Nachtstahl-Auge MIRRODIN ZYKLUS · BAND 2
Tess Lebow Aus dem amerikanischen Englisch von Timothy Stahl und Dominik Kuhn...
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Nachtstahl-Auge MIRRODIN ZYKLUS · BAND 2
Tess Lebow Aus dem amerikanischen Englisch von Timothy Stahl und Dominik Kuhn
Kapitel 1
—
M
emnarch war allein in seinem Labor und schloss die Verriegelung der Ärmelmanschette. Er war nun vorbereitet. Hoch über seiner bauchigen Gestalt kauerte ein riesenhaftes, summendes Konstrukt, das mit zahlreichen Röhren und Trichtern versehen war. »Ja, ja«, sagte er. »Alles funktioniert einwandfrei.« Memnarch musterte die Bänder und glitzernden Lichter, die das Artefakt umhüllten. »So viel Aufwand für etwas so Simples«, sagte er. »Wäre es denn so schwer gewesen, wenn du es eingebaut hättest?« Er lauschte. »Das dachte ich mir.« Er räusperte sich und betätigte einen winzigen Hebel. Auf dem Rücken des Geräts falteten sich gigantische Gliederarme auseinander. Sie bewegten sich mit eingeübter Präzision, mit einer schlichten Eleganz, die im Widerspruch zu ihrer Größe und den klobigen Röhren stand, die daran befestigt waren. Die metallenen Gliedmaßen hüllten Memnarch in seine gepolsterten Halterungen. Sie summten vor magischer Kraft. »Sieh dir das an«, sagte er, die Lederriemen bewundernd, die ihn festhielten. »Diese Bänder, Memnarch, halten in deinem
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Namen. Die Selbstfesselung der Verehrung. Wenn du je Zweifel hattest, dann weißt du es jetzt: Memnarch ist ein wahrer Jünger.« Memnarchs rechte Gliedmaßen bewegten sich. Drei rote Strahlen drangen aus jedem seiner mechanischen Arme hervor und schufen auf seinem Fleisch ein Muster sich kreuzender Linien. Winzige, nadelstichgroße Lichtpunkte bewegten sich über seine Haut und erfüllten das Gewebe und die Adern darunter mit einem unheimlichen orangefarbenen Leuchten. Ein leises Klicken hallte durch das Labor, und die Arme zitterten etwas beim Einrasten. »Aber du hattest nie Zweifel. Memnarch weiß das.« Memnarch schloss die Augen und legte den Kopf nach hinten in eine gepolsterte Mulde. Er ruhte in der sanften Ausbuchtung, und einen kurzen Moment lang entspannte er sich, während er in die Vorrichtung geschnallt war, und stieß ein leises Seufzen aus. Dies würde der friedvollste Augenblick des Tages sein, und er wollte ihn genießen. In diesem kurzen Moment hielten sich Freude und Schmerz, Dunkelheit und Licht, Gut und Böse die Waage. Danach gab es dann Arbeit zu tun. Memnarch atmete tief ein und konzentrierte sich auf das Mana, das die Infusion auslösen würde. Er spürte, wie ihm das warme Glühen der Kraft das Rückgrat hinauf und in seine Fingerspitzen floss, und er stemmte sich gegen die Riemen. Das Summen von Magie erfüllte seine Ohren, dann beherrschte das blubbernde Geräusch von Blasen, die durch eine dicke Flüssigkeit trieben, sein Labor. Die Übertragung des Serums begann. Der magische Vorgang tat nicht so richtig weh, aber ganz ohne
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Schmerzen ging die Infusion nicht vonstatten. Die Flüssigkeit war dick, dicker als sein Blut, und es dauerte eine Weile, bis sie in den Blutkreislauf eindrang. Als sie von den Vorratsbehältern in ihn überging, spürte er die Anstrengung, die der Vorgang für seinen Körper bedeutete. Es war beinahe ein Gefühl, als würde er ertrinken, allerdings von innen heraus. Langsam kroch das Serum durch seinen Organismus. Als es auf sein Herz traf, ging es in Flammen auf, und er hatte das Gefühl, lebendig verbrannt zu werden, ein qualvolles Vergnügen, das ihn gleichermaßen belebte und peinigte. Dies war der Moment, für den er das Artefakt gebaut hatte – der Grund, weshalb er sich vor jeder Dosis festschnallte. Nach ein paar Herzschlägen war sein ganzer Körper mit dem Serum geflutet. So war es bislang noch nie gewesen. Es hatte nie so viel Anstrengung gekostet, aber zuvor hatte er auch noch nicht so viel von dem Serum gebraucht. Mit angespannten Muskeln versuchte er das unerträgliche Lustgefühl zu unterdrücken. Er schrie, oder wenigstens glaubte er zu schreien, und war völlig verloren in der überwältigenden Empfindung, dass er nicht wusste, was mit dem Rest seines Körpers vor sich ging, während er diese Qualen litt. Kurz darauf drang das Feuer in sein Gehirn, und er öffnete die Augen. Jeden Morgen folgte er demselben Ritual. Nur selten sah er dabei etwas – jedenfalls nie etwas genau Bestimmbares. Tränen füllten seine Augen und rannen ihm über die Wangen. Die dunkelgrauen Fliesen, mit denen der Boden seines Labors ausgelegt war, verschwammen mit dem Blau der Wände. Licht, das durch ein riesiges Fenster hereinfiel, mischte sich zu Rot- und Gelbtönen. Die Artefakte, Waffen und Hellsichtinstrumente in seinem Labor wurden durch das Lustgefühl unsichtbar. Was Memnarch
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sah, ähnelte einer Pfütze aus flüssigem Silber, die die Farben von Mirrodin widerspiegelte und verzerrte. »Herr, du bist gekommen.« Memnarch hielt die Augen offen, weil er fürchtete, das verzerrte Bild, das er vor sich sah, könnte verschwinden, wenn er auch nur blinzelte. Dann erreichte das Brennen seinen Gipfel, strebte jenem Punkt zu, an dem es nicht mehr besser werden konnte – beziehungsweise nicht mehr schlimmer. Auf dem Höhepunkt von Lust und Schmerz treibend, hielt er den Atem an. Die Wirkung des Serums verebbte langsam und ließ ihn getränkt mit den Erinnerungen an seine Gegenwart zurück. Als das Brennen verging, zu einer Messerklinge wurde und schließlich wieder zum stumpfen Stich eines Insekts, offenbarte sich Memnarch neue Kraft. Sein Geist wurde klarer, seine Gedanken genialer, sein Verständnis aller Dinge vollkommener. Seine übergroße, bauchige Gestalt schien ihm beweglicher, weniger lästig, lebendiger zu sein. Die vier hydraulisch verstärkten Arme fühlten sich kräftiger an, und seine sechs magisch perfektionierten Augen enthüllten nun die wahren Geheimnisse der Welt. Die Tränen versiegten, seine Sicht klärte sich – und der Anblick des Schöpfers, seines Herrn, verflüchtigte sich. Der Boden und die Wände nahmen wieder Form an. Sein Hellsichtpodest ragte aus dem Boden auf, das in seinem Becken eine Lache silbriger Flüssigkeit beherbergte, und das riesige Fenster, das eine ganze Wand des Labors einnahm, wurde wieder sichtbar. Dahinter pulsierte die glühende blauweiße Kugel aus reinem Mana im Zentrum von Mirrodin, und ihre Strahlen wärmten ihm das Ge-
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sicht. Memnarch blickte aus dem Fenster. Kristallförmige Chromgewinde ragten aus dem gekrümmten Boden und reckten sich dem Manakern entgegen wie Pflanzen einer Sonne. »Seltsam, wie organisches Leben das künstliche doch nachahmt«, sagte er. »Ist es auf den anderen Welten genauso?« Er lauschte. »Ja, das dachte Memnarch sich.« Die Tür glitt auf, und eine Gestalt betrat den Raum. Es war ein metallenes zweibeiniges Wesen, in seiner Form den Elfen oder Menschen aus der Außenwelt ähnelnd – und unübersehbar fehlten ihm die Verstärkungen und Verbesserungen, die Memnarch an sich selbst vorgenommen hatte. Memnarch erkannte das Wesen sofort. »Malil«, sagte er. »Komm herein. Komm herein.« »Ist alles in Ordnung, Herr? Ich hörte Schreie.« Memnarch bediente eine Steuerung, und die Gliederarme zogen sich zurück. Die Bänder und Manschetten, die seinen Körper während des Rituals festhielten, öffneten sich, und aus dem Gerät drang ein langes, träges Zischen. »Ja, ja, alles bestens, alles in Ordnung. Oder nicht?« Memnarch flitzte über den Boden auf seinen Diener zu. Seine metallenen, krabbenartigen Beine klickten über die Steinfliesen, und die Ausbuchtung seines gewaltigen Hinterleibs schleifte hinter ihm her. »Danke der Nachfrage.« Er spürte, wie sich die Muskeln in seinem Rücken entspannten und ein Gefühl schlichter Ruhe die letzten Überreste des von der Infusion herrührenden Hochgefühls fortspülte. Malil trat zur Seite und sah an Memnarch vorbei auf die große Apparatur.
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Memnarch beobachtete, wie Malil das Gerät inspizierte. Er lächelte über die offensichtliche Verwunderung des Metallmanns. Ein Gefühl des Stolzes schwoll in ihm an, und er sah hinab in Malils Gesicht – das dem seinen nahezu glich. »Er ist neugierig«, sagte Memnarch und wandte den Blick von Malil ab. »Sollen wir ihm verraten, was wir erschaffen haben?« Malil wandte sich zu Memnarch um und blinzelte. »Ja, Herr.« Er drehte sich wieder der Apparatur zu. »Wozu dient sie?« Memnarch lächelte. »Sie dient vielen Dingen, Malil. Vielen Dingen.« »Was für Dingen?« Abermals durchquerte Memnarch sein Labor. Er schaute in einen Glastrichter, der mit einer milchig weißen Flüssigkeit gefüllt war, und streichelte ihn, als würde es sich um ein lieb gewonnenes Haustier handeln. »Nun«, sagte er, ohne sich beim Sprechen vom Trichter abzuwenden, »zum Beispiel erntet und lagert sie Blinkmottenserum. Ist das nicht so?« Malil stand völlig still da und gab keinen Laut von sich. Memnarch lachte, zunächst aber nur behäbig. Die Probleme, mit denen er es noch am Tag zuvor zu tun gehabt hatte, schienen jetzt belanglos zu sein. Warum hatte er sich wegen solch unbedeutender Gedanken derart gesorgt? Sein Lachen wurde hysterisch, und er zuckte am ganzen Leib. »Ist das … ist das nicht … wunderbar?«, sagte er zwischen zwei Atemzügen. »Ja, Herr«, antwortete Malil. Memnarch hörte abrupt auf zu lachen. »Warum müssen wir von solchen Kleingeistern umgeben sein?«, sagte er und hieb mit der Faust gegen eine Kante der Apparatur. »Auf der einen Seite befindet sich Memnarch in der Ge-
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genwart von Großartigkeit, auf der anderen in der Gegenwart von Nichtswürdigkeit.« Er richtete sich zu voller Größe auf, bewegte sich um die Kontrolleinheit herum und berührte einen der Arme. »Ja, ja, Memnarch weiß. Du hast Recht.« Er wandte sich wieder seinem Diener zu und setzte die Umrundung der Apparatur fort. »Hier haben wir das Liefersystem«, erklärte er und wischte einen Schmierstreifen von dem auf Hochglanz polierten Chrom. »Liefersystem?« Memnarch wirbelte zu Malil herum. Seine Beine tickten über die Fliesen. »Ja, das Liefersystem.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Siehst du, womit Memnarch sich abgeben muss? Dass ihm die Intelligenz zum Verstehen fehlt?« Malil senkte den Blick zu Boden. »Ja.« Memnarch musterte seinen Diener. Nach elfischem Maßstab war Malil groß. Er verfügte über ein gewöhnliches Paar Beine und dazu passende Arme. Er hatte ein breites, kräftiges Kinn, das dem eines Menschen nachempfunden war, und schmale, leicht abfallende Schultern. Abgesehen von der Tatsache, dass er komplett aus Metall bestand, konnte man Malil für einen der Menschen auf der Oberfläche halten. Memnarch wandte sich dem Fenster zu. Früher einmal hatte er genauso ausgesehen wie Malil. Früher einmal war auch er zur Gänze aus Metall gewesen. Der Gedanke machte ihn traurig. Er sah auf seine Hände hinab. Eine Linie roter Flüssigkeit quoll dort aus seiner Faust, wo er gegen die Apparatur geschlagen hatte. Memnarch berührte die Stelle mit einem Finger. Tatsächlich, er blutete! Memnarch, der Wächter von Mirrodin, blutete! Seine Traurigkeit schlug in Zorn um. »Ist es das, was du mit mir vorhast?« Er hielt die blutende
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Faust hoch. »War es das, was du dir vorstelltest, als Memnarch erschaffen wurde?« Malil schlurfte einen Schritt vor. »Herr?« Memnarch sah seinen Diener an. »Ruhe! Wenn Memnarch wollte, dass du sprichst, hätte Memnarch sich an dich gewandt.« Malil trat zurück und schwieg. Memnarch blickte wieder auf seinen Arm hinab. »Das ist nicht das, was der Schöpfer beabsichtigte. Oder?« Memnarch schüttelte den Kopf. »Du, der du Mirrodin erschufst und es in Memnarchs Obhut gabst, hast das nicht gewollt.« Er lauschte, hörte jedoch nichts. »War Memnarch nicht pflichttreu?« Er horchte wieder. »Natürlich. Natürlich. Warum also hast du Memnarch entsagt?« Memnarch schritt durch das Labor. Er rannte aus dem Raum und kam auf dem Weg, den er gegangen war, wieder zurück. Als er herumkreiselte, verursachten seine Füße auf den Fliesen ein schrilles Knirschen. »Das hast du nicht?«, fuhr er fort. »Memnarchs perfekter Körper, der Körper, den du Memnarch gabst, für Memnarch erschufst, verwandelt sich langsam in Fleisch. Wenn das nicht dein Wille ist, wessen ist es dann? Wenn du das nicht gewollt hast, warum geschieht es dann? Hat Memnarch versagt?« Memnarch schüttelte den Kopf. »Nein. Nein, Memnarch könnte nicht versagen. Memnarch würde nicht versagen. Memnarch wurde mit der Aufgabe betraut, Mirrodin zu beschützen, sich darum zu kümmern, bis der Schöpfer selbst zurückkehrt. Das hat Memnarch getan. Memnarch hat alles getan, was du von ihm verlangt hast – und noch mehr!«
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»Herr?« Memnarch sah auf. Malil musterte ihn blinzelnd. »Herr? Ist alles in Ordnung mit Euch?« »Ja«, sagte er und lächelte dann. »Warum sollte mit Memnarch nicht alles in Ordnung sein?« Das Hellsichtpodest in der Mitte des Labors änderte die Farbe und zeigte nun ein waberndes Dunkelblau. Memnarch huschte hin, wobei er seine beträchtliche Leibesfülle vom Boden hob, um sie nicht hinter sich herzuschleifen. Vor der Metallschale ließ er sich nieder und schaute in die silbrige Flüssigkeit. In der Mitte des perfekten Kreises bildeten sich kräuselnde Wellen und breiteten sich ringförmig zum Rand des Beckens hin aus. Bilder formten sich, Bilder eines wahrhaft gigantischen Metalltunnels. »Die blaue Lakune.« Memnarch brachte seinen Kopf näher an die Schale heran. »Jemand kommt durch die blaue Lakune herunter, kommt, um uns aufzusuchen.« Malil durchquerte den Raum, blieb neben seinem Herrn stehen und schaute in das Becken. Weitere Bilder entstanden – sie waren unscharf und bewegten sich schnell. Memnarch kniff die Augen zusammen und konzentrierte seine Aufmerksamkeit ganz auf das Podest. Die Bilder wurden klarer. Es handelte sich um aufrecht gehende Zweibeiner. Er sah mehrere Gestalten, zwei Dutzend vielleicht, womöglich mehr. »Vedalken«, sagte er. Malil verlagerte sein Gewicht. »Warum sollten gerade jetzt Vedalken kommen?« »Eine gute Frage.« Memnarch bewegte die Hand wedelnd über
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dem Becken. »Memnarch hat ihnen keine Audienz gewährt …« Seine Stimme wurde schwächer. »Sie scheinen etwas zu jagen. Gegen eine gute Jagd haben wir nie etwas.« Er starrte ins Becken. »Das ist aber höchst ungewöhnlich.« Die wabernde silberne Flüssigkeit wurde mit einem Mal kristallklar. Eine hoch gewachsene, schlanke Elfin erschien. Ihre Arme und Unterschenkel waren, wie bei den meisten Wesen dieser Welt, von dickem Metall umhüllt, das aus ihrer Haut zu wachsen schien, als wäre es ein Teil ihres Körpers. Ihr mittellanges Haar wurde von einem Streifen gegerbter Tierhaut zurückgehalten, und sie trug ein Lederwams, das den restlichen Körper größtenteils bedeckte. »Sie ist hier«, keuchte Memnarch. »Wer, Herr?« Memnarch sah von dem Podest auf. Seine Haut kribbelte vor Freude. Seine Knochen schmerzten vor Aufregung, und seine Gedanken gingen in rasendem Tempo all jene Dinge durch, die er noch nicht erledigt hatte. »Sie ist hier«, wiederholte er. »Die Eine.« Er wandte sich an Malil. »Das Elfenmädchen.« Malil richtete sich aufmerksam auf. »Was wünscht Ihr, mein Herr?« Memnarch rieb sich die Hände und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen, fleckigen Lippen. »Bring sie zu uns.« Malil beugte den Kopf, machte dann auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum so, wie er ihn betreten hatte. Memnarch lehnte sich abermals über die silbrige Flüssigkeit. »Memnarch hatte dich nicht so früh erwartet.«
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$ Malil marschierte mit doppelter Geschwindigkeit den langen, gewundenen Gang hinunter. Sein Weg führte ihn in eine sanft abwärts führende Spirale – es war weit von Memnarchs Labor bis zur nächsten Ebene. Während er weiter hinunterlief, ging er im Kopf noch einmal die Szene mit Memnarch durch. Der hatte schon zuvor von dem Elfenmädchen gesprochen. Malil behauptete nicht, alles zu verstehen. Er wusste nur das, was Memnarch ihm erzählte und was er selbst mit angesehen hatte, aber das war doch so einiges. Memnarchs regelmäßige Schelte wiederholte sich in seinen Ohren wie von selbst: »Du brauchst nicht alles zu wissen. Du brauchst nur Memnarchs Anweisungen zu befolgen.« Der Metallmann verdoppelte sein Tempo noch einmal. Er verließ den erhöht liegenden Weg und betrat die Aussichtsplattform. Dieser Raum war völlig leer, und die Außenwände bestanden aus einem einzigen Stück magisch gewölbten Glases. Von hier aus konnte er das gesamte Innere von Mirrodin überblicken. Jenseits des Fensters schwebte in der Mitte der Ebene eine riesige Kugel aus blauweißem Mana über allem. Darunter stieg der Boden in alle Richtungen hin an, umschloss die leuchtende Sphäre und vereinte sich oben wieder mit sich selbst, womit er sowohl den Boden als auch die Decke des Inneren bildete. Spitze Chromtürme, Mycosynth genannt, ragten aus dem Boden und streckten sich wie knotige Krallen in die Höhe, als wollten sie nach der Kugel der Kraft über ihnen greifen.
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Malil ging durch den Raum bis zu einer genau in der Mitte liegenden Stelle. Dort befand sich ein roter Kreis auf dem Boden, in den der Metallmann auch sogleich hineintrat. »Untere Ebene«, sagte er. Das Summen von Magie erfüllte den Raum, und der Boden sank in die Tiefe, erst gemächlich, dann immer schneller. Bald wurde er wieder langsamer und stoppte schließlich ganz. Malil ging eine kurze Rampe hinunter, blieb vor einem hüfthohen Geländer stehen und schaute über den Rand hinweg auf eine Legion metallener Krieger. Sie waren alle identisch. Sie hatten gewölbte Köpfe, in deren Mitte jeweils ein einzelnes gelbes Auge leuchtete. Die Arme ragten seitlich aus dem Körper, wurden mit zunehmender Länge breiter und dicker und endeten in riesigen, rasiermesserscharfen Klingen. Die Rümpfe der Krieger waren mit Metallplatten gepanzert, die einander überlappten, sodass diese sich unabhängig voneinander bewegen konnten, ohne ihr empfindliches Inneres irgendeiner Beschädigung preiszugeben. Wo ein Mensch oder ein Elf Beine hatte, verfügten diese Krieger über zwei Räder, die mit kräftigen Stacheln besetzt waren, die wiederum scharf genug waren, um selbst das stärkste Metall zu durchbohren. Auf dem Rükken hatten sie alle ein kurzes, dreiteiliges Segel, das sie benutzten, um sich selbst über die weiten, offenen Ebenen von Mirrodin zu lenken. Die metallenen Killer kauerten lautlos geduckt da, einsatzfähig und treu ergeben, bereit, für eine Ewigkeit dort zu verharren, wo sie waren, oder von einem Moment auf den nächsten eine fremde Armee niederzumachen. Malil lächelte. »Öffnet das Tor«, rief er. »Der Wächter möchte, dass wir eine Elfin zurückbringen.«
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Kapitel 2
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lissa rannte. Sie rannte mit aller Kraft, mit ihrem ganzen Sein, so schien es. Vor ihr senkte sich der Erdboden immer tiefer. Wenn sie es nicht besser wüsste, hätte sie vielleicht angenommen, dass dieses gewaltige Loch mitten durch Mirrodin hindurch und auf der anderen Seite wieder hinausführte. Aber das konnte natürlich nicht der Fall sein. Slobad rannte neben ihr her. Sein runzliger kleiner Goblinkörper bewegte sich überraschend schnell, bedachte man, wie kurz seine Beine doch waren. Sein Werkzeugbeutel schlug ihm beim Laufen gegen den Leib. So wie er es immer tat, wenn sie vor irgendetwas davonrannten. Und es schien, als hätten sie seit jenem Tag, an dem sie sich kennen gelernt hatten, nichts anderes getan. Glissa warf einen Blick über die Schulter nach hinten. Bosh, der metallene Golem, trampelte unmittelbar hinter ihnen her. Seine rostende Eisengestalt schien regelrecht dahinzurumpeln, aber was ihm an Beweglichkeit fehlte, machte er mit Größe und Kraft wieder wett. Jeder seiner Schritte maß mehr als drei von Glissas Schritten. Und das war auch gut so. Mehr als nur einmal waren es Boshs lange Beine gewesen, die ihnen allen den Hals gerettet hatten.
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Das scheppernde Geräusch, mit dem seine schweren Metallfüße auf den Boden trafen, wurde von dem schimmernden, moosigen Material gedämpft, das jeden Zentimeter des Tunnels bedeckte und ihnen den Weg leuchtete. Das Komische an Bosh war, dass sein Gesicht immer – ganz gleich, was er tat – denselben stoisch ernsten Ausdruck beibehielt. Im Moment jedoch schien diese Miene völliger Konzentration und Nachdenklichkeit irgendwie zu passen. In den ausgestreckten Armen der riesenhaften Konstruktion kauerte das neueste Mitglied der Gruppe. Bruenna hatte das Gesicht zu einer Grimasse des Schmerzes verzerrt und umklammerte mit der Hand ihr Bein. Sie war von einer Harpune getroffen worden, als sie neben dem Becken des Wissensvorrats gestanden hatte. Den Metallpfeil hatten sie bereits entfernt, aber das Bein war noch immer gebrochen. Bruenna war zwar selbst eine Magierin von beträchtlicher Macht, aber keine ihrer Zauberkräfte war momentan imstande, ihr gebrochenes Bein zu heilen. Glissa richtete ihr Augenmerk wieder auf den moosigen Boden vor ihr. Er schien nach ihren Füßen zu greifen und machte jeden Schritt noch anstrengender. Der Lakunentunnel, durch den sie rannten, war rund und glatt und beschrieb eine leichte Kurve. Die sanfte Biegung des Gangs verwehrte Glissa den Blick auf die Krieger, von denen sie verfolgt wurden. Zumindest das war beruhigend. Obwohl sie die Vedalken nicht sehen konnte, wusste sie, dass sie da waren. Sie konnte hören, wie ihre stampfenden Füße auf dem Moosboden schmatzten, während sie ihnen nachjagten. Natürlich machten sie Jagd auf sie. Sie und ihre Freunde waren in den heiligsten Ort der Vedalken eingedrungen. Obwohl sie dafür
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einen guten Grund gehabt hatten, glaubte Glissa nicht so recht, dass die blauhäutigen, vierarmigen Wesen das auch so sahen. Ganz im Gegenteil, sie war sich sicher, dass sie ihren Tod wollten. Hinter der nächsten Biegung gabelte sich die Lakune. Rutschend und schwer atmend, kam Glissa zum Stehen. Hätte es sich hier um das Knäuel gehandelt, wüsste sie, welchen Weg sie nehmen müsste, aber jetzt war sie weit von zu Hause fort – an einem Ort, von dem sie bis vor ein paar Minuten nicht einmal gewusst hatte, dass er existierte. »Bruenna … Welche Richtung?« Die Zauberin sah sie aus schmerz- und tränengefüllten Augen an. »Ich… ich weiß nicht…« »Links!« Boshs Stimme dröhnte über die Bruennas hinweg. Glissa sah zu ihrem metallenen Gefährten auf. »Links?« »Links«, wiederholte er. »Woher willst du das wissen?«, fragte Slobad, der mittlerweile keuchend neben der Elfin stand. »Weil jetzt deine Erinnerung zurück ist, he?« Abermals grollte die Stimme des Golems durch den Tunnel. »Ja. Ich erinnere mich an diesen Ort.« Das Geräusch des marschierenden Vedalkentrupps wurde in dem gewundenen Tunnel lauter. Glissa sah zu Bruenna. Die Frau hob die Schultern. »Wir gehen nach links«, verkündete die Elfin und setzte ihren Spurt durch den Tunnel fort. Der Goblin rannte in großen Sprüngen neben ihr her, und das dumpfe Scheppern von Boshs schweren Füßen setzte wieder ein. Der Tunnel ging weiter, und die Moosdecke wurde immer dicker und dichter. Nach der nächsten langen Kurve verlief der
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Gang geradeaus weiter, und ein helles, blauweißes Licht strahlte hinein. Glissa schirmte ihr Gesicht ab, und ihre Augen stellten sich schmerzhaft vom dumpfen Leuchten des Mooses, das den Tunnel erhellt hatte, auf das blendende Licht um, das sich jetzt über sie ergoss. Sie wurde langsamer und fragte: »Wo kommt dieses Licht her?« »Ich weiß es nicht«, erwiderte die Magierin. »Der Manakern«, antwortete Bosh. Er schob Glissa mit seiner riesigen Gestalt weiter. »Er ist weit entfernt. Wir können ungefährdet weitergehen.« Die Elfin schüttelte den Kopf. »Ich hoffe, du hast Recht.« »Ich hoffe, da gibt’s keine Gleichmacher«, sagte Slobad. »Slobad kann nicht ’ne ganze Armee zerlegen.« »Nein«, sagte Bruenna, »aber der Vedalkentrupp wird uns zerlegen, wenn wir nicht weitergehen.« Sie hatten nicht gerade die allerbeste Auswahl an Alternativen. Glissa rannte weiter, ohne noch ein Wort zu sagen. Bruenna hatte Recht. Es war egal, was für ein Licht das vor ihnen war. Sie konnten nicht stehen bleiben. Es war besser, die Möglichkeit einer Flucht zu nutzen, anstatt von den Vedalken getötet zu werden. Das Licht nahm zu, während die Gefährten weiterrannten. Glissa konnte bereits das Ende des riesigen Tunnels ausmachen. Von hinten beleuchtete Schemen zeichneten sich allmählich zwischen dem Licht und dem dicken Teppich aus Moos ab. Schließlich stürmten Elfin, Goblin, Golem und Mensch aus der Lakune hervor. Bei dem sich ihnen nun bietenden Anblick fiel Glissa sofort
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auf die Knie. Ihr Magen verkrampfte sich schlagartig, und ihre Augen schienen nicht länger in der Lage zu sein, sich auf etwas Bestimmtes zu fokussieren. Die Welt, die sie gekannt und die sich nun seit Tagen täglich verändert hatte, war einmal mehr auf den Kopf gestellt worden. »Es ist wahr«, flüsterte sie. »Mirrodin ist hohl.« Das Innere von Mirrodin war schöner und zugleich furchterregender als alles, was Glissa je in ihrem Leben gesehen hatte. Es war, als wäre die ganze Welt umgestülpt und durch die Lakune gestopft worden. Seit Chunths letzten Worten an sie hatte sie versucht, es sich vorzustellen, aber alle Vorstellung reichte nicht an die Wirklichkeit heran. Vor ihnen erstreckte sich eine ganze Welt. Gewinde aus kristallinem Chrom ragten aus dem Boden und streckten sich wie die Bäume und dornigen Sträucher des Knäuels dem Himmel zu, aber anders als in dem großen Metallwald standen diese Gebilde nicht so dicht beieinander. Oben, wo Äste und Blätter hätten sein sollen, liefen diese Gewinde in gezackten Spitzen aus. Die sich türmenden Auswüchse ragten einer grellen, blauweißen Kugel am Himmel entgegen. Ein leises elektrisches Summen drang aus dem zischenden Kern – der, wie Glissa annahm, aus Mana bestand –, erfüllte die gesamte Ebene und legte sich über alle Wesen und Gebilde, als wäre es eine Decke. Zwar erstickte es die anderen Geräusche nicht, aber es erschuf eine Barriere, der die anderen Laute nicht entrinnen konnten. Sollten Slobad und Bruenna noch weiter entfernt sein, so war sich Glissa sicher, dass sie es nicht hören würde, wenn sie ihre Namen rief. Das Gefühl dieses alles umhüllenden Geräuschs empfand die Elfin als seltsam, aber doch auch als beruhigend, so als wäre in diesem weit offenen Raum
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ein kleines Stück nur für sie reserviert worden. Über der inneren »Sonne«, die an der Decke hing, ragten weitere dieser spitzigen Chrommonolithen herab. Von der Stelle aus, an der Glissa stand, sah das Innere von Mirrodin wie ein verfaulender, zähnestarrender Mund aus, der bereit war, in den Manakern in der Mitte hineinzubeißen. Der moosige Teppich aus der Lakune setzte sich bis hier hinein fort und bedeckte den Boden und alles, was sich in seinem Weg befand. Hier und da schienen gerade Streifen abgeschält worden zu sein, wodurch Linien am Boden entstanden waren, die wie die Adern eines Blattes aussahen. Durch diese kahlen Stellen schimmerte poliertes Metall, welches das Licht des Manakerns widerspiegelte. In der Ferne hob sich ein hoher blauer Turm vom Rest der Umgebung ab. Er überragte die anderen spitzen Türme und endete oben in einer abgerundeten Knolle. Während alle anderen Gewinde am Fuß von dem moosigen Bewuchs bedeckt waren, war das bei diesem nicht der Fall – er glänzte hell und reflektierte das blauweiße Leuchten, das alles berührte. Als Glissa den Blick über diese mythische Welt schweifen ließ, wurde ihr schwindlig. Sie hatte das Gefühl, als wüchse ihr Gehirn, als wollte es aus ihrem zu klein gewordenen Schädel hinausplatzen. Es gab so vieles aufzunehmen, und nichts davon schien Sinn zu ergeben. Die Ungeheuer, von denen ihre Eltern in Gutenachtgeschichten erzählt hatten, waren jetzt mit einem Mal echt. Innerhalb ihrer Welt existierte eine ganze Welt – wenngleich das doch eigentlich unmöglich war. »Was ist das alles?«, fragte sie, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. »Diese hohen Chromgebilde nennt man Mycosynth«, erwi-
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derte Bosh. Der Metallmann hob Bruenna hoch und zeigte mit einem ausgestreckten Finger auf den strahlenden Turm in der Ferne. »Diesen dort nennt man Panopticon.« »Woher weißt du das alles?«, fragte die Zauberin, die nun in seinen Armen lag. »Ich lebte einst hier …« Boshs Erklärung wurde von einem schrillen Heulen unterbrochen. Slobad hüpfte auf und ab, deutete auf das Panopticon und quiekte: »Gleichmacher! Gleichmacher! Gleichmacher!« Auf einem der Wege raste eine Meute künstlicher Kreaturen auf sie zu. Die Gleichmacher waren glatt und gewölbt, wie riesige Garnelen aus Metall mit mörderischen Klingen anstelle von Gliedmaßen und stachelbesetzten Rädern anstatt Schwanzflossen, die sie scheinbar mühelos durch das klebrige Moos trugen. An der Spitze der Gruppe ritt auf einem umgebauten Gleichmacher eine silberne, menschenähnliche Kreatur. Aus der Ferne konnte Glissa kaum Einzelheiten erkennen. Sah man von seiner spiegelnden Haut ab, hätte das Wesen ein Elf oder ein Mensch aus der äußeren Welt sein können. »Lauft!«, rief Bruenna. »Nein, wartet«, entgegnete Glissa. »Wenn dieser Ort existiert, dann heißt das, dass auch Memnarch existiert.« »Und?«, sagte die ungeduldige Zauberin. »Und«, fuhr die Elfin sie an, »das ist der, der für den Tod meiner Eltern verantwortlich ist.« Sie schaute ihre Gefährten einen nach dem anderen an. »Das ist meine Bestimmung. Letzten Endes werde ich mich ihm stellen müssen, komme, was will.« Bruenna blickte von ihrem Platz in Boshs Armen herab. Ihr Gesicht war bleich. Schweiß rann ihr über die Stirn, und ihre Augen wirkten eingesunken. Sie lächelte grimmig. »Du hast
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Recht.« Dann schüttelte sie den Kopf. »Aber wenn du ihm jetzt gegenübertrittst, werden wir anderen dabei sterben.« »Aber ...«, begann Glissa. »Wir haben keine Zeit, darüber zu streiten«, fiel Bruenna ihr ins Wort, während die Gleichmacher weiterhin näher kamen. »Wir können deine Eltern ein andermal rächen und die Welt retten. Jetzt müssen wir erst einmal schnellstens von hier verschwinden.« »Wohin?« Glissa drehte sich um. Die Vedalken waren noch nicht in der Lakune erschienen, aber sie wusste, dass sie kamen. Den Tunnel zurückzugehen würde deshalb Selbstmord bedeuten. »Da entlang«, sagte Bosh. »Ich erinnere mich an einen Tunnel, der zur Oberfläche führt.« Der metallene Golem rannte nun von der Öffnung der blauen Lakune fort, fort von der sich nähernden Horde von Gleichmachern und dem seltsamen Gebilde, das er Panopticon genannt hatte. Glissa packte Slobad beim Arm und folgte Bosh und Bruenna. Und wieder einmal rannten sie. Glissa hatte die Rennerei allmählich satt. Sie glaubte, nicht einmal dann so viel gerannt zu sein, wenn sie im Knäuel auf die Jagd gegangen war. Auch eine Elfin hatte ihre Grenzen. Sie zuckte die Achseln. Vermutlich war sie gerade dabei, die ihren zu finden. Slobad wehrte sich gegen Glissas Griff und drehte sich angestrengt um, während sie weiterrannten. »Sie holen auf!« »Renn schneller!«, rief die Elfin. »Er hat Recht.« Bruenna schaute über Boshs Schulter nach hinten. »Bosh, wie weit ist es noch bis zu dem anderen Ausgang?«
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»Weit.« Die Zauberin streckte die Arme seitlich aus und sagte dann ein einziges Wort. Ihre Hände blitzten in blauem Licht auf. Der offene Raum zwischen den erhobenen Armen gerann zu einer silbernen Membran, und Bruenna schwang sich in die Luft. Über Bosh schwebend, sagte sie: »Wir haben wahrscheinlich keine andere Wahl.« Sie sah Glissa an. »Wir bleiben hier und stellen uns deiner Bestimmung.«
$ Malil ritt auf einem speziell konstruierten Gleichmacher. Die Bestie war mit einer Leiter und zwei gebogenen Griffen ausgestattet. Der Metallmann duckte sich über das mörderische Artefakt, als würde er auf einem Delfin reiten. Er klammerte sich mit den Knien fest und steuerte die Kreatur auf diese Weise wortlos, wohin sie zu gehen hatte. Durch einen der Griffe, der nichts anderes als eine magische Leitung war, konnte der Gleichmacher Malils Gedanken »hören«, worauf er dessen Willen folgte. Hätte diese Verbindung nicht bestanden, hätte der Gleichmacher zwar auch auf ausgesprochene Kommandos reagiert, aber das wäre weniger befriedigend gewesen. Malil gefiel es, einfach nur denken zu müssen, wohin er wollte, um sich von der Bestie dorthin bringen zu lassen. Vom Panopticon aus war der Metallmann an der Spitze eines Bataillons geritten. Der Gleichmacher, auf dem er saß, war langsamer als die anderen, da er zusätzlich zum eigenen Gewicht auch das von Malil bewegen musste. Letztlich, das wusste Malil, war er es, der die ganze Horde aufhielt. Als die Elfin und ihre
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Begleiter in Sicht waren, gab Malil den Befehl zum Angriff. »Fangt sie«, rief er den Gleichmachern zu, die neben ihm dahinrollten. »Bringt mir die Elfin. Und tötet die anderen.« Die Killer setzten sich vor ihren General. Malil nickte zufrieden. Bald schon würde die Elfin in seinem Gewahrsam sein, und er würde die Befehle, die Memnarch ihm erteilt hatte, ausführen. Der Metallmann lehnte sich vor und hielt die Augen fest auf die näher kommende Beute gerichtet.
$ Glissa drehte sich um. Die Gleichmacher waren inzwischen viel näher, als sie gedacht hatte. Sie sah derartige Kreaturen zwar nicht zum ersten Mal, hatte sogar schon gegen sie gekämpft, aber noch nie hatte sie so viele auf so engem Raum versammelt gesehen. Der Anblick war beängstigend. Ein Schauer rann ihr den Rücken hinab und brachte die Haut dort zum Kribbeln. Die metallenen Ungetüme waren inzwischen so nahe, dass Glissa die menschenähnliche Gestalt an ihrer Spitze deutlich ausmachen konnte. Sie war groß und dünn, weder eindeutig Elf noch Mensch, und trug ein blaues Gewand, das sich hinter ihr bauschte, während sie auf dem Gleichmacher voranpreschte. Die glänzende Silberhaut des Fremden machte es schwer, den Ausdruck auf seinem Gesicht zu deuten, aber Glissa hätte ihn vielleicht durchaus als gut aussehend bezeichnet, wäre da nicht die Tatsache gewesen, dass er auf einer Mordmaschine sitzend auf sie zujagte – dieselbe Art von Maschine, die ihr die Eltern und auch die Schwester geraubt hatte.
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Das kribbelnde Gefühl schwand und wich einer fast greifbaren Wut, die ihr Blut in Wallung brachte und ihr Rückgrat stählte. Sie verzog die Lippen und kniff die Augen zusammen. Sie wusste nicht einmal, wer dieser silberne Mann war, aber trotzdem hasste sie ihn bereits. Er würde ihr viele Fragen beantworten müssen, und wenn das der sagenumwobene Memnarch war, dann hatte er eine große Schuld zu bezahlen. »Zeit für die Abrechnung«, sagte sie, hob die Hände hoch über den Kopf und beschwor grünes Mana aus dem fernen Knäuel hervor. Es überraschte sie, wie leicht es ihr zufloss. Die uralte Energie flutete ihren Körper, und sie fühlte sich sofort erstarkt. Bosh trat vor Glissa und Slobad. Seine hämmernden Schritte erschütterten sowohl die Elfin als auch den Goblin bis ins Mark. Ihr großer Freund blieb stehen, und das Rumpeln der Gleichmacher ersetzte das Dröhnen der Füße des Eisengolems. Einen Moment lang schwiegen die vier Gefährten und beobachteten nur die nahende Meute. Glissa atmete tief ein und kanalisierte das Mana, das sie in sich zurückhielt. Sie sah den heranjagenden Artefakten entgegen und suchte sich das nächste aus. Als sie ihren Zauber entfesselte, ergoss sich das Mana an ihren Armen hinab und zerriss in einem grünen Zickzack die Luft. Die Magie fuhr punktgenau in den herankommenden Gleichmacher. Die Kreatur explodierte. Zuvor miteinander verbundene Metallplatten flogen nun in alle Richtungen davon. Die Räder des beweglichen Apparats lösten sich und krachten gegen andere Gleichmacher, die kurzerhand über die Trümmer ihres einstigen Artgenossen hinwegrollten, ohne langsamer zu werden. Die sensenartigen Klingen der Kreatur hackten wirkungslos in den Boden, das Gerät überschlug sich und kann dann zur Ruhe.
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Die Gleichmacher setzten ihren Weg fort. Der silberne Mann wirkte weiterhin unerschrocken. Glissa sah, wie eine leuchtende blaue Kugel über ihren Kopf hinweg auf die Horde zuraste. Bruenna, dachte sie. Der Zauber traf eines der angreifenden Artefakte, und seine stachelbesetzten Räder hörten plötzlich auf, sich zu drehen. Das metallene Ungetüm erzitterte und rutschte seitwärts weg, ehe es zum Stehen kam. Ein weiterer Gleichmacher pflügte in das hintere Ende des stehen gebliebenen Ungeheuers, warf es um und verhedderte sich in seinen klingenbewehrten Armen und dem Lenkseil. Die beiden Kreaturen lagen ineinander verkeilt auf dem moosigen Boden und zwangen die nachfolgenden Konstruktionen, entweder in sie hineinzurasen oder auszuweichen. Bruennas Zauber hatte einen Bruch in der näher kommenden Feindeslinie verursacht, und die zuvor noch so geordnet vorrükkenden künstlichen Wesen erinnerten jetzt an einen tobenden Mob. Der vorderste Gleichmacher attackierte Bosh, worauf der Golem ihn in tausend Stücke zerschlug. Mit einem Schwung seiner schweren Faust plättete er ihn ganz einfach. Er schwang die andere Faust. Einem lauten Krachen folgte das Kreischen sich verbiegenden Metalls und berstenden Glases, und ein weiteres der Artefakte war erledigt. Als die Frontlinie der Gleichmacher die Gefährten erreichte, sprang Slobad auf den ersten, der ihm in den Weg kam. Der Gleichmacher hob seine sensenartigen Klingen und drehte sich in Glissas Richtung. Seine Stachelräder rissen den Boden auf und fraßen gierig die Distanz, die zwischen ihm und der Elfin lag. Sich am Lenkseil festhaltend, zog der Goblin ein schmales Brecheisen aus seinem Beutel. Er rammte es zwischen zwei der
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zusammengefügten Platten, hebelte die Außenhülle der Apparatur auf und schuf dadurch ein Loch, das groß genug war, dass er die Faust hindurchstecken konnte. Der Goblin griff hinein und machte sich an den Innereien des Gleichmachers zu schaffen. Glissa sah das Ding mit dem Goblin auf dem Rücken auf sich zukommen. Zu sehen, wie er in dieser künstlichen Kreatur herumbohrte, ließ Glissa lächeln. Wenn es darauf ankam, war Slobad der tapferste Goblin auf ganz Mirrodin. Ein pfeifendes Geräusch riss sie aus ihrer Gedankenversunkenheit. Sie warf sich nach vorn und schaffte es gerade noch, den Klingen eines zweiten Gleichmachers auszuweichen und davonzutaumeln, als diese dort niederfuhren, wo sie gerade noch gewesen war. Im Aufstehen zog Glissa ihr Schwert. Es erschien ihr albern, das Gerät mit einem Schwert ausschalten zu wollen. Sie wünschte, sie könnte die spitze Klinge in einen Vorschlaghammer verwandeln. Andererseits war dies auch kein gewöhnliches Schwert. Sie wusste allerdings nicht einmal, woher es ursprünglich stammte; sie hatte es im Baum der Sagen in Chunths Quartier gefunden. Es war mächtiger als jede Waffe, die sie je geführt hatte, wofür sie in diesem Augenblick auch äußerst dankbar war. Die Klinge sang, als sie die Angriffe des Gleichmachers zurückschlug. Sie warf einen hastigen Blick nach links und sah, dass der Gleichmacher mit Slobad auf dem Rücken sie beinahe erreicht hatte. Sie wandte den Blick wieder ihrem momentanen Gegner zu, beugte sich vor und machte einen Satz, um das leuchtende gelbe Auge des Artefakts zu erwischen. Ihre Klinge traf die Nahtstelle, klemmte sich zwischen das Gehäuse und die Linse. Glissa drehte das Schwert und hebelte das Auge des Wesens dadurch aus der Höhle. Die Apparatur schwang hin und her
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und griff mit den Klingenarmen um sich wie ein Blinder, der einen Dieb zu fangen versuchte. Glissa wandte sich wieder dem Gleichmacher mit Slobad auf dem Rücken zu. Die Konstruktion legte ihre Arme gegeneinander und schlug nach der Elfin. Das Artefakt war nahe, näher, als Glissa gedacht hatte. Sie rollte nach hinten, fiel auf ihren Hintern und wich den Klingen aus. Die Kreatur verfehlte sie um Haaresbreite und öffnete die Arme, bereit zu einer zweiten tödlichen Umarmung. Glissa rutschte rückwärts, doch blieb ihr nur wenig Raum, sich zu bewegen. Der Gleichmacher hinter ihr schlug noch immer blind um sich. Der vor ihr beugte sich herab, um ihr gleich den Kopf vom Rumpf zu trennen. Die Mordmaschine führte ihre Klingen aufeinander zu und ließ sie auf Glissa herabsausen. Gegen den um sich schlagenden blinden Gleichmacher gedrängt, blieb Glissa kein Platz, um auszuweichen. Glissa krümmte sich zusammen und machte sich auf den Treffer gefasst – aber der kam nicht. Die künstliche Kreatur schwenkte nach rechts, wandte sich von Glissa ab und sprang den um sich schlagenden Gleichmacher hinter ihr an. »Töte ihn«, rief Slobad vom Rücken des Wesens herunter. »Zerschneide ihn.« Das Gerät folgte seinen Befehlen! Glissa rollte herum und kam auf die Beine. Die beiden Gleichmacher hieben mit ihren Klingen aufeinander ein. Die Funken flogen nur so, als Slobads Kämpfer den Rumpf des blinden Ungetüms aufriss. Der Goblin sprang mit dem Brecheisen in seiner dreifingrigen Hand auf den Rücken einer weiteren Kreatur. Bosh zertrümmerte mit beiden Fäusten eine Apparatur nach
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der anderen. Bruenna ließ die heranstürmenden Monster erstarren oder fegte sie mit Windstößen davon. Slobad hetzte sie aufeinander oder sabotierte sie, so schnell er sie mit seinen kleinen Fingern zerlegen konnte. Glissa schlug sie mit ihrem Schwert und ihrer Magie zurück. Dennoch war die Masse der klingenbewehrten Wesen nicht aufzuhalten. Sie rückte weiter vor, endlos und unnachgiebig. Die Flut der Gleichmacher brach über Bosh herein. Mit ihren Stachelrädern kletterten sie gleichsam an ihm hoch. Ihre Sensenklingen trafen ihn, und sein Körper klang wie Glockenläuten. Binnen Sekunden verschwand der riesige Metallmann unter einem Haufen dieser Mordmaschinen. Ein schrilles Kreischen erfüllte Glissas Ohren. Slobad war von einem Gerät heruntergesprungen und ritt nun auf dem Rücken eines anderen. Sein Arm steckte bis zum Ellbogen im Metallrahmen der Kreatur, und sein Gesicht war in einem verzerrten, schmerzhaften Ausdruck erstarrt. Mit der anderen Faust schlug er auf die Hülle des Gleichmachers ein, drückte, zerrte und wand sich, um seine Hand zu befreien. Etwas war schiefgelaufen. Slobad steckte fest. Der Gleichmacher, auf dem er hockte, griff mit seinen Armen nach hinten und schlug nach dem Goblin. Slobad duckte sich, aber die Spitze der Sensenklinge erwischte den Goblin seitlich am Kopf. Ein Stück der Kopfhaut wurde abgetrennt, und Blut spritzte ihm am Hals hinab. Glissas Mut sank. Ihr Magen fühlte sich an, als hätte sie eine bodenlose Grube verschluckt, und ihr sträubten sich die Nackenhaare. Sie sah, wie das Ungetüm ein zweites Mal nach Slobad schlug. Der Goblin verschwand aus ihrer Sicht. Die Kreaturen schwärmten gleichsam herbei und kletterten
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einander auf den Rücken, um sich dem Himmel entgegenzurecken und Bruenna von dort, wo sie flog, herunterzupflücken. Glissa hörte die Zauberin schreien, als diese zu Boden gerissen wurde. Die Horde metallener Monster schloss sich um die Elfin und blockierte das reflektierte blauweiße Licht des Manakerns. Mit hoch erhobener Klinge wie wild um sich schlagend, wehrte die Elfin einen Gleichmacher nach dem anderen ab. Sensenklingen fielen zu Boden. Augen flogen umher. Stachelbesetzte Räder wurden zweigeteilt. Dennoch schloss sich der Kreis immer dichter um sie. Es waren zu viele, um sie allein zu bekämpfen. Glissa stieß die Klinge in den Spalt zwischen zwei Metallplatten und sprang vor, um einen weiteren Gleichmacher zu töten. Als sie sich streckte, fuhr ihr eine geschärfte Kralle in die Seite. Dann prallte ein Stachelrad gegen ihr Bein, und die Elfin stürzte hintenüber zu Boden. Binnen Sekunden spürte sie, wie ihre Arme und Beine zu Boden gedrückt wurden, sodass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Jemand wand ihr das Schwert aus der Hand, und die Spitze einer anderen Klinge berührte ihren bloß liegenden Bauch. Arme und Beine von sich gestreckt und mit einer tödlichen Waffe am Bauch auf dem Boden festgehalten, musste Glissa jetzt an ihre Familie denken – und an Kane. Sie würde nun sterben, und mit etwas Glück würde sie ihre Lieben wiedersehen, und zwar an jenem Ort, zu dem die Elfen gingen, wenn sie die Schrecken dieser Welt hinter sich ließen. Aber nicht einmal der Gedanke, ihre Eltern wiederzusehen, vermochte die Angst in ihr zu bezwingen. Das Leben auf Mirrodin war wahrlich kein Zuckerschlecken gewesen, aber sie wollte trotzdem noch nicht sterben – und schon gar nicht durch den Streich eines Gleichmachers. Während der vergangenen paar
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Umkreisungen war sie zu der Überzeugung gelangt, zu der festen Überzeugung, dass sie eine Bestimmung hatte, einem größeren Zweck zustrebte, aber ihre Suche war zu einem monumentalen Fehlschlag geworden. Sie hatte sich aufgemacht, um die Mörder ihrer Eltern zur Strecke zu bringen, nur um jetzt auf dieselbe Art abgeschlachtet zu werden. Wie tragisch. Aber sie war nicht die Einzige hier. Sie hatte jetzt Freunde, Freunde, die ihr zu diesem Ort gefolgt waren. Obwohl sie die drei im Moment nicht sehen konnte, blitzten doch deren Gesichter vor Glissas Augen auf: Slobad, Bosh, selbst Bruenna, die sie erst vor kurzem kennen gelernt hatte. Sie würden alle sterben. Abermals wich Glissas Angst blankem Zorn. Sie schrie. Es war kein Entsetzensschrei oder der erschrockene Schrei eines kleinen Mädchens, sondern ein wildes, raubtierhaftes Kreischen, das vor Macht nur so troff. Sie holte tief Luft. Das Herz hämmerte ihr bis in den Kopf, und das Knirschen der Räder der Gleichmacher drang ihr unvermindert in die Ohren. Sie sah die metallenen Ungeheuer an, die sie festhielten, und grenzenloser Hass stieg in ihr auf. Sie wollte jeden Einzelnen in ölige Metalltrümmer zerfetzen. Und dann brach sich etwas in ihr Bahn. Glissa hatte das Gefühl, als hätte sich tief in ihrem Inneren eine Schleuse geöffnet. Kraft floss daraus hervor und durch sie hindurch, und all ihre Muskeln spannten sich. Eine Welle grüner Energie explodierte über dem Schlachtfeld und erfüllte das Innere von Mirrodin mit einem grellen Blitz grünen Lichts – gefolgt von absoluter Stille. Nichts war zu hören, nicht das Knirschen der Gleichmacher, nicht das Sum-men des Manakerns. Alles war still.
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Das Licht verebbte. Gleichmacher wurden nach hinten gerissen. Als wäre ein Schalter umgelegt worden, der die Schwerkraft für einen kurzen Moment umkehrte, wurden die Mordmaschinen in die Luft geschleudert. Ihre Klingen schlugen umher. Ihre Lenkseile flatterten wirkungslos hin und her. Genauso plötzlich wurde der Schalter wieder zurückgelegt, und die Gebilde stürzten zu Boden, wo sie auf andere Gleichmacher krachten und ineinander verkeilte Haufen bildeten. Glissa war frei. Neben ihr schwebte Bruenna. Die künstlichen Monster, die sie vom Himmel gezerrt hatten, waren fortgeschleudert worden, und die Zauberin erhob sich wieder in die Lüfte, war nicht länger eine Gefangene. Der Haufen von Mordmaschinen, der Bosh zur Gänze bedeckt hatte, war von ihm heruntergerissen und wie achtlos hingeworfenes Kinderspielzeug auf den Metallboden geschleudert worden. Ihre schweren Hüllen waren beim Aufprall aufgeplatzt, metallene Sehnen und gläserne Linsen flogen in alle Richtungen davon. Metallrümpfe brachen in sich zusammen, zerquetschten die Mechanismen darin. Die glühenden gelben Lichter in ihren Augen erloschen. Der gewaltige Metallgolem war wieder frei, und er verlor keine Zeit. Er stieg über einen Wall aus verbogenem und zerstörtem Metall hinweg, griff hinunter und hob den Gleichmacher hoch, der Slobad auf dem Rücken trug. Bosh drückte die Finger zusammen und quetschte den Hinterleib des Ungetüms. Die Hülle platzte ab, und die darunter befindlichen Mechanismen quollen heraus. Slobads Arm löste sich aus dem Rückenschild der Kreatur und dem, was auch immer ihn festgehalten haben mochte. Er klet-
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terte an Boshs Brust hinauf und kauerte sich auf die Schulter des Golems. »Danke«, rief der Goblin und hielt sich an Boshs Hals fest. »Und jetzt lauf, he?« Bosh machte kehrt, und seine Füße dröhnten wieder schwer über den Boden. Aus der Ferne kamen mittlerweile weitere Gleichmacher heran. Vor Glissa war ein halbmondförmiges Stück des Bodens von Gleichmachern und Trümmern befreit. Es war, als habe der Zorn der Elfin einen gewaltigen Windstoß erzeugt, der alles fortgeblasen hatte, aber tatsächlich war es mehr als nur das gewesen. Wo ihr Zauber einen Gleichmacher erfasst hatte, war dieser gänzlich vernichtet worden. Bosh griff hinunter und nahm die junge Elfin auf. Dann eilte er weiter. Bruenna flog neben ihm her. Slobad schaute die Elfin aus großen Augen an. »Wie hast du das gemacht, verrückte Elfin?« Glissa blickte auf ihre Hände hinab. »Ich weiß nicht. Ich habe es … einfach getan.« »Kannst du Slobad den Trick mal beibringen, he? Würde es leichter machen, Gleichmacher zu zerlegen, he?« »Ja, das mag wohl stimmen«, antwortete die Elfin, »aber ich habe ja selbst noch nicht herausgefunden, wie ich das mache. Irgendwie geschieht es einfach.« Bruenna flog näher an Bosh heran. »Wohin jetzt?« Bosh hob das Gesicht und deutete mit dem Kinn nach vorn. »Über diese Anhöhe da. Dort gibt es einen weiteren Zugang in die blaue Lakune.« Glissa runzelte die Stirn. »Die blaue Lakune?« »Der Tunnel, durch den wir herunterkamen«, erklärte der Go-
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lem. »Er wird Lakune genannt.« »Das weiß ich, aber du sagtest ›blaue Lakune‹. Gibt’s da verschiedene Farben?« »Es gibt eine rote und eine blaue, aber keine grüne.« »Wieso erinnerst du dich an all das Zeug, he?«, fragte der Goblin. »Ist dir der Dross endlich aus dem rostigen Kopf gelaufen?« »Der Wissensvorrat«, warf Bruenna ein. Sie hielt sich im Flug ihr verletztes Bein. »In dem Becken, in das wir gesprungen sind und das uns hier heruntergeführt hat.« Sie verzog das Gesicht. »Ich sagte euch doch, dass mein Vater Recht hatte. Die Vedalken kennen eine Möglichkeit, alles, was sie wissen – alles, was jeder Einzelne von ihnen weiß –, in das Serum darin zu transferieren. Als wir hindurchschwammen, muss es Boshs Gedächtnis wiederbelebt haben.« »Ja«, bestätigte der Golem. »Warte.« Über Boshs Schulter hinweg beobachtete Glissa, wie die überlebende Mehrheit des Gleichmacher-Bataillons die Formation wiederfand und sich hinter dem seltsamen Metallmann aufreihte. »Wir können nicht zurück in den Tunnel … die blaue Lakune. Dort sind die Vedalken.« »Der Eingang vor uns müsste uns dorthin führen, wo sich der Tunnel gabelt. Wenn wir Glück haben, können wir ihnen so entgehen.« Bosh stampfte eine leichte Steigung hinauf, und Glissa drehte sich um. Unmittelbar vor ihnen, aus der Nähe kaum erkennbar, war die Öffnung in den Tunnel, von der Bosh gesprochen hatte. Sie schaute zurück zu den Gleichmachern. »Wir sollten uns lieber beeilen«, sagte sie. »Sie holen wieder auf.«
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Kapitel 3
—
V
erblüfft saß Malil auf seinem Gleichmacher. Wie hatte die Elfin das angestellt? Memnarch würde nicht erfreut sein. »Formiert euch«, rief er. Die durchbrochene Reihe der Gleichmacher folgte seinem Befehl. Trotz des Zaubers, den die Elfin gewirkt hatte, war der größte Teil von Malils Armee noch intakt, nur eben verstreut. Binnen weniger Augenblicke hatten sich die Mordmaschinen neu formiert und waren wieder einsatzbereit. Auf einmal tauchte jemand aus der blauen Lakune auf. »Pontifex!«, sagte Malil. Er wendete seinen Gleichmacher und befahl abermals die Verfolgung. »Ihnen nach.« Die Meute metallener Wesen rollte an. Malil jedoch blieb auf seiner Mordmaschine zurück. Anstatt des Geräusches, mit dem die Räder den Metallboden aufrissen, hörte er Memnarchs Stimme in seinem Kopf. »Bring den Vedalken zu uns. Wir wünschen eine Audienz mit Pontifex.« Hier im Inneren von Mirrodin konnte der Wächter überall zu Malil sprechen, ganz gleich, wo er war. Soweit der Metallmann wusste, konnte Memnarch auch durch seine Augen sehen. Zwei-
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felsohne hatte der Wächter das ganze Aufeinandertreffen mit der Elfin mit angesehen. Malil konnte sich dessen nie ganz sicher sein, gab es doch keinen Hinweis darauf, wann dies geschah. Er musste jedoch davon ausgehen, dass Memnarch ihn ununterbrochen beobachten konnte. Um auf Nummer Sicher zu gehen, benahm sich Malil jederzeit so, als wäre dies der Fall. Malil zwang seinen Gleichmacher voran – auf die Öffnung der blauen Lakune zu.
$ Pontifex trat aus dem Tunnel. Mit der breiten Spitze eines Speers schirmte der hoch gewachsene, schlanke Vedalken die Augen gegen das Leuchten des Manakerns ab. Grelle purpurfarbene Punkte verschleierten ihm die Sicht. Hinter ihm marschierte eine Gruppe von Kriegern heraus. »Marek, wo ist diese Elfin?«, rief er. Der bewaffnete vierarmige Leibwächter zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht, mein Lord.« Pontifex musste diese Elfin unbedingt erwischen. Er brauchte diese Elfin. Die Punkte verblassten allmählich, und jetzt erst sah er die Horde von Gleichmachern. Die Mordmaschinen rollten einen Trümmerhaufen hinauf und darüber hinweg und jagten mit zunehmendem Tempo davon. »Folgt ihnen«, befahl er. Die Armee dürrer, blauhäutiger, vierarmiger Wesen hinter ihm stürmte los. Die Spitzen ihrer Speere schimmerten in dem unnatürlichen Licht.
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Für Pontifex war das Innere von Mirrodin ein wundersamer Ort. Er war schon viele Male zu offiziellen Besuchen bei Memnarch hier gewesen, aber dieses Mal war anders. Dieses Mal kam er als der neue Anführer der Synode. Dieses Mal war er nicht eingeladen worden. Der Gedanke, von Memnarch gescholten zu werden, nagte in seinem Hinterkopf. Die Freiheit, die er sich nahm, indem er mit seinen Kriegern hierher kam, war nachgerade erfrischend. Als wären seine Gedanken über das Innere der Welt ausgesandt worden, erschien Malil, Memnarchs persönlicher Diener, und ritt auf seinem Gleichmacher auf den Vedalken zu. Malil war neu. Memnarch hatte ihn irgendwann zwischen den letzten beiden Zyklen des blauen Mondes und der gegenwärtigen Annäherung erschaffen, und Pontifex war ihm bislang erst einmal begegnet. Dennoch stand außer Frage, wem er diente. Oben auf seinem geschmeidigen Metallkörper trug Malil das Gesicht seines Schöpfers. Von den Schultern aufwärts war jede Wölbung, Nuance und Gestik exakt nachgebildet worden. Mit Malil zu reden rief in Pontifex gemischte Gefühle hervor. Malil war ein Diener, aber er sah Memnarch so ähnlich, dass es schwer war, ihm direkt in die Augen zu schauen. Obwohl er nicht wusste, ob es stimmte, ging Pontifex davon aus, dass Memnarch alles hören konnte, was Malil hörte. Gewiss konnte der Wächter von Mirrodin vom Panopticon aus die ganze Ebene überblicken. Warum also sollte er nicht imstande sein, das zu hören, was auch sein Diener hörte? Die Sache ärgerte Pontifex. Er war der angesehenste Forscher auf Mirrodin, und nun war er der Anführer der Synode der Vedalken. Warum sollte er mit einem Vermittler sprechen müssen? Zuvor hatte er das schließlich auch nicht getan. Und jetzt musste
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er, anstatt direkt mit seinem Herrn sprechen zu können, an einem bloßen Diener vorbei. Der ganze Vorgang war erniedrigend. Malil kam heran und brachte seinen Gleichmacher zum Stehen. »Seid gegrüßt, Lord Pontifex.« »Ich habe keine Zeit für Geplänkel, Malil«, erwiderte der Vedalken-Lord. »Wo ist die Elfin?« »Sie ist unterwegs zum zweiten Zugang zur blauen Lakune.« Der Metallmann, der dem Wächter von Mirrodin so ähnlich sah, deutete in Richtung der davonstürmenden Reihe von Gleichmachern. Pontifex drehte sich hastig nach seiner Armee um. »Halt«, rief er. Der Befehl durchlief die Linie marschierender Krieger. Die Worte echoten mit verschiedenen Stimmen bis zur Front. Die Linie dehnte sich aus und stoppte schließlich. Marek spurtete zu Pontifex zurück. »Eure Befehle, mein Lord?« »Sie kehren in die Lakune zurück, durch den anderen Eingang«, knurrte Pontifex. »Geht diesen Weg zurück und fangt sie an der Gabelung ab.« »Ja, mein Lord.« Marek machte kehrt, rannte zurück zu den anderen Soldaten und rief dabei Befehle. Pontifex wandte sich an den Metallmann. »Danke, Malil, du hast mir sehr geholfen. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest …« »Der Wächter hat nach Eurer Gegenwart verlangt«, unterbrach ihn der metallene Diener. »Der Wächter hat schon häufiger nach meiner Gegenwart verlangt.« »Der Wächter verlangt jetzt nach Eurer Gegenwart.«
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Pontifex kniff die Augen zusammen. »Aber mein Herr hat doch sicher gesehen, dass ich dabei bin, die Elfin zu verfolgen, oder?« »Ja«, antwortete Malil, »aber jetzt wünscht er, mit Euch zu sprechen. Er hat mich und die Gleichmacher geschickt, um die Elfin gefangen zu nehmen. Eure Hilfe wird nicht mehr gebraucht.« »Meine Hilfe wird …« Pontifex unterbrach sich selbst. Seine vier Hände zu Fäusten ballend, holte er tief Luft, dann fuhr er fort: »Natürlich, ich werde mich umgehend bei Seiner Lordschaft melden.« »Ich begleite Euch zum Panopticon.« Zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch sagte Pontifex: »Wie du wünschst.«
$ Malil führte Pontifex in den Aufzug. Schweigend fuhren die beiden nach oben. Als sie das Observatorium erreichten, warf Malil einen Blick zum Fenster hinaus. In der Ferne konnte er seine Gleichmacher sehen. Eine Staubwolke aus Rost stieg säulenartig in die Luft und markierte ihren Weg. Der Metallmann und der blauhäutige Vedalken erklommen den geschwungenen Zugang zu Memnarchs Labor, das in der Spitze des Panopticon lag. Neben der Tür stand ein rechteckiges Podest, das aus dem Boden ragte und bis an Malils Hüften reichte. In die Oberseite war ein dreieckiger roter Stein eingelassen, der in einem sanften inneren Licht pulsierte. Dies war der Eingang zum Labor, und nur Memnarch und Malil konnten ihn öffnen.
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Malil legte eine Hand auf den Stein, und die Tür zu dem Raum glitt auf. Er wandte sich an den Vedalken und deutete mit einer Handbewegung zur Tür. »Ihr könnt eintreten.« Pontifex blickte ihn an, während er sich an ihm vorbeischob und das Labor betrat. Drinnen ließ Memnarch den Blick über das Innere der Welt schweifen. Von hinten sah der Wächter von Mirrodin aus wie eine vierbeinige metallene Krabbe. Sein rundlicher Hinterleib ruhte auf dem Boden. Die langen, spitz zulaufenden Beine waren angewinkelt, die Gelenke überragten ihn und schienen bereit zu sein, seine massige Gestalt auf einen Gedankenbefehl hin anzuheben. »Pontifex«, sagte der Wächter, ohne sich umzudrehen. »Schön, dass du kommst, um uns zu sehen.« Der Vedalkenforscher fiel auf die Knie, senkte das Gesicht zu Boden und breitete die Arme in einer kunstvollen Verbeugung aus. »Natürlich, mein Lord.« Er erhob sich und verbeugte sich abermals. »Verzeiht mein Eindringen. Ich weiß, ich war nicht eingeladen …« »Genug geschwätzt, Pontifex«, unterbrach ihn der Wächter. »Memnarch verzeiht dir deine Unzulänglichkeit.« Die krabbenartige Kreatur wandte sich vom Fenster ab und huschte herum, ohne den mittleren Teil ihres Leibes vom Boden anzuheben. »Wir verzeihen dir dein Eindringen.« »Danke, großer Lord.« Pontifex blieb am Boden, hob den Kopf jedoch so weit an, dass er Malil einen weiteren Blick zuwerfen konnte. Die dicken Gelenke in Memnarchs Beinen gerieten surrend in
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Bewegung, und der Wächter wuchtete seine Leibesfülle vom Boden hoch. Nachdem er sein Gewicht in die Höhe gestemmt und auf den Beinen ausbalanciert hatte, bewegte er sich mit einer fließenden Eleganz, die in krassem Widerspruch zu seiner Größe stand. Er durchquerte das Labor und ging zu seinem Hellsichtbecken. Während Memnarch sich entfernte, drehte Pontifex sich am Boden, sodass sein Kopf in Richtung des Wächters wies. »Wie wir sehen, hast du deine Krieger mitgebracht«, sagte Memnarch. »Ja, mein Lord. Wir jagten die Elfin.« »Ja«, erwiderte der Wächter. »Sie ist schwer zu fangen. Wir haben uns nach ihr gesehnt, aber du hast es ebenso wenig wie Malil geschafft, sie zu uns zu bringen.« »Es tut mir sehr Leid, mein Lord«, antwortete Pontifex. Malil stand stocksteif neben der offenen Labortür, sagte jedoch kein Wort. Er wünschte, er läge ausgestreckt am Boden und würde gescholten. Schlimmer als das war es nämlich, indirekt für sein Versagen getadelt zu werden. »Memnarch verzeiht dir deine Unzulänglichkeit noch einmal«, sagte Memnarch, »aber nur, weil der Schöpfer es so wünscht.« Er fuhr mit der Hand über das Hellsichtbecken und schaute in dessen Tiefen hinein. »Wir haben noch Zeit.« Von seinem Platz aus konnte Malil nicht sehen, was Memnarch sah, aber es war offensichtlich nicht dazu angetan, den Wächter zu erfreuen. »Die nächste große Annäherung steht bevor«, sagte der Wächter. »Der Manakern ist überreif. Er wird bald ausbrechen. Und wenn das geschieht, müssen wir bereit sein. Wir müssen.« Memnarch ließ die Finger durch das Becken gleiten. »Memnarch ist fast bereit. Nicht wahr? Es sind nur noch ein paar Vorberei-
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tungen zu treffen, und alles wird so sein, wie wir es geplant haben …« Memnarch verstummte und starrte angestrengt in das schalenartige Becken des Podests. Malil stand ein paar Minuten lang schweigend da. Pontifex rührte sich nicht und drückte das Gesicht fest gegen die Fliesen. Nach einer ganzen Weile ergriff Memnarch wieder das Wort. »Bis dahin müssen wir sie haben. Versteht ihr uns?« Abermals bewegte er die Hand über dem Becken. »Ja, mein Lord«, erwiderten die beiden Männer gleichzeitig. Memnarch hob die Faust und schlug damit ins Becken. Blinkmottenserum schwappte in einem großen Schwall über das Podest. »Verdammt, verdammt, verdammt!«, rief er. Er wandte den Blick vom Hellsichtbecken zu Malil. Der Wächter deutete auf Pontifex, der immer noch am Boden lag. »Begleite ihn hinaus«, sagte er. »Memnarch muss noch einmal mit dem Schöpfer sprechen.« Der Wächter richtete sich zu voller Größe auf. »Allein.« Malil nickte und begab sich zu Pontifex. »Es ist an der Zeit zu gehen.« Pontifex sah zu Malil auf. Der Hass stand ihm in den Augen, aber er erhob sich von den Knien und folgte Malil aus dem Labor hinaus. »Ich werde Euch die Elfin bringen, mein Lord«, sagte er im Hinausgehen über die Schulter. »Darauf könnt Ihr Euch verlassen.« Der Metallmann führte den Vedalken-Lord den geschwungenen Gang hinunter und wartete, bis dieser den Aufzug betreten hatte. »Ihr kennt den Weg hinaus«, sagte er. Der Lift senkte sich. Pontifex glitt lautlos durch den Boden nach unten und ent-
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schwand Malils Blicken.
$ Memnarch ging in seinem Labor im Kreis. Das Klicken seiner scharfen Glieder vermengte sich mit den Worten, die er sprach. »Die Dinge waren einfacher, als Memnarch und der Schöpfer noch die einzigen Wesen auf der Welt waren.« Memnarch lachte. »Ja. Ja, das waren sie. Es gab gelegentliche Besucher, und manchmal ging der Schöpfer für lange Zeit fort.« Memnarch hob einen Finger. »Aber er kam immer zurück. Jetzt allerdings stehen die Dinge anders. Memnarch hat die ganze Welt erkundet. Es gibt nichts Wundersames mehr.« Er zuckte die Achseln. »Es gab ja auch nicht viel, jedenfalls nicht, bis Memnarch die Testobjekte herbrachte. Damals waren die Blinkmotten die einzigen besonderen Dinge auf der Welt.« Er lauschte. »Gewiss, die Türme und Quartiere, die du für uns erschufst, waren interessant, aber wie viel kann ein Beobachter von einem Turm lernen? Die Blinkmotten hingegen, die ließen sich studieren und sezieren, damit konnte man experimentieren. Memnarch fand die erstaunlichsten Dinge heraus. Ja, das tat er.« Er kicherte und rieb sich die Hände. »Memnarch entdeckte ihre Trennungsangst. Ja. Und er fand ihre Distanzschwelle.« Er neigte den Kopf und lauschte wieder. »Ja, Memnarch erinnert sich an die ersten Experimente. Die einzelne Motte, die mehr als ein paar Meter von den anderen Motten entfernt worden war, drehte durch und gebärdete sich wie wild in ihrem Würfelbehältnis.« Er lachte wieder. »Als könn-
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te sie genug Schwung nehmen, um die Glaswände zu durchbrechen.« Memnarch nahm einen dieser leeren Würfel vom Schreibtisch. Er betrachtete ihn mit seinen sechs scharfen Augen, bewunderte seine eigene Handarbeit. »Das konnte sie nicht, natürlich nicht, dafür hatte Memnarch gesorgt. Schließlich starb die Motte. Die lange Trennung über eine solche Distanz erwies sich als tödlich. Erst war Memnarch traurig über den Tod dieser empfindlichen Wesen. Sie waren vor Einsamkeit gestorben.« Er zuckte abermals die Achseln, stellte den Würfel zurück auf den Schreibtisch und durchquerte das Labor. »Und das führte uns dazu, Mirrodin mit Testobjekten zu bevölkern. Ja. Um die Einsamkeit zu vertreiben und mehr Kreaturen zu haben, mit denen wir experimentieren konnten. Aber das war vor langer Zeit. Vor langer Zeit.« Memnarch schnallte sich wieder in seine Apparatur. Bevor er diese Gerätschaft gehabt hatte, hatte er sich einen tragbaren Tank gebaut, der ihm das Serum während des Tages in bemessenen Dosen verabreichte. Er war unbequem gewesen und hatte seine Bewegungsfreiheit im Labor eingeschränkt, und deshalb zog er es vor, sich das Serum selbst zu injizieren, während er im Panopticon arbeitete. Wenn er seine Festung verlassen musste, um sich um die Seelenfallen zu kümmern oder Proben der Mycosynth-Auswüchse zu nehmen, trug er die Tanks. Heute jedoch hatte er noch viel vor und würde keine Zeit haben, um hinauszugehen. Die Bänder senkten sich um ihn, und er dirigierte die Gelenkarme an Ort und Stelle. Die Tür zum Labor glitt auf, und Malil trat ein. Memnarch sah von seinem Tun auf und musterte seinen Diener, während dieser in das Labor kam. »Verdammt sei er«,
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sagte der Wächter. »Er ist so perfekt, so metallen. Oh, wenn wir doch nur wieder ganz aus Metall bestünden.« Er seufzte. »Wenn wir uns nur erinnern könnten, wie es war, in glückseliger Unwissenheit zu schwelgen.« Memnarch neigte den Kopf, dann nickte er. »Richtig, das Serum hat Memnarchs Intellekt erweitert, aber wer hätte wissen können, dass Bewusstsein eine solche Bürde sein kann? Von derlei Dingen hast du nie gesprochen.« »Herr, ist alles in Ordnung?«, fragte Malil, während er näher trat. Memnarch leitete Mana in das Gerät. »Ja. Ja.« Er wandte sich ab. »Vielleicht nimmt es einen Teil der Last von einem, wenn man den Status eines Weltenwandlers erreicht hat. Memnarch hofft es. Es ist eine Menge Arbeit, die Pflichten wahrzunehmen, die es mit sich bringt, wenn man sich um eine ganze Welt kümmern muss.« Er legte den Kopf in die weiche Ausbuchtung zurück, und die roten Lichter huschten über ihn hinweg. Memnarch sah durch den Raum zu Malil hin. Der Metallmann stand reglos da und wartete. »Verstehst du, was wir tun?«, fragte Memnarch. »Ja.« »Vielleicht lassen wir dich schon bald auch einmal vom Serum kosten.«
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Kapitel 4
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G
lissas Augen gewöhnten sich an das dunkle Innere der Lakune. Der moosige Boden leuchtete, wie er es schon zuvor getan hatte, doch sein Licht war bei weitem schwächer als das des Manakerns. »Kannst du sehen, wo du hingehst?«, fragte sie Bosh, während er sie und Slobad trug und den Tunnel entlangstapfte. »Ja«, kam die Antwort des Metallmanns. Bruenna schwebte nahe Boshs Schulter hinter ihnen. Sie schaute die Lakune hinauf, und als Glissa über die Schulter des Golems nach hinten sah, waren ihre Gesichter einander ganz nahe. »Wie geht’s deinem Bein?«, fragte die Elfin. »Es tut weh.« »Wie lange wird dich dieser Zauber denn in der Luft halten können?« »Lange genug, um Lumengrid zu erreichen – wenn wir unterwegs nicht wieder auf irgendwelche Vedalken oder Gleichmacher treffen.« »Guck jetzt nicht dahin.« Slobad streckte seinen dürren Arm nach vorn und zeigte den Tunnel hinab. »Obwohl, vielleicht solltest du doch gucken, he?«
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Glissa drehte sich um und sah die Stelle, wo sich die beiden Wege in der Lakune vereinten und als ein zusammengeführter Tunnel zur Oberfläche hinaufliefen. Und um die Ecke kam, die Speere hoch erhoben, die Front der Vedalkenarmee. »Beeilung«, rief Bruenna. »Wenn wir an diesen paar Vedalken vorbeikommen, bevor der Rest um die Ecke auftaucht, dann können wir es vielleicht schaffen.« Glissa spürte, wie Boshs ganzer Körper dröhnte, als er sprach. »Guter Plan.« Der Golem verdoppelte seine Geschwindigkeit. »Ich hoffe nur, verrückte Elfin macht diesen Trick noch mal«, sagte der Goblin, als sie sich der langsam größer werdenden Gruppe blauhäutiger Soldaten näherten. »Am besten findest du schnell heraus, wie er funktioniert, he?« »Ja, da hast du wohl Recht«, antwortete die Elfin.
$ Marek bog um die Ecke und ließ den Blick den anderen Gang der Lakune entlangwandern. »Da ist sie!« »Herr, wir haben ihnen den Weg abgeschnitten«, sagte ein Soldat neben ihm. »Lord Pontifex wird erfreut sein.« »Was sollen wir tun?« »Wir sollten…« Marek schaute über die Schulter hinweg nach hinten. Weitere Vedalkensoldaten füllten den Tunnel. Es würde einige Zeit dauern, bis sein ganzer Trupp den Gang hinaufmarschieren und in den Kampf eingreifen konnte, aber über ein Dutzend Soldaten standen bereits an seiner Seite, und minütlich trafen
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mehr ein. »Herr?«, sagte der Soldat. »Wir sollten sie aufhalten, um dem Rest der Truppe genug Zeit zu verschaffen, zu uns aufzuschließen. Lasst sie nicht vorbei. Sie dürfen aber auch nicht wieder zurückgehen. Sobald weitere unserer Soldaten eintreffen, werden wir das Elfenmädchen gefangen nehmen und die anderen töten.« »Herr, wir sind mehr als genug, um eine Elfin, einen Goblin, einen Menschen und einen rostigen alten Eisengolem gefangen zu nehmen.« »Möglicherweise.« Marek schaute dem Krieger in die Augen. »Aber wir werden es auf meine Weise tun, und du wirst meine Befehle befolgen. In Ordnung?« »Ja, Herr«, antwortete der Soldat. »Wir werden sie aufhalten, bis der Rest der Armee eintrifft.« Marek lächelte. »Gut. Sorge dafür, dass die anderen ihre Befehle kennen.«
$ »Bist du dir sicher, dass wir da durchkommen?«, fragte Glissa, während sie die Lakune hinaufeilten. »Nein«, antwortete Bruenna, »aber bleibt uns denn eine andere Wahl?« »Wir könnten umkehren.« »Die Gleichmacher sind uns bestimmt in die Lakune gefolgt. Wir säßen zwischen zwei Armeen in der Falle.« Glissa schaute nach vorn. Die Vedalken hatten sich in einer Rei-he aufgestellt – Schulter an Schulter, zehn Mann stark, quer durch den Tunnel – und warteten. Eine zweite Linie hatte sich bereits gebildet, und eine dritte Reihe begann mit der Aufstel-
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lung, während weitere Soldaten um die Ecke kamen. »Was tun die da?«, fragte die Elfin. »Riegeln den Tunnel ab«, sagte Slobad. »Sie halten uns hier für die Gleichmacher fest. Werden uns in kleine Stücke schneiden. Toter Goblin. Tote verrückte Elfin, he?« Bruenna nickte. »Er hat Recht.« »Was machen wir jetzt? Wir können doch nicht gegen alle kämpfen.« »Nein«, sagte Bosh, »aber wir können sie niederwalzen.« »Was …?« Glissas Frage wurde unterbrochen. Bosh hob sie und Slobad von seinen Schultern. Eine große Platte aus rostigem Eisen öffnete sich in seiner Brust, und der Golem steckte die Elfin und den Goblin in den Hohlraum dahinter. »Es könnte euch schwindlig werden.« Bosh schloss die Metallluke wieder. Glissa saß, die Knie an die Brust gedrückt, in völliger Dunkelheit da. Das schwere Dröhnen von Boshs Schritten hallte laut in der Höhlung wider. »Wird das funktionieren?«, fragte sie Slobad. »Darfst du Slobad nicht fragen«, grunzte der Goblin. »Slobad weiß nicht, was verrückter Golem vorhat.«
$ Bruenna flog hinter dem dahinstampfenden Golem her. »Wie sieht dein Plan aus, Bosh?« »Bleib dicht hinter mir«, sagte er. Bosh zog seine Arme nun seitlich in seinen Körper ein. Für Bruenna sah es aus, als würden sie sich zusammenziehen. Mit
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seinem Kopf geschah dasselbe, er senkte sich einfach in den Körper und verschwand dort. Der Metallriese machte noch drei weite Schritte, dann sprang er in die Luft. Als er wieder herunterkam, hatte er auch die Beine eingezogen, und sein ganzer Körper war zu einer perfekten Kugel geworden. Der metallene Ball rollte der Linie wartender Vedalken entgegen. »Guter Plan«, murmelte Bruenna und folgte dem rollenden Golem, als er in die Reihe der Soldaten krachte. Speere, Helme und andere Ausrüstungsgegenstände wurden davongeschleudert und verursachten einen fürchterlichen Lärm, als sie gegeneinander prallten und sich auf dem Boden zu einem Haufen türmten. Diejenigen Soldaten, die nicht gleich aus dem Weg sprangen, wurden vom Gewicht der rollenden Metallkugel zerquetscht. Bruenna glitt hinter Bosh her, während dieser die Vedalken wie einen Streifen Rasierklingengras niedermähte.
$ Marek wollte seinen Augen nicht trauen. Im einen Moment jagte ein Golem die Lakune herab auf ihn und seine Leute zu – und im nächsten krachte eine gigantische Kugel in seine Soldaten hinein. Blauhäutige, vierarmige Vedalken wurden in alle Richtungen geworfen, viele von ihnen verstümmelt oder getötet, als der Ball über sie hinweg durch die Reihen gerollt war. Marek warf sich beiseite, um nicht auch zermalmt zu werden. Der Vedalken-Leutnant stand auf und wischte sich den Staub ab. Er sah der immer noch rollenden Kugel und der fliegenden Zauberin nach, als sie seine zerstörten Reihen rasch passierten
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und ihren Weg durch die Lakune nach Lumengrid fortsetzten. »Was war das?« Gestöhne war die einzige Antwort, die er bekam.
$ Glissa stemmte sich gegen die Innenseite der hohlen Brust des Golems. Der stete Rhythmus von Boshs Füßen auf dem Metallboden wurde von mehrmaligem lauten Krachen und einem langen knirschenden Geräusch unterbrochen, und dann fing die Welt an, sich zu drehen. Glissa sah in der lichtlosen Brusthöhlung rein gar nichts, und so konnte sie auch unmöglich wissen, wo oben war. Wann immer ihr Schädel gegen etwas Hartes stieß, so vermutete sie, stand sie wohl Kopf. Ihre Arme, Beine und Haare hatten sich mit Slobad verheddert. Und schließlich klammerten sich die beiden Gefährten um ihr Leben fürchtend aneinander. »Slobad hat Angst«, rief der Goblin. »Ich …« Glissas Antwort wurde unterbrochen, weil sie mit dem Rücken gegen etwas Hartes prallte und ihr die Luft aus den Lungenflügeln gepresst wurde. »… auch«, vollendete sie ihre Worte, nachdem sie die Fassung so weit wiedergewonnen hatte, dass sie rufen konnte. Mehrere dumpfe Schläge waren zu hören. Sie klangen so, als schlüge von außen etwas gegen die Brusthöhle. Dann überschlugen sie sich plötzlich nicht mehr. »Dem Schöpfer sei Dank«, sagte Glissa. Sie war auf dem Kopf gelandet. Dessen war sie sich aber nur deshalb sicher, weil ihr der Nacken wehtat und sie mit den Fü-
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ßen auf nichts als Luft traf. Sie drehte sich um, löste sich von Slobad und stemmte sich im Dunkeln vom Boden hoch. »Goblins sind nicht fürs Rollen geschaffen, he?«, sagte Slobad. »Slobad ist kotzübel.« Seinen Worten folgten ein gurgelndes Geräusch und das Platschen von Flüssigkeit auf dem Boden des Hohlraums. Glissa spürte, wie die flüssige Welle über ihre Füße hinwegspülte. »Wirklich reizend, Slobad.« Die Luke ging auf, und Licht ergoss sich durch die Öffnung. Im Dunkeln hatte Glissa gar nicht gemerkt, wie schwindlig ihr geworden war. Als sie jetzt die Wand der Lakune sah, drehten sich ihr Kopf in die eine Richtung und ihre Augen in die andere. Auch sie übergab sich nun. Bosh stummelartige Finger griffen herein und zogen die beiden Mitfahrer, denen sterbensschlecht war, ans Licht. »Hört bitte auf damit«, sagte der Golem. »Das kitzelt.« Glissa sah zu Bosh auf, dann lehnte sie sich über seine Hand und erbrach sich noch einmal. »Danke für die Warnung«, sagte sie. »Was hast du getan?« »Das können wir euch später erklären«, mischte sich Bruenna ein. Die Zauberin deutete mit dem Daumen über die Schulter nach hinten. »Im Augenblick müssen wir einem Haufen wütender Vedalken entkommen.« Bosh hob Glissa und Slobad wieder auf seine Schultern und stürmte dann den Tunnel entlang. Glissa klammerte sich an der Nahtstelle in Boshs Nacken fest. Die frischere Luft und das Licht halfen ihr, das Gleichgewicht halbwegs wiederzuerlangen, aber ihr war immer noch etwas flau im Magen. Slobad sah noch immer ziemlich mitgenommen aus. Alle paar Schritte drohte sein schlaffer kleiner Goblinkörper von
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der Schulter des Golems zu fallen. Er hielt sich mit aller Kraft fest, und seine Knöchel zeichneten sich über dem faltigen Fleisch weiß ab. Jedes Mal, wenn einer von Boshs Füßen auf den Boden traf, entrang sich Slobad ein leises Stöhnen. Bruenna schwebte hinter ihnen her. »Haltet ihr beiden durch?« Glissa hob den Blick und zuckte die Achseln, dann nickte sie. »Gut, denn wenn wir erst einmal durch das Becken des Wissensvorrats oben sind, müssen wir immer noch aus Lumengrid hinaus.« Glissa fasste sich an den Kopf. »Das hatte ich ganz vergessen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das schaffe.« Slobad würgte. »Ich auch nicht.« Die Gefährten liefen weiter die Lakune hinauf. Das moosige Zeug am Boden wich allmählich einfachem Metall, und der Tunnel wurde dunkler. Die Vedalkenkrieger waren nirgends zu sehen, aber Glissa wusste, dass sie nicht allzu weit hinter ihnen sein konnten. »Wir nähern uns dem Ende«, sagte Bosh. Der riesige Metallgolem kam zum Stehen. Am Boden kräuselte sich der Rand des Tunnels. Ein schillerndes Oval durchbrach den metallenen Schein vor ihnen – der Boden des Beckens des Wissensvorrats. Glissa betrachtete ihn. »Das hat mir schon auf dem Herweg nicht gefallen.« »Auf dem Rückweg ist es leichter«, sagte Bosh. Der Golem hob seine beiden Passagiere von seinen Schultern, dann kniete er sich hin. Er stieß einen Finger gegen den Boden, und die silbrige Substanz gab nach und ließ die ganze Hand des
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Golems hindurch. Wellen kräuselten sich in alle Richtungen, als wäre ein Wassertropfen in eine Pfütze gefallen. »Das ist alles Serum, he?«, fragte Slobad. Bruenna nickte. »Aber wie bleibt es dort? Warum läuft es nicht einfach in die Lakune?«, wollte die Elfin wissen. Die Zauberin zuckte die Achseln. »Wenn ich raten müsste, würde ich auf Magie tippen.« Das Geräusch von Stiefeltritten, die den Tunnel heraufkamen, hallte durch die Lakune. Slobad eilte zu der silbrigen Wand. »Für Slobad ist diese Erklärung gut genug«, sagte er. Der Goblin tauchte nach oben in das Serum. Die Wand wogte, aber nichts davon spritzte oder tropfte in den Tunnel. Bruenna schwebte ebenfalls hinein und war nach einem Blubbblubb nicht mehr zu sehen. Glissa schaute ihrer Freundin nach. »Ich weiß nicht, Bosh…« »Zeit zu gehen«, fiel ihr der Golem ins Wort und schob die Elfin in das Serum. Glissa glitt durch die Wand, den Mund noch vom Sprechen geöffnet. Die Welt rings um sie her war zähflüssig und träge. Sie spürte das Gewicht des Wissensvorrats auf sich, und ihre Brust erschien ihr wie leer. Sie hatte das Gefühl, als stülpe ihr jemand seine Hände über die Ohren, weil auf einmal alles ganz still geworden war. Glissa öffnete die Augen und schaute nach oben. Die Welt war verschwommen. Die Oberfläche des Wissensvorrats sah aus wie die Wand, die sie gerade passiert hatte, nur war sie weit entfernt und unscharf. Vor sich sah sie ein kleines, hektisches grü-
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nes Ding, das an eine Kinderzeichnung erinnerte. Das muss Slobad sein, dachte sie. Hinter ihm schoss ein sich fließend bewegender blauer Streif der Oberfläche entgegen. Obgleich nichts zu erkennen war, wusste Glissa doch, dass es sich dabei um Bruenna handeln musste. Sie drehte sich um und sah, wie Bosh sich von einer verzerrten Reflexion jenseits der Wand in einen gespenstischen Klumpen verwandelte, als er in das Serum vordrang. Der Golem bewegte sich eilig auf sie zu, packte sie bei den Armen und schob sie zur Oberfläche hinauf. Mit Boshs Hilfe stieg Glissa strampelnd durch die dicke Flüssigkeit nach oben. Ihre Lunge brannte, und ihr Mund war voller Serum. Sie wollte es ausspucken und tief Luft holen. Den Blick wieder nach oben gerichtet, versuchte sie sich darauf zu konzentrieren, zur Oberfläche zu gelangen, die ihr so weit weg zu sein schien. Auf dem Weg nach unten war ihr das Becken nicht so tief vorgekommen. Glissa trat kräftiger mit den Beinen und löste sich aus Boshs Griff. Dennoch kam die Oberfläche nicht näher. Reflexartig versuchte sie tief einzuatmen, aber es gab keine Luft, und alles, was sie damit bewirkte, war, dass ihre Wangen einfielen. Sie fühlte sich gefangen, geriet in Panik. Sie würde in diesem Becken ertrinken. Ihr Herz hämmerte ihr in den Ohren, und ihre Glieder schmerzten vor Erschöpfung. Sie spürte Boshs Hand wieder, und die Oberfläche des Wissensvorrats schien auf sie herabzufallen. Jetzt konnte sie die Oberfläche deutlich sehen. Da waren Lichter, und wo sie auf das Serum trafen, formten sich Sterne. Und da war noch etwas anderes – dunkle Schemen, die sich um den Rand des Reckens herumbewegten. Sie konnte nicht erkennen, worum es sich dabei
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handelte. Sie kniff die Augen zusammen, aber es nützte nichts. Was diese Schemen auch gewesen sein mochten, sie entschwanden in dem Moment aus ihrem Blickfeld, als ihr Kopf die Oberfläche durchstieß. Glissa spuckte Serum aus und holte saugend Luft, stieß sie wieder aus und atmete abermals tief ein. »Ich dachte schon, ich würde hier nicht lebend herauskommen«, rief sie und wischte sich das Serum aus den Augen. »Das wirst du auch nicht«, sagte jemand mit gurgelnder Stimme. Die Worte klangen, als kämen sie von unter Wasser – weit weg und gedämpft. Glissa fuhr sich noch einmal mit der Hand übers Gesicht und schaute dann über den Rand des Beckens hinaus. Ein Dutzend Vedalkenwachen füllten den Raum. Zwei von ihnen hielten Slobad an den Armen fest, während zwei andere ihre glühenden Hellebarden auf die verletzte Bruenna richteten. »Komm aus dem Becken heraus«, sagte dieselbe, weit entfernt klingende Stimme. Glissa wusste nicht, welche der Wachen da sprach, weil sie alle schweren Helme trugen, die mit etwas gefüllt waren, das wie Wasser oder Blinkmottenserum aussah. »Ich sagte, komm raus«, befahl die Stimme. »Schon gut, schon gut.« Glissa schob sich auf den Rand zu. Von unten spürte sie eine gewaltige Schwingung, als hätte eine riesige Blase, die von unten heraufgestiegen war, sie an den Beinen getroffen. Dann befand sie sich auf einmal in der Luft. Das Serum rann ihr von den Gliedern, als sie der Decke entgegenschoss. Mit den Armen rudernd, schaffte Glissa es, in der Senkrechten zu bleiben. Als sie den Scheitelpunkt des Aufwärts-
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bogens erreichte, zog sie ihr Schwert aus dem Gürtel und blickte dort hinab, wo sie eben noch gewesen war. Unter ihr strudelte und blubberte der Wissensvorrat, als kämpften hundert tödliche Fische um den Kadaver eines Zombies darin. Boshs Kopf hatte die Oberfläche durchbrochen, und er stieg auf wie ein Kolben – gewann mit immenser Geschwindigkeit an Höhe und stürzte dann wieder in das Serum. Die Wellen schwappten über die Schultern des Golems, als er zurück in das Becken glitt. Die Elfin landete unterdessen auf einer der Vedalkenwachen. Mit dem Stiefelabsatz zerbrach sie die Gesichtsmaske des Wesens, und die Flüssigkeit darunter lief aus. Die Wache ließ ihre Hellebarde fallen und fasste nach ihrem Gesicht. Glissa wandte sich der nächsten Vedalkenwache zu. Diese hielt ihre Hellebarde zum Schlag bereit. Der vierarmige Krieger nahm Maß und ließ die Spitze seiner Waffe auf die Elfin niedersausen. Glissa schaffte es gerade noch rechtzeitig, ihre Klinge zu heben, um den Schlag des Vedalken abzublocken. Andernfalls hätte ihr jetzt ein Ohr gefehlt. Sie drehte sich beiseite, trat dann wieder vor und befreite ihr Schwert. Die Wache war wehrlos, weil sie ihre lange Waffe auf die kurze Distanz nicht einsetzen konnte. Sie wich zurück, aber es war zu spät. Glissa brachte dem Krieger eine lange Bauchwunde bei, die ihm Gewand und Unterleib öffnete. Rosa- und Purpurfarbene Fleischklumpen quollen aus dem offenen Bauch. Glissa nahm an, dass es sich dabei um Vedalkeneingeweide handelte, auch wenn sie die Innereien eines solchen Wesens noch nie gesehen hatte. Die Wache brach in die Knie ein, nahm ihre Gedärme mit bei-
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den Armen auf und versuchte sie sich in den Leib zurückzustopfen. Glissa wandte sich ab. Sie war sich sicher, dass dieser Vedalken ihr keinen Ärger mehr machen würde, vorerst jedenfalls nicht. Vier Hellebardenklingen fuhren gleichzeitig auf sie herab und blockierten die vier Hauptrichtungen. »Lass deine Waffe fallen«, erklang eine gurgelnde Stimme. Glissa schlug einen der gewaltigen Speere beiseite, duckte sich durch die so entstandene Lücke und kam hinter dem Ring aus Wachen wieder hoch. Als sie herumwirbelte, erwischte etwas ihren Fuß, und die Welt drehte sich mit ihr. Zum dutzendsten Mal in ebenso vielen Minuten schlug die Elfin mit dem Kopf auf und sah Sterne. »Nicht schon wieder.« Glissa versuchte sich aufzusetzen, aber drei Speerspitzen waren ihr dabei im Wege. »Das ist weit genug.« Glissa sah in die Augen einer Vedalkenwache auf. Der Kopf des Kriegers schwamm in einem Helm voller Serum, das seine Lippen und Augen verzerrt und gummiartig aussehen ließ. Er sah aus wie eine Mischung aus Fisch und Mensch – kein Elf könnte je so grotesk wirken. Glissa lag schwer atmend am Boden. »Was wollt ihr?« »Ich will, dass du dein Schwert fallen lässt.« Aus dieser Nähe konnte Glissa sehen, wie sich die Lippen des Wesens beim Sprechen bewegten. Irgendwie schienen die Worte aus seinem Hals oder dem oberen Teil seiner Brust zu dringen. Der Vedalken stieß seinen Speer gegen ihren Bauch. »Ist ja gut.« Glissa ließ ihre Waffe los, und eine der anderen Wachen trat das Schwert über den Boden, fort von ihrer geöffne-
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ten Hand. Ein lautes Platschen hallte durch den Raum, und eine Serumwelle ergoss sich über die Seiten des Beckens des Wissensvorrats. Boshs Kopf und Brust tauchten wieder auf. Der Golem stieg aus dem Becken. Seine Füße kamen mit einem dumpfen Dröhnen auf, als er auf festem Boden landete. »Bleib genau da stehen«, rief eine der Wachen hastig. Glissa spürte, wie ihr zwei Händepaare unter die Arme griffen. Ein Vedalken riss sie auf die Beine. Zu ihrer Linken wurden Slobad und Bruenna auf die gleiche Weise festgehalten. Ihre Arme wurden von jeweils zwei Wachen nach hinten gebogen, während andere ihnen Klingen gegen den Hals drückten. »Auf die Knie, Golem, oder deine Freunde sind auf der Stelle tot.« Bosh schaute Slobad und Bruenna und schließlich Glissa an. Sie schüttelte den Kopf. »Nicht.« Eine der Wachen schloss ihre Hand um Glissas Wangen, sodass sie Kopf und Kinn nicht mehr bewegen konnte. Die Elfin wehrte sich, aber es war sinnlos. Der Vedalken war kräftig, sodass sie nichts anderes mehr tun konnte, als die Augen in ihren Höhlen zu bewegen. »Auf die Knie«, wiederholte der Vedalken. Langsam senkte Bosh den Kopf und ließ sich dann zu Boden fallen. Zwei vierarmige Krieger eilten zu ihm und klappten eine Metallplatte in seinem Rücken auf. Rostflocken rieselten zu Boden. Das Geräusch ließ Bosh zusammenzucken. »Nein«, rief Slobad. »Schaltet ihn nicht ab. Ich hab ihn doch gerade erst wieder eingeschaltet, he?«
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Eine der Wachen stieß den Goblin zu Boden und kniete sich auf ihn. Glissa spürte, wie ihr ein kalter Schauer über den Rücken rann. Sie war zu weit gegangen. All das hatte nur angefangen, weil sie geschworen hatte, den Tod ihrer Eltern zu rächen. Unterwegs hatten sich ihr Slobad und Bosh angeschlossen, und diese persönliche Mission war zu etwas Größerem geworden. Jetzt hatte Glissa zu tief gegraben, und sie würden alle sterben. Sie schloss die Augen. Sie konnte es nicht ertragen, dabei zuzusehen. Ein Scheppern ertönte und hallte über dem Becken von den Wänden wider. Glissa krümmte sich, als sie sich daran erinnerte, wie sie und Slobad den Golem gefunden hatten, versunken und vergessen, in Trümmern im Dross liegend, und eine Träne lief ihr über die Wange. Ein weiteres Scheppern und noch eines, gefolgt von dem Geräusch von Schritten und Geschrei. Glissa öffnete die Augen. Menschen – Zauberer und Soldaten gleichermaßen – drängten in den Raum. Sie waren alle mit blauen Gewändern bekleidet, und die meisten trugen gefährlich aussehende, mit leuchtenden Edelsteinen besetzte Stäbe, die mit Haken versehen waren, die wiederum in gezackte Spitzen ausliefen. Die Hälfte der Vedalken, die Glissa festhielten, ließ von ihr ab, um sich den Menschen entgegenzustellen. Die Elfin konnte Kopf und Kinn wieder frei bewegen. »Bosh, steh auf!«, rief sie. Der Eisengolem folgte ihrem Befehl. In einer fließenden Bewegung erhob er sich und schlug die Hände zusammen – hinter sich. Das Klatschen zerquetschte einen Vedalken zu Brei und
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schloss zugleich die offene Bedienungsklappe des Golems. Er wirbelte herum, um sich der verbliebenen Wache anzunehmen, und ließ dabei den erschlafften Körper des Vedalken zu Boden fallen. Weiter sah Glissa nichts. Ihre Arme wurden immer noch von zwei Wachen festgehalten. Sie stieß nun die Beine nach oben, machte eine Rückwärtsrolle und landete hinter den Vedalken. Mit einer Drehung befreite sie einen ihrer Arme. Und das war alles, was sie brauchte. Mana in einen Zauber leitend, zwang die Elfin ihrem Körper die Kraft eines Bären auf und machte ihre Haut so hart wie Baumrinde. Ihre Arme wurden dick und muskulös, und ihre eben noch so zarte Elfengestalt nahm um das Doppelte und schließlich das Dreifache zu. In ihrer neuen Macht badend, hob Glissa den Vedalken hoch, der immer noch ihren Arm festhielt, und stemmte ihn über ihren Kopf. Mit einem wüsten Grunzen schleuderte sie ihn gegen die Wand des Raums. Beim Aufprall zerbrach seine Gesichtsmaske, und ein nasser Streifen blieb auf der Wand zurück, als er zu Boden rutschte. Im Umdrehen langte Glissa nach dem anderen Wächter, aber der war längst verschwunden. Ein menschlicher Soldat hatte den Haken seines Stabes um den Hals des Vedalken geschlagen, und Blut tropfte von der Spitze, die aus der Kehle der Wache hervorstach. Die anderen Vedalkenwachen waren von ähnlichen Schicksalen ereilt worden, und so schnell, wie er begonnen hatte, war der Kampf auch schon wieder vorbei. Bruenna, die die Arme über die Schultern zweier Soldaten gelegt hatte, humpelte auf die Elfin zu. »Sie sind gerade rechtzeitig eingetroffen«, sagte sie. Glissa sah sich um. »Das sind deine Soldaten?«
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Bruenna lachte. »Du hast doch den Marktplatz gesehen, viele Menschen aus meinem Dorf arbeiten in Lumengrid.« »Aber sie schienen so verängstigt zu sein. Als Pontifex auftauchte, sind alle beiseite gewichen.« Sie kratzte sich am Kinn. »Wie kommt es, dass sie jetzt so mutig sind?« »In meinem Dorf mag man die Vedalken nicht«, antwortete Bruenna. »Wenn die Zeit kommt, sind wir für die unseren da.« Bosh trat neben die beiden Frauen, Slobad saß auf seiner Schulter. »Keine Zeit zu vergeuden«, sagte er. »Die anderen Vedalkenkrieger werden jeden Moment durch den Wissensvorrat kommen.« Er ließ den Blick seiner großen, leuchtenden Augen über den Boden wandern. »Ich glaube nicht, dass sie sich freuen werden, uns zu sehen.«
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Kapitel 5
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lissa lehnte sich auf dem bequemen Bett zurück und zog sich die Stiefel aus. Quecksilber tropfte zu Boden. Wie Bruenna gesagt hatte, war es ein Leichtes gewesen, Lumengrid mit einem Transportmittel der Vedalken zu verlassen. Die Menschen waren den blauhäutigen, vierarmigen Kreaturen gegenüber weit in der Überzahl gewesen. Als die Gruppe erst einmal die unteren Ebenen erreicht hatte, konnten die Gefährten in der Menge menschlicher Arbeiter untertauchen. Und jetzt befanden sie sich in der Sicherheit der Menschensiedlung namens Medev. Bruenna war sofort zu einem Heiler geschafft worden. Glissa, Slobad und Bosh hatte man in ein großes Metallgebäude geführt, das Bruennas Haus recht ähnlich war. Drinnen warteten drei frisch bezogene Betten mit weichen Stoffdecken auf sie. Slobad lümmelte sich jetzt auf einem davon, Bosh saß neben einem anderen; sein Körper war viel zu groß, um auf die Liegestatt zu passen. »Ein Bett wie dieses habe ich noch nie gesehen«, sagte Glissa, während sie sich die Füße trocknete. »Im Knäuel gibt es nicht viel Stoff. Die Blätter und Dornen zerreißen Sachen aus Stoff zu leicht. Meine Mutter hatte einen Schal, aber…« Glissa spürte, wie sich etwas in ihrer Kehle festsetzte, und Tränen stiegen ihr
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in die Augen. Slobad setzte sich auf dem Bett auf und lehnte sich zu der Elfin hin. Glissa lächelte ihm zu, dann wandte sie den Blick ab. Sie schloss die Augen, um zu verhindern, dass ihr die Tränen über die Wangen liefen, und atmete tief durch. Hinter ihr sackte das Bett unter den Füßen des Goblins durch. Slobad legte einen Arm um Glissas Schulter. »Ich vermisse sie«, sagte sie. Slobad setzte sich. »Ja.« »Ich denke jeden Tag an sie.« Glissa versuchte ihre Gefühle im Zaum zu halten, aber sie waren zu machtvoll, und ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle. »Ich weiß.« Die Elfin schaute den Goblin verwundert an. »Woher willst du das wissen?« Der Goblin zuckte die Achseln. »Was? Glaubst du, Goblins haben keine Gefühle? Slobad hört dich reden. Über Eltern, Schwester, Freund Kane. Slobad hat auch schon Freunde verloren.« »Das meinte ich nicht. Ich weiß, dass du Gefühle hast.« Slobad lächelte. Glissa wischte eine Träne fort. »Erzählst du mir von den Freunden, die du verloren hast?« Slobad nickte. »Als Slobad kleiner Goblin war, ging er mit anderen Goblins Eichhörnchen jagen.« Er senkte den Kopf, während er sprach. »Kleine Goblins wurden von zwei mechanischen Drachen überrascht.« »Mechanische Drachen? Ich dachte, die kommen nur in Sagen vor.« »Glaubst du, Slobad denkt sich so was aus, he?«, schnaubte der Goblin. »Die gibt’s, und wie. Haben alle Goblins getötet.« Er
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nickte. »Bis auf Slobad.« »Was genau ist passiert?« »Slobad hing in tiefer Spalte, stocherte nach Eichhörnchen. Dann Schreie. Slobad stieß sich den Kopf.« Der Goblin rieb sich den Schädel, als erinnerte er sich buchstäblich an den Schmerz. »Jemand hielt dich von oben fest?« Glissa kratzte sich am Kopf. »Du meinst, mit einem Seil oder so?« »Nein. Verrückte Elfin. Hab mich mit den Füßen festgehakt. Hast du noch nie Eichhörnchen gejagt, he?« »Was?« Glissa drehte sich ein wenig, sodass sie dem Goblin nun gegenübersaß. »Mit den Füßen festgehakt? Ich habe ja schon eine Menge Dinge gejagt, aber noch nie auf diese Weise.« »Natürlich«, sagte Slobad. Er hob beide Arme. »Was glaubst du, wie Goblins richtig fette Eichhörnchen erwischen, he?« Glissa lachte. »Das ist eine gute Frage.« Sie ließ sich wieder auf ihrem Platz auf dem Bett nieder. »Daran habe ich gar nicht gedacht. Wie auch immer, was ist als Nächstes passiert?« »Slobad kletterte hinauf. Nichts übrig von anderen Goblins außer blutigen Knochen und Fetzen.« Slobad krümmte sich. »Das ist ja schrecklich.« Die Elfin und der Goblin saßen eine Weile schweigend da und starrten zu Boden. Glissa massierte sich Stirn und Augenlider und spürte die Nässe ihrer Tränen an den Fingerspitzen. »Denkst du noch viel an deine Freunde?« Der Goblin nickte. »Jeden Tag?« Der Goblin nickte abermals. »Wird es irgendwie besser? Ich meine, tut es mittlerweile weniger weh, an sie zu denken?« Slobad senkte den Blick. »Kommt drauf an. Manchmal nicht so schlimm, he? Anderes Mal … nicht
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so gut.« Glissa nickte. Sie wischte sich den Rest der Tränen vom Gesicht und blickte zu Bosh, der immer noch am unteren Ende seines Bettes saß. »Wie steht’s mit dir?«, fragte sie. »Jetzt, wo du dein Gedächtnis wieder hast, gibt es da auch irgendetwas, was du vermisst?« »Ja«, antwortete der Golem. Seine Stimme ließ seine Brust dröhnen. »Ich vermisse es, ganz aus Metall zu sein.« Bosh hob den Arm und zeigte ihnen einen großen Riss nahe des Ellbogens. Eine dicke rotschwarze Flüssigkeit tropfte daraus hervor. Glissa sprang vom Bett auf. »Du blutest ja!« Sie ging neben dem Golem in die Knie und untersuchte die Wunde. Über seinem Ellbogen war ein großer Fleck nicht mehr länger dunkelgrau, sondern hell wie ein Pfirsich, ein Farbton, der an den menschlicher Haut erinnerte. Aus der Nähe betrachtet, sah es so aus, als hätte sich ein Teil von Boshs Unterarm kurzerhand von Metall in Fleisch verwandelt. Glissa berührte die Wunde mit einem Finger. Das Fleisch befand sich in erster Linie auf der Oberfläche. Sie konnte das Metall darunter noch spüren. Nur unmittelbar an seinem Ellbogen fühlte es sich eher wie das tiefe, feste Fleisch eines Elfen oder eines Goblins an. »Tut es weh?«, fragte sie. »Weh?« »Kannst du die Berührung meines Fingers spüren?« »Ja.« »Ist es ein unangenehmes Gefühl?« »Ja.« Sie und Slobad sprachen es gleichzeitig aus: »Dann tut es weh.«
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Glissa untersuchte den Golem nun noch eingehender. Auch an mehreren anderen Stellen schien das dunkle Metall heller geworden zu sein. Sie drehte sich um und sah Slobad an. »Wie kann das sein? Ich meine, jedes fleischliche Wesen hat etwas Metall an seinem Körper …« Sie hielt zum Beweis ihren eigenen Arm hoch. »… aber ich habe noch nie ein Wesen aus Metall gesehen, dem Fleisch wuchs.« Das stimmte. Am Körper einer jeden organischen Kreatur auf Mirrodin fand sich etwas Metall. Das einzige Glissa bekannte Wesen, das ganz aus Fleisch war, war der Troll Chunth gewesen, aber der hatte ein sehr hohes Alter gehabt. Alle anderen – Slobad, ihre Eltern, selbst die anderen Trolle – hatten irgendwo an ihren Körpern metallene Stellen. Glissas Unterarme und Schienbeine waren mit metallischen Schuppen bedeckt. Slobad sprang vom Bett und tappte zu seinen beiden Freunden hinüber. Er beugte sich vor und betrachtete eingehend die fleischigen Stellen an Boshs Arm und Bauch. Dann kletterte der Goblin auf die Schulter des Golems und klopfte gegen Boshs Kopf.
Bong… Bong… Bong. »Spürst du das?«, fragte er. »Nein, aber ich kann es hören.« Der Goblin klemmte ein Stück pfirsichfarbene Haut zwischen zwei Finger. »Was ist damit, he?« Er zwickte Bosh. Der Golem zuckte zusammen und warf Slobad von der Schulter. »Ja.« Der Goblin landete hart auf dem Bett hinter dem Golem. Das Gestell knarzte, die Matratze sackte durch und schnellte wieder hoch. Slobad wurde wieder in die Luft geschleudert und hüpfte noch zweimal auf dem weichen Bett, bevor er endlich zur Ruhe
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kam. »Bitte«, sagte Bosh, »hört auf, mich anzufassen. Das ist ein sehr merkwürdiges Gefühl.« »Tut mir Leid, Bosh«, sagte Glissa. »Wir versuchen nur zu helfen.« »Ich weiß«, erwiderte der Golem mit hängendem Kopf. »Es macht mich traurig, dich so zu sehen, Bosh.« Glissa berührte ihn leicht am Arm. »Ich wünschte, ich wüsste, was da vorgeht.« Bosh nickte. »Bis wir es herausgefunden haben, musst du aufpassen, wo du reinkrachst.« »Verrückte Elfin hat Recht«, pflichtete der Goblin bei. »Slobad kann kaputten Golem reparieren, aber kein kaputtes Wesen aus Fleisch, he?« Bosh tippte gegen die Wunde an seinem Arm. »Ich bin immer noch ein Golem.« »Ja, du bist immer noch ein Golem, aber jetzt bist du…« Glissa suchte nach dem richtigen Wort. »Fleischig«, vollendete der Goblin. Glissa sah das grüne Kerlchen finster an. »Du bist keine große Hilfe, Slobad.« Sie wandte sich wieder Bosh zu, der an dem Flekken Haut, der nicht Teil seiner metallenen Gestalt war, herumstocherte und -zupfte. Sie holte tief Luft und hob die Arme. »Jetzt bist du mehr wie ich.« Bosh hielt in seiner Untersuchung inne und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Elfin. »Wie du?« »Das würde ich sagen. Ich meine, ich bestehe zum größten Teil aus Fleisch, aber schau.« Sie hob ihr Bein hoch und fuhr die Linie nach, an der ihr Schienbein aufhörte und die Metallplatte,
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die aus ihrer Haut wuchs, begann. »Wir leben in einer Metallwelt. Der Boden, die Bäume, selbst das Gras besteht aus dem Zeug.« »Genau wie Golems«, warf Bosh ein. »Ja, genau wie Golems. Trotzdem, da alles andere aus Metall besteht, ist es vielleicht gar nicht so übel, ein bisschen ›fleischig‹ zu sein.«
$ »Verdammt sei dieser fleischige Körper.« Memnarch erhob sich von seiner Seruminfusionsapparatur. »Warum ist Memnarch mit solcher Unvollkommenheit gestraft?« Malil stand an der Tür und wartete darauf, dass eine weitere Tirade seines Herrn vorüberging. »Aber dank der Elfin, ja, dank der Elfin wird Memnarch bald wieder aus Metall sein.« Er begab sich zum Hellsichtbecken. »Nein. Memnarch wird nicht aus Metall sein. Memnarch wird besser als Metall sein.« Der Wächter schlurfte kopfschüttelnd über den Boden seines Labors. »Nein. Nein. Das ist albern. So etwas gibt es nicht. Habe ich nicht Recht, Malil?« »Womit, Herr?« Memnarch trat vom Hellsichtbecken weg und drehte den ganzen Leib in Richtung seines Dieners. »Hast du nicht gehört, was wir dir erzählt haben? Wie willst du etwas lernen, Wenn du uns nicht zuhörst?« »Ich habe zugehört, Herr, aber ich muss gestehen, dass ich nicht alles verstehe.« »Memnarch versteht genug für uns beide.« »Ja, Herr.«
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»Und der Schöpfer versteht genug für uns drei und alle Welten.« »Der Schöpfer, Herr?« Memnarch blickte finster drein. »Ja, der Schöpfer.« »Ich bitte um Verzeihung, Herr, aber Ihr wart mein Schöpfer. Ich kenne keinen anderen.« Memnarch nickte. »Ja, ja. Sein Geist ist zu schwach, um uns zu verstehen. Nein. Nein. Memnarch wird ihn lehren.« Der Wächter blickte in sein Podest. »Wen lehren, Herr?« »Stell dich nicht dumm, Malil. Du weißt sehr wohl, von wem wir sprechen.« Malil wusste es nicht, pflichtete aber trotzdem bei. »Ja, Herr.« »So ist es schon besser. Und nun, lass uns mit dem anfangen, was du weißt.« Memnarch sah Malil an. »Was weißt du?« »Ich weiß vieles, Herr.« »Ja, ja, aber was weißt du über die Elfin?« »Ich weiß, dass sie aus dem Knäuel kam und etwas hat, was Ihr haben wollt.« An dieser Stelle hielt Malil inne. Er wusste auch andere Dinge, aber diese schienen im Moment unwichtig zu sein. »Und was hat sie, das wir wollen?« Malil senkte den Kopf. »Es tut mir Leid, Herr, aber ich weiß leider nicht, was sie hat.« Memnarch hob einen Finger. »Es genügt, dass du weißt, was wir wollen, das Warum ist nicht wichtig. Um unsretwillen und zur Langeweile Memnarchs werden wir es dir erklären.« Der Wächter schlenderte zu dem langen Fenster hinüber und blickte auf das Innere von Mirrodin hinab. »Komm her, Malil. Sieh aus dem Fenster.«
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Malil tat wie geheißen. »Sag Memnarch, was du siehst.« Malil ließ den Blick über den patinierten Boden, die Chromgewinde und den blauweißen Manakern schweifen. »Ich sehe Mirrodin.« »Ja, ja, aber was ist Mirrodin?« Malil konzentrierte sich auf den Boden, dann auf den Himmel. Er folgte mit den Augen dem Weg eines Gleichmachers, der sich auf den Panopticon zubewegte, dann schüttelte er den Kopf. »Ich verstehe nicht, Herr.« Memnarch legte dem Metallmann eine Hand auf die Schulter. »Wir sagen dir, was Mirrodin ist. Mirrodin ist Vollkommenheit. Mirrodin ist die Schöpfung von Göttlichkeit. Es ist das Werk eines Gottes.« Malil verstand das Ganze wirklich nicht, aber er hatte das Gefühl, dass es zu seinem Besten war, wenn er das für sich behielt. »Was ist unsere Aufgabe hier auf Mirrodin?« »Den Willen des Herrn auszuführen«, antwortete Malil. »Ganz genau.« Der Wächter wandte sich vom Fenster ab. »Memnarch ist der Beschützer der Göttlichkeit. Wir sind die Hüter all dessen, was du dort unten siehst, und von allem, was darüber ist.« Memnarch ließ den Kopf hängen. »Aber trotz dieser großen Verantwortung, der Ehre, die uns zuteil wurde, ist Memnarch doch nicht zufrieden.« »Warum, Herr?« Memnarch sah auf seine Arme hinab. »Memnarch ist unvollkommen. Ja, das ist richtig. Wir verstehen es nicht. Es war nicht immer so. Nein. Nein. Etwas ist geschehen. Etwas, was Mirrodin veränderte und Vollkommenheit unvollkommen machte.« Memnarch schüttelte den Kopf. »Mirrodin unterstand Mem-
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narchs Verantwortung. Meine Pflicht war es, für die Welt des Schöpfers zu sorgen und sie zu beschützen. Doch trotz all unseren Bemühungen hat sich eine Seuche an Memnarch vorbeigestohlen und auf Mirrodin Wurzeln geschlagen.« »Das Elfenmädchen, Herr? Ist sie daran schuld?« »Nein, Malil. Das Elfenmädchen ist nicht daran schuld, aber sie kann uns helfen, die Seuche auszumerzen.« Memnarch strich über die hart vernarbte Haut seiner fleischigen Arme. »Sie hält den Schlüssel, der uns wieder vollkommen machen kann.« Er sah Malil an und verengte die Augen zu Schlitzen. »Sie kann Memnarch genau so machen wie Malil – ganz aus Metall und vollkommen – und noch viel mehr.« Malil war verwirrt. »Warum sollte der Herr wünschen, wie Malil zu sein?« Memnarch huschte über den Boden zu seinem Diener. Seine vier spindeldürren Gliedmaßen hoben ihn hoch über den Boden, und so musste er sich hinabbeugen, um Malil in die Augen sehen zu können. Memnarch berührte das Gesicht des Metallmanns, fuhr mit einem Finger über dessen metallenen Arm und trat dann zurück. »Wir werden dir zeigen, warum.« Memnarch zog eine Phiole mit einer schillernden Flüssigkeit aus einem Beutel an seinem Gürtel. Er reichte sie dem Metallmann. »Trink das.« »Ich soll das Serum trinken, Herr?« Memnarch nickte. »Ja.« Malil zog den Stöpsel aus der Phiole. Er schwenkte sie und beobachtete, wie die zähe Substanz an der Innenseite des Gefäßes haften blieb, sich festklammerte, als versuchte sie zur Öffnung hinaufzuklettern, um über den Rand zu entkommen. Doch stattdessen sank sie wieder in die Phiole hinunter. Am Glas kle-
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bend, wo sie sich festgeklammert hatte, glitt sie hinab und sammelte sich am Boden, wo sie eine Lache bildete. »Nur zu«, sagte der Wächter. Malil dachte zurück an all die Male, da er gesehen hatte, wie sich sein Herr das Serum injizierte. Er dachte an die gewaltigen Vorratstanks, die Memnarch gelegentlich trug, und die Druckbehälter, die am anderen Ende des Labors mit der Infusionsapparatur verbunden waren. Was er hier in der Hand hielt, war eine unbedeutende Menge im Vergleich zu dem, was sich Memnarch mehrmals pro Tag verabreichte – ein winziger Regentropfen im Vergleich zur Quecksilbersee seines Herrn. Der Metallmann setzte die Phiole an die Lippen, dann hob er das untere Ende an. Die dicke Flüssigkeit rollte über seine Zunge die Kehle hinab. Das Gefühl war seltsam. Er war nicht daran gewöhnt, so zu essen und zu trinken, wie es organische Wesen taten. Er brauchte es nicht. Aber mehr noch, er hatte keine Ahnung, wo die Flüssigkeit hinlaufen oder was sie bewirken würde. Und dann geschah es. Eine plötzliche Kraftwoge durchflutete ihn, und er fühlte sich auf einmal erstarkt. Er sah Memnarch an. Sein Herr musterte ihn mit großem Interesse, als wartete er aufmerksam auf irgendetwas. Dann schien das Licht im Raum heller zu werden. Es war, als würde jemand die Lichter aufdrehen, weiter und immer weiter. Das Licht Wurde zwar nicht unerträglich grell, aber dennoch hätte Malil schwören können, dass der Raum tatsächlich zunehmend heller wurde. Die Ränder der Tische und Bechergläser wurden schärfer, deutlicher. Der Sinn der Experimente, die sich auf den Arbeitsbänken und Tischen reihten, erschloss sich ihm in stärkerem Maße, ihr Zweck wurde nachvollziehbarer, die gewünschten Re-
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sultate nützlicher. Die ganze Welt ergab für den Metallmann mehr Sinn, und er lächelte. Deshalb also nahm sein Herr das Blinkmottenserum zu sich. Im nächsten Augenblick dehnte sich die Welt aus. Nichts darin war mehr so, wie Malil es in Erinnerung hatte. Mehr noch, es war, als hätte er Mirrodin verlassen. Wo zuvor noch das Hellsichtbecken gewesen war, stieg jetzt ein Geysir in die Höhe. Wo Memnarchs Infusionsgerät gewesen war, stand jetzt ein groteskes, metallenes Ungetüm mit langen, gebogenen Stoßzähnen und glotzenden, geweiteten Augen. Die Kreatur beobachtete Malil, neugierig zwar, aber unbesorgt, was das Befinden des Metallmanns anging. Wo die Fenster des Observatoriums auf das Innere der Welt hinausgegangen waren, sah er jetzt nur wirbelnde Farben und Lichter. Alles war zu einem einzigen in sich verbundenen, lebenden, atmenden Wesen geworden, das sich weigerte, Form anzunehmen oder sich von den Blicken derer erfassen zu lassen, die es ansahen. Der Gipfel der Macht und der verstärkten geistigen Fähigkeiten hatte Malil in einen neuen Bereich getrieben, einen, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Es war ein Ort, der so außer Kontrolle und bedrohlich groß war, dass Malil um sein Leben fürchtete. Er war nicht freiwillig hierher gekommen. An diesem Ort ergab alles Sinn. Alles war miteinander verbunden, alles arbeitete zusammen, um mehr zu ergeben als die Summe aller Teile. In diesem Moment wurde Malil klar, wie erschreckend wenig er tatsächlich wusste. Er war in ganz Mirrodin herumgekommen, aber im Grunde hatte er nicht einmal an der Oberfläche gekratzt. Der Metallmann ließ sich auf die Knie fallen, kauerte sich zusammen und zog die Knie an die Brust.
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»Bitte«, sagte er. »Helft mir zu verstehen.« Der riesenhafte Memnarch durchquerte den Raum, jedoch ohne zu gehen; er streckte seinen Leib, sodass er die Distanz zwischen der Stelle, wo er eben noch gewesen war, und der, an der er sich jetzt befand, überbrückte. »Nun, da du von Memnarchs Last gekostet hast«, sagte der Wächter und legte seine Hand auf Malus Schulter, »kannst du nicht mehr zurück. Wir bedauern dich. Mit dem wahren Verständnis kommt der Verlust der Unschuld. Mit der Vollkommenheit ist es eine komische Sache. Nur die Unvollkommenen können sie als solche erkennen, während jene, die sie besitzen, zu blind sind, sie zu schätzen.« Malil griff nach Memnarch. »Herr, bitte helft mir.« Memnarch lachte glucksend. »Du wirst verstehen, Malil. Vertrau uns. Alles wird gut.«
$ Mittels eines einfachen magischen Zaubers, der ihn mühelos der Oberfläche entgegentrieb, stieg Pontifex durch das Becken des Wissensvorrats nach oben. Er musste den Atem nicht anhalten. Vedalken hatten Kiemen entwickelt, die Sauerstoff und Stickstoff nicht nur aus Wasser zu filtern vermochten, sondern aus fast jeder Flüssigkeit – selbst aus Flüssigkeiten, die so dicht waren wie das Blinkmottenserum. Er durchstieß mit dem Kopf die Oberfläche und befand sich im inneren Heiligtum von Lumengrid. »Was, im Namen des Schöpfers, ist hier passiert?« Leutnant Marek trat an den Rand des Beckens und streckte die Hand aus. »Die Menschenkrieger von Medev, Lord Pontifex.«
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Pontifex langte nach oben, hielt sich an Mareks Hand fest und zog sich in einer geübten Bewegung aus dem Becken. »Die Menschen sind passiert?« »Nein«, erwiderte der Leutnant. »Es kam zu einem Kampf. Die Menschen haben ihn verursacht.« Pontifex schaute in Mareks Helm. »Was ist denn mit dir geschehen?« Marek hob die Hand an seinen Gesichtsschild und verdeckte so teilweise einen Sprung im Glas. »Es ist… es ist nichts.« »Ich habe dich nicht gefragt, was es ist, ich habe dich gefragt, was geschehen ist. Ich treibe hier keine Wortspielereien, Marek, ich versuche in Erfahrung zu bringen, was während meiner Abwesenheit vorgefallen ist.« »Natürlich, mein Lord.« Marek richtete sich zu voller Größe auf und drückte den Rücken durch. »Wir sind in der Lakune auf die Elfin und ihre Begleiter getroffen, aber sie haben es geschafft, an uns vorbeizukommen.« Er zeigte auf den Sprung in seinem Helm. »Und das ist eine Folge dieser Begegnung.« Die Hellebarde in Pontifex’ Hand glühte dunkelblau, und der Vedalken-Lord stieß die Luft aus, sodass sich innerhalb seiner Gesichtsmaske Blasen bildeten. Einen Augenblick später begann er hin und her zu gehen, wobei er das untere Ende seiner Waffe im Takt seiner Schritte auf den Boden stieß. »Über die Einzelheiten kannst du mich später aufklären, aber sag mir eines: Wie lange ist es her, dass sie entkommen sind, und hast du ihnen schon jemanden hinterher geschickt?« »Als ich eintraf, waren sie bereits weg. Das war vor fast einer Stunde.« Marek hob das Kinn. »Ich habe einen HimmelsgleiterTrupp zusammengestellt, der in Kürze die Verfolgung aufnehmen wird.«
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Pontifex trommelte mit den Fingern gegen das Glas seiner Gesichtsmaske. »Ruf die Gleiter zurück.« »Mein Lord?« »Ruf sie zurück«, fuhr Pontifex den Leutnant an. »Wir werden ihr zu gegebener Zeit folgen.« Marek nickte. »Wie Ihr befehlt.« Pontifex lächelte. »Gut, Marek.« Er legte einen Finger auf den Sprung in der Maske des Leutnants. »Ich bin froh, dass es dir gut geht. Erteile die Befehle, dann lässt du das reparieren und kommst in mein Quartier. Es gibt da etwas, was ich gern mit dir bereden möchte.«
$ Pontifex ging in seiner Unterkunft auf und ab. Die verdammte Elfin war ihm zwar entkommen, aber das machte nichts. Er würde sie irgendwann erwischen. Er würde sie finden, um sie dann Memnarch auszuliefern. Im Moment allerdings galt es, sich um andere Angelegenheiten zu kümmern, Angelegenheiten etwas persönlicherer Art. Es klopfte an der Tür. »Herein.« Die Tür zu Pontifex’ Privatquartier glitt auf, und Marek trat ein. Der Kommandant der Elitewache der Vedalken hatte seinen Helm abgenommen und trug jetzt ein schlichtes Dienstgewand. Ein steril aussehender Verband bedeckte seine Stirn – ein kaum sichtbarer Fleck blauen Blutes zeichnete sich darauf ab –, doch sonst schien der Krieger unversehrt zu sein. Marek ging auf ein Knie nieder und senkte den Kopf. »Lord Pontifex.«
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Der Vedalkenanführer bewunderte den Nacken des vor ihm knienden Kriegers. »Erhebe dich, Marek. Hast du Nachricht von der Synode? Hat man es geschafft, eine ›Sonderversammlung‹ einzuberufen?« »Ich möchte nicht anmaßend erscheinen, Lord Pontifex, aber möchtet Ihr nicht lieber zunächst von dem Elfenmädchen hören?« Pontifex lächelte. »Alles zu seiner Zeit, Marek, alles zu seiner Zeit. Im Moment sorge ich mich mehr wegen der anderen Ratsmitglieder. Sie werden nicht erfreut sein, dass ein Mensch, eine Elfin und ihre Gefährten in unsere Festung eingedrungen sind – in unseren heiligsten Schrein – und das Becken des Wissensvorrats betreten haben.« Pontifex ging durch den Raum, wobei sein Gewand mit dem eingewebten Metall raschelnd über den polierten Boden strich. »Sie werden versuchen, mir die Verantwortung dafür anzulasten.« »Mein Lord, Ihr seid das Haupt der Synode. Gewiss könnt Ihr sie davon überzeugen, dass Ihr – dass wir unser Möglichstes getan haben, um die Elfin gefangen zu nehmen, und …« Pontifex schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. »Was du sagst, klingt vernünftig, Marek, aber ich fürchte, du musst über Herrschaftspolitik noch viel lernen.« Er berührte den Krieger am Arm. »Unseren Bemühungen zum Trotz gibt es Leute, die diesen Vorfall als Beweis dafür ansehen werden, dass ich nicht geeignet bin, die Synode zu führen. Sie werden versuchen, das Geschehene zu ihrem Vorteil zu nutzen. Diese ›Sonderversammlung‹, die die anderen Ratsmitglieder einberufen, ist nichts weiter als ein Griff nach der Macht. Sie werden alles, was sie als Waffe erachten, einsetzen, auch die Flucht des Elfenmädchens.« Er schaute Marek in die Augen und nickte. »Die Macht
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ist nur in andere Hände gelangt. Wenn das Ganze hier vorüber ist, wird mein Griff um die Synode nicht weniger fest sein. Die anderen Räte sind klug genug, um das zu erkennen, und sie werden nicht zögern, einen Schlag zu führen, mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen. Verstehst du?« »Ja, mein Lord.« Marek neigte den Kopf. Pontifex strich Marek mit der Hand über den Kopf und fuhr mit dem Zeigefinger am Rand des frischen Verbands entlang. »Gut, Marek.«
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KAPITEL 6
—
G
lissa stand allein vor einem großen Gebäude am Ufer eines reißenden Flusses. Der Himmel war schwarz. Über ihr schien keiner der vier Monde von Mirrodin, was eine Seltenheit darstellte. Glissa erinnerte sich an Zeiten, da mehr als nur einer der Monde denselben Platz am Himmel einzunehmen schien. Einer verdeckte den anderen, und sie badeten das Knäuel in einem unentrinnbar grellen Licht. Merkwürdige Dinge geschahen zu jenen Zeiten, und stets war es eine dieser Annäherungen, die einem Fest oder Ritual vorausgingen. Jetzt waren die Zeiten der Dunkelheit weniger geworden und sie lagen weiter auseinander. Wenn eine Seite der Welt im Dunkeln lag, hieß das, dass alle Monde auf der anderen Seite waren – gleichzeitig. Glissa wusste, was es bedeutete, wenn zwei der Monde in einer Linie standen. Dann war es Zeit für die Zeremonie des Zurechtweisens, Zeit für alle Elfen, ihre Erinnerungen aufzugeben. Es war diese Zeremonie gewesen, die ihr während ihrer Zeit im Knäuel die größten Schwierigkeiten bereitet hatte. All die Dinge aufzugeben, die sie in diesem Leben erlebt hatte, schien ihr so eine Verschwendung zu sein. Ihre Entscheidung, auf das Zurechtweisen zu verzichten, war es gewesen, die diese Verkettung seltsamer Ereignisse ausgelöst hatte, die sie in ihre
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gegenwärtige Lage gebracht hatte. Diese derzeitige Dunkelheit war tiefer als die anderen, die sie miterlebt hatte. Dies war keine simple Annäherung. Seit sie ein Kind gewesen war, waren viele Zeremonien des Zurechtweisens gekommen und gegangen. Diesmal jedoch standen alle Monde in einer Linie – und das war etwas, das ihr Lebtag lang noch nie geschehen war. Wenn man den Runen am Baum der Sagen glauben durfte, war das in der Geschichte der Welt überhaupt erst viermal vorgekommen. Und deshalb war sie hier, um Bruenna zu besuchen. Glissa klopfte an die Tür des metallenen Hauses der Zauberin, aber es erfolgte keine Reaktion. Den chromähnlichen Vorhang beiseite schiebend, schlüpfte die Elfin in das Gebäude hinein. Der Flur lag im Dunkeln, aber aus einem tiefer im Haus gelegenen Zimmer sah sie ein schwaches blaues Leuchten dringen. Dem Licht folgend, erreichte sie die Stelle, wo sie Bruenna das erste Mal gesehen hatte. Die Zauberin hatte damals eine Reihe von Karten studiert, die auf einem Tisch ausgebreitet gewesen waren. Auch hier im Raum war es noch ziemlich dunkel. Er war nur von einem magisch leuchtenden Stein, der in der Luft schwebte, erhellt. Der Stein warf einen perfekten Kreis aus Licht auf den Bo-den und hüllte den Rest des Zimmers in lange, tiefe Schatten. Unter dem leuchtenden Stein saß Bruenna mit überkreuzten Beinen, die Hände wie zum Gebet aneinander gelegt und die Augen geschlossen. Leise trat Glissa in den Raum. »Hallo, Glissa«, sagte Bruenna, ohne die Augen zu öffnen. »Bitte, setz dich doch zu mir.« Glissa ging zu der Zauberin hinüber und umrundete dabei
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den langen Tisch, der nach wie vor mit zusammengerollten Karten bedeckt war. Sie setzte sich Bruenna gegenüber. »Ich wollte dich nicht stören.« Bruenna lächelte, noch immer ohne ihre Augen zu öffnen. »Du störst mich nicht. Ich mache eine Meditationsübung, die mein Volk mulla bunda nennt. Es ist eine Übung zur Beruhigung des Geistes und Heilung des Körpers.« Glissa fühlte sich etwas unbehaglich. Sie hatte noch nie jemanden so still dasitzen sehen. Es erschien ihr wie ein Luxus – und langweilig zudem. »Ich versuche still zu sein«, sagte sie. Bruennas Lächeln wurde breiter. »Das brauchst du nicht. Teil der Übung ist es, sich zu konzentrieren, während man abgelenkt wird. Bitte, sprich mit mir. Sag mir, was du möchtest.« Glissa zuckte die Achseln. »Na gut.« Sie hielt kurz inne. »Bruenna, die Monde richten sich aus.« »Ja, das ist mir aufgefallen. Es ist sehr dunkel, dunkler als ich es je erlebt habe. Diese Annäherung ist anders als sonst.« »Im Knäuel bedeutet es, dass eine neue Phase beginnt, wenn die Monde in einer Linie stehen, eine Zeit der Läuterung und Erneuerung.« »Ich habe von den Ritualen der Elfen gehört.« »Na ja, ich habe nie besonders an diese Dinge geglaubt«, sagte die Elfin, »aber bis ich es mit meinen eigenen Augen sah, glaubte ich auch nicht, dass Mirrodin hohl ist.« »Und jetzt beginnst du an dir zu zweifeln.« Glissa holte tief Luft. »Würdest du das nicht tun?« »Doch.« Bruenna öffnete die Augen. Ihr Lächeln war verschwunden. »Das tue ich.« Glissa verspürte dank dieses Eingeständnisses eine plötzliche
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Welle von Erleichterung. »Ich habe Angst, Bruenna.« »Genau wie ich.« Bruenna legte die Hände in den Schoß und nickte. »Aber diese Angst ist tröstlich.« »Ich verstehe nicht.« »Ich wäre mehr besorgt – um mich als Menschen –, wenn ich in einer schwierigen Zeit nichts empfände. Auch für Elfen ist es natürlich, Dinge zu fürchten, die sie nicht verstehen. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist nicht, ob diese Angst etwas ist, was wir verspüren sollten oder nicht, sondern vielmehr, wie wir darauf reagieren sollen.« »Du meinst, wir sollten herauszufinden versuchen, wie wir die Ausrichtung der Monde verhindern könnten?« Bruenna lächelte. »Nein. Es gibt nichts, was wir gegen die Macht der Natur tun können.« Glissa runzelte die Stirn. »Mir ist das alles unverständlich.« »Wir haben überraschend wenig Kontrolle über unser Schicksal, und doch schaffen wir es, im Leben vieles zu erreichen. Den Lauf der Monde zu ändern liegt nicht in unserer Macht, aber wie wir auf ein solches Ereignis reagieren – persönlich, emotional, geistig –, das können wir steuern. Die Frage, die wir uns jetzt stellen müssen, ist nicht, was wir tun sollen, sondern: Fürchten wir uns vor unseren eigenen Schatten?« Bruenna beugte sich nach vorn. »Wirst du dich von der Annäherung der Monde an deiner Aufgabe hindern lassen? Oder wirst du dich deinen Herausforderungen stellen – möglicherweise voller Angst, aber unaufhaltsam?« Glissa zögerte nicht. »Ich muss die Trolle wiederfinden. Sie waren es, die mich auf diesen Weg brachten. Sie werden mir meine Fragen beantworten und vielleicht sogar mehr über meine Rolle in all dem erzählen können.«
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Bruenna nickte. »Ich habe gehört, dass die Trolle sehr alt sind. Sie könnten sehr vieles wissen.« »Wirst du mit mir kommen? Ich könnte deine Hilfe gut gebrauchen.« Die Zauberin schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Mein Bein ist noch nicht ganz genesen, und mein Volk braucht meine Führung. Es wird viel zu tun geben, wenn die Vedalken kommen.« Jetzt war es an Glissa zu nicken. »Aber ich verspreche dir eines – wenn die Zeit kommt, werden wir an deiner Seite kämpfen. Wir werden dir helfen, diese Welt zu befreien und deine Bestimmung zu erfüllen.« »Danke.« »Nein, Glissa, ich bin es, die dir danken sollte.«
$ Nach einer Reise, die mehrere lange Umkreisungen dauerte, ragten vor Glissa, Bosh und Slobad endlich die Bäume des Knäuels in die Höhe. »Es tut gut, zu Hause zu sein«, sagte Glissa. »Es ist lange her.« Bosh hob die beiden von seinen Schultern und setzte sie sanft zu Boden. »Wo finden wir die Trolle?« »Im Baum der Sagen«, erklärte Glissa, »tiefer im Knäuel.« Elfin, Goblin und Golem drangen in den metallenen Wald vor. Glissa ließ den Blick über vertrauten Boden wandern, und das brachte eine Flut von Erinnerungen zurück. Ganz deutlich sah sie ihre Mutter, ihren Vater und ihre Schwester, ihre Gesichter ruhig und tröstend. Sie trieben fort und wurden in ihrer Erinnerung von den Schrecken des Angriffs der Gleichmacher abgelöst, bei dem alle ihre Angehörigen umge-
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kommen waren. Nie würde sie das schreckliche Geräusch der Sensenklingen vergessen. Und das Blut. Alles war vor lauter Blut glitschig gewesen.
$ Ihre Erinnerungen verblassten und wurden durch Visionen von Bäumen – Bäumen mit Laub – und einer Welt mit weichen Dingen und einem tiefblauen Himmel ersetzt. Wind strich träge durch die Bäume, und Glissa sah zu Boden. Grüne Flecken wogten in der Brise. Sie griff hinunter und ließ die Finger über die Ränder gleiten. Sie zog die Hand zurück und erwartete, Blut zu sehen, wo die Blätter ihr Fleisch in Streifen geschnitten hatten – aber da war nichts, nur glatte, weiche Haut. Keine Schnitte. Kein Blut. Sie untersuchte ihre Hand eingehender. Da war kein Metall mehr. Die Klingen, die einst aus ihren Fingerknöcheln wuchsen, waren verschwunden. Sie betrachtete ihre Schienbeine. Auch dort befand sich kein Metall mehr. Ihr ganzer Körper hatte sich verwandelt. Alles war Fleisch, weich und warm. Panik machte sich in ihr breit. Sie griff nach ihrem Schwert, aber auch das war verschwunden. Sie war wehrlos, ohne Waffe und Krallen. Ein Krachen ließ sie nach oben schauen. Zwei riesige Bäume brachen auseinander, kippten voneinander weg, stürzten gegen andere Bäume und schlugen Äste ab, als sie zu Boden fielen. Zwischen ihnen stand eine gewaltige Konstruktion. Ihre leuchtende Metallbrust stand in krassem Kontrast zum Wald und zu den weichen Pflanzen ringsum, Der Kopf der Gestalt als auch Arme und Beine glühten blau, so als bestünden sie gänzlich aus Magie. Das Wesen blickte auf Glissa herab. Sie kam sich winzig vor und wollte sich abwenden. Sie wollte rennen, aber ihre Beine bewegten sich nicht. Das Wesen machte einen Schritt auf sie zu, und der Boden erbebte. Glissa versuchte zu schreien, aber kein Laut drang aus ihrem Mund. Sie holte Luft und versuchte es noch einmal – immer noch nichts. Die Kreatur tat einen weiteren Schritt, dann beugte sie sich herunter und streckte die Hand aus. Die riesenhaften leuchtenden Finger krümmten sich um Glissas Körper, und sie wurde vom Boden hochgehoben.
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$ Am Boden kam Glissa wieder zu sich. Slobads Gesicht befand sich direkt über ihr. »Bist du in Ordnung, he?« Glissa nickte. Von Zeit zu Zeit hatte sie derartige Visionen. Es waren Anfälle des so genannten Aufflackerns, und sie fürchtete sie. Es handelte sich um Bilder, die in ihrem Kopf aufblitzten. Alle Elfen hatten solche Anfälle, aber Glissas waren mächtiger, lebhafter als die der meisten anderen. Niemand wusste genau, um was es sich bei diesem Aufflackern genau handelte. Glissa betrachtete es als eine Art Wachtraum – die Möglichkeiten ihres Geistes, die sich in kräftigen Farben zeigten. Die Ältesten ihres Stammes hatten behauptet, dass diese Anfälle so etwas wie Visionen von der Zukunft seien. Die meisten Elfen glaubten das aber nicht. Wer konnte denn schon wirklich in die Zukunft blicken? Manchmal flackerten die Visionen auf, als würde Glissa ihre Augen auf- und zumachen, während sie sich im Kreis drehte. Jedes Mal fokussierte sich ihr Blick wieder, und eine andere Szene war zu sehen. Nur für den Bruchteil einer Sekunde jedoch, dann war es, als hätte sie die Augen wieder geschlossen, sie drehte sich weiter, und nur Momente später füllte etwas völlig anderes ihr Blickfeld aus. »Kein Golem«, sagte Glissa. »Keine Golems?« Bosh zeigte sich besorgt. »Golems dürfen den Baum der Sagen nicht betreten?« Die Elfin schüttelte benommen den Kopf. »Äh … nein. Das meinte ich nicht. Ich bin mir sicher, dass sie dich hineinlassen werden.« Sie stand auf. »Das will ich denen auf jeden Fall raten.«
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»Wovon redest du denn, verrückte Elfin?«, fragte Slobad. »Ich hatte wieder dieses Aufflackern.« Slobad richtete sich kerzengerade auf und starrte sie aus aufgerissenen Augen an. »Nein, ist schon gut. Mir fehlt nichts.« »Was hast du gesehen?«, fragte der große Golem. »Ich habe wieder einmal eine andere Welt gesehen. Eine Welt ohne Metall.« »Eine Welt ohne Golems?« »Nein. Da war ein Golem, oder jedenfalls hielt ich ihn für einen Golem.« »Das hat etwas bedeutet, he?« »Ich weiß nicht, aber es schien dort ganz nett zu sein.« Sie sah Bosh an. »Bis auf den Teil mit dem Golem. Ich bin mir nicht sicher, ob das ein netter Golem war …« Sie berührte Boshs Arm. »… so wie du.« Sie hob die Schultern. »Es gab weiche Dinge, wie die Decken und Betten, in denen wir in Bruennas Dorf geschlafen haben. Selbst das Gras und die Sträucher waren weich.« Der Goblin schnappte nach Luft. »Weiches Rasierklingengras?« »Es war eigentlich kein Rasierklingengras. Es sah nur so aus.« Sie richtete sich auf und ging weiter in das Knäuel hinein. »Es war nichts. Gehen wir weiter.« Eine Zeit lang liefen die drei schweigend dahin. Je näher sie dem Baum der Sagen kamen, desto mehr Erinnerungen stahlen sich in Glissas Kopf. Sie dachte an Kane, sah ihn in der Rüstung der Auserwählten des Tel-Jilad. Tiefe Traurigkeit schlich sich ihr in die Brust. Es war ein Gefühl von Schwere, so als stünde ein Vorrac auf ihrem Brustkorb. Am Grunde ihres Magens bewegte sich und flatterte etwas Knotiges, als hätte sie einen lebenden Vogel verschluckt. Eine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Glissa.«
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Glissa sah vom Boden auf. Die Gestalt vor ihr trug die rote Zeremonienrüstung des Tel-Jilad. Einen Moment lang sah Glissa ein anderes Gesicht. »Kane?« Der Elf sah sie von der Seite her an. »Nein.« Glissa schaute sich um. Während sie an ihren besten Freund gedacht hatte, war sie vor dem Baum der Sagen angelangt. Die Wache trat zur Seite und deutete mit einer Handbewegung auf die Seite des Baums. Glissa blickte ihn verwirrt an. »Was denn? Du lässt mich einfach so in den Baum?« Die Wache nickte. Slobad gesellte sich zu Glissa. »Bist du dir auch sicher, verrückte Elfin? Als wir das letzte Mal hier waren, haben die geglaubt, du hättest den alten Troll getötet, he?« Glissa nickte. »Sie haben uns noch nicht angegriffen«, sagte sie. »Außerdem …« Sie sah zu Bosh auf. »… haben wir einen Golem dabei.« Slobad warf die Arme hoch, und die drei marschierten auf den Baum zu. Glissa trat zwischen die Wurzeln und drängte sich zwischen herabhängenden Ranken hindurch, die den Eingang des Baumes der Sagen verbargen. Im Baum wurde das Trio von einem großen, auffälligen Troll begrüßt. Sein Gesicht war rund und mit Warzen bedeckt, und seine Schultern hingen nach vorn, als wäre sein Kopf zu schwer, als dass der dicke Hals ihn tragen könnte. »Junge Glissa«, sagte der Troll mit grollender Stimme, »wir haben dich erwartet.« »Kennen wir uns?«
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»Nein«, sagte der Troll, »aber Meister Drooge kennt dich. Er wartet oben auf dich.« Der Elf in musterte den Troll. Er wirkte zurückhaltend und gar nicht bedrohlich. Er schien harmlos zu sein – für einen Troll jedenfalls. Er trug keine Waffen, die zu sehen gewesen wären, und bewegte sich mit einer Behändigkeit, die seiner beträchtlichen Größe hohnsprach. »Wer ist Meister Drooge?« »Er ist der Älteste«, sagte der Troll. »Das neue Oberhaupt der Trolle.« Er neigte den Kopf, trat beiseite und deutete mit einer schwunghaften Handbewegung auf die Treppe, die tiefer in den Baum hineinführte. Glissa sah die anderen beiden an. Slobad seufzte, nickte jedoch, und so stiegen sie die Treppe hinauf. Die Stufen waren direkt aus dem Baum geschnitten. Kreise bedeckten die abgewetzten Stufen und bildeten ein hübsches Muster. Es wirkte beinahe so, als hätte jemand die Stufen poliert und dabei eine Reihe winziger Kreise hinterlassen. Keiner der Kreise war ganz geschlossen, jeder besaß einen kaum sichtbaren Anfang und ein ebensolches Ende, die in den jeweils daneben liegenden Kreis überzugehen schienen. An der hinteren Kante jeder Stufe setzten sich die Wirbel nach oben hin fort, wanden sich von der Seite einer Stufe auf die nächste hinauf. Die miteinander verbundenen Kreise bildeten eine Reihe von Ketten, die die Wendeltreppe hinauf- und darum herum führten. Die Oberfläche der Stufen war rau, nicht magisch geschliffen wie die Sensenklingen der Gleichmacher oder die Flügel eines Schwebgardisten. Die Stufen waren eindeutig von Hand gemacht. Glissas Rücken schmerzte bei dem bloßen Gedanken an die aufwändige Arbeit, die es bedeuten musste, eine solche
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Treppe aus einem soliden Metallbaum herauszukratzen. Der offensichtlichen starken Abnutzung und den breiten abgetretenen Stellen nach zu schließen, hatte man das vor langer, langer Zeit getan. Schweigend ging die Gruppe weiter und erreichte schließlich das obere Ende, wo sich die Treppe in einen großen Raum öffnete. Gestaffelte Sitzbänke säumten den Raum, und darauf saßen in drei Reihen vielleicht hundert Trolle oder sogar noch mehr. Alle ähnelten sie Trollen, die Glissa bereits einmal gesehen hatte. Ihre Haut war grün und schlaff, die Hände und Schultern mit Warzen und Narben bedeckt, und jeder trug ein zerlumptes Gewand aus gewebtem Metall. Selbst die Elfin, die im Knäuel aufgewachsen war und in ihrer Nähe gelebt hatte, konnte sie nicht auseinander halten. So wie sie jetzt hier saßen, sahen sie aus wie die Pilze oder die Patina, die sich auf umgestürzten Bäumen ausbreitete. Der Treppe gegenüber, in der Mitte der halbrunden Tribüne, hockte ein einzelner Troll auf einem Stuhl. Die anderen hatten sich ihm zugewandt und die Augen auf seine große Gestalt gerichtet. Dieser eine Troll trug im Gegensatz zu den anderen neuere Kleidung. Er hielt sich aufrechter und schien über mehr Energie zu verfügen als die anderen. Seine Blicke schossen im Raum umher. Dabei handelte es sich nicht um eine beschauliche Betrachtung oder den ungeschickten Versuch eines trägen Geistes, irgendetwas verstehen zu wollen. Das war der intelligente Blick eines entschlossenen Wesens. Der Troll auf dem Stuhl hielt einen knöchernen Stab in einer Hand. Mit der anderen bedeutete er dem Trio einzutreten. »Kommt herein. Kommt herein.« Glissa und Slobad taten wie geheißen und blieben inmitten
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der Menge von Trollen stehen, unmittelbar vor dem Anführer mit dem Knochenstab. Bosh jedoch hatte Schwierigkeiten, in den Raum zu gelangen. Hätte er sich ganz aufgerichtet, wäre er mit dem Kopf an die Decke gestoßen. Der Golem beugte sich in der Hüfte vor, aber selbst geduckt hatte er nicht genug Platz, um seine gewaltige Gestalt in den aus dem Baum geschnittenen Raum zu bugsieren. Nach mehreren Versuchen, sich auf verschiedene Weisen zusammenzufalten, von denen eine alberner und weniger wirkungsvoll war als die andere, zog Bosh schließlich die Beine und den Kopf halb in den Körper ein. Der solcherart gekürzte Golem watschelte nun beim Gehen, aber er passte immerhin, wenn auch nur knapp, in den Raum. Der Troll musterte die Gefährten. »Wir haben eure Ankunft erwartet.« »Das haben wir schon gehört«, sagte Glissa. »Und es irritiert mich.« »Warum sollte dich das irritieren, junge Glissa?« »Na ja, als ich das letzte Mal hier war, starb der Älteste Chunth in meinen Armen.« Drooge nickte und senkte den Blick zu Boden. »Ein tragischer Schlag für uns.« Er holte tief Luft. »Du sollst wissen, dass wir dir keine Schuld daran geben.« »Nicht?« Das Oberhaupt der Trolle schüttelte den Kopf. »Nein. Der Ältestenrat hat dich für unschuldig befunden, und die Verräter unter uns haben gebüßt.« Glissa ließ den Blick über die Trolle auf den Bänken schweifen. Sie ließen alle den Kopf hängen. »Die Verräter? Ihr meint, es gab mehr als nur einen?«
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Drooge nickte. »Leider ja.« Glissa stand schweigend da. Sie war erleichtert, dass die Trolle nicht glaubten, sie hätte deren Oberhaupt umgebracht, aber sie empfand auch Traurigkeit. All dieser Verrat und die internen Machtkämpfe geschahen nur ihretwegen. Wenn sie in jener Nacht zu Hause gewesen wäre, wenn sie mit dem Rest ihrer Familie getötet worden wäre, wäre den Trollen nichts von all dem widerfahren. »Hast du noch andere Gründe, irritiert zu sein, dass wir dich willkommen heißen?«, sagte Drooge. Glissa schluckte, dann nickte sie. »Nun, ja. Jeder scheint zu wissen, wo ich hingehe und was ich tun werde, noch bevor ich es überhaupt tue.« »Ja«, erwiderte der Troll. »Ich verstehe, was du meinst.« »Und da sie wissen, wo ich zu jeder Zeit bin, scheine ich jedermanns liebstes Opfer für einen Hinterhalt zu sein.« »Eine Rolle, die niemand gern spielen möchte«, sagte der Troll, »aber eine, die einer Heldin zufällt.« »Einer Heldin?« Glissa hielt inne, um über dieses Wort nachzudenken. »Warum würdet Ihr mich als eine solche bezeichnen?« Der Troll legte den Kopf schräg und sah die junge Elf in an. »Weil deine Bemühungen nicht nur allein dir gelten.« »Moment mal.« Glissa schüttelte den Kopf. »Woher wisst Ihr, was ich will oder dass ich hierher kommen würde?« »Eine simple Schlussfolgerung«, antwortete der Troll. »Als du das letzte Mal hier warst, hast du dich nach dem Wächter erkundigt. Damals hast du uns nicht geglaubt. Du bist zurückgekommen. Daraus schließe ich, dass du Beweise gefunden hast und jetzt anfängst zu glauben, was Chunth glaubte, und du
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möchtest Antworten.« »Was glaubte Chunth denn?« »Dass deine Bestimmung jenseits der Grenzen des Knäuels liegt. Und dass dein Weg sehr viel länger ist, als du denkst.« Der Troll lächelte. Seine fleckigen, flachen Zähne lugten über die warzenbedeckten Lippen. Er sah bedrohlich und warmherzig zugleich aus. Slobad zog Glissa am Arm. »Wer ist dieser Kerl, he?« »Das ist eine gute Frage«, sagte Glissa. Sie wandte sich wieder vom Goblin ab. »Wer seid Ihr?« Der Troll verneigte sich. »Verzeih mir meine mangelnde Gastfreundlichkeit. Ich bin Drooge, der oberste Sagenerzähler. Dies…« Er wies mit den Armen auf die versammelten Trolle. »… dies ist alles, was von meiner Art noch übrig ist.« Glissa ließ den Blick durch den Raum wandern. Es waren eine Menge Trolle hier, mehr als sie jemals auf einem Fleck gesehen hatte. Dennoch machte sie der Gedanke traurig. Das waren alle. Bis auf den letzten. Plötzlich schien die Gruppe gar nicht mehr so groß zu sein. Sie richtete den Blick auf Drooge. »Ihr habt also herausgefunden, dass ich zurückkommen würde, aber das beantwortet noch immer nicht meine Frage, warum Ihr mich einen ›Helden‹ nennt. Wie kommt Ihr auf die Idee, dass ich mich nicht nur um mich selbst kümmere?« Der Troll rieb mit einer Hand über sein unebenes Kinn. »Manchmal sucht sich ein Held nicht aus, ob er ein Held sein will. Manchmal ist ein Held ein Held, weil ihn seine Taten dazu machen. Ob du es weißt oder nicht, deine Mission wird vielen Wesen zum Wohl gereichen. Möglicherweise sogar allen Bewohnern von Mirrodin.« Drooge senkte den Kopf. »Obwohl die Trol-
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le von Memnarch gewusst haben, nicht nur von seiner Existenz, sondern auch, dass er über die Gleichmacher und Apparate herrscht, die das Land heimsuchen, haben wir …« Seine Stimme verklang. Der zerzauste Troll blickte eine ganze Weile zu Boden. Glissa sah ihn an, ging in die Knie und versuchte sich weit genug hinabzubeugen, um seine Aufmerksamkeit zu finden. »Ja?«, sagte sie und versuchte ihm zu entlocken, was er sagen wollte. »Wir … wir hatten … Angst«, sagte er schließlich. »Aber als ich das letzte Mal hier war, sprach Chunth nur sehr widerwillig mit mir. Er verriet mir nur sehr wenig und schien ziemlich … vorsichtig zu sein, gerade so, als würde er dafür bestraft werden, wenn er mir erzählte, was ich wissen wollte.« Glissa hielt inne. Drooge starrte noch immer zu Boden. »Und jetzt lasst Ihr mich hier hereinführen und begrüßt mich, als gehörte ich zu euch. Warum dieser drastische Umschwung?« Drooge hob den Blick. »Chunth war der Älteste unter uns und der Weiseste. Jetzt ist er nicht mehr da, und eine neue Angst hat den Stamm der Trolle befallen: die Angst, dass wir bald alle nicht mehr da sein werden, dass wir diesen Ort verlassen müssen, so wie Chunth es musste. Wie du siehst, sind nur noch sehr wenige von uns übrig. Wir können es nicht allein mit Memnarch und seinen mechanischen Armeen aufnehmen. Dazu sind wir zu wenige.« Drooge verstummte und holte tief Luft. »Und wir fürchten uns zu sehr.« »Aber was hat das mit mir zu tun?« »Deine Bestimmung ist in Gang gesetzt worden. Es bleibt keine Zeit mehr, um über ›falls‹ und ›wenn‹ zu diskutieren. Es ist soweit. Die Zeit ist da, und die Ereignisse werden ihren weiteren Lauf nehmen, ob du nun bereit bist oder nicht.«
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»Ich verstehe immer noch nicht.« Drooge hob seinen Knochenstab. »Wir haben alle Angehörige, die den Armeen des Wächters zum Opfer gefallen sind. Wir wollen dich obsiegen sehen.« »Wollt Ihr damit sagen, dass ihr mir gegen den Wächter helfen werdet?« Drooge kratzte sich abermals am Kinn. »Wenn es an der Zeit ist. Ja.« Slobad zupfte Glissa wieder am Arm. »Wann ist das, he? Dann kommen wir wieder her.« Der Troll lachte kehlig. »Leider kann ich euch die Zukunft nicht weissagen, nur, dass die Trolle sich beteiligen werden, wenn alles vorbereitet worden ist.« »Vorbereitet?« Glissa schüttelte den Kopf. »Wovon redet Ihr? Das klingt ja gerade so, als gäbe es so etwas wie einen vorbestimmten Weg, dem wir alle zu folgen haben – und dass ich diejenige bin, die vorausgeht. Verstehe ich hier irgendetwas falsch?« Drooge erhob sich und humpelte näher. Wegen der Schnelligkeit seiner Worte und der blitzenden Intelligenz in seinen Augen hatte Glissa ein wichtiges Merkmal des Trollhäuptlings übersehen. Er besaß nur ein Bein. Der Knochenstab, den er in der Hand hielt, war eine Krücke, und darauf stützte er sich nun, als er auf sie zukam. Seine Schritte waren unbeholfen, aber dennoch gemessen, ganz so, wie Glissa es von einem Troll erwartete. Als er auf Armeslänge herangekommen war, blieb er stehen und lächelte. »Tut mir Leid, es ist nicht meine Absicht, dich zu verwirren. Ich vergesse, dass all diese Einzelheiten neu für dich sind. Für die Trolle hängt das alles mit Ihrer Lebensart, ihrem
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Glauben zusammen.« Er beugte sich herunter und senkte den Kopf dabei so weit, dass er Glissa in die Augen sehen konnte. »Wir gehören nicht auf Mirrodin. Die Trolle …« Er wies mit einer ausholenden Handbewegung auf all die Wesen, die auf der Tribüne saßen. »… wir sind nicht von dieser Welt. Wir möchten nicht länger hier bleiben, als es sein muss.« »Moment.« Glissa sank auf den Metallboden nieder. »Ihr seid von einer anderen Welt?« »Ja.« »Wie kann ich euch da helfen? Es ist doch nicht so, dass ich euch auf eine andere Ebene heben könnte.« »Du kannst uns helfen, der Tyrannei des Wächters zu entfliehen«, erklärte der Troll. »Das ist der Weg, den du beschreiten wirst. Das ist die Bestimmung, die für dich ausgewählt wurde.« »Ihr redet so, als bliebe mir in dieser Angelegenheit gar keine andere Wahl.« »Die bleibt dir auch nicht.« Die Elfin schnaubte. »Wenn ihr alle …« Glissa ließ den Blick über den gesamten Stamm der Trolle durch den Raum schweifen. »… mit euren großen Muskeln und starken Fäusten nichts gegen Memnarch und seine Gerätschaften ausrichten könnt, wie kommt ihr dann darauf, dass ich es könnte?« »Weil du keine Angst hast.« »Natürlich habe ich Angst!«, schrie Glissa. »Mehr noch, ich kann mich an nicht mehr als einen kurzen Augenblick meines Lebens erinnern, in dem ich mich nicht vor irgendetwas gefürchtet habe.« Der Troll nickte. Er war offensichtlich ungerührt von ihrem Ausbruch. »Ja, Angst ist etwas, was die Grenzen der Rassen ü-
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berwindet. Angst verbindet uns und macht uns alle gleich.« Drooge legte seine riesige Hand auf die zarte Schulter der Elfin. »Was uns unterscheidet, dich und mich, ist, dass du trotz dieser Angst weitermachst.« Glissa nickte bedächtig. Jetzt verstand sie. Drooge drehte sich um und hinkte an seinem Stuhl vorbei. »Wie gesagt, wenn es an der Zeit ist, werden dir die Trolle zu Hilfe kommen.« Als er die gegenüberliegende Wand des Raumes erreichte, stellte er seine Krücke beiseite. Seine Handflächen gegen das Metall gedrückt, sprach er ein einziges Wort, worauf ein Gehäuse erschien. Es war eine quadratische Kiste, etwa von der Größe eines kleinen Goblins und von derselben Farbe und Struktur wie die Wand ringsum. Hätte Glissa dem Troll nicht bei seinem Tun zugesehen, hätte sie wahrscheinlich geglaubt, die Kiste sei schon die ganze Zeit da gewesen. Sie verschmolz mit dem Rest des Raumes, als wäre sie aus dem Baum geschnitten worden, genau wie die Treppenstufen. Drooge griff in die Kiste und holte eine kleine Schatulle heraus. »Glaube nur nicht, dass ich dich mit leeren Händen wegschicke.« Der Troll winkte das Trio zu sich. Die Gefährten gingen zu ihm, und Glissa streckte einen Finger aus, um das Kästchen zu berühren. Es war eine ausgezeichnete Arbeit, mit hineingeschnitzten Mustern, deren Sinn sie nicht kannte. Sie wollte nicht aufhören, es zu berühren. »Gefällt es dir?«, fragte der Troll. »Ja«, sagte Glissa. »Was ist das?« »Es besteht aus dem Holz eines Baumes, der nicht von dieser Welt ist. Es heißt, dass mein Volk, die Trolle, vor vielen tausend
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Jahren in diesen Bäumen lebten.« Glissas Augen traten ihr beinahe aus dem Kopf. Sie konnte sich eine andere Welt nicht einmal vorstellen. Nur mit dem Finger über das Holz zu streichen beruhigte ihre Nerven und machte sie … glücklich. »Und das gebt Ihr mir?« Der Troll lachte. »Nein«, sagte er, »ich gebe dir, was darin ist.« Glissa war enttäuscht. »Oh.« »Es ist hübsch«, sagte Drooge, und seine Augen glänzten vor Belustigung, »aber ich bezweifle, dass dieses Kästchen dir auf deinem Weg helfen würde. Nein, ich gebe dir das hier.« Der Troll hob den Deckel ab und holte einen Helm heraus. An seinem Rand waren in einem gleißenden Kreis fünf Edelsteine eingelassen, von denen jeder eine andere Farbe besaß. Oben befand sich, tief in die metallene Oberfläche eingraviert, ein Sigill oder eine Rune. Es war ein Kreis, der von fünf Linien in fünf Keile unterteilt wurde – wie ein Rad mit fünf Speichen. Drooge reichte Glissa den Helm. »Er ist wunderschön.« Die Elfin strich mit den Fingern über die Steine – ein Diamant, ein Smaragd, ein Rubin, ein Onyx und ein Saphir. Und alle funkelten sie. Bosh rutschte herbei, und Slobad stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können. »Wozu dient er?«
$ Pontifex schritt vor der Tür, die zum Großen Versammlungssaal führte, auf und ab. Drinnen warteten die anderen Mitglieder der Synode. Der Vedalken-Lord wusste, was ihn erwartete, wenn er eintrat. Er wusste, was sie geplant hatten. Die ganze Intrige hatte
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sich in weniger als einem Zyklus entwickelt. Trotz der sehr realen Macht, die er nun über das Volk der Vedalken besaß – und auch über die Synode selbst –, hatte er dieser Entwicklung doch machtlos gegenübergestanden. Manchmal waren politische Spielchen schlicht mächtiger als die Politiker, die sie spielten. Pontifex wappnete sich und trat vor. Die Tür vor ihm glitt lautlos beiseite, und er betrat den Saal. Niemand sprach, aber der Raum war von den Geräuschen hin und her rutschender Personen erfüllt, die eine bequeme Haltung einzunehmen versuchten. Unter den versammelten Vedalken kehrte Ruhe ein, als sie ihn sahen, und völlige Stille senkte sich auf einmal über den Saal. Die Große Halle, wie sie oft genannt wurde, war nichts weiter als eine riesige Grube, die sich spiralförmig tief in den Boden drehte. Der Raum war oben breiter als unten und von einem vedalkischen Architekten entworfen worden, der sich von den wirbelnden Stürmen und Strudeln der Quecksilbersee hatte inspirieren lassen. Eine schmale Plattform – gerade breit genug, um zwei Vedalkenwachen in voller Uniform nebeneinander Platz zu bieten – wand sich am Rande der Grube von der Decke bis zum offenen Boden hinunter. In Pontifex’ Augen sah es wie ein Korkenzieher aus, der sich in die Tiefen von Mirrodin hinabschraubte. Dieser Vergleich amüsierte ihn, und er lächelte. Ein Geländer säumte den Rand der Plattform. Der Architekt hatte gewollt, dass dieser Raum einen gefährlichen Eindruck machte – und es auch war. Ein falscher Schritt, und ein Vedalken konnte sich rasend schnell auf dem Boden wiederfinden. Weiter unten war das kein großes Problem, aber aus dieser Höhe würde ein fallender Körper zu Brei zerquetscht werden.
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Dieser Raum ist wirklich gefährlich, dachte Pontifex, als er auf die versammelten Vedalken hinabsah, trotz der Sicherheitsvorkehrungen. Entlang der Spirale versammelt, standen die Bürger des vedalkischen Reiches an der äußeren Wand oder lehnten am Geländer. Von der sich hinabwindenden Plattform aus konnte Pontifex auf alle hinabblicken, auch auf die beiden Angehörigen der Synode, die ihn am Boden erwarteten. Neben ihnen stand eine dritte Gestalt. Pontifex kannte diesen Mann nicht, aber er wusste, was seine Anwesenheit hier bedeutete. »Lord Pontifex«, sagte jemand von tief unten, »es ist nett, dass Ihr Euch zu uns gesellt.« Die runde, aufsteigende Bauweise des Saales ermöglichte es, dass jedes Wort, das gesprochen wurde, von allen gehört werden konnte. Es war egal, ob der Sprecher sich am Boden befand oder am Geländer nahe der Decke, alles hatte hier eine Stimme. Allerdings wurde jeder Bürger, der unaufgefordert oder ohne Erlaubnis sprach, gewaltsam entfernt und zu zwei vollen Mondzyklen harter Arbeit verurteilt. Viele, die auf diese Weise bestraft worden waren, hatten nicht lange genug gelebt, um wieder in die Gesellschaft entlassen zu werden. Infolgedessen sprachen überhaupt nur sehr wenige, während sie sich in der Großen Halle aufhielten. Pontifex erkannte die Stimme. »Hallo, Tyrell«, sagte er und sah hinab zu dem Vedalken. »Es ist mir stets eine Freude, in der geschätzten Gesellschaft meiner Ratsgefährten …« Er beschrieb mit dem Finger einen Kreis in der Luft, der die versammelten Vedalken einschließen sollte. »… und der ausgesuchten Vertreter der Bürgerschaft zu sein.« Er ließ die Plattform dem Boden entgegenfahren. »Seid gegrüßt.«
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Leises Klatschen erfüllte den Raum, und die Volksvertreter der Vedalken neigten jedes Mal den Kopf, wenn der Lord an ihnen vorbeikam. Das gefiel Pontifex. Er liebte es, dass diese Leute ihn liebten. Etwas Vergleichbares war ihm zuvor nie widerfahren, und er genoss jeden Augenblick. »Nun, da Ihr hier seid …« Der Applaus der Vedalken verstummte. »… dürfen wir da mit der Amtseinführungszeremonie fortfahren?« Das waren die ungeduldigen Worte von Sodador. Er war der jüngere, hitzköpfigere der anderen beiden Räte, konnte aber nur mit der Hilfe eines Stockes gehen. Ja, dachte Pontifex und betrachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen. Du bist begierig darauf, die Synode anzuführen. Das übereifrige Verhalten dieses Ratsherrn hatte diesem jedoch nicht die politische Macht eingetragen, um Janus, den vorherigen Anführer, herauszufordern. Letzterer hatte zu viele Verbündete besessen. Der Aufstieg an die Spitze der Synode war eine hässliche Angelegenheit. Wenn man seinen Vorgänger umbrachte, warf das in politischer Hinsicht kein besonders schmeichelhaftes Licht auf einen. Es würde einige Zeit dauern, bis Pontifex den schlechten Ruf abgestreift hatte, den ihm sein Aufstieg zur Macht über Janus’ Leiche hinweg eingetragen hatte. Pontifex lächelte innerlich. Sie würden diesen Kampf vielleicht gewinnen, aber er würde es ihnen heimzahlen. »Ach je, ist das peinlich, Ratsherr Sodador«, sagte der Vedalken-Lord. »Glaubt Ihr nicht, Ihr vergesst da etwas?« Pontifex hatte inzwischen fast die Hälfte der Strecke nach un-
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ten zurückgelegt. Sodadors Züge wurden deutlicher erkennbar. »Ganz gewiss nicht. Wir haben bei der Einberufung dieser Sondersitzung der gewählten Volksvertreter alle parlamentarischen Verfahren befolgt.« Pontifex stoppte die Fahrt nach unten und trat zwischen zwei Volksvertretern ans Geländer. Er hob den Zeigefinger. »Verzeiht mir, Ratsherr Sodador, aber bedarf es nicht einer Abstimmung des Rates, bevor wir ein viertes Mitglied in die Synode aufnehmen können? Gewiss muss eine Abstimmung erfolgen, bevor wir eine Amtseinführung vornehmen können. Ich weiß nicht, wie es Euch ergeht, aber ich kann mich nicht daran erinnern, über die Aufnahme dieser Person in unseren Rat abgestimmt zu haben.« Pontifex zeigte auf die dritte Gestalt, die sich hier unten befand. »Im Gegenteil, mir wurde dieser Mann noch nicht einmal vorgestellt.« Etliche der versammelten Volksvertreter keuchten leise auf, und sowohl Sodador als auch Tyrell schienen sich vor Peinlichkeit krümmen zu wollen. Pontifex lächelte. Sie hatten ihren Plan nicht verschleiert, aber jetzt wurden ihre Beweggründe, diese Sondersitzung einzuberufen, infrage gestellt. »Nun«, sagte er und fuhr weiter nach unten, »irre ich mich da?« »Wie Ihr Euch sicherlich erinnert, Lord Pontifex«, antwortete Tyrell, »wurde diese Versammlung gemäß dem Gesetz einberufen, das ganz klar festlegt, dass die Synode zu Beginn eines jeden neuen Mondzyklus mit vier Mitgliedern besetzt sein muss.« Tyrell fuhr sich mit der Hand über den kahlen Schädel. »Es ist dunkel draußen, mein Freund. Der Mondzyklus hat angefangen, und wir haben einen leeren Sitz zu füllen.« »Wir werden ihn füllen.« Pontifex lächelte breit. »Ich glaube
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allerdings, Ihr werdet mir zustimmen, dass wir unsere altbewährten Traditionen und Verfahren nicht aufgeben sollten, nur weil wir ein wenig hinter dem Zeitplan liegen. Unsere Gesetze, Tyrell, wurden verfasst, um uns vor übereilten Entscheidungen zu bewahren. Lasst uns mit Eurem Kandidaten sprechen, und dann soll er sich der Wahl durch die Volksvertreter stellen – wie es Pflicht der Synode ist –, bevor wir ihn vereidigen.« Leiser Applaus folgte seinen Worten. »Unsere Gesetze«, gab Sodador zurück, »wurden verfasst, um uns vor einem Rat zu bewahren, der seine Macht missbraucht.« Pontifex wirkte verletzt. »Wollt Ihr mir eine Schuld zuweisen, Sodador?« Sodador öffnete den Mund, aber Tyrell hob die Hand, um ihn zu stoppen. »Unser junger Ratsherr gibt Euch keinerlei Schuld, Lord Pontifex. Er spricht lediglich von der Übereinkunft des Gleichgewichts.« Der alterfahrene Staatsmann wandte sich den versammelten Vedalken zu, die über ihm in der Spirale standen. »Wie ihr alle wisst, liebe Bürger, ist die Synode ein Rat von vier Mitgliedern. Obgleich es selten eine Meinungsverschiedenheit gibt, ist es von Zeit zu Zeit doch notwendig, ein Unentschieden aufzuheben, wenn die Mitglieder des Rates nicht übereinstimmen. In solchen Zeiten setzt der Rat eine zweite Abstimmung an.« Tyrell drehte sich beim Sprechen um die eigene Achse und schloss dabei mit jedem einzelnen der gewählten Volksvertreter Augenkontakt. »Momentan besteht die Synode nur aus drei Mitgliedern. Deshalb wurdet ihr zu dieser höchst ungewöhnlichen Versammlung einberufen. Viele von euch haben noch nie einen Fuß in diesen Saal gesetzt. Und viele von euch werden nie wieder dazu gezwungen sein, aber heute liegt die Sache anders. Heute müsst ihr den vierten Sitz mittels einer einzigen gemein-
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samen Abstimmung füllen, die für den Fall eines Unentschiedens vorgesehen ist.« Pontifex ergriff das Wort. »Die ungewöhnlichen Umstände, die euch heute hierher führten, erlauben euch einen seltenen Einblick in die Funktionsweise der Synode und wie wir …« Pontifex deutete auf die anderen Mitglieder und sich. »… die Sorgen und Bedürfnisse des gesamten vedalkischen Reiches berücksichtigen.« Er nickte und lächelte den Volksvertretern zu. »Ich für meinen Teil bin darüber hoch erfreut. Es kommt nicht alle Tage vor, dass ihr der Regierung bei der Arbeit zusehen, geschweige denn an einer Entscheidung eurer eigenen Souveräne teilhaben könnt. Ich bin mir sicher, ihr seid ob dieser Aussicht ebenso aufgeregt wie ich, aber ich muss diese Gelegenheit nutzen, um euch auf die große Wichtigkeit der Entscheidung hinzuweisen, die wir alle zu treffen im Begriff stehen.« Lord Pontifex richtete sich gerade auf, sein Lächeln wurde zu einem Ausdruck strenger Ernsthaftigkeit. »Wägt eure Abstimmung sorgsam ab, denn wen ihr auch wählt, um diesen leeren Sitz zu füllen, er wird der Synode auf Lebenszeit angehören und eure Geschicke bestimmen.«
$ Memnarch schlenderte aus seinem Labor hinaus. Die Arbeit, die er außerhalb des Panopticon verrichtete, war zwar nicht schwer, aber der Weg zu den Seelenfallenfeldern und zurück würde einige Zeit in Anspruch nehmen – Zeit, die er nicht in der Nähe seiner Infusionsapparatur verbringen konnte. Und mit den an seiner Gestalt befestigten Serumtanks würde er noch länger brauchen. Das Gerät hielt zwar seine Versorgung
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mit dem Serum aufrecht, aber die klobige Form des Apparats und das Gewicht machten ihn langsamer. Egal. Er genoss seine Ausflüge zu den Seelenfallen. Es war besser, die Arbeit zu genießen, anstatt zu versuchen, sie in möglichst kurzer Zeit zu erledigen. Außerdem fühlte sich Memnarch mit den Metalltanks so wie zuvor, als sein Körper noch ganz aus Metall bestanden hatte, vollkommen eben, so wie er geschaffen worden war. »Glaubst du, Memnarch hätte das vergessen?« Der Wächter schüttelte den Kopf. »Natürlich glaubst du das nicht.« Der Aufzug stoppte, und die Tür glitt auf. Stille empfing Memnarch, als er über den leeren Sammelplatz am Fuß des Panopticon blickte. Zuvor waren hier einhundert Gleichmacher aufgereiht gewesen. »Malil hat sie alle mitgenommen«, sagte er. »Er nimmt seine Pflicht sehr ernst.« Der bauchige, krabbenartige Wächter von Mirrodin huschte aus dem Lift und schließlich auch aus seinem Turm hinaus. Das dämmrig erleuchtete Innere wurde von dem blendenden blauweißen Licht des Manakerns abgelöst. Hoch über dem Boden des Inneren zischte und knisterte der Kraftkern der gesamten Welt vor Energie. »Manchmal vermisst Memnarch die Dunkelheit. Ja. Ja. Es ist sehr viel leichter mit einer konstanten Lichtquelle zu arbeiten. Trotzdem, die Annäherung der Monde war ein spektakuläres Ereignis.« Er blieb kurz stehen und legte einen Finger an die Lippen. »Es findet gerade eine kleine Annäherung statt«, sagte er. »Erinnerst du dich, als der erste Mond aus dem Kern der Welt schoss?« Kopfschüttelnd ging Memnarch weiter.
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»Nein? Das dachte ich mir schon. Du warst damals nicht hier, als es geschah. Und auch beim zweiten nicht.« Der Blick des Wächters verfinsterte sich. »Und beim nächsten Mal auch nicht. Und auch beim übernächsten Mal nicht. Wenn ich es mir recht überlege, war Mirrodin immer dunkel, wenn du hier warst. Ach, wie sich die Dinge doch verändert haben.« Ein Stück voraus sah Memnarch die hohen Chromgewinde der Mycosynth, die am unteren Ende von Grünspan bedeckt waren. Sie ragten hoch in den Himmel hinauf und streckten sich dem Manakern entgegen. Wälder dieser spitzigen Türme übersäten das Innere von Mirrodin von einer Seite zur anderen. Vom Panopticon aus konnte Memnarch sogar sehen, wie sie der Wölbung der runden Ebene folgten. Doch diese Gebilde interessierten den Wächter jetzt nicht. Sie repräsentierten nur alles, was mit Mirrodin inzwischen nicht mehr stimmte. »Das ist richtig«, sagte er, während er auf die nächsten Säulen zuging, »sie sind nicht das Problem, aber sie sind ein Symptom. Memnarch mag die Symptome nicht.« Im Wald der Mycosynth blieb Memnarch stehen und kniete nieder. Unter ihm wuselten dutzende kleiner pelziger Wesen umher und verhielten, wenn sie auf die großen, rautenförmigen Kisten trafen, die von moosiger Patina überzogen waren und etliche Meter voneinander entfernt standen. »Du wärst stolz auf diese Geräte, Meister Karn«, sagte er und griff hinunter, um eine der Kisten zu inspizieren. »Sie sind Memnarchs eigene Schöpfung. Seine eigene Schöpfung. Wir nennen sie Seelenfallen, und sie sorgen dafür, dass Mirrodin bewohnt bleibt.« Sanft streifte der Wächter etliche der Pelzwesen ab und drückte gegen die Seiten der Raute. Sie fühlten sich
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unter seiner Berührung weich und fleischig an. »Das auch«, sagte er und drückte gegen die weichen Seiten des Geräts. »Das ist ein Symptom. Wenn Memnarch nur wüsste, was die Symptome auslöst, dann könnten wir es erforschen. Es verstehen. Und heilen.« Memnarch betrachtete seinen Arm. Das Fleisch dort war weich und geschmeidig, genau wie die Seiten der Falle und die pelzigen Tiere, die auf dem Boden von Mirrodin umherhuschten. »Es infiziert uns alle. Es verdirbt die Vollkommenheit.« Memnarch knirschte mit den Zähnen und ballte die Fäuste so fest, dass die Arme knallrot anliefen. »Es verhöhnt alles, was der Schöpfer erschaffen hat.« Memnarch zitterte am ganzen Körper. »Das ist nicht so, wie Memnarch sein sollte. Du erschufst Memnarch nach deinem Bilde, und jetzt ist Memnarch … ist er …« Er hielt die Arme hoch und lieferte sich ganz den Strahlen des Manakerns aus. »Das!« Das grelle blauweiße Licht brannte in Memnarchs Augen, und Tränen rannen ihm übers Gesicht. Bis auf das elektrische Summen, das der Manakern von sich gab, war der Rest des Inneren von Mirrodin still. Schließlich ließ der Wächter die Hände sinken. Ein schwebender orangefarbener Fleck füllte sein Blickfeld aus. Einen Moment lang verlor Memnarch seine Verbindung zur festen Welt. Ein Schwindelgefühl überkam den Wächter, und er verlor das Gleichgewicht. Er trat zurück, um sich zu fangen, wobei er mit dem Fuß auf et-was Weichem landete. Er vernahm ein platzendes Geräusch und rutschte aus. Memnarch fiel. Seine vier Beine knickten unter ihm zusammen, und sein Serumtank prallte mit gewaltigem Scheppern auf
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den Boden. »Warum wird Memnarch so gestraft?«, stöhnte er. Reglos blieb der Wächter auf der Seite liegen. Die brennende, orangefarbene Sphäre, die ihm den Blick verwehrte, trieb langsam davon, und Memnarch schaute auf eine Lache aus roter Flüssigkeit, die den Boden rings um ihn herum bedeckte. »Blut? Sehen wir Blut?« Er stemmte sich auf die Beine und untersuchte seinen Körper. Seine ganze Seite war glitschig von Blut, aber er spürte keinen Schmerz. An seinen teilweise aus Fleisch bestehenden Gliedmaßen herumstochernd und -zupfend, suchte Memnarch nach Wunden, fand aber keine. Auf dem Boden huschten die pelzigen kleinen Kreaturen um seine Füße herum und wichen der blutigen Lache, so gut sie konnten, aus. »Unsere Grendeln? Sind unsere Grendeln ganz zu Fleisch geworden?« Memnarch beugte sich hinunter und hob eines der zerquetschten Pelzwesen auf. Überwältigende Traurigkeit überkam ihn, und er blickte kopfschüttelnd auf die tote Kreatur in seinen Händen hinab. »Ist es das, was mit Memnarch geschehen wird?«
$ Drooge hob den Zeigefinger. »Der Helm wird dir im Kampf helfen. Hinter deinen Schlägen wird mehr Kraft stecken. Du wirst dich schneller bewegen. Und gemeinsam mit Kaldras Schwert und Kaldras Schild vermag er noch viel mehr.« »Kaldras Schwert? Was ist das?«
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Drooge hob seine große Hand und zeigte auf Glissas Hüfte. »Die Waffe, die du Chunth genommen hast.« Glissa zog die Hand zurück. »Heißt das, es ist Teil eines zusammengehörigen Satzes?« »Ja. Oder treffender, es ist Teil eines Schlüssels.« Slobads Ohren richteten sich auf. »Und was öffnet dieser Schlüssel?« »Es ist weniger ein Schlüssel, der etwas öffnet, sondern ein Schlüssel, der ein mächtiges Wesen aktiviert.« Slobads Ohren zuckten. »Artefakt, he? Wo finden wir dieses mächtige Artefakt?« »Kein Artefakt.« Slobad ließ enttäuscht die Schultern hängen. »Ihr müsst zu den Sümpfen des Mephidross reisen«, fuhr Drooge fort. »Dort werdet ihr Kaldras Schild finden.« Der Troll streckte die Hand aus. »Darf ich einmal einen Blick auf dein Schwert werfen?« Glissa sah erst Slobad, dann Bosh zögernd an. Der Golem stand schweigend, aber zu allem bereit hinter ihr, wie er es während der ganzen Unterhaltung getan hatte. Der Anblick ihres gewaltigen Freundes beruhigte Glissas Nerven, und so zog sie ihr Schwert aus der Scheide und reichte es dem Troll. Drooge fuhr mit den Fingern über den Griff der Waffe und nahm die Ätzungen und eingravierten Runen in Augenschein. »Seht ihr das«, sagte er dann, drehte den Griff in Richtung des Trios und deutete auf eine kreisförmige Rille. In die Mitte der Rille war ebenjene fünffach unterteilte runde Rune eingearbeitet worden. »An dieser Stelle wird sich der Griff des Schwerts an das Schild fügen, wenn ihr den letzten Teil des Kaldra-Wächters gefunden habt.«
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»Des Kaldra-Wächters?«, sagte Slobad. »Ja«, erwiderte der Troll. »Der Wächter ist ein Avatar, ein sehr mächtiger sogar. Wenn ihr alle drei Teile habt, müsst ihr sie zusammensetzen, und der Wächter wird zum Leben erwachen.« »Moment«, sagte Glissa. »Wenn die Trolle schon zuvor von diesem Wesen wussten, warum hat mir Chunth dann nicht einfach davon erzählt?« Drooge umklammerte seine Krücke. »Du warst noch nicht bereit.« »Nicht bereit dazu?« »Du hast Meister Chunth nicht geglaubt. Jetzt, da du deine Bestimmung kennst, bist du bereit.« »Ich verstehe immer noch nicht ganz, was mir zu tun bestimmt ist.« Der Troll lächelte. »Ein Schritt nach dem anderen«, sagte er. »Deine Reise ist noch lang. Versuch nicht, sie an einem Tag zu bewältigen.« Ein lautes Donnern hallte durch den Baum der Sagen, und zum ersten Mal, seit die Gefährten hier eingetroffen waren, rührten sich die Trolle auf den Bänken. Sie fuhren von ihren Sitzen auf, teilten sich in vier Gruppen und marschierten der Reihe nach aus dem Raum. »Was soll das? Was ist denn passiert?«, fragte Glissa. Drooge stellte die Schatulle zurück in den Kasten und schloss die Tür. »Der Baum der Sagen wird angegriffen.«
$ Malil saß auf seinem persönlichen Gleichmacher. Die Macht des Serums hatte ihn immer noch fest im Griff. Die Welt hatte sich
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zusammengefügt, und er war nach Mirrodin zurückgekehrt, genau wie Memnarch es vorhergesagt hatte. Doch die Welt, in die er zurückkam, war nun anders. Er verstand besser, wie die Dinge funktionierten, aber das war es nicht, was sich verändert hatte. Vor ihm, aufgereiht und kampfbereit, befanden sich fast hundert Gleichmacher, die alle seinem Befehl unterstanden. Mit einem gewissen Stolz ließ er den Blick über sie wandern. Es war seltsam, dieses Gefühl. Malil hatte schon viele Mal an genau dieser Stelle gestanden, aber nie hatte er … irgendetwas dabei empfunden. Jetzt aber rasten seine Gedanken. Sie waren der Elfin zum Knäuel gefolgt, bis zu genau diesem Baum. Die Gleichmacherarmee hatte ihn umzingelt. Malil war vorausschauend genug gewesen, um zwei Brecher als Rammböcke mitzubringen – Mammuts, die über gebogene Hörner und ein Vorderrad verfügten, das nahezu alles überrollen und platt walzen konnte. In der Vergangenheit hatte er diese Schöpfungen meist eingesetzt, um Menschendörfer dem Boden gleichzumachen oder Rasierklingengras-Flächen einzuebnen. Jetzt griffen die beiden Kolosse den Baum an. Abwechselnd rollten die künstlichen Kreaturen vor und zurück und krachten mit dem Kopf voran gegen den Baum. Das wummernde Geräusch, das sie verursachten, klang für Malil wie Musik. Immer ein Mammut rammte gegen den Baum, während das andere sich zurückzog, um Anlauf für die nächste Attacke zu nehmen. Der vibrierende Ton des letzten Angriffs war fast verklungen, als ein grüner Strom aus dem Baum quoll. Erst dachte Malil, dass es sich um irgendeine organische Flüssigkeit handelte. Er hatte gesehen, wie Memnarch blutete, hatte auch Menschen und Elfen bluten sehen, wenn sie zwischen die
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Sensenklingen eines Gleichmachers gerieten. Vielleicht blutete dieser Baum ja. Die grüne Flüssigkeit jedoch begann, die Gleichmacher und die Brecher anzugreifen, und da wusste Malil, dass es doch keine Flüssigkeit war. »Trolle.« Die Gleichmacher wurden von der näher kommenden grünen Woge beiseite geschleudert. Die Brecher stoppten ihre Attacken und wurden fast unter einer Horde von Trollen verborgen. »Tötet sie«, rief Malil, worauf der Rest der Gleichmacherarmee vorrückte und die Schlinge um den Baum und die Trolle enger zog.
$ »Was tun wir jetzt?«, rief Slobad. »Die Gleichmacher haben uns in der Falle, he?« »Wir werden kämpfen«, sagte Glissa. Sie packte den Griff von Kaldras Schwert und trat einen Schritt vor. Drooges Krücke verstellte ihr den Weg. »Dein Weg führt dich zu dieser Tür dort hinaus«, sagte das Oberhaupt der Trolle und deutete auf den bogenförmigen Vordereingang des Baumes. »Er führt dich ins Zentrum von Mirrodin.« »Wo immer ich hinsoll, ich werde nicht dort hinkommen, wenn ich es nicht aus diesem verdammten Baum herausschaffe. Wir müssen kämpfen. Uns bleibt keine andere Wahl. Außerdem können Eure Trolle unsere Hilfe gebrauchen.« Die Elfin wies hinaus auf die Schlacht, die nur wenige Meter von ihnen entfernt tobte. Die Waldbewohner hatten bereits viele
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der künstlichen Kreaturen in Stücke gerissen. Haufen von Metallteilen übersäten den Boden, aber dazwischen lagen auch die gefallenen Gestalten etlicher Trolle. »Meine Trolle können auf sich selbst aufpassen«, erwiderte Drooge. »Du musst dafür sorgen, dass du Memnarch nicht einfach so in die Hände spielst.« »Ihr glaubt, diese Armee ist hier, um mich zu suchen?« »Ich glaube es nicht nur«, antwortete Drooge, »ich weiß es. Und jetzt folge mir.« Trotz seines fehlenden Beines bewegte sich Drooge schneller, als Glissa einen Troll je hatte laufen sehen, und sie hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Glissa blickte auf ihr Schwert hinab. »Warte! Wo finde ich das letzte Stück des Kaldra-Wächters?« Der Troll wandte sich nicht um, sondern ging weiter vor Glissa, Slobad und Bosh her, um sie aus dem Baum zu fuhren. »Ihr müsst Geth finden. Er besitzt das, wonach ihr sucht.« Glissa warf Slobad einen Blick zu. »Geth, schon wieder.« »Verrückter Troll kann keinen anderen Schild finden?« Glissa schüttelte den Kopf. »Du warst doch derjenige, der sich so über ein neues Artefakt gefreut hat, an dem er herumbasteln kann.« Sie zuckte die Achseln. »Dann gehen wir wohl zurück in die Gruft des Geflüsters. Wenn wir das bloß schon letztes Mal gewusst hätten, dann könnten wir uns den Weg jetzt sparen.« Drooge, der alle außer Bosh überragte, schaute ihnen der Reihe nach in die Augen, dann richtete er seinen Blick auf Glissa. »Ihr müsst schnell zum Mephidross. Bleibt nicht hier, um zu kämpfen, sonst war das Opfer der vielen Trolle vergebens.« Er reichte ihr einen Ring, der ebenfalls das kreisrunde Sigill aufwies. »Nimm ihn, möglicherweise wird er dir eines Tages nützlich sein.«
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$ Pontifex senkte seine Hellebarde mit der breiten Spitze und sprang auf Marek zu. »Dies sind schwierige Zeiten, mein Freund.« Der Kommandant der vedalkischen Elitewache parierte den Hieb, konterte dann und drängte Pontifex einen Schritt zurück. »Gut gemacht«, lobte der Vedalken-Lord. Er sorgte dafür, dass er einen sicheren Stand hatte, dann begann er mit seiner Klinge eine Reihe eingeübter Muster in die Luft zu schneiden. Marek beobachtete die Spitze der Hellebarde, während diese sich durch die Luft bewegte. »Ich kannte das voraussichtliche Ergebnis, aber eine solch einstimmige Entscheidung hatte ich nicht erwartet.« Pontifex führte seine Waffe weiter durch die Luft und versuchte seinen Gegner mit der sanften Bewegung einzulullen. »Kommt es darauf wirklich an, mein Lord? Wenn die Volksvertreter mit einer Stimme wählen, ist es einerlei, ob nun die meisten oder alle zustimmen. Das Resultat ist dasselbe.« Marek hielt seine Verteidigung aufrecht. »Wohl wahr«, erwiderte Pontifex. Er beobachtete Marek, wie dieser dem hypnotischen Muster der Klinge folgte. »Dennoch, so etwas könnte zu sehr gefährlichen Veränderungen innerhalb des Reiches führen.« Der Vedalken-Lord schlug zu. Seine Klinge bewegte sich nach vorn, aber anstatt sie dem Muster folgend wieder zurückzuziehen, sprang er weiter vor und überraschte Marek. Die Klinge glitt am Schulterschutz des Kriegers ab, und Pontifex zog die Waffe zurück. Marek ging zu Boden, sein Ausweichversuch war zu spät gekommen. »Sehr gut, mein Lord«, sagte Marek und schaute vom Boden
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zu Pontifex hoch. Pontifex stützte das untere Ende seiner Waffe auf den Boden und streckte Marek drei Hände entgegen. »Danke«, sagte er und half dem Krieger auf die Beine. Die beiden stellten ihre Hellebarden in ein Gestell an der Wand, und Pontifex griff nach einem Handtuch, um sich den Schweiß von seinem glänzenden kahlen Kopf abzuwischen. Marek kratzte sich am Kinn. »Vergebt mir meine Ignoranz, mein Lord, aber welche Art von gefährlichen Veränderungen meint Ihr?« Pontifex holte tief Luft. »Wenn die Abgeordneten auf den Geschmack echter Macht kommen, könnten sie regelmäßiger an der Synode teilnehmen wollen. Wenn das eintritt, wird der Rat einen Teil seiner Macht – wenn nicht seine gesamte – verlieren, und das darf nicht geschehen.« Der Vedalken-Lord erhob sich. »Noch beunruhigender wäre vielleicht der mögliche Zerfall meiner Autorität. Wenn die Abgeordneten glauben, sie könnten jeder meiner Taten mit einer Abstimmung entgegenwirken, dann werde ich gezwungen sein, drastischere Maßnahmen zu ergreifen. Und wenn sie Erfolg haben …« Pontifex lachte auf. »Kannst du dir das Chaos ausmalen, das ausbrechen würde, wenn über jede meiner Entscheidungen vor ihrer Ausübung abgestimmt werden müsste? Nicht zu fassen! Der Schaden, der dadurch dem Imperium zugefügt würde, wäre ein unaussprechliches Desaster!« Ein Klopfen an der Tür unterbrach den Vedalken-Lord. »Das werde ich nicht zulassen«, sagte er flüsternd zu Marek. Er strich seine Robe zurecht und wandte sich zur Tür. »Herein.« Die Tür glitt auf. Sodador und Tyrell traten ein, gefolgt von einem dritten Vedalken – dem neuesten Mitglied der Synode.
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»Orland«, sagte Lord Pontifex. »Was für eine Überraschung.« Das dritte Mitglied nickte und trat vor. Pontifex betrachtete ihn. Der Vedalken war schmal gebaut, selbst für seine Abstammung aus einem relativ zerbrechlichen Volk. Die vier Arme waren lang und dünn und schienen im Missverhältnis zu seinem kurzen Körper zu stehen. Pontifex baute sich zu voller Größe auf, wobei er bemerkte, dass er den Mann um beinahe einen ganzen Kopf überragte. »Lord Pontifex«, sagte Orland. »Es ist mir eine Ehre und ein Privileg, Euch als Gleichgestellter und Mitstreiter gegenüberzustehen. Seid bedankt dafür, dass Ihr uns diese Audienz gewährt.« »Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite«, gab Pontifex zurück. »Bitte kommt und setzt Euch.« Er geleitete die drei Ratsherren zu bequem geformten Stühlen mit hohen Lehnen, die um einen robusten Tisch standen. Als alle Männer Platz genommen hatten, räusperte Pontifex sich. »Welchem Umstand verdanke ich die Ehre Eures Besuchs?« Orland öffnete den Mund zum Sprechen, aber Sodador kam ihm zuvor. »Vergebt uns, Lord Pontifex, doch dies ist eine offizielle Angelegenheit der Synode.« Er warf Marek einen Blick zu. »Wärt Ihr so freundlich, den Kommandanten zu entschuldigen?« Pontifex runzelte die Stirn. »Darf ich Euch daran erinnern, Sodador, dass Ihr Euch in meinen Privaträumlichkeiten befindet? Marek ist ein ehrenhafter Mann und überdies ein treuer Diener. In der Anwesenheit von Gästen brauche ich einen Leibwächter!« »Ich bitte Euch!«, sagte Sodador höhnisch. »Wir sind doch keine Bedrohung für Euch!«
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»Dies ist eine offizielle Angelegenheit«, ging Tyrell sofort dazwischen. Orland sah Marek an und wandte sich dann an Sodador und Tyrell. »Meine Herren, bitte. Lord Pontifex war schon so großzügig, uns in seine Gemächer zu lassen. Wir sollten seine Wünsche respektieren.« Pontifex sah den neuen Rat an. Vielleicht konnte ihm wenigstens dieser irgendwann einmal von Nutzen sein. »Vielen Dank, Ratsherr Orland.« Er lächelte. »Was wolltet Ihr soeben sagen?« »Nun, wir kommen auf mein Drängen hin zu Euch. Mir ist bewusst, dass die Umstände, die meine Berufung in die Synode begleiten, etwas unorthodox sind. Ich möchte sicherstellen, dass meine Anwesenheit in diesem Entscheidungsfindungsprozess nicht als Invasion verstanden wird.« »Mein lieber Orland«, sagte Pontifex. »Was veranlasst Euch zu solch grotesken Annahmen? Die Volksvertreter wählten in einer legalen Versammlung. Das Ergebnis ist unanfechtbar.« Orland nickte. »Genau. Aber wenn ich in Eurer Position wäre, dann könnte ich den Eindruck haben, genarrt worden zu sein.« Sodador und Tyrell rückten unruhig auf ihren Stühlen hin und her. »Ich kam in diplomatischer Mission zu Euch«, fuhr Orland fort. »Um Euch meine Dienste anzubieten – als Zeichen meines hohen Respekts und zum Gesamtwohl des vedalkischen Volkes.« Pontifex war erstaunt. »Und was habt Ihr im Sinn?« Orland lächelte. »Euch beim Fangen des Elfenmädchens zu helfen natürlich.«
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Kapitel 7
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G
lissa folgte Drooge auf einem gewundenen Pfad in den Baum der Sagen hinein. Sie rannten immer tiefer und tiefer hinein. Das dumpfe Dröhnen von Boshs Füßen hallte im Gang wider und erstickte den Lärm des oben tobenden Kampfes. Der Tunnel wand und bog sich und endete schließlich abrupt hinter einer Biegung vor einer Treppe, die nach oben führte. »Hier muss ich euch verlassen«, sagte das Troll-Oberhaupt. »Viel Glück – möge es immer mit euch sein.« Drooge nickte den dreien je ein Mal zu und ging dann geduckt den Tunnel zurück. »Gehen wir also wieder hoch, he?«, sagte der Goblin. »Schätze ja«, gab Glissa zurück. »Irgendeine Ahnung, wo wir sind?« Slobad und Bosh schüttelten natürlich den Kopf bei dieser überflüssigen Frage. »Es gibt nur einen Weg, es herauszufinden.« Glissa zog ihr Schwert aus der Scheide und bestieg die Treppe. Der Goblin und der Golem folgten ihr. Die Treppe führte in eine dunkle Kaverne hinauf. Am anderen Ende ließ eine kleine Öffnung etwas Licht ein und mit dem Licht auch die Geräusche der Schlacht. »Kommt.« Glissa führte die anderen zu der Öffnung und sah hinaus. Sie befanden sich in der Nähe des Randes des Knäuels in einer engen Höhle am Fuß eines sehr großen Baumes. Die Armee
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der Gleichmacher bedeckte den Boden vor ihnen, doch deren Aufmerksamkeit galt der anderen Richtung, wo der Baum der Sagen stand. In der Nähe des Zentrums der Armee ritt der metallene Mann, den Glissa bereits im Inneren gesehen hatte. »Memnarch«, sagte sie. Slobad zuckte zusammen. »Wo?« »Da drüben«, sagte die Elfin. »Er reitet auf dem Gleichmacher in der Mitte.« Der Goblin kniff die Augen zusammen. »Wieso weißt du das, he?« Glissa zuckte die Achseln. »Wir haben ihn im Inneren gesehen. Erinnerst du dich nicht?« »Ja, aber …« »Aber was?« »Goblins haben Memnarch noch nie zuvor gesehen«, gab Slobad zurück. »Selbst wenn du Slobad erzählen würdest, dass dieser Baum Memnarch ist, würde Slobad dir verrückten Elfin glauben, he?« Glissa wandte sich dem Golem zu. »Du hast Memnarch schon einmal gesehen, oder nicht, Bosh?« Der Golem nickte. »Ja, ich erinnere mich an den Wächter.« »Und?« »Und was?« »Ist er das?« Glissa streckte den Arm aus und zeigte auf den Metallmann, der auf dem Gleichmacher ritt. »Er sieht so aus wie er.« Glissa versetzte dem Goblin einen Stoß gegen den Arm. »Siehst du? Ich habe es dir doch gesagt.« »Aber er ist es nicht«, fügte der Golem hinzu. Der Elf in klappte die Kinnlade nach unten. »Was? Du hast doch gerade gesagt, dass er so aussieht wie er.« »Das tut er. Es sieht so aus wie er, als er das erste Mal erschaffen wurde«, sagte der Golem.
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»Aber?« »Aber er sieht nicht mehr so aus. Zumindest tat er das nicht, als ich ihn das letzte Mal sah.« Glissa war frustriert. »Nun, wenn das nicht Memnarch ist, wer ist es dann?« Der Goblin und der Golem zuckten beide die Achseln. »Nicht wichtig, he?«, sagte Slobad. »Metallmann sich bald selbst vorstellen. Slobad will ihn nicht kennen lernen. Nicht hier, he?« »Guter Einwand.« Glissa studierte das offene Feld, das sich vor ihnen ausbreitete. Die Schlacht tobte nicht weit von der Öffnung ihrer Höhle entfernt. »Alle konzentrieren sich auf den Baum der Sagen«, sagte sie über die Schulter nach hinten. »Wenn wir uns hinausschleichen und zurück zum Knäuel gehen, könnten wir ihnen vielleicht ausweichen.« »Das ist aber die falsche Richtung, he?«, sagte der Goblin. »Mephidross ist in dieser Richtung.« Er zeigte hinaus auf das Schlachtfeld. Boshs polternde Stimme hallte in der Höhle wider. »Diese Richtung bringt uns um.« »Du nimmst mir das Wort aus dem Mund.« Glissa tat einen Schritt nach vorn. Der Ton des Goblins wurde mürrisch. »Eine Menge Gefahr im Knäuel, he?« »Überall gibt es eine Menge Gefahren.« Glissa deutete auf den Baum der Sagen. Die Trolle schienen sich auf dem Rückzug zu befinden, weg von den Gleichmachern, hinauf in den Baum der Sagen. Memnarchs Armee folgte ihnen. »Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für einen Streit. Die Schlacht wird bald vorüber sein, und wir werden unsere günstige Gelegenheit verlieren.«
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Sie winkte ihre Begleiter nach vorn. »Folgt mir.« Die Elfin schlich sich ins Tageslicht hinaus, kauerte sich neben dem großen Baum hin und sah sich um. Sie beobachtete, wie die Trolle vom Schlachtfeld verschwanden. Die meisten der Gleichmacher folgten ihnen, und schließlich betrat auch der silbrige Mann, der wie Memnarch aussah, den Baum. »Das ist unsere Chance«, sagte sie und drehte sich um. »Ducken!«, schrie der Goblin. Glissa brauchte keine zweite Einladung. Sie machte aus ihrer Kauerstellung heraus einen Salto vorwärts. Der scharfe, singende Klang einer Metallklinge, die einen Metallbaum traf, durchschnitt die Luft, als die Elfin wieder auf die Füße kam. Vor ihr stand ein Trio von Gleichmachern, von denen einer gerade versucht hatte, ihr den Kopf von den Schultern zu hacken. Glissa zog Kaldras Schwert hinter dem Rücken hoch über den Kopf hinweg. Sie hielt es mit beiden Händen und ließ es auf den angreifenden Gleichmacher hinabsausen. Die Sensenklinge der Kreatur wurde glatt abgetrennt und fiel scheppernd zu Boden. Hinter ihr schwang Bosh die Faust gegen eine andere der Kreaturen und schlug sie platt, was ein musikalisches Schwingen erzeugte. Der dritte Gleichmacher war nirgendwo zu sehen. »Wo ist er hin?«, fragte Glissa. Sie tat einen Schritt rückwärts, sich der Tatsache bewusst, dass die künstliche Kreatur vor ihr auch ohne die Sensenklinge noch immer tödlich war. Sie suchte die nähere Umgebung ab. »Da!« Sie zeigte tiefer in das Knäuel hinein. Der dritte Gleichmacher bewegte sich zwischen den Bäumen von ihnen weg – und er hatte Slobad fest in den Klauen. Glissa sah an dem eisernen Golem hoch. Bosh machte einen Satz nach vorn und ließ seine Faust direkt über Glissas Kopf her-
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absausen. »Bosh …«, rief sie und tauchte ab, um der vernichtenden Kugel auszuweichen, die auf ihren Kopf zuraste. Die Faust des Golems schlug den verwundeten Gleichmacher neben dessen bereits plattem Freund zu Klump. »Du solltest etwas besser aufpassen«, sagte Bosh. Glissa stand auf und staubte sich ab. »Ich werde mich bemühen, mich daran zu halten. Und jetzt komm! Wir müssen diesen Gleichmacher aufhalten, bevor er Slobad in Stücke reißt.« Sie rannte über die auf dem Boden liegenden Metalltrümmer hinweg sofort los. Bosh stampfte neben ihr her; er bewegte sich im Prinzip zwar langsamer, legte aber mit jedem Schritt eine größere Distanz zurück. »Naja«, sagte Glissa. »Zumindest sind wir in der richtigen Richtung unterwegs.«
$ Malil sah auf einen zusammengeschlagenen, blutenden Troll hinab. Anders als viele andere seiner Art schien dieser über einen schnelleren Erkenntnissinn zu verfügen, eine schärfere Intelligenz zu besitzen, die sich in seinen Augen zeigte. Er hatte außerdem einen Stab gehalten, was Malil zu der Annahme bewegte, dass dieser Troll der hiesige Anführer war. »Ich sehe dich nicht gern leiden, Troll«, sagte er. »Wenn du mir sagst, wo das Elfenmädchen ist, werde ich von hier weggehen, und du kannst mit dem Rest deines Stammes in Ruhe weiterleben.« Der Troll erwiderte wütend Malils Blick. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
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Malil lehnte sich zurück und schwang sein Bein mit aller Macht nach vorn. Sein metallener Stiefel schepperte gegen die Haut der Kreatur. Der Troll krümmte sich und spie einen großen Klumpen matschiger rotschwarzer Pampe aus. Im Verlauf der letzten Tage hatte Malil eine Menge erfahren – neue Weisheit und Stärke, Stolz und Schmerz. Und jetzt empfand er wieder etwas Neues – Wut. »Sag mir, Troll.« Er hob den Stab der Kreatur auf. »Hast du einen Namen?« »Man nennt mich Drooge.« »Drooge. Das ist ein interessanter Name. Ist er von irgendeiner kulturellen Bedeutung?« Der Troll-Anführer nickte voller Schmerzen. »Er bedeutet ›Geschenkebringer‹.« »Geschenkebringer?« Malil drehte den Stab in beiden Händen und ließ ihn auf Drooge herabsausen, den er genau an der Schläfe traf. Der Troll erzitterte unter dem Schlag. Er versuchte, sich vom Boden aufzuraffen, doch seine Hände rutschten in einer Lache des eigenen Blutes aus, und so schlug sein Kinn mit einem würdelosen Klatschen hart auf dem Boden des Baumes der Sagen auf. »Nun dann, Drooge«, sagte Malil und beugte sich hinab, um dem Troll in die Augen zu schauen. »Ich habe ein Geschenk für dich.« Drooge sah den Metallmann misstrauisch an. »Ich werde dir dein Leben zurückgeben, das du verspielt hast, indem du das Elfenmädchen aufgenommen hast.« Malil erhob sich. »Alles, was du zu tun brauchst, ist, mir zu sagen, wo sie sich befindet.« Der Metallmann hielt den Knochenstab mit bei-
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den Händen. »Solltest du allerdings undankbar genug sein, mein Geschenk abzulehnen …« Er bog mit all seiner Macht die beiden Enden des Stabes gegeneinander und zerbrach den verwitterten Stock in zwei Hälften. Ein Splitterregen ging über dem hingestreckten Troll nieder. Drooge kauerte auf dem Boden und schützte das Gesicht in der Armbeuge. Scharfe Stücke des Stabes blieben in seiner dicken Haut stecken, und er begann zu bluten. »Ich weiß nicht, wer du bist«, sagte der Troll-Anführer. »Aber ich kann dir nicht weiterhelfen.« Er senkte den Kopf. Malil drehte sich um und zeigte mit dem scharfen Stück des Stabes, das er noch immer festhielt, auf einen der Gleichmacher. »Bringt mir drei von diesen Trollen«, sagte er und drehte sich dann wieder zu Drooge um. »Es tut mir Leid, dass du mein Geschenk nicht zu schätzen weißt. Vielleicht wird dir das Folgende mehr zusagen.« Drei Trolle wurden von einem Trio von Gleichmachern in den Raum getrieben. »Ihr Kreaturen seid wirklich bemerkenswert«, sagte Malil. »Eure Fähigkeiten zur Selbstheilung sind zu beneiden. Wenn ich etwas an mir hätte, das verwundet werden könnte, dann würde ich diese Fähigkeiten wirklich begehren.« Der Metallmann ging zu einem der Gefangenen. Eine Reihe frischer Wunden bedeckten ihre Körper in gezackten Linien. Das Blut trocknete jedoch bereits wieder, und die pockige Haut begann zu heilen. Sie würden von dem Kampf zwar Narben davontragen, aber die Wunden, die einen Menschen oder Elfen getötet hätten, wischten sie sozusagen einfach weg. »Obwohl ihr so schnell heilt«, sagte Malil und hob den Rest von Drooges Stab über einen der drei Gefangenen, »kann man
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euch dennoch töten.« Er trieb den zersplitterten Knochenrest in das Genick eines der Trolle. Die Kreatur riss die Augen weit auf und presste ein Gurgeln hervor. Blut quoll seitlich aus dem Hals des Trolls und rann ihm die Brust hinab. Er griff nach seinem Kopf, um den zerbrochenen Stab herauszuziehen, aber Malil hielt diesen fest und schob ihn mit einem Ruck sogar noch tiefer hinein. Der Troll sah zu Malil auf. Ein Anflug der Erkenntnis erhellte kurz sein Gesicht, dann schloss er die Augen und fiel leblos zu Boden. Der Metallmann lockerte seinen Griff um den Stab, als die sterbende Kreatur umfiel. »Wenn du nicht um dein Leben verhandeln willst«, sagte er zu dem Troll-Anführer, »willst du vielleicht um das ihre verhandeln.« Drooge hob eine Hand vom Boden und zeigte Malil die Innenseite. »Genug«, sagte er. »Ich werde dir sagen, was du wissen willst.«
$ Pontifex trat aus der Lakune in die blendend hellen Strahlen des Manakerns hinaus. Es war ein inspirierender Anblick – diese gewaltige Kugel der Macht. Er dachte an das erste Mal, als er sie gesehen hatte, wie ehrfürchtig und verängstigt er da gewesen war. Der Gedanke brachte den Vedalken-Lord zum Lachen. Dieser Tag hatte sein Leben verändert. Er hatte diese Angst überwunden und zu seinem Vorteil ausgenutzt – jetzt saß er der Synode vor und hatte das Gehör von Memnarch höchstselbst. Das erdrückende Entsetzen, das andere, schwächere Kreaturen zurückschreckte, hatte ihn verwandelt.
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Er lächelte. Er besaß die Kontrolle über ein Imperium, und ein Gott hörte sein Ansinnen an. Er sollte angesichts seiner Errungenschaften glücklich sein. Sein Lächeln versiegte. Er war nicht glücklich. Obwohl er so hart gekämpft hatte, um so weit zu kommen, musste er jetzt noch härter kämpfen, um seine Errungenschaften zu halten. Der Vedalken-Lord schüttelte den Kopf. Sollte das Leben nicht einfacher werden? Sollte er nicht die Früchte seiner Arbeit ernten können, wenn er älter wurde, anstatt sich selbst gegen dauernden Angriff und Hinterhalt verteidigen zu müssen? Pontifex glitt über den moosartigen Boden und umflog die Mycosynth-Monolithen, als er auf den Panopticon zuschwebte. Er bewunderte die seltsam geformten Türme, die aus dem Boden in Richtung des Manakerns ragten. Sie schienen sich nach dem Licht und der Macht dort oben zu recken, so als wären sie menschliche Kreaturen, die auf den Zehenspitzen standen. Der Anblick war auf eigenartige Weise schön. Die Reise durch den Wald hätte ihn zu Fuß eine Ewigkeit gekostet. Das Reisen im Inneren Mirrodins war anstrengende Arbeit, noch erschwert durch den Moosbelag, der einem an den Füßen kleben blieb, und den dichten Bewuchs von MycosynthTürmen aus Chrom. Es dauerte hier doppelt so lange wie an der Oberfläche, um dieselbe Entfernung zurückzulegen. Pontifex’ Reise wurde durch die Hilfe eines neuen Apparates erleichtert – und beschleunigt. Der Vedalken-Lord stand jetzt auf einer rautenförmigen Scheibe. Sie schwebte auf einem »Kissen« über dem Boden, das dem Gerät gestattete, auf nichts als Luft dahinzugleiten und zu treiben.
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Der erfindungsreichste Teil des Gerätes waren die Kontrolleinrichtungen, die in dem Handgriff eingebaut waren, den Pontifex mit zwei seiner Hände hielt. Durch das Anwenden eines leichten Druckes konnte der Fahrer die Geschwindigkeit erhöhen. Und er musste sich nur in die Richtung lehnen, in die er fliegen wollte, und ein wenig drücken. Dadurch hatte Pontifex die Gelegenheit, über die jüngsten Ereignisse nachzudenken und darüber, wie er damit umgehen würde. Die Situation in Bezug auf Orland würde noch heikel werden. Es war noch zu früh, um sagen zu können, ob der neue Ratsherr zu beugen war und in einen Verbündeten verwandelt werden konnte. Für den Augenblick war es besser, ihm nicht zu trauen. Ihn auf der Jagd nach dem Elfenmädchen dabeizuhaben würde sich ebenfalls noch als schwierig erweisen, es würde Pontifex jedoch auch die Gelegenheit bieten, ihn bearbeiten zu können – seine Schwächen und Stärken herauszufinden. Es ist besser, seine Feinde in der Nähe zu haben. Leichter, sie umzubringen. Der andere Teil seines Nachdenkens war Memnarchs Diener Malil gewidmet. Der Metallmann konnte leicht alles zerstören, wofür der Vedalken-Lord arbeitete. Wenn Malil es schaffte, dieses Elfenmädchen zu finden, dann hätte Pontifex nichts mehr zum Verhandeln in der Hand. Dieser Emporkömmling konnte möglicherweise einen Keil zwischen den Vedalken-Lord und Memnarch treiben. Er hatte es ja schon zuvor geschafft, ihm bei zwei Gelegenheiten in die Quere zu kommen. Pontifex wusste, dass der Metallmann momentan an der Oberfläche war, um die Elfin zu jagen. Dies konnte die letzte Chance des Vedalken-Lords sein, Memnarchs volle Aufmerk-
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samkeit ohne eine Einmischung Malils zu bekommen. Er konnte die Bindung zu seinem Gott wieder auffrischen und vielleicht gleichzeitig Malil einen Seitenhieb versetzen. Das Observatorium des Wächters ragte bedrohlich vor Pontifex in die Höhe, und er lockerte seinen Griff, womit er den Gleiter langsam am Fuß des Panopticon zum Stehen brachte. Die glänzende Festung war ein beeindruckender Anblick. Ihre polierte Chromoberfläche reflektierte das blauweiße Licht des Manakerns. Die scharfen Ecken, an denen die Wände aufeinander trafen, intensivierten das Licht noch in Form von Millionen leuchtender Sterne, deren Anblick in den Augen schmerzte. Für Pontifex waren die beeindruckendsten Dinge am Äußeren des Turms dessen perfekte Linien und die absolut unbeugsame Geradlinigkeit. Der Panopticon ragte beinahe bis zur Höhe des Manakerns in die Luft, aber seine Seiten waren weder von Unebenheiten, Biegungen, Dellen oder gar Nähten verunziert. Die gesamte Festung war in perfekter Weise gerade, ohne jede Zeichen von Abnutzung und ohne Hinweis darauf, dass ihr riesiger Rahmen aus etwas anderem als einem einzigen zusammenhängenden Stück Metall gemacht war. Die Perfektion der Struktur war erstaunlich. Pontifex riss sich von dem Anblick los und schritt durch das Portal. Innen erschien der Turm bedrückend still. Das regelmäßige Brummen von Gleichmachern und anderen Bestien war auffällig abwesend, und die Stille machte Pontifex nervös. Als er in den Aufzug stieg, war er für dessen Surren und Summen dankbar. Der Vedalken-Lord durchquerte den Observationsraum, folgte dem spiralförmigen Gang nach oben und griff nach dem blutroten Kristall in dem Podest. Noch bevor er ihn berührte, öffnete
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sich die Tür. Pontifex holte tief Luft, richtete sich auf und betrat den Raum. »Was können wir für dich tun, Pontifex?«, fragte Memnarch. »Mein Lord«, sagte Pontifex, sank auf die Knie und verneigte sich bis auf den Boden. »Bitte erspare uns das Ärgernis, zuhören zu müssen, wie du in Richtung Boden murmelst. Erhebe dich von deinen Knien.« Pontifex sah zu Memnarch auf. Der Wächter stand vor ihm und sah ihn eindringlich mit allen seinen sechs Augen an, von denen nun jedes von einer dunkelblauen Linse bedeckt war. Pontifex nickte und erhob sich. »Vielen Dank.« »Was bringt nun den Vedalken-Lord zu einem Besuch bei Memnarch?« Pontifex hatte eine Rede einstudiert, doch nun, da er hier vor dem Wächter Mirrodins stand, ließen ihn die Worte im Stich. Irgendwann war seine Beziehung zu Memnarch auf Abwege geraten. Er konnte nicht genau den Moment festmachen, an dem Malil dazwischengekommen war und Pontifex die Aufmerksamkeit seines Gottes weggenommen hatte. Dennoch, es war geschehen, und obwohl er das Imperium der Vedalken regierte und die Vaterfigur eines gesamten Volkes war – hier und jetzt, vor diesem göttlichen Wesen, das er von ganzem Herzen verehrte, fühlte sich Pontifex wie ein Kind. »Ich … ich …«, stotterte der Vedalken. Er sah Memnarch in die Augen. »Ich kam, um Euren Segen zu erbitten.« »Du willst Memnarchs Segen? Wofür?« »Für die Suche nach dem Elfenmädchen.« Memnarch schüttelte den Kopf. »Das verstehen wir nicht. Haben wir dich nicht bereits damit beauftragt, sie zu finden und
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zu Memnarch zu bringen?« »Ja, mein Lord, das habt Ihr.« »Welche Schwierigkeiten gibt es da?« Pontifex schloss die Augen. Er war unfähig, dem Wächter jetzt ins Gesicht zu schauen. »Ihr habt Euren Diener Malil auf die Suche nach ihr geschickt.« »Ja, Memnarch sandte Malil aus, um das Elfenmädchen zu fangen«, bestätigte der Wächter. Pontifex holte tief Luft, die Augen noch immer geschlossen. Die Angst, die er so viele Male zuvor überwunden hatte, umklammerte jetzt wieder seine Brust und drohte ihn davon abzuhalten, das zu sagen, was er zu sagen hatte. Doch schließlich sprach er. »Glaubt Memnarch nicht, dass ich die Elfin fangen kann?« Memnarch legte dem Vedalken eine Hand auf die Schulter, und Pontifex öffnete die Augen. »Wir verstehen.« Der Vedalken-Lord lächelte. Erst jetzt, nachdem er diese Worte gehört hatte, war ihm klar, wie angespannt er war. Seine Schultern hingen in der Nähe seiner Ohren. Sein Herz raste, und seine vier Achselhöhlen waren feucht vor Schweiß. »Memnarch braucht das Elfenmädchen vor dem Entstehen der grünen Lakune«, fuhr der Wächter fort. »Du und Malil müsst gleichzeitig nach ihr suchen.« Pontifex nickte. »Es ist eine einfache Sache der Mathematik«, erklärte Memnarch. »Aber …« Der Wächter schnitt ihm das Wort ab. »Hier ist kein Platz für Stolz, Pontifex. Wir müssen das Elfenmädchen haben.«
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»Weshalb ist sie so wichtig?« Memnarch wandte sich um und zeigte aus dem Fenster. »Kannst du die Krankheit sehen, die auf Mirrodin grassiert?« »Krankheit?« »Wir sehen sie. Wir können den Zerfall der Perfektion sehen.« Der Wächter glitt zum Fenster hinüber. »Komm her.« Pontifex folgte ihm. »Siehst du die Mycosynth?« »Natürlich.« »Weißt du, was diese Makel verursacht?« Pontifex dachte einen Augenblick lang nach. »Weshalb nennt Ihr sie so?« »Weil sie genau das sind. Sie waren nicht da, als Mirrodin erschaffen wurde.« »Nicht?« »Nein, wirklich nicht. Zuerst dachten wir, sie wären nichts weiter als eine Trübung, nichts, was eine gute Politur nicht beseitigen könnte. Aber sie wuchsen zu dem heran, was du jetzt siehst. Hoch aufragende Monolithen der Krankheit. Sie sind das Symptom von Mirrodins Krankheit.« Pontifex hatte die Mycosynth immer als etwas wie die Bäume im Knäuel oder das Rasierklingengras der Ebenen gesehen. Sie waren einfach nur ein Teil des Planes. Aber wenn sie das nicht waren … Der Vedalken-Lord folgte mit dem Blick dem Weg, den er von der blauen Lakune zum Panopticon genommen hatte. Er war übersät mit Mycosynth. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. »Also töten die Mycosynth Mirrodin?« »Ja. Ja.« »Und was hat das mit dem Elfenmädchen zu tun?«
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»Sie hat etwas, was wir brauchen«, erklärte Memnarch. »Etwas in ihrem Inneren. Wir müssen es haben.« »Was genau hat das Elfenmädchen, mein Lord?« »Ein Stück Göttlichkeit«, sagte Memnarch, ohne den Blick vom Fenster abzuwenden. »Ein Tor zu einer anderen Ebene der Existenz. Memnarch wünscht überzutreten, dieses Tor an sich zu bringen.« »Ihr wünscht Euch mit ihr zu vereinigen, mein Lord?« »Nein, Pontifex«, schalt der Wächter ihn. »Wir wünschen sie zu einem Teil unseres Daseins zu machen. Sie zu benutzen, um mehr zu werden.« Dem Vedalken-Lord klappte die Kinnlade nach unten. »Bitte, mein Lord. Ich flehe Euch an. Nehmt mich.« »Was?« Memnarch drehte sich um und sah Pontifex stechend an. Pontifex sank auf die Knie. »Bitte. Ihr müsst es tun. Ich werde alles für Euch tun. Ich werde mich selbst und alle Vedalken auf Mirrodin opfern, wenn es sein muss.« Er griff nach den krabbenartigen Beinen seines Gottes. »Ich bin bereit, mein Wächter. Benutzt mich. Macht mich zum Teil Eures Daseins.« Memnarch tat einen Schritt rückwärts. Da Pontifex sich nun nicht mehr an den Gliedmaßen des Wächters abstützen konnte, landete er auf dem Bauch. Der Wächter sah mit einem Blick voller Abscheu auf ihn hinab. »Wie sehr ihr Vedalken auch das Wissen schätzt«, sagte er, »ihr habt doch ein solch beschränktes Verständnis davon, wie die Dinge funktionieren.« Pontifex ließ seine Stirn auf dem Boden ruhen. Seine Welt lag in Scherben. Zuerst hatte die Synode das Vertrauen in ihn verloren – und jetzt auch noch sein Gott.
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Kapitel 8
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lissa war überrascht, wie schnell der Gleichmacher zwischen den Bäumen vorankam. Das dichte Unterholz erschwerte ihr das Laufen. Ein paar Mal fiel sie beinahe der Länge nach hin. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, dass sie das letzte Mal bei einer Jagdpartie dabei gewesen war. Trotz ihrer eingerosteten Erinnerung daran, wie man sich im Knäuel bewegte, schaffte sie ein anständiges Tempo. Wie war es da möglich, dass dieser Gleichmacher sie dennoch abhängte? Sie rannten immer tiefer in den Wald aus Metallbäumen hinein. Wegen des dichter gewordenen Unterholzes war Glissa gezwungen gewesen, Bosh hinter sich zu lassen. Er konnte auf sich selbst aufpassen. Mit Slobad war das etwas anderes. Während der letzten paar Minuten hatte Glissa mehr und mehr an Boden verloren, und sie musste darauf bauen, dass sie auf ausgedehnten Lichtungen einen Blick darauf werfen konnte, wohin die metallene Bestie lief. Hier, nahe des tiefen Kerns des Waldes, waren solche Lichtungen selten und weit auseinander gelegen. Die Elfin fragte sich allmählich, ob sie wohl die Spur verloren hatte. Glissa sprang über einen Baumstumpf, duckte sich hinter einem dornigen Buschen von Rasierklingenranken und horchte.
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Sie schloss die Augen und isolierte langsam alle sie umgebenden Geräusche, indem sie eines nach dem anderen ausblendete, so wie sie es auf der Jagd mit den anderen Elfen getan hatte. Zuerst waren die Geräusche des Windes und des raschelnden Laubwerks an der Reihe. Dann das Huschen von Ungeziefer und Kleintieren. Jetzt konnte Glissa mit einer unheimlichen Genauigkeit zwei größere Kreaturen wahrnehmen, die nicht weit von ihrem Standort entfernt sein konnten. Nach allem, was sie sagen konnte, war eines davon ein Vorrac, der auf drei Beinen humpelte. Das andere … Glissa riss die Augen auf. »Ein Wolf.« Sie packte den Griff ihres Schwerts und drehte sich langsam um, nur um gleich darauf in ein Paar leuchtend gelbe Augen zu schauen, deren Mitte von einer braunen, aufrecht stehenden, mandelförmigen Pupille durchschnitten war. Die Kreatur machte zwei lockere Schritte auf sie zu und näherte sich damit bis auf eine Armlänge. Glissa sah zu dem Untier auf, dessen Unterkiefer dort begann, wo ihr Kopf aufhörte. Die Schultern, der Hals und die Beine des Wolfes waren von grau gesprenkeltem braunem Fell bedeckt. Das Gesicht und die Schienbeine waren ihren recht ähnlich. Sie waren ebenfalls von angelaufenem Metall bedeckt, das in Klingen auslief, von denen einige abgebrochen oder zu einem Stumpf abgenutzt worden waren. An offenen Stellen war Haut zu sehen und etwas, von dem Glissa annahm, dass es sich um alte, verheilte Wunden handelte. Vier sehr große, sehr scharfe Reißzähne ragten aus dem Maul der Kreatur hervor, jeder davon in silbriges Metall gehüllt. »Suchst du etwas?«, fragte der Wolf. Glissa war erstaunt. »Wer bist du? Was willst du? Du sprichst?«
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Der Wolf begann die Elfin zu umrunden, behielt sie dabei jedoch immer im Auge. »Ja«, sagte er. »Das tust du ja auch.« »Aber ich bin eine Elfin«, gab Glissa zurück. »Und du bist ein … ein …« »Ein Wolf.« Die Kreatur führte den Satz zu Ende. »Mein Vater hat mir immer von den Wölfen erzählt, aber ich habe niemals einen gesehen. Zumindest bis jetzt nicht.« Glissa drehte sich mit der Bestie mit und wandte dieser stets die Schultern zu. »Bist du echt?« Der Wolf kicherte. »Ja. Ziemlich.« »Ich dachte, Wölfe wären erfundene Kreaturen. Dinge, die Eltern ihren Kindern erzählen, damit sie artig sind.« »Nun«, gab die Kreatur ruhig zurück, »dann hast du entweder eine Art von Halluzination oder ich bin wirklich hier.« »Hat Memnarch dich geschickt?« »Wer?« Der Wolf setzte seine Umrundung fort. »Oder der Vedalken?« Glissa griff wieder nach ihrem Schwert und wappnete sich für einen Kampf. »Hat Pontifex dir aufgetragen, mich zu töten?« »Niemand befiehlt mir irgendetwas.« Glissa kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. »Ich habe keine Zeit für die Spielerei hier. Wenn du mich töten willst, dann tu es gleich.« Der Wolf legte den Kopf schräg. »Ich habe noch nicht entschieden, ob du zu sterben verdienst oder nicht.« Glissa zog ihr Schwert nun aus der Scheide. »Das hilft mir auch nichts.« »Davon bin ich auch nicht ausgegangen.« Der Wolf blieb stehen. »Weshalb bist du hier?« Glissas Angst und Ehrfurcht vor der mythischen Kreatur wi-
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chen einer anderen Art des Schreckens. »Slobad! Ich versuche meinen Freund zu finden. Einen Goblin, der von einem Gleichmacher verschleppt wurde.« »Ein Gleichmacher? Du konntest einen Gleichmacher so tief im Knäuel nicht einholen?« Glissa schnitt eine Grimasse. »Hör zu, ich habe keine Zeit, um mit dir über die Feinheiten der Spürjagd im Wald zu diskutieren.« Sie streckte ihr Schwert nach ihm aus. »Wenn du ihn gesehen hast, dann hast du jetzt die Gelegenheit, es mir zu sagen.« Der Wolf wich überrascht einen Schritt zurück. »Willst du mir etwa drohen?« »Nur wenn du deinerseits mir drohst.« Der Wolf hob das Kinn und sah Glissa über die Nase hinweg an. »Vielleicht hat unsere Begegnung ja unter falschen Vorzeichen begonnen. Mein Name ist Al-Hayat.« Der Wolf deutete mit den Vorderläufen eine leichte Verneigung an. Glissa starrte ihn an. »Al-Hayat. Das war der Name, den mein Vater immer benutzte, wenn er vom Anführer der Wölfe sprach. Du kannst doch nicht wirklich …« Sie schüttelte sich. »Mein Name ist …« »Glissa. Ja. Ich weiß, wer du bist.« »Hör mal, Al-Hayat, wenn das wirklich dein Name ist … Wenn du weißt, wo mein Freund ist, dann sag es mir bitte. Wenn ich ihn nicht bald finde, wird er höchstwahrscheinlich tot sein!« Der Wolf nickte. »Du weißt nicht, wie wahr deine Worte sind.« Al-Hayat zeigte auf einen Haufen verhedderter Dornbüsche um einen umgestürzten Baum. »Der Goblin wurde begraben. Er liegt unter diesem Stumpf.«
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$ Memnarch löste einmal mehr die Verbindungen zu seiner Infusionsapparatur. Das Serum floss frei durch seinen Körper, und er war wieder von Frieden erfüllt. Es war das dritte Mal an diesem Tag, dass er das Serum genommen hatte. Der Wächter ging zu der Stelle, wo das Hellsichtbecken gewesen war. Die Ereignisse der jüngeren Vergangenheit hatten ihn angespornt, seine Beobachtungstechniken zu verbessern. Solch ein Becken würde nicht mehr ausreichen, um das Kommen und Gehen aller Personen im Blick zu behalten. Bis jetzt war alles noch unter Kontrolle, aber er musste mehr Fakten sammeln, und deshalb hatte er erst kürzlich eine neue Einrichtung installiert – das Auge. Aus einer magischen Legierung namens Nachtstahl konstruiert, war das Auge nahezu unzerstörbar. Es war die technisch am weitesten fortgeschrittene und auf Magie am stärksten reagierende Kreation, die Memnarch jemals geschaffen hatte. Aufgrund der hohen Dichte des Nachtstahls musste dieser im selben Augenblick geschmiedet werden, in dem er erschaffen wurde. Wenn sich das Metall erst einmal verfestigt hatte und der Zauber, der die Moleküle miteinander verband, abgeklungen war, war Nachtstahl härter als jedes andere existierende Material. Man konnte es nicht schneiden, darin gravieren, es schmelzen oder ihm auch nur Kratzer beibringen. Aus diesem Grund hatte Memnarch auch nur wenige Einsatzbereiche dafür gefunden, obwohl Waffen und Rüstungen für seine Diener daraus geschmiedet werden konnten. Das Auge war das komplexeste Objekt, das Memnarch jemals aus Nachtstahl geschaffen hatte. Es hatte ihn mehrere lange
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Mondzyklen gekostet, auch nur den Rahmen zu fertigen. Das Auge war in seiner Erscheinung dem Hellsichtbecken recht ähnlich, bot jedoch das sechsfache Sehvergnügen. Was für einen Nutzen hatten schon sechs verbesserte Augen, wenn er sie nicht gleichzeitig einsetzen konnte? Von außen sah das Auge wie zwei dreiseitige Pyramiden aus, die zusammengeschweißt worden waren, um einen dunklen, hoch aufragenden langen Diamanten zu bilden. Eine Seite war offen und gestattete Memnarch den Zutritt. Wenn er erst einmal drinnen war, schloss sich die Tür, und jede der sechs Flächen wurde von einem magischen Zauber erhellt, der es Memnarch ermöglichte, selbst in die entferntesten Winkel von Mirrodin zu sehen – und alles zur selben Zeit. Im Zentrum des Auges ragte eine Konsole vom Boden empor, mit deren Hilfe Memnarch das, was er sah, justieren konnte. Jeder der Spiegel war auf die Augen einer bestimmten Kreatur an der Oberfläche – oder manchmal auch im Inneren Mirrodins – abgestimmt. Memnarch konnte durch Einstellen seines Verstandes auf das Auge verschiedene Teile der Welt sehen, und zwar durch die Augen unterschiedlicher Diener. Obwohl er nur sechs Spiegel besaß, hatte er so doch sehr viel mehr Augen, durch die er sehen konnte. Einer der Spiegel war dauerhaft auf Malil eingestellt. Was der Metallmann erlebte, erlebte auch sein Schöpfer. Memnarch sah jetzt in diesen Spiegel. »Er ist wagemutiger geworden«, sagte der Wächter. »Und gewalttätiger. Memnarch nimmt an, dass er gegen das Serum ankämpft. Eine natürliche Reaktion. Du erinnerst dich daran, als wir das Serum das erste Mal einnahmen. Ja, das tust du. Memnarch kämpfte niemals gegen die neue Macht. Memnarch gab
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sich hin.« Der Wächter richtete seine Aufmerksamkeit der Reihe nach auf die anderen Spiegel. »Er wird lernen, das Geschenk anzunehmen, oder es wird ihn vernichten. Wir werden sehen.« Vier der übrigen fünf Spiegel zeigten ihm Bilder der Rasierklingengras-Ebenen, der Mephidross-Sümpfe, der Berge in der Oxidda-Kette und des Knäuels. Die Bilder zuckten und bewegten sich, zurückprojiziert in den Panopticon durch die Augen der Myr, humanoider Kreaturen mit einem vogelähnlichen Kopf und vielgliedrigen Extremitäten. Einige von ihnen bestanden aus kostbaren Metallen – Gold, Silber und Platin. Andere bestanden aus Eisen, Blei oder gar Nickel, doch alle waren von Memnarch einzig und allein zu dem Zweck entwickelt worden, Werkzeuge zur Beobachtung seines großen Experiments zu sein. Sie waren auf die Beobachtung programmiert und verrichteten diese Aufgabe großartig. Der letzte Spiegel zeigte die friedliche Quecksilbersee, die sanft die pilzförmige Festung der Vedalken – Lumengrid – umgab. Memnarch überging dieses Bild. Die Festung würde irgendwann einmal eine wichtige Rolle in seinem Plan spielen. Doch im Augenblick galt seine Aufmerksamkeit dem Knäuel.
$ »Was?« Glissa rannte um den umgestürzten Baum herum und versuchte irgendwelche frischen Grabungsspuren zu finden. »Wie kann er unter diesem Stumpf begraben sein?« Al-Hayat erklärte es ihr. »Er wurde nicht, wie du dachtest, von einem Gleichmacher verschleppt. Er wurde von einem Käfer davongetragen, der das weiche Fleisch als Nahrung für seinen Nachwuchs benutzen möchte.«
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Glissa schlug das Herz bis zum Hals. Deswegen hatte sie ihn also aus den Augen verloren. Er war unter der Erde, doch wie lange konnte er dort überleben? Und tatsächlich, als sie zur Rückseite der Dornbüsche kam, fand sie einen großen Haufen frisch aufgewühlter Erde. Metallspäne und große Stücke von schweren Mineralien waren unauffällig hinter dem Stumpf aufgeschichtet worden. Die Elfin ließ sich auf die Knie sinken. Rasierklingenscharfe Ranken hingen über dem Haufen und machten es ihr unmöglich, ihn zu erreichen, ohne sich selbst in Scheiben zu schneiden. Sie stand wieder auf, hob ihr Schwert und hackte die Ranken in Stücke. Die Dornenzweige teilten sich vor ihr, doch als sie zu einem weiteren Hieb ausholte, schnappten sie in die alte Position zurück. Glissas Schwert konnte sie niederdrücken oder kleine Stücke abschlagen, aber sie würde niemals all die Zweige damit abräumen können. Ihre Waffe war nutzlos. Ein schweres Donnern erschütterte den Boden. Hinter einem großen Baum kam der große eiserne Golem hervor. Die Elfin beschlich ein Hoffnungsschimmer. »Hilf mir, Bosh«, rief Glissa. »Schnell! Slobad ist unter diesem Stumpf gefangen!« Der Golem griff sich wortlos den gesamten Haufen und hob damit nicht nur den umgestürzten Baumstamm hoch, sondern auch die ihn umgebenden Dornenzweige. Glissa ging wieder auf die Knie und begann die aufgeschichtete Erde abzugraben. Die Metallspäne schnitten ihr in die Hautteile ihrer Hände, aber sie schaufelte den Boden wie wild weiter zur Seite. Obwohl sie mit dem letzten Quäntchen Kraft, das ihr noch geblieben war, zerrte und schob, verlor der Haufen irgendwie nicht an Größe. Sie schaffte es nicht einmal, eine kleine
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Kuhle zustande zu bringen. »Bosh, hilf mir«, rief sie. »Er stirbt, wenn er nicht bald etwas Luft bekommt.« Eine große fellbedeckte Pfote kam aus dem Nichts und stieß Glissa zur Seite. »Was zum …« Die Elfin sah zu Al-Hayat auf. »Überlass das mir«, sagte der Wolf und begann nun seinerseits zu graben. Glissa setzte sich auf und klopfte sich ab. Der Wolf grub sich behände in den Haufen loser Erde; er warf sie schneller zur Seite, als es die Elfin jemals zu tun hätte hoffen können. Bald steckte Al-Hayat seine große Schnauze in die Höhle, um sie gleich wieder herauszuziehen – mit dem leblosen Slobad zwischen den Vorderzähnen. Der Goblin war voller Kratzer und Schürfwunden. Glissa blieb einmal mehr fast das Herz stehen. »Ist er …?« Der Wolf ließ den Goblin auf den Boden sinken, und Glissa eilte schnell zu ihm hin. Sie legte ihm eine Hand an den Hals und fühlte seinen Puls. »Er atmet noch«, sagte der Wolf. Glissa nickte. »Er lebt noch, aber seine Lebenszeichen sind sehr schwach.« Sie wandte sich an Al-Hayat. »Kannst du ihm helfen?« »Ich? Was macht dich glauben, dass ein Wolf einen sterbenden Goblin heilen kann?« Glissa wandte ihre Aufmerksamkeit dem bewusstlosen Slobad zu. »Noch vor wenigen Minuten dachte ich, Wölfe kämen nur in Geschichten vor.« Sie zuckte die Achseln. »Und falls du wirklich nur eine erfundene Kreatur bist, wer sagt dann, dass du nicht auch einen Goblin heilen kannst?« Sie schüttelte den Kopf. »Jetzt klinge ich wirklich wie eine verrückte Elfin.«
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Der Wolf kicherte kehlig. »Du hast Recht.« Al-Hayat machte einen Schritt über die Elfin und den ohnmächtigen Goblin hinweg und drückte ihm dabei seine Schnauze in die Magengrube. Die große Bestie knurrte – ein tiefes, volltönendes Geräusch, das den Boden mitsamt dem Goblin erbeben ließ. Kleine Lichtpünktchen sammelten sich um das Gesicht des Wolfes; es wurden zusehends mehr, die wie wild umherstoben. Die wirbelnde Masse aus magischer Energie bildete einen hell leuchtenden Kranz, der Al-Hayats Kopf umkreiste. Dann wurde der Wolf still, und der Kranz fiel aus der Luft, als würde er plötzlich von der Gravitation zu Boden gezogen. Das Licht sickerte in die Haut des Goblins. Die Waldkreatur wich von ihrem Patienten zurück. »Ich habe getan, was ich konnte«, sagte er. Slobad zuckte, und dem Zucken folgte ein heftiges, abgehacktes Husten. Metallspäne und kleine Mineralienstücke schossen dem Goblin aus dem Mund. Er setzte sich auf. »Wo ist Slobad, he?« Glissa richtete ihn mit einer dicken Umarmung auf. »Du bist im Knäuel und läufst vor einer Gruppe Gleichmacher davon, die vor kurzem den Baum der Sagen angegriffen hat.« Slobad nickte. »Puh«, sagte er. »Gut. Goblin ist eingenickt, he? Hab geträumt, dass Slobad von einem riesigen Käfer gefressen wurde.«
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Kapitel 9
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lissa nahm Boshs Hand in ihre beiden Hände. Die Hand war so groß, dass sie kaum einen seiner Finger umfassen konnte. Die Elfin zog vorsichtig die Splitter der Rasierklingenranken aus den fleischigen Teilen der Handfläche des Golems. »Das tut weh«, sagte der Golem. »Tut mir Leid«, sagte Glissa. »Hätte ich gewusst, dass sich die fleischigen Teile schon so weit ausgebreitet haben, hätte ich dich nicht so ohne weiteres darum gebeten, den Baumstamm anzuheben.« »Hättest du es nicht getan, wäre Slobad gestorben.« Glissa lächelte. »Stimmt auch wieder. Du hast dich tapfer verhalten, Bosh, vor allem, da du wusstest, dass du dich verletzen würdest.« Sie zog ein weiteres großes Stück Rasierklingenranke aus seiner Hand. Die Wunde war tief, und Boshs Handfläche füllte sich mit Blut. »Was ist das?« »Blut«, sagte Glissa. »Was macht es?« »Es hält Wesen am Leben.« Bosh betrachtete das Blut eindringlich und kippte seine Hand hin und her, sodass es umherfloss. »Hält es auch mich am Le-
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ben?« Glissa dachte darüber nach. Sie wusste es nicht. Bei den Elfen floss das Blut in den Adern, ernährte ihren Organismus und hielt ihr Inneres rein. In einem metallenen Golem gab es keine Adern und auch nichts, das ernährt werden musste. »Ich bin mir da nicht sicher, Bosh«, sagte sie schließlich. »Aber bis wir es herausfinden, ist es am Besten, du behältst so viel wie möglich davon …« Sie zeigte auf die Blutpfütze in seiner Hand. »… in deinem Inneren.« Sie zog das letzte Stück Metall aus seiner Haut. »Wir wickeln die Hand vorerst in ein Rankenblatt ein und sehen zu, dass wir die Blutung stoppen können.« Glissa ging zu einem nahe stehenden Baum und zog ein paar seilartige Ranken mit Blättern daran herunter. Als sie sich umdrehte, sah sie kurz zu Al-Hayat und Slobad hinüber. Der Wolf hatte sich auf dem Boden zusammengerollt, und der Goblin hatte sich ins Fell der Waldkreatur gekuschelt. Beide schienen friedlich zu schlafen. Nachdem sie mit den Ranken einen improvisierten Verband um Boshs Hand angelegt hatte, ging sie zu dem schlafenden Paar hinüber. Sie betrachtete die beiden. Dieser Wolf, eine Kreatur, von der sie ihr Leben lang angenommen hatte, dass es sich nur um ein Fabelwesen handelte, war erschienen und hatte die Situation gerettet. Wäre das noch vor ein paar Monaten geschehen, so wäre sie überrascht gewesen. Inzwischen erschien ihr jedoch nichts mehr unmöglich. Al-Hayat zuckte mit einem Ohr, und das große vierbeinige Wesen hob den Kopf. »Du bist wach«, sagte Glissa. »Ich schlafe niemals richtig«, gab der Wolf zurück. »Das ist ein
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Luxus, den ich mir nicht erlauben kann.« Die Elfin kniete sich vor Al-Hayats Schnauze nieder. »Darf ich dir eine Frage stellen?« »Du hast es soeben getan.« Die Elfin lächelte. »Nein, das war sie noch nicht. Also, ich bin im Knäuel aufgewachsen und habe im Wald gejagt und herumgetollt. Wie kommt es, dass ich niemals einem von euch begegnet bin?« »Wir wurden sehr gut im Verstecken«, sagte der Wolf mit einem Seufzen. »Und außerdem bin ich einer von nur noch sehr wenigen.« »Wieso das denn?« »Es gab einmal viel mehr«, erwiderte der Wolf. »Das Rudel wurde aber mit jedem Mondzyklus immer kleiner, seit ich ein Welpe war. Viele wurden von Jägern oder Gleichmachern getötet. Wir wenigen Verbliebenen sind jetzt im Wald verstreut – zu unserem eigenen Schutz. Es ist schwieriger, uns zu töten, wenn wir nicht in der Gruppe unterwegs sind.« Der Wolf warf einen Blick auf den schlafenden Goblin und sah dann wieder Glissa an. »Anders als die meisten anderen Tiere des Waldes bleiben die Wölfe ein Leben lang bei ihren Gefährten, weswegen es Jahr für Jahr auch weniger Junge gibt.« »Wer ist dein Geselle?« Der Wolf stieß ein tiefes Knurren aus. »Sie wurde mir während des letzten Mondzyklus genommen.« Die Worte auszusprechen schmerzte Al-Hayat offensichtlich. »Das tut mit Leid«, sagte Glissa. Ihre Neugierde war zwar geweckt, aber sie wollte das Thema nicht weiter vertiefen. »Darf ich dir noch eine Frage stellen?« »So viele du willst.«
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»Weshalb, wenn du doch allen so misstraust, hast du dich mir gezeigt?« »Was macht dich glauben, dass ich anderen misstraue?« »Ihr versteckt euch immer so gut vor uns Elfen, dass wir glauben, ihr wärt nur eine Legende. Wenn ich nur noch eine von wenigen wäre, würde ich auch niemandem trauen. Lieber Abstand halten und am Leben bleiben.« »Eine weise Wahl.« »Wieso hast du uns also geholfen?« »Weil das Schicksal der Wölfe nicht das Schicksal aller zu sein braucht.« Glissa war verwirrt. »Du klingst, als hättest du deine eigene Art schon vollständig aufgegeben.« »Nicht aufgegeben«, erwiderte der Wolf. »Ich akzeptiere lediglich etwas, was im Bereich des Möglichen ist. Ich habe begriffen, dass es eines Tages vielleicht keine Wölfe mehr auf Mirrodin geben wird.« Glissa versuchte sich in die Lage des Wolfes zu versetzen. Bei dem Gedanken, dass alle Elfen ausgestorben sein könnten, schauderte sie. Was wäre, wenn sie die einzige noch lebende Elfin war? »Mit einer solchen Sache zu leben ist furchtbar.« Al-Hayat lächelte. »Niemand hat gesagt, dass es einfach ist, ein Wolf zu sein. Aber du hast Recht, und deswegen kam ich auch zu dir. Das Verstecken und Warten auf das unabwendbare Ende ermüdet mich allmählich. Besser, ich unternehme etwas, als still dazusitzen – selbst im Fall, dass ich versage. Das ist keine Art zu leben – lebendig, aber ohne Hoffnung und Möglichkeiten.« Das große Tier ließ den Kopf wieder auf den Boden sinken und blies Luft aus den Nüstern, was eine kleine Staubwolke
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aufwirbelte. »Ich will nicht mehr länger in Angst leben.« »Also habe ich nur zufällig in dem Moment deinen Teil des Knäuels durchquert, in dem du beschlossen hast, dein Versteckspiel aufzugeben?« Glissa kratzte sich am Kopf. »Vielleicht wendet sich endlich ja doch das Glück für mich.« »Dessen wäre ich mir nicht so sicher«, sagte der Wolf. Ein Schauer lief Glissa über den Rücken, und sie zog schnell ihr Schwert und drehte sich um, um die Umgebung abzusuchen. Al-Hayat lachte so heftig, dass er Slobad dabei in die Luft schleuderte. Der schlafende Goblin wachte mitten im Flug auf und landete wieder in dem weichen Fell, allerdings nur, um sofort wieder hochgeworfen zu werden. »He!«, rief der erschöpfte Goblin. »Aufhören damit.« Glissa sah den Wolf verdrießlich an. »Entschuldige«, sagte der. »Ich wollte dich nicht beunruhigen.« Glissa sah sich vorsichtig um und warf Bosh einen Blick zu. Der eiserne Golem schüttelte den Kopf. »Ich sehe nichts.« Als die Elfin sich sicher war, dass keine Gleichmacher oder andere feindselige Bestien in der Nähe waren, wandte sie sich wieder dem Wolf zu. »Also was dann?« »Ich wollte damit nur sagen, dass du mein Erscheinen nicht als Glück betrachten solltest«, sagte Al-Hayat, der noch immer kicherte. »Ich bin dir auf der Spur, seit du im Knäuel angekommen bist.« Glissa ließ sich auf den Boden plumpsen. »Wieso weiß denn jeder, wer ich bin und was ich tue?« Die Elfin hob eine Hand voll Metallspäne auf und schleuderte sie gegen einen Baum. »Ich weiß doch selbst nicht einmal, was ich tue. Ich wünschte, jemand würde mir mal erzählen, wo er seine Informationen her-
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nimmt. Dann wüsste ich wenigstens, ob ich auf der richtigen Spur bin.« Slobad kletterte von Al-Hayats Rücken und setzte sich neben sie. »Slobad glaubt, dass du auf der richtigen Spur bist, he?«, sagte er. Glissa sah den zerschundenen Goblin lächelnd an. »Danke.« »Gern geschehen.« Al-Hayat stand auf und senkte den Kopf zu Glissa hinab. »Ich glaube auch, dass du auf dem richtigen Weg bist. Deswegen bin ich hier. Deswegen stieß ich zu dir.« Glissa schüttelte den Kopf. »Wie ist das alles nur gekommen? An einem Tag war noch alles in Ordnung. Ich hatte Eltern, lebte in einem Dorf mit anderen Elfen, hatte Freunde.« Sie warf wieder Metallspäne in die Gegend. »Jetzt bin ich auf der Flucht, folge einer Bestimmung, deren ich mir nicht einmal voll bewusst bin, suche nach einer Kreatur, die für den Tod meiner Familie verantwortlich ist und rede mit einer Kreatur, von der mir dieselben Eltern sagten, dass sie nichts weiter als das Produkt einer lebhaften Einbildung ist.« »Und du hast Freunde«, polterte Bosh dazwischen. »Ja«, fügte der Goblin hinzu. Glissa sah zu dem Wolf auf. »Gilt das auch für dich?« Al-Hayat lächelte. »Es wäre mir eine Ehre, dein Freund zu sein.«
$ Malil saß auf seinem Gleichmacher. Der Wind peitschte ihm um den Kopf. Vor ihm überquerten die Übrigbleibsel seiner Gleichmachertruppe in lockerer Formation die Ebenen von Mirrodin. Sie waren unterwegs zum Mephidross.
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Was für ein dunkler, feuchter Ort das doch war. Malil wusste nicht mehr, seit wann er so über den Sumpf dachte. Er konnte sich nicht einmal daran erinnern, dass er diesem Ort gegenüber überhaupt eine Meinung gehabt hatte, als er ihn das erste Mal kennen gelernt hatte. Doch die Dinge hatten sich verändert. Nicht im Mephidross, sondern in Malil. Die Dinge waren jetzt anders. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, inwiefern, aber sie waren anders. Es war nicht etwa so, dass er jetzt bestimmten Hindernissen gegenüberstand, Dingen, die sein Leben schwieriger machten. Nein, es schien ihm, dass noch alles gleich aussah und sich gleich anfühlte, nur waren die Ränder irgendwie unscharf. Vorher hatte er genau gewusst, wem seine Loyalität galt. Er war von Memnarch erschaffen worden. Er hatte seinem Schöpfer sein Leben und seine Treue geschuldet, und dem Wächter zu dienen war ihm schon genug gewesen. Jetzt aber fühlte sich Malil … Nun, er war sich nicht ganz sicher, wie er sich fühlte, doch wusste er, dass etwas anders war. Die Dinge schienen ihm klarer als zuvor zu sein. Er begriff jetzt, wie die Welt und die Systeme darin als Ganzes funktionierten. Doch mit diesem Wissen war auch mehr Verwirrung gekommen. Er wusste nicht, wo sein eigener Platz auf Mirrodin war. Würde er für immer Memnarchs Diener bleiben? War das der ganze Sinn seines Lebens? Oder gab es da … noch mehr? Trotz all der neu gefundenen Klarheit war Malil also verwirrter als zuvor. Vielleicht war er ja mithilfe von noch mehr Serum in der Lage, sich einen Reim auf alles zu machen. Die Dosis, die er genommen hatte, hatte bislang nur an der Oberfläche gekratzt; aber sie hatte genügend Schutt weggeräumt, um sein In-
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teresse zu wecken. Inzwischen machte ihn der kleine Ausblick auf das größere Gemälde fast wahnsinnig. Er brauchte mehr. Und das war das Problem. Der einzige Ort, an dem er mehr bekommen konnte, war der Panopticon. Wenn er in das Innere zurückkehrte, würde er sich jedoch bei Memnarch melden müssen. Und dazu brauchte er das Elfenmädchen. Wie konnte man von ihm erwarten, sich auf die Suche nach der Elfin zu konzentrieren, wenn er nicht mehr Serum bekam? Malil wiederholte dieses Mantra ein ums andere Mal, während sich seine Gleichmacher dem Mephidross näherten.
$ Die weiten Ebenen erstreckten sich vor Bosh, Slobad, Glissa und Al-Hayat. Für den eisernen Golem waren die sanften Hügel, die aus großen Bahnen farbigen Metalls zusammengesetzt waren, schon immer ein einladender und heimeliger Ort gewesen. Alles passte irgendwie auf eine übermäßig organisierte Art und Weise zusammen. Das gefiel Bosh. Gerade Linien ergaben für ihn einen Sinn. Es waren die Rundungen und die unvorhersehbare Kreativität der Fleischwesen, die er nicht verstand. Es war besser, wenn Dinge in eine bestimmte Schublade gehörten, einen Sinn ergaben und streng entworfenen Regeln folgten. Inzwischen funktionierten die Dinge jedoch nicht mehr so. Seit der Schöpfer gegangen war – beziehungsweise zu gehen gezwungen worden war –, fuhr alles zu den Neun Höllen. Und jetzt verwandelte Bosh sich in Fleisch.
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Er sah nach Osten, während die Gruppe sich fortbewegte. Der Wind, der durch das hohe Rasierklingengras peitschte, sang hohe Pfeiflaute, die sich in der Ferne verloren. An anderen Orten, erinnerte sich der Golem, konnte man dieses Geräusch noch Meilen entfernt hören. Aus der Nähe jedoch, wenn sich die Grasklingen berührten, hörte man ein sanftes, singendes Klingen. Zusammen mit dem Pfeifen erzeugten die beiden Geräusche einen Klang, der mit nichts anderem auf Mirrodin zu vergleichen war – eine unschuldige Musik. Die Freundesgruppe wanderte durch die Täler zwischen den geschwungenen Hügeln dahin. Zu dieser Jahreszeit standen die Monde beinahe in einer Reihe; wenn sie also nicht am Himmel standen, befanden sie sich alle auf der anderen Seite der Welt und ließen Teile von Mirrodin in Dunkelheit und Kälte zurück. Die Alternative war allerdings nicht besser. Wenn alle Monde gleichzeitig am Himmel standen, verblassten alle Farben. Die Metallplatten der Ebene reflektierten dann schwarz, weiß, blau und rot und ließen alles braun und hässlich erscheinen. Während solch einer Annäherung war es außerdem immer ziemlich heiß. All die Monde – oder Sonnen, wie die Leoniden sie beharrlich nannten –, die ihr Licht über die freien Flächen ergossen, verursachten einem metallenem Golem Unwohlsein, vor allem an den Stellen, die bereits zu Fleisch geworden waren. Und jetzt war so eine Zeit. Die bloßliegenden Hautstellen an Boshs Armen und seinem restlichen Körper wurden bereits hellrot und begannen zu jucken. »Ist Fleisch immer so lästig?«, fragte er und kratzte sich an einer Hautstelle. »Du wirst dich daran gewöhnen, he?«, gab der Goblin zurück, der auf Boshs Schulter ritt.
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»Wird es einfacher?« »Aber ja.« »Das ist gut zu wissen.« Glissa, die auf Al-Hayats Rücken ritt, drückte einen Finger in Boshs gerötete Haut in der Nähe seines Kragens. »Wir sollten dich bedecken. Du holst dir einen Mondbrand.« »Mondbrand? Was ist das?« »Den holt man sich, wenn man sich den Monden zu lange aussetzt und die Haut zu viel Mondlicht abbekommt.« »Zu viel Mondlicht?« »Haut ist nicht wie Metall«, erklärte Glissa ihm. »Das habe ich schon herausgefunden.« Bosh hielt seine bandagierten Hände hoch. »Na ja, Rasierklingenranken sind nicht das Einzige, was Fleisch verletzen kann. Das Mondlicht kann es auch.« »Und wie?«, fragte der Golem. »Ja, wie?« Der Wolf klang ebenfalls neugierig. Glissa sah zu Slobad hinüber. »Sieh nicht zu mir, verrückte Elfin. Ich habe nicht damit angefangen, he?« »Naja …« Die Elfin fasste sich ans Kinn und grübelte angestrengt. »Du weißt doch, wie die Platten der Ebene heiß werden, wenn die Monde bei der Annäherung zusammentreffen?« Bosh nickte. »Ja, meine Hülle kann da auch sehr heiß werden.« Die Elfin hob einen Finger in die Luft. »Genau. Und wie kommt das?« Bosh zuckte mit den Schultern, wobei er beinahe Slobad abwarf. »Ich weiß nicht.« Glissa runzelte die Stirn. »Nun, ich weiß es auch nicht, aber es
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geschieht eben, oder nicht?« Alle nickten. »Naja, Haut wird ebenfalls heiß, nur dass … wenn sie heiß wird, dann …« »Dehnt sie sich aus«, sagte Bosh. »Ich verstehe. Genau wie Metall.« »Nicht ganz«, sagte die Elfin. Bosh sah über ein karges Stück der Ebene hinweg, auf dem kein Rasierklingengras wuchs. Die sechseckigen Platten, aus denen der Boden bestand, wölbten sich wie Blasen in einem Sumpf nach oben. Der eiserne Golem zeigte darauf. »Seht ihr? Genau so.« Alle sahen hin. »Was geschieht da?«, fragte Al-Hayat. »Das weißt du nicht?«, sagte Slobad. »Slobad dachte, dass magische Biester eigentlich alles wissen, he?« Der Wolf sah zu dem Goblin hinauf. Glissa glaubte ein höhnisches Grinsen auf Al-Hayats Lippen zu erkennen. »Ich habe das Knäuel noch nie verlassen. Ich habe so etwas noch nie zuvor gesehen.« »Ha«, grunzte der Goblin. »Du bist genau wie die verrückte Elfin, als Slobad sie gefunden hat, he? Keine Sorge.« Er zeigte mit dem Daumen auf sich. »Goblin wird dir alles beibringen, he?« »Es wird von der Annäherung verursacht«, sagte Bosh, der Slobad nicht weiter beachtete. »Die Metallplatten dehnen sich aus, wenn sie heiß sind. Und weil sie so eng zusammenliegen, haben sie keinen Platz, um auszuweichen. Daher biegen sie sich.« Er nickte zu der Stelle, auf die er zuvor gezeigt hatte. »So wie dort.«
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»Aha«, sagte der Wolf. »Ja, aber das ist nicht das, was mit der Haut geschieht.« Glissa schien langsam frustriert zu sein. »Sie wird heiß«, sagte Bosh. »Ja, und wenn sie heiß wird, verbrennt sie, so wie Feuer Fleisch brät.« Bosh nickte bedächtig. »Also kocht das Mondlicht Fleisch.« Glissa zuckte die Achseln. »Na … ja.« »Ich will nicht gekocht werden«, sagte der Golem. »Golem schmeckt sowieso nicht gut, he?«, neckte ihn Slobad. Al-Hayat ließ ein tiefes Knurren hören. »Vielleicht nicht«, sagte er und hob die Schnauze gen Himmel. »Aber jemand scheint Willens zu sein, deine Behauptung zu überprüfen, Goblin.« Bosh folgte mit dem Blick Al-Hayats Nase zu einer Wolke dunkler Flecken am Himmel. »Was ist das?« Glissa strengte ihre Augen gegen das Leuchten der Monde an. »Es sieht aus wie ein Schwarm großer Ebenenvögel oder eine Gruppe kleiner Drachen.« »Es ist ein Artefaktgeschwader mit Vedalkenreitern«, gab der Wolf zurück. »He«, kreischte Slobad, »woher weißt du, wie Vedalken aussehen, he?« Der Wolf wandte den Blick nicht von der langsam größer werdenden Flugformation ab. »Ich habe schon einmal gegen sie gekämpft.« »Im Knäuel?«, fragte Glissa. Der Wolf nickte. »Aber hier draußen haben wir keine Bäume als Deckung.« Bosh blieb stehen und hob Slobad von seiner Schulter. »Nein«, sagte er, »aber sie haben auch nicht ihr Meer oder ihre
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Festung.« Er drehte sich zur Seite und sah den Wolf an. »Und sie wissen noch nichts von dir.«
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Kapitel 10
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ontifex streckte abwechselnd die Finger der Hände, mit denen er den Lenker seines Schwebgardistengleiters hielt. Es war ein einfaches Gerät, nicht unähnlich einem unbemannten Aerophin. Ein leichter, hohler Rahmen in der Form von Vogelschwingen bildete die Basis. Zwischen dem Rahmen war ein fein gewebter Metallstoff gespannt, der sich im Wind aufblähte. Das Ganze wurde mithilfe einiger Riemen und eines Gurts auf den Rücken des Piloten geschnallt. Links von Pontifex flog Marek und zu seiner Rechten Orland. Hinter ihnen folgten vier Dutzend Männer von Mareks Elitegarde. Pontifex sah nach links. »Siehst du sie?« Marek nickte. »Die Menschenfrau scheint nicht bei ihnen zu sein.« »Das ist jetzt unwichtig«, sagte der Vedalken-Lord. »Wir sind nur hinter dem Elfenmädchen her.« »Der Wächter wird sehr erfreut sein, wenn wir sie ihm gebracht haben«, sagte Orland. »Das Volk der Vedalken wird für seine Dienste reich belohnt werden.« Pontifex lächelte. »Ja. Sicherlich.« »Mein Lord«, sagte Marek und zeigte auf die Gruppe der Fußreisenden. »Sie haben irgendeine Bestie bei sich.«
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Pontifex kniff die Augen zusammen. Die Reflexion des Mondlichts auf der metallenen Ebene erschwerte es, Formen zu erkennen; Farben waren gar unmöglich wahrzunehmen. Es sah allerdings so aus, als ritte die Elfin auf dem Rücken irgendeiner großen Kreatur. »Wenn sie glaubt, sie kann uns mit ihrem Reittier entkommen, dann täuscht sie sich.« Marek nickte. »Was sollen wir nun tun?« Pontifex warf einen Blick nach hinten auf seine Truppen und sah dann wieder zu der Elfin und ihren Begleitern. »Wir teilen uns auf«, sagte er. »Marek, du nimmst zwei Dutzend Krieger und fliegst in einem Bogen hinter sie.« Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter auf Orland. »Der Ratsherr und ich werden den Rest der Männer nehmen und hier bleiben. Und wenn wir sehen, dass ihr in Position seid, werden wir von beiden Seiten losschlagen.« »Wie Ihr wünscht.« Marek legte zum militärischen Gruß zwei seiner Finger an seine Maske. »Mein Lord.« Er tat dasselbe vor Orland. »Ratsherr.« Dann machte er sich auf. Pontifex sah dem Krieger argwöhnisch nach. Als er das Grinsen in Orlands Gesicht sah, besann er sich jedoch. Marek war klug. Er hatte von Pontifex gelernt, und seine Geste der Anerkennung gegenüber dem neuen Ratsherrn würde diesen beruhigen und manipulierbarer machen, wenn die Zeit reif war. Es sei denn, man tötete ihn schon vorher. Ein Gefühl des enormen Stolzes erfüllte den Vedalken-Lord, und er lächelte. Sein vertrauter Leibwächter hatte den Plan, ohne eine Frage zu stellen, übernommen und spielte perfekt mit. Pontifex hob den Lenker seines Gleiters etwas in Richtung der Wolken. Er stieg höher und beschrieb eine weite Kurve. »Wo fliegen wir hin?«, fragte Orland neben ihm.
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»Nirgendwohin«, gab Pontifex zurück und flog weiter eine Kurve. »Wir kreisen.« Er lächelte. »Wir umkreisen unser Opfer.«
$ »Was tun sie, he?«, fragte Slobad. »Sieht so aus, als würden sie sich aufteilen«, antwortete Glissa. Alle vier beobachteten die fliegenden Gestalten genau, während diese sich in zwei kleinere Gruppen teilten. Eine davon schien sich zurückzuziehen. Slobad zupfte Glissa am Arm. »Sie gehen. Haben Angst vor Slobad und seinem Golem, he?« »Nein«, sagte der Wolf. »Sie wollen uns umzingeln.« Glissa spürte Panik in ihrer Brust hochsteigen. Sie waren völlig ungeschützt. Das Einzige, was sie annähernd als Deckung verwenden konnten, war ein größeres Feld mit Rasierklingengras, das so aussah, als wäre es erst kürzlich von einer Horde hungriger Drescher niedergemäht worden. Wenn sie schnell genug liefen, konnten sie vielleicht das etwas höher gewachsene Gras erreichen. Allerdings würden sie dann nicht nur gegen die Vedalken, sondern auch gegen das scharfe Blätterwerk ankämpfen müssen. »Was sollen wir tun?«, fragte sie, allerdings mehr zum Himmel als zu irgendjemandem im Speziellen. »Wir laufen davon, he?« Glissa sah zu den Fliegern hoch. Die abgetrennte Gruppe war schon fast über ihnen. Die andere Gruppe war mittlerweile im Kreis geflogen und tat das auch weiterhin. »Nein«, sagte sie. »Sie sind zu schnell. Wir würden sie nie-
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mals abhängen.« Bosh Stimme dröhnte über die leichte Brise hinweg. »Wir könnten vielleicht zwischen ihnen hindurchkommen«, sagte er. »Damit hätten wir eine bessere Chance, weil wir dann nur gegen die Hälfte von ihnen kämpfen müssten.« »Dann los!«, rief Glissa. Bosh packte Slobad und hob ihn sich wieder auf die Schulter. Dann machte sich die Gruppe auf. Glissa ritt auf Al-Hayat, und Slobads Leben hing sozusagen am Kragen des eisernen Golems. Sie galoppierten, so schnell sie konnten, am Rand des Rasierklingenfeldes entlang. Boshs riesige Metallfüße schlugen einen donnernden Rhythmus. Al-Hayat dagegen bewegte sich lautlos und mit der fließenden Anmut eines organischen Wesens. Glissa klemmte sich mit den Knien an das große Waldtier und krallte die Hände in das Fell, damit sie nicht herabfiel. Sie überholten den eisernen Golem beinahe, als sie am Rand des kleinen Feldes aus Rasierklingengras entlangrannten. Als Glissa einen Blick nach oben warf, rutschte ihr beinahe das Herz in die Hose. »Sie kommen genau auf uns zu!« Die ersten paar Schritte hatten sie an der abgetrennten Gruppe Gleiter vorbeigebracht, aber die andere Gruppe hatte ihren Fluchtversuch bemerkt und kam jetzt im Sturzflug auf sie zugeschossen, um sie aufzuhalten. Ein tiefes, hohles Pfeifen ertönte, dass umso lauter wurde, je näher die Gleiter kamen. »Sie werden uns rammen!«, rief Glissa. Al-Hayat stemmte seine Vorderläufe in den Boden und kam abrupt zum Stehen. Glissa konnte ihre Knie nicht stark genug zusammendrücken, weshalb sie mit dem Hinterteil vom Rücken der Kreatur abhob. Hätte sie sich nicht so gut an der Mähne des
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Wolfes festgehalten, wäre sie kopfüber abgeworfen worden. Bosh kam neben sie gestampft. »Weshalb bleiben wir stehen?« Glissa sah zu den näher kommenden Gleitern. Sie waren jetzt beinahe direkt über den vieren. Es gab keinerlei Zuflucht. In ein paar Sekunden würden sie zu Boden geworfen, in das Rasierklingengras geschleudert und dort in Stücke geschnitten werden. »Deshalb«, sagte der Wolf. Al-Hayat schloss die Augen und murmelte etwas Unverständliches. Glissa hatte das Gefühl, dass der Wolf vibrierte. Sie konnte nicht hören, was er sagte, aber sie spürte jede Silbe. Als sie wieder nach oben sah, konnte sie die Konstruktion der Gleiter in allen Einzelheiten erkennen, jedes Detail im Gesicht der Krieger unterscheiden. Sie zog ihr Schwert. »Ich werde nicht auf diese Weise sterben«, rief sie und hob ihr Schwert in die Luft. Al-Hayat unterbrach sein Brummen und öffnete die Augen. Eine wirbelnde grüne Energiekugel schoss aus dem Wolf hervor und schlug in das Rasierklingenfeld ein. Ähnlich der Magie, die er zur Heilung des Goblins eingesetzt hatte, legte sich der Zauber wie eine Pfütze, die beinahe so groß war wie ihr Schöpfer, über das metallene Blätterwerk und versickerte wie Wasser im Boden. Das Pfeifen, das die Gleiter abgaben, schwoll zu einem furchtbaren Kreischen an. Die Vedalken am Steuer lehnten sich zurück und streckten magisch aufgeladene Lanzen mit blau leuchtenden Spitzen nach vorn. Die Gleiter verdeckten die sich einander annähernden Monde und warfen ihre Schatten über die Gruppe. Die magischen Klingen schwangen zu Glissa, AlHayat, Bosh und Slobad herunter. Auf einmal wuchs das Rasierklingengras, das der Wolf mit
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seinem Zauberspruch bedacht hatte, in die Höhe und traf die Vedalken-Hellebarden. Die scharfen Stängel kletterten hoch über die vier Reisenden hinaus, ragten weiter in die Luft als das ausgestreckte Schwert der Elfin und überragten sogar den eisernen Golem. Glissa spürte einen warmen Sprühregen. Drei der Gleiterpiloten waren von dem immer höher wachsenden Gras aufgespießt worden. Sie duckte sich, schützte den Kopf vor allem, was aus dem Himmel fallen mochte, und hoffte, dass Al-Hayats Magie keinen der Gleiter durchließ. Gurgelnde Schreie und schmerzerfülltes Gebrüll hallte durch die Luft, als die drei vordersten Gleiterpiloten von ihren Kameraden von hinten getroffen und tiefer auf die sich reckenden Grasspitzen geschoben wurden. Das Unglück der Vorhut bewahrte jedoch den Rest der Flotte vor dem sicheren Tod. Die übrigen Piloten konnten rechtzeitig abdrehen. Nun landeten sie vor den vieren. Die Freunde verloren keine Zeit und griffen die Piloten an, während diese sich noch ihrer künstlichen Flügel entledigten. Glissa rutschte seitwärts von Al-Hayat herunter und rannte zwischen dem wachsenden Rasierklingengras hervor. Sie schlitzte einem der Vedalkenkrieger den Bauch auf, während dessen Arme noch immer in seinem Rückentornister verheddert waren. Der Wolf folgte ihr, schnappte sich mit dem Maul einen blauhäutigen, vierarmigen Krieger und biss ihn mitten durch, als wäre er nichts weiter als eine schmackhafte Zwischenmahlzeit. Die geladene Lanze des Kriegers leuchtete hell auf und fiel ihm aus den Händen. Kurz darauf war er von dem Wolf komplett verspeist worden. Der helle blaue Strahl der Lanze wurde vom Boden reflektiert, mischte sich mit dem Schein der vielen Monde Mirrodins und verwandelte das braune Licht in etwas eher Lila-
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farbenes. Das Geräusch von Metall auf Metall hallte über die Ebene. Bosh und Slobad kamen zwischen dem Rasierklingengras hervor. Der eiserne Golem schlug einen Piloten zu einem Haufen aus Gleiterstücken, Fleisch und Knochen zusammen, der gleich darauf auf den heißen sechseckigen Platten zu brutzeln begann. Der Goblin stand neben dem Golem, provozierte die Vedalken zum Angriff und ließ den großen Metallmann dann die restliche Arbeit verrichten. Dafür, dass man sie in die Ecke gedrängt hatte, dachte Glissa, verliefen die ersten Momente dieses Kampfes gar nicht so schlecht. Ein zweiter großer Schatten zog über die geflügelten Krieger hinweg und verdeckte für einen Augenblick die gemischten Farben der Monde. Der vorüberziehende Schatten wurde von einem tiefen, hohlen Pfeifen begleitet. Die zweite Gruppe Gleiter war angekommen.
$ Pontifex landete auf der Ebene hinter seiner Elitegarde. Das Ganze war geradezu lächerlich! Drei Gleiterpiloten, getötet von einem Rasierklingenfeld. Rasierklingengras! War denn keiner dieser bestens ausgebildeten Piloten auf Mirrodin aufgewachsen? Welches Kind war denn so dämlich, um zwischen diese tödlichen Klingen zu geraten? Der Vedalken-Lord legte behände die Gleiterapparatur ab und nahm sein Schwert von der Hüfte. Anders als die meisten konventionellen Klingen war die von Pontifex weniger ein Schwert als vielmehr ein Krismesser. Das geschärfte Stück ragte aus ei-
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nem geraden, in Leder eingewickelten Griff hervor, doch ab dort beschrieb es eine Rundung. Die Klinge bildete ein S, als wäre sie eine dahingleitende Schlange, und endete schließlich in einem todbringenden gezackten Endstück. Neben ihm mühte sich Ratsherr Orland damit ab, seinen Gleiter von den Schultern zu bekommen. Der träge Sack war offensichtlich noch nie in einer Schlacht gewesen, sondern hatte immer nur ein verweichlichtes Leben in Lumengrid geführt. Pontifex zog kurz in Erwägung, den Mann genau hier auf offenem Feld in die Kehle zu stechen, während dessen Arme noch verheddert waren. Aber er ließ es sein. Es würde die Zeit kommen, da konnte er das in einer viel privateren Umgebung erledigen. In Anbetracht Orlands umständlichen Versuchs, den Gleiter loszuwerden, war es wahrscheinlich nicht einmal dann besonders schwierig, den stümperhaften Politiker umzubringen, wenn dessen Hände frei waren. Marek und seine Gleitergruppe würden jeden Augenblick landen und der Schlacht beitreten. Die zwei Dutzend Piloten, mit denen Pontifex gelandet war, umkreisten das Elfenmädchen und dessen Kameraden, aber sie waren schon nicht mehr so viele. Es waren schon sechs außer Gefecht, einschließlich der drei, die von dem wachsenden Rasierklingengras getötet worden waren. Der Vedalken-Lord wollte nicht selbst eingreifen, doch wenn es nötig war, würde er es tun. Niemand würde ihn davon abhalten, diese Elfin zu fangen. Irgendwie hatte dieses Mädchen sein Image als Anführer des Volkes beschädigt. Sie hatte die Festung der Vedalken gestürmt, das Sakrileg begangen, den Wissensvorrat zu durchschwimmen, und war ohne Bestrafung entkommen. Aber das war nicht das Schlimmste.
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Irgendwie hatte diese Hündin es geschafft, sich zwischen ihn und seinen Gott zu drängen. Sie hatte es hinbekommen, dass er in den Augen des Wächters unbedeutend geworden war. Und dafür musste sie sterben.
$ Glissa kämpfte um ihr Leben. Die Vedalken trugen Hellebarden – lange, dicke Klingen an noch längeren Schäften, sodass ein Krieger sie nach vorn strecken und den Gegner aus einem gewissen Abstand angreifen konnte. Die Klingen dieser Waffen waren mit Zauberkraft versehen, und zwei Strahlen zuckten gerade unmittelbar auf ihre Beine zu. Mit dem Rücken zum Grasfeld stehend, konnte sie nichts weiter tun, als sie wegzuschlagen. Immer wieder drangen die scharfen, blau leuchtenden Spitzen auf sie ein, aber jedes Mal konnte sie sie abwehren. Bosh streckte seine langen Arme aus und ergriff einen der Vedalkenkrieger. Glissa spürte den Aufprall, als der zerquetschte Feind auf den Boden geschleudert wurde. Bosh schwang die andere Hand und traf einen der Krieger ins Gesicht. Der Mann wurde davongeschleudert, verlor seine Waffe und fiel auf den Rücken. Trotz des schweren Aufschlags kam er wieder auf die Beine. Er schüttelte benommen den Kopf. Bosh hob die Hand für den nächsten Hieb. Große Blutstropfen quollen zwischen seinen geballten Fingern hervor. Die Flüssigkeit klatschte auf den heißen Metallboden und verdampfte. In dem seltsamen Mischlicht vermochte Glissa nicht zu sagen, ob es das blaue Blut der Vedalkenkrieger oder das rote Blut des jetzt Fleisch gewordenen Golems war. Der Gedanke daran, dass Bosh
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zu Tode bluten könnte, jagte der Elfin einen plötzlichen Schauer über den Rücken. Zwei weitere Hellebarden kamen aus dem Nichts und zwangen Glissa zur Seite. Anders als die Waffen, die von den Vedalken bislang verwendet worden waren, hatten diese keine scharfen Spitzen. Stattdessen trugen sie Schlaufen aus schwerem Draht, der eher dazu gedacht war, den Gegner einzuwickeln, als ihn zu verwunden. Eine dieser Schlaufen schnappte nach Glissa, und sie schaffte es nur knapp, sich darunter hinwegzuducken. Der Krieger, der die Waffe führte, hatte am Ende des Schaftes einen Griff, an dem er jetzt zog. Die Schlinge zog sich zu, als die Elfin zurückwich. »Was bin ich?«, rief sie. »Etwa ein wilder Eber?« Die Vedalken antworteten mit einem weiteren Hieb ihrer spitzen Waffen. Diese beiden konnte Glissa ebenfalls abwehren, doch dieses Mal schaffte sie auch einen Gegenangriff. Die Elfin machte sich dabei nicht die Mühe, einen bestimmten Krieger anzugreifen, sondern rammte die Spitze ihrer mächtigen Klinge einfach in das Wams eines der blauhäutigen Elitegardisten. Die Spitze verfing sich für einen Augenblick im Gewand eines anderen Kriegers, kam aber schnell wieder frei. Sie stolperte nach vorn. Die Elfin verlor das Gleichgewicht und kam auf den Zehenspitzen ihres rechten Fußes zu stehen. Sie spürte, wie sie vom eigenen Körpergewicht nach vorn gezogen wurde. Der Gedanke, längelang vor vier Kriegern hinzuschlagen, die sie alle tot sehen wollten, gefiel der Elfin gar nicht, also gab sie sich alle Mühe, aufrecht stehen zu bleiben. Das linke Bein hinter sich ausgestreckt, hüpfte sie vorwärts. Sie hüpfte noch einmal, streckte ihr Schwert aus und stach es
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dem nächsten Krieger in die Brust, in der Hoffnung, sich zurückdrücken zu können und so das Gleichgewicht wieder zu gewinnen. Die Spitze der scharfen Waffe durchdrang jedoch die Rüstung des Vedalken und bohrte sich in dessen weiches Fleisch. Die Kreatur schrie auf, drehte sich zur Seite und zog sich zurück. Glissas Klinge verklemmte sich im Loch der Rüstung, hielt die Elfin fest und zog sie noch weiter nach vorn. Glissa hatte sich jetzt, so weit sie konnte, ausgestreckt und hielt sich mit aller Kraft an ihrem Schwert fest. Sie streckte die andere Hand aus, um den Schwertgriff mit beiden Händen zu umfassen. Ihre Zehen rutschten über den heißen Metallboden. Krieger und Elfin bewegten sich wie eine Einheit, während die Spitze von Glissas Schwert noch immer in der Brust des Vedalken hängen blieb. Der verletzte Kämpfer mühte sich ab, freizukommen, indem er mit allen vier Armen ruderte. Das mit Ornamenten verzierte blaue Gewand, das er über der Rüstung trug, war jetzt von Blut bedeckt. Im Mischlicht der sich einander annähernden Monde sah es so aus, als würde sich ein dunkelbrauner Fleck auf einer hellbraunen Robe ausbreiten. Dann verlangsamten sich die Bewegungen des Kriegers, und er sah die Elfin durch sein Visier hindurch an. Sein trauriger Blick war voller Angst, und Glissa empfand kurz einen Anflug von Mitleid. Der Krieger brach zusammen und sank auf die Knie. Glissa wurde nach vorn gerissen. Sie sah den Boden auf ihr Gesicht zuschnellen. Das war’s, dachte sie. Etwas packte ihren linken Fuß, der noch immer hoch in der Luft hing, und sie wurde nach hinten gezogen. Sie sah, wie zwei Hellebarden und eine schwere Seilschlinge zu Boden fielen. Die verzauberten Waffen schnitten in die Metallplatten der Ebene
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und hinterließen große Schrammen neben dem sterbenden Vedalken – genau dort, wo sie mit dem Gesicht nach unten zu liegen gekommen wäre. Als Glissa wieder mit beiden Füßen auf dem Boden stand, drehte sie sich um und sah sich ihren Retter an – Slobad. Er verlor gerade den Halt und fiel nach hinten, weil der Ruck von Glissas Befreiung nun ins Leere ging. Sie wollte ihm danken, aber dafür war jetzt keine Zeit. Immer mehr Krieger drangen auf sie ein.
$ Marek berührte den Boden genau neben Pontifex. Seine zwei Dutzend Gleiterpiloten landeten dichter bei dem Gerangel. Der Kommandant der Elitegarde schälte sich aus seinen Gleiterflügeln und ging dann zu den beiden Mitgliedern der Synode hinüber. »Ratsherr«, sagte er zu Orland, wobei er sich mit dem Kopf leicht verneigte. Dann wandte er sich an Pontifex. »Mein Lord, wir wollten sie zwischen den beiden Gruppen festnageln. Ich habe Euch leider enttäuschen müssen.« Pontifex tat die Bemerkung mit einem Kopfschütteln ab. »Unsinn. Du hast sie uns genau in die Hände getrieben.« Marek nickte. Pontifex warf über die Schulter seines Leibwächters hinweg einen Blick auf das Kampfgetümmel. Die Elfin und ihre Begleiter standen noch immer mit dem Rücken zum Rasierklingenfeld, allerdings hatten die Vedalkenkrieger bislang wenig Fortschritte beim Einfangen Glissas gemacht. Pontifex umfasste den Griff seines Schwerts fester.
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Marek verneigte sich nochmals. »Bitte entlasst mich«, sagte er. »Ich werde die Elfin fangen und sie zu Euch bringen.« Der Krieger drehte sich auf dem Absatz um und lief zu dem Kampfgeschehen hinüber. »Töte sie«, sagte Pontifex durch geschlossene Zähne. Marek blieb stehen. Orland drehte sich mit einem Ausdruck des grenzenlosen Erstaunens auf dem Gesicht zu dem Vedalken-Lord um. »Sie töten? Das meint Ihr doch nicht im Ernst?« Pontifex packte Orland am Kragen seiner Robe und zog das Visier des verschwörerischen Politikers dicht vor sein eigenes. »Ziemlich.« Marek kam wieder heran. »Sollten wir das Elfenmädchen nicht zu Memnarch zurückbringen?«, sagte er und wartete ab. »Mein Lord?«, fügte er schließlich hinzu. Pontifex sah Orland direkt in die Augen. Er ließ den Ratsherrn nicht los, während er weiter zu ihm sprach. »Die Pläne haben sich geändert«, sagte er. »Der Wächter will sie nicht mehr.« Orland sah zur Seite. Pontifex folgte seinem Blick zu Marek. »Er wird Euch nicht helfen«, schrie er den Ratsherrn an. »Ich bin nicht Euer Feind, Lord Pontifex«, sagte Orland fest. »Bitte lasst mich los.« Marek stand da und beobachtete die Szene. Pontifex konnte ihn aus den Augenwinkeln sehen. »Worauf wartest du noch, Marek?«, sagte er. »Töte das Elfenmädchen.« Marek nickte. »Wie Ihr wünscht, mein Lord. Aber ich erfüllte nicht meine Pflicht, wenn ich Euch nicht darum bitten würde, noch einmal darüber nachzudenken.« Orland wandte sich unter Pontifex’ Griff. Der Vedalken-Lord nutzte seine überragende Größe aus und hob den Ratsherrn so
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weit vom Boden, dass dieser gezwungen war, auf den Zehenspitzen zu stehen, um nicht vom eigenen Kragen erwürgt zu werden, der sich nun fest um seinen Hals spannte. »Danke, Marek, aber zwischen mich und den Wächter von Mirrodin wird keine kleine Elfin kommen.« Er schüttelte Orland. »Und auch kein gewählter Synoden-Ratsherr.« Er ließ schließlich den Blick von Orland ab, lockerte den Griff um die Robe des Mannes und ließ ihn wieder herab. »Töte sie.« Marek blinzelte nicht einmal, bevor er sich umdrehte, um sich ins Getümmel zu stürzen. Pontifex sah zu, wie Marek seine Männer zu sich winkte und sich aufmachte, den Befehl sofort auszuführen. »Marek ist gut«, sagte Pontifex zu Orland, der sich seine gequetschte Kehle hielt. »Sehr gut sogar.«
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Kapitel 11
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B
lut bedeckte die Ebene. Zahlreiche Vedalken lagen tot oder verwundet auf dem Boden – die Hälfte der Gruppe, die aus dem Himmel herabgeschossen war, um Glissa, Slobad, Bosh und Al-Hayat in das Rasierklingenfeld zu treiben. Glissa hatte sich ein paar schlimme Schnitte an den Wangen und einen auf der Brust zugezogen. Sie brannten und bluteten, aber sie waren nicht so schmerzhaft, um sie abzulenken, also ignorierte sie sie einfach. Bei Slobad war es ähnlich. Er hatte einen Schlag auf den Kopf abbekommen, aber das war es auch schon. Der kleine Goblin tat immer sein Bestes, um von den scharfen Spitzen fernzubleiben. Al-Hayat hingegen blutete aus der Nase und aus der Kehle. Der Wolf kämpfte aber unverdrossen weiter, schnappte sich Hellebarden mit den Zähnen, biss Soldaten in Stücke und riss Krieger von den Beinen, wo er nur konnte. Er stand an der Front der vier, knurrte und sträubte sein Fell, um noch größer auszusehen, als er es ohnehin schon tat. Die große Waldkreatur streckte sich nach vorn, schnappte zu und bekam einen weiteren Krieger zwischen die gefährlichen Reißzähne. Der Vedalken stieß einen gurgelnden Schrei aus, und der Wolf begann die blauhäutige Kreatur hin und her zu schüt-
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teln. Blut ergoss sich in einer breiten Woge über die anderen Krieger, und der gefangene Vedalken stieß einen Schrei aus, der verzweifelter und angstvoller war als jeder, den Glissa je zuvor gehört hatte. Al-Hayat beendete sein Schütteln, und der Vedalken hing schlaff zwischen seinen Zähnen. Die Schreie waren verstummt. Und dann kam die nächste Welle Gleiterpiloten. Glissa hatte sie landen sehen und ihre Schatten über der Schlachtszenerie gespürt. Und mit ihnen war sozusagen ein schwerer Stein gekommen, der jetzt tief unten in Glissas Magengrube lag. Inzwischen waren die neuen Angreifer angekommen und drängten von hinter den vedalkischen Fußsoldaten in das Kampfgeschehen. Die vierarmigen Krieger wurden geradewegs gegen Al-Hayat geschoben. Der Wolf hatte bereits einem der neuen Krieger den Kopf abgebissen, aber der Ansturm der blauhäutigen Soldaten war einfach zu groß, weshalb sich das Waldtier vorerst zurückziehen musste. Die Krieger ließen sich nicht aufhalten und stürmten weiter auf Glissa zu. Trotz ihres schnellen Schwerts war sie nicht so flink wie Al-Hayat, weshalb auch sie einige Schritte zurückweichen musste. Ihre Fersen berührten die scharfen Halme des Rasierklingengrases, und, ohne sich umdrehen zu müssen, wusste sie, dass sie keinen Platz mehr hatte. Hier, vom eisernen Golem überragt, neben dem blutenden Wolf und dem verletzten Goblin, verteidigte sie ihre letzte Bastion. »Irgendwelche Vorschläge?«, rief sie über den Lärm von Metall auf Metall hinweg. »Ich könnte durch das Rasierklingengras stampfen«, sagte Bosh. Glissa sah zu ihm hoch. Der Golem war von Blut bedeckt, das
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sich in dem seltsamen Licht kaum von seiner teilweise rostigen Haut abhob. »Nein«, sagte sie. »Auf diese Weise kommen wir noch schneller um. Was ist mit dir?« Die Frage war an Al-Hayat gerichtet. »Irgendeine Magie, die uns hier heraushauen könnte?« Der Wolf knurrte. »Nicht angesichts dieser speziellen Zwickmühle …« Dem Waldtier wurden die Worte abgeschnitten. Einer der Vedalkenkrieger hatte es geschafft, die Seilschlinge aus seiner Fanghellebarde um den Hals des Wolfes zu werfen. Al-Hayat wehrte sich und hob den Krieger am anderen Ende von den Füßen. Der Wolf kam beinahe frei, aber drei weitere Vedalken waren ihrem Kameraden zu Hilfe gekommen, und das Lasso zog sich zu. Die vier Krieger zogen den Wolf mit großer Anstrengung auf die Knie und drückten ihm die Schnauze auf den Boden. Glissa machte in der Hoffnung, ihren Freund befreien zu können, einen Satz nach vorn. Auf einmal hallte ein lauter Knall vom Rasierklingenfeld her. Sie musste ausweichen, weil sich über ihr plötzlich ein metallenes Netz entfaltete. Jemand aus den hinteren Reihen der Vedalkenstreitmacht hatte das Netz, das wie ein Spinnennetz geformt war, abgefeuert. An den Enden hingen Gewichte, und als es sich entfaltete, bildete es eine glitzernde Metallkuppel, die sich über Bosh, Slobad und Glissa herabsenkte. Da sie mit dem Rücken am Rasierklingenfeld standen, führte der einzige offene Weg in Richtung der Vedalken. Glissa schaffte es gerade noch, unter dem Netz hervorzuspringen, bevor sie sich darin verhedderte. Bosh und Slobad hatten weniger Glück – der eiserne Golem wurde mit dem Goblin zwischen den Beinen gefangen.
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Glissa hackte mit der Macht der Verzweiflung auf die noch immer auf sie eindringenden Krieger ein. Sie waren so dicht beieinander, dass sie Schwierigkeiten hatten, sich zu bewegen. Das Schwert der Elfin zerschnitt zwei jener durchsichtigen Visiere zugleich, aus denen sich sofort eine flüssige Masse auf den heißen Boden ergoss. Der Hieb verschaffte ihr ein paar kostbare Sekunden, die sie jetzt einlöste. Sie wirbelte herum und schlug mit Kaldras Schwert auf das Netz ein, das den Golem festhielt. Die Klinge fuhr mit Leichtigkeit durch das metallene Gewebe und schnitt einen Spalt von halber Elfengröße hinein. Slobad sah, wie sich das Gewebe teilte und warf sich gegen die Öffnung. »Schnell!«, rief Glissa und drehte sich um. Ein dicker Draht landete auf ihrer Schulter, und Glissa spürte, wie ihre Arme an die Seiten gezurrt wurden. Die Wucht des Lassos, das sich um sie schloss, drückte ihr die Luft aus der Lunge. Sie stieß einen Schrei aus und ließ ihr Schwert fallen. Ein weiteres Lasso schloss sich um ihren Hals, und Glissa wurde nach vorn auf den Bauch gezogen, das Gesicht gegen den heißen Boden gedrückt. Sie wand sich seitwärts und sah zu ihren Freunden auf. Al-Hayat wurde von einer Meute Vedalken auf den Boden gedrückt. Bosh kämpfte sich mit dem Netz ab, aber auch er wurde nun von den Gleiterpiloten in Schach gehalten, und trotz seiner enormen Kraft und seines offensichtlichen Größenvorteils konnte der eiserne Golem sich in keiner Richtung bewegen. Schlimmer noch, Glissa konnte sehen, dass die Vedalken das Netz so eng um Bosh gezogen hatten, dass es sich in dessen fleischige Schultern grub, wo es große blutende Schnitte hinterließ.
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Slobad hatte es zwar kurzfristig geschafft, durch das Loch zu entkommen, das Glissa geschaffen hatte, war aber wieder eingefangen worden und wurde nun von zwei Kriegern mit dem Gesicht nach unten zu Boden gedrückt – die Spitzen zweier Hellebarden fest auf dem Rücken. »Was wollt ihr von mir?«, rief Glissa. Da sie bäuchlings auf dem Boden lag, konnte sie ihre Gegenspieler nicht sehen. Niemand gab eine Antwort.
$ Marek sah zu, wie seine Truppen das Elfenmädchen einfingen. Angesichts ihrer schweren Verluste hatten sie gute Arbeit verrichtet und auch Beherrschung gezeigt. Es wäre viel einfacher gewesen, die Gegner alle zu töten. Zu Beginn der Mission hatten sie jedoch strikte Anweisungen bekommen, sie am Leben zu halten. Nur Marek wusste von Pontifex’ Planänderung. Es war nun an ihm, den neuen Befehl auszuführen. Als er sich zwischen seinen Soldaten hindurch zu den Gefangenen aufmachte, durchdachte Marek all seine Möglichkeiten. Wenn er tat, was man ihm befohlen hatte und die Anweisung zur Exekution des Elfenmädchens gab, handelte er in direktem Widerspruch zu den Wünschen des Wächters. Es mochte stimmen, dass er das Wesen, das Pontifex als Gott bezeichnete, noch nie gesehen hatte; doch hatte er den Panopticon gesehen und gespürt, dass sich darin etwas Mächtiges verbarg. Er hatte genügend Beweise dafür gesehen, und er zweifelte nicht daran, dass es Konsequenzen haben würde, wenn er einer solchen Kreatur in die Quere kam. Um alles noch zu verschlimmern, hatte Marek den gesunden Verdacht, dass der Wächter alles sehen konnte,
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was auf Mirrodin vor sich ging. Und obwohl Pontifex den Befehl gegeben hatte, das Leben des Elfenmädchens zu beenden, wäre Marek derjenige, der letztlich die schmutzige Arbeit tat – etwas, von dem der Elitegardist das Gefühl hatte, dass es nicht unbemerkt bleiben würde. Andererseits würde Pontifex ihn sicherlich dafür bestrafen, wenn er sich dessen Befehlen widersetzte. Sein Leben wäre verwirkt, und im besten Fall konnte er dann hoffen, dass man ihn aussetzte und er einen anderen Ort zum Leben fand. Dieser Gedanke brachte Marek beinahe zum Lachen. Wer würde ihn wohl aufnehmen? Die Menschenzauberer? Wohl kaum. Er war für die Versklavung und Unterdrückung von zu vielen von ihnen verantwortlich. Er bezweifelte, dass sie ihn mit offenen Armen empfangen würden. Nein, auch dieser Weg führte in den Tod. Jetzt stand er vor dem hingestreckten Elfenmädchen. Marek hatte sie schon zuvor gesehen, jedoch noch nie von so nah. Jetzt, da sie hilflos auf dem Boden lag, erschien sie ihm überaus zerbrechlich. Er beugte sich hinunter und sah ihr in die Augen. Trotz ihrer hilflosen Lage erwiderte sie seinen Blick aufmüpfig und mit Feuer in den Augen. Ihre Entschlossenheit und Überzeugung im Angesicht des Todes beunruhigten den Krieger. Wie seltsam, dachte er, dass sie selbst kurz vor ihrem Ende, an den Boden gefesselt und von zwei Lasso-Hellebarden festgehalten, genügend Mut hat, um ihm Angst einflößen zu wollen. Würde er einst auch mit einer solchen Haltung sterben? »Wer bist du?«, fragte ihn die Elfin. Marek nahm eine Einhandaxt, die fest an seinen Schenkel gebunden war. Die geschärfte Klinge spiegelte eine Vielzahl von Farben wider. »Wer ich bin, ist unwichtig«, sagte er. »Du brauchst nur zu wissen, dass ich hier bin, um dich zu töten.«
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»Wie unsportlich von dir«, stieß die Elfin hervor. »Eine unbewaffnete Elfin zu töten, die von zwei deiner Schergen am Boden gehalten wird.« Marek nickte. »So ist es nun einmal«, sagte er. »Aber du warst schwierig zu fangen. Ich hatte genug Sport.« Der VedalkenLeutnant hob seine Axt in die Luft. »Lebe wohl«, sagte er und ließ die Axt mit aller Wucht herabsausen. Noch während die Klinge die Luft durchschnitt, hielt die Elfin Augenkontakt mit ihm. Je näher der Tod kam, desto entschlossener und zuversichtlicher sah sie ihn an. Marek konnte es schließlich nicht mehr ertragen und schloss die Augen. Seine Axt traf ihr Ziel, und ein lautes Klingen war zu hören, gefolgt von dem allgemeinen Missklang eines Kampfes und dem verräterischen Klirren von Waffen, die aufeinander trafen. Hier stimmte etwas nicht. Marek öffnete die Augen. Vor ihm stand, das Schwert unter die Klinge seiner Axt geklemmt, die menschliche Zauberin. Bruenna. »Hallo, Marek«, sagte sie.
$ Glissa starrte zu dem Vedalkenkrieger mit der Axt hoch. Sie hasste diesen Mann. Sie war ihm noch nie zuvor begegnet, doch jetzt repräsentierte er alles, was in der ganzen Welt falsch war. Sie wollte ihn einfach nur tot sehen. Seine Klinge raste auf sie nieder. Sie war wehrlos. Sie konnte nichts weiter tun, als hinsehen und hoffen, dass ihr Hass genügte, um ihn hinzustrecken. Auf einmal begann die Luft vor ihr zu flimmern. Irgendetwas
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materialisierte sich dort und blockierte ihr die Sicht auf den Vedalken. Die Axt knallte gegen das Objekt und wurde zur Seite gedrückt. Glissa drehte sich zur Seite und sah auf einmal Bruenna über sich stehen. Ein plötzliches Gefühl der Erleichterung überfiel sie, und sie musste hysterisch lachen. Vielleicht überlebte sie jetzt ja doch noch und konnte den Vedalken niederstrecken. Dann machte die kurze Euphorie über die Rettung plötzlich der Angst Platz. Sie hatte zusehen müssen, wie ihre Freunde gefangen und wie Tiere festgehalten worden waren. Das hatte sie so wütend gemacht, dass da keine Zeit für Angst gewesen war. Jetzt allerdings war sie zu Tode geängstigt. Der Kampfeslärm klingelte Glissa in den Ohren. Sie spürte, wie die Vedalken, die sie zu Boden drückten, den Griff lockerten. Sie rollte sich auf die Füße und wand sich aus dem Griff der beiden Lassos. Überall waren Menschenzauberer zu sehen. Bruennas Stamm war wie aus dem Nichts erschienen und kämpfte jetzt mit den Vedalkenkriegern. Glissa kroch zu ihrem Schwert, das noch immer dort auf dem Boden lag, wo sie es hatte fallen lassen, und lief dann zu AlHayat. Der Wolf war mit zwei schnellen Hieben befreit. Als sie sich umdrehte, entging sie knapp der Enthauptung durch eine heransausende Hellebarde. Die Elfin wehrte den Angriff mit einiger Schwierigkeit ab und schaffte es, aus der Reichweite der langen Waffe zu kommen, indem sie sich darunter hinwegduckte und näher an den Krieger ging. Der Schaft traf ihre Schulter, was ziemlich schmerzte, aber die Klinge schwang darauf harmlos durch die Luft. Sie hob ihr Schwert und führte es ins Ziel, die Bauchgegend des Vedalken. Die Klinge fuhr glatt hinein und kam auf der anderen Seite wieder heraus. Der Krieger erschlaffte.
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Glissa musste sich mit einen Stiefel auf der Brust des Vedalken abstützen, um ihr Schwert freizubekommen. Kaldras Schwert kam mit einem schmatzenden Geräusch frei, und die Elfin schwang es zur Seite, um das Blut von dem Stahl abzuschütteln. Dann drehte sie sich um, um den Goblin und den Golem zu befreien. Sie kam zu spät. Die Menschen waren gegenüber den Vedalken in der doppelten Überzahl, und die Soldaten flüchteten bereits zu ihren Gleiterapparaten. Bosh zog sich gerade die Überreste des Netzes vom Kopf und bückte sich, um Slobad aufzuheben, der noch immer flach auf dem Bauch lag – obwohl die Krieger, die ihn gefangen genommen hatte, bereits geflohen waren. Die ersten Gleiter hoben in die Luft ab, begleitet von dem hohlen Pfeifgeräusch, das sie auch beim Weg nach unten von sich gegeben hatten. Nur wurde es dieses Mal höher, bis es zu einem ohrenbetäubenden Zischen wurde, bevor es außer Hörweite kam. Die Vedalken sprangen einer nach dem anderen in die Luft und flogen geschlagen davon. Sie waren nur noch halb so viele wie bei ihrer Ankunft. Die Menschen stießen einen gemeinsamen Jubelschrei aus, gaben die Verfolgung auf und machten sich daran, sich um die Verwundeten zu kümmern.
$ Als Marek die Menschen auftauchen sah, war er irgendwie dankbar. Er konnte sich nun ohne allzu großen Gesichtsverlust zurückziehen, sich geschlagen geben und dennoch das Leben behalten. Er fragte sich, ob die Zauberin Bruenna wohl begreifen
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würde, wenn er ihr sagte, wie froh er war, sie zu sehen. Wahrscheinlich nicht. Das Leben hatte ihm irgendwie schon immer gegensätzliche Rollen zugespielt, und er hatte immer das Beste aus jeder gemacht. Die jetzige Situation unterschied sich nicht von vielen anderen, denen er gegenübergestanden hatte. Er würde allerdings lügen, wenn er leugnete, dass es dieses Mal knapp gewesen war – so knapp, dass er noch immer ziemlich nervös war, als er den Rückzug anordnete. Wäre er weniger abgelenkt gewesen, dann hätte er nicht gezögert. Weniger seiner guten Krieger wären gestorben, hätten sie sich sofort zurückgezogen. Als die Menschen aufgetaucht waren, war die Schlacht verloren gewesen. Sosehr ein Kommandant auch wissen musste, wie man sich als Krieger verhielt, so sehr musste er auch wissen, wenn es an der Zeit für einen Rückzug war – um zu überleben, damit man an einem anderen Tag weiterkämpfen konnte. Pontifex hatte ihm dies vor langer Zeit beigebracht. In letzter Zeit schien sein Herr jedoch eine Menge seiner eigenen Lektionen vergessen zu haben. Vielleicht hatte der Druck, diese Elfin fangen zu müssen, von Pontifex seinen Tribut gefordert. Marek war sich nicht sicher, was es war, doch etwas an dem Mann hatte sich verändert – und zwar nicht zum Guten. Mareks wandernde Gedanken wurden unterbrochen, als er bei Pontifex und Orland ankam. »Mein Lord«, sagte er. »Die Menschen sind zu mächtig. Wir müssen jetzt abziehen und sie einzufangen suchen, wenn wir wieder im Vorteil sind.« »Er hat Recht«, sagte Orland. »Es ist Zeit, zu gehen.« Der Ratsherr lief zu seinem Gleiter und legte ihn mit der panischen Geschwindigkeit eines Verzweifelten an. Pontifex stand nur da, ballte die Fäuste und knirschte mit den
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Zähnen. Schließlich nickte er. »Wir werden das später zum Abschluss bringen«, sagte er und schlüpfte mit den Armen in das Rückenteil seines Gleiters. Marek tat es ihm unverzüglich nach und drehte sich dann zu den Menschen um. Er würde warten, bis Pontifex und Orland in der Luft waren, bevor er selbst startete. Das war knapp gewesen, dachte er, während er auf das Klopfen seines Herzens horchte. Viel zu knapp.
$ »Wo kommt ihr denn her, he?«, fragte Slobad Bruenna. Der Goblin hatte einem der Vedalken die Hellebarde abgenommen. Der lange Speer ragte über Slobads gedrungener kleiner Gestalt auf, wodurch die Waffe noch länger und furchterregender wirkte. Bosh hob ihn vom Boden und setzte ihn sich auf die Schulter. Bruenna lächelte. »Wir haben Pontifex im Blick, seit er Lumengrid verließ«, erklärte sie. »Wir wussten, dass er euch früher oder später suchen würde, also folgten wir ihm. Ich bereue nur, dass wir nicht schneller hier waren. Diese Gleiter sind schnell. Unser Flugzauber ist nicht ganz so flink, wie ihre Artefakte es sind.« »Slobad hat euch zunächst nicht gesehen, he?«, sagte der Goblin. »Wie kommt es, dass du uns nicht alle unsichtbar gemacht hast, als wir nach Lumengrid gegangen sind, he?« »Ich habe das mit einem Trank bewerkstelligt, den mir mein Vater hinterlassen hat und den ich für einen Notfall aufbewahrt habe.« Bruenna zuckte die Achseln. »Die derzeitige Situation schien mir ein solcher zu sein.«
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»Naja. Es war jedenfalls gut, dass ihr zur rechten Zeit aufgetaucht seid, sonst wären wir jetzt erledigt gewesen«, sagte Glissa. Sie griff nach Bruennas Hand, drückte sie fest und warf einen. Blick auf das zuvor verletzte Bein der Zauberin. »Es ist vollkommen verheilt.« Bruenna folgte Glissas Blick und nickte. »Nicht ganz«, sagte sie. Sie humpelte etwas. »Aber es reicht.« Sie lächelte. »Ich sagte dir doch, dass wir zur Hilfe kommen würden, wenn die Zeit reif ist.« »Ja. Du warst deinem Wort treu.« Glissa nickte und betrachtete Bruenna. »Wir sind wahrhaft dankbar.« Sie hielt inne. »Aber ich muss dich um noch einen Gefallen bitten.« Bruenna nickte. »Der einzige Schaden bestünde darin, nicht zu fragen«, gab sie zurück. Glissa war froh, diese Worte zu hören. »Würdet ihr gemeinsam mit uns zum Mephidross aufbrechen?« Der Klang dieses Namens brachte die gesamte Gruppe der Menschenzauberer zum Schweigen. »Zum Dross?«, sagte Bruenna. »Weshalb solltet ihr dort hingehen wollen?« Glissa hob ihr Schwert. »Um den Kaldra-Wächter zu vervollständigen.« Sie sah jeden Einzelnen an, der dort mitten in der Rasierklingengras-Ebene stand. Das seltsame Licht der Monde tauchte sie in ein schmutziges Orangebraun. »Damit wir einen Verbündeten schaffen können, der stark genug ist, um Memnarch zu besiegen.« Die Menschen sahen sie zweifelnd an. »Damit du endlich Rache für den Tod deiner Eltern nehmen kannst?«, fragte Bruenna. »Nein.« Glissa schüttelte den Kopf. »Damit wir alle für immer
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frei von ihm sind.« »Ich weiß nicht.« Bruenna sah über ihre Schulter. »Das Dorf wäre ungeschützt. Die Vedalken werden für das, was hier geschehen ist, Vergeltung üben.« Glissa nickte. »Ihr habt eure Seite bereits gewählt. Die einzige Frage ist jetzt, ob ihr die Konsequenzen einfach tatenlos akzeptieren werdet oder ob ihr für das kämpft, woran ihr glaubt.« Bruenna drehte sich um. Die schwere Last der Führerschaft stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Du kannst nicht zurück, um wieder Sklavin zu sein«, sagte Glissa. »Wir können diese Sache jetzt beenden. Für alle Zeiten. Zu unserer aller Nutzen.« Bruenna sah noch einmal ihre Krieger an. Glissa spürte die Blikke der menschlichen Zauberer. Viele von ihnen nickten ihrer Anführerin zu. Bruenna drehte sich wieder zu der Elfin um. »Also gut«, sagte sie. »Ich werde dir in den Mephidross folgen.«
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Kapitel 12
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emnarch schnallte sich in seine Infusionsapparatur und beobachtete die kleinen Lichtpunkte, die über seinem Körper schwebten. Der magische Prozess begann mit der Eintrichterung des Mana. Seine Haut erwärmte sich, und er spürte das vertraute Feuer, mit dem das Serum die Beschränktheit aus seinem Körper wusch. Die Feuer, die er spürte, würden ihn reinigen, würden ihn stärken, damit er seinem Meister ein besserer Diener sein konnte. Sein Kopf summte vor Schmerz, und die Augen füllten sich mit Tränen. Das pulsierende Licht, das vom Manakern hereinstrahlte, deckte sich wie immer mit der ersten Infusion am Morgen, und dort, vor dem Wächter von Mirrodin, erschien eine Vision des Schöpfers selbst – Karn. »Meister, Ihr seid gekommen.« Die Vision sagte kein Wort. Sie schwebte knapp über dem Boden mitten in Memnarchs Laboratorium, so als wäre sie ein Geist des flüssigen Metall-Weltenwandlers. »Memnarch war so allein – und so verängstigt. Euer letzter Besuch liegt bereits lange zurück. Memnarch fürchtete schon, Ihr würdet niemals zurückkehren. Dieser Ort, diese Welt, die Ihr erschaffen habt, ist so schön und voller Wunder. Ihr habt wirk-
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lich für alles gesorgt, was sich ein Wächter erhoffen könnte.« Memnarch ließ den Kopf sinken. »Außer Gefährten. Memnarch musste sie selbst herbringen. Alle Kreaturen, außer Memnarch selbst natürlich, alle wurden von meinen Seelenfallen hierher gebracht. Zuerst wollte Memnarch nur Studienobjekte haben. Er wollte sehen, was sie am Leben erhielt. Doch jetzt weiß Memnarch, wie sie funktionieren. Er beobachtete ihre Gewohnheiten und katalogisierte sie alle. Und er kann nicht behaupten, dass es eine undankbare Arbeit war. Wer nach Wissen sucht, findet Trost in der Entdeckung.« Memnarch starrte die Vision an. »Und obwohl die Experimente fortdauern, fehlt Memnarch noch immer ein Gefährte«, führte er seine Konversation mit Karn fort. »Memnarch hat sogar versucht, die Kreaturen hier dazu zu bringen, ihn zu verstehen. Der eine namens Pontifex war viele Male hier, um Memnarch zu sehen. Viele Male. Wenn Memnarch es wünschte, könnte dieser eine hier im Panopticon bleiben, könnte für immer bei Memnarch bleiben. Aber das ist nicht das, was Memnarch wünscht. Diese Kreaturen, sie verstehen einfach nichts. Ihnen fehlt die Fähigkeit, Emotionen zu entwickeln.« Memnarch sah zu der Stelle, an der die Augen des geisterhaften Bildes vor ihm sein mussten. »Sie besitzen raubtierhafte Instinkte, aber das ist auch schon alles. Sie reißen einander in Stücke, nur damit sie vielleicht einen Tag länger leben. Oh, eine Zeit lang hielten sie Memnarch zum Narren. Die Systeme und Rituale, die sie erschufen, erscheinen fortschrittlich, sehr fortschrittlich sogar. Doch bei näherer Untersuchung dieser Dinge – dieser komplexen Systeme, die Memnarch beobachtete und von denen er gehofft hatte, dass sie Verständnis zeigen würden, eine höhere Intelligenz
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und Emotionen – stellte sich genau das Gegenteil heraus. Diese Kreaturen, dieses arme, dumme Ungeziefer, das diese Welt, Eure Welt, bewohnt, es ist nichts für Memnarch. Es gibt keine Hoffnung, unter ihnen einen Gefährten zu finden. Sie sind der Liebe unfähig, unfähig, Memnarch das zu geben, was er braucht.« Der Wächter seufzte. »Memnarch hat sogar versucht, sich einen Gefährten zu bauen. Ihr habt Malil gesehen.« Memnarch kicherte. »Ja, er sieht aus, wie Memnarch einst aussah – ein Tribut an Euch, Lord Karn, und der Versuch Memnarchs, von einer Kreatur, die so ist, wie er selbst, das zu bekommen, was ihm fehlt. Aber es funktionierte nicht. Obwohl Malil wie Memnarch aussieht, so ist er doch nicht Memnarch. Nein, nein. Er ist ein guter Diener, aber er taugt Memnarch nicht. Wahrhaftig. Er würde alles tun, was wir sagen. Ohne Diskussion. Vielleicht ist das ja das Problem. Vielleicht braucht Memnarch irgendwelche Konflikte in seinem Leben.« Der Wächter schüttelte den Kopf. »Nein, auf Mirrodin gibt es schon genügend Konflikte. Dafür hat Memnarch gesorgt. Es ist etwas anderes, was fehlt.« Memnarch unterbrach sich, als das Serum das Innere seines Gehirns erreichte. Die Feuer breiteten sich in seinem Schädel aus, und jegliche Fähigkeit zu sprechen wurde ihm genommen. Dann wandelte sich das Brennen in ein leichtes Pochen, und er nahm seine Konversation wieder auf. »Vergebt Memnarch«, sagte er und spürte ein erhebendes Gefühl sein Rückenmark hochziehen, das ihn stärker, klüger und zuversichtlicher machte. »Aber Eure Schöpfung braucht Euch. Memnarch braucht Eure Aufmerksamkeit, Eure Gesellschaft … Eure Liebe.«
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Die Gelenkarme zogen sich zurück. Die Infusionsapparatur setzte sich in die Ausgangsposition zurück und gab ihn frei. »Weshalb bleibt Ihr fern? Weshalb Memnarch nicht geben, was er braucht?« Memnarch streifte die Manschetten ab und entfernte sich von dem Gerät. »Weshalb sprecht Ihr nicht mit Memnarch, wenn er Euch darum bittet?« Der Wächter blinzelte. Ein paar seiner Augen verloren Tränen, und das geisterhafte Bild in der Mitte des Laboratoriums verblasste. Memnarch schloss die Augen, mit denen er am klarsten sah. Das Bild Karns kehrte durch die unscharf sehenden Augen zurück, wenn auch nur teilweise. »Geht nicht, Meister«, sagte er und schob sich gemächlich auf seinen vier dürren Metallbeinen vorwärts. Er kniff die Augen zusammen, um sein Blickfeld wieder scharf zu bekommen. Dabei wurden jedoch die übrigen Tränen weggedrückt, und das Bild Karns verschwand. »Nein!«, rief er. »Verlasst Memnarch nicht. Ihr wart zu lange weg, und Ihr werdet sofort zurückkehren!« Memnarch drehte sich um sich selbst und suchte im ganzen Laboratorium nach Spuren, dass der Schöpfer zurückgekehrt war. »Hört Ihr mich? Ich habe gefragt, ob Ihr mich hört!« Es kam keine Antwort. Memnarch stieß ein Heulen aus. In seinem Innersten war er allein. In seinem Laboratorium war er allein. In ganz Mirrodin war er allein. In seiner Brust machte sich Traurigkeit breit. Er hatte das Gefühl, als hätte jemand ein schweres Gewicht auf ihn gestellt, eines, das er weder sehen noch entfernen konnte. Er hatte den Schöpfer verjagt. Heute waren es seine barschen Worte gewesen. Zuvor war es seine Hingabe an seine Mission, seine blinde Loya-
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lität gewesen, die ihn alles hatten tun lassen, was der Schöpfer von ihm verlangte. Für Karn würde er alles tun. Er tat alles, was der Meister von ihm verlangte. Doch jedes Mal, wenn er diese Dinge getan hatte, war es gewesen, um die Gesellschaft und Aufmerksamkeit seines Schöpfers zu erlangen. Als ihm die Rolle des Wächters zugewiesen worden war, hatte er angenommen, dass ihm damit das Lob und die Anerkennung Karns sicher waren. Stattdessen hatte er ihn allein gelassen, ausgesetzt hier auf dem sterbenden Mirrodin, während sein Körper zu Fleisch degenerierte. Die Traurigkeit in seiner Brust wandelte sich in Wut. Mit seinen kräftigen Beinen trat er einen Tisch um; Messbecher und wissenschaftliche Geräte glitten über den Boden. Die Dinge, die nicht zerbrochen waren, suchte Memnarch eines nach dem anderen zusammen, um dann so lange darauf herumzutrampeln, bis alles in winzige Stücke zerbrochen war. Die Dinge, die er nicht ganz zerbrechen konnte, zerquetschte er wenigstens, indem er sie unter seinem Gewicht platt drückte. Als Nächstes wandte er sich dem Fenster zu, das auf das Innere Mirrodins hinauszeigte. Er hob den umgekippten Tisch über den Kopf und schleuderte ihn mit aller Macht gegen das Fenster. Die vier Tischbeine trafen das Glas. Die gesamte Scheibe zerbarst, und das Fenster wurde in eine Milliarde Scherben verwandelt, die alle wie Diamanten aussahen. Sie fielen wie Regentropfen zu Boden und folgten dem Tisch, der der Oberfläche tief unten entgegenstürzte. Doch nicht einmal das konnte den Hass in seinem Herzen befriedigen. Memnarch wirbelte herum und griff nach einem der Arme
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seines Infusionsgeräts. Seine eigenen Arme waren kurz und dürr im Vergleich zu seinen fortentwickelten Beinen, aber sie waren dennoch sehr stark. Memnarch machte einen Schritt nach hinten und riss den zum Apparat gehörenden Gelenkarm heraus. Funken regneten aus dem beschädigten Glied. Stücke zerbrochenen Metalls fielen mit metallischem Klang zu Boden. Memnarch hob den abgerissenen Arm, ohne zu zögern, über den Kopf. Das Ding knickte am Gelenk ab, das von der Hydraulik nicht mehr länger gestützt wurde. Der Wächter schleuderte den Arm nach vorn, genau in die Kontrolleinheit seiner Infusionsapparatur hinein. Das Ende des Armes bog sich beim Auftreffen nach vorn, schlug in die Konsole ein und vergrub sich tief in dem Pult. Memnarch zerrte daran, weil er ein zweites Mal zuschlagen wollte, aber das Ding steckte in dem Gerät fest. Der Wächter stieß einen Schrei aus und zog noch einmal, und jetzt riss der Arm am Gelenk ab. Die eine Hälfte blieb in dem Kontrollpult stecken, die andere Hälfte verblieb in Memnarchs Hand. Der abgebrochene Arm wurde über Memnarchs Schulter gehoben und schlug wieder in dem Gerät ein. Der Wächter heulte auf, während er unablässig zuschlug. Metall verbog sich. Funken flogen, und die Maschine zerfiel und erstarb unter der Attacke. Beim nächsten Hieb explodierten die Serumtanks und überfluteten das Laboratorium mit dickflüssiger, milchig-weißer Flüssigkeit. Mit dem nächsten Schlag wurde die Energieversorgung herausgerissen, und der Apparat wurde vollends dunkel. Doch Memnarch stellte seine Attacken noch nicht ein. Er drosch mit dem Arm wie mit einem Flegel auf den von ihm geschaffenen Apparat ein, bis dieser nichts weiter mehr war als ein Haufen rauchender Trümmer. Er stand über dem zerstörten Ap-
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parat, sah keuchend zu Boden und dachte über die Auswirkung seines Zornes nach. Einen Moment später schloss er die Augen und ließ den ausgerissenen Arm zu Boden sinken. »Was habe ich nur getan?«
$ Pontifex betrat den Synodensaal. Weit unten gingen Sodador und Tyrell unruhig hin und her. Orland hingegen lag auf einem gepolsterten Liegestuhl – eine neue Errungenschaft der Ratshalle. Die langen, gebogenen Wände warfen keinen Laut zurück. Das Volk, das sich sonst auf den Besichtigungsplattformen versammelte, um den Sitzungen beizuwohnen, war zu diesem Treffen nicht eingeladen worden. Abgesehen von den vier VedalkenRatsherren war der Raum leer. »Lord Pontifex«, sagte Sodador. »Wir warten jetzt schon einige Zeit auf Euch.« Pontifex lehnte sich gegen die Brüstung und sah zu den in der Entfernung winzigen Vedalken hinunter. Die Höhe gab ihm ein Gefühl der Größe. Wie sehr wünschte er sich doch, dass er tatsächlich so groß war. Er würde einfach einen Stiefel heben und die anderen zu Brei zerquetschen. Er schüttelte sich aus seinen Träumereien. »Ja, dessen bin ich mir sicher.« Orland stand von seinem Liegestuhl auf. »Bitte«, sagte er. »Kommt herunter und gesellt Euch zu uns. Wir haben eine Menge zu besprechen.« Pontifex wischte die Einladung mit einer Handbewegung beiseite. »Ich ziehe es vor, hier zu stehen, vielen Dank.«
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Tyrell warf angewidert etwas zu Boden. »Wirklich, Pontifex, Eure Respektlosigkeit gegenüber dieser Versammlung …« Orland legte dem Ratsherrn eine Hand auf die Schulter und brachte ihn so zum Schweigen. »Lord Pontifex hat jedes Recht, dort stehen zu bleiben, wo er möchte. Wir können seine Possen durchaus billigen.« Pontifex nickte, obwohl er innerlich kochte. Er warf sich in die würdevollste Positur, die er zustande brachte. Lord Pontifex hatte in seinem Leben noch nie »Possen« gerissen. »Schön, schön«, sagte Sodador, »aber vielleicht wäre Lord Pontifex ja so freundlich, diesem Rat seine Handlungen zu erklären.« Pontifex legte eine Hand auf die Brust. »Von welchen Handlungen sprecht Ihr?« »Ihr wisst genau, was ich meine«, sagte Sodador. »Ihr habt ein Mitglied dieses Rates bedroht.« Orland sah beiseite. »Ich tat nichts dergleichen«, erwiderte Pontifex. Sodador rammte seinen Stock auf den harten Boden. »Für welche Art von Narren haltet Ihr uns, Pontifex?« Pontifex kicherte. »Gibt es verschiedene Arten von Narren? Ich war der Meinung, dass es nur eine gibt, Sodador.« »Für Euch mag das alles ja sehr amüsant sein, Pontifex!«, rief Tyrell. Die Form des Saals verstärkte seine Stimme, ließ sie von den Wänden widerhallen und als Echo durch den Raum rollen. »Wir aber nehmen die Führung des Vedalkenvolkes sehr ernst.« »Ich auch«, gab Pontifex ruhig zurück. »Das sehe ich anders«, sagte Sodador. »Ihr wart schon immer auf Euren persönlichen Vorteil bedacht und habt den Willen und das Wohl des Vedalkenvolkes ignoriert.«
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»Den Willen des Vedalkenvolkes?«, sagte Pontifex. »Seit wann hat das Vedalkenvolk einen Willen? Darf ich Euch daran erinnern, verehrte Ratsmitglieder, dass das vedalkische Imperium nicht …« Pontifex hielt einen Augenblick inne, so als schmeckten die Worte schlecht. »… vom Volk regiert wird.« »Ha«, versetzte Orland, »aber es könnte so kommen.« »Ja?« Pontifex lachte. »Weshalb dann nicht gleich noch eins draufsetzen? Warum dann nicht die gesamte Regierung auflösen?« »Eins nach dem anderen, Lord Pontifex«, sagte Orland. »Eins nach dem anderen.« Obgleich der Vedalken-Lord jedes Wort hören konnte, das im Ratssaal gesprochen wurde, war er zu weit vom Boden entfernt, um den Ausdruck auf Orlands Gesicht sehen zu können. Pontifex war sich allerdings sicher, dass das neueste Ratsmitglied von einem Ohr zum anderen grinste. Das Imperium, vom Volk regiert? Meinten diese Clowns das im Ernst? »Seid Ihr wahnsinnig?«, sagte Pontifex. »Ihr sprecht davon, dass sich die Vedalken selbst regieren?« »Genau«, sagte Orland. »Habt Ihr auch nur die geringste Vorstellung, welch ein Chaos das zur Folge hätte?« Orland ging wieder zu seinem Liegestuhl. »Was Ihr ›Chaos‹ nennt, Lord Pontifex, nennen andere Freiheit.« Pontifex war verblüfft. »Freiheit? Abgesehen von den Mitgliedern dieser Synode, gibt es auf dieser Welt nur wenige Personen, die mit einer solchen Verantwortung umgehen können.« Er lachte. »Und ganz ehrlich, ich habe da so meine Zweifel, was Euch angeht.« »Eure Einwände werden zur Kenntnis genommen«, sagte Ty-
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rell. »Aber wir kommen vom Thema ab.« »Ja?« Pontifex reckte den Hals mehrmals, um die Frustration abzuschütteln, die ihm der Umgang mit solchen Narren verursachte. »Und was ist das Thema Eures heutigen Treffens?« Sodador rammte noch einmal seinen Stock auf den Boden. »Euer unentschuldbares Verhalten einem anderen Ratsmitglied gegenüber.« Pontifex spielte wieder den Überraschten. »Mein Verhalten? Ich habe nichts annähernd Unentschuldbares getan.« »Dann könnt Ihr vielleicht Eure Handlungen gegen Ratsherr Orland erklären«, sagte Sodador. »Meines Wissens habt Ihr ihn am Kragen festgehalten und bedroht.« Sodador warf einen Blick zu Orland hinüber, der den Blick zu Boden gesenkt hatte. Dann sah er wieder Pontifex an. »Was habt Ihr selbst dazu zu sagen?« Pontifex sah zu Orland hinunter. Der junge Idealist war also zu Tyrell und Sodador gelaufen, kaum dass sie zurück gewesen waren. Das neueste Ratsmitglied mochte sich zwar harter Worte bedienen, doch hatte es nicht das Temperament, um echte Gewalt auszuüben. Das war gut zu wissen. »Hätte ich gewusst, Orland«, sagte er, »dass Euch die Kämpfe draußen auf der Ebene derart viel Unwohlsein verursachen, dann hätte ich niemals zugestimmt, Euch mitzunehmen.« Er schloss die Finger um die Brüstung und griff fest zu. »Die Ebenen sind kein Ort für einen verweichlichten Politiker.« Sodador und Tyrell sahen Orland an, der daraufhin nur mit den Schultern zuckte. »Lord Pontifex«, sagte Tyrell und wandte sich von den anderen beiden Ratsmännern ab. »Wollt Ihr leugnen, dass Ihr Ratsherr Orland bedroht habt?«
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»Orland bedroht?« Pontifex legte zwei Hände auf die Brust und gab sich nach außen hin wie durch die Anschuldigung brüskiert. »Mein Lieber Orland, habt Ihr ihnen das etwa erzählt? Dass ich Euch bedroht habe? Dabei dachte ich an nichts anderes, als Euch vor jedem erdenklichen Missgeschick zu schützen.« »Spielt nicht Eure Spielchen mit uns, Pontifex!«, rief Sodador. »Seid Ihr Euch Janus’ entledigt habt, seid Ihr gegen die Aufnahme eines vierten Mitgliedes in die Synode. Dieser Rat wird nur noch von Angst und Täuschung regiert. Doch das lassen wir nicht länger zu. Die Tage der Hinterhältigkeit und Korruption sind gezählt. Es ist an der Zeit, dass wir die Dinge anders angehen.« »Wie unglaublich bewundernswert«, gab der Vedalken-Lord zurück. »Die Dinge ändern sich, Pontifex«, sagte Tyrell. »Ob es Euch gefällt oder nicht.« Lord Pontifex hob seinen Umhang und warf ihn sich über die Schulter. »Wir werden ja sehen.« Er drehte sich um und verließ die Versammlungshalle.
$ Die sanften Hügel, die sich endlos zu erstrecken schienen, wurden allmählich flacher. Die miteinander verbundenen sechseckigen Platten von Mirrodins Flachland wichen einem Wust aus verbogenen und stumpf gewordenen Röhren, Stangen und Schlingranken. Auf Glissa wirkte das Ganze wie eine bösartige und verdrehte Version des Knäuels. Kamine ragten aus dem Boden hoch und spien Rauch aus. Sie besaßen Äste und Triebe, die gen Himmel ragten, doch während bei den Bäumen des Knäuels
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dieses Wachstum grün und vollendet war, so war es hier im Dross voller Löcher und schwarz vor Zerfall. Außerdem schien hier alles kürzer zu sein. Das erste Mal, als Glissa hier gewesen war, hatte sie sich sehr groß gefühlt, doch als sie und ihre Begleiter jetzt die düstere Gegend betraten, fiel ihr auf, dass der Boden von einer rätselhaften Schleimschicht bedeckt war, die auch am unteren Teil von allem, was aus dem Boden ragte, nach oben kletterte. Hier war nämlich überhaupt nichts kleiner als im Knäuel. Es wirkte nur alles so, da es zum Teil von der sumpfigen Flüssigkeit bedeckt war. Die Monde von Mirrodin waren schon lange untergegangen und hatten die Glimmerleere in vollkommener Dunkelheit zurückgelassen. Bruenna und diejenigen Zauberer, die nicht nach Medev zurückgekehrt waren, hatten ein paar kleine Lichtzauber gewoben, um den Weg zum Mephidross zu weisen, doch als sie ankamen, war die Magie nicht länger nötig. In dem öligen Sumpf blinkten hunderte von winzigen grünen Lichtern. Das gespenstische Glimmen erhellte zwar nicht den Nachthimmel, aber es beleuchtete immerhin die Umrisse der Bäume und des Unterholzes. Beklemmende Schatten spielten auf der Oberfläche der dicken Flüssigkeit, während die kleinen Lichtpunkte umherschwirrten und den Dross in einen lebhaften Schleier der Bewegung hüllten. Es war, als spukten die Geister all derer, die gestorben waren, an diesem Ort. Glissa stellten sich die feinen Nackenhaare auf. »Wer verursacht diese Lichter?«, fragte die Elfin. Bruenna zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Bis jetzt war es ein wichtiger Teil meines Lebens, diesem Ort fernzubleiben.« »Gute Einstellung«, sagte Slobad. »Slobad mag den Dross auch nicht, he? Hier gruselt’s.«
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Ein sanfter Wind wehte aus dem Sumpf und brachte den ranzigen Gestank von verfaulendem Fleisch und ein leises Scharrgeräusch mit sich. Glissa blieb genau am Rand der dicken, klebrigen Flüssigkeit stehen. »Ich finde, wir sollten erst einmal eine Nachtruhe einlegen. Wer weiß, ob wir einen trockenen Rastplatz finden, wenn wir erst einmal dort drin sind.« »Gut«, sagte der Goblin. »Je länger wir draußen bleiben, desto besser, he?« Glissa beugte sich zum kleinen Goblin hinunter. »Im Knäuel gibt es Käfer, die auch so leuchten. Wir nennen sie Feuerkäfer.« Slobad kniff die Augen zusammen und spähte tiefer in den grün beleuchteten Sumpf hinein. »Verrückte Elfin glaubt, dass die Lichter Käfer sind?« Glissa zuckte die Achseln. »Könnte sein.« Slobad griff sich ans Kinn und schüttelte nach einem Moment des Nachdenkens den Kopf. »Nee«, sagte er. »Slobad will kein Ungeziefer, he? Hier draußen ist’s besser.« Glissa lachte. »Also gut.« Sie klinkte ihr Schwert vom Gürtel ab und setzte sich auf den Boden. »Der Platz hier ist genauso gut wie jeder andere.« Bosh setzte sich neben Glissa. Al-Hayat ließ sich in der Nähe nieder und fing an, seine Wunden zu lecken. Slobad fand eine weiche Stelle im Fell des Wolfes, rollte sich zu einer Kugel zusammen und schlief ein. Nach ein paar Sekunden war das leise Schnarchen des Goblins über den raschelnden Sumpfwind hinweg zu hören. Bruenna legte Glissa eine Hand auf die Schulter. »Wir werden ein paar magische Wachposten einrichten, die uns vor Gefahr warnen.« Die Zauberin lächelte. »Man schläft besser, wenn man
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weiß, dass man im Schlaf nicht gefressen wird.« »Gute Idee.« Glissa nickte. »Danke, Bruenna.« Bruenna und ihre Zauberer verschwanden daraufhin in der Dunkelheit. Glissa wandte sich an Bosh. »Ich habe in letzter Zeit nicht viel von dir gehört. Wie geht es dir?« Bosh sah zu der Elfin hinab. »Es ging mir schon besser.« Er streckte seine Hand aus. Mehrere lange Wunden verliefen kreuz und quer über die Handflächen und Knöchel. Auf den älteren bildete sich bereits Schorf, aber aus ein paar anderen quoll noch Blut, als er die Finger bewegte. »Bosh«, sagte sie und hielt eine seiner Hände fest. »Tun sie weh?« »Ein bisschen«, sagte der Golem. Sie berührte eine der verschorften Wunden, und Bosh zuckte zusammen. Glissa sog scharf Luft durch die Zähne ein, weil sie mit Boshs neu gefundenem Schmerz mitfühlte. »Du musst lernen, wie man es verhindert, so viel verletzt zu werden.« »Ich versuche es«, sagte er. »Als die Vedalken angriffen, war mein erster Gedanke der, euch alle zu schnappen und durch das Rasierklingengras davonzulaufen.« Er zog seine Hand weg und pochte auf ein neues Hautstück an seiner Brust und etwas tiefer an der Stelle, wo bei einem Elfen der Brustkorb aufhörte. »Dann fiel mir das hier aber wieder ein, also blieb ich, wo ich war. Wir konnten nirgendwohin flüchten und mussten kämpfen.« Er gab seine Hand wieder der Elfin. »Was hätte ich anders tun sollen?« »Tja«, sagte Glissa, »zuerst musst du ihre Waffen so gut wie möglich meiden. Ein Teil des Kämpfens besteht darin, zu lernen, wie man sich verteidigt. Du kannst dich nicht mehr nur auf deine Metallhaut verlassen, um unbeschadet davonzukommen. Du
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musst dich bewegen, um ein schlechteres Ziel abzugeben.« »Was noch?« Glissa dachte kurz nach. Sie musste sich in Bosh hineinversetzen, um wie ein metallener Golem zu denken, nur so konnte sie ihm sagen, wie er anders denken musste. »Also gut«, sagte sie, weil ihr noch etwas anderes eingefallen war. »Sachen zusammenschlagen.« »Ich schlage gern Sachen zusammen.« »Ich weiß, aber da ist ein kleines Problem dabei.« »Aber ich schlage wirklich gern Sachen zusammen.« Glissa lachte. »Ja, ich weiß. Du musst ja auch nicht komplett damit aufhören. Du musst aber sichergehen, dass das, was du zerschlägst, dich nicht verletzen wird.« »Bisher hat mich nichts verletzt.« »Das ist nun aber anders. Vedalken, die Waffen tragen, werden dich verletzen, wenn du sie zusammenschlägst.« Bosh schüttelte den Kopf. »Es gefällt mir nicht, aus Fleisch zu sein.« »Nun ja.« Glissa untersuchte eine frische Wunde auf ihrem Handrücken. Sie verschorfte gerade. »Mir manchmal auch nicht.« Sie sah sich wieder Boshs Hand an. »Aber es hat auch sein Gutes.« »Und was?« Glissa zeigte auf die verkrusteten Linien in Boshs Hand. »Jetzt heilst du.« Bosh hob seine Hand und betrachtete die Innenseite. Er sah sich das getrocknete Blut lange an. »Was bedeutet das?« »Nun«, sagte die Elfin, »bisher musste Slobad neue Teile suchen oder die alten reparieren, wenn bei dir etwas kaputt war.« »Ja, ich erinnere mich.« Bosh sackte zusammen. »Und das
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kann er jetzt nicht mehr tun.« »Nein«, sagte die Elfin. »Aber das braucht er auch nicht mehr. Du kannst dich selbst reparieren.« Bosh sah sie verständnislos an. Glissa zeigte wieder auf den Schorf. »Das getrocknete Blut zeigt, dass dein Fleisch sich selbst repariert.« Bosh sah wieder hin und betastete die Narbe, die am ältesten war. »Die hier ist von vor ein paar Tagen«, sagte er. »Dieses Heilen dauert aber sehr lange.« Glissa nickte. »Ja, das tut es. Und deswegen musst du auch vorsichtiger sein bei dem, was du schlägst und wovon du dich schlagen lässt.« Bosh schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass ich mich jemals an dieses Fleisch gewöhnen werde.«
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Kapitel 13
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lissa legte ihren Kopf in Boshs Schoß. Es kam ihr so vor, als hätte ihr Ohr kaum das harte Metallbein berührt, als die Warnposten der Zauberer Laut gaben und sie wieder aufsprang. Die Monde waren noch immer untergegangen, und der Himmel war pechschwarz. Über dem Sumpf war noch dasselbe blassgrüne Leuchten zu sehen, doch jetzt waren hunderte von irrlichternden Punkten in einer großen Gruppe versammelt – und hingen genau über dem Rand des Sumpfes. Ein Kribbeln lief Glissa über den Rücken, und an ihren Armen bildete sich eine Gänsehaut. »Nim.« Vor ihr standen die zerfallenden Hüllen von fast einhundert dieser untoten Kreaturen. Vornübergebeugt, die Münder weit aufgerissen, die Hände im Schlamm schleifend, wankten die Zombies auf den Rand des Sumpfes zu. Keine zwei von ihnen sahen sich gleich. Jeder war zu seinen Lebzeiten ein einzigartiger Mensch, möglicherweise sogar ein Elf gewesen. Was sie jetzt besaßen, konnte man allerdings nicht als »Leben« bezeichnen. Sie konnten sich bewegen, aber was diese Kreaturen durchmachten, empfand Glissa als ein schlimmeres Schicksal als den Tod. Auf dem Buckel, an dem die Körper vom Vornüberbeugen beinahe abzuknicken schienen, trug jeder eine leuchtende grüne
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Kugel. Diese Objekte also waren es, die den Sumpf erhellten und ihm das beklemmende Leuchten verliehen, das Glissa bei ihrer Ankunft gesehen hatte. Jetzt, wo so viele an derselben Stelle und mit ein und demselben Ziel versammelt waren, war das Licht intensiver geworden – und ließ das ferne Ende des Sumpfes in totaler Dunkelheit versinken. Die Zombies bewegten sich sehr langsam, und aus den Öffnungen an ihren Schultern quoll dichter grüner Rauch. Ihr systematischer Marsch auf Glissa und ihre Freunde zu war höchst nervenaufreibend. Es war wie eine Naturgewalt – so groß und so unaufhaltsam, dass man wusste, dass etwas anrückte, gegen das man aber nur wenig ausrichten konnte. Als die Zombies den Ring magischer Warnposten erreicht hatte, den Bruenna eingerichtet hatte, lösten sie ein lautes Geräusch aus. Es klang wie ein riesiger Gong. Der Alarm ertönte dreimal. Glissa zog ihr Schwert und bemerkte zufrieden, dass Bruenna und ihre Zauberer auch bereits wach waren. Die Elfin kicherte in sich hinein. Offensichtlich waren ihre Alarmposten laut genug, um selbst die Toten aufzuwecken. Zu ihrer Rechten stand Al-Hayat. Slobad kauerte auf den Schultern des Wolfes und hatte sich die Vedalken-Hellebarde wie eine Lanze unter den Arm geklemmt. Zu ihrer Linken ragte Bosh auf und rieb sich die Hände. Er trug denselben düsteren Ausdruck wie immer auf dem metallenen Gesicht. Die Menschenzauberer schlugen als Erste zu. Eine Wolke aus irrlichterndem blauem Rauch quoll über den Rand des Sumpfes hinaus. Er vermischte sich in der Luft mit dem giftigen grünen Gas der Nim und senkte sich dann auf die voranschlurfenden, klapprigen Monster herab, wobei er fast ein Dutzend davon einhüllte. Wo der Rauch sie berührte, stiegen wirbelnde menschen-
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große Tornados auf und wickelten ihre Opfer in Trichter aus rotierendem Wind ein. Die Miniatur-Stürme wirbelten den Schlamm des Sumpfes in die Luft und verdeckten so die Sicht auf die Nim. Die Tornados verschwanden jedoch so schnell wieder, wie sie gekommen waren; sie verloren einfach den Schwung und lösten sich auf. Der Sumpfmatsch kreiste noch ein-, zweimal mehr, bevor er ebenfalls zu Boden fiel, wo er große, nasse Kreise bildete. Die Nim darin waren verschwunden. »Wohin sind sie?«, rief Glissa. »Dahin, wo sie herkamen«, gab Bruenna zurück. »Werden sie zurückkommen?« »Vielleicht«, sagte die Zauberin. »Aber darüber können wir uns Sorgen machen, wenn es soweit ist.« Glissa nickte. Trotz ihres langsamen Marsches hatten die restlichen Nim jetzt beinahe die Gruppe erreicht, und die Elfin fasste ihr Schwert fester. Der Anblick dieser abgerissenen, zerlumpten Kreaturen machte sie recht nervös, und je schneller sie sie niedermähen und zu ihrem natürlichen Ruheplatz befördern konnte, desto besser. Al-Hayat musste dasselbe gedacht haben, jedenfalls stieß er nun ein lautes Knurren aus, machte einen Satz vorwärts und nahm drei Nim gleichzeitig in sein riesiges Maul. Die Waldkreatur biss zu, und Glissa konnte das Bersten von Knochen und das feuchte Schmatzen von verfaultem Fleisch hören. Der Wolf schüttelte den Kopf, so wie er es beim Kampf gegen die Vedalken getan hatte. Nur war sein Gegner dieses Mal nicht so widerstandsfähig. Die Nim wurden lautlos in Stücke zerlegt. Gliedmaßen flogen
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davon. Arme wurden aus Schultern gerissen. Beine brachen an den Knien ab, und Köpfe rollten in die Dunkelheit davon. AlHayat spuckte die Reste aus. Reste aus verrottendem Fleisch und zerfallenen Organen blieben im Mund haften, und er rieb die Zunge an den Vorderzähnen, um die faulige Masse loszuwerden. Slobad war in der Zwischenzeit auf Al-Hayats Rücken wie ein Ritter auf seiner Stute tapfer in den Kampf geritten. Er hatte seine stibitzte Vedalken-Hellebarde mit beiden Händen und aller Kraft, die er aufbringen konnte, unter der Achsel gehalten. Als der Wolf schließlich losgestürmt war, hatte der Goblin mit der Lanze einen Nim aufgespießt. Die magische Spitze hatte das faule Fleisch durchstoßen und war sauber auf der anderen Seite wieder herausgekommen. Slobad hatte es dann geschafft, die Waffe mit einem schnellen Ruck aus dem Körper des untoten Kriegers zu ziehen, bevor dieser leblos zu Boden sackte. Als der Wolf nun den Kopf zu schütteln begann, konnte sich der Goblin nicht mehr festhalten. Beide Hände fest an der Hellebarde, rutschte Slobad seitwärts. Der kleine Kerl weigerte sich, die Waffe loszulassen und ließ sich stattdessen seitlich von dem Wolf fallen. Al-Hayat war so groß, dass Slobad Zeit hatte, sich so zu drehen, dass er dicht am Abgrund mit den Füßen zuerst aufkam. Er stieß sich ab und landete sicher auf dem weichen Boden, die Hellebarde noch immer fest in den Händen. Glissa beobachtete, wie der Goblin landete und sah den blauen Leuchtstreifen, den die magische Spitze seiner Waffe beschrieb, als sie durch die Luft zischte. Doch dann stand die Elfin vor anderen Dingen, um die sie sich sorgen musste. Der erste Nim hatte sich bis zu ihr vorgearbeitet. Glissa, die ihre Füße fest in den Boden gerammt hatte, stieß einen Schrei aus und schwang das Schwert gegen ihren ersten Angreifer. Das
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weiche Fleisch teilte sich, und der Zombie fiel vor ihr in sich zusammen. Eine klebrige schwarze Paste blieb an ihrem Schwert haften, und sie hatte kaum Zeit, sie abzuschütteln, bevor sie den nächsten der torkelnden Untoten niederhackte. Neben ihr testete Bosh die Verletzungsgefahr durch NimKörper, indem er einen solchen vorsichtig mit seinem riesigen Daumen drückte. Das weiche Fleisch musste den Test bestanden haben, jedenfalls lehnte Bosh sich jetzt nach hinten und rammte seine Faust dann mit aller Macht in den Nim. Flüssigkeit spritzte in alle Richtungen. Glissa spürte, wie etwas Kaltes sie am Gesicht berührte. Sie hoffte, dass es nur Sumpfwasser war. Die andere Möglichkeit war um einiges zu grauenhaft, aber sie hatte jetzt keine Zeit, es nachzuprüfen und gar weiche Knie zu bekommen. Ihr Schwert schoss immer wieder vor ihr hinaus, hackte Gliedmaßen ab und schnitt Fleischstücke heraus. Etwas anderes, als sie in Stücke zu hacken, konnte diese verfaulten Bestien auch nicht aufhalten. Hatten sie noch Beine, gingen sie. Ohne Beine krochen sie einfach. So oder so, die sich windende Masse arbeitete sich langsam zu Glissa, Bosh, Slobad, Al-Hayat, Bruenna und allen ihren Zauberern vor. Und mit jedem Schritt zwangen sie die Kameraden weiter zurück. Hinter ihnen lag der steile Hügel, den sie herabgekommen waren, als sie den Sumpf erreicht hatten. Ihn wieder zu erklimmen stellte sich zwar als schwierig heraus, aber damit kamen sie immerhin etwas höher – ein Vorteil in diesem Kampf. Die Nim griffen schon nach ihnen, wollten die lebenden Wesen in ihre Finger bekommen. Ihre knochigen Klauen wurden ihnen jedoch von Schwertern, Hellebarden und Magie abgetrennt. Sie ließen dennoch nicht locker.
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Der Boden verwandelte sich schnell in einen glitschigen Matsch aus verfaulten Eingeweiden. Gefallene Nim rannten gegen den Hang an, rutschten an dem Schleim aber wieder zurück in den Sumpf, wo sie von der Flüssigkeit verschluckt wurden – nur um durch neue Nim ersetzt zu werden. Es schien, als gäbe es einen endlosen Nachschub. Glissa ging einen weiteren Schritt den Hügel hoch. Genau in die entgegengesetzte Richtung, in die sie eigentlich gehen wollten. »Was sollen wir tun?« »Was können wir tun?«, fragte Bruenna zurück. »Wir schneiden sie in Scheiben, wir hacken sie in Stücke: Aber es kommen immer mehr.« Selbst Bosh zog sich aus der Schlacht zurück. Obwohl seine fleischigen Hände von den weichen Kreaturen nicht verletzt wurden, war die Flut der Nim einfach zu wild. Al-Hayat war dazu übergegangen, die Sumpfmonster mit seinen gewaltigen Pfoten zu zermalmen. Seine Klauen und sein Fell waren voller Moder. Glissa sah, wie er zwischen den Attacken noch immer versuchte, das ranzige Fleisch von seiner Zunge und zwischen seinen Zähnen zu entfernen. Slobad blieb neben der großen Waldkreatur und hielt ihr Nim von den Flanken fern, sorgte jedoch dafür, dass er mit dem Rükken immer zu Al-Hayat stand, damit er von hinten selbst keine Überraschung erlebte. Glissa hatte noch nie zuvor das Gefühl gehabt, so viele Treffer zu landen, gleichzeitig aber auch so viel Boden zu verlieren. Nachdem die Elfin einen weiteren Nim mit der flachen Seite ihrer Klinge zu Mus verarbeitet hatte, warf sie kurz einen Blick über die Schulter. Im Verlauf des Rückzugs hatte die Gruppe beinahe wieder den Kamm der steilen Anhöhe und damit die Ebene
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erreicht. Der erste Mond begann gerade aufzugehen, und der Umriss des Rasierklingenfeldes kam in der Ferne in Sichtweite. Etwas stimmte dort nicht. Obwohl es noch immer sehr dunkel war, konnte Glissa lange, schmale Furchen in dem Feld ausmachen, so als hätte sich etwas einen Weg hindurchgebahnt und das Rasierklingengras zu kurzen Stoppeln getrampelt. Glissa versuchte herauszufinden, was dort nicht ins Bild passte. Lag es nur am Licht, oder bewegte sich dort etwas? Auf einmal lag ihr ein Stein im Magen, und ein Schauer der Angst lief ihr über den Nacken. »Gleichmacher!«, rief sie. »Die Gleichmacher haben uns gefunden!«
$ Marek stand vor der Tür zu Pontifex’ Kammer. Er schloss die Augen und holte tief Luft. Kleine Blasen erschienen in seiner Gesichtsmaske, und er atmete die Luft durch das Serum ein. Der Kommandant zwang sich dazu, locker zu sein, und klopfte an die Tür. »Herein«, erklang Pontifex’ Stimme. Die Tür glitt auf. Marek öffnete die Augen und ging hinein. Pontifex saß an dem langen Besprechungstisch. Vor sich hatte er mehrere komisch aussehende Dinge liegen. Marek hatte dergleichen noch nie zuvor gesehen. Er war sich bewusst, dass solche Dinge existierten, aber sie waren nicht sonderlich verbreitet, und die meisten Leute lebten den größten Teil ihres Lebens auf Mirrodin, ohne in Kontakt mit diesen »Büchern« zu kommen, wie sie genannt wurden.
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Als Marek näher kam, konnte er sehen, dass die Bücher aus dutzenden von dünn gepressten Metallbogen bestanden, jeder davon mit unterschiedlichen Symbolen und Zeichen versehen. Für den Vedalken-Wachmann sah es so aus, als wäre der Text entweder mithilfe einer ätzenden Flüssigkeit oder mit einer scharfen Klinge in die Oberfläche des Metalls graviert oder geritzt worden. In die linke Seite jedes Bogens waren Löcher gestanzt, durch die Drahtstücke gezogen waren. Auf Marek machte es den Eindruck, als wären die Seiten absichtlich so gebunden worden, damit sie beieinander blieben, egal, wie man auch mit dem Packen umging. Der Krieger wiegte den Kopf, während er sich das Ganze ansah. Wirklich sehr einfallsreich. Marek nahm seinen Blick von den Schriften, aber Pontifex sah weiter das Buch durch. »Ihr habt nach mir gerufen, mein Lord?«, sagte Marek. »Ja«, gab Pontifex zurück, blätterte eine Seite um und inspizierte eine weitere Reihe von Runen. »Wo befindet sich das Elfenmädchen jetzt?« »Im Dross, mein Lord.« Die Nachricht lenkte Pontifex’ Aufmerksamkeit von dem Buch ab. »Im Mephidross? Was würde sie im Mephidross wollen?« Marek zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht, aber vielleicht kann Geth es uns ja sagen.« Pontifex nickte. »Ja. Bestimmt kann er das.« Er schloss das Buch. »Wie schnell kannst du dich mit deinen Männern bereit machen, um in die Sümpfe aufzubrechen?« Marek lächelte. »Wir sind schon bereit.« Pontifex stand auf und legte Marek eine Hand auf die Schul-
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ter. »Du bist wahrscheinlich derjenige, auf den ich mich in dieser Welt bis zum Schluss wirklich verlassen kann, Marek.« Er blickte in den Helm des Kriegers und sah seinem Leutnant tief in die Augen. Nach einer Weile wandte Marek den Blick ab. »Danke, Lord Pontifex. Ich gebe mein Bestes.«
$ Malil saß auf dem Rücken seines Gleichmachers, während er und seine Tötungsmaschinen sich durch das Rasierklingengras mähten. Sein gesamter Körper schmerzte. Es war aber kein Muskelschmerz, besaß Malil doch auch keine Muskeln, mit denen er Schmerz oder Erschöpfung hätte empfinden können. Was der Metallmann spürte, war Begierde. Er brauchte etwas, was er nicht hatte, und war auf dem Weg, es sich zu holen. Bevor er es allerdings haben konnte, musste er erst das Elfenmädchen fangen. Nach dem Verhör des Trolls hatte sich Malil ohne Umschweife zum Dross aufgemacht und dort gewartet. Es war ihm unklar, wie das Mädchen es geschafft hatte, ihm und seinen Gleichmachern im Knäuel zu entkommen, aber dieses Mal würde sie nicht so viel Glück haben. Beinahe drei Umkreisungen waren vergangen, bis Malil die Nachricht bekommen hatte, dass die Elfin mit Namen Glissa angekommen war. Sie war auf der anderen Seite des Sumpfes und hatte auf dem Weg dorthin noch mehr Freunde um sich geschart. Ein Teil der Geschichte begann sich jetzt aufzuklären. Wenn sie den kürzesten Weg vom Knäuel zum Sumpf genommen hät-
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te, wäre sie auf der anderen Seite des Mephidross herausgekommen, also dort, wo Malil im Hinterhalt gewartet hatte. Sie und ihre Begleiter mussten stattdessen einen längeren Weg durch das Knäuel genommen haben, was wiederum auch das lange Warten erklärte, das er hatte ertragen müssen. Und er hatte tatsächlich lange gewartet. In seinem relativ kurzen Leben hatte Malil die Zeit noch nie so empfunden wie während der letzten paar Umkreisungen. Bevor er das Serum genommen hatte, war er in jeder Hinsicht geduldiger gewesen. Die Bewegungen Mirrodins waren vorangeschritten, und Malil hatte einfach sein Tagewerk verrichtet, selig in seiner Unwissenheit, dass es noch mehr gab, als seinem Meister zu dienen. Jetzt allerdings spürte er eine gewisse Dringlichkeit in allem, was er tat. Die Zeit wetzte ihn ab, forderte ihren Tribut mit jeder Stunde und Minute, die vorüberzog. Jeder Augenblick war nunmehr einer von vielen in einer langen Linie zwischen der Gegenwart und dem Augenblick, in dem er wieder das Serum kosten würde. Jetzt war das Warten beinahe vorüber. Alles, was zwischen ihm und dem Einfangen des Elfenmädchens stand, war ein Flecken Rasierklingengras. Seine Gleichmacher waren dazu konstruiert worden, ganze Felder des scharfen Metallgrases niederzumachen, ohne langsamer zu werden – ein Gedanke, der eine kurze Welle der Erleichterung über seinen schmerzenden Körper schickte. Das Ende war bald da. Das Warten würde vorüber sein, und einmal mehr würde ihm die Klarheit des Serums zuteil werden.
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Kapitel 14
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im-Fleisch spritzte von Glissas Schwertspitze. Auf der einen Seite kämpften Glissa und ihre Begleiter gegen einen nicht enden wollenden Mob aus untoten Monstrositäten. Auf der anderen Seite kamen die Artefaktkreaturen an, die Glissas Familie umgebracht hatten. »Sollen wir versuchen wegzulaufen?«, rief Glissa. Sie schwang wieder ihr Schwert herum, traf einen Nim ins Gesicht und schlug ihm die obere Hälfte des Kopfes ab. Die Kreatur verlor für einen Augenblick das Gleichgewicht, setzte dann aber ihren Marsch auf den Hügel fort. »Die Zeit reicht nicht«, gab Bruenna zurück. Sie kämpfte ebenfalls gegen die Nim. Sie nutzte ihre bedornte Hellebarde, um die Untoten niederzustrecken, bevor diese in ihrer Reichweite waren. Die Zauberin warf einen Blick über die Schulter. »Selbst wenn wir sie vor einer Stunde entdeckt hätten, hätten wir ihnen nicht entkommen können. Sie sind einfach zu schnell.« »Könntet ihr uns nicht von hier wegfliegen?«, fragte die Elfin zwischen zwei Enthauptungshieben. Bruenna schüttelte den Kopf. »Wir haben leider nicht genug von der richtigen Magie bei uns.« Glissa sah zu Bruenna hinüber.
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Die blaue Zauberin schüttelte den Kopf. »Fliegen kommt heute leider nicht infrage.« Bosh kam in Glissas Blickfeld. Er trat nach einem Dutzend Nim und kickte sie so, dass sie den Hang hinunterpurzelten. Hinter ihnen kamen aber schon weitere der torkelnden Monster. Sie standen so dicht beieinander, dass die fallenden Untoten aufgefangen wurden, bevor sie allzu weit den Hang hinunterrollten. Die Nim landeten auf ihren Brüdern, standen auf und kamen wieder zurück. »Bruenna hat Recht«, sagte der Golem. »Wir können die Gleichmacher nicht abhängen, und selbst wenn wir es könnten, wohin sollten wir gehen?« Glissa zuckte die Achseln. »Irgendwohin, wo sie nicht sind.« »Guter Plan, he?«, warf Slobad ein. Bosh schüttelte den Kopf. »Wir kamen hierher, um in den Mephidross zu gehen.« Er hob seinen schweren Arm und zeigte über den Sumpf. Die Monde am Himmel waren noch immer mit dem Aufstieg beschäftigt, aber das Licht reichte schon aus, um zu sehen, was Bosh meinte. Dort, mitten in dem Sumpf, an allen Seiten umgeben von fauliger Flüssigkeit, stand die zerfallene und pockennarbige Fassade der Gruft des Geflüsters. Es erschien Glissa wie eine Ewigkeit, seit sie zuletzt in der Festung mitten im Sumpf gewesen war. Dabei konnte es nicht mehr als zwei Mondzyklen her sein. Glissa dachte an das Mädchen zurück, das sie noch gewesen war, als sie das erste Mal diesen fauligen Ort betreten hatte. Sie war wütend gewesen. Sie hatte nach Rache für den Tod ihrer Eltern gedürstet. Und sie hatte die Dinge wieder zurechtrücken wollen, sich selbst vom Schmerz ihres Verlustes befreien, indem sie dafür sorgte, dass der Gerechtigkeit Genüge getan war.
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Doch inzwischen hatte sie sich gewandelt. Die Entdeckung, dass die Welt, auf der sie lebte, hohl war, hatte sie verändert. Die Entdeckung, dass die Macht, die sie verfolgte, einen Namen hatte – Memnarch –, hatte sie sogar noch mehr verändert. Jetzt, da sie einmal mehr an der Schwelle des Sumpfes stand, erkannte sie, dass sie die Dinge, die sie gewollt hatte, als sie das letzte Mal hier gewesen war, immer noch wollte. Nur wollte sie diesmal noch zusätzlich etwas. Sie wollte nicht nur sich selbst befreien, sondern auch alle anderen. Glissa sah zu Bosh auf. »Du hast Recht«, sagte sie. »Die Tatsache, dass dort nicht einfach hineinzukommen ist, sollte uns nicht von dem Versuch abhalten.« Der Golem nickte zustimmend. Die Gruppe aus Elfin, Menschen, Goblin, Golem und Wolf wurde über den Hügelkamm zurück auf die Ebene getrieben. Die Nim-Horden füllten jetzt den gesamten Abhang, aber die Flut an neuen Untoten versiegte, und die groteske Flüssigkeit am Fuß des Hügels warf keine Wellen mehr. »Jetzt, wo wir beschlossen haben, es zu wagen, gibt es nur noch ein Problem«, sagte Glissa, nachdem sie einem vordringenden Nim die Klauen abgeschlagen hatte. »Und das wäre?«, fragte Slobad. »Dass du immer noch eine verrückte Elfin bist, he?« »Wie sollen wir es mit den Gleichmachern und den Zombies gleichzeitig aufnehmen?« Niemand hatte Zeit für eine Antwort. Die Gleichmacher durchstießen das Ende des Rasierklingenfeldes und kamen über das offene Land herangejagt. Die Tötungsmaschinen waren schon einen Augenblick später bei ihnen, und Bruennas Zauberer wand-ten sich der neuen Bedrohung entgegen.
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Blaue Energiebogen zuckten über das Flachland. Das Licht reflektierte sich in den Metallplatten, traf auf die Brustpanzer der Gleichmacher und ließ ihre Steuersegel grün und ihre silberfarbenen Körper in einem dunklen Grau erscheinen. Der weiße Mond war als Erster aufgegangen und überließ der Welt wieder ihre normalen Farben. Der Nächste, der nur ein paar Sekunden später aufging, war der blaue Mond. Er befleckte das Weiß, überzeichnete die Schatten, verstärkte den Kontrast zwischen den Farben und tauchte alles in ein hartes, wenig schmeichelhaftes Licht. Als der schwarze und der rote Mond aufstiegen, begannen sich die Farben zu mischen und zu verblassen, und alles erschien wieder in einem rostigen Braun. »Das Licht erschwert die Anwendung unseres Zaubers«, sagte Bruenna. Die Elfin und die Menschenfrau standen Rücken an Rücken. Glissa schlug die Nim zurück, und Bruenna schleuderte den angreifenden Gleichmachern ihren Zauber entgegen. Eingeklemmt zwischen den beiden Bedrohungen, drängten sich die beiden Verbündeten dicht aneinander. Für einen kurzen Augenblick gab es noch eine Trennungslinie zwischen Gut und Böse. Obwohl sie zwischen Gleichmachern und Nim gefangen waren, wusste Glissa, in welche Richtung sie ihr Schwert führen musste. Doch dann drängten die beiden Gruppen auch schon heran, schoben sich zwischen die Freunde und schnitten die Verbündeten voneinander ab. Glissa, Bruenna, Slobad, Bosh, Al-Hayat und alle menschlichen Zauberer wurden komplett überrannt. Gleichmacher überrollten Krieger. Ihre Sensenklingen mähten die Menschen nieder, als wären sie nichts als lange Halme Rasierklingengras.
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Nim kratzten Augen aus, versenkten ihre Zähne in lebendem Fleisch und nutzten ihre Überzahl aus, indem sie sich in Gruppen auf jeden warfen, den sie erreichen konnten. Glissa kämpfte nach beiden Seiten. Sie musste Sensenklingen von rechts und verfaultes Fleisch von links abwehren. Die drei bislang noch getrennten Mächte vermischten sich miteinander. Das Ganze wirkte wie ein formeller Tanzball, bei dem sich jeder in einer großen, wogenden Masse im Walzerschritt drehte. Die Nim kamen weiter über den Hügelkamm und schwärmten über die Ebene, um sich in die Schlacht zu stürzen. Sechs von ihnen verfolgten Glissa und gesellten sich den vieren hinzu, die bereits mit ihren von Pest infizierten Klauen nach ihr schlugen. Aus den Rücken der Nim stieg giftiges Gas auf. Von hinten wurde Glissa von zwei Gleichmachern bedrängt. Einer griff von links an, der andere einen Augenblick später von rechts. Sie wechselten sich ab und schufen so mit ihren scharfen Klingen eine Art Scherenbewegung. Die Elfin konnte nur zusehen, wie die sechs torkelnden Monstrositäten näher kamen. Dabei hatte sie schon ohne die Sorge über noch mehr Nim genug damit zu tun, am Leben zu bleiben. Glissa kämpfte gegen den Zwang, die Augen zu schließen, als die Kreaturen näher kamen. Sie hatte diese Situation nicht mehr im Griff, aber sie wollte auch nicht einfach nur zusehen, wie die Untoten sie Stück für Stück auseinander nahmen. Dabei wusste sie, dass die schiere Übermacht an Nim sie früher oder später überrennen würde. Und dieser Augenblick war früher gekommen, als sie gehofft hatte. Die Nim griffen nach ihr. Glissa hielt sich tiefer und versuchte, ihr Schwert schneller zu bewegen – aber sie war an ihren
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körperlichen Grenzen angelangt. Die Elfin machte einen Satz nach vorn und mähte mit einem Hieb zwei Nim nieder. »Ich werde euch alle mit mir nehmen!«, rief sie. Ihr Schwert hing an einem Knochen in einem der zwei Nim fest. Schleim und fauliges Fleisch bedeckte die Klinge. Glissa lehnte sich zurück und zog mit aller Kraft daran – und verlor es aus den Händen. Die Elfin fiel mit einem Ruck rückwärts, landete auf dem Rücken und sah sich sofort acht Nim gegenüber. Ein Sensenklingenpaar schloss sich über ihr, und für einen Augenblick war sie dankbar, dass sie gefallen war. Hätte sie noch gestanden, während die Klingen sich schlossen, hätte sie mit Sicherheit die untere Hälfte ihres linken Beins verloren, wenn nicht noch mehr. Eine der untoten Kreaturen stieg Glissa auf den Bauch, und sie spannte die Bauchmuskeln an, um nicht zerquetscht zu werden. Dann stieg der nächste Nim auf sie, und dann noch einer. Die Nim waren überraschend leicht, bestanden ihre Körper doch aus nicht mehr als vertrockneten Knochen und verfaultem Fleisch. Die acht Exemplare, die nun auf ihr standen, waren schließlich aber doch zu schwer. Glissa zog die Arme an und rollte sich zu einer Kugel zusammen. Drei der Nim verloren den Halt, rutschten ab und landeten auf dem Boden. Die anderen trampelten jedoch weiter auf ihr herum. Sie saß in dieser Attacke fest. Was für eine eigenartige Art, das Zeitliche zu segnen, dachte sie. Von einem Mob Untoter zu Tode getrampelt zu werden. Die zermalmenden Fußtritte nahmen kein Ende. Das Gewicht quetschte ihr die Lunge zusammen, und sie hatte Schwierigkeiten, Luft zu holen. Der Boden war gnadenlos hart. Mit jedem weiteren Versuch wurde ihr Atem flacher. Ihr Sichtfeld begann
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sich zu verengen. Am Rand verblasste alles, und ein schwarzer Kreis zog sich immer enger zu. Glissa hörte das Pochen ihres Herzens, das mit der schwindenden Luftversorgung zurechtzukommen versuchte, bis in die Ohren. Sie spürte, wie sich das weiche Gewebe ihres Leibes aufzulösen und vom Knochen zu trennen begann. Bis an die Grenze belastet, gab es schließlich nach – genau wie ihre Lebenskraft. Das war es also. Hier würde sie sterben. Ihr lebloser Körper würde unter den sich einander annähernden Monden zu Dörrfleisch verbacken, und in nur wenigen Tagen würde das einzige Zeichen ihrer Existenz der Fleck sein, den ihr Leichnam auf den miteinander verbundenen Metallplatten der Ebene hinterlassen hatte. Auf einmal stiegen die untoten Kreaturen von ihr herunter, eine nach der anderen. Die schwere Last lichtete sich. Glissa schnappte nach Luft. Selbst die übel riechenden Sumpfgase des Mephidross schmeckten für ihre ausgehungerten Lungen süß. Das Pochen in den Ohren ließ nach, und ihr Blickfeld weitete sich wieder. Glissa stützte sich auf einen Ellbogen und sah zu dem noch immer tobenden Kampf auf. Die Nim, die sie niedergetrampelt hatten, waren jetzt in eine Schlacht mit den Gleichmachern verwickelt. Ihre knochigen Klauen vermochten allerdings wenig gegen die gepanzerten Häute der Mordbestien auszurichten. Die Woge aus verfaultem Fleisch warf sich dennoch furchtlos auf die Eindringlinge. Glissa kam auf die Beine und fand ihr Schwert. Bruenna kämpfte gerade gegen zwei Gleichmacher. Die Zauberin schlug die Attacken, die aus allen Richtungen auf sie einbrandeten, mit geübter Leichtigkeit zurück. Abgesehen von einem Ausdruck totaler Konzentration auf ihrem Gesicht, waren die Bewegungen
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der Frau so ruhig und glatt, als wäre sie mit nichts Ermüdenderem als der Vorbereitung zu einem Lichtzauber beschäftigt. Glissa trat neben ihre Freundin und verwickelte einen der Gleichmacher in einen Kampf. Bruennas Leute kamen hinzu, und ein gewaltiger Energieblitz schoss in Richtung des Feindes. Die Magie traf den Gleichmacher und breitete sich aus. Gezackte blaue Energielinien zuckten entlang der Nähte in der Panzerung der Kreatur. Der Gleichmacher blieb urplötzlich stehen. Seine Sensenklingen kamen zuckend zum Halt, und das Steuersegel erschlaffte. Dann bahnten sich die Energiebogen ihren Weg ins Innere der Kreatur. Es war, als würden sie mittels eines gewaltigen Atemzugs in den Bauch des Gleichmachers gesogen. Die Maschine erzitterte, und dann begannen unter enormem Scheppern Teile von ihr abzufallen. Die Panzerplatten fielen zu Boden. Sensenklingen verdrehten sich und rollten davon, wobei sie ein befriedigendes Klappern von sich gaben, als sie auf dem metallenen Boden der Ebene auftrafen. Alle Platten und Einzelteile, aus denen das Innere eines Gleichmachers bestand, lösten sich plötzlich voneinander. Schließlich sackte die Artefaktkreatur mit einem Geräusch, das wie ein hustendes Luftschnappen klang, zu Boden – komplett zerlegt, nichts weiter als eine Ersatzteilsammlung. Glissa trat einen Schritt zur Seite, als sich die glänzenden Teile aus dem Inneren des Gleichmachers auf dem Boden vor ihr verteilten. Die Elfin wich einem schlecht abgeschätzten Hieb einer der anderen Tötungsmaschinen aus und schwenkte Kaldras Schwert über den Kopf. Sie hielt es in beiden Händen und schlug mit der scharfen magischen Klinge nach dem Kopf des Gleichmachers. Das legendäre Schwert teilte das polierte Metall ebenso
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leicht wie verfaultes Nim-Fleisch. Getrieberäder knirschten, Federn ächzten, aber sie vermochten der Kraft, die Glissa ihnen aufgelastet hatte, nicht standzuhalten. Der Gleichmacher sackte nun mit dem unverwechselbaren Geräusch von Metall auf Metall mit dem Gesicht voraus zu Boden. »Was ist passiert?«, fragte Glissa. »Weshalb haben die Nim ihren Angriff abgebrochen?« Wie als Antwort machte ein Trio untoter Kreaturen einen Satz auf die beiden Frauen zu. »Sie haben ihn nicht abgebrochen.« Bruenna wirbelte ihren Stab durch die Luft. Glissa war schneller. Die Elfin dachte an die patinierten Gewinde und den dornigen Wuchs des Knäuels, bezog Mana und bündelte es zu einem Zauber. Der Boden bebte, und kleine Lichtpunkte sickerten durch die Spalten zwischen den Metallplatten der Ebene. Die Zombies vor ihr wurden von dem Strudel aus Magie erfasst; sie zerfielen und schmolzen, sanken in sich zusammen, bevor sie nahe genug waren, um mit einer Klinge zuzuschlagen. »Weshalb hast du das nicht früher getan?«, fragte Bruenna. Glissa zuckte die Achseln. »Magie ist eine heikle Kunstform«, sagte sie, und auf ihrem Gesicht erblühte ein leichtes Lächeln. »Sie erfordert eine Menge Konzentration …« »Du willst mich wohl aufziehen, aber …« Bruenna wurde von einem Nim unterbrochen, der nach ihr griff. Sie hackte die zitternde Bestie in zwei Hälften und fuhr fort. »Wir sollten diese Unterhaltung ein andermal fortsetzen.« Sie sah sich um und deutete auf den Kampf, der um sie herum tobte. »Vielleicht nicht gerade, wenn wir uns in solch unmittelbarer Gefahr befinden.« Glissa sah Bosh direkt vor ihnen. Sein Kopf ragte hoch über
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das Schlachtgetümmel hinaus. Al-Hayat stand neben ihm und hatte Slobad auf den Schultern. Sie waren von Angreifern umringt, sowohl welchen aus Metall als auch welchen aus fauligem Fleisch. Mittlerweile kämpften die Nim überall um sie herum auch gegen Gleichmacher. »Sie haben also gar nicht aufgehört, uns anzugreifen«, sagte Glissa. »Sie fingen lediglich damit an, auch die Gleichmacher anzugreifen.« »Aus ihrer Sicht sehen wir alle wie Angreifer aus«, sagte Bruenna. »Die Nim interessiert es herzlich wenig, wer hier wen jagt. Solange wir uns in ihrem Sumpf aufhalten, werden sie kämpfen, um uns alle draußen zu halten.« Glissa schlug einen weiteren schwankenden Untoten zur Seite. »Dann sollten wir die Gleichmacher den Nim überlassen.«
$ Malil stand knietief in verfaultem Fleisch. Er stand in keinerlei Fehde mit diesen Kreaturen. Weshalb stellten sie sich ihm in den Weg? Wussten sie nicht, wer er war? Wussten sie nicht, wie dringend er das Elfenmädchen fangen musste? Der Metallmann hieb mit seinem Schwert gegen eine näher kommende Gruppe von Zombies. Gummiartiges Fleisch teilte sich, und die vordringenden Leichenmonster sackten in einer blutigen Lache zu Boden. »Fleisch ist schwach«, knurrte Malil und zerhackte eine weitere Schar der schlaffen Kreaturen mit einer einzigen Bewegung seines Handgelenkes. »Ihr werdet euch mir nicht in den Weg stellen.«
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Die restlichen Gleichmacher hatten mit den Nim ein ähnlich leichtes Spiel, aber die enorme Anzahl der Zombies war erdrükkend. Wo einer von Sensenklingen niedergemetzelt wurde, nahmen sofort zwei andere dessen Platz ein. Es schien einen unendlichen Nachschub der Untoten zu geben, die in Schwärmen herbeikamen. Um alles noch schlimmer zu machen, mussten die Gleichmacher die Bestien in Stücke schneiden, um sie richtig aufzuhalten. Einfache Wunden konnten deren Vormarsch nicht aufhalten, wie das beispielsweise bei Elfen oder Menschen der Fall war – oder manchmal auch anderen Gleichmachern. »Verdammt!«, rief Malil. Es machte ihm nichts aus, dass er diese Bestien abstechen musste. Es interessierte ihn nicht, wen er niedermetzeln musste, um das zu bekommen, was er wollte, aber all dieses Gerangel war ineffizient. Es interessierte ihn nicht, ob diese Kreaturen lebten oder starben. Liebend gern würde er ihnen ihren Wunsch erfüllen, wenn es denn ein zweiter Tod war. Im Augenblick wollte er selbst jedenfalls nichts sehnlicher als das Elfenmädchen. Aber er kam nicht an sie heran. Er hatte in diesem erbärmlichen Sumpf gewartet, von seinem Meister und dem Serum getrennt, das er begehrte, nur um jetzt von haufenweise schwachem, verfaulendem Fleisch aufgehalten zu werden. Malil konnte die Elfin und ihre Begleiter am anderen Ende des Schlachtfeldes sehen. Sie kämpften ebenfalls gegen die Nim. »Sie mögen wirklich niemanden«, sagte er und schlug einer verrotteten Gestalt, die so aussah, als könnte sie einmal ein Elf gewesen sein, den Kopf ab. Es sah so aus, als würde sich die Elfin einen Weg zum Sumpf bahnen. Gefangen zwischen Malil und den Nim, hatte sich Glis-
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sa für die Untoten entschieden, und jetzt versuchte sie einmal mehr, ihm zu entkommen. Malil, angeheizt von seiner Begierde, trieb nach vorn und drängte seine Truppen, sich zu ihrem Ziel durchzuschlagen. Doch je härter er kämpfte, desto mehr seiner Maschinen blieben in fauligem Fleisch stecken, und schließlich kamen seine Gleichmacher schlagartig zum Stehen. Als Glissa hinter dem Hügelkamm verschwand, wieder in Rich-tung des Sumpfes, spürte Malil einmal mehr die brennende Begierde in seinem Bauch aufkochen. »Ich muss sie haben«, sagte er zu einer untoten menschenähnlichen Gestalt. Malil schob sein Langschwert durch den Bauch der Kreatur und teilte sie in zwei Hälften. »Ich muss. Ich muss.«
$ Die einzigen lebenden Kreaturen aus Fleisch und Blut im ganzen Mephidross glitten über den Kamm des Hügels und kämpften sich den Weg zum Wasser frei. Es war ein harter Kampf, und Glissas Schwertarm wurde allmählich taub von all den Hieben, mit denen sie die Nim in Stücke schlug. Bruenna hatte in der Schlacht viele ihrer Zauberer verloren, es aber geschafft, die übrigen zusammenzuführen, und jetzt folgte die Gruppe der Elfin hinunter zum Sumpf. Al-Hayat und Slobad waren die Nächsten, Bosh kam als Letzter. Der große metallene Golem schob sich von der Ebene kommend den Abhang hinunter. Der Boden war ganz rutschig vor lauter abscheulichen Dingen – verfaulten Organen, Knochensplittern, zermatschten Lappen aus gummiartiger Haut, schwarzen Flüssigkeiten, roten Fleischbrocken und gelbem Eiter. Als
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Bosh auf einen Haufen der glitschigen Masse trat, rutschte ihm der Fuß weg. Mit rudernden Armen versuchte er den anderen Fuß nachzuziehen, aber der sank nur noch tiefer in den Schmutz. Der eiserne Golem fiel mit einem gewaltigen metallenen Dröhnen auf den Rücken. »Seht nur!«, rief Slobad. Der Goblin zeigte auf den gestürzten Golem. Bosh rutschte mit rudernden Armen und tretenden Beinen ungebremst auf der nassen Schmutzschicht den steilen Hang hinunter. Zerfallene Zombies waren für Metall offenbar ein besseres Gleitmittel als die öligste Schmiere. Der große Kerl nahm auf seinem Weg hinab zum Sumpf immer mehr Fahrt auf. Zehn Schritte weiter unten knallte Bosh in eine Reihe vorrückender Untoter. Die Kreaturen waren nicht behände genug gewesen, um dem rutschenden Golem auszuweichen. Mit einem Knirschen und einem Klatschen raste Bosh über sie hinweg, quetschte sie flach an den Hügel und fügte der Rutschbahn so nur noch mehr Schmierstoff hinzu. Glissa beobachtete die unkontrollierte Rutschpartie. Wo der Golem entlangglitt, hinterließ er inmitten der marschierenden, Gas ausstoßenden Nim eine breite Schneise. »Kommt!«, rief die Elfin. Sie winkte mit der Hand und sprang in die Luft. Mit nach vorn gestreckten Beinen landete sie auf dem Hinterteil und rutschte dann dem Golem hinterher. Der üble Sumpfgeruch war nichts gegen den Gestank, den die platt gedrückten Nim von sich gaben, weshalb Glissa sich bemühte, die Luft anzuhalten. Sie benutzte ihr Schwert als Ruder und manövrierte sich um größere Bruchstücke herum. Je tiefer sie rutschte, desto schneller wurde sie. Bosh überschlug sich vor ihr einmal und zermalmte noch
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mehr Untote zu Brei. Die langsamen Sumpfkreaturen schafften es einfach nicht, ihm auszuweichen. Schließlich rutschte der gewaltige Golem mit einem Platschen in die ätzende Flüssigkeit am Rand des Sumpfes. Eine Fontäne schwarzer Brühe schoss in die Luft und schlug wie eine Skeletthand über Bosh zusammen. Der schwarze, zähe Schleim verschluckte Bosh vollkommen, und schließlich war der große Golem verschwunden. Glissa hatte nicht einmal Zeit zu blinzeln. Sie grub ihr Schwert in den Boden, konnte ihre Fahrt aber nicht sonderlich verlangsamen. Das war’s also, dachte sie. Dann stürzte sie in den schleimigen Sumpf und tauchte mit dem Kopf unter. Alles um sie herum wurde schwarz.
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Kapitel 15
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M
emnarch stand am Fenster seines Laboratoriums. Eine leichte Brise rüttelte an den gezackten Glasresten, drang an der Stelle in den Raum, an der das Fenster gewesen war, und strich über seine Haut. Die kühle Luft fühlte sich auf seiner heißen Haut gut an, und er atmete tief ein, um sich zu beruhigen. Draußen, im Inneren von Mirrodin, knisterte und funkte der Manakern. Er war mit Energie geladen, und er würde sie bald freilassen. Die blauweiße Kugel hatte bereits einen leichten grünlichen Stich angenommen. Die Zeit wurde knapp. Wenn der Manakern schließlich ausbrach, würde er die Grundfesten der Welt erschüttern, furchtbare Mächte entfesseln und die Perfektion Mirrodins vorübergehend aus dem Gleichgewicht bringen. Die Perfektion Mirrodins. Memnarch schüttelte den Kopf. Ja, natürlich, die Perfektion Mirrodins. Sie war ein Mythos. Diese Welt war noch niemals perfekt gewesen. Mirrodin hatte schon immer einen fatalen Schwachpunkt besessen – sie war keine natürliche Welt. Diese Welt war wie so viele andere im Multiversum die Schöpfung eines Weltenwandlers. Trotz all ihrer Weisheit und Magie waren die mächtigsten Wesen von Dominia jedoch noch nie imstande gewesen, stabile Welten zu erschaffen.
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Schon oft hatte Memnarch über dieses Rätsel nachgegrübelt. Sein Schöpfer, sein Gott Karn, besaß die Macht, ganze Welten nur aus einem Gedanken heraus zu schmieden. Wenn er jedoch nicht auf dieser Welt blieb und sie durch seine Willenskraft aufrechterhielt, brach sie zusammen, implodierte wie ein überreifer Stern. Karn war schon sehr lange nicht mehr auf Mirrodin gewesen. Der perfekte Stoff war instabil. Konnte man etwas, was nicht wirklich von Dauer war, als perfekt bezeichnen? Gab es so etwas wie vorübergehende Perfektion? Memnarch hatte es gehofft. Doch was seinen stark verbesserten Verstand wirklich anstrengte, war die Vorstellung, dass es natürliche Welten gab. Wenn Karn keine stabile Welt erschaffen konnte, wer konnte es dann? Es gab Welten jenseits von dieser. Sogar sehr viele Welten. Memnarch hatte eine Menge von ihnen gesehen. Er hatte einige von ihnen besucht, als der Schöpfer ihn für geeignet gehalten hatte, mitzukommen. Diese Welten brachen nicht zusammen. Sie brauchten keinen Weltenwandler, um weiter existieren zu können. Das bedeutete, dass Memnarchs Schöpfer selbst einen Schöpfer über sich hatte. Und Karn hatte tatsächlich einmal von einem anderen Weltenwandler namens Urza gesprochen, der ihn erschaffen hatte. Doch wenn Memnarchs Schöpfer einen Schöpfer hatte, dann hatte dieser Schöpfer vielleicht ebenfalls einen Schöpfer. Und dieser Schöpfer hatte höchstwahrscheinlich auch einen Schöpfer, und der wieder einen… Konnte das wirklich immer so weitergehen? Es musste doch einen Anfang geben – einen echten Schöpfer, der alle anderen Schöpfer erschaffen hatte. Aber wenn das stimmte, wie war dieser Schöpfer dann … erschaffen worden?
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Memnarch schmerzte der Kopf. Er war schon so oft dieser Argumentationskette gefolgt, und jedes Mal hatte er denselben Punkt erreicht – den Punkt, an dem er nicht mehr weiter hatte nachdenken wollen. Doch deswegen tat ihm der Kopf nicht weh. Seit seiner letzten Seruminfusion war eine Menge Zeit vergangen. Sein Verstand sehnte sich nach der Erhebung, nach der Freude, der mentalen Kraft, die ihm eine Infusion verlieh. Er wandte den Blick zurück zum Inneren der Welt und bemühte sich, den Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen. Ein gewaltiger blaugrüner Funke sprang durch die Luft und umrundete zischend die leuchtende Kugel. Dann tauchte die Energie mit einem Knallgeräusch wieder unter die Oberfläche des Manakerns. Die überladene innere Sonne Mirrodins war seit ihrer Schöpfung viermal ausgebrochen. Jedes Mal hatte sie dabei einen der vier Monde erschaffen. Für jede Farbe gab es einen: Weiß, Blau, Schwarz, Rot – aber kein Grün. Grün würde der nächste Mond werden. Wenn die Zeit kam, würde eine neue Lakune entstehen. Der Manakern würde einen glühenden Plasmaball mit solcher Macht und Hitze abfeuern, dass er sich geradewegs durch die kilometerdicke Metallkruste der Welt brennen würde. Der neue Mond würde die Oberfläche durchbrechen und in den Himmel davonschießen, wo er zu den anderen vier Monden stoßen würde, um seine Umlaufbahn um die Welt zu beginnen. War der Mond einmal durch die Kruste gestoßen und in die Atmosphäre vorgedrungen, würde er seinen Platz zwischen den anderen Monden finden. Jeder von ihnen würde an ihm ziehen und drücken, als wären es Magnete. Der Mond würde vor und
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zurück schwanken und sich schließlich an seinem Platz zwischen den anderen niederlassen. Bis das geschehen war, würden die Naturgewalten furchtbar aus dem Gleichgewicht gerissen sein. Zuerst würden die Blinkmotten verschwinden. Es gab nichts an der Welt von Mirrodin, das Memnarch nicht verstand – außer wohin die Blinkmotten jeweils während eines solchen ersten Mondzyklus verschwanden. Er konnte es sich nicht erklären. Nachdem er es die ersten beiden Male miterlebt hatte und er für einen kompletten Mondzyklus ohne Serum gewesen war, hatte er die gesamte Welt von vorn bis hinten durchsucht. Es gab keinen logischen Ort, an den sie verschwinden konnten. Sie verließen Mirrodin einfach. Memnarch war sich der Kraft der Magie voll bewusst. Er bezeichnete sich selbst als geübten Zauberer. Aber es gab keinen Zauber, der eine Kreatur von einer Welt zur anderen befördern konnte. Das vermochten nur Weltenwandler zu vollbringen. Und er bezweifelte stark, dass die Blinkmotten Weltenwandler waren. Wohin auch immer sie gingen, für Memnarch blieb es ein Rätsel. Die nächste bemerkenswerte Veränderung nach der neuen Lakune würden die ungleichmäßigen Mondorbits sein. Während sich der grüne Mond einen Weg in die natürliche Umkreisung bahnte, würden die anderen immer wieder vorübergehend aus ihren natürlichen Umlaufbahnen gerissen werden. Tag und Nacht würden ineinander übergehen. Zuerst würde es zwei kurze Lichtperioden gefolgt von zwei ebenso kurzen Dunkelperioden geben. Für die Oberflächenbewohner würde das eine Erleichterung sein, nachdem sie die langen heißen Tage
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und die stockdunklen Nächte der Annäherung hatten ertragen müssen. Dennoch würde das konstante Auf- und Untergehen der Monde den Schlaf erschweren, und die wilden Tiere würden wahnsinnig werden. Ihre Paarungszeiten, ihr Winterschlaf und ihre Jagdgewohnheiten würden durcheinander geraten. Das alles würde aber vorübergehen. Irgendwann würden sich die Dinge schließlich wieder in ihren normalen Rhythmus fügen. Es amüsierte Memnarch zu sehen, wie regelmäßig und vorhersehbar diese organischen Wesen waren. Sie liebten ihre Verhaltensmuster und Rituale. Alles musste so sein, wie es für die Generationen zuvor auch gewesen war. Natürlich war es niemals genau gleich. Dinge veränderten sich langsam, für normale Wesen unmerklich. Das war das Schöne an Evolution. Dinge verbesserten sich, so wie sich Memnarch auch verbessert hatte. Es gab jedoch auch so etwas wie Devolution. Was immer das Wachstum der Mycosynth verursacht hatte, hatte auch etwas verursacht, was Memnarch die »Spore« nannte. Die Spore war wie ein Virus. Sie griff Metall an, schlich sich an Orte, an denen sie nichts zu suchen hatte, und zersetzte die Dinge. Die Spore befleckte die wenige Perfektion, an der Memnarch sich festhalten konnte. Sie sorgte dafür, dass Fleisch sich in Metall verwandelte. Und sie sorgte dafür, dass Metall sich in Fleisch verwandelte. Memnarch hatte den Verdacht, dass die Spore schon sehr lange existierte, aber er konnte sich da nicht sicher sein. Er ging davon aus, dass sie aufgetaucht war, nachdem Meister Karn Mirrodin verlassen hatte. Ein Weltenwandler hätte ein solches Virus in seiner Welt bemerkt und ausgelöscht. Er hätte auch gewusst, dass das Virus entweder aus dem Manakern stammte oder dass
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es sich von den Energiewellen ernährte, die dieser von sich gab. Die Mycosynth wuchsen nur im Inneren der Welt, und jedes der hoch aufragenden Chromgewinde reckte sich der blauweißen Kugel entgegen, griff wie ein gieriger Finger nach ihr. Im Lauf der Zeit war Memnarch langsam, aber sicher immer mehr zu Fleisch geworden. Er konnte nur hoffen, dass, wenn er aufstieg, den Funken fand und ein Weltenwandler wurde, er in der Lage war, die Auswirkungen der Spore zu überwinden, und sie zerstören konnte, bevor sie die Welt zerstörte. Und hier kam die Elfin ins Spiel. Sie besaß den Funken – dieses lebende Stück der Seele eines Wesens, den einzigartigen Unterschied, der ihr die Fähigkeit verlieh, ein Weltenwandler zu werden. Unter den passenden Umständen konnte sie sich selbst erheben. Meister Karn hatte einmal über die Erhebung gesprochen. Er hatte Memnarch erzählt, wie sie während eines furchtbaren Kampfes in einer anderen Welt stattgefunden hatte. Bevor der Schöpfer ein Gott geworden war, war er ein metallener Golem gewesen – eine Schöpfung genau wie Memnarch. In der Geschichte hatte Meister Karn von der Invasion seiner Heimatwelt durch eine Krankheit erzählt. Er hatte sie Phyrexianische Seuche genannt. Memnarch wusste nichts weiter darüber, er nahm jedoch an, dass sie den Mycosynth und der daraus entstandenen Spore hier auf Mirrodin ähnelte. Diese Seuche hatte die Welt so fest im Griff gehabt, dass Karn und sein Meister gezwungen gewesen waren, eine letzte Waffe zu bauen – eine, die erfordert hatte, dass sie sich selbst opferten, um die Waffe einsetzen zu können. Sowohl Schöpfer als auch Schöpfung hatten sich freiwillig für das Wohl derer geopfert, die noch auf der Welt lebten.
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Während die Explosion der Waffe den WeltenwandlerSchöpfer zerstäubt hatte, hatte sie auf den Metallgolem Karn eine andere Wirkung gehabt. Vielleicht war es der seelische Schock gewesen, von einem heiligen Licht solcher Macht getroffen zu werden, dass es einen gesamten Planeten von einer Virusplage befreien konnte, vielleicht war es aber auch die heroische Tat gewesen, die der Golem begangen hatte. Was auch immer der Grund gewesen war, Meister Karn hatte sich erhoben. Sein metallener Golemkörper war in der Explosion vernichtet worden, doch ein neuer Körper war entstanden – einer aus Quecksilber, einer, der nur mittels eines Gedankens durch die Sterne zu reisen vermochte. Memnarch lächelte bei der Vorstellung. Das hatte er ebenfalls vor: seinen Körper aufzulösen und ein Weltenwandler zu werden. Er hatte zwar keine Superwaffe, aber er hatte etwas, was ebenso gut war: den Manakern. Wenn der grüne Mond erst einmal aus der Oberfläche der inneren Sonne geboren war, würde er auf der Hülle der Welt einschlagen und sich einen Weg hindurchbrennen. Mithilfe der Informationen, die er über die anderen Monde besaß, hatte Memnarch den genauen Ort ermittelt, an der die Eruption stattfinden würde. Er hatte den Panopticon genau an dieser Stelle gebaut. Der Ausbruch würde genau die katastrophale Macht erzeugen, die nötig war, um Memnarchs Körper zu zerstören. Er würde das Elfenmädchen bei sich haben, wenn die Explosion den Turm traf, und genau wie Meister Karn würde die Weltenwandlerin vergehen – und der erschaffene Metallmann würde sich erheben. »Der perfekte Plan«, sagte er. Er wandte sich von dem zerbrochenen Fenster ab und ging, in der Hoffnung, einen Blick auf
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das Elfenmädchen werfen zu können, hinüber zum Nachtstahlauge.
$ Marek eilte durch die kurvenreichen Korridore von Lumengrid. Er war dabei, seine Vorbereitungen für einen Aufbruch mit Pontifex abzuschließen. Als er um eine scharfe Ecke bog, stieß er beinahe mit Ratsherr Orland zusammen. »Oh«, sagte der Ratsherr, der beinahe das Gleichgewicht verlor. »Marek, wohin bist du in solcher Eile unterwegs?« »Verzeiht, Ratsherr«, antwortete Marek. »Vergebt mir meine Hast.« Er verneigte sich, machte einen Schritt zur Seite und wollte seinen Weg fortsetzen. Der Ratsherr streckte einen Arm aus und hielt Marek fest. »Musst du so schnell gehen?« Marek warf einen Blick über die Schulter, aber der Korridor war leer. »Wir sollten nicht zusammen gesehen werden«, sagte er. Orland lächelte. »Entspann dich, Marek. Es ist nichts dabei, wenn ein Mitglied der Synode mit einem Wächter spricht.« Marek überprüfte noch einmal den Korridor. »Ihr wisst sehr genau, dass Lord Pontifex nicht dort hinkam, wo er ist, indem er unvorsichtig und allzu vertrauensselig war.« Er starrte Orland kalt an. »Selbst mein jahrelanger Dienst entbindet mich nicht von seiner genauen Kontrolle.« Er sah den Ratsherrn von Kopf bis Fuß an. »Ihr riskiert Euer Leben, wenn Ihr mich aufhaltet.« Orland sah ihn überrascht an. »Es war lediglich ein Zufall, dass ich dir hier über den Weg laufe, Marek.« Der Ratsherr setzte ein gewinnendes Lächeln auf. »Ich war gerade auf dem Weg zu
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einem Treffen mit Ratsherr Sodador.« Er zeigte hinter Marek. »Ja, mir ist bewusst, wo Ratsherr Sodador residiert, Orland. Behandelt mich nicht wie einen Narren und verschwendet nicht meine Zeit. Dieses Zusammentreffen ist kein Zufall, also sagt mir, was Ihr von mir wollt.« Orland nickte. »Du hast Recht, vergib mir.« Der Ratsherr senkte die Stirn und sah an seiner faltigen Braue vorbei nach oben. »Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass du, mein Freund, es gern sähest, wenn die Synode aufgelöst würde und das Vedalkenvolk sich selbst regierte.« »Wo wollt Ihr das gehört haben?« Orland lächelte. »Ein Mäuschen hat es mir erzählt.« »Wirklich?« Der Ratsherr nickte. »Ja, so ist es, aber ich gebe nicht viel auf Gerüchte, also kam ich, um es selbst herauszufinden.« Marek richtete sich auf und nahm Habt-Acht-Stellung an. »Ihr habt den falschen Vedalken, Ratsherr.« Jetzt war es an Orland, Marek von Kopf bis Fuß zu betrachten. »Das glaube ich nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube vielmehr, dass ein Mann, der sein Leben damit zubrachte, die regierende Klasse des Vedalkenimperiums zu beschützen, das eine oder andere gesehen hat. Und so jemand könnte gute Gründe haben, eine Veränderung der Weise, wie die Dinge hier verrichtet werden, sehen zu wollen.« Marek entspannte sich. »Und?« Orland lächelte. »Und ich muss wissen, ob ich auf dich zählen kann, wenn die Zeit kommt.« Der Ratsherr neigte sich etwas dichter an den Krieger heran. »Bist du willens, so hart für dich selbst zu kämpfen, wie du für Lord Pontifex gekämpft hast?«
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Kapitel 16
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lobad sah den Hügel hinab auf den schwarzen Sumpf, der gerade Glissa verschluckt hatte. »Was macht die verrückte Elfin da? Denkt sie etwa, wir folgen ihr, he?« Al-Hayat nickte. »Ja, genau.« Das große Waldtier schubste den Goblin mit der Schnauze vorwärts. Slobad rutschte den Abhang ein Stück hinunter. Er drehte sich auf den Bauch, kletterte über zerbrochene Knochen und paddelte in dem zerfallenen Fleisch, als wäre es Wasser. Als er wieder auf dem Kamm des Hügels angekommen war, sah er den Wolf böse an. »Slobad mag das nicht, he?« Al-Hayat schüttelte den Kopf. Er packte Slobad im Nacken, hob ihn hoch und drehte ihn mit dem Gesicht in Richtung des Kampfgetümmels, das hinter ihnen tobte. Nim schwärmten auf die Gleichmacher ein, während Bruenna und ihre wenigen verbliebenen Zauberer das Feld verlassen hatten und sich einen Weg durch die übrigen Untoten zum Sumpf bahnten, um der Elfin in den Morast zu folgen. »Hinter uns erwartet uns nichts als der Tod«, erklärte AlHayat durch zusammengebissene Zähne. »Und vor uns ist nur Schmutz und Fäulnis, he?«, gab Slobad zurück, der nun an den
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Fängen des Wolfes baumelte. Al-Hayat setzte den Goblin wieder ab. »Aber in diesem Schmutz liegt auch ein gewisser Vorteil«, sagte er. »Wir könnten vielleicht überleben, um weitere Tage zu erleben – oder eine Welt frei von Memnarch. Ist es nicht wert, dafür schmutzig zu werden?« Slobad warf einen Blick zurück auf das Schlachtfeld. Die Nim hatten die Gleichmacher festgenagelt, aber es würde nicht mehr lange dauern, bevor sie sich den Weg freischneiden würden. Slobad drehte sich um und betrachtete den Sumpf. Die Schneise, die Bosh durch die Horde Untoter geschlagen hatte, begann sich bereits wieder mit wankenden Bestien zu schließen. »Wenn man es so betrachtet …« Der Goblin riss die Hände hoch und machte einen Satz. Die verschrumpelte grüne Kreatur landete auf ihrem Hinterteil und rutschte den Hügel hinab. Neben Slobad liefen Bruennas Zauberer den Hang hinunter. Einer davon schwebte während des Abstiegs, um sich mittels Magie etwas abzubremsen. Zwei andere nahmen denselben Weg wie Slobad und nutzten das Sumpfloch aus verflüssigtem Fleisch als schnelle Rutschbahn nach unten. Die anderen drei starben schließlich kämpfend, weil sie sich mit zu vielen Nim einließen. Ihre Leichen wurden in Stücke gerissen und von den hungrigen Untoten aufgefressen. Slobad schluckte und strengte sich an, den Inhalt seines Magens bei sich zu behalten. Er hatte in seinem Leben schon eine Menge schrecklicher Dinge gesehen, aber dies war mit Abstand das schlimmste. Vor ihm näherte sich schnell der Sumpf. Er sah kurz über die Schulter und erhaschte einen Blick auf Al-Hayat, der auf die un-
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kontrollierteste, unbeholfenste Art den Hang hinabglitt, die man sich nur vorstellen konnte. Jedes seiner vier Wolfsbeine zeigte in eine andere Richtung, und sein gesamter Körper drehte sich um die eigene Achse, während er immer schneller werdend nach unten rutschte. Mithilfe seiner Vorderfüße schaffte er es, den Kopf oberhalb der Schicht aus verfaultem Fleisch zu halten – aber nur für einen Augenblick. Dann trafen seine Füße auf eine rutschige Stelle und glitten in entgegengesetzte Richtungen davon. Al-Hayats stolze Schnauze klatschte zu Boden, wobei sie eine Welle aus schwarzem Dreck in die Luft schleuderte. Sein Hinterteil rutschte seitwärts weg, und auf diese Weise raste der Wolf dann rückwärts den Abhang hinunter, geradewegs auf Slobad zu. Der Goblin lachte, als er das majestätische Waldtier in einer solch würdelosen Position sah. Dann tauchte Slobad im kalten Sumpf unter und verlor den Wolf aus den Augen. Sein Mund lief voller fauliger Flüssigkeit. Er zitterte vor Abscheu am ganzen Körper. Der Goblin rutschte tiefer in den Sumpf hinein und sank schnell auf den Grund. Weil Slobad seinen Brechreiz nicht mehr zu unterdrücken vermochte, übergab er sich, und das Erbrochene drückte das Sumpfwasser aus seinem Mund. Noch nie zuvor hatte der Inhalt seines Magens auf dem Weg heraus so gut geschmeckt.
$ Im Knäuel sammelten sich unter den höheren Bäumen immer tiefe Wasserpfützen. Alle möglichen Kreaturen begaben sich dorthin, um zu trinken oder zu baden. Als Glissa noch jung gewesen war, waren sie und Kane immer auf den höchsten Baum
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geklettert, den sie hatten finden können, und waren in die Pfützen gesprungen, womit sie alle Tiere verscheucht hatten. Als Glissa mit dem Kopf unter die Oberfläche des Sumpfwassers getaucht war, hatte sie versucht so zu tun, als befände sie sich wieder im Knäuel in einer dieser Pfützen. Das Bild hatte eine Zeit lang funktioniert. Doch anders als in jenen sorglosen Kindertagen befand sie sich jetzt in echter Gefahr, und das Wasser im Sumpf war … wie nichts, was sie jemals zuvor erlebt hatte. Während ihres Absinkens wurde ihre Haut von Schwebeteilchen berührt. Einmal fühlte es sich so an, als nagten Fische an den Härchen ihrer Beine. Etwas sagte ihr, dass es, was immer es auch war, kein einfacher Fisch war. Ihre torkelnde Rutschpartie hatte beim Auftreffen auf der Sumpfoberfläche ein Ende gefunden, und sie war sanft unter Wasser geglitten. Doch auch jetzt, als sie das Gefühl hatte, dass sie eigentlich zum Stehen kommen müsste, rutschte sie mit jeder verstreichenden Sekunde immer tiefer und tiefer. Die Luft begann ihr auszugehen, aber sie kämpfte gegen das Verlangen an, die Augen zu öffnen. Das letzte Mal, als sie im Dross gewesen war, hatten sie und Slobad Bosh gefunden. Er war in dem Schmutz begraben gewesen, der sie jetzt hinabzog. Als sie ihm begegnet waren, hatte sie sich noch gewundert, wie eine solche Kreatur von einer sumpfigen Flüssigkeit hatte verschluckt werden können. Jetzt wusste sie es. Als sie auf die Oberfläche aufgetroffen war, hatte sie gespürt, wie sie sich gedreht hatte. Jetzt hing sie irgendwo zwischen dem Grund und der Oberfläche und hatte keine Ahnung, in welcher Tiefe sie war oder in welcher Richtung die Oberfläche lag. Sie hoffte, dass sie wie im Knäuel nach oben treiben würde, wenn
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sie sich nicht bewegte. Wenn sie nicht endlich zur Ruhe kam, dann würde sie nicht dahinterkommen, in welche Richtung sie zu schwimmen hatte. Aber weshalb kam sie nicht zur Ruhe? Die Erkenntnis überkam sie schlagartig, und Angst umklammerte ihren Brustkorb. Eine Strömung! In diesem Sumpf gab es wie in der Quecksilbersee Unterwasserströmungen. Sie wurde hinuntergezogen. Sie streckte die Arme weit aus und ruderte heftig, in der Hoffnung, den Boden zu finden oder die Oberfläche zu durchstoßen, Hauptsache, sie wusste, in welcher Richtung oben war. Ihre linke Hand berührte etwas, doch als sie danach griff, glitt es weg. Sie fand nur noch mehr der dickflüssigen Brühe, die sie umgab und festhielt. Je tiefer sie glitt, desto kälter wurde das Wasser. Die Strömung nahm zu, und sie spürte, wie ihr Körper auf dem Weg tiefer in den Sumpf immer schneller wurde. Die Luft in ihrer Lunge brannte, und der Druck auf den Ohren stieg. Sie hatte das Gefühl, als würde ein Riese ihren Kopf zwischen seinen gewaltigen Handflächen zerdrücken. Stechende Schmerzen blühten punktweise überall in ihrem Schädel auf. Der Schmerz wurde stärker, und Glissa ruderte wie wild mit den Armen. Die Panik ergriff Besitz von ihr.
$ Vor ihren Augen liefen in schneller Folge Visionen ab, und Glissa verließ vorübergehend diese Welt, als sie von einem Aufflackern überwältigt wurde. Sie sah ihre Mutter in einem Baum im Knäuel stehen. Dann sah sie Slobad, der mit ölverschmierten Händen und Gesicht an einem Gleichmacher herumbastelte. Bruenna, Al-Hayat und der Troll Chunth erschienen ihr und verschwanden ebenso schnell wieder.
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Bosh vertrieb alle anderen Bilder aus ihrem Verstand. Er stand mit blutenden Händen vor ihr. Er sah traurig aus. An die Stelle seines stoischen und unbeweglichen Ausdrucks waren nach unten verzogene Mundwinkel getreten, und seine Augen schienen eingesunken zu sein. Er sah ihr in die Augen. Hinter ihm konnte Glissa das Innere von Mirrodin sehen. Der helle Manakern leuchtete hell über ihr, und der Turm, den Bosh Panopticon genannt hatte, stand ganz in der Nähe. In der Vision hoben sich die halb fleischigen, halb aus Eisen bestehenden Mundwinkel des Golems, und er lächelte sie an, wenngleich seine Augen traurig blieben. Er drehte sich um und ging in Richtung Panopticon davon.
$ Glissa spürte, wie sie mit dem Hinterkopf gegen etwas schlug, und tauchte aus dem Aufflackern auf. Sie bewegte sich jetzt mit enormer Geschwindigkeit, und ihre Finger und Zehen berührten die Kante von etwas. Sie befand sich noch immer unter Wasser, jetzt jedoch von gebogenem Metall umgeben. Die reißende Strömung trug sie durch eine Reihe von Biegungen und Kurven. Jedes Mal, wenn sich die Richtung änderte, schlug sie mit dem Kopf gegen die sie umgebende Wand. Die harten Schläge drohten ihr die restliche Luft aus der Lunge zu drücken, aber sie blieb standhaft, trotz des überwältigenden Bedürfnisses, einfach ohnmächtig zu werden. Sie spürte ihre Füße über den Boden schleifen und wieder freikommen. Dann fiel sie durch die Luft. Sie brach mit dem Kopf durch die Sumpfwasseroberfläche und holte tief Luft. Kleine Spritzer des fauligen Wassers benetzten ihre Zunge, aber das war ihr gleichgültig. Die Luft belebte sie, verdrängte die Panik, und jetzt konnte sie auch das wilde Klopfen ihres Herzens spüren.
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Glissa wischte sich mit der Hand über das Gesicht und öffnete gerade rechtzeitig die Augen, um einen riesigen See von Sumpfwasser von unten auf sich zurasen zu sehen. Sie holte keuchend noch einen kostbaren letzten Atemzug, bevor sie wieder in die Dunkelheit klatschte. Sie sank immer tiefer. Ihrer Einschätzung nach war sie ziemlich tief gefallen. Blubbernde, schäumende Luft begleitete sie, als sie untertauchte. Die Blasen lösten sich langsam eine nach der anderen und stiegen an die Oberfläche. Glissa hoffte, dass sie bald zur Ruhe kommen würde – so wie sie es gehofft hatte, als sie das erste Mal in den Sumpf getaucht war. Die Luft in der Lunge verlieh ihr Auftrieb, und sie stieg nach oben. Ihre Beine fühlten sich von dem kalten Wasser und dem Luftmangel taub an, aber sie paddelte mit aller Kraft, die sie noch besaß. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, dass sie in dem sirupartigen Sumpfwasser festhing, doch dann durchstieß sie mit dem Kopf wieder die Oberfläche, und einmal mehr konnte sie Luft holen. Das Ufer des Sees war nicht weit entfernt. Glissa schwamm darauf zu. Sie schleppte sich dankbar aus dem Wasser und ließ sich auf den festen Metallboden sinken. Sie lag auf dem Rücken und atmete tief durch. In ihrer Lunge war Wasser, und sie konnte bei jedem Atemzug ein lautes Rasseln in der Brust hören. Sie drehte den Kopf und hustete, um die Flüssigkeit herauszuwürgen. Ihre Stöße befreiten einen großen schmierigen Schleimklumpen, den sie sofort ausspuckte. Sie rollte sich wieder auf den Rücken und blickte nach oben, um zu sehen, wie tief sie gefallen war. Hoch über ihr bedeckte eine Reihe von ineinander verdrehten, rußschwarzen Röhren die Wände. Sie wanden sich umeinander, führten in alle Richtungen davon und reichten bis zur
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Decke, die hinter ihnen vor Blicken verdeckt war. Schwarzes Abwasser tropfte von allen Rohren herab, aber es bestand kein Zweifel, an welcher Stelle Glissa in diesen Raum gekommen war. Eines der Rohre besaß ein riesiges klaffendes Loch an der Unterseite. Ein dicker Wasserfall schmutziger Brühe rauschte daraus hervor. Perlen schwarzer Flüssigkeit trennten sich im Fallen von der Flut und platschten schließlich in den unterirdischen See, der Glissas Sturz aufgefangen hatte. Blasses, gelbgrünes Licht erfüllte den Raum. Glissa konnte nicht erkennen, woher es kam, aber es war ziemlich hell. Die Elfin drehte sich auf den Bauch und hob den Kopf. Der See nahm den größten Teil der Kammer ein. Er war komplett von einem metallenen Steg umgeben, auf dem drei Elfen nebeneinander stehen konnten. Die Rohre, die überall die Wände hoch und entlang der Decke liefen, kamen jenseits des Steges aus dem Boden. Zu ihrer Linken, hinter einem Zwischenraum zwischen zwei der Rohre, gab es einen Tunnel, der nach draußen zu führen schien. Bosh saß neben der Tunnelöffnung. Sein teilweise rostiger Körper passte geradezu perfekt zu den Rohren und war vor dem Hintergrund beinahe nicht zu sehen. »Bo …« Glissas Stimme klang rau, und in ihrer Kehle hing noch Sumpfwasser. Sie rülpste und spuckte so viel wie möglich der fauligen Flüssigkeit aus und hustete ihre Worte geradezu hervor. »Bosh. Alles in Ordnung?« »Ja«, sagte er. Er zeigte auf den Wasserfall, der über ihnen entsprang. »Ich bin gefallen.« »Ich auch«, sagte die Elfin. Sie rappelte sich auf und ging auf dem Steg zu dem eisernen Golem hinüber. »Ich weiß«, sagte er. »Ich habe dich gesehen.« Er blieb auf
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dem Boden sitzen, als Glissa sich ihm näherte. Sie betrachtete ihn genau, und er erwiderte ihre Blicke, bewegte sich aber nicht. »Bist du dir sicher, dass es dir gut geht?« Der Golem nickte. »Ja. Aber ich fühle mich schwach. Ich würde mich gern einen Augenblick ausruhen.« Glissa nickte und setzte sich neben ihm hin. »Was, glaubst du, ist das hier für ein Ort?« Bosh schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich war noch nie hier.« »Na ja, was auch immer es ist, es liegt tief unter dem Sumpf.« Sie atmete durch. Ihre Luftröhre rasselte immer noch ein wenig, aber es wurde bereits besser. »Gut, dass in dem Rohr ein Loch ist. Wer weiß, wohin es letztlich führt, und ich glaube nicht, dass ich es noch lange ohne Luft ausgehalten hätte.« »Da war ursprünglich kein Loch«, sagte Bosh. »Ich bin in einer Kurve steckengeblieben und habe das Loch hineingeschlagen.« »Dann hast du unser beider Leben gerettet.« Bosh sah zu ihr hinunter und dann wieder hoch zu dem Wasserfall. »Ja.« Im selben Augenblick fiel ein großes Trümmerstück von der Decke herab. Glissa beobachtete dessen Sturz auf den unterirdischen See zu. Es war rund und faltig und überschlug sich unablässig. Es streckte die Arme aus und begann damit zu rudern. Glissa sprang auf die Füße. »Slobad!« Der Goblin hörte sie nicht. Er hatte die Augen so weit aufgerissen, dass Glissa seine Pupillen selbst von ihrem Standort aus sehen konnte. Die Elfin drehte sich zum Golem um. »Wir sollten etwas unternehmen.« Bosh erhob sich auf die Beine. »Und was?« Glissa zuckte die Achseln und drehte sich gerade noch recht-
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zeitig um, um den Goblin mit einem lauten Klatschen in den See fallen zu sehen. »Fisch ihn heraus! Er wird sonst ertrinken!« Sie ging auf dem schmalen Steg dichter an die Stelle heran. Ringförmige Wellen breiteten sich von dort aus, wo Slobad in dem unterirdischen See gelandet war. Das Sumpfwasser bewegte sich langsam und dämpfte die Fontäne des Aufklatschens, da es so dick und dicht war. Glissa beobachtete das Zentrum der Wellen und wartete darauf, dass dort Slobads Kopf auftauchte. Sie wollte sichergehen, dass er beim Aufprall nicht zerquetscht worden oder kurz darauf ertrunken war. »Wo ist er?«, fragte sie und suchte unruhig das Wasser ab. Bosh stampfte hinter ihr heran. »Ich sehe ihn nicht.« In der Nähe der Einschlagstelle tauchte etwas auf. »Da«, sagte Glissa und zeigte auf die Stelle. »Ist er das? Wir müssen ihn herausholen.« Bosh beugte sich vor, um besser sehen zu können. »Ich glaube, das ist er nicht. Es ist zu klein.« »Zu klein? Er ist ein Goblin.« Bosh zuckte die Achseln. »Wenn er das ist, dann ist es nur sein Kopf.« Glissa sah den Golem böse an, aber er nahm keine Notiz davon. In der Nähe der Seemitte stiegen Blasen auf und zerplatzten an der Oberfläche. Zuerst waren sie klein, wurden aber zunehmend größer und kamen in immer dichterer Folge. Bald sah es so aus, als würde der See zu kochen anfangen, und zwar von der Mitte beginnend langsam nach außen. Glissa machte einen Schritt vom See weg. »Ich glaube nicht, dass das Slobad ist.« »Ich wie gesagt auch nicht«, sagte Bosh. Die Elfin und der Golem drückten sich gegen die Wand. Dann erspähte Glissa etwas am anderen Ende. »Sieh mal!«, rief sie.
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»Das ist er«, sagte Bosh. Die beiden liefen los. Slobad war am anderen Ende des stärker werdenden Blubberns aufgetaucht und schwamm nun auf die am weitesten entfernte Uferbank zu, die an der gegenüberliegenden Seite des Sees. Seine kurzen Arme brachten ihn nicht besonders schnell voran, und der gurgelnde Blasenkegel drohte ihn bereits nach nur wenigen Zügen schon wieder einzuholen. Glissa ballte im Laufen die Fäuste. Sie und Bosh schossen pfeilschnell um den See herum. Slobad erreichte das Ufer und bekam den Laufsteg zu fassen. Der Blasenkegel hinter ihm hatte offenbar seinen Höhepunkt erreicht und hörte nun schlagartig auf zu blubbern. Sumpfwasser schoss in die Höhe. Eine Säule aus stumpfen Metall stieg aus dem See auf. Fauliges, schwarzes Wasser strömte an ihren Seiten herab und blieb in jeder Naht, jeder Falte hängen, so als wollte es etwas ins Wasser zurückziehen, was nicht zu beherrschen war. Die metallene Monstrosität stieg nach oben. Sie war beinahe viermal so groß wie Bosh. Sie sah aus wie ein Baumstamm oder wie die Mycosynth im Inneren Mirrodins – nur war dieses Ding tiefschwarz und vollkommen zylindrisch. Es öffnete sich an einer Seite und entfaltete hunderte von zusammengelegten Armen, von denen jeder eine messerscharfe Klinge war. »Ein riesiger Tausendfüßler.« Glissa flüsterte die Worte, voller Furcht, die Kreatur könnte sich noch bedrohlicher bewegen, als sie es ohnehin schon tat, wenn sie sie lauter ansprach. Während sich die Kreatur weiter entfaltete, kamen ihr Gesicht und ihr Kopf zum Vorschein. Obenauf zuckten lange, dicke Antennen in alle Richtungen. Darunter suchten zwei pulsierende rote Knopfaugen den Raum ab. Die Kreatur besaß keine sichtbare
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Nase und keinen Mund, zumindest nicht im Gesicht. Der Tausendfüßler scherte mit dem kreischenden Geräusch von Metall auf Metall die Arme wie einen Reißverschluss zu und wieder auf. Eine Welle rollte von unten nach oben durch den Körper der Kreatur. Mit jedem Aufbäumen schlossen sich hunderte von Klingen und öffneten sich wieder, bereit, alles in Stücke zu schneiden, was ihnen zu nahe kam. Die Kreatur drehte den Kopf und suchte mit den beiden kleinen Knopfaugen den Raum ab. Kaum hatte der Tausendfüßler den Blick über Slobad, Bosh und Glissa streifen lassen, riss er den Kopf sofort zurück und schoss nach vorn, die Scherenarme nun in doppelt so schneller Bewegung wie zuvor. »Schnapp dir Slobad«, rief Glissa und sprang zu dem Goblin hin. Bosh war schneller als sie. Mitten in vollem Lauf streckte der Golem seine Hand in den Seeschlamm. Er schöpfte sich eine Hand voll Seewasser und rannte weiter. Schwarzer Sumpfmatsch tropfte aus seiner Hand, und zurück in den geschlossenen Fingern des Golems blieb der zusammengekauerte Slobad. Glissa sah, dass Bosh den Goblin hatte, und bremste rutschend ab. Der Kopf des Tausendfüßlers war hoch in der Luft, aber er kam nun in einem Sekundenbruchteil auf das Trio herunter. Die Elfin ließ Bosh und Slobad in die eine Richtung laufen, während sie sich umdrehte, um in die andere zu rennen. Der Kopf des Tausendfüßlers zuckte herab und schoss am Rand in den See – genau dort, wo ein paar Sekunden zuvor noch Slobad gewesen war. Der Einschlag erschütterte den Raum, und Glissa wurde zu Boden geworfen. Sie drehte sich um und sah, dass der Kopf tief in dem verbeulten Laufsteg vergraben war. Auf der anderen Seite standen Bosh und Slobad. Sie waren zwar ent-
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kommen, aber durch das monströse Wesen von ihr getrennt. Das wäre für einen Goblin die passende Art zu sterben gewesen, dachte Glissa, während sie weiter vom Tausendfüßler wegkrabbelte. Als sie wieder auf den Beinen war, rief sie über die Schulter: »Lauft zum Durchgang! Ich treffe euch dort!« Falls es eine Antwort gegeben hatte, so hörte Glissa sie nicht. Der Tausendfüßler zog den Kopf aus dem Laufsteg und verbog dabei das widerspenstige Metall. Die Bewegung füllte den gesamten Raum mit einem üblen Kreischen, das Glissas Rückgrat zum Vibrieren brachte und an dem Metall an ihren Schienbeinen und Unterarmen rüttelte. Von dem verbeulten Steg befreit, zog sich der Tausendfüßler wieder zurück und schüttelte dabei den Kopf hin und her. Er betrachtete zuerst Glissa und dann Bosh, wandte seine Aufmerksamkeit aber schließlich wieder der Elfin zu. Glissas Lunge begann wieder zu schmerzen. Sie spürte das Wasser, das sie auf dem Weg durch das Rohr eingesogen hatte. Bei jedem Atemzug hatte sie das Gefühl, als würde ihr jemand einen scharfen Fingernagel in die Brust stechen. Schlimmer noch, sie konnte etwas umherschwappende Flüssigkeit dort drinnen spüren, die bei jedem Atemzug blubberte. Mit einem schnellen Zucken seines langen Körpers, der noch immer teilweise unter der Oberfläche des schwarzen Wassers verborgen war, schob sich der Tausendfüßler näher an Glissa heran. Er legte den Kopf schräg und bog den oberen Teil der Brust wie eine Schlange, die sich zum Zuschlagen bereit machte, nach hinten. Glissa sah es, und ihr blieb das Herz stehen. Die Kreatur war so überaus groß. Es war unmöglich, dass sie Glissa verfehlte.
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Glissa, die das Monster anstarrte und nicht auf den Laufsteg achtete, stolperte und fiel auf das Gesicht. Der Raum wurde dunkler, während sich nun der Schatten des Monsters um sie herum ausbreitete. Die Elfin rollte sich auf den Rücken und sah den schneidenden Klingen entgegen, die über ihr zusammenschlugen.
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Kapitel 17
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D
er riesige Tausendfüßler war unglaublich schnell. Die messerscharfen Arme der Kreatur öffneten sich weit, und Glissa schloss die Augen, da sie nicht zusehen wollte, wie sie in ihr Fleisch schnitten. Metall kreischte. Ein Luftzug fuhr der Elfin durch die Haare, gefolgt von einem Schauer aus übel riechendem Sumpfwasser, das auf ihrem Gesicht brannte. Glissa öffnete die Augen wieder. Sie lebte noch. Die offenen Arme des Tausendfüßlers steckten im Laufsteg und hatten sich dort bis zu den Ellbogen verfangen. Der Boden hatte verhindert, dass sich die Scherenklingen um Glissa geschlossen hatten, doch jetzt lastete die gesamte Körpermasse der Kreatur auf ihr. Der große Tausendfüßler schien Glissa wie eine Traube zerquetschen zu wollen. Ihr Brustkorb war eingeengt, und ihre Arme waren zu Boden gedrückt. Sie konnte nur in kurzen, flachen Stößen atmen und spürte, wie ihr alles Blut in den Kopf gedrückt wurde. Das riesige Ungeziefer drehte und wand sich und erschütterte dabei die Plattform. Metall stöhnte auf, und die Arme des Tausendfüßlers hoben sich um ein paar Zentimeter. Der Körper der Elfin wurde entlastet. Sie holte tief Luft und spürte, wie der Druck in ihrem Kopf nachließ. Die Erleichterung wich jedoch so-
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fort, als ihr die aussichtslose Lage wieder ganz zu Bewusstsein kam. Der Tausendfüßler mühte sich ab. Es war nur eine Frage der Zeit, bis seine Klingen frei sein und sich schließen würden – mit Glissa dazwischen. Glissa nahm sich zusammen und suchte nach einem Ausweg. Zu ihrer Linken warteten hunderte von tödlichen Klingen auf sie und versperrten ihr die Flucht. Zu ihrer Rechten sah es genauso aus. Sie versuchte ihr Schwert zu heben, aber es war zu lang, und sie konnte es in keine nützliche Position bringen. Und selbst wenn sie es geschafft hätte, was würde es ihr gegen eine solche Kreatur schon nutzen? Der Boden wankte abermals, und der Tausendfüßler hob sich wieder fünfzehn Zentimeter, womit er Glissa so weit entlastete, dass sie ihre Arme vor die Brust ziehen konnte. Und doch war sie noch gefangen. Noch ein guter Ruck des Tausendfüßlers, und seine Scherenarme würden sich frei auf der Plattform bewegen können, um Glissa in kleine Happen zu zerlegen. Auf einmal ertönte das rhythmische Klingeln eines Klangspiels in dem schmalen Raum zwischen der Brust des Tausendfüßlers und dem Boden. Metallsplitter regneten auf Glissa nieder, und eine riesige Hand griff herein und packte sie an der Schulter. »Zeit, dass wir gehen«, sagte Bosh. Obwohl viele Teile von ihm bereits zu Fleisch geworden waren, waren seine Beine noch immer aus Metall. Er hatte einfach zwei Dutzend der Rasierklingenarme des Tausendfüßlers durchgetreten. »Ganz deiner Meinung«, sagte Glissa. Sie drückte sich mit Boshs Hilfe vom Boden ab und glitt unter der großen Kreatur hervor.
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Kaum aus ihrem Gefängnis befreit, kam Glissa auf die Beine und lief mit Bosh an ihrer Seite los. Glissa hörte den Laufsteg hinter sich aufstöhnen, als sich der Tausendfüßler nun wieder hochhievte. Metall kreischte auf, und die Kreatur stieß einen hohen Schrei aus. Die Elfin war sich nicht sicher, was er zu bedeuten hatte, aber bestimmt nichts Gutes. Slobad wartete bereits in der Tunnelöffnung zwischen den Rohren, doch irgendetwas lenkte ihn offenbar ab. Seine Augen klebten an der Decke, und er rang die Hände. Glissa folgte seinem Blick nach oben. »Oh – oh.« Dort, anscheinend festgeklemmt in dem Loch, das Bosh durch das Rohr an der Decke geschlagen hatte, hing Al-Hayat. Seine Hinterbeine waren verkeilt. Er ruderte mit den Vorderpfoten, und sein ganzer Körper schwang hin und her. Mit jedem Schwung hob der Wolf den Kopf, um nach etwas zu schnappen, das sich in der Nähe seiner gefangenen Hinterbeine befand. So schwang er hin und her, und Glissa sah ihm dabei zu, unfähig, etwas für ihren Freund zu tun. Al-Hayat fing schließlich, was auch immer er zu erreichen versucht hatte. Der Wolf kam frei und stürzte auf den unterirdischen See zu. »Bosh!«, rief Glissa über die Schulter. »Wir müssen den Tausendfüßler lange genug beschäftigen, dass Al-Hayat aus dem See steigen kann!« »Und wie?« Sie blieb stehen und sah den Golem an. »Wir lenken seine Aufmerksamkeit auf uns.« Glissa konnte über Boshs Schulter hinweg sehen, dass sich der Tausendfüßler ein Stück zurückgezogen hatte. Er folgte ihr
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und dem Golem zwar mit seinen Knopfaugen, hatte jedoch nicht die direkte Verfolgung aufgenommen. Vielleicht hatte Boshs Angriff ja doch mehr Schaden angerichtet, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Glissa konnte genau die Stelle auf der linken Seite der Kreatur sehen, wo ihr jetzt mehrere Gliedmaßen fehlten. Im Großen und Ganzen gesehen war das aber nur ein kleiner Teil der gesamten Beinmenge des Tausendfüßlers. Er hatte noch hunderte, wenn nicht sogar tatsächlich tausende mehr. Da das riesige Ungetüm seine Aufmerksamkeit voll auf die Elfin und den Golem gerichtet hatte, hatte es den Wolf nicht fallen sehen. Das gab Glissa wieder etwas Zuversicht. »He, Wanzengesicht!«, rief sie und winkte mit den Armen. »Hier sind wir! Eine schmackhafte Mahlzeit, genau wie sie dir gefällt!« Bosh blieb neben ihr stehen und wandte sich zu ihr um. »Glaubst du wirklich, dass es eine gute Idee ist, eine solche Kreatur aufzustacheln?« »Sie jagt uns momentan ja nicht.« Der Tausendfüßler starrte sie reglos an – nein, er bewegte sich doch. Jetzt, wo Glissa ihn noch einmal genauer betrachtete, fiel ihr auf, dass die Kreatur höher aus dem Wasser gestiegen war. Der Kopf ragte weit in die Luft, und der Körper wurde in diesem Augenblick auch immer länger und länger. Und es war kein Ende in Sicht. »Kein Wunder, dass er uns nicht hinterherläuft«, sagte sie und legte eine Hand auf der Griff ihres Schwerts. »Das hat er gar nicht nötig. Er kann uns auch so überall erreichen.« Als hätte der Tausendfüßler die Worte der Elfin gehört, riss er den Kopf zurück und stürzte sich auf sie und den Golem.
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»Spring!«, rief die Elfin. Der Golem und sie hüpften in den See. Glissa glitt unter die Oberfläche, und sie spürte gerade noch den dumpfen Schlag des Tausendfüßlers, der mit dem Kopf auf dem Laufsteg auftraf. Sie schwamm blind an den Rand des Sees zurück, wobei sie den ganzen Weg lang unter Wasser blieb. Sie wollte es auf jeden Fall vermeiden, unter den Scherenarmen des Monstrums aufzutauchen. Sie konnte kaum etwas anderes tun, als die Entfernungen zu schätzen. Als sie mit der Hand die Kante berührte, ließ sie sich noch zwei volle Armlängen nach rechts treiben und streckte dabei die Spitze ihres Schwerts aus dem Wasser. Da sie auf nichts traf, hob Glissa den Kopf. Sie hatte richtig geschätzt. Die Kreatur war auf dem Steg etwas links von ihr eingeschlagen. Der gewaltige Kopf steckte in der Beule fest, die der Einschlag hinterlassen hatte, und das Biest rang damit, irgendwie freizukommen. Glissa warf ihr Schwert auf den Ufersteg und zog sich selbst hoch. Es fiel ihr nicht leicht. Sie war jetzt ermüdet, und selbst das Atmen schien eine enorme Anstrengung für sie zu sein. Irgendwann schaffte sie es aber doch an Land. Sie hob ihr Schwert auf und schob sich mit dem Rücken an der Wand entlang. Der Tausendfüßler, der damit beschäftigt war, seinen Kopf zu befreien, bemerkte sie nicht sofort, also blieb sie an die Wand gelehnt stehen und suchte das Wasser nach Al-Hayat ab. Sie hatte ihn nicht im Wasser landen sehen, aber sie wusste, dass er sich in der Nähe der Stelle befinden musste, an der auch Slobad aufgetroffen war. Und tatsächlich sah sie den Wolf aus der Mitte des Sees auf sich zupaddeln. Er ist zumindest in der richtigen Richtung unterwegs, dachte
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sie, als sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Tausendfüßler zuwandte. Die Kreatur hatte den Kopf wieder gehoben und suchte den Laufsteg ab. Bis jetzt hatte sie Glissa noch nicht erspäht, aber das würde nicht mehr lange dauern. Bosh und Glissa würden … wo war Bosh eigentlich? Glissa suchte den Steg am Rand des Sees ab. Bosh war nirgendwo zu sehen. Sie hatten sich verloren, als sie in den See gesprungen war. Sie war sich aber ziemlich sicher, dass er dem Tausendfüßler ebenfalls entkommen war. Sein Körper lag jedenfalls nicht dort platt gedrückt, wo das große Ungeziefer bei seinem letzten Einschlag auf dem Steg eine Beule hinterlassen hatte. Aber wo war er dann? Genau in diesem Augenblick begannen Körper von der Decke zu fallen. Vier menschenförmige Kreaturen fielen mit rudernden Armen aus dem Loch im Rohr. Jede mit demselben öligen Schlamm bedeckt, mit dem auch Glissa verschmiert gewesen war. Sie stürzten genau vor dem Tausendfüßler auf den See zu. Das große Monstrum bemerkte die fallenden Kreaturen und drehte sich um, um den Sturz zu verfolgen. Als das Metallwesen den Kopf drehte, sah Glissa auf dessen Rücken etwas Glänzendes. Die Kinnlade klappte ihr nach unten. »Bosh.« Der eiserne Golem war nicht etwa ins Wasser gesprungen. Er war auf dem Rücken des Tausendfüßlers, wo er jetzt hoch zum Kopf kletterte. Plötzlich stand Slobad neben ihr. »Verrückter Golem wird umkommen, he?« »Lass uns hoffen, dass es nicht so ist.« Auf halbem Weg zum See verlangsamten die fallenden Gestalten auf einmal ihren Sturz und blieben mitten in der Luft
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schweben. »Das ist Bruenna!«, rief Slobad. Er sprang auf und nieder und wedelte mit den Armen. Tatsächlich, obwohl ihr Gesicht von Schlamm bedeckt war, es war Bruenna. Selbst auf die Entfernung konnte Glissa sehen, dass die Zauberin einen Spruch aufsagte, und sie hoffte nur, dass es ein Zauber war, der den Tausendfüßler endgültig außer Gefecht setzen würde. Das Monster beobachtete die fliegenden Menschen und bewegte dabei voller Erwartung die Scherenhände. Dann stieß es zu. Glissa zuckte zusammen, und Slobad umklammerte ängstlich ihr Bein. Die fliegenden Zauberer schossen davon und wichen den Klingenarmen aus. Der Luftzug, den der Angriff des Tausendfüßlers erzeugte, trieb die gesamte Gruppe in wirbelnden Strömungen seitwärts. Für Glissa sah es so aus, als würde ein Fliegenschwarm von einem Riesen gejagt. Die Sumpfkreatur versuchte mit gebeugtem Kopf und einem zum Fragezeichen gekrümmten Körper das Gleichgewicht zu halten. Bosh rang auf ihrem Rücken selbst um Halt. Er presste sich gegen die metallene Haut des Tausendfüßlers und hielt sich mit aller Macht fest. Das Ungetüm richtete sich auf und suchte den Raum ab. Bosh nutzte die vorübergehende Pause, um höher zu klettern und den Hinterkopf des Tausendfüßlers zu erreichen. Er hielt sich mit beiden Händen an den schwankenden Antennen fest und stieß sich mithilfe seiner kräftigen Beine vom Körper des Monsters ab. Als er mit zusätzlichem Schwung zurückkam, trat er der Kreatur mit dem rechten Fuß gegen den Kopf.
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Ein lautes Dröhnen erfüllte die Kammer, das von den Wänden widerhallte und die Rohre zum Singen brachte. Der Tausendfüßler schwenkte den Kopf hin und her, während Bosh, der noch immer an den Antennen der Kreatur hing, umherschwang. Im Vergleich mit der eisernen Bestie sah der riesige eiserne Golem wie ein Kinderspielzeug aus, das in alle Richtungen geschleudert wurde. Mit seinen freien Gliedmaßen ruderte er wie wild umher. Jedes Mal, wenn sich das Monster in eine andere Richtung warf, knallte Boshs Körper gegen dessen Haut und erklang wie eine Glocke. Die Sumpfbestie warf sich weiter hin und her und ließ keinerlei Anzeichen von Ermüdung erkennen. Der Teil, der sich noch immer unter der dunklen Wasseroberfläche befand, wand sich und verwandelte den dickflüssigen unterirdischen See in ein brodelndes Chaos. Sumpfwasser ergoss sich über den Laufsteg, schwappte gegen die Wände und erreichte auch die bereits nassen Freunde. Bruenna und ihre Zauberer schwebten von der wütenden Bestie weg und landeten auf dem Steg neben Glissa und Slobad, nicht weit entfernt von dem Tunnel, der aus dem Raum führte. »Wir müssen fliehen«, sagte die Zauberin, als sie in Glissas Hörweite war. Glissa nickte. »Aber nicht ohne Bosh.« Bruenna legte der Elfin eine Hand auf die Schulter. »Was er tut, ist ein Geschenk. Lass seine Tapferkeit nicht vergebens sein.« Sie führte Glissa zum Tunnel. Die Menschenzauberer reihten sich an dem Durchgang auf. Einer von ihnen verschwand in der Dunkelheit, um den Weg zu erkunden. Glissa ließ sich widerstrebend zu der Öffnung ziehen. Den Blick hatte sie weiterhin nach oben auf Bosh gerichtet.
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Der Golem klammerte sich noch immer verbissen an den sich hin und her werfenden Tausendfüßler. Glissa sah nach unten. Slobad hing an ihrem Schenkel. Mit jedem Schritt, den sie tat, tat der Goblin zwei. Jetzt sah er ihr direkt in die Augen. Die seinen wirkten traurig und voller Furcht. Er sah so aus, wie sie sich fühlte. Sie griff nach unten und nahm die Hand des Goblins. Sie erwartete, dass er etwas sagte, doch alles, was er von sich gab, war ein ersticktes Fiepen. Er wusste, was ihr durch den Kopf ging, dachte er doch dasselbe. Es war nicht nötig, die Worte auszusprechen. Die Elfin und der Goblin gingen in den Tunnel. Als die Decke sich über ihnen schloss, duckten sie sich, um noch einen Blick auf ihren Freund zu werfen. »Wir müssen gehen«, sagte Bruenna. »Je schneller wir uns das holen, weswegen du gekommen bist, desto eher können wir Memnarch gegenübertreten.« Glissa rührte sich nicht von der Stelle. »Bosh würde wollen, dass du gehst«, sagte die Zauberin. Die Elfin sah zum Goblin nach unten. Er schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Nein, das würde er nicht.« Sie drückte Slobad kurz die Hand und riss sich von Bruennas Griff los. »Los«, sagte sie. »Wir retten Bosh.« Glissa lief aus dem Tunnel zurück in die Höhle. Slobad rannte neben ihr her. Hoch oben klammerte sich ihr Freund nach wie vor an den wild gewordenen Tausendfüßler. »Wie bekommen wir ihn herunter, he?«, sagte der Goblin. Glissa schüttelte den Kopf. Sie sah sich in dem Raum um und suchte nach etwas, was sie als Hilfsmittel einsetzen konnte. Auf der Seite des Sees, wo auch Bosh und der Tausendfüßler waren, fand sie auf halber Höhe an der Wand, was sie suchte.
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Sie packte Slobad an der Schulter und zeigte darauf. »Siehst du das?« Slobad kniff die Augen zusammen. »Was?« »Die Rohrverbindung. Das große runde Ding mit der Naht.« »Nein«, sagte der Goblin. »Da, auf halber Höhe. Die silberfarbene Linie. Siehst du die nicht?« Sie ging auf die Knie, damit sie auf seiner Höhe war und zeigte mit beiden Händen darauf. Slobads Gesicht erhellte sich. »Jetzt sieht Slobad es.« Glissa lächelte. »Wenn ich dich dort hochbringen kann, könntest du es dann auseinander nehmen?« Jetzt war der Goblin an der Reihe, zu lächeln. »Slobad kann alles auseinander nehmen, he?« Sie nahm ihn bei den Wangen und küsste sein kleines Gesicht. »Deswegen liebe ich dich.« Dann stand sie auf und klemmte sich Slobad unter den Arm. »He«, sagte er. »Goblins sind kein Spielzeug, he? Ich reite lieber.« Er kletterte auf ihren Rücken und schlang die Arme um ihre Schultern. Glissa nickte und begann die Worte eines Zaubers zu sprechen. Sie entspannte ihre Rückenmuskulatur und öffnete sich den Mächten des grünen Mana. Hier, tief unter dem Dross, stand nur wenig der geheimnisvollen Energie zur Verfügung, die sie heraufbeschwören wollte. Der Zauber, den sie anwenden wollte, benötigte jedoch auch nur wenig davon. Für alles andere konnte sie mit dem improvisieren, was hier in der Festung der Dunkelheit in Hülle und Fülle vorhanden war. Glissa sammelte die Mächte, die sie brauchte, und bildete den Rahmen ihres Zaubers. Es war eine Zauberformel, die vielen der Waldelfen gelehrt wurde, wenn sie noch sehr jung waren. Es war
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eine Formel, die in vielen verschiedenen Situationen nützlich war, und diese hier war da keine Ausnahme. Als die Worte gesprochen waren, konzentrierte sich Glissa auf die Rohre an der Decke in der Nähe der Kupplung und ließ den Zauber los. Lange, schnurartige Stränge aus klebriger Seide schossen aus ihren Fingerspitzen bis hoch in die Luft. Sie breiteten sich im Fliegen aus und hefteten sich mit ihren Enden an die Decke. Glissa und Slobad hielten sich an der Seide fest und wurden von dem Netz, das die Elfin gesponnen hatte, vom Boden gehoben, geradewegs auf die Wand zu. Der erste Moment machte am meisten Spaß. Die beiden wurden nach dem Abheben vom Boden sofort derart beschleunigt, dass alles, was sie um sich herum sahen, irgendwie verwischte. Während Glissa ihren Zauber vorbereitet hatte, hatte der Tausendfüßler seine Bewegungen verlangsamt, und der eiserne Golem war auf dem Rücken der großen Kreatur zur Ruhe gekommen. »Oh – oh«, sagte Slobad. »Es hat uns gesehen, he?« Glissa schauderte. Es stimmte. Der Tausendfüßler beobachtete sie und den Goblin, während sie sich weiter auf die Wand zubewegten. Das Ungetüm schoss blitzschnell nach vorn und ließ die Scherenarme zuschnappen, um die segelnde Elfin zu erwischen. Glissa drehte sich mitten in der Luft. Es gab keine Möglichkeit, ihre Flugbahn zu beeinflussen. Sie konnte sich lediglich an dem Strang Netzseide festhalten. Die Kreatur kam auf sie zu, wühlte die Luft auf und schob den fauligen Gestank des unterirdischen Sees vor sich her. Glissas Haare wurden durchgepeitscht, und die unnatürliche Brise wehte pfeifend durch das
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Metall an ihren Schienbeinen. Die sich schließenden Arme des Tausendfüßlers reckten sich und griffen nach der Elfin und dem Goblin. Metall traf auf Metall und verfehlte das Fleisch, schnitt jedoch geradewegs durch das magische Netz, weshalb Glissa und Slobad nun auf die Wand zustürzten. Der Raum drehte sich wie wild um die beiden, und Slobads Griff um Glissas Schultern wurde fester. Die Elfin schloss die Augen und ging schnell die Worte für einen anderen Zauber durch. Er war alles, was sie noch hatte. Sie war sich nicht sicher, ob er funktionieren würde, aber sie steckte so viel Kraft hinein, wie sie nur konnte. Als das letzte Wort gesprochen war, ließ Glissa den Zauber frei. Seilstränge, die wie blättrige grüne Ranken aussahen, sprossen aus ihren Händen und Füßen. Slobad keuchte erst auf, dann kicherte er. »He«, sagte er und ließ mit einer Hand los. »Aufhören! Das kitzelt, he?« Glissa ignorierte ihn. Während sie purzelnd hinunterfielen, packte Glissa die Stränge mit beiden Händen. Sie schwang sie wie ein Lasso und schleuderte sie mit aller Kraft gegen die Wand. Die Seile schlugen mit einem metallischen Geräusch auf die Rohre, wickelten sich um sie und schnellten sofort wieder von dem rutschigen, von Schmiere bedeckten Metall zurück. »Verdammt!«, stieß die Elfin hervor. Die Stränge fielen zusammen mit dem trudelnden Paar hinab. Auf einmal geriet einer der Stränge zwischen zwei Rohre – und blieb hängen. Das andere Ende des Seils – das an Glissas Fuß befestigt war – zog mit einem Ruck an. Als das Seil ihren Sturz schlagartig bremste, wurden der Goblin und die Elfin seitwärts
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herumgerissen. Das Paar schwang, kopfüber an Glissas magischer Ranke hängend, über den See hinaus. Das gesamte Blut floss Glissa in den Kopf, und sie hatte Mühe, sich von dem abrupten Halt zu erholen. »Alles in Ordnung?«, fragte sie Slobad. »Ja«, gab der Goblin zurück, wenn es sich auch recht gezwungen anhörte. Die Ranke schwang die beiden wieder gegen die Wand. Glissa zog die Beine an und ließ sich in das Seil sacken, um die Pendelbewegung zu steuern. Der Tausendfüßler ragte in all seiner Größe hinter ihr auf und machte sich bereit, wieder zuzuschlagen. »Slobad«, rief sie, »bekommst du meine Hand zu fassen?« Sie streckte eine Hand nach dem Goblin aus. Slobad packte ohne ein Wort zu. Der Schwung der sich bewegenden Körper änderte den Kurs der Pendelbahn, und das Seil gab nach. Glissa keuchte auf, weil sie nun wieder fielen. Ein lautes Krachen erfüllte den Raum, und wieder wurde ihr Sturz gebremst. Nur ein paar Zentimeter tiefer hatte sich das Seil wieder verfangen. Den Blick auf die kopfüber hängende Elf in gerichtet, sagte Slobad: »Und was jetzt, verrückte Elfin?« »Jetzt werde ich dich zu dieser Rohrverbindung hinüberwerfen.« Slobad hob die Augenbrauen. »Was?« »Wir werden so weit wie möglich ausschwingen, und dann Werfe ich dich zu der Kupplung hoch.« »Warum?«
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»Damit du sie öffnen kannst.« »Und was ist mit dir, he?« Glissa lächelte ihn an, während ihr immer mehr Blut in den Kopf schoss. »Ich werde hier rumhängen.« Das Paar schwang sich auf, erreichte den Höhepunkt der Pendelbewegung, verlangsamte sich, kehrte um und gewann an Geschwindigkeit. Sie flogen jetzt auf die Rohrverbindung zu. »Das ist unsere Chance«, sagte Glissa. »Jetzt oder nie.« Slobad sah nur auf und nickte. Aus den Augenwinkeln sah Glissa, wie der Tausendfüßler sich bereit machte, um abermals zuzuschlagen. Den Kopf zurückgenommen, waren seine Knopfaugen auf Glissa und Slobad gerichtet. »Und los!«, rief sie und warf sich mit aller Kraft nach vorn. Auf dem höchsten Punkt der Pendelbahn, als sie der Rohrverbindung am nächsten waren, ließ sie den Goblin los. Im selben Augenblick ächzte die Ranke wieder, riss ab, und Glissa stürzte mit dem Kopf voran in die Tiefe. Noch im Fallen beobachtete sie, wie Slobad durch die Luft segelte. Er sah aus, als hinge er an einem unsichtbaren Haken, schwerelos und vollkommen unbekümmert ob der Tatsache, dass er sich auf das Zehnfache seiner eigenen Körpergröße hoch in der Luft befand. Auf einmal nahm der Kopf des Tausendfüßlers ihr ganzes Sichtfeld ein. Er fuhr auf sie zu, und der Rest der Welt raste ihr entgegen. Sie konnte das Scherengeräusch der sich öffnenden und schließenden Arme des Monstrums hören. Dann schlug sie auf etwas Hartes auf, und alles um sie herum wurde schwarz.
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Am anderen Ende des Sees tauchte ein neues Raubtier auf. Ungesehen, aber alles sehend, schlich es sich zwischen den Rohren hervor. Die vierbeinige Kreatur blieb im Schatten stehen und suchte den Raum mit ihren habichtartigen Augen ab, die tief im Kopf über einem vogelhaften Schnabel saßen. Sie würde zusehen und abwarten. Der Myr hatte alle Zeit der Welt.
$ Slobad fühlte sich schwerelos. Gerade eben noch schwang er wie ein Affe an einer Liane, und jetzt wurde er durch die Luft geschleudert. Den Teil mit dem Fallen mochte er nicht sonderlich, doch der Augenblick kurz vor dem Sturz, wo man einfach nur in der Luft hing, der gefiel ihm irgendwie. Doch jetzt stürzte er wieder. Glissa hatte ihr Bestes gegeben, um ihn in Richtung der Rohrverbindung zu werfen. Er hatte es aber nicht geschafft und war jetzt wieder auf dem Weg nach unten. Slobad spürte, wie sich sein Magen hob, während er schneller wurde. Diesen Teil mochte er auf keinen Fall. Er streckte die Arme aus, als der Instinkt für die Vernunft übernahm. Seine Finger bekamen nichts als Luft zu fassen. Auf einmal traf etwas Festes sein Bein, und er griff sofort danach. Seine flinken Händen bekamen den Rest einer magischen Ranke zu fassen, und Slobad knallte gegen die Rohre. Sein Herz raste, und Furcht durchfloss seine Adern. Er blickte nach unten und sah Glissa fallen – und den Tausendfüßler, der nach ihr schnappte. Bosh saß weiterhin auf dessen Rücken. Glissa schlug auf die Wasseroberfläche auf, und die Sumpfkreatur tauchte ihren Kopf unter. In der Höhle wurde es bedrückend still. Slobad hielt sich an der Wand fest und lauschte dem
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eigenen Atmen. Er versuchte sich zusammenzureimen, was ihm gerade widerfahren war. Das Geräusch blubbernden Wassers unterbrach seine Gedanken. Die Oberfläche des unterirdischen Sees explodierte, und der Kopf des Tausendfüßlers schoss in die Höhe. Bosh war nicht mehr da. Großartig, dachte der Goblin. Bosh und Glissa sind verschwunden, und Slobad ist derjenige, der hier mit dem wütenden Tausendfüßler festhängt, he? Slobad entschied, nach oben zu klettern, bevor die Kreatur die Orientierung wiedergewann. Er packte das kleinste Rohr, das er finden konnte, hielt sich daran fest, als wäre es Glissas Rücken, und schob sich nach oben auf die Rohrverbindung zu. Es war alles andere als einfach, aber Slobad war ein guter Kletterer, und so schaffte er es Stück für Stück. Die Kupplung war allerdings an einem anderen Rohr, und er musste noch einen Weg finden, um von seinem Rohr dort hinüberzukommen. Jetzt, wo er darüber nachdachte, fiel ihm ein, dass er nicht einmal wusste, weshalb er dorthin kletterte. Glissa hatte gewollt, dass er die Rohrverbindung löste, aber das war gewesen, als Bosh noch auf dem Rücken der Kreatur festgesessen hatte. Doch selbst als der Golem noch an dem Ungetüm gehangen hatte, war Slobad nicht klar gewesen, was das Lösen der Kupplung für einen Zweck haben sollte. Er hatte die Stelle schon fast erreicht, als er ein lautes Zwitschern hörte. Als er sich umdrehte, sah er genau in die kleinen Knopfaugen des riesigen Tausendfüßlers. Slobad schluckte. »Bist ein lieber Käfer, he?« Das Sumpfmonster zog den Kopf zurück und schnappte nach dem Goblin.
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Slobad hatte gerade noch Zeit, auf das Nachbarrohr zu springen, da schlug der Kopf der Kreatur auch schon in die Verbindung. Ein dumpfer Gong, gefolgt von einem hohen Zischen, erfüllte den Raum. Eine Flut von Schmutz schoss aus dem Rohr, raubte dem Tausendfüßler die Sicht und drängte ihn zurück. Der Angriff der Kreatur hatte die Verbindung durchlöchert, und all die Sumpfflüssigkeit in dem Rohr kam in einem riesigen Schwall frei. »Oh«, sagte Slobad. »Jetzt versteht Slobad die verrückte Elfin.« Unter sich sah er Glissa und Bosh auftauchen und aus dem See steigen. Bruenna stand unter ihm und winkte. »Was?«, rief er. Bruenna legte die Hände an den Mund. »Spring!« »Oje.« Slobad zuckte die Achseln und sprang.
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Kapitel 18
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emnarchs Körper summte vor Erwartung. Jede Zelle, jedes Molekül aus Metall und Fleisch gierte nach Serum. Nein, brauchte mehr Serum. Der Wächter von Mirrodin beugte sich über die Kontrollen seines Nachtstahlauges und trank in großen Schlucken aus einem Becher. Als er das Auge gebaut hatte, war er davon ausgegangen, dass er immer seine Infusionsapparatur in der Nähe haben würde. Deswegen war die Beobachtungskammer auch zu klein für ihn, solange er die Serumtanks trug. Das war eine Fehlentscheidung gewesen. Brummende Bilder umgaben ihn. Jeder der sechs Schirme zeigte ihm einen Blick durch die Augen seiner Myr. Im Augenblick interessierte ihn das alles herzlich wenig – bis auf die jüngsten Ereignisse im Mephidross. Das Elfenmädchen zu fangen hatte für Memnarch oberste Priorität. Der Rest der Welt konnte warten – so wie er auch gewartet hatte. Durch die Augen des Spions beobachtete er, wie die Elfin und ihre Freunde dem Tausendfüßler entkamen und in den Tunnel krochen. Memnarch hatte dem Ganzen fast atemlos zugesehen. Die Folter der Dross-Bewohner würde kein Ende nehmen, wenn
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sie in dem Sumpf umkam. Wie ärgerlich das alles ist, dachte er. Wenn er sie doch nur in die Finger bekäme. Wenn er doch nur in seinem ursprünglichen Körper wäre, seinem erschaffenen, perfekten Körper, dann wäre er in der Lage, sie selbst zu jagen. Doch leider war er das nicht. Er war dazu verdammt, diese durchsackende fleischliche Monstrosität zu bewohnen, die zu nichts weiter diente, als ein Gefäß für seine Großartigkeit zu sein. In diesem Körper gab es nur eines, was er auf der Suche nach der Elfin tun konnte: beobachten und warten. Jedes Mal, wenn seine Diener sie in die Ecke getrieben hatten, gelang dem Elfenmädchen wieder die Flucht. Doch dieses Mal würde das nicht der Fall sein. Jetzt, wo der Myr hinter sein Versteck trat, war Memnarch extrem erleichtert. Sie brauchte nur das andere Ende des Tunnels zu verlassen, und schon würde er sie in den Händen haben.
$ Glissa und Bosh fischten Slobad aus dem unterirdischen See. Sein Körper war fast komplett erschlafft, aber er hustete Sumpfwasser hoch, also nahm die Elfin an, dass er noch am Leben war. Glissa warf noch einen letzten Blick auf den orientierungslosen Tausendfüßler und kroch dann mit Slobad im Schlepptau zu den anderen in den Tunnel. Das bedrückende gelbe Leuchten der hinter ihnen liegenden Höhlenkammer reichte nicht all zu weit in den Tunnel hinein. Etwa einhundert Meter weiter war alles dunkel. »Hat jemand eine trockene Fackel?«, fragte Glissa. Der Durchgang wurde plötzlich von einem kalten blauen
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Leuchten erhellt. Vor der Elfin hielten Bruenna und zwei ihrer Zauberer je eine Hand in die Höhe. In der ausgestreckten Handfläche hielt jeder eine kleine Lichtkugel. Es war nicht viel, aber es erfüllte seinen Zweck. »Schon besser.« Glissa suchte den Tunnel ab. Er war groß genug, um dem eisernen Golem Platz zu bieten, wenn er von Zeit zu Zeit auch mit dem Kopf an die Decke stieß, was aber von der Menge an Schlamm abhängig war, die sich auf dem Boden gesammelt hatte. Die Wände waren von einem dünnen Film bedeckt, der Glissa an den Schlamm erinnerte, den sie auf den Weg zum Grund der Sumpfes durchschwommen hatte. Bei einem Blick auf ihre Hände sah sie, dass sich genau dieser Schleim in jeder Körperfalte festgesetzt hatte. Die Linien ihrer Handflächen waren tiefschwarz, und ihre Haut sah aus, als gehörte sie jemandem, der doppelt so alt war wie sie. »Ich glaube, ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal sauber war.« Die Gruppe ging weiter voran und folgte den Biegungen und Kehren. Al-Hayat hatte Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten. Seine Pfoten rutschten immer wieder auf dem Schleim ab, und seine Klauen, die über die unter dem Schlamm liegende Wandung der Metallröhre schabten, gaben ein kreischendes Geräusch von sich. Der Durchgang wurde schließlich gerade, und vom anderen Ende schien ein helles, weißes Licht in den Tunnel. Es war weder richtig hell, noch blendete es, es war aber auf jeden Fall stärker als das matte Blau von Bruennas Lichtzauber. Der Anblick des neuen Lichts erinnerte Glissa daran, wie sie die blaue Lakune verlassen hatten. Damals waren sie aus dem Tunnel gekom-
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men und hatten eine vollkommen neue Welt vorgefunden, eine, von der sie gedacht hatte, dass sie in die Welt der Sagen gehörte, die aber Wirklichkeit war. Jetzt fragte sie sich, ob sie wieder etwas Neues vorfinden würde, wenn sie in das Licht hinaustrat. Sie wusste nicht, ob es möglich war, dass ihre ganze Welt noch einmal auf den Kopf gestellt werden konnte, aber allein der Gedanke brachte sie auf der Stelle zum Stehen. »Was ist los?«, fragte Bosh. Seine volltönende Bassstimme weckte den schlafenden Slobad auf. Der Goblin rieb sich die Augen, sprang zu Boden und stellte sich neben die Elfin. Glissa zuckte die Achseln. »Das letzte Mal, als wir einen solchen Tunnel verlassen haben, haben wir eine hohle Welt entdeckt. Was werden wir dieses Mal vorfinden?« Al-Hayat hatte die Unterhaltung gehört und war umgekehrt, um sich zu den anderen zu gesellen. »Ist es so schlecht, etwas Neues zu finden?« »Nein«, erwiderte Glissa. »Nicht immer.« Sie lächelte. »Aber dich habe ich auch nicht am Ende eines Tunnels gefunden.« Der Wolf lachte. »Also ist alles schlecht, was am Ende eines Tunnels liegt?« Glissa hob wieder die Schultern. »Ich weiß nicht. Das ist erst mein zweiter Tunnel.« Al-Hayat drückte ihr die Schnauze in den Rücken und schob sie vorwärts. »Vielleicht ist dieser hier gar nicht so schlecht.« Bruenna trat heran. Ihre Leuchtkugel war jetzt erloschen. »Sei dir da nicht so sicher.« Glissa sah abwechselnd alle ihre Freunde an. Sie war so weit gekommen. Es gab keinen Grund, jetzt aufzugeben. Sie wappnete sich, ging weiter – und trat aus dem Tunnel hinaus.
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Sie wurde von der Hinterseite eines hohen, hellen Metallthrones erwartet, der auf einem mehrfach abgestuften Podium stand. Die Wände der Kammer bestanden aus einem dunklen, verätzten Metall, das so aussah, als hätte eine Säure daran gefressen – oder noch etwas Schlimmeres. Als Glissa hinter dem Thron hervortrat, sah sie eine außergewöhnlich hohe Doppelflügeltür. Sie war geschlossen, und ihre Ränder erstrahlten in einem magischen roten Licht. »Ich war hier schon einmal«, sagte sie. Die anderen kamen der Reihe nach aus dem Tunnel. Slobad stellte sich neben die Elfin; er wollte jetzt unbedingt in ihrer Nähe bleiben. Glissa ging zu dem Podium und berührte das Kissen auf der Sitzfläche des Throns. »Wir befinden uns in der Gruft des Geflüsters«, sagte sie. »Das hier ist Geths Quartier.« Die Doppeltür flog auf. Eine dicke Nebelwolke ergoss sich wie eine Welle über den Boden und erfüllte den Raum von Wand zu Wand. Hinter dem Nebel betrat ein bleicher humanoider Mann den Raum. Sein kahler Kopf glänzte unter dem warmen Licht. Ein Metallstreifen verlief über seine Stirn und den Hinterkopf bis zum Hals hinunter, wo er in den Falten seiner grauen Kutte verschwand. »Wie schön, dich wiederzusehen, Glissa«, sagte der Mann beim Eintreten. »Du solltest aber wirklich nicht so unerwartet vorbeischauen.« Glissa zog ihr Schwert aus der Scheide. »Hallo, Geth. Ich hoffe, dass unser Besuch dieses Mal nicht so unerfreulich für dich verläuft wie unser letzter.«
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»Sei nicht so hart zu dir selbst«, erwiderte Geth. Er ging an der Wand entlang und kam so immer tiefer in den Raum, allerdings ohne sich Glissa zu nähern. »Ich habe deinen letzten Besuch doch genossen.« Glissa sah dem seltsamen hageren Mann hinterher. »Ja, darauf wette ich«, sagte sie. »Und? Wie geht es deinem Vampir so?« Geth sträubte sich sichtbar. »Gut, gut.« Mittlerweile hatten auch Bruenna und ihre Zauberer den Raum betreten. Sie standen an der Wand gegenüber Geth. »Und Yert?« Geth runzelte die Stirn. »Yert weilt leider nicht mehr unter uns.« Glissa stieg von dem Podium herab. »Was hast du ihm angetan?« Geth ging weiter an der Wand entlang, blieb aber stehen, als er Al-Hayat hinter dem Thron hervorkommen sah. Der Herrscher der Gruft hielt die Hände hoch. »Nichts. Das schwöre ich.« »Wo ist er dann?« Geth beäugte Al-Hayat noch einmal, als Bosh neben den Wolf trat. Der hagere Mann sah von dem seltsamen Paar zu den menschlichen Zauberern und dann wieder zurück zu Glissa. »Er hatte einen tragischen Unfall.« »Unfall?« Geth nickte. »Es stellte sich heraus, dass er doch nicht so geübt im Umgang mit Waffen war.« Er breitete die Arme weit aus und zuckte die Achseln. »Ich gab ihm einen neuen Schnitter, wie du mir befahlst, doch der gute Mann geriet selbst in dessen Fänge, und zwar nur ein paar Stunden, nachdem du aufgebrochen warst.« Glissa spürte, wie ihr die Galle hochkam. »Wenn du …« Sie
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machte einen drohenden Schritt vorwärts, aber Geth streckte den Zeigefinger hoch und bewegte ihn hin und her. »Du bist doch nicht hierher gekommen, um nach Yert zu sehen, junge Glissa. Wieso sagst du mir nicht, was du willst, dann können wir deinen Besuch hier vielleicht etwas abkürzen.« Glissa hielt inne, aber sie umklammerte den Griff ihres Schwerts weiterhin fest mit beiden Händen. Sie holte tief Luft. »Also gut, Geth.« Sie hielt eine Hand hoch und zeigte ihm den Ring, den der Troll ihr gegeben hatte. »Ich brauche den letzten Teil des Kaldra-Wächters.« Geth machte einen Schritt rückwärts. »Oh, oh. Das ist keine kleine Bitte.« Glissa kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. »Was willst du, Geth?« Der blasse Mann lächelte. »Was ich will? Du besitzt nichts, was ich begehre. Abgesehen davon, bin ich sogar der Meinung, dass ich dir etwas dafür schulde, dass du das Leben meines Vampirs geschont hast.« Die Elfin legte den Kopf schräg. Geth erschien ihr zu erfreut über das Wiedersehen. »Das stimmt«, sagte sie. »Aber was amüsiert dich so sehr?« »Was mich amüsiert?« Geths Lächeln wurde noch breiter. »Ich erfreue mich lediglich an der Ironie des Ganzen. Das letzte Mal, als du hier warst, bist du hereingestürmt, hast meinem Vampir einen Arm abgeschnitten, wolltest von mir wissen, wer dir nach dem Leben trachtet, und bist mit meiner Serumphiole abgehauen.« Er hielt sich die Hand vors Gesicht, um das Lächeln zu verbergen. Vergeblich. Er begann laut zu lachen. »Und jetzt brauchst du meine Hilfe. Ist das nicht großartig?« »Ja, großartig, Geth.« Glissa wurde immer ungeduldiger. »Also
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sag mir endlich, wo das letzte Stück ist, oder dieses Mal ist es nicht dein Vampir, der eine Gliedmaße verliert.« Geth bemühte sich, sein Lachen zu unterdrücken, schaffte es aber nicht. Er hob eine Hand hoch und holte tief Luft, um sich zu beruhigen. »Siehst du denn nicht das Wunderbare an dieser Sache? Es ist wie der Kreislauf des Lebens. Zuerst bist du nichts. Dann wirst du geboren. Du lebst dein Leben, und dann stirbst du.« Geth rieb sich die Hände. »Wenn du Glück hast, endest du hier im Dross, um im Unleben produktiv zu sein. Wenn nicht, dann war es das. Du bist wieder nichts.« Glissa lief es eiskalt den Rücken herunter. Irgendetwas stimmte hier nicht. Und als sie sich umsah, erkannte sie, dass Bruenna und ihre Zauberer dasselbe dachten. Auf der anderen Seite des Thrones stand Al-Hayat und fühlte sich ebenfalls unwohl. Er sah sich immerzu um und hatte den Rücken zum Sprung gebuckelt. Slobad kauerte neben ihr am Boden. Er sah müde aus und wirkte wie weggetreten. Der Sprung in den See musste ihn viel Kraft gekostet haben. Nur Bosh schien die eigenartige Situation nicht zu berühren. Andererseits war Boshs Gesichtsausdruck ohnehin die ganze Zeit stoisch, weder fröhlich noch traurig. »In Ordnung, Geth«, sagte Glissa. Sie hob wieder ihr Schwert und machte zwei Schritte auf den blassen Mann zu. »Du kannst so viel lachen, wie du willst, wenn wir wieder verschwunden sind.« Geth presste sich mit hervorquellenden Augen dicht an die Wand. Glissa ging näher an ihn heran und ließ die Klinge ihres
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Schwerts knapp unterhalb seiner Kehle schweben. »Sag mir, wo sich das letzte Teil befindet.« »Was macht dich glauben, dass ich es dir gebe?« »Das hier.« Glissa fuhr mit der Schwertspitze über die Wange des hageren Mannes und hinterließ eine dicke rote Linie aus Blut. Geth schrie auf und riss die Hände hoch, um die frische Wunde zu bedecken. Der Ausdruck des Schreckens auf seinem Gesicht, aber auch des Verrats, war offensichtlich. »Ich hab einmal dein Leben verschont, aber im Augenblick bin ich in keiner solch großzügigen Laune.« Glissa sah an sich herab. Sie war vollständig von Schlamm bedeckt. »Ich habe in letzter Zeit viel durchgemacht, ich habe weder geschlafen noch gegessen, und außerdem traue ich dir sowieso nicht.« Während des letzten Wortes stach sie Geth wieder mit der Spitze ihrer Klinge, wie um ihre Aussage zu betonen. »In Ordnung, in Ordnung.« Geth hielt kapitulierend die Hände hoch. »Ich werde es dir zeigen.« Der Herrscher der Gruft legte die Finger an die Lippen und stieß ein hohes Pfeifen aus. Die von Säure zerfressenen Wände seines Quartiers kippten nach vorn, als hätte ein unsichtbarer Riese sie bislang festgehalten und würde sie jetzt loslassen. Glissa packte Geth am Kragen seiner Kutte und zog ihn unter der fallenden Wand weg. Der Herrscher der Gruft löste sich sofort aus ihrem Griff und verschwand im wirbelnden Nebel. Als die Wände nach innen kippten, rannten alle in die Mitte des Raumes zum Podium. Der Platz reichte kaum aus, und Bosh war gezwungen, auf den Thron zu klettern. Als alle in der Mitte des Raumes in Sicherheit waren, fielen die Wände mit einem enormen Scheppern zu Boden und scho-
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ben dabei einen Luftzug vor sich her. Der Nebel, der mit Geth hereingekommen war, wirbelte in die Luft, und die vier Freunde wurden von einem dichten, undurchdringlichen Ring aus Weiß umfangen. »Was hast du getan, Geth?«, rief Glissa in den Nebel. Der Herrscher der Gruft kicherte. Seine Stimme erklang von weiter weg, als Glissa erwartet hatte. »Nur den Kreislauf vollendet.« Alle standen auf alles gefasst da und strengten sich an, etwas zu sehen. Der Nebel lichtete sich wieder und sank langsam zu Boden. Als er sich legte, nahmen irgendwelche Objekte Form an. Sie waren groß und schmal und sahen zunächst wie menschliche Statuen aus. Der Nebel haftete an den Gestalten, während er sich weiter senkte, und verlieh ihnen den Eindruck, als stiegen sie aus dem Boden. Dann bewegte sich eine von ihnen. »Hallo, Elfin«, sagte jemand mit einer Stimme, die gedämpft und wie von weit weg klang. Bruenna hob die Hände und ließ magische Energie zwischen ihnen tanzen. »Vedalken!«
$ Pontifex sah zu, wie die Wände von Geths Quartier einstürzten. Ein dichter Nebel hob sich in die Luft und versperrte ihm die Sicht. »Marek, stehen deine Truppen bereit?« »Ja, mein Lord«, sagte der Vorsteher der Elitegarde. Er hielt eine leuchtende Hellebarde in einer Armbeuge, und in seinen anderen Händen hielt er einen altmodischen Dreizack.
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»Exzellent.« Pontifex rieb zwei seiner vier Hände aneinander. »Jetzt warten wir und sehen zu, ob unser Freund Geth etwas erreicht hat.« Als die Wände mit einem lauten Schlag zu Boden fielen, erhob sich in der Mitte von Geths Quartier sozusagen eine Insel. An dieser Insel hielten sich die Elfin und ihre Begleiter wie an der Mastspitze eines sinkenden Schiffes fest. »Hallo, Elfin«, sagte Lord Pontifex. Er trat einen Schritt nach vorn. An der Spitze der Insel wurde ein Paar Hände, umgeben von magischer Energie, in die Höhe gehoben. Pontifex hörte jemanden »Vedalken!« sagen, dann schoss ein blauer Energieblitz hervor und hüllte einen neben ihm stehenden Krieger ein. Pontifex wandte sich um, um Marek den Befehl zum Angriff zu geben, aber sein Leibwächter und Kommandant der Vedalkengarde hatte bereits losgeschlagen. Obwohl sich der Nebel größtenteils gelichtet hatte, hing er noch immer über dem Boden und verdeckte die untere Hälfte der vorstürmenden Krieger. Sie hielten ihre geladenen Lanzen im Laufen hoch über sich. Die leuchtenden Spitzen erhellten die wabernde weiße Wolke am Boden, verdrängten alle anderen Farben des Spektrums und ersetzten sie durch ein blasses Blau. In der nächsten Sekunde schlugen Pontifex’ Krieger in den eng zusammengedrängten Haufen in der Mitte des Raumes. Metall traf auf Metall. Das Geräusch von reißendem Fleisch und berstenden Knochen erhob sich wie ein erschallendes Horn über den Nebel. Das Aufblitzen der blauköpfigen Hellebarden warf exotische Schatten auf die weiße Wolke. Pontifex war seinem Ziel nahe.
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$ »Das ist eine Falle!«, rief Glissa und wappnete sich gegen den Angriff. Bruenna hatte bereits reagiert und einen gezackten Energieblitz in den Nebel geschickt. Was zunächst wie Statuen ausgesehen hatte, waren Vedalkenkrieger. Der Nebel verdeckte den größten Teil ihrer Körper, doch Glissa konnte nun die Enden ihrer mit magischen Spitzen versehenen Hellebarden erkennen. Sie schienen über der Nebelwolke zu schweben und gaben ein blassblaues Leuchten ab. Es war eine eigenartig beruhigende Farbe. Da näherten sich die Krieger auch schon, und Glissa hatte keine Zeit mehr, die Schönheit der tödlichen Klingen zu bewundern. Magie schoss aus Richtung des Podiums und traf die angreifenden Krieger. Einige stürzten, aber der Rest drang weiter vor. Glissa warf sich nach vorn. Ihre Klinge biss in Vedalkenfleisch. Der Nebel wirbelte hoch und umgab die Kämpfenden. Klingen schlugen aufeinander, und Funken flogen. Zaubersprüche wurden gesprochen, worauf einige Krieger wie eingefroren stehen blieben. Dennoch war die gesamte Gruppe auf dem Podium innerhalb von Sekunden umstellt. Glissas Klinge sang, als sie die dicke, feuchte Luft durchschnitt. Sie hackte mit einem Schwung sauber den Schaft einer Vedalken-Hellebarde durch. Mit dem nächsten schlug sie den Krieger nieder, der die beiden Hälften hielt. Von dort aus, wo sie stand, konnte sie ihre Freunde nicht sehen. Manchmal sah sie kurz blaue Magie auf die Vedalkenkrieger zuschießen oder hörte Al-Hayat knurren. Sie zweifelte aber dar-
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an, dass sie, selbst wenn sie die Zeit hätte, um sich nach Slobad und Bosh umzusehen, die beiden in dem dichten Nebel finden würde. Die Elfin kickte den sterbenden Krieger vor sich zur Seite und wandte sich der nächsten undeutlich sichtbaren Gestalt zu, die in der wabernden weißen Wolke auf sie wartete. Die energiegeladene Spitze einer Hellebarde kam in Sicht, und Glissa beschleunigte ihren Hieb. Sie konnte den Angriff gerade noch abwehren, bevor ihr die Waffe in die Schulter fuhr. Sie wirbelte zur Seite und kam auf den Fußballen auf. Die Spitze der Hellebarde näherte sich ihr abermals, doch dieses Mal war sie besser vorbereitet und schlug sie mit Leichtigkeit zurück. Auf einmal fuhr ihr ein scharfer Schmerz in den Oberschenkel. Die Hellebardenklinge war nur ein Täuschungsmanöver gewesen. Glissa senkte den Kopf und sah gerade noch den Dreizack, der sich in den undurchsichtigen Nebel zurückzog. Glissa sog durch zusammengebissene Zähne Luft ein und ging einen Schritt rückwärts. Der stechende Schmerz ließ sie humpeln. Der Dreizack hatte drei tiefe Löcher in ihren Schenkel gebohrt, aus denen nun Blut floss. Die gesamte linke Seite ihres Körpers begann zu schmerzen. So konnte sie nicht kämpfen. Sie musste sich zuerst einmal selbst heilen. Sie warf einen Blick über die Schulter und sah sich nach Hilfe um. Es war niemand zu sehen, nur die wirbelnde weiße Wolke und Blitze blauer Magie. Ihre einzige Chance bestand darin, sich in dem Nebel so lange zu verstecken, bis sie ihr Bein geheilt hatte. Genau in dem Augenblick, als ihr dieser Gedanke kam, trat der Krieger aus dem Nebel, gegen den sie gekämpft hatte – der Vedalken, den Bruenna Marek genannt hatte. In einer Hand hielt
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er eine leuchtende Hellebarde und in der anderen einen kurzen Dreizack. Die Spitzen des Dreizacks glänzten, und obwohl das Leuchten der Hellebarde die Farbe auswusch, wusste Glissa, dass es ihr Blut war, das die Spitzen befleckte. Marek verschwendete keine Zeit. Er schlug die Hellebarde mit einem scharfen Hieb nieder. Glissa wehrte sie mit dem Schwert ab, aber ihr verletztes Bein behinderte sie. Abermals durchzuckte ein starker Schmerz ihren Schenkel, und sie sah den Vedalken nun schon zum zweiten Mal seinen Dreizack aus ihrem verwundeten Bein ziehen. Sie fiel zu Boden. Der dicke Nebel wirbelte hoch und verbarg Glissa vor Mareks Blick. Sie drückte ihr Schwert dicht an sich und rollte nach rechts, um dem Gegner zu entrinnen. Der Kampfeslärm erfüllte die Luft über ihr, und genau neben ihrem Kopf dröhnte auf einmal ein schwerer Stiefel zu Boden. Er hat mich gefunden, dachte sie. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinab, und Panik durchflutete ihre Adern. Sie hatte versagt. Dann ging der Krieger aber weiter, worauf Glissa einen kurzen Seufzer der Erleichterung ausstieß. Die Elfin ließ ihr Schwert sinken und legte beide Hände auf den verwundeten linken Schenkel. Selbst das Anwenden eines leichten Drucks auf die Haut brachte die Wunde noch mehr zum Pochen, und Glissa zuckte zusammen. Sie holte tief Luft, sammelte ihre Gedanken und beschwor Mana herauf. Wie der Zauber, den sie beim unterirdischen See angewandt hatte, brauchte auch dieser nur einen kleinen Teil der Energie des Knäuels. Als sie spürte, dass der Zauber vollständig war, entließ Glissa die geheimnisvolle Magie aus ihren Fingern, damit die heilende Wärme in ihren Schenkel strömte. Der Schmerz ließ sofort nach. Glissa schloss die Augen und gab sich einen kurzen Augenblick
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lang schmerzloser Seligkeit hin. Auf einmal drückte ihr jemand scharfen, kalten Stahl an die Kehle. »Ich schlage vor, dass du dich ergibst«, sagte jemand mit einer wie unter Wasser klingenden Stimme. Glissa öffnete die Augen und sah ihr Spiegelbild, reflektiert in der glänzenden Oberfläche von Mareks Maske.
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Kapitel 19
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M
arek hob Glissa vom Boden hoch und hielt der Elfin mit zwei seiner Hände die Arme auf den Rücken. Mit den anderen beiden richtete er die Spitze seiner Hellebarde auf Bruenna. Die Vedalkenkrieger hatten jedermann auf dem Podium gefangen genommen oder getötet. Hinter Marek hielten ein Dutzend Krieger ihre Hellebarden gegen den riesigen Wolf und drückten ihm die Spitzen in die Haut. Ein anderes Dutzend hielt den großen Golem fest, der auf dem Thron stand. Der Goblin und der einzige überlebende Zauberer waren entwaffnet worden und standen ebenfalls unter Bewachung. Pontifex schritt mit Geth im Schlepptau auf das Podium zu und sah auf das widerspenstige Elfenmädchen herab. »So treffen wir uns also wieder.« »Pontifex«, sagte Glissa. »Welch eine Überraschung. Ihr seid doch nicht immer noch wütend wegen dieses kleinen Zwischenfalls in Eurem Becken des Wissensvorrats?« Sie wehrte sich, aber es war klar, dass Marek einen festen Griff besaß. Der Vedalken-Lord nahm die Bemerkung nicht ernst. »Nein, natürlich nicht.« Er kam noch näher, bis sein Gesicht direkt vor Glissas Nase war. »Ich habe einen viel besseren Grund, dich ein-
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zufangen.« Geth leckte sich die Lippen und rieb sich die Hände. Obwohl er kein Wort sagte, war es offensichtlich, dass er die Situation genoss. »Ach wirklich?«, sagte die Elfin. »Und der wäre?« »Es gibt Wesen auf dieser Welt – Mächte, die du immer noch nicht begreifst. Und du, meine junge Elfenfreundin, hast ihre Aufmerksamkeit erregt.« »Und Ihr steht in ihren Diensten?«, sagte Glissa. »Der Regent der Vedalken ist zum Gelegenheitsschläger geworden?« Pontifex lächelte. »Nein, Glissa. Im Gegenteil. Ich bin hier, um dafür zu sorgen, dass diese Mächte niemals Erfolg haben.« Er hob sein Schwert und prüfte die Spitze mit seinem Daumen. »Ich bin hier, um dich zu töten.« Geth kicherte. Marek wandte seine Aufmerksamkeit von dem Elfenmädchen und der Zauberin zu seinem Herrn. Der wollte die Elfin also wirklich töten. Er versuchte es schon seit einiger Zeit. Die wirkliche Frage war nur: Was würde danach geschehen? Ein gewaltiges Donnern und Summen riss Marek aus seinen Träumen. »Lasst sie gehen, Pontifex«, donnerte eine Stimme. Aus dem Nebel rollte ein Trupp Gleichmacher. Lord Pontifex wandte sich von dem Elfenmädchen ab. »Verschwinde, Malil. Das hier geht dich nichts an.« Malil ritt auf seinem Gleichmacher heran und hatte das Langschwert bereits aus der Scheide gezogen. Etwas an dem Metallmann sah anders aus. Marek hatte ihn nur ein paar Mal zuvor gesehen, doch jetzt sah er … menschlicher aus. Sogar müde, so als litte er an denselben Beschwerden,
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die alle organischen Kreaturen von Mirrodin heimsuchten. Malil ritt bis an den Fuß des Podiums heran, bis er nur noch ein Paar Schritte von Pontifex entfernt war. Die anderen Gleichmacher stellten sich zwei Reihen tief hinter ihm auf. »Doch«, sagte der Metallmann. »Doch, das tut es. Und jetzt lasst das Mädchen los und übergebt es mir.« Pontifex schüttelte den Kopf. »Denkst du, dass ich sie nach allem, was ich unternehmen musste, um sie zu finden, einfach dir übergebe, damit du all den Dank erntest?« »Memnarch will sie lebend, Pontifex.« Marek sah aus den Augenwinkeln eine vierbeinige Kreatur durch die Schatten huschen. Er sah das Wesen nicht genau, nur dessen Bewegungen und den Umriss, als es von einer dunklen Ecke zur nächsten kroch. Pontifex ließ seine Hellebarde im Zickzack durch die Luft fahren, wobei sie ein zischendes Geräusch von sich gab. »Du wirst sie schon von mir holen müssen.« Malil blinzelte nicht einmal. »Wenn das nötig ist.« Die Gleichmacher schossen nach vorn und mähten die Vedalkenwachen nieder, die auf der ersten Stufe des Podiums standen.
$ Glissa, deren Arme immer noch von Marek hinter dem Rücken gehalten wurden, fischte mit dem Fuß auf dem Boden umher. Sie hatte ihr Schwert dort fallen lassen, wo sie den letzten Zauber gewirkt hatte. Seit man sie gefangen genommen hatte, suchte sie nach der Waffe. Sie verschob ihre Stellung etwas und trat auf etwas Festes. Es
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rutschte zur Seite und gab dabei ein metallisches Geräusch von sich, das von dem dichten Nebel aber gedämpft wurde. Ich habe es gefunden, dachte sie. Diese Erkenntnis erfüllte sie mit einem gewissen Hoffnungsschimmer. Dann griffen die Gleichmacher an, und Marek lockerte seinen Griff. Glissa machte einen Satz von ihrem Gegner weg und sprang zu Boden. Sie packte den Griff ihres Schwertes und stand wieder auf. Mehr als die Hälfte der Vedalken hatte sich umgedreht, um es mit den Gleichmachern aufzunehmen. Marek war nirgends zu sehen, und Al-Hayat hatte mit jeder seiner Vorderpfoten einen vierarmigen Krieger an den Boden genagelt und einen weiteren fast schon komplett ausgeweidet zwischen den Zähnen. Bosh griff nach unten, um sich ein paar Vedalken zu schnappen, doch als er sein Gewicht verlagerte, kippte der Thron, auf dem er stand, nach hinten, und er verlor das Gleichgewicht. Der eiserne Golem verschwand aus dem Blickfeld, als der Thron umkippte. Nebel und Staub stiegen in die Luft, und Glissa beugte sich über das Podium, um zu ihrem gefallenen Freund zu gelangen. Ein paar der übrigen Vedalkenwachen versuchten, ihr den Weg zu verstellen, aber sie wurden von einem eisigen Magiestrahl Bruennas überwältigt, und die Elfin schaffte es, an ihnen vorbeizukommen. Bei ihrem nächsten Schritt schien der Boden sich jedoch in nichts aufzulösen, und sie stürzte ins Leere. Sie schrie auf. Mit dem Hinterteil landete sie auf etwas Hartem und rollte sich seitwärts. Sie streckte die Hände aus, damit sie etwas zu fassen bekam. Der Boden, auf dem sie landete, kam ihr klumpig und uneben vor. Er bewegte sich unter ihr und gab ein leises Klingelgeräusch von sich.
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Die Elfin überschlug sich einmal und kam dann zur Ruhe. Der Raum um sie herum war dunkel, nur erleuchtet durch den Lichtstrahl, der durch das Loch drang, durch das sie gefallen war. Sie konnte sehen, dass die Decke nur etwa das Dreifache ihrer Körpergröße über ihr lag, was im Vergleich zu ihrem Sturz in den unterirdischen See nicht sonderlich hoch war. Das Loch war vollkommen rund, so als befände es sich absichtlich dort oder als wäre es mittels Magie erschaffen worden. Darüber sah Glissa die Beine des umgefallenen Throns, auf dem Bosh gestanden hatte. »Das Loch war unter dem Thron«, sagte sie zu sich selbst. Dieser Gedanke munterte sie etwas auf. Es hatte den Anschein, dass sie in den letzten Tagen in alle Löcher gefallen war, in die eine Elfin auf Mirrodin fallen konnte. Es muss aber einen Grund geben, warum ich es nicht schon gesehen habe, als ich den Raum betrat, dachte sie. Glissa kletterte an den Punkt, der dem Loch am nächsten war und versuchte hochzuspringen. Wenn sie den Rand des Loches erreichte, würde sie sich vielleicht hochziehen können, aber sie sprang nicht einmal annähernd so hoch, und jedes Mal, wenn sie es wieder versuchte, verschob sich der Boden unter ihr, wobei er dasselbe Klingelgeräusch von sich gab wie schon bei der Landung. Über sich konnte sie Kampfgeräusche hören. Glissa gab das Vorhaben, sich selbst zu befreien, auf und drehte sich einmal im Kreis. Sie kniff die Augen zusammen, damit sie sich besser an die Dunkelheit gewöhnen konnten. Bislang konnte sie nur die Schatten erkennen, die die Wände und Ecken des Raumes ausmachten. Er war klein, nichts Besonderes, und es sah so aus, als wäre sie die Einzige, die sich hier befand.
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Sie kicherte. »Das dachte ich im See auch.« Sie bückte sich, hob eine Hand voll des beweglichen, klingelnden Bodens auf und hob sie ins Licht. Das Material glitzerte. Sie hielt mehrere Dutzend goldener Scheiben in der Hand. Als sie zu Boden sah, erkannte sie, dass dieser mit Haufen dieser Scheiben bedeckt war. Sie selbst stand auf dem höchsten Haufen, genau unter dem Loch in der Decke. Sie stieg bis zum Boden hinunter und untersuchte die anderen Stöße. Es sah so aus, als wären größere Objekte unter den kleineren begraben worden. Glissa ließ die Metallscheiben fallen und bückte sich, um ein paar der anderen Objekte in Augenschein zu nehmen. Kaum hatte Glissa etwas von dem klingelnden Metall zur Seite geschoben, entdeckte sie eine große, aufwändig gestaltete Metallscheibe. Sie bestand aus einem dunkelgrauen Metall und schien ziemlich groß zu sein. Sie war nicht nur groß, sie war riesig. Glissa erkannte die Ecke eines Symbols, das den größten Teil der vorderen Hälfte des Schildes bedeckte. Sie räumte die Metallscheiben, so schnell sie konnte, zur Seite und legte den Rest des Zeichens frei. Es war dasselbe kreisrunde Sigill, das auch auf dem Ring prangte, den der Troll ihr gegeben hatte. »Kaldras Schild.« Plötzlich fiel etwas von der Decke herab und landete mit einem Quieken auf dem großen Haufen. Glissa machte einen Schritt rückwärts und zog ihr Schwert. Die gestürzte Kreatur rollte aus und kam dann auf den Füßen zu stehen. »Slobad.« Glissa senkte ihr Schwert. Der Goblin rieb sich die Seite seines Kopfes. »Slobad hat lang-
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sam genug vom Fallen, he?« Glissa half dem Goblin auf die Beine. »Wie hast du mich gefunden?« »Verrückte Elfin ist zu Bosh gelaufen und dann verschwunden, he? Als du nicht wieder erschienen bist, hat Slobad geschaut und ist durch das Loch gefallen.« Er sah nach oben, zeigte auf die Decke und streckte die Zunge heraus. »Diesen Raum hat kein Goblin gemacht, he? Kein Goblin macht ein Loch, wo Leute hineinfallen. Wer macht solche Orte bloß, he?« »Jemand, der das hier zu verstecken versucht.« Glissa packte Slobad am Arm und drehte ihn zu dem Schild, den sie gefunden hatte. Die Augen des Goblins wurden so groß wie sein Kopf. »Ist das …?« Slobad ging zu dem mit Runen beschrifteten Artefakt und berührte es vorsichtig mit den Fingern. »Der noch fehlende Teil des Kaldra-Wächters«, vervollständigte Glissa den Satz des Goblins. Slobad leckte sich die Lippen und sah dann zur Elfin. »Du hast noch immer den Helm, he?« Glissa nickte. Sie zog den Helm aus ihrem Beutel hervor. Slobad streckte beide Hände aus und nahm ihn entgegen. »Das hier wirst du auch brauchen.« Die Elfin hob ihr Schwert und bewunderte einmal mehr die scharfe Klinge. Dann drehte sie Kaldras Schwert um und hielt Slobad den Griff hin. Der Goblin nahm es an, runzelte aber die Stirn. »Wenn Slobad dein Schwert nimmt, womit kämpft dann verrückte Elfin, he?« Glissa beugte sich vor und zog ein Schwert mit einer dunklen Klinge heraus, das zwischen den Haufen aus Metallscheiben steckte. »Ich finde schon etwas.«
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Der Goblin nickte. Dann drehte er sich um und machte sich daran, den Rest von Kaldras Schild auszugraben.
$ Dieser verdammte dumme Metallmann. Pontifex schlug den Angriff eines Gleichmachers zurück und legte dann seine Handfläche auf die Außenhaut der Kreatur. Mit einem Gedanken entließ er eine Flut von blauem Mana in die Bestie und fror damit deren Gelenke ein. Dann trat er um die jetzt unbewegliche Tötungsmaschine herum und näherte sich Malil. Der Vedalken-Lord schwang seine Hellebarde. »Darauf habe ich sehr lange gewartet.« Malil stand bewegungslos da, das Breitschwert neben sich in der Hand. »Ihr seid nicht imstande, das gesamte Gemälde zu betrachten, Pontifex.« »Nein, Malil, du bist derjenige, der nichts sieht.« Pontifex nahm einen langen Schritt von seinem Gegenüber entfernt Kampfhaltung an. »Glaubst du wirklich, dass Memnarch die Opfer zu würdigen weiß, die du bringst, um das Elfenmädchen für ihn einzufangen? Glaubst du, dass du für deine harte Arbeit belohnt wirst?« Malil sah den Vedalken ungerührt an. »Memnarch will sie lebend. Ich bin nicht hier, um mit Euch darüber zu streiten, wer sie ihm bringt. Eure kindische Eifersucht interessiert mich nicht.« Er hob sein Schwert. »Ich habe meine Anweisungen, und ich werde ihnen Folge leisten.« Seine Hand schoss von seiner Seite hoch. Sein Schwert blitzte im schwachen Licht der Gruft auf, aber Pontifex war schnell und fing die Spitze des Schwerts des Metallmannes mit dem Schaft
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seiner Lanze ab. »Wie ich schon sagte …« Ein Lächeln machte sich auf Pontifex’ Gesicht breit. »Ich habe lange darauf gewartet.« Pontifex schlug Malils Klinge zurück und schwang die Spitze seiner Hellebarde dann in einem blitzschnellen Muster vor den Augen des Metallmanns hin und her. Malil betrachtete die zuckende Klinge. Pontifex beobachtete, wie Malils Augen dem Muster folgten. Malil machte einen Satz nach vorn, um eine Lücke auszunutzen. Und genau darauf hatte der Vedalken-Lord gewartet. Pontifex änderte das Muster und erwischte Malil damit eiskalt. Der Hieb des Metallmannes verfehlte Pontifex’ Hellebarde. Der Vedalken machte einen Sprung in die Reichweite seines Gegners und trieb die Spitze seiner Waffe in den Spalt zwischen Malils Schulter und Arm. Malil zog sich zurück, Pontifex’ Lanze noch im Gelenk. Sein linker Arm war durch den Treffer außer Gefecht. Pontifex ließ seine Hellebarde los und holte ein kurzes Schwert aus seinem Gewand hervor. »Du hast nur vier Glieder«, sagte er und stellte seinen sechsgliedrigen Körper zur Schau. »Und ich habe noch drei weitere Schwerter.«
$ Bruenna war in die Schlacht ihres Lebens verwickelt. Überall um sie herum wirbelten Gleichmacher umher. Mit jeder Hand schlug sie je einen Vedalken zurück. In letzter Zeit waren solche Dinge geradezu an der Tagesordnung gewesen. Obwohl sie jeden Trick und jede Fertigkeit nutzte, die sie besaß, war der Angriff niederschmetternd, und sie konnte nichts weiter tun, als sich
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irgendwie mühselig am Leben zu halten. Eine Chance zum Gegenangriff bekam sie nicht. Und ohne eine solche Chance würde alles verloren sein. Es war nur eine Frage der Zeit. Dem einzigen überlebenden Zauberer erging es nicht anders. Er kämpfte um das nackte Überleben. Bruenna, die in jeder Hand ein Schwert hielt, tauschte Hiebe mit den beiden Kriegern aus. Sie bewegte sich vor und zurück, als wäre sie mit ihren beiden Gegnern in einen Tanz verwickelt. Sie blieb mit dem Fuß an etwas hängen, und beinahe wäre sie gestürzt. Sie überprüfte den Boden und ging einen Schritt zur Seite, um dem Hindernis auszuweichen. Als sie den Blick wieder hob, waren die beiden Vedalken verschwunden. Überall um sie herum schlugen Krieger aufeinander ein, nur sie selbst war nun ohne Gegner. Als sie sich das Schlachtgeschehen genauer besah, wusste sie auch, weshalb. Ein neuer Herausforderer war aufgetaucht. »Na, na, na, Bruenna«, sagte jemand mit einer wie unter Wasser klingenden Stimme. Die Menschenfrau machte sich für einen Kampf bereit. »Marek.« Der Kopf der Vedalken-Elitegarde war auch für den Versklavungsprozess der Menschen in Lumengrid verantwortlich gewesen. Die ausgedehnte Vedalkenfestung unter den Wellen der Quecksilbersee war auf dem Rücken von Zwangsarbeitern gebaut worden. Bruenna und ihr Volk waren von diesem Monster versklavt worden. Marek war es gewesen, der das Ausprügeln und die Bestrafungen überwacht hatte, die denen zuteil wurden, die nicht hart genug gearbeitet hatten. »Ich hätte wissen müssen, dass ich dich hier treffe«, sagte sie.
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»In den Därmen von Mirrodin.« Der Vedalken machte einen Schritt auf die Zauberin zu. »Was soll das heißen?« Bruenna begann damit, Mana zu sammeln. »Nur eine Kreatur wie du verdient es, an einem Ort wie diesem zu sterben.« »Und was genau ist eine ›Kreatur wie ich‹?« Bruenna kniff die Augen zusammen. »Eine, die den Wert menschlichen Lebens nicht würdigt.« Sie machte einen Satz nach vorn und stach gegen den Körper des Vedalken. Marek hüpfte zur Seite und schlug ihren Angriff mühelos mit dem Schaft seiner Hellebarde zurück. Darauf hatte die Zauberin gehofft. Sie streckte die Hand nach oben, berührte mit der offenen Handfläche die Maske des Kriegers und ließ ihren Zauber los. Auf dem Metallrahmen von Mareks Helm bildeten sich Eiskristalle, und das Serum darin wurde erst bitterkalt – und gefror schließlich ganz. Als die Flüssigkeit zu Eis wurde, zersprangen die Glasplatten, die Marek die Sicht ermöglichten. Marek warf sich wie wild hin und her, ließ die Hellebarde fallen und griff nach seinem Kopf, der jetzt in einem Block aus hart gefrorenem Serum gefangen war. Bruenna nutzte die Situation aus und versenkte ihr Schwert tief in den geblendeten Sklaventreiber. Marek fiel rückwärts und verschwand im Nebel.
$ Malil zog die Spitze von Pontifex’ Hellebarde aus seinem Arm. Die Eifersüchteleien des Vedalken wurden langsam hinderlich. Bei Memnarch, er wollte doch nichts weiter als noch eine Dosis
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des Serums, noch einen Schub der Erleuchtung. Das war doch nicht zu viel verlangt. Malils Leben auf dieser Welt war noch relativ kurz im Vergleich zu dem von Pontifex. Er hatte die Möglichkeit gehabt, eine Menge seltsamer und interessanter Dinge zu sehen. Und er hatte so manche Möglichkeit zum Kämpfen gehabt, wenn auch nie gegen einen fähigen Gegner. Er hatte also nie richtig die Gelegenheit gehabt, die eigenen Fähigkeiten als Krieger zu testen. Bis jetzt. Er warf Pontifex’ Klinge zu Boden und ging drei schnelle Schritte vorwärts. Sein Metallkörper war so konstruiert worden, dass er auf Notsituationen reagierte, indem er ihn dreimal stärker und dreimal schneller machte – wenn auch nur auf eine kurze Distanz. Memnarch hatte Malil die Fähigkeit zur Flucht aus Schwierigkeiten verleihen wollen, sollte er einmal in solche geraten. Malil hatte diese Funktion noch nie zuvor gebraucht, aber momentan schien der rechte Augenblick für einen Test zu sein. Sein Körper wurde zu einer verwischten Bewegung. Der Metallmann schaffte es, mit nur drei Schritten hinter Pontifex zu kommen. Der Vedalken-Lord wollte sich umdrehen, aber er war nicht einmal annähernd schnell genug. Malil schlug den vierarmigen Lord in den Rücken und sandte ihn auf die Knie. Dann hob der Metallmann sein Langschwert und sah hinab zu Pontifex’ nach vorn gesenktem Hals. Er konnte dem kindischen Narren jetzt einfach das Genick durchhacken, um ihn dadurch für immer loszuwerden. Auf einmal erbebte die Gruft des Geflüsters, und Staub rieselte von der Decke.
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»Hör mit diesem Kämpfen auf und bring mir das Elfenmädchen.« Die Worte erfüllten den höhlenhaften Raum, als kämen sie von überallher zugleich. Malil senkte sein Schwert. »Ja, Meister.« Pontifex hatte den Befehl mitbekommen und wurde unruhig. Er stand auf, und sein Blick zuckte nervös hin und her. Dann sah er Malil an. Der Metallmann erwiderte seinen Blick. Beide Männer sahen sich für einen langen, angespannten Moment in die Augen. Pontifex brach das Schweigen. »Wir werden das später zu Ende bringen.« Malil nickte. »Nachdem das Elfenmädchen gefangen und zu Memnarch gebracht wurde.« Er drückte den Griff seines Schwerts. Der Vedalken-Lord wandte den Blick ab. »Einverstanden.«
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Kapitel 20
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B
osh stand auf. Im einen Augenblick hatte noch jeder gegen jeden gekämpft, dann hatte eine Stimme durch den Raum gedonnert – eine Stimme, die Bosh als die von Memnarch erkannt hatte. Und jetzt schien es so, als hätten sich alle dem Kampf gegen den eisernen Golem zugewandt. Gleichmacher und Vedalken drangen in Schwärmen auf ihn ein. Sie stachen ihn in seine fleischigen Teile und hackten gegen die eisernen. Er schlug zurück. Und mit jedem Schwung seiner Hand wehrte er ein halbes Dutzend angreifender Gegner ab. Aber es kamen immer mehr. Sie kletterten an seinen Armen hoch, schlugen gegen seinen Kopf und brachten ihn zum Bluten. Er fiel zu Boden.
$ Aus Al-Hayats Schnauze tropfte Blut. Er warf sein letztes Opfer zur Seite und schlug aus, um das nächste Opfer zu erwischen. Seine Zähne schlossen sich um die Sensenklingen einer Gleichmacherbestie, und die messerscharfe Kante schnitt geradewegs in seine Lippe. Als sich sein Blut mit dem seiner Gegner vermischte, heulte der Wolf voller Schmerz
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auf und zog sich einen Schritt zurück. Der Gleichmacher kam heran, und er war nicht allein. Sechs andere Gleichmacher waren bei ihm, und ein Dutzend Vedalken trugen ebenfalls mit ihren Hellebarden zum Kampfgeschehen bei. Ihre Klingen durchstießen Al-Hayats Haut, rissen Fellfetzen heraus und drangen in sein Fleisch ein. Er schnappte knurrend und mit gefletschten Zähnen nach ihnen, doch irgendetwas machte diese vereinten Angreifer noch wilder und nahm ihnen einen Teil ihrer Angst. In wenigen Augenblicken würden sie ihn überrannt haben. Al-Hayat ging rückwärts vom Podium weg, bis er mit dem Hinterteil gegen die Wand stieß. Wohin er auch blickte, er sah nichts als vierarmige Krieger und Gleichmacher mit Sensenklingen. Nicht einer seiner Freunde war in Sicht. In die Enge getrieben wie ein gewöhnliches Tier am Ende einer Jagd, kauerte die große Waldbestie nieder und bleckte die Fangzähne. Wenn er hier schon sterben sollte, dann würde es ihnen nicht anders ergehen.
$ Bruenna wandte sich von Marek ab. Er mochte vielleicht davonkommen, aber sie hatte jetzt keine Zeit, um ihn fertig zu machen, während der Zauberer, der sie in dieses Höllenloch begleitet hatte, genau hinter ihr um sein Leben kämpfte. Sie trat hinter einen Vedalkenkrieger. Mit all ihrer Kraft trieb sie ihr Schwert in dessen Rücken. Der vierarmige Wächter wand sich wie ein Wurm auf einem Spieß und ließ sein Schwert fallen. Etwas traf Bruenna am Hinterkopf, und sie fiel nach vorn. Die
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Wucht des Sturzes trieb ihr Schwert noch tiefer in den Rücken des Vedalken, der nun einen gurgelnden Schrei ausstieß. Sie wurde wieder getroffen und ließ ihr Schwert los, damit sie mit ausgestreckten Armen ihren Sturz abfangen konnte. Als sie sich auf den Rücken drehte, sah sie gerade noch die Sensenklinge eines Gleichmachers, die aus dem Nebel auftauchte und ihr gleich darauf in die Schulter fuhr.
$ »Hast du dieses verdammte Ding schon zum Funktionieren gebracht?«, rief Glissa. Slobad, der in der Nähe des großen Haufens aus Metallscheiben auf dem Boden kniete, winkte ab. Er machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen. Die Kampfgeräusche wurden lauter. Glissa war mit den Nerven am Ende. Wer wusste, wie viele ihre Freunde tot waren oder jetzt gerade dort oben starben. Sie fühlte sich hier unten gefangen, machtlos. Sie konnte nur darauf warten, dass Slobad eine Kreatur zum Leben erweckte, von der sie nicht einmal wusste, ob sie ihr von Nutzen sein konnte. »Wenn du dich nicht beeilst, werden sie alle tot sein«, sagte sie und ging auf einem der kleineren Haufen hin und her. Der Goblin stand auf und wischte sich ab. »Fertig.« Der schwere Schild, den Glissa entdeckt hatte, hob sich. Die kleinen Metallscheiben, die darauf ruhten, rutschten zur Seite. Es waren so viele, dass sich ihr Klingeln wie ein gewaltiger Regenguss anhörte – nur dass die Tropfen aus Metall waren. Als Glissa in dem Raum gelandet war, hatte sie angenommen, dass der Boden nicht sonderlich tief lag und nur von einer dün-
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nen Schicht Metallscheiben bedeckt war. Sie hatte sich getäuscht. Diese Kammer reichte tief hinunter. Die Elfin und der Goblin gingen zur Seite und drückten sich mit dem Rücken an die Wand. Die goldenen Scheiben rollten weiterhin von dem Avatar herab, während dieser sich immer weiter hob. Die Scheiben füllten die leeren Stellen zwischen dem aufgeschichteten Gold. Der Boden wurde wie Treibsand, rutschte unter ihren Füßen weg, griff nach ihren Fesseln und drohte sie mit in die einstürzende Grube aus Gold zu zerren. Glissa und Slobad hatten Mühe, obenauf zu bleiben. Sie traten unablässig auf der Stelle, während der Boden sie hinunterzog. Slobad fiel hin. Der kleine Goblin landete auf dem Bauch und ratschte rückwärts, gefangen in einem reißenden Strom aus Metallscheiben. »Hilfe!«, schrie der Goblin, der gegen das Gold anschwamm. Glissa ließ sich auf die Knie fallen und griff nach ihm. »Halt dich fest!« In dem Augenblick, als sie aufhörte zu laufen, riss der Goldstrom sie jedoch ebenfalls mit, und die beiden rutschten gemeinsam auf den Rand der Grube zu. Sosehr sie sich auch bemühten, sie konnten ihre Fahrt nicht aufhalten. Je näher sie dem Loch kamen, desto schneller rutschten sie. Glissa packte Slobads Hand und hielt sie fest. Sie glitten über die Kante und fielen in die Dunkelheit. Das Klingelgeräusch wurde lauter, je tiefer sie stürzten, und von allen Seiten regneten Goldscheiben auf sie nieder. »Wir werden lebendig begraben!«, schrie die Elfin. »Nicht, wenn wir schon beim Aufschlag sterben, he?«, rief Slobad zurück. Auf einmal erfüllte ein blasses, blauweißes Leuchten die Gru-
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be. Glissa konnte die Kante des Lochs sehen. Die Scheiben rutschten dort ab und fielen in die Tiefe. Das Leuchten formte sich zu einer riesigen, fünffingrigen Hand und legte sich um das fallende Duo. Das Gold prasselte nicht mehr auf sie ein, und ihr Sturz wurde gebremst. »Was zum …« Glissas Frage wurde abgeschnitten, weil sie gegen die Seite der Hand geworfen wurde, die sie und Slobad zurück zur Kante der Grube hob. Sie kamen immer höher und höher, und dann, so plötzlich wie ihr Fall geendet hatte, endete auch ihre Fahrt nach oben. Die Hand öffnete sich, und Glissa blickte über den Rand einer geisterhaften weißen Handfläche hinaus. »Oh.« Slobad klappte die Kinnlade nach unten. Der Kaldra-Wächter schwebte vor ihnen. Sein Kopf, seine Arme und Hände bestanden aus einem leuchtenden, blass blauweißen Plasma. Zuerst dachte Glissa, dass es magische Energie war, doch da sie ja in der Mitte seiner Hand saß, konnte sie deren Körperlichkeit spüren. Sie war gummiartig und weich, beinahe wie Fleisch. Die Arme des Wächters waren stark und von hunderten von Tätowierungen verziert. Einige bildeten rudimentäre Abbildungen von Tieren und Ungeheuern. Andere schienen einfache Runen zu sein – Buchstaben oder Worte eines Alphabets, das Glissa nicht kannte. Das Gesicht unter dem großen Helm sah menschlich aus – nur viel, viel größer, und zudem war es blau. Es besaß ein großes, kantiges Kinn, das auffällig hervorstand. Die Augen waren leere weiße Kugeln, wie die eines alten blinden Mannes. In der rechten Hand hielt er das Schwert, dessen Macht Glissa schon jetzt vermisste.
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»Du bist also der Kaldra-Wächter«, sagte Glissa mit einem Blick zu den weißen Kugelaugen der hoch aufragenden Kreatur. Das Wesen nickte. »Du hilfst uns, unsere Freunde zu retten, he?«, sagte der Goblin. Der Kaldra-Wächter lächelte erst, dann nickte er. »Schnell.« Glissa zeigte auf das Loch in der Decke. Der Kaldra-Wächter schloss seine Faust um den Goblin und die Elfin und sah auf. Glissa konnte zwischen den Fingern der Kreatur hindurchsehen, als diese auf das Licht zusprang. Ein Augenzwinkern später war die Decke herangekommen, und Glissa beschirmte ihren Kopf mit den Händen.
$ Der Boden explodierte. Bruchstücke schwarzen Metalls schossen quer durch den Raum, prallten von den Gleichmachern ab und nagelten mehrere Vedalken an die Wand. Ein blasser, blauweißer Riese schoss hoch und schwebte über dem aufgebrochenen Boden. Mit einer Handbewegung des Wesens verschwand der Nebel, der den Boden bedeckte, vollständig und gab den Blick auf die verwundeten und sterbenden Kreaturen frei, die darunter verborgen gewesen waren. »Was im Namen der Neun Höllen ist das?«, rief Pontifex. Malil stand neben ihm und schüttelte den Kopf. Die Kreatur öffnete ihre Faust, und zwei Gestalten standen plötzlich auf dessen Handfläche. Pontifex packte den Metallmann am Arm. »Es hat das Elfenmädchen.«
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»Das sehe ich auch.« Pontifex drehte sich zu Marek um. Der Anführer seiner Elitegarde wand sich etwa zehn Schritte entfernt auf dem Boden. Er schien nicht gerade in der Verfassung zu sein, Befehle weiterzugeben. Pontifex schrie, so laut seine Lunge es hergab, den Befehl selbst: »Holt euch das Elfenmädchen!« Die Vedalkenkrieger, die nicht von den umherfliegenden Trümmern niedergestreckt worden waren, lösten sich sofort von ihren Gegnern und rannten zu der blauweißen Gestalt, die die Elfin hielt. »Hältst du das für weise?«, fragte Malil an Pontifex gewandt. »Mir schwant, dass wir vor dieser Kreatur auf der Hut sein sollten.«
$ Bosh war von Kopf bis Fuß von Gleichmachern bedeckt. Vedalken schlugen mit ihren Hellebarden auf ihn ein. Eine Gruppe von Angreifern konnte er beherrschen, aber zwei … Er schlug nach ihnen, zermalmte sie zwischen seinen gewaltigen Handflächen, aber es waren einfach zu viele. Er würde sterben. Auf einmal explodierte in der Nähe etwas, und Bosh spürte den Boden unter sich beben. Der Nebel lichtete sich, und er hörte jemanden »Holt euch das Elfenmädchen!« schreien. Die Vedalken drehten sich um und liefen davon. Der halb aus Eisen, halb aus Fleisch bestehende Golem rollte sich auf die Seite und stützte sich auf den Ellbogen. Gleichmacher rollten von seiner Brust und prallten auf dem harten Me-
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tallboden auf. Bosh entriegelte die Luke in seiner Brust und riss sie auf. Sie schwang mit quietschenden Scharnieren zur Seite und schlug scheppernd gegen zwei Gleichmacher. Der große Golem schloss die Luke wieder und betrachtete bewundernd die beiden zerquetschten Gleichmacherwracks auf dem Boden. Bosh kam auf die Füße und sah auf die anderen kleinen Metallkonstruktionen hinab. Ohne den Nebel konnte er alles genau erkennen. »Zeit zum Zerschmettern.« Seine tiefe Stimme rumpelte, und er setzte seinen Fuß auf den Gegner, der am nächsten war. Metallbruchstücke flogen in alle Richtungen davon.
$ Ein Gleichmacher nagelte Bruennas Schulter an den Boden. Das Metall brannte in ihrer Haut, und sie konnte sich nicht bewegen. Schlimmer noch, sie konnte nicht einmal sehen, wo das Ding war. Sie lag auf dem Boden, und durch den Nebel sah sie nichts außer den ersten paar Zentimetern der Sensenklinge, die aus ihrer Schulter ragte. Auf einmal zog die künstliche Kreatur sich zurück, riss die Klinge heraus und verschwand im Nebel. Eine Welle der Erleichterung überkam sie, die aber schnell von einem dumpfen Pochen und von Panik ersetzt wurde. Er bereitet sich nur darauf vor, noch einmal zuzuschlagen, dachte sie. Wenn sie ihn doch nur sehen könnte. Der Nebel hob sich plötzlich vom Boden und gab den Blick auf den gesamten Raum frei – und auf den Gleichmacher, der sich zum Angriff anschickte. Die Klinge der Tötungsmaschine zischte
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durch die Luft, aber Bruenna sprang beiseite und rollte sich weg, wodurch sie nur knapp einem Treffer entkam. Die Klinge schlug in den Metallboden. Die Zauberin legte ihre Hand auf die Haut des Gleichmachers. Bruenna flutete die Bestie mit einer Kombination aus blauem und schwarzem Mana. Getriebe kamen kreischend zum Stehen, und die Kreatur erbebte. Rauch drang durch ihre Nähte, und das Licht in ihren Augenhöhlen wurde blendend hell. »Das ist für meine Schulter«, sagte sie und legte ihre andere Hand ebenfalls auf die Bestie. Noch ein Zauber durchflutete den Gleichmacher. Metallplatten fielen ein und zerquetschten das Innere der Kreatur. Das Artefakt schüttelte sich noch heftiger und kam schließlich zur Ruhe, als das Licht in seinem Inneren erlosch.
$ Der große Waldwolf stand mehr als zwei Dutzend Gleichmachern und Vedalken gegenüber. Sie näherten sich ihm furchtlos, aber vorsichtig zugleich. Al-Hayat wartete und knurrte sie an, während sie stückchenweise näher kamen. Ein Vedalken war der Erste, der einen Schritt zu nahe kam. Al-Hayat schoss blitzartig nach vorn, schloss seine kräftigen Kiefer um den Kopf des blauhäutigen Kriegers und trat zurück an die Wand. Der Körper des Vedalken blieb noch einen Moment lang aufrecht stehen. Die Hände waren noch immer um den Schaft der Hellebarde geschlossen. Aus dem Halsstumpf floss blaues Blut über die Schultern nach unten auf den Boden. Der Wolf spuckte aus. Sein Biss war so groß gewesen, dass Al-
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Hayat nicht einmal die Dichtung am Helm des Vedalken verletzt hatte – er hatte den Kopf sauber in einem Stück am Hals abgetrennt. Der Körper des Kriegers fiel zu Boden. Die anderen griffen nun wieder an. Al-Hayat schlug den vordersten Gleichmacher mit einem Pfotenschlag zurück. Seine Klauen erzeugten ein Schleifgeräusch, als sie über die metallische Haut der Kreatur kratzten. Der Gleichmacher flog davon. Die restlichen Angreifer warfen sich gleichzeitig auf den Wolf. Gleichmacher wie Vedalken schlugen und stachen nach dem großen Waldtier. Al-Hayat versuchte sie dreschend und knurrend zurückzuschlagen, aber es war alles vergebens. Sie hingen an ihm und schnitten ihm das Fleisch von den Knochen. Er heulte bei jedem Hieb auf. Bei jedem Stich knurrte er. Schließlich gaben seine vom eigenen Blut bedeckten Beine nach, und er brach zusammen. Er lag auf der Seite und schnappte mit den scharfen Fängen nach allem, was er erreichen konnte. Auf einmal explodierte etwas. Eine Kreatur, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte, stieg aus dem Boden zur Decke hoch wie der blaue Mond, wenn er aufging. Al-Hayat lebte nun schon viele Jahre auf Mirrodin. Er hatte die Geburt des blauen Mondes gesehen und die des schwarzen und des roten danach. Er hatte gehofft, eines Tages auch den grünen Mond aus dem Knäuel schießen und seinen Platz so wie die anderen am Himmel finden zu sehen. Die Zeit dafür war nah. Er spürte eine scharfe Spitze in seinen Bauch stechen, und sein ganzer Körper erbebte. Seine Kraft verließ ihn, und sein Sichtfeld verengte sich. Als er an der aufsteigenden blauen Säule hochblickte, sah er Glissa auf der Handfläche der Kreatur stehen.
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Sie sah zu ihm herab, blickte ihm in die Augen, und er versuchte zu lächeln. »Das hast du gut gemacht, Glissa«, flüsterte er, obwohl er wusste, dass sie ihn nicht hören konnte. Er spürte noch mehr Klingen in sein Fleisch eindringen, doch seltsamerweise schmerzten sie ihn nicht. Meine Zeit ist gekommen, dachte er und schloss die Augen.
$ Glissa stand auf der Handfläche des Kaldra-Wächters und drehte sich um. Dort, wo der Thron gestanden hatte, lag Al-Hayat. Er war von Vedalken und Gleichmachern umgeben. Er fletschte die großen Fangzähne, die von blauem Blut bedeckt waren. Ein Gleichmacher stach seine Sensenklinge in den Bauch des Wolfs. »Nein!«, rief die Elfin. Al-Hayat kam einmal kurz hoch und sah sie an, dann schloss er die Augen und legte den Kopf auf den Boden. Glissa zog ihr neues Schwert aus der Scheide und sprang in die Luft. Der Boden lag weit unter ihr, aber sie rollte sich bei der Landung auf geübte Weise ab. Die Gleichmacher und Vedalken wandten sich von dem gefallenen Waldtier ab und wagten sich nun auf die Elfin zu. »Ihr wollt etwas?«, rief sie ihnen zu, während sie sich ihr näherten. »Dann holt es euch!« Hinter ihnen zuckte Al-Hayat noch einmal auf, und dann bildete sich eine Blutpfütze unter seiner Schnauze. Wut kochte in der Elfin hoch, vermischt mit Trauer. Von jetzt an würde der Wolf nur noch eine Erinnerung sein.
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Sie ließ sich von ihrer Wut überfluten. Jede Zelle ihres Körpers bebte vor Hass, und ihre Augen waren halb blind vor Tränen. Schließlich konnte sie sich nicht mehr zurückhalten und schrie aus voller Seele. Der Schrei hallte von den Wänden wider, erfüllte den höhlenartigen Raum und erschütterte den Boden. Die Gleichmacher, die auf sie zuliefen, explodierten einfach. Stücke aus silberfarbenen Gehäuseteilen und Sehnenfetzen flogen in alle Richtungen davon. Was eben noch ein Dutzend Tötungsmaschinen gewesen war, wurde in Sekundenbruchteilen zu einem Haufen Ersatzteile verarbeitet. Es waren nicht nur die Gleichmacher. Die Hellebarden der Vedalken lösten sich ebenfalls auf. Von magischer Energie leuchtende Klingen zerfielen zu Staub und hinterließen vierarmige Krieger mit nichts in den Händen. Sie blieben auf der Stelle stehen, die Augen vor Schrecken geweitet. Glissa hielt ihr Schwert vor sich und feixte. »Wer will der Nächste sein?« Auf einmal schlug eine große blassblaue Hand über den Vedalken auf den Boden. Keiner von ihnen hatte die Zeit, geschweige denn die Schnelligkeit, um auszuweichen, und so wurde ein halbes Dutzend der Krieger zu Brei zerquetscht. Die übrigen Krieger nahmen die Beine unter den Arm und rannten davon. Glissa sah zu dem Kaldra-Wächter auf. »Ihnen nach!«, rief sie. Der Wächter nickte. Er setzte Slobad auf dem Boden ab, drehte sich zu den fliehenden Truppen um und lief ihnen nach.
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Mareks ganzer Körper pochte. Das zu Eis gewordene Serum in seinem Helm fror seinen Kopf ein. Glücklicherweise war das Glas seiner Maske nach außen geplatzt, und hatte auf diese Weise einen Teil des Drucks entlastet und seinem Kopf das Schicksal erspart, wie eine Melone zerquetscht zu werden. Die Kälte stach dennoch auf seiner Haut und sandte ein eisiges Brennen sein Rückgrat hinab, bis hinunter zu seinen Hüften und selbst in die Beine. Aber das war nicht das vordringlichste Problem. Mit einem Eisblock um seinen Kopf konnte er weder sehen noch atmen. Er tastete blind um sich, um etwas zu finden, womit er das Eis abhacken konnte. Er fand nichts, und so schlug er den Kopf voller Verzweiflung einfach auf den Boden. Bei jedem Bodenkontakt fuhr der Aufprallschock durch das feste Eis und vibrierte durch seinen Schädel. Zuerst war der Schmerz groß, doch sein Kopf wurde von der Kälte immer tauber, und nach ein paar Versuchen spürte er beinahe nichts mehr davon. Seine Lunge begann zu brennen, und sein nach Sauerstoff gierender Körper wurde immer schwächer. Panik schoss durch seine Adern, und er schlug sein Gesicht noch härter gegen den Boden. Ihm wurde schwindlig. Marek kam auf die Beine, sprang in die Luft und machte einen Kopfsprung. Der Kommandant der Vedalken-Elitegarde legte alles, was er hatte, in diesen letzten Versuch, sich selbst zu befreien. Er schlug mit dem Kopf auf. Der Aufprall war stark genug, um das Eis in der Mitte zu spalten, und langsam gab der Eisblock nach. Marek hob seinen Oberkörper und spürte, wie er langsam in die Bewusstlosigkeit abglitt. Er warf den Kopf einmal mehr ge-
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gen den Boden. Das Eis brach ab, gab sein Gesicht frei und ließ die feuchte Luft des Dross in seine Lunge eindringen. Die neblige Dunkelheit in seinem Kopf begann zu weichen, und die restliche Welt fand wieder zu ihm. Die Haut seines Gesichtes fühlte sich wie verbrannt an, und seine Beine waren noch immer taub von dem kalten Schauer, der sein Rückgrat hinabgelaufen war. Aber er konnte atmen, und für den Moment war das alles, was ihn interessierte. Er blieb lange mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden liegen und war sich der Vorgänge um ihn herum nur vage bewusst. Schließlich rollte ihn jemand auf den Rücken, und er sah in das Gesicht von Lord Pontifex. »Marek. Du lebst.« Marek konnte nur blinzeln und japsen. Auch Malil kam nun in sein Blickfeld. Er tippte Pontifex auf die Schulter. »Wir sollten gehen«, sagte er. Der Vedalken-Lord sah zu etwas hoch, was Marek nicht sehen konnte, und nickte. »Verdammt. In Ordnung.« Pontifex bückte sich, schob seine Arme unter Mareks Achseln und hob den lahmen Krieger auf die Beine. Der Raum schien sich zu drehen, und Marek schlang einen Arm um Lord Pontifex’ Schulter. Als er den Kopf hob, sah er, was die Ursache für den Rückzug war. Eine riesige, geisterhafte blauweiße Gestalt schlug Vedalkenkrieger und Gleichmacher zu Brei. Marek rollte seinen Kopf zu Pontifex. »Wie sollen wir …« Seine Stimme klang kratzig und hohl, und das Sprechen schmerzte.
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schmerzte. Er räusperte sich. »… sie wiederfinden?« Malil beantwortete die Frage, ohne ihn anzusehen. »Memnarch wird wissen, wo sie ist.« Pontifex schulterte den Großteil von Mareks Gewicht, und gemeinsam humpelten sie aus der Gruft des Geflüsters. Malil war dicht hinter ihnen.
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Kapitel 21
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G
lissa kniete neben Al-Hayat. Das große Waldtier lag im Sterben. »Kannst du dich selbst heilen?«, fragte Glissa. Der Wolf lächelte und zuckte vor Schmerz zusammen. »Ich besitze keine Magie mehr.« »Was kann ich tun?« »Du kannst zu Ende bringen, was wir begonnen haben«, gab Al-Hayat zurück. »Du kannst Mirrodin befreien.« Der Wolf blieb regungslos liegen. »Feiert das Kommen des grünen Mondes.« Al-Hayat schloss die Augen, und sein Atem versiegte. Glissa legte ihre Hand auf sein Fell und streichelte es. Große Stücke davon waren durch den Kampf herausgeschnitten oder abgerissen worden. Slobad kam hinter ihr heran und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie drehte sich um und sah ihn an. »Ich hätte ihn retten können, wenn ich nicht in dieses Loch gefallen wäre.« Slobad schüttelte den Kopf. »Wenn verrückte Elfin nicht in das Loch gefallen wäre, hätten wir den Riesen nicht gefunden, he? Dann wären wir alle tot.« Glissa warf noch einen letzten Blick auf Al-Hayat und stand dann auf. Das Allerheiligste des Mephidross lag im Stillen. Der
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Kaldra-Wächter hatte sich einen Weg durch die Reihen der Gleichmacher und Vedalken geprügelt und sie alle in die Flucht geschlagen. Es stimmte wohl, er hatte ihnen das Leben gerettet – zumindest das Leben der meisten von ihnen. Sie hatten diese Schlacht zwar gewonnen, aber es fühlte sich mehr als alles andere wie eine Niederlage an. Bruenna trat an die beiden heran. »Und wohin jetzt?« Glissa antwortete unverzüglich. »Wir haben alle Teile. Es ist an der Zeit, Memnarch aufzusuchen.« »Und wie stellst du dir vor, zu ihm zu kommen?«, fragte die Zauberin. Die Elfin zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht … Der einzige Weg, den ich kenne, führt durch die blaue Lakune. Wieder durch den Sumpf zu marschieren und zurück zur Vedalkenfestung erscheint mir aber als keine sonderlich gute Idee. Und ich glaube auch nicht, dass wir in solch guter Verfassung sind, um noch eine Schlacht zu schlagen. Hat jemand einen anderen Vorschlag?« Sie sah Bruenna und Slobad an. »Ich schon«, sagte Bosh mit seiner dröhnenden Stimme. Der übrig gebliebene von Bruennas Zauberern hatte ihm die Hände verbunden, und jetzt stand er wieder auf den Beinen und blickte auf die anderen drei hinab. »Nun denn«, sagte Glissa, »dann lass mal hören.« »Die schwarze Lakune liegt irgendwo hier im Mephidross. Sie führt ebenfalls ins Innere.« »Und Golem weiß auch, wo sie ist, he?«, sagte der Goblin. »Nein«, antwortete Bosh. »Aber er.« Bosh zeigte ans andere Ende des Raumes. Dort, unter einem zerschlagenen, rauchenden Gleichmacher festgenagelt, lag Geth.
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»Schnapp ihn dir!«, rief Glissa. Der bleiche Mann wand sich und strengte sich nun noch mehr an, um sich zu befreien. Der Kaldra-Wächter zog ihn jedoch unter der zerstörten Konstruktion hervor und hob ihn hoch. »Wo ist der Eingang zur schwarzen Lakune?«, fragte die Elfin. Da die Wände von Geths Quartier nunmehr verschwunden und der Nebel weggeblasen waren, hallte ihre Stimme lautstark wider. Geth baumelte schweigend an den Fingerspitzen des KaldraWächters. Glissa ging hinüber und stellte sich genau unter ihn. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah den dürren Herrscher der Gruft an. »Du wirst es uns verraten, oder ich lasse meinen Freund hier so lange deinen Kopf zusammendrücken, bis dir der Schädel zerplatzt.« Sie hob die Schultern. »Du hast die Wahl.« Der Kaldra-Wächter griff mit zwei Fingern nach Geths Kopf. Geth schlug mit geballten Fäusten gegen die Finger des Kaldra-Wächters. »In Ordnung, in Ordnung«, rief er. Der Herrscher der Gruft begann zu schluchzen. »Ich verrate euch alles, aber lasst mich herunter und rührt meinen Kopf nicht an.« Geth wimmerte. »Den möchte ich nicht verlieren.«
$ Memnarchs Myr wartete geduldig im Schatten, ungesehen von allen, die sich in der Gruft des Geflüsters befanden. Im Panopticon, tief im Inneren der Welt, stand der Wächter im Nachtstahlauge. Einer seiner sechs Hellsichtspiegel stellte sich auf die Augen des Myr ein.
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»Ja, Glissa Sonnensucher«, sagte er. »Kommt und sucht Memnarch, du und dein Wächter.« Er lachte. »Kommt und sucht Memnarch.«
$ Die Reise durch die schwarze Lakune war im Großen und Ganzen wie die Reise durch die blaue, nur dass dieses Mal keine gegnerische Armee an Glissas Fersen hing. Wie die blaue Lakune, so folgte auch diese der leichten Krümmung der Ebene auf dem Weg von der Oberfläche ins Innere. Auf den ersten paar hundert Metern ihres Abstiegs sahen die Wände des Tunnels wie verbrannter Stahl aus. Flecken aus silbrig glänzendem Metall glitzerten durch eine schwarze Patina. Weiter unten war die Oberfläche von derselben leuchtenden Moossubstanz bedeckt, die den Weg erhellte. Sie kamen immer tiefer und tiefer, und irgendwann ruhten sie sich etwas aus. Als sie sich dem Ende näherten, spürte Glissa, wie ihre Macht stieg. Das Mana wurde immer leichter erreichbar, je näher sie dem Inneren kamen, und ihr Heilungszauber wurde immer kräftiger. Sie hoffte, dass auch ihre Kampfmagie an Stärke gewann. Die Lakune endete, und Glissa trat ins Innere Mirrodins. Sie war erst zum zweiten Mal hier, aber es kam ihr schon nicht mehr so rätselhaft vor. Es war ihr jetzt vertraut, und irgendwie fühlte es sich sogar wie eine Art Zuhause an. Über ihr warf der Manakern sein blendendes blauweißes Licht auf alles. Nirgendwo gab es Schatten, nichts war vor dem stechenden Blick der schwebenden inneren Sonne sicher. Doch obwohl es erst einen vollen Mondzyklus her war, seit sie das
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letzte Mal hier war, sah der Manakern nun anders aus. Glissa hatte bei ihrem letzten Hiersein nie die Gelegenheit wahrgenommen, ihn genauer zu inspizieren. Dafür war keine Zeit gewesen. Jetzt konnte sie grüne Energiebogen aus der Oberfläche des Manakerns hervorspringen sehen. Sie tauchten wie aus dem Nichts auf, umkreisten den Kern einmal und tauchten dann wieder ein, als wären sie Fische in der Quecksilbersee. Sie konnte sich nicht erinnern, das letzte Mal so etwas gesehen zu haben, aber so abgelenkt sie seinerzeit auch gewesen sein mochte, sie würde sich mit Sicherheit an einen gezackten Blitz aus grünem Mana erinnern, der die Kugel umrundete. Der Rest des Inneren sah ebenfalls anders aus. Da waren zwar dieselben dünnen Türme, die Bosh Mycosynth genannt hatte, und dieselbe moosige Substanz auf dem Boden, aber die Landschaft war rauer, weniger offen, und der Turm in der Ferne war nirgendwo zu sehen. Die anderen kamen nun auch hinter Glissa aus dem Tunnel und schirmten sofort die Augen gegen das helle Licht ab. Slobad legte die Hand an die Stirn und sah sich um, als wäre er ein Kapitän. »Wo sind wir, he? Sieht anders aus.« »Es ist eine andere Lakune«, sagte Glissa. »Wir sind an einem anderen Ort.« Sie wandte sich an Bosh. »Wo finden wir Memnarch?« Bosh hob seine bandagierte Hand und zeigte auf den Mycosynth-Wald aus Chromgebilden. »Da hindurch. Ist ein langer Fußmarsch von hier.« Glissa begann in Richtung der Mycosynth loszumarschieren. »Dann sollten wir besser losziehen.«
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Marek ruhte sich auf der Ebene außerhalb der Sümpfe des Mephidross aus. Weniger als die Hälfte der Krieger, die ihm auf diese Mission gefolgt waren, hatten überlebt, und die meisten davon waren schwer verletzt. Malils Gleichmacher-Streitmacht war es auch nicht besser ergangen. Das Oberhaupt der Vedalken-Elitegarde hatte den Metallmann sagen hören, dass er das Innere mit über einhundert der Tötungsmaschinen verlassen hatte. Jetzt waren noch knapp zwei Dutzend übrig. Trotz der Tatsache, dass Malil eine größere Zahl von Kriegern verloren hatte, hatte er gegenüber den Vedalken einen entschiedenen Vorteil. Die Maschinen verspürten nicht den emotionalen Schlag der Niederlage. Die übrigen Gleichmacher standen bereit, um bis zum Tod zu kämpfen, selbst im Angesicht solch furchtbarer Verluste. Mareks Truppen hingegen waren demotiviert und am Boden zerstört. Sie hatten verloren, und jetzt waren sie müde, frustriert und wollten einfach nach Hause. Marek saß da und hoffte, dass sie beim Verlassen des Sumpfes nicht das Elfenmädchen und ihre Begleiter antrafen. Er und seine Männer konnten jetzt keinen weiteren Kampf riskieren.
$ Pontifex ging neben einem Rasierklingenfeld auf und ab und beobachtete den Rand des Sumpfes auf der Suche nach einem Zeichen von Glissa. Was auch immer dieses Ding war, das da aus dem Boden gestiegen war und über die Hälfte seiner Elitegarde ausgelöscht hatte, es würde ein Problem darstellen. Mit Malil sah es zwar
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nicht anders aus, aber der Metallmann würde leicht zu handhaben sein. Pontifex kicherte. Das war das Beste an Konstruktionen. Sie durchschauten die Raffinesse einer simplen Lüge nicht. Irgendwie konnten sie zwar mehrere komplexe Aufgaben zugleich erledigen, oftmals auch viel effizienter und wirkungsvoller als ein organisches Wesen, behielten dabei jedoch immer eine kindliche Unschuld. Malil würde alles glauben, was Pontifex ihm auftischte. Es lag in seiner Natur, das zu tun, und der Vedalken-Lord hatte vor, das auch zu seinem Vorteil auszunutzen. Er würde den Narren in dem Glauben lassen, dass er weiter versuchte, das Elfenmädchen zu finden. Und wenn die Gelegenheit kam, würde er ihr einfach seinen Dolch in die Kehle rammen, und das ganze Problem wäre erledigt. Malil trat neben ihn und unterbrach seine Träumereien. »Sie kommt nicht heraus«, sagte der Metallmann. »Nein? Woher weißt du das?« Malil tippte seitlich an seinen Schädel. »Memnarch hat sie in die schwarze Lakune gehen sehen.« »Die schwarze Lakune? Führt die auch ins Innere?« Der Metallmann nickte. Weshalb sollte sie dorthin wollen? Pontifex grübelte nach. Seine Streitmacht und der Sumpf waren sicherlich keine Gründe mehr, wenn er in Betracht zog, was Glissas neuer Beschützer zu leisten imstande war. Oder hatte er die Macht dieser wirbelnden blauen Monstrosität überschätzt? War sie etwa nur ein vergänglicher Zauber? Pontifex schüttelte den Kopf. »Nun, wenn sie ihre Flucht durch das Zentrum der Welt versucht, dann hat sie sich einen langen Ausweg gesucht.« Malil nickte zustimmend.
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Pontifex wandte sich von dem Rasierklingenfeld ab. »Die Frage ist nur, wohin genau sie unterwegs ist.« »Das ist uninteressant«, sagte Malil. »Wenn wir sie durch die schwarze Lakune verfolgen, werden wir ihr dauernd an den Fersen hängen. Wir müssen nach Norden zum Becken des Wissensvorrats ziehen. Auf der Oberfläche kommen wir schneller voran als sie im Inneren. Somit schneiden wir ihr den Weg ab.« Pontifex nickte. »Ja, aber was ist, wenn sie nach Süden zur roten Lakune unterwegs ist? Dann werden wir sie in der OxiddaBergkette verlieren.« Malil tippte sich noch einmal gegen den Kopf. »Wenn sie das tut, dann wird Memnarch es mich wissen lassen, und wir werden auf sie warten, wenn sie auftaucht.« Pontifex lächelte. »Also, machen wir uns auf den Weg nach Lumengrid.«
$ Orland stand auf dem Boden der Großen Volksversammlungshalle. Er sah zu den über hundert erwartungsvollen Gesichtern der Abgeordneten der bald bestehenden Vedalkischen Republik auf. »Meine lieben Mitvedalken«, sagte er, kaum lauter als ein Flüstern. Seine Worte wurden dennoch selbst bis zu den ganz oben in der Halle stehenden Bürgern getragen. »Der Name dieser Halle war bis heute eine Farce.« Er ging in dem Raum auf und ab, erfüllt von einem erhebenden Gefühl im Angesicht jedes einzelnen Augenpaars, das schweigend seinen Bewegungen folgte. »Eine schöne Versammlungskammer des Volkes. Mit sehr wenigen Ausnahmen war es nur den Mitgliedern der Elite – den auf Lebenszeit ernannten Ratsherren, die in der Synode saßen –
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gestattet, in diesem Saal zu debattieren.« Orland blieb stehen und drehte sich auf dem Absatz um. »Es war aber nicht immer so. Es gab eine Zeit in unserer Republik, in der die Entscheidungen vom Volk getroffen wurden. Als wir nicht regiert wurden, sondern uns selbst regierten.« Der Vedalken-Ratsherr nickte und lächelte. »Eine angenehme Vorstellung, findet Ihr nicht?« Die versammelten Volksvertreter nickten schweigend. »Es ist an der Zeit, dass wir uns zurückholen, was rechtmäßig unser Eigen ist.« Er erhob die Stimme. »Es ist an der Zeit, dass wir uns wieder selbst regieren.« Jetzt schrie er beinahe. »Es ist an der Zeit, dass wir ein für alle Mal entscheiden, dass kein Vedalken das Recht hat, immer wieder im Namen des Volkes schlechte Entscheidungen zu treffen, während die gewählten Abgeordneten machtlos zusehen müssen …« Er beruhigte sich wieder. »… ohne einen Weg des Einspruchs begehen zu können.« Raunend stimmten die Abgeordneten zu. Sodador und Tyrell saßen auf einer Bank am Boden der Halle. Sie nickten ebenfalls zustimmend und klatschten sogar leise – eine Geste, die in der Versammlungshalle eigentlich geächtet war. Orland fuhr fort. »Meine Freunde, diese Tage werden bald vorüber sein.« Er zog eine rote Schriftrolle aus einer Tasche seiner Robe und hob sie für alle sichtbar in die Luft. »Die Maßnahme, die heute vor uns liegt, verehrte Abgeordnete, wird eine freie Gesellschaft für alle in der Festung von Lumengrid lebenden Vedalken schaffen. Ich nehme an, dass Ihr alle eine Ausfertigung dieses Dokuments erhalten habt.« Wieder erfüllte das Rascheln von Roben die Halle. Alle anwesenden Vedalken zogen nun eine Rolle aus ihren Gewändern,
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die exakt dieselbe Form, Größe und Farbe derjenigen hatte, die Orland in Händen hielt. Ratsherr Orland lächelte. »Exzellent.« Er sah zu den anderen beiden Ratsherren hinüber, die ihn mit einem Winken fortzufahren drängten. »Wie Ihr vielleicht wisst, erfordern uralte vedalkische Verordnungen, dass zur Änderung des Wahlsystems hinsichtlich unserer Regierung ein einstimmiges Wahlergebnis aller Mitglieder der Synode erforderlich ist. In Lord Pontifex’ Abwesenheit wurdet Ihr hierher einberufen, um von ihm unbeeinflusst abstimmen zu können.« Er drehte sich langsam auf der Stelle und sah jedem Anwesenden einzeln ins Gesicht. »So wie Ihr auch vor einem Mondzyklus abstimmtet, um mich in die Synode aufzunehmen.« Er hielt inne und betrachtete das Schriftstück in seiner Hand. »Dieses Mal gilt es nicht mehr nur, eine Mehrheit zu erreichen. Nicht der Anteil der Stimmen zählt, sondern allein eine Stimme gegen die Maßnahme bedeutet deren Ende.« Orland holte tief Luft. Das war der Augenblick, auf den er gewartet hatte, seit er Ratsherr geworden war. »Also frage ich Euch jetzt, verehrte Abgeordnete …« Er warf einen Blick zu Sodador und Tyrell »… und Ratsherren, wie stimmt Ihr? Dafür oder dagegen?« Orland streckte zwei seiner vier Arme mit aufgerichteten Daumen aus. Sodador und Tyrell standen von ihrer Bank auf. Sie streckten ebenfalls die Hände aus, die Daumen nach oben gerichtet. Orland lächelte. Er zitterte innerlich vor Erwartung. Er ließ den Blick an der langen Spirale entlang schweifen und nahm das Votum jedes einzelnen Volksvertreters zur Kenntnis. Alle Daumen in der Halle zeigte nach oben.
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»Gratulation, meine Freunde«, sagte er und hob alle vier Arme feierlich in die Höhe. »Willkommen in der neuen Freien Vedalkischen Republik.«
$ Die Reise zur Quecksilbersee hatte nur wenig Zeit in Anspruch genommen. Pontifex und seine Soldaten waren auf Malils Gleichmachern geritten. Die vier Arme erleichterten es den Vedalken, sich an den Tötungsmaschinen festzuhalten. Die Überreste der Elitegarde waren also den ganzen Weg auf dem Rücken der schnellen Metallungetüme geritten. Nachdem sie das Meer mithilfe von Pontifex’ Magie überquert hatten, betraten sie Lumengrid. Das Innere lag still da, abgesehen von ein paar niedrigen Funktionären, die verschiedene weltliche Tätigkeiten verrichteten. Als die Vedalkenbürger Pontifex und sein Gefolge sahen, verschwanden sie sofort in Türen und um Ecken. »Was geht hier vor?«, wollte Pontifex wissen. »Die Leute haben Angst vor den Gleichmachern«, sagte Marek. Pontifex war verärgert. »Ich bin aber ihr Herr. Sie dürfen sich nicht vor mir verstecken.« In diesem Augenblick trat ein Vedalken aus einer der Gassen, der in ein Schriftstück vertieft war. Als er aufsah und die Gruppe erblickte, weiteten sich seine Augen, und er versuchte schnell davonzukommen. Pontifex packte ihn am Kragen. »Weshalb läufst du weg, Bürger?« »Ich … ich …« »Wo sind alle hin?«, rief der Vedalken-Lord.
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Der Vedalken schluckte heftig. »Sie sind in der Versammlungshalle des Volkes.« Pontifex ließ ihn los. Der Vedalkenbürger stolperte rückwärts und lief dann, so schnell er konnte, davon. »In der Versammlungshalle«, sagte Pontifex. Ein kalter Schauer lief ihm über die Haut. »Orland.« Er rannte los und lief die Korridore entlang, geradewegs zu der trichterförmigen Halle in der Nähe seiner eigenen Räumlichkeiten. Es konnte nur einen Grund geben … Pontifex rannte um die Ecke und stürzte durch die Tür der Großen Volksversammlungshalle. »Pontifex? Was für eine Überraschung.« Orland stand unten am Boden der Halle. Sodador und Tyrell waren neben ihm und trugen einen Ausdruck tiefster Zufriedenheit auf dem Gesicht. »Meint Ihr nicht ›Lord Pontifex‹, Ratsherr Orland?« Die versammelten vedalkischen Volksvertreter starrten ihn an, wobei ihre Gesichter von Schock bis zu amüsiertem Schweigen alles zeigten. »Nein, Pontifex«, sagte Orland. »Es gibt keine Lords mehr unter den Vedalken.« »Wovon redet Ihr, Ratsherr?« »Wir haben abgestimmt.« Orland ließ eine Hand durch die Luft schweifen und wies auf all die anwesenden Vedalken. »Das Vedalkenimperium besteht nicht mehr.« Pontifex lachte. »Das ist ja geradezu lächerlich. Wenn es kein Imperium mehr gibt, was macht Ihr dann noch hier? Das Volk und das Imperium sind ein und dasselbe.« Orland nickte. »Wie Recht Ihr doch habt, Pontifex. Nur bevorzugen wir, es ›Republik‹ zu nennen.« »O bitte«, spottete der abgesetzte Vedalken-Lord. »Und wer
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wird das Volk anführen? Wer wird die Gesetze machen und für Ordnung sorgen? Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass die Abgeordneten regieren können?« Ein lautes Raunen erhob sich. Die anwesenden Bürger machten ihrem Unmut über Pontifex’ Worte Luft. »Genau das ist es«, sagte Orland, »was wir denken.« Pontifex schlug mit den Händen gegen das Geländer. »Das darf nicht geschehen. Ich werde es nicht zulassen. Ich bin noch immer der Anführer der Synode. Nichts geschieht in Lumengrid ohne meine Zustimmung!« »Nein, Pontifex«, sagte Sodador. »Die Synode existiert nicht mehr. Wir haben ein Parlament gebildet. Jetzt liegt alle Macht bei den gewählten Abgeordneten.« Er kam einen Schritt nach vorn, wobei er sich humpelnd auf seinen Stock stützte. »Ihr seid sogar der einzige hier Anwesende, der keine Stimme mehr hat.« Pontifex sah sich in dem Raum um. Wie konnten sie ihm das antun? Nach allem, was er für das Imperium getan hatte, war das die Belohnung? Er hatte sein Leben in den Dienst aller Vedalken gestellt, und jetzt wurde er verstoßen. Tyrell stand von der Bank auf, auf der er bislang gesessen hatte. »Jetzt zum nächsten Punkt der Tagesordnung«, sagte er. »Ich bringe Euch einen Inhaftierungsantrag zu Gehör.« Der ältere Staatsmann hielt ein metallenes Schriftstück eine Armlänge von sich entfernt und las mit zurückgelegtem Kopf vor. »Mit folgendem Wortlaut: Die Freie Vedalkische Republik erklärt, dass der Bürger Pontifex der Jurisdiktion des neuen Parlaments unterliegt. Es wird befunden, dass der ehemalige Lord des Imperiums zahlreiche Verbrechen gegen das Volk beging. Es soll fürderhin beschlossen werden, dass der freie Bürger Pontifex unverzüglich festgenommen und inhaftiert wird. Das Gericht wird die Bestra-
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fung für seine wiederholten Zuwiderhandlungen gegen die Republik und ihre Bürger verhandeln.« »Ihr wollt mich einsperren?«, rief Pontifex. Orland nickte. »Ja.« Die Tür hinter Pontifex öffnete sich, und zwei gepanzerte Wachen stürzten herein. Die eine richtete ihre Hellebarde gegen Pontifex, während die andere vier Handfesseln hervorholte. Pontifex kniff die Augen zusammen und sah die drei ehemaligen Ratsherren dort unten auf dem Boden an. »Damit werdet ihr nicht durchkommen«, sagte er. »Nehmt mein Wort dafür, ich werde euch alle für diesen Verrat bezahlen lassen.« Er drehte sich um, senkte den Blick und streckte alle vier Arme aus, um sich die Handfesseln anlegen zu lassen. Als die Wache vortrat, um ihn gefangen zu nehmen, hob Pontifex den Kopf. Er sagte das letzte Wort eines Zauberspruchs, und ein Strahl gleißender blauer Energie schoss aus all seinen Händen hervor. Sein Zauber traf beide Wachen. Pontifex hob die Arme, worauf die Wachen mit rudernden Armen und strampelnden Beinen in die Luft flogen. Ein Keuchen entfloh den Lippen der versammelten Abgeordneten und erfüllte die Versammlungshalle mit dem Grollen von Millionen von Flüsterlauten. Pontifex wirbelte herum, ließ die beiden Wachen noch höher steigen und sah zu Orland hinunter. Die Blicke der beiden trafen sich. Der ehemalige Vedalken-Lord schleuderte seine Fäuste in Richtung des Bodens. Beide Wachen schrien auf. Die Schreie hallten von den Wänden wider und übertönten das kollektive Keuchen. Beide Vedalken stürzten nach unten. Orland konnte noch zur Seite springen, aber der ältere Tyrell
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und der lahme Sodador waren nicht so schnell. Die stürzenden Wachen landeten auf den beiden Ratsherren, und das Geräusch brechender Knochen übertönte jedes andere Geräusch im Saal – wie in einer Echokammer hundertfach verstärkt. Pontifex sah lächelnd über das Geländer hinweg. Nur Orland bewegte sich noch. Die anderen vier lagen in einem zerschlagenen Haufen auf dem Boden. Ihr Blut vermischte sich in einer großen Pfütze. Pontifex zeigte auf Orland. »Ihr seid der Nächste, Ratsherr!«, sagte er. »Und wenn es das Letzte ist, was ich tue – Ihr seid der Nächste.« Er drehte sich um und rannte aus der Volksversammlungshalle.
$ Glissa und die anderen marschierten durch einen Wald aus Mycosynth. Sie kamen nur langsam voran, weil der moosige Boden an ihren Füßen klebte. Die hohen Gewinde erschwerten das Vorankommen noch mehr. Es war, als bahnte man sich den Weg durch das dichte Knäuel, nur dass die Hindernisse hier weniger vorhersagbar waren. Die Gruppe marschierte durch das Labyrinth der Mycosynth und fand nicht selten eine Sackgasse vor, sodass sie wieder umdrehen musste. Auf dem Weg tiefer in den Wald verlor Glissa einmal beinahe das Gleichgewicht, als sie einer sich vor ihr windenden Kreatur ausweichen wollte. »Was zum …?« Glissa fiel hinüber, aber Bosh konnte sie noch rechtzeitig auffangen. Sie warf dem Golem einen Blick über die Schulter zu. »Danke.« Bosh nickte und grinste leicht.
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»Bosh!«, rief sie, wirbelte herum und packte einen von Boshs Fingern. »Du hast gerade gelächelt!« »Habe ich das?« »Ja. Hier, knie dich hin.« Glissa fasste nach oben, und der Golem bückte sich. Sie berührte sein Gesicht. Es war weich und nachgiebig. Obwohl es noch immer metallisch aussah, gab es keinen Zweifel, dass sich das Gesicht des Golems zu Fleisch verwandelt hatte. »Wann ist das passiert?« Bosh zuckte die Achseln. »Gerade eben erst.« Glissa strich ihm mit der Hand über die Wange. »Dein Gesicht besteht fast ganz aus Fleisch.« Der Golem seufzte. »Ja?« »Na ja«, sagte die Elfin, »zumindest wirst du jetzt nicht mehr die ganze Zeit so mürrisch und ernst dreinschauen.« »Ist das gut?« Die Elfin lächelte ihn an. »Ja, sehr.« Jetzt bogen sich Boshs Mundwinkel noch einmal nach oben. Eine andere der Kreaturen von der Art, die Glissa zum Stolpern gebracht hatte, strich an ihrem Bein entlang. Das Tier war rechteckig und hatte nur scharfe Kanten. Es besaß keinerlei Kurven oder Unregelmäßigkeiten. Es hatte zwei dünne Arme mit je drei Fingern, und es bewegte sich so glatt und schnell, als würde es auf Rädern rollen. Die Kreatur bewegte sich zwischen rautenförmigen Formen vor und zurück, die in den leuchtenden moosigen Bodenbelag eingewachsen – oder vielleicht auch von diesem überwachsen – waren. Jedes Mal, wenn sie eines dieser Dinger erreichte, hantierte sie mit ihren Fingern daran und schob sich dann zu einem anderen weiter, als wollte sie dort etwas justieren oder eine
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Pflanze pflegen. Glissa hob das Tier vom Boden. Es war von derselben metallischen Farbe wie Bosh, aber gleichzeitig auch weich und geschmeidig. An der Unterseite befanden sich, wie Glissa vermutet hatte, drei kleine Räder, die sich jetzt wie wild drehten. Das Artefakt versuchte sich aus dem Griff der Elfin zu befreien. Es bog die Arme nach hinten und zwickte sie in die Haut. »Au!« Glissa setzte das Ding wieder ab. »Was ist das?« »Es ist ein Grendel«, gab Bosh zurück. »Ein Grendel?« Der Golem nickte. »Was tun die?« Bosh schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich kann mich nur vage an sie erinnern.« Er sah zu der kleinen Kreatur hinunter. »Sie wurden von Memnarch erschaffen.« Jetzt kamen von überall her noch mehr Grendeln hinter den hoch aufragenden Mycosynth-Monolithen hervor. Sie bewegten sich im Rudel und stupsten die rautenförmigen Körper auf dem Boden an. Sie schienen von Glissa und den anderen keine Notiz zu nehmen, sondern rollten einfach um jedes etwaige Hindernis herum. »Wenn Memnarch sie erschaffen hat«, fragte Glissa, »wie wurden sie dann fleischig? Kann er organische Kreaturen erschaffen?« Bosh schüttelte den Kopf. »Nein. Sie waren einmal Metallkonstruktionen.« Er drückte einen Finger in seine Haut. »Sie sind so wie ich. Aus Metall hergestellt, aber zu Fleisch geworden.« Slobad kniete sich nieder, um sie sich genauer anzusehen. Er klopfte gegen eines davon, zog aber schnell die Finger zu-
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rück, als es mit seinen kleinen Händen nach ihm griff. »Die sind ganz aus Fleisch, he? Während du nur teilweise aus Fleisch bist.« Glissa kratzte sich am Kopf und sah zum Manakern hoch. »Vielleicht sorgt irgendetwas hier im Inneren dafür, dass Metall zu Fleisch wird.« Sie suchte die Mycosynth ab. »Wenn das die Ursache ist, dann wäre das die Erklärung dafür, warum sich diese Kreaturen schneller verwandeln.« Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht sind sie aber auch schon sehr lange so.« »Seht euch das an.« Bruenna stand ein paar Schritte entfernt am Fuß eines der Monolithen. Sie klopfte mit den Zehen gegen etwas am Boden. Glissa ging zu ihr. Bruenna betrachtete ein Grendel. Nur bewegte sich dieses nicht, sondern war blass und steif. »Tot«, sagte die Zauberin. »Und woran gestorben?« Bruenna sah Glissa in die Augen und dann hoch zu Bosh. »Vermutlich an Altersschwäche.« Glissa verstand sofort. »Wir müssen gehen.« Sie schnappte Bosh an der Hand. »Wir müssen dich so schnell wie möglich hier herausbringen – bevor du so endest wie die hier.«
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Kapitel 22
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alil hatte noch nie eine solche Begierde empfunden wie jetzt. Jede Pore seines Körpers hasste ihn und rebellierte. Seine Sicht wurde unscharf. Seine Arme waren schwach. Seine Gedanken waren zerstreut und zusammenhangslos, nur zeitweise durchdrungen von lichten Momenten und aufwallendem Hass. Jetzt gerade war einer dieser Augenblicke. Er sprang von seinem Gleichmacher, überquerte die Schwelle und betrat den Panopticon. Er hatte nicht eine Sekunde auf Pontifex gewartet. Wer wusste schon, wohinter der Narr her war. Und im Augenblick interessierte Malil das auch nicht. Er konnte sich jetzt auf nichts anderes konzentrieren als darauf, zur Spitze des Turms zu kommen, um etwas Serum an sich zu bringen. Kaum hatte der Metallmann den Panopticon betreten, rannte er zum Aufzug. Er hatte bei seiner Aufgabe versagt, aber er konnte auch nicht damit fortfahren. Memnarch würde das sicher verstehen. Er würde Malil bestimmt noch eine Dosis verabreichen, damit es ihm bei seiner Mission, das Elfenmädchen zu finden, half. Der Lift bewegte sich nach oben. Wenn er doch nur im Mephidross mehr Serum gehabt hätte,
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dachte Malil, dann hätte er sie jetzt schon. Er trommelte ungeduldig mit den Fingern auf seinem Oberschenkel. Er würde Memnarch von seinem neu gewonnenen Verständnis der Dinge erzählen. Ihm erklären, dass er zum Erreichen seiner Ziele mehr Serum brauchte. Er würde ihm von den langen Tagen und Nächten draußen auf den Ebenen berichten, wo er auf die Elfin gewartet hatte, und zwar ohne Serum – von dem Zittern und Schütteln, den Wahnvorstellungen und den Schmerzen. Er würde Memnarch von seinen Leiden erzählen, und der Schöpfer würde ihm dann sicherlich das geben, wonach ihn verlangte. Der Aufzug hob ihn bis auf das Observationsstockwerk. Von dort aus nahm er den spiralförmigen Laufsteg hinauf zum Laboratorium. Wenn das nicht funktioniert, dachte er und umfasste mit seiner müden, schmerzenden Hand den Griff seines Schwerts, dann würde er alles tun, was notwendig war. Die Tür zum Laboratorium glitt zur Seite, und Malil trat ein. Der ganze Ort war verwüstet. Der Boden war zentimeterdick von Glassplittern bedeckt. Haufen von verbogenen Metallstreben lagen überall verstreut. Die Fenster waren eingeschlagen. Die Tische waren umgekippt, und alle Gerätschaften der Experimente lagen zerbrochen auf dem Boden, die Flüssigkeiten durchmischt, die Ergebnisse verloren. Memnarch lag neben seiner zerstörten Seruminfusionsapparatur auf dem Boden. Er bebte am ganzen Körper und sah beim Geräusch der sich öffnenden und wieder schließenden Tür nicht auf. Malil suchte den Raum nach Serum ab. Die schillernde Flüssigkeit würde nicht zu übersehen sein. Auf dem ganzen Planeten
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gab es nichts Vergleichbares. Das ganze Labor war voll davon gewesen. Große Tanks und Röhren hatten das Zeug von einem Ort zum anderen gepumpt – oder in Memnarch hinein. Es musste auf jeden Fall etwas davon übrig sein. Malil fiel auf die Knie. Er wischte die Glassplitter zur Seite und legte frei, was darunter lag. Doch sosehr er auch suchte, er fand nichts. Er stand wieder auf, trat gegen die Trümmer auf dem Boden und wühlte sich immer hektischer durch die Haufen. »Wo ist es? Erleuchtung! Ich muss sie haben!«, rief er. Metall verbog sich, und ein noch heiler Messbecher, der offensichtlich vor dem, was den Raum heimgesucht hatte, verschont geblieben war, rollte über den Boden. Malils Augen erhellten sich. Die Flasche wurde langsamer, rotierte auf der Stelle und blieb schließlich still liegen. Die Wandung des Glases war von der schillernden Farbe des Serums benetzt. Die zähflüssige Substanz klebte an dem Glas und floss langsam zum Boden des Bechers zurück. Der Metallmann hob das Glas an die Lippen. Die klebrige Flüssigkeit rollte über seine Zunge die Kehle hinab. Es war, als wären seine Augen die ganze Zeit über mit Schmiere bedeckt gewesen. Seine Sicht klärte sich, und er konnte die Welt sehen, wie sie wirklich war. Plötzlich war alles auf Mirrodin in Ordnung. Es war nicht mehr wichtig, dass er die Elfin nicht hatte fangen können. Er hatte Zeit und verfügte nun zudem über erheblich verbesserte mentale und physische Fähigkeiten. »Sie ist mein«, sagte er. Malil stand auf und wischte sich mit dem Handrücken den letzten Rest Serum von den Lippen. Als er sie wegzog und be-
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trachtete, sah er jedoch nicht das pure Schimmern des Blinkmottenserums. Seine Hand war von einer dünnen roten Flüssigkeit bedeckt, die an Elfenblut erinnerte. Er berührte die Lippen noch einmal, und noch mehr der Substanz blieb an seiner Hand hängen. An der abgebrochenen Kante des Messbechers fanden sich ebenfalls Spuren dieses Zeugs. Jetzt, wo er drüber nachdachte, machte er sich Sorgen wegen eines seltsamen Gefühls, dass er beim Durchsuchen des Bodens gehabt hatte. Er drehte seine Hand um und untersuchte die Innenfläche. Sie war ebenfalls von der roten Flüssigkeit bedeckt. Ein Glasstück ragte aus der Stelle unter seinem Zeigefinger hervor, und die Flüssigkeit schien aus einem Kratzer in seiner Haut zu sickern. Malil ließ den Becher fallen und griff nach dem kleinen Glassplitter. Er zog ihn heraus und betastete seine Handfläche. Ein kleines Stück davon war weich geworden. Wo das Glas gesteckt hatte, war ein Spalt, aus dem Flüssigkeit rann. Der Metallmann berührte wieder seine Lippe. Sie fühlte sich ebenfalls weich an, und aus einer kleinen Wunde wie der an der Hand rann Flüssigkeit. Er blutete. Memnarch rührte sich. »Meister.« Malil rüttelte an dem bäuchlings hingestreckten Körper. »Meister, geht es Euch gut?« Memnarch starrte ihn blicklos an. »Serum. Wir brauchen Serum. Wir müssen… wissen.« »Ja, Meister«, sagte Malil. »Wo finde ich es?« Memnarch zeigte auf die verwüstete Infusionsapparatur. Malil nickte. »Das Gerät ist zerstört.«
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Memnarch schüttelte den Kopf und zeigte energisch auf etwas neben sich. Dort auf dem Boden lag ein langer Schlauch, an dessen Ende eine spitze Nadel angebracht war.
$ Glissa ging um einen der außergewöhnlich dicken Monolithen herum und stand plötzlich außerhalb des Mycosynth-Waldes. Vor ihr fiel ein kurzer Abhang sanft in ein Tal ab, und jenseits davon erstreckte sich eine weite, lange Ebene unter dem summenden Manakern. In der Ferne, kurz vor der Stelle, an der sich der Boden nach oben krümmte, konnte sie gerade noch den Sockel des Panopticon ausmachen, dessen oberer Teil sich ihrem Blick entzog. »Es ist noch sehr weit«, sagte Bruenna, als sie neben Glissa trat. Glissa nickte. »Vielleicht sollten wir hier rasten. Irgendetwas sagt mir, dass die Gelegenheiten dazu weniger werden, je näher wir dem Turm kommen.« Bruenna nickte. »Eine weise Entscheidung«, sagte sie. »Aber was ist mit dem Golem? Je länger wir uns hier aufhalten, desto mehr wird er sich zu Fleisch verwandeln.« Glissa warf einen Blick nach oben zu Bosh. Er schien immer noch derselbe zu sein, nur dass er jetzt viel ausdrucksstärker wirkte. Sein stoisches, unbewegliches Gesicht zeigte nun je nach Stimmung ein Lächeln oder ein Schmollen – und seine Stimmung konnte sich schnell ändern, wie Glissa fand. Im Augenblick war er fröhlich. Seine Mundwinkel zeigten nach oben, und die Augen schienen zu strahlen. Vielleicht waren all die Dinge, die sie ihm über das Fleischsein erzählt hatte, ja
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wahr, dachte er. Vielleicht war es tatsächlich nicht so schlimm, so wie sie zu werden und ein Leben zu leben, das zwar zerbrechlicher, aber trotz seiner Verletzbarkeit auch lohnender war. »Du hast Recht«, sagte Glissa schließlich. »Wir sollten in Bewegung bleiben.« Die Elfin machte sich auf den Weg den Hügel hinunter und näherte sich langsam dem weit entfernten Panopticon. Die anderen folgten dichtauf. Als sie die Sohle des Tals erreicht hatten und bald darauf wieder nach oben stiegen, hörte Glissa plötzlich ein seltsames Geräusch. »Was ist das?« Bruenna drehte den Kopf und horchte. »Ich weiß es nicht.« Slobad erkannte das Geräusch. »Drescher.« Als hätten die Worte des Goblins ein Rudel hungriger Bestien angelockt, rollte auf einmal eine Reihe summender Drescher über den Hügelkamm und kam auf sie zu. Drescher ähnelten den Gleichmachern; sie waren kleinere, schnellere bucklige Tötungsmaschinen. Anstatt der scherenden Sensenklingen besaßen diese Kreaturen einen rotierenden Zylinder aus ineinander greifenden gebogenen Schneideklingen. Glissa hatte sie schon einmal auf den Ebenen gesehen, wo sie sich meist bei den Rasierklingenfeldern herumtrieben. Sie schnitten tiefe, labyrinthartige Gänge in das Rasierklingengras. Glissa war sich nicht sicher, welchem Zweck ihr Mähritual diente. Sie hatte gesehen, wie die Leoniden das geschnittene Gras zur Herstellung von Waffen benutzten, aber sie waren nicht die Schöpfer dieser Mordmaschinen. Das war Memnarch. Die Drescher rollten den Hügel herab und fraßen mit ihren rotierenden Klingen den moosigen Bodenbelag. Glissa zog ihr Schwert. Die Zauberer hatten bereits Mana herbeibeschworen,
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und ihr Zauber zischte durch die Luft. Die langen blauen Leuchtspuren ihrer geheimnisvollen Magie erhellten den Himmel. Glissa schossen Erinnerungen an die vielen Kämpfe durch den Kopf, die sie mit diesen menschlichen Zauberern geschlagen hatte. Sie waren schnell. Ihre Magie schlug immer zuerst zu und forderte einen enormen Tribut von denen, die ihnen gegenüberstanden. Die Magie der Zauberer schlug in die vordringende Linie der Drescher ein, und einen Moment lang waren ein paar von ihnen in einer Wolke aus mystischer Energie verloren. Bruenna stieß einen Jubelschrei aus, verstummte jedoch sofort wieder, weil die Maschinen auf einmal unbeschadet aus der Wolke rollten. »Was ist geschehen?«, fragte Glissa. Bruenna schüttelte den Kopf. »Sie sind entweder immun gegen unsere Magie oder …« Sie drehte sich zur Seite und sah Glissa in die Augen. »… sie bestehen nicht mehr aus Metall.« Das war alles an Unterhaltung, wofür ihnen die Zeit blieb, bevor die rollenden Maschinen auf sie trafen. Bosh war der Erste, der sich dem Feind stellte. Er trat den ersten Drescher aus der Reihe in dessen Seite, wich gekonnt den rotierenden Klingen aus und traf einen Punkt neben dem Auge der Kreatur. Ein gut angebrachter Hieb an dieser Stelle konnte sie bestimmt außer Gefecht setzen. Der Fuß des Golems landete genau dort, wohin er gezielt hatte, doch anstatt das vertraute hohle metallische Dröhnen zu erzeugen, sank Boshs Fuß tief in weiche, nachgiebige Haut ein. Die Kreatur stieß ein Quieken aus und wich zurück, so als hätte sie Schmerzen verspürt. Sie zuckte. Boshs Tritt hatte sie nicht außer Gefecht gesetzt, aber anscheinend hatte er die Kreatur verwirrt. Der Golem hatte allerdings keine Zeit, sich nähere Gedanken
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darüber zu machen, da schon der nächste Drescher mit rotierenden Klingen über ihn herfiel. Glissa war ebenfalls in einen wilden Kampf verwickelt. Sie versenkte ihr Schwert zwischen die rotierenden Zähne ihres Gegners. Hier konnte sie ihre neue Waffe testen. Kaldras Schwert hätte alles durchschnitten, ganz gleich ob Knochen, Fleisch oder Metall. Sie hatte sich an seine Macht gewöhnt und kämpfte nun so, als führte sie es immer noch. Die Stahlklinge fuhr quer durch den Mähzylinder des Dreschers und schnitt tief hinein, aber es war kein Metall, das sie traf. Es war Fleisch. Blut spritzte in hohem Bogen über Glissa und bedeckte sie mit der klebrigen roten Flüssigkeit. Der verwundete Drescher zog sich zurück, aber zwei andere nahmen sofort seinen Platz ein. Glissa schlug die beiden Maschinen zurück. Obwohl sie zu Fleisch geworden waren, waren ihre Klingen noch immer scharf. Sie hinterließen lange Furchen im Metallboden des Inneren, und die Elfin wusste, dass sie sich fernhalten musste. Gegen diese halb metallenen, halb fleischlichen Artefakte zu kämpfen war wie der Kampf gegen eine Waldbestie im Knäuel. Der Gedanke erinnerte sie an etwas, was ihr Vater einmal zu ihr gesagt hatte, als sie als junge Elfin auf ihre erste Jagd mitgegangen war. »Manche Dinge sind aus Metall, manche aus Fleisch, von den Zähnen jedoch musst du dich immer fernhalten.« Glissa zog ihre Klinge zurück, nahm das Schwert mit zwei Händen und schlug in einem flachen Bogen nach einem der Drescher. Die Spitze ihres Schwerts schnitt der Kreatur in die Augen, und sie wich einen Schritt zurück. Glissas flinke Attacke hatte ihr genügend Zeit verschafft, um einen Blick über die Schulter zu werfen. Was sie dort sah, stimmte sie jedoch alles
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andere als glücklich. Der Kaldra-Wächter schwebte über einem Rudel Drescher. Die kleineren Geschöpfe waren schneller und beweglicher als ihre Gleichmacher-Gegenstücke. Der Kaldra-Wächter schmetterte seine Faust auf den Boden, aber die Kreaturen schossen unbehelligt davon. Gegen größere, trägere Ziele war er ein großartiger Kämpfer. Doch gegen diese kleinen Kreaturen war der Kaldra-Wächter geradezu nutzlos. Glissa wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Drescher zu und konnte gerade noch einen Gegenhieb abwehren, als die schnelle Maschine heranschoss. Ihr Schwert traf die scharfen Zähne des Wesens. Sie rammte es in den rotierenden Zylinder, stemmte all ihr Gewicht in die Klinge und schob sie tiefer hinein. Die Elfin wurde in einem Satz vom Boden gehoben. Die Vorwärtsbewegung des Dreschers warf sie nach hinten, aber sie balancierte ihren biegsamen Körper am Griff ihres Schwerts aus. Blut begann aus der Kreatur hervorzuspritzen, und sie beendete ihren Angriff und ließ Glissa wieder zu Boden fallen. Der Drescher bewegte sich rückwärts und versuchte, sich die Waffe der Elfin aus dem Bauch zu ziehen. Doch sein eigener Klingenzylinder verklemmte die Waffe, und ein Zucken der Kreatur entriss Glissa den Schwertgriff. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinab, als sie die bewegliche Maschine mit ihrem Schwert den Hügel hochrasen sah. Das Tal war überflutet von Dreschern, und jedermann kämpfte um sein Leben. Slobad ritt auf einer der Maschinen und hielt sich verzweifelt fest. Es sah so aus, als wollte er das Ding mit seinem Brecheisen öffnen, doch nach den Blutspuren auf seiner Brust zu schließen, versah er eher das Handwerk eines Metzgers
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als das eines Mechanikers. Bosh hatte alle Hände voll damit zu tun, ein halbes Dutzend der Monster zurückzuschlagen. Glissa würde ihnen allen jetzt, wo sie kein Schwert mehr hatte, keine große Hilfe sein. Sie wich einem angreifenden Drescher seitwärts aus und rannte dann der verwundeten Maschine nach, die ihr Schwert gestohlen hatte. Im Umdrehen sah sie deutlich, wie Bruenna mit zweien der Maschinen kämpfte. Ihre Schienbeine bluteten. Sie war von den anderen abgeschnitten – und offenbar dabei, den Kampf zu verlieren. Der andere Zauberer aus ihrem Stamm war ebenfalls in einen Nahkampf mit den Dreschern verwickelt. Er war so beschäftigt, dass er Bruenna nicht beistehen konnte. Bruenna parierte die Angriffe einer der Maschinen, drehte sich aber zu spät um, um die Attacke der anderen Kreatur abzuwehren, die ihr einen üblen Hieb über den Rücken versetzte. Die Zauberin fiel zu Boden und hielt sich die Wunde. Glissa zuckte bei diesem Anblick zusammen. Im Eifer der Schlacht vergaß sie ihr Schwert und lief, so schnell sie konnte, zu ihrer Freundin. Ein Drescher sprang vor sie, die sich drehenden Klingen zu ihr gewandt, um sie in Stücke zu schneiden. Die Elfin stieß sich mit dem Bein vom Boden ab und sprang in die Luft, das andere Bein gerade vor sich ausgestreckt. Der Drescher wich zurück, aber er war zu langsam. Glissa war bereits an seinen Zähnen vorbei und landete auf seinem Rücken. Seine Oberseite war weich und gab unter ihrem Gewicht nach. Sie rutschte, und ihr Knie knickte ein. Glissa kippte zur Seite und stieß sich wieder von der Maschine ab. Ihr verunglückter Sprung ließ sie zu Boden fallen. Sie rollte sich über die Schulter ab. Die Welt drehte sich einmal um Glissa, und schon war sie wieder auf den Beinen.
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Vor ihr schlossen die Drescher ihre Formation um Bruenna. Einer von ihnen hob den Kopf und die Schneideklingen vom Boden und schien sich zu öffnen. Hinter den rotierenden Zähnen ließ die Kreatur eine leere Kammer sehen. Bruenna sah mit weit aufgerissenen Augen auf und hob in dem hoffnungslosen Versuch, die angreifende Kreatur abzuwehren, die Hände. Der Drescher sprang nach vorn, senkte sich über der verwundeten Magierin und verschluckte sie mit Haut und Haar. Glissa wollte ihren Augen nicht trauen. Bruenna war verschwunden. Drescher waren doch eigentlich gar nicht in der Lage, so etwas zu tun. Wut und Trauer stiegen in ihr hoch, dieselben Gefühle, die auch in der Vergangenheit ihre mächtige Zauberfähigkeit angetrieben hatten. Sie dachte an Al-Hayat, an die Trolle und an all die anderen Zauberer, die auf dieser Mission bereits gestorben waren. Dann dachte sie an Bruenna, die nun in den Eingeweiden dieser Kreatur gefangen war, und ihr Blut begann zu kochen. Sie spürte, wie sie von einer Macht durchflössen wurde, die sie schon oft erfüllt hatte. Sie gewann mehr und mehr Kontrolle darüber und konzentrierte all ihre Wut auf die Drescher, willens, sie in winzige Staubhaufen zu verwandeln. Nichts geschah. Glissa spürte dasselbe Gefühl der Energiefreisetzung, das sie jedes Mal verspürt hatte, wenn der Zauber funktionierte. Aus irgendeinem Grund blieben die Kreaturen, auf die sie sich konzentriert hatte, jedoch völlig unberührt. Da schoss ihr die Erklärung durch den Kopf. »Sie sind nicht mehr aus Metall!« Jedes Mal zuvor, wenn sie die mysteriöse Macht eingesetzt hatte, hatte sie nur Gleichmacher oder Waffen außer Gefecht
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setzen können – niemals aber fleischliche Wesen. Und jetzt, wo Glissa mit leeren Händen dastand und dem Drescher, der Bruenna in sich trug, tatenlos hinterhersehen musste, fühlte sie sich wie betäubt. Ihr Kopf brummte, und ihre Glieder fühlten sich schwer an. Zuvor war ihr noch nie aufgefallen, wie ermüdend der Einsatz dieses Zaubers war. Auf einmal wurde die Elfin von einem Drescher von hinten mit dem Gesicht voraus zu Boden gestoßen. Sie konnte sich gerade noch umdrehen, um zu sehen, wie die Kreatur sich weit öffnete. Dann wurde auch sie mit Haut und Haar verschlungen.
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Kapitel 23
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emnarch öffnete die Tür zum Auge und winkte Malil herbei. »Komm. Memnarch wünscht das Elfenmädchen zu sehen.« Malil durchquerte das Laboratorium und kletterte zu Memnarch in das Auge. Der Wächter bediente die entsprechenden Regler, worauf alle Schirme ansprangen. Jeder zeigte eine andere Szenerie, eine andere Sicht auf Mirrodin. Die Ebenen, der Sumpf, die Berge, Meere und der Wald des Metallplaneten, alles wurde dargestellt. Memnarch drehte an einem weiteren Knopf, und fünf der sechs Schirme wechselten zum Inneren. Sie zeigten alle ein ähnliches Bild, aber jeweils aus einem anderen Blickwinkel. Im Zentrum aller fünf Schirme jedoch rollte ein einsamer Drescher über den Boden. Auf dem sechsten Schirm war eine Ansicht vom Inneren des Auges zu sehen – die Ansicht von Malils Blick. Der Metallmann sah auf diesen Schirm, der das Gesehene millionenfach vervielfältigte – wie zwei einander zugewandte Spiegel. Malil betrachtete, was Memnarch sah, wenn er durch Malils Augen blickte, und das Bild schichtete sich bis zur Unendlichkeit auf, bildete einen endlosen Gang, der vom Inneren des Auges umrahmt war.
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Welch unerwartete Entdeckung, dachte der Wächter, das war etwas, was er später noch näher erforschen musste, wenn er das Elfenmädchen fest im Griff hatte. Malil wandte seine Aufmerksamkeit einem der anderen fünf Schirme zu, wonach die Ansicht durch seine Augen nun ebenfalls die einsame Maschine im Inneren Mirrodins zeigte. »Weshalb betrachten wir einen Drescher, Meister?« »Weil sich das Elfenmädchen in ihm befindet, Malil.« Memnarch kniff die Augen zusammen, weil er etwas sah, was sich auf seine Jagdbeute zubewegte. Einer der Schirme veränderte das Bild und stellte sich auf eine andere einsame Kreatur ein, die auf einem Schweber auf den Drescher zuflog. »Was will der denn hier?«
$ Im Inneren des Dreschers war es stockdunkel. Es erinnerte Glissa an das eine Mal, als Bosh sie in seinen Brustkorb gesteckt hatte. Nur dass sich dieses Mal die Welt nicht um sie drehte. An den Umständen gemessen, war es eine komfortable Reise. Die Kammer war groß genug, dass sie im Schneidersitz aufrecht sitzen konnte, und die Wandung der Kreatur war weich. Nachdem sie den Drescher mit den Fäusten geschlagen hatte – und sogar nach ihm getreten hatte, bis ihr schwindlig geworden war –, war Glissa zu dem Schluss gekommen, dass das Wesen keine Schmerzen empfand, zumindest nicht von innen. Also saß sie abwartend da. In welch misslicher Lage sie sich doch befand. Von einem Drescher am Stück verschluckt worden zu sein, nachdem sie ihr Schwert verloren hatte. Allerdings war es auch ein Wunder, dass
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sie es überhaupt so weit geschafft hatte. Sie lachte bei dem Gedanken. Slobad hatte sich so viel Sorgen gemacht, was sie wohl als Waffe benutzen konnte, nachdem sie den Kaldra-Wächter zusammengesetzt hatten. Aber das alles spielte jetzt keine Rolle mehr. Sie dachte darüber nach, was sie am Ende dieser Reise wohl erwarten würde. Wurde Bruenna an denselben Ort gebracht? Würde sie endlich Memnarch treffen? Das war allerdings nicht die Art, auf die sie sich das vorgestellt hatte. Glissa spürte, dass der Drescher langsamer wurde. Ihr Herz raste, und sie bereitete sich darauf vor, Mana herbeizubeschwören. Dann kam die Kreatur abrupt zum Stehen. Es gab einen Ruck nach hinten, und die scharfe Spitze einer kurzen Klinge drang ins Innere der Kreatur vor, sich beinahe direkt in Glissas Stirn bohrend. Die Klinge glitt seitwärts, und der Drescher erbebte. Blut ergoss sich in den Innenraum, und durch die Wunde drang Licht herein. Glissa konnte die Hand und den Unterarm ausmachen, der die Klinge hielt – blaue Haut. Noch eine Klinge traf die Bestie und durchdrang sie. Glissa drückte sich in die Kammer hinein, um der Klinge möglichst auszuweichen, und bezog so viel Mana, wie sie konnte. Die geheimnisvollen Energien flossen ihr zu, und sie sprach einen Zauber, der sie innerhalb eines Augenblicks fast doppelt so groß werden ließ. Ihr Körper füllte schnell den engen Innenraum aus, und ihre Arme wurden von der Hülle des Dreschers an ihre Seiten gedrückt. Jetzt trat sie mit aller Macht mit ihren eingeklemmten Beinen gegen die Vorderseite des Dreschers – genau unterhalb der Stelle, an der sich die Klinge durch die Haut geschoben hatte.
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Fleisch riss, und Licht drang ein. Glissa war frei. Die riesige Elfin kam auf die Füße, zog sich die Reste des Dreschers vom Kopf und sah nun auf einen Vedalken herunter. »Pontifex.« Der vierarmige ehemalige Vedalken-Lord sah böse zu ihr auf. »Du hast mir meinen Gott genommen. Du hast mir mein Königreich genommen.« Er hob mit jeder Hand ein blutiges Schwert. »Und jetzt werde ich dir das Leben nehmen.« Der Vedalken stürzte sich auf die Elfin und schnitt ihr zwei lange Wunden in den Schenkel, bevor sie reagieren konnte. Die Wunden wären viel schlimmer gewesen, wäre Glissa nicht so groß gewesen, sie schmerzten aber dennoch. Die Elfin wich zurück. Der Vedalken stieg auf seinem Schweber in die Luft und zog zwei Kurzschwerter. Pontifex schoss vorwärts, umflog die riesige Elfin und schlug dabei nach ihrem Kopf. Glissa duckte sich, kippte nach vorn und streckte schnell die Hände aus, um nicht zu fallen. Der Schweber verfehlte sie knapp und wirbelte im Vorbeifliegen ihre Haare auf. Glissa fing sich, richtete sich auf und drehte sich um, damit sie den Vedalken im Blickfeld hatte. Pontifex stoppte abrupt ab und kehrte den Schweber mitten in der Luft um. Die Nase des Luftfahrzeugs zeigte jetzt wieder auf Glissa und kam auf sie zugeflogen. Dieses Mal machte Glissa einen Schritt nach rechts und schlug nach dem Vedalken, als wäre er eine störende Fliege. Pontifex hatte den Zug vorausgesehen und schwang den Schweber nach links, womit er ihr die scharfe Klinge seines Schwerts über die Schulter ziehen konnte. Die Elfin zischte schmerzerfüllt auf, zuckte vor der Attacke zurück und hob ihre andere Hand zur Abwehr. Pontifex zog sein
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Vehikel mit einem Gedankenbefehl zurück, aber er war schon zu nah bei ihr. Die Hand der Elfin schwang an ihm vorbei und verwirbelte die Luft um seinen Schweber herum. Pontifex hüpfte durch die Turbulenzen, dann kippte der Schweber kopfüber und kam ins Trudeln, wobei er seinen Piloten abwarf. Der Vedalken fiel zu Boden.
$ Glissa hob den Fuß und machte sich bereit, ihren Gegner zu zertreten. »Ich werde dich wie einen Käfer zerquetschen.« Sie senkte den Fuß. Pontifex ging auf die Knie. Einer seiner linken Arme war bei dem Sturz verletzt worden, und er hielt in dicht an sich gedrückt. »Ich habe nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnt«, sagte er. Er rief einen einsilbigen Zauber aus und reckte seine beiden rechten Arme der Elfin entgegen. Ein Wirbelwind aus blauer Energie umgab Glissa, peitschte ihr Haar durch und entzog ihr die Magie, die sie zu solch riesiger Größe hatte wachsen lassen. Die Elfin schrumpfte. Die Welt um sie wurde größer, und die Mächte, die sie größer und stärker gemacht hatten, wurden weggesogen. Als sie ihre normale Größe wieder erreicht hatte, gab der peitschende Wind sie frei. Der wirbelnde Sturm glitt über den Boden, schob den moosigen Bodenbelag in alle Richtungen davon und bewegte sich geradewegs auf den verwundeten Vedalken zu. Der Sturm erfasste einmal mehr sein Opfer. Pontifex verschwand komplett in der wirbelnden Energie. Dann, so schnell wie er entstanden war, erstarb der Wind wieder, und der verebbende Sturm gab den Vedalken frei. Pontifex war vollständig ge-
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heilt, und nun begann er zu wachsen. Seine Arme streckten sich, und seine Beine hoben ihn hoch in die Luft. Sein Kopf, der für einen Vedalken bereits groß war, wurde größer als selbst der eines Trolls. Der blauhäutige Vedalken wuchs zu titanischen Größenverhältnissen heran und ragte vor der Elfin auf. Glissa setzte ihren Fuß ab. »Wollen wir über diese Sache nicht lieber reden?« Pontifex machte einen gewaltigen Schritt nach vorn, und Glissa musste zur Seite springen, um nicht zerquetscht zu werden. Die Elfin rannte davon. Sie erspähte eine Gruppe von vier oder fünf kleinen Mycosynth-Monolithen und suchte deren Deckung. Als sie die Säulen erreichte, versteckte sie sich dahinter, drückte sich gegen einen der Monolithen und bemühte sich, wieder zu Atem zu kommen. Zumindest waren die Mycosynth scharfkantig, also würde Pontifex zweimal nachdenken, bevor er zutrat. »Du kannst dich nicht ewig verstecken!«, rief der riesige Vedalken. »Darauf würde ich mich nicht verlassen«, murmelte Glissa unhörbar. Pontifex begann die Mycosynth zu umrunden. »Komm heraus und stell dich mir!« Glissa schob sich leise und unauffällig hinter einen anderen Monolithen. Der Vedalken ging auf Hände und Knie und spähte zwischen die Mycosynth. Pontifex’ riesiges Auge funkelte Glissa an. Obwohl sie sich klein zu machen und sich zwischen zwei der Metallformationen zu verstecken versuchte, konnte sie seinem Blick nicht entkommen. Pontifex griff mit seinem vergrößerten Finger zwischen die
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Monolithen und tastete umher. Er grinste höhnisch und ließ sie nicht aus dem Auge. Aber die Monolithen standen zu dicht beieinander, und er war zu groß. Die scharfen Kanten der Mycosynth schnitten ihm in die Haut. Die Tatsache, dass er Glissa nicht erreichen konnte, frustrierte ihn immer mehr. Schließlich stand er auf. »In Ordnung. Dann eben auf die harte Tour.« Er warf seine Arme durch die Luft, und ein irrlichternder Strahl blauen Manas schoss aus jeder seiner vier Hände. Der Vedalken verschwand aus Glissas Blickfeld. Die Elfin stand auf. Sie spähte um die Ecke des Monolithen. Kein Pontifex. Sie bog den Hals und sah in die andere Richtung. Kein Pontifex. Sie schnappte sich eine Hand voll des moosigen Bodenbewuchses, griff nach dem hier im Inneren fließenden Mana und lenkte etwas davon in ihre Hände. Das klebrige Moos beugte sich ihrem Willen und verlängerte und verwob sich zu einem langen, dünnen Seil. Sie legte das eine Ende so zusammen, dass es einen dicken Griff bildete, und testete ihre provisorische Peitsche dann mit einem kurzen Schlag. Das andere Ende schlug aus und knallte laut. Sie nickte. Das würde ausreichen. Sie atmete einmal tief durch und stürzte anschließend ins Freie, und zwar ungefähr an der Stelle, an der Pontifex sich befinden sollte. Als die Elfin zwischen der Monolithengruppe hervorkam, hob sie ihre Peitsche zu einem schnellen Überraschungsschlag – nur war da kein Pontifex. Sie wirbelte herum und suchte die Umgebung ab – noch immer kein Pontifex. »Suchst du nach mir?«, ertönte auf einmal eine Stimme. Glissa zuckte mit dem Kopf umher. Sie sah nach oben, unten, hin und her, doch nirgendwo war etwas zu sehen. Die Elfin ließ sich in eine Kauerstellung fallen und drehte sich langsam im Kreis, um auf alles vorbereitet zu sein.
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Sie hörte den moosigen Boden hinter sich rascheln und drehte sich um – zu spät. Etwas Hartes traf sie am Hinterkopf, und die Welt begann sich um sie zu drehen. Glissa ließ ihre Peitsche los und fiel zu Boden. Pontifex stand vor der außer Gefecht gesetzten Elfin. Sie wälzte sich auf dem Boden und hielt sich den Hinterkopf. Irgendwann rollte sie sich auf den Rücken und sah zu ihm hoch. »Das war nicht einmal halb so hart, wie ich dachte.« Glissa schielte beinahe vor Schmerz. Er hatte sie hart getroffen. Es war ein Wunder, dass der Hieb sie nicht sofort getötet hatte. Aber er war froh, dass es nicht so war. Er wollte, dass es bis dahin noch eine Weile dauerte. Er wollte sie so quälen, wie sie ihn gequält hatte. Er ging auf die Knie, reckte die Brust der Elfin gerade, zog ihre Arme herunter und stellte sich darauf. Dann packte er mit einer Hand ihr Kinn und untersuchte ihr Gesicht, wobei er mit zwei anderen Händen die beiden Kurzschwerter an ihre Kehle hielt. »Was ist es, das Memnarch in dir sieht?« Pontifex stieß ihr Gesicht grob von Seite zu Seite. »Was hast du, was ich nicht habe?« Glissa schwieg. Sie hatte die Augen die meiste Zeit geschlossen und die Lippen in einer schmerzerfüllten Grimasse verzerrt. Pontifex schüttelte den Kopf. »Wie war es möglich, dass eine solch unbedeutende Kreatur meinen Platz an seiner Seite einnehmen konnte? Sieh dich doch an. Dein Körper muss sich noch über den Besitz von nur zwei Armen hinaus entwickeln. Wozu nur soll eine solche Kreatur wie du von Nutzen sein?« Glissas Sicht klärte sich wieder. Obwohl sie kaum bei sich war, war es offensichtlich, dass der Schmerz in ihrem Kopf
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schon wieder nachließ. »Aber das alles ist jetzt ohnehin einerlei. Sobald ich dich getötet habe, wird Memnarch keine andere Wahl haben, als sich wieder mir zu widmen. Er wird sehen, dass ich die einzige Wahl bin, und er wird die Torheit hinter seinen derzeitigen Gedanken erkennen.« Der Vedalken nickte, als wäre er von seinen Worten entschieden überzeugt. »Die einzige Frage ist jetzt nur, wie schnell dein Tod kommen wird.« Die leuchtende blaue Klinge einer Vedalken-Hellebarde glitt unter seinem Kinn hoch. »Er wird überhaupt nicht kommen«, sagte eine Stimme. Ein kalter Schauer lief Pontifex den Rücken hinab, und er hob sein Kinn, so hoch er konnte, bis sein Nacken den Rücken berührte. Ein Vedalken kam in sein Blickfeld. »Marek«, sagte Pontifex. Die Erleichterung verjagte die Angst. »Du hast mich erschreckt.« Er griff nach oben und legte seine Finger an die Klinge der Hellebarde, um sie wegzudrücken. Marek hielt dagegen, und die Klinge schnitt Pontifex tief in die Finger. »Was soll das?« »Ich werde nicht zulassen, dass Ihr sie tötet, Pontifex«, sagte Marek mit zusammengekniffenen Augen. Pontifex wollte sich nach vorn beugen, aber Marek hielt die Hellebarde dicht an Pontifex’ Kehle und rührte sich nicht von der Stelle. »Nach allem, was ich für dich getan habe …«, sagte Pontifex. »Dass du mir das jetzt antust.« »Ja. Ich bin Euch mit meinem Leben verpflichtet.« »Weshalb tust du mir das dann an?« »Weil ich auch eine Verpflichtung gegenüber der Vedalki-
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schen Republik habe.« »Vedalkischen Republik? Du willst mir doch nicht erzählen, dass du Orland all diesen Schwachsinn über die Vertretung des Volkes abkaufst?« Marek nickte. »Doch, Pontifex. Genau das will ich Euch erzählen.« »Bitte, Marek. Wir waren Freunde.« Pontifex schluckte. »Du hast mir dabei geholfen, genau diese Elfin zu jagen. Du wolltest ihren Kopf genauso wie jeder andere auf der Spitze dieser Lanze sehen, und jetzt könntest du das haben. All die Arbeit. All die Zeit, die wir auf der Jagd nach dieser Beute verbracht haben, und jetzt ist sie greifbar nahe.« Er sah Marek wieder in die Augen, den Kopf noch immer in den Rücken gelegt. »Bitte. Nimm diese Klinge weg, und lass uns über die Sache reden … als Freunde.« Mareks Augen fokussierten sich auf die Ferne, als wäre er mit den Gedanken anderswo. Pontifex wartete in der Hoffnung ab, dass seine Worte durchgedrungen waren. Sein Hals schmerzte bereits von der Lage, in der er sich befand, und die Haut an seiner Kehle spannte so eng über dem Adamsapfel, dass er kaum noch Luft bekam. Wenn er aus dieser Sache herauskam, würde er die Elf in töten. Und Marek für dessen Verrat gleich mit. Mareks glasiger Blick wanderte wieder zu Pontifex zurück. Der Krieger schüttelte den Kopf. »Ich schulde Euch eine Menge, doch wenn ich Euch hiermit gewähren lasse, wenn ich Euch diesen Verrat an Memnarch im Namen des vedalkischen Imperiums begehen lasse, werden wir alle verdammt sein. Eure Handlungen werden einen Schatten auf alles werfen, was wir erreicht haben. Eure Habgier und Eure Eifersüchteleien könnten den Niedergang der größten Revolution in der Geschichte der Vedalken bedeuten.« Mareks Blick wurde weich und traurig. »Ich kann
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Euch das nicht tun lassen.« Pontifex rollte sich urplötzlich nach hinten von Mareks Hellebarde weg, zog seine Zwillingsschwerter und hieb schon während des Überschlages nach seinem Gegner. Die Klingen stachen tief zu und durchbohrten Haut, Knochen und Organe. Der einstige Vedalken-Lord vollendete seinen Rückwärtssalto und kam auf die Beine. Die Vorderseite seiner Robe war mit blauem Blut vollgesogen. Marek blieb noch einen Augenblick lang stehen und sank dann auf die Knie. Pontifex’ Klingen waren jede bis zum Griff in seiner Brust versunken. »Mar …« Pontifex versuchte zu sprechen, aber seine Stimme versagte ihm den Dienst, und ein stechender Schmerz lief sein Rückgrat hinab. Als er seine Kehle betastete, spürte er einen breiten Spalt an der Stelle, an der Mareks Hellebarde gewesen war. Als er an sich herabsah, wurde ihm klar, dass das Blut nicht das von Marek war. Es war sein eigenes. Ein Gefühl der Leichtigkeit erfüllte seinen Kopf, und der Manakern schien heller zu werden, beinahe alle Farben auswaschend und alles in ein dunstiges Weiß verwandelnd. Marek kippte nach vorn. Pontifex konnte die Spitzen seiner Klingen aus dem Rücken seines einstigen Untergebenen ragen sehen. Der Kopf des vedalkischen Elitegardisten zuckte noch einmal, dann rührte er sich nicht mehr. Pontifex sank neben Marek zu Boden. Sein Sichtfeld verengte sich, und seine Gedanken verflogen, bevor er sie zu Ende denken konnte. Ein warmes, sanftes Summen erfüllte seinen ganzen Körper. Es schien den Schmerz in seiner Kehle und die Qual in seinem Herzen wegzuwischen. Was habe ich getan?
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Das einstige Oberhaupt der vedalkischen Synode senkte den Kopf auf die Schulter seines einstigen Untergebenen und schloss die Augen.
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Kapitel 24
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lissa wachte auf, weil etwas gegen ihren Kopf klopfte. Die Elfin sprang sofort auf die Füße und wirbelte zu ihrem Angreifer herum. Sie hatte im Nu genügend Mana herbeibeschworen. »He, verrückte Elfin!«, rief Slobad. »Ganz ruhig, he?« Er winkte mit der Hand vor ihrem Gesicht. »Slobad.« Der Goblin warf ihr ein zahnreiches Grinsen zu. Glissa entspannte sich und leitete das Mana in einen Neubelebungszauber, der sofort den pochenden Schmerz in ihrem Hinterkopf fand. Auf dem Boden neben ihr lagen Pontifex und Marek. Ihr Blut hatte sich vermischt und zu einer Pfütze gesammelt. »Was ist geschehen? Wie kam Marek hierher?« »Wir hatten gehofft, dass du uns das sagen kannst«, sagte Bosh. »Sie waren beide tot, als wir hier eintrafen.« Glissa zuckte die Achseln und betastete ihren Hinterkopf. Ihr Zauber hatte die Beule um einiges verkleinert, aber sie schmerzte noch, als sie dagegendrückte. »Ich hatte einen Kampf mit Pontifex. Das Letzte, woran ich mich erinnern kann, ist, dass ich auf den Kopf geschlagen wurde.« »Vielleicht hat Marek dich gerettet?«, sagte Slobad.
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Glissa lächelte. »Wohl kaum.« Sie sah sich um. Der KaldraWächter stand hinter ihnen und ragte hoch über den anderen auf. »Wo ist der andere Zauberer?« »Er ist Bruenna gefolgt.« Die Entführung Bruennas hatte Glissa in all dem Chaos schon wieder vergessen. Sie verspürte ein sofortiges Drängen, die Verfolgung aufzunehmen, um ihre Freundin zu finden und sie vor dem Schicksal zu bewahren, das sie erwartete, wenn der Drescher stehen blieb und sie freiließ. Bruennas Bild erschien in ihren Gedanken. Glissa konnte sie den Kopf schütteln sehen und sagen hören: »Bring zu Ende, was du begonnen hast – zum Wohle aller.« Bosh gab Glissa ihr neues Schwert. »Das könntest du vielleicht brauchen.« Sie nahm es entgegen. »Danke.« Glissa sprang auf Pontifex’ Schweber. »Es ist an der Zeit, dass wir Memnarch endlich einen Besuch abstatten.«
$ In einem gewissen Abstand schlich eine vierbeinige, vogelköpfige Kreatur der Elfin und ihren Freunden hinterher. Sie kauerte flach hinter einem Mycosynth-Monolithen. Von seinem Versteck aus konnte der Myr sehen, wohin sie sich aufmachten, aber er nahm nicht sofort die Verfolgung auf. In seinem Blickfeld befanden sich auch mehrere andere Artefaktkreaturen, wie er selbst eine war. Sie bildeten ein Rudel. Insgesamt fünf, die die Elfin jagten. Im Panopticon beobachtete Memnarch sie auf dem Weg zu seinem Palast.
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$ Glissa konnte nicht anders als staunen, als sie sich dem glänzenden Turm näherten. Obgleich sie wusste, dass er aus Stahl, Aluminium und Titan bestand, sahen Teile des Panopticon wie funkelnde Kristalle aus. Memnarchs Festung ragte hoch in die Luft, höher als jede andere Konstruktion hier im Inneren. An den Stellen, wo die fünf Wände die benachbarte berührten, waren die Kanten so scharf und gerade, dass sie den Eindruck erweckten, sie könnten glatt wie eine Rasierklinge durch Fleisch schneiden. Das obere Ende mündete in einer nadelartigen Spitze, die auf einem Raum saß, der vollständig aus Glas bestand und den Blicken der ganzen Welt offen stand – und den Blicken derer, die sich in ihm befanden. Aus der Ferne sah der Turm nur wie ein weiterer perfekt geformter Mycosynth-Monolith aus. Aus der Nähe wirkte er eher wie das Zepter eines riesenhaften Königs. Sein Sockel war breit und massiv. Die Spitze war von einem kostbaren Juwel geschmückt. Die Seiten waren aufwändig gestaltet, um gleichzeitig einen Eindruck von Anmut und Macht zu vermitteln. Eine breite Doppeltür am untersten Stockwerk öffnete sich, und Glissa blieb stehen. Sie sah zuerst den Kaldra-Wächter an, dann Bosh und Slobad. »Seid ihr bereit?« Alle drei nickten. Das Licht des Manakerns reflektierte sich in den offen stehenden Flügeltüren, drang aber nicht ins Innere des Turmes vor. Dann begann sich etwas in der Dunkelheit hinter der Öffnung zu bewegen. Schatten verwandelten sich in Albträume, und eine
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Armee stürzte ins Freie, deren glänzende Häute das blendende Licht der inneren Sonne reflektierten. »Gleichmacher«, sagten Glissa und Slobad im Chor. Glissa stieg von dem Schweber ab und zog ihr Schwert. Die Metallbestien waren einen Augenblick später bei ihnen. Sensenklingen schlugen nach ihnen, und die Elfin parierte Hieb um Hieb. Als sich die Spitze ihres Nachtstahlschwerts im Gelenk eines Gleichmachers verhakte, trat sie diesem mit dem Fuß einen bestimmten Bolzen weg. Nach so vielen Kämpfen mit diesen Bestien wusste sie genau, wo sie sie treffen musste, um den meisten Schaden anzurichten. Ihr Zug hatte Erfolg, und eine Seite ihres Gegners sank zu Boden. Die linke Seite der Maschine war jetzt ungepanzert, und Glissa kehrte ihre Stoßrichtung um und bohrte das Schwert tief hinein. Das war alles, was nötig war: zwei Stöße, und der Gleichmacher war tot. Auf der anderen Seite des Weges benutzte Slobad sein Brecheisen. Er hüpfte in die Luft und sprang über die Sensenklingen der angreifenden Horde hinweg, um auf dem Rücken eines Gleichmachers zu landen. Mit einem geübten Hieb durchschlug der Goblin die Hülle der Tötungsmaschine, zerlegte ihre Metallhaut innerhalb eines Augenzwinkerns und setzte ihn mit einer einzigen Handbewegung außer Betrieb. Dann machte er sich auch schon wieder davon und ließ den leblosen Haufen zurück, damit er in Ruhe auf dem Schlachtfeld verrosten konnte. Hinter ihnen rammte Bosh die Metallmaschinen in den Boden. Er trat Löcher in ihre Panzer und riss ihr Inneres heraus. Er zerschlug ihre Sichtkristalle und nahm ihnen so die Sicht, bevor er ihre Köpfe eindellte und ihnen die Steuersegel abriss. Ohne sie konnten sich die Gleichmacher nur rechtsherum drehen, also
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kreiselten sie auf der Stelle, wobei sie wie Ballerinas aussahen, die auf dem Schlachtfeld einen tödlichen Tanz aufführten. Über alldem ragte der Kaldra-Wächter auf. Mit jeder seiner großen magischen Fäuste schlug er einen Gleichmacher platt. Mit jedem seiner Füße trampelte er sie zu Folie. Es war ein Massaker von titanischen Ausmaßen. Für jedes Opfer, dass diese Tötungsmaschinen auf der Oberfläche Mirrodins gefordert hatten, versetzten ihnen die Elfin, der Goblin und der Wächter fünf Hiebe. Auf dem Schlachtfeld ertönte das Kreischen von Metall, und auf dem Boden lagen überall Trümmer verstreut. Plötzlich war der Kampf zu Ende. Die Gleichmacher, normalerweise furchtlos und ohne Gnade, zogen sich zurück. Hinter ihnen, in der offenen Pforte des Panopticon, erschienen zwei Gestalten. Eine davon war ein Zweibeiner. Seine Haut glänzte hell unter dem gleißenden Licht des Manakerns. Die andere Gestalt ging auf vier Beinen, jedoch nicht wie ein Wolf oder ein Löwe, sondern eher wie eine Spinne mit nur vier Beinen. Anders als sein Begleiter glitzerte dieser nicht, und er reflektierte auch das blendend helle Licht nicht. Stattdessen sah er blass bläulich aus, so als bestünde er aus Fleisch und nicht aus Metall. Als das Paar auf sie zukam, erkannte Glissa die kleinere zweibeinige Kreatur wieder. »Malil.« Der andere hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Metallmann. Nicht an seinem Körper oder im Gesicht – denn diese Kreatur besaß sechs Augen, jede davon von einer tiefblauen Linse bedeckt –, sondern in seinen Verhaltensweisen. Sie waren wie Vater und Sohn. Sie sahen anders aus, doch beide stammten derselben Linie ab, hatten denselben Aufbau, dieselben Vorfah-
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ren. Und dieselben Narben. Die Gleichmacher wichen zur Seite, und die beiden Kreaturen kamen bis auf eine paar Schritte an Glissa und ihre Begleiter heran. »Ich beobachte dich schon so lange, Glissa«, sagte die Kreatur mit den spindeldürren Beinen. »Manchmal fragte ich mich schon, ob wir uns wohl jemals Auge in Auge gegenüberstehen würden. Aber jetzt bist du ja hier.« Glissa hielt ihr Schwert fester. »Irgendwie scheint mich jedermann zu kennen, aber wer bist du?« Die Kreatur senkte den Kopf und beugte die Vorderbeine in einer kunstvollen Verneigung. »Ich bin der Wächter von Mirrodin, Bewahrer von allem, was du siehst.« Er erhob sich. »Du darfst mich Memnarch nennen.« Etwas in Glissa klickte, und sie machte einen Satz nach vorn. Sie überwand die Distanz zwischen Memnarch und sich in zwei Sprüngen. Mit einem Aufheulen schleuderte sie ihre Klinge gegen die krabbenhafte Kreatur, getrieben nicht nur von Stärke und Schnelligkeit, sondern von dem Hass, den sie seit dem Tod ihrer Eltern für dieses Wesen hegte. Ihre Stahlklinge fuhr pfeifend durch die Luft, und Malil warf sich nach vorn, um zwischen Glissa und Memnarch zu gelangen, aber er kam zu spät. Die Elfin war in ihrer Wut schneller und traf mit dem Schwert eines von Memnarchs Beinen. Glissas Waffe hackte mit einem lauten Knacken das Gelenk durch, und die sechsäugige Kreatur kippte nach links. Die Zeit schien stehen zu bleiben. Eine kathartische Erlösung überkam Glissa am ganzen Körper, packte sie am Rückgrat und schüttelte jeden Teil von ihr durch, von oben bis unten. Dies war der Augenblick, für den sie gelebt hatte. Dies war ihre Ra-
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che, und sie führte den ersten Streich. Glück und Trauer kämpften in ihr gegeneinander, und in ihren Augen sammelten sich Tränen. Die Gerechtigkeit war nah. Ein durch Mark und Bein gehendes Kreischen ertönte, als Memnarch seinen Körper zurückzog und mit den Händen wedelte. Glissa wurde von einer unsichtbaren Kraft vom Boden gehoben und wieder fallen gelassen. Die Welt um sie herum verwischte. Wind sauste in ihren Ohren. Die Elfin fiel vielleicht hundert Meter von ihrem ursprünglichen Standort entfernt zu Boden. Memnarch hob sich vom Boden und richtete sich zur vollen Höhe seiner langen, dünnen Beine auf. »Wie kannst du es wagen?«, schrie er. Er hob abermals die Hand und riss Glissa wieder mithilfe einer unsichtbaren magischen Kraft vom Boden und ließ sie mitten in der Luft baumeln. »Ich bin dein Gott. Du solltest mich anbeten.« »Es gibt keinen Gott auf Mirrodin!« Glissa trat um sich, aber es half nichts, sie hing fest. »Fakten sind Fakten, ob du sie glaubst oder nicht.« Memnarch schlängelte sich auf seinen drei verbliebenen Beinen zu ihr hin und sah ihr direkt in die Augen. »Aber das ist jetzt belanglos. Du hast etwas, was ich haben möchte.« Glissa funkelte ihn an. »Du hast mir schon alles genommen, als du meine Familie getötet hast.« Memnarch legte den Kopf schräg. »Nicht alles.« Er nahm das Kinn der schwebenden Elfin und untersuchte ihr Gesicht. »Ich weiß nicht, wo der Weltenwandererfunke sitzt, aber es reicht mir, dass ich dich habe.« Er drehte sich um und suchte Malil. »Bring sie in die Zelle.« Er warf einen Blick auf den Goblin und
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den Golem. »Und töte die anderen.« Slobad begann, auf und ab zu springen. »Schlag ihn zusammen!«, rief er. Der Kaldra-Wächter stieß wie der Blitz herab. Malil machte einen Satz vor Memnarch und stellte sich zwischen seinen Schöpfer und den Kaldra-Wächter. Er hob sein Langschwert und griff das Wesen an. Seine Klinge traf und prallte ab, ohne dem magischen Avatar Schaden zugefügt zu haben. Mit einer Wischbewegung seiner Hand schleuderte der Kaldra-Wächter Malil gegen die Wand des Panopticon. Malil gab beim Aufschlag ein Scheppern von sich, rutschte zu Boden und verschwand hinter einem Haufen verwüsteter Gleichmacher. Der Avatar näherte sich nun Memnarch und hob die Fäuste, um den Wächter Mirrodins zusammenzuschlagen. Memnarch legte seine Hände gegen die Stirn. Ein Strahl gleißend hellen Manas schoss aus seinen Augen. Die magische Energie wirbelte um den hoch aufragenden Kaldra-Wächter. Mit jeder Umdrehung schien sich das Licht wie von einer Spule abzuwickeln und hüllte den Kaldra-Wächter in einen riesigen saphirblauen Kokon ein. Das Mana verfestigte sich, und der Kaldra-Wächter verschwand, komplett von der pulsierenden blauen Kugel verschluckt. Glissa sank langsam zu Boden. Ihre Hoffnungen, den Mörder ihrer Eltern seiner gerechten Strafe zuzuführen, schwanden zusehends. Doch das riesige Ei brach wieder auf, und die verhärtete Schale fiel in einem Regen aus winzigen blauen Splittern zu Boden. Der Kaldra-Wächter war noch immer da, anscheinend unverletzt.
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»Du behauptest, dass es hier keinen Gott gibt, Glissa«, sagte Memnarch. »Vielleicht wird das hier deine Meinung ändern.« Er sah zu dem regungslosen Wächter auf. »Hol sie dir.« Der Kaldra-Wächter wandte sich Glissa zu. Er machte mit ausgestreckten magischen Handflächen einen Satz nach vorn und schnappte nach der Elfin. Seine Hand klatschte auf den leeren Boden, weil Glissa davonsprang. Sie war dem Zerquetschtwerden nur knapp entkommen. »Vorsichtig«, sagte Memnarch. »Wir brauchen sie lebend.« Glissa kauerte sich hinter einen der zerstörten Gleichmacher. Der Kaldra-Wächter fegte ihn einfach zur Seite und ließ ihn davonfliegen. Er schwebte vor und ragte drohend über der Elfin auf. Glissa sah zu dem magischen Konstrukt auf, in das sie solche Hoffnungen gesetzt hatte. Hier schwebte es, um sie zu schnappen. Nichts in dieser Welt lief so, wie es sollte. Nichts, was man ihr seit ihrer Kindheit beigebracht hatte, war wahr. Sie hatte ihr Vertrauen in etwas gelegt, was nicht erwiesen war, und jetzt bezahlte sie dafür. Es gab nichts, worauf man bauen konnte, nichts, was irgendwelches Vertrauen wert war. Wenn sie das überlebte, so versprach sie sich, würde sie niemals mehr jemandem vertrauen – außer sich selbst. Der Kaldra-Wächter griff wieder nach der Elfin. Glissa wich zurück, blieb aber mit der Ferse an etwas hängen. Es war Pontifex’ Schweber, über den sie stolperte. Die Hand des Wächters kam über sie. Sie schloss die Augen und bereitete sich darauf vor, zerquetscht zu werden – oder Schlimmeres. Eine lange Sekunde verstrich. Nichts geschah. Als Glissa die Augen öffnete, sah sie, dass der Kaldra-Wächter
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rückwärts von ihr weggezerrt wurde. Bosh hatte seine Arme um die magische Kreatur geschlossen und zog sie mit aller Kraft von Glissa weg. Obwohl Bosh nur ein Drittel der Größe des Kaldra-Wächters besaß, hatte er doch die Kraft, um einen ebenbürtigen Gegner abzugeben. Der Golem zerrte fest, drehte den Kaldra-Wächter um und schleuderte ihn gegen den Panopticon. Das magische Konstrukt flog durch die Luft und landete ein paar Meter von der Wand des Turmes entfernt. Bosh drehte sich zu Glissa um. »Lauf!«, rief er. Glissa stand wie angewurzelt da. Sie konnte ihn nicht allein lassen. »Lauf!«, rief er noch einmal. Seine Augen weiteten sich, und sein Gesicht verzerrte sich vor Sorge. Slobad schoss neben Glissa auf Pontifex’ Schweber heran. »Los.« Der Kaldra-Wächter fing sich wieder und packte Bosh mit einer seiner riesigen Hände. Der eiserne Golem wurde hoch in die Luft gehoben. Er schien sich seinem Schicksal ergeben zu haben, jedenfalls sah er den Wächter nicht einmal an. Stattdessen ruhte sein Blick auf Glissa. »Geh«, sagte er. Seine Lippen bildeten die Worte, aber es war nichts zu hören. Dann lächelte er. Der Kaldra-Wächter quetschte Bosh, worauf dessen Gesicht sich vor Schmerz verzog. Beim Geräusch berstenden Metalls musste Glissa sich abwenden. Sie konnte nicht hinsehen. Sie stieg neben Slobad auf den Schweber. »Flieg los.« Glissa und Slobad schossen in Höchstgeschwindigkeit vom Panopticon weg.
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»Ihnen nach!«, schrie Memnarch. Der Kaldra-Wächter öffnete seine Faust und ließ den Inhalt fallen. »Ich will die Elfin lebend haben!«, befahl der Wächter Mirrodins. »Lebend!« Der Kaldra-Wächter machte sich lautlos davonschwebend auf die Verfolgung der Elfin und des Goblins. Memnarch drehte sich um und ging wieder zum Panopticon zurück. In der Nähe der Tür fand er Malil, der sich gerade hinter einem Haufen zerstörter Gleichmacher aufrappelte. »Komm, Malil«, sagte Memnarch. »Wir werden vom Auge aus zusehen.«
$ Als sie mehrere hundert Meter hinter sich gelassen hatten, drehte Glissa sich um. Sie sah gerade noch, wie der Kaldra-Wächter den geschundenen Bosh zu Boden fallen ließ. »Ich habe mich geirrt«, sagte Glissa. »Wobei?« Die Elfin schüttelte den Kopf und kämpfte gegen die aufkommenden Tränen an. »Ich hatte angenommen, dass es auf dieser Welt nichts gibt, auf das man vertrauen kann.« Sie wandte sich von dem Kaldra-Wächter ab, der sich jetzt an ihre Fersen geheftet hatte, und legte Slobad die Hände auf die Schultern. »Aber es gab … gibt etwas.« »Er war ein guter Golem, he?«, sagte Slobad. »Slobad wird ihn vermissen.« »Ich auch«, sagte die Elfin. »Ich auch.« Sie wischte sich die Tränen ab. »Bitte tu mir einen Gefallen.«
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Der Goblin nickte. »Und was soll das sein, verrückte Elfin?« »Lass dich nicht umbringen.« Slobad nickte. »Slobad wird’s versuchen, he?« Er warf einen Blick auf den Kaldra-Wächter hinter ihnen. »Wird aber nicht so einfach sein.« Auch Glissa wandte ihre Aufmerksamkeit nun wieder ihrem Verfolger zu. Slobad hatte Recht, der Kaldra-Wächter holte schnell auf. »Wie weit ist es bis zur blauen Lakune?« »Nicht weit, he?«, antwortete Slobad.
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Kapitel 25
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lissa und Slobad schossen dahin, den Kaldra-Wächter dicht hinter sich. In weiter Ferne konnten sie bereits den Eingang zur blauen Lakune sehen. Zu ihrer Linken ragte ein weiterer Mycosynth-Wald unter dem Manakern auf. »Schaffen wir niemals«, sagte der Goblin. »Wir gewinnen vielleicht etwas an Boden, wenn wir zwischen den Monolithen hindurchfliegen«, rief sie Slobad über den Wind hinweg ins Ohr. »Wie denn? Das macht uns doch nur langsamer, he?« »Aber ihn wird es noch viel langsamer machen«, sagte sie und zeigte mit dem Daumen über die Schulter. Slobad zuckte die Achseln. »In Ordnung, verrückte Elfin.« Der Goblin lehnte sich nach links und steuerte den Schweber auf die Mycosynth zu. Der Kaldra-Wächter holte immer noch schnell auf. Der fremdartige kristalline Wuchs ragte vor ihnen in die Luft, und hinter ihnen kam der Kaldra-Wächter. Als sie nur noch ein paar Sekunden vom Rand des Waldes entfernt waren, kam etwas zwischen den Monolithen hervor und verstellte ihnen den Weg. »Ein Drescher!«, rief Slobad und lehnte sich hart nach rechts. Glissa war auf die abrupte Wende nicht vorbereitet, rutschte
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ab und fiel von dem Schweber herab. Sie musste sich auf dem Boden abrollen. Der Kaldra-Wächter ignorierte Slobad und lief sofort auf die gestürzte Elfin zu. Der Drescher hatte Glissa ebenfalls erspäht, und jetzt nahmen beide Verfolger sie in die Zange. Der Drescher erreichte sie zuerst. Er lehnte sich nach hinten und öffnete sich wie jener, den sie bei der schwarzen Lakune gesehen hatte. Er machte sich bereit, sie am Stück zu verschlingen. Glissa blieb nichts weiter übrig, als die Hände schützend über den Kopf zu legen. Der Kaldra-Wächter beugte sich hinunter, um sie vom Boden aufzuheben. Der Drescher hielt mitten in der Bewegung inne. Sein schlundartiges Inneres war nur Zentimeter vom Kopf der Elfin entfernt. Und dann kam auf einmal eine Gestalt mit hoch erhobenen Händen aus dem Inneren. »Bruenna!« Die Magierin rief nur ein einziges Zauberwort, weil sie den Rest des Spruches bereits zuvor aufgesagt hatte. Linien aus blauer Kraft schossen kreischend aus den ausgestreckten Armen der Frau wie aus einer Kanone. Der Strahl traf den Kaldra-Wächter mitten an der Brust und ließ ihn, nur einen Meter von den beiden Frauen entfernt, an Ort und Stelle einfrieren, vornübergebeugt wie ein Fragezeichen. Glissa stand auf. »Aber wie …?« Bruenna unterbrach sie. »Wir müssen hier verschwinden. Dieser Zauber wird ihn nicht lange halten.« Damit sprach die Magierin einen zweiten Zauberspruch. Glissa und Bruenna, plötzlich mit der Gabe des Fliegens ausgestattet, erhoben sich vom Boden. Slobad war mit dem Schwe-
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ber in einer Kreisbahn zurückgeflogen, und als er nun die beiden Frauen durch die Luft fliegen sah, steuerte er unverzüglich den Eingang zur Lakune an. Die Frauen folgten dem Goblin, so schnell wie sie konnten. Als sie alle den blauen Tunnel erreichten, hörten sie den KaldraWächter ein enormes Brüllen ausstoßen.
$ Oben am Becken des Wissensvorrats angekommen, wandte sich Bruenna an die anderen beiden. »Ihr müsst zum Knäuel gehen«, sagte sie. »Ihr werdet auf eurem eigenen Territorium eine bessere Chance haben, diesen Gegner zu schlagen.« »Du kommst aber mit uns, he?« Der Goblin sah vom Schweber aus zu der Zauberin hoch. Bruenna schüttelte den Kopf. »Ich muss bei der Verteidigung meiner Stammes dabei sein.« »Wir helfen dir«, sagte die Elfin. Bruenna schüttelte noch einmal den Kopf. »Ihr habt euren eigenen Schwierigkeiten zu begegnen.« Sie lächelte. »Ich glaube, wir werden uns wiedersehen. Aber für den Augenblick liegt unser Schicksal nun einmal auf getrennten Pfaden.«
$ Glissa und Slobad flogen eilig von Lumengrid über die Quecksilbersee und das Flachland hinweg zur Heimat der Elfin. Sie hatten Pontifex’ Schweber gegen Bruennas Magie eingetauscht. Nicht weit hinter ihnen folgte ihnen immer noch der KaldraWächter, obwohl er selbst nicht fliegen konnte. Der Umstand,
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dass er ihnen am Boden folgen musste, verlangsamte seine Fortschritte beachtlich, und das Paar schaffte es, einen Vorsprung zu ihrem Peiniger zu halten. »Glaubst du, dass man jemals aufhört, uns zu verfolgen?«, fragte der Goblin. »Nein«, gab Glissa zurück. »Ich glaube, das ist unser Schicksal in diesem Leben. Ehrlich gesagt, reicht es mir auch schon lange.« Sie hob die Schultern. »Aber haben wir eine Wahl?« Die beiden näherten sich dem Knäuel. »Was ist das?« Slobad zeigte auf den Boden hinunter. Glissa kniff die Augen zusammen. »Trolle«, sagte sie. »Die Trolle kommen uns zu Hilfe.« Vor dem Metallwald standen vielleicht fünfundzwanzig stämmige, faltige Trolle, und jeder hielt etwas in Händen, was wie ein Baumstamm aussah. Kaum waren sie gelandet, wurde Glissa von Drooge begrüßt, der sich schwer auf seinen Stab stützte. »Ihr werdet verfolgt.« Der alte Troll zeigte auf den KaldraWächter, der zusehends näher kam. »Und ihr seid zum Kampf erschienen«, sagte Glissa. »Wie ihr es versprochen hattet.« Drooge holte tief Luft und nickte traurig. »Dieser Kampf hat gerade erst begonnen.« Er legte ihr seine dicke Hand auf die Schulter und lächelte. »Geh«, sagte er. »Wir werden ihn beschäftigen, bis ihr den Schutz des tiefen Knäuels erreicht habt.« Die Elfin sah ihm in die Augen und sagte: »Kommt mit uns. Wenn wir tief genug hineinlaufen, erreicht er uns vielleicht nicht. Er ist zu mächtig.« Drooge schüttelte den Kopf. »Die Zeit der Trolle ist gekommen«, sagte er, »aber du, junge Glissa, hast noch ein ganzes Le-
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ben vor dir. Du bist Mirrodins letzte und einzige Hoffnung.« Er schob sie in Richtung des Waldes. »Suche die Radix im tiefsten Teil des Knäuels. Dort wirst du die größte Macht finden. Geh jetzt und bereite dich vor. Dein großer Kampf wird erst noch kommen.« Glissa stolperte nach vorn, weil der Troll sie heftig weiterschob. »Aber …« »Bitte«, sagte Drooge. »Du wirst deinen Teil erfüllen.« Er drehte sich wieder zur Ebene um, wo der Kaldra-Wächter sie beinahe erreicht hatte. »Und wir den unseren.« Slobad nahm Glissa bei der Hand und zog sie auf das Knäuel zu. »Komm schon, he?« Glissa blickte noch einmal zurück, dann drehte sie sich um und lief mit Slobad an ihrer Seite in das Knäuel. Sie rannten, so schnell sie konnten, sprangen über umgestürzte Bäume und wichen messerscharfen Ranken aus. Schon bald verschwand das von der Ebene reflektierte Licht hinter ihnen, seinen Platz nahm die Dunkelheit des tiefen Waldes ein. Ein Donnergrollen ertönte und erschütterte den Boden. Kampfgeräusche drangen durch das Dickicht. Bilder von Trollen, die gegen den Kaldra-Wächter kämpften, stiegen vor Glissas innerem Auge auf. Sie wollte umkehren, um den tapferen Waldkreaturen zur Seite zu stehen. Aber das war ihr nicht vom Schicksal vorherbestimmt. Sie hatte das Gefühl, schon ewig durch eine Landschaft zu laufen, die sich mit jedem ihrer Schritte änderte, als sie endlich die Lichtung im tiefsten Inneren des Knäuels erreicht hatten. Die Bäume umstanden hier eine kreisrunde Lichtung. Das war die Radix, die vom einen zum anderen Ende mit seltsamen Runen und Symbolen versehen war.
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Glissa war schon viele Male hier gewesen. Es war kein Ort, den sie gerne besuchte. Hierher kamen die Elfen zu ihren Zeremonien, bei denen sie sich von unangenehmen Erinnerungen läuterten. Der Ort schien ihr von den Gedanken und Seelen vergangener Generationen heimgesucht zu sein, und all diese Geister gruselten sie irgendwie. Sie konnte schon den Lärm des Kaldra-Wächters hören, der sich seinen Weg in das Knäuel schlug. Sie wusste, was das zu bedeuten hatte: dass die Trolle vernichtet waren und jetzt nur noch Slobad und sie übrig waren. »Was denkst du, sollen wir jetzt tun, he?«, fragte sie der Goblin. Glissa zog ihr Schwert aus dem Gürtel. »Wir kämpfen.« Das Donnern wurde lauter, und Glissa sah die Baumspitzen in das Dickicht stürzen. Die Elfin schloss die Augen und versuchte sich zu entspannen, während sie Mana für einen Zauber herbeibeschwor. Sie spürte, wie ihr die magischen Energien des Knäuels mit Leichtigkeit zuflossen – so schnell und glatt wie sie es im Inneren der Welt getan hatten. Dann sprach sie ihren Zauber und griff nach allen Bäumen und Metallpflanzen, die die Radix umringten. Grüne Blitze zuckten über die Oberfläche der Waldlichtung. Energiebogen zuckten über den Boden, legten sich zwischen Bäume und Pflanzen, spielten über Glissas Fingerspitzen und griffen zum Himmel. Der Metallwald erwachte zum Leben und bildete eine Wand um Mirrodins Erlöserin. Äste bogen und streckten sich und verwoben sich miteinander. Büsche sprossen hoch und füllten die noch freien Spalten. Die dicken Äste bildeten eine Barriere um den Kreis. Die Blätter, Ranken und Dornen drückten ihre schar-
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fen Kanten und Spitzen nach außen und wurden zu einer Wand, die jeden abschrecken musste, der sich ihr näherte. Slobad schlug mit der Hand gegen die neu gebildete Hecke und kletterte hinauf. »Ich sehe ihn!«, rief er. Der Goblin zeigte ans andere Ende des Kreises. »Da!« Glissa drehte sich um. Über die Oberkante der Hecke hinweg konnte sie gerade noch den großen Helm des Kaldra-Wächters ausmachen. Das magische Konstrukt schlug mit den Fäusten dagegen, erschütterte die Bäume und scheuchte einen Vogelschwarm gen Himmel. Dann begann die Innenseite der verschlungenen Hecke blau zu leuchten. Die Ranken und Äste schrumpften, trennten sich wieder voneinander und fielen zu Boden. Blau leuchtende Fäuste reckten sich durch das langsam größer werdende Loch. Finger griffen um Äste, gefolgt vom kreischenden Geräusch überanstrengten Metalls. Der Wächter riss das Loch auf. Seine Hände bewegten sich erschreckend schnell, rissen das Knäuel weg und warfen Teile der verwobenen Barrikade beiseite. Der Kaldra-Wächter stampfte mit einem weiteren gewaltigen Brüllen in die Mitte der Radix. Glissa zog sich reflexartig zurück. Als sie sich umsah, wurde ihr die Torheit bewusst, die die Erschaffung ihrer magischen Wand gewesen war. Statt den Wächter draußen zu halten, hielt sie ihn jetzt drinnen. Sie hob die Hände und beschwor Mana herbei. Der Boden der Radix schlug Funken und blitzte vor grüner Energie. Glissa stand mit den Füßen fest auf dem Boden, als das Mana sie durchfloss und als Zauber wieder verließ. Dieselben Bäume und Büsche, die den Ringwall gebildet hatten, reckten sich nun, um den Kaldra-
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Wächter einzuwickeln. Schlingpflanzen umrankten ihn. Bäume schlugen von allen Seiten gegen ihn, und die Büsche klammerten das magische Konstrukt auf den Boden. Die Kreatur kämpfte mit dem wachsenden Gestrüpp und schaffte es auch, ganze Hände voll auszureißen, aber es reichte nicht. Das Mana floss weiter durch die Elfin, und der Wald folgte ihrem Ruf. Der Kaldra-Wächter wurde zu Boden gezogen und völlig von metallenem Buschwerk bedeckt. Glissa unterbrach den Energiefluss, und der Wald hielt inne. Sie bebte am ganzen Körper. Ihr Kopf brummte, ein Geräusch, das sie an das Summen des Manakerns erinnerte. Vor ihr, wo sich gerade noch der Kaldra-Wächter befunden hatte, war jetzt ein großer Pflanzenhaufen, der ihn vor ihren Blicken verbarg. Glissa ging hin, um einen genaueren Blick darauf zu werfen. Die Ranken hatten sich eng um ihn gewickelt. Die Bäume standen fest. Das metallene Gehölz würde seinen Gefangenen nicht loslassen. Nichts rührte sich. Glissa warf einen Blick über die Schulter und sah Slobad auf einem Baum stehen. Die Mauer existierte nicht mehr, sie war von Glissas Zauber vollständig aufgelöst worden. Der Goblin hielt sich an einem dicken Ast fest und bemühte sich, nicht herunterzufallen. »Ich glaube, du kannst jetzt herunterklettern.« Sie drehte sich noch einmal um und versicherte sich, dass der Wächter noch immer unter dem Buschwerk begraben war. »Er wird nirgendwohin gehen.« Auf einmal zerfetzte ein furchtbares Geräusch von berstendem Material die Luft. Der Boden erzitterte, und Glissa verlor das Gleichgewicht. Sie fiel auf die Knie, fing sich aber wieder. Slobad rief etwas, aber sie konnte es über das Zerreißen von
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Ranken und dem Scheppern von Metall hinweg nicht hören. Hinter ihr befreite sich der Kaldra-Wächter aus seinem Dschungelkäfig. Glissa machte sich bereit, noch einen Zauber auszusprechen, aber sie wurde sofort vom Boden gehoben. Der Kaldra-Wächter hatte sie in seinem malmenden Griff. Sie spürte, wie mehrere Knochen in ihrem Leib mit einem Knall nachgaben, und ein betäubender Schmerz durchfuhr sie. Dann bewegten sie sich auf den Dschungel zu. Glissa bekam kaum noch Luft. Sie konnte nur noch kurz und flach Atem holen, ohne sich selbst zu sehr Schmerzen zuzufügen. Ihre Sicht vernebelte sich, und sie stemmte sich mit der ihr verbliebenen Kraft gegen ihren Peiniger. Er war einfach zu groß und zu stark, und nichts, was sie tat, konnte ihm etwas anhaben. Sie sah zu dem Avatar auf, dessen Gesicht ruhig und frei von jedem Triumph oder jeder Emotion war. Er würde sie einfach zu Memnarch zurückbringen, der Anweisung seines augenblicklichen Meisters folgend, bis er eine andere bekam. Er hatte keine Bedenken hinsichtlich der Zukunft Mirrodins. Er ließ sich nicht von Sympathien oder Rhetorik beeinflussen. Er kannte nur rohe Gewalt und blinde Loyalität, und er würde alles in seiner Macht Stehende tun, um sie zu seinem jetzigen Meister zurückzubringen. Es war vorbei. Der Kampf war verloren. Plötzlich kam wie aus dem Nichts ein grüner Blitz angeschossen und landete auf der Schulter des Kaldra-Wächters. Slobad! Der Goblin war von seinem Spähposten in der Baumkrone heruntergesprungen. Der tapfere kleine grüne Mann legte sich auf den Bauch, zog sein Brecheisen hervor und machte sich daran, Kaldras Schwert von dem Wächter abzumontieren.
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Glissas Hoffnung wuchs wieder. Wenn Slobad den Wächter zerlegen konnte … Der Goblin erregte nun die Aufmerksamkeit des KaldraWächters. Das magische Wesen schlug nach ihm. Slobad duckte sich, aber der Kaldra-Wächter holte noch einmal aus, und so war der Goblin gezwungen, sich unverrichteter Dinge zurückzuziehen. Der Wächter drehte seinen Kopf, um nach dem Ungeziefer zu schauen. Er schnippte mit einem einzelnen Finger nach dem herumbastelnden Goblin und warf ihn von seiner Schulter wie jemand, der eine Fliege verscheuchte. Glissa sah voller Schrecken zu, wie ihr Freund rückwärts in das dichte Knäuel fiel. Äste brachen, Laub raschelte, und das Geräusch des fallenden Goblins wurde von einem dumpfen Aufschlag beendet. Glissa fühlte sich leer. Sie hatte so viele ihrer Freunde sterben sehen, weshalb wollte sie überhaupt noch leben? Was war hier auf Mirrodin noch für sie übrig außer Schmerz und immer wieder Tod? Doch dann begann sich die Leere auf einmal wieder zu füllen. Ihre Haut prickelte, und ihr Inneres brannte. Sie funkelte den Kaldra-Wächter mit einem neu erwachten Hass an, der alles übertraf, was sie jemals empfunden hatte. Diese Kreatur, dieses Konstrukt, für dessen Erweckung sie so hart gearbeitet hatte, hatte sie für ihr Geschenk des Lebens mit dem Tod ihrer beiden besten Freunde bezahlt – der Kaldra-Wächter hatte die einzigen vertrauenswürdigen Kreaturen getötet, die Glissa auf dieser gottlosen Metallkugel gehabt hatte. Eine Welle aus warmer, allumfassender Wut schoss ihr das Rückgrat hoch, löschte den Schmerz in ihren Rippen aus und er-
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füllte sie mit neuer Kraft. Sie wollte den Kaldra-Wächter quälen, wollte ihm denselben Verrat zuteil werden lassen, den sie empfunden hatte, wollte ihn so leiden lassen, wie sie gelitten hatte, wollte ihn für den Tod von Bosh und Slobad bezahlen lassen. Die Radix erleuchtete in grünem Feuer. Die eingravierten Runen und Symbole glommen in einem übernatürlichen Licht, und Energieblitze sprangen vom Boden zu den Bäumen hoch und von dort aus zum Kaldra-Wächter. Und auf einmal explodierte die Radix. Eine Kugel aus grünem Mana, so groß wie die Monde von Mirrodin, brach aus dem Boden hervor. Dessen Oberfläche war in einem einzigen Augenblick verdampft, und im Umkreis von Kilometern wurden die Bäume von der Druckwelle zu Boden gepeitscht. Die grüne Lakune war gekommen. Der neue grüne Mond schoss aus dem Boden und vernichtete den Kaldra-Wächter. Der Schild, das Schwert und der Helm wurden in einem Blitz aus grüner Energie verzehrt. Seine magischen Fäuste und sein Kopf fielen ab, und mit ihnen fiel Glissa zu Boden, mitten hinein in die verhedderten brennenden Trümmer.
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Epilog
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G
lissa kam eingeklemmt zwischen zwei umgestürzten, teilweise zerschmolzenen Bäumen wieder zu Bewusstsein. Ihr Kopf schmerzte. Ihre Rippen schmerzten. Selbst ihre Zähne schmerzten. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie bewusstlos gewesen war. Sie setzte sich auf und sah sich um. Wo einst die Radix gewesen war, befand sich nunmehr ein riesiges Loch, das den anderen Lakunae ähnelte. Das Knäuel um das Loch herum war geschmolzen und verbogen. Die Bäume lagen wie sauber gekämmte Haare in Reihen am Boden, und alles war verbrannt oder zerschmolzen. Nichts bewegte sich. Glissa legte den Kopf zurück und schloss die Augen. Sie dachte an Slobad. Sie versuchte sich vorzustellen, wie die letzten Augenblicke seines Lebens wohl ausgesehen hatten, als er zwischen die Bäume gefallen war … Sie musste sich selbst zwingen, damit aufzuhören. Es tat zu sehr weh. Etwas klopfte an ihren Kopf. »Will verrückte Elfin den ganzen Tag da liegen, he?« Glissa riss die Augen auf. »Slobad?« Das Gesicht des Goblins
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war voller Ruß. Er grinste, und seine schäbigen gelben Zähne hoben sich hell leuchtend von seinem schwarzen Gesicht ab. Sie packte ihn am Ellbogen, da sie nicht in der Lage war, für eine Umarmung aufzustehen. »Ich dachte, du wärest tot!« Slobad schüttelte den Kopf. »Ach was.« Er rieb sich den Hinterkopf. »Slobad ist nur ein bisschen gebeutelt worden, he?«
$ Memnarch stand auf der verwüsteten Mauer seines Laboratoriums. Seine Haut war versengt, die Wunde an seinem Bein war verätzt, und zwei seiner Augen waren zerborsten. Er humpelte beim Gehen und war kaum in der Lage, sich aufzurichten. Der Panopticon war eingestürzt, nachdem er von der grünen Lakune in Stücke gesprengt worden war. Sein Inneres war verbrannt und zerstört. Die Fenster des Observationsstockwerks waren geborsten und daraufhin in der furchtbaren Explosion verdampft. Er sah auf das neue Loch im Boden des Inneren hinab. Die grüne Lakune war also endlich entstanden. Die Welt würde für die nächste Zeit aus dem Gleichgewicht geraten. In den Ruinen seiner Turmfestung fand Memnarch schließlich auch Malil. Er lag nach wie vor im Nachtstahlauge. Der undurchdringliche Metallrahmen der Hellsichtapparatur hatte sie beide davor bewahrt, in der Explosion zu verdampfen. Der Wächter Mirrodins beugte sich hinab und berührte die Brust des Metallmannes. Malil riss die Augen auf. Memnarch lächelte. »Komm, Malil«, sagte er. »Wir haben viel zu tun, wirklich viel zu tun.«
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DANKSAGUNG
Mein Dank geht zunächst an Peter Archer für sein verständnisvolles Lektorat und seine selbstlose Unterstützung. Außerdem danke ich: Will McDermott und Cory Herdon, die mir halfen, eine solch fantastische Geschichte zu ersinnen. Jeff Grubb und J. Robert King für das Zimmern der Geschichtenwelt von Magic. Philip Athans und Mark Sehestedt, weil sie schlicht genial sind. Steve Whitman und Philip Tasca, weil sie auch genial sind. Und den Bedienungen im örtlichen Café, weil sie mich nicht rausschmeißen, wenn ich meine Tasse ausgetrunken habe.
DER AUTOR
Jess Lebow wohnt schon sein Leben lang im US-Bundesstaat Washington und kann beweisen – wenn auch unter Berufung aufrecht zweifelhafte Quellen –, dass er in vierter Generation ein Bewohner Seattles ist. An einem schönen Tag findet man ihn möglicherweise joggend an der Küste, tauchend in der Meerenge oder auf der Suche nach der besten Happy-Hour im Umkreis von vier Straßen seiner winzigen Wohnung. Er bezeichnet sich selbst als Experten in Sachen guter Tequilas, und seine Freunde ziehen ihn diesbezüglich meistens auf. Er geht davon aus, dass sie wahrscheinlich genau deswegen Freunde sind. Das NachtstahlAuge ist sein dritter Roman.