Die beiden Naturforscher
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Die beiden Naturforscher
B
ei einem meiner Streifzüge durch Feld und W a l d lernte ich sie kennen, die beiden „Naturforscher". Ich traf sie am Wegrand über einen Eichenzweig^ebeugt, den sie zu sich heruntergebogen hatten. Neugierig untersuchten sie einen Eichapfel; die rötlich-gelbe Kugel saß wie ein Ball in Kinderhand auf der grünen Blattfläche. Daich stehen geblieben warund ihnen offenbar den Eindruck machte, als ob ich von Naturdingen etwas verstände, kamen wir ins Gespräch und zur Bekanntschaft, die uns nun öfters zusammenführen sollte. Ich erfuhr, daß der rundliche und kleinere Erwin und der aufgeschossene schmale Walter hieß. Der Titel „Naturforscher" •— das muß ich betonen •— stammte keineswegs von einer wissenschaftlichen Akademie — er war halb Spott-, halb Ehrenname, der ihnen von den Klassenkameraden angehängt worden war. Sie trugen ihn aber mit Würde. Natürlich hatte jeder der beiden Naturforscher daheim ein Aquarium und ein Terrarium, darin sie die Ausbeute von ihren Expeditionen in. die Wiesen und Wälder in Pflege hielten. Als Höhepunkt in ihrer bisherigen Forscherlauf bahn betrachteten sie den Augenblick, als ein Pärchen jener kleinen, bunten, lebendgebärenden Zahnkarpfen, die als Guppys bekannt sind und die ich ihnen geschenkt hatte, leibhaftige Junge zur W e l t brachte. Seitdem legten sie sich auch noch den Titel „Tierzüchter" zu. Die beiden Freunde hatten noch eine zweite Leidenschaft: sie verf schlangen Bücher. Ihre Phantasie lockte sie in Abenteuer und Unbekanntes : sie trieben mit wilden Südseehäuptlingen und mit Feuerländern Handel, streiften mit Holzfällern durch die Mammutwälder Kanadas und paddelten in Eskimokajaks auf Robbenjagd. So manches Reisebuch haben sie schon aus meinem Bücherschrank entliehen, und wenn sie es zurückbringen, unterhalten wir uns darüber und folgen auf dem Atlas den Wegen der großen Forscher durch Urwälder und Wüsten, über hohe Gebirge und zu unerforschten Küsten. „W"areni Sie auch schon in Afrika?" fragte Wolter eines Tages, als wir ^wieder einmal zusammen schmökerten. „Nein44, gestand ich, „so weit habe ich es noch nicht gebracht." 2
„Ach, wenn ich doch einmal dahin könnte 1" seufzte der Kleine, „und die Elefanten und Giraffen und Zebras-und Löwen zu sehen bekäme, die Karl Georg Schillings in dem Buch ,Mit Blitzlicht und Büchse' beschrieben hat." „Oder zum Amazonenstrom, zu den Krokodilen und Riesenschlangen, Papageien und Brüllaffen . . . " ergänzte der andere. „Ich las neulich, daß in Australien die seltsamsten Tiere der W e l t leben, die Beuteltiere, das Schnabeltier, der Molchfisch und noch andere," / „Ja, das stimmt", erwiderte ich, „in Australien gibt es eine Menge wunderlicher Tiere. Ich wünschte, ihr könntet in eurem Leben recht viel von all diesen Wundern der weiten Erde sehen. Aber um so seltsame Tiere der W e l t kennenzulernen, braucht man nicht gleich nach Australien zu reisen. Das könnt ihr viel leichter haben. Wenn ihr wollt, führe ich euch am Sonntag zu den Chiropteren . . ." Die beiden schauten mich groß an. Chiropteren? Davon hatten sie wirklich noch nichts gehört. Aber ich verriet ihnen nichts, sondern entließ die beiden Freunde mit der Vertröstung auf den kommenden Sonntag nach Hause.
In der Tropfsteinhöhle Hm Sonntag wandern wir zu dritt unser stilles Tal hinauf. Ein leichter Schnee ist in den letzten Tagen gefallen und hat eine dünne weiße Decke über den Boden gebreitet. Hier und da kreuzen mancherlei Tierfährten unseren Weg. Meine beiden kleinen Freunde kennen sich aus, sie scheinen recht gute Spurenleser zu sein. Ringsum herrscht Stille, in die nur selten ein Laut fällt — etwa, wenn der Bach auf seinem gewundenen W e g sich auf unsere Talseite herüberschwingt und wir sein unaufhörliches Murmeln und Plaudern vernehmen, wenn ein Trupp Schwanzmeisen schnirpsend durch das Weidengebüsch zigeunert oder ein Zaunkönig mäuschenhaft im Wurzelwerk der Ufererlen umherhuscht und die Welt schnicksend vor uns warnt. Nach einer Stunde etwa führt unser W e g den rechten Talhang hinauf. Der Hang ist mit Buchenstangenwajd bestanden, und hier ist es noch stiller als drunten auf der Talsohle. Einmal nur sehen wir ein paar Dompfaffen •— mit prächtig roter W^este die Männchen, schlicht blaugrau die Weibchen —>, die durch die Buchenkronen streichen und wehmütige Flötenpfiffe hören lassen. Dicht unterhalb der oberen Hangkante zweigt von unserem Weg ein kleiner, jetzt verschneiter und dem Unkundigen nicht bemerkbarer Steig ab. Über uns steigen steile Felskiippen aus dem Boden; an diese führt der kleine Pfad heran, und dann sind wir am Ziel unserer Wanderung. Am Fuße der Felswand öffnet sieh ein niedriges, 3
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knapp mannshohes Tor. Lange spitze Eiszapfen hängen an den Mauern oberhalb des Tores herunter, unter ihnen wachsen aus dem Boden kleine dicke Eissäulen empor. „Schaut euch das einmal genau an]" Ich weise mit dem Stock auf diese seltsamen Eisgebilde. „Gleich im Berg könnt ihr etwas Ähnliches sehen." „Ich weiß schon", antwortet einer der Buben, die schon einmal hier oben -waren, „aber die sind aus Stein, die Tropfsteine dort in der Höhle!" Ich nehme meine kleine Laterne aus dem Rucksack und zünde sie an. W i r müssen uns ein 'wenig bücken, als wir nun, einer hinter dem anderen, in das Dunkel des Berges treten. „O, hier drin ist's aber warm." Ganz hohl klingt dieser Ausruf hier in den Felsen. „Nun warm ist das eigentlich nicht", erwidere ich, „es kommt euch nur so vor, weil draußen einige Grad Kälte herrschen. Im Sommer würdet ihr es kühl finden. Die Temperatur in dieser Höhle schwankt innerhalb des Jahres nur um wenige Grad, im Durchschnitt liegt sie bei 8<—10 Grad über Null." Unsere Augen haben sich inzwischen an das schwache Licht gewöhnt, und wir können unsern Weg in das Innere des Berges beginnen. Zunächst geht es ein Stückchen abwärts. Dann macht der Gang eine Wendung, der feine Schimmer des Tageslichtes vom Höhleneingang her verschwindet, und "wir drei sind allein, umgeben nur von dem schwachen Leuchten unseres Lämpchens. Der Schein geistert über die W r ände, schwankt in zuckenden Schattenspielen, dringt einige Meter weit in die tiefschwarze Dunkelheit vor uns hinein und wird dann wie von einem ungeheuren, finsteren Rachen verschlungen. Der Höhlenraum, den wir durchwandern, verändert ständig seine Gestalt. Bald erweitert er sich zu einem hohen Saal, dessen-Decke klaffende Spalten durchziehen, bald wieder verengt er sich zu einem niedrigen Gemach. An einer Stelle kriechen wir tief geduckt eine Strecke weit durch einen kaum meterhohen Gang. Wo wir auch hinblicken, sind die Höhlungen und Hallen, die Klüfte und Spalten, die Nischen und die vom Wasser ausgeschwemmten Gänge von Tropfsteingehängen und aufstrebenden Säulen angefüllt. Es sind zauberhafte Bilder. In allen Größen und Stärken hängen die Steinzapfen von der Decke und von den AVänden herunter oder bilden wallende ^teinschleier, Vorhänge, erstarrte Wasserfälle. Vom Boden her wachsen ihnen andere entgegen. Immer neue, immer abenteuerlichere Formen tauchen im Schein unserer Lampe aus dem Dunkel. •—• Das haben die beiden „Naturforscher" nicht erwartet. So Weit ist noch keiner von ihnen hier vorgedrungen. Ihre spähenden Augen sind flinker als die 4
meinen; ihre Phantasie sieht Zwerge und Pferdeköpfe, Bäume und Türme und die kuriosesten Geschöpfe, die ich nicht sehe. „Wie ist so etwas möglich?" höre ich Erwins Stimme, der über ein paar Tropfsteinhöcker in den Felsen geklettert ist. Ich breite den Rucksack auf eine der Kalkbänke aus und stelle das Laternchen hoch auf eine der steinernen Konsolen, so daß der kleine Felsenraum von geisterhaften Schatten zerschnitten wird. „Wie diese Steinbildungen möglich sind? Das gerade wollte ich euch schnell erzählen, bevor wir "weiter wandern. Kommt her]" Die Buben hocken sich neben mich auf ihre Regenmäntel, die sie vorsorglich mitgebracht haben.
# „Diese Tropfsteine sind eine Bildung des Wassers", beginne ich meinen kleinen Vortrag. „Das Regenwasser, das vom Himmel fällt, sickert in den Boden, und wenn er durchlässig ist-, weiter durch die feinen Spalten und Risse des Kalksteins, aus dem unser Gebirge hier besteht. Dieses Sickerwasser enthält Kohlensäuregas, der Regen hat es aus der Luft aufgenommen. Dieses Gas verbindet sich nun, während es immer tiefer dringt, mit dem kohlensauren Kalk des Gesteins zu doppeltkohlensaurem Kalk. Der aber ist genau wie Zucker oder Salz im Wasser löslich. Das abwärtssickernde Wasser wird nun zu einer immer stärkeren Lösung von doppeltkohlensaurem Kalk und wenn dann dieses Siskerwasser — wie hier an der Höhlendecke •— wieder an die Luft heraustritt, verdunstet ein Teil des Wassers; das Kohlensäuregas aus dem ' doppeltkohlensaurem Kalk entweicht wieder in die Luft, und übrig bleibt der einfache, im Wasser nicht mehr lösliche kohlensaure Kalk und setzt sich an der Höhlendecke ab; er wird „ausgefällt"; wie der Chemiker dazu sagt. Es bilden sich also an den Stellen, an denen es sozusagen ständig durchregnet, kleine Kalkpickelchen, die im Laufe der Jahre und Jahrhunderte immer größer und zu den langen, herabhängenden Zapfen, eben den Tropfsteinen, werden. Es verdunstet natürlich nicht alles heraustretende Wasser; ein^Teil tropft herunter auf den Boden. Wenn ihr ganz still seid, hört ihr das leise Plätschern der Tropfen. Aus diesen niedergefallenen Tropfen1, aber setzt sich der feine kohlensaure Kalk wieder ab, bevor das Wasser von neuem in den Boden dringt. Ganz allmählich wächst so auch von unten her ein Tropfsteinwärzchen auf, "wird höher und hoher, bis es sich mit dem droben hängenden, herabwachsenden Zapfen verbindet. Die Säulchen oben und unten haben sehr seltsame Namen. Stalaktiten nennt man die Hängezapfen, Stalagmiten die Strebepfeilerchen. . . ." 5
„Das ist gewiß wieder Griechisch", platzt Erwin heraus. „Ja, die griechischen W ö r t e r stalagma ,der Tropfen' und stalaktos .tröpfelnd' stecken in diesen beiden Namen: Aber nun, aufl W i r wollen hier keine geologische Lehrstunde abhalten 1 Etwas ganz anderes will ich euch heute zeigen."
Das also sind die Chiropteren! Wir nehmen unsere Sitzpolster unter den Arm und wenden uns nach rechts. Ich habe den W e g mehr als ein dutzendmal zurückgelegt. Achtzig Meter tief geht es hier weiter. Dann stehen wir in der letzten Kammer der Höhle. Sie ist mäßig groß und einige Meter hoch. „So, Jungens, wir sind am Ziel." Ich richte den Schein der Lampe nach oben. Da hängen an der Decke und an den Wanden einzeln und in dichten Gruppen kleine dunkle Körper, schwarzbraune ungefüge Klumpen. „Sind das die -—• wie sagten Sie doch . . .?" fragen die beiden fast zu gleicher Zeit. „Ja das sind die ,Chiropteren', bestätige ich. „Auch das ist ein Fremdwort aus Griechischen und heißt Handflügler, sonst aber sa^t man einfach •—• Fledermäuse." „Ach, Fledermäuse sind das", ruft Erwin, und es klingt ein bißchen Enttäuschung mit. „Die kennen "wir. Weißt du noch, Walter, im Sommer abends an der Burgmühle, wie sie da immer herumflatterten? Ja, wie kommen die aber hierher?" \ „Immer eins nach dem anderen", bremse ich den Wißbegierigen. „Ich habe euch gesagt, ich führe euch zu einigen der seltsamsten Tiere der Welt und "will euch nun erzählen, warum ich sie so nenne." "Wir bleiben stehen, weil wir die wundersamen Tierchen genau beobachten wollen. „Ich muß schon ein bißchen weit ausholen, diesmal", sage ich. „Seht, Buben, wir Menschen glauben das Leben zu kennen, aber "wie wenig wissen "wir doch von ihm! Das Naturreich ist so unendlich groß und oft auch so verborgen, daß wir immer nur einen Teilbezirk überblicken l t o n n e n ' Das Lebendige aber ist in alle Hohen und Tiefen vorgedrungen, weil die Natur danach strebt, ihre Geschöpfe in immer weitere Gebiete vorzuschicken, auch wenn diese auf den ersten Blick für das Leben ungeeignet erscheinen. 4n unfruchtbaren Westen, auf den Schneefeldern der Polargebiete, auf hohen sturmumheulten, frostzerbissenen Berggipfeln, in der Grabesfinsternis der Tiefsee —- überall treffen -wir Vertreter des pflanzlichen oder tierischen Lebens an. Als sie im Wasser und auf dem Land zu einer gewissen Ausbildung gelangt waren, rüstete die Natur ihre Geschöpfe mit Mitteln aus, die es ihnen gestatteten, sich nun auch den Luftraum zu eigen zu machen. Schon im
Altertum der Erde, vor rund 3oo Millionen Jahren, traten die ersten fliegenden Lebewesen auf, es waren die Insekten und sie. sind bis heute die zahl- und artenreichsten tierischen Flieger geblieben. Aber auch bei den viel später- entwickelten Wirbeltieren hat die Natur in erstaunlichen Einfällen versucht, einigen von ihnen die Flugkünste beizubringen, Ihr habt Sicher schon von den fliegenden Fischen der warmen Meefe gelesen, die sich auf der Flucht vor ihren Feinden aus dem "Wasser emporschnellen und auf ihren ausgebreiteten Flossen bis zu hundert Meter weit durch die Luft gleiten können. Auch unter den Amphibien, die auf dem Lande und im Wasser leben, kennen wir einen Siegenden Vertreter, den Flugfrosch von Java, der seine stark vergrößerten Schwimmhäute als Fallschirm benutzt. Dort in der Zone wohnen auch die heute noch lebenden Flugkünstler unter den Kriechtieren, den Reptilien : es sind die FlugcWachen, kleine herrlich bunte Baumeidechsen, die an den Körperseiten bei Bedarf mit Hilfe ihrer Rippen eine Hautfalte als Fallschirm ausbrsiten können. Richtige Flieger aber, also nicht nur Gleiter und Fallschirmspringer, gab es unter diesen Reptilien, als im Mittelalter der Erdgeschichte in Europa krähengroße Flugsaurier über dem Jurameer kreisten und in Nordamerika gar solche mit acht Meter Flügelspannweite die Wälder durchbogen. Den größten Erfolg erzielte die Natur bei den Vögeln, die, von weaigen Ausnahmen abgesehen, alle Fkeger sind. Auch auf der jüngsten Stufe der Entwicklung, bei den Säugetieren, brackte sie einige fliegende Formen hervor: es sind die Gleiter und Fallschirmspringer unter den Nagern und den Beuteltieren, und unter den Halbaffen der fuchsköpfige Nachtschwärmer, der Flaitermaki, der ein Gleitflieger ist. "Richtig fliegende Säugetiere aber sind die in den tropischen Gebieten der alten Welt lebenden Flughunde und <Üe Fledermäuse,*die fast auf der ganzen .Erde verbreitet sind." „Fliegende Mäuse und fliegende Hunde! Komischi" Die Naturforscher stießen sich gegenseitig in die Rippen und lachten. „Habt schon recht 1 Richtige Mäuse und Hunde sind das nicht. Diese Namen gab man ihnen nur, \veil sie ihren Namensvettern so ähnlich sehen. Ich sagte schon, daß die Flughunde nur in den tropischen Gebieten der Alten W e l t vorkommen; auch die Fledermäuse sind am häufigsten in den Tropen der Alten und Neuen Welt au finden. In den gemäßigten Zonen gibt es nur wenig Arten, bei uns in Deutschland zwanzig, und eine der häufigsten davon ist die Fledermaus hier in der Höhle, das Mausohr. Sie ist bisher am besten erforscht. Im großen und ganzen ist sie aber nicht viel anders als alle Fledermäuse, die wir kennen. Nun holt einmal vorsichtig solch ein Tierchen herunterl" ermuntre ich. Und als die beiden zögern: „Nur keine Bange, die tun euch nichts 1" 7
Aber weder Erwin noch Walter haben Mut! „Ihr seid mir rechte Naturforscher!" Ich steige also selber auf einen niedrigen Felsvorsprung und halte eines der hängenden Tiere in Händen. Es bewegt sich schwach, die kleinen schwarzen Augen, die wie Nadelköpfe glitzern, sind offen, und auch den Rachen reißt das Tierchen weit auf. „Was die für spitze Zähne hat", entdeckt Erwin, der nun ganz nahe herangekommen ist. „Ja, es sind richtige kleine Dolche, und die braucht das Tier, uni seine horngepanzerte Beute — Käfer, Schmetterlinge und andere Insekten —• zu zerkleinern. Unsere einheimischen und überhaupt fast alle Fledermäuse sind Insektenfresser und deshalb mit den Spitzmäusen, dem Igel und dem Maulwurf verwandt. Aber nun wollen wir uns das Tier einmal näher ansehen." v
Fliegende Säugetiere 1 ch ziehe dem kleinen Wesen, das ruhig in meiner Hand auf dem Rücken liegt, vorsichtig einen der zusammengelegten Arme auseinander und entfalte die Flughaut. „Man könnte annehmen, der Fledermauskörper sei garnicht von dem anderer Säugetiere .verschieden." „Ö doch, schauen Sie nur diese großen Ohren", stellt Wolter fest. „Ja, die Ohren sind übergroß", entgegne ich; „ich.werde euch auch noch erklären, warum. Aber auch im Skelett und in den Muskeln und den inneren Organen ist manches anders. Sie sind ja Flieger, und alles ist aufs beste dafür eingerichtet, vor allem die Arme und Beine, wenn ich diese dürren Gebilde so nennen soll. W i e bei den Vögeln sind die vorderen Gliedmaßen als Flugorgane ausgebildet; aber bei unseren Vögeln ist die Hand eigentümlich verstümmelt, sie hat nur drei kurze Finger, ihre Tragflächen werden von den hornartigen Federn gebildet. Bei den Fledermäusen dagegen sind die Arm- und Mittelhand- und F'ingerknochen stark verlängert, sie sind das Stütz- und Spanngerüst für die dünne, von Blutgefäßen, Nerven und Muskeln durchzogene Flughaut. Nur der Daumen ist nicht von der Flughaut eingeschlossen, er ragt frei heraus und hilft mit seiner spitzen Kralle dem Tier beim Festhalten und Klettern. Auch die Ober- und Unterschenkel der hinteren Gliedmaßen und die Schwanzwirbel stützen die Flughaut. Dann hat die Fledermaus als zusätzliche Stütz Vorrichtung für die Schwanzflughaut noch einen besonderen Knochen am Fersenbein, den Sporn." 8
Ich halte nun die Laterne hinter die ausgebreiteten Flügel,, damit die beiden sich die Anordnung der Gliedmaßen in der pergamentdünnen, durchscheinenden Flughaut gut ansehen können. . „Die Natur hat hier bei diesem kleinen Säugetier das Problem des Fliegens in meisterhafter Weise gelöst." •—• Das Tierchen liegt, während ich von ihm plaudere, mucksmäuschenstill in meiner Hand. —• .„Wir glauben sogar zu wissen, -welchen W e g die Natur im Lauf von Jahr-
millionen bei der Ausbildung der Fledermausflügel eingeschlagen hat. Es gibt da die sogenannte ,biogenetische Regel', die der deutsche Tierforscher Ernst Haeckel entdeckt hat, und die besagt, daß sich in der Entwicklungsgeschichte eines Einzelwesens die Abstammungsgeschichte der ganzen Tierart kurz und zusammengedrängt wiederholt; das heißt in unserem Fall: Die Entwicklung der noch ungeborenen Fledermaus im Mutterleib spiegelt in ihren aufeinanderfolgenden W^achstumsstufen'bis zur Geburt den Weg wider, den das Geschlecht der Fledermäuse in seiner jahrmillionenlangen Entwicklung bis zu seiner heutigen Form durchlaufen hat. Der deutsche Forscher Spillmann hat solche noch ungeborenen Fledermäuse <—• man nennt so ein noch im Mutterleib befindliches Wesen Embryo, das heißt Keimgebilde •— in ihren verschiedenen Altersstufen untersucht und beobachtet, wie sich die Flughaut an dem kleinen Körper herausbildet. Zuerst zeigen sich an den Körperseiten 9
als erste Andeutungen kleine Hautfalten — das entspricht einem Entwicklungsstadium, in dem heutzutage noch einige auf Bäumen hausende Halbaffen stehen. Man stellt sich übrigens vor, daß die Fledermäuse sich aus baumbewohnenden Ur-Insektenfressern entwickelt haben könnten. Diese an den Körperseiten erscheinende Flughaut breitet sich bei dem Fledermaus-Embryo im weiteren Verlauf der Entwicklung nach den Hinterbeinen zu aus, bildet sich dann auch zwischen den Hinterbeinen und dem Schwanz u»d zwischen den Vorderbeinen und dem Hals. Auf diesen Entwicklungsstufen stehen heutzutage einige Nagetiere und Beuteltiere, die als Falls ckirraspringer und Gleiter auf Bäumen leben. Zuletzt beginnen beim Fledermaus-Efabryo die Finger in die Länge zu •wachsen und gleichzeitig auch die Flughaut, und dieses Wachsen hält auch noch nach der Geburt der jungen Fledermaus an, bis die Fledermaus voll ausgewachsen ist." Die Buben sind mit einemmal zur Seite. getreten. Das Tierchen in meiner Hand ist immer lebhafter und unruhiger geworden, ich hänge es daher wieder kopfabwärts an die W a n d . „Die Hinterbeine könnt ihr nicht sehen, sie sind unter dem Flughautmantel versteckt. Sie haben keine ebenso große Veränderung durchgemacht wie die zu Flügeln gewordenen Vordergliedmaßen, aber auch sie sind der Lebensweise der Tiere angepaßt. Das ganze Bein ist dergestalt verdreht, daß sich das Knie nicht auf der Bauch-, sondern auf der Rückenseite des Körpers befindet. Auch das hat seinen Grund. Die Hinterbeine dienen dem Tiere als Aufhänger. Fledermäuse hängen, wenn sie ruhen, meist mit <4em Kopf nach unten an Wänden, Decken oder Balken. Bisweilen jedoch kriechen sie auch in waagerechte Spalten und liegen dort auf dem Bauch. Fledermäuse können an senkrechten Wanden und Balken auf- und abwärts klettern —- immer mit dem Kopf voran; auf ebenen Flächen laufen sie sogar. Beim Klettern benutzen sie den bekrallten, freistehenden Daumen und die Aufhängekrallen der Hinterfüße; sie laufen, oder besser gesagt, sie stelzen auf dem Daumengelenk und auf den Füßen. — Aber jetzt laßt die Tiere in ihrem dunklen Schlafgemach allein. W i r wollen sie nicht länger stören, W a s noch zu erzählen ist, könnt ihr auch unterwegs erfahren." /
Rätselvolle Natur Wir wandern nun zurück durch die Flucht der wundersamen Steinkammern, der Säle und Gewölbegänge mit ihrer verzauberten Märchenpracht. In der vordersten Halle, die ringsum von herrlichsten Tropfsteinkulissen umstanden ist, verweilen wir noch ein wenig. Ich lösche unser 10
Lichtchen, und nun ist schwärzeste Finsternis und tiefste Stille um uns. Man meint, man müsse das Blut in den eigenen Adern fließen hören. Von irgendwoher kommt von Zeit zu Zeit im genauen Gleichklang der plätschernde Laut der niederfallenden Tropfen. W i e verloren hallt es durch das Felsgewölbe. „Versucht diesen Augenblick in euch aufzunehmen", sage ich in die Stille. „Hier umweht uns, der Atem der Ewigkeit. Diese sacht, aber stetig fallenden Tropfen sind die feinen Hammerschläge in einer der Werkstätten der Natur, in denen sie zerstört und zugleich in langsamer, geduldiger doch unaufhaltsamer Arbeit neu aufbaut. So wie sie das Gebirge hier während unvorstellbarer Zeiträume aus den Kalkschalen kleiner Tiere aufgebaut hat, so trägt sie es nun wieder ab. Währenddessen aber, so will es uns scheinen, ergötzt sie sich in spielerischer Lust an der Erschaffung solcher kleiner Schönheiten*, wie es die Tropfsteine hier sind. Gleich dieser Höhle durchziehen noch viele Schatzkammern das Innere unserer Berge. Da wölben sich Säle mit noch.herrlicheren Bauten wie diese, da liegen Nester voll erlesener bunter Kristalle und ziehen sich wie Geschmeide prächtige Erzadern durch das Gestein. Und all diese Schönheit mit ihren bunten Farben und edlen Formen liegt in finsterer Grabestiefe verborgen, keinem irdischen Auge preisgegeben, gleichsam als Ausdruck einer übersprudelnden Schöpferkraft, die sich an riesigen W^eltkörpern genau so erprobt wie an dem Kristall einer Pflanze oder an den Elementarteilchen des Atoms. In einem solchen Augenblick wie diesem drängen sich uns vielerlei Fragen auf, Fragen nach dem V/arum und Wozu der Welt und danach, welche Macht die W e l t geschaffen hat und sie bewegt. Der Mensch weiß, daß er aus den Tiefen des Weltalls nie eine Antwort auf diese Fragen bekommen wird, und doch sinnt er imrfier wieder über dieses Geheimnis nach und auch euch, meine Freunde, wird es so ergehen. Das ist der Preis, den der Schöpfer dafür abfordert, daß er uns die Gnade zu denken gewährt hat." , W i r sitzen noch eine Weile schweigend beieinander. Dann zünde ich die Lampe wieder an, und wir gehen weiter. Bald schimmert uns das späte Tageslicht entgegen, und dann treten wir wieder aus dem Berg keraus in die abendliche Welt.
Unhörbares Schreien W ä h r e n d wir geschwind den kleinen Steig abwärts schreiten, sprudelt Wolter auf einmal heraus: „Nun möchte ich aber bloß wissen, wie die Fledermäuse bis da hinten in die Höhle hineinfinden in der Dunkelheit.
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Wenn ich so denke, wie es da immer um die Ecken herum ging . . . mal War es schmal, dann wieder breit . . . und an der einen Stelle der niedrige Gang, durch den "wir beinahe kriechen mußten . . . da müssen doch die Tiere überall anstoßen, wenn sie so im Dunkeln herumfliegen." „Davon muß ich noch sprechen", erwidere ich, „dieser Orientierungssinn ist fast das merkwürdigste an den Fledermäusen. So eigenartig ihr Körperbau ist, so seltsam und sogar rätselhaft sind einige ihrer Sinneseinrichtungen. Es leuchtet ein, daß bei Dänunerungs- und Nachttieren gewisse Sinnesorgane besser und stärker ausgebildet sind als bei Tagtieren und beim Menschen, bei denen in der Hauptsache der Gesichtssinn entwickelt ist. Nur durch ihre überlegene Sinnesschärfe ist es den Nachttieren überhaupt möglich, sich in der tiefen Dunkelheit zurechtzufinden und Beute zu machen. Gehör-, Gefühls- und Tastsinn stehen bei diesen Geschöpfen obenan. Ihr habt selbst bemerkt, welch große Ohren die Fledermäuse haben; es sind richtige Schallfängef. Die im Dunkeln her ums chwirr enden und summenden Insekten, auch wenn sie sich noch so still halten, entgehen diesen Lauschern nicht. Aber der gute Gehörsinn allein reicht offenbar doch nicht aus für das nächtliche Leben und Treiben der Fledermäuse, zumal auch ihre Augen nicht so gut ausgebildet sind wie die mancher anderen Nachttiere, z. B. die der Eule. Der beste Gesichtssinn würde auch in einer Umgebung -wenig nützen, die vollkommen dunkel ist, genau so "wie der beste Gehörsinn wenig ausrichten kann in einer Welt, die nahezu lautlos ist. Es gibt dort eben wenig zu hören und zu sehen. Die Fledermäuse müssen also noch andere Vorzüge haben, daß sie sich trotzdem in solch einer Umgebung zurechtfinden. Man hat nun, um hinter das Rätsel ihrer Orientierung zu kommen, allerlei Versuche mit den Tieren angestellt. So klebte man ihnen die Augen mit einem Pflaster zu und ließ sie in einem Zimmer herumfliegen, in dem dünne Fäden kreuz und quer gespannt waren. Man konnte feststellen, daß die sehbehinderten Fledermäuse diesen Fäden mit Sicherhext auswichen und niemals einen Faden berührten. Ohne Ohrlappen oder Ohrdeckel wurden dagegen alle Flattertiere in ihrem Flug ganz irre und stießen überall an. Mikroskopische Untersuchungen schließlich ergaben dann, daß sich in der Flughaut und in den Ohren und bei manchen Arten, z. B. bei unseren einheimischen Hufeisennasen, in den Hautlappen auf der Nase zahlreiche Tastsinneszellen befinden. Ähnlich so wie blinde Menschen es mit ihrem besser entwickelten Gefühlssinn empfinden, wenn sie beim Gehen dicht an eine Mauer herankommen, da nämlich die Luftschicht zwischen ihnen und der Mauer sich staut und diese Stauung empfunden wird, ähnlich vermögen die Fleder12
mause die sich-ihnen in den W e g stellenden Hindernisse aus der Entfernung schon zu erspüren. In den letzten Jahren haben zwei amerikanische Forscher- Robert Galambos und Donald Griffin für diese seltsame Begabung die Erklärung gefunden. Sie wiederholten zunächst die Versuche mit Fledermäusen,
Wie die Fledermaus auch im Dunklen sicher ihrenWeg findet; Die Schallwellen ihrer für den Menschen nicht hörbaren Schreie werden von jedem, Hindernis zurückgeworfen und vom Tier-Ohr aufgefangen. In schneller Körperwendung umfliegt sie den mit dem Ohr „ferngetasteten11- Gegenstand. denen man die Augen zugeklebt hatte und fanden bestätigt, daß die Tiere, auch ohne daß sie sahen, sicher allen Hindernissen auswichen. Wurden den gleichen Tierchen jedoch die Ohren verstopft, so taumelten sie hilflos durch die Luft und stießen überall an. Es gab keinen Zweifel: Fledermäuse waren im Fluge auf ihr Gehör angewiesen. Nun ergab sich noch ..etwas Merkwürdiges das man bis dahin noch nicht wußte: die Tiere •waren ebenso hilflos, wenn ihnen der Mund verklebt wurde. Weitere mühselige Beobachtungen und Versuche schlössen sich ah und brachten 13
'endlich des Rätsels Lösung: Wenn die Fledermäuse im Dunkeln herumfliegen, stoßen sie kleine Schreie aus, die von den Hindernissen als Echo zurückgeworfen und von den Fledermäusen vernommen werden. Aus der verschiedenen Stärke des Schallechos können die Tiere die Richtung und Entfernung der betreffenden Hindernisse erkennen. Es ist ein ähnliches Verfahren wie es der Mensch im zweiten Weltkrieg in den bekannten Radargeräten entwickelt hat.* Hier wurden Radiowellen in eine Richtung ausgestrahlt und von irgendwelchen Körpern, denen diese Radiowellen begegneten .— z. B. Flugzeugen oder Schiffen — zurückgeworfen und in einem Empfangsgerät wieder aufgefangen; aus der Länge der zwischen Wellensendung und Wellenempfang verstrichenen .Zeit konnte man die Entfernung der Flugzeuge oder Schiffe errechnen, ja sie sogar auf einer Leuchtfläche einfach ablesen. Die beiden Forscher hatten sich ein recht kompliziertes Gerät gebaut um festzustellen, welche Schreilaute die fliegenden Tierchen von sich gaben/ Denn zu hören "waren diese Laute nicht, wenigstens nicht mit menschlichen Ohren. Das Gerät aber ,hörte* sie. Es waren Töne, die oberhalb des Tonbereiches liegen, der uns Menschen wahrnehmbar ist und die von den spitzen Schreien, wie wir sie zuweilen bei den Fledermäusen hören, ganz verschieden sind. Die Gelehrten fanden ferner heraus, daß die an der W a n d hängende, startbereite Fledermaus schon damit beginnt, solche Töne auszustoßen, kurz bevor sie abfliegt; zunächst sind es 10 Tone in der Sekunde. Wenn die Fledermaus dann schwebt, erhöht sich die Tonfolge auf 3o in der Sekunde und schließlich auf 5o, sobald ihr das zurückkommende Echo auf ihrem Wege ein Hindernis meldet. H a t sie dieses Hindernis mit einer schnellen Änderung ihrer Flugrichtung hinter sich gebracht, senkt sich die Tonfolge wieder auf 3o. i Durch diese Entdeckung wurde nun auf einmal klar, warum die Fledermäuse einen so stark entwickelten Kehlkopf haben. Bei einer afrikanischen Fledermaus, dem Hammerkopf, nimmt der Kehlkopf sogar ein Drittel des ganzen Körperhohlraumes ein. So hatte man also herausbekommen, warum die Fledermaus sich in der tiefsten Dunkelheit mit einer so erstaunlichen Sicherheit zurechtfindet." „Es ist also alles schon dagewesen", konstatiert Erwin, „die Fledermaus hat mit ihrem ,Radar' dem Menschen wirklich etwas"Vorgemacht. Das müssen aber tüchtige Kerle gewesen sein, die das herauskriegten, das mit den unhörbaren Schreien!" *) Im Lux Jugend-Lesebogen 22 „Die gläserne Landkarte" plaudert Walter Stanner von den Betriebsgeheimnissen der Radargeräte.
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„Hier war es der Mensch, der seine eigene Natur übertrumpfte. Er konnte auf einmal hören, was seinen Ohren zu hören an sich nicht gegeben war. Das erreichte er mit Hilfe jenes feinsten .Meßgerätes. Nun wußte man also, wie die Tiere sich so vollkommen sicher durch die engsten und finstersten Gänge bewegen können; denn sie fliegen ja nicht immer durch so verhältnismäßig weite Räume wie in der Höhle, sondern durchschwirren genau so sicher die schmälsten Klüfte und verringern selbst in senkrechten Felskaminen auf- und abwärts ihre Geschwindigkeit nicht.
Fledermäuse im Winterschlaf Im Leben der Fledermäuse gab es aber noch manches andere, für das die Erklärung fehlte. Man machte die. Beobachtung, daß die Tiere in jedem Winter in dieselbe Kammer und in denselben Winkel zurückkehrten; sie vermochten sich also nicht nur im Dunkeln zurechtzufinden, sondern waren auch imstande, nach langer Zeit bestimmte Plätze wiederzufinden. • Ihr habt es ja bei euren Streifzügen bemerkt, daß zum Winter das Tierleben in Feld und Flur viel spärlicher wird. Die Tage werden kürzer, das Klima wird rauher und kälter, die Nahrung knapper oder verschwindet ganz; das Leben wäre ohne manch gnädigen Eingriff der Natur garnicht mehr zu meistern. Ein Teil der Tierwelt, die Alasse des Insektenvolkes z. B., hat mit dem Ende des Sommers ihr Leben ausgelebt, von den Vögeln verlassen uns viele und fliegen in angenehmere Landstriche davon; viele Tiere .—- vor allem Kriechtiere, Lurche und auch Säugetiere •—• begeben sich in die verschiedenartigsten "Winterquartiere und verharren dort in einem Zustand der Ruhe, den man je nach seiner Art als Winterruhe, Winterschlaf oder Winterstarre bezeichnet. Auch die Fledermäuse verfallen in diesen Ruhezustand. Er nimmt bei ihnen die Form des Winter schlafes an, da sie als reine Insektenfresser den Winter über keine Nahrung mehr finden würden. Man unterscheidet nun unter den Wirbeltieren nach ihrer Körperwärme zwei Tiergruppen (vielleicht wißt ihr das): die wechselwarmen Tiere, bei denen die Körperwärme mit der Temperatur der Umgebung sinkt oder steigt •— zu ihnen gehören die Fische, Lurche und Reptilien —-,. und die warmblütigen Tiere, die eine von der Temperatur der Umgebung unabhängige und durchweg gleichhohe Körpertemperatur besitzen: das sind die Vögel und Säugetiere. W i r Menschen haben im Sommer wie im Winter eine solch gleichbleibende Körpertemperatur von 36—-3j Grad Celsius. Eine Ausnahme bei den Säugetieren machen die Wlnter15
schläfer, zu denen bei uns neben Igel, Hamster, Wiesel, Murmeltier, Siebenschläfer, Gartenschläfer, Baumschläfer und Haselmaus auch die Fledermäuse gehören. Wenn diese Tiere sich in ihre Schlafquartiere begeben und in den Winterschlaf verfallen, dann sinkt ihre Körpertemperatur und gleicht sich der Umgebungstemperatur an. Gleichzeitig werden alle Lebensvorgänge auf ein Mindestmaß gesenkt: Das Herz schlägt nur noch langsam, die Atemzüge werden seltener, die Tätigkeit der höheren Nerven und Sinne ist abgeschaltet und das Tier rührt kein Glied mehr. Das Lebensfeuer glimmt nur noch sacht weiter, es genügt ganz wenig Brennstoff, um es nicht völlig verlöschen zu lassen. Das Tier braucht in diesem Zustand keine Nahrung mehr aufzunehmen. Sein Körper verbraucht allmählich das im Sommer aufgespeicherte Fett für den ganz gering gewordenen Stoffwechsel (so bezeichnet man die Aufspaltung und Umsetzung der Nahrungsstoffe in die für den Körper brauchbare Form). Erst im Frühjahr, wenn die Lebensbedingungen besser werden, "wachen die Schläfer wieder auf. Der Winterschlaf hat also nichts mit dem gewöhnlichen Schlaf gemeinsam, in den die Tiere und auch wir Menschen jede Nacht -— die Nachttiere am Tage •— versinken, und bei dem Körper und Geist sich von den Anstrengungen der geleisteten Arbeit erholen und erfrischen. Beim gewöhnlichen Schlaf sinkt die Körpertemperatur nicht, werden Herzschlag und Atmung nur etwas ruhiger, verarbeiten die Verdauungsorgane die am Abend genossene Speise weiter. Zwar sind auch im Schlaf manche Lebensäußerungen des Wachzustandes gedämpft oder auch abgestellt, und es vollziehen sich gewisse besondere chemische Vorgänge im Körper, aber im allgemeinen geht der übliche Gang, des Lebens weiter. Der Winterschlaf dagegen dient vor allem dazu, ein Wesen, das eigentlich zum Sterben verurteilt ist, "weil es seine Lebensbedingungen nicht erfüllen kann, vor der Vollstreckung dieses Todesurteils zu bewahren. '. Die Fledermäuse, die wir in der Höhle sahen, hingen im Winterschlaf an den Felsen. Man sah schon äußerlich, daß das Tier, das wir herunternahmen, in einem tiefen .Schlafe' lag, denn es bewegte sich kaum. D a s Aufreißen des Rachens und das Festklammern der Zehen, als wir es wieder an die W a n d hängten, waren reine Reflexbewegungen, das heißt Bewegungen, die das Tier nicht aus eigenem Wollen, sondern die der Körper unwillkürlich als Antwort auf einen Reiz vollführt: das Festhalten z. B. erfolgte in dem Augenblick, in dem der Fels berührt wurde. Solche Reflexbewegungen sind eine sehr weise und sinnvolle Einrichtung; denn sie wirken als schnelle und nützliche Antworten des Körpers in all 16
den Fällen, in denen entweder die Tätigkeit des Gehirns ruht — wie hier bei der schlafenden Fledermaus-—, oder in denen e$ auf eine blitzschnelle Antwort ankommt, z. B. wenn unser Augenlid sich rasch schützend über den empfindlichen und kostbaren Augapfel legt, sobald etwas unsere "Wimpern berührt. Ich sagte euch, daß der gewöhnliche Schlaf nichts mit dem Winterschlaf gemeinsam hat, sondern etwas ganz anderes ist. Die Fledermäuse haben aber, auch wenn sie schlafen, noch eine merkwürdige Eigenart". Ihr gewöhnlicher Tagesschlaf nimmt auch im Sommer oft die Form eines leichten Winter schlafes an.' Obwohl die Fledermäuse als Säugetiere zu den Warmblütern gehören, kann sich/nämlich ihre Körpertemperatur, wenn sie ruhen,, je nach der Temperatur der Umgebung verändern. Sinkt sie/aber erheblich,ab, so wird die Neigung zum Dauerschlaf immer größer, / i n den Abend- und Nachtstunden, "wenn die Fledermäuse auf ihren Jagdflügen unterwegs sind, bewegt sich ihre Körpertemperatur zwischen 38-—40 Grad Celsius. W e n n sie aber am Morgen in ihre Verstecke verschwinden und sich zum Schlaf aufhängen loder verkriechen, dann beginnt ihre Körpertemperatur zu sinken, bis sie ungefähr den Stand der Umgebungstemperatur eingenommen hat. Nun wählen sich die Fledermäuse im Sommer solche Aufenthaltsorte aus, an denen es recht warm ist. Darum treffen wir sie besonders häufig auf den Dachböden von Häusern und Kirchen an; an Spmmertagen ist es auf solchen Dachböden oft drückend heiß. An diesen Plätzen bleibt natürlich auch die Körpertemperatur der Tiere hoch, und sie sind sofort hellwach, wenn man sie aufstört, und fliegen herum. An kalten, regnerischen Tagen jedoch ist es auch auf den Dachböden kühler, im gleichen Maße sinkt die Körpertemperatur der schlafenden Fledermaus und bei ungefähr 34 Grad Celsius geht der normale Schlaf in einen leichten Winter schlafzustand über: die Atemzüge werden langsamer und der Stoffwechsel verzögert sich. Deshalb verbraucht der Körper in diesem Zustand nur sehr wenig Nahrung, und das Tier kann ruhig eine Weile die zur Regenzeit insektenarme Welt dort draußen verschlafen. Dennoch ist die Fledermaus nicht als ein wechselwarmes Tier zu bezeichnen, denn ihr Körper vermag von sich aus die Temperatur wieder zu erhöhen, auch ohne daß die Umgebungstemperatur ansteigt." „Unsere Fledermäuse in der Höhle brauchen im Frühjahr also keinen Wecker, oder einen Königssohn, der das Dornröschen wach gemacht hat", fragt Walter scherzend. „Sie werden wohl von alleine wach?" „Ja, gewissermaßen. Man darf den Begriff ,von alleine' allerdings nicht zu streng fassen. Es wirken bei diesem W^chwerden natürlich gewisse äußere Reize mit. Im Frühjahr ist es die in die Höhle eindrin17
gende -warme Luft, die das Erwachen auslöst. Ferner spielen auch innere Vorgänge im Körper eine Rolle, die im einzelnen noch nicht gründlich genug erforscht sind. So wird zum Beispiel eine Fledermaus im tiefsten Winterschlaf wieder warm und wach, wenn die Temperatur an ihrem Schlafplatz unter Null sinkt und die, Gefahr besteht, daß sie erfriert; sie kann dann einen günstigeren O r t aufsuchen. Ihr'seht also, nicht nur die Wärme, sondern ebenso auch der Frost können die Tierchen wachrütteln."
Wanderzüge der Fledermäuse Wir gehen nun eine Weile schweigend' durch den Winterwald. Zwischen den Stämmen ist es schon ganz dunkel. „Sie sagten vorhin", unterbricht Erwin das Schweigen, „daß die Fledermäuse jedes Jahr an denselben W i n t er schlafplatz zurückkehren. W^oher weiß man denn, daß'es dieselben Fledermäuse sind?" „Alle Achtung, mein Lieber, das ist eine echte Naturforscherfrage", erwidere ich. „Da kommen wir zu einem anderen interessanten Kapitel im merkwürdigen Leben der Fledermäuse: Schon seit langem hat man beobachtet, daß die Fledermäuse größere Wanderungen zu unternehmen scheinen. So erscheint in Nordrußland im Hochsommer die Nordische Fledermaus und verschwindet im Frühherbst wieder, man weiß nicht, woher und wohin. Ähnliche Beobachtungen gibt es für weitere Arten aus anderen Gebieten, selbst auf den Bermudainseln, die 1000 Kilometer vom nordamerikanischen Festland entfernt im Atlantischen Ozean liegen, erscheinen alljährlich vorübergehend Fledermäuse. Man hat im Herbst auch schon Fledermäuse in größeren Scharen süd- und westwärts fliegen sehen, bisweilen sogar zusammen mit ziehenden Schwalben. Die Fledermäuse sind recht gute und ausdauernde Flieger, sie sind gar nicht so schwerfällig, wie man manchmal liest. Für die jährlichen Wanderungen und Züge der Vögel gibt es das bewährte Mittel der Vogelberingung, um die Spur ihrer Züge wiederaufzufinden. Den Vögeln wird, meist solange sie sich noch im Nest befinden, ein Aluminiumring um den Fuß gelegt, der eine Nummer und eine Adresse trägt. W i r d nun so ein beringter Vogel irgendwo wiedergefunden, so kann man zunächst einmal die Richtung und Entfernung des Weges festlegen, den der Vogel zwischen Beringungs- und Fundort zurückgelegt hat. Je mehr beringte Tiere man ausfindig machte, desto umfassender und gründlicher wurde unsere Kenntnis von den großen Vogelzugwanderungen, und so wissen wir heute nach jahrzehntelanger 18
Beringung über die am häufigsten beringten Vogelarten, die Schwalben, Stare, Störche, schon recht gut Bescheid. So kamen die Naturforscher auf den Gedanken, auch Fledermäuse zu beringen, um auch hinter das Geheimnis ihrer Herbstwanderungen zu kommen. Doch so einfach wie das klingt, war es nun-nicht. Vor allem brauchte man dazu Mitarbeiter, die nach den gekennzeichneten Fledermäusen Ausschau hielten; diesen versteckt und nächtlich lebenden Tieren mußte man regelrecht nachspüren. Diese und andere Schwierigkeiten hat nun ein Gelehrter in Berlin, Dr. Eisentraut, mit großer Geduld und feinem Spürsinn überwinden können. Im Jahre 1932 begann er mit der Markierung von Fledermäusen. Die Markierung wird nun nicht wie beim Vogel am Fuß vorgenommen, Dr. Eiserltraut wählte Aluminiumklammern, die er den Tierchen um den Unterarm legte. Mit seinen treuen Helfern beringte er im Laufe mehrerer Jahre einige Tausend, Fledermäuse, meist Mausohren aus der Umgebung von Berlin und dann auch Abendsegler in Dresden. Die meisten Tiere wurden in ihren Winterquartieren gekennzeichnet, einige auch an ihren Sommersitzen. Die mühevolle Arbeit dieser Berliner Tierfreunde lohnte sich. Von den im Winter beringten Fledermäusen wurde eine größere Zahl im Sommer wiedergefunden; es ergab sich, daß die meisten Mausohreri im Frühjahr von ihrem Berliner Winterquartier in einem Halbkreis, der ; sich von Südost über Ost.und Nord nach Nordwest erstreckte, auseinandergeschwärmt waren, und zwar in Entfernungen von durchschnittlich 5o Kilometer; die weiteste Strecke war i65 Kilometer, sie führte nach Schlesien. D a s erscheint uns zunächst nicht weit, gemessen an den Flugstrecken der Vögel, von denen die wanderfrohesten auf einer einzigen Reise den halben Erdball überfliegen. W i r müssen uns aber vor Augen halten, daß das Wiederfinden der Tiere für uns um so schwieriger wird, je weiter sie auseinanderstreben; künftige Massenmarkierungen werden das Bild gewiß noch verändern. Die Flugweite wird auch bei den einzelnen Fledermausarten verschieden sein, wie das ja auch bei den Vögeln der Fall ist. So wurden von den verhältnismäßig wenigen Abendseglern, die in Dresden markiert worden waren, einige im Sommer wiedergefunden: Sie waren alle mehrere hundert Kilometer weit geflogen, hauptsächlich nach Nordost, der weiteste Flug hatte über eine Strecke von jfro Kilometer bis nach Litauen geführt. Auch in den folgenden Jahren wurden die Winterquartiere kontrolliert, und es ergab sich, daß in jedem Jahr ungefähr die Hälfte der Tiere vom vorigen Winter in dasselbe Quartier und, wie ich schon sagte, in dieselbe Höhlenkammer zurückkehrte. Die anderen Tiere "wurden nicht 19
wiedergesehen, sie waren aber nicht umgesiedelt, sondern im Laufe des Jahres vermutlich zugrunde gegangen. Die Fledermäuse beweisen also eine überraschende Ortstreue, nicht nur beim Aufsuchen ihrer Winterquartiere, sondern auch in der Wiederkehr zu ihren Sommerplätzen, wo die gleichen Tiere im nächstfolgenden Jahr immer wieder am gleichen O r t wiedergefunden wurden. Welche seelischen oder sonstigen Kräfte dabei mitwirken, das wissen wir nicht."
D a s Geheimnis der Feenorientierung „ W arum ziehen denn aber die Fledermäuse überhaupt in die Ferne, wenn sie später doch ihren Winterschlaf halten", wendete Erwin hier ein. > „Diese gescheite und durchaus berechtigte Frage, lieber Erwin", sagte ich, „kann ich dir leider nicht beantworten. Sie rührt an ein weiteres Rätsel im Leben dieser seltsamen Tiere, von dem ich euch jetzt erzählen will: Bisher habe ich in der Hauptsache die dunkle, winterliche Hälfte im Jahreskreis des Fledermausdaseins geschildert. Folgen wir jetzt einmal int Geiste den Fledermäusen auf ihren Pfaden, die sie einschlagen, wenn der Winter vorüber ist. Im März, wenn draiißen des Winters Kraft gebrochen ist und lindere Lüfte wehen, dringt auch ein Hauch davon bis tief in die Höhle hinein, bis in die letzte Kammer, in der wir die Tiere eben schlafend angetroffen haben. Dieser Hauch -weckt sie. Die Flamme des Lebens flackert wieder auf, die Temperatur in ihren Körpern steigt, und sie erwachen aus ihrem Schlummer. Die Flügelhäute, in die sie wie in wärmende Mäntel gehüllt waren, dehnen sich knisternd. Ein wenig Ol aus der Kopfdrüse wird darüber gefettet, daß die Flügel geschmeidig werden; dann ein zaghaftes Flattern, ein flüchtiges Umherirren und schon haben sie» sich in ein neues Dasein gefunden. Der laue Atem, der ihnen durch die finsteren Gänge entgegenweht, führt die schwirrenden Schatten im Blindflug unter ständigem unhörbaren Schreien aus monatelanger dunkler Nacht hinaus ins Freie, in das milde Licht des dämmernden Frühlingsabends. Von den Spitzen der Fichten jubeln die Singdrosseln, durch den Buchenwald rieseln die Lieder der Rotkehlchen, und die Luft ist voller Insekten. Da huschen und schießen die kleinen Flatterer in ihrem unsteten, gaukelnden und doch so zielsicheren Flug eifrig hin und her. Wo ein Insekt in ihrer Nähe vorüber schwirrt, hat das phantastische Ohr der Fledermaus schob den feinen Ton vernommen •—• gleich ist,sie heran, faßt die Beute mit den scharfen, spitzen Zähnen und schon ist der Bissen 20
verschlungen. Hat das Aläulchen der ermaus eine größere Beute einmal nicht mundgerecht erfaßt,' beugt sie ihren Kopf herunter, drückt den Happen gegen die Schwanzflughaut und schiebt ihn so zurecht. So stillen die Tiere ihren ersten großen Hunger. (, W i r wissen nicht,, ob die Fledermäuse gleich zu ihren Sommerwohnplätzen fortfliegen oder ob sie langsam dorthin bummeln-, wir wissen vor allem auch nicht, wie sie zu ihren alten Sommer- und auch wieder zu den. Winterquartieren hmfinderi, die, wie ich euch erzählte, oft mehrere hundert Kilometer entfernt sind. Gerade dieses Orientierungsvermögen, das die verschiedensten Tiergruppen, Fische, Vögel und auch die Fledermäuse besitzen, ist eines der noch unentschleierten Geheimnisse im Leben dieser Flattertiere. Man hat zur Prüfung dieses Orientierungsvermögens verschiedene Versuche angestellt, besonders an Vögeln, und auch an unserem Mausohr. So hat man einmal mehrere schlafende Mausohren aus ihrem Winterquartier in ein anderes, i5o Kilometer entferntes Quartier verbracht, in dem sie den Rest des W i n ters verschliefen. Im nächsten Winter jedoch stellten sich die Mausohren wieder in ihrem alten ersten Winterquartier ein — sie hatten aus der fremden Gegend wieder prompt zurückgefunden und hatten doch gar keine Erinnerung an den Reiseweg. Ihr könnt aus all dem, was ich euch bisher von den Fledermäusen erzählt habe, ersehen, daß ich nicht übertrieb, wenn ich sie den seltsamsten Tieren der Erde zuzählte. Vieles von diesen um uns lebenden und gar nicht seltenen Tieren wissen wir erst seit neuerer Zeit, und das auch noch nicht gründlich genug; die vielen tropischen Arten sind noch wenig erforscht, und auch bei ihnen werden der Forschung sicher wieder viele neue Rätsel aufgegeben. Verwunderlich ist das nicht, denn in ihr nächtliches und verstecktes Freileben können wir den Tieren nur sehr schwer folgen. Vieles von unserem Weissen habend wir zunächst auch nur aus den Beobachtungen gefangengehaKener Fledermäuse gewinnen können, und auch da müssen wir in unseren Schlußfolgerungen vorsichtig sein; denn ein gefangengehaltenes Tier verhält sich in vielen Dingen anders als ein freilebendes, weil die Lebensbedingungen in der Gefangenschaft oft so ganz anderartig sind. ' Zahlreiche Forscher bei uns und in anderen Ländern sind mit der Beobachtung dieser interessanten Tiere beschäftigt. W i e ihr gehört habt, haben sie viel Seltsames und Merkwürdiges herausgefunden. Aber trotz dieser eifrigen Forschungsarbeit bleibt noch ein besonderes Geheimnis im Leben der Fledermäuse; dieses Geheimnis ist um ihre Fortpflanzung gebreitet. •—• Hoffentlich reicht das letzte Stück unseres Heimweges aus, euch auch davon noch zu erzählen." 21
Warum die Fledermäuse im Juni zur Welt kommen A*wei wichtige Triebe sind es, die die Natur jedem Lebewesen eingepflanzt hat, auf daß das Leben seinen Bestand und Fortgang sichert. Der, eine ist der Selbsterhaltungstrieb, durch den .das einzelne Lebewesen angehalten wird, seine Lebenszeit möglichst vollständig auszuleben, das heißt, sich zu bemühen, seine Nahrung zu finden Und sich denjenigen Lebewesen zu entziehen, von denen es selbst als Nahrung begehrt werden könnte. Aber, wenn sich ein Lebewesen auch mit Schlauheit und Glück allen Nachstellungen entziehen konnte, wird es doch einmal altersschwach und muß sterben: Der älteste Baum und der stärkste Räuber, alle sinken, sie einmal dahin. Damit nun mit dem Hinsterben der Einzelwesen das Leben selbst nicht erlischt, sondern weitergetragen wird, gab die Natur ihren Geschöpfen den andern großen Trieb, den Fortpflanzungstrieb. Mit ihm gibt sie den Wesen den starken Antrieb, sich zu vermehren, sich in ihren Nachkommen zu erneuern und so die Erhaltung der Art und des Lebens überhaupt zu sichern. Zwar sind im Laufe der Zeiten schon ganze Arten, ja ganze Artengruppen vergangen, jedoch das Leben ist erhalten geblieben. Ich plauderte eben vom Selbsterhaltungstrieb, den jedes Lebewesen besitzt, und sagte, daß zu diesem Trieb das ständige Bemühen um die Nahrung und um die Lebenssicherung gehört. Nun ist es aber bei den am höchsten entwickelten Lebewesen in der Tierwelt so, daß die jungen Tiere noch lange nicht in der Lage sind, allein diese Bedingungen des Selbsterhaltungstriebes zu erfüllen, sondern daß die Mutter oder das Vatertier oder beide Eltern sich um die Nahrung und Sicherheit ihrer Jungen kümmern müssen, bis die Kleinen selbständig genug geworden sind. Diese Jungenpflege finden wir am ausgeprägtesten bei den Vögeln und bei den Säugetieren. Viele Vogeljungen können zwar schon vom ersten Lebenstage an selbst ihr Futter suchen, aber die Elterntiere müssen sie noch wärmen und über sie "wachen. Eine Ausnahme unter den Vögeln sind die Großfußhühner der Südseeinseln, die vom ersten Lebenstage an selbständig und elternlos leben. Die jungen Säugetiere hingegen können nicht einmal mehr das, sondern müssen eine Zeitlang vom Muttertier gesäugt, das heißt mit einer besonderen Nahrung, der Milch, ernährt werden. Die Natur ist nun sehr darum besorgt, daß die Jungen zu einer Zeit geboren werden, in der genügend Nahrung für das Muttertier vorhanden ist, und damit auch die genügende Menge Milch. Das aber ist bei unseren 22
Fledermäusen im Sommer der Fall, wenn . sich Nahrung in reicher Fülle bietet: alle unsere Fledermäuse kommen im Juni zur Welt. Da nun die Tragzeit, das heißt die Zeit der Entwicklung der Jungen im Mutterleib, bei kleinen Säugetieren durchweg nur einige Wochen währt, glaubte man, daß sie auch bei den Fledermäusen nur "wenige Wochen dauere, daß also die Paarung der Tiere etwa im März erfolge, also bald nach den» Erwachen aus dem Winterschlaf. Als man nun diese Vorgänge untersuchte, stellte man etwas sehr Merkwürdiges fest. Bevor ich euch davon erzähle, will ich zu eurem Verständnis ganz kurz die Verhältnisse bei der Entstehung eines neuen Wesens darlegen: Bei der Paarung gelangen die sogenannten Fortpflanzungszellen des Männchens, der Saaten, in den Körper des Weibchens und bewegen sich dem Ei, der Fortpflanzungszelle des Weibchens, entgegen. Wenn auf diesem Vv^eg die männlichen und die weiblichen Fortpflanzungszellen aufeinandertreffen, nimmt die weibliche Eizelle die männliche Samenzelle in sich auf, und nun beginnt die Bildung des neuen Lebewesens. Die Eizelle fängt an, sich zu teilen: Aus einer Zelle werden .zwei, aus zwei vier, aus vier acht und so fort, es entwickelt sich der Embryo, bis sich schließlich in einefci Vorgang voller Wunder Millionen von Zellen zu dem neuen Lebewesen zusammengefügt haben. Kehren wir wieder zu unseren Fledermäusen zurück] Am 3 i . Januar 1859 stellte der Naturforscher Pagenstecher an einem Weibchen der Zwergfledermaus fest, daß die Fortpflanzungsorgane dieses aus dem Winterschlaf genommenen Tieres zwar männliche Fortpflanzungszellen enthielten, daß aber die Eier noch gar nicht fertig ausgebildet waren. Weitere Untersuchungen brachten das gleiche Ergebnis; man fand oft schon früh im November die Organe der Weibchen mit Samen angefüllt. Schließlich beobachtete man, daß bei unseren einheimischen Fledermäusen die Paarung immer schon im Herbst stattfindet, der Samen jedoch im Körper des Weibchens den Winter über ruht und die' Vereinigung von Samen und Ei und damit die Bildung der jungen Fledermaus erst im nächsten Frühjahr erfolgt. Insektenforscher hatten schon etwas Ähnliches" bei "einigen Insekten festgestellt, z. B. bei unseren Hummeln, bei denen die Königin •—• das ist jenes weibliche Tier im Hummelstaat, das als einziges Eier legt •— im Herbst auf ihrem Hochzeitsflug den Samen empfängt, aber im nächsten Frühjahr erst mit ihm die Eier befruchtet. Bei den Säugetieren ist es insgesamt ganz anders. Die Vereinigung der beiden Fortpflanzungszellen findet bei Ihnen gleich nach der Paarung statt, und gleich beginnt auch die Entwicklung der Jungen. Nun also war festgestellt, daß das 23
Fledermaus-Säugetier hier eine Ausnahme war und in ihm das gleiche vor sich ging wie bei der Hummel. Aber das ist nicht die einzige Verzögerung bei der tierischen Fortpflanzung, die uns bekannt ist. Auch davon will ich noch kurz berichten, dann versteht ihr manches Merkwürdige im Fledermausdasein viel leichter. Beim Reh nämlich und beim Dachs, beim Bär, bei den Mardern, Wieseln und Robben hört die Zellteilung des Eies im Mutterleib nach einer gewissen Zeit auf und setzt sich erst nach einer monatelangen Ruhepause weiter fort. Die Tragzeit beim Reh verlängert sich dadurch auf 40 "Wochen, beim Dachs auf 35 Wochen, während sie bei etwa gleichgroßen Tieren, bei denen die Entwicklung des Embryo ohne Verzögerung weitergeht, viel kürzer ist: bei der Gemse z. B. 26 Wochen und beim Fuchs j l / 2 Wichen. Aber auch bei einer bestimmten- Fledermausart konnten zwei franzosische Forscher, da Costa und Courrier, herausfinden, daß bei ihr sich schon im Herbst Samen und Ei vereinigten und der Embryo zu wachsen beginnt, dann den Winter über ruht und sich im nächsten Frühjahr erst weiterbildet. Es ist das die langflügelige Fledermaus, die im Süden Europas lebt; sie wurde in Deutschland bisher nur am Oberrhein gefunden. Von einigen afrikanischen Fledermausarten wiederum weiß man, daß sie sich zweimal im Jahr, im Herbst und im Frühjahr, fortpflanzen.
Als die Eiszeit heraufzog • •. A us all diesen Tatsachen schließen die Gelehrten nun Folgendes : In früheren Zeiten, vor mehreren Millionen Jahren, als es auf1 der Erde erheblich wärmer war als jetzt und vor allem der kalte Winfcfcr fehlte, pflanzten sich die Fledermäuse zweimal im Jahre fort. Dann aber, vor etwa einer Million Jahre, erfolgte in den heute gemäßigten Zonen der Erde aus bisher unbekannten Gründen eine starke Temperatursenkung. Die Eiszeit begann. Über ganz Nordeuropa bis nach Mitteldeutschland, von den Alpen und sogar von den deutschen Mittelgebirgen her schoben sich ungeheuere Gletscher heran und ließen in Deutschland nur einen schmalen Landstreifen zwischen Niederbayern und der norddeutschen Tiefebene unbedeckt. Diese Vereisung erfolgte nun nicht plötzlich sondern ganz allmählich —• wir müssen in der Erdgeschichte immer mit Jahrtausenden und selbst mit Jahrmillionen rechnen •—-, aber die Pflanzen und Tiere verspürten die allmähliche Verschlechterung des Klimas in ihren Leibern und stellten sich darauf ein. Aus den Gebieten, die vom Eis bedeckt wurden, mußten sie natürlich weichen, aber auch in der eisfrei gebliebenen Zone herrschte ein kaltes Klima. Manche der Lebewesen 24
vermochten sich nicht anzupassen und starben aus, die anderen aber begegneten der Erschwerung der Lebensverhältnisse mit den verschiedensten Mitteln. W i r dürfen annehmen, daß in jener Zeit die erstaunliche Anpassung an den Winter erfolgte, die wir heute bei den Lebewesen vorfinden: Bei den Laubbäumen das Abwerfen der Blätter und die Winterruhe, das Wegziehen vieler Vogelarten, der Winterschlaf der meisten wechselwarmen und auch einiger warmblütiger Tiere. Die Fledermäuse haben sich sogar, wie ich euch erzählte, in zweifacher Hinsicht der Kälte angepaßt: Erst ziehen sie eine Stück südwärts und halten dann noch einen Winterschlaf. Die Verschlechterung des Klimas in jener erdgeschichtlichen Epoche erklärt uns vielleicht auch die seltsamen Erscheinungen in der Fortpflanzung der Fledermäuse, die ich eben erwähnte : Die Paarung erfolgte auch weiterhin in den Herbstmonaten. Damit die Jungen aber nicht in der kalten und nahrungslosen Winterszeit zur Welt kamen, sorgte die Natur dafür, daß das Junge im Mutterleib Monate hindurch in seiner Anfangsentwicklung verharrte und erst im Frühjahr das Wachstum wieder einsetzte. Auch das Hinauszögern der Vereinigung von Samen und Ei bis zum nächsten Frühjahr laßt sich vielleicht aus den gleichen Gründen erklären. So stellt man sich heute den Gang der Entwicklung vor, und diese Annahme leuchtet uns ein; ob sie allerdings jene Lebenseigenarten zutreffend erklärt, weiß man nicht mit Gewißheit." „Wäre es da nicht viel einfacher gewesen", meint V/alter, „wenn statt solch umständlicher Entwicklung die Tiere sich statt im Herbst erst im Frühjahr zur Paarung finden würden?" „Da hast du an sich vollkommen recht", erwidere ich. „Das wäre einfacher und auch möglich gewesen; denn die Fledermausmännchen sind immer, sowohl im Herbst wie im Frühjahr, zur Fortpflanzung bereit. „Gewißheit hat man über diese Vorgänge bis heute noch nicht gewinnen können. Man weiß heute noch nicht sicher, ob bei den Fledermäusen, die sich im Herbst aus irgendwelchen Gründen nicht gefunden haben, tatsächlich im Frühjahr echte Paarungen stattfinden oder nur Scheinpaarungen, wie man sie bei den Mardern, bei Dachs und Bär festgestellt hat, die ja auch eine verzögerte Embryonalentwicklung aufweisen. Zu deinem Einwand aber, lieber Wolter, möchte ich noch etwas sagen: Wenn wir uns in der Natur umschauen und uns besonders die Überreste der Pflanzen- und Tiergeschlechter vergangener Zeitepochen ansehen, erkennen wir, daß im Laufe der Zeiten eine ständige Aufwärtsentwicklung von den einfachen zu den höheren, vielgestaltigeren Lebensformen stattgefunden hat und immer noch stattfindet. Zwar sind 25
auch die einfachen Formen durchaus lebensfähig, ja sie sind gerade infolge ihrer Einfachheit weit beständiger, und sie haben sich auch viel leichter an die im Laufe der Jahrmillionen oft geänderten Umweltverhältnisse angepaßt als die hochentwickelten, kompliziert gebauten Formen, die im Laufe der Zeiten immer wieder dahinsterben mußten. Erstaunlich ist es, wie die einfachen Formen sich von den Urtagen ihrer Entwicklung an unerschüttert im Wechsel der Zeiten behauptet haben. Ihr dürft nun aber nicht unter einem einfachen Lebewesen etwa eisen Regenwurm und unter einem hochentwickelten einen Elefanten verstehen. Es gibt vielmehr in jeder der Tierklassen, die miteinander zu vergleichen falsch wäre, einfache und hochentwickelte Formen. Denken wir einmal an die niedrigsten, winzigen, für uns nur im Mikroskop sichtbaren Lebewesen, die JJrtiere und Urpflanzen -•— von den Bakterien wollen wir einmal absehen •—: Sie bestehen nur aus einer Zelle, dre alle Lebenstätigkeiten, Fressen, Verdauen, Bewegen, Fortpflanzen, für die die höher entwickelten, aus Millionen Zellen bestehenden Lebewesen besondere Organe ausgebildet haben, ganz allein verrichtet. Unter diesen Einzellern gibt es neben den einfachsten, die nur ein formloses Schleimklümpchen sind, auch solche, die ähnlich den Schnecken Kalk- und Kieselschalen ausgebildet haben. Diese Schalen sind mit ihren Mustern, Gitterwerken und Verzierungen wahre Kunstwerke. Bei den Säugetieren wiederum, die als Ganzes gesehen eine hochentwickelte Tiergruppe sind, gibt es neben hochspezialisierten Formen wie unseren Fledermäusen einfache Wesen, zum Beispiel die Mäuse, die ganz simple Geschöpfe sind, mit einfach gefügtem Körperbau und keinerlei besondereji Fähigkeiten; sie leben überall in W a l d und Feld, ernähren sich von allem Möglichen und sind im übrigen mit schrecklich viel Jungen gesegnet. Wenn wir jedoch die verschiedenen Geschöpfe auf, ihren W e r t für das Leben hin betrachten, so stellen wir fest, daß es die einfachen sind, die den Bestand und Fortgang eben dieses Lebens sichern und die Ausbildung höherer Formen überhaupt erst ermöglichen. Die Kleinen, Einfachen, Unscheinbaren sind vor allem dazu auf der Welt, den Größeren und Erleseneren zur Nahrung zu dienen. Kaum sind sie geboren, beginnt schon diese ihre Aufgabe, und die wenigen, denen es gelingt, sich an allen aufgerissenen Mäulern, Schnäbeln und Rachen vorbei zu schlängeln müssen recht viele Nachkommen erzeugen, damit der Tisch des Lebens für die anderen stets gedeckt bleibt. Sie also bilden die Grundlage alles Lebendigen, die die Natur immer wieder von neuem erschaffen muß. Zu ihrer Bestimmung reicht es aus, wenn diese Wesen in ihrem Bau einfach und auf das nötigste beschränkt 2§
angelegt sind. Aber aus ihnen heraus hat die Natur dann aufgebaut, hat sie in vielerlei Richtungen weiter entwickelt, neuen Bedürfnissen entsprechend abgewandelt, verbessert und zu verschiedenen Sonderzwecken ausgebildet. Denken wir nur einmal an. die Säugetiere, die aus diesen einfachsten Formen herangewachsen sind: Da gibt es besonders ausgebildete Läufer, Kletterer, Springer, Gräber, Schwimmer, Flieger. Die Natur ergeht sich aber in ihren Änderungen und Wandlungen nicht allein in den Bereichen des Zweckbestimmten und Praktischen, sondern auch des .Zwecklosen oder besser gesagt, des Zweckentrückten, im Schönen und Kunstvollen. Sie schwelgt in Farben und Formen, in Düften und Tönen, sie ersinnt Schmuck und Zierat in den mannigfachsten und" überraschendsten Gebilden.
Die W e l t ist kein Automat VJerade aus dieser Tatsache können wir wie aus einer abgrundtiefen Quelle den Glauben schöpfen ••— denn hier handelt es sich nicht mehr um ein klares Wissen •—•, daß die ganze W e l t nicht wie ein Automat abschnurrt, in denr^eine Hebelbewegung eine andere auslöst —', wobei dann noch zu fragen wäre, wer oder was den ersten Hebel in Bewegung setzte •—', sondern daß eine Schöpfermacht in überfließender Kraft und Lust die W e l t und ihre einzelnen Erscheinungen und Gestalten schafft, wandelt und in immer neuer Schöpferphantasie weiterformt. Daß diese schöpferische Kraft etwas Beseeltes und kein totes, kaltes .Maschinenwerk ist, erkennen wir eben auch daran, daß sie wie aus reiner Freude am Schaffen, aus der Freude am Gestalten, Geschöpfe hervorbringt, die gar nicht mehr zweckvoll zu sein scheinen; ja, daß sie ihre Geschöpfe so weit ausformt und ihren Organismus so sehr in eine bestimmte Richtung entwickelt, ihre Anpassung so einseitig auf eine einzige bestimmte Lebensform abstimmt, daß sie "wie ein zerbrechliches Luxusspielzeug der rauhen Wirklicjikeit oft nicht mehr gewachsen sind. t)er Vogel Dröhnte war solch ein* Lebewesen, dessen Entwicklung in eine Sackgasse führte. D a s schwanengroße Tier wurde plump und flugunfähig; nur noch auf der weltentlegenen Insel Mauritius im Indischen Ozean, wo es keine Feinde hatte, war es lebensfähig. Als dann der Mensch im Jahre i5o5 die Insel entdeckte und Hunde, Katzen und Schweine mitbrachte, war bei soviel Widersachern das Schicksal dieses hilflosen Geschöpfes besiegelt, und 1691 war der letzte Dröhnte von der Erde verschwunden. Oder denken wir an das seltsame Schnabeltier in Australien. Es ist in seiner Ernährung einseitig auf * ine bestimmte Schneckenart eingestellt; wenn diese Schnecken einmal, vielleicht durch 27
eine Klimaänderung, aussterben^ werden auch die Tage des Schnabeltieres gezählt sein. •— Auch manche Pflanzen sind im Bau ihrer Bluten auf eine einzige Nahrungsquelle, eine einzige Insektenart, eingestellt, und so gibt es noch viele Beispiele solcher einseitig entwickelten Bildungen. Und vielleicht darf man sagen, daß die Tatsache der verzögerten Embryonalentwicklung auch solch ein Schritt ist, der von der Straße des Erprobten fort auf eine unbekannte Versuchsbahn hinführt. , Seht, das sind nun in großen Zügen einige der Seltsamkeiten, Rätsel und Probleme, die sich uns bei der Beobachtung eines Vertreters der merkwürdigen Fledermausfamilie aufdrängen. Viele andere Angehörigen dieser Familie, besonders die in den Tropen lebenden, sind erst unvollkommen erforscht, wie ich schon sagte, und werden uns, wenn sich die Forscher erst einmal mit ihnen beschäftigen, vor viele neue Rätsel stellen. Aber seht dort drüben die ersten Lichter. W i r werden bald daheim sein. Und ich hätte doch noch so viel zu plaudern . . .
In der Sommerwohnung I-äns will ich nicht vergessen: Das ist das Sommerleben der Fledermäuse. Im März, wenn sie ihr Winterquartier verlassen haben, begeben sie sich in ihre nah oder fern gelegenen Sommerwohnungen. Die Weibchen sind es, die zuerst aufbrechen. Sie haben es anscheinend eilig, in die alten Sommerquartiere vom vorigen Jahr und in geordnete Verhältnisse zu kommen, denn nun beginnt sich das neue Leben in ihren Körpern zu regen. Diese Entwicklung fängt allerdings nicht sofort nach dem Erwachen aus dem Winterschlaf an; das Ei muß zunächst heranreifen, und erst nach etwa 14 Tagen erfolgt die Vereinigung von Samen und Ei und damit der Beginn der Jungenentwicklung. Bis dahin werden die Tiere wohl auch ihre Reise beendet haben und am Ziel sein. W e n n nun das Frühjahr schön und warm ist und an den lauen Abenden genügend Insekten fliegen, dauert die Entwicklung der Jungen bei unserem Mausohr etwa zehn W i c h e n . Ist es aber kalt, regnerisch und die Nahrung knapper, dann versinken die Fledermäuse noch einmal Tage und Nächte lang in den Winterschlafähnlichen Zustand, und in diesen Sehlafperioden, in denen die Tätigkeit des Körpers herabgesetzt ist, stockt auch wieder die Ausbildung des Embryos, und die Tragzeit wird länger. Unsere Fledermäuse haben also nicht wie andere Säugetiere eine feststehende Tragzeit, sondern sie ändert sich je nach den Witte« rungsverhältnissen. Im Laufe des Juni jedoch ist der Embryo ausgereift, und eines Tages Zo
kommt die junge Fledermaus zur Welt. Bei der Geburt hängt das Muttertier nun nicht wie sonst mit den Hinterbeinen sich anklammernd kopfabwärts, sondern es krallt sich auch mit den Daumen an dem Balken oder Dachsparren an und hängt waagerecht mit dem Rücken nach unten. Die Schwanzflughaut ist vorsorglich als Tasche ausgebreitet, in sie gleitet das Junge hinein und krabbelt sofort im Fell seiner JVlutter hinauf an die Brust, wo der lebensspendende Milchbrunnen fließt. Hier saugt es sich mit Hilfe seiner kleinen Milchzähne fest; sie unterscheiden sich von den durchbrechenden „richtigen" Zähnen darin, daß ihre Krone in feine Spitzen ausläuft, die als Festhaltehaken dienen. Außerdem klammert sich das Junge auch noch mit den Krallen der Hinterfüße und der Daumen in das Fell der Mutter. Es muß sich so kräftig verankern, weil die Mutter ihr Junges in den ersten -beiden Lebenswochen mit sich herumträgt, sooft sie nachts umherfliegt und Futter sucht. Da muß es schon fest genug sitzen, wenn es bei den schnellen und heftigen Schwenkungen der jagenden Mutter nicht herunterpurzeln soll. So tut sich also auf dem dunklen, verstaubten Dachboden ein richtiger Kindergarten auf. Es ist eine ganze Gesellschaft von Fledermaüsmüttern mit ihren Jungen. Auch einige jüngere, kinderlose Weibchen befinden sich dabei, aber nur selten ein Männchenl Die haben für das Kindergeschrei nicht viel übrig, sie wohnen anderswo und halten sich überhaupt sehr allein. Tagsüber ist die ganze Gesellschaft verschlafen und ruhig. Die ganz Kleinen hängen, mit einem Flügel zugedeckt, im Fell der Mütter. Ihre kleinen haarlosen Körper brauchen die mütterliche W^ärme, denn sie sind noch richtige Kaltblüter und können ihre Körpertemperatur beim Erwachen noch nicht selber erhöhen. Erst am Ende der zweiten W r oche haben sie sich so weit entwickelt, daß sie allein neben der Mutter an ihrem Balken hängen: Ein feines Haarkleid ist ihnen gesprossen, die Augen sind offen, die bisher schlaffen Ohren richten sich auf, die richtigen Zähne brechen durch, und der Körper,ist warmblütig geworden. Die einzigen Organe, die schon bei der Geburt kräftig ausgebildet waren, sind die Hinterfüße und die Daumen, die das junge Tier ja sofort zum Festhalten braTicht. " Abends fliegen dann die Mütter auf die Jagd. Die ganz Kleinen werden mitgenommen, die Größeren bleiben an ihren Balken hängen, klettern ein bißchen herum und warten auf die Rückkehr der Mütter. So gehen die Wochen dahin. Man trinkt Milch, schläft und im übrigen wächst man tüchtig. Besonders die Vordergliedmaßen mit der Flughaut strecken sich nun mächtig in die Länge. In zwei Monaten vergrößert sich die Flügelspannung eines jungen Mausohrs von i5 Zentimeter bei
der Geburt auf 38 Zentimeter. Nach etwa fünf Wochen können die Jungen fliegen, doch müssen sie es erst üben, ebenso gewandt zu werden und die Insekten so sicher zu fangen wie die Alten, und so kehren sie vorerst immer noch an den sicheren Milchquell der Mutter zurück. Nach etwa sieben W i c h e n aber werden sie auf diese Unterstützung verzichten, und im Alter von zwei Monaten sind sie fast erwachsen und selbständig. Inzwischen ist es August geworden. Die Kinderstuben lösen sich auf und jeder geht seinen eigenen "Weg. D a s Wichtigste ist jetzt, sich einen genügenden Fettvorrat für den Winter anzufuttern, denn die paar Sommerwochen sind rasch vorbei. Dann werden die Nächte schon wieder kühler, die Insekten knapper, und bald heißt es; sich auf die Reise machen und das Winterquartier suchen •—- das Fledermausjahr ist herum."
Stimme aus der Abend* tili e U nsere Wanderung ist nun fast zu Ende, wir nähern uns den ersten Häusern des Städtchens. Aus dem traulichen Dunkel des Abends leuchten uns die hellen Fenstervierecke, die vorhin vom Berghang her nur als Lichtpünktchen blitzten, warm und einladend entgegen. In den Bäumen neben uns beginnt ein W^aldkauz seinen Ruf •—• zuerst ein weicher, sanft verhallender Seufzer, nach einer kleinen Pause zwei Ruckser, und dann ein übermütiger und zugleich ein melancholischer Triller. „Hört ihr ? W i e schön das durch die stille Nacht klingt und wie tröstlich es ist: Über Kälte und Dunkelheit, über Ruhe, Schlaf und Tod erhebt das Leben seine triumphierende Stimme. Diese Stimme aus der Abendstille gehört einem jener Geschöpfe, die für die meisten Menschen AVesen des Nächtlichen sind, jenes Nächtlichen, Fremden, Ungewissen, das sie abergläubisch fürchten. Darum verabscheuen sie diese Geschöpfe, ihr heimliches Treiben ist ihnen geisterhaft, ihr Rufen unheilkündend. Zwar ist man heute- aufgeklärt, man nagelt nicht mehr wie früher die eingefangene Eule an die Stallwand, man wirft keine Fledermaus mehr ins Feuer und zertritt keine Kröte; denn die Menschen wissen, daß diese Wesen ihre Helfer sind im Kampf gegen die Schädlinge in Garten, Feld und W a l d —• das Gruseln vor ihnen aber haben die meisten noch nicht verlernt. Dem Wissenden jedoch ist die Nacht kein Reich der Finsternis und die AVesen in ihr sind für ihn k e i n e Gespenster. Er erkennt in ihnen die Geschöpfe derselben allgewaltigen Macht, die, auch ihn erschaffen hat, die ihn durchs Leben führt und, wenn seine Stunde gekommen ist. 30
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ihn w i e d e r abberuft. Sein grübelnder forschender Geist versucht, indem er sich b e t r a c h t e n d den W u n d e r n des Geschaffenen z u w e n d e t , den Sinn der Schöpfung zu begreifen. S c h r i t t w e i s e ist dieses E i n d r i n g e n der M e n s c h e i t i n die w e i t e H a l l e der Geheimnisse, von denen w i r u m w i t t e r t sind. U n d jede - G e n e r a t i o n m u ß erfahren, d a ß diese H a l l e sich immer w e i t e r und großartiger a u s d e h n t , u n d d a ß ein E n d e nie erreicht w e r d e n k a n n . A b e r dieses W i s s e n um die Unzugänglichkeit der letzten Tiefen bedrückt den ehrfürchtigen M e n s c h e n n i c h t : M u t i g s c h r e i t e t er a u f d e m d e r E r k e n n t n i s w e i t e r."
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Der Verfasser dieses Lesebogens, Otto Krikche, geb. am 23. 4. 1909 in Berlin, lebt als Schriftsteller in Wiesensteig. — Bild auf der vorderen Umschlagseite: Fledermäuse im Gebälk eines alten Turmes. — Bild auf der Rückseite des Umschlags: Neben den einheimischen Fledermausarten gibt es Vertreter dieser fliegenden Säugetiere auf der ganzen Welt.
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. Heftpreis 20 Pfg.
Natur- und kulturkundliche Hefte • Verlag Sebastian Lux Murnau-München • Aufl. 35000/48. Veröffentlicht unter Zulassung Nr. 138 der Nachrichtenkontrolle der Militärregierung. Herstellung: Druckerei des Gregoiius- Verlag vorm. Friedrich Pustet Regensburg