andere Parallelen im Vorderen Orient, der dritte im alten Ägypten zu finden. Man muß sich daher sehr vor vorschnellen Schlußfolgerungen hüten, und erst recht vor allgemeinen Begriffen, z.B. dem jüngst wieder so beliebten Mutterrecht, das man überall und nirgends nachweisen kann. Wir wollen deshalb nicht den Fehler begehen, quer durch alle Kulturen zu wandern, soweit sie uns passen, sondern uns streng und nüchtern an unser Textmaterial halten. Drei Umstände kommen uns dabei zu Hilfe: einmal die ungewöhnliche und einmalige Kontinuität der geistigen und materiellen Kultur des Landes, seine Abgeschlossenheit, die es erklärt, daß Ortsnamen und Stammessitze sich seit 2000 und mehr Jahren unverändert erhalten haben. Der zweite Umstand ist die ungeheure Menge antiker Inschriften, die der Fleiß der Wissenschaftler sammelt, übersetzt und herausgibt. Diese Inschriften, Zeugnis einer der ältesten Kulturen der Menschheit, machen unsere Märchen so interessant. Hier geht es um den semitischen Beitrag zu unserer Religions- und Geistesgeschichte, um unseren eigenen Ursprung, nicht um deskriptive Ethnologie ferner Völker irgendwo im wilden Urwald. Nur monumentale Inschriften haben sich erhalten, leider ohne die zugehörigen Mythen, die sich eanz selten aus den Inschriften deuten lassen. Die 242
Situation wird verständlich, wenn wir uns einen Besucher vom Mars vorstellen, der auf der menschen- und bücherleeren Erde nur unsere Kirchen, Finanzämter und Amtsgerichte vorfindet. Jetzt soll er aus den Statuen, den Gemälden und einigen Bauinschriften unsere Religion und Staatsauffassung rekonstruieren! Der Mühe der Gelehrten (insbesondere: Maria Höfner in Die Religionen der Menschheit und im Wörterbuch der Mythologie) ist es gleichwohl gelungen, die Grundzüge der antiken Religion Arabiens zu erkennen, auch wenn überall noch Fragezeichen bleiben. Ohne diese Arbeiten der Wissenschaft wäre die Deutung meiner Erzählungen unmöglich gewesen. Sobald man aber anfängt, die Geschichten radikal als religiöse Texte aus der Zeit vor dem Islam zu interpretieren, passen die bekannten antiken Göttergestalten auf die Figuren der hazāwi, bekommen plötzlich Leben, Farbe und Inhalt. Ich glaube, daß man nachweisen kann, wie sich in zahlreichen Sitten und Traditionen des Jemen und des Islam diese rekonstruierten Mythen wiederentdecken und zugleich Parallelen zu den zentralen Institutionen des Alten Testaments finden lassen. Jetzt ist noch der dritte Glücksfaktor zu erwähnen: es ist die Präzision, mit der Chāl Abdallah seine Geschichten erzählt hat. Gewiß, auch meine anderen »Märchen« sind wunderschön und inhaltsreich, genauso wie die Erzählungen von Jefet Schwili oder die der österreichischen Expeditions aber interpretieren lassen sie sich erst, ihren Schleier lassen sie erst fallen, wenn man jene des Chāl Abdallah kennt und analysiert. Sie enthalten jene kleinen Scharnierstellen, die die Türen zu weiten Hallen der Erkenntnis öffnen, und auf diese Weise die anderen »Märchen« plötzlich wie selbstverständlich erklären, so, als habe man es immer schon gewußt. Die Erzählungen dieses Bandes kennen drei Haupthandelnde: eine junge Frau, meist Königs- oder Sultanstochter; ihren Stiefvater, Vater oder Bräutigam, der sie manchmal schützt und hegt, der manchmal aber auch als schlimmer Unhold geschildert wird. Die dritte Gestalt ist ein junger Mann (Sultanssohn), der 243
von weit her kommt (aus dem Osten, sagen die hazāwi), seine Heimat verlassen hat, hier in der Fremde die junge Prinzessin sieht, sich verliebt, sie im Kampf, mit List oder mit Bitten aus der Gewalt des Alten befreit, heiratet, Kinder zeugt. Bei alledem fällt der ständige Bezug zum Wasser auf: es regnet, wenn die Taube weint; das junge Mädchen wird in einem Wādī ausgesetzt, wo der böse Alte sie packt und dafür den Wādī mit Wasser füllt; der Alte wird mit den schwarzen Regenwolken verglichen; das Mädchen badet in einem Fluß oder im Wasserbecken eines Sultansgartens. Daß der zentrale Gedanke aller Märchen das Wasser ist, das erkennt man sofort. Kein Wunder: In einer Weltgegend, wo es nichts Kostbareres gibt als Wasser – aber von dieser Erkenntnis zu formeller Mythologie ist ein weiter Weg! Wenn das ausgesetzte Mädchen in »Vater o Vater...« anscheinend völlig unmotiviert in den Himmel ruft Vater o Vater, wieviel mußt du pissen, hast die Wadis schon gefüllt und alles flache Land«, wird damit vom Märchentext eine Kausalverbindung hergestellt. Noch deutlicher wird sie etwa in »Die Wildstreune« ausgedrückt: Dieser Afrit sperrt das Wasser (im Wadi) und läßt es erst fließen, wenn man ihm eine als Braut geschmückte junge Frau als Opfer bringt. Sehr sinnfällig trägt das Mädchen in »Die Regenschöne« den Namen Wasīla aldhahab«: »Wasīla« ist von dem Wort »sail«, fließendes Wasser, abgeleitet, und »dhahab« ist das sabäische (bis heute dialektal gebrauchte) Wort für die am Wadi gelegenen bewässerten Felder. Die Märchen schildern also einen Opferritus: um der menschlichen Siedlung das lebensnotwendige Wasser zu verschaffen, wird einmal im Jahr eine junge Frau hinausgeführt in die Wildnis, wo der Wadi herkommt. Doch weniger mit diesem Geschehen, als mit einem einmaligen, unerhörten Ereignis, befassen sich die Texte: In illo tempore kommt ein junger Mann aus der Ferne und tötet den schrecklichen Wadi-Dämon, sichert dadurch das Fruchtbarkeit bringende Wasser. Dann heiratet er die junge gerettete Frau, und zwar, ganz 244
anders als heute im Orient, matrilokal. Es ist keine zufällige Parallele, daß Jakob für Lea und Rachel 14 Jahre bei seinem Schwiegervater Laban diente (Gen. 29), und daß auch Moses bei seinem Schwiegervater Jetro einheiratete (Ex 2,15). In einer Veröffentlichung konnte ich ein bis heute im Jemen lebendiges Ritual beschreiben, das diesen Mythos jährlich – in einer Art Neujahrsfest – wiederholt und damit von der Ebene des Märchens in konkrete und geglaubte Überlieferung überführt. Nach seiner großen Tat – der Tötung des Dämons und der Sicherung des Wassers – heiratet der Held und wird, wie in den Märchen, zum Stammvater der in der Siedlung herrschenden Familie. In dieser Überlieferung trägt er sogar einen Namen: Sonne. Das jährliche Ritual besteht aus dem Nachvollzug jenes frühen hieros gamos, versinnbildlicht durch zwei bekleidete Säulen, die wir auch aus vorislamischer literarischer Überlieferung kennen (und die gewiß auch mit den Säulen Boaz und Jakin vor Salomos Tempel identisch sind). Läßt sich somit nachweisen, daß der zentrale Inhalt der »Märchenreligion« wirklich mythologischen Inhalt hat, so läßt sich auch weitgehend die Parallele zu den wichtigsten Gottheiten des sabäischen Pantheons herstellen. Das Mädchen ist die Sonne, »Schams« im Sabäischen, und im heutigen Arabisch. In Die vierzehn Königstöchter wohnt sie auf einer Insel im äußersten Osten, die sie aber erst am Morgen, bei Sonnenaufgang, verlassen kann. In einem anderen Märchen (O Schläfer in der Nacht) erscheint sie am Abend, genau bei Sonnenuntergang. Am Morgen, bevor die Sonne aufgeht, muß sie sich von ihrem Geliebten wieder trennen. Sie öffnet ihr Fenster am frühen Morgen, genau bei Sonnenaufgang, und schaut heraus »mit ihrem schönen (goldenen) Haar, wie man solches noch nie gesehen hat« (Der Strauß des Sultans). Die tote Mutter kommt als weißer Vogel zurück auf die Erde. Bei Sonnenuntergang erscheint sie, bei Sonnenaufgang muß sie wieder hinaus ins Freie (Die Dunkelheit). Am Abend, bei Sonnenuntergang, wird das Mädchen von seinem Vater aufs Pferd gesetzt, hinausgebracht, geopfert (Vater, 245
o Vater...). Noch viel mehr Texte könnte man zum Beweis anführen: Die Frau in den Märchen ist die Sonne, sie ist ›Schams‹ (das Wort ist auch sprachlich feminin), im antiken Südarabien war sie die höchste Göttin. Ihr gegenüber steht eine ältere männliche Figur. Manchmal ist sie gütig (etwa der Afrit in Der Strauß des Sultans, oder Al Chadr in Vater, o Vater, wieviel mußt du pissen), meistens aber fundamental böse (Der Garguf, der Obersultan in Bin der Hüpfer, töte Tausend jeden Tag). Dieser Alte, Gewaltige wird uns geschildert als der Herr des Wassers, des Regens, der schwarzen Wolken. Ihm wird das Mädchen im Wādī geopfert, im Wādī, wo der Alte herrscht. Das Wasser wird er spenden »genug für ein Jahr«. Ein Jahr heißt es immer wieder, oder – als Zeitraum für die Abwesenheit des Mädchens – ein halbes Jahr (Der Jüngling Hassan und der Magier). Auch hier fällt die Erklärung nicht schwer. Wir haben es mit einem Jahreszeitenrhythmus zu tun: auf ein halbes Jahr mit Regen folgt ein halbes Jahr mit Sonne. Der Alte wird mit Worten alttestamentarischer Poesie geschildert. Er ist der einzige; Söhne hat er nicht, noch Töchter, von Eltern stammt er nicht ab. Wie eine schwarze Wolke wird er über die Menschen kommen, er ist wie eine gewaltige Kugel, riesig wie ein hochaufragender Berg, alles gehört ihm, er ist der Herrscher über alle Dinge. Auch diese Zitate aus Der Strauß des Sultans lassen sich beliebig vermehren. Der Alte, die Herrschergestalt, hat Lichtaspekte (etwa solche des Vollmonds, im Straußenmärchen; oder des Lichtes in der Nacht, beim Garguf), und zugleich (sogar überwiegend) verkörpert er die Mächte der Dunkelheit: er wohnt in einer Höhle (Die vierzehn Königstöchter), sein Reich ist die Nacht, in ihr wird er getötet (Der Garguf), vom lichten Tag wird er mit Feuer überwunden (Die Dunkelheit). Er tötet die weiße Taube zu Beginn der Nacht (Kolbi und Fuadi...).
Dieser Afrit hat viele Aspekte des alten semitischen Gottes ‘Il, der uns in den Märchen zwar nicht als Schöpfergott begegnet, 246
dafür aber um so eindringlicher als Eingott. Er ist es, der vor aller Zeit da war, der keine Nachkommen hat, der seine vollkommene Macht nach Gutdünken für Böses und Gutes nutzt, der Herr des Sturmes und des Donners (Die Wildstreune). Dieser Gott ‘Il ist vielleicht die aufregendste Entdeckung der Märchen – wirft er doch ein neues Licht auf die Geschichte des Monotheismus und stützt die in der Religionswissenschaft in jüngster Zeit wieder stärker als früher vertretene Auffassung vom ›Urmonotheismus‹ der Semiten. Zwischen diesen beiden Figuren steht der junge Held. In zahlreichen Erzählungen wird er von Anfang an als Sultanssohn »aus dem Osten« bezeichnet (O Schläfer in der Nacht). Sicher können wir nur sagen, daß auch er eine Lichtgottheit ist, genau wie das Mädchen Sonne. Wie man diese drei Gestalten mit den drei zentralen Gottheiten des antiken Saba’ verbinden kann, ist schwierig: Diese sind einmal die milde Göttin Schams, sodann der sabäische Hauptgott ‘Athtar, und schließlich der sogenannte »Reichsgott«, geschrieben ‘LMQH, meist als Almaqah vokalisiert, aber vielleicht als Il muqqah zu lesen und als »El, der intensiv tränkt« zu deuten. Da sich aus einer sabäischen Formel eine Vermählung ‘Athtars mit Schams, und zwar uxorilokal, ergibt, wird man den jungen Helden der Märchen mit ‘Athtar identifizieren können. Inzwischen weiß man auch, daß im alten Südarabien generell matrilokal geheiratet wurde. Auch der Titel der frühen sabäischen Herrscher – Mukarrib – ließe sich so erklären: Derjenige, der einmal im Jahr das mythische Urereignis – die Hochzeit ‘Athtars mit Schams – nachvollzieht (von hakraba, heiraten). Unsicher ist die Parallele zu Almaqah (Il). Vielleicht ist dieser sabäische Reichsgott nur eine andere Bezeichnung für ‘Athtar. Daß es hier auch sehr intensive Parallelen zu den Riten des Islam gibt, wird der Leser beim Märchen »Bin der Hüpfer« bemerkt haben, wo, wie in Mekka, ein Gehinide siebenmal umrundet
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wird. Die Zeremonie in Mekka heißt ‘Umra, was, nimmt man es wörtlich, »matrilokale Hochzeit« bedeutet. Andere Sammlungen jemenitischer Märchen In mehreren meiner nordjemenitischen Märchen treten Juden auf, gar nicht negativ gezeichnet, sondern schlau, ein bißchen respektlos, ziemlich selbstbewußt. Im Jemen lebten, vielleicht seit den Tagen Salomos, aber doch jedenfalls seit vorchristlicher Zeit, Juden: gut 40 000 waren es zuletzt, oft Silberschmiede, bis sie bei der Gründung Israels fast alle nach Palästina auswanderten. In Israel wurde die Folklore der orientalischen Juden wissenschaftlich gesammelt, auch ihr Märchenschatz. Als am interessantesten erwiesen sich dabei die jemenitischen Märchen, und hier wieder die des Erzählers Jefet Schwili und einiger seiner Verwandten. Diese Märchen sind veröffentlicht (Dov Noy: Jefet Schwili erzählt, Berlin 1963) und bieten so ein Bild des Erzählschatzes der Juden im Jemen. Die Verwandtschaft dieser Sammlung mit der vorliegenden ist offenkundig. Das beweist, daß das jüdische Erzählgut aus dem Jemen Teil der arabischen Märchenüberlieferung des Landes ist – auch sonst gilt dies ganz allgemein für die materielle Kultur der Juden aus dem Jemen. So wie Jefet Schwili der hervorragendste Erzähler der jüdischjemenitischen Gewährsleute der ›Israel Folktale Archives‹ war, so gibt es auch bei meinen Erzählern Unterschiede in der Qualität. Dabei steht Chāl Abdallah durch seine einmalige Präzision noch weit über Jefet Schwili. Ja, Chāl Abdallahs Märchen sind es, die durch ihre scheinbaren Nebensächlichkeiten (Zeitangaben, Hinweise auf die Jahreszeit, Beschreibungen der Umwelt) zum ersten Mal die schon oft vermutete mythologische Interpretation von Märchen wissenschaftlich nachvollziehbar machen. Als zweite dieser Sammlungen ist jenes Monument an Gelehrsamkeit und wissenschaftlichem Pioniergeist zu nennen, das uns in der ›Südarabischen Expedition‹ der Kaiserlichen Akademie 248
der Wissenschaften vorliegt. Wien war damals, um die Jahrhundertwende, die Hauptstadt der Altsüdarabistik: Eduard Glaser, der neben Niebuhr bedeutendste Entdecker und Erforscher Südarabiens, war von Wien aus zu seinen bahnbrechenden Reisen aufgebrochen. In Wien lehrte David Heinrich Müller, der eigentliche Begründer der Südarabistik. Er machte die Welt nicht nur mit Al-Hamdāni, dem großen mittelalterlichen Historiker Jemens, bekannt, er veröffentlichte die laufend entdeckten antiken Inschriften, er war es auch, der den Anstoß für diese Südarabische Expedition gab. Ihr Ziel waren die heute noch lebenden südarabischen Dialekte: Mehri und Soqotri. An Ort und Stelle und mit nach Wien mitgebrachten Gewährsleuten wurden Texte im Original und in Übersetzung aufgezeichnet. War das Ziel auch rein linguistisch, nicht volkskundlich, so kamen dabei doch zahlreiche Erzählungen zu unserer Kenntnis, oft Varianten oder Kurzformen meiner Erzählungen. Die dritte und letzte jemenitische Märchensammlung zu nennen ist eine ganz besondere Freude: sie wurde von einem Jemeniten selbst aufgezeichnet, ‘Ali Muhammad ‘Abduh, ›Ḥikāyāt wa Asātīr yamanīa‹ Beirut 1978. Das Märchen Die Dunkelheit aus dieser Sammlung steht im Motiv meinem Vater, o Vater, wieviel mußt du pissen nahe, wegen seiner grausamen Schönheit und seiner präzisen mythologischen Bedeutung habe ich es in den vorliegenden Band aufgenommen. Zwei weitere Veröffentlichungen jemenitischer Geschichten sind, der Vollständigkeit halber, noch zu erwähnen: Phillott/ Azoo (siehe Literaturverzeichnis) und die von S.D. Goitein zuerst im Schocken-Verlag, Berlin 1934, und später in englischer Übersetzung im Schocken-Verlag, New York, 1947 und 1973 herausgegebene Anthologie Von den Juden Jemens. Beide Veröffentlichungen enthalten keine Märchen, sondern Anekdoten und volkstümliche Geschichten. Die Erzählungen Goiteins sind vor allem ethnologisch lehrreich, die kleine englische Sammlung für einen Linguisten von Interesse.
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In den letzten Jahren sind in hebräischer Sprache einige Sammlungen jemenitischer Märchen aus dem Schatz der ›Israel Folktale Archives‹ erschienen, die jedoch in Umfang und Qualität sich nicht mit den Texten von Dov Noy messen können (vgl. Schwarzbaum, in der Zeitschrift Fabula, 1980, S. 272).
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Zur Schreibweise arabischer Wörter Arabische Wörter sind in diesem Buch in der Regel in wissenschaftlicher Umschrift wiedergegeben. Folgende, durch langen Gebrauch im Deutschen üblich gewordene Bezeichnungen wurden jedoch in ihrem uns geläufigen Schriftbild beibehalten: Es sind die Ländernamen Irak, Jemen, Oman, Saudi-Arabien; große Städte (Aden, Alexandria, Bagdad, Hodeidah, Medina, Mekka, Mokka, Sanaa); die Eigennamen Abdallah, Ahmed, Ali, Mohammed, Salem; bekannte Fremdwörter wie Allah, Koran, Wadi, Henna (die rotfärbende Pflanze); die Titel Emir, Kadi, Scheich, Sultan, Wesir, und die aus 1001 Nacht vertrauten Geister Dschinn (Plural), Dschinni (mask. Singular), Dschinnia (fem. Singular) und Afrit (‘Afrīt, Betonung auf der zweiten Silbe). Gleiches gilt für die Münzsorten Dirham und Rial, sowie den Ausdruck »So Gott will« – In scha’ Allah.
Zu den Abbildungen Die Radierungen dieses Bandes hat der jemenitische Künstler ‘Ali Ghaddāf geschaffen. Auf den ersten Blick fällt ihr eigenwilliger Stil auf, das fremdartig-orientalische, verbunden mit der selbstverständlichen Benutzung europäischer Techniken. ‘Ali Ghaddāf beherrscht beides: das eine hat er gelernt, das andere lebt er. Der Jemen ist ein farbiges Land: blau der Himmel, grün die weiten Gebirge, grau, je weiter sie der Wüste zustreben, rotgelb-braun und in unendlichen Zwischentönen die Wüste, rot die Farbe der Himyaren, des antiken Herrschervolkes. In seinen Ölgemälden – abstrakte Kompositionen, jemenitischen Silberschmuck einbeziehend – versucht ‘Ali Ghaddāf dieses Erbe seines Landes einzufangen. Die an den Kunsthochschulen in Aden und Budapest gelernte europäische Formensprache bildet dazu 251
den Dekor. In ihm tauchen immer wieder, auch in scheinbar rein abstrakten Kompositionen, arabische Schriftzeichen auf, Kalligraphie als die älteste und arabischste aller Künste, und reale, figurative Bezüge auf die Traditionen seiner Heimat. Wir erkennen das Minarett der berühmten Moschee von Tarlm, ein Kamel, einen die alte Hirtenflöte blasenden Bedu, eines der wunderschönen holzgeschnitzten Fenster des Ḥadramaut, die Palasthäuser von Sanaa, alterslose Frauengesichter, von schwarzen Tüchern umschlossen. Europäisches – Orientalisches: dieser Gegensatz hat ‘Ali Ghaddāf in den letzten Jahren mehr und mehr zur Radierung geführt. Schwarz und Weiß, zwei Farben, scharfe Striche: diese Technik scheint dem Zusammenstoß beider Welten am ehesten gemäß. Seine Radierungen werden zur zeitgenössischen Botschaft aus dem Glücklichen Arabien. ‘Ali Ghaddāf, geboren am 5.Oktober 1947 in Al Mukallā/Ḥadramūt, Studium an der Kunsthochschule in Aden und der Kunstakademie Budapest. Einzelausstellungen in Aden (1971), Kairo (1973), Berlin (1975), Kuwait (1977), Algier (1978), Sofia (1978), Bagdad (1979), Budapest (1979), Bahrein (1981), in der If A – Galerie Bonn (1982) und im Nationalmuseum Kuwait (1983). ‘Ali Ghaddāf, der für ein paar Jahre eine neue Heimat in Kuwait gefunden hatte, lebt heute als Flüchtling in den Niederlanden.
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ANHANG
Erläuterungen 1. Vater, o Vater, wieviel mußt du pissen. Erzählt von Chāl Abdallah. Dieses Märchen versetzt uns mitten hinein in den zentralen Wasserund Fruchtbarkeitsmythos des antiken vorislamischen Arabien. Beginnen wir mit den gewiß unverändert erhaltenen Reimsprüchen (in der Übersetzung konnte ich den Reim nicht wiedergeben. Der Endreim ist übrigens eine arabische ›Erfindung‹ und erst im frühen Mittelalter in die europäische Dichtung, die bis dahin nur Metrum und Stabreim kannte, übernommen worden). Das Wort ›pissen‹ in Verbindung mit Wādls und allem flachen Land zeigt, daß es hier um starke jahreszeitliche Regengüsse geht. Der leibliche Vater des Mädchens wird ebenso wie Al-Chadr mit ›Vater‹ angeredet: beide Gestalten sind also identisch, für die Bedürfnisse des Märchens in zwei Figuren aufgespalten. Dieser Al-Chadr ist eine vorislamische Gottheit; das Wort bedeutet nichts anderes als ›Der Grüne‹ (im nordsemitischen Bereich meist als Al-Chidr vokalisiert) – der Name spricht für sich selbst. In der frühchristlichen Heiligenlegende Syriens wurde er in den Heiligen Georg umgedeutet, im Islam sank er zu einem in der Volksfrömmigkeit – vor allem Syriens – weithin verehrten Heiligen herab. Der Koran (XVIII, 59-81) schildert ihn ausführlich als mythische Figur mit einem deutlichen Bezug zum Wasser und zur Schöpfung, nämlich als Begleiter des Moses auf dem Wege zum Zusammentreffen der beiden Meere‹. Die Wissenschaft hat Parallelen zwischen Al-Chidr und dem babylonischen Gilgamesch-Epos erkannt. Dieser Al-Chadr, der Vater, der Grüne, der Regenspender, hat in unserem Märchen zwei Aspekte: er ist sowohl gütig wie böse, er ist licht (am roten, sonnigen Morgen) und dunkel (am wolkenschwarzen Regenmorgen); er ist ein Allgott, ein Eingott, ohne weibliches Pendant, ohne Kinder. Dennoch ist sein Reich vor allem die Nacht. Bei Dscharram (das Wort bedeutet im klassischen Arabisch ›fett‹, ›dick‹, ›verbrecherisch‹, im Jemen auch ›mit dunklem Fell‹, ›zottelig‹) erfahren wir ausdrücklich, daß das Mädchenopfer am Abend vollzogen wird, das Mädchen in der Nacht und in der Wildnis ausgesetzt wird. Ein letztes scheint noch interessant: Al-Chadr ist der Regengott, der die Wādīs füllt und alles flache Land. Dieser Regen aber wird vom
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Märchen mit deutlichem Grauen gesehen, nur der Fluß, den der Regen entstehen läßt, und der rote Morgensonnenstrahl werden ersehnt. Dies erlaubt Schlußfolgerungen auf die klimatische und geographische Umwelt. Am Ende erleben wir die Übertragung des Mythos von der kosmischen und Vegetations-Fruchtbarkeit auf die menschliche Gemeinschaft, in der Hochzeit. Auch diese Hochzeit ist gefährdet durch die Mächte des Bösen, die als Mächte der Dunkelheit erscheinen und vom lichten Tag überwunden werden. Auffällig ist hier die aktive Mithilfe des Mädchens bei dem Kampf, während es bis dahin nur als Objekt behandelt wurde. Abschließend sei noch auf die gewiß nicht zufälligen Namen der beiden Mädchen hingewiesen. Es sind keine Eigennamen (ebenso wie Al-Chadr – Der Grüne), sondern mythologische Chiffren. Das gute Mädchen heißt ›Hennablättlein‹ (korrekte Umschrift: Wurayqa al-hannā’); wir dürfen sagen: sie ist Hennablättlein, sie ist eine Pflanze, die Pflanzenwelt. Die böse Schwester heißt ›Zottel‹. Sie ist ein Zottel, ein wildes, zottiges Tier. Wir stehen mit unserem Märchen an einer Kulturscheide, am Übergang zwischen Jägerkultur und Ackerbau, der Überwindung der ersteren durch die letztere. 2. O Schläfer in der Nacht. Erzählt von Chāl Abdallah. Dieses Märchen habe ich lange für einen Beweis des vieldiskutierten altarabischen Matriarchats gehalten. Die freie aktive Rolle der Prinzessin, das etwas beschränkt-tölpelhafte Verhalten des jungen Mannes, die kuriosen äußeren Umstände, die so nicht in die heutige arabische Gesellschaft passen. An all dem mag etwas Wahres sein. Gewisse, wohl nur als Nachleben alter mutterrechtlicher Strukturen deutbare Sitten in Südarabien fänden hier eine Erklärung. Dennoch ist dieses Märchen in erster Linie ein wichtiger mythologischer Text. Sein Inhalt, die Rolle, die die Sonne – die Prinzessin – in der alten Mythologie spielt, dürfte erklären, wie es zu den erwähnten mutterrechtlichen Überbleibseln in Arabien kam. Der junge Kaufmannssohn kommt aus dem Osten. Diese Angabe (sie wiederholt sich in anderen Märchen) erlaubt uns die Identifizierung mit der antiken Götterfigur ‘Athtar, deren häufigster Beiname ›‘Athtar des Ostens‹ lautet. ‘Athtar ist ein junger Gott, wie in unserem Text.
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Um wen es sich bei der jungen Prinzessin handelt, ist auch klar: am frühen Morgen öffnet sie ein Fenster und schaut strahlend heraus. Bei Sonnenuntergang besucht sie den jungen Mann, in der Nacht erstrahlt ihr Haus hellerleuchtet, am Morgen müssen sie sich trennen. Die junge Frau ist die Sonne. Am 10. Tag (des Monats – so müssen wir ergänzen) beginnt die zentrale Geschichte des Märchens. Es folgen drei Nächte der Freude, in denen es gilt, wach zu bleiben. Zur Hochzeit gehört nach islamischem Recht die Bezahlung des Brautpreises. Ohne solche Mitgift keine gültige Ehe. Dies ist ein Nachklang aus vorislamischer Zeit, Frauenkauf als Bundesschluß zwischen zwei Sippen. Beim Abzählen der im Märchen sehr präzise genannten Tage stellen wir fest, daß die Hochzeit in der Nacht des 15. Tages (arabische Zählung; der 14. nach europäischer Rechnung) stattfindet, also in der Vollmondnacht, genau wie noch heute im Jemen und in vielen islamischen Ländern. Das sich daran anschließende siebentägige Fest heißt hier ›wallma‹. Es gehört ebenfalls von Anfang an zu dem Mythos, wie der entsprechende antike Beiname des Reichsgottes des Ḥadramaut zeigt. In diesem Märchen kann man also nur vordergründig eine freundlichunterhaltsame, von der Phantasie mit Vergnügen ausgeschmückte Genreszene sehen. Die auf hohes Alter deutenden Reimsprüche, die Einzelheiten (besonders die Zeitangaben: Sonnenuntergang/Sonnenaufgang), die in einem nur frivolen Kunstmärchen keinen Sinn geben, beweisen dies. Der Mythos ist natürlich in die gewohnte Umwelt des heutigen Arabien übertragen. Wenn wir dabei von einer Verbindung der Tochter des Königs mit einem Kaufmann hören, so braucht uns das keineswegs zu verwundern. Die Könige und Sultane in Südarabien waren Gleiche unter Gleichen, kaum vermögender als ihre reicheren Stammesmitglieder, ohne Befehlsgewalt, auf Konsens angewiesen. Ihre Paläste, die man heute noch überall sieht, unterscheiden sich in nichts von den anderen größeren Häusern der Siedlung. Vor allem reiche Kaufleute (in den Städten seit je eine hoch angesehene Schicht) waren ihnen durchaus ebenbürtig. Als Beispiel sei die Āl Kāf-Familie genannt, die in Seiun (Say’wūn) und Tarim im Ḥadramūt in unserem Jahrhundert eine ähnliche Stellung inne hatte wie die Fugger im Heiligen Römischen Reich.
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Überhaupt gab es im alten Arabien keine ›Untertanen‹, sondern die gleichberechtigte Gesellschaft aller frei Geborenen. Ausdruck dieses Prinzips ist das ›Madschlis‹ (oder ›Dīwān‹), der Versammlungssaal des Königs, in dem sich alle Männer des Stammes, besonders die Angesehensten, täglich versammelten, um miteinander zu sprechen und im Konsens Entscheidungen zu finden. Diese tiefverwurzelte arabische Gleichheit erklärt auch heute noch zahlreiche politische und Verwaltungs-Strukturen, besonders im ostarabischen Raum. 3. Der Strauß des Sultans. Erzählt von Chāl Abdallah. Dieses herrliche Märchen ist so reich an mythologischer Information, daß ich mich auf die zentralen Punkte beschränken muß. Beginnen wir mit der Figur des Afrit (‘Afrit, Betonung auf der zweiten Silbe). Außerhalb des Jemen wird er als ›Ifrit‹, gelegentlich auch ›Ufrut‹ vokalisiert. Das Wort läßt sich aus dem Semitischen nicht deuten. Ein Afrit gilt in der gesamten islamischen Welt (und schon im Koran) als einer der unterhalb Allahs stehenden Geister, als einer von den Dschinn, in der Regel stellt man ihn sich als böse vor. Dschinn sind abgesunkene frühere Göttergestalten. Unser Märchenafrit ist ein Einziger, Söhne hat er nicht noch Töchter, und deshalb auch keine Eltern, er war schon immer ›Der Afrit‹. Er fürchtet nichts auf der Welt, niemanden erkennt er an, nur sich selbst, unerhört ist seine Macht, er wirbelt alles durch die Luft. Wie eine schwarze Wolke wird er über die Menschen kommen. Er ist eine gewaltige Kugel, eine schwarze Wolke, gewaltig wie ein hochaufragender Berg. Diese Beschreibung paßt nur auf eine einzige, uns bekannte Göttergestalt: den alten semitischen Schöpfergott ‘Il, dessen Name im Arabischen zu Allah, im Hebräischen zu Elohim, in Ugarit zu El wurde. Der ‘Il-Afrit ist hier zweierlei: Spender des Regens (›schwarze Wolke‹) und der Fruchtbarkeit (einer Braut). Er gewährt den Regen aus freien Stücken, er ist zornig und gnädig, ein Gott der Willkür, wie der Elohim des Alten Testamentes. Die Menschen können ihn nur bitten: hier in drei, immer inständiger werdenden Bittprozessionen. Die junge Frau ist die Sonne, am frühen Morgen, bei Sonnenaufgang, schaut sie strahlend und siegreich aus ihrem Fenster. Ihr Widersacher ist ein Strauß. Der arabische Strauß, früher in den Steppen und Wüsten Arabiens sehr häufig, ist seit ungefähr 50 Jahren ausgerottet. Für unser Märchen müssen wir dazu zweierlei wissen: einmal, daß der Strauß im Arabischen feminin ist, und zum anderen,
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daß er ein im wesentlichen schwarzes Gefieder hat. Er verkörpert die dunkle Macht der Finsternis, eine weibliche Kraft, die um die Gunst des Sultanssohnes buhlt, doch am Ende von der lichten Kraft der Sonne überwunden wird. Noch heute gehört ein solches Schwellenopfer zu den Hochzeitsgebräuchen im Jemen – die Braut muß ihren Fuß auf einen geopferten Hammel setzen. Dieses früher allgemeine urtümliche Ritual wird allerdings schon seit langem, besonders in den Städten, durch das Zerbrechen einiger Eier ersetzt. Besonders wichtig an diesem Märchen sind die Zeitangaben. Alle passen nicht zusammen: die Summe der Tage und Monate des Wartens, und die Angabe ›sechs Monate sind es nun schon her, daß dieser Sultanssohn hinter dir herläuft‹ stimmen nicht überein. Nimmt man die sechs Monate jedoch als Ausdruck des jahreszeitlichen Wechsels (Sommer- und Winterhalbjahr, Regen- und Trockenperiode), dann geben die übrigen Zeitangaben einen erstaunlich präzisen Sinn. Beginnen wir mit der letzten Monatsfrist. Diese 28 Tage (arabischer Mondmonat) sind ganz auffällig unterteilt: in erst 14, dann 4 und schließlich 10 Tage. Das Ende dieser Frist kann daher nur am 10. Monatstag liegen – genau wie in O Schläfer in der Nacht. Die Hochzeit liegt dann natürlich – obwohl es das Märchen nicht genau sagt – am 15. Monatstag. Wenn man von diesem 10. aus zurückrechnet, beginnen die Fristen des Märchens an einem Monatsersten (womit umgekehrt die obige Schlußfolgerung auf das Ende der Frist bewiesen ist): vom i. bis 3. beobachtet der Oberaufseher, am 3., tagsüber, erscheint der Sultanssohn, am 4. überzeugt er sich selbst und spricht mit seinem Vater. Der denkt drei Tage lang nach, am 8. schickt er die erste Gesandtschaft, am 9. die zweite, am 9. des nächsten Monats die dritte. Eine Nacht wird wachend verbracht – es ist der 10. Noch zwei Monate, und am 10. verkündet der Afrit die gute Nachricht. Die Parallele dieser Daten mit der Ḥādsch in Mekka kann kein Zufall sein. Natürlich ist unser ›Schneewittchen‹ am Anfang von seiner Mutter ebenfalls geopfert worden, nicht einfach ausgesetzt, wie aus der Zeitangabe folgt, die der Afrit am Ende des Märchens nennt: 15 Tage war es alt, wurde also in der magischen Vollmondnacht geopfert. Der Erzähler, der den Mythos natürlich längst nicht mehr verstand, hat deshalb die Erklärung mit der Eifersucht gegeben.
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4. Die Wildstreune. Erzählt von Chāl Abdallah. Dieses bedeutende religionsgeschichtliche Märchen, mit seiner besonders schönen Einleitungs- und Schlußformel, faßt durch die Rahmenerzählung zwei verschiedene Geschichten zusammen. Die Rahmenerzählung von der Wildstreune ist nichts anderes – das Märchen beweist so viel Distanz zu sich selbst, um es sogar ausdrücklich zu formulieren – als die mythische Erklärung einer Epidemie. Eingewoben ist das aus Indien und aus iooi Nacht bekannte Motiv der drei wunderbaren Geschenke. Es fällt auf, daß die Epidemie – die vor allem die neugeborenen Kinder trifft – durch einen weiblichen Dämon symbolisiert wird, in dem wir vielleicht die babylonische Lilith sehen dürfen. Man kann allerdings diese weibliche Kraft der Dunkelheit auch mit dem (weiblichen) Strauß des Straußenmärchens, mit der Stiefmutter bei Vater, o Vater..., etc. gleichsetzen: dann wäre sie auch hier die Emanation des bösen Afrit. Für diese Deutung spricht der Charakter der ›Wildstreune‹ als wildes Tier, das auf die Jagd geht, in der Nacht, und das schließlich bei Tagesanbruch überwunden wird. Den Hauptteil der Geschichte aber bildet die alt-arabische Figur des Afrit in zwei verschiedenen Varianten. Dieser Afrit herrscht über die Gegend. Der bestimmte Artikel bezeichnet ihn: er ist einzig, kein Dämon unter vielen. Er gibt das Wasser, einmal im Jahr zur Regenzeit. Wenn er erscheint, ist er wie die alles bedeckenden schwarzen Wolken. Ein Gigant ist er, so hochaufragend wie zehn Menschen zusammen. Sein Furz, bei dem es sich natürlich um den Donner des Tropengewitters handelt, erschüttert das ganze Schloß und bringt die Bäume des Waldes zum Wanken. Wer je den gewaltigen Sturm erlebt hat, der im jemenitischen Sommer in Minuten unter Blitz und Donner, wie im Nachvollzug eines Schöpfungstages, die ausgetrockneten Wādīs zu Strömen werden läßt, der kann auch die andere Charakterisierung des Afrit verstehen: die rollenden Felsbrocken im Wādī, über die die Wassermassen unter Getöse ins Tal stürzen. Dieser vorislamische Wettergott herrscht zwar im Wādī, er manifestiert sich aber auch sonst während des ganzen Jahres: Die großen Pfützen voll Wasser in der Wüste ›säuft er aus‹, die Herden dezimiert er; gleichwohl gehört dieser Gott – wie uns dieses Märchen ausdrücklich lehrt – noch in die Zeit der Jägerkultur: Er lebt im wilden Wald, wo die wilden Tiere sind, seine Tage verbringt er mit
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der Jagd, die Mädchen hängt er auf, so wie man gejagte Tiere aufhängt. Durch einen Bundesschluß – Hingabe der Tochter als Braut und Opfer – sichert sich der menschliche Herrscher Wasser und damit Fruchtbarkeit für ein ganzes Jahr. In all diesen Einzelheiten finden wir die Bestätigung und Ergänzung des mythischen Weltbildes, das wir schon in den anderen Märchen kennengelernt haben. Zentrales Thema dieses Märchens ist – gleich zweimal – die Tötung des Afrit durch den jungen Helden ‘Athtar. Durch diese Aktion erweist sich der junge Held ebenfalls als Wassergottheit, der den Wādī zu füllen imstande ist. Das Thema des Götterkampfes gehört zu den ältesten und am meisten verbreiteten religiösen Vorstellungen des Alten Orient. In unserem Märchen erkennen wir, in welcher Epoche der Menschheitsgeschichte es aufgetaucht ist: der seltsame Spruch des sterbenden Afrit verbindet seine eigene Ablösung mit der Erfindung des Brotes. Die äußere Umwelt des Märchens ist die des heutigen Jemen. Die Wälder sind inzwischen freilich – von ganz wenigen Restbeständen abgesehen – fast völlig verschwunden. Niebuhr hat sie vor etwa 220 Jahren noch gesehen. Der Afrit wohnt in einem Schloß mit stolzen Hörnerzinnen, den typischen Eckenerhöhungen eines jemenitischen Hauses. Der Dauschän, der öffentliche Ausschreier, Mitglied einer verachteten und zugleich geschützten Klasse, gehört zu dieser Gesellschaft, ebenso wie der Diwan des Sultans, in dem sich die Männer des Dorfes (größer dürfen wir uns die Siedlung nicht vorstellen) bei ihrem Scheich-Sultan treffen. Ähnliches Motiv bei: 1001 Nacht, 769. und 770. Nacht = Littmann V, S. 273 (ein Dämon, Sohn des Blauen Königs, wie eine dunkle Wolke raubt er die Töchter der Könige). 5. Der Garguf. Erzählt von Chāl Abdallah. Die Zahl Sieben ist die natürliche Dauer der Woche: ein (Mond-)Monat von 28 Tagen gliedert sich in Neumond, Viertelmond, Vollmond und letztes Viertel. Sieben ist also das Symbol von Zeit, von Wiederkehr, von Jahresrhythmen. Darum geht es in diesem Märchen: sieben Mädchen, sieben Gargufs, sieben Zimmer. Die Mädchen haben ihre schönsten Gewänder angelegt, Hochzeitsgewänder. Eine soll als Braut des Vegetations- und Wassergottes geopfert werden. Er heißt hier Garguf (›Dschardschūf‹, Betonung
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auf der zweiten Silbe, im Dialekt »Gargūf«) ein nicht deutbarer, wohl nicht-semitischer Name, außerhalb des Jemen unbekannt. Dieser Garguf kommt am Abend, dennoch hat er auch Lichtaspekte, sein Schloß auf dem Gipfel des Berges ist hell erleuchtet. Ihm wird also ein Mädchen geopfert; nicht irgendwo, sondern im Wald, der nach der Geographie des Jemen nur im Wādī stehen kann. Das Mädchen wird in der Krone eines ‘Ilb-Baumes ausgesetzt. Der ‘IlbBaum, Zizyphus spina Christi, ist der einzige wildwachsende fruchttragende Baum Südarabiens. Seine kirschgroßen Früchte, dó-um genannt, werden frisch oder getrocknet gegessen, ein geschätzter und seltener Genuß. Kein Zufall kann es also sein, daß das Mädchen in einem Fruchtbaum sterben soll, und später sein Bruder in einem Baum wieder aufersteht, dank des Wassers, mit dem die junge Frau ihn tränkt. Das Mädchen wird am Abend in dem Baum ausgesetzt, bei Sonnenuntergang, genau wie in Vater, o Vater ...: wir haben sie bereits als die Sonne erkannt und finden dies hier bestätigt. In diesen Zusammenhang gehört auch der hilfreiche weiße Geier (im Arabischen feminin), in dem wir im Vergleich zu anderen Märchen einen Sonnenvogel erkennen. Am interessantesten ist freilich die Figur des jungen Ali. Ali ist zwar heute ein viel verbreiteter Name, in der Frühzeit des Islam war aber das Gefühl für die eigentliche Bedeutung des Wortes (›Der Hohe‹) noch nicht verloren gegangen. ›Der Hohe‹ ist ein Göttername, er ist der Gott, der den ‘Il-’Afrit-Garguf tötet. Auch dieser Ali stirbt in unserem Märchen, um später – über die Vegetation – wieder aufzuerstehen. Er ist der Partner der Sonne, er gehört zum Sommer, zur Fruchtbarkeit. Am Anfang ist er der Bruder des Mädchens, am Ende heißt es ausdrücklich, daß er seine Schwester wie in einem Hochzeitszug ins Dorf zurückbringt. Die Schwester, die ihn aus dem Baum zur Welt bringt, aber ist zugleich auch seine Mutter. Die Parallele zu Isis liegt auf der Hand. Der ›Hof‹ um das Schloß des Garguf ist eine typisch jemenitische Einrichtung. Aus Dornbüschen zusammengesteckt grenzen diese Zäune ein Stück Land ab, in das man abends die Tiere treiben kann, in dem die Frauen ihre täglichen Arbeiten verrichten, die Kinder spielen. Hier wird auf größte Sauberkeit geachtet, gekehrt – während draußen, jenseits, die wilde Umwelt herrscht.
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Die ›Kinder Adams‹ sind ein geläufiger (aus dem Koran stammender) Ausdruck für Menschen. Daß sich die arabischen Sprüche reimen, braucht nicht eigens betont zu werden. Den ›Afrit‹ kennen wir bereits, er ist, wie der Garguf, ein Dschinni, ein Geist (Feminin-Form: Dschinnia, Plural: Dschinn). 6. Al-Miqdādi bin ich, der Schwarze. Erzählt von Chāl Abdallah. Nach so viel Mythologie wollen wir eine historische Erzählung einschieben. Al Miqdādi, Der Schwarze, ist eine reale geschichtliche Figur (des 3. oder 4. Jahrhunderts n.Chr.). Vor allem aber lebt er fort als eine der berühmtesten Heldengestalten des arabischen Südens. Er gehörte zum Stamm der Kinda, stolzen Südarabern, Nachfahren des legendären Stammvaters der Südaraber, des Qahtān. Ihr Zentrum lag im Ḥadramaut, hier herrschten sie in wilder, ungezügelter Lust, meist mit ihren Nachbarn, den Himyar, im Streit, bis in die ersten Jahrhunderte des Islam. Der Hauptteil des Stammes war im 5. und 6. Jahrhundert nach Nordarabien gezogen, beherrschte zeitweise den größten Teil der Halbinsel, fiel um 500 erst in Persien ein, später in Palästina, 502 mußte Byzanz einen Friedensvertrag mit ihnen schließen, vertraute ihnen ein Phylarchat an. Dem Islam folgten die Kinda in seiner ersten Stunde, nach dem Tod des Propheten revoltierten sie. Später tötete ein Kinda den Khalifen ‘Uthmān. Im iI.Jahrhundert n.Chr. war ihre Energie immer noch nicht erschöpft, im Westen gründeten sie ein eigenes Reich mit der Hauptstadt Saragoza. Al-Miqdādi, Der Schwarze, gilt als der Stammvater des kriegerischsten Nomadenstammes im nördlichen Ḥadramaut, der Al-Siyar. Zu dieser Historie paßt unsere Geschichte nur allzu gut! Der Überfall auf die Karawane erinnert im übrigen an eine Szene aus dem berühmtesten aller arabischen Ritterromane, den ›Taten ‘Antars‹, des einsamen Helden der letzten Jahre der Heidenzeit: Der tote ‘Antar, auf seiner Stute ‘Abdschar, gestützt auf seine gewaltige Lanze, auf der Höhe des Gazellenpasses verharrend, so sein fliehendes Volk vor den Verfolgern schützend, die sich dem noch lebend geglaubten Helden nicht zu nähern wagen. Eine solche Razzia (das Wort stammt aus dem Arabischen) gilt nach der Sitte der Beduinen als höchst ehrenvoll – daß der Betroffene darüber meist anders denkt, bringt unsere Geschichte humorvoll zum Ausdruck.
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Al-Miqdādi (das Wort bedeutet ›Der Hochgewachsenes ›Der Herrschen) will seine Onkelstochter (Mayāssa = ›Die Löwin‹) heiraten. Diese arabische Präferenzehe, bis heute in allen arabischen Ländern üblich, sollte ursprünglich wohl den Zusammenhalt der Sippe garantieren. Abschneiden von Ohren und Schwanz eines Pferdes und Unbrauchbarmachen des Schwertes ist eine vorislamische Form des Totenkultes – dies zeigt, wie alt sogar diese historische Erzählung ist. Al-Miqdādi setzt sich also über ein geheiligtes Tabu hinweg, wenn er das geweihte Pferd und das geweihte Schwert benutzt. 7. Die beiden Leoparden Kolbi und Fuadi. Erzählt von Chāl Abdallah. Das altarabische Mädchenopfer, mit dem unser Märchen beginnt, haben wir im Nachwort ausführlicher dargestellt. Dieses Märchen faßt aber darüber hinaus in seinen verschiedenen Episoden die dramatische Konzeption der frühen Semiten vom Lauf der Welt in einer Weise zusammen wie kein anderer meiner Texte. Gehen wir über zum zweiten Handlungsabschnitt, nach dem Mädchenopfer. Dieser Teil bleibt seltsam blaß. Das Töten des ‘Il-Afrit, des Regengottes, der in der Wildnis am Wādī haust, wird von dem normalen Ritual begleitet, das wir schon kennen. Natürlich heiratet unser ‘Athtar-Sultanssohn die befreite Prinzessin. Aber das Märchen ist weder zu Ende, noch gründet ‘Athtar eine Siedlung, noch zeugt er Kinder. Er bleibt allein, seine Frau stirbt ohne großes Aufsehen, der Sultanssohn bezieht den Palast des Afrit – er ist jetzt der Herr der wilden Tiere. Was bedeutet dies alles? Der Sultanssohn ist jetzt zum ‘Il-Afrit geworden! Seine Schwester ist nun die Sonne, die er in der Gewalt hält! Die Verhältnisse haben sich verschoben, jetzt brauchen wir einen neuen ‘Athtar, der den ‘Il um die Sonne bittet, um sie in die menschliche Siedlung aufzunehmen. Dieser neue ‘Athtar ist der junge Königssohn. Kampf und List führen schließlich zum Erfolg. ‘Il ist getötet. Doch nicht ganz: so wie diese Göttergestalten den Jahreszeitenrhythmus symbolisieren, so muß ‘Il, in der neuen Regenzeit, in einem unendlichen kosmischen Kreislauf, wieder auferstehen, ‘Athtar in die Flucht schlagen und die Sonne – seine Schwester, die weiße Taube – töten. Dabei helfen ihm die wilden, ungebändigten Tiere, die nicht zufällig ‘Il’s ›Herz‹ und ›Seele‹ heißen (Qalbi und Fu’ādi, gesprochen etwa Kolbi und Fu-ádi), sondern es wirklich sind, und das Pferd, das nach den weißen Geiern, jenem anderen Sonnensymbol, schnappt.
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Dieses Märchen wurde in einer ähnlichen Fassung bereits von der österreichischen Südarabien-Expedition um die Jahrhundertwende (in Soqotra) aufgezeichnet. Bald erkannten die Märchenforscher die Parallele zu einer der schönsten altägyptischen Erzählungen, dem sogenannten Zweibrüdermärchen. Eine lebhafte, wohl ergebnislos gebliebene Diskussion entwickelte sich, einige Forscher wollten unterstellen, die beduinischen Gewährsleute der Österreicher hätten eine damals bereits vorhandene wissenschaftliche Ausgabe des ägyptischen Textes konsultiert. Hier reicht der Platz nicht, um zu diesen Fragen Stellung zu nehmen – aber nicht nur meine Meinung, sondern auch eine Fülle von Argumenten weist auf südsemitischen Ursprung hin. Das Madschlis ist Versammlungszimmer eines jeden jemenitischen Hauses, besonders in Häusern angesehener Männer. Der Afrit wird als einer von den Dschinn, also einer der Geister, bezeichnet. Ḥulba, Bockshornsamen = Trigonella foenum graecum: aus ihm wird (manchmal mit Eiern, Pfeffer etc.) durch Schaumigschlagen eine grüne Soße hergestellt, ebenfalls Ḥulba genannt, das nordjemenitische Nationalgericht. 8. Eselsfell. Erzählt von Chāl Abdallah. Manches erscheint auf den ersten Blick seltsam an diesem Märchen: das Bad des Helden, die kuriose Damenwahl, erst recht, daß der Ehemann zu seiner Ehefrau ins Haus zieht, alles in der heutigen arabischen Gesellschaft völlig undenkbar. Der seltsamste Aspekt des Märchens aber ist das Eselsfell. Es beginnt mit dem toten Esel. Ein totes Tier ist unrein, ein Muslim darf es nicht berühren. Unser Held aber zieht ihm sogar die Haut ab, er darf es offenbar tun, weil – das können wir jetzt gleich sagen – er ein Gott ist. Dann betont der Text, daß er sich von oben bis unten mit der Eselshaut bedeckte, also sogar eine Kopfmaske aufsetzte. Freilich dürfen wir diesen Einzelfall (nirgendwo sonst berichten meine Märchen ähnliches) nicht vorschnell als Totemismus bezeichnen. Es geht um anderes, um mehr. Dieser Esel ist natürlich nicht das geduldige Grautier, der freundlich-störrische Lastenträger vom Nil oder aus dem Wanderzirkus unserer Kindheit. Er liegt tot im wilden Wādī, er ist ein Wildesel, das scheueste Tier der Wüste, edles Jagdwild der Könige Assyriens. Bis heute ist der Esel im Volksglauben des Orients zweierlei: wildes
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Tier, Symbol der Wüste, der räuberischen kämpferischen Nomaden, dessen grauenvoller Schrei in der Nacht die Seßhaften erschauern läßt und Sinnbild – mehr noch als der in Europa bekanntere Stier – von Fruchtbarkeit und Potenz. Das ist also unser Eselsfell: ‘Athtar in seinen beiden Eigenschaften des Kämpfers und des Fruchtbarkeitsbringers, symbolisiert im lebenspendenden Wasser der großen gemauerten Zisterne und des Wādī. Der Ausschreier im Märchen ist uns schon begegnet: er ist ein außerhalb der normalen altarabischen Klassengesellschaft stehender und darum geschützter Bote, Sänger, Bettler, im Dienste der Angesehenen des Stammes. Der Sultan wird übrigens Fulān ibn Fulān genannt (›Soundso, Sohn des Soundso‹): ein weiterer Beweis dafür, daß wir es nicht mit Individuen, sondern mit mythischen Symbolfiguren zu tun haben. 9. Die Dunkelheit. Aus der Sammlung ‘Ali Muhammad ‘Abduh. Die Verwandtschaft dieses grausam-schönen Märchens mit meinem Vater, o Vater... erlaubt einen knappen Kommentar: das Mädchenopfer, die durchgängige Symbolik von Hell und Dunkel, Sonne und Regen, weißem Sonnenvogel und Nacht, sind auch für den aufgeklärten europäischen Leser auf Anhieb verständlich. Der Wādī hält die Geschichte zusammen – an seinem Lauf vollzieht sich die dramatische Handlung. In der Nähe des breiten Unterlaufs liegt das Dorf, das wir uns von Feldern umgeben vorstellen müssen (Brot und Mehl). Ein Stück weiter, den Wādī hinauf, werden die Kinder in der Erdhöhle ausgesetzt. Hier rücken die hohen Berge schon enger an den Wasserlauf heran. Noch weiter oben stehen Bäume – ‘Ilbbäume, dürfen wir annehmen, deren Früchte die Jäger und Sammler suchen. Wieder ein Stück weiter nach oben haust die-Dunkelheit, Emanation des Regengottes. Sie wittert, sie schnuppert, sie frißt, sie ist ein wildes Tier. Am Ursprung des WädT schließlich endet der Irrlauf: die Regenzeit, die dunkle, Sonnenferne, ist endlich vorüber, Glück, Ehe, Fruchtbarkeit gesichert. Ad-Dugra ist die Dialektaussprache des jemenitischen Wortes AlDudschra, das ›Die Dunkelheit‹ und eine lokale Bohnensorte bezeichnet. Zum Abschluß sei noch eine ganz wörtliche Übersetzung des altertümlichen Regengebetes gegeben, dessen schwer verständliches Arabisch die Vokale aller Worte miteinander reimen läßt:
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›O Vater Unser, wieviel pißt du? Du hast seine Unfruchtbarkeit getränkt, Und noch mehr gegeben auf Unfruchtbares. Vater Unser, wieviel pißt du? Du hast seine Unfruchtbarkeit getränkt, Das Tal der Regenzeitfluten hast du getränkt!‹ (In der letzten Zeile des arabischen Textes heißt es ›suhül‹ = Ufer, offenbar ein Druck- oder Hörfehler für ›suiül‹ = Fluten.) 10. Wie der schlaue Jude die Ehre des Qabīli rettete. Erzählt von Ḥādsch Ḥamūd al-Baydahī. Diese Erzählung schildert uns den alten Jemen, so wie er noch vor 50 Jahren lebte, seine Sitten, Gebräuche, Wertvorstellungen. Zu diesem alten Jemen gehörten auch die etwa 40 000 Juden des Landes. Man erkannte sie an ihren Schläfenlocken (Zinnär; hebräisch peyot) – auch unser Märchen erwähnt sie. Eine Dschanbīya durften sie nicht tragen; um so genüßlicher beschreibt das (sehr lebendig erzählte) Märchen, wie der Jude dem Qabīli, dem Stammeskrieger, seinen Krummdolch abnimmt. Die Juden waren vor allem als Silberschmiede tätig, auf den Viehmärkten als Makler, und als wandernde Kesselflicker und Mahlsteinaufrauher. Bis vor kurzem wurde das Mehl in jedem jemenitischen Haus gemahlen: mit einer Art von Walze, die auf einem leicht gewölbten Unterteil gerollt wurde. Waren die Steine zu glatt geworden, mahlten sie nicht mehr richtig, kam ein Jude mit seinem Eisengerät und rauhte sie wieder auf. Marraq ist die berühmte jemenitische Fleischbrühe: zu Festtagen wird ein Hammel je zur Hälfte als Fleischgericht zubereitet, zur anderen Hälfte ausgekocht zu Fleischbrühe. Lihfa ist das seit der Antike bekannte jemenitische Tuch, bunt gestreift, meist über der Schulter getragen, auch als Sack verwendbar. Schlafsack (dünner Stoff) und Schamla (dicker, schwarzer Ziegenhaar-Sack, mannshoch, zum Kaffeetransport) sind zwei typische Gebrauchsgegenstände des alten Jemen, unentbehrlich beim Reisen. Unser Märchen ist vor allem bemerkenswert für die freie und selbstverständliche Art, mit der hier Juden und Muslime miteinander umgehen. Trotz gelegentlicher Übergriffe galt dies für die gesamte über
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zweitausendjährige Dauer des jüdisch-jemenitischen Zusammenlebens, das im Jahre 1947 unwiederbringlich zu Ende ging. Auch daß ein Araber bei einem Juden im Hause aß, war nichts Ungewöhnliches, ich selbst habe es noch erlebt. Ähnliche Motive bei: Jefet Schwili Nr. 122. 11. Die Tochter des Königs der Dschinn. Erzählt von Chadiga bint Mohammed. Dieses Märchen beginnt mit einer ungewöhnlichen Einleitungsformel, besonders hübsch, und darüber hinaus auch unterstreichend, für welchen Hörerkreis die Märchen gedacht waren: »Ja Sāda ya Karām« – »Ihr Saiyids und Ehrenmänner«. Saiyids sind die Nachkommen des Propheten, die Aristokratie des Jemen. Aus ihrem Milieu stammen unsere Märchen. Ebenso hübsch ist die Darstellung der ersten nächtlichen Begegnung im Bett: Der Jüngling wundert sich bloß, das Mädchen aber handelt, geistesgegenwärtig tauscht sie die Ringe aus. In die soziale Umwelt des Islam paßt diese schockierende Verwechslung von aktiv und passiv natürlich nicht mehr, darum wird das Verhalten des Mädchens als unvernünftig, das des Jünglings als vernünftig bezeichnet. Schließlich sei noch auf den erzählerisch überaus gekonnten Stilbruch bei der Wiederbegegnung der jungen Leute im Krankenzimmer des Mädchens hingewiesen: Erst die belanglosen Fragen in der Hochsprache und dann der drastisch geschilderte Hunger und Appetit als Zeichen von Normalität und physischer Gesundheit. Doch auch inhaltlich ist unser Märchen von Bedeutung. ›Unsere hübsche Turandot‹ lebt in einem Schloß im Osten, hier wartet sie auf die Befreiung durch den Jüngling aus dem Westen. In der Mädchengestalt unserer Märchen haben wir die Sonne erkannt, das Schloß hat nichts mit »Initiationshütten« zu tun, wie man sie von einigen Naturvölkern kennt, sondern ist der Aufenthaltsort der fernen Sonne im Winter und in der Nacht. Befreit wird sie schließlich an einem frühen Morgen – der Retter, der Mond, kam am Abend, ähnlich wie später in unserem Märchen ›Wāhā Māhā – Der Volle Brunnen«. Die Hochzeit findet statt, Symbol des Winter-Endes; ein Jahr vergeht, wieder ist ein Winter zu Ende, und ‘Athtar bringt die Sonne zurück in sein Heimatland, im Westen, wo er nun mit der Sonne wohnen wird, Garant von Fruchtbarkeit, Söhnen und Töchtern. 12. Am Morgen haben wir den Koran gelesen. Erzählt von Saiyid Ahmed al-Aschwal. Der Faqīh ist der Koranlehrer im jemenitischen
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Dorf, oft zugleich der Vorbeter = Imam der Moschee. Bis vor kurzem, als es noch keine weltlichen Schulen gab, lernte die Dorfjugend bei ihm den Koran auswendig, und mit dem heiligen Buch Lesen und Schreiben. Der Name unseres Faqīh bezieht sich auf das bekannte fromme Saiyid-Geschlecht der al-Mihdār – klingt also für den jemenitischen Hörer etwa wie ›Der Diakon Aloysius Tugendhafte Was in diesem Märchen auf den ersten Blick auffällt, ist die radikale Lächerlichmachung der Religion. Das ist jedoch nur der äußere Schein, denn in dem Faqīh Ali werden wir gleich einen vorislamischen Gott erkennen: das Mädchen soll geopfert werden, im Wādī, durch Lebendigbegrabenwerden. Später wird dieses Opfer vollzogen: an den Kindern des Mädchens, und zwar – das ist kein Zufall – wieder im Wādī, bei einem Brunnen, Symbol des lebenspendenden Wassers. Jetzt tritt der alte Gott ‘Il in der Gestalt des Sklaven auf, vorher verbarg er sich in der Märchenfigur des Faqīh. Die dritte Opferung liegt im Aufenthalt des Mädchens im Kaffeehaus. Im Jemen gilt das Kaffeehaus als Ort mit üblem Rufe, geführt wird es von Angehörigen der Unterklasse, die wahrscheinlich auf eine vorarabische Schicht zurückgehen. Das arabische Wort ›Kaffee‹ bedeutet aber ursprünglich jede Form von Getränk, Flüssigkeit: das Mädchen wird zum dritten Mal mit dem lebenspendenden Naß in Beziehung gesetzt. Der Schluß unseres Märchens ist wiederum keine Evokation individuellen Glücks, sondern der metaphysische Zweck der Märchenreligion: Fruchtbarkeit und Mehrung, dank der Verbindung von Wasser und Sonne. Dieses Märchen gehört gewiß zum ältesten jemenitischen Bestand, es gehört auch zu den am weitest verbreiteten Typen, natürlich durch sein islamisches Gewand inzwischen beinahe unerkennbar geworden. 13. Die vierzehn Königstöchter. Erzählt von Ḥādsch Ḥamūd al-Baydahi. Im Grunde handelt es sich hier um zwei völlig voneinander getrennte Geschichten, die nur durch zwei lose Klammern einigermaßen zusammengehalten werden. Diese Verbindung muß allerdings schon alt sein, wie man aus einem anderen meiner Märchen Wer vom Kopf des Fisches ißt – nicht in diesem Band enthalten – mit seiner völlig parallelen Struktur erkennt. Der erste Teil beschreibt das jemenitische Regenritual, mit der Be-
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Sonderheit freilich, daß hier die chtonische Seite des Afrit stärker als sonst betont wird: er wohnt in einer Höhle, verwandelt sich in eine Schlange. Auch hier die auffällige Erscheinung, daß der Ehemann (der jüngere Bruder), wie in den meisten anderen Märchen, zu seiner Frau, in deren Haus zieht – nach heutigen jemenitischen Gebräuchen ganz unvorstellbar. Das Reich vererbt sich über die Tochter. Ich glaube allerdings nicht, daß man hierin mutterrechtliche Elemente sehen sollte (oder in der Königin der Inseln Wāq al Wāq), sondern eher den mythologischen Hintergrund von der Sonne, die im Lande bleibt, und ‘Athtar, dem heimatlosen Wanderer, der bei der Sonne eintritt. Dieses ›Eintreten‹ ist nicht nur der Terminus für den Hochzeitsabend im heutigen jemenitischen Dialekt, sondern auch der bisher noch kontrovers gedeutete Beiname ‘Athtars in den antiken Inschriften. Der »Sohn der Nebenfrau« ist im Jemen eine sprichwörtliche Figur. Seiner schwarzen Hautfarbe wegen etwas schräg angesehen, wird er durch Tüchtigkeit und Schlauheit der Erbe seines Vaters. In dieser Redensart mag auch ein gut Stück Psychologie mitschwingen. Das zweite Märchen ist eine volkstümliche Umsetzung der aus 1001 Nacht bekannten Geschichten von Hassan aus Basra. Die jemenitische Färbung ist freilich mehrfach präsent: in Ortsnamen (Inseln AlDahlak), in der Ironie der beiden betrogenen Brüder (»Hatte uns unser Vater nicht den Rat gegeben, das was uns gehört, niemals einem Jemeniten zu überlassen?«), und mancher alten Sitte, zu der wahrscheinlich das Begraben der Toten an der Schwelle des Hauses gehört. Dennoch zeigt auch der zweite Teil des Märchens ganz deutlich seinen jemenitisch-mythologischen Ursprung. Das dürfte Anlaß geben, die Frage vom Ursprung, jedenfalls eines Teils der Märchen, aus 1001 Nacht zu überdenken: die Inseln Wāq al-Wāq gelten bei den arabischen Geographen und in 1001 Nacht als Inselgruppe im äußersten Osten. Die Mehrheit der Gelehrten sieht in ihnen Inseln östlich von China (also Japan); andere Geographen nennen sie Sumatra benachbart. Für Japan hat sich der bedeutende niederländische Islamist de Goeje entschieden. Wir können die Frage dahingestellt sein lassen, denn für unsere mythologische Betrachtung reicht es aus, sie als den äußersten Osten anzusehen. Das Gegenstück dazu bilden die Inseln Al-Dahlak im Westen, im Roten Meer (heute zu
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Äthiopien). Unsere Geschichte vollzieht sich also zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang. In Wāq al-Wāq wird unser Jüngling bis zum Morgen zurückgehalten, erst bei Sonnenaufgang kann er fliehen, seine Frau, die Sonne, befreien. Die Fristen (6 Monate, ein Jahr, eineinhalb Jahre) beziehen sich deutlich auf den Zyklus von Vegetation und Jahreszeit, die weiße Taube ist das Symbol der Sonne. Besonders interessant ist die Geschichte mit dem Fenster im Palast, durch das die Sonne entflieht: eine ganz ähnliche Szene kennen wir aus ugaritischen Mythen des 2. Jahrtausends vor Christus! Noch zwei Hinweise auf spezielle jemenitische Gebräuche: ›Er soll ein Papier an die Königin schreiben‹. Dies ist der normale Weg des Umgangs mit der Obrigkeit im Jemen: ein Papier an den Unteraufseher, der setzt seinen Namen dazu, gibt es weiter – und schließlich wird der Antragsteller, der mit seinem ›Papier‹ mitgeht, beim Minister oder König vorgelassen. Der zweite Aspekt ist die hübsche Aufzählung des Glückes auf Erden am Schluß, zu dem auch die (Privat-)Soldaten gehören, für jeden Scheich Symbol seiner herausgehobenen Stellung. 14. Das Schloß des Sklaven. Erzählt von Chadiga bint Mohammed. Das Motiv des Schlosses gegenüber dem Sultansschloß erinnert an unser Märchen Am Morgen haben wir Koran gelesen ... Auch inhaltlich geht es um die gleiche Botschaft, ja, hier wird die junge Frau sogar ausdrücklich als ›Tochter des Königs der Dschinn des Ostens‹ bezeichnet, die im Osten wohnt, ›da, wo die Sonne aufgeht‹. Der Wächter ist ‘Athtar, ein halbes Jahr lang (das steht nicht im Text) ist er in ein Gefängnis, den winterlichen Tod der Vegetation, eingeschlossen. Darüber hinaus liefert uns dieses Märchen eine wichtige Präzision: ‘Athtar ist Wächter eines Gartens, vom Menschen angelegt, er ist der Gott von Kultur und Agrikultur, nicht der wilden, dunklen Regenflur! Im Gegenteil: diesen wilden Regen-Afrit-Sultan schlägt er zurück, sein Reich beginnt nach den schlimmen Regenfällen. 15. Zermahlt ihm seine Knochen. Erzählt von Chadiga bint Mohammed. Über dieses Märchen könnte man eine kleine rechtshistorische Abhandlung verfassen. Zweimal wird hier nämlich der Sinn des Strafrechts in ganz moderner Form als sogenannte Generalprävention definiert: ›Wir müssen ihn bestrafen, damit in Zukunft nicht
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auch andere in den Garten eindringen ... Heute ist er es, und morgen machen es alle Leute so!‹ Das andere rechtshistorische Institut ist jenes jemenitische Gewohnheitsrecht, das dem Wanderer erlaubt, von einem fremden Feld ein bißchen zu nehmen, um seinen augenblicklichen Hunger zu stillen. Wie köstlich und nahrhaft schmeckt nach Stunden der Wanderschaft eine abgebrochene große Hirsedolde! Verständlich wird unser Märchen aber erst vor dem Hintergrund der alten jemenitischen Klassengesellschaft. Barbier und Metzger gehören zu den Beni al-Chums, einer ganz und gar verachteten Kaste, mit der ein Freier – der durchaus eine (schwarze) Sklavin heiraten kann – auf gar keinen Fall etwas zu tun haben darf. Diese Kaste steht außerhalb der Stammesgemeinschaft, sie ist nicht blutrachefähig, dafür aber wird sie von den Stammesangehörigen, zu deren Gebiet sie gehört, gegen Fremde geschützt. Der Ausschreier, der Dauschän, der uns schon mehrfach begegnete, gehört ebenfalls zu den Beni alChums. Über die Herkunft der Beni al-Chums (sie existieren schon in den antiken Inschriften) und ihre ursprünglich zweifellos religiösmagische Funktion läßt sich nichts Näheres sagen. Unser Märchen benutzt diese Kaste eher zur Demonstration des arabischsten aller Gefühle: der Ehre, die auf Abstammung beruht. Dieses arabische Ehrgefühl ist nicht nur ein historisches ritterliches Ideal, sondern erklärt auch heute noch manche Züge orientalischer Politik. 16. Du da an der Tür – weg von meinem Tor! Erzählt von Chāl Abdallah. Wie das vorige ist auch dieses Märchen nur verständlich vor dem Hintergrund der jemenitischen Klassengesellschaft. Der fahrende Bettler und Sänger gehört zu den Beni al-Chums, denen man auch sehr freizügige Sitten nachsagt. Eine Scheichstochter, die in aller Öffentlichkeit – und mit solch unmißverständlichen Reimen! – mit einem Vertreter dieser Kaste spricht, hat sich bereits so sehr entehrt, daß man sie ruhig auch noch formell mit einem Beni al-Chums verheiraten kann. Die andere Seite dieser Erzählung ist die arabische Abstammungsideologie: Der Jüngling stellt sich am Ende doch noch als Scheichssohn heraus. Mut und Ansehen sind für den Araber wichtigere Tugenden als Vermögen und Besitz. Dennoch reicht auch dieses Märchen tief in die mythologische Urzeit zurück: das zeigt die Szene des Kennenlernens am abendlichen
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Brunnen. Das wollen wir bei dem Märchen Wāhā-Māhā – Der volle Brunnen näher erläutern. 17.Die Regenschöne. Quelle: Gehört in Al-Ṭawīla, letzten Endes aus Nihm. Den Anfang schrieb Mohsin Hassan Khalifa nieder, nach einer Erzählung seiner Tante Hussun, Tochter eines Saiyid Ahmed, aus Beit al-Faqīh (Tihāma). In diesem wunderschönen Märchen steckt erneut alles, was wir schon in den anderen Texten an Regenund Fruchtbarkeits-Mythologie erkannt haben. Das gläserne Schloß der Sonnenprinzessin ist natürlich nicht die Initiationshütte aus dem Ethnologie-Lehrbuch der Märchenforscher, es liegt im Osten, dort wo die Sonne aufgeht. Diese Sonne bringt hier auch den Regen, ja, sie heißt ›Regenschöne‹, wenn sie weint, regnet es, der Wādī fließt (»Wasīla«) und erlaubt die Bewässerung der Felder (»dhahab«) – und deshalb heißt das Mädchen auch so (Wasīla al-dhahab«). Ihr Symbol ist die weiße Taube, hier übrigens die Dschaulaba, eine jemenitische Ringeltaubenart, weiß, mit sieben schwarzen Punkten am Hinterkopf. Stacheln des ‘Ilbbaumes, des Christusdorns, verzaubern sie: Wir können sagen, sie wird zum ‘Ilbbaum, dem einzigen wilden fruchttragenden Baum Südarabiens. Sechs Monate lang bleibt sie verzaubert, eingeschlossen in die tote Vegetation, danach regnet es im Wādī, die Sonne wird wieder befreit. Der Jüngling zieht zuerst zu seiner Braut in deren Elternhaus – auch diese, heute nicht mehr bestehende und ganz undenkbare Sitte, zeigt das hohe Alter des Märchens. 18. Wāhā-Māhā – Der volle Brunnen. Erzählt von Chāl Abdallah. Der junge Prinz kommt aus dem Osten, wie der aufgehende Mond. Sein Name ist Qamr, junger Mond. Der Mond erscheint während der ersten 14 Tage seines Umlaufs am Abendhimmel – hier trifft er die untergehende Sonne. Daß es um Wassermythologie geht, zeigt der Brunnen. Der junge Prinz, der altsüdarabische ‘Athtar, ist eine Wassergottheit, nicht der wilde Regengott, der ‘Il-Afrit unserer Texte, sondern ein Gott des gebändigten Wassers, in Wādīs und Brunnen. Die erkennbare Beziehung zu den Haustieren paßt in das Bild von der Fruchtbarkeitsreligion, das wir aus unseren Märchen gewinnen. Auch hier wohnt der Prinz zuerst (zwei Monate lang) im Elternhaus seiner Braut – ganz unüblich im heutigen Jemen, und ein weiterer Beweis für das hohe Alter des Märchens.
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Die dreimalige Wiederholung des Wortes ›geh‹ ist die islamische Scheidungsformel. 19. Der Holzsammler und seine Hühnchentochter. Erzählt von Chadiga bint Mohammed. Selbst im Orient gibt es keine schwimmenden Hühner, außer in den Märchen! Das weiße Hühnchen ist die Tochter Allahs, sie kommt aus dem Jenseits. Den Garten außerhalb der Stadt kennen wir schon als den Wohnsitz der Sonne im Winter, ein Stück vom Menschen angelegter bewässerter Fruchtbarkeit. Jeden Tag taucht das Göttermädchen in das lebenspendende Wasser. Der junge Sultan will sie gewinnen. Dazu muß er tätig werden und ein Opfer bringen. Im Straußenmärchen ist dies der ganze Vogel, hier nur das Federkleid. Es wird verbrannt, ganz passend für ein Sonnenkind. Sicher sind es deshalb nicht nur praktische Gesichtspunkte, daß zu einem Sultansgarten im Jemen (und im Orient) stets ein Wasserbekken gehört, genau wie zu den antiken Tempeln. 20. Das Mädchen gehört dem Faqīh. Erzählt von Chadīga bint Mohammed. Dieses im ganzen Orient in mannigfachen Fassungen verbreitete Märchen ist zuerst einmal eine sehr kunstvolle dichterische Schöpfung, die drei scheinbar nicht zu einander gehörende Teile zu einem Ganzen zusammenfaßt. Schaut man jedoch genauer hin, so entdeckt man plötzlich das einigende Band. Das Mittelstück beschreibt, wie aus einem Baum bei Sonnenaufgang mit Hilfe des Wassers und des göttlichen Willens ein Mädchen wird. Diese heilige Handlung vollzieht sich, wie in unseren anderen Märchen, an einem einsamen, wilden Ort außerhalb der menschlichen Siedlung. Genau das gleiche Wunder geschieht im ersten Handlungsabschnitt: Das Mädchen, die Tochter der Alten, war bisher stumm, eingeschlossen, unfruchtbar. Bei Sonnenaufgang spricht sie, wendet sich dem Ali zu, heiratet ihn, die dunkle Nacht ist vorüber. Im dritten Teil sehen wir, wie Ali erst noch eine Zeitlang mit dem alten Sultan herrscht, dann aber an seine Stelle tritt, seinerseits Garant für die Fruchtbarkeit des Landes. Den im Jemen für seine Schlauheit sprichwörtlichen Sohn der (schwarzen) Nebenfrau haben wir schon im Märchen Die vierzehn Königstöchter getroffen, ebenso den Faqīh = Koranlehrer, in Am Morgen haben wir Koran gelesen – freilich in etwas anderem Zusammenhang!
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Dem Thronvers des Koran (Sure 2, Vers 255) wird in der islamischen Volksfrömmigkeit unheilabwendende Kraft zugeschrieben: ›Gott ist Einer, allein, der Ewiglebende, der Allerhalter. Müdigkeit überwältigt Ihn nicht, noch Schlaf. Sein ist, was in den Himmeln und was auf Erden. Ihn zu bitten vermag nur Er zu gestatten. Was offenkundig ist, weiß Er, und was verborgen ist, weiß Er. Die Menschen läßt Er erkennen, was Er will. Sein Thron umschließt die Himmel und die Erde, und nicht belastet Ihn beider Hut. Der Erhabene ist Er, der Gewaltigem 21. Wie zwei Prinzessinnen sich den Holzsammler Qusāmī zum Manne einfingen. Erzählt von Chāl Abdallah. Qusāmī (im Hocharabischen Qasāmi vokalisiert) ist »der zu gleichen Teilen zwischen zwei Personen Geteilte«. Ziemlich tölpelhaft wird er hier geschildert, schlau und zielbewußt handelt nur die Sultanstochter. Dennoch müssen wir uns hüten, hier altjemenitische Sitten sehen zu wollen, oder gar auf frühes Matriarchat in Arabien zu schließen. Wir wissen es schon: Nicht von Menschen ist in diesem Märchen die Rede, sondern von Göttern. Qusāmī ist der Fruchtbarkeitsgott ‘Athtar, zu dem zwei Frauen vorzüglich passen. Die etwas lächerliche Figur, die unser Held macht, ist ebenfalls kein Zufall. Eine solche Entwicklung zu einer Gottheit, die ihre ursprüngliche Rolle des herrisch-kriegerischen Regengottes nicht mehr ganz ausfüllen kann, beobachten wir auch in den altsyrischen Mythen. Dort hat man dies – zu Recht – mit der Funktion ‘Athtars als Gott des Wassers im Wādī erklärt, der den Thron des Regengottes nur vorübergehend auszufüllen vermag. Füja = der jemenitische Männerrock. Die Sunna Allahs = die rechte Glaubenslehre, Recht und Gesetz. 22. Die Braut mit der Dschanbīya. Erzählt von Ḥādsch Ḥamūd alBaydahī. Dieses Märchen ist eine wahre Fundgrube für die Sitten und Gebräuche des traditionellen Jemen: so wie der jemenitische Stammeskrieger gekleidet ist, genauso staffiert sich die Braut in unserem Märchen aus; die Gastfreundschaft (bis zu drei Tagen), zu der stets das Schlachten eines Schafes gehört, wird ebenso geschildert wie die Sitte des Geiselnehmens, mit der noch bis 1962 die Imame sich der Loyalität ihrer Scheichs versicherten.
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Inhaltlich erscheint uns diese Erzählung auf den ersten Blick fast schon an der Grenze populärer Erotik angesiedelt, Frucht einer sympathischen Männerunterhaltung, einer vom Qāt, dem jemenitischen Alltagsnarkotikum beflügelten Phantasie. Auch auf den zweiten Blick scheint sich dieser Eindruck zu bestätigen, ist die Erzählung doch in einem ungemein lebendigen, oft dialektal gefärbten, Stil erzählt, Handlung durch kurze direkte Rede angedeutet, eine pakkende, zugreifende Alltagssprache, die aber nicht gewöhnlich wirkt. In der Übersetzung mußte dieser Aspekt leider weithin verlorengehen. In der Tat, beim Erzählen dieses Märchens fanden sich nach und nach etwa 20 Männer ein, jeder kaute seinen Qāt und da, wo es der Erzähler darauf anlegte, fingen alle breit und vergnügt an zu lachen, verstummten dann aber sofort wieder, weil die Geschichte schnell und knapp formuliert weiterging. Erst beim Vergleich mit den anderen Märchen dieses Bandes merkt man, daß diese Geschichte keineswegs ein harmloser Schwank ist, sondern tief in die Vergangenheit zurückreicht, weit in die Heidenzeit und ihre Religion. Auch hier haben wir ein mythisches Märchen, oder besser gesagt, vier, die lose miteinander verbunden sind und die ich durch Zwischenüberschriften getrennt habe. In allen vier Geschichten ist die Frau der Held, der brave Ehemann bleibt blaß, dumm, schwächlich. Kein Wunder, die Frau stammt aus Chaulān, einer der alten antiken Kulturlandschaften des Jemen. Daß ihr Mann kein König des Irak, sondern ein freier Krieger und Kaufmann aus Al-Ṭawīla ist, sieht man erst am Schluß. Und die ständigen Verkleidungen Mann/Frau, die den Reiz der Geschichte ausmachen, zeigen, daß hier altes Erzählgut in die Sozialvorstellungen der islamischen Gesellschaft umgedeutet wurde. Natürlich kann man auch sonst nicht alles so nehmen, wie es vordergründig geschildert wird. Der junge Prinz ist ‘Athtar, die junge Braut ist die Sonne: Bei dem jungen Königssohn handelt es sich also um die gleiche Fruchtbarkeitsgottheit wie in unseren anderen Märchen, die zwei Frauen dokumentieren es. Die interessanteste Entwicklung aber hat die junge Frau gemacht, die – im Gegensatz zu ihrer passiven Rolle in den älteren Märchen – hier die Handlung bestimmt. Sie hat zwei Aspekte: einen kriegerischen und einen sinnlichen, und unter diesem Doppelaspekt schil-
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dem sie auch die Mythen, die uns aus der Antike aus dem nordsemitischen Raum überliefert sind. Erklärungen: Scheich der Scheichs: Titel des Oberscheichs einer Stammesföderation. – Chaulān: es gibt zwei Föderationen dieses Namens; hier ist wohl Chaulān at-Tial gemeint, einer der bedeutendsten und kriegerischsten Stämme des Jemen, östlich von Sanaa. – Kūfīa: enganliegende Kopfbedeckung. – Mameluk: wörtlich Eigentum« = Sklave. – Ma‘adschir: ist der alte, seit etwa 30 Jahren nicht mehr benutzte nordjemenitische Männergürtel, ein Stoffband, das bis zu 8-10 Meter lang sein konnte. – Ma‘waz: die alte Form des jemenitischen Männerrockes: ein Stück Stoff, um die Hüfte geschlungen. – Schuh: der Schuh ist ein Symbol tiefster Erniedrigung. – Stundeneinteilung: die traditionelle Stundenzählung beginnt im Jemen jeweils bei Sonnenaufgang bzw. Sonnenuntergang, also um 6 Uhr und 18 Uhr. Die 11. Stunde des Tages entspricht somit ca. 17 Uhr, die 2. Stunde des Abends ca. 20 Uhr, die 5. Stunde der Nacht ca. 23 Uhr. – Tihāma: die flache, glühend-heiße Küstenebene des Jemen, nördlich und südlich von Hodeidah am Roten Meer. – Qablli: der freie jemenitische Stammeskrieger, der sich vor allem durch seine Ehrbegriffe definiert. – Geiseln: seit alters versicherten sich die Herrscher im Jemen der Loyalität ihrer Scheichs, indem sie deren Söhne als Geiseln nahmen und bei sich am Hofe erziehen ließen. – Dschanbīya: Krummdolch. 23. Bin der Hüpfer, töte Tausend jeden Tag! Erzählt von Ḥādsch Hamüd al-Baydahī. Dieses Märchen erinnert den europäischen Leser natürlich an das tapfere Schneiderlein und man wird auch nicht fehlgehen, wenn man hier den Ursprung des Grimm’schen Märchens sucht. Was gleich auffällt: Dem fröhlich-burschikos-cleveren Grundton des tapferen Schneiderleins entspricht hier eine tiefe Melancholie, ein resigniertes Sichabfinden mit dem Gang der Dinge, ein Wechsel von Aufschneiderei, Heldentum und Lächerlichkeit, von irdischem Erfolg und schrecklicher Demaskierung. Wir müssen hier den Vergleich zu Eselsfell ziehen. Neben den Parallelen (vor allem dem die Fruchtbarkeit und Potenz symbolisierenden Esel) fällt aber ein grundlegender Unterschied auf: in Eselsfell hatten wir einen starken – wenn auch unerkannten – Helden, eine eindrucksvolle, sympathische Figur; hier aber tritt dem feindlichen Regenafrit (»wie die schwarzen Wolken wird er auf euch herabstei-
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gen«) ein lächerlicher Ritter von der traurigen Gestalt entgegen. Diese Entwicklung des Mythos haben wir bereits im vorangehenden Text (Die Braut mit der Dschanbīya) erkannt: Sie ist für die uns erhaltenen antiken (nordwestsemitischen) Mythen charakteristisch. 24.Wie der Adener Stadtheilige Al-‘Aīdrūs ein Wunder wirkte. Erzählt von Chadīga bint Mohammed. Saiyid Abdallah Al-‘Aīdrūs, der Adener Stadtheilige, stammt aus der ältesten Saiyid-Familie (Nachkommen des Propheten) des Ḥadramaut. Geboren wurde er 1447 in Tarim, starb 1508 in Aden. Seine Moschee, Ziel einer malerischen jährlichen Wallfahrt am Vollmondstag des Monats Rabf al-thänl, liegt an der höchsten Stelle von Crater, der Altstadt Adens. In der Nähe, etwa 200 m westlich davon, steht die Grabmoschee des frommen Scheich Gauhar (Dschauhar), ein Straußenei in der Kuppel über seinem Grab erinnert an unser Straußenmärchen. Scheich Gauhar starb im Jahre 1228. Nur in der Legende kann er also mit Saiyid ‘Aīdrūs am Meeresstrande spaziert sein – doch was tut es? Wir lernen in dieser Erzählung, welch magische Kraft einem Namen innewohnt, wie man sich hüten muß, ihn auszusprechen. Al-Schäm (= Norden) ist die übliche arabische Bezeichnung für das alte Syrien (Syrien, Palästina, Jordanien, Libanon), oft auch beschränkt auf die Hauptstadt Damaskus. Die Inseln Al-Wāq al-Wāq, Symbol des äußersten Ostens, sind uns schon in anderen Märchen begegnet (z. B. in: Die vierzehn Königstöchter).
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Typen- und Motivverzeichnis erstellt von Dr. Hans-Jörg Uther, Göttingen Mot. = Motif-Index of Folk-Literature. Revised and Enlarged Edition by StithThompson. Copenhagen 1955–1958. AaTh = Aarne, A./Thompson, S.: The Types of the Folktale. A Classification and Bibliography. Second Revision (FFC 184). Helsinki 1961.
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= AaTh 510 + 403 = AaTh 861 = vgl. AaTh 311 + vgl. 400 = AaTh 301 + 315 A + 313,314 = AaTh 311 = AaTh 508 = vgl. AaTh 300 + 516 B = AaTh 314 = AaTh 327A + 1119 + 1121 = AaTh 1360 C + 1537 = AaTh 400 = vgl. AaTh 883 A = AaTh 301 + 936* + 400 = vgl. AaTh 560 = AaTh 920 B* = vgl. AaTh 900 = vgl. AaTh 881 + 891A + vgl. 403 = vgl. AaTh 400 = AaTh 409 A = AaTh 551 = AaTh 888 = vgl. AaTh 888 + 875 C + 978 = vgl. AaTh 1640 = vgl. AaTh 400
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Außer den im Literaturverzeichnis genannten Textsammlungen von Samia al Azharia Jahn, Dov Noy und N.B. Gamlieli können zur vergleichenden Stoff-, Typen- und Motivforschung noch folgende Kataloge und Bibliographien ergänzend herangezogen werden: Chauvin, V.: Bibliographie des ouvrages arabes 1-12. Liège 1892-1922. Elisséeff, N.: Themes et motifs des mille et une nuits. Beirut 1949. Eberhard, W./Boratav, P.N.: Typen türkischer Volksmärchen. Wiesbaden 1953. Marzolph, U.: Typologie des persischen Volksmärchens. Diss. Köln 1980. Tadel, A.: Beiträge zur Kenntnis des arabischen Märchens und seiner Sonderart. Diss. Bonn 1978. Nowak, U.: Beiträge zur Typologie des arabischen Volksmärchens. Diss. Freiburg 1969. Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Herausgegeben von K. Ranke u.a. Berlin/New York 1977 ff.
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Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Andere Sammlungen ‘Ali Muhammad ‘Abduh: Ḥikāyāt wa Asätlr yamanla. Beirut 1978. Gamlieli, N.B.: The Chambers of Yemen, Hadre Teman. 131 JewishYemenite Folktales and Legends, [hebr.] Tel Aviv 1978. Goitein, S. D.: Von den Juden Jemens. Berlin 1934. Später in englischer Übersetzung unter dem Titel: Goitein, S.D., From the Land of Sheba, Tales of the Jews of Yemen. New York 1947, 2. Auflage 1973. Noy, Dov: Jefet Schwili erzählt. Berlin 1963. Phillott/Azoo: Some Arab Folktales from Hazramaut in: »Journal and Proceedings of the Asiatic Society of Bengal (Calcutta)«, N.S. 2 (1906), Seite 399-439. Samia al Azharia Jahn: Arabische Volksmärchen. Berlin 1970. Veröffentlichungen der Südarabischen Expedition der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften: Reinisch, Leo: Die Somali-Sprache, Band I. Wien 1900 (= Band I der ›Veröffentlichungen‹). Jahn, Alfred, Die Mehri-Sprache in Südarabien. Wien 1902 (= Band III der ›Veröff entlichungen‹). Müller, David Heinrich: Die Mehri- und Soqotri-Sprache. 3 Bde. Wien 1902-1907 (= Band IV, VI, VII der Veröffentlichungen‹). Rhodokanakis, Nikolaus: Der vulgärarabische Dialekt im Dofâr. Wien 1908 (= Band VIII der ›Veröffentlichungen‹). Hein, Wilhelm: Mehri- und Hadrami-Texte. Wien 1909 (= Band IX der ›Veröff entlichungen‹). 2. Landeskunde Daum, Werner: Jemen – Das südliche Tor Arabiens. Tübingen 1980. Jemen. 3000 Jahre Kunst und Kultur des glücklichen Arabien, herausgegeben von Werner Daum. Innsbruck und Frankfurt a. M. 1987 und 1988, erweiterte englische Ausgabe 1988. 3. Märchenforschung und zusammenfassende Darstellungen der vorislamischen Religion Arabiens
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Spies, Otto: Arabisch-islamische Erzählstoffe. In: Enzyklopädie des Märchens, Band I, Göttingen 1977. Vgl. dort auch weitere Einzelartikel zu den einzelnen Themen. Daum, Werner: Ursemitische Religion. Stuttgart 1985. Daum, Werner: Die Götter von Saba’. In: Werner Daum (Hrsg.): Die Königin von Saba, Stuttgart und Zürich 1988. Höfner, Maria: Südarabien. In: Wörterbuch der Mythologie, Band I (Götter und Mythen im Vorderen Orient). Stuttgart 1965, Seite 483-552. Höfner, Maria: Die vorislamischen Religionen Arabiens. In: GeseHöfner-Rudolph, Die Religionen Altsyriens, Altarabiens und der Mandäer. Stuttgart 1970 (= Die Religionen der Menschheit, Band 10, 2), Seite 233-402. Jamme, Albert: La religion sud-arabe pre-islamique. In: Maurice Brillant et Rene Aigrain: Histoire des Religions, 4 Bde., Paris 1953-1957, Bd. 4 (1957), S. 239-307. Ryckmans, Gonzague: Les religions arabes preislamiques. In: Histoire generale des religions, 2 Bde., Paris ‘1960. Bd. II, Seite 209-228. Ryckmans, Jacques: Die Altsüdarabische Religion. In: Werner Daum (Hrsg.), Jemen, s.o.
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INHALT 1. Vater, o Vater, wieviel mußt du pissen, Hast die Wadis schon gefüllt und alles flache Land 2. O Schläfer in der Nacht 3. Der Strauß des Sultans 4. Die Wildstreune 5. Der Garguf 6. Al-Miqdādi bin ich, der Schwarze, vom Stamme der Kinda 7. Die beiden Leoparden Kolbi und Fuadi und das Pferd Geierschnapper 8. Eselsfell 9. Die Dunkelheit 10. Wie der schlaue Jude die Ehre des Qabīli rettete 11. Die Tochter des Königs der Dschinn des Ostens und der Sohn des Königs der Dschinn des Westens 12. Am Morgen haben wir Koran gelesen, doch am Abend liest sich alles anders 13. Die vierzehn Königstöchter 14. Das Schloß des Sklaven 15. Zermahlt ihm seine Knochen, zu feinstem Mehl von Knochen! 16. Du da an der Tür – weg von meinem Tor! 17. Die Regenschöne 18. Wāhā-Māhā – Der volle Brunnen 19. Der Holzsammler und seine Hühnchentochter 20. Das Mädchen gehört dem Faqīh 21. Wie zwei Prinzessinnen sich den Holzsammler Qusāmī zum Manne einfingen 22. Die Braut mit der Dschanbīya 23. Bin der Hüpfer, töte Tausend jeden Tag! 24. Wie der Adener Stadtheilige Al-‘Aīdrūs ein Wunder wirkte 283
5 15 24 38 55 69 73 84 97 111 119 127 130 146 150 154 156 163 169 174 186 192 212 216
Nachwort Zur Schreibweise Zu den Abbildungen Anhang Erläuterungen Typenverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis Karte
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