KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
KARL WILLIAM HEISS
NEW YORK STADT...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
KARL WILLIAM HEISS
NEW YORK STADT DER WOLKENKRATZER
2006 digitalisiert von Manni Hesse
VERLAG SEBASTIAN
LUX
MURNAU • MÖNCHEN . INNSBRUCK • BASEL
Gebirge aus Stahl, Beton, Glas / \ H e Vorstellungen, die der Reisende mitbringt, verblassen vor der Wirklichkeit, sobald das Ozeanschiff in die Upper-Bay einfährt und im Gesichtsfeld die größte Stadt der Welt wie ein ungeheures Gebirge aufwächst, ein Gebirge, dessen Gipfel in heller Sonne stehen, dessen Niederungen aber in Dunst, Ranchschwaden und Nebelbänken versteckt liegen. Zwanzig Kilometer weit erstreckt sich die „sky-line" — die Himmelslinie — dieses Gebirgszuges aus Stahl, Beton und Glas. Schon hier, von der Wasserseite aus, beginnt man zu verstehen, daß New York nicht nur ein Superlativ für Amerika, sondern für die ganze Welt ist. Noch phantastischer ist der Eindruck vom Flugzeug aus, wenn man auf den gigantischen Steinbaukasten hinabsieht, in die tiefen Straßenschluchten, die wie scharfkantige Canons das Häusermeer durchziehen, auf die riesigen Brücken, die Manhattan — das Herz von New York — mit den anderen Stadtteilen verbinden, auf die großzügig angelegten Hafenbecken und die Hunderte von Schiffen, die durch das Dunkelwasser des Hudson und East River blitzende Furchen schneiden. Die Acht-Millionen-Stadt — Lebenszentrum für fünfzehn Millionen Menschen — ist ein modernes Babylon, in dem alle Sprachen der Welt gesprochen werden, in dem der lärmende Rhythmus der Arbeit nie abreißt, eine Metropole mit nimmermüder Hast, die die Nacht durch eine verschwenderische Lichtfülle verdrängt, die nie dunkel wird und nie schlafen geht. Kühn und umfassend stellt diese Eingangspforte der Vereinigten Staaten die Spitzenleistungen der Technik der Neuen Welt dem Ankommenden vor Augen. Drei Jahrhunderte brauchte die Stadt, um sieb zu ihrer heutigen Ausdehnung zu entfalten. Wie ein Magnet zog dieses Wunder unglaublichen Wachstums die Menschen aus allen Ländern an. Sie bauten in die Höhe, sie bauten in die Tiefe, sie hetzten ihre Züge tief unter den Wolkenkratzern durch enge Tunnels, sdiossen ihre Post kilometerweit durch Rohre, ließen sich selbst als „menschliche Rohrpost" hundert Stockwerke hochschleudern. Sie überfluteten die 2
Umgebung der Insel Manhattan, griffen aufs Festland und auf die Naehbarinsel über, bauten, da die Brücken und Fähren nicht ausreichten, Autostraßen in riesigen Durchfahrten unter dem Wasser, lernten eine gemeinsame Sprache und wuchsen in dieser fiebernden, dröhnenden, auf Hochtouren laufenden Stadt zu einer geschlossenen Einheit. „Eine Rhapsodie der Technik" nannten die Ingenieure diese Stadt, als ein „Epos auf den Fortschritt" bezeichneten sie die Dichter, als „Hauptstadt der Welt" manche Politiker. — New York ist aber mehr: ein Ereignis, für das es keinen Namen gibt. . .
Von der Pelzhandelsstation zur Weltstadt Vor den Buchten, Inseln und Landzungen, die heute den Stadtplan von New York so stark zergliedern, tauchte im Jahre 1609, von den schreckerfüllten Indianern angstvoll beobachtet, die „Half Moon" auf, ein holländischer Segler, der von Kapitän Henry Hudson geführt wurde. Die „Halbmond" fuhr im Auftrag einer Handelsgesellschaft, die an sich in diesen Küstenbreiten gar nichts zu suchen hatte. Die nordamerikanische Küste war von den Engländern entdeckt worden, und sie beanspruchten das alleinige Recht, hier herumzusegeln und Handel zu treiben. Die Handelsgesellschaft, die Henry Hudson in die Neue Welt entsandt hatte, war die Niederländisch-Ostindische Compagnie, die den Handel rings um den Indischen Ozean beherrschte. Den Handelsherren in Amsterdam war es mit der Zeit zu mühsam und zu gefährlich geworden, auf dem Weg zu den Niederlassungen im Fernen Osten — nach Batavia, Sumatra, Ceylon und Vorderindien — Kurs um das Kap der Guten Hoffnung zu nehmen. Hudson sollte Ausschau halten, ob es nicht in westlicher Richtung einen kürzeren Weg zu den indischen und indonesischen Gewürzländerii gebe, irgendeine Durchfahrt durch die Mauer der nordamerikanischen Festlandmasse. Hudson hatte Bucht um Bucht der langen Küste abgesucht, und so war er auch in die tiefeingeschnittene Bay gelangt, in der das heutige New York liegt. Bei dieser Gelegenheit sichtete er am 2. September 1609 den Stromlauf, der nach ihm
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Hudson genannt wurde. Als er auf einer zweiten Reise in die Neue Welt und bei einer erneuten Suche nach der Nordwest-Passage den Hudson hinauffuhr, soweit er konnte, und dabei in den Winter geriet, setzte seine Mannschaft nach einer Meuterei ihn und seinen Sohn und einige kranke Seeleute in eisiger Kälte in einem Ruderboot aus. Man hörte nie wieder etwas von ihm und seinen Schicksalsgefährten. Hudson hatte nach seiner ersten Reise soviel Erstaunliches über den Pelzreichtum des Hudsongebietes in seine Heimat berichtet, daß die Ostindische Compagnie schon bald neue Schiffe über den Ozean sandte. Ende 1613 ging der holländische Kapitän Block mit einem Großsegler vor dem heutigen Stadtkern New Yorks, der Insel Manhattan, vor Anker und schlug dort das erste Lager auf. Weitere Schiffe folgten, Blockhäuser wurden errichtet, man nahm den Handel mit den Indianern auf und gab der neuen Niederlassung den Namen „Neu-Amsterdam". Die Aufgaben, die die Niederländisch-Ostindische Compagnie im Fernen Osten wahrgenommen hatte, sollte in Nord-, Mittel- und Südamerika die Niederländisch-Westindische Compagnie übernehmen. Holland, das über die größte und tüchtigste Flotte dieser Zeit verfügte, hielt sich für stark genug, seine Handelsmacht gegen die spanische und englische Konkurrenz in beiden Welthälften auszubauen und zu behaupten. Für die Pelzhändlerstation an der Spitze der Insel Manhattan und für das Hinterland, die beide zusammen „Neu-Holland" genannt wurden, hatte die Gesellschaft indes bald kein besonderes Interesse mehr. So konnte einer ihrer Angestellten eines der glänzendsten Geschäfte machen, die je zustandegekommen sind. Er tauschte die zwanzig Kilometer lange und vier Kilometer breite Insel Manhattan zwischen dem Hudson und dem East River gegen Glasperlen, Kupferknöpfe und anderen Tand im Werte von sechzig holländischen Gulden — das sind vierundzwanzig Dollar der heutigen Währung — von den Indianern ein. Auch sonst waren die Herren nicht kleinlich, verschafften sich Riesengüter und erhoben Gebühren von stromauf fahrenden Schiffen. Da man aber zu den Indianern kein gutes Verhältnis fand, war das Leben in Neu-Amsterdam und NeuHolland nicht eben gemütlich. 4
Die „sky-linc" von New York im Jahre 1773 Am schlimmsten unter den Herren der Kolonie trieb es Peter Stuyvesant. Die kleine Seemannsstadt Neu-Amsterdam, Sitz des Pelz- und des Tabakhandels, wurde ein Herd der Korruption. Als dann noch die Westindische Compagnie ihren Bankerott erklären mußte und die Engländer immer kräftiger auf ihr Recht an der gesamten Küste pochten, konnte es geschehen, daß Neu-Amsterdam und die Kolonie am 18. August 1664 vor einer kleinen englischen Flotte ohne Schwertstreich kapitulierten. Die Kolonie zählte zum Zeitpunkt der Übergabe 7000 und Neu-Amsterdam 1500 Einwohner. Mit Genehmigung des englischen Parlaments schenkte König Karl II. das ganze Küstengebiet seinem Bruder, dem Herzog von York, und Neu-Amsterdam wurde in New York umgetauft. Auch in der Folgezeit blieb New York Hauptausfuhrhafen für Pelze, die seine Pelzjäger und handeltreibenden Waldläufer aus dem indianischen Binnenland herbeischafften. Es gab jedoch vielerlei Zwist im Leben der Stadt zwischen den Händlern und Groß5
grundbesitzern, zwischen den in großer Zahl einwandernden englischen Neusiedlern und den holländischen Altsiedlern, zwischen den Reichen und den Pächtern, kleinen Farmern, Handwerkern und Arbeitern. Am stärksten entzweite sich die Stadt, als die verschiedenen britischen Kolonien Nordamerikas sich gegen die drückenden Zwangsgesetze des Mutterlandes auflehnten und immer deutlicher wurde, daß die Kolonien nach Unabhängigkeit von der britischen Krone strebten. Ein großer Teil der New Yorker war königlich-britisch gesinnt. Die Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 wurde deshalb in New York nicht mit der gleichen Begeisterung aufgenommen wie in den anderen Städten; als England die Rückeroberung seiner Kolonien begann, stellten die New Yorker dem Britenkönig mehr Soldaten zur Verfügung als dem Vorkämpfer der Unabhängigkeit, George Washington. Während des Unabhängigkeitskrieges mußte Washington New York aufgeben, das während des ganzen Krieges eine der stärksten britischen Stützpunkte blieb, von dem aus viele entscheidende Aktionen gegen die Freiheitskämpfer ausgegangen sind. Audi nadi dem Friedensschluß, in dem am 13. September 1783 die Unabhängigkeit der dreizehn ehemaligen britischen Kolonien von England anerkannt wurde, trauerten nodi viele New Yorker dem König nach. Aber insgesamt wurden sie doch gute amerikanische Bürger, die sich am 26. Juli 1788 zu der gemeinsamen Verfassung der Vereinigten Staaten bekannten. Im folgenden Jahre, am 30. April 1789, leistete der erste Präsident George Washington an der Wallstreet in New York den Eid auf die Verfassung. Ein Jahr lang übernahm New York die Rolle der Bundeshauptstadt. Sie zählte um das Jahr 1790 dreiunddreißigtausend Einwohner. Die Stadt glidi einer englischen Provinzhauptstadt mit ihren Ziegelhäusern inmitten von Gärten und Baumanlagen, mit ihren sauberen Gasthöfen, den Werkstätten und Läden, den Gotteshäusern mit ihren graziösen Türmen, der Markthalle mit den Bogengängen und den Verkaufsständen und der Unzahl schlichter Holzhäuser für die ärmere Bevölkerung. Um die Jahrhundertwende begann dann New York das große Einfallstor vom Atlantik her zu werden und sich baulich völlig zu verändern, um der zunehmenden Bevölkerung Wohnraum zu beschaffen. Als der Bürgerkrieg im Jahre 6
1865 zu Ende ging, war die Stadt mit achthunderttausend Einwohnern weit über sich hinausgewachsen.
Dreimal New York Heute bedeckt die fünfgeteilte Riesenstadt New York, die neunundzwanzig Kilometer vom Atlantik entfernt auf mehreren Inseln und dem Festland liegt, eine Fläche von rund achthundert Quadratkilometern. Sie liegt weiter südlich, als man glaubt; ihre Lage entspricht etwa der von Neapel. Von Norden nach Süden dehnt sich New York sechsundfünfzig Kilometer und von Osten nach Westen dreißig Kilometer aus. Obwohl die Insel Manhattan mit siebenundfünfzig Quadratkilometern der kleinste Borough ist — so nennt man die fünf Stadteile New Yorks —, ist sie doch die Urzelle der Weltstadt geblieben. Wenn man von New York spricht, meint man gewöhnlich Manhattan; auf dieser Insel erhebt sich das Massiv der Wolkenkratzer, dieser Stadtteil ist die Hochburg des Handels und der Verwaltung, hier pulsiert das Leben der Weltmetropole wie in keinem anderen Borough. Durch ganz Manhattan führt als Hauptschlagader des Verkehrs der dreißig Kilometer lange Broadway. Zahlreiche gewaltige Brükken verbinden die Insel mit dem etwa doppelt so großen „Bronx", dem einzigen auf dem Festland liegenden Stadtteil, und mit den Boroughs „Queens" und „Brooklyn" auf der Insel Long Island. Mehrere Tunnels unterqueren den East River und Hudson und ergänzen neben den Brücken und Fährschiffen die Verkehrswege herüber und hinüber. Nur der fünfte Borough „Richmond", der sich über die dem Hafen vorgelagerte Insel Staten Island erstreckt, ist allein durch Fährschiffe von der Südspitze Manhattans oder von Brooklyn aus zu erreichen. Außer der Stadt New York — New York City — mit ihren acht Millionen Einwohnern, spricht man auch noch von zwei anderen „New Yorks". Da gibt es den Staat New York, der mit 14,3 Millionen die größte Einwohnerzahl aller Staaten der USA besitzt, obwohl er flächenmäßig von anderen Staaten übertroffen wird. Trotz
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seiner Größe ist New York nicht die Hauptstadt des Staates New York. Diese Würde kommt der Halbmillionenstadt Albany im Hudsontal zu, wo der Großschiffahrtsweg endet und von wo Kanäle zum Erie- und zum Champlainsee abzweigen. Als drittes New York gilt der Raum von „Groß-New York", das über die Stadt und den Staat New York hinausreicht und zum Teil noch die Staaten New Jersey und Connecticut umfaßt. Groß-New York schließt ein Gebiet weiterer sieben Millionen Menschen ein, die nicht in der Stadt New York wohnen, aber wirtschaftlich zu ihr gehören; ein großer Teil der Erwerbstätigen unter diesen sieben Millionen fährt Tag für Tag in die Weltstadt zur Arbeit. Sie wohnen in nahezu fünfhundert Gemeinden, die in den drei Staaten New York, New Jersey und Connecticut liegen und verwaltungsmäßig selbständige Gemeinwesen sind. Fünfundsiebzig Kilometer ist der äußere Kreis dieses Wohngebietes, das sich um New York herumzieht, von der Innenstadt entfernt. Die Stadtverwaltung der Riesenstadt bemüht sich, die fünfhundert Orte einzugemeinden, da sie mit der Steuerkraft ihrer ansässigen Einwohner für die öffentlichen Bedürfnisse der Millionen zur Arbeit fahrenden „Groß-New Yorker" aufkommen muß — für Verkehrsmittel, Straßenunterhaltung, die Anlage von Parkplätzen, Kanalisation, Polizei, Feuerwehr, Wasserversorgung, Grünanlagen, Sportplätze und kulturelle Einrichtungen. Obwohl die Gemeinden zunächst noch hartnäckig ihre verwaltungsmäßige Selbständigkeit verteidigen, wird sie das Stadtungeheuer New York, das polypengleich seine Fangarme in alle Richtungen des Festlandes ausstreckt, in absehbarer Zeit in sich einverleiben. Dann wird die Weltstadt fünfzehn Millionen Einwohner zählen und — weiterwachsen: in die Breite, Höhe und Tiefe . . .
Der Völkerschmelztiegel Zu Recht wird New York als der größte Völkerschmelztiegel der Welt bezeichnet. Ganze Viertel in dieser Stadt werden von einzelnen Nationen geprägt. Es gibt wohl keine Sprache, die in dieser
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Der Broadway mit dem Ratbaus um das Jahr 1797 Metropole nicht gesprochen wird. Eine Flut von Einwanderern wurde von allen Enden der Welt hier angespült. Ihrer Nationalität entsprechend gründeten sie eigene „Kolonien", zogen Verwandte und Bekannte nach, bis mancher dieser Stadtteile überfloß, wie zum Beispiel das Italienerviertel, das an der Brooklyn-Brücke, unweit der berühmten Wallstreet, beginnt. Hier hängen genau wie in Neapel die Salamiwürste reihenweise in den Kolonialwarenläden, hier herrscht der gleiche Frohsinn in den Trattorien wie in denen von Palermo, hier kann man seinen Espresso und eine italienische Zeitung lesen wie in Rom, während auf der Straße die Fliegenden Händler -mit obstbeladenen Karren singend ihre Ware ausrufen. 9
Etwas weiter entfernt liegt das China-Town, die Chinesenstadt, in der man am chinesischen Neujahrsfest Zeuge von Maskenzügen mit wandelnden Drachen und Schwerttänzern werden kann, Volksfesten, die sich in nichts von denen in den Straßen Pekings oder Schanghais unterscheiden. Überall liest man chinesische Schriftzeichen, an den Teestuben, Geschäften und Restaurants, in denen man Haifischflossen und Bambusspitzen genau so serviert bekommt wie kandierte Steingarnelen und eßbare Vogelnester. Die Juden haben sich hauptsächlich in der Bronx nördlich von Manhattan und im Westen von New York, an der Riverside, niedergelassen; ihre Betriebe und Unternehmungen beherrschen die 7. Avenue — das Zentrum der Bekleidungsindustrie. Oberhalb des Central-Parks liegt das Negerviertel Harlem, mit sechshunderttausend Einwohnern die größte „Gemeinde" von Schwarzen auf der Welt. Weitere zweihunderttausend Neger sind über das ganze Stadtgebiet von New York verstreut. Harlem hat nur eine Fläche von zwei Quadratkilometern. Seine schwarzen Bürger teilen sich, unglaublich eng zusammengepfercht, in diesen knappen Raum. Viele schlafen im Sommer auf der Straße, da es in den überbelegten Räumen zu heiß und stickig ist. Es gibt aber auch unter den Negern Zehntausende, die in angesehenen Berufen tätig sind, und zahlreiche Millionäre, die prunkvolle Villen bewohnen. Rund fünfhunderttausend Deutsche leben in New-York, und zwar vorwiegend im Stadtgebiet „Yorkville", das man auch „KleinDeutschland" nennt. Neben einem „Klein-Rumänien" gibt es Stadtteile und Straßenzüge, wo vornehmlich Griechen, Russen, Polen, Tschechen, insgesamt Völkerschaften von einundfünfzig -Nationen, zu Hause sind; sie gehören achtzig Konfessionen an. Für alle ist in New York gesorgt; da gibt es chinesische und arabische Kinos, da laufen französische und italienische Filme, da halten armenische, brasilianische, holländische, mexikanische Speiselokale ihre Pforten offen, da bieten die Speisekarten die ungewöhnlichsten und exotischsten Gerichte, da bekommt man türkische Leckerbissen in orientalischer Umgebung serviert, da wird man in das Zauberreich der syrischen Küchenkunst eingeführt, da kann man bei den Klängen eines Balalaika-Orchesters russisch essen oder sich in einem japanischen Restaurant am Tisch ein Huhn-Sukiyaki zubereiten lassen.
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Die jüngste Kolonie ist die der Einwanderer von Puerto Rico, jener westindischen Insel, die zu den USA gehört; deshalb ist der Einwanderung seiner anspruchslosen Menschen keine Schranke gesetzt. Ein ganzes Stadtviertel — „Spanisch-Harlem" — ist schon puertoricanisch geworden. Unter schlechtesten Transportbedingungen kommen die Puertorieaner nach New York, der Stadt, von der sie sich ein besseres Leben versprechen. Eine kleine Fluglinie verfrachtet sie in alten Militärflugzeugen, in denen ein Teil der Fluggäste stehen muß, von Puerto Rico zum Hudson, soweit sie es nicht vorziehen, als Zwischendeckpassagiere billiger Schiffe die Weltstadt zu erreichen. Kein Wunder, daß man in den letzten Jahren sehr viele puertoricanisch-spanische Laute in Manhattan hört. Menschen aller Erdteile, Rassen, Hautfarben und Sprachen können hier friedlich nebeneinander und miteinander auskommen, da sie sich schon bald, trotz aller Unterschiede der Nationalität, als New Yorker und Amerikaner fühlen.
Die Wolkenkratzer Wer an New York denkt, denkt immer zuerst an die Wolkenkratzer, die diese Stadt so eigentümlich machen. Aber die wenigsten wissen, daß der Bau dieser Hochhäuser erst durch die Erfindung des Fahrstuhls im vorigen Jahrhundert möglich geworden ist. Im Jahre 1870 richtete eine große Versicherungsgesellschaft Fahrstühle in ihrem Bürohaus ein; sie bewährten sich und wurden bald auch in andere Hochbauten eingeplant. Im Jahre 1875 baute man schon fünfundsiebzig Meter hoch; hier sahen die Architekten die äußerste Grenze, da mit zunehmender Höhe der Gebäude die belasteten Außenmauern ebenfalls an Stärke zunehmen mußten und dadurch für den Untergrund zu schwer wurden. Eine neue Erfindung machte den Weg in noch größere Höhen frei: Das Stahlskelett übernahm die Aufgabe der lastentragenden Außenmauern, die nunmehr durch leichtes Mauerwerk oder durch Glas — wie bei dem UN-Gebäude — ersetzt werden konnten. Man baute hundertfünfzig, hundertachtzig, zweihundert Meter hoch und erreichte noch vor dem ersten Weltkrieg eine Bauhöhe 11
von zweihundertfünfundsechzig Metern. Unentwegt ging es dann weiter, bis man mit dem Empire-State-Building einen BauhöhehRekord aufstellte, der bis heute nicht überboten worden ist. Am 1. Oktober 1929 begann man zwischen der 33. und 34. Straße an der 5. Avenue mit dem Abbruch des alten Waldorf-AstoriaHotels, um Platz für das Empire-State-Building zu schaffen. Da man keinen Lagerplatz für die Baumaterialien hatte, mußten die Werkstoffe nach einem sorgfältig ausgearbeiteten Zeitplan auf die Minute genau angeliefert und von den Tranportwagen aus sofort verarbeitet werden. Der Materialfluß durfte nicht ins Stocken geraten, wenn man den Verkehr in der 5. Avenue nicht blockieren wollte. So wuchsen in jeder Woche vier bis fünf Stockwerke — einmal sogar vierzehn Stockwerke in zehn Tagen — empor, bis zum Stockwerk „102". Schon neunzehn Monate nach dem Abbruch des Waldorf-Astoria-Hotels konnten die ersten Mieter in das dreihunderteinundachtzig Meter hohe Gebäude einziehen, dem viele während seiner Bauzeit den baldigen Einsturz prophezeit hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhöhte man den Wolkenkratzer um einen siebenundsechzig Meter hohen Fernsehturm, in dem außer den Einrichtungen für sieben Fernsehsender acht Radarstationen mit einer Reichweite von siebzehnhundert Kilometern untergebracht sind. Dreiundsiebzig Fahrstühle, darunter eine Anzahl Expreß-Lifts, halten den Verkehr und Schnellverkehr in dem Riesenbau auf einer Strecke von insgesamt elf Kilometern im wahrsten Sinne des Wortes „aufrecht". In einer Minute kann man sich mit einem Expreß'Lift zum 80. Stockwerk hinaufbefördern lassen. Fünfundzwanzigtausend Menschen haben in dem Turmhaus ihre Arbeitsstätte, und Hunderttausende kommen als Besucher, um von den Aussichtsterrassen im 86. und 102. Stockwerk weit über New York und sein Hinterland schauen zu können. Allein diese Terrassen bringen im Jahre eineinhalb Millionen Dollar ein. Bei Stürmen schwankt die Turmspitze bis zu zehn Zentimeter, Blitze schlagen ein und werden unschädlich gemacht; der Wolkenkratzer ist der beste Blitzableiter für seine Umgebung. Seine gewaltige Höhe kann jedoch Menschen und Tieren zum Verhängnis werden; vor einigen Jahren raste ein Flugzeug gegen das Gebäude und zerschellte, manchmal prallen Schwärme von Vögeln bei schlechter 12
Das Hochgebirge der Wolkenkratzer bei einem Gewitter Sicht gegen die Hochwände und stürzen tot oder verletzt herunter. Dann nehmen sich Arzte und Tierfreunde der Überlebenden an und transportieren sie in gecharterten Schnellwagen zu den Tierhilfsstellen der Stadt. Über fünfeinhalbtausend Kilometer Telefondrähte und fünfundsiebzig Kilometer Wasserrohre sind im Empire-State-Building verlegt. Sechzigtausend Tonnen Stahl und Kalkstein bilden die „Hülle" dieses Riesen, während sein Inneres mit Marmor verkleidet ist, der in Italien, Deutschland und Frankreich gebrochen wurde. Fast zweitausend Stufen führen außer den Lifts nach oben. Würde man den Wolkenkratzer zu Fuß besteigen, so brauchte man fast zwei Stunden dazu. Acht Männer reinigen seine sechseinhaibtausend Fenster. Wenn sie unten angelangt sind, müssen sie oben schon wieder mit ihrer Putzarbeit beginnen. 13
Fahrstühle zum Himmel Das zweithöchste Gebäude der Welt ist das Chrysler Building, das 1929 erbaut wurde und mit seinen siebenundsiebzig Stockwerken dreihundertneunzehn Meter hoch hinaufragt. Ein anderer bemerkenswerter Wolkenkratzer ist das sechzig Stockwerke hohe Woolworth Building am Broadway, das bereits 1913 entstand und siebzehn Jahre lang, bis zum Bau des Chrysler Building und des EmpireState-Building, das höchste Gebäude New Yorks war. Da es sich in seiner äußeren Form etwas an den gotischen Baustil anlehnt, hat man es „Kathedrale des Handels" genannt. Ein wohldurchdachtes System von zweiunddreißig Fahrstühlen dient der senkrechten Bewegung in diesem zweihundertvierundsechzig Meter hohen Gebäude. Die „Lokalzüge" — wie die langsameren Aufzüge genannt werden — fahren bis zum vierten Stock durch und halten dann bis zum zehnten Stock auf Wunsch in jeder Etage; anschließend gleiten sie wieder nach unten. Andere Lifts gehen gleich bis zum zehnten Stock durch und halten von da ab bis zum 18. Stock nur nach Bedarf. Wieder andere Aufzüge heben ihre Fahrgäste in einem Zug bis zum 18. „Floor", um dann Etage für Etage bis zum 27. Stock zu pendeln. Mit einem „Expreß" kann man bis zum 27. Stockwerk rasen und diesen dann langsamer werdenden Lift beliebig bis zur 40. Etage halten lassen. Und endlich gibt es den „Rapid", der in einer Minute in seinem zweihundertdreißig Meter hohen Schacht bis zum 54. Stockwerk schießt, falls zwischen dem 40. und 54. Stock niemand aussteigen will. Von der Halle im 54. Stock kann man sich dann mit einem weiteren Lift bis zur Turmspitze — die oft weit über die Wolken hinausschallt — emportragen lassen. Zweihundertzehn Meter hoch ragen die beiden Türme des neuen, 1931 errichteten Waldorf-Astoria-Hotels in den New Yorker Himmel. Der Bau dieses siebenundvierzig Stockwerk hohen Riesenhotels, das die Tradition des berühmten alten Waldorf-AstoriaHotels fortsetzt und einen ganzen Block zwischen der 49. und 50. Straße einnimmt, kostete vierzig Millionen Dollar. Der Aufwand hat sich gelohnt, da die über zweitausend Zimmer dieses prominentesten Hotels der USA fast ständig belegt sind und in jedem Jahr 14
durchschnittlich eine Einnahme von zwölf Millionen Dollar erbringen. Könige und Fürsten, Präsidenten und Generale, Politiker und Künstler steigen dort ab, die Geldaristokratie veranstaltet in diesem Hotelbau ihre Feste. Als eines Tages ein Besucher „den König sprechen" wollte, mußte ihn der Portier erst fragen, welchen König er meine, da man mehrere zu Gast habe. Diese kleine Begebenheit ist bezeichnend für dieses „Gasthaus", das Luxus-Hotel der Millionäre der Welt. Ein eigener Schienenanschluß verbindet den Wolkenkratzer mit dem Grand-Central-Bahnhof der Stadt; man kann innerhalb des Hauses ins Kino gehen oder ins Hospital, und sich dort einer Operation unterziehen lassen, man findet Kindergärten, eine zahnärztliche Praxis, eine Bank, eine Schneiderwerkstatt und Modistinnen-Salons. Unter den zweitausend Bediensteten sind die fünfzig Hoteldetektive am wenigsten bekannt. Das alte Sprichwort, daß viele Köche den Brei verderben, hat im Waldorf-Astoria keine Gültigkeit, da nicht weniger als zweihundert Köche mit den erlesensten Speisen aufwarten. Als ein großer Staatsmann einmal in diesem Hotel eine Festtafel für dreitausend Gäste veranstaltete, mußten die Eingeladenen wegen der Kürze der Zeit innerhalb von dreißig Minuten bewirtet werden. Die achthundert Mann Personal, die bei dem Festmahl beschäftigt waren, hatten allein vierhundertzwanzigtausend Stück silberne Bestecke, sechsunddreißigtausend Teile Porzellan und zwölftausend Gläser abzuservieren. Die Preise sind natürlich entsprechend hoch. Es gibt Dauergäste in dem Hotel, die fünfundsiebzigtausend Mark Jahresmiete zahlen.
„Werkstatt des Weltfriedens" Einer unter den Wolkenkratzern, die scharfe Rechtecke in den Himmel New Yorks schneiden, hat sozusagen geschichtliche Bedeutung. Es ist
lierbergt. Der Baugrund des UN-Sitzes am East River ist ein Geschenk von John D. Rockefeiler. 1945 lud der Amerikanische Kongreß die UNO ein, hier ihr Hauptquartier aufzuschlagen, 1950 stand bereits der Wolkenkratzer, zwei Jahre später wurden das Vollversammlungshaus und das Konferenzgebäude vollendet. Das Hochhaus hat fünftausendvierhundert Fenster, von denen sich keines offenen läßt; denn alle Räume sind mit Klimaanlagen ausgestattet. Das Glas der Fenster hat lichtfilternde Eigenschaften; es läßt sehr viel Helligkeit, aber sehr wenig Hitze ein. Es ist zudem getönt, so daß es nicht blendet. Während die Längsseiten des UNWolkenkratzers völlig verglast sind, sind seine Breitseiten mit weißem Marmor verkleidet. Der Riesenbau dehnt sich auch in die Tiefe aus. Mit achtzehn Aufzügen gelangt man in zwei Unterstockwerke mit Garagen für eineinhalbtausend Wagen. Etwa dreieinhalbtausend Menschen sind in diesem Gebäude beschäftigt. Sie alle behält der UN-Generalsekretär als Chef der Verwaltung im wahrsten Sinne des Wortes „im Auge". Von seinem Arbeitstisch aus kann er auf einem Bildschirm genau verfolgen, was sich in jedem Konferenzzimmer und jedem Versammlungsraum des riesigen Gebäudes abspielt. Andere berühmte Turmhäuser sind das Chanin Building mit sechsundfünfzig Stockwerken, in dem zehntausend Menschen arbeiten, und das Lincoln Building mit dreiundfünfzig Etagen, eines der größten und höchsten Bürohäuser der Welt. Der neueste und luxuriöste Wolkenkratzer ist das „Seagram-Haus", ein Bronzeturm von achtunddreißig Etagen in der Park Avenue zwischen der 52. und 53. Straße. Alle Erfahrungen, die man bisher auf dem Gebiet des Hochhausbaues gewonnen hatte, und viele neue technische Errungenschaften kamen ihm zugute. Lichtmesser, die auf das Tageslicht reagieren, stimmen die Helligkeit im Innern des Gebäudes genau auf die Helligkeit außerhalb des Hauses ab, es ist dort ununterbrochen „Tag". Fünfzehntausend Quadratmeter Außenfläche des Gebäuderiesen sind mit Fenstern versehen, während eine ebenso große Außenfläche von einem Bronzemantel überzogen ist.
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Kurz nach Geschältsschluß: rechts: Empire - State - Building, links: Chrysler Building
Stadt ohne Schlafzimmer ... Die größte Sehenswürdigkeit New Yorks ist das Rockefeiler Center, eine Großstadt für sich mitten in der Weltstadt, eine Großstadt freilich, in der niemand wohnt, in der es nicht ein einziges Schlafzimmer gibt. . . Wo sich hente zwischen der 5. und 6. Avenue und der 48. bis 51. Straße die fünfzehn Turmbauten des Rockefeiler Center erheben, befand sich noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Botanischer Garten, den sein Besitzer, David Hosak, der Columbia-Universität vererbt hatte. Von ihr mietete 1927 John D. Rockefeiler junior das etwa fünf Hektar große Grundstück auf die Dauer von achtundachtzig Jahren. Er plante, hier eine Gebäudegruppe 17
von fünfzehn Hochhäusern für Geschäftsunternehmen anlegen zu lassen und führte dieseB kühne Vorhaben auch durch. Mit hundertfünfundzwanzig Millionen Dollar wurde das bisher größte von einem Privatmann aufgegriffene Bauprojekt veranschlagt. 1929 begann man mit den Arbeiten und brachte sie trotz der folgenden Krisenjahre der amerikanischen Wirtschaft weiter und zu Ende. Die Rockefeller Corporation zahlt in jedem Jahr über drei Millionen Dollar Pacht an die Universität, die im Jahre 2015 wieder Besitzerin ihres Grundstückes und zugleich Besitzerin des Rockefeller Center wird. Die Gesellschaft erzielt aus den Hochhäusern, in deren elegante, himmelanstrebende Bauten aus Stahl, Glas und Steinen sich elfhundert Firmen aus aller Welt teilen, jährlich einen Gewinn von etwa zwanzig Millionen Dollar. Fünfunddreißigtausend Männer und Frauen, die im Rockefeller Center ihren Arbeitsplatz haben, greifen nach achtundzwanzigtausend Telefonhörern. Von den hundertdreißigtausend Menschen, die durchschnittlieh am Tage als Besucher in geschäftlichen Angelegenheiten oder als Schaugäste eintreten, werden viele aus den über sechzehntausend Fenstern über das Häusermeer der Riesenstadt blicken. Mehr als zweihundert Fahrstühle schießen mit ihrer menschlichen Fracht bis zum 70. Stockwerk des fast dreihundert Meter hohen Hauptgebäudes hinauf. Der Hauptbau ist Sitz der Radio Corporation of America, er wird deshalb kurz RCA-Building genannt. Die Menschen gleichen Stecknadelköpfen und die Fahrzeuge sehr winzigen Käfern, wenn man von der Aussichtsgalerie auf dem Dach in die Tiefe blickt. Zwanzig Meter tief sind die Grundmauern dieses Gebäudes im Felsenboden verankert, und trotzdem hat man dort oben das Gefühl, als ob der Boden ganz sacht schwanke. Im 65. Stockwerk bietet der „Rainbow-Room — der Regenbogen-Raum — Gelegenheit, über den Wolken Tee zu trinken und über eine drehbare Tanzfläche zu schweben. Vom Control Center im ersten Stock des Hauses aus kann in jedem Augenblick eine telefonische Verbindung mit jedem der Fahrstühle hergestellt werden, ebenso mit einem der hundert Wachmänner, die ein transportables Telefon bei sich führen. Im Zusammenwirken mit einem wohlausgeklügelten System von Warnanlagen hat sich diese Vorsorge schon mehrmals 18
bei Bränden oder anderen Zwischenfällen als sehr nützlich erwiesen. Im Rockefeiler Center sind neben der Radio Corporation of America noch zwei weitere große Rundfunkgesellschaften -—• die N. B. C. und die R. K. 0. —, die Redaktionen und Verwaltungen der Zeitschriften Times* Life und Fortune, die Associated Press — die größte Nachrichtenagentur der Welt —, eine Fluggesellschaft und die Verwaltung einer weltbekannten Treibstoff-Gesellschaft untergebracht. In einem der Gebäude kann in fünfunddreißig schalldichten Senderäumen zugleich gearbeitet werden. Neben einem französischen, einem englischen, einem italienischen und einem siebenundvierzigstöckigen internationalen Hochhaus gibt es im Rockefeller Center das größte kombinierte Kino und Theater der Welt, die „Radio City Music Hall" mit über sechstausend Sitzplätzen, die wöchentlich von hundertsechzigtausend Menschen besucht wird. Das Filmtheater hat gigantische Ausmaße. Allein die Bühne ist vierundvierzig Meter breit, der halbkreisförmige Bogen, der sie umrahmt, hat einen Durchmesser von sechsunddreißig Metern. Die Künstler, Artisten, Tänzerinnen werden mit Fahrstühlen aus ihren Garderoben unmittelbar auf die Bühne gebracht. Sollte jemand unter den Künstlern oder Besuchern plötzlich erkranken, so hat er es nicht weit bis zum nächsten Krankenhaus, da dem Theater ein aufs beste ausgestattete Hospital angegliedert ist. Außer einer großen Zahl von Geschäftsräumen, einer Sporthalle und einer sechsstöckigen Garage weist das Rockefeller Center über fünfundzwanzig Restaurants auf, aber keine Wohnung. Alle Räume dürfen nur für ihren besonderen dienstlichen Zweck, nicht aber als Behausung benutzt werden. Zweitausend Männer und Frauen haben ausschließlich die Aufgabe, die Büro- und Geschäftsräume der elfhundert Firmen zur Zufriedenheit ihrer Mieter zu reinigen, zu pflegen und instandzuhalten. Da haben Tischler, Heizungs- und Wasseringeriieure, Elektriker, Aufzugsmechaniker, Heizer, Metallpolierer, Maler und andere Handwerker ganze Fluchten von Werkstätten, da halten Schlosser fünfzigtausend Türschlösser in Ordnung, für die bis heute wegen der Vergeßlichkeit oder Unachtsamkeit der Benutzer über eine Million Ersatzschlüssel angefertigt werden mußten. Reinigungstrupps verbrauchen jährlich waggonweise Putzmittel für das Rockefeller Center. 19
Vieles gäbe es noch von diesem typisch amerikanischen Wunderbau zu erzählen: So wird einmal im Jahr die zu ihm gehörende Geschäftsstraße, die „Rockefeller Plaza" — eine Privatstraße — für den Passantenverkehr geschlossen, da nach einem amerikanischen Gesetz eine Privatstraße, die das g a n z e Jahr über dem allgemeinen Verkehr zugänglich ist, in öffentlichen Besitz übergeht. Ursprünglich sollte der „teuerste Felsboden der Welt", das Gelände, auf dem sich heute das Rockefeller Center erhebt, den Neubau der Metropolitan Opera tragen. Der musikliebende John D. Rockefeller junior hatte die Pläne bereits ausarbeiten lassen, aber die Wirtschaftskrise der damaligen Zeit zwang ihn zur Aufgabe dieses Lieblingsgedankens. Statt des Opernhauses entstand an dieser Stelle das Elfhundert-Firmen-Haus.
Die unterirdische Stadt Besonders in den „Stoßzeiten", wenn die Menschen zur Arbeit oder von der Arbeit nach Hause eilen, scheinen die vielfältigen Verkehrsmittel New Yorks vor Überfüllung zu bersten, obwohl Straßen über den Straßen und Straßen unter den Straßen angelegt wurden, um einen möglichst reibungslosen Ablauf des Verkehrs zu sichern. An manchen Stellen des Staatsgebietes bewegen sich die Verkehrsströme in fünf Schichten oder „Stockwerken" über- und untereinander. Am meisten von allen Verkehrsmitteln werden die Tief bahnen in Anspruch genommen, die unter den Wolkenkratzern und breiten Straßen — auf denen die Autos in Sechserreihen nebeneinander herfahren — in ihren engen Röhren dahindonnern. Die Untergrundbahnen sind billig und schnell, wenn auch nicht gerade bequem, da die Fahrgäste in ihnen wie Sardinen zusammengepfercht sind. Für fünfzehn Cent kann man zehn, zwanzig oder dreißig Kilometer lange Strecken im Hundertkilometertempo bewältigen. Siebentausend Tiefbahnzüge nehmen in über fünfhundert Bahnhöfen täglich über sechs Millionen Menschen auf, um sie über Schienenstränge, die eine Gesamtlänge von zwölfhundert Kilometern haben, ans gewünschte Ziel zu bringen. 20
Vierzigtausend Angestelle halten diese gewaltige Bahnanlage, deren tiefste Station fünfundfünfzig Meter unter dem Straßenniveau liegt, in Gang. Es gibt Lokalzüge, die auf jeder Station halten, und Expreßzüge, die nur an wichtigen Kreuzungen und Verkehrsbrennpunkten Aufenthalt nehmen. In den Tiefbahnhöfen wetteifern Restaurants, Schönheitssalons und andere Geschäftsunternehmen im Dienst am Fahrgast. Achthundert Beamte in hundertdreiunddreißig Polizeistationen sorgen in der „Unterwelt" für Sicherheit und Ordnung. Die unterirdische Stadt besitzt in der „Subway Sun", der ,Unterwelt-Sonne' ihre eigene Zeitung. Hochbahnstrecken führen nur noch durch die Stadtteile Brooklyn, Bronx und Queens; aus den Straßen Manhattans sind diese lärmenden Bahnen ebenso wie die Straßenbahnen verbannt. Kein Wunder,
..Werkstatt des Weltfriedens" am East River (links), Sitz der Vereinten Nationen, 167 m hoch 21
daß man auch für die elektrischen Vorort- und Fern-Eisenbahnzüge keinen Platz ü b e r dem Straßenniveau hat und sie unter den Straßen und Wolkenkratzern, unter einem Gewirr von Kabeln, Röhren, Kanälen ins Zentrum der Stadt führt. Die beiden größten Bahnhöfe von New York sind der Grand Central Terminal, in den täglich mehr als sechshundert Züge rollen, die bis zu hunderttausend Fahrgäste ausladen, und die PennsylvaniaStation mit täglich über achthundertfünfzig ankommenden und abfahrenden Zügen. Der Pennsylvania-Bahnhof hat den lebhaftesten Zugverkehr der Welt. Da mit dem Platz über und unter der Erde von New York gegeizt werden muß, hat man dreißig Meter unter dem Grand Central-Bahnhof das Bahnkraftwerk angelegt. Ein System von Hallen und Gängen verbindet den Bahnhof mit den Stationen dreier Tiefbahnlinien, die hier zusammenlaufen, und mit einigen Großhotels. Vom Kino angefangen über Restaurants und Geschäfte mannigfaltigster Art, bis zu einer Klinik und Leichenhalle, scheint an diesem Verkehrsknotenpunkt der USA-Metropole nichts zu fehlen. Allein das Gemälde an der Decke der mit Marmor belegten Haupthalle ist größer als das Spielfeld eines Fußballplatzes . . . New York hat auch — wie könnte es anders sein! — den größten Omnibus-Bahnhof der Welt, den täglich über fünftausend Vorortund Fern-Omnibusse mit insgesamt hundertzwanzigtausend bis hundertsechzigtausend Menschen ansteuern. Die Omnibusse rollen durch einen Tunnel, der unter dem Hudson-Fluß liegt, und gelangen — ohne den Straßenverkehr der anderen Fahrzeuge in Manhattan einzuengen — über Brücken direkt zum Bus-Terminal, dessen Dach als Parkplatz für vierhundertfünfzig Autos ausgenützt wird. Neben den Tiefbahnen und Omnibussen der Stadtlinien fahren zwölf tausend Taxis und über zweihundertsechzigtausend Privatautos durch New York. Diese Wagenflut, die durch unzählige Autos der Besucher der Metropole noch verstärkt wird, verteilt sich auf die über sechstausend Kilometer Straßen, deren Schneeräumen in manchem Winter bis zu neun Milionen Dollar kostet. Wenn man über den Verkehr der Weltstadt spricht, so muß man auch an die dreiundvierzigtausend Fahrstuhlführer denken, die täglich siebzehn Millionen Fahrgäste auf- und abhewegen. Die Fahr90
Stühle legen jeden Tag- zweihunderttausend Kilometer, in zwei Tagen die Entfernung Erde — Mond zurück. Wenn die Fahrstuhlbediener streiken — was hin und wieder vorkommt —, dann bringen sie das Geschäftsleben New Yorks zum Erliegen. Vierundzwanzigtausend Polizisten, die neben den üblichen Funkstreifenwagen über eine Anzahl Hubschrauber, schnelle Motorboote und einige hundert Pferde verfügen, bieten den Verbrechern Schach und halten den Verkehr in Fluß. Es gelingt ihnen nicht zuletzt dank dem mustergültigen System der Verkehrsregelung und der Disziplin der Amerikaner im Straßenverkehr. Die Verkehrsunfallziffern sind in New York verhältnismäßig niedrig.
Wunderwerke des Brückenbaus Gigantisch wie alles in New York sind auch die Brücken, die die einzelnen Stadtteile zusammenklammern. Die achtzehnhundert Meter lange Brooklyn-Brücke*, die als erste feste Stromüberquerung Manhattan mit Brooklyn verband und dadurch sehr zur Verschmelzung dieser beiden Stadtteile beitrug, wurde 1883 dem Verkehr übergeben. Sie galt damals als ein Wunderwerk der Technik und wurde zum Vorbild für alle späteren Hängebrücken. 1903 schweißte die Williamsburg-Brücke und 1909 die Manhattan-Brücke die Stadtteile Manhattan und Brooklyn noch enger zusammen. Eine Reihe weiterer großer Brückenbauten folgte. Den größten Ruhm errang die George-Washington-Brücke, die 1931 eröffnet wurde. Diese zweitgrößte Hängebrücke der Welt, die den Hudson überspannt, hat eine Gesamtlänge von über zweieinhalb Kilometern. Die beiden Türme, die an vier gewaltigen Kabeln die Fahrbahnen tragen, sind hundertzweiundneunzig Meter hoch und stehen mehr als einen Kilometer auseinander. Ihre Fahrbahn schwebt achtundsiebzig Meter über dem Wasserspiegel des Hudson. Die Brückenmitte senkt sich im Sommer um einen Meter, da sich die sechsundzwanzigtausend Drahtseile eines jeden der vier sechsundachtzig * über dieses denkwürdige Bauwerk und seinen Erbauer siehe Lux-l.esebogen 133, „Die Brooklyn-Brücke". 23
Zwei Ozeanriesen begegnen sich im Hafen der Weltstadt Zentimeter starken Tragkahel durch die jahreszeitliche Hitze ausdehnen. Bei Sturm verschiebt der Winddruck die Mitte der Brücke um Meter in die Seitenrichtung. Dreißig Millionen Autos benutzen jährlich ihre acht nebeneinander liegenden Fahrwege. Aber selbst diese Leistung genügt den heutigen Anforderungen des Verkehrs nicht rrehr. Da ihre Erbauer sie in weiser Voraussicht so konstruiert haben, daß sie noch eine zweite Fahrbahnetage zu halten vermag, ist deren Bau geplant. Die künftige zweite Fahrbahnetage unter der Straße soll noch vier Schienenstränge für die Eisenbahn tragen. Im Frühjahr 1958 legte man in New York die Betonfundamente für die längste, höchste und überhaupt größte Hängebrücke der Welt, die nach ihrer Fertigstellung im Jahre 1964 selbst die weltberühmte Goldegate-Brücke in San Francisco übertrumpfen wird. Die beiden Tragpfeiler dieser Brücke, die die Stadtteile Island und 2-1
Wie in Paris oder Müneiien: Künstler stellen auf der Straße aus
Brooklyn verbinden wird, werden zweihundertdreißig Meter hoch sein — vierundsiebzig Meter höher als der Kölner Dom. Vierzig Meter tief werden die Betonklötze für das Fundament in das Granitgestein unter Wasser abgesenkt. Man wird sie durch wuchtige Stahlprofile mit dem Fels „vernageln" — wie die Fachleute sagen —, um den Brückentürmen die notwendige Standfestigkeit zu sichern.
Die grüne Lunge Als Nicht-New-Yorker kann man es sich kaum vorstellen, daß es inmitten dieser Stadt — die, um Platz zu gewinnen, über hundert Stockwerke hoch hinaufklettert —, daß es inmitten dieser weltstädtischen Unrast eine grüne Oase, eine Stätte der Ruhe gibt, 25
die so groß ist, daß man sie nur von einem Wolkenkratzer aus ganz überschauen kann. Der „Central Park", ein langgestrecktes Rechteck von 4200 mal 800 Meter Größe, das im Zentrum von Manhattan liegt, ist die grüne Lunge New Yorks. Er ist der große Garten aller Bürger dieser Weltstadt und eine ihrer schönsten Sehenswürdigkeiten. Dieses Naturparadies hat mehrere Seen und Teiche, die Gelegenheit zum Rudern bieten, Wiesen und Wald, felsige Hügel und Tiergehege, Ziergärten und lauschige Winkel, Promenaden- und Reitwege. Es gibt in ihm aber auch Schwimmbäder, Golf-, Baseball-, Tennis- und andere Sportplätze, schöne Restaurants und einen Konzertpavillon, Kinderspielplätze, eine Eisbahn und einen Zoo mit vielen seltsamen Tieren. An der Saumlinie des Parks erheben sich mehrere Museen, von denen das „Metropoliten Museum of Art" das berühmteste ist. Diese Kunsthalle, in der die Kunst aller Völker und Zeiten, Musikinstrumente, Waffen und Kostüme gezeigt werden, ist eine der bedeutendsten der Welt. Sie ist aus einer privaten Stiftung hervorgegangen. Im Garten steht ein alter, zweiundzwanzig Meter hoher ägyptischer Obelisk, der zu unrecht „Cleopatras Needle" — ,Cleopatras Nadel' — genannt wird. Er stammt aus dem 15. Jahrhundert v. Chr. und stand, bevor er als Geschenk der ägyptischen Regierung nach New York gebracht wurde, in Alexandria. Der Obelisk wurde im Jahre 1880 von den Amerikanern in einem eigens für diesen Zweck erbauten Spezialschiff über den „Großen Teich" verfrachtet.
„Großer Weißer Weg" In vorbildlicher Weise waren New Yorks Stadtväter schon im Jahre 1811 um eine großzügige — auf Jahrhunderte vorausschauende — Stadtplanung besorgt, die nicht nur eine symmetrische Anlage der Straßen- und Häuserblocks Manhattans erlaubte, sondern dazu zwang. Die Insel wurde schachbrettartig in Häuserblocks und schnurgerade verlaufende Straßen eingeteilt: in eine Reihe von langen, von Nord nach Süd verlaufenden, dreißig Meter breiten Avenues und etwa zweihundert von Ost nach West gerichteten 26
Streets, von denen jede die Hauptstraße einer mittleren Stadt könnte. Da alle Streets und die meisten Avenues Nummern statt Namen haben, ist eine Orientierung in Manhattan sehr leicht. Nur die berühmteste und verkehrsreichste New Yorker Straße, der Broadway, hält sich nicht an dieses kunstvoll angelegte Gitterwerk von Straßenzügen, sondern verläuft eigenwillig in diagonaler Richtung zum Schachbrettsystem von der Südspitze bis zum Nordende der Insel. In dieser dreißig Kilometer langen Hauptlebensader von New York bietet sich das ameisenhafte Treiben in einer verwirrenden Fülle dar. Der Broadway gehört dem Geschäft und Vergnügen, er ist aber auch der Schauplatz der großen Paraden, bei denen berühmte Männer im offenen Wagen im Triumphzug durch einen Konfettiregen gefahren werden, der sich von den Wolkenkratzern herab ergießt. Hier wurde 1927 Charles Lindbergh, der als erster mit einem Flugzeug den Ozean bezwungen hatte, ebenso von Millionen New Yorkern stürmisch bejubelt wie General Eisenhower 1945 nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges. Die Stelle, an der die 42. Straße den Broadway kreuzt, heißt Times Square, es ist der verkehrsreichste Punkt New Yorks und das Zentrum des Vergnügungslebens, der Rummelplatz der Weltstadt. Luxusgeschäfte, Kinos und Bars reihen sich hier an Schießhallen und Imbißstuben. Man nennt den Broadway auch den „Großen Weißen Weg", da eine Kunstlichtflut die Nacht zum Tage macht. Bewegtes Licht ist hier Trumpf. Lichter aller Farben und Formen zucken auf, bilden Kreise, Spiralen, Pfeile, die Umrisse von Gegenständen aller Art, verlöschen. Grüne Buchstaben flammen auf, die Buchstaben formieren sich zu Wörtern, die Wörter werden rot, dann blau, dann gelb, dann violett, die violetten Buchstaben bekommen eine grüne Umrandung, eine weiße Hand wischt sie weg, löscht sie aus; hinter der Hand flammen die Wörter erneut auf, dieses Mal orangefarben, verlöschen, grüne Buchstaben leuchten auf, formieren sich zu Worten, die Worte werden rot, dann blau, dann gelb, dann violett, die violetten Buchstaben bekommen eine grüne Umrandung, eine weiße Hand wischt sie weg — so geht es pausenlos weiter . . . Unaufhörlich fahren die bunten Lichter hin und her, Zickzacken
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scheinbar durcheinander, jagen die hohen Gebäude hinauf, stürzen wieder hinunter, überstrahlen sich gegenseitig, schlängeln dahin, unterstreichen flirrende Leuchtschriften, zeichnen das haushohe Gesicht eines Mannes, der mit seinem schornsteinbreiten Mund — einem Loch in der Wand —- Rauchringe in die Luft bläst vmd für eine Zigarettenfirma Reklame macht. Hunderttausende von Lichtern, die lautlos schreiend für irgend etwas werben oder zu irgend etwas einladen, weben bunte, kilometerlange Teppiche, zwischen denen der Verkejirsstrom mit dumpfem Brausen dahinzieht. Die Rufe der Zeitungsverkäufer, der Schuhputzer, der Händler, der Ausrufer, das Trillerpfeifen der Polizisten, die Musikfetzen, die aus den Lokalen wehen,'die Unterhaltung der Passanten vermischen sieh mit dem Schnaufen der Omnibusse, dem Rollen, Hupen, Bremsen, Quietschen, Motorendröhnen, Scheppern, Klappern, Tiirenzuschlagen, Anfahren, Schalten, Auspufftuckern der Autos.
Die „Dame Freiheit" Allen einlaufenden Schiffen schon von weitem sichtbar, grüßt die Freiheitsstatue als Wahrzeichen New Yorks und der USA die Besucher der Neuen Welt. Die gewaltige Statue, die in der rechten Hand eine Fakel und in der linken eine Tafel mit der Unabhängigkeitserklärung hält, ist ein Geschenk Frankreichs an die amerikanische Nation. Dieses Werk von Frederic Bartholdi entstand in den Jahren 1884 bis 1886. Das stählerne Skelett der Göttin, die unermüdlich auf einer kleinen Insel der Upper Bay vor der Einfahrt zum Hudson-River steht, stammt von dem Konstrukteur des Eiffelturms, Ingeniuer Eiffel. „Miß Liberty" — die ,Dame Freiheit' wie sie auch genannt wird — hat ein Gewicht von zweihundert Tonnen und eine Größe von sechsundvierzig Metern. Rechnet man ihren wuchtigen Sockel dazu, so erhebt sie sich dreiundneunzig Meter über den Wasserspiegel. Hundertundachtzig Stufen führen bis in ihre Krone. Von dort hat man einen umfassenden Rundblick. Ihre angestrahlte Fackel diente früher als Leuchtturmlicht. An der Monumentalfigur vorbei fahren die Schiffe in den größten Hafen der Welt ein, der eine gezackte Wasserfront von über 28
Am Hafeneingang New Yorks mahnt die Freiheitsstatu.
tausend Kilometern hat. Wie Zinken riesiger Kämme liegt Pier neben Pier. Von den neunhundert Kaianlagen können zweihundert die größten Schiffe der Welt aufnehmen, die New York unter den Flaggen aller Nationen regelmäßig anlaufen. In den letzten Stunden vor dem Auslaufen werden die Ozeanriesen gegen eine kleine Gebühr zur Besichtigung freigegeben. Mehr als viertausend Hafenfahrzeuge, Schwimmkräne, Schwimmdocks, schwimmende Getreideheber, Hochseeschlepper, Bugsierdampfer, Feuerlöschboote, Barkassen, Leichter und Schuten dienen dem schnellen Laden und Löschen der Schiffe aus aller Herren Ländern. Weit mehr als drei Millionen Groß-New-Yorker verdienen direkt oder indirekt ihren Lebensunterhalt durch den Riesenhafen. Alle zwanzig Minuten läuft ihn ein Schiff an, alle zwanzig Minuten geht eines auf die Reise. Die Hafengebühren, die Löhne der Schauerleute, der Dock- und sonstigen Hafenarbeiter, der Verdienst der Fracht- und Handelskontore, der Provianthäuser und Bunkeranlagen kommen dem Wirtschaftsleben der Stadt zugute, neben den Geldern, die die Seeleute in dtr Weltstadt lassen. Aber auch tief unter den Kielen der Schiffe braust der Verkehrslärm, sind in das Felsgestein des Hafengrundes die mächtigen Tunnels gesrpengt, durch die Tag und Nacht Autos und Züge rollen. Lincoln-Tunnel und Holland-Tunnel verknüpfen unter dem Hudson Manhattan mit dem auf der gegenüberliegenden Seite aufragenden New Jersey, der Queen-Midtown-Tunnel unter dem East-River verkettet Manhattan mit Queens, und der Brooklyn-Battery-Tunnel unter der Upper Bay Manhattan mit Brooklyn. Neben diesen vier Tunnels, die für den Autoverkehr bestimmt sind, gibt es zwanzig andere Tunnels, die den Untergrund-Bahnen und Fernzügen dienen. Der gigantische Brooklyn-Battery-Tunnel ist mit über zweieinhalb Kilometer Länge der längste Unterwasser-Tunnel der Welt.
Wovon leben die Millionen? New York hat mehrere Flughäfen, die von fünfunddreißig verschiedenen Luftverkehrsgesellschaften angeflogen werden. Der Internationale Flughafen „Idlewild", der auf der Insel Long Island östlich der Stadt liegt, ist der bedeutendste von ihnen und einer
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der größten der Welt. Seine Start- und Landepisten, Hangars und Empfangsgebäude nehmen eine Fläche von rund zwanzig Millionen Quadratmetern ein, eine Fläche, die etwa einem Drittel der Insel Manhattan entspricht. Rund zehntausend Menschen gibt dieser Mammut-Flugplatz, dessen längste Startpiste auch den größten Düsen-Strato-Klippern genügt, Arbeit. Pausenlos starten und landen die Maschinen hier und auf den anderen Flugplätzen: dem „La Guardia'", der nur den amerikanischen Fluggesellschaften zur Verfügung steht, und den zahlreichen Hubschraubern-, Privat- und Militär-Flugplätzen. Wovon aber leben jene Millionen, die nicht zur Wirtschaft des Hafens, zu seinen Umschlageplätzen, Lagerhallen, Werften, Flottenstationen, nicht zu den Betrieben des Land- und Luftverkehrs und der Verwaltung gehören? Ein einziger Blick in die viel- und dickbändigen Gewerbeverzeichnisse der Weltstadt gibt Aufsdiluß. Wieder müssen wir zu Superlativen greifen, um das arbeitende New York einigermaßen deutlidi zu machen. New York ist nicht nur der größte Hafen, sondern auch der größte Handelsplatz der Welt. In den Stadtteilen Brooklyn und nordöstlich davon in Queens, das allein doppelt so groß wie Paris ist, liegt der größte Teil der vierzigtausend Großindustriebetriebe, in denen Rohstoffe der USA veredelt werden. 210 000 Menschen beschäftigen der Masdiinenbau und die elektrotechnische Industrie, 118 000 das Verlags- und Druckereigewerbe, 113 000 die Nahrungsmittelindustrie, 102 000 die diemische, 83 000 die Eisenwarenindustrie, viele Tausende die Nähmasdiinenfabriken und die Ölraffinerien. Inmitten des Broadways und seiner Seitenstraßen und in einigen anderen Bezirken schaffen fast 400 000 Menschen in den Unternehmungen der Bekleidungsindustrie Werte von über neun Milliarden Mark; denn New York ist der führende Modeplatz der Vereinigten Staaten. Der Mode gesellen sich die Betriebe für Schmuck, Kunstgewerbe, Wohnungseinrichtungen, Radio- und Fernsehtechnik, für Bücher, Zeitschriften und die New Yorker Zeitungen hinzu, die wöchentlich in vierzig Millionen Exemplaren erscheinen. In den Büros der oberen Stockwerke der Geschäfte und in den Hochhäusern, in den Bank- und Versicherungsgebäuden sind Hunderttausende tätig. New York — der größte Börsenplatz der 31
Welt — beherrscht den Weltmarkt für Metalle, Zucker, Kaffee, Kautschuk, Getreide, Wolle; der internationale Handel gibt Zehntausenden Arbeit und Brot. Mitten im Wolkenkratzerviertel, in der Wallstreet, liegt das vielbeschäftigte Zentrum der amerikanischen Hochfinanz, das in den Jahren von 1918 bis 1929 eine Weltmachtstellung beanspruchen konnte und auch heute noch für die Finanzierung von großen Projekten von weltumspannendem Einfluß ist. Einige Hunderttausend New Yorker und Pendler aus den Außenbezirken haben in den mehr als hunderttausend Einzelhandelsgeschäften der Stadt zu tun, in denen New York wohl das reichste Warensortiment aller Weltstädte anbieten kann. Wer den New Yorker aber nur nach dem Maß seines Wirtschaftswertes beurteilen würde, der sähe ihn völlig falsch. Superlative gelten auch für die kulturelle Ausstrahlungskraft dieser Stadt. Mehr als zweihunderttausend Studierende aus aller Welt bevölkern die vierzig Hochschulen, Colleges und Universitäten, unter denen die New Yorker University in Bronx mit zweiundseclizigtausend Studenten und Studentinnen und die Columbia-Universität in Manhattan mit dreißigtausend Lernenden Weltrang besitzen. Vielhundert Bibliotheken, unzählige wissenschaftliche Institute, fünfzig Museen, dreihundert Theater, zahlreiche Volkshochschulen bieten die Möglichkeit zur geistigen Fortbildung und kulturellen Erhebung. In Bronx geben der Botanische und der Zoologische Garten mit seinen zehntausend Tieren und im naturgeschichtlichen Museum, dem „American Museum of Natural History" seltenste Schaustücke Einblick in das Leben der Natur in Vergangenheit und Gegenwart. Das religiöse Leben findet seinen Ausdruck in der Zahl der Kirchen, Gemeindehäuser und Synagogen; viertausend Kirchen sind über alle Stadtgebiete bis in die Neusiedlungen am Stadtrand verteilt. Umschlaggestaltung: Karlheinz Dofasky Bilder: Umschlagseitc 2 Rockefeiler Center. Alle Fotos: USIS, Press Unit. L u x - L e s e b o g e n 287 (Erdkunde) H e f t p r e i s 2 5 P f g . Natur- und kulturkundliche HeTte - Bestellungen (vierteljälirl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig oder können dort nachbestellt werden — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München