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Soldatengeschichten AUS ALLER WELT
Nr. 22
Nacht im Niemands Niemandsland Stoßtrupp bei harten Abwehrkämpfen in Ung...
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Soldatengeschichten AUS ALLER WELT
Nr. 22
Nacht im Niemands Niemandsland Stoßtrupp bei harten Abwehrkämpfen in Ungarn von
Lothar Lerg
ARTHUR MOEWIG VERLAG MÜNCHEN
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nDer
Iwan!“ schrie eine Stimme warnend. Knatternd rauschte der Feuerstoß aus einer Maschinenpistole auf. Mit einem Ruck blieb Leutnant Hofer stehen. „Wo?“ wollte er noch schreien, da lösten sich zwei schattenhafte Gestalten aus dem dichten Nebel. Sie kamen von hinten. Der Leutnant zögerte. Nur Sekunden — dann hatte er sie erkannt. Russen! Trocken bellte seine Pistole. Klick! Das Magazin war verschossen. Ärger packte den Leutnant. Die Schatten waren verschwunden. Wie weggewischt. Links beim zweiten Zug prasselte wildes Feuer aus den Maschinenwaffen der Grenadiere in die sichtlose Nacht. Jetzt begann auch das schwere MG in langatmigen Feuerstößen zu schießen. Weiße Leuchtkugeln erhellten gespenstisch das dunstige Vorfeld. Dazwischen verrann rosafarben der Stern eines roten Leuchtzeichens. Das war das Notsignal der Infanterie, das jeder Artillerist kannte. Der rote Stern hieß: „Sperrfeuer!“ Einen Augenblick stand Leutnant Hofer wie gelähmt und horchte in den Lärm. Dann kam wieder Leben in ihn. ,Sind denn schon alle wahnsinnig geworden?’ dachte er. Bei den nächstgelegenen Schützenlöchern brüllten sie sich etwas zu. Hofer faßte einen der Männer an den Schultern und schrie ihn wütend an: „Schluß, aufhören! Los, zum ersten Zug! Sofort das Feuer einstellen! — Na, machen Sie schon!“ Er sprang zum nächsten Loch. „Auf, einer zum zweiten Zug! Die Schießerei einstellen. Hauen Sie schon ab, Mann!“ Der Gefreite sah seinen Leutnant verdutzt an, kroch dann aber eilig aus dem Schützennest. Es war selten, daß er den Kompanieführer so erregt und ärgerlich sah. Aber wenn einmal, dann war es besser, ihm möglichst schnell aus den Augen zu kommen. 4
Ein Unteroffizier kam angerannt. Leutnant Hofer fuhr ihn scharf an: „Welcher Vollidiot hat denn die rote Leuchtkugel geschossen? Wer hat das befohlen? Habe ich schon lauter Schietkerle in der Kompanie?“ „Der Iwan —“, versuchte der Unteroffizier zu antworten. Der Leutnant ließ ihn nicht ausreden. „Was denn, was denn bloß? Der Iwan! Irgendein Spähtrupp war eben durch. Wie jede Nacht. Nichts weiter. Oder was ist sonst los? Ängstlich wie die kleinen Kinder seid ihr schon. Wenn’s nur irgendwo im Dunkeln knackt, dann knallt ihr gleich wie die Verrückten los. Dabei haben wir sowieso kaum noch Munition. Und wenn dann der Gegner wirklich kommt, werfen wir mit Steinen, was?“ Hofer kochte innerlich. „Gleich haben wir die Bescherung! Der Russe glaubt nun, was Wunder, was wir selbst vorhaben und wird sich entsprechend rühren. Und wenn jetzt dazu noch die Unseren Sperrfeuer schießen, wird’s heiter.“ Brummig fuhr er fort: „Schießen Sie schon eine grüne Leuchtpatrone ab, noch ehe unsere Ari anfängt. Schade um jede Granate!“ Wortlos machte der Unteroffizier kehrt. Aber sein Leuchtzeichen kam nicht mehr rechtzeitig. Von weit hinten hallten bereits dumpf die Abschüsse deutscher Feldhaubitzen. Schlurfend zogen die Granaten über die Stellung der Kompanie und schlugen mit grellem Bersten im Niemandsland ein. In den Nebelschwaden blitzte und zuckte es auf. Leutnant Hofer hastete seinem Gefechtsstand zu. Er wollte sich mit dem Bataillon in Verbindung setzen, um die Lage zu melden. Ein plötzliches, unangenehmes Pfeifen in der Luft ließ ihn in das nächste Deckungsloch springen. Er kannte das. „Volle Deckung!“ schrie er noch einem Grenadier zu, der sich aus seinem Loch gelehnt hatte. Dann war ein entsetzliches Krachen um ihn. Surrend fuhren Splitter über das Loch. Es regnete Dreck und Erdschollen. Hofer hatte sich ganz klein gemacht. Er nahm den nach brandigem Zeug und verbranntem Pulver riechenden Qualm wahr, der sich nach dem na-
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hen Einschlag verbreitete. In seinen Ohren dröhnte es. „Verdammte Schweinerei!“ murmelte er und befühlte seinen Kopf. Ein schwerer Brocken hatte an den Stahlhelm geschlagen, daß ihm Sterne vor den Augen tanzten. Wieder einmal war es gut gegangen. — Draußen krachten die schweren Einschläge der russischen Artillerie weiter in die eigene Stellung. Den Leutnant dünkte es eine Ewigkeit, bis es endlich still wurde. Das russische Feuer sprang mit einem Satz nach hinten und grollte noch in den deutschen Batteriestellungen wie ein sich entfernendes Gewitter. Schwerfällig und noch benommen von dem Schlag zog sich Hofer aus dem Loch. Bei einem ehemaligen russischen Bunker, der jetzt ihm als Gefechtsstand diente, traf er auf die Melder der Zugführer. Beim 1. Zug hatten sie drei und beim 2. Zug zwei Verwundete. Alles zum Glück keine schweren Fälle. Aber doch schlimm für die Kompanie, wenn diese nur noch 56 Mann zählte, wo es bei ihrem breit zu haltenden Abschnitt auf jeden einzelnen Mann ankam. In diesen Märztagen des Jahres 1945 war fast jeder Grenadier, der ausfiel, unersetzlich. Hofer — der Leutnant Hofer aus einer Kleinstadt in den Voralpen — war schon manches in diesem verfluchten Krieg gewöhnt und nicht mehr leicht aus der Fassung zu bringen. Seit er vor drei Jahren zur Fronttruppe kam, war ihm nichts erspart geblieben. Er kannte nur „Feuerwehr-Einsätze“, wie das so schön hieß. Seine Panzerdivision wurde ewig hin- und hergeworfen. Immer dorthin, wo an irgendeiner Stelle der Front dicke Luft war. Es war jedesmal das gleiche. Nur die Kampfformen wechselten. Angreifen, Einbrüche abriegeln, Abwehr um jeden Preis und um jeden Fußbreit Boden — und immer wieder Rückzüge decken. Die Kompanien schrumpften zusammen, wurden aufgefüllt und brannten erneut aus. Wen hatte er, Hofer, von den „Alten“ noch in seiner Kompanie? Ein Dutzend vielleicht, und die hatten zwischendurch in den Lazaretten gelegen. „Alte?“ Er lächelte vor sich hin. Meist waren sie noch jünger als er, der selbst noch reichlich jung war.
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Er nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette, die er in der hohlen Hand versteckt glimmen ließ. — Ja, jetzt krallten sie sich in der fetten Erde Ungarns fest, um die südöstlichen Teile Deutschlands vor dem furchtbaren Zugriff der sowjetischen Armeen zu bewahren. Wer weiß, was sie noch alles erwartete... Der Leutnant fuhr hoch. Unteroffizier Dirks, der Zugführer des II. Zuges, war herangekommen und meldete sich. „Sagen Sie mal, was war denn das eigentlich für eine üble Schießerei, die Sie vorhin veranstaltet haben? Fünf Mann hat uns der sinnlose Zauber gekostet. Dabei hätte es noch schlimmer ausgehen können. Und warum? Weil Sie Ihren zappeligen Saftladen nicht in der Hand haben!“ Hofers Stimme klang gereizt. Der Unteroffizier schien den Anpfiff erwartet zu haben. Völlig ruhig antwortete er: „Ich möchte mich nicht entschuldigen, Herr Leutnant. Aber die Sache sah zuerst tatsächlich brenzliger aus, als sie dann wirklich war. Die Russen standen ganz plötzlich in unserer Stellung. Eine Gruppe unten am Feldweg und ein anderer Haufen in unmittelbarer Nähe meines Grabenstückes. Sie warfen nach allen Seiten Handgranaten. Als dann meine Männer dazwischenhielten, verschwanden die Russen und ließen zwei Tote zurück. Dafür bekamen wir dann aus vierzig Schritt Entfernung MG-Feuer aus dem Vorfeld. Da blieb mir nichts anderes übrig, als die Artillerie anzufordern. Einer meiner Gruppenführer behauptete auch, vor ihm wäre ebenfalls ein ganzes Rudel Russen aufgetaucht. War klar, daß wir alle nervös wurden. Hätte auch wirklich schlimm ausgehen können, wenn der Russe wirklich angegriffen hätte. Da wäre keiner von uns mehr rausgekommen.“ Dirks fuhr sich mit dem Handrücken unbehaglich am Hals auf und ab. Hofer sah seinen Zugführer eine Weile an. Dann sagte er: „Sauberer Mist, was Sie mir da berichten. Das hätte uns wirklich an den Kragen gehen können. Ich hatte Sie ja schon ganz schön verflucht; aber es war dann doch recht, wie Sie es machten, Dirks!“ Er überlegte. „Eigenartig“, sprach er weiter, „was nur die Iwans damit bezwecken wollten? Bei mir kamen auch zwei von hinten durch. Leider
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kriegte ich sie nicht mehr. Weiß der Teufel, von wo die Burschen herkamen.“ „Kein Wunder, Herr Leutnant! Unsere Front hat überall Löcher. Da sickern sie leicht durch. Und der eklige Nebel schützt die Russen noch dabei. Einen Instinkt haben die Kerle ja sowieso wie die Luchse.“ „Schon recht. Wir müssen eben noch mehr aufpassen als bisher. Dirks, legen Sie wieder Horchposten vor die Stellung. Es bleibt nichts anderes übrig. Auch auf die Gefahr hin, daß der Iwan die Posten wegschnappt, wenn sie nicht ganz auf Draht sind. Lösen Sie stündlich ab, damit die Männer nicht zu müde werden.“ „Jawohl! Aber noch eins. Ich vermute, die Russen kamen von der Birkenallee her, wo der abgeschossene T 34 steht. Sie griffen von da aus dann wohl unten am Feldweg bei meiner Stellung an und verschwanden schließlich auch wieder in Richtung Birkenalle. Für mich kommt jede Schweinerei aus dieser Gegend!“ „Na, wir sehen uns ja nachher noch, wenn die Träger dagewesen sind. Die Verwundeten nimmt Obergefreiter Pollmann nach hinten mit!“ Leutnant Hofer gab dem Unteroffizier die Hand und wandte sich dem Bunkereingang zu. * Zwei Stunden später hockte Leutnant Hofer müde, den Kopf in beide Hände gestützt, auf einer Handgranatenkiste und starrte aus rotumrandeten Augen in das flackernde Hindenburglicht. Sein Atem ging schwer und sog nur mühsam die stickige Luft des engen, völlig verqualmten Erdbunkers ein. ,Was waren das nur für Tage in dieser verdammten Stellung, die er da mit einer Handvoll Männer halten mußte’, dachte er. Als es nach den ewigen Rückzügen in den ersten Märztagen in Ungarn endlich einmal wieder vorwärtsgegangen und die Russen ins Laufen gebracht worden waren, hatte niemand im Regiment gedacht, daß die Offensive am Plattensee wieder ein so jähes Ende finden würde. Seit einer Woche saß die Kompanie jetzt in einem ausgebuchteten Frontvorsprung der zuletzt genommenen Feindstellung. Wie Präriehunde 8
in die Erde verkrochen. Vor sich unausstehlich flaches Gelände — und in etwa 600 Meter Entfernung den Gegner, der sich gut eingegraben mit seiner Front an ein ungarisches Dorf anlehnte. Hatte schon die durch das plötzlich eingetretene Tauwetter verursachte Verschlammung den vergangenen Angriff wesentlich erschwert — jetzt wurde der Dreck für die in die Erdlöcher gezwungenen Grenadiere unerträglich. Mühselig halfen sich die Männer mit Zweigen und Kistenteilen gegen das knöcheltiefe Grundwasser, um wenigstens in den Kampfund Ruhepausen trocken sitzen zu können. Aber viele Behelfsmittel gab es nicht. Die Träger, die von hinten kamen, durften mit keinem überflüssigen Stück belastet werden. Sie hatten an und für sich bereits genug zu schleppen und brachten kaum das Nötigste an Munition in den Nächten nach vorn. Die Ausfälle der Trägerkolonnen auf dem Weg zu den Stellungen waren erschreckend. Das russische Störungsfeuer lag jede Nacht hinter den Kompanien dicht über dem Raum, den der Gegner mit seinen Straßen und Wegen von früher her nur zu gut kannte. Seit Tagen hatten die Männer nichts Vernünftiges mehr im Magen und waren nur froh, wenn sie dem nächsten Morgen mit aufgefülltem Munitionsbestand entgegensehen durften. Zerstreut zerriß der Leutnant einen Meldezettel in kleine Stücke. Sein Blick fiel auf die säuberlich zusammengestellte Munitionsmeldung, die ihm sein Kompanietruppführer am Abend vorgelegt hatte. Sie stimmte jetzt schon nicht mehr. Die Knallerei von vorhin mußte die Zahlen hübsch verringert haben. Nach dieser Meldung hatte das schwere MG nur noch 4 Kästen gegürtete Munition, die 4 leichten MGs pro Gewehr knapp 600 Schuß, und bei den Schützen reichte es vielleicht noch für eine Viertelstunde, wenn der Gegner richtig angriff. Die Leuchtpatronen waren fast gänzlich verschossen, die letzten Handgranaten waren hier in der Kiste, auf der er saß, und eine einzige Panzerfaust stand noch hinter ihm in der Ecke. ,So geht das nicht weiter’, dachte Hofer. Er hatte seine Munitions-
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lage in dringlichster Form an das Bataillon gemeldet und in dieser Nacht vier Männer zusätzlich abgegeben, um das angeforderte Zeug nach vorn zu bringen. Aber wenn heute, in dieser unruhigen Nacht, noch etwas passierte und nicht genügend Munition herankam, dann sah er beim nächsten Feindangriff auf die Kompanie schwarz. In dem deckungslosen Gelände war bei Tage auch nicht einmal an ein vorübergehendes Ausweichen nach hinten zu denken. Und der Iwan würde wieder kommen, das war sicher. Das Aufstöhnen eines schlafenden Melders schreckte den Leutnant aus seinen Gedanken. Langsam erhob er sich und sah nach der Uhr. Halb drei! Die Träger waren noch nicht eingetroffen. Hofer wurde unruhig. „Mertens, noch immer keine Verbindung zum Bataillon?“ Der junge Rheinländer sah von dem Fernsprechkasten auf, an dem er von Zeit zu Zeit vergeblich gekurbelt hatte. „Nein, Herr Leutnant, wahrscheinlich ist die Leitung am Laufgraben wieder hin, da brauchen die Strippenzieher jedesmal so lange zum Flicken. Hören Sie nur, wie’s da hinten wieder ballert. Möchte dort nicht dabei sein!“ Deutlich drang das dumpfe Grollen ferner Einschläge an Hofers Ohr. Der Lehmboden vibrierte leicht. ,Wenn nur jetzt nicht gerade die Träger außerhalb des Laufgrabens sind’, dachte er. Mit einem kurzen Blick auf die Männer seines Kompanietrupps, die in Mäntel gehüllt auf einer rohen Holzlege schliefen, wandte er sich zum Ausgang und kroch den schmalen Einlaß nach oben ins Freie. * Im eigenen Frontabschnitt war soweit alles ruhig. Nur rechts aus der Gegend Simontornya kam der Gefechtslärm nie gänzlich zum Schweigen. Hinten beim Laufgraben zum Bataillon rummste es ebenfalls in Abständen. Dort lag mit kurzen Pausen die ganze Nacht hindurch das Störungsfeuer der russischen Granatwerfer und Artillerie. Ab und zu griffen Leuchtraketen aus der russischen Stellung wie 10
Geisterarme in die Nebelschwaden, um für Sekunden die feuchte „Waschküche“ in fahles Licht zu tauchen. Langsam stapfte der Leutnant durch die umgewühlte, morastige Wiese. Hin und wieder wurde er angerufen. Sonst rührte sich nichts. Die wachfreien Männer kauerten, in ihre Zeltbahnen vermummt, in den Schützenlöchern und schliefen trotz Hunger und Nässe vor Erschöpfung. Immer wieder mußte sich Leutnant Hofer über die Haltung seiner Leute wundern, mit der sie ergeben alle schwierigen Lagen durchstanden. Die „Alten“, die gleich ihm schon so vieles gewöhnt waren, konnte er schließlich noch verstehen. Aber diese blutjungen Burschen, die doch eigentlich noch auf die Schulbank gehörten! Kaum ausgebildet, waren sie zur Einheit gekommen und dabei gleich mitten in den größten Schlamassel. Es war schon eine verdammte Sauerei, diese Buben in den Krieg zu hetzen. Und gewiß nicht leicht für ihn selbst, für diese unerfahrenen Jungen die Verantwortung tragen zu müssen. Aus einem Trichter tauchten die Umrisse einer Gestalt auf. „Erster Zug, keine besonderen Vorkommnisse!“ meldete leise eine Stimme. Schmal und lang stand Feldwebel Gärtner, der Führer des 1. Zuges, vor seinem Leutnant. „Ungemütlich heute, was?“ meinte Hof er und versuchte, seine eigene Unruhe zu verbergen. „Warum, Herr Leutnant? Bis auf den vorigen Rummel sind die Brüder drüben recht friedlich. Nicht einmal den sonst üblichen Mitternachtszauber haben sie veranstaltet. Es muß ihnen doch gereicht haben, daß sie gestern gleich dreimal hintereinander abgeschmiert wurden.“ Dem Feldwebel war aber bei diesen Worten genauso wenig wohl zumute wie dem Leutnant, der fröstelnd vor ihm stand. Die Ruhe im Kompanie-Abschnitt war einfach unheimlich. Hofer setzte sich auf einen Erdaufwurf. „Ich wollte, Sie hätten recht, Gärtner“, sagte er, „aber ich kriege das dumme Gefühl nicht los, daß der Russe irgendeine Überraschung
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für uns vorbereitet. Diese komische Geschichte beim zweiten Zug. Und ausgerechnet wieder von der Birkenallee her!“ „Ich glaube auch, daß wir auf unserem ,Präsentierteller’ noch einiges erleben werden.“ „Davon bin ich restlos überzeugt. Wenn es auch wirklich langsam reicht. Wir werden von Tag zu Tag weniger, hungern uns ab und sind schon froh, wenn wir nur überhaupt etwas zum Schießen und uns wehren bekommen. Rasselt der Iwan einmal durch, ist hinten alles im Eimer, das wissen Sie genauso gut wie ich!“ Der Feldwebel hatte nachdenklich mit seiner Maschinenpistole gespielt. Jetzt brachte er die Frage vor, die ihn besonders bedrückte. „Kommt heute keine Munition mehr vor? Es ist schon drei Uhr vorbei!“ Leutnant Hofer knurrte: „Zum Teufel! Darauf warte ich selber schon die ganze Zeit. Die Leitung nach hinten ist kaputt. Diese ewige Warterei jede Nacht hängt mir langsam zum Hals heraus. — Aber kommen Sie, wir haben noch zu tun, ehe es hell wird!“ Gärtner verschwand kurz in seinem ausgeschachteten Trichter und weckte einen seiner Gruppenführer. Dann stolperte er mit dem Leutnant zum Gefechtsstand. Am schweren MG waren sie am Schanzen. „Wollt ihr denn nicht schlafen?“ Einer der beiden Männer, die an einem neuen Panzerdeckungsloch gruben, blickte hoch: „Nee, Feldwebel! Lieber einmal weniger eine Nacht pennen, als zu früh für immer. Das Loch hier muß noch fertig werden!“ „Der hat ja seine Deckung fertig“, brummte der andere, als Gärtner seinem Kompanieführer schon wieder folgte. Sie hatten jetzt fast den Bunker erreicht, als es halblinks von ihnen metallisch schepperte und eilige Schritte hörbar wurden. Dem Leutnant fiel ein Stein vom Herzen. Die Träger! Einer nach dem andern verschwand im Einlaß. Keuchend stellten sie die schweren Traglasten an den Bunkerwänden ab. Stolz blickten die Augen aus dem verdreckten Gesicht des Ober-
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gefreiten mit dem EK I, als er das vollzählige Eintreffen des Trägerkommandos meldete. „Menschenskinder!“ sagte Hofer nur, und man merkte ihm an, wie froh er war. Es war selten in diesen Nächten, daß ein Trägertrupp gut durchkam. Beim Grabenkreuz hatten sie zwar einen Leichtverwundeten gehabt and dann gewartet, bis der größte Rabbatz vorüber war. Das Wagnis des erfahrenen Obergefreiten, in dem dichten Nebel einen Umweg über unbekanntes Gelände zu machen, hatte sich gelohnt. Ein paarmal war der Trupp noch in arges Feuer geraten, aber wie durch ein Wunder heil herausgekommen. Der Draht durch den Laufgraben zum Bataillon würde erst im Laufe der Morgenstunden geflickt werden können, erzählte einer der Träger. Die Nachrichtenmänner mußten erst das verschüttete Grabenende freischaufeln. Leutnant Hofer nahm gut gelaunt die Schriftstücke und Befehle entgegen, die Obergefreiter Pollmann aus seiner Meldetasche fingerte. Unterdessen hatte sich der Feldwebel zusammen mit dem Kompanietruppführer an die Sichtung des eingetroffenen Materials gemacht. Langsam entwirrte sich das Gedränge in dem engen Raum. Die Träger sahen zu, daß sie wieder nach hinten kamen, ehe es Tag wurde. Am Eingang meldeten sich die ersten Männer der Gruppen, um die vorgebrachten Bestände in Empfang zu nehmen. Zufrieden zog einer nach dem anderen mit den Ladungen an Kostbarkeiten ab. Neben Munition und einer ansehnlichen Menge Verpflegung waren diesmal sogar Schokolade und vor allem Zigaretten mit vorgekommen. Endlich hatte sich die Bunkerhöhle geleert. Lediglich die Kompaniemelder saßen wie Türken mit untergeschlagenen Beinen auf ihrem Lager und verzehrten geräuschvoll mit Genuß die erste richtige Mahlzeit nach Tagen. Leutnant Hofer wandte sich an die drei Männer, die wartend hin-
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ter ihm standen. Mit einer Handbewegung lud er sie zum Sitzen ein. Er hatte eine Flasche Schnaps entkorkt und schob sie dem schmächtigen Unteroffizier vom II. Zug zu. „Jetzt ist Ihnen wohl auch wieder leichter, was?“ Unteroffizier Dirks nahm einen tüchtigen Schluck, dann nickte er bestätigend. „Kann man wohl sagen, Herr Leutnant. Bedeutend leichter! Schon weil ich die beiden Gewehre da sehe!“ Sein Daumen tippte nach hinten, wo zwei neue MG 42 standen. „Na, dir setzen sie manchmal ja ganz höllisch zu. Sicher weiß der Iwan, daß du noch kein alter Hase bist. Du bist Nachwuchs, da bist du eben dran“, flachste Feldwebel Gärtner. Ein vernichtender Blick aus den Augen des kaum 20 Jahre alten Unteroffiziers traf ihn. Dann schluckte er ein paarmal und setzte an: „So lange ich diesen lahmgeschossenen T 34 vor meiner Stellung bei der Birkenallee nicht los habe, sehe ich tatsächlich schwarz. Der Iwan hat sich bestens darunter eingegraben und mit diesem Panzer als Dach darüber einen Bunker, in dem er wirklich beschußsicher ist. Von dort aus kann er meine ganze Stellung einsehen und deckt uns
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zu, sobald sich nur etwas rührt.“ Ärgerlich schlug sich Dirks mit der Hand auf den Oberschenkel. „Er hat schon recht, Herr Leutnant“, sagte Gärtner, ernst geworden. „Der Russe hat in der letzten Nacht auch noch einen Laufgraben zu dem Panzer vorgetrieben. Ich konnte das von mir aus ganz deutlich wahrnehmen. Und unser Artilleriefeuer kann den Brüdern wenig anhaben. Die haben sich wie die Maulwürfe unter dem Panzer verkrochen und sind da einfach nicht herauszuschießen.“ Dirks unterbrach ihn: „Wenn wir den Gegner noch lange machen lassen in seinem Panzer-Bunker, dann erleben wir bestimmt noch eine Überraschung von dort. Seine Späh- und Stoßtrupps aus jener Richtung habe ich schon jetzt dauernd auf dem Hals. Das Nest müßte ausgeräumt werden.“ Er sah fragend den Leutnant an. Leutnant Hofer hatte einen kräftigen Schluck aus der Flasche genommen, ehe er antwortete: „Ich kenne Ihren Kummer, Dirks. Ihre Tagesmeldungen sind deutlich genug, und auch ich meine, daß etwas geschehen muß. Um so mehr, als der Russe noch jederzeit schwere Waffen in seinen PanzerBunker vorziehen und von hier aus besten Feuerschutz für seine Angriffe geben kann. Ich verstehe ohnehin nicht, warum er das nicht schon getan hat. Jedenfalls habe ich schon gestern dem Kommandeur die Situation geschildert und ihn um Zustimmung für ein Unternehmen gegen diese russische Vorpostenstellung gebeten. Hier ist sie.“ Er legte seine Hand auf einen vor ihm liegenden Meldezettel. „Pollmann brachte sie eben mit. Wie wir die Sache anpacken, bleibt uns überlassen. Ein kurzer Feuerschlag der Artillerie auf die russischen Stellungen rechts drüben soll übermorgen ab 2 Uhr 15 früh stattfinden. Das könnten wir ausnutzen. Also nächste Nacht.“ Unteroffizier Dirks wurde lebendig. Er entfaltete ein Blatt Papier und legte es vor den Leutnant. „Sehr schön“, lobte Hofer und betrachtete aufmerksam die Skizze, die Dirks angefertigt hatte. Der Unteroffizier trat hinter ihn und führte erklärend aus: „Bei Tage sieht das so aus: Hier trifft der Feldweg auf meinen
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Zug und verläuft dann am Nest Hellmer vorbei geradeaus feindwärts. Nach etwa hundert Metern steht die erste Birke“, sein Zeigefinger fuhr den eingezeichneten Weg entlang, „und weitere dreihundertfünfzig Meter, kurz bevor der Feldweg nach links zu einer Schleife abbiegt, liegt der ausgebrannte Panzer. Von dort aus hat der Iwan freie Sicht und gutes Schußfeld über die ganze Gegend, vom schweren MG-Stand bis zu Hellmer herüber.“ „Hm“, machte der Leutnant, „soweit ist mir alles klar. Aber haben Sie sich schon ausgedacht, wie wir bei Nacht an den Panzer-Bunker herankommen wollen?“ „Jawohl. Ich habe mich gestern nacht mit Hellmer etwas im Vorfeld umgesehen und war ziemlich weit vorn. Etwa in Höhe der Strohmiete hier, die bei Tage ganz deutlich zu sehen ist.“ Leutnant Hofer sah erstaunt auf. „Und das sagen Sie erst jetzt, Dirks? Sie kriechen da bei Nacht und Nebel vorn im Gelände herum, und ich weiß von nichts. Sie haben Humor, Mann. Führen wohl so ‘ne Art Privatkrieg auf eigene Faust und können nicht rasch genug eins verpaßt kriegen, was?“ Sein Ton war scharf geworden. „Und wenn Sie der Iwan dabei kassiert hätte? Oder eigene Leute Sie angeschossen hätten? Also, mein Lieber, solche Extratouren fallen künftig flach, verstanden?“ Mit verlegenem Gesicht stand der Unteroffizier da und wußte nicht, was er sagen sollte. Der Leutnant, der sich innerlich über die Initiative seiner Männer freute, steckte sich eine Zigarette an. „Also weiter, los!“ drängte er. Dirks hatte sich wieder gefaßt. „Entlang der Birkenallee können wir nicht heran. Wir stoßen da zu leicht auf feindliche Horchposten, die mit größter Wahrscheinlichkeit vor dem Panzer an den Bäumen entlang liegen. Das gleiche gilt, wenn wir links umgehen wollen. Bleibt allein die rechte Seite. Hier ist es zwar orientierungsmäßig bei Nacht am schwierigsten, weil wir da nur zwei markante Punkte im Vorfeld haben, nach denen wir uns in der Dunkelheit und im Nebel richten können. Einen kaputten T 34, den Bartels vor zwei Tagen mit seiner Panzerfaust abgeknallt
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hat, und zweitens die Strohmiete, von der es dann nicht mehr weit zum Panzer-Bunker ist. Meiner Meinung nach ist das der beste Weg.“ Nachdenklich saß Leutnant Hofer da. Ihm gefiel die ganze Geschichte nicht, die sie da ausbrüteten. Ja, wenn er selbst hätte mitgehen können. Aber das hatte ihm der Kommandeur als einzigem Offizier und Führer der Kompanie ausdrücklich verboten. Ging aber die Sache schief, dann war der Teufel los, und an eine Wiederholung des Unternehmens war nicht mehr zu denken. Andererseits war er sich aber klar darüber, daß dieser Stützpunkt des Gegners vor dem II. Zug schleunigst erledigt werden mußte. Neben der ständigen Bedrohung kostete er täglich Verluste durch das von dort gerichtete Feuer der Russen. Er wandte sich an Gärtner. „Was sagen Sie dazu?“ Der Feldwebel setzte seine Pfeife in Brand, die er umständlich gestopft hatte. „Tja“, meinte er, „ich denke auch, daß es das beste sein wird, wenn wir ihn von rechts packen. Nur kann es passieren, daß ausgerechnet dann, wenn wir ankommen, ein Iwan in der Strohmiete sitzt. Muß ja nicht gerade, kann aber sein. Also dürfte die Miete von uns auf keinen Fall angelaufen, sondern müßte vorsichtig umgangen werden.“ „Damit wird die Gefahr, sich in Nacht und Nebel zu verfranzen, aber größer.“ „Ich schaffe es schon, Herr Leutnant“, sagte Dirks zuversichtlich in das eingetretene Schweigen hinein. „Ich habe mir das Gelände gut eingeprägt.“ „So, Sie wollen also selbst gehen?“ Hofer lehnte sich zurück und sah dem jungen Unteroffizier aufmerksam ins Gesicht. Dann stand er auf. „Also gut, ich bin einverstanden. Wen wollen Sie noch mitnehmen?“ „Hellmer und Vormann, Herr Leutnant.“ Hofer nickte nachdenklich.
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„Schön, also, ich fasse nochmals zusammen: Sie stehen um 24 Uhr mit den beiden Männern bereit. Die Sprengmittel kommen rechtzeitig bis zum Abend zu Ihnen vor. Ich selber werde beim zweiten Zug Ihre Rückkehr abwarten und, wenn notwendig, unterstützend eingreifen. Dirks, Sie müssen es so einrichten, daß Ihre Sprengung nicht vor und nicht nach dem Feuerschlag unserer Artillerie erfolgt. Überlegen Sie mit Ihren Männern alles gut bis in die letzten Einzelheiten. — So, und jetzt wollen wir uns ein paar Stunden hinhauen. Alles klar — und viel Glück dann!“ Polternd kam ein Mann vom II. Zug durch den Einlaß des Bunkers herab. Er holte die beiden Maschinengewehre. „Warten Sie“, rief Dirks, „ich komme gleich mit!“ „Hoffentlich klappt die Sache“, meinte Feldwebel Gärtner, der Dirks nachsah. Leutnant Hofer nickte. „Hoffentlich!“ Damit warf er sich neben einen der Melder auf die Holzpritsche und war in Sekunden eingeschlafen. * Der Tag war wider Erwarten verhältnismäßig ruhig verlaufen. Entgegen der vergangenen Tage ließ sich drüben bei den Russen kein Mensch blicken. Auch die Grenadiere der Kompanie Hofer vermieden es tunlichst, sich bemerkbar zu machen. Sie wußten nur zu gut, daß trotz aller scheinbaren Ruhe die russischen Scharfschützen ständig auf der Lauer lagen, um mit unheimlicher Treffsicherheit auf alles zu schießen, was sich in den deutschen Stellungen regen und bewegen würde. Kurz nach Mittag erhielt die Kompanie Hofer schweres Granatwerferfeuer, das aber zum Glück nicht viel Schaden anrichtete. Dann war es wieder still. Wenn das andauernde Wummern der beiderseitigen Artillerien von der Donau her nicht zu hören gewesen wäre, hätte man sich einen Sonntagnachmittag im tiefsten Frieden vorstellen können. Die Männer in den Löchern dösten. Bald fielen die wohltuenden, wärmenden Strahlen der Frühjahrssonne nur mehr 18
schräg auf die dunstatmenden Wiesen. Die leichten Schwaden des Bodennebels wurden stärker und zeigten den nahenden Abend an. Der Grenadier Hellmer kauerte neben seinem Freund Vormann im Deckungsloch. „So ein Tag“, gähnte er, „fast wie daheim beim Schuleschwänzen!“ Vormann schüttelte mißmutig den Kopf. „Nur mit dem Unterschied, daß man daheim zur Mutter gehen konnte, wenn man Hunger hatte!“ „Verfressenes Stück!“ lachte der andere. Die beiden waren aus dem gleichen Heimatort und kannten sich schon von der Schule her, wo sie manchen Streich gemeinsam ausgeheckt hatten. Der Zufall hatte es gewollt, daß sie beide als Soldaten in dieselbe Kompanie kamen, in der sie nun unzertrennlich waren. Vormann wollte sich gerade etwas bequemer setzen, als plötzlich sirrend eine MG-Garbe in die Deckung fetzte. Erdreich spritzte in das Loch. Mit offenem Mund starrte Vormann den Freund an. „Mensch“, brachte er endlich heraus, „das kommt doch von der Birkenallee.“ Wieder knallte es oben haarscharf in den Erdaufwurf. „Jetzt haben wir endgültig den Salat!“ schimpfte Hellmer, „jetzt haben die Kerle doch tatsächlich ein schweres MG zum Panzer vorgebracht. Der Zugführer wird sich freuen. Prost Mahlzeit! Wenn der Iwan jetzt wieder angreift, kriegen wir unsere Rüben überhaupt nicht mehr hoch!“ „Warum da nichts unternommen wird. Ausräuchern oder so?“ „Weiß ich auch nicht. Nötig wär’s.“ Hellmer schloß die Augen und döste weiter. Vormann tat es ihm nach. Die beiden jungen Soldaten waren noch tiefer in die schützende Erde gekrochen, um den von Zeit zu Zeit um ihr Deckungsloch peitschenden MG-Garben zu entgehen. * Kaum war die Dunkelheit herabgesunken, da wurde es in der Stellung wie üblich lebendig. Aber auch bei den Russen blieb es nicht 19
still. An- und abschwellendes Gebrumm starker Motoren vermischte sich mit einem eigenartigen Rasseln und Quietschen. Hellmer hatte sich auf den Rand des Loches geschwungen. Witternd hob er den Kopf. „Panzer!“ sagte er. „Irgend etwas tut sich!“ Ein Zugmelder kam angelaufen. „Hellmer, Vormann, sofort zum Zugführer! Los, macht schon!“ Die beiden sahen sich einen Moment an, dann trotteten sie schweigend hinter dem Melder her. Unteroffizier Dirks stand in einem geräumigen Grabenstück und unterhielt sich mit einem Gruppenführer. „Kommt einmal her, ihr beiden!“ rief er, als Hellmer und Vormann herankamen. „Wir lassen heute den T 34 an den Birken hochgehen. Wollt ihr mitmachen?“ „Jawohl“, kam es fast gleichzeitig zurück. Die beiden hatten eine mächtige Wut im Bauch, weil das schwere MG von dort sie den ganzen Nachmittag über beharkt hatte. Und sie wußten, wie nötig es war, diese vorgeschobene Feindwaffe, die flankierend heranstrich, auszuheben. „Es kann verdammt brenzlig werden, und gar so einfach ist die Geschichte nicht, die wir vorhaben. Ihr werdet besonders fix sein müssen, wenn alles gut gehen soll. Also paßt auf: Wir gehen von hier aus bis zur Strohmiete vor, lassen sie links liegen und schieben uns dann langsam in die Nähe des Panzers, den sich die Russen so schön als Bunker und Kampfstand hergerichtet haben. Ihr bleibt zu meiner Sicherung liegen, und ich versuche, mit einer Sprengladung das Nest in die Luft zu jagen. Sobald die Detonation dröhnt, lauft ihr zum Feldweg und zur Stellung zurück, ohne euch aufzuhalten oder umzusehen. Rührt sich nichts, bleibt ihr liegen und sichert weiter. Verstanden?“ Die beiden nickten. „Gut! Noch eins! Größte Ruhe und jedes Geräusch vermeiden,_ ist für die Annäherung Voraussetzung. Wenn jemand etwas zu flüstern hat, dann bin ich es allein. Alles hinderliche Zeug, Spaten und dergleichen, bleibt zurück. Auch alle privaten Dinge, Soldbuch und
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Papiere, bleiben hier. Mitgenommen werden nur Sturmgewehr und Eierhandgranaten. Sie, Hellmer, machen noch eine geballte Ladung fertig! Noch eine Frage?“ „Nein, Unteroffizier, alles klar!“ entgegnete Vormann. Es war ja nicht das erste Mal, daß sie mit ihm unterwegs waren. Es war schon selbstverständlich geworden, daß Dirks sie mitnahm, wenn etwas Besonderes los war. Sie waren ja schließlich auch keine heurigen Hasen mehr. Schon Anfang 44 hatten sie bei Tarnopol ihre Feuertaufe erlebt. Und seitdem hatte sich noch so manches getan. Dieser Krieg, bei dem es täglich um Sein oder Nichtsein ging, hatte sie vor der Zeit und in wenigen Monaten zu ganzen Männern gemacht. Die Jugend, die schöne, frohe, friedvoll-überschäumende Jugendzeit, die war wohl unwiederbringlich dahin... * Gegen 23 Uhr kam Leutnant Hofer in die Stellung des II. Zuges. Dirks meldete. Hofer gab dem Unteroffizier die Hand. „Der reinste Feiertag heute.“ Er zog die Stirn kraus. „Die Ruhe vor dem Sturm. Kennen wir schon, was? Auch der Division muß diese unheimliche Stille aufgefallen sein. Vor zwei Stunden sind Werfer hinter uns in Stellung gegangen. Auch Sturmgeschütze sollen sich bereit halten.“ „Beachtlich, Herr Leutnant. So einen Aufwand kennen wir ja schon lange nicht mehr. Das kann noch einen netten Wirbel geben. Drüben rumoren sie auch schon eine ganze Weile!“ „Mal abwarten. — Übrigens geht gleichzeitig mit Ihnen auch rechts ein Stoßtrupp von der Ersten vor. Er soll Gefangene einbringen. Man will wissen, was der Iwan vorhat. Sie schleichen also nicht allein draußen herum. Geben Sie acht, daß Sie nicht mit den eigenen Leuten zusammenrumpeln!“ Der Leutnant wandte sich an einen Melder, der ihm gefolgt war und etwas abseits wartete „Bring mal die Dinger her!“ Unteroffizier Dirks nahm dem Grenadier die rotbraunen Spreng21
pakete ab. „Dann kann’s also losgehen“, sagte er trocken. Hellmer und Vormann saßen mit dem Rücken an die Grabenwand gelehnt und hörten der Unterhaltung zu. „Du“, flüsterte Vormann, „meinst du, daß wirs schaffen?“ Es war ihm gar nicht sonderlich wohl in seiner Haut, wenn er daran dachte, was sie vorhatten. Es war doch immer eine verteufelte Geschichte, zu einem solchen Unternehmen auszuziehen. Hellmer schob scheinbar seelenruhig ein Stück Knäckebrot in den Mund. „Warum nicht! Hast du Angst?“ fragte er kauend. „Das nicht, aber —“ „Gib’s nur zu! Angst habe ich auch. Oder glaubst du vielleicht, der Unteroffizier hat keine? — Aber jetzt hör’ auf mit dem Blödsinn!“ Vormann schwieg. Aber seine Gedanken kreisten beständig weiter. Wenn das bloß gut ging. „Fertigmachen!“ Die beiden Grenadiere rappelten sich hoch. Unteroffizier Dirks hatte statt des Stahlhelms die Mütze aufgesetzt, um bei Nacht besser hören zu können, und griff nach der Maschinenpistole. Die beiden Männer standen fertig gerüstet neben ihm. Langsam trat der Leutnant auf sie zu. „Also, Hals- und Beinbruch! Machts gut!“ Er drückte jedem die Hand. Als die Männer schon über die Grabenböschung kletterten, sagte er noch: „Und macht mir keine Dummheiten!“ Dann war der kleine Stoßtrupp in den milchigen Nebelschwaden der dunklen Nacht verschwunden. Leutnant Hofer stützte sich mit dem Ellenbogen auf den Grabenrand und sah mit verkniffenen Augen in das wallende Grau, in das Unteroffizier Dirks mit seinen Männern untergetaucht war. Nicht fünf Schritte weit reichte die Sicht. ,Wenn es nur gut geht!’ dachte er immer wieder. Das Leuchtzifferblatt der Armbanduhr zeigte die erste Stunde des
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neuen Tages an. Jetzt gab Kompanietruppführer Mertens, der im Kompanie Gefechtsstand zurückgeblieben war, das Stichwort „Nebel“ für das begonnene Unternehmen an das Bataillon durch. * Gebückt tastete sich Unteroffizier Dirks durch den Nebel vorwärts. Dicht folgten ihm die beiden Männer. Der feuchte Dunst legte sich beklemmend auf die Lungen. Beim Russen war alles still. Unvermittelt blieb Dirks stehen. Sie hatten die ersten toten Russen erreicht, die während des vergangenen nächtlichen Vorstoßes im Abwehrfeuer liegengeblieben waren. Hier begannen die Wiesen morastig zu werden. Weiter. Vormann ging jetzt fast neben Hellmer. Er hatte Angst, irgendwie die Kameraden zu verlieren. Er ließ die sich schemenhaft wenige Meter voraus bewegende Gestalt des Unteroffiziers nicht mehr aus den Augen. Krampfhaft hielten seine Hände das Sturmgewehr umklammert. ,Wenn sie uns nur nicht schnappen’, dachte er fortgesetzt. Der Gedanke, von den Russen gefangen zu werden, war ihm furchtbar. Wieder verhielt Dirks sichernd und ließ sich langsam zu Boden gleiten. Augenblicklich, ohne ein Wort, folgten ihm automatisch die zwei Grenadiere nach. Vor ihnen waren die undeutlichen Umrisse einer schwarzen Masse aufgetaucht. Es war jener Panzer, den der Gefreite Bartels mit der Panzerfaust abgeschossen hatte. Vorsichtig schoben sich die drei, Mann hinter Mann, heran. Dann standen sie am Heck des mächtigen Kampfwagens. Scheu blickte Vormann auf die riesige Panzerkuppel, aus der das lange Rohr des 7,62 cm-Geschützes starr zur deutschen Stellung drohte. Noch immer hatte der längst tote Koloß etwas Unheimliches an sich, erst recht jetzt bei Nacht. „Daß mir keiner nachhängt und verloren geht. Und bloß nicht schießen, wenn sich irgendwo was rührt. Los weiter!“ flüsterte Dirks 23
und machte eine aufmunternde Handbewegung. Mit behutsamen Schritten schlich er weiter. Er hielt nun die Kompaß-Bussole in der Hand, um sich nicht im Kreise zu bewegen. Quatschend gab der sumpfige Wiesenboden unter jedem Tritt nach. Sonst war nichts zu hören, alles blieb totenstill. Es war, als wären die drei Männer allein auf der Welt. Ihre Sinne wurden fast schmerzhaft wach und blieben angespannt. Dirks zählte in Gedanken die Schritte. Vormann stieß mit dem Fuß an irgendeinen metallenen Gegenstand. Es gab einen klirrenden Ton, der überlaut zu hallen schien. Wie angewurzelt blieben sie stehen. „Dussel!“ fauchte Hellmer leise zurück. Auch Dirks hatte sich erschrocken umgesehen. Doch alles blieb ruhig wie zuvor. Nach einigen hundert Metern vorsichtigen Pirschens erreichten sie einen kleinen Wassergraben. Er mußte ungefähr parallel zu ihrer Stellung verlaufen. Dirks hielt erneut an. „Bis jetzt dürften wir richtig sein. So ungefähr in der Mitte“, wisperte er seinen Männern zu, „wir müssen bald nach links abbiegen, damit wir den russischen Hauptstellungen nicht zu nahe kommen. Sicher hat der Iwan einige Löcher ziemlich weit vorn liegen, die er bestimmt in der Nacht besetzt hält.“ „Wenn wir bloß schon an der Miete wären, Unteroffizier.“ Aus Hellmers Worten klang deutliche Angst. Es war ihm, als wären sie schon zu weit auf die russischen Linien zugelaufen und müßten jeden Augenblick darauf prallen. „Mach dir nicht in die Hose“, raunzte Dirks, „wir werdens schon schaffen. Los, kommt!“ Das Gelände stieg jetzt leicht an. Der Boden wurde trockener. Plötzlich — was war das? Sie standen wie erstarrt. Leise Geräusche drangen durch den Nebel. Lautlos sank der Unteroffizier zu Boden. Dumpf schlurfende Schritte näherten sich. Unwirkliche Schatten tauchten auf, kamen näher, bewegten sich wie böse Gespenster auf die drei deutschen Soldaten zu.
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Eng an den Boden gepreßt, mit entsicherten Waffen, starrten die Stoßtruppmänner den deutlicher werdenden Gestalten entgegen. Sie wagten kaum zu atmen. Dirks fühlte, wie ihm trotz der Kälte der Schweiß aus allen Poren trat. ‚Jetzt — jetzt haben sie uns’, dachte Vormann und biß sich vor Aufregung die Lippen blutig. Auch dem sonst ruhigen Hellmer klopfte das Herz bis zum Halse hinauf. Russen — ja — es waren wirklich Russen! Sie hielten an und blieben einige Meter vor ihnen stehen. Der vorderste der Iwans hob den Arm. „Dawai!“ sagte seine gutturale Stimme jetzt gedämpft. Die Reihe der nachtschwarzen Gestalten setzte sich wieder in Bewegung, gleich mußten sie vor den flach hingeduckten Deutschen stehen... Da bogen sie nach rechts ab. Zwei, vier, fünf, acht Mann — einer hinter dem andern — so verschwamm ihre Reihe wieder im Nebel. Dirks blieb noch immer liegen. Er konnte es noch nicht fassen, daß der russische Spähtrupp sie übersehen hatte. Wären die Iwans nur noch einige Schritte näher gekommen, hätte er geschossen. Und dann hätte das Unternehmen „Nebel“ ein schnelles und vorzeitiges Ende gefunden. Ganz abgesehen davon, was aus ihnen geworden wäre. Er wischte sich mit dem Rockärmel über die schweißnasse Stirn. Trotz der Kühle der Nacht war ihm siedendheiß geworden. Es kam ihm erst jetzt so richtig zum Bewußtsein, in welch schwieriges Unternehmen er sich eingelassen hatte. In der eigenen Stellung und bei Tage, ja, da sah alles viel anders und leichter aus. Jähe Furcht überfiel ihn. Unruhig wanderten seine Augen umher. Nichts als undurchdringlicher Nebel. Kein Laut. Verzweifelt kämpfte der Unteroffizier gegen das lähmende Angstgefühl, das ihn überfallen hatte. Er durfte jetzt nicht versagen. Schon wegen der beiden Männer nicht, die hinter ihm lagen. Sie vertrauten ihm, seiner Sicherheit und seinem Geschick. Er dachte an sein Glück, das er schon oft gehabt, und das ihn bisher nicht verlassen hatte. Er redete sich selber Ruhe und Zuversicht ein. Es mußte einfach gelingen.
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Das heftige Klopfen in den Schläfen ließ nach. Auch der ekelhafte Druck im Magen wich langsam. ,Zusammenreißen’, sagte er zum wiederholten Male zu sich selber und suchte seine Gedanken zu konzentrieren. Er gab den beiden Männern, die noch immer regungslos ein paar Meter hinter ihm lagen, ein Zeichen. „Schwein gehabt!“ grinste Hellmer verzerrt, als er herangekrochen war. Dirks horchte in sich hinein, dann lachte er leise. Ob es wirklich Gedankenübertragung gab? Ruhig antwortete er: „Kann man wohl sagen! Aber das gehört nun mal mit dazu. Weiter jetzt! Dicht aufgeschlossen bleiben!“ Mit größter Vorsicht schlichen sie vorwärts. Wieder kam ein Wassergraben. Der Unteroffizier blieb kurz stehen und wandte sich dann nach links, dem Graben folgend. Nach etwa hundert Metern ging er in Hockstellung. „Hinlegen!“ bedeutete seine Hand den zwei Grenadieren. Stumm sanken diese zu Boden. Unteroffizier Dirks hatte erneut Laute gehört. Es mußten Stimmen sein. Jedes Geräusch vermeidend, robbte er Meter für Meter vor. Ja, es waren tatsächlich Stimmen. Sie ließen sich gut unterscheiden. Russisch! Ein gelber Stern zischte in allernächster Nähe hoch und versprühte sein grelles Magnesiumlicht. Verdammt, sie waren doch zu nahe an die russischen Stellungen geraten. Ratternd setzte mit seiner langsamen Schußfolge ein schweres Maxim-MG ein, das wahllos die Gegend abstrich. Dirks konnte deutlich das züngelnde Mündungsfeuer erkennen. Er schob sich zurück. Ganz langsam erst, dann schneller und schneller. Vormann und Hellmer robbten ebenfalls in Eile zurück. »Verdammter Mist!“ zischte der Unteroffizier ihnen zu. „Der Wassergraben führt direkt zum Iwan. Wir müssen weg hier. Stärker links halten!“ In diesem dichten Nebel verlor man doch alles Gefühl
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für Richtung und Entfernung. Da war auch der Kompaß nur eine schwache Hilfe. „Da!“ wisperte Vormann und wies mit dem ausgestreckten Arm nach hinten. Bleich schimmernd verhuschten drei Leuchtkugeln. Dort, wo sie hochgegangen waren, mußte die Stellung der Kompanie sein. Dirks versuchte die Entfernung zu schätzen. Den Leuchtzeichen nach waren sie also scheinbar zuerst zu weit rechts abgekommen, dann geradeaus gelaufen, und der Wassergraben hatte sie schließlich schräg nach links zur russischen Stellung geführt. Daß er zudem die Uhr unbeachtet gelassen hatte, ärgerte den Unteroffizier besonders. Sie zeigte schon fünfzehn Minuten vor zwei. Eine dreiviertel Stunde waren sie jetzt unterwegs. Und in einer knappen halben Stunde kam schon der Feuerschlag der eigenen Artillerie. Wenn es bis dahin nicht gelungen war, an den Panzer-Bunker bei den Birken heranzukommen, war mit einem Gelingen des Unternehmens nicht mehr zu rechnen, dann gerieten sie vielleicht selbst in das deutsche Granatfeuer. Das Maxim-MG hatte aufgehört zu schießen. „Los!“ sagte Dirks nur und ging, sich nun schräg links haltend, voran. In kurzem Abstand folgten Hellmer und Vormann. Alle drei hielten jetzt kaum mehr an. Nur die Leuchtkugeln, die hin und wieder aufstiegen, ließen sie jedesmal für Sekunden erstarren. Unteroffizier Dirks war wieder völlig der alte. Ruhig, mit wachem Instinkt, strebte er zielsicher vorwärts. In ihm lebte nur mehr der Auftrag, den es zu erfüllen galt. Jedes dumpfe, unsichere und ängstliche Gefühl hatte er abgestreift. Vormann holte seinen Kameraden ein. „Du“, rempelte er Hellmer an, „der Unteroffizier hat jetzt aber einen Zahn drauf.“ „Wenn wir uns nicht wieder verfranzen, kann’s mir nur recht sein. Bin froh, daß wir vorankommen. Je eher die Sache erledigt ist, desto lieber.“ „Meinst du, daß wir die Miete noch finden?“ „Nee! Er wird sie auch gar nicht mehr suchen. Wahrscheinlich
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will er jetzt direkt zu den Birken. Nach denen kann man sich ja dann am besten richten. Aber frag doch nicht dauernd.“ Dirks drehte sich wütend zurück und pfiff sie halblaut an: „Psssstt, haltet endlich die Klappe!“ Vormann ging wieder auf Abstand. Nachdem er sich von dem Schreck, den ihm der russische Spähtrupp eingejagt, erholt hatte, war auch ihm der Gang im Nebel nicht mehr gar so unheimlich wie vorher. Der Unteroffizier wußte schon, was er wollte. Er würde sie richtig führen. Und das war gut so. Neuerdings stiegen drei Leuchtkugeln von der deutschen Stellung auf. Eine in der Mitte, weit links zurück die zweite und rechts, vom Standpunkt der drei Männer aus gesehen, halblinks voraus eine dritte. Zeigte vor allem das dritte Leuchtzeichen nicht wie rein zufällig eine Begrenzung an? Innerlich dankbar, orientierte sich Dirks nach den Signalen. Es bestand für ihn kein Zweifel, daß ihm Leutnant Hofer damit helfen wollte, sich zurecht zu finden. Die rechte Leuchtkugel war wahrscheinlich beim Feldweg abgeschossen worden, der geradeswegs zur Birkenallee und zum Panzer-Bunker der Russen führte. Nach der Entfernung zu schließen, mußten sie sich bereits in Höhe des feindlichen Stützpunktes befinden und konnten nicht mehr allzu weit davon entfernt sein. Dirks beschloß, geradeaus weiterzulaufen. Er hatte es längst aufgegeben, nach der Strohmiete zu suchen. Die Zeit drängte. Außerdem war es besser, sich dort nicht der Möglichkeit einer neuen, unerwarteten Überraschung auszusetzen. Wie leicht konnte an der Miete ein Vorposten hocken. Sie überquerten einen Acker. Ein leises Knarren ließ den Unteroffizier zusammenfahren. Es hörte sich an, als wenn ein gebrochener Ast im Nachtwind schaukelte. Dirks machte behutsam noch zwei Schritte vorwärts. Der lehmige Ackerboden war zu Ende. Er stand auf einem Feldweg. Die Birkenallee! Jetzt ließ sich auch ein Stamm erkennen, der wenige Meter entfernt dunkel aufragte. Von dort kam auch das Knarren.
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Einen Augenblick stand Dirks still, dann war er an der Seite Hellmers, der ihm zunächst stand. „Hellmer, nun gehts um die Wurst. Wir sind an der Allee!“ Er raunte dem herantappenden Vormann zu: „Hellmer geht weiter mit mir, und Sie sichern hier, bis er zurückkommt. Merkt euch beide gut den Feldweg. Von hier aus müßt ihr direkt zur Stellung zurück, wenn meine Ladung detoniert. Um mich braucht ihr euch nicht zu kümmern. Los, Hellmer!“ „Paßt gut auf, daß niemand von hinten kommt“, meinte Hellmer noch zu Vormann, als sich dieser auf die Erde niederließ. „In Ordnung. Machts gut!“ * Dirks nahm den Weg über den Acker. Auf dem Feldweg entlang war es ihm zu riskant, dort konnte man zu leicht an Steine stoßen. Auch hätten sie jeden Augenblick auf einen Horchposten treffen können. Daß einer im schlammigen Ackergrund lag, war weniger anzunehmen. Nur mühsam kamen sie vorwärts. Hellmer glitt einmal aus und stürzte der Länge nach in eine breiige Wasserlache. Einen Fluch unterdrückend, erhob er sich wieder. „Schafskopf!“ knirschte Dirks durch die Zähne. Wenn ein Russe in der Nähe lag, mußte er das Geräusch gehört haben. Aber es blieb still. Dirks kroch jetzt auf allen Vieren. Er fühlte nicht, wie ihm das Wasser in die Stiefel rann und die brackige Feuchtigkeit sich in seine Kleider sog. Automatisch tappten seine Hände in die schmierige Erde voraus. Die Beine halfen nach. Ruckartig, fast geräuschlos. Was Hunderte von Malen geübt und oft erprobt war, bewährte sich auch diesmal wieder. Ihm fielen die Worte seines fronterfahrenen Ausbilders ein: ,Wie die Schlangen müßt ihr euch auf dem Boden bewegen können, sonst seid ihr im Gelände aufgeschmissen und kriegt früher eins verpaßt, als ihr glaubt!’ Der Feldwebel hatte gewußt, warum er den Rekruten bei der Gefechtsausbildung nichts geschenkt hatte. Unablässig suchten die Augen des Unteroffiziers in der Dunkel29
heit. Manchmal mußte er sie schließen, wenn sie vor Anstrengung zu tränen begannen. Da — ein dunkles, formloses Etwas zeichnete sich in der nebligen Nacht ab. Es war einfach da. Wie ein großer, schwärzlicher Fleck in der grauen Nebelwand. Es blieb da, auch wenn man die Augen schloß und wieder aufmachte. Dirks blieb platt auf die Erde gedrückt liegen. Er atmete tief. Ein Prickeln durchlief ihn. Das konnte nur der Panzer-Bunker sein. Er mußte es sein! Hellmer hatte sich neben ihn geschoben und sah gebannt nach vorn. ,Wir sind da’, dachte er erleichtert, und dann überfiel ihn ein plötzliches Bangen vor dem Kommenden. „Das ist er!“ Dirks’ Stimme war kaum zu vernehmen. „Kriechen Sie zurück und holen Sie Vormann. Hundert Schritte weit. Den Feldweg gut absichern. Ich darf nicht von hinten überrascht werden. — Nur wenns nicht anders geht, schießen. Aber erst dicht herankommen lassen. Und Ruhe, Ruhe! Her mit der geballten Ladung!“ Hellmer schob ihm die gebündelten Stielhandgranaten zu. Die Sprengpäckchen trug Dirks bereits selbst bei sich. Er wartete noch ab, bis er den sich zurückschiebenden Hellmer weit genug entfernt glaubte. Dann arbeitete er sich Meter um Meter vorwärts. Der Fleck vor ihm wurde größer und nahm feste Formen an. Drohend wurden die Konturen eines großen Panzers sichtbar. Dirks schnellte über den Feldweg, bis zu dem er herangekrochen war. Als er wieder lautlos niederglitt, griff seine Hand in kalte, feuchte Eisenteile. Es war ein Stück der zerrissenen Raupenkette, die der Panzer nach dem Treffer abgerollt und noch einige Meter mitgeschleift haben mochte, ehe er zum Stillstand kam. Jetzt lag Dirks dicht vor dem Panzer. Nichts war an dem Stahlkoloß zu sehen und zu hören, was im Augenblick hätte bedrohlich werden können. Der Turm war etwas zur Seite geschwenkt, und die Kanone zeigte irgendwohin ins Vorfeld. Das Fahrgestell stand seitlich schräg, als lehnte es sich schwer an den dahinterstehenden Stamm
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einer Birke, um nicht in der weichen Wiese zu versinken. Kurz entschlossen sprang der Unteroffizier hoch. Er war heran. Wie über seine eigene Kühnheit betroffen, duckte er sich sofort wieder und lauschte in das trübe Dunkel. ,Seltsam, wie einfach das doch gegangen war’, dachte er noch. Ein Klappern schreckte ihn zusammen. Stimmengemurmel. Ganz langsam und vorsichtig zog sich Dirks an den freiliegenden Laufrollen zum Bug des Panzers, der zu den russischen Linien gewandt lag. Hinter ihm mußte der Laufgraben beginnen, den Feldwebel Gärtner von seinem I. Zug aus beobachtet hatte. Nur für Sekunden schob Dirks seinen Kopf an der vordersten Laufrolle vorbei. Blitzschnell zog er ihn wieder zurück. Die glimmenden Pünktchen, die nur von Zigaretten stammen konnten, hatten ihm genug gesagt. Der ganze Laufgraben war vollgepfropft mit Russen. Ein eisiger Schreck durchfuhr den Unteroffizier. Im Laufgraben stellte sich sowjetische Infanterie zum nächsten Angriff bereit! Bei Tagesanbruch würde sie vorbrechen, das war klar. Nur mit Mühe unterdrückte der Unteroffizier seine Erregung. Was sollte er tun? Sollte er sofort zurückrennen? Melden, was er gesehen hatte? Die Kameraden rechtzeitig warnen? Ja, die eigene Artillerie müßte hier hineinschießen. Aber die wußte ja nichts davon, was sich am Panzer-Bunker tat. Sie würde ihren Feuerschlag nach rechts hinüberlegen. Aber, wenn er jetzt zurücklief, dann war vielleicht die einzige Chance, den Bunker zu erledigen, versäumt. Gerade jetzt, wo er direkt herangekommen war. Morgen schon würde der Iwan, wenn er nicht durchkam mit seinem Angriff, den Panzer-Stützpunkt weiter ausbauen, und das Feuer daraus mußte sich auf die eigene Stellung verheerend auswirken. Nein, das durfte nicht sein. Er, Unteroffizier Dirks, mußte bleiben und zuerst das gefährliche Feindnest erledigen. Es mußte gesprengt werden. Diese Gedanken wirbelten ihm durch den Kopf. Er biß die Zähne zusammen. Eiskalte Entschlossenheit war in ihm. Hastig rutschte er an der Seitenwand des Panzers entlang zum
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Heck, das der eigenen Stellung zugekehrt lag. Mit fliegenden Händen tastete er den Boden unter der Wanne des Panzers ab. Schwarz gähnten ihm Schießscharten unter dem Panzer aus der aufgewühlten Erde entgegen. Dirks wagte keine Bewegung mehr. Wo war die russische Stützpunktbesatzung dieses Panzerwracks? Entweder schliefen sie im Panzerinneren, oder der Stützpunkt war zu dieser Nachtstunde noch nicht besetzt? Dirks überlegte. Eine schlimme Sache, wenn man sich kaum rühren und bewegen durfte. Wie es auch sei — der Stahlkoloß mußte in die Luft gehen. Die Päckchen, die er mitführte, waren hochexplosiver Sprengstoff. Nach innen zu, wo das Laufwerk des Panzers begann, gut angebracht, müßte es eigentlich reichen.
Mit einem flauen Gefühl im Magen begann er, jeden Handgriff sorgsam überlegend und berechnend, leise zu arbeiten. Jeden Augenblick konnte er entdeckt werden. Dann war es aus mit ihm. Er hielt inne und preßte sich ganz eng an das Laufwerk mit den fünf großen Rollen heran. Schritte kamen näher, hielten an. Keine
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zehn Meter von ihm entfernt. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Ein plötzlicher Hustenanfall plagte ihn. Er bezwang sich mit einer Energie, die ihn schwitzen ließ. Zwei Männer standen in der Nähe des Panzers. „Na, Bruderherz“, sagte der eine, „morgen um diese Zeit stehen wir nicht mehr an dieser windigen Ecke, die uns schon soviel gekostet hat. Morgen abend rollen wir bereits durch Veszprem oder gar noch weiter. Das wird eine Jagd, meinen Sie nicht auch, Genosse Kapitän?“ Der andere brummte verdrießlich: „Ich bin noch nicht so sehr davon überzeugt, Genosse Kommissar! Mit den Deutschen ist nicht zu spaßen. Als wir durch die Karpaten stießen, glaubten wir auch schon, es sei mit ihnen zu Ende. Und was haben wir dann erlebt?“ „Sie haben wohl Angst?“ fragte die andere Stimme ironisch und bekam dann einen drohenden Unterton: „Das ist aber nicht gut für einen Kapitän der siegreichen Roten Armee. Kein Wunder, daß unsere Soldaten müde werden, wenn schon die Offiziere Furcht zeigen.“ „Ich habe keine Angst. Das habe ich nicht gesagt. Ich meinte nur, daß es morgen nicht leicht werden wird. Der Kampfgeist bei uns ist schlecht. Die Disziplin ist locker geworden. Es ist alles anders, als noch vor einem Jahr. Es wird auch Zeit für uns, daß dieser Mistkrieg sein Ende nimmt.“ „Dann müssen Sie eben mit dazu beitragen, Genosse Kapitän. Und — Ihre Gedanken vergessen Sie lieber, damit Sie nicht anstekkend wirken. Ich will das nicht gehört haben, was Sie eben sagten...“ Langsam gingen die beiden Männer weiter und entfernten sich wieder. Aufatmend löste sich Dirks aus seiner unbequemen Lage und streckte die verkrampften Glieder. Er hatte — außer, daß der eine der Russen Hauptmann und der andere Kommissar war — kein Wort verstanden. Fieberhaft arbeitete er verbissen weiter. Endlich war es soweit. Mit zitternden Fingern verband er die Sprengkörper untereinander und stellte die Zündung ein. Von hinten klangen Abschüsse. Mit einem gehetzten Blick sah Unteroffizier Dirks auf das Leucht-
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zifferblatt seiner Uhr. Es war 2 Uhr 15. Der Feuerschlag der eigenen Artillerie begann. Über ihm war ein Rauschen und Singen in der Luft. Krachend schlugen die ersten Granaten in die russischen Stellungen drüben am Dorfrand ein. Dirks sprang auf, die geballte Ladung in den Händen. Mit einem kurzen Ruck zog er die Abreißschnur und warf mit weitausholendem Schwung das Handgranatenbündel am Panzer vorbei zum Laufgraben hin. Wilde Aufschreie wurden von einem berstenden Schlag und spritzendem Feuer zerrissen. Ohne sich umzusehen, jagte Dirks mit langen Sprüngen den Feldweg zurück. Er hörte nicht mehr das Aufrauschen der Maschinenpistolen, die Flüche der erschrockenen russischen Posten an den Bäumen der Birkenallee. ,Nur zurück, sonst kriegen sie mich noch’, dachte er. Nichts mehr sonst, nur dieser eine Gedanke beherrschte ihn. Wie feurige Hornissenschwärme fuhren die Garben der Leuchtspurgeschosse an ihm vorbei. Ein Mensch lief um sein Leben. * In eine tiefe Ackerfurche geschmiegt, lagen Hellmer und Vormann. Mit wachen Augen starrten sie unverwandt in das träge Ziehen des Nebels. Flüsternd unterhielten sie sich. „Hier, nimm! Das tut gut!“ Vormann reichte dem Kameraden ein Stück Schokolade. „Ja, Goldjunge, wo hast du das bloß noch her? Ich dachte, du hättest schon längst alles aufgefressen!“ „Glaubst du. Aber man muß beizeiten immer eine kleine Reserve haben. Schließlidi fürchte ich den Kohldampf mehr als den Iwan.“ „Man müßte eben mal wieder nach Flause können. Heraus aus dem ganzen Dreck. Und sich wieder richtig den Magen vollschlagen. Und dann ins Bett. Mensch, hörst du, in ein richtiges weiches, weißes, warmes Bett! Ausschlafen. Kein Iwan weit und breit. In der Frü34
he bringt die Mutter das Frühstück...“ „Hör’ schon auf damit. Machst einen ja ganz verrückt —“ „Was der Unteroffizier jetzt wohl gerade macht?“ ließ sich Hellmer wieder hören. „Vielleicht haben sie ihn schon geschnappt. Ist auch wirklich nichts, so allein die Sache zu machen. Das hättest du mal erleben sollen, wie das unheimlich war bei dem Panzer. Ich sah noch, wie der Unteroffizier auf ihn zusteuerte. Gruselige Angelegenheit!“ „Und warum hat er dich nicht mitgenommen?“ „Dumme Frage! Weil ich auf dich Säugling aufpassen muß, damit dir nichts geschieht.“ „Angeber! Dabei bist du froh, daß ich neben dir liege. Deiner großen Klappe wegen hat er dich zurückgeschickt. Du hättest sie ja doch nicht halten können und wärest dem Iwan bloß unangenehm aufgefallen.“ „Ausgerechnet du mußt das sagen. Du hast’s nötig!“ Hellmer rückte sein Sturmgewehr zurecht und fuhr mit den Fingern über den matt glänzenden Lauf. Er ärgerte sich mehr und mehr, daß er zu Vormann zurückgegangen war. Er hätte doch bei Dirks bleiben sollen. Wenn auch gegen dessen Anweisung. Vielleicht würde er ihn gerade jetzt dringend brauchen. Unruhig stubste er Vormann am Arm: „Ob wir uns nicht doch ein kleines Stück weiter nach vorn machen sollen? Wir...“ Er unterbrach sich. Das waren doch Abschüsse. „Unsere Ari!“ sagte Vormann aufhorchend. Gespannt verfolgten sie das Flattern der Granaten, die jetzt über sie hinwegzogen. Dröhnende Einschläge folgten. Wieder fauchte es über die zwei Grenadiere hinweg, um in ein entferntes, platzendes Donnern zu münden. Dazwischen, fast nicht zu unterscheiden, doch näher und heller, flog eine Detonation auf. Aufgeregt war Hellmer hochgesprungen. „Das war der Unteroffizier!“ schrie er. „Ich hab’s deutlich gehört. So kracht nur eine geballte Ladung!“ Er sah nicht, daß in ihrem Rücken drei Gestalten aufgetaucht wa-
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ren, die gebückt auf dem Feldweg standen. „Vorsicht! Deckung!“ brüllte Vormann. Schon knallten peitschend seine Schüsse aus dem Schnellfeuergewehr. Erschreckt ließ sich Hellmer fallen. Keinen Augenblick zu früh. Die Gestalten am Weg hatten sich ebenfalls zur Erde geworfen. Knatternd schlug das Feuer aus ihren Maschinenpistolen herüber. Nun hatte auch Hellmer durchgezogen und hielt mit seinem Sturmkarabiner zwischen das aufzuckende Mündungsfeuer des Gegners. Während Vormann weiterschoß, nestelte Hellmers rechte Hand an den Taschen seines Tarnanzuges herum. Ganz langsam zog er die Beine an, suchte mit der Linken festen Halt, riß ab. Ein blitzschnelles Hochwerfen des Oberkörpers — und seine Eierhandgranate flog im flachen Bogen den russischen MPi-Schützen entgegen. Ein Donnerschlag zerriß die Luft. Hellmer drückte sein Gesicht in die nasse Ackererde. Ein stechender Schmerz war ihm in die Ohren gefahren. Nur ganz kurz. Ein hohes, feines Singen blieb zurück. ,Der Krach kann doch nicht von der Handgranate kommen’, ging es durch sein Gehirn. Er hob den Kopf und sah gerade noch zwei Mann am Feldweg hochspringen und hinter den Bäumen im Nebel verschwinden. Vormann kroch auf ihn zu. „Mensch, ich habe geglaubt, das Trommelfell platzt mir. Da schau hin!“ Hellmer wandte sich um. Roter Feuerschein drang durch den Nebel und verbreitete eine unwirkliche Helligkeit. „Junge, Junge!“ kam es von den Lippen Hellmers. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er in den roten Dunst. „Wenn’s bloß nicht den Unteroffizier erwischt hat. Der PanzerBunker muß ja in tausend Fetzen sein!“ „Du, einen von den Iwans hat’s erwischt!“ sagte Vormann. Sie standen auf und gingen rasch auf den dunklen Körper zu, der quer auf dem Feldweg lag. Hellmer sicherte mit schußbereitem Gewehr, während Vormann sich niederbeugte.
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Der Russe war tot. Die Handgranate mußte direkt vor ihm detoniert sein. Mit schnellem Griff fand Vormann die Papiere des Toten und steckte sie zu sich. Er sagte: „Gut, daß du gleich die Handgranate geworfen hast. Das hat sie auf den Trab gebracht. Ich habe dich noch werfen sehen. Aber dann habe ich die Augen zugemacht, weil es so höllisch krachte. Ich dachte, es wäre ein Kurzschluß der eigenen Ari gewesen. Als ich dann wieder aufschaute und schießen wollte, waren die Iwans verschwunden.“ „Mich hätten sie beinahe erwischt, wenn du nicht gerade noch geschrien hättest.“ Ein dankbarer Ton lag in Hellmers Stimme. „Weil du aber auch herumtanzen mußtest wie ein Verrückter. Wärest du lieber in Deckung geblieben. Ich habe keinen kleinen Schreck gekriegt, als die Iwans so plötzlich dastanden...“ * Entlang der russischen HKL war es schlagartig lebendig geworden. Die Russen schossen, einen deutschen Gegenangriff vermutend, aus allen Rohren. Monoton hämmerten die schweren Maxim-MGs ihre langen Feuerstöße in die Nacht. In glühenden Streifen durchschnitten die Leuchtspurgeschosse die Nebelwand. Hellmer hatte Vormann am Ärmel gepackt. „Los, weg jetzt!“ Vormann zog den Kopf ein und warf das Sturmgewehr über den Rücken. Dann rannten sie auf dem Feldweg der eigenen Stellung zu. Plötzlich war die Luft von einem bösartigen Pfeifen und Brausen erfüllt. Ein hundertfältiges Rauschen, Zischen und Heulen versank in einem Wirbel von Detonationen. Das russische Sperrfeuer hatte eingesetzt. Lage um Lage gurgelte heran und fetzte in’s Niemandsland. Vormann wurde von einer unsichtbaren Faust erfaßt und zu Boden geschleudert. Nach Luft schnappend, rappelte er sich wieder hoch. Hellmer war schon neben ihm. Keuchend liefen sie weiter, warfen sich hin und sprangen wieder auf. 37
Erneut orgelte es heran. Stolpernd fielen sie in einen frischen Trichter. Heißglühend wischte es vorbei. Jaulende Splitter zogen über sie hinweg. Dicht nebeneinander lagen die beiden Grenadiere, so, als wollten sie sich wie Würmer in die frisch umgewühlte Erde verkriechen. Hellmer hob nur ein klein wenig den Kopf und schrie, als fürchte er, seine Worte, könnten in dem tosenden Wirbel untergehen, seinem Kameraden in’s Ohr: „Es ist nicht mehr weit. Auf, hier können wir nicht liegenbleiben!“ „Bist du verrückt?“ Vormanns Stimme überschlug sich. „Wenn wir da raus gehen, sind wir hin!“ Ein naher Einschlag warf Dreck und Erde über sie. Hellmer hatte sich sprungbereit erhoben. „Hier erwischt es uns genauso — auf!“ Taumelnd, mit fliegenden Pulsen, sprangen sie über den Trichterrand. Der beizende Rauch der Sprengwolken verschlug ihnen fast den Atem. Das Feuer der russischen Artillerie hatte nun auch die deutschen Stellungen erfaßt. Unaufhörlich schlugen dort Granaten aller Kaliber ein. Die ganze Wucht des zusammengefaßten Feuers der russischen Batterien, die für die geplante sowjetische Angriffsvorbereitung bereitgestellt waren, wurde frühzeitig wirksam. ,So muß die Hölle sein’, dachte Vormann. Stechend machten sich seine überanstrengten Lungen bemerkbar. Seine Knie wollten versagen. Japsend riß er sich hoch, wenn er niederstürzte. Wie ein Automat befolgte er die Schreie Hellmers, der neben ihm heiser brüllte: „Auf!“ — „Deckung!“ — „Auf!“ Ein jäher, schmetternder Schlag. Vormann fühlte sich hochgehoben und mit hartem Stoß zur Seite geworfen. Rote Sterne tanzten vor seinen Augen. Es wurde dunkel um ihn. Er hörte nur mehr ein Rauschen. ,So ist das also’, dachte er noch, ,wenn es einen erwischt. So also — kein Schmerz, nur das tiefe Rauschen, das einen wegtrug.’ Sein Unterbewußtsein zauberte ein Bild:
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Er lag in einem weißen Bett. Das Fenster stand offen, und er konnte die blühenden Bäume im Garten sehen, die sein Vater so liebevoll pflegte. Auf den Ästen hüpften die Vögel und zwitscherten in dem strahlenden Sonnentag. „Hast du noch Schmerzen?“ fragte die Mutter und legte besorgt die Hand auf seine heiße Stirn. Ihre guten Augen sahen ihn an. Nein, er hatte keine Schmerzen mehr. Er fühlte sich so sicher und geborgen. Wie gut das tat, die kühlende, weiche Hand der Mutter auf seiner Stirn. Wolfi stand da. Wolfi Hellmer. „Hör’ mal, da auf den Baum müssen wir rauf. Da findet uns der lange Heiner nie.“ Gewandt turnten sie durch das Gewirr der Äste. Er wollte sich gerade weiterschwingen, als ein dürrer Ast bedenklich knackte. Schnell versuchte er, einen andern zu erhaschen. Ein Krach. — * Vormann hatte die Augen geöffnet. Mühsam stüzte er sich auf. Seine Glieder schienen wie mit Blei gefüllt. Stickiger Qualm verzog sich. Wo war Hellmer? Quälende Angst überfiel ihn. Er lag allein, verlassen... Nein, er war nicht verwundet, nur der Luftdruck der einschlagenden Granate hatte ihm kurz die Besinnung geraubt. „Wolf — Wolf — Hellmer! Hellmer, wo bist du!“ schrie er verzweifelt. „H — e — 11 — m — e — r!“ Er kam wieder ganz zu sich. Hellmer war doch neben ihm gelaufen. Wo war er nur? War er schon voraus? Dieser Gedanke riß ihn hoch. Er achtete nicht mehr auf die Einschläge der Granaten. Er wankte los, rannte, lief wie ein gejagtes Wild, das die Todesangst vorwärtstreibt. Er lief solange, bis hilfreiche Hände ihn in ein schützendes Loch zogen. * 39
Als die donnernde Lohe vor ihnen auffuhr, hatte sich Hellmer hingeworfen. Vormann, der kurz vor ihm gelaufen war, konnte er nicht mehr sehen. Dampf und Dunst nahmen ihm die Sicht. ,Der muß ja direkt in den Sprengkegel der Granate hineingelaufen sein’, dachte Hellmer und wollte aufspringen. Stöhnend sank er zurück. Ein ziehender Schmerz lähmte sein linkes Bein. Richtig, er hatte ja einen kleinen Schlag am Oberschenkel verspürt, aber gar nicht weiter darauf geachtet. Es konnte nicht viel sein. Nochmals versuchte er, das Bein anzuziehen. Es gelang nicht. Wieder dieser Schmerz. Hellmer fuhr mit der Hand über die schmerzende Stelle. „Schweinerei!“ entfuhr es ihm. Die Hose war zerfetzt. Seine tastenden Finger fühlten eine klebrige Masse. Blut! Um ihn bebte und spritzte noch immer die Erde. Hellmer biß die Zähne zusammen. Auf die Ellenbogen gestützt, zog er sich mit kleinen Rucken vorwärts. Ein heftiges Brennen an der Hüfte peinigte ihn bei jeder Bewegung. Langsam verließen ihn die Kräfte. Bei einem großen Trichter angelangt, wurde ihm schwarz vor den Augen. Ein letzter Ruck, und er rutschte in die feuchte, tiefe Mulde. Erschöpft blieb er liegen. * Die Stellung der Kompanie Hofer war in einem Wirbel von Feuer und Rauch untergegangen. Halb taub, den Kopf ins Genick gelegt, saß der Leutnant mit angezogenen Knien in einem engen Deckungsloch. Eng an ihn gepreßt der Obergefreite Pollmann, der gerade vom Gefechtsstand gekommen war, als die Feuerwand vom Vorfeld in die Stellung sprang. Leutnant Hofer blieb von dem Getöse unberührt. Er hatte sich nach außen hin gegen jede Wahrnehmung abgekapselt. Diesem Erfolg einer oftmals geübten Selbstbeherrschung verdankte er in trüben Situationen einen ruhigen und klaren Kopf. Zwei Gedanken beherrschten ihn im Augenblick: Das Schicksal des Stoßtrupps — und der mögliche Sinn des wütenden Trommelfeuers der Russen. 40
Er ließ sich das Geschehen der letzten zwei Stunden nochmals durch den Kopf gehen und überlegte: Um ein Uhr war Dirks losgegangen. Bis kurz vor zwei Uhr hatte sich nichts gerührt. Für ihn, Hofer, war das eine ausgesprochene Nervenprobe. Nach dem kurzen Aufbellen des russischen Maschinengewehrs hatte ihn die Sorge, Unteroffizier Dirks könnte sich im Nebel verlaufen haben, dazu getrieben, den Kompanie-Abschnitt mit Leuchtzeichen abgrenzen zu lassen. Vielleicht war Dirks damit geholfen. Immerhin war es möglich, daß der Stoßtrupp die Leuchtraketen sehen und sich danach orientieren konnte. Nichts war schlimmer, als untätig den Ausgang einer angesetzten Unternehmung abwarten zu müssen, deren Gefahrenmomente man selbst genau kannte. Punkt 2 Uhr 15 hatte dann die eigene Artillerie zu schießen begonnen. Sechs Minuten lang. Dann kam alles so schnell, daß zu weiteren Überlegungen keine Zeit mehr blieb. Aufrasseln von Maschinenwaffen aus Richtung der Birkenallee her. Das mußte Dirks sein. War das Unternehmen mißlungen? Wieder Schüsse, jetzt näher. Eine gewaltige Explosion. Der Unteroffizier mußte es also doch geschafft haben. In den Löchern hatten die Männer geschrien und sich zugerufen vor Begeisterung: „Der Panzer ist hin!“ Gleich darauf aber war es zuckend ins Vorfeld gefahren. Die laute Fröhlichkeit der Männer war wie weggeblasen. Das wirbelnde Sperrfeuer der Russen trieb sie in ihre Deckungen zurück. Draußen mußten und würden jetzt die Kameraden um ihr Leben rennen, wenn sie nicht schon tot oder getroffen irgendwo lagen. Und dann hatte der Feuersturm urplötzlich nach den Löchern, Gräben und Unterständen der Grenadiere gegriffen. — ,Was war mit Dirks, was mit dem kleinen Hellmer und seinem Freund Vormann geschehen?’ dachte Leutnant Hofer weiter. ,Ob sie noch lebten. Und wenn sie verwundet waren? Nicht einmal helfen konnte man ihnen bei dem wilden Feuertanz. Wenn man nur wüßte, wie weit sie überhaupt noch gekommen waren. Womöglich lagen sie kurz vor der eigenen Stellung und warteten vergeblich auf Hilfe . . . Und warum trommelten die Russen in einem, in diesem Abschnitt
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noch nicht erlebten Ausmaß? Denn nicht nur die Kompanie und das Bataillon, sondern der gesamte Frontabschnitt der Division schien davon erfaßt zu sein. Sollte vielleicht gar die geglückte Sprengung des Panzer-Bunkers einen bevorstehenden Angriff der Russen frühzeitig ausgelöst haben? Denkbar war es schon. Die Sowjets, einen deutschen Angriffsstoß in ihren Bereitstellungsraum befürchtend, riegelten mit ihrer gesamten Artillerie das Vorfeld ab und verlegten ihr geplantes Vorbereitungsfeuer auf die deutschen Stellungen vor. — Er, Hofer, mußte jedenfalls auf der Hut sein, wenn das Feuer im Vorfeld nachließ. Sonst konnte er den Gegner in der Stellung haben, noch ehe seine Männer überhaupt zum Schuß kamen.’ Der Obergefreite neben ihm rührte sich nicht. Nur jedesmal, wenn ein Einschlag ganz in der Nähe lag und der Dreck ins Loch rieselte, zuckte er unmerklich zusammen. Der Leutnant stieß ihn an. „He, Pollmann! Gib mal die Leuchtpistole her!“ Obergefreiter Pollmann sah Hofer von der Seite an und griff in das Holfter am Koppel. „Glauben Sie, Herr Leutnant, daß sich was tut? Die Sauerei nimmt ja schier kein Ende mehr.“ „Rote Patrone!“ sagte der Leutnant nur. Er lud die Pistole und legte sie griffbereit vor sich hin. „Ob der Iwan angreifen will?“ ließ Pollmann nicht locker. „Zum Teufel, das weiß ich doch nicht. Möglich ist alles in dieser verdammen Nacht.“ Und im Selbstgespräch fuhr Hof er fort: „Wenn ich nur wüßte, wo Dirks mit seinen Männern ist. Wenn wir ihnen doch bloß helfen könnten.“ „Ich schaue mal nach!“ sagte Pollmann entschlossen und wollte hoch. Der Leutnant hielt ihn fest. „Keinen Unsinn, Mann! Sie bleiben hier! Da draußen erreichen Sie jetzt gar nichts bei dem Feuer.“ Schwupp! Eine Fuhre Dreck überschüttete die beiden. „Sehen Sie“, brachte Hofer spuckend heraus und war bemüht, die
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bröselige Erde zu entfernen, die ihm von hinten in den Kragen gefallen war. Im selben Augenblick hörten sie oben jemand schreien: „H — e — r — r L — e — u — t — n — a — n — t! Leutnant H — o — f — e — r!“ Pollmann war schon aus der Deckung. Gebückt sprang ein Mann auf ihn zu und kam neben das Loch zu liegen. „Wo ist der Leutnant?“ keuchte er. „Hier!“ schrie Hofer. Mit kräftigen Fäusten riß er den Mann an Pollmann vorbei zu sich in’s Loch. „Dirks“, stotterte der Grenadier atemlos, „Unteroffizier Dirks!“ „Was ist mit Dirks? Rede schon!“ „Der Unteroffizier Dirks ist zurück, Herr Leutnant! Vor ein paar Minuten sprang er unten beim Feldweg in eines unserer Löcher.“ Mit fahrigen Fingern zündete der Leutnant eine Zigarette an und steckte sie dem dreckverschmierten Gefreiten in den Mund. „Na — und? Was ist mit den anderen?“ drängte er. „Der Unteroffizier ist verwundet. Zwei Streifschüsse an der Schulter. Er hat mich gleich zu Ihnen geschickt. Auf dem Weg hierher schrie mir einer nach, Vormann sei auch schon eingetroffen. Ich bin gerannt wie ein Wilder und habe immer wieder gemeint, jetzt bin ich hin. Die hauen vielleicht heute her.“ Der Gefreite lächelte schwach und nahm einen tiefen Lungenzug. Er fühlte sich nach dem wahnsinnigen Lauf durch das Feuer jetzt sichtlich geborgen in der Deckung. Das Gesicht des Leutnants sah mit einem Male grau und verfallen aus. Er hatte mehr Sorgen um seine Stoßtruppmänner gehabt, als er sich zugestehen wollte. Jetzt kam die Reaktion. „Ich habe nicht mehr damit gerechnet, daß sie aus dem Höllentanz heil herauskommen“, sagte er mit brüchiger Stimme. „Und was hat der Unteroffizier zu Ihnen gesagt?“ „,Du mußt unter allen Umständen den Leutnant erreichen’, hat er gesagt. ,Die Russen haben sich für einen Angriff bereitgestellt. Der Laufgraben hinter dem Panzer-Bunker war voll von ihnen.’ Dirks
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will selbst noch kommen und melden, wenn er verschnauft hat und verbunden ist.“ Pollmann stand plötzlich aufrecht und lehnte sich aus dem Dekkungsloch. „Herr Leutnant“, rief er aufgeregt, „es hat aufgehört. Das Feuer liegt schon hinter uns.“ Hofer sprang auf. Er warf einen Blick in den sich verziehenden Qualm und Nebel. „Jetzt kommen sie!“ sagte er gepreßt. „Pollmann, los, zum Gefechtsstand! Geben Sie die Lage durch an das Bataillon. Auch alles, was sie eben über Dirks hörten. Und holen Sie den Kompanietrupp raus. Die schwache Stelle zwischen Bunker und schwerem MG verstärken...“ * Gleichzeitig mit Pollmann verließ auch Hofer mit dem Melder des II. Zuges das Deckungsloch. Das Grabenstück drüben beim Zug war nicht mehr da. An Steile des Erdaufwurfes, über den vor mehr als zwei Stunden Dirks mit seinen Männern die Stellung verlassen hatte, gähnte ein gewaltiger Trichter. Eben sprangen zwei Männer hinein und brachten ein leichtes MG in Stellung. Ein Schrei lief von Mann zu Mann, sprang von Loch zu Loch, hallte von Deckung zu Deckung, erbarmungslos aufrüttelnd: „Der Iwan!“ Erste Schüsse peitschten auf. Die Männer fluchten. Die Gruppenführer schrien heisere Befehle, schon halb verschluckt vom Losrasen der Maschinenwaffen. Gleißend verzitterten Leuchtkugeln vor der Stellung. Vom I. Zug herüber kam brüllendes Geschrei: „Urrä, Urrääää ...“ Leutnant Hofer schüttelte die Beklemmung, die ihn momentan gewürgt hatte, ab. Sein rechter Arm flog hoch. Steil zeigte der Lauf seiner Leuchtpistole nach oben. Ein mechanisches Durchkrümmen des Zeigefingers — und hoch über der Kompanie zersprang das rote Signal: 44
Sperrfeuer! Drei Männer kamen auf den Leutnant zugerast. Einer davon warf sich neben ihn. Es war Unteroffizier Dirks. Sie sprangen alle zusammen in den großen Trichter und warfen sich neben die feuernden MG-Schützen. Einer der Grenadiere riß eine Handgranatenkiste auf, die er mitgeschleppt hatte. Hofer zog den Abzug seiner Maschinenpistole durch. Vor ihnen brach es aus dem Nebel in dunklem Haufen. Mit wehenden Mänteln rannten die Russen heran. Das Abwehrfeuer zwang sie nieder. „Hellmer ist noch nicht da!“ Dirks schob ein neues Magazin in seine MPi. „Was sagen Sie da?“ fuhr ihn Hofer an. „Vormann hat ihn draußen verloren...“ Der Leutnant sagte nichts mehr. Er dachte nur: ,Vormann also, Vormann...’ Verschwommene Schatten kamen springend näher, sackten zusammen. Neue rannten aus dem Dunkel an. Polternd zerspritzten russische Handgranaten vor dem Trichter.
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Instinktiv duckten sich die Grenadiere mit ihrem Kompanieführer zusammen. Von hinten fegte ein kreischendes, durch Mark und Bein gehendes Jaulen heran. Huuuuiiiiüii... iiii... ii... fuhr haarscharf über die Köpfe ins Vorfeld, zerbarst mit höllischem Krachen... Nebelwerfer! — Das angeforderte Sperrfeuer! „Kinder, Kinder“, sagte Dirks, „da ist was fällig.“ „Aber verdammt knapp vor die Nase. Wenn sich da hinten nur einer um ein Geringes vertut, haben wir den ganzen Segen in der eigenen Stellung.“ Hofer duckte sich. Wieder zersprangen russische Handgranaten in gefährlicher Nähe. Ein MG-Schütze schrie auf. Ein Splitter hatte ihn getroffen. Dirks war sofort neben ihm und übernahm das Gewehr. Sein Feuerstoß fuhr in einige Russen, die von rechts anstürmten. „Handgranaten her!“ schrie der Leutnant. Ein Mann reichte ihm vier, fünf Stück. Links hatten die Russen fast die Stellung erreicht. Das Mündungsfeuer ihrer Maschinenpistolen richtete sich gegen den Trichter. Die ersten Handgranaten flogen ihnen von dort entgegen. Das deutsche Sperrfeuer hielt unvermindert an. Nirgends war den Sowjets bis jetzt ein Durchbruch geglückt. Dort, wo sie in die dünnbesetzten deutschen Stellungen eingedrungen waren, wurden sie in erbitterten Nahkämpfen wieder hinausgeworfen. Aufatmend stand Leutnant Hofer im Trichter, als sich im Vorfeld nichts mehr rührte und zeigte. „Beinahe wäre es schief gegangen“, meinte er zu Dirks, der neben ihn getreten war. Er horchte beruhigt in das Rattern der Maschinengewehre, die noch immer ihre Feuerstöße in den Nebel streuten. Er fuhr fort: „So ein Glück! Wenn die Russen nur dicht hinter der Feuerwand ihrer Artillerie gekommen wären, hätten sie glatt einen um den andern von uns aus nächster Nähe aus den Löchern schießen können. — Was haben Sie denn, Dirks?“ Der Unteroffizier hatte schwankend nach einem Halt gesucht. „Ach nichts — mir ist nur etwas übel. War ein bißchen viel auf einmal.“
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„Das glaube ich auch.“ Jetzt fiel es Dirks ein — er hatte sich ja noch gar nicht von seinem Unternehmen zurückgemeldet. Er raffte sich auf und setzte an: „Unteroffizier Dirks meldet...“ Ärgerlich wehrte der Leutnant ab. „Lassen Sie den Quatsch! Ruhen Sie erst mal aus und lassen sich richtig verbinden, Sie zittern ja am ganzen Körper.“ Hofer wandte sich zum Gehen. Dirks sah dem Leutnant müde nach. Er wußte, woran der Kompanieführer dachte. Ihm selbst machte ja mehr als seine Verwundung und Erschöpfung ein Gedanke zu schaffen: ,Wo war Hellmer geblieben?’ * Langsam schlief der Kampflärm am ganzen Frontabschnitt wieder ein. Störfeuer der eigenen Artillerie lag noch hin und wieder auf den russischen Gräben. Der Gegner antwortete gelegentlich schwach mit Granatwerfern. Leutnant Hofer ließ die Gruppenführer kommen und gab seine Befehle. Die Verwundeten mußten zurückgebracht werden, neue Schanzarbeit war unerläßlich geworden, die Munitionsfrage mußte gelöst werden. Es gab eine Unmenge Dinge zu tun, bevor der Tag anbrach und die Russen vielleicht wiederkommen würden. Einer der Grenadiere sollte Vormann holen, kam aber ohne ihn zurück und meldete: „Vormann ist draußen!“ Hofer glaubte, nicht recht zu hören. „Wo — draußen?“ fragte er, obgleich er nur zu gut wußte, was gemeint war. „Gleich, als die Iwans weg waren, ist er hinausgesprungen. Er ließ sich nicht zurückhalten. Er hat nur gesagt, er müsse Hellmer suchen und holen. Der Grenadier Borchert ging mit ihm.“ „So ein Narr! Der hat wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank! — Obergefreiter Maas! Sie nehmen sofort drei Mann und legen sich 47
zwanzig Meter vor die Stellung. In Abständen Leuchtkugeln schießen, damit die beiden zurückfinden können. Und sofort Meldung zum Gefechtsstand, wenn die zwei Kerle wieder zurück sind. Hoffentlich kommen sie überhaupt wieder. „So ein Narr, dieser Vormann!“ sagte Leutnant Hof er noch einmal vor sich hin, als er seinem Gefechtsstand zuging. „Wäre wirklich ein Wunder, wenn sie Hellmer noch lebend finden würden. Aber — ich kann Vormann verstehen. Hellmer war sein bester Freund. Hätte es selbst nicht anders gemacht.“ Neben ihm hinkte der verwundete Unteroffizier Dirks her. Er murmelte: „Hätte ich die zwei Jungen nur nicht mitgenommen...“ Hof er sah ihn an. „Machen Sie sich keine Vorwürfe, Dirks. Das hat keinen Zweck! Seien wir doch ehrlich: Das ganze Unternehmen war überhaupt nur infolge unserer dreckigen Lage zu verantworten. Daß es Erfolg hatte — gut! Und daß Sie und Vormann wieder zurückkamen, das war wirkliches Glück. — Und Hellmer? Jeder von uns hier draußen hat eben seine Zeit, und keiner weiß, wann sie abgelaufen ist. — Aber lassen wir das jetzt...“ „Sicher, Herr Leutnant! Aber von der Verantwortung kann einen doch niemand befreien. Immer wieder fragt man sich, ob man auch alles richtig gemacht hat, und ob es notwendig war, daß einer der Männer sterben mußte.“ „Lieber Dirks, Sie und ich, wir alle können nur versuchen, es richtig zu machen. Solange wir kleinen Soldaten uns noch verantwortlich wissen, solange werden wir auch nie leichtfertig handeln. Alles andere — das liegt nicht in unserer Hand. Und die ganze Verantwortung für diesen unsinnigen Krieg, das Sterben hüben und drüben, diese Verantwortung tragen ganz andere als wir beide. Wir haben den Krieg bestimmt nicht gewollt, wir alle nicht!“ Die lange Frühjahrsnacht wollte kein Ende nehmen. Tiefe Stille war an den beiderseitigen Fronten eingezogen. Es mochte so gegen fünf Uhr morgens sein. In einem Granattrichter im Niemandsland lag regungslos ein einsamer deutscher Soldat,
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der sich mit letzter Kraft in diese Deckung geschleppt hatte. Er hielt die Augen geschlossen. Die rasenden Schmerzen im Bein hatten aufgehört. Ein wunderbar leichtes Gefühl durchzog seinen Körper. Das Toben rings um ihn war versunken — nur Stille, wunderbar köstliche Stille umgab ihn. Grenadier Hellmer wußte nicht, wie lange er so gelegen hatte. Noch war das entsetzliche Bersten der Granaten um ihn gewesen. Eiskalt kroch es ihm zu den Hüften herauf. Vom Fieber geschüttelt, versuchte er sich aufzurichten. Es gelang nur schwer. ,Ich verblute ja’, dachte er erschrocken. Jede Bewegung verursachte ihm wütende Schmerzen. Stöhnend machte er seinen ledernen Hosenriemen los. Mit übermenschlicher Anstrengung band er damit den Oberschenkel ab. Dann warf ihn die Schwäche wieder zurück. Aber die Sinne schwanden ihm nicht mehr. Die Granateinschläge entfernten sich. ,Es hört auf — es hört auf! Bald holen sie mich. Ganz bestimmt werden sie mich suchen. — Ich muß mich bemerkbar machen, damit sie mich finden’.
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Diese Gedanken hatten ihm neue Kraft gegeben. Seine Finger krallten sich in die Erde. Mit zusammengebissenen Zähnen zog er sich zentimeterweise zum Trichterrand hinauf. Dann ließ er sich wieder zurückrutschen. Er hatte Geräusche gehört. Aus der Richtung der russischen Stellungen kamen sie. Leise klirrte Metall. Tappende Schritte. Dunkle Kehllaute. Jemand sprang in den Trichter, fluchte irgend etwas und trat auf Hellmer zu, der sich tot stellte. Ein Stiefel berührte ihn an der Schulter — dann stapften die Beine weiter. Auch am Trichterrand zogen sie vorbei. In langer Reihe, einer hinter dem andern — Russen. Zum Angriff vorgehende russische Infanterie! Hellmer hatte das Grauen gepackt. Wenn sie nur nicht entdeckten, daß noch Leben in ihm war. Nur nicht in Gefangenschaft geraten! Wieder zogen dunkle Schattenreihen vorbei. Vorn flackerte Gefechtslärm auf. Zuerst stockend, dann in zunehmender Stärke. Die Kompanie — die Kompanie stand im Kampf! Leuchtspur blitzte vorbei. ,Wie lange, brennende Schnüre’, dachte Hellmer. Jetzt stürmten die Sowjets. Wild klang ihr langgezogenes Urrä-Geschrei in den Ohren des Verwundeten. Dann glaubte Hellmer zu ersticken. Ein mißtönender Brüllton sprang ihn an und drohte, ihm die Besinnung zu nehmen. Sengend fuhr es um ihn in die Erde, brach mit furchtbarer Gewalt nieder, spie grelles Feuer ringsum. ,Unsere Nebelwerfer — nein — nur das nicht! Nur nicht von eigenen Granaten erschlagen werden.’ In flatternder Angst dachte er es. Schreiende Menschen rannten heran — einer, zwei sprangen in den Trichter, duckten sich neben seinem Körper zusammen. Russen, die Schutz und Deckung vor der deutschen Artillerie suchten. Dicht neben sich konnte er ihr heißes, stoßweises Atmen vernehmen. Er konnte nicht mehr denken. Nur sein Herz pochte laut und hämmernd und erinnerte ihn daran, daß er noch am Leben war. Am Trichter vorbei liefen feindliche Infanteristen zurück. Auch die zwei Russen neben ihm jagten wieder auf und stürzten davon. Mitten unter dem zurückgehenden Gegner schlug es ein — da —
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dort... Bis alles wie ein einziger wüster Traum vorbei und erloschen war. Hellmer lag wieder allein. Mit brennenden Augen starrte er in die Richtung, wo die deutschen Stellungen liegen mußten. Nicht allzu weit entfernt stand für Sekunden ein weißer Ball am nächtlichen Himmel. Eine Leuchtkugel. Ob sie gar ihm galt? Ob die Kameraden ihn jetzt suchten? Ein langgezogener Ruf ließ ihn wie elektrisiert auffahren. Rief man schon nach ihm? Oder narrte ihn die Einbildung? Nein — da war wieder dieser Ruf. Er klang näher. Nun hatte er auch ganz deutlich seinen Namen verstanden. Man suchte ihn wirklich. Er stützte sich mit beiden Armen auf: „H-i-e-r! H-i-1-f-e-e-e...“ Die Stimme versagte ihm. „Hellmer — Hellmer — wo bist du?“ schrie Vollmer und lief mit langen Sätzen der Stelle zu, woher der heisere Hilferuf gekommen war. Fast wäre er über die zusammengesunkene Gestalt gestolpert, die stöhnend vor ihm lag. „Borchert — da hier her!“ Der war schon heran und beugte sich ebenfalls über Hellmer. „Wolf — Wolf — wir sind da! Hörst du, wir bringen dich zurück!“ Hellmer gab keine Antwort mehr. Der ausgestandene Schreck, die übergroße Freude über die herankommenden Kameraden hatten ihn überwältigt. Eine tiefe Ohnmacht hielt ihn umfangen. Sie legten den Verwundeten auf eine mitgebrachte Zeltbahn und hoben gleichzeitig an. Schritt für Schritt, langsam und vorsichtig, gingen sie mit der schweren Last schwankend zurück. Die regelmäßig aufsteigenden Leuchtkugeln zeigten ihnen den Weg. Ein paar russische MG-Garben, wohl ausgelöst durch das laute Rufen, pfiffen über sie hinweg. Vor der eigenen Stellung trafen sie auf den Obergefreiten Maas mit seinen Leuten. Sie halfen den beiden ermatteten Männern beim
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Tragen. * Leutnant Hofer hatte seine Meldung an den Bataillonskommandeur beendet. Er hatte anschließend noch länger gelauscht. Jetzt legte er den Hörer auf den Kasten des Feldfernsprechers zurück und klingelte ab. Beinahe feierlich stand er auf und trat auf seine Unterführer zu, die sich im Gefechtsstand eingefunden hatten. „Freunde, jetzt haltet euch mal fest“, begann er lächelnd und machte eine kleine Kunstpause, „wir werden — herausgezogen. Morgen nacht werden wir abgelöst. Das heißt natürlich, wenn der Iwan bis dahin von uns noch etwas übriggelassen hat. Aber er wird schon...“ „Und was hat man mit uns vor, Herr Leutnant?“ platzte Unteroffizier Dirks dazwischen. Er saß, verbunden und mit bleichem Gesicht, in einer Ecke des Erdbunkers. „Vorerst wirklich nicht viel. Und mit Ihnen schon gar nicht, Dirks! Sie gehen heute noch im Morgengrauen mit den Verwundeten zurück und lassen sich erst einmal Ihre Schrammen auskurieren. Unteroffizier Menzel übernimmt einstweilen Ihren Zug. — Na, machen Sie nicht solch trauriges Gesicht. Glaubt Ihnen doch keiner, daß Sie nicht gern ins Lazarett abmarschieren.“ Der Bunkerraum füllte sich mit Verwundeten. Es roch stark nach Medikamenten, nach Blut und nassen Kleidern. Zwei Mann brachten eine neue Tragbahre. Es waren Vollmer und Borchert. Leutnant Hofer drängte sich zu der Tragbahre durch, auf der Hellmer still und bewegungslos, aber mit wachen Augen lag. Auch Unteroffizier Dirks war aufgesprungen und stand am Kopfende der Bahre. Seine rauhe, rissige Hand fuhr über das schweißnasse Gesicht des Verwundeten. Seine Augen leuchteten noch immer in ungläubigem Staunen. Er war wieder bei der Kompanie! Sie hatten ihn doch geholt! Alles, alles war gut! Hellmer bemühte sich, den Kompanieführer anzusehen. Er hob angestrengt den Kopf und fragte leise: „Ist es sehr schlimm, Herr 52
Leutnant?“ Hofer nahm die Hand des Grenadiers. „Aber nein, nicht viel. Ein paar Wochen Lazarett wird es halt kosten, und dann geht’s heim zu Muttern. Und jetzt geht Unteroffizier Dirks mit dir und den anderen Verwundeten gleich zurück. Werde wieder ganz gesund, mein Junge, und laß dir Zeit dazu...“ * Im grauenden Morgen standen drei junge Männer vor dem Gefechtsstand der Kompanie. Kein Laut drang von den russischen Linien herüber. Leutnant Hofer sah in die spitzen, eingefallenen Gesichter seiner beiden jungen Soldaten Vormann und Borchert. Er setzte an: „Ich wollte euch ja gehörig anpfeifen wegen eurer Eigenmächtigkeit gestern nacht...“ Er brach ab und sah hinaus ins Vorfeld, das aufgerissen war von zahlreichen Trichtern, und fuhr unvermittelt fort: „Versteht ihr, warum ich keinen Befehl geben konnte, nach Hellmer zu suchen? Ich trage die Verantwortung für jeden von euch; wie leicht hätte der Iwan noch draußen liegen können —“ Er sah den beiden Männern in die Augen: „Habt richtig gehandelt! Ich an eurer Stelle hätte es nicht anders gemacht! Einen Kameraden läßt man nicht im Stich!“ ENDE
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