Katharina Wesselmann Mythische Erzählstrukturen in Herodots Historien
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Katharina Wesselmann Mythische Erzählstrukturen in Herodots Historien
MythosEikonPoiesis Herausgegeben von Anton Bierl
Wissenschaftlicher Beirat Gregory Nagy · Richard Martin
Band 3
De Gruyter
Katharina Wesselmann
Mythische Erzählstrukturen in Herodots Historien
De Gruyter
ISBN 978-3-11-023911-9 e-ISBN 978-3-11-023966-9 ISSN 1868-5080 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Wesselmann, Katharina. Mythische Erzählstrukturen in Herodots „Historien“ / by Katharina Wesselmann. p. cm. − (MythosEikonPoiesis, ISSN 1868-5080) Includes bibliographical references and index. ISBN 978-3-11-023911-9 (hardcover : alk. paper) ISBN 978-3-11-023966-9 (e-ISBN) 1. Herodotus. History. 2. Herodotus − Literary style. I. Title. PA4007.W47 2011 93811.03−dc23 2011030892
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Mama, Papa und dem Andenken an Robi gewidmet
Vorwort Diese Arbeit will einen Beitrag dazu leisten, die Historien in ihrer kontextuellen Vielschichtigkeit zu begreifen, wenn auch die Erforschung traditioneller Erzhlstrukturen und ihrer mythischen und rituellen Konnotationen bei Herodot noch lange nicht abgeschlossen sein wird. Einige markante Beispiele fr Herodots Verwendung traditioneller narrativer Muster habe ich detailliert untersucht; diese Einzelanalysen sind mit einem theoretischen Fundament unterlegt, das in Einfhrungs- und Schlußteil formuliert wird und sich mit Fragen beschftigt, die ein moderner Leser an den Text stellen muß – vor allem zum Verhltnis von Geschichte und Mythos. Im Bemhen, die Untersuchungen einzelner Erzhlungen logisch anzuordnen, habe ich sie den verschiedenen Paradigmen Frevel, Wahnsinn, Trickstertum und Rite de passage zugeordnet. Daß meine Kategorisierungen nicht unanfechtbar sind, ergibt sich aus der Natur der Fragestellung: die kulturellen Konnotationen mythischer Muster weisen vielfltige berschneidungen auf. Gerade die Flle ihrer Dimensionen jedoch machen die Faszination von Herodots Historien aus, die nicht nur in ihrer schieren Quantitt, sondern auch in der Komplexitt jeder Mikrogeschichte immer wieder Staunen erregen. Das vorliegende Buch ist eine berarbeitete und aktualisierte Fassung meiner Dissertation, die ich im Februar 2010 an der philosophisch-historischen Fakultt der Universitt Basel eingereicht habe. Ich verwende die alte deutsche Rechtschreibung. Zeitschriften sind nach LAnne Philologique abgekrzt, die griechischen Quellen nach Liddell-Scott-Jones zitiert. Die beigefgten bersetzungen sind, soweit nicht anders angegeben, meine eigenen. Bei der Entstehung dieses Buches habe ich von vielen Seiten Untersttzung bekommen. Was die inhaltliche Begleitung meiner Arbeit betrifft, sei als erster mein Doktorvater Anton Bierl genannt, dessen zugleich wohlwollende und kritische Untersttzung meine Arbeit vor allem in religionswissenschaftlichen Fragen entscheidend geprgt hat und dessen Geduld und Engagement ich unendlich viel verdanke – nicht zuletzt auch die Einbindung in das vom Schweizerischen Nationalfonds zur Fçrderung der wissenschaftlichen For-
VIII
Vorwort
schung (SNF) gefçrderte Pro*Doc Graduiertenprogramm Intermediale sthetik. Spiel – Ritual – Performanz. Somit hatte ich mehrfach die Mçglichkeit, Basler Mitarbeitern und auswrtigen Gsten einzelne Kapitel vorzustellen. Auch fr die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe MythosEikonPoiesis, hervorgegangen aus dem Basler Schwerpunkt einer mythischrituellen Poetik der griechischen Literatur, danke ich Herrn Bierl sehr herzlich. Zu großem Dank bin ich weiter Deborah Boedeker verpflichtet, die meine Dissertation als Korreferentin betreute, mir immer wieder wichtige Hinweise gab und die Mhe auf sich nahm, meine englischen Zusammenfassungen zu korrigieren. Die Initialzndung fr mein persçnliches Interesse an Herodots Werk erfolgte in einem Proseminar bei Joachim Latacz, dessen enthusiastische literaturwissenschaftliche Perspektive alle Anfngervorurteile gegen das Genre der Geschichtsschreibung ausrumte. Joachim Latacz und Anton Bierl habe ich weiter die Aufnahme ins Team des Basler Homer-Kommentars zu verdanken – an dieser Stelle sei beider Geduld hervorgehoben, die mir die berarbeitung meiner Dissertation fr den Druck ermçglichte. Der stndige Austausch mit Kolleginnen und Kollegen war fr mich von großem Wert. Hier ist zunchst Rebecca Lmmle zu nennen, von der ich in den Jahren der engen Zusammenarbeit viel gelernt habe. Durch ihre akribischen Korrekturen hat meine Arbeit sehr gewonnen. Grçßere Teile gelesen und mir damit sehr geholfen haben weiter Cdric Scheidegger, Lena Vidoni und Justin Vollmann. Fr seine Hilfsbereitschaft in technischen Fragen danke ich meinem in seiner Freundlichkeit unerschtterlichen Kollegen Claude Brgger. Mein Dank gilt auch zahlreichen weiteren Kolleginnen und Kollegen, die mir durch einzelne kluge Bemerkungen weitergeholfen und mir die Arbeit durch ihre Freundschaft erfreulicher gemacht haben – auch und gerade, weil sie mich bisweilen davon abhielten. Besonders geduldig hat mich mein Lebensgefhrte Reimar Benkendorff untersttzt, ohne dessen liebevollen Beistand ich diese Arbeit nicht htte fertigstellen kçnnen. Die Drucklegung des Buches wurde von der Basler Max Geldner-Stiftung und dem Zrcher Fonds fr Altertumswissenschaft großzgig untersttzt. Schließlich sei auch dem Verlag DeGruyter fr die freundliche Betreuung gedankt, die mir insbesondere von Sabine Vogt und Florian Ruppenstein zuteil geworden ist.
Inhalt I.
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Herodot und der Mythos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bisherige Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Ziele: eine ,mythisch-rituelle Poetik der Geschichtsschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Mythische und das Rituelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Zur Methode des Strukturvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Auswahlkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Intertextualitt und Traditionalitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Frevel: Mythos als moralisches Paradigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Imitatio Dei: Xerxes und Frau und Tochter des Masistes (9.108 – 113) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gewsserfrevel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die persischen Kçnige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Mythische Folien: Achilleus und Skamandros und andere 2.3 Kroisos, der Schwankende (1.75) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wahnsinn – Die Komplexitt der Moral im Spiegel von Mythos und Kult . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die doppelte lam_a und das Problem der Kausalitt . . . . . . . 1.1 Kambyses und Kleomenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Tradition des Wahnsinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Die Doppelung der lam_a im Mythos . . . . . . . . . . . 1.2.2 Die Doppelung der lam_a im Kult . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Die Traditionalitt der lam_a bei Herodot: Mythisches Erzhlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Die Doppelung der lam_a bei Herodot . . . . . . . . . . 1.3.2 Weitere Traditionalismen in Herodots lam_a-Geschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Lam_a und Initiation? Kleomenes und Kambyses, Anacharsis und Skyles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Lam_a und Initiation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 8 15 23 28 28 32 35 44 46 55 55 63 74
79 80 80 92 92 111 119 119 122 127 127
X
Inhalt
1.4.2 Kambyses und Kleomenes und das Initiationsparadigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Skyles und Anacharsis (4.76 – 80) . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dionysos und der Tyrann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Arion (1.23 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. ,Trickstergeschichten: Schelmenfigur und Erzhlstruktur . . . . . 1. ,Trickster bei Herodot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die getreuen Verrter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Der angebliche berlufer: Zopyros (3.153 – 160) . . . . . . 2.2 Der owkor emeiqor : Themistokles (8.70 – 83) und die Trugtrume des Xerxes (7.8 – 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die ,Freier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die List des Dareios (3.84 – 87) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Hippokleides und die Alkmaioniden (6.126 – 131) . . . . . . 4. ,Trickster bei Herodot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V.
Rite de passage – Die Tradition des Neuanfangs als mythhistorisches Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eine Begriffsklrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfolgung und Aussetzung des bedrohlichen Kindes: Die ,Kyrupdie (1.107 – 130) und die Geburtsgeschichte des Kypselos (5.92.a-e) – Heroenbiographie und Unheilsvorzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der jugendliche Flchtling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Adrastos – ,the Boys Tragedy (1.34 – 45) . . . . . . . . . . . . . 3.2 Phronime und die bçse Stiefmutter (4.154 f.) – Verschiebung der Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das tçdliche Gastmahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Das ,Atreusmahl (1.73; 1.119) – Herrschaftswechsel und kulturelle Nivellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Der Mord an den Gsten (5.18 – 21; 1.106): Clash der Kulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Linob|ar k|cor : Rhampsinitos und der Meisterdieb (2.121 f.)
132 136 143 144 146 160 160 161 161 167 174 174 180 189
197 197
201 226 226 239 252 252 269 282
VI. Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 1. Strukturierung, Semantisierung, Validierung. Zur Funktion des Mythischen in der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 2. Herodot und die Problematik der modernen Rezeption . . . . 307
Inhalt
XI
2.1 Das Problem der Erzhllogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 2.2 Das Problem der Faktizitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 3. ,Mythisch-rituelle Poetik und kultureller Kontext . . . . . . . . . 335 Appendix 1: Herodot und Homer – ein kurzer Forschungsberblick. Appendix 2: Das Wortfeld ,Frevel bei Herodot . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Index mythischer und herodoteischer Handlungsfiguren und -orte . . Index locorum Graecorum et Latinorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A Brief Summary: Mythical Structures in Herodotus . . . . . . . . . . . . .
342 345 358 387 398 419
I. Einleitung 1. Herodot und der Mythos Im ersten Buch der Historien berichtet Herodot, wie ein medischer Hirte ein Kind in Empfang nimmt und die folgende Weisung des Kçnigs Astyages erhlt: jeke}ei se )stu\cgr t¹ paid_om toOto kab|mta he?mai 1r t¹ 1qgl|tatom t_m aq]ym, fjyr #m t\wista diavhaqe_g. ja· t\de toi 1j]keuse eQpe?m, Cm lμ !pojte_m,r1 aqt|, !kk± te\ tq|p\ peqipoi^s,, ak]hq\ t` jaj_st\ se diawq^seshai7 (1.110.3) Astyages befiehlt, daß du das Kindchen nimmst und es in der einsamsten Gegend im Gebirge aussetzt, auf daß es schnellstens zugrundegehe. Und auch folgendes hat er befohlen dir zu sagen: wenn du es nicht tçtest, sondern auf irgendeine Weise erhltst, wird er dich auf schlimmste Art vernichten …
Jeder Leser von Herodots Historien weiß, wie die Geschichte weitergehen muß, weil er sie schon unzhlige Male gehçrt hat. Vielleicht nicht ber Kyros, das paid_om der vorliegenden Stelle, aber ber Aigisthos, Paris, dipus, Moses, Romulus und Remus, Schneewittchen … der Beispiele sind unendlich viele. Die Traditionalitt Herodots, sein Eingebundensein in eine narrative Kultur, die lange vor ihm und in gewisser Hinsicht bis auf den heutigen Tag existiert, hat die Forschung immer wieder beschftigt. Gerade ber Herodots Behandlung des Mythos ist viel geforscht worden. Hierbei wurde bisweilen großes Gewicht auf seine kritische Distanz und Abgrenzung von der mythisch-religiçsen Tradition gelegt, die er in der expliziten Fokussierung des Prooimions auf t± cem|lema 1n !mhq~pym betont.2 In der Tat nimmt Herodot gegenber traditionellen Erzhlungen eine kritische Haltung ein, die sich unter anderem an dem in den Historien oft diagnostizierten Phnomen der Mythenrationalisierung zeigt. Eines der bekanntesten Beispiele dafr ist die Helena-Erzhlung im zweiten Buch der Historien (2.120): Helena, so Herodot, kçnne gar nicht in Troia gewesen sein, sonst htten die Troianer sie ja ausgeliefert. 1 2
Rosn: !pojte_m,. Vgl. den berblick bei Meier 2004, 27 mit Anm. 2; 37 mit Anm. 66 f.; vgl. auch Gçdde 2007, Anm. 51.
2
I. Einleitung
Dennoch ist immer bemerkt worden, daß dieses Bild des großen Rationalisten, der sich aufgrund seiner berragenden Intelligenz mit Leichtigkeit aus jeder poetischen und religiçsen Tradition herauslçst, nicht in jeder Hinsicht zutrifft. Herodot bleibt mythischen Erzhltraditionen verpflichtet: mythische Elemente prgen und durchdringen die Historien. 3 So ist denn auch Herodots Unterscheidung zwischen einem spatium mythicum und historicum nicht haltbar, die zuweilen postuliert worden ist;4 in dieser Richtung wurden vor allem die folgenden berhmten Aussagen 1.5.3 und 3.122.2 gedeutet. Im ersten Buch schließt Herodot die Frauenraubgeschichten mit dem Fazit ab, er wolle sich lieber mit ,Wißbarem beschftigen: 1c½ d³ peq· l³m to}tym oqj 5qwolai 1q]ym ¢r ovtyr C %kkyr jyr taOta 1c]meto, t¹m d³ oWda aqt¹r pq_tom rp\qnamta !d_jym 5qcym 1r to»r þkkgmar, toOtom sgl^mar pqob^solai 1r t¹ pq|sy toO k|cou … (1.5.3) Ich gehe nicht hin und sage ber diese Dinge, ob dies so oder irgendwie anders geschehen sei, den Mann aber, von dem ich selbst weiß, daß er mit den ungerechten Handlungen gegen die Griechen begonnen hat, den nennend schreite ich zur Fortsetzung meiner Abhandlung …
Im dritten Buch ußert er sich folgendermaßen ber den samischen Tyrannen Polykrates: Pokujq\tgr c\q 1sti pq_tor, t_m Ble?r Udlem, :kk^mym, dr hakassojqat]eim 1pemo^hg, p\qen L_my te toO Jmyss_ou ja· eQ d^ tir %kkor pq|teqor to}tou Gqne t/r hak\ssgr· t/r d³ !mhqypg_gr kecol]mgr ceme/r Pokujq\tgr pq_tor 1kp_dar pokk±r 5wym Yym_gr te ja· m^sym %qneim (3.122.2). Polykrates ist der erste von den Griechen, die wir kennen, der Seeherrschaft im Sinn hatte, außer Minos aus Knossos, und wenn irgendein anderer frher als er das Meer beherrschte: von dem menschlich genannten Geschlecht aber ist Polykrates der erste; er hatte große Hoffnungen, Ionien und die Inseln zu beherrschen. 3
4
Dies steht nicht im Widerspruch zu einer partiellen Rationalisierung, wie sich z. B. an Herodots Kroisos-Geschichte zeigt: zwar ist das Ausmaß des persçnlichen Eingreifens der Gçtter im Vergleich zu Bakchylides Variante (Ep. 3.23 – 62) wesentlich reduziert (vgl. Burkert 1985), aber dennoch enthlt der lydische Logos zahlreiche mythische Elemente; vgl. neben zahlreichen anderen Beispielen unten 238 f. mit Anm. 644; dazu auch Hansen 2002, 316 – 327. Z. B. Schwartz 1938, 73 f.; Schadewaldt 1934, 574; Pohlenz 1937, 6 f.; Brown 1954, 832; Finley 1975, 18; 24 f. (vgl. aber 25: „The myth-making process did not stop in the eighth century; it never wholly stopped“); Vidal-Naquet 1981, 81; Fornara 1983, 7 f.; Strasburger 1983, 387 f.; 416 – 418; 459 (der Herodots Inkonsequenz jedoch bemerkt, vgl. die folgende Anm.); Shimron 1973; 1989, bes. 17 – 25; Vannicelli 1993 und 2001, 15; Nesselrath 1996, bes. 276 – 280.
1. Herodot und der Mythos
3
Auf den ersten Blick erwecken diese Passagen in der Tat den Eindruck, als ob Herodot zwischen seiner Gegenwart und Vergangenheit einerseits und einer mythischen Vorvergangenheit andererseits eine Trennlinie ziehen wolle. Dies geschieht jedoch keineswegs konsequent: daß in den Historien beraus hufig Ereignisse behandelt werden, die vor der menschlichen, ,historischen Epoche anzusiedeln sind, ist nicht unbemerkt geblieben.5 Diverse technische Erklrungsversuche, die Diskrepanz zwischen den genannten Aussagen und Herodots Praxis zu erklren, bleiben unbefriedigend;6 plausibel erscheint, daß in Herodots Werk keine strenge Ein-
5
6
Z. B. die Gyges-Geschichte (1.7 – 14; vgl. Lateiner 1989, 124); Episoden aus dem Troianischen Krieg (2.113 – 119; vgl. Schmid-Sthlin 1934, 626 mit Anm. 2; Hohti 1976, 37 f.); die gyptischen Genealogien (etwa 2.142 f., wo Herodot den eindrucksvollen Zeitrahmen der gyptischen berlieferung referiert, der wesentlich ausgedehnter ist als der griechische) oder die fr Herodot glaubwrdigen Berichte der gypter ber die frheren Gçtter (z. B. 2.42 f.; vgl. Hunter 1982, 86 – 107 und allgemein zu Herodots Behandlung der gyptischen Vorgeschichte auch von Leyden 1950, 93). Sogar von Minos selbst ist 1.171 und 1.173 sowie 7.170 f. die Rede, auch wenn ihn Herodot 3.122.2 außerhalb der !mhqypg_g ceme^ verortet (vgl. Strasburger 1983, 417). Heroen faßt Herodot historisch auf, so etwa Perseus 6.53 (vgl. Hampl 1975, 116 – 118); folglich postuliert Raubitschek 1989 eine durchgngige Kontinuitt der gesamten alten und neueren Geschichte bei Herodot (und Thukydides). Auch die Gçtter spielen in Herodots Gegenwart eine bedeutende Rolle; es steht außer Frage, daß zahlreiche Ereignisse in den Historien durch gçttliche Einwirkung erfolgen; vgl. Darbo-Peschanski 1987, 38 – 83. Weiter deutet Herodots Datierung von Ereignissen, die 400 Jahre zurckliegen, auf „vorgestern oder gestern“ (pq~m te ja· wh]r, 2.53.1) auf seine weit gefaßte Perspektive hin, zumal er das Wissen der gyptischen Priester ber die ferne Vergangenheit als ebenso zuverlssig (!tqej^r) ansieht wie die griechische Kenntnis jngerer Ereignisse seit Psammetichos Ansiedlung von Ioniern und Karern in gypten (2.119.3; 2.145.3; 2.154.4). So geht Strasburger 1983 von dem evolutionren Modell einer historischen Bewußtseinsbildung aus: je nher die Erzhlungen der Gegenwart des Erzhlers rcken, desto „ausfhrlicher, zusammenhngender, reicher an politischer Substanz und rmer an legendren und anekdotischen Zgen“ werden sie (1983, 402). Dies ist nicht ohne weiteres aufrechtzuerhalten, betrachtet man etwa die anekdotenreichen Erzhlungen um den Xerxeszug, den Strasburger von Herodot aus in der „Vterzeit“ verortet. De Sanctis 1936 postuliert eine analytische Trennung der Teile: in den Historien stehe eine „prammaticit teologica“ neben einer „prammaticit umana“ (351); letztere dominiere das rationalisierende Proçmium und diverse andere Passagen, die nach Motivationen und Ursachen von Handlungen suchen – etwa die berlegungen zum Raub der Helena (2.120), die wesentlich ausfhrlicher und profunder sind als die kurze Raubgeschichte zu Beginn (1.3 f.); die theologische Pragmatik strukturiere andere Passagen wie den KroisosLogos, die lter seien und vor allem das gçttliche Wirken im Menschlichen the-
4
I. Einleitung
grenzung der ,historischen Zeit erfolgt, sondern lediglich eine Beschrnkung ,historischer Wißbarkeit, was die fernere Vergangenheit (!qwa?a oder pakai\) im Gegensatz zur jngeren betrifft.7 So ist die griechische Vorzeit im Gegensatz zur gyptischen Tradition nur schwer faßbar; es geht also bei den genannten Zitaten vor allem um die Belegsituation.8 Daß
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matisierten. Dies ist nicht abwegig, aber auch keine abschließende Erklrung (die Spekulationen ber das Alter einzelner Passagen sind schlicht nicht beweisbar). Problematisch ist weiter Darbo-Peschanskis 1987, 38 – 83 geußerte Ansicht, daß Herodot ber die Vorzeit nur in relativierenden „discours transposs, au style indirect“ spreche (also in indirekter Rede, die jedoch vom Erzhler gefrbt ist; 1987, 33 mit Anm. 53, unter Verweis auf Genette 1972, 191; hnlich Shimron 1989, 75 – 80 zum berwiegenden Gebrauch von k]cetai abseits der historischen Teile). Hier wird nicht beachtet, daß Herodot Ereignisse der ,mythischen Vorzeit hufig aufgrund eigener Schlußfolgerungen aus aktuellen Gegebenheiten rekonstruiert, wie er selbst 2.99.1 formuliert und wie von Leyden bereits 1950 bemerkt hat (1.57: die heutige Sprache der Pelasger lßt auf ihr ursprngliches Idiom schließen; 2.44: das Alter seiner Tempel sagt etwas ber das Alter des Gottes Herakles aus; 2.104 f.: gewisse Eigenheiten der Kolcher sprechen fr ihre gyptische Herkunft; zu ergnzen wre auch Herodots Homer-Exegese 2.116 f.). Auch Darbo-Peschanskis Auffassung, Herodot halte sich aus religiçsen Skrupeln mit Aussagen ber die Gçtter zurck (35), ist anfechtbar; Gçdde 2007 hat Herodots Aposiopesen in berzeugender Weise poetologisch gedeutet (vgl. unten Anm. 14). Weitere Versuche sind plausibel, bringen jedoch das Vorhandensein von Erzhlungen aus der Vorzeit in den Historien nicht in Einklang mit Herodots Erklrung, sich mit dieser nicht befassen zu wollen: so ist Vandiver 1991, 149 – 151 der Ansicht, daß Herodot zwar zwischen einer heroischen und einer menschlichen Zeit unterscheide, die Heroen aber dennoch als historische Figuren ansehe; ferner ist Cobets Versuch einer weiteren Ausdifferenzierung in insgesamt drei Stadien zu nennen (2002, bes. 405 – 409): whrend die Gegenwart durchaus Bezge zu einer fernen Vergangenheit aufweise, die als heroische Vergangenheit ber die Dichtung fortlebt, fehle dazwischen die Erinnerungen an die ,Dark Ages oder das „floating gap“ (Vansina 1985, 23 f.); also sei die fernere Vergangenheit sogar deutlicher faßbar als die nicht ganz so ferne (vgl. auch Thomas 2001, die Herodots Versuch der berbrckung dieser Lcke aufzeigt); auch dies bedeutet nicht eine qualitative Unterscheidung Herodots zwischen mythischer und historischer Zeit. Bereits Finley 1975, 17 f. hatte festgestellt, daß Herodot auf eine detaillierte Chronologisierung der Ereignisse zwischen dem Troianischen Krieg und Homers Lebenszeit verzichtet (allerdings geht er von der chronologischen Kontinuitt der gesamten Zeitspanne aus; vgl. Carrire 1998, 68 – 74). Vgl. Calame 2006a, der in seiner behutsamen Analogisierung von Herodots !qwa?a/pakai\-Terminologie mit der modernen Verwendung des Begriffes ,Mythos durchaus auch die Kontinuitt zwischen ferner und jngerer Vergangenheit hervorhebt. Vgl. Hunter 1982, 87: „The spatium mythicum in Greece … is actually a time of human history and can only be called mythological in the sense that it became
1. Herodot und der Mythos
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deren Qualitt durch die zeitliche Differenz zu den jeweiligen Daten graduell beeinflußt wird, steht fr Herodot außer Frage und geht gerade aus der Formulierung 3.122.2 pq_tor t_m Ble?r Udlem deutlich hervor. Dies bedeutet jedoch weder, daß sich Herodot grundstzlich nicht mit einer ,mythischen Vorvergangenheit befassen wolle, noch, daß diese die einzige schwer erfaßbare Kategorie von Ereignissen beinhalte: so wird 4.152.3 gesagt, Kolaios von Samos habe den grçßten Gewinn von allen Handelsschiffern erzielt, :kk^mym p\mtym, t_m Ble?r !tqej_gm Udlem, 1j voqt_ym – und hier geht es kaum um mçgliche mythische Hndler, sondern um solche, von denen Herodot einfach keine Nachricht hat.9 Es liegt nahe, daß die zu Beginn stehende, nach Programmatik aussehende Aussage diese Erwartung einfach nicht einlçst. Die Formulierung 5qwolai k]ceim bezeichnet in Herodots Werk ausnahmslos Erzhlschritte, die sofort erfolgen; also scheint es, als wolle Herodot auch hier nur fr das unmittelbar Folgende sprechen:10 hier soll nun nicht mehr die Rede sein von den Frauenraubgeschichten – aber an anderer Stelle wird der mythische Raub der Helena in großer Ausfhrlichkeit behandelt (2.113 – 120). Mythische Figuren und Ereignisse kommen in den Historien also durchaus vor, und ihre Behandlung ist keineswegs rein antiquarischer Natur. Stattdessen erweist sie sich als ußerst bedeutsam fr Herodots Gegenwart. So konstatiert Elisabeth Vandiver in ihrer Studie zu den Heroenfiguren der Historien eine „interaction of symbolic subtext and historical exegesis“ (1991, 13) – die Figuren werden als Referenzpunkte fr das aktuelle historische Geschehen eingesetzt, aus chronologischen und aitiologischen Grnden, aber auch als Markierungen und Orientierungspunkte fr wichtige Ereignisse, Orte und Persçnlichkeiten. Bisweilen stellt Herodot auch explizite Analogien her, etwa zwischen Teisamenos und seinem mythischen Vorgnger Melampus (9.33 – 35). Der enmeshed in the mythoi of the poets, and so its truth was blurred or lost.“ Sie zieht folgendes Fazit: „It is now clear that one cannot discover in the works of Herodotus and Thucydides a distinction between historical and mythical time, and hence an opposition of human history and mythology, for both consider the mythological period a temps des hommes, a time of real, historical personages“ (103). Auch Brilliante betont, daß es sich bei dem Heroenzeitalter eher um „ancient history“ handelt als um ein entrcktes „age of myth“; „the Greeks did not feel very profoundly the opposition between myth and history“ (1990, 102). hnlich Evans 1991, 105 – 107, der vor allem eine Unterscheidung zwischen ,glaubwrdig und ,weniger glaubwrdig erkennt, und Carrire 1998, 52. 9 Vgl. Osborne 2002, 499. 10 Nickau 1990, 91 – 100.
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I. Einleitung
Heros hatte fr die Heilung der argivischen Frauen von der Raserei fr sich selbst und seinen Bruder die Kçnigswrde verlangt; Teisamenos fordert das Brgerrecht in Sparta, weil ihn die Lakedaimonier aufgrund eines Orakels als ,Glcksbringer bençtigen – ebenfalls fr sich und seinen Bruder; oxtor 1lil]eto Lek\lpoda, kommentiert Herodot (9.34.1). Auch Herodots Figuren bemhen mythische Parallelen: 9.26 f. rechtfertigen Athener und Tegeaten vor Plataiai ihren jeweiligen Anspruch auf einen Heeresflgel mit Erzhlungen ber ihre Ahnen aus der Heraklidenzeit bzw. der Epoche des Troianischen Kriegs.11 Daß Identitt und Selbstdefinition in antiken Gesellschaften maßgeblich ber vergangene Ereignisse konstruiert werden, seien sie nun aus heutiger Sicht mythisch oder historisch, wird auch von seiten der Alten Geschichte zunehmend wahrgenommen – Hans-Joachim Gehrke hat fr solche Traditionen, die „Selbstvergewisserung, Ortsbestimmung und Identittsstiftung und -wahrung“ garantieren, den Begriff der „intentionalen Geschichte“ geprgt.12 Der hier offensichtlich zugrundeliegende Gedanke der Kontinuitt aller Vergangenheit macht Herodots Trennung der spatia ußerst unwahrscheinlich. Im brigen ist das Fortwirken mythischer Traditionen in den Historien keineswegs auf die Auseinandersetzung mit mythischen Stoffen wie etwa dem Raub der Helena beschrnkt; auch abgesehen von diesen sind bei Herodot hufig ,mythische Erzhlmodi konstatiert worden. Damit ist zunchst das literarisch-exemplarische Erzhlen ohne Rcksicht auf die faktische Ebene gemeint; z. B. verweist Fritz Graf die herodoteische Er11 Die Athener beenden die Diskussion mit dem Argument, daß ,gerade die damals Tapferen heute wohl die Schlechteren sein mçgen und die damals Schlechten heute wohl die Besseren (#m wqgsto· t|te 1|mter ¢uto· mOm #m eWem vkauq|teqoi ja· t|te 1|mter vkaOqoi mOm #m eWem !le_momer ; 9.27.4). Diese Formulierung erinnert stark an die Maxime des Prooimiums 1.5.3 f.: pqob^solai 1r t¹ pq|sy toO k|cou blo_yr lijq± ja· lec\ka %stea !mhq~pym 1peni~m7 t± c±q t¹ p\kai lec\ka Gm, t± pokk± slijq± aqt_m c]come, t± d³ 1p 1leO Gm lec\ka, pq|teqom Gm slijq\. tμm !mhqypg_gm §m 1pist\lemor eqdailom_gm oqdal÷ 1m t¡ut` l]mousam 1pilm^solai !lvot]qym blo_yr. (,… schreite ich zur Fortsetzung meiner Abhandlung, gleichermaßen kleine und große Stdte der Menschen durchgehend; denn die frher groß waren, von denen sind viele klein geworden; die aber zu meiner Zeit groß waren, waren frher klein). Die Parallelitt von 9.27.4 zu dieser bereits von Jacoby 1913, 334 als programmatisch aufgefaßten Ankndigung belegt Herodots „notions of continuity and change as two aspects of the whole field of historical reality“ ber die gesamte Geschichte hinweg (von Leyden 1950, 92; vgl. 92 – 96); inklusive der fernen Vergangenheit der Heroen. Vgl. auch Calame 2006a, bes. 40 f. 12 Gehrke 1994, hier 257; vgl. Gehrke 2001.
1. Herodot und der Mythos
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zhlung von der unterbrochenen Hinrichtung des Kroisos (1.86 – 87) vor allem aufgrund der Unwahrscheinlichkeit13 eines Zusammentreffens zwischen Solon und Kroisos ins Reich der Erfindung und bemerkt, „daß bei diesem Fehlen einer scharfen Grenze zwischen Mythos und Geschichte … das historische Ereignis in den narrativen Formen der Mythenerzhlung sich niederschlgt.“ Die Erzhlung diene ausschließlich der Untermauerung herodoteischer Geschichtsphilosophie; „… die genauen historischen Details bleiben uns ungreifbar. Die Geschichten werden traditionell …“ (Graf 1985, 130).14 Doch die Nhe der von Herodot geschilderten Gegenwart zur mythischen Tradition ist noch grçßer. Einige Episoden der Historien, die von historischen, konkret benannten Persçnlichkeiten handeln, weisen eine augenfllige strukturelle Nhe zu bekannten mythischen Erzhlungen auf, indem sie Kombinationen von Erzhlelementen annehmen, die in mythischen Erzhlungen eindeutig wiederzuerkennen sind; das bekannteste Beispiel, von dem unten in Kapitel V.2 ausfhrlicher die Rede sein wird, ist wohl die eingangs zitierte Aussetzungsgeschichte, die Herodot vom Grnder des persischen Großreiches Kyros berichtet. Die mythischen Vergleichsparameter werden also nicht explizit benannt, sondern im historischen Diskurs verwendet, ohne daß es ihrer Kenntlichkeit oder Aussagekraft Abbruch tut.
13 Daß die Begegnung nicht vçllig ausgeschlossen ist (zur umstrittenen Datierung von Solons Lebensdaten vgl. Seybold/Ungern-Sternberg 2007, 107 mit Anm. 17 mit weiterfhrender Literatur), ndert nichts am ,ahistorischen Charakter des von Herodot wiedergegebenen Gesprchs der beiden Figuren. 14 Selbst rituelle Erzhlmodi sind in Herodots Werk faßbar: so erweist Gçdde 2007 die Aposiopesen in Herodots gypten-Logos als Elemente einer literarisch vermittelten Theorie der Religion, die Herodots Unbehagen gegenber der Vorstellung anthropomorpher Gçtter in der Form einer Leerstelle reflektiere. Hierbei markiere der rituelle Gestus des Verschweigens den Versuch einer Grenzziehung zwischem Erlaubtem und Verbotenem, und gleichzeitig werde die Grenze gerade dadurch exponiert. Es handle sich also um eine rituelle Inszenierung allein durch die Struktur des literarischen Textes. Gçdde zeigt damit, daß „Mythen und Rituale nicht allein Gegenstand der Erzhlungen Herodots sind, sondern daß sich der Darstellungsmodus seines Textes, seine spezifische Literarizitt, aus dem reflexiven, sthetischen und performativen Potential von Mythos und/oder Ritual speist“ (2007, 44).
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I. Einleitung
2. Bisherige Forschung Diese Art der Verwendung traditioneller narrativer Schemata in Herodots Werk ist bisher noch zuwenig untersucht worden.15 Dennoch existiert eine begrenzte Anzahl wichtiger Arbeiten zum Thema, ber die im folgenden ein kurzer berblick gegeben werden soll.16 Schon Wilhelm Pohlmann hat 1912 die Art und Weise untersucht, qua fabellae Herodoteae narratae sint. Im Vergleich vor allem mit den homerischen Epen und biblischen Texten des Alten und Neuen Testaments konstatiert er zahlreiche Traditionalismen in Herodots Beschreibung seiner Figuren, ihrer Affekte (26 – 35), in der Anordnung des Personals einer Szene (40 – 44), der Figurenreden (45 – 49) und der Gliederung von Szenen (59 – 68), schließlich auch inhaltliche bernahmen traditioneller Stoffe, wie sie etwa Olrik 1908 gesammelt hatte (52 – 59; vgl. 36; 39 f.), beispielsweise die Geschichten um zwei oder drei Brder oder die Beispiele treuer Gattenliebe. Pohlmann beschrnkt sich freilich auf eine rein deskriptive Aufzhlung der Traditionalismen. Eine systematische Analyse einer großen Anzahl von Stellen, denen traditionelle Stoffe zugrundeliegen, hat Wolf Aly 1921 unternommen. Allerdings beleuchtet auch er in seiner Sammlung der Mrchenmotive weniger deren Kontext innerhalb der Historien, als daß die Motive selbst ins Zentrum gestellt sind: Aly sucht jeweils nach einer Art ,Ur-Motiv und zieht neben griechischen Mythen auch traditionelle Erzhlungen aus fr ihn greifbaren anderen Kulturkreisen heran. Durch die konsequente Isolierung von Einzelmotiven wird die Aussagekraft des Motivs fr den jeweiligen Kontext nicht deutlich. Eine weitere Sammlung von Einzelelementen legt Jean-Pierre Vernant 1982 vor, allerdings im Zusammenhang mit einem bestimmten Mythos: in 15 Sie ist zu trennen von der Analyse solcher erzhlerischer ,patterns, die sich vorwiegend innerhalb der Historien wiederholen, deren Untersuchung also keinen Bezug zu einer außertextlichen Tradition herstellt; vgl. dazu zuerst Immerwahr 1966, bes. 148 – 237 zum Schema Aufstieg-Machthçhe-Niedergang bei westlichen und çstlichen Potentaten der Historien; vgl. spter etwa Grays Analyse sich wiederholender „patterns“ in Herodots „short stories“ (2002), z. B. „the pattern …, in which a ruler expresses excessive and inconsistent kindness and cruelty towards a subject“ (295), das der Erzhlung von Xerxes und dem Lyder Pythios (7.27 – 29; 7.38 – 39) ebenso zugrunde liegt wie dem Bericht ber Xerxes Behandlung des Schiffskapitns auf seiner Heimreise von Salamis (8.118) und der Geschichte von Dareios und Oiobazos (4.84). 16 Vgl. mit einem exemplarischen berblick auch Luraghi 2005, 78 – 85.
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der Nachfolge von Claude Lvi-Strauss vergleicht er Herodots KypselosErzhlung (5.92.a-e, vgl. unten Kapitel V.2) mit dem Labdakiden-Mythos. Angefangen mit der Lahmheit, die in beiden Geschichten figuriert und nicht nur kçrperlichen Defekt, sondern auch gesellschaftliches Ausgeschlossensein und Illegitimitt bedeutet,17 findet er weitere Parallelen: die versuchte Verhinderung der Geburt oder Tçtung des Kindes, die beiden Sçhne, die nicht miteinander oder mit dem Vater kommunizieren (Polyneikes und Eteokles im Labdakiden-Mythos; Kypselos Enkel, die Sçhne des Periander, bei Herodot), Hinweise auf Inzest mit der Mutter (auch in Perianders z. T. außerherodoteisch belegter Vita). Er beschrnkt sich nicht auf das Sammeln der Gemeinsamkeiten, sondern zieht den Schluß, daß „in the Greek ,imagination the figure of the tyrant … adopts the features of the legendary hero, at once elect and cursed“ (1982, 32).18 Wichtig sind in der neueren Forschung zu mythischen Strukturen bei Herodot auch die Arbeiten von Deborah Boedeker. 2002 befaßt sie sich allgemein mit „Epic Heritage and Mythical Patterns in Herodotus“; letztere bezeichnet sie als „,historical stories that follow narrative patterns known from myths“ (110). Als Beispiele nennt auch sie die Aussetzungsgeschichte des Kyros, ferner die gçttlich-menschliche Zeugungsgeschichte des Demaratos. Sie postuliert eine Konvergenz von Historischem und Mythischem, die eine Orientierung an geschichtlichen Eckdaten nicht ausschließt. Einzeluntersuchungen zum Thema hat Boedeker bereits vorher vorgelegt. 1987 analysiert sie Herodots Darstellung des spartanischen Exilanten Demaratos im Detail und konstatiert dabei unter anderem eine Heroisierung der Figur durch mythische Muster – etwa durch den Subtext der idealen Einigkeit der in Sparta verehrten Tyndariden Kastor und Pollux, die durch den Streit der spartanischen Kçnige, denen je einer der Zwillinge zur Seite steht, durchbrochen wird, weiter durch die enge Beziehung der Mutter des Demaratos zur mythischen Helena und den Frauenraubgeschichten nach dem „Helen pattern“ (189), in die Mutter und Sohn verwickelt sind.19 Vor allem aber ist es die mçgliche Zeugung des Demaratos durch den Heros Astrabakos (6.63 – 70), die ihm – hnlich wie 17 Vgl. unten Anm. 484. 18 Vgl. bereits Vernant 1981. Gentili 1986 fhrt Vernants Deutung weiter, indem er weitere Parallelen aufdeckt und die besondere Natur des Tyrannen zustzlich herausstreicht; vgl. dazu die Untersuchung zur Erzhlung vom ausgesetzten Kind unten Kapitel V.2. 19 Vgl. Stadter 2004, 37.
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I. Einleitung
dies bei Herakles der Fall ist – „supernatural stature“ verleiht (190),20 wodurch der Untergang seiner Feinde Kleomenes und Leotychidas antizipiert und begrndet wird.21 Zwar wird das „potential for disaster“ nicht vçllig realisiert, da Griechenland auch nach der Beleidigung des ,Heros erfolgreich bleibt, aber durch das mythische Muster wird deutlich, wie gefhrlich die Situation fr die Griechen ist und wie wenig selbstverstndlich der Sieg. Des weiteren erweist Boedeker (1988b) ein mythisches Vorbild fr die Artay¨ktes-Erzhlung am Ende der Historien (7.33; 9.116 – 120). Anhand der Bestrafung des persischen Statthalters durch den Heros Protesilaos, dessen Heiligtum jener geschndet hatte, zeigt sie, wie die simultan berichtete athenische Einnahme von Sestos in eine mythische Tradition eingeordnet wird: gleichsam vermittelt durch die Figur des Protesilaos finden sich in Herodots Bericht ber die Belagerung von Sestos erstaunliche Parallelen zu mythischen Erzhlungen vom Kampf um Troia (1988b, 34). Die Geschichte scheint berdies noch weiter auf den troianischen Heros hin ,modelliert: Boedeker weist nach, daß die Schndungen des Heiligtums in direktem Zusammenhang mit der mythischen Biographie des Helden stehen.22 Artay¨ktes, so Boedeker weiter, wird von den Griechen genau dort gekreuzigt, wo Protesilaos starb, an der beraus symboltrchtigen bergangsstelle zwischen Asien und Europa: nicht zufllig rahmen die beiden Artay¨ktes-Stellen Xerxes Griechenlandfeldzug 20 Die Herakles-Parallele hat bereits Beachtung gefunden bei Aly 1921, 156 f. Vgl. auch Boedeker 2002, 111. Auch Burkert 1990 weist darauf hin, daß Demaratos durch die gçttliche Abstammung „zu Ungewçhnlichem bestimmt ist“ (90), vor seinem Triumph aber „Absetzung, Entehrung, Exil“ erdulden muß; er sieht in der Episode „in mythischer Form die Propaganda, die im Jahr 480 dem Demaratos vorausging und das Programm der Exilregierung andeutete“ (91). Ferner bringt er den ,gçttlichen Vater des Demaratos, Astrabakos, auch mit dem spartanischen Kult der Artemis Orthia in Verbindung, der initiatorische Funktion hatte und insofern der Selbstdefinierung diente: „Nur wer sein Blut der Orthia geopfert hat, kann Spartiate sein“ (90); umso bedeutsamer erscheint die Figur des Demaratos fr seine Heimat Sparta. 21 Vgl. Boedeker 1987, 190: „Apparently it is Herodotus view that injustice done to Demaratus is in the same category, at least in terms of requital, as wrong done to a god or hero.“ 22 Vgl. Boedeker 1988b, 37 – 40: Artay¨ktes plndert den Tempel des Protesilaos, der selbst nie zum Plndern gekommen ist; er betreibt Landwirtschaft da, wo der Heros wohl in seiner Eigenschaft als Patron einer „nonagricultural vegetation“ verehrt wird; er hat Geschlechtsverkehr im Heiligtum ausgerechnet desjenigen Helden, dessen tragisch endende junge Ehe zum bekanntesten Teil seiner Biographie gehçrt.
2. Bisherige Forschung
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(1988b, 41 – 45). Schließlich wird auch das Thema der gçttlichen Vergeltung berhrt, wobei der Statthalter stellvertretend fr Xerxes selbst steht.23 Das mythische Modell dient hier als Erklrung fr Mikro- und Makrostrukturen: wie der mythische Heros Protesilaos in der Einzelgeschichte an der zeitgençssischen Figur des Artay¨ktes handelt, so handeln die Griechen auf einer kollektiven mythischen Ebene an den Troianern, so wirkt auf einer kollektiven zeitgençssischen Ebene das dail|miom auf die persischen Aggressoren ein (48).24 Eine weitere Untersuchung widmet Boedeker (1993) Herodots Bericht ber die Gebeine des Orestes und deren Verbringung nach Sparta (1.66 – 68). Sie zeigt nicht nur auf, wie die Geste das spartanische Selbstbild als Erben der Pelopidenherrschaft beeinflußt, sondern auch, wie die Geschichte von der berfhrung der Gebeine wiederum Herodots Berichterstattung formt: in der erzhlerischen Tradition wird die Umbettung von Heroengebeinen meist als Ausweg aus einer Krise unternommen25 und ist als solcher auch erfolgreich. Also wird Spartas weiterer Erfolg, ein Sieg ber Tegea, im Kontext der Gebein-berfhrung berichtet. Dieser Sieg nun sah wohl kaum so vollstndig aus wie Herodot ihn (wenn auch vage) darstellt; das Berichtete aber ist durch die Erzhltradition berformt worden: „the requirements of the translation plot seem to have asserted themselves over the historical information at Herodotus disposal“ (172). William Hansen hat die Parallelen des lydischen Logos mit dem Grimmschen Mrchen des „Marienkinds“ und diversen verwandten Volkserzhlungen offengelegt (2002, 316 – 327). Die Analyse ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert. Zum einen handelt es sich bei dem Vergleichsparameter nicht um einen griechischen Mythos, sondern um eine international verbreitete Erzhlung, zum anderen entdeckt Hansen die Motive des Grimmschen Mrchens nicht in einer geschlossenen herodoteischen Mikroerzhlung, sondern bemerkt ihre Streuung ber den ganzen lydischen Logos: der erste Teil des Mrchens besteht darin, daß die junge Heldin im Palast ihrer mchtigen Herrin lebt, wo sie in einem Zimmer etwas zu sehen bekommt, was sie nicht sehen darf; hier besteht eine Parallele zu Herodots Geschichte des Gyges, der die Frau seines 23 Vgl. Boedeker 1988b, 47: „The logos of Artay¨ktes and Protesilaos exemplifies a delicate and I believe typically Herodotean metonymy, in which lesser characters act out more clearly the moral or cosmological paradigms which Herodotus is far more hesitant to draw for greater figures or historical movements.“ 24 Vgl. zu der Erzhlung auch unten Anm. 743. 25 Boedeker 1993, 171 nennt u. a. das prominente Beispiel des dipus, dessen Gebeine Athen vor einem thebanischen Angriff schtzen sollen (S. OC 616 – 623).
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Herren Kandaules nackt sieht. Spter wird das Mdchen stumm und verliert mehrere Kinder, worauf sie verbrannt werden soll, auf dem Scheiterhaufen aber ihre Sprache zurckerhlt und von ihrer mchtigen (gçttlichen) Herrin gerettet wird. Die Motive kehren wieder in der Geschichte des Kroisos, der einen stummen Sohn hat und den anderen verliert; auch Kroisos lßt sich wortlos auf den Scheiterhaufen fhren, wo er ,seine Sprache zurckerhlt und von Apollon gerettet wird (und auch der stumme Sohn erhlt seine Sprache zurck). Bei Herodot besteht keine so enge Verbindung der Motive wie im Mrchen – aber Hansen bemerkt zu Recht, daß die Kroisos-Geschichte in den Historien als Abschluß der Mermnadenherrschaft fungiert, die mit Gyges Thronbesteigung begonnen hat; daß die beiden Episoden also sehr wohl zu ein und derselben Erzhlung gehçren. Unlngst hat Philip Stadter den Herodoteischen Kroisos-Logos im Hinblick auf seine mythischen Elemente untersucht (2004, 38 – 42). Einzelne Teile der Vita des Adrastos, der wegen eines unabsichtlich begangenen Mordes aus seiner Heimat fliehen muß und dann ungewollt zum Mçrder am Sohn seines Schutzherrn und Reinigers Kroisos wird, erkennt Stadter auch in traditionellen Erzhlungen wieder: Patroklos flieht seine Heimat aus demselben Grund und wird ebenfalls „guardian to a Prince“ – im bertragenen Sinne ist auch er Ursache fr den Tod seines Schtzlings. Noch frappanter ist die hnlichkeit der Geschichte des Adrastos zum Schicksal des Peleus: nach der Tçtung seines Halbbruders flieht dieser nach Phthia und tçtet dort aus Versehen seinen Schwiegervater und Reiniger Eurytion.26 Wie sich im Zuge der vorliegenden Arbeit zeigen wird, werden in der Geschichte des Adrastos nicht nur mythisch-narrative, sondern auch rituelle Schemata wirksam. Die beiden Bereiche ,Mythos und ,Ritual, von deren Zusammenwirken unten in Kapitel I.4 weiter die Rede sein soll, sind hufig untrennbar miteinander verbunden. Einen solchen Fall demonstriert Christiane Sourvinou-Inwood (1991, 244 – 284) an Herodots Erzhlung von dem korinthischen Tyrannen Periander und seinem Sohn Lykophron (3.48; 3.50 – 53): der Herrscher, der die Bewohner von Kerkyra durch die Kastration ihrer Kinder fr den Mord an seinem Sohn bestraft, evoziere Minos, der von den Athenern fr den Tod seines Sohnes Androgeos Menschenopfer an den Minotaurus fordert; wie die LykophronErzhlung ist auch diese Geschichte Aition fr ein Fest. Die Konfliktsituation zwischen Vater und Sohn sieht Sourvinou-Inwood im Mythos von 26 Vgl. unten Kapitel V.3.1.
2. Bisherige Forschung
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Theseus und Hippolytos und in der Phoinix-Vita prfiguriert (wie in Herodots Erzhlung hat der Konflikt mit der Frau des Vaters zu tun, Phoinix geht wie Lykophron ins Exil, Periander bereut ebenso wie Theseus). Auch Sourvinou-Inwood zieht bezglich der von ihr untersuchten Episode die Schlußfolgerung, sie sei „a ,mythological text, the product of mythopoetic creation“ (1991, 261). Allerdings sieht sie die strukturierenden Elemente nicht ausschließlich in den parallelen mythischen Erzhlungen, sondern vor allem im Bereich des (initiatorischen) Ritus, wo das Phnomen der Nachfolge natrlich ebenfalls zentral ist. Sie beschreibt verschiedene Elemente initiatorischer Riten, die der Struktur der Erzhlung entsprechen, etwa das Einschließen der Kinder im Tempel („social exclusion“, „state of abnormality“), oder ihr Erhaschen der Opfergaben. Diese Initiationsmetaphorik weise auf das Scheitern der dynastischen Nachfolge und zeige damit das Ende der Regierungsform ,Tyrannis auf, „in the Greek mythological idiom“ (Sourvinou-Inwood 1991, 266).27 Auch Alan Griffiths konstatiert die Verflechtung mythischer und ritueller Schemata bei Herodot (1999), diesmal anhand der Erzhlung von „Euenius the Negligent Nightwatchman (Herodotus 9.92 – 6)“. Der Hirt schlft ein und verliert die Schafe seiner Stadt Apollonia an die Wçlfe. Von den Einwohnern wird er zur Strafe geblendet, vom Orakel jedoch rehabilitiert, weswegen er von der Stadt eine Entschdigung erhlt, dabei jedoch betrogen wird. An der Figur des Euenios spielt Griffiths verschiedene mythische und rituelle Parallelen durch: zum einen den geprellten und geblendeten Polyphem, zum anderen das bei Herodot 4.7 beschriebene skythische Kçnigsritual: wer beim jhrlichen Opferfest zu Ehren der heiligen goldenen Gegenstnde einschlft, dessen naher Tod gilt als gewiß; daher bekommt er noch ein großzgiges Geschenk in Form eines Landguts. Griffiths ist der Ansicht, daß Herodot die Geschichte durch die mythischen Allusionen markiert; und markierenswert ist sie, da sie als programmatische Parallele zur Arion-Geschichte (1.24) von Leid und Wiedergutmachung handelt. Beide Erzhlungen stehen berdies in der Nhe von Berichten ber die gçttliche Bestrafung von Kçnigen (Kandaules und seine
27 An Sourvinou-Inwoods Analyse verwundert, daß sie aus der Verwendung der mythisch-rituellen Struktur den Schluß zieht, die Geschichte kçnne keinerlei historischen Kern haben. Es liegt aber kein Grund vor, warum traditionelle Erzhlelemente eine Orientierung des Autors an historischen ,Eckdaten ausschließen sollen. Fr die Mçglichkeit eines ,historischen Kerns pldiert auch Boedeker 2002, 112 – 113.
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I. Einleitung
Frau, 1.7 – 14; Xerxes und seine Frauen, 9.108 – 113), gerade zu Anfang und am Ende des Werks. Die Prfung der Euenios-Geschichte auf rituelle Schemata hat Cristiano Grottanelli 1994 – 1995 und 2003 fortgefhrt, der den traumlosen, todeshnlichen Schlaf des Euenios (des ,Formbaren)28 im Sinne einer Initiierung in den Seherstatus deutet. Weiter ist Charles Chiassons Analyse mythischer und ritueller Elemente in Herodots Kleobis und Biton-Episode (1.31) zu nennen (2005). Er zieht zum einen die Parallelerzhlung von Trophonios und Agamedes heran, die von Apollon als Dank fr den Bau seines Heiligtums in Delphi dieselbe Belohnung erhalten wie Kleobis und Biton (Plu. Consolatio ad Apollonium, Mor. 109a). Ferner erkennt er das in der hexametrischen Dichtung verbreitete Motiv der Mutter, die fr Tod oder Sterblichkeit ihres Sohnes verantwortlich ist.29 Zum anderen weist er eine Gestaltung der Episode durch rituelle Paradigmen nach: Herodots Darstellung der jungen Mnner ist durch den Zusammenhang der Episode mit den mnnlichen Initiationsriten beim Fest der argivischen Hera geprgt. So fllt Herodots starke Betonung des Initiandenstatus von Kleobis und Biton ins Auge, dessen Ende durch das Weihen der Statuen markiert wird. „In important ways of which he is well aware“, so Chiassons Fazit, „the ,Father of History remains a descendant and disciple of myth“ (60).30 28 Eigentlich ,gut zu zgeln, vgl. Grottanelli 210 – 213 (er weist auf Plu. De genio Socratis, Mor. 592c hin, wo es heißt, daß das Geschlecht der Seher aus denjenigen daimones hervorgegangen sei, die von Anfang an gut zu zgeln waren und nicht erst ,gezhmt werden mußten). 29 Unter Verweis auf Burkert 1972, 162 – 164 (in der englischen bersetzung von 1983) und Seaford 1988, 108 und 123 zitiert Chiasson 2005, 42 zunchst Il. 24.58 – 61 (vgl. 22.79 – 89) – Hektor muß sterben, weil er im Gegensatz zu Achilleus von einer sterblichen Mutter gesugt wurde, aber auch Thetis „is consistently and pointedly associated in the Iliad with her sons imminent death“ –, dann h.Cer. 2.231 – 274: Metaneira verhindert, daß Demeter ihren Sohn Demophon durch Feuer unsterblich macht; bei Apollodor (1.5.1 = 1.29 – 32) fhrt sie gar seinen sofortigen Tod herbei. 30 Allerdings vermutet Chiasson keine Vermischung der historischen und mythischen Diskurse, sondern eine deutlich ahistorische Kategorisierung der Erzhlung durch Herodot, wobei er sich einerseits auf die distanzierende Phrase k]cetai fde b k|cor beruft, die der Geschichte vorausgeht (unter Verweis auf verschiedene Autoren, die sich mit Herodots „shift in the narrative mode from the historical to the mythical“ befassen, z. B. Griffiths 1999; Fowler 1996, 116; Stahl 1975; Lateiner 1977), zum anderen auf die Tatsache, daß nicht der Autor selbst spricht: „While the words are spoken by Solon, it is through Herodotus eyes that he discerns a fundamental historiographical distinction …, declining to vouch for the historical
3. Eine ,mythisch-rituelle Poetik der Geschichtsschreibung
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3. Weitere Ziele: eine ,mythisch-rituelle Poetik der Geschichtsschreibung Wie sich zeigt, besteht die bisherige Forschung zum Thema der mythischrituellen Erzhlmuster in Herodots Historien vorwiegend aus Untersuchungen einzelner Probleme. Eine vollstndige Erfassung der traditionellen Folien, die das Werk durchziehen, ist bedauerlicherweise kaum zu leisten. Zum einen ist die berlieferung traditioneller griechischer Erzhlungen wohl zu lckenhaft fr eine konsequente Analyse von deren Vorkommen in Herodots Werk, zum anderen ist bereits das vorhandene Material so reichhaltig, daß seine grndliche, kontextbezogene Auswertung den Rahmen einer Monographie in bedeutendem Maße berschreiten mßte. Dennoch sei im folgenden versucht, einige wichtige Paradigmen in Herodots Erzhlungen nachzuweisen – gesammelt unter den kategorialen Oberbegriffen von ,Frevel (Kapitel II), ,Wahnsinn (III), ,Trickstergeschichten (IV) und ,Rite de passage (V) und neuerlich oder auch zum ersten Mal auf ihre allgemeine, zeitgençssische Aussagerelevanz hin zu prfen. Bereits in den vorhandenen Einzeluntersuchungen zeigt sich, welch immense Bedeutung das Nachvollziehen eines zeitgençssischen mythisch-rituellen Assoziationskontexts fr das Verstndnis von Herodots Historien besitzt; durch die Evokation der Assoziationen, die ein Stoff bei Herodot und seinen mit Literatur und Mythos der Zeit gut vertrauten31
veracity of the story that follows. In the broader context of Solons speech to Croesus, this subtly eloquent introduction separates the ,mythological story of Cleobis and Biton from the more historically plausible biography of the Athenian citizen Tellos that precedes it“ (Chiasson 2005, 44). 31 Vgl. z. B. Raaflaub 1987, 233 (mit Stellenangaben und weiterfhrender Literatur in Anm. 32): „… at least for Athens, we know from tragedy and comedy and from explicit remarks by Thucydides that the authors expected alertness and sophistication on the part of their public. Athenian citizens were trained from early on to assess the arguments of political and legal rhetoric in assembly and lawcourts and to grasp a wide variety of poetic allusions and moral and political ,messages in the annual theatrical performances. They had learned to understand the contemporary relevance of mythical paradigms presented to them on stage and to recognize the importance of new variations of traditional myths introduced with specific intentions by the poets. To them it was not difficult but normal to extrapolate beyond what was explicitly said, to connect what they saw and heard with what they knew and were concerned about otherwise, and to draw their own conclusions. Herodotus, I suggest, could expect his listeners or readers to follow his stories with the same readiness to extrapolate, to grasp implications, and to
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I. Einleitung
Primrrezipienten ausgelçst hat, ist der Text in einer Weise lesbar, die seiner Entstehungszeit angemessen ist. In der folgenden Analyse der mythischen und rituellen Erzhlstrukturen in den Historien soll die Rekonstruktion des zeitgençssischen Assoziationsfeldes weiter verfolgt werden. Hierbei soll nicht erklrt werden, ,was Herodot versucht zu sagen, aber noch nicht recht dazu imstande ist, sondern das, was Autor und Rezipienten erlaubt, einander zu verstehen.32 Nicht Herodots Defizite sollen beseitigt werden, sondern die des modernen Lesers, der sich mit dem Abstand von Jahrtausenden und dem unaufhebbaren Eingebettetsein in eine weitgehend skularisierte Schriftkultur den Historien Herodots zu nhern sucht. Es soll also keine ,bersetzung eines antiken mythischen Systems in ein modernes ,logisches vorgenommen werden.33 Wie dies bei vergleichbaren Untersu-
understand the topical relevance of much of what he had to tell them. The historian therefore could consciously work with such expectations; I believe that much of Herodotus work was written with precisely this in mind.“ Vgl. ferner Munson 2001, 73 (zunchst zu Herodots expliziten mythischen Allusionen): „These rare visible stiches in a far broader analogical weave reveal the thought processes of the narrator and confirm a host of implicit analogical associations, horizontal and vertical, that the audience would have made elsewhere without prompting“ (vgl. ebenda, 66 – 73). – Allgemein ist hufig bemerkt worden, daß Herodot die interpretative ,Mitarbeit seiner Rezipienten in hohem Maße voraussetzt; vgl. u. a. bereits Bischoff 1932, 681, der in Herodots Erzhlungen fast immer einen „versteckten Sinn“ vermutet. Vgl. weiter Fornara 1971, 61 – 62: „Precisely as the audiences of Aeschylus and Sophocles were intended to form their conclusions without the explicit aid of the playwright, so does Herodotus demand or expect an involved audience participating in and judging what is evoked before them … But it is a contemporary audience, whose expectations he could predict, not some future generations with different expectations, for which he was writing.“ 32 Vgl. Hartog 1980, 324, „ce qui structure le rcit: ce qui permet au narrateur de le construire, mais aussi au destinataire de le ,lire, de calculer le sens des noncs ou encore les codes implicites qui lorganisent.“ 33 Daß Logos und Mythos keine wechselseitig einander ausschließenden Dichotomien sind, hat zuletzt Glenn Most gezeigt (1999): immer wieder ist versucht worden, den Mythos als defizitre oder im besten Falle poetisch verbrmte Form eines ,Logos zu lesen (der durch seine Unanfechtbarkeit selbst mythische Zge erhielt), von dem unabhngig ein Mythos keinerlei Geltung hatte. Most nennt dogmatische religiçse Anstze, den philosophischen Rationalismus etwa eines Plutarch (32; vgl. aber unten 327 – 329), allegorische Versuche (32 – 36), sowie sptere wissenschaftliche Bemhungen, die Systeme aufgrund sthetischer, ontologischer und anthropologischer Kriterien zu trennen (36). Erst im Zuge der Aufklrung, namentlich durch Heyne und spter bei Nietzsche erfhrt der Mythos
3. Eine ,mythisch-rituelle Poetik der Geschichtsschreibung
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chungen geschehen ist, soll auch hier betont sein, daß es nicht um eine ,alleinseligmachende finale Deutung von Herodots Werk geht; die Rekonstruktion einiger zeitgençssischer Assoziationsstrukturen auf Autorund Rezipientenseite in den Bereichen ,Mythos und ,Ritual soll lediglich einen Weg zur Erschließung des Texts bieten, neben dem viele andere ebenfalls denkbar sind.34 Dennoch spielen mythische und rituelle Elemente bei der Genese und Rezeption antiker Texte eine kaum zu berschtzende Rolle – und zwar bei nahezu allen Gattungen und bis in rçmische Zeit, wie dies in jngster Zeit etwa die Aufsatzsammlung von Bierl/Lmmle/Wesselmann 2007 erweist.35 Aus der Perspektive der skularisierten Neuzeit neigt der Leser generell zu sehr dazu, die alltgliche Prgung des antiken Rezipienten durch den religiçsen Bereich mit seinen zahlreichen Festen und Ritualen zu unterschtzen, wiewohl rituelle Anlsse aufgrund der hermetischeren Gesellschaften und dem Mangel an Alternativen viel grçßere Bedeutung hatten, als dies heute der Fall ist. In der Tat kçnnen Mythen und Rituale tatschlich textgenerierende Funktion haben; auch abgesehen von den Fllen, wo ein seine definitive Aufwertung (36 – 44), die aber von der Klassischen Philologie selbst nicht absorbiert wird (44 – 47). 34 Vgl. Bowie 1993, der seine Einfhrung zu einer mythisch-rituellen Lesart der Aristophanes-Komçdien mit dem Beispiel von Beethovens Fidelio beginnt, einer Oper, die deutlich christliche Symbolik aufweist, deswegen aber nicht als rein christliches Werk gelesen werden kann: „this Christian reading of the opera is not here presented as ,the meaning of the opera, but rather as one way of understanding it in terms comprehensible and significant at the time it was written“ (2). Bowie betont, er wolle nicht eine Bedeutung finden, sondern „structures of thought“: „What this sort of analysis is doing in essence is trying to map out the ,grammar of Greek culture. Just as the grammarian may seek in the myriad sentences of a language the underlying rules and structures, so the analysis works out the different ways the culture represents the world and tries to discern the underlying patterns, their varieties and their meanings. Stories, such as those for instance of young men engaged on rites of passage, which may appear to be very different on the surface, can often be shown to be conveying very similar messages at a deeper level, and the elements that make up the stories may also be found to be repeated in works of art and initiation rituals. Similar patterns may then be detected in comparable rites such as those for initiation in mystery cults, for instance. The fact that the pattern is found in different cultural activities lends some support to the idea that it represents a way of thinking, or a piece of the mental furniture of the culture. Once the pattern is established, one can return to the indiviual examples of it and see how they also differ in significant ways“ (3 f.). 35 Vgl. zur Problematik aus forschungsgeschichtlicher Sicht auch Bierl 2007b; speziell zu Herodot auch Wesselmann 2007. Zum Verhltnis von Literatur, Ritual und Mythos vgl. allgemein Braungart 1996, bes. 139 – 254.
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I. Einleitung
Ritual tatschlich im Nachspielen eines Mythos besteht oder umgekehrt ein Mythos das Aition eines Rituals liefert, kann ein mythisch-ritueller Diskurs auch auf andere Bereiche als den religiçsen bertragen werden. Auch ein ritueller Ablauf kann eine Basis darstellen, „auf die der Dichter seine eigene Handlung in aristotelischer Terminologie (z. B. Arist. Po. 1450a4 – 5) als lOhor (mythos) ablegen kann“ (Bierl 2007b, 13). Dies ist etwa am Beispiel des griechischen Dramas erarbeitet worden:36 whrend die Tragçdie als (Mythen-)Erzhlung in rituellem Rahmen gelesen werden kann, erscheint die Komçdie als ihr Spiegelbild, die rituelle Auffhrung entlang einer frei erfundenen Erzhlung.37 Auch ein rituelles Schema kann eine Geschichte generieren, indem es grob einen erzhlerischen Ablauf vorgibt.38 Eine der ersten – und umstrittensten – dahingehenden Interpretationen ist Vidal-Naquets Deutung des sophokleischen Philoktet als Initiationsdrama.39 Aber auch die antike Geschichtsdarstellung speist sich aus einer stark durch Mythos und Ritual geprgten Erzhltradition. Die Analyse dieser Prgung ergibt wichtige Aufschlsse zur Funktion der traditionellen Strukturen in dem neuen Genre. Sie wird sich im Zuge der einzelnen Untersuchungen herauskristallisieren; jedoch sollen in den Einzelkapiteln weniger die allgemeinen Hintergrnde und Auswirkungen von Herodots Traditionalitt beleuchtet werden als vielmehr die Effekte, die das Mitdenken mythisch-ritueller Folien auf die jeweilige Rezeption der konkret vorliegenden Passage hat. Die allgemeineren Erkenntnisse werden in den einzelnen Untersuchungen zwar formuliert, eine theoretisch fundierte Zusammenschau ist jedoch erst dann sinnvoll, wenn der Leser aus den Beispieluntersuchungen einen reprsentativen Eindruck der Herodotschen ,Mythhistorie gewonnen hat; sie soll folglich im Schlußteil unternommen sein (Kapitel VI). 36 Vgl. Bierl 2007b mit einem ausfhrlichen Forschungsberblick. 37 Vgl. Bowie 1993 (und oben Anm. 34); Bierl 2001; ferner Auffarth 2007. 38 Vgl. z. B. Versnel 1990b, bes. 44 – 59, Dowden 1999 und Bierl 2007b (und 2007c mit einer konkreten Analyse des griechischen Romans) zur Generierung von Literatur aus dem rituellen Paradigma der Initiation; zur Problematik der allzu schematischen rituellen Deutung literarischer Texte vgl. (ebenfalls zum Beispiel der Initiation) Versnel 1990b, 50 – 59; Graf 2003; zu der Diskussion vgl. Bierl 2007b, 23 – 25; ferner unten Kapitel V.1. 39 Zu der Kritik, die sich weniger gegen Vidal-Naquet wendet als vielmehr generell gegen die Anwendung des Initiationsschemas als eines heuristischen Instruments bei der Interpretation literarischer Texte, vgl. die vorhergehende Anmerkung; ferner unten Anm. 473; 480 f.
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Dort wird zunchst (VI.1) auf einer allgemeineren Ebene davon zu sprechen sein, inwieweit die mythischen Folien die Rezeption der historischen Geschehnisse beeinflussen – Stichworte sind hierbei die Strukturierung der Informationsmassen, die Semantisierung an sich belangloser faktischer Daten, schließlich die Validierung dieser Daten durch ihre Analogisierung mit Ritual und Mythos, die sie ihrer Zuflligkeit enthebt und ihnen berzeitliche Bedeutung verleiht. Einige berlegungen mssen weiter auch der Problematik der modernen Rezeption der Historien gewidmet werden (VI.2). Hier soll es zunchst um die bei der Herodot-Lektre hufig auftretende Frustration des modernen Lesers gehen, was seine Ansprche an Logik und Stringenz angeht: im Verlauf der Untersuchung werden wir verschiedentlich auf den Fall stoßen, daß Herodot gewisse Erzhlungen zunchst als unwahr bezeichnet, dann jedoch ausfhrlich ihre Wahrscheinlichkeit diskutiert, etwa im Falle einer Variante von Kroisos Halys-berquerung (1.75; vgl. unten II.2.3). hnlich ,unlogisch erscheint das Nebeneinander von allerlei physischen und religiçsen Ursachen bei den beiden Wahnsinnigen, die uns in Kapitel III beschftigen sollen, Kambyses und Kleomenes. Solche Vereinigungen inkompatibler Versionen erscheinen im Zuge der Untersuchung nicht als Defizite, sondern als erzhlstrategische Notwendigkeit, da erst die Zusammenschau der Versionen der jeweiligen Situation oder Figur die nçtige ,Tiefenschrfe verleiht. Anhand weiterer Beispiele soll dieses fr den heutigen Rezipienten sehr fremde Phnomen noch nher beleuchtet werden; zudem erweist der Vergleich mit hnlichen Verfahrensweisen Homers hier eine weitere Dimension von Herodots Traditionalitt. Dieser Versuch einer Dekodierung der speziell herodoteischen Erzhllogik fhrt weiter auf die verbreiterte Fragestellung nach dem Spannungsfeld von Faktizitt und Fiktion – denn ganz offensichtlich ist die Bedeutungsebene des Dargestellten Herodot wichtiger als seine faktische Unanfechtbarkeit. Dieses Dilemma zwischen objektiver und subjektiv deutender Darstellung des Geschehenen soll in den Kontext antiker und moderner Fiktionalittstheorie gesetzt werden, unter Bercksichtigung der fortwirkenden Oralitt aller griechischen Literatur, die noch lange nach der Verschriftlichung der Texte Auswirkungen auch auf deren Realittsverstndnis hat. Damit erweist sich die Problematik als etwas von außen an die Historien Herangetragenes, reprsentativ fr ein Fiktionalittsverstndnis, das zwar nicht ausschließlich modern ist – Aristoteles Scheidung zwischen Fakten und Fiktion ist wesentlich rigider als diejenige
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I. Einleitung
der postmodernen Geschichtsforschung –, das aber Herodots Text in keiner Weise gerecht wird. Am Ende soll das Phnomen einer ,mythisch-rituellen Poetik aufgenommen und anhand der Erkenntnisse aus der Textanalyse neu beleuchtet werden (VI.3). Hier geht es letztlich um die Frage nach einem interdiskursiven Bereich zwischen traditionellem Erzhlen einerseits und der neuartigen Gattung der Geschichtsschreibung andererseits, nach gleichen Ausdrucksformen, Mustern und Motiven.40 Anton Bierl charakterisiert diese mythisch-rituelle Poetik wie folgt: Allerdings sind [die mythisch-rituellen Elemente] nie starres, immergleiches kulturelles Material, vielmehr zeichnen sich diese Diskurse durch permanente Anpassungs- und Wandlungsfhigkeit aus. Aufgrund ihres sozialen Energiepotentials stehen Mythen und Riten stndig im Austausch mit allen anderen Diskursen; sie nehmen parasitr daran teil, bernehmen Inhalte und Formen in hybrider Weise; schließlich kreieren sie Neues. Vor allem schçpfen sie gemeinsam aus kulturell grundlegenden Bildvorstellungen, die mittels Verschiebung, Kombination und Wiederholung sich in einem Geflecht von ,Texten immer weiter fortentwickeln. Im bergang zur Schriftlichkeit werden aus solchen kulturellen Geweben schließlich Texte. Die markierte Sprechweise von Mythos und Ritual geht direkt ber in Literatur. Und selbst jetzt sind die zentralen Themen, die Gçtter- und Heroengeschichten, nicht einfach totes Gut, das weitergetragen wird, sondern sie werden im intertextuellen Verweisspiel fr stets neue Situationen funktionalisiert. Ein Autor oder Dichter schreibt weiterhin auf der Basis einer rituell-mythischen Poetik, sein Werk wird zur Mythopoesie. (2007b, 52)
Eine mythisch-rituelle Poetik befaßt sich also mit der Art und Weise, wie Mythen und Rituale oder mythische und rituelle Strukturen, die anderen Bereichen menschlicher Erfahrung und ußerung eingeschrieben sind, mit der Genese, der ußerung und Vernderung verschiedener kultureller und soziopolitischer Diskurse interagieren und sich auf diese auswirken – wie dies Dimitrios Yatromanolakis und Panagiotis Roilos fr eine rituelle 40 Vgl. die Definition von „ritual poetics“ bei Yatromanolakis/Roilos 2003, 36 f. = 2004b, 24 f.: „The pervasiveness of ritual poetics, we argue, is not confined to specific unidirectional influences – how a particular ritual is re-interpreted in a particular ,text of aesthetic/cultural expression or social action, or vice versa. These one-way relations are of great, but not of definitive, importance for mapping out ritual poetics in a particular sociocultural context. Intrinsic to ritual poetics are mechanisms of mutual, and more often than not, homologically defined, assimilations of modes of expression on a deep level rather than on the surface. The semiological webs with which ritual poetics work presuppose an interweaving of homological patterns, modes, and tropes of expression … Ritual poetics, in other words, is defined in terms of interdiscursivity.“
3. Eine ,mythisch-rituelle Poetik der Geschichtsschreibung
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Poetik postuliert haben.41 Letztlich muß das Bewußtsein fr diese Interaktion der Diskurse auf die soziale Semantik eines Clifford Geertz zurckgefhrt werden, der immer wieder auf die Untrennbarkeit von kontextgebundener Darstellung und Inhalt hingewiesen und damit in der neueren Forschung ein Bewußtsein fr die enorme Bedeutung des kulturellen Gesamtkontexts, einer kulturellen Poetik geschaffen hat.42 Herodots Verwendung mythisch-ritueller Strukturen ist insofern Teil einer solch allgemein ,kulturellen Poetik, als von einer bewußten Aufnahme einer konkreten, isolierten mythischen Folie niemals die Rede sein kann. Stattdessen haben wir es immer mit der Komplexitt eines gesamten kulturellen Referenzrahmens zu tun, wo eine Assoziationsebene immer neue generiert: so kann etwa eine mythische Erzhlung auf ein entsprechendes Ritual verweisen, dieses wiederum auf eine bestimmte Lebenssituation, mit der dann irgendeine Figur konnotiert sein mag, und so fort. Dies soll natrlich nicht heißen, daß im folgenden jeweils alle mçglichen mythisch-rituellen und womçglich auch alle sonstwie gearteten Assoziationsebenen bercksichtigt sind – ein solcher Anspruch wre offensichtlich utopisch. Dennoch kann eine einzelne mythisch-rituelle Allusion auf verschiedene kulturelle Bereiche fhren, die wiederum als Zusatzebenen funktionieren. Ein Beispiel ist etwa die in Kapitel V.4.1 behandelte Struktur des ,Atreusmahls. Sie verweist klar auf den Bereich der Initiation, aber auch auf die Thematik des Opfers, die zunchst nicht viel miteinander zu tun zu haben scheinen und doch zusammenfließen in der Erzhlung vom Schlachten und Essen eines Kindes, das anschließend neu geboren wird.43 41 Vgl. Yatromanolakis/Roilos 2003, 40 = 2007b, 28: „Ritual poetics … concerns itself with … the ways in which rituals or ritual textures as inscribed within other frames of human experience and expression interact with and act upon the formation, expression, and manipulation of diverse cultural and sociopolitical discourses.“ 42 Zentral Geertz 1973a und b. Der Begriff „cultural poetics“ scheint zuerst von Stephen Greenblatt geprgt (1980). Inzwischen hat der Ansatz eine breite Rezeption erfahren; so sieht auch Jan Assmann die „kollektive Identitt“ einer Gruppe durch die „Teilhabe an einem gemeinsamen Wissen und einem gemeinsamen Gedchtnis“ konstituiert, durch „die Verwendung eines gemeinsamen Symbolsystems“ (auch bei der Generierung literarischer Texte) als Ergebnis „kultureller Formation“ (1992, 139). 43 Vgl. Griffiths 1999, 172 zu seiner Interpretation der Euenios-Geschichte Hdt. 9.92 – 96 (vgl. oben 13 f.): „Of course, if I had a simple, monolithic explanation of this story – that it was a reflex of solar symbolism, or of castration anxiety, let us say – it would be easy to deal with it in a few pages. Since however I regard all such material as intrinsically slippery, overdetermined, irreducible to any singular
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I. Einleitung
Diese Bereiche tragen jeweils ihre eigenen Verweissysteme in sich und bedeuten immer neue Assoziationsebenen fr die Geschichte, die Herodot erzhlt. Diese Vielseitigkeit der Kontextualisierungsmçglichkeiten muß nicht a priori verwirren, ist doch das Ineinandergreifen und die beliebige Kombinierbarkeit verschiedener Referenzsysteme in jeder Form von Kunst und Literatur allgegenwrtige Realitt, ebenso auch in der Moderne: Tim Burton arbeitet in seinem Animationsfilm „Corps Bride“ konsequent mit der komischen Verwebung von Hochzeits- und Todesthematik; Lars von Trier vermengt in seinem „Antichrist“ das moderne Ritual therapeutischer ,Trauerarbeit mit mittelalterlichen Vorstellungen von Satanskult. Jedes dieser Einzelparadigmen ist mit unendlichen kulturellen Konnotationen versehen; in Kombination ergeben sich neue Assoziationsebenen, ohne daß der Rezipient damit berfordert wre. Hier wird der Mythos in einer sehr ursprnglichen Weise wirksam: nicht als irgendeine bestimmte Erzhlung, sondern als Auslçser verschiedener Reaktionen, als von seinem Publikum vollkommen abhngige Ausdrucksform.44 Es muß an dieser Stelle also auch davor gewarnt werden, die Kapiteleinteilung der vorliegenden Arbeit fr zwingend verbindlich zu nehmen. Die Struktur des ,Atreusmahls ist unter ,Initiation subsumiert worden, weil es passend erschien, sie den anderen Erzhlungen beizuordnen, die von jungen Menschen handeln und eine Art von Neuordnung zum Thema haben. Andererseits findet sich das Thema der Initiation auch im Kontext des Wahnsinns (Kapitel III.1.4), und hier wiederum schien das Belassen im Komplex der lam_a-Geschichten sinnvoller. Die Einteilung meiner Analysen folgt praktischen Erwgungen; in der traditionellen Erzhlung sind die verschiedenen Paradigmen flexibel und frei kombinierbar. Jedes rituelle Paradigma, jede mythische Erzhlung und damit auch jedes damit assoziierte geschichtliche Ereignis besteht aus einer Vielzahl formula, all I can do is provide a brief sketch concentrating on some of the most important allotropes of Herodotus little story.“ 44 Vgl. Alexious Beispiel einer Rezitation in einem griechischen Caf der 1960er Jahre: „not a spectacular performance, but it triggered a flood of stories and recollections among fellow villagers about the Turkish occupation, the German occupation, and the civil war, in the course of which heroic feats and tales of endurance were recounted. The text as recorded cannot be defined as myth; yet the performance resonated with past myths and generated the response necessary for the creation of new ones“ (2002, 154).
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assoziativer Netze, deren Komplexitt in einer breiter angelegten Untersuchung deutlicher werden kann, als dies bisher der Fall war.
4. Das Mythische und das Rituelle Was in der hier verfolgten Fragestellung mit einer mythischen oder rituellen Struktur oder Folie gemeint ist, drfte aus dem Vorausgegangenen bereits deutlich geworden sein: Herodots historiographische Erzhlungen erscheinen nach traditionellen Mustern geformt. Bevor dieses Thema jedoch weiter vertieft werden soll, ist es wohl angebracht zu klren, wie der schwierige Begriff des Mythischen hier verwendet wird, des weiteren, welche Rolle das Rituelle innerhalb der hier untersuchten narrativen Muster spielt. Obwohl der Begriff ,Mythos sowohl in der Antike als auch in der Neuzeit ubiquitr verwendet wird, wird doch ganz Unterschiedliches damit bezeichnet.45 Den folgenden Ausfhrungen soll zunchst die denkbar rudimentrste Definition von ,Mythos zugrundeliegen, die lediglich zwei absolut grundlegende Merkmale voraussetzt: es handelt sich um eine Erzhlung, und zwar um eine traditionelle Erzhlung. 46 Die erste Definition fhrt Walter Burkert aus, wenn er festhlt, daß eine Erzhlung ein „phenomenon of language“ sei, „and not some special creation analogous to and outside of normal language“. Was die Tradi45 Auch die expliziten Definitionen weichen bisweilen stark voneinander ab. Zur Problematik des antiken und modernen Mythosbegriffs vgl. z. B. Cancik 1970; Calame 1996; 1999; Nagy 1996a, 113 – 146; Boedeker 2002, 109; Meier 2004, 31 – 32 und Anm. 31 mit weiterfhrender Literatur. Erhellend ist Alexious Kurzbersicht ber die wichtigsten neuzeitlichen Mythentheorien (2002, 8 – 16); sie kommt zu dem Schluß, daß es keine „single theoretical or ideological perspective on language, myth, and metaphor“ geben kann, „only a diversity and a plurality of texts and interpretations“ (2002, 16; vgl. auch ebenda, 152 – 155). Zum Begriffskomplex Mythos-Metapher-Ritual-Literatur vgl. auch Bierl 2007c, bes. 240 f.; 242 – 244; 246 – 249; 298 f. 46 Vgl. Burkert 1972, 41 (hnlich 1979, 56 – 58; vgl. insgesamt 1 – 34); vgl. unten Anm. 921 zu seiner weitergehenden Definition. Vgl. ferner Graf 1985, 7 – 14, bes. 7. – Eine Aufspaltung in Mrchen, Sage, folktale etc., wie sie in den Neuphilologien stets vorgenommen wird, ist fr die antike Literatur nicht sinnvoll, da ,mythische Motive und ,Mrchenmotive nur durch ihr spteres Vorkommen in den Gattungen ,Mrchen oder ,Mythos unterscheidbar sind; vgl. z. B. Murray 1987, 23 f.; Huys 1995, 52 – 54, Calame 1996, 4 – 8. Alexiou 2002, 163 faßt zusammen: „Myth passes easily from one tale and genre to another and can always be retold from a different perspective.“
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I. Einleitung
tionalitt dieser Erzhlung angeht, so weist Burkert besonders auf die Bedeutungslosigkeit von Ursprung und Autor hin – nicht die Erfindung, sondern die Wiederaufnahme einer Geschichte als „means of communication in subsequent generations, usually with some distortions and reelaborations“ mache ihre Traditionalitt aus, ohne daß ihr dabei eine grundstzliche Identitt abhanden komme (1979, 2). Die im folgenden untersuchten Mythen mssen also als Teilmenge von einer Gesamtheit ,traditioneller Erzhlungen unterschieden werden, wie sie etwa in Maurizio Giangiulios Sammelband zu den „tradizione storiche“ in Herodots Historien untersucht werden (2005a): die Autorlosigkeit des Mythos, die dann etwas vage Begriffe47 wie ,Volksmrchen oder ,folktale konstituiert, kennzeichnet nur einen Teil der unendlich reichen, hufig mndlich berlieferten Traditionen, die Herodot verwendet; um diesen Teil soll es hier gehen, und ausdrcklich nicht um andere Erzhltraditionen, wie sie etwa in Form nachvollziehbarer literarischer oder lokaler Erfindungen auftreten. Die mythische Tradition stellt innerhalb der antiken Gesellschaft eine narrative Institution dar, die nicht zu trennen ist vom Kontext der Religion mit ihrer Ausdrucksform des Rituals – hier verstanden als eine sich nach fixen Regeln perpetuierende Handlung, die hufig im Bereich des Religiçsen stattfindet oder demonstrative Funktion besitzt.48 Da mythische und rituelle Diskurse fortwhrend miteinander in Verbindung stehen und ineinander verschrnkt sind, wre es verfehlt, eine traditionelle Erzhlung aus dem einen oder anderen Bezugsfeld herauszulçsen.49 Oft mag eine 47 Vgl. die vorhergehende Anm. 48 Burkert 1979, 57 bezeichnet das Ritual als „stereotyped action redirected for demonstration“; vgl. 35 – 58; vgl. bereits 1977, 32. Vgl. außerdem mit eingehenden Erluterungen und begrifflicher Einordnung Braungart 1996, 41 – 118 (davon 67 – 73 speziell zur Beziehung des Rituals zum Mythos); ferner Yatromanolakis/Roilos 2003; 2004b (die auch quivalente Termini im Griechischen anfhren; 2003, 13 – 21 = 2007b, 5 – 12). Alexiou 2002 passim (konzentriert 317 – 348) dehnt den Begriff sehr weit auf eine bestimmte Art von Kommunikationsform aus; ihre Definition ist fr die folgende Untersuchung nicht praktikabel; es wird jedoch unten 338 f. noch genauer darauf einzugehen sein. 49 Vgl. Calames Postulat der Untrennbarkeit einer mythischen Erzhlung von ihrer rituellen Ausdrucksform; deutlich z. B. 2006c, 530: „Impossible donc de distinguer, comme on le fait encore volontiers la suite de lvolutionnisme idaliste dErnst Cassirer, entre mythe et langage: ce que lon a abstrait dans la pense anthropologique moderne comme mythe nexiste que dans des formes de discours que leur dimension pragmatique fait correspondre des pratiques religieuses sinscrivant dans la vie sociale de la communaut et, en Grce classique, dans la vie
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zugrundeliegende mythische Folie augenflliger sein als die rituelle Assoziation – so wird in den unten in Kapitel III geschilderten lam_a-Episoden der Historien jeder Rezipient Parallelen zu den tragischen Fllen von Wahnsinn entdecken; hingegen ist der motivische Bezug des ,Selbstmords im Wahnsinn zum Paradigma der Initiation50 weniger offensichtlich erkennbar: die Zerstckelung des rasenden Kleomenes steht der Zerstckelung eines rasenden Pentheus oder Dionysos nher als der bloß symbolischen Vorstellung des Todes eines Initianden im Mysterienkult. Dies rhrt aber wohl einfach von dem Umstand, daß die narrative Form, in der Mythos und Historiographie gefaßt sind, expliziter sein kann als das ausagierte Ritual, das Undurchfhrbares bereits auf eine symbolische Ebene bertrgt: das Ereignis menschlichen Sterbens kann in der Erzhlung ohne weiteres vorkommen, whrend es in einem tatschlich vollzogenen Ritual zumindest in der griechischen Realitt keinen Platz hat.51 Dennoch weist auch das narrative Medium Implikationen der rituell-symbolischen Ebene einer Struktur auf, wie ja auch der Sparagmos des Pentheus oder Dionysos als Symbol einer Initiation gelesen werden kann (vgl. unten 129 f.). In diesem Fall kann von einer ,mythisch-rituellen Struktur gesprochen werden, die auf beide Bereiche verweist, auf das Mythische und das Rituelle. politique de la cit.“ Ebenso untrennbar ist der Inhalt der Erzhlung von den Regeln des poetischen Genres; vgl. ebenda, 550. 50 Vgl. unten Kapitel V.1 zum Initiationsparadigma und der Kritik an seiner Anwendung als eines heuristischen Instruments bei der Interpretation literarischer Texte. 51 Vgl. Bremmer 1984, 272 f., der zahlreiche Beispiele fr diese Differenz zwischen Mythos und kultischer Realitt aufzhlt, u. a. zwischen dem mythischen Selbstmord der Arrhephoren und dem zugehçrigen Ritus, der lediglich aus dem Durchqueren eines Tunnels bestand (Verweis auf Burkert 1966 und 1972, 169 – 173; vgl. unten 223 f.), oder zwischen dem Ritual des transvestitischen Verkleidens von Initianden und etwa dem Leukippos-Mythos, wo eine tatschliche Geschlechtsumwandlung stattfindet (Verweis auf Burkert 1979, 29 und Nikitas 1981). Bremmer fhrt dies folgendermaßen aus: „First, myth can represent symbolic acts as reality: whereas ritual has to dress boys as girls, myth can actually change them into girls (Leukippos). Thus myth can realize the intention of ritual at a higher level than ritual itself. Second, myth can contain the comments of society on ritual: by representing the maenads leaving of the home as a tearing apart of their children, myth expresses male horror at this act … Third, myth represents the ideal reality and can never fail, whereas ritual is fallible … Finally, a general observation. Whereas ritual can often manipulate people over a certain length of time, myth has to be effective the moment it is communicated. It therefore often needs exaggeration to drive home the point it wants to make“ (273). Vgl. ferner Bierl 1991b, 17 f. mit weiterer Literatur.
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An dieser Stelle kann nicht diskutiert werden, ob Mythos oder Ritual zuerst existiert haben, wie sie entstanden sind oder wie sie sich generell zueinander verhalten.52 Wichtig ist in unserem Kontext vor allem, auf welche Weise Herodots Erzhlungen durch die beiden Kommunikationsformen strukturiert werden. Zunchst erweist sich die Funktionsweise mythischer und ritueller Strukturen als erstaunlich hnlich. Sowohl die mythische Erzhlung als auch die rituelle Handlung stellen linguistische Systeme aus kleinen, verschiebbaren Teilen dar: Funktionen, Motifeme, „programs of action“ nach den Terminologien von Propp 1928, Dundes 1964 und Burkert 1979; im folgenden werden die Begriffe „Handlungselement“, „Motiv“ oder „Funktion“ synonym verwendet. Diese Einzelteile besitzen durch ihre jeweiligen kulturellen Konnotationen (die in der vorliegenden Arbeit fr einige Beispiele rekonstruiert werden sollen) hohen symbolischen Gehalt und ein schier unerschçpfliches assoziatives Potential.53 Die Kleinteiligkeit der Form rckt den rituellen Ablauf und die mythische Erzhlung in die Nhe der Literatur, besonders der mndlichen54 – so kann es nicht berraschen, daß Mythos und Ritual auch literarische Texte konstituieren kçnnen (vgl. oben 17 f.). 52 Hierzu sei auf die umfassenden berblicksdarstellungen von Versnel 1990b und Bierl 2007b verwiesen sowie auf die grundlegende theoretische Reflexion bei Calame 1990, 15 – 68. 53 Vgl. Calame 1990, der beide Systeme als Texte mit jeweils spezifischen Zeichensystemen versteht, die ber einen „processus symbolique“ (zuerst 29) als Ausdrucksmedium gesellschaftlicher Gegebenheiten und Ideologie fungieren; ihm folgen Yatromanolakis/Roilos 2003, 32 = 2004b, 21: „If poetry can be perceived in terms … of aesthetic manipulation of common linguistic elements on the basis of parallelism, opposition, and divergence from the semantic and syntactical conventions of everyday use of language, the same holds true … for ritual. Ritual does not create semantic wholes out of nothing; it draws on common, everyday, or often traditionally defined, experiential elements and, by inscribing them into its demarcated performative frame, invests them with particular communicative value.“ Vgl. auch Bierl 2007b, bes. 14 f. zu Mythos und Ritual als narrativer Anordnung von Metaphern sowie Bierl 2007c zur Decodierung solcher Metaphern,cluster am Beispiel des griechischen Romans. 54 Vgl. Yatromanolakis/Roilos 2003, 30 – 32 = 2004b, 19 – 21, welche die Mehrteiligkeit des Rituals mit der Generierung oraler Literatur durch Formelverse vergleichen. Einen berblick ber die oral poetry-Forschung und die Implikationen der Mndlichkeit fr die Genese des homerischen Epos bieten z. B. Latacz 1979; 2000b; Boedeker 1998a (mit Ausblick auf die jngere und noch zu leistende Forschung); Thomas 1992, 29 – 51; Bierl 2011. Zur mndlichen Qualitt der Historien vgl. jngst den Sammelband von Giangiulio 2005a.
4. Das Mythische und das Rituelle
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Die den Historien zugrundeliegenden mythischen Erzhlungen sind nicht nur mit mythischen, sondern bisweilen auch mit rituellen Paradigmen eng verbunden – dies ist etwa der Fall bei dem unten in Kapitel III behandelten Paradigma der lam_a, aber auch im thematischen Komplex der Initiation.55 Zwar geht Herodot vor allem von einer narrativen Tradition aus; die traditionellen Erzhlungen, die er verwendet, besitzen jedoch hufig auch rituelle Dimensionen, auf die sie fr den zeitgençssischen Rezipienten aufgrund der alltglichen Prsenz des Rituellen zweifellos verweisen. Im ersten hier behandelten Komplex von Erzhlungen, den Berichten ber die Freveltaten der persischen Kçnige, werden vor allem mythische Assoziationen wirksam, aber schon im Folgekapitel, der Untersuchung herodoteischer Wahnsinnsschilderung, spielen rituelle und mythische Bezge ineinander: die mythische lam_a, die der mythische Dionysos seinen Feinden sendet, ist nicht trennbar vom Phnomen der kultischen Ekstase bei der Verehrung des Gottes. Der gottgesandte Wahn bei Herodot folgt, so wird sich zeigen, denselben Gesetzen wie die griechischen Vorstellungen von kultischer und mythischer lam_a. Weniger eine Verschmelzung von Ritual und Mythos, sondern ein Zusammenhang traditioneller ,Schelmengeschichten, die im Kontext der Historien neue Wirkungsweisen entfalten, mit der Figur des ,Tricksters im anthropologischen Sinne soll in Kapitel IV an den herodoteischen ,Tricksterfiguren aufgezeigt werden. Im letzten, „Rite de passage“ betitelten Kapitel, wo es um initiatorisch geprgte Erlebnisse junger Helden geht, zeigt sich schließlich eine Dominanz des rituellen Schemas, das seinerseits Erzhlungen formt. Nach Burkert verhlt sich der Mythos zum Ritual wie die Handlung zum Wort: indem die rituellen Gesten im Mythos zu einer Erzhlung verdichtet werden, „wird das Als-Ob des Ritus zur mythischen Wirklichkeit, wie umgekehrt der Ritus dem tradierten Mythos seinen Wirklichkeitsgehalt besttigt“ (Burkert 1972, 44). Die mythische Erzhlung liefert dem Ritual einen Kontext, einen ,Sinn, whrend das Ritual dem Mythos durch seine gesellschaftliche Verankerung Stabilitt und Seriositt verleiht.56 Wie sich zeigen wird, funktioniert das Verhltnis der mythisch-rituellen Struktur zu Herodots Text hnlich: auch der Text der Historien stellt eine ,Als-Ob-Aktivitt dar, indem er die historische Realitt abbildet. Die mythischen und rituellen Allusionen verleihen der Erzhlung Sinn – 55 Vgl. bes. unten Kapitel V. 56 Vgl. Burkert 1979, 57.
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whrend die referierten Realien ihrerseits wieder die Tradition untermauern. Verwendet Herodot also eine mythische Struktur mit rituellen Konnotationen, so sind nicht nur die Bezge zur narrativen Ebene, sondern auch die zur kultischen miteinzubeziehen, da diese fr Autor wie Rezipienten gleichermaßen prsent und „with marked semantic connotations“ versehen ist (Yatromanolakis/Roilos 2004b, 18). Hier erweist sich schließlich die faszinierende Uferlosigkeit einer Rekonstruktion des zeitgençssischen Assoziationsfelds: die mythische Struktur existiert gewçhnlich in vielen verschiedenen Ausformungen, und diese verweisen wiederum auf diverse rituelle Ebenen, die ihrerseits neue Assoziationsfelder erçffnen.
5. Vorgehensweise 5.1 Zur Methode des Strukturvergleichs Die Frage, worin die Identitt einer rituellen oder mythischen Struktur besteht, was also ihre Unverwechselbarkeit ausmacht, selbst wenn sie in verschiedenen Gattungen und mit verschiedenen Figuren auftritt, ist nicht abschließend zu klren; plausibel ist die Annahme, daß es sich um ein quantitatives Phnomen handelt: weist eine narrative oder rituelle Handlungsstruktur mit einer anderen mehrere gemeinsame Handlungselemente auf, kann von einer gemeinsamen Grundstruktur gesprochen werden, einer ,langue, um den von Saussure geprgten Begriff zu verwenden, also einer verbindlichen Identitt. Die jeweilige Ausformung der Struktur wre folglich die parole. Ein Instrument zum quantitativen Vergleich gleicher oder hnlicher Strukturen erlaubt die seit Vladimir Propp verbreitete strukturalistische Methode der Zerlegung in Einzelelemente oder -funktionen.57 Propp hatte in seiner 1928 erstmals in russischer Sprache erschienenen Morphologie des Volksmrchens festgestellt, daß sich in zahlreichen russischen Volksmrchen dieselben Handlungseinheiten oder Funktionen (so die Proppsche Terminologie) wiederholen, wobei sich lediglich die Ausfhrenden ndern. Propps Methodik lßt sich durchaus auf Herodots bernahme ritueller und vor allem narrativ-mythischer Strukturen anwenden; aufgrund ihrer Kleinteiligkeit sind Mythos und Ritual immer wieder unter 57 Vgl. Burkert 1979, 5 – 14 mit einem knappen, aber einleuchtenden berblick zu Vorteilen und Gefahren strukturalistischer Methodik.
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Anwendung strukturalistischer Methodik untersucht worden. Vor allem angesichts der strukturellen Fixiertheit von Ritual und Mythos im Gegensatz zur Alltagssprache58 ist eine Strukturalanalyse sinnvoll: vermçgen die Kommunikationsformen Mythos und Ritual symbolische Bedeutungen nur ber ihre Formelhaftigkeit zu transportieren,59 erscheint die bertragung eines gewissen Maßes an Formelhaftigkeit auf die Textanalyse legitim – unter Vermeidung der mathematischen Exzesse, in denen strukturalistische Anstze bisweilen kulminiert sind.60 Natrlich werden sich im griechischen Mythos nicht dieselben Funktionen finden wie in Propps russischen Volksmrchen; Einzelelemente traditioneller griechischer Erzhlungen und Rituale aber figurieren auch in den Historien. Es steht auch nicht zu erwarten, daß der Proppsche Schematismus beim Vergleich der Historien mit mythischen Erzhlungen und rituellen Strukturen aufrechterhalten werden kann, etwa Propps Postulat, daß die Handlungselemente oder Funktionen eines Typus immer in derselben Reihenfolge auftreten.61 Trotz dieser Einschrnkungen erweist sich die im folgenden meist erarbeitete quasi tabellarische Auflistung der Handlungselemente einer herodoteischen Erzhlung als durchaus ntzlich fr einen ersten Vergleich ihrer Gemeinsamkeiten mit Mythos und Ritual; das Proppsche Funktionssystem ist durchaus auch ohne das Postulat einer fixen Funktionsabfolge nutzbar. Gerade bei mythischen Erzhlungen kann eine Strukturanalyse einen fruchtbaren Interpretationsansatz bieten, denn in der Regel mssen hier zahlreiche divergierende Versionen bercksichtigt werden.62 Jede dieser Formen von parole kann verndert oder durch weitere Elemente ange58 Vgl. Nagy 1990b, 31 der die Begriffe „marked“ bzw. „unmarked“ verwendet und „marked speech“ als „SONG“ klassifiziert (vgl. auch 1990a, viii). 59 Vgl. Nagy 1990b, 31 f.: „the marking of speech, that is, the turning of unmarked speech into marked SONG, may persist as the basic way to convey meaning in the usage of the Greek verb l}y, which means ,I have my mouth closed or ,I have my eyes closed in everyday situations, but ,I say in a special way or ,I see in a special way in marked situations of ritual.“ 60 Vgl. Walter Burkerts Kritik insbesondere an der Methodik von Claude LviStrauss (1979, 10 – 14). 61 Diese Behauptung wurde freilich schon in bezug auf Propps eigenes Material bestritten. Csapo 2005, 197 f. weist erstens die gelegentliche Wiederholung von Funktionen nach, und zweitens die Vernderung ihrer Position in dem Falle, daß plot und narration nicht bereinstimmen, was etwa bei Rckblenden der Fall sein kann. Er demonstriert dies am Beispiel des Perseus-Mythos, auf den Propp sein Modell selbst ebenfalls angewandt hatte. 62 Vgl. Brillante 1990, 120.
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reichert sein. Untersucht man diese Vernderungen der narrativen Strukturen in ihrer Beziehung zum jeweiligen Kontext und in ihrer aktuellen Funktion, erschließen sich Bezge, die vorher nicht erkennbar waren;63 nicht nur beim Vergleich verschiedener Mythenversionen, sondern auch bei der bertragung mythischer Basisstrukturen in eine neue Gattung. Dies ist in den Historien der Fall: Herodots Verwendung traditioneller Folien in seinen historischen Erzhlungen ist insofern weniger bersichtlich als das von Propp beobachtete Phnomen, als die russischen Volksmrchen alle derselben Gattung mit ihren spezifischen Merkmalen, ihrer gemeinsamen Art der berlieferung etc. angehçren, whrend Herodots historiographischer Text sich aus Erzhl- und Denktraditionen speist, die ihm in einer Reihe verschiedener Formen vorliegen mçgen, die wiederum ganz anderen Regeln folgen als der Text der Historien. Es handelt sich also nicht um einen Vergleich vorhandener Texte, sondern eher um den Vergleich von Texten, die demselben System der mythischrituellen Erzhltradition angehçren. So erstaunt es wenig, daß die bernahme einer mythischen Basisstruktur bei Herodot zwar hufig evident, ein gewisses Maß an Modifikationen jedoch immer gegeben ist. Wie sich zeigen wird, werden die traditionellen Funktionen hufig variiert, verdoppelt oder auf andere Figuren verschoben; außerdem gibt es praktisch unendliche Mçglichkeiten der Neukombination verschiedener mythischer und ritueller Elemente, deren Zusammenwirken nicht per se traditionell erscheint. Im Vergleich zu Propps Systematik wirkt hier der synchron-paradigmatische Ansatz eines Lvi-Strauss erweiternd. Er eliminiert die Frage der festen Funktionsabfolge, indem er sich vor allem auf die Regeln der
63 Vgl. Osborne 1996, bes. 1 – 18 und – ausfhrlicher – Calame 1996 zur Abhngigkeit jeder Geschichtserzhlung von ihrem aktuellen Kontext und ihre Relevanz fr diesen (v. a. am Beispiel der Grndungslegenden um Kyrene). Calame weist auf die ursprnglich unauflçsliche Fixiertheit des Mythos in seinem rituellen oder literarischen Kontext hin, die erst von der Disziplin der Mythographie aufgehoben worden sei (1 – 34; vgl. 2006c); er schließt: „The Herodotean narrative gains its plausibility as much through its correspondence with certain mental categories and representations of its audience as through reference to heroic cult actually rendered to the oecist. Through this double reference it can, in our eyes, constitute a ,myth“ (108). Vgl. ferner Malkin 2003, der in seiner Auseinandersetzung mit Osborne fr ein Ernstnehmen auch des historischen Kerns der Grndungsgeschichten pldiert, mçgen diese auch von zahlreichen mythischen Elementen berblendet sein.
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Kombinierbarkeit der „mythmes“64 (1958, 232) konzentriert, nicht auf die Mytheme an sich: es handele sich hierbei um ,Beziehungsbndel („paquets de relations“, 234), die ihre Bedeutungsfunktion nur in Kombination mit anderen ,Bndeln erlangten. Wie eine Partitur sowohl von links nach rechts – als diachrone Abfolge – gelesen werden kann als auch von oben nach unten – in bezug auf das synchrone Zusammenwirken der Instrumente miteinander –, so kçnnen auch mythische Daten, die in keiner unmittelbaren diachronen bzw. syntagmatischen Verbindung stehen, miteinander korrespondieren, so etwa im thebanischen Mythos die Drachentçtung durch Kadmos, die auf der synchron-paradigmatischen Achse der berwindung der Sphinx durch dipus entspricht (Lvi-Strauss 1958, 233 – 239). Diese Methode wird auch in der Klassischen Philologie angewandt – und das bereits vor einer breiten Rezeption von Lvi-Strauss.65 Durch die Lçsung vom Obligatorium der parallelen Reihenfolge ergeben sich – auch fr das Beispiel Herodot – neue Perspektiven in der Deutung der Einzelfunktionen. Dies hat etwa William Hansen durch seine Interpretation des lydischen Logos gezeigt, wo Mrchenmotive, die in anderen traditionellen Erzhlungen eng zusammenhngen, in den Historien auf die Gyges-Geschichte und den Kroisos-Logos verteilt sind.66 Gleichzeitig lßt sich der Vorwurf der Willkr nicht vçllig von der Hand weisen;67 bei jedem Vergleich mssen Simplifizierungen vorge64 Der Terminus ist analog der linguistischen Terminologie kreiert: Wie nach de Saussure mehrere Phoneme ein Morphem ergeben, mehrere Morpheme ein Semantem und mehrere Semanteme einen Satz, so ergeben mehrere Stze zusammen das Mythem und mehrere Mytheme den Mythos. 65 Vgl. Huber 1965, 39 (zur Parallelitt von Troianischem Krieg und Perserkriegen): „Lage und Tun der persischen Seite ist nicht immer mit der troianischen zu identifizieren, sondern ebenso mit der achischen und umgekehrt; es gibt also auch, wie mehrere der obigen Beispiele zeigen, spiegelbildliche Entsprechung“ – etwa die Parallelisierung der Schiffe der Athener Hdt. 5.97.3 mit denen des Paris Il. 5.62 f.; vgl. unten 37 f.; oder die Trugtrume von Xerxes (Hdt. 7.8 – 19) und Agamemnon (Il. 2.1 – 440); vgl. unten IV.2.2. 66 Hansen 2002, 316 – 327; vgl. oben 11 f. 67 Vgl. die Kritik von Csapo 2005 an Propp und Burkert: am Modell des ersteren bemngelt Csapo, daß viele Funktionen ja nicht zufllig, sondern notwendigerweise aufeinander folgen; z. B. seien Funktionen wie „the heros reaction“ nicht sonderlich berraschend: „It is a little like someone claiming that they have established the three universal ,functions of all narrative which, defined from their place in the process of narration, can be labeled (1) the ,beginning, (2) the ,middle, and (3) the ,end, and, what is even more remarkable, this sequence is invariable in every tale!“ (206). hnlich 201 zu Burkerts festgelegter Abfolge von Funktionen der „girls tragedy“ (1979, 6 – 7): „leaving home“, „the idyll of sec-
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nommen werden, da die Einzelelemente nur entsprechend ihrer Relevanz in die Analyse einbezogen werden kçnnen. Sofern jedoch eine auffllige Anzahl benennbarer hnlichkeiten vorliegt, lohnt sich der Vergleich zweier Strukturen in jedem Fall: wie sich im folgenden zeigen wird, ist er auch dann nutzbringend, wenn er nicht durch das Vorhandensein aller Funktionen der langue in allen Ausformungen der parole legitimiert ist.
5.2 Auswahlkriterien Die Untersuchung der Rituale und Mythen, die naheliegende Assoziationsfolien fr Herodots Erzhlungen darstellen, muß sich auf solche Traditionen beschrnken, mit denen das gesamtgriechische68 Publikum der Historien vertraut gewesen sein wird. Weder sollen allzu exotische Beispiele herangezogen noch die Motivierungen einzelner Lokalversionen beleuchtet werden, es sei denn, dies biete sich ausdrcklich an (wie dies etwa bei der Analyse der kyrenischen Version des eigenen Grndungsmythos unten in Kapitel V.3.2 der Fall ist). Stattdessen geht es um den panhellenischen Assoziationshorizont, den ein traditioneller Erzhltypus erçffnet. Dies soll nicht heißen, daß Herodot nicht bisweilen auf außergriechische Traditionen oder lokale Versionen zurckgegriffen habe. Aber auch hier findet hufig eine gewisse Hellenisierung statt: den Mustern der griechischen Erzhltradition werden auch exotische Erzhlungen angeglichen; ein Beispiel ist die ,typisch orientalische Palastintrige um Xerxes, die Frau und die Tochter seines Bruders Masistes, die dennoch mit der griechischen Folie des Mythos von Zeus und Semele operiert (vgl. unten Kapitel II.1).69 Diese Abhngigkeit Herodots vom griechischen Modell hat Francois Hartog gezeigt, der auch bei der Beschreibung fremder Vçlker stets von einem griechischen „modle absent“ ausgeht, das als permanentes Vergleichsmodell zugrundeliegt (1980, 28; vgl. unten 267 f. mit Anm. 739). Zwischen Herodot und dem griechischen Rezipienten existiert als kommunikative Voraussetzung „un ensemble de savoirs smantique, lusion“, „rape“, „tribulation“, „rescue“. Hierbei wrden gewisse, fr den Mythos bedeutsame Elemente nicht bercksichtigt, z. B. die Aussetzung des Kindes und seine Aufzucht durch ein Tier. 68 Daß Herodots Ansatz insgesamt panhellenisch ist, wird nicht bestritten werden; vgl. etwa Fowler 2001; Blçsel 2004, 31 – 34. 69 Zu den ,Palastnovellen vgl. z. B. Murray 1987, 35 – 44 (der 43 f. ebenfalls eine Verschmelzung der Traditionen postuliert).
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encyclopdique et symbolique qui leur sont communs“ (27). Nur hierdurch kann der Text kommuniziert und verstanden werden.70 Eine Zergliederung in Einzelmotive, wie sie bereits Wolf Aly 1921 unternommen hat, wird hier nicht angestrebt;71 stattdessen soll vor allem die Parallelitt zusammenhngender Erzhlstrukturen untersucht werden, da diese interpretatorisch ergiebiger scheint. Hierbei werden auch spt belegte Mythen und Rituale bercksichtigt, da aufgrund der Lckenhaftigkeit der Belege und der Mçglichkeit der frheren mndlichen berlieferung nicht ausgeschlossen werden kann, daß sie Herodot vorlagen.72 Hinzu kommt die grundstzliche Konservativitt von Mythos und Ritual, die ihre Wiedererkennbarkeit erst garantiert – sie spricht dafr, daß auch eine mythisch-rituelle Struktur, die erst lange nach Herodot belegt ist, ihre Gestalt whrend der verstrichenen Zeit nicht grundstzlich verndert hat.73 Der Versuch einer Beschrnkung auf eindeutig von Herodot erfundene Geschichten im Sinne einer Analyse der auktorialen Intention ist ebenso zum Scheitern verurteilt wie eine Konzentration auf ,Volkserzhlungen, die von Herodot lediglich gesammelt und publiziert worden sind. Es ist praktisch nie eindeutig zu klren, ob eine Erzhlung von Herodot 70 Vgl. Hartog 1980, 27: „Le destinataire est, en effet, log lintrieur mÞme du texte, sorte de ,lecteur en creux, ou simulacre de lecteur, qui sadresse, au premier chef, le narrateur, et sur qui il exerce son pouvoir de persuasion. La difficult ne provient pas tant de lextriorit de ce savoir que de son caractre implicite, ou largement implicite, puisquil est ce en fonction de quoi le destinataire ,calcule le sens dun nonc et ce en vertu de quoi le narrateur a form tel nonc, prcisement pour que le destinateur fasse ce calcul-l .“ Hartog nennt dieses Phnomen der permanenten Selbstreferentialitt „inversion“ (zuerst 225), also eine Verkehrung der Verhltnisse bei der Beschreibung von Fremdem: fast alles verhlt sich genau umgekehrt wie in der griechischen Welt; dies ist die Konsequenz des „problme de traduction“ (225), mit dem sich der Chronist fremder oder vergangener Welten konfrontiert sieht. 71 Vgl. oben 8. 72 Das spte Datum eines Zeugnisses schließt die frhe Verbreitung des betreffenden Mythos keineswegs aus; vgl. etwa Brilliante 1990, 113 – 115; so ist Apollodor in der Regel ein zuverlssiger Zeuge auch frher Mythenversionen; vgl. Drger 2005, 890 f. 73 Vgl. etwa Bowie 1993, 7. Natrlich werden gerade Rituale auch von externen Faktoren beeinflußt, entstehen, verndern sich und geraten in Vergessenheit; die Wirksamkeit solcher ußeren Umstnde wird aktuell im Rahmen des SFB 619 „Ritualdynamik“ (Heidelberg) erforscht. Bei einem ber lngere Zeit bestehenden Ritual muß aber dennoch von einer grundstzlichen Wiedererkennbarkeit und damit strukturellen Identitt ausgegangen werden; anders wre der Begriff nicht definierbar.
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oder von einer seiner Quellen stammt.74 Dieses Problem soll hier auch nicht grundstzlich behandelt werden; entscheidend ist die Aufnahme einer traditionellen Erzhlstruktur durch Herodot in die Historien (selbst wenn sie als unglaubwrdig klassifiziert wird75): auch fr den Fall, daß Herodot eine Geschichte unverndert einer seiner Quellen entnommen haben sollte,76 wird im folgenden stets davon ausgegangen, daß er sie bewußt in sein Werk aufnimmt, mit all ihren Konnotationen und Implikationen.77 Hierbei stellt sich im Kontext der vorliegenden Arbeit weniger die Frage, ob Herodot historische Daten selbst in eine traditionelle Struktur eingefgt oder ob er die Kombination aus Faktum und Tradition bereits fertig vorgefunden hat (die ,Mythisierung der Perserkriege etwa beginnt schon vor seiner Zeit in vielfltiger Weise, namentlich durch Aischylos Perser 78). Entscheidend sind fr die Rekonstruktion des zeitgençssischen Bezugsrahmens allein die Implikationen der Struktur, die wiederum auf 74 Vgl. Vandiver 1991, 13 zur Funktion der Heroenfiguren in den Historien (ihre berlegungen passen jedoch ebensogut zu Herodots Verwendung mythischer Erzhlstrukturen): „The final point to be addressed in considering the interaction of symbolic subtext and historical exegesis in Herodotus work is whether or not the symbolic values of specific passages were consciously designed by the author or whether they simply reflect the underlying assumptions of his society. This question is, unfortunately, ultimately unanswerable. In some instances, particularly in the longer passages, the symbolic content of a section is so intricately constructed that it seems to argue for conscious design. However, I think it highly unlikely that Herodotus consciously worked out a self-consistent symbology that would operate in all instances, in the manner of a modern writer such as Gabriel Garc a Marquez; it seems much more probable that the patterns of symbolic reference in the Histories reflect a system that was endemic (and in all likelihood unconscious) in the society for which Herodotus wrote.“ 75 Vgl. hierzu Kapitel VI.2.1. 76 Ohnehin sind seine dahingehenden Behauptungen nicht immer vertrauenswrdig, wie sptestens seit Fehlings Untersuchung 1971 feststehen drfte (auch wenn man die Radikalitt von dessen Standpunkt nicht teilt). 77 Vgl. erneut Vandiver 1991, 13 ber mythische Elemente, die sie als „symbolic“ auffaßt: „Ultimately, however, the results of this study are not affected by the question of the extent to which Herodotus may or may not have been conscious of precisely how the symbolic elements in his work functioned. The patterns of symbolic reference are present in the text, as this study will demonstrate; and they achieve their function of providing resonance and underlying commentary to the historical narrative as it unfolds in the text. The extent to which Herodotus himself was conscious of precisely how he achieved this effect is not, in the final analysis, relevant to the demonstration of that achievement.“ 78 Vgl. unten Anm. 96; zur Mythisierung der Perserkriege ferner Meier 2004, 40 – 46 (vgl. unten Anm. 825); Marincola 2006, 18.
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die Wertung des historischen Ereignisses schließen lassen. Daß Herodot in jedem Fall gestaltend ttig ist, steht natrlich außer Frage: er selbst bestimmt Tempo, Abfolge und Kontext der Erzhlung, und auch wenn er eine Episode inklusive aller traditionellen Elemente vorgefunden haben sollte, kann er diese Elemente mehr oder weniger stark betonen, fallenlassen oder variieren. Vollstndigkeit anzustreben wre bei diesem Thema schlicht vermessen. Im folgenden werden nicht einmal all diejenigen mythisch-rituellen Folien behandelt, die ich als Leserin der Historien selbst wahrgenommen habe, geschweige denn alle potentiellen Assoziationsmçglichkeiten des antiken Rezipienten. Am Beispiel der Forschung zu Herodots DemaratosGeschichte79 ist oben schon gezeigt worden, daß eine einzige Erzhlung durchaus auf mehrere Folien verweisen kann. Trçstlich ist hier die gar nicht seltene Erfahrung, daß unterschiedliche Deutungswege, teilweise auch solche ber vçllig unterschiedliche mythische Folien, zu verblffend hnlichen Ergebnissen fhren.80
5.3 Intertextualitt und Traditionalitt Herodot verwendet nicht nur solche traditionellen Folien, die durch obskure mndliche berlieferung auf ihn gekommen sind. Natrlich setzt er sich gerade im Falle der narrativen Mythentradition auch mit schriftlichen Fassungen auseinander, unter anderem mit der attischen Tragçdie und den homerischen Epen. Wo Herodot mit Strukturen arbeitet, die zeitgençssischen Dramen oder Ilias und Odyssee zugrundeliegen, drngt sich die Frage auf, welche Implikationen die Verwendung einer literarisch fixierten Erzhlung mit sich bringt – im Gegensatz zu einem Mythos, der durch ein unabschtzbares Gewebe aus verschiedenen Textgattungen, Abbildungen oder mndlichen Erzhlungen tradiert ist.81
79 Vgl. Boedeker 1987 und oben 9 f. 80 Vgl. etwa unten 275 zur Konvergenz meiner Interpretation des makedonischen Gastmahls 5.18 – 21 als eines Ausnahmefests in der Tradition des Kentauromachie-Schemas mit David Fearns Deutung der Szene ber die homerischen Folien des Frauenrubers Paris und des Freiermçrders Odysseus. 81 Natrlich kçnnen schriftlich fixierte Texte ebenfalls einer mndlichen Tradition entstammen; daher wird statt der Unterscheidung „schriftlich-mndlich“ bisweilen die Terminologie „marked-unmarked“ vorgezogen; vgl. Nagy 1990b, 8 mit weiterfhrender Literatur; vgl. auch 1990a, viii und oben Anm. 58 f.
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Auf den ersten Blick scheint es, als ob die literarische Fixierung eines Mythos dem Autor, der ihn weiterverwendet, engere Beschrnkungen auferlege, whrend eine Erzhlung, die nicht in dieser kanonischen Form weitergegeben wird, mçglicherweise variabler ist. Aber so einfach ist die Sache nicht. Zunchst sind wir ber den Stand der Fixierung nicht ausreichend informiert. Es ist bei jedem Mythos denkbar, daß es eine literarische Version gegeben hat, die Herodot kannte, die uns aber nicht mehr vorliegt. Aber auch wenn diese Schwierigkeit nicht bestnde, wre zu berlegen, ob sich die literarische Festlegung eines Mythos berhaupt grundstzlich von einer mndlichen Erzhlung unterscheidet, die Herodot gehçrt, oder einer Abbildung, die er gesehen haben kçnnte – auch diese Gefße stellen schließlich Fixierungen des Mythos dar. Inwieweit gestaltet sich Herodots Verwendung eines Mythos nun anders, wenn er ihn von Homer oder Sophokles bernimmt? Daß der Text der homerischen Epen Herodot stark geprgt hat, ist bereits in der Antike communis opinio – am gelufigsten ist wohl Herodots Bezeichnung als blgqij~tator seitens des Autors der Schrift Peq· vxour (13.3). Neuerdings bezeugt eine halikarnassische Inschrift Jq|dotom t¹m pef¹m 1m Rstoq_aisim nlgqom.82 Bis heute wird dieser Zusammenhang immer wieder thematisiert.83 Bereits Eduard Norden und Felix Jacoby halten Herodots Homerismen durchaus fr gewollt,84 und in diesem Sinne werden sie von spteren Forschern durchweg gedeutet. Ohne Zweifel wertet die epische Folie oder Frbung das historische Geschehen auf, 82 Vgl. Isager 1998; Boedeker 2003 bringt das Adjektiv pef|m mit dem prosaischeren Stil von Herodots Todesschilderungen in Zusammenhang. Zu weiteren antiken ußerungen ber den Einfluß des Epos auf Herodot und die Geschichtsschreibung vgl. generell Strasburger 1972, 8 mit Anm. 7; Boedeker 2002, 97 f. 83 Vgl. den kurzen Forschungsberblick in Appendix 1. 84 Vgl. Norden 1898, I, 41: „man kann auch von ihm sagen, er habe Homer so nachgeahmt, daß er erkannt sein wollte“; hnlich Jacoby 1913, 503: „Diese direkt bernommenen Floskeln wirken doch halb und halb wie Zitate, deren Ursprung der Leser merken soll“, oder 504: „Das fr uns jetzt Wesentliche ist, daß diese Entlehnungen bewußt und zweckvoll sind und daß, wenn nicht in der Prosaliteratur berhaupt, so jedenfalls in der geschichtlichen und geographischen Schriftstellerei H[erodot] der erste ist, der sich ihrer als eines Kunstmittels bedient … Diese homerische Imitation springt bei der Lektre so ins Auge und fllt so ins Ohr, daß ich die Note Alys [1909, 597 Anm. 1] nicht verstehe, der behauptet, ,von bewußter Nachahmung Homers durch H[erodot] zu sprechen, wie Norden und Hoffmann [1898, 185 – 187] tun, sei zu viel gesagt und gelte sicher nicht fr Wortschatz und Formen.“Aly 1921, 275 scheint jedoch zu relativieren: „ber die Technik des Logos kann man allgemein sagen, daß es dem Erzhler freisteht, eine epische Reminiszenz als besonderes Licht aufzusetzen, wenn es ihm beliebt.“
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verleiht ihm Bedeutung und Verbindlichkeit. Folglich ist Herodots intertextuelle Beziehung zu Homer mit der Traditionalitt anderer Strukturen der Historien nicht vçllig gleichzusetzen; daß ein stilistisches Episieren auch epische Atmosphre evoziert, ist in den Historien gerade im militrischen Kontext sicherlich gewollt (vgl. z. B. unten 174 zu denjenigen herodoteischen Erzhlungen, die hnlichkeit mit der iliadischen TrugtraumEpisode haben). Dennoch besitzt der Stoff auch unabhngig von seiner homerischen Herkunft ein Eigenleben. So bedeutet die permanente Parallelisierung der Perserkriege mit dem in weiten Teilen ber Homer rezipierten Troianischen Krieg85 eine grundstzliche Validierung des Zeitgeschehens am Mythos; Strasburger geht soweit zu behaupten, das mythische Vorbild erschaffe die Geschichte (1966, 68). Nichts anderes geschieht letztlich durch Herodots bernahme obskur tradierter Erzhltraditionen. Wie bereits der kurze Forschungsberblick zum Thema gezeigt hat, verleiht auch das literarisch nicht fixierte oder gar rituelle Vorbild Herodots cem|lema eine semantische oder symbolische Bezugsebene und situiert die historischen Ereignisse in einem dem Rezipienten vertrauten Sinnsystem. In derselben Weise ist Herodots Anwendung von ,Homerismen auf seine Gegenwart bisher gedeutet worden, so etwa das vielbesprochene Homerzitat 5.97,86 wo Herodot die zur Untersttzung des ionischen Aufstands abgesandten athenischen Schiffe als !qwμ jaj_m bezeichnet. Dies erinnert stark an Il. 5.62 f., wo die fr Paris gebauten Schiffe als m/ar … !qwej\jour bezeichnet werden. Magdalene Stoevesandt vermutet in diesem intertextuellen Bezug die Einfgung einer zustzlichen Sinnebene: daß ber Paris an derselben Stelle gesagt wird, er habe die Prophezeiungen der Gçtter nicht gekannt (Il. 5.64), insinuiere fr Herodots Rezipienten auch auf seiten der herodoteischen Athener eine Ignoranz, die letztlich zu ihrem Scheitern fhre. Dies stehe durchaus im Einklang mit Herodots genereller Geschichtsdeutung, da seine Figuren immer wieder durch mangelnde Einsicht oder aufgrund ihrer Fehlinterpretation von Orakeln 85 Die Vorlage des Troianischen Krieges als des ersten griechisch-asiatischen Konflikts der Nationalitten prgt die ganze griechische Geschichtsschreibung; vgl. dazu u. a. Schwartz 1928; Schadewaldt 1934, 564; Snell 1952; Huber 1965, 36 – 40; Boedeker 1988b (vgl. oben 10 f.); Stoevesandt 1992 (es handelt sich um ein noch nicht publiziertes Paper „Herodotus and Homer“, das M. S. mir freundlicherweise zur Verfgung stellte), 10 – 13; Wesselmann/Gyr 2001; Marincola 2006, 17 f.; Pelling 2006a, 78. 86 Fowler 2003, 317; Pelling 2006a, 79 mit Anm. 14; Huber 1965, 37 und 43 mit Anm. 70; Stoevesandt 1992 (vgl. die vorhergehende Anm.), 3.
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zu Fall kommen. Die Allusion sei entsprechend als bewußte Parallelisierung Herodots zu verstehen, die dem Rezipienten einen entscheidenden Hinweis zur Interpretation der Geschehnisse liefert.87 Mit dieser Interpretation ordnet sich Stoevesandt in die Nachfolge Ludwig Hubers ein, der ganz grundstzlich postuliert, daß Herodot „seiner jeweiligen Szene auch Assoziationen, anschaulichen und gedanklichen Hintergrund hinzugewinnen, seiner Darstellung gleichsam einen ,doppelten Boden geben wollte“, der beim dargestellten Geschehen per Analogie oder Gegenbild „weitere, bisher nicht bemerkte Aspekte“ hervorkehre.88 Genauso wird dies in der bisherigen Forschung – und auch in dieser Arbeit – fr die gar nicht oder nicht eindeutig intertextuell zuzuordnenden Anlehnungen an mythisch-rituelle Strukturen festgestellt.89 Die intertextuelle Allusion erfllt offenbar zumindest in einer Hinsicht denselben Zweck wie die mythische Parallelitt: dem Rezipienten wird assoziativ eine zustzliche Ebene vermittelt, die fr die Interpretation des unmittelbar Vorliegenden von entscheidender Bedeutung ist – folgerichtig verbindet Deborah Boedeker „Epic Heritage“ und „Mythical Patterns“ bei Herodot in einem einzigen Aufsatz.90 Jede Anleihe bei Homer als Hinweis auf das homerische Epos zu sehen, ist also offensichtlich bertrieben. Gerade im Falle der unten in Kapitel II.2.2 zu besprechenden iliadischen Kampfszene zwischen Achilleus und Skamandros, die Herodot als Folie der barbarischen Gewsserfrevel verwendet, scheint er keinen Kommentar zur Ilias abgeben zu wollen; auch 87 Stoevesandt 1992 (vgl. oben Anm. 85), 12. In weiterem Sinne vergleicht sie Herodots Interesse an dem ersten Urheber des persisch-asiatischen Konflikts (auch Kroisos wird 1.5 als pq_tom rp\qnamta bezeichnet) mit der Formulierung des IliasProçmiums 1.6: 1n ox dμ t± pq_ta diast^tgm 1q_samte (1992, 3). 88 Huber 1965, 31. Er macht dies deutlich an der Hufung homerischer Vokabeln in 3.81.2: in seiner antidemokratischen Rede verwendet der Perser Megabyzos das bei Homer verschiedentlich (Huber nennt Il. 12.138 f., 5.87 – 92, 21.240) belegte Bild eines hereinstrzenden Flusses fr den Ansturm des Volkes in einer Demokratie: „der alle Brcken wegreißende, alle Dmme bersteigende, alles eben Aufgebaute zerstçrende Fluß – das ist also das Volk! Und es ist gerade das, was Herodot durch Megabyzos sagen wollte: er kann sich nach diesem beziehungsreichen Zitat weitere Worte sparen“ (32). 89 Im Gegensatz zu den offensichtlichen Anlehnungen, wie sie in der bisherigen Forschung, aber auch in dieser Arbeit konstatiert werden (vgl. unten Kapitel II.2.2; IV.2.2). 90 Boedeker 2002; vgl. ihre einleitende Bemerkung: „I will consider in this chapter how epic and mythical traditions interact with [Herodotus] work, both by shaping the narrative of events and by influencing the scope and style of the work as a whole.“
5. Vorgehensweise
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geht es nicht um eine Positionierung seiner selbst gegenber dem großen Vorgnger. Wichtig ist fr Herodot vor allem der – von Homer mitgestaltete, aber unabhngig von ihm existierende – mythische Stoff an sich: die Heroenfigur des Achilleus, denen die orientalischen Kçnige gegenbergestellt werden. Im brigen ist stets denkbar, daß die intertextuelle Parallelisierung bereits vor Herodot erfolgt ist. Selbst bei sprachlichen Anleihen, wie sie oben aufgezeigt worden sind, ist dies nicht ausgeschlossen. Vernnftig erscheint hier Deborah Boedekers Einschrnkung: nicht jede einzelne epische Wendung, so Boedeker, msse bei Herodots Publikum eine ganz bestimmte Assoziation hervorgerufen haben, einige Ausdrcke waren wohl bereits zu „commonplaces“ geworden (2002, 101) – auch wenn sie ihren Ursprung im Epos hatten. Auch dies fhrt wieder auf die herodoteische Verwendung nicht schriftlich festgelegter Mythen zurck: wie das einzelne Wort nicht mehr nur seinem Schçpfer gehçrt, so ist auch eine Erzhlung nicht an eine mythische Figur gebunden – sie kann schon mit mehreren traditionellen, spter eben auch mit historischen Figuren verbunden werden; sie wird zum „commonplace“, zu einer rhetorischen Figur, die ihre Bedeutung jenseits aller Historizitt der jeweils aktuellen Wirklichkeit verleiht. hnlich steht dies mit Herodots Bezgen zur Tragçdie, die viel Beachtung gefunden haben; vor allem der lydische Logos ist hier zentraler Gegenstand der Forschung.91 Ganze Passagen sind samt Botenbericht und ,Chorpartien tragçdienartig aufgebaut – beispielsweise, wenn 1.43 – 44 von Atys Tod berichtet wird und der lydische ,Chor 1.45 seine Leiche bringt.92 Auch hier besteht analog zur ,epischen Frbung, die Herodots homerisierende Passagen aufweisen, duchaus ein – womçglich noch strkerer – Einfluß der Gattungsspezifika der Tragçdie, diesmal in philosophisch-religiçser Weise. Zahlreiche Helden der Historien geraten ,unschuldig 91 Anders als bei der Beziehung von Herodot zu Homer existiert hier eine Tradition bersichtlicher Forschungsberblicke. Einen solchen bieten in Verbindung mit interessanten Neuanstzen Chiasson 2003 (vgl. bereits 1979, 1 – 30) und Griffin 2006, die ihrerseits auf Fohl 1913, Stella 1936, Powell 1939, Meunier 1968, Stahl 1968, Snell 1973, Rieks 1975, Lesky 1977, Szabo 1978, Chiasson 1982, Long 1987, bes. 74 – 105, Gould 1989, Herington 1990, Ostwald 1991, Vandiver 1991, Laurot 1995 und Fowler 1996 verweisen. Zu ergnzen sind beispielsweise Myres 1914; Gomme 1954, 95 – 115; Egermann 1957; Levin 1960; Nielsen 1997, 46 – 81; Sa d 2002. – Zu tragischer Diktion bei Herodot vgl. mit ausfhrlicher Belegsammlung Chiasson 1979, 81 – 114. 92 Lesky 1977; vgl. Chiasson 1979, 150 – 155.
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I. Einleitung
schuldig in tragische Konflikte – wie eben Adrastos; auch die Trugtrume des Xerxes (7.12 – 18, vgl. unten Kapitel IV.2.2) sind dahingehend deutbar.93 Es handelt sich bei solchen Elementen mit Sicherheit um die gewollte Integration ,tragischer Philosophie.94 Dennoch ist die Frage, ob jede Aufnahme einer Struktur oder eines Motivs, das in der Tragçdie ebenfalls vorkommt, als ,tragisches Element gelten soll, auch hier berechtigt.95 Die mythischen Erzhlstrukturen, die in die Tragçdie Eingang gefunden haben, sind durch die Gattung Drama nicht in demselben Maße kanonisch festgelegt, wie dies bei der homerischen Verarbeitung des Troia-Mythos der Fall ist. Der Grund dafr ist zum einen in der Zeitgenossenschaft der Tragçdie zu suchen – es ist nicht bei allen Stcken klar, ob Herodot sie berhaupt kennt, geschweige denn sein Publikum –, zum anderen in den Regeln der Gattung, die es ohne weiteres gestattet, daß diverse Autoren denselben Stoff in verschiedener Weise verarbeiten. Herodots Verwendung eines Stoffes, der eine bestimmte 93 Ein deutliches Licht auf die Prsenz solch tragischer ,doppelter Motivation bei Herodot wirft die Episode im Tempel von Branchidai (1.157 – 160), wo die Bewohner von Kyme nachfragen, ob sie den Flchtling Paktyas an die Perser ausliefern sollen. Das Orakel bejaht dies zweimal, aber der Gesandte Aristodikos zweifelt noch immer und greift zu einer ungewçhnlichen Maßnahme: er nimmt die Vogelnester im Tempel aus, worauf die Stimme des Gottes ihn fragt, wie er es wagen kçnne, die Rj]tar zu vertreiben. Auf Aristodikos Erwiderung, genau dies gebiete der Gott doch auch ihnen, erwidert dieser, er befehle den Kymaiern den Frevel, damit sie schneller zugrundegehen sollen (ma· jeke}y, Vma ce !seb^samter h÷ssom !p|kgshe, 1.159.4). 94 Vgl. Chiasson 2003, bes. 18 – 19, der sich entschieden gegen eine passive bernahme solcher Elemente durch Herodot wendet; er postuliert „the use of tragic patterns or motifs as something familiar, engaging, and evocative to his audience“ (2003, 19). Chiasson geht von einem sehr bewußten Rckgriff auf das vertraute literarische Modell aus – als Mittel zur Untermauerung einer philosophischen Kernaussage ohne Rcksicht auf Faktentreue. Vgl. bereits Chiasson 1979, 115 – 233 mit einer umfassenden Studie zu Herodots ,tragischer Erzhltechnik und Weltanschauung. 95 Auch Chiasson 1979 weist bei aller Vergleichbarkeit der Historien vor allem mit den Werken des Aischylos und Sophokles immer wieder darauf hin, daß gewisse Elemente auch in außertragischen Gattungen vor Herodot faßbar werden, etwa die der ,tragischen Ironie, des weisen Warners, der Trume und Orakel und des vh|mor he_m : „We must recognise that tragedy itself is to some extent, at any rate, composed of traditional narrative patterns and elements that are also found in epic and lyric poetry; to speak of the ,tragic hero, ,tragic irony, or the ,tragic warner as if they were sui generis is to underestimate the continuity of the Greek literary tradition. The presence of such elements in the Histories need not indicate the direct influence of contemporary drama on Herodotus“ (143 f.).
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Tragçdie konstituiert, bedeutet also nicht unweigerlich seine Orientierung an dieser Tragçdie. Hier liegt der Fall anders als bei den homerischen Epen, mit denen Herodot und seine Rezipienten sicher vertraut sind. Der Einfluß der Tragçdie erscheint, wie gesagt, mehr genereller Natur. Bisweilen mag sich Herodot durchaus an einem bestimmten Drama orientieren, vor allem an Aischylos Persern;96 ferner fllt die Parallele zu Sophokles Antigone (904 – 912) in der Geschichte von der Frau des Intaphrenes (3.119) auf, die sich von Dareios einen Gefangenen ausbitten darf und nicht Mann oder Kinder rettet, sondern ihren Bruder. Dieser allein sei nicht ersetzbar – ein Gedanke, der sowohl bei Herodot als auch bei Sophokles formuliert wird.97 Aber selbst an diesem berhmten Beispiel zeigt sich ein weiteres Problem der Abgrenzung von Intertextualitt und Traditionalitt in Form eines anderen Mythos mit hnlicher Aussage: Hesione, die Tochter des 96 Eine ausfhrliche Aufarbeitung von Herodots konkreten Bezgen auf einzelne Tragçdien (besonders auf Aischylos Perser) hat Chiasson 1979, 31 – 80. Vgl. zu den Parallelen von Historien und Persern bereits Hauvette 1894, 125 mit Anm. 2; ferner Kauchtschischwili 1981; zur Abhngigkeit der herodoteischen Theologie von Aischylos vgl. etwa Hall 1989, 69 f.: „The mythologizing of the Persian wars relied heavily on the moral shape with which Aeschylus invested them and which Herodotus developed.“ – Dagegen Waters 1971, 65, der sich gegen die Annahme einer theologischen Deutung der Perserkriege durch Herodot wendet: „The tendency to regard the defeat of Xerxes as some kind of Tragic Fall of the Persian Empire derives clearly and precisely from Aischylos. Herodotos nowhere suggests anything of the kind.“ Die ußerungen des Artabanos tut er als „foolish sophistry“ und „sententious nonsense about the jealousy of the gods“ ab; zum Traumbild des Xerxes, das ihm seinen Griechenlandfeldzug befiehlt (7.12 – 18), ußert er sich nicht. 97 Vgl. schon Aly 1921, 109; dann Asheri 1990 ad loc. mit Forschungsberblick; locus classicus fr die Freundschaft zwischen Herodot und Sophokles ist Plu. An seni 3, Mor. 785b. Zur Herkunftsdiskussion vgl. Shaw Hardy 1996, 101 f.; sie selbst deutet die Szene als Beispiel fr das Vermischen der çffentlichen und privaten Sphre (Intaphrenes dringt sozusagen ins Schlafzimmer des Dareios ein, seine Frau stellt die ußerliche ,Funktion eines Familienmitglieds ber ihre persçnliche Bindung), die innerhalb des Systems der Tyrannis typisch ist, da Familienmitglieder immer auch Thronfolger sind; als zeichenhaft versteht sie somit die Stellung der Episode am Ende der Erzhlung von der schwierigen Neubesetzung des persischen Kçnigsthrons nach dem Tod des Kambyses. West 1999 versteht die Stelle als Teil eines generelleren Einflusses der Historien auf die Antigone, vor allem, was die Perspektive auf den Tyrannen betrifft (Kreon wird den von Herodot portraitierten Monarchen angenhert). Zur Interpretation sowohl der herodoteischen als auch der sophokleischen Passage als Reflexion ber die Macht des Wortes vgl. Dewald/ Kitzinger 2006.
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I. Einleitung
Laomedon, whlt ebenfalls ihren Bruder Priamos, als sie von Herakles vor die Wahl gestellt wird, welchen Gefangenen er freilassen solle (Apollod. 2.6.4 = 2.136). Mit Sophokles hat Herodot den Gedanken der Unersetzbarkeit des Bruders gemein, der in der Hesione-Geschichte nicht belegt ist; dem Hesione-Mythos wieder steht die Episode der Historien nher, weil der Sieger (Dareios oder Herakles) sich mitleidig zeigt, der Bruder freigelassen wird und berlebt, was in der Antigone natrlich nicht der Fall ist, da die Ausgangssituation durch den bereits erfolgten Tod des Polyneikes grundstzlich anders liegt. Muß man hier den herodoteisch-sophokleischen Gedanken vom mythischen Erzhlmuster trennen? Es scheint, als habe jeder Mythos zwei Identittsebenen. Zum einen handelt es sich um eine in sehr allgemeinem Sinne traditionelle Heroenerzhlung, die unabhngig von jeder knstlerischen Bearbeitung fr sich alleine steht. Zum anderen aber mag der Stoff bisweilen in einer Weise vorgeprgt sein, daß er fr Herodot und sein Publikum nicht mehr von dem jeweiligen Genre trennbar ist. Auf dieser zweiten Ebene betrachtet trgt der mythische Stoff unweigerlich schon die Spuren des Verfahrens, in das er durch Herodot erneut eingebunden wird, sei es nun ,epische Frbung oder ,tragische Philosophie. Dies bringt gegenber der mndlich berlieferten Version selbstverstndlich eine grçßere Komplexitt oder zumindest Detailliertheit mit sich, die Herodot seinerseits aufgreifen kann98 – wie dies etwa in den unten II.2.2 aufgezeigten, teilweise wçrtlichen Anklngen an die iliadische Szene von Achilleus und Skamandros der Fall ist. Des weiteren werden Genregrenzen offenbar bewußt wahrgenommen; wie unten in Kapitel V.5 anhand der Geschichte des Rhampsinitos deutlich wird, kann die Vermischung von Stoffen aus einer großen Bandbreite verschiedener Gattungen berraschende und aussagekrftige Effekte produzieren. Dennoch erscheint die erste Ebene des Mythos elementarer, da die intertextuellen Anleihen im Text hufig genauso funktionieren wie die Traditionalismen. Die Technik des Alludierens ist ohnehin schon verbreitet, bevor Intertextualitt zwischen schriftlich fixierten Texten existiert: auch Homer bringt dem Hçrer seine Figuren erst durch genealogi98 Vgl. Brillante 1990, 116 zur Reduktion einer literarischen Version auf den zugrundeliegenden Mythos: „The literary version is not characterized solely by the fact that it presents a series of additional elements from which the narrative must be liberated; it also represents a more complex version that can offer the modern interpreter useful evidence for the understanding of the myth under consideration.“
5. Vorgehensweise
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sche Einbindung oder eine markante Geschichte nahe.99 Mythische Diskurse sind also von Anfang an Teil der griechischen Literatur, ebenso auch in den Mythenerzhlungen der Chorlyrik. Auf dieser ersten Ebene des Mythos geht es um die Figuren und Erzhlmuster, nicht um Gattungsspezifika. Folglich muß es legitim sein, Herodots Integration traditioneller Folien auch unabhngig von deren anderweitiger Bearbeitung zu untersuchen – sei diese von einem Homer geprgt oder lediglich durch bildliche Darstellung und spte Mythographie auf uns gekommen. Der drastische Bedeutungsverlust eines Mythos innerhalb des wenig deskriptiven, auflistenden Genres der Mythographie gegenber einem ,ursprnglicheren erzhlerischen oder rituellen Kontext (vgl. unten Anm. 51) soll hier nicht kleingeredet werden; daß mythische Muster allerdings auch per se identifizierbar sind und gewisse Konnotationen in sich tragen, wird wohl niemand bestreiten.
99 Vgl. Erbse 1961, 250 f. Sehr hnlich dann Griffith 2006, 135 f. Vgl. ferner Stadter 2004, 31 – 33 zu Homers „explicit sense of applying tradition to the present of the main narrative“ (32); z. B. fhrt Phoinix gegenber Achilleus das Negativbeispiel des Heros Meleagros an (Il. 9.527 – 605), um eine Analogie zwischen Heroenmythos und Gegenwart herzustellen. Bereits Homer scheint das Exemplum an die aktuelle Handlungssituation der Ilias-Szene anzupassen; vgl. Graf 1985, 64 – 66; generell zu mythischen Exempla bei Homer vgl. Nagy 1996a, 113 – 146.
II. Frevel: Mythos als moralisches Paradigma Die Auflehnung gegen die Gçtter oder ,das Gçttliche, das bertreten menschlicher Grenzen und die Bestrafung solchen Frevels ist ein Grundthema der Historien – und eines Großteils der gesamten griechischen Literatur, namentlich der attischen Tragçdie. Mçglicherweise kann schon die bloße Kausalkette von Frevel im Sinne einer religiçsen bertretung und Strafe von seiten des Gottes als mythische Erzhlstruktur gelten. In diesem Kontext interessieren aber vor allem konkrete Anlehnungen an komplexere Erzhltraditionen, also diejenigen Flle von menschlicher Aggression gegen den gçttlichen Kosmos, denen eine bestimmte mythische Folie zugrundeliegt, die ber das bloße Schema von Frevel und Bestrafung hinausgeht. Auch hier sei nochmals auf die vor allem pragmatischen berlegungen folgende Einteilung der Kapitel hingewiesen: im Grunde gehçren auch die in Kapitel III behandelten Flle gottgesandten Wahnsinns in die Kategorie des Frevels; sie bilden jedoch eine in sich geschlossene Einheit und sollen als solche gesondert behandelt werden. Was ist Frevel fr Herodot? Bereits an dieser Stelle stoßen wir auf eine sehr grundstzliche Schwierigkeit. Whrend Herodot einerseits als berzeugter Anhnger traditioneller Vorstellungen von Frevel und Strafe gilt, wird andererseits immer wieder sein Rationalismus betont.100 Um die – traditionell und innerhalb der Historien – moralisch besetzten mythischen Erzhlstrukturen richtig einordnen zu kçnnen, sollte zunchst einmal eine genauere Definition der Kategorie ,Frevel innerhalb des herodoteischen Werte- und Denksystems vorgenommen werden.101
100 Vgl. den kurzen Forschungsberblick in Scullion 2006, 204 f. sowie die detaillierte „Introduction“ bei Harrison 2000. 101 Scullion 2006 postuliert die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen dem Sakrileg gegen eine bestimmte Gottheit, das durch ebendiese auch bestraft wird, und Hybris im allgemeineren Sinne („superiority“, 195), der Schicksal und abstrakte Gottheit entgegenwirken; die letztere Konstellation betrachtet er als dominantes Modell Herodots. Diese Unterscheidung ist beim Einzelbeispiel jedoch nicht immer aufrechtzuerhalten, vgl. z. B. unten Anm. 127. Im brigen relativiert auch Scullion: „the operations of the divine are not transparent, and so conclusions are necessarily tentative“ (203).
II. Frevel: Mythos als moralisches Paradigma
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Wer sich auf die Suche nach Herodots Begrifflichkeiten im Wortfeld ,Frevel begibt, wird berraschend feststellen, daß Herodot fr religiçse bertretungen keinen klaren Begriff hat.102 Dies mag vor allem denjenigen Leser erstaunen, der die Historien in deutscher bersetzung gelesen und das Wort ,Frevel und verwandte Begriffe wahrscheinlich hundertfach angetroffen hat. Hier simplifizieren jedoch die meisten bersetzungen. Herodot verwendet zur Bezeichnung von ,Vergehen gegen religiçse Gesetze ein mannigfaltiges Vokabular, dessen Einzelbegriffe sich weder auf das Bedeutungsspektrum des deutschen Terminus reduzieren lassen, noch konsequent voneinander unterscheidbar sind: So finden sich mit den Begriffen jaj|m und !d_jgla zwei riesige Wortfamilien fr religiçsen Frevel, aber auch fr alle erdenklichen anderen Missetaten. M|lor kann gçttliches, aber auch ganz menschliches Gesetz sein; die Gegenteile dazu sind folglich nicht zwingend ,frevlerisch. *laqt\meim und vbqir schließlich bezeichnen nur in Ausnahmefllen das, was das deutsche ,Frevel beinhaltet. Unzweideutige Begriffe fr ,Frevel existieren zwar, sind aber selten (es handelt sich um die nicht sehr hufig verwendeten Termini !m|siom, !tashak_a und die Gegenstze zu s]beshai, also !seb]y u. .). Der Versuch, jedem der genannten Begriffe eine ganz bestimmte Verwendungsweise zuzuorden, muß bei den verbreiteteren Wortfamilien wie jaj|m ohnehin scheitern. Eine solche Kategorisierung scheint aber auch generell nicht legitim, weil Herodot beraus hufig Synonyme verwendet, und dies in semantisch nicht unterscheidbarer Weise. Die Verwendung seiner Terminologie ist alles andere als konsequent. Grundstzliche Kategorisierungen, wie sie etwa die deutschen Begriffe der – zwischenmenschlichen – ,Ungerechtigkeit, der – eher unabsichtlichen – ,Verfehlung oder eben des – religiçs konnotierten – ,Frevels aufweisen, lassen sich in Herodots Sprache nicht feststellen. Der Herodot-Leser befindet sich hier in einer gewissen Aporie. Zwar kann nicht ernsthaft bestritten werden, daß sich in einzelnen Teilen der Historien hochmoralische Wertungen finden. Wenn das Begriffsspektrum jedoch so reichhaltig und gleichzeitig so undifferenziert ist – wie kann dann irgendeine Handlung in den Historien als das gelten, was wir im Deutschen mit ,Frevel bezeichnen? Die Antwort auf diese Frage ist nicht nur Grundthema dieses Kapitels, sondern im Grunde das des ganzen Buches. Herodot ist kein Autor, der moralische Wertungen explizit formuliert. In aller Regel werden sie durch 102 Vgl. zum Folgenden Appendix 2: Das Wortfeld ,Frevel bei Herodot.
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II. Frevel: Mythos als moralisches Paradigma
Kontextualisierung implizit vermittelt.103 In den Historien finden sich nur hçchst selten abstrakt formulierte moralische Prinzipien oder sonstige Glaubensstze, und selbst wenn dies der Fall ist, werden sie irgendwie veranschaulicht. Als Beispiel sei etwa Herodots Aussage genannt, daß jedes Volk seine eigenen m|loi am meisten schtze (3.38.1 f.). Herodot fhrt Pindars Zitat vom m|lor an, der aller Leute Kçnig ist (3.38.4 = Pi. fr. 169a.1 Maehler), und gibt dem Dichter explizit recht (aqh_r loi doj]ei). Diese Zustimmung aber greift er nicht aus der Luft, sondern sie ist Ergebnis seiner Empirie – in diesem Fall der Erzhlungen von Kambyses Wahnsinn und von Dareios Vergleich der Bestattungsbruche verschiedener Vçlker. Herodots Rstoq_a ist immer anschaulich, oft mimetisch104 in ihrer dramatischen, lebhaften und detailreichen Darstellung des Geschilderten. Daß in den Historien gefrevelt wird, steht außer Frage. Es gibt aber viele verschiedene Mçglichkeiten, dies klarer zu machen, als es durch bloße Begrifflichkeiten geschehen kçnnte. Eine davon ist die Illustration an einer mythischen Folie.
1. Imitatio Dei: Xerxes und Frau und Tochter des Masistes (9.108 – 113)105 Die Charakterisierung des Perserkçnigs Xerxes kulminiert in der Erzhlung von seiner desastrçsen Leidenschaft fr Frau und Tochter seines Bruders Masistes (9.108 – 113). Zunchst, so berichtet Herodot, begehrt Xerxes die Frau seines Bruders, die sich ihm jedoch verweigert. Um sie nher bei sich zu haben, verheiratet er seinen Sohn mit ihrer und Masistes Tochter Artay¨nte. Die Tochter nun reizt Xerxes noch mehr als die Mutter, und anders als diese verweigert sie sich nicht. In großzgiger Stimmung bietet Xerxes seiner neuen Geliebten an, sie solle sich irgendetwas von ihm ausbitten; er werde es auf jeden Fall gewhren. Darauf fordert sie ein 103 Vgl. Lateiner 1985, 92 f.: „Herodotus offers apodexis, memoranda and comparanda, not abstract explanation or instruction … Events that reflect on each other by verbal and structural ,coincidences help explain each other to the reader, not by offering an explanation of why they happened, but by suggesting appropriate historical comparisons.“ 104 Vgl. z. B. unten Kapitel V.5 zur ,mimetischen Abbildung der Seelenwanderung in Herodots Rhampsinitos-Logos 2.121 f. 105 Bei diesem Kapitel handelt es sich um eine berarbeitete Fassung von Wesselmann 2007.
1. Xerxes und Frau und Tochter des Masistes (9.108 – 113)
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Prunkgewand, das ihm seine Ehefrau Amestris gefertigt hat. Xerxes versucht, sie davon abzubringen, indem er ihr alle mçglichen anderen Schtze verspricht, doch ohne Erfolg: da ihn sein Versprechen bindet, gibt er ihr schließlich das Gewand. Seine Gattin Amestris, von deren Grausamkeit Herodot auch andernorts berichtet,106 erfhrt davon und hlt die Mutter der Artay¨nte fr die Schuldige. An Xerxes Geburtstag – wo er nach persischem Recht niemandem einen Wunsch abschlagen darf – fordert sie Gewalt ber die vermeintliche Nebenbuhlerin; Xerxes muß auch dies gegen seinen Willen gewhren, worauf Amestris ihr Opfer grausam verstmmeln lßt. Es ist dies der letzte Auftritt des Xerxes in den Historien; Herodot berichtet nur noch vom Streit der Brder und der darauffolgenden Ermordung des Masistes und seiner Familie. Aller Wahrscheinlichkeit nach wissen Autor und Rezipienten, daß Xerxes spter einer Verschwçrung zum Opfer fiel, an der Mitglieder seiner Familie maßgeblich beteiligt waren.107 Wie sich im folgenden zeigen wird, ist der Vergleich der Episode mit einer außerhalb108 der Historien berlieferten mythischen Tradition fr die Interpretation der Stelle ußerst ergiebig. Hierzu soll zunchst ihre ,Grundstruktur betrachtet werden. Die einzelnen Elemente oder Funktionen der Erzhlung lassen sich folgendermaßen separieren: 1. Blankoversprechen des Liebhabers 2. Forderung der Geliebten, der Gattin gleichgestellt zu werden (das von der Ehefrau hergestellte Gewand ist vermutlich als Ehe- oder gar Herrschaftssymbol109 zu interpretieren) 3. Erfolgloser Versuch des Geliebten, das Unheil abzuwenden 4. Eifersucht der Ehefrau 106 7.114.2, wo erzhlt wird, Amestris habe zweimal sieben Kinder lebendig begraben, um dem Gott der Unterwelt zu opfern. Allerdings ist die Grausamkeit von Nicht-Griechen auch generell Topos der griechischen Literatur; vgl. beispielsweise Laurot 1981; Hall 1989; Schmal 1995; Pelling 1997; Harrison 2002. 107 Vgl. Parker/Dubberstein 1956, 17; Wiesehçfer 1994, 78. 108 Dies schließt natrlich eine Parallelitt der Erzhlung zu anderen Geschichten innerhalb der Historien nicht aus: so hat Wolff 1964 ber die Motive der „fehlgreifenden Liebe“ (57) und der beleidigten Frau die Parallelitt zur Gyges-Novelle (1.8 – 13) konstatiert; hnlich Gammie 1986, 186 f., der beide Geschichten als Illustrationen einer „conventional weakness of the typical monarch“ liest (187). Griffin 2006, 50 sieht die Parallelitt im Motiv der erzwungenen Wahl zwischen zwei beln, mit denen Xerxes von seiner Frau und Gyges von der Kçnigin konfrontiert wird. 109 Vgl. Sancisi-Weerdenburg 1983, 29.
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II. Frevel: Mythos als moralisches Paradigma
5. Intrige der Ehefrau gegen die Geliebte (in diesem Fall die vermeintliche Geliebte) 6. Erzwungene Beteiligung des Liebhabers an der Intrige der Ehefrau 7. Tçtung der (vermeintlichen) Geliebten Hier zeigt sich eine augenfllige hnlichkeit mit dem griechischen110 Mythos von Zeus und Semele.111 Er ist vollstndig erstmals bei Ovid belegt (Met. 3.253 – 315), kann aber fr das 5. Jahrhundert mit Sicherheit als bekannt vorausgesetzt werden, wie sich auch bei Herodot selbst zeigt, wenn er ber die gyptischen Angaben betreffend das Alter einiger griechischer Gçtter spricht: mOm d³ Di|mus|m te k]cousi oR þkkgmer ¢r aqt_ja cem|lemom 1r t¹m lgq¹m 1meqq\xato Fe»r ja· Emeije 1r M}sam … (2.146) Von Dionysos erzhlen die Griechen nun, daß ihn Zeus sofort nach seiner Entstehung in seinen Schenkel eingenht und nach Nysa gebracht habe …
Daß Herodot vom Einnhen des kleinen Dionysos in Zeus Schenkel spricht, belegt wohl seine Kenntnis von der Vernichtung Semeles durch Feuer. Was das Motiv der eiferschtigen Ehefrau betrifft, so finden sich bereits in den ltesten Versionen des Mythos die Informationen, daß Zeus mit Semele ein Verhltnis hat, daß Hera eiferschtig ist und irgendetwas unternimmt. Daraufhin verbrennt Zeus Semele mit einem Blitz, worauf er den Dionysosknaben in seinen Schenkel einnhen muß.112 110 Wiesehçfer 1994, 86 hlt die Geschichte fr persisch; zu ihrer Verortung in einer orientalischen novellistischen oder biblischen Tradition vgl. auch Mller 2006, 298 mit Anm. 78 (vgl. auch unten Anm. 125). Im Lichte der folgenden Ausfhrungen kann wohl von einem gemeinschaftlich nahçstlich-griechischen Erbe ausgegangen werden. 111 Stadter 2004, 38 sieht eine allgemeinere Parallele zum Frauenraub des Paris, der ebenfalls in einer Katastrophe endet. Dasselbe Motiv erkennt er bei Gyges und Demaratos (vgl. oben 9 f.). 112 Dionysos wird h.Bacch. 1.2 als eQqavi_ta angesprochen; ferner wird auf die Tradition verwiesen, daß jusal]mgm Sel]kgm tej]eim Di· teqpijeqa}m\ (1.4). Weiter heißt es: s³ d 5tijte patμq !mdq_m te he_m te pokk¹m !p !mhq~pym jq}ptym keuj~kemom Nqgm (1.6 f.). Hier besteht also bereits Kenntnis ber Semeles Vernichtung, Heras Eifersucht wird mindestens angedeutet, und auf den Blitz wird durch Zeus Epitheton verwiesen (vgl. auch Pi. O. 2.25 – 26; S. Ant. 1116 – 1117, 1139). Auch Spintharos Tragçdientitel SELEKG JEQAUMOULEMG belegt die Bekanntheit der Geschichte in klassischer Zeit (T1 Snell TrGF 1, 40, p. 168 f. = Suda s. v. Sp_mhaqor), und Aischylos Darstellung der schwangeren Semele in seiner Tragçdie Sel]kg C gUdqov|qoi (fr. 221 – 224 Radt TrGF 3, p. 335 f.; vgl. Schol. L zu A. R. 1.636a) deutet ebenfalls auf eine Erzhlung der Geburtsgeschichte hin. Sophokles zdqov|qoi mçgen denselben Inhalt gehabt
1. Xerxes und Frau und Tochter des Masistes (9.108 – 113)
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Die Lçsung eines Blankoversprechens – das im griechischen Mythos natrlich generell verbreitet ist113 – findet sich im Kontext der SemeleGeschichte erstmals bei Ovid (Met. 3.253 – 315).114 Dennoch kann sie Herodot bekannt gewesen sein, zumal es in den lteren Versionen offensichtlich ein ,missing link gibt – wie kann Hera erreichen, daß Semele vernichtet wird, noch dazu von Zeus persçnlich?115 Es scheint also legitim, Ovids Version zum Vergleich heranzuziehen. Sie verluft folgendermaßen: Semele wird von Jupiter schwanger, was bei Juno zu einem Anfall von Eifersucht (Funktion 4) fhrt. In Gestalt der Amme Bero redet sie Semele ein, sie kçnne sich der wahren Identitt des Gottes nur dann sicher sein, wenn er ihr in seiner ureigensten gçttlichen Gestalt erscheine, was Funktion 5 entspricht, der Intrige: det pignus amoris, si modo verus is est, quantusque et qualis ab alta Iunone excipitur, tantus talisque, rogato, det tibi complexus suaque ante insignia sumat! (Ov. Met. 3.283 – 286) er soll dir ein Zeichen seiner Liebe geben, wenn er es wirklich ist, und in der Grçße und Form, wie er von der hohen Juno empfangen wird – in der Grçße und Form soll er dich umarmen, darum bitte ihn, und vorher soll er seine Zeichen anlegen.
Die naive Semele bittet den gçttlichen Liebhaber um eine Gabe, sine nomine munus, und der Verliebte gesteht ihr qua Blankoversprechen (Funktion 1) zu, was immer sie sich wnsche; ja, er schwçrt sogar beim
haben (fr. 672 – 674 Radt TrGF 4, p. 473 f.); E. Ba. wird die Blitzgeschichte expliziert (z. B. 3; 88 – 93). Bildliche Darstellungen des Todes der Semele durch den Blitz finden sich ab 390 v. Chr. (LIMC 7 s. v. Semele, p. 720 f., 6 f.). Explizit wird Heras Intrige erst spt erzhlt (Ov. Met. 3.253 – 315; Apollod. 3.4.2 f. = 3.26 – 27; Hyg. Fab. 167; 179; Nonn. D. 8). 113 Vgl. etwa zum Phathon-Mythos E. Phaethon (fr. 771 – 786 Kannicht TrGF 5.2, 72, 798 – 826); Ov. Met. 1.750 – 2.400; Nonn. D. 38.90 – 434. 114 Das Blankoversprechen kommt nicht in allen spten Versionen vor: abgesehen von Ovid wird es nur bei Apollod. 3.4.2 – 3 = 3.26 – 27 explizit referiert, nicht aber Hyg. Fab. 167; 179; Nonn. D. 8. 115 Die einzige Alternative findet sich in einer zuerst D. S. 3.64; 4.2.2 erzhlten Version, nach der Zeus Semele ihren unsinnigen Wunsch auch ohne explizit genanntes vorheriges Blankoversprechen erfllt; was ihn dazu veranlaßt, wird nicht berichtet. Daß diese Variante logisch unbefriedigend ist, lßt darauf schließen, daß Diodor das Blankoversprechen einfach bergeht bzw. dessen Kenntnis beim Leser voraussetzt. Auch in den lteren Versionen des Semele-Mythos mag dies der Fall sein.
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II. Frevel: Mythos als moralisches Paradigma
Styx, die Bitte zu erfllen. Hierauf erbittet sich Semele, der Gattin gleichgestellt zu werden: ,qualem Saturnia dixit ,te solet amplecti, Veneris cum foedus initis, da mihi te talem. (3.293 – 295) ,Wie Saturnia dich zu umarmen pflegt, sagte sie, ,wenn ihr den Bund der Venus eingeht, so gib dich mir.
Jupiter ist alles andere als glcklich ber den tçrichten Wunsch und versucht ihn zunchst abzuwenden (Funktion 3: voluit deus ora loquentis opprimere, 295 f.). Als dies nicht gelingt, will er seine Krfte immerhin mindern, und verwendet als gefordertes insignium einen levius fulmen, von den Gçttern secunda tela genannt (diese ,erzwungene Beteiligung stellt Funktion 6 dar) – aber auch das ist fr Semele zuviel: sie stirbt im Feuer; die Geliebte ist getçtet (Funktion 7). Bei Herodot ist die bernahme der mythischen Basisstruktur zwar evident, in ihrer Position sind die Funktionen jedoch verndert: die mythische Abfolge beginnt ja mit Junos Eifersucht und ihrer Intrige (4 und 5), whrend Amestris erst nach dem Blankoversprechen und dem tçrichten Wunsch der Geliebten auftritt. Ferner berrascht die Doppelung der Figur der Geliebten bei Herodot, ebenso die des Blankoversprechens – das zweite wird seinerseits Teil der Funktion 5 (,Intrige der Ehefrau). Weiter finden sich nur Teile der traditionellen Erzhlstruktur, whrend andere fehlen: im Gegensatz zu Semele ist Artay¨nte nicht schwanger; ihre Mutter wird nicht auf der Stelle vernichtet, sondern ,nur verstmmelt (was allerdings letztlich wohl zum gleichen Ergebnis fhrt). Diese Vernderungen sollen uns spter noch beschftigen. Die Historizitt der Geschichte erscheint nahezu ausgeschlossen; zu auffllig ist die Tatsache, daß Xerxes hier nicht zum ersten Mal mit Zeus in Verbindung gebracht wird, der hufig als Folie fr die Darstellung des Perserkçnigs fungiert. Xerxes Hybris ist ein Grundzug seiner Charakterisierung in den Historien, und oft steht sie im Zusammenhang mit dem Gçttervater. So wird im ersten Buch erzhlt, wie Xerxes das Zeusbild von Babylon stiehlt und den Priester tçten lßt (1.183.3). Es bleibt jedoch nicht bei mangelhaftem Respekt vor Zeus; Herodots Xerxes betreibt auch eine Art imitatio Iovis. Seiner ehrgeizigen Außenpolitik setzt er das Ziel, ,den Himmel des Zeus zur Grenze des Perserlandes zu machen (7.8.c.1). ber den Hellespont fhrt Xerxes seinen Wagen direkt hinter dem Ehrenwagen
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des Zeus; neben beiden Fahrzeugen geht der zugehçrige Wagenlenker zu Fuß her (7.40.4).116 Im Kontext dieser grçßten Freveltat des Xerxes, der Schndung des Hellesponts und der gewaltsamen Verbindung zweier Kontinente (vgl. unten 58 und Anm. 158), geschieht es dann, daß ein ungenannter Hellespontier mit den folgenden Worten an ihn herantritt: ¯ FeO, t_ dμ !mdq· eQd|lemor P]qs, ja· oumola !mt· Di¹r N]qngm h]lemor !m\statom tμm :kk\da h]keir poi/sai %cym p\mtar !mhq~pour7 ja· c±q %meu to}tym 1n/m toi poi]eim taOta ; (7.56.2)117 O Zeus, warum hast du erst das Aussehen eines Persers angenommen und dir statt Zeus den Namen Xerxes gegeben, um Griechenland zu verwsten? Du fhrst ja die ganze Menschheit mit dir! Du httest es doch auch ohne dies alles tun kçnnen?
Schließlich finden sich auch in der eben behandelten Geschichte weitere suggestive Bestandteile von Herodots tendenziçsem Xerxes-Portrait: die Bitte seiner Frau gewhrt der Perserkçnig durch Nicken, wobei Herodot das homerische Verb jatame}eim verwendet, das im Epos ausschließlich Gçttern vorbehalten ist, etwa wenn Zeus der Thetis eine neue Rstung fr Achilleus verspricht.118 Auch der inzestuçse Beigeschmack von Xerxes Beziehung zu Artay¨nte, die ja ber Masistes seine Nichte ist, deutet auf den Gedanken des Quod licet Iovi … hin. Der Effekt dieser Nhe der Episode zum Mythos von Zeus und Semele liegt auf der Hand. Daß Xerxes Verhalten nichts Gutes fr sein weiteres Schicksal verheißt, versteht sich aus dem Gesamtkontext des Werkes von selbst. Zahlreiche herodoteische Figuren berschtzen sich oder messen sich mit den Gçttern, wobei die Strafe stets auf dem Fuße zu folgen pflegt.119 Daß Herodot und seinen Zuhçrern das unrhmliche Ende des
116 8.115 wird neben der Schilderung des durch Hunger und Krankheit aufgeriebenen persischen Heeres auch der Verlust ebendieses Wagens erwhnt, als solle die Abwendung des Gottes vom persischen Heer insinuiert werden. 117 Vgl. Erbse 1992, 87 f.: „Der Ausruf ist so formuliert, daß er sich selbst aufhebt: der Aufwand ist nicht entbehrlich, infolgedessen ist Xerxes nicht Zeus, und am Erfolg des Unternehmens sind ernste Zweifel mçglich.“ 118 Vgl. Flower/Marincola 2002 zu 9.111.1. 119 Auch der Initiator des ionischen Aufstands, Aristagoras, wird glcklos bleiben, wenn er Leute wirbt, indem er ihnen Reichtmer wie diejenigen des Zeus verspricht (2k|mter d³ ta}tgm tμm p|kim haqs]omter Edg t` Di· pko}tou p]qi 1q_fete, 5.49.7). Daß die Anmaßung eines Sterblichen, sich mit einem Gott zu messen, in Herodots Augen gerade im Falle eines Persers von besonderer Hybris zeugen muß, belegt 1.131, wo es von den Persern heißt, fti oqj !mhqypovu]ar 1m|lisam to»r
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II. Frevel: Mythos als moralisches Paradigma
Xerxes als Opfer einer ,privaten Palastintrige bekannt ist, erscheint umso plausibler, als die von Herodot zuletzt erzhlte Tat des Kçnigs in Kombination mit dieser biographischen Information noch pointierter wirkt:120 der gescheiterte Weltherrscher verlegt seine Zeus-Ambitionen in die eigenen vier Wnde – und scheitert auch dort.121 In diesem Lichte betrachtet, bedeutet es wohl keine berinterpretation, die Geschichte auch mit einem weiteren mythischen Einzelmotiv in Verbindung zu bringen: dem des tçdlichen Gewandes. Herakles stirbt durch ein Gewand, das ihm von einer Frau geschickt wurde;122 auch Medeia bedient sich dieser offenbar typisch ,weiblichen Waffe – gegenber einer weiblichen Rivalin.123 Bei Herodot geht zwar nicht der Empfnger des Gewandes zugrunde; es ist jedoch immerhin vorstellbar, daß das Gewand das Ende des Kçnigs antizipiert: als Symbol des Verderbens, das Xerxes durch seine Hybris auch im Privaten heraufbeschwçrt. Wenn man also Xerxes als ,Opfer des Gewandes interpretiert, erklrt sich auch, warum Amestris es nicht der Feindin schickt wie Medeia, sondern fr ihren Gatten webt. Auch im Vergleich zum Herakles-Mythos liegt eine Verschiebung des Motivs vor: whrend Nessos das Gift von vorneherein in bçser Absicht bergibt, worauf es von Deianeira mit dem Gewand an Herakles weiter-
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heo»r jat\ peq oR þkkgmer eWmai. Vgl. ebenda Herodots Aussage ber die enorme Bedeutung des Zeus in der persischen Religion. Auch wenn es sich hierbei um interpretatio Graeca handelt, steigert diese Information die Empçrung ber Xerxes Gebaren auf seiten des griechischen Rezipienten. Vgl. Wolff 1964 (dagegen Waters 1971, der die Geschichte lediglich als bedeutungslose Anekdote mit „plenty of popular appeal“ auffaßt, 84). Allerdings erstaunt es, daß Herodot das Ende des Xerxes nicht explizit referiert. Es scheint, als interessiere die Figur nur im Hinblick auf ihre Beziehung zu Griechenland – sobald diese nicht mehr relevant ist, verschwindet Xerxes aus dem Fokus des Erzhlers. Aber auch fr den unwahrscheinlichen Fall, daß das Ende des Xerxes Herodot nicht bekannt geworden sein sollte, hat die Hybris der imitatio Iovis gengend Signalwirkung, um erstens das bçse Ende des Kçnigs zu beschwçren und zweitens sein Scheitern in Griechenland zu erklren. Vgl. Hazewindus 2004, 118: „The failure of Xerxes reinforces the picture of him as a loser.“ Baragwanath 2008, 278 – 280 weist auf die partielle Positivdarstellung des Xerxes in der Geschichte hin: in seinen wiederholten Versuchen, Schlimmes zu verhindern, zeige der Kçnig immerhin „a degree of moderation“, anders als ein wahnsinniger Kambyses. Daß diese Versuche jedoch smtlich erfolglos bleiben, demonstriert umso mehr die Schwche des Kçnigs, die einem Herrscher schlicht nicht angemessen ist, und lßt die Identifikation mit Zeus umso lcherlicher erscheinen. Bereits bei Hes. fr. 25.14 – 19 MW; B. Dith. 16.23 – 35 Maehler; S. Tr. Wohl erst bei Euripides, vgl. Lesky 1931a, 45.
1. Xerxes und Frau und Tochter des Masistes (9.108 – 113)
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gereicht wird, lçst das von Amestris ohne jegliche Hintergedanken an Xerxes bergebene und von diesem an Artay¨nte weitergereichte Gewand erst an dieser Stelle die bçse Absicht der ursprnglichen Geberin aus. Eine weitere Zergliederung der Einzelmotive ergibt zunehmende Diffusitt, stçrt die Grundtendenz der Struktur jedoch nicht: so ist oben bereits das Motiv des Blankoversprechens genannt worden, das etwa in der Phathon-Geschichte vorkommt; auch dort fhrt es zur Katastrophe. Weiter erinnert die Bitte der Amestris, Gewalt ber die Rivalin zu erhalten, auch an die Hera-Io-Konstellation – Xerxes aemulatio des Gçttervaters wird hierdurch zustzlich unterstrichen.124 Hauptreferenz ist in diesem Fall jedoch deutlich der Semele-Mythos, dessen komplexe Struktur verndert, in der Hauptsache jedoch bernommen wird. Es bleibt die Frage, warum die Xerxes-Geschichte der Struktur des Semele-Mythos nicht genauer folgt. In erster Linie fllt die Zweizahl der mindestens potentiellen Geliebten und auch des Blankoversprechens auf.125 Die Antwort ergibt sich zum Teil aus der Logik der Erzhlung selbst: das zweite Versprechen ist ,dramaturgisch nçtig, da Amestris nicht von sich aus ber die Macht einer Juno verfgt und von Xerxes autorisiert werden muß. Hier htten wir es also auch mit Rcksicht auf einen gewissen Realismus zu tun. 124 Weiter kçnnen hier auch spezifisch tragische Elemente benannt werden; so wird Artay¨nte, als sie das verhngnisvolle Gewand empfangen hat, als peqiwaq^r bezeichnet. Vgl. dazu Chiasson 2005, 49 – 52: Herodot bezeichnet die Mutter von Kleobis und Biton als peqiwaq^r, als sie, berglcklich ber die Tchtigkeit ihrer beiden Sçhne, ahnungslos um die fr sie selbst schmerzliche gçttliche Belohnung bittet. Chiasson interpretiert dies als tragische Ironie und stellt fest, daß das Adjektiv „always foreshadows suffering for the person so described [er zitiert 1.119.2; 3.35.3, 3.157.3; 4.84.2; 5.32; 7.37.3, 7.215; 9.49.1, 9.109.3], thus exemplifying the characteristic Herodotean perception of human pleasure and prosperity as short-lived“ (49). Bei zweien der genannten Beispiele bezieht sich peqiwaq^r auf Eltern, die indirekt fr den unmittelbar folgenden Tod ihrer Kinder verantwortlich sein werden; im oben diskutierten Beispiel wird die peqiwaq^r Artay¨nte den Tod ihrer Mutter herbeifhren. 125 In Parenthese muß zustzlich angemerkt werden, daß auch das Motiv der doppelten Liebe eines Kçnigs zu einer Mutter und einer Tochter in der erzhlerischen Tradition verankert ist – und zwar ebenfalls im Zusammenhang mit einem Blankoversprechen. Es handelt sich um die neutestamentliche Geschichte der Salome (Matthus 14.1 – 12; Markus 6.14 – 28). Auch hier ist die Mutter zunchst mit dem Bruder des Kçnigs verheiratet. Allerdings ist das Opfer der Intrige in dieser Erzhlung eine vierte Figur, Johannes der Tufer. Bei Herodot wird die – potentielle – Geliebte vernichtet, womit er der Semele-Geschichte wieder nhersteht.
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II. Frevel: Mythos als moralisches Paradigma
Auch die Verdoppelung der Geliebten kçnnte fr einen solchen Realismus sprechen, sogar fr die Orientierung an gewissen historischen Eckdaten, die in das mythische Schema eingefgt werden – sei es durch Herodot selbst oder durch seine Quellen. Beispielsweise kçnnte es den historischen Gegebenheiten entsprechen, daß Xerxes mit seiner Nichte Artay¨nte ein Verhltnis hatte, und daß Xerxes namenlose Schwgerin, die Frau des Masistes, grausam verstmmelt wurde. Dieses Rohmaterial nun fgt sich zu einem gelufigen narrativen Schema, ohne sich sklavisch an dieses zu halten. Eine solche ,partielle Treue zum historischen Geschehen kçnnte auch der Grund dafr sein, daß das Motiv der Schwangerschaft der Geliebten aus der traditionellen Erzhlstruktur herausfllt – es wrde zu den restlichen Daten schlicht nicht passen. Eine andere Interpretation der Doppelung schlgt Vivienne Gray vor, die in der Erzhlung eine fr Herodot typische „incremental triple series of crises“ sieht, „where each is linked to the next through the unexpected outcomes of gift-giving“ (2002, 311).126 Das letzte Glied der Dreierkette, die mit den beiden Blankoversprechen und der jeweils daraus folgenden Zwangslage des Kçnigs einsetzt, ist nach Gray der Versuch des Xerxes, Masistes mit seiner, Xerxes, Tochter zu verheiraten, womit er den Bruder zwingen will, seine Frau zu verstoßen (9.111). Xerxes weiß zu diesem Zeitpunkt schon, welches Schicksal Masistes Frau droht und sucht sie folglich aus der Familie auszuschließen bzw. Masistes zu neuem und ehrenvollerem Glck zu verhelfen. Wie die beiden Frauen auf die Blankoversprechen, so reagiert auch Masistes berraschend auf Xerxes Angebot – er lehnt rundweg ab und lßt es zum Bruch kommen. Betrachtet man diese letzte Szene nun als Klimax der notwendigerweise dreigliedrigen „short story“, so ergbe sich daraus auch ein zwingender Grund fr die Doppelung des Vorhergehenden. Eine solche erzhlerische Taktik wre zwar das genaue Gegenteil der soeben vermuteten Vernderung des traditionellen Schemas zugunsten historischer Daten, erscheint fr Herodot jedoch ebenso plausibel. Die strukturelle Analyse der Episode erbringt jedoch auch bezglich der Doppelungen mehr Aufschluß als alle berlegungen zu ihrer Genese. Folgt man der paradigmatischen Achse der Erzhlung (vgl. oben 30 f.), ergibt sich vor allem die Steigerung der vom Rezipienten empfundenen Intensitt des Erzhlten: das Motiv des Blankoversprechens wird im Zusammenhang mit der Figur des Xerxes viel strker hervorgehoben, wodurch die Zeus-Folie ihrerseits neu betont wird – der grçßenwahnsinnige 126 Gray 2002, 291 – 292; 310 – 312.
2. Gewsserfrevel
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Perserkçnig gefllt sich nicht nur in Verhaltensweisen, die traditionell mit dem Gçttervater assoziiert werden, sondern er praktiziert diese auch in inflationrer Weise, und zwar mit desastrçsen Folgen, die insofern noch extremer erscheinen, als sie eine vçllig Unschuldige treffen. Es zeigt sich, daß eine explizite Kategorisierung von Xerxes Tun als Frevel nicht notwendig ist. In seinem Handeln, so wird deutlich gezeigt, will er dem Gçttervater Zeus hneln – daß dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt ist, muß dem griechischen Rezipienten nicht eigens erklrt werden. Kçnnte es das berhaupt? Nicht mit Herodots Terminologie. Xerxes Handeln im Kontext der Geschichte von Frau und Tochter des Masistes ist kein eindeutiger Fall von !d_jgla, "laqt\meim, jaj|m oder vbqir – und als !m|siom, !t\shakom oder oq s]beshai lßt es sich schon gar nicht fassen. Die traditionelle Folie ist nçtig, um begreiflich zu machen, was an Xerxes Tun so falsch ist. hnlich verhlt es sich bei den folgenden Beispielen.
2. Gewsserfrevel 2.1 Die persischen Kçnige Mehrere der von Herodot dargestellten persischen Kçnige freveln an Flssen oder gar am Meer. Dies kann sich, wie im folgenden ausgefhrt werden soll, auf eine einfache berquerung des Gewssers beschrnken, die als Hybris gedeutet wird; bisweilen wird das Wasser auch kanalisiert oder umgeleitet, hin und wieder gar explizit beschimpft. Daß diese Handlungen als frevlerisch interpretiert werden, wird aus den im folgenden besprochenen Stellen deutlich,127 auch wenn die gçttliche Bestrafung nicht 127 Scullion 2006 (vgl. unten Anm. 137) fhrt zwei relativierende Argumente an. Zum einen vermerkt er die partielle Positivdarstellung der Naturbezwingungen (so auch Romm 2006, bes. 188 – 190): der Architekt der Bosporusbrcke weiht ein Bild von dieser im Tempel (4.88); Herodot zeigt sich fasziniert von der technischen Seite der persischen Hellespontberbrckung, wie aus der detaillierten Beschreibung 7.36 hervorgeht; der weise Berater Artabanos warnt nicht vor der berbrckung. Zum letzten Punkt sei noch ergnzt, daß der weise Berater Kroisos auch Kyros nicht vor dem berschreiten des Araxes warnt. – Die partielle Positivdeutung spricht m. E. nicht gegen die in den Historien ebenfalls herrschende Auffassung der Gewsserberbrckung oder -vernderung als Naturfrevel: die kontrren Auffassungen kçnnen durchaus nebeneinander existieren; so wird ja auch in den Historien nicht jede berwindung eines Gewssers direkt oder berhaupt bestraft, vgl. die folgende Anm. Scullion selbst bezeichnet He-
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II. Frevel: Mythos als moralisches Paradigma
immer auf dem Fuße folgt.128 Programmatisch expliziert ist die Beleidigung eines Gewssers in der Erzhlung von dem gyptischen Kçnig Pheros, der anlßlich einer berschwemmung einen Speer in den Nil wirft (2.111). Gleich darauf (let± d³ aqt_ja, 2.111.2) erblindet er, und es ist explizit von ,Strafe, fgl_a, die Rede. Die Gewsserfrevel der persischen Kçnige laufen nach einem etwas anderen Muster ab. Hufig findet sich dabei eine vollstndige oder partielle Kombination der folgenden Funktionen: 1. Quasi-Personifikation des Gewssers als eines persçnlichen Gegners 2. Schmhung des Gewssers 3. Selbstberschtzung (von den handelnden Figuren verbal ausgedrckt oder durch Kommentar des Erzhlers konstatiert) 4. Vernderung der natrlichen Gegebenheiten bzw. berwindung der natrlichen Grenze So berichtet Herodot 1.189 f. und 5.52, daß sich Kyros von dem Fluß Gyndes persçnlich beleidigt fhlt, weil eines seiner heiligen weißen Pferde darin ertrunken ist.129 Er bedroht den personifizierten Fluß damit, ihn so
rodot in erster Linie als „teller of tales“ (2006, 203), und eine Heterogenitt der Perspektiven ist bei einer solchen Kompilation von Traditionen nicht berraschend, zumal Herodot ohnehin stets gleichzeitig in verschiedenen Diskursen zu operieren scheint (vgl. etwa unten 121 f. zur physisch-gçttlichen Ursache der lam_a). – Zum anderen legt Scullion Wert auf den Unterschied zwischen der Beleidigung einer einzelnen Gottheit (etwa beim Schnden eines Tempels) und einer generellen berheblichkeit gegenber „abstract divinity“. Daß Scullion die Schndung des Hellesponts in die letztere Kategorie einordnen will, leuchtet nicht vçllig ein, werden doch Meer und Flsse bei Griechen und Persern als Gçtter verehrt (Hdt. 1.138.2) und der Hellespont durch Xerxes klar personifiziert (vgl. unten 60 f.). 128 Munson 2001, 11 weist darauf hin, daß Kyros Zchtigung des Gyndes (1.189 f.; 5.52) keine negativen Folgen zeitigt, seine Trockenlegung des Euphrat (1.191) gar von Erfolg gekrçnt ist; auch Babylons Kçniginnen Nitokris und Semiramis hatten den Fluß bereits gestaut und umgeleitet (1.184 – 186). Dennoch erscheint Munson die Kontrolle der Natur „morally problematic and therefore dangerous“ (11). „These acts also represent … monarchic imperialism over the environment.“ Das Gegenteil sieht sie in den Schiffen der Assyrer verwirklicht, die, çkonomisch in Ausstattung und Herstellung, nur zum Transport flußabwrts gedacht sind. „They display not only industry and sophie but also what we call common sense and the Greeks would include in their notion of sophrosune“ (12). 129 Das Pferd ist aus Hybris in den Fluß gesprungen, als es versuchte, diesen zu durchschreiten (rp¹ vbqior 1sb±r 1r t¹m potal¹m diaba_meim 1peiq÷to, 1.189.1); sollte darin eine Antizipation von Kyros Handeln gelesen werden? Allerdings ist
2. Gewsserfrevel
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schwach zu machen, daß sogar Frauen ihn durchschreiten kçnnen, ohne sich auch nur die Knie zu benetzen. Nach diesem verbalen Schimpf setzt er seine Worte in die Tat um und lßt den Fluß unter enormem Zeit- und Arbeitsaufwand in dreihundertsechzig Arme zerteilen – keineswegs aus praktischen Erwgungen, sondern einzig als Strafe fr den Fluß.130 Mit Ausnahme einer expliziten Formulierung von Kyros Selbstberschtzung sind alle obengenannten Handlungselemente vorhanden; diese dritte Funktion aber findet sich berdeutlich bei einem anderen Gewsserfrevel des Kyros. Es ist dies sein Untergang, der deutlich mit der berquerung eines Flusses verbunden ist: Kyros lßt den Araxes berbrcken, um ins Land der Massageten zu gelangen (1.205 – 208). Bisweilen scheint schon die reine berschreitung eines Gewssers ohne dessen Beleidigung als bertretung auch im moralischen Sinne gewertet zu werden, was sich vermutlich als grundstzliche Kritik an der imperialistischen Ausdehnung menschlicher Herrschaftsgrenzen lesen lßt.131 So ist der Fluß hier weder personifiziert noch schmht ihn der Kçnig; Funktion 4, die berwindung der natrlichen Grenze, ist jedoch von großer Signifikanz, zum einen angesichts der Tatsache, daß Herodot Kyros Motivation fr den Massagetenfeldzug mit t¹ doj]eim pk]om ti eWmai !mhq~pou umschreibt (,der Glaube / der Anschein, mehr zu sein als ein Mensch, 1.204.2), womit Funktion 3, der Ausdruck der Selbstberschtzung, der berschreitung unmittelbar vorausgeht, zum anderen weil durchaus die Mçglichkeit bestnde, die Massagetenkçnigin ohne berschreitung des Flusses herauszufordern (1.206) – was sowohl von dieser selbst als auch von allen Beratern außer Kroisos vorgeschlagen wird.
Hybris bei Tieren als Bezeichnung eines unkontrollierten Verhaltens bei Herodot nicht ohne Parallele, vgl. unten Anm. 950 und Fisher 1992, 353 f. 130 Vgl. die Analyse von Fisher 1992, 352 – 357, der die Kanalisierung des Gyndes nicht – wie den bergang ber den Araxes (vgl. das Folgende) – als bloße Grenzberschreitung auffaßt, sondern als ,allgemeinere Freveltat: „[Herodotus] presents the act as pointlessly vindictive, wasting time, and insulting the river“ (354). Als Gegensatz dazu sieht Fisher die aus rein praktischen Motiven unternommene Umleitung des Euphrat bei Kyros Einnahme von Babylon (1.191): „[it] was at least an effective stratagem that led to the capture of the city. That itself is presented as fairly naked Persian aggression (cf. 1.190.2), and the stratagem perhaps fits the aggressive intent; but it seems hard to view it in itself as a particularly hybristic or gratuitous outrage.“ Anders Immerwahr 1966, 166, der auch diese Aktion als Hybris betrachtet. 131 Vgl. Romm 2006, 187 f.
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II. Frevel: Mythos als moralisches Paradigma
Auch Dareios zwingt der Natur seinen Willen auf. Sein dramatischster132 Gewsserfrevel hat wieder mit berschreitung zu tun. Er steigert gleichsam Kyros Frevel am Gyndes, wenn er nicht nur einen Fluß, sondern das Meer bndigt: Whrend seines Zuges gegen die Skythen berbrckt er den thrakischen Bosporus. In Herodots Schilderung wird die Meerenge quasi personifiziert, als von ihrem ,Nacken die Rede ist, dem Dareios ein Joch auferlegt habe (c]vuqam fe}nar 1p· t` aqw]mi toO Bosp|qou, 4.118.1), hnlich der dramatischen Formulierung des Aischylos Pers. 72 (fuc¹m !lvibak½m aqw]mi p|mtou). Im ,Bosporus mag bei der Darstellung solcher Knechtschaft das Bild des unterjochten Ochsen mitgedacht sein. Auch sonst verwendet Herodot fr die berbrckung stets das Verb feucm}mai (3.134.4; 4.85; 4.87 – 89):133 Hier klingt deutlich das fuc|m mit, das dem Meer(gott) auferlegt wird. Daß das Verb fr den Brckenbau im Griechischen blich ist, tut der Vorstellung der Gewalt keinen Abbruch: im Gegenteil erweist dies, daß die berwindung eines Flusses schon im griechischen Sprachgebrauch als Gewaltakt verstanden wird, es sich also um eine tief verwurzelte Vorstellung handelt, die ihrerseits Herodots (und Aischylos) Denkart prgt.134 Die Naturvernderung des Dareios erscheint berdies besonders gravierend, weil die berbrckung der Meerenge zudem die Verbindung zweier Kontinente bedeutet, deren Getrenntsein zentrales Thema der Historien ist.135 Unmittelbar nach der berquerung des Bosporus folgt die zunchst demtig anmutende Episode, wie Dareios dem Fluß Tearos eine Stele errichten lßt (4.91). Hierauf sagt er zunchst ber den Tearos, er habe vdyq %qist|m te ja· j\kkistom, ,das beste und schçnste Wasser, dann aber auch gleich ber sich selbst, er sei !mμq %qist|r te ja· j\kkistor p\mtym !mhq~pym, Daqe?or b zst\speor, Peqs]ym te ja· p\sgr t/r Ape_qou basike}r (,der beste Mann und der schçnste aller Menschen, Dareios, Sohn 132 Weniger typisch fr die Struktur des Gewsserfrevels, aber womçglich hnlich aussagekrftig im Hinblick auf den potentiell stets grçßenwahnsinnigen Tyrannen (vgl. 3.80.3), ist Herodots Bericht von Dareios Vollendung eines Kanals, den der gyptische Kçnig Nekos begonnenen hatte und der vom Nil bis ans Rote Meer reicht (2.158; 4.39.1), vor allem angesichts der Erwhnung des Opfers von 120 000 Menschenleben, das der Bau unter Nekos gefordert hatte. 133 Vgl. hierzu auch Aischylos Formulierungen Pers. 722 und 736. 134 Vgl. Lateiner 1989, der auch feststellt, daß diaba_meim bei Herodot in beinahe allen Fllen militrische Aggression bezeichnet, mehrfach auch „critical military offensives … Like the similarly innocent feucm}eim, repetition in contexts of imperialist adventurism suggests the authors attitude. The verb and its derivatives generally mark an action as unwise.“ 135 Vgl. unten Anm. 158.
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des Hystaspes, Kçnig der Perser und des ganzen Kontinents, 4.91.2). Es handelt sich also weniger um eine Verehrung des Flusses als um eine Gleichsetzung des Dareios mit dem Naturgott. Auch sein im Folgekapitel geschildertes Tun am Fluß Arteskos dient lediglich seinem eigenen Ruhm: er lßt zum Zeichen seines Vorberziehens riesige Steinhaufen errichten. Dareios wird sein Tun kein Glck bringen – der Skythenfeldzug geht nicht gut fr ihn aus. Die Handlungen des Xerxes schließlich bilden die Spitze der klimaktischen, generationenbergreifenden Gewsserfrevel.136 Zunchst berichtet Herodot vom Athosdurchstich (7.22 – 24; 7.37), den der Kçnig in Auftrag gibt. Der Athos wird zu einer Insel gemacht, indem Xerxes die Landenge durchtrennen lßt, die den Berg mit dem Festland verbindet. Es handelt sich also eher um einen Frevel an der Erde als an einem Gewsser; dennoch ist Funktion 4, die Vernderung natrlicher Gegebenheiten, deutlich ausgeprgt. Wie sich aus einer anderen Stelle, 1.174, ergibt, steht diese Art Naturvernderung im Ruch des Frevels: Als die Knidier ihr Land durch den Durchstich einer schmalen Landenge zu einer Insel machen wollen, um sich so gegen die anrckenden Perser zu verteidigen, kommt es unter den Arbeitern zu zahlreichen Verletzungen. Auf Befragen des delphischen Orakels weist die Pythia die Knidier an, die Arbeiten sofort abzubrechen, Fe»r c\q j 5hgje m/som, eU c 1bo}keto (,denn Zeus htte schon eine Insel gemacht, wenn er gewollt htte, 1.174.5). Die Vernderung der Natur ist damit eindeutig als Frevel klassifiziert. Die Knidier geben ihr Vorhaben auf.137 136 Zur Parallelitt der berquerungen von Dareios und Xerxes, die bis ins Detail ausgearbeitet ist, vgl. Hartog 1980, 54 – 57. Vgl. zu den „cross-references“ zwischen den Taten der persischen Kçnige weiter Rengakos 2001, 256 – 261. Diese Referenzen bewirken eine starke Stilisierung: „one cannot but reach the conclusion that at work here [in Dareios Skythenzug] is an intentional stylizisation of a threadbare historical material with the ultimate goal to indirectly suggest to the reader certain historical judgements as well as hidden causal links“ (2001, 260). Zu den ,patterns in den Historien generell Rengakos 2006, 207: „A complex network of associations permeates the work and serves to connect even distant sections with one other; it is the presence of these associations which reveals the unity of Herodotus work, because the relevance of many of the sections is often not immediately apparent; they ,refer to, or can be understood only in relation to, another part of the work.“ 137 Gegen die Interpretation des Athosdurchstichs als Frevel fhrt Scullion 2006, 194 das Orakel ins Feld, das fr Artachaies, den Architekten des Athoskanals, Heroenkult anordnet. Dieser Gçtterspruch ist Beleg fr die auch in religiçsem Sinne heterogenen Traditionen, die Herodot verwendet (vgl. oben Anm. 127); er ist mit
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Xerxes Motiv zu seiner gewaltsamen Naturvernderung ist hçchst zweifelhaft, wie Herodot 7.24 bemerkt: Man htte die Schiffe ohne weiteres ber die Landenge ziehen kçnnen: ,den Durchstich hat Xerxes aus Grçßenwahn veranlaßt, weil er seine Macht demonstrieren und sich ein Denkmal setzen wollte (lecakovqos}mgr eVmejem aqt¹ N]qngr aq}sseim 1j]keuse, 1h]kym te d}malim !pode_jmushai ja· lmgl|suma kip]shai), womit Funktion 3 deutlich aufscheint, der Ausdruck der Selbstberschtzung.138 Xerxes steigert seinen Frevel spter noch am Hellespont, den er berbrcken will wie Dareios den Bosporus (7.33 – 36).139 Als der erste Versuch mißlingt (7.34), verbindet er Personifikation und Schmhung des Gewssers (Funktion 1 und 2): er lßt das Meer geißeln und Fußschellen darin versenken (7.35).140 Vor Zorn lßt er den Hellespont sogar brandmarken und allen fr den gescheiterten Brckenbau Verantwortlichen die Kçpfe abschlagen. Whrend der Geißelung des Meeres mssen die Henker ,barbarische und frevelhafte Dinge (b\qbaq\ te ja· !t\shaka) sagen, nmlich: § pijq¹m vdyq, desp|tgr toi d_jgm 1pitihe? t^mde, fti lim Ad_jgsar oqd³m pq¹r 1je_mou %dijom pah|m7 ja· basike»r l³m N]qngr diab^seta_ se, Em te s} ce bo}k, Em te l^7 so· d³ jat± d_jgm %qa oqde·r !mhq~pym h}ei ¢r 1|mti ja· hokeq` ja· "kluq` potal`. (7.35.2). der Position des Knidierorakels nicht vereinbar. Letzteres als „sententious camouflage for the Medising of the oracle itself or of the Cnidian faction that consulted it“ abzutun (Scullion 2006, 194), ndert nichts an der Tatsache, daß die Naturvernderung in der Knidiergeschichte als Frevel dargestellt ist – ob vom Orakel, von den Knidiern oder von Herodot, der diesen Fall nicht kommentiert. Die Existenz der Vorstellung, Naturvernderung sei frevelhaft, ist somit belegt – und muß zwingend auch bei anderen Beispielen mitgedacht sein, wenn auch bisweilen als ein von technischer Faszination verdrngter Subtext. 138 Die Frage nach der Motivation einer Naturvernderung scheint in diesem Kontext durchaus relevant; so kann Sesostris gypten zum Wohle seines Volkes mit Kanlen durchziehen, was berdies im Kontext seiner Erbauung eines Heiligtums fr Hephaistos berichtet wird (2.108). Es geschieht ihm nichts. 139 Vgl. Pelling 1997, 1: „Xerxes turns sea into land (the Hellespont) and land into sea (Athos), and we know he will not prosper.“ Zur Gottgesandtheit des Sturms, der die Hellespontbrcke zerstçrt, vgl. Romm 2006, 186 f. 140 Vgl. zu Herodots ped]ym feOcor (7.35.1) Aischylos desl~lata (desl~lasim, Pers. 745). Die Fesselung einer Gottheit – und als solche darf das Meer sicherlich aufgefaßt werden – ist als Vorstellung schon in der homerischen LaomedonGeschichte belegt (Il. 21.453 f.); vgl. auch unten 155 f. zu Pentheus Gefangennahme des Dionysos bzw. Perianders Einkerkerung des Arion.
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Du bitteres Wasser, der Herr bestraft dich so, weil du ihm Unrecht getan, obwohl du von ihm nichts Unrechtes erfahren hast – und Kçnig Xerxes wird dich berschreiten, ob du willst oder nicht. Dir opfert kein Mensch zu Recht, weil du ja doch nur ein dreckiger, salziger Fluß bist.
In der berhçhung des desp|tgr, der d_jgm 1pitihe?, des basike»r N]qngr klingt natrlich die Selbstberhebung mit, die oben als Funktion 3 bezeichnet worden ist. Ob Xerxes den Begriff potal|r verwendet, weil er die Zugehçrigkeit des verachteten Hellesponts zum Meer nicht anerkennt oder weil ihm in diesem Augenblick tatschlich nicht klar ist, daß es sich um einen Meeresarm handelt, ist nicht entscheidend. Auch der Frevel an einem Fluß ist gravierend, gerade bei den Persern, die Flssen grçßte Verehrung zuteil werden lassen (vgl. 1.138.2).141 Auch hier ist die vierte Funktion besonders stark prsent, weil es sich wiederum um die Zusammenjochung der beiden Kontinente handelt, die schon Dareios unternommen hatte. „Nature, which in tragedy is closely linked to the divine, defeats and punishes any human attempt to control it“, formuliert James Romm das Problem (2006, 187). Die Vergewaltigung der Natur wird zur Auflehnung gegen die gçttliche Weltordnung: Herodot lßt es Themistokles aussprechen, als er ber heo_ und Fqyer spricht, ,die nicht wollten, daß ein Mann Kçnig ber Asien und Europa sei (oT 1vh|mgsam %mdqa 6ma t/r te )s_gr ja· t/r Eqq~pgr basikeOsai, 8.109.3),142 weswegen sie den Griechen den Sieg schenkten.143 Das von Herodot mehrfach thematisierte Versiegen der Flsse unter dem Ansturm des gewaltigen Perserheeres144 gehçrt ebenfalls in die Kat-
141 7.54 reflektiert Herodot ber ein mçgliches Reueopfer des Xerxes nach der Schndung des Hellesponts. Dies hebt jedoch das Frevelhafte an der Tat nicht auf, sondern eher noch strker hervor. 142 Es folgt 1|mta !m|si|m te ja· !t\shakom, was aber nicht die zentrale Aussage der Stelle zu sein scheint. Zunchst einmal wollen die Gçtter nicht, daß Europa und Asien in einem einzigen Machtbereich miteinander verbunden werden, erst recht nicht von einem Frevler wie Xerxes – 6ma ist stark genug, um dem ersten Argument auch unabhngige Bedeutung zu verleihen. 143 Scullion 2006, 203 mahnt zur Vorsicht: die Aussage „is doubly distanced from [Herodotus] narrative voice; it is embedded in a speech of Themistocles, and the speech is explicitly a deception.“ Aber auch die „narrative voice“ bezeichnet Xerxes Beschimpfungen dem Hellespont gegenber als b\qbaq\ te ja· !t\shaka (7.35.2), was Themistokles !m|si|m te ja· !t\shakom (vgl. die vorhergehende Anm.) zum Verwechseln hnlich sieht. Vgl. ferner unten 88 zur auktorialen Untermauerung von Themistokles Diktum durch die Erzhlung 8.35 – 39. 144 Herodot faßt die einzelnen Gelegenheiten, bei denen das persische Heer Flsse vçllig erschçpft, 7.21.1 vorgreifend zusammen: t_ c±q oqj Ecace 1j t/r )s_gr 5hmor
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egorie des Gewsserfrevels – zwar greift hier nicht das oben in seinen Einzelelementen aufgeschlsselte Schema, die Vorstellung eines Antagonismus zwischen Mensch und Gewsser liegt jedoch ebenfalls zugrunde. Besonders signifikant erscheint die Beschreibung des ersten derartigen Falles (7.43.1). Er ereignet sich in der Troas, unter klarem Bezug auf den troianischen Mythos. Der versiegende Fluß ist der Skamandros. Herodot setzt ihn signifikant an den Anfang der Erwhnungen ,ausgetrunkener Flsse, in nicht weniger aufflligem Kontext: !pijol]mou d³ toO stqatoO 1p· t¹m Sj\lamdqom – dr pq_tor potal_m, 1pe_te 1j Saqd_ym bqlgh]mter 1pewe_qgsam t0 bd`, 1p]kipe t¹ N]ehqom oqd !p]wqgse t0 stqati0 te ja· to?si jt^mesi pim|lemor – 1p· toOtom dμ t¹m potal¹m ¢r !p_jeto N]qngr, 1r t¹ Pqi\lou P]qcalom !m]bg Vleqom 5wym he^sashai. hegs\lemor d³ ja· puh|lemor 1je_mym 6jasta t0 )hgma_, t0 Yki\di 5huse boOr wik_ar, wo±r d³ oR l\coi to?si Fqysi 1w]amto. taOta d³ poigsal]moisi mujt¹r v|bor 1r t¹ stqat|pedom 1m]pese. (7.43.1 f.) Als das Heer zum Fluß Skamandros gekommen war, was der erste von den Flssen war, nachdem sie den Weg aus Sardes unternommen hatten, der aufhçrte, zu fließen und, ausgetrunken, dem Heer und dem Vieh nicht mehr diente, als also Xerxes zu diesem Fluß kam, stieg er hinauf zum Pergamon des Priamos, weil er Sehnsucht hatte, es zu sehen. Er schaute sich von diesen Dingen alles an und zog darber Erkundigungen ein; dann opferte er der iliadischen Athene tausend Rinder, und die Mager gossen Trankopfer fr die Heroen aus. Nachdem sie dies getan hatten, befiel das Heer in der Nacht Furcht.
Die Stelle hat insofern große Suggestivkraft, als sich Xerxes hier, am bergang nach Europa und am markantesten Ort europisch-asiatischer Konflikttradition, offensichtlich in die Tradition der troianischen Helden stellt.145 Warum das Heer Furcht befllt, erklrt Herodot nicht weiter, die 1p· tμm :kk\da N]qngr ; jo?om d³ pim|lemom vdyq oqj 1p]kipe pkμm t_m lec\kym potal_m ; (,Welches Volk fhrte Xerxes nicht nach Griechenland? Was fr ein Gewsser versiegte nicht, ausgetrunken, außer den großen Flssen?). Neben dem im folgenden nher untersuchten Skamandros werden die folgenden Flsse als leergetrunken bezeichnet: der Schwarze Fluß auf der Chersones (7.58.3), der Lisos in der Briantika (7.108.2), der Echeidoros in Therma (7.127.2), der Onochosfluß in Thessalien, alle Flsse in Achaia außer dem Epidanos, der auch nur eben gerade ausreicht (7.196). Bei Pistyros trinkt allein das Lastvieh einen See leer (7.109.2). Vgl. auch 7.187.1, wo Herodot das Phnomen nochmals allgemein erwhnt. 145 Das Opfer an die troianischen Heroen scheint in einem gewissen Spannungsverhltnis zur vorhergehenden Trockenlegung des Skamandros zu stehen. Doch ist Herodots Darstellung der Perser als Frevler ohnehin nie eindimensional; vgl. unten Anm. 188.
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Formulierung wirkt bewußt ,metaphysisch gewhlt – als htte ein Gott dem Perserheer Furcht eingeflçßt.146 Ob nun mit oder ohne gçttliches Einwirken – der Halt in Troia erinnert mindestens Herodots Rezipienten, wenn nicht auch seine verngstigten Figuren selbst, an den berhmtesten Sieg von Griechen ber Barbaren.147 Daß die Assoziation der Perser mit den Troianern eben auch eine Wiederholung von deren Scheitern impliziert, lßt Herodot auch 7.42.2 ahnen, als das Heer bei der Ankunft am Ida (bezeichnend die Formulierung 1r tμm Yki\da c/m) – von einem Gewitter berrascht wird und eine betrchtliche Menge Leute verliert. Abgesehen von der Evokation des Troianischen Kriegs enthlt die Skamandros-Stelle episch-poetisches Vokabular, Xerxes Uleqor, und, noch aufflliger, N]ehqom. Das Wort gemahnt an die berhmte Skamandros-Stelle der Ilias, als der Fluß klagt, Achilleus flle seine 1qateim± N]ehqa mit Leichen (21.218).148
2.2 Mythische Folien: Achilleus und Skamandros und andere Mçglicherweise gibt Herodot diesmal einen Hinweis auf ein naheliegendes mythisches Modell, denn die Gewsserfrevel der persischen Kçnige erscheinen klar nach homerischem Vorbild modelliert. Die Auflehnung ge146 Das Motiv der plçtzlichen, unbegrndeten Furcht kommt in den Historien çfters vor, z. B. 4.203, wo es ber die Perser anlßlich ihres versuchten Einfalls in Kyrene in derselben Formulierung heißt, sie seien von Furcht befallen worden, obwohl niemand mit ihnen kmpfte (to?si d³ P]qs,si oqdem¹r lawol]mou v|bor 1m]pese). Vgl. auch 6.134, wo Miltiades in das parische Demeterheiligtum eindringen will, aber schon an der Tr zurckschaudert (vq_jgr aqt¹m rpekho}sgr, 6.134.2) und umkehrt; vgl. unten 124 – 127; 134 Anm. 337. – Dieses Motiv evoziert Szenen der Ilias, wo es tatschlich Gçtter sind, die einzelnen Kmpfern oder ganzen Heeren Furcht einflçßen, vgl. z. B. Il. 7.478 f.; 8.76 f.; 11.544 f.; 17.118. Bei Herodot scheint es sich in diesen Fllen stets um Schwellensituationen zu handeln, an denen der Protagonist im Begriff ist, eine Freveltat zu begehen (Xerxes Feldzug gegen Griechenland; der nicht angeordnete persische Einfall in Kyrene; Miltiades Eindringen ins Heiligtum). 147 Zur Verwendung des troianischen Krieges als Folie fr die Perserkriege vgl. oben 37 mit Anm. 85. 148 Das Wort N]ehqom ist bei Herodot zwar nicht unblich; in Verbindung mit dem Fluß Skamandros erhlt es jedoch besondere Suggestionskraft, zumal die Ungewçhnlichkeit der homerischen Formulierung bereits die Aufmerksamkeit der antiken Grammatiker erregt hat (Aristonikos zu Od. 6.58; zu Il. 21.218; Porphyrios zu Il. 8.555; zu Od. 6.58 – 74; Men.Rh. 2.374 Russell/Wilson).
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gen ein Gewsser figuriert plakativ in besagtem 21. Gesang der Ilias, wo Achilleus Kampf gegen den Skamandros erzhlt wird (21.1 – 384). Daß Herodot die Stelle gut kennt, ist schon in anderem Zusammenhang bemerkt worden,149 und im Kontext der herodoteischen Flußfrevel lassen sich alle obengenannten Erzhlelemente aus der Ilias-Passage ableiten. Sie beginnt damit, daß der Heros die von ihm gejagten Troer in Richtung des Skamandros drngt und so viele von ihnen mordet, daß der Fluß von Leichen berquillt. Bei einem der getçteten Troer, Asteropaios, handelt es sich bezeichnenderweise um den Enkel des Flußgottes Axios,150 was Achilleus zum Anlaß nimmt, die Abstammung von einem Fluß als minderwertig im Vergleich zu seiner eigenen Herkunft von Zeus her zu schmhen und die Unterlegenheit aller Gewsser gegenber dem Gçttervater zu betonen (21.184 – 199; Funktion 2), auch des gegenwrtigen Skamandros (ja· c±q so· potal|r ce p\qa l]car, eQ d}mata_ ti wqaisle?m ; 21.192 f.). Dies ist insofern auffllig, als Achilleus seine viel direktere gçttliche Abstammung ber die Mutter Thetis – eine Wassergçttin – in diesem Moment verschweigt; es ist berheblich, weil Skamandros nicht nur ebenfalls von Zeus abstammt, sondern sogar dessen Sohn ist (Il. 14.434 = 24.693). Bereits zuvor hatte Achilleus dem sterbenden Lykaon zugerufen: oqd rl?m potal|r peq 1`qqoor !qcuqod_mgr !qj]sei, è dμ dgh± pok]ar Reqe}ete ta}qour, fyo»r d 1m d_m,si jah_ete l~muwar Vppour. (21.130 – 132) Und euch wird auch der Fluß, der gutstrçmende, silberwirbelnde, Nicht beistehen, dem ihr schon lange viele Stiere opfert, Und lebend in die Wirbel hinabschickt einhufige Pferde.151
Die Betonung der Sinnlosigkeit von Opfern an den Fluß formuliert auch Xerxes explizit whrend seiner Schndung des Hellesponts (7.35.2). 149 Vgl. Huber 1965, 31 f., der den Vergleich der ,demokratischen Masse in der herodoteischen ,Verfassungsdiskussion 3.81.2, ¡h]ei te 1lpes½m t± pq^clata %meu m|ou, weil\qq\ potal` Ujekor (,sie stçßt, einfallend, die Dinge ohne Verstand voran, wie ein winterlich geschwollener Fluß), als Anlehnung auch an Il. 21.240 f. auffaßt: deim¹m d !lv )wik/a juj~lemom Vstato jOla / ¥hei d 1m s\jez p_ptym N|or· oqd³ p|dessim / eWwe stgq_nashai (,Doch furchtbar stieg um Achilleus strudelnd die Woge, / Und in den Schild fallend stieß ihn die Strçmung; bersetzung: Schadewaldt 1975, 356); daneben an Il. 5.87 – 92 und 13.138 f. 150 Entsprechend wird er von Skamandros besonders untersttzt, vgl. 21.145 f.; daß Flsse zusammenhalten, zeigt sich auch 21.308 – 327, als Skamandros den Fluß Simoeis gegen Achilleus zu Hilfe ruft. 151 bersetzung: Schadewaldt 1975, 353.
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Bevor er Lykaon den Todesstoß versetzt, gibt Achilleus eine Probe seines Selbstbewußtseins: oqw bq\ôr oXor ja· 1c½ jak|r te l]car te ; patq¹r d eUl !caho?o, he± d] le ce_mato l^tgq· (21.108 – 109) Siehst du nicht, wie auch ich schçn bin und groß? Von einem edlen Vater bin ich, und eine Gçttin gebar mich als Mutter.152
Auch wenn Achilleus in den Folgeversen seine eigene Sterblichkeit thematisiert, scheinen diese Verse die Selbstberschtzung zu prfigurieren, die Herodot seine Figuren ausdrcken lßt (Funktion 3). Daß diese Funktion in den Historien mehr Gewicht erhlt und eben nicht durch das Bewußtsein der eigenen Grenzen ausbalanciert wird, ist aufschlußreich und soll uns im folgenden weiter beschftigen. Der Flußgott Skamandros ist in der Ilias tatschlich personifiziert (!m]qi eQs\lemor, 21.213; Funktion 1), nicht nur aus der Perspektive seines Antagonisten, wie die Gewsser in den zuvor untersuchten herodoteischen Erzhlungen. Dies ist nur konsequent: es entspricht Herodots Anthropomorphismuskritik, Gçtter nicht persçnlich auftreten zu lassen.153 Des weiteren ist die Personifikation des Skamandros auch in der Ilias nicht mit derjenigen der olympischen Gottheiten zu vergleichen; anders als diese ist er an sich passiv: er nimmt nicht aktiv am Kriegsgeschehen teil, sondern reagiert lediglich auf Achilleus. Als Hindernis in einem Krieg gegen eine dritte Partei entspricht er erneut den Gewssern, gegen die sich die Perserkçnige wenden. Skamandros wird wtend ber die Dreistigkeit des Achilleus154 und mahnt den Helden, sein Morden zu unterlassen oder seine l]qleqa – ein deutlich negativ besetztes Wort fr das Tçten im Krieg – wenigstens aufs Land zu verlegen, oqd] t_ p, d}malai pqow]eim N|om eQr ûka d?am steim|lemor mej}essi … (21.219 – 220) Und ich kann die Strçmung nicht mehr in die gçttliche Salzflut ergießen, Beengt von Leichen, du aber tçtest, nicht anzusehen!155
Hierbei liegt die Betonung klar auf der Hemmung des natrlichen Flußlaufes durch die Leichen, ein Umstand, der durch das dem Meer verliehene 152 bersetzung: Schadewaldt 1975, 353. 153 Vgl. dazu etwa Gçdde 2007, bes. 55 mit Anm. 52; 70 mit Anm. 93; Anm. 122. 154 Dies wird mehrfach betont, vgl. Il. 21.136 – 138; 145 – 147; 212; 233 – 237; 306; 324; 383. 155 bersetzung: Schadewaldt 1975, 355.
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Epitheton d?or zustzliche Emphase erhlt: die ,heilige Ordnung der Dinge wird durch Achilleus l]qleqa gestçrt (Funktion 4). Achilleus nun weigert sich, sein Morden zu beenden, worauf Skamandros ihn (unter Anrufung Apollons) angreift: whrend Skamandros Wasser die Troer beschtzt, wirft den Heros eine Welle beinahe um, den Fliehenden verfolgt das Wasser an Land. In seiner Not ruft Achilleus Zeus an, worauf ihm Athene und Poseidon erscheinen, ihn strken und ermutigen. Skamandros ruft anschließend seinen Nachbarstrom Simoeis zu Hilfe, worauf die Gçttin Hera ihrem Sohn Hephaistos befiehlt, um die Flsse Feuer zu schren. Skamandros schließlich gibt auf, als seine Wasser kochen, und verspricht, den Troern nicht weiter zu helfen; Achilleus ist gerettet, aber die Szene mndet in allgemeinen Gçtterstreit. Wieso begehen Herodots Kçnige solch ,achilleische Gewsserfrevel? Zum einen besteht sowohl in der Ilias als auch in den Historien ein steter Zusammenhang der Tat mit einer wichtigen Entscheidung des Handelnden, die ihrerseits mit dem berschreiten einer Grenze zu tun hat. Weiter wird im Vergleich mit dem rasenden Achilleus die Unangemessenheit im Handeln der Perserkçnige deutlich – wobei der Unterschied zwischen der berheblichkeit des Heros und der Hybris der Sterblichen nicht bersehen werden soll. Im Spiegel weiterer mythischer Folien erscheinen Herodots Kçnige geradezu als Theomachonten. Zunchst zu den Entscheidungen im Kontext der Gewsserfrevel. Bei Achilleus steht der Kampf mit Skamandros im Kontext seiner neuerlichen Teilnahme am Krieg. Die große Frage, ob Achilleus nach der Beleidigung durch Agamemnon wieder an der Seite der Achaier kmpfen wird, beherrscht die Ilias: zuerst aufgeworfen im ersten Gesang, wird sie durch die Gesandtschaft im neunten Gesang wieder aufgenommen, im sechzehnten durch die Figur des Patroklos gleichsam substituierend ,vorentschieden (was im elften Gesang durch Patroklos Gesprch mit Nestor vorbereitet worden ist). Im achtzehnten Gesang fllt Achilleus seine Entscheidung; ihre Umsetzung wird jedoch aufgeschoben durch die notwendige Herstellung neuer Waffen, erzhlerisch auch durch die retardierende Schildbeschreibung. Erst im zwanzigsten Gesang kmpft Achilleus wieder; der Skamandros stellt hierbei das letzte Hindernis dar, das ihn noch von seinem Hauptgegner Hektor trennt. Die Flußfrevel der persischen Kçnige finden ebenfalls fast ausschließlich an solchen Wendepunkten statt. „They present a choice, a point of no return“, bemerkt Donald Lateiner zu den eher moralischen als
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geographischen Gewssergrenzen (1985, 89).156 Kyros Frevel am Gyndes steht unmittelbar vor seinem Angriff auf Babylon, wo seine grçßte Eroberung stattfinden und der Grundstein des Perserreichs gelegt werden wird; seine letzte signifikante berquerung eines Flusses, des Araxes, fhrt unmittelbar zu seinem Scheitern und Tod. Des weiteren markiert die Assoziation des Gyndesfrevels an signifikanter Stelle einen anderen Wendepunkt: als der Initiator des ionischen Aufstandes, Aristagoras, die Spartaner zu dem wahnwitzigen Unternehmen verleiten will, nach Susa zu marschieren und gegen den Großkçnig zu kmpfen, begeht er den Fehler (1m toOto 1sv\kg, 5.50.2), nicht zu verschweigen, daß der Weg nach Susa drei Monate dauert, woran die Zustimmung der Spartaner letztlich scheitert. Im folgenden beschreibt Herodot nun seinerseits die Route: der Reisende muß zunchst den Halys berqueren, dann den Tigris, dann zwei Flsse mit dem gleichen Namen Zabatos, schließlich den Gyndes, ,den Kyros einst in dreihundertsechzig Kanle geteilt hatte (5.52.5). Als wre die Aufzhlung all dieser natrlichen Grenzen nicht Grund genug, einen solchen Weg niemals zu unternehmen, setzt Herodot an ihr Ende signalartig den Frevel des Kyros, der nicht wiederholt werden darf, auch nicht durch eine bloße berquerung des Gyndes. Die Spartaner entscheiden sich richtig; die Athener dagegen folgen Aristagoras und beschließen die bertretung ihrer Grenzen – eine der bedeutendsten Entscheidungen der Historien, mit der alles Unglck fr Griechen und Barbaren beginnt.157 Bei den oben besprochenen Gewsserfreveln von Dareios und Xerxes ist der Kontext einer wichtigen Entscheidung ebenfalls klar gegeben: Dareios berquert den Bosporus auf dem Weg in seinen verhngnisvollen Skythenfeldzug, Xerxes durchsticht den Athos und berbrckt den Hellespont, whrend er die zum Scheitern verurteilte Offensive gegen Griechenland anfhrt. Der Kampf gegen ein Gewsser entspricht also bei Herodot vor allem auch der Entscheidung, unerlaubterweise eine Grenze zu berschreiten, als die der Fluß gerade in der Historiographie immer wieder rezipiert wird (man denke an den Rubikon). Ob es sich hierbei um bloße berschreitung oder tatschliche Beleidigung des Gewssers handelt, ist in den Historien also ein lediglich gradueller Unterschied. Anders als beim homerischen 156 Vgl. hierzu und zum Folgenden auch Lateiner 1989, 126 – 135. 157 So Herodot ber die Schiffe, welche die Athener dem Aristagoras zur Verfgung stellen: axtai d³ aR m]er !qwμ jaj_m 1c]momto þkkgs_ te ja· baqb\qoisi (5.97.3); vgl. oben 37 f.
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II. Frevel: Mythos als moralisches Paradigma
Achilleus ist die Entscheidung per se negativ konnotiert; sie besteht im Betreten eines verbotenen Raumes. Natrlich entspricht dieses Motiv der ,bertretung einem Grundthema der Historien, der Unvereinbarkeit von Asien und Europa, was oft bemerkt worden ist.158 Pericles Georges sieht in den Historien geradezu „the story of the Persians confinement to their continent … The Persians are able to coexist neither with the land, nor with the people, nor with the gods of the world beyond Asia“ (1994, 203): Kambyses scheitert an den gyptischen Gçttern, Dareios am skythischen Land selbst; in Griechenland werden die Perser von Land, Volk und Gçttern zurckgeschlagen. Die generelle Mißachtung solch ,naturgegebener Lebensrume seitens der Barbaren zeigt sich am deutlichsten in Xerxes Definition seines Vorhabens: ,das persische Land werden wir dem Himmel des Zeus gleichmachen (c/m tμm Peqs_da !pod]nolem t` Di¹r aQh]qi blouq]ousam, 7.8.c.1). In der
158 Bereits antike Autoren zeigen sich von der persischen Naturvernderung beeindruckt, vgl. neben Aischylos und Herodot Pl. Lg. 699a; Call. Aet. fr. 110. 45 – 48 Pfeiffer; Cat. carm. 66.45 f.; Cic. De Fin. 2.112; Luc. DMort. 6.2. In der modernen Forschung wird Herodots Auffassung von der Unvereinbarkeit der Kontinente immer wieder hervorgehoben, vgl. z. B. Pohlenz 1937, 116; Huber 1965, 44 mit Verweis auf 2.17 f.; 3.5; 4.36 – 45; 4.85 f.; 7.33. Ebenda macht Huber auch auf die schrittweise Steigerung der Dimensionen persischer bertretung aufmerksam, die immer grçßere Mittel fordert und „die Perser in immer gefhrlichere Abhngigkeit von den jeweiligen Besatzungsposten [bringt]“ (er verweist auf 4.87 f. mit 7.36 und 7.54; 3.5 – 9 mit 3.88.1; 4.133.2 f. und 4.136.3 mit 7.10.a.2; 7.51 f.; 8.97.1; 8.107). Den Beginn dieser Grenzfrevel sieht er in Kroisos berschreitung des Halys, vgl. unten Kapitel II.2.3. Vgl. auch Immerwahr 1966, 306: „The work assumes the existence of a natural order by which Europe and Asia are equal and separate, and it deals with a period which constitutes a disturbance of that order by the unlimited expansionism of the Persians“; ebenda, 316: „the concept of rivers as boundaries is of fundamental importance for [Herodotus] whole work, and he transfers this ,river motif … even to the Hellespont as the boundary between Asia and Europe.“ Lateiner 1985, 88 f. resmiert: „The recurrent image and metaphor … of the proper realm and its limits, the transgression of which leads to failure, has resonant analogues throughout the work … The tale of Xerxes attempt to bring together the two seperate realms is concluded – it is the last recorded historical event in the book – with the Greek dedication of the broken cables that once briefly and disastrously linked Europe and Asia (9.121). Europe and Asia were intended to be separate, one is meant to understand, a truth central also to Aeschylus Persai.“ Hartog 1980, 335 – 345 thematisiert die typische Tyrannenhandlung der „transgression spatiale“, die fr ihn zugleich „transgression dun espace divin et aggression lgard des dieux“ bedeutet (336 f.).
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Tat wird er ja 7.56 fr Zeus gehalten, wodurch angezeigt wird, daß er „die Grenze des menschlichen Handlungsbereichs berschreitet“.159 Das berschreiten der eigenen Grenzen ist das prgende Element der Struktur. Auch Achilleus ist sich seiner Grçße bewußt und schmht den Skamandros in berheblicher Weise. Aber dennoch unterscheidet sich sein Verhalten signifikant von den Gewsserfreveln der persischen Kçnige: der Heros erhlt Untersttzung von gçttlicher Seite, von Athene und Poseidon (21.284 – 304) sowie von Hera und Hephaistos (21.327 – 384), und sein Kampf gegen den Skamandros endet in einer Schlacht zwischen den Gçttern selbst (21.385 – 611). Hier wird Achilleus bermenschlicher Status, seine Gemeinschaft mit den Gçttern, deutlich markiert – und darin unterscheidet er sich klar von den herodoteischen Kçnigen. Homers Achilleus hat recht, wenn er sich auf seine gçttliche Abkunft und heroische Natur beruft, und selbst hierin weist er, zu Lykaon sprechend, mehr Klarsicht auf als etwa Herodots Xerxes: !kk 5pi toi ja· 1lo· h\mator ja· lo?qa jqatai^· 5ssetai C A½r C de_kg C l]som Glaq bpp|te tir ja· 1le?o -q, 1j hul¹m 6kgtai C f ce douq· bak½m C !p¹ meuq/vim azst`. (21.110 – 113) Aber auch auf mir liegt dir der Tod und das bermchtige Schicksal. Sein wird ein Morgen oder ein Abend oder ein Mittag, Wo einer auch mir im Ares wird das Leben nehmen, Sei es, daß er mit dem Speer mich trifft oder mit dem Pfeil von der Sehne!160
Es scheint, als ob die Achilleus-Szene hier auch eine Kontrastfolie zu den persischen bertretungen bietet. Die berhebung ber ein Gewsser, ein kultisch verehrtes Naturphnomen, steht einem Sterblichen nicht an, schon gar nicht t¹ doj]eim pk]om ti eWmai !mhq~pou – wo doch selbst ein Achilleus sich im Moment des Kampfes seiner Sterblichkeit bewußt bleibt. Zudem handelt er als Halbgott unter Gçttern, und mit ihrer Untersttzung, mçglicherweise gar als ihr Instrument. Die sterblichen Kçnige Kyros, 159 Schmal 1995, 91. Er wertet sogar die Seefahrt der Perser als unerlaubte Grenzberschreitung: „die Barbaren, die nicht einmal schwimmen kçnnen …, gehçren nicht auf das Meer … Die Rume mssen getrennt bleiben …. Die Geschehnisse werden so den Gesetzen des Kosmos angepaßt: Griechenland ist zu eng fr die Perser, seine Bewohner zu wehrhaft, das Meer ist schon gnzlich ungeeignet, mit einem Wort: die Welt diesseits des Hellesponts ist nicht die Welt der Perser“ (97). Natrlich kann die Seefahrt des Menschen allgemein als berschreitung natrlicher Grenzen gewertet werden; vgl. unten 71 f. zu Odysseus und Poseidon. 160 bersetzung: Schadewaldt 1975, 353.
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II. Frevel: Mythos als moralisches Paradigma
Dareios und Xerxes jedoch begeben sich in einen geographischen und moralischen Raum, in dem ihre Existenz keine Rechtfertigung mehr besitzt. Daß sich die persischen Kçnige durch die Vernderung und Bestrafung eines Gewssers den Gçttern gleichzusetzen versuchen, wird durch eine weitere mythische Folie gesttzt, die mit der hier untersuchten Struktur ebenfalls gewisse hnlichkeit aufweist: die Bestrafung der Quelle Telphusa durch Apollon (h.Ap. 3.239 – 276; 3.375 – 387). Als Apollon bei der Quelle sein Heiligtum grnden will, berredet ihn die – selbstverstndlich personifizierte (Funktion 1) – Telphusa, dies an einem anderen Ort zu tun, weil sie in ihrer Gegend alleine verehrt werden will, nicht neben Apollon (3.275 f.). Sie berzeugt ihn, daß das Gerusch der zur Trnke gefhrten Pferde seinen Kult stçren wrde. Apollon realisiert spter, daß er sich von Telphusa hat berlisten lassen, kehrt zurck, erklrt ihr, daß sie ihren Willen nicht durchsetzen wird – eine zum Tadel abgeschwchte Version der Schmhung (Funktion 2) und schttet das Wasser mit Felsbrocken zu (Funktion 4). Die Heiligkeit der Quelle wird hier nochmals betont (Req/r Õswume N]ehqa, 3.387), dennoch ist vçllig klar, daß der Status des Gottes bedeutend hçher ist als der des Gewssers. Ist die Funktion 3, der Ausdruck der Selbstberschtzung des Handelnden, bei dem Heros Achilleus, der immerhin mit Untersttzung der Gçtter agiert, durch die Einsicht seiner Sterblichkeit bereits relativiert, so kommt sie in der Apollon-TelphusaSzene erst gar nicht vor – der Gott besitzt das Recht zur Zchtigung eines Gewssers, ein Recht, das den Perserkçnige eben nicht zusteht, wie durch die Vergegenwrtigung der mythischen Apollon-Folie nun erst recht deutlich wird. Ein Gewsser scheint als Teil der Natur zwischen Mensch und Gott zu stehen. Der Gott ist mchtiger, wie sich auch an Achilleus Aussage zeigt, daß ein Fluß gegen Zeus – mit dem er sich in diesem Moment als dessen Nachkomme identifiziert – nicht ankommen kçnne (21.184 – 199). Der Mensch jedoch hat kein Recht, sich an dem Gewsser zu vergreifen; außer vielleicht ein Ausnahme-Heros wie Achilleus – im Bewußtsein der eigenen Sterblichkeit. Die iliadische Achilleus-Skamandros-Szene ist, wie sich gezeigt hat, die deutlichste mythische Folie fr die Gewsserfrevel der persischen Kçnige. Es gibt jedoch noch weitere Parallelen, die fr die Interpretation des herodoteischen Textes einigen Aufschluß bieten. So findet sich in der Vita der Aloaden Otos und Ephialtes eine (freilich erst bei Apollodor belegte) Folie fr Funktion 4, die Vernderung natrlicher Gegebenheiten: die Giganten trmen verschiedene Berge aufeinander, auf denen sie in den Himmel emporsteigen wollen,
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ja· tμm l³m h\kassam w~samter to?r eqesi 1jpoi^seim 5kecom Epeiqom, tμm d³ c/m h\kassam. und sie sagten, sie wollten das Meer mit den Bergen zuschtten und so zu Festland machen, die Erde aber zu Meer. (Apollod. 1.7.4 = 1.54 f.)
Hier ist das Theomachie-Motiv explizit, es geht um den Kampf gegen die Gçtter,161 der spter auch ber die Naturvernderung hinausgeht: die Brder freien um Hera und Artemis und nehmen Ares gefangen. Whrend der Theomachie-Gedanke in der Ilias-Szene in den Hintergrund tritt – der Heros ist kein gewçhnlicher Sterblicher; er kmpft nicht aktiv gegen den Flußgott, sondern verweigert diesem lediglich, die Kampfaktion zu beenden; der Fluß wendet sich gegen ihn und wird nicht von Achilleus selbst, sondern von Hephaistos besiegt –, scheint er bei den Naturvernderungen der Historien eher mitgedacht, da es hier Sterbliche sind, die sich an dem hçherstehenden Naturwesen vergreifen. Auch wenn das Gewsser wie in der Ilias nur sekundres Hindernis im Kampf mit einem weiteren Gegner ist, wird ber die mythische Folie der Giganten deutlich, daß eine eigentliche Theomachie auch mit dem herodoteischen Text assoziierbar ist.162 Noch klarer wird dies im Zusammenhang mit einer weiteren mythischen Vorlage. Der Antagonismus Mensch-Gewsser ist im Mythos prominent im Verhltnis des Odysseus zu Poseidon erkennbar. Von Zeus programmatisch im ersten Gesang der Odyssee erwhnt und mit Odysseus Blendung des Polyphem begrndet (1.68 – 79) – wie im Falle von Achilleus und Skamandros und aller herodoteischen Gewsserfrevel ist das Gewsser nicht erstes Angriffsziel, sondern in den Kampf gegen eine dritte Partei involviert –, trgt der Zorn des Poseidon entscheidend zu den Irrfahrten des Heros bei.163 Der Seesturm wird spter geradezu emblematisch
161 Ebenda: pq¹r heo»r l\weshai diemmooOmto. 162 Die Vorstellung der Theomachie ist Herodot keineswegs fremd, vgl. 4.94: Ein Thrakerstamm schießt bei Gewitter Pfeile in den Himmel und droht damit seinem Gott, allerdings ohne Erwhnung einer Bestrafung; 4.173: die Psyller ziehen gegen den Sdwind ins Feld – und werden durch einen Sandsturm verschttet; 4.184: Die Ataranten verfluchen die Sonne, ebenfalls ohne Strafe, was an dieser Stelle mçglicherweise mit der Exotik und somit ,Narrenfreiheit des Volkes zu tun haben mag). 163 Od. 5.282 – 381 lßt der Gott Odysseus in einen beinahe tçdlichen Seesturm geraten, nicht ohne zuvor explizit seinen Haß auszudrcken; 9.526 – 542 wird Polyphems Gebet an seinen Vater und ein erster Anschlag desselben auf Odysseus Schiff referiert; 11.100 – 103 weist Teiresias Odysseus nochmals auf den Zorn des Poseidon hin; 13.125 – 187 wird berichtet, wie Poseidon die Phaiaken fr das
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II. Frevel: Mythos als moralisches Paradigma
fr den Kampf ,Mensch gegen Gott verwendet,164 so in Vergils Aeneis, wo Juno, die in keiner Weise mit dem Meer assoziiert ist und theoretisch jede andere Mçglichkeit zur Vernichtung ihres Feindes Aeneas hat, mit Aeolus Hilfe auf dieses Mittel zurckgreift (1.34 – 80). Das Motiv des Seesturms, dem die Vorstellung von der Hybris des Menschen, der sich auf das ihm fremde Element wagt, zugrundeliegen mag, wird als historiographischer Topos fortgefhrt bis hin zur Geschichte von Caligula und seinem Krieg gegen Oceanus.165 In diesem Lichte mssen natrlich auch die Seestrme der Historien betrachtet werden, die nicht als zufllige Naturereignisse, sondern vielmehr als gçttliche Vergeltung gedeutet werden. Ganz eindeutig ist dies im Falle der Verheerung der persischen Flotte vor der Kste von Magnesia. Herodot benutzt 7.188.2 dieselbe Formulierung wie bei der Schilderung des plçtzlichen Wolkenbruchs, der – offensichtlich auf Befehl Apollons – den Scheiterhaufen des Kroisos lçscht (1.87.2): urplçtzlich, 1n aQhq_gr te ja· mgmel_gr, erhebt sich ein Sturm und vernichtet einen großen Teil der Flotte. Im Folgekapitel liefert Herodot eine Deutung der Athener, die den Sturm als Hilfeleistung des Gottes Boreas auslegen, der sich schon einmal, am Athos, gegen die Perser gewandt habe. Gemeint ist der 6.44 behandelte Seesturm, der an dieser Stelle nicht eindeutig als gçttliche Intervention bezeichnet wird, ber den Herodot aber in hçchst suggestiver Weise berichtet: Der Zug der Perser nach Eretria und Athen ist lediglich pq|swgla, in Wahrheit wollen die Perser auf dem Weg dorthin soviele Griechenstdte als mçglich unterwerfen, so etwa Has_our oqd³ we?qar !mtaeiqol]mour (,die Geleit des Odysseus bestraft; 23.277 f. erwhnt der Heros Penelope gegenber die noch ausstehenden Versçhnungsopfer fr Poseidon. 164 Zur Motivgeschichte vgl. Schindler 2000; zur Wirkung des literarischen und kunsthistorischen Topos bis in die Neuzeit vgl. Mertens 1987. Vgl. außerdem Blumenberg 1979 zum Motiv des Schiffbruchs bis in die Neuzeit, das ebenfalls der Perspektive auf die „Seefahrt als Grenzverletzung“ (9) geschuldet ist. 165 Sueton lßt Caligula sein Heer mit Schleuder- und Wurfmaschinen am Ufer des rmelkanals Aufstellung nehmen, dann plçtzlich Muscheln als spolia Oceani einsammeln und einen Leuchtturm als Siegeszeichen errichten (Cal. 46); bei Cassius Dio (59.25.1 – 3 = Epitome des Xiphilinos) fhrt Caligula zustzlich aufs Meer hinaus und kehrt wieder um: „The act was symbolic of Gaius having extended imperium over the ocean …“, so Malloch 2001, 554 mit Anm. 16, der die Stelle zustzlich mit einer hnlichen Tat Alexanders vergleicht (Arr. An. 6.19.5; Ind. 20.10; vgl. Plu. Alex. 66.1 – 3; D. S. 17.104.1; Curt. 9.9.27), der allerdings eher beabsichtigt, Poseidon milde zu stimmen als ihn zu unterwerfen – die Fahrt ist mit Opfern an die Meergçtter verbunden, was wiederum an Xerxes Shneopfer an den Hellespont gemahnt (Hdt. 7.54).
2. Gewsserfrevel
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Thasier, die niemals die Hnde gegen sie erhoben hatten). Auf diese eindeutige Wertung des persischen Feldzuges als eines ungerechtfertigten und unzureichend motivierten Unternehmens folgt dann die Schilderung des boq]gr %melor l]car, der 300 Schiffe und 20000 Menschen vernichtet. Schließlich berichtet Herodot im achten Buch, wie Xerxes auf der Heimfahrt von Salamis in einen Seesturm gert (8.118). Hier ist zwar nicht explizit von gçttlicher Intervention oder unmittelbar vorausgehenden Freveltaten die Rede, auf der paradigmatischen Achse des unmittelbaren Kontexts finden sich jedoch diverse suggestive Zusatzinformationen: zum einen erfolgt im Kontext des Seesturmes eine der markantesten ,Tyrannentaten des Xerxes: die Opferung der Mannschaft und die groteske Belohnung des Kapitns mit einem goldenen Kranz, bevor auch dieser sein Leben lassen muß. Selbstberschtzung und Willkr des Kçnigs werden selten so deutlich wie in dieser Passage, die keinen urschlichen Konnex mit dem Seesturm haben mag, den Rezipienten aber mit Sicherheit daran erinnert, welche Art Persçnlichkeit hier von der Naturgewalt getroffen wird.166 Eine ebenso assoziationsfçrdernde ,Erinnerungshilfe liefert Herodot im vorausgehenden Kapitel, wo er eine andere Version der Rckfahrt referiert (8.117): hier wird berichtet, wie die Perser den Hellespont ber ihre zuvor gebauten Schiffsbrcken berqueren wollen, die jedoch inzwischen vom Sturm zerstçrt worden sind. Scheinbar zusammenhanglos erzhlt Herodot dann, die Soldaten htten hier mehr Nahrung gefunden als zuvor, dann ,maßlos gegessen (oqd]ma te j|slom 1lpipk\lemoi) und ,anderes Wasser getrunken (vdata letab\kkomter), so daß viele von ihnen gestorben seien. Der Hinweis auf den Frevel am Hellespont, die Tatsache, daß die Natur selbst diese Vernderung rckgngig gemacht hat – und zwar wieder durch einen Seesturm! –, die Verwendung des Begriffes j|slor, der auch die gçttliche Ordnung bezeichnet, und schließlich die merkwrdige Formulierung vdata letab\kkomter, also die ,Vernderung des Wassers, die wieder auf die Naturvernderung der Hellespont-berbrckung hinzuweisen scheint, ist auffllig genug, um die Deutung des 8.118 berichteten Seesturms als eines gçttlichen Vergeltungsschlags zu befçrdern, auch wenn die beiden Versionen nicht miteinander vereinbar sind. Die Hybris des Xerxes whrend des Seesturms tut, wie gesagt, ein briges.167 166 Zu Herodots Bezeichnung der Geschichte als unglaubwrdig vgl. unten Kapitel VI.2.1. 167 Vgl. zu den strafenden Seestrmen auch Herodots Schilderungen anderer Naturgewalten, die ber die Perser hereinbrechen: schon die Truppen des Kambyses
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II. Frevel: Mythos als moralisches Paradigma
Im Lichte dieser weiteren mythischen Assoziationsmçglichkeiten, der eindeutigeren Theomachie des Otos und Ephialtes und dem Konflikt des Odysseus mit Poseidon, erscheint die Hybris der herodoteischen Kçnige, die auch im Vergleich mit dem Beispiel des Achilleus deutlich wird, nochmals massiv gesteigert, auch wenn sie auf einer anderen Ebene stattfindet als die mythischen Gçtterkmpfe. Es gengt, das Phnomen der Theomachie nur flchtig zu assoziieren, um den Gewsserfreveln der Historien zustzliche Brisanz zu verleihen.
2.3 Kroisos, der Schwankende (1.75) Im Kontext der herodoteischen Gewsserfrevel lohnt sich eine weitere Untersuchung. Es handelt sich um Herodots Behandlung vom Aufbruch des Kroisos gegen die Perser (1.75), die Grundstzliches zur Verwendung traditioneller Strukturen in den Historien erschließt. Herodot betont zu Beginn, Kroisos habe das Heer auf den bereits vorhandenen Brcken ber den Halys gefhrt (jat± t±r 1o}sar cev}qar dieb_base t¹m stqat|m), das sage er, Herodot (¢r l³m 1c½ k]cy); es gebe jedoch eine alternative Variante, eine verbreitete griechische Erzhlung (b pokk¹r k|cor :kk^mym, 1.75.3). Dieser zufolge habe Thales von Milet den Fluß im Dienste des Lyderkçnigs einfach hinter das Heer ,zurckgesetzt, d. h. in einen halbkreisfçrmigen Graben im Rcken des Heerlagers umgeleitet: Fluß und Graben htten auf diese Weise durchschritten werden kçnnen – oder das alte Flußbett sei berhaupt gnzlich ausgetrocknet. ,Aber dies, so schließt Herodot, ,glaube ich nicht (!kk± toOto l³m oq pqos_elai ; 1.75.6). Nach der Information, Kroisos habe bereits vorhandene Brcken genutzt, muß der Rezipient hier annehmen, Herodot schenke der ganzen Geschichte von Thales und seinem Graben keinen Glauben. Es zeigt sich jedoch berraschenderweise, daß sich sein Mißtrauen lediglich auf die allerletzte Information bezieht, die vçllige Austrocknung des Flußbettes: denn auf diese Weise wre der Graben ja so tief gewesen wie der ursprngliche Fluß, und wie htten sie ihn dann wohl auf dem Rckweg durchschreiten kçnnen? J_r c±q ap_sy poqeu|lemoi di]bgsam (#m) aqt|m (1.75.6)? Die Argumentation erscheint zunchst einigermaßen absurd. Herodot prsentiert drei Versionen, von denen nur eine richtig ist, wie er explizit werden 3.26 von einem Sandsturm begraben; 7.42 vernichtet ein Unwetter einen Teil von Xerxes Landheer.
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und gleich zu Anfang sagt. Dann werden die beiden anderen gegeneinander abgewogen und nur eine davon abgelehnt, obwohl auch die andere mit der ersten, ,richtigen Version nicht kompatibel ist. Hier zeigt sich, wie wichtig Herodot auch Versionen sind, deren faktische Wahrheit er nicht anerkennt. In diesem Fall markiert Herodot zunchst seine eigene Position, klassifiziert dann aber noch innerhalb der ,unwahren Version die Stichhaltigkeit einzelner Informationen. Die faktisch richtige Version hat keinen Anspruch auf Exklusivitt. Anstatt bei den logischen Problemen dieser Vorgehensweise zu verharren, lohnt es sich, nach der eigentlichen Aussage der Stelle zu forschen, nach den ber das bloß Technische hinausgehenden Implikationen der einzelnen Versionen, vor allem angesichts der Tatsache, daß es hier um den den Moment geht, an dem Kroisos Schicksal besiegelt wird, um den ersten ,Sndenfall orientalischer Flußberquerung.168 Rosaria Munson betrachtet die Legende von Kroisos Trockenlegung des Flußbettes als besser geeignet, die „ominous idea of a violation of a natural boundary“ zu transportieren, als Herodots eigene Variante der bereits existierenden Brcken (1986, 97). Auch Stewart Flory ist der Ansicht, daß die ,unwahre Variante der Geschichte fr Herodot offensichtlich mehr Sinn ergibt als die ,wahre (1987, 55 – 69); also verdient sie, ebenfalls angefhrt zu werden, auch wenn sie keine faktische Wahrheit enthlt. Aber dem Nebeneinander der Versionen scheinen hier noch weitere erzhltechnische Strategien zugrundezuliegen. Nicht nur ist die fiktive Geschichte wahrer als die faktische, sondern zusammen ergeben sie eine weitere Form von Wahrheit. Drei verschiedene Arten des Frevels werden geschildert: 1. Kroisos hat einen bereits betretenen Weg beschritten, indem er vorhandene Brcken nutzte. Seine ,bertretung besteht folglich in der berschreitung einer natrlichen Grenze, nicht aber in ihrer Beseitigung. 2. Kroisos hat den Fluß umleiten lassen, so daß er niedriger wurde und durchschritten werden konnte. In diesem Fall ist die Frevelhaftigkeit seines Unterfangens gravierender; es entspricht etwa der Kanalisierung des Gyndes durch Kyros. 3. Kroisos hat den alten Lauf des Flusses vollstndig abgendert. Die Vernderung der Natur und damit der Grad seines Frevels ist hier am massivsten. 168 Vgl. Huber 1965, 44: „was es heißt, eine solche naturgesetzte Grenze zu berschreiten, hatte das Schicksal des Kroisos gezeigt, der mit dem bergang ber den Halys seinen Sturz heraufbeschwor.“ Vgl. auch oben Anm. 158.
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II. Frevel: Mythos als moralisches Paradigma
Herodot tendiert offensichtlich zunchst zur ersten, dann erst zur zweiten Mçglichkeit; die dritte wird lediglich genannt. In jedem Fall bleibt die Tat des Kroisos im System der herodoteischen Grenzen und ,natrlichen Bereiche moralisch fragwrdig, das Prsentieren mehrerer Mçglichkeiten lßt jedoch keine eindeutige Bewertung zu. Hier wird keine faktisch richtige Version durch eine wirkungsvollere falsche Version ersetzt. Vielmehr stehen die Versionen nebeneinander und sind lediglich durch den Wahrscheinlichkeitsgrad voneinander abgestuft – in einer Weise, die der faktischen Ebene widerspricht: wenn man zwei falsche Versionen und eine richtige hat, erscheint die Diskussion der Wahrscheinlichkeit an sich berflssig. Diese Vorgehensweise steht aber vçllig im Einklang mit Herodots genereller Charakterisierung der Figur des Kroisos. Der Lyderkçnig ist gerade in moralischer Hinsicht in hochdifferenzierter Weise dargestellt, wobei Positives und Negatives permanent alternieren. Seine Einfhrung als t¹m d³ oWda aqt¹r pq_tom rp\qnamta !d_jym 5qcym 1r to»r þkkgmar (1.5.3) charakterisiert ihn als Verursacher des persisch-griechischen Konflikts; kurz darauf zeigt ihn die Episode 1.27 als besonnenen, guten Ratschlgen durchaus zugnglichen Herrscher, der auf den Angriff der ionischen Inselbewohner verzichtet, weil ihn ein Berater berzeugt, er werde diese zu Wasser nicht besiegen, und zu einem Landkampf werde es nicht kommen. Gerade hier wird deutlich, in welchem Maße Kroisos die natrlichen Grenzen zu respektieren scheint – Griechen sind gute Seefahrer, ,Barbaren geschickter zu Lande.169 Es folgt die lange Solon-Episode (1.30 – 33), wo sich der Lyderkçnig der Weisheit des Griechen gegenber vollkommen verschließt und sich denkbar uneinsichtig zeigt. Daran schließt sich die Erzhlung von der unbeabsichtigten Ermordung des Kroisos-Sohnes Atys durch Adrastos an (1.34 – 45), die Herodot als 1j heoO m]lesir lec\kg bezeichnet, ,wie es schien, weil er glaubte, er sei der allerglcklichste Mensch (¢r eQj\sai, fti 1m|lise 2yut¹m eWmai !mhq~pym "p\mtym akbi~tatom, 1.34.1), womit Kroisos Haltung gegenber Solon klar verurteilt wird. Kroisos diesbezgliche Einsicht erfolgt erst spt, nach seiner Gefangennahme (1.86); bereits am Ende der Adrastos-Erzhlung aber beugt sich der Kçnig demtig vor den Gçttern: Apollon, nicht der unfreiwillige Mçrder, sei Ursache des Geschehenen (1.45.2). Gleich darauf aber wird von Kroisos dubioser Orakelprobe berichtet (1.46 – 49), wo der Kçnig die Gçtter im wahrsten Sinne des Wortes versucht. 170 Es erfolgt 169 Vgl. oben Anm. 159. 170 Vgl. Visser 2000, 18 – 20.
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keine explizite moralische Wertung der Probe durch Herodot;171 dennoch spricht Kroisos anspruchsvolle ,Konsumhaltung nicht fr seine Ehrfurcht vor den Heiligtmern. Anschließend werden Kroisos immens wertvolle und zahlreiche Geschenke an das delphische Orakel aufgezhlt (1.50 – 52), welche die Frçmmigkeit des Kçnigs zum einen bezeugen, zum anderen aber auch bezeugen sollen – sie zementieren seinen Status als ,guter Kunde (auf den er nach seinem Untergang pochen wird). Fr mangelnde Ehrfurcht spricht ferner Kroisos hçchst selbstgefllige Falschdeutung eines delphischen Orakels: daß er ein großes Reich zerstçren werde (lec\kgm !qw^m lim jatak}seim, 1.53.3), deutet er klar als Hinweis auf seinen Sieg gegen die Perser, als drfe der Gott seinem reichen ,Sponsoren nichts Negatives prophezeien. Gçnnerhaft, aber auch enorm großzgig erweist er sich in seinen Dankbarkeitsbezeigungen an die Delpher (1.54). Kurz darauf wird eine weitere verblendete Falschdeutung berichtet – die des Maultierorakels (1.55 f.);172 zudem mißachtet Kroisos einen Ratschlag, der ihn von dem Feldzug htte abbringen kçnnen (1.71). Nach der oben besprochenen Halys-berquerung folgt bald die entscheidende Szene der Gefangennahme und unterbrochenen Hinrichtung, wo Kroisos den Wert der solonischen Ratschlge erkennt (1.86) und ihn ein urplçtzlicher Regen aus heiterem Himmel (1j d³ aQhq_gr te ja· mgmel_gr; vgl. oben 58) vor dem brennenden Scheiterhaufen bewahrt, nachdem er Apollon um Hilfe angerufen hat; von Kyros wird er folglich als heovik^r ja· !mμq !cah|r wahrgenommen (1.87.2). In den Folgekapiteln avanciert Kroisos zum nun wirklich weise gewordenen Berater des Kyros (1.88 – 89), was spter jedoch konterkariert wird, als er Kyros gegen den einstimmigen Vorschlag der fhrenden Perser den fatalen Rat gibt, den Fluß Araxes zu berschreiten, um gegen die Massageten zu ziehen (1.206 – 207). Anschließend wird eine weitere Schlsselszene berichtet: Kroisos fragt in Delphi nach, warum er trotz seiner großen Freigebigkeit gegenber den Delphern und der – wie er meint – getreuen Befolgung der Orakelsprche von Kyros gestrzt worden sei. Der Gott habe ihn betrogen (1napat÷m, 1.90.2); er macht ihm Vorwrfe (ameid_sai, 1.90.3) und bezeichnet ihn als undankbar (!waq_stoisi, 1.90.4). Das Unterfangen erscheint in seiner Aufmpfigkeit dem Gott gegenber hnlich wie die Orakelprobe moralisch zweifelhaft, obwohl Herodot dies nicht explizit formuliert (die Ungewçhnlichkeit von Kroisos Kommunikation mit Apollon zeigt sich re171 Vgl. Christ 1994, 189 – 193. 172 Vgl. 1.71.1: "qlat½m toO wqgsloO, vgl. auch 1.73.1. Das dritte warnende Orakel durch die Schlangen deutet Kroisos nicht falsch, aber zu spt (1.78).
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II. Frevel: Mythos als moralisches Paradigma
lativ neutral darin, daß Kyros darber lacht: cek\sar, 1.90.3). Apollons Antwort jedoch erweist Kroisos endgltig als einen von der Gottheit Privilegierten: dieser msse zwar den Frevel seines Ahnen Gyges bßen, Apollon habe sich jedoch persçnlich fr ihn eingesetzt und ihm drei Jahre Aufschub gewhrt. Die Vorwrfe wegen der Orakelsprche weist der Gott zurck und erklrt dem Lyderkçnig ihre wahre Bedeutung. Kroisos erkennt nun seine eigene Schuld (1.91.6). Es zeigt sich, daß Kroisos ein Schwankender ist. Das Ziel von Herodots Darstellung scheint vor allem im gleichsam mimetischen Aufzeigen der ambivalenten Natur des Kçnigs zu liegen, die einem stndigen Wechsel von Frçmmigkeit und Hybris unterworfen ist. Die Art der Erzhlung seines Flußfrevels stellt folglich eine verdichtende Metapher fr Kroisos allgemeinen Charakter dar, eine Konzentration in einem Punkt: daß er seine Grenzen berschritten hat, ist deutlich, aber nicht nur ist das Ausmaß seines Frevels unbekannt, sondern Herodot prsentiert einander klar widersprechende Versionen, die nebeneinander existieren und doch nicht vereinbar sind – sie bilden die Widersprche in Kroisos Charakter gleichsam erzhlerisch ab.173
173 Es scheint geboten, das eben Konstatierte etwas zu vertiefen, da die Verwendung verschiedener, oft inkompatibler Versionen in den Historien hufiger vorkommt; dies soll unten in Kapitel VI.2.1 geschehen.
III. Wahnsinn – Die Komplexitt der Moral im Spiegel von Mythos und Kult Im vorausgegangenen Kapitel sind Beispiele dafr genannt worden, in welcher Weise die von Herodot verwendeten mythischen Folien seinem historischen Diskurs gleichsam einen moralischen Kommentar zur Seite stellen. Das Scheitern der Figuren – eines Xerxes, der den Gçttervater imitiert, barbarischer Kçnige, die Gewsserfrevel begehen, wie sie hçchstens einem Achilleus anstehen – wird durch die vom Rezipienten unweigerlich mitgedachte Folie antizipiert und erklrend veranschaulicht. Im folgenden soll von einer besonderen Gruppe religiçs konnotierter beltaten der Historien die Rede sein: von Taten, die im Zusammenhang mit Wahnsinn, lam_a, stehen. Diese lehnen sich ebenfalls an mythische Paradigmen an, die nun auch mit einem kultischen Phnomen zu tun haben: dem der rituellen Ekstase. Auch Herodots Wahnsinns-Episoden sind untrennbar mit der Kategorie des Frevels verbunden; dennoch erscheint die Verwendung der traditionellen Folie hier um ein Vielfaches komplexer. So soll denn auch keine einfache Erklrung fr das Phnomen des Wahnsinns bei Herodot angeboten werden; jeder derartige Versuch mßte in einer Simplifizierung enden. Stattdessen aber kçnnen diverse mythische und rituelle Phnomene aufgezeigt werden, die mit der herodoteischen lam_a verwandt sind. Dadurch lßt sich ein zeitgençssischer Kontext rekonstruieren, der die Auffassung von Wahnsinn bei Herodot und seinem Zielpublikum neu beleuchtet, vor allem hinsichtlich der Frage nach der Kausalitt: ist der Wahnsinn bei Herodot gçttliche Strafe oder nicht? Durch den Zusammenhang mit dem Phnomen des Gçtterfrevels ist der Zustand des Wahnsinns, lam_a, bei Herodot klar dem religiçsen Bereich zuzuordnen, wie sich im folgenden zeigen wird; gleichzeitig aber erweist sich der Strafcharakter als gleichsam verschleiert.
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III. Wahnsinn – Die Komplexitt der Moral
1. Die doppelte lam_a und das Problem der Kausalitt 1.1 Kambyses und Kleomenes Die beiden prominentesten Wahnsinnigen der Historien sind der Perserkçnig Kambyses und der spartanische Regent Kleomenes. Die Taten des ersteren demonstrieren allgemein seine mangelhafte Anerkennung der gçttlichen und menschlichen Ordnung, seine wahnwitzigen174 Verstçße gegen einen „sociocultural“, aber eben auch „theological code“,175 wie Herodot etwa 3.38.1 ausfhrt: pamtaw0 §m loi d/k\ 1sti, fti 1l\mg lec\kyr b Jalb}sgr· oq c±q #m Rqo?s_ te ja· mola_oisi 1pewe_qgse jatacek÷m.176 Mir ist ganz klar, daß Kambyses vollkommen wahnsinnig war: sonst htte er sich nicht an Heiligtmern und Bruchen vergriffen und sie verspottet.
Kambyses Freveltaten – die er als bereits Wahnsinniger begeht, wie aus Herodots Formulierung ersichtlich ist – bestehen unter anderem177 in der Entweihung gyptischer Heiligtmer: er schndet die Leiche und damit die Grabkammer des Amasis (3.16) sowie Heiligtmer des Zeus Ammon (3.25.3) und des Hephaistos (3.37). Den Hauptfrevel des Kçnigs stellt die Tçtung des Apis-Stiers und der ihm huldigenden gypter dar, darunter auch einiger Priester (3.27 – 29): als die gypter die Erscheinung des Apis feiern, argwçhnt der Kçnig, sie seien wegen seines mißlungenen Aithiopienfeldzugs so festlicher Stimmung. Die 1p_tqopoi von Memphis, die ihm auf sein Fragen den wahren Grund des Festes nennen, lßt er als Lgner hinrichten. Als die Priester dasselbe sagen, lßt er den gefeierten Apis
174 Vgl. 3.25.2, wo Kambyses 1llam^r te 1½m ja· oq vqem^qgr gegen die Aithiopen zieht, bzw. die Bezeichnung seiner Greueltaten gegen Verwandte und Landsleute: taOta l³m 1r to»r oQjgiot\tour b Jalb}sgr 1nel\mg (3.33); t\de d 1r to»r %kkour P]qsar 1nel\mg (3.34.1); toiaOta pokk± 1r P]qsar te ja· to»r sull\wour 1nela_meto (3.37.1). 175 Munson 1991, 46 etc.; zur Wechselbeziehung zwischen gçttlichem und menschlichem m|lor gerade in der Kambyses-Vita vgl. den ganzen Aufsatz. 176 Es folgt die berhmte Passage ber den Vergleich der Bruche verschiedener Vçlker, die in das Pindarzitat m|lom p\mtym basik]a mndet. 177 Diverse weitere Schandtaten werden ebenfalls berichtet: Kambyses treibt seine Soldaten zum Kannibalismus, weil er in seinem Zorn gegen die Aithiopen hochmtig natrliche Grenzen bzw. Entfernungen ignoriert (oute k|com 2yut` do»r fti 1r t± 5swata c/r 5lekke stqate}eshai, 3.25; vgl. dazu Lateiner 1985, 90 f.); er begeht Blutschande (3.31) und lßt seine eigenen Geschwister tçten (3.30 – 32).
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holen, zieht sein Schwert und stçßt es dem Stier in den Schenkel. Explizit bestreitet er dann dessen Gçttlichkeit: § jaja· jevaka_, toioOtoi heo· c_momtai, 5mailo_ te ja· saqj~deer ja· 1pa@omter sidgq_ym ; (3.29.2) Ihr Dummkçpfe, so sollen Gçtter sein, aus Fleisch und Blut und verwundbar durch das Eisen?
Der Apis stirbt, die Priester werden ausgepeitscht, den gyptern wird bei Todesstrafe verboten, an seinem Kult teilzunehmen. Es handelt es sich also um die extremste Form verweigerter Verehrung eines Gottes, um seine Auslçschung, um direkte Theomachie. Die Tat wird dem Kçnig zum Verhngnis. Kambyses wird sich mit seinem Schwert am Schenkel verletzen, an derselben Stelle, wo er den Apis getroffen hat, und an der brandig gewordenen Wunde sterben (3.64.3; 3.66.1 f.). Herodot betont diese Parallelitt sehr stark, unter anderem auch dadurch, daß die Verletzung des Gottes ausgerechnet am Schenkel als Versehen bezeichnet wird – der Kçnig will den Stier eigentlich in den Bauch stechen, gert aber an den Schenkel (h]kym t}xai tμm cast]qa toO -pior pa_ei t¹m lgq|m, 3.29.1) –, wie auch die Selbstverletzung unabsichtlich geschieht. Als wre dies nicht Hinweis genug, formuliert Herodot noch einmal explizit, Kambyses habe sich genau dort selbst verletzt, wo er den Apis getroffen habe (tqylatishe·r d³ jat± toOto t0 aqt¹r pq|teqom t¹m [t_m] AQcupt_ym he¹m /pim 5pkgne, 3.64.3). Der Strafcharakter der Verwundung ist fr Herodot eindeutig.178 Auch bei dem anderen großen Wahnsinnigen179 der Historien, Kleomenes, handelt es sich um einen notorischen Frevler (6.75 – 84); hier 178 Brown 1982, 401 f. faßt die Apis-Verwundung mit der korrespondierenden Selbstverletzung als „detail“, das einzufgen Herodot nicht widerstehen kann („he could not bear to omit anything which he felt might appeal to his readers“, „he underestimated the intelligence of his readers“) – „and this weakens his otherwise rational interpretation.“ So rgerlich diese Einschtzung Herodots als eines geschwtzigen Mrchenonkels ist, so absurd ist die Behauptung, es handle sich bei einem derart stark betonten Element der Erzhlung um ein anekdotisches Detail. 179 Auch Kleomenes wird mehrfach explizit als wahnsinnig bezeichnet, vgl. 5.42.1 (oq vqem^qgr !jqolam^r te) sowie die im Haupttext zitierte Stelle 6.75.1. Des weiteren fllt die Vokabel zahlreich in der Debatte ber den Grund von Kleomenes Wahnsinn (siehe Haupttext), vgl. 6.84.1: )qce?oi l]m mum di± taOta Jkeol]me\ vasi lam]mta !pok]shai jaj_r, aqto· d³ Spaqti/ta_ vasi 1j dailom_ou l³m oqdem¹r lam/mai Jkeol]mea, Sj}h,si d³ blik^samt\ lim !jqgtop|tgm cem]shai ja· 1j to}tou lam/mai. Vgl. 6.84.3.
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scheint der Wahnsinn aber Bestrafung und nicht Ursache der Blasphemie zu sein. Nachdem bereits 5.72.3 f. berichtet worden ist, wie Kleomenes auf der athenischen Akropolis widerrechtlich das Heiligtum der Gçttin betritt, folgt spter die Erzhlung von seiner lam_a und deren Genese (6.75 – 84). Herodot berichtet zuerst nur die Tatsache, daß Kleomenes nach seiner Rckkehr aus der Verbannung180 in Wahnsinn verfllt (6.75). Man bindet den Wahnsinnigen; es gelingt ihm jedoch, sich ein Messer zu beschaffen, mit dem er sich selbst zerfleischt: Jkeol]mgr d³ paqakab½m t¹m s_dgqom %qweto 1j t_m jmgl]ym 2yut¹m kyb~lemor7 1pit\lmym c±q jat\ l/jor t±r s\qjar pqo]baimem 1j t_m jmgl]ym 1r to»r lgqo}r, 1j d³ t_m lgq_m 5r te t± Qsw_a ja· t±r kap\qar, 1r d 1r tμm cast]qa !p_jeto, ja· ta}tgm jatawoqde}ym !p]hame tq|p\ toio}t\ … (6.75.3)181 Kleomenes nahm das Messer und begann, sich von den Schienbeinen her zu verstmmeln; er schnitt das Fleisch der Lnge nach ab und schritt von den Schienbeinen zu den Schenkeln vor, von den Schenkeln aber zu den Lenden und den Weichen, bis er zum Bauch kam und ihn aufschlitzte; so starb er …
Als Ursache des Wahnsinns nennt Herodot drei mçgliche Grnde, die alle mit der Entweihung von Heiligtmern zu tun haben und an deren Standorten jeweils fr die wahre Erklrung gehalten werden:182 Kleomenes Bestechung der Pythia, um seinen Widersacher Demaratos aus dem Weg zu rumen (dies glauben alle Griechen, ist Delphi doch ein panhellenisches Heiligtum), die Verwstung des heiligen Bezirks in Eleusis, schließlich das Niederbrennen des Heiligtums von Argos. Die Bestechung der Pythia ist schon 6.66.2 f. berichtet worden; es folgt die genauere Schilderung des argivischen Tempelfrevels.183 180 Kleomenes wird ins Exil geschickt, weil seine Intrige gegen Demaratos bekannt geworden ist, vgl. 6.74. 181 Zur Opferdiktion der Erzhlung vgl. unten 133 f. mit Anm. 331. 182 Vgl. Luraghi 2006, 84, der die verschiedenen Begrndungen fr Kleomenes Wahnsinn als typisches Beispiel dafr betrachtet, wie bei Herodot „conventional interests and viewpoints“ verschiedener Parteien in unterschiedlichen Versionen derselben Geschichte manifestiert werden; vgl. auch unten Anm. 679. 183 Whrend Kleomenes Feldzug gegen Argos verschanzen sich einige Argiver im Heiligtum des eponymen Heros. Zunchst lßt Kleomenes sie namentlich herausrufen, indem er behauptet, er habe Lçsegeld erhalten, die Unglcklichen dann aber tçtet. Als die Argiver dies durchschauen, lßt er den Hain um das Heiligtum in Brand stecken (6.79 – 81). Damit nicht genug, tçtet er auch noch den Priester eines lokalen Hera-Tempels, der ihn als Fremden am Opfern hindern will. – Diese Freveltaten stehen in einem gewissen Kontrast zu Kleomenes bisweilen doch vorhandener Gottesfurcht: als er begreift, daß die delphische Prophezeiung,
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Die Passage schließt ringkompositorisch mit der erneuten Feststellung, die Argiver glaubten, Kleomenes sei ob dieser Untat dem Wahnsinn verfallen (6.84). Zustzlich wird ebenda noch eine vierte, zunchst natrlich erscheinende Erklrung nachgeliefert: Kleomenes habe zuviel mit Skythen verkehrt und sich dabei das Trinken ungemischten Weins angewçhnt – so sagen die Spartaner. Herodot beendet die Diskussion mit seiner eigenen Meinung: 1lo· d³ doj]ei t_sim ta}tgm b Jkeol]mgr Dglaq^t\ 1jte?sai (,mir aber scheint Kleomenes fr die Sache mit Demaratos bestraft worden zu sein, 6.84.3) – eine klare Parteinahme fr die These der gçttlichen Vergeltung, in diesem Fall als Strafe fr die Entweihung des delphischen Heiligtums durch Bestechung. Auf den ersten Blick scheint also der Bestrafungscharakter der lam_a bei Kleomenes eindeutig, whrend Kambyses Bestrafung nicht im Wahnsinn besteht, sondern in seiner tçdlichen Verwundung. Die Ursache seiner lam_a ist damit unklar. Zwar zitiert Herodot gyptische Quellen, die den Beginn der lam_a an der Tçtung des Apis festmachen (Jalb}sgr d] , ¢r k]cousi AQc}ptioi, aqt_ja di± toOto t¹ !d_jgla 1l\mg, 3.30.1). Selbst aber bezeichnet er Kambyses Religionsfrevel, wie oben gesehen, als Konsequenz seines Wahnsinns, und an spterer Stelle bringt er die lam_a des Kçnigs mit dessen – offensichtlich als physisches Leiden aufgefaßten – Epilepsie in Verbindung: ja· c\q tima ja· 1j cemet/r moOsom lec\kgm k]cetai 5weim b Jalb}sgr, tμm Rqμm amol\fous_ timer· ou m}m toi !eij³r oqd³m Gm toO s~lator moOsom lec\kgm mos]omtor lgd³ t±r vq]mar rcia_meim. (3.33) Denn man sagt auch, Kambyses habe von Geburt an eine schlimme Krankheit gehabt, die einige ,heilig nennen: und wenn der Kçrper an einer schlimmen Krankheit leidet, ist es nun nicht unwahrscheinlich, daß auch der Geist nicht gesund ist.
Diese Erklrung und die Vorsicht gegenber der Bezeichnung der Epilepsie als einer ,heiligen Krankheit mag im Trend der Zeit liegen, in der die Ursachen geistiger und kçrperlicher Krankheiten nicht unbedingt nur der
er werde Argos erobern, sich lediglich auf das Heiligtum des Argos bezogen hat, will er durch ein Opfer abklren, ob ihm auch die Einnahe der Stadt vergçnnt sein werde. Als das Opfer negativ ausfllt, zieht er sich zurck (6.76; 6.82). Herodot referiert diesen Teil der Geschichte allerdings mit grçßter Skepsis: oute eQ xeud|lemor oute eQ !kgh]a k]cym, 5wy savgm]yr eWpai (6.82.1); er scheint eher der alternativen Variante zuzuneigen, daß Kleomenes bestochen worden sei.
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III. Wahnsinn – Die Komplexitt der Moral
bernatrlichen Sphre zugerechnet werden.184 Aber auch hier ist Vorsicht geboten – gçttliche Vergeltung ist durchaus im Spiel, nur ußert sie sich zunchst in der Verletzung. Von Rationalismus kann hier also auf keinen Fall die Rede sein. Und die Sache ist damit nicht abgetan. Bei nherer Betrachtung des Ausspruchs der gypter 3.30.1, die behaupten, Kambyses Tçtung des Apis-Stiers sei die Ursache des Wahnsinns, fllt eine merkwrdige Formulierung ins Auge. Jalb}sgr d] , ¢r k]cousi AQc}ptioi, aqt_ja di± toOto t¹ !d_jgla 1l\mg, erfahren wir, aber direkt im Anschluß wird ber Kambyses gesagt, er sei auch zuvor geistig nicht gesund gewesen: 1½m oqd³ pq|teqom vqem^qgr. Der Nachsatz vertrge sich gut mit der oben zitierten Stelle, wo Herodot die Schndung von Heiligtmern als Konsequenz von Kambyses Wahnsinn anfhrt (3.38.1), wenn man das Partizip 1~m als konzessiv und somit als Widerspruch gegen die ,naiven gypter auffaßte: Kambyses war schon vorher wahnsinnig, nicht erst nach der Tçtung des Apis, die ja im Gegenteil Folge seiner geistigen Verwirrung war. Diese Deutung verbietet sich jedoch aufgrund der parallelen Formulierung im Falle des Kleomenes, die noch irritierender wirkt (wird Herodot doch die Bestechung der Pythia 6.84.3 mit großer Eindeutigkeit als Ursache des Wahnsinns bezeichnen): Kleomenes sei nach seiner Rckkehr aus der Verbannung in Wahnsinn verfallen; aber auch vorher sei der Kçnig schon verrckt gewesen (jatekh|mta d³ aqt¹m aqt_ja rp]kabe lam_g moOsor, 1|mta ja· pq|teqom rpolaqc|teqom, 6.75.1). Die beiden einander so hnlichen, unklaren Aussagen zum Ausgangspunkt des Wahnsinns der beiden Frevler irritieren, da der ,Normalfall anders aussehen mßte – so wie in der Rede der homerischen Penelope an Eurykleia, bei der sie eine Vernderung vom Zustand der Gesundheit zum Wahnsinn konstatiert, als diese ihr die Ankunft des Odysseus meldet:
184 Vgl. etwa Hp. Morb.Sacr. 1. Vgl. hierzu und zur antiken Assoziation der Epilepsie mit Wahnsinn Hershkowitz 1998, 2 – 5 mit weiterer Literatur, sowie Padel 1995, 158 – 162, die den Skeptizismus der Hippokratiker etwas relativiert („even for them, daemonic cause is still a reality“, 161; vgl. auch 226 mit Anm. 22). Thomas 2000, 34 bezeichnet die Stelle als „one place where Herodotus seems unwilling to dwell upon divine retribution, the element of the exotic and supernatural which he may accept elsewhere“.
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la?a v_kg, l\qcgm se heo· h]sam, oV te d}mamtai %vqoma poi/sai ja· 1p_vqom\ peq l\k 1|mta, ja_ te wakivqom]omta saovqos}mgr 1p]bgsam· oV s] peq 5bkaxam· pq·m d³ vq]mar aQs_lg Gsha. (Od. 23.11 – 14) Liebe Amme, verrckt haben dich die Gçtter gemacht; die kçnnen auch einen seiner Sinne berauben, der ganz Herr seiner Sinne ist, und den Schwachsinnigen zur Besonnenheit gelangen lassen. Die haben dich beschdigt: vorher warst du deiner Sinne mchtig.
Das mag hyperbolisch, also bertreibend, formuliert sein, stellt jedoch den erwarteten ,Normalfall eines Wechsels vom gesunden in den kranken Zustand dar. Daß dieser bei Herodot nicht gegeben scheint, muß verwundern. Wie gesagt, kçnnte man im ersten Fall davon ausgehen, daß Herodot den gyptern rationalisierend widerspricht, welche die ApisTçtung als Ursache von Kambyses Wahnsinn betrachten, whrend das Wirken der lam_a doch bereits vorher konstatiert werden kann. Dies wrde angehen, wre da nicht die auffllig identische Formulierung im Falle des Kleomenes; und bezglich der Kausalitt von dessen Frevel und Wahnsinn widerspricht sich Herodot geradezu selbst: einerseits gibt er die Bestechung der Pythia als Grund des Wahnsinns an und legt den Zeitpunkt des Ausbruchs genau fest – die Rckkehr des Kleomenes aus der Verbannung, die ihm aufgrund der Bestechungsintrige auferlegt worden ist –, andererseits jedoch behauptet er, der Kçnig sei schon vorher wahnsinnig gewesen. Nun erscheint auch die parallele Formulierung bei Kambyses zweifelhaft: Jalb}sgr d] , ¢r k]cousi AQc}ptioi, aqt_ja di± toOto t¹ !d_jgla 1l\mg, 1½m oqd³ pq|teqom vqem^qgr (3.30.1). Wenn der Autor sich im Falle des Kleomenes selbst widerspricht, wird der partizipiale Zusatz eher besagen, daß auch die gypter sich selbst widersprechen, als daß Herodot ihnen widerspricht. Was hat diese Vagheit bei der Bestimmung der Ursache von Wahnsinn zu bedeuten? Ist der Wahnsinn bei Herodot gçttliche Strafe oder nicht? Ein weiterer Blick auf die beiden Formulierungen erweist eine zustzliche Aufflligkeit: die an beiden Stellen geradezu bemht wirkende Verwendung einer zweiten ,Wahnsinns-Vokabel, insofern als lam_a nur fr den schließlich eingetretenen Zustand verwendet wird, nicht fr das, was vorher war: im Falle des Kambyses heißt es 1½m oqd³ pq|teqom vqem^qgr, bei Kleomenes 1|mta ja· pq|teqom rpolaqc|teqom. Hier entsteht der Eindruck einer Vernderung, eines ,Vorher-Nachher-Zustands, da sich die unterschiedlichen Termini im selben Satz finden. Es besteht zwar kein semantischer Unterschied zwischen lam_a und den brigen Wahnsinns-
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III. Wahnsinn – Die Komplexitt der Moral
Vokabeln;185 dennoch scheinen die Formulierungen nicht bloß einer elaborierten Stilistik geschuldet. Irgendetwas hat sich verndert. Rosaria Munson konstatiert bei beiden Figuren eine Vernderung „in the surrounding narratives implicit distinction between ,far and ,near“ (1991, 50), d. h. in der Tatsache, daß sowohl Kambyses und Kleomenes ihre Wahnsinnstaten erst gegen Fremde richten, schließlich gegen nahe Verwandte – Kambyses tçtet Bruder und Schwester (3.30; 3.32) – oder gegen sich selbst, wie es bei Kleomenes der Fall ist. Munson bemerkt zudem, daß die Verwandtenmorde des Kambyses gleichzeitig Strafe fr begangene Freveltaten und Ursache fr neue Strafe sind, was dem modernen Leser befremdlich erscheinen mag.186 Dies ist richtig, sagt aber ber die ursprngliche Kausalitt der lam_a nichts aus. Es muß an dieser Stelle festgehalten werden, daß Herodot in den Punkten des gçttlich sanktionierten Tempelfrevels sowie der gottgesandten Krankheit durchaus traditionellen Kausalittsvorstellungen folgt. Auch in den Fllen von Kambyses und Kleomenes steht ja fest, daß die beiden Frevler bestraft werden – bei Kambyses ist es mindestens die Selbstverletzung, durch die er den Tod des Apis bßt (ob die lam_a 185 Herodot verwendet andere Begriffe bisweilen synonym oder sogar im Hendiadyoin mit lam_a ; vgl. 1.109.2: oqd eQ paqavqom^sei te ja· lam]etai j\jiom C mOm la_metai (Harpagos ber Astyages); 3.25.2: 1llam^r te 1½m ja· oq vqem^qgr (Erzhler ber Kambyses); 3.34.3: MOm %qa l] vasi P]qsai oUm\ pqosje_lemom paqavqom]eim ja· oqj eWmai mo^loma (Kambyses Paraphrase der Volksmeinung ber ihn selbst); 5.42.1: oq vqem^qgr !jqolam^r te (Erzhler ber Kleomenes); 6.12.3: oVtimer paqavqom^samter ja· 1jpk~samter 1j toO m|ou (die Ionier ber sich selbst); 9.55.2: laim|lemom ja· oq vqem^qea (Pausanias zu Amompharetos). Vgl. auch 3.35.4: ¢r l³m 1c~ te oq la_molai P]qsai te paqavqom]ousi, d/k\ toi c]come (Kambyses ber sich selbst im Gegensatz zu seinen Landsleuten). Allenfalls in der Geschichte vom Skythen Skyles, der sich in die bakchischen Mysterien einweihen lßt, ist eine Differenzierung zwischen la_meshai und bajwe}eim konstatierbar (vgl. unten Anm. 345). Grundstzlich kann allenfalls nach Bezeichnungen durch den Erzhler und durch Figuren unterschieden werden, oder zwischen hyperbolischem (also bertreibend so bezeichnetem) und pathologischem Wahnsinn; vgl. Munson 1991, 50 f., Anm. 10 f.; bei den hier relevanten Stellen greifen jedoch auch diese Unterscheidungskriterien nicht. – Entsprechend sind die 3.30.1 und 6.75.1 getroffenen terminologischen Unterscheidungen zwischen Kambyses und Kleomenes vorherigen Wahnsinn und der an einem bestimmten Punkt einsetzenden lam_a nicht durchgehalten: bereits im Kontext seines aithiopischen Feldzugs wird Kambyses Wahnsinn als lam_a bezeichnet (1llam^r, 3.25.2; vgl. oben Anm. 174), whrend er 3.29.1, unmittelbar, bevor er sich auf den Apis strzt, als rpolaqc|teqor bezeichnet wird. Dasselbe gilt fr Kleomenes: er sei oq vqem^qgr !jqolam^r te, sagt Herodot 5.42.1 ber den noch jungen Kçnigssohn. 186 Munson 1991, 49 – 51.
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ebenfalls als Strafe anzusehen ist, wird noch zu klren sein). Dies steht im Einklang mit dem Rest der Historien; daß Tempelfrevel nmlich ausnahmslos in jedem Fall bestraft wird, geht aus Herodots Werk in seltener Eindeutigkeit hervor. Es sind vorwiegend die persischen Kçnige und ihre Heere, die Tempel schnden oder zerstçren187 (auch wenn das Stereotyp des gottlosen Barbaren bisweilen durchbrochen ist188) – und deren Unternehmen folglich scheitern, wie Themistokles an der oben 61 bereits zitierten Stelle 8.109.3 andeutet: T\de c±q oqj Ble?r jateqcas\leha, !kk± heo_ te ja· Fqyer, oT 1vh|mgsam %mdqa 6ma t/r te )s_gr ja· t/r Eqq~pgr basikeOsai 1|mta !m|si|m te ja· !t\shakom, dr t\ te Rq± ja· t± Udia 1m blo_\ 1poi]eto 1lpipq\r te ja· jatab\kkym t_m he_m t± !c\klata, dr ja· tμm h\kassam !pelast_cyse p]dar te jat/je.189
187 3.147 tçten die Perser bei der Einnahme von Samos Menschen, blo_yr 5m te Rq` ja· 5ny RqoO. 6.19 plndern und verbrennen Barbaren die Heiligtmer von Didyma, 6.32 in Ionien, 6.96 auf Naxos; 6.101 werden eretrische Heiligtmer geplndert; 8.32 f. kommt es zu Tempelschndungen im Land der Phoker, unter anderem wird der Apollon-Tempel in Abai zerstçrt. 8.53.2 plndern die Perser die athenischen Heiligtmer und ermorden die Schutzflehenden; 9.13.2 erfolgt die vollstndige Vernichtung Athens samt der restlichen Tempel durch Mardonios; 9.116 schndet Artay¨ktes das Heiligtum des Protesilaos auf der Chersones. Xerxes persçnlich stiehlt das goldene Zeusbild in Babylon, dessen Priester er tçten lßt (1.183.3). 188 Im Zuge des Diebstahls des babylonischen Zeusbildes durch Xerxes etwa wird berichtet, daß Dareios vor derselben Tat zurckgeschreckt sei (1.183.3); neben der Schndung der Heiligtmer von Naxos durch die Barbaren steht ihre Schonung von Delos (6.96 – 97); 8.54 heißt es, daß Xerxes nach der Einnahme von Athen (und der Zerstçrung der dortigen Heiligtmer) attische berlufer auffordert, tq|p\ t` svet]q\ hOsai. Xerxes zeigt ferner 7.43.2 Ehrfurcht vor den Gçttern, wo erzhlt wird, daß er der troianischen Athene und den Heroen opfert. Ferner verhlt er sich dem Heiligtum des Zeus Laphystios in Achaia gegenber ehrfrchtig (7.197.4), nachdem er dessen Geschichte gehçrt hat. Seine Ehrung einer Platane 7.31 kann dieser Aufzhlung mçglicherweise hinzugefgt werden. Auch Herodots Spekulationen ber Xerxes Reue nach der Schndung des Hellesponts (7.54) lassen diesen nicht als eindimensionalen Gotteslsterer erscheinen. – Umgekehrt begehen auch die Griechen Freveltaten: im Zuge des ionischen Aufstands brennen sie Sardes mitsamt seinen Heiligtmern nieder (5.101 – 102); mag dies auch unbeabsichtigt geschehen sein, berufen sich die Perser spter immer wieder darauf (5.102.1; 6.101.3); die Episode hlt sogar als Legitimation fr Xerxes Griechenlandfeldzug her (7.8.2 – 3; 7.1.1). Die Tendenz, Barbaren als Frevler und Griechen als gottesfrchtig zu zeichnen, ist aber quantitativ auch bei Herodot gegeben. 189 Zur kritischen Wertung der Stelle durch Scullion 2006 vgl. oben Anm. 143.
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III. Wahnsinn – Die Komplexitt der Moral
Dies nmlich haben nicht wir fertiggebracht, sondern die Gçtter und Heroen, die nicht duldeten, daß ein einziger Mann Kçnig ber Asien und Europa sei, frevelhaft und gottlos, wie er ist: Heiligtmer und Privatbesitz behandelte er auf gleiche Weise, er verbrannte die Bilder der Gçtter und strzte sie um; sogar das Meer ließ er geißeln und in Fußfesseln legen.
Themistokles Figurenperspektive wird aus auktorialer Sicht massiv gesttzt, so etwa 8.35 – 39, wo Herodot schildert, wie die Perser Delphi angreifen. Schon das Verbot Apollons, das Heiligtum zu rumen, wird berichtet, ohne dieses gçttliche Eingreifen in irgendeiner Weise zu rationalisieren (b d³ he|r svea oqj 5a jim]eim, v±r aqt¹r Rjam¹r eWmai t_m 2yutoO pqojat/shai, 8.36). Ohne jede erzhlerische Einschrnkung wie die Verwendung indirekter Rede oder Berufung auf Quellen, sogar verstrkt durch auktoriale Bekrftigungen (h_la l³m c±q ja· toOto j\qta 1st_ und di± p\mtym vasl\tym %nia hyl\sai l\kista, 8.37), erzhlt Herodot dann, wie die heiligen Waffen von alleine außerhalb des Tempels erscheinen, und wie in dem Moment, als die Barbaren angreifen wollen, ein Gewitter losbricht, das den Parnaß zum Einstrzen bringt und die Perser in die Flucht schlgt, worauf die Delpher sie verfolgen und viele von ihnen tçten. Erst beim Eingreifen der delphischen Heroen Phylakos und Autonoos in das Kampfgeschehen verweist Herodot auf eine nur indirekte Quelle (5kecom … ¢r 1c½ pumh\molai, 8.38). Das skrupulçse Angeben der Mittelsmnner im Falle der Heroenerscheinung lßt alles Vorhergehende als fr Herodot absolut glaubwrdig erscheinen. Die bei Herodot grundstzlich erfolgende gçttliche Bestrafung des Tempelfrevels steht vçllig im Einklang mit der erzhlerischen Tradition190 – man denke unter anderem191 an den ,kleinen Aias, der Kassandra vom Altar der Athene wegreißt und das Standbild der Gçttin umwirft,192 worauf ihn Athene vernichtet.193 190 Zur ,lebensweltlichen Verbreitung der Vorstellungen vom Frevel an unbetretbaren, heiligen Sttten vgl. Parker 1983, 144 – 190, bes. 167 – 180. 191 Zu nennen ist ferner die Geschichte von Atalantes und Meleagros Geschlechtsverkehr im Tempel, fr den die Liebenden zur Strafe in Lçwen verwandelt werden (Ov. Met. 10.686 – 704; Apollod. 3.9.2 = 3.108; Hyg. Fab. 185; vgl. umfassend Grossardt 2001), und die Entweihung des Apollonheiligtums durch Laogoras, der von Herakles getçtet wird (Apollod. 2.7.7 = 2.155). Zu dem Tempelschnder Neoptolemos vgl. unten 122 – 124. 192 Procl. arg. Iliup. Davies EGF p. 62, 23 f. = Bernab PEG I, p. 89, 15 f. 193 Od. 4.499, 502: Sie versucht, ihn im Meer ertrinken zu lassen. Poseidon rettet Aias zunchst auf einen Felsen; als er sich jedoch rhmt, der Gefahr gegen den Willen der Gçtter entgangen zu sein, zerschmettert der Meergott seinen Fluchtort und Aias ertrinkt endlich doch (Od. 4.500 – 511). Der Zusammenhang zwischen
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Auch die Vorstellung gottgesandter Krankheit scheut Herodot keineswegs. Sie greift nicht nur im Falle des Kleomenes, dessen Wahnsinn Herodot als Krankheit bezeichnet.194 So berichtet Herodot im ersten Buch, daß bei einem der Einflle des lydischen Kçnigs Alyattes in Milet auch der Tempel der Athene in Brand gert (1.19 – 22). Alyattes wird daraufhin mit nicht nher definierter Krankheit gestraft (1m|sgse, 1.19.2, mo}sou, 1.19.2; 1.22.4) und genest erst, als er das Unrecht wieder gutgemacht hat.195 Weiter lßt sich der Fall der Skythen anfhren, denen Aphrodite Urania ein
Athenes Haß und der Entweihung ihres Tempels durch die Vergewaltigung der Kassandra ist aus zahlreichen bildlichen Darstellungen seit Mitte des 7. Jahrhunderts ersichtlich, vgl. LIMC 1 s. v. Aias, p. 339 – 349, 16 – 108. 194 Von Kleomenes heißt es, er habe lam_g moOsor bekommen (6.75.1). Vgl. 9.34, wo berichtet wird, daß die argivischen Frauen in Raserei geraten – lameis]ym, 9.34.1 – und ihre Mnner den Seher Melampus bitten, ihre Frauen von der Krankheit zu heilen: paOsai … t/r mo}sou, 9.34.1. (Leider ist diese Erzhlung so kurz, daß sie zur Erhellung von Herodots Wahnsinnsverstndnis nichts Weiteres beitrgt; sie hngt aber wohl mit dem Proitiden-Mythos zusammen, vgl. unten Anm. 319). Die Bezeichnung des Wahnsinns als Krankheit stellt in der griechischen Literatur natrlich keine Ausnahmeerscheinung dar: zur Verbindung von Wahnsinn und Krankheit vgl. Padel 1995, bes. 145 – 164: wie durch Wahnsinn, so wird die Verletzung der gçttlichen Ordnung auch durch Krankheiten, besonders Hautkrankheiten, bestraft (Padel 1995, 148 fhrt Ps.-Aeschines Ep. 1.2 an, der von der Bestrafung der Delier mit einer Hautkrankheit berichtet, weil diese auf der heiligen Insel ein Begrbnis gestattet hatten; daneben nennt sie Hp. Morb. Sacr. 4.35.40 – 60, wo der Volksglaube an eine Verursachung von Epilepsie durch ein miasma verurteilt wird). Krankheit geht mit Wahnsinn einher (Padel fhrt die Proitiden an, die wahnsinnig und ausstzig werden, vgl. Hes. fr. 131 MW), und Orestes, von dem es Cho. 269 – 296 heißt, er werde wahnsinnig werden und Geschwre bekommen, wenn er seine Mutter nicht tçte; vgl. unten 97 – 99). „Madness, passion, pollution, and disease are deeply bound to each other. Madness is seen in terms of them. But they are also seen in terms of it“ (164). Vgl. ferner Padel 1992, 52 – 59 zur generellen Verwendung medizinischen Vokabulars „to explain moral and social change“. Vgl. weiter Scullion 1998, 114 – 122 zur Bezeichung von Wahnsinn als m|sor bei Sophokles. 195 Dies wird von Herodot recht eindeutig suggeriert: Ja· t¹ paqaut_ja l³m k|cor oqde·r 1c]meto, let± d³ t/r stqati/r !pijol]mgr 1r S\qdir 1m|sgse b )ku\ttgr (,Und bezglich der unmittelbaren Folge gibt es keinen Bericht, aber nachdem das Heer nach Sardes gekommen war, erkrankte Alyattes, 1.19.2). Ja· d}o te !mt· 2m¹r mgo»r t0 )hgma_, oQjod|lgse b )ku\ttgr 1m t0 )ssgs`, aqt|r te 1j t/r mo}sou !m]stg (,Und er baute der Athene statt einem zwei Tempel in Assesos, selbst aber stand er aus seiner Krankheit [geheilt] wieder auf, 1.22.4). Auch die kurze Quellenangabe Dekv_m oWda 1c½ ovty !jo}sar cem]shai (,von den Delphern weiß ich das und habe selbst gehçrt, daß es geschehen sei, 1.20) wirkt durch das oWda verstrkende !jo}sar besttigend.
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III. Wahnsinn – Die Komplexitt der Moral
,Frauenleiden schickt, nachdem sie ihren Tempel in Askalon geplndert haben (h^keam moOsom, 1.105.4).196 Nicht unmittelbar an die Schndung eines Heiligtums gebunden aber dennoch klar als gçttliche Bestrafungen gekennzeichnet sind die Geschichten des Meders Mazares, der die Maiandros-Ebene ausplndern lßt und let± d³ taOta aqt_ja an einer Krankheit stirbt (1.161), und des persischen Feldherrn Otanes, der durch eine ,Geschlechtskrankheit in Verbindung mit einem Traum (5j te exior ame_qou ja· mo}sou F lim jat]kabe mos/sai t± aQdo?a, 3.149) zur Neubesiedlung der von den Persern entvçlkerten Insel Samos bewogen wird. Ein Fall von Frevel an Heiligem wird in den Historien gar mit Wahnsinn bestraft:197 der versuchte Raub der – bereits von den Aigineten gestohlenen – epidaurischen Standbilder durch die Athener. Wie schon aus dieser kleinen Paraphrase hervorgeht, gestaltet sich die Geschichte der athenischaiginetischen Feindschaft in Herodots Schilderung hçchst elliptisch, unklar und kompliziert (5.82 – 88);198 ferner muß einschrnkend vorausgeschickt werden, daß es sich im Falle der gottgesandten lam_a um eine doppelt relativierte Erzhlung handelt: Herodot spricht nicht selbst, sondern zitiert die Version der Athener und stellt ihr außerdem die aiginetische Gegenvariante zur Seite. Die Erzhlung ist dennoch aufschlußreich: die Athener wollen die geraubten Gçtterbilder den Epidauriern zurckbringen – diese zahlen an Athen nmlich nur deswegen Tribut, weil sie ihre Standbilder aus heiligem athenischen Olivenholz herstellen hatten drfen; kaum haben die Aigineten die Bilder gestohlen, stellen die Epidaurier auch die Zahlungen an Athen ein. Also schreiten die Athener ein und versuchen die Bilder mit Seilen von ihren Sockeln zu ziehen. Hierauf donnert und blitzt es: to»r d³ tqigq_tar to»r 6kjomtar rp¹ to}tym !kkovqom/sai, pah|mtar d³ toOto jte_meim !kk^kour ûte pokel_our, 1r d 1j p\mtym 6ma keivh]mta !majolish/mai aqt¹m 1r V\kgqom. Die Trierenschiffer aber, die [an den Seilen] zogen, seien deshalb wahnsinnig geworden, und indem sie dies erlitten, htten sie einander wie Feinde getçtet, bis nur noch ein einziger briggeblieben wre, der nach Phaleron zurckgekehrt sei. (5.85.2)
196 Zur Natur dieser Krankheit vgl. How/Wells 1912 ad loc. 197 Haubold 2007, 239 bemerkt im plçtzlich gesandten Wahnsinn eine Parallele zur Schiffsmannschaft des homerischen Dionysos-Hymnos (h.Bacch. 7.50: 1jpkgc]mter). 198 Vgl. Haubold 2007 mit einer Gesamtdeutung der Episode und ihrer komplementren Versionen.
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Der berlebende erfhrt zuhause eine Art Sparagmos199 durch die Frauen, die ihn mit ihren Kleiderfibeln zu Tode stechen, weil sie ihn fr den Tod ihrer Mnner verantwortlich machen (5.87). Mag die Geschichte auch beilufig und kritisch erzhlt sein – Herodot ist mit der Vorstellung von gottgesandtem Wahnsinn offensichtlich vertraut. Auch in den oben angefhrten Beispielen gçttlich verursachter Krankheit zeigt er sich fest verankert in einer mythisch-religiçsen Erzhltradition, die Krankheit und damit auch Wahnsinn grundstzlich als gottgesandt betrachtet.200 Von einer rationalisierenden Grundhaltung kann bei ihm nicht die Rede sein201 – zwar mag er an zeitgençssischer Medizin allgemein durchaus interessiert gewesen sein,202 auf einzelne Symptome der lam_a geht er jedoch niemals ein. Was die Ursachen angeht, so bleibt die lose Verbindung von Kambyses Epilepsie und seinem Wahnsinn die einzige Gelegenheit, bei der Herodot eine physiologische Erklrung der lam_a berhaupt in Erwgung zieht – abgesehen von der 6.84.3 zitierten These der Spartaner, Kleomenes Wahnsinn sei durch das Trinken ungemischten Weins ausgelçst worden. Wie unten 103 f. ausgefhrt werden wird, entspringt die letztere Vorstellung aber ebenfalls eher einem religiçsen Hintergrund als medizinisch-naturwissenschaftlichem Denken. Eine detaillierte medizinische Perspektive auf die lam_a, wie sie das hippokratische Corpus durchzieht und dann wieder auch die Dichtung beeinflußt, etwa die Dramen des Euripides,203 nimmt Herodot nicht ein. 199 Haubold 2007 interpretiert die Szene ebenfalls as „inversion of … cult“ (241) in einer Epoche, „where ritual practice turns into murderous strife“ (244); er sieht in der Versammlung der athenischen Frauen die Spiegelung eines aiginetischen Frauenchores, eine Assoziation, die sich mit dem Sparagmos durchaus vertrgt, denkt man an die theatrale Praxis etwa in Euripides Bakchen. 200 Vgl. Mattes 1970, 8. 201 So auch Munson 1991, 52 f. 202 Vgl. Thomas 2000, bes. Kapitel 2. 203 Vgl. fr eine extensiven Analyse der antiken medizinischen Perspektive auf das Phnomen lam_a die umfangreiche Studie von Pigeaud 1981, die neben der naturwissenschaftlichen Sichtweise auch philosophische Interpretationen bercksichtigt. Gerade auch in den dramatischen Bearbeitungen der Herakles- und Medeia-Traditionen sieht Pigeaud deutliche Reflexe medizinischer Vorstellungen (bes. 373 – 439, vgl. auch schon Mattes 1970, 82 – 86). Vgl. ferner Simon 1981, der den Versuch der modernen psychoanalytischen Deutung antiker medizinischer und poetischer Darstellungen von lam_a unternimmt. Mattes 1970, 8 formuliert allerdings eine Beschrnkung des Einflusses der Medizin auf die Dichtung: „Wenn auch in der Dichtung – nicht nur bei Euripides – Unterschiede in der Art des Wahnsinns bestehen, so sind medizinisch exakte Differenzierungen weder gekonnt noch gewollt.“
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III. Wahnsinn – Die Komplexitt der Moral
Kein Tempelfrevel in den Historien bleibt ungestraft, womit sich Herodot klar in eine religiçse Erzhltradition einordnet; die traditionelle Vorstellung von Krankheit als Strafe ist ihm ebenfalls vertraut. Das macht das Zçgern bei der Verortung des Wahnsinns von Kambyses und Kleomenes an einem bestimmten Punkt nicht weniger problematisch – im Gegenteil: es wre nur konsequent, die lam_a-Geschichten in das bei Herodot und in der Tradition bliche Schema von ,Frevel und Strafe einzuordnen. Aber wie genau sieht dieses Schema im Falle der lam_a aus? Eine Betrachtung der traditionellen narrativen Funktion des Wahnsinns lehrt uns, daß die Frage nach der Kausalitt auch hier Probleme aufwirft.
1.2 Die Tradition des Wahnsinns Wahnsinn und Frevel hngen im griechischen Denken zusammen, aber der Strafcharakter des Wahnsinns ist immer problematisch, die Frage nach Ursache und Wirkung des Wahnsinns auch außerhalb der Historien verwirrend komplex. Schon der Diathesenwechsel des Verbs la_meshai – Mediopassiv im Prsens, Medium im Futur und Passiv im Aorist – zeigt an, daß eine Unterscheidung zwischen der Vorstellung, passiv mit Wahnsinn geschlagen zu werden, und der medialen, quasireflexiven Eigenverursachung praktisch unmçglich ist.204 1.2.1 Die Doppelung der lam_a im Mythos Betrachten wir zunchst einige mythische Beispiele fr lam_a.205 Die Vorstellung von Gçttern, die mit Wahnsinn schlagen, entstammt hauptschlich der Tragçdie.206 Der Strafcharakter ist im Mythos zwar in aller 204 Vgl. Padel 1995, 23 f. und 171 f.: „the verbs form may reflect deep ambiguity about who is responsible for the activity: the person going mad (being damaged) or an outside agent.“ Diese Doppeldeutigkeit spiegelt eine im griechischen Denken ganz allgemein anzutreffende, offenbar tief verwurzelte Flexibilitt bezglich kausaler Zusammenhnge wider. Sie beschrnkt sich nicht nur auf die Diathesen des Verbs, sondern zeigt sich etwa an der Tatsache, daß dasselbe Adjektiv im Griechischen aktivische und passivische Bedeutung haben kann, wobei sich nicht einmal die Form ndert (vgl. etwa kupgq|r = betrblich, betrbt). 205 Zu einer vollstndigen bersicht aller mythischen Behandlungen des Themas vgl. Mattes 1970, 15 – 35. 206 Vgl. z. B. Schlesier 1985. Die Vorstellung, Wahnsinn sei gottgesandt, besteht natrlich schon im homerischen Epos (wo der Begriff der lam_a allerdings eine untergeordnete Rolle spielt), vgl. Hershkowitz 1998, 147 – 153. Whrend einige
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Regel vorhanden,207 aber gerade in der Tragçdie stets ambivalent: in irgendeiner Weise hat der gottgesandte Wahnsinn immer ein Doppel, das bereits vorher vorhanden ist – sei es bei der spter mit gçttlicher lam_a geschlagenen Figur selbst, bei einer anderen verantwortlichen Person oder auch nur als drohende Konsequenz alternativen Handelns. Den herodoteischen Beispielen durch das Merkmal der Autoaggression verwandt ist etwa der Fall des Telamoniden Aias, dessen von Athene gesandter Wahnsinn ihn in den Selbstmord treibt.208 Autoaggression scheint ein traditionelles – und vermutlich lebensweltlich begrndbares – Kennzeichen gottgesandten Wahnsinns zu sein.209 Im Falle des Aias ist der Strafcharakter des Wahnsinns ebenfalls nicht eindeutig. Daß es Athene in erster Linie darum geht, Aias potentielle Opfer zu schtzen, geht aus S. Aj. 44 f. und 50 – 54 hervor. Renate Schlesier stellt berdies fest, daß die Gottheit den Wahnsinn in diesem Fall lediglich Verhaltensweisen der Figuren als Wahnsinn gedeutet werden kçnnten, ist die homerische Terminologie in dieser Hinsicht meist nicht eindeutig, vgl. Hershkowitz 1998, 126; zum Phnomen der homerischen %tg vgl. unten 105 f. – Des weiteren stellt Heraklit einen Zusammenhang zwischen liaim|lemoi und la_meshai her (22 fr. B 5 DK), allerdings ist die Stelle nicht so aussagekrftig, wie Padel suggeriert (1995, 200). 207 Vgl. die Zusammenfassung bei Mattes 1970, 50 – 52. 208 In der Erzhlung der Odyssee (11.541 – 567) ist von seinem Wahnsinn noch nicht die Rede, es wird nur vom Streit um die Waffen berichtet, und daß ,die Erde ein solches Haupt um ihretwillen [barg] (to_gm c±q jevakμm 6mej aqt_m ca?a jat]swem, 549). Schon Lesches aber hat laut Proklos die sophokleische Variante: J t_m fpkym jq_sir c_metai ja· idusse»r jat± bo}kgsim )hgm÷r kalb\mei, AUar d 1llamμr cem|lemor t^m te ke_am t_m )wai_m kula_metai ja· 2aut¹m !maiqe? (,Die Entscheidung ber die Waffen erfolgt und Odysseus erhlt diese nach dem Willen der Athene; Aias aber, wahnsinnig geworden, mißhandelt das Beutevieh der Achaier und tçtet sich selbst, Procl. arg. Il. parv. Davies EGF p. 52, 3 – 5 = Bernab PEG I, p. 74, 3 – 5. Auch ein Tragçdientitel des Astydamas, AIAS LAIMOLEMOS, deutet auf die frhe Verbreitung der Version (fr. 1a Snell TrGF 1, 60, p. 200). Der Selbstmord figuriert dann explizit in den aischyleischen Thressae (fr. 83 Radt TrGF 3, p. 205 – 208). Bildliche Darstellungen setzen erst im 3 Jh. v. Chr. ein, vgl. LIMC 1 s. v. Aias, p. 327 f., 91 – 102. Literarisch wird die Wahnsinns-Version spter teils fortgefhrt (Quint. Smyrn. 5.409 – 556), teils nicht (Ov. Met. 13.384 – 392). 209 Aias Selbstmord ist zwar mit Kleomenes Selbstzerfleischung und Kambyses unabsichtlicher Selbstverletzung nicht vçllig gleichzusetzen, zumal der Selbstmord bei Sophokles nach der Wahnsinnsepisode stattfindet, als Aias wieder bei Verstand ist; jedoch enden alle drei Flle mit dem Tod des Wahnsinnigen; und bei Lesches tçtet sich Aias offenbar noch im Wahnsinn (vgl. die vorhergehende Anm.).
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neu „formt“: „aus dem bereits vorhandenen, menschlichen Jhzorn des Aias.“ Somit sei die gottgesandte lam_a lediglich eine „Ablenkung der Wut des Kriegers“ (Schlesier 1985, 22).210 Dies ist vergleichbar mit dem Fall des von Hera mit Wahnsinn geschlagenen Herakles, wo sich die kausale Ambivalenz noch steigert. Sptestens211 bei Euripides ist belegt, daß die Gçttin die lam_a sendet, ohne daß eine besondere Schuld des Helden vorliegen wrde. Bei Euripides scheint dies trotz der Verwendung des Begriffs d_jg vor allem als Machtdemonstration interpretiert zu sein.212 Wie Anton Bierl jedoch ausfhrlich darstellt (1991b, 81 – 89), sind sowohl die Heldentaten des Herakles als auch seine lam_a durch dieselbe „unglaubliche Energie“ (81) verursacht; „seine maßlose Wut ist bereits die Vorbereitung seiner gottgesandten lam_a“ (82). „A kind of madness appears at both stages of the sequence: human offence, divine punishment“, stellt auch Ruth Padel fest (1981, 110), die Aias (und Herakles) einseitige Festlegung auf kçrperliche Tugenden als maßgebliche Ursache der lam_a betrachtet: „Investing only in body leads to madness where body is worse than useless. It turns against you.“ Aias Hnde, „the tool of his greatness“, werden zum Instrument seines Untergangs (1995, 67).213 Hier liegt also gleichsam eine Verdoppelung der lam_a vor: der Aias innewohnende Wahnsinn wird gçttlicherseits auf ihn zurckgeworfen; es handelt sich nicht mehr nur um einen ,Richtungswechsel, sondern um eine echte Rckwendung. Zwar hat sich Aias sehr wohl versndigt: er hat Athenes Hilfe im Krieg abgelehnt und die Gçttin 210 Vgl. bereits Simon 1981, 127 f., siehe unten Anm. 309. Latacz 1993, 202 spricht von kompromißlosem „Starrsinn“, der dem Wahnsinn vorausgeht. 211 Die frheste schriftliche Erwhnung der lam_a des Herakles findet sich in den Kyprien (Procl. arg. Cypr. Davies EGF p. 31, 38 f. = Bernab PEG I, p. 40, 28 f.), wo berichtet wird, Nestor habe seinem Gast Menelaos tμm Jqajk]our lam_am erzhlt. Paus. 9.11.2 findet sich ein Hinweis auf Stesichoros und Panyassis Erzhlungen vom Tod der Sçhne des Herakles mit Megara; dies ist aber nicht nher ausgefhrt. Pherekydes berichtet, Herakles habe fnf seiner Sçhne ins Feuer geworfen (FGrHist 3, fr. 14 Jacoby), was als voreuripideische Version gedeutet worden ist, vgl. Billerbeck 1999, 2 mit Anm. 7 f. Zu einer Zusammenstellung auch der spteren Belegstellen vgl. Billerbeck 1999, 1 – 10. 212 Vgl. Simon 1981, 135 f. und Schlesier 1985, 10 f. und 33 f. zu Iris Aussage HF 840 – 842: cm_i l³m t¹m Nqar oX|r 1st aqt_i w|kor, / l\h, d³ t¹m 1l|m· C heo· l³m oqdaloO, / t± hmgt± d 5stai lec\ka, lμ d|mtor d_jgm (,er soll erkennen, was fr einen Zorn Hera gegen ihn hegt, und auch meinen eigenen erfahren: die Gçtter sind nichts und das Sterbliche wird groß sein, wenn er nicht bßt). 213 Padel steht hier im Widerspruch zu ihrer Auffassung von der tendenziell rein ußerlichen Ursache von lam_a ; vgl. unten Anm. 255.
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damit verrgert – auch dies natrlich eine Art der Verblendung, von der Kalchas in Sophokles Aias berichtet.214 Dennoch kann nicht eindeutig geklrt werden, zu welchen Teilen die lam_a Bestrafung bzw. strafwrdiges Vergehen ist. Schließlich wird Aias mit lam_a bestraft, weil er %mour (763) ist bzw. sich rxij|lpyr j!vq|myr verhlt (766). Ein relativ klarer Fall von Bestrafung durch Wahn scheint Heras Verfolgung ihrer Rivalin Io durch die Bremse (oWstqor215). Ihre Pein wird klar als Wahnsinn klassifiziert, etwa in Aischylos216 Gefesseltem Prometheus, 673 – 677, wo Io ihre Verwandlung beschreibt: eqh»r d³ loqvμ ja· vq]mer di\stqovoi Gsam, jeqast·r d, ¢r bq÷t, anust|lyi l}ypi wqishe?s 1llame? sjiqt^lati Gissom pq¹r eupot|m te Jeqwme_ar N]or K]qmgr te jq^mgm· Sofort waren Gestalt und Geist verdreht, und gehçrnt, wie ihr seht, von der spitzmundigen 214 S. Aj. 758 – 777: t± c±q peqiss± j!m|mgta s~lata / p_pteim baqe_air pq¹r he_m duspqan_air / 5vasw b l\mtir, fstir !mhq~pou v}sim / bkast½m 5peita lμ jat %mhqypom vqom0. / je?mor d !p oUjym eqh»r 1noql~lemor / %mour jak_r k]comtor grq]hg patq|r. / b l³m c±q aqt¹m 1mm]pei,“t]jmom, doq· / bo}kou jqate?m l]m, s»m he` d !e· jqate?m.“ / b d rxij|lpyr j!vq|myr Ale_xato, / „p\teq, heo?r l³m j#m b lgd³m £m bloO / jq\tor jatajt^sait· 1c½ d³ ja· d_wa / je_mym p]poiha toOt 1pisp\seim jk]or.“ / tos|md 1j|lpei lOhom. eWta de}teqom / d_ar )h\mar, Bm_j atq}mous\ mim / gqd÷t 1p 1whqo?r we?qa voim_am tq]peim, / t|t !mtivyme? deim¹m %qqgt|m t 5por· / „%massa, to?r %kkoisim )qce_ym p]kar / Vsty, jah Bl÷r d oupot 1mq^nei l\wg.“ / toio?sd] toi k|coisim !steqc/ he÷r / 1jt^sat aqc^m, oq jat %mhqypom vqom_m (,Denn solche bermßigen, heillosen Leiber / Werden gestrzt in schweres Unheil durch die Gçtter, / Sagte der Seher, wenn, als Mensch geboren, / Einer nicht auch nach Menschenmaße denkt. / Doch jener, schon als er von Hause aufbrach, / Zeigte sich unverstndig bei des Vaters rechtem Wort. / Der mahnte ihn: „Sohn, trachte, mit dem Speer zu siegen, / Doch stets mit Gott zu siegen!“ Aber der, / Hochfahrend und voll Unverstandes, gab zur Antwort: / „Vater, im Bunde mit den Gçttern mag auch einer, / Der nichts ist, Sieg gewinnen. Ich trau mir zu, / Den Ruhm auch ohne sie an mich zu reißen!“/ Mit solchen Worten prahlte er. Und abermals / Als ihn die gçttliche Athene / Trieb und ihm zurief, daß er auf die Feinde / Wende die mçrderische Hand, da gab er ihr / Zurck das furchtbare und unsagbare Wort: / „Herrin, tritt zu den anderen Argeiern! / Da, wo ich stehe, bricht niemals die Schlacht!“ / Mit Reden solcher Art erwarb er sich / Der Gçttin unlieblichen Zorn als einer, / Der nicht gesonnen ist nach Menschenmaß. – bersetzung: Schadewaldt 1968, 41 f.). 215 Zum Bedeutungsspektrum der verbreiteten Wahnsinnsvokabel oWstqor vgl. Padel 1995, 13 – 17. 216 Zur Echtheitsdiskussion vgl. Latacz 1993, 147 – 158.
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Bremse gestochen und mit wahnsinnigen Sprngen strmte ich zum schçnfließenden Strom Kerchneia und zur Quelle Lerna.217
Natrlich straft Hera Io. Aber es sollte nicht unbercksichtigt bleiben, daß Ios Wahnsinn die Konsequenz ihrer Liebesgeschichte mit Zeus ist. Mam_a als Begleiterin der Liebe ist keine ungewçhnliche Assoziation (so setzt etwa Platon im Phaidros Verstand und Besonnenheit gegen Liebe und Wahnsinn: moOm ja· syvqos}mgm !mt 5qytor ja· lam_ar, 241a).218 Auch hier liegt also eine Art ,Richtungswechsel der lam_a vor: Ios (und Zeus) erotische lam_a wird durch die von Hera gesandte lam_a gestraft. Von erotischer lam_a ist auch Phaidra befallen, wie aus dem ersten Epeisodion des euripideischen Hippolytos hervorgeht. Hier handelt es sich bei der erotischen Raserei um Strafe – allerdings ist Phaidra vçllig unschuldig am Zorn der Aphrodite, die ihr die lam_a sendet. Es ist Hippolytos, der von Aphrodite fr ihre Mißachtung gestraft wird, nicht die Trgerin des Wahnsinns Phaidra, die durch ihre Raserei aber den Tod des Hippolytos verschuldet.219 Die Verachtung der Aphrodite durch Hippolytos ebenfalls als lam_a zu fassen, die durch Phaidras lam_a gestraft wird, ist hier nicht abwegig. Zieht man etwa das Beispiel des Pentheus heran, so zeigt sich hier ebenfalls ein Protagonist, dessen physische Vernichtung durch den Wahnsinn einer anderen Figur erfolgt (seiner Mutter Agaue), der aber (in seinem Freveln gegen Dionysos) sehr wohl auch selbst als wahnsinnig bezeichnet wird, wie im folgenden genauer untersucht werden soll. Der Wahnsinn ist also auch auch im Phaidra-Mythos von Anfang an vorhanden, wenn auch nicht in der Person, die mit gottgesandter Raserei gestraft wird: Wiewohl Hippolytos wahnwitzige Vernachlssigung der Gottheit Aphrodite diese beleidigt hat, muß Phaidra als Gefß eines gottgesandten Wahnsinns herhalten (der wiederum fr Hippolytos tçdlich sein wird). Eine lam_a reagiert auf die andere.
217 Vgl. auch Ov. Met. 1.723 – 726, wo Hera eine Erinyn auf Io hetzt (Tisiphone bei V. Fl. 4.394) und der Wahnsinn ferner durch die Nennung von stimulos in pectore caecos angedeutet ist; spter wird das Element ,wahnwitziger Furcht hervorgehoben; vgl. Hyg. Fab. 145 (timore exagitatam). 218 Vgl. Mattes 1970, 69 f. sowie Hershkowitz 1998, 29 – 34 zur Verbindung des Io qulenden oWstqor mit „frenzy of desire“ (29) und zu Ios Modellcharakter fr andere Flle erotischer Raserei, z. B. Medea bei Valerius Flaccus. 219 Vgl. auch Schlesier 1985, 8 – 12.
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Als sehr komplex erweist sich die lam_a etwa im Falle des Orestes.220 Seine Verfolgung durch die Erinyen kommt der modernen Auffassung von Psychotik besonders nahe, wenn ihr Halluzinationscharakter hervorgehoben ist.221 Einerseits scheint es ganz klar, daß Orestes Wahnsinn durch die Erinyen seiner getçteten Mutter verursacht und damit Bestrafung des Mordes ist.222 Andererseits aber hat Apollon den Befehl zum Muttermord gegeben.223 Wie kann die Ausfhrung eines gçttlichen Befehls strafwrdig sein? Hat der Gott geirrt? Nun findet sich zwar in Euripides Elektra eine klare Verurteilung des gçttlichen Befehls durch die Dioskuren, womit die Schuld eindeutig beim Gott lge.224 Bei Aischylos jedoch ist die Vorstellung der freien Entscheidung des Orestes durchaus mitgedacht: 220 Weniger prominent belegt, aber inhaltlich vçllig parallel verluft der Mythos vom Muttermord des Alkmaion; vgl. Mattes 1970, 16 und unten Anm. 619. 221 Vgl. z. B. A. Cho. 1061: rle?r l³m oqw bq÷te t\sd, 1c½ d bq_; ferner E. IT 281 – 294; Or. 407 f. 222 Vgl. bes. die Aussagen in Euripides Orestes: gleich zu Beginn stellt Elektra den Zusammenhang zwischen Muttermord und Wahnsinn her: t¹ lgtq¹r d aXl\ mim tqowgkate? / lam_aisim (36 f.). Orestes selber spricht von lam_ai te, lgtq¹r aVlator tilyq_ai (400) und verortet den Beginn des Wahnsinns in den Folgeversen beim Begrbnis der Mutter. Ebenso deutlich drckt sich Tyndareus 531 f. aus: lis/i ce pq¹r he_m ja· t_meir lgtq¹r d_jar / lam_air !ka_mym ja· v|boir. Vgl. ferner die Aussage des Chors 831 – 843. – Die Erinyen der Mutter werden schon bei Aischylos eindeutig mit lam_a in Verbindung gebracht, vgl. Eum. 500, wo der Chor von ihnen als laim\dym spricht; vgl. dann E. Or. 269 f.: 1nal}meshai he\r, eU l 1jvobo?em lami\sim kuss^lasim. E. El. 1253 f. verkndet Kastor dem Orestes, daß die Erinyen ihn wahnsinnig machen werden: deima· d³ J/q]r (s) aR jum~pider hea· tqowgkat^sous 1llam/ pkam~lemom ; IT 83 spricht Orestes selbst von seiner lam_a, ebenso 981; 281 – 291 schildert der Hirte, wie Orestes in einem Wahnsinnsanfall die Erinyen mit seiner toten Mutter sieht, ebenso E. Or. 227 f. Vgl. auch Iphigenies Aussage IT 934: lgtq|r (s) ovmej Ak\stqoum hea_. Abbildungen von Orestes und den Erinyen existieren erst seit dem 4. Jh. vor Chr., vgl. LIMC 7 s. v. Orestes, p. 72 f., 28 – 42; p. 75, 55 – 60; die Episode scheint somit sehr stark von der Tragçdie geprgt. 223 Schon in der Odyssee erscheint Orestes Rache als gottgewollt (1.28 – 43; 298 – 300); allerdings liegt das Gewicht dort auf der Tçtung des Aigisthos; der Muttermord ist nicht explizit erwhnt. Bei Stesichoros gibt Apollon Orestes einen Bogen, um die Erinyen abzuwehren (fr. 217 Page/Davies = POxy. 2506, vgl. Schol. zu E. Or. 268). Aischylos Orestes beruft sich bezglich der Tçtung beider Mçrder des Agamemnon auf Apollon (Cho. 269 – 296; 558 f.; 583 f., 1021 – 1042), ebenso Sophokles (El. 37 – 41). 224 d_jaia l]m mum Fd 5wei, s» d oqw· dqør. / Vo?bor d] , Vo?bor – !kk %man c\q 1st 1l|r, / sic_· sov¹r d £m oqj 5wqgs] soi sov\ (E. El. 1244 – 1246; ,Sie hat ihre gerechte Strafe, du aber nicht gerecht gehandelt. / Und Phoibos, Phoibos – aber er
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III. Wahnsinn – Die Komplexitt der Moral
toio?sde wqgslo?r üqa wqμ pepoih]mai ; jeQ lμ p]poiha, towqc|m 1st 1qcast]om· (Cho. 297 f.) solchen Orakeln muß ich doch wohl vertrauen? und auch wenn ich nicht vertraue, das Werk muß getan sein!
Orestes htte seine Mutter also auch ohne Befehl getçtet, so scheint es. Er ist ein Frevler, wird zustzlich vom Gott getrieben, schließlich mit Wahnsinn bestraft. Ruth Padels Feststellung, Orestes werde wahnsinnig, weil er in einem Universum lebe, „in which one divinity opposes another“ (1992, 48), lohnt, weiter verfolgt zu werden. Wer sind die widerstreitenden Gottheiten? Auf der einen Seite steht Apollon, auf der anderen die Erinyen, aber auch die Erinyen des Vaters und die der Mutter sind einander entgegengesetzt, wie Orestes Cho. 283 – 290 ausfhrt: %kkar225 t 1v~mei pqosbok±r 9qim}ym 1j t_m patq~iym aRl\tym tekoul]mar †bq_mta kalpq¹m 1m sj|tyi myl_mt avq}m†. t¹ c±q sjoteim¹m t_m 1meqt]qym b]kor 1j pqostqopa_ym 1m c]mei peptyj|tym ja· k}ssa ja· l\taior 1j mujt_m v|bor jime? taq\ssei ja· di~jeshei p|keyr wakjgk\tyi pk\sticci kulamh³m d]lar. und er sagte, daß andere Heimsuchungen, von Erinyen die aus dem Blut des Vaters hervorgebracht wrden, derjenige klar sehen werde, der im Dunkeln die Braue bewege. Denn das dunkle Geschoß derer in der Unterwelt, von denen, die nach Rache verlangen, gefallen durch Verwandte, und Wahnsinn und leere Furcht aus der Nacht, bewegen ihn und whlen ihn auf, und er werde aus der Stadt verfolgt, mit eherner Geißel mißhandelt am Kçrper.
Auch die Erinyen des Vaters wrden Orestes also wahnsinnig machen, tçtete er die Mutter nicht. Wie es scheint, hat Orestes lediglich die Wahl zwischen lam_a und lam_a, gesandt von der einen oder anderen Seite. Sind es am Ende die Erinyen des Vaters, die ihn zum Mord an der Mutter treiben? Es existiert keine Version des Mythos, in der sie tatschlich auftauchen; dennoch ist Orestes schon vor dem Mord an Klytaimestra ein ist mein Herr, / Ich schweige. Aber auch wenn er weise ist – dir hat er nichts Weises befohlen.) Vgl. Or. 285 – 293, wo Orestes mit dem Muttermord hadert und Apollon Vorwrfe macht: Kon_ô d³ l]lvolai. 225 Neben den grßlichen Krankheiten, die in den vorausgegangenen Versen beschrieben worden sind.
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Getriebener, der das Verbrechen auch ohne Apollons Befehl begangen htte. Hinterher ersetzen Klytaimestras Erinyen die Rachegeister des Vaters – eine lam_a die andere, oder zumindest die Bedrohung durch die andere lam_a.226 Der Wahnsinn ist doppelt: die eine Form schaltet die andere aus. hnlich mag dies brigens im Falle des Athamas zutreffen, dessen Geschichte zuerst in Euripides Ino belegt ist (fr. 398 – 423 Kannicht TrGF 5.1, 32, p. 442 – 455). Von Hera wird er fr die Aufnahme des Dionysosknaben mit Wahnsinn gestraft227 – was geschehen wre, htte er den Gott des Rausches nicht aufgenommen, versteht sich wohl von selbst. Irgendeine Art ,eigener lam_a geht der gottgesandten lam_a also stets voraus, sei es auf seiten des spter Bestraften wie bei Herakles, Aias und Io oder auf seiten einer weiteren Figur, wie in der Konstellation HippolytosPhaidra, sei es schließlich die bloße Alternative einer auf anderem Wege verursachten lam_a wie im Falle des Orestes. Dadurch, daß der gottgesandten lam_a jeweils ein vorausgehendes Doppel entspricht, ist der Strafbzw. Ursachencharakter der tragischen lam_a niemals eindeutig. Gerade das Phnomen der Rckwendung, der gçttlichen Transformation menschlicher Destruktivitt in Autodestruktivitt, erscheint typisch fr die griechische Tragçdie, die immer wieder um das Problem menschlicher Verantwortlichkeit kreist.228 Daß diese Problematik in Herodots lam_aKonzept einfließt, scheint plausibel. Bei genauerer Betrachtung zweier weiterer Flle tragischen Wahnsinns stellt sich im brigen heraus, daß die Erzhlungen von Kleomenes und Kambyses auch im Detail komplexeren mythischen Strukturen folgen und sich somit sehr konkret an mythische Paradigmen anlehnen. 226 Vgl. Simon 1981, 103 f.: „Orestes is being crushed between two powerful cosmic forces, mother right and father right, and will go mad no matter which way he turns … what is clearly in the focus is the sense that Orestes madness is inevitable.“ 227 Apollod. 1.9.2 = 1.84; Ov. Met. 4.481 – 542; Fast. 6.485 – 490; Hyg. Fab. 5. Ebenso schlgt Hera auch die Tçchter des Lamos zur Strafe fr die Betreuung des Dionysosknaben mit Wahnsinn (Nonn. D. 9.38 – 48). 228 Vgl. Padel 1981, 105, die den Wahnsinn als zentralen Zustand der Tragçdie betrachtet, „because its origins seem so clearly to lie both outside and inside the person who went mad, and because tragedy in structure and theme centered round the double determinism endemic in the Greek poetic tradition and in contemporary society.“ Vgl. ebenda, 118 – 123 und Padel 1995, 191: „[madness] may cause crime, or punish it“; 193: „Tragedy goes in for doubleness. Double meanings. Double causality. And a double role for madness“; 244: „[madness] is reversal at every level“; vgl. ferner Pigeaud 1981, 418: „La folie est conÅue comme une tragdie, parce que toutes les deux ont la mÞme structure.“
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III. Wahnsinn – Die Komplexitt der Moral
So erinnert Herodots Kambyses-Geschichte stark an das Ende des thebanischen Kçnigs Pentheus, wie es in Euripides Bakchen erzhlt wird.229 Die beiden Erzhlungen haben die folgenden Elemente gemeinsam: 1. Aggression des Frevlers gegen die Anhnger eines Kultes (in mehreren Phasen der Erzhlung) 2. Vorladung des Gottes durch den Frevler 3. (Versuchte) Mißhandlung des Gottes durch den Frevler 4. Leugnung der Gçttlichkeit durch den Frevler 5. lam_a des Frevlers 6. Erscheinung des Gottes als Stier Was die Mißhandlung des Gottes (Funktion 3) angeht, so evoziert Kambyses Einstechen auf den Apis-Stier zustzlich die berhmte Wahnsinnsszene des Aias, der das Beutevieh attackiert – wie dies bei Euripides auch der wahnsinnige Orestes tut.230 Das Angreifen von Vieh, das man fr den eigentlichen Feind hlt, scheint ein mythischer Topos zu sein. Gleichzeitig steht Kambyses Tun aber auch der Pentheus-Szene nahe, denn es handelt sich eben nicht um eine Halluzination: der Gott selbst wird angegriffen – wie auch Pentheus auf das v_r einsticht, in dem er den Gott erkennt (Ba. 629 – 631).231 Anders als Dionysos im Pentheus-Mythos stirbt der herodoteische Apis, aber darin ist wohl kaum eine Rationalisierung durch Herodot zu lesen, der das Gçttliche eher als Prinzip denn als unsterbliche Person betrachtet; vielmehr verdient die Tatsache Beachtung, daß es sich bei Dionysos um eine der wenigen Gottheiten handelt, deren Tod berhaupt belegt ist: die orphischen Fragmente berichten von der
229 Selbstverstndlich ist der Mythos lter: so scheint Aischylos Pentheus den euripideischen Bakchen sehr hnlich gewesen zu sein (fr. 183 Radt TrGF 3, p. 298 f.), vgl. Bierl 1991b, 11. Die Gefangennahme des Dionysos durch Pentheus in Euripides Bakchen hat wahrscheinlich starke hnlichkeit mit der nur fragmentarisch erhaltenen Szene zwischen Lykurgos und Dionysos in Aischylos Edonoi (fr. 57 – 67; bes. fr. 61 Radt TrGF 3, p. 178 – 185); vgl. Seaford 1996, 26 mit Anm. 11. Bildliche Darstellungen der Bakchen mit Teilen vom Kçrper des zerrissenen Pentheus sind bereits seit dem 6. Jahrhundert erhalten, vgl. z. B. LIMC 7 s. v. Pentheus, p. 312, 39 – 41. 230 Vgl. S. Aj. 51 – 65; E. IT 296 – 300. 231 Vgl. zur Rechtfertigung der ursprnglichen Lesart v_r (im Gegensatz zu Jacobs Konjektur v\sl) Seaford 1981, 256 f. und 1996 ad loc.; dazu kritisch Bierl 1999, 590. Allgemein zu Lichterscheinungen als gçttlichen Reprsentationen vgl. Seaford 1994b und 2005.
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Zerreißung des Dionysos Zagreus durch die Titanen.232 Auch diese Sterblichkeit legt eine Assoziation des Gottes mit dem Apis-Stier nahe, ebenso ihre mçgliche Aufhebbarkeit: der orphische Dionysos wird neu geboren,233 der Apis erscheint immer wieder neu. Hier kommt die Stiergestalt des Gottes ins Spiel (Funktion 6), die sowohl dem Apis eigen ist als auch dem Dionysos der Bakchen (Ba. 920 – 922). Gerade der getçtete Gott, so scheint es, nimmt die Gestalt eines typischen Opfertieres an.234 Die assoziative Verbindung vom Tçter eines Stier-Gottes zum Theomachonten Pentheus, der die Stiergestalt des Dionysos halluziniert, erscheint durch dieses weitere gemeinsame Element schließlich nahezu unvermeidbar. Auch in der Pentheus-Geschichte findet sich ein Hinweis auf die Ambiguitt des Strafcharakters der lam_a : es ist ebenfalls unklar, wann genau der Wahnsinn einsetzt. Es scheint, als sei Pentheus von Anfang an wahnsinnig; weil er sich der religiçsen Norm des Kollektivs verweigert. Die lam_a besteht hier also in einer Art ,frevlerischer Verblendung. In den euripideischen Bakchen wird dies explizit ausgesprochen, und zwar von der Verkçrperung auktorialer Verbindlichkeit schlechthin, dem Seher Teiresias: la_m, c±q ¢r %kcista, sagt er zu Pentheus, noch bevor dessen Halluzinationen, also die ,echten Wahnsinns-Symptome, einsetzen: la_m, c±q ¢r %kcista, ,du bist so wahnsinnig, daß es wehtut (326); und wenig spter: l]lgmar Edg, ja· pq·m 1nest½r vqem_m, ,jetzt bist du (wirklich) wahnsinnig, und auch zuvor warst du nicht Herr deiner Sinne (359).235 Bei der letzteren Stelle findet sich dieselbe Merkwrdigkeit der Formulierung wie bei He-
232 Fr. 301 – 311 Bernab PEG II, p. 246 – 255; Paus. 8.37.5; D. S. 3.62.6 – 8; vgl. West 1983, 140 – 175; Iles Johnston 2007a. Daß der orphische Dionysos-Mythos im 5. Jh. bereits weiteren Kreisen bekannt ist, scheint gesichert; vgl. Iles Johnston 2007a, 68 – 70. 233 Fr. 59; 322; 326 – 328 Bernab PEG II, p. 66 – 68; 265 f.; 267 – 271 (Bernab rechnet fr. 59 aufgrund einer unterschiedlichen Ereignisfolge zu einer traditio altera der Erzhlung; vgl. aber Iles Johnston 2007a, 67 Anm. 9, die sich fr ein gleichzeitiges Nebeneinander verschiedener Versionen ausspricht). 234 Vgl. Burkert 1972, 90 f. Natrlich symbolisiert der Stier auch ganz allgemein gçttliche Intervention, vgl. etwa Padel 1992, 142 – 144. Zur Stiergestalt speziell des Dionysos vgl. die Erwhnung in den aischyleischen Bassariden (fr. 23 Radt TrGF 3, p. 139) und carm. popularia fr. 871 PMG ed. Page = Plu. Aet., Mor. 299b; vgl. auch Seaford 1996 zu Ba. 920 – 922. 235 Vgl. Ba. 214 ¢r 1pt|gtai, und 322, mOm c±q p]t,, dazu unten 130 mit Anm. 316. Vgl. hierzu auch Padel 1992, 96 – 98 mit Anm. 62, die diverse Belege fr p]teshai als Verb der inneren Erregung auffhrt – auch des Wahnsinns.
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rodot, wieder mit zwei verschiedenen Vokabeln fr den Wahnsinn. Eine Form der lam_a hat die andere abgelçst.236 Gleicht Herodots Kambyses-Erzhlung dem Pentheus-Mythos, so gemahnt die Kleomenes-Geschichte an die Vita des mythischen DionysosVerfolgers Lykurgos, wenn auch vor allem in den spt belegten Versionen: Bei Apollodor (3.5.1 = 3.34 f.) und Hygin (Fab. 132) findet sich neben Lykurgos Tçtung seiner Frau oder seines Sohnes oder beider (was natrlich durchaus den Wahnsinnstaten eines Kambyses gegen seine Verwandten entspricht237) das Element der autoaggressiven Selbstverstmmelung im Wahnsinn;238 Lykurgos hackt sich einen Fuß ab, wie Kleomenes sein Bein zerfleischt.239 236 Vgl. Simon 1981, 124. Er sieht die Wandlung von Pentheus lam_a in Aristophanes Wespen karikiert, wo der prozeßschtige Philokleon von seinem Sohn mit einem Bankett und Flçtenspielerinnen von seiner frheren lam_a abgebracht wird: „The fathers conversion to this new life is the comic counterpart of Pentheus dressing up as a Maenad and giving vent to previously suppressed impulses. The old man does a complete turnabout, and he likes the new life so well that he is now a different kind of plague to his son. The outcome can be compared to Orestes fate in the Euripidean play. One form of madness has been traded for another. The old man has been turned about but has not mastered his impulses or achieved any true inner understanding.“ Lediglich der letzte Vergleich hinkt etwas, da Orestes zwar durchaus eine Form der lam_a gegen die andere tauscht, sich aber von Anfang an zwischen zwei Alternativen entscheiden muß, also keine Wandlung von der einen lam_a zur anderen erfhrt (vgl. oben 97 – 99). 237 Vgl. oben Anm. 175 und 177. 238 Selbstverstmmelung im Wahnsinn prgt auch den Mythos von Attis, den die zurckgewiesene Gçttin Agdistis mit Wahnsinn schlgt, worauf er sich entmannt, so Timotheos bei Arnob. nat. 5.5 – 7; vgl. Catul. carm. 63; Paus. 7.17.9 – 12 (zu weiteren Quellen vgl. Hepding 1903, 98 – 122; zur Verwandtschaft zu Herodots Atys-Geschichte vgl. auch unten 237 f.). – Literarisch in einer der KleomenesEpisode auffllig hnlichen Weise festgehalten ist die etwas anders geartete Form der Selbstverstmmelung im Erysichthon-Mythos: der Frevler, der den Hain der Artemis entweiht, wird mit unstillbarem Hunger geschlagen. Die Gottgesandtheit des Hungers und seine Groteskheit rcken ihn dem Wahnsinn nahe. Kallimachos bezeichnet den Heißhunger im brigen auch als Krankheit (lec\kô … mo}s\, Dian. 67), ebenso Ovid (gravi … morbo, Met. 8.876) in seiner Ausgestaltung der Geschichte Met. 8.725 – 884. Hier ist es vor allem die Beschreibung von Erysichthons grßlichem Selbstmord, die an den herodoteischen Kleomenes gemahnt (vgl. bereits Aly 1921, 157): vis tamen illa mali postquam consumpserat omnem / materiam derantque gravi nova pabula morbo / ipse suos artus lacerans divellere morsu / coepit et infelix minuendo corpus alebat (,Dennoch, nachdem jene Kraft des bels alles Vorhandene verbraucht hatte und fr seine schwere Krankheit kein neues Futter mehr da war – selbst begann er seine eigenen Gelenke zerfleischend mit Bissen zu zerreissen, und nhrte den unglcklichen Kçrper, indem
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Nach seiner Selbstverstmmelung freilich kommt Lykurgos – bei Apollodor – wieder zur Besinnung (wie, wird nicht gesagt). Erst spter erhalten die Edoner das Orakel, ihr unfruchtbares Land werde wieder Frchte tragen, wenn Lykurgos getçtet werde, worauf sie ihn gefesselt auf den Berg Pangaion bringen, wo ihn Dionysos von Pferden (oder Panthern, vgl. Hygin Fab. 132) vernichten lßt (diavhaqe_r). Die Fesselung des Lykurgos entspricht wieder der Bindung des Kleomenes, wenn sie auch in anderem Kontext erfolgt. Lykurgos Tod schließlich scheint mit der Beinverletzung nichts zu tun zu haben; Hygin Fab. 242 zufolge begeht er Selbstmord: Lycurgus Dryantis filius obiecta insania a Libero ipse se interfecit. Trotz der syntagmatischen Verschiebungen hnelt die Geschichte Herodots Kleomenes-Episode, da auch der Wahnsinnsanfall des Lykurgos im ,Bestrafungsteil einer Frevel-Erzhlung erfolgt – nur handelt es sich nicht um einen Tempelfrevel, sondern um direkte Theomachie, was wiederum an Kambyses und den Apis-Stier erinnert. Lykurgos, Pentheus, Kambyses und Kleomenes haben ohnehin alle etwas gemeinsam, was sie in einen dionysischen Kontext rckt: das Motiv des Weins, das mit dem Wahnsinn zusammenhngt. Man erinnere sich an die auf den ersten Blick nicht bernatrlich erscheinende Erklrung der lam_a des Kleomenes, er habe zuviel mit Skythen verkehrt und sich dabei das Trinken ungemischten Weins angewçhnt (6.84), was in Anbetracht der Funktion des Dionysos als Weingott ebenfalls eine Form dionysisch in-
er ihn verringerte, Met. 8.875 – 878). Es sei dahingestellt, ob hier Herodot-Rezeption vorliegt, oder ob der Mythos in dieser Form lter ist und seinerseits Herodots Kleomenes-Erzhlung beeinflußt hat; genannt werden Erysichthon/ Aithon und sein kil|r schon Hes. fr. 43a MW (vgl. Skempis 2008 zum Beinamen Aithon, der SSH 970.22 wieder aufgenommen wird); Robertson 1984 bringt die Erysichthon-Geschichte mit einem athenischen Bettelritual in Zusammenhang. 239 Vgl. Apollod. 3.5.1 = 3.35: !jqytgqi\sar 2aut|m, was auf das Abschneiden von Extremitten hinweist, so wie auch Kleomenes seine Selbstzerfleischung an den Beinen beginnt. Daneben existiert auch die Lesart aqt|m = seinen Sohn. Vgl. aber die berzeugende Argumentation fr das reflexive Pronomen bei Marbach 1927, 2435, der fr Lykurgos Selbstverletzung neben Hyg. Fab. 132 auch Fab. 242 und Serv. ad Verg. A. 3.14 anfhrt. Er erwhnt ferner die sich auf Lykurgos beziehende rtselhafte Formulierung in gemino dispar cui pede cultus erat bei Ov. Ib. 346, die mçglicherweise auf den Verlust eines Beines hindeutet, nicht aber die im Grunde aussagekrftigere Erwhnung in den Fasti: inque tuum furiis acte, Lycurge, genu (3.722).
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III. Wahnsinn – Die Komplexitt der Moral
duzierten Wahnsinns darstellt.240 Auch im Falle des Kambyses sind die Perser der Ansicht, er sei der vikoim_g zu sehr ergeben (3.34.2); der Kçnig steht im Ruf, oUm\ pqosje_lemor zu sein (3.34.3), was er selbst so auffaßt, als werfe man ihm Wahnsinn vor: mOm %qa l] vasi P]qsai oUm\ pqosje_lemom paqavqom]eim ja· oqj eWmai mo^loma (3.34.3) – seine lam_a lßt den dionysischen Subtext ebenfalls vermuten.241 Wie bei Pentheus, so kann auch bei Lykurgos bereits die Verfolgung des Gottes als lam_a gelten. Dies wird nirgends so explizit gesagt, wie es in den Bakchen ber Pentheus der Fall ist; das vierte Chorlied der sophokleischen Antigone kann jedoch in dieser Weise gelesen werden: je?mor 1p]cmy lam_air / xa}ym t¹m he¹m 1m jeqtol_oir ck~ssair, heißt es ber Lykurgos (960 – 962), also entweder ,jener lernte den Gott durch [die Bestrafung mit] Wahnsinn kennen, ihn angreifend mit Schmhreden, oder
240 Die Assoziation von Weinrausch mit Wahnsinn existiert schon bei Homer, vgl. Od. 21.295 – 298, wo der Wein als Ursache von %tg und lam_a des Kentauren Eurytion bezeichnet wird (vgl. unten Anm. 747). Vgl. dazu Padel 1995, 176. Zu den zivilisatorischen Implikationen von gemischtem und ungemischtem Wein vgl. Hartog 1980, 176 – 185. Der Zusammenhang von Wahn und Wein in den Historien wird zustzlich durch die Geschichte des Spargapises zementiert (1.207; 1.211 – 213). Sie steht zum einen dem von Sophokles verarbeiteten Aias-Mythos nahe, zum anderen ist der Wein hier explizit als Ursache fr Wahnsinn angefhrt: unter Fhrung des Spargapises tçten die Massageten einen Teil des persischen Heeres – wie Aias vermeintlich einen Teil des griechischen Heeres niedermacht. Nach dem Sieg begehen die Massageten ein Gelage, wobei sie sich berauschen – mit dem Wein, den Kyros auf den listigen Rat des Kroisos hin zur Verfgung gestellt hat. Der Gegner ist also verantwortlich fr den Rauschzustand der Massageten, wie auch Athene den Wahnsinn ber Aias kommen lßt. Wie der rasende Aias, der von Odysseus ohne Gefahr beobachtet werden kann, sind auch die berauschten Massageten vçllig hilflos und werden von den Persern mhelos berwltigt. Als Spargapises aus seinem Rausch erwacht, begeht er aus Scham Selbstmord – ebenso wie der sophokleische Held. -pkgste aVlator JOqe, lßt Spargapises Mutter Tomyris dem Kyros daraufhin sagen, lgd³m 1paqh0r t` cecom|ti t`de pq^clati, eQ !lpek_m\ jaqp`, t` peq aqto· 1lpipk\lemoi la_meshe ovtyr, ¦ste jati|mtor toO oUmou 1r t¹ s_la 1pamapk]eim rl?m 5pea jaj\, toio}t\ vaql\j\ dok~sar 1jq\tgsar paid¹r toO 1loO, !kk oq l\w, jat± t¹ jaqteq|m (1.212.2: ,Unersttlich blutgieriger Kyros, daß du auf diese Sache ja nicht stolz bist – wenn du mit der Frucht des Rebstocks, mit der ihr euch selbst anfllt und rasend seid, so daß schlimme Worte in euch aufsteigen, wenn der Wein in den Kçrper gelangt ist, wenn du mit diesem Gift also meinen Sohn getuscht und besiegt hast, aber nicht durch Strke im Kampf.) 241 Vgl. zur dionysischen Konnotation des Weins bei Herodot auch unten 294 f.
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,jener lernte den Gott kennen, ihn im Wahnsinn angreifend mit Schmhreden.242 Die mythische lam_a scheint also auf die eine oder andere Art stets in doppelter Form aufzutreten. Dies ist bereits bei dem vergleichbaren homerischen Zustand der %tg der Fall; „Verblendung“,243 wie sie zum Beispiel Agamemnon befllt,244 entspricht der tragischen lam_a hinsichtlich der Vorstellung, sie sei in doppelter Motivation zugleich gçttlich verursacht und menschlich verschuldet.245 Auch der %tg liegt eine Rckwendungsstruktur zugrunde. Ruth Padel beschreibt diese „Ate¯-Sequence“ folgendermaßen:246 auf „damage“ folgt ein furchtbarer Akt X, dann wieder „damage“: die erste Beschdigung sei hufig eine innerliche; die zweite habe dann mit Leib und Leben zu tun – wie dies auch bei Kleomenes lam_a der Fall ist (1995, 175 f.).
242 Vgl. Padel 1995, 193: „Sophocles mentions Lycurgus who insulted Dionysus in ,coarse boastful words: maniais, ,in fits of madness. Or did he ,come to know the god by fits of madness: as punishment for the insult? Either is possible.“ 243 Doyle 1984 bersetzt „blindness“, „infatuation“ oder „folly“ (passim); in den nachhomerischen Texten erweitere sich die Bedeutung von diesem subjektiven Ausgangspunkt aus zu einem objektiven Ergebnis: „ruin“, „calamity“, „disaster“ (Doyle 1984 passim; vgl. ferner Padel 1992, 118; 163; Helm 2004, 28 mit Anm. 10; 30). Besonders bei Sophokles aber ist eine Mitverantwortlichkeit des von %tg Befallenen noch immer deutlich zu erkennen; vgl. Doyle 117 f.; 146; 149 f. Im allgemeinen ist %tg auch nach Homer durch ,falsches Denken generiert: Doyle 1984, 35 – 48 konstatiert die kanonischen Ursachenketten aus einem bermaß des Glcks heraus: ekbor / 1shk|r / pkoOtor – vbqir – %tg (Hes. Op. 213 – 218; Sol. fr. 13.9 – 16 West; Pi. P. 2.25 – 31; A. Pers. 816 – 826; Ag. 750 – 771), ekbor / pkoOtor – j|qor – %tg (Sol. fr. 13.71 – 76 West; Thgn. 1.227 – 232; Pi. O. 1.54 – 58; A. Ag. 382 – 389) und j|qor – vbqir – %tg (Sol. fr. 4.30 – 39 West). Vgl. Helm 2004, der bei Aischylos dann eine weitere, noch strker durch menschliches Denken geprgte Mçglichkeit der Kausalitt feststellt: %moia – dusseb_a – vbqir – hq\sor – %tg (32 f.). ,Richtiges Denken, syvqome?m und seine Synonyme, verhindert auch hier die Kette des frevlerischen Wahns (34 – 38). Wie lam_a, so kann auch %tg erotisch konnotiert sein: hufig ist dies bei Homer der Fall (vgl. Doyle 1984, 14 – 16); spter z. B. S. Tr. 1001; 1082; 1104; vgl. Doyle 1984, 101 – 103, der die Bedeutung hier als „destructive disease“ bezeichnet, was die %tg erneut in die Nhe der lam_a rckt: „This disease is both the blind ,infatuation of love, and a love which is a dark destructive power“ (102 f.). 244 Vgl. z. B. Il. 19.86 – 89 und dazu Hershkowitz 1998, 129 – 132 sowie Coray 2009 zu 86b-88 und 88. 245 Vgl. zur homerischen %tg Dodds 1951, 37 – 40; Wyatt 1982; ferner vor allem Hershkowitz 1998, 128 – 132 mit Verweisen auf weitere Literatur. 246 Padel 1995, 174 – 187.
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III. Wahnsinn – Die Komplexitt der Moral
Hier existiert die Vorstellung einer homçopathischen Aufhebung: dieselbe Gottheit straft und hilft in der ihr eigenen Sphre – Padel fhrt als Beispiel die Beziehung zwischen Helena und Aphrodite an: die Gçttin favorisiert die Sterbliche, „yet she is the god most likely to hurt her“. Das Prinzip funktioniert immer hnlich: „In Homers ate¯-sequence, it means divinity may cause the mind damage that causes the X-act. But divinity may also punish that act with life damage, afterwards.“ (1995, 177). -tg kann also Ursache und Konsequenz der Freveltat sein, „stage 1“ bzw. „2“ (zuerst 182).247 Wiewohl Herodot den Begriff der %tg im homerischen Sinne nicht kennt, scheint dieses Prinzip der ,Verblendung auch in den Historien wirksam zu werden, auch unabhngig von der lam_a, etwa an der Figur des Xerxes, der auch die deutlichsten Zeichen mißdeutet und Opfer eines wahrhaft homerischen Trugtraums wird.248 -tg wird immer erst retrospektiv konstatiert, also zum Zeitpunkt ihres Aufgehobenseins.249 Diese Rckwrtsgewandheit mag lebensweltlich begrndet sein: im Zustand der Verblendung ist es dem Betroffenen nicht mçglich, diesen als solchen zu erkennen und zu benennen; dies kann erst nach der Heilung geleistet werden. Es ist denkbar, daß die Struktur der Umkehrung, die allen traditionellen lam_a-Episoden zugrundezuliegen scheint, sich aus dieser Erfahrung erklrt.
247 Vgl. Padel 1992, 177 – 179 zu einer hnlichen Doppelrolle des als Erinys personifizierten Wahnsinns: Erinyen kçnnen strafen, aber auch Ursache fr Frevel sein (Padel verweist insbesondere auf Aeschin. 1.190). Vgl. auch ebenda, 185 – 189 zum ,innerlichen und ,ußerlichen Vorhandensein der Erinyen. 248 7.19 trumt Xerxes, er trage einen Kranz aus lzweigen, der die ganze Erde bedecke, dann aber plçtzlich verschwinde. Vorbehaltlos glaubt er der Positivdeutung der Mager. Nach dem Athosdurchstich und der berbrckung des Hellesponts gibt es eine Sonnenfinsternis. Die Mager deuten dies als schlechtes Zeichen fr die Griechen, womit sich Xerxes vçllig zufrieden gibt (7.37) – dabei htte er schon Zweifel am guten Ausgang seines Unternehmens haben sollen, als die erste berbrckung des Hellesponts mißlang. 7.42 wieder reagiert er nicht auf ein schreckliches Unwetter, das seine Streitmacht verheert, und 7.57 – 58.1 ignoriert er bedeutende Wunderzeichen. Die Traumsequenz 7.8 – 18 gehçrt natrlich ebenfalls in dieses Register, stellt aber einen besonderen Fall dar (siehe unten Kapitel IV.2.2). – Diese der homerischen %tg hnliche ,Verblendung wird bei Herodot allerdings weder mit demselben Begriff bezeichnet (er verwendet %tg nur 1.32, in der Bedeutung ,Schicksalsschlag) noch auf sonstige Art kategorisiert. 249 Vgl. Hershkowitz 1998, 131 f.; sie betrachtet den Begriff folglich als eher auf eine Tat bezogen als auf den vorausgegangenen Geisteszustand: „If %tg refers primarily to the judgement of an action, then it refers only secondarily to the state of mind which produced the action.“
1. Die doppelte lam_a und das Problem der Kausalitt
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In der Tragçdie wird der Begriff der %tg durch den der lam_a ersetzt; die zweiphasige Rckwendungsstruktur aber bleibt hufig vorhanden, wie aus den vorangegangenen Beispielen deutlich geworden ist.250 Zumindest irgendeine Art von Doppelung ist immer gegeben: im Falle des Orestes wird die lam_a durch Klytaimestras Erinyen induziert; die Alternative wre eine andere lam_a durch die Erinyen des Agamemnon. Orestes ist zu einem der beiden Wege bereits entschlossen, Apollon treibt ihn zustzlich an. Die eine lam_a wird vermieden, die andere tritt ein. Bei Hippolytos und Phaidra, schließlich auch bei Pentheus und Agaue ist nicht der Wahnsinn verdoppelt, sondern die Person, die einerseits frevelt und bestraft wird und andererseits mit Wahnsinn geschlagen wird; es handelt sich also um einen ,Richtungswechsel der lam_a : Hippolytos frevelt – Phaidra wird wahnsinnig und zerstçrt Hippolytos. Pentheus frevelt – Agaue wird wahnsinnig und zerstçrt Pentheus (der letztere Fall ist dadurch verkompliziert, daß auch Pentheus wahnsinnig ist, und daß Agaue ebenfalls frevelt). Bei Aias, Herakles und Io kann man von einer Rckwendung sprechen: eine Art ,ungesunden Denkens geht zunchst von der Figur aus und wird dann durch die Gottheit modifiziert und auf die Figur zurckgewendet. Die einseitige Fixierung auf das Kçrperliche, die ,Kampfeswut wird von einer Gottheit in lam_a verwandelt; die erotische Raserei der Io verwandelt sich in eine andere Art des Wahnsinns. hnlich sieht dies bei den am nchsten verwandten mythischen Folien fr Kambyses und Kleomenes aus, Pentheus und Lykurgos. Beide leiden an einer Art ,Wahnsinn des Frevlers, der von der beleidigten Gottheit in Strafe verwandelt wird.251 Die religiçse Auffassung, es sei eine Art frevlerischen Wahnsinns nçtig, um sich an Heiligem zu versndigen, findet sich nicht nur in traditionellen Erzhlungen, sondern auch in philosophischen Texten wieder, etwa in
250 Vgl. Padel 1995, 188: „madness slipped into the pre-prepared ate¯-apparatus of relating cause of crime to consequence and punishment.“ 251 Faßt man Wahnsinn als notwendige Voraussetzung fr Frevel, so werden selbst die klaren Bestrafungsflle unter den griechischen lam_a-Mythen zweideutig, wie sie vor allem spt belegt sind. So erscheint etwa die Geschichte des Jgers Broteas, der Artemis die schuldigen Ehren verweigert, recht eindeutig in ihrer Kausalitt: Broteas prahlt, ihm kçnne nicht einmal durch Feuer etwas geschehen, wird daraufhin zur Strafe mit Wahnsinn geschlagen und strzt sich ins Feuer (Apollod. Ep. 2.8 = Ep. 2.2). hnlich funktioniert die Erzhlung vom Thraker Butes, der Dionysos Amme Koronis vergewaltigt, wahnsinnig wird und sich in einen Brunnen strzt (D. S. 5.50.5). Die Liste ließe sich fortsetzen; vgl. Mattes 1970, 15 – 35.
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III. Wahnsinn – Die Komplexitt der Moral
Platons Nomoi – gerade im Kontext des Tempelfrevels.252 Platons ,Athener beschreibt, was man einem potentiellen Tempelruber raten sollte: § haul\sie, oqj !mhq~pim|m se jaj¹m oqd³ he?om jime? t¹ mOm 1p· tμm Reqosuk_am pqotq]pom Q]mai, oWstqor253 d] s] tir 1lvu|lemor 1j pakai_m ja· !jah\qtym to?r !mhq~poir !dijgl\tym, peqiveq|lemor !kitgqi~dgr, dm eqkabe?shai wqe½m pamt· sh]mei· t_r d 1st·m eqk\beia, l\he. ftam soi pqosp_pt, ti t_m toio}tym docl\tym, Uhi 1p· t±r !podiopolp^seir, Uhi 1p· he_m !potqopa_ym Req± Rj]tgr, Uhi 1p· t±r t_m kecol]mym !mdq_m rl?m !cah_m sumous_ar, ja· t± l³m %joue, t± d³ peiq_ k]ceim aqt|r, ¢r de? t± jak± ja· t± d_jaia p\mta %mdqa til÷m· t±r d³ t_m jaj_m sumous_ar veOce !letastqept_. ja· 1±m l]m soi dq_mti taOta kyvø ti t¹ m|sgla· eQ d³ l^, jakk_y h\matom sjex\lemor !pakk\ttou toO b_ou (854b-c). Seltsamer, kein menschliches bel und kein gçttliches bringt dich dazu und drngt dich jetzt, zu einem Tempelraub aufzubrechen, es ist irgendein Wahnsinnsstachel, eingewachsen den Menschen aus alten, ungeshnten beltaten, der sndhaft umhereilt, und vor dem man sich mit aller Kraft in acht nehmen muß. Auf welche Art man sich in acht nimmt, auch das erfahre: sooft dich ein solcher Gedanke befllt, begib dich zum Shneopfer, begib dich als Schutzflehender zu den Heiligtmern der Gçtter, die Bçses abwenden, begib dich in die Gesellschaft von Mnnern, die bei euch als gut gelten: und dort hçr zu und versuch es auch selbst zu sagen, daß das Schçne und Gerechte jeder Mann in Ehren halten muß. Die Gesellschaft der 252 An anderer Stelle, so muß eingerumt werden, zeigt sich die doppelte Erscheinungsform der lam_a bei Platon nicht als Vorher-Nachher-Kausalitt, sondern als ein von vorneherein potentiell zweigestaltiges Phnomen (vgl. Pigeaud 1981, 104 im Kontext antiker Wissenschaftstexte: „La rflexion antique sur la folie est essentiellement marque par le signe de la dualit, entendons que la folie est toujours double; ou plutt tout se passe comme sil y avait deux folies“). So formuliert der Sokrates des Phaidros einen Gegensatz zwischen einer lam_a die rp¹ mosgl\tym !mhqyp_mym entstanden ist, ,durch menschliche Krankheiten, und einer anderen, die rp¹ he_ar 1nakkac/r t_m eQyh|tym mol_lym erfolgt, ,aus der gçttlichen Vernderung der gewohnten Gegebenheiten (265a). Eine hnliche Unterscheidung scheint bereits von der Schule des Empedokles getroffen worden zu sein; vgl. Pigeaud 1981, 104 mit einer Analyse der bei Caelius Aurelianus (Chron. 1.5.144 – 179) gesammelten Belege. Vgl. ferner Velardi 1989, 84, der die gleiche Unterscheidung bei Ar. V. 8 liest: !kk G paqavqome?r 1te¹m C joqubamtiør ; – Auch die Stoiker unterscheiden zwischen einer mehr intellektuell defizitren „folie au sens gnral dinsipientia“ und einer „maladie de lme et du corps, erreur et malaise“ (Pigeaud 1981, 104; vgl. auch ebenda 243 – 371). Mçglicherweise ist die Unterscheidung zwischen organischer und gottgesandter, zwischen physisch und psychisch bedingter lam_a ,bersetzung der religiçsen Unterscheidung zwischen dem zerstçrerischen Irrsinn des Frevlers und der wahnsinnigen Selbstzerstçrung des Gestraften in ein anderes, eher im modernen Sinne ,wissenschaftliches Diskurssystem. 253 Zum Begriff oWstqor vgl. oben Anm. 215.
1. Die doppelte lam_a und das Problem der Kausalitt
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Schlechten meide unwiderruflich. Und es mag sein, daß dir die Krankheit leichter wird, nachdem du dies getan hast, wenn aber nicht, solltest du den Tod fr das Bessere erachten und dich vom Leben befreien.
OWstqor und m|sgla sind unmißverstndliche Begriffe: wer Tempelfrevel begehen will, muß schon vorher wahnsinnig sein.254 Das Phnomen der Rckwendung, der doppelten Motivation der lam_a entzieht sich der eindeutigen Kategorisierung; es ist auch in den Kontexten, wo es nicht wegzuleugnen ist, keiner konsequenten Systematik unterworfen.255 Diese Komplexitt der griechischen Vorstellungen von lam_a, 254 Interessant ist in diesem Kontext auch der Begriff m|sor in Sophokles Antigone. Liest man ihn mit Scullion 1998, 114 – 122 als geistiges Leiden Kreons, so steht eine Art von lam_a auch hier in direktem Zusammenhang mit dem Frevel an Heiligem, namentlich den Altren der Gçtter, die durch das von den Vçgeln fallengelassene Fleisch des Polyneikes besudelt sind (1016 – 1022), bzw. dem Thron des Zeus, der auf dieselbe Weise verunreinigt wird (1040 – 1044). Scullion spricht von „breakdown of communication with the gods as a result of fouled altars“ (116). 255 In ihren eigenen Systematisierungsversuchen verstrickt sich etwa Padel 1995. Zum einen geht sie davon aus, daß die gottgesandte, pathologische lam_a erst in der zweiten Phase des Wahnsinns einsetze und die erste Phase lediglich in ,hyperbolischer lam_a bestehe (194 – 196), einer von anderen Figuren geußerten bertreibung aufgrund einer Art der !p\tg, „deception“ (189), die sich im Bruch menschlicher oder gçttlicher Regeln ußere; vgl. bereits Padel 1981, 112. Der gottgesandte Wahnsinn folge erst in der zweiten Phase; nur hierbei handle es sich um wirklich abnorme psychische Zustnde, die wiederum ausschließlich durch gçttliche Einwirkung verursacht seien, vor allem in der Tragçdie: „tragic madness is something external, invading, daemonic, autonomous“ (1995, 20; vgl. dazu bereits Padel 1981, 110 f. und 1992, etwa 51). Zu Recht relativiert Padel ihre berlegungen am Ende („No. Too simple.“) und konstatiert, jeder Versuch einer ,Ordnung sei hier ,knstlich: „Divine is outside and inside, the mind is passive and active, all at once. The fifth century operated external and internal explanations of disease, suffering, perception, and passion, simultaneously“ (1995, 195 f.). – Ein weiteres Problem ist die Dauer des Wahnsinnszustandes. Padel definiert lam_a zunchst als ausschließlich punktuell auftretendes Phnomen: „you ,are mad when and only when you do the mad act“ (1995, 33), „there is little sign in the culture of a concept of long-term madness that needs cure. Madness is mostly temporary invasion“ (1995, 101; vgl. bereits 1981, 123; sowie 1995, 31 f.; 232; 244). Beide Thesen basieren auf ihrer Analogisierung hippokratischer Texte, die Krankheiten grçßtenteils auf ußere Einflsse zurckfhren, mit literarischen Belegstellen (z. B. 1992, 49 – 59; 1995, 29 – 33). Tatschlich weist sie die große Verbreitung medizinischen Vokabulars in poetischen Texten nach (vgl. z. B. 1992, 52 – 54); problematisch erscheint jedoch die zu geringe Bercksichtigung der unterschiedlichen theologisch-philosophischen Grundlagen und Ziele der jeweiligen Textsorten (vgl. 1992, 50 f.: „Some of the Hippocratics are clearly familiar with the body and disease, but most of them are writers first. Persuasion is
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III. Wahnsinn – Die Komplexitt der Moral
die sich zugleich selbst generiert, die Ursache und Strafe in einem ist, mag durch die Beschaffenheit des Phnomens an sich bedingt sein. Debra Hershkowitz konstatiert nach einem Versuch der Erfassung dessen, was lam_a bedeutet, eine Art konstruktiver Aporie: der Wahnsinn entziehe sich konsequent jeder einfachen und verstehbaren Kategorisierung, und wiewohl er Teil der verschiedensten Diskurssysteme sei (etwa des wissenschaftlichen, philosophischen, juristischen), falle er aus diesen verstehbaren Systemen auch heraus – jedenfalls insofern, als er durch das System nicht verstehbar gemacht werden kçnne. Whrend Ungewißheit und Unverstndlichkeit des Wahnsinns die Stabilitt aller verstehbaren Strukturen, deren Teil er ist, zu unterminieren droht, besttigt er sie zueverything. They need it to win clients. We distinguish between doctor and public debater; they do not. What matters is writerly coherence … If we want to understand tragic images of the human interior in its relation to the world, we should examine the Hippocratics pattern of imagery, and the assumptions driving their causality of disease, their vision of the bodys interior interacting with the outside world“). Im brigen existieren auch medizinische Texte, die Gegenstzliches postulieren; vgl. Pigeaud 1981, 100 – 107 mit der Analyse eines grçßeren Spektrums medizinischer Quellen zur Definition der lam_a ; sie stellt fest, daß bisweilen nicht entschieden werden kann, ob es sich bei lam_a um „une maladie ou un symptme“ handelt (102): „La manie peut Þtre continue ou avec intervalles“ (106). Vor allem das punktuelle Auftreten des Wahnsinns in der Tragçdie ist wohl vornehmlich der knappen Form des Dramas zuzuschreiben; vgl. Hershkowitz 1998, 24 – 28. Auch die Punktualitt der lam_a wird von Padel selbst wieder relativiert; bereits ihr Zwischentitel „Temporary Versus Long-Term Madness“ (1995, 34 – 44) besagt, daß im griechischen Denken auch zum Wahnsinn geneigte Dispositionen mçglich sind, „chronic susceptibility“ (z. B. 34; vgl. 42: „some people, held in a permanent painful divine relation, are subject, long-term, to repeated pangs of madness“; vgl. bereits 1992, 136 f.). Als Beispiel fr die Existenz lnger andauernden Wahnsinns im griechischen Denken allgemein nennt sie schon 1981 den herodoteischen Kleomenes (123); auch zahlreiche weitere Episoden der griechischen Literatur setzen wohl eine grundstzliche Dispositionierung des Menschen voraus, der nicht nur von der Gottheit geschlagen wird; vgl. etwa die berhmte Pandaros-Episode Il. 4.74 – 104, wo Athene einen Krieger sucht, der geeignet ist, das Attentat auf Menelaos auszufhren (vgl. Schmitt 1990, 82 – 84). Daß die moderne Vorstellung psychisch-emotionaler Verantwortlichkeit (die sich heutzutage von neurologischer Seite infragegestellt sieht) der antiken Auffassung nicht entspricht, versteht sich von selbst; dennoch scheint etwa die Schmittsche Vorstellung menschlicher Freiheit – und damit der autonomen Generierung psychischer und emotionaler Zustnde unabhngig von der Gottheit – als einer Determinante neben anderen Arten der Kausalitt (1990, bes. 12 – 66) dem schwierigen antiken Begriff menschlicher Disposition eher nahezukommen als Padels problematischer und auch von ihr selbst nicht konsequent aufrechterhaltener (vgl. 1995, 63) Ausschluß der inneren Disposition.
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gleich: in seiner Eigenschaft als Antithese zum Verstndlichen, Rationalen, Vernnftigen. Das Paradox des Wahnsinns besteht also darin, einerseits außerhalb der Grenzen des Normalen zu liegen, dieses aber andererseits erst zu definieren.256 1.2.2 Die Doppelung der lam_a im Kult Gerade im Zusammenhang mit Dionysos, der fr die herodoteischen Wahnsinnsparadigmen so wichtig erscheint, muß separat auch die kultische Dimension der lam_a in Betracht gezogen werden, da auch diese im griechischen Denken und Erzhlen eine bedeutende Rolle spielt und rituelle Ekstase mit dem Mysterienkult des Weingottes traditionell verbunden wird.257 Im folgenden wird sich zeigen, daß auch die kultische lam_a eine doppelte Natur aufweist, und daß sie dem Phnomen des Wahnsinns im traditionellen Erzhlen dadurch eng verwandt ist. Handelt es sich bei der Gottheit, die ein Frevler beleidigt, um Dionysos, ergeben sich bei der Bestrafung besondere Implikationen, da die Verehrung des Gottes gerade in – ritueller – lam_a besteht.258 Die Unterscheidung zwischen pathologischem Wahnsinn und kultischer Ekstase259 ist 256 Vgl. Hershkowitz 1998, 13: „It is outside the boundaries of comprehension, yet it is also a necessary component of comprehensibility.“ Vgl. ferner ebenda, 1 – 13. 257 Zur Belegsituation der dionysischen Mysterien vgl. Seaford 1981, 252 f., der die Problematik spter Zeugnisse durch Verweis auf die grundstzliche Kontinuitt des Rituals entkrftet: so sind fr die eleusinischen Mysterien von Aristophanes und Platon an bis hin zu Plutarch dieselben Elemente belegt. Der vorwiegend in hellenistischer und rçmischer Zeit belegte Dionysoskult kann analog als lter betrachtet werden, zumal Seaford von einer „essential similarity between the Dionysiac mysteries and the Eleusinian“ ausgeht (ebenda, 253). Ferner zeichne sich das durch einen Gott institutierte Ritual per definitionem durch Konservativismus aus. Daß die euripideischen Bakchen nicht als getreue Abbildung dionysischer Rituale gelesen werden kçnnen, versteht sich von selbst; vgl. Henrichs 1978; Bierl 1991b, 17 mit Anm. 44. 258 So vermutet Henrichs 1994, 37, daß „die dionysische lam_a gerade wegen ihrer starken rituellen Determiniertheit und ihrer engen Verbindung zur Tragçdie eine Sonderstellung einnimmt“; er verweist auf die auffllige Abwesenheit des Dionysos in Euripides Auflistung von Gottheiten, die Wahnsinn senden (Hipp. 141 – 144): Pan, Hekate, die Korybanten, Kybele, Diktynna werden genannt, nicht aber der Gott des Rausches schlechthin. Vgl. hierzu auch Schlesier 1985, bes. 39 – 41. 259 Strenggenommen mßte bei der kultischen lam_a nicht von ,Ekstase, ,Raserei oder ,Wahnsinn gesprochen werden, sondern von ,Besessenheit, weil der Gott Besitz von den laim|lemoi ergreift. Aufgrund seiner im allgemeinen Sprachgebrauch stark christlich geprgten Valenz soll dieser Begriff hier dennoch nicht verwendet werden.
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III. Wahnsinn – Die Komplexitt der Moral
rein gesellschaftlich bestimmt; zunchst einmal sind beide Zustnde durch ihre Abweichung vom normalen Verhalten definiert.260 Da die rituelle lam_a jedoch zum Gçtterkult gehçrt, sollte man annehmen, sie sei religiçs sanktioniert und gebilligt, anders als die Raserei eines Kambyses oder Kleomenes, eines Pentheus oder Lykurgos. Locus classicus fr eine mçgliche positive Sichtweise ist Sokrates Aussage im Phaidros, die grçßten Gter seien die Konsequenz gottgesandten Wahnsinns (mOm d³ t± l]cista t_m !cah_m Bl?m c_cmetai di± lam_ar, he_ô l]mtoi d|sei didol]mgr, 244a) und seine darauf folgende Unterscheidung prophetischer, ritueller, erotischer und dichterischer Ekstase (244a-257b). Sokrates pointiert formulierte Perspektive kann jedoch nicht als Gemeingut der zeitgençssischen Gesellschaft angesehen werden; im brigen schließt die positive Wertung von Teilbereichen der lam_a nicht aus, daß es sich bei anderen Ausformungen keineswegs um Segnungen handelt.261 Im griechischen Mythos zeigt sich denn auch eine eher ambivalente Wertung der kultischen Ekstase. In den homerischen Epen wird das Thema stark marginalisiert.262 Aber auch in der Tragçdie, dem Genre des Dionysosfests, wird die kultische lam_a nicht eindeutig als Positivum gewertet. So handelt es sich bei der Ekstase des dionysischen Thiasos der euripideischen Bakchen um eine nur teilweise freiwillige: beispielsweise bezeichnet Dionysos den Wahnsinn der Semele-Schwestern in seinem Prolog der euripideischen Bakchen als Konsequenz und somit Bestrafung von deren Weigerung, an die Vereinigung der Semele mit Zeus zu glauben (26 – 33); auch hier zeigt also sich die Doppelung oder Rckwendung des frevlerischen Wahnsinns.263 Auch die Freiwilligkeit der Entscheidung weiterer Thebaner, sich dem dionysischen Gefolge anzuschließen, wird stark relativiert durch die schreckliche Alternative, die sich am Beispiel des 260 Vgl. Zinser 1993b, 255. Zur Problematik des universellen Bedeutungsspektrums von lam_a, das schon Cicero moniert (Tusc. 3.11), vgl. Hershkowitz 1998, 1 – 13. 261 Vgl. Padel 1995, 82 zu der Stelle: „it did not represent its cultures beliefs even then. It is not fifth century. Tragedys spectators and poets would not have felt it.“ Weiter verweist sie auf die subtile Ironie des Texts, auf Sokrates spielerische Argumentation, schließlich eben auf die Beschrnkung auf Teilbereiche der lam_a : „Plato does not think there are blessings or truths available to mad Ajax, for example“ (94). 262 Vgl. Hershkowitz 1998, 135 f. und 132 – 153 mit einer generellen Analyse der Verwendung von Wahnsinns-Vokabular bei Homer. 263 Vgl. Padel 1995, 193 zu den Bakchen: „,Madness that caused insults to Dionysus becomes madness through which these are punished.“
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Pentheus vollzieht – und die etwa Kadmos und Teiresias durchaus vorauszusehen in der Lage sind (vgl. Ba. 337 – 341; 367 – 369).264 Weitere dionysische ,Widerstandsmythen, etwa die Geschichte der Minyaden, berichten hnliches.265 Auch die kultische lam_a ist also nicht ausschließlich positiv belegt, auch hier besteht zumindest die Mçglichkeit des Strafcharakters, und zwar die homçopathische Bestrafung der frevlerischen durch rituelle lam_a. Wer sich der ritualisierten lam_a, der religiçsen Norm, verweigert, den zerstçrt sie: die frevlerische lam_a wird durch rituelle lam_a sanktioniert. Diese Verkehrung der lam_a entspricht natrlich vor allem dem Naturell des Gottes Dionysos, der sich durch die paradoxe Vereinigung von Gegenstzen auszeichnet, „deren Pole gerade in seinem Umfeld dazu neigen, von einem Extrem zum anderen umzuschlagen“, wie Anton Bierl gezeigt hat.266 Folglich ist die Doppel- oder Rckwendungsfunktion, die der lam_a in Kult und Mythos immer eigen ist, im dionysischen Kontext besonders ausgeprgt. Mçglicherweise erklrt sich dadurch, warum die Doppelstruktur der lam_a so typisch fr die Tragçdie ist, Gattung, die untrennbar mit dem Kult des ambivalenten Gottes verknpft ist. Neben dieser – noch immer mythischen – Vorstellung der homçopathischen Bestrafung ist im eigentlich kultischen Bereich aber noch eine weitere Art der Doppelung der lam_a belegt: es handelt sich um homçopathische Heilung in Form einer Therapie des pathologischen Wahnsinns durch ritualisierte Raserei. So ist im Kontext des Kybele- und Korybantenkults der Versuch belegt,267 Geisteskranke durch ritualisierte Raserei zu 264 Vgl. auch Hershkowitz Untersuchung der Vorstellungen von mnadischer (und prophetischer) Gottbesessenheit im rçmischen Epos (1998, 35 – 48), wo das Eindringen des Gottes in sein Medium im allgemeinen als gewaltsamer, brutaler Akt charakterisiert ist. 265 Die Tçchter des Minyas verweigern Dionysos den Kult, verfallen in Wahnsinn, zerreißen ein Kind, schwrmen als Bakchen aus und verwandeln sich in Vçgel oder Fledermuse, vgl. Ov. Met. 4.1 – 415; Plu. Aet., Mor. 299e-300a; Ant. Lib. 10; Ael. VH 3.42. 266 Vgl. Bierl 1991b, 14 f. mit Anm. 35 sowie sein Schema der dionysischen Gegenstzlichkeiten ebenda, 227. 267 Vgl. zu den Quellen fr den Korybantenkult Linforth 1946a; Velardi 1989, 73 – 78; letzterer entdeckt verblffende Parallelen zum sptmittelalterlichen Phnomen des apulischen tarantismo, einer trancehaften Tanzwut, die ebenfalls therapeutische Funktion hat und neurotische Zustnde lçst (85 – 88). Skepsis gegenber der Historizitt des Kultes ußert Padel 1995, 135, konzediert jedoch, daß die herrschenden Vorstellungen davon – das bei der Generierung und Rezeption von Texten eigentlich Entscheidende – von kultureller Relevanz waren: „Still, imaginative life is vital for tragedy, and Corybants clearly play an increasingly intense role in late-fifth-century Athenian imagination.“
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heilen. 268 Am deutlichsten wird auf dieses Verfahren in Aristophanes Wespen angespielt, wo Philokleon durch den Korybantenkult von seiner wahnsinnsartigen Gerichtssucht geheilt werden soll (114 – 120), was das Scholion zu Ar. V. 119 als lust^qia 1p· jahaql` t/r lam_ar bezeichnet. Die parodistische Gerichtsszene der Komçdie ist berdies als kathartisches Ritual gedeutet worden,269 durch das Philokleon von seiner m|sor270 geheilt wird – freilich wird diese in eine andere Art des Irrsinns berfhrt, lam_a.271 Auch hier ist die Verwendung zweier verschiedener Vokabeln Zeichen fr die Vernderung des Zustands. Des weiteren scheint auch Platon Phdr. 244d-e diese Art der Wahnsinnsheilung durch die Korybanten272 als jahaqlo_ zu bezeichnen: !kk± lμm m|sym ce ja· p|mym t_m lec_stym, $ dμ pakai_m 1j lgmil\tym273 poh³m 5m tisi t_m cem_m,274 B lam_a 1ccemol]mg ja· pqovgte}sasa, oXr 5dei !pakkacμm gvqeto, jatavucoOsa pq¹r he_m eqw\r te ja· katqe_ar, fhem dμ jahaql_m te ja· teket_m tuwoOsa 1n\mtg 1po_gse t¹m 2aut/r275 5womta pq|r te t¹m paq|mta ja· t¹m 5peita wq|mom, k}sim t` aqh_r lam]mti te ja· jataswol]m\ t_m paq|mtym jaj_m erqol]mg.
268 Vgl. Mattes 1970, 55 f., der auch die Heilung der Argiverinnen bzw. Proitiden (vgl. unten Anm. 319) durch Melampus in diese Tradition einordnet, da dieser sie let !kakacloO ja_ timor 1mh]ou woqe_ar verfolgt (Apollod. 2.2.2.33 – 35 = 2.29). 269 Sidwell 1990 erkennt in der Gerichtsszene diverse Elemente eines psychotherapeutischen Homçopathierituals, etwa die Elemente der Angst des Patienten, sowie sein Hinstrzen. Reckford 1977 deutet die gesamte Komçdie als kathartisches Ritual, wobei Bdelykleons Versuch, seinen Vater zu heilen, Aristophanes Bestreben entspreche, das athenische Publikum, das im Vorjahr die Wolken hat durchfallen lassen, als jahaqt^r (1043) zu bessern; im selben Moment, in dem Philokleons Heilung scheitere, verfalle auch Aristophanes wieder in die traditionellen Vulgaritten der Alten Komçdie; eine Katharsis erfolge dennoch durch das dionysische Ritual der Komçdie (zu den dionysischen Zgen des Tanzfinales, das auf das Frhstadium des attischen Dramas verweist, vgl. auch MacCary 1979). 270 Ar. V. 71; 76; 87; 114; 651. 271 Ar. V. 1485; 1496 ber den grotesken Tanz des Alten. 272 Daß korybantische Riten gemeint sind, ist communis opinio; vgl. Linforth 1946a und b; de Vries 1969 ad loc.; Velardi 1989, 73 – 98. 273 Gemeint ist der Zorn der Gçtter; vgl. Linforth 1946b, 165. 274 Vgl. Linforth 1946b, 169: „We must acknowledge that we do not know what legend Socrates had in mind, and I repeat that the vagueness of the relative clause, with p|hem and tis_, and tis_ in the plural, may really mean that he had no legend in mind.“ 275 Partitiver Genitiv; vgl. De Vries 1969 ad loc.
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Aber bei den grçßten Krankheiten und Plagen, die aus altem Zorn auf einige Geschlechter gekommen sind, ist Lam_a276 ber diese gekommen und hat prophezeiend gefunden, was ihnen zur Erlçsung nçtig war, indem sie Zuflucht suchte in Gebeten zu den Gçttern und in ihren Diensten, wodurch sie Reinigung und Weihen erlangt hat, und sie machte denjenigen gesund, der sie besaß, fr die Gegenwart und die Zeit danach, und fand eine Lçsung von den beln, die den auf rechte Weise Wahnsinnigen im Griff haben.
Die schwierige Stelle wird in der Regel dahingehend gedeutet, daß durch kultische lam_a eine Heilung vom pathologischen Wahnsinn erfolgt sei.277 Auch vom orphischen Dionysos heißt es, er kçnne Wahnsinn heilen, k}seir 5j te p|mym wakep_m ja· !pe_qomor oUstqou (fr. 350.5 Bernab PEG II, p. 288). Zwar wird nicht explizit gesagt, daß dies durch kultische lam_a geschieht, der Gedanke liegt jedoch angesichts der engen Verbindung des Gottes mit ritueller Ekstase nahe.278 Das Verfahren der Heilung pathologischen Wahnsinns durch rituelle Ekstase wird hufig mit dem afrikanischen zar-bori-Kult verglichen,279 ist 276 Fr eine Quasi-Personifizierung bzw. Vergçttlichung der lam_a im Text vgl. Linforth 1946b, 170 f.; Scullion 1998, 108. 277 Vgl. Linforth 1946b; Velardi 1989, 79 – 81 (speziell zur homçopathischen Wahnsinnstherapie der Korybanten) und Scullion 1998, 108 – 110, der weiter Phdr. 228b anfhrt, wo Platon sich in metaphorisch-scherzhaftem Sinn auf die korybantische Heilmethode bezieht: Sokrates nennt sich ,krank (mosoOmti) in seiner Leidenschaft fr Reden und sucht in Phaidros den sucjoqubamti_mta ; nach Phaidros Rede konstatiert er: sumeb\jweusa let± soO t/r he_ar jevak/r (234d; zur dionysischen Assoziation von sumeb\jweusa vgl. die folgende Anm.). 278 Vgl. Graf 2007, 147 f., der darauf hinweist, daß in den orphischen Hymnen mehrfach die Gottheiten, die Wahnsinn bewirken, um dessen Heilung angefleht werden, so Korybas – Singular der ,Korybanten – (Orph. H. 39.9, wo um die Erlçsung von l/mir gefleht wird), Pan (Orph. H. 11.23 Pamij¹m … oWstqom) und die Eumeniden (Orph. H. 70.9 oUstqyi). Zur Vergleichbarkeit von orphischen und bakchischen Riten auch fr ein breiteres Bevçlkerungssegment vgl. Isler-Kernyi 2001, 221 f. mit Anm. 45 f. (mit weiterfhrender Literatur). Vgl. Scullion 1998 mit einer Sammlung der Stellen, die in Richtung einer therapeutischen Ekstase im dionysischen Kontext deutbar sind: neben der Analyse des Chorliedes S. Ant. 1115 – 1154 und der Anfhrung verschiedener Stellen, wo im dionysischen Kontext von Reinigung und Heilung die Rede ist (u. a. das Schol. zu Pi. P. 3.139b) sieht er den Bezug auf Dionysos auch bei Plat. Phdr. 244d-e gegeben, weil die rituelle lam_a (tekestij^m) Phdr. 265b eindeutig Dionysos zugeordnet wird. Dies wird gesttzt durch die Formulierung sumeb\jweusa Phdr. 234d (vgl. die vorhergehende Anm.). Scullion ist außerdem der Ansicht, daß Aristoteles sich mit seinem Begriff der j\haqsir auf „ritual kathartic dancing“ beziehe (114 mit Anm. 61). 279 Vgl. etwa Ustinova 1992 – 1998, bes. 511 – 515, ferner bereits Jeanmaire 1951, 131 – 138 und Dowden 1989, 85, schließlich Seaford 2006, 105 – 108. Letzterer fhrt
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aber auch mit der antiken Vorstellung vom Weinrausch als Auslçser und Heilmittel der lam_a vergleichbar,280 sowie schließlich mit den Versuchen moderner Psychotherapie, seelische Stçrungen durch die Einnahme halluzinogener Drogen zu heilen.281 Es handelt sich also um echte Homçopathie282 – und wiederum um die Verdoppelung der lam_ai, deren erster eine zweite an die Seite gestellt wird, der pathologischen die rituelle. Es gibt auch ,therapeutische Formen ritueller lam_a, die mit Selbstverstmmelung einhergehen kçnnen und folglich wiederum in die Nhe von Herodots Kleomenes-Geschichte oder des Lykurgos-Mythos rcken. Allgemein wird im kultisch induzierten Trancezustand bisweilen ein Zustand der Schmerzunempfindlichkeit erreicht; so nennt Iamblich – der den Kult, von dem er spricht, allerdings nicht spezifiziert – neben Menschen, die Verbrennungen oder Verletzungen mit Pfhlen oder xten nicht spren, auch solche, die ,sich mit Messern die Arme zerschneiden und das berhaupt nicht wahrnehmen (nivid_oir t±r ¡k]mar jatat]lmomter oqdal_r paqajokouhoOsim, Myst. 3.4).283 Selbstkasteiung und -verstmmelung
280 281 282
283
besonders Platon Lg. 790e an, der die heilende Wirkung korybantischer und bakchischer Riten mit dem Umgang von Mttern mit ihren aufgeregten Kindern vergleicht: sie beruhigen diese nicht durch Ruhe, sondern durch rhythmisches Wiegen und Singen. „… for Plato the disease caused by ancient transgression is (though by implication divinely caused) ,human in the sense that it is unritualised madness, corresponding to the natural agitation of babies, that finds release through the ritual of initiation into the musically controlled movement of Dionysiac trance“ (106); vgl. Velardi 1989, 89 – 91; Scullion 1998, 110: „this external kinesis dominates the inner kinesis“. Vgl. Pigeaud 1981, 500 – 503 mit einer Sammlung und Analyse der Belege. Vgl. z. B. Grof 1983. Im Zuge ihrer Untersuchung der antiken Assoziation von lam_a mit Schwrze und Dunkelheit (1992, 58 – 77; 1995, 45 – 77) entdeckt Padel diese Art der Homçopathie sogar im Detail: schwarze Galle, die nach verbreiteter Ansicht lam_a generiert, muß durch schwarzen Nieswurz (helleborus niger) ausgetrieben werden (1995, 50; 60; vgl. bereits 1992, 69). Vgl. auch 1995, 162 f. zum Begriff jo_tg, „,lying down in sex or sickness“: die krankhafte Form von jo_tg kann nur durch die erotische Form ausgetrieben werden, wie Padel am Beispiel der euripideischen Phaidra erlutert. Daneben existieren natrlich unzhlige weitere Heilmethoden fr die lam_a, darunter auch explizit allopathische; vgl. Pigeaud 1981, 107 – 112. Vgl. Bremmer 1984, 271 – 273, der generell zu einem vorsichtigen Umgang mit den Testimonien mahnt, allerdings vor allem bei poetischen Berichten: die kollektive Unverwundbarkeit der ekstatischen Kult-Anhnger, wie Euripides sie in den Bakchen schildert, verweist er in den Bereich des Mythos, vgl. oben Anm. 51. Entscheidend ist in diesem Kontext jedoch die Existenz der Vorstellungen, nicht die Historizitt einzelner Elemente; vgl. oben Anm. 267.
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spielen mçglicherweise auch im Asklepioskult eine Rolle,284 des weiteren in den Trancezustnden des Kybelekults.285 Es scheint hier um eine Art der psychischen Strkung durch physische Schwchung zu gehen, wenn man Aretaios glauben darf, der das Phnomen ganz allgemein beschreibt286 (unter Nennung durchaus ,dionysischer Elemente wie Flçte und Weinrausch287) und feststellt, daß die Kultteilnehmer, die ihre Glieder zerschnitten haben, nach Abklingen der lam_a, wenn auch blaß, dnn und geschwcht durch die Wunden (%wqooi d³ ja· Qswmo· ja· 1r lajq¹m !shem]er p|moisi t_m tqyl\tym), so doch ,guten Mutes und sorglos sind (euhuloi, !jgd]er).288 Sollte die Selbstverstmmelung des Lykurgos, nach der er wieder zur Besinnung kommt, also von der lam_a geheilt ist, in diesem Kontext zu verstehen sein? Ganz abwegig ist das nicht; es existiert auch im OrestesMythos eine derartige Variante: Pausanias beschreibt ein ,Grabmal des 284 Zur Diskussion der Stellen vgl. Dodds 1951, 116 mit Anm. 79. 285 Bereits E. Ba. werden t\ te latq¹r lec\kar eqcia erwhnt (79). Eine spte, aber sehr detaillierte Beschreibung findet sich Apul. Met. 8.27 f. Vgl. mit weiteren Stellen Burkert 1979, 120 Anm. 20. berdies spielt im Kybelekult die Vorstellung von Selbstverstmmelung in Form von Kastration eine grosse Rolle, vgl. oben Anm. 238, v. a. zur Figur des Attis, und unten 237 f. Die tatschliche Selbstverstmmelung oder gar -tçtung muß im Kult natrlich eher Auswuchs als Regel gewesen sein (wie auch die Sprlichkeit der Belege zeigt). 286 t]lmomta_ timer t± l]kea, heo?r Qd_oir ¢r !paitoOsi waqif|lemoi eqsebe? vamtas_,· ja· 5sti t/r rpok^xior B lam_g loOmom, t± d %kka syvqom]ousi. 1ce_qomtai d³ aqk` ja· hulgd_,, C l]h,, (C) t_m paqe|mtym pqotqop0. 5mheor Fde B lam_g. jCm !polam_si, euhuloi, !jgd]er, ¢r tekesh]mter t` he`· %wqooi d³ ja· Qswmo· ja· 1r lajq¹m !shem]er p|moisi t_m tqyl\tym, SD 1.6.11. (,Gewisse Leute zerschneiden sich die Glieder und sind dadurch ihren eigenen Gçttern – als ob diese es verlangen wrden – in frommer Einbildung zu Willen: und die lam_a besteht nur in dieser Annahme, ansonsten sind sie vernnftig. Aufstacheln lassen sie sich durch Flçte und Jubel, oder durch Rausch, oder durch die Anstachelung der Anwesenden. Gottbesessen ist diese lam_a. Und wenn sie aufhçren, zu rasen, sind sie guten Mutes, sorglos, als ob sie dem Gott geweiht seien: sie sind aber auch blaß und dnn und auf lange Zeit geschwcht durch die Schmerzen ihrer Wunden; zur bersetzung von !polam_si vgl. Henrichs 1994, 35 mit Anm. 10). Albert Henrichs sieht den Bezug der Stelle auf den Kybele-Kult als unzweifelhaft an (1994, 35 Anm. 11). 287 Vgl. Henrichs 1994, 35: „Die Erwhnung der Flçte und des Weins weist jedenfalls auf rituelle Konvergenzen zwischen der Ekstase der galloi und den diversen Erscheinungsformen des dionysischen Enthusiasmos: entsprechend werden in der hellenistischen Dichtung die ekstatischen Kybelepriester gerne mit den Mnaden parallelisiert“. Vgl. auch ebenda, Anm. 13. 288 Zur komplexen Frage der Definition von eqhul_a vgl. Pigeaud 1981, 443 – 452.
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Fingers, Dajt}kou lm/la, an der Straße nach Messene, beim Heiligtum der Lam_ai (8.34.1 – 3). Hier habe Orestes sich einen Finger abgebissen, worauf er %jg, Heilung von der lam_a, erlangt habe. Die schwarzen Erinyen htten sich in weiße verwandelt. Schon J. G. Frazer hat die Lykurgos-Parallele gesehen und ein Shneopfer vermutet; er fhrt zahlreiche Belege aus verschiedenen Kulturen an (1898 ad loc.). Denkbar ist im Kontext des Wahnsinns außerdem die Komponente des absichtlichen Zufgens von Schmerz, um ,wieder zur Besinnung zu kommen.289 Geht man von Herodots Vertrautheit mit dem Gedanken aus, kçnnte schließlich auch die Frage seines Dareios an Zopyros, der sich in strategischer Absicht selbst verstmmelt hat, um die Feinde zu tuschen (vgl. unten Kapitel IV.2.1), auf dem Hintergrund der heilenden Selbstverstmmelung zu lesen sein: j_r oqj 1n]pkysar t_m vqem_m seyut¹m diavhe_qar ; (,du bist wohl von Sinnen, da du dich so zugerichtet hast?, 3.155.3). Jedoch kann es sich hier natrlich auch um eine bloße Redewendung, eine hyperbolische Bezeichnung handeln. Rekapitulieren wir kurz: die Struktur der Doppelung der lam_a erscheint im Kult am offensichtlichsten als Rckwendung; die eine Art lam_a wird durch eine andere Art lam_a aufgehoben, das heißt, es erfolgt eine Heilung von Gleichem durch Gleiches. Bei der Doppelung der lam_a im Mythos, vor allem in der Tragçdie, verhlt es sich sehr hnlich. Auch hier wird die lam_a, die ursprnglich vom laim|lemor ausgegangen ist, diesem (oder einer weiteren involvierten Person) wieder zugewendet, in derselben oder in anderer Form: Aias, Herakles, Lykurgos und Pentheus weisen eine – zuweilen frevlerische – Dynamik auf, die sich schließlich gegen sie selbst kehrt. Bei Pentheus ist es nicht seine eigene frevlerische lam_a, die ihn tçtet, aber die rituelle des Thiasos, der ihn zerreißt. Mindestens ist irgendeine Doppelung der lam_a zu erkennen, wie in den Fllen von Orestes, Phaidra oder Io. Die bestrafende Rckwendung der lam_a entspricht also in ihrer Umkehrungsstruktur exakt der kultischen Heilungsfunktion.
289 Parallelen aus der Gegenwart existieren zuhauf, etwa das selbstverletzende Verhalten psychisch Kranker, die am Borderline-Syndrom leiden (vgl. Hnsli 1996, 40 f., 88 – 90; 127 – 136, bes. 133 f.: „Automutilation als Reaktion auf Halluzinationen und Wahngedanken“), oder, in vçllig anderen Dimensionen, die Wendung, man msse sich ,kneifen, um den Zustand des Wachseins zu erreichen oder zu verifizieren.
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1.3 Die Traditionalitt der lam_a bei Herodot: Mythisches Erzhlen 1.3.1 Die Doppelung der lam_a bei Herodot Wir stellen fest, daß die Rckwendungsstruktur der lam_a – und verwandter Vorstellungen – in der Antike sowohl dem Mythos als auch dem Kult innewohnt. Was liegt also nher als die bertragung des traditionellen Umkehrschemas auf historische Figuren? Wenn Kambyses und Kleomenes die lam_a des Frevlers schon von vorneherein aufweisen und sich diese dann gegen sie selbst kehrt, wird das eingangs formulierte Problem der Kausalitt von Frevel und Wahnsinn aufgehoben: der zweite Teil der Geschichten von Kleomenes und Kambyses, der Bestrafungsteil, ist nicht nur Konsequenz des frevlerischen Wahnsinns, er ist seine genaue Rckwendung, wie oben festgestellt worden ist. Damit funktioniert er in derselben Weise wie die kultisch-mythischen Wahnsinnsschemata. Hier liegt folglich die Erklrung fr den oben problematisierten Begriffswechsel, die Verwendung einer zweiten ,Wahnsinns-Vokabel, die Herodot bezglich Kleomenes und Kambyses verwendet (terminologisch hnlich zeigt sich die Vernderung bei Aristophanes, praktisch identisch bei Euripides): bevor Kambyses und Kleomenes die rckwrts gewandte lam_a ergreift, sind sie oq vqem^qgr (3.30.1) bzw. rpolaqc|teqor (6.75.1); erst war da der Wahnsinn des Frevlers, nun hat er sich zurckgewandt, hat sich verwandelt vom destruktiven in einen autodestruktiven Wahnsinn. Man muß hier nicht so weit gehen, in den Vokabeln, die statt der lam_a gesetzt werden ([oq] vqem^qgr, Hdt. 3.30.1; rpolaqc|teqom, Hdt. 6.75.1; 1nest½r vqem_m, Ba. 359), echte semantische Differenzen zur lam_a finden zu wollen, die das Verhalten oder Befinden des Betroffenen in unterschiedlicher Weise charakterisieren. Wie in Anm. 185 gezeigt, sind vçllig synonyme Verwendungen verschiedener Wahnsinns-Vokabeln gerade bei Herodot sehr hufig.290 Wichtig ist, die Tatsache, daß irgendeine Vernderung desselben Wahnsinns stattgefunden hat; nur dies zeigt die – vermutlich beliebig gewhlte – neue Vokabel an. Wie bei Herodot und Euripides findet sich auch in der oben 84 f. zitierten Formulierung der Odyssee (23.11 – 14) eine starke Betonung des ,Vorher-Nachher-Zustands, gesteigert durch das immer hin- und herwechselnde Gesundheits- und Wahnsinns-Vokabular (l\qcgm, %vqoma, 1p_vqom\, wakivqom]omta, saovqos}mgr, vq]mar aQs_lg Gsha), das durch die stndige Wiederholung beinahe aufflliger ist als die Formulierungen 290 Vgl. Herodots ebensowenig przise Terminologie im Wortfeld ,Frevel; s. u. Appendix 2.
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bei Herodot und Euripides, die sich auf eine einmalige Aussage („vorher warst du … und jetzt bist du …“) beschrnken. Hier jedoch findet eine antithetische Vernderung statt: Eurykleia, so Penelope, war gesund und ist jetzt wahnsinnig. Die tragische Vorstellung einer Vernderung der Krankheit liegt hier nicht zugrunde; es handelt sich um die Vernderung von der Gesundheit zur Krankheit. Dagegen waren Kleomenes, Kambyses und Pentheus schon vorher wahnsinnig und sind es jetzt noch immer – lediglich auf unterschiedliche Art und Weise.291 Wie gesagt, geschieht die Rckwendung bei Kleomenes in derselben Weise, wie es oben auf der mythischen Ebene der Dionysosfeinde gezeigt worden ist: es handelt sich um eine Verkehrung der nach außen gewandten lam_a in eine gegen den laim|lemor selbst gewandte lam_a, in hnlichem Sinne wie die Vernderung zwischen ,fern und ,nah, die Rosaria Munson konstatiert (vgl. oben 86). Bei Kambyses Verwandtenmorden und auch bei seiner unabsichtlichen Selbstverletzung trifft dies zwar ebenfalls zu, es kommt aber noch eine weitere Komponente hinzu. Anders als bei Kleomenes ist es nicht der eigentliche Wahnsinn, der sich gegen ihn kehrt – er stirbt also nicht durch eine Handlung, die unmittelbar aus dem Wahnsinn folgt, wie dies bei Kleomenes Selbstzerfleischung der Fall ist. In anderer Beziehung aber ist sein Fall den mythisch-kultischen lam_a-Beispielen noch nher, da es sich hier um ein noch buchstblicheres Umkehrungsschema handelt. Kambyses stirbt genau durch das Mittel, das er bei der Tçtung des Apis-Stieres angewendet hat: er stçßt sich das Schwert an derselben Stelle in den Schenkel. Das Motiv der Autoaggression ist wie bei Kleomenes gegeben: die Verletzung erfolgt allein durch den Frevler und ohne ußere Einwirkung, wenn auch unbeabsichtigt. Aber die Umkehrung ist nun auch auf der Ebene der Tat selbst vollzogen: es findet eine genaue Doppelung der zu strafenden Freveltat statt, die sich nun gegen den Frevler selbst richtet. „Die Wunde heilt der Speer nur, der sie schlug“ – die Tat kann nur durch die Tat selbst aufgehoben werden. Genau dasselbe trifft in Mythos und Kult zu, bei der frevlerischen oder pathologischen lam_a, die durch gottgesandte lam_a bestraft oder geheilt wird. Ist es schließlich Zufall, daß Herodots Darstellung von Kleomenes Wahnsinn eine derart chaotisch erscheinende Chronologie aufweist? Rekapitulieren wir sie in aller Krze: 6.66 wird seine Bestechung der Pythia berichtet. Die Aufdeckung dieses Verbrechens erfolgt erst 6.74, nach der 291 Vgl. Padel 1995, 193 zum Diktum des Teiresias ber Pentheus Ba. 359: l]lgmar Edg, ja· pq·m 1nest½r vqem_m : „This is language of madness used to describe behaviour (insults to Dionysus) that will be punished through madness.“
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Geschichte von Demaratos und Leotychidas. 6.75 berichtet Herodot von Kleomenes Wahnsinn und Selbstmord und verwendet den hier so oft zitierten Satz, Kleomenes sei nach seiner Rckkehr aus dem Exil wahnsinnig geworden, es jedoch auch vorher bereits gewesen; er schließt das Kapitel mit der Diskussion der mçglichen Ursachen des Wahnsinns: der Bestechung der Pythia, der Verwstung des eleusinischen Heiligtums, der Zerstçrung des heiligen Bezirks von Argos. Letztere wird nun mit Vorgeschichte und Nachspiel ausfhrlich berichtet, von 6.76 – 83, worauf sich wiederum eine Erçrterung der Wahnsinnsursache anschließt: 6.84 werden die Schndung von Argos, das Trinken ungemischten Weins und schließlich wieder die Bestechung der Pythia genannt, letztere mit Parteinahme des Erzhlers (1lo_ d³ doj]ei t_sim ta}tgm b Jkeol]mgr Dglaq^t\ 1jte?sai, 6.84.3). Verbrechen – Wahnsinn – Ursachenreflexion – Verbrechen – Ursachenreflexion: es scheint, als wolle Herodot die Kausalittsproblematik auf narrativer Ebene abbilden, indem er jede Eindeutigkeit der Chronologie vermeidet. Somit erscheint auch die Pluralitt der Ursachen als Teil der narrativen Strategie: jeder Akt der Aggression zieht Wahnsinn nach sich; jedes Stadium von Wahnsinn generiert neue Aggression. Der herodoteische j}jkor t_m !mhqypg_ym pqgcl\tym (1.207.2) ist zum Teufelskreis geworden. hnlich wie in der oben II.2.3 untersuchten Geschichte von Kroisos berquerung des Halys zeigt sich auch hier die bei Herodot offenbar zentrale Bedeutung der Prsentation verschiedener Erklrungsmodelle nebeneinander; die traditionelle Vorstellung der Doppelung der einerseits frevlerischen, andererseits selbstzerstçrerischen bzw. heilenden lam_a lßt einen simplen Bestrafungscharakter des Wahnsinns nicht zu. In diesem Zusammenhang ein letztes Wort zu der natrlichen Ursache von Kambyses Wahnsinn, die er 3.33 erwhnt, der Epilepsie. Harmonisch scheint die Lçsung Erbses, der die Epilepsie als besondere Empfnglichkeit „fr den schdigenden Einfluß der zrnenden Gottheit“ betrachtet. Er bemerkt auch, daß „der Wahnsinn beendet ist, sobald Kambyses seine Situation erkennen soll“ (1992, 52): kurz vor seiner Selbstverletzung scheint der Kçnig wieder bei klarem Verstand zu sein, schließlich auch Strafe und Tod zu akzeptieren (3.64). Dieser Moment der Genesung spricht ebenfalls gegen eine rein medizinische Erklrung der lam_a. Und dennoch verdient es Beachtung, daß Herodot hier ausnahmsweise eine andere als die gçttliche Ursache nennt (vgl. oben Anm. 184). In der Tat scheint er die mythische Ebene der lam_a im Falle des Kambyses nicht so vehement zu transportieren wie bei Kleomenes; er will daneben eine medizinische
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Ursache liefern. Andererseits ist die offensichtliche Parallelisierung des Falles mit mythischen Vorbildern nicht zu leugnen. Warum jedoch sollten ein religiçses und ein wissenschaftliches Erklrungsmodell nicht nebeneinander bestehen kçnnen?292 Dem modernen Leser mag dies unvereinbar scheinen; offenbar aber lassen sich die modernen Regeln der Vereinbarkeit auf Herodots Werk nicht anwenden. Die Kombination der faktischen und der religiçs-philosophischen Ebenen, die Pluralitt der Mçglichkeiten, zieht sich durch die gesamten Historien. 293 Es ist nicht einzusehen, warum Herodot ausgerechnet im Kontext der lam_a Skrupel haben sollte, ein neues medizinisches Erklrungsmodell unter die traditionellen Anstze aufzunehmen, die schließlich auch nicht mehr sind als – teils explizit, teils assoziativ angebotene – Parallelisierungen der aktuellen Geschehnisse mit frheren Przedenzfllen. 1.3.2 Weitere Traditionalismen in Herodots lam_a-Geschichten Neben der allgemeinen Doppelung der lam_a in der griechischen Tradition scheinen die Geschichten von Kleomenes und Kambyses durch ein noch weitergehendes Assoziationsgeflecht in eine breite mythisch-rituelle Tradition eingebunden zu sein. Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, hier noch etwas weiter vorzudringen – im Sinne einer Offenlegung des zeitgençssischen Assoziationsfeldes, das die Wahrnehmung der lam_a strukturiert. Die Spezifizierung des Rckwendungsschemas im Falle des Kambyses – die frevlerische Tat erfolgt in derselben Weise zum zweiten Mal und wendet sich gegen den Frevler – verweist auf eine weitere mythische Vorlage, die fr die Rckwendungsstruktur gleichsam eponyme Neoptolemos-Folie. Die genaue Umkehrung der Tat des Tempelfrevlers hat ein so prominentes mythisches Vorbild, daß sie sprichwçrtlichen Status erlangt hat: Der Sohn des Achilleus tçtet Priamos am Altar des Zeus Herkeios294 292 Vgl. auch Lloyd 1987, 23 f. Anm. 73, der bei Herodot eine Kombination von Naturalismus und traditionellen Vorstellungen konstatiert. 293 Vgl. zur Kombination wissenschaftlicher und religiçser Denkebenen etwa Romm 2006, 184: „Herodotus thinking about the natural world seems to merge a systematic or even scientific approach, in which natural phenomena are explained by regularly occurring forces and processes, with a more myth-based and religious mode of thought which sees the will of an anthropomorphic divinity behind such phenomena.“ 294 Die Geschichte ist belegt bei Pi. Pae. 6.113 – 115 fr. 52 f. Maehler; E. Hec. 23 f.; Tr. 15 – 17; Apollod. Ep. 5.21.203 – 206 = Ep. 5.21; Hyg. Fab. 113; Procl. arg. Iliup. Davies EGF p. 62, 19 f. = Bernab PEG I, p. 88, 13 f. sowie durch zahlreiche
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und versucht, das Heiligtum in Delphi zu berauben,295 begeht also doppelten Tempelfrevel. Nach der letzteren Tat wird er von den Htern des delphischen Heiligtums oder von Apollon selbst erschlagen.296 Pausanias berichtet in diesem Zusammenhang von der Genese eines Sprichworts: er erwhnt, wie die Spartaner im messenischen Krieg den arkadischen General Aristokrates bestechen und sich so einen Sieg erkaufen (4.17.2 f.). ber zwei Jahrhunderte spter werden sie selbst Opfer einer Korruptionsaffre, als die Perser Korinth, Argos, Athen und Theben bestechen und Sparta damit in den Korinthischen Krieg verwickeln (so Pausanias 4.17.5). Die mythische Struktur dient auch hier als Analogie: peqi/khe l]mtoi ja· aqto»r Kajedailom_our !m± wq|mom B Meoptok]leior jakoul]mg t_sir. Meoptok]l\ c±q t` )wikk]yr, !pojte_mamti Pq_alom 1p· t0 1sw\qô toO :qje_ou, sum]pese ja· aqt¹m 1m Dekvo?r pq¹r t` byl` toO )p|kkymor !posvac/mai· ja· !p¹ to}tou t¹ pahe?m bpo?|m tir ja· 5dqase Meoptok]leiom t_sim amol\fousi. (4.17.4) bildliche Darstellungen seit dem 6. Jh. v. Chr., vgl. dazu LIMC 7 s. v. Priamos, p. 516 – 520, 87 – 139. Zu spteren, auch lateinischen Belegstellen vgl. Ziegler 1935. 295 Paus. 10.7.1; Strab. 9.3.9; Apollod. Ep. 6.108 – 114 = Ep. 6.14. 296 Von den Delphern auf Geheiß der Pythia (Paus. 1.13.9) oder von Machaireus (Strab. 9.3.9; Apollod. Ep. 6.111 – 114 = Ep. 6.14), dessen Funktion als Opferpriester Ziegler 1935, 2454 aus dem Namen ableitet. Pi. Pae. 6.109 – 120 fr. 52 f. Maehler wird Neoptolemos von Apollon selbst als Strafe fr die Ermordung des Priamos am 2qje?om … byl|m getçtet. Anders die Version N. 7.40 – 49: Neoptolemos opfert Apollon in Delphi und wird dabei in einen Streit um Opferfleisch verwickelt; hierauf erschlgt ihn ein Mann (!m^q) mit einem Schwert (lawa_qô, die Nhe zum Namen Machaireus ist unbersehbar), zur großen Trauer der Delpher. Neoptolemos aber muß sein Schicksal erfllen: ein Aiakidenheros soll in Delphi begraben sein, als helisj|por ber die heiligen Handlungen. Vor allem in Anbetracht des letzten Verses der Szene (oq xeOdir b l\qtur 5qclasim 1pistate?, 49) geht Ziegler 1935, 2455 von einer Palinodie aus. – Andere nennen Orestes als Mçrder des Neoptolemos; dann ist nicht die Rede von einer Beraubung des Heiligtums; vielmehr liegt dem Mord der Streit um Hermione zugrunde (Verg. A. 3.330 – 333; Vell. 1.1.3; Apollod. Ep. 6.108 – 111 = Ep. 6.14; Hyg. Fab. 123; Serv. ad Verg. A. 3.330; Myth. Vat. (1) 1.41; 2.38). Auch Hld. 2.34.3, wo Hermione nicht genannt wird, kçnnte das Element des Tempelfrevels fehlen, zumindest heißt es dort, Neoptolemos werde von Orestes ,heimtckisch ermordet (1dokovom^hg) und nicht im Kampf um das Heiligtum. Abweichend auch Pherecyd. FGrHist 3, fr. 64a Jacoby, wo Neoptolemos das Orakel wegen seiner Kinderlosigkeit aufsucht. Ein weiterer – wieder eher feindseliger – Grund fr die Reise nach Delphi ist die Forderung nach Rechenschaft fr den Tod des Achilleus durch Apollon (so Apollod. Ep. 6.111 – 114 = Ep. 6.14, der aber zustzlich die Beraubungsvariante hat). Hierzu und zu weiter abweichenden Versionen von Neoptolemos Tod siehe Jacoby zu Pherecyd. FGrHist 3, fr. 64a Jacoby und Ziegler 1935, 2456 f.
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III. Wahnsinn – Die Komplexitt der Moral
Freilich ereilte mit der Zeit auch die Lakedaimonier selbst die sogenannte Neoptolemos-Buße. Dem Neoptolemos nmlich, dem Sohn des Achilleus, der Priamos am Altar des Herkeios getçtet hatte, fiel es zu, daß auch er selbst in Delphi beim Altar des Apollon abgeschlachtet wurde: und zu erleiden, was man auch selbst getan hat, nennt man deswegen Neoptolemos-Buße.
Es ist aussagekrftig, daß das mythische Modell des Neoptolemos, der im Tempel gemordet hat und im Tempel ermordet worden ist, spter auch ganz allgemein zum Sinnbild der Rckwendung einer beliebigen – und nicht notwendigerweise religiçs konnotierten – beltat gegen den beltter selbst wird (im Sinne des deutschen „Wer andern eine Grube grbt …“); dies spricht fr eine im griechischen Denken ursprnglich vorhandene assoziative Verbindung der Rckwendungsstruktur im allgemeinen mit dem Tatbestand des Tempelfrevels im besonderen.297 Bei Herodot existiert das Schema der ,Neoptolemos-Buße nicht nur in der Geschichte des Kambyses, sondern steht auch im Zusammenhang mit einem weiteren Tempelfrevler, wo sich neue Parallelen zu Kleomenes und Kambyses auftun. Es handelt sich um den athenischen Feldherren Miltiades. Im Zuge seiner erfolglosen Belagerung von Paros, so berichten die Parier, sei Miltiades dem Rat einer kriegsgefangenen parischen Priesterin folgend in das Heiligtum der Demeter Thesmophoros eingedrungen; weil er die Tr nicht habe çffnen kçnnen, sei er ber einen Zaun gesprungen, was stark betont wird: rpeqhoqe?m … rpeqhoq|mta d³ Q]mai. An der Tr aber berfllt den Feldherrn vq_jg – eine deutlich religiçs konnotierte Emotion, vgl. die Anm. 146 und 337 – und er kehrt um (6.134.2). Dennoch erfhrt Miltiades ein ußerst unerquickliches Ende: wie im Falle des Kambyses ist es eine Beinverletzung, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Freveltat steht. Er zieht sie sich beim Rckweg aus dem Tempel zu, beim neuerlichen Sprung, diesmal ber eine Mauer (jatahq]sjomta, 6.134.2). Sie fhrt zu tçdlichem Wundbrand (6.136). Miltiades Frevel besteht vor allem im Betreten des Heiligtums,298 im Sprung ber die ihm gesetzte Grenze. Die Verletzung desjenigen Kçrperteils, mit dem Miltiades gefrevelt hat – auf dem Rckweg, also in einer weiteren Hinsicht im Umkehrungsteil der Geschichte – ist die logische Konsequenz: das Instrument seines Frevels wird verletzt und von Krankheit befallen; es richtet sich dadurch gegen ihn selbst und vernichtet ihn. 297 Burkert 1972, 136 fhrt die Analogie noch weiter: der Opfernde, also Tçtende, wird selbst zum Opfer. 298 Er kehrt um, bevor er im Tempel irgendeinen Schaden angerichtet htte.
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Tempelfrevel und Bestrafung von Gleichem durch Gleiches hngen in der Tradition offenbar zusammen – dies ist der Fall bei Neoptolemos, Miltiades und schließlich Kambyses; die erstere Tradition erwirkt gar die Sprichwçrtlichkeit der Verbindung. Folglich erscheint die Verbindung des Elementes der lam_a mit dem Tatbestand des Tempelfrevels naheliegend, da auch diese, wie oben gesehen, homçopathisch funktioniert, insofern sie durch sich selbst in strafender oder heilender Weise aufgehoben wird. Bleibt die Beinverletzung als letzte Funktion der Tradition: sie verbindet die Geschichten der drei Tempelfrevler Miltiades, Kambyses und Kleomenes sowie des wahnsinnigen Theomachonten Lykurgos. Gerade dieses Element bedarf noch einer nheren Betrachtung. Sowohl bei Kambyses als auch bei Miltiades handelt es sich um einen Sprung, der die Verletzung des Schenkels verursacht – Kambyses springt auf sein Pferd (!mahq]sjomti, 3.64.3), Miltiades von der Mauer (jatahq]sjomta, 6.134.2). Gleichzeitig ist der letztere Sprung auch ein Fallen – Miltiades will springen, strzt jedoch hin – und wie bei Kambyses Sprung geht etwas schief. Wahnsinn wird des çfteren mit der Vorstellung des Fallens assoziiert299 – wie dies auch bei der deutschen Redewendung ,in Wahnsinn verfallen zutrifft. Auch bei der kultischen Ekstase ist das wohl gegeben; in Euripides Bakchen singt der Chor in der Parodos vom Hinstrzen des Dionysos: 1j hi\sym dqola_ym p]sgi ped|se (136 f.), ,nach dem Rennen im Thiasos fllt er zu Boden, was als Spiegelung des Moments gedeutet worden ist, in dem der Bakchant hinstrzt und vom Gott besessen wird.300 In diesem Zusammenhang ist auch das Lied der wahnsinnsinduzierenden Erinyen in Aischylos Eumeniden von Interesse: l\ka c±q owm "kol]ma !m\jahem baqupet/ jatav]qy pod¹r !jl\m, svakeq± (ja·) tamudq|loir j_ka, d}svoqom %tam. p_ptym d oqj oWdem t|d rp %vqomi k}lô· (372 – 377)
Ruth Padel (1995, 241 f.) bersetzt suggestiv, aber keineswegs unrichtig baqupet/, svakeq± und p_ptym mit ,fall und seinen Ableitungen; ferner scheint sie Casaubons Konjektur k}ssô fr k}lô zu akzeptieren: 299 Vgl. Padel 1995, 241 f. 300 Dodds 1944 ad loc. fhrt mehrere Parallelflle aus anderen Kulturen an.
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III. Wahnsinn – Die Komplexitt der Moral
With a great leap from above I bring down my foots heavy-falling force. My limbs make even fast runners fall: a terrible disaster. And as he falls, he knows nothing, in mad folly.
Es ist das „Anspringen mit dem zerstçrerischen Fuß“ (Bierl 2001, 83), das hier im Zentrum steht; offensichtlich verweist der Chor in performativer Weise auf sein aktuelles Tun, seinen kultischen Tanz.301 Es wre zu rigoros, einen Sprung ausschließlich als Aktion zu lesen, die Wahnsinn bei anderen verursacht, und das Fallen nurmehr als eigenes Versetzen in Wahnsinn; Springen und Fallen sind austauschbar, wie sich auch schon an der Aischylos-Stelle zeigt, wo die ,schwer fliegende Kraft des Fußes durch den Sprung ("kol]ma) verursacht ist – der Fuß springt und fllt zugleich. Ebenso kann man den Sprung von Kambyses und Miltiades als aktiven Sprung in ein passiv erlittenes Unglck lesen, und damit als Metapher fr die gesamte Rckwendungsstruktur der lam_a schlechthin: die Aggression, die zunchst ,aktiv nach außen gerichtet ist, wird zur Autoaggression mit der ,passiven Komponente des Leidens. Der Sprung verwandelt sich in Fall. Daß Tanzen, Fallen, Springen ohnehin auch in den Kontext des dionysischen Ekstasekultes gehçrt und hier auch einen Zusammenhang mit Beinverletzungen aufweist, hat Marcel Detienne gezeigt (1986, 73 – 88): die dionysische Trance beginnt mit dem stolpernden, hpfenden, springenden Fuß; der beleidigte Dionysos Sphalten/Sphaleotas302 (,der stolpern macht) fhrt Telephos Verletzung herbei, indem er diesen ber einen Weinstock stolpern lßt; so kann ihn Achilleus am Schenkel treffen.303 Die Beinverletzung im dionysischen, d. h. mit lam_a konnotierten Kontext lßt Telephos als Folie auch hinter Kambyses und Kleomenes aufscheinen; wiewohl Telephos nicht wahnsinnig ist, sind es hier die Elemente des Weins und der 301 Vgl. Bierl 2001, 82 f. mit weiterfhrender Literatur zur Performativitt der Stelle; vgl. auch ebenda, 151 Anm. 118 zu pgd\y als chorischem Terminus; hnlich auch 102 Anm. 214 und 232 f. Anm. 351. Zum Springen als kultischer Handlung, die Menschen und Gçtter verbindet, vgl. Petersmann 1991. 302 Svaktμm bei Lyc. Alex. 207; Svake~tai ist in einer bei Daux/Bousquet 1942/1943 publizierten delphischen Inschrift belegt; vgl. Roux 1976, 181 – 183. 303 Mçglicherweise vorausgesetzt bei Pi. I. 8.49 f.; ferner Schol. D zu Il. 1.59; Lyc. Alex. 206 – 215 und Tz. ad Lyc. 211; Lyc. Alex. 1246 f.; Apollod. Ep. 3.17.126 – 133 = Ep. 3.17; Hyg. Fab. 101. Die Szene wird parodiert Ar. Ach. 1173 – 1226; vgl. Foley 1988, 39.
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Beinverletzung, die zusammentreffen. Vor allem aber gibt es eine entscheidende Gemeinsamkeit: wie der frevelnde Fuß dem Miltiades den Tod bringt, als er selbst verletzt wird,304 wie Kambyses durch dieselbe Beinverletzung stirbt, die er dem Apis beigebracht hat, so ist es auch bei der von Dionysos induzierten Fußverletzung des Telephos die Homçopathie, welche die Geschichte entscheidend strukturiert –Telephos Wunde kann nur durch den Speer des Achilleus geheilt werden, der sie geschlagen hat.305
1.4 Lam_a und Initiation? Kleomenes und Kambyses, Anacharsis und Skyles 1.4.1 Lam_a und Initiation306 Strafe und Heilung, die beiden Funktionen der lam_a in Mythos und Kult, haben mehr gemein als nur die bloße Struktur der Bekmpfung von Gleichem durch Gleiches. In metaphorischer Form entsprechen sich die vermeintlichen Gegenstze auch auf semantischer Ebene, insofern, als die Strafe des Frevlers zugleich eine ,Heilung der Gesellschaft bedeutet: rituelle Ekstase kann Zeichen gesellschaftlicher Zusammengehçrigkeit sein; ein Verweigerer des Kultes wie Pentheus isoliert sich aus der Gesellschaft und wird abnormal,307 ein Zustand, der bezeichnenderweise als
304 Umgekehrt kann der tanzende Fuß auch Heilung durch Ekstase bringen; vgl. Scullion 1998 zu S. Ant. 1143: jahaqs_\ pod_ und oben Anm. 278. 305 Vgl. z. B. E. Telephos fr. 724 Kannicht TrGF 5.2, 67, p. 703, wo von einer ganz wçrtlichen Auffassung der Homçopathie die Rede ist: dem Zermahlen der Lanze, welche die Verwundung verursacht hat, zu heilenden Rostspnen (pqisto?si Nim^lasim). 306 Grundstzlichere berlegungen zur Wirksamkeit des Initiationsparadigmas in Herodots Text finden sich unten in Kapitel V.1, wo das Problem fr die vorliegende Untersuchung zentraler wird. 307 Vgl. Seaford 2006, 26 – 38. Natrlich zeigt sich die lam_a auch als gemeinschaftskonstituierendes Element wieder ambivalent: whrend die kollektive Ekstase einerseits Gemeinschaft stiftet, kann die Gruppe der laim|lemoi je nach Gesellschaft ihrerseits schlecht angesehen und folglich isoliert sein (vgl. Padel 1981, 114 f.; Seaford 2005, 35 f.). Besteht die dem Kult kritisch gegenberstehende Partei jedoch nur aus einem Einzelnen – wie im Falle des Pentheus und des Kambyses –, fallen beide Phnomene zusammen; es findet also eine willentliche Isolierung des Kritikers statt. Vgl. ferner Seaford 2006, 14 f. zur „psychic“ und „cosmic unity“, die von den Bakchanten im Thiasos empfunden wird und die Seaford mit der Zerstckelung des Dionysos durch die Titanen in Verbindung bringt, die er als symbolhaft fr die ,fragmentierte, also wahnsinnige, Seele an-
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III. Wahnsinn – Die Komplexitt der Moral
,Krankheit aufgefaßt wird308 – wie Herodot auch den Wahnsinn bezeichnet (vgl. 89 mit Anm. 194). Diese Krankheit, also der frevlerische Wahnsinn, wird durch gottgesandten Wahnsinn ersetzt und der Frevler damit ,unschdlich gemacht. Wenn das Naturell des Wahnsinnigen den Wahnsinn von Anfang an beinhaltet, besteht die einzige Mçglichkeit der Heilung in der Auflçsung seiner Persçnlichkeit. So betrachtet wird der laim|lemor durch seine Vernichtung also ,geheilt; die lam_a wird beendet durch die Aufhebung der Persçnlichkeit, die zur lam_a tendiert.309 Diese spezielle ,Heilungsfunktion der lam_a entspricht einem Vorgang aus dem Bereich der Mysterieninitiation. Auf mythischer oder ritueller Ebene wird hier hufig der Tod des Initianden thematisiert,310 der das ,Ende des alten Lebens symbolisiert und somit den Eintritt in ein neues Dasein als ,Initiierter,311 indem der Tod das uneingeweihte und damit ,falsche, sinnlose oder gar frevelhafte Leben beendet. Der Frevler – der Wahnsinnige – geht unter; ein neues Dasein beginnt. Auch der orphische Dionysos, Gott des Wahnsinns und der Auferstehung, muß sterben, um neu geboren zu werden,312 ein Vorgang, mit dem das fr Initiierte erreichbare
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sieht, die im Ekstasezustand – wie der zerstckelte Dionysos – wieder zusammengesetzt wird (vgl. unten 295 mit Anm. 806). Vgl. Seaford 2006, 44: „The social disintegration that results from the neglect of communal cult is often expressed in myth as disease.“ Als Beleg fr Dionysos heilende und reinigende Macht fhrt Seaford S. Ant. 1140 – 1145 an; vgl. dazu auch Scullion 1998. Die Vorstellung von der Heilung durch Vernichtung ist interessanterweise auch psychologisch nachvollziehbar. Simon 1981, 128 f. zeigt durch den Vergleich des sophokleischen Aias mit dem klinischen Verlauf einer Psychose, die im Selbstmord endet, warum die Heilung des Kranken in der eigenen Auslçschung gesehen werden kann: „Ajaxs illness is incurable, because the illness and Ajax are one … Ajax is in despair not only because of his shame at what he has done but because he knows that he has come to this pass largely because of the kind of person he is.“ Die Verweigerung der Akzeptanz der eigenen Defizite (als die etwa Aggressionen empfunden werden mçgen) muß zur Zerstçrung dieser Defizite und damit der eigenen Persçnlichkeit fhren; vgl. Simon 1981, 124 – 130. – So problematisch die Interpretation antiker Texte mit psychoanalytischen Mitteln im allgemeinen sein mag, so passend erscheint die Analogie (so lange es bei dieser bleibt und kein Umkehrschluß auf die Genese des sophokleischen Texts gezogen wird) in diesem Fall, wo die lam_a ja auch nach antiker Vorstellung in der Persçnlichkeit des laim|lemor begrndet liegt (vgl. oben Kapitel III.1.2.1). Zur Initiation als todeshnlichem Erlebnis vgl. beispielsweise Burkert 1972, 57; Seaford 1981, 261 – 263; Seaford 1994a, 318 – 326 mit weiterfhrender Literatur. Vgl. z. B. Graf 2000, 621 f. Vgl. oben Anm. 232 f. und Seaford 1981, 265 f.; 268; 2006, 72 – 75.
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Leben nach dem Tod wahrscheinlich in Zusammenhang gebracht wurde.313 Bezeichnenderweise wird Dionysos im Moment seiner eigenen Verdoppelung getçtet, als er in den Spiegel der Titanen blickt (fr. 309 Bernab PEG II, p. 252 f.). Davon ausgehend betrachtet Richard Seaford Wahnsinn und Tod des Pentheus in Euripides Bakchen als mythische Spiegelung eines Initiationsritus.314 Er bemerkt zum Erleben des Pentheus, daß es im Unterschied zu den im homerischen Demeter-Hymnus beschriebenen initiatorischen Handlungen der Demeter die subjektive Perspektive auf die Initiation darstelle, „the ignorance, fear and confusion of the initiand“ (1981, 257).315 313 Vgl. Seaford 2006, 117 – 119: Platons Vorstellung, die menschliche Seele sei wegen eines nicht genannten Verbrechens im Kçrper eingeschlossen (Crat. 400c, vgl. Phd. 62b) wird von Xenokrates mit den eingeschlossenen Titanen in Verbindung gebracht (fr. 219 Isnardi Parente) und entweder von ihm selbst oder einem spteren Schreiber um einen Hinweis auf die Zerstckelung des Dionysos ergnzt, die Seaford hinter dem ungenannten Verbrechen vermutet. Des weiteren erklrt Platon Men. 81a-b die Idee der Wiedergeburt solcher Menschen, denen Persephone laut Pindar altes Unrecht (pakaioO p]mheor) vergte (fr. 133 Maehler), worin Seaford wiederum einen Hinweis auf Dionysos Sparagmos sieht, der als eine Art ,Erbsnde der Menschheit fungiert: „The myth, which once expressed the imagined fate of the Dionysiac initiand, might easily come to be interpreted – from the ambitious perspective characteristic of mystic doctrine – as explaining human suffering as punishment for the dismemberment of Dionysos by the Titans, from whom human beings derive. Because mythic ritual is a pre-enactment of the terrors of death and of subsequent bliss in the next world, it also becomes a means of escape from our sufferings in this world, and so a means of final absolution from the mythical crime (committed by the Titans) that is being punished by our sufferings“ (118). 314 Bierl 1999, 586 – 588 mahnt zur Vorsicht, was das „fragwrdige Postulat eines getçteten und wiederauferstandenen Mysteriengottes Dionysos“ angeht. Er weist darauf hin, daß sich die Sage von Zerreißung und Wiederauferstehung des Gottes auf den orphischen Dionysos Zagreus beschrnke und nicht verallgemeinernd auf den blichen Dionysoskult bertragen werden kçnne. Seaford, so Bierl weiter, erlutere keinerlei Mçglichkeit einer Verbindung der euripideischen Bakchen zur Orphik; Bierl rumt jedoch ein, daß diese ber die aischyleischen Bassariden mçglicherweise hergestellt werden kçnnte. 315 Vgl. Seaford 1981, 257 f.: da eine initiierte Gottheit keine – mit ,gewçhnlichen Initiationen notwendigerweise verbundenen – ngste verspre, wrden diese im Mythos auf deren Feind projiziert. Die glckliche Vollendung der Initiation erfolge bei diesem nicht, da die negativen Emotionen wiederum mit der Gewißheit kommender Freude nicht koexistieren kçnnten; die Initiation an sich figuriere dann wieder auf seiten des Gottes – als Befreiung. Klarer wird das Verhltnis durch die Bewusstmachung des Unterschieds zwischen der mythischen Initiation, die mit dem Tod endet, und der rituellen Initiation, bei der dies selbstverstndlich
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Dieser Zustand ist der lam_a verwandt oder gar mit ihr identisch: Seaford faßt Pentheus stark erregten Zustand und die sture Opposition gegen den Gott, die Teiresias mit den Worten la_m, c±q ¢r %kcista (Ba. 326) charakterisiert, als „pre-possession crisis“. Auch die Verwendung der Wortfamilie pt|gsir (etwa ,erregtes Flattern) etc. deute auf den Zustand des Initianden vor oder whrend der Initiation hin.316 Der Tod des wahnsinnigen Frevlers ist also mit Mysterieninitiation assoziierbar;317 die Metapher der lam_a als eines liminalen, heilungsbedrftigen Ausnahmezustands existiert aber auch im Kontext der Puberttsweihe (die ebenfalls den bergang in eine neue Lebensphase markiert und mit der Mysterieninitiation einige generische und strukturelle Verwandtschaft aufweist).318 Dies belegt auf mythischer Ebene der Fall der Proitiden, die mit Wahnsinn geschlagen und spter geheilt werden.319
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nicht der Fall ist. Der Kult ,kann weniger als der Mythos: die offensichtlichen Schwierigkeiten solcher Praktiken in der kultischen Realitt greifen bei einer rein narrativen Erzhlung natrlich nicht. Vgl. oben Anm. 51. Vgl. oben Anm. 235 und dazu Seaford 1981, 256; 2006, 72 f. und 106 – 108; jngst 2009. Ein Bestehen auf der Unterschiedlichkeit der ,Initiationen des Pentheus und des Dionysos – ersterer erleidet einen irreversiblen Tod, letzterer ersteht wieder auf (vgl. Seaford 2006, 73 und 85) –, erscheint indes ein wenig zu schematisch gedacht. Daß Pentheus Eintritt in ein neues Leben neben der Beendigung des alten, verfehlten Daseins nicht berichtet wird, ist Konsequenz nicht einer Vernderung der kultischen Vorstellung, sondern ihrer bertragung in das narrative Schema des Mythos, oder weiter der euripideischen Tragçdie, eines Textes, der die kultische Vorstellung der Auferstehung aus wie auch immer gearteten erzhllogischen oder aussagerelevanten Grnden nicht aufnehmen will. Daß sie mitgedacht wird, steht außer Frage. Seaford konzediert immerhin, daß der Subtext der kultischen Auferstehungsvorstellung nicht aus dem Bewußtsein von Erzhler und Rezipienten schwindet, wenn er postuliert, daß es im Falle des Pentheus „in pathetic contrast to the myth of Dionysos dismembered“ kein erneuertes Leben gibt (85): ohne die enttuschte Erwartung eines initiierten Fortlebens gibt es keinen Kontrast. Zur Problematik einer berschtzung der Bedeutung des Initiationsparadigmas fr die griechische Kultur vgl. Graf 2003 und unten Kapitel V.1. Vgl. z. B. Thomson 1957, 101 – 136 und Seaford 1981, 263 – 265. Wie Dowden 1989, 70 – 95 gezeigt hat, sind in den verschiedenen Belegen fr die Episode zwei verschiedene Versionen ineinandergeflossen, die in jeweils unterschiedlichem Kontaminierungsgrad weiterleben. Die Proitidengeschichte wird wohl schon Hes. fr. 37 MW mit der mythischen Heilung der argivischen Frauen vom Wahnsinn in Verbindung gebracht; spter sind die Geschichten vçllig ineinander verwoben. Die Heilung erfolgt durch Artemis (B. Ep. 11.95 – 112; Call. Dian. 233 – 236 mit Scholion), durch Artemis auf Vermittlung von Melampus hin (Paus. 8.18.8) oder nur durch Melampus (Schol. zu Od. 15.225 = Pherecyd.
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Mindestens die Version des Bakchylides (Ep. 11) erscheint deutlich rituell strukturiert. Die jungfrulichen Tçchter des Proitos (paqhem_ô xuwø, 47 f.) lstern Hera320 in ihrem Heiligtum;321 die Gçttin schlgt sie mit Wahnsinn, so daß sie sich selbst fr Khe halten. Dreizehn Monate lang schweifen sie in den Wldern umher, bis Artemis das Gebet des Proitos erhçrt und sie heilt. Die Geretteten stiften ein Heiligtum, opfern und ,fhren Frauenchçre auf (ja· woqo»r Vstam cumaij_m, 112). Es handelt sich hier um ein deutlich erkennbares Initiationsschema; die drei durch van Gennep 1909 bzw. Turner 1964 klassifizierten Abfolgeschritte sind greifbar: Separation – die aus der Beleidigung der Gottheit und dem Wahnsinn folgende Ausschließung aus der Gesellschaft –, Liminalitt – das Umherschweifen im Wald – und Aggregation – die Rckkehr und die Einsetzung eines Kultes. Die Proitiden versndigen sich als paqh]moi und kehren als cuma?jer zurck.322 Schließlich kann auch die oben in Kapitel 1.2.2 thematisierte Heilung von psychisch Kranken durch rituelle Ekstase initiatorisch konnotiert sein: Heilung im Ekstasekult bedeutete mçglicherweise hufig, daß der Patient immer wieder an den Riten teilnahm, weil die Genesung nur vorberge-
FGrHist 3, fr. 114 Jacoby; Apollod. 2.2.2 = 2.26 – 29). Herodot kennt eine Variante, wo Melampus die ,argivischen Frauen vom Wahnsinn heilt; der Name der Proitiden fllt jedoch nicht (9.33 – 35; ebenso dann D. S. 4.68.4). Radke 1957, 123 geht eher von zwei ursprnglich verschiedenen Sagen aus als davon, daß Herodot den Proitiden-Mythos nicht gekannt habe; in der Tat ist das angesichts der Anzahl der Autoren, die ihn selbst vor Herodot berliefern, sehr unwahrscheinlich. Vgl. zu spteren Belegstellen Radke 1957; Bremmer 2001; Dowden 1989, 70 – 95 mit einer detaillierten bersicht. 320 Welche Gottheit fr ihren Zustand verantwortlich ist, variiert bei den verschiedenen Quellen: am hufigsten ist dies Hera, wohl schon bei Hes. fr. 37, 129 – 133 MW; zwar nennt das Fragment Hera nicht, jedoch verortet Probus zu Ecl. 6.48 den Zorn der Hera bei Hesiod. Hera nennt weiter Akusilaos bei Apollod. 2.2.2 = 2.26 = FGrHist 2, fr. 2.28 Jacoby und das Schol. zu Od. 15.225, das sich auf Pherekydes beruft = FGrHist 3, fr. 114 Jacoby. Daneben werden Aphrodite (Ael. VH 3.42: B t/r J}pqou basik_r) und Dionysos (Hes. bei Apollod. 2.2.2 = 2.26 = fr. 131 MW) fr den Wahnsinn der Proitiden verantwortlich gemacht. 321 Ebenso Schol. zu Od. 15.225 = Pherecyd. FGrHist 3, fr. 114 Jacoby. Nach Akusilaos bei Apollod. 2.2.2 = 2.26 = FGrHist 2, fr. 2.28 Jacoby haben sie ein n|amom, eine Holzstatue, mißachtet. Zu weiteren, spter belegten Motivationen der Hera vgl. Radke 1957, 122. 322 Vgl. Dowden 1989, 87 – 90.
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henden Charakter hatte, womit die erste Heilung als ekstatische Initiation betrachtet werden kann.323 1.4.2 Kambyses und Kleomenes und das Initiationsparadigma Die Bedeutungsebene der Initiation, mit der die lam_a in mythisch-kultischer Hinsicht ebenfalls verbunden ist, verleiht den Geschichten von Kambyses und Kleomenes zustzliche Tiefe. Wenn die Pentheus-Geschichte, das mythische Vorbild fr Herodots Kambyses-Vita, den Schemata der Mysterieninitiation folgt, mßte bei einer Assoziation des Kambyses mit Pentheus auch diese Ebene mitgedacht sein. Es ist aber nicht nur die lam_a an sich, die mit Mysterieninitiation zu tun hat; bei Kleomenes deutet auch die Zerstckelung darauf hin. Die initiatorische Todessymbolik ist oben bereits in allgemeiner Weise thematisiert worden; bei der Zerstckelung handelt es sich um eine besonders stark mit der Mysterienininitiation konnotierte Todesart, wohl auch aufgrund der Vorstellung einer Auferstehungsmçglichkeit durch Zerteilen und erneutes Ordnen der Glieder oder Knochen. So durchlebt Dionysos als orphischer Jenseitsgott einen Sparagmos,324 und wird anschließend wieder zusammengesetzt,325 was wahrscheinlich mit dem Weiterleben der 323 Vgl. Ustinova 1992 – 1998, 511 – 513. Pl. Euthd. 277d-e spielt auf die ekstatische Initiation der Korybanten an; vgl. dazu Velardi 1989, 74; 78 f. 324 Vgl. oben Anm. 232 und Seaford 1981, 265 f.; 268; 2006, 72 – 75; er sieht diese „Dionysiac mystic initiation“ im Sparagmos des Pentheus bei Euripides gespiegelt (z. B. 2006, 72). Hier sei an die auch Herodot bekannte Gleichsetzung von Dionysos mit dem ebenfalls zerstckelten Osiris erinnert (2.144). Gerade im gyptischen Mythos scheint die Vorstellung von Bedeutung (vgl. unten Kapitel V.5); vgl. auch die gyptische Erzhlung von den beiden Brdern Anpu und Bata (P DOrbiney, Brit. Mus. 10.183), wo Bata sich selbst verstmmelt, stirbt und wieder aufersteht. 325 Vgl. oben Anm. 233; ferner Burkert 1972, 49, der dies auf den Akt des WiederZusammensetzens getçteter Tiere durch Sammeln der Knochen oder Erhçhen des Schdels oder Geweihs im Opferkontext zurckfhrt: „Eine Ordnung wird errichtet, die eben im Kontrast zum Vorangehenden gilt. Im Erlebnis des Tçtens wird die Heiligkeit des Lebens erfahren, das durch den Tod seine Nahrung findet und eben damit seinen Fortbestand. Dieses Paradox wird im Ritual fixiert, ausgespielt und verallgemeinert: was bestehen und gelten soll, muß durchs Opfer hindurchgegangen sein, das den Abgrund des Nichts aufreißt und wieder schließt“. Vgl. Meuli 1946, bes. 963 f. Das Zerstckeln des Opfertieres ist somit Voraussetzung fr die Weiterfhrung des Lebens; vgl. auch Burkert 1972, 56 f. und 63. Dies fhrt auf zahlreiche Legenden, in denen der Tote tatschlich aufersteht (vgl. unten Kapitel V.4.1 zur Struktur des ,Atreusmahls). Neben Dionysos ist natrlich Pelops zu nennen; vgl. Burkert 1972, 114 f. Auch im Grimmschen
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in seine Mysterien Eingeweihten nach dem Tode in Zusammenhang gebracht wurde.326 Auch im Kontext schamanischer Initiationsriten327 kommt das Phnomen der Zerstckelung vor; Fleisch wird vom Knochen entfernt, wie dies Kleomenes an seinem Schenkel vornimmt; auch im schamanischen Kontext liegt die Vorstellung einer Auferstehung zugrunde – und findet berdies im Rauschzustand der Ekstase statt.328 Gerade die Verletzung am Schenkel, die auch das Ende des Kambyses herbeifhrt, spielt auch im Kontext der Puberttsweihe eine Rolle. Ursprnglich echte Jagdverletzung, mag die Schenkelwunde den Initianden spter auch knstlich zugefgt worden sein.329 Bei Kambyses wird die Verletzung am Schenkel klar als ,zuflliges Geschehnis ohne menschliches Dazutun bezeichnet, wie oben 81 bereits gezeigt worden ist. Daß der Gott ebenfalls verletzt wird, verstrkt wieder den Subtext der Mysterieninitiation: auch Dionysos und Demeter fungieren als Vorbilder fr die Initianden in ihre Kulte.330 Daß die Selbstverstmmelung des Kleomenes nicht nur an einen Initiationsritus gemahnt, sondern auch an ein Opfer,331 stçrt hierbei nicht: Martin West entdeckt im eindeutig initiatorisch zu lesenden Mythos von
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Mrchen vom „Bruder Lustig“ muß der heilige Petrus das Fleisch von den Knochen abkochen, um die Tote auferstehen zu lassen. hnlich ist wohl der Verjngungsritus zu interpretieren, den Medeia an einem Widder vollzieht und an Pelias zu vollziehen ankndigt; vgl. E. Peliades (fr. 601 – 616 Kannicht TrGF 5.2, 54, p. 607 – 614); Apollod. 1.9.27 = 1.144; D.S. 4.50 – 52; Ov. Met. 7.297 – 349. Vgl. oben 128 f. mit Anm. 313. Zum Phnomen des Schamanismus und seinem Vorkommen in Griechenland sowie zur Mçglichkeit der Interpretation schamanischer Elemente in literarischen Texten vgl. grundlegend Meuli 1935. Bierl 2007a (frz.)/2007d (dt.) bietet einen aktuellen berblick ber die bisherige Forschung. West 1983, 140 – 175, bes. 143 – 150 und 160 f. Eliade 1951 spricht im Kontext des Initiationstraums eines jakutischen Schamanen ebenfalls vom Abkratzen des Fleisches von den Knochen („la chair racle“, 47). Vgl. Eliade 1959, 193 – 206. Vgl. Bremmer 1977, 9 – 15; Baudy 1986, 50 – 73. Vgl. Seaford 1981, 257. Jkeol]mgr d³ paqakab½m t¹m s_dgqom %qweto 1j t_m jmgl]ym 2yut¹m kyb~lemor· 1pit\lmym c±q jat± l/jor t±r s\qjar pqo]baimem 1j t_m jmgl]ym 1r to»r lgqo}r, 1j d³ t_m lgq_m 5r te t± Qsw_a ja· t±r kap\qar, 1r d 1r tμm cast]qa !p_jeto ja· ta}tgm jatawoqde}ym !p]hame tq|p\ toio}t\ … (,Kleomenes nahm das Messer und begann, sich von den Schienbeinen her zu verstmmeln; er schnitt das Fleisch der Lnge nach ab und schritt von den Schienbeinen zu den Schenkeln vor, von den Schenkeln aber zu den Lenden und den Weichen, bis er zum Bauch kam und ihn aufschlitzte; so starb er …, 6.75.3). Das Herausschneiden der Schenkel ist gngige Opferpraxis, wie sie schon bei Homer belegt ist, vgl. etwa Il. 1.460; 2.423: lgqo}r t 1n]talom, Od. 3.456 f.: 1j lgq_a t\lmom p\mta jat± lo?qam.
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der Zerstckelung des Dionysos332 – der uns unten im Kontext der herodoteischen ,Atreusmhler noch weiter beschftigen soll (Kapitel V.4.1) – ebenfalls ein Opfermodell. Dies zeigt sich an der Zubereitung des Fleisches des Dionysos Zagreus durch die Titanen, die es braten und kochen: 333 erstere Praxis entspricht dem Tieropfer,334 letztere dem von West analysierten schamanischen335 Initiationsparadigma; „the association between the initiand and the victim is strongly underlined“ (1983, 161).336 Natrlich sind Kleomenes und Kambyses aufgrund dieser Akkumulation einzelner Elemente,337 die auf das Paradigma der Initiation hinweisen, noch keine Initianden.338 Die Frage ist vielmehr, welche Art von Effekt diese Verweise produzieren. Zum einen wird durch die assoziative Verbindung der lam_a eines Kambyses oder Kleomenes zu initiatorischen Riten der Eindruck der Identittsvernderung gestrkt – mit dem Verfallen in Wahnsinn wird zugleich der Eintritt in eine neue Phase der Persçnlichkeit suggeriert. Eine weitere Deutungshilfe zu den herodoteischen Fllen liefert das Initiationsparadigma ber die Identifikation des Mysten mit dem Gott.339 332 Fr. 301 – 311 Bernab PEG II, p. 246 – 255; Paus. 8.37.5; D. S. 3.62.6 – 8; vgl. West 1983, 140 – 175; Iles Johnston 2007a. 333 Fr. 312 f. Bernab PEG II, p. 256; Alexander Lykopolitanus 5 Brinkmann; Nonn. D. 6.172; 6.174; 6.205; 31.47; Arnob. nat. 5.19; Firm. Mat. De errore 6.3; dazu West 1983, 160 f. 334 Vgl. allgemein Detienne 1977, 173 – 182. 335 Zum Phnomen des Schamanismus und seinem Vorkommen in Griechenland sowie zur Mçglichkeit der Interpretation schamanischer Elemente in literarischen Texten vgl. oben Anm. 327. 336 Vgl. bereits Girard 1972, 185 – 188, der die Analogien zwischen dem Sparagmos des Pentheus und einem Opferritus aufzeigt: alle Bakchantinnen nehmen daran teil; das Opfer wird mit nackten Hnden zerrissen. Girard unterstreicht hierbei die Reziprozitt von Gott und Opfer, die als „doubles“ gelesen werden kçnnen. 337 Es sei schließlich noch einmal erwhnt, daß die Verbindung von Tempelfrevel, Wahnsinn und einer Art Sparagmos in den Historien auch an anderer Stelle gegeben ist – bei der Tçtung des berlebenden nach dem Standbilderstreit mit seinem durch Wahnsinn verursachten Kollektivmord (5.87; vgl. oben 90 f.). Selbst die Geschichte des gestraften Frevlers Miltiades beinhaltet assoziative Verweise auf das Paradigma der Initiation, obwohl Miltiades nicht wahnsinnig ist: Beachtung verdient hier seine vq_jg, der religiçse ,Schauder, Begriff, der klar mit dem Erlebnis der Dunkelheit verbunden ist, die spter dem Licht der mystischen Initiation weicht (vgl. Seaford 1981, 254 f. mit Anm. 42; 1994b, 284 f. mit Anm. 66; er verweist u. a. auf Pl. Phdr. 251a; Demetr. Eloc. 100 f. ). 338 Vgl. zur Problematik einseitig initiatorischer Deutungen aufgrund einer Hufung von Einzelelementen Versnel 1990b, 50 – 59. 339 Vgl. Seaford 2006, 108, ferner Schlesier 1985, 19 – 21.
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Kleomenes und Kambyses werden fr ihre Verehrungsverweigerung bestraft, ein Tatbestand, der im Kontext der Dionysos-Mythen zu einer Zwangsinitiation in die kultische lam_a fhrt. Versteht man auch den von Herodot geschilderten Wahnsinn als ,Zwangsinitiation, so greift hier wieder das Umkehrungs-Schema der ,Neoptolemos-Buße, der Rckwendung einer beltat gegen den beltter selbst: Folge der verweigerten Verehrung, de facto also der Verwischung des hierarchischen Unterschieds zwischen Gott und Sterblichem, gleichsam der Identifikation des Sterblichen mit einem Gott, ist die ,echte, vom Gott nun erzwungene Identifikation, die zur Verdrngung der eigenen Persçnlichkeit durch den Gott fhrt. Durch den Widerstand des Frevlers endet diese Art der Initiation in Vernichtung.340 Letztlich entspricht der Frevler auch insofern grundstzlich dem Nicht-Initiierten, als es sich in beiden Fllen um Personen handelt, die sich ber die Bedeutung religiçser Vorschriften nicht im klaren sind. Auch eine ,Heilung der Gesellschaft vom Wahn des Frevlers ist bei Herodots lam_a-Beispielen konstatierbar:341 Kambyses und Kleomenes haben sich von den Gesetzen der Allgemeinheit abgewandt;342 diese wren grundstzlich in Frage gestellt, wrden die beiden Frevler nicht bestraft. 340 Vgl. Seaford 2006, 107: „[Pentheus] is suffering from the painful human kind of madness, and stubbornly resists the new kind offered to him by Dionysos. His subsequent agitation … resembles in detail the experience of mystic initiation described in Plutarch, but in horrific contrast to that experience he stubbornly attacks the light that brings salvation … That is to say, he persists in his state of painful human madness, with the result that the subsequent insertion into him of ,light frenzy by Dionysos (850 – 1) will lead only to his destruction. Similarly the frenzy of Agaue, though imposed by Dionysos, also ends in suffering, for she too had transgressed by resisting him (26 – 33), as had other mythical figures such as Lykourgos and the daughters of Minyas and of Proitos.“ 341 Daß das Phnomen der Selbstverstmmelung fr Herodot auch im Sinne einer ,Situationsverbesserung konnotiert ist, belegt 9.37, wo sich der gefangene Hegesistratos einen Fuß abhackt, um seinen Fußfesseln zu entkommen (wie Kleomenes wird er des Messers heimlich habhaft). Vgl. Munson 2001, 67 f. sowie bereits Macan 1908 zu 9.37.2). 342 Selden 1999 stellt diese Exklusion von gesellschaftlichen Normen im Falle des Kambyses ausfhrlich dar: „Cambyses folly is portrayed by Herodotus principally as the breach of culture and tradition: his conduct disrupts the hierarchy of kinship and succession, and violates the canons of political, religious, and ethical behaviour sanctioned by civilized society“ (49). Selden bertreibt allerdings, wenn er den Wahnsinn des Kambyses ausschließlich im Bruch mit der gesellschaftlichen Norm sehen will: „Conspicuously, Herodotus judgement here appeals neither to divinity nor to any set of universal scientific norms, but locates madness anthropologically as a particular relationship to culture“ (49) – gerade Kambyses Religionsfrevel am Apis wird deutlich ,berirdisch sanktioniert; vgl. oben 81. Als
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Hierbei ist interessant, daß Kleomenes den religiçsen Gesetzen der eigenen, Kambyses aber denen einer fremden Kultur zuwiderhandelt. Whrend die Irrationalitt des ersten Falles allgemein einleuchten drfte, ist es gerade auch die Ablehnung fremder religiçser Bruche, die Herodot als Wahnsinn bezeichnet: Pamtaw0 §m loi d/k\ 1sti, fti 1l\mg lec\kyr b Jalb}sgr· oq c±q #m Rqo?s_ te ja· mola_oisi 1pewe_qgse jatacek÷m. eQ c\q tir pqohe_g p÷si !mhq~poisi 1jk]nashai jeke}ym m|lour to»r jakk_stour 1j t_m p\mtym m|lym, diasjex\lemoi #m 2ko_ato 6jastoi to»r 2yut_m· ovty mol_fousi pok} ti jakk_stour to»r 2yut_m m|lour 6jastoi eWmai. oqj §m oQj|r 1sti %kko ce C laim|lemom %mdqa c]kyta t± toiaOta t_heshai.343 (3.38.1 f.) Mir ist vollkommen klar, daß Kambyses in hohem Grade wahnsinnig war; sonst htte er es wohl kaum unternommen, sich ber Heiligtmer und Bruche lustig zu machen. Wenn man nmlich allen Menschen auftrge, die besten Bruche aus allen Bruchen auszuwhlen, wrden nach eingehender Prfung wohl alle die ihren whlen: so fest glauben alle daran, daß ihre eigenen Bruche die besten seien. Also wrde wahrscheinlich niemand außer einem Wahnsinnigen sich ber solche Dinge lustig machen.
1.4.3 Skyles und Anacharsis (4.76 – 80) Gerade im Zusammenhang mit der Frage nach der Ablehnung fremder Bruche mssen im Kontext der Verbindung von Initiation und lam_a bei Herodot noch zwei weitere Figuren der Historien herangezogen werden. Es handelt sich um die beiden ,Mrtyrer Anacharsis und Skyles. In den betreffenden Erzhlungen erfolgt eine irritierende Mischung aus kultischer und mythischer Darstellung, die im folgenden etwas entzerrt werden soll. Der ringkompositorisch gefaßte Exkurs ber die beiden Skythen wird als beispielhafte Erklrung fr die extreme Ablehnung fremder Sitten durch das Schwarzmeervolk motiviert, wie Herodot an Anfang und Ende der Erzhlung betont: Neimijo?si d³ mola_oisi ja· oxtoi ve}cousi aQm_r wq÷shai, l^te c]ym !kk]ym, :kkgmijo?si d³ ja· Fjista, ¢r di]denam )maw\qsir te ja· de}teqa awtir Sj}kgr. (4.76.1)
Gegenpol zu Kambyses Wahnsinn versteht Selden die Rationalitt der Geschichtsschreibung, die in der Absetzung vom Irrationalen erst entstehe (z. B. 50; 62 f.). 343 Es folgen das anthropologische Experiment des Dareios und das berhmte Diktum Pindars ber den m|lor (= Pi. fr. 169a Maehler).
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Fremde Sitten anzuwenden vermeiden auch sie radikal, nicht die von anderen, und schon gar nicht griechische, wie dies [die Beispiele von] Anacharsis und zum zweiten Mal wieder [des] Skyles gezeigt haben. ovty l³m peqist]kkousi t± sv]teqa m|laia Sj}hai, to?si d³ paqajtyl]moisi neimijo»r m|lour toiaOta 1pit_lia didoOsi. (4.80.5) So schtzen die Skythen ihre eigenen Gesetze, und denen, die fremde Sitten annehmen, tun sie solche Strafen an.
Was ist geschehen? Der Skythe Anacharsis hat sich bei einem Besuch in Kyzikos von einem Kybele-Fest (t0 Lgtq· t_m he_m, 4.76.3) beeindrucken lassen und der Gçttin fr eine sichere Heimkehr gelobt, ihr im Skythenland ein hnliches Fest auszurichten. Heimgekehrt begibt er sich in den Wald und vollzieht heimlich, mit Tympanon und umgehngten Gçtterbildern, die Riten des Kybelefests. Er wird jedoch von einem Landsmann beobachtet und beim Kçnig angezeigt, der persçnlich einschreitet und Anacharsis mit einem Pfeil erschießt. Diese Pointe der Geschichte wird verstrkt durch zwei weitere von Herodot kolportierte Elemente: die Skythen leugnen bis heute, Anacharsis zu kennen, und der Kçnig war ein Verwandter, eventuell sogar der Bruder des Anacharsis.344 Die zweite Geschichte luft hnlich ab. Der Skythenkçnig Skyles, der von seiner istrischen Mutter griechische Schrift und Lebensart lernt, fhrt ein griechisches ,Doppelleben bei den Borystheniten, die behaupten, milesischen Ursprungs zu sein. Skyles nun besucht diese Gemeinde hufig
344 Die Figur des Anacharsis ist von Herodot bereits 4.46 eingefhrt worden (anders als Skyles, der nirgendwo sonst auftaucht): Anacharsis ist der einzige !mμq k|cior des Schwarzmeergebiets, der aus dem einzigen Volk der Region stammt, das sov_g besitzt, wenn auch nur in seiner nomadischen Ungreifbarkeit fr Feinde – t± l]mtoi %kka oqj %calai ; ,die brigen Eigenschaften bewundere ich freilich nicht (4.46.2). Das Stereotyp des ,weisen Wilden mag Herodots Publikum bereits vertraut sein und lebt auch nach Herodot weiter; vgl. Armstrong 1948; UngefehrKortus 1995. Mestre 2003 hlt Anacharsis als „paradigm of the exaltation of Barbarian wisdom“ geradezu fr eine griechische Erfindung. Kindstrand 1981, 18 – 23 vermutet, Anacharsis sei ein skythischer Schamane gewesen und seine Darstellung als Kybele-Anhnger interpretatio Graeca (ihm folgt UngefehrKortus 1995, 44 – 46). Dies mag schließlich zu einer Parallelisierung der Anacharsis-Vita mit der Skyles-Geschichte gefhrt haben (vgl. bereits Gutschmid 1892, 434, dann Kindstrand 1981, 15 f.), wie auch sptere Versionen der AnacharsisEpisode diese notorisch mit der Skyles-Geschichte verwechseln (vgl. Armstrong 1948, 19). Es scheint also durchaus mçglich, daß die Anacharsis-Anekdote durch diese Kontaminierung generiert und der Skyles-Geschichte aufgrunddessen zur Seite gestellt wird.
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und mischt sich in griechischer Kleidung ohne Leibwchter unter die Leute. Seine Graecophilie geht so weit, daß er sich bei den Borystheniten sogar ein Haus baut und eine von ihnen zur Frau nimmt. Eines Tages jedoch geht er zu weit: er will in den Kult des Dionysos Bakcheios aufgenommen werden. In dem Moment, wo er geweiht werden soll, schlgt der Blitz in sein Haus ein, das vçllig abbrennt – von Herodot in seltener Eindeutigkeit auf gçttliches Wirken zurckgefhrt (1r ta}tgm b he¹r 1m]sjgxe b]kor, 4.79.2). Skyles lßt sich ,deswegen um nichts weniger (oqd³m to}tou eVmeja Hssom) weihen. Wie Anacharsis wird auch er denunziert, von einem Borystheniten, der es leid ist, von den Skythen wegen des Dionysoskults verspottet zu werden, und diese darauf hinweist, daß ihr Kçnig dem Kult ebenfalls angehçre: Jl?m c±q jatacek÷te, § Sj}hai, fti bajwe}olem ja· Bl]ar b he¹r kalb\mei· mOm oxtor b da_lym ja· t¹m rl]teqom basik]a kek\bgje, ja· bajwe}ei te ja· rp¹ toO heoO la_metai. (4.79.4)345 Denn ihr lacht uns aus, Skythen, daß wir dem Bakchos dienen und uns der Gott ergreift: jetzt hat dieser Daimon auch euren Kçnig ergriffen, und er dient dem Bakchos und ist durch den Gott rasend gemacht.
Hierauf erheben sich die Skythen gegen Skyles; dieser flieht nach Thrakien, wird von den Thrakern jedoch ausgeliefert und von seinem Bruder Oktomasades gekçpft. Die beiden Geschichten sind insofern Dubletten, als beide davon handeln, wie ein Angehçriger der skythischen Kçnigsfamilie sich einem griechischen Ekstasekult anschließt – einmal dem der Kybele, einmal dem des Dionysos. In beiden Fllen findet dies heimlich statt, die Hauptperson wird denunziert und schließlich vom eigenen Bruder getçtet. Eine mythisch-narrative Vorlage scheint in beiden Fllen nicht unmittelbar vorzuliegen. Im Gegenteil: die Erzhlung steht in merkwrdigem Gegensatz zu den dionysischen Widerstandsmythen; der eigentlich Gottesfrchtige wird bestraft, die Figuren, die den Gçtterkult unterdrcken wollen, setzen sich durch. Seltsam erscheint dabei auch das Element des Blitzes, den ,der Gott ins Haus des Skyles wirft, als dieser sich 345 Zur Verwendung der Begriffe la_meshai bzw. bajwe}eim in der Skyles-Episode vgl. Henrichs 1994, 49 – 51, der zu dem Schluß gelangt, daß die erste Bezeichnung der zweiten deutlich pejorativ entgegengesetzt ist, gerade an dieser Stelle auch vom Erzhler selbst, der sonst das neutrale bajwe}eim verwendet, da er hier „mit seiner Geschichte aufs tragische Ende zusteuert“ (51). Vgl. zur „anticipation of doom“ auch Munson 2001, 120 f.
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eben weihen lassen will; Herodot bezeichnet es als v\sla l]cistom (4.79.1). Der Blitzschlag ist aber mçglicherweise als Symbol der Mysterieninitiation zu verstehen, wie es auf den orphischen Knochen- und Goldblttchen aus Olbia und Thurioi vorkommt, bei denjenigen aus Olbia unter anderem auch im Kontext der Begriffsketten b_or, h\mator, b_or, die deutlich auf eine Art bergang hinweisen.346 Im Zusammenhang mit Skyles Einweihung in die dionysischen Geheimriten liegt dieser Konnex nahe.347 Parallel dazu steht die Initiation des Anacharsis in den Kybelekult. Beide Akte finden außerhalb der Gesellschaft,348 im letzteren Falle gar in der Wildnis statt (in einer Gegend mit dem suggestiven Namen Hylaia, die ganz voll von Bumen aller Art ist349), im ,Draußen, wo auch die Puberttsweihe erfolgt,350 die der Mysterieninitiation in ihrer Eigenschaft als bertritt in eine neue Existenz verwandt ist.351 Am Ende beider Initiationen steht der Tod – analog zur verbreiteten Metapher des Getçtetwerdens in der Mysterieninitiation (vgl. oben 128 mit Anm. 310 f.).
346 Fr. 463 Bernab PEG II, p. 390 f.; zur Interpretation des Blitzzeichens als eines solchen vgl. West 1982, 19. Vgl. ferner Iles Johnston 2007b, 125 – 127 zu den Goldblttchen aus Thurioi (5 Thurii 3; 6 Thurii 4; 7 Thurii 5), wo der Blitz offenbar die Reinigung des Initianden durch Feuer symbolisiert. Vgl. ferner Seaford 2006, 52 zur Blitzsymbolik in den Bakchen. Im dionysischen Kontext kann auch die Tçtung der Semele durch den Blitz in diesem Sinne ,initiatorisch gelesen werden. 347 Kindstrand 1981, 22 verweist auf die metaphorische Bedeutung des Pfeils (mit dem Anacharsis getçtet wird) in schamanischen Kulten: auf dem Pfeil reist der Schamane ins Jenseits; vgl. Meuli 1935, 159 f. 348 Skyles Heraustreten aus seiner eigenen Gesellschaft wird stark betont, indem er seine Kleidung wechselt (4.78.4) und eine griechische Frau nimmt, also eine zweite Familie grndet (4.78.5). Zu letzterem Sachverhalt bemerkt Hartog 1980, 86 f., daß von Herodot nicht eindeutig klargemacht wird, welcher Ethnie die beiden Ehefrauen zugehçren; drngt sich auch die Annahme auf, daß es sich bei der ersten um eine Skythin und bei der zweiten um eine Griechin handelt, so sind Herodots Bezeichnungen !st^ (4.78.2) fr die erste und 1piwyq_g (4.78.5) fr die zweite Frau tatschlich alles andere als eindeutig, zumal Skyles istrische Mutter kurz zuvor als nicht 1cwyq_g bezeichnet worden ist (4.78.1). Es klingt plausibel, daß diese Begriffsverwirrung Skyles Tun veranschaulicht: „mlanger les gens et lespace“ (87). 349 Hdt. 4.76.4: jatad»r 1r tμm jakeol]mgm zka_gm (B d 5sti l³m paq± t¹m )wikk^iom dq|lom, tucw\mei d³ p÷sa 1oOsa demdq]ym pamto_ym pk]g). Vgl. Hartog 87, der auf weitere Beschreibungen des Landstrichs als dichtbewaldet verweist (Pomp. Mela 2.5; V. Fl. 6.76). 350 Vgl. z. B. Vernant 1965, 192 f.; Graf 1998, 1002. 351 Vgl. oben 130 mit Anm. 318.
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Gerade angesichts der Nhe der Skythen zu einem Zentrum orphischen352 Geheimwissens, Olbia, ist es gut mçglich, daß die Geschichte Kultisches widerspiegelt.353 Es muß jedoch festgehalten werden, daß Herodot die kultische Ebene der Erzhlungen in diesem speziellen Fall nicht explizit macht. Im Gegenteil scheint es, als gelte die bernahme des Kultes hier als Frevel, die Unterdrckung dagegen als gottgewollt. Liegt es an der Fremdheit des Kultes? Auch hier drngt sich der Gedanke an den oben 136 zitierten Abschnitt 3.38 ber die verschiedenen Sitten der Vçlker auf, wo Herodot betont, es sei ,Wahnsinn, fremde Bruche zu verspotten, und relativistisch konstatiert, daß jedes Volk seine eigenen fr die einzig mçglichen m|loi halte.354 Herodot verwendet das Verb la_meshai sowohl fr den Ekstasekult des Skyles (und bei Anacharsis liegt der Fall hnlich355) als auch fr die bertretung kulturell festgesetzter Religionsgrenzen. Auch wenn er 3.38 nicht von der bernahme fremder Bruche spricht, sondern von ihrer Verspottung, handelt es sich doch um dasselbe Phnomen: die unerlaubte Aneignung von Fremdem, sei es zum Spott oder in positiver Nachahmung. Da die lam_a bei Herodot nirgends positiv konnotiert ist, ist ferner eine gewisse Skepsis gegenber Ekstasekulten vorstellbar. Es scheint also eine Vermischung der verschiedenen Ebenen von la_meshai aufzutreten: das kultische Rasen findet seine Entsprechung in dem ,Wahnsinn, ber die eigenen kulturellen Grenzen hinauszutreten. Wie Rosaria Munson gezeigt hat (2001, 118 – 123), erfolgt die kulturelle Abgrenzung des Skyles ber die Metapher der Isolierung des Einzelnen von der Gemeinschaft, die „some form of self-exalting lapse into barbarism“ darstellt (122). Munson sieht Skyles Grzisierung und Demokrati352 Zum Zusammenhang zwischen Orphik und Dionysoskult vgl. Burkert 2003, 79 – 106. 353 Vgl. Henrichs 1994, 48 f.; Burkert 2003, 84. 354 Vgl. Munson 2001, 118 – 123: „Almost as a divine representative of the ,Custom king of all of 3.38.4, this power objects to an individuals asocial adoption of a religion not his own by nomos and repulsive to his people as a whole“ (120). – Auch in der 4.77 eingeschobenen griechischen Anekdote ber Anacharsis geht es um einen ,Vçlkervergleich: nach einem Aufenthalt in Griechenland preist Anacharsis die Lakedaimonier als die einzigen Griechen, die im Gegensatz zu allen anderen vernnftig reden und zuhçren kçnnten (obwohl sich die anderen im Gegensatz zu den Lakedaimoniern 1r p÷sam sov_gm bemhten). 355 Bei Skyles ist explizit von gottgesandter Raserei die Rede (rp¹ toO heoO la_metai, 4.79.4), bei Anacharsis immerhin von einem Tympanon, also einem Rhythmusinstrument, das zur Versetzung in Ekstase dient und auch mit dem Dionysoskult assoziiert wird (vgl. E. Ba. 156).
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sierung – er verlßt seinen Palast und lßt sich in den Dionysoskult initiieren356 – als Spiegelbild der Barbarisierung eines Griechen: bei den Skythen reprsentiert das Kçnigtum die traditionelle, ,richtige Ordnung der Gesellschaft; das auflçsende Element ist das Individuum, das sich dem institutionellen Status verweigert. Skyles wird fr die Skythen zum Anderen, „yet the way in which he does so represents a barbarization in the Greek sense“ (122). Daß hierzu ausgerechnet der Gott Dionysos eingesetzt wird, erscheint passend, steht er doch fr das ,Andere an sich.357 hnliches gilt fr die ,fremde Gçttin Kybele.358 Auch angesichts der Einbettung in eine ethnographische berlegung ber den skythischen Fremdenhaß scheint es Herodot in beiden Geschichten also nicht um das Kultische per se zu gehen, sondern um die ber den Kult erfolgende Illustration kultureller Abgrenzungen – ein Thema, 356 Zu Dionysos als ,antityrannischer Polisgottheit vgl. unten 145 f. 357 Vgl. Bierl 1991b, 13 – 20. Henrichs 1994, 47 – 51 stellt in seiner Untersuchung der Skyles-Geschichte fest, daß es Herodot hier „um die Andersartigkeit und Inkompatibilitt zweier Kulturen [geht], die sich ausgerechnet an Dionysos scheiden. Fr Skyles verkçrpert Dionysos die Flucht vor der Wirklichkeit und die neugefundene Identitt, an der der Kçnig zugrundegeht, fr die Skythen bleibt Dionysos ein fremder Gott. Beide Rollen sind Dionysos auf den Leib geschnitten, ja gerade in dem Konflikt, der sich an ihm entzndet, manifestiert sich die polare Strukturiertheit, die fr den Gott und seine Wirkung konstitutiv ist“ (51). Mçglicherweise zeigt sich diese Polaritt auch in den Strukturen des Dionysoskults in Olbia. Hierauf deuten die begrifflichen Gegensatzpaare auf den dort gefundenen Knochenblttchen hin: b_or, h\mator, b_or (fr. 463 Bernab PEG II, p. 390 f.) ist oben 139 bereits genannt worden (es folgt die Nennung des Namens Dionysos); daneben enthlt fr. 464 Bernab PEG II, p. 391 die Paare eQq^mg p|kelor und !k^heia xe}dor, wieder gefolgt vom Namen Dionysos. Steht Dionysos bzw. sein Kult ohnehin fr Zwienatur und Grenzberschreitung, wird die Lokalisierung der Skyles-Anacharsis-Geschichten im Schwarzmeergebiet nochmals signifikanter. 358 Hartog 1980, 93 – 100 weist auch auf eine lokale Ambivalenz der beiden Gottheiten hin: Dionysos gilt Herodot sowohl als fremder, i. e. gyptischer Gott (2.49) als auch als typisch griechisch; die Gelonen verehren ihn, weil sie griechischen Ursprungs sind (4.108). Hartog erklrt dies plausibel mit einer anderen Wahrnehmung des Gottes zu verschiedenen Zeiten: ursprnglich fremd, wird die Ausbung seines Kultes spter zur Markierung des Griechentums („une faÅon de dsigner un Grec“, 97). Aber gerade durch die Wahrnehmung der beiden Figuren als Grenzgottheiten zwischen Griechen- und Barbarentum kçnnen Herodots Erzhlungen erst funktionieren: damit die Handlungsweise der Skythen Sinn ergibt und ihre strikte Ablehnung alles Fremden illustriert werden kann, muß es sich um griechische Gottheiten handeln; damit die Ablehnung der Skythen jedoch erstaunlich und extrem wirkt, mssen die Gottheiten ihnen kulturell und geographisch zumindest einigermaßen nahestehen. Die Grenze wird umso schrfer gezogen: „verit en deÅ , erreur au-del …“ (127).
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das ihm wichtig ist (vgl. unten Kap. V.4.2). Durch den Reisenden Anacharsis und den bilingualen ,Doppelbrger Skyles drohen diese Grenzen zu verwischen; besonders Skyles bertritt regelmßig die durch eine Mauer befestigte359 Grenze zwischen dem Gebiet der Skythen und dem der Borystheniten; dabei tritt nur er selbst in die Stadt ein; seine Gefolgschaft bleibt im pqoaste?om zurck.360 Im Moment der Initiation durch den Blitzschlag wird der Identittswechsel irreversibel; die Palastmauer – ebenfalls eine Art Grenze – strzt zusammen.361 Der Zusammenhang der Geschichten von Skyles und Anacharsis, aber auch der Erzhlungen von Kleomenes und Kambyses, mit rituellen Schemata liegt auf der Hand. Wie oben gesagt, entspricht die gottgesandte lam_a der beiden Frevler Kambyses und Kleomenes der Zwangsinitiation der mythischen Dionysosgegner in die kultische lam_a. In den Erzhlungen um den persischen und den spartanischen Kçnig wird der eigentliche Ekstasekult jedoch nie erwhnt; es ist lediglich von ,echter lam_a die Rede, von Geistesgestçrtheit. Die weisen Graecophilen Skyles und Anacharsis dagegen spiegeln eher das normale Initiationsschema wider. Die Separation von der eigenen Gesellschaft gehçrt dem Vokabular der Initiation an; ferner die Erfahrung des freiwillig Initiierten, der ein – metaphorisches – todeshnliches Erlebnis durchleidet (eine klare Trennung von Metapher und ,Realitt scheint bei einer solchen Vermischung mythischer, ritueller und kultischer Diskurse, wie sie in den Geschichten von Skyles und Anacharsis erfolgt ist, kaum mehr erwartbar). Das Paradigma der Initiation scheint also sowohl die Darstellung der beiden ,zwangseingeweihten Frevler als auch die Geschichten der freiwillig initiierten skythischen Weisen zu beeinflussen. Interessant ist hierbei – und wieder sind wir bei der Vermischung der Diskurse –, daß das Initiationserlebnis bei Kleomenes und Kambyses ganz auf eine angedeutete symbolische Ebene der Erzhlung verschoben ist – von ,echter Initiation ist ja nicht die Rede –, whrend die Episoden von Skyles und Anacharsis gleichsam eine Mischform aus ritueller und mythischer Darstellung bilden: das kultische Ereignis der Initiation ist genannt, die Erlebnisse der Separation und der Tçtung sind jedoch in einen von der kultischen Ebene abgelçsten mythisch-narrativen Kontext eingeordnet – im rituellen Bereich kçnnten sie allenfalls in symbolischer Weise figurieren. 359 Hdt. 4.78.4. 360 Vgl. Hartog 1980, 84 f., der die Mauer als „la marque prcise de cette coupure du tissu spatial“ bezeichnet (85). 361 Vgl. Hartog 1980, 91 – 93.
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1.5 Ergebnis Es hat sich gezeigt, daß Herodots Verweigerung einer Einordnung von Frevel und Wahnsinn des Kleomenes und Kambyses in eine eindeutige Kausalitt von Ursache und Wirkung aus der mythischen, vor allem dionysischen Erzhltradition und aus rituellen Heilungs- und Initiationsschemata heraus begrndbar ist. Die lam_a des laim|lemor kehrt sich wie in Mythos und Kult gegen diesen selbst: wer im Wahnsinn Freveltaten begeht, wird mit Wahnsinn bestraft. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Herodots Schilderung von Kleomenes und Kambyses Wahnsinn, vielleicht sogar der Art ihres Todes, den historischen Tatsachen entspricht; aber erst im Zuge einer Einordnung der Episoden in die Tradition wird ihr ganzer semantischer Gehalt offenbar: die Umkehrungsstruktur der lam_a wie auch die initiatorische Assoziation der erzwungenen Gçtterverehrung belegen die Schuld des Frevlers am eigenen Untergang und verweisen auf die Heilung oder Befreiung der Gesellschaft vom Frevler bzw. des Frevlers von sich selbst. Am Ende greift natrlich auch eine philosophische Deutung, dieselbe, die Renate Schlesier fr Euripides Tragçdien formuliert, in denen die lam_a auf das Postulat des cm_hi saut|m verweise – auch eine Art Rckwendung, aber das Gegenteil von Wahnsinn: die mßigende Lenkung des eigenen Bewußtseins auf das Selbst. Dies bedeutet dann aber nicht allein: ,erkenne, daß du kein Gott bist, sondern auch ,erkenne, daß du dich nicht gegen Gçtter stellen kannst, daß ein heol\wor, ein gegen die Gçtter Kmpfender, immer unterliegt. (1985, 43) Daß Herodot den Wahnsinn des Frevlers nicht an einem Einzelereignis festmachen will, wie dies z. B. die gypter im Falle von Kambyses Tçtung des Apis tun, spricht nicht fr eine Rationalisierung der alten Geschichte vom gottgesandten Wahnsinn, sondern im Gegenteil fr die Verortung der neuen Flle von lam_a in einer Tradition, die den Wahnsinn schon immer eher als Disposition betrachtet hat, Disposition, die sich gegen außen oder gegen innen wenden kann, die aber kaum Bestrafung einer Einzeltat ist. Diese Traditionalitt bedeutet nicht den kategorischen Ausschluß rationalisierender Ideen: durch die Annahme von Disposition und Multikausalitt ist die traditionalisierende Reflexion ohnehin rationaler als es die simple Rckfhrung auf eine Einzeltat wre. Herodots lam_a-Geschichten sind paradigmatisch fr seinen Umgang mit traditionellen Erzhlungen: gerade durch die Differenziertheit und Vielschichtigkeit der Tradition gewinnt der historische Diskurs eine ,Dreidimensionalitt, die durch eine Aufzhlung von Fakten unmçglich zu erreichen wre.
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2. Dionysos und der Tyrann Abgesehen von einer allgemein philosophischen Deutung – „madness as image of universal human frailty“ (Padel 1995, 72) – mag die lam_a-Problematik in den Historien schließlich auch mit Herodots kritischer Perspektive auf die Alleinherrschaft zu tun haben, sei sie griechische Tyrannis oder barbarische Monarchie.362 Bei Kambyses und Kleomenes handelt es 362 Wenn auch beim Attestieren einer ,demokratischen Gesinnung Vorsicht geboten sein mag (vgl. bereits Meyer 1899, 226 und Jacoby 1913, 357), scheint Herodot die despot_a grundstzlich doch zu mißbilligen; vgl. z. B. 5.78, wo er die neue Strke Athens in den Perserkriegen in direkten Zusammenhang mit dem Erwerb der demokratischen Staatsform setzt. Aufschlußreich ist auch die Konversation von Xerxes und Demaratos, wo letzterer die m|lor-Treue freier Lakedaimonier in markigen Worten (1pijqat]eim C !p|kkushai) als Alternative zur persischen Zwingherrschaft prsentiert (7.104.4 f.); zur speziell barbarischen Konnotation der Alleinherrschaft vgl. auch unten Anm. 461. Die einzelnen Charakterisierungen der griechischen Tyrannen sind gekennzeichnet von der Brutalitt dieser Figuren, typischer Charakterzug eines Monarchen, den Otanes in der ,Verfassungsdiskussion 3.80 auch in Abstraktion von der jeweiligen Einzelfigur formuliert: die despot_a an sich ist Ursprung der Hybris, die auch in stndigen Expansionsversuchen resultiert; vgl. 3.134.2, sowie Immerwahr 1966, 43: „Herodotus assumes that the basic motivation [der Perserkriege] – expansionism – was a permanent feature of Eastern monarchy“; ebenso Schmal 1995, 99. Die einzigen zeitgençssischen griechischen Figuren, die in den Historien ,barbarische Grausamkeiten begehen, sind Tyrannen (vgl. Georges 1994, 206); zu diesen Figuren vgl. detailliert und bersichtlich Immerwahr 1966, 191 – 198. Waters 1971 warnt zwar mit Recht davor, die Tyrannendarstellungen der Historien als durchgngig negativ zu lesen (1 – 42), spielt aber Herodots kritische Haltung doch zu stark herunter (z. B. 38: „There is a sad ending to the tale of Miltiades, but it is not brought into connection with the Chersonese tyranny … The story of the Chersonese tyrants then has no ulterior motive and falls into no pattern“) und geht zu weit, wenn er in den Tyrannendarstellungen eine objektiv faktische Darstellung erkennen will, was im Einklang mit seiner eingangs explizit formulierten positivistischen Sichtweise steht („The purpose of this study is to examine the reports given by Herodotus of two classes of despotic rulers, the Greek tyrants and the kings of Persia, and to determine whether he has treated these … in a manner befitting a historian, or whether he has used them for the purposes of moralising and to preach a particular word-view; that is, in a non-scientific, anti-historical way“, 1). Gegen Waters wendet sich zu Recht Gammie 1986. Daß Herodot den ionischen Aufstand gegen die Wiedereinsetzung der Tyrannis 6.10 als !cmylos}mg verurteilt, geschieht vermutlich eher wegen dessen katastrophaler Folgen; vgl. etwa Macan 1908 ad loc. Zur Traditionalitt auch von Herodots Perspektive auf die Tyrannis, die dem moralisierenden Genre des Pindarschen aWmor hnelt und auf dem Vergleich mit einer heroischen Vergangenheit basiert, vgl. Nagy 1990b, 274 – 313; zu Herodots Verurteilung ganzer Vçlker aufgrund ihrer monarchischen
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sich um Kçnige,363 bei ersterem um den „typical tyrant“, der alle denkbaren Schandtaten begeht,364 bei letzterem um einen Herrscher, der seinen Mitregenten entmachtet hat, und in dessen Vita ebenfalls viel von einer volkstmlichen Tyrannencharakterisierung eingeflossen sein mag.365 Philip Stadter kommentiert gar, daß Kleomenes die imperialistische Seite Spartas schlechthin personifiziere (2006, 245). Dionysos dagegen – der Gott, der Wahnsinn sendet, gegen den sich die Hauptvorbilder Pentheus und Lykurgos vergehen – ist geradezu als ,Antityrann gedeutet worden, der sich mit seinen Anhngern ber den Widerstand des Kçnigs hinwegsetzt.366 Dies soll nicht heißen, daß es sich bei ihm um einen Gott handele, der grundstzlich gegen die Herrschenden aufsteht. Daß die Problematisierung einer Herrscherfigur, die gerade in der Tragçdie hufig mit Auftritten des Dionysos verbunden ist, in durchaus komplexer Weise funktioniert, hat Anton Bierl in seiner detaillierten Studie aufgezeigt (1991b, bes. 45 – 110), deren Teilergebnis er selbst zusammenfaßt: In den meisten Stcken ist der Konflikt um einen mchtigen Einzelnen, der sich zum Alleinherrscher ber die Polis erhebt, und einen Vertreter, der die Werte der Stadt als Kollektiv vertritt, gruppiert. Die Auseinandersetzungen zwischen Eteokles und dem weiblichen Chor in den Sieben gegen Theben, zwischen Oidipus und Kreon im Oedipus Tyrannus, zwischen Kreon und Haimon in der Antigone, und der Konflikt zwischen Pentheus auf der einen Seite und Kadmos und Teiresias auf der anderen in den Bakchen weisen trotz aller Unterschiede in den psychologischen Einzelzgen der Charaktere ein gemeinsames Grundmuster auf. Der Herrscher kommt aufgrund von bestimmten Umstnden in psychische Bedrngnis und setzt sich dann im typischen Zustand der vbqir ber die Polis hinweg. Er verlßt die Grundlage des politischen Zusammenlebens, die auf einem ausgewogenen, an die Iso-
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Staatsform vgl. Munson 2001, 136; zu seiner Kritik an den auch in den demokratischen griechischen Poleis immer wieder aufkommenden monarchischen Tendenzen vgl. ebenda, 52 – 66. Vermutlich gehçrt auch Miltiades fr Herodot derselben Kategorie an, da er die Chersones autokratisch beherrschte und deswegen in Athen wegen Tyrannis angeklagt worden war (6.104.2), vgl. Immerwahr 1966, 191. Vgl. dazu Munson 1991, 55 f. So Griffiths 1989, der u. a. eine Angleichung der nachherodoteischen KleomenesVita an die Kambyses-Geschichten der Historien konstatiert (bes. 71 f.). Vgl. zum Tyrannentum des Dionysosgegners Pentheus und zu Dionysos als Verkçrperung der Polis Seaford 1996, 44 – 52 (gegen eine simplifizierende Deutung des Dionysos als einer ,demokratischen Gottheit Bierl 1999, 585). IslerKernyi 2001 beleuchtet die Stellung des Gottes an der Grenze zwischen Polis und Unzivilisiertheit und seine entsprechende Funktion als abgrenzende Polisgottheit (z. B. 215; 231 – 233). Zur generell vorherrschenden Vorstellung des Dionysos als eines Freiheitsgottes (,Liber) vgl. Seaford 2006, 29.
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nomie des Solon erinnernden Verhltnis zwischen den Vollbrgern und ihrem sehr gemßigten Monarchen beruhte, und ußert den radikalen Absolutheitsanspruch, die Polis allein zu reprsentieren. Damit stellt er sich aber auch gegen das kosmische System der Gçtter, das auf ,ideologischer Grundlage die Ordnung der Stadt mit allen dazugehçrigen hierarchischen Abstufungen garantiert. (57 f.)
Die Flle von Kambyses und Kleomenes, den Tyrannen der Historien, sind diesem Phnomen der stark polisgebundenen Gattung Tragçdie nicht ganz gleichzusetzen; dennoch handelt es sich in beiden Fllen um Herrscher, welche die Grenzen ihrer Macht klar berschritten haben – ihren Untertanen, aber auch und vor allem der ,gçttlichen Weltordnung gegenber. Natrlich muß bei den lam_a-Episoden auch diese Ebene mitgedacht werden. Insofern sind die Geschichten nicht nur Beleg fr die bernahme einer mythischen Struktur, nicht nur allgemeine Aussage ber die Disponiertheit des wahnsinnigen Frevlers, sie konstituieren auch eine historiographische Aussage, derzufolge nicht nur die berhebung ber die menschliche Ebene in lam_a resultieren kann, sondern auch die berhebung des Einzelnen ber die Gemeinschaft. Dieser Gedanke ist durchaus nicht nur bei Herodot zu finden – auch Platon spricht im Staat von der Generierung des wahnsinnigen Tyrannen durch Begierden (572c-573c) und formuliert das Problem folgendermaßen: ja· lμm f ce laim|lemor ja· rpojejimgj½r oq l|mom !mhq~pym !kk± ja· he_m 1piweiqe? te ja· 1kp_fei dumat¹r eWmai %qweim. (573c) Und der Wahnsinnige und Verrckte versucht und hofft doch nicht nur, ber Menschen herrschen zu kçnnen, sondern auch ber Gçtter.
Die Schließung der herodoteischen Kambyses-Episode durch das m|lorKapitel 3.38, also die Kontrastierung von Kambyses tyrannischer „anomia, impiety, insanity“ mit einer bergreifenden Norm, impliziert, daß in der letzteren eine Synthese gçttlichen Willens und menschlicher Natur „in its wholesome state“ besteht: „the virtual identity between nomos, physis and t¹ he?om is somehow reconfirmed at the higher conceptual level of nomos“ (Munson 1991, 62 f.). Wahnsinnig der Tyrann, der sich ihm nicht unterwirft. 2.1 Arion (1.23 f.) Das antityrannische Element des Dionysischen wird besonders deutlich in der Geschichte des Arion (1.23 f.). Der Erzhler spricht hier nicht selbst, sondern rekurriert auf seine Quellen (k]cousi). Wie so oft kann nicht
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entschieden werden, ob Herodot die ihm zugetragenen Berichte unverndert bernimmt oder nicht;367 auffllig im Sinne einer erzhlerischen Intention ist jedoch, daß die Episode fast ganz am Anfang der Historien steht. Sie scheint also Wichtiges, mçglicherweise Programmatisches, zu enthalten. Der Snger Arion, Freund des korinthischen Tyrannen Periander, reist von Italien nach Korinth zurck, als die Matrosen des Schiffes beschließen, ihn auszurauben und umzubringen. Arion bittet darum, noch ein letztes Lied zum besten geben zu drfen und lockt mit seiner Weise einen Delphin an; der Snger springt ins Wasser und wird von dem Tier ans rettende Ufer getragen. Als er Periander von seiner wunderbaren Rettung berichtet, glaubt dieser kein Wort und sperrt ihn ein, bis die zurckgekehrten Matrosen die Wahrheit der Episode dadurch besttigen, daß sie behaupten, Arion sicher in Italien zurckgelassen zu haben, und so als Lgner entlarvt sind. Seitdem, so Herodot, zeuge ein Denkmal von dem Geschehenen. Es hat bisweilen Verwunderung hervorgerufen, daß Herodot die Geschichte berhaupt, und vor allem, daß er sie gerade an dieser frhen Stelle berichtet, und nicht im dritten Buch, als von der zweiten Hauptfigur der Erzhlung, Periander, viel ausfhrlicher die Rede ist.368 Rosaria Munson interpretiert die Episode als strukturell analog zum Gesamtwerk der Historien, „in that it focusses upon an overwhelming aggression against a numerically weaker victim“. Ferner sieht sie hier die entscheidende Thematik der Historien angelegt, die sich vor allem als „divine punishment and reward“ zusammenfassen lßt, als Suche nach einer ethischen Erklrbarkeit allen Geschehens.369 Ebenso sieht auch Vivienne Gray (2001) Arion in eine Reihe mit Alyattes und Kroisos gestellt, die beide von gçttlicher Seite gerettet werden; die gçttliche Gerechtigkeit des Geschehenen werde durch die Nachforschungen des Periander verifiziert.370 Somit entspreche
367 Die Geschichte ist bei Herodot erstmals belegt; sptere Versionen finden sich Plu. Sept. conv., Mor. 160c-162c; Gel. 16.19. Zu eventuellen Vorgngertraditionen vgl. Gray 2001, 22 – 26. 368 Vgl. z. B. Aly 1921, 36 und von Fritz 1967, 306, die das Fehlen einer erkennbaren Einbindung in den Kontext konstatieren (dagegen Pohlenz 1937, 62). Vgl. mit einem kurzen berblick Long 1987, 52 f. mit Anm. 1 – 5. 369 Munson 1986, 98; vgl. ebenda: „The Greek legend … reflects Greek values and beliefs, and especially the Hellenic search for evidence of an ethically rational order of things where violations constitute a risk, because justice ultimately prevails even against considerable odds.“ hnlich Arieti 1995, 35 – 39. 370 Die Nachforschungen des Periander spiegeln nach Gray Herodots eigene Ttigkeit wider. Vgl. auch Munson 1986, 99; ferner 2001, 251 – 259, wo sie die Ge-
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III. Wahnsinn – Die Komplexitt der Moral
die Arion-Erzhlung der Gesamtheit der Rstoq_ai und deren Zielsetzung: „to demonstrate the human condition that was conveyed in the analogy“ (26). Die programmatische Ankndigung einer Illustration gçttlicher Gerechtigkeit – oder hnlicher moralischer Grundwerte371 – durch Herodots Forschung ist gewiß ein wichtiger Aspekt der Arion-Geschichte und ihrer Positionierung zu Beginn der Historien. Durch eine Analyse der unschwer erkennbaren mythischen Folien, die der Geschichte zugrundeliegen, lßt sich jedoch noch Weiteres konstatieren, namentlich Herodots kritische Haltung gegenber der Staatsform der Monarchie. Zunchst zu den wesentlichen Elementen von Herodots Arion-Episode selbst, die folgendermaßen aufgegliedert werden kann: 1. 2. 3. 4.
Bedrohung des Protagonisten durch Seeleute Anlocken von Tieren durch Musik Interaktion von Menschen und Delphinen Durch Bedrohung (1) motivierter Ritt des Protagonisten auf einem Tier durch das Meer 5. Einkerkerung des Protagonisten als Scharlatan 6. Befreiung und Rehabilitierung des Protagonisten 7. Verewigung der Geschichte mit einem Denkmal
schichte in eine Reihe von „thomata“ einordnet, zusammen mit den Erzhlungen von dem wunderbaren Taucher Skyllias (8.8), „an Arion translated into History“ (254), und der Artemisia, der „historical reincarnation of the mythical Amazon“ (255). Auch Arion und Artemisia entsprechen dem Erzhler in je gegenstzlicher Weise: Arion ist „a skilled performer who must eventually confront hostile audiences“ (255 mit Anm. 78 f. unter Verweis u. a. auf Packman 1991; vgl. unten Anm. 404), whrend Artemisia in ihrer Unabhngigkeit von Xerxes den freien Erzhler widerspiegelt, „who is not compelled to say in his logos what he does not consider worth telling“ (257). Zu den herodoteischen ,Selbstportraits allgemein vgl. unten Anm. 808. 371 Flory 1978 sieht die Programmatik der Geschichte darin, daß Arion sich auch im Angesicht des Todes selbst treu bleibt; er ordnet ihn in eine Reihe anderer herodoteischer Figuren ein, die hnlich handeln: „[almost] all these anecdotes portray characters who keep to their normal habits despite danger. Arion, a singer, sings. Prexaspes, a councilor, makes a speech. The Spartans comb their hair. A pakkaj^ dresses in her best“ (416). Die Programmatik bestehe folglich in „the importance of nomos and the superiority of death over life“ (417). – Hooker 1989 sieht die Arion-Geschichte als eine der typisch herodoteisches Wundererzhlungen an, die zum einen die gçttliche Weltordnung illustrieren, zum anderen Herodots „history of human credulity“ (146) komplettieren.
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Die Funktionen 1, 3 und 7 erscheinen in der traditionellen Erzhlung von der Begegnung des Dionysos mit den tyrrhenischen Seeleuten, wie sie im (siebten) homerischen Dionysos-Hymnos belegt ist: der junge Gott wird von habgierigen Seeleuten entfhrt, die ihn fr einen Prinzen halten (Funktion 1). Auf See erscheinen diverse dionysische Wunderzeichen – Wein rankt sich ums Schiff, der Mast schlgt aus und treibt Efeu,372 Dionysos erscheint als Lçwe. Voller Angst strzen sich die Schiffer ins Meer und verwandeln sich in Delphine (Funktion 3) – mit Ausnahme des einen ,guten Matrosen, der sich der Gefangennahme widersetzt hatte. Natrlich spielen die Delphine hier eine wesentlich andere Rolle als in Herodots Arion-Geschichte. Die Ausgangssituation des von Seeleuten bedrohten Reisenden in Kombination mit diesem Motiv ist jedoch so auffllig, daß die Parallele bereits mehrfach thematisiert worden ist.373 Schließlich hat die Geschichte offensichtlich aitiologischen Charakter, so daß die Delphine als ,Denkmal der geschilderten Vorkommnisse gelten drfen (Funktion 7). Schon nach der Analyse dieser ersten mythischen Folie drfte deutlich sein, daß der herodoteische Arion im Spiegel der zugrundliegenden Erzhltradition quasi gotthnlichen Status erhlt. Dies wird durch weitere mythische Parallelen zustzlich gesttzt, auch abgesehen von der Identifikation mit Dionysos. Ist dieser Gott auch – wie im folgenden noch klarer werden wird – die deutlichste Vorlage fr Herodots Arion, so wird der reine Gçtterstatus der Figur durch Parallelen mit weiteren mythischen
372 Das verbreitete !d}matom, daß totes Holz neue Triebe hervorbringt, verwendet Herodot auch anderswo; vgl. 8.55. Natrlich ist es auch außerhalb der griechischen Literatur verbreitet, so grnt etwa der Stab Aarons Num 17.23 oder der Bischofsstab des Papstes in der mittelalterlichen Tannhusersage (bereits in den ltesten Fassungen; vgl. Moser 1977, 19 – 25). 373 Schon in der Antike scheint die Verwandtschaft der Geschichten bemerkt worden zu sein, vgl. Luc. DMar. 5. Weniger auffllig, aber charakteristisch fr die assoziative Zusammengehçrigkeit ist Luc. VH 2.39 und 41, wo die Delphinreiter (wie Arion einer ist) in verdchtiger Nhe zu den Wunderzeichen auf dem Schiff stehen (unter anderem bringt der Mastbaum plçtzlich Reben und Trauben hervor wie im Dionysos-Hymnos). In der Moderne wird die Parallele beraus hufig gezogen, vgl. bereits Usener 1899, 160, sowie Burkert 1972, 218 – 226; in jngster Zeit betont Deborah Lyons die Parallele in ihrem bis dato unpublizierten Paper zu Herodots Arion-Episode, das sie mir freundlicherweise zur Verfgung gestellt hat. Sie stellt hnlichkeiten bis in die Formulierungen hinein fest: so sind die Seeleute im Dionysos-Hymnos durch den Anblick des Gottes als Lçwen 1jpkgc]mter (h.Bacch. 7.50), wie auch Arions Entfhrer bei seinem plçtzlichen Erscheinen als 1jpkac]mtar beschrieben werden (Hdt. 1.24.7).
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III. Wahnsinn – Die Komplexitt der Moral
Folien, die mit anderen Gottheiten zusammenhngen, ebenfalls untermauert. So muß etwa die ,Delphin-Erzhlung des homerischen ApollonHymnos (3.388 – 546) herangezogen werden, die folgendermaßen verluft: als Apollon fr sein neugegrndetes Heiligtum in Delphi nach einer geeigneten Priesterschaft sucht, fllt ihm ein Schiff mit %mdqer … pok]er te ja· 1shko_ aus Kreta auf, das eigentlich nach Pylos fhrt. Apollon springt in Gestalt eines Delphins auf das Schiff, worauf die erschreckten Seeleute nicht mehr wagen, es zu steuern; wer den Delphin zu berhren versucht, wird von ihm weggeschleudert. So segelt das Schiff von alleine nach Tainaron, wo die Mannschaft beschließt, anzulegen. Die Ruder aber gehorchen nicht, der gçttliche Delphin lenkt das Schiff mit seinem Atem bis nach Krisa, dem Hafen von Delphi. Dort erscheint Apollon den Schiffern in seiner wahren Gestalt und weist sie an, ihm knftig zu dienen. Die Erzhlung weist sowohl mit dem Mythos von Dionysos und den tyrrhenischen Seeleuten als auch mit Herodots Arion-Geschichte eine gewisse Verwandtschaft auf. Es sind die Funktionen 1 und 3, in etwas weiterem Sinne auch 4 und 7, welche die Erzhlung prgen. Was die Bedrohungsfunktion 1 angeht, so ist sie stark variiert, aber dennoch erkennbar: in einer nahezu vçlligen Umkehrung der beiden bisher referierten Geschichten sind es diesmal die Seeleute, die bedroht werden, und der Gott, der bedroht. Bindeglied zur Erzhlung von den tyrrhenischen Seeleuten ist aber die Figur des Delphins (Funktion 3): im DionysosMythos sind die Tiere verwandelte Schiffer, also die Bedrohenden in ihrer neuen Identitt, verwandelt in ihrem Charakter entsprechende Monster,374 womit ihre Position innerhalb der Erzhlung dem bedrohenden Delphin des homerischen Apollon-Hymnos entspricht. Indem der Delphin das Schiff nach Delphi lenkt, fungiert er gleichsam als Transporteur der Menschen (Funktion 4). Ferner ist die Grndung des delphischen Heiligtums wieder eine Form der Denkmalserrichtung (Funktion 7), auch wenn es hier nicht die Geschichte selbst ist, der ein Denkmal gesetzt wird. In jedem Fall handeln die Erzhlungen des Apollon- und des DionysosHymnos beide von einem Antagonismus Mensch-Gott. Zwar ist Apollons 374 Zur Monstrositt des Delphins vgl. etwa den homerischen Apollon-Hymnos, wo das Tier als p]kyq l]ca te deim|m te bezeichnet wird (h.Ap. 3.401). Die ArionGeschichte, wo der Delphin eine durchaus positive Rolle spielt, steht dem nicht entgegen, da das Tier ja nicht von vorneherein als freundlich dargestellt ist, sondern erst durch Arions Lied gezhmt wird.
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Beziehung zu den Seeleuten vor allem in Hinblick auf den Abschluß der Geschichte eher freundlicher Natur, jedoch evozieren die durchaus furchteinflçßenden Maßnahmen des Gottes denjenigen gegenber, die sein Vorhaben durchkreuzen wollen (das Wegschleudern der sich ihm Nhernden, so daß das Schiff erzittert, 403 f., der Widerstand der Ruder, 418) sehr wohl eine gewisse Aggression und Bedrohlichkeit. Zwar ist hier der Gott der Aggressor und nicht der Sterbliche; gemeinsam mit der Erzhlung von den tyrrhenischen Seeleuten ist der Geschichte jedoch der Widerstand der Sterblichen, die um die Gçttlichkeit des Antagonisten (noch) nicht wissen. Die plçtzliche Epiphanie des Gottes in seiner wahren Gestalt wird im Apollon-Hymnos denn auch in seltener Ausfhrlichkeit geschildert (3.440 – 485). Setzt man also die Seeleute des Apollon-Hymnos – wenn auch als bedrohte Partei – als Antagonisten des Gottes parallel zu den tyrrhenischen Seeleuten und den Schiffern aus der Arion-Geschichte, wird der gçttliche Status des Arion durch seine Position in der Erzhlung erneut gesttzt. Als Dichter und Kitharaspieler steht er Apollon natrlich ohnehin nahe, zumal er vor seinem Sprung den m|lom eqhiom (1.24.5) zum besten gibt, ein klar an Apollon adressiertes Kultlied.375 Daß der Arion-Geschichte beide Gçttermythen zugrundeliegen, kann angesichts der Verwandtschaft oder Komplementaritt der beiden delphischen Gottheiten Apollon und Dionysos nicht erstaunen.376 Auch die Verbindung zum Beruf des Dichters ist nicht nur bei Apollon gegeben; Pausanias berichtet von einem Kult des Dionysos Melpomenos in Athen und Acharnai;377 Dionysos mit der Lyra wird seit dem 5. Jahrhundert dargestellt.378 Die Verknpfung gerade des Motivs der Verfolgung des Dionysos und seines Kults mit jenem des Dichters scheint berdies eine eigene Tradition zu besitzen: auch Archilochos sei wegen der Einfhrung einer bestimmten Art des Bakchoskultes auf Paros verfolgt worden, be375 Diese Beobachtung verdanke ich Deborah Lyons (vgl. oben Anm. 373); vgl. How/ Wells 1912 ad loc. 376 Vgl. Bierl 1990, 92 mit Anm. 150; Flashar 1996, 68 f. mit Anm. 420; beide mit weiterfhrender Literatur; dann ausfhrlich Zeitlin 2002. Zur Polarisierung der beiden Gottheiten vorwiegend im deutschen Sprachraum vgl. Isler-Kernyi 2001, 235 – 254. 377 Paus. 1.2.5; 1.31.6; zu bildlichen Darstellungen vgl. LIMC 3 s. v. Dionysos, p. 441, 160; mçglicherweise existiert gar eine Mischdarstellung von Apollon und Dionysos im Giebel des sechsten delphischen Apollon-Tempels, ein kitharodes mit Dionysoskopf; vgl. Stewart 1982; skeptisch Flashar 1992, 60 – 70. 378 Vgl. LIMC 3 s. v. Dionysos, p. 463, 465 f.
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hauptet der Verfasser der Mnesiepes-Inschrift.379 Der Paian des Philodamos schließlich besingt Dionysos in einer an sich den Heilgçttern Apollon und Asklepios zugehçrigen dichterischen Gattung; durch den Paian wird Dionysos zum Paian gemacht; die Wirkungsbereiche der beiden Gçtter verschmelzen.380 Es sind im brigen noch weitere gçttliche Figuren mit der ArionGeschichte assoziierbar: so wird die Kombination des dritten und vierten Handlungselements, der Ritt des Protagonisten auf einem Delphin, der außerhalb des herodoteischen Kontextes vielfach belegt ist,381 oft mit Poseidon in Zusammenhang gebracht. Unter den mythischen Helden, die im Meer treiben und von einem Delphin gerettet werden – Telemachos, Koiranos von Paros, Enalos von Lesbos, Palaimon/Melikertes von Korinth und Taras und Phalanthos von Tarent382 – stehen außer Telemachos alle in enger Verbindung mit dem Meergott, den sie in gewisser Weise substituieren.383 Auch hier steht der Delphinreiter also fr einen Gott, wenn auch nicht fr Dionysos.384 Schließlich verdient auch Funktion 2 Beachtung, das Anlocken von Tieren durch Musik, das aus dem Orpheus-Mythos vertraut ist.385 Diese bermenschliche Fhigkeit kommt nur einem Heros oder Gott zu, wie
379 T 4 Tarditi, E1 col. III: Archilochos bei einem parischen Fest vorgetragenes obszçnes Lied an Dionysos ist den Pariern zu Qalbij~teqo[m] (37); auf die Bestrafung des Dichters hin aber werden die Parier mit einer Geschlechtskrankheit geschlagen. Auf Nachfragen wird Archilochos vom delphischen Orakel rehabilitiert. Vgl. Burnett 1983, 16 – 27; Mller 1985, 123 – 127. Gray 2001, 23 ordnet die Legende in eine Kategorie der „lives of famous poets“, ein, der auch Herodots Arion-Geschichte angehçre. Compton 2006, 41 – 58 liest die Geschichte als vaqlaj|r-Mythos. 380 Vgl. Kppel 1992, 287 – 284; Clay 1996; Calame 2006c, 542 – 547. 381 Dies mag durchaus lebensweltlich bedingt sein; vgl. Bowra 1963, 131. 382 Zu Zusammenfassungen der Erzhlungen und Stellenangaben vgl. Bowra 1963, 131 – 133. Vgl. ferner Aly 1921, 36 mit einigen außergriechischen Parallelen. 383 Vgl. Bowra 1963, 132; Lesky 1931b, 516. 384 Gray 2001, 13 bringt Arion in Zusammenhang mit Poseidon, indem sie das von ihm in Tainaron gestiftete Weihgeschenk (1.24.8) als Gabe an Poseidon auffaßt. Daß allerdings Poseidon der „principal God“ der Geschichte sei (14), erscheint angesichts der mythischen Dionysos- und Apollonfolien sowie der besonderen Beziehung des Arion zu Dionysos (vgl. das Folgende) unwahrscheinlich. 385 Bildlich ist das Motiv bereits im 6. Jh. v. Chr. belegt; vgl. LIMC 7 s. v. Orpheus, p. 98, 191. In der griechischen Literatur ist die erste von zahlreichen Stellen Simon. fr. 567 PMG ed. Page.
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eben Orpheus, der als Sohn der Kalliope oder gar des Apollon386 mindestens heroischen Status hat. Eine Festlegung auf ein einziges gçttliches Vorbild erfolgt bei der Markierung der Arion-Figur offensichtlich nicht. Vielleicht wre sie auch theologisch bedenklich, bedenkt man die Konsequenzen von Xerxes imitatio Iovis (vgl. oben Kapitel II.1). Dennoch bleibt die primre Identifikationsfigur fr Arion Dionysos. Dies ist auch deswegen plausibel, weil es sich bei Arion um den ersten Dithyrambendichter handelt, wie Herodot 1.23 berichtet.387 Einen weiteren Beleg fr die Zugehçrigkeit der Erzhlung zum dionysischen Kontext stellt die Geschichte des Melikertes dar, des oben schon erwhnten Sohnes der Ino. Mutter und Sohn werden durch den Dionysosfeind Athamas bedroht, womit sie sich auf seiten bzw. in der Position des Gottes befinden. Lukian, Pausanias und Philostrat haben eine Version der Geschichte, in denen die beiden Verfolgten ins Meer springen – und Melikertes von einem Delphin gerettet wird.388 Die Handlungselemente 3 und 4 aus der ArionGeschichte – die Delphine als Handlungstrger und der durch Bedrohung motivierte Ritt des Protagonisten auf einem Tier durch das Meer – sind auch hier klar erkennbar. Ob diese Struktur unabhngig von Herodot besteht, oder ob der spt belegte Melikertes-Mythos durch Herodot-Rezeption konstituiert ist, sei dahingestellt; die Assoziation der Arion-Geschichte mit dem Bereich des Dionysos wird durch den Melikertes-Mythos jedoch gesttzt; hinzu kommt, daß der Delphin berhaupt zum Gefolge des Dionysos gehçrt.389 Aber auch abgesehen vom Delphin kann Funktion 4, also das Motiv des Tieres, das einen Helden durch oder ber das Meer trgt, dionysisch konnotiert sein. So wird Phrixos390 zu Beginn des Argonauten-Mythos von 386 Daneben ist (hufiger) die Vaterschaft des Oiagros belegt; vgl. zu den Stellen bereits Ziegler 1939, 1217 – 1220 (zu Orpheus Natur zwischen Heros und Gott vgl. ebenda, 1300 – 1308); neu ist der dritte lyrische Text auf dem Kçlner SapphoPapyrus (Inv. Nr. 21351+21376) hinzugekommen; vgl. Gronewald/Daniel 2005, bes. zu 9. 387 Burkert 1972, 221 f. betrachtet die Arion-Erzhlung geradezu als Markierung eines Wendepunkts in der Entwicklung des Dionysoskults, da die Einfhrung des dionysischen Chorgesangs zur Zeit Perianders vom gleichzeitigen Aufkommen dionysischer Motive auf korinthischen Vasen nicht zu trennen sei. 388 Luc. DMar. 5.1; Paus. 1.44.11; Philostr. Im. 2.16. 389 Vgl. Csapo 2003. 390 Neben der Flucht des Geschwisterpaars Phrixos und Helle ist die Version, nach der Phrixos alleine flieht, ebenfalls verbreitet – und wahrscheinlich lter, vgl. bereits Friedlnder 1912, 161 f.
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einem Widder bers Meer getragen;391 auch hier wird das Wunder durch ein Denkmal verewigt (Funktion 7), indem das Vlies des Tieres im Hain aufgehngt wird.392 Auch Phrixos Ritt wird durch eine Bedrohung motiviert; allerdings ist die erste Funktion stark verndert: Seeleute kommen nicht vor, ebensowenig eine Schiffsreise – hier findet die ganze Meeresdurchquerung auf dem Rcken des Tieres statt. Die Bedrohung geht von Phrixos Stiefmutter Ino aus, die seine Opferung plant. Hier steht Dionysos also auf der bedrohenden Seite: Laut Euripides und Hygin rettet der Gott seine Amme Ino vor dem Todesurteil, das nach der Aufklrung ihrer Intrige gegen sie gefllt wird, indem er sie entrafft und ihre potentiellen Opfer Phrixos und Helle mit Wahnsinn schlgt. Von ihrer Mutter Nephele werden die beiden gerettet; der Widder trgt sie nach Kolchis.393 Es erscheint zunchst verwirrend, daß Phrixos hier als Antagonist des Gottes auftritt, und nicht wie Arion als sein ,Stellvertreter. Schon im Kontext des homerischen Apollon-Hymnos jedoch hat sich gezeigt, daß das Bedrohungsmotiv flexibel ist – auch dort ist der Gott der Bedrohende; entscheidend ist der Antagonismus zwischen Mensch und Gott. Hier soll vor allem hervorgehoben sein, daß Dionysos auch im Phrixos-Mythos eine Rolle spielt, wodurch die Annahme eines dionysischen Subtexts der ArionGeschichte zustzlich gesttzt wird: die Phrixos-Geschichte lßt eine implizite Verbindung des Dionysos mit Funktion 4 vermuten: wird eine Figur von einem Tier ber das Meer getragen, liegt der Gedanke an Dionysos nicht fern. Deborah Lyons hat weitere Parallelen des herodoteischen Arion zu Dionysos bemerkt und die Identifikation der beiden Figuren betont.394 So wird der Snger seiner Herkunft aus Methymna nach als Lghulma?or bezeichnet (1.23), was zugleich ein Kultname des Dionysos ist. Lyons betrachtet ferner auch den Sprung des Arion als dionysisch und verweist auf die von Detienne (1986, 79 – 88) herausgearbeitete Konnotiertheit des
391 Bildliche Darstellungen des Phrixos, der dem Widder aufsitzt, existieren seit dem 6. Jh. v. Chr.; vgl. LIMC 7 s. v. Phrixos et Helle, p. 400, 15. Whrend Apollod. 1.9.1 = 1.80 – 83 und Philostr. Im. 2.15.2 von einem Flug ber das Meer ausgehen, hat Palaeph. 30 eine Fahrt di± t/r hak\ssgr. Herodot ist mit der einen oder anderen Version des Mythos vertraut; vgl. 7.58 und 7.197. 392 Die Weihung des Vlieses ist bildlich erstmals im 4. Jh. v. Chr. belegt; vgl. LIMC 7 s. v. Phrixos et Helle, p. 402, 45 f. 393 E. Hypothesis Phrixos B (fr. 819 – 820b Kannicht TrGF 5.2, 77, p. 861 – 865); Hyg. Fab. 3 und 4. 394 Vgl. oben Anm. 373.
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Wortes pgd\y mit dem Bakchoskult.395 Hierzu fhrt sie neben der Geschichte von Ino und Melikertes auch den Sprung des von Lykurgos verfolgten Dionysos ins Meer an (Il. 6.130 – 140). Trotz der markanten Charakterisierung des Arion als quasi gçttlicher Figur erscheint es plausibel, daß die Geschichte in Wahrheit Periander markiert, der in den Historien spter ausfhrlicher vorkommt.396 Die Erzhlung dient jedoch nicht nur als erinnerungsfçrderndes ,Spotlight auf Periander. Wie es wirklich um die Charakterisierung des Tyrannen von Korinth steht, wird klar, wenn man die letzte wichtige Folie aus dem Dionysos-Mythos heranzieht, die der Arion-Geschichte zugrundeliegt. Es handelt sich um die (in Kapitel III.1.2.1 bereits im Kontext von Kambyses Tçtung des Apis-Stieres thematisierte) Begegnung des Dionysos mit Pentheus, die als mythisches Modell der Arion-Erzhlung noch nicht in Betracht gezogen worden ist. Sie enthlt zwei entscheidend wichtige Funktionen der Arion-Struktur, die in den bisher behandelten mythischen Beispielen nicht enthalten sind, und zwar die Einkerkerung des Protagonisten als Scharlatan (5) und die Umkehrung dieses Elements, die Befreiung und Rehabilitierung des Protagonisten (6). Arion, der gegenber den Matrosen die Position des Dionysos einnimmt, wird von einem ,Unglubigen – Periander, der das Wunder anzweifelt – gefangengenommen, bis das bernatrliche Geschehen erwiesen ist. Im Kontext der evidenten Dionysos-Folie der Erzhlung ist die Assoziation auch dieser Szene mit der Konstellation von Pentheus und Dionysos unvermeidbar.397 Die hnlichkeit geht bis ins Detail: der gefangene Dionysos erstaunt seine Gegner dadurch, daß er sich auf wun395 Vgl. oben 125 f. 396 Vgl. Erbse 1961, 250: „Die novellenartige Geschichte ist gleichsam die Substanz in der Definition einer bisher unbekannten Grçße. Im Falle der Arion-Legende darf man sogar sagen: der Leser, der hier an das Standbild des Dichters auf dem Vorgebirge Tainaron erinnert wird und die Erzhlung hçrt, wie sie in Korinth und auf Lesbos umlief, weiß nun auch, mit welchem Tyrannen sich der historische Zusammenhang befaßt, er kann sich also geradezu an Arion, als dem Bekannteren, orientieren.“ Vgl. ferner Myres 1953, 83 f.: „And it is only by [Periander] that the anecdote is connected causally with the main story“. Dagegen Munson 1986, 95: „[The Arion passage] does not define in any way Periander, to whose mention it is attached, but whose role it keeps to a minimum“; vgl. auch ebenda, 96. Munson zieht die Gefangennahme Arions durch Periander in ihrem Aufsatz nicht heran (vgl. ihre Anm. 9). Welch wichtige Rolle dieses Element in der Erzhlung spielt, wird jedoch im folgenden gezeigt werden. 397 Zur vergleichbaren Szene zwischen dem anderen großen Dionysosfeind Lykurgos und dem Gott in Aischylos Edonoi vgl. oben Anm. 229.
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derbare Weise befreit.398 Von Arion wird dies zwar nicht explizit berichtet; der aufmerksame Rezipient fragt sich jedoch, ob es Zufall ist, daß Herodot einerseits die Unentrinnbarkeit der Haft betont, die Periander ihm auferlegt – Peq_amdqom d³ rp¹ !pist_gr )q_oma l³m 1m vukaj0 5weim oqdal0 leti]mta –, andererseits aber den Akt seiner Freilassung in auffllig elliptischer Weise verschweigt und Arion den erschrockenen Matrosen wie einen Gott erscheinen lßt: 1pivam/ma_ svi t¹m )q_oma ¦speq 5wym 1nep^dgse, ,es erschien ihnen Arion genauso wie er ausgesehen hatte, als er gesprungen war (1.24.7). Dies bedeutet keineswegs seine alltgliche Erscheinung, sondern das Prunkgewand des Kitharoden: Herodot betont dreifach, daß Arion all seine Insignien trgt: 1m t0 sjeu0 p\s,, so sagt er den Matrosen, wolle er auftreten (1.24.4), in Sngertracht und mit Kithara tritt er auf – 1md}mta te p÷sam tμm sjeuμm ja· kab|mta tμm jih\qgm – und in Sngertracht wirft er sich ins Meer: ¢r eWwe s»m t0 sjeu0 p\s, (1.24.5). Auch Pentheus fragt den eigentlich doch gefangenen Dionysos in den euripideischen Bakchen berrascht, wie es denn mçglich sei, daß er plçtzlich bei seinem Haus erscheine (va_m,, 646); die ganze Tragçdie ist als Epiphanie des Dionysos gelesen worden.399 Die in Herodots Arion-Periander-Sequenz und im Pentheus-Mythos enthaltenen Phasen 1. Bedrohung oder Gefangennahme eines Gottes 2. Passivitt des Gottes, der sich zunchst nicht zu erkennen gibt 3. Plçtzliche Epiphanie als Gott konstituieren in den Historien noch eine weitere Geschichte, die von Herodot nur kurz referierte400 Episode von Herakles Ankunft bei den gyptern: … ¢r aqt¹m !pij|lemom 1r AUcuptom st]xamter oR AQc}ptioi rp¹ polp/r 1n/com ¢r h}somter t` Di_· t¹m d³ t]yr l³m Bsuw_gm 5weim, 1pe· d³ aqtoO pq¹r t` byl` jat\qwomto, 1r !kjμm tqap|lemom p\mtar sv]ar jatavomeOsai. (2.45.1) … daß ihn die gypter bei seiner Ankunft in gypten bekrnzt und in einem Festzug herausgefhrt htten, in der Absicht, ihn dem Zeus zu opfern: er aber habe solange Ruhe bewahrt, als sie ihn jedoch beim Altar fr das Opfer vorbereiteten,401 habe er sich zur Wehr gesetzt und sie alle niedergemetzelt. 398 Vgl. h.Bacch. 7.13 f.; E. Ba. 642 – 649; dazu Seaford 2006, 44: „his apparently powerless submission … is tranformed into its opposite by epiphany …“; vgl. ferner ebenda, 124 f. 399 Vgl. Versnel 1990a, 165 – 167; Bierl 2004a, 45. 400 Herodot tut die Geschichte als eq^hgr … lOhor ab. Dies tut jedoch der Traditionalitt der Struktur und Herodots Vertrautheit mit ihr keinen Abbruch. 401 Vgl. fr diese spezielle Bedeutung von jat\qweshai LSJ s. v.
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Die drei Funktionen der Gefangennahme (hier in der speziellen Variante der Opferung), der Passivitt und der plçtzlichen Demonstration der gçttlichen Identitt402 (wobei !kj^ eben die genuine Eigenschaft des Herakles ist, durch die er sich zu erkennen gibt) finden sich auch hier wieder – und natrlich handelt es sich ebenfalls um eine Art Theomachieszene. Daß die Struktur hierfr typisch zu sein scheint, berrascht auch nicht weiter, ist sie doch dramaturgisch hçchst effektvoll und logisch beinahe zwingend fr diejenige Art Theomachie, die in Unkenntnis der wahren Natur des Gegners erfolgt. Das Thema der Ignoranz strukturiert aber auch die herodoteische Arion-Erzhlung, und zwar gleich in doppelter Form: die Seeleute lassen Arion singen, ohne seine besonderen Fhigkeiten zu ahnen; Periander wirft Arion aus Unglauben ins Gefngnis. Wenn Arion an die Stelle des Gottes tritt, reiht sich Periander, der unglubige Tyrann, der ihn gefangennimmt, neben den Matrosen unter die Theomachonten ein – und wenn Herodot mit Arion den ersten Dithyrambendichter vorstellt, so ist Periander immerhin der Sohn des ersten griechischen Tyrannen Kypselos (vgl. unten Kapitel V.2). Periander wird allein durch die zugrundeliegenden mythischen Folien in ein deutlich negatives Licht gerckt.403 Aber auch was Herodot in den folgenden Bchern der Historien von ihm berichtet, ist alles andere als positiv. ,Funchst milder als sein Vater (jat !qw÷r l³m Gm Api~teqor toO patq|r), spter aber ,viel blutgieriger (pokk` … liaivom~teqor, 5.92.f.1) tçtet er auf den Rat des Thrasybulos hin alle prominenten Brger (5.92.f-g), ermordet seine Frau (3.50), schndet ihren Leichnam und betrgt die Frauen Korinths in brutaler und anstçßiger Weise um ihre schçnsten Kleider, um den Geist der Gattin zu versçhnen – weil nur dieser ihm den Fundort eines wertvollen Gegenstandes verraten kann; die Geschichte wird von Sosikles aus Korinth in einer pro-demokratischen Brandrede an die Lakedaimonier angefhrt und explizit als Beispiel fr Tyrannenwillkr bezeichnet (5.92.f-g). Peri402 Herodot geht im Prinzip von zwei Herakles-Figuren aus, dem Gott und dem Heros, wie aus 2.44 hervorgeht. In 2.45 ist zwar die Rede davon, Herakles habe hier als Mensch (%mhqypom) gehandelt, und Herodot stellt in seiner Kritik an der gyptischen Erzhlung explizit die Frage, wie ein Einzelner so etwas wohl htte schaffen kçnnen. Hier geht es jedoch vorwiegend um die Traditionalitt der Erzhlung, nicht um Herodots Glauben an sie (vgl. oben Anm. 400). 403 Diese Perspektive auf den Tyrannen ist nicht ganz selbstverstndlich, da Grund zur Annahme besteht, daß Periander bereits im fnften Jahrhundert zur Gruppe der Sieben Weisen gerechnet wurde; vgl. Patzek 2000 unter Berufung auf Hdt. 3.52 und D. L. 1.97 f. Mçglicherweise hat aber Herodots Darstellung sptere Negativurteile geprgt; vgl. Hartog 1980, 344 f.
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ander ist also der typische Tyrann schlechthin. Er verstçßt seinen Sohn Lykophron, der sich ber den Mord an der Mutter empçrt (3.50), und untersagt jedem, diesen aufzunehmen (3.51 f.). Menschliche Zge zeigt der Tyrann zwar durchaus – so empfindet er Mitleid mit dem heruntergekommenen Sohn, allerdings zu spt (3.52), und kommt diesem entgegen, als er sich unter der Bedingung, Periander selbst mçge seinen Ruhestand in Kerkyra, d. h. außerhalb seines Blickfeldes, verbringen, als Nachfolger zur Verfgung stellt (3.53) – doch wird dies sofort konterkariert durch die ungeheure Grausamkeit, mit der Periander die Kerkyraier bestrafen will, als diese seinen Sohn tçten, damit das Schreckgespenst des Tyrannen, als das auch sie Periander betrachten, nicht in ihr Land komme: er will 300 Sçhne der Stadt kastrieren lassen (3.48). Die einzige Situation, in der Periander als ,Weiser auftritt, ist der Streit um Sigeion, in dem sich die Parteien Mytilene und Athen an ihn als Schiedsrichter wenden. Alles in allem ergibt sich das Bild eines intelligenten, aber skrupellosen und grausamen Machtmenschen,404 eine Tradition, die Diogenes Laertios spter fortfhrt:405 in den Philosophenleben berichtet er von Periander zustzlich, dieser habe seine schwangere Frau so getreten, daß sie dabei umgekommen sei (1.94), eine Erzhlung, die im Zusammenhang auch mit anderen Alleinherrschern Verbreitung gefunden hat.406
404 Es ist nicht ganz begreiflich, wie Packman 1991 Periander als positive Figur auffassen kann. Zwar ist das von ihr postulierte Identifikationspotential des Tyrannen mit Autor und Rezipienten nicht zu leugnen – wie Herodot seine Informanten, so befragt Periander den Arion; wie Herodots Rezipienten an seinen Geschichten zweifeln mçgen, so zweifelt Periander an Arions Erzhlung („Herodotus has succeeded to some extent in managing his own reception by exploring in his text issues that he expected to arise in his readership“, 407) –, aber Packmans Beharren darauf, Periander in eine Reihe von „honorable characters“ einzuordnen (406), erscheint weder plausibel noch nçtig fr ihre Argumentation. So befaßt sich auch Gray 2001 mit den Parallelen zwischen Perianders und Herodots „inquiry“, ohne den Charakter des ersteren irgendwie zu bercksichtigen. Daß die Darstellung eines Frage-Antwort-Spiels, das bis zu einem gewissen Grad Herodots eigenes Tun oder das der Rezipienten darstellt, nur mit edlen Charakteren besetzt sein drfe, leuchtet nicht ein – selbst ein Kambyses ist plausibel als Selbstportrait Herodots gefaßt worden, vgl. unten Anm. 808. 405 Vgl. Martin 1993, 111 zu den antiken Versuchen einer Scheidung zwischen dem Tyrannen und dem Weisen Periander. 406 Herodot selbst berliefert die Geschichte vom persischen Kçnig Kambyses (3.32), Tacitus spter von Nero (Ann. 16.6). Auch hier existiert eine mythische Vorlage: Katreus und seine (vermeintlich) entehrte Schwester, vgl. Apollod. 3.2.1 = 3.14. – Zur Verurteilung Perianders vgl. auch Luc. VH 2.17.
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Die Arion-Geschichte ist nicht nur eine Demonstration gçttlicher Gerechtigkeit, sondern darberhinaus auch eine suggestive, aber wirkungsvolle Charakterisierung des Periander, der in der Position des Pentheus als tendenziell negative Figur erscheint, was der spter erfolgenden, ungewçhnlich drastischen Darstellung den Weg ebnet. Die Stellung am Anfang der Historien bereitet folglich Herodots grundstzlich negative Auffassung der Tyrannis407 vor.408 Hierfr spricht auch die Betonung stereotyper asiatisch-griechischer Gegenstze, die Munson 2001 herausgearbeitet hat: Arion ist alleine, die Seeleute – „ethically (non ethnically) barbaric“ (255) – sind viele; Arions Opfergabe ist griechisch-bescheiden, „antithetical, therefore, to the impressive monuments of the East“ (253).409 Am ,barbarischsten aber wirkt in der Erzhlung vor allem die Herrschaftsform der Monarchie, die grundstzlich mit dem barbarischen Bereich assoziiert wird410 (auch wenn es sich bei Periander um einen Griechen handelt) und deren Thematisierung fr den dionysischen Kontext typisch ist (vgl. oben Kapitel III.2). Munsons und Grays allgemeinere Konstatierung einer programmatischen Zielformulierung ist sehr einleuchtend. Sie schließt jedoch eine weitere, ebenfalls programmatische Ebene in keiner Weise aus: die Demonstration von Herodots Skepsis gegenber der ,barbarischen Staatsform der Tyrannis. 407 Vgl. oben Anm. 362. 408 Dagegen Griffiths 2006, 133, der die Arion-Geschichte als Beispiel fr ein „tale … told for its own sake“ betrachtet, wie es seiner Meinung nach typisch fr die Historien ist, „arbitrarily placed where it is either because Herodotus was determined to put it somewhere, or because he needed to fill out a slot which would otherwise have been embarrassingly empty. Take, for example, the account of the poet Arion, hung precariously on the chronological hook of the reign of the Corinthian dictator Periander“. Spter scheut Griffith selbst vor der Annahme einer willkrlichen Positionierung zurck und relativiert dies im Sinne von Munson und Gray (vgl. oben 147 f.): „yet however thin the reason given for its introduction, we may speculate that it was important to Herodotus to introduce a tale about divine justice at the earliest possible moment, in order to put down a programmatic marker for the course of the whole Inquiry“ (142). 409 Vgl. Munson 2001, 98: „The story [of Arion] underlines by pause the first detailed report in the Histories of a confrontation between Greeks and Barbarians“; mit letzterem „report“ meint sie die vorausgegangene Geschichte von den Aggressionen des Lyderkçnigs Alyattes gegen das griechische Milet. Alyattes parallelisiert Munson mit den Seeleuten der Arion-Geschichte, die sich ,barbarisch verhalten. 410 Vgl. etwa 5.78, wo Herodot das Unterliegen der Perser aus der demokratischen Staatsform der Griechen im Gegensatz zur Tyrannis der Barbaren herleitet.
IV. ,Trickstergeschichten: Schelmenfigur und Erzhlstruktur 1. ,Trickster bei Herodot? Herodots Historien sind bevçlkert von Figuren, die sich durch hohe Intelligenz auszeichnen und ihre Ziele oftmals durch Listigkeit erreichen. Eine einflußreiche Untersuchung hierzu hat Carolyn Dewald 1987 vorgelegt, die neben den herodoteischen „savants“ – den weisen Beratern, auf die niemand hçrt – eine zweite Gruppe von Figuren identifiziert, die „Trickster“, die ,mehr wissen als andere (vor allem mehr als diejenigen, die sich chronisch falsch entscheiden, etwa die persischen Kçnige) und ihre Plne oft durch unkonventionelles oder manipulatives Handeln durchsetzen. So versenkt Artemisia von Halikarnaß bei Salamis ein verbndetes Schiff, worauf die Griechen denken, sie sei eine der Ihren und von ihrer Verfolgung ablassen (8.87); oder Miltiades sichert seine Machtstellung ber die Chersones, indem er die herrschaftlichen Gste festnehmen lßt, die in sein Haus gekommen sind, um ihm in der Trauer um seinen verstorbenen Bruder beizustehen (6.39). Themistokles hlt sich gleichzeitig die griechische und die persische Option offen, „mouthing pious platitudes with one hand and secretly preparing to feather his Persian nest with the other“, wie Dewald es ausdrckt (1987, 53). Dewald nennt weitere Beispiele, und auch ber ihre Liste hinaus ist so manche ,listige Figur in den Historien zu finden.411 Auch hier werden traditionelle Erzhlschemata wirksam, wie angesichts der Popularitt von ,Schelmengeschichten im volkstmlichen Erzhlen nicht berraschen kann. Im folgenden sollen einige davon genauer untersucht werden. Hier ist allerdings insofern Vorsicht geboten, als es sich bei ,Listigkeit und ,Trickstertum vor allem fr ein deutsches Publikum nicht um Synonyme handelt – im Englischen ist der Begriff ,Trickster ursprnglich etwa so allgemein wie das kaum noch gebruchliche deutsche Wort ,Schelm. Aber auch in der englischsprachigen Literaturwissenschaft wird der Begriff heute hufig mit dem anthropologischen Paradigma des ,Tricksters in Zusammenhang gebracht. Hiervon soll spter nochmals die Rede sein; 411 Vgl. die bei Bencsik 1994 untersuchten Flle.
2. Die getreuen Verrter
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einstweilen seien Herodots ,listige, unkonventionell handelnde Figuren in Ermangelung eines zeitgemßen deutschen Begriffs im folgenden als ,Trickster bezeichnet.
2. Die getreuen Verrter 2.1 Der angebliche berlufer: Zopyros (3.153 – 160) Eine der spektakulrsten Listen der Historien bietet Kçnig Dareios Feldherr Zopyros bei der Belagerung von Babylon; es handelt sich um ein illustres Beispiel extremen persischen Untertanengehorsams in berraschender Kombination mit der Fhigkeit zu listigem Verrat (3.153 – 160). Das persische Heer hat schon lange vor der Stadt gelegen, ohne große Hoffnung auf Eroberung – ein Babylonier hatte gespottet, die Stadt kçnne wohl erst dann eingenommen werden, wenn ein (bekanntermaßen steriles) Maultier Junge bekme. Als nun Zopyros bemerkt, daß dieses Wunder in seinem Troß tatschlich geschieht, deutet er es richtig als Vorzeichen und verbietet seinen Leuten, es çffentlich zu machen; nach reiflicher berlegung und Rckfrage bei Dareios, ob ihm wirklich an der Eroberung Babylons liege, schreitet er dann zur Tat: er schert, geißelt und verstmmelt sich selbst, indem er sich sich Nase und Ohren abschneidet, und tritt vor den zunchst entsetzten Dareios, mit dem er einen ebenso grausamen wie raffinierten Plan zur Einnahme Babylons vereinbart. Zopyros wird vorgeben, von Dareios mißhandelt worden zu sein und zu den Babyloniern berzulaufen. Anschließend soll Dareios in regelmßigen Abstnden erst 1000, dann 2000, dann 4000 Perser an die Stadtmauern fhren, Mnner ,aus dem Teil deines Heeres, dessen Verlust nichts ausmacht (!p¹ ta}tgr … t/r seyutoO stqati/r, t/r oqdel_a 5stai ¥qg !pokkul]mgr): ,Aber weder die Vorigen drfen irgendetwas zu ihrer Verteidigung haben, noch die letzten, außer Dolchen; das kann man ihnen erlauben (1w|mtym d³ l^te oR pq|teqoi lgd³m t_m !lum|mtym l^te oxtoi, pkμm 1cweiqid_ym· toOto d³ 1÷m 5weim, 3.155.5). Diese Kontingente wird Zopyros dann niedermetzeln und so das Vertrauen der Babylonier gewinnen – und die Schlssel zu den Stadttoren.412
412 Die strategische Opferung einzelner Heeresteile, wie sie in der Zopyros-Episode geschieht, ist bei den Persern keineswegs unblich: Dareios bedient sich dieses Mittels noch ein zweites Mal (4.134 – 136), ebenso auch Kyros (1.207.6 – 7; 1.211).
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IV. ,Trickstergeschichten: Schelmenfigur und Erzhlstruktur
Der Plan geht auf: die Babylonier glauben dem frchterlich entstellten Zopyros, daß Dareios ihm seine Verletzungen habe zufgen lassen, und gewhren ihm ein Kommando, um sich – wie er vorgibt – an Dareios zu rchen. Nachdem er in den drei ,Schlachten gesiegt hat, wird er von den Babyloniern zum stqat\qwgr und teiwov}kan ernannt (3.157.4). Als Dareios schließlich von allen vier Seiten angreift, çffnet Zopyros die Tore und lßt die Perser in die Stadt ein. Dareios schleift die Stadt und pfhlt die fhrenden Mnner. Am Ende der Erzhlung und des dritten Buches (3.160) betont Herodot nochmals die Großtat des Zopyros, dessen Handeln nach der Meinung des Dareios kein Perser bertroffen habe – mit Ausnahme des Kyros – und der in Persien reich geehrt worden sei. Allerdings ußert der begeisterte Dareios dennoch, daß es ihm lieber gewesen wre als der Besitz von zwanzig Babylons, wenn sich Zopyros die entsetzlichen Wunden nicht zugefgt htte; und gleichsam als Pointe enthlt der Schlußsatz die Information, der gleichnamige Enkel des Zopyros sei von den Persern zu den Athenern bergelaufen (3.160.2) – als sei das berlufertum gleichsam Familienmerkmal, gleichgltig, ob es sich um echtes oder vorgetuschtes Desertieren handelt. Die Erzhlung enthlt die folgenden Elemente: 1. Belagerungssituation 2. Vorspiegeln von Fahnenflucht durch einen der Belagernden 3. Vorspiegeln einer Folterung durch die eigenen Leute durch Selbstverletzung in Form von 3a. Abschneiden von Nase und Ohren 3b. Geißelung 4. Vorgngiges Tçten einer quantitativ geringeren Gruppe im Interesse eines endgltigen Sieges ber den Feind 5. Vertrauen der Getuschten 6. ffnen der Tore fr die eigenen Leute 7. Kennzeichnung der Geschichte als Exempel besonderer Tapferkeit Bereits Wolf Aly hat die frappante hnlichkeit der Geschichte mit dem mythischen „Sinonmotiv“ erkannt (1921, 111),413 das zuerst nicht von der 413 Aly 1921, 111 nennt als Parallele noch zwei weitere herodoteische Geschichten: zunchst die in nur einem Satz zusammengefaßte Erzhlung vom Tod des Stesagoras (6.38.2): Pok]lou d1|mtor pq¹r Kalxajgmo»r ja· Stgsac|qea jat]kabe !pohame?m %paida, pkgc]mta tμm jevakμm pek]jez 1m t` pqutamg@\ pq¹r !mdq¹r aqtol|kou l³m t` k|c\, pokel_ou d³ ja· rpoheqlot]qou t` 5qc\ (,Als Krieg mit den Lampsakenern herrschte, geschah es auch Stesagoras, kinderlos zu sterben, auf den Kopf geschlagen mit einer Axt im Prytaneion, von einem Mann, der
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eponymen Figur des Sinon, sondern von Odysseus belegt ist (Od. 4.234 – 264); Helena referiert die Geschichte dem Telemachos ausdrcklich als Exempel fr die Heldentaten seines Vaters, wie sie zu Beginn erklrt (4.240 – 243, Funktion 7). Weiter fhrt sie fort: aqt|m lim pkgc0sim !eijek_,si dal\ssar, spe?qa j\j !lv ¥loisi bak~m, oQj/z 1oij~r, !mdq_m duslem]ym jat]du p|kim eqqu\cuiam. %kk\ d aqt¹m vyt· jatajq}ptym Ezsje d]jt,, dr oqd³m to?or 5gm 1p· mgus·m )wai_m· t` Ujekor jat]du Tq~ym p|kim, oR d !b\jgsam p\mter· 1c½ d] lim oUg !m]cmym to?om 1|mta, ja_ lim !meiq~teum· b d³ jeqdos}m, !k]eimem. !kk fte d^ lim 1c½ k|eom ja· wq?om 1ka_\, !lv· d³ eVlata 6ssa ja· ¥losa jaqteq¹m fqjom, l^ le pq·m idus/a let± Tq~ess !mav/mai, pq_m ce t¹m 1r m/\r te ho±r jkis_ar t !vij]shai, ja· t|te d^ loi p\mta m|om jat]kenem )wai_m. pokko»r d³ Tq~ym jte_mar tama^jez wakj` Gkhe let )qce_our, jat± d³ vq|mim Ecace pokk^m. (4.244 – 258) Da hatte er sich selbst mit unwrdigen Hieben schlimm zugerichtet, hatte sich ein schlechtes Wams um die Schultern geworfen und war so, einem Knechte gleichend, in die weitstraßige Stadt der feindlichen Mnner gedrungen, und hatte sich selbst, indem er sich so verbarg, einem anderen Manne gleichgemacht, einem Bettler, wie ein solcher bei den Schiffen der Achaier gar nicht war. Diesem gleichend, tauchte er in die Stadt der Troer, die aber blieben arglos alle. Nur ich erkannte ihn, so wie er war, und befragte ihn. Er aber wich aus mit klugem Sinn. Doch als ich ihn nun gebadet und mit l gesalbt hatte, ihm Kleider angetan und einen gewaltigen Eid geschworen, daß ich ihn nicht frher als Odysseus entdecken wrde bei den Troern, ehe er wieder bei den schnellen Schiffen und den Lagerhtten angekommen – da erzhlte er mir den ganzen Anschlag der Achaier. Nachdem er aber viele Troer mit dem langschneidigen Erz erschlagen hatte, kam er zurck zu den Argeiern und brachte viele Kenntnis mit. (bersetzung: Schadewaldt 1958, 63)
Natrlich ist auch diese Erzhlung in einer Belagerungssituation situiert (Funktion 1), mitten im Troianischen Krieg. Odysseus dringt als Spion (vgl. 4.258) unerkannt ins feindliche Lager ein; die Geißelstriemen, die er sich selbst zugefgt hat (3b), sprechen fr eine Verkleidung als Deserteur, da kaum vorstellbar ist, von wem die Hiebe stammen sollten, wenn nicht angeblich ein berlufer war, in Wirklichkeit aber sein brennender Feind). Die zentrale Funktion der berlufer-Lge ist vorhanden, sonst bleibt von der ausfhrlichen Struktur nicht viel brig. Ergiebiger ist die von Aly ebenfalls genannte Peisistratos-Geschichte 1.59.4 – 6; vgl. unten 166.
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IV. ,Trickstergeschichten: Schelmenfigur und Erzhlstruktur
von den Achaiern (in spteren Fassungen ist dieses Element 2 dann expliziert).414 Die Feinde bemerken nichts Verdchtiges: oR d !b\jgsam p\mter (4.249 f.; Funktion 5). Im Zuge seiner Rckkehr erschlgt Odysseus ,viele Troer mit dem langschneidigen Erz (4.257; Funktion 4) – man darf annehmen, daß dies fr sein Entkommen und den weiteren Fortgang des ,Anschlags der Achaier notwendig ist. Das ffnen der Tore oder, im bertragenen Sinne, die Einnahme der Stadt (Funktion 6), kommt in der eigentlichen Erzhlung nicht mehr vor; es ist jedoch signifikant, daß Menelaos, der seine Gattin mit einer erneuten Betonung der Heldenhaftigkeit des Odysseus und damit einer Variation der siebten Funktion (4.265 – 270) im Erzhlen ablçst, berichtet, wie Odysseus im Innern des hçlzernen Pferdes die Fhrung bernommen hatte (4.271 – 289) – daß auch die Idee zum Bau des Pferdes von ihm stammte, weiß der Rezipient ohnehin. Somit wird die Erfllung der sechsten Funktion durch Odysseus im Kontext der Spionage-Erzhlung mindestens angedeutet. Eine noch nherliegende Parallele zur Herodots Zopyros-Bericht ist die Geschichte von dem griechischen Pseudo-berlufer Sinon, der die Troianer narrt und fr die Struktur bisweilen eponym ist („Sinonmotiv“; vgl. oben 162). Die aussagekrftigsten Erzhlungen der Episode finden sich bei Vergil und Quintus Smyrnaeus, belegt ist sie jedoch schon fr den epischen Kyklos.415 Die der herodoteischen Zopyros-Geschichte parallelen Funktionen sind – je nach Quelle – die folgenden: Sinon – brigens ein Cousin des listigen Odysseus416 – entschließt sich417 whrend der Belagerung von Troia (Funktion 1) zur Rolle des berlufers (Funktion 2). Als er von den Troianern aufgegriffen wird, behauptet er, er sei bei den Danaern in Ungnade gefallen und habe fliehen mssen. Seine Selbstentstellung macht die 414 Z. B. E. Rh. 715 – 719; wahrscheinlich aber bereits in der Kleinen Ilias des Lesches; vgl. fr. 8 Davies EGF, p. 56 = fr. 7 Bernab PEG I, p. 78). 415 Verg. A. 2.57 – 198; Quint. Smyrn. 12.243 – 388; im Kyklos ist die Geschichte entweder fr die Kleine Ilias belegt, denen Arist. Po. 1459b den Stoff der verlorenen sophokleischen Tragçdie Sinon zuweist (fr. 542 – 544 Radt TrGF 4, p. 413 – 415), oder fr die Iliu Persis (Procl. arg. Iliup. Davies EGF p. 62, 14 f. = Bernab PEG I, p. 88, 10 f.). 416 Serv. ad Verg. A. 2.79; Tz. ad Lyc. 344. Vgl. Vrugt-Lentz 1967, der auf eine zustzliche hnlichkeit der Figuren hinweist (168): in der Iliu Persis gibt Sinon den Achaiern ein Fackelzeichen, nachdem er unerkannt in die Stadt eingedrungen ist, wie Odysseus in der oben behandelten Szene Od. 4.244 – 258 (Procl. arg. Iliup. Davies EGF p. 62, 14 f. = Bernab PEG I, p. 88, 10 f.). 417 Er erbietet sich auf den Vorschlag des Odysseus hin, der an die Gesamtheit der Kmpfer gerichtet ist (12.254 – 260); vgl. Quint. Smyrn. 12.261 – 271.
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Verstellung berzeugender (Funktion 3); explizit erwhnt wird diese allerdings nur bei Tzetzes (ad Lyc. 344: aQjis\lemor 2aut|m). Bei Quintus mißhandeln die Troianer Sinon: sie schneiden ihm Nase und Ohren ab (Funktion 3a). Hierbei mag es sich um Herodot-Rezeption handeln;418 in diesem Fall wre ein bereits antikes Empfinden fr die Verwandtschaft der Erzhlungen belegt. Auch Quintus betont im brigen die enorme Tapferkeit des Sinon (Funktion 7: Quint. Smyrn. 12.385 – 420; 12.452 – 454). Man vertraut Sinon schließlich (Funktion 5); was er, einmal in Troia aufgenommen, fr die Griechen tut, ist je nach Quelle verschieden und reicht vom Anznden eines Signalfeuers419 ber die berzeugungsarbeit betreffend das hçlzerne Pferd420 bis hin zum ffnen des Pferdes, das wiederum an Herodots ffnen der Tore erinnert (Funktion 6).421 In der Zwischenzeit ereignet sich die – freilich nicht von Sinon initiierte, aber seine List letztlich zum Erfolg fhrende – Laokoon-Geschichte, also die vorgngige Tçtung einer kleineren Gruppe (Funktion 4), die von Vergil in den drastischsten Farben geschildert wird (A. 2.199 – 231). Es ist bezeichnend, daß die beiden vermeintlichen berlufer im troianischen Mythos vçllig eigenverantwortlich handeln, whrend Zopyros als Untertan des persischen Großkçnigs agiert. Bei Herodot ist die Grausamkeit der Selbstverstmmlung viel strker hervorgehoben; in Kombination mit der Tatsache, daß es sich bei dem vorgngigen ,Bauernopfer um die eigenen Leute handelt, anstatt wie bei den von Odysseus erschlagenen Troianern und der im Kontext der Sinon-Episode zu Tode kommenden Familie des Laokoon um Feinde, akzentuiert die Situation der Monarchie, in der sich die Zopyros-Episode abspielt (zumal Herodot Zopyros die Bewaffnung der zu opfernden persischen Solaten mit unntzen Dolchen geradezu zynisch kommentieren lßt: toOto d³ 1÷m 5weim, 3.155.5). Auch die Tapferkeit des Zopyros ist bei Herodot relativiert, da Dareios selbst die Selbstverstmmlung bis zum Schluß als !eije_g (3.160.1) betrachtet, und durch die – markant an den Schluß des Buches gesetzte – Pointe, daß es mit der Treue der Familie nicht weit her ist: wie oben gesagt, luft der zweite Zopyros, der Enkel des ersten, von den Athenern zu den Persern ber.
418 So Vrugt-Lentz 1967. 419 Procl. arg. Iliup. Davies EGF p. 62, 14 f. = Bernab PEG I, p. 88, 10 f.; Tz. ad Lyc. 344; Apollod. Ep. 5.21.152 – 157 = Ep. 5.15; Ep. 5.21.179 – 184 = Ep. 5.19. 420 Verg. A. 2.146 – 194. 421 Verg. A. 2.257 – 259; Hyg. Fab. 108.
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Daß die Sinon-Struktur fr Herodot mit dem Phnomen der Alleinherrschaft zu tun hat, erscheint auch angesichts einer etwas entfernteren Parallelepisode der Historien plausibel, der 1.59.4 – 6 geschilderten Machtergreifung des Tyrannen Peisistratos. Als dieser mitten im Streit der attischen Ksten- und Ebenenbewohner seinerseits die Alleinherrschaft ber Athen anstrebt, verwundet er sich selbst (Funktion 3), eilt nach Athen und gibt an, er sei mit Mhe den Feinden entronnen – die Polis solle ihm eine Leibwache stellen. Er erhlt sie (Funktion 5) und putscht sich an die Macht. Die Geschichte weist eine geringere Nhe zur Sinon-Struktur auf als die des Zopyros, aber immerhin enthlt sie Funktion 5, das Vertrauen der Getuschten, und die Selbstverletzung (Funktion 3), genug fr eine gewisse Aufflligkeit – im Kontext einer Erlangung der Tyrannenherrschaft. hnlich verhlt es sich mit der Selbstverbrennung des persischen Statthalters Boges im thrakischen Eion (7.107): als die Griechen nach dem Scheitern des Xerxes alle Statthalter – Vertreter der persischen Monarchie – aus Thrakien vertreiben, verbrennt sich Boges samt Kindern, Frau, Konkubinen und Dienern selbst, anstatt die Mçglichkeit zur Flucht zu nutzen. Bei dieser Geschichte handelt es sich nicht um eine Sinon-Episode, und Boges weist keinerlei Listigkeit auf; das Element des Selbstopfers jedoch ist der Selbstverletzung der Sinon-Struktur verwandt – wie die Zopyros-Episode handelt die Geschichte von der Selbstaufgabe des Untertanen fr den Kçnig. Hier wird die Tat von Herodot gelobt: Boges sei %nior 1pa_mou lec\kou, sagt er zu Beginn der Geschichte, dija_yr aQm]etai 5ti ja· 1r t|de rp¹ Peqs]ym an deren Ende. Herodots Wertung der Episoden erscheint nicht vçllig konsequent. Das Tun des Zopyros billigt er offensichtlich nicht, das des Boges hingegen schon; die Tat des Peisistratos kommentiert er berhaupt nicht. Wahrscheinlich spielt dabei eine Rolle, daß in der Zopyros-Geschichte Tausende von Soldaten geopfert werden, bei Boges hingegen nur er selbst bzw. seine eigene Familie. Interessant ist in jedem Fall, daß alle Episoden so untrennbar mit der Herrschaftsform der Monarchie verbunden sind – wenn auch auf unterschiedliche Weise: Zopyros und Boges sind Untertanen, Peisistratos wird selbst zum Tyrannen. Dennoch siedelt Herodot die ,Sinon-Struktur ausschließlich in monarchischen Staatsformen an.422
422 Selbst der von Aly 1921, 111 als weiteres Parallelbeispiel genannte, von Herodot nur so kurz abgehandelte Tod des Stesagoras (6.38.2; vgl. oben Anm. 413) spielt sich innerhalb einer Tyrannenfamilie ab: Stesagoras ist der Bruder seines Nach-
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Die Troianer sind in der griechischen Literatur meist mit positiven Zgen versehen und nie einseitig als Feinde dargestellt; sie besitzen also durchaus ein gewisses Identifikationspotential auch fr den griechischen Rezipienten. Folglich mußte die Struktur des angeblichen berlufers schon im Mythos als ambivalent wahrgenommen werden – erst recht natrlich in der rçmischen Rezeption des Troiamythos. Durch die Drastik der Tat des Untertanen Zopyros wird diese Ambivalenz bei Herodot massiv gesteigert, was die persische Gewaltherrschaft entsprechend akzentuiert.
2.2 Der owkor emeiqor : Themistokles (8.70 – 83) und die Trugtrume des Xerxes (7.8 – 19) Eine zu der Zopyros-Erzhlung gleichsam spiegelverkehrte Verrtergeschichte berichtet Herodot im achten Buch ber den notorisch listenreichen Themistokles, der bereits in der Antike mit Odysseus verglichen wird.423 Whrend Zopyros als angeblicher berlufer im Interesse der eigenen Leute die Fremden betrgt, berlistet der angebliche Perserfreund Themistokles neben den Feinden auch die eigenen Leute, ebenfalls in deren Interesse – so jedenfalls Herodots Darstellung.424 Die Vorspiegelung von Fahnenflucht erfolgt ebenfalls, jedoch fehlt der gesamte BrutalittsKomplex der Selbstverletzung oder vorgngiger Gemetzel. Die Geschichte spielt sich wie folgt ab: Nach der Niederlage bei den Thermopylen und der Verwstung von Athen und Attika durch die Perser verschanzen sich die Peloponnesier am Isthmos, auf den das persische Landheer zumarschiert, whrend die griechische Flotte bei Salamis liegt, wo sich inzwischen auch die persischen Schiffe gesammelt haben. Schon im Vorfeld ist geschildert worden, wie Themistokles von dem Athener Mnesiphilos berzeugt worden ist, Salamis auf keinen Fall zu verlassen, und wie er in einer langen Diskussion auch den Kommandanten der spartanischen Flotte Eurybiades zum Mitkmpfen bewegt hat (8.57 – 63). Aber noch unmittelbar vor der Schlacht (8.74) kçnnen sich die verschiedenen Parteien lange nicht einigen, ob man nach folgers Miltiades, eines notorischen Anwrters auf Alleinherrschaft (vgl. oben Anm. 363). 423 Plu. De Herod. malign., Mor. 869 f.: idusse»r 1pymol\shg di± tμm vq|mgsim ; zu Themistokles berragender Intelligenz ußert sich auch Th. 1.138.3. Vgl. Huber 1965, 39; Pelling 2006a, 83 f. 424 Vgl. Blçsel 2004 zu Herodots Themistokles-Portrait aus historischer Perspektive; 15 – 21 mit einem berblick ber die bisherige Forschung.
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der Peloponnes absegeln und das Landheer untersttzen oder vor Salamis bleiben und den Feind weiterhin von Attika abhalten solle. Schließlich siegt die Fraktion der Peloponnesier – gegen den Athener Themistokles, der Salamis unbedingt verteidigen will.425 Themistokles greift nun zu einem ungewçhnlichen Mittel: er lßt seinen Diener Sikinnos heimlich zu Xerxes gehen und ihm folgende Botschaft berbringen: =pelx] le stqatgc¹r b )hgma_ym k\hq, t_m %kkym :kk^mym – tucw\mei c±q vqom]ym t± basik]or ja· bouk|lemor l÷kkom t± rl]teqa jat}peqhe c_meshai D t± t_m :kk^mym pq^clata – vq\somta, fti oR þkkgmer dqgsl¹m bouke}omtai jataqqydgj|ter, ja· mOm paq]wei j\kkistom rl]ar 5qcym "p\mtym 1neqc\sashai, Cm lμ peqi_dgte diadq\mtar aqto}r7 oute c±q !kk^koisi blovqom]ousi out 5ti !mtist^somtai rl?m, pq¹r 2yuto}r te sv]ar exeshe maulaw]omtar, to»r t± rl]teqa vqom]omtar ja· to»r l^. (8.75.2 f.) Mich schickt der Feldherr der Athener geheim vor den anderen Griechen (denn er hat das Interesse des Kçnigs im Sinn und will lieber, daß eure Sache die Oberhand gewinnt als die der Griechen), um zu sagen, daß die Griechen voller Furcht ber die Flucht beraten; und jetzt ist es euch mçglich, den schçnsten Schlag berhaupt auszufhren, wenn ihr nicht zulaßt, daß sie auseinanderlaufen. Sie sind sich nmlich weder untereinander einig, noch werden sie euch entgegenstehen, und ihr werdet sehen, daß sie gegen sich selbst kmpfen, diejenigen, die euer Interesse im Sinn haben und die anderen.
Die Feinde vertrauen dem Boten. Sie setzen ihre Schiffe in Bewegung und kesseln die Flotte der Griechen ein, so daß diesen die Mçglichkeit zur Flucht genommen wird. Themistokles zwingt die Griechen zum Kampf. An dieser Stelle (8.77) zitiert Herodot ein Orakel des Bakis, das besagt, Hellas werde die Freiheit dann wiedererlangen, wenn die Perser an der ,Kste der Artemis und auf Kynosura anlegten – ein offensichtlicher Hinweis auf die Gegend um Salamis, wo sich mehrere Artemisheiligtmer befanden,426 zumal Kynosura direkt gegenber von Psyttaleia lag, wo die Perser einen Teil der Flotte stationiert hatten. Energisch wird im folgenden die Wahrhaftigkeit von Orakeln im allgemeinen postuliert: 9r toiaOta l³m ja· ovty 1maqc]yr k]comti B\jidi (di) !mtikoc_gr wqgsl_m p]qi oute aqt¹r k]ceim tokl]y oute paq %kkym 1md]jolai. Diesbezglich und in Anbetracht der Tatsache, daß Bakis so deutlich spricht, wage ich weder, selbst ber den Widerspruch in Orakeln zu sprechen, noch akzeptiere ich dies bei anderen. (8.77.2) 425 Zu Themistokles Argumentation und der allgemeinen Diskussionssituation vgl. Pelling 2006b, 110 – 112. 426 Vgl. How/Wells 1912 ad loc.
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Weiter berichtet Herodot, wie die nichtsahnenden griechischen Feldherren sich weiter beraten und der Athener Aristeides zum Lager kommt. Herodot verschweigt nicht, daß dieser ein Verbannter ist, aber ,ich weiß von ihm genau – und ich habe mich ber seinen Charakter erkundigt – daß er der beste und gerechteste Mann in Athen ist (t¹m 1c½ mem|lija pumham|lemor aqtoO t¹m tq|pom %qistom %mdqa cem]shai 1m )h^m,si ja· dijai|tatom, 8.79.1). Des weiteren, so wird betont, ist dieser Aristeides keineswegs ein Freund des Themistokles und damit parteiisch, sondern sogar dessen grçßter Feind (1whq¹m d³ t± l\kista, 8.79.2). Aristeides lßt Themistokles aus der Versammlung rufen, um ihm mitzuteilen, daß die Griechen nicht mehr absegeln kçnnen, weil die Perser sie eingekreist haben; er solle dies den Versammelten mitteilen. Themistokles antwortet ihm selbstbewußt, dies alles sei auf seine Veranlassung geschehen: ,Weil nun die Griechen nicht freiwillig sich zur Schlacht stellen wollen, mussten sie unfreiwillig antreten (5dee c\q, fte oqj 2j|mter Ehekom 1r l\wgm jat_stashai oR þkkgmer, !]jomtar paqast^sashai, 8.80.1). Aristeides solle nun vor die Versammlung treten und den Griechen mitteilen, daß sie kmpfen mßten; ihm, Themistokles, werde doch niemand glauben. Aber selbst Aristeides kann die griechischen Feldherren nicht berzeugen; erst als ein Dreiruderer aus Tenos ankommt und besttigt, daß der Feind die griechische Flotte eingekreist hat, bleibt den Griechen nichts anderes brig, als sich zu rsten. Die Schlacht beginnt – Themistokles hat sein Ziel erreicht. Abgesehen von dem so prominent referierten Orakel verweist noch ein weiteres Ereignis auf die Sphre gçttlichen Einflusses. Es begibt sich zu Beginn der Schlacht (8.84): als die persischen Schiffe angreifen, wollen sich die Griechen schon wieder zurckziehen. Das athenische Schiff des Ameinias von Pallene jedoch verhakt sich im Gedrnge, worauf man ihm zu Hilfe eilt und endlich doch kmpft. Gleichzeitig – so wird erzhlt (k]cetai ja· t\de) – erscheint427 das Bild einer Frau (v\sla … cumaij|r, 8.84.2), das die Griechen schilt: ¯ dail|mioi, l]wqi j|sou 5ti pq}lmgm !majqo}seshe ; Ihr Seltsamen, wie weit wollt ihr denn noch zurckrudern? (8.84.2)
Die Geschichte weist die folgenden Funktionen auf:
427 Das geisterhafte Erscheinen ist von Herodot dreifach betont: v\sla … 1v\mg … vame?sam (8.84.2).
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1. bermittlung einer Lgenbotschaft an die Feinde, die bei sofortigem Eingreifen militrischen Erfolg verheißt 2. berzeugung des Senders, daß das Gegenteil des Angekndigten eintreten wird 3. Thematisierung der Uneinigkeit involvierter Parteien untereinander 4. Glaube der Empfngerpartei an die Lgenbotschaft 5. Zustzliche untersttzende Gçttererscheinung Dieselbe Struktur findet sich in fast verdoppelter Form in der Erzhlung von Agamemnons owkor emeiqor zu Beginn des zweiten Gesangs der homerischen Ilias: Zeus schickt einen Traum zu Agamemnon, der ihm die Nachricht bringt, jetzt kçnne man Troia einnehmen (Funktion 1: mOm c\q jem 6koi p|kim eqqu\cuiam Tq~ym, 2.12 f.). Gleichsam spiegelverkehrt zu Sikinnos Bericht bei Herodot, die Griechen seien uneins, sagt der Traum, die Gçtter seien nun nicht mehr uneins (Funktion 3: oq c±q 5t !lv·r ik}lpia d~lat 5womter !h\matoi vq\fomtai, 2.13 f.) – wobei die Uneinigkeit im griechischen Lager natrlich auch durch den vorausgehenden Streit des Agamemnon mit Achilleus thematisiert wird. Der Traum kolportiert eine Lgenbotschaft, er bezweckt das Gegenteil des Gesagten (Funktion 2). Agamemnon geht ihm auf den Leim (Funktion 4). Das fnfte Element, die untersttzende Gçttererscheinung, ist hier nicht nçtig, da Zeus selbst ja den Traum gesandt hat. Es folgt eine Variation der gesamten Struktur: nun wendet sich der Betrogene an seine Leute, mit einer Botschaft, die das Gegenteil von dem bezweckt, was sie vorgibt (2.110 – 141): Agamemnon fordert die Achaier zur Heimkehr auf (Variante zu Funktion 1: militrischer Erfolg wird negiert) und erwartet Gegenreden (Variante zu Funktion 2: Agamemnon geht vom Sieg der Angesprochenen aus, der traumsendende Zeus und Herodots Themistokles von deren Niederlage). Nachdem die Achaier seiner Botschaft zunchst Glauben geschenkt haben (Funktion 4), greifen Athene und Hera ein (Funktion 5),428 um Agamemons eigentliche Absicht zu transportieren, und motivieren Odysseus, die Leute zum Bleiben zu veranlassen, was diesem auch gelingt. Der Unterschied zur vorhergehenden Funktionsfolge ist vor allem der, daß eine Wendung mehr dabei ist: Agamemnon ordnet quasi aus ,rheto428 Pohlenz 1934, 144 Anm. 2 sieht das Eingreifen der Athene in der herodoteischen Mnesiphilos-Figur gespiegelt (8.57; Mnesiphilos gibt Themistokles den Rat, Salamis nicht zu verlassen), wodurch Themistokles einmal mehr mit Odysseus parallelisiert wird.
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rischen Gnden das Gegenteil von dem an, was er will.429 Er wnscht sich Nutzen, glaubt, ihn erlangen zu kçnnen, verheißt aber Schaden, so daß Odysseus wieder Nutzen propagieren muß, worauf das geschieht, was Agamemnon will (und was am Ende wieder Schaden bringt). Zeus dagegen will Schaden und verheißt Nutzen, worauf ihm Agamemnon ohne eine weitere Wendung auf den Leim geht. Am Ende wird der Kampf den Achaiern Schaden bringen, also das, was Zeus zu Beginn beabsichtigt hat. Die dritte Funktion, ,Uneinigkeit, wird in der Lgenbotschaft des Agamemnon an sein Heer zwar nicht thematisiert, durch seine rhetorische Finte aber gleichsam auf die ganze Szene bertragen, da nun scheinbare Uneinigkeit zwischen Heer und Befehlshaber entsteht, die in der Thersites-Szene kulminiert (2.211 – 269). Insgesamt erscheint der zweite Gesang der Ilias gleichsam als Urtypus der ausschließlich von Tuschungen und Wendungen vorangetriebenen Handlung.430 Wie oft gesehen wurde, enthalten die Historien noch eine weitere Szene, die der mythischen Struktur des owkor emeiqor nahe verwandt scheint: es handelt sich um eine Episode des siebten Buches, wo Xerxes wie Agamemnon durch gottgesandte Trume zum Eingreifen motiviert wird (7.8 – 19).431 429 Zu Sinn und Zweck der Heeresprobe sowie deren Scheitern vgl. Brgger/Stoevesandt/Visser 2003 ad Il. 2.73 – 75; 73; 155 – 181. 430 Vgl. Huber 1965, 39: „Erstaunlich homerisch ist jedoch die Struktur der Erzhlung von den Umwegen, die zur griechischen Entscheidung, die Schlacht anzunehmen, fhrten … das Arrangement der Szene [drfte] durch die Erinnerung an die große Flucht der Acher in der Ilias (B) beeinflußt sein: auch sie war ja fast bis zum Lichten der Anker gediehen, als Athene eingriff und dem Odysseus die Flucht aufzuhalten befahl.“ Blçsel 2004, 236 – 241 stellt einen sehr detaillierten Vergleich der herodoteischen Salamis-Szene mit der iliadischen Di\peiqa an; ihn interessiert v. a. die Parallelitt der Figuren, namentlich die des Agamemnon mit Themistokles, ein Vergleich, der klar zugunsten des letzteren ausfllt: „In der Di\peiqa bildet das kluge Wort das entscheidende Instrument, mit dem sowohl die Versuchung als auch die Verhinderung der Abfahrt erwirkt wird, so daß sie wie ein rhetorischer Wettkampf wirkt, in dem das Heer als Schiedsrichter fungiert. Bei Herodot aber macht eine entschlossene Tat die endlosen Wortgefechte zuschanden. In diese Interpretation fgt sich auch die Abfolge von List und Diskussion: in der Ilias gibt die List des Agamemnon den Anstoß zu den Reden, die den Schaden, welchen seine dilettantische Versuchungsrede angerichtet hat, mhsam zu beheben suchen. Vor Salamis ist jedoch die geniale Finte der Themistokleischen Geheimbotschaft erst die Reaktion und letzter Ausweg aus den nutzlosen Debatten der Feldherren“ (240). 431 Vgl. u. a. Macan 1908 zu 7.15; Pohlenz 1937, 118; weiter Immerwahr 1954, 34 – 37, der auch den Unterschied des unklar motivierten herodoteischen da_lym im
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IV. ,Trickstergeschichten: Schelmenfigur und Erzhlstruktur
Auch diese Geschichte enthlt mehrere Wendungen. Zunchst – und da liegt der hauptschliche Unterschied zwischen diesem Beispiel und dem des Themistokles – ist der Empfnger der Lgenbotschaft schon zum Handeln motiviert, bevor er die eigentliche Botschaft erhlt. Die Episode beginnt mit drei langen Reden: derjenigen des Xerxes, in der er seinen Entschluß verkndet, Griechenland anzugreifen (7.8), der Ansprache des Mardonios, der dem Kçnig nach dem Munde redet und dessen Entscheidung untersttzt (7.9), und derjenigen des weisen Beraters Artabanos, der den Kçnig von einer Invasion abzubringen sucht (7.10). Nach anfnglichem Widerstand lßt sich Xerxes berzeugen (7.11 f.). Es findet also bereits eine Wendung statt, bevor die eigentliche Lgenbotschaft transportiert wird. Dies geschieht dann durch einen Traum, der Xerxes zwar nicht explizit militrischen Erfolg verheißt, ihm jedoch befiehlt, seinen Weg so weiterzugehen, wie er tags zuvor beschlossen hatte (¦speq t/r Bl]qgr 1bouke}sao poi]eim, ta}tgm Uhi t_m bd_m, 7.12.2). Dieser Ratschlag entspricht der Lgenbotschaft (Funktion 1). Funktion 2, das Wissen um die Niederlage auf seiten des Senders, ist nicht expliziert; es ist jedoch undenkbar, daß die trumesendende Macht432 den Ausgang des Geschehens nicht kenne und nicht genau darauf hinziele. Funktion 3, die Uneinigkeit der involvierten Parteien, ist schon im Voraus durch die Anfhrung von Fr- und Gegenreden gegeben, whrend Funktion 4, der Glaube an die Lgenbotschaft, Vergleich zu dem klaren Gçtterbefehl bei Homer hervorhebt. Huber 1965, 38 vergleicht bei den beiden Episoden Vokabular (1pist/mai und !popt\shai) und Konstellation (Kçnig und Ratgeber, die er in Agamemnon und Nestor wiedererkennt) und liefert die Deutung der Parallele: „Die Ursache wie die schlimmen Folgen dieses Traumes kannte jeder Hçrer: so beleuchtet das Zitat nicht nur die Blindheit des Xerxes, sondern ist … Vorankndigung des schlimmen Ausganges“ (hnlich Boedeker 2002, 103). Huber verweist allerdings auch auf die zustzliche Vorlage persischer Quellen: „die ganz andere Fortsetzung mit der Traumprobe beweist, daß ihm offenbar durch die 7.12.1 erwhnte persische Quelle der Kern vorgegeben war.“ In der Tat ist eingewendet worden, daß die Traumerzhlungen persischen Ursprungs und fr die Gesamtinterpretation folglich nicht relevant seien; so Legrand 1951, 17 – 23; dagegen Sa d 1981, 22 – 25, die zu Recht bemerkt, daß Herodot eine fr ihn irrelevante Anekdote wohl kaum so ausfhrlich erzhlt htte und ebenfalls auf die homerische Parallele verweist. Gegen die berbewertung der hnlichkeiten ußert sich Dodds 1951, 105 f., der den ,objektiven Traum, der als selbstndige Figur auftritt, nicht nur in der literarischen Tradition verankert sieht, sondern allgemein als verbreitete Vorstellung betrachtet. 432 Artabanos versucht freilich eine modern anmutende, rationalistische Erklrung (vgl. Latacz 1984, 452 f.), lßt sich aber dadurch widerlegen, daß der Traum auch ihm erscheint, als er Xerxes Kleidung trgt und auf dessen Lager schlft.
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nicht sofort eintritt. Xerxes beachtet den Traum erst gar nicht und teilt den Persern sogar mit, er werde Griechenland nicht angreifen (7.13). Der Traum jedoch wiederholt sich – wieder ohne Verheißung des Sieges, aber diesmal mit einer eindeutigen Drohung: Ew mum t|de Ushi, Em peq lμ aqt_ja stqatgkat],r, t\de toi 1n aqt_m !masw^sei· ¢r ja· l]car ja· pokk¹r 1c]meo 1m ak_c\ wq|m\, ovty ja· tapeim¹r ap_sy jat± t\wor 5seai. (7.14) Wisse aber dieses genau: wenn du nicht sofort in den Krieg ziehst, wirst du folgendes davon haben: so groß und mchtig du in kurzer Zeit geworden bist, so niedrig wirst du sehr bald wieder sein.
Xerxes glaubt dem Traum wieder nicht, lßt aber Artabanos rufen, der ihm weiter von dem Feldzug abrt, aber schließlich einwilligt, sich in den Kleidern des Kçnig auf dem Thron zu setzen, um denselben Traum wie Xerxes zu trumen. Dies geschieht auch, und wieder wird kein Sieg verheißen, sondern auch Artabanos erhlt Drohungen: !kk out 1r t¹ let]peita out 1r t¹ paqaut_ja mOm jatapqo@neai !potq]pym t¹ wqe¹m cem]shai. (7.17.2) Aber weder spter noch jetzt wirst du ungestraft bleiben, wenn du das abwenden willst, was geschehen muß.
Erst an diesem Punkt zeigen sich sowohl Xerxes als auch Artabanos berzeugt; Funktion 4, der Glaube an die Lgenbotschaft, ist also durch deren Dreiteiligkeit verzçgert. Die letzte Funktion, eine zustzliche Gçttererscheinung als Hilfe fr die Griechen, wird nicht im selben Zusammenhang referiert, ereignet sich aber whrend der Kmpfe der Griechen mit Xerxes bzw. dem persischen Heer diverse Male – so etwa an der oben bereits behandelten Stelle eingangs der Schlacht von Salamis (8.84), oder beim Eingreifen der delphischen Heroen Phylakos und Autonoos im achten Buch (8.35 – 39).433 Im brigen hat bereits der Traum selbst gçttliche Qualitt, hnlich dem von Zeus gesandten Trugtraum der Ilias. Herodots Erzhlungen von den ,getreuen Verrtern Zopyros und Themistokles weisen beide Gemeinsamkeiten mit der traditionellen ,Sinon-Struktur auf – beide Figuren tuschen berlufertum vor, beide Male wird das Vertrauen der Feinde gewonnen, in beiden Fllen hat die List Erfolg und die Feinde lassen sich zu ihren Ungunsten tuschen. Gleichzeitig folgt die berlufergeschichte des Themistokles vor Salamis auch 433 Vgl. oben 88.
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IV. ,Trickstergeschichten: Schelmenfigur und Erzhlstruktur
der Struktur des iliadischen owkor emeiqor, ebenso wie die Traumepisode des Xerxes. Auch bei dieser Struktur besteht in ihrer Anwendung durch Herodot ein Bezug zur Institution der Alleinherrschaft, die in diesem Fall jedoch durch Betrug ins Wanken gebracht wird: Themistokles vereitelt durch seine Intrige eine monarchische Herrschaft der Perser ber Griechenland, und Xerxes wird durch die verwirrende Traumstruktur zu seinem fatalen Feldzug getrieben, dessen Erfolglosigkeit die Bedrohung der persischen Fremdherrschaft endgltig aufhebt und die Autoritt des Alleinherrschers entscheidend untergrbt. Wichtiger als bei der nur der ,Sinon-Struktur folgenden Zopyros-Episode, deren Sinn wohl vor allem in einer drastischen Zeichnung der orientalischen Monarchie besteht, erscheinen hier jedoch andere narrative Effekte: die zahlreichen Wendungen des Geschicks, welche die Struktur des owkor emeiqor auszeichnen, steigern die Spannung der Erzhlung in erheblichem Maße. Die berraschende Kehrtwendung, das Beinahe-nicht-Geschehen, die Vorstellung, daß alles ,um ein Haar ganz anders gekommen wre, sind entscheidende Momente der Erzhlstrategie und wrden wohl sogar dann zur Mythisierung der Perserkriegsepisoden beitragen, wenn das mythische Vorbild des owkor emeiqor gar nicht belegt wre. Die Verwendung von Folien aus dem troianischen Mythos gerade im Kontext des großen europisch-asiatischen Konflikts der Perserkriege rckt die Erzhlungen von Xerxes und Themistokles außerdem in die Nhe des Epos und deutet durch diese Episierung unverkennbar auf die besondere Bedeutung der Geschehnisse hin: die homerisch-troianische Folie zementiert die universelle und schicksalshafte Billigkeit zeitgençssischen Geschehens.
3. Die ,Freier 3.1 Die List des Dareios (3.84 – 87) Eine der listigsten Figuren der Historien ist der Perserkçnig Dareios, wie sich bereits bei seiner Thronbesteigung deutlich zeigt (3.84 – 87): nach der Absetzung des falschen Smerdis und der berhmten Verfassungsdiskussion, wo zugunsten der Monarchie entschieden wird (3.80 – 83), muß ein Herrscher gewhlt werden. Die sechs Verschwçrer434 stellen zunchst ei434 Das Bndnis der Sieben ist noch vor dem Putsch beschrieben (3.70 f.); der Siebte
3. Die ,Freier
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nige Verhaltensregeln auf, welche die fnf Nichtgewhlten vor einem allzugroßen Ungleichgewicht der Machtverhltnisse bewahren sollen: sie drfen jederzeit den Palast betreten, es sei denn, der Kçnig schlafe gerade mit einer Frau; ferner muß die Ehefrau des Kçnigs aus der Verwandtschaft der Verschwçrer stammen. Was die Wahlmodalitten betrifft, so beschließen sie, vor das Stadttor zu reiten und denjenigen zum Kçnig zu ernennen, dessen Pferd bei Sonnenaufgang als erstes wiehere. Nun bringt Dareios kluger Stallknecht Oibares den Hengst des Dareios durch das Herbeifhren einer Stute dazu, Laut zu geben;435 auf diese Weise wird Dareios Kçnig der Perser.436 Die List ist strenggenommen nicht Dareios eigene; angesichts der sonst vorherrschenden Charakterisierung des Kçnigs als eines schlauen, aber nicht unbedingt ehrlichen Charakters437 berrascht es jedoch nicht, im Bunde, Otanes, verzichtet freiwillig auf das Amt, ,unter der Bedingung, daß ich keinem von euch untertan bin (3.83.2). 435 Herodot referiert hierzu zwei verschiedene Varianten, die sich aber nur in Details unterscheiden (3.85 – 87). 436 Zum mçglichen Ursprung der Geschichte aus einem iranischen Kçnigsritual vgl. Hollmann 2005, 285 und Anm. 13 – 16 mit weiterfhrender Literatur; im Rahmen der vorliegenden Untersuchung interessiert lediglich die Wahrnehmung der Episode durch Herodot und seine Rezipienten. 437 Im Kontext einer ingeniçsen Steuerreform des soeben durch List und Tcke zum Kçnig aufgestiegenen Dareios zitiert Herodot das persische Sprichwort ber den pat^q Kyros, den desp|tgr Kambyses und den j\pgkor Dareios, b l³m fti 1jap^keue p\mta t± pq^clata (3.89.3). Die Bezeichnung als j\pgkor, als ,Krmer, ist keineswegs schmeichelhaft (Brown 1982, 390 sieht die Charakterisierung des Dareios hier gar als einzig negative, da die Bezeichnung fr Kambyses, desp|tgr, ein normaler Terminus fr den ,Herrscher sei. Angesichts des unmittelbaren Vergleichs mit dem pat^q Kyros erscheint dies denn doch zweifelhaft). Der Berufsstand des Krmers gilt durchweg als unseriçs; vgl. Ar. Pl. 1063: japgkij_r 5wei – ein altes Weib wirkt durch Schminke und ,kaufmnnischen Betrug noch halbwegs prsentabel (so auch das Scholion zur Stelle). Auch aus dem bekannten platonischen Vergleich der Sophisten mit den notorisch betrgerischen Hndlern (Prt. 313c-314b), oder aus dem Spott des Nikostrat in seinen PATQIYTAI (fr. 22 PCG VII p. 86) ergibt sich eine durchweg unseriçse Reputation des Berufsstandes j\pgkor. Vor allem der platonische Vergleich unmoralischer ,Weisheitslehrer mit (sozusagen per se) unmoralischen Hndlern setzt sich fort; vgl. Luc. Herm. 59; Lib. ep. 19.12, dann im christlichen Kontext Clem. Alex. Paed. 3.11.78.3 – 79.2. Dareios Ruf als Betrger konstituiert sich weiter aus diversen herodoteischen Erzhlungen ber ihn, zuerst 3.72.4 – 5 in seiner ,sophistischen Rechtfertigung der Lge beim Sturz der Mager: er wertet die Wahrhaftigkeit moralisch ab, indem er behauptet, daß der Wahrhaftige schließlich auch nur einen Zweck verfolge, den er durch die Wahrheit eben besser zu erreichen glaube als durch eine Lge. Die Argumentation wirkt gerade bei einem Perserkçnig amoralisch, weil Herodot an
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IV. ,Trickstergeschichten: Schelmenfigur und Erzhlstruktur
daß er auf den Vorschlag des Stallknechts eingeht, zumal er auch die Statuten des Bndnisses mit seinen Mitverschwçrern zu umgehen scheint. Hiervon berichtet Herodot 3.118 f.: als der Mitverschwçrer Intaphrenes verlangt, in den Palast eingelassen zu werden, wird er von den Wchtern mit der Begrndung abgewiesen, der Kçnig schlafe gerade mit einer Frau. Intaphrenes glaubt dies nicht und schlgt den Wchtern Nase und Ohren ab, worauf die Entstellten dem Kçnig berichten. Dieser wittert Verrat und zitiert die anderen Verschwçrer zu sich. Als er feststellt, daß Intaphrenes im Alleingang gehandelt hat, lßt er ihn mit seiner gesamten (mnnlichen) Familie438 hinrichten, da er einen Aufstand frchtet. Zwar stellt Herodot die Drastik der Maßnahmen gegen den frheren Kampfgenossen nicht explizit als unberechtigt dar: Intaphrenes Tun wird als Verstoß bezeichnet (rbq_samta, 3.118.1), die Auskunft der Wchter mit keinem Wort als Lge charakterisiert. Andererseits wird auch die Vermutung einer Umsturzabsicht des Intaphrenes nicht gesttzt, dessen Motivation als vçllig regelkonform dargestellt ist. Mheke 1r t± basik^ia 1sekh½m wqglat_sashai t` basik]i· ja· c±q dμ ja· b m|lor ovty eWwe, to?si 1pamast÷si t` l\c\ 5sodom eWmai paq± basik]a %meu !cc]kou, Cm lμ cumaij· tucw\m, lisc|lemor basike}r. (3.118.1) Er wollte in den Palast gehen und mit dem Kçnig etwas verhandeln: denn so war ja auch das Gesetz, daß die Verschwçrer gegen den Mager ohne Vermittlung eines Boten Zutritt zum Kçnig haben sollten, wenn der Kçnig nicht gerade mit seiner Frau schlafe.
Wer hier die Regeln außer Kraft setzt, ist nicht ganz eindeutig. Daß sich die Wchter auf die merkwrdige Klausel berufen, die den freien Zutritt zum Kçnig einzig beschrnkt, hlt Intaphrenes, den Charakter des Dareios kennend, fr eine Lge. Herodot ußert sich nicht dazu; es bestehen also zwei Mçglichkeiten: entweder bricht Intaphrenes den Vertrag, der ihm untersagt, den Palast unter den gegebenen Umstnden zu betreten, oder Dareios lgt und bertritt damit seinerseits die Regeln. Zumindest seine Verdchtigung des Intaphrenes mit ihren drastischen Konsequenzen scheint aufgrund des – wenn auch sprlichen – erzhlerischen Kommentars
anderer Stelle betont, Ehrlichkeit sei den Persern das hçchste Gut (1.138). Vgl. ferner die Bestrafung des grausamen persischen Statthalters Oroites (3.127 f.), wo Dareios zum Mittel der Intrige greift und eine Art Motto formuliert, das seiner gesamten Herrschaft vorangestellt werden kçnnte: 5mha c±q sov_gr de?, b_gr 5qcom oqd]m (,Wo man Schlauheit braucht, hat Gewalt nichts zu suchen, 3.127.2). 438 Eine Ausnahme bildet der Bruder der Frau des Intaphrenes; vgl. oben 41.
3. Die ,Freier
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zur Absicht des Intaphrenes (wqglat_sashai) nicht haltbar. Offensichtlich mißachtet Dareios also das Loyalittsbndnis der Mitverschwçrer. Eine naheliegende mythische Parallele zur Thronbesteigung des Dareios mit den genannten Folgen ist der ,Freiereid des troianischen Mythos, die Bewerbung um Helena mit all ihren Konsequenzen. Zwar geht es in der herodoteischen Geschichte nicht um eine Brautwerbung, wohl aber um das Hervorstechen in einer Kandidatenschar, eine Situation, die mit der Freite um Helena drei entscheidende Elemente gemeinsam hat: 1) die Bewerbung mehrerer Kandidaten um eine Position 2) die vorgngige Festlegung von Verhaltensmaßregeln zur Statusbefestigung des Erwhlten und der Ausgeschiedenen 3) das Betrugsmotiv a) in Form der betrgerischen Erlangung der begehrten Position durch einen der Kandidaten b) in Form des Eidbruchs, also der betrgerischen Umgehung der festgesetzten Regeln durch einen der Schwçrenden. Wie zuerst bei Hesiod belegt,439 veranlaßt Helenas Vater Tyndareus, daß die Freier seiner Tochter einen Eid leisten, der den Erwhlten vor eventuellen Repressalien der anderen schtzen soll.440 Hierbei spielt das Element der List eine bedeutende Rolle. Zunchst spielt Hesiod auf einen Betrugsversuch bei der Werbung an: !kk oqj Gm !p\tgr 5qcom paq± Tumdaq_dgisim. Doch galt Tuschung nichts bei den Tyndariden.
Er fhrt fort: 1j d Yh\jgr 1lm÷to iduss/or Reqμ Ur, uR¹r Ka]qtao pok}jqota l^dea eQd~r. d_qa l³m ou pot 5pelpe tamisv}qou eVmeja jo}qgr· Eidee c±q jat± hul¹m fti namh¹r Lem]kaor mij^sei, jt^myi c±q )wai_m v]qtator Gem· (fr. 198.1 – 6 MW) Von Ithaka her freite des Odysseus gottgeweihte Strke, Laertes Sohn, er, der schlaue Gedanken wußte. Geschenke schickte er zu keiner Zeit um den Mdchens willen, der mit den 439 Fr. 196 – 204 MW; vgl. ferner beispielsweise Stesichoros fr. 190 Page/Davies = Schol. A zu Il. 2.339; E. IA 58 – 85; Isoc. 10.40. 440 Bekanntlich beinhaltet die Eidesformel der Freier sogar den Schutz vor Krnkungen, die nicht vom Kreis der Mitbewerber ausgehen, so daß die Entfhrung der Helena durch Paris die brigen Freier zur Teilnahme am Zug gegen Troia verpflichtet.
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IV. ,Trickstergeschichten: Schelmenfigur und Erzhlstruktur
schlanken Fesseln Wußte er doch im Sinn, daß der blonde Menelaos siegen werde, denn an Besitz war er unter den Achaiern der Grçßte.441
Der erste Vers belegt, daß irgendjemand offenbar versucht hat, Helena durch Betrug zu erobern (Funktion 3a) – mçglicherweise Odysseus selbst.442 Ohnehin ist er mit der Geschichte untrennbar verknpft: durch die Heirat mit Helenas Cousine Penelope wird er aus der Schar der Freier schließlich herausgehoben; außerdem bleibt er bisweilen als Initiator des Eides in Erinnerung (z. B. Apollod. 3.10.8 f. = 3.131 f.). In der Fortfhrung der Erzhlung ist das Betrugsmotiv klar an seine Figur gekoppelt: er versucht, sich den Konsequenzen des Eides durch Betrug zu entziehen (3b),443 was angesichts seines Primats beim Schwçren umso skandalçser ist: cuius ipse princeps iurisiurandi fuit, quod omnes scitis, solus neglexit fidem (trag. inc. fr. 55 – 60 Ribb.) Der selbst Erster beim Schwçren war, was ihr alle wißt: er hat allein die Treue gebrochen
heißt es in einem rçmischen Tragikerfragment von Accius oder Pacuvius.444 Da die Bewerbung um Helena im troianischen Mythos vor allem im Hinblick auf den Eid und in letzter Konsequenz auf den Krieg von Bedeutung ist – die ausgeschiedenen Freier mssen Menelaos vor Troia untersttzen, weil sie ihm Treue geschworen haben –, ist hier neben den beiden ersten Funktionen (die Bewerbung mehrerer Kandidaten um eine Position und die vorgngige Festlegung von Verhaltensmaßregeln zur 441 bersetzung: Marg 1970, 487. 442 Der erste Vers kann sich sowohl auf den folgenden Text als auch auf den verlorenen vorangehenden beziehen. Daß die Stelle aber unmittelbar auf Odysseus fhrt, verdeutlicht mindestens im bergang die starke assoziative Zusammengehçrigkeit des Elements der !p\tg mit der Figur des pok}jqota l^dea eQd~r Odysseus. 443 Zuerst angedeutet Od. 24.119; ausgearbeitet wahrscheinlich bereits in Sophokles Odysseus Mainomenos (fr. 462 – 467 Radt TrGF 4, p. 378 f.), wo der vorgetuschte Wahnsinn des Odysseus vermutlich Thema war. Vgl. ferner Schol. zu S. Ph. 1025; Ov. Met. 13.34 – 39; Hyg. Fab. 95; Serv. ad Verg. A. 2.81; Schol. zu Stat. Ach. 1.93 – 94; Tz. ad Lyc. 815. Quint. Smyrn. 5.191 – 194 geht ohne Nennung von Details auf den Versuch des Odysseus ein, dem Feldzug zu entgehen. Cicero Off. 3.97 hlt die Geschichte fr eine Erfindung der Tragiker: nam apud Homerum, optimum auctorem, talis de Ulixe nulla suspicio est, wobei er die Andeutung der Odyssee zu bersehen scheint. Zu weiteren literarischen und (smtlich verlorenen, aber bereits aus dem 5. Jh. v. Chr. datierenden) bildlichen Zeugnissen vgl. LIMC 6 s. v. Odysseus 949, II. A mit 31 f. 444 Zu den verschiedenen Zuschreibungen vgl. Schierl 2006, 139 mit Anm. 39.
3. Die ,Freier
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Statusbefestigung des Erwhlten und der Ausgeschiedenen) vor allem die oben mit 3a bezeichnete Funktion von Bedeutung, der Bruch des Eides, die betrgerische Umgehung der festgesetzten Regeln durch einen der Schwçrenden. Zu diesem Element des Betrugs kommt noch Funktion 3b, der Versuch einer betrgerischen Erlangung der Position hinzu, der aber lediglich durch das Hesiod-Fragment belegt ist. Dareios Thronbesteigung weicht vom ,Freiereid in diversen Punkten ab. Das Betrugsmotiv ist vom Eidbruch (3b) hin tendenziell zur eigentlichen Wahl (3a) verschoben – aber diese Verschiebung ist keine vollstndige. Der Eid zwischen Dareios und Intaphrenes wird auch bei Herodot gebrochen – nur wer von beiden der Betrger ist, bleibt unklar, wie oben ausgefhrt worden ist. Umgekehrt mag im Mythos ein Betrugsversuch auch schon bei der Bewerbung um Helena eine Rolle spielen, worauf das oben 177 f. zitierte Hesiod-Fragment hindeutet. Gerade durch diese Diffusitt aber werden die beiden Erzhlungen einander hnlich, denn die Rollen der Figuren sind ohnehin vertauscht: der Eid dient in den Historien nicht zum Schutz des Erwhlten (Dareios, dem im Mythos Menelaos entspricht), sondern der Ausgeschiedenen (den Verschwçrern, denen im Mythos die brigen Freier entsprechen). Wre Dareios Eidbruch eindeutig, wrde ihn dies zwar mehr in die Nhe der Figur des Odysseus rcken, die hnlichkeit zur mythischen Geschichte jedoch verringern, da es dort der Ausgeschiedene, nicht der Gewhlte ist, der die Abmachung betrgerisch umgeht. Umgekehrt htte der Ausgeschiedene, Intaphrenes, die Position des Odysseus inne, wenn er klaren Eidbruch beginge. Wie die Dinge aber liegen, werden Betrger und Betrogener praktisch austauschbar; am Ende ist nicht mehr zu sagen, wer von beiden den Eidbruch begangen hat. Auch in dieser ,Trickstergeschichte geht es um die Staatsform der Monarchie: um den Erhalt des persischen Thrones. Soeben ist im Zuge der ,Verfassungsdiskussion zugunsten der Monarchie entschieden worden (3.80 – 83), nun wird der Aufstieg eines Kandidaten thematisiert. Hier zeigt sich eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Herodots ,Freiergeschichte und der mythischen Folie, dem ,Freiereid des troianischen Mythos: beide Geschichten weisen deutlich ber sich selbst hinaus; die Wahl eines Kandidaten unter mehreren ist nicht nur in ihrem unmittelbaren Ergebnis von Bedeutung, sondern zeigt vor allem Knftiges an. Ist der Eid unter Helenas Freiern im Mythos vor allem deswegen interessant, weil er letztlich den gemeinsamen Zug gegen Troia zur Folge hat, so geht die Bedeutung der Thronbesteigung des Dareios ebenfalls weit ber die bloße ,Trickster-Anekdote hinaus: gerade im Zusammenhang der vorausge-
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IV. ,Trickstergeschichten: Schelmenfigur und Erzhlstruktur
gangenen Verfassungsdiskussion versinnbildlicht sie vor allem den Erhalt der persischen Monarchie, die fr Griechenland noch so bedeutsam sein wird. Klarer als bei der Sinon-Struktur und dem Muster des owkor emeiqor tritt in der Situation des Kandidatenstreits zutage, wie Listigkeit und Monarchie zusammenhngen: der Aufstieg des ,Tricksters veranschaulicht die Natur dieser fragilen Herrschaftsform, in welcher der einzelne nicht aufgrund seiner Strke, sondern aufgrund seines intellektuellen Vermçgens oder eben durch Betrug ber die Vielen herrscht, denen er physisch stets unterlegen sein muß.
3.2 Hippokleides und die Alkmaioniden (6.126 – 131) Der ,Freiereid des troianischen Mythos ist bisher vor allem als Vorlage einer anderen ,Trickstergeschichte der Historien gesehen worden, als narrative Folie der Brautwerbung um Agariste (6.126 – 131).445 Strukturell gesehen hat diese Geschichte weniger mit dem mythischen ,Freiereid gemein als Dareios Thronbesteigung; dennoch erlaubt sie interessante Rckschlsse auf Herodots Darstellung von ,Tricksterfiguren. An dieser Brautwerbung um Agariste nmlich ist eine der schillerndsten Gestalten der Historien beteiligt, Hippokleides von Athen, dessen unkonventionelles Auftreten in zunchst erstaunlichem Widerspruch zu seiner Marginalitt steht.446 445 Zur Verwandtschaft der Geschichte mit der Freiersituation des troianischen Mythos vgl. schon in der Antike D.Chr. 11.46; in der modernen Forschung zuerst Mller 1824, 164; dann Aly 1921, 159 f., der die Hippokleides-Sequenz allerdings stark abgrenzt („[konnte] in der großen Poesie nicht vorkommen“, 160); spter Griffin 1990, 72 – 76; Scott 2005 zu 6.126.3 und zu 6.128.1; Mller 2006b, 229 mit Anm. 13. 446 Munson 2001, 261 – 265 sieht in Hippokleides unkonventionellem Verhalten eine Parallele zu Herodots unkonventionellem Erzhlstil (unter Verweis auf Chamberlain 1997, 34 – 81, bes. 52 – 65 und Dewald 1987, 151, vor allem aber auf Plu. De Herod. malign., Mor. 867b, wo die Analogie bereits zu finden ist): „The self-referential aspect of Hippoclides seems especially apt when applied to the very context where Hippoclides does his dance, that of Herodotus extravaganza on the topic of the Alcmaeonids … Like Artemisia [vgl. oben Anm. 370], the narrator of the Histories is a free agent. Like Hippoclides, who frees himself from the constraints of the tyrant Cleisthenes, he displays his freedom as a performer vis- vis the political establishment of the leading city (the tyrant city) of his time“ (264). Dies erklrt jedoch nicht die merkwrdige Isoliertheit der Anekdote vom Gesamtkontext der Alkmaioniden-Genealogie, in dem sie referiert wird.
3. Die ,Freier
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Es handelt sich bei ihm um einen der Freier der Agariste, der Tochter des Kleisthenes, Tyrann von Sikyon. Dieser hat alle Bewerber zu sich eingeladen; 6.127 findet sich ein regelrechter Freierkatalog. Bei Hofe sieht sich der potentielle Schwiegervater alle Kandidaten genau an. Bevor er seine Tochter hergibt, legt er vorgngig fest, daß jeder ,Ausgeschiedene ein Talent Silber bekommen wird, Maßnahme, die offensichtlich zur Versçhnung der Erfolglosen und somit zum Schutz des Gewhlten dient. Favorit des Kleisthenes ist der Athener Hippokleides, Sohn des Teisandros. Bei einem Festmahl jedoch ,vertanzt dieser Hippokleides seine Hochzeit (!poqw^sao, 6.129.4); als der offenbar hçchst charismatische Jngling (jat]wym447 pokk¹m to»r %kkour, 6.129.2) zu tanzen beginnt und seine Tnze immer anstçßiger werden – bis hin zu einem Kopfstand auf dem Tisch und gleichzeitigem Strampeln mit den Beinen –, verkndet Kleisthenes çffentlich, er werde ihm seine Tochter nicht geben. Hippokleides antwortet mit einer Lssigkeit, die sprichwçrtlich werden soll: oq vqomt·r Zppojke_d, (6.129.4; etwa: ,Kein Problem fr Hippokleides). Agariste bekommt der Alkmaionide Megakles. An diesem Punkt fllt zunchst ins Auge, daß die Geschichte mit dem mythischen ,Freiereid nur die beiden ersten Funktionen gemeinsam hat, 1. die Bewerbung mehrerer Kandidaten um eine Position und 2. die vorgngige Festlegung von Verhaltensmaßregeln zur Statusbefestigung des Erwhlten und der Ausgeschiedenen. Die dritte Funktion, das Betrugsmotiv, ist nicht vorhanden; es kommen keine ,Tricksterfiguren im Sinne listiger Betrger vor; Hippokleides Handeln ist vor allem hçchst unkonventionell – besonders schlau erscheint er nicht, und Erfolg hat er ebensowenig. Stattdessen wird bei seiner Figur erstmals das anthropologische ,Trickster-Paradigma relevant, das eingangs schon erwhnt worden ist. Geprgt wurde dieses ursprnglich bei der Erforschung der nordamerikanischen Mythologie; 1956 publizierte Paul Radin sein einflußreiches Buch ber die ,Trickster-Mythen der Winnebago. Die groteske, ambivalente Figur des Wakdjunkaga ist permanent damit beschftigt, andere zu berlisten, verfngt sich aber auch stndig in ihren eigenen Netzen oder geht anderen auf den Leim. Wakdjunkagas Handlungsmotivationen sind
447 Vgl. How/Wells 1912 ad loc.: „rather ,holding as with a charm than ,surpassing.“ Zu weiteren Interpretationen vgl. Scott 2005 zu 6.129.2.
182
IV. ,Trickstergeschichten: Schelmenfigur und Erzhlstruktur
einfach – fast immer dreht sich sein Begehren um Essen, bisweilen um Sex –, und er kennt weder Gut noch Bçse.448 In der griechischen Literaturwissenschaft ist das Paradigma breit rezipiert worden.449 Schon in einem Anhang zu Radins Buch reflektiert Karl Kernyi ber vergleichbare Figuren im griechischen Mythos und weist vor allem auf das Doppelwesen Prometheus-Epimetheus hin, das Klugheit einerseits und zu sptes Erkennen andererseits in den Namen seiner beiden Hlften trgt. Auch Hermes ist nach Kernyi eine ,Tricksterfigur – Kernyi stellt ihm jedoch einen ,unheroischen Herakles zur Seite, „plus everything in Heracles that binds him to the joys and sorrows of life“ (1956, 186). Dieser herkulische Hermes entspricht dem Winnebago-,Trickster in hnlicher Weise wie das Brderpaar Prometheus-Epimetheus. Weiter scheint auch der als Herakles kostmierte Dionysos in Aristophanes Frçschen von derselben Art zu sein, zumal er in der Komçdie ber den auch bei den Winnebago offenbar sehr beliebten ,Fkalhumor charakterisiert ist (Ran. 308). In Kernyis zurckhaltender Untersuchung zeigen sich sofort die Gefahren einer Anwendung des ,Trickster-Paradigmas auf den griechischen Mythos. Keiner der griechischen Heroen entspricht den Winnebago,Trickstern in Gnze; es mssen mindestens zwei Figuren kombiniert werden, und auch dann ist die hnlichkeit keine vollkommene. Nichtsdestotrotz sind immer wieder weitere Gemeinsamkeiten gesucht, gefunden und nutzbringend interpretiert worden.450 Mit dem anthropologischen Paradigma des ,Tricksters haben die bisher untersuchten ,Tricksterfiguren der Historien wenig gemein. Sicherlich besitzen Dareios, Zopyros und Themistokles die Listigkeit und 448 Verwandt ist die ebenfalls aus dem Winnebago-Mythos stammende Figur des Hasen, der mehr als Wakdjunkaga auch als Grnderheros im Interesse der Menschheit ttig wird; ferner ist auch die Figur des Azande-,Tricksters zu nennen; vgl. Evans-Pritchard 1967. Vgl. ferner Apte 1985 mit einigen interkulturellen Beispielen. 449 Vgl. den berblick bei Bierl 2007b, 37 f. 450 So findet Brelich 1958 Zge des ,Tricksters bei verschiedenen griechischen Heroen, etwa Orion (76 f.); Girard 1982, 121 – 126 entdeckt Zge des ,Tricksters an der mythischen Figur des Kadmos; Burkert 1984 interpretiert den Hermes des homerischen Hymnos als „,trickster fondatore“. Der Lgenerzhler und Listenschmied Odysseus wird hufig als ,Tricksterfigur bezeichnet; vgl. jngst Maiullari 2004, 210 – 217; Van Nortwick 2009, 83 – 97. Schließlich ist auch der groteske Held der griechischen Komçdie mit dem ,Trickster in Zusammenhang gebracht worden; vgl. Brelich 1975, 114 – 117; Zannini Quirini 1987, 19; Riu 1999, 243 – 245.
3. Die ,Freier
183
teilweise auch das unkonventionelle Auftreten eines Wakdjunkaga. Daß die „picaresque novel“ – so nennt Kernyi den Geschichtentypus um die Figur eines ganz allgemein gezeichneten ,Schelms oder ,Halunken oder eben eines spanischen picaro (1956, 175) – interkulturell und in hçchst allgemeiner Weise verbreitet ist, sei unbestritten. Im Gegensatz zu den herodoteischen Figuren aber ist Wakdjunkaga auch ein Tçlpel, ein Narr, der ber seine eigenen Listen stolpert und sehr hufig berlistet wird. Schon Kernyi konnte diese Kombination aus List und Dummheit im griechischen Denken nur durch Kombination zweier Figuren finden – mçgen diese auch zusammengehçren wie Prometheus und Epimetheus.451 Erst im Falle des Hippokleides haben wir es bei Herodot mit einem ,Trickster zu tun, der scheitert 452 – und der dazu noch die Obszçnitt und Lcherlichkeit an den Tag legt, die das anthropologische Paradigma voraussetzt, die jedoch bei den meisten listigen Figuren Herodots in keiner Weise gegeben sind. Eine weitere Aufflligkeit bei der Geschichte des ,Tricksters Hippokleides ist, daß diese eigentlich gar nicht seine eigene ist. Herodot referiert die Anekdote nicht im Zuge einer nheren Beschftigung mit Hippokleides, sondern im Kontext der Familiengeschichte des erfolgreichen Freiers Megakles aus dem Haus der Alkmaioniden, und zwar explizit – er schließt den Bericht mit der Feststellung: )lv· l³m jq_sior t_m lmgst^qym tosaOta 1c]meto, ja· ovty )kjleym_dai 1b~shgsam !m± tμm :kk\da (6.131.1). Soviel zur Freierwahl – und so wurde der Ruhm der Alkmaioniden in ganz Griechenland laut.
Es folgt die Genealogie der weiteren Familienmitglieder von Megakles bis hin zu Perikles.453 Wieso es gerade die Alkmaioniden sind, die durch diese Episode berhmt werden, und nicht Hippokleides, leuchtet nur dann ein, wenn man 451 Kernyis Versuch, auch Prometheus Dummheit zuzuweisen, bleibt halbherzig: „Prometheus has affinities with the trickster because the cunning he practises on Zeus overreaches itself and turns into stupidity“; im Nachsatz weist er dann doch wieder auf die ,andere Hlfte des Prometheus hin: „personified by his own brother, Epimetheus“ (1956, 180). 452 Auch das humorvolle Hinnehmen des eigenen Scheiterns – ,oq vqomt·r Zppojke_d,, 6.129.4 – gehçrt zum anthropologischen ,Trickster-Paradigma; vgl. z. B. die Winnebago-Episode 16 (Radin 1956, 19 f.). 453 Zu den komplexen Traditionen dieser Familiengeschichte vgl. Thomas 1989, 144 – 153 und 238 – 288 mit ausfhrlicher Forschungsdiskussion.
184
IV. ,Trickstergeschichten: Schelmenfigur und Erzhlstruktur
sich einige Kapitel zurckerinnert: 6.126.1 hatte Herodot die Geschichte damit eingeleitet, daß Kleisthenes, Tyrann von Sikyon, dem Haus der Alkmaioniden zu grçßerem Ruhm in Griechenland verholfen habe. In der sich anschließenden Erzhlung jedoch bleibt Megakles, der Gewinner der Braut, ußerst blaß und tut sich in keiner Weise hervor. Die Vergabe der ,Tricksterposition an eine nicht der Familie der Alkmaioniden zugehçrige Figur ist vor allem deswegen irritierend, weil gerade die Alkmaioniden bei Herodot oft als listig und bermtig charakterisiert sind, oft aber auch die lcherlichen Zge des anthropologischen ,Trickster-Paradigmas tragen.454 So findet sich in den Historien eine ,Trickstergeschichte ber den Vater des Brutigams, Alkmaion (6.125): aus Dankbarkeit fr die Untersttzung seiner Boten in Delphi habe der Lyderkçnig Kroisos den Alkmaion einst nach Sardes kommen lassen und ihm soviel Gold versprochen, wie er an seinem Kçrper wegtragen kçnne. Die komçdienhafte Erzhlung wird von Herodot breit ausgefhrt: b d³ )kjl]ym pq¹r tμm dyqe^m 1oOsam toia}tgm toi\de 1pitgde}sar pqos]veqe· 1md»r jih_ma l]cam ja· j|kpom bah»m jatakip|lemor toO jih_mor joh|qmour, to»r evqisje eqqut\tour 1|mtar, rpodgs\lemor ×e 1r t¹m hgsauq¹m, 1r t|m oR jatgc]omto. 1spes½m d³ 1r syq¹m x^clator pq_ta l³m paq]sane paq± t±r jm^lar toO wqusoO, fsom 1w~qeom oR j|hoqmoi, let± d³ t¹m j|kpom p\mta pkgs\lemor toO wqusoO ja· 1r t±r tq_war t/r jevak/r diap\sar toO x^clator ja· %kko kab½m 1r t¹ st|la 1n0e 1j toO hgsauqoO 6kjym l³m l|cir to»r joh|qmour, pamt· d] te\ oQj½r l÷kkom C !mhq~p\, toO t| te st|la 1b]busto ja· p\mta 1n~cjyto. Qd|mta d³ t¹m Jqo?som c]kyr 1s/khe, ja_ oR p\mta te 1je?ma dido? ja· pq¹r 2t]qois_ lim dyq]etai oqj 1k\ssosi 1je_mym. ovty l³m 1pko}tgse B oQj_g avtg lec\kyr, ja· b )kjl]ym oxtor ovty tehqippotqov^sar ik}lpia !maiq]etai (6.125.3 – 5). Alkmaion aber sah zu, daß er zustzlich zu dem Geschenk, so groß es war, noch folgendes wegtrug: er legte einen großen Kithon an und ließ darin einen tiefen Bausch aus, zog die weitesten Stiefel an, die er finden konnte, und ging 454 Zu Herodots durchaus kritischen Perspektive auf die Alkmaioniden vgl. etwa Strasburger 1955, 15 – 18, Develin 1985 und Thomas 1989, 144 – 153 und 238 – 288; letztere wendet sich gegen die in der Forschung lange vorherrschende These einer Dichotomie der beiden Traditionen, daß entweder die Alkmaioniden die Tyrannen aus Athen vertrieben htten oder der Peisistratide Hipparchos von Harmodios und Aristogeiton getçtet worden sei. Im 5. Jahrhundert weist sie ein komplexes Nebeneinander mehrerer verschiedener, mndlich berlieferter Versionen nach; lediglich bei Herodot (6.123.2) werden die beiden Mçglichkeiten als einzige Alternativen prsentiert. Daneben liefert Herodot jedoch auch „awkward and non-Alcmaeonid confirmation of the Alcmaeonid claim to have liberated Athens“ (249), namentlich die Bestechung der Pythia (vgl. das Folgende und unten Anm. 459).
3. Die ,Freier
185
in die Schatzkammer, in die man ihn fhrte. Er strzte sich auf einen Haufen Goldstaub, und zuerst stopfte er um die Schienbeine soviel Gold, wie die Stiefel zuließen, dann fllte er seinen Bausch ganz mit Gold, streute sich Goldstaub in die Haare, nahm weiteres in den Mund und ging aus der Schatzkammer heraus, kaum mehr die Stiefel schleppend und allem hnlicher als einem Menschen: sein Mund war vollgestopft und alles angeschwollen. Als Kroisos ihn sah, brach er in Gelchter aus, und er gab ihm all jenes, und dazu schenkte er ihm noch anderes, was auch nicht weniger war. So wurde die ganze Familie sehr reich, und Alkmaion konnte so ein Viergespann halten und einen Sieg in Olympia erringen.
Alkmaion ist hier als gieriger und lcherlicher ,Trickster dargestellt, als Komçdiengeschçpf, ber das Kroisos lachen muß, „ethical opposite of Solon on a similar occasion“ (Munson 2001, 263). Gerade durch die Verbindung mit dem Herrschergeschlecht von Sikyon scheint diese Mentalitt der Alkmaioniden zementiert zu werden, denn auch Agaristes Vater Kleisthenes hat ,tricksterhafte Zge. Als Herodot ber die Reformen von dessen gleichnamigem Enkel berichtet, der die bisher vier athenischen Stmme in zehn Phylen einteilt und neu benennt (5.66 f.), weist er darauf hin, daß der Großvater Kleisthenes das Vorbild fr diese Maßnahmen abgegeben habe (5.67.1). Dieser Vater der Agariste wird hier als ußerst listig charakterisiert: Herodot berichtet, daß er whrend seines Krieges mit den Argivern versucht habe, alle argivischen Elemente in Sikyon zu tilgen – etwa durch das Verbot, homerische Epen zu rezitieren (5.67). Vor allem will Kleisthenes den argivischen Heros Adrastos loswerden, dessen Heiligtum auf der Agora mit Opfern, Festen und tragischen Chçren geehrt wird. Als das delphische Orakel ihm bei der Ausweisung des Adrastos keine Untersttzung gewhrt, nimmt er die Sache selbst in die Hand: er berfhrt den thebanischen Heros Melanippos nach Sikyon, der traditionell als mit Adrastos verfeindet gilt, errichtet ihm eine Kultsttte und zieht alle Ehren von Adrastos ab; die Opfer und Feste werden von nun an zu Melanippos Ehren abgehalten, die tragischen Chçre bekommt Dionysos ,zurck. Ist diese List noch propagandistisch wertvoll, so zeigt die nchste Episode, die fr die Reform des Enkels Pate gestanden hat, einen eher ,tricksterartigen bermut: er benennt die dorischen Stmme um, damit keine Namensgleichheit mit den Argivern besteht, tut dies aber – nach Herodots Auffassung455 – auf denkbar alberne und undiplomatische Weise:
455 Vgl. Mller 2006b, 273 f. mit Anm. 164: „In Wirklichkeit handelte es sich um einen Akt selbstbewußter Identittsvergewisserung der lndlichen Bevçlkerung, was
186
IV. ,Trickstergeschichten: Schelmenfigur und Erzhlstruktur
5mha ja· pke?stom jatec]kase t_m Sijuym_ym, 1p· c±q r|r te ja· emou t±r 1pymul_ar letatihe·r aqt± t± tekeuta?a 1p]hgje pkμm t/r 2yutoO vuk/r· ta}t, d³ t¹ oumola !p¹ t/r 2yutoO !qw/r 5heto. oxtoi l³m dμ )qw]kaoi 1jak]omto, 6teqoi d³ z÷tai, %kkoi d³ ime÷tai, 6teqoi d³ Woiqe÷tai. (5.68.1) Am meisten aber machte er sich ber die Sikyonier lustig: er setzte nmlich die Namen von Schwein und Esel fest und fgte gerade einmal Endungen hinzu, außer bei seiner eigenen Phyle: der gab er den Namen nach seiner eigenen Herrschaft. So nun hießen diese ,Herrschaftsvolk, die anderen aber ,Schweiner, wieder andere ,Eseler und ,Ferkeler.
Dies also ist der Brautvater, der den Hippokleides zurckgewiesen und den Alkmaioniden Megakles akzeptiert hat. Megakles selbst ist nicht lcherlich, aber durchaus zwielichtig. Bereits 1.59 – 61 hat Herodot die Verstrickungen des Alkmaioniden mit Peisistratos geschildert: um sich gegen seinen Rivalen Lykurgos durchzusetzen, hatte Megakles dem Peisistratos geholfen, mit Hilfe einer als Athene verkleideten Frau als Tyrann in die Stadt zurckzukehren, und ihm seine Tochter zur Frau gegeben (1.60 f.). Peisistratos aber ist ebenfalls mit allen Wassern gewaschen: aus verschiedenen Grnden456 will er die Verbindung nicht und verkehrt mit seiner Frau oq jat± m|lom (1.61.1); als dies ans Tageslicht kommt, bricht Megakles mit Peisistratos. Wie bei der Brautwerbung ist neben Megakles auch hier eine weitere ,Tricksterfigur im Spiel. Oben ist bereits konstatiert worden, daß es sich beim ,Trickster um eine Figur handelt, die andere berlistet, die aber auch berlistet wird. Die Interaktion mit anderen listigen Figuren ist typisch fr das anthopologische ,Trickster-Paradigma. Bei der Charakterisierung einer listigen Figur ergibt dieses Interagieren auch in erzhllogischer Hinsicht Sinn: wo ein Betrger ist, muß es einen Betrogenen geben, und die Erzhlung gewinnt an Spannung und Dynamik, wenn es sich bei dem Betrogenen selbst um einen ,Trickster oder eine listige Figur handelt. Bei Hippokleides ist es bezeichnend, daß er bei der Brautwerbung einem Rivalen unterliegt, der aus einer namhaften Dynastie ,tricksterartiger Figuren stammt. Immerhin ist es reines ,Trickstertum, das die Alkmaioniden erst reich macht; und ber drei Familienmitglieder werden
indirekt durch die Beibehaltung der Namen nach dem Tod des Kleisthenes besttigt wird“ (273 f.). 456 Vgl. Asheri 1988 ad loc.
3. Die ,Freier
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Geschichten erzhlt, in denen sie Unkonventionelles, Lcherliches oder Illegales tun.457 Das Element des Betruges ist in Herodots eigentlicher Erzhlung der Brautwerbung um Agariste nicht vorhanden. Wir erfahren lediglich von einem ,Trickster, Hippokleides, der von einem Rivalen verdrngt wird. Dieser Rivale wird in der Erzhlung selbst nicht als listig, lcherlich oder in irgendeiner Weise ,tricksterhaft charakterisiert. Vielmehr funktioniert die Geschichte deswegen, weil der Rezipient den Ruf der Alkmaioniden schon kennt. Daß ein Mitglied dieser Familie ber den ,Trickster Hippokleides triumphiert, wirkt auf einen Kenner des Geschlechts beraus einleuchtend. Wenn es die Alkmaioniden sind, die durch Tat und Ausspruch des Hippokleides berhmt werden, dann eben, weil die Erzhlung so gut zu den anderen Geschichten paßt, die ber die Familie kursieren. ,Trickster pflegen mit anderen ,Trickstern zu interagieren, und wie Megakles und Peisistratos einander zu berlisten suchten, so hat auch bei der Brautwerbung um die Tochter eines ,Tricksters ein ,Trickster mit einem anderen rivalisiert – als Sieger ist der Sproß eines ,Trickstergeschlechts hervorgegangen.458 Hier ist die Freiersituation natrlich ideal: unter einer ganzen Schar von Kandidaten hat der ,Trickster am ehesten die Chance, positiv oder negativ aufzufallen. Daß er hierbei nicht notwendigerweise gewinnt, spielt keine Rolle. Es ist kein Zufall, daß auch der listigste griechische Heros sich in seiner Biographie zweimal in einer Gruppe von Freiern wiederfindet – Odysseus. 457 Vgl. Dewald 2006, 150 – 152, die dem Alkmaioniden-Logos „a distinctive regional or ethnic brand of humour“ attestiert (152). 458 Hierzu paßt auch eine weitere mythische Erzhlung, die neben der Freiersituation des troianischen Mythos ebenfalls als Folie der herodoteischen Brautwerbung denkbar ist: die Werbung des Pelops um Oinomaos Tochter Hippodameia. Hierauf deutet v. a. die Tatsache, daß Kleisthenes in Olympia beim Wagenrennen gesiegt hat, wie Herodot eingangs erwhnt (6.126.2): der mythische Oinomaos wetteifert mit den Freiern seiner Tochter im Wagenrennen; Pelops berlistet Oinomaos mit Hilfe seines listigen Wagenlenkers Myrtilos, der den Wagen des Oinomaos sabotiert (Hes. fr. 259 MW; Pi. O. 1.67 – 89; Pherecyd. FGrHist 3, fr. 37b Jacoby; Apollod. Ep. 2.9 = Ep. 2.3 – 9; Hyg. Fab. 84; D. S. 4.73; A. R. 1.752 – 758; bei Hesiod, Pindar, Pherecydes und Apollonios Rhodios ist das Element des Betruges nicht explizit erwhnt; bei den beiden letzteren kommt Myrtilos allerdings vor. Dieser ist der Sohn des griechischen ,Trickstergottes Hermes (z. B. Paus. 8.14.10). Auch hier interagiert der erfolgreiche Freier also mit einem weiteren Listigen. – Zu einer weiteren Parallele der herodoteischen Brautwerbung in einer indischen Tierfabel vgl. Mller 2006b, 264 – 266.
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IV. ,Trickstergeschichten: Schelmenfigur und Erzhlstruktur
Das Geschlecht der Alkmaioniden ist wieder mit der Institution der Monarchie verbunden, auch abgesehen von dem ,Trickster-Wettbewerb des Megakles mit dem Tyrannen Peisistratos. So spielt die Familie in der Schlacht von Marathon eine ußerst undurchsichtige Rolle. Herodot reflektiert ber den Vorwurf, die Alkmaioniden htten dem Feind mit einem emporgehobenen Schild das Zeichen gegeben, um Sounion herumzusegeln, damit die siegreichen Perser den Tyrannen Hippias nach Athen zurckfhren sollten (6.115; 6.121; 6.123). Wie so oft ußert sich Herodot nur scheinbar eindeutig. Zunchst weist er die Geschichte zurck: die Anschuldigung sei fr ihn verwunderlich und er kçnne sie nicht akzeptieren (H_la d] loi ja· oqj 1md]jolai t¹m k|com, 6.121.1), weil die Alkmaioniden grundstzlich lisot}qammoi seien (6.121.1; 6.123.1). Die erste Formulierung wird gar wiederholt und der Vorwurf zustzlich als Verleumdung bezeichnet (h_la §m loi ja· oq pqos_elai tμm diabok^m, 6.123.1). Dann verweist Herodot auf die von ihm frher (5.62 – 65) berichtete Bestechung der Pythia durch die aus Athen verbannten Alkmaioniden, die allen Spartanern verknden sollte, sie mßten Athen von der Tyrannenherrschaft befreien – was schließlich zur Folge gehabt habe, daß Kleomenes den Tyrannen Hippias aus Athen vertrieb; umso weniger ist es natrlich glaubhaft, daß die Alkmaioniden die Tyrannis nun zurckhaben wollten. Wie so oft, fhrt Herodot trotz dieser seiner Argumentation auch die Gegenargumente an: !kk± c±q Usyr ti 1pilelv|lemoi )hgma_ym t` d^l\ pqoed_dosam tμm patq_da. oq l³m §m Gs\m sveym %kkoi dojil~teqoi 5m ce )hgma_oisi %mdqer, oqd oT l÷kkom 1tetil]ato. ovty oqd³ k|cor aRq]ei !madewh/mai 5j ce #m to}tym !sp_da 1p· toio}t\ k|c\7 !med]whg l³m c±q !sp_r, ja· toOto oqj 5sti %kkyr eQpe?m, 1c]meto c\q· dr l]mtoi Gm b !mad]nar, oqj 5wy pqosyt]qy eQpe?m to}tym (6.124.1 f.). Aber vielleicht hatten sie am Volk der Athener irgendetwas auszusetzen und verrieten deswegen das Vaterland. Nun gab es in Athen keine Leute, die angesehener gewesen wren als sie oder mehr geehrt worden wren: und so berzeugt die Geschichte nicht, daß bei diesen Leuten ein Schild hochgehoben worden sei. Denn es wurde ein Schild hochgehoben, und das kann man nicht anders sagen: es ist nmlich geschehen; wer es freilich war, der es hochgehoben hat, darber kann ich nichts weiteres sagen.
Was die Alkmaioniden wirklich getan haben, bleibt im Dunkeln. Sicher ist, daß sie betrogen haben – entweder durch die aus Herodots Sicht verwerfliche Bestechung der Pythia459 oder durch den Verrat an der Heimat
459 Es handelt sich hier um kein geringes Vergehen, wie man am Beispiel des
4. ,Trickster bei Herodot
189
und die heimliche Verbrderung mit den Persern. Hinzu kommt, daß die Familie nicht durchgehend als lisot}qammoi geschildert worden ist. Ihr Geld haben sie von einem Lyderkçnig, ihr Ruhm basiert unter anderem auf der Einheirat in die Tyrannenfamilie des Kleisthenes von Sikyon, wo sich Megakles gegen Hippokleides durchgesetzt hat.460 Ging es bei Dareios Thronbesteigung um den Erhalt der persischen Alleinherrschaft, so ist auch das ambivalente Verhltnis der Alkmaioniden zur Tyrannis Herodot beraus wichtig und scheint in der Freiergeschichte um die Tochter des Tyrannen von Sikyon ebenfalls mitgedacht.
4. ,Trickster bei Herodot Bei Herodots ,Trickstergeschichten handelt es sich in der Regel um das, was Kernyi als „picaresque novels“ bezeichnet, in denen es vor allem um List, allenfalls um eine gewisse Unkonventionalitt geht. Anders die Erzhlungen um die lcherlichen Figuren des Hippokleides und der Alkmaioniden: hier spielt neben – durchaus vorkommender – Listigkeit auch die tçlpelhafte Komik des anthropologischen Paradigmas eine Rolle. Trotzdem haben alle in diesem Kapitel untersuchten ,Trickster-Erzhlungen Gemeinsamkeiten. Zum einen haben sie alle mit der Thematik der Alleinherrschaft zu tun; ferner zeichnen sich die Figuren smtlich durch eine gewisse Austauschbarkeit aus; schließlich weisen sie alle eine Art Paradoxie der Persçnlichkeit auf. Zunchst zum ersten Punkt: der Thematik der Monarchie. Die fr den ,Trickster typische agonale Situation liegt in allen hier untersuchten Geschichten vor: beim Typus des ,Freiereides geht es um das bertrumpfen der Mitkandidaten, bei der ,Sinon-Struktur und beim owkor emeiqor um das berlisten der Feinde. Das agonale Prinzip ist der Kern jeder List, aber auch der Alleinherrschaft; so sind denn auch alle hier behandelten ,Trickster-Geschichten an die Thematik der Monarchie gebunden (anders als in den homerischen Epen, wo die Situation der Monarchie nicht vorliegt): Dareios wird unter den Kandidaten zum Kçnig gewhlt; der lisot}qammor Megakles, der mit Peisistratos paktiert und gestritten hat, stammt aus der Familie der Alkmaioniden, von denen niemand weiß, ob sie Kleomenes oben in Kapitel III.1 gesehen hat; auch in der Antike wurde Herodots Referieren der Bestechungsgeschichte als diabok^ aufgefaßt; vgl. Plu. De Herod. malign., Mor. 860d. 460 Vgl. Thomas 1989, 268.
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IV. ,Trickstergeschichten: Schelmenfigur und Erzhlstruktur
wirklich die Tyrannen vertrieben oder nicht doch in der Schlacht von Marathon ein Schild hochgehalten haben; er heiratet die Tochter des Tyrannen von Sikyon. Zopyros weist in seiner List eine fr griechische Rezipienten schockierende Brutalitt gegenber sich selbst und den geopferten Soldaten auf und belegt damit zwei Klischees der persischen Mentalitt: die durch die Staatsform der Monarchie bedingte Herrschertreue bis zur Selbstaufgabe einerseits,461 drastische Grausamkeit andererseits.462 Dadurch verhilft er Dareios zur Herrschaft ber Babylon. Peisis461 Der politische Gegensatz zwischen griechischer Demokratie und barbarischer Monarchie ist in den Historien von enormer Bedeutung; vgl. Gelzer 1973, der u. a. damit argumentiert, daß der Bericht von der Feindschaft zwischen Griechen und Barbaren mit der Unterwerfung der Griechen durch Kroisos eingelutet wird: ,vor der Herrschaft des Kroisos waren alle Griechen frei (pq¹ d³ t/r Jqo_sou !qw/r p\mter þkkgmer Gsam 1ke}heqoi, 1.6.3). Vgl. weiter Hartog 1980, 328 – 345. Auch Hall 1989, 58 f. sieht die Darstellung der Herrschaftsform in der gesamten griechischen Literatur als entscheidendste Abgrenzung von Griechen und Barbaren an; so werde der griechische Sieg ber die Perser nicht nur als Triumph der griechischen Kultur ber auswrtige Feinde gesehen, „but over the demon of tyranny“ (59); hnlich bereits Snell 1928, 74. Wie Aischylos in den Persern verwendet auch Herodot das drastische Bild des Jochs, das die Perser den Griechen auferlegen wollen, und zwar in derselben Formulierung do}kiom fuc|m (Pers. 50; Hdt. 7.8.c.3). Das stndige Bewußtmachen sowohl des persischen ,Kollektivs, in dem der Einzelne nichts gilt, als auch der Ungleichheit unter den Persern reicht laut Herodot bis in ihre Gebets- und Gemeinschaftsrituale hinein. So ist es einem Perser untersagt, fr sich alleine zu opfern und zu beten – er muß das ganze Volk und den Kçnig miteinbeziehen (1.132.2); und bei jeder Begegnung zweier Brger werden hierarchische Unterschiede demonstriert, unter anderem durch den von den Griechen als so unwrdig empfundenen (vgl. 7.136.1) Fußfall (1.134.1). Der Untertan ist fr den Despoten Mittel zum Zweck; vgl. oben Anm. 412. Ein Volk mehrt durch seine Taten lediglich den Ruhm seines Herrschers. So rt Artemisia Xerxes nach der Schlacht von Salamis, Mardonios in Griechenland weiterkmpfen zu lassen (8.102 – 103): wenn er Erfolg habe, sei dies Xerxes Verdienst: ,dein Werk, Herr, wird es: denn deine Sklaven haben es vollbracht (s¹m t¹ 5qcom, § d]spota, c_metai· oR c±q so· doOkoi jateqc\samto ; 8.102.2); im umgekehrten Fall sei einzig Xerxes berleben entscheidend. – Einseitig ist Herodots Perspektive auf die Monarchie freilich nicht; vgl. etwa das Lob der gerechten persischen Justiz (1.137), der Institution der Satrapie (1.192.2), der vernnftigen Anordnungen des Statthalters von Sardes, Artaphrenes (6.42), der kçniglichen Erscheinung des Xerxes (7.187.2), bzw. umgekehrt die ungeschçnte Darstellung der demokratischen Uneinigkeit auf seiten der Griechen (z. B. 8.74; vgl. Gelzer 1973, 45 – 47). 462 Vgl. zu den drakonischen Strafen der barbarischen Kçnige (auch abgesehen von den Wahnsinnstaten eines Kambyses, bes. 3.29 – 38) etwa 1.92.4; 3.132; 4.84; 7.35.3; 7.39. Neben ,ungriechischen Hinrichtungsmethoden wie der Kreuzigung (3.125.3; zum Sonderfall des Artay¨ktes vgl. unten Anm. 743) ist gerade eine Verstmmelung, wie sie Zopyros an sich selbst vollzieht, dem griechischen Re-
4. ,Trickster bei Herodot
191
tratos putscht sich durch sein angebliches berlufertum an die Alleinherrschaft. Bei der Struktur des owkor emeiqor wird die Alleinherrschaft durch Betrug ins Wanken gebracht: Xerxes wird durch den Trugtraum zu seinem griechischen Desaster getrieben; der intrigante Themistokles verhindert ein monarchisch fremdbeherrschtes Griechenland. Wie oben gesagt, erstaunt es nicht, daß die Struktur des Betrgens so hufig im Kontext der Alleinherrschaft auftritt. Zum einen ist der Monarch selbst listig, indem er sich von den anderen abhebt und diese bertrumpft. Zum anderen kann er, einmal an der Macht, nur durch List besiegt werden – anderes ist in einer rigiden Monarchie nicht denkbar. Der ,Trickster sticht durch List unter den anderen hervor; der Tyrann herrscht als Einzelner ber die Masse. Daß das Geringe das Große bewegt, stellt an sich eine Umkehrung dar, die Aristoteles in der Kreisform symbolisiert sieht: durch Mechanik ,herrscht das Geringere ber das Grçßere und Dinge mit geringem Gewicht bewegen Schweres, Großes (t\ te 1k\ttoma jqate? t_m leif|mym, ja· t± Nopμm 5womta lijq±m jime? b\qg lec\ka); alle Balance – Bedingung der mechanischen Hebelwirkung, die das Kleine das Große bewegen lßt – hat Beziehung zum Kreis (t± l³m owm peq· t¹m fuc¹m cim|lema eQr t¹m j}jkom !m\cetai, Mech. 847a), der sich gleichzeitig in zwei Richtungen bewegt und dennoch stillsteht: ein mechanisches ,Urwunder. Diese Eigenschaften der Kreisform bringen Detienne und Vernant in ihrer Untersuchung der griechischen l/tir mit der griechischen Vorstellung von Intelligenz an sich in Zusammenhang: sie sehen deren hauptschliche Kennzeichen in einer Art ,Gekrmmtheit, „souplesse et polymorphie, duplicit et quivoque, inversion et retournement“, Eigenschaften des ,Ungeraden, ,Gebogenen, ,Verdrehten, „loblique et … lambigu, par opposition au droit, au direct au rigide et
lunivoque“:
zipienten besonders fremd; vgl. Hall 1989, 159. Zu den barbarischen Kriegsverbrechen vgl. die Menschenjagd bei der Einnahme der Inseln vor dem asiatischen Festland (1jhgqe}omter to»r !mhq~pour, 6.31.2), die Massenvergewaltigungen der phokischen Frauen (8.32 f.) und die Gefangennahme eines griechischen Trosses (!veid]yr 1v|meuom oq veid|lemoi oute rpofuc_ou oqdem¹r oute !mhq~pou, 9.39.2). Auch hier gibt es Gegenbeispiele (vgl. die vorhergehende Anm.), etwa Dareios versuchte Schonung der Samier (3.147), seine verhltnismßig milde Behandlung der Milesier (6.20; vgl. 6.119), die Begnadigung von Sperthias und Bulis durch Xerxes (7.146.3), die Pflege des Kriegsgefangenen Pythes auf persischer Seite (7.181). Das grundstzliche Vorhandensein des Grausamkeits-Stereotyps lßt sich jedoch nicht leugnen.
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IV. ,Trickstergeschichten: Schelmenfigur und Erzhlstruktur
Ces mÞmes valeurs sexpriment dans lemploi quasi systmatique dun vocabulaire du courbe pour qualifier la l/tir : non seulement !cjuk|lgtir, mais un adjectif comme sjoki|r, les composs de la racine *gu, marquant la courbure, par exemple lpithte !lvicu^eir, dsignant un Þtre aux pieds retourns ou susceptibles de se dplacer la fois en avant et en arrire, la racine *kamp- sappliquant ce qui est courbe, pliable, articul. (1974, 55)463
Dieses Gekrmmte zeigt sich auch in der Flexiblilitt der ,Trickstergeschichten. Die Alleinherrschaft, die – wie die List – immer instabile, agonale Elemente aufweist, wird bisweilen konstituiert und bisweilen ins Wanken gebracht: wie der angebliche berlufer sich in einer berraschenden Wendung enttarnt und das Hin und Her der Traumstruktur in ihrer Komplexitt und scheinbaren Inkonsequenz eine grenzenlose Flexibilitt aufweist, so sind auch herrschende Machtverhltnisse flexibel und unberechenbar: die berraschende Kehrtwendung der Betrugsgeschichte veranschaulicht auch eine Wendung der Herrschaftsverhltnisse. Flexibel ist weiter auch die Position der ,Tricksterfiguren. Sie alle besitzen eine gewisse Austauschbarkeit. Offensichtlich ist diese in der Situation der Bewerbung mehrerer Kandidaten um eine Position; der ,Trickster interagiert nicht nur mit gewçhnlichen anderen Kandidaten, sondern auch mit einem anderen ,Trickster, wodurch die Konturen der Einzelfigur verschwimmen: wiewohl Hippokleides der eigentliche ,Trickster ist, stammt Megakles aus der listenreichen Familie der Alkmaioniden und bertrumpft den Rivalen – Megakles, dessen Rivalitt mit dem ebenfalls notorisch listigen Peisistratos aus anderem Kontext bekannt ist. Bei Dareios ,Duell mit Intaphrenes ist unklar, welche der beiden Figuren die Regeln des Eides verletzt. Die Pointe der ,Sinon-Odysseus-Geschichte des Zopyros besteht darin, daß die Zugehçrigkeit der Hauptfigur zu einer Seite an Eindeutigkeit verliert; auch hierin besteht eine Art Austauschbarkeit: der Perser spielt den Babylonierfreund. hnlich verhlt es sich mit Themistokles, der Feinde und Freunde gleichermaßen betrgt und fr jeden mçglichen Ausgang der Seeschlacht gewappnet ist, wahlweise als griechischer Patriot oder als Perserfreund. Am extremsten zeigt sich die Ambivalenz jedoch bei den Trugtrumen des Xerxes. Hier kommt keine eigentliche ,Tricksterfigur vor: wer die Lgenbotschaft sendet, bleibt vage, da Herodot die Darstellung persçnlich auftretender Gottheiten vermeidet,464 anders als 463 So ihr Ergebnis einer Analyse der Antilochos-List im 23. Gesang der Ilias und der Halieutica und Cynegetica der beiden Oppian von Korykos und Apameia. 464 Vgl. oben 65 mit Anm. 153.
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Homer, der Zeus den Traum senden lßt, anders auch als in Herodots Salamis-Szene, als Themistokles seinen Diener Sikinnos losschickt, welcher der homerischen Figur des Traumes entspricht. In der Erzhlung von den Trugtrumen des Xerxes dagegen bleibt die Traumerscheinung des befehlenden ,großen, gutaussehenden Mannes (%mdqa … l]cam te ja· eqeid]a, 7.12.1) relativ blaß; die narrative Struktur mit ihren Windungen und Uneindeutigkeiten wird endgltig zur eigentlichen Hauptfigur. Gerade diese Austauschbarkeit von Figur und Struktur, von menschlicher Verirrung und gçttlichem Betrug, belegt auch einmal mehr die ,tragische, doppelt menschliche und gçttliche Motivation der in den Historien geschilderten Ereignisse.465 Auch Themistokles handelt ja nicht alleinverantwortlich: Herodot hat die gçttliche Erscheinung, die zu der traditionellen Struktur gehçrt, in Form des v\sla belassen; auch diese Erzhlung weist also ein Zusammenwirken von gçttlichem und menschlichem Handeln auf. Themistokles wird somit zum Mittler zwischen Gçttern und Menschen, nicht nur sein Diener, sondern auch er selbst nimmt die Stelle des owkor emeiqor ein, indem er den gçttlichen Willen transportiert. Es hat sich gezeigt, daß Herodots Figuren dem anthropologischen Paradigma des ,Tricksters umso nher stehen, je loser die Verbindung der Geschichte mit einer narrativen Vorlage ist, und umgekehrt: die Alkmaioniden und Hippokleides weisen vor allem durch ihre Komik Zge des ,echten ,Tricksters auf; mit der mythischen Brautwerbung um Helena hat die Geschichte jedoch nur die Freiersituation und die vorgngige Festlegung der Regeln gemein. Dareios dagegen ist nicht komisch – aber durch die Prsenz des Betrugsmotivs hnelt seine Thronbesteigung der mythischen Freiereid-Struktur in viel hçherem Maße; die Erzhlstruktur des mythischen Freiereids dominiert ber die interkulturelle Tradition der ,Tricksterfigur. Ebenso verhlt es sich bei zweien der angeblichen berlufer: die Geschichten von Zopyros und Themistokles sind deutlich in mythische Erzhlstrukturen eingebunden – mit dem Paradigma des ,Tricksters haben die Protagonisten aber vor allem das Listige gemein. Dennoch teilen alle hier untersuchten herodoteischen ,Trickster eine Eigenschaft mit den interkulturell verbreiteten Figuren, die dem Paradigma des ,Tricksters zugerechnet werden, sogar mit dem WinnebagoTrickster: die Paradoxie. Wakdjunkaga ist klug und dumm zugleich, ein Paradoxon, das bei Einzelfiguren des griechischen Mythos nicht zu finden ist. Er weist aber 465 Vgl. oben 39 f. zur ,tragischen Philosophie in den Historien; ferner Kapitel III.1 zur doppelten, gçttlich-menschlichen Ursache der lam_a bei Herodot.
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IV. ,Trickstergeschichten: Schelmenfigur und Erzhlstruktur
auch noch andere Paradoxa auf.466 So ist sein Kçrper einerseits eine Einheit, zum anderen nicht: in der fnften von Radin zitierten Episode (1956, 8) bekmpfen sich der linke und der rechte Arm des ,Tricksters gegenseitig bis aufs Blut; in den Episoden 13 und 14 (1956, 16 – 18) gibt Wakdjunkaga seinem Anus den Auftrag, das Abendessen zu bewachen; als dieses gestohlen wird, verbrennt der ,Trickster den Anus zur Strafe mit einem Stck Kohle – und klagt dann laut ber den Schmerz. Seinen Penis bewahrt der ,Trickster in einer Kiste auf; er ist auch getrennt vom Kçrper einsetzbar.467 Vielleicht wrde es zu weit fhren, dieses physische Paradoxon mit der Selbstverletzung von Odysseus, Sinon und Zopyros zu vergleichen. Sicherlich aber besteht auch deren Automutilitation in einer Art schizophrenen Trennung der eigenen Rollen:468 der Verrter muß gegeißelt oder verstmmelt werden, um dem Loyalen zum Erfolg zu verhelfen – unangenehmerweise sind die beiden Figuren in einem Kçrper vereint wie Wakdjunkaga und sein Anus. Hier gelangen wir aber vor allem auf die eigentliche Paradoxie der ,getreuen Verrter, die auch Themistokles mit einschließt: die Paradoxie von Verrat und Loyalitt. Bei Zopyros richten sich Gehorsam und Verrtertum gegen verschiedene Seiten; dennoch ist die Verbindung von bedingungsloser ,Nibelungentreue und extremer Listigkeit bemerkenswert. Daß seine Selbstverstmmelung gegenber der Selbstgeißelung des Odysseus und der – ohnehin nur bei Tzetzes belegten – Selbstverletzung des Sinon derart drastisch ausfllt, sprengt gleichsam den Rahmen der vertrauten Erzhlstruktur und bildet eine berraschende, besonders einprgsame Hyperbel zum bekannten Ablauf. 466 Vgl. Apte 1985, 216: „The overall personality that emerges from the trickster tales incorporates opposites of all kinds. The trickster is both foolish and clever. He tricks others but is himself often tricked … His physical and psychological traits lead him to acts that are ludicrous and of a contrary nature“; ferner 227 – 230. 467 Episoden 15 und 16 (Radin 1956, 18 – 20); vgl. auch 39 und 29 (Radin 1956, 38 – 40), wo Wakdjunkaga auf die List eines Streifenhçrnchens hereinfllt, das seinen Penis schließlich fast ganz auffrißt, worauf der ,Trickster aus den restlichen Stcken eßbare Pflanzen fr die Menschen erschafft. Auch der Azande-,Trickster kann Teile seines Kçrpers abtrennen, vgl. Evans-Pritchard 1967, 111 – 113 und 117 f. 468 Hinzu kommt die Brutalitt dieser Vorgehensweise, die sich auch in den indianischen ,Trickstergeschichten wiederfindet, etwa in der Winnebago-Episode 27, wo der ,Trickster Kinder ißt und den Kopf eines Kindes auf einen Stock spießt, um der Mutter zu suggerieren, das Kind sei noch da (Radin 1956, 29). Vgl. auch Dewald 2006, 153 – 155 zum dsteren Humor der herodoteischen ,Trickster (zu ihrer Verwendung des Begriffs des ,Tricksters vgl. oben Anm. 405): „the humour in [the manipulations of the tricksters] shades into a very bitter irony, since it is often connected to violence and death“ (154).
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Themistokles schließlich verrt seine eigenen Leute – und verhilft ihnen damit zum Sieg. Hier ist durchaus die Amoralitt des ,Tricksters im Spiel: Themistokles htte auch dann ,sein Schfchen im Trockenen gehabt, wenn die Griechen bei Salamis nicht gesiegt htten.469 Der antike Rezipient ist im brigen mit der Tatsache vertraut, daß der Feldherr 471, neun Jahre nach Salamis, aus Athen verbannt und in Persien aufgenommen wurde. Dennoch wird die Figur nicht negativ dargestellt; Herodot erweckt durchaus den Eindruck, als wolle Themistokles den griechischen Sieg.470 Ebenso ambivalent sind die Figuren der herodoteischen ,Freiereide. Bei Megakles besteht das Paradoxon in der fr die Alkmaioniden typisch ambivalenten Haltung zur Tyrannis; er ist gleichzeitig Tyrannenfreund und -schwiegersohn wie lisot}qammor. Bei Dareios ist am Ende nicht mehr eindeutig, ob er selbst oder Intaphrenes die Regeln bricht – in jedem Fall 469 Diese Art der amoralischen doppelten Absicherung wird auch bei anderen Gelegenheiten geschildert: 8.22 lßt Themistokles den auf persischer Seite kmpfenden Ioniern heimlich eine Nachricht zukommen; er bittet sie, nur zum Schein gegen ihre Landsleute zu kmpfen. Herodot spricht hier selbst davon, daß Themistokles ,in beide Richtungen denkt (1p !lv|teqa mo]ym, 8.22.3): entweder funktioniert sein Plan im Wortsinne, oder der Kçnig erfhrt von der Nachricht und hlt die Ionier von weiteren Schlachten fern. Beides kme den Griechen zugute; daß letztere Mçglichkeit fr die Ionier nicht ideal wre, versteht sich von selbst. Vgl. 9.98, wo Herodot unter expliziter Berufung auf Themistokles praktisch dieselbe Geschichte von Leotychidas erzhlt. Auch 8.109 f. versucht Themistokles, sich bei den Persern einen Rckhalt zu schaffen (!poh^jgm l]kkym poi^seshai 1r t¹m P]qsgm, 8.109.5), falls ihm in Athen etwas zustoßen sollte, und scheut dabei auch vor der plumpen Lge nicht zurck, er habe die griechische Flotte davon abgehalten, das persische Heer auf seinem Rckzug zu verfolgen (8.110.3); laut Herodot hatte gerade Themistokles die Verfolgung propagiert (8.108.2). 470 Dafr spricht die Formulierung ¢r pist\ in bezug auf die Wahrnehmung von Themistokles Lgenbotschaft durch die Feinde (8.76.1): die Partikel ¢r schließt die tatschliche Wahrhaftigkeit des Berichteten aus, und somit auch die Interpretation, Themistokles habe tatschlich geglaubt, die Griechen kçnnten besiegt werden. Ferner ist die strategische Plazierung des Orakelspruchs signifikant (8.77), der insinuiert, Themistokles habe sich in seiner Siegesgewißheit noch nicht einmal tuschen kçnnen, da der Sieg von Salamis ja bereits festgestanden habe. Weiter wird die Begegnung des Feldherren mit Aristeides ausfhrlich referiert (8.79 f.), wo Themistokles ehrlich und selbstbewußt sein Tun zugibt, als habe er nur das Interesse Griechenlands im Sinn gehabt. Das Gesprch wird bezeugt von einem Mann, der laut Herodot einen einwandfreien Charakter besitzt und als Feind des Themistokles keinerlei Interesse an dessen Reinwaschung haben kann (vgl. oben 169). Schließlich referiert Herodot noch das gçttliche Eingreifen, das die Griechen vollends zum Kampf motiviert und unterstreicht damit nochmals die Rechtmßigkeit von Themistokles Tun.
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IV. ,Trickstergeschichten: Schelmenfigur und Erzhlstruktur
vernichtet der Regelbrecher Dareios den Intaphrenes unter dem Vorwand des Regelbruchs und wird damit endgltig zum obersten Regelbewahrer. Die Kombination aus zwei unvereinbaren Eigenschaften scheint den picaros der Weltliteratur allgemein eigen zu sein und spannt den Bogen von Herodots listigen Figuren mit ihren Ambivalenzen zwischen Regeltreue und Regelbruch, Tyrannenhaß und Tyrannenfreundschaft, Loyalitt und Verrtertum bis hin zum Winnebago-,Trickster. Die Struktur der Listigkeit prgt also durch die paradoxe Vereinigung von Gegenstzen sowohl den klugen und dummen Winnebago-,Trickster als auch die herodoteischen Betrgerfiguren. Letztlich kann dies nicht berraschen, ist doch die Lge selbst – das bewußte Behaupten eines bekanntermaßen unwahren Sachverhalts – an sich schon ein Paradoxon.
V. Rite de passage – Die Tradition des Neuanfangs als mythhistorisches Zeichen 1. Eine Begriffsklrung Zahlreiche mythische Erzhlungen – und wie sich zeigen wird, nicht wenige Episoden der Historien – enthalten die durch Van Gennep 1909 definierten drei Schritte des rite de passage. Ein solcher bergangsritus – Puberttsweihe, Mysterieninitiation, Hochzeit oder Beerdigung – enthlt normalerweise folgende Phasen: die Separation von der Gesellschaft, die Phase des bergangs, also das Leben außerhalb der Gesellschaft (nach Turner 1964 die Liminalitt) und schließlich die Aggregation, die Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Oftmals ist dieses Schema als zu allgemein kritisiert worden;471 so folgen ihm laut Graf auch die meisten James-Bond-Filme (2003, 18). Dieser Vorwurf erscheint etwas einseitig. Der Autor der James-Bond-Reihe, Ian Fleming, steht wie jeder moderne Autor in einer Erzhltradition, die in letzter Konsequenz auch auf die vormoderne Literatur zurckgeht – je trivialer das literarische Genre ist, desto plakativer treten zu Klischees gewordene topische patterns hervor. Daß die uralten Erzhlstrukturen heutzutage andere Konnotationen besitzen als in der Antike, bedeutet nicht, daß das von Van Gennep isolierte dreistufige Schema zu Herodots Zeit nicht die Assoziation eines rituell institutionalisierten rite de passage heraufbeschworen habe. Im brigen muß es nicht einmal ein tatschlich existierender ritueller Ablauf, ein konkretes Fest sein, das durch das Schema evoziert wird; ganz generell verdeutlicht der Gang in die Fremde und die Rckkehr eine Reifung, das „coming of age“,472 das durch die Trennung von der Gesellschaft, das berleben im Draußen und die neuerliche Aggregation auch unabhngig vom rituellen Kontext geschehen kann. Auch Graf gesteht zu, daß Geschichten, die dem dreigliedrigen Schema folgen, sich mit „gaining of 471 Vgl. z. B. Versnel 1990b, 50 – 59; zu der Diskussion vgl. Bierl 2007b, 23 – 25. 472 Graf 2003, 15 zieht diese Formulierung dem berstrapazierten Begriff der ,Initiation vor, der im Griechischen kein Pendant hat. In Ermangelung eines handlichen deutschen Terminus fr „rituals of coming of age“ wird im folgenden weiter von ,Initiation gesprochen, ohne damit Grafs Bedenken leichthin abtun zu wollen: die Bezeichnung scheint in der Tat nicht ideal.
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V. Rite de passage
identity“ befassen (2003, 19).473 Neben der Puberttsweihe besteht vor allem die Mysterieninitiation in einer Erneuerung der Identitt:474 durch die Aufnahme in die Kultgemeinschaft wird der Myste zu einem ,neuen Menschen; er tritt von einer Lebensphase in eine andere ber, erfhrt eine „grundlegende nderung der Selbstdefinition“ (Graf 2000, 622). Eine wichtige Unterkategorie des Phnomens ,rite de passage besteht also im Paradigma der Initiation,475 das im folgenden eine besondere Rolle spielen wird. Initiatorische Allusionen sind bereits in Kapitel III.1.4 diagnostiziert worden; bei den lam_a-Beispielen konnte – neben der mythischen Rckwendung der nach außen gerichteten Aggressivitt des Frevlers in eine autoaggressive Selbstzerstçrung des Wahnsinnigen – eine Parallele zur Vorstellungswelt der Mysterieninitiation konstatiert werden: wie der Wahnsinnige durch die autoaggressive Vernichtung ,geheilt wird, so beendet der nicht Initiierte durch die Aufnahme in den Mysterienkult sein bisheriges, ,frevelhaftes Dasein mit einem symbolischen Tod. Im Beispiel der mythischen Proitiden zeigt sich die Vorstellung der lam_a als eines heilungsbedrftigen liminalen Zustands auch mit dem Bereich der Puberttsweihe verbunden. Analog lßt sich die frevlerische lam_a von Kleomenes und Kambyses als eine Art Zwangsinitiation lesen, als Verdrngung und schließlich Vernichtung der eigenen Persçnlichkeit durch den Gott. Nun gibt es aber bei Herodot neben den Geschichten, die eine gewisse Nhe zu initiatorischen Paradigmen aufweisen, auch solche, denen die Elemente des rite des passage gleichsam als Fundament zugrundeliegen.476 Es sind dies auch wirklich Erzhlungen, die das Schicksal von Kindern oder Jugendlichen thematisieren. Grundstzlich sind drei typische Strukturen unterscheidbar: die Aussetzung des bedrohlichen Kindes, die Geschichte 473 Vgl. Dodd 2003, 81, der die narrative Darstellung ,uneigentlicher Initiationen grundstzlich konzediert: „By drawing on a variety of paradigms for their heroes situations, the poets produced narratives that are, in a sense, initiations of the protagonist, but not so much into adulthood in general as into the future they will enjoy as heroes and kings“ (im Zuge seiner kritischen Auseinandersetzung mit Vidal-Naquets 1971 vorgelegter Deutung des sophokleischen Philoktet als Initiationsgeschichte; vgl. oben 18 mit Anm. 38 f. und unten Anm. 480 f.). 474 Vgl. oben 130 mit Anm. 318. 475 Zur Generierung von Literatur aus dem Paradigma der Initiation vgl. z. B. Versnel 1990b, bes. 44 – 59; Dowden 1999; Bierl 2007b (und 2007c im Zuge einer konkreten Analyse initiatorischer Elemente im griechischen Roman). 476 Vgl. hierzu auch die Analysen von Sourvinou-Inwood 1991 und Grottanelli 1994 – 1995; vgl. oben 12 f. und 14.
1. Eine Begriffsklrung
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vom jugendlichen Flchtling und das sogenannte ,Atreusmahl,477 das Schlachten und Essen eines Kindes (das neben der offensichtlichen Konnotation mit dem Paradigma des Opfers auch stark von initiatorischen Schemata geprgt ist, wie sich im folgenden zeigen wird). Sie werden in den Historien mit jeweils verschiedenen Implikationen angewendet. Wie sich zeigt, weisen diese Erzhlungen ber das Einzelschicksal des jeweiligen Protagonisten weit hinaus. Herodot scheint vielmehr an einem globalen Zusammenhang gelegen; er lßt die Einzelinitiation stets auf das große Ganze verweisen. So kann das rituelle Schema tragische Frbung erhalten und somit auf die philosophische Kernaussage der Historien verweisen; oder die Einzel-,Initiation kndigt die Vernderung der Weltordnung an – die einzelnen Geschichten reprsentieren die Schicksale ganzer Vçlker. Dies ist ganz besonders in der herodoteischen Rhampsinitos-Geschichte (2.121 f.) zu bemerken, die im letzten Teil dieses Kapitels untersucht wird. ber die in ihr dargestellte Unterweltsfahrt und Seelenwanderung thematisiert sie die berwindung des Todes; der bergang zu neuem Leben versinnbildlicht hier das Aufkommen einer neuen Kçnigsdynastie. In diesem Zusammenhang gewinnt das komplexe Zusammenwirken von Ritual, Mythos und Literatur nochmals neue Dimensionen. Wie sich am Beispiel der lam_a-Paradigmen gezeigt hat, folgen Herodots Erzhlungen bisweilen nicht nur mythischen, sondern auch rituellen Mustern. Nun wird der Sachverhalt jedoch komplizierter; denn whrend die lam_a sowohl im Kult als auch im narrativen Schema als solche vorkommt, verhlt sich dies beim Phnomen der Initiation grundlegend anders. Herodot schildert keine Initiationsriten, sondern erzhlt Geschichten, die in ihrer Grundstruktur angelegt sind wie Initiationsriten und die hierin bereits eine mythische Tradition aufweisen. Das heißt nicht, daß diese Geschichten eigentliche Initiationen im kultischen Sinne beinhalten; sie weisen lediglich die Van Gennepsche Grundstruktur auf, und ihre Protagonisten sind junge Menschen. Henk Versnel hat berechtigte Kritik an einem simplifizierenden Schematismus gebt, mit dem alle Arten von Erzhlungen widersinnig und gewaltsam als Initiationsgeschichten gedeutet worden sind – lediglich aufgrund der Anhufung einzelner Elemente, die zufllig auch im Kontext initiatorischer Riten von Bedeutung sind.478 Fritz Graf hlt die Bedeutung 477 Hier und im folgenden wird der gelufige Begriff des ,Atreusmahls auch auf vergleichbare Geschichten außerhalb des Atreus-Mythos selbst angewandt, wie dies in der Mythenforschung allgemein verbreitet ist. 478 Oder aufgrund der allzu allgemeinen Formulierung des initiatorischen Dreischrittschemas Separation – Liminalitt – Aggregation; vgl. Versnel 1990b, 50 – 59.
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V. Rite de passage
des Initiationsparadigmas fr die griechische Kultur gar fr generell berschtzt und fordert eine interpretatorische Beschrnkung: „The paradigm should be used only for rituals (and myths) that do correspond both in form and in function to the function and the form that initiation rites have in archaic societies“ (2003, 20). An Grafs Beschrnkung werde ich mich im folgenden nicht halten, und zwar aus zwei Grnden. Erstens geht es hier nicht um das von Graf zu Recht beanstandete evolutionre Nachvollziehen der Genese eines Mythos (bzw. seiner Ausprgung in Herodots historiographischem Text) oder um das Postulat einer „hypothetical prehistoric function“ (2003, 20).479 Bei keiner der im folgenden analysierten Erzhlungen soll im mindesten impliziert werden, sie sei die Spiegelung eines bestimmten historischen Initiationsritus. Ziel der Untersuchung ist es ausschließlich, das Assoziationsangebot an Herodots Rezipienten offenzulegen, das diejenigen Geschichten, in denen „coming of age“, „gaining of identity“ thematisiert oder angedeutet wird, im Gesamtkontext der Historien bieten.480 Zweitens soll nicht primr die Initiation von Individuen thematisiert werden. Fr Herodots Rezipienten kçnnten die Jugenderlebnisse eines Kyros, eines Adrastos und so fort allenfalls anekdotisch-ausschmckende Bedeutung haben. Wichtig ist das Aufscheinen des Paradigmas der Initiation mit seiner Grundaussage des ,Neuanfangs in allen untersuchten Geschichten, die so als Keimzellen einer beginnenden historiographischen
479 Vgl. Graf 2003, 15 zu „myths that, in the ancient documentation, are not connected with rituals at all but that are being read by modern scholars as having an initiatory background. This background, then, belongs to the prehistory of these myths.“ Vgl. hnlich Dodd 2003, 72. 480 Vgl. Redfield 2003 (ebenfalls mit Bezug auf Vidal-Naquets 1971 vorgelegte Deutung des sophokleischen Philoktet als Initiationsgeschichte, vgl. oben 18 mit Anm. 38 f. und oben Anm. 473), 259: „The application of the paradigm [of initiation] in narrative analysis becomes questionable, when the analyst, observing that some forms of experience characteristic of initiatory rituals occur in the story, asserts that the story is an initiation or has the form of one. Neoptolemus in the Philoctetes goes to a desert island, behaves as he has not before and does not expect to again – and therefore is being initiated. Done rigidly this kind of analysis is worse than useless. It is however possible to see that Neoptolemus experience is initiatory, without either reducing his story to some paradigm, or treating him as the main character of the play. Anything that makes life intelligible may be intelligible in fiction, but the meaning of the particular narrative is still to seek.“
2. Verfolgung und Aussetzung des bedrohlichen Kindes
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Entwicklung dargestellt werden. Die Initiationsmetaphorik481 untersttzt diese Bedeutungsebene; sie ist nicht per se von Bedeutung. Im folgenden werden Strukturen untersucht, die in der Tradition vielfache und doch stets wiedererkennbare Ausformung gefunden haben. So sind die Aussetzungsgeschichten weltweit von verblffender hnlichkeit, und auch das Schema der ,Jnglingsflucht lßt wenig Spielraum fr Vernderungen. Wo die herodoteischen Erzhlungen dennoch Modifikationen aufweisen, ist besondere Aufmerksamkeit gefordert; hier wird nicht nur auf eine zugrundeliegende Initiationsstruktur verwiesen, sondern gerade in der Abweichung vom Schema eine weitere Mçglichkeit der Interpretation gegeben.
2. Verfolgung und Aussetzung des bedrohlichen Kindes: Die ,Kyrupdie (1.107 – 130) und die Geburtsgeschichte des Kypselos (5.92.a-e) – Heroenbiographie und Unheilsvorzeichen Die mythische Struktur der Aussetzung eines bedrohlichen Nachkommen hat eine lange Tradition. In den Historien begegnet sie uns zuerst in der Vita des Kyros (1.107 – 130): der Mederkçnig Astyages, Kyros Großvater, trumt, seine Tochter Mandane berflute beim Wasserlassen die Hauptstadt und das ganze Reich. Nach der Deutung des Traums, die Herodot nicht explizit referiert, gibt Astyages das Mdchen keinem vornehmen Meder zur Frau, sondern einem Unterlegenen, dem Perser Kambyses; er sucht also fr das Kind seiner Tochter einen ,minderwertigen Vater aus. Wenig spter hat der Kçnig einen zweiten Traum: aus dem Schoß seiner Tochter wchst ein Weinstock, der ganz Asien berschattet. Hier nun verrt Herodot die Deutung: das Kind wird anstelle seines Großvaters Kçnig werden. Astyages lßt also seine schwangere Tochter aus Persien zu sich holen. Als ihr Kind geboren wird, bergibt er es seinem Verwandten Harpagos zur Tçtung. Dieser will den Auftrag aus verschiedenen Grnden nicht ausfhren – einerseits hat er moralische Vorbehalte, weil der Knabe mit ihm verwandt ist, zum anderen frchtet er den Zorn der Mandane. Also bergibt er den kleinen Kyros einem Hirten zur Aussetzung im Gebirge. 481 Zum Initiationsschema als Metapher vgl. auch Polinskaya 2003, die sich ebenfalls mit Vidal-Naquet 1971 befaßt (vgl. oben 18 mit Anm. 38 f., oben Anm. 473 sowie die vorhergehende Anm.) und seine Deutung metaphorisch auffaßt, z. B. 90: „the heuristic power of the metaphor [of initiation] consists in its ability to produce new meanings and, therefore, new understandings of reality.“
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V. Rite de passage
Die Frau des Hirten aber hat soeben ein totes Kind geboren; sie berredet ihren Mann, den kçniglichen Sproß, der ,groß und schçn ist (l]ca te ja· eqeid]r, 1.112.1), an Sohnes Statt anzunehmen. Was folgen muß, ist klar: Kyros wird berleben, den Astyages strzen und Kçnig der Meder werden. Wie dies allerdings geschieht, ist reichlich komplex: der Knabe wird im Spiel mit anderen Kindern zum Kçnig gewhlt und bestraft einen widerspenstigen ,Untergebenen, der in Wirklichkeit der Sohn eines angesehenen Meders ist. Als Astyages Kyros auf die Beschwerde des hochgestellten Vaters hin bestrafen lassen will, erkennt er die kçnigliche Abkunft des Knaben und sieht, daß der Junge ihm gleicht, und daß er ihm freiheraus antwortet (rp|jqisir 1keuheqiyt]qg, 1.116.2). Nun verkompliziert sich die Handlung: zunchst wird Harpagos bestraft, der den Tod des Kyros verhindert hatte; Astyages lßt dessen Sohn schlachten und ihm zum Essen vorsetzen. Als der Kçnig anschließend berlegt, was mit Kyros geschehen solle, beruhigen ihn die Mager: das Kind sei ja bereits Kçnig gewesen, wenn auch nur im Spiel – in Astyages prophetischem Traum sei lediglich dieses kindliche Kçnigtum angedeutet worden. Astyages glaubt der Deutung und lßt den Knaben fortan bei seinen echten Eltern leben. Als Kyros herangewachsen ist, berredet ihn der verbitterte Harpagos zum Aufstand gegen Astyages, an dem er sich selbst beteiligen will. Kyros geht den Bund mit dem Feind des Großvaters ein: er zieht gegen Astyages in den Krieg; dieser setzt Harpagos nichtsahnend als Feldherren ein, was zur Niederlage der Meder fhrt. Kyros tut Astyages brigens nichts zuleide, so berichtet Herodot 1.130.3, sondern behlt ihn bei sich. Viele Jahre nach Kyros Aussetzung, unmittelbar bevor er den Tod findet, wird erneut sehr deutlich auf seine Geburtsgeschichte verwiesen (1.209 f.). Diesmal hat er selbst einen prophetischen Traum: Er sieht den jungen Dareios, den Sohn seines Untergebenen Hystaspes, mit zwei Flgeln, deren einer Asien berschattet, der andere Europa. Kyros deutet den Traum richtig – seine eigene Machtposition ist gefhrdet – und will sich nach Abschluß des Massagetenzuges um die Angelegenheit kmmern. Er kommt nicht mehr dazu. Die Metapher des bedrohlichen Kindes kndigt auch sein eigenes Ende an. Bis zum endgltigen Sturz des Astyages greifen also verschiedene mythische Strukturen ineinander. Der Topos der naiven Mißdeutung eines Orakels ist in der griechischen Literatur verbreitet und auch bei Herodot omniprsent; er ist unschwer als Zeichen der Verblendung zu deuten. Das ,Atreusmahl des Astyages mit der darauffolgenden Intrige seines ihm zum Feind gewordenen Dieners Harpagos hat weiterreichende Implikationen, die Thema des Kapitels V.4.1 sein sollen. Im folgenden soll vor allem die
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Struktur des bedrohlichen Kindes untersucht werden, die Anfang und Ende der Kyrosvita markiert.482 Zunchst zum zweiten markanten Beispiel fr die Aussetzung eines bedrohlichen Kindes in den Historien. Eine Art Aussetzung figuriert in der Geburtsgeschichte des Kypselos (5.92.a-e), die von dem Korinther Sosikles im Kontext einer emphatischen Verdammung der Tyrannenherrschaft erzhlt wird:483 =dee d³ 1j toO Iet_ymor c|mou Joq_mh\ jaj± !mabkaste?m, heißt es 5.92.d.1, ,aus dem Geschlecht des Etion mußte Korinth Schlimmes erwachsen. Die Erzhlung luft folgendermaßen ab: Labda, die lahme Tochter des Amphion aus dem korinthischen Herrschergeschlecht der Bakchiaden hat Schwierigkeiten, einen Ehemann zu finden. Schließlich nimmt sie der nicht an der Oligarchie beteiligte Etion – also wiederum ein Unterlegener, ein Außenseiter.484 Als sich kein Kindersegen einstellt, befragt er das delphische Orakel, das ihm verkndet, Labda sei schwanger und werde einen großen, rollenden, ,verderblichen Stein gebren, akoo_tqowom (5.92.e.2). Die Bakchiaden erfahren den Spruch der Pythia und verstehen nun auch ein frheres Orakel, das den Korinthern prophezeit hatte, ein Adler werde einen Lçwen gebren, der viele tçten werde (pokk_m d rp¹ co}mata k}sei, 5.92.e.3).485 482 Vgl. Long 1987, 130 f. mit einem knappen Forschungsberblick ber die Arbeiten zur Kyros-Geschichte. 483 Vgl. Giangiulio 2005b zur Einbindung der Kindheitsgeschichte des Kypselos in die lokalhistorischen Teile der Rede. 484 Auch die Lahmheit der Mutter weist bereits auf Außenseitertum hin; zur Lahmheit als Symbol fr Illegitimitt und Anomalie in der griechischen Kultur vgl. Vernant 1981; 1982. 485 Bei beiden Orakeln handelt es sich um stark homerisch geprgte Formulierungen: die Naturgewalt des Steinschlags ist Il. 13.137 sehr deutlich ausgedrckt, wo Hektor mit einem solchen akoo_tqowor verglichen wird, als er die Kmpfenden vorantreibt: akoo_tqowor ¤r !p¹ p]tqgr, / fm te jat± stev\mgr potal¹r weil\qqoor ¥s, / N^nar !sp]t\ elbq\ !maid]or 5wlata p]tqgr· / vxi d !mahq]sjym p]tetai, jtup]ei d] h rp aqtoO / vkg· d d !svak]yr h]ei 5lpedom, eXor Vjgtai / Qs|pedom, t|te d ou ti juk_mdetai 1ss}lem|r peq· (,so wie ein rollender Block von einem Felsen, / Den hinab vom Rand ein wintergeschwollener Fluß stçßt, / Der bei unsglichem Regen die Sttzen des schamlosen Felsens losbrach; / Und hoch emporspringend fliegt er dahin, und unter ihm kracht / Der Wald, und er luft unentwegt bestndig, bis er auf ebenen / Boden gelangt; dann aber rollt er nicht mehr, so sehr er andrngt, 13.137 – 142; bersetzung: Schadewaldt 1975, 211). Das ,Lçsen der Knie evoziert zahlreiche homerische Helden; vgl. Il. 5.176; 13.360; 15.291; 16.425; 24.498; Od. 14.69; 14.236. Die Traditionalitt der Geschichte spiegelt sich also bis in die Einzelformulierungen hinein; hier mag die besondere Pointe vorliegen, daß der Sprçßling einer Lahmen anderen die Knie lçsen wird.
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Von der Angst eines leiblichen Vaters oder Großvaters vor dem Nachkommen ist nicht die Rede; die Position des Verfolgers nehmen nun die Bakchiaden ein, die aber natrlich ebenfalls mit dem Kind verwandt sind, dessen Großvater einer der ihren ist, und die aufgrund ihrer exklusiven Heiratspolitik untereinander „le Pre collectif de la ligne royale“ darstellen (Vernant 1981, 56). Die Konstellation ist also hnlich wie im Falle des Kyros. Als die Gesandten der Bakchiaden der ahnungslosen Labda das Kind abnehmen, um es zu tçten, lacht es die Mnner an, worauf diese Mitleid haben und gehen. Unterwegs besinnen sie sich jedoch anders und kehren um; Labda aber hat inzwischen begriffen und verbirgt das Kind in einer jux]kg, einer Kiste, wonach der Knabe benannt wird. Zwar findet eine eigentliche Aussetzung nicht statt; die Kiste jedoch ist mit Sicherheit ein Relikt aus der mythischen Aussetzungstradition (vgl. unten 210).486 Die Prophezeiungen betreffend den bedrohlichen Sprçßling erfllen sich in jeder Hinsicht: nach Herodots Darstellung wird Kypselos zum blutgierigen Tyrannen (nur bertroffen von seinem Sohn Periander487): pokko»r l³m Joqimh_ym 1d_yne, pokko»r d³ wqgl\tym !pest]qgse, pokk` d] ti pke_stour t/r xuw/r (,viele Korinther verbannte er, viele beraubte er ihres Vermçgens, aber bei weitem die meisten ihres Lebens; 5.92.e.2). Die Verfolgung und Aussetzung des als Bedrohung empfundenen Kleinkindes ist beraus hufig Teil der heroischen Biographie.488 Bei Herodot enthalten die Geschichten die folgenden Grundfunktionen:489
486 Vgl. bereits Usener 1899, 80 – 114. Huys 1995, 41 nimmt das Motiv als Punkt 2.3 in sein Strukturschema auf: „How? The object (basket, chest, vessel, box, …) in which the child is exposed …“ 487 Vgl. 5.92.f.1, wo es heißt, Periander sei mit der Zeit noch wesentlich mordlustiger als sein Vater geworden (pokk` 5ti 1c]meto Jux]kou liaivom~teqor). 488 Dies ist durchaus nicht nur im griechischen Mythos der Fall; vgl. Binder 1977 und Huys 1995, 377 – 394. 489 Vgl. die weiter gefaßten schematischen Darstellungen von Binder 1977, 1049 f. und Huys 1995, 40 f. (mit vorausgehendem Forschungsberblick). Diese bercksichtigen nicht nur die Aussetzung des bedrohlichen Kindes, sondern auch andere Flle von Aussetzung, die fr die Analyse der Historien nicht relevant sind: so wird das Kind oftmals aus Furcht vor Schande ausgesetzt, v. a. im Falle der so schwer beweisbaren Vergewaltigung durch einen Gott; z. B. Ion (E. Ion 1 – 81 und Hypothesis), Dionysos (Paus. 3.24.3 f.), Romulus und Remus (Liv. 1.4.–1.7.3; D. H. 1.76 – 88; Plu. Rom. 3 – 9), um nur einige der bekanntesten Beispiele zu nennen; bisweilen ist das weibliche Geschlecht des Kindes der Stein des Anstoßes, so im Falle der Kybele (D. S. 3.58 f.) und der arkadischen Atalante (Ael. VH 13.1; Apollod. 3.9.2 = 3.105 – 109; Hyg. Fab. 185). Vgl. Binder 1977, 1054 – 1058 und
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1. Prophezeiung: dem Herrscher wird der Verlust seiner Machtposition oder seines Lebens durch den noch ungeborenen Nachkommen geweissagt 2. Versuch der Verhinderung der Geburt 2.1. durch Mesalliance der Tochter, die so keinen mchtigen Sohn bekommen soll 3. Aussetzung des Kindes 3.1. in einer Kiste oder 3.2. durch bergabe des Kindes zur Aussetzung oder Tçtung an einen Dritten / Nichterfllung des Auftrags 4. Pflege des Kindes 4.1. durch ein Tier 4.2. durch Fremde (oft Hirten) 5. Besondere Fhigkeiten des Findelkindes 6. Erfllung der Prophezeiung / Wiedererlangung des Geburtsrechts durch das Kind In der Geburtsgeschichte des Kyros finden sich die Funktionen 1 (Prophezeiung der Bedrohung, in diesem Fall durch Trume), 2.1 (der Versuch der Unglcksverhinderung durch die Verheiratung der Tochter mit einem Unterlegenen490), 3.2 in doppelter Form (bergabe an Harpagos, Nichterfllung des Tçtungsauftrags; bergabe an den Hirten, Nichterfllung des Tçtungsauftrags), 4.2 (Aufzucht des Kyros durch Hirten), 5 (die besonderen Fhigkeiten des Findelkindes: Kyros ist besonders groß und schçn und besitzt bereits als Knabe Autoritt und Selbstbewußtsein) und 6 (Erfllung der Prophezeiung). Sogar die Pflege durch ein Tier (4.1) wird insofern miteinbezogen, als Herodot den Namen der Pflegemutter mit Jum~ oder Spaj~ angibt – der griechischen und medischen Bezeichnung fr ,Hund, worauf er selbst hinweist (1.110.1).491
Huys 1995, 377 – 394. Eine knappe, aber bersichliche Zusammenfassung der griechisch-rçmischen Aussetzungsmythen bietet auch Oswald 1997. 490 Zu der mçglicherweise durchaus prominenten Stellung dieses Kambyses vgl. Binder 1964, 21: hat Herodot sie absichtlich verschwiegen, so spricht dies fr eine sehr bewußte Angleichung der Erzhlung an die traditionelle Struktur. 491 Allerdings tut Herodot die ihm offensichtlich bekannte Tradition der Pflege durch eine Hndin 1.122.3 als Propagandaversion ab, die von den echten Eltern des wieder aufgetauchten Kyros kolportiert worden sei. Unkommentiert eliminieren konnte Herodot die populre Tradition kaum, zumal sie noch viel spter fortlebt; vgl. Ael. V. H. 12.42 und Pompeius Trogus (Just. 1.4.). Vgl. Propp 1944, 95 – 97 und
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Die Geschichte des Kypselos setzt traditionell mit der Prophezeiung ein (1). Der Versuch einer Geburtsverhinderung (2) ist nicht explizit gegeben; das Motiv scheint aber insofern Spuren hinterlassen zu haben, als Kypselos Mutter Labda einen Außenseiter heiraten muß, so daß ein mçglicher Sohn keinesfalls innerhalb des bakchiadischen Herrschergeschlechts zur Welt kommen wird (2.1). Der Auftrag zur Beseitigung des Kindes und die Nichterfllung dieses Auftrags (3.2) ist mit der Gesandtschaft der Bakchiaden und deren Umkehr gegeben, auch wenn keine eigentliche Aussetzung stattfindet – aber wie oben gesagt, ist das Verstecken in der als Namens-Aition herausgestellten Kiste (Funktion 3.1) ein deutlicher Hinweis auf die Verwandtschaft mit der Aussetzungsstruktur (vgl. unten 210). Die Funktionen 4.1 und 4.2, die Pflege durch ein Tier oder durch Fremde, kommen nicht vor; dagegen kann das Lachen des Kleinen durchaus als Beweis fr die Besonderheit des Kindes (5) gelesen werden, zumal es ,durch gçttliche Fgung erfolgt (he_, t}w, pqosec]kase t¹ paid_om, 5.92.c.3).492 Die 6. Funktion schließlich, die Erfllung der Prophezeiungen, ist explizit referiert. In den gçttlichen und heroischen Biographien des griechischen Mythos existieren unzhlige Varianten des Aussetzungsschemas. Hier sollen nur diejenigen genannt sein, bei denen sich die von Herodot stark hervorgehobene erste Funktion der Prophezeiung findet; im folgenden wird klar werden, daß sie es ist, die Herodots Verwendung der Struktur entscheidend prgt. Da auch diese Auswahl an traditionellen Erzhlungen noch sehr umfangreich ist, seien die Erzhlungen hier nicht alle einzeln referiert, sondern nach denjenigen Funktionen geordnet aufgezhlt, die sie mit Herodots Erzhlungen teilen. Die Funktion 1, die Prophezeiung der Bedrohlichkeit des Kindes,493 findet sich im Rahmen der Aussetzungsstruktur494 zuerst bei Hesiod:495 Huys 1995, 303 mit Anm. 742 zur berlappung des Motivs der pflegenden Hirtenfrau mit dem des sugenden Tieres. 492 Huys 1995, 338 listet das Lachen des Kindes ebenfalls unter den „extraordinary capabilities of the foundling“ (335) auf. 493 Ob es sich hierbei um den Sohn oder den Enkel des Herrschers handelt, ist davon abhngig, ob die Herrschaft ber einen Sohn oder eine Tochter weitergegeben wird. Im letzteren Fall ist es logischerweise erst der Sohn der Tochter, der dem Herrscher gefhrlich werden kann. Man muß nicht mit Propp 1944 von einer narrativen Kontamination einer lteren, matrilinearen Ordnung mit einer neueren patriarchalen ausgehen, um die Dominanz der Frauenfigur in der betreffenden Personenkonstellation zu vermerken; Bremmer 1983a, 182 f. vermutet soziale Grnde fr die enge Bindung der Frau an Vater und Brder, die sich auf ihren
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Kronos frchtet aufgrund einer Weissagung von Gaia und Uranos, daß ihn einer seiner Sçhne strzen werde. Die Bedrohlichkeit des Kindes wird ferner im Falle des dipus geweissagt,496 ebenso bei Telephos,497 wo der Empfnger der Prophezeiung der Großvater Aleos ist, der seine Sçhne durch das Kind bedroht sieht,498 bei Perseus, wo der Großvater selbst den
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Sohn bertrgt: „Through her marriage a woman leaves her own family and in a way surrenders herself to the mercy of her in-laws. In this situation her father and especially her brothers are her only support against the potential difficulties with her husband and kin. The care extended to the sister also extended to her children, and thus the sister would return to her brother when the husband had passed away.“ Eine Prophezeiung ohne Aussetzung im eigentlichen Sinne erfolgt im Falle des Orestes, der nach Zeus Prophezeiung Od. 1.35 – 43 Rcher des Agamemnon sein wird und somit Aigisthos bedroht, und der A. Cho. 523 – 550 durch Klytaimestras Drachentraum als ihr Mçrder angekndigt wird; er wird von Elektra (Pi. P. 11.34 f.; S. El. 11 – 14; E. El. 14 – 18) oder von Klytaimestra selbst (A. Ag. 855 – 885) zu seinem Onkel Strophios gebracht. Noch weniger kann man bei der Geschichte des Minossohnes Katreus von Aussetzung sprechen: er erhlt das Orakel, er werde durch eines seiner Kinder sterben (Apollod. 3.2.1 – 3.2.2 = 3.12 – 16) – es wird Althaimenes sein, wiewohl dieser freiwillig auswandert; als der alte Katreus ihn jedoch aufsuchen will, um ihm das Kçnigtum zu bergeben, hlt ihn Althaimenes fr einen Ruber und tçtet ihn. – Ein Sonderfall der Bedrohungsfunktion findet sich in der Vita von Aiolos und Boiotos, die nach ihrer anders motivierten Aussetzung (ihre von Poseidon schwangere Mutter Melanippe schmt sich vor ihrem Vater) von einer Kuh gesugt werden und daraufhin von Hirten fr die monstrçsen Abkçmmlinge des Tieres gehalten werden, fr boucem/ t]qata, die man tçten msse, so die Hypothesis (Zeile 19) zu Euripides Melanippe Sophe¯ (fr. 480 – 488 Kannicht TrGF 5.1, 44, p. 525 – 536). Geradezu eine Umkehrung der Geschichte vom bedrohlichen Kind, nmlich eine ,Erzhlung vom vielversprechenden Kind liefert Pindar in der sechsten Olympischen Ode (22 – 70), wo der aus Scham ausgesetzte Iamos vom Ziehvater seiner Mutter Euadne gerettet wird, weil ein Orakel besagt, der Knabe sei Apollons Sohn und werde ein großer Seher sein. Th. 453 – 467. S. OT 711 – 714. Die Geburtsgeschichte des Telephos war Stoff mehrerer nur fragmentarisch erhaltener klassischer Tragçdien: A. Mysoi (fr. 143 – 145 Radt TrGF 3, p. 257 – 259); Telephos (fr. 238 – 240 Radt TrGF 3, p. 343 – 346); S. Aleadai (fr. 77 – 91 Radt TrGF 4, p. 140 – 146); Mysoi (fr. 409 – 418 Radt TrGF 4, p. 349 – 351); Telephos (fr. 580 Radt TrGF 4, p. 434 f.); E. Telephos (fr. 696 – 727c Kannicht TrGF 5.2, 67, p. 680 – 718). Alcid. Od. 14. Propp 1944, 89 sieht in den gefhrdeten Onkeln des Kindes eine Substitution des Vaters, der hier nicht getçtet werden kann (es handelt sich um den Halbgott Herakles). Eine andere Version hat Apollod. 2.7.4 = 2.146; 3.9.1 =
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Enkel frchtet,499 bei Paris, dessen Mutter Hekabe whrend ihrer Schwangerschaft trumt, sie gebre eine Fackel oder gar einen feuerbringenden Hunderthnder, der ganz Troia zerstçren werde,500 bei Aigisthos, dessen Vater Thyestes das Orakel empfngt, daß der mit der Tochter Pelopia inzestuçs gezeugte Sohn einst Rache an Thyestes verhaßten Bruder Atreus nehmen werde,501 und bei Eteokles und Polyneikes, wo die Prophezeiung auf den gegenseitigen Mord hindeutet.502 Auch die zweite Funktion, der Versuch, die Geburt des Kindes zu verhindern, findet sich bei einigen der hier genannten Beispiele. Zunchst kann der Versuch des Uranos, seine Kinder mit Gaia in dieser zu verschließen, als ,Geburtsverhinderung gelesen werden;503 Aleos, der Vater der Auge, der den ungeborenen Enkel Telephos frchtet, veranlaßt, daß Auge keusche Priesterin der Athene wird504 (was Herakles nicht von ihr fernhlt); Perseus Großvater Akrisios sperrt die Tochter Danae in einer unterirdischen Kammer ein (in die einzudringen Zeus als Goldregen jedoch gelingt).505 Die Prophezeiung (Funktion 1) und der Versuch der Geburtsverhinderung durch eine Mesalliance (Funktion 2.1) sind in der Geburtsgeschichte des Achilleus verbunden. Hier ist es allerdings kein konkreter Vater, dem der Sturz durch den Sohn vorhergesagt wird, sondern die Gçttin Themis verkndet, der Sohn der Thetis werde strker sein als sein Vater – wer auch immer er sei. So kann die Umgehung des Orakelspruchs
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3.103; dort ist das von Auge aus Scham im Tempel zurckgelassene Kind Ursache einer Plage (Pest, Unfruchtbarkeit) und wird deshalb im Gebirge ausgesetzt. Schol. D zu Il. 14.319; Schol. zu A. R. 4.1091; Apollod. 2.4.1 = 2.34. Schol. zu E. Andr. 293; Pi. Pae. 8a fr. 52i Maehler. Hyg. Fab. 87: eum fratris fore ultorem; Apollod. Ep. 2.10.73 – 75 = Ep. 2.14: Hu]stgr d³ jat± p\mta tq|pom fgt_m )tq]a letekhe?m 1wqgstgqi\feto peq· to}tou ja· kalb\mei wqgsl|m, ¢r eQ pa?da cemm^sei t0 hucatq· sumekh~m (,Thyestes aber wollte es dem Atreus um jeden Preis heimzahlen und holte deswegen ein Orakel ein, und erhielt den Spruch, [er werde dies erreichen,] wenn er ein Kind zeuge, indem er mit seiner Tochter zusammenkomme). Das Beispiel fllt insofern etwas aus der Reihe, als die Bedrohung nicht den Vater selbst betrifft; die Aussetzung erfolgt durch die Mutter (wegen der Schande des Inzests?): Hyg. Fab. 87 f. Schol. zu E. Ph. 13. Hes. Th. 156 – 160; vgl. 617 – 623. Ein Bedrohlichkeitsorakel ist in diesem Kontext zwar nicht belegt, die Fortsetzung der Geschichte, der Sturz des Uranos durch seinen Sohn Kronos (Th. 168 – 210), spricht jedoch fr sich. Alcid. Od. 14. Schol. D zu Il. 14.319; Schol. zu A. R. 4.1091; Apollod. 2.4.1 = 2.34. Vgl. hierzu die Geburtsgeschichte des Gilgamesch, die fr den griechischen Sprachraum bei Ael. NA 12.21 belegt ist.
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auch glcken: Zeus und Poseidon verzichten beide freiwillig auf die Verbindung mit der schçnen Meergçttin und verheiraten sie an einen ,Minderwertigen, den Sterblichen Peleus, auf daß der Sproß dieser Verbindung jedenfalls nicht strker sei als ein Gott.506 Den Vater bertrifft der Sohn natrlich noch immer, die Finte aber fhrt zum Erfolg: die Gçtter bleiben von einem Usurpator verschont,507 anders als Herodots Astyages, der seine Tochter Mandane mit dem unterlegenen Perser verheiratet und dem Verwandtschaftsverhltnis zum bedrohlichen Kind dennoch nicht entgehen kann.508 Es folgt die oben mit 3 bezeichnete Funktion der eigentlichen Aussetzung. Rheia rettet den Zeusknaben durch Betrug (sie gibt Kronos einen Stein zu essen) und bergibt ihn der – freilich als ,Gaia personifizierten – Erde,509 allerdings zu seinem Schutz: Kronos vernichtet seine Kinder nicht, indem er sie aussetzt, sondern durch Verschlingen. Auch die Aussetzung des dipus weist gewisse Besonderheiten auf:510 wiewohl das Kind durchaus zum Sterben ausgesetzt wird, bleibt es letztlich niemals alleine in der Natur (wie dies auch bei beiden herodoteischen 506 Pi. I. 8.28 – 49; vgl. A. Pr. 908 – 912; A. R. 4.800 – 809. 507 Folglich wird der Knabe Achilleus auch nicht ausgesetzt; allerdings ist ein der Aussetzung hnliches Element auch in diesem Kontext belegt, wenn auch zeitlich und kausal verschoben: es handelt sich um den – durch ein anderes Orakel motivierten – Aufenthalt des als Mdchen verkleideten Achilleus auf Skyros, der sicherlich im Sinne einer liminalen Phase deutbar ist; vgl. Schol. D zu Il. 19.326; Ov. Met. 13.162 – 180; Stat. Ach. 1; Apollod. 3.13.8 = 3.174; Paus. 1.22.6; Philostr. Im. 1; Hyg. Fab. 96; zu weiterfhrender Literatur und den mçglichen Inhalten der Skyrioi-Tragçdien des Sophokles und Euripides vgl. LIMC 1 s. v. Achilleus, p. 55 f. 508 Eine hnliche Vorstellung findet sich auch im Prolog der Elektra des Euripides: aus Furcht, das Mdchen werde einen Rcher des Agamemnon gebren (23), entscheidet man sich schließlich fr eine Mesalliance mit einem !sheme?, einem Bauern (39). Dieser allerdings rhrt Elektra nicht an, teils aus Edelmut, teils aus Furcht vor einer mçglichen Rckkehr des Orestes (43 – 53). Das Motiv der Mesalliance ist hier klar gegeben; allerdings unterscheidet sich die Geschichte von allen genannten darin, daß die Ehe nicht vollzogen und also kein Kind geboren wird. – Auch im Falle des Zeus gibt es eine weitere erfolgreiche Geburtsverhinderung: der Sohn der Metis, potentiell klger und also mchtiger als sein Vater, wird nie auch nur gezeugt, weil Zeus Metis verschluckt; die kluge Athene ist bereits empfangen, nicht aber der bedrohliche Sohn (Hes. Th. 886 – 900). 509 Hes. Th. 479 f. In den anderen Versionen gibt die Mutter das Kind weg, setzt es aber nicht eigentlich aus; vgl. Call. Jov. 33 und Schol. D zu Il. 15.229 = POxy. 3003. 510 Das durch Inzest geprgte dipus-Schema stellt innerhalb der Aussetzungsmythen ohnehin einen Sonderfall dar; vgl. dazu den Sammelband Edmunds/Dundes 1983 und darin besonders Krappe 1933 und Propp 1944.
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Helden nicht der Fall ist), sondern wird vom einen Hirten direkt an den anderen weitergegeben. Die Umstnde der Aussetzung des Paris sind erst in spten Versionen511 und auf unterschiedliche Weise belegt; auch hier mag eine bergabe an einen Dritten stattgefunden haben (siehe unten 211). Aigisthos wird von seiner Mutter Pelopia ausgesetzt.512 Im Kontext der herodoteischen Kypselos-Vita ist ferner die Aussetzung in der Kiste interessant – das Element der jux]kg figuriert in der Geschichte des Kypselos als eponymes Motiv. Bei den bereits genannten bedrohlichen Kindern ist dies bei Telephos der Fall, der in einigen Versionen gemeinsam mit seiner Mutter in einer Kiste auf dem Meer ausgesetzt wird.513 Die Aussetzung in einer Kiste widerfhrt ferner Perseus und Danae,514 und auch im dipus-Mythos gibt es vermutlich eine Variante, wo der Held in einem Behltnis ins Meer geworfen wird.515 Bei Herodot ist die Verwendung des Behltnisses freilich anders motiviert: das Kind soll hier nicht vor dem Wasser, sondern vor seinen potentiellen Mçrdern geschtzt werden, es kçnnte also auch an einem beliebigen anderen Ort versteckt werden. Das Element des Wassers, das sonst fast zwingend mit der Aussetzung in einer Kiste verbunden ist,516 kommt bei Herodot nicht vor, wofr sich zwei mçgliche Erklrungen anbieten: zum einen ist Wasser das Mittel der Reise, die ein ausgesetztes Kind zurcklegt; Kypselos aber bleibt in Korinth, und wird nach dem ersten mißlungenen Versuch gegen alle Erzhllogik nicht weiter verfolgt. Mçglicherweise ist Kypselos so sehr an 511 Bildliche Darstellungen der spteren Heimkehr und Wiedererkennung des Paris ab 485 v. Chr. deuten jedoch auf die Bekanntheit der Aussetzungsgeschichte schon im frhen 5. Jh. v. Chr. hin, vgl. LIMC 1 s. v. Alexandros, p. 500, 16 f. 512 Hyg. Fab. 87 f. 513 Hecat. FGrHist 1, fr. 29 Jacoby = Paus. 8.4.8 – 9; Str. 13.1.69. Bei Apollod. 2.7.4 = 2.146; 3.9.1 = 3.103 f. wird das Kind erst von seiner Mutter im Tempelbezirk ausgesetzt, dann vom Großvater im Gebirge. In anderen Versionen gebiert Auge auf dem Berg Parthenion (E. Telephos fr. 696 Kannicht TrGF 5.2, 67, p. 687 – 689), worauf sie zum mysischen Kçnig Teuthras gebracht wird (von Nauplios selbst: Hecat. FGrHist 1, fr. 29 Jacoby = Paus. 8.4. 8 – 9; Alcid. Od. 16; von karischen Reisenden, an die Nauplios sie bergeben hat: D. S. 4.33.10) und das Kind zurcklassen muß, das somit gleichsam eine zweite Aussetzung erlebt. 514 In A. Diktyulkoi ist die Aussetzung vorausgesetzt (fr. 46a; 47a Radt TrGF 3, p. 162 – 165; 167 – 173); explizit dann Apollod. 2.4.1 = 2.35; Hyg. Fab. 63; Str. 10.5.10. 515 Vgl. Huys 1995, 227 f. 516 Delcourt 1944, 51 – 54 bringt das Schwimmen der Kiste im Wasser mit initiatorischen Riten des Untertauchens in Verbindung.
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Korinth gebunden, daß eine Ortsvernderung die Rezipienten der Geschichte mehr irritiert htte als die mrchenhafte ,endgltige Sicherheit in der Kiste. In jedem Fall aber scheint die als solche nicht notwendige Kiste eine rein symbolische Funktion einzunehmen, auf die unten 222 – 224 weiter eingegangen werden soll. Funktion 3.2, die bergabe des Kindes zur Aussetzung an einen Dritten, der den Befehl nicht ausfhrt, ist vor allem in der dipus-Geschichte sehr deutlich ausgeprgt; die komplexen Zusammenhnge zwischen der bergabe des Kindes von Kçnig Laios an den ersten Hirten und vom zweiten Hirten an Kçnig Polybos konstituieren die Struktur von Sophokles ,kriminalistischer Tragçdie.517 Aber auch im Falle des Telephos existiert eine Variante, in welcher der Großvater Aleos seine Tochter samt Kind dem Nauplios bergibt, mit der Auflage, das Mdchen ins Meer zu werfen; dieser jedoch lßt sie am Leben.518 Weiter ist die Funktion in einigen Versionen der Paris-Geschichte zu finden: in Euripides Troerinnen spricht Helena von einem pqesb}r, der das Kind nicht getçtet hat, wobei es sich allerdings um Priamos selbst handeln kçnnte (E. Tr. 921);519 bei Hygin setzen die Diener, denen Paris zum Tçten gegeben worden ist, das Kind aus Mitleid aus (Fab. 91). Die bergabe an einen Dritten ist kein notwendiger Bestandteil des Aussetzungsmythos.520 Ist sie jedoch vorhanden, wird die Schicksalshaftigkeit des Vorgangs umso strker betont, da das berleben des Kindes mit jedem Glied der Kette aufs neue gefhrdet ist – und am Ende dennoch erfolgt. Funktion 4.1, die vorbergehende Pflege des Kindes durch ein Tier, ist sehr hufig mit der Variante 4.2 kombiniert, der Aufzucht des Kindes durch Fremde:521 Den Zeusknaben hten verschiedene Gçttinnen und die Ziege 517 Z. B. S. OT 1142 – 1151. 518 Alcid. Od. 15 f. 519 Neben anderen geht Lee 1976 davon aus, daß Priamos gemeint sei. Diese Annahme ist jedoch nicht zwingend: unter dem genannten pq]sbur ist durchaus ein mit der Aussetzung beauftragter Hirte vorstellbar, hnlich demjenigen in Sophokles Oedipus Tyrannus, zumal gleich im Anschluß auf das Urteil eingegangen wird, das mit Paris Hirtendasein assoziiert wird. 520 Vgl. Long 1987, 131, der darauf hinweist, daß das ,Zwischenglied Harpagos in der Kyrosgeschichte des Pompeius Trogus (Just. 1.4) nicht figuriert, und Huys 1995, 143 – 147. 521 Zu den Fllen, in denen die beiden Erzhlfunktionen nicht mit der Bedrohlichkeit des Kindes kombiniert sind, bzw. zu nichtgriechischen Beispielen vgl. die bersichtliche Darstellung bei Huys 1995, 398 f.
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Amaltheia;522 Telephos wird zunchst von einer Hirschkuh gesugt523 und spter von Hirten524 gefunden; Paris wird von einer Brin genhrt,525 dann von einem oder mehreren Hirten gefunden und aufgezogen;526 Aigisthos schieben die Hirten, die ihn finden, einer Ziege unter.527 Im Falle des dipus ist die Aufzucht durch ein Tier nicht berliefert; hier ist es der korinthische Hirte, der den Knaben ,findet bzw. ihn vom Hirten des Laios entgegennimmt528 – wie in Herodots Kyros-Geschichte sind auch hier mehrere Parteien an der Rettung des Kindes beteiligt. Wunderbar wie die Umstnde seines berlebens sind bisweilen auch gewisse Eigenschaften des ausgesetzten Kindes, durch die es unter den einfachen Leuten heraussticht, die es großziehen.529 Manche der Findelkinder weisen schon als Suglinge besondere Eigenschaften auf.530 So heißt es von Zeus, er sei besonders schçn gewesen und sei schnell herangewachsen,531 und ber dipus, er sei besonders schçn und strker als andere Kinder gewesen532 – seine berragende Intelligenz stellt er spter unter Beweis, als er als einziger das Rtsel der Sphinx lçsen kann. Als Erwachsene tun sich berhaupt alle Findelkinder in irgendeiner Form besonders hervor. 522 Vgl. Hes. Th. 479 – 484 (Gaia); Call. Jov. 33; 45 – 53 (Neda, Korybanten, Kureten und Amaltheia); Schol. D zu Il. 15.229 = POxy. 3003 (Themis und Amaltheia). 523 S. Aleadai (fr. 89 Radt TrGF 4, p. 145 f.); D. S. 4.33.11; Hyg. Fab. 99 f.; Tz. ad Lyc. 206; Apollod. 2.7.4 = 2.147; 3.9.1 = 3.104. Bildl. Darstellung ab dem 5. Jh. v. Chr., vgl. LIMC 7 s. v. Telephos, p. 862 f., 5 – 17. Die Hirschkuh, 5kavor, ist Aition fr den Namen des Findlings. Nur das Pergamonfries hat eine Lçwin statt der Hirschkuh; vgl. LIMC 7 s. v. Telephos, p. 857, 1, Pl. 12). 524 D. S. 4.33.11; Hyg. Fab. 99 – 100; Tz. ad Lyc. 206; Apollod. 2.7.4 = 2.147; 3.9.1 = 3.104. Bildliche Darstellung vermutlich auf dem Pergamonfries; vgl. LIMC 7 s. v. Telephos, p. 857, 1, Pl. 9. 525 Ael. VH 12.42; Tz. ad Lyc. 138; Apollod. 3.12.5 = 3.150. 526 Schol. A zu Il. 3.325; Tz. ad Lyc. 86; 138; Apollod. 3.12.5 = 3.150; Hyg. Fab. 91. Paris selbst wird entsprechend dieser ,sekundren Herkunft hufig als Hirte bezeichnet: bot^q, S. Alexandros (fr. 93 Radt TrGF 4, p. 147); bouj|kor, E. IA 180; 574; 1292; (!mμq) bo}tar, E. Hec. 646; 944. 527 Ael. VH 12.42; Hyg. Fab. 87 f.; 252. 528 Z. B. S. OT 1025 – 1040. 529 Vgl. Huys 1995, 335 – 343. 530 Zu den Beispielen, die nicht zum Paradigma des bedrohlichen Kindes gehçren bzw. zu nichtgriechischen Beispielen vgl. Huys 1995, 339. 531 Zur Schçnheit vgl. Call. Jov. 57; Serv. ad Verg. A. 3.104; Myth. Vat. (1) 2.3.2; zum schnellen Wachstum Hes. Th. 492 f.; Call. Jov. 55; vgl. Laager 1957, 186. 532 Vgl. zur Schçnheit das Schol. zu E. Ph. 24; zur besonderen Strke des Kindes Apollod. 3.5.7 = 3.50.
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Bleibt die letzte Funktion, die Erfllung der Prophezeiung, die in der Regel mit der Wiedererlangung des Geburtsrechts durch das Kind verbunden ist: Zeus strzt Kronos mit Hilfe der Titanen533 – wie auch Herodots Kyros die Hilfe der vom Unterdrcker Geschdigten in Anspruch nimmt;534 der verlorene Sohn dipus strzt in einer tragisch-ironischen Wendung der sechsten Funktion eben durch die Wiedererlangung seines Geburtsrechts als Herrscher von Theben ins Unglck; Paris fhrt Troias Untergang herbei. Das Behltnis, in dem Perseus und Danae ausgesetzt worden sind, wird an die Insel Seriphos geschwemmt und von Diktys, dem Bruder des dort regierenden Kçnigs gefunden, der Mutter und Kind aufnimmt.535 Spter versçhnt sich der Jngling mit seinem Großvater und wird von diesem anerkannt, tçtet ihn aber versehentlich beim Diskuswerfen.536 Aigisthos wird von den Hirten seinem Onkel Atreus bergeben, der den Knaben an Sohnes Statt aufzieht. Atreus sendet den Ziehsohn spter aus, Thyestes zu tçten; dieser erkennt in Aigisthos jedoch den eigenen Sohn, der daraufhin den Atreus tçtet.537 Der Jngling nimmt wieder seinen richtigen Platz ein, die Prophezeiung erfllt sich trotz widrigster Umstnde: Aigisthos rcht nicht seinen vermeintlichen Vater Atreus an dessen Bruder Thyestes, sondern, wie vorausgesagt, den leiblichen Vater Thyestes an Atreus. Eine leichte Verschiebung zeigt sich bei Telephos: er wird von den Hirten des Kçnigs Korythos gefunden, der den Knaben an Sohnes Statt annimmt.538 Spter trifft Telephos mit Hilfe des delphischen Orakels seine Mutter wieder, heiratet die Tochter des Teuthras oder wird dessen Adoptivsohn und erbt das Kçnigreich; Funktion 6 ist also im Gegensatz zum sehr hnlich verlaufenden Perseus-Mythos lokal verschoben, indem der Prinz nicht sein eigenes Geburtsrecht wiedererlangt, aber eine adquate Position einnimmt.539 Die Prophezeiung erfllt sich jedoch trotzdem: 533 Apollod. 1.2.1 = 1.6 f.; vgl. Hes. Th. 501 – 506. 534 Ebenso hatte Kronos Uranos gestrzt (Hes. Th. 163 – 210); es ist dies freilich keine eigentliche Aussetzungsgeschichte. 535 Serv. ad Verg. A. 7.372; Apollod. 2.4.1 = 2.35; vgl. Plin. Nat. 3.56. 536 Schol. zu A. R. 4.1091; Paus. 2.16.2; Apollod. 2.4.4 = 2.47. 537 Hyg. Fab. 88. 538 Apollod. 3.9.1 = 3.104; D. S. 4.33.11. 539 Alcid. Od. 16; Str. 13.1.69; Apollod. 3.9.1 = 3.104; D. S. 4.33.11 f. An den beiden erstgenannten Stellen wird die Anagnorismosgeschichte nicht erzhlt (dies auch nicht bei Apollodor), ebensowenig die Aussetzung des Kindes im Gebirge: Telephos scheint von Teuthras direkt adoptiert zu werden, nachdem Auge und das
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Hippothoos und Nereus, die Sçhne des Aleos, werden von Telephos getçtet.540 Warum die herodoteischen Figuren mit solch ,heroischen Biographien versehen sind, leuchtet zunchst vor allem im Falle des Kyros ein. Der anfangs so unbedeutende Perser, der durch die Eroberung des Mederreichs und schließlich auch Kleinasiens und Babylons das persische Großreich begrndet, kann kaum die Vita eines gewçhnlichen Sterblichen aufweisen; folglich wird er mit einer typischen Heroenbiographie versehen, eben der Erzhlung vom ausgesetzten Kind.541 Die Bedeutung des Aussetzungsschemas ist aber nicht unumstritten. Neben historischen Erklrungsversuchen, die angesichts der Mrchenhaftigkeit der Geschichte auf schwachen Fßen stehen – das ausgesetzte Kind berlebt im Mythos immer, whrend dies in einer historischen Realitt kaum je der Fall gewesen sein drfte –, sind diverse psychoanalytische542 und rituelle Anstze verfolgt worden.543 In besonderem Maße Kind (durch Nauplios oder in der Kiste) zu ihm gelangt sind. – Eine andere Variante zum Anagnorismos des Telephos und seiner Mutter liefert Hyg. Fab. 100: Auge flieht aus Angst vor ihrem Vater nach Mysien, wo sie von Kçnig Teuthras als Tochter angenommen wird. Teuthras verspricht spter dem jugendlichen Helden Telephos seine ,Tochter Auge zur Frau, wenn er ihn von seinem Feind Idas befreie, was auch geschieht. Auge aber will den Freier tçten, da sie Keuschheit gelobt hat. Als sie mit gezcktem Schwert vor ihm steht, erscheint durch den Willen der Gçtter plçtzlich eine riesige Schlange; Auge wirft das Schwert weg und verrt sich so dem Telephos, der sie nun seinerseits tçten will. Als sie verzweifelt den Herakles anruft, erkennt Telephos sie und fhrt sie in die Heimat zurck. Diese Version stellt das Pergamonfries aus dem 2. Viertel des 2. Jh. v. Chr. dar; mit der Abweichung, daß es dort Auge ist, die ausgesetzt wird und in der Kiste nach Mysien treibt (LIMC 7 s. v. Telephos, p. 857, 1, Pl. 5 – 6). 540 Hyg. Fab. 244. 541 Vgl. Huys 1995, 124 mit Anm. 124 speziell zum Motiv der Prophezeiung: „All kinds of omens and predictions of the future greatness of the new-born child belonged in antiquity to the stock biography of any hero or king.“ Er verweist ferner auf Men.Rh. 2.371, wo derartige Prophezeiungen als notwendiger Bestandteil des 1cj~liom basik]yr bezeichnet werden. Griffin 1990, bes. 56 – 61, sieht in der Biographie des Kyros eine Anlehnung an die biographische Tradition der Homerviten. Er interpretiert die ,Kleine-Leute-Szenen, die im Zuge von Kyros Kindheit geschildert werden („Frauen und Babies, spielende Knaben“, „menschliche und niedrige Elemente“, 59) als genrehafte Einschlge, die den Aufstieg des Kyros umso spektakulrer erscheinen lassen, da sie die „grçßtmçglichen Spanne“ (58) der menschlichen Mçglichkeiten illustrieren; als kontemporren Vergleich zieht Griffin die moderne Heroengeschichte des ,amerikanischen Traums heran: „,von der Holzhtte ins Weiße Haus“ (58). 542 Vgl. unten Anm. 560.
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scheint das Paradigma der Initiation in der Aussetzungsstruktur gespiegelt (sei sie Puberttsweihe oder Mysterieninitiation544), da diese wie ein Initiationsritual in der Trennung des Kindes von der Gesellschaft, der Liminalittsphase und der Wiedereingliederung des Initiierten besteht; das berleben des Kindes ist also unabdingbare Voraussetzung fr die dritte Phase der Initiationsstruktur. Neben dieser allgemeinen Struktur weisen auch zahlreiche Einzelheiten auf das Initiationsschema hin. So findet die bergangsphase in der Natur statt, hufig in einer besonders rauhen, einsamen Gegend,545 wie gerade im Falle des Kyros betont wird.546 Diese Schaupltze sind typisch fr den Rckzug aus der Kulturwelt, außerhalb derer ein Initiationsritus vollzogen werden muß.547 Das neue Leben, der Triumph ber den Tod, der durch den Initiationsritus veranschaulicht ist,548 wird in Kyros Fall zustzlich verdeutlicht, wenn man die kostbare Kleidung des Suglings – er ist mit Gold und bunten Kleidern geschmckt549 – als Grabbeigaben deutet.550 Das Kollektiv, in dem sich der Initiand hufig befindet551 (bei Kyros sind es die gleichaltrigen Kinder552), deutet auf eine
543 Vgl. mit einer Zusammenfassung und weiterfhrender Literatur Huys 1995, 13 – 24. 544 Vgl. Binder 1964, 36 f., der im Kontext des Dionysoskults auf die rituelle Nachstellung der Aussetzung des Gottes verweist. 545 Vgl. oben 139 mit Anm. 350. 546 Hdt. 1.110.1 f.; 1.110.3; 1.113.2; 1.117.4.; vgl. Long 1987, 143; 159. 547 Vgl. zur abgeschiedenen Lokalitt dieser „Periode im Draußen“ (Graf 1998, 1002) Delcourt 1944, 51 („Lexposition en montagne est probablement la transcription mythique des retraites de linitiation“); Huys 1995, 163 f. Zu den mnnerbndlerischen Zgen der Hirtengesellschaft, in der Kyros aufwchst, vgl. Binder 1964, 22 – 24. 548 Die Todeshnlichkeit des Erlebnisses ist in zahlreichen Aussetzungsgeschichten zustzlich betont, indem dem ausgesetzten Kind Verletzungen zugefgt werden, die oft symbolischer Natur sind (dipus durchbohrte Fße, der Schnitt in den Hals im russischen Volksmrchen) und den Maßnahmen zur mçglichen Rettung des Ausgesetzten (Kissen, Decken, Gefß) erzhllogisch widersprechen; vgl. Propp 1944, 92 – 95, der die Verletzung des Kindes geradezu als Initiationsmerkmal des Herrschers deutet: „The king must be one who has passed through the rite of initiation and can display the marks of death, the equivalent of the ritual tattoo or seal“ (94 f.). 549 Hdt. 1.111.3: jejoslgl]mom wqus` te ja· 1sh/ti poij_k,; vgl. 1.111.4. 550 Vgl. Long 1987, 144; Huys 1995, 206 – 208. Zum Element des Triumphs des Lebens ber den Tod im Aussetzungsschema und zur Begrbnissymbolik vgl. ebenda, 239 – 246, wo gerade Herodots Kyros-Geschichte als „clearly dominated by the aspect of death“ bezeichnet wird (245). 551 Vgl. Propp 1944, 103.
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Initiationsgruppe hin, die Wahl des Kyros zum Kçnig innerhalb dieser Gruppe gar auf ein Krçnungsritual.553 Weiter ist die Namensgebung im Zuge des Initiationsvorgangs Zeichen der Identittsfindung des Initianden.554 Klar erfolgt diese im Mythos bei dipus und Telephos,555 in den Historien bei Kypselos; aber auch im Falle des Kyros wird stark betont, daß die Pflegemutter dem Knaben einen anderen Namen gibt und daß die Spielgefhrten ihn noch nicht als Kyros kennen (1.113.3; 1.114.4); Astyages nennt ihn bei der ersten Zusammenkunft lediglich s}, ,Du da (1.115.2). Das Motiv der Pflege durch ein Tier mag auf totemistische Initiationsriten zurckgehen,556 oder auf Mnnerbnde, die mit Tieren identifiziert wurden.557 Auch die – nicht immer gegebene, aber im Falle von Kyros und Kypselos erkennbare – große Bedeutung der Frauenfigur weist auf Initiationsriten hin, bei denen die Initianden als Kinder einer gemeinsamen
552 Vgl. die von Long 1987, 152 f. bemerkte auffllige Hufung der Wortfamilie pa?r in bezug auf Kyros und seine Altersgenossen: der vorinitiatorische Status des noch an der Schwelle der Wiedereingliederung stehenden Kçnigs wird klar hervorgehoben. 553 Binder 1964, 29 – 31 faßt auch die Knabengruppe als Mnnerbund auf und zieht zum Vergleich u. a. den indischen Mythos von Candragupra heran, der ebenfalls von seinen Spielkameraden zum Kçnig gewhlt wird („Wie in der Kyrossage ist auch hier das Kçnigsspiel kein Kinderspiel, sondern die kultische Handlung eines Geheimbundes“, 29), sowie das Ballspiel des Hormizd aus der iranischen Sage, in dessen Verlauf auch dieser verborgene Kçnigssohn von seinem Großvater erkannt wird. Die Initiation spterer persischer Kçnigsanwrter bestand dann darin, die Biographie des Kyros nachzustellen, so Plu. Art. 3.1 f. Vgl. Binder 1964, 24; 26 f. sowie bereits Alfçldi 1951. 554 Vgl. etwa Propp 1944, 101 f.; ferner Calame 1986, 174 – 185 zur metaphorischen und charakterdefinierenden Qualitt griechischer (mythischer und literarischer) Namen. 555 Vgl. oben Anm. 523. Laut dem Schol. zu E. Andr. 293 gelangt auch Paris im Kontext seiner Aussetzung zu seinem Namen, der sich von dem Ranzen herleitet (p^qa), in dem der Findling sich befindet. Als Jngling heißt er dann Alexandros, weil er Ruber von den Herden abhlt (Apollod. 3.12.5 = 3.150). 556 Vgl. Propp 1944, 95 – 97, der sich auf ein Zulu-Ritual bezieht, bei dem der Initiand vom Totemtier verschlungen und wieder ausgespien wurde. Vgl. weiter Huys 1995, 273 f. unter Verweis auf Merkelbach 1962, 196 – 198, der das Trinken von Milch im Zuge der dionysischen Mysterienweihe als symbolisches Gesugtwerden und dadurch als symbolische Wiedergeburt betrachtet. Etwas anders Binder 1964, 45 – 57, der das Tier als Ahnherrn eines Volkes und die Pflege durch das Tier als Modifikation eines Tierabstammungsmythos auffaßt. 557 Vgl. Binder 1964, 35 f.; generell zur Identifikation von Mnnerbnden mit einer Tierfigur vgl. Burkert 1972, 103 f.; vgl. unten 259.
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Mutter betrachtet werden oder selbst das Geschlecht vertauschen558 – das letztere Phnomen mag in der mythischen Erbfolge gespiegelt sein, die durch Tochter und Enkelsohn zwischen den Geschlechtern wechselt. Daß eine Ausnahmefigur wie Kyros die kçnigliche Initiationsprfung besteht, ist selbstverstndlich: sein berleben bedeutet gleichzeitig die Legitimierung seines Herrschaftsanspruchs.559 In generellerer Weise ist das Aussetzungsschema mit Generationenwechsel und Neubeginn verbunden, wie dies durch Kyros Erstarken ebenfalls gegeben ist: die Mederherrschaft vergeht, das Perserreich entsteht.560 Neben dieser positiven Deutung des Aussetzungsopfers als eines heroischen Kindes, das sich gegen Widrigkeiten und Verfolgung durchsetzt, darf aber der Aspekt der Bedrohlichkeit nicht bersehen werden. Alle Unglcksprophezeiungen im Kontext der Aussetzungen erfllen sich. Die Gefhrlichkeit des mythischen Heros561 ist dabei nicht immer nur gegen den Vorgnger gerichtet, der seine Position bedroht sieht. Mindestens dipus und Paris fhren den Untergang ihres ganzen Hauses herbei; als Folge von dipus Verbrechen bricht in Theben die Pest aus. Ein koil|r als 558 Vgl. Propp 1944, 100 f. 559 Zur Aussetzungsgeschichte als Legitimierung von Macht vgl. z. B. Huys 1995, 34 mit Anm. 35. Vgl. Propp 1944, 84 speziell zum dipus-Typus: „,Oedipus was originally a tale of kings, and like a true fairy tale it ended with accession to the throne“, bzw. ebenda, 104: „during the period of his upbringing the hero acquires the qualities of a leader, and … originally these qualities were connected with totemistic magic and with the training of youths during initiation“ (vgl. oben Anm. 548). 560 Vgl. Huys 1995, 22. Diese generelle Basis der Interpretation versçhnt fr ihn die rituellen Auslegungen der Struktur mit den psychoanalytischen: letztere werden alle auf eine Wunschprojektion des Individuums zurckgefhrt; bei Rank 1909 besteht diese in der Ersetzung der mit Mngeln behafteten echten durch gçttliche oder kçnigliche Eltern, wobei der Mythos des verfolgenden Vaters zur Rechtfertigung der feindlichen Gesinnung des Kindes gegen den Vater dient; bei Jung 1940, bes. 107 – 110, vermittelt das Kindmotiv als einer der Archetypen des kollektiven Unbewußten zwischen der „ablehnenden Haltung des Bewußtseins“ und dem „horror vacui des Unbewußten“ (108); ihm folgt Hillman 1971, fr den das Kindmotiv eine „archetypal subjectivity“ (403) reprsentiert. Grundstzlich geschieht dasselbe wie nach der rituell-initiatorischen Deutung: „wholeness, new and stronger life is born via the risk of destruction“ (Huys 1995, 17; vgl. ebenda, 22 f.). Zur Vertrautheit von Euripides (und damit natrlich auch Herodots) athenischem Publikum mit den religiçsen Konnotationen der mythischen Struktur vgl. Huys 1995, 122. 561 Brelich 1958, 268 – 278 sieht eine ,moralische Ambivalenz als typisch heroisches Charakteristikum an; hier soll es jedoch zunchst um die konkrete Bedrohung durch das Unglcksorakel gehen.
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Folge der Aussetzung des Telephos im Athene-Tempel ist ebenfalls belegt.562 Auch Aigisthos spielt im weiteren Verlauf des Mythos eine ußerst negative Rolle als Geliebter der Klytaimestra und Mittter an der Ermordung Agamemnons. Die Bedrohung lebt fort, fr einen erweiterten Personenkreis, bisweilen auch fr den Heros selbst.563 Auch fr diese narrativen Traditionen existiert ein rituelles Parallelphnomen: die Eliminierung eines j\haqla oder vaqlaj|r im Zuge eines Reinigungsrituals, wie es in Athen,564 aber auch in zahlreichen anderen Kulturen belegt ist.565 Dieses kann durchaus im Tçten eines ,Sndenbocks bestehen, und letzterer mçglicherweise in einem ,Fluchkind, das etwa deformiert zur Welt gekommen ist (bei Kypselos liegt die Behinderung bei der Mutter).566 In jedem Fall ist der ,Sndenbock ein Außenseiter, wie dies sowohl bei Kyros als auch bei Kypselos durch ihre ,unterlegenen oder fremden Vter der Fall ist; die Anomalie muß aber kein physischer oder gesellschaftlicher Makel sein, sondern mag auch ins Positive schlagen und in besonderen Fhigkeiten oder gar kçniglicher Abstammung bestehen – hufige Elemente in Aussetzungsmythen, auch in den Fllen von Kyros und Kypselos. Im Falle des ausgesetzten Kindes oder Jugendlichen besteht das Außenseitertum ganz generell auch darin, daß er noch nicht in die Gesellschaft initiiert ist.567 An diesem Punkt berhren sich also die Inter562 Apollod. 2.7.4 = 2.146; 3.9.1 = 3.103 (bei letzterer Stelle: Unfruchtbarkeit statt Pest). Huys 1995, 133 – 136; 140 vermutet das Motiv auch in Euripides Auge (fr. 264a-281 Kannicht TrGF 5.1, 14, p. 332 – 341). 563 Delcourts Behauptung, daß nur Paris, Kypselos und dipus aufgrund der Gefhrdung fr die ganze Gemeinschaft ausgesetzt werden (1944, 16), muß also relativiert werden (auch bezglich der Kyrosvita, vgl. das Folgende). 564 Vgl. Burkert 1977, 139 – 142; Parker 1983, 18 – 31; ferner ebenda, 104 – 110 zur Vorstellung der Unreinheit des Mçrders in den Tetralogien des Antiphon. 565 Vgl. Huys 1995, 18 f. Zu den Reinigungs- und ,Sndenbockritualen generell vgl. Burkert 1979, 59 – 72; Girard 1982; Bremmer 1983b; Parker 1983; bersichtlich auch Compton 2006, 3 – 18. Zur Forschungsgeschichte vgl. Bierl 2007b, 34 – 37. 566 Vgl. ausfhrlich Delcourt 1938 und 1944 (bes. 1 – 65 unter Verweis auf Glotz 1904, 22, nach dessen Ansicht ein solches Kind in einem „coffre“ geopfert werden konnte, was wiederum an die Aussetzung in der Kiste erinnert), sowie weiter Girard 1972; 1982, dessen Postulat, das ,Sndenbockritual sei historischer Ursprung aller Mythen (vgl. z. B. 1982, 81), hier allerdings nicht geteilt werden soll. Fur Hufung physischer Defekte bei „colonial and political founding figures“ vgl. Calame 1996, 98, der auch „the partially illegitimate and deformed origin of Cypselus of Corinth“ nennt. 567 Vgl. Girard 1972, 27 f.; ferner Girard 1982, 31 – 34 zur „anormalit“ verfolgter sozialer Randgruppen, die ebenfalls den Status von ,Sndenbçcken einnehmen. Ein hufiger Faktor ist dabei die Fremdheit des Betreffenden (Girard zieht einmal
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pretation der Aussetzung als ,Sndenbockritual und die Deutung als Initiationsereignis. Der Sndenbock muß logischerweise aus dem Bereich der menschlichen Zivilisation entfernt werden, was der ,Periode im Draußen des Initianden entspricht, und wie beim mythischen Motiv der Pflege durch ein Tier vermischen sich auch im Kontext des j\haqla tierische und menschliche Bereiche, indem den Betroffenen irgendeine verwandtschaftliche oder sexuelle Verbindung mit Tieren nachgesagt wird.568 Interessant ist hierbei die ambivalente Bedeutung des berlebens: deutet man die Aussetzung als Entfernung eines j\haqla, steht nicht, wie es bei einem Initiationsritus der Fall wre, das Gedeihen der neuen Ordnung im Vordergrund, sondern das dadurch drohende Verderben der alten, nicht das berleben des Individuums, sondern der mçgliche Untergang des Kollektivs.569 Dennoch nimmt auch der ,Sndenbock in Mythos und Ritual eine ambivalente Position ein – so verkçrpert dipus Fluch und Erlçser zugleich, indem er zum einen Ursache der Pest in Theben ist, zum anderen aber die Sphinx tçtet und nach seiner Verstoßung zum Schutzpatron Athens wird.570 Im Kontext diverser afrikanischer Kçnigsbruche stellt Ren Girard fest, daß sich gerade die Person des Kçnigs im Zuge der Inthronisationsriten irgendeine religiçse Verunreinigung zuziehen kann, eine Befleckung, die er kraft seiner ,magischen Persçnlichkeit in Stabilitt und Fruchtbarkeit umwandelt. Auch ein Kampf zwischen Vater und Sohn kann Teil eines so gearteten Inthronisationsritus sein (1972, 27 f.; 150 – 166). Im griechischen Mythos ist die Aussetzung ebenfalls kçniglichen oder hocharistomehr das Beispiel dipus heran). Vgl. ebenda, 39 zum ausgesetzten ,anormalen Kind und 49 zur positiven Anomalie. 568 Vgl. Girard 1982, 72 – 75. 569 Vgl. Huys 1995, 23: „From a psychoanalytical and religious viewpoint, the 5jhesir stands for a belief in the coming of rescue and salvation, the instauration of a new order by the confrontation with death, winter and chaos. The fact that rescue may be interpreted as rescue of the whole community and not of an individual explains that the survival of the foundling, when thought of as a vaqlaj|r or as a cursechild, may finally cause destruction rather than salvation: this accounts for the existence of a more complex, fatalistic variant of the story-pattern, represented e. g. by the Paris and Oedipus myths.“ 570 S. OC, z. B. 459 f. Vgl. zu dipus als ,Sndenbock Girard 1972, 102 – 129; zu seiner Ambivalenz zwischen Fluch und Erlçser bes. ebenda, 125 – 129; ferner ebenda, 137 – 139, wo auch auf die analoge Doppeldeutigkeit des Begriffes v\qlajom als Gift und Heilmittel hingewiesen wird (138), und 209 f., wo Girard die Ambivalenz des dipus auf alle tragischen Helden bertrgt (vgl. oben Anm. 561). Vgl. ferner Vernant 1972, bes. 116 – 125.
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kratischen Kindern vorbehalten (auch Kyros und Kypselos zhlen zu dieser Kaste); auch die Verbindung der Aussetzung mit einem Krçnungsritual ist im griechischen Kontext hergestellt worden (vgl. oben 215 f. mit Anm. 553). Im brigen kann es nicht berraschen, daß die Vorstellung des ,Sndenbocks auch positive Konnotationen hat, da das Element, durch das eine Befleckung entsteht, andererseits dasjenige ist, durch dessen Opfer die Befleckung allein aufgehoben werden kann.571 Auch in Herodots Aussetzungsgeschichten scheint Gewicht auf der Bedrohlichkeit des Kindes zu liegen. In Kyros Fall treffen beide Perspektiven zu.572 Kyros ist sehr wohl der Held, der die Prfung bersteht und eine neue Weltordnung schafft, was durch die Assoziation mit dem Initiationsparadigma unterstrichen wird. Dennoch ist er auch unglckbringendes ,Fluchkind, und zwar in dreifachem Sinne: erstens fr den eigentlich Bedrohten, den das Orakel nennt, zweitens fr sich selbst, drittens fr einen betrchtlich erweiterten Personenkreis. Nicht nur strzt Kyros seinen Großvater Astyages, sondern er selbst wird an seiner neugewonnenen Machtflle zugrundegehen. 1.204 formuliert Herodot Kyros Grnde fr den Massagetenzug, der den Untergang des Kçnigs markiert: pq_tom l³m B c]mesir, t¹ doj]eim pk]om ti eWmai !mhq~pou (1.204.2). Mit c]mesir ist gewiß die mythische Aussetzungsbiographie gemeint, sicher nicht die Abstammung von einem Mederkçnig und einem untergebenen Perser. Sie fhrt auf den zweideutigen ,Glauben, mehr als ein Mensch zu sein, t¹ doj]eim pk]om ti eWmai !mhq~pou,573 einen Glauben, der auch der ,Anschein sein kann – sowohl die Eigenwahrnehmung des Kyros als auch die Außenperspektive auf ihn, das t]qar, das Wunderkind. Problematisch ist im herodoteischen System beides – der Mensch, der sich fr einen Gott hlt, ebenso wie derjenige, der fr einen Gott gehalten wird.574 Schließlich ist Kyros gerade fr Herodots griechische Rezipienten immer auch der Grnder des persischen Großreiches. Seine wunderbare Geburtsgeschichte evoziert das Erstarken der Perser, und somit die immense Gefahr, die das persische Großreich fr die griechische Welt darstellt. Vergleichsweise eindimensional erscheint der Fall des Kypselos. Auch sein berleben bedeutet nicht nur konkrete Gefahr fr seine Zeitgenos571 Vgl. Girard 1982, 64; 69 – 72. 572 Zur generellen Ambivalenz des ausgesetzten Kindes als „the best or the most beautiful“ und zugleich „the most monstrous or impure“ vgl. Huys 1995, 325 – 327. 573 Vgl. oben 57; 69. 574 Vgl. z. B. oben 51 zu Hdt. 7.56.2, wo Xerxes fr Zeus gehalten wird.
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sen, sondern besteht sogar nach seinem Ableben fort. Als ltester griechischer Tyrann der Historien hat Kypselos die – von Herodot grundstzlich negativ beurteilte575 – Tyrannis in Griechenland sozusagen ,erfunden; sein Nachfolger Periander wird sein Regime fortfhren und verschrfen (vgl. 5.92.f). Das Fluchkind hat die Tyrannis gebracht. Es ist kein Zufall, daß Kypselos Geburtsgeschichte im Kontext einer der herodoteischen ,Verfassungsdiskussionen angefhrt wird: der Korinther Sosikles erzhlt sie im Zuge seiner Verdammung der Tyrannis, als Reaktion auf den lakedaimonischen Vorschlag, den Tyrannen Hippias in Athen wieder einzusetzen – von „irrelevance to the tenor of the message“ (Rosenmeyer 1982, 251) kann also keineswegs die Rede sein.576 Gesttzt wird die Konnotation des Tyrannen mit dem ebenfalls außerhalb der Gesellschaft stehenden ,Fluchkind, dem „double du roi, mais lenvers“ (Vernant 1972, 123),577 durch die von Herodot nur am Rande erwhnte Geburtsgeschichte des Tyrannen Peisistratos (1.59.1 f.): Wiewohl bei diesem keineswegs von Aussetzung die Rede sein kann, erhlt sein Vater Hippokrates doch ein Unglcksorakel, demzufolge er auf keinen Fall einen Sohn zeugen drfe. Er kmmert sich nicht darum und wird Vater des knftigen Tyrannen von Athen.578
575 Zu Herodots tendenziell negativer Perspektive auf die Tyrannis vgl. oben Anm. 362. 576 Warum Rosenmeyer sechs Seiten lang auf der Anekdotenhaftigkeit der KypselosGeschichte und der Bedeutungslosigkeit des Elements der Kiste beharrt (1982, 249 – 255), ist nicht nachvollziehbar. 577 Vernant fhrt fort, dieses Double entspreche einem Karnevalskçnig, der gekrçnt werde, wenn die sozialen Ordnungen umgekehrt seien. Vgl. auch ebenda, 116: „Cette image mythique du hros expos et sauv, rejet et revenant en vainqueur, se prolonge au ve sicle, sous une forme transpose, dans une certaine reprsentation du turannos. Comme le hros, le tyran accde la royaut par une voie indirecte, en dehors de la descendance lgitime; comme lui, il se qualifie pour le pouvoir par ses actes, ses exploits. Il rgne, non par la vertu de son sang, mais par les siennes propres; il est le fils de ses oeuvres en mÞme temps que de lHeureuse Chance. Le pouvoir suprÞme quil a su conqurir en dehors des normes ordinaires le place, pour le bien et pour le mal, au-dessus des autres hommes, au-dessus des lois.“ Zur Abnormitt des Tyrannen, die ihn mit dem deformierten Fluchkind verbindet, vgl. auch Vernant 1981. 578 In anderen Aussetzungsgeschichten ist es vor allem das Inzest-Motiv (das bei Herodot keine Rolle spielt, wohl aber in den vergleichbaren Mythen des dipus und des Aigisthos), das in Griechenland mit dem Tyrannenstatus konnotiert ist; so etwa Pl. R. 571c-d; vgl. Vernant 1982 und Gentili 1986.
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Heroische oder positive Elemente der Figur des Kypselos sind zumindest in Herodots Schilderung nicht mehr zu finden: er ist ganz vaqlaj|r, dessen Entfernung allerdings vereitelt worden ist. Das Orakel vom bedrohlichen Kind zeigt also keineswegs nur Gefahr fr die Bakchiaden an, sondern wiederum eine entscheidende Vernderung fr die ganze griechische Welt. Dennoch liegt das – zunchst positiv konnotierte – Initiationsparadigma auch dieser Geschichte zugrunde: zwar befindet sich das Kind Kypselos niemals in der Natur, andererseits ist die in Aussetzungsgeschichten so hufig vorkommende Kiste immer wieder als Symbol eines Neuanfangs gedeutet worden – als Mutterleib579 und somit Mittel zu einer ,zweiten Geburt,580 als Sarg,581 also als Instrument eines weiteren rite de passage, oder als relevantes Objekt in einem Mysterienkult, wie der cista mystica in Eleusis, „a miraculous object in which imminent death is transformed into new life“ (Huys 1995, 205).582 Oft drfen diese Behltnisse nicht geçffnet werden, oder der Inhalt ist nur bei bestimmten kultischen Anlssen sichtbar; unbefugtes ffnen bedeutet Gefahr.583 Daher 579 Rank 1909, z. B. 89. 580 Der Aufenthalt in einer Kiste als Symbol fr eine ,zweite Geburt findet sich etwa in der Vita des schon erwachsenen Thoas, der in einem solchen Behltnis bers Meer fhrt und nach seiner Ankunft an Land eine vçllig neue Existenz beginnt; vgl. Delcourt 1944, 50 f.: „Thoas pre dHypsipyle [in Lemnos] et Thoas amant dOino [am neuen Ort, der Insel Sikinos] ont pu Þtre primitivement deux individus diffrents … linclusion dans le coffre implique une nouvelle naissance, une vie recommence et souvent sous un nouveau nom, une transplantation, et, dans une patrie nouvelle, un accroissement de pouvoir.“ Zur Thoas-Hypsipyle-Episode vgl. ausfhrlich Masciadri 2008, 164 – 239. 581 Vgl. Delcourt 1944, 54 f. 582 Vgl. Huys 1995, 200 – 205. Vgl. ferner Baudy 1998, der die im Kontext des patrischen Stadtfestes der Artemis Triklaria und des Dionysos Aisymnetes enthllte k\qman als Versuchssaatgutbehlter und somit als Symbol fr die „neu erlangte Zeugungsfhigkeit“ (162) der anwesenden Initianden deutet; das Fest datiert er auf Neujahr, was eine zustzliche Komponente des ,Neubeginns ins Spiel bringen wrde. 583 Vgl. Delcourt 1944, 46 – 51 und Huys 1995, 206 mit Anm. 385; erstere v. a. auch zur Geschichte des Eurypylos: aus den sprlichen Angaben Paus. 7.21.7 und 9.41.2 lßt sich wohl auf ein in einer Kiste verborgenes Dionysosbild auf Patras schließen, dessen Anblick bei Eurypylos Wahnsinn verursachte. Sie vergleicht weiter auch den oben 223 behandelten Erechtheus/Erichthonios-Mythos und kommt zu dem Schluß, die Mythen seien „la transposition dune crmonie, louverture dun tabernacle habituellement clos et la rvlation solennelle dobjets mystrieux dont la vue est interdite en temps normal“ (50). hnlich bereits Usener 1899, 101 f.
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gelten sie in zahlreichen Mythen auch immer wieder als Zeichen der Bedrohlichkeit – als plenas tacita formidine cistas. 584 Gerade Herodots athenische Rezipienten werden die Aspekte von Bedrohlichkeit und Initiation im Symbol der Kiste mit der k\qman verbunden haben, die im Erechtheus/Erichthonios-Mythos und dem zugehçrigen Fest der Arrhephorien figuriert:585 Das Schlangenwesen Erichthonios hat Athene den Kekropiden Aglauros/Agraulos, Herse und Pandrosos in einer Reqμ j_stg (Euphorion fr. 9 Powell = 11 van Groningen) anvertraut, mit dem strikten Verbot, es zu çffnen. Natrlich tun zwei der Mdchen es doch, und was sie erblicken – das gçttliche Kind mit den Schlangen oder einer einzelnen Schlange – versetzt sie in so panischen Schrecken, daß sie sich von der Burg strzen. Das Geschehen wird im Kult aufgenommen: zwei Jungfrauen nehmen von der Athenepriesterin etwas in Empfang, von dem sie nicht wissen, was es ist; dann tragen sie es einen unterirdischen Gang hinab; ,unten lassen sie zurck, was sie mitgebracht haben, etwas anderes nehmen sie auf und bringen es, eingehllt wie es ist.586 Anschließend werden diese Jungfrauen entlassen und andere an ihrer Stelle auf die Akropolis gefhrt. Walter Burkert hat die Arrhephorien 1966 als Fest der Mdcheninitiation gedeutet.587 Der Gang unter die Erde bedeutet den Tod des Kindes, das unten etwas zurcklßt, dafr aber etwas anderes, Unbekanntes, aufnimmt und zu einem neuen Leben als Frau wieder an die Oberwelt steigt; zahlreiche phallische Symbole unterstreichen das Zelebrieren der sexu584 V. Fl. 2.267 ber die Kultgegenstnde, mit denen Thoas von seiner Tochter Hypsipyle als Dionysos verkleidet wird (242 – 305). Auch hier scheint die Vorstellung eines ,Gottes in der Kiste hineinzuspielen: Thoas flieht in einer Kiste bers Meer (k\qman A. R. 1.620 – 623; curvo robore Stat. Theb. 5.287; Valerius selbst hat eine ratis defecta bzw. trunca alnus, 2.285; 2.300). Vorher ist Thoas mit seinem Vater Dionysos quasi identisch geworden; auch die Nhe der Epiphanie des Dionysos zum Verborgenwerden des Thoas bei Statius ist auffllig (Theb. 5.265 – 286; 5.287); es scheint, als sei der Gott selbst wieder in seinen Schrein zurckgekehrt, zumal Dionysos in einem solchen verborgen sein kann (vgl. die vorhergehende Anm.). Vgl. Delcourt 1944, 46 – 51 (auch unter Verweis auf Dumezil 1924); Masciadri 2008, 211 – 218. 585 Fr eine umfassende Darstellung des komplexen Mythen- und Festkontexts und der zugehçrigen Forschungsgeschichte vgl. Burkert 1966 (vgl. 1972, 169 – 173; 1977, 348 f.); Brelich 1969, 229 – 238; Brul 1987, 83 – 100; Baudy 1992; alle mit Quellen und weiterfhrender Literatur. 586 Paus. 1.27.3: j\ty l³m dμ t± veq|lema ke_pousim, kaboOsai d³ %kko ti jol_fousim 1cjejakull]mom ; bersetzung: Burkert 1966, 2. 587 Ebenso Burkert 1972, 169 – 173. Zur Debatte um diesen Ansatz vgl. Graf 2003, 12 – 15 und oben V.1.
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ellen Reifung.588 Zudem steht das Fest im Kontext der sommerlichen Neujahrsfeiern und damit zustzlich fr einen Neuanfang.589 Nun fragt sich, was die Initiation des Mdchens, das die Kiste trgt, mit dem Aussetzungsmythos zu tun hat, bei dem es offensichtlich um das Kind in der Kiste geht, vielleicht den Kçnig, der initiiert wird. Auch hierzu sei nochmals Walter Burkert herangezogen, der darauf hinweist, daß Erichthonios der ,neue Kçnig von Athen ist, daß die Aufdeckung der Kiste womçglich „auch fr das Kind eine Krise bedeutet, vielleicht den Tod – oder vielmehr: Tod und neues Leben, Initiation?“ (1966, 22).590 Das Element des Aufdeckens findet sich auch in der Geschichte des Kyros. Als der Hirt seiner Frau das Baby zeigt, ,deckt er es auf und zeigt es ihr (1jjak}xar !pede_jmue), nachdem er die deutlich deiktischen Worte mOm te fde 1st_ gesprochen hat: ,nun, das da ist er (1.111.5 – 112.1). Die Aufdeckung des Kyrosknaben ist also auch in den Historien eine bedeutsame Handlung von großer Symbolkraft. Wie das Beispiel des Erichthonios-Mythos zeigt, ist das Paradigma der Initiation – in psychologischer Hinsicht wenig berraschend – durchaus mit Schrecken, mit Negativem assoziierbar; im Falle der Mysterieninitiation ist das ,verstçrende Erlebnis gar die Regel.591 Somit ist gut nachvollziehbar, warum die Assoziation der Initiation, des Neuanfangs, auch in Herodots
588 Brul 1987 relativiert diese Deutung nur leicht, indem er darauf hinweist, daß es sich nicht um eine sexuelle Initiation im strikten Sinne handelt, sondern eher um eine „initiation par allusion“ (97). 589 Burkert 1972, 153 – 235; vgl. Bierl 2001, 230 – 233 und 248 f. zusammenfassend und mit weiterfhrender Literatur (und 2007b generell zu Verbindungen von Neujahrs- und Initiationsparadigma). Aus der Tatsache, daß Arrhephorien und SkiraFest (vgl. die folgende Anm.) zum Zeitpunkt der Ernte stattfinden sowie durch Analogisierung des Erechtheus/Erichthonios- mit dem Adonis-Mythos und der Erechtheus/Erechthonios-Kiste mit den Gefßen, an denen an den Adonien junges Getreide zum Keimen gebracht wurde, schließt Baudy 1992 auf eine symbolische Gleichsetzung der mnnlichen und weiblichen Initianden mit dem jungen Getreide, wodurch Jugendweihe und Saatgutprfung terminlich zusammenfallen. 590 Auch Baudy 1992 weist auf die Kopplung mnnlicher und weiblicher Initiationsriten ber die Festsequenz der Arrhephorien und Panathenen hin, da an letzteren Waffentnze von Epheben aufgefhrt werden; er betrachtet Erichthonios als „Urepheben“ (14). Außerdem datiert er die Arrhephorien auf die Nacht, die den Skira folgt, die wiederum den Todestag der Kekropstochter Aglauros/ Agraulos markieren und somit als Datum des Epheben-Eides in Frage kommen, der im Tempel der Aglauros/Agraulos abgelegt wurde (14 – 21). 591 Vgl. Graf 2000, 622.
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Kypselos-Geschichte nicht notwendigerweise positiv konnotiert ist – zumal die erstarkende neue Ordnung hier in der Tyrannis besteht. Es ist bisweilen bemerkt worden, daß das Erzhlschema der Aussetzung eine Entwicklung durchluft, was seine moralische Gewichtung angeht. Der in der Erzhlung gespiegelte Initiationsritus besteht zunchst einfach im nicht anders als positiv zu wertenden Triumph des Lebens ber den Tod; sptestens bei Sophokles aber wird die Tçtung des Vaters durch den Sohn moralisch problematisiert.592 Dieser ,Entwicklungsgedanke lßt jedoch die mit dem Initiationsparadigma verschmolzene Vorstellung der Aussetzung als Reinigungsritus außer acht, die das Kind von Anfang an als schdliches Element wertet. Bei Herodot ist die Wertung offensichtlich ambivalent. Weder Kyros noch Kypselos sind reine ,Fluchkinder – bei beiden handelt es sich immerhin um einflußreiche Herrscher, wenn auch Kypselos mehr ins Negative tendiert. Ein makelloser Held ist weder der eine noch der andere. Diese Ungewißheit scheint einmal mehr der Uneindeutigkeit der faktischen Realitt geschuldet, der in den Historien immer Rechnung getragen wird. Die Prophezeiungen der beiden historischen Helden beziehen sich eben nicht auf ein konkretes Geschehen – weder Kyros noch Kypselos tçten ihren Großvater –, sondern auf historische Entwicklungen: die Grndung des Perserreichs, die Einrichtung der Tyrannis in Griechenland. Hier zeigt sich die neue Verwendung der Struktur durch Herodot: der Mythos fungiert als Markierung historischer Tendenzen und somit in jedem Fall als interpretatives Werkzeug. Es ist schlicht unmçglich, die beiden Figuren in irgendeiner Weise eindeutig zu schildern. Umso folgerichtiger ist ihre Verknpfung mit einer mythischen Struktur, die sich einer moralischen Wertung entzieht, sofern sie mit all denjenigen Schattierungen gedacht wird, die zwischen ausgesetztem Helden und ,Fluchkind mçglich sind. Es
592 Propp 1944, 110 f. sieht einen ersten Entwicklungsschritt in dem Element der Zuflligkeit des Vatermordes, das dem Grundschema seiner Meinung nach spter beigefgt worden ist und es mit der Thematik der Schicksalshaftigkeit, schließlich auch mit dem Feld der Tragçdie verknpft. Noch spter wird der tragische Held dann zum Bçsewicht, etwa in der mittelalterlichen Judaslegende (vgl. Edmunds 1985, 18 zu den verschiedenen Varianten). Das berleben des ausgesetzten Kindes wird damit endgltig zum Negativum. Vgl. Huys 1995, 45 f., der die negative Wertung des Kindes als „certainly determined by a historical evolution of religious and moral thought“ bezeichnet: in den ,primitiveren Formen der dipus-Legende etwa werden sein Vatermord und Inzest wesentlich weniger problematisiert als etwa bei Sophokles.
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V. Rite de passage
kann kaum erstaunen, daß die Aussetzungsstruktur auch unabhngig von Herodot ein historiographischer593 Topos ist.594
3. Der jugendliche Flchtling 3.1 Adrastos – ,the Boys Tragedy (1.34 – 45) Die Geschichte des Adrastos in Herodots ,lydischem Logos weist eine besonders offensichtliche Adaption eines mythischen Erzhlmusters auf: das des Jnglings von hoher Abkunft, der wegen eines Mordes aus seiner Heimat fliehen muß. Herodots Flchtling ist Adrastos (dessen Geschichte im folgenden ohne Bercksichtigung derjeniger Einzelmotive nachvollzogen werden soll, die nicht mit der Flchtlings-Struktur zusammenhngen). Adrastos, der aus der phrygischen Kçnigsfamilie stammt, kommt an den lydischen Hof und bittet Kroisos, ihn vom Mord zu entshnen: ,Lyder und Griechen haben eine hnliche Art der Reinigung (5sti d³ paqapkgs_g B j\haqsir to?si Kudo?si ja· to?si þkkgsi, 1.35.2), sagt Herodot selbst gleichsam in Ankndigung der Traditionalitt des nun folgenden: das Ritual, das auch seinem Publikum vertraut ist, wird zum Auslçser der Erzhlung, die den athenischen Rezipienten ebenfalls bekannt vorkommen wird. Noch bevor Kroisos Nheres ber die Herkunft des Fremden erfahren hat, vollzieht er das Entshnungsritual. Als er erfhrt, Adrastos sei der Sohn seines Freundes Gordias und habe seinen Bruder nur unabsichtlich getçtet, ist er hocherfreut und bietet dem Jngling uneingeschrnkte Gastfreundschaft an. In den folgenden fnf Kapiteln tritt die Person des Adrastos in den Hintergrund. Es ist die Rede von einem Eber, der die Gegend verwstet. 593 Auch in der tragischen Verarbeitung der Aussetzungsstruktur ist Herodots Einfluß erkennbar; vgl. Huys 1995, 342 f. 594 Vgl. Binder 1964, 71. Direkten Bezug auf Herodot zeigt D. S. 19.2.2 – 7, der von dem syrakusanischen Tyrannen Agathokles berichtet, daß dessen Vater ihn als Kind habe aussetzen lassen, durch Trume und Orakel gewarnt. Als der gerettete Knabe, der – wie Kyros – schçner und grçßer ist als seine Altersgenossen, schließlich vom Vater gesehen wird, berlegt sich dieser, ob die Zeit, die seit der Aussetzung des Jungen verstrichen ist, mit seinem Alter bereinstimmt – ebenso wie Astyages; vgl. Hdt. 1.116.1 (f te wq|mor t/r 1jh]sior t0 Bkij_, toO paid¹r 1d|jee sulba_meim) und D. S. 19.2.6 (tgkijoOtor #m Gm b 1jtehe_r, eUpeq 1tq\vg).
3. Der jugendliche Flchtling
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Kroisos will seinen Sohn Atys daran hindern, an der Jagdgesellschaft teilzunehmen; vorgngig ist von einem Traum des Kçnigs berichtet worden, demzufolge sein einziger gesunder Sohn und Nachfolger Atys durch eine eiserne Lanzenspitze sterben werde (1.34). Um ihn von kriegerischen Unternehmungen abzuhalten, hat der besorgte Kroisos seinen Sohn verheiratet und alle Waffen aus seiner Nhe entfernen lassen. Atys jedoch gelingt es, den Vater mit dem Argument zu berzeugen, ein Eber kçnne wohl keine eiserne Lanze handhaben, worauf Kroisos ihn schließlich ziehen lßt. Zum Schutz gibt er ihm den eben entshnten Adrastos mit: ein ganzes Kapitel widmet Herodot Kroisos Bitten an den Gast und seiner Mahnung an dessen Verpflichtung gegenber dem Reiniger. Das darauffolgende Kapitel enthlt Adrastos Antwort: er empfinde es zwar als unpassend, daß ein von solchem Unglck Betroffener sich unter glckliche Altersgenossen mische; dennoch schulde er Kroisos viel, daher verspreche er ihm, Atys heil wieder nach Hause zu bringen. Natrlich geschieht das Unvermeidliche: Adrastos zielt mit seiner Lanze auf den Eber, trifft aber den Atys. Als Kroisos davon erfhrt, klagt er Fe»r jah\qsiom, 1p_stiom und 2taiq^iom an (1.44.2) – weil der von ihm Gereinigte, Aufgenommene und als Freund dem Sohne Mitgegebene zum Mçrder des Atys geworden sei. Als Adrastos dem Kroisos gegenbertritt und dessen furchtbares Leid erkennt, hat der Kçnig Mitleid mit dem Jngling und spricht ihn von jeder Schuld frei, indem er ihm sagt, daß die Gçtter ihm schon lange zuvor bles angekndigt hatten. Adrastos jedoch tçtet sich am Grab des Atys selbst und wird von Herodot zum Schluß gleichsam mit einer Grabinschrift versehen: -dqgstor d³ b Coqd_ey toO L_dey, oxtor dμ b vome»r l³m toO 2yutoO !dekveoO cem|lemor, vome»r d³ toO jah^qamtor, 1pe_te Bsuw_g t_m !mhq~pym 1c]meto peq· t¹ s/la, succimysj|lemor !mhq~pym eWmai t_m aqt¹r Õdee baqusulvoq~tator, 1pijatasv\fei t` t}lb\ 2yut|m. (1.45.3) Adrastos, der Sohn des Gordias und Enkel des Midas, der zum Mçrder seines eigenen Bruders geworden war, und dann zum Mçrder am Sohne seines Reinigers, sah erkennend ein, daß er selbst der unglcklichste aller Menschen sei; und als es am Grabe von Menschen still geworden war, tçtete er sich selbst auf dem Grabhgel.
Die Geschichte vom Jngling, der – absichtlich oder unabsichtlich – einen Verwandten tçtet, ins Exil geht, entshnt wird und in der neuen Heimat hufig eine privilegierte Stellung einnimmt – oft als Freund oder Erzieher des Prinzen, bisweilen als Gatte der Prinzessin – findet sich im griechischen
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V. Rite de passage
Mythos beraus hufig.595 Es spricht viel dafr, daß es sich um die mythische Spiegelung eines Initiationsrituals handelt: der Protagonist ist immer ein Jngling, der aus der eigenen Gesellschaft ausgestoßen wird, an einen anderen Ort geht und dort ein neues Leben beginnt. Man kçnnte einwenden, daß hier keine Wiedereingliederung in die ursprngliche Umgebung stattfindet. Aber auch im Flchtlingsmythos erfolgt eine Aggregation: sie findet lediglich nicht in der Ursprungsgesellschaft, sondern in einer anderen, gesellschaftlich hufig gleichwertigen Gruppe statt. Durch dieses Element der Aggregation ist der Mythos mit Initiation und Neubeginn konnotiert. Im Falle des Adrastos ist zustzlich auffllig, daß er seinen Namen erst nach dem Reinigungsritual ,erhlt: vorher ist er auch fr den Leser nur ein !m^q,596 ein Phryger aus kçniglichem Geschlecht, den Kroisos −mhqype anspricht (1.35.1 – 3).597 Die Namensgebung erinnert an den Vorgang der Initiation; sie ist Zeichen der Identittsfindung des Initianden.598 Typisch erscheint auch das Initiandenpaar,599 hier bestehend aus dem Flchtling und dem ihm anvertrauten Prinzen. Denn auch Kroisos Sohn Atys steht eindeutig im Initiandenalter. Fr seine Position an einer Schwelle spricht vor allem die Tatsache, daß er stets
595 Belegsammlung bei Parker 1983, 375 – 392. Zur genauen Vorgehensweise des eigentlichen Reinigungsrituals, von der bei Herodot nicht die Rede ist, vgl. ebenda, 370 – 174. Zur Einordnung der herodoteischen Adrastos-Geschichte in die Tradition vgl. Stadter 2004, 38 – 42. Vgl. zur Geschichte der Struktur Nnlist 2009, der bei den nachhomerischen Autoren eine graduelle moralische Problematisierung des Mordes konstatiert (hnlich wie dies beim Aussetzungsschema gesehen worden ist, vgl. oben 225 mit Anm. 592). 596 Die Bezeichnung als !m^q widerspricht nicht der Zuordnung der Geschichte zum Traditionskomplex der ,Jnglingsflucht. Zum einen gehçrt Adrastos ungefhr zur selben Altersgruppe wie Kroisos Sohn, mit dem er auf die Jagd geht. Dieser wird zwar seinerseits meist als pa?r bezeichnet (vgl. unten Anm. 600), ist aber sicherlich auch jnger als Adrastos, der ihm als Beschtzer mitgegeben wird. Des weiteren thematisieren diejenigen unter Herodots Erzhlungen, die sich an initiatorische Strukturen anlehnen, keine tatschlichen Initiationen, wie eingangs Kapitel V.1 bereits gesagt worden ist; auch im konkreten Fall wird nicht die Initiation des Jnglings Adrastos erzhlt, sondern ber die Verbindung der Figur mit der mythisch-rituellen Assoziationsfolie des Initiationsschemas eine semantische Ebene generiert. 597 Vgl. Long 1987, 101 f. 598 Vgl. oben 216 mit Anm. 554. Zur Bedeutung des Namens Adrastos vgl. unten 235 mit Anm. 628 und 238 mit Anm. 641. 599 Vgl. etwa Bierl 1994a zu Apollon und Orestes bzw. Orestes und Pylades.
3. Der jugendliche Flchtling
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als pa?r und nur einmal als megm_gr bezeichnet wird.600 Ersteres geschieht immer dann, wenn er in klarem Bezug zum Vater steht, dieser ihm also eine Braut sucht, ihn verheiratet, einen Beschtzer fr ihn sucht, von ihm spricht, oder wenn der Junge zum Vater tritt. 1.36.2 fragen die von dem Eber bedrohten Myser Kroisos sogar explizit, ob er ihnen einerseits seinen Sohn, t¹m pa?da, und andererseits ausgewhlte megm_ar mitgeben kçnne.601 ,Jngling, meam_gr, ist Atys nur einmal: als er den Vater mutig anspricht (an den er noch als pa?r herangetreten ist), um auf die Jagd gehen zu drfen, als er also selbst die Initiative ergreift und aus seiner kindlichen Passivitt heraustritt. Im folgenden sollen unter den zahlreichen Flchtlingsgeschichten des griechischen Mythos diejenigen Erzhlungen nachvollzogen werden, welche die ersten beiden oder – selten – alle drei entscheidenden Handlungselemente der Adrastos-Geschichte teilen: 1. den Mord aus Versehen durch Fehlschuß bei der Eberjagd 2. die Verantwortlichkeit des Flchtlings fr einen Prinzen am Ort des Asyls 3. die Verdoppelung des Mordes. Die nchste mythische Folie fr Herodots Adrastos ist ohne Zweifel die Figur des Peleus.602 Als Jngling ist er wegen Verwandtenmordes emigriert: zusammen mit seinem Bruder Telamon tçtet er seinen Halbbruder Phokos mit einem Diskuswurf, je nach Version absichtlich oder unabsichtlich.603 Dies entspricht zum einen dem Diskus des Perseus (vgl. oben 213 mit Anm. 536), ferner – bei unabsichtlicher Tçtung – dem Speer des herodoteischen Adrastos. Die Waffe, die nach einem Tier geschleudert wird und versehentlich einen Menschen trifft, kommt in den Erzhlungen von der ,Jnglingsflucht hufig vor.604 Eine Erzhlung derselben Episode 600 pa?r : 1.34.3; 1.35.1; 1.36.3; 1.37.1; 1.41.2; 1.44.1 f.; 1.45.3; megm_gr : 1.37.1; vgl. Long 1987, 88 f. 601 Vgl. auch 1.43.1. 602 Vgl. Stadter 2004, 39 f. Fr eine Gesamtbersicht aller Versionen des PeleusMythos vgl. Salv 1994, 96 f. 603 Laut Pausanias 2.29.9 f. geschieht die absichtliche Tçtung auf Anstiftung von Peleus Mutter; oder es soll lediglich der Anschein eines Versehens erweckt werden; so Alkmaionis fr. 1 Davies EGF p. 139 = fr. 1 Bernab PEG I, p. 33. Bei D. S. 4.72.6 geschieht die Tçtung wirklich aus Versehen, !jous_yr. 604 So auch bei der Anwendung der Struktur auf eine weibliche Heldin: Penthesileia muß nach einem v|mor 1lv}kior aus ihrer Heimat fliehen (D. S. 2.46.5); nach Quint. Smyrn. 1.18 – 32 ist das Opfer ihre Schwester Hippolyte, die sie unabsichtlich auf der Jagd getçtet hat – mit einem Speer, der eigentlich eine Hirschkuh
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V. Rite de passage
bei Plutarch, der nur den Telamon erwhnt, steht jedoch Herodots Adrastos-Geschichte noch nher, da hier wie dort der Kontext der Eberjagd besteht: VYJOU emtor 1j Xal\hgr AQaj` ja· steqcol]mou Tekal½m Gcem 1p· h^qam· ja· su¹r 1pivam]mtor jat± toO lisoul]mou 1pav/je t¹ d|qu ja· 1v|meusem. b d³ patμq 1vuc\deusem· ¢r Dyq|heor 1m pq~t\ Letaloqv~seym (Parall. Min. 25.311E). Weil Phokos dem Aiakos von Psamanthe geboren worden war und er (dennoch) geliebt wurde, fhrte ihn Telamon zur Jagd; und als ein Eber auftauchte, warf er seinen Speer auf den Verhaßten und tçtete ihn. Der Vater aber verbannte ihn; so schreibt dies Dorotheos im ersten Buch seiner Metamorphosen. 605
Daß hier ausgerechnet von einer Eberjagd die Rede ist, daß das Opfer mit einem Speer getçtet wird, daß dieser erst geworfen wird, als der Eber auftaucht, so daß es nach einem Unfall aussieht, wie er dem herodoteischen Atys zustçßt – all dies spricht sehr fr eine Orientierung Herodots an der Peleus-Tradition, mit der ebenso traditionellen Variante des wirklich unbeabsichtigten Mordes. Auch die Exilierung des Tydeus606 hat mçglicherweise mit einer Eberjagd zu tun. Tydeus begeht in seiner Heimat Kalydon einen Mord; die
htte treffen sollen. hnlich die Vita des Herakles-Vaters Amphitryon: im Streit um die Rinderherde des Elektryon (Hes. Sc. 10 f., 82) oder bei der Rckfhrung der gestohlenen Rinderherde an denselben (Apollod. 2.4.6 = 2.56) erschlgt ihn Amphitryon (im letzteren Falle ohne Absicht); vgl. auch E. HF 16 f.; Paus. 9.11.1. Auch hier wird die Waffe nach einer Kuh geworfen, die davonluft; getroffen wird jedoch Elektryon. Vgl. ferner die Erzhlung von Kephalos und Prokris. Hier ist nicht die fehlgehende Waffe im Spiel, sondern im Gegenteil der magische Speer, der sein Ziel immer trifft. Das ,Fehlen liegt bei Kephalos, der seine Frau auf der Jagd fr ein Tier hlt und sie versehentlich erschießt (Pherecyd. FGrHist 3, fr. 34 Jacoby; Aristodemos FGrHist 383, fr. 2 Jacoby; Ov. Met. 7.655 – 865; Hyg. Fab. 189; Apollod. 3.15.1 = 3.198). – Alle drei Figuren gehen nach der Tat ins Exil; vgl. Quint. Smyrn. 1.18 – 32; Apollod. Ep. 5.19.1 – 5 = Ep. 5.1 zu Penthesilea; Apollod. 3.15.1 = 3.198 zu Kephalos. Zu Amphitryon vgl. unten Anm. 619. Zu tçdlichen Fehlschssen außerhalb der Tierhatz vgl. etwa Plu. Aet., Mor. 299c-e (Poimandros); zu den diversen unbeabsichtigten Morden beim Diskuswerfen vgl. oben 213 mit Anm. 536 und 229 mit Anm. 603 (Perseus und Peleus) sowie Paus. 5.3.7 (Oxylos; hnlich Apollod. 2.8.3 = 2.174 – 177). 605 Die Person des Dorotheos ist nicht identifizierbar; seine Metamorphosen sind nicht erhalten. 606 Il. 14.113 – 125; Pherecyd. FGrHist 3, fr. 122b Jacoby = Schol. D zu Il. 14.119; E. Supp. 131 – 148; Ph. 410 – 423; Oen. fr. 558 Kannicht TrGF 5.2, 49, p. 586;
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Informationen betreffend das Opfer differieren, in jedem Fall handelt es sich aber um einen Verwandten.607 Hierauf flieht Tydeus nach Argos, wird von Kçnig Adrastos aufgenommen und erhlt dessen Tochter De pyle zur Frau. Kalydon als Heimat und Meleagros als Bruder des Tydeus sind klar mit der berhmten Eberjagd assoziiert. Hinzukommt, daß der Eber Tydeus Wappentier ist, was bei seiner Verheiratung mit De pyle eine Rolle spielt: Adrastos gibt ihm seine Tochter aufgrund eines Orakels, das besagt, er solle seine beiden Tçchter einem Eber und einem Lçwen geben; Tydeus und Polyneikes fhren diese Tiere im Schild oder werden sonst mit ihnen identifiziert.608 Weiter macht die Namensgleichheit des argivischen Kçnigs mit Herodots Figur eine Assoziation umso plausibler. Eine berhmte iniatorische Eberjagdgeschichte ist auch die des Odysseus (Od. 19.392 – 466): der Held besteht die ,Prfung der Jagd, den Eintritt ins Erwachsenenleben.609 Natrlich ist diese Initiation des Odysseus nicht mit der Flchtlingsstruktur verbunden; bezeichend ist aber dennoch, daß Odysseus die Eberjagd in der Fremde absolviert, im Zuge eines Besuchs bei seinem Großvater mtterlicherseits, Autolykos, der ihm seinerzeit auch den Namen gegeben hatte (19.401 – 412) und daher mit Odysseus Initiation auch anderweitig verknpft scheint.610 Ohnehin ist die Situation der Jagd an ein ,Draußen gebunden, da die Aktivitt außerhalb der gewçhnlichen Umgebung stattfindet, in der Wildnis, die hufig als Ort der Initiation fungiert.611 Hinterher kehrt Odysseus zu Vater und Mutter zurck; also sind die Phasen der Separation, Liminalitt und Aggregation gegeben. Schließlich mag auch der Speer als besonders riskante Waffe
607 608 609 610
611
D. S. 4.65.2 f.; Apollod. 1.8.5 = 1.76 f.; Paus. 9.18.1; Myth. Vat. (1) 1.79; 2.96; Scholion T zu Il. 14.114. S. fr. 799 Radt TrGF 4, p. 542: aXla succem]r ; ebenso E. Supp. 148 und E. Oen. fr. 558 Kannicht TrGF 5.2, 49, p. 586. Apollod. 3.6.1 = 3.58 f.; Hyg. Fab. 69; E. Supp. 131 – 148; Ph. 410 – 423; 1119 – 1121. Vgl. Felson Rubin/Sale 1983. Natrlich ist die Jagd nicht immer initiatorisch konnotiert; vgl. etwa Vidal-Naquet 1981, 169 – 176. Wie Felson Rubin/Sale 1983, 146 feststellen, ist die im Jagdkontext erfolgende Initiation im Kreise der mtterlichen Verwandten keine Ausnahme; sie ziehen den Meleagros-Mythos heran (wo die Initiation aber scheitert, vgl. Anm. 646). Vgl. Bremmer 1983a zur Bedeutung der mtterlichen Verwandtschaft fr den jungen Mann generell und mit weiteren Beispielen im Kontext der Initiation. Zur Namensgebung im Zuge der Initiation vgl. oben 216 mit Anm. 554. Vgl. Felson Rubin/Sale 1983, 143 f. und oben 139 mit Anm. 350 zur Wildnis im Kontext der Aussetzung.
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initiationstypisch sein,612 ebenso wie das gejagte Tier, der Eber: als besonders gefhrliche Tiere sind Lçwe und Eber geeignet fr den Mnnlichkeitstest; mçglicherweise besteht auch die Vorstellung einer Eigenschaftsbertragung auf den Jagenden.613 Neben der Eberjagd ist ein weiteres aufflliges Element der AdrastosGeschichte die Verantwortlichkeit des Flchtlings fr ein Kçnigskind. Der erste griechische Beleg dafr ist die iliadische Phoinix-Erzhlung, die eng mit der unten in Kapitel V.3.2 thematisierten ,Potiphar-Struktur zusammenhngt, wo sie ausfhrlicher behandelt werden soll.614 Phoinix, der beinahe seinen Vater getçtet htte,615 flieht aus seiner Heimat, wird am Hof des Peleus aufgenommen und bernimmt die Stellung eines Erziehers des kleinen Achilleus (Il. 9.444 – 495). Ganz hnlich verluft die Vita des Patroklos:616 In der kurzen Erzhlung seines Lebens, die er als Traumerscheinung referiert (Il. 23.82 – 90), erzhlt er, wie er Opus wegen des unfreiwilligen Mordes am Sohn des 612 Felson Rubin/Sale 1983, 145 f. 613 Felson Rubin/Sale 1983, 145: „[boar and lion] can play the role of initiator insofar as they transmit the powers of the wild and uncivilized to the novitiate through contact.“ 614 Dasselbe gilt fr die ebenfalls unten in Kapitel V.3.2 behandelte Erzhlung von Bellerophon. Die nachhomerische Tradition jedoch befaßt sich mit der hier relevanten Vorgeschichte der ,Potiphar-Episode: Bellerophon ist Flchtling am Hof des Proitos, dort aufgenommen nach einem Totschlag; oft ist die Rede von einer unbeabsichtigten Tçtung des Bruders: Apollod. 2.3.1 = 2.30 spricht von einem unabsichtlichen Mord an diesem; D. S. 6.9 erwhnt die unbeabsichtigte Tçtung ohne Namen; Plu. Prov. 16 nennt, ohne auf die Umstnde einzugehen, den Namen des Getçteten, Peiren, der wiederum bei Apollodor als mçglicher Name des Bruders genannt wird; Tz. ad Lyc. 17 und das Schol. D zu Il. 6.155 haben den unabsichtlichen Mord an dem Korinther Belleros (dies sieht allerdings eher nach etymologischer Spekulation aus als nach Tradition; vgl. Stoevesandt 2008 zu 155 und 157 mit weiterer Literatur); Tzetzes nennt alternativ auch den Brudermord an einem Heliades, Peiren oder Alkimenes (ebenso Chil. 7.149; dort Deliades). – E. Stheneboia fr. 661.16 – 18 Kannicht TrGF 5.2, 61, p. 651 nennt das Opfer gar nicht; Hyg. Fab. 57 hat nur „exul“. 615 Der Mord wird angedeutet, jedoch nicht ausgefhrt: in einer Szene, welche den durch das Eingreifen der Athene gerade noch verhinderten Mord des Achilleus an Agamemnon (Il. 1.188 – 222) gleichsam in Miniaturform abbildet (vgl. 9.459, !kk\ tir !ham\tym paOsem w|kom, und die Formulierung der Athene 1.207, Gkhom 1c½ pa}sousa t¹ s¹m l]mor), wird geschildert, wie Phoinix nur durch das Eingreifen t_r t_m !ham\tym davon abgehalten wird, seinen Vater zu tçten (9.458 – 461). Letztlich wird er allerdings vor allem deswegen verbannt, weil er sich (angeblich) mit der Nebenfrau seines Vaters liiert hat. 616 Vgl. Stadter 2004, 39.
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Amphidamas verlassen mußte, wie er von Peleus in Phthia aufgenommen und dem kleinen Achilleus nicht als Erzieher, aber doch als sorgender heq\pym zugesellt wurde.617 Noch ein dritter Flchtling hat bei Peleus Zuflucht gefunden: Il. 16.570 – 576 wird Epeigeus erwhnt, der seinen Vetter getçtet hat und von Peleus und Thetis schließlich mit nach Troia geschickt wird, ûl )wikk/z … 6peshai (575). Peleus selbst hat keine direkte Verantwortlichkeit fr einen Prinzen; aber er geht nach Phthia ins Exil und erhlt dort die Tochter seines Reinigers Eurytion zur Frau,618 womit das Element der Verantwortlichkeit fr ein Kçnigskind in modifizierter Form gegeben wre.619 Des weiteren ist er als von den Gçttern auserwhlter sterblicher Vater des Achilleus620 letztlich der Prototyp des Prinzenerziehers – was vielleicht auch seine dreifache Aufnahme der Flchtlinge Phoinix, Patroklos und Epeigeus erklrt. Die Verantwortung fr den Prinzen und der Jagdunfall sind also in der Tradition gegeben. Bleibt die Verdoppelung des Mordes. Die einzige Geschichte, in der eine derartige Perpetuierung der Blutschuld gegeben ist, ist wieder die Vita des Peleus. Laut Apollodor tçtet Peleus bei der Jagd nach dem kalydonischen Eber seinen Reiniger Eurytion;621 wieder handelt es sich um dieselbe Eberjagd-Szenerie wie bei der Plutarchschen Variante seines ersten Mordes. Wieder muß er fliehen, und auch die nchste Station, Iolkos, wird nicht die letzte sein: dort wird ihn eine ,Potiphar-Geschichte 617 Zum heq\pym als alter ego des von ihm Begleiteten vgl. Nagy 1979, 33; 292 f. (zu Patroklos und Achilleus). 618 Schol. 39b zu Pi. O. 8.30; Apollod. 3.13.1 = 3.163. 619 Auch im Falle des Alkmaion (dessen Vita im brigen stark an die des Orestes erinnert, vgl. oben Anm. 220) besteht die Verantwortlichkeit fr ein Kçnigskind in der Heirat mit der Prinzessin: aus Rache fr den Vater Amphiaros tçtet Alkmaion seine betrgerische Mutter Eriphyle (Th. 2.102.5 f.; Plu. De Exil., Mor. 602; Paus. 8.24.8; Hyg. Fab. 73), deren Erinyen ihn anschließend außer Landes jagen (Plutarch und Hygin); Pausanias lßt den Jngling nach Psophis fliehen, wo er vom dortigen Herrscher Phegeus dessen Tochter Alphesiboia zur Frau erhlt (8.24.8). Vgl. ferner den Fall des Amphitryon, der mit Alkmene, der Tochter des getçteten Elektryon, ins Exil nach Theben geht und dort von Kreon entshnt wird, so Hes. Sc. 12 f., 80 – 85; E. HF 1 – 21 (Amphitryon kommentiert seinen Aufenthalt in Theben); Paus. 9.11.1 (Exil); Apollod. 2.4.6 = 2.56 f. Der Bruder der Alkmene, Likymnios, erhlt Kreons Schwester zur Frau (Apollod. 2.4.6 = 2.57), Amphitryons Sohn Herakles wird spter Kreons Tochter Megara heiraten (E. HF 9 – 12). Beides entspricht der ,Prinzenerziehung insofern, als den Schutzflehenden privilegierte Positionen innerhalb der kçniglichen Familie berantwortet werden. 620 Pi. I. 8.28 – 49; vgl. A. Pr. 908 – 912; A. R. 4.800 – 809. 621 Apollod. 3.13.1 – 3 = 3.163 – 167; vgl. 1.8.2 = 1.70.
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ereilen (vgl. zu diesem Schema unten Kapitel V.3.2). Peleus ist also eine Art Super-Adrastos, der an keinem Ort der Welt eine Wiedereingliederung erfhrt. Im Hinblick auf die Vervielfachung des unbeabsichtigten Mordes ist noch ein Grenzfall zu nennen; es handelt sich um Herakles unabsichtliche Tçtung des Eunomos am Hofe seines Schwiegervaters Oineus, der mit Eunomos verwandt ist. Obwohl Herakles von den Angehçrigen verziehen wird, empfindet er das Bedrfnis, ,wie es Brauch ist, die Verbannung auf sich zu nehmen (jat± t¹m m|lom tμm vucμm rpol]meim, Apollod. 2.7.6 = 2.150).622 Er flieht zu Keyx nach Trachis. Die Parallelitt dieser Erzhlung scheint eher zu Adrastos zweitem Mord an Kroisos Sohn Atys gegeben, erstens, weil die Tat nicht in der Heimat geschieht: wie Adrastos bei Kroisos zu Gast ist, weilt Herakles bei Oineus, und zwar in der Position des Schwiegersohnes (was, wie gesagt, hufig diejenige des Flchtlings ist, der die Prinzessin heiraten darf). Zweitens wird die Buße freiwillig unternommen: auch Adrastos wird durch Kroisos von Schuld freigesprochen. 5wy, § ne?me, paq± seO p÷sam tμm d_jgm, 1peidμ seyutoO jatadij\feir h\matom. eWr d³ oq s} loi toOde toO jajoO aUtior, eQ lμ fsom !]jym 1neqc\sao, !kk± he_m jo} tir, fr loi ja· p\kai pqoes^laime t± l]kkomta 5seshai (1.45.2). Ich habe, Fremder, alle Genugtuung von dir, weil du dich bezglich des Todesfalles selbst bezichtigst. Nicht du bist in meinen Augen schuldig an diesem bel, außer vielleicht insofern, als du ihn ohne es zu wollen herbeigefhrt hast, sondern irgendeiner der Gçtter, der mir schon vor langer Zeit bedeutete, daß dies eintreten werde.
Adrastos gengt dies nicht; er fhlt sich dennoch schuldig und begeht Selbstmord am Grab des Getçteten. Herakles geht ins Exil, obwohl ,der Vater des Jungen ihm verzieh, weil das Vorgefallene ohne Absicht geschehen sei (b l³m patμq toO paid¹r !jous_yr cecemgl]mou toO sulbebgj|tor sumecmol|mei, Apollod. 2.7.6 = 2.150). Drittens ist auffllig, daß Herakles selbst bereits seine Kinder aus erster Ehe getçtet hat. Zwar sind Oineus oder Eunomos nicht als seine Reiniger belegt,623 aber dennoch findet der zweite unabsichtliche Mord nach seiner Befleckung durch den Kindermord statt. Viertens ist die Geschichte des Mordes mit Exilfolge – wenn auch in Herakles eigener Vita 622 Vgl. hierzu (und zu anderen Namen des Getçteten) Hellanic. FGrHist 4, fr. 2 Jacoby und Herodor. FGrHist 31, fr. 3 Jacoby = Athen. 9.80 Kaibel; Tz. ad Lyc. 50; Chil. 2.36.459 f.; D. S. 4.36.2; Paus. 2.13.8. 623 Vgl. zu den verschiedenen Traditionen Parker 1983, 381.
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nicht eigentlich verdoppelt – in seiner Familie vervielfacht: neben seinem Vater Amphitryon und seinem Schwager Tydeus (vgl. oben 229 f. Anm. 604; 230 f.) folgt auch sein Sohn Tlepolemos der behandelten Struktur: der Jngling erschlgt seinen Großonkel Likymnios624 – den obengenannten Schwager des Amphitryon, Bruder der Alkmene und Vater des Oineus – und geht ins Exil nach Rhodos.625 Die Verdoppelung der Geschichte vom Jngling, der eines Mordes wegen ins Exil gegangen ist, stellt in jedem Falle die Ausnahme dar. Eindeutig nachweisbar ist sie nur bei Peleus, in weiterem Sinne bei Herakles. Die Seltenheit des Motivs spricht dafr, daß in der Geschichte des Adrastos mit ihrem zweiten unabsichtlichen Mord eine besondere Pointe lanciert wird. Die tragischen Komponenten der Adrastos-Geschichte sind bisweilen hervorgehoben worden – so erinnern einzelne Partien an Botenberichte und Chorauftritte der Tragçdie.626 Das Tragische ist aber vor allem inhaltlich relevant: Adrastos kann seinem Schicksal als unfreiwilliger Mçrder nicht entrinnen; einmal von zuhause geflohen, aufgenommen und gereinigt, wird er immer wieder dasselbe Verbrechen begehen. Das ist der Grund fr seinen Selbstmord: succimysj|lemor !mhq~pym eWmai t_m aqt¹r Õdee baqusulvoq~tator (1.45.3). Der erste Mord entspricht der herkçmmlichen Initiationsgeschichte. Der zweite Mord hingegen reprsentiert die Unentrinnbarkeit des eigenen Charakters, Schicksals oder eben des von Herodot so massiv propagierten j}jkor.627 Adrastos, ,der nicht entrinnen kann, wie der Name sagt,628 ist nicht zu reinigen. Er kann auch nicht initiiert in ein neues Leben eintreten. Statt624 Nach Apollod. 2.8.2 = 2.170 geschieht der Mord ohne Absicht; vgl. Il. 2.661 – 663, wo die Absicht nicht kommentiert wird, und Pi. O. 7.27 – 31: wokyhe_r. 625 Il. 2.664 – 670. 626 Vgl. z. B. Immerwahr 1966, 71; Rieks 1975; Stadter 2004, 40. 627 Vgl. Szab 1978, die den Atys-Adrastos-Logos zunchst als Konzentration einer in den Historien auch sonst hufigen Darstellung von Kroisos ,Beschleunigung des Schicksals sieht, des weiteren als erste Demonstration der allgemeineren Aussage, „wie der eigene Fehler des Menschen den Ablauf des in seinem Endpunkt im voraus bestimmten Ereignisses herbeifhrt“ (13). Zum j}jkor t_m !mhqypg_ym pqgcl\tym vgl. generell Hdt. 1.207.2. 628 Fr eine mindestens volksetymologische Verbindung des Namens mit dem Adjektiv %dqgstor vgl. Stoevesandt 2008 ad Il. 6.37 f. (zur gleichnamigen homerischen Figur); zum Zusammenhang von -dqgstor und M]lesir vgl. unten Anm. 641. Auch ,Atys ist als sprechender Name gedeutet und mit %tg in Verbindung gebracht worden. Hier ist die Symbolik jedoch nicht ganz so eindeutig, da der Name in Lydien immerhin belegt ist (vgl. Hdt. 1.7.3; 7.27.1).
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dessen ist er dazu verdammt, fr immer und ewig im gleichen Entwicklungsstadium zu verharren. In seinem oben zitierten ,Epitaph werden alle Hauptstationen der Geschichte nochmals genannt, als von ,Adrastos, dem Sohn des Gordias und Enkel des Midas, der zum Mçrder seines eigenen Bruders geworden war, und dann zum Mçrder am Sohne seines Reinigers die Rede ist. Adrastos Name und Patronym werden wie in seiner Einfhrung bei Kroisos nochmals genannt;629 die Geschichte beginnt gleichsam von vorn. Wieder ist der j}jkor ein Teufelskreis, dem Adrastos nur durch den Selbstmord entfliehen kann. Dieses Ende ist umso grausamer, als die typische Flchtlingsgeschichte grundstzlich ein Happy End hat – eine durchaus entbehrungsreiche, aber bewltigbare Reise, auf die sich der Initiand begibt, um ein neues Leben als Erwachsener zu beginnen. Es spricht viel dafr, daß es sich bei Adrastos nicht einfach um eine gewçhnliche Figur handelt, sondern um die Personifikation der Unentrinnbarkeit. Zum einen ist da der sprechende Name; zum anderen sei nochmals an Peleus und Herakles erinnert, die einzigen mythischen Figuren, die hnliches erleben. Bei beiden handelt es sich um ungewçhnliche Sterbliche, die eine Art Zwischenstatus zwischen Mensch und Gott innehaben. Bei Herakles ist dies durch Abkunft, Vergçttlichung und Verheiratung mit einer Gçttin gegeben.630 Peleus wird ebenfalls mit einer Gçttin vermhlt, weil er unter den Menschen eine herausragende Stellung einnimmt: er ist der Beste oder gar der Frçmmste von ihnen.631 Dieses Zwischenstadium zwischen Mensch und Gott mag dem permanenten Zwischenzustand entsprechen, in dem sich Adrastos und Peleus aufgrund ihrer niemals erfolgenden Aggregation befinden. Aber auch Atys, der Sohn des Kroisos, ist uninitiierbar. In dem Moment, als er sich bei der Jagd beweisen und zum Mann werden kçnnte, endet sein Leben, obwohl der Vater den noch Uninitiierten verheiratet hat – gleichsam, als ob er das Erwachsenwerden seines Sohnes auf diese ,ungefhrliche Weise htte herbeifhren wollen.632 Mçglicherweise ist es auch gerade die verfrhte Hochzeit des Nichtinitiierten, die seine Initiation
629 630 631 632
Vgl. Long 1987, 104. Z. B. Od. 11.601 – 604; Hes. Th. 950 – 955. Pi. I. 8.40: eqseb]statom ; A. R. 4.805: t¹m %qistom 1piwhom_ym p|sim. Arieti 1995, 57 vermutet hinter der Verheiratung des Atys durch Kroisos das pragmatische Motiv, noch vor dem Tod des Sohnes einen Enkel zu erhalten. Die Hochzeit ist aber gerade auch das – hier vorgezogene – t]kor der Initiation; vgl. z. B. Bierl 2001, 271.
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unmçglich macht, denn die traditionell festgelegte Abfolge wre die umgekehrte: nur der initiierte Jngling darf heiraten.633 Wie Adrastos ist auch Atys mehr als nur eine realistisch gezeichnete Figur. Traditionell wird er mit dem mythischen Hirten Attis identifiziert;634 nach der dem Adonis-Mythos angepaßten635 Mythenvariante kommt auch dieser auf der Schwelle zum Erwachsenwerden bei einer Eberjagd zu Tode.636 Attis ist Initiationsfigur par excellence: durch seine Selbstentmannung in einem Anfall kultischer Raserei637 werden er und seine ihn nachahmenden Priester zu asexuellen Wesen,638 zu Außenseitern im Zustand permanenter Liminalitt.639 Dieses Element mag bei der von Herodot geschilderten systematischen Verweichlichung des Atys durch
633 Felson Rubin/Sale 1983 sind der Ansicht, daß Meleagros sexuelle Aktivitt whrend der iniatorischen Jagdphase seine Initiation verhindert: „the hero courts his woman while engaged in the maturation hunt. To do so is to violate the principles of kairos and kosmos and to commit hubris“ (140). Dies liege zum einen an der Beleidigung der jungfrulichen Jagdgçttin durch ,unzchtiges Verhalten (z. B. 142; 144 f.; 146; vgl. auch Burkert 1979, 118 zur Figur des Hippolytos) – was bei Atys natrlich nicht zutrifft –, zum anderen aber an der Falschheit der Reihenfolge: „courtship and marriage cannot fall before separation and aggregation, before these various steps which may constitute the third stage of initiation“ (142). Sie weisen weiter darauf hin, daß die initiatorische Komponente in anderen griechischen Jagdgeschichten zwar nicht so eindeutig identifizierbar sei, daß aber „violations of kairos and kosmos and exhibitions of hubris“ in diesem Kontext hufig auftreten (160 f. mit Verweis auf Orion, die Aloaden, Aktaion und Hippolytos). Zum Meleagros-Mythos vgl. umfassend Grossardt 2001. 634 Vgl. z. B. How/Wells 1912 zu 1.34; Asheri 1988, zu 34 – 45; Baudy 1997, 247. Mora 1986, 141 weist auf die gçttlich-menschliche Ambivalenz auch des gleichnamigen lydischen Kçnigs Atys hin (Hdt. 1.94). 635 Hepding 1903, 101 f. 636 Vgl. neben Herodot auch Hermesian. fr. 8 Powell = Paus. 7.17.9 f. Zu Adonis vgl. Apollod. 3.14.4 = 3.183; Ov. Met. 10.708 – 716. Vgl. Dmmler 1894, 392; Baudy 1996a. Zu den Figuren des Attis/Adonis und der Kybele auch im griechischen Mythos vgl. generell Burkert 1979, 99 – 122. 637 Vgl. oben Anm. 238. 638 Apul. Met. 8.28 nennt die Gefolgsleute der mit Attis in Kultgemeinschaft verehrten Kybele (vgl. Vermaseren 1977 – 1989) spçttisch effeminati. 639 Vgl. Nsstrçm 1989, 78: „Still it has to be remarked that Attis or rather the Attispriests obviously were initiated to a permanent phase of liminality. They were definitely outsiders of the society, of no state or rank, sometimes despised, sometimes revered depending on what relations the mundane community offered them. As liminal personae they dwelled in a state which can be symbolized as being in the womb, invisibility, darkness, bisexuality or wilderness.“
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Kroisos mitgedacht sein, der alle Waffen aus der Nhe des Sohnes entfernt.640 Im Kontext des mythischen Attis erstaunt noch eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den beiden herodoteischen Figuren. Der Name ,Adrastos bedeutet nicht nur ,der nicht entrinnen kann; er leitet sich vermutlich von ,Adrasteia her, einem Beinamen der Kybele, mit der gemeinsam Attis verehrt wird.641 Die Figuren des Atys und des Adrastos verschmelzen; es scheint, als ob beide genau dasselbe ausdrcken: permanentes Schwellendasein, also Zukunftslosigkeit. Wir haben es bei Adrastos und Atys also mit zwei fehlgeschlagenen Initiationen zu tun; der normale Lauf der Dinge erfllt sich in keinem der beiden Flle. Herodots Verarbeitung der gescheiterten Initiation am mythischen Schema der ,Jnglingsflucht wird zur Tragçdie eines Jnglings, einer ,boys tragedy.642 Das Scheitern der Initiation illustriert den Untergang des Lyderreichs auf mythisch-ritueller Ebene. Zwar erfllt das „familire Drama“ um Atys durchaus die Funktion, Kroisos die Grenzen seiner Macht vor Augen zu fhren;643 zwar ist auch hier bezeichnend, daß der Kçnig wiederum keine Einsicht in sein Schicksal gewinnt; dennoch handelt es sich nicht bloß um einen der „Denkfehler“ des Kroisos (Visser 2000, 20). Die gescheiterte Initiation ist auf einer fr den griechischen Rezipienten sehr greifbaren Ebene Sinnbild fr das Schicksal des Mermnadengeschlechts: Kroisos bleibt kinder- und damit zukunftslos zurck: sein zweiter Sohn ist taubstumm (1.34.2), kann also seine Nachfolge nicht antreten. Sprechen wird 640 Vgl. Mora 1986, 140 f.: „… Atys rappresentato come il non uomo, il non cacciatore, quindi il non principe … sembra … marcato (come il fratello!) dalla mancanza, in particolare di virilit e quindi di iniziazione … Questa rappresentazione della non virilit di Atys … ci sembra costituire il modo in cui i Greci dAsia concepirono leffeminatezza del principe/dio Attis.“ 641 Vgl. z. B. Hepding 1903, 101 Anm. 6. Gleichzeitig ist ein anderer Adrastos – der Anfhrer der Sieben gegen Theben – eponymer Heros der Stadt Adrasteia in Mysien. Diese Lokalaitiologie mag damit in Zusammenhang stehen, daß es in Adrasteia einen Tempel der Nemesis gab; offenbar ist die semantische Aufladung des Namens allgemein erkennbar und kann auch fr Herodot vorausgesetzt werden, zumal er das Geschehen als m]lesir bezeichnet (1.34.1) – hapax innerhalb der Historien; vgl. Asheri 1988 zu 34 – 45 und zu 34. 642 Burkert 1979, 6 f. prgt den Begriff der „girls tragedy“ zur Bezeichnung der mythischen Erzhlung von der Jungfrau, die abgeschieden lebt, von einem Gott vergewaltigt wird, Leiden und Demtigung auf sich nimmt und schließlich einen Sohn gebiert. 643 Visser 2000, 22.
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der Junge erst wieder, als Kroisos seine Herrschaft schon verloren hat (1.85.4), als also keine Mçglichkeit mehr besteht, daß Kroisos Geschlecht ber die Lyder herrschen wird.644 So ist es seit der Tat des Gyges bestimmt gewesen: nur fnf Generationen lang sollten seine Nachkommen Kçnige von Lydien sein.645 Alle Vorsichtsmaßnahmen des Kroisos waren von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Daß die Adrastos-Vignette, denkbar unbedeutend im Kontext des herodoteischen Großprojekts einer Rekapitulation des persisch-griechischen Antagonismus, im lydischen Logos dennoch so viel Raum einnimmt, spricht fr ein Symbolisieren des Grçßeren in der Mikrogeschichte: an der Kunstfigur des Adrastos wird ein Exempel statuiert, welches das Ende der Mermnadenherrschaft, den Tod des Atys, den Sturz des Kroisos anzeigt. Die gescheiterte Initiation ist „symbolic disintegration of kosmos“;646 sie zeigt das Ende einer Ordnung an.
3.2 Phronime und die bçse Stiefmutter (4.154 f.) – Verschiebung der Parameter Die Legenden, die Herodot sich um die Grndung der libyschen Stadt Kyrene ranken lßt, gehçren einer Reihe kyrenischer Ursprungssagen an, die sich u. a. in Pindars Pythischen Oden (4; 5; 9) und Kallimachos Apollon-Hymnos finden. Die Zusammenhnge zwischen den verschiedenen Varianten sind ausfhrlich untersucht worden und haben Anlaß zu generellen Reflexionen ber das Spannungsfeld von Geschichte und Dichtung gegeben.647
644 Auch dies mag eine – zu spt erfolgte – Initiation symbolisieren: Paus. 10.15.7 findet auch der stotternde Kyrenegrnder Battos seine gesunde Stimme im Moment seiner Ankunft in Kyrene wieder, also beim Eintreten seiner Bestimmung, und zwar ebenfalls durch einen Schreckensschrei (Kroisos Sohn schreit um Erbarmen fr seinen Vater, als er einen Perser auf diesen zustrzen sieht; Hdt. 1.85.4). 645 Vgl. Hdt. 1.14.2; 1.91.1. Arieti 1995, 57 f. sieht in der phrygischen Herkunft des Adrastos einen Rckbezug auf den Beginn der Mermnadenherrschaft: Adrastos Ahnherr Midas ist im Kontext der Gyges-Geschichte als ebenso großzgiger Spender von Weihegaben nach Delphi erwhnt und wird damit Parallelfigur zu Gyges (1.14). 646 Felson Rubin/Sale 1983, 142 ber die gescheiterte Initiation des Meleagros. 647 Vgl. z. B. Calame 1996, 2006b, 149 – 175 (ferner auch 2006c, 539 – 543); Osborne 1996, bes. 1 – 18; Giangiulio 2001 mit umfangreicher Bibliographie.
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Herodots komplexe Verflechtung kyrenischer und therischer Sagenstrnge ist durchdrungen von traditionellen Elementen.648 Abgesehen von diversen Orakeln (4.150 f.; 4.155; 4.157; 4.159; 4.163 f.) finden sich etwa die mythischen Motive des Geschlechtswechsels durch Kleidertausch (4.146.4),649 des Bruderstreits (4.160) oder der berlistung der Feinde durch das Wçrtlichnehmen einer Vertragsklausel (4.201).650 Im folgenden soll jedoch lediglich eine einzige in Herodots Kyrene-Erzhlungen eingebettete Teilstruktur untersucht werden, der eine erkennbare, wenn auch ungewçhnliche Initiationsgeschichte zugrundeliegt. Es handelt sich um die Vita der Phronime, der Mutter des mythischen Kyrenegrnders Battos, deren Geschichte explizit als kyrenische Tradition referiert wird (4.154 f.). Phronime ist die Tochter des Kçnigs Etearchos, der die Stadt Oaxos auf Kreta beherrscht. Nach dem Tode seiner Frau heiratet Etearchos eine andere Frau, die sich Phronime gegenber ,wie eine richtige Stiefmutter benimmt (B d³ 1pesekhoOsa 1dija_ou ja· t` 5qc\ eWmai lgtquiμ t0 Vqom_l,) – schließlich wirft sie dem Mdchen Unkeuschheit vor, lawkos}mg, und kann auch den Kçnig berzeugen (4.154.2). Dieser bittet einen Kaufmann aus Thera, Themison, ihm ein Blankoversprechen zur Erfllung eines beliebigen Wunsches zu geben, und fordert ihn anschließend auf, Phronime mit fortzunehmen und ins Meer zu werfen. Der rechtlich gesinnte Kaufmann handelt nach seinem sprechenden Namen: er rettet das Mdchen, hlt sich aber zugleich an sein Versprechen, indem er sie an Stricken ins Meer hinablßt und anschließend wieder hinaufzieht. In Thera schließlich 648 Vgl. Calame 1996, 101 mit Anm. 134, der den Zwischenhalt der Siedler auf Plataiai (4.151.3 – 153; 4.156.3) mit dem Aufenthalt des homerischen Odysseus auf der vor dem Kyklopeneiland gelegenen Ziegeninsel vergleicht (Od. 9.116 – 165). Zwar stellt Calame fr Herodots Grndungsgeschichte im Vergleich zu Pindars und Kallimachos Versionen eine gewisse Form der Rationalisierung fest – die Vorgeschichte der schutzflehenden Minyer auf Sparta (die im Gefolge des Theras die anschließend nach diesem benannte Insel besiedeln und damit die Vorfahren des Battos sind) sei „cleansed of all divine intervention“ (87), die Geschichte sei berhaupt ,politisiert und weise erstmals eine konsequente Chronologie auf (95 f.); gesamthaft kommt er aber dennoch zu dem Schluß, daß Herodot von anderen Grndungslegenden, „symbolic narrative manifestations incited by the need to legitimate the colonial enterprises of the Archaic period“ (99), abhngig bleibt, etwa bei der Motivierung des Unternehmens durch einen Orakelspruch. Gegen eine historische Interpretation der Kyrenesagen wendet sich abschließend Giangiulio 2001, bes. 119 f. 649 Vgl. Aly 1921, 139 sowie unten 251 f. mit Anm. 684. 650 Vgl. Corcella zu 154 – 156. Das Wçrtlichnehmen des Blankoversprechens spielt im brigen auch in der Phronime-Geschichte eine Rolle; vgl. das Folgende.
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nimmt ein vornehmer Brger (!mμq d|jilor, 4.155.1) das Mdchen zur Geliebten. Sie gebiert ihm den Battos, den ,Stotterer, der wegen seines physischen Defekts das delphische Orakel aufsucht. Der Gott ignoriert seinen eigentlichen Begehr, befiehlt ihm aber, in Libyen eine Kolonie zu grnden. Als Battos unentschlossen nach Thera zurckkehrt, wird die Bevçlkerung von ,Unglck (sulvoq\r, 4.156.1) ereilt. Hierauf besiedelt Battos mit anderen Theraiern zunchst die Libyen vorgelagerte Insel Platea (4.156). Bevor diese Erzhlung nun analysiert wird, soll kurz die Version Beachtung finden, die auf Thera erzhlt wird, der Mutterinsel der Kolonie Kyrene; Herodot berichtet sie bereits vor der Phronime-Erzhlung (4.150 – 153). Phronime selbst kommt hier gar nicht vor, und ihr Sohn Battos spielt eine erstaunlich marginale Rolle. Die Hauptfigur ist zunchst Grinnos, Kçnig von Thera und Nachkomme des eponymen lakedaimonischen Grndungsheros Theras. Battos ist nur eine Nebenfigur in der von Grinnos gefhrten Gesandtschaft, die das delphische Orakel nach anderen Dingen befragen soll. Er gehçrt einer im Vergleich zu den Lakedaimoniern eher untergeordneten Bevçlkerungsgruppe von Thera an: er stammt von den Minyern ab, Nachkommen der Argonauten, die von den Pelasgern aus Lemnos vertrieben worden waren und zunchst Asyl in Sparta fanden; als sie sich dort unbeliebt gemacht hatten, hatte sie Theras als Siedler in seine neue Kolonie mitgenommen (4.145 – 148). Als das Orakel befiehlt, man solle in Libyen eine Stadt grnden, wendet Grinnos ein, er sei zu alt, und weist wie zufllig auf Battos, mit dem Vorschlag, man solle doch ,irgendeinen von diesen Jngeren da (tima t_mde t_m meyt]qym, 4.150.3) beauftragen. Als das Orakel darauf nicht reagiert, fhrt man unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Von Battos ist fortan kaum mehr die Rede; die Theraier werden von einer Drre geschlagen, erfahren von der Pythia erneut, daß sie in Libyen siedeln sollen und gelangen schließlich mit Hilfe des Fischers Korobios bis zur Insel Platea vor der libyischen Kste, die sie von einer Delegation unter Fhrung des erst hier wieder auftretenden Battos besiedeln lassen wollen. Hier setzt die kyrenische Version ein; danach kommen die beiden Versionen wieder zusammen – im folgenden (4.157 – 167) wird von der bersiedlung auf das libysche Festland berichtet, von den Konflikten mit der einheimischen Bevçlkerung und schließlich der Vertreibung des Urenkels des Battos, Arkesilaos II., dessen Ermordung in Barka schließlich
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zur Einmischung der persisch beherrschten gypter unter Aryandes fhrt.651 Zurck zur Phronime-Geschichte. Sie weist folgende Funktionen auf: 1. 2. 3. 4.
Verleumdung des Stiefkindes durch die Stiefmutter Angebliches sexuelles Fehlverhalten des Stiefkindes berzeugung des Vaters, das Kind sei schuldig Auftrag zur Bestrafung des Kindes an einen Außenstehenden / Nichterfllung des Auftrags
Funktion 4, die bereits zu den oben behandelten Aussetzungsgeschichten gehçrte, ist hier in der besonderen Form gegeben, daß dem Auftrag ein Blankoversprechen zugrundeliegt, das dann durch Wçrtlichnehmen des Vertrags eingelçst wird – daß also beide Aktionen durch zustzliche traditionelle Motive verkompliziert sind.652 Die Erzhlung wird dem modernen Leser zunchst das Mrchenmotiv der bçsen Stiefmutter ins Gedchtnis rufen, die ein Schneewittchen oder Aschenbrçdel schlecht behandelt oder aus dem Haus jagt – auch Schneewittchen soll ja von einem Jger getçtet werden, der dann eine Art Alibi-Erfllung des Auftrags vollzieht, indem er der Stiefmutter das Herz eines Tieres als ,Beweis bringt. Die bçse Stiefmutter ist auch im griechischen Mythos keine Unbekannte; man denke vor allem an Ino, die gegen die Kinder ihrer Vorgngerin Nephele intrigiert, oder natrlich an die ewig eiferschtige Gçttin Hera, welche die illegitimen Sprçßlinge des Zeus mit ihrem Haß verfolgt.653 Was in den Stiefmuttermrchen jedoch nie eine Rolle zu spielen scheint, ist der Vorwurf des sexuellen Fehlverhaltens. Umgekehrt ist dieser vor allem in Fllen gegeben, wo keine bçse Stiefmutter involviert ist. Gerade im Kontext der oben in Kapitel V.2 behandelten Aussetzungsstruktur ist der Grund fr die Aussetzung des Kindes – oder von Mutter und Kind gemeinsam – bisweilen die Schande der un651 Hier ist Herodot wieder bei seinem eigentlichen Thema angekommen: der Expansionspolitik der Perser. Die Querelen zwischen Arkesilaos, dem angeblichen Perserfreund, und der Bevçlkerung von Barka und Kyrene, seien fr die Perser nur pq|swgla gewesen, so Herodot, in Wahrheit sollte Libyen endlich dem persischen Großreich angegliedert werden (4.167). 652 Beide Motive figurieren auch in den Historien selbst an anderer Stelle: zum Wçrtlichnehmen eines Vertrags vgl. oben 240 mit Anm. 650 zu Hdt. 4.201; das Blankoversprechen ist Element der oben in Kapitel II.1 behandelten Geschichte von Xerxes und Frau und Tochter des Masistes (9.108 – 113). 653 Zu den literarischen Belegen dieser und zahlreicher weiterer griechischer Stiefmutter-Mythen vgl. Watson 1995, 223 – 234.
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ehelichen Nachkommenschaft der Tochter.654 Auch die Nichterfllung des Tçtungsauftrags durch einen Dritten verweist auf die Aussetzungsstruktur. Hier fehlt aber, wie gesagt, das prominente Element der bçsen Stiefmutter. Eine Ausnahme stellen die praktisch parallel verlaufenden655 Geschichten der Tyro und Antiope dar, die beide Mtter heroischer – nota bene: ausgesetzter – Zwillingspaare sind. Tyro wird von Poseidon schwanger mit Pelias und Neleus; ihr Vater Salmoneus ist entrstet und lßt die Kinder aussetzen. Tyro selbst wird dann von ihrer Stiefmutter Sidero, Salmoneus zweiter Frau, mißhandelt – wobei hier nie ganz klar ist, ob dies wirklich als Strafe fr das sexuelle Fehlverhalten des Mdchens zu deuten ist.656 Eindeutig ist dies jedoch im Falle der Antiope: sie wird von Zeus schwanger mit Amphion und Zethos und flieht mit Epaphos oder Epopeus, der sie heiratet, vor ihrem Vater Nykteus. Dieser lßt sich von seinem Bruder Lykos am Totenbett schwçren, Antiope zu strafen; tatschlich tçtet Lykos Epopeus, setzt die Zwillinge aus und bergibt Antiope seiner Frau Dirke zur Mißhandlung.657 Dirke kann hierbei durchaus als eine Art Stiefmutter aufgefaßt werden, da ihr Mann Lykos Antiopes Vater Nykteus658 vertritt.659 Der Unterschied zu Herodots Phronime-Geschichte ist jedoch auch hier offensichtlich: das Element der Verleumdung fehlt gnzlich; das sexuelle Fehlverhalten hat ja in der Tat stattgefunden. Nun kçnnte man 654 Vgl. oben Anm. 489 und Griffin 1990, 63 zur Verwandtschaft der PhronimeGeschichte mit den Mythen, „wo erzrnte Vter versuchen, den Tod ihrer unbedachten Tçchter zu verursachen oder deren Nachkommen umzubringen. Mythische Erzhlungen wie die von Auge, Kanake (an die ihr Vater ein Schwert schickte) und Danae mçgen als Beispiele dienen.“ 655 Die hnlichkeit der Geschichten mag erklren, warum Tyro und Antiope in der odysseischen Nekyia praktisch in einem Atemzug genannt sind (Od. 11.235 – 265). 656 Apollod. 1.9.8 = 1.90 – 92; Tz. ad Lyc. 175. Bei D. S. 4.1 – 3 findet die Mißhandlung durch die Stiefmutter sogar explizit vor Tyros Schwangerschaft statt. Zu den Fragmenten der sophokleischen Tyro-Tragçdien (fr. 648 – 669a Radt TrGF 4, p. 463 – 472) vgl. Watson 1995, 228 Anm. 8 mit weiterfhrender Literatur. 657 Apollod. 3.5.5 = 3.41 – 44; Hyg. Fab. 8 (Zusammenfassung der euripideischen Antiope fr. 179 – 227 Kannicht TrGF 5.1, 12, p. 274 – 312). Hyg. Fab. 7 nennt Lykos als Ehemann der Antiope, der sie wegen ihrer Untreue mit Epaphos/Epopeus verstçßt, und Dirke als seine zweite Frau. 658 Zu den sprechenden Namen Nykteus und Lykos vgl. unten 260 mit Anm. 716 und Anm. 736. 659 Vgl. Yohannan 1968, 4 f. zum Schema „The Fortunate Youth and the Lustful Stepmother“: „there are always analogues which do not fit into the pattern of the abstraction. Either the youth is not entirely fortunate …, or the lustful woman is not really a stepmother … and so on.“
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annehmen, es handle sich hierbei um eine Rationalisierung Herodots, der Battos nicht ohne weiteres als Gçtterkind darstellen wolle. Das wrde aber bedeuten, daß eine rationalisierbare Version der Geschichte kursiert – was nicht der Fall zu sein scheint: die Zeugung des Battos durch einen Gott ist nirgends belegt; im brigen ist ein Stotterer kein typisches Gçtterkind. Es scheint, daß die Struktur der verstoßenen Heroenmutter hier mit einem weiteren Schema kontaminiert ist, in dem die Verleumdung durch eine bçse Stiefmutter eine sehr prominente Stellung einnimmt; es handelt sich um die oft nach ihrem bekannteren biblischen Pendant (Gen. 39) benannte ,Potiphar-Struktur, in der die Frau des Herrn oder die Stiefmutter den jungen Hausgenossen oder Stiefsohn begehrt, von ihm zurckgewiesen wird und ihn der Vergewaltigung bezichtigt, worauf eine Bestrafung durch den Vater oder Herrn erfolgt, die oft nicht erfolgreich ist.660 Bis auf die Ausgangssituation der verliebten Stiefmutter entspricht die Struktur Herodots Phronime-Erzhlung: sie enthlt die Verleumdung der Stiefmutter (Funktion 1), das – freilich anders geartete – angebliche sexuelle Fehlverhalten des Stiefkindes (Funktion 2), den gegen sein Kind aufgehetzten Vater (Funktion 3); bisweilen auch den unerfllten Tçtungsauftrag an einen Dritten (Funktion 4). Natrlich findet im Verhltnis zu den mythischen Erzhlungen eine Vernderung der Geschlechterverhltnisse statt;661 von dieser soll unten nochmals die Rede sein. Die ,Potiphar-Geschichten im griechischen Mythos sind zahlreich662 und entsprechen der oben in Kapitel V.3.1 behandelten ,Jnglingsflucht insofern, als sie in der Regel die Auswanderung des Helden zur Folge haben, der in der Fremde sein Glck macht; die Aggregation findet also 660 In der eponymen biblischen Potiphar-Geschichte ist keiner der Protagonisten mit einem anderen verwandt: der ,Vater ist hier Josephs Herr, also der pater familias; die ,Stiefmutter die Frau des Herrn. Die ,Potiphar-Struktur ist unabhngig vom Bestehen eines Verwandtschaftsverhltnisses, handelt aber durchaus hufig von Stiefsohn und Stiefmutter; vgl. Watson 1995, 234 – 238, die unter dem Begriff der „Amourous Stepmother“ eine ganze Reihe von ,Potiphar-Geschichten aufzhlt, die Stiefmtter involvieren. Vgl. auch die vorhergehende Anm. 661 Ein Grenzfall ist die Geschichte der Tisiphone: die Tochter des Alkmaion wird von Kreon, dem Kçnig der Korinther, an Kindes Statt angenommen: ihre Stiefmutter vertreibt sie aus Furcht, das schçne Mdchen kçnne dem Ehemann gefallen, so Apollod. 3.7.7 = 3.94 f.; wahrscheinlich liegt diese Handlung dem verlorenen euripideischen )kjl]ym b di± Joq_mhou zugrunde (fr. 73a-87a Kannicht TrGF 5.1, 6, p. 211 – 218). Hier ist aber wieder nicht von Verleumdung die Rede; es geht vor allem um die Eifersucht, welche die alternde Stiefmutter ihrer jungen Stieftochter gegenber empfindet; vgl. Watson 1995, 26 – 29. 662 Vgl. z. B. Salv 1994; Hansen 2002, 332 – 352.
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wieder in einer anderen als der Herkunftsgesellschaft statt. Literarisch am frhesten belegt sind zwei iliadische Erzhlungen. Hierbei handelt es sich zunchst um die Geschichte des Bellerophon (Il. 6.152 – 193663). Proitos ist der ,Herr des Bellerophon: pok» v]qteqor Gem heißt es ber seine Stellung in Argos (158). Zwischen den Mnnern besteht eine enge Beziehung: sptere Traditionen bezeichnen Proitos als Reiniger des Bellerophon, der diesen von einem Mord entshnt habe.664 Proitos Frau Stheneboia (oder Anteia; Hom. Il. 6.160) verliebt sich in den Jngling, der sie abweist, worauf sie ihrem Ehemann gegenber behauptet, Bellerophon habe versucht, sie zu vergewaltigen (Funktionen 1 und 2). Proitos glaubt ihr (Funktion 3) und gibt die Tçtung des Jnglings in Auftrag: er sendet seinen jungen Untergebenen mit einem ,Uriasbrief (auch dies ein verbreitetes Motiv, das aber hier nicht Thema sein kann) zu seinem Verwandten, dem bei Homer noch namenlosen Kçnig von Lykien (Funktion 4). Durch diese Figur wird Funktion 4 gleichsam verdoppelt, indem der Kçnig den Mord wiederum nicht selbst vollstreckt, sondern versucht, Bellerophon von diversen ,Dritten umbringen zu lassen. Sie scheitern alle: Chimaira, die Solmyer, die Amazonen und schließlich eine Gruppe gedungener Mçrder. Der Lykierkçnig nimmt Abstand vom Auftrag des Proitos und macht den tapferen Bellerophon zu seinem Schwiegersohn. hnlich verluft die Tradition der mythischen Phoinix-Vita. Bei Apollodor (3.13.8 = 3.175) – mçglicherweise handelt es sich hier um eine Nacherzhlung des euripideischen Phoinix 665 – verleumdet die Nebenfrau des Vaters den Phoinix wegen angeblicher Vergewaltigung; die Funktionen 1 und 2 sind also klar vorhanden. Der Vater glaubt ihr (Funktion 3), bestraft den Sohn allerdings selbst – er blendet ihn,666 womit die Strafe also als erfllt gelten muß (freilich kann die Blendung in dem der PhoinixGeschichte sehr nahestehenden Phineiden-Mythos rckgngig gemacht
663 Zur lckenhaften tragischen Tradition des Bellerophon-Mythos vgl. Salv 1994, 92 f. 664 Vgl. oben Anm. 614. 665 Fr. 803 – 818 Kannicht TrGF 5.2, 74, p. 845 – 855; vgl. Salv 1994, 97 f. Auf die negative Rolle der zweiten Frau des Amyntor deuten fr. 804, 807, 808 und 818 hin (und mçglicherweise 817a, vgl. Jouan/Van Looy 2002, 335 f. mit Anm. 59). Fr. 809 und 811 – 813 enthalten die Verhandlung eines Streits; darunter deutet 812 auf eine Apologiesituation hin, in der sich Phoinix befindet; 815 – 817 scheinen sich auf seine Blendung und sein Exil zu beziehen. 666 Das Motiv der Blendung findet sich in bildlichen Darstellungen bereits um 350 v. Chr., vgl. LIMC Suppl. s. v. Phoinix II, 985, 1 f.
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werden667). In der Ilias, wo auch diese Erzhlung zuerst faßbar wird (9.444 – 495),668 sind nur die dritte und vierte Funktion klar erkennbar: der Vater Amyntor verflucht Phoinix – er soll keine Nachkommenschaft haben –, womit er die Bestrafung ebenfalls delegiert – an eine ,hçhere Macht. Allerdings ist der Fluch wirksam: Phoinix bleibt ohne Nachkommen.669 In Kombination erscheinen diese Mythenfragmente der ,PotipharStruktur unzweifelhaft zu entsprechen.670 Die Initiation wird hier allerdings nicht vollzogen; Phoinix wird keine Sçhne zeugen und damit nicht zum vollwertigen Erwachsenen werden. Die vermutlich deutlichste ,Potiphar-Struktur zeigt sich in Euripides zweitem Hippolytos-Drama, der uns erhaltenen Tragçdie, die 428 uraufgefhrt wurde – vermutlich noch zu Lebzeiten Herodots.671 Hippolytos 667 Hier ist es die zweite Frau des Phineus, Idaia oder Eidothea, welche die Sçhne ihrer Vorgngerin Kleopatra der versuchten Vergewaltigung bezichtigt. Zur Strafe werden die Phineiden geblendet, ob von Vater oder Stiefmutter, ist unklar; vgl. D. S. 4.43.3 – 44.6; Apollod. 3.15.3 = 3.200. Bei Diodor behauptet die Stiefmutter, die Sçhne htten die Tat ihrer wirklichen Mutter zuliebe begangen, womit sich die Geschichte in verdchtige Nhe der homerischen Phoinix-Version begibt; eine Verwechslung liegt nahe (zumal als Vater des Phineus bisweilen der AgenorSohn Phoinix berliefert ist; vgl. Pherecyd. FGrHist 3, fr. 86 Jacoby; A. R. 2.178). Die Strafe wird zwar vollzogen, von den Boreaden aber unterbunden; Orph. A. 671 – 679 geben die Boreassçhne den Phineiden ihr Augenlicht zurck. Die frheren Belege sind bezglich der ,Potiphar-Struktur wenig aussagekrftig, vgl. A. Phineus (fr. 258 – 260 Radt TrGF 3, p. 359 – 361); S. Phineus (fr. 704 – 717a Radt TrGF 4, p. 484 – 489); aus S. Ant. 966 – 987 geht lediglich hervor, daß die zweite Gattin des Phineus die Sçhne aus erster Ehe (selbst) geblendet habe. 668 Zu den wenig ergiebigen dramatischen Fragmenten vgl. Salv 1994, 97. 669 Die erste Funktion ist bei Homer stark verndert: die Intrige geht von Phoinix leiblicher Mutter aus, die sich zugunsten einer Nebenfrau vernachlssigt sieht und den Sohn bittet, mit dieser zu schlafen – was auch geschieht (vgl. hierzu Schol. D zu Il. 9.448 und bT zu Il. 449). Das sexuelle Fehlverhalten ist also wirklich gegeben, die Verleumdung nicht. 670 Auch Watson 1995, 30 f. sieht die Parallele der Phoinix-Vita zu Herodots Phronime-Erzhlung ber das „,false accusation motif“ (30) gegeben; anders als bei Herodot sind unter den von den Vtern bestraften weiblichen Figuren, die sie in Anm. 44 nennt, keine Verleumdungsopfer, sondern ausschließlich ,echte Verfhrte (sie nennt Periboia, Auge und Aerope). 671 Der erste euripideische Hippolytos (jakupt|lemor, fr. 428 – 447 Kannicht TrGF 5.1, 34, p. 459 – 474), der wohl aus den dreissiger Jahren stammt (zur Datierung vgl. Jouan/Van Looy 2000, 3, 225), scheint ein hnliches Handlungsschema aufzuweisen; auch hier sind die Funktionen 1 – 4 offenbar gegeben (vgl. die Rekonstruktion bei Jouan/Van Looy 2000, 3, 226 – 234). An frheren Quellen ist vor allem eine Erwhnung Phaidras in der Odyssee zu nennen (11.321). Pindar kennt Phaidra laut Plu. Thes. 29 nur als Mutter des Demophon. Sophokles Phaidra
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Stiefmutter Phaidra verliebt sich in den Stiefsohn; als dieser sie abweist, verleumdet sie ihn (Funktion 1) wegen versuchter Vergewaltigung (Funktion 2). Der Vater Theseus glaubt dies (Funktion 3) und erbittet von Poseidon die Tçtung des Kindes (Funktion 4). Das Motiv der Nichterfllung des Tçtungsauftrags findet sich bei Euripides nicht, scheint aber mit dem Mythos in Form der Rcknahme der Bestrafung doch verbunden zu sein: Apollodor (3.10.3 = 3.121) berichtet von einer frhen Version der Naupaktia, in der Hippolytos vom Tode wiedererweckt wird. Gerade in dieser Variante erscheint die initiatorische Komponente des ,neuen Lebens besonders deutlich ausgeprgt, auch wenn es sich hier nicht um die faktische Aggregation in einer neuen Gesellschaft handelt. Mit den oben genannten Beispielen sind einige frhe Reprsentanten der ,Potiphar-Struktur im griechischen Mythos genannt. Es finden sich unzhlige weitere Beispiele, die sich natrlich keineswegs auf den griechischen Mythos beschrnken.672
(fr. 677 – 693 Radt TrGF 4, p. 475 – 481) ist weder eindeutig datierbar, noch kann die Handlung klar rekonstruiert werden. Auf Phaidra und ihr Ende deutet laut Paus. 10.29.3 ein Gemlde des Polygnotos hin, das Phaidra auf einer Schaukel sitzend darstellt, was Pausanias als Anspielung auf ihren Freitod durch den Strick deutet (fr diese Assoziation spricht auch, daß das Schaukeln der Mdchen am Chytrentag der Anthesterien an den Selbstmord der Erigone erinnern soll, die sich erhngt hatte; vgl. Burkert 1972, 266 – 269). Erhaltene bildliche Darstellungen mit Hippolytos und Phaidra stammen aus spterer Zeit: der Tod des Hippolytos als Wagenlenker im Zusammenhang mit Aphrodite/Eros erscheint erstmals um 360 v. Chr. auf einem sizilianischen Krater (LIMC 5 s. v. Hippolytos I, p. 457, 102); den Selbstmord der Phaidra stellt mçglicherweise ein kampanischer Lekythos um 350 – 340 v.Chr dar (LIMC 5 s. v. Hippolytos I, p. 459, 122). 672 Vgl. die Aufzhlung bei Watson 1995, 234 – 238. Selbst zu dieser umfangreichen Sammlung wren einige Beispiele zu ergnzen, z. B. die Geschichten von Hebros und Damsippe (Ps.-Plu. de fluv. 3.1, der sich auf Timotheos Peq· Potal_m beruft) und von der anagyrasischen Siedlerfamile der Suda (s. v. )macuq\sior). An Erzhlungen, in denen – wie oben im Falle des Bellerophon gesehen – keine eigentliche Stiefmutter vorkommt, dafr aber eine Frau in vergleichbarer Position, wren etwa zu nennen: Peleus und Astydameia (Pi. N. 5.25 – 36; Apollod. 3.13.2 = 3.164 f., wo es Teil der Intrige ist, daß sich Astydameia Peleus angeblich zum Schwiegersohn machen will; vgl. Salv 1994, 96 f.); Eunostos und Ochna (Plu. Aet., Mor. 300d-f); Antheus und Kleoboia (Alex.Aet. Apollon bei Parth. 14). Die ,Potiphar-Struktur geht dann auch ber die mythische Tradition hinaus auf ,frei erfundene literarische Figuren ber, so bei Philostrats Timasion, der von der zurckgewiesenen Stiefmutter als Homosexueller verleumdet wird (VA 6.3) – noch eine Spielart sexuellen Fehlverhaltens –, bei Heliodors Knemon, dessen Stiefmutter sich explizit auf Phaidra beruft (1.9 – 17), und schließlich in Menan-
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Wie schon gesagt, besteht in der Vernderung der Geschlechterverhltnisse in Herodots Phronime-Geschichte ein aufflliger Unterschied zur ,Potiphar-Struktur. Die Konsequenz dieser Vernderung ist vor allem das Fehlen des Elements der Begierde der Stiefmutter, die sich auf den Stiefsohn richtet. Im ,Potiphar-Mythos ist es die Zurckweisung durch den Stiefsohn, die den naheliegenden sexuellen Gehalt des Vorwurfs der Stiefmutter generiert, was wiederum im Zorn des Vaters auf das eigene Kind als sexuellen Rivalen resultiert. Den Vorwurf des sexuellen Fehlverhaltens und die daraus folgende Wut des Vaters jedoch auf eine weibliche Protagonistin zu bertragen, erscheint im Falle der Phronime-Geschichte als Novum. Ein zustzliches mythisches Detail in der Geschichte der Phronime scheint der traditionellen Erzhlung, deren Protagonist sonst stets ein junger Mann ist, eine dezidiert feminine Frbung zu verleihen. Es handelt sich um die Art der Bestrafung, die Phronime ereilt. Wie gesagt, lßt sie der Kaufmann an Stricken ins Meer hinab; versprochen hatte er, ,sie ins Meer hinabzulassen (jatapomt_sai, 4.154.3), was er aber tatschlich ausfhrt, beschreibt Herodot folgendermaßen: ,er band sie an Seile und ließ sie ins Meer hinab, dann zog er sie wieder hinauf und kam in Thera an (swoim_oisi aqtμm diad^sar jat/je 1r t¹ p]kacor, !masp\sar d³ !p_jeto 1r tμm H^qgm, 4.154.4). Dieses Untertauchen ist von einer weiteren mythischen Frauenfigur belegt: Skylla, die ihrem Vater fr Minos, den Belagerer ihrer Heimatstadt Megara, das lebensrettende Haar abgeschnitten hat und vom verchtlichen Geliebten getçtet wird.673 Bei Apollodor heißt es, Minos habe ,das Mdchen mit den Fßen ans Heck gebunden und sie unter Wasser getaucht (tμm j|qgm t/r pq}lmgr t_m pod_m 1jd^sar rpobq}wiom 1po_gse, 3.15.8 = 3.211). Sehr hnlich berichtet auch Parthenios von Skyllas Ende: ,er band sie an das Ruder des Schiffs und ließ sie hinab, um durch das Meer gezogen zu werden; (pqod^sar aqtμm ‹pgdak_\ me½r !v/jem› 1pis}qeshai t0 hak\ss,, fr. 24a Lightfoot). Wieder findet sich eine Aussetzungsgeschichte, die hnliches enthlt: Auge, schwanger von Herakles, wird nach der Version des Alkidamas in seiner Rede des Odysseus (14 – 16) dem Nauplios bergeben, um ins Meer ders Samia, wo der Vater seine Geliebte verdchtigt, eine Affre mit seinem Sohn zu haben. 673 A. Cho. 613 – 622; Verg. G.1.404 – 409; Paus. 1.19.4. Vgl. ferner Paus. 2.34.7, wo Skylla auf der Flucht von Minos ertrnkt wird; auch hier wird sie aus dem Boot geworfen. Str. 8.6.13 tçtet sie ihr Vater.
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geworfen zu werden (jatapomt_sai, 15); dieser jedoch lßt sie am Leben. Die Formulierungen hneln sich – ebenso die Situationen. Ist das Ertrnken durch ,Kielholen eine verbreitete Strafe fr Tçchter, die ihren Vtern Schande oder Unglck gebracht haben? Fast scheint es, als seien das Blankoversprechen und sein Wçrtlichnehmen bei Herodot nur konstruiert, um das Untertauchen des Mdchens zu erklren, das von Anfang an zur Geschichte gehçrt. Die Nhe der Phronime-Geschichte auch zur Aussetzungsstruktur zeigt sich hier erneut:674 die Folie der Auge-Erzhlung fhrt wieder auf das tatschlich erfolgte sexuelle Fehlverhalten eines weiblichen Kindes zurck, das zu Schwangerschaft und Aussetzung fhren kann beziehungsweise Anlaß fr Bestrafung ist und im Falle von Tyro und Antiope auch im Zusammenhang mit dem Motiv der bçsen Stiefmutter erscheint. Daß die ausgesetzten Kinder oder ihre Mtter einen physischen Defekt aufweisen,675 daß sie ihren Namen im Zuge der initiationssymbolischen Aussetzung erhalten, spricht weiter fr eine Nhe der Battos-Erzhlung zur Aussetzungsstruktur:676 Battos stottert, und seiner Namensfindung (,Stotterer auf griechisch, ,Kçnig in libyscher Sprache) widmet Herodot ein ganzes Kapitel (4.155). In der Tat ist Battos auch als vaqlaj|r gedeutet worden, der Thera verunreinigt, in Kyrene aber Segen spendet.677 Offenbar greifen bei Herodots Phronime-Erzhlung verschiedene Schemata ineinander. ber ihre jeweiligen Konnotationen lassen sie sich jedoch relativ problemlos entwirren. Die nchstliegende Erklrung der bertragung heroischer Elemente auf die Familie des Battos ergibt sich aus der offensichtlichen Verschiedenheit der beiden von Herodot referierten Versionen. In der Tradition der Theraier spielt Battos laut Herodot eine denkbar untergeordnete Rolle: es ist Grinnos, der das Orakel aufsucht, der Kçnig von Thera; Battos kommt die Ehre der Koloniegrndung mehr oder weniger zufllig zu. Danach taucht die Figur des Battos in der Version der Bewohner der Mutterinsel berhaupt nicht mehr auf. Was liegt nher als die Vermutung, daß die Kyrenaier ihrem Grndungsheros eine 674 Sie darf jedoch nicht ausschließlich in diese Tradition eingeordnet werden, sondern gehçrt eben auch zur Gruppe der ,Potiphar-Geschichten; vgl. Yohannan 1968, 6, der davor warnt, die ,Potiphar-Struktur mit einer beliebigen familiren Dreieckssituation zu vergleichen; sie unterscheide sich eben durch das Element der Verleumdung (das bei der Aussetzungsstruktur keine Rolle spielt). 675 Vgl. oben 218 mit Anm. 566. 676 Zur Namensgebung im Kontext der Initiation vgl. oben 216 mit Anm. 554. 677 Calame 1996, 107. Zum vaqlaj|r vgl. oben 218 f. mit Anm. 564 f.
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etwas ,heroischere Biographie und kçnigliche678 Abkunft zukommen lassen wollen?679 Daß Battos als Kind einer Frau dargestellt wird, die eine hnliche Biographie aufweist wie Tyro und Antiope, impliziert die Besonderheit des Kindes, das folglich mit Heroen wie Pelias und Neleus bzw. Amphion und Zethos assoziiert wird. Wie oben bereits angedeutet, ist der unerfllte Tçtungsauftrag, der auf das in sexueller Hinsicht verdchtige Stiefkind zielt, mit der versuchten Tçtung der Aussetzungsopfer verwandt, bei denen es sich um ein Kind oder um eine Mutter mit Kind handeln kann, wie etwa
678 Alle ,Potiphar-Geschichten spielen sich an Kçnigshçfen ab; vgl. Salv 1994, 107. 679 Auch Luraghi 2006, 80 – 83 bezeichnet die Geschichte als typisches Beispiel fr Herodots Abwgen verschiedener Versionen sowie fr die Propagierung der jeweils ntzlichsten Version durch verschiedene Parteien; konkreter Osborne 1996, 10 – 15: „The Cyrenean story … emphasizes the royal ancestry of Battos and the charmed life of his mother“ (12). Eine solche Darstellung liege im Interesse der ber Kyrene herrschenden Battiaden, whrend die Theraier lediglich an einer Verbindung zu ihrer wohlhabenden Kolonie interessiert seien und ihre Version folglich nur beinhalte, „that they had acted reasonably, and had done all that could conceivably be expected of a city which was sending out settlers in order to make sure that the settlement would be successful“ (12). Vgl. Calame 1996, 88 – 92 zu weiteren Unterschieden in der politischen Relevanz der beiden Versionen. Nach dem Fall der Battiaden in den 430er Jahren sei die kyrenische Version sicherlich zum „embarrassment“ geworden, so Osborne weiter, „because it had built into it an emphasis on the importance of the founder of the dynasty which was now no longer in power“ (14). hnlich Corcella 1993, 567. – Dagegen geht Giangiulio 2001, 128 f. bei der kyrenischen Erzhlung von einer nach dem Sturz der Battiaden entstandenen Version aus und wendet sich folglich gegen die Annahme einer Heroisierung des Battos. Er verweist auf die fehlende Verbindung der Figur zu dem bei Pindar gegebenen Hintergrund der Argonautensage; die PhronimeErzhlung bercksichtigt er dabei jedoch nicht. Immerhin verweist er 136 f. auf die Pluralitt der Versionen, die Herodot vorliegen; trotz der Quellenangabe ,die Kyrenaier entsprechen diese nicht einer homogenen, ,nationalen Tradition, sondern stellen eine Art „summary reference“ (137) dar. Folglich kçnnte die Figur des Battos in derselben, aber dennoch aus verschiedenen Strngen bestehenden Version sowohl heroisiert als auch humanisiert werden – ersteres ist durch die Phronime-Erzhlung zweifelsohne der Fall; letzteres mag durch die Weglassung des argonautischen Hintergrundes ebenfalls zutreffen. – Watson 1995, 251 f. vermutet eine Erfindung durch Kyrenaier kretischer Abstammung, die ber die Kreterin Phronime eine Verbindung zwischen ihrem Mutterland und dem Grnder herstellen wollten; sie verweist auf die 580 – 570 v. Chr. erfolgte kretische Einwanderungswelle in Kyrene.
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im Falle der Auge, die mit Phronime zustzlich das Motiv des ,wçrtlich genommenen Untertauchens im Wasser gemeinsam hat.680 Es bleibt jedoch die Frage, wieso die ,Potiphar-Variante der ,Jnglingsflucht nicht auf Battos, sondern auf seine Mutter Phronime gemnzt wird. Dies lßt sich wohl nicht abschließend klren. Auffllig ist immerhin, daß Battos selbst in beiden herodoteischen Versionen als eher bescheidene Figur gezeichnet ist. Darauf deutet der in beiden Fllen unerwartete Erhalt des Orakels hin: der unbedarfte Stotterer Battos, der dem ,Dummling des Volksmrchens681 bereits in der vorherodoteischen Tradition682 entspricht, erhlt vçllig berraschend den Befehl, die Kolonie zu grnden. Beide Male nmlich ist der Grund fr den Orakelbesuch eine im Nachhinein eher nebenschliche Angelegenheit fr den jungen Mann: entweder befindet er sich lediglich in der Entourage des Kçnigs von Thera und hat berhaupt kein eigenes Anliegen, oder er konsultiert das Orakel aus vçllig anderen Grnden und erhlt den wichtigen Auftrag zu seiner eigenen berraschung und Verwirrung. Wie hufig beobachtet worden ist,683 verstrkt diese Ausgangssituation die Einflußnahme des delphischen Orakels betrchtlich und lßt Kyrenes Grndung als rein gottgewollten Akt erscheinen, der sich beinahe ohne menschliches Zutun vollzieht. Diese Bescheidenheit der Figur scheint also elementarer Bestandteil des Grndungsmythos zu sein. Mit einer veritablen Heroenvita wie der Flucht eines von der Stiefmutter verleumdeten Heros ist sie erzhllogisch kaum vereinbar. Die Ausstattung des Jnglings mit mythischen Zgen erfolgt also ber die Elterngeneration: die Mutter als Kçnigstochter mit mythischem Schicksal. Warum nicht der Vater? Weil dieser nach den Regeln der mythischen Struktur dann selbst als Heros wahrgenommen wrde, was der heroischen Aufwertung der Battosfigur nicht notwendigerweise zutrglich wre – whrend weibliche mythische Flchtlingsfiguren typischerweise bedeutende Sçhne gebren. Zum anderen mag der ,Geschlechtertausch auch in der rituellen Matrix der Initiationsgeschichte zu wurzeln. Zur liminalen Phase eines Initiationsritus gehçrt hufig ein 680 Vgl. oben 242 f. mit Anm. 654 sowie Anm. 489; ferner auch Griffin 1990, 63, dessen Vorschlag, die ganze Geschichte diene im Prinzip dazu, „eine weibliche Person von einem Ort an den anderen zu versetzen“, allerdings etwas zu kurz zu greifen scheint. 681 Vgl. Aly 1921, 140 sowie oben 218 mit Anm. 566 zum Topos des physischen Defekts. 682 Das Stottern ist bereits zu einem frhen Zeitpunkt Teil des Mythos; vgl. Pi. P. 4.59 – 63. 683 Vgl. Giangiulio 2001, 117 f. und Anm. 5 mit einer bibliographischen bersicht.
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symbolischer Geschlechtswechsel, der auch im Mythos seine Spiegelung findet; etwa in der Jugendgeschichte des Achilleus.684 Insofern wre denkbar, daß auch die Battosvita Kultisches reflektiert, aber nicht in der Weise, daß sich Battos in eine Frau verwandelte oder sich als Frau verkleidete, sondern in Form einer Aufspaltung der Erzhlung: die liminale Flchtlingsfigur ist eine Frau, der sich aggregierende Grnderheros ein Mann. In jedem Fall wird klar, daß Herodot auch bei der Erzhlung der Kyrenegrndung nicht aus dem Bereich des Mythischen ausschert. Eine traditionelle Erzhlung ist nçtig, um die Vita eines Grnderheros als solche zu markieren; nichts anderes wre fr Herodot und seine Rezipienten nachvollziehbar.685
4. Das tçdliche Gastmahl 4.1 Das ,Atreusmahl (1.73; 1.119) – Herrschaftswechsel und kulturelle Nivellierung Im ersten Buch der Historien finden sich zwei Episoden, bei denen Kinder geschlachtet und ihrem Vater vorgesetzt werden, der von dem grausen Mahl auch ahnungslos ißt. Auch diese Struktur, die zunchst vor allem mit dem Paradigma des Opfers686 zusammenzuhngen scheint, ist auf verschiedenen Ebenen mit ,Neubeginn konnotiert, wie sich im folgenden zeigen wird. Das erste ,Atreusmahl der Historien findet sich 1.73: Aus Rache fr einen ungerechtfertigen Zornausbruch des Mederkçnigs Kyaxares, zu dem sie ursprnglich als Bittflehende gekommen sind, schlachten skythische Jger ein Kind, das ihnen der Kçnig anvertraut hat (ob es sein eigener Sohn ist, geht aus dem Text nicht klar hervor), richten es wie Wildbret zu, 684 Schol. D zu Il. 19.326; Bion Bucolicus Epithal. 15; Sen. Tro. 214 f.; Stat. Ach. 1; Apollod. 3.13.8 = 3.174; Hyg. Fab. 96; bildliche Darstellungen seit dem 5. Jh. v. Chr., vgl. LIMC 1, 1989, s. v. Achilleus, p. 57 f., 95 – 104. Vgl. zum Phnomen des initiatorischen Geschlechtswechsels Graf 1979, 15 mit weiterfhrender Literatur in Anm. 117; Bierl 2007c, 272 f. (am Beispiel des griechischen Romans). 685 Vgl. Calame 1996, 108: „The Herodotean narrative gains its plausibility as much through its correspondence with certain mental categories and representations of its audience as through reference to heroic cult actually rendered to the oecist.“ 686 Zu den griechischen Opferbruchen vgl. generell Meuli 1946; einen aktuellen berblick ber die Forschungsgeschichte zum Paradigma des Opfers bietet Bierl 2007b, 33 – 37.
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schicken es an Kyaxares, der von dem Fleisch ißt, und fliehen, bevor der Betrug entdeckt wird. Die zweite derartige Erzhlung handelt von Kyaxares Sohn Astyages (1.119); ihr Kontext, die Aussetzungsgeschichte des Kyros, ist oben in Kapitel V.2 bereits behandelt worden. Astyages, nun seinerseits Kçnig der Meder, will sich an seinem Diener Harpagos rchen, weil dieser Astyages Enkel Kyros nicht, wie befohlen, getçtet hat, sondern versucht hat, seinen Herrn zu betrgen. Also lßt sich Astyages unter dem Vorwand, den Gçttern ein Opfer bringen zu wollen und Harpagos samt seinem Sohn dazu einzuladen, zunchst Harpagos Sohn schicken, angeblich als Spielgefhrten fr Kyros. Das Opfer wird ein Menschenopfer: Harpagos Kind wird geschlachtet, zerschnitten, teils gebraten und teils gekocht, und schließlich dem Vater vorgesetzt. Der Betrogene wird durch Zweideutigkeiten zustzlich provoziert: vor der Entdeckung fragt Astyages, eQ Bshe_g ti t0 ho_m,, hinterher, eQ cim~sjoi eteu hgq_ou jq]a bebq~joi (1.119.5 f.). Als Harpagos gegessen hat, werden Kopf, Hnde und Fße seines Sohnes hereingetragen, worauf er erkennt, was er zu sich genommen hat. Die beiden ,Atreusmhler der Historien sind Beispiele fr eine relativ traditionstreue bernahme einer kompletten mythischen Struktur. Traditionell enthlt die Erzhlung mehrere der folgenden Funktionen:687 1. Rache als Motivation 2. Schlachten eines Kindes (hufig das des Gastes) 3. Genaue Angabe der Zubereitung des Fleisches in Opferdiktion (Kochen und Braten)688 4. Betrugsmotiv a. Zeit zur Flucht gewinnen b. dem Betrogenen die eigene berlegenheit beweisen, bzw. dessen berlegenheit oder Gçttlichkeit in Frage stellen 5. Hereintragen der erkennbaren berreste des Kindes nach dem Mahl (meist Kopf und Extremitten)689 6. Erkenntnis des Betruges durch den Gast
687 Zu Krummens Schema des ,Atreusmahls (1990, 173) vgl. unten Anm. 732. 688 Vgl. Burkert 1972, 120 f.; allgemein zum Braten und Kochen im Kontext der Opferhandlung Detienne 1977, 173 – 182; schließlich oben 133 f. zum Braten und Kochen des zerstckelten Dionysos; vgl. ferner Hdt. 2.41.3 ber die typischen Instrumente der Griechen beim Rinderopfer: oqd abeko?si oqd] k]bgti. 689 Burkert 1972, 121 mit Anm. 11 faßt auch dies als Gemeinsamkeit mit dem griechischen Opferritual.
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Der frheste Beleg der Struktur ist die Erzhlung von Lykaon, der Zeus Menschenfleisch vorsetzt – laut Hesiod handelt es sich dabei um Zeus eigenen Sohn Arkas von Kallisto (fr. 163 MW);690 hier findet sich also das oben mit 2 bezeichnete Handlungselement in seiner hufigsten Form: die Schlachtung des Kindes des Gastes. Auf Hesiods knappes Fragment folgt keine klassische griechische Belegstelle mehr.691 Bei Ovid schlachtet Lykaon dann eine molossische Geisel (missi de gente Molossa obsidis unius iugulum mucrone resolvit; Met. 1.226 f.); hier wird die Opferdiktion wichtig: der Mann wird teils gekocht, teils gebraten und dann dem Gott aufgetischt, der den Betrug sofort durchschaut und Lykaon zur Strafe in einen Wolf verwandelt. Pausanias lßt Lykaon ein namenloses Kind am Altar des Zeus Lykaios schlachten (8.2.3); bei Clemens von Alexandria (Protr. 2.36.5) und Nonnos (D. 18.20 – 24) schließlich handelt es sich bei dem Opfer um Lykaons eigenen Sohn Nyktimos.692 Daß es bei dem Mord um eine Prfung von Zeus Gçttlichkeit geht – die Variante 4a –, wird deutlich erstmals693 bei Ovid gesagt. Prominenter belegt ist in klassischer Zeit das eigentliche ,Atreusmahl. Zwar sind uns mehrere wichtige Bearbeitungen des Mythos nicht erhalten,694 in Aischylos Agamemnon findet sich jedoch ein aussagekrftiger Verweis in der Rede des Aigisthos (1590 – 1599):695 n]mia d³ toOde d}sheor pat^q )tqe}r pqoh}lyr l÷kkom C v_kyr patq· 690 Ebenso Hyg. Astr. 2.4. 691 Von den Lykaon-Tragçdien des Xenokles (fr. 1 Snell TrGF 1, 33, p. 153) und Astydamas (fr. 4a Snell TrGF 1, 60, p. 205) sind uns nur die Titel erhalten. Zu einer umfassenden Sammlung aller Belege des Lykaon-Mythos vgl. Piccaluga 1968. 692 Lyc. Alex. 481 nennt die Arkader die ,wolfsgestaltigen Teiler von Nyktimos Fleisch (kujaimol|qvym Mujt_lou jqeam|lym). Bei Apollod. 3.8.1 = 3.98 f. ist das Opfer, das Lykaon (und sein Sohn Mainalos) schlachten, ein einheimisches Kind. 693 Mçglicherweise steht diese Vorstellung jedoch auch schon hinter Hesiods Erzhlung: die Bewirtung des Zeus wird in unmittelbarem Zusammenhang mit dessen Verfhrung der Kallisto genannt; folglich kçnnte sie in der Tradition der Prfung des Liebhabers auf seine Gçttlichkeit stehen (vgl. oben 49 zu Zeus und Semele). Dafr spricht auch, daß Hygin, der neben Hesiod als einziger Arkas als Opfer nennt, ebenfalls von einer Versuchung des Gottes spricht (studebat enim scire, si deus esset, qui suum hospitium desideraret, Astr. 2.4). Die Prfung der Gçttlichkeit findet sich auch Hyg. Fab. 176, allerdings sind die Protagonisten dort die Sçhne des Lykaon. 694 S. Thyestes (fr. 247 – 269 Radt TrGF 4, p. 239 – 246); E. Thyestes (fr. 391 – 397b Kannicht TrGF 5.1, 30, p. 437 – 441); Enn. Thyestes (fr. 149 – 160 Jocelyn); Acc. Atreus (fr. 197 – 2341-2 Ribbeck = 29 – 69 Dangel). 695 Vgl. bereits A. Ag. 1090 – 1097.
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t¡l_i, jqeouqc¹m Glaq eqh}lyr %ceim doj_m, paq]swe da?ta paide_ym jqe_m. t± l³m pod^qg ja· weq_m %jqour jt]mar 5jqupt696 †%myhem !mdqaj±r jah^lemor %sgla† d aqt_m aqt_j !cmo_ai kab~m 5shei, boq±m %sytom, ¢r bq÷ir, c]mei. j%peit 1picmo»r 5qcom oq jata_siom ¥ilynem, !lp_ptei d !p¹ svac±r 1q_m … als Gastgeschenk hat sein gottloser Vater Atreus, mehr eifrig als freundlich meinem Vater – im Anschein, einen Schlachttag großmtig zu begehen – ein Mahl aus dem Fleisch seiner Kinder dargebracht! Die Zehen und den Fingerspitzenkamm der Hnde verbarg er, der oberhalb abseits saß. Und Unkenntliches nahm er davon sofort aus Unwissen und aß es, Essen, das das Geschlecht unrettbar machte. Und als er das unrechte Tun erkannte stçhnte er auf, er fllt rckwrts hin und spuckt das Schlachtfleisch aus …
Die aischyleische Erzhlung des ursprnglichen ,Atreusmahls enthlt fast alle Funktionen, die sich auch bei Herodot wiederfinden: mçglicherweise fehlt das Hereintragen der kenntlichen berreste (5), je nachdem, ob man Casaubons Konjektur 5jqupte fr 5hqupte akzeptiert oder nicht:697 im ersteren Falle wrden die Extremitten verborgen,698 womçglich, um spter als Beweis fr die Identitt des Geschlachteten zu dienen (5). Die explizite Erzhlung dieses Elements findet sich erst bei Seneca (Thy. 1004 f.; vgl. 764), spter bei Apollodor (Ep. 2.10.68 – 73 = Ep. 2.13) und Hygin (Fab. 88). Akzeptiert man die weniger plausible Lesart 5hqupte, wrden die Fße und Hnde zermalmt und also eine eher untypische Zubereitung des Fleisches beschrieben; wie oben gesagt, wird das Fleisch fr gewçhnlich teils gebraten, teils gekocht, so auch in der zweiten herodoteischen Erzhlung 1.119. Diese letztere Funktion (3) ist jedoch an anderer Stelle angedeutet, wenn Klytaimestra die Kinder Ag. 1097 als apt\r te s\qjar bezeichnet und das Fleisch 1220 spezifiziert: n»m 1mt]qoir te spk\cwm, wobei vor allem der Begriff spk\cwma deutlich auf eine bereits 696 Aufnahme der Konjektur von Casaubon, vgl. das Folgende. 697 Vgl. Fraenkel 1950 ad loc., der 5hqupte (,zermalmte) favorisiert und die Konjektur als „interpolation based on Hdt. 1.119.4 ff.“ interpretiert. 698 Denniston/Page 1957 ad loc. vermuten zustzlich Informationen ber den Verbleib der Kçpfe in einem weggefallenen d]-Satz: „Something may well have been said about the heads, which must have been hidden: adjacent lines beginning 5hqupte – 5jqupte would readily account for a lacuna.“
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in homerischer Zeit fixierte Opferdiktion verweist.699 Besonders drastisch wird das ,Kinderopfer dann bei Seneca erzhlt (Thy. 641 – 788). Das Betrugsmotiv ist im Agamemnon nicht explizit genannt, ergibt sich aber natrlich aus !cmo_ai kab½m 5shei (1596 f.). Auch die Rachemotivation (Funktion 1) nennt Aigisthos nicht, das mag aber an seinem Status als Sohn des Tters liegen700 – außerdem wird 1193 Thyestes Ehebruch genannt und damit ein Hinweis auf den Bruderstreit gegeben. Das Motiv des ,Atreusmahls ist im griechischen Mythos auch sonst verbreitet. In der Familie der Atriden findet es sich ein weiteres Mal: bei Tantalos, der seinen Sohn Pelops schlachtet und den Gçttern zum Mahl vorsetzt. In der frhesten Version, in Pindars erster Olympischer Ode (1.36 – 52), ist nur die dritte der traditionellen Funktionen erkennbar: die genaue Schilderung der Zubereitung des Fleisches (lawa_qô t\lom jat± l]kg, 49). Das Betrugsmotiv (Funktion 4) ist verschoben: hier sind es die Nachbarn, die Tantalos durch Verleumdung ,betrgen – die Geschichte wird von Pindar als unwahr bezeichnet. Die Gste werden nicht getuscht: den neidischen Nachbarn zufolge tun sie beim Schlachten des Kindes mit. Euripides lßt seine Iphigenie die Geschichte ebenfalls leugnen, allerdings in einer der traditionellen Struktur des ,Atreusmahls hnlicheren Version: die Gçtter, so heißt es, kçnnen unmçglich das Fleisch von Tantalos Sohn gegessen haben, da sie im Gegensatz zu Menschen nichts Schlechtes tun (E. IT 386 – 391). Bereits Lykophron jedoch kennt die Variante, nach der Demeter die Schulter des Pelops verzehrt habe (Alex. 152 – 155); und auch Apollodor setzt spter das Gçttermahl als Rahmen der Schlachtung voraus (Ep. 2.9.13 = Ep. 2.3). Entsprechend verschiebt sich das Betrugsmotiv (Funktion 4) in den spten Versionen hin zu Tantalos, der nicht das Kind der betrogenen Partei tçtet (Funktion 2), sondern sein eigenes, da er das Wissen der Gçtter auf die Probe stellen will (Funktion 4b) – hier ist das Betrugsmotiv also Handlungsmotivation –, und das Entdecken des Betrugs durch die Gste wird explizit geschildert (Funktion 6).701 699 Vgl. Il. 1.464 = Il. 2.427 = Od. 3.461 = Od. 12.364; Il. 2.426; Od. 3.9; 3.40; 20.252; 20.260. Zur Bedeutung der spk\cwma auch im spteren Opferkult vgl. z. B. Meuli 1946, 997 – 1004; Detienne 1977, 174 – 179. 700 Vgl. Fraenkel 1950 zu A. A. 1585: „we can hardly expect Aegisthus to accuse his own father.“ 701 Hyg. Fab. 83; Serv. ad Verg. A. 6.603 und zu G. 3.7. Die Variante wird durch eine frhere bildliche Darstellung gesttzt, die jedoch nicht eindeutig interpretierbar ist; vgl. LIMC 7 s. v. Tantalos, 842, 19.
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Ein weiterer kannibalischer Kindsmord ereignet sich im Mythos von Tereus, Prokne und Philomela. Die erste ausfhrliche Erzhlung findet sich bei Ovid (Met. 6.424 – 674).702 Sie enthlt alle oben genannten Funktionen: Prokne will sich fr die Vergewaltigung ihrer Schwester an Tereus rchen (Funktion 1): wie Tantalos schlachtet sie ihr eigenes Kind Itys (Funktion 2). Die Zubereitung des Fleisches wird detailliert geschildert; wieder wird ein Teil gekocht, ein Teil gebraten (Funktion 3). Abgesehen von dem eigentlichen Betrug des schrecklichen Mahls ist das Motiv des Betrgens zum Beweis der eigenen berlegenheit (Funktion 4b703) bei Ovid noch strker betont, indem Prokne Tereus mit einer zweideutigen Aussage provoziert: als er den Itys rufen lassen will, sagt sie „intus habes, quem poscis“ (655), und legt damit eine ebenso aggressive Zweideutigkeit an den Tag wie Herodots Astyages. Schließlich wird Tereus mit dem abgetrennten Kopf seines Sçhnchens konfrontiert (Funktion 5) und reagiert hnlich heftig wie der aischyleische Thyestes (Funktion 6). Spt und sprlich belegt ist die Geschichte der argivischen Harpalyke, der Tochter der Epikaste und des Klymenos.704 Von ihrem Vater vergewaltigt, tçtet sie, als er ihre Ehe verhindert, den jngeren Bruder oder den vom Vater empfangenen eigenen Sohn und setzt diesen dem Vater zum Mahl vor. Anschließend wird Harpalyke in einen Vogel verwandelt; oder der Vater tçtet die Tochter und anschließend sich selbst.705 Interessant ist hier die Tatsache, daß die mçglichen Einzelfunktionen in den Aufzeichnungen traditioneller Mythen durchaus fehlen kçnnen, daß sie Herodot aber beide Male alle verwendet: in der Geschichte von Astyages und Harpagos sind die Funktionen 1, 2b, 3, 4b, 5 und 6 expliziert, wobei die vierte Funktion besonders pointiert ausgefhrt ist, da hier Betrug mit Betrug vergolten wird. Die Erzhlung von Kyaxares und den Skythen bringt die Funktionen 1, 2b, 3, 4a, (5), 6; von der Entdeckung wird 702 Erwhnungen der Klage der Nachtigall um Itys finden sich Od. 19.518 – 523, wo es auch heißt, die Mutter habe ihren Sohn selbst getçtet; A. Ag. 1114; Ar. Av. 212; ferner hat Sophokles einen Tereus geschrieben, in der laut dem argumentum des Tzetzes Schlachtung und Verzehr des Itys vorkamen (fr. 581 – 595b Radt TrGF 4, p. 435 – 445). Bildliche Darstellungen sind mçglicherweise ab dem 7., sicher aber aus dem 5. Jh. v. Chr. erhalten; vgl. LIMC 7 s. v. Prokne et Philomela, p. 527 f., 1 – 9; 11. 703 Apollod. 3.14.8 = 3.195 hat die Variante 4a: die Schwestern fliehen, bevor Tereus den Betrug bemerkt. 704 Euph. fr. 26 Powell = 24a v. Groningen; Parth. Narr. 13; Lact. Placidus ad Stat. Theb. 5.120 – 122; Hyg. Fab. 206, 242, 246, 253; Nonn. D. 12.70 – 75; Schol. T zu Il. 14.291. 705 Erstere Variante bei Parthenios, letztere bei Hygin (vgl. die vorhergehende Anm.).
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nicht ausdrcklich berichtet; sie liegt jedoch dem Rachefeldzug des Kyaxares zugrunde, der im Folgekapitel referiert wird. Es scheint geradezu, als wichen die Varianten der Historien absichtlich so wenig wie mçglich vom traditionellen Schema ab: die traditionelle Struktur scheint innerhalb des historiographischen Diskurses bewußt als solche wahrgenommen und detailgetreu reproduziert zu werden. Es liegt folglich nahe, daß auf einen Assoziationshintergrund Wert gelegt wird, welcher der traditionellen Struktur zugrundeliegt. Zunchst muß geklrt sein, was es mit diesem auf sich hat. Eine erste Antwort auf diese Frage hat Walter Burkert 1972 in seinem Werk zum griechischen Opfer, Homo necans, gefunden, wo er sich mit Herodots zweitem ,Atreusmahl befaßt, das Astyages dem Harpagos vorsetzt.706 Burkert entdeckt ber die Verbindung der mythischen Struktur mit dem wohl initiatorisch zu lesenden Ritual der Lykaia eine Art Metapher der Wandlung, die sowohl dem Mythos als auch dem Ritual innewohnt.707 Zunchst geschieht dies ber das offensichtlich mit Initiation zusammenhngende ,Werwolfthema in der Erzhlung:708 nicht nur bezeichnet Harpagos Name den ,Reißenden (hnliche Konnotationen tragen die Namen Lykaon und Harpalyke709), sondern der ausgesetzte Kyros, um den es hier letztlich geht, wurde auch von einer Frau namens Kyno, ,Hndin, aufgezogen, was Burkert mit der Wçlfin gleichsetzt, die Romulus und Remus sugt. Wçlfe also helfen dem ,Wolfskind. Dieses ,Wolfsmotiv rckt die Geschichte in die Nhe einer Gruppe von Mythen und Ritualen, die neben dem kannibalischen Element auch initiatorische Komponenten gemeinsam haben. Oben ist die Geschichte des in einen Wolf verwandelten Lykaon genannt worden; Burkert stellt ihr das arkadische Fest der Lykaia zur Seite.710 Hier findet angeblich ein kannibalischer Ritus statt (Pl. R. 565d; Paus. 8.2.6): der Sage zufolge wird zum Werwolf, wer vom Menschenfleisch ißt, das vermischt mit tierischen Eingeweiden im Dreifußkessel kocht; 706 Burkert 1972, 125; vgl. 97 – 152. 707 Die Annahme einer Konnotation des ,Atreusmahls mit dem Paradigma der Initiation ist seit Burkert communis opinio geworden; vgl. u. a. Flckiger-Guggenheim 1984, 145 f.; Krummen 1990, 181 f. 708 Herodot kennt Werwolflegenden; vgl. 4.105.2. 709 Wenn Wilamowitz These richtig ist und es sich bei der Harpalyke-Geschichte um eine spte Erfindung handelt (1925, 106), so zeigt die Benennung der Hauptfigur umso deutlicher die antike Verbindung des ,Atreusmahls mit dem Wolfsmotiv. 710 Vgl. auch Piccaluga 1968, 15 – 28.
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menschliche Gesellschaft muß er neun Jahre lang meiden. Enthlt er sich in dieser Zeit weiteren Menschenfleisches, kann er sich spter zurckverwandeln.711 Es handelt sich offensichtlich um eine Art Initiationsritual; das lßt sich zunchst daraus schließen, daß die typischen initiatorischen Abfolgeschritte der Separation, Liminalitt und Aggregation vorhanden sind. Burkert stellt zustzlich eine Verbindung zu europischen und afrikanischen Mnnerbnden her, die nach Raubtieren benannt sind und Initiationsriten vollziehen. Auch die Lykaia gehçren durch das ,Werwolftum ihrer Teilnehmer in diese Gruppe: offensichtlich handelt es sich bei den ,Wçlfen also um Initianden.712 Das Ritual der Lykaia und die mythische Struktur des ,Atreusmahls hngen sicher zusammen, denn auch abgesehen von der Wolfsmetaphorik haben sie einiges gemeinsam. Zunchst ist die Zubereitung des grausen Mahls hufig in Opferdiktion geschildert – oben 133 f. ist bereits die mythische Grundkonstitutente des Bratens und Kochens der Teile erwhnt worden, die auch bei Herodot bernommen ist; dies scheint den Mythos grundstzlich mit einer rituellen Opferung in Beziehung zu setzen. Die Parallele des Ritus zum eigentlichen ,Atreusmahl besteht ferner darin, daß auch hier der ,Fresser des Menschenfleisches verstoßen wird, wie der ,Fresser Thyestes seinem Bruder Atreus die Kçnigsherrschaft abtreten muß.713 Offenbar kndigt das Mythem sowohl bei den Lykaia als auch im Atriden-Mythos Wandel an: die Initianden bei den Lykaia stellen die kommende Generation dar; zwischen den Atriden findet ein Herrscherwechsel statt. Ein weiteres Element, das die mythisch-rituelle Struktur des Atreusmahls mit Wandel konnotiert, erkennt Burkert in ihrer „geradezu kos711 Burkert 1972, 101 f.; 105 stellt er eine Verbindung zu dem hellenistischen Autor Euanthes her, der ein lokales Ritual in hnlichen Metaphern schildert (Sammelzitate FGrHist 320, fr. 1 Jacoby = Varro bei Plin. Nat. 8.81; August. C. D. 18.17). Der Ausgewhlte muß sich entkleiden, einen See durchschwimmen, zum Wolf werden und unter Wçlfen leben; nach neun Jahren darf er wieder zum Mensch werden, wenn er sich menschlichen Fleisches enthalten hat. Es fehlt lediglich der Bezug zu den Lykaia und zum Opfer. 712 Mçglicherweise besteht hier eine Verbindung zur Initiation des Kçnigs, die, wie oben 215 f. gesagt, mit der mythischen Struktur der Aussetzung zu tun hat: auch von den rçmischen Lupercalien wird angenommen, sie seien ursprnglich ein Fest der Kçnigsweihe gewesen. Vgl. Binder 1964, 96; 103 f. 713 Parallel zum Verhalten beim ,Atreusmahl sieht Burkert das Verhalten der Brder im Kontext des Herrschaftswahrzeichens, des goldenen Lammes. Atreus tçtet und verbirgt es, Thyestes rafft es gierig an sich und deckt das Verborgene auf (1972, 122 f.).
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mogonischen Funktion“: im Kontext des Bruderstreits zwischen Atreus und Thyestes kehrt die Sonne ihren Lauf um;714 auf das Verbrechen folgt die Neuordnung der Dinge; whrend das mykenische Kçnigtum durch die Sonne legitimiert ist, muß Thyestes nach dem abendlichen Mahl fliehen (Burkert 1972, 121 f.). Daß diese Art kosmischer Vernderung als Metapher fr gesellschaftlichen Wandel fungieren kann, ist nicht berraschend.715 Dieses kosmische Element spiegelt sich in der Tag-Nacht-Metaphorik des arkadischen Ritus und anderer Rituale und Mythen derselben Gruppe wieder: so handelt es sich bei Pelops, dem „Dunkelgesicht“, um einen weiteren Geschlachteten, der in seinem olympischen Kult antithetisch zu Zeus, dem Gott des Tageslichts steht.716 Bei dem arkadischen Ritual ist es der Name des Lykaon-Opfers Nyktimos, der Burkert zu der Annahme bringt, die Feier habe in der Nacht stattgefunden (1972, 104); fr das olympische Pelops-Opfer kommt er aufgrund terminlicher berlegungen zum gleichen Schluß – dagegen sind der Zeus-Agon ebenso wie die zugehçrigen Opfer Sache des Tages (1972, 112). Hinzuzufgen ist Burkerts Aufzhlungen noch die merkwrdige Etymologie des Apollon Lykeios, der bestimmt mit Wçlfen (*wlk), aber auch mit Licht (keuj-, lux) zu tun hat.717 Der Klang der Stmme ist im Griechischen hnlich; mçglicherweise erklrt diese ,Verwechslungmçglichkeit berhaupt die Nhe der mythischen Motive zueinander. Der Dualismus von Leben und Tod, Tag und Nacht, ,Fresser und Entsagendem, ist niemals einschichtig, wie Burkert bemerkt: „bezeichnend, wie vielmehr eines ins andere umschlgt“. Er erkennt darin eine Bewußtmachung „der Grundordnungen des Lebens“ (108). Die Polaritten, die im Zusammenhang mit dem Mythem des ,Atreusmahls aufscheinen, veranschaulichen den Wechsel der Generationen: die ,Werwçlfe am Fest der Lykaia sind Initianden, zwischen Atreus und Thyestes findet ein Herrscherwechsel statt. 714 Z. B. E. El. 727 – 742; Or. 996 – 1011; Apollod. Ep. 2.10.61 – 67 = Ep. 2.12. Sen. Thy. 776 – 779 wird angedeutet, daß der Sonnengott seinen Weg vor Entsetzen ber das kannibalische Mahl ndert (fugeris retro licet, 776). 715 Umgekehrt hat bereits Van Gennep darauf hingewiesen, daß menschliche bergangsriten terminlich hufig an periodische Vernderungen des Kosmos gebunden sind (1909, 254 – 263). 716 Vgl. Burkert 1972, 112 mit Anm. 19. Zu weiteren Namen, die Dunkles bedeuten, vgl. unten Anm. 736. Zur Schwarz-(Weiß-)Symbolik im Kontext des Initiationsparadigmas generell vgl. Vidal-Naquet 1981, 151 – 176. 717 Vgl. Kruse 1927.
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Die Verbundenheit der herodoteischen Erzhlung von Astyages und Harpagos mit dem alten Mythos und den zugehçrigen Ritualen zeigt sich nach Burkert zunchst in der angedeuteten Wolfsthematik. Weiter ist auch hier das Element des Wechsels erkennbar: die Herrschaft der Meder endet718 und geht auf die Perser ber, und zwar eben wegen jenes Mahles (vgl. Hdt. 1.129). Das Mahl verwandelt auch Harpagos, so Burkert, er wird zum Ausgeschlossenen, zum heimlichen Feind des Kçnigs. Er wird Kyros helfen, den Großvater zu strzen und Kçnig ber Perser und Meder zu werden. Die Burkertsche Analyse beleuchtet in eindrucksvoller Weise die Funktion der traditionellen Struktur in der bei Herodot berichteten Geschichte und ihre Wirkung innerhalb des gesamten Werkes: die Kennzeichnung des Herrschaftswechsels, letztlich die Grndung des Perserreiches, werden eingelutet und gekennzeichnet durch die mythischrituelle Struktur des ,Atreusmahls, welche die Gegenstzlichkeit von Tag und Nacht, Jung und Alt, Leben und Tod beinhaltet – und damit prdestiniert ist, die Entstehung einer neuen Weltordnung anzuzeigen.719 Burkerts Ausfhrungen ist nichts entgegenzusetzen, aber einiges hinzuzufgen. Zunchst greift seine These bei beiden oben 252 f. paraphrasierten herodoteischen ,Atreusmhlern: beim Mahl von Harpagos und Astyages ebenso wie bei der von Burkert nicht behandelten Erzhlung von Kyaxares und den Skythen. Auch diese kndigt einen Herrschaftswechsel an. Zum einen weiß Herodot von Machtkmpfen zwischen Kyaxares und den Skythen um die Vorherrschaft in Asien: von Norden einfallende Skythen hatten Kyaxares besiegt (1.103.3 – 104), worauf dieser ,die meisten von ihnen vernichtet habe (1.106.2720). Herodot lßt die Chronologie ußerst vage; es scheint fast, als habe das skythische ,Atreusmahl mit der zwischen Skythen und Medern hin- und herwechselnden Herr-
718 Vgl. Long 1987, 137 f. zur Hufigkeit der Wortfamilie tekeut÷m in der KyrosGeschichte. 719 Piccaluga 1968 konstatiert diese Komponente speziell fr den Lykaon-Mythos: die Aufhebung der Kommensalitt von Gçttern und Menschen ruft die Sintflut hervor, worauf aber auch erstmals Feldfrchte wachsen kçnnen; ein neues Zeitalter ist angebrochen (81 – 85). Piccaluga weist darauf hin, daß dieses Element ausschließlich dem Lykaon-Mythos und nicht den parallelen mythischen Erzhlungen inhrent sei (218 f.); dies mag bei dem Motiv der Sintflut der Fall sein; ber die von Walter Burkert aufgezeigten Assoziationsebenen enthlt das Mythem des ,Atreusmahls aber generell die Bedeutungsebene der kosmischen Neuordnung. 720 Vgl. zu der Geschichte unten Kapitel V.4.2.
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schaft zu tun.721 Zum anderen ist dieses erste ,Atreusmahl Grundvoraussetzung fr Kyros Grndung des Perserreiches, da es die Eroberung Lydiens durch den jungen Perser antizipiert, die fr Kyros Reichsgrndung so entscheidend ist. Sie kommt letztlich durch das erste ,Atreusmahl zustande: nachdem die Skythen dem Kyaxares das schreckliche Mahl bereitet haben, fliehen sie an den lydischen Hof zu Kçnig Alyattes. Dieser will die Skythen nicht ausliefern; folglich kommt es zum Krieg zwischen Lydern und Medern. Im sechsten Kriegsjahr nun wird whrend einer Schlacht ,plçtzlich der Tag zur Nacht (tμm Bl]qgm 1nap_mgr m}jta cem]shai, 1.74.2722); es gibt also eine Sonnenfinsternis. Dies wird als gçttliches Zeichen interpretiert; es wird Frieden gemacht und zur Bekrftigung eine dynastische Verbindung der beiden Kçnigsfamilien geschlossen: Die Schwester des lydischen Kronprinzen Kroisos heiratet den medischen Kronprinzen Astyages, den zuknftigen Großvater des Kyros. Als Kyros spter seinen Großvater Astyages strzt, ist es ebendiese verwandtschaftliche Verbindung, die den Lyder Kroisos auf den Plan ruft. Er muß intervenieren, weil Astyages sein Schwager ist. Bekanntlich unterliegt Kroisos dem jungen Kyros, und damit gewinnt letzterer Medien und das reiche Lydien auf einen Streich. Der Grundstein des Perserreichs ist gelegt. Das auch zum Thyestes-Mythos gehçrige Zeichen einer Vernderung des Sonnenlaufs erfolgt whrend der Schlacht zwischen Medern und Lydern, ist also von der Erzhlung des eigentlichen Kannibalenmahls getrennt; sein Vorhandensein auf der paradigmatischen Achse spricht aber eine deutliche Sprache: die kosmische Ordnung ndert sich. Das ,Atreusmahl zeigt dies an, bei Herodot gar in doppelter Ausfhrung.723 721 Tatschlich begann der laut Herodot aus dem ,Atreusmahl folgende Krieg zwischen Medern und Lydern wohl um 590 v Chr. (Asheri 1988 zu 1.74.1), whrend die Rckeroberung Ninivehs durch die Meder, die Kyaxares die Herrschaft sichert und dem ,Atreusmahl sehr wahrscheinlich vorausgeht, bereits 612 v. Chr. erfolgt war (Asheri 1988 zu 1.106.2); es liegen also ber zwanzig Jahre zwischen den Ereignissen, von denen in den Historien nicht einmal klar gesagt wird, welches davon zuerst stattgefunden habe. 722 Herodot ist dies wichtig; er betont es noch einmal an anderer Stelle (1.103.2). 723 In modifizierter Form erscheint der Zusammenhang zwischen der Schlachtung von Kindern, kosmischen Zeichen und dem Untergang eines Reiches auch Hdt. 3.10 f., einer Episode aus der Phase der Eroberung gyptens durch Kambyses. Unter der Herrschaft des (von Kambyses am Ende besiegten) gyptischen Herrschers Psammetichos habe sich ein v\sla … l]cistom ereignet, so Herodot (3.10.3): in Obergypten habe es geregnet, was sonst niemals vorkomme. Unmittelbar im Anschluß berichtet Herodot, daß griechische und karische Sçldner in gyptischen Diensten aus Zorn ber den Verrter Phanes (der zum Angreifer
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Die mythisch-rituelle Struktur fungiert im Falle des Kyaxares und der Skythen gleichsam als Markierung: das kannibalische Mahl ist auf mythisch-ritueller Ebene mit der nderung der Ordnung, mit dem Wechsel der Generationen assoziiert, also ist bereits das Mahl des Kyaxares Vorzeichen des Kommenden. Der Machtwechsel ereignet sich viele Jahre nach dem Mahl, die beteiligten Personen erleben ihn selbst nicht mehr. Da die Struktur jedoch mit kosmischer Vernderung assoziiert ist, ist es sehr wohl denkbar, daß Herodots Rezipienten bereits das Mahl des Kyaxares mit der aufkeimenden Persermacht in Verbindung bringen. Aktueller ist der Zusammenhang bei dem von Burkert behandelten zweiten herodoteischen ,Atreusmahl, wo sich das Schicksal der Beteiligten, Astyages und Harpagos, unmittelbar durch das Mahl erfllt: Harpagos wird zum Feind des Kçnigs und befçrdert seinen Sturz durch Kyros. Hier jedoch ist die Sachlage komplizierter, da die Struktur nicht nur als bloße Markierung eingesetzt wird, sondern mit der Person des Kyros in engem, aber nicht unmittelbar ersichtlichem Zusammenhang steht. Zunchst muß grundstzlich bemerkt werden, daß die Personenkonstellation in den mythischen und herodoteischen Erzhlungen entscheidend anders liegt als beim Ritual der arkadischen Lykaia. Zwar werden die Figuren der Menschenfleisch-Esser in den narrativen Ausfhrungen der Struktur bisweilen ebenfalls ,verstoßen – auch Harpagos geht sozusagen in die ,innere Emigration –, aber anders als beim Ritual der Lykaia sind die ,Fresser nicht diejenigen, die wiederkehren. 724 Es ist jeweils ein anderer, der wie der Kambyses bergelaufen ist), dessen Kinder schlachten und vor den Augen des Vaters deren Blut trinken. Die Unterschiede zur Struktur des ,Atreusmahls sind nicht zu leugnen (das kosmische Zeichen hat nichts mit dem Wechsel von Tag und Nacht zu tun, die Kinder werden nicht gegessen); dennoch weist die Geschichte hnlichkeit vor allem mit der Konstellation von Kyros und Harpagos auf, denen hier Kambyses und Phanes entsprechen; hinzu kommen das Naturwunder, die Kindesschlachtung und der bergang der Herrschaft von den gyptern auf die Perser. 724 berhaupt fragt sich, ob Burkerts Dichotomien konsequent aufrechtzuerhalten sind, auch die zwischen ,Fresser und Schlchter. So heißt auch nicht nur Harpagos, der tatschlich ein ,Fresser ist, ,Reißender, sondern auch Harpalyke ist die ,reißende Wçlfin, obwohl sie das Kind nicht selbst ißt, sondern ihrem Vater vorsetzt. Ohnehin muß ,reißen nicht zwingend mit ,fressen kombiniert sein. Auch Lykaon, der durch Vertreibung und Verwandlung in einen Wolf den Initianden der Lykaia entspricht, ist nicht der Esser des Fleisches, sondern der Schlchter des Kindes. Freilich thematisiert Burkert besagtermaßen die Mçglichkeit des Umschlagens der Polaritten ineinander (1972, 108); ferner beruht sein im Homo Necans verfolgter Ansatz grundlegend auf einer Identifizierung, gleichsam Identitt, des Schlchters mit dem Opfer; vgl. z. B. 1972, 129 f.
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Initiand der Lykaia nach einer bestimmten Frist in die Gesellschaft, an den ,Tatort, zurckkehrt: im Falle des eigentlichen Atreusmahls vielleicht der Rcher des Thyestes, Aigisthos, oder schließlich der Vollender des Familienfluchs Orestes, in jedem Fall ein Angehçriger einer jngeren Generation. Bei Herodot ist es klar Kyros, der junge Held, der zurckkehrt, um sein Geburtsrecht einzufordern. Er ist der Ausgesetzte, der die Separation hat erdulden mssen. Gleichzeitig substituiert er das geschlachtete Kind. Daß das Aufleben einer neuen Generation mit dem Tod eines Kindes, also einem Teil dieser neuen Generation, verbunden ist, ist weniger paradox, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Auch der Initiand wird bisweilen einem todeshnlichen Erlebnis oder gar einer Zerstckelungserfahrung unterzogen, bevor er den neuen Lebensabschnitt beginnt (vgl. oben 128 f. und 132 f.). Im Mythos ersteht der Geschlachtete sehr hufig wieder auf:725 im Kontext des (mit den Lykaia zusammenhngenden) Lykaon-Mythos weist Burkert selbst auf die Identitt des getçteten Kindes mit dem arkadischen Urkçnig Nyktimos726 oder Arkas727 hin – trotz seiner Schlachtung wird das Kind also erwachsen.728 Eine Wiedererweckung erfolgt in der Lykaon-Geschichte nicht, wohl aber im Pelops-Mythos – und weiter bei der Zerstckelung des orphischen Jenseitsgottes Dionysos Zagreus durch die Titanen,729 die seine Glieder am Spieß braten oder kochen und essen.730 Wieder wird das Fleisch gekocht oder gebraten: nach Martin West eine Spiegelung von Opferhandlungen einerseits und schamanischen Initiationsriten andererseits (1983, 161).731 Also ist der Initiierte 725 Vgl. oben Anm. 325. Die Auferstehung ist nicht in jedem Fall gegeben, wie Krummen 1990, 173 behauptet (so ist z. B. die Auferstehung der Kinder des Thyestes nirgends belegt); das Motiv wird aufgrund seiner Hufigkeit aber wohl immer mitgedacht. 726 Vgl. zur Namenssymbolik oben 260 mit Anm. 716. 727 Hes. fr. 163 MW. 728 Dieses Thema des ,neuen Lebens wird bei den Lykaia auch auf weiblicher Seite wirksam: die Frauen halten sich whrend des Festes in der Geburtshçhle des Zeus auf (Paus. 8.36.3) und reprsentieren die arkadischen Nymphen, die das Baby gepflegt hatten: „so wirkt die Polaritt der Geschlechter zusammen im Kreislauf des Lebens und sichert ber den Tod hinweg die Kontinuitt“ (Burkert 1972, 106). 729 Fr. 301 – 311 Bernab PEG II, p. 246 – 255; Paus. 8.37.5; D. S. 3.62.6 – 8; vgl. West 1983, 140 – 175; Iles Johnston 2007a. Zu einem Zusammenhang mit dem Weiterleben der dionysisch Initiierten nach dem Tode vgl. oben 128 f. mit Anm. 313. 730 Vgl. oben 134 mit Anm. 333. 731 Vgl. oben 133 f. mit Anm. 327. Vgl. auch West 1983, 167 f., der das Verschlucktwerden des Zeus und andere Elemente desselben Mythos mit Initiationsriten in Verbindung bringt.
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der Geschlachtete, Gegessene. Nach seiner Wiederauferstehung gewinnt er neue Macht – dazu paßt, daß am Ende der herodoteischen Erzhlung der Schlchter Astyages gestrzt wird, und zwar mit Hilfe des ,Fressers Harpagos.732 Nun wird der neue Herrscher Kyros natrlich nicht getçtet, wie dies im Mythos Pelops, Dionysos und den arkadischen Urkçnigen widerfhrt, die eine Auferstehung erleben. Es scheint jedoch, daß das getçtete Kind des Harpagos und Kyros jeweils eine Hlfte der Geschichte erleben: das Kind wird getçtet, Kyros ersteht wieder neu. berhaupt ergibt sich der Eindruck einer Quasi-Identitt: die Vereitelung von Kyros Tçtung ist der Grund fr den Tod des Kindes – das ,vterliche oder jedenfalls verwandtschaftliche Empfinden des Harpagos sichert Kyros berleben; schließlich verhilft der Vater Harpagos dem substituierten Sohn Kyros zum Sturz des Astyages.733 Die Assoziation einer Initiation des Reichsgrnders wird zustzlich gesttzt durch den Akt des Opfers, der auch stark politisch konnotiert sein kann: eine Koloniegrndung etwa ist notwendig mit einem Opfer verbunden.734 Das Atreusmahl trgt beide Konnotationen in sich: das ,formale Grndungsopfer und den initiatorischen Neuanfang.735 732 Das Element der Vergeltung ist im Mythos, anders als im Ritual der Lykaia, immer prsent. Krummens Schema (1990, 173) scheint mehr auf rituelle Elemente ausgerichtet: sie reduziert den Ablauf auf 1. das Abhalten eines die Gemeinschaft besiegelnden Festes, 2. Tçtung, opfertypische Schlachtung und Zubereitung und Verspeisen des Kindes, 3. Essen, Erkenntnis, Strafe und 4. „Restitution des Opfers im lebes und kultische Verehrung“. Das Fest (1) dient in den meisten mythischen Erzhlungen nur als Vorwand, vgl. etwa Aischylos vorgeblichen Schlachttag (jqeouqc¹m Glaq eqh}lyr %ceim doj_m, Ag. 1592 f.); Rache- und Betrugsmotiv sind im narrativen Schema immer Voraussetzung des Atreusmahls (vgl. unten Anm. 735 zur Verwandtschaft des ,Atreusmahls mit dem hesiodeischen Prometheus-Opfer); Auferstehung und kultische Verehrung des Opfers sind dagegen nicht immer gegeben (vgl. oben Anm. 725). 733 Vgl. auch Long 1987, 173 f., der das Aufdecken der berreste des geschlachteten Kindes durch Harpagos als Parallele zum Aufdecken des Kyrosknaben durch den Hirten betrachtet (vgl. oben 224). Eine weitere, offensichtlichere ,Verdoppelung des Kyros ist in dem verstorbenen Kind der Pflegeeltern gegeben, an dessen Statt sie Kyros annehmen und das sie anstelle des Kyros aussetzen. Zu den diversen Vater- und Sohnfiguren in der Kyros-Geschichte vgl. Rank 1909, 136 – 139. 734 Vgl. Detienne 1979, 11. 735 Vgl. berdies Detienne 1977, bes. 184 – 188, der die Schlachtung des Dionysos als anthropogonischen Moment faßt („les Titans sont dj des hommes qui accomplissent les gestes du sacrifice sanglant …“, 186) und in ihrer fundierenden Qualitt mit dem hesiodeischen Uropfer des Prometheus vergleicht (Th. 535 – 569), das ebenfalls einen Betrug an den Gçttern darstellt und folglich mit der Struktur des ,Atreusmahls nahe verwandt scheint.
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Wie Kyros gehçrt das Kind einer jngeren Generation an, deren Aufkommen verhindert werden soll, wie anhand der Aussetzungsstruktur gezeigt worden ist – und hier sei wiederum an die mythische Vorlage des Kronos erinnert, wo der bedrohliche Sohn vom Vater aufgefressen wird (vgl. oben 209). Zwar ist das Mythem des ,Atreusmahls in der griechischen Literatur nicht dadurch motiviert, daß ein Herrscher sich potentieller Nachfolger entledigen will. Dennoch hat es hnliche Zge wie die im Kontext der Aussetzung verfolgten Flle. Durch das Aufessen der Kinder beraubt sich die Vorgngergeneration letzlich ihrer eigenen Zukunft; auch diese mythische Struktur zeigt den Willen an, Kommendes zu verhindern.736 Es ist daher nicht verwunderlich, daß sie ber rituelle Assoziationen mit Vernderung und Generationenwechsel konnotiert ist. Die Struktur des ,Atreusmahls besitzt jedoch auf erzhlerischer Ebene – und im historiographischen Kontext, aus dem sie hier eben nicht herausgelçst werden soll – noch weitere Dimensionen. Von allen mythischrituellen Elementen abgesehen, stellt der Akt des Schlachtens und Essens eines Kindes zunchst auch eine schockierende Untat sondergleichen dar. Die Strafen, welche die Gçtter im Mythos verhngen, sind vor allem im Falle von Tantalos und Lykaon drakonisch – im letzteren Fall endet die Geschichte nicht nur mit der Verwandlung des Missetters in einen Wolf, sondern schließlich mit der Sintflut, die als Strafe fr die Ungeheuerlichkeit des kannibalischen Mahles das ganze Menschengeschlecht vernichtet.737 Bereits im Mythos ist das Motiv der kosmischen Vernderung als angemessene Vergeltung fr ein singulres Verbrechen aufgefaßt; innerhalb des historiographischen, zeitgençssischen Diskurses der Historien wirkt das ,Atreusmahl noch ungeheuerlicher. Daß Herodot das Schema im Zusammenhang mit den Skythen und dem Kçnig Astyages verwendet, scheint auch einer kulturellen Positionierung dieser Figuren geschuldet. Im Falle der Skythen unterstreichen Kindermord und Kannibalismus das Bild, das Herodot von diesem Volk entwirft: die Schilderungen skythischer Grausamkeit im vierten Buch der Historien gehçren zu den drastischsten Passagen seines Werkes (v. a. 4.64 – 736 Neben dieser allgemeinen hnlichkeit der Strukturen gibt es bisweilen auffllige Details, etwa in der Geschichte der Aussetzung von Amphion und Zethos (Apollod. 3.5.5 = 3.42 f.; Schol. zu A. R. 4.1091), wo die ,Bçsen, nmlich der verfolgende Großvater und der ihn untersttzende Bruder (bzw. Schwiegersohn, so Hyg. Fab. 7), Nykteus und Lykos heißen, was die von Burkert herausgearbeitete Tag-Nacht- bzw. Wolfssymbolik des ,Atreusmahls widerspiegelt (vgl. oben 260 mit Anm. 716). 737 Ov. Met. 1.177 – 239; Apollod. 3.8.1 = 3.98 f.; Tz. ad Lyc. 481.
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72). Es ist einleuchtend, daß sich bei den Skythen in nicht allzuweit zurckliegender Zeit abspielt, was in Griechenland allenfalls in ferner, ,mythischer Vergangenheit geschehen ist. Anders steht es mit dem Meder Astyages. Zwar ist sein Handeln im Kontext der Aussetzungsgeschichte seines Enkel Kyros fragwrdig. Das ,Atreusmahl scheint in seiner Drastik jedoch wesentlich schockierender – vor allem im Zusammenhang mit einer im Gegensatz zu den namenlosen Angehçrigen des barbarischen Skythenvolkes mehr oder weniger historischen Figur. Wieso handeln die Meder plçtzlich wie Skythen? Die Tatsache, daß die Skythen das erste ,Atreusmahl dem Vater des Astyages, Kyaxares, gereicht hatten, und daß Astyages, der Sohn des frheren Essers (vielleicht gar Bruder des Gegessenen!), dieselbe Methode anwendet, um sich an seinem Diener Harpagos zu rchen, der auch sein Verwandter ist, deutet auf eine Art ,Ansteckung der Meder durch die Barbarei der Skythen hin. Sind die Skythen eine Generation zuvor noch die ,Anderen, die derartige Scheußlichkeiten begehen, so haben sich die Meder inzwischen selbst zu ,Anderen entwickelt – aus Sicht des Rezipienten muß dies so erscheinen. Ihre Kultur scheint im Niedergang begriffen. Daß die zivilisatorischen Ebenen in Herodots Historien flexibel sind, hat FranÅois Hartog gezeigt (1980): Herodots Charakterisierungen einzelner Ethnien sind nicht absolut, sondern hngen stark vom jeweiligen Gegenber ab. Grundstzlich gilt Herodot ,das Griechische als den meisten anderen Kulturen zivilisatorisch berlegen. Beim Aufeinandertreffen zweier nichtgriechischer Vçlker fungiert es als „modle absent“,738 d. h. wenn zwei nichtgriechische Volksgruppen interagieren, weist die ,zivilisiertere von beiden griechische Verhaltensweisen auf, die andere barbarische.739 738 Hartog 1980, 28; vgl. zusammenfassend 367 – 372. 739 Hartog zeigt dies etwa am Beispiel der Kampftechnik der Perser (1980, 63 – 68). Wenn diese gegen Griechen kmpfen, so wird betont, daß sie dies nicht auf Hoplitenart tun, sondern zu Pferd mit Pfeil und Bogen. Sie sind geradezu „antihoplites“ (65). Bei der Beschreibung von Dareios Skythenzug hingegen werden diese typisch barbarischen Kampftechniken nahezu nicht mehr erwhnt – persisches Verhalten, so Hartog, wird grzisiert, die Perser werden zu „quasi-hoplites“ (66), die Skythen zu ,Anderen. Normalerweise sind Bogenschtzen und Reiter fr die Griechen persische Einheiten; wenn sich die Perser aber im Skythenland befinden, handelt es sich dabei um Skythen (vgl. Hdt. 7.64). Aber selbst die Skythen werden grzisiert, wenn sie mit einem noch fremdartigeren Volk, den Amazonen, in Kontakt treten (1980, 225 – 237): Als die Skythen merken, daß sie es mit Frauen zu tun haben, handeln sie genauso, wie Griechen es tun wrden: Sie beschließen, keine Amazone mehr zu tçten – denn im Krieg haben Frauen nichts
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Dies setzt natrlich eine Art Zivilisationsskala der Vçlker voraus,740 an deren Spitze die Griechen stehen – die gypter scheinen außer Konkurrenz zu stehen, wie schon die Sonderposition des gypten-Logos innerhalb des herodoteischen Werkes anzeigt. Die verwandtschaftlich einander nahestehenden Meder und Perser setzt Herodot wohl etwa in der Mitte an, wobei die Meder aufgrund ihrer zeitlich frheren Blteperiode ,archaischer erscheinen als die persischen Zeitgenossen Herodots. ,Wilde, wenig bekannte Nomadenstmme wie die Skythen stehen ganz unten auf der Zivilisationsskala, gefolgt von nur Fabelvçlkern, etwa den Amazonen. Stellen die Meder in ihrer Interaktion mit den Skythen, deren brutalbizarre Bruche im vierten Buch ausfhrlich geschildert sind, das Vertraute, ,Normale dar, so sind sie die ,Anderen, sobald sie auf die Perser treffen. Dennoch ist es mit diesem Perspektivenwechsel bei einer so drastischen Tat wie dem ,Atreusmahl nicht getan. Nicht nur der Blickwinkel hat sich verndert, auch die Kultur der Meder scheint verwandelt. Sie sind zu ,Skythen geworden; der bergang ihrer Zivilisation in einen neuen Zustand wird markiert. Die Skythen begehen die kannibalistische Grausamkeit an einem Meder, eben weil sie unzivilisiert sind. Hier entspricht das grause Mahl in der Art des Tçtens auch nicht einem gewçhnlichen Opferbrauch, sondern der skythischen Jagdkultur: Herodot betont, daß das Kind zubereitet wird wie ein erlegtes Tier.741 Schrecklicher – und bei Herodot entsprechend ausfhrlicher und in prominenterem Kontext referiert – wirkt die Struktur des ,Atreusmahls, wenn sie von einem Mederkçnig, Astyages, berichtet wird, der zwar den Griechen unterlegen sein mag, aber dennoch weit entfernt sein sollte von der mythisch anmutenden Brutalitt des Nomadenvolkes. Sein Volk ist kein Jagdvolk: das Schlachten des Kindes fllt in verloren –, sondern sie irgendwie dazu zu bringen, sie zu heiraten; somit mançvrieren sie die Amazonen in die Position, die einer Frau nach griechischer Vorstellung zukommt: die der Ehefrau zuhause. 740 Dewald 1990 mahnt hier zur Vorsicht, da sich die verschiedenen Vçlker der Historien ganz entschieden wandeln kçnnen, was ihre Zivilisationsstufe angeht. Dies schließt jedoch eine a priori zugrundeliegende Skala nicht aus, auf der Verschiebungen durchaus mçglich sind, wie im folgenden gezeigt werden soll. Erst durch eine ursprnglich fixierte Position ist die Vernderung derselben berhaupt mçglich. 741 1.73.5: 1bo}keusam t_m paq± sv_si didasjol]mym pa_dym 6ma jataj|xai7 sjeu\samter d³ aqt¹m, ¦speq 1~hesam ja· t± hgq_a sjeu\feim, Juan\qei doOmai v]qomtar ¢r %cqgm d/hem … (,sie planten, von den Kindern, die bei ihnen unterrichtet wurden, eines zu erschlagen: es zu schlachten, wie sie Tiere zuzubereiten pflegten, dem Kyaxares zu bergeben und genau wie Wild zu servieren).
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jeder Hinsicht aus dem Bereich des fr die Meder Normalen heraus. Dazu kommt, daß Astyages das ,Atreusmahl am Kind seines Verwandten vollzieht – daß sich das Schreckliche also innerhalb der eigenen Zivilisationsstufe und Familie vollzieht, im eigenen oWjor.742 Das ,Atreusmahl zeigt hier nicht nur allgemein den Wandel der Weltordnung an, sondern auch sehr konkret den Niedergang einer Kultur (natrlich zugunsten des Aufstiegs einer anderen). Die Meder sind zum ,Anderen geworden. Bekanntlich liegt hierin eine der wichtigsten Botschaften der Historien: das Abgleiten in die Unzivilisiertheit kann jedem passieren.743
4.2 Der Mord an den Gsten (5.18 – 21; 1.106): Clash der Kulturen Die herodoteischen ,Atreusmhler zeigen offensichtlich eine Vernderung der Weltordnung und der bestehenden Kultur an. Eine weitere Tradition des ,tçdlichen Mahls, die ebenfalls kulturverndernde oder jedenfalls -definierende Implikationen besitzt, besteht in der Erzhlung vom geplanten oder spontanen Mord der Gastgeber an ihren Gsten. Im folgenden entfernen wir uns vorbergehend vom Paradigma der Initiation und geraten in den Bereich des – freilich pervertierten – Opfers. Dennoch ist das Phnomen den vorangegangenen Beispielen verwandt: wie ,Atreusmahl und ,Jnglingsflucht kulturellen Wandel und Neubeginn anzeigen, kann auch die traditionelle Erzhlung vom kollektiven Mord an den Gsten in Herodots historiographischem Kontext als Zeichen fr die Desintegration einer Kultur stehen. Der erste und prominenteste Fall eines Gastmahls, das im Kollektivmord endet, findet sich im fnften Buch der Historien (5.18 – 21): Der perserfreundliche makedonische Kçnig Amyntas ldt die Gesandten des Dareios zum Gastmahl. Die Perser behaupten, es sei bei ihnen m|lor, auch 742 Vgl. Long 1987, 138 f. und 164. 743 Hierin besteht eine Grundaussage der Historien, vgl. das berhmte Zitat 1.5.3 f. ber die Unbestndigkeit der Dinge. Besonders mag diese Warnung den imperialistisch expandierenden Athenern gelten; dies ist oft der 9.120.4 geschilderten Szene am Schluß der Historien entnommen worden, der brutal-,barbarischen Bestrafung des Artay¨ktes durch Griechen; vgl. Nagy 1990b, 307 – 313; Georges 1994, 130; Moles 1996, 276 f.; Pelling 1997, 7 f. Vgl. Blçsel 2004, 21 – 30 mit einem Forschungsberblick zu Herodots Bezgen zur eigenen Zeitgeschichte; Blçsel selbst sieht die ,Persçnlichkeit Athens in der Figur des Themistokles gespiegelt; vgl. zusammenfassend 358 – 366. hnlich bereits Lachenaud 1978, 312 – 315.
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die Frauen zum Mahl zuzulassen, und fordern Amyntas auf, dies ebenfalls zu tun (5.18.2). Zçgerlich und unter Verweis auf die Verschiedenheit der Sitten (m|lor l³m Bl?m c] 1sti oqj ovtyr, 5.18.3) lßt Amyntas die Frauen holen, worauf die Perser verlangen, diese sollten nicht ihnen gegenber, sondern bei ihnen sitzen. Auch dies geschieht, und natrlich werden die Frauen von den betrunkenen Gsten belstigt. Amyntas Sohn Alexandros wird wtend und schickt seinen ngstlichen Vater ins Bett. Daraufhin kndigt er den Persern an, es sei jetzt Schlafenszeit, und die Frauen wrden sie kurz verlassen, um sich zu waschen, hinterher aber wieder zurckkehren. Kaum sind die Frauen fort, steckt Alexandros Jnglinge in Frauenkleider und schickt sie zu den Gsten. Als diese wieder zudringlich werden, erdolchen die Jnglinge sie. Die Erzhlung enthlt die folgenden Funktionen: 1. 2. 3. 4. 5.
Einladung zum Gastmahl Trunkenheit der Gste (mit oder ohne Beeinflussung von außen) Belstigung von Frauen durch die Gste Verkleidung der Gastgeber als Frauen Kollektive Ermordung der Gste durch die Gastgeber
Ein Rest derselben Struktur findet sich auch in einer weiteren Erzhlung der Historien, der Vorgeschichte zum skythischen ,Atreusmahl (vgl. oben 261 f. mit Anm. 721). Es handelt sich um die Beseitigung der Skythen, die im Gebiet der Meder eingefallen sind,744 durch Kyaxares ,und die Meder, welche ,die meisten Skythen zum Gastmahl laden (1.106.2) – genauer wird dies nicht erklrt. Auch die Beseitigung der Skythen schildert Herodot lakonisch in einem halben Satz, der aber immerhin drei der oben genannten Funktionen enthlt (1, 2 und 5): ja· to}tym l³m to»r pkeOmar Juan\qgr te ja· L/doi neim_samter ja· jataleh}samter jatev|meusam, ja· ovty !mes~samto tμm !qwμm L/doi ja· 1pejq\teom, t_m peq ja· pq|teqom … (1.106.2) Und von diesen tçteten Kyaxares und die Meder die meisten, indem sie sie bewirteten und betrunken machten, und so retteten die Meder sich ihre Herrschaft und befehligten genau dieselben wie vorher …
Der offensichtlichste Unterschied zur ersten Erzhlung ist das Fehlen des gesamten Frauen-Komplexes, also der Funktionen 3 und 4. Des weiteren kommt die Tçtungsabsicht hinzu, die von vorneherein besteht und nicht aus dem Verhalten der Gste resultiert; sie soll hier mit 0 bezeichnet 744 Zur Datierung und Lokalisierung des skythischen Interregnums vgl. Asheri 1988 zu 1.95 – 106.
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werden. Daß das Motiv des Betrunkenmachens in einem gewissen Gegensatz zu der anderen Szene steht, in der die Perser sich selbst betrinken, ist nicht entscheidend; in beiden Fllen ist das relevante Element die aus der Trunkenheit resultierende Wehrlosigkeit, die ja an sich schon mythisches Einzelmotiv ist.745 – Interessant ist ferner die Fortsetzung der Geschichte von Kyaxares und den Skythen: ohne daß Herodot dies explizit erwhnt, kann dem aufmerksamen Rezipienten nicht entgehen, daß Kyaxares Todesmahl das Gegenstck zu einem anderen ,grausen Mahl ist, das wohl spter stattfindet,746 aber bezeichnenderweise bereits 1.73 erzhlt worden ist: skythische Exilanten, die am Hof des wieder etablierten Mederkçnigs Zuflucht finden, setzen diesem nach einem Konflikt ein geschlachtetes Kind vor (siehe oben Kapitel V.4.1 zum ,Atreusmahl). Hierauf soll spter nochmals eingegangen werden. Vor allem die erstgenannte herodoteische Erzhlung weist deutliche Verwandtschaft mit der mythischen Geschichte vom Kampf der Kentauren und Lapithen auf, die traditionell die Funktionen 1, 2, 3 und 5 enthlt. Die ausfhrlichste Variante747 findet sich bei Ovid, Met. 12.210 – 535, wo Nestor 745 Vgl. unten Anm. 771 sowie 292 mit Anm. 794. Auch im Mythos gehen Versionen, in denen sich Figuren aktiv selbst betrinken, und solche, wo sie betrunken gemacht werden, durcheinander: so existieren beide Varianten der Erzhlung von Oinopion und Orion: Orion wird geblendet, nachdem er sich selbst betrunken hat (Hes. fr. 148a MW; Hyg. Astr. 2.34), oder Oinopion macht ihn betrunken: Parth. Narr. 20; Serv. ad Verg. A. 10.763 (Satyrn bernehmen in Oinopions Auftrag das Betrunkenmachen); Apollod. 1.4.3 = 1.25. 746 Die Chronologie der Ereignisse ist selbst innerhalb der Historien nicht klar; vermutlich datiert Herodot den Sturz der skythischen Interimsherrscher etwa auf 590 v. Chr.; vgl. Asheri 1988 zu 1.73; er vermutet, daß Herodot auch das ,Atreusmahl der Skythen um diese Zeit ansetzt. Vgl. auch How/Wells 1912 zu 1.73: „No doubt many Scyths remained in Media, when the main body had been expelled or annihilated.“ 747 Die Geschichte ist natrlich auch vor Ovid bereits belegt, vgl. Il. 1.262 – 268; 2.740 – 744: Die erste Stelle nennt den Kampf mit vgqs·m aqesj]oisi. 2.740 – 744 besagt, die Kentauren seien am Tag der Geburt von Peirithoos und Hippodameias Sohn Polypoites vetrieben worden, was mit den spteren Varianten nicht bereinstimmt, wo sich der Streit an der Hochzeit selbst zutrgt. In jedem Fall scheint die Verbindung der Eheleute konstituierendes Element der Erzhlung zu sein. Die Erzhlung der Odyssee (21.295 – 304) ist ausfhrlicher, allerdings noch nicht mit allen bei Ovid gegebenen Funktionen: neben der auch dort fehlenden Verkleidungsfunktion 4 ist die Belstigung der Frauen nicht explizit ausgedrckt; ,er tat schlimme Dinge heißt es ber Eurytion, j\j 5qene (21.298). Funktion 5, der Kollektivmord, fehlt ebenfalls – allerdings wird die Belstigung bestraft: Eurytion werden Ohren und Nase abgeschnitten. Außerdem ist die kollektive Bedeutung des Vorgefallenen durch den Verweis auf die Zukunft ausgedrckt:
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den Hergang der Episode berichtet: Bei der Hochzeit des Peirithoos sind auch die wilden Kentauren eingeladen (Funktion 1).748 Hier wird zunchst vor allem einer der Gste aggressiv: der Tiermensch Eurytos, betrunken (2) und liebestoll, raubt die Braut. Die anderen tun es ihm bald gleich und strzen sich auf die Frauen (3); es kommt zum Handgemenge. Die nun folgende epische Schlachtschilderung endet mit Nestors Feststellung, man habe einen Teil der Kentauren erschlagen, den Rest verjagt. Auch Funktion 5 ist also vorhanden, mit der Einschrnkung, daß es sich nicht um den restlosen Kollektivmord handelt, wie er bei Herodot dargestellt ist, aber doch um einen Sieg auf ganzer Linie mit zahlreichen Todesopfern. Die herodoteischen Kollektivmorde weisen also gewisse hnlichkeit mit der mythischen Kentauromachie auf, wobei die Funktion 5, die kollektive Ermordung, niemals in derselben Klarheit ausgefhrt ist: nicht alle Kentauren sterben sofort, und auch auf der Seite der Lapithen gibt es in einigen Versionen Verluste.749 Signifikanter ist jedoch das gnzliche Fehlen ,daher kam es zwischen Kentauren und Menschen zum Streit (1n ox Jemta}qoisi ja· !mdq\si me?jor 1t}whg, 303). Expliziert wird dies spter duch Plutarch (der auch die ersten drei Funktionen vollstndig referiert): ,Die einen tçteten sie, die anderen besiegten sie spter im Krieg und vertrieben sie aus dem Land (to»r l³m 5jteimam aqt_m, to»r d³ pok]l\ jqat^samter vsteqom 1n]bakom 1j t/r w~qar, Thes. 30.3). Andere Versionen bestehen im Wesentlichen aus Anspielungen auf die offensichtlich bekannte Geschichte und haben demzufolge nur einzelne Funktionen: Ov. Am. 2.12.19 f. und Her. 17.247 – 248: Funktion 3, evtl. 5 (Hippodameia als Ursache des Krieges); Verg. G. 2.455 – 457: Funktion 2; Hor. carm. 1.18.8 f.: Funktion 2, evtl. 5 (debellata, 9); Prop. 2.6.17 f.: Funktion 3 (Konflikt aus Eifersucht), Paus. 5.10.8 (Beschreibung der Giebelskulpturen am Zeus-Tempel in Olympia): Funktion 3, evtl. 5 (Verherrlichung und also klarer Erfolg des Theseus). Neben der – bis auf die nicht explizierte erste Funktion der Einladung – vollstndigen Version bei Hygin (Fab. 33, wieder ohne Funktion 4) muß weiter auf die Existenz bildlicher Darstellungen verwiesen werden, die im 6. Jh. v. Chr. noch als bloße Kampfszenen ohne Verweis auf Hochzeit und Frauen belegt sind (vgl. LIMC 7 s. v. Peirithoos p. 233, 3 – 9), um 350 v. Chr. aber Hochzeit und Belstigung der Braut durch die Kentauren zum Inhalt haben (vgl. LIMC 7 s. v. Peirithoos p. 233, 10). – Die einzige abweichende Version findet sich bei Diodor (4.70.3 f.), der die Tçtung und Vertreibung der Kentauren zwar zunchst geschehen lßt (oqj ak_cour l³m !meke?m, to»r d³ koipo»r 1jbake?m 1j t/r p|keyr), dann jedoch den erfolgreichen Rckschlag der Unterlegenen beschreibt, der in der Flucht der Lapithen resultiert. 748 Vgl. 12.212: iusserat. 749 Es tut nichts zur Sache, daß in Medien noch Skythen brigbleiben – eingeladen war ja nur die ,Mehrzahl, to»r pkeOmar, 1.106.2 (vgl. auch How/Wells 1912 zu 1.73; siehe oben Anm. 746). Element der traditionellen Struktur ist der Kollektivmord an den geladenen Gsten.
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der vierten Funktion, des Verkleidungselements, im Mythos. Offensichtlich gehçrt es einer anderen Tradition an; dies soll spter nochmals aufgegriffen werden. Zunchst stellt sich die Frage, warum die mythischen Kollektivmorde der Historien berhaupt stattfinden. Naheliegend erscheint hier Ren Girards Schema von der Krise des Opferkults, „crise sacrificielle“ (1972, bes. 63 – 101). Mit diesem Begriff bezeichnet er den Verlust der Differenz zwischen der ritualisierten, reinigenden Gewalt des Opfers und unkontrollierter, unreiner Gewalt. Wird die Gewalt nicht durch ein Opfer beendet, sondern fhrt zu weiteren Schlgen und Gegenschlgen, einer ,Spirale der Gewalt, so folgt daraus ein unaufhebbares Gleichgewicht zwischen Opfer und Tter, eine Krise der Unterschiede („crise des diffrences“, 76) und damit eine Krise der gesamten kulturellen Ordnung, die letztlich in einem organisierten System von Unterschieden besteht.750 In diese Kategorie des ,Festes, das schlecht ausgeht,751 ordnet Girard einen Ritus der Kaingang-Indianer ein, der beiden herodoteischen Geschichten auch in ihren Gegenstzlichkeiten in verblffender Weise hnelt (wiederum ohne das Verkleidungselement).752 Offenbar laden die Kaingang immer wieder Verwandte zum Mahl ein und gehen dabei so gut wie sicher von einem mçrderischen Ausgang des Festes aus. Hiermit ist eine Art Tçtungsabsicht gegeben, wie bei Kyaxares; diese wird allerdings erst durch das provozierende Verhalten der Gste verfestigt – wie an Herodots Makedonenhof. Die Gste werden bewirtet und immer betrunkener; es handelt sich um Betrunkenmachen und um eigene Initiative gleichermaßen. Es gibt Streit wegen der Frauen. Das Fest endet mit Mord und Totschlag. Girard entdeckt das pervertierte Opfer des ,Festes, das schlecht ausgeht, ausschließlich in untergehenden oder im permanenten Kriegszustand befindlichen Gesellschaften. Am Ende wird keine Versçhnung oder Reinigung herbeigefhrt, sondern die Situation eskaliert und fhrt zu allgemeiner Zerstçrung. Die Spiegelung im Mythos findet Girard im Bacchanal des Pentheus, das ebenfalls in Auflçsung endet. Zieht man gerade dieses Beispiel heran, so ist Teil der Desintegration der Gesellschaft auch das Verschwimmen der Geschlechtergrenzen, das bei Herodot durch das Verkleidungsmotiv ebenfalls gegeben ist. 750 Girard 1972, 76 f. 751 Z. B. 1972, 178: „la fÞte qui tourne mal“. 752 Girard 1972, 178 – 185.
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Gerade ber dieses Motiv erinnert das mçrderische Fest auch an die Ausnahmefeste der griechisch-rçmischen Antike, wie sie bis heute in karnevalesker Form fortleben. Die Idee einer ,verkehrten Welt liegt diversen antiken Festen zugrunde, etwa den Kronia, Saturnalien und Thesmophorien.753 Soziale und hierarchische Ordnungen werden aufgehoben oder in ihr Gegenteil verkehrt; auch Transvestismus gehçrt zu den Erscheinungen dieser rituellen Verkehrungen.754 Das Fest, das im Kollektivmord endet, wre die extremste denkbare Verkehrung: die mythische Variante des in der kultischen Realitt natrlich weniger stark eskalierenden Ausnahmefests.755 Auch diese Ausnahmefeste sind – wenig berraschend – mit Wechsel konnotiert; neben dem Jahreswechsel markieren sie etwa kritische bergnge im lndlichen oder gesellschaftlichen Jahreslauf, „moments of stagnation and rupture at which chaos threatens“,756 beispielsweise auch gesellschaftliche Vernderungen wie Herrschaftswechsel. Das Vakuum zwischen den Zeiten wird durch sexuelle und sonstige Freizgigkeit gefllt, durch den Kontakt mit der Totenwelt, aber auch durch rituelle Kmpfe. Chaos herrscht und manifestiert sich „as a temporary elimination of all contours, a return to a state undefined by bounds and moral standards“ (Versnel 1993, 121). Das Ausnahmefest ist eine Zeit der vçlligen Ambivalenz; die Gesellschaft in der Krise spiegelt das kosmische Chaos mythischer Zeiten wieder. Auch Herodots ,tçdlichen Gastmhlern liegt ein Verwischen der Unterschiede zugrunde. Die Makedonen sind fr ihn ohnehin ein randstndiges Volk: zahlreich die Episoden, in denen ihr Schwanken zwischen lgdisl|r und Philhellenentum dargestellt ist.757 Die Meder sind ein Volk 753 Vgl. umfassend Versnel 1993. 754 Versnel 1993, 155. 755 Zur grundstzlichen Differenz zwischen kultischer Realitt und potentiell drastischerer mythischer Schilderung vgl. oben Anm. 51. 756 Versnel 1993, 120; vgl. generell 115 – 121. 757 Grundstzlich auf persischer Seite kmpfend – seine Schwester ist mit einem hochgestellten Perser verheiratet (8.136) –, zeigt sich der Makedonenkçnig Alexandros den Griechen gegenber durchaus wohlwollend (vgl. schon 7.137), gibt ihnen aber auch den – laut Herodot gutgemeinten – Ratschlag, sich mit dem Perserkçnig zu verbnden (8.140). Die Athener erhalten dann doch lieber das Bndnis mit den Spartanern aufrecht – und zwar unter expliziter Berufung auf die gemeinsame kulturelle und ethnische Identitt (8.144). Auch wenn Alexandros im Zuge einer weiteren heimlichen Beratung der Griechen betont, er sei ,von altem Ursprung her Grieche (aqt|r te c±q þkkgm c]mor eQl· t¡qwa?om, 9.45.2), so reicht dies nicht aus, ihn vollstndig zum Griechen zu machen. Dennoch trennt ihn seine
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im Niedergang: in dieser Szene und im Kontext des ,Atreusmahls, das dem Kyaxares gereicht wird, sind sie den Skythen zwar weit berlegen,758 diese berlegenheit wird sich aber rasch verlieren: schon Kyaxares Sohn Astyages wird dieselbe Barbarei des ,Atreusmahls am Kind des Harpagos vollziehen, und mit dem Aufstieg des Kyros versinkt das Volk der Meder in Bedeutungslosigkeit. Das Verhltnis zwischen Makedonen und Persern ist unklar: sie gehçren zusammen, weil die ersteren medisieren; sie sind Antagonisten, weil die Makedonen heimliche Griechenfreunde sind. Auch Meder und Skythen sind in ihrem Verhltnis zueinander nicht abschließend definiert: sie sind Feinde, aber die Meder werden den Skythen gleich werden. Dieses Verschwimmen der Konturen zeigt sich nicht ausschließlich ber die mythische Kentauromachie-Struktur und das rituellen Pendant des Ausnahmefests. Interessanterweise kommt David Fearn in seiner 2007 vorgelegten Interpretation ber andere mythische Parallelen zu ganz hnlichen Ergebnissen: er sieht in der Figur des Alexandros einerseits den gleichnamigen homerischen Alexandros-Paris gespiegelt;759 der Kontext des Frauenraubs bestehe hier ebenfalls, allerdings sei Alexandros im Gegensatz zu Paris nicht der Tter. Zum anderen erkennt er die ebenfalls homerische Folie des Freiermordes – gewiß ebenfalls ein ,Ausnahmefest – und in Alexandros folglich eine Odysseus-Telemachos-Figur (er selbst ist der Rcher, aber daneben ist er auch der Sohn des Beleidigten). Diese beiden Folien, so Fearn, „provide a deeply ambivalent basis for Alexander as a man whose actions throughout the narrative characterize him neither as obviously Greek, nor as entirely Eastern either: he continues to hover somewhere in the middle“ (2007, 108). Daß die Geschichte mehrere scheinbar unzusammenhngende mythische Allusionsmçglichkeiten bietet, die dennoch auf dieselbe Deutung fhren, macht die Rekonstruktion ihrer assoziativen Kontexte umso dringlicher und faszinierender. Um ein Verwischen von Unterschieden, die Aufweichung der Ordnung, geht es auch in einer weiteren herodoteischen Kollektivmordgeschichte, die etwas anders funktioniert: die 5qca K^lmia, der Mord der Pelasger an ihren athenischen Frauen und Kindern (6.138). Hier bedeutet die Tat den aktiven Versuch, kulturelle Unterschiede zu unterdrcken: die pelasgischen Mnner, die sich beim Artemisfest in Brauron athenische Frauen geraubt haben, bemerken zu ihrem Mißfallen, daß ihre Kinder mit moralische und ethnische Nhe zum Griechentum von feindlichen Barbaren wie den Persern. 758 Vgl. oben 267 f. zu Herodots ,Skala der (flexiblen) zivilisatorischen Ebenen. 759 Die Namensgleichheit wird auch Pi. fr. 120 Maehler thematisiert.
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diesen Frauen den rein pelasgischen Kindern berlegen sind. Daher tçten sie sowohl die Mischlingskinder als auch deren Mtter. Herodot fhrt hiermit eine sehr plakative Anekdote an, die insofern anders funktioniert als die bisher genannten Beispiele, als bei diesen die Tterschaft der jeweils berlegenen Partei zukommt, die in ihrer Identitt freilich ambivalent oder im Niedergang begriffen ist. Der pelasgische Mord ist moralisch simpler, indem der Haß der Primitiveren sich auf den Kultivierteren entldt. Dennoch ist bezeichnend, daß die Chiffre des Kollektivmords wieder im Zusammenhang mit der Konfrontation zweier verschiedener ethnischer Gruppen steht, diesmal sogar sehr viel expliziter als bei den anderen Beispielen.760 Dieser Schwerpunkt wird dadurch zustzlich gesttzt, daß die 5qca K^lmia der Pelasger von Herodot explizit mit jener berhmten anderen lemnischen Untat in Zusammenhang gebracht werden: !p¹ to}tou d³ toO 5qcou ja· toO pqot]qou to}tym, t¹ 1qc\samto aR cuma?jer to»r ûla H|amti %mdqar svet]qour !pojte_masai, mem|listai !m± tμm :kk\da t± sw]tkia 5qca p\mta ,K^lmia jak]eshai. (6.138.4) Nach dieser Tat und der frheren, welche die Frauen begingen, die ihre Mnner, die um Thoas, tçteten, ist es Brauch, schlimme Taten ber ganz Hellas hin alle ,lemnisch zu nennen.
Gemeint ist die mythische Erzhlung von der Ermordung der lemnischen Mnner durch ihre Frauen aus Eifersucht bzw. auf Veranlassung der auf Lemnos zuwenig verehrten Gçttin Aphrodite.761 Im Gegensatz zu den von Herodot geschilderten K^lmia 5qca wird hier klar das Geschlechterverhltnis thematisiert; als Unterschied zur Folie des bekannten Mythos fllt Herodots Problematisierung des Verhltnisses der Vçlker umso mehr ins Auge.762 Interessanterweise aber ist auch der Mythos von den lemnischen
760 Vgl. auch die Erzhlung 4.146: die Ionier, so Herodot, htten bei ihrer Auswanderung aus Athen keine Frauen mitgenommen, sondern in Kleinasien Karerinnen geraubt. Auch hier geht es um kulturelle Identitt, da ebendiese Ionier sich als cemmai|tatoi bezeichnen, was Herodot durch die Erzhlung von dieser und anderen kulturellen Vermischungen widerlegt. 761 A. R. 1.609 – 639; Ov. Ep. 6; Apollod. 1.9.17 = 1.114 f.; V. Fl. 2.82 – 310; Stat. Theb. 5.84 – 334. Zur komplexen Belegsituation vgl. Masciadri 2008, 201 – 218. 762 Vgl. Sourvinou-Inwood, 2004, 164; Masciadri 2008, 221 f. Letzterer vermutet einen politischen Hintergrund der herodoteischen Version: die Geschichte diene der Rechtfertigung der athenischen Eroberung von Lemnos. „Damit wird den Pelasgern zum Vorwurf gemacht, was die Athener ihnen selbst angetan hatten, die ethnische Suberung. Es herrscht also jene Logik der Gewalt, durch welche die Opfer im Nachhinein zu Ttern gestempelt werden“ (222).
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Frauen mit Wechsel und bergang konnotiert: offensichtlich liegt hier die mythische Spiegelung eines Neujahrsfestes vor.763 Zurck zu den Ereignissen zwischen Makedonen und Persern bzw. Medern und Skythen. Bisher ist nicht geklrt, warum das Verkleidungselement nur in der ersten Geschichte figuriert. Natrlich ist es sehr gut mçglich, daß transvestitische Elemente in der mythisch-rituellen Tradition des eskalierenden Festes angelegt sind; im brigen sind Geschlechtswechsel und Verkleidung ohnehin plausible Zeichen fr Verwandlung und Vernderung, etwa im Kontext pubertrer Initiationsriten.764 Andererseits muß es einen Grund geben, warum dieses Element nur in einer der beiden herodoteischen Geschichten auftaucht. Pragmatisch-lebensweltliche Erwgungen helfen hier nicht weiter: zwar dient die Verkleidung der Jnglinge der unbemerkten Annherung an die ahnungslosen Perser, zwar kann die Waffe, so die konsequente Fortfhrung der berlistungsstrategie, im weiblichen Gewand verborgen werden – aber warum folgt die Perser-Makedonen-Erzhlung nicht einfach unkontaminiert der Kentauromachie-Struktur, wie dies in der MederSkythen-Geschichte der Fall ist? Wieso kçnnen die Makedonen nicht ebenfalls unverkleidet den Saal strmen und die ohnehin betrunkenen Perser niedermetzeln – so wie dies Kyaxares Leute bei den Skythen tun? Bei der Verkleidung der Makedonen handelt es sich um eine ußerst raffinierte List;765 mçglicherweise liegt hierauf der Akzent. Die Verbindung des – ursprnglich vielleicht aus dem Bereich des Rituellen stammenden – Erzhlmotivs des Kleidertauschs mit dem Thema des listigen Betrugs hat im griechischen Mythos lange Tradition: Achilleus wird als
763 Burkert 1970 hat dies ausfhrlich dargelegt: bei dem Philostr. Her. 19.20 beschriebenen lemnischen Fest des neuen Feuers handelt es sich wohl um ein Neujahrsfest; dies schließt er daraus, daß als Aition des Festes die Tat der lemnischen Frauen genannt wird und diese wiederum diverse rituelle Elemente enthlt, die auch in anderen Neujahrsfesten (etwa den athenischen Thesmophorien) figurieren, etwa die Trennung der Geschlechter, der Agon der Argonauten, das Weintrinken, die Weiberherrschaft. Ferner wird der gerettete Lemnier Thoas in einer k\qman ausgesetzt (vgl. oben Anm. 580 und 584), wie dies auch beim athenischen Erechtheus/Erichthonios der Fall ist; vgl. oben 223 f., wo die Aussetzung in der k\qman in den Komplex der mit Neubeginn konnotierten Aussetzungsmythen eingeordnet worden ist. 764 Vgl. Graf 1979, 15 mit weiterfhrender Literatur in Anm. 117; Bierl 2007c, 272 f. (am Beispiel des griechischen Romans). 765 Vgl. Hollmann 2005, 290 f. der die Verkleidungsepisode in seine Sammlung von „Manipulations of Signs in Herodotos Histories“ aufnimmt.
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Mdchen verkleidet, um dem Kriegsdienst zu entgehen,766 Pentheus will sich unbemerkt unter die Mnaden mischen;767 Zeus verwandelt sich in Artemis, um Kallisto zu verfhren768 – die Liste kçnnte fortgefhrt werden.769 In Kombination mit dem Kollektivmord erscheint das Verkleidungselement auch bei Plutarch, und zwar in erstaunlich hnlicher Weise wie bei Herodot. Eine signifikante Parallele findet sich zunchst im achten Kapitel von Plutarchs Solon (8.4 – 6), wo geschildert wird, wie der Titelheld einen vermeintlichen berlufer zu den feindlichen Megarern schickt, die sich mit Athen im Krieg befinden. Der falsche berlufer weist die Megarer auf ein Demeterfest hin, das die athenischen Frauen am Strand vorbereiten: sie seien nun leichte Beute. Als die Feinde losrudern, lßt Solon die Frauen in Sicherheit bringen und athenische Jnglinge deren Gewnder anziehen. Die Megarer strzen sich schließlich auf die vermeintlichen Frauen und werden alle ermordet – wie bei Herodot wird die Kollektivitt betont. Unter Ablçsung des Gastmahlkontexts finden sich also die Funktionen 0, 3, 4 und 5, die Tçtungsabsicht, die Belstigung der Frauen, die Verkleidung und der Kollektivmord. Mit den Hdt. 6.138 geschilderten 5qca K^lmia teilt die Erzhlung den Frauenraub beim Frauenfest. Das Motiv des falschen berlufers ist ebenfalls traditionell und kommt in den Historien an anderer Stelle vor, wie oben in Kapitel IV.2.1 gezeigt worden ist. Hier kann natrlich ein unmittelbar intertextueller Bezug zu den Historien bestehen.770 Eine weitere Plutarchsche Erzhlung jedoch lßt darauf schließen, daß der Autor Intertextualitt und Tradition im allgemeineren Sinne miteinander verwebt. Es handelt sich um die siebte Erzhlung der Mulierum Virtutes, die Melierinnen (Mor. 246d-247a): Die 766 Schol. D zu Il. 19.326; Bion Bucolicus Epithal. 15; Sen. Tro. 214 f.; Stat. Ach. 1; Apollod. 3.13.8 = 3.174; Hyg. Fab. 96; bildliche Darstellungen seit dem 5. Jh. v. Chr., vgl. LIMC 1, 1989, s. v. Achilleus, p. 57 f., 95 – 104. 767 E. Ba. 821 – 861; 915 – 938; bildliche Darstellungen seit dem 3. Jh. v. Chr.; vgl. z. B. LIMC 7 s. v. Pentheus 309 f., 19. 768 Tz. ad Lyc. 481; Ov. Met. 2.425; Apollod. 3.8.2 = 3.100; Nonn. D. 33.290; 36.74. 769 Unter anderem finden sich bei Ovid zwei weitere Beispiele: Sol verkleidet sich als Leukothos Mutter Eurynome, um die Tochter zu verfhren (Met. 4.219), und der Verwandlungsgott Vertumnus nhert sich der Pomona (u. a.) in Gestalt einer Greisin (Met. 14.654 – 660). Vgl. Bçmer 1979 ad loc. und Bçmer 1986, 199. 770 Hierbei spielt eine mçgliche Abneigung Plutarchs gegen den Vorgnger, wie sie seiner Schrift De Herodoti malignitate entnehmbar ist, keine Rolle; bekanntlich schließen sich Antipathie und die bernahme gewisser Elemente durchaus nicht gegenseitig aus.
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Karer haben eine Gruppe melischer Schiffbrchiger zunchst bei sich aufgenommen. Spter besinnen sie sich anders und beschließen, ihre Schtzlinge zu tçten; in dieser Absicht laden sie sie zum Gastmahl. Eine Karerin ist jedoch in den melischen Anfhrer Nymphaios verliebt und warnt ihn. Nymphaios lßt den Karern ausrichten, es sei bei den Griechen nicht m|lor, ohne die Frauen zum Mahl zu gehen. Die Karer erlauben also den Meliern, ihre Frauen mitzubringen, worauf die Mnner diesen ihre Schwerter geben, auf daß sie diese in ihren j|kpoi verstecken: als die Griechen von den Karern angegriffen werden, stecken die Frauen ihren Ehemnnern die Schwerter zu, worauf diese die Barbaren ûla p\mtar niedermetzeln. Es handelt sich hier um eine ungewçhnliche Kombination aus traditionellen und intertextuellen Elementen, die teilweise auch noch der jeweils anderen Partei zugeordnet sind. Die Geschichte beginnt mit der Tçtungsabsicht 0, die Herodots Kyaxares-Geschichte einleitet. Es folgt Funktion 1, die Einladung zum Gastmahl, die sich in beiden herodoteischen Erzhlungen, aber auch im Kentauromachie-Mythos findet und im Zusammenhang mit Funktion 5, dem ebenfalls vorhandenen Kollektivmord, gewiß traditionell ist. Funktion 3, das herodoteische und mythische Element der Belstigung der Frauen, ist nicht vorhanden; dafr fgt Plutarch ein bei Herodot nicht vorhandenes traditionelles Element ein: die hilfreiche Karerin, die der mythischen Figur der Hypermestra entspricht, die sich als einzige gegen den geplanten Kollektivmord der Danaiden an den Aigyptos-Sçhnen wehrt.771 Im folgenden nhert sich die Geschichte
771 Die Assoziation des Danaiden-Mythos konstituiert bei Herodot kein Handlungselement; gegeben ist sie jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit. Die Kollektivmorde sowohl der Danaiden wie auch der Lemnierinnen finden bisweilen in der Folge – wenn auch nicht whrend – eines Gastmahls statt: die Mnner der Lemnierinnen werden nach einem Wiedersehensfest ermordet (Stat. Theb. 5.152 – 264; V. Fl. 2.187 – 195); auch hier bedingt die Trunkenheit ihre Wehrlosigkeit (Stat. Theb. 5.186 – 188, vgl. auch 256 f.; V. Fl. 2.221). Im Falle der Danaiden geht das Hochzeitsmahl voraus, vgl. Ov. Ep. 14.25 – 34, wo auch auf die Trunkenheit der Mnner eingegangen wird, und Apollod. 2.1.121 – 125 = 2.21. – Vgl. auch Theseus Hochzeit mit Phaidra, wo ein Kollektivangriff von Frauen auf Mnner erfolgt (Plu. Thes. 28.1 sowie Apollod. Ep. 1.3.125 – 134 = Ep. 1.S17 und Ep. 5.19.7 – 13 = Ep. 5.2). Im Falle der Danaiden geht dem Mord auch ein sexueller bergriff voraus, eben die Zwangsheirat bzw. der Vollzug der Ehe in der Hochzeitsnacht (vgl. das Schol. D zu Il. 4.171). Natrlich ist das Bild einer Menge von Frauen, die sich auf ebensoviele Mnner strzt und diese ermordet, Herodots Rezipienten vertraut und wird angesichts der verkleideten makedonischen
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wieder sehr stark an die von Herodot geschilderten Ereignisse am Makedonenhof an: vor allem das m|lor-Argument weist in seiner Komplexitt und hnlichkeit der Formulierung deutlich auf eine intertextuelle Beziehung hin (zumal der Gebrauch des Begriffs fr ,Brauch von Herodot auch an anderer markanter Stelle zitiert wird, 3.38.4, vgl. oben 46 und 136 sowie 349 – 351). Hier zeigt sich erstmals, daß sich Plutarchs Parteien umgekehrt zu denen der Historien verhalten: die List liegt auf seiten der Gste, und am Ende werden die Gastgeber ermordet. Funktion 4, die Verkleidung, findet zwar nicht statt; das weibliche Gewand ist jedoch als Ort des Verbergens ebenso Mittel zum Kollektivmord wie an Herodots Makedonenhof. Beide Erzhlungen Plutarchs zeigen Triumphe der List ber die Gewalt; vor allem die letztere setzt sich klar mit dem Unterschied zwischen Eigenem und Anderem auseinander: schon die Dichotomie zwischen Karern und Griechen ist signifikant, zumal die Karer gerade in der attischen Tradition hufig als das spezifisch Andere gelten.772 Am Portrt des sprichwçrtlichen Weisen Solon und der Gegenberstellung barbarischer Karer und kluger Griechen zeigt sich, daß sich das Verkleidungselement, das ursprnglich rituell generiert sein mag, zum narrativen Symbol der Listigkeit verfestigt hat. Hier liegt offensichtlich der Schlssel zu Herodots nur einmaliger Verwendung des Verkleidungsmotivs – oder nennen wir es ,Gewandmotiv, denn letztlich spielt es im Hinblick auf die Erzhllogik gar keine Rolle, ob ein berraschungsangriff durch eine Frau erfolgt, durch einen als Frau verkleideten Mann oder einen Mann mit seiner Frau an der Seite: wichtig erscheint, daß die Waffe im bauschigen Gewand der Frau verborgen ist.773
Jnglinge sicherlich auch evoziert. Dennoch erscheint das Element der List hier von Bedeutung zu sein, vgl. das Folgende. 772 Vgl. Bierl 1994, der bezglich der Anthesterien auf die Inszenierung einer Prsenz der Karer/Keren verweist (karische Sklaven, die ausnahmsweise mitfeiern durften, oder Ureinwohner Attikas, die whrend des Festes ihr Unwesen trieben, oder die Unglcksgeister ,Keren) und auch die Figur des aristophanischen Karion als eine solche Verkçrperung des ,Anderen deutet. 773 Auch hier handelt es sich um ein traditionelles Element; das Frauengewand ist beraus hufig Ort des Verbergens von Waffen, und zwar sowohl bei echten Frauen als auch bei verkleideten Mnnern; vgl. Wesselmann 2008. Zwar geht Herodot nicht explizit darauf ein, daß die makedonischen Jnglinge ihre Waffen im Gewand verbergen; die Tradition dieses Motivs jedoch erweist das Zugrundeliegen dieses Gedankens als ußerst wahrscheinlich. Im brigen erscheint das Frauengewand auch in anderen Kontexten geradezu als Symbol der List; man
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Whrend die Kentauromachie-Struktur des bçse endenden Festes die Auflçsung kultureller Grenzen bezeichnet, scheint es, daß das Verkleidungselement gleichzeitig eine – dem Mord mindestens vorausgehende – kulturelle Differenzierung konstituiert: den Persern mssen die Makedonen mit List begegnen, eine Strategie, welche die Meder gegenber den Skythen nicht nçtig haben, da sie ihnen zum Zeitpunkt des Gastmahls klarer berlegen sind als die Makedonen den Persern.774 Der Barbarenstatus der Skythen gegenber den Medern rckt sie strukturell in die Nhe der mythischen Kentauren: diesen ,Halbmenschen gegenber sind keinerlei strategische Finessen vonnçten, anders bei den Persern, die ihren makedonischen Gastgebern quasi ebenbrtig, und im brigen nicht als wehrloses ,Schlachtvieh dargestellt sind, sondern mit den Makedonen interagieren, und zwar in fr diese durchaus bedrohlicher Weise.Hierzu paßt auch, daß das eigentlich der Kentauromachie zugehçrige Element des eigenstndigen Sich-Betrinkens den Persern und nicht den Skythen zugeordnet ist; der Eindruck ihrer Unselbstndigkeit wird durch die Vorstellung, sie wrden betrunken gemacht, wesentlich verstrkt. Die Geschichte ihres Kollektivmordes muß gerade aufgrund der partiellen hnlichkeit von der anderen Episode abgegrenzt werden, weil sonst die Relation der Vçlker nicht mehr stimmt: Makedonen behandeln Perser nicht ebenso roh wie die Meder ihre skythischen Gste. Also wird die mythische Struktur verfeinert, wird um das Raffinement der – ebenfalls traditionellen – Verkleidungsepisode angereichert, so daß die Perser nicht wie Skythen oder gar Kentauren dargestellt sind, und die Leistung der Makedonen um die intellektuelle Dimension der List erweitert wird.
denke etwa an das vergiftete Gewand, das Medeia ihrer Rivalin Glauke bringen lßt (vgl. oben 52). 774 Die Makedonen sind zur Zeit der Perserkriege noch nicht in derselben Weise ,Griechen wie etwa Athener und Spartaner; sie stehen der persischen Hochkultur als Verbndete durchaus nahe (vgl. oben 274 mit Anm. 757). Drastischer ist hingegen der Unterschied zwischen Medern und Skythen. Die Meder sind aus griechischer Perspektive Verwandte der Perser – die Kçnigsfamilien sind einander eng verbunden (vgl. oben 262) –, und stellen den Skythen gegenber somit die Hochkultur dar. Zieht man Hartogs ,Relativittstheorie in Betracht, reprsentieren die Meder den Skythen gegenber also das Normale, Vertraute, ja, das ,Griechische. Wie gesagt, wird dieser Effekt noch verstrkt durch die zuvor berichtete Geschichte des Meders Kyaxares, dem ein von den Skythen geschlachtetes Kind als grausiges ,Atreusmahl serviert wird. Aufgehoben wird die kulturelle berlegenheit der Meder in dem Moment, als einer der Ihren, Astyages, ebenfalls ein ,Atreusmahl vollzieht; vgl. oben Kapitel V.4.1.
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Es bleibt die Spannung zwischen kultureller Differenzierung und Entdifferenzierung. Die beiden Phnomene schließen sich gegenseitig nicht aus. Zum Zeitpunkt des Gastmahls wird der aktuelle status quo charakterisiert: das gefhrliche Spiel zweier ebenbrtiger Volksgruppen ist nicht dasselbe wie das Abschlachten der skythischen Nomaden durch die berlegenenen Meder. Mit der Tatsache des Kollektivmords jedoch – wie auch immer dieser geartet ist – wird auf den ambivalenten Status des Ttervolks verwiesen, auf die Fragilitt der kulturellen berlegenheit. Die Makedonen sind ein Randvolk, das die wichtige Positionierung, der sich whrend der Perserkriege beinahe jede griechische Polis stellen muß, nicht vollzieht. Die Meder sind ein Volk am Abgrund.
5. Linob|ar k|cor : Rhampsinitos und der Meisterdieb (2.121 f.) Die Geschichte von Rhampsinitos und dem Meisterdieb zhlt dank ihrem makabren Humor775 und ihrer poijik_a zu den bekanntesten Novellen der Historien. Ihre Vielschichtigkeit erschwert auf den ersten Blick ein Verstndnis, erweist sich aber bei nherem Hinsehen als programmatisch. Wie sich im folgenden zeigen wird, illustriert die Geschichte als Unterweltserzhlung einen rite de passage und kndigt damit ebenso wie die brigen in Kapitel V dargestellten Beispiele den Beginn einer neuen historischen Phase an: die Herrschaft der gyptischen Pyramidenbauer. Außerdem erweisen sich die Elemente der griechischen Erzhltradition, die in der Geschichte enthalten sind, gleichsam als Illustrationen der gyptischen Seelenwanderungslehre, und zwar zum einen auf formaler Ebene in einer Art narrativer Mimesis, also durch Abbildung des bergeordneten Inhalts in der formalen Kombination traditioneller Elemente, zum anderen durch inhaltliche Allusion. Die Erzhlung ist in vier Phasen gegliedert: 1. Diebstahl und Falle (2.121.a-b) Der reiche Kçnig Rhampsinitos lßt sich eine Schatzkammer bauen (oUjgla, 2.121.a.1). Sein listiger Baumeister jedoch fgt in die Mauer einen herausnehmbaren Stein und erzhlt dies auf dem Totenbett seinen Sçhnen. Diese begehen mehrere Diebsthle, bis der Kçnig dessen gewahr wird und Fallen aufstellt. Einer der Diebe fngt sich darin, realisiert, daß er nicht 775 Vgl. Dewald 2006, 149 f.
5. Rhampsinitos und der Meisterdieb (2.121 f.)
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mehr herauskommen wird und bittet seinen Bruder, ihm den Kopf abzutrennen, um zu verhindern, daß jemand ihn erkennt; so geschieht es. 2. Der Leichenraub (2.121.c-d) Der Kçnig lßt die kopflose Leiche çffentlich aufhngen und befiehlt, jeden festzunehmen, der um sie klage. Die Mutter der Diebesbrder bittet den berlebenden Sohn, der Schndung Einhalt zu tun. Der Meisterdieb tarnt sich als Weinhndler und macht die Wchter betrunken. Als sie einschlafen, nimmt er die Leiche des Bruders ab, rasiert den Schlafenden zum Spott die halbe Wange und verschwindet. 3. Die Prinzessin im Bordell (2.121.e-f) Der Kçnig will den Dieb unbedingt fassen und fordert von seiner Tochter, sie solle in einem oUjgla alle Mnner empfangen und diese als Vorauszahlung fr den Liebesdienst jeweils ihre frevelhafteste und klgste Tat erzhlen lassen.776 Der Dieb schneidet der Leiche einen Arm ab, nimmt ihn mit zur Prinzessin und berichtet ihr freimtig von der Enthauptung des Bruders und dem Diebstahl der Leiche. Sie greift nach ihm, aber er hlt ihr den Totenarm hin und entkommt erneut. Der Kçnig ist schließlich so beeindruckt, daß er den Dieb zu sich ruft, um ihm seine Tochter zur Frau zu geben.
776 Neitzel 1992 versucht mit allerlei logischen, grammatischen und lebensweltlichen Argumenten zu widerlegen, daß es sich um eine tatschliche Prostitutionssituation handle. Er argumentiert vor allem mit Herodots Formulierung 1mteik\lemom p\mtar te blo_yr pqosd]jeshai, ja_ pq·m succem]shai, !macj\feim k]ceim aqt0 f ti dμ 1m t` b_\ 5qcastai aqt` sov~tatom ja· !mosi~tatom7 dr d #m !pgc^sgtai t± peq· t¹m v_qa cecemgl]ma, toOtom sukkalb\meim ja· lμ !pi]mai 5ny (2.121.e.2), die er bersetzt „mit dem Auftrag, alle in gleicher Weise zu empfangen und bevor (jemand mit ihr) schlafe, (ihn) zu nçtigen, ihr zu erzhlen, was auch immer nur von ihm in seinem Leben als Klgstes und Gottlosestes getan worden ist, wer aber das den Dieb betreffende Geschehen erzhle, den festzuhalten und nicht nach draußen wegzuschicken“ (216). Auch wenn Neitzels bersetzung logischer ist als die hufige Synonymbersetzung von pqosd]jeshai und succem]shai (,sich allen Mnnern hinzugeben und, bevor sie mit ihnen schlief, sie zu nçtigen), so bedeutet !pi]mai nicht notwendigerweise das Wegschicken der ,falschen Freier ohne Vollzug des Beischlafs: schließlich kann man !v_gli auch als ,weggehen lassen (nach dem Beischlaf) interpretieren. Wie dem auch sei – die Parallele zu der Prostituierung der Tochter des Cheops, von der unten noch die Rede sein soll, ist in jedem Fall gegeben: auch Rhampsinitos Tochter fungiert als erotischer Kçder und empfngt in einem eigens dafr zur Verfgung gestellten Etablissement zahlreiche Mnner.
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4. Die Unterweltsfahrt (2.122) Spter sei Rhampsinitos, so Herodots Quellen, lebendig in die Unterwelt gegangen, habe dort mit Demeter Wrfel gespielt und teils gewonnen, teils verloren. Er soll daraufhin mit einem goldenen Handtuch, einem Geschenk der Gçttin, zurckgekehrt sein. Diese Erzhlung bezeichnet Herodot als Aition fr ein gyptisches Fest, bei dem ein Priester mit verbundenen Augen von zwei Wçlfen zum Demeterheiligtum und wieder zurckgefhrt wird. Dieses Sammelsurium an Handlungselementen erscheint zunchst verwirrend. In der Tat wurde Herodots Erzhlung bisweilen als wenig konsistentes Konglomerat nicht zusammengehçriger Teile aufgefaßt,777 wobei die Konzentration meist auf der Frage nach der Herkunft der Erzhlung lag.778 Und dennoch ergeben die Teile ein Ganzes. Carl Werner Mller betont die Zusammengehçrigkeit der Erzhlteile, indem er die Konzentration aller Episoden – nicht nur der Unterweltsreise des Kçnigs – auf die Thematik des Todes nachweist (1992, 164 – 171):779 er faßt das Schatzhaus des 777 Vgl. z. B. Hansen 2002, 366 (dort ber den Auftrag des Kçnigs, den Leichnam des Diebes auszustellen): „Herodotus text reflects an omission or confusion in the telling of the tale“; auf die gesamte Erzhlung bezogen spricht er von „floating motifs“. 778 Herodot selbst versichert, die Geschichte sei ihm von den Priestern des memphitischen Hephaistos-Tempels berichtet worden. Ist Aly 1921, 67 noch berzeugt von der gyptischen Herkunft der Erzhlung, so verweist Erbse 1981, 263 – 267 auf die griechische Parallele des Trophonios-Mythos; vgl. unten 287 f. Ferner konstatiert er einen ,typisch griechischen agonalen Charakter der Geschichte (Agonales kommt allerdings auch in der gyptischen Erzhltradition vor, etwa in der Geschichte von Si-Osire und dem Wettbewerb mit dem aithiopischen Zauberer; vgl. Brunner-Traut 1963, 242 – 264); er vermutet die Quelle bei griechischen Kolonisten in gypten. – Fehling 1971, 210 f. postuliert drei unterschiedliche Quellen: die Schatzhaus-Geschichte hlt er fr griechisch, die Herkunft des Leichendiebstahls fr nicht ermittelbar, die Prostitution der Kçnigstochter fr Herodots analog zur Cheops-Geschichte gebildete eigene Erfindung. Mller 1992 verortet die Erzhlung wieder in der gyptischen Tradition; vgl. unten Anm. 786. Zur breiten europisch-asiatischen Rezeption der Erzhlung vgl. Paris 1907; ferner Hansen 2002, 359 – 363. 779 Des weiteren erkennt er in der Erzhlung eine traditionelle Dreistruktur mit Zusatz (ebenda): die drei ersten Teile betrachtet er als klimaktischen „Weisheitsagon“ des Diebes mit dem Kçnig, der in der Vermhlung des Diebes mit der Kçnigstochter kulminiert. Bei der vierten Geschichte handle es sich ebenfalls um einen intellektuellen Wettstreit zwischen Antagonisten unterschiedlichen Ranges, ,Mensch und ,Gott statt ,einfacher Brger und ,Kçnig; auch hier siegt der niedriger Gestellte und erhlt eine Trophe.
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Rhampsinitos als Grabkammer und somit als „Haus des Todes mit einem Zugang zur Unterwelt“ auf (166); der kluge Baumeister verrt sein Geheimnis auf dem Sterbebett; einer der Brder stirbt beim Einstieg in das ,Totenhaus (oUjgla, 2.121.a.1); im zweiten Teil geht es um den Raub des Toten, im dritten fungiert ein Totenarm als Fluchtmittel. Auch das oUjgla (2.121.e.2) der Kçnigstochter ist ein Unterweltsort: offenbar mssen alle ihn passieren (denn sonst kçnnte der Kçnig nicht den Dieb unter den Gsten erwarten) und auf Fragen antworten, die an jenseitige Gerichtsvorstellungen mahnen. Die Totenhand schließlich deutet Mller als Ersatzopfer an den Tod oder eine Todesdmonin. Alles in allem handle es sich bei der Diebesgeschichte also um einen Wettstreit mit dem Tode selbst. Folglich schließe sich die appendixartige vierte Geschichte – der Abstieg des Rhampsinitos in die Unterwelt und seine Rckkehr – durchaus organisch an das Vorhergehende an.780 Auf die Mllersche Interpretation aufbauend liest Gerhard Baudy die Geschichte als Spiegelung eines gyptischen Initiationsrituals (1996). Er entdeckt in Herodots Erzhlung Elemente einer gyptischen Mysterienweihe, die ja ebenfalls mit einer Nahtod-Erfahrung des Initianden verbunden und somit unterweltlich konnotiert sein kann (vgl. oben 128 f.). Kult-Aition fr die 2.122 geschilderte Prozession zum Demeterheiligtum – die Wçlfe deutet Baudy als Mystagogen, welche die Schakalmaske des Anubis tragen – ist der Abstieg des Rhampsinitos in die Unterwelt. Demeter-Isis herrscht gemeinsam mit Dionysos-Osiris ber die gyptische Unterwelt; mit ersterer wrfelt Rhampsinitos; mit letzterem wird jeder Pharao nach seinem Tod identisch. Das Schatzhaus deutet Baudy v. a. angesichts der Kultverbindung zum Demeterheiligtum als Getreidespeicher, und Osiris wird im Kult sinnigerweise von den ,scheintoten Getreidekçrnern reprsentiert, die wiederum menschliche Todesberwindung symbolisieren. Diese Elemente machen die letzte Episode der Rhampsinitos-Geschichte zur Mythisierung eines Ritus, der seinerseits eine Unterweltsfahrt abbildet: der Pharao steigt in den Getreidespeicher, wird eins mit dem Gott Osiris und kehrt zum Leben zurck.781 Die Diebstahlepisode wiederum kann laut Baudy als Abbildung eines Rituals begriffen werden, bei dem Initianden in einen Getreidespeicher 780 Daß Mller postuliert, Herodot sei die Zusammengehçrigkeit der solcherart unterweltlich konnotierten Diebesgeschichte mit der Unterweltsfahrt des Kçnigs nicht bewußt gewesen (1992, 168), ist nicht nachvollziehbar. 781 Fr Baudys Parallele spricht, daß auch Osiris von seinem Bruder Seth zerstckelt wird, wie ja auch Herodots Meisterdieb seinem Bruder Kopf und Arm abhaut.
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V. Rite de passage
einbrachen, Saatgut (als Symbol des wirtschaftlich eigenstndigen Erwachsenenlebens) ,stahlen und dabei einen mit dem Zerstckelungstod des Osiris assoziierten symbolischen Tod erlitten (gesttzt werden Baudys berlegungen durch die naheliegende Identitt der beiden Brder in der Geschichte: der Zerstckelte selbst stnde so zu kçniglichen Wrden wieder auf).782 Die Prinzessin setzt Baudy mit der Gçttin Isis gleich – Vorbild gyptischer Mdchen im prnuptialen Ritual783 (die Stiftung der Ehe ist eine weitere Komponente des Demeter-Isis-Kults). Der mnnliche Initiand nimmt folglich in der Liebesbeziehung mit Isis die Stelle des Gottes Osiris ein. In der Tat folgt der Begegnung der Prinzessin mit dem Meisterdieb ja die offizielle Eheschließung. Schließlich weist Baudy auf die Verwandlung hin, die im gyptischen Totenbuch die Reise des mit Osiris eins werdenden Toten konstituiert: der Tote verwandelt sich auf seinem Weg durch die Unterwelt in Tiere und Pflanzen, eine Vorstellung, die den polymorphen Gott Proteus evoziert, den Herodot als unmittelbaren Vorgnger des Rhampsinitos bezeichnet (2.121), und dessen Gestaltwechsel laut Vergil beim Frhaufgang des Sirius erfolge, dem Zeitpunkt, auf den Baudy auch das in der Diebesgeschichte gespiegelte gyptische Initiationsritual datiert.784 Die Initianden also, so Baudys Schlußfolgerung, durchwandern als Tote den unterweltlichen Getreidespeicher und durchleben die Verwandlung in Erwachsene; das 782 Vgl. oben 265 zur Stellvertreterfunktion des von Astyages geschlachteten Kindes fr den neuen Kçnig Kyros. 783 Das Motiv der Prostitution der Kçnigstochter erklrt Baudy aus der Diffamierung dieser mit knstlichen Phalloi vollzogenen Riten; den herodoteischen Totenarm interpretiert er als Spiegelung eines rituellen Phallos-Objekts, der den knftigen Brutigam reprsentiert (1996, 13 f.). 784 Baudy 1996, 14 – 17: der Termin liegt kurz nach der Ernte, wo neues Saatgut verfgbar ist, mit dem die Initianden in Verbindung gebracht werden; ferner mag das Wrfelspiel, mit dem der herodoteische Rhampsinitos seine Rckkehr erwirkt, kalendarisch konnotiert sein: das Wrfelspiel des Thoth mit der Mondgçttin ist im gyptischen Mythos kalenderstiftend, vgl. Plu. de Is., Mor. 355d-356a; es findet am Tag des frhen Sirius-Aufgangs statt. Bei diesem Fest verschwindet außerdem der Kçnig als Garant der çffentlichen Ordnung von der Erde, worauf fr einige Tage karnevaleske Zustnde einkehren (vgl. natrlich auch die griechisch-rçmischen Neujahrsfeiern, an denen das Wrfelspiel eine wichtige Illustration der Ungewißheit des Schicksals darstellte; dazu Versnel 1993, 126; 129 f.; 148 f.; 185; 208). Zum gleichen Zeitpunkt, so das Schol. zu Arat 150, feierten die gypter die Entfhrung der Kore (die wie ihre Mutter Demeter einerseits das Saatgetreide reprsentiert, zum anderen mit Isis identifiziert wurde) in die Unterwelt, im griechischen Mythos Paradigma fr den bergang des Mdchens zur Frau.
5. Rhampsinitos und der Meisterdieb (2.121 f.)
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Geschehen findet vor dem Hintergrund der kosmischen Erneuerung des Jahreswechsels statt. Auch ohne den Einzelelementen des herodoteischen RhampsinitosLogos jeweils ein direktes kultisches Pendant zuzuordnen, lassen sich die unterweltliche Komponente der Geschichte und die starke Symbolik des bergangsritus vor allem im Todeserlebnis der Zerstckelung785 nicht leugnen. Gesttzt wird diese Interpretation durch die Verortung der Erzhlung in einer griechischen Erzhltradition. Unabhngig von einer mçglicherweise gyptischen Herkunft erscheinen gewisse Elemente als Reflexionen auch griechischer Mythen. Die deutlichste Entsprechung ist bereits gesehen worden: der erste Teil, ,Diebstahl und Falle, hat eine klare Parallele im griechischen Mythos von Trophonios und Agamedes aus der kyklischen Telegonie. 786 Die kunstfertigen Baumeister Agamedes und Trophonios, Vater und Sohn, errichten in Elis ein Schatzhaus fr Augias. In der Wand hinterlassen sie einen beweglichen Quader und steigen nachts ein, um zu stehlen. Der Baumeister Daidalos stellt nun im Auftrag des Kçnigs Fallen auf, worin sich der Vater verfngt, worauf ihm sein Sohn den Kopf abtrennt, damit man ihn nicht erkennen kann. Augias verfolgt nun den fliehenden Trophonios, da der Kopf des Agamedes eine Spur aus Blutstropfen hinterlßt, worauf sich Trophonios im boiotischen Lebadeia eine 785 Vgl. oben 132 f. 786 berliefert bei Charax FGrHist 103, fr. 5 Jacoby = Schol. zu Ar. Nub. 508; zur bereinstimmung mit der Version der Telegonie vgl. Erbse 1981, 265; Mller 1992, 174 mit Anm. 61. Die kyklische Version ist wahrscheinlich jnger als die herodoteische; Mller 1992, 174 – 179 erkennt in der Charax-Version verschiedene Grzisierungen: die beiden Brder der herodoteischen Geschichte sind hier Vater und Sohn, offenbar eine Anlehnung an den Inhalt des Epos, wo ebenfalls ein Vater (Odysseus) von seinem Sohn (Telegonos) getçtet wird (in h.Ap. 3.293 – 297 und Pi. fr. 2.3 Maehler sind Agamedes und Trophonios Brder). Weiter sieht Mller im Wettkampf der beiden Baumeister Trophonios und Daidalos wie Erbse „auch typologisch eine griechische Motivvariante“ (177, aber siehe oben Anm. 778 zu Erbse). Der Rangunterschied im Konflikt zwischen Kçnig und Untertan fehlt (bei Herodot wird er im ,Epilog durch Rhampsinitos und Demeter wiederaufgenommen), ebenso ist das Motiv vom ,Meisterdieb abgeschwcht: Trophonios scheitert in seinem Kampf gegen den Tod; er bleibt in seinem ,Unterweltsversteck, was den griechischen Trophonios-Kult an einer Erdspalte erklrt, aber nicht zu einem Meisterdieb passt. – Aus diesen Modifikationen in Verbindung mit der Erfindungsfreudigkeit des Telegonie-Dichters schließt Mller auf die gyptische ,Authentizitt der herodoteischen Erzhlung im Gegensatz zur kyklischen Version. Die Paus. 9.37.4 – 7 berlieferte Trophonios-Erzhlung des Kallippos schließlich betrachtet Mller als Mischform aus der Version der Telegonie und aus Herodots ,authentischerer Variante; vgl. Mller 1982, 180 – 183.
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V. Rite de passage
unterirdische Behausung baut, worin er den Rest seines Lebens verbringt. Nach seinem Tod entstehen hier ein Orakel und Heiligtum. Von einer Vertrautheit des Herodot-Rezipienten mit der kyklischen Geschichte darf grundstzlich ausgegangen werden. Dies sttzt die Annahme, daß die Rhampsinitos-Geschichte vom zeitgençssischen Publikum als Unterweltslogos wahrgenommen wurde, da auch die Erzhlung von Trophonios unterweltlich konnotiert ist. Zum einen mag Herodots Rezipient die grabartige unterirdische Kammer des Trophonios assoziieren, wie Mller gesehen hat, zum anderen das von Pausanias beschriebene Ritual beim Orakel des Heros (9.39), das zahlreiche jenseitige Elemente enthlt: die Umgebung heißt nach Persephone J|qgr h^qa ; der Orakelbesucher wird von zwei ,Hermai genannten Knaben zu einem Fluß geleitet; er muß Lethewasser trinken, um alles Bisherige zu vergessen; schließlich muß er mit einer Leiter zu dem Erdspalt hinabsteigen, der ihn dann einsaugt wie der Strudel eines Flusses und nach Erteilung des Orakels wieder ausspeit; anschließend kmmern sich die Verwandten um den vollkommen Verngstigten, der weder weiß, wer er selbst, noch, was um ihn herum ist (j\tow|m te 5ti t` de_lati ja· !cm_ta blo_yr artoO te ja· t_m p]kar, 9.39.14) – das verstçrende Erlebnis gleicht in vielerlei Hinsicht einer Mysterieninitiation oder Unterweltsfahrt, wie sie etwa die epischen Helden unternehmen, um die Zukunft zu erfragen. Die durch Mller und Baudy herausgearbeitete Konnotation der Rhampsinitos-Geschichte mit einem unterweltlichen rite de passage wird also durch die griechische Parallele des Trophonios-Mythos weiter gesttzt. Es ist jedoch nie ein Versuch unternommen worden, die Aufnahme der Erzhlung in die Historien zu begrnden; offenbar wird stillschweigend davon ausgegangen, Herodot habe sie ,der Vollstndigkeit halber berichtet. Tatschlich scheint ihm der Glaube des Rezipienten an das Berichtete nicht am Herzen zu liegen, darauf weisen die Infinitivkonstruktionen der indirekten Rede hin sowie das prgnante Schlußwort: To?si l]m mum rpAQcupt_ym kecol]moisi wq\shy fte\ t± toiaOta piham\ 1sti· 1lo· d³ paq± p\mta k|com787 rp|jeitai, fti t± kec|lema rp 2j\stym !jo0 cq\vy. (2.123.1) Dieses von den gyptern Berichtete soll verwenden, wem auch immer Solches glaubhaft ist; mir aber gilt fr jede Episode, daß ich die Reden aller Leute aufschreibe, wie ich sie hçre. 787 Daneben ist die Lesart p\mta t¹m k|com berliefert; der ohnehin nur marginale Bedeutungsunterschied ist in diesem Kontext zu vernachlssigen (ebenso bei 7.152.3; vgl. unten Anm. 862).
5. Rhampsinitos und der Meisterdieb (2.121 f.)
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Daß er die Geschichten nicht glaubt, mag wohl sein. Dennoch nimmt er sie in sein durchaus wohlselektiertes Corpus auf, und bei nherer Betrachtung gibt es sehr wohl einen Grund dafr, gerade auch fr die Einfgung an genau dieser Stelle. Es zeigt sich nmlich, daß die Episode Scharnierfunktion besitzt, und zwar als bergang von Herodots Bericht ber die ersten fnf gyptischen Kçnige zu seiner Betrachtung der auf sie folgenden Herrscher, der Pyramidenbauer. In hnlicher Weise wie die oben untersuchten Erzhlungen von ,Aussetzung, ,Jnglingsflucht und ,tçdlichem Gastmahl zeigt die Geschichte also einen Epochenwechsel an, markiert durch Hinweise auf die Phnomene des rite de passage und des Jahreswechsels. Allerdings haben wir es hier mit einer wesentlich konkreteren Paradigmatik als der bloßen Markierung des ,Wechsels zu tun. Zunchst mndet die Rhampsinitos-Geschichte in ein kurzes Kapitel ber die gyptische Lehre von der Seelenwanderung, gleichsam ,Scharnier im Scharnier: pq_toi d³ ja· t|mde t¹m k|com AQc}ptio_ eQsi oR eQp|mter, ¢r !mhq~pou xuwμ !h\mat|r 1sti, toO s~lator d³ jatavh_momtor 1r %kko f`om aQe· cim|lemom 1sd}etai· 1pe±m d³ p\mta peqi]kh, t± weqsa?a ja· t± hak\ssia ja· t± peteim\, awtir 1r !mhq~pou s_la cim|lemom 1sd}meim, tμm peqi^kusim d³ aqt0 c_meshai 1m tqiswik_oisi 5tesi. (2.123.2) Die gypter sind auch die ersten, welche die These vertraten, daß die Seele des Menschen unsterblich sei und daß sie, wenn der Leib sterbe, immer in ein anderes neuentstandenes Wesen eingehe: wenn sie aber alle Land-, Wasserund Luftwesen durchschritten habe, tauche sie wieder in den neu entstandenen Kçrper eines Menschen ein: fr diesen Umlauf brauche sie dreitausend Jahre.
Im Kontext der Seelenwanderungslehre wird klar, daß die RhampsinitosGeschichte nicht einfach ein unterweltlich konnotiertes Mrchen ist, sondern daß ihr auch der Gedanke der Metempsychose zugrundeliegt. Diese Wanderung der Seele durch verschiedene Gestalten ist in der Rhampsinitos-Geschichte auf mehreren Ebenen veranschaulicht, wie vor allem ber die mythischen Allusionen deutlich wird, die in der Erzhlung auch abgesehen vom Trophonios-Mythos enthalten sind. Die Illustration der Seelenwanderungslehre findet zum einen auf formaler Ebene statt, als gleichsam mimetische Abbildung des Themas ,Variation, zum anderen auf inhaltlicher Ebene, als Kontextualisierung der Geschichte mit griechischen mythisch-rituellen Traditionen, die ebenfalls mit Verwandlung oder Seelenwanderung zu tun haben.
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Kommen wir zunchst zur formalen, eigentlich ,mimetischen Ebene. Hinsichtlich der textuellen Einbindung der Geschichte innerhalb des gypten-Logos fllt auf, daß in den folgenden zwçlf Kapiteln ber die Pyramidenbauer (die bis zur Aufzhlung einer weiteren Herrscherkategorie reichen, den Fremdherrschern) ebenfalls die Unterweltsthematik vorherrscht; Herodot berichtet vornehmlich vom Tod, von Grbern und Bestattungsriten. Aber es besteht noch ein engerer Zusammenhang mit der Rhampsinitos-Erzhlung: das in den Folgekapiteln Berichtete erscheint gleichsam als Reihe von Variationen auf die Eingangsgeschichte. Der von Cheops begonnene Grabbau ist Leitthema; die BaumeisterThematik spiegelt sich in den deskriptiven Passagen, welche die Bauten, ihre Einrichtung, ihre Entstehung beschreiben oder die Konflikte zwischen Bauherrn und Arbeitern thematisieren (2.124 f., 2.127, 2.130 – 132, 2.134). Weiter zwingt Cheops seine Tochter zur Prostitution, um sein grçßenwahnsinniges Bauprojekt zu finanzieren; sein Nachfolger Mykerinos zwingt seine Tochter zu anderen sexuellen Handlungen; er treibt Inzest mit ihr (so zumindest das Gercht: oR d] timer k]cousi, 2.131). Beide Geschichten hngen eng mit der Grabesthematik zusammen: Cheops Tochter lßt sich als Prostituierte mit Steinen bezahlen, so daß sie sich eine eigene Grabpyramide erbauen kann (2.126). Mykerinos Tochter erhngt sich und wird in einer hçlzernen Kuh bestattet, weil der Vater den Wunsch hat, seine Tochter auf besondere Art und Weise zu begraben (2.129). Von der Hetre Rhodopis schließlich erzhlt man sich, sie habe sich von ihren Verdiensten eine Pyramide bauen lassen (2.134).788 Es ist also zweimal die Rede von einer Tochter, zweimal von einer Prostituierten – in einem Fall, bei der Tochter des Cheops, kommen beide Elemente zusammen (und auch Mykerinos Tochter wird zu sexuellen Handlungen gezwungen), wie in der Rhampsinitos-Erzhlung, die also den Inhalt der Folgekapitel gleichsam konzentriert. Neben Prostitutions- und Grabthematik spielt auch in dieser Sequenz die berlistung des Todes eine Rolle: Mykerinos, der laut Orakelspruch nur noch sechs Jahre zu leben hat, will die Weissagung als trgerisch erweisen, indem er einfach nicht mehr zu Bett geht, ,damit ihm zwçlf Jahre zuteil wrden statt sechs, da ja die Nchte zu Tagen gemacht wrden (Vma oR du~deja 5tea !mt· 4n c]mgtai, aR m}jter Bl]qai poie}lemai, 2.133.5). Es handelt sich hier also um einen Schlauheits-Agon mit dem Tod – wie ihn Mller auch in der Rhampsinitos-Geschichte gegeben sieht (vgl. oben 285). 788 Herodot bezeichnet dies im Folgekapitel als unwahr – entscheidend soll hier einmal mehr seine Aufnahme der Erzhlung in die Historien sein (vgl. oben 34).
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Bleibt das Element der Nichtbestattung des toten Bruders. Sie ist ebenfalls in einem der Folgekapitel gespiegelt, 2.136, wo Herodot berichtet, daß man nach den neuen Gesetzen des Asychis die Mumie des Vaters oder gar das ganze Familiengrab verpfnden konnte, um Geld aufzunehmen; bezahlte man seine Schuld aber nicht, wurde man selbst nicht bestattet. Es scheint, als sei die diesen Episoden vorangestellte RhampsinitosGeschichte eine Art narrativer Verdichtung der im folgenden behandelten Jenseitsthematik, auch wenn sich Details finden, die man so nicht erklren kçnnen wird. Die Eingangsgeschichte ist die Essenz einer gyptischen Pyramidenbauervita; es folgen Verwandlungen, Modulationen des Themas. Wie die Seele auf ihrer Reise immer neue Gestalten annimmt, so wiederholt sich die Geschichte des Rhampsinitos in den Biographien seiner Nachfolger in immer neuen Variationen. Die Rhampsinitos-Geschichte ist aber nicht nur Verdichtung der Pyramidenbauerviten, sie ist auch Chimre disparater Teile. Hier geraten wir in den Bereich der griechischen Traditionen, die in der RhampsinitosGeschichte gleichsam ,angespielt werden. Es liegen einige Mytheme vor, die dem griechischen Rezipienten ebenfalls bekannt sind: Der betrgerische Baumeister gemahnt an den griechischen ,Trickster Daidalos, dessen Person mit der Betrugsthematik eng verbunden ist, wie schon sein Name sagt,789 der Kçnig Minos betrgt, indem er seiner Frau dabei hilft, ihn zu betrgen:790 Der Strafe entzieht sich der Baumeister ebenfalls auf listige Weise, indem er die berhmten Wachsflgel konstruiert791 – eine Vater-Sohn-Beziehung spielt hier ebenfalls mit hinein.792
789 ,Der raffinierte Handwerker. Bereits die Namen seiner Eltern sind sprechend; vgl. Kearns 1997, 272: „Die Namen seiner Eltern variieren, doch die meisten spiegeln Daidalos Intelligenz und manuelle Geschicklichkeit wider: Metion, Eupalamos, Palamaon; Iphino, Metadusa, Phrasimedes und – weniger deutlich – Merope.“ 790 Apollod. 3.1.4 = 3.9 f.; Hyg. Fab. 40; zur berlieferung des Daidalos-Mythos vgl. außerdem unten 293 mit Anm. 797 f. und die folgende Anm. Die Figur des Daidalos scheint in der Mykerinos-Geschichte wieder auf, da die dort als Sarkophag verwendete hçlzerne Kuh (2.129 – 132) den griechischen Rezipienten an den Mythos der Pasipha erinnert, vor allem in Verbindung mit dem Bruch eines sexuellen Tabus. 791 Ov. Met. 8.183 – 235. 792 berhaupt scheint das Bauwesen in der Erzhltradition hufig mit Betrug verbunden, etwa im Fall der Troianischen Mauern, wo Laomedon Poseidon und Apollon um ihren Lohn prellt (Il. 21.441 – 447; Apollod. 2.5.9 = 2.103).
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Der griechische Rezipient mag die Figur darberhinaus ber den Trophonios-Mythos assoziieren, in dem Daidalos ebenfalls vorkommt. Die streng bewachte Leiche assoziiert die Eingangssituation der sophokleischen Antigone 793 mit dem Bestattungs- und Trauerverbot und der Beobachtung durch die Wchter; die Angehçrigen riskieren alles, um die Leiche des Bruders dennoch zu bestatten. Das Betrunkenmachen des Feindes und seine berlistung ist ein verbreitetes Motiv auch bei Herodot selbst;794 fr den griechischen Rezipienten ist die erste Referenzstelle wohl die Begegnung von Odysseus und Polyphem (Od. 9.345 – 374). Daß ein ehemaliger Gegner seinem Feind die Tochter zur Frau gibt, ist ein verbreitetes Mrchenmotiv; so gibt Iobates seine Tochter dem frheren Gegner Bellerophon, aus Bewunderung dafr, daß er alle Fallen berlebt hat (Apollod. 2.3.2 = 2.33, vgl. oben 245). Der Unterweltsabstieg schließlich ist im griechischen Mythos weit verbreitet: Odysseus, Herakles, Orpheus, Theseus begeben sich in den Hades oder an dessen Pforten.795 Die einzelnen Motive erscheinen dem Rezipienten, der mit der griechischen Erzhltradition vertraut ist, notwendigerweise merkwrdig unzusammenhngend. Im Vorausgegangenen ist an zahlreichen Beispielen gezeigt worden, daß in den Historien traditionelle Erzhlstrukturen aufgenommen werden; die hier nicht thematisierte Aufnahme einzelner Motive kommt natrlich ebenfalls vor – jedoch ist die Neuschaffung einer Geschichte aus vçllig disparaten Elementen, die im griechischen Mythos
793 Es ist wahrscheinlich, daß Herodot die Tragçdie kannte; vgl. oben 41 f. 794 1.106.2 (vgl. oben Kapitel V.4.2); 3.4.3. 795 Einige dieser Elemente sind auch in der gyptischen Tradition verortbar. Zum Betrunkenmachen eines Feindes vgl. Hornung 1982, 39 f., 61 – 100: Re macht Hathor betrunken, um die Menschen vor ihr zu retten. Auch die Schlange, die den ,Verwunschenen Prinzen bedroht, wird durch Alkohol eingeschlfert; vgl. Brunner-Traut 1963, 59. Zur Hochzeit mit der Tochter des versçhnten Feindes vgl. Brunner-Traut 1963, 55 – 60: der ,Verwunschene Prinz kann den Haß seines Schwiegervaters in spe versçhnen. Zur Reise in die Unterwelt vgl. Brunner-Traut 1963, 212 – 221: der ,Trickster MerirÞ steigt in die Unterwelt hinab und kann sie durch listige Machenschaften wieder verlassen (auch hier ist eine weibliche Unterweltsgottheit involviert, Hathor, die er beschwatzt, ihm Nachrichten aus dem Diesseits zu bringen); Si-Osire fhrt seinen irdischen Vater durch das Jenseits; vgl. Brunner-Traut 1963, 244 – 248. – Hier soll jedoch – wie stets in dieser Untersuchung – der Assoziationskontext des griechischen Rezipienten im Vordergrund stehen, nicht die mçgliche Genese der Geschichte.
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eben nicht zusammen vorkommen, im Rahmen von Herodots Werk beraus ungewçhnlich. Die Weitgefaßtheit der Motive zeigt sich nicht zuletzt daran, daß sie in fast allen griechischen Literaturgattungen auftreten. Der listige Baumeister Daidalos ist eine Figur aus dem attischen Drama. In den homerischen Epen wird er lediglich erwhnt,796 whrend er in den verlorenen Tragçdien oder Satyrspielen des Sophokles und des Euripides, Daidalos, Kamikoi, bzw. Kretes und Theseus eine grçßere Rolle gespielt zu haben scheint.797 Auch in der Komçdie tritt die Figur auf: Daidalos gibt je einem verlorenen Stck von Aristophanes und dem Komçdiendichter Platon den Namen und kommt wohl auch in Aristophanes ebenfalls nicht erhaltenem Kokalos vor.798 Die anderen Verbindungen der Rhampsinitos-Geschichte zur griechischen Tradition sind weniger dramatischer als episch-narrativer Natur: die List des Betrunkenmachens eines Feindes ist kein Tragçdienstoff, figuriert dagegen prominent in der Kyklopenszene der Odyssee (9.106 – 566).799 Die Feinde, die schließlich zu Schwiegervater und -sohn werden, verlangen noch eindeutiger nach einer lngeren Erzhlung, wie sie im Epos mçglich ist, angefangen mit der iliadischen Bellerophon-Geschichte. Der Unterweltsabstieg schließlich ist bis hin zu Vergil geradezu kennzeichnend fr das Epos und hat in Odysseus, Herakles und Theseus prominente griechische Vertreter; er kommt allerdings auch im griechischen Drama vor (z. B. Aristophanes Frçschen und Euripides Alkestis – letztere als Tragçdie in Satyrspielposition ihrerseits eine Gattungschimre). Bleibt die Rasur der einen Wange, die der Dieb bei den Wchtern vornimmt, um sie zu verspotten. Whrend im griechischen Mythos keine Parallele zu existieren scheint, kommt das Motiv in der Alten Komçdie vor: in Aristophanes Thesmophoriazusen rasiert Euripides den Mnesi796 Dies ist offenbar auch in der kyklischen Telegonie der Fall; vgl. oben 287. 797 S. Daidalos: fr. 158 – 164a Radt TrGF 4, p. 171 – 173; S. Kamikoi: fr. 323 – 327 Radt TrGF 4, p. 310 – 312; E. Kre¯tes: fr. 471a-472 g Kannicht TrGF 5.1, 41, p. 502 – 516; Theseus: fr. 381 – 390 Kannicht TrGF 5.1, p. 426 – 436. 798 Ar. Daidalos: fr. 191 – 204 PCG III.2, p. 116 – 121; Kokalos: fr. 359 – 371 PCG III.2, p. 201 – 207; Platon, Daidalos: fr. 18 PCG VII, p. 440. 799 Diese allerdings ist schon frh als komisch aufgefaßt und in Satyrspiel und Komçdie rezipiert worden; wir wissen bereits vor Euripides Kyklops von einem gleichnamigen Satyrspiel des Aristias (fr. 4 Snell TrGF 1, 9, p. 86) und einer ebenfalls Kyklops benannten Komçdie des Epicharm (fr. 70 – 72 PCG I, p. 49 f.) sowie von Kratinos Odysse¯s (fr. 143 – 157 PCG IV, p. 192 – 200) mit demselben Inhalt.
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lochos zunchst nur halb, worauf dieser weglaufen will und erst nach lngerer Diskussion berzeugt werden kann, die Rasur vollenden zu lassen (215 – 235). Mçglicherweise steht das Element in irgendeinem fr uns nicht mehr nachvollziehbaren Zusammenhang mit dem an den Thesmophorien gebten Demeterkult und hat sein Pendant im Erscheinen der Demeter in der Rhampsinitos-Geschichte; wichtig im Kontext der erzhlerischen Tradition ist in diesem Zusammenhang, daß im Zuge des Rasierens ausgerechnet ein Tragçdiendichter das komische Geschçpf Mnesilochos ,erschafft – die Szene scheint also geradezu symbolhaft fr eine Mischung der Gattungen zu sein. Dies liegt auch nahe, da eine Figur, die auf der einen Seite brtig und auf der anderen rasiert ist, tatschlich wie aus zwei nicht zusammengehçrigen Hlften zusammengesetzt erscheint. Bei der Rhampsinitos-Geschichte handelt es sich also nicht nur eine Verdichtung der Pyramidenbauer-Biographien, sondern auch um eine Chimre disparater Motive, die aus verschiedenen Erzhltraditionen und Gattungen stammen. Es wird gleichsam ein Potpourri wiedererkennbarer griechischer Teile geschaffen, die mçglicherweise ganz bewußt als nicht zusammengehçrig wahrgenommen werden. Damit erhlt der Aspekt der variatio aus Versatzstcken, der hier so zentral erscheint und durch das Ineinandergreifen von Verschiedenem wiederum auf die Thematik der Verwandlung verweist, eine weitere Ebene. Begeben wir uns von der formalen, gleichsam ,mimetischen Ebene nun zur inhaltlichen Valenz der mythischen Allusionen in der Rhampsinitos-Geschichte. Auch auf semantischer Ebene ergeben sich enge Zusammenhnge einiger traditioneller Elemente der Erzhlung mit dem Phnomen der Seelenwanderung. Es handelt sich um die Motive des Betrunkenmachens der Wchter und der Zerstckelung der Leiche des Bruders. Das Motiv des Weins ist stark mit dem dionysischen Mysterienkult verbunden: neben der verbreiteten Vorstellung von der unterweltlichen Verfgbarkeit von Wein und dem Konsum von Wein im Bakchoskult ist es natrlich vor allem die Funktion von Dionysos als Totengott,800 die in diesem Kontext von Bedeutung ist.801 berhaupt geht der orphisch-bakchische Mysterienkult von einem Zyklus vom Leben zum Tod und wieder zurck aus.802 Auch wenn dies nicht Wiedergeburt im Diesseits bedeuten 800 Heraklit identifiziert Dionysos mit Hades (22 fr. B 15 DK). 801 Vgl. Seaford 2006, 76 – 86, bes. 81 f. 802 Vgl. oben 139 und Anm. 357 zu den Begriffsketten b_or, h\mator, b_or auf den orphischen Knochenblttchen aus Olbia.
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muß, sondern sich vermutlich auf ein jenseitiges Weiterleben bezieht, steht die Vorstellung der bei Herodot zugrundeliegenden Seelenwanderungstheorie doch nahe. Mit Wein hat auch die mythische Zerstckelung und der Verzehr des Dionysos durch die Titanen803 zu tun: Diodor 3.62.3 – 8 fhrt eine Deutung der Gewinnung neuen Weines aus abgeernteten (,zerstckelten) und dann gekochten Trauben als Symbol fr die Neuentstehung des Lebens an.804 Des weiteren ist oben schon mehrfach gezeigt worden, daß das Motiv der Zerstckelung auch in den Historien im Kontext des Neu-Geborenwerdens auftaucht (vgl. oben Kapitel III.1.4.1 und V.4.1), auch und gerade im dionysischen Kontext. Vor allem angesichts einer mçglichen antiken Verbindung zwischen dem Sparagmos des Dionysos und der Auferstehung der in seine Mysterien Eingeweihten805 liegt es nahe, die Zerstckelung der Diebesleiche gerade aufgrund der in der Geschichte vorherrschenden Unterweltsthematik mit diesen Vorstellungen in Verbindung zu bringen. Folgt man der Interpretation Richard Seafords, versinnbildlicht auch die mythische Zerstckelung des Dionysos durch die Titanen neben dem physischen Ende des Lebens und seiner Wiedererstehung vor allem eine Fragmentierung der Seele. 806 Auch hier scheint die Vorstellung einer Verwandlung zugrunde zuliegen: nach Plutarch beziehen gewisse Theologen den Mythos von der Zerstckelung des Dionysos (hier gleichgesetzt mit dem delphischen Apollon) auf das Alternieren von Vielfalt und Einheit 803 Vgl. Anm. 232. Dieser Mythos liegt gerade im gyptischen Kontext nahe, ist sich Herodot doch der Gleichsetzung von Dionysos mit dem ebenfalls zerstckelten Osiris bewußt (2.144). 804 Vgl. West 1983, 141 f.; Seaford 2006, 74 und 112. 805 Vgl. oben 128 f. mit Anm. 313. 806 Seaford 2006, 114 – 119 argumentiert damit, daß die Wortfelder fr geistige Zerrttung und kçrperliche Zerstckelung im Kontext des Dionysos-Mythos teilweise dieselben sind: mit der Ausdrucksweise dievoq^hg t/r xuw/r tμm cm~lgm schildert Platon Lg. 672b, wie Dionysos von Hera mit Wahnsinn geschlagen wird; das Verb diavoqe?m fungiert in den euripideischen Bakchen zur Kennzeichnung des physischen Sparagmos (739, 746, 1210). Hera ist auch fr Dionysos Zerstckelung durch die Titanen verantwortlich, was Seaford zur Annahme einer „mystic interpretation of the dismemberment myth“ (114) in Platons Formulierung bringt, zumal der Titanen-Mythos in relativer textlicher Nhe erwhnt ist (Lg. 701c). Des weiteren sieht Seaford in der Ba. 669 als „mental softness“ aufzufassenden tquv\ die physische Zerstckelung aufgrund der etymologischen Verwandtschaft zu hq}pteim, ,in Stcke brechen, gegeben. – Auch im schamanischen Kontext versinnbildlicht Zerstckelung die Seelenwanderung; vgl. oben 133 mit Anm. 327 f.
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im Kosmos, was stark an die Vielfalt der mçglichen Reinkarnationen gemahnt, wie die gypter sie annehmen: !jo}olem owm t_m heok|cym t± l³m 1m poi^lasi t± d %meu l]tqou kec|mtym ja· rlmo}mtym, ¢r %vhaqtor b he¹r ja· !_dior pevuj~r, rp¹ d^ timor eRlaql]mgr cm~lgr ja· k|cou letaboka?r 2autoO wq~lemor %kkote l³m eQr pOq !m/xe tμm v}sim p\mta bloi~sar p÷sim, %kkote d³ pamtodap¹r 5m te loqva?r ja· 1m p\hesi ja· dum\lesi diav|qoir cicm|lemor, ¢r c_cmetai mOm, j|slor amol\fetai [d³] t` cmyqilyt\t\ t_m amol\tym. jqupt|lemoi d³ to»r pokko»r oR sov~teqoi tμm l³m eQr pOq letabokμm )p|kkym\ te t0 lom~sei Vo?b|m te t` jahaq` ja· !li\mt\ jakoOsi, t/r d eQr pme}lata ja· vdyq ja· c/m ja· %stqa ja· vut_m f]ym te cem]seir tqop/r aqtoO ja· diajosl^seyr t¹ l³m p\hgla ja· tμm letabokμm diaspasl|m tima ja· dialekisl¹m aQm_ttomtai, Di|musom d³ ja· Facq]a ja· Mujt]kiom ja· Ysoda_tgm aqt¹m amol\fousi ja· vhoq\r timar ja· !vamislo»r eWta d !mabi~seir ja· pakiccemes_ar oQje?a ta?r eQqgl]mair letaboka?r aQm_clata ja· luhe}lata peqa_mousi· ja· Ådousi t` l³m dihuqalbij± l]kg pah_m lest± ja· letabok/r pk\mgm tim± ja· diav|qgsim 1wo}sgr· ,linob|am c±q AQsw}kor vgs_ ,pq]pei dih}qalbom blaqte?m s}cjylom Diom}s\ [fr. 355 Radt TrGF 3, p. 421], t` d³ pai÷ma, tetacl]mgm ja· s~vqoma loOsam, !c^qym te toOtom !e· ja· m]om 1je?mom d³ pokueid/ ja· pok}loqvom 1m cqava?r ja· pk\slasi dgliouqcoOsi· ja· fkyr t` l³m bloi|tgta ja· t\nim ja· spoudμm %jqatom, t` d³ lelicl]mgm tim± paidiø ja· vbqei [ja· spoud0] ja· lam_ô pqosv]qomter !mylak_am ,euiom aqsic}maija laimol]mair Di|musom !mh]omta tila?r [fr. adesp. 85 PMG ed. Page]. (Plu. De E apud Delphos, Mor. 388e389b) Wir hçren nun Theologen in Gedichten oder ungebundener Sprache sagen und singen, daß der Gott unvergnglich und ewig sei, und daß er durch irgendeinen schicksalshaften Plan und Rat Wandlungen seiner selbst erfahre: bald zndet er seine Natur an und macht alles allem gleich, bald verwandelt er sich mannigfach in verschiedene Formen, Erlebnisse und Krfte, wie es jetzt geschieht, und wird ,Kosmos genannt, mit dem bekanntesten seiner Namen. Vor der Masse verbergen die klgeren Menschen die Verwandlung in Feuer und nennen ihn Apollon in seiner Einzigartigkeit, und Phoibos in seiner Reinheit und Unbeflecktheit. Bezglich seiner Umkehrung und Gestaltung in Luft, Wasser, Erde, Sterne und Arten von Pflanzen und Tieren und der Neuordnung (diajosl^seyr) weisen sie auf sein Leiden und die Verwandlung als eine Art Zerstckelung und Zergliederung hin, und sie nennen ihn Dionysos und Zagreus und Nyktelios und Isodaites, und sie folgern daraus irgendwelche Flle von Tod und Verschwinden, Wiederaufleben und Neuentstehung, Rtsel und Mythen, die zu den genannten Verwandlungen passen. Und sie singen ihm Dithyramben, die voller Leiden und Verwandlung sind, und irgendeine Art des Herumirrens und des Zerreißens beinhalten. „Mit gemischten Rufen“, sagt nmlich Aischylos, „soll der Dithyrambos als Mitsnger (s}cjylor) Dionysos begleiten“, den anderen aber [Apollon] der Paian, ordentliche und kluge Musik; alterslos und ewig und jung haben sie diesen, jenen aber vielgestaltig und mannigfaltig dargestellt auf Zeichnungen und mit Skulpturen: und berhaupt ordnen sie dem einen Anpassung und
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Ordnung und ungemischten Eifer zu, dem anderen aber ein mit Kinderspiel, Hybris [, Eifer] und Wahnsinn gemischtes Ungleichgewicht: ,den Euion, den Frauenaufstachler fr die Rasenden, Dionysos, blhend vor Ehrungen …
Es handelt sich freilich um eine spte Quelle. Die Vorstellung einer permanenten Wandlung des Kosmos und der menschlichen Seele aber ist schon frher bezeugt,807 und die Vielgestaltigkeit des Dionysos belegt das Aischylos-Fragment. In diesem Zusammenhang erfolgt auch die Hufung von Angehçrigen des Wortfeldes ,mischen: gibt Aischylos mit dem hapax linob|am die ,gemischten Rufe vor (ein Hinweis auf die modulations- und rhythmenreiche Gattung des Dithyrambos?), so nimmt Plutarch ,Ungemischtes (%jqatom) und ,Gemischtes (lelicl]mgm) wieder auf und ordnet es Apollon bzw. Dionysos zu. Die Zerstckelung des Dionysos als Symbol fr das Gemischtsein des Kosmos aus vielen verschiedenartigen Gestalten, das Bunte, das dem Gott auch musikalisch eigen ist, spiegelt sich in der Chimrenhaftigkeit der Rhampsinitos-Geschichte im Kontext der Seelenwanderung wieder. Kommen wir noch einmal auf den polymorphen Gott Proteus zu sprechen, von dem die Kapitel handeln, die der Rhampsinitos-Erzhlung vorausgehen (2.112 – 120). Proteus Vorgngerstatus wird zu Beginn der Rhampsinitos-Geschichte nochmals klargestellt (Pqyt]or d³ 1jd]nashai tμm basikg_gm Ualx_mitom 5kecom, 2.121.1). Bei Herodot ist er zwar nicht der Verwandlungsgott, als der er etwa aus der Odyssee bekannt ist (4.450 – 463), er tritt jedoch im gleichen Kontext auf, in seiner Begegnung mit Helena und Menelaos, und wird vom griechischen Rezipienten zweifelsohne mit dem Gott in Verbindung gebracht. Es ist auffllig, daß sich Proteus in seiner peinlichen Befragung des Paris wie ein Historiograph gebrdet (2.114 f.), was mçglicherweise als eine Art Selbstportrt Herodots aufgefaßt werden kann.808 Der Verwand-
807 Heracl. (22 DK) fr. A 1; A 15 XE „ \iHeraklit (22 DK): (vgl. B 12); B 31; B 36. 808 Diese Art ,Selbstportrait steht in den Historien nicht allein; auch der anthropologische Versuch des Dareios (3.38.3 f.) ist bisweilen als Abbildung historiographischer Forschung gelesen worden; vgl. Selden 1999, 53; zu den Darstellungen der herodoteischen Kçnige als RstoqoOmter vgl. allgemein Christ 1994. Packman 1991 und Gray 2001 interpretieren Perianders Befragung des Arion als Darstellung der herodoteischen Methode, vgl. oben Anm. 370; Friedman 2006 betrachtet die Reisenden der Historien, etwa Solon, Arion und Demokedes aufgrund von „specialised knowledge“ und „outsider status“ (168) als Selbstdarstellung des sich nach einer gesamtgriechischen Heimat sehnenden Herodot (zu Arion vgl. auch Munson 2001, 251 – 259; vgl. wieder oben Anm. 370). Eine hochinteressante These zu einer Art ,Anti-Selbstportrait bringt zudem Munson
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lungsgott, dessen Metamorphose zum Sterblichen doch keinen griechischen Rezipienten ber seine mythische Natur hinwegtuscht, stnde in diesem Fall als eine Art Patron der Geschichtsschreibung da, als Emblem fr den Prozess der kocopoi_g, insofern als seine Verwandlungsfhigkeit fr den Versionenreichtum oder die poijik_a der alten Geschichten steht, die Herodot erreichen.809 In jedem Fall ist es einleuchtend, daß das Phnomen der Metamorphose bei der Erwhnung des Proteus mitgedacht wird – womit die Rhampsinitos-Geschichte von einschlgig ,proteischen Kapiteln umrahmt wre: vorher steht das Auftreten des Proteus, danach die Seelenwanderungslehre. Es scheint plausibel, daß Herodot der Rhampsinitos-Erzhlung – ihrerseits Mischung verschiedener Mytheme und Verdichtung derjeniger biographischer Elemente, die in den Berichten ber die gyptischen Pyramidenbauer enthalten sind – das Zeichen des Verwandlungsgottes als ,Patron der Variation emblematisch vorangestellt habe. Fassen wir zusammen: die Geschichte des Rhampsinitos spiegelt einen Gang in die Unterwelt wieder, einen rite de passage also. Gleichzeitig wird die dabei erfolgende Metempsychose auf formalen und inhaltlichen Ebenen angedeutet: die Erzhlung ist aus den Einzelteilen der Pyramidenbauer-Biographien geformt, ist also eine mçgliche Kombination ver1991, 59 – 63 vor, wenn sie den frevlerischen Perserkçnig Kambyses als histor bezeichnet: „Cambyses does not simply disregard nomoi, he researchs, evaluates and tests them“ (59); so fragt der Kçnig, bevor er seine Schwester heiratet, ob es ein Gesetz gebe, das ihm dies erlaube (3.31); nach Aithiopien reist er unter anderem, um den berhmten Tisch der Sonne zu sehen (3.17.2); die Apis-Tçtung soll beweisen, daß der Stier kein Gott ist (3.28.1; 3.29.1 f.) etc.; selbst die Schndung der Leiche des Amasis (3.16.1 f.) interpretiert Munson als Prfung der gyptischen Einbalsamierungsmethoden. Diese Darstellung, so Munson, diene als Kommentar zu einem dem Genre immanenten Problem: „Historie, which entails the realization that different people have different nomoi, seems logically destined to deny their validity. Cambyses embodies the problem, but also resolves it“ – denn „the metanarrative“, d. h. Herodots Kommentierung von Kambyses Tun und der Konnex zwischen dessen Wahnsinn und Freveltaten (vgl. oben Anm. 174), erweise deutlich, daß die Verspottung fremder m|loi der menschlichen Natur zuwiderluft (60 f.). „The tyrant Cambyses is also the perverted histor, whose derision of foreign nomoi is from the beginning inseparable from the violation of his own“ (62). Vgl. ferner Munson 2001, 168 – 172; außerdem ebenda 261 – 265 und oben Anm. 446 zur Figur des Hippokleides. 809 hnlich Mathieu de Bakker in seinem Vortrag „Herodotus Proteus: Rstoq_g and the Liberties of kocopoi_g“, gehalten am 24.09.07 in Christ Church, Oxford, dessen Skript er mir freundlicherweise zur Verfgung stellte.
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schiedener Versatzstcke, auf die weitere Variationen folgen; sie inkorporiert verschiedene griechische Genres und ist also eine Gattungschimre, deren Zusammenhangslosigkeit vom griechischen Rezipienten vermutlich empfunden wird. Auf inhaltlicher Ebene stellen die Elemente ,Wein und ,Zerstckelung fr den Rezipienten einen Konnex zum dionysischen Mysterienkult her, der ebenfalls mit Seelenwanderung assoziiert ist. Das ,Zwischenwesen der Rhampsinitos-Erzhlung selbst entspricht dem Zustand der Seele auf ihrem Weg der Reinkarnation. Schließlich geht der Geschichte der Verwandlungsgott Proteus als Patron der Geschichtsschreibung voran, Disziplin des stetigen Ringens mit Chimren und Varianten, schließlich auch mit dem Phnomen der Vernderung an sich.
VI. Schluß 1. Strukturierung, Semantisierung, Validierung. Zur Funktion des Mythischen in der Geschichte An den untersuchten Beispielen hat sich gezeigt, daß der ,Vater der Geschichte mythisch-rituellen Paradigmen konsequent verpflichtet bleibt. Seine Denkstrukturen sind geprgt von den Schemata, in denen seine Zeitgenossen denken: die Freveltaten der historischen Figuren sind dieselben wie die ihrer mythischen Vorgnger; ihre lam_a folgt hnlichen mythischen und rituellen Mustern; die ,Trickster der Historien sind durch traditionelle Erzhlschemata als solche charakterisiert; das mythisch-rituelle Paradigma des rite de passage bleibt verbindlich auch fr historische Wandlungen. Herodots Verwendung der verfgbaren und aus der Tradition vertrauten Erzhlmuster beweist eine intensive Vorprgung auch des zu seiner Zeit vergleichsweise jungen Genres der Historiographie.810 Die traditionellen Strukturen haben auch hier Eingang gefunden, haben ,berlebt. Terminologisch nicht unpassend erscheint daher der Tylorsche Begriff des ,survival: ursprnglich auf obsolete indogermanische Relikte in den moderneren Sprachen bezogen, bezeichnet der Terminus sprachliche, kultische oder sonstwie geartete Elemente, die zunchst durch Gewohnheit aus einem vergangenen kulturellen Zustand in eine sptere gesellschaftliche Periode transportiert werden.811 Auch Erzhlelemente kçnnen solche
810 Vgl. etwa Hartog 1980, 303 zur vermeintlichen Absetzung der jeweils jngeren Autoren vom alten ,Mythos: „Jamais le rcit nest surgissement originel, il est toujours pris dans un autre rcit et le parcours du rcit de voyage est aussi parcours dautres rcits: le sillage des dcouvreurs du Pacifique, avant de se muer en criture, commence par recouper lcriture de rcits antrieurs. Et Christophe Colomb sest embarqu avec le livre de Marco Polo.“ 811 Definition bei Tylor 1871, 16; vgl. Graf 1985, 32. Daß Tylor und nach ihm Frazer das Vorhandensein von ,survivals als Beleg fr Irrationalitt und Primitivitt der betreffenden Gesellschaften ansehen, spricht fr kolonialistischen Positivismus (vgl. Csapo 2005, 32 und 44 – 51); vielmehr ist plausibel, daß bestimmte narrative Elemente auch und gerade in Hochkulturen erhalten bleiben, bedenkt man die Vielfalt der bermittlungsmçglichkeiten.
1. Strukturierung, Semantisierung, Validierung
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Relikte sein,812 ebenso ganze Gattungen – wenn eine ursprnglich anlaßgebundene Literaturform die Lebensdauer des Anlasses berschreitet.813 Allerdings handelt es sich bei den traditionellen ,Bausteinen in Herodots Erzhlungen nicht einfach um neutralisierte oder vçllig umfunktionierte berreste – wie sie in Reinform ohnehin kaum denkbar sind, geschieht doch jedes Erhalten aus irgendeinem Bedrfnis heraus. In den einzelnen hier vorgelegten Analysen ist deutlich geworden, welch bedeutende Funktion mythische Folien im Text der Historien einnehmen. Arnold Wycombe Gomme hat bezglich Herodots Auswahl seiner Erzhlungen formuliert, er treffe diese Selektion als „poetical arrangement“ (1954, 76), deren Bedeutung das Gesamtwerk beeinflusse: „that he can make it not only eqs}moptom,814 comprehensible as an organic whole, but historically so significant as well“ (94).815 Um diese Ebenen geht es auch bei der Verwendung ritueller und mythischer Folien: um eine Form der Strukturierung, um die historische Sinnebene, und um eine Erhçhung der Signifikanz, eine Validierung des historischen Geschehens, seine Aufwertung und Erhebung in den Bereich des Mythischen. „Mythical thinking … provides, most of all, a synthesis for isolated facts“, postuliert Walter Burkert (1979, 25). Die Anhufung zusammenhangloser Fakten wre sinnlos; die Aufgabe des Historikers – eines jeden Wissenschaftlers816 – ist ihre synthetische Kontextualisierung und Einordnung in eine Kausalitt, „rtrodiction“, wie Paul Veyne den Vorgang bezeichnet (1971, zuerst 176). Auch die Flle der in den Historien gelieferten Daten macht eine Strukturierung unabdingbar; andernfalls droht die Gefahr der berforderung des Rezipienten. Anders als etwa die homerischen Epen bietet Herodots Werk keine durchgngige Haupthandlung, dafr aber eine Masse von Einzelinformationen, die als bloße Faktensammlung isoliert und vçllig unbersichtlich angehuft wren. Da es 812 Auch im Bereich der griechischen Literatur sind rituelle Elemente als ,survivals interpretiert worden; vgl. Bierl 2001, 69 f. zur Gattung der Komçdie. 813 Vgl. Nagy 1994/1995, der „genre“ zunchst als Synonym fr „occasion“ auffaßt, solange eine bestimmte Literaturform ausschließlich zu einem spezifischen Anlaß produziert und aufgefhrt wird. Finden die Anlsse nicht mehr statt, die Gattung aber bleibt bestehen und bringt Neues hervor, reproduziert die Gattung den Anlaß und wird so zur Mimesis. 814 Mit diesem Begriff lobt Aristoteles Homers Erzhlweise (Po. 1459a). 815 Vgl. auch Gomme 1954, 73 – 115. 816 Vgl. bereits Durkheim zur grundstzlichen hnlichkeit zwischen Mythos im Sinne von Erzhltradition und Wissenschaft: „de part et dautre, il sagit de rattacher les choses les unes aux autres, dtablir entre elles des relations internes, de les classer, de les systmatiser“ (1912, 613).
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VI. Schluß
gerade angesichts der hufigen Exkurse der Historien schwierig ist, der Erzhlung konsequent zu folgen und ber die aufgenommenen Daten auch an spterer Stelle verfgen zu kçnnen, erweist es sich als extrem hilfreich, wenn die Informationen in Strukturen eingebettet sind, die das Publikum schon kennt. Erst durch den so hergestellten Zusammenhang, durch den Wiedererkennungseffekt im Spiegel der Tradition, erhalten die Daten Farbe: die Orientierung an bekannten Denkmustern hilft dem Rezipienten bei der Strukturierung und geistigen Verarbeitung; dem Untergehen von Einzelelementen, die fr die Gesamterzhlung von Bedeutung sind, wird vorgebeugt, indem die Fakten der Tradition und die Tradition den Fakten angepaßt wird: The tale … needs distinct and plausible characters, motivation, and continuity to be effective. On the other side there are simply facts, stubborn and often annoying. The tale is flexible, it may accomodate itself; there are many possibilities of reinterpretation and reelaboration to make the tale fit the circumstances. (Burkert 1979, 27)817
Besonders wichtig ist hierbei die permanente Mçglichkeit der Anwendung der Tradition auf neue Umstnde. Wie die Metapher aufgrund einer partiellen hnlichkeit das Unbekannte mit bekannten Worten ausdrckt und damit das Zeichensystem durch Generalisierung in einem berschaubaren Rahmen hlt, schafft auch der Mythos durch Analogie einen Kontext: „myth can be defined as a metaphor at tale level“ (Burkert 1979, 27 – 28). Konkret auf die Historien bezogen, vermutet auch Philip Stadter in Herodots ,Traditionalisierung eine Strukturierungstechnik: „Pre-existing narrative patterns help to make sense of isolated events“ (2004, 38). Daß die semantische Ebene damit einhergeht, versteht sich von selbst: Herodots Absicht ist „to reveal the universal in the particular, to suggest how the actions of historical individuals fit a pattern of universal human behavior and thus describe the human situation in the world …“ (42). So ist die Strukturierung der gegebenen Informationsmassen fr Autor und Rezipienten denn auch untrennbar mit einer interpretierenden Kategorisierung verbunden; das Erzhlte erhlt gleichzeitig eine zustzliche Sinnebene. Auch hinsichtlich der anekdotischen Elemente der Historien ist oft bemerkt worden, daß Herodot sie nicht etwa aus Vollstndigkeitswahn 817 Vgl. Burckhardt 1898, 22 zur Rolle des Mythos in der griechischen Literatur allgemein: „Nicht nur mythische, sondern noch viel sptere Ereignisse sind hier so lange in der Erzhlung umgestaltet worden, bis sie typisch, sprechend, characteristisch lauteten“ (ebenda, 22).
1. Strukturierung, Semantisierung, Validierung
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oder rein zu Ausschmckungszwecken in sein Werk aufgenommen hat. Natrlich steigert diese Ebene auch das sthetische Vergngen beim Hçren oder Lesen der Historien, wie dies bereits Thukydides bemerkt, wenn er ber seine Vorgnger (kococq²voi) schreibt, sie ,fgten … die Dinge eher danach zusammen, ob sie reizvoll zu hçren seien [1p· t¹ pqosacycºteqom t0 !jqo²sei], als danach, ob sie wahr seien, da sie ja nicht beweisbar seien und im Verlauf der Zeit zum Großteil auf unglaubwrdige Art den Bereich des Fabelhaften erreicht htten [1p· t¹ luh_der 1jmemijgjºta] (1.21).818 Diese Ausschmckungsfunktion allerdings als Hauptmotivation fr die ,Philomythie Herodots anzusehen,819 greift wesentlich zu kurz, wie nicht nur die vorausgegangenen Analysen bewiesen haben; eher geht es um die Anschaulichkeit des Berichteten.820 Ausgehend von den Beispielen der Otanes-Geschichte (5.26) und der in Kapitel III.2.1 behandelten Arion-Erzhlung (1.23 f.) konstatiert Hartmut Erbse, wie Herodot eine Figur anhand einer solchen Anekdote gleichsam in nuce markiert, „eine historisch relevante Person aus der Flle gleichgltiger Namen [heraushebt]“. Hierbei sei „die novellenartige Geschichte … gleichsam die Substanz in der Definition einer bisher unbekannten Grçße“ (1961, 250). Auch dies ist im Vorausgegangenen immer wieder in bezug auf die Anlehnung an eine konkrete traditionelle Struktur festgestellt worden, durch die es Herodot gelingt, dem Leser Typisches auf assoziative Weise und in symbolisch vertiefter Form zu vermitteln, die ,Substanz einer Figur oder einer Handlung zu transportieren, ohne sie explizit – und dadurch womçglich weniger treffend – zu benennen.821 818 Vgl. unten 326 f. Zur Selbstverstndlichkeit der Ausschmckung auch in der antiken Geschichtsschreibung vgl. Nordens (1898, 1, 91 – 95) Sammlung von antiken Zitaten, die Geschichtsschreibung und Dichtung einander annhern, und sein Fazit: „bloße Materialsammlung (rpolm^lata, commentarii) ohne ußeren Putz legte man dem Publikum entweder berhaupt nicht vor oder wenn man es tat, so hatte man Tadel oder zweifelhaftes Lob zu erwarten“ (94). 819 So formuliert von Hartog 1980, 311 („philomuth a“). 820 Vgl. z. B. Erbse 1961, 248 – 250 zu Herodots geographischen Exkursen: die einzelnen Fachgebiete, so Erbse, waren zu Herodots Zeit noch nicht getrennt; dem Rezipienten fehlte jede Kenntnis der geographischen oder ethnographischen Zusammenhnge. Um also „Anschaulichkeit“ und „Gegenwartsnhe“ zu erreichen, mußte Herodot „den Schauplatz der Ereignisse regelrecht aufbauen“ (249). 821 Diese Art der Lesereinbindung thematisiert auch Baragwanath 2008, die Herodots implizite Signale (etwa die ber mehrere Textstellen gestreute Charakterisierung der Alkmaioniden als Tyrannenfreunde, die nie explizit formuliert, auf die aber hufig angespielt wird) als „textual pointers“ wertet (2008, 30), die Herodots Leser zur ,Mitarbeit herausfordern und lenken sollen. Vgl. konzentriert 22 – 34,
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VI. Schluß
Zur Aufwertung des semantischen Gehalts auch disparat und ,ahistorisch erscheinender Teile der Historien hat aus der Perspektive der Forschung wesentlich Otto Regenbogen beigetragen (1930). Neben Herodots ,Novellen betrachtet er auch Reden, Gesprche oder Stellungnahmen des Autors als sinngebende Elemente, die letztlich alle dazu dienen, die leitmotivisch wiederkehrenden Grundgedanken des Texts zu untermauern – die Gegenstze Asien-Europa bzw. Mensch-Gott. Regenbogen konstatiert in den Historien eine Weiterentwicklung der Tradition gerade durch diese Kontextualisierung: so treten die Geschichten eben nicht mehr einzeln auf, wie dies in einer rein mndlichen Erzhltradition der Fall gewesen sein mag, sondern als Kompositionselemente innerhalb des Gesamtwerks; die Gyges-Erzhlung etwa (1.7 – 14) sei konstitutiv fr die Novellen um Kroisos und den lydischen Logos als ganzen.822 ber die bloße Semantisierung hinaus erfahren Herodots Figuren durch die ,Traditionalisierung auch eine Form der Validierung, einer Aufwertung ber die historischen Personen hinaus. Auch hier handelt es sich um ein traditionelles Verfahren; Carlo Brillante hlt fest, daß „events and persons of particular significance“ in der griechischen Geschichtsschreibung des çfteren in die mythische Sphre aufsteigen, „almost as if what was really notable could not happen at the simple historical level“ (Brillante 1990, 103).823 Wie der Mythos historische Inhalte ausdrcken konnte, war es also umgekehrt auch mçglich, daß historische Inhalte sich zu wo sie Herodots Vorgehensweise unter Zuhilfenahme von Wolfgang Isers „reader response theory“ beleuchtet. 822 Regenbogens berlegungen haben breite Zustimmung erhalten, u. a. von Schadewaldt 1934, 572 f., der die herodoteischen Novellen als „Knotenpunkte der geheimen Schicksals-Verkettungen“ bezeichnet, „welche bei Herodot als die geschichtlich wirkenden Krfte auch die großen Staatsaktionen bedingen“ (573). Vgl. zur Korrespondenz der Einzelgeschichten mit dem großen Ganzen auch Gomme 1954, 73 – 115, z. B. 99: „First, these ,episodes are not isolated. They are numerous and of the very fabric of Herodotus history, now, like Croesus and Adrestos, helping to show the true meaning of the story, the real significance of the Persian defeat, now an episode in the complex narrative of events which he has succeeded in making into an organic whole, now in the very heart of the story.“ Auch Hartmut Erbse hlt die herodoteischen Novellen fr geeignet, „ber typische Geschehensweisen der Geschichte zu belehren, … Geschichte regelrecht zu interpretieren“ (1961, 251). Das Grundprinzip der herodoteischen Geschichtsphilosophie, den Kreislauf der menschlichen Schicksale, erkennt Erbse nicht nur im Großen, sondern auch in der Mikrostruktur, den kleinen Einzelschicksalen. 823 Vgl. bereits Finley 1975, 13 zur hçheren Realitt der mythischen Heroen im Vergleich zu historischen Figuren, und zur Einreihung des Solon in diese mythische Ebene.
1. Strukturierung, Semantisierung, Validierung
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mythischen Dimensionen aufschwangen. Bereits in Pindars Epinikien wird der jeweilige Sieger mit der Welt des Mythos in Beziehung gesetzt;824 am deutlichsten wird dieses Phnomen natrlich bei der tatschlichen Heroisierung historischer Persçnlichkeiten, einer Integration also der historischen Realitt in die bedeutungsvollere Realitt des Mythos. Gerade fr Herodot konstatiert Mischa Meier eine neue Synthese aus Mythos und Geschichte, wobei auch „die darzustellende Menschengeschichte mythische Qualitt aufweisen [muß]. Nur wenn der Mythos in den Bereich des Normalen gerckt und gleichzeitig das Normale dem Mythos angenhert wurde, war eine Verbindung beider Bereiche mçglich.“825 Nicht nur die spezifischen Figuren und Ereignisse werden durch die Einordnung in die Tradition mit Bedeutung aufgeladen, sondern auch das Geschehen an sich. Claude Lvi-Strauss gelangt durch seine oben unter I.5.1 besprochene Aufwertung der synchron-paradigmatischen Achse einer Erzhlung zu einer Erkenntnis, die gerade im Falle Herodots von großer Bedeutung ist: der Mythos handelt zwar von irreversibel Vergangenem und stellt als Akt der parole eine unumkehrbare lineare Handlungssequenz dar, ist aber zum anderen als abstraktes sprachliches System, als langue, von zeitloser Gltigkeit fr Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.826 Mircea Eliade hatte dasselbe bereits fr Mythos und Ritual
824 Ob der Dichter des Epinikions den Sieger oder sich selbst erhçht, soll hier nicht entschieden werden (vgl. Veyne 1983, 30 f.); entscheidend ist, daß eine ,reale, zeitgençssische Figur sich auf die Ebene des Mythos begibt. 825 Meier 2004, 40; Beispiel ist die Deiokes-Episode 1.96 – 101.1. Meier ordnet Herodot plausibel einer allgemeinen Tendenz der zeitgençssischen Literatur und Kunst zu, die in einer konsequenten Mythisierung der mit den Perserkriegen zusammenhngenden Ereignisse besteht; als Beispiele nennt er u. a. Simonides, Phrynichos und Aischylos (ebenda, bes. 40 – 46). Herodots Mythisierung historischer Ereignisse erstreckt sich jedoch nicht nur auf die Perserkriege; im brigen steht der Begriff der Mythisierung bei Meier zwar fr dichterische Ausschmckung, nicht aber fr eine Orientierung an traditionellen Erzhlstrukturen. 826 Vgl. Lvi-Strauss 1958, 231: „On vient de distinguer la langue et la parole au moyen des systmes temporels auxquels elles se rfrent lune et lautre. Or, le mythe se dfinit aussi par un systme temporel, qui combine les proprits des deux autres. Un mythe se rapporte toujours des vnements passs: ,avant la cration du monde ou ,pendant les premiers ges, en tout cas, ,il y a longtemps. Mais la valeur intrinsque attribue au mythe provient de ce que ces vnements, censs se drouler un moment du temps, forment aussi une structure permanente. Celle-ci se rapporte simultanment au pass, au prsent et au futur … Cette double structure, la fois historique et anhistorique, explique que le mythe puisse simultanment relever du domaine de la parole (et Þtre analys en tant que tel) et
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VI. Schluß
festgestellt; vor allem letzteres besitzt durch seinen Wiederholungscharakter ewige Gegenwart, „ternel prsent“.827 Lvi-Strauss fhrt als Parallelfall ausgerechnet die Geschichtsschreibung an, wo die referierten Daten immer auch eine aktuelle politische Bedeutung erhalten: zeitgençssische Vorstellungen werden rckprojiziert und das Vergangene als permanent wirksam aufgewertet. Dadurch erklrt sich berhaupt erst die Existenz der Gattung, die im Mythos eine Art Kulminationspunkt erreicht: LintrÞt que nous croyons prendre au pass nest donc, en fait, quun intrÞt pour le prsent; en le reliant fermement au pass, nous croyons rendre le prsent plus durable, larrimer pour lempÞcher de fuir et de devenir luimÞme du pass. Comme si, mis au contact du prsent, le pass allait par une miraculeuse osmose devenir lui-mÞme prsent, et que du mÞme coup le prsent ft prmuni contre son propre sort, qui est de devenir du pass. Et sans doute est-ce l ce que les mythes prtendent faire pour ce dont ils parlent; mais ltonnant est quils le fassent vraiment pour ce quiils sont. (1971, 542)828
Diese Vorstellung der Aufhebung der Vergnglichkeit durch die Vergegenwrtigung der Vergangenheit entspricht genau dem Ziel, das sich Herodot zu Beginn der Historien setzt:
du celui de la langue (dans laquelle il est formul) tout en offrant, un troisime niveau, le mÞme caractre dobjet absolu.“ 827 Eliade 1949b, 329; vgl. 326 – 343. Vgl. Assmann 1992, 17 f. zu den Elementen der Wiederholung und Vergegenwrtigung im Bereich des Rituellen. 828 Vgl. Eliade 1949a, bes. 48 – 64 zu den Ursprngen allen geschichtlichen Bewußtseins: erst durch die Repetition eines Archetyps erhalten die Ereignisse Wirklichkeitscharakter: „un objet ou un acte ne devient rel que dans la mesure o il imite ou rpte un archtype“ (Eliade 1949a, 48). Wenn etwa Dareios seine Taten mit denen des iranischen Heros Thraetaona identifiziere, oder ein Pharao sein Handeln mit dem des Gottes Re, so seien dies „vnements contemporains qui sont articuls et interprts conformment au modle a-temporel du mythe hro que“(53). Im Zusammenhang mit den zahlreichen Beispielen fr solche Adaptionen der Gegenwart an den Mythos spricht Eliade ebenfalls von einer Mythisierung historischer Persçnlichkeiten („,mythisation des personnalits historiques“, 54). Hierbei werden Kategorien anstelle von Ereignissen, Archetypen anstelle von historischen Gestalten gesetzt, das Exemplarische fr das Individuelle: „Le personnage historique est assimil son modle mythique … tandis que lvnement est intgr dans la catgorie des actions mythiques“ (59). Den Grund sieht Eliade ebenfalls in einer Sinnebene, die dem Vergangenen unterlegt wird: „Le mythe ntait-il dailleurs pas plus vrais, du moment quil faisait rendre lhistoire un son plus profond et plus riche“? (61 f.)
2. Die Problematik der modernen Rezeption
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… ¢r l^te t± cem|lema 1n !mhq~pym t` wq|m\ 1n_tgka c]mgtai l^te 5qca lec\ka te ja· hyulast± t± l³m þkkgsi, t± d³ baqb\qoisi !podewh]mta, !jke÷829 c]mgtai … (Prooem.) … daß weder die Taten der Menschen durch die Zeit ausgelçscht werden, noch die großen, wunderbaren Werke der Griechen und Barbaren ruhmlos werden …
Aufgrund der ihr immer inhrenten Exemplaritt – man will schließlich aus Vergangenem lernen – ist im Grunde jede Art Geschichtsschreibung auch Mythisierung. Die Zeitlosigkeit, die dem Geschehenen aufgrund seiner Relevanz fr die Aktualitt immer innewohnt, die es als traditionelle Erzhlung fixiert, macht folglich jedes Ereignis, das als erinnernswert ,verewigt wird, zum Mythos. Dem entspricht natrlich Herodots zyklisches Geschichtsbild, wie dies Ludwig Huber im Hinblick auf die epischen Elemente der Historien konstatiert: „was auch immer Agamemnon, Achilleus und Priamos erlitten hatten, Kroisos und Kyros wiederholen nur deren Rollen, wie es dem ,Kreislauf der menschlichen Dinge entspricht“.830 Ereignisse, Taten und sogar Charaktere wiederholen sich in alle Ewigkeit.
2. Herodot und die Problematik der modernen Rezeption 2.1 Das Problem der Erzhllogik Welche Funktionen die Traditionalisierung der Geschichte in Herodots Werk hat, ist im Vorausgegangenen deutlich geworden. Schon lngst aber drngt sich die Frage auf, wie sich ein modernes Verstndnis von Geschichtsschreibung mit dieser Art Text vereinbaren lßt. Ganz offen829 Zur Einordnung in eine Tradition der Mndlichkeit durch das Stichwort !jk]a vgl. unten 323 mit Anm. 871. 830 Huber 1965, 36. Vgl. Woodman 1988, 3 und selbst Vidal-Naquet 1981, 82 f. obwohl dieser von Herodots Scheidung des spatium mythicum und historicum ausgeht (vgl. oben Anm. 4): „Crsus est bien des gards une premiere version de Xerxs … dans ses lignes de force, l,enquÞte ne relve pas du ,mythe de lternel retour.“ Zu leichter Relativierung mahnt Pelling 2006a, der angesichts zahlreicher Beispiele fr herodoteische Homer-Allusionen immer wieder auch auf die Unterschiede zwischen den Versionen hinweist und schließt, daß Herodot neben dem Bewußtsein kultureller Kontinuitt auch eine sehr kritische Haltung gegenber „one-size-fits-all explanations“ aufweise (104). Vgl. auch Marincola 2006, 23: „Xerxes is very much like Cyrus, Cambyses and Darius, but he is not exactly like any of them, and his own story is unique.“
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VI. Schluß
sichtlich greift der moderne Begriff der Faktizitt bei einer Interpretation der Historien zu kurz, und mit einigen Reflexionen ber diese Problematik soll diese Untersuchung beschlossen werden. Vorher soll jedoch noch von einem verwandten Phnomen die Rede sein: der Frustration unserer Ansprche an Logik und Stringenz selbst in fiktionalen Textsorten, die bei der Lektre der Historien immer wieder aufkommen mag. An den Beispielen vom Flußfrevel des Kroisos und der Genese von Kambyses und Kleomenes lam_a ist oben gezeigt worden, wie ,auf Kosten eines modernen Logikempfindens Sinn generiert wird. Im Falle des Kroisos werden ausdrcklich als unwahr bezeichnete Varianten seiner Halys-berquerung irritierend ausfhrlich verhandelt, mit dem Effekt eines Panoramas simultaner Mçglichkeiten, wie sie in Kroisos Charakter potentiell vorhanden sind. hnlich steht es mit dem oben untersuchten Paradigma der lam_a – am Beispiel des Kleomenes zeigt sich die multikausale Aktions- und Reaktionskette von Wahnsinn und Frevel in der chaotischen Chronologie der aufgelisteten Ursachen, von denen keine eindeutig ausgewhlt wird; bei Kambyses stehen Epilepsie als physische Ursache und Tempelfrevel als religiçse Ursache unverbunden nebeneinander. Die Kombination verschiedener, oft inkompatibler Versionen in den Historien kommt hufiger vor. Dies ist bemerkt und als Resignation Herodots gedeutet worden, als Konstatierung der Unmçglichkeit, eine einzige Wahrheit herauszufinden; diese ,Aufrichtigkeit sei gleichzeitig eine Strategie zur Untermauerung der Glaubwrdigkeit des Autors.831 Das ist plausibel; oben ist jedoch gezeigt worden, daß das Nebeneinanderstellen verschiedener Versionen auch erzhltechnisch motiviert sein kann.832 Um diese These quantitativ zu sttzen, seien noch zwei weitere Beispiele genannt; zunchst die Erzhlung von Xerxes Heimkehr nach der 831 Marincola 1997, 94; 2006, 22. 832 So auch Flory 1987, 67 – 69 (vgl. oben 75); er konstatiert drei Ausgangslagen des Nebeneinanderstellens der Versionen durch Herodot: erstens die Situation, daß knstlerische und faktische Wahrheit in einer einzigen Version miteinander einhergehen, zweitens das Vorhandensein mehrerer Versionen, die Herodot beide interessieren, wo aber nicht entschieden wird, welche davon faktische Wahrheit besitzt, drittens den Fall, daß die faktische Wahrheit uninteressant ist, whrend die ,unwahre Geschichte eine fr Herodot bedeutsamere Wahrheit enthlt. Ob Herodot allerdings wirklich gerade dort die faktische Unwahrheit betont, wo die tiefere Wahrheit besonders hervorgehoben werden soll (so Flory z. B. 77 – 79), sei dahingestellt – oben ist gezeigt worden, daß auch gerade das Nebeneinander verschiedener Versionen eine Aussage konstituieren kann; dasselbe scheint auch bei weiteren Erzhlungen der Fall zu sein; vgl. das Folgende.
2. Die Problematik der modernen Rezeption
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Schlacht von Salamis auf dem Seeweg (8.118). Die Geschichte wird als %kkor k|cor zu Herodots Version einer Rckkehr zu Lande eingefhrt (8.118.1). In einem Sturm droht das Schiff zu sinken, worauf der Kapitn den Kçnig informiert, daß die Mitreisenden zu großen Ballast darstellen. Xerxes fordert seine Untertanen daraufhin auf, ihre ,Sorge um den Kçnig zu demonstrieren (mOm tir diaden\ty rl]ym basik]or jgd|lemor, 8.118.3) – diese verstehen sofort und springen allesamt ins Wasser, nicht ohne sich zuvor vor dem Kçnig zu Boden geworfen zu haben. Der Kapitn erhlt von Xerxes nach der glcklichen Ankunft einen goldenen Kranz; dann wird er getçtet, weil er so viele Perser ins Verderben gestrzt habe (fti d³ Peqs]ym pokko»r !p~kese, 8.118.4). Die Geschichte paßt perfekt zu Herodots genereller Verurteilung monarchischer Willkr (vgl. oben 144 f. mit Anm. 362 und 190 Anm. 461) – allerdings bezeichnet er sie im nchsten Kapitel als unwahr. Die Argumentationslinie ist hierbei ußerst merkwrdig. Zunchst erklrt Herodot, er glaube die Geschichte weder in ihrer Gesamtheit, noch den Teil mit dem persischen Selbstopfer (oqdal_r 5loice pist|r, oute %kkyr oute t¹ Peqs]ym toOto p\hor, 8.119), da Xerxes im Falle eines Seesturms viel eher die phçnizische Rudermannschaft als die vornehmen Perser geopfert htte. Schließlich wird die Version der Seereise grundstzlich abgelehnt, weil Xerxes ja, wie schon gesagt, auf dem Landweg heimgekehrt sei. Dem modernen Logikempfinden widerspricht hier die Trennung zwischen der Grundvoraussetzung einer Geschichte (%kkyr) und ihrer Einzelteile (t¹ Peqs]ym toOto p\hor), die Vorstellung, die Glaubwrdigkeit des persischen Selbstopfers bedrfe einer gesonderten Wahrscheinlichkeitsdiskussion, wiewohl es ohne die a priori abgelehnte Rahmenhandlung der Seereise ohnehin nicht stattgefunden haben kann. Stewart Flory bemerkt, daß Herodot die Geschichte nach ihrem Grundtenor ausgewhlt hat, ihrem eQj|r, nicht nach ihrem Wahrheitsgehalt (1987, 56 – 69).833 Wir mssen im Grunde noch weiter gehen und 833 Flory stellt der Erzhlung noch eine weitere zur Seite, die 3.9 geschilderte Durchquerung und Bewsserung der arabischen Wste durch den Araberkçnig (nicht durch Kambyses, wie Flory schreibt), der den Fluß Korys mit Schluchen in die wasserlose Gegend leitet, was Herodot als unglaubwrdig bezeichnet; im Gegensatz zu der Version, nach welcher der Araberkçnig das Wasser in Schluchen mit sich gefhrt habe. Thematisch mag diese verwandt sein – beide Erzhlungen behandeln die berwindung einer Naturmacht durch einen Menschen –; der signifikante Unterschied besteht aber darin, daß 3.9 kein logischer Bruch wie 8.118 erfolgt, indem Wahrscheinlichkeiten von Erzhlungen bewertet wrden, die bereits als unwahr eingestuft worden sind. Es ist lediglich von einer glaubwr-
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VI. Schluß
feststellen, daß es nicht einmal um einen ,Wahrscheinlichkeitsgehalt geht, da Herodot die Erzhlung ja deutlich als unglaubwrdig charakterisiert. Das eQj|r wohnt der Erzhlung dennoch inne: es besteht in einer tieferen Wahrheit als der bloß faktischen, da hier so typische Belege fr den Grçßenwahn des Kçnigs und die persische Sklavennatur vorliegen, die einfach erzhlt werden mssen, auch wenn die Geschichte so nie geschehen ist.834 Aber auch hier muß festgehalten werden, daß es wie im Fall von Kroisos Flußfrevel und Kleomenes Wahnsinn die Pluralitt der Versionen ist, welche die vollstndige Aussage ergibt. Gerade Herodots scheinbar berflssige Wahrscheinlichkeitskritik an einem Teil der ohnehin unwahren Version impliziert Weiteres: die von Herodot fr glaubwrdiger gehaltene Opferung der Ruderer anstelle der persischen Aristokraten wre nicht nur ebenso grausam, sie paßte sogar besser zum hierarchischen Rigorismus der persischen Monarchie.835 Nicht die falsche Version ist die perfekte Geschichte, sondern die falsche Version mit Herodots faktisch unnçtigen – da auf einen Teil der ohnehin abgelehnten Variante angewandten – Korrekturen. In diesem Lichte betrachtet kçnnen auch die programmatisch am Anfang der Historien stehenden sogenannten ,Frauenraubgeschichten (1.1 – 5) neu gedeutet werden, die hier als zweites Beispiel genannt sein sollen, auch wenn sie keinen eigentlichen logischen Bruch beinhalten. Dennoch stehen auch hier einander widersprechende Interpretationen komplementr und unverzichtbar nebeneinander. Die persischen k|cioi, so Herodot, behaupten, daß phçnizische Hndler zur Kste von Argos gekommen seien. Als die Prinzessin Io sich die Waren ansehen will, werfen sie sie ins Schiff und segeln davon. Danach kommen Griechen nach Phçnizien und rauben Europa. Bei diesem Ausgleich bleibt es nicht. Die Griechen entfhren Medeia aus Kolchis, und als der Kçnig seine Tochter zurckfordert, sagen sie ihm, auch sie htten fr Io keine Genugtuung erlangt, weshalb sie nun weder zahlen noch das Mdchen zurckgeben wrden. Die Vergeltungsspirale setzt sich fort, als der Troianer Alexandros Helena aus Griechenland raubt, worauf es zum Troianischen Krieg kommt. digeren und einer weniger glaubwrdigen Version die Rede (piham~teqor / Hssom piham|m ; 3.9.2). 834 Vgl. auch Munson 1986, 97; sie faßt die Erzhlung als Illustration „of the barbarian kings ludicrously formalistic justice“ auf. 835 Vgl. die von Herodot in hçchst kritischer Weise referierten Soldatenopfer von Kyros (1.207.6 – 7; 1.211) und Dareios (3.154 – 160; 4.134 – 136).
2. Die Problematik der modernen Rezeption
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So erzhlen die Perser die Genese der europisch-asiatischen Feindseligkeiten, sagt Herodot. Die Version der Phçnizier sei anders: sie htten Io nicht mit Gewalt nach gypten verschleppt; schon in Argos habe sie mit dem Schiffskapitn geschlafen, und als sie ihre Schwangerschaft bemerkte, sei sie aus Angst vor ihren Eltern mit den Phçniziern gefahren. Herodots ungewçhnliche Einfhrung hat schon in der Antike Aufsehen erregt.836 In der modernen Forschung stieß vor allem Herodots oben S. 2 bereits zitiertes, programmatisch klingendes Fazit auf Interesse, er wolle nicht zwischen den Versionen entscheiden und stattdessen Wißbares ber Kroisos berichten (1.5.3). Programmatik wurde auch in den Geschichten selbst konstatiert, als Ankndigung eines neuen Rationalismus,837 als Parodie auf die bisherige Art der Berichterstattung838 oder als geographische Umgrenzung der Oikumene.839 Daneben bieten die Erzhlungen aber auch weiteren Aufschluß ber Herodots Kombination einander ausschließender Versionen. In ihrer Doppelung weisen die IoGeschichten eine auffllige Nhe zur Odyssee auf: beide Geschichten
836 Vgl. die Parodie Ar. Ach. 523 – 529. 837 Zum Rationalismus der verkrzten Darstellung der ,persischen Raubgeschichten (1.1 – 4) vgl. Rose 1940, 79; Asheri 1988, 74. 838 Flory 1987, 23 – 48; er wertet die Raubgeschichten als parodistisch berrationalisierten Gegenpol zu der anekdotenhaften, irrationalen Gyges-Geschichte und die Kombination aus den aufeinanderfolgenden Geschichten damit als programmatisch fr Herodots Gesamtwerk (1987, 23 – 48). Goldhill 2002, 13 – 15 konstatiert in den Raubgeschichten (1.1 – 4) keinen Rationalismus (vgl. die vorhergehende Anm.), sondern eine parodistisch berzogene Simplifizierung der traditionellen Versionen der Perser und Phçnizier: „a simple – indeed totally oversimplified – account of how the East and West came into conflict“ (14 f.). Herodots Stil sei hier extrem reduziert; „barely and briefly told with scarcely an adjective or adverb“ (14), ohne mythische Elemente wie den stiergestaltigen Zeus, der Europa entfhrt, und die Bremse, die Io jagt. Das naive Kausalittsmodell sieht Goldhill als satirischen Seitenhieb: „The Persian experts, it seems, dont get history“; Herodot liefere ein „parodic countermodel“ (15). Die Einfachheit der Passage lßt sich nicht leugnen, wiewohl Herodots Stil auch sonst zur Schlichtheit neigt. Die Wirkung der Passage aber als bloße Parodie zu fassen, greift zu kurz; vgl. das Folgende. 839 Dewald 2006, 146 f. interpretiert die Frauen als Symbole der in den Historien thematisierten Weltteile: zunchst decken die Herkunfts- und Ankunftsorte der Frauen das von Herodot einbezogene Gebiet ab; weiter funktionieren die Namen auch auf symbolischer Ebene: Io wird mit der gyptischen Isis identifiziert, Medeia gibt den Medern den Namen, Europa dem Kontinent. Helena schließlich interpretiert Dewald durch die Etymologie 2ke?m als Anspielung auf „the destructiveness of war“ (147). Vgl. auch ebenda, 159.
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hneln der Erzhlung von der Amme des Eumaios (15.415 – 475). Folgende Handlungselemente entsprechen einander: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Landung eines phçnizischen Handelsschiffs in Griechenland Besonderes Interesse der Frauen an den dagebotenen Waren840 Reichtum bzw. hoher Stand einer der Kundinnen841 Liebesaffre des Mdchens mit einem der Phçnizier Flucht mit dem Liebhaber und der Schiffsmannschaft Mitnehmen eines Kindes (Io trgt das ungeborene Kind des Schiffskapitns, die Amme nimmt den kleinen Eumaios mit)
Das 7. gemeinsame Element ist struktureller, nicht inhaltlicher Natur: in beiden Geschichten gibt es eine Doppelung. Homer erzhlt eine doppelte Raubgeschichte (bei der Amme handelt es sich um eine bereits zuvor geraubte und nach Griechenland verschleppte Phçnizierin), Herodot zwei Versionen einer einzelnen. Die homerische Parallele ergibt sich jedoch nicht aus einer einzigen der beiden Versionen, sondern aus beiden gemeinsam. Die persische Variante hat die Elemente 1 und 2, das Handelsschiff mit den fr weibliche Kunden so attraktiven Waren; die phçnizische Version steuert den Rest bei. Der Rezipient vermischt die Versionen und assoziiert die Odyssee. Offensichtlich besteht Herodots Vorgehen nicht nur in einer Vereinfachung der traditionellen Erzhlungen, sondern in einer Stilisierung. Die Raubgeschichte wird der bekannten homerischen Vorlage angeglichen, sie wird gleichsam zur Essenz der Raubgeschichte schlechthin destilliert, indem sie auf das Homerische, also Typische und Kanonische zurckgefhrt wird. Die Tradition wird perfektioniert, der Mythos ,noch mythischer gemacht, das Kanonische verrt sich selbst als solches: was immer die Perser und Phçnizier sagen, selbst, wenn sie sich widersprechen – es ergibt unweigerlich immer wieder dieselbe, ewige Geschichte. Dieser Eindruck wird dadurch verstrkt, daß es sich auch bei der homerischen Raubgeschichte bereits um eine Wiederholung handelt: Eumaios Amme ist zuvor schon einmal geraubt worden; die Wiederholung ist also eine Grundkomponente der Erzhlung. Durch die Tatsache, daß die homerische Allusion nur zum Tragen kommt, wenn die beiden faktisch unvereinbaren Versionen eine Synthese bilden, wirkt die Erzhlung wie durch sich selbst generiert, wo840 Od. 15.416: luq_ %comter !h}qlata, Hdt. 1.1.4: t_m voqt_ym t_m svi [den Frauen] Gm hul¹r l\kista. 841 Io ist die Tochter des Kçnigs Inachos; ber die Herkunft der homerischen Amme heißt es, ihre Eltern seien !vmeio_ (15.432) und wohnten in einem hochberdachten Haus (rxeqev³r d_, 433).
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durch das stndige Sichwiederholen der Geschichte veranschaulicht wird. Der j}jkor t_m !mhqypg_ym pqgcl\tym (1.207.2) besteht nicht nur in Aufstieg und Fall einer individuellen Person oder Stadt, sondern auch in der schematischen Gleichfçrmigkeit des Weltlaufs, der immer wieder dieselben Geschichten schreibt. Dieser j}jkor spiegelt sich in der Genese der Rauberzhlung auf gleichsam poetologische Weise wieder und erweist seine Unvermeidlichkeit einmal mehr. Das Nebeneinanderstellen einander ausschließender Versionen dient also als narratives Mittel: zur mimetischen Darstellung von Kroisos nicht faßbarem Charakter, Kleomenes Wahnsinn, Xerxes Tyrannentum, schließlich zur Formung einer homerischen Raubgeschichte, die sich – wie die Geschichte selbst – durch stete Wiederholung selbst generiert. Offensichtlich handelt es sich hier um eine Art mythischen Erzhlens, die nicht mehr an einzelnen Erzhlelementen festgemacht werden kann. Traditionelle Elemente kçnnen zwar Gegenstand der Variantentechnik sein; diese Technik des Zusammenspielens einander logisch ausschließender Versionen zu einem Ganzen ist jedoch unabhngig vom Gegenstand. Deutlich scheint allerdings die Herkunft des Verfahrens aus dem Mythos: der antike Autor hat es stets mit verschiedenen Versionen einer Geschichte zu tun, von denen eine einzige ausgewhlt oder verschiedene kombiniert werden kçnnen, man denke etwa an das markante Beispiel des HelenaMythos mit seinen sich wechselseitig auschließenden Mçglichkeiten, daß Helena in Troia oder in gypten gewesen sei. Es ist Herodot, der Homer unterstellt, beide Varianten zu kombinieren (2.116). In der Tat scheint die Kombination einander ausschließender Varianten ebenso traditionell, wie es die Stoffe sind; es existiert in hnlicher Form bereits im Epos. James V. Morrison versammelt in seinem Aufsatz „Shipwreck Encounters“ Homers Mçglichkeiten zum Anspielen alternativer Plots: „A if not B alternatives“, „composition by comparison“ und „character from plot-type“ (2000, 60 – 64), also das explizite Referieren beinahe eingetretener Ereignisse,842 das implizite Suggerieren alternativer 842 Morrison zieht etwa die im Anschluß an die Aufforderung Agamemnons beinahe erfolgte Heimfahrt der Argeier heran, die Il. 2.155 f. klar demonstriert wird: =mh\ jem )qce_oisim rp]qloqa m|stor 1t}whg / eQ lμ )hgma_gm Nqg pq¹r lOhom 5eipem7 (,Da wre den Argeiern gegen das Geschick die Heimkehr bereitet worden / Htte nicht zu Athenaia Here das Wort gesprochen …; bersetzung: Schadewaldt 1975, 27). Die Alternativmçglichkeit wird beinahe zum Alternativplot; es wird nicht nur berichtet, was geschehen ist, sondern auch, was sehr leicht htte geschehen kçnnen. Vgl. mit einer extensiven Aufzhlung von „Beinahe-Episoden“ im griechischen und rçmischen Epos Nesselrath 1992.
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VI. Schluß
Ablufe durch Heranziehen vergleichbarer Geschichten,843 schließlich „character from plot-type“, das Ineinandergreifen zweier typischer, aber einander wechselseitig ausschließender Typen von Erzhlungen.844 Als Beispiel fr die letztgenannte homerische Variantentechnik analysiert Morrison einen Kulminationspunkt: den Schiffbruch des Odysseus bei den Phaiaken (2000, 64 – 71). Schon Uvo Hçlscher hat gezeigt, daß hier inkompatible Erzhlstrnge ineinandergreifen: „die Hochzeit des Mrchenhelden mit der Kçnigstochter des Geisterreiches“ schließt „die Heimkehr zur Gattin mit der berwindung der Freier“ aus; beide kçnnen nicht gleichzeitig erzhlt werden. Dennoch lagen „die mçglichen Geschichten … in der berlieferung immer nahe genug beieinander, um die Motive des einen im anderen erscheinen zu lassen“ (1988, 166 f.). Morrison geht noch weiter und konstatiert, daß Odysseus und Nausikaa in verschiedenen Plot-Systemen miteinander kommunizieren: „female benefactor aids heros return“ einerseits – das ist Odysseus Perspektive – und „hero wins the kings daugther“ andererseits, was sich Nausikaa erhofft (2000, 69). Homer lßt die Situation lnger ungeklrt als logisch ist und hlt so die erzhlerische Spannung durch das Insinuieren eines Alternativszenarios – Odysseus Hochzeit mit Nausikaa. Alle drei homerischen Methoden haben mit Herodots Variantentechnik gemein, daß Ungeschehenes in das Geschehene hineinspielt und es damit erst vervollstndigt. Insbesondere das letzte Beispiel ist der herodoteischen Vorgehensweise insofern sehr hnlich, als die Figuren sich zur 843 Morrison meint die bereits von Olson 1990 untersuchte homerische Technik der handlungsantizipierenden Figurenvergleiche: wenn in der Odyssee etwa Agamemnon, Klytaimestra, Aigisthos und Orestes erwhnt werden, fungieren sie gleichsam als Gegenmodell fr Odysseus, Penelope, die Freier und Telemachos – und lassen den Rezipienten ein dsteres Alternativmodell zu Odysseus Heimkehr assoziieren. 844 Vgl. Felson-Rubin 1996: Im Kontext der Figur der Penelope greifen verschiedene, miteinander nicht vereinbare Plots ineinander, etwa „bride-contest“ und „marriage avoidance“. Durch das Offenhalten verschiedener Mçglichkeiten, die durch die Ungewißheit in bezug auf den Verbleib des Ehemanns stndig gleichzeitig prsent sind – „Behavior shameful if her husband lives is normal if he has perished at sea“ (166) – hlt Homer die Spannung auch bei einem Publikum aufrecht, das mit dem Ende der Geschichte prinzipiell vertraut ist. – Diese Technik des Erzhlens auf verschiedenen Ebenen muß der psychologischen Plausibilitt nicht immer zuwiderlaufen; so erweist Bierl 2004b in der bermßig retardierten Anagnorisis von Penelope und Odysseus ein Zusammenspiel der an sich disparaten traditionellen Erzhlzeichen (Webelist, Maskierung, Bett etc.) mit einer nachvollziehbaren psychologischen Entwicklung.
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selben Zeit in zwei verschiedenen Handlungssystemen befinden, ebenso wie dies bei Herodots Kroisos bzw. der Io in den verschiedenen Versionen der Fall ist. Unterschiedlich ist, daß Herodot einen Paratext in Form von zustzlichen Angaben zu seinen Versionen gibt – die Herkunft oder den Wahrheitsgehalt –, whrend Homer die „plot-types“ einfach ineinandergreifen lßt. Es verwundert nicht, daß ,Seenot zum Emblem fr das Durchspielen verschiedener Mçglichkeiten wird, wie Morrison an verschiedenen neuzeitlichen Beispielen demonstriert (2000, 71 – 86): „the seas lack of predictability promotes the contemplation of multiple resolutions“ (2000, 86). In diese Tradition gehçrt auch die oben 308 – 310 besprochene Geschichte von Xerxes und dem Kapitn (8.118), womit die Ebenen der Widersprchlichkeit noch zahlreicher werden: die Erzhlung steht im Kontext des Seesturms, Emblem des ,Schicksals auf der Kippe, wo verschiedene, inkompatible Mçglichkeiten quasi gleichzeitig existieren; es folgen die inkompatiblen Erzhlstrnge von Landreise und Seefahrt, schließlich endet alles mit der Belohnung des Kapitns, der richtig gehandelt hat, und der Bestrafung des Kapitns, der falsch gehandelt hat – verkçrpert in einer einzigen Person.845 Eine eindrucksvollere Veranschaulichung tyrannischer Irrationalitt und Willkr ist nicht vorstellbar. Schließlich scheint die geschilderte Variantentechnik nicht nur per se traditionell; sie weist auch hnliche Vorgehensweisen auf wie Herodots anderweitige hier untersuchte ,Mythisierungen, die nicht mit verschiedenen Versionen arbeiten, wo also kein logischer Bruch entsteht.846 Auch 845 Vergleichbar ist die Erzhlung 3.36, wo berichtet wird, wie Kambyses in einem Wutanfall die Hinrichtung des Kroisos befiehlt. Die Diener verbergen den Lyderkçnig jedoch, da sie einen Sinneswandel des Kambyses voraussehen, der dann auch tatschlich erfolgt: Kambyses freut sich spter, daß Kroisos noch lebt, lßt die Diener aber wegen ihres Ungehorsams dennoch hinrichten. – Flory 1987, 59 – 61 stellt der Kapitnsnovelle noch 7.27 zur Seite, die Erzhlung von Xerxes grausamer Willkr gegen den Lyder Pythios. In der Tat sind die Geschichten in mehrfacher Hinsicht symmetrisch: die eine steht zu Beginn, die andere am Ende von Xerxes Griechenlandfeldzug; beide haben mit Belohnung und Bestrafung in einem tyrannischen System zu tun etc.; vgl. Flory 1987, 60 f. 846 Munson 1986 differenziert hier nicht: neben den Geschichten von Kroisos berquerung des Halys und von Xerxes und dem Kapitn nennt sie als Hauptbeleg fr Herodots unwahrscheinliche Erzhlungen die Arion-Episode 1.23 f., die zwar mythische Grundlagen hat (vgl. oben Kapitel III.2.1), aber keine von Herodot angefhrten Konkurrenzvarianten. Auch im Kontext der Frauenraubgeschichten zielt Munson nicht auf die Inkompatibilitt der (phçnizischen und persischen) Versionen ab, sondern auf die allgemeine Unwahrscheinlichkeit der
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VI. Schluß
hier liegt hufig eine Kontamination verschiedener Mythentraditionen vor; etwa in der Erzhlung von Xerxes und Frau und Tochter des Masistes, wo der Semele-Tradition das Motiv des ,tçdlichen Gewandes beigefgt wurde. Hier handelt es sich zwar nicht um einander ausschließende Versionen derselben Geschichte, die auf Handlungs- oder Bedeutungsebene gemeinsam eine neue Einheit bilden, sondern um von vorneherein voneinander unabhngige Geschichten. Das Prinzip der eklektischen Auswahl und Neukombination bleibt dennoch dasselbe. Wie manche historisch-faktische Erzhlung erst ber das ihr zugrundeliegende Muster einer traditionell-fiktiven Geschichte Sinn ergibt, so gewinnt auch die eine oder andere ,wahre Erzhlung in Kombination mit ihrer ,unwahren Variante an Bedeutung; sie stellen gemeinsam etwas dar, was eine Einzelversion nicht darstellen kçnnte. Das Schwanken des Kroisos, die an den Raubgeschichten dargestellte Traditionalitt allen Erzhlens, die tyrannische Willkr des Xerxes: all diese Aussagen werden anschaulich erst durch die Gegenberstellung verschiedener Versionen, und alle Teile sind bedeutsam fr die Interpretation der Stelle, selbst wenn sie auf faktischer Ebene nicht kompatibel sind. hnlich verhlt es sich mit den mythisch unterftterten historischen Erzhlungen: erst durch die traditionellen Assoziationshilfen erhalten sie Sinn, werden mehr als bloße Faktensammlungen. Die neuzeitliche Trennung der Ebenen ist Herodot nicht wichtig, er ist „comfortable with the fragmented diversity of the world“, wie Rosaria Munson treffend bemerkt (2001, 272).847
2.2 Das Problem der Faktizitt Daß Herodots narrative Technik auf der Mikroebene einer einzelnen Geschichte nicht mit unseren Vorstellungen von Erzhllogik vereinbar scheint, ist Teil einer umfassenderen Problematik: des Spannungsfeldes zwischen Faktizitt und Fiktionalitt.848 Ganz offensichtlich ist die seErzhlungen, die dennoch ,hçhere Wahrheit transportieren: „to show a pattern of aggressions for the sake of gain or revenge which will correspond to that revealed by Herodotus analysis of real history“ (97). 847 Vgl. Munson 1986, 97: „Herodotus careful reporting of ta legomena, especially of the most unreliable sort, in certain cases reveals how for him tradition, regardless of how much it contributes positively or negatively to our knowledge of how things really happened, may have another compelling function, that of suggesting, be it even through fiction, a valid interpretation of historical facts.“ 848 Zu den Hauptstrngen der Fiktionalittstheorie vgl. Riess 2001, bes. 349 – 352.
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mantische Aufladung des Dargestellten durch ,Traditionalisierung Herodot und seinem Publikum wichtiger als Faktizitt (wenn es auch zu extrem erscheint, das Berichtete an sich als bloße „Szenerie“ zu betrachten849). Es kann auch nicht berraschen, daß Herodot sich in der relativ jungen historiographischen Gattung des herkçmmlichen narrativen Systems seiner Gesellschaft bedient, die keine vom Mythos komplett abgetrennten Erzhlformen kennt. Und doch ist die Sachlage nicht so einfach. Von einem Historiographen wird blicherweise erwartet, daß er sich auf die objektive Beschreibung des faktisch Geschehenen beschrnkt. In der Tat ist auch Herodots Text trotz seiner Literarizitt Quelle bedeutender Sachinformationen, fr die es oftmals keine anderen Zeugen gibt. Hinzu kommt das offensichtliche Bemhen um ,Wahrheit: Herodot sagt hufig, er glaube etwas nicht oder halte etwas fr wahr.850 Generationen von Philologen und Historikern haben sich an der Frage nach dem Quellenwert der Historien abgearbeitet, die bisweilen geradezu ins Moralische gewendet wurde – wie steht es mit Herodots Aufrichtigkeit? Lgt der Geschichtsschreiber gar oder vertraut allzu naiv auf seine Quellen?851 Die Spannung zwischen Faktizitt und Fiktionalitt scheint vor allem durch die Ansprche generiert, die an Herodot gestellt wurden, nachdem sich Geschichtsschreibung als Genre einmal etabliert hatte. Seitdem hat man versucht, Herodot ,zweizuteilen, in den Ethnographen Herodot und 849 Vgl. Strasburger 1966, 32 f., der „die Grçße des Verhngnisses, die Erfllung eines Schicksals, das Sichtbarwerden des gçttlichen Ratschlusses, der menschlichen Begrenzung und Vergnglichkeit“ als eigentlichen Gegenstand der Erzhlung betrachtet. Herodots Faszination fr das Geschehen an sich, fr Wunder und Details, ist jedoch nicht zu leugnen (zu Herodots Behandlung von ha}lata vgl. ausfhrlich Munson 2001; ferner Hooker 1989; Goldhill 2002, 21 – 26; Marincola 2006, 23). 850 Z. B. 1.51.3; 1.75.6; 2.12.1; 2.15.2; 4.155.1; 6.123.1; 7.133.2. – Bisweilen mçgen Herodots Kommentare freilich auch eine rhetorische Komponente enthalten, indem sie eine Geschichte besonders markieren, die Seriositt des Autors bekrftigen oder den Leser selbst zum kritischen Mitdenken auffordern; vgl. Flory 1987, 62 – 67; Goldhill 2002, 28. Strasburger 1972, 21 – 25 sieht in Wahrheitsbeteuerungen und Quellenangaben eine anthropologische Konstante des Erzhlens, die schlicht Merkmal ,glaubwrdigen Erzhlens seien, etwa Odysseus Versicherung gegenber den Phaiaken, er habe durch Kalypso von dem Gesprch von Helios und Zeus erfahren (Od. 12.389 f.). 851 Vgl. mit einem ebenso umfassenden wie bersichtlichen berblick Bichler/Rollinger 2001, ferner summierend und erluternd Boedeker 2000; zur antiken und frhneuzeitlichen Rezeption vgl. bereits Momigliano 1958.
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VI. Schluß
den Historiker Herodot,852 oder eben in den „Plauderer“ und den Historiker.853 Angesichts der zahlreichen mythischen Elemente in den Historien mag sich die Frage nach dem Verhltnis von Fakten und Fiktion erneut stellen: Traditionalitt und Historizitt schließen sich bis zu einem gewissen Grad gegenseitig aus; wird das Geschehene im Prozeß des Erzhlens nach bekannten Mustern geformt, kann die Erzhlung nicht mehr reine Abbildung eines faktischen Geschehnisses sein.854 Stattdessen entsteht ber die Fakten hinaus ein kontextuelles ,Panorama der Bezge, das aber auch nicht einfach Fiktion im Sinne einer auktorialen Erfindung ist: es ist beispielsweise kaum anzunehmen, daß Herodot alleine und von sich aus die Entscheidung trifft, seine Kyrosvita mittels der Traditionalismen ,Aussetzung und ,Atreusmahl als Initiationsgeschichte zu stilisieren und damit die Genese des Perserreiches anzudeuten; vielmehr referiert er diejenigen Teile der traditionellen berlieferung ber Kyros, die ihm Wichtiges auszusagen scheinen. Erzhlerische Tradition und faktische Begebenheit ergnzen sich hierbei gegenseitig: whrend historische Berichte unter Zurckdrngung der faktischen Ebene an mythische Erzhlstrukturen angeglichen werden, finden sich insofern auch Konzessionen der Tradition gegenber der historischen Begebenheit, als mythische Strukturen zugunsten der faktischen Daten kontaminiert und verndert worden sind 852 Jacoby 1913 geht von einer evolutionren Entwicklung des Historikers der Perserkriege aus dem Ethnographen der frhen Jahre aus (bes. 352 – 372); dies kann nicht aufrechterhalten werden, wie Hartog 1980 im Anschluß an andere unitarische Anstze (z. B. Pohlenz 1937; Myres 1953; Immerwahr 1966) gezeigt hat (1980, bes. 312 f.): die Diskurse der „reprsentation [du] pass proche“ und der „reprsentation du monde“ (319) rufen analoge Effekte hervor. In der Tat sind diverse Elemente der Perserkriegsschilderungen in den angeblich frher entstandenen Logoi prfiguriert, etwa die Hellespontberbrckung des Xerxes in Dareios Bosporusberquerung und diese bereits in Kyros Frevel am Fluß Gyndes (vgl. oben Kapitel II.2.1). Vgl. auch Bowie 2004 zur Funktion der ethnographischen Ausfhrungen als Erklrungsmodelle fr das historische Geschehen. 853 Aly 1921, 299; die Kategorisierung zieht sich durch die ganze Arbeit; vgl. Cobets Kritik (1990, 853). Zu der Diskussion vgl. grundstzlich Hartog 1980, 373 – 382 (und ebenda, 12 – 18). 854 So formuliert Pohlmann 1912, 69, die Diskrepanz einer traditionalisierenden Erzhlweise mit modernen Vorstellungen objektiven Erzhlens: „Iam ex his exemplis aliam esse antiquorum hominum, qui his fabellis delectabantur, aliam nostram probabilitatis rationem intellegimus. idem cognoscimus in fabulis Veteris Testamenti narratis; idem in Homeri carminibus et carmine illo, quod vocamus Nibelungenlied.“
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(wie dies etwa in Kapitel II.1 an der Erzhlung von Xerxes und Frau und Tochter des Masistes gezeigt worden ist).855 Daß die mythisch-rituellen Muster gewisse Inhalte transportieren, steht außer Frage; daß diese Inhalte nicht simple Aussagen sind, sondern ihrerseits komplexe, weiterfhrende Bezugsebenen, ist im Vorangegangenen deutlich geworden. Will man der Frage nach dem Verhltnis von Fakten und Fiktion bei Herodot nachgehen, muß zunchst geklrt sein, daß es sich bei Lge und Fiktion um zwei verschiedene Dinge handelt. Beides steht in einem Spannungsverhltnis zum Aspekt der Historizitt, aber whrend die ,Lge des Historikers unweigerlich propagandistische Verflschung ist, kann die ,Fiktion, wie sie etwa das Genre des historischen Romans konstituiert, durchaus harmonisch mit Historizitt einhergehen. Nun kann aber ein Fiktionalittsbewußtsein im modernen Sinne fr die griechische Antike nicht vorausgesetzt werden. In der Moderne ist die Erwartung eines Bezugs zur Wirklichkeit je nach Textsorte unterschiedlich; „der Leser von Fiktivtexten [verzichtet] von vornherein auf eine in seinem Bezugsfeld grndende berprfung des Wahrheitsgehalts dessen, was mitgeteilt wird“ (Anderegg 1973, 33);856 es erfolgt eine „willing suspension of disbelief“ (Coleridge 1817, 6); der Leser schließt mit dem Autor einen ,Fiktionsvertrag ab.857 In der Antike kann von einem solchen bewußt vorgenommenen Entscheidungsakt nicht die Rede sein; ein Bewußtsein fr die Unterschiedlichkeit fiktiver und nicht fiktiver Texte in heutigem Sinne ist vor Aristoteles nicht voraussetzbar und auch nachher nicht selbstverstndlich. In einer zunchst noch oralen oder oral geprgten Kultur – zu der Herodot gezhlt werden darf, wie im folgenden gezeigt werden soll – liegt allen Gattungen das „gleichsam ontologische Fundament eines fr alle Arten von Texten einheitlich geltenden, dabei zugleich unspezifischen 855 Selbstverstndlich ist auch der Fall denkbar, daß ein faktisches Ereignis ganz ohne Modifikationen tradiert und dennoch zu einem identittsstiftenden Teil des kollektiven Gedchtnisses erhoben wird; vgl. Assmann 1992, 75 – 78. Er fhrt den Fall der Feste Massada an, dessen Historizitt archologisch und historiographisch gesichert ist; trotzdem besitzt das Ereignis fr den Staat Israel bis heute fundierende Bedeutung. Auch Herodots Historien enthalten zweifelsohne faktisch verifizierbare Daten, die sich ohne jede Vernderung in die Aussage des Werks einfgen; an dieser Stelle interessiert jedoch ausschließlich die Modifikation, die Anpassung der Fakten an traditionelle Muster. 856 Vgl. ebenda: „Was fr den fiktiven Sender wahr ist, wird vom realen Leser, ungeachtet seiner eigenen Wahrheitskriterien, so lange es um den Fiktivtext geht, als ,wahr akzeptiert“. 857 Eco 1994, zuerst 75: „fictional agreement“.
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Wahrheitsgebotes“ zugrunde, wie Wolfgang Rçsler formuliert (1980, 287); er demonstriert dies unter anderem an der Literaturkritik der Vorsokratiker (286 – 289), die verschiedene Textsorten lediglich durch formale Unterschiede voneinander abgrenzen.858 Ob man das Postulat eines radikalen Wahrheitsanspruchs auch antiker poetischer Texte gelten lassen will oder nicht, kann hier nicht Thema sein;859 wichtig ist, daß eine Unterscheidung zwischen den Fiktionalittsgraden der Dichtung einerseits und der Sachprosa andererseits, zwischen fiktionalen und nichtfiktionalen Gattungen, nicht getroffen wird. In einer oralen Kultur ist die Tradition quasi per se wahr: was nicht vergessen worden ist – !-k^heia als Gegenteil von k^hg860 –, durfte aufgrund seiner sozialen Relevanz nicht vergessen werden; folglich wird es von der Gemeinschaft akzeptiert. „Tradition is history, and the traditional tale cannot be exempt from it“, formuliert dies Walter Burkert (1979, 27).861
858 Vgl. auch Rçsler 1980, 300 f. unter Verweis auf Gorg. Hel. (82 fr. B 11 DK) 9: „Und zugleich wird ersichtlich, daß das 5. Jahrhundert keineswegs zufllig ber Gorgias ganz ußerliche Definition der Dichtung als metrisch gebundener Rede nicht hinauskommt.“ 859 Gerade die homerische Dichtung erhebt laut Rçsler einen vehementen Wahrheitsanspruch, da der Dichter durch die Muse legitimierter „Garant der mmoire collective“ sei, „als derjenige, der fr Bewahrung und Tradierung der Kunde (jk]or) zustndig ist“ (Rçsler 1980, 291). Finde die Legitimierung durch die Musen nicht statt, sei der Dichter schlecht; vgl. die Erklrung der Musen bei Hesiod Th. 27 f.: Udlem xe}dea pokk± k]ceim 1t}loisim blo?a, / Udlem d ewt 1h]kylem !kgh]a cgq}sashai – ,Wir wissen vieles Unwahre zu sagen, das dem Wahren hnlich ist; aber wir wissen auch, wenn es uns beliebt, Wahres zu verknden (bersetzung: Rçsler 1980, 296). Die Radikalitt von Rçslers Ansatz sei hier etwas relativiert: gewisse Elemente von Fiktionalitt existieren natrlich schon vor Aristoteles, etwa in den Apologoi der Odyssee, wobei es hier eher um Lge als um Fiktion geht; vgl. Pratt 1993 zur antiken Assoziation von Lge und Dichtung und zur ,Tricksternatur des antiken Dichters, der sowohl zur Lge als auch zur Wahrheit fhig sei; ferner Marincola 2006, 20 f. der auf der Basis der Lgengeschichten des homerischen Odysseus ein durchaus „sophisticated understanding of the relationship between lies and truth“ auch fr die Frhzeit der griechischen Literatur postuliert. 860 Vgl. Cole 1983 zur Kontroverse um die Anwendungsbereiche des Begriffs !kgh]r (insbesondere zu den Anstzen von Heidegger 1927 und Snell 1975) und zu den anderen griechischen Termini fr ,Wahrheit; vgl. ferner Nagy 1996a, 122 – 128 zur antiken Relation der Begriffe !k^heia und lOhor. 861 Vgl. Nagy 1990a, 8: „myth represents a collective expression of society, an expression that society itself deems to be true and valid. From the standpoint of the given society that it articulates, myth is the primary reality.“
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So gelten die homerischen Epen den antiken Geschichtsschreibern denn auch als ernstzunehmende, wenn auch kritisch ausgewertete Quelle; auch Herodot zweifelt die Historizitt des Troianischen Kriegs nicht im mindesten an (vgl. 2.113 – 120) und nimmt die dichterische Tradition allgemein ernst (2.156.6; 4.29; 6.52.1). Dies zeigt sich auch gerade an seiner Skepsis,862 daran, daß er gewisse Traditionen ablehnt863 oder als freie Erfindung bezeichnet,864 daß er ein kritisches865 Hinterfragen der Tradition zur Basis seiner Rstoq_g macht – er tte dies kaum, wrde er von der Fiktionalitt aller Dichtung ausgehen. Somit kann es nicht legitim sein, von fixen, genreimmanenten Faktizittsregeln auszugehen, die in der Dichtung grundstzlich anders funktionierten als in Herodots eigenem Werk.866 Epische Dichtung und theoretische Texte stehen in seiner Wahrnehmung grundstzlich auf derselben Stufe; Fiktionalitt als Alternative zu Wahrheit und Unwahrheit wird nicht mitgedacht. Auch fr Herodot ist berlieferung grundstzlich ,wahr, mag sie auch einzelne Fehler, Lgen oder 862 Berhmt das Diktum 7.152.3: 1c½ d³ ave_ky k]ceim t± kec|lema, pe_hesha_ ce l³m oq pamt\pasim ave_ky, ja_ loi toOto t¹ 5por 1w]ty 1r p\mta [t¹m] k|com, ,Ich muß das sagen, was gesagt wird, aber in jeder Hinsicht glauben muß ich es nicht, und dieser Leitspruch soll fr jede Episode gelten. Zu den verschiedenen Lesarten vgl. oben Anm. 787. 863 Am prominentesten wohl die oben S. 1 bereits erwhnte Diskussion ber Helenas Aufenthaltsort whrend des Troianischen Kriegs 2.113 – 120; vgl. Boedeker 2000, bes. 103 f.: „at times Herodotus applies to other texts (such as Homeric epic) the same standards of plausibility that he implicitly claims for himself“. Auch wenn Herodot die Vorgnger in dieser Beziehung als defizitr ansieht, bedeutet das, daß er zwischen den Gattungen nicht grundstzlich unterscheidet, was ihre Historizitt angeht. Dies schließt einen gewissen Grad an „certain ,generic differences“ nicht aus, den Herodot seinem Werk gegenber anderen zuschreibt (Boedeker 2000, 106). 864 Vgl. 2.23 zur Erfindung des Flusses Okeanos bzw. seines Namens durch einen der frheren Dichter: nlgqom d³ E tima t_m pq|teqom cemol]mym poigt]ym doj]y toumola erq|mta 1r po_gsim 1seme_jashai. 865 Die Kritik erfolgt aufgrund mangelnder Plausibilitt, nicht, wie dies noch bei Pindar der Fall ist, aufgrund moralischer oder ethischer Kriterien; vgl. Boedeker 2000, 111 f. Anders wieder Plutarch; vgl. unten 327 f. 866 Vgl. dazu Verdin 1977. Boedeker 2000 ist berhaupt der Ansicht, daß grundstzliche Urteile ber die Faktizitt der Historien nicht gefllt werden kçnnen: „the Histories contain too many different kinds of writing for this to be the case“ (101). Pratt 1993 konstatiert zu Recht eine Grundskepsis der antiken Historiker gegenber den dichterischen Quellen; allerdings formuliert sie, ohne dies nher zu begrnden, das etwas einseitige Postulat, daß sich poetische Kompositionstechnik und „historical interest in truth or plausibility“ grundstzlich voneinander unterschieden (144).
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VI. Schluß
Ungenauigkeiten enthalten, die aber ,rationalisierend beseitigt werden kçnnen.867 Inwieweit aber kann Herodots Text als Produkt einer mndlichen Kultur angesehen werden? Ob man nun davon ausgeht, daß Herodot mehr schriftliche oder mndliche Quellen verwendet hat,868 spielt hierbei keine Rolle, da auch schriftlich notierte Traditionen zu dieser Zeit zweifelsohne noch bis zu einem gewissen Grad den Gesetzen der Mndlichkeit folgten, wie gerade in jngster Zeit immer wieder betont wird.869 Selbst die berhmte Frage, ob es sich bei Herodots Primrrezipienten um ein Lese- oder Hçrpublikum gehandelt habe,870 ist folglich von marginaler Bedeutung; 867 Vgl. Veyne 1983, z. B. 19 f. Vgl. Pirenne-Delforge 2009 generell zum Phnomen einer nur partiellen Rationalisierung der Erzhltraditionen durch die griechischen Autoren (besonders zu Pausanias). 868 Zu dieser Diskussion vgl. z. B. Cobet 1987; 1988; Evans 1991; Sancisi-Weerdenburg 1994. Einen umfassenden Forschungsberblick bietet Evans 2008. 869 Vgl. Stadter 1997 (mit einem behutsamen Vergleich von Herodots Erzhlstil und den noch existierenden oralen Traditionen North Carolinas); Luraghi 2001, darin besonders Fowler 2001; Murray 1987; 2001; Giangiulio 2005a, darin besonders die Einfhrung des Herausgebers (VII-XXII) und Luraghi 2005; Evans 2008. Boedeker 2002, 114 summiert die aktuelle communis opinio: „It is indisputable that mythical and historical materials converge in the examples discussed. This is to be expected, especially since the stories were orally transmitted; they were orally formed as narratives, for that matter, and were most likely influenced by the shape of myths or folktales from the very beginning, as well as by Homeric and other poetic models“. 870 Die Kontroverse ber die Publikation von Herodots Werk in der Form mndlicher Vortrge ist seit langem im Gange; vieles spricht fr eine zumindest partiell mndliche Publikation; vgl. etwa Thomas 1993, die fr die weite Verbreitung mndlicher Vortrge auch im naturwissenschaftlichen zeitlichen Umfeld Herodots pldiert und stilistische Gemeinsamkeiten dieser auf den mndlichen Vortrag hin konzipierten Texte mit den Historien nachweist, etwa den Gebrauch der ersten Person (vgl. ferner Thomas 1992 allgemein zu Mndlichkeit und Schriftlichkeit in Griechenland). Zur Vorsicht gegenber der Annahme einer ausschließlich mndlichen Publikation der Historien mahnt Momigliano 1978, der auf die Unklarheit und Unzuverlssigkeit der antiken Belege fr Herodots çffentliche Lesungen hinweist. Ihm folgt Cobet 1988, 228 f.; eine detaillierte Analyse der Quellen mit demselben Ergebnis liefert Johnson 1993. Gegen die problematische Vorstellung eines mndlichen Vortrags des Gesamtwerks wendet sich Flory 1980. – Am wahrscheinlichsten erscheint wohl eine Mischform aus schriftlicher und mndlicher Publikation, etwa in Form von ,Dichterlesungen (vgl. Momigliano 1978, 62 f.). Zwar ist unbestreitbar, daß sich auch weit auseinanderliegende Teile der Historien aufeinander beziehen, was ein Lesepublikum insofern voraussetzt, als ein Gesamtvortrag des Werks kaum denkbar ist. Andererseits ,funktionieren einzelne kleinere Teile auch als solche. Kontextualisierung und Autarkie der
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von einer Gewçhnung an das Medium Schrift kann jedenfalls weder bei Herodot noch bei seinen Rezipienten die Rede sein. Sicher ist, daß Herodot einer mndlichen Erzhlkultur verpflichtet bleibt. Entsprechend ordnet er sich durch die Forderung des Proçmiums, die Taten der Menschen nicht !jk]a werden zu lassen, unter die Bewahrer des jk]or frherer Zeiten ein, die epischen Aoiden.871 Daß eine neu aufkommende Gattung in einer allmhlich sich konsolidierenden Schriftkultur Nachwirkungen der oralen Kultur aufweist, die den ,Spteren nicht mehr ohne weiteres gelufig, dem zeitgençssischen Publikum aber intuitiv zugnglich sind, versteht sich im Grunde von selbst.872 Nur weil mit zunehmender Schriftlichkeit auch eine Abfassung der Texte in Prosa mçglich wird, nachdem die Wissenstradition bis anhin in epischer Form konserviert und ber traditionelle Stoffe, Metrum und Formeln konventionalisiert worden ist,873 sind die Stoffe und ihre Strukturiertheit zunchst keineswegs weniger traditionell: eine starke formale Vernderung der berlieferung durch den Geschichtsschreiber wre wenig sinnvoll und wrde das Publikum irritieren. In der Tat erweisen die traditionellen Strukturen, die Herodots Werk so offensichtlich prgen, eine Nhe gerade zur narrativen Gemachtheit des Epos, das sich ber Formeln generiert – nicht nur ber einzelne Versteile
einzelnen Passagen sind aber durchaus vereinbar; ein gutes Beispiel stellen die in Kapitel II.2 untersuchten Gewsserfrevel der orientalischen Kçnige dar: wird die Steigerung der berquerungen erst durch ihre Perpetuierung und ihr immer grçßeres Ausmaß deutlich, ist doch jede einzelne Episode fr sich interpretierbar, nicht zuletzt wegen der allen gemeinsamen mythischen Allusionen. 871 Nagy 1987; vgl. 1990, 215 – 249. 872 Vgl. hierzu und zum folgenden Stahl 1987, bes. 19 – 53. 873 Die starke Stilisierung gerade mndlich berlieferter Texte zeigt sich auch in anderen Kulturen; vgl. Evans 117 f., der die Konventionalitten schildert, die mndliche Erzhltraditionen dem Autor auferlegen: mythische Motive und konventionelle Sprache sind vom Genre nicht trennbar und beeinflussen folglich auch dessen Inhalt. Vansina 1961, 78 zitiert das Beispiel eines jungen Rundi, der whrend einer Rezitation von sich selbst sagte, er habe zahlreiche Feinde getçtet; nach dem Vortrag gab er ohne Verlegenheit zu, daß dies nicht ,wahr sei, daß das Selbstlob aber zu den Regeln des Genres gehçre (zu weiteren hnlichen Beispielen vgl. Evans 1991, 118 – 120). Vansina stellt ferner fest, daß die Kriterien von ,Wahrheit in unterschiedlichen Gesellschaften vçllig verschieden festgesetzt werden; im Volk der Kuba etwa ist es der gesellschaftliche Konsens, der eine Tradition als wahr oder unwahr einstuft; die Faktizitt des Geschehenen spielt keine Rolle (vgl. z. B. Vansina 1985, 98 – 100).
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VI. Schluß
oder Versgruppen, sondern auch ber Erzhlmotive (typische Szenen), wie dies bereits Albert Lord festgestellt hat.874 Eine Stilisierung der Tradition hatte bei den von Herodot gesammelten, hufig nur mndlich berlieferten Lokal- und Familientraditionen ohne Zweifel bereits vor der Aufnahme in die Historien stattgefunden (wenn diese Traditionen auch in schlichterer Form vorgelegen haben mssen als die bereits literarisch fixierten Stoffe der Lyriker, Epiker und Tragiker). Jedes Ereignis, das als berlieferungswrdig betrachtet wird (etwa die Taten eines berhmten Vorfahren), hat einen Bezug zur Gegenwart, indem es der Fremd- oder Selbstdefinition dient, und muß im Hinblick auf diesen Bezug geformt werden. Die stilisierenden Elemente innerhalb einer Erzhlung sind von den historischen Geschehnissen heute kaum noch zu trennen; mçglicherweise war dies bereits zu Herodots Zeit der Fall. Wichtig fr die berliefernden – und zwar fr Herodot wie seine Gewhrsleute – ist die grundstzliche soziale, politische oder religiçse Aussage der Geschichte, die nicht durch eine Herzhlung von Einzelfakten ausgedrckt werden kann, sondern nur ber Reprsentationen von Ereignissen, die neben den zugrundeliegenden faktischen Eckdaten auch die aktuelle Sichtweise des berliefernden beinhalten;875 die Erzhlung muß lediglich „potentiell realistisch“ erscheinen (Stahl 1987, 49). Mçglicherweise wird dieses starke Bedrfnis der Kontextualisierung, Annherung und Systematisierung in der bergangszeit von der Oralitt in die Schriftlichkeit zunchst mehr gefçrdert als aufgehoben; der Verlust der Mndlichkeit im Zuge der Literarisierung, die mit der rasch fortschreitenden Individualisierung von Begrifflichkeiten, Ereignissen und Persçnlichkeiten einhergeht,876 mag gerade zu Beginn noch als solcher empfunden werden.
874 Zur typischen Szene und typisierten Ereignissequenz vgl. Nnlist/De Jong 2000, 170 f. Zum Phnomen des wiederkehrenden „theme“ als Charakteristikum mndlicher Dichtung vgl. bereits Lord 1960, bes. 68 – 98 (und unten 335). 875 Nagy 1990a, 8 betrachtet diese berformung als charakteristisch fr das Epos: „What comparative philology teaches us is that epic is a reflection not so much of historical events as of myth. According to this scheme, epic allows myth to take precedence over reality as we know it. Even where epic utilizes the raw material of real events, the argument goes, it will reshape these events to accomodate the requirements of myth.“ An der Tatsache, daß dies – mit etwas pointierterer Wirkung – auch ber Herodot gesagt sein kçnnte, zeigt sich einmal mehr die Nhe der Historien zum Epos. 876 Vgl. Goody/Watt 1963, bes. 338 – 340.
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Ein Bewußtsein fr Fiktionalitt, die Scheidung zwischen Faktischem und Erfundenem, scheint erstmals im Zuge einer vçlligen Etablierung der Schriftlichkeit auf. Die neue ,Informationsgesellschaft kann auf wesentlich breitere Datenquellen zurckgreifen als bisher; ihr Horizont wird durch weitere Faktoren wie die Kolonisierung Kleinasiens erweitert. Traditionelle Erzhlelemente werden allmhlich suspekt; Inkonsistenzen werden offenbar. Des weiteren ermçglicht die Schriftlichkeit ein neues „Alleinsein mit dem geschriebenen Text“ (Rçsler 1980, 285).877 Eingefahrene Rezeptionsgewohnheiten ndern sich: das literarische Produkt ist nicht mehr zwingend anlaßgebunden; der Vortragende als Verantwortlicher fr das Tempo der Rezeption und als physisch anwesender Garant der Verbindlichkeit des von ihm Berichteten rckt in den Hintergrund; stattdessen wirkt der Leser an der Hervorbringung des Werkes mit.878 In diese Periode einer neuen Differenziertheit fllt Gorgias Bemerkung, daß angesichts der !p\tg der Tragçdie ,der Tuschende mehr im Recht [sei] als der nicht Tuschende, und der Getuschte klger als derjenige, der sich nicht tuschen lasse (f t !pat^sar dijai|teqor toO lμ !pat^samtor ja· b !patghe·r sov~teqor toO lμ !patgh]mtor, 82 fr. B 23 DK); ebenso belegt Aristoteles Unterscheidung zwischen Geschichtsschreibung und Dichtung ein Empfinden fr Fiktionalitt.879 Die Geschichtsschreibung teile ,Geschehenes mit (t± cem|lema), heißt es in der 877 Vgl. Rçsler 1980, 312 – 319 sowie Assmann 1992, 23: „Erst mit der Schrift im strengen Sinne ist die Mçglichkeit einer Verselbstndigung und Komplexwerdung dieses Außenbereichs der Kommunikation [der Zwischenspeicherung von Information] gegeben. Erst jetzt bildet sich ein Gedchtnis aus, das mehr oder weniger weit ber den Horizont des in einer jeweiligen Epoche tradierten und kommunizierten Sinns hinausgeht und den Bereich der Kommunikation ebenso berschreitet wie das individuelle Gedchtnis den des Bewußtseins.“ 878 Rçsler 1980, 312 f. fhrt weiter auch die Entstehung der dramatischen Gattungen an, denen durch die Vielzahl von Sprechern niemals ein hnlich verbindlicher Wahrheitsanspruch eignet wie den narrativen Texten; ferner mag auch die Phantastik der Alten Komçdie einem neuen Fiktionalittsbewußtsein entsprungen sein bzw. dieses befçrdert haben. 879 Vgl. Rçsler 1980, 286 – 312. Puelma 1983, 74 – 85 scheint die Unterscheidung von ,Wahrheit und ,Dichtung vor Aristoteles bertrieben zu gewichten; vgl. z. B. 81 f., wo er Thukydides Begriff der !k^heia fraglos mit einem modernen Begriff der Faktizitt gleichsetzt, oder 85 – 89, wo er den dichterischen Wahrheitsbegriff eines Pindar einer „positiven Reaktion“ zur „Ehrenrettung des spezifischen Wahrheitswertes der dichterischen Aussage“ zuordnet (85), die aber letzlich definitiv zu einer „Scheidung von wissenschaftlicher und poetischer, ethischer und sthetischer Wahrheit“ fhre (89).
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VI. Schluß
Poetik, die Dichtung dagegen, ,was geschehen kçnnte (oXa #m c]moito, 1451b4 – 5).880 Aber selbst Gorgias Fiktionalittsbenennung und Aristoteles Unterscheidung von Geschichtsschreibung und Dichtung kçnnen nicht als entscheidende Wendepunkte hin zu einem klaren Fiktionalittsbewußtsein gelesen werden. Gerade am Beispiel der antiken Kritik an Herodot zeigt sich, daß eine klare Unterscheidung zwischen Faktizitt und Fiktion auch nach Aristoteles keineswegs gesellschaftliches Allgemeingut ist, mag sich die Tendenz dazu auch immer deutlicher abzeichnen. Wirklich irritiert durch die mangelnde Faktizitt der Historien zeigt sich nur Cicero, der Leg. 1.1.5 postuliert, mythisch-dichterische Traditionen htten in der Geschichtsschreibung nichts zu suchen, da hier omnia ad veritatem … referantur; es folgt die hufig zitierte Einschrnkung: quamquam apud Herodotum, patrem historiae, et apud Theopompum sunt innumerabiles fabulae. Eine Erklrung wird nicht geliefert; die Problematisierung einer historiographischen Traditionalitt ist jedoch deutlich. Andere antike Kommentierungen von Herodots Wahrhaftigkeit sind weniger eindeutig, darunter auch Thukydides oben 303 bereits zitierte Kritik an seinen Vorgngern (kococq\voi), sie ,fgten … die Dinge eher danach zusammen, ob sie reizvoll zu hçren seien (1p· t¹ pqosacyc|teqom t0 !jqo\sei), als 880 Gerade im Zusammenhang mit Herodot hat diese ußerung immer wieder fr Irritation gesorgt; vgl. z. B. Gomme 1954, 49 – 115. Allerdings ist Aristoteles Diktum wohl nicht abschließend kategorisch zu verstehen, sondern eher als Konstatierung einer Tendenz; im brigen ist anzunehmen, daß die Stelle sich eher auf Thukydides bezieht als auf Herodot, den Aristoteles andernorts als luhok|cor bezeichnet (Gen. An. 756b6 – 7); vgl. Rosenmeyer 1982, 239 – 241; Ste. Croix 1992. Vorsichtig drckt sich entsprechend auch Halliwell 2002, 166 aus (der neben Po. 1451a38 – 51b4 auch 1447b13 – 20 und 1460a5 – 11 heranzieht): „… Aristotle is feeling his way in these passages toward a notion of the fictional or fictive, at least in the basic sense of the ,feigned and invented, and is marking off its boundaries both from particular areas of knowledge and inquiry (history, natural science, philosophy), within which specific methods and procedures would be appropriate, and from the truth-claiming character of the discourse belonging to such domains.“ Vgl. auch ebenda, 164 – 167 sowie 193 – 199. – Auch die fr uns verlorenen Werke von Herodots Zeitgenossen drften Aristoteles Auffassung kaum entsprochen haben; vgl. etwa Hose 2004, 157 – 160 ber Hellanikos von Lesbos, Xanthos den Lyder, Hippias von Elis und Ion von Chios. Er faßt zusammen, „daß in diesen Texten keineswegs ein Bemhen um dokumentarisch genaues Aufarbeiten und Referieren von Vergangenem angestrebt ist. Stattdessen drfte eher die verdeutlichende Anekdote (die vielleicht dazu erfunden ist) und die prgnante novellistische Erzhlweise charakteristisch gewesen sein. Dies … ist der Kontext, in den Herodots Werk zunchst zu stellen ist“ (160).
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danach, ob sie wahr seien, da sie ja nicht beweisbar seien und im Verlauf der Zeit zum Großteil auf unglaubwrdige Art den Bereich des Fabelhaften erreicht htten (1p· t¹ luh_der 1jmemijgj|ta, 1.21). Mit unserem heutigen Verstndnis des Begriffes ,Mythos hat t¹ luh_der nichts zu tun; auch Thukydides nimmt Kçnig Minos und den Troianischen Krieg in sein Geschichtswerk auf. Mçglicherweise bezeichnet der Begriff das Unerforschbare im Gegensatz zum sav]r, dem klar Zutageliegenden,881 wobei sich auch hier fragt, wie konsequent Thukydides seine Abgrenzung von den Vorgngern betreibt, kann doch auch die Epoche eines Minos nicht dokumentiert werden.882 Sptestens mit Cornfords Thucydides Mythistoricus (1907) ist ohnehin deutlich geworden, daß auch Thukydides Werk von traditionellen Erzhlmustern geprgt ist und maßgebliche Einflsse der attischen Tragçdie aufweist. – Lukians Verdammung des ,Lgners Herodot schließlich ist wenig ernstzunehmen: die schlimmsten Strafen der Unterwelt, so der Erzhler der Wahren Geschichten, seien fr Lgner und Chronisten von Unwahrem reserviert, unter diesen Herodot (1.31). Diese Aussage wird jedoch sofort unterminiert, indem der Erzhler auf seine eigene Wahrhaftigkeit verweist: ,bei mir selbst habe ich niemals eine Lge bemerkt (oqd³m c±q 1laut` xeOdor eQp|mti sumgpist\lgm) – und da es sich hierbei offensichtlich um einen Sophismus handelt (im Proçmium 1.4 ist der Leser gewarnt worden, daß im folgenden jedes einzelne Wort erstunken und erlogen sei), wird die Aussage der ganzen Passage fragwrdig.883 Noch viel spter zeigen sich dieselben traditionalisierenden Gestaltungsprinzipien, die Herodots Werk durchziehen, selbst bei seinem schrfsten Kritiker Plutarch: seine Schmhschrift Peq_ t/r Jqod|tou jajoghe_ar (Mor. 854e-874c) beklagt nicht die mangelnde Faktizitt der Historien, sondern eben Herodots jajo^heia, das Fehlen moralischer Integritt: aufgrund seiner Parteilichkeit seien Herodots Schilderungen stark tendenziçs und teilweise frei erfunden.884 Es ist nicht das Fiktionale, das hier angeprangert wird, sondern die ,Lge: Faktizitt wird nicht per se gefordert; die mythischen Strukturen als solche scheinen Plutarch nicht zu 881 Vgl. Marincola 1997, 115 f. 882 Vgl. Hdt. 3.122.2 und oben 2 – 5 mit Anm. 5. 883 Vgl. auch Marincola 1997, 125 – 127 zu Lukians Verdammung des Mythischen in Hist.Conscr.: offensichtlich meint er hier speziell enkomiastische bertreibungen. – Wichtige kritische Werke zu Herodot sind leider verloren, so die Schriften von Manetho, Aelius Harpokration, Valerius Pollio und Libanios; vgl. z. B. Schmid/ Sthlin 1934, 665 – 670; Bichler/Rollinger 2000, 114 – 119. 884 Vgl. Baragwanath 2008, 9 – 22.
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stçren. So wirft er Herodot vor, eine Erzhlung ber Pittakos, den Tyrannen von Lesbos, zu unterschlagen, die diesen in positivem Lichte zeigen wrde (858a-b). Aber gerade diese von Plutarch vermißte Geschichte enthlt ebenfalls klar legendenhafte Zge – Pittakos wirft einen Speer, um damit das ihm zustehende Stck Land zu bemessen –;885 ihre Historizitt ist also hçchst zweifelhaft. Plutarch kritisiert offensichtlich nicht die Verwendung mythischer Strukturen oder Motive in den Historien; es geht ihm ausschließlich um Herodots Parteilichkeit und tendenziçse Darstellung. Interessanterweise ist es gerade Plutarch, der andernorts eine ußerst differenzierte Unterscheidung liefert – nicht zwischen Faktizitt und Fiktion, aber zwischen Mythos und Fiktion. In seiner Schrift ber Isis und Osiris betont er, daß auch die verleumderischsten (dusvglot\tym) Berichte ber die gyptischen Gçtter nicht etwa ,den gnzlich lockeren Geschichten und leeren Fiktionen gleichen, wie sie Dichter und Prosaschreiber wie die Spinnen aus sich selbst hervorbringen und Dinge ohne Grundlage weben und ausbreiten (oqj 5oije taOta jolid0 luhe}lasim !qaio?r ja· diaj]moir pk\slasim, oXa poigta· ja· kococq\voi jah\peq oR !q\wmai cemm_mter !v 2aut_m !p!qw±r !mupoh]tour rva_mousi ja· !pote_mousim). Stattdessen verhalte es sich wie beim Regenbogen: dieser sei eine Reflexion der Sonne, ,bunt, weil unser Blick zur Wolke hin ausweicht (poijikkol]mgm t0 pq¹r t¹ m]vor !mawyq^sei t/r exeyr), whrend ,der Mythos hier eine Spiegelung eines Logos ist, der unseren Geist auf anderes 885 Die Episode aus dem athenisch-mytilenischen Krieg beginnt mit einem Zweikampf zwischen Pittakos und dem Athener Phrynon, der bereits ,verdchtig homerisch erscheint, auch wenn ein solcher Zweikampf wirklich stattgefunden haben kann. Als die Mytilener dem Sieger Pittakos zum Dank ein Stck Land schenken wollen, wirft dieser seinen Speer, so weit er kann, und verlangt den so abgemessenen Streifen Land. Diese Art der quasi zuflligen geographischen Bestimmung ist ein verbreitetes Mrchenmotiv, das auch bei Herodot selbst vorkommt: dem Schlfer beim skythischen Kçnigsritual (vgl. oben 13) gibt man so viel Land, wie er an einem Tag umreiten kann (4.7.2). Des weiteren denke man an die legendre Bestimmung von rtlichkeiten durch ,weisende Tiere, so etwa die Grndung Thebens nach dem Apollon-Orakel, man solle dort bauen, wo eine Kuh sich niederlege (Ov. Met. 3.10 – 27), die Errichtung von Santiago de Compostela als Ort des Jakobsgrabs an der Stelle, wo die fhrerlosen wilden Rinder den Wagen mit den Gebeinen des Heiligen zum Stehen bringen (Legenda Aurea 99.1 Graesse), oder, nicht ganz so prominent, die Stiftung der Wurmlinger Kapelle an dem Ort, wo das ebenfalls fhrerlose Ochsengespann anhlt und damit den Bestattungsort des Grafen Anselm von Calw auswhlt (Birlinger 1862, 462). Eine um das Element der List ergnzte Variante des Motivs kommt etwa in der DidoLegende vor: die Kçnigin bekommt so viel Land, wie sie mit der – dann freilich zerschnittenen – Stierhaut umspannen kann (Verg. A. 1.367 f.).
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lenkt (b lOhor 1mtaOha k|cou tim¹r 5lvas_r 1stim !majk_mtor 1p %kka tμm di\moiam, Mor. 358 f-359a). Diese Abgrenzung der reinen Fiktion vom Mythos als Ausdrucksmçglichkeit der begrenzten menschlichen Erkenntnisfhigkeit erinnert stark an die platonische Ideenlehre mit ihrer Vorstellung einer absoluten Idee und der menschlichen Unfhigkeit, diese in ihren verschiedenen Ausformungen zu erkennen; die objektive Realitt existiert, ist aber nicht als solche erkennbar. Daß Plutarch Herodot nun vorwirft, eine traditionelle Anekdote unterschlagen zu haben, nach der hier verwendeten Definition einen ,Mythos, deutet darauf hin, daß er das Genre der Geschichtsschreibung innerhalb der mythischen Tradition verortet, die fr ihn immerhin 5lvasir der Wahrheit ist.886 Wann die Forderung nach Faktizitt in der Geschichtsschreibung endgltig etabliert ist, kann nicht ohne weiteres rekonstruiert werden.887 Das Beispiel Plutarchs zeigt, daß der Wahrheitsbegriff antiker Geschichtsschreibung eine traditionalisierende Formung des Stoffes auch lange nach Herodot nicht ausschließt. Noch die im Hellenismus aufkommende888 Idee der Mimesis als Ideal der Geschichtsschreibung fußt auf fiktionalisierenden Elementen, welche die griechische Historiographie und ihre Vorgngergattungen schon immer889 geprgt hatten. Im hellenistischen Stilideal sieht sich die Unterscheidung des Aristoteles zwischen Dichtung und Geschichtsschreibung weiterentwickelt zu der Folgerung, „beides lasse sich ideal vereinigen, wenn die Poesie in den Dienst der Geschichtsschreibung trete“ (Strasburger 1966, 81).890
886 Zur antiken Vorstellung einer verborgenen oder kontaminierten Wahrheit im Mythos vgl. Pirenne-Delforge 2009; Struck 2009. 887 Vgl. die ausfhrliche Darstellung bei Riess 2001, 366 – 374, der – ausgehend von der Legitimitt einer historischen Lesart des fiktionalen Apuleiusromans – umgekehrt auch bei der rçmischen Geschichtsschreibung Fiktionalitt konstatiert. Bereits Treu 1984 und Holzberg 1995 weisen auf die frappierende Nhe zwischen Geschichtsschreibung und antikem Roman hin. 888 Erstmals faßbar bei Duris FGrHist 76, fr. 1 Jacoby. 889 Vgl. bereits das Lob des delischen Mdchenchores h.Ap. 3.162 – 164: die Sngerinnen verstehen die Kunst der Nachahmung (lile?sh Usasim, 163) bis zur Sinnestuschung (vgl. Nagy 1990b, 375 – 377; 1994/95; 16 f.; 1996, 56 f.; 73; 81 f.; zur Art der Mimesis jngst Peponi 2009). Hierzu und zur Bedeutung nachahmenden Gestaltens in den homerischen Epen vgl. Puelma 1989, 66 – 73, der die Vorgngerrolle des archaischen Mimesis-Ideals fr die Geschichtsschreibung ebenfalls betont, ohne allerdings auf die fiktionalisierenden Tendenzen mimetischer Literatur einzugehen. 890 Fr eine lineare Entwicklung eines dichterischen Fiktionalittsbewußtseins, das mit Homer beginnend sich stetig fortentwickle, bis es mit den Theorien eines
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Insofern ist die Feststellung, Herodot stehe gerade auf dem Wendepunkt zwischen Mndlichkeit und Schriftlichkeit,891 im Grunde irrefhrend; bei der Institutionalisierung des Mediums Schrift und dem Bedeutungsverlust mndlicher Erzhlmodi handelt es sich keineswegs um ein punktuelles Ereignis, sondern um einen jahrhundertelangen Prozeß; nicht einmal der Punkt seines Abschlusses scheint eindeutig feststellbar.892 Ist die Frage nach Fiktionalitt oder Faktizitt der Historien falsch gestellt, so erweist sich auch die Frage nach dem ,Glauben des Publikums oder gar des Autors selbst an die Authentizitt seiner Berichte als irrig. Offenbar deuten Herodots Beteuerungen von Glauben oder Zweifel an einer Sachlage zwar darauf hin, daß Herodot Wahrheit und Unwahrheit voneinander unterscheidet, aber eben nicht darauf, daß sein Verstndnis von Wahrheit sich mit unserem deckt. Die Akzeptanz des Umstands, daß sich verschiedene Wahrheitsebenen nicht gegenseitig ausschließen, scheint dem Verstndnis der antiken Literatur zugrundezuliegen; sie kann aber auch aus moderner Perspektive nachvollzogen werden. Paul Veyne erçffnet seine berlegungen „Les Grecs ont-ils cru leurs mythes?“ (1983) mit dem Beispiel der Kinder, die an den Weihnachtsmann glauben, obwohl sie wissen, daß ihre Eltern ihnen die Geschenke hingelegt haben. Auf Kinder bleibt dieses Phnomen keineswegs beschrnkt; viele sich selbst als rational bezeichnende Menschen der Moderne werden an sich selbst gewisse ,irrationale Zge feststellen – seien es aberglubische ngste wider besseres Wissen, sei es das Verdrngen belastender Tatsachen, derer man Aristoteles endgltig abgeschlossen sei, pldiert isoliert Finkelberg 1998; vgl. mit relativierender Kritik z. B. Morgan 2000; Rçsler 2000; Rutherford 2000. Selbst wenn Finkelbergs These aufrechtzuerhalten wre, sagte ein Fiktionalittsbewußtsein auf seiten des Theoretikers Aristoteles noch wenig ber die dichterische Praxis aus, wie Rutherford 2000 bemerkt, und noch weniger ber die mçglichen Auswirkungen auf die Gattung der Geschichtsschreibung. 891 Z. B. Flory 1987, 16. 892 Vgl. Fowler 2001, 115: „Though he was a literate historian, the literate/oral distinction is ours, not his. He could formulate literate criteria and methods, but he could not understand his procedures in those terms, nor recognize the difference in his sources, nor (in consequence) apply his methods in every circumstance where we might expect him to. Until the distinction oral/literate is fully worked out, one never wholly escapes from one to the other, if even then – just as we never really escape from lOhor into k|cor.“ Vgl. ferner den Einwand, ,mndlich und ,schriftlich seien keine przisen Begriffe, da auch schriftlich Fixiertes in weiten Teilen mndlich generiert worden sein kann (etwa die homerischen Epen); eine Alternative bietet etwa das Begriffspaar ,marked/unmarked (zur Definition vgl. Nagy 1990b, 8 mit weiterfhrender Literatur; vgl. auch 1990a, viii und oben Anm. 58 f.).
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sich bewußt ist und die man sich doch nicht eingestehen kann.893 Mit dem neuzeitlich-rationalistischen Weltbild sind solche Irrationalismen eigentlich nicht vereinbar, bestehen aber dennoch fort; in der Antike scheint der Graben zwischen den verschiedenen Wahrheitsebenen gar nicht im heutigen Maße zu existieren. Veyne weist auf die Aussage des Pausanias hin, der in seinem Werk an spter Stelle sagt, er glaube nun doch an einen verschlsselten Sinn der Mythen der Vorzeit, die er vormals fr Produkte der ,Einfalt gehalten habe (eqgh_ar, 8.8.3).894 Dennoch hat er sie angefhrt – ein extremes Beispiel dafr, daß Faktizitt schlicht kein Kriterium fr die Selektion des berlieferten ist. hnlich deutet Paul Veyne Herodots berhmte Aussage 7.152.3, er msse das berliefern, was ihm gesagt worden sei; glauben msse er es nicht (1983, 24): wie auch oben gezeigt worden ist, wird bei Herodot keineswegs alles als Produkt einer tçrichten Leichtglubigkeit abgetan, was der faktischen Grundlage entbehrt. Aus der Perspektive der postmodernen Geschichtsforschung erweist sich die positivistische Forderung nach historiographischer ,Objektivitt endgltig als unerfllbar. Von Bedeutung sind in diesem Kontext die vornehmlich im zwanzigsten Jahrhundert aufkommenden Zweifel an der grundstzlichen Mçglichkeit objektiver Geschichtsschreibung, die aus der postmodernen Weigerung entstehen, eine ,objektive Realitt anzuerkennen; das berhmteste Diktum hierzu ist wohl Jacques Derridas „Il ny a pas de hors-texte“ (1967, 227) – es existiere keine außertextliche Realitt, da die Realitt erst durch den Text konstituiert werde.895 In weniger radikaler Formulierung und auf das Genre der Geschichtsschreibung bertragen wrde dies bedeuten, daß das Geschilderte in einem solchen Maße vom Erzhler abhngig ist, daß die Daten ,als solche nicht existieren. In diesem Feld sind vor allem die Arbeiten von Hayden White zu nennen, der die Narrativitt und die damit einhergehende Fiktionalitt aller Ge893 Interessant sind in diesem Zusammenhang auch Margaret Alexious Beobachtungen bei der lndlichen Bevçlkerung des zeitgençssischen Griechenland, wo den mythischen Erzhlungen ihre ,Wahrheit nach wie vor nicht abgesprochen und die Gegenwart ber die erzhlerischen Traditionen mit einer kollektiven Vergangenheit verbunden wird (2002, 156 f.). 894 Vgl. Pirenne-Delforge 2009, 42 f.; 50 – 52; Struck 2009, 31 f. 895 Dies ist im Kontext des hier nicht nher zu erçrternden sogenannten ,linguistic turn zu verstehen, also der (in der Nachfolge von Ferdinand de Saussures 1916 erschienenem Cours de linguistique gnrale erfolgten) Umwertung der Sprache von einem rein mimetisch abbildenden Element hin zu einer generativen Kraft, die selbst Realitt konstituiert. Vgl. fr einen konzisen berblick ber die Genese des ,linguistic turn und seine Folgen Daniel 2001, 430 – 443.
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VI. Schluß
schichtsschreibung hervorgehoben hat:896 aus bloßen Chronikdaten wird durch „emplotment“897 die historiographische Erzhlung. Im Bereich der Narration wiederum kann nicht bestritten werden, daß der zeitgençssische Rezipient nur das aufnehmen kann, was ihm ber eine zeitgençssische und das Abgebildete notwendig beeinflussende Perspektive vermittelt wird, also unter Verwendung zeitgençssischer Terminologie, Analogien etc. Bei jeder Art Begrifflichkeit handelt es sich um ein soziales Konstrukt.898 Dies trifft natrlich vor allem fr das Vokabular einer Sprache zu, lßt sich aber unschwer auf grçßere Wortgruppen, also auch auf mythische Erzhlmotive, bertragen, ist doch der Mythos per definitionem eine traditionelle, also kollektive, ,soziale Erzhlung. Auf die Notwendigkeit der Rekonstruktion eines kulturellen Kontexts ist oben bereits hingewiesen worden. Auch Hayden White betont dies hinsichtlich jeder Art von Geschichtsschreibung: beispielweise ergebe ,tragische Geschichtsschreibung nur im Hinblick auf ein Publikum Sinn, das mit dem Medium der Tragçdie vertraut sei. „Wie eine bestimmte historische Situation anzuordnen ist, hngt von der Geschicklichkeit des Historikers ab, mit der er eine bestimmte Plotstruktur und eine bestimmte Menge von historischen Ereignissen, der er eine bestimmte Bedeutung verleihen will, einander anpaßt“, formuliert White prgnant.899 Es scheint ratsam, das aktive Tun des Historikers etwas weniger hervorzuheben: daß dieser die historischen Daten sehenden Auges einer Plotstruktur anpaßt,900 die er fr geeignet hlt, ist unwahrscheinlich. Vielmehr ist der Historiker wie sein 896 Vgl. hierzu und zum folgenden v. a. White 1973, 1987 und – in prgnanter Zusammenfassung – 1994. Zum Einfluß des Werks von Paul Ricœur auf Whites Thesen vgl. White 1987, 169 – 184. Vgl. unter Bezug auf die antike Geschichtsschreibung Riess 2001, 366 – 374. 897 Z. B. White 1973, 5 – 11. Dies beinhaltet nicht die Gleichsetzung von Geschichtsschreibung mit fiktional-,belletristischer Literatur, da erstere in strkerem Maße von Quellen und Gattungsregeln beeinflußt ist, vgl. Chartier 1994, 92. 898 Deutlich wird dies etwa aus Durkheims prgnanter Formulierung: „Penser conceptuellement, ce nest pas simplement isoler et grouper ensemble les caractres communs un certain nombre dobjets; cest subsumer le variable sous le permanent, lindividuel sous le social“ (1912, 626 f.); vgl. ebenda, 616 – 627. Zur Problematik der Verallgemeinerung von Sachverhalten durch Begriffe, die das Parallelphnomen eines modernen Sachverhalts in einer anderen Epoche oder Kultur bezeichnen („Familie“, „Religion“ etc.), vgl. Veyne 1971, 157 – 175. 899 White 1994, 131, vgl. bereits 1973, 7 – 11. 900 So etwa Blçsel 2004, vgl. etwa 363: „… hat Herodot die ihm vorliegenden berlieferungen gravierend umgeformt“. Daß die Historien keine „getreue Wiedergabe der historischen Ereignisse“ bieten, empfindet der Althistoriker als „Defizit“ (366).
2. Die Problematik der modernen Rezeption
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Publikum Kind seiner Zeit und kann nicht anders, als die Dinge in seiner Sprache und innerhalb seiner „konnektiven“901 Denkstrukturen zu formulieren. Ansonsten trifft White jedoch tatschlich genau das, was in Herodots Historien geschieht: die historischen Daten werden in traditionelle Strukturen umgewandelt, allerdings nicht nur in allgemeine Erzhlformen, wie etwa die Tragçdie mit ihrem typischen Entwicklungsschema und ihren einzelnen Formteilen eine darstellt, sondern auch in konkretere Erzhlstrukturen mit durchaus spezifischen Handlungselementen, wie sie im Vorausgegangenen untersucht worden sind. Die zeitlich oder geographisch entfernten Ereignisse werden durch diesen allgemein verstndlichen Code erst lesbar.902 Auch der Mythos stellt einen solchen Code dar; der Historiograph macht seinem Publikum die Daten verstndlich, indem er sie in Plots einbaut, die er aufgrund seines kulturellen Wissens mit seinem Publikum teilt und bei diesem voraussetzen kann. Natrlich bleibt diese Vorgehensweise nicht dem Geschichtsschreiber vorbehalten: die mythische Allusion dient in der Antike grundstzlich als Medium der Selbstdefinierung, etwa in der enkomiastischen Literatur oder in genealogischen Traditionen. Diese unabdingbare Verwendung der Tradition als Code bedeutet selbstverstndlich auch die Selektierung der Ereignisse unter Weglassung all dessen, was im Sinne des bergeordneten, mythisch-rituellen Plots unwesentlich erscheint. Dieser erçffnet ein Bedeutungsfeld, innerhalb dessen das Geschehene mit Sinn aufgeladen wird, er erschließt Assoziationsbereiche, die es dem zeitgençssischen Leser ermçglichen, eine Deutung der Ereignisse gleichsam unmerklich vorzunehmen. Erst durch diese gleichzeitige Lieferung einer Interpretation versteht der Rezipient die Ereignisse, die ihm auf der vertrauten Folie vermittelt werden.903 Das mythisch-
901 Assmann 1992, 16 prgt den Begriff der „konnektiven Struktur“ einer Kultur, welche die Mitglieder einer Gesellschaft durch „einen gemeinsamen Erfahrungs-, Erwartungs- und Handlungsraum“ aneinander bindet. 902 Vgl. White 1994, 131 f.: „Die angestrebte Wirkung solcher Kodierungen ist es, das Unvertraute vertraut zu machen; und im allgemeinen ist das die Erklrungsweise der Geschichtsschreibung, deren ,Daten immer zunchst fremd, um nicht zu sagen exotisch sind, einfach aufgrund ihrer zeitlichen Distanz zu uns und der Tatsache, daß sie einer Lebensform entstammen, die sich von der unseren unterscheidet.“ 903 Natrlich gilt dies nicht allein fr die Geschichtsschreibung, sondern fr jede Art der Darstellung von Geschehenem, die stets einen bestimmten Zweck verfolgt und diesem entsprechend prsentiert wird (etwa als Beispiel fr eine allgemeine
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VI. Schluß
rituelle System zu decodieren, ist also unabdingbare Voraussetzung fr das Verstndnis der Texte. Daß die postmoderne Relativierung einer historiographischen ,Objektivitt der antiken Geschichtsschreibung keine Gewalt antut, zeigt sich sowohl am Beispiel Herodots als auch an der allgemein skizzierten Unterschiedlichkeit moderner und antiker Wahrnehmungen von Fiktion und Faktizitt. So hat es auch innerhalb der Disziplin der Klassischen Philologie bisweilen Stimmen gegeben, die den positivistischen Anspruch an eine ausschließlich faktische Geschichtsschreibung relativiert haben. Zu nennen ist etwa Hermann Strasburger, der bereits 1966 auf die Unmçglichkeit der objektiv abbildenden Historiographie hinweist, schon aufgrund der bloßen Quantitt der Ereigniszusammenhnge.904 Alles Berichtete msse vorselektiert werden;905 das erzwinge das „tglich weiter wachsende Mißverhltnis zwischen der Lnge der Weltgeschichte und der Lebenszeit des Menschen, der von ihr zu seiner sinnvollen Belehrung Kenntnis nehmen soll.“
Feststellung oder als kausale Erklrung fr ein weiteres Ereignis oder einen Zustand). 904 Strasburger 1966, 51: „Geschichte ist also zu keiner Zeit eine auch nur in Ausschnitten sachgerecht zu bewltigende Wissenschaft gewesen, das berhmte Ranke-Wort ,bloß sagen, wie es eigentlich gewesen allenfalls ein Postulat. Das Mißverhltnis zwischen dem geschichtlichen Objekt und den Mçglichkeiten seines Betrachters ist auch bei gnstiger Quellenlage noch ungeheuerlich. Was in Zusammen- und Gegeneinanderwirken von zahllosen Ingenien entstand, rumlich und zeitlich weit verteilt, kann im Verstndnis eines Einzelnen, selbst wenn es vollstndig zu seiner Kenntnis gelangte, nicht gerecht abgebildet werden.“ brigens warnt Strasburger ebenda, Anm. 1 zu Recht vor einem Mißverstndnis von Rankes Diktum (1824, VII; in der Neuauflage von 1874 gendert zu „bloß zeigen, wie es eigentlich gewesen“): „Ich benutze den mißbrauchten Satz hier nur als Wahlspruch einer unter Historikern verbreiteten Naivett, von der Ranke selbst weit entfernt war.“ 905 Nach Strasburger folgt die Selektierung der antiken Geschichtsschreibung den folgenden Kriterien: „Die Bedeutung des Vorganges liegt entweder (erstens) in der Offenbarung des gçttlichen Willens, oder (zweitens) in der Vielfalt und Hufung menschlichen Schicksals, oder (drittens) in dem kriegstechnischen Hergang und seinen Lehren fr die Kunst der Poliorketik, oder (viertens) in der politischen Problematik und Symptomatik, oder (fnftens): der Verlauf hat gar keine Bedeutung, sondern allenfalls sein politisch-militrisches Endergebnis als Teilfaktor eines Kriegsablaufes oder eines grçßeren geschichtlichen Zusammenhanges“ (69) – wobei er bei Herodot ein eindeutiges Primat des ersten Punktes gegeben sieht (70 f.).
3. ,Mythisch-rituelle Poetik und kultureller Kontext
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Geschichte, nur existent durch menschliche Bewußtmachung, [muß] zur Bewußtseinskapazitt eines Menschenlebens in sinnvoller Relation erhalten werden, soll sie wahrnehmbar und funktionsfhig bleiben. Andernfalls ist es ihre Zukunft, wirklich und endgltig ,ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer zu sein. (77 f.)
3. ,Mythisch-rituelle Poetik und kultureller Kontext In der Neuerzhlung traditioneller Geschichten in anderem Kontext, in der Wiederverwendung alter Motive und ihrer Neukombination, in der Kontaminierung bestimmter Mythenstrnge mit fremden Elementen erweist sich Herodot einmal mehr als Erbe einer mndlichen Erzhltradition. Oben ist bereits gesagt worden, daß im Prozeß mndlichen Dichtens nicht nur Versteile oder -gruppen Formelcharakter erhalten kçnnen, sondern auch thematische Elemente.906 Wie der Mythos selbst, so sind auch diese „themes“ extrem flexibel: sie werden vom jeweiligen Snger an seine narrativen Bedrfnisse angepaßt; „the theme is really protean; in the singers mind it has many shapes“– es handelt sich nicht um ein statisches Element, sondern um eine „living, changing, adaptable artistic creation“ ohne fixe Abfolge (Lord 1960, 94).907 Ebenso proteisch ist aber notwendigerweise auch die Rezeption dieser Elemente. Eine traditionelle Erzhlstruktur ist eben durch ihre Traditionalitt in ein ungeheuer komplexes kulturelles Referenzssystem eingebunden, wie eingangs dieser Arbeit bereits thematisiert worden ist (Kapitel I.3). Auch bei den von Herodot verwendeten mythisch-rituellen Folien handelt es sich um ein komplexes Interagieren verschiedener kultureller Referenzsysteme, die wiederum aufeinander verweisen: so verschmelzen Opfer- und Initiationsparadima in der Geschichte vom ,Atreusmahl; so fhrt der Wahnsinn von Herodots Kleomenes und Kambyses auf den Wahnsinn der Dionysosfeinde im Mythos und dieser wiederum auf die kultische Ekstase, die mit Selbstverstmmelung einhergehen kann, wie sie Kleomenes betreibt; daß die Verletzungen beider Wahnsinnigen – und auch des Tempelfrevlers Miltiades – am Bein erfolgen, deutet auf das Springen und Fallen hin, das auf den ekstatischen Dionysoskult, aber auch den Telephos-Mythos verweist; Umkehrungsstruktur, Zerstckelung und Identifikation mit dem Gott fhren weiter auf das Paradigma der Myste906 Vgl. oben 323 f. mit Anm. 874. 907 Vgl. bes. Lord 1960, 96 f.
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VI. Schluß
rieninitiation, whrend die Beinverletzung hufig im Kontext der Puberttsweihe anzutreffen ist. Die Motive sind gleichsam kaleidoskopisch angeordnet; die bei Herodot verwendeten Elemente hngen in der Erzhltradition miteinander zusammen – aber nicht alle mit allen in allen Ausformungen der Tradition: es bestehen zahlreiche verschiedene Kombinationsmçglichkeiten.908 Die assoziative Funktionsweise eines Textes innerhalb dieses Systems ist notwendig kollektiv, kann doch die Einbettung des Einzeldatums in einen kulturellen Kontext ausschließlich in der gesellschaftlichen Vernetztheit erfolgen. Dies liegt schon aufgrund der im Kontext der postmodernen Geschichtsforschung konstatierten Unmçglichkeit der Objektivitt und Autarkie eines Autors nahe. Auch die Historien, so hat sich im Vorausgegangenen gezeigt, sind Produkt einer ,Poetik der Kultur und ihrer sozialen Semantik, wie sie in Clifford Geertz Nachfolge vor allem von der Bewegung des New Historicism propagiert worden ist.909 Gerade Herodots Zielsetzung besteht darin, wichtige Begebenheiten nicht %jkea werden zu lassen, sondern sie weiterzukommunizieren, was logischerweise in einer fr ein mçglichst breites Publikum verstndlichen Form erfolgen muß. Allerdings ist eine Konzentration auf den Autor als Agenten dieser Vorgehensweise angesichts seiner intensiven Verwendung externer Quellen zu einseitig.910 Zwar ist Herodot kein bloßer Sammler von 908 hnlich hat dies Schlesier 2007, 311 fr das attische Drama formuliert: „Die Tragçdiendichter dramatisieren nicht einfach Mythen und Kulte als einen gegebenen kulturellen ,Mega-Text, sie folgen nicht einer vorgegebenen ,mythischrituellen Poetik, sondern ihre Dramatisierung von Mythen und Kulten ist ein komplexer intellektueller Vorgang, bei dem Mythen und Kulte einer vieldimensionalen Reflexion unterzogen werden und bei dem Implikationen des Traditionsbestandes herausgearbeitet werden, bis hin zu Transformationen, ja freien Erfindungen mythischer und kultischer Elemente, die ihrerseits Verarbeitungen von und Auseinandersetzungen mit dem mythischen und kultischen Traditionsbestand darstellen.“ 909 Vgl. oben 21 mit Anm. 42. 910 Vgl. etwa Giangiulio 2005b, 120 f. zur Verschrnkung mythischer und lokalhistorischer Traditionen in der Sosikles-Rede 5.92: „In tutta evidenza Erodoto seleziona, ,rinarra, riformula. E manipola: commenta e confronta gli oracoli, inserisce notazioni cruciali (la theia tyche, il carattere predestinato degli eventi), orientando il senso della tradizione in una direzione precisa, conforme al contesto storiografico che sta delineando. E poi introduce, conclude, riassume. In generale: risemantizza gli elementi tradizionale preesistenti … Erodoto ricorre a una tecnica sottile, idonea nel contempo al recupero e alla fusione di disparati materiali narrativi tradizionali …“ Ohne Giangiulio im mindesten widersprechen zu wollen,
3. ,Mythisch-rituelle Poetik und kultureller Kontext
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berlieferungen; dennoch empfngt auch er das Berichtete in einem Kontext, aus dem er schließt, warum es berichtenswert ist. Die mythischrituelle Folie ermçglicht ihm selbst und seinem Publikum das richtige Verstehen.911 Vor allem bei antiken Texten erscheint die Rekonstruktion der primren Rezeption besonders wichtig, weil sich uns die fremdartigen Texte nicht immer unmittelbar erschließen;912 der erforderliche Assoziationskontext ist uns nicht in demselben Maße prsent wie dem antiken Rezipienten, der auch und gerade mit den Medien Mythos und Ritual ber einen selbstverstndlichen, ausgesprochen dichten913 Kontext an Bezgen und Konnotationen verfgt, den der Autor wiederum voraussetzt.914 Tra-
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sei dennoch zur Vorsicht angehalten: wir kçnnen in keinem Falle beurteilen, was Herodot selbst sammelt, kombiniert und neu semantisiert, und was er unverndert einer Quelle entnimmt (vgl. oben 33 f.). Vgl. Finley 1975, 13: „The past is an intractable, incomprehensible mass of uncounted and uncountable data. It can be rendered intelligible only if some selection is made, around some focus or foci. In all the endless debate that has been generated by Rankes wie es eigentlich gewesen (,how things really were), a first question is often neglected: what ,things merit or require consideration in order to establish how they ,really were? Long before anyone dreamed of history, myth gave an answer. That was its function, or rather one of its functions, to make the past intelligible and meaningful by selection, by focusing on a few bits of the past which thereby acquired permanence, relevance, universal significance.“ Zu dem Ranke-Zitat vgl. oben Anm. 904. Vgl. Dougherty/Kurke 1993a, 5: „That we have nothing but a set of ,texts (in the broadest sense) is even more true of past cultures than of contemporary ones (and this is perhaps why this claim has begun to have an impact on historians). Starting from the premise of our entrapment in textuality, literary criticism then offers methods and strategies for fine textual analysis. It teaches us to look for the shaping influence of traditional narrative patterns and the audiences generic expectations; it leads us to appreciate the ways in which a texts meaning and effects are engendered by the language of tropes and figures.“ An wichtigen Beitrgen zu einer kulturpoetischen Lektre antiker Texte sind neben dem Sammelband von Dougherty/Kurke 1993a Yatromanolakis/Roilos 2003 und 2004b zu nennen, die ausdrcklich auf die generelle Notwendigkeit interpretatorischer Kontextualisierung hinweisen. Zu den Bereichen Mythos und Ritual vgl. besonders Bierl/Lmmle/Wesselmann 2007; zu Herodot besonders auch Thomas Studie Herodotus in Context (2000), die den lange vernachlssigten Bereich eines medizinisch-naturwissenschaftlichen Wissenshorizonts der Historien ausleuchtet. Vgl. etwa Bierl 2007c zum griechischen Roman mit seinem enorm detaillierten Symbolsystem. Vgl. bereits Burckhardt 1898, 7: „Frhe wie spte Autoren, auch wenn sie Anspruch auf genaue Erzhlung zu machen scheinen, sind und bleiben nicht nur Zçglinge des Mythus und schauen die Dinge mit mythischen Augen, sondern sie
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VI. Schluß
dition ist per definitionem Allgemeingut, jedem Mitglied der Gesellschaft greifbar, von jedem kulturellen Bereich auf jeden anderen bertragbar,915 im Sinne einer Durkheimschen mythisch-rituellen „conscience collective“, die bei Mitgliedern derselben Gesellschaft in der Verwendung gleicher Begrifflichkeiten und Gedankenverbindungen resultiert (1912, 605), oder, um mit seinem Schler Halbwachs zu sprechen, einer „mmoire collective“, durch die jede Art des – auch individuellen – Erinnerns notwendigerweise geprgt ist.916 Hierbei entwickeln die einzelnen Elemente ein Eigenleben; sie scheinen sich quasi von selbst und nach eigenen Gesetzmßigkeiten miteinander zu kombinieren, ohne Notwendigkeit einer realen Abbildungsfunktion.917 Ebenso fruchtlos wie der Versuch einer Isolierung der in einer Erzhlung zusammengeflossenen verschiedenen Mythenstrnge und Ritualkomplexe ist auch der Versuch einer einseitig vereinfachenden Deutung dieser Elemente, wie Margaret Alexiou nachgewiesen hat: eine formelhaft strukturalistische, marxistische, psychoanalytische oder ritualistische Deutung muß immer zu kurz greifen; fragt man jedoch nicht danach, was ein Mythos bedeutet, sondern auf welche Weise er etwas bedeuten kann, zeigt sich, daß die verschiedenen Deutungssysteme keinerlei Anspruch auf Exklusivitt besitzen und daß hierfr auch keine Notwendigkeit besteht.918 hnlich breit definiert Alexiou den Begriff des ,Rituals als „profoundly analogical way of seeing, thinking, and acting“ (2002, 319) und bezieht ihn auch auf Alltagshandlungen (im Gegensatz zu bergangsriten oder Praktiken in Krisenzeiten), die dazu dienen, auf symbolische Art mit der Umwelt zu kommunizieren, „to control the perceived outside world by symbolic means, involving repetition of actions, gestures and utterances“
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fingiren und ergnzen auf eine Art und Weise weiter, welche der ganzen neuern Welt vçllig fremd ist.“ Vgl. Mondi 1990, bes. 150 f. zu einer „basic world view“, die sich ber mythisches Denken generiert, einem „underlying stratum of mythic thought.“ Halbwachs 1950; vgl. ferner 1925 und 1941. Vgl. Durkheim 1912, 605: „sans que toutes ces combinaisons soient directement commandes et ncessits par ltat de la ralit sous-jacente“. Er sieht dies insbesondere bei rituellen Handlungen und im mythischen Denken gegeben. Durkheims These resultiert u. a. aus der Erluterung des Kultes der Schlange Wollunqua bei den australischen Warramunga: Der Ritus luft genauso ab wie ein zielgerichteter Bittritus an andere Gottheiten – obwohl von Wollunqua keine Gegenleistung erwartet wird. Dennoch bleibt die Form des Bittritus erhalten (537 – 555). Alexiou 2002 passim; konzentriert 166.
3. ,Mythisch-rituelle Poetik und kultureller Kontext
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(320).919 Im Vorausgegangenen ist der Ritualbegriff aus pragmatischen Grnden enger gefaßt worden, aber natrlich handelt es sich bei den hier bercksichtigten Systemen ,Mythos und ,(religiçses) Ritual nicht um die einzigen Bereiche, die Herodots Text voraussetzt. Neben den rituellen Paradigmen und narrativen Traditionen spielen der gesamte kulturelle Hintergrund Herodots und seiner Rezipienten, historisch-faktische und intertextuelle Bezge, wissenschaftlich, philosophisch, knstlerisch, pragmatisch, politisch oder biographisch motivierte Daten, schließlich auch Alltagsrituale und -erfahrungen ineinander. Jeder Bereich beeinflußt die Lesart des jeweils anderen; isoliert ist keines der Systeme denkbar. Zu Beginn dieses Buches war bereits die Rede vom Austausch der Mythen und Riten mit allen anderen Diskursen; es ist nur folgerichtig, daß auch ein Text „nicht als autonomes Artefakt eines von den gesellschaftlichen Faktoren losgelçsten Knstlers, sondern als sozio-kulturelles Phnomen“ betrachtet wird (Bierl 2007b, 3). Auch Yatromanolakis und Roilos verweisen in ihren Publikationen zu den „Ritual Poetics“ griechischer Texte auf die Untrennbarkeit der Kategorien: sie definieren rituelle Poetik als „exploration of dialogic construction, subversion, negotiation, and conveyance of meaning in a number of interrelated social, cultural, and aesthetic domains of human experience and expression“ (2003, 12 = 2004b, 4). „Meaning“ wiederum, so wird betont, solle nicht als intentionale, direkt kodierte oder dekodierbare Bedeutung verstanden werden, sondern mit Tambiah (1985, 139) „in the sense of pattern recognition and configurational awareness“. Hierbei entspricht die ,Bedeutung nicht immer der ,Logik eines westlichen Rationalismus, sondern besteht hufig in einem praktisch artikulierten Prozeß kommunikativer Interaktion: kein kultureller, sthetischer oder sozialer Diskurs oder Text steht fr sich alleine. Hier liegt auch die Schwche eines jeden kulturpoetischen Ansatzes: abgesehen davon, daß eine Beschrnkung auf einen bestimmten diskursiven Bereich aus pragmatischen Grnden immer vorgenommen werden muß, ist eine vollstndige kontextualisierende Lektre bei antiken Texten ohnehin nicht zu leisten, da uns ber den Gesamtkontext schlicht zuwenig Informationen vorliegen.920 Dies bedeutet nicht, daß die Rekonstruktion eines Teilbereichs (wie dies ja auch in der vorliegenden Arbeit angestrebt 919 Vgl. Alexiou 2002, 317 – 348. 920 Vgl. Dougherty/Kurke 1993b, 3: „given the fragmentary state of our evidence, our task is somewhat more complicated [als Geertz Analyse des balinesischen Hahnenkampfes 1973b]: it is as if we have only the cockfight from which to reconstruct the encircling context of Balinese culture.“
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ist) nicht von hçchster Relevanz sei; jeder Mosaikstein trgt dazu bei, das Gesamtbild zu komplettieren. Schließlich fordern mythisch-rituelle Erzhlelemente die kulturpoetische Lektre in hçherem Maße als andere Bereiche: sind sie doch Kollektivdenken schlechthin, „a function of social ideology“ (Csapo 2005, 9), indem sie „anerkanntermaßen oft die sozialen Ordnungen und Einrichtungen begrnden und rechtfertigen“ (Burkert 1972, 43).921 Mit der Anwendung mythisch-ritueller Strukturen in einem neuen literarischen Genre, das wiederum der Selbstdefinition dient, durch das Wiedererkennen vorgegebener Strukturen in neuen Ereignissen und durch die Kontextualisierung alter Figuren unter neuen Namen hlt Herodot Mythos und Ritual, die notwendig von kollektiver Bedeutung sind, am Leben. Gerade in der Vernderung des Beliebig-Faktischen zum gesellschaftlich Relevanten, in der Adaption der kollektiven Tradition auf aktuelles Geschehen, in der Markierung des Neuen als Wiederholung, behalten Mythos und Ritual ihre ureigene soziale Funktion und Identitt.922 Umgekehrt zeigt sich am Beispiel Herodots, daß die Existenz einer von kollektiven Denkschemata losgelçsten Berichterstattung nicht vorstellbar ist. Die Historien sind nicht das Produkt einer naiven, voraufklrerischen Kultur. Sie sind das Produkt einer uns fremden Kultur, und folglich wirkt ihre Prgung durch gesellschaftliche Faktoren, die nicht mehr die unseren sind, bisweilen irritierend. Eine Sensibilisierung fr die kulturelle Poetik des fnften vorchristlichen Jahrhunderts lehrt uns aber nicht nur, Herodot 921 Vgl. Burkerts abschließende Definition des Begriffs: „… myth is a traditional tale with secondary, partial reference to something of collective importance. Myth is traditional tale applied; and its relevance and seriousness stem largely from this application. The reference is secondary, as the meaning of the tale is not to be derived from it – in contrast to fable, which is invented for the sake of its application; and it is partial, since tale and reality will never be quite isomorphic in these applications. And still the tale often is the first and fundamental verbalization of complex reality, the primary way to speak about many-sided problems, just as telling a tale was seen to be quite an elementary way of communication. Language is linear, and linear narrative is thus a way prescribed by language to map reality.“ 922 Vgl. Assmann 1992, 17: „Das Grundprinzip jeder konnektiven Struktur [vgl. oben Anm. 901] ist die Wiederholung. Dadurch wird gewhrleistet, daß sich die Handlungslinien nicht im Unendlichen verlaufen, sondern zu wiedererkennbaren Mustern ordnen und als Elemente einer gemeinsamen ,Kultur identifizierbar sind.“ Vgl. weiter ebenda, 52: „Durch Erinnerung wird Geschichte zum Mythos. Dadurch wird sie nicht unwirklich, sondern im Gegenteil erst Wirklichkeit im Sinne einer fortdauernden normativen und formativen Kraft.“
3. ,Mythisch-rituelle Poetik und kultureller Kontext
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besser zu verstehen. Sie sollte uns vor allem demonstrieren, daß auch die Produkte unserer eigenen Zeit keinen Anspruch auf außerzeitliche Objektivitt erheben kçnnen. Auch wenn Mythos und Ritual nicht mehr die gesellschaftliche Relevanz haben, die sie zu Herodots Zeiten ohne Zweifel besaßen, so sind es heute eben andere Paradigmen, die unsere Diskurse prgen – um welche es sich handelt und welche Implikationen sie mit sich bringen, mssen Sptere entscheiden.
Appendix 1: Herodot und Homer – ein kurzer Forschungsberblick Schon Creuzer 1803, bes. 146 – 157 fhrt Herodots religiçse Weltsicht auf die homerische zurck; vgl. Fornara 1983, 76 – 78; Snell 1952 betont dagegen den Unterschied der Theologien („Bei [Herodot] greifen nicht mehr die Gçtter in das irdische Geschehen ein“, 9; vgl. 11); vgl. relativierend Pelling 2006a. – Die modernere Forschung setzt mit Norden 1898, 38 – 41 (vgl. auch 45), Jacoby 1913, 502 – 504 und Aly 1921, 263 – 277 ein, die sich vor allem mit der Sammlung einzelner stilistischer Anlehnungen bzw. von Homer bernommener Formeln befassen; ebenso offenbar Hofer 1878 (mir nicht zugnglich), sowie spter Schmid-Sthlin 1934, 553 Anm. 3; 656 f. Speziell zu den Katalogen vgl. Papadopoulou 2006. Zum ,epischen Stil der Historien vgl. Boedeker 2002, 103 f., die von einer Orientierung Herodots an einer speziell die Perserkriege thematisierenden Dichtungstradition ausgeht (vgl. bereits Boedeker 2001). Schadewaldt 1934, 564 betont auch die strukturell-kompositorische Nhe zu Homer (vgl. Lendle 1992, 62; Schadewaldt 1982, 81 – 92). – Zu den episch beeinflußten direkten Reden der Historien vgl. Regenbogen 1930, 77 – 79; Schmid-Sthlin 1934, 643 f.; Steinger 1957; Fornara 1983, 31 f.; Lang 1984, 18 – 51 (auch zu rhetorischen Fragen); Boedeker 2002, 101 f.; Scardino 2007. – Zunehmend wird Homers Einfluß „auch im Sachlichen“ (Strasburger 1972, 6), also inhaltlich, untersucht. So analysiert Pohlenz 1937 neben dem allgemein stilistischen Einfluß Homers (46, 63 und 212 f.) 118 die motivische Allusion in den Trugtrumen des Xerxes, die er an die des Agamemnon aus der Ilias angelehnt sieht (vgl. Immerwahr 1954, 34 – 37 und oben Kapitel IV.2.2). – Zu den am Epos angelehnten Kampfberichten Herodots vgl. de Romilly 1956, 111 – 115. – Zum Troianischen Krieg als thematischer Vorlage fr die ganze griechische Geschichtsschreibung vgl. oben 37 f. – Huber 1965 besteht erstmals auf einer konsequent semantischen Begrndung der Homerzitate Herodots (34). Ferner sieht er das griechische „Verstndnis von Geschichte allgemein im Epos begrndet“ (41), was sich in Herodots Streben nach einem bruchlosen, kausal verknpften, durch Einheit der Charaktere sowie zeitliche und rumliche Kontinuitt gesttzten Handlungsverlauf zeige, sowie ferner in der direkten und indirekten Vorberei-
Appendix 1: Herodot und Homer
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tung spter geschilderten Geschehens, das in seiner kontinuierlichen Steigerung nach der Ilias modelliert sei. – Strasburger 1972 (vgl. aber schon 1966) sieht den Einfluß Homers im agonalen Prinzip des jk]or-Berichts gegeben (vgl. schon Schwartz 1928, 73 f.; spter Fornara 1983, 62 – 64; Nagy 1987; vgl. 1990, 215 – 249; Woodman 1988, 2; Brillante 1990, 98 – 100; Boedeker 2002, 99; vgl. aber Boedeker 2003 zur prosaischeren Todesdarstellung Herodots), in einer nicht bloß chronikhaften Konzentration auf !ni|koca (dem stndigen bergewicht des „aitiologisch-paradeigmatischen Denkens ber das antiquarische“, 36), in der bernahme eines homerischen Geschichtsbewußtseins, der Annahme einer Historizitt des Mythos, dem – wenn auch qualitativ vernderten – Wahrheitsanspruch. Ferner erkennt Strasburger homerische Einflsse auf die griechische Geschichtsschreibung in der erzhlerischen Logik, dem Objektivittsvermçgen (vgl. auch Boedeker 2002, 105 f.), der Chronologie und dem „großrumigen historischen Zeitbewußtsein“ (26). – Die Anklnge des herodoteischen Prooimiums an die Eingnge der homerischen Epen (und den darin zuerst sich zeigenden !c~m Herodots mit Homer einerseits und der prosaischen Tradition der kococq\voi andererseits) behandelt umfassend Krischer 1965; vgl. aber schon Creuzer 1803, 147 f. Spter dazu v. a. Nagy 1987; vgl. 1990, 215 – 249; ferner u. a. Woodman 1988, 2 f.; Moles 1993, 88 – 98; Goldhill 2002, 10 – 13; Pelling 2006a, 78 f.; 81 f. – Neville 1977 untersucht Herodots Perspektive auf den Troianischen Krieg und seine Auswertung der homerischen Epen als Quelle, vgl. auch Biraschi 1989. – Boedeker 2002, 100 weist auf die Parallelitt von Homers Musenanruf und Herodots Berufung auf seine Quellen hin; sie bietet darberhinaus einen allgemeinen berblick zum Thema, das sie einleuchtend mit Herodots Verwendung mythischer Strukturen verknpft (vgl. oben 38). – Verdin 1977 befaßt sich allgemein mit dem Einfluß poetischer Traditionen auf die Historien. Auch Griffin 1990 weist die Nachwirkung kleinerer Gattungen nach, etwa des hesiodeischen Frauenkatalogs, aber auch der Tradition der Homer- und sop-Viten. – In neuerer Zeit wird das Phnomen des homerischen Einflusses auf die Historien auch in narratologischer Hinsicht aufgearbeitet (zur homerischen Kompositionstechnik sowie zur epischen Behandlung von Handlungs- und Erzhlstrngen vgl. aber schon Erbse 1961 und 1992, 122 – 132). Die narrativen Parallelen sind zuerst begrndet in der Kombination von diegesis, also ,Erzhlung und mimesis, d. h. dramatischer Szenendarstellung mit direkter Rede (vgl. Strasburger 1972, 38 – 40; Boedeker 2002, 106 f). Detaillierte narratologische Untersuchungen zur epischen Erzhltechnik Herodots haben de Jong 1999 (bes. 220 – 227) und Rengakos 2001 und 2006 vorgelegt. Einen semiologisch orientierten
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Appendix 1: Herodot und Homer – ein kurzer Forschungsberblick
narratologischen Vergleich zwischen Homer und Herodot liefert Calame 1986, 75 – 96. Im narratologischen Feld arbeitet auch Baragwanath 2008, die den Erzhler der homerischen Epen unter den Gesichtspunkten von Charakterisierung und Motivierung mit dem Erzhler der Historien vergleicht. Zu weiterer Literatur vgl. Rengakos 2001, 253 f., dazu neu zu nennen: Marincola 2006 und Pelling 2006a, letzterer mit zahlreichen neuen Detailanalysen.
Appendix 2: Das Wortfeld ,Frevel bei Herodot ,Freveltaten werden in den Historien am hufigsten durch den Begriff jaj|m und seine Ableitungen gefaßt. Damit bezeichnet Herodot zunchst einfach Dinge von ,minderer Qualitt, etwa primitive Lebensumstnde (4.95.2), unfruchtbares Land (6.127.2), schlechtsegelnde Schiffe (9.90.3). Ferner meint der Begriff alles ,Unheil, unabhngig davon, ob dies mit ,Frevel zu tun hat oder nicht.923 Dieses menschliche Leiden hat aber dann religiçse Frbung, wenn es von den Gçttern gesandt ist: so spricht Kroisos von seinem Unglck als jajodailom_g (1.87.3), und die Strafe fr Tempelschndung ist jaj|m ti und geht von Menschen und Gçttern aus, wie der aithiopische Pharao Sabakos frchtet, dem ein Traum seinen Religionsfrevel angekndigt hat (2.139.2, vgl. unten Anm. 959).924 Zahlreich sind die Figuren (oder Stdte), denen ein schlimmes Ende vorherbestimmt scheint, was Herodot mit seiner berhmten Formel 5de] oR jaj_r cem]shai oder hnlichen Wendungen ausdrckt.925 Gleichsam das Gegenstck zu dieser gottgesandten Strafe ist die hier gesuchte Bedeutung der menschlichen Freveltat. Auch dies bezeichnet der Begriff: jaj\ als durch Menschen verursachtes Leid beinhaltet immer moralische Implikationen, die mehr oder weniger stark ausgeprgt sind. Kollektiv verbte jaj\ sind beispielsweise der Krieg und all seine Kon-
923 Sehr allgemein sind jaj\ etwa ,die Leiden des Menschen, denen der glckliche Mensch laut Solon entgeht (1.32.6) und welche die Thraker beim Blick in die Zukunft des Neugeborenen beklagen (5.4.2). Etwas spezifischer bezeichnet jaj\ ,Schwierigkeiten, wie sie z. B. Gyges frchtet (1.9.1), eine schlimme Lage, etwa die des Diebes in der Falle (2.121.b.2), oder eine verfahrene Situation, wie Perianders Beziehung zu seinem Sohn (3.52.6). Des weiteren handelt es sich um punktuelle Schicksalsschlge, z. B. den Tod des Kroisossohnes Atys (1.34.1;1.45.2), Krankheit (3.129.2 f.) oder auch materielles Elend, etwa Hungersnot (1.94.5; 6.139.1) oder Drre (4.151.2). 924 Vgl. auch 4.94.3 (wer das Salmoxis-Opfer der Geten berlebt, gilt ihnen als gebrandmarkter !mμq jaj|r) oder 4.165.2 (Arkesilaos hat ein Orakel nicht beachtet und beschwçrt so sein eigenes Unglck herauf). 925 Kandaules (1.8.2), Apries (2.161.3), Polykrates (3.43.1; vgl. auch 3.40.3; 3.125.2), Skyles (4.79.1), Korinth (5.92.d.1), Miltiades (6.135.3) und Artay¨nte (9.109.2); vgl. auch das Ende der Pheretime (4.205) und des Kleomenes (6.84.1).
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Appendix 2: Das Wortfeld ,Frevel bei Herodot
sequenzen,926 aber auch die beltaten der Kçnige und Tyrannen.927 Die Bedeutung des Wortes auf geistiger Ebene ist zunchst weitgehend neutral: ,schlecht beraten sein kann einfach eine falsche Entscheidung aufgrund eines rein intellektuellen Versagens bedeuten (1.112.3; 1.116.4; vgl. 3.29.2). Bisweilen zeigt sich hier aber ebenfalls eine moralische Frbung, etwa, wenn Artabanos Xerxes Entscheidungsfindung betreffend den Griechenlandfeldzug kommentiert und jaj_r synonym zu aQswq_r bouke}eshai verwendet (7.10.d.2).928 Selbstverstndlich ist jaj|tgr auch eine Charaktereigenschaft. Zeigt sie sich im Kampf, ist in der Regel Feigheit oder mangelnde Motivation gemeint;929 zuweilen aber handelt es sich durchaus um ,moralische Verderbtheit: Cheops Bosheit geht so weit, daß er seine Tochter zur Prostitution zwingt (2.126.1), Paris wird von Proteus aufgrund seiner Taten als j\jiste !mdq_m angesprochen (2.115.4; vgl. 3.145.2 und 7.39.1). -mhqypoi jajo_ schließlich sind es, die nach Artabanos Meinung Xerxes verderben, und jaj|m ist es, die xuw^ eine nie zu befriedigende Habgier zu lehren (7.16.a.1 – 2; vgl. 7.18.2). Natrlich bleibt es nicht bei dem Begriff jaj|m. hnlich prominent, wenn auch semantisch etwas eingeschrnkter, erscheinen die Gegenteile zu d_jaiom und seinen Ableitungen. Entsprechen diese zunchst dem deutschen ,ungerecht in seiner emotionalen Wertung einer subjektiv empfundenen ,Unfairness – etwa, wenn die Troianer nicht einsehen, warum sie fr Helena und die geraubten griechischen Gter bezahlen sollen, da diese doch der gypterkçnig Proteus besitze (2.118.3), oder wenn die gypter die Benachteiligung fremder Teilnehmer an den Elischen Spielen als ungerecht empfinden (2.160.4) –, werden sie durchaus auch auf abstraktere Tatbestnde angewendet, so in der Rede des Aithiopenkçnigs, der Kambyses ausrichten lßt, daß ein gerechter Mann nicht danach trachte, andere Lnder zu erobern (3.21.2), oder in den Refle926 Z. B. 2.120.3 f.; 3.14.10; 5.97.3; 6.21.2, spezifisch auch Niederlagen oder Verluste im Krieg (z. B. jaj_r !]hkeom, 1.67.1; jejajyl]mym, 1.170.1; 1jaj~hgsam, 5.27.1; jaj_r pq^ssomter, 5.34.3; jaj`, 7.9.b.1; jejajyl]moisi, 7.191.1; jajyhe_r, 8.68.c). 927 Milde Herrscher tun ihren Gefangenen kein jaj|m an (z. B. 1.130.3; 6.30.1; 6.41.4), weniger gutmtige Despoten bedrohen ihren Untertanen mit Schrecklichem (z. B. ak]hq\ t` jaj_st\ se diawq^seshai, 1.110.3; !pok]esha_ te j\jista, 1.112.1; !pokyk]mai j\jista, 2.181.3); Cheops und die brigen Pyramidenbauer strzen ihr Land ins Unglck (p÷sam jaj|tgta, 2.124.1; 2.128; 1r t¹ 5swatom jajoO, 2.129.1). 928 Jaj\ sind auch bçse Vorstze (z. B. lgwam~lemor jaj\, 3.15.4; jaj¹m mo]ousi, 3.81.3). 929 Z. B. jaj|r, 1.55.2; 1hekoj\jeom, 1.127.3; 5.78; 8.85.4; jajo_, 6.14.1; jaj|tgti, 7.168.4, 1hekojaj]ete, 8.22.2.
Appendix 2: Das Wortfeld ,Frevel bei Herodot
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xionen des Artabanos ber die !dij_a der Verleumdung (7.10.g.2).930 Hier stehen die Begrifflichkeiten der juristischen Sphre nicht mehr fern, wo sie vor allem im Kontext richterlicher (Fehl-)Urteile belegt sind.931 Somit ist d_jg auch Merkmal der zivilisierten Gesellschaft: die Menschenfresser kennen sie nicht.932 Am hufigsten ist die Bezeichnung !dij^lata (und Ableitungen) in der Bedeutung ,Feindseligkeiten, die sich zwischen unterschiedlichen Poleis oder Vçlkern ereignen.933 Aber !dij^lata sind auch Verstçße gegen ,ungeschriebene Gesetze. Dieser Bereich beginnt etwa bei den ußerungen des Mardonios, daß die Ionier !dij~tatoi wren, kmpften sie gegen ihr eigenes Mutterland, und dijai|tatoi, sollten sie sich fr dessen 930 Laut Artabanos gibt es beim Tatbestand der Verleumdung immer zwei !dij]omter und einen !dije|lemor : der Verleumder selbst ,tut Unrecht, !dij]ei, aber ebenso derjenige, der ihm unbesehen glaubt. Der Abwesende schließlich ,erleidet Unrecht, !dij]etai. 931 Vgl. die Verwendung der Vokabel im Zusammenhang mit der Rechtsprechung des Deiokes (1.96) und mit richterlichen Fehltritten (3.31.3; 5.25.1; 7.194.1) sowie ferner die allgemeinen Bezeichnungen von Verbrechen im juristischen Sinne (1.100.2; 1.137.1). 932 )mdqov\coi d³ !cqi~tata p\mtym !mhq~pym 5wousi Ehea, oute d_jgm mol_fomter oute m|l\ oqdem· wqe~lemoi (,die Menschenfresser haben die rauhsten Sitten von allen, und sie achten weder das Recht, noch wenden sie irgendein Gesetz an, 4.106). 933 Angefangen mit den Frauenraubgeschichten (1.2.1; vgl. 1.4.2) setzt sich die Liste weiter fort: ,Feindseligkeiten ereignen sich zwischen Griechen und Barbaren (1.2.1; 1.5.3), Kroisos und Kyros (1.130.3), Skythen und Medern (4.1.1), Skythen, Taurern und Persern (4.119.2 und 4), Athenern und Aigineten (5.84.1; 5.89.2; vgl. auch 6.87), Sikyoniern und Argivern (6.92.2), Eretriern und Persern (6.119.1), Athenern und Persern (7.8.b.2), Griechen und Persern (7.9.2), Athenern und den brigen Griechen (9.7.a.2), Athenern und Spartanern (9.11.1). Keine !dij^lata fallen zwischen Sataspes und den kleinen Menschen Libyens (4.43.5), Karchedonen und Libyern (4.196.3) und gewissen unterworfenen Vçlkern und den Persern (7.9.2) vor. Niemand begeht sie gegen das ferne Volk der Agrippaier (oqde·r !dij]ei, 4.23.5), wie diese auch keinem Flchtling etwas tun (dr #m ve}cym jatav}c, 1r to}tour, rp oqdem¹r !dij]etai, 4.23.5). Dieses ,nichts zuleide tun scheint moralisch bisweilen ganz neutral: etwa, wenn der Skythenkçnig seine Feinde samt Familie tçtet – was Herodot nicht explizit zu kritisieren scheint –, den weiblichen Mitgliedern des Clans aber nichts tut (oqj !dij]ei, 4.69.3). – Diese ,politische Komponente der Termini ist teilweise auch fr Einzelpersonen belegt, vor allem, wenn es um mangelnde Loyalitt gegenber dem Herrn oder dem eigenen Volk geht: Harpagos hat sein eigenes Volk, die Meder, an die Perser verraten, um sich an seinem Herrn Astyages zu rchen, was dieser als !dij~tatom bezeichnet (1.129.3). Zum Ungehorsam gegen den Herrn vgl. auch 1.112.3; hnlich konnotiert ist Paktyas Anstiftung zum Aufstand (!dij]ym, 1.155.3).
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Appendix 2: Das Wortfeld ,Frevel bei Herodot
Freiheit einsetzen (7.51.2 f.). Von diesen Vorstellungen der Verpflichtung gegenber dem eigenen Volk ist es nicht mehr weit zur religiçsen Sphre, und in der Tat verwendet Herodot die Begriffe hier sehr hufig: ,das Gerechte als abstraktes Prinzip ist zustndig fr die Bestrafung von Freveltaten, so etwa, wenn der Zorn des Heros Talthybios auf die spartanischen Boten fllt: t¹ d_jaiom ovty 5veqe (7.137.2). Weiter kennzeichnet das Wortfeld religiçse Tabus, wenn ein bestimmtes Verhalten einem Gott gegenber als nicht d_jaiom bezeichnet wird.934 Der wohl extremste Fall von Religionsfrevel in den Historien wird als !d_jgla bezeichnet: die Tçtung des Apis-Stiers durch Kambyses (3.30.1, siehe oben Kapitel III.1.1), daneben zahlreiche große und kleine Vergehen gegen Gçtter oder Heiligtmer.935 Der schlagendste Beleg fr die Bedeutung ,Frevel in dieser 934 2.47.2 heißt es, die gypter hielten es nicht fr recht, den Gçttern (außer Selene und Dionysos) Schweine zu opfern: oq dijaioOsi (das Verb verwendet Herodot auch in neutralem Sinne: ,fr richtig halten etc.). Den Persern ist die Verbrennung von Leichen verboten, weil es oq d_jaiom ist, einem Gott einen menschlichen Leichnam zu bergeben (3.16.3). Die Kyrenaierinnen finden es nicht richtig (oqd aR Juqgma_ym cuma?jer dijaioOsi), Rindfleisch zu essen – wegen der Gçttin Isis (4.186.2). Kleomenes behauptet, er habe es nicht fr richtig gehalten, Argos anzugreifen, ohne zuvor geopfert zu haben (6.82.1). 935 So wird Miltiades Versagen bei der Belagerung von Paros von den Athenern als !dij_g betrachtet und mit einer Geldbuße geahndet (6.136.3) – daß hier Miltiades Entweihung des Demeterheiligtums, aufgrunddessen die parische Expedition laut Herodot gescheitert ist (6.134 f., vgl. oben 124 – 126; 134 Anm. 337), nicht mitgedacht sei, ist kaum denkbar. Des weiteren erfahren die Apollonier in Dodona und Delphi, die Unfruchtbarkeit ihrer dem Helios geweihten Schafherde sei die Strafe dafr, daß sie den Hirten Euenios, der den Einfall von Wçlfen in die Herde verschlafen hatte, zu Unrecht (!d_jyr) seines Augenlichtes beraubt htten: die Wçlfe htten die Gçtter selbst geschickt (9.93 f.). Auch die Pelasger begehen ein religiçses !d_jgla : nachdem sie ihre attischen Beutefrauen und deren Sçhne getçtet haben, trgt die Erde nichts mehr, Vieh und Frauen werden unfruchtbar (6.139); die beiden letzteren Taten werden also klar als Frevel gekennzeichnet, der von gçttlicher Seite mißbilligt wird. Schließlich bezeichnet sich auch der letzte Frevler der Historien, Artay¨ktes, selbst als !dij]ym – in Erwartung seiner Strafe fr die Entweihung des Protesilaos-Heiligtums, die ihm ein Vorzeichen anzeigt (9.120.2). Xerxes Hellespontberschreitung wird von Herodot eindeutig als Frevel aufgefaßt (vgl. oben Kapitel II.2), aber whrend Xerxes die Zerstçrung seiner Brcke ,durch den Hellespont als Unrecht bezeichnet (fti lim Ad_jgsar), erkennt er seinen eigenen berschreitungsfrevel nicht (oqd³m pq¹r 1je_mou %dijom pah|m, 7.35.2). ber die Natur des !dije?m, dessen Bestrafung dem Tyrannen Hipparchos im Traum angekndigt wird (5.56.1), schweigt sich Herodot aus (die Eifersuchtsgeschichte, die Hipparchos Ermordung unmittelbar vorausgeht, ist bei Thukydides 6.54 berliefert, nicht bei Herodot. Dieser berichtet ber Hipparchos 7.6.3 f. lediglich eine positive Episode, die dessen Aufrichtigkeit und Ge-
Appendix 2: Das Wortfeld ,Frevel bei Herodot
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Wortfamilie ist womçglich Herodots allgemeine Aussage 2.120.5, daß auf große !dij^lata immer auch große Strafen der Gçtter folgen.936 Weitgefaßt ist bei Herodot auch die Begriffsfamilie um m|lor – dessen Mißachtung in manchen Fllen dem deutschen ,Frevel entspricht: die Menschenfresser kennen keinen m|lor (4.106; vgl. oben Anm. 932), der hier wohl allgemein ,Humanitt oder ,Zivilisation bedeutet; der geschndete Hermotimos lobt, als er an dem ,Eunuchenmacher Panionios Vergeltung bt, die Gerechtigkeit der Gçtter, die sich nach einem gerechten m|lor richten (m|l\ dija_\ wqe~lemoi, 8.106.3); der Tyrannengegner Otanes definiert den vergewaltigenden und ohne Richterspruch tçtenden Alleinherrscher dadurch, daß er die vterlich ererbten Bruche umwerfe (m|lai\ te jim]ei p\tqia, 3.80.5). „To disturb established nomoi is to confuse the natural order, to turn the world upside down. Such interference invites trouble“,937 so Donald Lateiner (1985, 195), der die Kinderlosigkeit diverser Frevler bei Herodot (darunter Astyages, Kambyses, Kleomenes und Miltiades) ihrer Verletzung von „supra-national nomoi“ zurschreibt: „[they] are strongly condemned for such actions as religious impiety or murder of kin, outlaw behaviour condemned by universal nomos, not local nomoi“ (142).938 Diese Bedeutung als ursprungsloses,939 ,ungeschriebenes Gesetz in einem absoluten, metaphysischen Sinne (und somit als potentielles Gegenteil zum Handeln des Frevlers) hat m|lor in den Historien jedoch selten
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wissenhaftigkeit belegt: er habe den Onomakritos bei der Flschung von MusaiosSprchen ertappt und daraufhin verbannt – obwohl der Mann sein bester Freund gewesen sei). 2.120.5: !kk oq c±q eWwom :k]mgm !podoOmai oqd³ k]cousi aqto?si tμm !kghe_gm 1p_steuom oR þkkgmer, ¢r l³m 1c½ cm~lgm !pova_molai, toO dailom_ou paqasjeu\fomtor, fjyr pamykehq_, !pok|lemoi jatavam³r toOto to?si !mhq~poisi poi^sysi, ¢r t_m lec\kym !dijgl\tym lec\kai eQs· ja· aR tilyq_ai paq± t_m he_m. ja· taOta l³m, t0 1lo· doj]ei, eUqgtai. (Denn [die Troianer] waren gar nicht imstande, Helena herauszugeben, aber obwohl sie die Wahrheit sagten, glaubten ihnen die Griechen nicht, wie meine persçnliche Meinung ist: die Gottheit sorgte durch den gnzlichen Untergang dafr, daß die Vernichteten dies der Menschheit deutlich machen wrden, daß auf große Freveltaten große Strafen von seiten der Gçtter folgen. Und nun ist gesagt, wie es mir persçnlich erscheint.) hnlich Konstan 1983, 4: „The violation of nomos … is a failure to observe the context, a misapplication of codes … It is to act in one sphere according to the rules that govern another; in a word, it is an abuse of boundaries. Indeed, we may even say that violations of nomos obliterate the boundaries, for the forms of behaviour are as much constitutive as emblematic of the several spheres of relationship.“ Vgl. Lateiner 1985, 126 – 144. Vgl. Sigot 1996, 63 f.
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Appendix 2: Das Wortfeld ,Frevel bei Herodot
– in der Regel bezeichnet das Wort die herkçmmlichen Bruche, Sitten und Ansichten einer Gruppe940 (bisweilen mit der nicht immer ganz eindeutigen Komponente des punktuell Menschengemachten als ,Gesetz941), oft, aber keineswegs ausschließlich, im religiçsen, mythischen und rituellen Bereich.942 Hier berschneidet sich die Sphre des m|lor allerdings durchaus mit der metaphysischen Kategorie des moralisch Richtigen: daß Kambyses den Leichnam des Amasis verbrennen lßt, ist ouj fsia und oq d_jaiom, weil es gegen die Gesetze von Persern und gyptern verstçßt; die Perser halten das Feuer fr einen Gott und bergeben ihm folglich keine Leichen, whrend die gypter glauben, das Feuer sei ein beseeltes Tier, und einem Tier drfe man keine Toten ausliefern (3.16). Diese Vorstellungen bezeichnet Herodot mit mol_fousi, 1m m|l\, mem|listai, m|lor, und molif|lema (3.16.2 – 4). Auch die Schndung der Leiche des Leonidas durch Xerxes wird mit paqem|lgse bezeichnet (7.238.2). So sehr Herodot propagiert, daß man diese m|loi auch fremder Vçlker nicht verletzen soll, so sehr scheint er doch generell von ihrer Relativitt berzeugt: beides geht aus 3.38 hervor, wo er zum einen den Kambyses fr wahnsinnig erklrt, weil er fremde m|loi verspottet, zum anderen jedoch von Dareios anthropologischer Probe berichtet, die erweist, daß jedes Volk seine eigenen m|loi am meisten schtze (vgl. oben 46 und 136). Als alles andere als absolut erweist sich der m|lor auch, als Kambyses seine Richter befragt, ob es ein Gesetz gebe, das mit der eigenen Schwester zusammenzuleben erlaube, und die Richter dies zwar verneinen mssen, dafr aber ein anderes Gesetz finden, das dem Perserkçnig erlaube, zu tun was immer er wolle – den m|lor wollen sie nicht aufheben, andererseits durch seinen Schutz auch nicht ihr Leben riskieren, weswegen sie einen anderen m|lor finden, der den ersten neutralisiert (3.31). Sptestens hier wird deutlich, wie wandelbar der Begriff des m|lor bei Herodot letztlich 940 Z. B. 1.94.1; 1.137.1; 1.172.1; 1.195.2; 1.196.1; 1.196.4 f.; 1.197; 1.199.1; 1.199.5; 1.200; 1.216.1; 2.35.2; 2.79.1; 3.20.2; 4.26.1; 4.68.2; 4.103.1; 4.105.1; 4.107; 4.168.1; 4.169.2 – 171; 4.187.1; 4.190; 5.3.2; 5.6.1 f.; 5.18.2 f.; 6.106.3; 9.111.1 (m|lor); 1.135; 2.49.3; 4.104; 4.114.3 (m|laiom); 1.138.1; 4.65.1; 4.172.2; 4.191.1; 7.3.3 (mol_fy); 2.92.1; 4.172.2 (m|lor und mol_fy). 941 Z. B. 1.29; 2.177.2 (Gesetze des Solon); 1.82.7 (der Argiver); 1.82.8; 5.75.2 (der Spartaner); 2.136.2 (der gypter); 1.65.2; 1.66.1 (die Lakedaimonier haben erst schlechte Gesetze, jajomol~tatoi Gsam, und erhalten dann gute von Lykurgos, eqmol_gm / eqmol^hgsam). 942 1.144.3; 2.37.1; 2.39.4; 2.42.3; 2.45.2; 2.65.3; 2.113.2 f.; 6.58.2 (m|lor); 1.35.2; 1.49; 2.37.5; 2.38.1; 2.43.4; 2.46.2; 2.50.3; 2.63.4; 2.65.2; 2.72; 2.122.1; 2.145.1; 4.94.1; 4.127.4; 5.82.2; 7.129.4; 7.140.1; 7.150.2; 7.192.2 (mol_fy); 1.131.1 f.; 1.140.3 (m|lor und mol_fy); 4.59 (m|laiom und mol_fy).
Appendix 2: Das Wortfeld ,Frevel bei Herodot
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sein kann, und wie relativ folglich der Verstoß dagegen. Auch ist es nicht immer gerecht und erfolgsgekrçnt, dem m|lor zu folgen; so muß Xerxes nach Griechenland ziehen, weil der m|lor der Perser Expansion verlangt (7.8a).943 Ein weiterer Begriff, der im Kontext ,falschen Handelns interessiert, ist "laqt\meim. Der Begriff und seine Ableitungen bezeichnen zunchst technisches ,Verfehlen – Adrastos ,verfehlt mit seinem Speer den Eber (1.43.2); Kambyses Pfeilprobe schließt die Mçglichkeit des "laqt\meim ein (3.35.2); die Athener sagen, sie htten Boiotien an die Perser ,verloren (Bl\qtolem, 9.7.b.2). Allerdings spielt auch bei diesen ,Verfehlungen stets irgendeine Form von moralischer Schuld hinein: Adrastos verfehlt den Eber, trifft aber den Sohn des Kroisos; Kambyses zielt auf den Sohn seines Dieners; und Boiotien ist durch die Schuld der Spartaner an Persien gekommen. Die vom Technischen allmhlich aufs Intellektuelle bergehende Bedeutung scheint moralisch zunchst weitgehend neutral: Fische verfehlen ihren Weg nicht, Skythen schon (2.93.4; 4.12.2); die Perser verfehlen sich whrend ihres Skythenzuges gegenseitig (4.136.2), und die Skythen verpassen den Rckzug der Perser gleich zweimal (4.140.1; 4.142). Moralisch interessanter wird es bisweilen, wenn es ums ,Nicht-Verstehen, ,Nicht-Wissen geht: so gibt Kroisos dem Kyros im Kontext des Massageten-Feldzugs einen in letzter Konsequenz fatalen Ratschlag, dessen erster Teil, die Ablenkung der Feinde durch Speis und Trank, wie er bemerkt, gelingen sollte, ,wenn mich nicht alles tuscht (Cm c±q 1c½ cm~lgr lμ "l\qty, 1.207.7). Auf die konkrete Situation bezogen, tuscht er sich nicht; letztlich hat die Aktion jedoch Kyros Untergang zur Folge. Zu der hufigen Bedeutung des Wortes als ,fehlerhafte Einschtzung einer Situation944 gehçrt immer auch aktive Uneinsichtigkeit: im Falle des Arkesilaos heißt es gar, er habe den Orakelspruch ,absichtlich oder unabsichtlich mißverstanden und so sein Schicksal erfllt (eUte 2j½m eUte !]jym "laqt½m toO wqgsloO 1n]pkgse lo?qam tμm 2yutoO, 4.164.4). *laqt\meim als ,falsches Handeln schließlich ist hufig moralisches Vergehen, selten je943 Vgl. Evans 1965, 149 f.; Gigante 1956, 135: „[Erodoto] non vede lun contro laltro lOccidente e lOriente, solo come forze terrestri o navali ma anche come forze ideali – m|loi – nel loro tragico dissidio, che nessuna bravura dinterprete pu conciliare e sanare.“ 944 So erweist sich Kambyses grçßenwahnsinniger Zug gegen die Aithiopen als Fehler ("laqt\r, 3.25.5); spter gesteht der Kçnig in anderem Zusammenhang, sich bezglich der Zukunft geirrt zu haben (p\mtyr d³ toO l]kkomtor 5seshai "laqt½m, 3.65.4). Kroisos und Teisamenos verstehen Orakelsprche falsch (1.71.1; 9.33.2).
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doch Frevel an Heiligem. Ganz allgemein bezeichnet diese Wortfamilie ,Schuld945 und wird bisweilen synonym mit aQt_g gebraucht;946 konkreter ist die juristische Bedeutung des ,Verbrechens, aufgrunddessen man etwa im Gefngnis sitzt (3.145.1; vgl. 2.137.3).947 Wenn die Pythia die Tat des Gyges als "laqt\r bezeichnet (1.91.1), wenn die Ursache von Kroisos Frevel, wieder ein mißverstandenes Orakel, als ,Schuld des Menschen von der des Gottes abgegrenzt wird (1.91.6), wenn eine "laqt\r wie die ungerechtfertigte Steinigung der Phokaier durch Etrusker und Karthager von gçttlicher Seite sanktioniert wird (1.167.1 f.), wenn die gypter schließlich Aussatz als Konsequenz eines "laqt\meim gegen Helios betrachten (1.138.1), ist der religiçse Bereich schließlich doch berhrt. Wo aber bleibt das bekannte deutsche Fremdwort zur Bezeichnung frevlerischer Gesinnung? Mit dem Begriff der Hybris bezeichnet Herodot die – oft aggressive948 – bertretung geltender Gesetze und Konventionen, nicht aber ,Frevel im religiçsen Sinne.949 Abgesehen von einigen Fllen fast vçlliger moralischer Neutralitt950 sowie einer isolierten juristischen Verwendung von rbq_feim (mit !d_jgla als zugehçrigem Substantiv: eU tima pumh\moito rbq_fomta, toOtom … jat !n_gm 2j\stou !dij^lator 1dija_ou, 1.100.2) handelt es sich meist um Verstçße gegen Vorstellungen geltender Moral oder gegen Vereinbarungen, wie dies auch beim Begriff des %dijom der Fall sein kann.951 Wie dieser bezeichnet auch der Begriff der Hybris
945 Kroisos bezeichnet Sardes als p|kim … !mal\qtgtom, 1.155.3; trotz ihrer Kinderlosigkeit betrachtet Kleomenes seine Frau als !mal\qtgtom, 5.39.2. 946 Vgl. Histiaios Schuld am ionischen Aufstand, 6.29.1 und 6.30.1. 947 In hnlicher Bedeutung bezeichnet "laqt\meim auch Ungehorsam gegen den Kçnig: 1nalaqte?m, 1.108.5; "laqt\r, 1.119.1; vgl. !mal\qtgtor, 1.117.3; "laqtgl\tym, 7.194.2; "laqtgl\tym, 8.140.a.1; vgl. 8.140.b.4. 948 Vgl. Fisher 1992, 346: „[Hybris] is aggressive, insulting, behaviour that typically produces a desire for revenge, and may well be among the causes of wars or attempts to change governments“. 949 Zu einer detaillierten Analyse aller Einzelstellen in den Historien vgl. Fisher 1992, 343 – 485. 950 Bei diesen Sonderfllen handelt es sich um die Nasamonenjnglinge (pa?dar rbqist\r, 2.32.3), die ausziehen, die Welt zu erforschen, aber ungestraft wieder zurckkehren (2.32 f.), ferner um ungewçhnliche Handlungen von Tieren: Kyros Pferd, das aus Hybris in den Fluß springt (1.189.1); die schreienden (rbq_fomter) Esel, an denen die skythische Reiterei irre wird (4.129.2). 951 So schlgt Kyros als Knabe einen vermeintlich Ranghçheren, dessen Familie sich folglich als Opfer von Hybris sieht (peqiubq_sleha, 1.114.5); der erwachsene Kyros ist verrgert ber die Hybris des Flusses Gyndes, der sein Pferd schluckt (1.189.2, aber vgl. die vorhergehende Anm.); das Eindringen des Intaphrenes in
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hufig politische Querelen.952 Abgesehen von konkreten Taten im Zusammenhang mit Hybris steht der Begriff auch fr eine Neigung zu solchen Taten, die diversen Figuren nachgesagt wird; die Vokabel ist dann abgelçst von der Einzelhandlung und somit quasi Charakterisierung.953 Ferner wird gerade bezglich der Hybris oft generalisiert: die Perser, so Kroisos, neigen von Natur aus zur Hybris (v}sim 1|mter rbqista_, 1.89.2); Megabyzos vergleicht die – wenigstens planvolle – Hybris des Tyrannen im Verfassungsstreit der persischen Verschwçrer mit der blinden Hybris der Masse (3.81.1 f.). Eine religiçse Konnotation von Hybris ist in den Historien niemals deutlich; bei den beiden Fllen, ber die sich streiten lßt, handelt es sich den Kçnigspalast ist rbq_feim (3.118.1); das willkrliche Morden des Statthalters Oroites gilt ebenfalls als Hybris (1n}bqise, 3.126.2). 952 So ist der Raubbau der Skythen an den von ihnen beherrschten Vçlkern Hybris (1.106.1); Tomyris wirft Kyros vor, daß seiner berheblichkeit ein Drittel ihres Heeres zum Opfer gefallen sei (Lassacet]ym tqitgloq_di toO stqatoO jatubq_sar, 1.212.3); der verbannte Psammetichos fhlt sich peqiubqisl]mor (2.152.3); der Diebstahl eines Mischkrugs durch die Samier gilt als vbqisla (3.48.1); die Bewohner von Kroton liefern Demokedes nicht an Dareios aus, was dieser – laut seinen Gefolgsleuten – als Hybris auffassen muß (peqiubq_shai, 3.137.3); die Libyer sind Opfer der Hybris der Kyrenaier, die ihnen Land weggenommen haben (peqiubqif|lemoi, 4.159.4); Kleomenes betrachtet die Aufnahme spartanischer Flchtlinge in Athen als Hybris (peqiubq_shai, 5.74.1); in der Inschrift bei den auf der athenischen Akropolis aufgehngten Fesseln der von den Athenern besiegten Chalkidier ist von der vbqir derselben die Rede (5.77.4); die Gefangennahme aiginetischer Geiseln durch Leotychidas wird von einem spartanischen Gerichtshof als peqiubq_shai bezeichnet (6.85.1); gypten probt den Aufstand gegen die Perser, was Mardonios Hybris nennt (AUcuptom tμm 1nubq_sasam, 7.5.2); Gelon betrachtet Syagros Weigerung, ihm den Oberbefehl zu erteilen, als vbqisla (7.160.1); die Dekeleier sind zornig ber die Hybris des Theseus, der Helena geraubt hat (9.73.2). 953 Die bergnge von der mit Hybris zusammenhngenden Einzeltat zum Charakter sind fließend: so bezeichnen die Spartaner die Athener im Kontext der Vertreibung des Kleomenes als von Hybris befallen (Bl]ar l³m ja· t¹m basik]a Bl]ym peqiubq_sar 1n]bake, 5.91.2), meinen aber offensichtlich generell das Erstarken der von ihren Tyrannen befreiten Polis (d|nam d³ v}sar aqn\metai, 5.91.2); Eurystheus weist Hybris gegenber den Herakliden auf (so die Athener, 9.27.2), was sich hauptschlich auf deren Verfolgung beziehen mag, aber nicht explizit so eingeschrnkt ist. Otanes zeiht Kambyses und die Mager allgemein der Hybris (3.80.2); Artabanos sagt Xerxes ins Gesicht, es gebe unter den Persern zwei Meinungen ber den geplanten Griechenlandfeldzug, wovon die eine seine Hybris nhre (t/r l³m vbqim aqnamo}sgr, 7.16.a.2); Pausanias Hybris ist der Grund, den die Athener angeben, als sie den Spartanern den Oberbefehl wegnehmen wollen (8.3.2).
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um die Stçrung der Elischen Spiele durch Pheidon, der den Kampfrichter verjagt und das Fest selbst leitet (rbq_samtor l]cista dμ :kk^mym "p\mtym, 6.127.3), sowie um eine Art Personifikation der Hybris in einem Gçtterspruch zur Psyttaleia-Episode: d?a D_jg sb]ssei jqateq¹m J|qom ~bqior uR|m, deim¹m lail~omta dojeOmt !m± p\mta pih]shai.954 (8.77.1) Gçttliche Dike wird den starken Koros [Gier] auslçschen, den Sohn der Hybris, gewaltig dahinstrmend, im Glauben, [sich alles zu unterwerfen].
Mit den Begriffen jaj|m und !d_jgla finden sich in den Historien also zwei riesige Wortfamilien fr religiçsen Frevel, aber auch fr alle erdenklichen anderen Missetaten. M|lor kann gçttliches, aber auch ganz menschliches Gesetz sein; die Gegenteile dazu sind folglich nicht zwingend ,frevlerisch. *laqt\meim und vbqir schließlich bezeichnen nur in Ausnahmefllen das, was das deutsche ,Frevel beinhaltet. Wie steht es nun mit unzweideutigen Begriffen bei Herodot? Sie existieren, sind aber selten. Ein relativ955 klarer Terminus fr ,Religionsfrevel ist !m|siom bzw. seine Ableitungen956 ; der Begriff wird aber nicht 954 !m± p\mta pih]shai ergibt keinen klaren Sinn und ist hufig konjiziert worden, m. E. jedoch bisher ohne befriedigendes Ergebnis. 955 Etwas abseits der rein religiçsen Sphre, eher im Bereich des ,Brauches oder der ,Sitte, findet sich beispielsweise die Bezeichnung der berzogenen Forderungen der schutzflehenden Minyer an ihre lakedaimonischen Gastgeber (t/r te basikg_gr letait]omter ja· %kka poieOmter oqj fsia ; 4.146.1), oder Leotychidas Benennung des Zurckhaltens von Geiseln durch die Athener (ja· c±q !podid|mter poi]ete fsia ja· lμ !podid|mter t± 1mamt_a to}tym, 6.86.a.1). 956 Die gçttliche Stimme aus dem Heiligtum in Branchidai nennt Aristodikos !mosi~tate !mhq~pym, als dieser die Vogelnester im Tempel ausnimmt (1.159.3); bei den gyptern sind Opfertiere mit ganz wenigen Ausnahmen nicht bs_g (2.45.2), ebensowenig das Tragen eines berkleides im Tempel oder im Grab – darin stimmen sie mit griechischen Mysterienkulten berein (2.81). Der Dieb in der Rhampsinitos-Geschichte fhrt die Ermordung seines Bruders als !mosi~tatom unter seinen Taten an (2.121.e.4; vgl. e.2); Kambyses befiehlt oqj fsia (3.16.2), als er die Verbrennung des geschndeten Leichnams des Amasis anordnet, da dies gegen die religiçsen Vorstellungen sowohl der Perser als auch der gypter verstçßt. Nach den Vorstellungen der Phçnizier ist Eidbruch verwerflich (oqj #m poi]eim fsia, 3.19.2). Oroites perverser Wunsch, Polykrates zu tçten, der ihm niemals etwas getan hat, ist ein pq^cla oqj fsiom (3.120.1); ein 5qcom oqj fsiom ist auch der Tçtungsauftrag des Etearchos, der auf seine unschuldige Tochter Phronime zielt (2.154.2) oder das Gewerbe des ,Eunuchenmachers Panionios (8.105.1; 8.106.3). Auch die Berhrung der heiligen Waffen in Delphi bezeichnet Herodot als oqj fsiom (8.37.1). Ferner fllt Kleomenes Entweihung des Heilig-
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sehr hufig verwendet. Noch seltener ist der Begriff der !tashak_a, der ebenfalls berwiegend957 religiçs konnotiert ist.958 Schließlich finden sich als Bezeichnung fr Freveltaten die Gegenstze zu s]beshai, ,verehren, ,Ehrfurcht haben vor, ,heilig halten959 – aber nur dreimal.960
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tums in Argos unter dieselbe Kategorie. Der Priester bezeichnet das Opfer eines Fremden im argivischen Tempel als oqj fsiom ; Kleomenes jedoch erzwingt es und lßt den Priester geißeln (6.81). Schließlich operiert Herodot auch im Kontext seiner selbstauferlegten Aposiopesen mit dem Begriff: ou loi fsi|m 1sti k]ceim (2.61.1; vgl. 2.86.2; 2.170.1; 2.171.2); vgl. Gçdde 2007. Als Ausnahme erscheint die Ermordung des Lykophron durch die Kerkyraier, die Herodot als pq/cla !t\shakom gegen dessen Vater Periander bezeichnet (3.49.2), obwohl hier keine eindeutige Verletzung religiçser Gesetze vorliegt, sondern eher die von Padel 1995, 170 bei Homer konstatierte Bedeutung: „self-destructive reckless aggression“. Padel verweist auf Il. 4.409, wo Diomedes sagt, die frheren Belagerer Thebens seien durch ihre !tashak_a zugrundegegangen, und auf Od. 23.67, wo Penelope die !tashak_a der Freier als Grund ihres Verderbens angibt. Auch die Kerkyraier werden sich durch den Mord vor allem selbst schaden (vgl. 3.48 f.). Der Flußfrevel des Kçnigs Pheros geschieht aus !tashak_, (2.111.2); den Tyrannen verleiten vbqir und vh|mor zu pokk± ja· !t\shaka (3.80.4); Xerxes Beschimpfung des Hellespont besteht in b\qbaq\ te ja· !t\shaka (7.35.2); Artay¨ktes, der das Heiligtum des Protesilaos schndet, ist deim¹r d³ ja· !t\shakor (9.116.1). In den ersten beiden Fllen handelt es sich um die in einen Finalsatz gekleidete gçttliche Aufforderung zum Frevel – auf daß der Frevelnde zugrundegehen soll. So rt der Gott von Branchidai den Bewohnern von Kyme, den Drohungen der Perser nachzugeben und ihnen den Flchtling Paktyas auszuliefern; auf erstauntes Nachfragen heißt es: ma· jeke}y, Vma ce !seb^samter h÷ssom !p|kgshe – denn schon durch die Frage haben sich die Kymaier versndigt (1.157 – 160). Die zweite Verwendung des Begriffs findet sich in der berlegung des aithiopischen gyptenherrschers Sabakos, der trumt, ein Mann fordere ihn dazu auf, die gyptischen Priester alle mitten durchzuschneiden. Offenbar trume er dies, so Sabakos, Vma !seb^sar peq· t± Rq± jaj|m ti pq¹r he_m C pq¹r !mhq~pym k\boi (1.139.2). Beide Parteien entgehen dem !sebe?m und vermeiden sowohl Unrecht als auch Strafe. 8.129 wird das Verb außerhalb dieser Spezialbedeutung verwendet; es handelt sich dort um einen ,gewçhnlichen Religionsfrevel: die Perser, die Tempel und Standbild des Poseidon geschndet haben, ertrinken in einer plçtzlichen Flut. Als weitere Kategorie ist allenfalls aQswq|m zu nennen, das allerdings nur einmal in religiçsem Kontext genannt wird, wenn Herodot beschreibt, wie die Ataranten die zu heiße Sonne verfluchen und p\mta t± aQswq± koidoq]omtai (4.184.2). Ansonsten ist aQswq|m schlicht das Unehrenhafte, Schandebringende: etwa ein jmmerlich sich auflçsendes Heer (1.128.1), Kyros – laut Kroisos –, sollte er vor dem Weibe Tomyris weichen (1.207.5), die Notdurft aus Sicht der gypter (2.35.3) und anderes dergleichen.
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Es mßte nun der Versuch unternommen werden, jedem der genannten Begriffe eine ganz bestimmte Verwendungsweise zuzuorden. Bei den verbreiteteren Wortfamilien wie jaj|m hat sich bereits gezeigt, daß dies nicht mçglich ist. Eine semantische Kategorisierung scheint aber auch generell nicht legitim, weil Herodot beraus hufig Synonyme verwendet (auch in Form des bedeutungsgleichen Hendiadyoin). Die Begrifflichkeiten werden in so hnlicher Weise angewandt, daß eine genaue Definition im einzelnen nicht mçglich ist. Fr denselben Tatbestand verwendet werden die Felder %dijom und !m|siom,961 oq d_jaiom, oqj fsia und die Verneinung von m|lor bzw. seiner Ableitungen,962 %dijom und jaj|m,963 jaj|m und oqj fsiom,964 !m|si|m und !t\shakom ;965 vbqir ist einmal die charakterliche Disposition, die solchen Taten zugrundeliegt;966 an anderer Stelle aber ist sie wieder exakt synonym mit oqj fsia.967 Auch die juristische Bedeutungssphre ist nicht alleinige Domne einer Wortfamilie, wie oben bereits gezeigt wurde.968 Das Ineinandergreifen der verschiedenen Begrifflichkeiten wird schließlich auch an der generellen Charakterisie-
961 Paris Entfhrung der Helena ist !dij_g (2.113.3), !d_jgla (2.115.3; 2.118.3) und !m|siom/!mosi~tatom (2.114.2 f.; 2.115.4). Menelaos Menschenopfer charakterisiert ihn als %dijor ; die Tat ist auch pq/cla oqj fsiom (2.119.2); dieselbe Kombination von Begriffen zeigt sich am Beispiel des persischen Statthalters Oroites, dessen Taten zusammengefaßt als !dij^lata (3.127.1) bezeichnet werden, whrend Herodot seine Ermordung des Polykrates einzeln pq/cla oqj fsiom nennt (1.120.1). 962 Im Zuge von Kambyses Schndung der Leiche des Amasis 3.16. 963 Paris wird als !dij]ym (2.120.4) und – von Proteus – als j\jistor !mdq_m bezeichnet (2.115.4). 964 Der einsichtige Kambyses bezeichnet die Ermordung seines Bruders Smerdis als jaj|m, das !mos_\ l|q\ geschehen ist (3.65.3; 5). 965 Themistokles verwendet das Hendiadyoin !m|si|m te ja· !t\shakom, als er ber den Frevler Xerxes spricht (8.109.3); auch die Schndungen von Feindesleichen sind !mosi~tatom bzw. 5qca !t\shaka (9.78.1 f.), wozu zustzlich noch "laqt\meim tritt (Bl\qtgjar, 9.79.1). 966 Dareios bezeichnet die Grundlage fr die !dij^lata und pq/clata oqj fsiom des Oroites als Hybris (vbqim oqj !maswet¹m va_mym, 3.127.3). 967 9n}bqisam, heißt es von den Minyern, und die Hybris besteht im Streben nach der lakedaimonischen Kçnigsherrschaft und %kka … oqj fsia (4.146.1). 968 Vgl. hierzu auch den synonymen Gebrauch von !d_jgla bzw. !dij]ym und "laqt\meim anlßlich einer Beschreibung der Rechtssprechung von Kçnig Sabakos in gypten (2.137.3) sowie die Verwendung von !d_jgla als Substantiv zu rbq_feim (1.100.2). Als Synonyme kçnnen wohl auch !dije?m und 1nalaqt\meim aufgefaßt werden (vgl. 3.145.1 f.).
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rung des Tyrannen deutlich, der %dijor und jaj|r ist, vbqir besitzt und !t\shaka begeht.969 Es zeigt sich, daß Herodots Verwendung seiner Terminologie alles andere als konsequent ist. Folglich kçnnen auch klarer erscheinende Formulierungen nicht gut kategorisiert werden, etwa im Kontext des Streits zwischen Athenern und Pelasgern. Eingebettet in die Fragestellung, ob die Vertreibung der Pelasger durch die Athener rechtmßig gewesen sei oder nicht (eUte §m dμ dija_yr eUte !d_jyr [1nebk^hgsam], 6.137.1, vgl. auch 6.137.2), wird berichtet, in welcher Weise die Pelasger den Athenern Unrecht taten (!dij]eim, 6.137.3): immer, wenn die athenischen Frauen und Kinder zur Quelle Enneakrunos gegangen seien, htten die Pelasger ihnen aus Hybris und Geringschtzung Gewalt angetan (rp¹ vbqi|r te ja· akicyq_gr bi÷shai, 6.137.3). Ist Unrecht hier also als Gewalt aufgrund von Hybris definiert? Mag sein, daß Hybris an dieser Stelle die Nuance der Disposition trgt und das !dij]eim die konkrete Tat bezeichnet. Diese Tendenz zur punktuellen Handlung oder generellen Disposition ist aber auch schon alles, was sich in Herodots Terminologie – bisweilen – konstatieren lßt. Grundstzlichere Kategorisierungen, wie sie etwa die deutschen Begriffe der (zwischenmenschlichen) ,Ungerechtigkeit, der (unabsichtlichen) ,Verfehlung oder eben des (religiçs konnotierten) ,Frevels aufweisen, lassen sich in Herodots Sprache nicht feststellen.
969 Im ,Verfassungsstreit schreibt Otanes dem Tyrannen p÷sam jaj|tgta zu; er freue sich, wenn seine Brger ebenfalls schlecht seien. Zur jaj|tgr tritt vbqir (und vh|mor), was wiederum zu !t\shaka fhrt (3.80.4). Mit der identischen Terminologie arbeitet Dareios in derselben Diskussion: ihm zufolge ist es die Demokratie, in der jaj|tgr aufkommt, wenn sich jajo_ bzw. jajoOmter untereinander verbrdern; 3.82.4. Die Ungerechtigkeit des Alleinherrschers prangert im Zuge der anderen großen Tyrannencharakterisierung der Historien Sosikles aus Korinth an: toO oute !dij~teq|m 1sti oqd³m jat !mhq~pour oute liaivom~teqom (5.92.a.1: ,es gibt unter den Menschen nichts Ungerechteres als diesen, und nichts Mordbefleckteres). Sein konkretes Beispiel ist Periander, dem er wiederum p÷sam jaj|tgta zuschreibt, 5.92.g.1.
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Index mythischer und herodoteischer Handlungsfiguren und -orte Kursive Seitenzahlen verweisen auf Anmerkungen, nicht kursive auf den Haupttext (ggf. mit Anmerkungen). Aaron 149 Abai 87 Achaia 62, 87 Achaier (Troianischer Krieg) 31, 66, 93, 163f., 170f., 177f. Acharnai 151 Achilleus 14, 38f., 42, 43, 51, 63–66, 68–71, 74, 79, 122, 123, 124, 126f., 170, 208, 209, 232f., 252, 277, 278, 307 Adonis 224, 237 Adrasteia (Stadt) 238 Adrastos (argivischer Heros, Anfhrer der Sieben gegen Theben) 185, 231, 238 Adrastos (Phryger am Hofe des Kroisos) 12, 40, 76, 200, 226–230, 232, 234–239, 304, 351 Aeneas siehe Aineas/Aeneas Aeolus siehe Aiolos/Aeolus Aerope 246 Agamedes 14, 287 Agamemnon 31, 66, 97, 105, 107, 170f., 172, 207, 209, 218, 232, 307, 313f. 342 Agariste 180f., 185, 187 Agathokles 226 Agaue 96, 107, 135 Agdistis 102 Aglauros/Agraulos 223, 224 Agrippaier 347 gypten (und Ableitungen) 3, 4, 7, 48, 56, 58, 60, 68, 80f., 83–85, 132, 141, 143, 156, 157, 242, 262f., 268, 282, 284–291, 292, 295, 296, 298, 311, 313, 328, 346, 348, 350, 352, 353–356 Aiakiden 123 Aiakos 230 Aias (Sohn des Oileus) 88, 89
Aias (Sohn des Telamon) 93–95, 99f., 104, 107, 112, 118, 128 Aigina (und Ableitungen) 90, 91, 347, 353 Aigisthos 1, 97, 207, 208, 210, 212f., 218, 221, 254, 256, 264, 314 Aigyptos, Sçhne des 279 Aineas/Aeneas 72 Aiolos/Aeolus 72 Aiolos und Boiotos 207 Aithiopien (und Ableitungen) 80, 86, 284, 298, 345f., 351, 355 Aithon siehe Erysichthon/Aithon Akrisios 208 Aleos 207f., 211, 214 Alexander der Große 72 Alexandros I. von Makedonien 270, 274, 275 Alexandros (Paris) siehe Paris/Alexandros Alkimenes 232 Alkmaion (Sohn der Eriphyle) 97, 233, 244 Alkmaion (Vater des Megakles, Schwiegervater der Agariste) 184f. Alkmaioniden 180f., 183–189, 192f., 195, 303 Alkmene 233, 235 Aloaden 70, 237 Alphesiboia 233 Althaimenes 207 Alyattes 89, 147, 159, 262 Amaltheia 212 Amasis 80, 298, 350, 354, 356 Amazonen 148, 245, 267, 268 Ameinias 169 Amestris 47, 50, 52f. Amompharetos 86 Amphiaros 233
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Indices
Amphidamas 233 Amphion (Großvater des Kypselos) 203 Amphion und Zethos 243, 250, 266 Amphitryon 230, 233, 235 Amyntas 269f. Amyntor 245, 246 Anacharsis 127, 136–140, 141, 142 Anagyrus (und Ableitungen) 247 Androgeos 12 Anpu und Bata 132 Anteia 245 Antheus 247 Antilochos 192 Antiope 243, 249f. Anubis 285 Aphrodite Urania 89 Aphrodite/Venus 50, 96, 106, 131, 247, 276 Apis 80f., 83–86, 100f., 103, 120, 127, 135, 143, 155, 298, 348 Apollon Lykeios 260 Apollon/Paian 12, 14, 66, 70, 72, 76–78, 87, 88, 97–99, 107, 123f., 150–153, 207, 228, 291, 295–297, 328 Apollonia (und Ableitungen) 13, 348 Apries 345 Araberkçnig (Hdt. 3.9) 309 Araxes 55, 57, 67, 77 Archilochos 151, 152 Ares 69, 71 Argeier (Troianischer Krieg) 95, 163, 313 Argonauten 153, 241, 250, 277 Argos (und Ableitungen) 6, 82f., 89, 114, 121, 123, 130f., 185, 231, 245, 257, 310f., 347f., 350, 355 Arion 13, 60, 146–157, 158, 159, 297, 303, 315 Aristagoras 51, 67 Aristeides 169, 195 Aristodikos 40, 354 Aristogeiton 184 Aristokrates 123 Arkadien (und Ableitungen) 123, 204, 254, 258, 260, 263–265
Arkas 254, 264 Arkesilaos II. 241, 242, 345, 351 rmelkanal 72 Arrhephoren 25 Artabanos 41, 55, 172f., 346f., 353 Artachaies 59 Artaphrenes 190 Artay¨ktes 10f., 87, 190, 269, 348, 355 Artay¨nte 46f., 50f., 53f., 345 Artemis 71, 102, 107, 130, 131, 168, 275, 278 Artemis Orthia 10 Artemis Triklaria 222 Artemisia 148, 160, 180, 190 Arteskos 59 Aryandes 242 Aschenbrçdel 242 Asien (und Ableitungen) 10, 37f., 61f., 68, 88, 159, 174, 191, 201f., 238, 261, 284, 304, 311 Askalon 90 Asklepios 117, 152 Assesos 89 Assyrer 56 Asteropaios 64 Astrabakos 9, 10 Astyages 1, 86, 201f., 209, 216, 220, 226, 253, 257f., 261–263, 265–269, 275, 281, 286, 347, 349 Astydameia 247 Asychis 291 Atalante 88, 204 Ataranten 71, 355 Athamas 99, 153 Athen (und Ableitungen) 6, 10, 11, 12, 15, 31, 37, 67, 72, 82, 87, 90, 91, 103, 113f., 123f., 144f., 151, 158, 162, 165–169, 180f., 184, 185, 188, 195, 217, 218f., 221, 223f., 226, 269, 274, 275, 276f., 278, 281, 328, 347f., 351, 353f., 357 Athene 62, 66, 69, 87, 88f., 93f., 95, 104, 110, 170, 171, 186, 208, 209, 218, 223, 232, 313 Athos 59, 60, 67, 72, 106 Atreus 21f., 132, 134, 199, 202, 208, 213, 252–256, 258–271, 275, 281, 318, 335
Indices
Attika (und Ableitungen) 87, 166–168, 280, 348 Attis 102, 117, 237f. Atys 39, 76, 102, 227–230, 234, 235, 236–239, 345 Auge 208, 210, 213f., 243, 246, 248f., 251, 276 Augias 287 Autolykos (Großvater des Odysseus) 231 Axios 64 Azande-Trickster 182, 194 Babylon (und Ableitungen) 50, 56f., 67, 87, 161f., 190, 192, 214 Bakchiaden 203f., 206, 222 Bakchos siehe Dionysos/Bakchos/ Liber Bakis 168 Barka 241, 242 Battiaden 250 Battos 239, 240f., 244, 249–252 Bdelykleon 114 Bellerophon 232, 245, 247, 292f. Belleros 232 Bero 49 Boges 166 Boiotien (und Ableitungen) 287, 351 Boreaden 246 Boreas 72f. Borystheniten 137f., 142 Bosporus 55, 58, 60, 67, 318 Branchidai 40, 354f. Brauron 275 Briantika 62 Broteas 107 Butes 107 Caligula 72 Candragupra 216 Chalkidier 353 Cheops 290, 283f., 346 Cheops, Tochter des 290 Chersones 62, 87, 144f., 160 Chimaira 245
389
Daidalos 287, 291–293 Damsippe 247 Danae 208, 210, 213, 243 Danaer (Troianischer Krieg) 164 Danaiden 279 Dareios 8, 41f., 46, 58–61, 67f., 70, 87, 118, 136, 161f., 165, 174–177, 179f., 182, 189f., 191, 192f., 195f., 202, 267, 269, 297, 306f., 310, 318, 350, 353, 356f. Deianeira 52 Deiokes 305, 347 De pyle 231 Dekeleier 353 Deliades 232 Delos (und Ableitungen) 87, 89, 329 Delphi (und Ableitungen) 14, 59, 77, 82f., 88, 89, 123f., 126, 150f., 152, 184, 239, 348, 354 Demaratos 9, 10, 35, 48, 82f., 121, 144 Demeter 14, 63, 129, 133, 256, 278, 284–286, 287, 294, 348 Demeter Thesmophoros 124 Demokedes 297, 353 Demophon 14, 246 Dido 328 Didyma 87 Diktynna 111 Diktys 213 Diomedes 355 Dionysos Aisymnetes 222 Dionysos Bakcheios 138 Dionysos/Bakchos/Liber (und Ableitungen) 25, 27, 48, 60, 86, 90, 96, 99–104, 105, 107, 111–113, 115, 116, 117, 120, 125–129, 130, 131, 132–135, 138f., 141–146, 149–156, 159, 182, 185, 204, 215f., 222f., 253, 264, 265, 285, 294–297, 299, 335, 348 Dionysos Melpomenos 151 Dionysos Methymnaios 154 Dionysos Sphalten/Sphaleotas 126 Dionysos Zagreus 101, 129, 134, 264, 296
390
Indices
Dioskuren siehe Kastor und Pollux/ Dioskuren Dirke 243 Dodona 348 Dryas 103 Echeidoros 62 Edoner 103 Etion 203 Eidothea siehe Idaia/Eidothea Eion 166 Elektra 97, 207, 209 Elektryon 230, 233 Eleusis 82, 111, 121, 222 Elis (und Ableitungen) 287, 346, 354 Enalos 152 Enneakrunos 357 Epaphos/Epopeus 243 Epeigeus 233 Epidanos 62 Epidauros (und Ableitungen) 90 Epikaste 257 Epimetheus 182f. Epopeus siehe Epaphos/Epopeus Erechtheus/Erichthonios 222, 223f., 277 Eretria (und Ableitungen) 72, 87, 347 Erichthonios siehe Erechtheus/Erichthonios Erigone 247 Erinyen 97–99, 106, 107, 118, 125, 233 Eriphyle 233 Eros 247 Erysichthon/Aithon 102f. Etearchos 240, 354 Eteokles 9, 145, 208 Etrusker 352 Euadne 207 Euenios 13f., 21, 348 Eumaios 312 Eumaios, Amme des 312 Eumeniden 115 Eunomos 234 Eunostos 247 Eupalamos 291
Euphrat 56f. Euripides (in Ar. Th.) 293 Europa (Geliebte des Zeus) 310, 311 Europa (Kontinent und Ableitungen) 10, 61f., 68, 88, 174, 202, 259, 284, 304, 311 Eurybiades 167 Eurykleia 84, 120 Eurynome 278 Eurypylos 222 Eurystheus 353 Eurytion/Eurytos (Kentaur) 104, 271, 272 Eurytion (Reiniger des Peleus) 12, 233 Freier (Odyssee) 35, 275, 314, 355 Freier (um Agariste) 181, 183, 189 Freier (um Helena) 177–181, 187, 193 Freier (um Hippodameia) 187 Gaia 207–209, 212 Gelon 353 Gelonen 141 Geten 345 Giganten 70f. Gilgamesch 208 Glauke 281 Gordias 226f., 236 Griechenland (und Ableitungen): passim Grinnos 241, 249 Gyges 3, 11f., 31, 47f., 78, 239, 304, 311, 345, 352 Gyndes 56–58, 67, 75, 318, 352 Hades 292, 294 Haimon 145 Halikarnaß 36, 160 Halys 19, 67, 68, 74, 75, 77, 121, 308, 315 Harmodios 184 Harpagos 86, 201f., 205, 211, 253, 257f., 261, 263, 265, 267, 275, 347 Harpalyke 257f., 263
Indices
Hasen-Trickster (Winnebago-Mythos) 182 Hathor 292 Hebros 247 Hegesistratos 135 Hekabe 208 Hekate 111 Hektor 14, 66, 203 Helena 1, 3, 5f., 9, 106, 163, 177–179, 193, 211, 297, 310, 311, 313, 346, 349, 353, 356 Heliades 232 Helios/Sol 278, 317, 348, 352 Helle 153,154 Hellespont 50f., 55f., 60f., 64, 67, 68f., 72, 73, 87, 106, 318, 348, 355 Hephaistos 60, 66, 69, 71, 80, 284 Hera/Juno/Saturnia 14, 48–50, 53, 66, 69, 71f., 82, 94–96, 99, 131, 170, 242, 295, 313 Herakles 4, 10, 42, 52, 88, 91, 94, 99, 107, 118, 156f., 182, 207, 208, 214, 230, 233, 234–236, 248, 292f. Hermes 182, 187 Hermione 123 Hermotimos 349 Herse 223 Hesione 41f. Hipparchos 184, 348 Hippias (Tyrann von Athen) 188, 221 Hippodameia 187, 271f. Hippokleides 180f., 183, 186f., 189, 192f., 298 Hippokrates (Vater des Peisistratos) 221 Hippolyte 229 Hippolytos 13, 96, 99, 107, 237, 246f. Hippothoos und Nereus 214 Histiaios 352 Hormizd 216 Hylaia 139 Hypermestra 279 Hypsipyle 222f. Hystaspes 58, 202 Iamos 207 Ida 63
391
Idaia/Eidothea 246 Idas 214 Inachos 312 Ino 153–155, 242 Intaphrenes 41, 176f., 179, 192, 195f., 352 Intaphrenes, Frau des 41, 176 Io 53, 95f., 99, 107, 118, 310–312, 315 Iobates 292 Iolkos 233 Ion 204 Ionien (und Ableitungen) 2, 3, 37, 51, 67, 76, 86f., 144, 195, 276, 347, 352 Iphigenie 97, 256 Iphino 291 Isis 285f., 311, 348 Isodaites 296 Isthmos (von Korinth) 167 Istros (und Ableitungen) 137, 139 Itys 257 Johannes der Tufer 53 Joseph (Altes Testament) 244 Judas 225 Juno siehe Hera/Juno/Saturnia Jupiter siehe Zeus/Jupiter Kadmos 31, 113, 145, 182 Kalliope 153 Kallisto 254, 278 Kalydon 230f., 233 Kalypso 317 Kambyses I. (Vater des Kyros) 201, 205 Kambyses II. 19, 41, 46, 52, 68, 73, 80f., 83–86, 91f., 93, 99f., 102–104, 107, 112, 119–122, 124–127, 132–136, 142–144, 145, 146, 155, 158, 175, 190, 198, 262f., 298, 307, 308, 309, 315, 335, 346, 348–351, 353f., 356 Kanake 243 Kandaules 12f., 345 Karchedonen 347 Karien (und Ableitungen) 3, 210, 262, 276, 279f.
392
Indices
Karion (bei Aristophanes) 280 Karthager 352 Kassandra 88, 89 Kastor und Pollux/Dioskuren 9, 97 Katreus 158, 207 Kekropiden 223 Kentauren 35, 104, 271f., 275, 277, 279, 281 Kephalos 230 Kerchneia 96 Keren 280 Kerkyra siehe Korkyra/Kerkyra Keyx 234 Kleisthenes (Tyrann von Sikyon) 180, 181, 184f., 186f., 189 Kleobis und Biton 14, 15, 53 Kleoboia 247 Kleomenes 10, 19, 25, 80–86, 89, 91f., 93, 99, 102f., 105, 107, 110, 112, 116, 119–122, 124–127, 132–136, 142–146, 188, 189, 198, 308, 310, 313, 335, 345, 348, 349, 352–355 Kleopatra (Mutter der Phineiden) 246 Klymenos 257 Klytaimestra 98f., 107, 207, 218, 255, 314 Knemon (bei Heliodor) 247 Knidos (und Ableitungen) 59, 60 Knossos 2 Koiranos 152 Kolaios 5 Kolchis (und Ableitungen) 4, 154, 310 Kore siehe Persephone/Kore Korinth (und Ableitungen) 12, 123, 147, 152, 153, 155, 157, 159, 203f., 210–212, 218, 221, 232, 244, 345, 357 Korkyra/Kerkyra (und Ableitungen) 12, 158, 355 Koronis 107 Korybanten (und Ableitungen) 111, 113f., 115, 116, 132, 212 Korys 309 Korythos 213 Kreon 41, 109, 145, 233, 244
Kreta (und Ableitungen) 150, 240, 250 Krisa 150 Kroisos 2f., 7, 12, 15, 19, 31, 38, 55, 57, 68, 72, 74–78, 104, 121, 147, 184f., 190, 226–228, 234, 235, 236, 238f., 262, 304, 307f., 310f., 313, 315f., 345, 347, 351, 352, 353, 355 Kronos 207, 208, 209, 213, 266 Kroton 353 Kureten 212 Kyaxares 252f., 257f., 261–263, 267, 268, 270f., 273, 275, 277, 279, 281 Kybele 111, 113, 117, 137–139, 141, 204, 237, 238 Kybele Adrasteia 238 Kyklops siehe Polyphem/Kyklops Kyme (und Ableitungen) 40, 355 Kyno/Spako 205, 258 Kynosura 168 Kypselos 9, 157, 201, 203f., 206, 210, 216, 218, 220–222, 225 Kyrene (und Ableitungen) 30, 32, 63, 239–241, 242, 249, 250, 251f., 348, 353 Kyros 1, 7, 9, 56–58, 67, 69, 75, 77f., 104, 161, 162, 175, 200–205, 211, 212–218, 220, 224f., 226, 253, 258, 261–267, 275, 286, 307, 310, 318, 347, 351, 352f., 355 Kyzikos 137 Labda 203f., 206 Labdakiden 9 Laertes 177 Laios 211f. Lakedaimon siehe Sparta/Lakedaimon Lamos, Tçchter des 99 Lampsakener 162 Laogoras 88 Laokoon 165 Laomedon 42, 60, 291 Lapithen 271f. Lebadeia 287 Lemnos (und Ableitungen) 222, 241, 276, 277, 278, 279 Leonidas 350
Indices
Leotychidas 10, 121, 195, 353f. Lerna 96 Lesbos 152, 155, 328 Lethe 288 Leukippos 25 Leukotho 278 Libyen (und Ableitungen) 239, 241, 242, 249, 347, 353 Likymnios 233, 235 Lisos 62 Lydien (und Ableitungen) 8, 39, 74, 76, 78, 89, 159, 184, 189, 226, 235, 237, 238f., 262, 315 Lykaon (Arkader) 254, 258, 260, 261, 263, 264, 266 Lykaon (Troer) 64f., 69 Lykien (und Ableitungen) 245 Lykophron (Sohn des Periander) 12f., 158, 355 Lykos 243, 266 Lykurgos (Dionysosfeind) 100, 102–104, 105, 107, 112, 116–118, 125, 145, 155 Lykurgos (Rivale des Megakles) 186 Lykurgos (spartanischer Gesetzgeber) 350 Machaireus 123 Mager 62, 106, 175, 176, 202, 353 Magnesia 72 Maiandros 90 Mainalos 254 Makedonien (und Ableitungen) 35, 269, 273–275, 277, 279, 280–282 Mnaden 25, 102, 113, 117, 278 Mandane 201, 209 Marathon 188, 190 Mardonios 87, 172, 190, 347, 353 Marienkind 11 Masistes 46f., 51, 54 Masistes, Frau und Tochter des 32, 46, 54f., 242, 316, 319 Massageten 57, 77, 104, 202, 220, 351 Mazares 90 Medeia/Medea 52, 91, 96, 133, 281, 310, 311
393
Medien (und Ableitungen) 1, 90, 201f., 205, 214, 217, 220, 252f., 261f., 267–271, 272, 274f., 277, 281f., 311, 347 Megabyzos 38, 353 Megakles (Brutigam der Agariste) 181, 183f., 186–189, 192, 195 Megara (Frau des Herakles) 94, 233 Megara (Stadt und Ableitungen) 248, 278 Meisterdieb 282–299, passim Melampus 5, 89, 114, 130 Melanippe 207 Melanippos 185 Meleagros 43, 88, 231, 237, 239 Melikertes 152f., 155 Melos (und Ableitungen) 279 Memphis 80, 284 Menelaos 94, 110, 164, 177–179, 297, 356 MerirÞ 292 Merope 291 Messene (und Ableitungen) 118, 123 Metadusa 291 Metaneira 14 Methymna 154 Metion 291 Metis 209 Midas 227, 236, 239 Milet (und Ableitungen) 74, 89, 137, 159, 191 Miltiades 63, 124–127, 134, 144f., 160, 167, 335, 345, 348, 349 Minos 2, 3, 12, 207, 248, 291, 327 Minotaurus 12 Minyaden 113, 135 Minyer 240, 241, 354, 356 Mnesilochos 294 Mnesiphilos 167, 170 Molosser 254 Moses 1 Musaios 349 Mykene (und Ableitungen) 260 Mykerinos 290, 291 Mykerinos, Tochter des 290 Myrtilos 187
394
Indices
Mysien (und Ableitungen) 210, 214, 238 Mytilene (und Ableitungen) 158, 328 Nasamonen 352 Nauplios 210, 211, 214, 248 Nausikaa 314 Naxos 87 Neda 212 Nekos 58 Nemesis 235, 238 Neoptolemos 88, 122, 123, 124f., 200, 135 Nephele 154, 242 Nero 158 Nessos 52 Nestor 66, 94, 172, 271f. Nil 56, 58 Niniveh 262 Nitokris 56 Nyktelios 296 Nykteus 243, 266 Nyktimos 254, 260, 264 Nymphaios 279 Nysa 48 Oaxos 240 Oceanus siehe Okeanos/Oceanus Ochna 247 dipus 1, 11, 31, 145, 207, 209–213, 215, 216f., 218, 219, 221, 225 Odysseus/Ulixes 35, 69, 71, 72, 74, 84, 93, 104, 163–165, 167, 170f., 177–179, 182, 187, 192, 194, 231, 240, 275, 287, 292f., 314, 317, 320 Oiagros 153 Oibares 175 Oineus 234f. Oinoie 222 Oinomaos 187 Oinopion 271 Oiobazos 8 Okeanos/Oceanus 72, 321 Oktomasades 138 Olbia 139-141, 294 Olympia (und Ableitungen) 65, 185, 187, 260, 272
Onochos 62 Opus 232 Orestes 11, 89, 97–100, 102, 107, 117f., 123, 207, 209, 228, 233, 264, 314 Orion 182, 237, 271 Oroites 176, 353f., 356 Orpheus, orphisch 100, 101, 115, 129, 132, 139f., 152f., 264, 292, 294 Osiris 132, 285f., 295 Otanes 90, 144, 175, 303, 349, 353, 357 Otos und Ephialtes 70, 74 Oxylos 230 Paian siehe Apollon/Paian Paktyas 40, 347, 355 Palaimon 152 Palamaon 291 Pallene 169 Pan 111, 115 Pandaros 110 Pandrosos 223 Pangaion 103 Panionios 349, 354 Paris/Alexandros 1, 31, 35, 37, 48, 177, 208, 210–213, 216, 217, 218f., 275, 297, 310, 346, 356 Paros (und Ableitungen) 63, 124, 151f., 348 Parthenion 210 Pasipha 291 Patrai (und Ableitungen) 222 Patroklos 12, 66, 232f. Pausanias (spartanischer Feldherr) 86, 353 Peiren 232 Peirithoos 271, 272 Peisistratos 163, 166, 186–189, 191f., 221 Pelasger, pelasgisch 4, 241, 275f., 357, 348 Peleus 12, 209, 229f., 232–236, 247 Pelias 133 Pelias und Neleus 243, 250 Pelopia 208, 210
Indices
Peloponnes (und Ableitungen) 167f. Pelops 132, 187, 256, 260, 264f. Penelope 72, 84, 120, 178, 314, 355 Penthesileia 229 Pentheus 25, 60, 96, 100–104, 107, 112f., 118, 120, 127, 129f., 132, 134f., 145, 155f., 159, 273, 278 Pergamon 62 Periander 9, 12f., 60, 147, 153, 155–159, 204, 221, 297, 345, 355, 357 Periboia 246 Perikles 183 Persephone/Kore 129, 286, 288 Perseus 3, 29, 207f., 210, 213, 229, 230 Persien (und Ableitungen): passim Petrus (Heiliger) 133 Phathon 49, 53 Phaiaken 71, 314, 317 Phaidra 96, 99, 107, 116, 118, 246, 247, 279 Phaidros 115 Phalanthos 152 Phaleron 90 Phanes 262f. Phegeus 233 Pheidon 354 Pheretime 345 Pheros 56, 355 Philokleon 102, 114 Philomela 257 Phineiden 245, 246 Phineus 246 Phoibos 97, 296 Phoinix (Sohn des Agenor) 246 Phoinix (Sohn des Amyntor) 13, 43, 232f., 245f. Phokaier 352 Phokis (und Ableitungen) 87, 191 Phokos 229f. Phçnizien (und Ableitungen) 309–312, 315, 354 Phrasimedes 291 Phrixos 153f. Phronime 239–244, 246, 248f., 250, 251, 354
395
Phrygien (und Ableitungen) 226, 228, 239 Phrynon 328 Phthia 12, 233 Phylakos und Autonoos 88, 173 Pistyros 62 Pittakos 328 Plataiai 6, 240 Platea 241 Poimandros 230 Polybos 211 Polykrates 2, 345, 354, 356 Polyneikes 9, 42, 109, 208, 231 Polyphem/Kyklops 13, 71, 240, 292f. Polypoites 271 Pomona 278 Poseidon 66, 69, 71, 72, 74, 88, 152, 207, 209, 243, 247, 291, 355 Potiphar, Frau des 232f., 244, 246–248, 249f., 251 Prexaspes 148 Priamos 42, 62, 122, 123, 124, 211, 307 Proitiden 89, 114,130f., 135, 198 Proitos 131, 232, 245 Prokne 257 Prokris 230 Prometheus 182f., 265 Protesilaos 10f., 87, 348, 355 Proteus 286, 297–299, 335, 346, 356 Psamanthe 230 Psammetichos 3, 262, 353 Psophis 233 Psyller 71 Psyttaleia 168, 354 Pylades 228 Pylos 150 Pythes 191 Pythia 59, 82, 84f., 120f., 123, 184, 188, 203, 241, 352 Pythios 8, 315 Re 292, 306 Rhampsinitos 42, 46, 199, 282, 284–291, 293f., 297–299, 354 Rhampsinitos, Tochter des 283, 284, 286 Rheia 209
396 Rhodopis 290 Rhodos 235 Romulus und Remus Rotes Meer 58 Rubikon 67
Indices
1, 204, 258
Sabakos 345, 355f. Salamis 8, 73, 160, 167f., 170f., 173, 190, 193, 195, 309 Salmoneus 243 Salmoxis 345 Salome 53 Samos (und Ableitungen) 2, 5, 87, 90, 191, 353 Sardes 62, 87, 89, 184, 190, 352 Sataspes 347 Saturnia siehe Hera/Juno/Saturnia Satyrn 271 Schneewittchen 1, 242 Schwarzer Fluß (Chersones) 62 Selene 348 Semele 32, 48–51, 53, 112, 139, 254, 316 Semiramis 56 Seriphos 213 Sesostris 60 Sestos 10 Seth 285 Si-Osire 284, 292 Sidero 243 Sigeion 158 Sikinnos (Diener des Themistokles) 168, 170, 193 Sikinos (Insel) 222 Sikyon (und Ableitungen) 181, 184–186, 189f., 347 Simoeis 64, 66 Sinon 162–166, 173f., 180, 189, 192, 194 Skamandros 38, 42, 62–66, 69–71 Skyles 86, 127, 136–142, 345 Skylla 248 Skyllias 148 Skyros 209 Skythien (und Ableitungen) 13, 58f., 67f., 83, 86, 89, 103, 136–138, 139, 140–142, 252, 257, 261–263,
266–268, 270f., 271f., 275, 277, 281f., 328, 347, 351, 352f. Smerdis (Bruder des Kambyses) 356 Smerdis (Mager) 174 Sokrates 108, 112, 114f. Sol siehe Helios/Sol Solmyer 245 Solon 7, 14f., 76f., 146, 185, 278, 280, 297, 304, 345, 350 Sosikles 157, 203, 221, 336, 357 Spako siehe Kyno/Spako Spargapises 104 Sparta/Lakedaimon (und Ableitungen) 6, 9, 10, 11, 67, 80, 83, 91, 123f., 140, 142, 144, 145, 148, 157, 167, 188, 221, 240, 241, 274, 281, 347, 348, 350, 351, 353f., 356 Sperthias und Bulis 191 Sphinx 31, 212, 219 Stesagoras 162, 166 Stheneboia 245 Strophios 207 Styx 50 Susa 67 Syagros 353 Syrakus (und Ableitungen) 226 Tainaron 150, 152, 155 Talthybios 348 Tannhuser 149 Tantalos 256f., 266 Taras 152 Tarent 152 Taurer 347 Tearos 58 Tegea (und Ableitungen) 6, 11 Teiresias 71, 101, 113, 120, 130, 145 Teisamenos 5f., 351 Teisandros 181 Telamon 229f. Telegonos 287 Telemachos 152, 163, 275, 314 Telephos 126f., 207f., 210–214, 216, 218, 335 Tellos 15 Telphusa 70 Tenos 169
Indices
Tereus 257 Teuthras 210, 213, 214 Thales 74 Thasos (und Ableitungen) 73 Theben (und Ableitungen) 11, 31, 100, 112, 123, 145, 185, 213, 217, 219, 233, 238, 328, 355 Themis 208, 212 Themison 240 Themistokles 61, 87f., 160, 167–170, 171, 172–174, 182, 191–195, 269, 356 Thera (und Ableitungen) 240f., 248f., 250, 251 Theras 240, 241 Therma 62 Thermopylen 167 Theseus 13, 247, 272, 279, 292f., 353 Thessalien 62 Thetis 14, 51, 64, 208, 233 Thoas 222f., 276, 277 Thoth 286 Thraetaona 306 Thrakien (und Ableitungen) 58, 71, 107, 138, 166, 345 Thrasybulos 157 Thurioi 139 Thyestes 208, 213, 256f., 259f., 262, 264 Tigris 67 Timasion (bei Philostrat) 247 Tisiphone (Erinye) 96 Tisiphone (Tochter des Alkmaion) 244 Titanen 101, 127, 129, 134, 213, 264, 265, 295 Tlepolemos 235 Tomyris 104, 353, 355 Trachis 234 Troas 62 Troia (und Ableitungen) 1, 3f., 6, 10f., 31, 37, 40, 62–64, 66, 87,
397
163–165, 167, 170, 174, 177–180, 187, 208, 213, 233, 291, 310, 313, 321, 327, 342f., 346, 349 Trophonios 14, 284, 287–289, 292 Tydeus 230f., 235 Tyndareus 97, 177 Tyro 243, 249f. Tyrrhenische Seeleute 149–151 Ulixes siehe Odysseus/Ulixes Uranos 207f., 213 Urias 245 Venus siehe Aphrodite/Venus Vertumnus 278 Verwunschener Prinz (gyptischer Mythos) 292 Wakdjunkaga 181, 182, 183, 193f. Weihnachtsmann 330 Wollunqua 338 Xerxes 3, 8, 10f., 14, 31, 32, 40, 41, 46f., 50–55, 56, 59–64, 67–70, 72, 73, 74, 79, 87, 106, 144, 148, 153, 166–168, 171–174, 190, 191–193, 220, 242, 307, 308f., 313, 315f., 318, 319, 342, 346, 348, 350f., 353, 355f. Zabatos 67 Zeus Ammon 80 Zeus Herkeios 122 Zeus/Jupiter 32, 48–52, 54f., 59, 64, 66, 68–71, 87, 96, 109, 112, 156, 170f., 173, 183, 193, 207, 208f., 211–213, 220, 227, 242f., 254, 260, 264, 272, 278, 311, 317 Zeus Laphystios 87 Zeus Lykaios 254 Ziegeninsel (Odyssee) 240 Zopyros 118, 161f., 164–167, 173f., 182, 190, 192–194
Index locorum Graecorum et Latinorum Accius – Atreus 254 Aelian – NA 12.21 208 – VH 3.42 113, 131 – VH 12.42 205, 212 – VH 13.1 204 Aischines – 1.190 106 Aischylos – Ag. 382 – 389 105 – Ag. 750 – 771 105 – Ag. 855 – 885 207 – Ag. 1090 – 1097 254 – Ag. 1097 255 – Ag. 1114 257 – Ag. 1193 256 – Ag. 1220 255 – Ag. 1590 – 1599 254f. – Ag. 1592 f. 265 – Ag. 1596 f. 256 – Bassarides 101, 129 – Cho. 269 – 296 89, 97 – Cho. 283 – 290 98 – Cho. 297 f. 98 – Cho. 523 – 550 207 – Cho. 558 f. 97 – Cho. 583 f. 97 – Cho. 613 – 622 248 – Cho. 1021 – 1042 97 – Cho. 1061 97 – Diktyulkoi 210 – Edonoi 100, 155 – Eum. 500 97 – Inc. fab. fr. 355 Radt TrGF 3, p. 421 296 – Mysoi 207 – Pentheus 100 – Persae/Perser 41, 68, 190 – Pers. 50 190 – Pers. 72 58 – Pers. 722 58 – Pers. 736 58 – Pers. 745 60
– Pers. 816 – 826 105 – Phineus 246 – Pr. 673 – 677 95 – Pr. 908 – 912 209, 233 – Semele¯ e¯ Hydrophoroi 48 – Telephos 207 – Thressae 93 Akusilaos (FGrHist 2) – fr. 2.28 Jacoby 131 Alexander Aitolos – Apollon 247 Alexander Lykopolitanus – 5 Brinkmann 134 Alkidamas – Od. 14 207f. – Od. 14 – 16 248 – Od. 15 f. 211 – Od. 16 210, 213 Antiphon – Tetralogien 218 Antoninus Liberalis – 10 113 Apollodor – 1.2.1 = 1.6 f. 213 – 1.4.3 = 1.25 271 – 1.5.1 = 1.29 – 32 14 – 1.7.4 = 1.54 f. 71 – 1.8.2 = 1.70 233 – 1.8.5 = 1.76 f. 231 – 1.9.1 = 1.80 – 83 154 – 1.9.2 = 1.84 99 – 1.9.8 = 1.90 – 92 243 – 1.9.17 = 1.114 f. 276 – 1.9.27 = 1.144 133 – 2.1.121 – 125 = 2.21 279 – 2.2.2 = 2.26-29 131 – 2.2.2.33-35 = 2.29 114 – 2.3.1 = 2.30 232 – 2.3.2 = 2.33 292 – 2.4.1 = 2.34 208 – 2.4.1 = 2.35 210, 213 – 2.4.4 = 2.47 213 – 2.4.6 = 2.56 230 – 2.4.6 = 2.56 f. 233
Indices
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
2.4.6 = 2.57 233 2.5.9 = 2.103 291 2.6.4 = 2.136 42 2.7.4 = 2.146 207, 210, 218 2.7.4 = 2.147 212 2.7.6 = 2.150 234 2.7.7 = 2.155 88 2.8.2 = 2.170 235 2.8.3 = 2.174 – 177 230 3.1.4 = 3.9 f. 291 3.2.1 = 3.14 158 3.2.1 – 3.2.2 = 3.12 – 16 207 3.4.2 f. = 3.26 – 27 49 3.5.1 = 3.34 f. 102 3.5.1 = 3.35 103 3.5.5 = 3.41 – 44 243 3.5.5 = 3.42 f. 266 3.5.7 = 3.50 212 3.6.1 = 3.58 f. 231 3.7.7 = 3.94 f. 244 3.8.1 = 3.98 f. 254, 266 3.8.2 = 3.100 278 3.9.1 = 3.103 207 f., 218 3.9.1 = 3.103 f. 210 3.9.1 = 3.104 212f. 3.9.2 = 3.105 – 109 204 3.9.2 = 3.108 88 3.10.3 = 3.121 247 3.10.8 f. = 3.131 f. 178 3.12.5 = 3.150 212, 216 3.13.1 = 3.163 233 3.13.1 – 3 = 3.163 – 167 233 3.13.2 = 3.164 f. 247 3.13.8 = 3.174 209, 252, 278 3.13.8 = 3.175 245 3.14.4 = 3.183 237 3.14.8 = 3.195 257 3.15.1 = 3.198 230 3.15.3 = 3.200 246 3.15.8 = 3.211 248 Ep. 1.3.125 – 134 = Ep. 1.S17 279 Ep. 2.8 = Ep. 2.2 107 Ep. 2.9 = Ep. 2.3 – 9 187 Ep. 2.9.13 = Ep. 2.3 256 Ep. 2.10.61 – 67 = Ep. 2.12 260 Ep. 2.10.68 – 73 = Ep. 2.13 255 Ep. 2.10.73 – 75 = Ep. 2.14 208 Ep. 3.17.126 – 133 = Ep. 3.17 126
399
– Ep. 5.19.1 – 5 = Ep. 5.1 230 – Ep. 5.19.7 – 13 = Ep. 5.2 279 – Ep. 5.21.152 – 157 = Ep. 5.15 165 – Ep. 5.21.179 – 184 = Ep. 5.19 165 – Ep. 5.21.203 – 206 = Ep. 5.21 122 – Ep. 6.108 – 111 = Ep. 6.14 123 – Ep. 6.108 – 114 = Ep. 6.14 123 – Ep. 6.111 – 114 = Ep. 6.14 123 Apollonios Rhodios – 1.609 – 639 276 – 1.620 – 623 223 – 1.636a, Scholion L zu 48 – 1.752 – 758 187 – 2.178 246 – 4.800 – 809 209, 233 – 4.805 236 – 4.1091, Scholion zu 208, 213, 266 Apuleius – Metamorphosen 329 – Met. 8.27 f. 117 – Met. 8.28 237 Arat – 150, Scholion zu 286 Aretaios – SD 1.6.11 117 Aristias – Kyklops 293 Aristodemos (FGrHist 383) – fr. 2 Jacoby 230 Aristonikos – De signis Il. 21.218 63 – De signis Od. 6.58 63 Aristophanes – Ach. 523 – 529 311 – Ach. 1173 – 1226 126 – Av. 212 257 – Daidalos 293 – Kokalos 293 – Nubes/Wolken 114 – Nub. 508, Scholion zu 287 – Pl. 1063 175 – Ranae/Frçsche 293 – Ra. 308 182 – Th. 215 – 235 294 – Vespae/Wespen 102 – V. 8 108 – V. 71 114 – V. 76 114
400
Indices
Charax (FGrHist 103) – fr. 5 Jacoby 287 Cicero – De Fin. 2.112 68 – Leg. 1.1.5 326 – Off. 3.97 178 – Tusc. 3.11 112 Clemens Alexandrinus – Paed. 3.11.78.3 – 79.2 175 – Protr. 2.36.5 254 Curtius – Hist. Alex. 9.9.27 72
– V. 87 114 – V. 114 114 – V. 114 – 120 114 – V. 119, Scholion zu 114 – V. 651 114 – V.1043 114 – V. 1485 114 Aristoteles – Gen. An. 756b6 – 7 326 – Mech. 847a 191 – Po. 1447b13 – 20 326 – Po. 1450a4 – 5 18 – Po. 1451a38 – 51b4 326 – Po. 1451b4 – 5 326 – Po. 1459a 301 – Po. 1459b 164 – Po. 1460a5 – 11 326 Arnobius – nat. 5.5 – 7 102 – nat. 5.19 134 Arrian – An. 6.19.5 72 – Ind. 20.10 72 Astydamas – Aias Mainomenos 93 – Lykaon 254 Athenaios – 9.80 Kaibel 234 Augustinus – C. D. 18.17 259 Bakchylides – Dith. 16.23 – 35 Maehler – Ep. 3.23 – 62 2 – Ep. 11 131 – Ep. 11.47 f. 131 – Ep. 11.95 – 112 130 – Ep. 11.112 131 Bion Bucolicus – Epithal. 15 252, 278 Caelius Aurelianus – Chron. 1.5.144 – 179 Cassius Dio – 59.25.1 – 3 72 Catull – carm. 63 102 – carm. 66.45 f. 68
108
52
Demetrios – Eloc. 100 f. 134 Diodor – 2.46.5 229 – 3.58 f. 204 – 3.62.3 – 8 295 – 3.62.6 – 8 101, 134, 264 – 3.64 49 – 4.1 – 3 243 – 4.2.2 49 – 4.33.10 210 – 4.33.11 212f. – 4.33.11 f. 213 – 4.36.2 234 – 4.43.3 – 44.6 246 – 4.50 – 52 133 – 4.65.2 f. 231 – 4.68.4 131 – 4.70.3 f. 272 – 4.72.6 229 – 4.73 187 – 5.50.5 107 – 6.9 232 – 17.104.1 72 – 19.2.2 – 7 226 – 19.2.6 226 Diogenes Laertios – 1.94 158 – 1.97 f. 157 Dion Chrysostomos – 11.46 180 Dionysios von Halikarnaß – 1.76 – 88 204 Dorotheos – Metamorphosen 230
401
Indices
Duris (FGrHist 76) – fr. 1 Jacoby 329 Ennius – Thyestes 254 Epicharm – Kyklops 293 Epischer Kyklos – Alkmaionis 229 – Iliu Persis 88, 122, 164f. – Kleine Ilias 93, 164 – Kyprien 94 – Telegonie 2877, 293 Euanthes (Sammelzitate FGrHist 320) – fr. 1 Jacoby 259 Euphorion – fr. 9 Powell = 11 van Groningen 223 – fr. 26 Powell = 24a v. Groningen 257 Euripides – Alcestis/Alkestis 293 – Alkmeon ho dia Korinthou 244 – Andr. 293, Scholion zu 208, 216 – Antiope 243 – Auge 218 – Bacchae/Bakchen 91, 100, 111f., 116, 129, 139 – Ba. 3 49 – Ba. 26 – 33 112, 135 – Ba. 79 117 – Ba. 88 – 93 49 – Ba. 136 f. 125 – Ba. 156 140 – Ba. 214 101 – Ba. 322 101 – Ba. 326 101, 130 – Ba. 337 – 341 113 – Ba. 359 101, 119, 120 – Ba. 367 – 369 113 – Ba. 629 – 631 100 – Ba. 642 – 649 156 – Ba. 646 156 – Ba. 669 295 – Ba. 739 295 – Ba. 746 295 – Ba. 821 – 861 278
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ba. 850 f. 135 Ba. 915 – 938 278 Ba. 920 – 922 101 Ba. 1210 295 Electra/Elektra 97 El. 14 – 18 207 El. 23 209 El. 39 209 El. 43 – 53 209 El. 727 – 742 260 El. 1244 – 1246 97 El. 1253 f. 97 Hec. 23 f. 122 Hec. 646 212 Hec. 944 212 HF 1 – 21 233 HF 9 – 12 233 HF 16 f. 230 HF 840 – 842 94 Hippolytos 96, 246 Hipp. 141 – 144 111 Hippolytos Kalyptomenos IA 58 – 85 177 IA 180 212 IA 574 212 IA 1292 212 Ino 99 Ion 1 – 81 204 Ion, Hypothesis 204 IT 83 97 IT 281 – 291 97 IT 281 – 294 97 IT 296 – 300 100 IT 386 – 391 256 IT 934 97 IT 981 97 Kretes 293 Kyklops 293 Melanippe Sophe¯ 207 Oineus 230f. Or. 36 f. 97 Or. 227 f. 97 Or. 268, Scholion zu 97 Or. 269 f. 97 Or. 285 – 293 98 Or. 400 97 Or. 407 f. 97 Or. 531 f. 97
246
402 – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Indices
Or. 831 – 843 97 Or. 996 – 1011 260 Peliades 133 Phaethon 49 Ph. 13, Scholion zu 208 Ph. 24, Scholion zu 212 Ph. 410 – 423 230f. Ph. 1119 – 1121 231 Phoinix 245 Phrixos B, Hypothesis 154 Rh. 715 – 719 164 Skyrioi 209 Stheneboia 232 Supp. 131 – 148 230f. Supp. 148 231 Telephos 127, 207, 210 Theseus 293 Thyestes 254 Tr. 15 – 17 122 Tr. 921 211
Firmicus Maternus – De errore 6.3 134 Gellius – 16.19 147 Gorgias (DK 82) – Hel. (fr. B 11) 9 – fr. B 23 325
320
Hekataios (FGrHist 1) – fr. 29 Jacoby 210 Heliodor – 1.9 – 17 247 – 2.34.3 123 Hellanikos (FGrHist 4) – fr. 2 Jacoby 234 Heraklit (22 DK) – fr. A 1 297 – fr. B 5 93 – fr. B 12 297 – fr. B 15 294 – fr. B 31 297 – fr. B 36 297 Hermesianax – fr. 8 Powell 237 Herodoros (FGrHist 31) – fr. 3 Jacoby 234
Herodot – Prooem. 307 – 1.1.4 312 – 1.1 – 4 311 – 1.1 – 5 310 – 1.2.1 347 – 1.3 f. 3 – 1.4.2 347 – 1.5 38 – 1.5.3 2, 76, 311, 347 – 1.5.3 f. 269 – 1.6.3 190 – 1.7.3 235 – 1.7 – 14 3, 14, 304 – 1.8.2 345 – 1.8 – 13 47 – 1.14 239 – 1.14.2 239 – 1.19.2 89 – 1.19 – 22 89 – 1.20 89 – 1.22.4 89 – 1.23 154 – 1.23 f. 146, 303, 315 – 1.24 13 – 1.24.4 156 – 1.24.5 151, 156 – 1.24.7 149, 156 – 1.24.8 152 – 1.27 76 – 1.29 350 – 1.30 – 33 76 – 1.31 14 – 1.32 106 – 1.32.6 345 – 1.34 227 – 1.34.1 76, 238, 345 – 1.34.2 238 – 1.34.3 229 – 1.34 – 45 76, 226 – 1.35.1 229 – 1.35.1 – 3 228 – 1.35.2 226, 350 – 1.36.2 229 – 1.36.3 229 – 1.37.1 229 – 1.41.2 229 – 1.43.1 229
403
Indices
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
1.43.2 351 1.43 – 44 39 1.44.1 f. 229 1.44.2 227 1.45 39 1.45.2 76, 234, 345 1.45.3 227, 229, 235 1.46 – 49 76 1.49 350 1.50 – 52 77 1.51.3 317 1.53.3 77 1.54 77 1.55.2 346 1.55 f. 77 1.57 4 1.59.1 f. 221 1.59.4 – 6 163, 166 1.59 – 61 186 1.60 f. 186 1.61.1 186 1.65.2 350 1.66.1 350 1.66 – 68 11 1.67.1 346 1.71 77 1.71.1 77, 351 1.73 252, 271, 272 1.73.1 77 1.73.5 268 1.74.1 262 1.74.2 262 1.75 19, 74 1.75.3 74 1.75.6 74, 317 1.78 77 1.82.7 350 1.82.8 350 1.85.4 239 1.86 76f. 1.86 – 87 7 1.87.2 72, 77 1.87.3 345 1.88 – 89 77 1.89.2 353 1.90.2 77 1.90.3 77f. 1.90.4 77
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
1.91.1 239, 352 1.91.6 78, 352 1.92.4 190 1.94 237 1.94.1 350 1.94.5 345 1.95 – 106 270 1.96 347 1.96 – 101.1 305 1.100.2 347, 352, 356 1.103.2 262 1.103.3 – 104 261 1.105.4 90 1.106 269 1.106.1 353 1.106.2 261, 270, 272, 292 1.107 – 130 201 1.108.5 352 1.109.2 86 1.110.1 205 1.110.1 f. 215 1.110.3 1, 215, 346 1.111.3 215 1.111.4 215 1.111.5 – 112.1 224 1.112.1 202, 346 1.112.3 346, 347 1.113.2 215 1.113.3 216 1.114.4 216 1.114.5 352 1.115.2 216 1.116.1 226 1.116.2 202 1.116.4 346 1.117.3 352 1.117.4 215 1.119 252f., 255 1.119.1 352 1.119.2 53 1.119.5 f. 253 1.120.1 356 1.122.3 205 1.127.3 346 1.128.1 355 1.129 261 1.129.3 347 1.130.3 202, 346f.
404 – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
1.131 51 1.131.1 f. 350 1.132.2 190 1.134.1 190 1.135 350 1.137 190 1.137.1 347, 350 1.138 176 1.138.1 350, 352 1.138.2 56, 61 1.139.2 355 1.140.3 350 1.144.3 350 1.155.3 347, 352 1.157 – 160 40, 355 1.159.3 354 1.159.4 40 1.161 90 1.167.1 f. 352 1.170.1 346 1.171 3 1.172.1 350 1.173 3 1.174 59 1.174.5 59 1.183.3 50, 87 1.184 – 186 56 1.189.1 56, 352 1.189.2 352 1.189 f. 56 1.190.2 57 1.191 56f. 1.192.2 190 1.195.2 350 1.196.1 350 1.196.4 f. 350 1.197 350 1.199.1 350 1.199.5 350 1.200 350 1.204 220 1.204.2 57, 220 1.205 – 208 57 1.206 57 1.206 – 207 77 1.207 104 1.207.2 235 1.207.5 355
Indices
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
1.207.6 – 7 161, 310 1.207.7 351 1.209 f. 202 1.211 161, 310 1.211 – 213 104 1.212.2 104 1.212.3 353 1.216.1 350 2.12.1 317 2.15.2 317 2.17 f. 68 2.23 321 2.32.3 352 2.32 f. 352 2.35.2 350 2.35.3 355 2.37.1 350 2.37.5 350 2.38.1 350 2.39.4 350 2.41.3 253 2.42.3 350 2.42 f. 3 2.43.4 350 2.44 4 2.44 f. 157 2.45.1 156 2.45.2 350, 354 2.46.2 350 2.47.2 348 2.49 141 2.49.3 350 2.50.3 350 2.53.1 3 2.61.1 355 2.63.4 350 2.65.2 350 2.65.3 350 2.72 350 2.79.1 350 2.81 354 2.86.2 355 2.92.1 350 2.93.4 351 2.104 f. 4 2.108 60 2.111 56 2.111.2 56, 355
405
Indices
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2.112 – 120 297 2.113.2 f. 350 2.113.3 356 2.113 – 119 3 2.113 – 120 5, 321 2.114.2 f. 356 2.114 f. 297 2.115.3 356 2.115.4 346, 356 2.116 313 2.116 f. 4 2.118.3 346, 356 2.119.2 356 2.119.3 3 2.120 1, 3 2.120.3 f. 346 2.120.4 356 2.120.5 349 2.121 286 2.121.1 297 2.121.a.1 282, 285 2.121.a-b 282 2.121.b.2 345 2.121.c-d 283 2.121.e.2 283, 285, 354 2.121.e.4 354 2.121.e-f 283 2.121 f. 46, 199, 282 2.122 284f. 2.122.1 350 2.123.1 288 2.123.2 289 2.124.1 346 2.124 f. 290 2.126 290 2.126.1 346 2.127 290 2.128 346 2.129 290 2.129.1 346 2.129 – 132 291 2.130 – 132 290 2.131 290 2.133.5 290 2.134 290 2.136 291 2.136.2 350 2.137.3 352, 356
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
2.139.2 345 2.142 f. 3 2.144 132, 295 2.145.1 350 2.145.3 3 2.146 48 2.152.3 353 2.154.2 354 2.154.4 3 2.156.6 321 2.158 58 2.160.4 346 2.161.3 345 2.170.1 355 2.171.2 355 2.177.2 350 2.181.3 346 3.4.3 292 3.5 68 3.5 – 9 68 3.10.3 262 3.10 f. 262 3.14.10 346 3.15.4 346 3.16 80, 350, 356 3.16.1 f. 298 3.16.2 354 3.16.2 – 4 350 3.16.3 348 3.17.2 298 3.19.2 354 3.20.2 350 3.21.2 346 3.25 80 3.25.2 80, 86 3.25.3 80 3.25.5 351 3.26 74 3.27 – 29 80 3.28.1 298 3.29.1 81, 86 3.29.1 f. 298 3.29.2 81, 346 3.30 86 3.30.1 83–85, 86, 119, 348 3.30 – 32 80 3.31 80, 298, 350 3.31.3 347
406 – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
3.32 86, 158 3.33 80, 83, 121 3.34.1 80 3.34.2 104 3.34.3 86, 104 3.35.2 351 3.35.3 53 3.35.4 86 3.36 315 3.37 80 3.37.1 80 3.38 140, 146, 350 3.38.1 84 3.38.1 f. 46, 136 3.38.3 f. 297 3.38.4 46, 140, 280 3.40.3 345 3.43.1 345 3.48 12, 158 3.48.1 353 3.48 f. 355 3.49.2 355 3.50 157f. 3.50 – 53 12 3.51 f. 158 3.52 157, 158 3.52.6 345 3.53 158 3.64 121 3.64.3 81 3.65.3 356 3.65.4 351 3.65.5 356 3.66.1 f. 81 3.70 f. 174 3.72.4 – 5 175 3.80 144 3.80.2 353 3.80.3 58 3.80.4 355, 357 3.80.5 349 3.80 – 83 174, 179 3.81.1 f. 353 3.81.2 38, 64 3.81.3 346 3.82.4 357 3.83.2 175 3.84 – 87 174
Indices
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3.85 – 87 175 3.88.1 68 3.89.3 175 3.118.1 176, 353 3.118 f. 176 3.119 41 3.120.1 354 3.122.2 2, 3, 5, 327 3.125.2 345 3.125.3 190 3.126.2 353 3.127.1 356 3.127.2 176 3.127.3 356 3.127 f. 176 3.129.2 f. 345 3.132 190 3.134.2 144 3.134.4 58 3.137.3 353 3.145.1 352 3.145.1 f. 356 3.145.2 346 3.147 87, 191 3.149 90 3.153 – 160 161 3.154 – 160 310 3.155.3 118 3.155.5 161, 165 3.157.3 53 3.157.4 162 3.160 162 3.160.1 165 3.160.2 162 4.1.1 347 4.7 13 4.7.2 328 4.12.2 351 4.23.5 347 4.26.1 350 4.29 321 4.36 – 45 68 4.39.1 58 4.43.5 347 4.46 137 4.59 350 4.64 – 72 267 4.65.1 350
407
Indices
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4.68.2 350 4.69.3 347 4.76.1 136 4.76.3 137 4.76.4 139 4.76 – 80 136 4.77 140 4.78 139 4.78.4 142 4.79.1 139, 345 4.79.2 138 4.79.4 138, 140 4.80.5 137 4.84 8, 190 4.84.2 53 4.85 58 4.85 f. 68 4.87 f. 68 4.87 – 89 58 4.88 55 4.91 58 4.91.2 59 4.94 71 4.94.1 350 4.94.3 345 4.95.2 345 4.103.1 350 4.104 350 4.105.1 350 4.106 347, 349 4.107 350 4.108 141 4.114.3 350 4.118.1 58 4.119.2 347 4.119.4 347 4.127.4 350 4.129.2 352 4.133.2 f. 68 4.134 – 136 161, 310 4.136.2 351 4.136.3 68 4.140.1 351 4.142 351 4.145 – 148 241 4.146 276 4.146.1 354, 356 4.146.4 240
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
4.150.3 241 4.150 f. 240 4.150 – 153 241 4.151.2 345 4.151.3 – 153 240 4.152.3 5 4.154.2 240 4.154.3 248 4.154.4 248 4.154 f. 239f. 4.155 240, 249 4.155.1 241, 317 4.156 241 4.156.1 241 4.156.3 240 4.157 240 4.157 – 167 241 4.159 240 4.159.4 353 4.160 240 4.163 f. 240 4.164.4 351 4.165.2 345 4.167 242 4.168.1 350 4.169.2 – 171 350 4.172.2 350 4.173 71 4.184 71 4.184.2 355 4.186.2 348 4.187.1 350 4.190 350 4.191.1 350 4.196.3 347 4.201 240, 242 4.203 63 4.205 345 5.3.2 350 5.4.2 345 5.6.1 f. 350 5.18.2 270 5.18.2 f. 350 5.18.3 270 5.18 – 21 35, 269 5.25.1 347 5.26 303 5.27.1 346
408 – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
5.32 53 5.34.3 346 5.39.2 352 5.42.1 81, 86 5.49.7 51 5.50.2 67 5.52 56 5.52.5 67 5.56.1 348 5.62 – 65 188 5.66 f. 185 5.67 185 5.67.1 185 5.68.1 186 5.72.3 f. 82 5.74.1 353 5.75.2 350 5.77.4 353 5.78 144, 159, 346 5.82.2 350 5.82 – 88 90 5.84.1 347 5.85.2 90 5.87 91, 134 5.89.2 347 5.91.2 353 5.92.a.1 357 5.92.a-e 9, 201, 203 5.92.c.3 206 5.92.d.1 203 5.92.e.2 203f. 5.92.e.3 203 5.92.f 221 5.92.f.1 157 5.92.f-g 157 5.92.g.1 357 5.97 37 5.97.3 31, 67, 346 5.101 – 102 87 5.102.1 87 6.10 144 6.12.3 86 6.14.1 346 6.19 87 6.20 191 6.21.2 346 6.29.1 352 6.30.1 346, 352
Indices
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
6.31.2 191 6.32 87 6.38.2 162, 166 6.39 160 6.41.4 346 6.42 190 6.44 72 6.52.1 321 6.53 3 6.54 348 6.58.2 350 6.63 – 70 9 6.66 120 6.66.2 f. 82 6.74 82, 120 6.75 82, 121 6.75.1 81, 84, 86, 89, 119 6.75.3 82, 133 6.75 – 84 81f. 6.76 83 6.76 – 83 121 6.79 – 81 82 6.81 355 6.82 83 6.82.1 83, 348 6.84 83, 103, 121 6.84.1 81, 345 6.84.3 81, 83f., 91, 121 6.85.1 353 6.86.a.1 354 6.87 347 6.92.2 347 6.96 87 6.96 – 97 87 6.101 87 6.101.3 87 6.104.2 145 6.106.3 350 6.115 188 6.119 191 6.119.1 347 6.121 188 6.121.1 188 6.123 188 6.123.1 188, 317 6.123.2 184 6.124.1 f. 188 6.125 184
409
Indices
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
6.125.3 – 5 184 6.126.1 184 6.126.2 187 6.126 – 131 180 6.127 181 6.127.2 345 6.127.3 354 6.129.2 181 6.129.4 181, 183 6.131.1 183 6.134 63 6.134.2 63, 124 6.134 f. 348 6.136 124 6.136.3 348 6.137.1 357 6.137.2 357 6.137.3 357 6.138 275, 278 6.138.4 276 6.139 348 6.139.1 345 7.1.1 87 7.3.3 350 7.5.2 353 7.6.3 f. 348 7.8 172 7.8a 351 7.8.b.2 347 7.8.c.1 50, 68 7.8.c.3 190 7.8.2 – 3 87 7.8 – 18 106 7.8 – 19 31, 167, 171 7.9 172 7.9.b.1 346 7.9.2 347 7.10 172 7.10.a.2 68 7.10.d.2 346 7.10.g.2 347 7.11 f. 172 7.12.1 172, 193 7.12.2 172 7.12 – 18 40, 41 7.13 173 7.14 173 7.16.a.1 – 2 346
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
7.16.a.2 353 7.17.2 173 7.18.2 346 7.19 106 7.21.1 61 7.22 – 24 59 7.24 60 7.27 315 7.27.1 235 7.27 – 29 8 7.31 87 7.33 10, 68 7.33 – 36 60 7.34 60 7.35 60 7.35.1 60 7.35.2 60, 61, 64, 348, 355 7.35.3 190 7.36 55, 68 7.37 59, 106 7.37.3 53 7.38 – 39 8 7.39 190 7.39.1 346 7.40.4 51 7.42 74, 106 7.42.2 63 7.43.1 62 7.43.1 f. 62 7.43.2 87 7.51.2 f. 348 7.51 f. 68 7.54 61, 68, 72, 87 7.56 69 7.56.2 51, 220 7.57 – 58.1 106 7.58 154 7.58.3 62 7.104.4 f. 144 7.107 166 7.108.2 62 7.109.2 62 7.114 47 7.127.2 62 7.129.4 350 7.133.2 317 7.136.1 190 7.137 274
410 – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
7.137.2 348 7.140.1 350 7.146.3 191 7.150.2 350 7.152.3 288, 321, 331 7.160.1 353 7.168.4 346 7.170 f. 3 7.181 191 7.187.1 62 7.187.2 190 7.188.2 72 7.191.1 346 7.192.2 350 7.194.1 347 7.194.2 352 7.196 62 7.197 154 7.197.4 87 7.215 53 7.238.2 350 8.3.2 353 8.8 148 8.22 195 8.22.2 346 8.22.3 195 8.32 f. 191, 87 8.35 – 39 61, 88, 173 8.36 88 8.37 88 8.37.1 354 8.38 88 8.53.2 87 8.54 87 8.57 170 8.68.c 346 8.70 – 83 167 8.74 167, 190 8.75.2 f. 168 8.76.1 195 8.77 168, 195 8.77.1 354 8.77.2 168 8.79.1 169 8.79.2 169 8.79 f. 195 8.80.1 169 8.84 169, 173
Indices
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
8.84.2 169 8.85.4 346 8.87 160 8.97.1 68 8.102.2 190 8.102 – 103 190 8.105.1 354 8.106.3 349, 354 8.107 68 8.108.2 195 8.109.3 61, 87f. 8.109 f. 195 8.110.3 195 8.115 51 8.117 73 8.118 8, 73, 309, 315 8.118.1 309 8.118.3 309 8.118.4 309 8.119 309 8.129 355 8.136 274 8.140 274 8.140.a.1 352 8.140.b.4 352 8.144 274 9.7.a.2 347 9.11.1 347 9.13.2 87 9.26 f. 6 9.27.2 353 9.27.4 6 9.33.2 351 9.33 – 35 5, 131 9.34 89 9.34.1 6, 89 9.39.2 191 9.45.2 274 9.49.1 53 9.55.2 86 9.73.2 353 9.78.1 f. 356 9.79.1 356 9.90.3 345 9.92 – 96 13, 21 9.93 f. 348 9.98 195 9.108 – 113 14, 46, 242
411
Indices
– 9.109.2 345 – 9.109.3 53 – 9.111 54 – 9.111.1 51, 350 – 9.116 87 – 9.116.1 355 – 9.116 – 120 10 – 9.120.2 348 – 9.120.4 269 – 9.121 68 Hesiod – fr. 25.14 – 19 MW 52 – fr. 37 MW 130 – fr. 37.129 – 133 MW 131 – fr. 43a MW 103 – fr. 131 MW 89, 131 – fr. 148a MW 271 – fr. 163 MW 254, 264 – fr. 196 – 204 MW 177 – fr. 198.1 f. MW 178 – fr. 198.1 – 6 MW 177 – fr. 259 MW 187 – Op. 213 – 218 105 – Sc. 10 f., 82 230 – Sc. 12 f. 233 – Sc. 80 – 85 233 – Th. 27 f. 320 – Th. 156 – 160 208 – Th. 163 – 210 213 – Th. 168 – 210 208 – Th. 453 – 467 207 – Th. 479 – 484 212 – Th. 492 f. 212 – Th. 501 – 506 213 – Th. 535 – 569 265 – Th. 617 – 623 208 – Th. 886 – 900 209 – Th. 950 – 955 236 Hippokrates/Corpus Hippocraticum – Morb.Sacr. 1 84 – Morb.Sacr. 4.35.40 – 60 89 Homer – Il. 1.6 38 – Il. 1.59, Scholion D zu 126 – Il. 1.188 – 222 232 – Il. 1.207 232 – Il. 1.262 – 268 271 – Il. 1.460 133
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Il. 1.464 256 Il. 2.1 – 440 31 Il. 2.12 f. 170 Il. 2.13 f. 170 Il. 2.73 171 Il. 2.73 – 75 171 Il. 2.110 – 141 170 Il. 2.155 f. 313 Il. 2.155 – 181 171 Il. 2.211 – 269 171 Il. 2.339, Scholion A zu Il. 2.423 133 Il. 2.426 256 Il. 2.427 256 Il. 2.661 – 663 235 Il. 2.664 – 670 235 Il. 2.740 – 744 271 Il. 3.325, Scholion A zu Il. 4.171, Scholion D zu Il. 4.409 355 Il. 5.62 f. 31, 37 Il. 5.64 37 Il. 5.87 – 92 38, 64 Il. 5.176 203 Il. 6.37 f. 235 Il. 6.130 – 140 155 Il. 6.152 – 193 245 Il. 6.155, Scholion D zu Il. 6.160 245 Il. 7.478 f. 63 Il. 8.76 f. 63 Il. 9.444 – 495 232, 246 Il. 9.448, Scholion D zu Il. 9.449, Scholion bT zu Il. 9.458 – 461 232 Il. 9.459 232 Il. 9.527 – 605 43 Il. 11.544 f. 63 Il. 12.138 f. 38 Il. 13.137 – 142 203 Il. 13.138 f. 64 Il. 13.360 203 Il. 14.113 – 125 230 Il. 14.114, Scholion T zu Il. 14.119, Scholion D zu Il. 14.291, Scholion T zu Il. 14.319, Scholion D zu Il. 14.434 64
177
212 279
232
246 246
231 230 257 208
412 – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Indices
Il. 15.229, Scholion D zu 209, 212 Il. 15.291 203 Il. 16.425 203 Il. 16.570 – 576 233 Il. 16.575 233 Il. 17.118 63 Il. 19.86 – 89 105 Il. 19.326, Scholion D zu 209, 252, 278 Il. 21.1 – 384 64 Il. 21.108 – 109 65 Il. 21.110 – 113 69 Il. 21.130 – 132 64 Il. 21.136 – 138 65 Il. 21.145 f. 64 Il. 21.145 – 147 65 Il. 21.184 – 199 64, 70 Il. 21.192 f. 64 Il. 21.212 65 Il. 21.213 65 Il. 21.218 63 Il. 21.219 – 220 65 Il. 21.233 – 237 65 Il. 21.240 38 Il. 21.240 f. 64 Il. 21.284 – 304 69 Il. 21.306 65 Il. 21.308 – 327 64 Il. 21.324 65 Il. 21.327 – 384 69 Il. 21.383 65 Il. 21.385 – 611 69 Il. 21.441 – 447 291 Il. 21.453 f. 60 Il. 22.79 – 89 14 Il. 23 192 Il. 23.82 – 90 232 Il. 24.58 – 61 14 Il. 24.498 203 Il. 24.693 64 Odyssee 314, 320 Od. 1.28 – 43 97 Od. 1.35 – 43 207 Od. 1.68 – 79 71 Od. 1.298 – 300 97 Od. 3.9 256 Od. 3.40 256 Od. 3.456 f. 133
– Od. 3.461 256 – Od. 4.234 – 264 163 – Od. 4.240 – 243 163 – Od. 4.244 – 258 163 – Od. 4.249 f. 164 – Od. 4.257 164 – Od. 4.258 163 – Od. 4.265 – 270 164 – Od. 4.271 – 289 164 – Od. 4.450 – 463 297 – Od. 4.499, 502 88 – Od. 4.500 – 511 88 – Od. 5.282 – 381 71 – Od. 9.106 – 566 293 – Od. 9.116 – 165 240 – Od. 9.345 – 374 292 – Od. 9.526 – 542 71 – Od. 11.100 – 103 71 – Od. 11.235 – 265 243 – Od. 11.321 246 – Od. 11.541 – 567 93 – Od. 11.601 – 604 236 – Od. 12.254 – 260 164 – Od. 12.364 256 – Od. 12.389 f. 317 – Od. 13.125 – 187 71 – Od. 14.69 203 – Od. 14.236 203 – Od. 15.225, Scholion zu – Od. 15.415 – 475 312 – Od. 15.416 312 – Od. 15.432 f. 312 – Od. 19.392 – 466 231 – Od. 19.401 – 412 231 – Od. 19.518 – 523 257 – Od. 20.252 256 – Od. 20.260 256 – Od. 21.295 – 298 104 – Od. 21.295 – 304 271 – Od. 21.303 272 – Od. 23.11 – 14 85, 119 – Od. 23.67 355 – Od. 23.277 f. 72 – Od. 24.119 178 Homerische Hymnen – h.Ap. 3 150f., 154 – h.Ap. 3.162 – 164 329 – h.Ap. 3.239 – 276 70
131
413
Indices
– h.Ap. 3.275 f. 70 – h.Ap. 3.293 – 297 287 – h.Ap. 3.375 – 387 70 – h.Ap. 3.387 70 – h.Ap. 3.388 – 546 150 – h.Ap. 3.401 150 – h.Ap. 3.403 f. 151 – h.Ap. 3.440 – 485 151 – h.Bacch. 1.1 – 7 48 – h.Bacch. 7 149f. – h.Bacch. 7.13 f. 156 – h.Bacch. 7.50 90, 149 – h.Cer. 2 129 – h.Cer. 2.231 – 274 14 – h.Herm. 4 182 Horaz – carm. 1.18.8 f. 272 Hygin – Astr. 2.4 254 – Astr. 2.34 271 – Fab. 3 f. 154 – Fab. 5 99 – Fab. 7 243, 266 – Fab. 8 243 – Fab. 33 272 – Fab. 40 291 – Fab. 57 232 – Fab. 63 210 – Fab. 69 231 – Fab. 73 233 – Fab. 83 256 – Fab. 84 187 – Fab. 87 208 – Fab. 87 f. 208, 210, 212 – Fab. 88 213, 255 – Fab. 91 211, 212 – Fab. 95 178 – Fab. 96 209, 252, 278 – Fab. 99 f. 212 – Fab. 100 214 – Fab. 101 126 – Fab. 108 165 – Fab. 113 122 – Fab. 123 123 – Fab. 132 102f. – Fab. 145 96 – Fab. 167 49 – Fab. 176 254
– – – – – – – – –
Fab. 179 Fab. 185 Fab. 189 Fab. 206 Fab. 242 Fab. 244 Fab. 246 Fab. 252 Fab. 253
49 88, 204 230 257 103, 257 214 257 212 257
Iamblich – Myst. 3.4 116 Isokrates – 10.40 177 Justinus – 1.4 205, 211 Kalippos siehe Paus. 9.37.4–7 Kallimachos – Aet. fr. 110. 45 – 48 Pfeiffer 68 – Ap. 239 – Dian. 67 102 – Dian. 233 – 236 mit Scholion 130 – Jov. 33 209, 212 – Jov. 45-53 212 – Jov. 55 212 – Jov. 57 212 Kratinos – Odysse¯s 293 Libanios – Ep. 19.12 175 Livius – 1.4.–1.7.3 204 Lukian – DMar. 5 149 – DMar. 5.1 153 – DMort. 6.2 68 – Herm. 59 175 – Hist.Conscr. 327 – VH 1.4 327 – VH 1.31 327 – VH 2.17 158 – VH 2.39 149 – VH 2.41 149 Lykophron – Alex. 152 – 155 256
414
Indices
– Alex. 206 – 215 126 – Alex. 207 126 – Alex. 481 254 – Alex. 1246 f. 126 Lyrica adespota – fr. adesp. 85 PMG ed. Page
296
Menander – Samia 248 Menander Rhetor (Russell/Wilson) – 2.371 214 – 2.374 63 Mnesiepes-Inschrift – T 4 Tarditi, E1 col. III 152 Mythographus Vaticanus (1) – 1.41 123 – 1.79 231 – 2.3.2 212 – 2.38 123 – 2.96 231 Neues Testament – Ev. Marc. 6.14 – 28 53 – Ev. Matt. 14.1 – 12 53 Nikostrat – Patriotai 175 Nonnos – D. 6.172 134 – D. 6.174 134 – D. 6.205 134 – D. 8 49 – D. 9.38 – 48 99 – D. 12.70 – 75 257 – D. 18.20 – 24 254 – D. 31.47 134 – D. 33.290 278 – D. 36.74 278 – D. 38.90 – 434 49 Oppian von Apameia – Cynegetica 192 Oppian von Korykos – Halieutica 192 Orphika – A. 671 – 679 246 – fr. 59 Bernab 101 – fr. 301 – 311 Bernab 264
101, 134,
– fr. 309 Bernab 129 – fr. 322 Bernab 101 – fr. 326 – 328 Bernab 101 – fr. 350.5 Bernab 115 – fr. 463 Bernab 139, 141 – fr. 464 Bernab 141 – fr. 312 f. Bernab 134 – Goldblttchen 5 Thurii 3 139 – Goldblttchen 6 Thurii 4 139 – Goldblttchen 7 Thurii 5 139 – H. 11.23 115 – H. 39.9 115 – H. 70.9 115 Ovid – Am. 2.12.19 f. 272 – Ep. 6 276 – Ep. 14.25 – 34 279 – Ep. 17.247 – 248 272 – Fast. 3.722 103 – Fast. 6.485 – 490 99 – Ib. 346 103 – Met. 1.226 f. 254 – Met. 1.177 – 239 266 – Met. 1.723 – 726 96 – Met. 1.750 – 2.400 49 – Met. 2.425 278 – Met. 3.10 – 27 328 – Met. 3.253 – 315 48 f. – Met. 3.283 – 286 49 – Met. 3.293 – 295 50 – Met. 3.295 f. 50 – Met. 4.1 – 415 113 – Met. 4.219 278 – Met. 4.481 – 542 99 – Met. 6.424 – 674 257 – Met. 6.655 257 – Met. 7.297 – 349 133 – Met. 7.655 – 865 230 – Met. 8.183 – 235 291 – Met. 8.725 – 884 102 – Met. 8.875 – 878 103 – Met. 8.876 102 – Met. 10.686 – 704 88 – Met. 10.708 – 716 237 – Met. 12.210 – 535 271 – Met. 12.212 272 – Met. 13.34 – 39 178
Indices
– Met. 13.162 – 180 – Met. 14.654 – 660
209 278
Palaiphatos – 30 154 Parthenios – fr. 24a Lightfoot 248 – Narr. 14 247 – Narr. 20 271 Pausanias – 1.2.5 151 – 1.13.9 123 – 1.19.4 248 – 1.22.6 209 – 1.27.3 223 – 1.31.6 151 – 1.44.11 153 – 2.13.8 234 – 2.16.2 213 – 2.34.7 248 – 3.24.3 f. 204 – 4.17.2 f. 123 – 4.17.4 123 – 4.17.5 123 – 5.3.7 230 – 5.10.8 272 – 7.17.9 f. 237 – 7.17.9 – 12 102 – 7.21.7 222 – 8.2.3 254 – 8.2.6 258 – 8.4.8 – 9 210 – 8.8.3 331 – 8.14.10 187 – 8.18.8 130 – 8.24.8 233 – 8.34.1 – 3 118 – 8.36.3 264 – 8.37.5 101, 134, 264 – 9.11.1 230, 233 – 9.11.2 94 – 9.18.1 231 – 9.37.4 – 7, Kalippos bei – 9.39 288 – 9.39.14 288 – 9.41.2 222 – 10.7.1 123 – 10.15.7 239
287
415
– 10.29.3 247 Pherekydes (FGrHist 3) – fr. 14 Jacoby 94 – fr. 34 Jacoby 230 – fr. 37b Jacoby 187 – fr. 64a Jacoby 123 – fr. 86 Jacoby 246 – fr. 114 Jacoby 131 – fr. 122b Jacoby 230 Philodamos – Paian 152 Philostrat – Her. 19.20 277 – Im. 1 209 – Im. 2.15.2 154 – Im. 2.16 153 – VA 6.3 247 Pindar – fr. 2.3 Maehler 287 – fr. 120 Maehler 275 – fr. 133 Maehler 129 – fr. 169a Maehler 136 – fr. 169a.1 Maehler 46 – I. 8.28 – 49 209, 233 – I. 8.40 236 – I. 8.49 f. 126 – N. 5.25 – 36 247 – N. 7.40 – 49 123 – O. 1.36 – 52 256 – O. 1.49 256 – O. 1.54 – 58 105 – O. 1.67 – 89 187 – O. 2.25 – 26 48 – O. 6.22 – 70 207 – O. 7.27 – 31 235 – O. 8.30, Scholion 39b zu 233 – P. 2.25 – 31 105 – P. 3.139b, Scholion zu 115 – P. 4 239 – P. 4.59 – 63 251 – P. 5 239 – P. 9 239 – P. 11.34 f. 207 – Pae. 6.109 – 120 fr. 52 f. Maehler 123 – Pae. 6.113 – 115 fr. 52 f. Maehler 122 – Pae. 8a fr. 52i Maehler 208
416
Indices
Platon – Crat. 400c 129 – Euthd. 277d-e 132 – Lg. 672b 295 – Lg. 699a 68 – Lg. 701c 295 – Lg. 790e 116 – Lg. 854b-c 108 – Men. 81a-b 129 – Phd. 62b 129 – Phdr. 228b 115 – Phdr. 234d 115 – Phdr. 241a 96 – Phdr. 244a-257b 112 – Phdr. 244d-e 114f. – Phdr. 251a 134 – Phdr. 265a 108 – Phdr. 265b 115 – Prt. 313c-314b 175 – R. 565d 258 – R. 571c-d 221 – R. 572c-573c 146 Platon Comic. – Daidalos 293 Plinius – Nat. 3.56 213 – Nat. 8.81, Varro bei 259 Plutarch – Aet., Mor. 299b 101 – Aet., Mor. 299c-e 230 – Aet., Mor. 299e-300a 113 – Aet., Mor. 300d-f 247 – Alex. 66.1 – 3 72 – An seni 3, Mor. 785b 41 – Art. 3.1 f. 216 – Consolatio ad Apollonium, Mor. 109a 14 – De E apud Delphos, Mor. 388e389b 296 – De Exil., Mor. 602 233 – De genio Socratis, Mor. 592c 14 – De Herod. malign., Mor. 854e874c 327 – De Herod. malign., Mor. 858a-b 328 – De Herod. malign., Mor. 860d 189
– De Herod. malign., Mor. 867b 180 – De Herod. malign., Mor. 869 f. 167 – de Is., Mor. 355d-356a 286 – de Is., Mor. 358 f-359a 329 – Mul. Virt., Mor. 246d-247a 278 – Parall. Min. 25.311E 230 – Prov. 16 232 – Rom. 3 – 9 204 – Sept. conv., Mor. 160c-162c 147 – Sol. 8.4 – 6 278 – Thes. 28.1 279 – Thes. 29 246 – Thes. 30.3 272 Pompeius Trogus siehe Justinus Pomponius Mela – 2.5 139 Porphyrios – Quaest. Homer. ad Il. 8.555 63 – Quaest. Homer. ad Od. 6.58 – 74 63 Probus – zu Ecl. 6.48 131 Properz – 2.6.17 f. 272 Ps.-Aischines – Ep. 1.2 89 Ps.-Longinos – 13.3 36 Ps.-Plutarch – de fluv. 3.1 247 Quintus Smyrnaeus – 1.18 – 32 229f. – 5.191 – 194 178 – 5.409 – 556 93 – 12.243 – 388 164 – 12.261 – 271 164 – 12.385 – 420 165 – 12.452 – 454 165 Sappho – Pap. Inv. Nr. 21351+21376 Gronewald/Daniel 153 Seneca – Thy. 641 – 788 256 – Thy. 764 255
417
Indices
– Thy. 776 – 779 260 – Thy. 1004 f. 255 – Tro. 214 f. 252, 278 Servius – ad Verg. A. 2.79 164 – ad Verg. A. 2.81 178 – ad Verg. A. 3.14 103 – ad Verg. A. 3.104 212 – ad Verg. A. 3.330 123 – ad Verg. A. 6.603 256 – ad Verg. A. 7.372 213 – ad Verg. A. 10.763 271 – ad Verg. G. 3.7. 256 Simonides – fr. 567 PMG ed. Page 152 Solon – fr. 4.30 – 39 West 105 – fr. 13.9 – 16 West 105 – fr. 13.71 – 76 West 105 Sophokles – Ajax/Aias 128 – Aj. 44 f. 93 – Aj. 50 – 54 93 – Aj. 51 – 65 100 – Aj. 758 – 777 95 – Aj. 763 95 – Aj. 766 95 – Aleadai 207, 212 – Alexandros 212 – Antigone 41, 42, 109 – Ant. 904 – 912 41 – Ant. 960 – 962 104 – Ant. 966 – 987 246 – Ant. 1016 – 1022 109 – Ant. 1040 – 1044 109 – Ant. 1115 – 1154 115 – Ant. 1116 – 1117 48 – Ant. 1139 48 – Ant. 1140 – 1145 128 – Ant. 1143 127 – Daidalos 293 – El. 11 – 14 207 – El. 37 – 41 97 – Hydrophoroi 49 – Inc. fab. fr. 799 Radt TrGF 4, p. 542 231 – Kamikoi 293 – Mysoi 207
– – – –
Odysseus Mainomenos 178 OC 459 f. 219 OC 616 – 623 11 Oedipus Tyrannus/Kçnig dipus 211 – OT 711 – 714 207 – OT 1025 – 1040 212 – OT 1142 – 1151 211 – Philoctetes/Philoktet 198, 200 – Ph. 1025, Scholion zu 178 – Phaidra 246 – Phineus 246 – Sinon 164 – Skyrioi 209 – Telephos 207 – Tereus 257 – Thyestes 254 – Tr. 52 – Tr. 1001 105 – Tr. 1082 105 – Tr. 1104 105 – Tyro A und B 243 Spintharos – Semele¯ Keraunomene¯ 48 Statius – Ach. 1 209, 252, 278 – Ach. 1.93 – 94, Scholion zu 178 – Theb. 5.84 – 334 276 – Theb. 5.120 – 122, Lactantius Placidus ad 257 – Theb. 5.152 – 264 279 – Theb. 5.186 – 188 279 – Theb. 5.256 f. 279 – Theb. 5.265 – 286 223 – Theb. 5.287 223 Stesichoros – fr. 190 Page/Davies 177 – fr. 217 Page/Davies 97 Strabon – 8.6.13 248 – 9.3.9 123 – 10.5.10 210 – 13.1.69 210, 213 Sueton – Cal. 46 72 Tacitus – Ann. 16.6
158
418 Theognis – 1.227 – 232 105 Thukydides – 1.21 303, 327 – 1.138.3 167 – 2.102.5 f. 233 Timotheos – Peri Potamo¯n 247 Trag. inc. – fr. 55 – 60 Ribb. 178 Tzetzes – ad Lyc. 17 232 – ad Lyc. 50 234 – ad Lyc. 86 212 – ad Lyc. 138 212 – ad Lyc. 175 243 – ad Lyc. 206 212 – ad Lyc. 211 126 – ad Lyc. 344 164, 165 – ad Lyc. 481 266, 278 – ad Lyc. 815 178 – Chil. 2.36.459 f. 234 – Chil. 7.149 232
Indices
Valerius Flaccus – 2.82 – 310 276 – 2.187 – 195 279 – 2.221 279 – 2.267 223 – 2.285 223 – 2.300 223 – 4.394 96 – 6.76 139 Velleius Paterculus – 1.1.3 123 Vergil – A. 1.34 – 80 72 – A. 2.57 – 198 164 – A. 2.146 – 194 165 – A. 2.199 – 231 165 – A. 2.257 – 259 165 – A. 3.330 – 333 123 – G. 1.404 – 409 248 – G. 2.455 – 457 272 Xenokles – Lykaon 254 Xenokrates – fr. 219 Isnardi Parente
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A Brief Summary: Mythical Structures in Herodotus* A more extensive synopsis of this book is about to be published on the website of the Harvard Center for Hellenic Studies, http://chs.harvard.edu/chs
Pp. 1 – 23: Herodotus and Myth Herodotus is part of a narrative tradition that existed before his time and still lives on today, as numerous studies attest. Especially his treatment of myth has been of great interest to scholars, who have often emphasised his critical distance from a mythical tradition, seemingly explicit in his resolution to focus on human achievements in the prooemium. And indeed, traditional story-telling is criticised in the Histories, for example in Herodotus rationalisation of mythical stories, such as the famous discussion of Helens stay in Troy in the second book (2.120): Helen could not possibly have been in Troy, says Herodotus, because the Trojans would have been crazy not to give her back. However, it has always been obvious that Herodotus could not simply have been the great rationalist, detaching himself from every poetic or religious tradition. Of course he remains indebted to myth. Mythical characters and events permeate his entire narrative, and their treatment is definitely not of a merely antiquarian nature. Sometimes Herodotus draws explicit analogies, for example in comparing the actions of Teisamenos and his mythical predecessor Melampous (9.33 – 35). The Histories characters, too, cite mythical parallels: Athenians and Tegeans justify their claims on the command of the second wing of the army by telling stories about their ancestors from Heraclid times and the era of the Trojan War (9.26 f.). The construction of identity and self-definition through past events – be they mythical or historical from a modern point of view – is widely acknowledged as a common practice in antiquity by historians and classi*
In the following English abstract of my thesis, I have used the translations of A. D. Godley (Herodotus, London/New York 1920) and R. Seaford (Euripides, Bacchae, Warminster 1996).
420
A Brief Summary: Mythical Structures in Herodotus
cists. But mythical traditions not only live on in the Histories through mythical contents such as the rape of Helen. Mythical modes of narrative have also been pointed out in Herodotus text time and again, for example in his treatment of the historically improbable encounter of Croesus and Solon, on which Fritz Graf remarks that there is “no line … drawn between myth and history.” Solons teachings and their influence on Croesus are used merely to manifest Herodotus historical philosophy; “… the details … are beyond our grasp. The stories became traditional” (Graf 1985, 130 = 1987, 136 in the English translation of T. Marier). But the similarities between the present that Herodotus describes and the mythical tradition are even closer: some episodes dealing with historical personalities are structurally modelled after mythical tales; they consist of a combination of narrative elements that are clearly recognizable in mythical stories. The most famous example may be the tale of the Hero Exposed at Birth – Herodotus applies it to the founder of the Persian Empire, Cyrus. In this case, mythical parallels are not explicitly cited, but underlie Herodotus historical discourse without losing their recognizable identity and traditional meaning. This phenomenon – using mythical patterns to describe historical events – leads us to a mythical and ritual poetics, meaning an interdiscursive field between traditional storytelling and the new genre of historiography, defined by similar patterns, motifs and modes of expression that are subject to constant change and adaption to new, even historical, contexts. Obviously, this use of mythical and ritual structures is part of a general cultural poetics in the sense of Clifford Geertz, since we never really deal with an isolated mythical or ritual parallel that is consciously molded into historical discourse. Rather, one level of association continually generates new ones within the complex cultural field of reference: a mythical story can refer to a certain ritual, this ritual points to a special phase of life which again is associated with a certain character, and so on. Every level of association leads to other systems of reference, giving more levels to the stories Herodotus tells – some of which I have tried to analyse from this perspective.
Pp. 44 – 78: Sacrilege: Myth as a Moral Paradigm
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Pp. 44 – 78: Sacrilege: Myth as a Moral Paradigm Imitatio Dei: Xerxes and the Wife and Daughter of Masistes (9.108 – 113) The characterisation of the Persian king Xerxes culminates in the story of his disastrous passion for his brothers Masistes wife and daughter (9.108 – 113). At first, the king falls for his brothers wife, who rebukes his advances. To get closer to her, Xerxes marries his son to her daughter by Masistes, Artay¨nte, whom he finds even more attractive. They become lovers, and the king offers the girl anything she wants. She asks for a magnificent robe that Xerxes has been given by his wife Amestris. He tries to dissuade her, but his promise is binding. When Queen Amestris hears that Artay¨nte has the robe, she believes the mother guilty. On the kings birthday, when he is not allowed to refuse any wish, she demands carte blanche to deal with the rival; Xerxes has to grant this, too, and Amestris has Artay¨ntes mother cruelly mutilated. Despite several differences such as the duplication of the (potential) lover, the story bears an uncanny resemblance with the Greek myth of Zeus and Semele (e. g. Ovid Met. 3.256 – 315): Semele is impregnated by Jupiter. Juno, raging with jealousy, takes the shape of Semeles nurse and talks the girl into wanting to see the god in his original form as a bolt of lightning. Semele makes Jupiter grant her whatever she may wish and then demands to see him in his divine form reserved for Juno, thereby becoming virtually equal to his wife (Met. 3.293 – 295). Jupiter tries to avert peril (295 f.) but is then forced to participate in the intrigue, and Semele burns to death. This is not the first time a link between Xerxes and Zeus functions as a means of characterisation in the Histories. Xerxes hubris is frequently connected with a kind of imitatio Iovis. For his ambitious foreign policies he explicitly states the goal of making the borders of Persian territory and of the firmament of Zeus heaven be the same (7.8.c.1). When crossing the Hellespont, Xerxes carriage rides directly behind Zeus carriage of honour (7.40.4). In the context of his greatest sacrilege, the desecration of the Hellespont and the forced joining of two continents, an unnamed Hellespontian believes him to be Zeus himself (7.56.2); etc. The Artay¨nte episodes resemblance to the myth of Zeus and Semele is ominous: Xerxes actions do not bode well for his future, as can be seen by parallels to the numerous other Herodotean characters who overestimate themselves or contend with the gods – and never go unpunished. Herodotus and his recipients probably know that Xerxes died in a pri-
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A Brief Summary: Mythical Structures in Herodotus
vate palace intrigue: the failed ruler of the world tries to play Zeus and fails even in his own house.
Desecration of Waters Several of Herodotus Persian kings desecrate rivers or even the sea. The first instance of this pattern is the story of Cyrus feeling insulted by he river Gyndes and parting it into 360 canals (1.189 f.; 5.52). Also, Cyrus crossing of the river Araxes will lead to his downfall (1.205 – 208): even the mere crossing seems to be considered a moral transgression – an imperialist attempt to expand the area of human authority, motivated by Cyrus belief to be something more than mortal (1.204.2). Darius, too, forces his will upon nature by dominating not only a river, but the sea: during his Scythian campaign he bridges the Thracian Bosporus (4.118.1). This change of nature is considerably graver than crossing a river, as it also means the linking of two continents, the separation of which is one of the central subjects of the Histories. Of course, Darius Scythian campaign is doomed to fail. The peak of this traditional desecrating of waters is reached by Xerxes, who tries to bridge the Hellespont (7.33 – 36). When his first attempt fails, he has the Hellespont branded and all the workers beheaded; he scourges the sea and sinks fetters into it (7.35). Xerxes executioners have to insult the river to whom in accordance with justice no one offers sacrifice (7.35.2). The instances of the Persian army repeatedly drying up rivers, too, depict an antagonism between human being and water. The very first of these cases is especially significant, being set in the Troas with suggestive references to the Trojan myth (7.43.1 f.); the river dried out is the Scamander. The episode contains epic vocabulary like rheetron for stream, which recalls the famous passage of the Iliad, where Scamander complains about Achilleus filling his lovely rheetra with corpses (21.218). Herodotus stories about the barbarian desecration of waters – especially the scene with Xerxes and the Hellespont – seem influenced by the Homeric rendition of Achilleus battle with the river god Scamander (21.1 – 384). Homer has the hero chase the Trojans towards the Scamander and kill so many of them that the river is overflowing with bodies. In that scene, Achilleus emphasises the futility of sacrifices for rivers, an opinion similar to the one Herodotus Xerxes voices while desecrating the Hellespont. Also, Achilleus kills the Trojan Asteropaios and sneers at
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his descent from a river-god. Scamander complains about the obstruction of his stream which Achilleus has blocked with corpses – the emphasis clearly lies with Achilleus hindrance of the natural order of things. Both in the Iliad and in the Histories, there is always a connection between the deed and an important decision of the protagonist with regard to overstepping a boundary. The plot of the Iliad is entirely dominated by the question whether Achilleus will fight again after having been insulted by Agamemnon. After the hero rejoins the forces, Scamander is the last obstacle separating him from his main opponent, Hector. The Persian kings desecration of waters also take place at such turning points. Cyrus punishment of the Gyndes happens directly before his attack on Babylon, where his greatest conquest, fundamental for the founding of the Persian empire, will be made; his crossing of the Araxes leads to his failure and death. Darius and Xerxes both make important – and false – decisions in the context of their crossing the sea: Darius is on the way to his doomed Scythian campaign, Xerxes to his failed attack on Greece. Accordingly, the battle against a body of water in Herodotus corresponds often with the decision to enter a forbidden space – a motif central to the Histories. But the Persian kings illegitimate crossing of borders is different from Achilleus battle against Scamander, too. The Homeric hero is supported by the gods Hera and Hephaestus, and his battle against the river ends in a battle of gods. His superhuman status is therefore clearly marked, whereby he decidedly differs from the Persian kings. That being so, he still shows more humility, reflecting on his own mortality when speaking to his victim Lycaon. Consequently, the scene of Achilleus and Scamander constitutes not just a parallel, but also a contrast to the Persian desecrations of waters. A mortal must not be conceited when confronted with a natural phenomenon that is the object of cultic reverence – if even the demi-god Achilleus is conscious of his mortality at the moment of battle. A very special instance of water desecration is the story of Croesus crossing the river Halys (1.75). Herodotus at first insists the king had used already existing bridges. Then he discusses an alternative story: Thales of Miletus had diverted the stream by digging a crescent from the river passing the rear of the camp and entering the original bed again, thus making the Halys in front of the army shallow or even emptying it. But I do not believe this, says Herodotus (75.6), and the reader, having been informed that Croesus actually used existing bridges, must assume Herodotus does not believe anything about the Thales story. Sur-
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prisingly, though, his distrust only refers to the very last information: the complete drying up of the river, which would have made Thales trench in the back of the army as deep as the original river, and in that case, how did they pass the river when they were returning? (75.6). This kind of reasoning seems absurd. Herodotus presents three versions, only one of which is true, as he explicitly states. Then the other two are discussed and only one of them is rejected. But concentrating on the actual meaning of river-crossing in Herodotus, the coexistence of versions makes sense. Three degrees of sacrilege are described in the three versions: a. crossing a river, but not changing nature; b. changing nature a little; c. greatly changing nature. By presenting different versions, Herodotus makes an unambiguous verdict impossible. This course of action is very much in tune with the general characterisation of Croesus in the Histories. The Lydian king is portrayed in a very complex way especially from a moral angle. Positive and negative actions alternate constantly. Consequently, the manner of narrating his encounter with the river Halys seems like a metaphor for Croesus general character: it is clear that he has overstepped boundaries, yet not only are we made unsure of the extent, but Herodotus presents us with clearly incompatible versions, which illustrate the contradictions in Croesus character.
Pp. 79 – 159: Madness – The Complexity of Morals in the Light of Myth and Cult The Persian king Cambyses and the Spartan ruler Cleomenes are the Histories most prominent madmen. The former is constantly commiting social and theological crimes, such as desecrating Egyptian sanctuaries, which proved that Cambyses was quite insane (3.38.1). His utmost profanation is the slaughter of the Apis bull (3.27 – 29), whose deity he explicitly denies while stabbing the animal in the thigh. The bull dies, his priests are whipped, the cult forbidden – Cambyses becomes guilty of theomachy, of battling with, even killing, a god. Of course the deed does not go unpunished. The king will inadvertently stab his own thigh, in exactly the same place where he had hit the bull-god, and die of the gangrenous wound (3.64.3; 66.1 f.). The punitive character of Cambyses death seems clear, especially as Herodotus explicitly emphasises the parallel with Apis death.
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The other great madman of the Histories, Cleomenes of Sparta, is also a notorious blasphemer (6.75 – 84) whose madness finally kills him: when put in fetters, he gets hold of a knife with which he mutilates himself cutting his flesh from his thighs, and dies (6.75.3). Herodotus lists three possible reasons as the cause of this madness, all having to do with the desecration of sanctuaries: the bribing of the Delphic Pythia, the destruction of the sacred area in Eleusis, or the burning of the sanctuary in Argos (6.75.3). Later, a fourth explanation is mentioned: Cleomenes had gotten used to drinking undiluted wine like the Scythians and therefore had gone mad (6.84.1). At first glance, the punitive character of Cleomenes madness seems evident, whereas Cambyses punishment does not consist in madness, but in his lethal wounding, rendering the cause of his madness obscure. However, Herodotus does quote Egyptian sources connecting the beginning of the kings madness with the killing of Apis (3.30.1): But Cambyses, the Egyptians say, owing to this wrongful act immediately went mad, although even before he had not been sensible. The last subclause might just mean that the Egyptians have got it wrong. However, a strikingly similar phrase in the case of Cleomenes renders this interpretation questionable (keeping in mind that Herodotus has clearly identified the bribe of the Pythia as the cause of madness): Cleomenes had already been crazy, and on his return from exile a mad sickness fell upon him (6.75.1). This vagueness regarding the point where the madness has started is confusing, especially in the case of Cleomenes, where Herodotus seems to contradict himself. Although madness and sacrilege are connected in Greek thought, the question of the punitive character of madness is always puzzling and complex; there is no clear distinction between going mad by oneself and being struck by an outside force such as a god. Greek mythical instances of madness most often occur in tragedy, where the ambivalence continues: a double of the godsent madness can always be found, a twin situation that has been there from the beginning. The case of the Telamonid Ajax is one of many examples that seems related to Herodotus stories through the feature of auto-aggression: his madness ultimately leads to suicide. But the punitive character of the madness, although sent by Athena, is ambiguous: the goddess just forms Ajax preexisting madness, the rage of the warrior, into a different shape. This is comparable with the case of Heracles struck mad by Hera. Both Heracles heroic achievements and his mad crimes seem to be
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caused by the same incredible energy and unconstrained vigor. It is their existing mania that is turned against both heroes by the gods. Some kind of characteristic mania always precedes the godsent mania. Therefore, the punitive character of the madness is always made ambiguous, and the phenomenon of reversal, of the gods transforming human destructiveness into something self-destructive, is very typical for Greek tragedy, always revolving around the problem of human responsibility. In the cases of Cambyses and Cleomenes, there are even closer and more concrete mythical models. The story of Cambyses recalls the end of the Theban king Pentheus told in Euripides Bacchae. Pentheus, too, is aggressive towards the followers of a cult; he summons the god and physically abuses him, denies his divinity and goes mad; also, the god appears as a bull. In contrast to Dionysus, Apis dies – but then, Dionysus is one of the few gods dying at all: the Orphic fragments tell of his sparagmos by the Titans. This mortality seems to render Dionysus close to Apis, and so does its reversibility: the Orphic Dionysus is reborn, Apis always appears anew. In Pentheus case, too, the punitive character of the madness is ambiguous. His sacrilegious blindness is madness, as is voiced in the Bacchae by the seer Teiresias: You are mad now, and even before you were out of your wits (359). There is the same peculiar notion we have encountered in Herodotus: one form of mania has replaced another. The story of Cleomenes evokes the myth of another enemy of Dionysus, Lycurgus, at least in its later versions. In Apollodoros (3.5.1 = 3.34 f.) and Hyginus (Fab. 132) we find the element of autoaggressive self-mutilation in madness: Lycurgus hacks his foot off just as Cleomenes carves up his leg. The punishment also happens as the consequence of a sacrilegious act – even if Lycurgus actual theomachy reminds us more of Cambyses slaying of the Apis bull than of Cleomenes desecrations of sanctuaries. Lycurgus, Pentheus, Cambyses and Cleomenes have another feature in common that places them into a Dionysiac context: the motif of wine connected with their madness. We remember the only natural explanation of Cleomenes madness Herodotus gives: the Scythian drinking of undiluted wine – a Dionysiac form of madness. In the case of Cambyses, too, the Persians think he drinks too much (3.34.2 f.) – which he himself takes as an allegation of madness (3.34.3); here, too, there may be a Dionysiac subtext.
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If the god offended by the mad transgressor is Dionysus, as is the case in our closest mythical parallels with Herodotus, madness as punishment must have special implications, seeing that the cultic reverence the god demands is ritual madness. It is significant that this ritual madness, too, has a double nature in Greek tradition. If mania is part of a cult, one should assume that it is religiously sanctioned and approved of by the gods, in contrast to the madness of Cambyses or Cleomenes, Pentheus or Lycurgus. However, we find a strongly ambivalent evaluation of cultic ecstasy in Greek myth, even in tragedy, the genre of Dionysus own festival. The ecstasy of the thiasos in Euripides Bacchae is only partially voluntary: in his prologue, Dionysus indicates that the madness of Semeles sisters is the consequence – or punishment – of their mad denying that Semele had been united with Zeus (26 – 33). Other Dionysiac resistance myths tell similar stories, such as the tale of the Minyads. Cultic mania can also function as a homoeopathic punishment of sacrilegious madness through ritual madness. Besides this mythical concept of a homoeopathic punishment, we have sources of homoeopathic healing in Greek ritual contexts, too. Again, we deal with a doubling of madness: here, too, its pathological form is substituted by its ritual double. In the cults of Cybele and the Corybantes, we find testimonies about the therapy of pathological madness through ritualised madness, for example in Aristophanes Wasps, where Philokleon is supposed to be cured of his pathological lawsuit addiction by participating in Corybantic rites (114 – 120), which the scholiast explains as mysteries of purification from madness (ad V. 119). Plato, too, seems to categorise this corybantic cure for madness as katharmoi in Phdr. 244d-e. There are even testimonies of therapeutic ritual trance in connection with self-mutilation, namely for the cult of Cybele, suggesting that this element constitutes an associative link from Herodotus story of Cleomenes to ritual as well as to myth. The structure of reversal is connected to the concept of madness in both ancient myth and cult. It is not surprising, consequently, that the traditional structure is transferred to historical characters as well. If Cambyses and Cleomenes have a sacrilegious madness eventually turning against themselves, the problem of what causes sacrilege and madness is eliminated. This must be the explanation of Herodotus notion of change between a before and after kind of madness in the case of Cleomenes and Cambyses. The characters have been mad from the beginning, but the nature of their madness has been changed by the divine.
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Punishment and healing, the two functions of mania in myth and cult, have more in common than the mere structure of treating like with like. Metaphorically, the opposites meet on a semantic level, too, as the punishment of the evil-doer may be seen as a healing as well: firstly, of society, since ritual ecstasy can constitute social community, whereas a person resisting it like Pentheus is isolating himself, becoming abnormal. His sacrilegious madness has to be replaced by godsent madness to render the outsider innocuous. Secondly, punishment can be interpreted as a cure of the madman himself – if the sacrilegious madness is rooted in his personality, which then has to be annihilated. This idea of healing corresponds with a process from the field of mystic initiation: on a mythical or ritual level, the initiands death is played out. This symbolises the end of the old life and the start of a new existence as an initiate, death ending the uninitiated and therefore meaningless or even sacrilegiously wrong life. With this concept in mind, Richard Seaford regards Pentheus madness and death in Euripides Bacchae as a mythical reflection of an initiation ritual depicting the subjective perspective on initiation, “the ignorance, fear and confusion of the initiand” (1981, 257). The death of the sacrilegious madman can therefore be associated with mystic initiation. This semantic level adds further depth to the stories of Cleomenes and Cambyses. Cleomenes self-mutilation points in that direction, too. Dismemberment is a manner of death strongly associated with mystic initiation: Dionysus suffers a sparagmos as the Orphic god of afterlife and is pieced together again – a symbol of a new life with a new order. In the context of shamanic rites of ecstatic initiation we also encounter the phenomenon of dismemberment: flesh is removed from the bone, as Cleomenes does on his thigh. The associative link between the madness of Herodotus characters and initiatory rites supports the notion of a change of identity – the characters become mad and enter a new phase of personality. Also there is a healing of society by the annihilation of the madman. Cambyses and Cleomenes have turned away from the laws of the community; without their being punished, those laws would be called into question. There are two more characters in the Histories connected with initiation and mania, the martyrs Anacharsis and Scyles (4.76 – 80), in whose stories cultic and mythic structures are combined in a highly complex manner and also connected with the theme of respect for communal laws. The stories form an excursus intended to demonstrate the radical re-
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jection of foreign customs by the Scythians, as Herodotus emphasises both at the beginning and end. The Scythian Anacharsis is impressed with the rites of Cybele while visiting Cyzicus and produces a similar celebration for her in Scythia, secretly roaming the woods with a tympanon and effigies around his neck. He is found out and killed by the king. The second story is quite similar. The Scythian king Scyles learns Greek from his Istrian mother and leads a double life as a Greek with the Borythenites, who claim to be of Milesian origin. He even marries one of them and has a house in their town. One day, he wishes to be initiated into the cult of Dionysus. At the moment of his initiation, god (ho theos) strikes his house with lightning. Just like Anacharsis, he is denounced and eventually killed by his own brother. The bolt of lightning in Scyles story can probably be read as a symbol of mystic initiation as known from the Orphic bone- and gold tablets from Olbia and Thurioi. The initiation of Anacharsis into the cult of Cybele is regarded as a parallel by Herodotus. In view of the Scythians proximity to a centre of Orphic cult, Olbia, the story is likely to reflect cultic practice. However, Herodotus does not make this level of the stories explicit. On the contrary, it seems as if adapting the new cult is sacrilegious whereas its suppression is approved of by god. This may be because the cult is foreign. The famous passage 3.38 springs to mind, where Herodotus calls it madness to mock foreign customs and states that every people thinks their own nomoi the only possible ones. Apparently, for Herodotus, the overstepping of cultural borders is mainesthai, be it for the purpose of ridicule or in imitation and adoption. Considering once again the frame of the stories, the ethnographic remarks on Scythian xenophobia, these stories do not seem to deal with cult per se, but with the illustration of cultural borders via cult.
Dionysus and the Tyrant: Arion (1.23 f.) The subject of madness seems also related to Herodotus critical perspective on monarchy. While Cambyses and Cleomenes are kings, Dionysus often represents an anti-tyrant, the polis-god that puts a stop to the hubris of the mad monarch. This antityrannical element of the Dionysiac is especially clear in the story of Arion: the singer is sailing back to Corinth from Italy, when the sailors decide to rob and kill him. Arion performs one last song and thereby attracts a dolphin which carries him to the shore. When he tells his friend Periander of his miraculous salvation,
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the Corinthian tyrant does not believe a word and imprisons him, until the sailors have returned and are exposed as liars. The story has several mythical parallels, most obviously the traditional tale of Dionysus and the Tyrrhenian sailors (h.Bacch. 7): the young god is kidnapped by greedy sailors believing him to be a prince. On the sea, several miracles happen and the frightened sailors jump into the sea and turn into dolphins. Of course, the mere appearance of dolphins is not really an element of the plot but rather an isolated motif. But the situation as a whole – the traveller threatened by the sailors in combination with the motif of the dolphin(s) – is so striking that it has been noticed numerous times. This first mythical parallel shows that Arion has near godlike status in Herodotus story. This is confirmed by further mythical parallels with reference to other gods, such as the dolphin-story of the Homeric hymn to Apollo (h.Ap. 3.388 – 546), where it is the sailors who are threatened and the dolphin-shaped god who threatens; the element of the dolphin, however, connects the situations, as in both stories it is the transformed image of the threatening party. Both the myths of Apollo and Dionysus deal with an antagonism between man and god, even if Apollos relationship with the sailors is rather friendly at the end. In both stories, the mortals resist the god without recognising him. There is a certain resemblance between Arion and Apollo in any case, seeing he is a poet and plays the kithara – also, he sings the nomos orthios before jumping, a cult song clearly addressed to Apollo. Still, the primary model of identification is Dionysus – plausible, too, as Arion is the first writer of dithyrambs, as Herodotus tells us (1.23). And there are more associations linking the story to a Dionysiac context, such as Arions geographical epitheton Methymnaios, from Methymna, a cult name for Dionysus, as Deborah Lyons has noticed (cf. above n. 373). Although Arion is clearly marked as a quasi-divine figure, it seems that the story also highlights the Corinthian tyrant Periander, who becomes more important later on. This becomes apparent in comparison with the encounter of Dionysus and Pentheus, where we also have a divine protagonist who is imprisoned and then liberated in miraculous ways (E. Ba. 642 – 649; cf. h.Bacch. 7.13 f.). With Arion, it is striking that Herodotus emphasises the inescapability of the prison first, then omits the act of liberation completely, letting Arion have a proper epiphany before the sailors: Arion appeared before them, just as he was when he jumped from the ship (1.24.7). This places unbelieving Periand-
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er in the position of Pentheus, the sacrilegious enemy of the god. If Arion is the first writer of dithyrambs, Periander is the son of the first Greek tyrant Cypselus, even more cruel than his father (5.92.f.1), an intelligent but wicked typical tyrant. Besides representing divine justice, the tale of Arion is also a richly suggestive characterisation of Periander, who, playing the part of Pentheus, appears as a potentially negative figure, which paves the way for his drastic portrayal in the later books and for Herodotus negative view of monarchy in general.
Pp. 160 – 196: Tricksters in Herodotus The Faithful Traitor: Zopyros, the Pretended Renegade (3.153 – 160) Determined to end Darius siege of Babylon, his general Zopyros pretends to defect to the enemy: he flagellates and mutilates himself, claiming he has been maltreated by Darius. The king then leads a great number of practically unarmed men to the walls of Babylon; Zopyros slaughters them and so earns the trust of the Babylonians, which enables him to open the city gates for Darius. The striking similarity of the story with the mythical pattern of Sinon has already been recognised. It is attested as early as the epic cycle but mainly known from Virgil (A. 2.57 – 198) and Quintus Smyrnaeus (12.243 – 388): Sinon decides to pretend to be a renegade during the siege of Troy. He defaces himself (or, according to Quintus, the Trojans do so), and the enemies trust him, so he can help the Greeks to get into the city. There is another similar mythical tale about Odysseus, where he infiltrates Troy as a spy (Od. 4.234 – 264); he has flagellated himself to look like a Greek deserter. The obvious difference between the mythical characters and Herodotus Zopyros is that the former act independently, whereas Zopyros does everything as a faithful subject of the Persian king. Along with the brutality of the Persians in killing their own people to be more convincing, this accentuates the context of monarchy in Herodotus episode.
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The Faithful Traitor and the Pernicious Dream: Themistocles (8.70 – 83) and the Deceitful Dreams of Xerxes (7.8 – 19) In Book 8, Herodotus tells the story of Themistocles, who deceives the enemy and his own people as a pretended renegade – in the interest of his own people. After Thermopylae and the sack of Athens and Attica, the Greek fleet cannot decide whether to stay at Salamis or sail to the Peloponnese to support the army. Themistocles sends a servant with a message to Xerxes: the Greeks are quarreling, so the Persians should attack now for an easy victory. The Persians start moving their ships, and Themistocles forces the Greeks into battle. The same structure can be found – almoust doubled – at the beginning of of Iliad 2: Zeus sends a dream to Agamemnon, telling him Troy is to be taken now, because the gods are no longer quarreling. Like Themistocles servant, the dream transports a deceitful message and aims for the opposite; like the Persians, Agamemnon believes it. In the Iliad, there is then a variation of the pattern not extant in Herodotus: now Agamemnon turns to his people with another false message. He encourages them to go home, hoping for the opposite – their resistance. When the Achaeans take his fatalistic call for retreat literally, Athena and Hera have to step in to make the army stay. There is another scene in the Histories that corresponds with the mythical structure of the deceitful dream: the motivation of Xerxes Greek campaign (7.8 – 19). This story, too, consists of several turns. Xerxes is already motivated to march against Greece, but his wise adviser Artabanos can convince him not to (7.10 – 12). After that, the king dreams of a man who orders him to stick to his decision – a deceitful message, because Xerxes will fail. Herodotus stories that follow the pattern of the deceitful dream are linked to the institution of monarchy: in this case, monarchy is thwarted by deceit: Themistocles keeps Greece from becoming part of the Persian monarchy by his intrigue, and Xerxes is driven to his doomed campaign by the deceitful dream.
The Ruse of Darius (3.84 – 87; 118 f.) One of the most devious characters in the Histories is the Persian king Darius, as can already be seen from his ascension to the throne (3.84 – 87). The six conspirators against the usurper Smerdis plan to elect a
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new king from their midst and set up some rules to protect the non-elected, for example that they will be allowed to enter the palace at all times, unless the king is sleeping with a woman. As for the election, they ride outside the city gates and see whose horse will whinny first when the sun rises. Darius clever stableman Oibares makes Darius stallion whinny by bringing a mare along, and Darius becomes king of the Persians. Later, when Intaphrenes wants to enter the palace, the guards tell him that the king is sleeping with a woman. Intaphrenes does not believe this and cuts off the guards noses and ears. Learning of this, Darius suspects rebellion and kills Intaphrenes with his entire family (3.118 f.). Which one was in the right is difficult to say. If the guards are not lying, it is Intaphrenes, if they are, its Darius, the trickster turned supreme rule-keeper. A close mythical parallel for the story is the suitors oath of the Trojan myth. It also deals with a candidate trying to stick out from the crowd, with rules that are set up to confirm the status of the elected and nonelected beforehand, and with deceit. As first attested in Hesiod, Helens father Tyndareus has his daughters suitors swear an oath in order to protect Helens future husband from assault. The element of fraud plays an important role: Hesiod alludes to a dishonest attempt of one of the suitors, probably Odysseus (fr. 198.1 MW), who later tries to break the oath by trying to cheat his way out of going to Troy. In Herodotus, the oath protects the non-elected, not the elected; in myth, it is the other way round. Were Darius clearly breaking the oath with Intaphrenes, he would be closer to the character of Odysseus but farther removed from the mythical pattern, because in myth it is the nonelected who violates the oath. In Herodotus, the deceiver and the deceived become virtually interchangeable. This trickster-story deals with monarchy, too: the preservation of the Persian kingship that will have such an impact on Greece.
Hippokleides and the Alcmaeonids (6.126 – 131) The suitors oath from Trojan myth has mostly been regarded as a parallel for another of Herodotus trickster-stories: the courtship of Agariste. In this story, we encounter one of the most puzzling characters of the entire work: the exceedingly unconventional Hippokleides of Athens, one of the suitors of Agariste, daughter of Cleisthenes, tyrant of Sicyon. Cleisthenes hosts all the suitors in order to judge them, having decided beforehand that the dropouts will receive a talent of silver – a means to consolidate
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relations between the elected and the non-elected, like the mythical oath. Cleisthenes favourite is Hippokleides, who, however, dances his chances away: when the charismatic youth stands on his head and shamelessly gestures with his legs, Agariste is given instead to the Alcmaeonid Megacles. Since the story is completely lacking the motif of fraud, it has less to do with the Trojan oath than the previous example. While most of Herodotus trickster-stories deal with clever, deceitful figures, in Hippokleides character we find similarities to the anthropological paradigm of the trickster that originally stems from North American mythology (Radin 1956). The grotesque, ambivalent character Wakdjunkaga, for example, is involved in tricking others, but also gets caught up in others ruses. Like him, Hippokleides fails; in addition, he is obscene and ridiculous. Another striking feature of the story is that Herodotus reports it in the context of the Alcmaeonid family story. The Alcmaeonids have traits of the anthropological trickster, too. Megacles father Alcmaeon makes a comic spectacle of himself at the court of king Croesus by greedily stuffing his clothes with gold (6.125.3 – 5). Megacles father-in-law Cleisthenes mockingly renames the Doric tribes Swinites, Assites and Porkites (5.68.1). Of Megacles himself, Herodotus tells us that he helped the tyrant Peisistratos return to Athens in a rather ridiculous charade involving a woman dressed up as the goddess Athena; Megacles even marries Peisistratos to his daughter (1.59 – 61). But Peisistratos is another trickster: not wanting children from the marriage he has unusual intercourse with his wife (1.61.1) – one trickster is out-witting the other. Interaction with other tricksters is typical within the anthropological paradigm – and nothing else happens when Hippokleides loses to the scion of a notorious trickster family. This kind of interaction makes sense – where there is a deceiver, there must be a deceived one, and the narratives suspense and dynamics grow when the latter is a trickster, too. The situation of courtship is obviously ideal (it is not surprising that Odysseus, too, finds himself in a group of suitors twice in his biography): within a crowd of candidates, the trickster has perfect chances of getting positive or negative attention. He does not necessarily win. The story of Megacles and Hippokleides, too, is connected to the institution of monarchy. While Darius story refers to the preservation of monarchy in Persia, here, Herodotus goes a long way to stress the ambivalent relationship of the Alcmaeonids with tyrants and tyranny: while
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being labelled misotyrannoi, tyrant-haters, they are still rumoured to have helped the Persians at Marathon (6.115; 6.121; 6.123). For the most part, Herodotus trickster-stories are picaresque novels dealing with deceit, at most with a certain element of unconventionality involved. The stories about Hippokleides and the Alcmaeonids, however, are different: apart from cunning, we also have ridicule in them, foolishness, even obscenity, in short, the kind of comical elements we find in the anthropological paradigm of the North American trickster, too. Still, all of the analysed stories have features in common. Firstly, they all have to do with the subject of monarchy. Every trickster story requires a situation of agonality. The trickster can only show himself as such by competing with others, and the monarch for his part can only rule over the masses by intelligence. Secondly, all the characters seem interchangeable in a certain manner, pretending to be what they are not, and competing with other cheating tricksters. Thirdly, they all are paradoxical personalities. So is the anthropological trickster: Wakdjunkaga is clever and stupid at the same time. Herodotus tricksters are faithful traitors, friends to tyrants and misotyrannoi, keepers and breakers of the law.
Pp. 197 – 299: Rite de Passage – The Tradition of Starting Over Persecution and Exposure of the Threatening Child: The Cyropaedia (1.107 – 130) and the Childhood of Cypselus (5.92.a-e) The mythical pattern of the exposure of a threatening successor has a long tradition. In the Histories, we find it at first in the biography of king Cyrus. The Median king Astyages, his grandfather, warned by dreams about the offspring of his daughter Mandane, picks a lower-ranking husband for the girl, the Persian Cambyses – an inferior father who will weaken the prospective child. When the warnings dont stop, Astyages tells his relative Harpagos to expose the baby. Harpagos has scruples and passes the baby on to a cowherd, who raises the beautiful child as his own. Of course, the boy will live and eventually become king. The other reflection of the exposure myth in the Histories is the story of Cypselus (5.92.a-e), which the Corinthian Sosicles reports in the context of an emphatic condemnation of tyranny: Labda, the lame daughter of Amphion from the Corinthian ruling family of the Bacchiads, has been married to the lower-ranking Eetion. An oracle tells them that Labda will bear a dangerous rolling millstone (5.92.e.2). The Bacchiads hear of the
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oracle, remember an earlier one predicting that an eagle would give birth to a lion killing many (5.92.e.3). They want to get rid of the boy, but when the baby smiles at them, they have mercy and leave – then change their mind and turn back. Meanwhile, Labda has hidden the child in a kypsele, the eponymous chest. The prophecies are fulfilled: Herodotus tells us that Cypselus becomes a bloodthirsty tyrant (5.92.e.2). The persecution and exposure of the threatening child is very often part of heroic biographies. In Greek myth, some of the heroes exposed because an oracle announces them as threats are Zeus, Oedipus, Telephus, Perseus, Paris, Aegisthus, Eteocles and Polyneices. Why Herodotus historical characters are given such heroic biographies is understandable especially in the case of Cyrus. The Persian of humble upbringing who ends up founding the Persian Empire by conquering the Medes, Asia Minor and Babylon, can hardly have the vita of a common mortal. The meaning of this pattern, however, has been explained in various ways. One of the most important paradigms reflected in the story seems to be initiation into both mystical and puberty rites. Apart from the overall pattern of separation, liminality and aggregation (Van Gennep 1909, Turner 1964), there are also some details pointing to initiation, such as the exposure in a rough and deserted area or the babys sumptuous attire that can be interpreted as grave goods – new life triumphs over death. Also, being given a name is part of the identity-seeking of the initiand. With Cypselus and the chest this is obvious, but in Cyrus case, too, Herodotus stresses that his foster mother gives him a different name and also that his young companians do not know him as Cyrus (1.113.3; 114.4); Astyages on first meeting him just calls him su, you there (115.2). That an exceptional personality like Cyrus passes the royal initiation test is obvious: his survival legitimises his claim to the throne. On a broader scope, the structure of exposure is linked to a change of generation and starting over – with Cyrus coming to power, the Median rule ends and the Persian empire rises. Besides this positive interpretation of the heroic child making his way through adversity and persecution, the aspect of the threat must not be overlooked. All negative prophecies in mythical exposure stories are fulfilled. And the danger coming from the mythical hero is not always directed exclusively against his predecessor. Oedipus and Paris ruin their entire family, and as a consequence of Oedipus crime, Thebes is stricken with the plague; there is also an epidemic disease connected to the child Telephus. Aegisthus, too, plays a decidedly negative role as Clytaimestras lover and murderer of Agamemnon. The threat of the exposed child
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can concern a larger group. For these narrative traditions, too, there is a ritual parallel: the elimination of a katharma or pharmakos in the course of a cathartic ritual as attested in Athens and numerous other cultures. This can mean killing a scapegoat, who may be a deformed and therefore cursed child, an outcast, as is the case with both Herodotean characters, owing to their foreign or inferior fathers. If exposure is removal of a katharma, the emphasis is not placed with the rise of the new order as it is with initiation, but with the threatening fall of the old generation – not with the survival of the individual but with the downfall of society as it has been so far. Still, the pharmakos has an ambivalent position in myth and ritual: Oedipus, for example, is a curse and a saviour. He caused the plague in Thebes but also killed the Sphinx – and became patron saint of Athens after going into exile. This combination of impurity and blessing in one person is not surprising, because the element causing impurity is usually the one that, sacrificed, is able to revoke it. In Herodotus exposure stories, both the positive and the negative connotations shape the reception of the text. Cyrus is the survivor, the hero who creates a new cosmic order: this is stressed via the initiation paradigm. However, he is also the cursed child on several levels: not only does he overthrow his grandfather, but for Herodotus Greek audience he is mainly the founder of the Persian empire. His miraculous childhood story evokes the rise of the Persians and therefore also an immense danger for the Greek world. The case of Cypselus seems more one-dimensional. His survival, too, threatens not only his contemporaries. He is practically the inventor of tyranny, being the oldest Greek tyrant. Therefore, it is not coincidental that the story of Cypselus birth is cited by Sosicles condemning tyranny in the context of one of the constitutional debates of the Histories. There are no heroic or positive elements to be found in Herodotus Cypselus: he is all pharmakos – again, bringing significant change for the worse to all of Greece (and by no means only to his family). Still, the chest that Cypselus is hidden in can be compared to the receptacle of a mystical cult, like the cista mystica in Eleusis, “a miraculous object in which imminent death is transformed into new life” (Huys 1995, 205). Unauthorized opening is dangerous. Especially Herodotus Athenian audience will have associated the aspects of threat and initiation symbolised by the chest with the mythical larnax that contains the monster Erechtheus/Erichthonios, which has also been connected to initiation – the association of which need not be entirely positive but can also include danger and fear.
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Neither Cyrus nor Cypselus are mere cursed children, nor are they flawless heroes. This ambiguity is owed to historical reality: the prophecies the heros ancestors receive do not refer to concrete events (neither of them kills their grandfather) but to historical change: the rise of the Persian Empire, the institution of tyranny in Greece.
The Young Fugitive Adrastos – the Boys Tragedy (1.34 – 45) The traditional story of the noble boy who escapes from his native country because of a murder is told about the Phrygian Adrastos in Herodotus Lydian logos. The youth asks Croesus to purify him from murder. The king complies and grants the youth unlimited hospitality. In the following chapters, we are told about a boar ravaging the area. Croesus does not want his son Atys to join the hunting party because he has once dreamed that the prince would be killed by a spearhead. Consequently, Croesus had ordered his son to get married and all weapons to be removed from his presence. This time, however, Atys can convince him to let him go; Croesus has Adrastos accompany him for protection. But the inevitable happens: Adrastos points his spear to the boar but hits Atys and kills him. Though forgiven by Croesus, Adrastos kills himself at Atys grave. The story of the youth who kills a relative (inadvertently or not), goes into exile and usually acquires a privileged position there, as a friend or guardian of the prince or husband of the princess, is frequent in Greek myth. It is plausible that the story is a mythical reflection of an initiation rite: the protagonist is always a young man expelled and separated from his own society who, after a liminal period, finds aggregation in another situation. In Adrastos case, it is striking that he is named by Herodotus only after the purifying ritual: before, neither the reader nor Croesus know his name – and it is typical of initiation that the candidate is given a new name. Also characteristic of initiation is the pair of youths: Croesus son Atys is at initiation age, too, being called mostly pais, child, and only once nee¯nie¯s, young man. The myth of Peleus has the most striking similarities with Herodotus stories. As a young man, Peleus kills his half brother; Plutarchs version even places the murder in the context of a boar hunt (Parall. Min. 25.311E). Peleus marries the daughter of his purifier Eurytion in Phthia (Scholion 39b on Pindars Olympian 8.30; Apollod. 3.160). As
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the father of Achilleus chosen by the gods, he is also the ultimate in princes guides, so to speak. The murder is doubled in Peleus story, too: he kills his purifier Eurytion during the hunt for the Calydonian boar (Apollod. 3.163 – 167). He has to escape again, and his next host, Iolkos, will not be his last, either: he experiences a Potiphar-story there. Peleus, it seems, is a kind of superAdrastos unable to find aggregation anywhere in the world. Still, this is an exception. The doubling of the murder is very rare in myth – normally the fugitives find a definitive home where they are purified – meaning that the double murder in the Adrastos story is striking and unusual for Herodotus audience, too. The tragic features of the Adrastos logos have sometimes been stressed: Adrastos, although trying everything in his power, cannot escape his destiny as an involuntary murderer. The first murder corresponds to the usual initiation story. The second, however, represents the inescapability of his own character or fate. Adrastos, who cannot escape, as his name tells us, cannot be purified. He cannot be initiated into a new life but is doomed to stay in the same stage of development for all his life. Atys, the son of Croesus, too, is incapable of initiation. At the very moment he could prove himself hunting and become a man, his life ends. Furthermore, Atys is often identified with the mythical herdsman Attis, a typical initiation figure: by self-castration he and his priests are asexual beings, outcasts in the state of permanent liminality. The failure of initiation illustrates the downfall of the Lydian empire on a mythical and ritual level. It is a very graphic metaphor for the fate of the Mermnads, Croesus family: the king is left without a successor. This has been destined since Gyges: his descendants would only be kings of Lydia for five generations (Hdt. 1.14.2; 1.91.1). All of Croesus precautions were doomed to fail from the beginning. The figure of Adrastos is a metaphor for the end of the Mermnad reign, the death of Atys, the downfall of Croesus. Phronime and the Wicked Stepmother (4.154 f.) The story of Phronime, belonging to a string of myths about the foundation of Cyrene in Herodotus and elsewhere, is explicitly identified as a Cyrenaic version in Herodotus (4.154 f.); in the Therean founding version (Thera is the colonys mother island), Phronime does not figure and her son Battos plays a more marginal role (4.150 – 153).
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Phronime is the daughter of king Etearchos who rules over Oaxos in Crete. His second wife accuses the stepdaughter of lewdness and convinces the king (4.154.2). He asks a merchant to grant him a wish and then tells him to take Phronime away and throw her into the sea. While saving the girl, the honest merchant still fulfills his promise: he lets her down into the sea with ropes and pulls her up again. Later, a notable Theraean takes Phronime as a concubine and she has his son Battos, the stutterer – the future founder of Cyrene. The story echoes several mythical patterns – first of all, the modern reader will think of the motif of the wicked stepmother. She exists in Greek myth, too, but there never seems to be the element of alleged sexual misconduct. Tyro and Antiope, both mothers to exposed twins who become heroes, are mistreated by their stepmothers for their real pregnancies, whereas in Phronimes case, the sexual misconduct is calumny. It seems that the structure of the cast-out heros mother is contaminated with another pattern, in which a slandering stepmother (or a similar character, such as the wife of the heros purifier, master, etc.) plays an important part. It is the story of Potiphars wife (Gen. 39), to name the most famous – although non-Greek – example for the structure of the masters wife or the stepmother lusting after a young man who rejects her, whereupon she accuses him of rape; usually, the father/master is convinced and tries to punish the young man. There are many Potiphar-stories in Greek myth, including the stories of Bellerophon, Phoinix, and Hippolytos. Obviously, the gender relations are reversed in Herodotus, and also the plunging of Phronime into the sea gives the story a feminine colouring. This kind of punishment is familiar from the myths of Scylla and Auge. In Apollodorus version (3.15.8 = 3.211), Scylla betrays her father Nisos, king of Megara, for the aggressor Minos, who is so disgusted by this lack of filial devotion that he ties Scylla by the feet to the stern of the ship and drowns her. Auges father wants her drowned in the sea because she is pregnant by Heracles with Telephus, who will soon be exposed (Alcid. Od. 14 – 16) – which brings us back to exposure myths again. Obviously, in Herodotus tale of Phronime, several mythical structures intertwine. They can plausibly be disentangled by paying attention to the connotations of the singular elements. It is unsurprising that the inhabitants of Cyrene coined a more heroic biography and possibly royal lineage for their founding hero than those of the mother island Thera, where the figure of Battos has little importance. In the Cyrenaic version, Battos mother gets a vita similar to other mythical mothers like Tyro and
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Antiope, meaning Battos is associated with heroes like Pelias and Neleus or Amphion and Zethos. The stuttering Battos humility – important in the story because it makes the choice of the founder look like an act of God – seems rather difficult to combine with a heroic vita. To give the character mythical traits, the heroic elements have been transferred to the generation of the parents – not to the father (who would then be a hero in his own right, but this heroic quality wouldnt necessarily be passed on to his son) but to the mother, as female fugitives typically bear important sons. The Deathly Banquet The Thyestean Feast (1.73; 1.119) – Change of Power and Levels of Culture In the first book of the Histories, there are two episodes of children being slaughtered and served to their father, who unsuspectingly eats the horrible meal. This pattern also has to do with the idea of a new beginning. The first Thyestean feast of the Histories is found in 1.73: Scythian hunters, refugees at the court of the Median king Cyaxares, want to take revenge on their host for treating them unfairly. They slaughter a child the king has entrusted to them, prepare him like game, send him to Cyaxares, who eats part of the meal, and escape before the deed is revealed. The second story following the pattern concerns Cyaxares son Astyages (1.119); its context is the exposure tale of baby Cyrus. The Median king Astyages wants revenge because his servant Harpagos has not killed the boy. He has Harpagos child slaughtered, cut up, partly roasted and partly boiled and finally served to the father. After he has eaten, the king shows him the head, hands and feet of his child. Some famous mythical examples of this pattern include the stories of Lycaon and Tantalus, who serve children to Zeus or to all the gods; Atreus, who slaughters the child of his brother Thyestes; and Harpalyce, who gives the meat of her brother or son to her father. Walter Burkert has analysed the connotations of this pattern in Homo Necans (1972, 125; cf. 97 – 152) and compared it with the Arcadian initiation ritual of the Lykaia. In both myth and ritual, Burkert finds metaphors of initiation and cosmic change. The latter is conveyed prominently by the cosmogonic function of the meal: in reaction to Atreus crime, the sun changes its course; there is a new order of things. Other rituals and myths of the same group use a metaphoric vocabulary of night/day or light/dark polar-
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ities, insinuating that things can turn into their opposites. In the context of initiatory rites, this may symbolise the change of generations. Burkert recognises this element in Herodotus story of Astyages and Harpagos, too: the rule of the Medes ends and passes over to the Persians – because of the meal (cf. Hdt. 1.129). Burkerts analysis works just as well with the other Thyestean feast of the Histories, the story of Cyaxares and the Scythians. It also announces a change of dynasty. Firstly, Medes and Scythians are fighting for predominance (1.106.2). Secondly, this first Thyestean feast is an important early step for Cyrus foundation of the Persian empire, because it anticipates the conquest of Lydia so crucial for Cyrus success: the guilty Scythians, chased by Cyaxares, flee to the Lydian Alyattes, and as a result, Medes and Lydians go to war. In the sixth year of war, there is a divine portent: during the battle the day was suddenly turned to night (1.74.2). Consequently peace is made and the two royal families are dynastically united. Therefore the Lydian Croesus has to intervene when Cyrus overthrows his Mede grandfather – giving Cyrus the chance to swallow both Media and Lydia. The change of cosmic order is signalled by the eclipse – a cosmic sign connected with the Thyestean feast that in Herodotus too, in both instances, signifies a change of reign. It is not surprising that the rise of a new generation is linked with the death of a child that is part of that same generation: the initiand, too, can be subjected to a near-death experience, even using the imagery of dismemberment. In myth, the slaughtered victim is often resurrected: in the myth of Lycaon, the child who is eaten is identified with the first Arcadian kings Nyktimos and Arkas (cf. Burkert 1972, 106); both Pelops and Dionysus Zagreus are revived – and in the latter case, the gods flesh is actually roasted, boiled, and eaten like Herodotus son of Harpagos. It seems that the slaughtered child of Harpagos substitutes for Cyrus: the child is killed, whereas Cyrus gains power and returns. But of course the structure of the Thyestean feast has more dimensions. All mythic-ritual elements aside, the act of slaughtering and eating a child is primarily a shocking outrage. The punishments sent by the gods in myth are extreme, especially in the cases of Tantalus and Lycaon. Within the historiographical, contemporary discourse of the Histories, the mythical structure appears even more monstrous. Herodotus use of the pattern in the context of the Scythians and king Astyages seems to be owing to the cultural positions the characters have in the Histories. What happened in Greece in a faraway, mythical past at most, is said to have occured with the Scythians not so long ago. It fits the peoples bar-
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baric cruelty as described by Herodotus (esp. 4.64 – 72). But this is different with the Mede Astyages. The fact that the Scythians had prepared the first cannibal meal for Astyages father Cyaxares, and that the son now uses the same method to take revenge on his servant Harpagos, indicates a sort of contagion or spread of Scythian barbarity to the Medes. Median culture seems to be declining. The Thyestean feast shows not only the change of cosmic order but also, more concretely, the decline of a culture. The Medes have become the Other. It is widely recognised that this is one of the most important messages the Histories convey: decline into barbarism can happen to anyone. Murdering the Dinner Party (5.18 – 21; 1.106): Clash of Cultures Another tradition of the deathly banquet also implying a change of culture, or at least a definition of its status, is the story of the hosts murdering their guests. This leads away from the field of initiation and into the sphere of perverted sacrifice. Like the Thyestean feast, however, the collective murder of guests in Herodotus signifies a disintegration of culture. The most prominent case of the banquet ending in collective murder is 5.18 – 21 (but cf. also 1.106). The Macedonian king Amyntos invites Persian ambassadors to his court. When having dinner, the Persians claim it is their nomos to have their meals together with the women and press the king to have the Macedonian women join them. The king hesitates but finally has the women sent in. Of course the women are molested by the drunken barbarians. Now Amyntas son Alexandros dresses up young men in female clothes and sends them to the guests; when the Persians start molesting the women, they stab them with daggers. The story has striking similarities with the mythical story of the Kentauromachia, the fight between centaurs and Lapiths: the wild centaurs are invited to Peirithoos wedding. At first, Eurytos gets aggressive and, drunk and inflamed, kidnaps the bride. The others follow his example and jump at the women; battle ensues; many of the centaurs are killed. The structure also seems related to the phenomenon of the Ausnahmefest, the kind of festival where the social order is reversed for a brief period of time, as was the case for example in the Cronia, Saturnalia, or Thesmophoria (cf. Versnel 1993), often including cross-dressing, too. The festival ending in collective murder is the reversal par excellence, so the mythical scheme might provoke associations of the escalating Ausnahmefest.
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This kind of festival of reversal is, unsurprisingly, linked with change – like the New Year or critical transitions in the agrarian course of the year. Chaos reigns “as a temporary elimination of all contours, a return to a state undefined by bounds and moral standards” (Versnel 1993, 121). Herodotus deathly banquets, too, are about blurring the differences. The Macedonians are a marginal people anyway, constantly wavering between medismos and philhellenism.
Mingled Cries: Rhampsinitos and the Master Thief (2.121 f.) The story about King Rhampsinitos and the master thief at first seems like an inconsistent and confusing conglomeration of elements. The king is tricked by the deceitful builder of his treasury and his thieving sons. One of the sons is caught in a trap and has to be killed and mutilated by his brother in order to not be recognised; the surviving brother manages to steal the corpse that the king had used as a bait, making the guards drunk and shaving them on one cheek only. The king then demands that his daughter receive all men in an oike¯ma to find out the thief; the master thief uses his dead brothers arm to deceive the princess, who tries to hold him. Rhampsinitos, much impressed, gives the princess to him in marriage. The king later descends into the underworld to play dice with Demeter and returns. But the parts do make a whole, as Carl Werner Mller has emphasised. Several details indicate that all phases of the story, not just the kings journey to the underworld, deal with the subject of death (1992, 164 – 171). The kings treasury is most likely a burial chamber, and the oike¯ma of the princess might be an underwordly place, too: all men have to pass it and answer questions resembling the situation of a judgement in afterlife. The dead mans hand might be read as a substitute sacrifice to Death or a female death demon – all in all, the thiefs story would then be a contest with Death itself. The interpretation of the story as an underworld logos is supported by the contextualisation of the story in a Greek narrative tradition. Certain elements must at least have triggered certain associations with Greek myth to those familiar with it. The most obvious parallel is the myth of Trophonios and Agamedes from the Telegonia of the Epic cycle, which corresponds to the first part of Herodotus story: the skillful builders Agamedes and Trophonios, father and son, construct a treasury for Augias in Elis and steal from him. The king has traps set up, the father
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gets caught and mutilated so that he cannot be recognised. Augias chases after the fleeing Trophonios, who builds himself a subterranean abode, where he spends the rest of his life. After his death, an oracle and a sanctuary are founded there. Trophonios oracle, too, is full of underworldly symbolism, as Pausanias 9.39 describes it. The story of the master thief connects Herodotus report about the first five Egyptian kings with his narrative about the rulers following them, the pyramid builders. Directly following is a short chapter on the Egyptian doctrine of metempsychosis, describing the many shapes the soul takes on during its journey of reincarnation (2.123). This process is hinted at by the other mythical parallels we have apart from the myth of Trophonios. Firstly, this happens at a formal, mimetic level. The twelve chapters on the pyramid builders following Rhampsinitos story and the short excursus on metempsychosis seem like a series of variations on the first story. The principal subject is building tombs. Furthermore, we hear of a daughter twice and of a prostitute twice; in one case, with the daughter of Cheops, both elements converge (and in the story of Mykerinos, the daughter is forced to illicit sexual behaviour, too) as they do in the story of Rhampsinitos. The cunning circumvention of death, too, is a motif immanent in one of the following chapters, when Mykerinos is contesting with death. It seems as if the story of Rhampsinitos is a narrative concentration, the essence of a pyramid builders biography, followed by modulations and modifications. Just as the soul takes on new forms on its journey, the tale of Rhampsinitos repeats itself in variations in the lives of his successors. The patchwork of disparate parts that is the story of Rhampsinitos also plays with several different mythemes from all genres of Greek literary tradition: the deceitful builder recalls Daidalos who is especially prominent in drama, the drunken guards resemble the Cyclops-scene from epic and satyr play. The journey to the underworld is typical of epic, too, but also figures in drama, whereas the shaving of just one cheek is a comical feature known from Aristophanes Thesmophoriazusai (215 – 235). The story of Rhampsinitos and the master thief is not just a concentration of the ensuing biographical chapters but also a potpourri of disparate parts that, by a Greek audience, will be perceived as not belonging together. The variety of different patchwork pieces merged into each other again mimics the theme of metamorphosis.
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On the semantic level of the myths contents, we also find links to the phenomenon of metempsychosis and transformation, namely the drunkenness of the guards and the dismemberment of the brothers corpse. The element of wine and intoxication is closely associated with the mystery cult of Dionysus, the god of afterlife; so is the motif of dismemberment. Plutarch (Mor. 388e-389b) has theologians say that the fragmentation of Dionysus (here seen as one with Apollo) points to plurality and unity alternating within the cosmos, matching the gods muscial genre of mingled cries, as Plutarch has Aeschylus call the dithyramb. The dismemberment of Dionysus as a symbol of the cosmic mixture of many shapes, the variety that also shows in the music appropriate for the god, is reflected in the patchwork character of the Rhampsinitos story in the context of metempsychosis. Finally, an Egyptian king resembling the Odysseys polymorphous god Proteus (to the point of having the same name) appears in the chapters before the Rhampsinitos-logos (2.112 – 120). When interrogating Paris, Proteus acts a lot like a historiographer, which can perhaps be seen as a kind of self-portrait of Herodotus. And indeed the god of metamorphosis would make a good patron of historiography, being an emblem of the process of logopoiie¯, with his ability to change resembling the poikilia of the old stories reaching Herodotus.
Pp. 300 – 341: Conclusions Structure, Semantics, Validity: the Function of Myth in History The father of history remains much indebted to mythical and ritual paradigms. His structures of thought are shaped by the patterns his contemporaries think with. And the traditional elements are not mere survivals – it is the historians business to contextualise the facts and integrate them into a causality. In the Histories, the sheer mass of data calls for structuring, if the recipient is not to be completely overwhelmed. Especially with the Histories many excursuses, it is difficult to follow the narrative and have the individual data at ones command later on; it is therefore helpful that the information is embedded in familiar structures. Semantics go along with structure. The traditional patterns in the Histories are able to mark stories and characters in nuce by conveying their substance in an associative and symbolic process without explicitly (and possibly less tellingly) defining it.
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Also, the data are elevated beyond mere historical facts into the sphere of myth. Herodotus creates a new synthesis of myth and history by validating the historical through mythical patterns. The timeless relevance of mythical data considered exemplary for (and therefore similar to) the present corresponds with Herodotus idea of history being cyclical – events, deeds, even characters are repeated in all eternity.
Herodotus and the Problems of Modern Reception The Problem of Narrative Logic The question remains how someone with a modern understanding of historiography can deal with this kind of text. One problem is the frustration of the modern readers demands of logic and coherence. The example of Croesus crossing the river Halys shows how meaning can be generated at the expense of a modern concept of logic: variants of the story that had clearly been labelled untrue are nevertheless discussed at length, producing a panorama of simultaneous possibilities extant in Croesus character. There are more examples; firstly, the story of Xerxes return to Persia by ship after the battle of Salamis (8.118), where his subjects sacrifice themselves for the king in a sea-storm, because the captain had suggested to lose ballast. After having arrived safely, Xerxes gives the captain a golden crown for having saved him; then he has him killed for being the death of so many Persians. The story fits Herodotus condemnation of tyrannic licence perfectly – but in the next chapter he insists it never happened. As in the story of Croesus crossing the river Halys, he then discusses the probability of a single part of the story (in this case, Xerxes sacrifice of noble Persians, while he could have thrown out the Phoenician rowers), although he has already rejected it as a whole. Again, it is the plurality of versions that generates the complete message: Xerxes more plausible sacrifice of the rowers instead of the Persian aristocrats would not only be just as cruel, it would fit the rigorously hierarchical Persian monarchy even better. Therefore, it is not just the untrue version that makes the perfect story, it is the untrue version plus Herodotus corrections. A second example are the so-called rape-stories placed programmatically at the beginning of the Histories (1.1 – 5). They do not contain an actual breach of logic, but rather incompatible interpretations of the Io-story that together form a whole. The Persians tell that Phoenician merchants came to the coast of Argos. When princess Io wants to take
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a look at their goods, they throw her into the ship and sail away. The Phoenicians claim that the girl had already slept with the captain of the ship in Argos and fled her homeland when realising she was pregnant. Together, the stories about Io show an uncanny resemblance to the Odysseys tale of Eumaios nurse (15.415 – 475). A Phoenician ship lands in Greece; the women have special interest in the offered goods; one of the customers is a rich and noble woman. She has an affair with one of the Phoenicians and elopes with them. She takes a child with her (Io has the yet unborn child of the captain with her, the Homeric nurse takes little Eumaios). Also, the story contains some kind of doubling. Homer has a double rape-story: the nurse is originally Phoenician; she had already been abducted and taken to Greece. Herodotus tells two versions of one tale. The Homeric parallel does not fit one of the two versions but only the combination of the two. They merge into the rape-story per se, becoming typical and canonical. Tradition is perfectioned, myth made more mythical: whatever the Persians and Phoenicians say, even when contradicting each other – the result will inevitably be the same, eternal story, thereby again depicting the constant cycle that is history. Modern logic does not always apply to the narrative of the Histories; sometimes the text works differently from what we are used to. The Problem of Factuality The incompatibility of Herodotus narrative logic on the micro-level of a single story is part of a greater problem: the relationship between facts and fiction. Obviously, the semantic value of the traditional elements is more important to Herodotus and his audience than historical accuracy. Generations of philologists and historians have struggled with the question of the Histories value as a source, and indeed the many mythical parallels to Herodotus stories seem to defy their historical truth. But Herodotus does not simply invent. Rather, he reports the kind of tradition he regards as significant and meaningful. The mythical and ritual patterns convey certain implications – not simple messages, but complex levels of indications leading to more fields of meaning. In trying to come to grips with the question of facts and fiction in the Histories, we have to realise that in Greek antiquity, we cannot assume a consciousness of fictionality in the modern sense. The “willing suspension of disbelief” (Coleridge 1817, 6) or “fictional agreement” (Eco 1994, 75) seems to be based on modern categorisation. With ancient texts, a decision as conscious as this cannot be expected before Aristotle, and even
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much later, fact and fiction are not always separated. Wolfgang Rçsler has made a connection between the lack of the concept of fiction and orality demonstrating that a, albeit unspecific, claim of truthfulness applies to all texts of the oral or at least, initially oral, Greek culture, citing among other texts the literary criticism of the pre-Socratics distinguishing separate genres exclusively by formal differences (1980, 286 – 289). The degree of fictionality does not figure as a criterion. The shaping of tradition in the Histories results from a need for contextualisation and systematisation that might have been even stronger during a transitional phase from an oral to a written culture. From the perspective of postmodern historiography, the positivist demand for historiographical objectivity proves definitely futile. Stemming from the postmodern denial of extratextual reality, since reality can only be constituted by text, doubts about the possibility of objective writing have been raised in the 20th century. For modern historiography, an important representative of this perspective is Hayden White, who has stressed the narrative nature and therefore, fictionality of the genre. White also emphasises the importance of reconstructing a cultural context. Like his recipients, the historian cannot help phrasing things in his own language and within his own structures of thought. Historical data are embedded in familiar structures and become readable by this collective code. In Herodotus – and in ancient literature in general – one of these codes is myth. The mythical and ritual plots underlying Herodotus narrative open up a field of semantics charging the data with meaning; it makes levels of associations accessible that enable the contemporary reader to interpret the events described almost without noticing – to understand them by recognising the familiar codes. Decoding the mythical and ritual system therefore is an indispensable tool for our understanding of ancient texts. By telling traditional stories in new contexts, by reusing old motifs in new combinations, by contaminating strands of myth with alien elements, Herodotus proves to be the heir of an oral narrative tradition. Like the Homeric poets formulas, a mythical theme is Protean, not a static element, but a “living, changing, adaptable artistic creation” (Lord 1960, 94). Protean, too, is the reception of these elements. A traditional structure is embedded into an incredibly complex system of cultural reference. Herodotus mythical and ritual parallels touch on different systems of cultural reference: there are endless possibilities of combination.
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A Brief Summary: Mythical Structures in Herodotus
This associative way of functioning is necessarily collective in nature; the connection of single data in a cultural context is only possible within a social network. The Histories, too, are a product of a poetics of culture and its social semantics. By using mythical and ritual structures in a new literary genre, by recognising preexisting structures in new events and by contextualising old figures under new names, Herodotus keeps myth and ritual, necessarily collective discourses, alive. Precisely by changing arbitrary facts into something socially relevant, by connecting collective tradition with current events, myth and ritual keep their original social function and identity.