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Impressum TIFFANY SEXY erscheint in der CORA Verlag GmbH & Co. KG, 20.350 Hamburg, AxelSpringer-Platz l Redaktion und Verlag: Brieffach 8500, 20.350 Hamburg Geschäftsführung: Redaktionsleitung: Lektorat/Textredaktion: Produktion: Grafik: Vertrieb:
Thomas Beckmann Claus Weckelmann (verantwortlich für den Inhalt), Ilse Bröhl (Stellvertretung) Ilse Bröhl (Leitung), Christine Boness Christel Borges, Bettina Reimann, Marina Poppe (Foto) Bianca Burow, Tommaso Del Duca, Birgit Tonn Verlag Koralle Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Hamburg
© 1998 by Elda Minger Originaltitel: »NightFire« erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd. Toronto in der Reihe: TEMPTATION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. Amsterdam Übersetzung: Rossi Schreiber © 1999 by Jamie Arm Denton Originaltitel: »The Seduction Of Sydney« erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd. Toronto in der Reihe: TEMPTATION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. Amsterdam Übersetzung: Silke Schuff © 1999 by Cathy Gillen Thacker Originaltitel: »A Cowboy’s Woman« erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd. Toronto in der Reihe: AMERICAN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. Amsterdam Übersetzung: Kristina Krüger-Barhoumi Fotos: The Image Bank/WEPEGE © CORA Verlag GmbH & Co. KG © Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY SEXY Band 3 (1) 2001 bei CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdruckes in jeglicher Form, sind vorbehalten. TIFFANY SEXY-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig. Satz: PrePrint Gruppe, Druck: Ebner Ulm Printed in Germany; Aus Liebe zur Umwelt: Für CORA-Romanhefte wird ausschließlich 100% umweltfreundlich abbaubares Papier mit einem hohen Anteil Altpapier verwendet. Der Verkaufspreis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer. COKA Leser-Service Möchten Sie bereits erschienene Romane nachbestellen, oder haben Sie Fragen zum Abonnement? Dann wählen Sie bitte Ihre Service-Nummer: CORA Nachbestell-Service: Telefon (040) 85 31 35 15 CORA Abonnenten-Service: Telefon (07.132) 95 92 14 Fax (07.132) 95 92 16 CORA online Magazin: www.cora.de Sie erreichen die CORA Service-Nummern montags bis freitags von 9.00 bis 16.00 Uhr. Redaktion und Verlag: Telefon (040) 347-2 27 94
ELDA MINGER
KÜSSE UM MITTERNACHT
Elda Minger
Küsse um Mitternacht Obwohl Amy einen Riesenberg Schulden abzahlen muss, die ihr Ex-Mann hinterlassen hat, verliert sie nicht den Mut, ist lieb und freundlich zu jedermann und glaubt fest daran, dass eines Tages alles gut wird. Sie ahnt nicht, dass sie mit ihrer Ausstrahlung einen gut aussehenden Mann bezaubert, der häufig in dem Restaurant sitzt, in dem sie kellnert. Privatdetektiv Steve McKnight wartet nur darauf, Amy zu erobern! Und als er eines Nachts bei der Radioshow Midnight Kisses zufällig hört, wie Amys heißeste Fantasie aussieht, weiß er, was er zu tun hat: Wie in ihrer sexy Vorstellung lässt er sie in einer Limousine abholen und in ein traumhaftes Restaurant bringen. Dort erwartet er sie und nimmt sie zärtlich in die Arme. Das erotische Prickeln sagt ihnen sofort, wie der Abend enden wird…
1. KAPITEL Steve McKnight beobachtete das Mädchen schon seit geraumer Zeit. Er hatte seine festen Gewohnheiten, wenn er abends von der Arbeit kam. Wahrscheinlich lag ihm so viel an dieser Routine, weil sein Job so unberechenbar war. Das Leben eines Detektivs konnte turbulent sein, und so wünschte – nein, ersehnte – er sich nach Feierabend ein Stück Beständigkeit. Und deshalb steuerte er regelmäßig nach einem langen Arbeitstag Bud’s Cafe an. Bud’s war eigentlich ein schlichtes herkömmliches Speiselokal. Aber um in dem trendbewussten Los Angeles zu überdauern, stand auf der roten Neonschrift »Bud’s Cafe«. Steve besuchte das Lokal seit Jahren. Bud, den es tatsächlich gab und der selbst kochte, war ihm eine Art Freund geworden. Er war Ende sechzig, ehemals Bodybuilder und besaß genug Menschenkenntnis, um einem erschöpften, ausgepumpten Mann seine Ruhe zu gönnen. So wies er seine Bedienungen an, ihm nur eine Tasse Kaffee und die Speisekarte zu bringen und ihn sonst in Ruhe zu lassen. Zudem verstand Bud genug von der männlichen Psyche, um die hübschesten Mädchen zu engagieren. Und eine davon, Amy Robbins, beschäftigte seit Monaten Steves Fantasie. Sie arbeitete abends und wirkte meistens abgekämpft. Er vermutete, dass sie noch einen zweiten Job hatte, aber sie hatten nie darüber gesprochen. Seit sie vor einem Vierteljahr bei Bud angefangen hatte, beobachtete er sie, und ihre kurzen Gespräche drehten sich um die Bestellung, das Wetter oder die Fernsehnachrichten. Er würde sie gern näher kennen lernen, aber sie war sehr scheu. Männerscheu. Steve sah das sofort. Nicht von ungefähr hatte er jahrelang Menschen beobachtet und
versucht, die Gründe zu erraten, aus denen heraus sie dies oder jenes taten. Heute Abend, nach einer besonders langwierigen und zermürbenden Beschattung, kam Steve ins Bud’s mit ganz klaren Wünschen: einen Teller von Buds weltberühmten Chili und ein kaltes Bier. Das war nicht unbedingt die Nahrung, die für friedlichen Schlaf sorgte, aber er wollte auch noch gar nicht schlafen gehen. Mit Absicht setzte er sich in Amys Bereich, eine Reihe von Nischen an der Fenster front zum Sunset Boulevard. Das Lokal lag in West Hollywood, wenige Blocks entfernt vom berühmten Sunset Strip mit seinen überdimensionalen Anzeigetafeln, Hotels, Restaurants und Film-Studios. Amy brachte ihm sofort den Kaffee, wie er ihn mochte schwarz. Dann reichte sie ihm die Speisekarte, drehte sich wortlos um und ging zurück zur Küche. Er musterte ihre Rückseite – eine äußerst reizvolle Rückseite. So müde er auch war, der Anblick machte ihn auf der Stelle munter. Sie war einfach hinreißend, knapp einen Meter siebzig und mit üppigem dunkelroten Haar, das sie in einem Pferdeschwanz zu bändigen versuchte. Und ihr Gesicht war schlicht schön: unglaublich grüne Augen, eine süße kleine Nase und sinnliche, volle Lippen. Im Gegensatz zu den meisten Rothaarigen war auf den hohen, wohlgeformten Wangenknochen keine einzige Sommersprosse zu sehen. In den öden Stunden des Wachehaltens hatte Steve sich oft gefragt, ob sie wohl an anderen Stellen ihres zierlichen, kurvenreichen Körpers welche hatte. Jetzt war dieser Körper, der in einer rosa Uniform mit einem frischen weißen Schürzchen steckte, neben seinem Tisch, zum Greifen nah. »Hi, Steve, was soll’s sein?« Sie gab sich süß und kess, fehlte nur die Kaugummiblase. »Ein Chili und ein Bier.« Er legte die plastikbezogene Karte weg und fragte sich zum x-ten Mal, wie er diese fruchtlose Beziehung Gast-Bedienung persönlicher gestalten könnte. Kein leichtes Unterfangen. Er sah den traurigen Blick in den
grünen Augen. »Alles? Der Apfelkuchen ist heute wirklich ein Gedicht.« Er lächelte. Und du bist wirklich eine gute Bedienung, dachte er. »Vielleicht später.« Sie machte auf dem Absatz kehrt, trat resolut hinter den Tresen und rief Bud zu: »Ein scharfes Chili, eine Knarre, und besorg mir einen guten Anwalt.« Steve lächelte. Buds Lokal war eine feste Einrichtung – nicht zuletzt, weil er die alten Kneipensprüche pflegte, die jeder seit Kindesbeinen kannte. Die Nachbarn genossen das, es gab ihnen ein Heimatgefühl. Die Touristen bewunderten es und strömten im Sommer zu Scharen an die makellosen Tische, bevor sie sich zu den Universal Filmstudios, nach Malibu oder Disneyland aufmachten. Steve blickte aus dem Fenster, um Amy nicht allzu unverhohlen anzustarren. Er hatte verschiedene Versuche gestartet, um mehr über sie zu erfahren. Bud auszufragen hatte sich als Sackgasse erwiesen. Der Alte mit dem grau melierten Haar und den muskulösen Armen schwieg beharrlich. »Frag sie doch selbst«, war alles, was er von sich gab. Steve fand ja, dass Bud Recht hatte. Doch dass ein kecker kleiner Rotschopf ihn so nervös machen konnte, ihn, der Missetäter verfolgte und bei Schießereien seinen Mann stand, verblüffte ihn. Allerdings hab ich einen kleinen Trost, sagte er sich, während er der emsigen Amy zusah. Sie ließ ihn zwar nicht an sich heran, aber soweit er wusste, auch keinen anderen Mann. Amy brachte Steve das Chili und das kalte Bier. Dabei versuchte sie, den Mann zu mustern, ohne dass es auffiel. Er gefiel ihr. Aber schließlich hatte Lenny ihr auch gefallen, und wohin hatte das geführt? Trotzdem hatte Steve McKnight etwas an sich, das ein neues Wagnis reizvoll erscheinen ließ, das ihr Träume von einem wunderschönen Leben mit dem richtigen Mann eingab. Aber das gab es wahrscheinlich überhaupt nicht. Am Besten, sie hielt ihn auf Distanz, das war sicherer.
»Heute ist es besonders gut«, sagte sie und stellte die Chili Schüssel vor Steve hin. »Ich glaube, Bud hatte eine seiner Eingebungen.« Buds Chili war immer wieder ein Abenteuer. Der Mann weigerte sich, nach Rezept vorzugehen, und behauptete: »Ich verlasse mich auf meine Eingebung.« »Was für ein Lichtblick«, meinte Steve und griff nach dem Löffel. »Das ist es zwar immer, wenn auch jedes Mal ein anderer.« Amy holte tief Luft, als sie die Bierflasche auf die gefleckte Tischplatte stellte. »Hatten Sie einen harten Tag?« »Fragen Sie lieber nicht.« »Na, dann«, sagte sie und tätschelte zu ihrer eigenen Überraschung Steves muskulösen Unterarm, »wird das Chili Sie sicher entschädigen.« Bevor sie noch weitere Unbesonnenheiten begehen konnte, wandte sie sich ab und anderen Gästen zu. Steve gab sich wirklich alle Mühe, nicht hinter ihr her zu starren. Sie hatte ihn berührt. Sie hatte ihn berührt, und es war, als hätte sie in ihm ein Feuerwerk ausgelöst. Und da wusste er, dass er um jeden Preis mindestens eine Verabredung mit dieser Frau haben musste, besser zwei, um genau herauszubekommen, was zwischen ihnen lief. So heftig hatte er nicht mehr auf die Berührung einer Frau reagiert seit… er konnte keine Jahreszahl angeben. Es ging in Richtung nie. Nachdem Amy sich vergewissert hatte, dass alle ihre Gäste wohl versorgt waren, fragte sie Bud, ob sie Pause machen und sich in den Raum für die Mitarbeiter zurückziehen könnte. Bud hatte das Zimmer mit einem großen Kühlschrank, einer bequemen Couch, mehreren Polstersesseln und einem Fernsehgerät ausgestattet. Amy schaltete jedoch nicht den Fernseher ein und holte sich auch nichts zu essen. Sie setzte sich in einen der Sessel und fragte sich, was über sie gekommen war, Steve McKnight einfach so anzufassen.
Er hatte sich wunderbar angefühlt. Und sie hatte sich wunderbar gefühlt – dieser kleine elektrische Schlag, der sie durchfuhr, hatte sie in Unruhe versetzt. Aber wenn schon die lose Berührung seines Arm sie dermaßen aus der Fassung brachte… Lass das sein, rief sie sich stumm zur Ordnung. Amy lehnte sich in ihrem Sessel zurück und schloss die Augen. Sie hatte Steve auf Anhieb gemocht, als er zum ersten Mal zur Tür hereinkam. Nun ja, sie hatte immer eine Schwäche für schwarze Lederjacken und Männer mit nicht allzu kurzen Haaren gehabt. Die abgetragenen Jeans und die ausgesprochen muskulösen Beine hatten ein Übriges getan. Und die Stiefel. Und diese Stimme. Eine sexy Stimme, tief und rau und spröde. Aber im Grunde waren es die Augen, die sie wirklich in ihren Bann geschlagen hatten. Diese unglaublichen, wunderschönen blaugrauen Augen. Sein Haar war sehr dunkel, fast schwarz. Seine Haut zeigte die leichte Bräune eines Menschen, der sich viel im Freien aufhielt und sich nicht sonderlich gegen die Sonnenstrahlen abschirmte. Steves Körpergröße – gut ein Meter neunzig hatte sie zuerst eingeschüchtert. Seine Haltung war so ganz anders als die von anderen Männern, die sie kannte. Amy hatte Einzelheiten registriert. Wie er zum Beispiel einen Raum in Augenschein nahm, bevor er eintrat. Wie er immer darauf achtete, seine rechte Hand frei zu halten, sogar seine ganze rechte Körperhälfte. Die leichte Ausbuchtung seiner schwarzen Lederjacke verriet, dass er eine Waffe trug. Und sie war sicher, dass er damit umzugehen wusste. Sie hatte sich bei Bud nach ihm erkundigt. Auch bei Linda und Alexis, die ebenfalls im Lokal bedienten. Alle hatten dasselbe berichtet: dass Steve ein ehemaliger Polizist war, der jetzt als Privatdetektiv arbeitete. Das hatte Amy fast geahnt, jedenfalls wusste sie, dass Steve irgendwie mit diesem Bereich zu schaffen hatte. Seit ihrer Scheidung beobachtete sie Menschen viel genauer.
Und obwohl sie alles das von Steve wusste, gefiel er ihr. Sie mochte die Art, wie die kleinen Falten an seinen Augenwinkeln sich zusammenzogen, wenn er ihr zulächelte. Sie mochte es, wie seine großen Hände einen Kaffeebecher umfingen. Doch am meisten mochte sie, wie er Bud’s Cafe betrat, sich in Sekundenbruchteilen Überblick verschaffte und sie dann anlächelte. Sie und keine andere. Als gäbe es nur sie im Raum. Anfangs hatte seine Zuwendung sie erschreckt. Das Letzte, was sie nach der hässlichen Scheidung von Lenny wollte, war eine neue Beziehung. Mit ihren sechsundzwanzig Jahren kam sie sich uralt vor und fand, ihr Leben war gewissermaßen gelaufen. Zumindest in der Hinsicht, dass sie sich einem Mann gegenüber nicht mehr als Frau fühlen konnte. Dafür gab es eine Menge andere Dinge, die ihre Zeit ausfüllten. Zum Beispiel Arbeit. Amy lehnte sich zurück und legte die Füße auf das Sitzkissen gegenüber. Es tat gut, die Beine zu entlasten. Manchmal, wenn sie nach ihrem Tagesjob als Putzfrau abends ins Bud’s kam, fühlte sie sich regelrecht zerschlagen. Aber sie hatte noch nie viel von Jammern und Klagen gehalten. Wenn das Schicksal ihr nun einmal übel mitgespielt hatte, musste sie eben damit fertig werden. Als die Viertelstunde vorbei war, kehrte Amy in den Gastraum zurück und spähte automatisch zu Steves Nische hinüber. Er saß noch da, die leere Chili-Schüssel vor sich, das Bier in den Händen, und starrte aus dem Fenster in die Oktobernacht. Dieser Abschnitt des Sunset Boulevards war von vielen Neonschriften erleuchtet – ein Szene-Treff nebenan, eine Buchhandlung gegenüber, ein ChinaRestaurant mit den Spezialitäten des Tages im Fenster. Amy ging auf die Nische zu. »Haben Sie noch Lust auf den Apfelkuchen?« Er zögerte einen Moment, als wollte er etwas sagen. Sie hielt den Atem an. Doch er entgegnete nur: »Klar.« Später an diesem Abend lag Amy im Bett und hörte einer
Talk-Sendung im Radio zu. Sie war verspannt und konnte nicht schlafen. Wenn sie sich in dieser Stimmung befand, hatte sie das Gefühl, dass in ihrem Leben nichts mehr stimmte. Angefangen bei ihrem Schlafzimmer, das nichts weiter war als eine Ecke ihres Ein-Zimmer-Apartments, die sie mit Wandschirmen abgetrennt hatte. Sie dachte an ihre ererbten Schlafzimmermöbel, mit denen sie einst den hellen, luftigen Raum in Illinois gestaltet, an die Schnittblumen, die sie täglich frisch in Vasen arrangiert hatte, und fragte sich zum hundertsten Mal, wie sie so schnell so tief hatte sinken können. Dieses behelfsmäßige Schlafzimmer in dem kleinen Altbauapartment unweit des Sunset Boulevards mit dem Innenhof voll tropischer Pflanzen war der deutlichste Beweis dafür, wie tief sie gesunken war. Sie hatte die Wohnung mit SecondHand-Fundstücken, billigen Korb- und Pressspanmöbeln eingerichtet. Die dünne Matratze schlug lästige Falten, und das große Fenster zum Innenhof war mit eisernen Sicherheitsstreben vergittert. Für gewöhnlich hielt Amy die unschönen Vorhänge geschlossen, da sie sich den Blicken von fremden Passanten im Hof nicht aussetzen wollte. Hell und luftig konnte man das wahrlich nicht nennen. Ein paar wenige Stücke hatte sie aus ihrer Vergangenheit herüberretten können. Den Afghan-Teppich ihrer Großmutter, eine Vase aus dem Wohnzimmer ihrer Mutter, einige kostbare Spitzendeckchen, die sie sorgfältig weggepackt hatte. Eine Reihe von Fotoalben mit Bildern wie aus längst vergangenen Zeiten – dabei waren sie erst vor wenigen Jahren aufgenommen worden. Amy kam es wie eine Ewigkeit vor. Gefühlsmäßig hing sie sehr an diesen Dingen, genau wie an den Erinnerungen an ihre Heimat und ihre Familie. Ansonsten war ihr leider nichts davon geblieben. Mit ihrem eigenen Leben war es ihr nicht anders gegangen. Sie hatte die Energie verloren, auf bessere Zeiten hinzuarbeiten. An
manchen Tagen schien es ihr, als würde das immer so bleiben. Amy beschloss, ihr Stimmungstief zu beenden, und konzentrierte sich auf die Radiosendung. In der leuchtenden »Stadt der Engel«, in Los Angeles, gab es viele einsame Herzen, und heute hörten offenbar einige diesem Talk-Master mit seinem Programm »Die Stunde um Mitternacht« zu. »Für morgen Abend«, verkündete die warme und sanfte, körperlose Stimme aus dem Äther, »habe ich etwas Besonderes vorgesehen. Genau um Mitternacht – in der Stunde zwischen Traum und Tag, dieser magischen,’ unberechenbaren Stunde, in der alles geschehen kann – will ich etwas Neues versuchen, ein Programm mit Namen,Mitternachtsküsse’. Ich bitte Sie, liebe Hörer, hier anzurufen und mir Ihre geheimsten Fantasien, Ihre persönlichsten Gedanken mitzuteilen, die Sie vielleicht nicht einmal Ihren besten Freunden, Ihrem Mann oder Ihrer Frau gegenüber äußern würden. Fantasien, sexuelle und andere, die Sie seit langem hegen und nie den Mut hatten auszuleben.« Amy auf ihrem Doppelbett schloss die Augen. Sie streckte die Hand aus und streichelte das seidige Fell des cremefarbenen Pekinesen, der neben ihr lag. Ein Teil von ihr sehnte sich noch immer nach Fantasien. Sie dachte zurück an die langen, kalten Winter in Illinois, an die öden, farblosen Frühlinge mit dem bleigrauen Himmel, braunem Matsch und schmutzfarbenen Schneeresten. Sie hatte in der Geborgenheit ihres Elternhauses gesessen, aus dem Fenster geschaut und sich nach Farbe in ihrem Leben gesehnt. Nach Aufregung, Abenteuern. Sie wollte etwas vom Leben haben. Nachdem ihr Vater gestorben und Lenny in der Stadt aufgetaucht war, hatte sie dem Mann nur allzu bereitwillig seinen Egoismus nachgesehen. Er hatte Amy mit einem Berg Schulden sitzen lassen. Und deshalb hatte sie wahrlich keine Lust, es je wieder mit einem
Mann zu versuchen. Trotzdem waren da die Fantasien, die geheimen Sehnsüchte, die sie in halb wachen Zuständen überkamen und die allmählich unüberhörbar wurden. Sie warf sich auf ihrem unbequemen Bett herum, ohne das seidige Fell ihres kleinen Hundes loszulassen. Und sie dachte an Steve, an ihre Fantasien über ihn. Einen Augenblick lang war sie versucht, den Talk-Master in seiner neuen Sendung anzurufen. Gleichzeitig hatte sie Angst davor. Es war sicherer, in ihrer engen kleinen Welt zu bleiben, sich nicht in die Öffentlichkeit zu wagen – vorerst. Sie brachte es ja nicht einmal über sich, mit Steve im Lokal ein paar persönliche Worte zu wechseln, und wollte ihr Innerstes im Radio nach außen kehren? Kam gar nicht in Frage. Aber sie lauschte der Sendung weiter aufmerksam. Am nächsten Tag, ihrem einzigen arbeitsfreien Tag in der Woche, putzte Amy ihr Apartment, wusch Wäsche, erledigte den Großeinkauf und machte einen langen Spaziergang mit ihren Hunden, dem Pekinesen Ming und dem betagten Retriever Joe. Wenn sie ihr Auto gehabt hätte, wäre sie mit ihnen in den Griffith Park gefahren, um ihnen richtig Auslauf zu verschaffen. Aber ihr kleiner Wagen war in der Werkstatt, weil er neue Bremsbeläge brauchte. An diesem Tag schlief Steve bis mittags um eins. Er stand auf, duschte und rasierte sich, sah nach der Post und begann erst am Spätnachmittag zu arbeiten. Zusammen mit seinem Partner Martin spürte er einem verschwundenen Ehemann nach, dessen Frau fest annahm, dass er am Leben sei. Der Mann hatte offenbar seine Frau und die zwei kleinen Kinder einfach im Stich gelassen, dazu gab es verschiedene Gläubiger, die regelmäßig bei der Ehefrau vorsprachen. Bei ihren Nachforschungen waren Steve und Martin auf ein Haus gestoßen, in dem der pflichtvergessene Vater vermutlich wohnte. Nun mussten sie so unauffällig wie möglich das Haus beobachten, bis der Gesuchte auftauchte. Es war eine zähe, langweilige Aufgabe. Im Dunkeln konnten
sie im Wagen nicht lesen, sie durften überhaupt nichts tun, was die Aufmerksamkeit auf sie lenken könnte. Zum Glück gab es das Radio. Amy lag da und konnte nicht schlafen. Joe schnarchte auf dem Läufer neben ihrem Doppelbett leise im Schlaf. Seine Beine zuckten, wahrscheinlich träumte er von einer Jagd auf Eichhörnchen. Ming war noch wach und betrachtete Amy aufmerksam von seinem Sitz neben ihrem Kopfkissen, die schwarzen Knopfaugen in dem faltenreichen kleinen Gesicht ‘glänzten. Amy war unruhig. Sie konnte sich nicht aufs Lesen konzentrieren, aber auch nicht schlafen. Sie hatte die Wäsche sorgsam gefaltet und in die Schränke geräumt, die Lebensmittel waren ordentlich im Kühlschrank und in der Abstellkammer verstaut, sie hatte sogar das Stück Küchenfußboden geschrubbt. Eigentlich hätte sie müde sein und sofort einschlafen müssen, denn morgen wartete ein anstrengender Tag auf sie. Und trotzdem war sie hellwach. Amy fragte sich, was Steve wohl gerade machte. Vermutlich würde er kurz vor Mitternacht in Bud’s Cafe kommen und etwas zu essen bestellen. Sein Beruf als Detektiv kam ihr aufregend und romantisch vor. Viel spannender als Putzen bei Tag und Bedienen bis spät in die Nacht. Aber sie hatte es sich selbst eingebrockt. Wäre sie nicht so verliebt und so naiv gewesen, den Lügen ihres Ex-Mannes zu glauben, hätte sie ihm nicht gestattet, diese enormen Schulden zu machen, müsste sie jetzt nicht in zwei Jobs arbeiten, damit sie alles zurückzahlen konnte. Sie hatte an die Liebe geglaubt. Damals. Nie wieder. Amy drehte am Radio und stieß auf die Talksendung, die sie am gestrigen Abend verfolgt hatte. »Hallo, hier sind wir wieder mit der angekündigten ,Stunde um Mitternacht’. Und heute haben wir in dieser gefährlichsten Stunde etwas Besonderes vor. Zwischen Traum und Tag, zu
einer Zeit, in der alles passieren kann und oft genug auch passiert…« Sie belächelte die Schaumschlägerei des Talk-Masters. Aber es wäre lustig, einmal etwas Spannendes zu hören. Ihr Leben war so langweilig, dass sie sich manchmal wie lebendig begraben fühlte. »Heute Nacht«, fuhr der Moderator fort, »kann jedermann und jede Frau bei uns anrufen. Haben Sie bitte keine Scheu. Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten – Sie bleiben natürlich völlig anonym – und zwar über Ihre persönlichen Herzenswünsche. Unsere Nummer ist 555-KISS. Rufen Sie an, liebe Hörer, dies ist eine Neuheit in unserem Programm, wir nennen sie ,Mitternachtsküsse’. Lassen Sie uns über die Dinge sprechen, die sonst im Verborgenen bleiben.« Amy kraulte Mings Kopf. Der Pekinese grunzte zufrieden.
2. KAPITEL »Mitternachtsküsse?« wiederholte Martin und nahm einen Schluck von seinem ungefähr achten Kaffee. »Was soll das jetzt wieder sein?« »Es ist bestimmt interessanter, als hier herumzusitzen und auf einen feigen Ehemann zu warten«, bemerkte Steve, während er das kleine Holzhaus gegenüber beobachtete. »Vermutlich.« Martin, mit leichter Stirnglatze, ruhigen braunen Augen und von sanftem Wesen, griff in die weiße Papiertüte zwischen den Sitzen. »Du wolltest den Doughnut mit Glasur, richtig?« »Nimm dir, was du möchtest.« Martin nahm ein Schokoladen-Eclair und biss herzhaft hinein. Steve behielt indessen das Haus im Auge. Es war eine seltsame Nacht. Der Vollmond sah riesig aus, der Himmel war wolkenlos. Die Digitaluhr am Armaturenbrett des Lieferwagens zeigte Mitternacht an. Verrückte Dinge
geschahen um Mitternacht. Noch verrücktere Dinge geschahen bei Vollmond. Der Lieferwagen, in dem sie gegenüber dem fraglichen Haus saßen, war schmutzig-weiß – oder noch eher schmierig-grau – und hatte seit Monaten keine Autowaschanlage von innen gesehen. Die verblichene Aufschrift lautete: »Kammerjäger Kelly – Wir treiben jedes Ungeziefer aus!« Das hatte Steve beim Kauf des Wagens amüsiert, denn er und Martin jagten in der Tat eine Art Ungeziefer. Sie waren routiniert in Beschattungen jeder Art. Und das war ganz anders, als man es im Fernsehen oder im Kino sah. Es war öde. Zwar nicht gerade, wenn man hinter einem pflichtvergessenen Vater her war, aber normalerweise schon. Kinder hingen nun einmal an ihren Vätern und konnten nicht verstehen, warum Daddy einfach wegging und sich nicht mehr um sie kümmerte. Das Äußere des Lieferwagens wirkte schäbig und unauffällig, doch innen war er makellos und mit den allerneusten technischen Geräten ausgestattet. Einmal mehr dankte Steve seinem Partner im Stillen, dass er ein Genie im Umgang mit Computern, Kameras und sonstigen Apparaten war. Martin war kurz nach der Gründung als Partner in Steves Detektivagentur eingestiegen, und inzwischen verdienten sie beide besser als je zuvor. Sie hatten nur wenige Regeln aufgestellt, da sie vernünftige, verträgliche Menschen waren. Der Fahrgastraum des Wagens war zum Essen und Trinken vorgesehen. Martin hielt stets eine reiche Auswahl von Snacks griffbereit. Doch sobald sie sich in den hinteren Teil begaben – in ihr »mobiles Heim«, wie sie es nannten –, hatte die Arbeit Vorrang. Aber bei Überwachungen blieb einem nichts weiter übrig, als zu essen und Radio zu hören. Alles, was sie bei Laune hielt, war ihnen recht. Martin wischte sich Schokokrümel vom Mund. »Ich habe den Eindruck, du bist heute nicht ganz bei der Sache.«
Steve seufzte. Sein Partner kannte ihn viel zu gut. Steve hatte an Amy gedacht. »Aber ich nehme an, du willst nicht darüber sprechen.« Gerührt von Martins Taktgefühl, nickte Steve stumm. Amy blickte zum Telefon hinüber. Ob sie es wagen sollte? Das Knattern eines Hubschraubers knapp über den Dächern unterbrach ihren Gedankengang. Im Hof lachte jemand. Amy rührte sich nicht. Was sie an dieser riesigen Stadt am meisten störte, war die ständige Gegenwart anderer Menschen. In Los Angeles musste man sehr reich sein, um sich eine Privatsphäre zu erkaufen. Sie hatte im Radio einer jungen Frau zugehört, die sich beklagte, dass ihr Mann vor dem Zubettgehen Knoblauch aß, sowie einem verzweifelten Jugendlichen, der ausführlich die Launen seiner Freundin aufzählte. Der Talk-Master schien jedoch kein weiteres Gejammer hören zu wollen und flehte geradezu um Anrufer, die bereit waren, ihre geheimen erotischen Fantasien mitzuteilen. Mit fast unheimlicher Gelassenheit nahm Amy den Hörer ab und wählte 555-KISS. Sie musste einfach mit jemandem reden. Zu lange trug sie zu vieles mit sich herum. Vielleicht war dies der richtige Weg – in völliger Anonymität. Niemand würde je davon erfahren. Denn wer lauschte schon zu so nachtschlafender Zeit einer Talksendung im Radio? Sie wurde sofort durchgestellt und von dem leutseligen jungen Mann namens Frank herzlich begrüßt. »Möchtest du uns deinen Namen nennen?« fragte Frank. Steve trank einen großen Schluck schwarzen Kaffee und horchte. Erotische Fantasien. Das könnte interessant werden. Und würde ihn womöglich besser als Koffein wach halten. »Amy.« Er verschluckte sich. »Und was möchtest du uns erzählen, Amy?« Steve rang nach Luft. Er kannte diese Stimme. Und er wusste, was es eine zurückhaltende Frau wie Amy kosten
musste, sich in eine öffentliche Radiosendung zu wagen. »Ich glaube, ich weiß, was sich die meisten Frauen wünschen.« »Und woher weißt du das, Amy? Abgesehen davon, dass du auch eine Frau bist.« »Weil ich als kleines Mädchen ganz andere Vorstellungen von meiner Zukunft hatte.« »Du meinst, nicht den Jungen von nebenan heiraten, die statistischen 2,5 Kinder bekommen, das stadtnahe Reihenhaus mit Hund und Zweitwagen?« Frank stieg voll auf seine Anruferin ein. »Halt mal, den Hund habe ich.« Amy schwieg kurz und setzte dann hinzu: »Aber sonst nichts von alledem. Aber das heißt nicht, dass ich auf Kinder verzichten möchte.« »Sondern nur auf die Ehe«, riet Frank. »Kluger Knabe«, bemerkte Martin und biss in den für Steve vorgesehenen Doughnut, während er das Haus gegenüber mit einem Infrarotfernglas beobachtete. Martin liebte seine perfekte technische Ausrüstung über alles. »Ja… Kann sein«, erwiderte Amy. »Und wie kam es dazu?« Franks Stimme war warm und einschmeichelnd. »Das ist ziemlich langweilig. Die übliche Geschichte. Er sah gut aus, ich war über beide Ohren verliebt. Und bis ich merkte, dass mein Mann niemanden außer sich selbst liebte, war er schon weg und hatte mich mit einem Berg Schulden sitzen lassen.« »War da eine andere Frau im Spiel?« fragte Frank. Steve verspannte sich. Kein Wunder, dass Amy männerscheu war. »Das ist doch meistens so. Aber als ich ihm endlich auf die Schliche kam, war ich fast… erleichtert. Und das Mädchen tat mir Leid, denn sie würde letztlich dasselbe erleben wie ich.« Frank ließ eine Pause entstehen und sagte dann: »Lass uns
über deine Probleme reden, Amy.« Sie lachte. »Ich habe keine Männerprobleme, Frank. Mir geht’s gut. Ich habe mich entschieden – keine Beziehung, bis ich meine Schulden los bin, basta. Bis dahin genügen mir meine Fantasien.« »Wie hoch sind deine Schulden denn?« Sie nannte eine Summe. Martin pfiff durch die Zähne, und Steve zuckte zusammen. Selbst Frank schien es die Sprache zu verschlagen. »Amy, ich möchte auf das zurückkommen, was du anfangs sagtest – über die Wünsche der Frauen. Das interessiert mich, und unsere Zuhörer sicher auch. Was genau hast du damit gemeint: Ich glaube, ich weiß, was sich die meisten Frauen wünschen?« »Nun, ich denke… wenn man sechzehn ist und an einem Sommernachmittag in einer Hängematte in einer Kleinstadt in Illinois liegt, stellt man sich eben ein anderes Leben vor, als ich es hatte.« »Wie alt bist du, Amy?« wollte Frank wissen. » Sechsundzwanzig.« »Und wie hast du dir dein Leben vorgestellt?« »Ich weiß nicht, jedenfalls viel aufregender. Abenteuerlicher. Ich dachte, ich würde jeden Morgen aufwachen und mich auf den neuen Tag freuen. Und nicht, dass einer wie der andere wäre.« »Wo arbeitest du, Amy?« »Tagsüber putze ich, und abends bediene ich in einem Lokal.« »Und zahlst damit deine Schulden ab.« »Richtig.« »Unterstützt dein Ex-Mann dich dabei?« Steve beugte sich gespannt vor. Amy lachte. »Der Kerl hatte gefälschte Papiere. Ich weiß nicht einmal, ob sein Name echt war. Ich habe keine Ahnung, wo er ist und mit wem er was treibt. Nein, Lenny
hilft mir nicht, seine Schulden abzutragen.« »Wow. Das ist hart.« »Ja, aber ich komme klar. In drei Jahren habe ich es geschafft und kann neu planen. Vielleicht mache ich noch eine Ausbildung oder so.« »Aber momentan siehst du nur Arbeit, Arbeit und noch mal Arbeit vor dir.« Franks Stimme war sanft. Steve umklammerte den Kaffeebecher und starrte auf das kleine heruntergekommene Haus gegenüber. Aber er war mit Herz und Seele bei Amy. »Ja, das…« Ihre Stimme drohte zu kippen. Nach einer Pause hörte Steve sie sagen: »Das ist es wohl mehr oder weniger.« »Gibt es einen neuen Mann in deinem Leben, Amy, oder trauerst du deinem Ex noch nach?« Steve hielt den Atem an. Er spürte, wie auch Martin von Amys Geschichte gefangen genommen war und gespannt zuhörte. »Nein, keinen… Oder doch, da ist einer, aber über den möchte ich hier nicht sprechen.« »Gut, gut. Ich freue mich, dass du jemanden hast, mit dem du reden kannst. Jetzt zu dem, was Frauen wünschen. Könntest du unseren Hörern etwas mehr darüber erzählen?« »Ich wünsche mir Abenteuer.« »Schön.« »Ich möchte losziehen und etwas richtig Wildes erleben.« »Genau!« Jetzt kam Frank direkt auf Touren. »Ich habe das normale Leben satt, immer nur nett sein und nichts weiter. Ich meine, ich bin ja ein netter Mensch, aber hin und wieder sehne ich mich nach einem Abenteuer.« »Und dieses Abenteuer hat mit einem Mann zu tun?« forschte Frank. »Vielleicht ein paar Küsse um Mitternacht?« Amy zögerte kurz und gab dann zu: »Ja.« »Und mit was für einem Mann?«
»Mit einem, der keine Angst vor Gefühlen hat. Der sich voll einlässt.« Steve hörte so gebannt zu, dass er fast vergaß zu atmen. »Das klingt gut«, sagte Frank. »Und jetzt vergiss deine Hemmungen und beschreibe uns deinen Traummann, ja?« »Okay.« Steve lächelte in sich hinein. Er hatte den Eindruck, dass Amy sich wirklich losließ und die Sache genoss. »Er kommt vor gefahren und holt mich ab…« »In einem schlichten Auto, Amy?« hakte Frank nach. »Na ja…« »Komm, dies sind deine Fantasien«, lockte Frank mit seiner weichen Stimme, um sie zu ermutigen. »Du kannst dir alles vorstellen, es kostet ja nichts.« »Also gut…« Steve kroch förmlich in den Apparat. »Er holt mich mit einer eleganten Limousine ab.« »Schwarz oder weiß?« wollte Frank wissen. »Schwarz, das hat mehr Stil. Und keine von diesen überlangen, einfach eine Limousine.« »Du steigst also zu ihm ein«, meinte Frank auffordernd. »Oh nein. Er ist nicht darin. Der Chauffeur kommt an meine Tür und sagt, dass der Wagen bereit steht, und ich gehe mit ihm hinaus. Er öffnet die Tür, und da liegt eine rote Rose auf dem Sitz. Nur eine einzelne Rose. Mit einer Notiz, die besagt, wie sehr dieser Mann sich auf den Abend mit mir freut, wie gern er mich glücklich machen möchte.« »Stark«, sagte Frank leise. »Stark«, wiederholte Martin leise und nahm einen großen Schluck Kaffee. Steve horchte aufmerksam. Als erfahrener Detektiv, der er war, achtete er sorgfältig auf jede Einzelheit. Aus Kleinigkeiten entwickelte sich oft mehr, und in seinem Kopf begann ein Plan Gestalt anzunehmen. Und er hoffte, Amy würde ihm alle Einzelheiten liefern, die er zur Ausführung brauchte. »Und dann«, hakte Frank behutsam nach – für Steve stand
fest, dass der Talk-Master sein Handwerk verstand, denn er hütete sich, Amy aus ihrer Träumerei aufzurütteln. »Wie geht es weiter?« »Ich fahre durch die nächtliche Stadt«, erzählte Amy. »Los Angeles ist bei Nacht ein einziges Lichtermeer. Im Wagen ist es still, die Verkehrsgeräusche sind kaum wahrnehmbar. Wir kommen zu einem Restaurant…« »Was für eins?« fragte Frank. »Ein Spezialitätenlokal?« »Ein Italiener«, erklärte Amy sofort. »Ein kleines, romantisches Lokal am Meer. Der Mann, der mich eingeladen hat, wartet drinnen. Ich gehe hinein, und er hat den ganzen Speiseraum gemietet, nur ein Tisch ist gedeckt, am Fenster. Die Beleuchtung besteht aus lauter Kerzen, nichts sonst. Der Mann führt mich zum Tisch, rückt mir den Stuhl zurecht, er hat ausgezeichnete Manieren. Er küsst mich auf die Wange, aber er spricht kein Wort.« »Reich und blöd, das wollen die Frauen«, murmelte Martin. Steve wusste, dass Martin sich kürzlich von seiner Frau getrennt hatte und dass ihre Streitereien sich meistens um Geld gedreht hatten, und so enthielt er sich jeglicher Bemerkung. »Wir geben die Bestellung auf«, erzählte Amy weiter, »und er sagt mir, wie hübsch ich aussehe. Da ist diese… Du weißt schon, diese Spannung zwischen uns. Ich bringe kaum etwas hinunter, mein Magen flattert regelrecht, denn während des ganzen Essens denken wir an das, was anschließend kommt.« Steve zermalmte fast den Kaffeebecher zwischen seinen Fingern. Wie konnten der Klang dieser Stimme und diese Beschreibung ihn dermaßen erotisieren? Er sah die Szene direkt vor sich, Amy ihm gegenüber, das Haar elegant aufgesteckt, in einem knappen, sexy Kleid mit freiem Rücken und auch vorn herzlich wenig. Er hatte Mühe, sich auf das Haus gegenüber zu konzentrieren, im Geist war er mit Amy in dem italienischen Lokal.
»Schafft ihr es überhaupt bis zum Dessert?« warf Frank ein. »Oh, er bedrängt mich keineswegs, obwohl wir beide wissen, wie der Abend enden wird… enden muss. Er lässt mich jede Minute genießen. Wir nehmen einen Kaffee zum Abschluss, Cappuccino. Und Tiramisu zum Nachtisch, eine italienische Spezialität.« »Kenne ich«, meinte Frank. »Möchtest du uns erzählen, wie dein Traumabend weitergeht, oder wäre das zu persönlich?« Amy zögerte. »Keine Angst, Amy.« Er sprach beruhigend auf sie ein wie auf ein scheues Pferd, das kurz vorm Ausbrechen war. »Du hast deinen Nachnamen nicht genannt, du bist anonym. Und ich bin sicher, viele unserer Zuhörerinnen haben ähnliche Fantasien.« »Ich weiß.« Trotzdem schien sie Hemmungen zu haben. Steve hielt den Atem an. »Vorwärts, Amy«, murmelte Martin kaum hörbar. »Wir… wir tanzen«, sagte Amy schließlich. »Tanzen?« wiederholte Frank sichtlich enttäuscht. Er hatte offenbar mehr erwartet. »Wir tanzen. Für mich gibt es nichts Romantischeres, als nach einem schönen Essen zu tanzen. Aber dieses Tanzen ist eher… eine Art Vorspiel.« »Ich verstehe.« Frank klang erleichtert. »Erzähl weiter.« »Wir tanzen also. Wir… heben irgendwie ab. Er küsst mich, und es ist… einfach himmlisch.« »Oh ja«, warf Frank ein. »Wieso macht er gar keine Werbepausen?« meinte Martin nüchtern. Steve bedeutete ihm zu schweigen. Er hatte es aufgegeben, das Haus zu beobachten, und ließ sich voll und ganz von der Sendung gefangen nehmen. »Und gibt es nach dem Kuss noch ein paar heiße Tanzeinlagen?« wollte Frank wissen.
»Nein, wir fahren in der verdunkelten Limousine zurück in die Stadt. Und wir können uns kaum mehr beherrschen. Auf dem Rücksitz schlafen wir fast miteinander, aber er schürt nur mein Verlangen, er hält mich hin…« »Das ist ja nicht zum Aushalten«, sagte Martin. Das kann ich so gut nachfühlen… Steve schloss die Augen und horchte nur auf Amys Stimme. »Dann sind wir bei seiner Wohnung, und er trägt mich zur Tür, stößt sie mit dem Fuß auf und bringt mich die Treppe hinauf in sein Schlafzimmer. Er wirft mich aufs Bett, zerrt meine und seine Kleidung weg und… wir lieben uns.« »Wow«, sagte Frank. »Wow«, wiederholte Martin. »Warum begegnet mir nie so ein nettes, unkompliziertes Mädchen?« »Danke, Amy, dass du uns an deinen Fantasien hast teilhaben lassen«, meinte Frank. »Du warst ein Super-Start für unsere , Mitternachtsküsse’.« »Ich danke dir auch, Frank«, erwiderte Amy, plötzlich schüchtern und unsicher. »Ich glaube, es hat mir gut getan, das jemandem zu erzählen.« »Ja, das kann ich verstehen. Viel Glück, Amy. Und sieh zu, dass du den Mann deiner Träume nicht aus den Augen verlierst…« Steve bemerkte aus dem Augenwinkel eine Bewegung bei dem Haus gegenüber. »Martin! Er kommt!« »Was?« Sein Partner war offensichtlich in Gedanken bei italienischen Restaurants am Meer und verdunkelten Limousinen. »Der verschwundene Ehemann taucht aus der Versenkung auf.« »Stimmt, Mann.« Sie stiegen aus und schlichen sich von verschiedenen Seiten an ihr Opfer heran. Momentan stellte Steve jeden Gedanken an Amy zurück, denn hier ging es um einen verantwortungslosen Vater, den sie zur Rechenschaft ziehen
mussten. Später an diesem Abend – oder eher am frühen Morgen fiel Steve erschöpft ins Bett. Sie hatten den treulosen Ehemann gestellt und den Behörden übergeben. Doch bevor Steve in den lang entbehrten Schlaf sank, fragte er sich, was er wegen Amy unternehmen sollte. Er wusste zwar, was er wollte, aber ob das für sie das Richtige war? Es war klar, dass sie nach den Erfahrungen mit jenem miesen Kerl nicht auf eine feste Beziehung aus war. Aber Steve hatte ihre tiefe Sehnsucht gespürt, als sie ihre Fantasien beschrieb. Und den Schmerz, als sie von ihrem gegenwärtigen Leben berichtete. Er hatte auch vernommen, dass sie sich absolut auf keinen Mann einlassen würde, ehe sie nicht ihre Schulden abbezahlt hätte – genau 26.000 Dollar! Deshalb also hatte sie mehrere Jobs. Es war geradezu ein Wunder, dass sie noch Lust hatte, ihm spät abends in Bud’s Cafe zuzulächeln. Er stellte sich ihren Alltag vor und fragte sich, wieso es in dieser Welt solche Amys neben Männern wie solchen Lennys gab. Die Lennys verließen beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten wie Ratten das Schiff. Die Amys hielten Stand, kämpften, passten sich an. Sie waren sogar bereit, hinter den Lennys aufzukehren. Steve starrte an die Decke. Er konnte nicht schlafen, weil er dauernd an Amy denken musste. Er bewunderte sie, ihre Energie, ihren Mut in dieser schwierigen Lage. Die Bewunderung schlug bald in Begehren um. Und über seinen erotischen Fantasien glitt er endlich in glückseligen Schlummer. Während Steve am nächsten Morgen duschte und sich rasierte, fasste er einen Entschluss. Amy würde ihre Fantasien mit keinem anderem ausleben als mit ihm. Das würde allerdings etwas Aufwand kosten und eine gewisse Planung erfordern. Aber er hatte im Lauf der Zeit ein paar
Geldforderungen auflaufen lassen, die er jetzt einlösen konnte. Er stellte fest, dass es ihm mehr um ihre Bedürfnisse ging als um seine. Vor allem wollte er ihrem Leben neuen Glanz geben, die Sorgenfalten von ihrer Stirn wischen, sie zum Lachen bringen. Er wollte mit ihr ans Meer fahren, mit ihr nett essen, mit ihr tanzen und… Das »und« war das Problem. Aber das zu lösen würde er ihr überlassen. Steve lächelte sich im Spiegel zu, als er mit dem Rasieren fertig war. Sein detektivisches Gespür sagte ihm, dass es ein außergewöhnlicher Abend werden würde. Am nächsten Abend im Lokal machte Amy sich Sorgen, dass Bud womöglich während der letzten Nachtschicht das Radio angestellt hatte. Doch niemand machte eine Bemerkung über eine Frau namens Amy, die den Zuhörern ihr Herz ausgeschüttet hatte. Steve kam zur gewohnten Zeit herein, er wirkte müde und mitgenommen. Doch in seinem Blick war ein Glimmen, das Amy vermuten ließ, dass er einen außergewöhnlichen Erfolg zu verbuchen hatte. »Sie sehen heute sehr zufrieden aus«, sagte sie, während sie ihm eine weitere Tasse Kaffee zu dem Kirschkuchen, den er gerade verspeiste, einschenkte. »Ich gehe einen ganz besonderen Fall an.« »Jemand Wichtiges?« »Jemand sehr Wichtiges«, erwiderte er. »Wie schön.« Amy war stolz auf sich, weil sie eine echte Unterhaltung mit diesem Mann führte, die sich nicht nur um das Wetter oder seine Bestellung drehte. »Ich hoffe, es läuft gut. Nach Ihren Vorstellungen, meine ich.« Steve lächelte in sich hinein, und zwar so sexy und selbstgewiss, dass ihr fast die Kaffeekanne aus der Hand gefallen wäre. Während sie in die Küche zurückging, fragte sie sich kurz, wie wundervoll es sein musste, wenn sie die Frau in
Steves Leben wäre und dieses Lächeln ihr gegolten hätte. Steve folgte Amy an diesem Abend bis nach Haus, allerdings ohne sich bemerkbar zu machen. Er notierte sich den Straßennamen und die Hausnummer. Er hatte bereits einiges in die Wege geleitet und plante, Amys Fantasien an ihrem nächsten freien Tag Wirklichkeit werden zu lassen. Alles würde genauso sein, wie sie es im Radio beschrieben hatte. Sie sollte genau das bekommen, wonach sie sich sehnte – und ihn natürlich auch. Doch in erster Linie lag ihm daran, sie glücklich zu machen, denn sie schien momentan nicht gerade vom Glück verwöhnt zu werden. Und es lag in seiner Hand, das zu ändern.
3. KAPITEL An ihrem nächsten freien Tag hörte Amy ein Klopfen an der Tür ihres Apartments. Sie blickte zur Uhr. Halb vier. Sie erwartete keinen Besuch. Mit dem gebotenen Misstrauen, das eine allein lebende Frau in der Großstadt haben musste, ließ sie die Türkette vorgelegt und öffnete vorsichtig. Ein Mann in Uniform stand draußen. Sein Lächeln war gewinnend, Vertrauen einflößend. Er war Mitte zwanzig, hatte ein frisches, offenes Gesicht und dichtes blondes, gut geschnittenes Haar. Wie so viele junge Männer in Los Angeles schien er ein beschäftigungsloser Schauspieler zu sein, der sich mit einem Zweitjob über Wasser hielt. »Amy Robbins?« »Das bin ich.« »Mein Name ist Tim, und ich bin heute Abend Ihr Chauffeur.« Sie spürte, wie ihr die tiefe Röte in die Wangen stieg, die nur bei Rothaarigen so intensiv vorkommt. »Soll das ein Witz sein?« »Keineswegs. Meinem Auftraggeber ist es absolut ernst. Und ich soll Ihnen das hier geben.« Tim hielt ein cremefarbe-
nes Kuvert und eine rote Rose hoch. »Er sagte, Sie sollen sich bitte Zeit lassen, um sich fertig zu machen. Aber wenn Sie keine Lust haben, brauchen Sie es nur zu sagen, und ich gehe.« Verblüfft hakte Amy die Türkette aus und nahm den Brief und die Rose entgegen. Ihre Fantasie. Jemand hatte die Radiosendung gehört. Aber wer hatte sie als diese eine Amy erkannt? Bud? Unwahrscheinlich. Ihre Kolleginnen Linda und Alexis? Die beiden waren um einiges älter, verheiratet, und sie zogen Amy leise wegen ihres nicht vorhandenen Liebeslebens auf. Aber würden sie bei ihrem schmalen Verdienst auf so eine Idee verfallen? Und wen würden sie anheuern, den Traumpartner zu spielen? Plötzlich erinnerte sie sich an Steves Lächeln. »Ich gehe einen ganz besonderen Fall an…« Ihr Puls beschleunigte sich. »Jemand sehr Wichtiges…« Plötzlich war sie sich absolut sicher, dass es so war. Steve. »Steve?« fragte sie und sah den Chauffeur an. »Sie meinen Mr. McKnight? Ja. Ehrlich gesagt, ich finde, Sie sollten Erbarmen mit dem Mann haben, er möchte wirklich gern heute Abend mit Ihnen ausgehen. Er sagte, ich sollte auf jeden Fall auf Ihre Antwort warten. Es sei denn, Sie sagten sofort nein, und dann sollte ich sofort gehen und Sie nicht weiter behelligen.« Er beugte sich vor und flüsterte: »Aber lassen Sie den Ärmsten bitte nicht hängen.« »Wissen Sie, wohin er mit mir gehen möchte?« Sicherheitshalber musste sie nachfragen. »In ein kleines italienisches Restaurant in Malibu.« Er schenkte ihr ihren Traum. Ihre geheimsten Fantasien. Er hatte sie im Radio gehört. Er hatte echt zugehört. Das Schicksal hatte gewollt, dass er ausgerechnet den Sender eingestellt hatte, der ihre heimlichen Wünsche in den Äther schickte. Und nun wollte Steve, dass sie ihre Fantasien auslebte.
Mit ihm. »Würden Sie… würden Sie bitte fünf Minuten warten, bis ich Ihnen meine Antwort gebe?« »Klar«, meinte der Chauffeur und lächelte breit. »Vielleicht auch zehn?« »Kein Problem.« Amy schloss die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen, das Kuvert und die Rose in der Hand. Und dann lachte sie laut heraus. Es waren die längsten und zugleich die kürzesten zehn Minuten in Amys Leben. Ein Teil von ihr – die rein instinktive Seite, die sie zu dem Anruf beim Sender aufgestachelt hatte – sagte, dass sie alle Vorbehalte in den Wind schlagen und es einfach tun sollte. Auf der anderen Seite zögerte sie und machte sich klar, wie gewagt, wie heiß ihre Fantasien geworden waren. Sie war sich nicht sicher, ob sie mit Steve so weit gehen wollte. Andererseits hatte sie genau von ihm geträumt. Und dann dachte sie an ihren Ex-Ehemann, an den überwältigenden Schmerz, als sie erkennen musste, dass sie sich mit Leib und Seele einem Menschen hingegeben hatte, der es einfach nicht wert gewesen war. Aber Steve war ganz anders. Amys Instinkte wehrten sich mit Macht. Sie arbeitete seit Monaten in Bud’s Cafe, und Steve war ein Stammgast. Die anderen Bedienungen mochten ihn. Bud mochte ihn. Bud… Mit bebenden Fingern wählte sie die Nummer des Lokals. Bud nahm sofort ab. »Bud’s Cafe.« »Bud, fändest du es in Ordnung, wenn ich mit Steve ausginge?« »Amy?« »Ja.« »Ich finde, du solltest endlich Erbarmen mit dem Knaben haben.«
Ihr Puls ging noch schneller, denn sie wusste bereits, wie sie entscheiden würde. »Kann ich ihm vertrauen?« flüsterte sie rau. »Ja. Er ist ein anständiger Kerl. Geh mit ihm aus und amüsier dich, okay?« »Okay. Und Bud – ich würde Linda und Alexis gern selbst davon erzählen, ja?« »Alles klar. Ich schweige wie ein Grab.« Bud legte auf, und Amy griff nach dem Kuvert. Sie hatte die Rose in einer Vase auf ihren Nachttisch gestellt und den Brief daran gelehnt. Zuerst hatte sie Bud anrufen müssen, denn sie ahnte, wenn sie den Umschlag gleich geöffnet hätte, wäre sie verloren gewesen. »Er ist ein anständiger Kerl. Er ist ein anständiger Kerl. Er ist…« Im Geist wiederholte sie die Worte wieder und wieder, während sie das Kuvert aufmachte und die Karte herausnahm. Steves Handschrift war kühn und schwungvoll.
Liebe Amy, Ich möchte dir einen deiner Träume erfüllen. Für den Wagen und das Restaurant am Meer sorge ich. Alles Weitere liegt bei dir. Steve
Genau, wie sie vermutet hatte – sie war verloren. Amys Freundin Mary Lynn, die auf demselben Flur wohnte, war Kosmetikerin. Amy hatte sie vor einiger Zeit im Waschraum der Wohnhauses kennen gelernt, und jetzt war sie froh, in ihrer Aufregung jemanden um Hilfe bitten zu können. »Natürlich schminke ich dich. Ich bin sofort bei dir. Was willst du anziehen?« Amy überlegte. Sie besaß im Grunde nichts, das für so einen Anlass geeignet war. Doch wie im Märchen von Aschenbrödel wurde ihr Problem in Sekundenschnelle gelöst. Als der Chauffeur Tim exakt zehn Minuten später wieder auftauchte, trug er einen großen, flachen Karton mit einer gewaltigen roten Schleife vor sich her. »Für den Fall, dass Sie Ja sagen«, meinte er mit einem netten Grinsen.
»Was ist das?« fragte sie, aber sie ahnte es bereits. »Eine Überraschung. Machen Sie mal auf.« Das tat sie. Das Kleid war absolut umwerfend – eng und schwarz und verteufelt sexy, genau das Richtige, um eine Nacht durchzutanzen. Und viel, viel schöner als alles, was sie je besessen hatte. Auf der beiliegenden Karte stand: Dich in diesem Kleid zu sehen ist einer meiner Träume. Sag bitte ja. »Er lässt wirklich nichts aus«, bemerkte Tim. »Der Mann ist zu bewundern.« Amy fasste ihren Entschluss, und der hatte nichts mit dem Kleid oder der Rose zu tun, sondern mit dem Brief – und diesem wunderbaren Mann. »Können Sie mich um sechs abholen?« fragte sie. »Meinen Sie wirklich so früh?« »Wieso?« Tim setzte sein schönstes Lächeln auf. »Ich finde, Sie sollten mit dem Burschen ausgehen, aber machen Sie es ihm nicht zu leicht. Wie wäre es um sieben? Dann vermeiden wir den Berufsverkehr und sind gegen halb acht an der Küste. Genau die richtige Zeit, würde ich sagen.« »Ich glaube, der Mann hat Recht«, ließ Mary Lynn sich vernehmen. Die zierliche Blondine hantierte im Hintergrund mit Tuben, Tiegeln und Puderquasten. »Also gut, um sieben«, entschied Amy. Steve saß im Restaurant und sagte sich, wie nützlich doch Freunde waren. Carmine schuldete ihm einiges, und so hatte der italienische Wirt nicht mit der Wimper gezuckt, als Steve ihn fragte, ob er das höchst exklusive Lokal einen Abend lang für sich haben könnte – ohne andere Gäste. »Das muss eine besondere Lady sein, eh?« meinte Carmine. »Allerdings.« Und jetzt saß Steve auf dem Balkon des Restaurants, der auf den Pazifik hinausging. Über ihm kreisten Möwen, und der frische, salzige Meeresgeruch stieg ihm in die Nase. Aber ihn
beschäftigte nur eine einzige Frage: Hatte Amy seine Einladung angenommen oder nicht? Sein Handy klingelte. »Steve«, meldete er sich knapp. »Hier ist Tim. Sie war echt verblüfft, aber sie kommt.« Steve stieß einen erleichterten Seufzer aus. »Wunderbar. Wann werdet ihr hier sein?« Erstaunt stellte er fest, dass er total nervös war. Er wünschte sich so sehr, dass dieser Abend für Amy ein unvergessliches Erlebnis werden würde. »Ich hole sie um sieben ab. Sie braucht ein wenig Zeit, um sich fertig zu machen. Wenn der Verkehr nicht allzu dicht ist, sind wir in dreißig, vierzig Minuten da.« »Sind die Blumen im Wagen?« Tim lachte. »Alles bestens.« Als Mary Lynn mit dem Make-up fertig war, erkannte Amy sich kaum wieder. Aber es war kein billiges Kaufhaus-Styling. Sie sah hinreißend aus. »Toll, was du mit meinen Augen gemacht hast«, sagte sie. »Das hat etwas Katzenhaftes.« »Bloß ein bisschen Lidschatten und Lidstrich«, meinte Mary Lynn. »Ich kümmere mich um deine Hunde, falls es bei dir später werden sollte. Du siehst perfekt aus, das Kleid ist echt super. Und jetzt lauf los und zwing den Mann in die Knie.« In der dunklen, stillen Limousine dachte Amy an den Abend, der vor ihr lag. Eine einzige Frage ging ihr durch den Kopf: Sollte sie in dieser Nacht mit Steve schlafen? So, wie sie auf seine leichtesten Berührungen reagierte, wusste sie einfach, dass es schön werden würde. Und trotzdem… Die sexuelle Beziehung mit ihrem Ex-Mann war zunächst aufregend gewesen, das konnte sie nicht leugnen, und doch hatte Lennys Egoismus später alles überschattet. Diesen wichtigen Teil von sich hatte sie total abgeschüttet, und nun sehnte sie sich danach zurück. Sie ahnte, dass Steve ihr helfen könnte, ihre Sinnlichkeit wieder zu erwecken. Sie schloss die Augen und ließ sich in den Ledersitz sinken. Das Innere des Luxuswagens war erfüllt von Blumenduft – von
dem Dutzend langstieliger roter Rosen, das sie auf dem Sitz vorgefunden hatte. Dazu eine Bar mit mehreren Flaschen des teuersten Champagners. Sie hatte Tim gebeten, eine zu öffnen, und sie trank nun davon. Die spritzigen Bläschen kitzelten ihr in der Nase. Nur ein paar Schlucke, sagte sie sich, zum Mutmachen. Sie nahmen die Stadtautobahn zur Küste nach Santa Monica, und Amy schloss die Augen und versuchte, ihr Herzklopfen zu besänftigen. Steve wollte sie ja nur zum Essen ausführen – und mehr nicht. »Alles Weitere liegt bei dir…« Ja, sie würde sich endlich alle Wünsche erfüllen, und wenn es das einzige Mal in ihrem Leben sein sollte. Endlich einmal würde sie nicht bloß das nette Mädchen von nebenan sein. Amys Anblick brachte Steve aus der Fassung. Total. Als sie das Restaurant betrat, stellte er fest, dass das winzige schwarze Nichts von Kleid, das er für sie ausgesucht hatte, knapp das Nötigste verbarg. Es ließ viel Bein sehen, viel nackten Rücken und vorn so viel, dass es einen Mann fast um den Verstand bringen konnte. Dazu die hohen Absätze. Sie trug ihr feuerrotes Haar genauso, wie er es sich in seiner Fantasie vorgestellt hatte, aufgesteckt, aber mit ein paar losen Strähnen, die ihr Gesicht umrahmten. Bei Amy wirkte das nicht streng, sondern einfach… stilvoll, elegant. An der Tür zögerte sie, und Steve ahnte, warum. Sie hatte ein normales Restaurant erwartet, mit anderen Gästen um sie herum. Dass ihre Träume bis aufs i-Tüpfelchen erfüllt werden würden – der Einzeltisch am Fenster mit Blick aufs Meer und umgeben von Kerzen, sie beide als einzige Gäste –, damit hatte sie bestimmt nicht gerechnet. »Amy«, sagte er rau, als sie auf ihn zukam. Er erinnerte sich rechtzeitig, dass ihr Traumpartner nicht viel redete, führte sie schweigend an den Tisch und rückte ihr den Stuhl zurecht. Doch einen Satz konnte er sich nicht verkneifen: »Du siehst absolut hinreißend aus.« In Amys Fantasien war der Mann namenlos, gesichtslos
geblieben. Jeder x-Beliebige wäre ihr recht gewesen, solange er sie nur vergötterte. Aber bei der Beschreibung ihrer Träume in der Radiosendung hatte sie an Steve gedacht. Doch die Wirklichkeit im Kerzenschein dieses EdelRestaurants war noch viel schöner. Sie fragte sich, was er wohl von ihr halten mochte. Seine Fingerspitzen berührten leicht ihre nackten Schultern, als sie sich setzte, und es war wie ein Stromschlag. Irgendwo hatte sie gelesen, dass jeder Mensch ein elektrisches Feld besaß, aber diese Reaktion war schlicht… sensationell. Auf einmal war ihr, als müsste sie in diesem verschwiegenen, nur von Kerzen erhellten Raum inmitten dieser traumhaften Szenerie in Tränen ausbrechen. Der Strand draußen mit seiner sanften Brandung war von wenigen, geschickt platzierten Lampen beleuchtet. Amy blickte auf den Ozean und sah in eine endlose schwarze Weite, in der irgendwo das Wasser in den Horizont überging. Sie wandte sich Steve zu. Umwerfend – das war die einzig richtige Bezeichnung. In seinem dunklen Anzug und dem weißen Hemd sah er absolut umwerfend aus. Das Haar hatte er sich für diesen Anlass zwar nicht schneiden lassen, aber das gefiel ihr besonders. Diese etwas legere Note machte ihn ihr vertrauter. Das Weiß seines Hemds betonte seine dunkle Haut. Und die Art, wie er sie ansah, als der Ober an den Tisch trat, verschlug ihr den Atem. Was sie fürchtete, waren weniger Steves Absichten als vielmehr ihre eigenen. »Wein?« fragte Steve. Amy nickte. Sie kannte sich mit guten Weinen nicht aus und sah stumm zu, wie der Kellner eine Probe in Steves Glas goss, auf die Bestätigung wartete, dann ihre Gläser füllte und diskret verschwand. »Bist du ein Weinkenner?« »Nein«, bekannte er. »Ich will dich damit nicht beeindrucken. Aber ich weiß, wie man sich benimmt. Und ich weiß, dass Carmine einen exzellenten Weinkeller besitzt.« »Ist dieser Carmine ein Freund von dir?«
»So kann man es nennen.« Steve hielt kurz inne und meinte dann: »Ich dachte, in deinen Fantasien würde nicht viel geredet.« Amy merkte, wie sie rot wurde. »Das stimmt schon, aber wenn du nichts dagegen hast, würde ich mich gern mit dir unterhalten.« Der Gedanke, mit einem völlig Fremden den Abend zu verbringen, behagte ihr nicht. Sie wollte mehr von Steve wissen. »Du bestimmst das Thema«, sagte er leise. Sie griff nach ihrem Weinglas. »Ganz einfach – du.« »Frag mich, ich bin wie ein offenes Buch.« »Wo leben deine Eltern?« »Sie sind bei einem Autounfall umgekommen.« »Oh nein.« Sofort tat ihr die Frage Leid. »Mach kein Drama daraus, das ist lange her.« »Wer hat sich um dich gekümmert?« Sie stellte sich Steve als einsames, hilfloses Kind vor. »Die Behörden.« Er nannte ein Waisenhaus in einer ärmeren Gegend von Los Angeles. »Oh, Steve«, sagte sie unsicher. »Was denn, ich hatte zu essen und ein Dach über dem Kopf.« »Aber schön war das sicher nicht.« »Ich kannte nichts anderes.« Er nahm einen Schluck Wein. Amy zögerte. Sie wollte das Thema wechseln. »Und wie bist du Detektiv geworden? Bud meinte, du wärst bei der Polizei gewesen.« »Stimmt.« Er machte eine Pause. »Ich hatte eine Knieverletzung. Ich fiel einen Abhang hinunter, als ich einen Kerl angriff, es sah echt böse aus. Nach der Operation war ich nicht mehr voll einsatzfähig. Also beschloss ich, eine eigene Firma zu gründen.« Amy war zutiefst beeindruckt. Der Ober war verschwunden, nachdem er ein Tablett mit Appetithappen abgesetzt hatte. Sie nahm eine Olive. »Du bist also zufrieden?«
»Ja, mir gefällt es so.« »Hört sich aufregend an.« »Das ist es hin und wieder«, meinte er. »Jedenfalls besser als Putzen.« »Soll ich den Knaben für dich ausfindig machen?« Amy begriff nicht gleich, dass er ihren Ex-Mann Lenny meinte. »Könntest du das denn?« »Ich könnte es versuchen.« Amy überlegte. So manche Nacht, wenn sie im Bett lag und wegen der unbezahlten Rechnungen nicht schlafen konnte, hatte sie sich ausgemalt, ihren Ex-Mann zu fassen und ihn für seine Schulden zur Verantwortung zu ziehen. Und nun schien Steve auch diese Träume wahr werden zu lassen. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Selbst wenn er vor Gericht gestellt würde, hätte er Tricks, um sich herauszuwinden. Er würde ins Ausland gehen oder so. Ich denke, für mich ist es einfacher, alles abzuzahlen und neu anzufangen.« Steve trank einen Schluck Wein, während der Ober die Salate servierte. »Du imponierst mir, Amy. Du bist eine starke Frau.« Der Salat überraschte sie, denn sie hatte keinen bestellt. »Ich habe mir erlaubt, für uns beide zu bestellen«, erläuterte Steve. »Auf Carmines Speisekarte muss man sich nämlich auskennen.« Er runzelte besorgt die Stirn. »Du magst hoffentlich Meeresfrüchte?« »Für mein Leben gern.« Erleichtert lehnte er sich zurück. »Dann ist ja alles bestens.« Schweigend machten sie sich über den Salat und die anschließende Minestrone her. Dann hatte Amy genug Mut, die Frage zu stellen, die sie von Anfang an beschäftigte. »Wieso hast du mich eigentlich im Radio gehört?« Nervös hantierte sie mit ihrer Serviette. »Ich meine, woher wusstest du, dass ich das war?« »Na, zuerst von deinem Namen. Und dann erkannte ich deine Stimme.« Sein Blick war warm, bewundernd. »Warst du zu Hause?«
»Nein, mein Partner und ich beschatteten jemanden in der Stadt.« »Oh. Ihr hört also unterwegs Radio.« »Es hilft uns über die endlose Zeit des Wartens hinweg.« Er lächelte verschmitzt. »Im Gegensatz zur allgemeinen Auffassung und dem, was Fernsehserien vermitteln, ist Detektivarbeit nämlich eigentlich ziemlich langweilig. Aber letzten Endes zahlt es sich aus.« »Habt ihr die Person wenigstens geschnappt?« »Allerdings.« »Was für ein Fall war das? Oder darfst du nicht darüber reden?« »Doch. Der Mann schuldete seiner Frau eine Menge Geld und…« Steve unterbrach sich, und Amy wurde rot vor Scham. Wenn er das ganze Radiogespräch gehört hatte, wusste er, wie hoch sie verschuldet war. »Ich habe die Schulden nicht gemacht, sondern nur als Ehefrau mit gebürgt«, sagte sie leise. »Das weiß ich.« Seine Stimme war so sanft, dass Amy fast in Tränen ausgebrochen wäre. »Und ich bewundere dich dafür, dass du da angerufen und deine Träume verraten hast. Ich bewundere dich dafür, dass du Schulden zurückzahlst, die nicht einmal deine eigenen sind. Und dass du in zwei Jobs arbeitest und nicht resigniert hast. Die meisten Leute hätten sich für bankrott erklärt und fertig.« »Das wäre unrecht gewesen. Lenny hat eine Menge Leute um ihr Geld gebracht, mich eingeschlossen.« Sie machte eine Pause. »Irgendjemand muss diese Rechnungen bezahlen. Ich hatte absolut keine Ahnung davon. Was war ich bloß naiv. Aber Lenny war meine erste richtige Beziehung und…« Sie beendete den Satz nicht. »Verstehe.« »Jetzt ist mir klar, dass meine Beziehung zu Lenny ein Traum von mir war – ein Albtraum, wie sich gezeigt hat.« Sie schwiegen eine Weile, keiner rührte sein Essen an. Dann
bemerkte Steve: »Deine anderen Träume fand ich wunderschön.« »Wirklich?« Plötzlich fühlte sich Amy gar nicht mehr unsicher. Er wusste fast alles von ihr, auch von den beschämenden Schulden. Und er hielt sie trotzdem für einen anständigen Menschen, er legte ihr Lennys Verfehlungen und ihre Leichtgläubigkeit nicht zur Last. »Ja, ich fand dich großartig.« »Echt?« »Wie du die Einzelheiten beschrieben hast. Du hast eine sehr lebhafte Fantasie.« Sie lächelte ihm zu und kam sich auf einmal ganz verwegen vor. »Ich glaube, du auch. Immerhin bist du auf meine Fantasien eingegangen.« »Stimmt.« Er lächelte sie an, und bei diesem Lächeln wurden ihre Gedanken noch verwegener. »Ich finde Fantasien ganz wichtig. Sie halten einen am Leben. Als ich mit meinem kaputten Knie zu Haus lag, habe ich diese Talk-Shows geguckt, und da haben meine Fantasien mich vor der totalen Verzweiflung bewahrt. Ich stellte mir vor, wie ich wieder ohne Schmerzen laufen könnte. Obwohl ich wusste, dass ich nie mehr Polizist sein würde…« »Das muss schlimm gewesen sein.« »Ja«, gab er zu. »Aber ich hatte diese verrückte Fantasie von einem eigenen Unternehmen, und so kam es dann auch. Man sollte seine Träume nie als Spinnerei abtun.« Amy lachte glücklich und ein wenig aufgeregt. »Siehst du, meine Fantasie bestand hauptsächlich darin, dich zum Lachen zu bringen«, sagte Steve leise. »Das wollte ich sehen.« Die schlichte Aussage traf sie mitten ins Herz. Als das Hauptgericht auf dem Tisch stand – feine Nudeln mit Meeresfrüchten in einer Sahnesoße – war Amy im siebten Himmel. Doch das lag nicht am Essen oder dem hinreißenden Restaurant. Dieser Abend war zauberhafter als ihre kühnsten Träume. Es war einfach himmlisch, mit Steve an diesem
kleinen Tisch zu sitzen und zu plaudern. Es war fast besser als Sex. Sie wurde rot, als sie daran dachte, und widmete sich entschieden ihrem Essen. »Dieser Carmine kann wirklich kochen«, bemerkte sie, während sie ein Stück Hummer aufspießte. Das Dessert kam bald nach der Hauptspeise, Tiramisu und Cappuccino, wie sie es im Radio beschrieben hatte. Und als Amy den starken süßen Kaffee trank, wurde ihr klar, dass sie sich jetzt entscheiden musste. Sie hatte sich mit Steve angeregt unterhalten, aber das Schönste war, dass sie sich bei ihm so wohl und geborgen fühlte wie bei keinem anderen Mann zuvor. Bud hatte ihn auch als einen anständigen Kerl bezeichnet, aber Amy wusste inzwischen viel mehr von ihm. Er hatte ein hartes Leben hinter sich – genau wie sie –, doch er beklagte sich nicht. Er krempelte einfach die Ärmel hoch und packte die Probleme an. Sie hatten ungeheuer viel gemeinsam. Und dann war da noch das Thema »Chemie«. Sie fühlte sich bei Steve lebendiger denn je. Wenn sie ehrlich war, hatte er es ihr schon am ersten Tag angetan, als er Buds Lokal betrat. Er sah gut aus, aber das war noch nicht alles. Steve hatte etwas Ungezähmtes, Verwegenes an sich. Wenn sie jetzt mit zu ihm ging und die Nacht mit ihm verbrachte, würde vielleicht etwas von dieser Verwegenheit auf sie abstrahlen. Amy wollte es. Sie wollte mit diesem wunderbaren Mann die Liebe erleben. Sie wollte sich endlich wieder lebendig fühlen. »Das ist wunderschön«, begann sie. »Alles war so wunderschön.« Er setzte die Kaffeetasse ab. »Aber…« »Kein Aber.« Sie holte tief Luft und versuchte ihre Anspannung und Aufregung niederzukämpfen. »Lass uns gehen.« Steve musterte sie eindringlich. Sein intensiver Blick nahm ihr fast den Atem. »Zu dir«, flüsterte sie. In den schönen blaugrauen Augen dämmerte langsam
Begreifen.
4. KAPITEL Steve wollte ganz sicher gehen, dass er richtig gehört hatte. Er hatte sich so sehr nach diesen Worten von Amy gesehnt, dass er sich fragte, ob er nicht halluzinierte. »Du möchtest mit zu mir?« Sie nickte. Ihr hinreißendes rotes Haar schimmerte im Kerzenlicht. »Du möchtest nicht erst noch tanzen?« »Enttäuscht dich das? Du hast doch nicht etwa ein Orchester angeheuert, oder?« Er lächelte. »Es gibt hier eine diskret versteckte Stereoanlage.« »Gut. Dann können wir also einfach gehen?« Steve merkte, dass ihre Stimme unsicher war, und legte seine Hand auf ihre. »Willst du es wirklich, Amy?« Sie schluckte, ihre widerstreitenden Gefühle spiegelten sich in ihrem Gesicht wider. »Ich möchte… ich möchte, dass du mich im Sturm eroberst.« »Ah ja.« Das verstand er sofort. Es war genau das, was er sich auch wünschte. »Ich möchte… dass du mich begehrst.« Intuitiv wusste er, was Amys Ex ihr wirklich angetan hatte. In ihrer Ehe war sie sich vermutlich nie begehrenswert vorgekommen, aber das würde er heute Nacht wieder gutmachen. »Ich begehre dich.« Seine Stimme klang rau, er hielt ihre kalte Hand umklammert. »Ich habe dich vom ersten Moment an begehrt. Als ich in Buds Lokal kam und dich zum ersten Mal in deiner Uniform sah, wollte ich den Reißverschluss an deinem Oberteil aufziehen und dich betrachten.« Er war nicht sicher, ob das Bekenntnis sie schockierte oder verschreckte, aber es war ehrlich. Absolut offen und ehrlich.
Ihre Pupillen wurden weit, sie öffnete die Lippen. Und er sehnte sich danach, diesen Mund zu küssen. Aber nicht hier. Nicht jetzt. »Bevor du da wärst, ging ich ein-, zweimal pro Woche zu Bud. Nachdem du bei ihm angefangen hattest, merkte ich mir deine Arbeitstage und war jeden Abend da.« »Das habe ich bemerkt«, flüsterte sie. Steve hatte die Rechnung im Voraus beglichen, der Kellner würde nicht mehr auftauchen, es sei denn, sie hätten noch weitere Wünsche. Aber für Steve war das Dinner beendet. Er stand auf und beugte zu Amy hinunter. Seine Lippen streiften ihr Ohr. »Amy, du ahnst ja nicht, was ich mir alles mit dir ausgemalt habe.« Es gefiel ihm, wie sie den Atem anhielt. »Ich nehme dich mit zu mir, und ich werde dir zeigen, wie sehr ich dich begehre.« Steve führte sie zur Limousine und öffnete ihr die Tür. Dann ging er zur Fahrerseite und wechselte ein paar Worte mit Tim. Anschließend glitt er neben Amy auf den Rücksitz. Er ließ etwas Raum zwischen ihnen, und sie war ihm dankbar dafür. Ihr Herz raste. Sie wusste nicht, wie sie reagiert hätte, wenn er sie schon hier in die Arme genommen hätte. Doch er wollte es offenbar langsam angehen, die Spannung wachsen lassen. Er öffnete eine neue Champagnerflasche und schenkte zwei Glas ein. »Auf heute Nacht«, sagte er leise. »Auf dich, Amy.« Die Tränen saßen ihr in der Kehle, als sie das Glas ergriff. Es war so lange her, dass sie sich bei einem Mann geborgen gefühlt oder gar sinnliches Verlangen empfunden hatte. Sie vertraute Steve mit ihrem ganzen wunden Herzen, und sie wusste, er würde sie nicht enttäuschen. Sie nippten am Champagner, während der Fahrer den eleganten Wagen auf den Pacific Coast Highway lenkte. Die Spannung zwischen ihnen wuchs ins Unerträgliche. »Ich kann nicht mehr warten«, flüsterte Steve ihr rau ins
Ohr. Der Klang seiner Stimme machte Amy ganz weich und nachgiebig. Sie setzte das Glas ab und wandte sich ihm zu, bereit, alles mit sich geschehen zu lassen. Er küsste ihr Handgelenk, dann die Innenseite ihrer Hand, während er ihr in die Augen sah. Sie schloss die Augen und war froh, dass sie saß. Ihre Knie wurden weich, ihr Körper antwortete spontan auf den übermächtigen Reiz seiner Männlichkeit. Sie lehnte sich zu ihm hinüber, spürte seine Hand unter ihrem Kinn und wusste, dass er sie gleich küssen würde. Wie lange hatte sie kein Mann geküsst. Amy hatte sich vorgestellt, wenn es endlich wieder passieren würde, hätte sie die Augen weit offen – wachsam. Nicht in eine neue Falle gehen! Dies hatte sie nicht erwartet, die Augen geschlossen, das Dahinschmelzen, die totale Hingabe im Dunkeln. Sie vergrub die Finger in seinen Schultern, als seine Lippen ihren Mund berührten. Es war so schön, dass sie leise stöhnte, es war das verhaltene Seufzen einer erregten Frau. Sie wurde still, als er ihre Lippen teilte und seine Zunge in ihrem Mund spielen ließ. Amy spürte den Angriff auf ihre Sinne mit dem ganzen Körper. Ihre Haut schien so empfindsam, dass sie die Berührung mit einer Feder wie ein Feuerwerk empfunden hätte. Endlich fühlte sie wieder Leben in sich pulsieren. Er küsste sie so heftig, dass Amy nicht mehr die Kraft hatte, aufrecht zu sitzen. Wehrlos glitt sie auf den weichen Ledersitz hinunter, während das Gewicht von Steves hartem, muskulösen Körper auf ihr lastete. Sie wollte ihn ganz nah spüren und umfasste seine Schultern, um ihn an sich zu ziehen. Ihre Lippen ließen einander keinen Moment los. Die Fahrt war ein einziger, endloser Kuss. Zum Glück sorgte die dunkle Trennscheibe zum Fahrersitz für absolute Ungestörtheit. Steves Berührungen waren erfahren und selbstsicher. An der Art, wie er Amy streichelte und reizte, war nichts Tastendes, Zögerndes. Und sie fand das wunderbar.
Doch am meisten erregte sie, dass Steve ihr seine totale Aufmerksamkeit widmete. Es schien für ihn nichts anderes zu geben, als sie zu küssen. Bei Lenny hatte sie immer das Gefühl gehabt, dass er in Gedanken ganz woanders war. Gegen Ende der Ehe hatte sie gemerkt, dass er bereits eine Beziehung zu einer anderen hatte – eine weitere Erniedrigung. Steve dagegen konzentrierte sich ganz auf sie. In diesem Wagen gab es nichts als sie und ihn. Er strich über ihre Arme, und sie wusste, er würde jetzt ihre Brüste berühren. Sie hinderte ihn nicht, sondern stöhnte nur leise, als sie seine Finger auf ihrer Brustspitze spürte, die unter dem glatten Stoff hart wurde. Amy trug keinen BH, das war bei diesem Kleid gar nicht möglich. Sie hatte auch keinen Slip angezogen, nur halterlose Strümpfe. Die Vorstellung, dass Steve das gleich entdecken würde, erregte sie nur noch mehr. Quälend langsam streifte er ihr Oberteil von den Schultern, so dass sie bis zur Taille nackt war. Dann richtete er sich auf und zog sein Jackett aus, sein weißes Hemd leuchtete geradezu in der Dunkelheit. Und plötzlich war jeder Gedanke in ihr ausgelöscht, als Steve ihre Brustspitze in den Mund nahm. Sie wand sich auf dem ledernen Sitz, bäumte sich ihm entgegen. Wie war es möglich, dass ein Mann solche ungeheuren Gefühle in ihr entfachte? Sie krallte die Hände in sein dichtes Haar und wimmerte leise. Steve küsste ihren Hals und strich dabei über ihre Brüste. »Du bist so schön«, flüsterte er. Mit bebenden Fingern begann sie, sein Hemd aufzuknöpfen. Noch nie hatte sie Sex so erlebt – wild und stark und hemmungslos. Noch nie hatte sie einen Mann so sehr begehrt. Und wenn sie Steves Gesichtsausdruck richtig deutete, verlangte er ebenso nach ihr. Sie streifte ihm das Hemd von den Schultern, riss es ihm fast
vom Körper, überwältigt von dem Verlangen, seine nackte Brust zu sehen, zu spüren. Voll Begehren strich sie über seine kräftigen Oberkörper- und Armmuskeln. Sie schienen unter ihren Händen regelrecht Hitze zu fangen. »Du fühlst dich so heiß an«, flüsterte sie, bevor er wieder ihre Lippen mit seinen bedeckte. Er lag jetzt fast auf ihr, und sie spreizte unbewusst die Beine, empfing seinen Körper, spürte seine harte Erregung an ihrem Oberschenkel. Ihr Kleid rutschte hoch, als er an ihrem bestrumpften Bein entlang fuhr. Amy hielt den Atem an und fragte sich, ob sie es überhaupt bis zu Steves Wohnung aushaken würden. Seine Hand strich über ihr Knie, ihren Schenkel, und die Berührung ließ sie unbewusst erschauern. Er hielt kurz inne, als er den Rand ihres Strumpfes erreicht hatte, und spielte mit dem spitzenbesetzten Gummiband. Amy atmete scharf ein. Seine Finger kamen ihrer empfindsamsten Stelle näher. Näher und näher… Steve erstarrte für einen Moment, als er erkannte, wie offen und bereit sie für ihn war. Nicht einmal ein Hauch Seide oder Spitze behinderten seine leidenschaftlichen Berührungen. Sie bäumte sich ihm auf dem Sitz entgegen, als er sie weiter sinnlich streichelte. Ein leises Seufzen war zu hören und dann ein unterdrückter Aufschrei. Ihre Schenkel verkrampften sich, als der Höhepunkt sie mitriss. Weilen der Lust schlugen über ihr zusammen, und sie klammerte sich instinktiv an diesen wundervollen Mann, der sie die Welt um sie her vergessen ließ. Steve hielt sie fest umschlungen, bis sie zur Ruhe kam. Sie lag erschöpft auf dem Ledersitz, und nach einer Weile zog Steve ihr vorsichtig das Kleid über den Kopf. Amy hatte noch nie auf diese Weise Liebe gemacht, auf dem Rücksitz einer Luxuslimousine, nur mit Strümpfen und hochhackigen Sandaletten bekleidet, aber es war das Paradies. Sie konnte und wollte nicht darüber nachdenken. Sie konnte und wollte jetzt nicht aufhören, und Steve garantiert auch nicht.
Aus halb geschlossenen Augen beobachtete sie, wie Steve seine Schuhe und Socken abstreifte, den Gürtel öffnete und die Hose auszog. Dann war er wieder bei ihr und küsste sie mit aller Leidenschaft, derer er fähig war. Sie wollte ihn ganz – seinen muskulösen Brustkorb, den sie an ihren Brüsten spürte, seine kundigen Hände auf ihrer empfindlichen Haut, sein heißes, hartes Drängen. Und dann waren seine Finger auf ihren Beinen, ihren Oberschenkeln, schoben sie auseinander, und er kam zu ihr. Amys zog scharf die Luft ein, als er in sie eindrang. Ihre Pupillen weiteten sich, ein Hauch Rot überzog ihre Wangen, und sie seufzte. Sie sah noch Steves Gesicht über sich, dann ließ sie ihren Kopf auf den Ledersitz zurücksinken, schloss die Augen und gab sich seinem kraftvollen, fordernden, männlichen Rhythmus hin. Jeder Vorstoß war ein Angriff auf alle ihre Sinne, dem sie sich mit jeder Faser ihres Körpers vorbehaltlos hingab. Er zog sie völlig in den Bann – mit seinem maskulinen Duft, der sie zugleich erregte und beruhigte; mit seinen starken Muskeln, die sich anspannten und entspannten, während er sie liebte. Sie umklammerte seine Schultern und drängte sich ihm unwillkürlich entgegen, in einer leidenschaftlichen Antwort auf sein Drängen, einer stummen Bitte um Erfüllung. Mit beiden Händen umfasste er ihre Hüften und zog sie an sich, härter, schneller… Wieder kam Amy zum Höhepunkt, und er ließ sich endlich fallen. Sie spürte seine wachsende Erregung, nahm seinen abgerissenen Atem wahr. Sie sah in sein Gesicht, auf die fest geschlossenen Augen, die entrückten Züge. Und dann wurde sie wieder wehrlos, denn ein neuer Höhepunkt, der dritte, nahm ihr die Luft – etwas, das sie bisher bei noch keinem Mann erfahren hatte. Sie schloss die Augen und ließ sich hemmungslos in den Abgrund der Sinne fallen. Als Amy die Augen öffnete, stand der Wagen still. Steve lag
neben ihr, den festen Körper an sie geschmiegt. Sie hob den Kopf, um ihm ins Gesicht zu sehen, und stellte fest, dass er sie beobachtete. »Hallo«, sagte er. Seine Stimme war weich und leise. Intim. Sie schluckte den Kloß in ihrer Kehle hinunter. Was er ihr gegeben hatte, war unbeschreiblich. Sie fühlte sich… leicht, glücklich, sexy. Ihr Körper war… völlig entspannt. Aber es war mehr, viel mehr als eine schöne Körpererfahrung. Bisher hatte sie mit Vernunft versucht, ihren Kummer zu bewältigen, und sich dabei allem Schönen verschlossen. Sie hatte nicht sehen wollen, was für ein Leben sie führte. Steve hatte ihr das Gefühl für ihren Körper zurückgegeben und gleichzeitig ihre Seele berührt. Er schenkte ihr neuen Glauben daran, sich auf einen anderen Menschen voll und ganz einlassen zu können. Amy war nicht sicher, ob sie schon wieder eine feste Beziehung wollte. Irgendwie hatte sie Angst davor. Doch jetzt in Steves Armen fühlte sie sich so glücklich und frei und selbstsicher wie seit ihrer Scheidung nicht mehr. »Hallo«, sagte sie und legte die Hand auf seinen Arm. Er sah sie stumm an, und sie wusste, er wartete auf eine Bemerkung von ihr. Er wollte, dass sie das Tempo vorgab. »Wie spät ist es?« flüsterte sie. »Fast Mitternacht.« »Wo sind wir?« fragte sie nach. Sie vernahm kein Geräusch. Keinen Verkehrslärm, keine knatternden Hubschrauber am Nachthimmel. Diese Stille war ungewöhnlich in einer Stadt wie Los Angeles. »Wir sind zu Hause«, erwiderte er. »Bei dir?« »Gewissermaßen.« Steve setzte sich auf und griff nach seiner Hose. Als Amy nach ihrem Kleid langte, legte er ihr sein Jackett um. »Das ist sicher wärmer. Draußen ist es kühl.« Sie widersprach nicht. Als sie sich sein Jackett um die nackten Schultern schlug, stieg sein Duft aus dem teuren Stoff
auf. Seltsamerweise wirkte es beruhigend auf sie. Sie nahm ihr Kleid, gerade einmal eine Hand voll, und stieg zögernd hinter Steve aus dem Wagen. Das Haus ähnelte einer italienischen Villa. Es lag abseits von der Straße und besaß eine breite, mit Kopfstein gepflasterte Auffahrt. »Wo sind wir?« fragte sie erneut, flüsternd. Die Stille machte sie geradezu ehrfürchtig. Wie konnte Steve sich bei seinem Einkommen als Detektiv so ein Haus leisten? Gingen seine Geschäfte denn so gut? »Es gehört einem Freund«, erklärte er und nahm Amy bei der Hand. »Einem Schauspieler.« Er nannte einen berühmten Namen, den sie von Filmplakaten kannte. »Du hast die Schlüssel zu seinem Haus?« »Wir sind zusammen auf gewachsen«, sagte Steve. »Ich hüte sein Haus, während er in Toronto dreht.« »Und du darfst in seiner Abwesenheit wilde Parties feiern?« »Wenn du es so nennen willst…« Er lachte leise, und ihr Herz machte einen Sprung. Im Haus war ihr erster Eindruck der von endlosen Teppichböden. Sie kannte solche Häuser, denn sie putzte täglich in Luxusvierteln wie Beverly Hills oder Bel Air. Anfangs hatten die enormen Strecken, die staubgesaugt werden mussten, sie erschreckt. Vor den unzähligen Quadratmetern der zu putzenden Fensterscheiben war sie fast in die Knie gegangen. Aber Amy war jemand, der die Dinge beherzt anpackte, und schließlich hatte ihr Sinn für Humor gesiegt. »Ist dies ein lauschiges kleines Liebesnest?« Steve lachte. »Mein Freund macht alles im großen Stil.« »Und wo wohnst du?« »In Venice.« Sie kannte den kleinen Stadtteil am Meer, die malerischen Kanäle, die hübschen Läden. Für Steve schien es genau die richtige Adresse zu sein. »Warum sind wir dann hier?« Sie war nicht etwa einge-
schüchtert, sie wollte es nur wissen. Er wandte sich ihr zu, und ihr Herz klopfte schneller. »Weil ich keinen Swimming-Pool habe.« »Aha.« Amy erkannte seine Absichten. »Ich dachte, wir könnten den Abend – nachdem deine Fantasien erfüllt sind – mit meinen fortsetzen.« Amy lächelte schelmisch. »Ich bin sehr für Chancengleichheit, was die Erfüllung von Fantasien betrifft.« »Das freut mich, denn ich habe da einige auf Lager.« »Da bin ich ja gespannt.« Unwillkürlich wurde sie rot. »Ich möchte mit dir schwimmen.« »Nackt?« »Siehst du eine andere Möglichkeit?« Verwundert stellte sie fest, wie wenig Hemmungen sie vor ihm hatte. Sie hatte ohnehin keine Probleme mit Nacktheit, aber bei Steve fühlte sie sich besonders entspannt. Sie hatte schon vor diesem Abend ihre eigenen Fantasien um ihn gesponnen, die nicht bei einem netten Essen aufhörten. Er hatte ihre geheimsten Sehnsüchte erfüllt und sich so ungeheure Mühe gegeben, jede Einzelheit perfekt zu gestalten. Jetzt wollte sie ihm das zurückgeben. »Worin bestehen deine Fantasien genau? Sag’s mir.« »Ich fürchte, Männerfantasien sind nicht so ausgefeilt wie die von Frauen. Ich dachte einfach an dich und mich, einen Pool und eine milde Nacht wie diese.« Amy lachte. »Mild? Du hast mir dein Jackett gegeben, weil du fandest, es sei zu kalt.« Steve sah sie mit diesem Blick an, der ihr durch und durch ging. »Der Pool ist beheizt.« »Oh.« Sie blickte aus dem Wohnzimmerfenster auf das türkisfarbene Schwimmbecken. Dann warf sie Steve einen herausfordernden Blick über die Schulter zu und sagte das, was er zu hören gehofft hatte. »Dann komm.« Amy ging vor Steve hinaus, nur mit seinem Jackett und ihren hochhackigen Schuhen bekleidet. Noch nie war sie sich der erotischen Macht bewusst gewesen, die sie über einen
Mann besaß. Von der heißen Liebesszene im Auto her wusste sie, dass Steve sie begehrte. Sie wusste auch, dass sie ihm ohne Vorbehalte vertrauen konnte. Es war eine berauschende Mischung von Gefühlen – die jede Hemmung hinwegspülte. Als sie den Rand des Pools erreichte, überlegte sie kurz. Männer liebten optische Reize, das wusste sie. Schnell blickte sie sich um, die Nachbarhäuser waren nicht zu sehen. Offenbar schätzte man hier Privatheit über alles. Sie ließ das Jackett hinabgleiten und legte es sorgfältig auf eine der Badeliegen. Dann, anstatt sich in Steves lockende warme Arme zu werfen, drehte sie sich um und schritt langsam, verführerisch in ihren Sandaletten auf das Sprungbrett zu. Die tödliche Stille hinter ihrem Rücken ließ ihre Haut vor Erregung prickeln. Sie fand es herrlich, Steve dieses Erlebnis zu geben, ihr gefiel die Vorstellung, dass er jede ihrer Bewegungen gebannt verfolgte. Aus dem Augenwinkel warf sie ihm einen Blick zu, während sie das Sprungbrett betrat. Er beobachtete sie, die Hände in die Hüften gestemmt. Mit ihren hochhackigen Schuhen ging sie vorwärts und fühlte sich wie ein ausgelassenes Kind, wie das kühnste Mädchen bei einer Party. Sie mochte das Gefühl, aber sie wusste, dass sie dies nur bei einem einzigen Menschen wagte: bei Steve. Sie machte jeden Schritt bis zum Ende des Bretts zu einem kleinen Drama. Sie lächelte, als sie Steve ausrufen hörte: »Du kannst Gedanken lesen, Amy!« Die Nachtluft war kühl auf ihrer Haut. Da Amy die teuren Schuhe nicht verderben wollte, Sinnlichkeit hin oder her, zog sie sie mit der Grazie einer erfahrenen Stripperin aus und warf sie auf eine der Liegen. Sie musste fast lachen, als sie Steves unterdrücktes Stöhnen über die glänzende Wasseroberfläche hinweg vernahm. Der Pool war von unten beleuchtet und schimmerte verlockend in der Dunkelheit.
Sie sah Steve an. Ihre Blicke trafen sich. Auf einmal war ihr. gar nicht mehr kalt. »Ich finde, du hast zu viel an«, sagte sie heiser. Ihre Stimme schien ihn aus einer Trance aufzuschrecken. Offenbar hatte er sie so selbstvergessen betrachtet, dass er gar keinen klaren Gedanken mehr hatte fassen können. Sie sah zu, wie er die Hose auszog und sie achtlos auf die Liege warf, wo sie die Jacke abgelegt hatte. Amy streifte ihre Strümpfe ab, langsam und bewusst jeden Moment ausschöpfend. »Kommst du ins Wasser?« rief sie ihm zu. »Ich habe gehört, es ist sogar beheizt.« Er ging zum flachen Ende des Beckens und die Stufen hinunter. »Du kannst einen Mann wirklich in den Wahnsinn treiben.« Sie lachte und beobachtete, wie er anfing zu schwimmen und durch das schimmernde Wasser schnitt, bis er unter dem Sprungbrett war. Er sah hoch. »Kommst du oder nicht?« Die raue, tiefe Stimme erregte sie genauso wie das Flackern in seinen Augen. Sie wusste nicht, woher sie auf einmal den Mut nahm, als sie ihre Brüste umfasste und sagte: »Es ist ziemlich kühl. Meine Brustspitzen sind ganz hart.« Steves Gesichtsausdruck belohnte die Kühnheit. Amy stieß sich vom Brett ab und tauchte tief in das warme, blaue Wasser ein. Als sie hochkam, ließ sie sich auf dem Rücken treiben, strich sich das Haar aus den Augen und wartete, dass Steve zu ihr kam. Innerhalb von Sekunden war er bei ihr, verschränkte seine Finger mit ihren und zog Amy mit sich zum Beckenrand. »Du bist eine Zauberin«, sagte er heiser. »Findest du?« Und dann verstummte sie, denn er bildete mit seinen gebräunten, starken Armen einen Käfig und hielt sie an der Wand des Pools gefangen. Aber sie wollte ja gefangen sein. Sie spürte die harten Muskeln seines Körpers, als er sie
gegen die Kacheln drückte. »Wie geht es jetzt weiter?« erkundigte sie sich herausfordernd. Sie mochte es, wie er zu ihr herabsah, die Wimpern von Wassertropfen gesäumt, heftig atmend. Sie kannte das Gefühl, wenn die Erregung so stark war, dass man kaum Luft bekam. »Was glaubst du wohl?« gab er zurück und strich mit dem Finger über ihren Wangenbogen. Seine tiefe Stimme liebkoste sie, löste ein Flattern in ihrem Bauch aus. »Ich glaube«, konnte sie gerade noch flüstern, bevor er sie küsste, »dass wir beide das bekommen werden, was wir uns wünschen.«
5. KAPITEL Steve hatte nicht erwartet, dass der Abend so schön werden würde. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er mit mehr als einem Abschiedskuss an Amys Tür enden würde. Er wollte sie nicht bedrängen, denn für ihn war sie anders als alle Frauen, die er bislang kennen gelernt hatte. Er wollte nicht nur ein paar Nächte mit ihr, sondern viel mehr. Vom ersten Moment an, seit er sie gesehen hatte, begehrte er sie. Das konnte er offen zugeben. Doch in den vergangenen drei Monaten in Bud’s Cafe hatte er neue, rätselhafte Seiten an Amy entdeckt. Und seit dem Abend, als sie in der Radiosendung ihre Träume offenbart hatte, sah er eine verwandte Seele in ihr. Sie wollte in vollen Zügen leben und lieben. Genau wie er. Jetzt trug er sie durch das Wasser zum flachen Ende des Pools, er küsste sie, presste ihren nackten Körper fest an sich. »Bleiben wir nicht hier?« flüsterte sie nah an seinem Mund. »Überlass alles mir«, murmelte Steve. Er plante, sie zuerst in den warmen Whirlpool zu bringen und später in das breite Bett im Gästezimmer. Sein Schauspieler-Freund war auf einem
Außendreh und würde sich freuen, dass sein Haus als Schauplatz für einen der glücklichsten Momente seines Schulkameraden mit einer Frau diente – nein, mit der Frau. Steve nahm Amy auf die Arme, als sie aus dem Wasser kamen, und sie schrie leise auf, als die kalte Luft ihre nassen Körper traf. »Halt dich fest«, sagte er und steuerte auf den Whirlpool zu. In einer unbestimmten Hoffnung hatte er die Heizung angestellt, bevor er zum Restaurant gefahren war. Allerdings hatte er kaum erwartet, dass die Hoffnung sich erfüllen würde. Amy seufzte selig, als sie bis zu den Schultern in das heiße, quirlige Wasser tauchte. Steve folgte ihr, wobei er feststellte, dass sie einfach hinreißend aussah mit ihrem feuchten, zerzausten Haar und der zerlaufenen Wimperntusche, die ihre Katzenaugen noch strahlender und größer erscheinen ließ. Ihre Haut war leicht gerötet, ihre Augen glänzten vor Erregung. Es bereitete ihm ein ungeahntes Vergnügen, Amy glücklich zu machen. »Gib mir deinen Fuß«, befahl er plötzlich. Sie machte große Augen. »Was ist das für ein Spiel?« »Wart’s ab. Gib schon.« Sie hob ein Bein aus dem schäumenden Wasser. Er nahm ihren Fuß auf den Schoß und begann, ihn kräftig zu kneten. »Himmel, du solltest einen Beruf daraus machen.« »Ich hatte mal einen Fall in Chinatown«, berichtete Steve in sanftem, beruhigendem Ton. »Mein Auftraggeber war ein alter Mann mit einem Kräuterladen. Nach Erledigung der Aufgabe sagte ich ihm, dass ich nicht die übliche Bezahlung wollte.« Amy hatte die Augen selig geschlossen, ihr Kopf lag auf dem Rand der Wanne. Jetzt kam dieser Kopf mit dem herrlichen roten Haar hoch, die grünen Augen öffneten sich. »Womit hat er dich dann bezahlt?« Steve lächelte träge, während er weiter ihren Fuß massierte. »Ich bat ihn, mir alle orientalischen Verführungstechniken zu
vermitteln, die er beherrschte. Ich wollte unwiderstehlich für Frauen werden.« »Brauchst du mit diesen Augen und dieser Stimme etwa noch eine zusätzliche Ausbildung?« »Magst du meine Augen?« Komisch, dass ihm so viel daran lag zu erfahren, was sie von ihm hielt. »Ich mag noch eine Menge mehr an dir.« »So? Dann sollest du mir das auch zeigen.« Er umfasste ihre Hüfte und zog sie langsam an sich. Dann hob er sie vorsichtig auf seinen Schoß. Während er ihr nasses Haar wegschob und ihren Hals küsste, flüsterte er: »Ich kenne auch Stellen an dir, die ich mag.« »Lass mich raten.« Bei dem Kuss umfasste er bereits ihre Brüste. Und ihm blieb fast das Herz stehen, als ihre Fingerspitzen behutsam seine Erregung berührten. »Und dann gibt es noch Teile von dir«, stieß sie mühsam hervor, als ihre Küsse intensiver wurden, »die ich sehr beeindruckend finde.« Steve brachte kein Wort heraus. Amy streichelte ihn zärtlich, und er ahnte, dass sie es auch jetzt nicht bis ins Schlafzimmer schaffen würden. Doch er hatte nichts dagegen. Er umklammerte ihre Hüften und zog sie enger an sich. Amy stöhnte und ließ den Kopf auf seine Schulter fallen, gleichzeitig legte sie ihm die Arme um den Hals. Als er sie zärtlich liebkoste, spürte er ihre Hingabebereitschaft. Sie war mehr als bereit. Ihre Show am Pool hatte sie offenbar ebenso erregt wie ihn. »Ich will dich, jetzt«, flüsterte er ihr ins Ohr. Er genoss es, mit ihr in diesen leidenschaftlichen Momenten zu reden, ihr zu sagen, wie heiß sie ihn machte. »Ich glaube, ich kann nicht warten, bis wir im Zimmer sind.« Sie schlang die Arme fester um seinen Hals, und er betrachtete das als Einwilligung. Mit beiden Händen umfing er ihren Po und hob sie an.
Und dann sah und hörte er nichts mehr, konnte sich nur auf den Moment konzentrieren, als sie ihn in sich aufnahm. Ihre Wärme, ihre Hitze umfing ihn. Krampfhaft bemühte er sich, an etwas anderes zu denken, um seine Lust in Zaum zu halten. Obwohl er kaum eine Stunde zuvor die Liebe mit ihr genossen hatte, erregte sie ihn wieder unvorstellbar. Er biss die Zähne aufeinander und dachte an den Fall, den er zu bearbeiten hatte. Gleichzeitig hielt er Amys Hüften hart umklammert und brachte ihre Bewegungen zum Stillstand. »Rühr dich nicht«, flüsterte er. »Lass mir einen Moment Zeit.« Sie lehnte sich zurück, die Beine noch immer um seine Hüften geschlungen, und lächelte ihm zu. »Es gibt hier ein Gästehaus«, stieß er hervor. »Es ist näher als das Haupthaus.« »Kannst du da hinein?« Er nickte nur. Ein einziger Gedanke beherrschte ihn: Er wollte sie wild machen, sie seinen Namen schreien hören, wissen, dass sie in diesem Moment nur ihn im Sinn hatte. Amy schmiegte sich an ihn und murmelte: »Ich gebe mich ganz in deine Hände.« Sie schafften es mit Mühe bis zum Teppich im Wohnzimmer des Gästehauses. Kaum war die Tür hinter ihnen zugefallen, als Steve Amys Hand ergriff, sie auf den weichen Boden zog und sich über sie warf. Der Sinnestaumel, der sie erfasste, ließ sie alles um sich her vergessen. Hinterher duschten sie gemeinsam. Dann trug Steve Amy ins Schlafzimmer, deckte sie sorgsam zu und glitt an ihre Seite. Zärtlich umfasste er ihren Körper, bis sie einschliefen. Doch der Schlaf währte nicht lange. Sie liebten sich wieder, als sie aufwachten, und dieses Mal ließ er ihr die Oberhand. »Mach mit mir, was du willst«, sagte er, und sie reagierte auf diese Aufforderung mit einem sinnlichen Lachen. Ihre letzten Hemmungen verflogen. Viel später öffnete er eine weitere Champagnerflasche. »Ich habe darüber nachgedacht, wie fantastisch du diesen
Abend gestaltet hast«, sagte Amy und lehnte sich in den Kissen zurück, während sie Steve ansah. »Und?« »Also, erstens gibt es kein böses Erwachen am nächsten Morgen, wenn wir die ganze Nacht aufbleiben. Du lässt mir gar keine Zeit, etwas zu bereuen.« »Da überschätzt du mich aber«, wehrte er grinsend ab. »Zweitens… dieses Luxushaus.« »Habe ich übertrieben?« »Nein, es ist genau richtig. Wie im Traum.« »Wirst du nicht enttäuscht sein, wenn du siehst, wo ich wirklich wohne?« »Nein. Ich bin ein schlichter Mensch mit geringen Ansprüchen.« Sie vergrub den Kopf im Kissen, um ihr Lachen zu dämpfen. »Hattest du etwas zu viel Champagner?« Er griff nach ihrem Glas, bevor sie es umstoßen konnte. »Gerade genug. Oh Steve, ich wollte schon immer einmal verrückt spielen, und du bist genau der richtige Mann dazu.« »Ich hoffe, das ist als Kompliment gedacht.« »Ja.« Sie blinzelte zum Fenster hinüber. »Ich glaube, gleich geht die Sonne auf.« »Bist du in Eile? Hast du eine Verabredung?« Die alberne Frage brachte sie wieder unbändig zum Lachen. »Nein.« »Wann fängt deine Arbeit an?« »Ehrlich gesagt«, bekannte sie und rückte auf dem großen Bett näher zu ihm, »als Tim vor der Tür stand und ich beschloss, deine Einladung anzunehmen, habe ich meine beiden Putztermine für heute abgesagt. Ich muss erst um vier bei Bud sein. Ich wollte das Ganze voll auskosten.« »Hm«, machte Steve und setzte sein Champagnerglas ab. Er nahm sie in die Arme. »Eine kluge Entscheidung.« »Moment. Ich hatte vor, irgendwann ein bisschen zu schlafen…« »Schlafen kannst du immer noch«, flüsterte er, bevor er sie
küsste. »Nachher.« Steve brachte Amy in seinem Wagen, einem schwarzen BMW, nach Hause. Auf der Fahrt schwiegen sie. Wahrscheinlich war er ebenso erschöpft wie sie. »Jetzt hast du noch genug Zeit zum Schlafen«, bemerkte Steve, als sie den begrünten Innenhof des zweistöckigen Wohnhauses betraten. »Nur, wenn du nicht mit hineinkommst«, neckte sie. Doch innerlich vibrierte sie. Wenn er nun nie wieder anrief? Wenn dies nur ein netter Abend für ihn gewesen war, einer von vielen, und sie eine von vielen Frauen? »Dann sehen wir uns heute Abend bei Bud«, sagte er ruhig. Joe, Amys goldfarbener Retriever, begann hinter der Tür zu bellen, als sie den Schlüssel ins Schloss steckte. »Du hast einen Hund?« »Zwei«, erwiderte sie, als Mings aufgeregtes Kläffen sich mit Joe’s tiefer Stimme mischte. »Ich habe meine Nachbarin Mary Lynn gebeten, sich heute Morgen um die beiden zu kümmern. Ich hatte so ein Gefühl, dass es bei mir später werden könnte.« Als sie die Tür öffnete, bemerkte sie, wie Steve die beiden Tiere genau musterte. »Hattest du die schon, als du noch verheiratet warst?« »Nein. Ich habe sie erst vor ein paar Wochen bekommen.« »Woher?« Amy sah verblüfft auf. Warum interessierte er sich so sehr für ihre Hunde? Vielleicht mochte er einfach Tiere, genau wie sie. »Eine Frau, bei der ich putze, ging auf eine längere Reise und ließ die beiden zurück. Ihr Bruder wollte sie ins Tierheim bringen, und da sagte ich, dass ich sie nehmen würde. Joe ist elf – niemand hätte ihn als Haustier gewollt. Und Ming ist ziemlich launisch. Ich glaube, er würde sich nicht gut mit Kindern vertragen.« »Joe«, sagte Steve leise, und Amy merkte, dass er an etwas ganz anderes dachte. »Steve? Stimmt etwas nicht?« »Ich weiß noch nicht.« Er nahm sie in die Arme und küsste
sie schnell. »Bis heute Abend. Es ist alles in Ordnung. Sieh mich nicht so misstrauisch an, ich bin wirklich nicht wie dein Ex.« Sie musste lächeln. Er besaß die Gabe, sie vollkommen zu durchschauen, fast wie ein Gedankenleser. Sie hoffte nur, er mochte, was er da las. Strahlend stürmte Amy am Spätnachmittag in Bud’s Cafe. Ihre Kolleginnen Linda und Alexis merkten sofort, dass etwas im Gange war. Amy berichtete kurz von ihrem Date mit Steve, allerdings ohne Einzelheiten. »Manche Frauen kriegen einfach alles«, neckte. Alexis, während sie ein Stück Kokostorte für einen Gast abteilte. »Ich hätte ihn auch nicht gerade von der Bettkante gestoßen, aber er hatte nur Augen für dich. So spielt das Leben. Ich freu mich für dich, Amy.« Linda war ebenfalls glücklich für Amy und bekannte, dass Steve sie nach ihrer Kleidergröße gefragt hatte. »Hat er dir sexy Unterwäsche geschenkt?« wollten die beiden wissen. Sie genossen das Ereignis sichtlich. »Ein sexy Abendkleid, perfekt zum Tanzen«, gab Amy Auskunft. »Noch besser!« meinte Linda. Steve kam um Punkt zehn und setzte sich in seine gewohnte Nische. Schweigend goss Amy ihm Kaffee ein, reichte ihm die Karte und wollte sich abwenden. Er schnappte sie am Handgelenk und rief laut: »Hey, Bud, hat Amy schon ihre Pause genommen?« »Nein«, gab Bud zurück. »Aber frag sie lieber, ob sie dich dabeihaben will.« Amy glitt auf den Sitz gegenüber. Steve klopfte auf den Platz neben sich. »Du bist zu weit weg.« »Lieber nicht. Wer weiß, was sonst passieren würde.« Er lächelte und blickte auf die Karte. »Möchtest du ein Stück Torte?« »Gern.« Sie fuhr sich unbewusst mit der Zunge über die
Lippen, und Steve musste sich zusammennehmen, um sie nicht hier auf der Stelle zu küssen. »Such dir etwas aus.« Die Zitronensahnetorte war heute besonders gut. Buds Mutter hatte für das Rezept eine Reihe von Preisen bekommen und nicht zuletzt damit die ewige Treue der Stammgäste in Buds Restaurant errungen. Amy schnitt zwei großzügige Stücke ab und trug sie zum Tisch. Draußen hatte es zu regnen begonnen. An den Fenstern, die auf den Sunset Boulevard gingen, rannen Tropfen herunter. »Du bist irgendwie mit deinen Gedanken woanders«, stellte Amy fest. »Ich frage mich, ob ich dich nachher nach Haus bringen darf.« Sie warf ihm einen Blick zu. »Ich vermute, du hast anschließend noch mehr vor.« »Kann sein. Vielleicht sollten wir uns aber auch heute Abend einfach ausruhen. Im selben Bett natürlich.« Sie lächelte verschmitzt. »Du und ausruhen? Das wäre eine völlig neue Erfahrung.« Er aß ruhig seine Torte. »Ich war heute den ganzen Tag extrem gut aufgelegt, Amy. Sogar mein Partner Martin machte eine Bemerkung darüber.« »Das will ich hoffen. Ich ertappe mich auch immer wieder dabei, dass ich ziemlich einfältig vor mich hingrinse.« Steve blieb bis zum Feierabend. Dann brachte er Amy nach Hause, folgte ihr in ihr Schlafzimmer, setzte den Pekinesen Ming sorgfältig auf einen Sessel und stieg zu ihr ins Doppelbett. »Hier ist es etwas enger als in der Villa deines Freundes«, sagte sie, als er neben ihr lag. »Umso gemütlicher«, befand er und zog sie an sich. Sie hatte ihm bereits mitgeteilt, dass ihr heute nicht der Sinn nach wilden Liebesszenen stand. »Keine Dummheiten, ja?« murmelte sie, als er ihren Kopf an seine Schulter bettete. »Ich schwör’s, aber für meinen Körper kann ich nicht
garantieren.« Sie vernahm das unterdrückte Lachen in seiner Stimme. Sie schwiegen eine Weile, lagen nur im Dunkeln nebeneinander. Hin und wieder hörten sie Schritte im Hof oder ein Auto auf der Straße. Dann stellte Amy Steve die Frage, die sie schon die ganze Zeit beschäftigte. »Warst du im Waisenhaus einsam?« »Manchmal.« »Hat dir deine Mom sehr gefehlt?« »Ich war noch zu klein, als sie starb. Ich habe keine deutliche Erinnerung an sie.« Darüber dachte Amy nach. Sie hatte das Gefühl, nicht ruhig schlafen zu können. Nicht, weil Steve neben ihr lag, sondern weil er irgendwie angespannt war. Er konnte nicht schlafen, und folglich sie auch nicht. »Stimmt etwas nicht?« fragte sie nach einer Weile. »Ich muss an den Fall denken, den ich gerade bearbeite.« »Bereust du etwa…« »Nein. Keine Minute.« »Möchtest du reden?« »Nicht über den Fall.« »Wieso bist du bei der Polizei gelandet?« »Meinst du, anstatt als jugendlicher Verbrecher zu enden?« »Das habe ich nicht gemeint.« »Komm, ich weiß doch, welchen Ruf das Waisenhaus hatte. Als Teenager hätte ich mich durchaus in einer Jugendstrafanstalt wieder finden können. Sie taten, was sie konnten, aber mit den kargen Mitteln und dem wenigen Personal war nicht viel zu machen.« »Was gab für dich den Ausschlag?« Amy musste es einfach wissen. »Zwei Menschen. Florence und Jimmy.« »Arbeiteten sie in dem Waisenhaus?« »Da war ich schon im Jugendheim. Nein, sie arbeiteten nicht dort. Sie wohnten in Beverly Hills. Aber sie kümmerten sich um Sozialfälle und waren wirklich anständige Menschen.«
»Wie hast du sie kennen gelernt?« »Jimmy erwischte mich, als ich dabei war, sein Auto aufzubrechen. Ich wollte einfach nur damit herumfahren.« Amy lächelte im Dunkeln und schmiegte sich an seine Schulter. Sie sah den jungen Steve vor sich, so eigensinnig wie heute. Wenn er auf etwas aus war, versuchte er, es sich zu verschaffen. »Ein Auto aufzubrechen«, sagte sie. »Ziemlich stark, was?« »Die Lehrer erzählten uns ständig, dass wir sowieso nichts taugten. Allmählich glaubten wir das selbst.« »Was tat Jimmy, als er dich erwischte?« »Er lud mich in eine Eisdiele ein.« »Du warst dabei, sein Auto kurzzuschließen, und er kaufte dir ein Eis?« »Genau. Er fragte, ob ich schon etwas anderes vorhätte, und dann aßen wir Eis und gingen hinterher am Strand spazieren.« Etwas in Steves Stimme sagte ihr, dass ihm diese Erinnerung viel bedeutete. Amy war fasziniert. »Worüber habt ihr gesprochen?« »Er fragte, was ich vorgehabt hatte, als ich sein Auto aufbrach. Ich erzählte ihm, dass ich immer von so einem großen alten Wagen geträumt hatte. Und er nahm mir allen Wind aus den Segeln, als er sagte, es wäre doch viel cooler, so eine Karre zu besitzen, anstatt sie zu klauen.« »Wie alt warst du da?« »Zwölf.« Steve drehte sich im Bett herum, er hatte einen Arm unter dem Kopf, den anderen um Amy gelegt. »Ich hatte mich nie für fähig gehalten, jemals einen solchen Wagen zu besitzen.« »Und das setzte Jimmy dir in den Kopf?« »Mehr als das. Er und seine Frau luden mich ständig zu sich ein. Sie ließen mich in ihrem Garten arbeiten, damit ich nicht das Gefühl hatte, Almosen zu empfangen. Und als ich bereit war, ins Berufsleben zu treten, bewarb ich mich bei der Polizei von Los Angeles.« »Besuchst du die beiden noch?« Amy kuschelte sich näher an ihn.
»Jimmy starb vor ein paar Jahren. Florence habe ich danach alle paar Wochen angerufen.« Sie wusste nicht, was in Steve vorging, er hatte sich ihr wieder entzogen. Seine Gedanken waren nicht bei dem, was er sagte, und sie fragte sich, warum. Eine knappe Woche später bekam Amy die Antwort. Steve betrat das Bud’s und setzte sich in seine gewohnte Nische. Als Amy mit der Kaffeekanne zu ihm ging, sagte er: »Du musst mir einen Gefallen tun. Einen großen.« Er wirkte erregt, also setzte sie sich zu ihm. Zu dieser späten Stunde war im Lokal nicht viel Betrieb. Zudem waren Linda und Alexis mehr als bereit, Amy eine Weile zu vertreten. »Alles, was du möchtest.« »Keine voreiligen Versprechungen, Amy. Du weißt ja nicht, um was es geht.« Sie zögerte. »Du machst mir Angst, Steve. Du würdest doch nichts Schlimmes oder Ungesetzliches von mir verlangen, oder?« »Sei dir da nicht zu sicher.« Gespannt horchte sie auf. »Was soll ich tun? Bist du etwa in Schwierigkeiten?« Ihr Gefühl sagte ihr überdeutlich, dass Steve anders als ihr Ex-Mann war, er war kein Betrüger. Nie würde er sie für seine eigenen Zwecke benutzen. Dennoch beschlichen sie leise Zweifel. Er atmete tief durch, zögerte und rückte schließlich mit seiner Bitte heraus. »Ich brauche dich, um in ein Haus einzubrechen.«
6. KAPITEL »Was?« fragte Amy perplex. »Hast du bald Pause?« wollte Steve wissen. »In einer halben Stunde«, gab sie zurück. »Können wir dann von hier verschwinden?« »Ja.«
»Wirst du mir zuhören?« Dem deutlichen Flehen in seinen schönen blaugrauen Augen konnte sie nicht widerstehen. Sie wusste einfach instinktiv, dass dieser Mann sie nie verletzten würde. Wenn er sie um etwas so Ungeheuerliches bat, musste er seine Gründe haben. Sie gingen in ein kleines China-Restaurant zwei Blocks weiter. Während des Essens erläuterte Steve ihr die Einzelheiten. Amy lehnte sich zurück, die Tasse mit heißem Tee in der Hand, und fasste im Geist das Gehörte zusammen. Nachdem Jimmy Monroe, der den jungen Steve beim Aufbrechen seines Wagens erwischt hatte, gestorben war, ging es mit Florence ziemlich bergab. Zusammen mit Jimmy hatte sie aus dem Nichts ein Vermögen aufgebaut. Beide hatten hart in ihrem Brautladen am Rodeo Drive gearbeitet und das verstaubte kleine Geschäft zu einem wahren Imperium ausgeweitet. Sie hatten keine Kinder, obwohl sie es sich gewünscht hatten. Ihre Kinder waren die Knaben aus dem Waisenhaus und später aus dem Jugendheim. Seit Jimmys Tod versuchte nun offenbar ein jüngerer Bruder von Florence, das Vermögen an sich zu reißen. Steves Darstellung nach hatte dieser Mann, Douglas Bullard, Florence vor kurzem überredet, ihren stattlichen Besitz aufzugeben und in ein Altenheim zu ziehen. Und nun war er dabei, sich ihr beträchtliches Vermögen illegal überschreiben zu lassen. »Du brauchst nicht weiterzuerzählen«, meinte Amy seufzend. »Solche Dinge passieren wirklich. Ich denke da an meine Erfahrungen mit Lenny.« »Ich wusste, dass du es verstehen würdest.« »Aber warum ich? Ich wäre doch die Letzte, die du bei einem Einbruch dabeihaben wolltest. Ich bekomme leicht Angst, ich fürchte mich vor Dunkelheit…« »Du kennst das Haus in- und auswendig, weil du es jede Woche putzt.«
»Welches Haus?« Er nannte die Adresse, und Amy starrte ihn ungläubig an. »Himmel, Steve, dann war es Douglas, der mir die Hunde überlassen hat.« »Ich bin sicher, er wollte sie einschläfern lassen.« »Ich hab’s geahnt!« Amys Nackenhaare stellten sich auf. »Ich hatte meine Arbeit gerade beendet und wollte gehen, als ich die beiden Hunde in ihren Reisekörben sah. Ich fragte den Mann, was passiert sei, und er erzählte mir, dass die Besitzerin für längere Zeit verreist sei und die Tiere nicht mehr haben wolle.« »Du hast Florence also nie kennen gelernt?« »Nein. Ich hatte den Job noch nicht lange. Douglas hatte die Reinigungsfirma angerufen und eine Putzfrau angefordert.« »Wenn du Florence gekannt hättest, wüsstest du, dass sie nie einen Hund hergeben würde, schon gar nicht ihren eigenen.« »Weißt du, wo sie ist?« Inzwischen begriff Amy die Zusammenhänge. »Deshalb warst du in meiner Wohnung so komisch! Du hast Joe wieder erkannt!« »Florence hatte mir erzählt, dass sie einen Retriever und einen Pekinesen besitzt. Ich habe Joe nie gesehen, er lag gewöhnlich auf der hinteren Veranda in der Sonne, wenn ich Florence abholte. Aber die beiden Hunde zusammen konnten kein Zufall sein.« »Wie steht Florence zu dem Ganzen?« Sie sah einen Muskel an Steves Kinn zucken, bevor er sprach. »Ich habe sie erst vor ein paar Tagen aufgespürt. Sie steht dermaßen unter Medikamenten, dass sie mich kaum erkannte. Ich riet ihr, die Tabletten unter der Zunge zu behalten, bis die Krankenschwester aus dem Zimmer wäre, und sie dann wegzuwerfen. Ich weiß nicht, ob sie mich überhaupt verstanden hat. Vielleicht könnten wir morgen zusammen in das Altersheim gehen und die Hunde mitnehmen.« »Das mit dem Einbruch muss ich mir noch überlegen«, sagte
Amy leise. »Aber zu Florence begleite ich dich gern.« Steve nahm ihre Hand. »Das ist schon eine Menge.« Das Pflegeheim lag in South Pasadena, einer Wohngegend östlich von Hollywood, die noch fast kleinstädtisch wirkte. Doch Amy fühlte sich unbehaglich, als sie Steve zum Eingang folgte. Die Atmosphäre des Hauses war alles andere als einladend. Das große Gebäude war zwar einigermaßen in Schuss, doch es wirkte nüchtern und wie verlassen. »Florence hat mit ihrem .Brautladen Millionen verdient, und ihr Bruder steckt sie in so einen Kasten?« flüsterte Amy, als sie sich den gläsernen Doppeltüren näherten. »Wir leben in einer merkwürdigen Welt. Jetzt gib mir Joes Leine und steck Ming in deine Umhängetasche, wie wir abgesprochen hatten.« Der kleine Hund verschwand bereitwillig in der geräumigen Leinentasche. Steve setzte seine Sonnenbrille auf und nahm Joes Leine in die Hand. »Hunde sind hier nicht erlaubt…«, begann eine einschüchternde Pflegerin. Freundlich entgegnete Amy: »Joe ist ein Blindenhund.« Sie ging an der verblüfften Frau vorbei, ehe diese einen Beweis fordern konnte. Steve folgte ihr einen schmuddeligen, trübe beleuchteten Flur entlang, dessen Wände in unschönem Olivgrün gestrichen waren und der nach Desinfektionsmitteln roch. Florences Zimmer lag am Ende des Korridors. Beim Eintreten sah Amy, wie die alte Dame den Kopf von dem flachen Kissen zu heben versuchte. »Stephen?« wisperte sie. »Hier bin ich«, gab Steve zurück. »Und Joe ist auch da.« »Joe!« Amys Lider brannten, als der betagte Hund zu tänzeln begann und mit dem Schwanz wedelte. Die Jahre waren wie ausgelöscht, er war wieder das kleine Tier, das zu seinem Frauchen strebte. In ihrer Tasche rührte sich Ming, der ebenfalls zu seiner
Herrin wollte. Amy holte den langhaarigen Pekinesen heraus und setzte ihn vorsichtig auf das schmale Bett. Ming stürmte über die schmutzig-graue Decke und fing an, mit seiner kleinen rosa Zunge Florences faltiges Gesicht zu lecken. Er kläffte selig, und Amy war froh, dass Steve so umsichtig gewesen war, die Tür zu schließen. »Florence«, sagte Steve mit einem besorgten Unterton, »hast du die Tabletten weggetan, wie ich dir gesagt habe?« »Hier sind sie«, erwiderte sie. »Ich nehme sie aus dem Mund, sobald die Schwester draußen ist, und stecke sie unter die Matratze. Da sind sie sicher. Meine Laken werden nicht oft gewechselt.« Steve fand die Medikamente, tat sie in eine Plastikschachtel und schob diese in die Tasche seiner Lederjacke. Er hatte die Sonnenbrille abgenommen, und Amy bemerkte seinen bekümmerten Blick und die Falten auf seiner Stirn. »Wolltest du wirklich aus freien Stücken hierher, Florence?« erkundigte er sich. Die alte Dame zögerte. Amy litt mit ihr. Sie wusste, wie weh es tat, wenn jemand, den man liebte, einen verriet. Genau wie ihr fiel es Florence unsäglich schwer, dem Betrug ins Auge zu sehen. Bei einem Familienmitglied wollte man so etwas einfach nicht wahrhaben. »Ich erinnere mich nicht so recht, wie das war.« Amy schloss die Augen und streichelte Joes Kopf. Das Ganze war noch schlimmer, als sie befürchtet hatte. »Ich ging eines Abends zu Bett und… wachte hier auf. Ich versuchte, Fragen zu stellen. Ich konnte nicht ans Telefon… Und dann, mit den Medikamenten und allem… Ich erinnere mich kaum an etwas.« Amy sah die Verspannung in Steves Kinnmuskeln. Er verlagerte sein Gewicht und stand völlig starr – Anzeichen von unterdrückter Wut. »Hast du mit deinem Bruder gesprochen?« »Nein«, gestand Florence. »Niemand besucht mich.« Mit ihren blau geäderten Händen streichelte sie die beiden Hunde
liebevoll. »Wie hast du Douglas dazu gebracht, dass er dich heute mit den Hunden zu mir lässt?« In kurzen Worten berichtete er, was Douglas Amy an jenem Nachmittag erzählt hatte. Amy beobachtete Florence und bemerkte die Feuchtigkeit in den trüben blauen Augen und das Zittern der mageren alten Hände. »Warum hat er das getan? Wieso erzählt er, dass ich auf einer Weltreise bin?« »Es ist eine einleuchtende Erklärung dafür, dass du für längere Zeit abwesend bist«, stieß Steve rau hervor. »Auf diese Weise stellt niemand lästige Fragen. Und ich fürchte, er hat nicht vor, dich in dein Haus zurückkehren zu lassen.« Florence seufzte leise, während sie weiter ihre Hunde tätschelte. Nach einer Weile sagte sie: »Steve, ich weiß nicht, was ich tun soll.« »Aber ich«, erklärte er. »Ich brauche nur deine Einwilligung.« Nachdem sie das Pflegeheim verlassen hatten, fuhr Steve mit Amy zu einem Schnellrestaurant mit Garten in Fair Oaks, in das sie die Hunde mitnehmen konnten. Joe streckte sich unter dem Tisch aus, während Ming auf Amys Schoß sprang. Steve ging hinein, um Kaffee zu holen. In den Minuten, als sie allein in der Sonne saß, versuchte Amy, mit ihrem Zorn fertig zu werden. Lenny hatte sie verletzt, aber er hatte ihr nie nach dem Leben getrachtet oder sie in eine dermaßen hilflose Lage gebracht. Ob er auf solche Gemeinheiten verfallen wäre, wenn sie die Scheidung verweigert hätte? Nein, ihr Ex war ein Feigling, unfähig, auch nur die geringste Verantwortung zu tragen. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Ehe zu beenden, er war einfach untergetaucht. Amy hatte einen Anwalt beauftragen müssen, um ihn wegen böswilligen Verlassens zu belangen. Lenny besaß nicht die kriminelle Energie eines Douglas. Aber er hat mich ja bereits um mein Geld erleichtert, so wenig es auch war, sagte sie sich, während sie Mings weiches Fell streichelte.
Bei Florence und ihrem Bruder lagen die Dinge anders. Es ging um beträchtliche Summen. Wenn niemand eingriff, würde die alte Dame einsam in dem Pflegeheim sterben, und keiner würde davon erfahren. Den ehemaligen Nachbarn würde man erzählen, sie sei auf einer Luxuskreuzfahrt verstorben. Nein, Florences Probleme waren schwerwiegender, als es ihre eigenen je gewesen waren. Und Amy verstand vollkommen, warum Steve meinte, etwas dagegen tun zu müssen. Florence und ihr Mann waren ihm Elternersatz gewesen. Hätten sie sich nicht so liebevoll um ihn gekümmert, wäre sein Leben völlig anders verlaufen. Was Amy heute erlebt hatte, schockierte sie. Florence war nicht einmal gekämmt worden, ihr Zimmer roch ungereinigt. Das ganze Haus wirkte vernachlässigt. Und man verabreichte ihr Medikamente, zusammen mit minderwertiger Nahrung, bis sie eines Nachts – ohne Hoffnung und Lebenswillen, unbeachtet und von allen vergessen – still im Schlaf sterben würde. Und dann würde ihr Bruder genau das bekommen, was er sich wünschte. Geistesabwesend tätschelte Amy Joes Kopf. Seltsam, was die Gier nach Geld aus Menschen machen konnte. Lenny war in ihr Leben getreten, nachdem ihr Vater gestorben war. Später bekam sie heraus, dass Lenny vermutlich die Todesanzeigen durchforstet und nach Hinterbliebenen gefahndet hatte die er ausnehmen konnte. Er brauchte ihr kleines Erbe auf und suchte sich dann fettere Weidegründe, wobei er ihr einen Schuldenberg hinterließ. Sie war schlicht und einfach betrogen worden. Die Liebe zu ihrem Mann, der Wunsch nach menschlicher Nähe, als ihr Vater gestorben war, hatte sie anfällig dafür gemacht. Jetzt erkannte sie dasselbe Bedürfnis bei Florence – den Wunsch zu glauben, dass ein geliebter Mensch nur ihr Bestes im Sinn hatte, selbst wenn alle Tatsachen dagegen sprachen. Amy war sicher, mit einem Freund wie Steve an der Seite
hätte ihr Ex sich diese Unverfrorenheit nicht herausgenommen. Doch Florence hatte Steve zur Seite. Sie hatte ihm erlaubt, in ihre Villa in Beverly Hills einzusteigen, den Safe in ihrem Schlafzimmer aufzubrechen und einige wichtige Papiere herauszunehmen. Ohne diese Unterlagen konnte Douglas seine üblen Pläne nicht weiter verfolgen. Steve hatte Douglas beschattet und jeden seiner Schritte überwacht. Zudem hatte er sich bei einigen Stellen in der Stadt umgehört, um zu erfahren, dass Douglas unter anderem Florences wertvolle Aktien und den Schmuck verkaufen wollte, sobald sie für unzurechnungsfähig erklärt worden wäre. Und dann würde er ein Nummernkonto in der Schweiz eröffnen und das Schicksal seiner Schwester der Sozialfürsorge überlassen. Der Mann musste gestoppt werden. Als Erstes mussten sie die Aktien und den Schmuck in Sicherheit bringen. Und dazu brauchte Steve Amys Hilfe. Er musste das Gesetz übertreten, um dem Recht Geltung zu verschaffen. »Die Polizei wird bei so einem Familienstreit nicht eingreifen«, hatte er ihr erklärt, als sie das Pflegeheim verließen. »Ich hatte ähnliche Fälle in meiner Agentur. Meistens lassen es die gutmütigen Alten so lange schleifen, bis die Übeltäter über alle Berge sind.« Amy litt mit Florence. Sie hatte sie nicht in dem hässlichen Heim lassen wollen, aber Steve hatte ihr versichert, dass die alte Dame nicht ernsthaft in Gefahr war, solange sie weiter die Medikamente verweigerte. »Und wenn wir sie jetzt da herausholen«, sagte er, »wird ihr Bruder bloß hellhörig. Nein, das müssen wir in aller Heimlichkeit erledigen.« Er hatte Recht, und Amy bewunderte seine Weitsicht, mit der er die Lage sofort durchschaut hatte. Amy lächelte unwillkürlich, als Steve mit zwei Kaffeebechern und zwei Stück Karottenkuchen mit Sahne zum Tisch zurückkam. So erging es ihr immer, wenn dieser wunderbare Mann vor ihr stand. Auch Joe blickte erwartungsvoll auf, seine
Hundeaugen glänzten. Er liebte Süßes. Amy hatte ihre Entscheidung bereits getroffen, bevor Steve sich setzte. »Der Safe«, erklärte sie ruhig, während sie nach dem Milchkaffee griff, »ist im Schlafzimmer hinter einem Chagall – einem echten übrigens. Als ich dort einmal staubsaugte, sah ich, wie Douglas ihn aufmachte. Wirst du ihn aufbekommen?« Das war für sie die große Frage. Florence war noch so benommen von den Medikamenten gewesen, dass sie sich nicht an die Kombination erinnerte. Steve lächelte, als er seine Tasse hob. »Darauf kannst du wetten.« Dann wurde er ernst. »Ich habe dir doch von Florences Schmuck erzählt, nicht?« Amy nickte ahnungsvoll. »Es handelt sich um eine Halskette«, fuhr Steve fort. »Und Ohrringe.« Er zögerte, und Amy sah ihn abwartend an. »Und ein Armband«, setzte Steve hinzu. »Jimmy hat diesen Schmuck Florence zur Goldenen Hochzeit geschenkt. Er hatte immer gesagt, dass er sie mit Brillanten überhäufen wollte, und… das tat er dann auch. Ich war dabei, als sie das Geschenk auspackte.« Amy schluckte. Die Sache wurde immer komplizierter, aber sie würde nicht kneifen. »Was ist mit den Brillanten?« »Hast du jemals etwas von den so genannten Mitternachtsdiamanten gehört?« Ihre Augen wurden groß. »Ich habe neulich in einer Zeitschrift von den berühmten Steinen gelesen. Sie waren abgebildet. Sie sind unglaublich schön.« Plötzlich wurde ihr schwindelig. »Liegen sie etwa in dem Safe?« flüsterte sie ehrfürchtig. »Ja. Sie sind zehneinhalb Millionen Dollar wert.« »Über zehn Millionen Dollar?« Amy schlug die Hände vor den Mund. »In dem Halsband und dem Armband stecken wahre Klötze von Diamanten. Jimmy war so stolz darauf. Allein das Halsband ist sechseinhalb Millionen wert, das Armband
eineinhalb.« »Und die Ohrringe«, fügte Amy hinzu. »Diese wunderschönen birnenförmigen Anhänger.« »Zweieinhalb Millionen das Paar.« Amy musste das Ganze erst einmal verdauen. Jetzt verstand sie, was Douglas in dem Juwelierladen am Rodeo Drive gewollt hatte, zu dem Steve ihm gefolgt war. Die Sache nahm ganz neue Dimensionen an. »Wir sind also hinter Diamanten her?« Steve nickte. »Falls sie noch dort sind.« Am Abend besprachen Amy und Steve ihren Plan in allen Einzelheiten. Wieder und wieder. Amy erkannte, dass Steve wirklich an alles gedacht hatte. Sie redeten noch, als sie im Bett lagen, und redeten lange weiter, nachdem sie sich leidenschaftlich geliebt hatten. Jeder Handgriff musste sitzen. Steve hatte Douglas beobachtet, seit er von Florences Umsiedlung in das Heim erfahren hatte. Er kannte die Gewohnheiten des Mannes genau. »Donnerstags ist er zum Poker bei Nachbarn. Es geht immer um eine Menge Geld. Geld, das er nun einmal nicht hat.« »Und wenn er Spielschulden hat, bittet er seine Schwester um ein Darlehen, richtig?« »Wie hast du das erraten?« »Ach, gewisse Dinge ändern sich nie.« Steves Aussage zufolge hatten sie etwa anderthalb Stunden Zeit. Es kam sehr auf das Alarmsystem an, das er würde ausschalten müssen, und wie lange er dann brauchte, um die Kombination des Safes zu knacken. »Jetzt weiß ich ja, wo der Safe ist, also brauchst du eigentlich nicht mitzukommen«, sagte er, nachdem Amy ihm einen genauen Lageplan gezeichnet hatte. »Ich möchte dich nicht unnötig in Gefahr bringen. Und das hast du sicher nicht gemeint, als du sagtest, du wolltest etwas Wildes erleben.« »Steve.« Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Ich werde dich bei dieser Sache nicht allein lassen.«
Dennoch hatte Amy ihre Zweifel. Nicht über das bevorstehende Unternehmen. Ihre Zweifel lagen tiefer. Es ging um ihre Beziehung zu Steve. In der Radiosendung hatte sie erzählt, dass sie nur eine Fantasie verwirklichen wollte. Sie hatte auch gesagt, dass sie momentan nichts mit Männern im Sinn hatte – bis sie ihr Leben wieder im Griff und ihre Schulden abbezahlt hätte. Würde Steve sie beim Wort nehmen? Hatte er nur ihren Traum erfüllen wollen und nichts weiter? Was für eine Beziehung wollte er, wenn überhaupt? Er war sicher nicht begeistert von einer Frau mit so enormen Schulden. Sie wollte ihn nicht damit belasten. Sie fragte sich auch, ob sie nicht noch etwas Zeit für sich brauchte. Die Ehe mit Lenny war die schmerzlichste Lektion ihres Lebens gewesen. Seit anderthalb Jahren waren sie getrennt, doch schon ein halbes Jahr zuvor war die Beziehung bereits beendet gewesen. Zwei Jahre Abstand also – genug, um sich auf etwas Neues einzulassen. Aber konnte sie ihre Probleme einem anderen Mann zumuten? Es war alles so kompliziert. Eine kleine zweifelnde Stimme in ihr sagte ihr, dass Männer sich offenbar nur kurzzeitig mit ihr amüsieren wollten. »Er ist ein anständiger Kerl.« Buds Worte kamen ihr immer wieder in den Sinn. Sie wusste, Steve würde sie nicht hängen lassen, aber noch war es nicht an der Zeit für das gefürchtete »Beziehungsgespräch«. Irgendwann würden sie es allerdings führen müssen. Warum konnten Männer sich nicht einfach aufraffen und ihre Karten offen auf den Tisch legen? Sonst wusste Steve doch auch, was er wollte. Er entschloss sich in Bruchteilen von Sekunden und führte seine Entschlüsse sofort aus. Warum zögerte er bei ihr? Was hielt er von der Beziehung? Wenn sie doch nur seine Gedanken lesen könnte! Aber so zärtlich, wie er sich im Bett mit ihr verhielt… Allein das sollte ihre Zweifel endgültig zum Schweigen bringen. Doch Amy war ein gebranntes Kind, das war nicht zu ändern. Eins war ihr immerhin klar: Zuallererst ging es jetzt um
Florence. Die alte Dame war so lieb, sie verdiente dieses Schicksal nicht. Vor diesem Hintergrund erschienen Amys Schwierigkeiten mit Steve geradezu lächerlich. Als Nächstes kamen ihre Schulden. Das wollte sie keiner neuen Beziehung aufbürden. Aber die drei Jahre, die sie für die Abzahlungen brauchen würde, kamen ihr entsetzlich lang vor – und schrecklich einsam, seit sie Steve McKnight begegnet war. Auch Steve hatte seine Zweifel, denn er wusste nicht, was Amy wollte. Anfangs war es ihm nur um die Erfüllung ihrer Fantasien gegangen. Im Radio hatte sie klar gesagt, dass sie keine Beziehung mit einem Mann wünschte. Zunächst wollte sie ihre finanzielle Sicherheit haben. Steve hatte hinter den Worten ihre Ängste gespürt. Sie musste wieder lernen zu vertrauen, bevor sie sich erneut auf einen Mann einließ. Er wäre nur zu gern dieser Mann gewesen, doch er wollte sie nicht bedrängen, ehe sie nicht von sich aus bereit war. Steve hielt sich durchaus für einen Draufgänger. Aber wie die meisten Männer hatte er Angst davor, von einer Frau, an der ihm viel lag, zurückgewiesen zu werden. Er kannte Amys Gefühle nicht, und so beschloss er, diese Angelegenheit bis nach dem Unternehmen Florence zurückzustellen. Danach würde er versuchen, Amys Wünsche zu enträtseln. Seine eigenen Zukunftswünsche waren klar. Ein Leben ohne Amy konnte er sich nicht mehr vorstellen. Und er würde ihr Zeit lassen, solange die Chance für eine gemeinsame Zukunft bestand. Er ging gerne Risiken ein, setzte auf langfristige Chancen und gewann meistens. Nur dieses Mal, wo es um sein ganz persönliches Glück ging, hatte er keinen Spaß am riskanten Spiel.
7. KAPITEL Amy hatte am Tag vor dem entscheidenden Ereignis in
Florences Villa zu putzen. Während sie das Schlafzimmer saugte, das Douglas inzwischen in Beschlag genommen hatte, blickte sie ständig zu dem Chagall an der Wand hinüber. Morgen Nacht würde sie mit Steve hier einbrechen, den Safe öffnen und wichtige Papiere entwenden. Dazu die Brillanten, die zehneinhalb Millionen Dollar wert waren. Sie fasste es nicht. Hätte ihr jemand prophezeit, dass ein harmloser Anruf bei einem Radiosender ihr Leben dermaßen auf den Kopf stellen würde, hätte sie es nicht geglaubt. Wenn ihr jemand gesagt hätte, dass sie mit Steve in eine Villa einbrechen würde, hätte sie bloß gelacht. Dann dachte sie an Florence, die allein und verängstigt in dem dunklen, unsauberen Zimmer lag. Sie erinnerte sich an die Rührung der alten Dame, als sie ihre Hunde erblickte, und an die Verwirrung über das Verhalten ihres Bruders. Amy wusste, dass sie sich richtig entschieden hatte. »Kannst du nicht schlafen?« flüsterte Steve im Dunkeln. Sie übernachteten im Haus seines Schauspieler-Freundes in Beverly Hills, denn es lag nur vier Blocks von Florences Anwesen entfernt. »Nein.« Die Digitalanzeige des Weckers zeigte kurz nach Mitternacht. »Aufgeregt?« »Ich muss immer daran denken«, gestand Amy. »Ich weiß, wie ich dich auf andere Gedanken bringen kann.« Er legte die Hand auf ihren Rücken und streichelte ihre nackte Haut. Es funktionierte auf Anhieb. Amy drehte sich zu ihm herum und ließ sich mit der Woge der Gefühle davontragen, die dieser Mann so mühelos in ihr entfesseln konnte. Auch Steve ließ das Vorhaben nicht völlig unberührt. Er hatte Amy alles über seine Vergangenheit und die harte Jugend erzählt, und nun dachte er daran zurück, wie er fast auf die schiefe Bahn geraten wäre. Ein Einbruch war etwas
Schwerwiegendes. Obwohl er Florences Erlaubnis hatte und wusste, dass er das Richtige tat, wären die Folgen katastrophal, wenn er oder Amy dabei gefasst würden. Aber er sah keinen anderen Weg. Er konnte die Frau nicht hängen lassen, die wie eine liebevolle Mutter zu ihm gewesen war. Amy mitzunehmen war ein enormes Risiko. Anfangs hatte er geglaubt, er brauche sie, doch als sie ihm die genaue Skizze der Räume und der Lage des Wandsafes aufgezeichnet hatte, wollte er es ihr wieder ausreden. Schlimm genug, wenn er gefasst würde. Der Gedanke, dass Amy das widerfahren könnte, war ihm unerträglich. Steve sah jedoch die Entschlossenheit in ihren schönen grünen Augen und wie sie auf Florences Anblick in dem schmalen Bett im Pflegeheim reagiert hatte. Und nun wollte er Amy lieben. Steve hatte reichlich Erfahrung mit Frauen, aber bei Amy fand er etwas, das er bei keiner anderen erlebt hatte. Er hatte es im ersten Moment gespürt, als er ihr begegnet war, obgleich er es nicht hätte in Worte fassen können. Sie war anders, außergewöhnlich. Steve hatte sie begehrt und später eine tiefe Zuneigung zu ihr gefasst. Und jetzt war er sogar verliebt in sie – er empfand eine Liebe, die sich absolut dauerhaft anfühlte. Trotzdem war er bereit, sie Gefahren auszusetzen, und das nicht nur bei diesem Diamantenraub. Wenn er für immer mit Amy zusammen sein wollte, müsste sie seinen Beruf mit seinen ständigen Risiken akzeptieren. Dabei hatte sie mit ihrem Ex-Mann schon so viel durchgemacht. Was das nicht unfair? All das ging ihm durch den Kopf, während er sie küsste, ihren Kopf in die Hände nahm, mit der Zunge zwischen ihre Lippen drang, den Kuss vertiefte. Etwas Verzweifeltes lag in seinem Verlangen. Er hob sie über sich, umfasste ihren schlanken Körper, drückte sie unter Küssen fest an sich. Er strich ihr übers Haar, nahm ihre Brüste in die Hände, während er sie unablässig küsste. Es gab Momente im Leben,
in denen Worte versagten, und dies war einer davon. Sie reagierte herrlich spontan, nahm sein Feuer auf. An gewissen Anzeichen sah er, dass sie genauso erregt war wie er ihr stoßweiser Atem, ihr leises Seufzen, die Hitze ihrer Haut. Er strich an ihren Hüften hinauf und umfing eine ihrer Brüste, nahm ihre harte Brustspitze in den Mund und sog daran. Das tiefe Stöhnen aus ihrer Kehle gab ihm Bestätigung. Allein die Laute, die sie von sich gab, konnten ihn zum Wahnsinn treiben. Steve wollte die Lust noch länger hinauszögern, aber er konnte nicht mehr, als er Amys Hände auf dem Po spürte. Sie zog ihn über sich, in sich. Hemmungslos gab sie sich ihm hin, und dieses Geschenk überraschte und beschämte ihn. Dass sie so viel geben konnte, nachdem das Leben ihr so übel mitgespielt hatte, erschien ihm wie ein Wunder. Steve stöhnte und presste seine Lippen auf ihren Mund, diesen wunderschönen, sinnlichen Mund, der sich ihm verlangend öffnete. Amy bebte, und er spürte ihre Hitze, das ungeduldige Drängen ihres Körpers. Er konnte nicht genug von ihr bekommen, und seine Bewegungen wurden schneller, heftiger. Und Amy folgte ihm mit einer Leidenschaft, die ihm fast um den Verstand brachte. Sie erreichte den Höhepunkt mit einem jähen Aufschrei. Überwältigende Lust überschwemmte auch ihn, und für einen Moment schienen sie allein auf diesem Planeten zu sein, zwei glühende Körper in einem sinnlichen Kosmos. Amy hatte erwartet, dass sie am Abend des Einbruchs starr vor Schrecken wäre. Aber stattdessen fühlte sie sich äußerst erregt – war sie vielleicht nicht ganz normal? Das fragte sie sich, als Steve die schwarze Limousine die nächtliche Straße entlang steuerte. Er hatte den Wagen aus der Garage seines Freundes geborgt und wollte ihn vor Florences Anwesen parken. Dann würden sie von hinten über die hohe Mauer einsteigen.
»Da sind keine Wachhunde«, hatte Steve sie zuvor beruhigt. »Nicht einmal, als Joe und Ming noch im Haus waren.« Amy musste lachen. Die beiden waren viel zu verschmust, um gute Wachhunde zu sein. »Wir sollten fast dankbar sein«, sagte sie, »dass Douglas keine Tiere mag.« Sie kletterten über die Mauer, eine hohe Backsteinwand mit schwachem Efeubewuchs, in den üppigen Garten. Amy achtete darauf, sich in der finsteren, mondlosen Nacht dicht neben Steve zu halten. Er sah kurz auf die Uhr und zog dann ein kleines Fernglas aus seiner Lederjacke. Mit behandschuhten Händen setzte er es an die Augen und spähte zur Straße hinüber. »Pünktlich wie immer«, bemerkte er. »Da geht unser Mann, um noch mehr vom Geld seiner Schwester zu verspielen.« Amy fragte nicht nach Einzelheiten. Sie wusste, dass Douglas sich Florences cremefarbenen Rolls-Royce angeeignet hatte. »Also los«, sagte Steve leise. Sie folgte ihm lautlos wie ein Schatten. Sie trug nur Schwarz: Jeans, Pullover, Turnschuhe und Handschuhe. Sogar ihr Haar und einen Teil ihres Gesichts hatte sie unter einem dunklen Tuch verborgen. »Wie eine Ninja«, hatte sie erklärt, als sie Steve ihr Outfit vorführte. »Gefällt mir.« Als sie sich der Rückseite des Hauses näherten, erblickten sie ein paar eingeschaltete Lampen und den laufenden Fernseher. Die gläserne Schiebetür, die vom Wohnzimmer auf die Veranda führte, stand offen. Gestern noch hatte es heftig geregnet, aber heute war es mild. Sie blieben bei den Stauden vor der Veranda stehen. »Wer ist das?« flüsterte Steve und wies auf die üppige Blondine, die von der Couch vor dem Fernseher aufstand und nach nebenan in die Küche ging. Dort öffnete sie den gewaltigen Kühlschrank und nahm eine Flasche Weißwein
heraus. »Seine Freundin«, flüsterte Amy zurück. »Na, großartig.« Die Frau begann zu telefonieren. Die Weinflasche war sichtlich nicht ihre erste heute. Sie sprach so laut und erbost, dass man im Garten jedes Wort verstand. »Er glaubt, er kann einfach zu seinen Kumpels gehen und mich hier sitzen lassen, als wäre ich das erstbeste Flittchen!« Steve lächelte Amy in Dunkeln an und kreuzte zwei Finger. »Er sagte, ich soll auf ihn warten. Aber ich bin so wütend, Liza, dass ich am liebsten abhauen würde!« Steve nickte und ergriff Amys Hand. Die Berührung gab ihr Sicherheit. »Meinst du?« fragte die Blonde. »Du glaubst, er würde zur Vernunft kommen, wenn er mich nachher nicht hier findet?« Steve nickte wieder, als wollte er sie ermutigen. Amy musste sich auf die Lippen beißen, um nicht zu lachen. Sie riss sich zusammen. Ein Einbruch war überhaupt nicht lustig. »Wo hast du ihn gesehen?« rief die Frau jetzt aufgeregt. Gebannt horchte sie auf das, was Liza offenbar berichtete. »Dougie mit einer Dunkelhaarigen in Santa Anita? Gestern? Dieses Stinktier, mir erzählte er, er müsste zum Zahnarzt, eine Plombe nachsehen lassen.« Wieder schwieg sie ein Weile. »Ich wette, er hat sich etwas ganz anderes nachsehen lassen«, stieß sie dann wütend hervor. »Mir reicht’s. Ich gehe!« Steve hob den Daumen, als die Frau die Weinflasche, ihre Tasche und Jacke ergriff und aus dem Raum stürmte. Das Knallen der Vordertür war in der klaren Nachtluft laut und deutlich zu vernehmen. »Unglaublich«, flüsterte Steve. »Das läuft ja so glatt, als stünde der Himmel uns bei.« Er runzelte die Stirn und warf Amy einen Blick zu. »Vielleicht ein wenig zu glatt. Bleib nah bei mir, Amy, und tu genau, was ich dir sage.« Sie nickte. Meist gingen die Dinge eben nicht glatt, das hatte
sie oft genug erfahren. »Ob sie die Gartentür womöglich abschließt?« »Ich glaube nicht. Warte hier, ich seh nach.« Schon war er verschwunden, und Amy staunte, wie schnell und lautlos er sich bewegen konnte. Minuten später kam er zurück. »Sie ist weg. Ist mit einem Jaguar vom Grundstück gerast. Die Lady gehört sicher nicht zu den Ärmsten.« »Was jetzt?« »Jetzt auf zu den Heldentaten.« Sie betraten das Haus und verschlossen die Schiebetür hinter sich. Steve schaltete den Fernseher aus, damit sie nicht eventuelle Geräusche im Haus überhörten. Beim Schein der Taschenlampe gingen sie den Flur entlang zu Florences Schlafzimmer. Amy war verblüfft, wie schnell Steve den Safe geöffnet hatte. Er ging so geschickt mit seinen Geräten um, dass es ihr zu denken gab. »Hast du das schon öfter gemacht?« fragte sie leise. »Ein, zwei Mal, wenn ein Kunde im Recht war.« »Von wem hast du es gelernt?« »Von einem Profi, der mir einen Gefallen schuldete.« Eilig leerte er den Safe. Die Papiere und mehrere Bündel Bargeld steckte er in die Innentaschen seiner Jacke. Dann kamen die Juwelen. Amy sah, wie er das lederne Schmucketui öffnete, um den Inhalt zu überprüfen. Als sie die berühmten »Mitternachtsdiamanten« zum ersten Mal erblickte, hielt sie den Atem an. Das Halsband bestand aus großen, glitzernden Steinen, dennoch wirkte es fein und zart. Auch das Armband war aus dicken Trauben von Diamanten gemacht, zwei elegante birnenförmige Steine bildeten die Ohrgehänge. Zehneinhalb Millionen Dollar, direkt vor ihren Augen. Und atemberaubend schön. Das Symbol von Jimmy Monroes Liebe zu seiner Frau. Die beiden hatten gemeinsam hart gearbeitet und bescheiden gelebt, um ihr Unternehmen zum
Erfolg zu führen. Und als Steve das Etui zuklappte, es unter den Arm schob und den Safe schloss, wusste Amy, dass sie das Richtige taten. Es durfte nicht sein, dass Douglas seine Schwester in Einsamkeit sterben ließ und sie um alles brachte, was sie und ihr Mann sich geschaffen hatten. »Halt das mal eben«, sagte Steve. Er reichte Amy das Etui und rückte den Chagall über dem Safe zurecht. In diesem Moment vernahmen sie Geräusche. Das Klappen einer Tür, Schritte. Schritte, die sich dem Schlafzimmer näherten. Amy war buchstäblich gelähmt. Die Beine gehorchten ihr nicht, ihr Puls raste, Übelkeit stieg in ihr auf. Sie konnte nicht mehr klar denken, sie wusste nicht, was sie tun sollte, sie… »Unters Bett«, befahl Steve ruhig. Er schob sie unter das breite Doppelbett, und sie ließ es geschehen, zitternd am ganzen Leib, das Schmucketui noch immer umklammernd. Die Zimmertür wurde geöffnet, und Amy wusste nicht, wo Steve war. Jedenfalls war er nicht mit unter das Bett gekrochen. Da lag sie, allein, mit der Diebesbeute, Diamanten im Wert von zehneinhalb Millionen Dollar. Tränen der Angst traten ihr in die Augen, doch sie drängte sie zurück. Sie sah ein Paar Füße in teuren italienischen Slippern über den dicken Teppichboden auf den Safe zugehen. Douglas. Er war viel zu früh von seinem Pokerabend zurückgekehrt. Vielleicht wollte er aus dem Safe Bargeld holen doch das trug Steve in der Tasche. Wie würde Douglas reagieren, wenn er den leeren Safe vorfand? Amy begann noch stärker zu zittern. Er wurde das tun, was jeder in einer solche Situation tat die Polizei holen. Er würde auf ihr Eintreffen warten und bis dahin das Haus überwachen. Man würde die Villa durchsuchen und Amy unter dem Bett finden, mitsamt den »Mitternachtsdiamanten«. Die Probleme mit ihrem Schuldenberg wären ein Witz gegen das, was dann auf sie zukam.
Und wo war Steve? Hatte er sie mit der Beute sitzen lassen? Sie beobachtete die handgefertigten Lederslipper, die sich dem Wandsafe näherten. Angst überschwemmte ihr Denken, das Gift des Misstrauens zersetzte ihre Gefühle. War sie wieder auf den falschen Mann hereingefallen? Amys Wahrnehmung beschränkte sich vollständig auf das Paar Slipper. Sie konnte die Augen nicht abwenden. Wie hypnotisiert starrte sie auf diese Füße, die entschlossen auf den Safe zugingen und dann innehielten… Amy schloss die Augen und wartete auf das Geräusch, wenn das Ölgemälde von der Wand genommen, der Safe aufgemacht wurde. Und dann war es nur eine Frage der Zeit, bis… Sie öffnete sie Augen, als sie hörte, wie eine Schublade aufgezogen wurde. Douglas wühlte darin herum, zog einen Reißverschluss auf. Vorsichtig spähte Amy unter dem Bett hervor. Douglas stopfte sich Geldbündel in die Hosentaschen, die er offenbar in einer Kommode aufbewahrt hatte. Leise nahm sie den Kopf zurück. Das lederne Schmucketui umklammerte sie dabei so fest, dass ihre Finger schmerzten. Sie machte die Augen zu, presste die Wange an den kühlen Teppich und legte sich die freie Hand auf den Mund, damit ihr kein Laut entschlüpfte. Endlich, nach einer kleinen Ewigkeit, verließ Douglas den Raum. Sie hörte ihn den Flur entlanggehen, die Haustür schlug zu. Dann herrschte Stille. Amy war unfähig, sich zu rühren. Sie hatte jegliches Körpergefühl verloren. Todesangst lahmte sie. Obwohl sie sich sagte, dass Douglas sicherlich zu seiner Pokerrunde zurückgekehrt war, hatte sie nicht die Kraft, unter dem Bett hervorzukriechen. Eng zusammengerollt, die Augen fest geschlossen, lag sie da, bis sie Steves beruhigende Stimme vernahm. Erst dann traute sie sich, die Augen zu öffnen. »Oh Baby.« Seine Stimme war sanft und leise. Mitfühlend. Sie spürte, dass er ihre Ängste nachvollziehen konnte, und
auch ihre Zweifel an ihm. Er half ihr hoch und nahm sie einfach in die Arme. Als sie anfing zu weinen, strich er ihr übers Haar, sprach ihr begütigend zu und sagte ihr, dass es jetzt vorbei sei, alles sei vorbei, und sie wäre tapfer gewesen. Douglas war gegangen, sie waren in Sicherheit. »Komm, Amy«, bat er nach einer Weile. »Wir müssen hier weg.« »Ich weiß«, gab sie mit bebender Stimme zurück. Sie reichte ihm das Schmucketui, und er schob es in die Tasche. »Ich hatte so schreckliche Angst.« »Jetzt ist alles gut«, sagte er, nahm sie bei der Hand und führte sie auf den Flur hinaus. »Wo warst du denn?« stieß Amy hervor und wischte sich die Tränen von den Wangen. »Ich war im Schrank, direkt neben dir.« »Du warst in meiner Nähe?« »Oh Liebling, ich hätte dich doch nie allein gelassen!« Sie befanden sich inzwischen im Garten, und Steve hob Amy auf die efeubewachsene Ziegelmauer, nachdem er die Umgebung überprüft hatte. »Hast du gedacht, ich würde dich sitzen lassen?« Er kletterte auf die Mauer, sprang auf der anderen Seite hinunter und streckte die Arme aus, um Amy aufzufangen. Sie ließ sich bereitwillig fallen und umarmte ihn fest. Als er die Hand unter ihr Kinn legte und sie sanft zwang, ihn anzusehen, mied sie seinen Blick. Bevor er sprach, erkannte sie, dass er verstand. »Ich bin nicht Lenny. Ich würde dich nie verlassen. Niemals.« Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen, als sie Hand in Hand zum Wagen gingen.
8. KAPITEL Erst lange nach Mitternacht wich die Anspannung von Amy. Trotzdem konnte sie nicht schlafen und musste noch über die Ereignisse des Abends reden. »Glaubst du, Douglas wird seine Freundin beschuldigen, wenn er den leeren Safe sieht?« wollte sie wissen. Sie saß mit Steve im Haus seines Freundes im Wohnzimmer. Steve hatte im Kamin Feuer gemacht, eine Flasche Wein geöffnet, und nun blickten sie beide still in die tanzenden Flammen. Morgen früh würden sie als Erstes Florence aus dem Pflegeheim in South Pasadena abholen. Joe lag zufrieden vor dem Kamin und schnarchte selig. Ming drückte sich dicht an Amys Seite. Das kleine Tier hatte ihre Nervosität gespürt und wollte sie trösten. »Kann sein«, erwiderte Steve. »Aber die Frau scheint mir mit allen Wassern gewaschen. Die kann sich wehren. Ich hege eher den Verdacht, dass Douglas in Zukunft nicht mehr viel von ihr zu sehen bekommt.« »Und er wird vielleicht merken, was gespielt wurde, sobald wir Florence wieder nach Haus gebracht haben.« »Das möchte ich auch meinen.« Sie waren in Rekordzeit zum Haus des Freundes zurückgekehrt. Steve hatte die Papiere, das Bargeld und die legendären Juwelen im Safe des Hauses verwahrt. Dort würden sie bleiben, bis Florence entschied, was damit geschehen sollte. »Ich begreife das nicht«, sagte Amy, als Steve ihr noch einmal das Weinglas füllte. »Würde dein Freund nicht die Panik bekommen, wenn er wüsste, dass du sein Auto benutzt hast und dass diese sagenhaften Diamanten in seinem Safe liegen?« »Nein. Er hätte selbst mitgemacht, wenn er in der Stadt gewesen wäre.« Steve nahm Amy in die Arme und lehnte sich auf der Couch zurück. »Douglas müsste jetzt jeden Moment zu Haus eintreffen«, überlegte Steve. »Hoffentlich überprüft der arme Narr den
Safe nicht sofort. Er wird seinen gesunden Nachtschlaf brauchen für das, was auf ihn zukommt.« Amy musste lachen. »Wir holen Florence also morgen ab, und alles ist erledigt?« »Ja. Ich bringe sie hierher. Mein Freund hat eine hervorragende Köchin, sie stammt von den Philippinen. Ich möchte, dass Florence ein wenig Gewicht absetzt und erst einmal zu sich kommt, bevor sie ihrem Bruder gegenübertritt. Ohne Geld, Diamanten und die Aktien steht er eigentlich völlig auf verlorenem Posten.« Sie hatten erreicht, dass Florence das erworbene Vermögen erhalten blieb und die alte Dame – was vielleicht noch wichtiger war – ihr gewohntes Leben weiterführen konnte. Während Amy in die Flammen blickte, fragte sie sich wieder, wie ihre Beziehung zu Steve sich entwickeln würde. Dies war sicher nicht der Zeitpunkt, ihn danach zu fragen Sie wünschte, sie könnte die Gefühle einfach abschalten, aber die Fragen quälten sie ständig. War sie bereit für eine neue Beziehung? Eine, die tiefer ging und umfassender war als die Fantasien, zu denen sie sich im Radio bekannt hatte? Nach dieser Nacht konnte sie Steve rückhaltlos vertrauen. Er hatte sie nicht mit den Diamanten hängen lassen, er war zurückgekommen. Amy spürte, er war nicht der Mann, der eine Frau mit ihren Problemen allein ließ. Er zeigte Verantwortung, wie es ihr Ex-Mann nie getan hatte. Und trotzdem… Amy betrachtete die tanzenden Flammen im Kamin. Er schien ihre Sorgen zu spüren, denn er stupste sie an der Nase und lächelte. »Mach nicht so ein bekümmertes Gesicht. Ich habe mit meinem Freund gesprochen, alles ist in Ordnung. Wir können die Hunde hier behalten und Florence einen herzlichen Empfang bereiten.« »Okay.« Sie holte tief Luft und war froh, dass er nicht ihre wahren Kümmernisse erraten hatte. »Okay. Oh Steve, ich kann noch immer nicht fassen, was wir getan haben!« Er nahm ihre Hand, zog Amy an sich und schenkte ihr
dieses Lächeln, das unweigerlich ihren Puls beschleunigte. »Ich schon. Aber wir sollten uns lieber mit dem befassen, was jetzt zu tun ist…« Amy hatte absolut keine Einwände, als er sie auf den Teppich vor dem Kamin hinunterzog. »Mein lieber Junge, wie kann ich dir das je vergelten?« Florence saß im Garten der Villa seines Freundes, und Steve betrachtete sie liebevoll. Er war zufrieden mit dem Anblick, der sich ihm bot. Die Blässe und die kummervollen Falten waren aus ihrem Gesicht gewichen. Das gehaltvolle, schmackhafte Essen und der gesunde Schlaf in den letzten Tagen hatten wahre Wunder bewirkt. Doch die beste Medizin war wohl die Nähe der Hunde gewesen. Weder Joe noch Ming hatten ihr Frauchen seit deren Rückkehr länger als ein paar Minuten allein gelassen. »Dass du das Pflegeheim verlassen hast, ist mein schönster Lohn.« Sie aßen am Pool zu Mittag, inmitten von gepflegtem Grün. Joe sah zu seiner Besitzerin auf und hoffte auf einen Bissen gegrillten Lachs. Ming schien auf Florences Schoß wie festgewachsen. »Ich kann noch immer nicht glauben, dass…«, sagte sie leise. Sie beendete den Satz nicht. »Ich weiß. Es tut weh.« Steve holte tief Luft. »Aber nun bist du hier, und die Polizei hat Douglas aus deinem Haus geholt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis alles wieder normal läuft.« Er beugte sich vor und ergriff ihre Hand. »Und solltest du jemals wieder Probleme haben, musst du mich anrufen. Bei Tag oder Nacht.« »Das hätte ich gleich tun sollen, aber ich… ich wollte das Ganze nicht wahrhaben. Ich konnte einfach nicht.« Steve verstand sie. Er begriff auch, dass Florence das Bedürfnis hatte, über alles zu reden, um das Geschehene zu bewältigen. Er würde da sein und ihr zuhören, so lange sie ihn brauchte. »Wenn ich mir vorstelle, was meinem Joe und Ming hätte zustoßen können…« In den blassblauen Augen stiegen
Tränen auf, als sie mit brüchiger Stimme hinzusetzte: »Wenn Amy nicht gewesen wäre…« »Aber sie war da. Deine Hunde hatten einen guten Schutzengel, Florence.« »Das weiß ich wohl.« Sie nahm einen Schluck von dem frisch gepressten Orangensaft und erklärte: »Ich möchte etwas für sie tun, Steve, ihr helfen. Und da musst du mir einen Tipp geben. Ich bin nur eine dumme alte Frau mit unanständig viel Geld und…« »Ich kann nichts Unanständiges daran sehen«, warf Steve lächelnd ein. »Jimmy und ich haben es sehr genossen, unser Unternehmen aufzubauen. Es waren schöne Zeiten. Aber kein Mensch braucht so viel Geld, schon gar nicht in meinem Alter.« Sie neigte sich hinüber, und Steve bemerkte ein verschwörerisches Glimmen in den sanften blauen Augen. »Ich möchte etwas für Amy tun, Steve. Erzähl mir mehr von ihr.« »Das ist eine ziemlich lange Geschichte«, meinte Steve. Er zauste Joes Kopf und steckte dem Retriever einen Happen Lachs zu. »Aber ich denke, sie wird dich interessieren.« »Hi«, sagte Steve, als er drei Tage später Bud’s Cafe betrat. »Hi«, gab Amy zurück, als sie zu seiner gewohnten Nische ging, eine Tasse Kaffee und die Speisekarte in der Hand. »Wie geht es Florence?« »Sie ist glücklich wieder zu Hause mit ihren beiden Lieblingen.« »Und ihr Bruder?« »Verbannt in sein schwer mit Hypotheken belastetes Haus in La Crescenta. Es wird eine Weile dauern, bis die zwei wieder in alter Geschwisterliebe zusammenkommen. Falls überhaupt.« Er spähte zur Küche hinüber. »Hey, Bud, kann Amy Pause machen?« »Frag sie doch selbst«, war die Antwort. »Wie ist es?« fragte Steve. Etwas in seinen blaugrauen Augen berührte ihr Herz. Er wirkte heute Abend so…
verletzlich, als bekümmerte ihn etwas. »Okay.« Sie winkte Linda zu, die verständnisvoll nickte. Sie würde Amy s zwei anderen Gäste mit bedienen. Amy nahm gegenüber von Steve in der Nische Platz. »Möchtest du etwas essen?« »Jetzt nicht. Ich muss dich etwas fragen.« »Okay.« »Du weißt noch, wie du sagtest, du könntest dich auf keinen Mann ernsthaft einlassen, ehe du nicht deine Schulden abgezahlt und wieder festen Boden unter den Füßen hättest?« Sie war total verdutzt, dass er diese Einzelheit von der Radio Talkshow behalten hatte. Aber dieser Mann war nicht von ungefähr ein ausgezeichneter Detektiv. »Ja, das habe ich gesagt.« »Nun, Florence war nicht davon abzuhalten, deine Schulden zu übernehmen. Heute früh war sie in dem Büro am Wilshire Boulevard, von dem du mir erzählt hast, und schrieb dem Mann einen Scheck aus, der alle deine Verpflichtungen abdeckt.« Amy konnte Steve nur stumm anstarren. Sie begriff gar nichts. In ihren Kreisen kam so etwas nicht vor. Keiner von ihren Bekannten besaß so viel Geld. »Das kann ich nicht annehmen!« »Ich habe ihr auch gesagt, dass du es nicht akzeptieren würdest. Aber sie meinte, es sei eine Art Entgelt für dein gutes Herz.« »Mein gutes Herz.« Amy lehnte sich zurück. Sie war wie versteinert, regungslos. Schuldenfrei. Eine unfassbare Vorstellung. Ihr eigener Zeitplan sah noch drei weitere Jahre vor mindestens. Als sie jetzt mit Steve in der Nische saß und die Tatsache, dass sie völlig schuldenfrei war, ihr allmählich ins Bewusstsein sickerte, fühlte sie sich unendlich frei. Es war ein Gefühl, das sie seit langem nicht mehr gekannt hatte. »Die ganze Summe?« flüsterte sie, noch immer misstrauisch. Als würde sie gleich jemand zwicken und sie würde aus einem
Traum erwachen. »Sechsundzwanzigtausend und ein paar Zerquetschte«, bestätigte Steve und musterte sie aufmerksam. »Nur für mein gutes Herz?« »Dafür, dass du die beiden Hunde mitgenommen hast, anstatt sie dem lieben Dougie auszuliefern. Du wirst es nicht glauben, aber mir gegenüber tat Florence so, als wäre sie dir etwas schuldig.« »Also täte ich besser daran, es anzunehmen, oder?« fragte sie verschmitzt. »Allerdings. Dein Finanzberater hat den Scheck bereits. Sie meinte, er solle ihn noch heute einlösen. Baby, jetzt bist du schuldenfrei.« »Wow.« »Wow ist das richtige Wort.« Steve räusperte sich, und Amy sah ihn an. Er wirkte noch nervöser als vorher. »Steve? Stimmt etwas nicht?« »Die Sache ist die… Ich hätte dich sowieso gefragt, egal, wie der Zeitplan für dein Leben aussieht. Denn manchmal geht im Leben nicht alles nach Plan, nicht?« Amy hatte das überwältigende Gefühl, dass sich ihr Schicksal in diesem Moment erfüllte. Ihr Instinkt sagte ihr, dass dies einer der wichtigsten Augenblicke ihres Lebens war. Sie sah Steve erwartungsvoll an. »Ich meine, es sind nicht die ,Mitternachtsdiamanten’ oder so.« »Ich weiß.« Er runzelte die Stirn. »Ich habe noch gar nicht gesagt, was ich von dir möchte.« Sie lächelte glücklich. »Musst du auch gar nicht. Ich sage Ja, weil du ein anständiger Kerl bist.« »Woher weißt du das?« Sie legte die Hand auf ihr Herz. Er sah sie lange an und klopfte dann auf den Sitz neben sich. »Komm hier herüber.« Sie glitt an seine Seite, während er ein kleines Schmucketui
aus seiner schwarzen Lederjacke zog. »Kannst du mit einem Mann leben, der einen Beruf wie ich hat?« »Kannst du mit einer Frau leben, die kaum weiß, was sie machen soll? Schließlich habe ich nie mit einer Situation wie dieser gerechnet!« Er strich mit den Lippen über ihr Ohr. »Für eine Frau, die nicht weiß, was sie machen soll, tust du es recht gut.« Dann ließ er das Ringetui aufschnappen, und obwohl es nicht die »Mitternachtsdiamanten« waren, brauchte der Verlobungsring sich wahrlich nicht zu verstecken. Steve steckte ihn an Amys Finger, und sie begann vor Freude zu weinen. Als er ihr zärtlich die Tränen abtupfte, kam Alexis an den Tisch und stellte schweigend zwei Stück Himbeer-Sahne-Torte vor sie hin, jedes mit einer brennenden Kerze in der Mitte. »Hoffentlich sagst du Ja«, meinte sie mit barscher Stimme, doch in ihren Augen glitzerte es verdächtig. »Tue ich ja«, gab Amy zurück. Steve legte den Arm um sie und zog sie an sich.
Eine Woche später »Also«, sagte Steve, während er Amy eine Champagnerflöte reichte, »bist du nicht enttäuscht, dass wir keine große Hochzeit hatten?« Sie schüttelte den Kopf. »Überhaupt nicht.« Sie hätte ihm gern erklärt, dass es für sie keinen Unterschied machte, ob sie mit dem geliebten Mann allein auf einer tropischen Insel war oder in einer Kirche mit fünfhundert Gästen. Solange echtes, tiefes Vertrauen zwischen ihnen bestand, würde es auch wahre Nähe und Liebe geben, und nur das zählte. Die eigentliche Feier hatte am Nachmittag im Beverly Hills Hotel stattgefunden, dessen Penthouse sie gemietet hatten. Weder Amy noch Steve besaßen Familie, doch Bud, Linda und Alexis waren gekommen, und natürlich hatte auch Florence mit ihren Hunden an der Feier teilgenommen.
Amy hatte auf einmal das Gefühl, zwei Familien zu haben eine bestehend aus den Freunden und eine, die sie mit Steve gründen würde. In der Woche zwischen dem Diamantenraub und der Hochzeit hatten sie vieles besprochen: wo sie wohnen würden, wann sie Kinder haben wollten, alle die Dinge, die Verlobte zu entscheiden haben. Doch für Amy war nichts wichtiger als das reine Glück, das sie in den Armen dieses Mannes empfand. Und in dieser Nacht, nackt und fast schwebend vor Seligkeit nach leidenschaftlichen Stunden der Liebe, lag sie in dem riesigen Bett mit ihrem Ehemann und trank Champagner. »Musik?« schlug sie vor. Sie hatte nämlich noch eine kleine Überraschung für Steve parat. Der ganze Hochzeitstag war wie im Märchen verlaufen. Das Wetter war zauberhaft, und Amy hatte bei der Feier im herrlichen Rosengarten des Hotels vor Freude geweint. »Klar.« Er drehte an der Senderwahl des Radios neben dem Bett, wobei Amy mehrfach unruhig die Uhrzeit überprüfte. Mitternacht. Perfekt. Steve hielt inne, als die vertraute Erkennungsmelodie – ein weiches, sinnliches Jazzthema – der »Stunde um Mitternacht« erklang, gefolgt von Franks Stimme. »Hallo, liebe Hörer, es wird wieder Zeit für ein paar Mitternachtsküsse, für die Fantasien, die Sie nicht einmal Ihren besten Freunden anvertrauen. Doch bevor wir heute Nacht beginnen, habe ich etwas besonders Schönes für Sie. Ich möchte Ihnen erzählen, wie in dieser Stadt der Engel Träume wahr werden können.« »Hört sich gut an«, meinte Amy und hoffte, dass ihre Stimme sie nicht verriet. Es sollte eine echte Überraschung für Steve werden. »Okay.« Er lehnte sich in die Kissen zurück und zog Amy mit sich, vorsichtig, damit sie keinen Champagner verschütteten. »Erinnern Sie sich an den Anruf vor ein paar Wochen von einer Frau namens Amy?« Amy lächelte und biss in die saftige Erdbeere, die Steve ihr
gereicht hatte. »Hey«, begann Steve, aber Amy stellte ihre Sektflöte auf den Nachttisch und legte die Hand auf seinen Mund. »Nun«, fuhr Frank fort, »ich habe neulich einen Brief von Amy bekommen, und ich sagte mir, den müsste ich Ihnen eigentlich vorlesen. Amy gab mir die Erlaubnis dazu, denn sie glaubt an Träume und Fantasien, aber sie meint…« Der Moderator zögerte. »Ach, ich finde, das soll Amy selbst sagen. Hier ist also der Brief.« Steve nahm ihre Hand von den Lippen und küsste die Innenfläche. Amy spürte, wie gebannt er Frank lauschte. »Lieber Frank«, las der Talk-Master, »ich möchte dir danken, dass du mir Gelegenheit gegeben hast, meine heimlichen Fantasien auszudrücken. Ich glaube, ich war mir selbst gar nicht klar darüber, bis ich anfing zu sprechen und alles wie ein Sturzbach herauskam.« Steve musterte sie auf eine Art, dass Amy rot wurde und wegsah. »Ich habe dir von dem Mann erzählt, mit dem ich manchmal redete. Er hörte in jener Nacht zufällig deine Sendung, und ein paar Tage später ließ er meine Fantasien Wirklichkeit werden. Der schicke Wagen, die Fahrt ans Meer, das italienische Restaurant am Strand – einfach alles. Der Abend war zauberhaft, aber das Beste an diesen Träumen ist, dass sie wahr wurden.« Frank machte eine Pause. »Ein wunderbarer Brief.« Er räusperte sich und fuhr fort. »Sie wurden wahr, weil wir beide merkten, dass wir nicht nur Fantasien ausleben wollten. Er wollte mein tiefstes Inneres kennen lernen, und ich wollte einfach alles über ihn wissen. Nach dem bewussten Abend haben wir ein paar ziemlich aufregende Abenteuer zusammen erlebt, und wenige Wochen später machte Steve mir einen Heiratsantrag.« Steve zog sie näher an sich und küsste zärtlich ihre Wange. »Nächsten Samstag ist die Hochzeit«, las Frank weiter. »Du sollst als einer der Ersten davon erfahren, denn komischer-
weise, Frank, bist du so etwas wie unsere gute Fee. Oder ein Pate, wenn dir das lieber ist.« Der Moderator lachte. »Hey, Amy, mir ist beides recht.« Dann las er weiter. »Aber vor allem möchte ich dir sagen, dass das, was du tust, wichtig ist. Träume sind wichtig. Diese Fantasie, die ich heimlich hegte, half mir über schwere Zeiten hinweg.« Frank schwieg kurz. »Ich möchte dir danken, Frank, dass du mir in einer Situation geholfen hast, in der ich wirklich einen Schubs brauchte, um aus meiner Versenkung aufzutauchen und wieder anzufangen zu leben. Und ich möchte, dass es auch deine Hörer erfahren – obwohl es vielleicht kitschig klingt: Ja, Träume können wahr werden. Ich weiß es genau, denn bei mir war es so. Wenn du diesen Brief erhältst, bin ich die glücklichste Frau der Welt, die Frau meines Traummannes.« Frank räusperte sich erneut. »Alles Gute, Amy.« Steve stellte das Radio leiser, so dass es nur ein Hintergrundgeräusch bildete, zog Amy noch fester an sich und ließ sich zurücksinken. »Das war ein wunderbarer Brief«, flüsterte er. »Jedes Wort war ehrlich gemeint.« Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht. »Du warst auch mein Traum, von Anfang an. Aber ich hatte keine Ahnung, wie ich es anfangen sollte, denn du strahltest dieses ,Rühr mich nicht an’ aus.« »Ich hatte Angst«, bekannte sie. »Ich weiß.« Er lächelte. »Vielleicht sollte ich Frank auch einen Brief schreiben.« »Das würde ihn sicher freuen.« Steve betrachtete sie, und Amy sah dieses begehrliche Glitzern in seinen Augen, das ihr sagte, dass diese Nacht noch lange nicht vorüber sein würde. Kurz bevor er sie küsste, vernahm sie Franks Stimme leise im Hintergrund. »Erzählen Sie uns Ihre Fantasien, denn Träume werden wahr, jetzt in der Stunde nach Mitternacht, der magischen
Stunde für Mitternachtsküsse. Rufen Sie an, denn auch wenn Ihr Leben gerade düster aussieht, sollten Sie Ihre Träume nicht aufgeben. Sie könnten wahr werden, wenn Sie es am wenigsten erwarten…« Mit einem Lächeln schaltete Amy das Radio aus.
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Impressum TIFFANY SEXY erscheint in der CORA Verlag GmbH & Co. KG, 20.350 Hamburg, AxelSpringer-Platz l Redaktion und Verlag: Brieffach 8500, 20.350 Hamburg Geschäftsführung: Redaktionsleitung: Lektorat/Textredaktion: Produktion: Grafik: Vertrieb:
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© 1998 by Elda Minger Originaltitel: »NightFire« erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd. Toronto in der Reihe: TEMPTATION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. Amsterdam Übersetzung: Rossi Schreiber © 1999 by Jamie Arm Denton Originaltitel: »The Seduction Of Sydney« erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd. Toronto in der Reihe: TEMPTATION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. Amsterdam Übersetzung: Silke Schuff © 1999 by Cathy Gillen Thacker Originaltitel: »A Cowboy’s Woman« erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd. Toronto in der Reihe: AMERICAN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. Amsterdam Übersetzung: Kristina Krüger-Barhoumi Fotos: The Image Bank/WEPEGE © CORA Verlag GmbH & Co. KG © Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY SEXY Band 3 (1) 2001 bei CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdruckes in jeglicher Form, sind vorbehalten. TIFFANY SEXY-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig. Satz: PrePrint Gruppe, Druck: Ebner Ulm Printed in Germany; Aus Liebe zur Umwelt: Für CORA-Romanhefte wird ausschließlich 100% umweltfreundlich abbaubares Papier mit einem hohen Anteil Altpapier verwendet. Der Verkaufspreis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer. COKA Leser-Service Möchten Sie bereits erschienene Romane nachbestellen, oder haben Sie Fragen zum Abonnement? Dann wählen Sie bitte Ihre Service-Nummer: CORA Nachbestell-Service: Telefon (040) 85 31 35 15 CORA Abonnenten-Service: Telefon (07.132) 95 92 14 Fax (07.132) 95 92 16 CORA online Magazin: www.cora.de Sie erreichen die CORA Service-Nummern montags bis freitags von 9.00 bis 16.00 Uhr. Redaktion und Verlag: Telefon (040) 347-2 27 94
JAMIE DENTON HERZFLIMMERN
Jamie Denton Herzflimmern Jede Beziehung endet schmerzlich, kein Typ ist der Traummann, auf den sie gehofft hat die schöne Sydney ist es so leid! Zwar wird sie immer wieder von ihrem besten Freund Derek getröstet, in dessen Nähe sie neuerdings ein undefinierbares Herzflimmern verspürt. Aber mit Derek ins große Glück durchzustarten, fällt Sydney nicht ein. Denn wenn das schief geht, kann sie ihre Freundschaft gleich vergessen. Aber weil sie sich sehnlichst ein Baby wünscht, entschließt sie sich zu einer künstlichen Befruchtung. Und wieder ist es Derek, der sie hinterher, als sie sich deprimiert fühlt, in die Arme nimmt. Allerdings ist es diesmal anders als sonst: Aus einem zärtlichen Kuss wird heiße Leidenschaft, und schließlich landen sie im Bett. Großes Problem: Wer ist jetzt Babys leiblicher Daddy?
1. KAPITEL Die Frau seiner Träume war über und über mit Schlamm bespritzt. Derek biss sich auf die Lippen, um ein Lächeln zu unterdrücken. Obwohl sie von Kopf bis Fuß mit getrocknetem Matsch bedeckt war, blieb Sydney für ihn die aufregendste Frau, die er kannte. Aber sie hatte keine Ahnung davon, wie er für sie empfand. »Was ist denn diesmal passiert?« fragte er, während er die Eingangstür weit öffnete. Im Schein der Verandalampe konnte er sehen, dass sogar ihr langes dunkles Haar Schlammspritzer abbekommen hatte. Auch ihr helles Seidenkleid starrte vor Schmutz. Die schwarzen Strümpfe, die ihre schlanken Beine bedeckten, waren völlig zerrissen. Ihre schmutzverkrusteten Schuhe trug Sydney in der Hand. Trotz allem war sie wunderschön. Kopfschüttelnd betrat sie das Haus und blieb in dem gefliesten Flur stehen. Ihre grünen Augen funkelten vor Zorn. »Du würdest es doch nicht glauben.« Wieder unterdrückte er ein Lächeln. In den letzten Monaten war Sydney auf der Suche nach ihrem Prinzen, hatte aber zu Dereks großer Freude bisher nur Frösche gefunden. Sie war erst achtundzwanzig Jahre alt. Er konnte ihre Eile nicht verstehen. »Also wieder ein heruntergekommener Ritter in schimmernder Rüstung?« fragte er und schloss die Tür. Sie verdrehte die Augen. »Kann ich bei dir duschen?« Sie reichte ihm ihre schwarzen Pumps, deren einer Absatz abgebrochen war, und wies auf ihr ruiniertes Kleid. »Ich brauche eine Dusche und einen heißen Kakao, bevor ich dir von dieser Katastrophe erzähle.« Derek hätte eigentlich nicht darüber glücklich sein dürfen, dass auch diese Verabredung offenbar ein Misserfolg auf ganzer Linie gewesen war, aber er konnte sich nicht helfen.
Jede mögliche Beziehung, die in ihren Anfängen scheiterte, war für ihn ein Stück Gewissheit, er könnte Sydney davon überzeugen, dass sie beide zusammengehörten. Natürlich würde es kein leichter Weg sein, bis auch sie daran glaubte, dass sie füreinander geschaffen waren. Er begleitete sie ins Badezimmer, das im hinteren Teil des Hauses lag. »Du findest dich zurecht, nicht wahr?« Da hatte er keine Zweifel. Sie verbrachte in seinem Haus fast ebenso viel Zeit wie in ihrem eigenen kleinen Cottage hinter der Tierarztpraxis, die sie bei ihrer Rückkehr nach Seattle vor einem Jahr gekauft hatte. »Ich brauche etwas zum Anziehen.« »Ich hole dir einen Jogginganzug«, sagte er und ging ins Schlafzimmer. Sie war so schmal und zierlich, dass ihr der Anzug viel zu groß sein würde, aber sie musste nach der Dusche schließlich saubere Sachen haben. Für einen Moment dachte er kurz daran, ihr seinen Lieblingsbademantel zu leihen, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Er würde Höllenqualen ausstehen bei der Vorstellung, dass sie unter dem dünnen, seidigen Stoff völlig nackt war. Als er ins Bad zurückkehrte, erschien sie ihm sehr zart und verletzlich, wie sie da im grellen Licht stand. Der Wunsch, sie in die Arme zu nehmen, überwältigte ihn fast. Derek musste unbedingt etwas unternehmen, sonst würde er sie vielleicht für immer verlieren. Nicht, dass zwischen ihnen etwas anderes war als Freundschaft. Aber es war durchaus möglich, dass sie einen anderen Mann heiraten würde, wenn er ihr nicht bald seine Gefühle gestand. »Hier, bitte schön«, sagte er und legte den Jogginganzug auf den Wäschekorb. Sie lächelte, und sein Herz tat einen Satz. Er konnte sich ein Leben ohne Sydney gar nicht mehr vorstellen. »Falls du noch etwas brauchst, sag mir Bescheid.« »Vielen Dank, Derek.« In der Badezimmertür blieb er stehen und sah sie an. In
ihrem Blick lag Dankbarkeit. Aber es war nicht ihre Dankbarkeit, die er wollte. Er wollte ihre Liebe, und zwar für immer. Er schloss die Tür hinter sich und ging in die Küche, um Kakao zu kochen. Während er Wasser aufsetzte, überlegte er hin und her, wie er ihr seine Gefühle am Besten zeigen konnte. Das Problem war, dass sie ihn nicht als möglichen Partner für eine Liebesbeziehung betrachtete. Sie liebte ihn zwar, das wusste er, aber ihre Gefühle für ihn waren nicht romantischer Natur. Seit Jahren waren sie enge Freunde, und sie beide hatten während ihrer gemeinsamen Jugend in dem anderen immer nur einen vertrauten Spielkameraden gesehen. Als er mit einem Stipendium an das Massachusetts Institute of Technology gegangen war, hatten sie sich nur in den Semesterferien oder an Feiertagen gesehen, sofern er es schaffte, nach Hause zu fahren. Zwei Jahre, nachdem er das Studium der Astrophysik begonnen hatte, ging sie nach Texas auf ein College und später auf ein veterinärmedizinisches Institut in Kentucky. Zu dem Zeitpunkt, als Derek nach Seattle zurückkehrte, um an der Universität von Washington Astrophysik zu lehren und in der Forschung zu arbeiten, bekam Sydney eine Stelle als Tierärztin in Kentucky. Ihr Kontakt hatte damals aus gelegentlichen Briefen und Telefonaten bestanden. Da seine Mutter mit ihrem zweiten Mann nach Arizona gezogen war, hatte Derek ihr das Elternhaus abgekauft. Er war zufrieden mit seinem Leben. Hin und wieder hatte er Verabredungen mit verschiedenen Frauen, aber es war keine dabei, in die er sich hätte verlieben können. Er war der Meinung gewesen, er hätte die meisten seiner Ziele erreicht, bis Sydney zurückkehrte, um eine Tierarztpraxis am Stadtrand zu übernehmen. Das brachte sein ganzes Leben völlig durcheinander. Nachdenklich nahm er einen Becher aus dem Küchen-
bord und gab Kakaopulver hinein. Er wusste noch immer nicht, was eigentlich passiert war. Als Sydney ihm im vergangenen Frühling am Telefon mitgeteilt hatte, dass sie wieder nach Seattle ziehen würde, freute er sich zuerst nur darüber, seine alte Freundin wieder in der Nähe zu haben. Aber zwei Wochen später besuchte sie ihn, und seine heftige emotionale Reaktion auf sie hatte ihn völlig überrascht. Er strich sich nachdenklich durch die Haare. Der Grund für seine veränderte Gefühlslage konnte nur in der Tatsache liegen, dass Sydney sich in eine wunderschöne, charmante und äußerst anziehende Frau verwandelt hatte. Er hatte sie seit Jahren nicht gesehen und bemerkte auf einmal einen sinnlichen Ausdruck in ihren grünen Augen, der früher bestimmt nicht da gewesen war. Auch an ihre seidige, glatte Haut und ihre atemberaubende Figur konnte er sich nicht erinnern. Derek ging zum Küchentisch und verstaute den Stapel Prüfungstests, die er bewertet hatte, in seiner Aktentasche. Die alten Wasserleitungen des Hauses ratterten und quietschten. Sydney stand jetzt also unter der Dusche. Er schloss die Augen und stellte sich vor, wie das heiße Wasser über ihren perfekt geformten Körper strömte. Dann holte er tief Luft und verscheuchte dieses Bild aus seinen Gedanken. Was war nur mit ihm los? Er kam sich wie ein pubertierender Teenager vor, der nichts als Sex im Kopf hatte. Ein Blick auf die Digitaluhr an der Mikrowelle zeigte ihm, dass es erst kurz nach neun war. Aus Sydneys Plänen für ein Abendessen war vermutlich nichts geworden. Derek öffnete eine Dose Nudelsuppe und schüttete sie in einen Topf, um sie zu erwärmen. Dann machte er sich daran, überbackene Schinken-Käse-Toasts zuzubereiten. »Hier duftet es himmlisch«, erklärte Sydney, als sie in die Küche kam. Wie er vermutet hatte, war ihr der Jogging-
anzug viel zu groß. Sie hatte die Hosenbeine hochgekrempelt, so dass ihre schlanken Fesseln zu sehen waren. Sie war barfuss, und auf ihren Fußnägeln schimmerte roter Nagellack. Das Sweatshirt reichte ihr bis zu den Oberschenkeln. Sie sah bezaubernd aus. »Setz dich«, sagte er lächelnd. »Ich habe mir schon gedacht, dass du hungrig bist.« »Du kennst mich fast zu gut«, sagte sie, während sie auf einen Stuhl glitt. Was sie wohl sagen würde, wenn sie wüsste, dass er sie seiner Ansicht nach längst nicht gut genug kannte? Um sich von diesem Gedanken abzulenken, rührte er die Suppe um und wandte sich dann zu Sydney. Sie beugte sie vor und löste das Handtuch, das sie um den Kopf geschlungen hatte. Das Haar fiel in einer dichten, dunklen Kaskade herab. Sie fuhr sich mit den Fingern durch die feuchte Mähne. »Das tut gut«, murmelte sie. »Aus dem Schlamm, der in meinen Haaren war, hätte man ein paar Ziegelsteine machen können.« Er stellte sich ihr Haar auf einem Kissen ausgebreitet vor. Vor seinem geistigen Auge ließ er die Hände durch die seidige Fülle gleiten, während er ihre nackte Haut mit Küssen bedeckte. Sein Pulsschlag beschleunigte sich. Immerhin war er Wissenschaftler. Wie kam er nur zu solchen Fantasien? Gebannt beobachtete er, wie sie sich das Haar hinter die Ohren strich. Unter dem Stoff des Sweatshirts zeichneten sich ihre vollen Brüste ab. Er spürte, wie ihm der Mund trocken wurde. Sydney hob die fein geschwungenen Augenbrauen und blickte ihn fragend an. »Derek? Ist alles in Ordnung?« Er konnte nur stumm nicken. Er begehrte sie so sehr. Irgendwie musste er eine Möglichkeit finden, sie wissen zu lassen, wie viel sie ihm bedeutete. Der Teekessel begann zu pfeifen. Erleichtert wandte Derek seine Aufmerksamkeit dem Kakao zu. Er füllte den
Becher mit heißem Wasser, fügte etwas Zucker und Milch hinzu und rührte die braune Flüssigkeit um. Dann holte er die überbackenen Toasts aus der Mikrowelle, legte sie auf einen Teller und zerteilte sie mit einem Messer. Schließlich nahm er die Suppe vom Herd, platzierte das improvisierte Abendessen auf dem Küchentisch und setzte sich ihr gegenüber auf einen Stuhl. Eigentlich konnte er nicht kochen. Seine Fähigkeiten beschränkten sich die Zubereitung der notwendigsten Nahrungsmittel. Wenn er keine Konservendosen oder Fertiggerichte zur Verfügung hatte, war er in der Küche auf verlorenem Posten. Steaks zu braten oder Käsetoasts zu machen waren auf diesem Gebiet seine einzigen Talente. Sydney schloss die Augen und atmete den Duft des geschmolzenen Käses ein. »Du bist viel zu gut zu mir.« Wenn sie ihn nur ließe, würde er alles für sie tun. »So, jetzt erzähl mir endlich, was passiert ist.« Die Berichte über ihre Verabredungen waren für Derek gleichzeitig Tortur und Erleichterung, aber er musste wissen, was geschehen war. »Es war schrecklich, von der ersten Minute an«, erklärte sie und biss in einen Toast. Das war immerhin tröstlich. »Wer war es denn diesmal?« »Der Chirurg«, antwortete sie und legte sich gleich noch einen Toast auf den Teller. Sydney hatte die amüsante Angewohnheit, die Männer, mit denen sie sich verabredete, mit ihren jeweiligen Berufen zu bezeichnen. Derek hatte ihn den vergangenen drei Monaten Berichte über den Steuerberater, den Elektrotechniker, den Werbetexter, den Röntgenarzt und den Kinderarzt zu hören bekommen. Der Kinderarzt war zunächst sehr viel versprechend gewesen und hatte es immerhin bis zum vierten Rendez-
vous geschafft. Die anderen Kandidaten hatten sich glücklich schätzen können, wenn sie für ein zweites Date in Betracht kamen, bevor Sydney irgendwelche ernsthaften charakterlichen Mängel feststellte. Die Chancen des Kinderarztes waren schließlich jedoch auch auf den Nullpunkt gesunken, als er ihr erzählte, der beste Teil seiner Arbeit bestände darin, die plärrenden Gören mit ihren neurotischen Müttern endlich wieder nach Hause schicken zu können. »Ich finde, du siehst das Ganze nicht entspannt genug«, sagte er. »Vielleicht ist der richtige Mann für dich ganz in der Nähe, und du hast ihn nur noch nicht bemerkt.« Sie tauchte ihren Löffel in die Suppe. »Ich wünschte, ich bekäme ihn endlich zu Gesicht. Mein Bedarf an frustrierenden Verabredungen ist nämlich gedeckt. Aber wahrscheinlich gibt es hier in der Gegend keine annehmbaren Kandidaten mehr.« »Das hört sich an, als hättest du einen Job zu vergeben.« Sie zuckte die Schultern und machte sich daran, die Suppe zu löffeln. Derek stand auf, nahm eine Packung von ihren Lieblingsschokoladenkeksen aus dem Küchenschrank und setzte sich wieder. »Was war nun mit dem Chirurgen?« fragte er, während er die Packung öffnete und ihr reichte. Sydney lächelte ihn dankbar an, biss in einen Keks und schloss genießerisch die Augen. »Der Chirurg«, begann sie schließlich und wischte sich einen Krümel aus dem Mundwinkel, »ist ein Tölpel. Kannst du dir vorstellen, dass er noch nicht einmal in der Lage war, einen Reifen zu wechseln? Völlig hilflos, der Kerl. Nicht gerade eine Zierde für sein Geschlecht.« Derek musste über ihren empörten Gesichtsausdruck lachen, musste aber im Stillen zugeben, dass er selbst sich beim Reifenwechseln auch nicht gerade geschickt
anstellte. Sie nahm sich noch einen Keks. »Er hat mich früher als besprochen abgeholt. Ich war natürlich noch nicht fertig. Wir hatten am Nachmittag in der Praxis einen Notfall. Na ja, er hatte jedenfalls einen Tisch im La Petite reserviert, und du weißt, wie schwierig das ist. Wenn man zu spät kommt, vergibt der unerbittliche Oberkellner den Tisch garantiert anderweitig. Also hat der Chirurg auf dem Weg die ganze Zeit herumgejammert, dass wir die Reservierung verlieren werden. Und als wir die Reifenpanne hatten, tat er so, als wäre das alles nur meine Schuld.« »Hört sich an, als ob er ein ziemlicher Widerling wäre.« Derek konnte seinen Triumph nur schwer verbergen. »Das kannst du laut sagen«, erwiderte sie und langte nach einem weiteren Keks. »Ich habe ihm eins mit dem Wagenheber verpasst.« Ungläubig starrte Derek sie an. Sydney hatte doch nun wirklich nichts Gewalttätiges an sich. Sie war lebhaft, energisch und resolut. Aber gewalttätig? Niemals! Jedenfalls äußerst selten, korrigierte er sich selbst, als ihm einfiel, wie sie einmal mit einem Jungen umgesprungen war, der einen streunenden Hund gequält hatte. »Du hast was?« fragte er vorsichtig. Der Schalk blitzte in ihren grünen Augen. »Ich habe ihn mit dem Wagenheber geschlagen. Es war eigentlich ein Unfall«, fügte sie hinzu und griff nach ihrem Becher. »Aber du hast ja noch nicht alles gehört. Wie ich schon gesagt habe, der Mann hatte keine Ahnung, wie man einen Reifen wechselt. Und er hatte auch nicht daran gedacht, sein Handy aufzuladen. Für jemanden mit seinem Beruf ist das unerhört. Also saßen wir auf der Standspur der Autobahn fest. Ich sagte ihm, ich wüsste, wie man Reifen wechselt und könnte es ihm zeigen. Aber er weigerte sich, es auch nur zu versuchen.« Sie trank einen Schluck Kakao. »Er ist nämlich Chirurg
und muss auf seine Hände achten. Da habe ich ihn daran erinnert, dass ich ebenfalls täglich Operationen durchführe. Und weißt du, was der Kerl darauf gesagt hat?« Derek lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich kann es mir ungefähr vorstellen.« »Er sagte, dass meine Hände nicht annähernd so kostbar wären wie seine. Und dass man meine Arbeit überhaupt nicht damit vergleichen könne, Menschenleben zu retten. Als ob Tiere keinen Wert hätten!« Derek grinste. Oh ja, der Chirurg war definitiv aus dem Rennen. »Und da hast du ihm eins übergebraten.« Sie schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Aber wenn ich den Wagenheber in der Hand gehabt hätte, wäre er bestimmt auf seinem Schädel gelandet.« »Und wann hast du ihm nun eins übergezogen?« »Dazu komme ich gleich. Ich habe also den Reifen gewechselt, während er nur herumstand und sich darüber beklagte, dass wir unsere Reservierung trotz des platten Reifens behalten hätten, wenn ich nur rechtzeitig fertig gewesen wäre.« »Und da hast du ihn geschlagen.« »Das hätte ich tun sollen. Ich bat ihn, mir den Ersatzreifen aus dem Kofferraum zu holen, aber er schüttelte nur den Kopf.« »Wieder seine kostbaren Hände?« Sie nickte. »Ich habe nichts gesagt und den Reifen selbst geholt. Dabei habe ich mir die Strümpfe zerrissen und einen Schmierölfleck auf mein Kleid bekommen. Da sagte er, wir müssten noch einmal zu mir fahren, damit ich mir etwas Anständiges anziehen könnte.« »Und da hast du ihn endlich geschlagen.« »Nein, immer noch nicht. Ich sagte ihm, dass er mich tatsächlich nach Hause fahren solle. Und ob er wirklich glaube, dass ich nach all dem Theater noch den Abend mit ihm verbringen wollte? Der arrogante Schnösel machte
dann doch tatsächlich den Vorschlag, wir könnten gleich zu mir fahren und miteinander ins Bett gehen. Und da habe ich ihn geschlagen!« »Hoffentlich auf den Kopf?« »Nein, auf den Fuß. Ich war so verblüfft, dass ich den Wagenheber auf seinen Fuß fallen ließ.« »Na, das ist ja nicht so schlimm.« Sydney biss sich auf die Unterlippe, um ein Lachen zu unterdrücken. »Oh doch. Ich glaube, ich habe ihm einen Zeh gebrochen.« Derek grinste. »Der Kerl kann froh sein, dass du ihm nicht mehr getan hast. Aber das alles erklärt noch nicht, wie der Schlamm auf deine Kleider gekommen ist.« Sie leerte ihren Becher. »Während er auf einem Fuß herumhüpfte, bin ich abgehauen. Ich hatte es gerade bis zur nächsten Ausfahrt geschafft, als ein schwerer Sattelschlepper um die Ecke bog. Leider fuhr er durch eine riesige Pfütze.« »Warum hast du nicht versucht, ein Telefon zu finden, um mich anzurufen? Ich hätte dich doch abgeholt.« Sydney stand auf und begann das Geschirr abzuräumen. »Ich war zu wütend, um klar zu denken. Außerdem war es nicht so weit.« »Nicht weit? Von hier aus sind es ungefähr sechs Kilometer bis zur Autobahn. Das ist ein strammer Fußmarsch. Ganz zu schweigen davon, dass es nicht gerade ungefährlich ist, so allein am Abend durch die Gegend zu wandern.« Energisch hob sie das Kinn. »Ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen.« Derek schüttelte missbilligend den Kopf. Sydney war impulsiv und liebte ihre Freiheit. Diese Frau zu bändigen war schlechterdings unmöglich. Und da lag das Problem für den Steuerberater, den Chirurgen und all die anderen Männer. Sie hatten versucht, sie zu kontrollieren und zu beherrschen.
Dummköpfe, dachte er verächtlich. Er wollte Sydney weder kontrollieren noch beherrschen. Alles was er wollte, war, sie zu lieben. »Komm«, sagte er und stand auf. »Ich fahre dich nach Hause.« Er nahm die Autoschlüssel vom Schlüsselbord im Flur, öffnete die Eingangstür und wartete, bis sie ihm gefolgt war. Bronson, sein neun Monate alter Dobermann, erhob sich von seinem Lieblingsplatz, der unglücklicherweise auch Dereks bevorzugter Schaukelstuhl auf der Veranda war, und trottete zutraulich auf Sydney zu. »Hallo, Bronson«, begrüßte sie den schwanzwedelnden Hund. Sie ging in die Knie, um ihm den Rücken zu kraulen. Derek hatte das kranke, offenbar ausgesetzte Tier vor sechs Monaten auf dem Universitätsgelände gefunden. Es war Sydneys Fähigkeiten zu verdanken, dass sich der Welpe mittlerweile prächtig entwickelte. Eigentlich hatte er nie die Absicht gehabt, sich einen Hund anzuschaffen. Aber als Sydney ihm mitteilte, sein Hund wäre gesund und könnte nach Hause zurückkehren, hatte er es nicht übers Herz gebracht abzulehnen. Nun hatte er also einen Hund. Sie strich Bronson über den Kopf und sprach leise auf ihn ein. »Kümmert sich Derek auch gut um dich?« Bronson setzte sich auf die Hinterbeine und blickte Derek anbetungsvoll aus großen braunen Augen an. »Also gut.« Sobald der Hund das Klimpern von Schlüsseln gehört hatte, war es unmöglich, ohne ihn das Haus zu verlassen. »Aber heute musst du hinten sitzen.« Als hätte er jedes Wort verstanden, rannte Bronson auf Dereks Wagen zu. »Na, das beantwortet wohl meine Frage«, sagte Sydney lächelnd und erhob sich. »Du hast ihn nach Strich und Faden verzogen.« Derek grinste. Wusste sie eigentlich, wie bezaubernd sie
aussah, wenn sie lächelte? Wusste sie, dass sie ihm fast die Sinne raubte? »Ich bekenne mich schuldig im Sinne der Anklage.« Sydney trat zu ihm und legte die Hand auf seinen Arm. Sein Puls beschleunigte sich augenblicklich. »Oh Derek, du bist wunderbar. Du bist mein bester Freund, und ich liebe dich.« Er legte eine Hand auf ihre und sah ihr in die Augen. »Ich liebe dich auch, Syd.« Wie ernst es ihm damit war, konnte sie nicht ahnen. »Wir sollten uns jetzt auf den Weg machen.« Derek konnte nur hoffen, dass seine Gefühle für sie ihrer langjährigen Freundschaft keinen Schaden zufügen würden. Aber er musste das Risiko eingehen, ihr seine Liebe zu erklären, und zwar bald. Sydney hasste Blind Dates. Aber noch schlimmer als ein Blind Date war die Tatsache, dass sie verzweifelt genug war, eine solche Verabredung zu treffen. Als ihre Assistentin Rachel ihr erzählt hatte, dass sie möglicherweise einige Dinge mit dem Cousin ihrer Schwägerin gemeinsam hätte, war Sydney zögernd auf das von Rachel vorgeschlagene Treffen eingegangen. Immerhin konnte es mit dem Anwalt nicht viel schlimmer werden als mit dem Chirurgen vor einer Woche. Während sie sorgfältig die Wimperntusche auftrug, dachte sie darüber nach, warum sie sich selbst immer wieder in so unangenehme Situationen brachte. Als sie den Entschluss gefasst hatte, ein Baby zu bekommen, war ihr nicht klar gewesen, wie kompliziert die ganze Angelegenheit werden würde. Es schien mittlerweile fast unmöglich, einen intelligenten Mann zu finden, der bereit war, ein Kind zu zeugen, ohne dass daran irgendwelche Bedingungen geknüpft waren. Dabei war sie sich anfangs so sicher gewesen, dass an
möglichen Erzeugern kein Mangel herrschen würde. Sie hatte keinesfalls damit gerechnet, dass es von Seiten der in Betracht kommenden Väter Bedenken wegen ihres Vorhabens geben könnte. Seit sie die Highschool verlassen hatte, schienen sich die Dinge gewaltig geändert zu haben. Bis jetzt hatte sie auch erst zwei annehmbare Kandidaten getroffen. Der Kinderarzt war ihr Favorit gewesen, bis sie ihm von ihrem Plan erzählt hatte. Er hatte ihr daraufhin mitgeteilt, dass er Kinder eigentlich nicht leiden könne und mit einem medizinischen Eingriff für alle Zeiten verhindert hätte, eigene Kinder in die Welt zu setzen. Sydney konnte sich nur fragen, warum er ausgerechnet diesen Beruf gewählt hatte. Sie seufzte und legte einen Hauch Rouge auf. Der Kinderarzt war ein äußerst attraktiver und intelligenter Mann, aber was nützte das gute Aussehen, wenn es ihm an inneren Werten fehlte. Sydney legte etwas Lippenstift auf und blickte kritisch in den Spiegel. Der Vater ihres Kindes sollte nicht nur intelligent, sondern auch warmherzig und gütig sein. Der Steuerberater wäre auch eine Möglichkeit gewesen, aber dessen Reaktion auf ihren Plan hatte in der endlosen Aufzählung von Kosten bestanden, die die Erziehung eines Kindes verursachte. Und schließlich hatte er mit dem Hinweis auf seine festen Prinzipien dankend abgelehnt. Es musste doch irgendwo einen Mann geben, der willens war, ein Kind zu zeugen, wenn ihm daraus keine weiteren Verpflichtungen entständen. Es war ja nicht so, dass sie eine lebenslange Bindung wollte. Das lag ihr völlig fern. Eine Ehe stand nicht auf ihrer Wunschliste. Sie wollte einzig und allein ein Baby. »Du brauchst nur einen Samenspender«, sagte sie ihrem Spiegelbild, während sie ihre schmalen Goldreifen an den Ohrläppchen befestigte. Abrupt ließ sie die Hände sinken. Vielleicht war das die
Lösung ihrer Probleme. Warum hatte sie nicht schon vorher daran gedacht? Es war ja nicht so, dass sie unansehnlich war und keinen Mann hätte finden können. Aber sie wollte nun einmal keinen Mann in ihrem Leben. Die Türglocke schrillte. Sie würde später darüber nachdenken. Nun musste sie sich erst einmal der Verabredung mit dem Rechtsanwalt stellen. Sie verließ das Bad, griff auf dem Weg durch das Schlafzimmer nach ihrer Handtasche, die auf dem Bett lag, ‘und eilte in den Flur. Nachdem sie die Hand auf den Türgriff gelegt hatte, hielt sie kurz inne und versuchte ein Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern. Oh ja, sie hasste Blind Dates! Als sie die Tür öffnete, konnte sie nur hoffen, dass ihr das Lächeln nicht entglitt. Vor ihr stand ein riesenhafter Mann. Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um in sein Gesicht blicken zu können. »Sie müssen Sydney sein«, erklärte der Riese mit dumpfer Stimme. »Rachel hat mir gesagt, dass Sie ein hübsches kleines Ding sind. Na, sie hat jedenfalls nicht gelogen.« Sydney war sicher, dass ihr Lächeln zu einer Grimasse gefror, als sie seinen abschätzenden Blick bemerkte. »Möchten Sie nicht hereinkommen, Hubert?« fragte sie und hoffte inständig, er würde sich seinen völlig kahlen Schädel nicht am Türrahmen stoßen. »Sehr freundlich von Ihnen. Aber das Barbecue wird kalt, wenn wir uns nicht beeilen.« »Barbecue?« echote sie fragend und musterte das rot karierte Hemd, das über der schmächtigen Brust ihres Gegenübers schlotterte. Seine verwaschenen Jeans waren so kurz, dass sie den Blick auf ein paar grell gemusterte Socken freigaben. Rachel hatte ihr gesagt, Hubert würde sie zum Essen ausführen. Sie hatte natürlich angenommen, sie würden den Abend in einem Restaurant verbringen, und sich dementsprechend angezogen. Aber im Vergleich zu Hubert hatte sie mit ihrem engen schwarzen
Rock und der roten Seidenbluse eindeutig die falsche Garderobe gewählt. »Am Stadtrand gibt es eine tolle Kneipe. Dort machen sie das beste Barbecue im ganzen Staat.« Er runzelte die Stirn und warf ihr einen misstrauischen Blick zu. »Sie gehören doch wohl hoffentlich nicht zu den Leuten, die nur Tofu und Sojasprossen essen? Ich mag nämlich Frauen mit Appetit!« Sydney schloss für einen Moment die Augen und holte tief Luft. »Nein, ich bin keine Vegetarierin. Barbecue ist eine gute Idee.« Als sie die Tür abschloss und die Verandatreppe hinunterging, hatte sie das Gefühl, als würde dies ein sehr, sehr langer Abend werden.
2. KAPITEL Derek wollte sich ausschütten vor Lachen. »Er hat was?« »Hör auf zu lachen«, sagte Sydney und schenkte ihm eine Tasse Kaffee ein. »Es war nicht besonders komisch. Er hätte sich ernsthaft verletzen können.« Streng blickte sie ihren besten Freund an, der sich auf die Lippen biss. Sie stellte die Glaskanne auf die Wärmplatte der Kaffeemaschine und setzte sich ihm gegenüber an den Küchentisch. Sie konnte sich nicht mehr genau erinnern, wann sie mit dieser Tradition begonnen hatten, aber der Sonntagmorgen war seit langem für ihr gemeinsames Frühstück reserviert. Pünktlich wie ein Uhrwerk traf Derek jeden Sonntag bei ihr ein. Er brachte immer frische Muff ins und die Sonntagszeitung mit und kam mit Bronson. Sie nahm ein Blaubeermuffin aus dem Pappkarton und teilte es in zwei Hälften. »Alles in allem war der Anwalt gar nicht so übel. Nur ein bisschen… unbeholfen vielleicht.« Derek brach erneut in Gelächter aus. »Wenn du deine Verabredungen in Zukunft nicht sorgfältiger auswählst,
wirst du deine gesamte Garderobe erneuern müssen. In diesem Monat haben dir die edlen Ritter bereits drei Kleider ruiniert.« »Nun hör schon auf«, befahl sie, musste aber ebenfalls lachen. »Er hat seinen Teller doch nicht absichtlich über mich geschüttet. Und er hätte sich verletzen können, als er stolperte.« Dereks blaue Augen funkelten sie amüsiert an. »Ich wette, er hat dich auch nicht absichtlich mit Butter beschmiert.« Sydney legte das Muffin zu Seite und stützte nachdenklich das Kinn auf die Hand. »Weißt du, ich werde es wohl aufgeben, nach dem richtigen Mann zu suchen.« Derek wurde ernst. Er ergriff ihre Hand und drückte sie sanft. Sie blickte auf seine langen, sensiblen Finger, und plötzlich fühlte sie eine schmerzhafte Leere in sich. Das lag vermutlich daran, dass sie sich so dringend ein Kind wünschte und die Suche nach einem geeigneten Vater so aussichtslos war. »Syd, warum hast du es denn so eilig?« Sie erwiderte den Druck seiner Hand. »Meine biologische Uhr tickt.« Er musste lächeln. »Mit achtundzwanzig?« Sie entzog ihm ihre Hand und sagte sich, dass die Wärme, die sie bei seiner Berührung durchflutet hatte, gar nichts bedeutete. »Du würdest es doch nicht verstehen.« Sie dachte nur kurz daran, ihm den wahren Grund für ihre enttäuschenden Verabredungen in den letzten Monaten zu nennen. Derek war zwar ihr bester Freund, aber er war vor allem zuerst ein Mann. Sie konnte nicht erwarten, dass er ihre Gefühle wirklich verstehen würde. Außerdem wusste er nichts von Nicholas und davon, wie sie auf seinen Charme und seine Lügen hereingefallen war. Nein, Derek hatte keine Ahnung, wie sehr sie sich zum Narren gemacht hatte. Er würde wohl kaum Verständnis dafür aufbringen, dass sie die vergangene Nacht wach gelegen und die
Argumente für und gegen eine künstliche Befruchtung abgewägt hatte. In seinem Blick lag nichts als Mitgefühl. »Versuch es mir doch wenigstens zu erklären.« Sydney lächelte ihn tapfer an. »Ich fürchte, das ist eine reine Frauensache.« Hastig stand sie auf, um das Frühstücksgeschirr abzuräumen. Darüber konnte sie nicht mit ihm sprechen. Sie stellte das Geschirr in die Spüle und blickte aus dem Küchenfenster auf ihren kleinen Garten. Am Zaun blühten Tulpen in allen Regenbogenfarben. Sie hatte die Zwiebeln im letzten Herbst gesetzt. Die Rosensträucher, die sie bei ihrem Einzug vor einem Jahr gepflanzt hatte, ließen bereits ihre künftige Pracht erahnen. Zu beiden Seiten des schmalen Weges, der zum Patio hinter der Garage führte, blühten Stiefmütterchen und Fleißige Lieschen. Ihr kleines Haus bedeutete ihr ebenso viel wie ihre Tierarztpraxis. Das Einzige, das in ihrem Leben fehlte, war ein Kind. Sie hatte Derek die Wahrheit gesagt. Ihre biologische Uhr tickte jeden Tag lauter. Sie wollte ein Baby, bevor sie dreißig wurde. Ihre Eltern hatten sie selbst erst spät bekommen. Sie wusste, was es bedeutete, wenn die eigene Mutter sich zu alt fühlte für all die Unternehmungen, die heranwachsende Töchter für gewöhnlich mit ihren Müttern teilten. Sie hatte gespürt, wie schwer es ihren eigenen Eltern gefallen war, einen Teenager zu erziehen, als sie selbst bereits Ende fünfzig und Anfang sechzig waren. Außerdem wollte sie eine unproblematische Schwangerschaft, die nicht, wie bei ihrer Mutter, durch Sorgen um den Gesundheitszustand von Mutter und Kind getrübt war. Sie war jung, gesund und finanziell abgesichert. Der Zeitpunkt war genau richtig. »… ins Kino gehen?« Sie fuhr herum und sah Derek an. Er stand mit dem Rücken zu ihr und überflog die Sonntagszeitung. Seine
verwaschenen Jeans schmiegten sich um den aufregendsten Po, den sie seit Wochen gesehen hatte. Seit wann hat er diesen Po? überlegte sie und runzelte die Stirn. Er wandte sich zu ihr um. »Syd, ist alles in Ordnung?« Sie betrachtete ihn aufmerksam. Er hat auch einen schönen Mund, dachte sie und fragte sich, wie es wohl wäre, ihn zu küssen. »Syd?« »Hast du was gesagt?« Derek grinste und verschränkte die Arme vor der Brust. Er sah wirklich gut aus. Das war eigentlich schon immer so gewesen, nur hatte sie es nie bemerkt. Er war attraktiv, klug und sehr sexy. Ihr war, als sähe sie ihn zum ersten Mal. »Ich habe dich gefragt, ob wir diese Woche ins Kino gehen wollen«, erklärte er, drehte sich um und studierte erneut die Filmankündigungen in der Zeitung. Das dichte schwarze Haar fiel ihm in Stirn, als er sich nach vorn beugte. Er murmelte etwas, aber sie schenkte seinen Worten keine Beachtung. Nun fiel ihr auch auf, wie breit seine Schultern waren. Ihr Blick glitt über seinen Rücken, die schmalen Hüften und die langen, muskulösen Beine. Was war nur mit ihr los? War dies ein endgültiger Anflug von Verzweiflung? »Das ist eine gute Idee«, sagte sie mit belegter Stimme. Sie konnte auf einmal den Blick nicht von ihm wenden. Wie von ungefähr kam ihr der Gedanke, dass Derek vielleicht die Lösung ihres Problems sein könnte. Die Idee, dass er der Vater ihres Kindes sein würde, hatte ihre Vorzüge. Dennoch verwarf Sydney diesen Einfall sofort wieder. Derek Buchanan war ihr bester Freund. Sie wollte diese Freundschaft auf keinen Fall dadurch aufs Spiel setzen, dass sie ihn bat, mit ihr zu schlafen. Die Vorstellung, mit ihm zu schlafen, übte plötzlich einen
großen Reiz auf sie aus. Unwillig schüttelte sie den Kopf. Diese Angelegenheit mit dem Baby machte sie allmählich mürbe. Eine andere Erklärung konnte es für das Aussetzen ihres gesunden Menschenverstandes nicht geben. Das hoffte sie jedenfalls. »Diese Akten enthalten biografische Einzelheiten über unsere Spender.« Die Angestellte der Klinik legte einen dicken Aktenordner auf den massiven Eichentisch vor Sydney. »Am Besten wählen Sie eine Reihe von Spendern aus, die Ihnen geeignet erscheinen. Eine begrenzte Auswahl wird Ihnen die Suche erleichtern.« Sydney öffnete den Aktendeckel und ließ den Blick über das erste Blatt der Liste gleiten. Der Computerausdruck enthielt neben Angaben über Gewicht, Größe, Haar- und Augenfarbe der Spender auch Informationen über Hobbys, Interessen, Vorlieben, Abneigungen und den familiären Hintergrund sowie medizinische Einzelheiten. »Kann ich den Ordner mit nach Hause nehmen?« erkundigte sie sich zaghaft. Die Beraterin schüttelte ihren bereits ergrauten Kopf. »Es tut mir Leid, Miss Travers, das ist leider unmöglich. Diese Unterlagen sind streng vertraulich. Wenn Sie heute keinen geeigneten Spender finden, können Sie morgen gern wiederkommen.« Sydney spürte, wie sie errötete, und schlug die Augen nieder. »Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, lasse ich Sie jetzt allein. Ich komme dann später noch einmal zu Ihnen.« Sydney nickte zustimmend. Sie wartete, bis sie allein war, und wandte dann ihre Aufmerksamkeit dem Aktenordner zu. Nach langem Nachdenken war sie zu dem Schluss gekommen, dass eine künstliche Befruchtung die beste Lösung für sie war. Sie wollte ein Kind, keinen Mann.
Was also lag näher, als es auf diesem Weg zu versuchen? Am Vormittag hatte sie ihren Frauenarzt aufgesucht und lange mit ihm über ihr Vorhaben gesprochen. Nachdem er von der Ernsthaftigkeit ihrer Absichten überzeugt gewesen war, hatte er ihr die Adresse der Klinik gegeben, die auf künstliche Befruchtungen spezialisiert war. Wenn sie einen geeigneten Spender fand, konnte der Eingriff noch am kommenden Freitag vorgenommen werden. Seufzend vertiefte sie sich in die umfangreiche Liste. Nach dreißig Minuten hatte sie Auswahl auf zwölf Kandidaten begrenzt. Wenn das Aussehen auch keine große Rolle für sie spielte, bevorzugte sie doch blaue Augen und dunkles Haar. Mit dieser Vorgabe blieben noch sechs übrig. Nachdem sie die Familiengeschichten erneut studiert hatte, fielen drei weitere Kandidaten aus dem Rennen. Ein vierter folgte, da sein Vater vorzeitig eine Glatze bekommen hatte. Falls ihr Kind ein Junge werden würde, wollte sie ihm immerhin möglichst lange Zeit volles Haar garantieren. Die Tür öffnete sich, und die grauhaarige Angestellte betrat den Raum. »Haben Sie sich schon entschieden, Miss Travers?« Sydney holte tief Atem und betrachtete die verbliebenen zwei Blätter, die vor ihr lagen. Einer der beiden Kandidaten war Linienrichter für Football an der Universität von Washington. Er brachte stolze 110 Kilo auf die Waage. Sie schüttelte den Kopf und heftete das Papier wieder in den Ordner. Das letzte Blatt enthielt Angaben über einen Journalistikstudenten, der den Informationen zufolge sowohl gut aussehend als auch ambitioniert war. Auch der familiäre Hintergrund enthielt nichts, das sie abgeschreckt hätte. Sie stand auf und händigte der Grauhaarigen das Papier aus. »Ich nehme diesen hier.«
Sydney zog die Knie an die Brust und kämpfte vergeblich gegen ihre Tränen an. Seit sie nach dem Eingriff die Praxis ihres Gynäkologen verlassen hatte, brannten heiße Tränen in ihren Augen, die sich nun unaufhörlich von ihren Wimpern lösten. Sie hatte eigentlich keinen Grund zu weinen. Weder bereute sie ihre Entscheidung, noch war sie leichtfertig gefällt worden. In ein paar Tagen würde Sydney wissen, ob der Eingriff erfolgreich verlaufen war. Dann hätte sie alles, was sie sich wünschte. Warum fühlte sie sich dann nur so erbärmlich? Mit dem Handrücken wischte sie sich die Tränen von den Wangen. Sie war völlig allein, das war ihr klar geworden, als sie sich nach dem Eingriff wieder angezogen hatte. Vor zwei Jahren hatte sie ihre Eltern verloren. Erst war ihre Mutter gestorben, kurz danach war der Vater ihr gefolgt. Sie war Einzelkind gewesen und hatte keine weiteren Verwandten als eine kinderlose, verwitwete Tante, die sie seit Jahren nicht gesehen hatte. Ihr Kind würde außer ihr niemanden haben. Keine Großeltern, keine Onkel, Tanten, Cousins oder Cousinen. Und wenn sie sich nicht für eine weitere künstliche Befruchtung entschied, waren die Chancen auf ein Geschwisterkind gleich null. Das Baby und sie würden also völlig auf sich allein gestellt sein. Es gab niemanden, außer Derek natürlich. Soweit sie zurückdenken konnte, war Derek immer ein Teil ihres Lebens gewesen. Der Gedanke an Derek tröstete sie ein wenig. Sie spähte durch das Halbdunkel des Wohnzimmers auf die Zeitanzeige des Videorecorders. Er würde sie in einer halben Stunde zum gemeinsamen Kinobesuch abholen. Entschlossen wischte sie sich die letzten Tränen vom Gesicht und entschied, dass sie mit dem Selbstmitleid jetzt aufhören musste. Sie war nicht allein, und das Kind würde es auch nicht sein. Es gab ja Derek.
Sie machte das Licht an, damit er sehen konnte, dass sie zu Hause war, und eilte ins Badezimmer. Während sie sich das Gesicht mit kalten Wasser wusch, fragte sie sich, was Derek wohl zu ihrer Entscheidung sagen würde. Er war sehr tolerant und unvoreingenommen, daher erwartete sie nichts anderes als Verständnis und Unterstützung von ihm. Derek parkte den Wagen in einer freien Lücke einen Block vom Kino entfernt. Wie es für den Juni in Seattle typisch war, fiel ein leichter Regen. Aber nicht einmal das konnte Derek die Laune verderben, denn heute war die Nacht der Nächte. Kein Zaudern und keine taktischen Überlegungen mehr, heute Abend würde er Sydney sein Herz zu Füßen legen. Er würde ihr endlich sagen, dass sie füreinander geschaffen waren. Es war höchste Zeit, dass auch sie das erkannte. Den ganzen Tag über hatte er an nichts anderes denken können. Es war ihm unmöglich gewesen, sich auf die Messreihen in seinem Labor zu konzentrieren. Immer wieder war ihr wunderschönes Gesicht vor seinem geistigen Auge aufgetaucht. Auch seine Versuche, an der Rede zu feilen, die er in der nächsten Woche in Berkeley auf einem Symposium über Messtechniken von optischen Atmosphärenturbulenzen halten sollte, waren vergeblich gewesen. Derek hatte viel Zeit damit verbracht, über die angemessene Art und Weise nachzudenken, wie er sich Sydney nähern sollte. In den vergangenen Monaten hatte er immer wieder versucht, ihr zu zeigen, was er für sie fühlte. Aber seine zurückhaltende, vorsichtige Art war nicht durch die Mauer gedrungen, die Sydney um sich errichtet hatte. Nun blieb nur noch der direkte Weg. Nach dem Film würden sie noch essen gehen. Und dann würde er ihr alles sagen. Derek stellte den Motor ab und wandte sich Sydney zu. Sie blickte mit einem verträumten Gesichtsausdruck aus dem Fenster. Ihr Haar wurde durch eine goldene Spange zurückgehalten, und er widerstand dem Impuls, ihr Haar zu
lösen und seine Hände darin zu vergraben. Sie seufzte und sah ihn lächelnd an. Der zarte Duft ihres Parfüms wehte ihm verführerisch in die Nase. Doch statt sie an sich zu ziehen und zu küssen, stieg er aus dem Wagen und atmete die kühle Luft ein. Dann ging er zur Beifahrertür, um ihr aus dem Wagen zu helfen, aber sie stand bereits auf dem Bürgersteig und lauschte aufmerksam in die beginnende Dämmerung. »Hast du das gehört?« fragte sie. Er hörte nichts als die Geräusche des Straßenverkehrs. »Was denn?« »Das«, erklärte sie und wandte sich um. »Ich höre nichts«, erwiderte er und steckte seine Autoschlüssel in die Hosentasche. Sie ging auf eine Einfahrt zwischen zwei Backsteingebäuden zu, und ehe er ihr Vorhaben erahnen konnte, war sie darin verschwunden. Besorgt lief er ihr hinterher und fand sie neben einer Mülltonne auf dem Boden kauernd. Als er hinter ihr stand, erblickte er einen Wurf neugeborener Welpen. Nun hörte auch er ein schwaches Wimmern. Wie sie das auf der befahrenen Straße hatte hören können, war ihm ein Rätsel. »Gib mir bitte deine Jacke«, bat sie, ohne ihn anzusehen. »Wir müssen sie in die Praxis bringen. Wenn wir sie hier lassen, werden sie die Nacht nicht überleben.« Derek wusste, dass es keinen Zweck hatte, mit ihr zu diskutieren, und zog seine Jacke aus. Er reichte sie ihr, als ein tiefes, drohendes Knurren ihn erstarren ließ. »Oh.« Derek blickte über die Schulter auf einen großen, verwahrlosten Hund, der die Zähne fletschte. »Ich glaube, die Mutter ist gerade nach Hause gekommen.« Sie stand auf und legte ihm die Hand auf den Arm. »Pack die Welpen in deine Jacke«, sagte sie mit ruhiger Stimme. Dann ging sie langsam auf den knurrenden Hund
zu. Sydney war aus einem einzigen Grund Tierärztin geworden. Sie hegte eine tiefe Liebe zu allen Tieren. Derek war schon oft Zeuge geworden, wie sie aggressive Tiere beruhigt hatte, und es überraschte ihn nicht, dass sie es jetzt auch vorhatte. Aber hier ging es um die Babys dieser Hündin. Wenn er etwas im Laufe der Jahre von Sydney gelernt hatte, dann das, sich niemals mit einer Mutter um ihre Kinder zu streiten, egal, um welche Lebewesen es sich handelte. »Was hast du vor?« flüsterte er zornig. »Sie ist verletzt«, antwortete sie, ohne die Augen von dem Tier abzuwenden. »Das ist zu viel Blut.« »Sie hat gerade Junge zur Welt gebracht. Natürlich ist da Blut.« »Nein, das ist nicht alles«, sagte sie und machte einige vorsichtige Schritte auf die Hündin zu. »Sie ist verletzt. Schau dir nur ihr Hinterbein an.« Jetzt sah auch er die merkwürdige Verdrehung am rechten Hinterbein des Tieres. Humpelnd wich die Hündin einige Meter zurück. Ihr Knurren verstärkte sich. Sie war verletzt und voller Angst und wollte ihren Nachwuchs beschützen. Die Situation war mehr als bedenklich, aber Derek hatte keine Ahnung, wie er Sydney von ihrem Vorhaben abhalten sollte. Wenn es um Tiere ging, kannte diese Frau keine Furcht. »Sie wird dich beißen«, warnte er. Sie warf ihm nur einen kurzen Blick zu und ging dann weiter auf die Hündin zu. Dabei redete sie mit leiser Stimme beruhigend auf das Tier ein. Dereks Herzschlag setzte für einen Moment aus, als die Hündin Anstalten machte, auf Sydney loszugehen. Er riss sie beiseite und drückte ihr die Wagenschlüssel in die Hand. »Bring die Welpen in den Wagen«, befahl er, und sein Herz raste. Bevor er noch recht wusste, was er tat, ging er mit raschen Schritten auf das verletzte Tier zu. Die Hündin
knurrte, klemmte aber den Schwanz ein. Er bemerkte eine zaghafte Bewegung, die man als Schwanzwedeln interpretieren konnte. Vorsichtig, um das verletzte Bein nicht zu berühren, nahm er das Tier in die Arme und hob es hoch. »Lass uns gehen«, sagte er. Sydney legte die Welpen auf die Jacke und nahm das Bündel behutsam auf den Arm. Dann folgte sie ihm zum Wagen.
3. KAPITEL Sydney streifte sich die chirurgischen Handschuhe von den Händen und warf sie in den Mülleimer. Die Hündin war offenbar von einem Auto angefahren worden. Ihr Hinterbein war an zwei Stellen gebrochen, aber das war nicht das größte Problem gewesen. Das Bein wäre geheilt, aber die inneren Verletzungen, die Anstrengungen einer zu frühen Geburt und das Trauma durch den Verkehrsunfall waren zu viel für das verwahrloste Tier gewesen. Sydney hatte alles getan, was in ihrer Macht stand, aber sie hatte es nicht retten können. Derek blickte sie über den Operationstisch hinweg mitfühlend an. »Du hast alles versucht.« Eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel. Er ging um den Tisch herum und nahm sie in die Arme. Mit einem Schluchzer schmiegte sie sich an ihn und legte den Kopf an seine Schulter. »Du hast dein Bestes gegeben«, sagte er und küsste sie auf die Schläfe. Zärtlich strich er ihr über den Rücken. Dereks Nähe war ein großer Trost. Ihr Schmerz ging tiefer als der, den sie normalerweise bei dem Tod eines Patienten empfand. Sie konnte an nichts anderes als an die sieben Welpen im Wärmebett gegenüber dem Operationsraum denken, die gerade ihre Mutter verloren hatten. Sie waren jetzt vollkommen allein und hilflos. Genau, wie ihr Kind es sein würde, falls ihr selbst etwas zustieß. Ihr war
klar, dass dieser Vergleich ziemlich übertrieben war. Aber der Tod der Hündin hatte ihr mit erschreckender Deutlichkeit vor Augen geführt, wie vergänglich das Leben war. Innerhalb von Sekunden konnte alles zu Ende sein. Sydney drehte den Kopf und blickte in Dereks Gesicht. Sie betrachtete sein markantes Kinn und den entschlossenen Mund. Er war wie ein Fels in der Brandung. Und gerade jetzt brauchte sie seine Kraft und Stärke. Und die Gewissheit, dass er immer für sie da sein würde. Derek umfasste ihr Gesicht mit den Händen und wischte ihr behutsam die Tränen von den Wangen. Im Gegensatz zu dieser zärtlichen Geste lag in seinem Blick nichts anderes als Leidenschaft. Noch ehe sie recht wusste, wie ihr geschah, drückte er ihr die Lippen auf ihren Mund. Das war ein anderer Kuss, als sie es von ihm gewohnt war. Das war ein Kuss, der eine Frau alles vergessen ließ – bis auf den Mann, der sie in den Armen hielt. Vielleicht lag es an dem Gefühl der grenzenlosen Einsamkeit, das sie den ganzen Tag über bedrückt hatte. Oder an dem Versprechen unendlicher Leidenschaft, das in seinem Kuss lag. Jedenfalls konnte sie nicht anders, als die Arme um ihn zu legen und in Erwiderung seines Kusses die Lippen zu öffnen. Sie dachte keinen Moment daran aufzuhören, als der Kuss zum Auftakt einer ungezügelten Begegnung ihrer Körper wurde. Sie küsste ihn mit einem Verlangen, das sie erschreckte. Sie schlang die Arme um seinen Hals, als er sie hoch hob und in ihr Büro trug. Dann küsste sie seinen Hals, als er sie behutsam auf das große Ledersofa in ihrem Büroraum gleiten ließ. »Nein«, flüsterte sie, als er die Hand ausstreckte, um die Stehlampe anzuknipsen. Mit der Zunge erforschte sie die Windungen seines Ohrs. Derek seufzte leise und beugte sich über sie, um sie erneut zu küssen.
Sie wollte seine Nähe, wollte ihn spüren. Von irgendwoher war eine Begierde in ihr erwacht, von der sie nicht gewusst hatte, dass sie überhaupt existierte. Sie wollte ihn. In seiner Nähe fühlte sie sich nicht mehr einsam, sondern überaus lebendig. Zärtlich strich er ihr das Haar aus dem Gesicht. »Das wird alles ändern«, flüsterte er heiser. »Ich weiß«, erwiderte sie leise, während sie sein Hemd aufknöpfte. Begierig streichelte sie seine muskulöse Brust. »Ich will mit dir schlafen, Derek.« Durch ihren Körper liefen wohlige Schauer, als er sich zu ihr legte und ihre Erregung mit Händen und Lippen auf ein fast unerträgliches Maß steigerte. Sie zogen sich gegenseitig zwischen Küssen und Berührungen hastig aus. Es war, als wäre jede weitere Sekunde des Zögerns für sie beide nicht mehr auszuhalten. Ihre Vereinigung war wie eine Explosion aus Hitze und Verlangen. Sydney bäumte sich ihm entgegen, als er endlich in sie eindrang. Er hörte sie stöhnen und seinen Namen flüstern. Ihm war, als hätte er gerade das Paradies betreten. Er hatte sie dort im Operationsraum gar nicht küssen wollen. Aber der verlorene Ausdruck in ihren Augen hatte ihm wehgetan. Er hatte sie mit seiner Nähe trösten wollen. Ihr Körper, ihr Duft hatten ihn alles um sich herum vergessen lassen. Und nun, da er sie in den Armen hielt, würde der Zauber verflogen sein, noch ehe er recht begonnen hatte, wenn er sich nicht zurückhielt. Ihm war, als hätte er eine Ewigkeit auf diesen Augenblick gewartet. Er versuchte sich auf mathematische Funktionen zu konzentrieren. Er wollte nicht, dass diese heiß ersehnte Begegnung mit der Frau, die er liebte, zu früh endete. Aber seine Bemühungen waren vergebens, als sie ihre Hüften anhob und auf dem Gipfel der Ekstase seinen Namen rief. Als er ihr Zucken spürte, war es um seine Selbstkontrolle geschehen. Eine gewaltige Welle der Lust trug auch
ihn zum Höhepunkt und dann in ein nie gekanntes Gefühl der Erlösung. Schlaftrunken rollte Sydney sich auf die Seite. Sie war noch nicht bereit für diesen Tag. Für heute waren viele Patienten angemeldet. Obwohl sie ihre Praxis Samstags nur für drei Stunden geöffnet hatte, versprach dies ein langer Tag zu werden. Ihre Hand berührte einen warmen Körper neben sich. Mit einem Schlag öffnete sie die Augen. Lieber Himmel, was hatte sie nur getan? Sie setzte sich auf und blinzelte ein paar Mal. Das konnte sie doch unmöglich getan haben! Sie starrte auf den friedlich schlafenden Mann neben sich. Ja, sie hatte es getan. Sie hatten es getan, und zwar nicht nur einmal, sondern gleich dreimal. Es war die schönste Nacht in ihrem ganzen Leben gewesen. Ein Teil von ihr hoffte noch, dass sie das alles nur geträumt hatte. Zugegebenermaßen ein aufregender, bezaubernder und höchst erotischer Traum. Bilder der vergangenen Nacht zuckten durch ihr Bewusstsein. Nein, es war kein Traum, es war Wirklichkeit gewesen. Sydney warf einen Blick auf den Wecker, der auf dem Nachttisch stand. In einer Stunde musste sie in der Praxis sein. Sie musste sich um die Welpen kümmern, die sie letzte Nacht gerettet hatten. Zum Glück wohnte sie gleich hinter der Praxis. Trotzdem hatte sie jetzt keine Zeit für Gewissensbisse. Später würde sie sich die Zeit nehmen, um sich selbst Vorwürfe zu machen. Sie hatte etwas Dummes und Unbedachtes getan. Im Augenblick hatte sie ein ganz anderes Problem. Sie musste aus dem Bett steigen, ohne Derek zu wecken. Sie schaute ihn an. Sein schwarzes Haar fiel ihm in die Stirn, und seine markanten Zuge wirkten im Schlaf gelöst und entspannt. Er schlief, als hätte er keine Sorgen auf der Welt. Einen Arm hatte er neben dem Kopf ausgestreckt, der
andere lag auf seinem flachen, muskulösen Bauch. Die Bettdecke schmiegte sich um seine schmalen Hüften. Bis zur letzten Nacht hatte sie geglaubt, alles über ihn zu wissen. Nun wusste sie mehr, als sie je für möglich gehalten hätte. Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, kletterte sie aus dem Bett. Wenn es ihr gelang, zu duschen, sich anzuziehen und aus dem Haus zu schleichen, bevor er erwachte, würde sie ihm erst einmal nicht begegnen müssen. Sie wusste, dass er morgen zu einem Kongress nach San Francisco fliegen sollte. Wenn sie Glück hatte, würde sie Derek ein paar Tage lang nicht sehen. In der Zwischenzeit konnte sie dann über eine plausible Erklärung für die seltsame Liebesnacht nachdenken. Aber eigentlich wusste sie die Antwort schon. Sie hatte jemanden gebraucht, und Derek war für sie da gewesen. Der Tod der Hündin hatte in ihr Zweifel über ihre Entscheidung geweckt, ein Kind zu haben. Auf Zehenspitzen schlich sie ins Badezimmer. Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte sie sich, dass Derek noch immer schlief. Als sie mit dem Duschen fertig war und ins Schlafzimmer kam, war das Bett leer. Vielleicht war Derek gegangen, während sie unter der Dusche gestanden hatte. Möglicherweise hatte auch er erkannt, was für einen schrecklichen Fehler sie begangen hatten, und war aus dem Haus geschlichen. Sie ging zum Fenster und sah hinaus. Sein Wagen stand immer noch hinter ihrem Jeep. Ihr Magen zog sich zusammen. Sie wollte ihm heute Morgen auf keinen Fall ins Gesicht sehen müssen. Jetzt brauchte sie einfach Zeit, um ihre Haltung zurückzugewinnen. Hastig schlüpfte sie in ein Paar Jeans und ein Sweatshirt. Als sie sich ihre Turnschuhe anzog, die sie immer in der Praxis trug, kam Derek ins Schlafzimmer. In jeder Hand hielt er einen dampfenden Kaffeebecher. Der Blick aus seinen strahlend blauen Augen traf sie bis ins Mark.
Er trug nur seine Jeans. Was für ein Body! Noch vor wenigen Stunden hatten ihre Lippen sich den Weg von seiner muskelbepackten Brust bis hin zu seinem harten, flachen Bauch gebahnt. Sie hatte jeden Zentimeter seines athletischen Körpers erkundet. »Guten Morgen«, sagte er mit vom Schlaf noch rauer Stimme. Er reichte ihr einen Becher und küsste sie auf den Mund. »Seit wann trinkst du koffeinfreien Kaffee?« Er setzte sich neben Sydney auf das Bett. Seine Nähe löste in ihr den Wunsch aus, ihre Praxis für heute zu schließen und den Rest des Tages mit ihm in diesem Bett zu bleiben, gleichgültig, welche Konsequenzen das hätte. »Seit ein paar Tagen«, antwortete sie und stellte den Becher auf den Nachttisch. Sie schnürte ihre Schuhe zu, verließ das Bett und widerstand der überwältigenden Versuchung. Das war alles sehr bedenklich. Es durfte keine Fortsetzung geben, auch wenn ihr Körper noch so sehr auf Derek reagierte. Sie griff nach einer Haarbürste und fuhr sich in eiligen Strichen durch die Haare. »Ich muss mich beeilen«, erklärte sie, ohne ihn anzusehen. »Wollen wir es mit dem Kino heute Abend noch einmal versuchen?« fragte er. Sie hielt inne. Es schien, als ob sich für Derek gar nichts zwischen ihnen geändert hätte. Aber dem war nicht so. Es würde keine gemeinsamen Kinobesuche mehr geben. Keine unbeschwerten Sonntagnachmittage, an denen er ihr half, die Praxis aufzuräumen, und dabei von aufregenden Entdeckungen aus dem Forschungslabor erzählte. Ihre Beziehung hatte sich völlig geändert. Und das erfüllte sie mit tiefer Traurigkeit. Ihre Liebesnacht hatte das zerstört, was ihr immer so viel bedeutet hatte, nämlich ihre Freundschaft. Sie sah ihn an und zwang sich zu einem Lächeln. »Ich kann nicht. Ich darf die Welpen nicht zu lange allein lassen.
Schließ ab, wenn du gehst, okay? Du kannst den Schlüssel unter die Fußmatte legen.« Hastig nahm sie ihre Handtasche von einem Stuhl und eilte aus dem Schlafzimmer. Sie hatte es fast bis zur Eingangstür geschafft, als sie hinter sich seine Stimme hörte. »Syd?« Sie stand da, die Hand auf dem Türgriff, und wagte nicht, ihn anzusehen. Er trat hinter sie, fasste sie bei den Schultern und drehte sie herum. »Sieh mal, Derek, ich…« »Pst«, machte er und hob zärtlich ihr Kinn an. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm in die Augen zu blicken. Er neigte den Kopf und küsste sie mit unerwarteter Leidenschaft. Und sie konnte nicht anders, als seinen Kuss mit der gleichen Leidenschaft zu erwidern. Auf einmal spürte sie ihren ganzen Körper und ein Verlangen, das genauso heftig war wie am Abend zuvor. Sie schmiegte sich an ihn und genoss die Berührung seiner streichelnden Hände auf ihrem Rücken. Behutsam löste er sich von ihr und sah sie lächelnd an. »Ich rufe dich nachher an.« Sie machte keinen Versuch zu sprechen, denn es hatte ihr die Stimme verschlagen. Sie fasste nur hinter sich, öffnete die Tür und schlüpfte hinaus in den strahlenden Sonnenschein. Während sie über den Rasen zur Praxis ging, kam ihr plötzlich in den Sinn, dass Derek und sie in der vergangenen Nacht keine Verhütungsmittel benutzt hatten. Wenn der Schwangerschaftstest nächste Woche positiv ausfallen sollte, wer war dann der Vater ihres Kindes? Der Spender, für den sie bezahlt hatte, oder der Mann, dessen Kuss ihr gerade eben beinahe die Sinne geraubt hatte? »Vielen Dank, Dr. Travers.« Mrs. Cushing nahm ihren geliebten, mehrfach preisgekrönten Terrier auf den Arm. »Fergus’ Samen einzufrieren war eine brillante Idee. Ich
kann Ihnen gar nicht genug danken. Die Welpen werden ein Vermögen wert sein!« Sydney unterdrückte ein Lächeln. Die Hündin von Mrs. Cushing war nicht die einzige, die hier schwanger war. Sie hatte heute Morgen von ihrem Frauenarzt das Testergebnis erhalten. Sie erwartete ein Baby. Trotz ihrer überschäumenden Freude über diese Nachricht grübelte sie darüber nach, wie sie Derek von seiner möglichen Vaterschaft unterrichten sollte. »Jetzt wissen wir also, dass Maggie trächtig ist. Sie sollten mit ihr in fünf Wochen wiederkommen.« Sydney machte noch einige Notizen auf Maggies Karteikarte und sah dann Mrs. Cushing an. »Ich würde gern eine Ultraschall-Untersuchung machen, damit wir wissen, wie viele Welpen es sind.« »Na, ich hoffe auf einen möglichst großen Wurf«, erwiderte Mrs. Cushing. »Ich habe jetzt schon einige Vorbestellungen.« Sydney lächelte die geschäftstüchtige Hundezüchterin an und strich Maggie zum Abschied über den Kopf. »Wir sehen uns also in fünf Wochen.« Sie beendete ihre Notizen und reichte die Karteikarte an ihre Assistentin Rachel weiter. »Wen haben wir als nächsten Patienten?« fragte sie mit einem Blick auf ihre Armbanduhr. Sie hatte sich zum Abendessen mit Derek in ihrem gemeinsam bevorzugten mexikanischen Restaurant verabredet. Bis dahin blieb ihr nur noch eine Stunde. »Derek Buchanan ist in Behandlungszimmer Nummer zwei«, antwortete Rachel und rückte ihre Brille zurecht. »Bronson hatte wieder eine Auseinandersetzung mit dem Siamkater des Nachbarn. Es steht drei zu null für Chester.« Sydney seufzte leise. Sie war noch nicht bereit, Derek zu sehen. Die Woche, die er in San Francisco gewesen war, schien ihr auf einmal viel zu kurz, um sich gebührend auf ihre kleine Ansprache vorzubereiten. Hatte sie nicht eben
noch eine ganze Stunde Zeit gehabt, um sich zu überlegen, wie sie ihm sagen sollte, dass die wundervollste Nacht ihres Lebens vielleicht oder vielleicht auch nicht zu dem Baby geführt hatte, das sie erwartete? »Bronson hat diesmal eine ziemlich hässliche Wunde«, sagte Rachel und schaltete den Anrufbeantworter an. Kein Geschöpf im Umkreis von drei Wohnblocks, das nicht klug genug war, sich von dem bösartigen Chester fern zu halten, kam ungeschoren davon. Dereks übergroßer Schoßhund machte da keine Ausnahme. »Ist das dann alles für heute?« fragte Sydney in der Hoffnung, es würden wenigstens noch zwei oder drei Patienten warten. So hätte sie immerhin eine Ausrede, um das Treffen mit Derek zu verschieben. »Ja, aber ich finde, es reicht jetzt auch«, antwortete Rachel und ergriff ihre Handtasche. »Ich muss zu einer Sitzung vom Lehrer-Eltern Ausschuss. Ich kann also nicht bleiben.« »Kein Problem. Derek weiß, was zu tun ist.« Sydney überflog Bronsons Karteikarte, um sich zu vergewissern, ob er alle nötigen Impfungen bekommen hatte. »Bis morgen, Rachel.« Rachel winkte ihr zum Abschied zu, und Sydney hatte nun keine andere Wahl, als Derek gegenüberzutreten und sich anzuschauen, was Chester dem armen Bronson angetan hatte. »Hallo, Frau Doktor.« In Dereks Augen blitzte es auf, als er sie von oben bis unten betrachtete. Sydney empfand seinen Blick wie eine körperliche Berührung. »Selber hallo. Haben Sie Ihren Hund wieder einmal misshandelt, Herr Professor?« »Das geht auf das Konto von Millies Katze«, antwortete Derek gutmütig. Ohne die geringste Anstrengung hob er Bronson auf den Behandlungstisch. Die Ärmel seines Polohemdes spannten sich dabei über zwei Bizepse, um
die ihn sogar ein Bodybuilder beneidet hätte. Er war zwar Wissenschaftler, aber er hatte einen Körper, von dem Frauen träumten. Und sie selbst war da keine Ausnahme. Sydney versuchte, sich auf ihren Patienten zu konzentrieren. »Na, mein Bester«, sagte sie freundlich und tätschelte Bronson den Rücken. Der riesige Dobermann winselte und leckte ihr die Hand. Der Siamkater hatte es geschafft, Bronson eine fünf Zentimeter lange Wunde auf der Schnauze zu verpassen. »Das muss genäht werden«, erklärte Sydney und streichelte Bronson den Hals. Derek seufzte. »Das habe ich befürchtet.« Mitleidig kraulte er Bronson hinter den Ohren. »Das wird schon werden, alter Junge. Du bist in guten Händen.« Bronson wedelte zaghaft mit dem Schwanz. »Soll ich dir helfen?« fragte Derek. »Das wäre gut«, antwortete sie und suchte zusammen, was sie für die Operation brauchte. Derek hob den Hund hoch und trug ihn in den Operationsraum. »Halt seinen Kopf fest«, sagte sie, als er den Hund auf den Operationstisch gelegt hatte. Derek umfasste Bronsons Kopf mit beiden Händen, während Sydney dem Hund ein Betäubungsmittel injizierte. Derek sprach mit beruhigender Stimme auf das Tier ein. Als er den verlausten, unter er nährten Welpen vor einigen Monaten zu Sydney gebracht hatte, war es dem Tier sehr schlecht gegangen. Sydney war sich nicht sicher gewesen, ob er es schaffen würde. Aber zu ihrer Überraschung hatte er überlebt und sich prächtig entwickelt. Derek hatte ihn adoptiert, und seit dem waren Herr und Hund ein unzertrennliches Paar. Wo immer Derek sich aufhielt, fand man Bronson dösend in der Nähe vor. Nachdem der Hund narkotisiert war, machte Sydney sich daran, die Wunde zu reinigen. Zwölf Stiche später war
Bronsons Schnauze wieder fast wie neu. Sie trat zurück, um ihr Werk zu begutachten, und strich dann eine Salbe über die Wunde. »In zehn Tagen müssen die Fäden gezogen werden.« Derek trat hinter sie und zog sie an sich. Er neigte den Kopf und bedeckte ihren Nacken mit zärtlichen Küssen. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter. »Danach habe ich mich eine Woche lang gesehnt«, flüsterte er und drehte sie herum, um sie heftig zu küssen. Obwohl sie sich die ganze Woche über eingeredet hatte, dass mehr als eine freundschaftliche Beziehung zwischen ihnen indiskutabel war, legte Sydney die Arme um ihn, presste sich an seinen harten Körper und erwiderte seinen Kuss. »Ich habe dich vermisst, Syd«, flüsterte er heiser, als ihre Lippen sich voneinander lösten. Sie nickte nur. Sie konnte jetzt nicht sprechen. Was sie ihm sagen musste, lastete zentnerschwer auf ihr. Sie machte sich aus seiner Umarmung los und ging zum Operationstisch, um ihn aufzuräumen. »Syd?« Er trat neben sie und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Was ist lös?« Sie zuckte die Schultern. »Nichts.« Derek lachte leise. »Ich kenne dich. Versuch also nicht, mir etwas vorzumachen.« Sydney richtete sich auf und blickte ihrem langjährigen Freund und dem möglichen Vater ihres Kindes in die Augen. Sie lehnte sich gegen den Metalltisch, auf dem Bronson noch immer schlief. »Was würdest du sagen, wenn ich ein Kind haben wollte?« Er verschränkte die Arme über der Brust. »Ich würde fragen, wann wir anfangen wollen, dafür zu üben.« Sie seufzte und stieß sich vom Tisch ab. »Schon gut«, sagte sie und verließ den Raum, um ein Antibiotikum für Bronson zu holen. Sie konnte es ihm einfach nicht sagen.
Jedenfalls jetzt noch nicht. Aber Derek folgte ihr, hielt sie im Flur am Arm fest und zwang sie, ihn anzusehen. »Bist du schwanger?« fragte er langsam. Sie schluckte. Warum war es so schwer, ihm die Wahrheit zu sagen? Sie waren so gute Freunde, und er hatte sie noch niemals für etwas verurteilt. »Syd, was ist los?« fragte er eindringlich. Sie blickte ihm in die Augen. »Ja«, flüsterte sie schließlich und beobachtete mit Erstaunen, wie ein breites, zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht erschien. Ja, er lächelte, aber wenn sie ihm erst einmal die ganze Wahrheit gesagt hatte, würde er vielleicht wünschen, sie wären sich nie begegnet.
4. KAPITEL Auf Derek stürmten die unterschiedlichsten Gefühle ein, aber das intensivste von allen war reine, unverfälschte Freude. Ein Baby! Sydney und er würden ein gemeinsames Kind bekommen. Für ihn konnte das Leben nicht schöner sein. Er wollte sie in die Arme nehmen, sie küssen und ihr sagen, wie wundervoll er es fand, dass ihre gemeinsame Nacht ein solches Wunder hervorgebracht hatte. Ein Wunder, das sie für den Rest ihres Lebens lieben und behüten würden. Er wollte ihr sagen, wie sehr er sie liebte. Aber die Unruhe in ihren Augen hielt ihn davon ab. »Bist du ganz sicher?« fragte er vorsichtig. Nervös strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Vollkommen sicher.« »Aber wie kannst du das jetzt schon so genau wissen?« Sydney steckte die Hände in die Taschen ihres weißen
Kittels, bevor er merkte, dass sie zitterten. »Du wärst überrascht, wenn du wüsstest, welche Fortschritte die Medizin in den letzten hundert Jahren gemacht hat.« Trotz dieses Anflugs von Humor spürte er, wie angespannt sie war. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Er hoffte nur, dass Sydney nicht wütend auf ihn war, weil er nicht an Verhütungsmittel gedacht hatte. Aber wie konnte man anders, als sich über etwas so Wunderbares wie ein Kind zu freuen? Noch dazu war dieses Kind in Liebe gezeugt worden – zumindest, was ihn betraf. »Syd, freust du dich denn darüber?« fragte er hoffnungsvoll. Sie zuckte resigniert die Schultern. »Nun ja, die Sache ist ein wenig verzwickt.« In seinem Kopf schrillte eine Alarmglocke. »Was meinst du damit?« Sie holte tief Atem. »Ich meine… also… Derek…« Er trat auf sie zu und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Sag schon, ist etwas nicht in Ordnung?« »Ich bin nicht sicher, ob du der Vater bist«, sagte sie schnell und wich ein paar Schritte zurück. »Nicht der Vater?« echote er fassungslos. »Aber wie ist das möglich?« »Es tut mir Leid«, murmelte sie und verschwand in ihrem Büro. Derek stand da wie gelähmt und war plötzlich rasend eifersüchtig. Sydney gehörte ihm. Er hatte ihr zwar noch nicht gesagt, dass er sie liebte, aber das änderte nichts daran. Und nach der Nacht, die sie gemeinsam verbracht hatten, war er sich ganz sicher gewesen, dass sie um seine Gefühle für sie wusste. Hatte er nicht versucht, ihr das eine ganze Nacht lang zu zeigen? Er ging durch den spärlich beleuchteten Korridor zu ihrem Büro. Die Tür stand offen, und er trat ein. Sydney saß hinter ihrem Schreibtisch und las seelenruhig in einer
Karteikarte, als hätte sie ihm nicht gerade den Schock seines Lebens verpasst. Er baute sich vor dem Schreibtisch auf und kreuzte die Arme vor der Brust. »Wer ist er?« fragte er in barschem Ton. Sie schüttelte nur den Kopf. »Niemand. Ich meine, du bist der einzige Mann, mit dem ich geschlafen habe.« »Soweit ich gehört habe, braucht es immer zwei, um ein Baby zu zeugen.« Sie wagte ein zaghaftes Lächeln. »Nicht unbedingt.« Nun war er vollends verwirrt. »Was willst du damit sagen?« Sie blickte ihm fest in die Augen. »Ich bin künstlich befruchtet worden.« Derek hielt die Luft an. Hätte sie gesagt, sie wäre mit dem gesamten Footballteam von Seattle ins Bett gegangen, würde ihn das nicht mehr überrascht haben. »Du lieber Himmel, warum denn das?« Sie schob trotzig das Kinn vor. »Weil ich ein Kind haben will.« »Und wann war die… äh…« Er brachte die Worte nicht über Lippen. »Künstliche Befruchtung?« vollendete sie die Frage für ihn. »An dem Tag, an dem wir miteinander geschlafen haben.« Derek ließ sich auf das Sofa fallen. »Das kann ich einfach nicht glauben.« Sydney ordnete die Karteikarte in den Kasten ein und suchte dann erneut seinen Blick. »Es besteht nur eine Chance von fünfzig zu fünfzig, dass das Baby von dir ist.« In ihrer Stimme schwang so etwas wie Bedauern mit. Das gab ihm immerhin die Hoffnung, dass sie sich wünschte, das Kind wäre von ihm. »Ich erwarte nichts von dir«, fuhr sie langsam fort. »Das ist mein Kind, und ich werde es allein großziehen. Wenn wir nicht miteinander geschlafen hätten, würde dieses Gespräch gar nicht stattfinden.«
Derek blieben zwei Möglichkeiten. Er konnte die Tatsache ignorieren, dass das Baby vielleicht nicht von ihm war. Oder er konnte die Chance für sich nutzen, dass er der Erzeuger war. Er entschied, dass die zweite Möglichkeit ihn seinem Ziel näher bringen würde, Sydney für sich zu gewinnen. Entschlossen stand er auf und durchquerte den Raum. Er trat hinter den Schreibtischstuhl, auf dem sie saß, und legte die Arme um sie. »Die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind von mir ist, beträgt immerhin fünfzig Prozent. Das reicht mir«, sagte er leise. Sie versuchte, sich aus seinen Armen zu lösen, aber er drehte sie mitsamt dem Stuhl um und küsste sie auf die Lippen. Mit einem Gefühl der Befriedigung spürte er, wie sie seinen Kuss erwiderte. »Heirate mich«, flüsterte er heiser. Das war nicht gerade ein romantischer Antrag, aber er hatte auch nicht mit einem solchen Verlauf ihres Gesprächs gerechnet. Sydney versteifte sich in seinen Armen. »Das ist doch lächerlich!« sagte sie empört. Er richtete .sich auf und funkelte sie zornig an. »Lächerlich? Syd, dieses ganze Gespräch ist lächerlich. Erst sagst du mir, du wärst schwanger. Dann lässt du eine Bombe hochgehen und teilst mir mit, ich wäre möglicherweise nicht der Vater, weil es da einen anonymen Spender gibt. Sag du mir, was hier lächerlicher ist.« Sie erhob sich und stemmte die Hände in die Hüften. »Ich will dich nicht heiraten«, erklärte sie stur. »Dich nicht und auch niemanden sonst.« »Verdammt noch mal, warum denn nicht?« »Ich muss nicht heiraten, um ein Kind zu haben. Das ist ja gerade der Witz an einer künstlichen Befruchtung.« »Ich werde es nicht zulassen, dass mein Kind ohne Vater aufwächst.« »Wir sind nicht in den fünfziger Jahren. Heutzutage sind
allein erziehende Eltern nichts Besonderes mehr.« Plötzlich kamen in Derek längst vergessene Gefühle hoch. Er selbst war nur von seiner Mutter erzogen worden. Seinen Vater hatte er nicht einmal gekannt. Er wusste also aus erster Hand, wie schmerzvoll es für ein Kind sein konnte, ohne Vater auf zuwachsen. »Auch wenn es nicht mehr so problematisch ist, eine allein stehende Mutter zu sein wie vor dreißig Jahren, Kinder sind nun einmal grausam, Syd. Ich bin so oft ausgelacht und verspottet worden. Ich will nicht, dass mein Kind das auch erleben muss.« »Aber du weißt doch gar nicht, ob es überhaupt dein Kind ist.« »Das steht hier doch nicht zur Debatte«, sagte er und merkte, wie er allmählich die Geduld verlor. »Oh doch, genau darum geht es hier«, widersprach sie und wandte sich ab, um das Gespräch zu beenden. Derek legte ihr beschwichtigend die Hand auf die Schulter. »Du irrst dich. Es ist sehr gut möglich, dass du von mir schwanger bist. Du weißt, dass ich einen guten Ehemann und Vater abgeben würde. Heirate mich, Syd.« Sie trat einige Schritte zurück. In ihren grünen Augen standen Tränen. Aber ihr trotzig vorgerecktes Kinn hielt ihn davon ab, sie in seine Arme zu ziehen. »Ich werde dich nicht heiraten, Derek«, wiederholte sie mit fester Stimme. Wäre da nicht eine große Unsicherheit in ihrem Blick gewesen, hätte er ihr geglaubt. Aber diese Unsicherheit gab ihm Hoffnung. Für den Moment musste er sich damit zufrieden geben. Derek zwang sich zu einem Grinsen. Er wollte nicht, dass sie merkte, wie sehr ihn ihre Zurückweisung traf. »Wollen Sie darauf wetten, Frau Doktor?« Sie zog erstaunt die Brauen hoch. »Das hört sich an wie eine Drohung, Herr Professor.«
»Das ist ein Versprechen, Syd«, erwiderte er leise. Nachdem Derek den immer noch sehr benommenen Bronson zu Hause auf eine Decke gebettet hatte, nahm er seine Jacke vom Haken und machte sich auf den Weg in seine nahe gelegene Lieblingskneipe. Eigentlich trank er sehr selten Alkohol, aber an diesem Abend war ihm nach einem Drink und männlicher Gesellschaft zu Mute. Vielleicht würde er Bekannte treffen und durch zwanglose Unterhaltungen an der Bar von seinen Sorgen abgelenkt. Es war ihm danach, ein wenig in ein Bierglas zu weinen und sich von anderen Menschen trösten zu lassen. Und wenn sich die Gelegenheit ergäbe, mit einer hübschen Frau zu flirten, würde das seinem verletzten Ego auch gut tun. Er öffnete die schwere Holztür der Kneipe und nickte Leonard, dem muskelbepackten Rausschmeißer, einen Gruß zu. Auch wenn man es dem Mann im Lederlook nicht ansah, so war er doch auf dem besten Wege, seinen Doktor in Philosophie zu machen. Im letzten Semester hatte er in Dereks Astronomieseminar gesessen. Derek konnte ihn sich kaum über Werke von Sophokles oder Descartes gebeugt vorstellen, geschweige denn, dass er eifrige Erstsemesterstudenten in die Grundlagen der Philosophie einführte. Aber nach dem, was er heute mit Sydney erlebt hatte, schien ihm alles möglich zu sein. Derek bestellte bei der jungen Frau hinter dem Tresen einen Whiskey. Mit dem Glas in der Hand drehte er sich um und suchte den überfüllten Raum nach bekannten Gesichtern ab. Sein Blick blieb an zwei Studenten und einem Professor der Ökonomie hängen. Als sie ihn heranwinkten, zögerte er nicht, sich zu ihnen zu gesellen. Brad, der Professor, zog einen Stuhl für Derek an den Tisch. »Es sieht ganz danach aus, als wollten Sie sich ernsthaft betrinken, Buchanan.« »Ja, das habe ich vor«, erwiderte Derek, bevor er den Whiskey in einer Geschwindigkeit hinunterstürzte, die John
Wayne zur Ehre gereicht hätte. Die bernsteinfarbene Flüssigkeit brannte ihm wie Feuer in Kehle und Magen. Erst jetzt fiel ihm ein, dass das Abendessen mit Sydney ausgefallen war. Seit seiner letzten, kärglichen Mahlzeit waren zwölf Stunden vergangen. Whiskey auf leeren Magen war eine Garantie für einen schlimmen Kater. Aber er trank ja, um zu vergessen, und auf die Art würde er sein Ziel schneller erreichen. Er bestellte bei der Bedienung noch einmal dasselbe. »Es geht wohl um eine Frau«, vermutete Phil Butler, ein einundzwanzigjähriger Mathematikstudent. »Tut es das nicht immer?« fragte Hank Robinson, ebenfalls Mathematikstudent, bevor er einen kräftigen Schluck aus seinem Bierglas nahm. »Das ist allerdings wahr«, sagte Derek und bestellte bei der herannahenden Bedienung eine Runde für seine Leidensgefährten. Für den zweiten Whiskey ließ sich Derek mehr Zeit. »Warum sind die Frauen nur so kompliziert?« fragte er lakonisch und erntete dafür nur trockenes Gelächter. Derek hatte nicht wirklich eine Antwort erwartet. Aber ein kurzer Erfahrungsaustausch über die weibliche Psyche könnte ihm durchaus nützlich sein. »Lassen Sie mich raten«, begann Brad und lehnte sich zurück. »Sie möchte mehr Romantik in ihrem Leben.« Nun war es an Derek zu lachen. Romantik? Sydney? »Kaum«, antwortete er und griff nach seinem Glas. Blumen und Komplimente waren nicht Sydneys Sache. Obwohl er mit Vergnügen romantisch wäre, wenn es ihm helfen würde, ihr näher zu kommen. Genau das war das Problem. Sie ließ weder ihn noch sonst jemanden zu nahe an sich heran. Natürlich waren sie sich nahe gekommen in jener Nacht, aber sobald Sydney das Bett verlassen hatte, war die Mauer um sie herum wieder da gewesen.
Die Kellnerin brachte eine neue Runde Bier. Derek gab ihr ein großzügiges Trinkgeld. Das Lächeln, mit dem sie sich bedankte, war warm und ein wenig frivol. Normalerweise hätte es ihm geschmeichelt, aber zu seinem Erstaunen bewirkte es diesmal gar nichts bei ihm. Hank griff nach seinem Bier. »Ich wette, sie wirft Ihnen vor, ihre Persönlichkeit und ihre Ziele nicht genug zu würdigen«, sagte er, während er der Kellnerin nachblickte. Durch den Whiskeynebel hindurch versuchte Derek darüber nachzudenken. Vielleicht hatte Hank Recht. Auf die Art und Weise, wie Sydney beabsichtigte, ein Kind zu bekommen und zu erziehen, hatte er nicht gerade aufmunternd reagiert. »Ich weiß nicht«, sagte er schließlich. »Oder sie findet, dass Sie ihre Bedürfnisse nicht verstehen«, schlug Phil vor. Derek lehnte sich zurück. »Ich dachte bisher immer, ich würde sie verstehen«, erwiderte er vorsichtig. Bei genauerem Nachdenken könnte sich diese Annahme auch als falsch herausstellen. Brad sah ihn über sein Bierglas hinweg an. »Vielleicht hören Sie ihr nicht richtig zu. Hat sie das Gefühl, dass die Kommunikation zwischen Ihnen nicht funktioniert?« »Nein, das ist es nicht«, erklärte Derek mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Die Kommunikation funktioniert tadellos. Sie weiß genau, was ich fühle.« Hank schüttelte resigniert den Kopf. »Kaufen Sie ihr Rosen. Frauen lieben Blumen.« Phil nickte zustimmend. »Und dann gehen Sie mit ihr in einen Liebesfilm und halten ihre Hand. Die Mädels mögen das, glauben Sie mir.« »Und ein romantisches Abendessen bei Kerzenlicht«, fügte Brad hinzu. »Und danach nur ein Abschiedskuss an der Haustür. Das sollte wirken, meine ich.« »Jungs, ihr seid mir eine große Hilfe«, sagte Derek mit
einem ironischen Grinsen. »Wo genau liegt eigentlich das Problem? Hat sie Ihnen den Laufpass gegeben?« fragte Brad mitfühlend. Genau dieses Mitgefühl brauchte er. Er wollte mit Bekannten zusammen sitzen und sich ein wenig bemitleiden lassen. Allerdings durfte es auch nicht zu weit gehen. Dass er Sydney einen Heiratsantrag gemacht hatte, ging die Männer nichts an. »Nein«, beantwortete er Brads Frage. »Man kann nicht den Laufpass bekommen, wenn man zuvor keine ernsthafte Beziehung hatte.« »Aha, da ist also der Haken«, sagte Phil. »Sie will eine richtige Beziehung, aber Sie wollen Ihre Freiheit nicht aufgeben. Bindungsangst, das kennen wir doch alle. Frauen kommen in ein bestimmtes Alter und denken nur noch an Brautkleider und Verlobungsringe.« Hank gab Phil einen Klaps auf die Schulter. »Na, du musst es ja wissen. Wann hattest du jemals eine ernsthafte Beziehung? Du hast doch gerade seit zwei Jahren die Pubertät hinter dir.« »Sie ist schwanger«, platzte Derek heraus. Der Whiskey hatte ihm die Zunge gelöst. Diese Feststellung hatte ein allgemeines Aufstöhnen zur Folge. »Das war es dann wohl mit dem herrlichen freien Leben«, sagte Phil mitleidig. »Sie will mich nicht heiraten«, erklärte Derek. Er musste seine Zunge im Zaum halten, um nicht auch noch die künstliche Befruchtung preiszugeben. »Eine unabhängige Frau«, sagte Brad. »Das kann allerdings ein Problem werden.« »Ein Problem? Sie treibt mich in den Wahnsinn!« gestand Derek. »Sie besteht darauf, alles allein zu machen.« Sogar ein Baby, fügte er in Gedanken hinzu. »Also braucht sie Sie nicht«, sagte Phil und machte ein
schlaues Gesicht. »Natürlich braucht sie mich. Sie ist nur zu stur, um es zuzugeben.« »Sie denkt nur, dass sie Sie nicht braucht«, brachte Brad es auf den Punkt. »Und was kann man dagegen unternehmen?« wollte Derek wissen. »Sie müssen ihr zeigen, wie sehr sie Sie braucht«, erklärte Brad. Derek blickte in die Runde. »Irgendwelche Vorschläge?« Der Ökonomieprofessor zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht recht. Tun Sie etwas für sie, das sie normalerweise selbst erledigt. Wenn sie zu den unabhängigen Frauen gehört, müssen Sie ihr zeigen, dass sie ihre Identität nicht verliert, nur weil sie in einigen Dingen von einem Mann abhängig ist.« »Kommen Sie, Prof, wovon reden wir hier eigentlich?« unterbrach Hank und wandte sich an Derek. »Wollen Sie das wirklich? Ihre Unabhängigkeit aufgeben für irgendeine Mieze?« »Sie ist nicht irgendeine Mieze«, gab Derek hitzig zurück. »Sie ist die Mutter meines Kindes.« Jedenfalls mit einiger Wahrscheinlichkeit, setzte er im Stillen hinzu. Als die Kellnerin mit frischem Bier für alle erschien, hatte Derek bereits einen Plan im Kopf, wie er das Problem lösen könnte. »Ich werde die ganze Sache wissenschaftlich angehen«, verkündete er. »Aber das wird nicht funktionieren. In der Liebe hält man sich nicht an logische Grundprinzipien«, wandte Hank ein. »Oh doch, es wird«, sagte Derek zuversichtlich. »Ich habe ein bestimmtes Problem und muss nur die richtigen Fragen stellen, die mich zur Lösung führen.« »Das kann nicht Ihr Ernst sein, Derek. Sie wollen eine Frau erobern und nicht ein wissenschaftliches Experiment
durchführen«, sagte Brad zweifelnd. »Aber es ist ganz einfach«, widersprach Derek. »Ich muss ihr nur den richtigen Lösungsweg vor Augen führen.« »Und der wäre?« fragte Brad kopfschüttelnd. Derek lachte. Die ganze Unterhaltung hatte ihn irgendwie entspannt. »Ich bringe sie dazu zu akzeptieren, dass sie ohne mich nicht leben kann.« Für eine Weile saßen die Männer schweigend da. Jeder schien in seine eigenen Gedanken vertieft. »Da gibt es nur eine unbekannte Größe in Ihrem Plan«, sagte Phil abschließend. »Wie schon gesagt, die Liebe folgt keinen logischen Grundprinzipien.«
5. KAPITEL Es klingelte. Sydney schlug die Augen auf und blickte sich schlaftrunken um. Sie hatte einen äußerst beängstigenden Traum gehabt, in dem man sie in Ketten vor den Traualtar geschleppt hatte. Es klingelte wieder. Langsam wurde ihr klar, dass es sich dabei um die Türglocke handeln musste. Seufzend stand sie auf und griff nach ihrem Morgenmantel. Sie blickte aus dem Fenster und sah, dass Dereks Wagen neben ihrem Jeep parkte. Nach der Art und Weise, wie sie vor zwei Tagen auseinander gegangen waren, hätte sie nicht damit gerechnet, dass Derek zu ihrem sonntäglichen Frühstück erscheinen würde. Für einen kurzen Moment dachte sie daran, sich wieder ins Bett zu legen und die Decke über den Kopf zu ziehen. Aber früher oder später musste sie ihm ins Gesicht sehen. Das erneute, beharrliche Klingeln führte dazu, dass sie hastig zur Haustür lief. Sie hielt kürz inne, um Luft zu holen, und öffnete die Tür. Dereks Blick traf sie bis ins Mark. So viel Zärtlichkeit stand darin, schlimmer noch, es war Liebe. Sei nicht so dumm, schalt sie sich. Du glaubst nicht an
die Liebe. Aber vielleicht können wir trotz allem noch Freunde bleiben. Derek war jedenfalls gewillt, das freundschaftliche gemeinsame Frühstück aufrechtzuerhalten. »Guten Morgen«, sagte Derek und reichte ihr die Sonntagszeitung. »Guten Morgen«, erwiderte sie befangen. Sein Lächeln war warm und aufrichtig. Von verletztem Stolz, den sie befürchtet hatte, war nichts zu spüren. Er trat ein, küsste sie zärtlich auf den Mund und ging in die Küche. Bronson folgte ihm schwanzwedelnd. »Ist der Kaffee noch nicht fertig?« fragte Derek, als er die Brötchentüte auf den Tisch legte. »Ich habe bis eben geschlafen«, antwortete sie mit belegter Stimme. Sie spürte immer noch seinen flüchtigen Kuss auf den Lippen. »Ehrlich gesagt habe ich nicht mit dir gerechnet.« Er drehte sich zu ihr um und legte die Hand auf ihre Wange. »Ich möchte unter keinen Umständen das Frühstück mit meiner Lieblingstierärztin verpassen.« Anstatt sie wieder zu küssen, wie sie es fast schon erwartete, ließ er die Hand sinken und wandte seine Aufmerksamkeit der Kaffeemaschine zu. Fast ärgerlich über die Enttäuschung, dass er sie nicht geküsst hatte, lehnte Sydney sich an den Türrahmen und sah ihm beim Kaffeekochen zu. Wenn er doch nicht so verdammt gut aussehen würde, dachte sie, während sie seine durchtrainierten Arme betrachtete. Jetzt wusste sie, wie es sich anfühlte, in diesen Armen zu liegen. Wie um sich davon abzuhalten, ihre Finger durch sein dunkles Haar gleiten zu lassen, steckte sie die Hände in die Taschen ihres Morgenmantels. »Ich werde mich rasch anziehen«, erklärte sie unvermittelt. Etwas mehr Kleidung als ein Morgenmantel und ein T-Shirt würden ihr helfen, ihre frivolen Gedanken zu
verscheuchen. Derek stellte zwei Kaffeebecher auf den Tisch und musterte Sydney von Kopf bis Fuß. »Ich finde, du siehst wundervoll aus.« Darauf wusste sie nichts zu erwidern. »Ich bin gleich wieder da«, sagte sie nur und verschwand ins Badezimmer. Nach einer kurzen Dusche zog sie sich ein paar verwaschene Jeans und ein altes Flanellhemd über. Sie hatte sich für heute vorgenommen, eine Schrankwand im Empfangsbereich der Praxis neu zu streichen. Außerdem wollte sie sich selbst und vor allem Derek nicht durch aufreizende Kleidung in Versuchung führen. Nach einem zufriedenen Blick in den Spiegel kehrte sie in die Küche zurück. Er saß am Küchentisch und las in der Zeitung. Bronson lag zu seinen Füßen und wartete offensichtlich auf herunterfallende Krümel. Sydney beugte sich zu dem Hund hinunter und begutachtete die Narbe auf seiner Schnauze, während sie ihn kraulte. Sie verheilte sehr gut. Dann schenkte sie sich Kaffee ein und setzte sich ebenfalls an den Tisch. Es lag ihr auf der Zunge, Derek zu fragen, warum er so tat, als ob dies ein ganz normaler Sonntagmorgen wäre. Was war das für ein Spiel, das er da spielte? Wie konnte er vorgeben, dass sich in ihrer Beziehung nichts geändert hätte? Dabei ließ sich diese leidenschaftliche Nacht, in der sie sich geliebt hatten, nicht wegleugnen. Derek hatte ihr gezeigt, wie tief Leidenschaft gehen konnte. Er hatte von Liebe und einer gemeinsamen Zukunft gesprochen und ihr einen Heiratsantrag gemacht. Und sie selbst hatte ihm von ihrer Schwangerschaft berichtet und seinen Antrag abgelehnt. Zwischen ihnen hatte sich eigentlich alles geändert. Dennoch saß er an ihrem Küchentisch und vertiefte sich
in den Sportteil der Zeitung. Sie widerstand dem Impuls, Derek die Zeitung aus der Hand zu reißen und ihn kräftig zu schütteln. Er hob den Kopf, als würde er ihre Gedanken erraten. »Was hast du heute vor, Doc?« Sydney nahm sich ein Brötchen. »Ich will die Schrankwand in der Praxis streichen. Am letzten Wochenende habe ich sie grundiert.« »Das ist keine gute Idee«, sagte er missbilligend. »Die Ausdünstungen der Farbe sind bestimmt nicht gut für das Baby.« »Ich weiß deine Fürsorge zu schätzen, aber sie ist unnötig.« »Unnötig oder unwillkommen?« »Beides«, gab sie zu. »Ich weiß, dass du dir Sorgen machst, aber…« »Natürlich mache ich mir Sorgen«, unterbrach er sie. »Es ist schließlich auch mein Kind.« »Das weißt du doch gar nicht mit Sicherheit«, sagte sie ungeduldig und ließ das Brötchen auf den Tisch fallen. »Genauso wenig wie du«, erwiderte er und sah sie herausfordernd an. Sie seufzte. »Derek, ich will mich nicht mit dir streiten.« »Wie lange willst du eigentlich noch der Wahrheit aus dem Weg gehen? Früher oder später musst du die Tatsache akzeptieren, dass wir ein gemeinsames Kind haben werden.« Sie stand auf und blickte ihn zornig an. »Ich werde ein Kind haben. Ob es von dir ist, steht nicht fest.« »Das spielt keine Rolle. Für mich ist es auch mein Kind.« Einen Moment zweifelte Sydney an ihrem Verstand. Jede andere Frau würde einen Freudensprung machen, wenn ein so wundervoller Mann wie Derek ein Baby, das
sie erwartete, ohne jede Vorbehalte für sein eigenes erklärte. Jede andere Frau, aber nicht sie. »Es spielt eine Rolle«, sagte sie beharrlich. Sydney verließ die Küche durch die Hintertür und trat in den Garten. Sie hatte ihn verletzt und konnte den Schmerz in seinen Augen nicht ertragen. Aber sie würde es wieder und wieder tun, bis er ihre Entscheidung endlich akzeptierte. Sie hörte, wie sich seine Schritte näherten, und wandte ihm den Rücken zu. Hoffentlich würde er diesen Wink richtig deuten und sie allein lassen. Sie schloss die Augen, als er sie mit beiden Armen von hinten umfasste. Er küsste sie auf den Hals, und ein Schauer durchlief sie. »Syd, du musst mir einfach glauben«, sagte er leise. »Es spielt wirklich keine Rolle für mich. Es ist ohne jede Bedeutung.« Sie drehte sich zu ihm um. »Für mich ist es aber von Bedeutung.« Er umfasste ihr Gesicht und lächelte. »Wann geht es endlich in deinen Dickkopf hinein, dass ich dich liebe? Nur das zählt für uns.« Er neigte den Kopf, um sie mit unendlicher Zärtlichkeit zu küssen. »Ich liebe dich«, wiederholte er flüsternd. Sie konnte Derek nicht lieben, und sie würde ihn nicht lieben. Jedenfalls nicht so, wie er es verdiente. Sie war diesen Weg schon einmal gegangen, und er war mit Lügen, Verrat und Schmerz gepflastert. »Derek, du bist verrückt«, sagte sie hart. »Ja, verrückt nach dir.« »Derek…« »Ich habe lange nachgedacht«, unterbrach er sie. Sie ließ sich auf dem Rasen nieder und umfasste ihre Knie. »Oh, oh, jetzt kriegen wir ernsthafte Schwierigkeiten«, murmelte sie. Er setzte sich neben sie. »Würdest du mir bitte zuhö-
ren?« »Muss ich?« »Allerdings«, antwortete er und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. »Dass wir heiraten, ist eine sinnvolle Lösung für viele Probleme.« Sydney ließ resigniert die Schultern sinken. Wann würde er endlich diese verrückte Idee aufgeben? »Warum willst du unbedingt eine schwangere Frau heiraten, deren Kind vermutlich nicht einmal von dir ist?« »Du sollst mir zuhören«, sagte er streng. »Also gut, ich höre.« »Da ist zum Beispiel die Krankenversicherung.« »Krankenversicherung?« echote sie verständnislos. »Ja, genau. Hast du dir schon einmal vor Augen geführt, was es für Kosten verursacht, ein Baby zu bekommen? Voruntersuchungen, Hebamme, Gynäkologe und der Krankenhausaufenthalt. Nicht zu vergessen der Kinderarzt, wenn das Baby erst einmal da ist.« Sie starrte ihn ungläubig an. »Ich bin privat versichert, vielen Dank.« »Ich wette, das kostet dich ein Vermögen. Wenn wir verheiratet sind, haben wir Anspruch auf eine Familienversicherung, die von der Universität gezahlt wird.« »Das ist kaum ein ausreichender Grund für eine Ehe.« »Und was ist mit der Betreuung für das Baby? Gute Kindermädchen sind teuer.« »Du hast also vor, deinen Job zu kündigen und zu Hause zu bleiben, um auf das Baby aufzupassen?« Sydney schnippte mit den Fingern. »Da geht sie hin, die Familienversicherung von der Universität.« Er funkelte sie böse an. »Nein, aber ich kann ein gutes Kindermädchen bezahlen.« »Das kann ich auch, Derek. Ich bin nicht gerade mittellos.« Die Praxis lief gut und warf mehr als genug ab, um ihre laufenden Kosten zu bestreiten. Es blieb am Monatsende
immer eine ansehnliche Summe übrig, die sie beiseite legen konnte. Darüber hinaus gab es noch das Erbteil ihrer Eltern und das Gold aus deren Lebensversicherungen, beides hatte Sydney Gewinn bringend angelegt. Finanziell stand sie also alles andere als schlecht da. Derek überlegte einige Augenblicke. »Steuern«, sagte er schließlich. »Steuern?« »Du bist selbstständig. Da musst du enorme Steuern zahlen.« »Was hat das mit der ganzen Sache zu tun?« »Denk doch an die Steuerersparnisse für verheiratete Paare.« Sie brach in lautes Gelächter aus. »Du willst keine Ehefrau, du willst in Wirklichkeit Steuern sparen!« »Natürlich will ich vor allem eine Frau. Aber stell dir nur vor, wie viel Geld wir sparen würden, wenn wir nur einen Haushalt hätten. Du könntest dein Haus verkaufen und den Erlös anlegen, damit wir dem Kind später ein Studium finanzieren können.« »Ich mag mein Haus«, sagte sie ernst. Es gehörte ihr, und sie würde es niemals verkaufen. »Aber mein Haus ist für eine Familie viel besser geeignet. Und wenn du zu mir ziehst, sparen wir einmal Rasenmähen und die Unterhaltskosten für ein Haus.« Skeptisch blickte sie ihn an. »Du mähst doch niemals den Rasen. Du hast einen Gärtner. Außerdem weißt du nicht einmal, wie ein Hammer aussieht.« »Und dann die Wartung der Autos«, sagte er hartnäckig. »Ach, soll ich etwa deinen Ölwechsel machen?« »Nein«, sagte er und lachte. »Das würde ich schon erledigen.« Derek war unbestritten ein brillanter Wissenschaftler und ein ausgezeichneter Lehrer, aber wenn es um handwerkliche Probleme ging, war er der Letzte, den sie rufen würde.
»Außerdem«, fuhr er unbeirrt fort, »müsstest du dir niemals den Kopf darüber zerbrechen, mit wem du den Silvesterabend verbringen sollst. Oder deinen Geburtstag. Oder Weihnachten.« »Männer!« sagte sie kopfschüttelnd und stand zornig auf. Auch er erhob sich und blickte sie mit ernster Miene an. »Also, was denkst du?« Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Ich denke, du solltest dich einmal auf deinen Geisteszustand hin untersuchen lassen.« »Warum bist du denn so wütend?« fragte er verwirrt. »Schon gut. Kümmere dich einfach nicht um mich«, zischte sie und ging auf das Haus zu. »Syd, Kleines, was ist denn los?« Sie fuhr herum und funkelte ihn an. »Wage es nicht noch einmal, mich Kleines zu nennen, du… du… Mann!« »Ich habe doch nur dargelegt, wie praktisch…« »Das Letzte, was eine Frau hören will, ist eine Liste der praktischen Vorzüge, die eine Ehe mit sich bringt!« »Aber ich dachte, du wolltest…« »Hör auf zu denken, ich bitte dich. Denk nie wieder. Ich könnte es nicht ertragen.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und eilte ins Haus. Verwundert blickte Derek ihr nach. Er hatte doch nur versucht, Sydney vernünftige Argumente für eine Heirat zu nennen. Er hatte jeden praktischen Grund aufgezählt, der ihm seit jenem Abend in der Kneipe eingefallen war. Und die Vorteile überwogen doch die Nachteile bei weitem. Was also war schief gegangen? Darüber würde er noch nachdenken müssen. Es sah so aus, als hätte er gerade eine Schlacht verloren, aber der Krieg war noch lange nicht zu Ende. Er ging ein wenig im Garten umher, damit Sydneys Zorn verraucht wäre, wenn er ins Haus zurückkehrte. Sein kritischer Blick fiel auf den Rasen, der dringend gemäht
werden musste. Und da besaß Sydney die Frechheit, ihm seinen Gärtner vorzuhalten! Warum konnte sie nicht einsehen, dass eine Ehe die beste Lösung für sie und das Kind sein würde? Es war hart für ihn gewesen, ohne Vater auf zuwachsen, besonders nachdem er eingeschult worden war. Seine Mutter war eine großartige Frau, die alles getan hatte, damit ihm nichts fehlte. Aber trotzdem hatte er immer wieder einen schmerzhaften Stich verspürt, wenn er beispielsweise die anderen Jungen beim Fußballspielen mit ihren Vätern beobachtet hatte. Er liebte Sydney und war davon überzeugt, dass sie seine Liebe erwiderte, auch wenn sie es noch nicht begriffen hatte. Irgendetwas hielt sie davon ab, eine ernsthafte Bindung einzugehen. Wenn er nur den Grund dafür wüsste, dann hätte er die Chance, etwas dagegen zu unternehmen. Es war an der Zeit, sich einen neuen Plan auszudenken. Sydney saß mit überkreuzten Beinen auf einer Plastikplane. Bronson hatte den Kopf auf ihren Oberschenkel gelegt und döste vor sich hin. »Männer haben doch überhaupt keine Ahnung«, beklagte sie sich bei dem großen Hund. Sie tauchte den Pinsel in den Farbtopf und streifte ihn sorgfältig ab. Bronson ächzte ein wenig und streckte sich. Sie beugte sich nach vorn und strich die Innenseite des Schrankes. »Krankenversicherung«, murmelte sie verächtlich. »Lächerlich!« Nicht, dass ihr die Vorstellung einer Ehe auf einmal gefiel, aber Derek hätte wenigstens die besondere Beziehung erwähnen können, die sie zueinander hatten. Wenn er ihr gesagt hätte, er wollte den Rest seines Lebens mit ihr verbringen, dann wäre sie zumindest jetzt nicht so gekränkt. Warum hatte er nicht von ihrer berauschenden gemeinsamen Nacht gesprochen? »Steuern«, zischte sie wütend.
»Kann ich dir helfen?« Sie richtete sich auf und blickte Derek über die Schulter hinweg an. »Du hast schon genug getan.« Als sie sein schiefes Grinsen sah, begann ihr Zorn langsam zu verrauchen. Sie lächelte und drückte ihm einen Pinsel in die Hand. »Du kannst die Türen streichen.« Dann wandte sie sich wieder ihrer Aufgabe zu. Wegen der Farbdämpfe hatte sie die Fenster weit geöffnet, und eine warme Brise durchwehte den Raum. Bronson streckte sich gähnend, richtete sich auf und legte ihr seine feuchte Nase an die Wange. Dann trottete er zu Derek, der vor einer ausgehängten Schranktür hockte. »Hallo, alter Kumpel«, begrüßte er den Hund. »Hast du Syd ein bisschen geholfen?« Sydney musste lächeln. Wie konnte man diesem Mann lange böse sein? Merklich gelöster vertiefte sie sich wieder in ihre Arbeit. Einige Minuten später brach Derek das Schweigen zwischen ihnen. »Syd?« Sie zog die Nase kraus. »Was ist?« »Hast du etwas gegessen?« Wie zur Antwort knurrte ihr der Magen. Sie dachte an das Brötchen, das sie vor lauter. Zorn nicht angerührt hatte. »Nein.« Er stand auf und legte den Pinsel auf ein Stück Zeitungspapier. »Wie wäre es mit einem Salat aus dem Restaurant an der Ecke? Ich lade dich ein.« Aha, dachte sie. Er schwenkt die weiße Fahne und lockt mich mit Essen. Sie blickte ihm ins Gesicht, und ihre Wut verrauchte. Sie stand auf und rieb sich den Rücken. »Und eines von diesen knusprigen Broten?« fragte sie hoffnungsvoll. Seine Antwort war ein warmherziges Lächeln. Plötzlich fühlte sie sich so sehr zu Derek hingezogen, dass sie nur mit Mühe dem Impuls widerstand, zu ihm zu gehen und
ihn zu küssen. Sie stellte sich vor, ihre Lippen auf seinem Mund zu spüren. Ihre Fantasien wurden von einem lauten Scheppern unterbrochen, gefolgt von einem Jaulen. Derek fuhr herum. »Bronson, sitz!« Aber der Hund raste bereits den Korridor entlang und hinterließ eine Spur von großen weißen Pfotenabdrücken auf dem dunklen Linoleum. Sydney spähte hinter den Empfangstresen und hielt sich entsetzt die Hand vor den Mund. Ein großer Farbtopf war umgefallen, und die zähe Flüssigkeit hatte sich über den Boden verteilt. Derek nahm einen Lappen und versuchte, den Farbfluss zu stoppen, aber es war einfach zu viel. Voller Bestürzung blickte er sie an. Sydney biss sich auf die Lippen, um ein Lächeln zu unterdrücken. »Du siehst nach, ob mit Bronson alles in Ordnung ist. Ich mache hier sauber.« Sie stellte den Farbtopf wieder hin und machte sich daran, die weiße Pfütze mit Zeitungspapier aufzuwischen. »Und zieh deine Schuhe aus«, sagte sie, mühsam gegen ihr Lachen ankämpfend. »Oder soll ich errötend deinen Spuren folgen?« Die ganze Sache war Derek offenbar furchtbar peinlich. Folgsam zog er seine Schuhe aus und ging Bronson nach. Sydney hoffte nur, dass er ihr Lachen nicht hören würde, das sie nun nicht länger zurückhalten konnte.
6. KAPITEL Eine ungewöhnlich früh einsetzende Hitzewelle sorgte für rekordverdächtige Temperaturen. Trotz der für den Juni unüblichen Wärme hatte Sydney keine andere Wahl, als die Fenster der Praxis geöffnet zu halten. Die Dämpfe des Terpentins, mit dem Derek den Boden gereinigt hatte, machten eine Benutzung der Klimaanlage unmöglich.
Während der Mittagszeit war es in der Praxis immer ziemlich ruhig. Es gab keine Patiententermine, und der Anrufbeantworter war eingeschaltet. Sydney genoss die Mittagspause sehr. Sie hatte während dieser Zeit die Möglichkeit, die anstehende Büroarbeit zu erledigen oder sich um ihren Haushalt und Garten zu kümmern. An diesem Tag war sie jedoch so erschöpft, dass sie nur an einen kurzen Mittagsschlaf in ihrem Haus denken konnte. Der letzte Patient vor der Mittagspause, eine depressive Katze, die sich selbst das Fell herausrupfte, war zwar anstrengend gewesen, aber kaum eine Erklärung für Sydneys Müdigkeit. Sie hatte kürzlich gelesen, dass Frauen während der Schwangerschaft mehr Schlaf brauchten. Aber wenn man eine eigene Tierarztpraxis führt, kann man sich solchen Luxus wie einen Mittagsschlaf wohl nicht leisten, dachte Sydney seufzend. Sie ordnete die Karteikarten ein und ging zum Empfangstresen, um sich die Termine für den Nachmittag anzusehen. Rachel war gerade dabei, ein Dutzend rote Rosen in einer Kristallvase auf ihrem Schreibtisch zu arrangieren. Der Strauß war ein Geschenk von Rachels Ehemann zu ihrem Hochzeitstag. Ein Bote hatte ihr den Blumengruß am Vormittag überbracht. »Vielleicht wäre es eine gute Idee, die Rosen in den Kühlschrank zu stellen. Sonst welken sie bei der Hitze zu schnell«, schlug Sydney vor. »Daran habe ich auch schon gedacht. Aber dann kann ich sie nicht sehen«, erwiderte Rachel. Sydney verspürte einen Anflug von Neid. Auch nach elf Jahren Ehe überraschte Rachels Mann seine Frau noch mit romantischen Gesten und Geschenken. Was Derek mir zu einem solchen Anlass wohl schenken würde, überlegte Sydney. Ein paar Aktien vielleicht oder ein besonderes Sparkonto? Aber wir sind ja nicht verheiratet, erinnerte sie sich. Und
wir werden es auch niemals sein. »Na ja«, sagte Rachel und zupfte an einem Rosenblatt. »Steve will Pluspunkte bei mir sammeln, weil er das ganze Wochenende Dienst hat.« Steve war bei der Navy und hatte bis jetzt eine steile Karriere hinter sich. Rachel schien es nichts auszumachen, dass er sehr wenig Zeit für sie hatte. Sie war offenbar sehr glücklich. Das versetzte Sydney immer wieder in Erstaunen, weil die beiden sehr früh geheiratet hatten. Soweit Sydney wusste, waren sie immer noch verrückt nacheinander. Rachels rote Rosen zeigten deutlich, wie sehr sie sich nach über einem Jahrzehnt noch liebten. »Ich habe die Welpen gefüttert. Die kleine dicke Gefleckte hat schon die Augen aufgemacht«, berichtete Rachel. Sydney lächelte. Das gefleckte Hundebaby hatte es ihrer Assistentin sehr angetan. Obwohl die Welpen ohne Mutter aufwuchsen, gediehen sie prächtig. Vor ein paar Tagen hatte sie die Wärmelampe wegnehmen und die Tiere in eine geräumige Kiste setzen können. Sie hatte noch nicht entschieden, was aus ihnen werden sollte, wenn sie selbstständig sein würden. Weiter als bis zu der Idee, dass ihre zukünftigen Besitzer alle für die Hunde notwendigen Impfungen nicht bezahlen müssten, war sie noch nicht gekommen. »Danke, Rachel, dass du dich um die Welpen gekümmert hast. Aber das musst du wirklich nicht auch noch machen«, sagte Sydney, während sie ihre Post durchsah. Sie fragte sich, warum Derek sich noch nicht gemeldet hatte. Nachdem sie gestern die Farbe vom Fußboden entfernt hatten, hatte Derek ihnen wie versprochen etwas zu essen besorgt. Nach dem gemeinsamen Imbiss war er mit Bronson nach Haus gefahren. Sie hatte eigentlich erwartet, dass er zurückkehren und ihr weiter eine Heirat schmackhaft machen würde, aber er hatte nichts mehr von
sich hören lassen. Sie war nicht enttäuscht, nein, überhaupt nicht. »Oh, das tue ich doch gern«, sagte Rachel. »Es gibt kaum etwas Niedlicheres als Hundebabys.« Die Eingangstür zur Praxis wurde geöffnet, und Sydneys Pulsschlag beschleunigte sich. Als sie Derek eintreten sah, fing ihr Herz an zu rasen. Er sah unverschämt gut aus, und sein Lächeln war viel zu sexy. Er nickte Rachel zu und baute sich dann vor Sydney auf. Aus seinem Blick sprachen Begehren und Leidenschaft. Sydney spürte, wie sie rot wurde. »Was tust du denn hier?« fragte sie mit belegter Stimme. »Hattest du nicht einen Termin im Forschungslabor?« »Abgesagt«, meinte er nur und sah sie unverwandt an. Rachels viel sagender Blick glitt zwischen den beiden hin und her. Sie nahm ihre Handtasche aus ihrem Fach im Empfangstresen. »Ich muss einige Besorgungen machen. Ich schließe ab«, verabschiedete sie sich mit einem wissenden Lächeln. Sydney fasste sich an die geröteten Wangen. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, was ihre Assistentin jetzt dachte. »Wie wäre es mit einem gemeinsamen Mittagessen?« fragte Derek. »Wenn du dich mit der Hälfte meines Sandwiches und dem Rest Tomatensalat von gestern zufrieden gibst, lade ich dich ein«, erwiderte sie. »Das sind berauschende Aussichten«, sagte er gut gelaunt und folgte ihr ins Büro. Zwanzig Minuten später hatte Sydney sich wieder beruhigt. Nachdem er sie bei der Begrüßung fast mit Blicken ausgezogen hatte, war sie überzeugt gewesen, sich einer erneuten Diskussion zum Thema Ehe stellen zu müssen, wenn sie erst allein wären. Aber Derek erzählte ihr nur sachlich und wortgewandt von der neuesten Entscheidung der Universität hinsichtlich eines für ihn sehr bedeutsamen
Forschungsprojektes. Wenn Sydney nicht andauernd den Wunsch verspürt hätte, ihn zu küssen, wäre es ein ganz normales Mittagessen gewesen. Als sie die Spuren ihres Picknicks beseitigte, überkam sie wieder diese abgrundtiefe Müdigkeit, die sie schon zu Beginn der Mittagspause gequält hatte. Sie lehnte sich auf dem Sofa zurück und musste gähnen. »Entschuldige, ich bin nur so furchtbar müde.« »Streck dich ein paar Minuten aus«, schlug Derek vor und drückte sie sanft nach unten, so dass ihr Kopf auf seinem Oberschenkel zu liegen kam. Sydney warf ihm einen skeptischen Blick zu, rollte sich dann aber auf die Seite und entspannte sich. Dass sie sich auf einmal sehr wohl und geborgen fühlte, hatte möglicherweise mit Dereks Hand zu tun, die behutsam ihren Rücken massierte. »Wirst du das Projekt leiten?« fragte sie, ein Gähnen unterdrückend. »Es ist noch nicht klar, wer die Leitung übernehmen wird. Aber ich denke, dass ich auf jeden Fall im Team sein werde.« »Sie wären ganz schön dumm, wenn sie dir nicht die Leitung übertragen würden«, erklärte sie im Brustton der Überzeugung. »Vielen Dank.« Sydney lächelte und schloss für einen Moment die schweren Lider. »Ich sollte hier nicht herumliegen. Es gibt viel zu tun.« »Pst«, machte er. »Ruh dich einfach ein bisschen aus.« »Auf mich wartet wirklich noch viel Arbeit«, murmelte sie und schlief ein. Derek küsste sie wach. Als Sydney seine Lippen spürte, schlang sie die Arme um seinen Hals und erwiderte den Kuss voller Verlangen. Er glitt neben sie und zog sie an sich. Anstatt zu protestieren, schmiegte sie sich mit einem
Seufzer an seine harte Brust. Eine Welle der Erregung überflutete Derek. Was hatte diese Frau nur an sich, dass er in ihrer Nähe sämtliche guten Vorsätze vergaß? Er hatte sie doch gar nicht verführen wollen. Vielmehr wollte er ihr beweisen, dass eine Ehe die logische Konsequenz ihrer gemeinsamen Situation war. Seine Absichten und Argumente verschwanden im Nichts, als er die Hände auf ihre vollen Brüste legte. Sydney zerzauste sein Haar, und Derek konnte sich kaum noch an seinen Namen erinnern. Diese Frau trieb ihn allmählich in den Wahnsinn. Er spürte ihr Verlangen und ihre Sehnsucht. Nichts wäre ihm lieber gewesen, als ihrem – und seinem – Verlangen nachzugeben. Aber Rachel würde jeden Moment zurückkehren. Er hatte Sydney doch nur wachküssen wollen. Doch nun hatte er eine Leidenschaft entfacht, für die keine Zeit blieb. Widerstrebend löste er sich von ihr und blickte in ihre von Sehnsucht verschleierten grünen Augen. Wir könnten die Bürotür abschließen, schoss es ihm durch den Kopf. »Was machst du nur mit mir?« flüsterte Sydney. »Ich würde gern noch so einiges mit dir machen«, sagte er heiser. Sie stöhnte leise und presste sich noch enger an ihn. »Du bringst mich dazu, Dinge zu wollen, für die ich keine Zeit habe.« Damit hatte sie zweifellos Recht. Er stand auf und verließ das Sofa. »Sieh mich nicht so verführerisch an, sonst schließe ich die Tür ab und falle über dich her.« Ein verhaltenes, herausforderndes Lachen war ihre Antwort. Nach einem sündigen Augenaufschlag sah sie ihm direkt ins Gesicht. Dereks Herzschlag beschleunigte sich. »Du solltest nicht etwas anfangen, das wir nicht zu Ende bringen können«,
warnte er. Geschmeidig glitt sie vom Sofa, ging zur Tür und schloss sie ab. »Du hast damit angefangen. Jetzt bring es auch zu Ende.« »Warte einen Moment, was ist mit…« Sydney verschloss ihm die Lippen mit einem Kuss. Sie ließ die Hände über seine Brust bis hin zum Reißverschluss seiner Jeans wandern. »Du wirst mich nicht so zurücklassen«, wisperte sie. Derek schloss die Augen, als sie seinen Hals küsste. »Du kannst mich unmöglich so zurücklassen«, flüsterte sie und öffnete den Reißverschluss seiner Hose. »So heiß«, sagte sie und küsste ihn wieder. »Und so begierig.« Für Derek war jetzt alles zu spät. Er umschlang Sydney, drehte sie um und hob sie auf den Schreibtisch. Dann schob er ihr Sommerkleid hoch und streifte ihr mit hastigen Bewegungen den Slip ab. Sie schlang die Beine um seine Hüften und stöhnte auf, als er mit zärtlichen Händen den intimsten Punkt ihres Körpers erforschte. Lustvoll bog sie den Kopf zurück und gab sich seinen aufregenden, quälend sanften Berührungen hin. Sie verlangte nach ihm wie noch nie zuvor. In seiner Nähe vergaß sie völlig, dass sie mit dem Feuer spielte. Und es war ihr auch völlig egal. In diesem Moment gab es für sie nur diesen Mann, der sie auf eine sinnliche Reise mitnahm, deren Ziel absolute Glückseligkeit war. Sie flüsterte seinen Namen und öffnete sich ihm rückhaltlos, als er kraftvoll in sie eindrang. Mit der Zunge fuhr er über ihr Ohr, ihren Hals, und sie hatte das Gefühl, in Flammen zu stehen. Sein heißer Atem fachte das Feuer ihrer Leidenschaft noch mehr an. Hilflos ihrem Verlangen ausgeliefert, klammerte sie sich an ihn, bis ihr Körper sich in einem lustvollen Aufschrei aufbäumte und sie hörte, wie Derek ihren Namen rief. Schwer atmend zog er sie an sich und strich ihr sacht
durch das Haar. Er wartete, bis sich ihr Pulsschlag beruhigt hatte. »Es tut mir Leid, ich muss jetzt gehen«, flüsterte er nach einem langen, zärtlichen Kuss. »Aber ich komme bald zurück.« Er küsste sie noch einmal und löste sich widerstrebend von ihr. Hastig brachte er seine Kleidung in Ordnung, lächelte und verließ den Raum. Sydney blickte ihm nach und ließ sich dann langsam vom Schreibtisch gleiten. Sie brachte es nicht über sich, das leidenschaftliche Schäferstündchen zu bedauern. Im Gegenteil. Unwillkürlich glitt ein sinnliches Lächeln über ihr Gesicht. Derek hatte gesagt, er würde wiederkommen. Sie konnte es kaum erwarten. Was hatte er denn jetzt schon wieder getan? Sydney stand vor ihrem Cottage und blickte ungläubig auf den Rasen. Im schwindenden Licht der Abenddämmerung sah es ganz so aus, als ob er vor kurzem gemäht worden wäre. Zwischen dem satten Grün entdeckte sie bei näherem Hinsehen fast kahle Stellen, die nur noch von spärlichen Grashalmen bedeckt waren. Es erinnerte sie an den Haarwuchs eines Mannes mittleren Alters, der seine Glatze nicht länger verbergen konnte. Sie beugte sich hinunter und strich mit den Fingern über die frisch gestutzte Grasnarbe. Tatsächlich, Derek hatte den Rasen gemäht! Sie seufzte und wünschte sich, sie hätte die Zeit gefunden, einen Ersatz für ihren verflixten alten Rasenmäher zu besorgen. Das vertrackte Ding hatte die unangenehme Angewohnheit, sich von Zeit zu Zeit in den Boden zu fressen und die Grasnarbe an diesen Stellen fast gänzlich zu vernichten. Aber sie konnte Derek nicht böse sein. Er hatte es schließlich nur gut gemeint. Ihr selbst war dieses Missgeschick auch schon öfter passiert. Sie würde also nicht nur einen neuen Rasenmäher,
sondern auch Rasensaat besorgen müssen. Wenn man bedachte, wie wenig handwerkliche Begabung Derek hatte, war sein Einsatz doppelt lobenswert. Sydney hegte durchaus dankbare Gefühle für ihn, bis sie mit dem Fuß schmerzhaft gegen einen falsch platzierten Stein stieß. Sie stieß scharf die Luft aus, und Tränen traten ihr in die Augen. Jemand machte das Verandalicht an, das seit ihrem Einzug nicht mehr funktioniert hatte. Geblendet blinzelte sie in die unvermutete Helligkeit. »Syd, was ist los? Ist alles in Ordnung mit dir?« Sie hielt sich eine Hand vor die Augen, mit der anderen rieb sie ihren schmerzenden Fuß. Der Himmel bewahre mich vor Männern mit guten Absichten, dachte sie seufzend. »Alles okay«, antwortete sie mit zusammengebissenen Zähnen. Er wollte mir nur helfen, sagte sie sich und kämpfte gegen einen Wutausbruch an. Sie sah auf den mit Steinen gepflasterten Weg hinunter. Die hässlichen Grashalme und Unkräuter, die zwischen den Steinen gewuchert hatten, waren verschwunden. Seit ihrem Einzug hatte sie vergeblich dagegen angekämpft. Als sie vorsichtig ihren noch immer schmerzenden Fuß bewegte, wackelte der Stein, auf dem sie stand. »Hast du etwa die Steine herausgenommen?« fragte sie ungläubig. Stolz lächelte er sie an. »Ich wollte keine Chemikalien benutzen. Du weißt schon, wegen des Babys. Also habe ich alle Steine weggenommen und eine Gartenplane auf den Boden gelegt. Der Verkäufer im Gartencenter hat gesagt, auf diese Weise hätte man nie mehr Probleme mit dem Unkraut.« Fassungslos sah sie abwechselnd zu Derek und dem Weg. »Du hast alle Steine weggenommen und wieder hingelegt? Ganz allein?« Er nickte freudestrahlend. Herkules hätte nach der Bewäl-
tigung seiner gesamten Aufgaben nicht stolzer sein können. Was war schon ein verstauchter Zeh gegen die offensichtliche Freude, die Derek nach getaner Gartenarbeit verspürte? »Vielen Dank, Derek«, sagte sie und humpelte ihm langsam entgegen. Mühsam unterdrückte sie die Schmerzensschreie, die jeder Schritt ihr entlockte. »Das war wirklich sehr lieb von dir.« Er ergriff ihre Hand. »Warte nur, bis du erst drinnen bist«, sagte er verheißungsvoll. Sydney schaffte ein schwaches Lächeln und folgte ihm ins Haus. Zu ihrer grenzenlosen Überraschung blitzte das Cottage praktisch vor Sauberkeit. Der Küchenboden glänzte, die Beistelltischchen aus Kirschholz im Wohnzimmer schimmerten unter ihrer frischen Politur. Sogar ihre sorgsam gehütete Sammlung Kristallgläser funkelte in neuem Glanz. Eine Wolke verschiedener Düfte umfing sie, als sie weiter ins Wohnzimmer humpelte. Pinie, Zitrone und – sie schnupperte hoffnungsvoll. Ente Szechuan? »Chan’s?« fragte sie und blickte Derek an. Sie liebte das Essen aus dem kleinen chinesischen Lieferrestaurant. Dereks Aufmerksamkeit rührte sie zutiefst. Er nickte eifrig. »Ich weiß doch, wie gern du die Ente Szechuan isst. Du warst heute Mittag so erschöpft. Ich dachte, du bist bestimmt zu müde zum Kochen.« Sie legte ihre Tasche auf eine Kommode. »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.« Seit sie ihr Elternhaus verlassen hatte, hatte sie immer für sich selbst gesorgt. Es hatte nie jemanden gegeben, der ihr etwas abgenommen hätte. Er legte die Arme um ihre schmale Taille. »Du kannst mir später danken.« »Später?« fragte sie mit einem herausfordernden Lächeln.
Sanft streifte er mit den Lippen ihren Mund. »Später«, flüsterte er und küsste sie. »Hungrig?« fragte er, nachdem sich ihre Lippen voneinander gelöst hatten. Nicht nur nach Essen, dachte sie bei sich und nickte. »Gut, der Tisch ist schon gedeckt. Ich habe noch in der Küche zu tun.« Er verschwand in Richtung Küche, und Sydney schlüpfte aus ihren Sandalen. Sie war restlos verwirrt. Derek, der sie verwöhnte und umsorgte, verunsicherte sie genauso wie ihre heftigen Reaktionen auf ihn und seine Nähe. Gerieten ihre Hormone zu Beginn ihrer Schwangerschaft durcheinander? Oder gab es eine andere logische Erklärung dafür, dass sie diesem Mann auf einmal kaum widerstehen konnte? Sie war doch nicht etwa in ihn verliebt? »Nein, bin ich nicht«, murmelte sie trotzig. Dann stellte sie ihre Sandalen in den Flur und ging zur Küche. Sie setzte ihren nackten Fuß auf die glänzenden Fliesen und stockte. Ihr Fuß klebte an der Fliese fest. Sie runzelte die Stirn und wagte einen weiteren Schritt. Das Ergebnis war dasselbe. Die Fliesen waren total klebrig. »Was hast du hier drinnen angestellt?« Derek nahm gerade eine Schüssel mit Reis aus dem Backofen. »Ich habe den Boden für dich gewischt.« Sydney verdrehte die Augen. »Was hast du dafür benutzt?« Er sah sie verständnislos an. »Die Flasche Bodenreiniger, die du unter der Spüle hattest.« Sie sank ermattet auf einen Stuhl. »Hattest? Soll das heißen, dass du für den Fußboden dieser kleinen Küche die ganze Flasche genommen hast?« »Zuerst habe ich so viel genommen, wie auf der Flasche stand. Aber es hat überhaupt nicht geschäumt.« Sydney bewegte vorsichtig die Füße auf dem klebrigen
Boden. »Also hast du das Zeug ins Wasser geschüttet, bis du Blasen gesehen hast?« Er nahm die Platte mit der gerösteten Ente aus dem Backofen. »Ich hätte vielleicht nicht alles nehmen sollen, oder?« »Nein, Derek, du hättest nicht alles nehmen sollen.« Immerhin musste sie dankbar sein, dass er nur den Küchenboden gewischt hatte und nicht etwa den Holzfußboden, an dessen Restaurierung sie so hart gearbeitet hatte. Sie stellte die Vase mit den frischen Stiefmütterchen beiseite, damit Derek die Ente auf den Tisch stellen konnte. Sie ließ die Hände sinken und warf einen zweiten Blick auf die Stiefmütterchen. »Sind die aus meinem Garten?« fragte sie in ängstlicher Erwartung. »Es tut mir sehr Leid, Syd«, antwortete Derek und setzte sich ihr gegenüber. »Irgendwie hat sich der Rasenmäher selbstständig gemacht.« Mühsam zwang sie sich zur Ruhe. Bei ihrem Einzug war alles verwahrlost gewesen. Das Cottage war als Lagerraum benutzt worden, und den Garten hatte seit Jahren niemand mehr gepflegt. Sydney hatte anfangs fast genauso viel Zeit bei der Gartenarbeit wie in der Praxis verbracht. »Der Rasenmäher hat sich selbstständig gemacht? Wie?« Derek reichte ihr die Schüssel mit Gemüse und blickte sie schuldbewusst an. »Ich habe ihn einen Moment lang allein gelassen, weil ich den Gartenschlauch aus dem Weg räumen wollte. Ich dachte, er würde stehen bleiben.« »Und das ist er nicht.« »Nein«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Er hat sich bewegt.« »Bewegt? Wie weit?« »Ziemlich weit.« »Bis zu meinen Blumenbeeten?« Er wich ihrem Blick aus und schüttelte wieder den Kopf.
»Durch meine Blumenbeete hindurch?« Er nickte nur stumm. »Wie schlimm ist es?« »Ziemlich schlimm.« Unfälle passieren eben, sagte sie sich. Sie passieren nur öfter, wenn Derek versucht, den Ehemann zu spielen. Ehemann? Geht es darum? Sie fragte sich, ob das nicht der tiefere Sinn seiner ganzen Arbeit war. Ihr Gefühl sagte ihr, dass er diesen ganzen Aufwand nur betrieben hatte, um ihr zu beweisen, was für einen guten Ehemann er abgab. Sie holte tief Atem. »Derek, was hast du heute sonst noch gemacht?« Er lächelte. »Ich habe die Wäsche gewaschen.« Ihr sank das Herz. »Oh, gütiger Himmel!« »Also weißt du, mit Wäsche kenne ich mich bestens aus.« »Und du hast meine Praxiskittel nicht rosa verfärbt?« fragte sie argwöhnisch. »Nein«, antwortete er beleidigt. »Und du hast die bunte von der weißen Wäsche getrennt?« »Ja, natürlich. Und die hellen Farben von den dunklen.« Die nackte Angst und der Wunsch, ihn nicht weiter zu verletzen, hielten sie davon ab zu fragen, ob er für die bunte Wäsche etwa den Kochwaschgang eingelegt hatte. Ergeben nahm sie sich von der gerösteten Ente und begann schweigend zu essen. Sie wollte es gar nicht wissen. Manchmal war Unwissenheit ein Segen.
7. KAPITEL Der Mond hing wie eine silberne Scheibe am nächtlichen Himmel. Das Zirpen der Grillen und die vom Pazifik kommende Brise waren die perfekte Untermalung für einen romantischen Abend. Zu schade, dass Sydney für Romantik nicht besonders empfänglich ist, stellte Derek bedauernd fest, während er nach einem bestimmten Stern Ausschau hielt. »Ah, da ist er.« Er rückte näher an sie heran und deutete
mit dem Finger auf das Sternenbild, das er meinte. Es war ihm schließlich gelungen, sie dazu zu überreden, ihm beim Betrachten der Sterne Gesellschaft zu leisten. Er wollte bei dieser Gelegenheit aus ihr herauslocken, wieso sie sich dagegen sträubte zu heiraten. »Das Sternbild heißt großer Bär.« Sie legte den Kopf in den Nacken, um die Sternengruppe zu betrachten. Er hingegen betrachtete die feinen Linien ihres Halses und hielt sich nur mit Mühe davon ab, ihre zarte Haut mit den Lippen zu berühren. Wenn er dann noch die empfindliche Stelle hinter ihrem Ohr küsste, bestünde eine gute Chance, dass sie die Arme um ihn schlingen und sich an ihn schmiegen würde. Aber obwohl es ihm sehr schwer gefallen war, hatte Derek die Entscheidung getroffen, dass es zwischen ihnen keinen Sex mehr geben würde. Jedenfalls so lange nicht, bis sie seinem Heiratsantrag zugestimmt hatte. »Das ist wunderschön«, sagte Sydney versonnen. »Man nennt es auch Ursa Major. Es ist das drittgrößte Sternbild, das wir kennen.« »Sehr interessant, Derek.« Aber Sydney hörte sich nicht sehr interessiert an, sondern eher gelangweilt. Fanden Frauen normalerweise Sternennächte nicht romantisch? »Es existiert auch der Glaube, dass es sich bei diesem Sternbild um die griechische Nymphe Callisto handelt.« Sie zog die Brauen hoch. »Wer?« »Callisto.« Derek legte den Arm auf die Rückenlehne der Verandaschaukel, auf der sie saßen. Dabei streifte er mit den Fingern ihren Hals, und er bemerkte, wie sie erschauerte. »In der griechischen Mythologie war sie die Tochter von König Lykaon und dazu ausersehen, eine der Begleiterinnen der Göttin Artemis zu sein.« »War Artemis nicht Apollos Schwester?« Derek nickte und ließ wie zufällig die Finger durch ihr Haar
gleiten. »Artemis war die Schutzpatronin der Geburt und Hüterin von Kindern und Tieren. Aber am wichtigsten war für sie ihre Keuschheit. Sie bat Zeus sogar um ewige Jungfräulichkeit.« Auf Sydneys Gesicht legte sich ein frivoles Lächeln. Herausfordernd sah sie ihn an. »Wie traurig. Sie wusste bestimmt nicht, was sie versäumt hat.« Derek richtete sich auf und versuchte, sich weiter auf die griechische Sagenwelt zu konzentrieren. »Alle Nymphen, mit denen Artemis sich umgab, hatten Keuschheitsgelübde abgelegt. Außerdem verlangte sie absolute Treue von ihren Begleiterinnen.« Sydney betrachtete seinen Mund. Sie befeuchtete mit der Zunge ihre Unterlippe, und Derek unterdrückte ein Stöhnen. Der Wunsch, sie zu küssen, wurde fast übermächtig. »Aber Zeus hatte seine eigenen Vorstellungen«, fuhr er mit gepresster Stimme fort. »Und er hatte die schlechte Angewohnheit, junge Mädchen zu verführen, die hübsche kleine Callisto eingeschlossen. Sie wurde schwanger, und als Artemis davon erfuhr, hatte sie einen Wutanfall und schwor Rache. Da sie gern jagte, verwandelte sie Callisto in einen Bären, den sie zur Strecke bringen wollte.« Nun schien Sydney wirklich interessiert zu sein. »Wie schrecklich!« sagte sie atemlos. Derek strich ihr Haar beiseite und begann ihr beiläufig den Nacken zu massieren. »Aber Zeus hatte Erbarmen und schickte die kleine Callisto in den Himmel.« »Der Bär«, flüsterte sie, schloss genießerisch die Augen und seufzte leise. »Das fühlt sich gut an.« Ihm fielen innerhalb von Sekunden ein Dutzend anderer Dinge ein, die sich auch gut anfühlten und bei ihr mehr auslösen würden als nur einen leisen Seufzer. Sydney legte die Füße auf die Schaukel, drehte sich auf die Seite und lehnte sich mit dem Rücken an ihn. Als er die Arme um sie legte, schmiegte sie sich eng an ihn.
Diese Frau war Derek ein Rätsel. Sie war so voller Widersprüche und änderte ihre Stimmungen schneller, als er denken konnte. Sie baute undurchdringliche Mauern um sich auf, um sie im nächsten Moment niederzureißen und sich an ihn zu lehnen, als wären sie ein Liebespaar. Er hatte allmählich das Gefühl, als würde er auf der Stelle treten. Sie legte den Kopf an seine Schulter und betrachtete nachdenklich den Sternenhimmel. »Zeus war ein ziemlicher Ladykiller, was?« Er musste lachen. »Im Gegensatz zu Zeus bin ich ein Ausbund an Treue.« Sydney erstarrte. Instinktiv wusste Derek, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte. Er beschloss, dieses Thema weiter zu verfolgen. »Was ist los, Sydney? Deine Eltern haben eine wunderbare Ehe geführt, also verstehe ich deine Einstellung nicht. Hat jemand vergessen, dir als Kind Märchen zu erzählen? Du weißt schon – sie lebten glücklich bis an ihr Ende und so weiter.« Abrupt schwang sie die Füße auf den Boden und stand auf. »Glücklich bis an ihr Ende? Das ist ein Märchen«, sagte sie hart. »Es ist schon spät. Du gehst jetzt besser.« Sie ging ins Haus und ließ ihn verwirrt und enttäuscht zurück. Er hatte etwas dagegen, auf diese Weise abgefertigt zu werden. Er hatte einen Nerv getroffen und war nicht bereit, sie so einfach davonkommen zu lassen. Nein, heute Nacht noch würde er herausfinden, warum sie auf dieses Thema so empfindlich reagierte, koste es, was es wolle. Er fand Sydney im Wohnzimmer. Sie saß mit hochgezogenen Füßen auf dem Sofa und wirkte sehr zerbrechlich und sehr einsam. Aber er wusste, dass ihr Kampfgeist zurückkehren würde, sobald er sie dazu zwang, über Dinge zu sprechen, die sie offenbar vergessen wollte. »Du irrst dich, Syd.«, begann er. »Wenn zwei Menschen sich lieben…«
»Liebe?« unterbrach sie ihn und lachte bitter. »Liebe existiert nicht.« Er ging vor ihr in die Hocke und legte eine Hand auf ihr Knie. »Woher weißt du das so genau, wenn du es noch nicht versucht hast?« Sie starrte ihn schweigend an. Zärtlichkeit und dieses andere Gefühl, dessen Existenz sie leugnete, standen in seinen Augen. »Du machst dir nur selbst etwas vor«, sagte sie und stand auf. Sie brauchte Platz zum Atmen. Warum gab er nicht endlich diese lächerliche Idee auf und war einfach nur ihr Freund? »Nein, das tue ich nicht«, widersprach er und richtete sich auf. »Nicht in unserem Fall. Du liebst mich, aber du hast Angst.« Sydney schüttelte den Kopf. Sie liebte ihn nicht. Das konnte sie gar nicht. Sie mochte und schätzte ihn, aber lieben? Niemals wieder würde sie sich selbst zur Figur in einem Spiel machen, dessen Regeln sie nicht verstand. Die Narben, die sie aus der letzten Runde davongetragen hatte, waren eine schmerzliche Warnung, was passieren konnte, wenn sie jemandem vertraute. »Liebe ist eine Erfindung von Grußkartenherstellern und Floristen, um den Umsatz zu steigern«, sagte sie. »Du bist doch Wissenschaftler. Du solltest es besser wissen, als an die Existenz von etwas zu glauben, das nicht bewiesen werden kann.« »Liebe kann nicht empirisch nachgewiesen werden, da gebe ich dir Recht. Aber das bedeutet nicht, dass sie nicht existiert.« »Es geht hier doch gar nicht um Liebe«, sagte sie böse. »Du hast dir nur eingeredet, du wärst der Vater meines Kindes. Und aus mir unerfindlichen Gründen willst du daraus die Konsequenzen ziehen. Aber selbst wenn es dir um Liebe ginge, dann kann ich nur sagen, dass ich klüger bin als die Dummköpfe, für die Liebe die Erklärung
für…« Er trat zu ihr und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Die Erklärung für was, Syd?« Sie spürte die Wärme seiner Hände durch den dünnen Stoff ihres Kleides und erschauerte. »Für die Wärme, die du empfindest, wenn du mich siehst?« fuhr er fort. »Für das Prickeln, das du spürst, wenn ich dich berühre?« Er streichelte ihr sanft über die Wange. »Dafür, dass du in der Nacht wach liegst und dir vorstellst, mit mir zu schlafen?« »Das ist nur Lust«, erwiderte sie unsicher. »Oh nein, es ist viel mehr, und das weißt du genau. Aber du bist so sehr damit beschäftigt davonzulaufen, dass du die Wahrheit nicht erkennen kannst.« »Nein«, sagte sie trotzig und wich ein paar Schritte von ihm weg. Weg von der Wärme und der Verwirrung. »Wir sind Freunde. Das ist alles, was wir sein können.« »Wir sind sehr viel mehr als Freunde, das kannst selbst du nicht leugnen.« Derek hatte Recht. Sie hatten die Grenze der Freundschaft bereits überschritten, und es gab kein Zurück mehr. Aber sie konnte diesen Weg auch nicht weitergehen. Nicht, wenn auch nur die leiseste Möglichkeit bestand, dass er nicht der Vater des Babys war. Sie würde ihr Kind nicht der schmerzvollen Erfahrung aussetzen, von jemandem zurückgewiesen zu werden, den es liebte und dem es vertraute. »Derek, bitte, ich will nicht…« »Nein, Syd«, unterbrach er sie. »Diesmal lasse ich nicht zu, dass du vor der Wahrheit davonläufst. Ich weiß, dass du mich liebst.« »Nein!« Sie schrie es fast. »Wovor hast du Angst?« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe keine Angst, weder vor dir noch vor sonst jemandem.«
»Das klingt nicht sehr überzeugend«, sagte er hart. »Was ist in Kentucky mit dir passiert?« Er konnte es nicht wissen. Sydney hatte es niemandem erzählt. Niemand wusste, wie sie in die Falle gegangen war und was Nicholas ihr angetan hatte. Niemand wusste, wie sehr sie selbst und, schlimmer noch, ein unschuldiges Kind unter dem Verhalten dieses Mannes gelitten hatten. Nicht einmal Rachel, und die war immerhin ihre engste Freundin. »Ich… Nichts ist passiert. Es geht dich nichts an.« Derek ging zu ihr und umfasste ihr Gesicht mit den Händen. »Was hat er dir angetan?« »Er ist Vergangenheit. Es ist vorbei«, antwortete sie mit erstickter Stimme. »Gar nichts ist vorbei. Er steht hier zwischen uns, weil du ihn nicht gehen lässt.« Sie entzog sich ihm und ging in die andere Ecke des Raumes. »Seit wann versuchst du dich in Psychoanalyse?« »Man muss kein Psychoanalytiker sein, um zu erkennen, dass dieser Mann dich immer noch davon abhält, glücklich zu sein.« »Da irrst du dich gewaltig, Sigmund Freud. Ich bin sehr glücklich. Ich habe eine gut gehende Praxis und ein schönes Zuhause. Ich habe alles, was man zum Glück braucht.« »Materielle Besitztümer können die Zuneigung eines Menschen nicht ersetzen.« Streitlustig hob sie das Kinn. »Ich brauche niemanden. Ich brauche nur mich selbst.« »Da irrst du dich gewaltig. Jeder braucht an einem bestimmten Punkt seines Leben einen anderen Menschen. Du bist da keine Ausnahme. Wenn du nicht so furchtbar störrisch und dickköpfig wärst, würdest du das auch einsehen.« Mit diesen Worten wandte er sich um und verließ den Raum.
Sydney zuckte zusammen, als sie die Eingangstür ins Schloss fallen hörte. Sie hatte das Gefühl, Derek zum letzten Mal gesehen zu haben, und sie kämpfte gegen einen Anflug von Panik an. »Du bist es, der sich irrt«, flüsterte sie in die Stille hinein. Sie war dankbar, dass Derek den Zweifel in ihrer Stimme nicht mehr hören konnte. Sydney schlug die Bettdecke zurück. Seit der Mitternachtsfütterung der Welpen hatte sie jede Hoffnung auf Schlaf aufgegeben. Zwei Stunden lang hatte sie sich bereits unruhig hin und her geworfen. Nun konnte sie es nicht länger ertragen, im Bett zu liegen, zur Decke zu starren und an Derek zu denken. Sie schlüpfte in ihren Morgenmantel und ging durch das dunkle Haus in die Küche. Vielleicht würde eine Tasse Tee ihre Nerven beruhigen. Sie schaltete das Küchenlicht ein und tapste über den klebrigen Boden zum Herd, um Wasser aufzusetzen. Dann öffnete sie die Hintertür und trat hinaus in die laue Nachtluft. Während sie den Großen Bären suchte, überlegte sie, was an diesem Abend zwischen Derek und ihr falsch gelaufen war. Natürlich konnte sie nicht leugnen, dass die Anziehungskraft, die sie beide aufeinander ausübten, jenseits einer Freundschaft lag. Sie hatte keine Ahnung, was sie gegen diesen Strudel von Gefühlen tun sollte, in den sie hineingezogen wurde. Sie wusste nur, dass sie entsetzliche Angst davor hatte. Dass sie Sex miteinander gehabt hatten, machte ihr keine Schwierigkeiten. Die körperliche Nähe ihrer Beziehung war leicht zu akzeptieren. Es waren seine Forderungen nach einer tiefer gehenden Verbindung, die sie erschreckten. Das schrille Pfeifen des Teekessels riss sie aus ihren
Gedanken. Sydney ging in die Küche zurück und brühte sich einen Tee auf. Da fürs Erste an Schlaf nicht zu denken war, beschloss sie, ihren Tee im Wohnzimmer zu trinken und dabei die Wäsche zu falten, die Derek so fürsorglich für sie gewaschen hatte. Sie nahm die Wäsche aus dem Trockner in einen Korb und ließ sich dann auf dem Sofa nieder. Nachdem sie den Fernseher eingeschaltet und sich durch einige Programme gezappt hatte, blieb sie bei einem alten Film mit Clark Gable und Claudette Colbert, den sie schon oft gesehen hatte und immer noch sehr mochte. Sie war entschlossen, keinen Gedanken mehr an ihren Streit mit Derek zu verschwenden. Dieser Entschluss dauerte an, bis sie in den Wäschekorb griff und etwas herauszog, das einst eine teure, für die chemische Reinigung bestimmte Seidenbluse gewesen war. Entsetzt starrte sie auf ihre geliebte hellgrüne Bluse, die jetzt aussah, als würde sie Rachels achtjähriger Tochter passen. »Oh nein«, wimmerte sie, als ihr klar wurde, dass Derek die Kleidungsstücke gewaschen hatte, die sie extra für die Reinigung beiseite gelegt hatte. Traurig blickte sie auf ihren Lieblingspullover aus weißer Schurwolle, der nun einer Puppe gepasst hätte: Obwohl sie den Pullover im Ausverkauf erstanden hatte, war er immer noch sehr teuer gewesen. Sydney gab selten viel Geld für Kleider aus, und dieser Pullover war eine Ausnahme gewesen. Sie hatte die enorme Summe schweren Herzens nur deshalb ausgegeben, weil sie sich in das wunderschöne Stück verliebt hatte. »Dieses Scheusal!« entfuhr es ihr. Aber er hat es doch nur gut gemeint, sagte sie sich und versuchte, ruhig zu bleiben. Was sollte sie auch tun? Der Schaden war bereits angerichtet. Angewidert warf sie den Puppenpullover wieder in den Wäschekorb, trank einen
Schluck Tee und wandte ihre Aufmerksamkeit Clark Gable zu. Aber es fiel ihr schwer, sich auf den Film zu konzentrieren. Immer wieder wanderten ihre Gedanken zu Derek, der ihre kostbarsten Kleidungsstücke ruiniert und ihren Garten verwüstet hatte. Derek, in dessen Nähe sich ihr Puls beschleunigte. Derek, dessen Bild sie immer wieder vor Augen hatte und dem sie einfach nicht böse sein konnte. Irgendetwas hatte sich in ihr verändert, und das beunruhigte sie zutiefst. In Dereks Lieblingskneipe war es für einen Donnerstagabend ungewöhnlich ruhig. Das Semester neigte sich dem Ende zu, und viele Studenten und Professoren hatten Seattle bereits verlassen, um nach Hause zu fahren oder Ferien zu machen. Seit ihrem Streit am Montagabend hatte Derek nichts von Sydney gehört. Bei seiner Stimmung war das auch ganz gut so. Sie war mit Abstand die dickköpfigste Frau, die er je getroffen hatte. Im Moment war er noch so verwirrt und ratlos, dass er keinen klaren Gedanken fassen konnte. »Zweimal in einer Woche? Da muss es um eine Frau gehen.« Derek sah von seinem Bierglas auf und blickte in Leonards gutmütiges Gesicht. »Wie kommen Sie darauf?« Leonard stütze die Ellenbogen auf die Theke. »Sie sehen so aus, Professor.« Derek war nicht nach einem Gespräch unter Männern zu. Mute, aber Leonard machte keine Anstalten, ihn allein zu lassen. Ganz im Gegenteil, er signalisierte der Kellnerin, ihnen zwei Bier zu bringen. Derek zuckte resigniert die Schultern und fügte sich in sein Schicksal. »Wie sehe ich denn aus?« Leonard grinste. »Sie sehen nach einem gebrochenen Herzen aus. Wenn man so viel Zeit hier verbringt wie ich, lernt man die Zeichen zu deuten.«
»Sie hat mir nicht das Herz gebrochen«, knurrte Derek unwirsch und starrte wieder in sein Bierglas. Leonard nickte der Kellnerin dankend zu und stellte ein volles Glas vor Derek. »Dann war es wohl ein kleiner Streit unter Liebenden. So etwas kommt in den besten Familien vor.« »Netter Versuch, aber leider falsch geraten.« »Sie hatten einen ernsthaften Streit, und sie hat Sie hinausgeworfen«, meinte Leonard und kramte ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche seiner Lederjacke. »Das ist es auch nicht«, sagte Derek und nahm einen Schluck Bier. Er hatte eigentlich gehofft, Sydney käme zur Besinnung und gäbe zu, dass er Recht hatte. Aber es waren drei Tage verstrichen, ohne dass etwas in dieser Richtung geschehen wäre. Nun musste er vor sich selbst zugeben, dass er am Ende seiner Weisheit angelangt war. Er wusste sich keinen Rat mehr. »Sie ist ein furchtbarer Dickkopf und sieht nicht, was vor ihren Augen geschieht.« Leonard nickte verständnisvoll. »Beziehungen bedeuten immer harte Arbeit.« »Da genau liegt mein Problem. Ich möchte eine Beziehung. Sie sagt, dass sie keine will.« »Aber Sie sind der Überzeugung, dass sie eigentlich doch eine Beziehung will.« »Ich weiß es«, erklärte Derek scharf. »Und Sie wissen auch, dass für eine gut funktionierende Beziehung gegenseitiges Vertrauen nötig sind.« »Ja, natürlich. Aber es gelingt mir nicht, sie davon zu überzeugen.« Leonard zog nachdenklich an seiner Zigarette. »Sie müssen herausfinden, warum sie die Verpflichtung scheut.« »Das habe ich schon versucht.« »Haben Sie sie direkt danach gefragt?« Derek dachte an ihren Streit und nickte.
»Tja, wenn Sie diese Frau wirklich lieben, zeigt sich das in Ihrem Verhalten. Und möglicherweise wird sie das auch erkennen.« »Ich habe alles ausprobiert, aber nichts hatte die gewünschte Wirkung.« Dann berichtete Derek ausführlich von seinem Heiratsantrag, seiner Aufzählung der plausiblen Argumente für eine Ehe und den Arbeiten, die er in Sydneys Haus und Garten erledigt hatte. Als er geendet hatte, schüttelte Leonard bedenklich den Kopf und lachte laut. Damit erweckte er die Aufmerksamkeit der Kellnerin, die neugierig näher kam. »Professor«, sagte Leonard. »Sie müssen noch viel über Frauen lernen. Sie wollen Romantik.« »Wer will Romantik?« erkundigte sich die Kellnerin. »Die Freundin des Professors«, antwortete Leonard und ignorierte Dereks warnenden Blick. »Sie meinen Blumen, Geschenke und Komplimente?« fragte die Kellnerin, während sie ein Glas polierte. Leonard nickte zur Antwort. »Nein«, widersprach Derek. »Keine Chance. Nicht bei ihr.« Die Kellnerin bedachte ihn mit einem skeptischen Blick. »Warum denn nicht? Sie ist doch eine Frau. Sie möchte spüren, dass sie für Sie etwas Besonderes ist.« »Ich habe doch versucht, ihr immer wieder zu zeigen, was ich für sie empfinde«, sagte Derek ungeduldig. Sein Rücken tat ihm von der Gartenarbeit immer noch weh. Außerdem hatte er seine Lieblingsschuhe dabei ruiniert. »Haben Sie es ihr gesagt?« wollte die Kellnerin wissen. »Ja, natürlich. Und es hat nicht den geringsten Eindruck gemacht.« Leonard legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter. »Dann haben Sie es falsch angefangen. Sie müssen es auf eine andere Art probieren. Jede Frau hat einen schwachen Punkt, wenn es um Romantik und Liebe geht.« »Versuchen Sie es mit Romantik«, riet die Kellnerin und
verließ die Theke, um Tische abzuwischen. »Da hören Sie es«, bekräftigte Leonard. »Außerdem, was haben Sie schon zu verlieren?« Nichts, dachte Derek. Und doch alles.
8. KAPITEL Nach einem hektischen Tag nahm Sydney sich die Zeit, die quirligen Welpen bei ihren Eskapaden zu beobachten. Die verwaisten Hundebabys waren nun vier Wochen alt, nahmen feste Nahrung zu sich und wuchsen so schnell, dass man beinahe dabei zusehen konnte. Sie begannen bereits Persönlichkeit zu entwickeln. Ein lebhafter schwarzer Rüde hatte sich selbst zum Anführer gemacht, bis die kleine gefleckte Hündin, die es Rachel so sehr angetan hatte, seinem Dominanzgehabe nachdrücklich ein Ende bereitet hatte. »Das ist ein Mädchen nach meinem Geschmack«, sagte Rachel anerkennend und lachte, als die Gefleckte ihren schwarzen Konkurrenten mit gezielten Pfotenschlägen zur Ordnung rief. »Du solltest deine Töchter mal mitbringen, damit sie mit den Welpen spielen können«, sagte Sydney und hob den schwarzen Rüden vorsichtig hoch. Sie musste lächeln, als der kleine Hund versuchte, in ihre Armbanduhr zu beißen. »Sie sind jetzt alt genug und könnten etwas mehr menschliche Gesellschaft gebrauchen.« Rachel blickte sie argwöhnisch an. »Du willst mir doch nicht etwa einen Welpen aufhalsen? Die Kinder mitzubringen wäre der sicherste Weg, dass ich mindestens einen nehme.« Sydney lächelte ihre Assistentin augenzwinkernd an. »So etwas Heimtückisches würde ich nie machen. Aber vielleicht solltest du Steve auch mitbringen.« Rachel griff in die Welpenbox und nahm die Gefleckte
auf den Arm. »Er hat bei der Entscheidung nicht mitzureden, weil ich diejenige bin, die sich um die Kleine kümmern müsste.« »Hast du schon einen Namen für sie ausgesucht?« fragte Sydney mit einem verschmitzten Grinsen. Rachel hob den Hund hoch. »Sie sieht aus wie eine Alana, findest du nicht auch?« Die beiden Frauen lachten. Rachel nahm den Welpen wieder in die Arme und streichelte ihn. »Was ist eigentlich mit dir und Dr. Buchanan?« fragte sie beiläufig. »Ich habe ihn in der letzten Zeit gar nicht mehr gesehen.« Sydney betrachtete nachdenklich den Hund in Rachels Armen und seufzte. Sie wusste keine rechte Antwort. Seit dem Streit vor zwei Wochen hatte sie kein Wort von Derek gehört. Sie vermisste ihn sehr, darüber konnte sie sich nicht hinweg täuschen. Sie sehnte sich nach seinem Lachen, seiner Nähe und sogar nach den gut gemeinten, aber katastrophalen Versuchen, sie von einer Ehe zu überzeugen. Und sie sehnte sich nach seinen Küssen und Berührungen. »Wir hatten eine Auseinandersetzung«, sagte sie schließlich. Sie war froh, mit jemandem über die bedrückende Angelegenheit sprechen zu können. »Oh«, machte Rachel. »Eine schlimme Auseinandersetzung?« Sydney nickte. »Ich fürchte, ja. Er hat mir vorgeworfen, ich wäre störrisch und dickköpfig.« »Störrisch? Du? Wie kommt er nur auf so etwas?« fragte Rachel mit gespielter Überraschung. »Ich habe meine Gründe«, murmelte Sydney unwillig. Sie wollte diese Gründe mit niemandem diskutieren. Nicholas war ein Kapitel in ihrem Leben, über das sie nicht sprechen konnte. Es war nicht so, dass sie die Erinnerung an ihn bewahrte. Sie wollte nur die Lektion nicht vergessen, die sie durch ihn gelernt hatte. Selbst wenn es
dazu führte, dass Derek sie für störrisch und uneinsichtig hielt. Rachel setzte das gefleckte Hundebaby wieder zu seinen Geschwistern. »Sind diese Gründe ausreichend dafür, dich von dem Mann zu trennen, in den du verliebt bist?« »Ich bin nicht in ihn verliebt!« erwiderte Sydney heftig. »Natürlich nicht.« »Ich bin es nicht, Rachel. Ich glaube nicht an die Liebe.« Rachel musterte sie mit einem nachdenklichen Blick. »Ich glaube, dass du nur Angst davor hast, verletzt zu werden. Das kann ich gut verstehen. Aber denk auch daran, was du verlierst, wenn du ihn gehen lässt. Willst du den Rest deines Lebens damit verbringen, dich zu fragen, was geschehen wäre, wenn du den Mut zu einer Beziehung gehabt hättest?« Sydney zog die Brauen zusammen. Was würde geschehen, wenn sie Dereks Heiratsantrag annahm? Immerhin bestand die Möglichkeit, dass er diesen Schritt irgendwann bereuen und sie zurückweisen würde. Oder das Kind, wenn er entdeckte, dass er doch nicht der Vater war. Aber wenn sie bei ihrer Ablehnung blieb und er tatsächlich der Vater war, würde sie ihrem Kind dann nicht einen liebevollen, fürsorglichen Vater vorenthalten? Rachel spürte, dass Sydney nicht weiter über dieses Thema sprechen wollte, und verabschiedete sich. Sydney sah noch nach dem Golden Retriever, den sie in Pension hatte, und dann schloss sie die Praxis ab. Schweren Herzens ging sie zu ihrem Cottage. Die Aussicht darauf, eine weitere Nacht grübelnd und allein verbringen zu müssen, bedrückte sie. Als sie den mit Steinen gepflasterten Weg überquerte und sich einige der Steine unter ihren Füßen bewegten, musste sie unwillkürlich lächeln. Vielleicht sollte sie Derek ganz einfach anrufen. Er könnte sie wohl kaum noch störrisch nennen, wenn sie den ersten Schritt zu einer
Versöhnung unternahm. Sie trat auf die Veranda und erblickte vor der Eingangstür eine Vase mit roten Rosen. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung. Eilig ging sie die Stufen hinauf, nahm die Vase hoch und schnupperte an ihrem duftenden Inhalt. Sie musste nicht erst auf die zwischen den Blüten steckende Karte blicken, um sie wissen, dass der Strauß von Derek war. Dennoch las sie die sorgfältig geschriebenen Worte, denen zu entnehmen war, dass Derek sie um acht Uhr zu einem gemeinsamen Abendessen abholen würde. Wie raffiniert, dachte sie. Es blieb ihr wohl kaum etwas anderes übrig, als diese romantische Einladung anzunehmen. Sie hatte nur eine Stunde Zeit, bis Derek eintreffen würde. Also brachte sie schnell die Vase ins Wohnzimmer und ging dann unter die Dusche. Gegen ihre Aufregung und die erwartungsvolle Vorfreude konnte sie nichts tun. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, dass Derek und sie sich vielleicht auf eine lockere Liebesbeziehung einigen könnten. Sie konnte es kaum erwarten, ihn wieder zu sehen. Derek hatte lange überlegt; wie er es anstellen sollte, Sydney wieder näher zu kommen. Er war zu dem Schluss gelangt, dass er es, nachdem alle anderen Versuche gescheitert waren, ebenso gut mit Romantik probieren könnte. Auch wenn seine wissenschaftlichen Grundprinzipien damit nicht in Einklang zu bringen waren, war eine solche Vorgehensweise einen Versuch wert. Außerdem wusste er keinen anderen Rat mehr. Er liebte Sydney, und er musste sie um jeden Preis endlich davon überzeugen, dass sie füreinander geschaffen waren. Pünktlich um acht Uhr parkte er seinen Wagen neben ihrem Jeep und stellte den Motor ab. Er hatte ihr zwölf rote Rosen bringen lassen und einen Tisch in einem hervorragenden Fischrestaurant mit Aussicht auf die
genden Fischrestaurant mit Aussicht auf die Bucht reserviert. Nun stieg er aus dem Wagen und überprüfte mit einem kurzen Griff in seine Jackentasche, dass er die weiße Schachtel aus einem renommierten Juweliergeschäft nicht vergessen hatte. Er hatte sogar kurz daran gedacht, Sydney ein Gedicht zu schreiben. Aber dazu fehlte ihm ganz einfach das Talent, wie er nach einigen Versuchen resigniert festgestellt hatte. Er versteckte die einzelne Rose, die er ihr noch schenken wollte, hinter seinem. Rücken und klingelte. Mit jeder Sekunde, die er wartete, wurde er nervöser. Aber als Sydney schließlich die Tür öffnete, verschwand die Nervosität, und ein anderes Gefühl gewann die Oberhand. Sie war einfach wunderschön. Ihr dunkles Haar wurde von silbernen Spangen zurückgehalten, und an ihren Ohrläppchen funkelten zwei kleine Smaragdstecker. Sie trug ein enges schwarzes Kleid, das ihre wundervollen Schultern frei ließ. Schwarze Seidenstrümpfe betonten ihre langen, schlanken Beine. »Du siehst atemberaubend aus«, sagte er mit vor Begierde heiserer Stimme. Sie lächelte. »Vielen Dank, Derek. Komm herein.« War es Einbildung, oder hatte ihre Stimme einen verführerischen Unterton gehabt? Derek schluckte hart und rief sich seinen wichtigsten Grundsatz ins Gedächtnis: Er würde so lange nicht mit ihr schlafen, bis sie seinen Heiratsantrag angenommen hatte. Er verscheuchte alle erotischen Fantasien aus seinen Gedanken und räusperte sich. »Lass uns gehen. Wir haben eine Reservierung.« Sydney nickte und nahm ihre Jacke vom Haken. Dereks Blick fiel auf den Saum ihres Kleides, das provozierend viel Bein zeigte. Er schloss für einen Moment die Augen. Wenn das so weiterging, lief er Gefahr, an diesem Abend mehr als einen eisernen Grundsatz fallen zu lassen.
Sie schloss die Tür ab, blickte ihn an und fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe. »Vielen Dank für die wunderschönen Rosen.« »Es war mir ein Vergnügen.« Rosen! Das hätte er fast vergessen. Er reichte ihr die Rose, die er hinter dem Rücken gehalten hatte. Anmutig nahm sie die langstielige Blume entgegen und schnupperte mit geschlossenen Augen daran. Als sie ihn dann ansah, traf ihn ihr Blick bis ins Mark. Wenn er gewusst hätte, dass Rosen so viel Leidenschaft bei ihr auslösten, hätte er einen ganzen Garten für sie angelegt. Derek legte ihr die Hand auf den Rücken und geleitete sie zu seinem Wagen. Er hielt ihr die Tür auf, während sie einstieg. Der Saum ihres Kleides rutschte dabei nach oben und erlaubte ihm einen Blick auf den spitzenbesetzten Rand der Seidenstrümpfe. Er war sich nicht sicher, wie viel davon er noch ertragen konnte, ohne alle guten Vorsätze zu vergessen. Reiß dich zusammen, schalt er sich. Du hast eine lange Nacht vor dir. Eine sehr lange Nacht. Sydney saß vor ihrem gemischten Salat und blickte Derek von der Seite her an. Sein Gesicht wirkte im Schein der Kerzen unergründlich. Er berichtete ihr von seinem neuen Forschungsprojekt und dem Karriereschub, denn man hatte ihm die Leitung dafür übertragen. Natürlich freute Sydney sich sehr für ihn, aber sie überlegte fortwährend, was er an diesem Abend im Sinn hatte. Er tat, als ob nie etwas zwischen ihnen passiert wäre, als ob sie nicht gestritten und sich zwei Wochen lang nicht gesehen hätten. Aber das war nicht ihre einzige Sorge. Sie hatte genau gespürt, dass ihre Aufmachung und ihr Verhalten den gewünschten Eindruck auf Derek gemacht hatten. Dass er nun zur gewohnten Routine zurückgekehrt
war, verletzte ihren weiblichen Stolz. Seit sie das elegante Restaurant betreten hatten, schien sein erotisches Interesse an ihr erloschen zu sein. Sydney legte ihre Gabel beiseite und nahm einen Schluck Mineralwasser. Derek war damit beschäftigt, Pfeffer über seinen Salat zu streuen. »Jedenfalls«, sagte er und vertauschte den Pfeffer- mit dem Salzstreuer, »gibt es noch keine zufriedenstellende Erklärung für dieses Phänomen in unserem Planetensystem.« »Derek?« »Da die Betastrahlung sehr…« »Derek!« Verwirrt blickte er von seinem Salat auf. »Oh, Entschuldigung. Ich habe wieder eine Vorlesung gehalten.« »Stimmt«, erklärte sie trocken und setzte ihr Glas ab. An ihrem Handgelenk glänzte der schmale Goldreif, den er ihr geschenkt hatte. »Noch einmal vielen Dank«, sagte sie und strich mit dem Finger über das Schmuckstück. »Das war ein unerwartetes Geschenk, und ich freue mich sehr darüber.« »Und ich freue mich, dass er dir gefällt«, sagte er und nahm ihre Hand. »Zu schade, dass er nicht auf deinen Ringfinger passt.« Heftig zog Sydney die Hand weg. Warum konnten sie nicht einmal einen Abend miteinander verbringen, ohne dass er auf das leidige Thema Ehe zu sprechen käme? Wann würde er ihre Einstellung dazu endlich akzeptieren? »Derek, ich werde nicht…« »Wir müssen miteinander reden«, unterbrach er sie. »Worüber?« fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits wusste. »Über dich und mich. Und darüber, was mit dir in Kentucky passiert ist.« Sydney seufzte. Also gut, sie würde es ihm erzählen.
Sonst würde er nie damit aufhören, sie zur Ehe überreden zu wollen. Aber sie fürchtete sich davor, ihm die Wahrheit zu sagen. Sie hatte Angst vor seinem Urteil. »Vertrau mir, Syd.« Sie schloss kurz die Augen. Er hatte ja keine Ahnung, was er da von ihr verlangte. Vertrauen. Sie blickte ihn an. »Das ist nicht so einfach.« Derek legte die Hand auf ihre. »Du wärst überrascht, wie einfach es ist. Du musst es nur versuchen.« Mit der freien Hand griff sie nach dem Wasserglas und nahm einen Schluck. »Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll.« »Wie wäre es mit dem Anfang?« fragte er und streichelte sanft ihre Hand. »Wie hast du ihn kennen gelernt?« Sie wartete auf den Schmerz, der sie bei dem Gedanken an Nicholas immer überkam, und war überrascht, als sie nur ein quälendes Schuldgefühl verspürte. Vielleicht hatte sie diesen Mann doch nicht so sehr geliebt, wie sie damals geglaubt hatte. Und vielleicht hatte Derek Recht. Sie musste sich von diesem Albdruck befreien, damit er ihr Leben nicht weiter vergiftete. Sie holte tief Atem. »Nicholas Adams war Pferdetrainer«, begann sie langsam. »Er war einer der besten Renntrainer in Kentucky und arbeitete mit den erfolgreichsten Züchtern zusammen. Bei allen großen Rennen liefen Pferde mit, die von ihm trainiert worden waren. Und viele von ihnen gewannen. Ich lernte ihn kennen, als ich wegen einer Behandlung zu einem großen Rennstall gerufen wurde. Er war charmant und witzig, und es dauerte nicht lange, da begann ich eine Affäre mit ihm.« »Warum auch nicht?« Sie schlug die Augen nieder. »Na ja, es wurde mehr daraus. Er bat mich, ihn zu heiraten.« »Und du hast eingewilligt.« Sie nickte. »Ja, ich habe eingewilligt.«
»Was ist schief gegangen? Du hast ihn doch offenbar nicht geheiratet.« »Nein. Ich hätte ihn auch gar nicht heiraten können. Aber das habe ich damals nicht gewusst. Ich war in ihn verliebt. Jedenfalls bildete ich es mir ein.« Mit ihm habe ich nie dasselbe empfunden wie mit dir, dachte Sydney und erschrak. Derek blickte sie erwartungsvoll an. »In den sechs Monaten unserer Verlobung war ich wie blind«, fuhr sie fort. »Es gab gewisse Anzeichen, aber ich war nicht in der Lage, sie zu erkennen.« »Welche Anzeichen?« »Kleinigkeiten, die ich ignorierte, weil der große Nicholas Adams vorgab, mich zu lieben. Er fuhr manchmal für eine oder zwei Wochen weg, ohne mir oder sonst jemandem mitzuteilen, wo er war. Bei seiner Rückkehr war er zuerst immer sehr distanziert. Aber dann war alles plötzlich wie vorher, und ich schwebte vor Glück auf Wolken.« Sie hielt kurz inne, um noch etwas Wasser zu trinken. »Er überzeugte mich davon, unsere Verlobung geheim zu halten. Angeblich fürchtete er, es könnte seiner Karriere schaden, wenn jemand davon wüsste. Ich habe vergessen, wie er es begründete, aber ich glaubte und vertraute ihm. Es hat sechs Monate gedauert, bis ich die Wahrheit erfuhr.« Derek drückte zärtlich ihre Hand. »Hatte er eine andere?« fragte er vorsichtig. Sie schüttelte den Kopf. »Schlimmer. Er war bereits verheiratet. Und er hatte ein Kind.« Der Zorn, der sich auf Dereks Gesicht abzeichnete, tröstete sie. »Wie hast du das herausgefunden?« »Mrs. Adams machte eines Tages einen Überraschungsbesuch.« Sie schwieg, während der Kellner die Salate, die sie
kaum angerührt hatten, wegräumte und den Hauptgang auftrug. Sie zog die Hand zurück, ergriff ihre Gabel und stocherte in den Shrimps herum. »Sie reiste extra aus Ohio an, um ihren fünften Hochzeitstag mit ihrem Mann zu verbringen.« »Es tut mir so Leid, Syd«, sagte Derek leise. »Das muss es nicht«, sagte sie und legte die Gabel weg. »Es war meine eigene Dummheit. Ich wurde zu einem Rennstall gerufen, um nach einer Stute zu sehen. Als ich ankam, sah ich Nicholas von weitem mit dieser Frau. Er hatte den Arm um sie gelegt. Ich fragte Harold, den Besitzer des Rennstalls, wer die Frau sei. Er sagte es mir.« Derek schob seinen Teller beiseite und stützte die Arme auf den Tisch. Er hatte sich gedacht, dass Sydney auf irgendeine Weise von einem Mann verletzt worden war, aber damit hatte er nicht gerechnet. Langsam wurde ihm klar, warum sie sich geweigert hatte, über dieses Thema zu sprechen, und vor allem, seinen Antrag anzunehmen. Er verstand ihre Ängste. Aber er selbst gehörte nicht zu den Männern, die die eigene Frau betrügen und eine andere schamlos anlügen. »Und es war seine Frau?« Sie nickte. »Plötzlich war mir alles klar. Seine Reisen, seine Distanziertheit, die Geheimhaltung unserer Verlobung.« Sie, schlug die Augen nieder. »Im ersten Moment dachte ich, dass sie vielleicht geschieden wären und er seine gescheiterte Ehe nicht eingestehen wollte. Aber dann sah ich seine Tochter und wusste Bescheid. Seine Frau sagte etwas, und er beugte sich vor und küsste sie. Ich beobachtete, wie er sie ansah. Plötzlich spielte es keine Rolle mehr, ob er verheiratet oder geschieden war. Er sah sie genauso an, wie er mich oft angesehen hatte. Mit einem Schlag wurde mir klar, dass alles zwischen ihm und mir eine Lüge gewesen war.«
»Hast du mit ihm gesprochen?« fragte Derek mitfühlend. »Nicht sofort. Ich war zu sehr verletzt. Außerdem wollte ich seiner Frau und seiner Tochter nicht wehtun. Ich wollte nur noch in meinen Wagen steigen und wegfahren. Aber ich musste mich um die Stute kümmern. Ich war gezwungen, zu bleiben und mich der Situation zu stellen.« »Was hat er getan?« »Oh, er war einer von den coolen, beherrschten Typen. Er tat so, als wäre ich nichts weiter als die Tierärztin, mit der er gelegentlich zu tun hatte. Es war widerlich.« »Dieser Mistkerl! Ich könnte ihn dafür umbringen, dass er dich verletzt hat!« »Ich war mehr als verletzt. Und ich habe mich geschämt.« »Geschämt? Aber du hast nichts getan, dessen du dich hättest schämen müssen!« Sie lachte freudlos. »Nein, ich war nur die klassische Geliebte.« »Aber wenn du es gewusst hättest, dann hättest du die Affäre doch beendet.« »Ja, sicher. Trotzdem, ich hätte es wissen müssen. Ich hätte aufmerksamer sein müssen. Wie gesagt, Anzeichen gab es genug. Ich hatte nur beschlossen, sie zu ignorieren. Weil ich mit eingebildet habe, dass ich ihn lieben würde. Und er mich. Es war ein ziemlicher Reinfall.« Derek blickte sie liebevoll an. »Aber du hast mit ihm gesprochen?« »Oh ja. Ich habe mir seine Ausflüchte angehört, ihm die Leviten gelesen, meine Sachen gepackt und mich auf den Weg zurück nach Seattle gemacht.« »Es darf nicht sein, dass eine schlechte Erfahrung dein Leben bestimmt, Syd. Du musst das hinter dir lassen.« Denn vorher würde Sydney ihm niemals ihre Liebe und ihr Vertrauen schenken können, das wusste Derek. »Oh, ich habe es hinter mir gelassen und meine Lektion
gelernt. Liebe ist nur eine Illusion.« Er lächelte. »Da machst du einen großen Fehler.« »Wirklich?« Sie blickte ihn skeptisch an. »Hast du gehört, was ich dir erzählt habe?« »Jedes Wort«, erwiderte er mit erzwungener Geduld. Wenn er jetzt heftig reagierte, würden sie nur wieder streiten. »Du hast kein Problem mit der Liebe, du kannst nur niemandem vertrauen.« Sydney lehnte sich zurück und verschränkte die Arme über der Brust. »Aha. Da sind wir also wieder bei deinem Lieblingsthema. Und wie sieht die Analyse diesmal aus, Doktor Freud?« Derek ignorierte ihren Sarkasmus. »Ob du in diesen Mann verliebt warst oder nicht, spielt keine Rolle. Du hast ihm vertraut, und er hat dieses Vertrauen missbraucht.« »Und zu welchem Schluss kommst du?« »Du hast Angst davor, jemandem zu vertrauen.« Sie blickte ihn ernst an. »Das ist nicht wahr. Ich kann sehr wohl vertrauen. Ich vertraue dir.« »Tust du das wirklich?« Sie verzog missbilligend das Gesicht. »Sei nicht dumm. Natürlich vertraue ich dir.« Er beugte sich vor. »Dann beweise es mir.« Sie senkte den Blick und machte sich an ihrer Serviette zu schaffen. Als diese ordentlich gefaltet war, widmete sie ihre Aufmerksamkeit dem Wasserglas. »Vertrau mir«, sagte er eindringlich, nahm ihre Hand und küsste ihre Fingerspitzen. Sie wollte ihm ihre Hand entziehen, aber er ließ sie nicht los. Stattdessen beugte er sich noch weiter vor, umfasste ihr Kinn und küsste sie, noch ehe sie einen Protest murmeln konnte. »Vertrau mir«, wiederholte er beharrlich, als ihre Lippen sich voneinander gelöst hatten. »Ich würde dir niemals wehtun. Ich würde dich nie belügen. Aber du
musst mir vertrauen.« »Ich…« Er legte ihr einen Finger über die Lippen. »Du musst etwas für mich tun.« »Was?« fragte sie verwirrt. Derek hatte die dunkle Ahnung, dass er den nächsten Schritt bereuen würde. Aber ihm war, als sei er in einem rasenden Zug und könnte die Notbremse nicht finden. Er musste ihr beweisen, dass sie ihm vertrauen konnte. »Zieh deinen Slip aus«, sagte er leise. Er hatte das Gefühl, dass der Zug gerade entgleiste.
9. KAPITEL Sydney war wie erstarrt. »Was soll ich tun?« Sie blickte sich um und vergewisserte sich, dass niemand Dereks skandalöses Anliegen gehört hatte. Die anderen Gäste aßen ungerührt weiter und schenkten ihnen keine besondere Beachtung. Sydney atmete erleichtert auf. Sie wandte sich wieder Derek zu. Hatte sie sich vielleicht verhört? Sie sah ihn fragend an. »Zieh deinen, Slip aus und gib ihn mir«, wiederholte Derek ernst. Sie schluckte. »Warum?« fragte sie gepresst. Er strich sanft über ihre Wange. »Du hast gesagt, dass du mir vertraust.« »Ich… ich dachte… ich weiß nicht«, stammelte sie. Vertraute sie ihm? Konnte sie ihm vertrauen? Er streichelte über ihre Wange, ihren Hals bis hinunter zum Ansatz ihrer Brüste. »Tu es einfach. Beweis mir, dass du mir vertraust.« In seinen Augen stand die reine Begierde. Sydney spürte, wie sich seine Erregung auf sie übertrug. Eine Welle der Sinnlichkeit überschwemmte sie. Sie kam sich leichtsinnig und sehr unanständig vor und stellte plötzlich
fest, dass ihr diese Situation großes Vergnügen bereitete. Lässig zuckte sie mit den Schultern, als ob sie ihre Unterwäsche immer in einem öffentlichen Restaurant auszuziehen pflegte, wenn sie in der Stimmung dazu war. Sie blickte Derek unverwandt an, während sie unter dem Tisch langsam ihr Kleid hochschob und sich den schwarzen Spitzenslip von den Hüften streifte. Derek beobachtete fasziniert, wie sie mit geschmeidigen Bewegungen seine unmoralische Bitte erfüllte. Sie blickte kurz um sich und reichte Derek unter dem Tisch den Slip. Sie fühlte die Seide ihres Kleides auf der nackten Haut, und eine neue Welle der Erregung ließ sie aufseufzen. Derek nahm ihr den Slip ab. Die schwarzen Spitzen fühlten sich zwischen seinen Fingern unerhört sexy an. Die ganze Situation war ungeheuer erotisch. Er musste sich sehr beherrschen, um nicht in aller Öffentlichkeit über Sydney herzufallen. »Und was jetzt?« fragte Sydney leise. »Jetzt essen wir unser Abendessen weiter«, antwortete er und steckte den Slip in die Innentasche seine Jacketts. Er glaubte doch nicht etwa, dass sie auch nur einen Bissen hinunterbrachte? Sie schürzte die Lippen. »Was für ein Spiel treibst du da mit mir, Derek?« Sorgfältig löste er ein Stück Hummer aus der Schale. »Das ist kein Spiel. Ich will dir nur zeigen, dass du mir vertrauen kannst.« »Indem du mich bittest, in aller Öffentlichkeit meine Unterwäsche auszuziehen?« Er lächelte, tauchte den Hummer in die Soße und hielt ihr die Gabel hin. »Probier mal.« Sie beugte sich vor, öffnete den Mund und nahm den Bissen. Was hatte er nur vor? »Wie fühlt sich das an?« fragte er leise. »Weich. Cremig. Lecker.« »Nicht der Hummer. Der Stoff.«
Also gut, dachte sie. Ich spiele mit. »Warm und… prickelnd. Und ziemlich feucht«, antwortete sie mit einem unverfrorenen Lächeln. »Du spielst nicht fair«, flüsterte Derek mit vor Erregung heiserer Stimme. Sie spießte einen Shrimp auf die Gabel und hielt sie ihm vor den Mund. »Du hast angefangen.« Er lachte und nahm den Shrimp. »Jetzt bist du dran. Was für ein Gefühl ist das für dich?« fragte sie herausfordernd. »Heiß. Pulsierend. Aufregend.« »Und hart?« fragte sie mit halb geschlossenen Lidern. »Sag du es mir.« Er nahm ihre Hand und legte sie auf seinen Oberschenkel. Bevor sie wusste, was sie tat, tastete sie mit spitzen Fingern langsam sein Bein hinauf, bis sie die Antwort wusste. Derek hielt die Luft an. »Sehr hart«, flüsterte sie, und ihr Herz klopfte wild. »Wir müssen gehen, und zwar sofort. Wenn nicht, werfen sie uns hinaus. Oder sie lassen uns verhaften.« »Und was ist mit dem Dessert?« fragte er und nahm ihre Hand, um sie behutsam von der heiklen Stelle zwischen seinen Beinen zu entfernen. »Was das Dessert anbelangt«, begann sie und pustete sacht in sein Ohr, »musst du mir vertrauen.« Wie hatte sie das nur angestellt? Irgendwie und irgendwann hatte Derek die Kontrolle verloren, ohne dass er sagen konnte, was genau Sydney getan hatte. Er blickte sie von der Seite an und konzentrierte sich dann wieder auf die Straße. Sie sah aus dem Fenster auf die Lichter der Stadt und wirkte gelassen und ruhig, als ob sie einen ganz normalen Abend in einem schicken Restaurant verbracht hätten. Dabei war Derek so aufgewühlt, dass er an nichts anderes als an ihren Slip in seiner Tasche
denken konnte. Sydney schlug die Beine übereinander und wippte mit dem Fuß zum Rhythmus der Rockmusik, die aus dem Autoradio erklang. Wieder warf er ihr einen kurzen Blick zu. Diese Frau war unglaublich verführerisch. Derek hatte jetzt ernsthafte Schwierigkeiten. Sein Vorsatz, nicht mehr mit ihr zu schlafen, war schon fast vergessen. Es schien nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, einfach wegzufahren, nachdem er Sydney nach Hause gebracht hatte. Er wollte nichts anderes mehr, als sie aufs Bett zu werfen und bis zur Erschöpfung zu lieben. Als er vor ihrem Haus anhielt, hatte er immer noch keinen Entschluss gefasst. Er legte die Hände auf das Steuer und sah sie an. Ihr Blick sagte ihm, dass sie auch nichts anderes im Sinn hatte, als mit ihm ins Bett zu gehen. Dieser Blick verfehlte seine Wirkung nicht. Derek wurde es abwechselnd heiß und kalt. Mühsam widerstand er dem Impuls, sie auf den Rücksitz zu zerren und ihr das Kleid vom Körper zu reißen. Er kam sich wie ein liebestoller Teenager vor. Was er brauchte, waren frische Luft und eine kalte Dusche. Hastig stieg er aus dem Wagen und atmete tief durch. Er ging zur Beifahrertür und half Sydney beim Aussteigen. Wie zufällig streifte sie ihn dabei mit der Hüfte. Sein Pulsschlag beschleunigte sich. Mit einem provozierenden Hüftschwung ging sie an ihm. vorbei auf das Cottage zu. Er folgte ihr und konnte den Blick nicht von ihren schwingenden Hüften abwenden. Er dachte nur daran, dass sie unter ihrem schwarzen Kleid fast nackt war. »Junge, du hast ein ernstes Problem«, murmelte er, während er die Verandatreppe hinaufging. Sydney lehnte mit dem Rücken am Verandageländer und
blickte ihn herausfordernd an. Die Hände hatte sie auf das Geländer hinter sich gelegt. Unter dem dünnen schwarzen Stoff des Kleides zeichneten sich deutlich ihre Brüste ab. Derek fiel das Atmen schwer. Er stellte sich vor sie und legte die Arme um sie. Die Wärme ihres Körpers überwältigte ihn fast. Sie öffnete die Lippen und wartete auf seinen Kuss. Und er küsste sie. Lange, fordernd und begierig. Sydney erwiderte seinen Kuss so heftig und leidenschaftlich, dass es an ihren Absichten keinen Zweifel mehr geben konnte. Sie wollte ihn auf die intimste und sinnlichste Weise, die vorstellbar war. Nein, an ihren Absichten bestand kein Zweifel mehr, aber Derek bezweifelte, dass er genug innere Stärke besaß, um jetzt zu gehen. Denn auch er wollte sie. Er begehrte sie so sehr, dass es wehtat. Sie seufzte und presste sich an ihn. Sein Widerstand kam zum Erliegen. Er war drauf und dran, alles um sich herum zu vergessen. Das Geräusch eines vorbeifahrenden Wagens schreckte ihn kurz hoch. Sydney löste sich von ihm. »Nicht hier«, flüsterte sie und zog ihn in eine verborgene Ecke der Veranda, wo sie nicht vom Scheinwerferlicht vorbeikommender Autos erfasst werden konnten. Derek musste unbedingt aufhören, bevor er die Situation nicht mehr unter Kontrolle hatte. Aber er konnte es nicht. Sydney schlang die Arme um ihn. »Ich will dich, Derek. Jetzt sofort«, flüsterte sie. »Langsam«, sagte er leise und küsste ihren Hals. Sie stöhnte auf, als er ihre Oberschenkel aufreizend streichelte. Heftig drängte sie sich ihm entgegen, und er begann die empfindsame Zone zwischen ihren Beinen zu liebkosen.
Sie stöhnte vor Lust und Erregung. Sie wollte ihn so sehr, dass sie fast geschrieen hätte. Ungeduldig schlang sie die Arme um ihn und flüsterte heiser seinen Namen. Dann warf sie den Kopf zurück, als er mit den Fingern in sie eindrang. Derek küsste sie wieder auf den Mund, hart und fordernd. »Feucht«, flüsterte er atemlos. »Du bist feucht und süß.« Dann begann er mit den Fingern ein virtuoses Spiel, das sie an den Rand der Ekstase führte. Ungeniert folgte sie seinen Bewegungen, bis er sie zum Höhepunkt brachte. Sie stieß einen heiseren Schrei aus und ließ den Kopf an seine Schulter fallen. Zärtlich strich er ihr das Kleid glatt und hielt sie in seinen Armen, bis sich ihr Atem wieder beruhigt hatte. Er küsste sie auf die Schläfe. »Bleib heute Nacht hier«, bat sie leise. »Nein, Darling«, sagte er bestimmt. »Heute Nacht wirst du über uns nachdenken.« »Über uns?« fragte sie verständnislos. Er umfasste ihr Gesicht und küsste sie zärtlich. »Ich liebe dich, Sydney. Aber solange du mir nicht sagen kannst, dass du mich auch liebst, werden wir nicht weiter als bis an diesen Punkt gehen.« Sydney konnte nicht glauben, was sie da eben gehört hatte. »Das ist… das ist Erpressung!« Er zuckte mit den Schultern und ließ die Hände fallen. »Du kannst mich nur ganz haben. Ich will mehr von dir, als nur deine sexuellen Bedürfnisse befriedigen.« »Wie kannst du unser Verhältnis darauf reduzieren?« fragte sie empört. Er trat einen Schritt zurück. »Ich weiß nicht, ob es viele Männer gibt, die eine Affäre mit einer so schönen und aufregenden Frau wie dir ablehnen würden. Aber ich will keine Affäre, Syd. Ich will dich, und zwar ganz und gar.« Er forderte das Unmögliche. Hatte er denn nicht zuge-
hört, als sie ihm von Nicholas erzählte? Natürlich war Derek nicht Nicholas. Um die Wahrheit zu sagen, konnte Nicholas ihm nicht das Wasser reichen. Aber sie durfte keine Risiken eingehen. Derek bedeutete ihr viel, aber nicht so viel, wie er es von ihr verlangte. Er wollte ihre Liebe, und die konnte sie ihm nicht geben. »Ich kann nicht«, flüsterte sie. Er wandte sich zum Gehen. Auf den Stufen der Treppe hielt er inne und drehte sich um. »Du kannst. Aber du musst mir vertrauen.« Mit brennenden Augen beobachtete sie, wie er in der Dunkelheit verschwand. Samstagmorgens war es in der Praxis für gewöhnlich sehr ruhig. Aber aus irgendeinem Grund schien jeder Hund, jede Katze, jeder Hamster oder Goldfisch in der Gegend an diesem Vormittag ein Leiden zu haben. Zu allem Überfluss hatte Rachel sich auch noch telefonisch abgemeldet, weil ihre Tochter Lori sich den Arm beim Softballspielen verletzt hatte. Rachel fürchtete, der Arm könnte gebrochen sein, und war mit Lori zur Notaufnahme ins Krankenhaus gefahren. Sydney hatte Rachel beruhigt und gesagt, sie würde es auch allein schaffen. Aber das war vor dem unerwarteten Ansturm gewesen. Für gewöhnlich kam Sydney mit Stress gut zurecht. Aber sie hatte in der Nacht nur zwei Stunden geschlafen und sehnte sich nach der üblichen, ruhigen Routine an diesem Wochentag. Um zehn Uhr war sie drauf und dran, die zwölf Patienten im Wartezimmer nach Hause zu schicken und die Praxis abzuschließen. Ein Rottweiler, dessen Hüfte sie röntgen musste, knurrte sie an. Normalerweise machte es ihr nichts aus, wenn ein Hund sie anknurrte. Aber ihr Gefühlsleben war an diesem Tag so durcheinander, dass sie den Vorfall persönlich nahm und fast in Tränen ausbrach. Mrs. Cushings trächtiger und offenbar mürrischer Scotchterrier hatte nach ihr
geschnappt, und dafür, dass sie eine widerspenstige Siamkatze von einem im Schlund festsitzenden Fellbündel befreit hatte, erhielt sie als Dankeschön einen tiefen Kratzer auf dem Handrücken. Sie spuckte gerade eine Feder von einem temperamentvollen Graupapagei aus, der in der Mauser war und einen verletzten Flügel hatte, als sie ein Prickeln im Nacken spürte. Sie blickte über die Schulter zurück und war nicht erstaunt, Derek zu sehen, der in der Tür des Untersuchungszimmers lehnte. »Dem Himmel sei Dank, dass du hier bist«, sagte sie. In Anbetracht des Ansturms an diesem Morgen wäre sie über jeden Helfer froh gewesen. Der Papagei fing wieder an, mit den Flügeln zu schlagen, und eine Wolke von Federn schwebte durch den Raum. »Ich könnte wirklich etwas Hilfe gebrauchen.« Dass er sie am Abend zuvor so schmählich allein gelassen hatte, konnte sie ihm auch später vorwerfen. Jetzt brauchte sie jemanden, der diesen Papagei festhielt. Er kam ins Behandlungszimmer und grinste breit. »Du bist ziemlich glücklich, mich zu sehen, nicht wahr?« »Oh ja«, murmelte sie. Im Gegensatz zu den Patienten, die sie heute Morgen behandelt hatte, war sie nicht so rücksichtslos, die Hand zu beißen, die helfen wollte. Sie verdrehte kurz die Augen und zeigte Derek dann, wie er den Vogel festhalten sollte, damit sie die Wunde versorgen und sich um den nächsten Patienten kümmern konnte. Als der Papagei wieder wohlbehalten in seinem Transportkäfig saß, gab sie Derek eine Kurzanweisung in die Aufgaben am Empfang. Sie erwartete ein Chaos, aber zu ihrer Überraschung hatte Derek in den verbleibenden zwei Praxisstunden alles unter Kontrolle. Er nahm die Anmeldungen korrekt auf und sorgte bei einem nicht versiegen wollenden Patientenstrom für eine geordnete Reihenfolge der Behandlung.
Sydney konnte sich also unbesorgt ihren Pflichten widmen. Dazu gehörten unspektakuläre Impfungen ebenso wie die zu Herzen gehende Aufgabe, der betagten Mrs. Farmer mitzuteilen, dass der Pudel, der seit nahezu zwanzig Jahren ihr ständiger Begleiter war, blind werden würde. Als der letzte Patient die Praxis eine Stunde nach dem Ende der offiziellen Sprechzeit verlassen hatte, war Sydney zu Tode erschöpft. Sie sank auf einen Stuhl im Untersuchungszimmer, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Lider. »Das war ein anstrengender Vormittag.« Sydney schlug die Augen auf und sah Derek an. »Das kann man wohl sagen.« Er lachte und setzte sich auf den Behandlungstisch. Wenn sie die Kraft hätte aufbringen können, hätte sie gern etwas nach ihm geworfen. Während sie sich selbst behandlungsbedürftig fühlte, besaß er die Frechheit, unverschämt frisch und ausgeruht auszusehen. Vermutlich hatte er die ganze Nacht lang tief und fest geschlafen. »Janet DeYoung hat vom Flughafen aus angerufen und erwähnt, dass du ihr versprochen hast, Rocky heute abzuliefern«, sagte er und wedelte mit einem Notizzettel. Sydney stöhnte. »Der Golden Retriever. Er war die Woche über bei mir in Pflege. Ich habe ganz vergessen, dass ich ihn heute nach Hause bringen soll.« »Du siehst furchtbar müde aus. Ich bringe ihn hin.« So sehr sie sich auch nach einer Dusche und ihrem Bett sehnte, sie musste ihre Verpflichtungen einhalten. »Derek, ich glaube nicht…« »Du bist übermüdet und solltest dich nicht hinters Lenkrad setzen. Es ist ja nicht so, dass ich nicht weiß, wie man mit Hunden umgeht.« »Willst du das wirklich tun?« fragte sie, schon halb überzeugt. Die Aussicht auf eine Dusche und etwas Schlaf war zu verlockend.
»Aber sicher«, antwortete er, trat zu ihr hin und zog sie auf die Füße. »Du schreibst mir auf, wie ich dahin komme, und ich liefere den Hund ab.« Zehn Minuten später saß Rocky auf dem Beifahrersitz von Dereks Wagen. »Bronson wäre ziemlich eifersüchtig«, sagte Derek und kraulte den Hund hinter den Ohren. »Er muss nämlich immer auf der Rückbank sitzen.« »Da fällt mir etwas ein. Hast du Bronsons Fäden gezogen?« »Ja, natürlich. Ich sagte doch, ich kann mit Hunden umgehen.« Er trat auf sie zu und nahm sie in die Arme. Es musste an der Müdigkeit liegen, dass sie sich außer Stande sah, sich aus seiner Umarmung zu lösen. »Wie sieht es heute mit einem Abendessen aus?« fragte er sanft. Sie legte den Kopf zurück und blickte ihn misstrauisch an. »Noch so ein Essen wie gestern Abend könnte ich nicht ertragen. Das machen meine Nerven nicht mit.« Derek lachte. »Ich dachte eher daran, ein paar Steaks auf den Grill zu legen.« »Das wäre schön. Aber du kannst doch nicht kochen«, erwiderte sie und löste sich aus seinen Armen. »Männer kochen nicht. Männer grillen.« Sydney überlegte kurz, ob sie seine Einladung annehmen sollte. Während ihrer schlaflosen Nacht hatte sie einige Entschlüsse gefasst. Im Morgengrauen hatte sie entschieden, Derek gegenüber absolut fair und ehrlich zu sein. Sie würde ihm sagen, dass sein Heiratsantrag sehr schmeichelhaft war, sie ihn aber nicht annehmen würde. Sie würde niemals heiraten. Sie würde von ihm verlangen, dass er seine Versuche, sie zu einer Ehe zu überreden, endlich aufgab. Und sie würde ihm sagen, dass er ihr viel bedeutete und dass sie ihn als Freund und Liebhaber wollte. »Ich bin um sieben Uhr bei dir«, sagte sie schließlich. Derek fuhr seit anderthalb Stunden langsam eine Seiten-
straße nach der anderen entlang, ohne eine Spur des Golden Retriever zu entdecken. Er wusste immer noch nicht, wie es genau passiert war. Der Hund hatte den Kopf aus dem Fenster gesteckt und sich den Fahrtwind um die Nase wehen lassen. Dann war er urplötzlich verschwunden. Sydney würde ihm die Hölle heiß machen. Sie hatte ihm vertraut, und er hatte schmählich versagt. Warum musste das ausgerechnet jetzt passieren? Er hatte das Gefühl gehabt, dass sie sich bald für ein Leben mit ihm entschieden hätte. Und nun hatte er den Hund verloren, den sie ihm anvertraut hatte. Er fuhr ein letztes Mal um die Wohnblocks und beschloss dann, zu Sydney zu fahren, um ihr die schlechte Nachricht zu überbringen. Ihm graute davor, aber er hatte keine andere Wahl. Ihre Haustür war nicht verschlossen. Sie lag zusammengerollt auf dem Sofa und schlief. Die eine Hand lag neben ihrer Wange, die andere hatte sie schützend über ihren Bauch gelegt. Das Baby, dachte Derek fast ehrfürchtig, unser Baby. Wieder einmal wurde ihm fast schmerzhaft deutlich, wie sehr er diese Frau liebte. Aber wenn er ihr erst gebeichtet hatte, dass er Rocky verloren hatte, würde sie vermutlich nie wieder ein Wort mit ihm reden. Er hockte sich vor die Couch und berührte sacht ihre Schulter. »Syd?« Schlaftrunken schlug sie die Augen auf. »Darling, ich habe schlechte Neuigkeiten.« Fragend zog sie die Brauen zusammen, »Ich habe Rocky verloren.« Sie fuhr hoch. »Du hast was?« »Ich weiß auch nicht, wie es passiert ist. Er muss aus dem Fenster gesprungen sein, als ich gerade mal nicht hinsah.« »Oh nein, Derek. Bitte sag mir, dass das nur ein schlech-
ter Scherz ist.« Er zuckte resigniert mit den Schultern. »Es tut mir Leid.« Sie stand auf und begann im Wohnzimmer auf und ab zu gehen. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt. Dann blieb sie stehen und starrte ihn böse an, aber das Klingeln des Telefons kam den zornigen Worten zuvor, die ihr ganz offensichtlich auf der Zunge langen. Sie durchquerte den Raum, ergriff das schnurlose Telefon und drückte den Knopf, um das Gespräch anzunehmen. »Ja?« meldete sie sich. Nach einigen Sekunden ließ ihre Anspannung nach, und sie lehnte sich an das Rückenteil der Couch. »Nein, Sie stören ganz und gar nicht«, sagte sie in den Hörer. »Er hat überhaupt keine Probleme gemacht.« Sie blickte Derek an und schüttelte ungläubig den Kopf. »Das ist gut, Mrs. DeYoung. Ich bin froh, dass alles geklappt hat.« Nachdem sie die Unterbrechungstaste gedrückt hatte, wandte sie sich Derek zu. »Frag mich nicht, wie das vor sich gegangen ist, aber du hast unverschämtes Glück gehabt.« »Was soll das heißen?« fragte er gespannt. »Das war Janet DeYoung. Sie wollte sich für ihre Verspätung entschuldigen. Und sie hat sich bei mir bedankt, dass ich Rocky in ihrem Garten gelassen habe.« »Das verstehe ich nicht.« Er war bestimmt noch drei Kilometer von Janet DeYoungs Haus entfernt gewesen. Wie war das nur möglich? »Rocky hat auf sie gewartet, als sie nach Hause kam.« »Also das nenne ich wirklich Glück«, sagte Derek und grinste breit. Glück musste der Mensch haben, das war das Wichtigste im Leben. In diesem Moment hatte Derek keinen Zweifel daran, dass er auch bei Sydney Glück haben würde. Sie würde seine Frau werden.
10. KAPITEL Sydney steckte den Saum ihres roten T-Shirts in den Bund der Shorts. In nicht allzu ferner Zukunft würden Hosenbünde für sie ein Ding der Unmöglichkeit sein. Kritisch beäugte sie ihre Figur im Spiegel von der Seite und strich mit den Händen über ihren noch flachen Bauch. Nach den Büchern über das Thema Schwangerschaft, die sie gelesen hatte, begann sich der Bauch einer Schwangeren zwischen dem dritten und dem fünften Monat zu runden. Sie hoffte, dass ihr Zustand möglichst schon ab dem dritten Monat zu sehen wäre. Dann bürstete sie sich die dunklen Locken zurück und bändigte ihr Haar mit einer goldenen Spange. Nachdem sie noch etwas Make-up aufgelegt hatte, war sie fertig, um zu Derek zu fahren. Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass sie so viel Glück gehabt hatten. Es kam ihr wie ein Wunder vor, dass Rocky den Weg nach Hause allein gefunden hatte. Es hätte Janet DeYoung das Herz gebrochen, wenn ihr geliebter Hund nicht mehr aufgetaucht wäre. Und sie selbst hätte sich auch mehr als elend gefühlt. Wenn es ihr nicht bald gelang, Dereks Hilfsbereitschaft zu bremsen, würde sie noch wahnsinnig werden. Sie schlüpfte in ein Paar Sandalen, nahm ihre Handtasche und verließ das Haus. Er wohnte nur einige Blocks entfernt. Das Haus, in dem sie auf gewachsen war, lag direkt gegenüber. Sie parkte den Wagen vor seinem Vorgarten. Der Rasen war ordentlich gemäht, und der Weg zum Haus war gesäumt von den wundervollen Rosen, die seine Mutter noch angepflanzt hatte. Mit gemischten Gefühlen stieg sie aus ihrem Wagen. Sie hatte keine Ahnung, was sie an diesem Abend von Derek zu erwarten hatte. Ihre eigene Einstellung zu ihm hatte sich nicht geändert. Er bedeutete ihr viel, aber sie würde sich auf
keinen Fall in ihn verlieben. Eine Liebesbeziehung würde unweigerlich irgendwann zum Ende ihrer wundervollen Freundschaft führen. Das konnte sie nicht riskieren. Bronson begrüßte sie mit lautem Gebell. Während sie zum rückwärtigen Teil des Gartens ging, sprang er vor Freude um sie herum. Sie lachte und strich dem Hund über den Kopf, als er endlich aufhörte, sie zu umkreisen. Als sie an der Garage ankam, erblickte sie Derek und blieb stehen. Sein Anblick genügte schon, um ihren Herzschlag zu beschleunigen. Er hatte ihr den Rücken zugedreht, stand am Gartentisch und studierte die Gebrauchsanweisung auf einer Packung Holzkohle. Wieder einmal musste Sydney feststellen, dass er unverschämt gut aussah. Ärgerlich verscheuchte sie diesen Gedanken. Sie hatte seine Einladung nur angenommen, um seinen Heiratsabsichten ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. »Um die Brandgefahr für deine Nachbarn zu verringern, sollte ich dir vielleicht eines von diesen neumodischen elektrischen Grillgeräten zum Geburtstag schenken«, sagte sie, während sie auf ihn zuging. Er sah auf und grinste sie an. »Ich bin ziemlich spät dran, weil ich Bronson noch gebadet habe. Leider hat er sich nicht sehr kooperativ gezeigt.« Das erklärte die Wasserlachen auf dem Boden des betonierten Innenhofs. Sydney legte ihre Tasche auf die Gartenbank. »Gibt es noch etwas, das ich tun kann?« fragte sie. Um das Abendessen zu retten, fügte sie im Stillen hinzu. »Nein, es ist alles fertig«, antwortete er und riss die Packung Holzkohle auf. Sie konnte die Augen nicht von seinen muskulösen Armen abwenden. Für einen Moment wünschte sie sich, er würde diese Arme um sie legen und sie in sein Bett tragen.
»Setz dich hin und entspann dich«, sagte er, während er die Holzkohle auf den Grill schüttete. Entspannen? Als ob das möglich wäre, wenn sie nur daran denken konnte, ihn zu berühren. Sydney versuchte, sich nichts von ihrer Nervosität anmerken zu lassen. Sie setzte sich auf einen Gartenstuhl. Derek war damit beschäftigt, die Kohle im Grill gleichmäßig zu verteilen und anzuzünden. Bronson trottete zu Sydney und schmiegte sich an sie. Sie nutzte die Situation, dass Derek nicht auf sie achtete, und untersuchte gründlich die Narbe auf der Schnauze des Hundes. Sie wollte sich vergewissern, dass Derek die Fäden richtig gezogen hatte. Derek verschwand im Haus und kehrte kurz darauf mit zwei großen Gläsern Limonade zurück. Er reichte ihr eins davon, sah noch einmal nach dem Grill und setzte sich dann ihr gegenüber. »Syd, es tut mir wirklich Leid, was heute Nachmittag mit Rocky passiert ist. Mir ist immer noch nicht klar, wie er es geschafft hat, sich aus dem Staub zu machen.« »Reden wir nicht mehr davon«, sagte Sydney. Sie war froh, dass diese Angelegenheit ein gutes Ende genommen hatte. Dann setzte sie das Glas an die Lippen und nahm einen vorsichtigen Schluck. »Schmeckt wirklich lecker«, sagte sie überrascht. »Was hast du denn erwartet? Kerne und zu wenig Zucker?« fragte er mit einem schiefen Grinsen. Sie lachte und stellte das Glas auf den Tisch. »Weder noch.« Derek stimmte in ihr Lachen ein. »Lügnerin.« Dann wurde er unvermittelt ernst. »Ich wollte dich noch fragen, wann dein nächster Termin beim Arzt ist.« Sie runzelte die Stirn. »Erst in zwei Wochen. Warum?« »Ich würde dich gern begleiten.« Sie schluckte und hob abwehrend die Hand. »Derek,
ich…« »Warum kannst du nicht akzeptieren, dass mir das Kind genauso viel bedeutet wie dir?« unterbrach er sie barsch. Sydney hätte ihm gern erklärt, dass es ihrer Meinung nach keinen Sinn hatte, wenn er so große Anteilnahme zeigte. Früher oder später würde er möglicherweise erfahren, dass es nicht sein Kind war. Und spätestens dann würde sein Interesse erlahmen. Andererseits durfte sie ihn nicht verärgern. Schließlich wollte sie ihre Freundschaft nicht aufs Spiel setzen. Die Angst, ihn zu verlieren, bedrückte sie nach wie vor. »Es ist vielleicht nicht dein Kind«, sagte sie geduldig. »Warum kannst du das nicht einfach akzeptieren?« Unwillig schüttelte er den Kopf und sprang auf. »Was spielt das schon für eine Rolle, wer der Vater ist? Ich liebe dich, und das Kind ist ein Teil von dir. Das genügt mir. Und das musst du akzeptieren.« »Das sagst du jetzt«, erwiderte sie. Sie wich seinem wütenden Blick aus und zwang sich zur Ruhe. Sie fühlte sich in die Ecke gedrängt und kämpfte gegen einen Anflug von Panik an. »Aber was wird in fünf Jahren sein?« Nein, sie wollte nicht weiter darüber nachdenken. Sie konnte die Diskussionen über dieses leidige Thema nicht mehr ertragen. Hastig sprang sie hoch und baute sich vor Derek auf. »Weißt du was? Ich habe einfach keine Lust mehr, darüber zu streiten. Ich habe dir meinen Standpunkt deutlich genug klar gemacht.« Sie drehte sich um und ging ins Haus. Er folgte ihr aufgebracht. »Das habe ich auch! Und irgendwann wirst du einsehen müssen, dass ich Recht habe.« An der Hintertür hielt Sydney abrupt inne und drehte sich zu ihm um. »Können wir nicht über etwas anderes sprechen? Ich will mir den Abend nicht mit Streiten verderben.«
Die Zornesfalten in seinem Gesicht glätteten sich. »Einverstanden«, stimmte er zu. »Wir wollen heute Abend nicht streiten.« Sydney atmete erleichtert auf und betrat die gemütliche Küche, in der sie schon so viele Stunden verbracht hatte. Die schönsten Erinnerungen kamen in ihr hoch. Sie sah sich selbst, wie sie Mrs. Buchanan beim Backen der Weihnachtskekse half. Oder wie Derek sie für einen Physiktest abfragte. Oder wie sie ihm bei einem Aufsatz über ein Theaterstück von Shakespeare half. Wie oft hatten sie im Verlauf der Jahre zusammen in dieser Küche gesessen. Sie musste daran denken, dass er immer ihre geliebten Schokoladenkekse im Küchenschrank hatte. Er wusste genau, wie sie ihren Kakao mochte und dass sie gebackene Kartoffeln am liebsten mit Saurer Sahne aß. Er kannte und erfüllte ihre Wünsche, ohne dass sie je darum hätte bitten müssen. Es waren Kleinigkeiten, aber Sydney musste zugeben, dass sie all diese Dinge immer für selbstverständlich gehalten hatte. Bis jetzt. Jetzt erfüllte sie das alles auf einmal mit Furcht. Ihr Herz hämmerte heftig. Sie ging zur Spüle und stützte die Hände auf den Rand. Hatte sie sich irgendwann in Derek verliebt, ohne es zu merken? Sie erinnerte sich daran, wie ihre Mutter einmal auf drei verschiedene Märkte in Seattle gefahren war, um eine spezielle Zutat für ein Essen zu kaufen, das ihr Vater besonders gern mochte. Sie hatte ihre Mutter gefragt, warum sie einen solchen Aufwand betrieb. Ihre Mutter hatte geantwortet, dass sie das täte, weil es ihren Mann glücklich machen würde. Damals dachte Sydney, ihre Mutter wäre verrückt und verschwendete ihre Zeit. Aber heute wusste sie, dass es in der Liebe nicht um Rosen, Pralinen oder Gedichte ging. Nein, dachte sie, die Liebe äußert sich in kleinen, alltäglichen Dingen. In einem Vorrat an Lieblingskeksen, im
Entfernen von Unkraut auf einem Steinweg oder auch darin, dass jemand sich daran erinnerte, wie man seine gebackene Kartoffel am liebsten aß. Sie kannte Derek auch sehr gut und tat viele Dinge, um ihm eine Freude zu machen. Sie wusste genau, in welcher Reihenfolge er die Sonntagszeitung las. Erst den Sportteil, dann die Comics und zum Schluss den Wirtschaftsteil. Sie wusste, dass er Popcorn ohne Butter mochte, und das Frühstücksei durfte höchstens vier Minuten gekocht haben. Er aß lieber Speck als Würstchen zum Frühstück und bevorzugte Waffeln mit Puderzucker statt mit Ahornsirup. Sydney machte sich nicht viel aus Tomaten, aber sie kaufte immer welche, weil sie wusste, dass Derek sie besonders gern mochte. Sie hatte auch immer Dillgurken für ihn im Haus, obwohl sie selbst lieber Senfgurken aß. »Syd? Ist alles in Ordnung?« Sie zuckte zusammen und wandte sich zu ihm um. »Ja, alles bestens«, antwortete sie und zwang sich zu einem Lächeln. Ihre Hände zitterten, als sie den Küchenschrank öffnete, um Teller herauszunehmen. Noch vor einer halben Stunde hatte sie ihm sagen wollen, dass sie beide nichts weiter als Freunde sein könnten. Nun war sie sich da gar nicht mehr so sicher. Derek schlug wieder nach einer Mücke. Er hatte eine von diesen Kerzen gekauft, deren Geruch angeblich diese Blutsauger vertreiben sollte. Aber die Kerze war machtlos gegen die Schwärme, die sich um ihn versammelt hatten. Sydney war bislang nicht von ihnen belästigt worden, während Derek das Gefühl hatte, eine ganz besondere Delikatesse für diese Quälgeister zu sein. Er hörte, wie die Hintertür geöffnet wurde, und warf einen Blick über seine Schulter. Sydney balancierte ein Tablett mit Tellern, Besteck und gebackenen Kartoffeln, die noch in der Folie waren. Ich könnte mich daran gewöhnen, dachte er bei sich.
Sie stellte das Tablett auf dem Gartentisch ab und begann, Teller und Besteck zu verteilen. Als sie sich nach vorn beugte, erhaschte er einen Blick auf den Ansatz ihrer Brüste, die sich deutlich unter ihrem tief ausgeschnittenen T-Shirt abzeichneten. Dieser Anblick hatte die übliche verheerende Wirkung auf ihn. Derek wurde urplötzlich ziemlich heiß. Er räusperte sich und dachte über ein unverfängliches Thema nach. »Hast du dir schon Namen überlegt?« Sie setzte sich und sah ihn an. »Eigentlich habe ich mich darum noch kaum gekümmert.« Erstaunt schüttelte er den Kopf. Er war immer davon ausgegangen, dass Frauen sich Namen für ihre zukünftigen Kinder ausdachten, sobald sie in das Alter kamen, in dem sie Babys bekommen konnten. Sydney interpretierte sein Schweigen richtig und lachte. »Na gut«, gab sie zu. »Ich habe mir schon Namen ausgesucht. Sabrina oder Simon.« »Simon?« wiederholte er skeptisch. »So hieß mein Großvater«, erklärte sie, während er zwei Steaks auf ihren Tellern verteilte. »Mit diesen Namen wird der arme kleine Kerl mindestens einmal in der Woche auf dem Spielplatz verhauen.« Sie öffnete die Folie ihrer Kartoffel und tat eine ordentliche Portion Saure Sahne darüber. »Was würdest du vorschlagen? Etwas Männlicheres wie Bück zum Beispiel?« »Bloß nicht. Das reimt sich auf…« Sie unterbrach ihn mit einer heftigen Handbewegung und sah ihn tadelnd an. »Ist schon gut. Wie wäre es mit Theodore?« War sie verrückt geworden? Beide Namen waren doch völlig indiskutabel. »Willst du unbedingt, dass das arme Kind einen Komplex bekommt?« fragte er und wischte sich eine Mücke vom Arm, die ihn gerade hatte stechen wollen.
»Was hast du gegen Theodore einzuwenden? Dieser Name hat unserem bedeutenden, früheren Präsidenten Roosevelt schließlich auch nicht geschadet.« Er schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, dieser Name ist nicht mehr ganz zeitgemäß.« Sie dachte kurz nach. »Wie findest du Sloan oder Steven?« Steven Buchanan. Er mochte den Klang dieses Namens. Natürlich würde es wieder Kampf und endlose Diskussionen bedeuten, Sydney davon zu überzeugen, seinen Nachnamen anzunehmen. Aber er würde auch diesen Kampf gewinnen. Derek verzog das Gesicht, als er einen weiteren Mückenstich verspürte. »Stechen sie dich eigentlich gar nicht?« fragte er, während er mit der flachen Hand nach dem Insekt schlug. Er legte die Gabel beiseite und lauschte dem Summen des nächsten Angriffs. »Nein, überhaupt nicht«, antwortete Sydney und schnitt sich ein Stück Fleisch ab. Er wartete, bis das Summen näher gekommen war, und knallte dann die Handfläche auf den Tisch in der Hoffnung, die Mücke erwischt zu haben. Sydney sprang auf und griff nach ihrem Glas, um es vor dem Umfallen zu retten. Aber es war zu spät. Das Glas kippte um, und der Inhalt ergoss sich über den Gartentisch. Limonade tropfte auf Bronsons Rücken, der dicht neben dem Tisch vor sich hin gedöst hatte. Erschrocken sprang der Hund auf und rannte dabei den Grill um. Die heißen Kohlen fielen auf den Boden und auf einen Gartenstuhl aus Kunststoff. Bronson bellte noch einmal und sprang durch das geöffnete Fenster in Dereks Wagen, wo er auf dem Rücksitz aufgeregt hechelnd den weiteren Verlauf der Dinge abwartete. »Du lieber Himmel!« rief Sydney und rannte zu Dereks
Wagen, um nach dem Hund zu sehen. »Derek, hol den Gartenschlauch!« Es dauerte nur Sekunden, bis der Gartenstuhl und das darauf liegende Kissen Feuer fingen. Derek raste zum Gartenschlauch und drehte ihn auf. Er hielt den Wasserstrahl auf den Stuhl, um die Flammen zu löschen, bevor sie sich ausbreiten konnten. Dann richtete er den Schlauch auf die rauchenden Kohlen im Gras. »Mit dem Hund ist alles in Ordnung«, rief Sydney vom Auto herüber. »Er hat nur einen ziemlichen Schrecken bekommen.« Sie ging auf Derek zu und schrie auf, als er sich umdrehte und sie versehentlich bespritzte. Das kalte Wasser lief ihr über Gesicht und Oberkörper. Derek ließ den Schlauch fallen und wollte ins Haus laufen, um ein Handtuch für Sydney zu holen. Aber der Schlauch entwickelte ein Eigenleben, tanzte auf dem Rasen hin und her und spritzte sie beide nass. Sydney fühlte sich an ein übermütiges Kinderspiel erinnert. Sie brach in lautes Lachen aus. Prustend schaffte sie es, den Gartenschlauch zu bändigen, bevor sie beide vollkommen durchnässt waren. Sie ging zu den Kohlen und überprüfte, ob sie auch wirklich erloschen waren. Dann drehte sie den Wasserhahn zu. »Hier«, sagte sie und reichte Derek den Schlauch. »Ich glaube, jetzt kann nichts mehr passieren.« Er wusste nicht, ob sie über den Schlauch oder die Kohlen sprach. Eigentlich war ihm das auch egal. Er war ziemlich nass und kam sich wie ein Trottel vor. Sydney hatte ihre Haarspange verloren. Die tropf nassen, dunklen Strähnen hingen ihr wirr um die Schultern. Ihr T-Shirt war ebenfalls ziemlich nass und klebte ihr am Körper. Unter dem fast nassen Stoff zeichneten sich ihre vollen Brüste deutlich ab. Derek fühlte, wie ihn trotz allem eine ungeheure Erregung überkam.
»Ich fürchte, unser Abendessen ist ruiniert«, meinte Sydney und unterdrückte ein Lachen. Als sie dann jedoch die Begierde in seinem Blick bemerkte, verstummte sie und erschauerte. Das riss Derek aus seinen Gedanken. »Ein heiße Dusche wird dich wieder aufwärmen. Und danach lassen wir uns Pizza kommen, was meinst du?« Verwirrt nickte sie und folgte ihm ins Haus. Er wartete, bis er das Wasser im Badezimmer laufen hörte, dann rief einen Lieferservice an und bestellte eine große Pizza. Er ging noch einmal in den Garten, um selbst nachzusehen, ob mit Bronson alles in Ordnung war. Der Hund lag schlafend auf der Rückbank des Wagens. Derek fiel kein Grund ein, warum er ihn stören sollte, also ließ er Bronson dort liegen. In der Absicht, seine nassen Sachen auszuziehen, kehrte er ins Haus zurück. Er durchquerte den Flur und ließ dabei Wasserpfützen auf dem Teppich zurück. Im Wirtschaftsraum neben der Waschmaschine zog er sich aus. Nur noch mit Boxershorts bekleidet, eilte er ins Badezimmer, um sich ein Handtuch zu holen. Als er horchend an der Tür stehen blieb, hörte er Sydney unter der Dusche summen. Eigentlich hatte er vorgehabt, rasch ins Bad zu schlüpfen, sich ein Handtuch zu nehmen und wieder zu verschwinden, bevor sie ihn bemerkte. Er öffnete die Tür und erblickte die Silhouette ihres vollkommenen Körpers hinter dem Dusch Vorhang. Von dem Anblick war Derek so fasziniert, dass er das Handtuch völlig vergaß. Und er vergaß seine guten Vorsätze. Er streifte sich die Boxershorts von den Hüften und kickte sie mit dem Fuß beiseite. Dann schob er den Duschvorhang ein Stück zurück und glitt mit einer geschmeidigen Bewegung unter die Dusche. Er konnte nur noch an eines denken: Er wollte Sydney, hier und jetzt. Zum Teufel mit den Prinzipien!
Sydney fuhr herum und blickte ihn überrascht an. Dann breitete sie lächelnd die Arme aus. Derek zog sie stürmisch an sich und küsste sie. Nachdem sie wieder zu Atem gekommen waren, griff er hinter sie und nahm ein Stück Seife aus der Halterung. »Dreh dich um«, bat er mit vor Verlangen heiserer Stimme. Sie erfüllte seine Bitte, ohne den engen Kontakt ihrer Körper auch nur für einen Moment zu unterbrechen. Ein leises Stöhnen kam über ihre Lippen, als er ihre Arme, ihren Bauch und ihre Brüste mit zärtlichen Bewegungen einseifte. Sie legte die Arme nach hinten und umschlang seinen Hals. Dann presste sie sich an ihn, um ihn zu spüren. Eine heiße Welle der Erregung ließ ihren Atem heftiger werden. Er ließ von ihren Brüsten ab und widmete sich hingebungsvoll der Innenseite ihrer Schenkel. Ihr Körper schrie nach seiner Berührung. Sie war mehr als bereit für ihn, dass wusste sie. Derek drehte Sydney um und küsste sie erneut. Sie fühlte seinen muskulösen Oberkörper auf ihren Brüsten. Das heiße, prasselnde Wasser und sein leidenschaftlicher Kuss waren fast zu viel auf einmal. Sie glaubte vor Lust vergehen zu müssen. Er löste sich von ihrem Mund und küsste ihren Hals und ihre Brüste. Dann ging er in Knie, um ihren Bauch zu liebkosen. Sie spürte seine Zunge in ihrem Nabel und dachte, nie etwas Aufregenderes erlebt zu haben, bis er sich noch weiter nach unten gleiten ließ und zum Zentrum ihrer Erregung gelangte. Sydney lehnte sich gegen die Wand und konnte kaum noch atmen, während er mit zärtlichen Fingern und Lippen den intimsten Punkt ihrer Weiblichkeit erforschte. »Derek«, flüsterte sie tonlos und vergrub die Hände in seinem Haar. Es dauerte nicht lange, da brach sie mit einem Aufschrei zusammen, und er spürte nur noch ihr wildes Zucken.
Aber Derek ließ ihr keine Zeit, wieder zu Atem zu kommen. Er stand auf, legte die Arme um ihre Taille und hob Sydney hoch. Instinktiv schlang sie die Beine um seine Hüften. Sie fanden ohne jedes Zögern den Weg zueinander. Und genauso leicht fanden sie ihren eigenen, ganz besonderen Rhythmus. Sie stöhnte heftig auf, als sie zum zweiten Mal an diesem Abend den Gipfel der Lust erreichte. Das Erste, was sie bemerkte, als sie wieder in die Wirklichkeit zurückkehrte, war die Tatsache, dass das Wasser inzwischen nur noch lauwarm war. Das zweite war das beharrliche Klingeln der Türglocke. »Derek?« Sein Kopf lehnte an ihrer Schulter, und er atmete schwer. »Hmrh?« Sie streichelte seinen Rücken. »Es klingelt an der Tür.« Das muss der Pizzaservice sein, dachte sie. Derek stieß einen leisen Fluch aus, löste sich von ihr und küsste sie auf den Mund. »Diese Liefergarantie von dreißig Minuten kann manchmal auch ein Fluch sein.« »Einerseits könnten wir das Klingeln einfach ignorieren«, sagte sie, während ihre Hand langsam an seinem Bauch abwärts glitt. »Aber andererseits habe ich das Gefühl, dass du dich unbedingt stärken musst. Für später«, fügte sie mit einem koketten Lächeln hinzu.
11. KAPITEL Das erste Licht des erwachenden Morgens fiel ins Schlafzimmer. Draußen im Garten begannen die Vögel zu singen. Hinter der geschlossenen Tür waren die tiefen Atemzüge des schlafenden Hundes zu hören. Durch die geöffneten Fenster wehte eine kühle Brise in den Raum, doch am Tag würde es wieder heiß werden. Derek spürte so etwas wie Bedauern über den Anbruch
des neuen Morgens. Denn bei Tageslicht würde die Frau, die jetzt eng an ihn geschmiegt friedlich schlief, sich wieder gegen ihn wenden und behaupten, sie liebte ihn nicht. Selbst während der Nacht, in den wenigen Stunden der Dunkelheit, war ihre Wachsamkeit nicht ganz verschwunden gewesen. Aber es war nicht nötig, dass er die bedeutungsvollen Worte aus ihrem Mund hörte. Er wusste, dass sie ihn liebte. Die vergangene Nacht war das Ergebnis einer Explosion aus Hitze, Leidenschaft, Verlangen und auch Liebe gewesen. Das war ihm Liebesbeweis genug. Obwohl er nicht gerade viel geschlafen hatte, fühlte er sich ausgeruht und erfrischt. Er drehte sich auf die Seite, stützte sich auf den Ellenbogen und betrachtete Sydneys Gesicht. Diese wunderschöne Frau war ein guter Grund für Schlaflosigkeit. Beim ersten Anzeichen seiner Erregung musste er lächeln. Sein Körper bestätigte ihm nur, was er schon längst wusste: Er konnte einfach nicht genug von Sydney bekommen. Trotz ihrer hartnäckigen Weigerung, ihn zu heiraten, waren sie in ihrem Verlangen nacheinander ein perfektes Paar. Sydney ließ ihn alles, um sich herum vergessen, einschließlich seiner eisernen Prinzipien und selbst auferlegten Verhaltensmaßregeln. Im Schlaf drehte sie sich auf den Rücken und streckte die Arme über den Kopf. Derek beugte sich vor, um sie mit zärtlichen Küssen auf Lippen und Hals zu wecken. Sie seufzte und legte die Arme um ihn. »Guten Morgen«, flüsterte sie schlaftrunken. »Das wird bestimmt ein ganz wundervoller Morgen«, sagte er leise und ließ die Hand über ihren Schenkel gleiten. Er küsste sie wieder und umfasste ihre vollen Brüste. Das Verlangen nach ihr durchzuckte ihn wie ein Schlag. Fast ungeduldig streifte er die Bettdecke von ihren Hüften. Seine Lippen begannen ein aufregendes Spiel mit den
Spitzen ihrer Brüste, die sich sofort aufrichteten und hart wurden. Sydney stöhnte auf und streichelte seinen Rücken. Er suchte ihren Mund, um sie wieder zu küssen. Schließlich spürte er, dass auch ihr Verlangen von neuem entfacht war. Mit sanften Bewegungen kam sie ihm entgegen und flüsterte leise seinen Namen. Er konnte an nichts anderes denken als daran, wie sehr er sie liebte. Und dass er alles tun würde, um sie glücklich zu machen. Derek löste sich von ihrem Mund und küsste ihren verführerischen Körper überall. Er wollte sie so sehr, dass es ihm fast den Atem nahm. Er liebkoste jeden Zentimeter ihrer zarten Haut, bis er schließlich an dem empfindsamen Punkt zwischen ihren Beinen angelangt war. Sydneys Atem ging heftig. Sie wusste, dass er sie langsam und behutsam fast an den Höhepunkt treiben würde, um dann wieder innezuhalten und das Spiel von neuem zu beginnen, bis sie glaubte, vor Lust zu zerspringen. Und dann endlich, wenn sie es fast nicht mehr aushalten konnte, würde er sie zum Höhepunkt bringen. Während der Nacht hatte er das so oft getan, dass sie bei dem bloßen Gedanken daran ein Schauer der Erregung durchlief. Als sie sich ihm mit einem erlösten Aufschrei entgegenwarf, gab er ihr keine Zeit, sich wieder zu beruhigen. Er glitt zwischen ihre geöffneten Schenkel, umfasste ihren Po und hob ihr Becken an. Dann drang er in sie ein. Sydney bäumte sich ihm entgegen und wusste, dass es diesmal keine behutsame, zärtliche Begegnung werden würde. Sie passte sich seinen ungestümen, wilden Bewegungen an, bis sie an den Rand der Ekstase geriet. Schließlich öffnete sie sich ihm ganz und überließ sich seiner Leidenschaft, bis sie beide mit einem Aufschrei Erfüllung fanden.
Danach lagen sie ineinander verschlungen mit heftig klopfenden Herzen da und streichelten sich zärtlich. Er vergrub das Gesicht in ihrem Haar und küsste sie auf die Schläfe. Dann richtete er sich auf und blickte sie an. Sie konnte in seinen Augen lesen, was er für sie empfand. Es standen so viel Zärtlichkeit und Zuneigung darin, dass ihr das Herz wehtat. Als er sie liebevoll auf den Mund küsste, erwiderte sie diesen Kuss zögernd. Sie wusste plötzlich, dass es so nicht weitergehen konnte. Sie musste von Derek Abschied nehmen. Wann genau sie zu dieser Entscheidung gekommen war, konnte sie nicht mehr sagen. Irgendwann in der Nacht, kurz bevor sie eingeschlafen war, hatte sie auf einmal das Gefühl gehabt, Derek gegenüber nicht fair zu sein. Sie hatte wieder mit ihm geschlafen und alles genommen, was er zu geben hatte. Dabei kam sie sich selbstsüchtig und gemein vor. Nein, so konnte es nicht weitergehen. Sie konnte ihn nicht jeden Tag sehen und darauf warten, dass er sich irgendwann enttäuscht von ihr abwandte. Jetzt würde der Schmerz noch eher zu ertragen sein als später, wenn Derek womöglich ein allzu fester Bestandteil ihres Lebens geworden war. Er drehte sich auf die Seite und zog sie mit sich. Mit geschlossenen Augen genoss sie die Wärme seiner Umarmung und wünschte sich, dass dieser Moment niemals zu Ende gehen würde. Die Standuhr im Wohnzimmer schlug die volle Stunde und erinnerte sie daran, dass es an der Zeit war, ihm ihre Entscheidung mitzuteilen. Weder für ihn noch für sie wäre es gut, wenn sie so wie bisher lebten. Sie musste es ihm sagen, obwohl sie schon der Gedanke daran mit Schmerz erfüllte. Die Vorstellung, ihn nicht mehr zu sehen, tat ihr sehr weh. Aber schließlich war es das Beste für sie beide. Und doch, der Schmerz, den sie empfand, verunsicherte
sie. Wieder tauchte dieselbe quälende Frage in ihr auf. Hatte sie sich schon in ihn verliebt? Verspürte sie deshalb solchen Schmerz bei dem Gedanken an eine Trennung? Sie hatte einmal in ihrem Leben einen großen Fehler gemacht, aber sie sah nun ein, dass sie Nicholas nicht wirklich geliebt hatte. Zumindest hatte sie nicht dasselbe für ihn empfunden wie für Derek. Er war ein Teil von ihr. Ja, sie hatte sich tatsächlich in Derek verliebt! »Was ist mit dir?« fragte er und zog sie näher an sich heran. So sehr sie sich auch wünschte, für immer in seinen Armen zu liegen, sie konnte es nicht tun. Sie musste gehen, und zwar auf der Stelle. Das war die einzige Rettung. Statt ihm zu antworten, löste sie sich sanft aus seiner Umarmung und verließ das warme Bett und den Mann, der darin lag. Sie durchquerte den Raum und nahm seinen Bademantel vom Haken an der Tür. Nachdem sie gestern Abend die Pizza gegessen hatten, hatte Derek ihre nasse Kleidung in den Trockner getan. Sie würde also nicht in dem Bademantel nach Hause fahren müssen. Langsam knotete sie den Gürtel zu und drehte sich dann zu Derek um. Er richtete sich auf und warf ihr einen fragenden Blick zu. »Syd? Was ist los?« »Wir müssen unbedingt miteinander reden«, erwiderte sie mit unbewegter Miene. Was sie zu sagen hatte, war zu wichtig, als dass sie es noch länger aufschieben konnte. Er strich sich das Haar aus der Stirn. »Das hört sich aber ernst an«, sagte er vorsichtig und stellte die Beine auf den Boden. Glücklicherweise blieb das Laken, das er um die Hüften hatte, an seinem Platz. Das Letzte, was sie jetzt brauchen konnte, war, seinen schönen Körper nackt vor sich zu sehen. Sie steckte ihre zitternden Hände in die Bademanteltaschen und holte tief Atem. Derek saß regungslos auf dem Bett, die Hände auf den Knien, und wirkte sehr gelassen.
Aber sein Blick verriet eine große innere Anspannung. »Ich warte«, sagte er mit erzwungener Geduld. »Wir können so nicht weitermachen.« Sydneys Stimme war brüchig und gehorchte ihr kaum. Er beugte sich vor und faltete die Hände zwischen den Knien. »Irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass du jetzt doch endlich meinen Heiratsantrag annehmen wirst.« »Nein, Derek«, sagte sie leise. »Ich kann dich nicht heiraten.« »Ich verstehe«, sagte er ruhig. Vielleicht würde es doch nicht so schwer werden, wie sie geglaubt hatte. »Und du hattest auch niemals die Absicht, es zu tun«, fuhr er fort. Sydney konnte kaum glauben, was sie da hörte. »Das weißt du doch längst.« Wie kam er nur darauf, dass sie inzwischen ihre Meinung geändert haben könnte? Sein Gesicht wirkte so starr, als wäre es aus Stein gemeißelt. »Du liebst mich, Syd. Wo ist also das Problem? Wovor läufst du diesmal davon?« Sie konnte seinen Zorn förmlich spüren. »Ich laufe vor gar nichts davon.« »Das ist Quatsch«, sagte er und stand auf. Er ging zum Kleiderschrank und nahm sich eine Jogginghose aus einem Fach. Nachdem er sie angezogen hatte, sah er Sydney wieder an. »Du läufst davon, seit du aus Kentucky zurückgekommen bist.« »Ich habe dir doch erklärt, was passiert ist.« »Nein«, stieß er hervor. »Du hast mir das gesagt, was ich deiner Meinung nach wissen soll. Was ist noch passiert? Was ist es, dass dich davon abhält, mir zu vertrauen?« »Aber ich vertraue dir doch.« »Den Teufel tust du. Was hat dir dieser Kerl noch angetan?« fragte er unerbittlich. Sie hatte gelitten, als ihr klar wurde, dass Nicholas sie nur benutzt hatte. Aber mittlerweile wusste sie, dass vor allem ihr Stolz verletzt gewesen war und nicht ihr Herz, als sie
von seiner Ehefrau erfahren hatte. Doch das war nichts gewesen im Vergleich zu dem Kummer, den sie jetzt empfand. Sie spürte Dereks Zorn und wusste, dass er von dem Schmerz herrührte, den sie ihm gerade zufügte. Mit ihm zu schlafen war ein Fehler gewesen. Aber sie hatte nicht erwartet, dass ihr Leben dadurch so kompliziert werden würde. »Es ist nicht so, dass…« »Bin ich nicht gut genug für dich?« fragte er herausfordernd. Ihr war klar, dass ihn seine Enttäuschung und sein Schmerz so heftig werden ließen. Aber das verminderte ihren eigenen Schmerz überhaupt nicht. »Nein, das ist es nicht. Ich weiß, dass es alles nach der vergangenen Nacht ziemlich…« »Hier geht es nicht um Sex. Es geht um Vertrauen. Ich will endlich wissen, wovor du solche Angst hast.« Sydney wollte nur noch weg. Weg von seinem Zorn und dem Schmerz in seinen Augen. Aber sie hatte das Gefühl, als wären ihre Füße am Teppich festgeklebt. »Es wird niemals funktionieren.« »Weil du es nicht zulässt.« »Ich kann nicht.« Seine Augen funkelten vor Zorn. »Warum nicht?« Sie wandte sich von ihm ab und ging zum Fenster. Dann starrte sie in den Garten. Sie würde alles für Derek tun. Aber sie konnte ihn nicht heiraten. »Aus irgendeinem Grund, den ich nicht verstehe, hast du dir in den Kopf gesetzt, der Vater meines Kindes zu sein. Aber die Chance beträgt höchstens fünfzig Prozent.« »Ich weiß nicht, wie oft ich dir schon gesagt habe, dass es für mich keine Rolle spielt. Wann wirst du mir das endlich glauben?« »Ich kann es nicht glauben, weil es sehr wohl eine Rolle spielt«, sagte sie und drehte sich um. »Jetzt hat es vielleicht
wirklich keine Bedeutung für dich, aber was ist in einem Jahr? Oder in zwei Jahren? Wie wird es in zehn Jahren sein? Was wird passieren, wenn du anfängst, dir darüber Gedanken zu machen? Was, wenn es dich plötzlich stört, ein Kind großzuziehen, das vielleicht nicht dein eigenes ist? Was wird mit dem Kind geschehen, das dich liebt und Daddy zu dir sagt, wenn du dich auf einmal von ihm abwendest?« »Das werde ich niemals tun, Syd«, erwiderte er mit fester Stimme. Sydney widerstand dem Impuls zu schreien. Doch, er würde es tun. Und sie hatte den Schmerz und die Verwirrung in dem Gesicht eines kleinen Mädchens gesehen, das nicht verstand, warum der Mann, den sie Daddy nannte, sie so kalt behandelte. Niemals würde sie ihr eigenes Kind einem solchen Schicksal aussetzen. »Das weißt du doch gar nicht. Und dieses Risiko werde ich nicht eingehen«, stieß sie hervor. »Aber du irrst dich. Du irrst dich gewaltig. Ich liebe dich, Syd. Du spielst eine Rolle für mich. Dein Glück und das des Kindes, das du erwartest.« Sie schloss kurz die Augen und kämpfte gegen ihre Tränen an. »Das ist nicht genug«, flüsterte sie tonlos. »Warum nicht, zum Teufel?« »Weil ich selbst gesehen habe, was passieren wird. Als Nicholas’ Frau nach Kentucky kam, habe ich gesehen, wie er seine Tochter behandelte. Sie betete ihn an, aber er ließ sie links liegen. Und weißt du, warum? Weil er nicht ihr Vater war. Er hat es mir später gesagt, als er kam, um mir zu erklären, warum er nichts von seiner Ehe erwähnt hatte. Da habe ich also die ganze, schreckliche Wahrheit erfahren.« »Oh, ich wette, das war eine wirklich aufrichtige Beichte«, sagte Derek sarkastisch. »Er sagte, dass das kleine Mädchen, das praktisch den
ganzen Nachmittag lang hinter ihm hergelaufen war und geradezu um seine Aufmerksamkeit gebettelt hatte, nicht seine Tochter wäre. Er sagte auch, er hätte es von Anfang an gewusst und das Kind könne nichts dafür, aber er könnte nichts gegen seine Ablehnung tun. Das süße, unschuldige Kind musste leiden, weil er nicht über die Tatsache hinwegkam, dass ein anderer Mann der Vater war. Ich werde nicht zulassen, dass du oder irgendjemand anders meinem Kind so etwas antut.« Derek ging zum Bett zurück und setzte sich auf den Rand. Er stützte den Kopf auf seine Hände und sah Sydney nachdenklich an. »Liebst du mich?« »Was ich für dich empfinde, ist nicht wichtig«, rief sie wütend. »Hast du nicht gehört, was ich eben gerade gesagt habe? Ich bin nicht bereit, mein Kind dem gleichen Schicksal auszusetzen, das dieses kleine Mädchen erlitten hat. In einigen Jahren wirst du dasselbe empfinden wie Nicholas. Und du wirst nicht nur das Kind, sondern auch mich zurückweisen.« »Antworte mir«, forderte er mit gefährlicher Ruhe. »Ja!« schrie sie. »Bist du jetzt glücklich? Ja, Derek, ich liebe dich. Und genau deshalb werde ich dich nicht heiraten.« »Was ist das nun wieder für eine verquere Logik?« fragte er und grinste schief. »In Sachen Logik bin ich inzwischen einiges von dir gewöhnt. Du wirst mich nicht heiraten, weil du mich liebst. Das ist wirklich gut, Syd. Würde es dir etwas ausmachen, mir das näher zu erklären?« Sie wandte sich ab und starrte wieder aus dem Fenster. Ein paar Spatzen hüpften im Gras herum und flogen davon, als Bronson durch die Hundeklappe in den Garten gelaufen kam. Der Hund trottete am Zaun entlang und beschnüffelte den Boden, bis er die richtige Stelle fand, um seine Markierung zu setzen. Als sie sich umdrehte, saß Derek noch immer abwartend
auf dem Bettrand. »Ich könnte es nicht ertragen, wenn du mich am Ende hassen würdest«, sagte sie aufrichtig. »Und du bist davon überzeugt, dass ich dich hassen werde, wenn das Baby nicht von mir ist. Genau wie dieser Mistkerl, der dich zum Narren gehalten hat, richtig?« Sie nickte und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Du musst mir einfach vertrauen.« Er stand vom Bett auf und ging zu ihr. Sie hob den Kopf und blickte ihm in die Augen. »Du forderst blindes Vertrauen. Dazu bin ich nicht in der Lage. Es tut mir Leid.« »Ich bin nicht wie er.« Nein, er war nicht wie Nicholas. Aber er konnte auch nicht verhindern, dass sie fürchtete, auch er würde sie am Ende hassen und ablehnen, genauso wie Nicholas es mit seiner Frau und dem Kind getan hatte. Und auch er hatte geschworen, seine Familie zu lieben und zu beschützen. Sie wünschte sich, es wäre anders. Aber sie konnte ihr Kind einfach nicht diesem Risiko aussetzen. Eltern waren dazu bestimmt, stets das Beste für ihre Kinder zu wollen und zu tun. Derek jetzt zu verlassen war das Beste, was sie für ihr Kind tun konnte. Traurig schüttelte sie den Kopf. »Das ändert nichts, Derek. Es tut mir Leid.« Sein Blick war voller Zorn und Schmerz und tat ihr in der Seele weh. Wie sehr musste sie ihn verletzt haben! Aber sie sah keine andere Möglichkeit. Sie hatte gewusst, dass es furchtbar schwer sein würde, den besten Freund, den sie je hatte, zu verlieren. Aber dass es so wehtun würde, hatte sie nicht erwartet. Doch besser jetzt als später, redete sie sich ein. Sydney verließ das Zimmer und ging zum Wirtschaftsraum, um ihre Sachen aus dem Trockner zu holen. Je eher sie ging, desto besser. In Anbetracht seines Zorns liefen sie Gefahr, Dinge zu sagen, die sie später bereuen würden.
Und es gab schon jetzt mehr als genug zu bereuen. Mühsam hielt sie die Tränen zurück. Sie konzentrierte sich darauf, den Trockner zu öffnen und ihre Kleidung herauszusuchen. Dann verließ sie den Raum in der Erwartung, dass Derek draußen stehen und eine neue Salve von Argumenten auf sie loslassen würde. Zu ihrer Überraschung war der Flur jedoch leer. Sie hastete ins Badezimmer und zog sich eilig an. Als sie fünf Minuten später das Bad verließ, lehnte er an der Wand gegenüber. Sie sah ihm an, wie wütend er war. Bevor sie seine Absicht erahnen konnte, trat er auf sie zu und ergriff ihr Handgelenk. Dann drehte er sie herum und drückte sie an die Wand. Er war so nahe bei ihr, dass sie die Wärme seines Körpers fühlen konnte. Ihr Atem stockte. Sie wollte diesem Zorn nicht länger ausgesetzt sein. Sie wollte diesen Schmerz nicht, der zwischen ihnen stand. Aber es gab kein Zurück mehr. Sie hatten die Grenze der Freundschaft überschritten, und nun war es vorbei. Es gab keinen anderen Weg. Es musste aufhören. Aber das hinderte sie nicht daran, sich zu wünschen, dass er sie ein letztes Mal küssen würde. Und es hinderte sie nicht daran, sich danach zu sehen, in seinen Armen zu liegen, sich an ihn zu schmiegen und seinen Kuss mit der gleichen Leidenschaft zu erwidern. Obwohl in seinen Augen nichts als Kälte stand, durchlief bittersüßes Verlangen ihren Körper. »Wie kannst du es wagen, mich mit diesem Schuft zu vergleichen, der seine Frau betrügt?« Seine Stimme war eisig und abweisend. »Du weißt doch genau, dass ich dich noch niemals verletzt habe.« Bei seinen Worten wurde Sydney blass. Derek war sehr, sehr wütend auf sie. Er würde ihr niemals vergeben, dass sie ihn wegen ihrer Furcht so sehr verletzt hatte. »Es tut mir so Leid«, flüsterte sie. »Das habe ich nie gewollt.«
Er trat einen Schritt zurück, als könnte er ihre Nähe nicht länger ertragen. »Mach keinen Fehler«, sagte er kalt. »Ich werde nicht zulassen, dass mein Kind ohne Vater aufwächst. Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie das ist.« »Derek, bitte.« »Bitte was?« gab er zurück. »Soll ich dich gehen lassen? Damit du dich weiter hinter der Ausrede von ungeklärter Vaterschaft verstecken kannst? Diesmal nicht, Sydney.« »Aber du…« »Weißt nicht, ob es dein Kind ist«, vollendete er den Satz für sie. »Da du deswegen so besorgt bist, sollten wir diese Angelegenheit ein für alle Mal klären.« Sydney spürte, wie sehr er seinen Zorn unterdrückte. Er würde ihr niemals verzeihen, dass sie ihm nicht genügend vertraute. Und sie konnte ihn sogar verstehen. »Ein Bluttest wird jeden Zweifel ausräumen. Wenn es mein Kind ist, dann werden wir heiraten. Darauf kannst du dich verlassen.« Er drehte sich auf dem Absatz um und ging den Flur hinunter. Vor der Schlafzimmertür bedachte er sie noch mit einem letzten kalten Blick. Dann verschwand er in dem Raum und warf die Tür hinter sich zu. Die Endgültigkeit dieses Geräusches brachte Sydneys so lange zurückgehaltene Tränen schließlich doch zum Strömen.
12. KAPITEL Sydney ließ sich auf das Sofa fallen und drückte den Wiedergabeknopf ihres blinkenden Anrufbeantworters. Ungeduldig wartete sie, bis das Band zurückgespult war. Insgeheim hoffte sie, dass Derek angerufen hatte. Sie wünschte, er würde ihr gestehen, dass er einen Fehler gemacht hätte und ihre Freundschaft es wert wäre, gerettet zu werden. Aber ihr Verstand sagte ihr, dass das eben nur ein frommer Wunsch war. Derek hatte seinen Standpunkt
unmissverständlich deutlich gemacht. Es war zu Ende, und sie musste sich damit abfinden. Sie hatte zudem gehofft, dass er diese dumme Idee mit dem Bluttest vergessen würde. Aber auch in dieser Sache war er unerbittlich geblieben. Er wollte unbedingt feststellen lassen, wer der Vater ihres Kindes war. In den vergangenen dreieinhalb Wochen hatte sie nur ein einziges Mal mit Derek gesprochen. Er hatte auf dem Anrufbeantworter um die Adresse ihres Gynäkologen gebeten, um einen Termin für die Blutabnahme zu machen, und sie hatte ihn deshalb zurückgerufen. Der Test war nicht absolut zuverlässig, aber sie würden mit neunzigprozentiger Sicherheit wissen, ob das Kind von ihm war oder nicht. Derek war am Telefon sehr sachlich und direkt gewesen, und nachdem er die gewünschte Information erhalten hatte, beendete er das Gespräch ziemlich abrupt. Seine kühle Stimme hatte ihr am meisten wehgetan. Es hatte sich angehört, als ob ihre zwanzigjährige Freundschaft nie existiert hätte. Sydney hatte das Gefühl, dass die beiden letzten Monate, in denen er ihre Welt auf den Kopf gestellt hatte, für ihn ungefähr so erfreulich gewesen waren wie eine Wurmkur. Ihr war elend zu Mute, und sie vermisste Derek schrecklich. Sie hatte zumindest mit Rachels ungeteiltem Mitgefühl gerechnet, aber das Gegenteil war der Fall gewesen. Nachdem sie ihrer Assistentin die ganze Geschichte erzählt hatte, war deren Reaktion nur eine einzige Strafpredigt gewesen. Wenn Sydney noch einmal zu hören bekäme, dass sie unvernünftig und egoistisch sei, würde sie bestimmt einen Schreikrampf bekommen. Und sie wollte auch nie wieder hören, wie idiotisch es war, einen so großartigen Mann wie Derek gehen zu lassen. Als sie Rachel ihren Standpunkt erklären wollte, hatte die nur die Augen verdreht und behauptet, Sydney wäre sich selbst der schlimmste Feind.
Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass Rachel völlig Recht hatte. Das Band war zurückgespult, und der Anrufbeantworter klickte. »Die Testergebnisse sind da«, erklang Dereks tiefe Stimme. Der Schauer, der ihr beim Hören seiner Stimme über den Rücken lief, verebbte bei seinem brüsken Tonfall. »Wir haben einen Termin bei deinem Arzt. Morgen Mittag um eins. Bis dann.« Tränen verschleierten ihr die Sicht, und ein Schluchzen kam aus ihrer Kehle. Sie hatte ihren besten Freund verloren. Den einen Menschen, der sie am Besten kannte, der sie immer unterstützt hatte und der sie liebte, auch wenn sie trotzig, unvernünftig und dickköpfig war. Sydney wischte sich die Tränen von den Wangen und fragte sich, ob er jemals über die Kränkung hinwegkommen würde, die sie ihm zugefügt hatte. Sie konnte die Zeit nicht zurückdrehen, und ihre Freundschaft würde nie wieder so sein, wie sie gewesen war, bevor sie diese dummen Fehler begangen hatte. Aber vielleicht würde sich irgendwann ein Weg aufzeigen, wie sie ihre Beziehung trotz allem weiterführen konnten. Nicht, solange du ihm nicht vertraust, sagte eine innere Stimme. Konnte sie ihm denn vertrauen? Konnte sie sich darauf verlassen, dass er sich nicht von ihr und dem Kind abwandte, wenn er nicht der Vater war? Das Leben war voller Risiken, und es gab keine Garantien. Sie konnte nur alles in ihrer Macht Stehende dafür tun, dass ihr Kind niemals Leid und Missachtung erfuhr. Aber sie enthielt ihrem Kind auch die Liebe eines fürsorglichen Vaters vor. Und sie verhinderte, dass Derek den Platz im Leben seines Sohnes oder seiner Tochter einnahm, der ihm zukam. Sydney war vollkommen
verwirrt und wusste auf einmal nicht mehr, was richtig und was falsch war. Sie wusste nur noch, wie stark und geborgen sie sich mit Derek gefühlt hatte und wie sehr er ihr jetzt fehlte. Ratlos legte sie die Hand auf die Augen. Deswegen hatte sie sich nicht in ihn verlieben wollen. Weil es so verdammt wehtat. Sydney hätte alles darum gegeben, ihn lachen zu hören. Sie vermisste die Art, wie er ihr aufgeregt von irgendwelchen neuen Forschungsergebnissen berichtete, von deren Bedeutung sie herzlich wenig verstand. Für einen liebevollen Blick von ihm hätte sie ihre Seele verkauft. Was für ein dummer Gedanke, sagte sie sich kopfschüttelnd. »Lächerlich«, murmelte sie und schniefte. »Du hast gar keine Seele mehr, die du verkaufen könntest.« Die gehörte schon längst Derek. So, wie Derek die Sache sah, hatte er nur noch einen einzigen Versuch. Jetzt heißt es alles oder nichts, dachte er, als er im Fahrstuhl den. Knopf für den zehnten Stock drückte. Er war nicht bereit, seine Zukunft dem Zufall oder den Launen einer Frau zu überlassen. Einer Frau, die zu störrisch war, um die Wahrheit zu akzeptieren. Sydney würde es auch dann nicht glauben, wenn ein Komet in ihrem Wohnzimmer landete, auf dessen Schweif in neonfarbenen Buchstaben geschrieben stand, dass sie beide dazu bestimmt waren, ihr Leben gemeinsam zu verbringen. Der Aufzug hielt an, und er wartete ungeduldig, bis die Metalltüren sich öffneten. Dann eilte er durch den langen, von Designern entworfenen Korridor zu der Flügeltür aus Walnussholz am anderen Ende, die zu Dr. Hutchinsons Praxis führte. Bevor er die Tür aufdrückte, holte er noch einmal tief Atem und ging im Geiste die kleine Rede durch, die er sich zurechtgelegt hatte. Er war absichtlich eine halbe Stunde vor der verabredeten Zeit gekommen, weil er hoffte, mit Sydneys Arzt ein
ernsthaftes Gespräch von Mann zu Mann führen zu können. Dieser Mann hatte immerhin Sydneys und seine Zukunft im braunen Umschlag des Untersuchungslabors. Das Wartezimmer war leer bis auf eine junge Frau, die kaum älter als neunzehn sein konnte und behutsam einen Kinderwagen auf und ab schaukelte. Er nickte ihr zu und ging dann zur Anmeldung. Eine Frau in mittleren Jahren, die er bei seinem Besuch vor drei Wochen nicht gesehen hatte, blickte ihn lächelnd an. »Kann ich Ihnen helfen?« »Ich möchte gern den Doktor sprechen.« Die Frau sah ihn verständnisvoll an. »Ich fürchte, Sie sind in der falschen Praxis gelandet. Sie wollen bestimmt zu Dr. Rosen, dem Urologen. Seine Praxis ist am anderen Ende des Korridors. Es kommt häufiger vor, dass sich seine Patienten hierher verirren. Dies ist eine gynäkologische Praxis.« Die junge Frau hinter ihm kicherte und hustete dann, um ihre Belustigung zu verbergen. Wenn es nicht um so etwas Wichtiges wie Sydneys und seine Zukunft gegangen wäre, hätte Derek die Situation auch amüsant gefunden. »Nein, ich bin hier, um mit Dr. Hutchinson zu sprechen.« Die Sprechstundenhilfe zog fragend die Brauen hoch. »Sind Sie da sicher? In der Regel hat Dr. Hutchinson keine männlichen Patienten.« »Ja, ich bin ganz sicher«, antwortete Derek. Sie sah ihn ebenso skeptisch wie neugierig an. Er wollte gar nicht wissen, was sie jetzt dachte. »Mein Name ist Derek Buchanan. Warum sehen Sie nicht einfach im Terminplan nach?« schlug er vor und bemühte sich, nicht zu ungeduldig zu wirken. Sie zuckte mit den Schultern und fuhr dann mit dem Finger über die säuberlich getippte Liste, die vor ihr auf dem Tisch lag. Erstaunt ließ sie den Finger an einer bestimmten Stelle liegen. »Tatsächlich, hier steht es.
Buchanan und Travers, ein Uhr. Entschuldigen Sie, bitte. Das war mein Fehler. Dr. Hutchinson hat gerade eine Patientin. Aber es wird nicht mehr lange dauern.« Derek nickte und ging in den Wartebereich. Die junge Frau, die immer noch ihr Kind schaukelte, lächelte ihn an. Dann beugte sie sich über den Kinderwagen und zog die Decke zurecht. Er spähte in den Wagen auf die winzige Gestalt, die friedlich unter der rosa Decke schlief. Unwillkürlich musste er lächeln. »Wie alt ist sie?« erkundigte er sich und betrachtete fasziniert die winzigen Hände, die neben den dunklen Locken des Babys lagen. Würde sein Kind Sydneys Locken haben? Oder hätte es glattes schwarzes Haar wie er selbst? Und welche Augenfarbe würde das Kind haben? Grün, wie Sydney, oder blau? »Sechs Wochen«, antwortete die junge Mutter stolz. Zärtlich strich sie dem Baby über das Haar und lehnte sich dann in ihrem Stuhl zurück. Derek trat näher an den Kinderwagen heran und beugte sich vor. Der saubere, frische Geruch des schlafenden Babys stieg ihm in die Nase. »Sie ist furchtbar klein.« »Das sind die meisten Babys«, sagte die Mutter lächelnd. »Mr. Buchanan?« ließ sich die Sprechstundenhilfe vernehmen. »Dr. Hutchinson bittet Sie, in seinem Büro zu warten, bis Miss Travers eintrifft.« Derek richtete sich auf und nickte der Sprechstundenhilfe zu. »Sie ist wunderschön«, sagte er zu der jungen Mutter, bevor er der Arzthelferin ins Sprechzimmer folgte. Er wartete, bis er allein war, und setzte sich dann in einen der Ledersessel, die vor dem großen Schreibtisch standen. Es dauerte aber nur drei Sekunden, bis er wieder aufstand, um nervös im Zimmer auf und ab zu gehen. Er musste unbedingt mit dem Arzt sprechen, bevor Sydney kam. Ungeduldig blickte er auf seine Armbanduhr. Es
war zwanzig vor eins. Ihm blieben also noch zwanzig Minuten, um Dr. Hutchinson davon zu überzeugen, einen Verstoß gegen die ethischen Grundprinzipien der Ärzteschaft zu begehen und damit Sydneys und seine Zukunft zu retten. Sydney stieg zehn Minuten zu früh aus dem Aufzug. Während sie geduscht und sich angezogen hatte für den Termin, der ihr Leben verändern würde, wäre sie beinahe zu einem Entschluss gekommen. Sie hatte ernsthaft daran gedacht, Dr. Hutchinson zu bitten, das Testergebnis zu vernichten, weil ihr das Resultat nichts bedeutete. Aber sie wusste, dass sie damit sich selbst und auch Derek anlügen würde. Oder doch nicht? Sie war vollkommen verstört und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Nur eines war sicher: Sie musste irgendwie die immer tiefer werdende Kluft zwischen Derek und sich schließen. Während sie langsam durch den Flur zur Praxis ging, fragte sie sich, was wohl mit ihnen passieren würde, wenn sich herausstellte, dass Derek der Vater des Babys war. War der Schaden, den sie in ihrer ohnehin schon problematischen Beziehung angerichtet hatte, so groß, dass es zu mehr als verkrampften, lange im Voraus geplanten Wochenendbesuchen nicht reichte? Oder waren sie in der Lage, für das Kind ihre Freundschaft aufrechtzuerhalten? Und wenn es nicht Dereks Kind ist? Bei diesem Gedanken wurde ihr plötzlich ganz heiß. Sie blieb stehen. Die unvermittelte Einsicht, dass sie sich wünschte, es wäre Dereks Kind, überwältigte sie fast. Wenn der Test ergeben hatte, dass Derek nicht der Vater war, würde sie ihn vielleicht nie mehr Wiedersehen. Sie biss sich auf die Lippen und drängte die Tränen zurück. Der Gedanke an ein Leben ohne Derek war unerträglich. Sie musste alles tun, um zu verhindern, dass
er für immer verschwand. Es fiel Sydney schwer, das zuzugeben, aber sie liebte ihn. Allein die Vorstellung, sie könnte ihn nicht mehr sehen, erfüllte sie mit einem schrecklichen Gefühl der Leere. Sie brauchte keinen Mann in ihrem Leben, aber sie brauchte Derek. Diese plötzliche Gewissheit bestürzte sie zutiefst. Derek war ihr Freund, mehr noch, er war ihr ein Seelenverwandter. Sie wusste, dass Derek sie liebte. In den vergangenen Monaten hatte er ihr das mit allen Mitteln zu zeigen versucht. Angefangen bei der Aufzählung von vernünftigen, aber kränkenden Argumenten für eine Ehe bis hin zu den misslungenen Bemühungen, ihr zu beweisen, wie viel angenehmer ihr Leben sein würde mit einem Ehemann, der sich im Haushalt nützlich machte und ihr viele der alltäglichen Pflichten abnahm. Er war so sehr zum festen Bestandteil ihres Lebens geworden, dass es ihr ohne ihn gar nicht mehr möglich erschien. Die letzten zwei Wochen hatten ihr in aller Deutlichkeit gezeigt, dass ein Leben ohne Derek leer und sinnlos sein würde. Sie wusste jetzt, wo sein Platz war. Bei sich und ihrem Kind. Ihrem gemeinsamen Kind. Fast rennend legte sie die letzten Meter zur Praxis zurück und hoffte dabei inständig, Derek im Wartezimmer anzutreffen. Dann könnte sie ihm sagen, dass die Testergebnisse für sie ohne jede Bedeutung waren. Sie brauchte sie nicht mehr. Alles, was sie brauchte, war er. An der Tür hielt sie kurze inne, um sich für das bevorstehende Treffen zu wappnen. Angesichts ihrer letzten Irrtümer und Fehler, die sie auf seine Kosten begangen hatte, konnte sie nur beten, dass er sie noch nicht aufgegeben hatte. Daran, wie sehr sie ihn verletzt haben musste, mochte sie gar nicht denken. Sie holte noch einmal tief
Luft und betrat dann das volle Wartezimmer. Sie nannte der Sprechstundenhilfe am Empfang ihren Namen. Dass sie gleich ins Büro gebeten wurde, überraschte sie sehr. Als sie sich dem Raum näherte, drangen zwei männliche Stimmen durch die angelehnte Holztür zu ihr. Die eine Stimme war die ihres Arztes, die andere gehörte zweifellos Derek. Neugierig trat sie näher. Die Tür stand nur einen kleinen Spalt offen, aber das reichte aus, um das Gespräch klar und deutlich zu verstehen. »Was Sie da verlangen, bedeutet einen Verstoß gegen jegliche Moral und Ethik, Dr. Buchanan. Und es wäre ein unerhörter Missbrauch des Vertrauens, das mir meine Patientin entgegenbringt.« »Was kümmert mich Ihre Ethik!« Derek schrie fast. »Es geht um die Zukunft eines Kindes!« »Meinen Sie die Zukunft des Kindes oder Ihre eigene?« fragte der Arzt in ruhigem Ton. Dieser Ton hatte Sydney immer ein Gefühl der Sicherheit gegeben. Bei Dereks scharfer Erwiderung zuckte sie zusammen. »Was macht das schon für einen Unterschied? Ich bitte Sie doch nur darum, ihr zu sagen, dass ich der Vater bin. Ich sehe nicht ein, dass das ein so furchtbares Verbrechen sein soll.« Sydney hörte den Arzt seufzen. Sie fragte sich, ob die unerschöpfliche Geduld, die er immer an den Tag legte, nun ihre Grenze erreicht hatte. »Ich habe es Ihnen bereits erklärt. Miss Travers etwas anderes als die tatsächlichen Testergebnisse mitzuteilen wäre nicht nur ein Verstoß gegen die ethischen Prinzipien meines Berufsstandes, sondern auch ein Vertrauensbruch. Meine Patientinnen erwarten von mir mit Recht, dass ich ihr Vertrauen nicht missbrauche. Ich lehne es entschieden ab, gegen meine ethischen und beruflichen Prinzipien zu verstoßen, mag Ihnen der Grund für Ihre Bitte auch noch
so wichtig erscheinen. Ich verstehe…« »Nein, Sie verstehen es eben nicht!« Vorsichtig spähte Sydney durch den Türspalt. Derek lief vor dem Schreibtisch des Arztes hektisch auf und ab. Sein Haar war zerzaust, und in seinem Blick standen Zorn und Enttäuschung. Er sah aus, als kämpfte er gerade um sein Leben. In einem gewissen Sinne tat er das auch. Er kämpfte für ihre Zukunft. »Sehen Sie, Dr. Hutchinson«, begann er und blieb stehen. »Sie ist eine furchtbar dickköpfige Frau, und sie liebt mich. Aber wenn sie nicht absolut sicher sein kann, dass das Baby von mir ist, wird sie sich weiter weigern, mich zu heiraten. Ich habe ihr gesagt, dass die Frage der Vaterschaft für mich überhaupt keine Rolle spielt. Aber sie glaubt es mir einfach nicht.« »Sind Sie sich da ganz sicher? Spielt es für Sie wirklich keine Rolle?« fragte der Arzt. Nach einem kurzen Moment, der ihr wie eine Ewigkeit vorkam, hörte sie Dereks Antwort. »Ich liebe sie. Und nur das zählt für mich.« »Derek«, sagte sie und stieß die Tür auf. »Tu das nicht.« Er sah sie nicht an, sondern stand nur da und ließ hilflos die Hände fallen. Derek Buchanan sah aus wie ein Mann, der gerade die Niederlage seines Lebens erlitten hatte. »Derek, für mich zählt auch nur das.« Langsam hob er den Kopf und sah Sydney an. Aber sie wandte sich an den Arzt. Wenn sie Derek jetzt in die Augen blickte, würde sie die Fassung verlieren. »Ich dachte, es wäre wichtig für das Glück meines Kindes, ob Derek der Vater ist. Aber ich habe mich geirrt. Nur eines ist wichtig: ein Vater, der das Kind bedingungslos liebt.« »Syd…« Mit einer Handbewegung brachte sie Derek zum Schweigen. Sie starrte den Arzt unverwandt an, denn wenn sie jetzt in Dereks Richtung blicken würde, könnte
sie nicht anders, als sich in seine Arme zu werfen und ihn für ihre Dummheit um Verzeihung zu bitten. »Sehen Sie, Dr. Hutchinson, Derek hat Recht. Ich war tatsächlich ziemlich störrisch.« Sie machte eine kurze Pause, um Luft zu holen. »Störrisch, egoistisch und entschlossen, alles allein zu machen. Ich dachte, ich könnte meinem Kind alles geben, was es braucht. Ich könnte es lieben, mich um alles kümmern und sicherstellen, dass es alles bekommt, was ich geben kann. Aber das war ein großer Irrtum.« Sydney drehte jetzt den Kopf zu Derek. Sie bemerkte kaum, dass ihr die Tränen über das Gesicht liefen. Dann ging sie auf ihn zu und berührte zärtlich seine Wange. »Ich kann meinem Kind nicht die Liebe seines Vaters ersetzen. Die kannst nur du ihm geben.« »Ihm oder ihr«, sagte er und zog sie in seine Arme, um sie . festzuhalten. Dagegen hatte sie keine Einwände. Sie hatte nicht die Absicht, ihn jemals wieder gehen zu lassen. Nicht mehr. »Es könnte ja auch ein Mädchen werden.« Ein Räuspern erinnerte Sydney daran, dass sie nicht allein waren. »Dr. Hutchinson, es tut mir sehr Leid, dass Sie diesen ganzen Ärger hatten. Könnten Sie so nett sein und die Testergebnisse vernichten?« Derek blickte sie stirnrunzelnd an. »Syd, bist du sicher? Ich weiß doch, wie wichtig dir die Wahrheit ist. Wenn du wirklich Klarheit haben willst, dann kann ich das verstehen.« Sie sah den Mann an, den sie liebte. Noch immer hatte sie Ängste und Bedenken, aber mit der Zeit und vor allem mit Dereks grenzenloser Geduld würden sie verschwinden. »Es ist nur ein dummer Test, der obendrein noch eine Fehlerquote von zehn Prozent hat. Es ist nicht wichtig. Nur du bist wichtig.« »Es hat wohl wirklich keinen Sinn, etwas so tragisch zu nehmen, das noch nicht einmal eindeutig ist«, sagte Dr.
Hutchinson und klemmte sich die Akten mit den Testergebnissen unter den Arm. »Ich habe Patientinnen, die auf mich warten. Miss Travers, ich sehe Sie in zwei Wochen wieder«, fügte er hinzu und ging zur Tür. Mit der Hand auf der Klinke drehte er sich noch einmal zu ihnen um. »Würden Sie gern das Geschlecht des Kindes erfahren?« Sydney blickte Derek fragend an. »Ich glaube nicht.« Derek hob die Brauen. »Es könnte sehr nützlich sein, es zu wissen«, wandte er ein. »Weißt du, dann können wir das Kinderzimmer besser einrichten. Und wir wüssten, welche Kleidung und Spielsachen wir kaufen müssen.« Dr. Hutchinson schüttelte ungläubig den Kopf. In seinem Beruf war ihm schon viel Seltsames widerfahren. Aber was er heute erlebt hatte, war wirklich mehr als merkwürdig. »Sie sollten vielleicht jetzt schon einmal damit anfangen, sich Namen zu überlegen«, sagte er mit einem ironischen Lächeln und öffnete die Tür. »Denn in ungefähr sieben Monaten müssen Sie beide zu irgendeiner Form der Einigung gekommen sein.« Er trat auf den Flur hinaus und schloss die Tür hinter sich, um seiner Patientin und ihrem zukünftigen Ehemann ein paar Minuten der Zweisamkeit zu schenken. »Hier«, sagte er und überreichte einer Sprechstundenhilfe die Akte. »Nehmen Sie die Testergebnisse heraus und stecken Sie sie bitte in einen separaten Umschlag. Markieren Sie ihn, damit er nicht versehentlich der Patientin übergeben wird.« Die Sprechstundenhilfe nahm die Akte und schlug sie auf. »Aber das verstehe ich nicht«, sagte sie irritiert. »Wollen die beiden denn nicht die Bestätigung, dass Dr. Buchanan der Vater des Kindes ist?« Der Arzt lächelte sie verschwörerisch an. »Sie brauchen die Testergebnisse nicht. Ich habe das Gefühl, Sie
wissen es schon längst.«
EPILOG Vier Jahre später. Sydney öffnete die hintere Tür ihres neuen Minivans, um ihren Sohn aus dem Kindersitz zu nehmen. »David, was hast du denn jetzt schon wieder angestellt?« fragte sie den Dreijährigen, der seinen gerade neu gekauften Spielzeuglaster in die Höhe hielt. Oder besser das, was von dem Laster noch übrig war. Sie nahm ihm das Spielzeug ab und steckte es in die Windeltasche. Dann hob sie den kleinen Jungen aus dem Wagen. »Mommy kauft dir keine neuen Spielsachen, damit du sie kaputtmachst.« »Mich kaputt, Mommy«, erklärte der Kleine und blickte sie aus seinen blauen Augen ernst an. »Heil gemacht.« »Na gut, du hast es also heil gemacht«, sagte sie und zerzauste ihm die dunklen Locken. Es ist eigentlich nicht fair, dachte sie, als sie sich der schlafenden Danielle zuwandte. Ihr Sohn hatte seit dem Tag seiner Geburt dicke, kräftige Locken auf dem Kopf, während sich bei ihrer kleinen Tochter bis jetzt nur ein zarter Flaum zeigte. Sie drehte sich um, als sie David vor Freude quietschen hörte, und musste unwillkürlich lächeln. Derek hob den Kleinen hoch in die Luft und klemmte ihn sich dann wie ein Paket unter den Arm. »David hat schon wieder ein Spielzeug kaputtgemacht«, sagte sie, während sie sich die Wickeltasche um die Schulter hängte. Dann holte sie behutsam Danielle aus ihrem Transportbettchen und nahm sie in die Arme. »Diesmal hat er nur zehn Minuten gebraucht.« »Ich werde es reparieren«, sagte Derek. Er stellte David vorsichtig auf die Veranda und ging über den Rasen auf sie zu.
Sie blickte ihm stirnrunzelnd entgegen. Bereits einige Zeit vor Davids Geburt waren sie zu einer Entscheidung gekommen. Wenn Sydney durch die in Haus oder Garten notwendigen Reparaturen über fordert wäre, würden sie einen Fachmann engagieren. Das würde ihnen auf lange Sicht viel Geld einsparen. Denn Derek war trotz ihrer wiederholten Versuche, es ihm beizubringen, noch immer nicht in der Lage, einen Schraubenschlüssel von einem Schraubenzieher zu unterscheiden. »Na gut, du wirst es reparieren«, sagte er lächelnd. Er nahm ihr das schlafende Baby ab und küsste sie liebevoll auf die Lippen. Unser Leben hat sich in den vergangenen vier Jahren grundlegend geändert, dachte Sydney glücklich, während sie die allabendliche Routine durchlief. Als sie Danielle gebadet, gefüttert und in die Wiege gelegt und es außerdem endlich geschafft hatte, ihren quicklebendigen Sohn ohne allzu lange Diskussionen ins Bett zu stecken, war sie mehr als bereit für den sehnlichst erwarteten ruhigen Abend mit ihrem Ehemann. Sie fand ihn im Innenhof, wo er durch ein Teleskop in den Himmel spähte. Er hatte das Teleskop aufgestellt, um David die Sterne und Planeten zu zeigen. Der Kleine zeigte bereits großes Interesse an dieser Materie. »Ich glaube immer noch, dass sie schöner sind, wenn man sie mit bloßen Augen betrachtet«, sagte sie, stellte sich hinter Derek und schlang die Arme um ihn. »Die Sterne verlieren irgendwie ihren Zauber, wenn man sie durch das Ding hier anschaut.« Als Derek sich umdrehte und Sydney umarmte, schmiegte sie sich zärtlich an ihn. »Der einzige Zauber, der mich interessiert, ist der, mit dem du mich in deinem Bann hältst.« Der verheißungsvolle Unterton in seiner Stimme verursachte ihr eine Gänsehaut.
Er trat näher an sie heran und musterte sie eindringlich. Ein Schauer des Begehren durchfuhr sie, als sie die Leidenschaft in seinen Augen bemerkte. Es war eine Leidenschaft, die auch nach vier Jahren Ehe nicht im Geringsten nachgelassen hatte. Derek senkte die Lippen auf ihren Mund. Eine Woge der lustvollen Erwartung durchströmte ihren Körper, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie spürte die Wärme seines Körpers und atmete seinen männlichen Duft ein. Sie wünschte, sie könnte auf der Stelle mit ihm verschmelzen. Er streichelte ihren Rücken und presste sie an sich. Sydney seufzte auf und drängte sich ihm entgegen. Es schien ihr ein Ding der Unmöglichkeit, dass sie einmal geglaubt hatte, diesen Mann zu lieben, wäre ein untragbares Risiko. Derek hob den Kopf und blickte ihr in die Augen. Er sah darin die ganze Liebe, zu der sie fähig war. Sie lächelte ihn an und wusste, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, ihm ihr Vertrauen zu schenken. Er hatte ihr mehr als Liebe zurückgegeben und auch mehr als zwei wunderschöne Kinder zum Beweis dieser Liebe. Er hatte ihr das Glück zurückgegeben und das Versprechen, dass dieses Glück ein ganzes Leben lang dauern würde.
-ENDE-
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Bröhl
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CATHY GILLEN THACKER KOMM, LIEB MICH!
CATHY GILLEN THACKER KOMM, LIEB MICH!
Weil Cowboy Shane den Schlüssel vergessen hat, steigt er durchs Fenster ein, legt sich im Dunkeln ins Bett und spürt – einen warmen weichen Frauenkörper? Es ist Greta, seine Jugendfreundin, mittlerweile erfolgreiche Country-Tänzerin, die in Laramie ein Tanzlokal eröffnen will. Shane kann nicht anders: Er muss sie einfach küssen, so süß, so blond und sexy, wie sie da zwischen den Kissen liegt. Und sie erwidert seinen Kuss mit sinnlicher Leidenschaft. Zu spät erkennen sie, was hier gespielt wird: Ihre Mütter haben mal wieder einen Verkupplungsversuch gestartet. Okay, das sollen sie haben! Kurzerhand geben Shane und Greta sich das Ja-Wort. Eigentlich nur, um ihre Eltern zu schocken. Doch die sind begeistert: Shane und Greta werden die Liebe schon noch entdecken…
1. KAPITEL Am Montagabend kurz nach zehn betrat Shane McCabe das Ranchhaus seines Bruders Wade, die Golden Slipper Ranch. Er grinste äußerst zufrieden über all das, was er heute erreicht hatte – und das sogar einen Tag früher als geplant! –, und kickte die Stiefel von den Füßen. Im Augenblick durfte er ruhig noch schlampig sein, denn sein Bruder Wade und dessen Braut Josie waren auf Hochzeitsreise und würden erst in ein paar Tagen wieder zurück sein. Shane eilte die Treppe hinauf, wobei er sich noch im Gehen aus seiner verschwitzten Kleidung schälte, und ging direkt ins Badezimmer, um erst einmal ausgiebig zu duschen. Nachdem er den ganzen Tag damit zugebracht hatte, jeden Zentimeter der Ranch zu inspizieren, auf die er schon lange einen Blick geworfen hatte, war der dampfend heiße Massagestrahl genau das, was er jetzt brauchte. Ohne sich vorher abzutrocknen, schlang er sich ein Handtuch um die Hüften. Als er sein nasses Haar kämmte und sich die Zähne putzte, spürte er, wie die Erschöpfung seinen Körper durchdrang. Er knipste das Licht aus und tappte im Dunkeln zu seinem Zimmer, um sich sofort zu Bett zu legen. Bevor er vor ein paar Tagen zu seiner Inspektionsreise aufgebrochen war, hatte er sämtliche Vorhänge im Haus zugezogen, um die heiße Texas-Sonne auszusperren. So lag das Gästezimmer, in dem er zur Zeit logierte, total im Dunkeln, doch Shane fand sein Bett mit den zerwühlten Laken auch so. Er warf das Handtuch achtlos beiseite, schlug das Laken zurück und ließ sich wohlig auf die weiche Matratze fallen. Gerade hatte er sich sein Kissen zurechtgeboxt und sich auf der Seite zusammengerollt, als ihm ein feiner, blumiger Duft in die Nase stieg und er einen sehr warmen, sehr weichen und sehr weiblich geformten Körper an seinem spürte. Shane richtete sich abrupt auf, was dem weiblichen Wesen an
seiner Seite einen leisen, erschrockenen Aufschrei entlockte. »Was zum Teufel…« Die Frau floh ans andere Ende des Doppelbettes, wobei sie versehentlich ein Buch zu Boden schleuderte. Sie knipste die Nachttischlampe an. »Was haben Sie hier zu suchen?« fuhr die Frau ihn herrisch an. Shane verschränkte die Arme hinter dem Nacken und ließ sich gelassen auf sein Kissen zurücksinken. Ihm war nur zu bewusst, dass er unter dem Laken splitterfasernackt war. Nun, abgesehen von einem eng anliegenden schwarzen Unterhemd mit dazu passendem Slip erging es seiner unfreiwilligen Bettgenossin nicht viel anders. »Dasselbe könnte ich Sie auch fragen«, gab er zurück. Interessiert schaute er zu, wie die Schönheit neben ihm sich hastig das Bettlaken überwarf. »Ich hab Sie aber zuerst gefragt, Shane McCabe!« Shane nahm sie jetzt genauer in Augenschein. Während seiner Jahre als Rodeo-Reiter hatte er eine Menge Groupies um sich geschart, aber an diese Frau konnte er sich nicht erinnern. Und er war sich sicher, sollte er dieser Frau je zuvor begegnet sein, dann hätte er sie nicht vergessen. Er neigte den Kopf leicht zur Seite. »Kennen wir uns?« Die Augen der Frau schossen zornige kleine Blitze auf ihn ab. »Sehr witzig.« »Im Ernst«, beharrte Shane. »Irgendwie kommen Sie mir bekannt vor.« Besonders ihre Augen, die von einem ganz besonders intensiven Blau waren und von langen dunkelblonden Wimpern umrahmt waren, einen Ton dunkler als ihre blonde Lockenmähne. »Ich bin Greta Wilson!« »Natürlich…« Shane betrachtete ihr hübsches Gesicht, die vollen Lippen, die hohen Wangenknochen und das kleine trotzige Kinn. »Ich erinnere mich an die kleine Greta.« Damals hatte sie allerdings noch nicht so eine strahlende Haut gehabt.
Ganz zu schweigen von Selbstbewusstsein und Grazie. Shane schluckte. »Du warst…« »Eine nervige kleine Göre, die immer in so einer Art Tänzerinnenkostüm herumgerannt ist?« Das traf den Nagel genau auf den Kopf. Damals hatte sie nichts gemein mit der sexy Schönheit mit den vollen Brüsten, den hart aufgerichteten Brustspitzen, der schlanken Taille und den schön geschwungenen Hüften, die sie jetzt war. Shane verspürte einen plötzlichen Druck in der Lendengegend. »Wie kommt es, dass du hier schläfst und nicht bei dir zu Hause?« »Weil ich total erschöpft bin von den Vorbereitungen für die Eröffnung meines Tanzclubs am nächsten Wochenende. Und meine Mutter hat heute ihren ganzen Bridge-Club bei uns zu Hause.« Shane verzog das Gesicht und bedachte Greta mit einem mitleidigen Blick. Er wusste nur zu gut, was sie meinte. Vierundzwanzig schwatzende und lachende Frauen auf einem Haufen, das war für seinen Geschmack entschieden zu viel. Diese Marathon-Sitzungen dauerten nicht selten bis weit nach Mitternacht. Greta seufzte und fuhr fort: »Meine Mutter weiß von deiner Mutter, dass Wade und Josie noch auf Hochzeitsreise sind. Deine Mutter hat mir erlaubt, mich hier zu verkriechen, und mir die Schlüssel überlassen – und voilä, hier bin ich!« »Wie lange hast du denn schon geschlafen?« fragte Shane neugierig. »Seit ungefähr zwei Stunden.« Greta fuhr sich mit der Hand durch das zerzauste Haar. Shane tat sein Bestes, den Blick von ihren vollen Brüsten und den unter dem dünnen Stoff ihres Unterhemdes deutlich sichtbaren Brustspitzen abzuwenden. Doch das nützte auch nichts. Er brannte bereits vor Verlangen. Was es ihm unmöglich machte, das Bett zu verlassen. Jedenfalls bis sich ein spezieller Körperteil wieder beruhigt hatte. Das ließ ihm nur
eine Möglichkeit: Konversation zu machen, bis die Situation sich wieder normalisiert hatte. »Das ist aber eine ziemlich frühe Zeit, zu Bett zu gehen.« Greta verdrehte entnervt die Augen. »Wie ich schon sagte, ich war total kaputt.« Shane hob skeptisch die Brauen. Im Moment sah sie alles andere als erschöpft aus. Im Gegenteil. Sie wirkte geradezu erregt, sich so urplötzlich neben ihm im Bett wiederzufinden. Aber Shane erging es ja nicht anders. »Was tust du überhaupt hier?« wollte Greta wissen. »Die letzten paar Tage habe damit zugebracht, mich in ganz Texas nach einer Ranch umzusehen«, erwiderte Shane. »Ansonsten schlafe ich hier, seit ich wieder in Laramie bin. Meine Mutter weiß das auch ganz genau, denn ich habe ihr heute Morgen eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, dass ich einen Tag früher als geplant auf die Golden Slipper Ranch zurückgekehrt bin.« Er sah Greta an. Allmählich dämmerte ihm, worauf das alles hier hinauslief. Leicht gereizt fragte er: »Bist du verheiratet?« Es überraschte ihn nicht, dass sie von dieser Frage ebenso wenig begeistert erschien wie er von der ganzen Situation. »Nein. Nicht, dass es dich etwas angeht«, schnappte sie. »Warum? Bist du es denn?« »Nein.« »Was hat deine Frage dann mit dem Ganzen hier zu tun?« Ihre blauen Augen blitzten. »Alles.« Shane seufzte. »Du und ich sind die Opfer eines Verkupplungsversuches.« Greta bedachte ihn mit einem misstrauischen Blick. Sie lehnte sich gegen das Kopfende des Bettes, zog ihre langen, wohlgeformten Tänzerinnenbeine an die Brust und schlang die Arme um die Knie. »Was soll das heißen?« Shane drehte sich auf die Seite. »Meine Eltern feiern demnächst ihren Hochzeitstag, indem sie ihr Eheversprechen noch
einmal erneuern.« »Ich weiß. Unsere ganze Familie ist dazu eingeladen, auch zu dem anschließenden Empfang.« Sie runzelte die Stirn, und eine niedliche steile Falte erschien zwischen ihren Brauen. Shane juckte es in den Fingern, diese Falte mit dem Daumen glatt zu streichen. »Aber ich verstehe nicht, was das Ganze mit uns zu tun hat.« Shane registrierte, wie ihr die weichen blonden Locken über die Schultern fielen, bevor er den Blick hob und ihr direkt ins Gesicht sah. »Meine Mutter hat sich nun einmal in den Kopf gesetzt, dass meine Brüder und ich vorher alle unter die Haube sollen, und zwar auf Teufel komm raus.« Greta schüttelte grimmig den Kopf. »Genau wie meine Sippschaft.« »Sie wollen dich also auch unbedingt verheiraten?« Er fragte sich ohnehin, warum sie nicht schon längst vergeben war. Frauen wie Greta – sexy, süß und charmant – waren auf dem Heiratsmarkt schnell vergriffen. Wie alt mochte sie jetzt sein? Er war dreißig. In der Schule war er zwei Klassen höher gewesen als sie, also musste sie achtundzwanzig sein. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie scharf alle darauf sind, mich loszuwerden.« Sie schien nicht zu merken, dass er nicht ganz bei der Sache war, und plauderte munter weiter über das Thema Ehe. Erst das Motorengeheul mehrerer Wagen, die die Auffahrt zur Ranch hochfuhren, unterbrach ihren Redefluss. Ohne das Bett zu verlassen, beugte Greta sich vor und lüpfte vorsichtig den Vorhang, um nach draußen zu spähen. »Ich glaube es nicht«, murmelte sie niedergeschlagen. Auch Shane war nicht gerade begeistert. Ihm machte ihr kleines Tete-a-tete Spaß, und eine Unterbrechung kam ihm höchst ungelegen. Es lag in seinem ureigensten Interesse, alles zu vermeiden, was sie zwingen würde, das Bett zu verlassen. »Wer ist es?«
Greta zupfte erregt am Vorhangsaum. »Unsere Mütter!« Natürlich, dachte Shane aufgebracht. War er nicht von Anfang an das schwarze Schaf der McCabe-Söhne gewesen? Mussten sie es noch schlimmer machen, indem sie sich mit ihren Verkupplungsplänen in sein Leben einmischten? »Zweifellos wollen sie sich von den Erfolgen ihrer romantischen Aktion überzeugen«, vermutete Shane. »Und – ach du lieber Himmel! – es scheint, sie haben den gesamten Bridge-Club im Schlepptau.« Greta stöhnte entnervt auf. »Würde mich nicht wundern«, meinte Shane mit grimmiger Miene. »Es wird höchste Zeit, dass ich meiner Mutter ein für alle Mal den Kopf zurechtrücke.« Greta ließ den Vorhang sinken. »Na dann viel Glück.« »Du solltest deiner Mutter auch mal tüchtig die Leviten lesen.« Greta schüttelte den Kopf. »Meine Mutter hat die letzten achtundzwanzig Jahre nie auf mich gehört. Warum sollte sie jetzt damit anfangen?« Shane dachte an seine auf der Treppe verstreuten Kleidungsstücke. Er wusste genau, welche Assoziationen dieser Anblick bei den beiden Müttern auslösen würde. Die Eingangstür wurde aufgeschlossen, laute Schritte erklangen. »Juhu! Shane! Greta!« Greta schwang die Beine aus dem Bett. Shane sah sie an, während in ihm ein Plan reifte. Er packte ihr Handgelenk, um sie am Aufstehen zu hindern. Sie durften keine Zeit verlieren, wenn sein Plan klappen sollte. »Machst du mit oder nicht?« Greta zögerte, und zarte Röte stieg ihr in die Wangen. »Ich weiß doch gar nicht…« . »Vertrau mir einfach, Greta, und spiel mit.« Er umfasste sanft ihre Hüften und zog sie aufs Bett zurück. »Und ich verspreche dir, dass uns so etwas nie wieder passieren wird.« Greta bemerkte das mutwillige Glitzern in Shanes grauen
Augen. Das bedeutete Ärger, und zwar nicht zu knapp. Ebenso wie seine warme Hand auf ihrer Haut. Hatte sie als junges Mädchen nicht immer davon geträumt, bei Shanes wilden, verrückten Streichen mitzumachen? Hatte sie sich nicht immer gewünscht, mit dem tollkühnen Rodeo-Star ins Bett zu gehen? Die Schritte ihrer Mütter und des versammelten BridgeClubs wurden lauter. In dem spontanen Entschluss, endlich einmal alle Vorsicht außer Acht zu lassen, erwiderte Greta Shanes herausforderndes Grinsen mit einem nicht minder herausfordernden Lächeln. »Du kannst auf mich zählen.« Im nächsten Moment schon lag sie auf dem Rücken, und Shanes athletischer Körper schob sich über sie. Ihr blieb kaum Zeit zum Luftholen, da verschloss er ihren Mund auch schon mit einem tiefen, erregenden Kuss. Er umfasste ihren Kopf mit beiden Händen, und sie schmolz regelrecht dahin, völlig gebannt von dem warmen, minzigen Geschmack seines Mundes, dem fordernden Druck seiner Lippen und dem erregenden Spiel seiner Zunge. Sie spürte seine harte, breite Brust auf ihren Brüsten, seinen flachen, harten Bauch und die Härte seiner Lenden. Samtig und heiß. Und vollkommen nackt. Diese Erkenntnis ließ ihren Puls rasen, und heißes Verlangen durchschoss ihren Körper. Voller Sehnsucht bog sie sich ihm instinktiv entgegen. Ihr Verstand sandte Signale von Schock und Verblüffung aus, aber ihr Gefühl sagte ihr, dass dies die leidenschaftlichste Umarmung war, die sie je erfahren hatte. Auch wenn ja bloß alles Theater war. »Shane McCabe!« Lilah McCabes geschockte Stimme schallte die Treppe herauf. »Greta Wilson!« rief Tillie Wilson in blankem Entsetzen aus. »Um Himmels willen!« Zu Gretas großen Bedauern ließ Shane von ihr ab, wenn auch in süßer Langsamkeit. Einen winzigen Moment lang glaubte sie – oder hoffte –, dass dieser Kuss ihn genauso berührt hatte
wie sie. In seine grauen Augen trat ein teuflisches Blitzen, er ließ ein leises Lachen hören und wandte den Kopf den beiden Frauen im Türrahmen zu. »Herrje, voll erwischt!« Shane stützte sich auf den Ellbogen ab, doch sein Körper blieb in unveränderter Lage auf Gretas liegen. Greta umfasste seine Schultern und richtete ihren Blick auf die beiden Mütter, die sich immer noch nicht gefasst hatten. »Ihr habt uns ja gar nichts davon erzählt, dass die beiden zusammen sind«, wandte sich eine der Bridge-Damen empört an Tillie und Lilah. Shane rollte sich auf den Rücken, wobei er Greta halb mit sich zog. »Sind wir ja auch nicht. Aber so ganz allein hier über Nacht in diesem Haus…« Shane bedachte Lilah McCabe mit einem selbstbewussten Blick, »… da dachten wir, warum eigentlich nicht?« Diese so gleichmütig geäußerten Worte veranlassten den gesamten Bridge-Club zu einem einvernehmlich empörten Luftschnappen. Tillie Wilson löste sich aus der Gruppe, nur zu bereit, ihrem einzigen Kind zu Hilfe zu eilen. »Ich sage dir, warum nicht, Shane McCabe!« Sie schnappte sich Gretas Kleid und warf es ihrer Tochter zu. Lilah streckte beschwichtigend die Hand aus. »Ich werde schon mit ihm fertig, Tillie«, erklärte sie energisch. »Shane McCabe, ich will, dass du sofort aus diesem Bett rauskommst!« »Nein, Lilah, das willst du nicht«, stieß Greta gepresst hervor. Lilah griff nach der Bettdecke. »Und ob ich das will!« Verzweifelt versuchte Greta, sie aufzuhalten. »Er ist splitternackt!« »So weit habt ihr es also gebracht mit euren Verkupplungsversuchen«, versetzte Shane trocken. Die Damen des Bridge-Clubs traten eine nach der anderen
beschämt den Rückzug an. »Wir lassen euch jetzt mal lieber allein.« Schweigend gingen sie die Treppe hinunter, und Sekunden später drang der Knall der zuschlagenden Haustür nach oben. Autotüren wurden geöffnet und fielen ins Schloss, Motoren heulten auf. Unterdessen dampfte die Atmosphäre im Ranchhaus regelrecht. Lilahs Blicke schössen glühende Blitze auf ihren jüngsten Sohn ab. »Weißt du eigentlich, was du da gemacht hast?« Shane zuckte mit den breiten Schultern. »Schieb jetzt bloß nicht mir den schwarzen Peter zu. Die Falle habt schließlich ihr ausgelegt.« Lilah errötete und begann erregt, im Zimmer auf und ab zu tigern. »Euer Zusammentreffen war nichts weiter als ein unglücklicher Zufall«, beschwor die zierliche Zweiundsechzigjährige ihren Sohn. »Ich habe deine Nachricht auf dem Anrufbeantworter erst abgehört, nachdem wir schon mit dem Bridge angefangen hatten. Als uns bewusst wurde, was passiert war, haben wir uns sofort auf den Weg hierher gemacht, um zu retten, was zu retten ist.« Shane verzog skeptisch die Lippen. »Mitsamt dem vollzähligen Bridge-Club als Zeuginnen?« Tillie Wilsons drahtiger Körper war aufs Äußerste angespannt. »Wir dachten, ihr beide zusammen gebt bestimmt einen reizenden Anblick ab.« Sie schüttelte den Kopf. »Wir hatten ja keine Ahnung.« Shane nahm die beiden älteren Damen so eindringlich in Augenschein, bis sie rot wurden. »Wie kommt es nur, dass ich euch nicht glaube?« »Na gut, uns ist schon vor ein paar Stunden aufgegangen, dass es da ein Kuddelmuddel gibt«, räumte Tillie ein. »Na ja, und da haben wir gehofft, dass bei euch vielleicht endlich der Funke überspringt.« Lilah McCabe hob warnend den Zeigefinger. »Aber für dieses Desaster kannst du uns nicht
die Schuld in die Schuhe schieben, Shane! Wir haben doch nicht im Traum damit gerechnet, dass ihr gleich dermaßen füreinander entflammt!« Das ist die Untertreibung des Jahres, dachte Greta bei sich. Ihre kurze, aber leidenschaftliche Umarmung war wie ein alles verzehrendes Feuer gewesen. Sie bebte immer noch am ganzen Körper. Und das nach einem einzigen heißen Kuss. Sie wagte sich kaum auszumalen, wie explosiv es in diesem Bett wohl zugegangen wäre, hätten sie wirklich zusammen schlafen wollen und nicht nur Theater gespielt. Lilah schüttelte den Kopf über ihren jüngsten Spross. »Ich verstehe einfach nicht, wie du Greta derart ausnutzen konntest, Shane«, tadelte sie ihn. »So haben dein Vater und ich dich nicht erzogen.« »Also wirklich, Mutter. Das Ganze war doch bloß ein Scherz.« Für ihn vielleicht, dachte Greta unbehaglich. Für sie hatte es weit mehr Bedeutung gehabt. Ja, es war geradezu eine Offenbarung gewesen, die ihr gezeigt hatte, wie herrlich Sex und Leidenschaft sein konnten. Lilah tigerte nervös im Raum auf und ab. »Ein Scherz! Du hast Gretas guten Ruf ruiniert!« Greta spürte, wie Shane sich neben ihr anspannte. Lilah steigerte sich immer weiter in ihre Wut hinein. »Dir macht das natürlich nichts aus. Deinen Ruf hast du hier ja schon längst verspielt. Außerdem tragen solche kleinen Vorfälle ja auch noch zum Ruhm eines Mannes bei«, schnaubte sie verächtlich. »Aber wie sieht es mit der Frau aus? Auch in der heutigen Zeit wird diesbezüglich immer noch mit zweierlei Maß gemessen.« Tillie nickte und stach ihren Zeigefinger anklagend in Richtung Shane. »Bis jetzt hatte unsere Greta immer einen untadeligen Ruf.« Sie marschierte drohend aufs Bett zu. »Bis du aufgetaucht bist jedenfalls. Jetzt schau bloß mal, was du
angerichtet hast.« Shane sah aus, als nähme er sich diese Strafpredigt nun doch sehr zu Herzen. Zerknirscht wandte er sich an Greta. »Ich mache es wieder gut.« »Wie?« fiel Gretas Mutter ihm ins Wort. »Nachdem der gesamte Bridge-Club Zeuge dieser pikanten kleinen Szene geworden ist, wird sich die Geschichte bis morgen früh im ganzen Ort herumgesprochen haben.« Lilah wandte sich Tillie zu. »Beruhige dich, meine Liebe.« Sie tätschelte der Freundin den Arm. »Ich fahre dich jetzt nach Hause.« Zu Greta gewandt sagte Lilah: »Das alles tut mir so schrecklich Leid.« Und zu Shane: »Dein Vater und ich erwarten dich gleich morgen früh zu Hause auf der Ranch.« Shane nickte mit grimmiger Miene, widersprach aber nicht. »Vielleicht solltest du jetzt besser mit mir nach Hause kommen, Greta«, schlug ihre Mutter vor. Bevor Greta noch etwas darauf erwidern konnte, hielt Shane sie zurück. »Nein. Greta und ich müssen erst noch etwas klären. Aber machen Sie sich keine Sorgen, Mrs. Wilson. Von nun an werde ich mich wie der perfekte Gentleman benehmen.« Tillie Wilson wirkte nicht gerade überzeugt, so dass Greta Shane zu Hilfe kam. »Ist schon in Ordnung, Mom. Es gibt zwei Schlafzimmer hier. Und Shane und ich müssen wirklich reden. Ich sehe dich und Dad dann gleich morgen früh.« »Vielleicht ist es das Beste, wenn wir uns alle sechs morgen früh bei euch auf der Ranch treffen«, wandte sich Lilah fragend an Tillie. »Sagen wir so gegen acht?« Tillie nickte. »Wir werden da sein.« Die beiden Mütter verabschiedeten sich und verließen gemeinsam das Haus. Greta wartete, bis sie die Wagen wegfahren hörte, und stieß dann einen heftigen Seufzer aus. »Was für ein Schlamassel!« »Das kannst du wohl laut sagen«, brummte Shane. Er stand
auf und ging zum Schrank. Seine Nacktheit schien ihm nichts auszumachen, ganz im Gegensatz zu Greta, die nun endlich sah, was sie zuvor nur gespürt hatte. Shane zog eine Kommodenschublade auf und nahm einen Slip heraus. Er schlüpfte hinein und zog ihn über die langen, muskulösen Beine, die mit feinen goldbraunen Härchen bedeckt waren. »Verdammt, mir wäre nie im Traum eingefallen, dass sich der gesamte Bridge-Club bei uns im Schlafzimmer versammeln könnte.« Er ging zum Schrank, nahm ein Paar ausgeblichene Jeans heraus und stieg hinein. »Im Höchstfall hatte ich mit unseren beiden Müttern gerechnet.« Greta, die am liebsten allein ihm die Schuld für das ganze Debakel in die Schuhe geschoben hätte, wusste jedoch, dass auch sie selbst mit dafür verantwortlich war. Seit Jahren schon hatte sie sich danach gesehnt, ihn zu küssen. Und sie hatte die Gelegenheit nun endlich beim Schöpf ergriffen. Dafür konnte sie ihm schwerlich böse sein. Schließlich hätte sie sein Spielchen ja nicht mitzuspielen brauchen. Und doch hatte sie es getan. »Du konntest ja nicht ahnen, was da auf uns zukommt«, räumte sie ein. »Keiner von uns konnte das.« Shane drehte sich zu ihr um. »Wir müssen das irgendwie wieder gerade biegen.« »Aber wie?« Voller Grausen dachte sie an den Zorn ihres Vaters, der sich über ihr entladen würde. Shane fuhr sich mit dem Kamm durch das feuchte, dichte Haar. Er schob den Kamm in die Gesäßtasche seiner Jeans und erwiderte zuckersüß: »Indem wir heiraten natürlich.« »Heiraten?« Greta glaubte, nicht recht gehört zu haben. Shane nickte. Er nahm ein rot-blaues Westernhemd aus dem Schrank und fuhr fort, sich anzuziehen. »Das ist das einzig Richtige.« »Ach, tatsächlich?« versetzte Greta trocken. »Und wie kommst du auf diese glorreiche Idee?«
»Weil, so ungern ich es auch zugebe, ich fürchte, unsere sehr verehrten Mütter haben Recht.« Shane schloss mit geschickten Bewegungen die Perlmuttknöpfe seines Hemdes und stopfte es in den Hosenbund. »Wenn es sich erst mal überall herumgesprochen hat, und das wird nicht lange dauern, dass man uns beide bei einem Schäferstündchen ertappt hat, dann ist dein Ruf hin. Bei mir sieht das allerdings etwas anders aus. Mich hält man ohnehin für einen unverbesserlichen Draufgänger. Obwohl man mir das, was heute Nacht zwischen uns passiert ist, vermutlich als Gipfel der Verderbtheit anrechnen wird.« »Nur, dass gar nichts passiert ist«, wandte Greta ein, während Shane sich auf die Bettkante setzte, um ein Paar frische Strümpfe überzuziehen. »Du und ich wissen das.« Er stand auf und ging erneut zum Schrank. »Aber sonst keiner.« Greta verdrehte entnervt die Augen. »Sehr tröstlich.« »Ja.« Shane schnappte sich ein Paar auf Hochglanz polierte Cowboy Stiefel. »Und weißt du auch, warum?« Greta bedachte ihn mit einem schiefen Lächeln. »Ich kann deine Antwort kaum erwarten.« »Wenn wir heute Nacht zusammen durchbrennen, um Hals über Kopf zu heiraten, dann wird man unser Schäferstündchen als romantische Dummheit zweier Verliebter abtun.« »Hast du dabei nicht eine Kleinigkeit außer Acht gelassen?« Greta stand auf und baute sich vor ihm auf. »Wir sind nicht ineinander verliebt.« Noch ein paar Küsse, und die Sache sieht allerdings ganz anders aus, räumte sie im Stillen ein. Shane ergriff grinsend ihre Hand. »Das ist ja gerade das Reizvolle an dem Plan. Kein Mensch wird verlangen, dass wir zusammen bleiben, wenn wir uns nicht lieben.« Shane schluckte. Wie kam es nur, dass er Greta zuvor nie richtig angesehen hatte? Jedenfalls nicht so wie jetzt. Greta entzog ihm ihre Hand und begann ebenfalls, sich
anzuziehen. »Du meinst, sie werden versuchen, uns zu überreden, die Ehe annullieren zu lassen?« »Du etwa nicht?« Shane beobachtete fasziniert, wie Greta mit einem breitzinkigen Kamm durch ihre lange Haarmähne fuhr. Sie hockte sich auf die Bettkante, streifte weiße Tennissocken über und stieg dann in ein Paar blaue Cowboystiefel, die ihre langen, wohlgeformten Tänzerinnen-Beine äußerst vorteilhaft zur Geltung brachten. Am liebsten hätte Shane sie auf der Stelle in die Arme gezogen und geküsst, nur um zu sehen, wie die Geschichte wohl ohne Publikum ausgegangen wäre. Greta runzelte die Stirn. »Wenn es nach meinen Eltern geht, dann gibt es nur einen akzeptablen Grund, um zu heiraten: wahre Liebe.« Im Grunde gab Shane ihr Recht. »Meine Eltern denken genauso.« Und doch, aus Gründen, die er lieber nicht so genau unter die Lupe nahm, erschien ihm die Vorstellung, mit Greta zu leben, plötzlich äußerst reizvoll. Greta seufzte. »Meine Eltern haben immer davon geträumt, mir eine romantische Hochzeit in Weiß mit allem Drum und Dran auszurichten. Meine Mutter plant schon seit Jahren selbst an den kleinsten Details, obwohl bis jetzt gar kein Heiratskandidat zur Stelle war.« »Wenn wir also durchbrennen, ist es doch nur logisch, dass sie dich überreden werden, unsere Ehe annullieren zu lassen und es lieber mit einem anderem Mann, dem richtigen, zu versuchen.« Wenn er genau darüber nachdachte, störte ihn der Gedanke allerdings, sich Greta als Braut eines anderen vorzustellen. Greta bedachte ihn mit einem sorgenvollen Blick. »Und was ist, wenn unsere Eltern uns nicht drängen, die Ehe annullieren zu lassen?« Auf der ganzen Welt gibt es keinen einzigen Vater, der mich als Schwiegersohn begrüßen würde, dachte Shane mit einem Anflug von Bitterkeit. »Vertrau mir.« Er legte Greta freund-
schaftlich den Arm um die Schultern und begleitete sie die Treppe hinunter. »Sie werden.« »Und wann soll das Ganze stattfinden?« »Warum nicht jetzt gleich?«
2. KAPITEL Nach einer reichlich unspektakulären Trauung in »J. P. Randall’s Bait and Tackle Shop« fünfundvierzig Meilen westlich von Laramie, Texas, kehrten sie mitten in der Nacht erschöpft auf die Golden Slipper Ranch zurück. Doch eine romantische Hochzeitsnacht blieb aus. Shane zog sich in das Schlafzimmer des Hausherren zurück, Greta nahm das Gästezimmer. Ihnen blieben noch vier Stunden Schlaf, und beide taten ihr Bestes, um zur Ruhe zu kommen. Als ihre Wecker unisono am nächsten Morgen um sieben lospiepten, trafen sie im Bad aufeinander… sie in ihrem Bademantel, er lediglich im Slip. Greta stellte mit einem Blick fest, dass er genau wie sie kaum ein Auge zugetan hatte. Im Moment sehnte sie sich nur noch danach, ins Bett zurückzutaumeln, und zwar zusammen mit Shane. »Du musst dich rasieren.« Shane warf ihr einen erstaunten Blick zu. »Wie?« Greta bemühte sich tapfer zu ignorieren, wie himmlisch er gebaut war. Breite Schultern, eine breite Brust, flacher Bauch, schmale Hüften, sonnengebräunte Haut… einfach zum Anbeißen. »Du siehst aus, als hätte dein Rasierapparat sich vor drei Tagen von dir verabschiedet. So kannst du unmöglich bei unseren Eltern erscheinen, um ihnen zu eröffnen, dass wir geheiratet haben.« Shane strich mit dem Zeigefinger über seine kratzigen Bartstoppeln. In seinen schläfrigen grauen Augen blitzte es amüsiert auf. »Woher weißt du, wie lange ich mich nicht rasiert habe?«
»Reine Spekulation.« Greta nahm seinen Rasierer und Rasierschaum von der Spiegelkonsole und hielt ihm beides hin. »Los, Bewegung, Cowboy.« Shane sog tief die Luft ein, rührte sich sehr zu ihrem Missfallen jedoch nicht von der Stelle. »Dass wir jetzt verheiratet sind, gibt dir noch lange nicht das Recht, mir Befehle zu erteilen.« »Dann betrachte es doch einfach als freundschaftlichen Rat.« Umso besser für ihre Selbstbeherrschung, wenn er sie als Nervensäge betrachtete. Wichtig war im Augenblick nur, ihren Eltern endlich mal eine saftige Lektion zu erteilen. Greta schob sich den schmalen Gang zwischen Waschbecken und Dusche an ihm vorbei, woraufhin Shane ihr scheinbar zufällig den Weg verstellte. Er sprühte eine golfballgroße Menge Rasierschaum auf seine Handfläche und verrieb die weiße, cremige Masse mit sanft kreisenden Bewegungen auf Kinn und Wangen. »Und wie steht es mit dir?« Er drehte ihr den Rücken zu und zwinkerte ihr im Spiegel verschwörerisch zu. »Hast du dich rasiert? Wäre doch gar nicht ladylike, wenn du erst die Haare auf deinen Beinen mit Kamm und Bürste bändigen musst, bevor du deinen frisch gebackenen Schwiegereltern unter die Augen trittst.« Greta war fest entschlossen sich von seinem provokativen Gehabe nicht verunsichern zu lassen. Er wusste ganz genau, dass sie ihre Beine rasiert hatte, denn auf der Rückfahrt von ihrem nächtlichen Abenteuer hatte er ihr frecherweise das Knie gestreichelt. »Das habe ich, und das weißt du auch ganz genau, Darling.« »Kann ich mal sehen?« Er beugte sich vor und verstrich spielerisch ein wenig Rasierschaum auf ihrem Oberschenkel. »So ist es gut.« Er pustete auf seine Fingerspitze, wie man normalerweise auf die Spitze eines gerade abgefeuerten Revolvers blies. Sein Lächeln war eindeutig herausfordernd. »Braves Mädchen.« Greta ignorierte standhaft das heiße Prickeln, das seine
Berührung in ihr ausgelöst hatte, und verschränkte abweisend die Arme vor der Brust. »Du bist wirklich ein Scherzkeks, Shane«, bemerkte sie ironisch. »Und du, Greta, Darling, bist heute Morgen wirklich völlig humorlos.« Er wandte sich wieder seinem Spiegelbild zu und begann, sein Kinn mit schnellen, sauberen Strichen zu rasieren. »Was ist los? Mit dem falschen Bein zuerst aufgestanden?« Trotz seiner neckenden Worte war der ernste Unterton in seiner Stimme nicht zu überhören. Er verdiente eine ehrliche Antwort, wenn sie das hier gemeinsam zu einem erfolgreichen Ende bringen wollten. Sie hatte jetzt so viel investiert, da durfte sie kein Risiko eingehen. Sonst endete die Geschichte womöglich damit, dass ihre Eltern glaubten, sie brauchte noch mehr Hilfe, ihr Leben zu leben, als sie ohnehin schon annahmen. Greta runzelte die Stirn. »Als ich heute Morgen aufgewacht bin, da habe ich mir so meine Gedanken gemacht.« »Und?« »Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob das eine gute Idee war.« »Warte ab, bis du die Gesichter deiner Eltern siehst«, versprach Shane zuversichtlich. Gerade das stellte Greta sich ja die ganze Zeit vor. Ihre Stimmung sank auf den Nullpunkt. »Genau davor fürchte ich mich. Es wird sie furchtbar verletzen zu hören, was wir getan haben.« Shane zuckte grimmig die Achseln. »Umso besser, meinst du nicht auch?« Er sprach jetzt völlig ernst. »Nach der Schmierenkomödie, in die sie uns gestern Abend verwickelt haben?« Greta dachte daran zurück, wie es sich angefühlt hatte, sich neben einem sehr nackten, sehr männlichen Shane im Bett wiederzufinden. Wie sie dahin gekommen waren, zählte nicht. Oder was sie veranlasst hatte, einander so leidenschaftlich zu küssen. Solange sie lebte, würde sie seine erregenden Küsse nicht vergessen, und auch nicht, wie sich sein Körper verlangend an sie gepresst hatte. Solange sie lebte, würde sie sich
wünschen, sie hätten zu Ende geführt, was sie in jener Nacht begonnen hatten. Aber das war reines Wunschdenken und passte nicht in ihr Lebenskonzept. Nie hatte sie einfach so aus reiner Lust mit einem Mann geschlafen. Und sie würde es auch in Zukunft nicht tun. Für sie gehörte eine feste Bindung dazu, nicht jedoch für Shane. Deshalb war es höchst zweifelhaft, dass sie den gestern Abend begonnenen Weg jemals beenden würden: Mit dieser Enttäuschung würde sie von nun an den Rest ihres Lebens leben müssen. »Du hast Recht«, erwiderte sie seufzend. »Das war nicht gerade die feine Art, was unsere Mütter da ausgeheckt haben.« »Genau.« Shane hatte seine Rasur beendet und wischte sich das Gesicht mit einem Handtuch ab. »Jetzt beeil dich aber, Darling. Unser Triumph steht kurz bevor.« Als Greta und Shane auf der Ranch der McCabes eintrafen, wurden sie bereits von allen vier Elternteilen erwartet. Shane verlor keine Zeit, die Bombe platzen zu lassen. Zu Gretas Erstaunen klärte er die vier sogleich nach der Begrüßung über ihre nächtliche Eskapade auf. Wie nicht anders zu erwarten, löste diese Neuigkeit ein heilloses Chaos aus. »Ihr habt was getan?« polterte Bart Wilson los, jeder Zentimeter seiner imposanten, hünenhaften Gestalt gespannt und bereit zum Kampf. Er trug ein leichtes Sportsakko, Hemd und Krawatte, das Büro-Outfit für seine Versicherungsagentur in Laramie. Vom Nacken bis zu den Wurzeln seines weißblonden Haares war er rot angelaufen. »Wir haben geheiratet«, wiederholte Shane geduldig, während Lilah und Tillie sich alle Mühe gaben, ihre Männer in Schach zu halten. »Geheiratet«, wiederholte er noch einmal langsam und deutlich. John McCabe fasste Shane scharf ins Auge, während er sich durch das mit grauen Strähnen durchzogene dunkelbraune Haar fuhr. »Wir haben schon verstanden.« John McCabe durchbohrte seinen Sohn geradezu mit seinem Blick.
Lilah warf aufgebracht die Arme in die Luft. »Also ehrlich, Shane! Beim besten Willen! Ich kann einfach nicht glauben, dass du tatsächlich so eine gottverdammte Dummheit gemacht hast!« »Und wir erst recht nicht!« explodierte Tillie Wilson. Die Farbe ihres Gesichts hatte sich inzwischen ihrem leichten, pinkfarbenen Sommerpullover angeglichen. »Um Himmels willen, Greta, was habt ihr beide euch nur dabei gedacht!« Shane legte beschützend den Arm um Gretas Schultern. »Es war der einzige Weg, Gretas Ruf zu wahren.« Er bedachte seine Mutter mit einem bedeutungsvollen Blick. »Wenn ich auch nur im Entferntesten geahnt hätte, dass Greta sich gestern Nacht auch auf der Golden Slipper Ranch aufgehalten hat, wenn mir doch bloß jemand eine kurze Nachricht hätte zukommen lassen, dann wäre ich selbstverständlich nicht splitternackt zu ihr unter die Bettdecke gekrochen.« Tillie fächerte sich wie wild Luft zu. Sie sah aus, als würde sie jeden Moment ohnmächtig werden. Bart bugsierte sie rasch zu einem Stuhl. John marschierte drohend auf seinen Sohn zu. »Willst du uns etwa unverschämt kommen, Sohn?« Er sah aus, als würde er sich im nächsten Moment auf Shane stürzen. »Nein, Sir, ich habe nicht die Absicht.« Shane hielt sich standhaft und brachte es auch noch fertig, so auszusehen, als wüsste er gar nicht, warum sein Vater sich so aufregte. »Ich habe nur wiederholt, was Moms und Tillies Bridge-Club bereits weiß. Und worüber auch ganz Laramie, wenn nicht ganz Texas, bis spätestens nach dem Frühstück informiert sein wird. Wir müssen uns mit den Tatsachen abfinden, wenn sie auch noch so geschmacklos sind. Falls es euch tröstet«, Shane legte eine theatralische Pause ein, um allen vier Elternteilen einem nach dem anderen in die Augen zu sehen, »wir haben die Ehe noch nicht vollzogen.« »Gott sei Dank«, stießen Tillie und Lilah unisono hervor und
hielten sich Halt suchend bei den Händen. »Sollte Greta jedoch ihre Meinung ändern und mich in ihr Bett einladen«, fuhr Shane unverblümt fort, »sieht die Sache natürlich ganz anders aus.« Jetzt hielt sich auch Bart Wilson nicht länger zurück. Er bedachte seine Tochter mit einem strengen Blick. »Und, was hast du zu alledem zu sagen, junge Dame?« Greta spürte, wie heftiger Zorn in ihr aufstieg. Wieso nur behandelte er sie immer wie einen unmündigen Teenager und nicht wie eine achtundzwanzigjährige, erwachsenen Frau, die selbst wusste, was sie zu tun und zu lassen hatte? »Hat Shane dich dazu überredet?« wollte Lilah McCabe wissen. Mit zitternden Händen machte sie sich daran, frischen Kaffee aufzusetzen. »Greta lässt sich nicht von anderen beeinflussen«, widersprach Tillie Wilson schnippisch. Nachdenklich kaute sie auf der Unterlippe. »Aber es könnte immerhin etwas mit diesem schurkischen Beauregard Chamberlain zu tun haben.« Shane blinzelte verständnislos. Da konnte er nicht folgen. »Was hat denn der Kinostar mit Greta zu tun?« Alle vier Elternteile schüttelten seufzend den Kopf. »Honey, wo bist du denn die letzten Jahre gewesen?« meinte Lilah resigniert. »Greta hat sich volle zwei Jahre mit diesem Schuft getroffen«, erklärte Tillie. »Er hat sie auf alle Preisverleihungen mitgenommen… Golden Globe, Oscar-Verleihungen und was weiß ich noch alles. Wo Beauregard Chamberlain während der letzten zwei Jahre auftauchte, da war auch Greta!« Lilah nickte. »Sie sind mindestens zwei oder drei Dutzend Male zusammen im Fernsehen auf getreten. Und in der Boulevardpresse konntest du regelmäßig ihr Foto finden. Tillie hat mir sogar sämtliche TV-Auftritte auf Video aufgenommen.« Tillie wandte sich an ihre Tochter. »Schätzchen, ich habe dir
zwar geraten, diesem Schuft endlich auf die Sprünge zu helfen, damit er dir einen Heiratsantrag macht, aber doch nicht so!« »Mom, ich bitte dich!« Greta schüttelte Shanes schützend um sie gelegten Arm ab und setzte sich aufs Sofa. »Beau ist kein Mann zum Heiraten – jedenfalls jetzt nicht mehr, nach seiner Scheidung.« Bart hatte offensichtlich Mühe zu begreifen, was seine Tochter ihnen da eröffnete. »Du bist also bloß mit Shane durchgebrannt, um dich an Beau zu rächen?« »Nein!« Greta beugte sich vor und rang verzweifelt die Hände. »Beau und ich sind nur Freunde, mehr nicht! Das habe ich euch doch schon mindestens tausend Mal gesagt!« Shane hockte sich schweigend auf die Sofalehne neben Greta. »In der Boulevardpresse liest sich das aber ganz anders«, wandte Tillie ein. »Ihr wurdet als das heißeste Paar der letzten Jahre gehandelt. Angeblich hast du Los Angeles bloß verlassen, weil Beau dich nicht heiraten wollte.« Greta presste die Hände gegen die Schläfen. Sie würde jeden Moment den Verstand verlieren! »Aber das ist alles erlogen!« rief sie aus, am Ende ihrer Geduld. »Und was stimmt?« fragte Shane beiläufig, doch er ließ sie nicht aus den Augen. »Ich rufe Beau jetzt besser an und erzähle ihm die ganze Geschichte, bevor er sie von anderer Seite erfährt.« Greta sprang auf und lief in die Diele. Dummerweise war Beau nicht zu Hause. Sie konnte ihm lediglich eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, dass er sie zurückrufen möchte. Bedrückt legte sie auf. Bis jetzt war die Sache gründlich schief gelaufen. Überhaupt nicht so, wie sie es sich so schön ausgemalt hatten. Resigniert kehrte sie ins Wohnzimmer zurück, wo alle schon gespannt auf sie warteten. »Ich habe ganz vergessen, wie früh es dort drüben ist.« »Vergiss die verdammten Zeitzonen!« schäumte ihr Vater.
»Also, was ist jetzt? Hast du dieses kleine Abenteuer nur inszeniert, um Beau wieder auf dich .aufmerksam zu machen?« Greta seufzte. Wann würden ihre Eltern endlich begreifen, dass sie eine erwachsene Frau war und durchaus in der Lage, ihr eigenes Leben zu leben, ohne die ständigen Einmischungen und gut gemeinten Ratschläge ihrer Eltern? »Nein, Dad. Beau hat mit der ganzen Geschichte überhaupt nichts zu tun.« Sie blickte von einem zum anderen, bevor sie hinzufügte: »Was gestern Nacht passiert ist – und was heute Morgen hier passiert –, betrifft lediglich Shane und mich.« Shane wünschte, er könnte das glauben. Wenn die Erfahrung ihn nicht gelehrt hätte zu bezweifeln, wenn eine Frau behauptete, sie und der Mann, mit dem sie sich regelmäßig traf, seien nur Freunde, dann hätte er Greta vielleicht geglaubt. Aber er war voller Skepsis. Wie alle anderen auch. »Du hast meine Frage nicht beantwortet«, drängte Lilah freundlich. »Hat Shane dich dazu überredet?« »Nein, das hat er nicht.« Obwohl ich sie vielleicht doch in Versuchung geführt habe, überlegte Shane. »Warum, verdammt noch mal, rennst du dann weg, um dich in eine so haarsträubende Geschichte zu stürzen?« tobte Bart Wilson. »Anstatt dich an deine Mutter und mich zu wenden, wenn du ein Problem hast?« Wie war’s damit, weil sie ein erwachsener Mensch ist, der selbst über sein Leben bestimmen kann, dachte Shane im Stillen. »Weil ich Mom und dich nicht brauche, um meine Probleme zu lösen«, begehrte Greta heißblütig auf. »Das kann ich ganz allein!« »Aber nicht so!« Bart deutete auf die Heiratsurkunde, die sie mitgebracht hatten, um nur ja keine Zweifel an ihrer Tat aufkommen zu lassen. »So löst man keine Probleme!« John McCabe hob beschwichtigend die Hand. »Shane hatte
sicher seine Gründe, Greta zu heiraten.« Endlich, dachte Shane. Endlich hört mal jemand zu. Erwartungsvolle Blicke richteten sich auf ihn. John fuhr in typischer McCabe’scher Selbstsicherheit fort: »Eine übereilte Heirat ist nicht das, was wir uns für Greta und Shane gewünscht hätten…« Auch damit hast du Recht, Dad, dachte Shane, während Lilah, Tillie und Bart ihre Zustimmung murmelten. »Aber da nun mal alles bereits gelaufen ist«, fuhr John McCabe energisch fort, »sollten wir uns damit abfinden und den beiden viel Glück wünschen, dass ihre Ehe ein voller Erfolg wird.«
3. KAPITEL »Wie kann man verhindern, dass ein Ring den Finger grün färbt?« erkundigte Greta sich bei ihrer Freundin Dani Lockhart. In ihrer Collegezeit waren sie Zimmerkameradinnen gewesen, erst in Dallas, später in Los Angeles. Sie waren mehr als nur Freundinnen, ja, in gewisser Weise ersetzte Dani Greta die Schwester, die sie nie gehabt und sich immer gewünscht hatte. Dani trat um die leeren Packkartons herum, die den Boden des Tanzclubs bedeckten. Frisch aus Los Angeles angekommen, trug die attraktive Filmkritikerin mit dem kastanienbraunen Haar einen Hosenanzug aus weißem Leinen, ein zartgrünes seidenes Oberteil und elegante italienische Sandaletten. Über ihrer Schulter hing lässig einen Matchsack aus weichem Leder, und die Designer-Sonnenbrille hatte sie sich über die Stirn in die Haare zurückgeschoben. »Die Neuigkeit hat in der Stadt wie eine Bombe eingeschlagen.« Danis graugrüne Augen funkelten aufgeregt, als sie näher kam, während am anderen Ende des Saals die Elektriker damit beschäftigt waren, die Musikanlage zu installieren. »Als ich das von dir und Shane heute Morgen gehört habe, konnte ich es kaum glauben.«
Greta dirigierte ihre Freundin in eine ruhigere Ecke. »Wie hast du es erfahren?« fragte sie, während sie einen Karton mit Dekorationsartikeln in typisch texanischem Stil auspackte: Kaktuspflanzen, Flaggen, Kunsthandwerk, Brandeisen. »Meine Schwester, Meg.« Dani hielt inne, um einige gerahmte Fotos des jüngsten Chili-Kochwettbewerbs zu betrachten. »Sie hatte heute Morgen einen Termin in der Versicherungsagentur deines Vaters. Offenbar kann er es immer noch nicht fassen.« Greta schüttelte in stummer Verärgerung den Kopf. Obwohl sie erst seit ein paar Stunden bei der Arbeit war, hatte sie schon ein gutes halbes Dutzend Telefonanrufe bekommen, die nur ein Thema kannten – bis es ihr schließlich zu viel geworden war und sie auf den Anrufbeantworter umgeschaltet hatte. Vermutlich erging es Shane nicht viel anders, bekannt, wie er war. Wenn das so weiterging, würde bis Sonnenuntergang jede Wüstenmaus in Laramie-County wissen, dass sie zusammen durchgebrannt waren. »Obwohl ich sagen muss«, fuhr Dani munter fort, während Greta die Leiter hochkletterte, um das den ganzen Raum umfassende, unterhalb der Decke installierte Regal zu erreichen, »dass es eine kluge Entscheidung von dir war, diesen arroganten Kerl Beauregard Chamberlain fallen zu lassen.« Greta deutete auf den Kaktus im Terrakotta-Übertopf. »Reichst du mir den bitte mal?« Sie nahm die Pflanze entgegen und fuhr fort: »Dieser arrogante Kerl, wie du ihn zu bezeichnen beliebst, war zufällig immer ein sehr guter Freund von uns beiden. Du hast ihn mir sogar vorgestellt, schon vergessen?« »Was soll ich sagen?« seufzte Dani stirnrunzelnd. »Frauen werden erst mit den Jahren klüger. Ich wünschte, bei mir hätte die Weisheit ein bisschen früher eingesetzt.« »Du und Beau, ihr solltet wirklich endlich Waffenstillstand schließen und euch wieder zusammenraufen«, meinte Greta, wohl wissend, dass sie es mit zwei sturen Hitzköpfen zu tun
hatte. »Heißt das, dass du ihn doch nicht fallen gelassen hast?« hakte Dani enttäuscht nach. Greta zeigte auf das großformatige, in Leder gebundene Geschichtsbuch über Texas, und Dani reichte es ihr lächelnd hinauf. In diesem Moment wurde die Tür geöffnet, und greller Sonnenschein fiel in den Saal. »Nicht als guten Freund, nein.« »Nun, das solltest du aber«, schmollte Dani. »Das finde ich allerdings auch«, brummte Shane, als er zu ihnen trat. Er postierte sich direkt neben der Leiter, legte besitzergreifend die Hand um Gretas Knie und sah zu ihr auf. »Jetzt, wo du eine verheiratete Frau bist.« Greta war sich nur zu bewusst, dass er direkt in Augenhöhe mit ihrem Rocksaum stand und dass er bloß hochzublicken brauchte, um mehr zu sehen, als ihr lieb war. Rasch kletterte sie die Leiter hinab, wobei er ihr galant behilflich war. Als sie endlich wieder sicheren Boden unter den Füßen hatte, wandte sie sich schwungvoll zu ihm um. Sie war sich nicht ganz sicher, weshalb ihr Herz plötzlich schneller schlug – vor Aufregung oder vor Verärgerung? »Shane, was hast du hier zu suchen?« Sie hatten doch verabredet, den Tag getrennt zu verbringen, jeder mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Dennoch konnte sie nicht leugnen, dass sie sich ein ganz kleines bisschen freute, ihn zu sehen. Shane nickte Dani zur Begrüßung zu und reichte Greta eine Videokassette. »Das schickt dir meine Mutter.« Shane bedachte sie mit einem anklagenden Blick. »Sie dachte, du möchtest es vielleicht gern sehen.« Gretas Laune sank, als sie auf das handbeschriebene Etikett schaute. Das Band mit ihren Hollywood-Auftritten an Beaus Seite. Bemüht, ihre Verärgerung zu verbergen, gab sie Shane die Kassette zurück. »Das habe ich schon, und zwar Dutzende von Malen. Meine Eltern lassen es jedes Mal laufen, wenn ich
sie besuche.« In Shanes grauen Augen flackerte etwas auf, was sie nicht so recht zu deuten wusste. »Sie mögen Beauregard Chamberlain also sehr, was?« Greta hätte nicht sagen können, warum, aber plötzlich fühlte sie sich, als wäre sie mitten in einem Test. Ein Test, den sie nicht bestehen würde. »Im Gegenteil, sie mögen ihn ganz und gar nicht«, erwiderte sie leise. »Mir ist allerdings nicht ganz klar, wie sie zu dieser Meinung über ihn gekommen sind. Sie haben ihn ja nicht ein einziges Mal getroffen.« Dani beschäftigte sich unterdessen angelegentlich damit, Gretas Dekorationsbemühungen fortzusetzen. Shane griff Greta beim Arm und zog sie ein Stück beiseite, außer Danis Hörweite. »Wie kommt es, dass du ihn nie mit nach Hause gebracht hast, wenn es so ernst um euch steht?« Er klang definitiv eifersüchtig. Ja, schon fast herrschsüchtig. Abweisend verschränkte sie die Arme vor der Brust. »Ich habe nie behauptet, dass zwischen Beau und mir eine ernste Geschichte ist.« »So nennst du ihn also… Beau?« brauste Shane auf. In Wirklichkeit wollte er sicher wissen, vermutete Greta, ob sie ihn geheiratet hatte, um Beau auf die Sprünge zu helfen. »Ja«, erwiderte sie vorsichtig. Sie war nicht bereit, ihm zu erlauben, sich in ihre Privatangelegenheiten einzumischen, auch wenn er vorübergehend ihr Ehemann war. »Genau wie alle seine Freunde«, fügte sie betont hinzu. »Oh, super!« rief Dani aus, als sie ihre Arbeit begutachtete. Flink stieg sie die Leiter hinab und gesellte sich zu den beiden, die allerdings nicht gerade begeistert von ihrer Gesellschaft schienen. »Musst du dir nicht einen Film angucken oder eine Kritik schreiben?« fragte Shane unverblümt. »Nein.« Dani bedachte ihn mit einem strahlenden Lächeln, was Greta daran erinnerte, dass es keinen Mann auf der Welt
gab, der vor Dani sicher war. Und das galt in dreifachem Maß für Beauregard Chamberlain. »Dann hast du vielleicht Lust, dir das hier anzusehen?« Shane wedelte mit der Videokassette vor Danis Nase herum. Dani winkte lässig ab. »Schnee von gestern.« Shane hob skeptisch die Brauen, und Greta spürte, wie Wut gegen ihre Eltern in ihr hochstieg. »Das stimmt, Shane«, fuhr Dani bedeutungsvoll fort. »Die halbe Stadt besitzt Kopien von Gretas Hollywood-Eskapaden. Dank Gretas Eltern.« Greta seufzte. »Tillie und Bart treiben es manchmal wirklich auf die Spitze, was?« Dani verdrehte mitfühlend die Augen. »Das kann man wohl sagen. Hör mal«, sie warf einen Blick auf ihre Cartier-Uhr. »Ich bin eigentlich nur mal rasch vorbeigekommen, um dich zu fragen, ob es bei unserer morgigen Verabredung zum Lunch bleibt.« Greta nickte. »Aber klar doch.« Dani blickte erst Shane an, dann Greta. »Seid ihr nicht mit den Flitterwochen beschäftigt?« Ein spitzbübisches Lächeln kräuselte ihre Lippen. »Keineswegs«, erwiderte Greta kühl, wich jedoch vorsorglich Shanes Blick aus. »Hm.« Dani betrachtete die beiden nachdenklich. »Ich hoffe, ihr zwei wisst, was ihr tut.« Das hoffe ich auch, dachte Greta voller Inbrunst. »Egal, meinen Segen habt ihr.« Dani beugte sich vor, um zuerst Greta und dann Shane, wenn auch weitaus weniger enthusiastisch, zu umarmen. »Ich weiß zwar nicht, was in euch beide verrückte Liebesvögel gefahren ist«, sie grinste kopfschüttelnd, »aber ich wünsche euch, dass es hält.« Die Frage ist nur, überlegte Greta, wünsche ich mir das auch? Um den beiden Freundinnen Gelegenheit zu geben, ungestört ein paar Worte zu wechseln, sah Shane sich interessiert im Saal um, während Greta Dani nach draußen begleitete. Ursprünglich
war dies einmal eine Textilfabrik gewesen, in der Vorhänge hergestellt wurden. Doch schon vor Jahren hatte die Fabrik geschlossen, und seither stand das große Klinkergebäude leer. Bis Greta es im vergangenen Frühjahr erworben hatte. Seit damals hatte sie das gesamte Interieur entfernt und den Boden mit einem auf Hochglanz polierten Parkettfußboden auslegen lassen. Ideal zum Tanzen. Die hohe Decke hatte sie abgesenkt und die Innenwände weiß gestrichen. Auf einem Podest rund um die Tanzfläche standen Tische und Stühle. Die Küche befand sich im hinteren Teil des Gebäudes. Links neben der Tanzfläche hatte der Diskjockey seinen Platz, ausgestattet mit der allerneusten Unterhaltungselektronik, die soeben installiert wurde. »Wo ist die Bar?« fragte Shane, als Greta wieder zu ihm zurückkam. »Es gibt keine. Wir schenken keinen Alkohol aus.« Er hob erstaunt die Brauen. In den Tanzclubs, die er kannte, floss normalerweise immer reichlich der Alkohol. »Ich möchte, dass die Leute hier ihre Kinder mitbringen können, zum Dinner kommen und Spaß am Tanzen haben. Wenn der Laden erst mal läuft, plane ich, nachmittags auch Tanzstunden für verschiedene Altersgruppen einzuführen. Und Brunch-Partys. Vielleicht sogar Hochzeitsempfänge. Aber für den Anfang haben wir sieben Tage die Woche geöffnet, Sonntag bis Donnerstag von halb sechs bis zehn und Freitag und Samstag bis Mitternacht.« »Hört sich gut an.« »Danke.« Greta strahlte. »Sieht auch alles toll aus.« Shane war ehrlich beeindruckt. »Du hast wirklich eine Menge aus dem alten Schuppen gemacht.« In diesem Moment fuhr auf dem Hof ein Lieferwagen vor, und Greta ging zur Hintertür, um den Lieferanten hereinzulassen. »Und wir haben bis Samstagabend noch alle Hände voll zu
tun.« Sie bedachte Shane mit einem erschöpften Blick. »Hast du Lampenfieber wegen der Eröffnung?« erkundigte er sich mitfühlend. Lächelnd schob sich Greta eine Haarsträhne hinters Ohr. »Ein bisschen.« Auf einmal überkam Shane das schier überwältigende Bedürfnis, sie in die Arme zu ziehen. Ein Bedürfnis, dem er nur schwer widerstehen konnte. Er war selbst überrascht über diese Gefühlsregung, denn normalerweise gehörte er nicht unbedingt zum fürsorglichen Typ. »Wird schon alles gut gehen«, versicherte er. Gretas blaue Augen leuchteten auf. »Woher weißt du das?« »Das sagt mir mein Gefühl.« Sekundenlang hielt er ihren Blick fest. Der Moment verging, und Greta bemerkte nervös: »Kaum zu glauben, dass wir beide wieder zurück in Laramie sind, was?« Shane nickte. Er fühlte sich genauso verzaubert, wie sie. »Aber es wurde höchste Zeit. Für mich jedenfalls.« Greta trat einen Schritt beiseite, um den Auslieferungsfahrer vorbeizulassen. Er trug ein gutes Dutzend länglicher Kartons hinein. »Wirst du das Rodeo nicht vermissen?« Shane schüttelte den Kopf. Den alten Zeiten trauerte er nicht nach. »Ich habe das Leben auf der Straße satt, von einem Wettkampf zum nächsten. Es war höchste Zeit, damit aufzuhören.« Mit einem freundlichen Lächeln bedeutete Greta dem Lieferanten, wo er die Pakete stapeln sollte. »Genauso ging es mir mit dem Tanzen. So sehr ich es auch geliebt habe, ich hatte es satt, nie genau zu wissen, wo ich als Nächstes auftreten würde. Ich wollte mir endlich etwas Solides aufbauen und…« Ihre wohlgeformten Brüste hoben und senkten sich, als sie einen leisen Seufzer ausstieß. »Ich sehnte mich danach, nach Laramie zurückzukehren. Jetzt muss ich bloß noch meine Eltern erziehen, dass sie sich nicht ständig in mein Leben einmi-
schen.« Shane riss sich vom Anblick ihrer verführerischen Kurven los und sah ihr ins Gesicht. Sie ist verdammt hübsch, durchfuhr es ihn, auch wenn ihr Lippenstift verblasst war, ihre Haut staubig und hinter ihrem Ohr ein Bleistift steckte. Er fragte sich, ob ihr wohl bewusst war, wie sich ihre Brüste unter dem engen T-Shirt abzeichneten und wie umwerfend sie in ihrem kurzen Rock und den Western-Stiefeln aussah. Ob sie wohl bemerkt hatte, dass er seine Blicke kaum von ihren langen, wohlgeformten Beinen losreißen konnte? Vermutlich nicht, denn ihre Miene war völlig unschuldig. »Deine Leute können dich genauso wenig in Ruhe lassen wie mich meine.« Er schwieg bedeutungsvoll. »Das wird sich ja nun hoffentlich ändern.« Greta verdrehte entnervt die Augen. »Dein Wort in Gottes Ohr.« Allmählich wurde sie nervös, denn sie hatte noch so viel zu tun. »War sonst noch was?« Shane schob in einer lässigen Bewegung seinen Hut zurück. »Ich wollte dir Bescheid sagen, dass ich jetzt zu meiner Ranch rausfahre.« Er zog einen Zettel mit einer Wegbeschreibung aus der Hosentasche. »Ich kaufe das Anwesen vom alten Riley. Kennst du es?« »Das liegt doch in der Nähe der Ranch von deinem Bruder Travis, nicht?« »Ja. Ich treffe mich dort mit jemandem von der Bank, um eine letzte Inspektion und Schätzung durchzuführen. Wenn alles in Ordnung ist, kommen die Anwälte zu uns raus, um den Papierkram zu erledigen. So um vier herum dürfte alles erledigt sein. Ich habe mir überlegt – wo wir doch jetzt verheiratet sind –, dass es besser ist, dich ein bisschen herumzuzeigen. Wir sollten zumindest versuchen, den Schein zu wahren, und die Leute fänden es sicher seltsam, wenn du die Ranch nicht mal gesehen hast.« Greta musste lachen. »Die Leute finden vermutlich unsere
ganze Beziehung ziemlich seltsam.« Auch Shane musste lachen. »Da hast du wahrscheinlich Recht.« Greta zog den Bleistift hinter ihrem Ohr hervor und rieb mit dem stumpfen Ende nachdenklich über ihre Unterlippe. Bei diesem Anblick verspürte Shane unvermittelt ein heißes Ziehen in den Lenden. »Aber dich kümmert das nicht besonders, was?« wollte Greta wissen. Shane zuckte die Achseln. »Ich habe schon vor langer Zeit aufgehört, mir über die Meinung der Leute den Kopf zu zerbrechen.« Er verscheuchte das ungebetene Bild in seinem Kopf, das ihm zeigte, wie ihre beiden Körper lustvoll ineinander verschlungen waren. »Ich dachte, wir könnten heute Abend vielleicht zusammen essen gehen, bevor wir zur Golden Slipper rausfahren.« Je mehr Leute um sie herum waren, desto besser für seinen Seelenfrieden. Plötzlich setzte lautes Hämmern und Bohren ein. Greta beugte sich zu ihm vor, formte die Hände zu einem Trichter und brüllte ihm ins Ohr: »Wie lange bleiben Josie und Wade denn noch weg?« Shane sagte sich, dass es ihm ganz und gar nichts ausmachte, die Wärme ihres Atems auf seiner Haut zu spüren. »Als sie in die Flitterwochen aufbrachen, waren sie sich darüber noch nicht ganz einig, aber Wade hat versprochen, spätestens zum Hochzeitstag meiner Eltern wieder zurück zu sein. In der Zwischenzeit haben wir die Golden Slipper Ranch ganz für uns.« Und obwohl es dort zwei Schlafzimmer gab, hoffte Shane doch inbrünstig, Greta und er würden wenigstens für eine Nacht dasselbe Bett teilen, nur um noch einmal auszuprobieren, ob die Chemie zwischen ihnen stimmte. Greta, die Shanes Nähe zunehmend irritierte, wollte ihn jetzt nur noch so schnell wie möglich loswerden. Sie legte ihm die Hand auf den Arm und dirigierte ihn mit sanftem Nachdruck
vor die Tür. Es war ein warmer, sonniger Tag und vollkommen windstill. Der Himmel, der nur in Texas so blau sein konnte, war mit kleinen weißen Schäfchenwolken bedeckt. Gretas Haar glänzte weiß-golden im gleißenden Sonnenschein. Sie bedachte Shane mit einem neugierigen Blick. »Willst du nicht unsere Sachen auf deine eigene Ranch bringen?« So weit war Shane jedoch noch lange nicht. Doch es würde wenig Zweck haben, ihr den Sachverhalt zu erklären. Besser, sie sah sich die Ranch erst mal an. Er zog seine Sonnenbrille aus der Hemdtasche und setzte sie auf. »Nein«, erwiderte er knapp. »Das will ich nicht.« Wenn du die Ranch erst siehst, dann weißt du auch, warum, fügte er im Stillen hinzu. Er streichelte sanft über die seidige Haut ihres nackten Arms. »Also, ich erwarte dich heute Abend so gegen sechs bei mir draußen. Ist das okay?« Greta nickte, neugierig auf das, was er ihr so hartnäckig verschwieg. »Ich komme, du kannst dich darauf verlassen.« Den Rest des Tages schuftete Greta wie besessen, die Gedanken jedoch nie weit entfernt von Shane. Es gab Momente, da hätte sie schwören können, dass er sich genauso von ihr angezogen fühlte wie sie sich von ihm. Und andere, wo sie hätte schwören können, sie sei nur Mittel zum Zweck. Natürlich war ihr das völlig egal. Schließlich handelte es sich ja bei ihrer Ehe nur um eine Art Scheinheirat. Und das würde es auch bleiben. Wenn dies alles allerdings erst mal vorbei war, würden sie einander kaum noch auf der Straße begrüßen können, ohne die hiesige Gerüchteküche zum Kochen zu bringen. Und das war wirklich schade. Einerseits reizte es sie herauszufinden, ob ihre JungmädchenSchwärmerei für ihn das Erwachsenwerden überdauert hatte. Andererseits wusste sie auch, dass es viel zu gefährlich war, ein solches Experiment auch nur in Erwägung zu ziehen. Sie
konnte es nicht riskieren, ihre Gefühle mit ihren Fantasien zu mixen oder ihre Sehnsüchte mit der kalten Wirklichkeit. Nein, am Besten betrachtete sie die Sache so, wie sie gedacht war: als Schmierenkomödie, die dem Zweck diente, ihre jeweiligen Eltern endlich und für alle Zeit in deren Schranken zu weisen. Um halb sechs, als der Toningenieur und der Elektriker ihre Arbeit beendeten, machte auch sie Schluss und fuhr zu Shanes Ranch hinaus. Als die Postbox in Sicht kam, die die Auffahrt zu seinem Grundstück markierte, kamen vier Wagen direkt hintereinander die Auffahrt herunter und bogen in die Straße ein. Vermutlich die ehemaligen Besitzer der Ranch die beiden Söhne des alten Riley –, die Anwälte der beiden Parteien und der Vertreter der Bank. Die etwa eine halbe Meile lange Auffahrt war gesäumt von vernachlässigten Feldern voller Unkraut. Shane würde alle Hände voll zu tun haben, das Land wieder urbar zu machen. Endlich kam das Ranchhaus in Sicht, ein baufälliges Gebäude mit noch schäbiger aussehenden Ställen. Auf dem Hof standen zu Gretas Erstaunen zwei Wagen. Sie stieg aus dem Auto und lief flink die paar Stufen zum Eingang hinauf. Die Tür stand offen, und Greta trat ein. Als sie sah, wer Shane da Gesellschaft leistete, blieb sie abrupt stehen. Shane wandte sich mit einem süffisanten Lächeln zu ihr um. »Du erinnerst dich doch sicher noch an Bonnie Sue Baxter, nicht wahr?«
4. KAPITEL Wie hätte Greta Bonnie Sue Baxter vergessen können! Das beliebteste Mädchen der ganzen Schule, das Mädchen, mit dem Shane sechs Jahre lang gegangen war! Erste Cheerleaderin, Klassensprecherin, Universität Texas, Absolventin der Stanford Law School. Bonnie Sue hatte alles erreicht, wovon
man nur träumen konnte. Mit einem festgefrorenen Lächeln wandte Bonnie Sue sich um und musterte Greta, deren Kleidung staubbedeckt und voller Farbflecke war. »Oh!« Jetzt weiß ich, wer das ist, signalisierte ihr Lächeln. »Deine Putzfrau ist gekommen!« »Bonnie Sue.« In Shanes aufgeräumter Stimme schwang eine deutliche Warnung mit. »Greta ist meine Frau.« »Du willst mich wohl auf den Arm nehmen«, meinte sie mit einem schrillen kleinen Lachen. Sie weiß es schon, fuhr es Greta durch den Sinn, unsicher, ob sie eifersüchtig oder einfach nur verärgert war. Deswegen ist sie den ganzen Weg hier rausgefahren. Bonnie Sue strich sich durch das kinnlange aschblonde Haar. »Ich dachte, du würdest nie heiraten.« Shane zuckte gleichmütig die Achseln. »Die Dinge ändern sich.« Spitz fügte Greta hinzu: »Sag mal, du bist doch verheiratet, Bonnie Sue, nicht? Mit einem Rechtsanwalt in San Francisco.« Einem sehr reichen und erfolgreichen Rechtsanwalt. Bonnie Sue bedachte Greta mit einem eisigen Blick. »Wir sind geschieden.« Verdammt. »Das wusste ich nicht.« Greta lächelte liebenswürdig. Bonnie Sue schob sich zwischen Shane und Greta, wobei sie ihrer unliebsamen Konkurrentin frech den Rücken zudrehte. »Also, Shane, was das Dinner betrifft…« »Tut mir Leid, Bonnie Sue, aber ich bin schon mit meiner Frau zum Essen verabredet. Ein anderes Mal vielleicht.« Er legte ihr den Arm um die Taille und schob sie förmlich zur Tür. Bonnie Sue marschierte hoch erhobenen Hauptes und mit eisiger Miene die Treppe hinab. Unten drehte sie sich noch einmal um und sah zu ihnen auf. »Ruf mich an, wenn du wieder zu Verstand gekommen bist, Shane.«
Shane sah ihr nach, bis sie in ihren schicken Mercedes gestiegen und davongebraust war. Er fühlte sich sichtlich unbehaglich. Auch Greta hatte sich schon wohler gefühlt. Es war schlimm genug gewesen, in der Schulzeit mit Bonnie Sue konkurrieren zu müssen. Jetzt hatte sie absolut keine Lust mehr darauf. Sie sah zu Shane hinüber, der einige Papiere in eine Aktentasche schob. »Tut mir Leid, falls ich euch gestört habe.« »Du hast nicht gestört«, erwiderte er unverbindlich. Greta beschloss, dass es das Beste war, das Thema zu wechseln. »Hast du den Kaufvertrag unterschrieben?« fragte sie lächelnd. Shane nickte, und seine Miene hellte sich auf. »Die Ranch gehört mir, jeder Quadratmeter Land und jeder rostige Nagel.« Nachdem er sie in dem zweistöckigen, rustikalem Haus mit den Wänden aus Feldsteinen und Zedernholz und in den ziemlich heruntergekommenen Ställen herumgeführt hatte, drückte er ihr unvermittelt ein Schlüsselbund in die Hand. »Solange wir verheiratet sind, solltest du die Schlüssel zu dem Haus hier haben. Das macht unsere Scharade glaubwürdiger.« Greta nickte. Sie bemühte sich, sich nicht anmerken zu lassen, wie niedergeschlagen sie in Wirklichkeit war. Einen Moment lang hatte sie doch tatsächlich gedacht, seine Geste hätte etwas Besonderes zu bedeuten. Sie hätte es besser wissen müssen. Shane strich sich nachdenklich über sein kantiges Kinn, auf dem schon wieder die ersten goldbraunen Bartstoppeln sprossen, obwohl er sich morgens rasiert hatte. »Ich dachte, wir könnten noch mal rasch in den Baumarkt, um Farbmuster und Tapetenbücher zu holen. Sag mal, hättest du nicht vielleicht sogar Lust, mir beim Einrichten zu helfen? Ich habe kein Talent dafür und auch keine Lust, meiner Mutter das zu überlassen.« Wie wäre es denn mit Bonnie Sue? Die wäre bestimmt
begeistert, dir zu helfen, dachte Greta giftig. Sofort schalt sie sich für ihren Eifersuchtsanfall, zu dem sie nun wirklich kein Recht hatte. »Das verstehe ich«, erwiderte sie, um Gleichmut bemüht. »Dann hilfst du mir also?« Er suchte ihren Blick. Sie nickte. Diesen Gefallen konnte sie ihm wohl tun, ohne gefühlsmäßig allzu sehr ins Strudeln zu geraten. »Kein Problem.« »Danke.« Er seufzte erleichtert. »Waren wir nicht zum Essen verabredet? Ich habe einen Bärenhunger«, erinnerte sie ihn mit aufgesetzter Fröhlichkeit. Sie musste sofort weg hier, sonst würde sie sich ihm noch an den Hals werfen. »Aber ja, natürlich. Und ich weiß auch genau das richtige Lokal.« Genau das richtige Lokal entpuppte sich als das »Wagon Wheel Restaurant & Grill«, das beliebteste Restaurant in Laramie. Sie hatten schon fast den Eingang zu dem großen, gemütlich aussehenden Lokal erreicht, als Gretas Blick auf den Zeitungsstand fiel. »Wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich rasch noch eine Zeitung kaufen, um zu checken, ob meine Anzeige geschaltet ist.« »Kein Problem.« Sie kramte eine Münze aus ihrer Handtasche hervor und trat zu dem Automaten. Zu ihrem Erstaunen stellte sie fest, dass unter der Glasfront alles leer war. »Komisch. Sind alle ausverkauft.« »Ausverkauft? Jetzt schon?« Er berührte leicht ihren Arm. »Das ist ja merkwürdig. Ich versuche es mal an dem Stand oben an der Straße.« »Das brauchst du nicht.« »Aber Honey.« Sanft umfasste er ihr Kinn und gab ihr doch tatsächlich hier mitten auf der Straße einen Kuss auf den Mund. Dann strich er zärtlich mit dem Daumen über ihre
warmen, vollen Lippen. »Ich wäre wohl ein lausiger Ehemann, wenn ich deine Wünsche nicht erfüllen würde.« Greta hatte es die Sprache verschlagen. Was war denn in den gefahren? Doch bevor sie ihn fragen konnte, hatte er sich schon umgedreht und ging die Straße hinauf zum Zeitungsstand. Greta war immer noch versunken in seinen Anblick – wie gut er seine Jeans ausfüllte! –, als Bonnie Sue plötzlich neben ihr auftauchte. »Du liebe Güte, den hast du aber wirklich an der Kandare!« Ihre Stimme troff nur so vor Abneigung und Neid. »Ich kann mich nicht erinnern, dass er sich je so überschlagen hat, um mir einen Gefallen zu tun.« Zu ihrer äußersten Befriedigung konnte Greta das auch nicht. Unvermittelt fragte sie sich, warum die beiden sich wohl getrennt hatten. Würde Shane es ihr erzählen? Wäre es wohl peinlich, danach zu fragen? »Du musst ja sehr zufrieden mit dir sein«, giftete Bonnie Sue weiter. Früher, als Kind, hatte sich Greta nie gegen den Spott anderer zur Wehr setzen können. Das hatte sich inzwischen gründlich geändert. Sie stemmte die Hände in die Seiten und maß ihr Gegenüber mit einem herausfordernden Blick. »Was habe ich dir eigentlich getan?« Sie war bereit zu einer Auseinandersetzung, hier und jetzt. »Soll ich dir ein paar Beispiele geben?« Bonnie Sue hob verächtlich die perfekt gezupften Brauen. »Allein die Tatsache, dich letzte Nacht zu ihm ins Bett zu legen! Und ein Publikum dafür zu arrangieren! Dann spielst du auch noch das arme Opfer, dessen Ruf ruiniert ist. Und das alles, um ihn in die Ehefalle zu locken!« So gesehen klang es berechnend, was passiert war. Schlimmer noch, Greta konnte nicht gerade behaupten, dass ihr irgendetwas davon Leid tat, ganz besonders nicht der Teil, wo sie sich geküsst hatten und miteinander durchgebrannt waren. »Ich fürchte, du hast das alles völlig falsch verstanden,
Bonnie Sue«, erklärte Shane, der in diesem Moment wieder zu ihnen trat. Er wandte sich verblüfft an Greta. »Da gibt es auch keine Zeitungen mehr.« »Ich frage mich, was da los ist«, murmelte Greta nachdenklich vor sich hin. »Ach, spiel doch nicht schon wieder das Unschuldslamm«, schnaubte Bonnie Sue verächtlich. Für eine selbstbewusste Anwältin benimmt sich Bonnie Sue äußerst kindisch, dachte Greta. Erstaunlich, welche Auswirkungen eine alte Liebe haben konnte. Und dass Bonnie Sue immer noch in Shane verliebt war, daran bestand für Greta kein Zweifel. »Ich weiß wirklich nicht, was du damit meinst.« »Ich auch nicht«, brummte Shane. Bonnie Sue marschierte zu ihrem Wagen und kam mit einer Ausgabe der Abendzeitung zurück. Sie schleuderte sie Shane entgegen. »Und was ist damit?« Greta und Shane blickten auf die erste Seite der Laramie, Press. Unter der fetten Schlagzeile prangten ihnen ihre Fotos entgegen. Liebespaar durchgebrannt!, Rodeo-Champion Shane McCabe brennt überraschend mit seiner ehemaligen Klassenkameradin und hiesigen Tanzclub-Betreiberin Greta Wilson durch, um ihr das Ja-Wort zu geben. Greta hatte man noch bis zuletzt an der Seite von Filmstar Beauregard Chamberlain gesehen, während Shane McCabe seit der Trennung von Bonnie Sue Baxter, erfolgreiche Anwältin in San Francisco, keine ernsthafte Beziehung mehr gehabt zu haben schien. Die Eltern des glücklichen Paares planen am Freitagabend einen gemeinsamen Hochzeitsempfang auf der Ranch der McCabes, wozu die ganze Gemeinde herzlich eingeladen ist. Shane sah Greta an. Greta sah Shane an. »Hast du davon gewusst?« fragte er. »Nein.« Greta war genauso baff wie er. »Du vielleicht?« Er schüttelte den Kopf. »Na ja, jetzt wissen wir’s.«
Bonnie Sue deutete anklagend auf Greta. »Mir war schon immer klar, dass du in Shane verliebt bist, aber das hier geht zu weit!« erklärte sie hitzig. »Stimmt das?« wollte Shane von der heftig errötenden Greta wissen. Seine Stimme klang definitiv geschmeichelt. »Während der ganzen Schulzeit«, schäumte Bonnie Sue. Jetzt hatte Greta endgültig genug. Ohne auf seine Frage einzugehen, riss sie Shane die Zeitung aus der Hand und starrte auf ihre Konterfeis, die sie von der Titelseite anstrahlten. »Ich rufe sofort meine Mutter an«, schnaubte sie und setzte sich in Bewegung. Shane ließ Bonnie Sue Baxter stehen und folgte ihr. »Und ich meine.« »Das wird nicht nötig sein!« erklang plötzlich Tillies Stimme hinter ihnen. Die McCabes und Wilsons kamen in trauter Einigkeit den Bürgersteig herauf marschiert. Das ist ein einziges Komplott, dachte Greta benommen. »Wie ich sehe, habt ihr schon von der Party gehört«, erklärte Tillie glücklich. »Wir wollten beim Dinner alles genau besprechen«, fügte Lilah hinzu. »Vielleicht wollt ihr euch ja anschließen?« fragte John McCabe mit einem strengen Blick auf seinen Sohn. »Das wäre sicher klug«, bekräftigte Bart, der seinerseits seine Tochter scharf in Augenschein nahm. »Wir haben es nicht besser verdient«, stöhnte Greta Stunden später, als Shane und sie schließlich wieder zurück auf der Golden Slipper Ranch waren. Shane schloss die Haustür auf und ließ Greta vorbei. »Bist du etwa nicht stolz, auf der Titelseite zu stehen?« »Als deine junge Braut in dieser Hochzeits-Scharade?« Greta trat in die dunkle Diele. »Wohl kaum.« Shane schaltete das Licht an und ging in die Küche. Er nahm zwei Dosen Bier aus dem Kühlschrank, riss den Verschluss auf
und reichte Greta eine Dose. »Ich wünschte, unsere Eltern würden uns jetzt nicht auch noch diesen grässlichen Empfang auf zwingen.« Greta trank gierig von der goldgelben, eiskalten Flüssigkeit. Das war genau das, was sie jetzt brauchte. »Meinst du nicht auch, dass das alles nur dazu dient, uns aus der Reserve zu locken?« »Damit wir zusammenbrechen und alles gestehen?« Shane nahm sie bei der Hand und zog sie mit sich ins Wohnzimmer. Sie setzten sich aufs Sofa, und Shane streckte behaglich die Beine aus. »Puh, ich bin total kaputt.« Greta legte seufzend den Kopf zurück. »Ich auch.« Shane warf ihr einen neugierigen Seitenblick zu. »Aber du bist nicht weich geworden.« Sie hielt seinem Blick stand. »Du doch auch nicht.« »Warum?« Weil ich nicht möchte, dass es schon vorbei ist. Greta zuckte die Achseln. »Weil ich stur bin«, erwiderte sie leichthin. »So wird’s wohl sein«, räumte Shane ein. Plötzlich überkam Greta der fast übermächtige Wunsch, ihn zu küssen. Und diesmal nicht zur Show. Shane trank sein Bier aus. Ihrem Blick ausweichend, sagte er: »Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich bin total kaputt.« Dieser plötzliche Stimmungswechsel verletzte sie, aber sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. »Ich auch.« Er stand auf. »Gehen wir schlafen?« Greta nickte nur. Sie hatte Angst, ihre Stimme würde ihre wahren Gefühle verraten. »Ich lasse dir den Vortritt im Bad.« »Danke.« Greta duschte und schlüpfte in ein frisches Baumwollnachthemd. Sie hatte gerade ihren Bademantel zugebunden, als ein lautes Getöse – es hörte sich an, als würde draußen ein Hubschrauber landen – sie erschrocken zusammenfahren ließ.
Sie eilte nach unten, um nachzusehen, was los war. In diesem Moment kam Wade McCabe mit seiner Frau Josie durch die Tür. Shane wusste nicht recht, ob er sich nun freuen oder ärgern sollte, seinen Bruder zu sehen. Er half den beiden mit ihrem Gepäck und begrüßte sie so herzlich, wie er es in seiner augenblicklichen Verfassung fertig brachte. »Ich hatte euch noch gar nicht zurück erwartet.« Shane umarmte beide. Wade klopfte seinem Bruder grinsend auf die Schulter. »Und ich hatte nicht erwartet, dass du verheiratet sein würdest, wenn wir nach Hause kommen.« »Du hast es also schon gehört?« »Wer hätte das nicht?« Josie küsste ihn auf die Wange. »Sie haben es sogar in den Nachrichten gebracht.« »Ehrlich?« rief Shane aus, als Greta die Treppe herunterkam, um die beiden ebenfalls zu begrüßen. Wade zog seine neue Schwägerin mit brüderlicher Wärme in die Arme. »Ist doch klar, dass sie das in den Nachrichten bringen. Schließlich hat Greta deinetwegen einen der heißesten Filmstars fallen lassen.« »Und Shane ist ja auch eine nationale Berühmtheit, so viele Rodeos, wie er gewonnen hat«, ergänzte Josie. Sie gähnte herzhaft. »Aber egal, Leute, ich bin reif fürs Bett. Morgen ist auch noch ein Tag. Dann können wir in Ruhe tratschen.« Sie hängte sich bei ihrem Mann ein und gab ihm einen sehnsuchtsvollen Kuss. Wade nahm Josie hoch und ging zur Treppe. »Bis morgen, ihr beiden.« Es bestand kein Zweifel daran, was das frisch vermählte Paar im Sinn hatte. »Eure Gastfreundschaft in Ehren, aber vielleicht wollt ihr jetzt lieber eure Ruhe haben«, rief Shane ihnen rasch hinterher. Dummerweise beabsichtigte Wade nicht, so ungastlich zu
sein, seinen kleinen Bruder und dessen junge Frau einfach so vor die Tür zu setzen. »Hey, kein Problem, ehrlich. Schließlich haben wir doch zwei Schlafzimmer. Es sei denn«, er musterte seinen Bruder misstrauisch, »irgendwas ist faul an der Geschichte, wie Mom und Dad argwöhnen.« »Das geht nun wirklich zu weit!« verkündete Greta atemlos, als Shane die Schlafzimmertür mit dem Fuß zustieß, sie zum Bett trug und sie dann sanft in die zerwühlten Laken gleiten ließ. Auch wenn die beiden anderen sich köstlich über den Anblick amüsiert hatten! »Was?« Er ließ sich aufs Bett fallen und streckte sich neben ihr aus. »Das weißt du ganz genau!« fauchte sie. »Mich wie einen Mehlsack über die Schulter zu werfen und nach oben zu tragen!« Ein mutwilliges Glitzern flackerte in seinem Blick. »Wir sind doch in den Flitterwochen!« So einfach wollte sie ihn nicht davonkommen lassen. Sie packte ihn am Hemd, um ihn daran zu hindern aufzustehen. »Du wolltest also nicht ein bisschen vor deinem großen Bruder angeben?« Eine Gefühlsregung, die Greta nicht so recht identifizieren konnte, verdunkelte seinen Blick. Er umfasste mit beiden Händen ihr Gesicht. »Nicht die Spur. Was ich tue, tue ich ganz allein für mich.« Er löste ihre Hände von seinem Hemd und zog ihre Finger an die Lippen. Dann stand er auf und ging zur Tür. Er spähte nach draußen auf den Flur. »Das Bad ist jetzt frei. Ich verschwinde mal rasch unter der Dusche.« Greta schloss seufzend die Augen. War sie wirklich dazu verurteilt, dieses einladende Doppelbett heute Nacht mit ihm zu teilen? Anscheinend ja. Nicht etwa, dass sie fürchtete, Shane würde irgendetwas tun, was sie nicht auch wollte. So ungestüm und heißblütig er auch oft agierte, war er doch tief in seinem Inneren ein Gentleman.
Die Frage war, wollte sie wirklich Nein sagen? Bonnie Sue Baxter hatte völlig Recht. Als Teenager war Greta heiß und innig in Shane verliebt gewesen – wie fast jedes andere Mädchen der Laramie High School. Sie hatte seine Tollkühnheit bewundert, seine Art, das Leben bis zu seinen Grenzen auszukosten, egal, was die anderen über ihn dachten. Sie hatte den Kopf über ihn geschüttelt. Sie hatte ihn bewundert. Sie hatte nach ihm geschmachtet. Und gehofft, später einmal genau wie er zu sein. Und jetzt, dachte sie traumverloren, bin ich mit dem Mann verheiratet, dem keiner je das Wasser reichen konnte. Die Tür öffnete sich, und Shane schlüpfte ins Zimmer, nur mit einem feuchten Handtuch um die Hüften. Sein hoch gewachsener, sonnengebräunter Körper glänzte feucht, und sein nasses Haar duftete nach Shampoo. Gretas Herz begann laut zu pochen, als sie sich aufsetzte und daran dachte, was in der Nacht zuvor unter nahezu denselben Umständen zwischen ihnen passiert war. Ihr Körper prickelte vor Verlangen, und sie wusste, noch einem Kuss würde sie nicht widerstehen können. Es würde dann gewiss nicht nur bei dem Kuss bleiben. »Shane McCabe«, erhob sie streng ihre Stimme. »Sag mir, dass du unter dem Handtuch etwas anhast.« Mit einem herausfordernden Grinsen knipste er das Licht aus. Dann schlüpfte er neben Greta unter die Decke. »Tut mir Leid.« Er rollte sich auf den Rücken. »Aber so schlafe ich nun mal.« »Splitternackt?« »Zieh dich ruhig auch aus.« Er lachte leise. »Mich stört das nicht.« »Das glaube ich gern«, fauchte sie, verärgert über die unverhüllte Lust, die in seiner Stimme mitschwang. Ehrlich, wie hatte sie seine Böser-Bube-Allüren nur je attraktiv finden können! Greta boxte ihr Kissen zurecht und verzog sich bis fast an die
Bettkante, nur ja weit weg von ihm. »Du bist sauer auf mich, stimmt’s?« wollte Shane wissen. »Was glaubst du wohl?« konterte sie, während sie sich hin und her wälzte, um eine gemütliche Schlafposition zu finden. Shane breitete sich behaglich aus, wobei er fast das ganze Bett in Anspruch nahm. Wie zufällig schmiegte sich sein behaartes Männerbein an Gretas Bein. »Wenn du dich nicht allmählich beruhigst, wird das eine lange Nacht werden, fürchte ich.« Das war zu viel! Sie schleuderte die Bettdecke beiseite, sprang auf und knipste die Nachttischlampe an. Die Hände in die Hüften gestützt, funkelte sie ihn wütend an. Verdammt, warum musste er auch so verdammt sexy aussehen! »Was passiert, wenn ich darauf bestehe, dass du dir eine Pyjamahose anziehst?« Shane beschattete seine Augen gegen das grelle Licht. »So etwas besitze ich nicht.« »Dann Jeans.« Er bedachte sie mit einem unverschämten Grinsen. »Du würdest verlieren.« Greta fixierte ihn unnachgiebig. »Boxershorts.« Shane zuckte die Achseln. »Habe ich auch nicht.« »Unterhosen?« »Das kommt der Sache schon näher.« Er zwinkerte ihr zu. »Aber in Unterhosen kann ich nicht schlafen.« Greta schüttelte indigniert den Kopf. »Das ist schließlich dein Problem, oder?« »In Anbetracht der Tatsache, wie schmal das Bett ist, wäre das unser Problem.« Greta verdrehte die Augen und gab auf. Sie hatte schon genug Zeit mit Streiten verloren, anstatt zu schlafen. Dabei war sie todmüde. Sie schlüpfte wieder unter die Decke, ließ die Nachttischlampe aber an. »Shane McCabe, lass bloß ja deine… deine…«
»Zehen?« fragte er in gespielter Unschuld. »… auf deiner Seite.« Er hob salutierend die Hand an die Stirn. »Zu Befehl.« »Und, Shane?« »Ja?« »Das zahle ich dir heim. Ich schwöre es.«
5. KAPITEL Am nächsten Morgen erwachte Shane mit einem ungeheuren Wohlgefühl. Er lag in der Mitte des gemütlichen Doppelbetts auf dem Rücken. Greta schmiegte sich an ihn. Sie hatte ein langes, wohlgeformtes Bein über seine Beine gelegt, ihr Kopf ruhte auf seiner Brust. Und ihre Hand lag locker auf seinem Bauch. Ihre tiefen, ruhigen Atemzüge bedeuteten ihm, dass sie fest schlief. Ganz im Gegensatz zu seinem Körper. Schmerzhaftes Verlangen durchfuhr ihn und raubte ihm den Atem. Sein Herz schlug laut und schnell, und er wünschte sich nichts sehnlicher, als Greta auf den Rücken zu rollen und zu lieben. Jetzt gleich. Doch das konnte, durfte er nicht, und darum beschloss er, das es höchste Zeit für ihn war, aufzustehen und im Bad zu verschwinden, bevor sie merkte, wie erregt er war. Ganz vorsichtig zog er den Arm unter ihrem Kopf weg. Doch bevor er sich zu Seite rollen konnte, öffnete sie schläfrig die Augen, blinzelte ihn zufrieden an und schmiegte den Kopf wieder an seine Schulter. Shanes untere Körperhälfte brannte vor Verlangen, als Gretas Hand tiefer rutschte. Greta seufzte auf und schmiegte sich noch dichter an ihn. Diesmal konnte er sich nicht länger beherrschen, er stieß ein lautes, gequältes Stöhnen aus. Greta öffnete erneut die Augen. Sie blinzelte ihn neugierig an, während sie sich bemühte, die Orientierung wiederzuerlangen – wo sie war und was sie tat. »Wie bin ich… wir…?«
murmelte sie verschlafen. Den Blick auf seinen gequälten Gesichtsausdruck geheftet, registrierte sie mit wachsendem Horror, was ihre Hand da machte. Als hätte sie sich verbrannt, zog sie sie zurück. Wie vom Blitz getroffen, richtete sie sich auf und rückte bis an die Bettkante von ihm ab. Zu spät, dachte Shane in einem Anflug von Ironie. Er fühlte sich wie ein liebestoller Teenager. Mit einem leisen Lächeln meinte er: »Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich bin hellwach.« Er fragte sich, wie er es wohl schaffen sollte, aus diesem Bett herauszukommen, ohne dass Greta seinen Zustand bemerkte. Eines war sicher, im Moment hatte er keine Chance. »Ich habe geträumt!« Sie fuhr sich mit der Hand durch die zerzausten blonden Locken. Shane bemerkte, dass ihre hart aufgerichteten Brustspitzen sich deutlich unter dem dünnen Stoff ihres Nachthemds abzeichneten. Es war nur zu klar, wovon sie offensichtlich geträumt hatte. »Glaub mir«, erklärte er heiser. »Was du da gerade mit mir gemacht hast, war kein Traum.« »Gib ja nicht mir die Schuld! Das alles wäre nicht passiert, wenn du etwas angehabt hättest.« »Oh, ich weiß nicht recht.« Er umfasste ihre Schultern und zwang sie, ihn anzusehen. »So ein bisschen Stoff hätte das Resultat deiner intensiven Bemühungen auch nicht bremsen können.« Heiße Röte schoss ihr ins Gesicht, und sie stieß seine Hände weg. Mit einem Satz war sie aus dem Bett und schlüpfte in ihren Bademantel. Mit zitternden Fingern knotete sie den Gürtel zu. »Wir können heute Nacht nicht noch mal hier schlafen.« »Da stimme ich dir zu.« Unvermittelt wurde ihm bewusst, dass er noch nie eine Frau so begehrt hatte wie Greta in diesem Augenblick. Er sah sie fest an. »Heute übernachten wir auf meiner Ranch.« Greta beschloss, das Thema über ihre Schlafarrangements im
Moment nicht weiter zu vertiefen, um Josie und Wade nicht zu stören, die schließlich immer noch in den Flitterwochen waren und vermutlich ausschlafen wollten. So beendete sie also das Gespräch und schlich auf Zehenspitzen ins Badezimmer, um sich fertig zu machen. Nachdem sie ihre wenigen Habseligkeiten zusammengepackt hatte, ging sie nach unten, wo Shane sie schon erwartete. Er nahm ihr die Tasche ab, und die beiden verließen wortlos das Haus. Shane verstaute ihre Tasche im Kofferraum. Sie wollte gerade einsteigen, da hielt er sie zurück. »Wir müssen miteinander reden.« Mussten sie das? Was konnte er schon sagen, um in ihr die Erinnerung daran auszulöschen, wie wunderbar erregend und verführerisch sie sich in seinen Armen gefühlt hatte? Gab es irgendetwas, was die drängende Sehnsucht tief in ihrem Inneren besänftigen könnte? Er zog sie beschützend in die Arme. »Wir frühstücken im Ort«, erklärte er, als sei das längst beschlossene Sache. Greta schüttelte den Kopf. »Dazu habe ich keine Zeit. Ich erwarte eine große Anlieferung.« Er wollte protestieren, doch sie hob die Hand. »Wir müssen später reden.« Wenn sie Zeit gehabt hatte, sich wieder einigermaßen zu fangen. »Sagen wir heute Abend.« Er beugte sich vor, gab ihr einen viel zu flüchtigen Kuss auf den Mund, trat dann einen Schritt zurück und sah sie auf eine Art und Weise an, die ihr Herz zum Schmelzen brachte. »Bilde dir ja nicht ein, dass du bei mir immer deinen Kopf durchsetzen kannst.« »Heute Morgen schon.« Sie schob ihn zurück und stieg in ihren Wagen. Ein kurzes Winken zum Abschied, und sie brauste davon. Sie hatte den ganzen Tag Zeit, sich darüber klar zu werden, wie sie Herrin der Lage werden sollte. Und so ganz nebenbei musste sie sich auch noch um ihr Geschäft kümmern. Eine halbe Stunde später betrat sie den Tanzclub. Sie war
noch keine fünf Minuten an der Arbeit, da schneite ihr Vater mit einem ganzen Stapel Versicherungsunterlagen herein, die sie alle auf der Stelle unterschreiben sollte. »Ich dachte, wir sind heute Nachmittag verabredet, um das zu erledigen.« Sie küsste Bart auf die Wange und dirigierte ihn in die Küche, um eine Kanne Kaffee aufzusetzen. Dann setzten die beiden sich an den nächstbesten Tisch im Restaurantbereich des Lokals. »Das waren wir auch«, erklärte Bart. »Aber als ich eben zufällig hier vorbeikam und deinen Wagen sah, dachte ich, wir können es auch genauso gut gleich hinter uns bringen.« Sie sprachen kurz noch einmal die Versicherungsbedingungen und die Deckungssumme durch, dann unterzeichnete Greta zügig die Dokumente und schrieb einen Scheck aus. In diesem Moment kam Shane mit einem großen Karton Gebäck hereinspaziert. Er schenkte seinem Schwiegervater ein fröhliches Grinsen, als er mit seiner köstlich duftenden Fracht an ihren Tisch trat. »Du kommst gerade zur rechten Zeit. Ich habe zwei verschiedene Sorten Muff ins und drei Sorten Donuts.« »Hört sich gut an.« Greta schaffte es nur mühsam, ihren Unmut zu verbergen. Shane sollte sich doch nicht bei ihrem Vater einschmeicheln, ganz im Gegenteil! »Wenn du so weitermachst, werden sie bestimmt nicht wollen, dass wir unsere Ehe annullieren lassen«, flüsterte sie ihm zu, als die beiden in die Küche gingen, um Besteck und Geschirr zu holen. »Oh, sei doch nicht so pessimistisch«, gab er leichthin zurück. »Es ist nur ein harmloses Frühstück.« »Ich habe dir doch gesagt, dass ich keine Zeit habe«, zischte sie. Shane stützte die Hände zu beiden Seiten ihres Körpers auf der Arbeitsplatte ab und brachte sein Gesicht ganz nah an ihres. »Und ich habe dir gesagt, wir müssen reden!« In diesem Moment steckte Bart den Kopf um die Ecke.
»Kann ich helfen?« Er nahm das vermeintliche junge Paar aufmerksam in Augenschein. Greta pappte sich ein Lächeln ins Gesicht, als Shane ihr in einer Besitz ergreifenden Geste den Arm um die Schultern legte. »Nein, Dad, wir kommen schon zurecht.« Fest entschlossen, so viel Distanz wie möglich zwischen sich und ihn zu bringen, drückte sie Shanes Hand und entwand sich dann geschickt seiner Umarmung, um den Kaffee einzuschenken. Shane wandte sich Bart zu. »Ich wollte Greta gerade sagen, dass ich nach San Angelo fahre, um mir ein Pferd anzuschauen, das ich kaufen möchte, und um einen Hochdruckreiniger zu besorgen. Bei der Gelegenheit will ich auch gleich ein paar Möbel für meine neue Ranch kaufen.« Jetzt richtete er den Blick auf Greta, die ihm eine dampfende Tasse Kaffee reichte. »Ich dachte, du hättest vielleicht Lust mitzukommen, um das Notwendigste auszusuchen.« Und was soll das sein, fragte sie sich. Ein Bett? Sie hob die Brauen, unsicher, ob sie sich von seinem Angebot geschmeichelt fühlen sollte. »Heute?« Er zuckte die Achseln. »Wir müssen heute Nacht schließlich irgendwo schlafen. Es sei denn, du willst auf dem Fußboden campieren.« Greta wollte nicht mal daran denken, überhaupt irgendwo mit ihm zu übernachten. Sie war noch viel zu durcheinander von dem peinlichen Vorkommnis am Morgen. »Wir könnten um die Mittagszeit zurück sein. Vielleicht auch ein bisschen später«, bot er an. »Glaub mir, Greta, wenn du ihn die Sachen allein aussuchen lässt, wirst du es ewig bereuen«, mischte sich nun auch ihr Vater ein. Normalerweise würde sie ihm da zustimmen, aber da sie nicht beabsichtigte, länger als eine Woche bei Shane zu wohnen, war die Möbelfrage relativ unerheblich. Greta rührte Milch und Zucker in ihren Kaffee. »Ich vertraue Shanes
Geschmack.« »Du willst also nicht mitkommen?« fragte Shane. Greta schüttelte den Kopf, woraufhin beide Männer anklagend den Blick auf sie richteten. »Na gut, dann mache ich mich jetzt wohl besser auf den Weg.« Shane kippte den Rest seines Kaffees in einem Zug hinunter und stellte seine Tasse auf den Tisch. »Willst du nicht noch bleiben und etwas frühstücken?« Greta deutete auf den prall gefüllten Kuchenkarton. Er schüttelte den Kopf. »Ich esse unterwegs eine Kleinigkeit. Bis heute Abend dann.« Greta schwankte zwischen Schuldgefühlen und Erleichterung. Sie bedachte ihn mit einem kühlen Blick. »Um wie viel Uhr?« »Ich weiß nicht genau. Zur Abendbrotzeit.« Shane verabschiedete sich von Bart, drückte Greta einen braven Kuss auf die Wange und umarmte sie flüchtig. Dann strebte er zum Ausgang. »Du hättest ihn begleiten sollen, Liebes«, erklärte Bart mit mildem Tadel, nachdem Shane die Tür hinter sich zugezogen hatte. Greta wusste, dass sie Shane verletzt hatte. Auch wenn sie sich lediglich so verhielt, wie sie es abgesprochen hatten, um ihre Familien davon zu überzeugen, dass sie nicht zusammenpassten. »Dad…« »Er bemüht sich, euch ein Zuhause zu schaffen. Dabei verdient er deine Hilfe.« Er verdient in der Tat etwas, mich hier so bloßzustellen, schäumte sie innerlich. »Ich werde tun, was ich kann«, versprach sie. Außer wirklich seine Frau zu sein. Oder zusammen in einem Bett mit ihm zu schlafen. Oder wilden, heißen Sex mit ihm zu haben. Oder sich Hals über Kopf in ihn zu verlieben. Bart betrachtete sie voll väterlicher Sorge. »Sieh mal, Klei-
nes, ich hätte dir bestimmt nicht zu so einer überstürzten Heirat geraten. Aber wo es nun einmal passiert ist, bist du es Shane schuldig, ihm die bestmögliche Frau zu sein. Dein Mann verdient es, dass du ihm ein gemütliches Heim schaffst.« Und wenn sie das nicht konnte oder wollte, würde das nicht reichen, um die Annullierung bis zum Ende der Woche durchzukriegen? Unwillkürlich musste Greta grinsen, und sie wandte das Gesicht ab. Ohne es zu wollen, hatte ihr Vater ihr gerade einen Weg gezeigt, um aus dieser unmöglichen Situation herauszukommen. Greta war gerade damit beschäftigt, eine der zwei Geschirrspülmaschinen zu leeren, als die Hintertür geöffnet wurde und die spätnachmittägliche Sonne den Raum durchflutete. Sie wandte sich um und sah Beau Chamberlain hereinkommen. Er nahm seine Designer-Sonnenbrille ab und schenkte ihr sein strahlendstes Filmstar-Lächeln. »Was für ein toller Anblick für meine geplagten Augen!« »Beau!« »Wie geht’s dir, Kleine?« Beau trat zu ihr und zog sie in die mächtigen Pranken. Greta begrüßte den kräftigen Ex-Texaner mit dem schwarzen Haar und dem Schlafzimmerblick wie den Bruder, den sie sich immer gewünscht, aber nie bekommen hatte, bis Beau vor einigen Jahren in ihr Leben getreten war. »Bist du gekommen, um mich zu besuchen oder um dir den Club anzusehen?« neckte sie ihn. »Wie war’s mit ein bisschen von beidem?« Er sah sich anerkennend in der blitzsauberen Küche mit den blank gescheuerten Arbeitsplatten, den Profi-Herden und Backöfen und dem riesigen Kühlraum um. Bei seinem letzten Besuch vor wenigen Wochen war all das noch nicht vorhanden gewesen. »Hey, das nimmt ja langsam Formen an.« Er bewunderte die weiß getünchten Wände und den Fußboden aus TerrakottaFliesen. »Du wirkst allerdings ziemlich mitgenommen.« Beau
klaubte einen Streifen Tesafilm aus ihrem Haar. Greta zog die Nase kraus und schob seine Hand beiseite. Seit heute Morgen hatte sie Geschirr ausgepackt, es in die Spülmaschinen gesteckt und anschließend in die Schränke geräumt. »Es war ein langer Tag.« Genau gesagt achtundvierzig Kartons lang. Aber die Arbeit musste schließlich getan werden, und je eher, desto besser. »Ich könnte mir vorstellen, nicht der einzige lange Tag.« Obwohl man hätte meinen können, dass Beau alles hatte, was er sich wünschte, wusste Greta, dass er immer noch unter einer hässlichen, bitteren Scheidung litt und unter dem kompletten Verlust seiner Privatsphäre. Wenn einer verstand, wie sie sich fühlte, dann er. »Du hast es bereits gehört, hm?« »Dass ich die Liebe meines Lebens verloren habe? Bei meinem Agenten steht das Telefon nicht mehr still. Die Leute interessieren sich mehr für deine Eskapade als für meinen neuen Film.« »Wie kommst du übrigens damit voran?« Sie wusste, dass er in Mexiko gewesen war. »Ich bin noch immer auf der Suche nach den perfekten Kulissen. Hoffentlich werden wir bald fündig.« Wie selbstverständlich half er Greta, das Geschirr einzusortieren. »Viel Glück«, wünschte sie ihm teilnahmsvoll. »Willst du mir nicht von dem Knaben erzählen, der dir diesen reizenden Ring angesteckt hat?« fragte Beau mit einem Blick auf ihren Ringfinger. »Nein.« Greta machte sich daran, den nächsten Karton mit Geschirr zu öffnen. »Nicht einmal, um meinen Agenten mit Infos über die näheren Umstände dieser Verbindung zu versorgen, damit er sie nah und fern verkünden kann?« neckte Beau sie, während er ihr half, Dutzende von Keramikbechern aus ihrer Hülle aus Seidenpapier zu wickeln und in den Geschirrspüler einzuräu-
men. »Oh Beau, ich sitze richtig in der Klemme.« Greta fasste kurz die Ereignisse und Motive zusammen, die zu ihrer überstürzten Heirat mit Shane geführt hatten. Beau pfiff durch die Zähne. »Und ich dachte, mein Leben sei kompliziert.« Die beiden sahen sich an. »Ich hoffe, die ganze Geschichte wird unsere kleine Abmachung nicht gefährden.« Greta verzog das Gesicht. Sie hasste es, Beau im Stich zu lassen. »Das hat sie schon«, gab sie widerstrebend zu. »Da gibt es leider eine ganze Horde wohlmeinender Berater, die mir dauernd Ratschläge erteilen, wie diese Ehe ein Erfolg wird.« »Aber du willst gar nicht, dass sie ein Erfolg wird«, vermutete Beau. Greta hatte die Geschirrspülmaschine bis an den Rand gefüllt. Jetzt gab sie eine Reinigungstablette hinzu, schloss die Tür und setzte die Maschine in Betrieb. »Ich suche händeringend nach einem Ausweg.« Bevor ich mich auch noch in Fantasievorstellungen verliere und mir einbilde, ich könnte Shane wirklich ein ganzes Leben lang an mich binden, fügte sie in Gedanken hinzu. »Dein Fluchtplan taugt also nichts?« Greta seufzte. Sie lehnte sich an den Arbeitstresen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Shane und ich hatten eigentlich mit mehr Widerstand gerechnet. Dass unsere Eltern und Freunde uns beknien würden, die Ehe annullieren zu lassen oder so.« »Doch die denken gar nicht daran.« Sie schüttelte den Kopf. »Mit Ausnahme von Shanes ExFreundin, nein.« Beaus Augen blitzten belustigt. Er hatte einen Hang zu solch kleinen Schmierenkomödien. »Klingt ziemlich kompliziert.« »Das kannst du wohl laut sagen«, seufzte Greta. Beau strich sich nachdenklich übers Kinn. »Willst du mich am Samstagabend wirklich hier haben?«
»Ja, auf jeden Fall. Allerdings«, fügte sie zögernd hinzu, »erzähle ich besser niemandem davon.« »Ich verstehe«, erwiderte er grimmig. »Wir wollen ja nicht, dass das Ganze in ein Beauregard-Chamberlain-FanclubEreignis ausartet.« »Genau.« Beau breitete die Arme aus, und Greta flüchtete sich in seine Trost spendende, brüderliche Umarmung. Er tätschelte ihr liebevoll die Schulter. »Lass mich wissen, falls du etwas brauchst, egal was.« »Alles, was sie braucht, kriegt Greta von mir«, ertönte da plötzlich eine Stimme. Greta und Beau wirbelten herum und entdeckten Shane, der im Türrahmen lehnte. Er sah erhitzt und müde aus. Und mehr als nur ein bisschen ungehalten, seine »Frau« in den Armen ihres früheren »Freundes« wiederzufinden. Greta machte sich rasch los. »Du bist schon zurück!« »Scheint so.« Ohne Vorwarnung packte er sie, riss sie an sich und beglückte sie mit einem Begrüßungskuss, der ihr den Atem raubte. Gretas Vergnügen wurde nur durch das Bewusstsein geschmälert, dass das alles reine Show war. Dennoch war ihr schwindlig, als er sie losließ. »Hast du den Hochdruckreiniger für die Ställe gekauft?« fragte sie. »Ja, und ein Bett auch.« Greta wurde rot. Unpassenderweise hatte sie sich gerade wie die typische Ehefrau angehört. Beau trat vor, wohl mindestens ebenso neugierig auf Shane wie dieser auf ihn war. Er stellte sich vor und streckte die Hand aus. »Sie sind also Gretas frisch gebackener Angetrauter.« Shane nickte und erkundigte sich in gönnerhaftem Wohlwollen: »Und was führt Sie hierher?« Beau warf einen raschen Blick auf Greta. »Zwei Gründe. Ich hörte von der überraschenden Hochzeit, und ich wollte mal sehen, wie weit Greta mit ihrem Tanzclub ist.«
Greta fühlte sich immer unwohler. Sie kam sich vor, als stünde sie zwischen diesen beiden Männern, was natürlich lächerlich war, da sie mit keinem eine Beziehung hatte. »Wie du siehst, geht alles prima voran.« Beau grinste anerkennend. »Ja, das kann man wohl sagen.« Shane fasste seinen vermeintlichen Konkurrenten scharf ins Auge. »Bleiben Sie lange?« Beau schüttelte den Kopf. »Leider nein. Ich habe heute Abend noch einen Termin. Ich will mir die Kulisse für einen Film ansehen.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ich glaube, ich muss mich beeilen, wenn ich nicht zu spät kommen will.« Shane konnte kaum verhehlen, wie gern er seinen Gegner endlich loswurde. »Wir wollen Sie selbstverständlich nicht aufhalten.« Besitz ergreifend legte er Greta den Arm um die Taille. Beaus Blick sprach Bände. Er bedeutete Greta, dass sie noch alle Hände voll zu tun haben würde, was Shane McCabe betraf. Wie Recht er doch hatte! Schließlich schaffte Shane es immer wieder, sie völlig aus dem Gleichgewicht zu bringen, wie er ja gerade eben bewiesen hatte. Beau nickte Shane zum Abschied zu und wandte sich an Greta. »Ruf mich an, wenn du meine Hilfe brauchst. Ich bin jederzeit für dich da.« »Ich weiß«, erwiderte Greta dankbar. Beau schob sich die Sonnenbrille über die Augen und verließ den Tanzclub durch die Hintertür. Im selben Moment ließ Shane Greta los, als hätte er sich verbrannt. Sie schaffte es nur mühsam zu verbergen, wie verletzt sie war. Und wütend. Ihre kleine Schmierenkomödie galt schließlich nur ihren Eltern und nicht Beau! »Das war wirklich das Letzte, Shane!« fauchte sie. Sein unhöfliches Benehmen Beau gegenüber ärgerte sie. »Überrascht dich das etwa?« Er hob in kühlem Erstaunen die
Brauen. »Ja, allerdings! Man kann dir ja alles Mögliche nachsagen, aber ich wusste bis jetzt noch nicht, dass Unhöflichkeit auch dazu gehört!« Dabei hätte sie sich so gefreut, wenn Beau und Shane Freunde geworden wären. »Hör mal, Greta.« Er packte sie bei den Schultern und zog sie grob an sich. »Man hat mich schon betrogen. Und das wird mir, verdammt noch mal, kein zweites Mal passieren!«
6. KAPITEL Shane bereute seine Worte, kaum hatte er sie ausgesprochen. Doch jetzt war es zu spät, sie zurückzunehmen. Gretas Augen blitzen interessiert auf. »Sprichst du über Bonnie Sue?« »Ja«, versetzte er und ließ Greta los. Mitleid war das Letzte, was er von ihr wollte. Doch Greta ließ nicht locker. »Davon weiß ich ja gar nichts.« »Weil ich nie jemandem etwas davon erzählt habe.« Es war eine demütigende Erfahrung gewesen, dass er, der umschwärmte Rodeo-Star, letztendlich die Frau, der er sein Herz geschenkt hatte, nicht hatte halten können. »Nicht mal deiner Familie?« bohrte Greta vorsichtig nach. »Nein.« »Warum nicht?« »Weil ich keine Lust hatte auf den Spruch ,Haben wir es dir nicht gleich gesagt?'« »Sie haben es also kommen sehen?« Shane zuckte die Achseln. »Obwohl eigentlich alle Bonnie Sue recht gut leiden konnten, war meine Familie davon überzeugt, dass wir letztendlich nicht zusammenpassen.« Es hatte ihn hart getroffen, dass seine Familie mit ihrer Einschätzung Recht behalten hatte – nachdem er sechs Jahre lang mit Bonnie Sue zusammen gewesen war und sie trotz all der
Versuchungen und langen Trennungen nie betrogen hatte. »Was war denn passiert?« Plötzlich verspürte Shane das Bedürfnis, sich endlich mal jemandem anzuvertrauen. Er nahm Gretas Hand und setzte sich mit ihr an den Tisch in der Ecke. »Bonnie Sue hatte da diesen Freund an der Uni. Ein Kommilitone von ihr. Die beiden haben immer zusammen gelernt. Wenn ich auf einem Rodeo war, hat er sie auf Studenten-Partys begleitet. Sie hat immer behauptet, er sei ihr wie ein Bruder, und ich Idiot habe ihr das auch noch abgekauft.« »Doch dann ist etwas passiert.« Shane nickte. »Ihr letztes Jahr. Ich hab sie an der Uni besucht, ohne mich vorher anzumelden.« Er nahm ihre Hände und strich gedankenverloren mit den Daumen über die seidig weiche Innenseite ihrer Hände. »Zu jener Zeit bewohnte sie ein eigenes Apartment. Ich hatte einen Schlüssel. Als sie nicht auf mein Klingeln antwortete, habe ich mir selbst aufgeschlossen und die beiden zusammen im Bett erwischt.« Greta drückte seine Hand. »Oh Shane.« Ihr Ton drückte tiefes Mitgefühl aus. »Sie schwor, es würde nichts bedeuten – dass sie mich liebt, nicht ihn. Sie sei nur einfach so einsam gewesen, wenn ich wochenlang zu Rodeo-Turnieren unterwegs war.« Shane schluckte. Das Gefühl von Verrat und Demütigung war so spürbar wie damals. »Du hast also Schluss gemacht. Und sie ist zusammen mit ihm auf die Stanford Law School gegangen.« »Kurz nach ihrem Examen haben sie geheiratet.« Er war auch eingeladen gewesen, aber um keinen Preis der Welt hätte er dieser Hochzeit beigewohnt. »Und jetzt lassen sie sich scheiden, weil Clint sie betrogen hat.« Shane merkte auf. Das wusste er noch gar nicht. »Ist das wahr?«
Greta nickte. Ihre blauen Augen blickten ernst. »Bonnie Sues Mutter und der Gerüchteküche zufolge ja.« Man hätte meinen können, diese Neuigkeit würde ihm Genugtuung bereiten, doch so war es nicht. Er war nicht der Typ, der sich am Unglück anderer erfreute. »Wie heißt es doch so schön: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.« »Bist du immer noch interessiert an ihr?« »Nein. Mit ihrer Untreue hat sie alle meine Gefühle für sie getötet.« Auf keinen Fall wollte er so etwas noch einmal erfahren. Er wünschte sich eine Frau, die hundertprozentig ehrlich zu ihm war. Keine kleinen Heimlichkeiten hinter seinem Rücken. Rastlos stand Shane auf. Draußen wurde es langsam dunkel, und Greta machte sich daran, die Läden im Lokal zu schließen. »Hättest du sie geheiratet, wenn du sie nicht mit Clint im Bett erwischt hättest?« Shane zog eine Grimasse. »Vermutlich ja«, gab er widerstrebend zu. »Und das wäre ein großer Fehler gewesen.« Er umfasste Gretas Taille und zog sie an sich. »Aber das Ganze hat nicht das Geringste mit dem zu tun, was zwischen dir und Beau ist.« Sie verheimlichte ihm etwas, das spürte er genau. Zwischen den beiden gab es mehr als reine Freundschaft. »Willst du mir nicht sagen, wie ihr wirklich zueinander steht?« »Nein.« Sie presste die Handflächen gegen seine Brust. »Aber da wir nun mal verheiratet sind, bleibt mit wohl nichts anderes übrig. Beau ist mein stiller Teilhaber«, erklärte sie seufzend, während sie sich seinem Griff entwand. »Ohne seine finanzielle Unterstützung hätte ich das alles hier nicht kaufen können.« »Hättest du denn keinen Existenzgründungs-Kredit aufnehmen können?« »Vermutlich schon, aber das war nicht nötig. Beau schwimmt geradezu im Geld. Er ist immer auf der Suche nach einer guten Abschreibungsmöglichkeit. Und er wollte mir helfen.«
Ein Gefühl heftiger Eifersucht packte ihn. »Und was erwartet er dafür?« fragte er so beiläufig wie möglich. »Fünfzig Prozent vom Gewinn.« Sie bedachte ihn mit einem spöttischen Blick. »Was dachtest du denn?« »Ich weiß nicht.« Shane zögerte, bevor er hinzufügte: »Was bedeutet dir der Kerl?« »Genau das, was ich dir und allen anderen immer wieder erzähle – nicht, dass irgendjemand auf mich hört«, versetzte Greta frustriert. »Er ist nur ein guter Freund.« »Im Moment«, schränkte er ein. Er hasste das Misstrauen, dass seine Gedanken beherrschte, aber er konnte nichts dagegen tun. Greta fasste ihn scharf ins Auge. »Nein«, korrigierte sie ihn frostig. Sie drehte ihm den Rücken zu und marschierte in die Küche zurück, um dort ebenfalls die Läden zu schließen und aufzuräumen. »Nicht nur im Moment, sondern für immer.« Sie säuberte die Kaffeemaschine. Keiner von beiden sagte ein Wort. Schließlich wandte Greta sich zu ihm um. »Du glaubst mir nicht.« Das war mehr eine Feststellung als eine Frage. Shane zuckte die Achseln. Sie sah einfach umwerfend aus in ihrem kurzen, engen Jeansrock, dem Jeanshemd und den Stiefeln im Western-Stil. Das Haar hatte sie zu einer lockeren Rolle gedreht und flüchtig hochgesteckt. Lauter lockige blonde Strähnen umrahmten ihr Gesicht. »Ich habe das Video über dich und Mr. Movie-Star gesehen.« Hätte er das bloß gelassen. »Du bist ja ganz schön neugierig«, konterte sie. Das war noch milde ausgedrückt. Doch auf keinen Fall würde er zugeben, wie neidisch er auf jede einzelne Verabredung war, die dieser Chamberlain mit Greta gehabt hatte. »Meine Mutter hat darauf bestanden.« »Du hast es also nur deiner Mutter zu Gefallen angesehen.« Das kaufte sie ihm keinen Moment lang ab. »Irgendwann musste ich es ja sehen. Warum es also nicht gleich hinter mich bringen?«
Greta setzte die gereinigte Kaffeemaschine wieder zusammen. Dann wandte sie sich zu Shane um und sah ihn an. »Und, was denkst du darüber?« »Dass du in Abendkleidung genauso umwerfend aussiehst wie in Jeans und Stiefeln.« Greta trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und warf das Handtuch achtlos beiseite. »Nein, im Ernst.« »Ich habe mich gefragt, ob ihr mal ein Liebespaar gewesen seid.« Ihre Wangen röteten sich. »Nein.« Aber Beau hätte nichts dagegen einzuwenden gehabt? fügte er im Stillen hinzu. »Und überhaupt, das Ganze geht dich gar nichts an«, versetzte Greta arrogant. Shane ermahnte sich, nicht zu schnell vorzupreschen. »Wir sind verheiratet, und er spielt immer noch eine wichtige Rolle in deinem Leben. Ich glaube, die Sache geht mich sehr wohl etwas an.« »Ich habe dir doch gesagt, weshalb er hier ist.« Sie rauschte an ihm vorbei. Und Clint war immer mit Bonnie Sue zusammen gewesen, um mit ihr zu lernen. Greta lehnte sich gegen die Arbeitsplatte aus polierten Edelstahl. »Du glaubst mir nicht, oder?« Shane trat zu ihr und blieb dicht vor ihr stehen. »Er ist schließlich ein attraktiver Mann.« Er ließ den Blick über Gretas Körper gleiten, betrachtete bewundernd die langen, sexy Beine, die schmale Taille und die üppigen Brüste. »Ich sehe keinen Grund, warum er nicht hätte mit dir schlafen wollen.« Ihre blauen Augen blitzten zornig auf, und ihre Brust hob und senkte sich aufgeregt. »Wie war’s damit, dass ich nicht mit ihm schlafen wollte?« »Er hat dich also angemacht«, erklärte Shane grimmig. Allein der Gedanke brachte ihn schon auf die Palme.
»Bei unserem ersten Rendezvous haben wir uns geküsst.« Sie sah ihm fest in die Augen. »Und…?« »Gar nichts und!« Sie warf aufgebracht den Kopf zurück. »Uns wurde sofort bewusst, dass wir einander eigentlich mehr wie Bruder und Schwester mögen.« Shane verschränkte die Arme vor der Brust. »Da scheinen deine Eltern allerdings anderer Meinung zu sein.« Greta schwang sich auf die Arbeitsplatte und ließ die Beine baumeln. »Das ist doch nicht meine Schuld. Ich habe ihnen gesagt, wie es steht. Sie wollten mir nicht glauben.« »Ebenso wenig wie alle anderen Kinogänger.« Er registrierte, wie sie gedankenverloren an ihrem Rocksaum zupfte. Er trat einen Schritt näher und stützte sich zu beiden Seiten von ihr auf dem Tresen ab. Eine immer wiederkehrende Szene aus dem Video fiel ihm ein. Beau Chamberlain, wie er Greta den Arm um Taille und Schultern legte. Unzählige Male. »Falls ihr beide wirklich nie was zusammen hattet, dann habt ihr eine verdammt gute Show abgezogen.« Greta seufzte ungeduldig. »Er hat es ja auch extra darauf angelegt, dass es so aussieht, als seien wir zusammen.« »Und warum?« »Weil es der einzige Weg war, sich der Aufdringlichkeit der Fan-Magazine und der Boulevard-Presse zu erwehren.« Sie sah ihn nachsichtig an. »Nach seiner Scheidung haben sie auf Teufel komm raus versucht, ihn mit jemandem zusammenzubringen. Als er nicht mitmachte, haben sie ihn einfach mit jeder x-beliebigen Frau in seiner Nähe abgelichtet – selbst wenn er die Frau gar nicht kannte! – und behauptet, die beiden seien ein Paar. Schließlich hatte er es satt. Also hat er mich gebeten, bei offiziellen Anlässen so zu tun, als sei ich seine Freundin, und ich habe mitgemacht.« Doch damit allein gab Shane sich noch nicht zufrieden. »Weil du es genossen hast, sich als seine neueste Eroberung zu
präsentieren?« »Nein. Weil ich sein Kumpel war und weil ich sein Dilemma verstehen konnte. Außerdem hat es mir Spaß gemacht, mal im Rampenlicht zu stehen«, bekannte sie. Das wiederum konnte Shane ihr gut nachempfinden. Auch er hatte seine Popularität immer genossen. »Solange du mit mir verheiratet bist, muss der Spaß ein Ende haben.« Greta stemmte die Hände in die Hüften und wäre aufgesprungen, hätte Shane sie nicht so eingekesselt. »Hast du mich vorhin deshalb so geküsst?« wollte sie aufgebracht wissen. »Ich habe dich geküsst, weil es das Normalste der Welt für ein frisch verheiratetes Paar ist, das sich den ganzen Tag lang nicht gesehen hat.« »Aber nicht so, du weißt schon.« Sie stieß ihn mit den Knien an, damit er sie endlich vorbei ließ. »Wie?« Er genoss ihre Nähe, den Duft und die Wärme, die von ihrem Körper ausgingen. Er dachte gar nicht daran, sich auch nur einen Zentimeter von ihr weg zu bewegen. »Also wolltest du sagen: ,Das ist meine Frau, Kumpel, lass ja die Hände von ihr’.« Shane grinste amüsiert. »Du meinst also, so hätte ich dich geküsst?« Sie war wirklich schön in ihrer Wut, mit blitzenden blauen Augen, zart geröteten Wangen und entrüstet aufgeworfenen Lippen. »Etwa nicht?« schoss sie hitzig zurück. Sie stemmte die Hände gegen seine Schultern, um ihn zurückzudrängen. »Nein.« Er lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen ihre Handflächen, schob seine Hände zwischen ihre Knie, presste sie auseinander und trat einen Schritt vor, zwischen ihre gespreizten Schenkel. Mit einer blitzschnellen Bewegung umfasste er ihre Hüften, zog sie an sich, so dass sie kaum Zeit hatte, empört nach Luft zu schnappen, bevor ihre Beine um seine Mitte geschlungen waren. Er fasste in ihr Haar, bog ihren Kopf zurück und beugte sich über ihre Lippen. »So küsse ich
eine Frau, wenn ich zeigen will, dass sie mir gehört.« Greta sehnte sich nach seinen Lippen, ahnte seinen Kuss schon, bevor Shane überhaupt ihren Mund berührte. Doch dann waren seine Lippen auf ihren, nahmen sie auf eine Weise in Besitz, von der Greta schon immer geträumt hatte. Ihr Herz raste, ihr wurde schwindlig, und sie nahm nichts mehr um sich herum wahr. Sie stöhnte, ob aus Protest oder aus Lust, hätte sie nicht sagen können, während er ihren Mund eroberte. Lippen, Zähne, Zunge, er setzte alles ein, um ihr ein Maximum an Lust zu verschaffen. Ihr wurde immer heißer, und ein nie gekanntes Wohlgefühl durchströmte ihren Körper. Sie wollte ihn, brauchte ihn. Voller Verlangen verflocht sie die Finger in seinem Haar und zog ihn dichter an sich. Völlig überwältigt von seinem heißen, salzigen Geschmack strich sie über seine Wangenknochen, küsste seine Mundwinkel, knabberte an seiner Unterlippe. Der aufregend herbe Duft seines After Shaves mischte sich mit dem sauberen Geruch von Seife und Sonne. Seine Hände wanderten von ihren Hüften zu ihren Schenkeln, und er schob ihren Rock hoch. Seine von der Arbeit rauen Hände überwanden die Barrieren aus zarter Spitze und berührten die weiche, seidige Haut darunter. Greta bog sich ihm entgegen, und sie spürte den Stoff seiner Jeans an den Innenseiten ihrer Schenkel. Seine Hände wanderten weiter, und geschickt knöpfte er ihr die Bluse bis zum Bauchnabel auf. Ein kühler Lufthauch strich über ihre erhitzte Haut. Er küsste sie wieder und wieder mit heißen, hungrigen Lippen. Dann schob er die Träger ihres BHs über ihre Schultern und umfasste ihre vollen Brüste. Mehr als einen Kuss hatte Shane eigentlich nicht im Sinn gehabt, doch als er jetzt ihre Brüste streichelte und spürte, wie die Spitzen hart gegen seine Handflächen perlten, wusste er, dass es kein Zurück mehr gab. Früher oder später würden sie zusammen schlafen. Sie würden beide keine Ruhe haben, bis es passierte. Es würde wohl nicht hier sein und auch nicht jetzt.
Aber es würde passieren, und zwar bald. Und wenn es so weit war, würde es nicht das Geringste mit dem so genannten Handel zu tun haben, den sie abgeschlossen hatten. Doch bis dahin gab es noch einiges zu bedenken, wie er sich widerstrebend eingestehen musste. Er bezweifelte, dass Greta sich wünschte, ausgerechnet hier mit ihm zu schlafen. Langsam hob er den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Greta blinzelte, offenbar ebenso aufgewühlt wie er. Mit einer raschen Bewegung zog sie ihre Bluse über der Brust zusammen. »Was glaubst du eigentlich, was du da tust?« Brüsk stieß sie ihn zurück. »Du meinst, abgesehen von einer kleinen Demonstration des ,Diese-Frau-gehört-mir-Kusses’?« Ihm war bewusst, dass sie gerade etwas ganz Besonderes entdeckt hatten, etwas, das weit über die Scharade hinausging, die sie für ihre Eltern inszeniert hatten. »Abgesehen davon«, stieß sie atemlos hervor, während sie ihren BH zurechtzog und die Bluse zuknöpfte. »Nun, ich würde sagen, wir haben für unseren Hochzeitsempfang geübt.« Greta verdrehte entnervt die Augen. »Ich hoffe doch, dass wir die Sache beenden können, ‘bevor es dazu kommt«, erklärte sie energisch. Sie bemühte sich, sich genauso cool zu geben wie er. Ihn hatte ihr leidenschaftliches kleines Intermezzo anscheinend kaum berührt. »Das ist nicht sehr wahrscheinlich, wenn man bedenkt, was alles auf dem Spiel steht.« »Warte mal«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich dachte, wir bleiben nur für eine Woche oder so verheiratet.« »So lautete der ursprüngliche Plan.« Greta hob erwartungsvoll das Kinn an. Das klang gar nicht gut. Worauf wollte er hinaus? »Aber?« drängte sie. »Aber ich habe über dein und mein Geschäft nachgedacht«, erwiderte er ruhig. »Ein wenig Solidität kann unserem ge-
schäftlichen Ruf nicht schaden.« »Das fällt dir ausgerechnet jetzt ein!« fauchte sie wütend. Hätte sie sich doch bloß gar nicht erst auf diese verrückte Eskapade eingelassen! »Hey.« Er hob beschwichtigend die Hand. »Wir haben getan, was wir tun mussten, um deinen Ruf zu schützen.« Sie wandte sich ab und versuchte, nicht daran zu denken, wie unglaublich lebendig sie sich fühlte, wenn er in ihrer Nähe war. »Das stimmt«, räumte sie mit gedämpfter Stimme ein. In kleinen Kaffs wie Laramie, wo jeder alles über jeden wusste, konnten Tratsch und Klatsch tödlich sein. »Ich meine, wir sollten unsere Ehe nicht so übereilt aufgeben, wie wir sie geschlossen haben. Es ist für uns alle besser, wenn es zumindest so aussieht, als würden wir der Sache eine Chance geben, bevor die Ernüchterung der anfänglichen Vernarrtheit Platz macht.« »Und was glaubst du, wie lange das dauern wird?« fragte Greta unwillig. »Mindestens ein paar Wochen.« Bei der Vorstellung, die Scharade noch so lange weiter fortsetzen und mit Shane zusammenbleiben zu müssen, weiteten sich Gretas Augen. »Ein paar Wochen?« »Wenn du das Ganze mal vom geschäftlichen Standpunkt aus betrachtest, musst du mir Recht geben. Und geht es hier schließlich nicht ums Geschäft?« Er sah sie eindringlich an. »Und zwar für uns beide?« Greta gab sich geschlagen. Sie griff nach ihrer Handtasche und glitt geschickt an ihm vorbei, bevor er sie noch mal küssen konnte. »Na gut, ich erkläre mich einverstanden, etwas länger als ursprünglich geplant mit dir verheiratet zu bleiben!« rief sie ihm über die Schulter zurück zu, während sie bereits auf den Ausgang zustrebte. »Aber wage es ja nicht, mich auf dem Hochzeitsempfang zu küssen, jedenfalls nicht so!« Dann würden ihre Eltern nämlich alle möglichen Schlüsse ziehen,
vor allem den, dass Greta und Shane sich Hals über Kopf ineinander verliebt hatten. Und wie sollten sie sich dann aus der Affäre ziehen? »Ich bin einverstanden«, erklärte Shane. Er folgte ihr nach draußen und wartete, bis sie abgeschlossen hatte. »Der Kuss war sowieso viel zu erotisch für die Öffentlichkeit.« Er zwinkerte ihr mutwillig zu. »Solche Küsse gehören in die Flitterwochen.« Greta ging zu ihrem Wagen. Sie konnte es immer noch nicht fassen, wie sie sich da gerade eben in der Küche hatte gehen lassen. »Würdest du bitte endlich aufhören, dich über mich lustig zu machen?« Sie fing allmählich an zu begreifen, warum Frauen sich immer in die bösen Buben verliebten. Es machte so viel Spaß, mit ihnen zusammen zu sein, dass sie sich nicht um die Konsequenzen scherten. »Okay. Dann lass uns schnell nach Hause fahren, bevor wir in Versuchung kommen, das Ganze zu wiederholen.« »Ich habe ganz vergessen zu fragen«, setzte Greta an, als sie vor dem Ranchhaus aus dem Wagen stiegen, »wie deine Einkäufe gelaufen sind. Wie war das Pferd, das du dir angesehen hast? Und hast du auch Möbel gekauft?« »Die Pferde waren super. Ich habe zwei Stuten gekauft. Sie werden gleich übermorgen gebracht.« Was ihm nur einen Tag Zeit ließ, die Ställe in Ordnung zu bringen. »Das Bett wird noch heute Abend geliefert.« »Das Bett?« fiel Greta ihm ins Wort. Sie hörte sich ganz und gar nicht glücklich an. »Nur ein Bett?« Shane lud den Hochdruckreiniger ab und trug ihn auf die Veranda. Dann suchte er zusammen, was er heute Abend noch brauchen würde. »Kingsize-Format.« »Ich hätte zwei Einzelbetten vorgezogen«, erklärte Greta steif. »Oder besser noch, zwei große Betten, eins für dein Schlafzimmer und eins für das Gästezimmer.« »Das hätte sich bestimmt machen lassen, wenn im Haus nicht
so ein völliges Chaos herrschen würde.« Shane ging neben ihr her die Treppe hinauf und schloss die Haustür auf. »Wir werden alle Hände voll zu tun haben, das große vordere Schlafzimmer sauber zu machen, bevor das Bett ko…« Er blieb so abrupt stehen, dass sie in ihn hineinlief. »Was zum Teufel… hast du das alles gemacht?« Greta wurde rot. »Ich habe dieselbe Reinigungsfirma beauftragt, die ich auch für den Tanzclub engagiert hatte.« »Es fehlen natürlich noch neue Tapeten und frische Farbe, aber…« Shane sah sich kopfschüttelnd um. »In den Fenstern kann man sich ja regelrecht spiegeln.« Er grinste anerkennend. »Und die Fußböden – wer hätte gedacht, dass man sie noch so zum Glänzen bringen kann.« Er wandte sich zu Greta um, über alle Maßen erfreut, dass sie ihm diesen Gefallen getan hatte. »Was bin ich dir schuldig?« »Gar nichts.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Betrachte uns als quitt. Schließlich hast du unsere Hochzeit bezahlt. Du lässt mich für die nächsten Wochen hier bei dir wohnen, das spart mir die Miete.« Sie seufzte. »Ich hoffe, bis dahin läuft der Club so gut, dass ich genug Geld habe, um mir eine eigene Wohnung zu mieten, so dass ich nicht wieder bei meinen Eltern unterschlüpfen muss. Das war ohnehin nur eine Notlösung.« »Das kann ich dir nachempfinden.« Er bedachte sie mit einem mitfühlenden Blick. Dann legte er spontan den Arm um sie und gab ihr einen zärtlichen kleinen Kuss auf die Wange. »Danke. Du ahnst gar nicht, wie ich mich davor gefürchtet habe, nach Hause zu kommen und putzen zu müssen.« Ihr Herz machte einen freudigen Satz. Dass er ihre Bemühungen so sehr anerkannte, schmeichelte ihr. Wenn er sie als Gegenleistung doch bloß richtig geküsst hätte, voller Leidenschaft anstatt in brüderlicher Dankbarkeit…
7. KAPITEL »Ich glaube nicht, dass ich das schaffe«, erklärte Greta, als Shane seinen Wagen vor dem Haus seines Bruders Jackson parkte. Er und seine Frau Lacey gaben an diesem Abend eine kleine Familienfeier für die frisch aus den Flitterwochen zurückgekehrten Josie und Wade. Shane trug schwarze Designer-Jeans, auf Hochglanz polierte Westernstiefel und ein sauber gebügeltes blauschwarzes Westernhemd. Greta hatte sich für ein duftiges, wadenlanges Sommerkleid in weiß-gelbem Blumenmuster entschieden, das Rücken und Arme frei ließ. Dazu trug sie zierliche weiße Riemchen-Sandaletten. Ganz das respektable junge Paar. Zu respektabel für das, was sie vorhatten. »Natürlich kannst du.« Shane tätschelte ihr aufmunternd das Knie. »Sei du nur einfach so lieb und nett wie immer. Ich werde es sein, der sich daneben benimmt. Darin habe ich jede Menge Erfahrung.« »Aber ich bin eine verdammt schlechte Lügnerin«, wandte sie ein. »Dann vertrau mir einfach, dass ich dich wirklich echt auf die Palme bringe, okay?« Prophetische Worte, fuhr es ihr wenige Minuten später durch den Sinn. Kaum hatten sie das Haus betreten, da setzte Shane seinen Plan auch schon in die Tat um. Er scharwenzelte herum, als sei er Gottes Geschenk an die Frauen im Allgemeinen und an sie im Besonderen. Er hänselte sie mit allem und jedem, was ihm in den Sinn kam. »Wie man hört, haben euch ein paar Heinzelmännchen heute ein delikates Dinner hinterlassen«, erklärte Jackson mit einem breiten Grinsen, den Arm stolz um seine Frau Lacey gelegt. Gretas und Shanes Eltern hatten es mal wieder nicht lassen können. Da sie wussten, wie beschäftigt ihre Kinder mit der Arbeit waren, hatten sie klammheimlich ein kleines Festessen in Shanes Küche arrangiert, das die beiden am Abend, als sie
erschöpft nach Hause gekommen waren, mit einer entsprechenden Notiz vorgefunden hatten. »Gott sei Dank«, erwiderte Shane gedehnt. Er schenkte Greta ein provozierendes Lächeln. »Weil meine liebe Greta hier nämlich eine verdammt schlechte Köchin ist. So gut sie das Tanzbein schwingt, so schlecht sind ihre hausfraulichen Qualitäten.« »Shane McCabe!« Lilah war offensichtlich schockiert über die Art und Weise, wie ihr jüngster Sohn seine Frau in aller Öffentlichkeit bloßstellte. »Ist doch wahr«, nörgelte Shane weiter. »Mir ist erst heute Abend so richtig aufgefallen, dass sie überhaupt keine Ahnung vom Haushalt hat. Sie wusste nicht mal, dass man Topflappen braucht, um eine heiße Kasserolle aus dem Ofen zu nehmen. Hätte ich sie nicht zurückgehalten, dann hätte sie sich tüchtig die Hände verbrannt.« Alles wartete gespannt auf Gretas Reaktion. Sie zuckte nur gleichgültig die Achseln. »Ich kann also nicht kochen, na und? Ich finde sowieso, dass moderne Männer sich im Haushalt nützlich machen sollten.« »Nicht in unserer Ehe«, konterte Shane. Greta bedachte ihn mit einem herausfordernden Lächeln. »Wetten?« »Nun aber«, intervenierte Tillie beschwichtigend. »Natürlich wird Greta kochen. Wenn ihr Tanzclub erst einmal läuft und die beiden sich ein bisschen eingelebt haben. Habe ich nicht Recht, Liebes?« »Warum sollte ich?« erwiderte Greta, Shanes Blick festhaltend. Sie stieß einen hörbaren Seufzer aus und fuhr in gereiztem Ton fort: »Er würde sich sowieso über alles lustig machen, was ich ihm serviere.« »Nein, Liebes, das wird er nicht«, beeilte sich Lilah zu versichern. »Natürlich werde ich.« Shane schien seine Rolle als Oberma-
cho voll auszukosten. Er zog Greta in die Arme und hielt sie fest umschlungen. »Aber in einem hast du Recht, Greta, Darling.« Er gab .ihr einen kräftigen Klaps auf den Po. »Wie bei jeder anderen Frau auf Erden ist es deine Bestimmung, deinen Mann zu bedienen. Und da das nun mal so ist, erwarte ich von dir… au!« Mit einem Blick auf ihre Ellbogen rieb er sich demonstrativ die Rippen. »Das tat weh!« Vermutlich nicht halb so sehr, wie sie es sich gewünscht hätte. Greta bereute bereits, dass sie überhaupt hierher mitgekommen war. Und noch mehr ärgerte es sie, dass sie sich darauf eingelassen hatte, vor versammelter Mannschaft das streitlustige junge Paar zu spielen. Jetzt ging auch mit ihr das Temperament durch. Energisch befreite sie sich aus seiner Umarmung, trat zurück und stemmte die Hände in die Seiten. »Das ist nicht das Einzige, was dir weh tun wird, wenn du nicht endlich damit aufhörst, dich wie ein verdammter Chauvi aufzuführen!« Shane war ganz gekränkte Unschuld. »Was meinst du denn damit?« »Diesen Klaps auf den Po zum Beispiel!« ereiferte sie sich. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass alle Anwesenden die Szene gespannt verfolgten. »Und dann dieser dumme Spruch, dass Frauen dazu da seien, ihre Männer zu bedienen!« Shanes Brüder schienen sich köstlich zu amüsieren. Sie stießen einander grinsend in die Seite und verfolgten den Streit mit ungenierter Aufmerksamkeit. Sie hatten ihr Ziel erreicht und aller Welt demonstriert, dass ihnen keine glückliche Ehe beschieden war. Greta hoffte, dass Shane es jetzt gut sein lassen würde. Sie hätte es besser wissen müssen. Er hatte nicht die Absicht, vor seinen Brüdern als Trottel dazustehen. »Das klang neulich Abend aber ganz anders«, flunkerte er lautstark. Wieder schlang er die Arme um sie und zog sie dicht an sich. »In Wirklichkeit hast du nämlich nicht nur gesagt, dass
wir…« Er hielt inne, um ihr Ohrläppchen zu küssen. »… du wolltest sogar…« Jetzt reicht es aber, schäumte Greta. Es wurde Zeit, diesen Cowboy in seine Schranken zu weisen, auch wenn die ganze Familie dabei zusah. »Autsch!« Shane ließ sie abrupt los und hüpfte mit schmerzverzerrter Miene auf einem Bein, während er sich den malträtierten Fuß rieb. »Greta, Darling, du solltest besser auf deine Hacken und Ellbogen aufpassen«, beklagte er sich lautstark. »Aber gern«, schnappte sie. Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ das Haus. »Du darfst jetzt wieder mit mir reden«, erklärte Shane, als er seinen Pick-up vor der Ranch parkte. Mit einer Hand raffte Greta ihr Kleid zusammen, während sie sich mit der anderen an der weit geöffneten Beifahrertür festhielt. »Dazu müsste ich allerdings mit dir reden wollen«, konterte sie hochmütig. Seine ausgestreckte Hand ignorierend, sprang sie aus dem Truck. »Und das tue ich nicht.« Er legte ihr stützend den Arm um die Taille, als ihre zierlichen Sandaletten den Boden berührten. »Bist du immer noch sauer auf mich, weil ich dich aufs Ohr geküsst und dir einen Klaps auf den Po gegeben habe?« Greta schüttelte seine Hand ab. »Allerdings, das bin ich«, gab sie eisig zurück. Sie hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige gegeben für sein hoffnungslos altmodisches, chauvinistisches Gehabe. Shane grinste auf seine unnachahmlich unverschämte Art. »So etwas ist dir wohl noch nie passiert, hm?« Greta tat ihr Bestes, verächtlich auf ihn herabzusehen – kein einfaches Unterfangen, da er doch gut zwanzig Zentimeter größer war als sie. Sie rauschte an ihm vorbei ins Haus und marschierte geradewegs in die Küche. »Und das vor versammelter Familie!« Sie nahm eine Dose Kirsch-Soda aus dem Kühlschrank und riss den Verschluss auf.
Shane tat es ihr gleich. »Aber wir hatten doch beschlossen, einen glaubwürdigen Streit zu inszenieren!« »Das ist uns ja auch bestens gelungen!« Shane hob ratlos die Hände. »Und?« Greta versetzte dem Kühlschrank einen wütenden Fußtritt. »Musstest du deinen Auftritt denn so sehr genießen? Und wage ja nicht, das zu leugnen!« »Ich gestehe, ich hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß.« »Ich hoffe, du hast es gründlich genossen, denn noch einmal gebe ich dir diese Chance nicht!« »Nun komm schon. Du weißt doch, dass ich nur Spaß gemacht habe.« »Zu dumm, dass ich es ernst gemeint habe.« »Inwiefern?« »Ich werde nicht für dich kochen… niemals!« verkündete sie triumphierend. Shanes amüsiertes Grinsen erstarb. Mit plötzlich rauer Stimme brachte er hervor: »Kochen ist nicht das, was ich von dir will, Greta, und das weißt du genau.« Sein eindringlicher Blick ließ Greta den Atem stocken. »Jetzt träumst du wohl. Auf keinen Fall werde ich heute Nacht mit dir im selben Bett schlafen!« Shane fuhr sich durch das zerzauste, von der Sonne ausgebleichte Haar. »Und ich schwöre dir, dass ich auf keinen Fall in einem Stuhl oder auf dem Fußboden nächtige.« »Du hast Recht, das wirst du nicht. Du schläfst nämlich im Stall.« Greta packte ihn bei den Schultern und drehte ihn in Richtung Ausgang. Komischerweise ließ er sich widerstandslos zur Hintertür dirigieren. Er schien sogar erfreut. »Meinst du das ernst?« fragte er begeistert. »Ja, ich meine es sogar verdammt ernst.« Ungehalten stampfte sie mit dem Fuß auf. »Mir soll’s recht sein.« Er bückte sich und schwang Greta mit
einer raschen Bewegung über seine Schulter. »Was soll das?« protestierte sie aufgebracht und klammerte sich an seinem Gürtel fest. Shane stieß die Tür auf und bugsierte sie vorsichtig hindurch. »Wonach sieht es denn aus, Darling? Dein Wunsch ist mir Befehl.« Er trug sie über den in milchiges Mondlicht getauchten Hof in Richtung Ställe. Greta beschloss, dass es an der Zeit war, nun ihrerseits seinen Po zu bearbeiten – und zwar mit den Fäusten. »Du sollst im Stall schlafen, nicht ich!« Sie strampelte wild mit den Beinen, doch umsonst. Shane hielt sie nur um so fester. »Du kennst doch den berühmten Trauspruch, Darling.« Er stieß die Stalltür auf und knipste das Licht an. »Wo du hingehst, da will auch ich hingehen’. Also, wo ich schlafe, da schläfst auch du.« Gut gelaunt trug er sie den Mittelgang entlang, als wiege sie nicht mehr als ein Sack Federn. Im Vorbeigehen schnappte er sich zwei frische, neue Decken von einem Stapel, betrat dann die erste Box und warf die Decken auf den mit frischem Heu ausgestreuten Zementboden. »Lass mich runter«, verlangte Greta tapfer. »Aber gern.« Shane stellte sie sanft auf die Füße. »Und nun lass mich gehen.« Jetzt, wo sie endlich wieder aufrecht stand, fühlte sie sich ein wenig schwindlig und außer Atem. »Das geht leider nicht, Darling.« Shane schüttelte den Kopf, schloss die Tür und legte den Riegel vor. Die Art und Weise, wie er ihr zuzwinkerte, gefiel ihr ganz und gar nicht. Ihre Kehle war plötzlich wie ausgedörrt, und sie schluckte hart, wobei sie ihr Bestes tat, so zu tun, als interessiere sie sein kleines Spielchen nicht die Bohne. »Ich meine es ernst, Shane.« Sie wünschte, sie hätte etwas Seriöseres an als diesen nahezu durchsichtigen Fetzen, den sie trug. »Lass mich durch.«
»Erst, wenn du mich geküsst hast.« Sie runzelte die Stirn. »Du stellst Bedingungen, um mich hier raus zu lassen?« Er vergrub die Hände in den Gesäßtaschen seiner Jeans und schien damit zufrieden, hier die ganze Nacht wartend stehen zu bleiben. Er liebkoste ihren Körper mit seinen Blicken: die schön geschwungenen Lippen, die vollen Brüste, die festen Schenkel und wohlgerundeten Hüften. »Sieht so aus, ja.« Ihr Herz raste. »Und wenn ich Nein sage?« »Dann wird’s wohl eine lange Nacht.« Und er schien nicht im Mindesten müde. Sie straffte die Schultern und strafte ihn mit einem vernichtenden Blick. »Du… du… Scheusal!« Shane lehnte sich lässig gegen die Stalltür. Spöttisch schüttelte er den Kopf. »Fällt dir nichts Originelleres ein?« »Ein Kuss, hast du gesagt?« Allein bei dem Gedanken daran zitterten ihr die Knie. Das war eine schlechte Idee. Warum aber war sie dann so aufgeregt, wenn sie bloß daran dachte? »Und dann kann ich gehen?« Shane zuckte gleichmütig mit den Schultern. In dem gelblichen Licht sah er unverschämt gut und unverschämt entschlossen aus. Er spitzte die Lippen. »Falls du nicht noch einen zweiten Kuss willst.« Eine heiße Woge des Verlangens durchflutete ihren Körper. »Ich habe keine Angst vor dir, Shane McCabe.« Shane stieß sich von der Tür ab und trat zu ihr. »Gut«, brachte er mit rauer Stimme hervor. »Das sollst du auch nicht, nie im Leben.« Er schlang einen Arm um ihre Taille und presste seine Lippen auf ihren Mund. Und zum ersten Mal seit langem hatte Greta das Gefühl, endlich dort angekommen zu sein, wohin sie wirklich wollte. Seine Arme umschlossen sie warm und beschützend, seine Lippen fühlten sich weich und doch fordernd an. Ein wohliger Schauer durchrieselte sie, als er sanft
an ihrer Unterlippe zu saugen begann. Unfähig, sich dem Zauber der Situation zu entziehen, begann Greta seinen Kuss zu erwidern, zuerst zögernd, dann mit wachsender Leidenschaft. Shane zog sie so dicht an sich, dass ihre Körper wie miteinander verschmolzen wirkten. Greta stöhnte laut auf und schmiegte sich sehnsüchtig an ihn. Shanes Kuss wurde heißer, fordernder. Ihr keuchender Atem durchbrach die Stille, und ein heißes Prickeln breitete sich in ihrem Körper aus. Aufgeregt erschauerte sie in seinen Armen. Shane hob den Kopf, sah sie fragend an. Es war ihr egal, dass er wieder mal Recht behalten hatte sie wollte noch einen zweiten Kuss! Aufseufzend nahm sie seinen Kopf zwischen beide Hände und zog ihn zu sich heran. »Lass uns das noch mal probieren.« »Ich hatte gehofft, dass du das sagen würdest.« Ihr war inzwischen ganz schwach vor Verlangen. Shane drückte ihre Schenkel auseinander und trat zwischen sie, wobei er sie gegen die harte Stallwand presste. Seine Lippen strichen über ihren Hals, was ihren Körper wie elektrisiert erschauern ließ. Greta schloss die Augen und bog sich ihm seufzend entgegen. Er umschloss ihre Brüste mit beiden Händen. Sie wusste, wie sehr auch er nach ihr verlangte, sie spürte es überdeutlich. Und dann gab es kein Zurück mehr. Seine Lippen umschlossen ihre in einem wilden Kuss, und sie erwiderte seine Leidenschaft nicht minder feurig. Ihre Zungen begegneten sich in einem erregenden Tanz. Aufstöhnend streifte Shane ihr das Kleid von den Schultern. Er liebkoste ihre Brüste in dem zarten Spitzen-BH, ohne die Lippen von ihren zu lösen. Mit einer geschickten Bewegung öffnete er den Verschluss ihres BHs und streifte ihn ihr ebenfalls von den Schultern. Er presste seine harten, heißen Lenden gegen ihre Schenkel, während er mit dem Daumen über die zarten Brustspitzen strich, bis diese sich hart und wie sehnsuchtsvoll aufrichteten.
Schließlich löste er sich von ihren Lippen und küsste einen feurigen Pfad ihren Hals hinunter bis zu ihren Brüsten. Als er erst die eine, dann die andere rosige Knospe mit den Lippen umschloss und seine Zunge ein erregendes Spiel begann, stöhnte Greta laut auf. Lustvoll setzte er die Erkundung ihres Körpers fort, wanderte mit den Lippen zu ihrem flachen Bauch, vergrub die Zunge spielerisch in ihrem Bauchnabel und kniete sich vor sie, wie ein Ritter, der seiner Königin huldigte. Dies war die Erfüllung all ihrer Träume. »Shane«, hauchte sie sehnsüchtig. Er sah kurz zu ihr auf, die grauen Augen dunkel vor Leidenschaft. »Lass mich.« Seine Stimme klang sanft und doch fordernd. Sie konnte sich seinem und ihrem eigenen Verlangen nicht länger widersetzen. Die Welt um sie herum begann sich zu drehen, als er ihr Kleid bis zur Taille hochschob. Er bedeckte ihre Schenkel mit heißen kleinen Küssen, dann ihren Bauch und das Spitzenhöschen. Mit der Zunge glitt er bis zu ihrem Nabel hinauf und wieder hinunter. Die innigen Liebkosungen seiner Lippen und seiner Zunge ließen sie erschauern, sie vergrub die Hände in seinem Haar und zog seinen Kopf dicht zu sich heran. In dem Bewusstsein, dass sie das hier wollte, ihn wollte, wie sie nie zuvor im Leben etwas begehrt hatte, stöhnte sie leise auf. »Shane«, stieß sie mit rauer Stimme hervor, bittend, flehentlich. Mit einer einzigen raschen Bewegung zog er ihr das Höschen bis zu den Knien herunter. Seine Hände wanderten ihre Schenkel hinauf. Er streichelte sanft ihren Po und ihre Schenkel, während er seine Lippen auf ihre heiße Haut presste. Er reizte sie mit der Zunge, bis sie aufstöhnend den Kopf zurückwarf. Ihr Körper bebte vor Verlangen. Und dann wurde sie mitgerissen in einem Strudel der Lust und Erfüllung. Shane hielt sie fest umschlungen, während das Nachbeben ihres Körpers langsam abebbte. Er ließ sich in das duftende Stroh fallen und zog Greta sanft mit sich, schloss die Arme um
sie, streichelte sanft ihren Rücken. Wartete auf ein Signal von ihr. Sie wusste, dass sie sich immer noch zurückziehen konnte, er würde ihre Entscheidung respektieren. Obwohl ihm das sicher nicht leicht fallen würde. Durch den rauen Stoff seiner Jeans spürte sie seine harte Männlichkeit. Er hob sanft ihr Kinn an und sah sie fragend an. »Was denkst du?« Zärtlich schob er ihr eine blonde Haarsträhne hinters Ohr. Greta bewegte sich sehnsüchtig auf ihm. Ein herausforderndes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Diesmal bringst du besser zu Ende, was du angefangen hast, Shane McCabe.« Shane brach in schallendes Gelächter aus, wurde aber sogleich wieder ernst. »Das dürfte kein Problem sein.« Sie breiteten die Decken auf dem Stroh aus. Greta streifte ihr Höschen ab und warf es beiseite, während Shane den Reißverschluss ihres Kleides herunterzog und es ihr von den Schultern streifte. Als sie endlich nackt vor ihm stand, sog er ihren Anblick regelrecht in sich auf. »Du bist wunderschön«, stieß er mit rauer Stimme hervor. Und so fühlte sich Greta auch, schön und begehrenswert. In dieser Intensität hatte sie das noch nie zuvor empfunden. Shane hob die Hand und zeichnete mit dem Daumen den Schwung ihrer Lippen nach. Greta erschauerte. Mit zitternden Finger zog sie sein Hemd aus dem Hosenbund und knöpfte es auf. Sie schob den Stoff beiseite und streichelte seine breite Brust, spielte mit den krausen Härchen. »Um eins klarzustellen«, murmelte sie, während sie seine Brust mit kleinen Küssen bedeckte, »das ändert gar nichts.« Sie liebkoste seine Brustspitzen mit der Zunge. »Das macht uns auch nicht zu einem richtigen Ehepaar«, bekräftigte sie in der Absicht, sie beide vor einem Desaster zu beschützen. »Ist schon okay.« Shane sog scharf die Luft ein, als sie ihm das Hemd abstreifte und sich an seiner Hose zu schaffen machte. Er betrachtete sie in einer Mischung aus Zärtlichkeit und heißem Verlangen, das ihr Blut in Wallung brachte. »Ich
war sowieso nie besonders scharf darauf zu heiraten.« »Ich auch nicht.« Sie kniete sich vor ihn, zog ihm Stiefel und Hose aus. Dann hielt sie inne und schob tastend die Hand unter den Elastikbund seines Slips. Er fühlte sich heiß und hart an. »Dann sind wir uns also einig?« Sie strich mit den Lippen über seine Schenkel, bis er erschauerte. »Absolut.« Aufstöhnend umfasste er ihren Kopf. Aufreizend langsam befreite sie ihn nun auch noch von seinem Slip. »Das ist einfach nur eine heiße Liebesnacht.« Greta liebkoste ihn mit dem Mund, ließ die Zunge über die heiße, samtige Haut gleiten. Als er kurz davor war, seiner Lust nachzugeben, ließ sie von ihm ab. »Wir sind nicht dabei – die Betonung liegt auf nicht! –, unsere Ehe zu vollziehen«, fuhr sie keuchend fort. »Einverstanden«, brachte er heiser hervor. Er ließ sich auf die Decke fallen, zog sie mit sich und schob sich über sie. Er spreizte ihre Beine mit seinen Knien und schmiegte sich eng an sie. Seine Lippen fanden ihre, und dann drang er in sie ein, tief und leidenschaftlich. Jetzt gab es keine Zurückhaltung mehr, Greta bog sich ihm wild und fordernd entgegen, und er beschleunigte und vertiefte seinen Rhythmus. Und dann, endlich, versanken beide in einem Strudel der Lust. Gemeinsam erlebten sie einen Höhepunkt, der sie alles um sich herum vergessen ließ. Shane erwachte kurz nach Sonnenaufgang. Greta schlief noch .tief und fest, behaglich in seine Arme geschmiegt, und er hatte nicht vor, sie zu wecken. Es fühlte sich für ihn überraschend gut an, so mit ihr dazuliegen, in ihrem Bett aus Stroh. Im Laufe der Nacht hatten sie sich noch mehrmals geliebt. Es war schier unglaublich, welche Leidenschaft sie füreinander empfanden. Die Chemie zwischen ihnen stimmte, das ließ sich nicht leugnen. Sie beide waren füreinander gemacht, zumindest im Bett. Vielleicht auch sonst. Und das war der Haken an der
Sache. Ihr Entschluss, sich nach Ablauf von ein, zwei Wochen wieder zu trennen, würde ins Wanken geraten, das spürte er genau. Bisher hatte er nie Schwierigkeiten gehabt, das Ende einer Beziehung zu akzeptieren, wenn die Zeit reif war. Doch mit Greta sah die Sache anders aus. Und das hatte nichts damit zu tun, dass sie verheiratet waren, sondern mit den Gefühlen, die sie in ihm geweckt hatte. Er wünschte sich, Teil ihres Lebens zu sein, und zwar nicht nur vorübergehend, sondern für immer. Doch dieser Wunsch würde sich nicht realisieren lassen. Greta räkelte sich seufzend und riss ihn aus seinen Grübeleien. »Wie spät ist es?« murmelte sie schlaftrunken. Shane blickte auf die Uhr. Er hatte Mühe zu ignorieren, wie warm und weich sich ihr Körper anfühlte. »Kurz vor halb acht.« Am liebsten hätte er erneut mit ihr geschlafen, doch wenn er das tat, dann würden sie nie hier herauskommen. Greta setzte sich stöhnend auf. »Ich muss los.« Sie strich sich mit den Fingern glättend durch die zerzausten blonden Locken. »Viel zu tun?« Greta nickte und wich seinem Blick aus. Während er zusah, wie sie aufstand und sich anzog, wurde ihm klar, dass sie vermutlich genauso durcheinander war wie er. Doch bevor er etwas sagen konnte, hörte er einen Wagen auf den Hof fahren. Er ging zur Stalltür und spähte hinaus. »Wer ist das?« Hektisch zupfte sie einige Strohhalme aus ihrem Haar und fuhr sich glättend über ihr Kleid. Shane seufzte. »Mein Vater.« Gemeinsam verließen sie die Ställe. John McCabe wünschte ihnen barsch einen guten Morgen. »Greta, wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich gern unter vier Augen mit meinem Sohn sprechen.« Shane kannte diesen Ton nur zu gut. Er hatte ihn in seiner Jugendzeit immer dann zu hören bekommen, wenn er etwas angestellt hatte.
Greta nickte John zu. Sie drückte Shane die Hand und sagte »Ich warte im Haus.« Greta ging geradewegs in die Küche und setzte Kaffeewasser auf. Als der Kaffee fertig war, eilte sie auf die Veranda, um die beiden Männer hereinzubitten. Im Wohnzimmer könnten Vater und Sohn entspannt miteinander reden. Doch sie kam zu spät. Shanes und Johns Mienen machten deutlich, dass es kein angenehmes Gespräch gewesen war. Nachdem John weggefahren war, fragte Greta besorgt: »Alles okay?« »Ja, klar doch.« Die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst, wandte Shane sich ab und ging zu den Ställen. Da sie wusste, dass das Gespräch zwischen Vater und Sohn zweifellos auch sie betraf, folgte Greta ihm. »Du siehst aber gar nicht okay aus.« Schweigend bückte sich Shane, um die Decken aufzuheben, in die sie sich letzte Nacht gehüllt hatten. »Was hat dein Dad gesagt?« »Die üblichen Vorwürfe«, erwiderte Shane gepresst. »Dass sie mehr von mir erwartet hätten.« »Es ging um unseren Streit gestern Abend, stimmt’s?« Shane legte die Decken über die Stalltür. Er antwortete nicht. »Es tut mir Leid«, bekannte Greta niedergeschlagen. »Ich wollte dir keinen Ärger mit deiner Familie machen.« »Das ist für mich nichts Neues, Greta«, versetzte er bitter. »Seit meiner Geburt bin ich eine einzige Enttäuschung für meine Eltern.« Seine Verbitterung tat ihr weh. Zumal sie genau wusste, dass er mit seiner Vermutung falsch lag. »Wie kannst du so etwas nur sagen? Ich weiß, wie stolz alle auf dich und deine Rodeo Erfolge sind. Meine Mutter erzählt immer, wie begeistert deine Eltern über alle ihre Söhne sprechen, dich eingeschlossen.« »Mag sein, aber trotzdem habe ich sie enttäuscht. Sie haben eine Menge Geld in meine Ausbildung gesteckt. Und obwohl ich die auch erfolgreich abgeschlossen habe, hat mich1 das
Lernen nie interessiert. Ich wollte nur immer draußen bei den Pferden sein. Als ich mich weigerte, aufs College zu gehen und mich stattdessen für eine Rodeo-Karriere entschied, haben wir jahrelang kaum ein Wort gewechselt.« Auch zwischen Greta und ihren Eltern hatte es zahlreiche Auseinandersetzungen gegeben, aber zu einem echten Zerwürfnis war es nie gekommen. Sie konnte sich gut vorstellen, wie schmerzlich das für die McCabes gewesen sein musste. Er seufzte. »Letztendlich haben sie mir verziehen, als ich erfolgreicher Champion war und eine Menge Geld gemacht hatte. Genug jedenfalls, um diese Ranch hier zu kaufen. Aber ich glaube, tief in ihrem Innern sind sie immer noch enttäuscht, dass ich nicht aufs College gegangen und wie Travis Agrarwissenschaften studiert und mich niedergelassen und geheiratet habe.« Sein Blick machte deutlich, wie verletzt er war. »Aber verheiratet bist du ja jetzt«, hielt sie ihm sanft entgegen. »Du weißt schon, was ich meine: richtig verheiratet.« Ja, ich weiß, dachte sie traurig. »Wie auch immer, mein Vater hat mir gerade gründlich die Leviten gelesen, dass ich unsere Beziehung nicht ernst genug nehme.« Plötzlich wurde sein Blick weich, und er strich Greta zärtlich über die Wange. »Wenn er nur wüsste«, sagte er leise. Ja, dachte Greta traurig. Wenn sie doch bloß alle wüssten.
8. KAPITEL »Ich sage ja nur, dass Shane völlig Recht hatte, sauer zu sein«, erklärte Tillie. Es war Freitagvormittag, und sie und Bart waren zum Tanzclub gefahren, um Greta zu helfen. »Wenn er sich gestern Abend daneben benommen hat, dann nur, um dir zu zeigen, dass du nicht gerade die perfekte Ehefrau bist.« Die Kritik ihrer Mutter traf Greta tief. Noch schlimmer war, dass ihr Vater diesmal hundertprozentig hinter ihrer Mutter
stand. Greta blickte gedankenverloren aus dem Fenster. Auf dem Hinterhof herrschte geschäftiges Treiben: Waren wurden angeliefert, Handwerker fuhren vor. Ihr lange ersehnter Traum wurde Wirklichkeit. Ihre Eltern sollten verdammt stolz darauf sein, was ihre Tochter alles auf die Beine gestellt hatte. Stattdessen konzentrierten sie sich auf ihr vermeintliches Versagen als Ehefrau. »Ihr wisst doch, wie viel ich in letzter Zeit um die Ohren hatte. Schließlich ist morgen Eröffnung!« Tillie schüttelte bedauernd den Kopf. »Liebes, ich sage es nur ungern, aber das ist keine Entschuldigung. Nimm nur mal die anderen McCabe-Frauen. Die arbeiten alle hart und schaffen es dennoch, ihren Haushalt perfekt zu organisieren und ihre Männer bei Laune zu halten.« Greta hob bockig das Kinn. »Deiner Meinung nach kann ich mit diesen Superweibern also nicht mithalten?« schnappte sie ungehalten, während sie Silberbesteck in bluten weiße Stoffservietten wickelte. Tillie tätschelte ihr besänftigend den Arm. »Ich denke, du versuchst es gar nicht erst.« »Schau mal, Liebes«, wandte Bart ein, der seiner Tochter beim Einrollen der Bestecke half. »Du weißt, dass deine Mutter und ich nicht gerade begeistert waren über deine überraschende und übereilte Heirat. Aber mal abgesehen von seiner etwas ungestümen Art – die ich, ehrlich gesagt, für reine Show halte – ist Shane ein guter Mann, aus einer guten Familie. Er hat Geld und eine hervorragende Zukunftsperspektive, und er hat bewiesen, dass er stets bekommt, was er sich in den Kopf setzt. Und wie er dich manchmal ansieht…« Sein Blick wurde weich. »Da liegt etwas ganz Besonderes in seinem Blick, ein Funken, der nicht bei allen Paaren überspringt.« »Das nennt man Chemie«, murmelte Greta. Die Chemie zwischen ihnen stimmte, das konnte man wohl sagen. Dieser Umstand hatte dazu geführt, dass sie gestern Nacht alle Vorsicht in den Wind geschlagen und heißen Sex gehabt
hatten. »Was immer es auch ist, ihr beide besitzt es im Überfluss. Das ist uns allen aufgefallen. Wir haben noch darüber gesprochen, nachdem ihr nach Hause gefahren seid. Alle finden, dass Shane total vernarrt in dich sein muss.« »Ihr solltet wirklich das Beste daraus machen«, fügte Tillie hinzu. »Schließlich werden nicht alle Ehen aus Liebe geschlossen«, erklärte Bart in väterlicher Weisheit. »Die kommt oft erst später.« Tillie nickte zustimmend. »Romantische Liebe vergeht sowieso irgendwann. Wie auch immer, wir sind alle fest entschlossen, euch zu einem guten Start zu verhelfen.« »Dass ihr Hals über Kopf zusammen durchgebrannt seid, können wir nicht rückgängig machen«, versetzte Bart mit ernster Miene. »Aber wir können eurer Ehe einen respektablen Charakter verleihen, und zwar heute Abend noch.« Im Stillen fluchte Greta. So entsetzt ihre Eltern anfangs über diese Ehe gewesen waren, so sehr bemühten sie sich jetzt, sie zu einem Erfolg werden zu lassen. »Der Hochzeitsempfang.« »Genau.« Die Antwort kam unisono. Greta konnte nicht anders, sie stöhnte gereizt auf. Doch davon ließen sich ihre Eltern nicht beeindrucken. »Vermutlich hast du nichts Passendes anzuziehen«, erriet Tillie die Sorgen ihrer Tochter. »Das kannst du laut sagen.« Sie hatte heute so viel zu erledigen, dass sie beim besten Willen nicht wusste, wann sie auch noch einkaufen gehen sollte. »Keine Sorge.« Tillie strahlte übers ganze Gesicht. Wie üblich war sie Greta in solchen Angelegenheit bereits meilenweit voraus. »Jenna Lockhart kommt nachher vorbei und nimmt deine Maße.« Auch das noch, ein Designer-Kleid! Jenna, eine ehemalige Schulkameradin von Greta und Danis Schwester, gehörte die
örtliche Schneiderei. Sie hatte jedoch auch Textildesign studiert und war der aufgehende Stern am Designer-Himmel. Greta stöhnte erneut auf. Ihre Eltern hatten aber auch nichts ausgelassen. Shane hatte gerade die schwarze Hose und das weiße Hemd angezogen, als Greta in einer Parfüm wölke ins Zimmer rauschte. Ihr hübsches Gesicht war apart geschminkt, und sie trug einen knielangen Seidenkimono, unter dem wohlgeformte Beine in weißen, hauchzarten Seidenstrümpfen hervorschauten. Ihre Füße steckten in hochhackigen Satin-Schuhen. Das hellblonde Haar hatte sie zu einer lockeren Hochsteckfrisur arrangiert, die äußerst sexy wirkte. Obwohl sie ja noch gar kein Hochzeitskleid trug, war sie bereits jetzt die schönste Braut, die er je gesehen hatte. »Ich brauche deine Hilfe.« Sie nahm ihn bei der Hand und zog ihn mit sich ins Schlafzimmer, das sie zu ihrer Garderobe umfunktioniert hatte. »Ich komme allein nicht in dieses Kleid rein.« Um die Wahrheit zu sagen, war Shane äußerst neugierig, was Greta unter dem Kimono anhatte. Er grinste spitzbübisch. Das würde er also gleich erfahren. »Stets zu Diensten«, meinte er mit einer kleinen Verbeugung. »Auch mit dem Petticoat brauche ich Hilfe.« »Okay.« Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: »Was ist das?« »Das hier.« Sie reichte ihm eine weiße Plastiktüte in Form eines zusammengerollten Schlafsacks. »Bitte mach es auf und schüttle den Rock gründlich aus.« Shane gehorchte, und die steifen Lagen des Petticoats entfalteten sich. »Hey, das Ding kann ja ganz allein stehen«, staunte er. Greta schlüpfte aus dem Kimono und warf ihn achtlos über das Bett. »Ich weiß nicht, ob ich lieber hineinsteige oder ihn mir über den Kopf ziehe.« Sie war sich nur zu bewusst, wie verführerisch sie aussah: weißes Satin-Bustier, Bikini-Höschen
und halterlose, lange Strümpfe. Shanes Herzschlag beschleunigte sich abrupt. Es kostete ihn äußerste Willensanstrengung, den Blick von ihren schwellenden Brüsten zu wenden, die vom zarten Spitzenoberteil ihres Bustiers nur knapp bedeckt wurden. »Über den Kopf.« Um überhaupt auf diesem verflixten Empfang anzukommen, war es wichtig, Greta so rasch wie möglich unter Lagen von Stoff zu verhüllen. Sonst konnte er für nichts garantieren. Ohne noch eine Sekunde länger zu zögern, half er ihr, den Petticoat über den Kopf bis zur Taille herunterzuziehen. »Jetzt nimm die beiden Bänder in der Taille und mach einen lockeren Knoten.« Greta drehte ihm den Rücken zu und stützte die Hände an der Wand ab. »Okay, und jetzt fest zusammenziehen.« Ungeduldig klopfte sie mit dem Fuß auf den Boden, während er ungeschickt an den Bändern rumfummelte. »Fester«, befahl sie. »So ist es gut. Jetzt mach einen Knoten. Und jetzt das Kleid.« »Auch über den Kopf?« Sie nickte. Shanes Augen weiteten sich erstaunt, als er das weiße Kleid aus schimmerndem Satin anhob. »Mensch, ist das schwer.« »Das haben Hochzeitskleider so an sich.« Vorsichtig, um nur ja nicht ihre Frisur zu ruinieren, streifte Shane ihr das Kleid über. Sie zog das Oberteil bis zur Taille herunter und strich glättend über den kostbaren Stoff. Mit einem leisen Rascheln rieselte der Rock hinunter über den Petticoat. Sorgfältig darauf bedacht, nur ja nicht auf den Saum des Kleides zu treten, knöpfte und zog Shane, während Greta sich prüfend im mannshohen Spiegel an der Schlafzimmertür betrachtete. Das Kleid, das Jenna entworfen hatte, sah wirklich umwerfend aus. Es war ärmellos, hatte einen strassbestickten Ausschnitt, ein eng anliegendes Oberteil und einen duftigen Rock. In seiner Schlichtheit wirkte es sehr elegant. Und es
passte hervorragend zu dem schmalen, satinüberzogenen Stirnreif, der Gretas Frisur zierte. »Es ist wunderschön«, murmelte sie glücklich. »Das kann man wohl sagen.« Grinsend legte Shane ihr die Hände auf die Schultern und begegnete ihrem Blick im Spiegel. »Du siehst umwerfend aus«, sagte er zärtlich. Sein Blick ließ sie erschauern. Sie kam sich vor wie die einzige Frau auf Erden. Sie drehte sich zu ihm um und legte ihm die Hände auf die Brust. »Du siehst auch toll aus.« Frisch rasiert. Das blonde Haar noch feucht vom Duschen und nach Shampoo duftend. Ohne Stiefel, das Hemd offen, die Fliege noch nicht gebunden, sah er so überwältigend sexy aus, dass Greta der Atem stockte. Ihr wurde plötzlich bewusst, dass sie ihre Jungmädchen-Schwärmerei für ihn noch lange nicht überwunden hatte. Im Gegenteil… sie war auf dem besten Weg, sich Hals über Kopf in ihn zu verlieben… Nein, das war sie bereits. Und das stellte eine ernsthafte Gefahr für ihren festen Vorsatz dar, sich in ein paar Wochen von Shane zu trennen. Das wäre eine Katastrophe! Wenn er sie doch bloß nicht so ansehen würde, als wollte er jeden Moment mit ihr ins Bett hüpfen, um eine zweite, leidenschaftliche Liebesnacht einzuläuten… Die beste Taktik war wohl, ihn dazu zu bewegen, sich so schnell wie möglich anzuziehen. »Ich helfe dir«, bot sie an. Sie begann ihm das Hemd zuzuknöpfen. Dann befestigte sie die Zierbeschläge aus Onyx an den Knöpfen. »Wenn wir so weitermachen, kommen wir nie auf dem Empfang an.« Er band seine Fliege und stopfte sich das Hemd in den Hosenbund. »Vorher landen wir in dem Bett da.« »Das bezweifle ich keine Sekunde«, erwiderte sie so gelassen wie möglich. Sie half Shane mit dem Kummerbund und den Hosenträgern. »Glaub mir, da wäre ich tausend Mal lieber als auf diesem albernen Hochzeitsempfang zu unseren Ehren.« Shane ergriff ihre Hand und küsste sie. »Warum bleiben wir
dann nicht einfach zu Hause?« Greta seufzte frustriert. »Weil sie dann sicher eine ganze Hundertschaft ausschicken würden, um uns zu holen. Und ein zweites Mal bei einer kompromittierenden Bettszene erwischt zu werden, das halte ich nicht durch.« »Stimmt. Obwohl, das erste Mal war völlig unschuldig.« »Das wissen die anderen doch nicht. Und sie sollen es auch nicht erfahren.« Sie hielt ihm das Smoking-Jackett hin, und er schlüpfte hinein. Bevor sie zurücktreten und sein Outfit bewundern konnte, zog Shane sie unvermittelt in die Arme und hielt sie so fest umschlungen, wie ihr bauschiger Rock es erlaubte. Greta hob den Kopf und sah ihn an. Die schwarze Jacke und das weiße Hemd betonten die Farbe seiner sonnengebräunten Haut und der grauen Augen. Er umschloss ihren Mund mit seinen Lippen, und Greta erwiderte seinen Kuss hungrig. Sofort versank die Welt um sie herum, reduzierte sich auf diesen heißen, drängenden Kuss. Und es blieb nicht bei diesem einen Kuss. Ihrer beider Leidenschaft war hell entfacht, und sie drängten sich stöhnend aneinander. Süße, wilde Wellen, der Sehnsucht durchströmten ihren Körper. Greta presste sich an Shane, und er zog sie noch dichter an sich heran, hüllte sie ein in die heiße Umarmung seines starken, hoch gewachsenen Körpers. Seine Liebkosungen wurden immer aufreizender, bis Greta schließlich das Gefühl hatte, in seinen Armen dahinzuschmelzen. In diesem Moment klingelte es an der Tür. Fluchend löste Shane sich von Greta. Er lehnte seine Stirn gegen Gretas, während beide sich bemühten, ihren keuchenden Atem zu beruhigen. »Wer zum Teufel ist das?« Greta zuckte die Achseln. Sie erwartete niemanden. Stirnrunzelnd dirigierte er sie zum Fenster. Auf dem Hof stand eine weiße Limousine in Überlänge, dekoriert mit pastellfarbigen Bändern.
Shane klopfte gegen die Scheibe und gab dem Fahrer Zeichen, dass sie gleich herunterkommen würden. »Wenigstens fahren wir stilvoll zu unserem Empfang.« »So viele Autos auf einmal habe ich noch nie gesehen«, staunte Greta, als die Limousine sich der idyllisch gelegenen Ranch näherte, auf der Shane auf gewachsen war. Die lang gezogene, asphaltierte Auffahrt wurde gesäumt von den verschiedensten Personenwagen und Trucks. Kopfschüttelnd rief Greta sich in Erinnerung, wie ihr Hochzeitsempfang in der Zeitung angekündigt worden war. »Nun, es hieß ja, die ganze Gemeinde sei eingeladen.« »Ich weiß.« Shane presste die Lippen zusammen. »Ich hätte nur nie geglaubt, dass alle kommen, besonders so kurzfristig.« Greta betrachtete die Zelte, die überall auf dem weitflächigen Rasen aufgebaut waren, die Lieferwagen, die bunten Lampions, die Blumen. Selbst bei Hollywood-Produktionen wurde nicht immer so viel Aufwand betrieben. Das war eindeutig nicht der bescheidene Empfang bei Punsch und selbst gebackenem Kuchen, den sie erwartet hatte. Schlimmer noch, je größer der Aufwand, desto länger würde der Empfang – und damit auch ihr Täuschungsmanöver – dauern. »Sind das da etwa alles Stühle?« Greta umklammerte Shanes Arm. »Siehst du das?« Shane starrte auf die gut fünfhundert weißen Klappstühle. Einige davon waren schon besetzt. Doch die meisten Gäste standen noch in kleinen Grüppchen beieinander und plauderten gut gelaunt. Er stieß hörbar den Atem aus. »Sieht so aus, als sei hier mehr als nur ein Empfang geplant, findest du nicht?« Gretas Herz sank. »Scheint eher auf eine Hochzeitszeremonie hinauszulaufen.« In aufsteigender Panik umklammerte sie seinen Arm nur noch fester. »Ich glaube nicht, dass ich das durchstehe.« Jetzt, wo Shane wusste, was sie erwartete, schien er nicht halb so aufgeregt wie Greta. »Natürlich kannst .du das«, erwiderte er aufmunternd.
»Shane…« Er beugte sich zu ihr, legte ihr tröstend den Arm um die Schultern und küsste sie auf die Wange. »Vertrau mir, Greta. Es wird schon alles gut gehen.« Kaum hielt die Limousine vor dem Baldachin, der den Aufgang zur vorderen Veranda überdachte, da wurde auch schon der Schlag geöffnet. Shanes drei Brüder – alle ebenfalls im Smoking – erwarteten das Brautpaar. Ebenso Gretas Freundin Dani und zwei weitere ehemalige Schulfreundinnen. Es überraschte Greta nicht, sie als Brautjungfern kostümiert zu sehen. Der Fotograf und der Videofilmer richteten ihre Linsen auf die Szene und legten los. Greta schüttelte den Kopf. »Ich kann kaum glauben, dass ihr mich nicht wenigstens gewarnt habt«, tadelte sie ihre Freundinnen. »Hey, wir wurden auf absolute Geheimhaltung eingeschworen«, verteidigte Dani sich und ihre Freundinnen. »Und daran habt ihr euch ja auch tadellos gehalten«, gab Greta trocken zurück. »Wisst ihr denn nicht, dass der Bräutigam die Braut nicht vor der Hochzeit sehen darf?« protestierte Jackson McCabe. »Das trifft sicherlich nicht zu, wenn man schon verheiratet ist«, konterte Shane, als seine Brüder ihn unterhakten und mit sich zogen. »Wo bringen sie ihn hin?« fragte Greta erschrocken. »Sie bereiten ihn auf die Zeremonie vor«, erwiderte Dani, die Greta ebenfalls ins Haus führte. »Das haben wir jetzt übrigens auch mit dir vor.« »Aber ich bin längst fertig«, wandte Greta ein. »Du hast keinen Schleier auf.« »Weil ich eben keinen habe.« »Doch, hast du.« Dani tätschelte ihr beschwichtigend den Arm. »Jenna erwartet dich oben.« Greta wurde die Treppe hinauf gescheucht, wo Lilah McCabe und Tillie sie in Empfang nahmen. Sie strahlten in ihren
festlichen Roben. »Wir waren der Meinung, dass Shane und du euch nie richtig miteinander verheiratet fühlen würdet, wenn ihr nicht eine richtige Hochzeit feiert«, erklärte Tillie geduldig. »Also haben wir uns gedacht«, fuhr Lilah glücklich fort, als sie Greta ein wunderschönes Bouquet aus gelben Rosen reichte, »wenn wir schon den Empfang schmeißen, können wir gleich eine richtige Hochzeit daraus machen.« »Hier kommt das Neue.« Lächelnd trat Jenna hinter die Braut und befestigte den taillenlangen Schleier samt Gesichtsschleier an Gretas Stirnreif. »Etwas Altes.« Tillies Augen schimmerten vor Tränen der Rührung, als sie ihrer Tochter den herzförmigen Diamant Anhänger umlegte, der einmal Gretas Großmutter gehört hatte. »Etwas Geborgtes.« Lilah drückte Greta ein weißes Spitzentaschentuch in die Hand, das sie selbst auf ihrer Hochzeit mitgeführt hatte. »Und etwas Blaues.« Dani wedelte mit einem knallblauen Strumpfband herum. Sie kniete sich vor Greta hin, und die beiden anderen Brautjungfern halfen ihr, Gretas voluminösen Rock anzuheben und das Strumpfband zu platzieren. »Jetzt bist du bereit.« Alles war so, wie es sein sollte. Bis auf eine Kleinigkeit. Er liebte sie nicht. Und sie liebte ihn nicht. Oder doch? Unten drangen die heiteren Klänge des Orchesters ins Haus, und Greta wurde die Bedeutung des Wortes Konsequenzen bewusst wie nie zuvor. Entweder stoppte sie die ganze Sache hier und jetzt, oder es wurde ernst. Und ob vernünftig oder nicht, sie wusste, wofür ihr Herz sich bereits entschieden hatte. Bart Wilson steckte den Kopf durch die Tür. »Es ist Zeit, Liebes.« Seine Haltung drückte eine Mischung aus Stolz und Rührung aus.
Greta wusste, dass es zu spät war, jetzt noch umzukehren. Der Zug war längst abgefahren. Also umklammerte sie ihr Bouquet mit beiden Händen. In der verzweifelten Hoffnung, dass Shane einen Weg finden würde, sie aus der verfahrenen Situation herauszubringen, ging sie auf ihren Vater zu. »Alles in Ordnung mit dir, Liebes?« erkundigte Bart sich besorgt. Greta nickte, obwohl sich ihre Knie wie Pudding anfühlten. »Nur ein bisschen nervös.« »Ich auch.« Bart tätschelte ihr aufmunternd den Arm, bevor er stolzgeschwellt hinzufügte: »Es passiert schließlich nicht jeden Tag, dass ich meine einzige Tochter weggebe, weißt du.« Greta wusste es nur zu gut. Schlimmer noch, sie sah nicht nur wie eine richtige Braut aus, sie fühlte sich auch wie eine. Und das lag nicht einfach nur an der Atmosphäre. Es hatte damit zu tun, was zwischen ihr und Shane vorgefallen war. Langsam, aber sicher wurde ihr klar, dass sie eigentlich ein fantastisches Ehepaar abgeben würden. Doch das würde nie passieren. Besser, sie machte sich da nichts vor. Als sie jetzt zu dem altbekannten Hochzeitsmarsch den Gang zwischen den bis auf den letzten Platz besetzten Sitzreihen entlang schritt, den Blick fest auf Shane gerichtet, der sie am anderen Ende erwartete, drohten ihre Gefühle sie zu überwältigen. Wie schön wäre es doch, wenn dies keine Scharade wäre, sondern Wirklichkeit. In diesem Moment hätte sie alles darum gegeben, das Theater, das sie für ihre Eltern inszeniert hatten, ganz einfach zu vergessen, und mit Liebe und Geduld an einer glücklichen, gemeinsamen Zukunft zu arbeiten.
9. KAPITEL »Sie will dich wieder zurück, stimmt’s?« Shane trug Greta über die Türschwelle, nickte dem Fahrer der Limousine zum Abschied zu und schlug die Tür hinter sich mit
dem Fuß zu. Dann trug er Greta geradewegs nach oben ins Schlafzimmer. »Wer?« »Bonnie Sue.« Shane setzte seine Braut auf das breite Bett, das sie bis jetzt noch nicht eingeweiht hatten. Auch hier im Schlafzimmer hatten fleißige Helfer gewirkt. Die Betten waren frisch bezogen: Mintgrüne Satinbettwäsche, die Decken säuberlich zurückgeschlagen, flauschige Kissen auf dem ganzen Bett verteilt. »Wie kommst du darauf?« Gretas Blick fiel auf den Tisch am Fenster, der einladend mit lauter Köstlichkeiten beladen war: eine Flasche Champagner im Eiskühler, eine Platte mit Früchten, Käse und Crackern. Gemüsestäbchen und verschiedene Dips. Winzige Quiches. Kanapees. Oliven. Nüsse. Brezeln. Zwei Stücke von der Hochzeitstorte. »Weil sie zu unserer Hochzeit erschienen ist und dann gleich wieder abtauchte, nachdem mein Ex-Freund gegangen war.« »Ich dachte, er war nicht dein Freund.« »Du weißt schon, was ich meine.« Ungeduldig fügte sie hinzu: »Was hat sie gesagt, als du mit ihr getanzt hast?« Die unverhohlene Eifersucht in ihrer Stimme schmeichelte ihm. Er nahm den Champagner aus dem Kühler und nestelte am Verschluss herum. »Sie meint, dass unsere Heirat Beau Chamberlains Ruf geschadet hat. Schließlich hast du den großen Filmstar wegen eines unbedeutenden Cowboys verlassen.« »Vermutlich wäre es ihm lieber, wenn ich noch als offizielle Begleiterin zur Verfügung stünde.« Shane zog den Korken aus der Flasche und goss die überschäumende Flüssigkeit in die bereitstehenden Champagnerkelche. »Hast du ihm gesagt, dass wir zusammenbleiben wollen?« »Für ein paar Wochen«, räumte Greta ein. »Er hält unsere
kleine Scharade für eine schlechte Idee. Und ich muss ihm Recht geben, wenn ich an die glückstrahlenden Gesichter unserer Eltern heute Abend denke.« Shane reichte Greta ihren Champagner, und sie prosteten einander schweigend zu. »Wie meinst du das?« fragte er stirnrunzelnd. Greta nippte an der goldenen Flüssigkeit. Mit unglücklicher Miene löste sie ihren Schleier und legte ihn zur Seite. »Sie sind fest davon überzeugt, dass wir ein Liebespaar sind, Shane.« Und vielleicht, dachte Shane, während er seine Fliege löste, sind wir das ja auch. Doch wenn er ihr das jetzt sagte, würde sie ihm vermutlich kein Wort glauben. Nicht nach allem, was passiert war. Er hatte die Sache von Anfang an vermasselt. Es würde Zeit und jede Menge Mühe brauchen, all das ungeschehen zu machen. Doch er konnte es schaffen, dessen war Shane sich sicher. Er brauchte nur die Zeit und die Gelegenheit. Eines war ihm an diesem Abend klar geworden: Er wollte Greta nicht verlieren. Und wenn ihn sein Instinkt nicht trog, dann empfand Greta genauso. Das musste er ihr bewusst machen. Und zwar am Besten mit Taten, nicht mit Worten. Ohne ihr Gelegenheit zu geben zu protestieren, zog er sie in die Arme. Ein herausforderndes Lächeln auf den Lippen, registrierte er, wie ihre Augen dunkel vor Verlangen wurden. Er senkte den Kopf und presste seinen Mund auf ihren. Im Bewusstsein, nie im Leben zuvor eine Frau so sehr begehrt zu haben, küsste er sie endlich so, wie er es schon hatte tun wollen, als er ihr mit dem Hochzeitskleid geholfen hatte. Greta stöhnte sehnsüchtig auf, was seine Leidenschaft nur noch mehr entfachte. Er vertiefte seinen Kuss in geradezu verzweifelter Sehnsucht. Ihre Lippen fühlten sich warm und sexy an, ihr Körper drückte Hingabe und brennendes Verlangen aus. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und zog ihn noch dichter an sich heran. Ihr Körper bebte erwartungsvoll.
Sie wusste, dass sie wieder zusammen schlafen würden, und das erfüllte sie mit einem unendlichen Glücksgefühl. Ihre Lippen öffneten sich, und er eroberte mit der Zunge das feuchte, warme Innere ihres Mundes. »Shane…«, hauchte sie. »Sag bitte nicht Nein, Greta«, flüsterte Shane mit rauer Stimme, während er tausend heiße kleine Küsse auf ihrem Hals und ihrem Dekollete platzierte. »Sag nicht Nein zu uns.« Keuchend suchte Greta seine Lippen. Das war Antwort genug für ihn. Ohne aufzuhören, sie zu küssen, langte er hinter sie und knöpfte ihr das Kleid auf. Sie drängte sich ihm entgegen, aufgewühlt und voller Verlangen. Entzückt registrierte Shane, dass sie ihn genauso begehrte wie er sie. Und doch lagen noch unzählige Lagen Stoff zwischen ihnen. Schwer atmend löste er sich von ihr. »Darling, wir müssen dich erst mal aus diesem Kleid schälen.« Greta sah ihn aus dunkel verschleierten Augen an. Ein aufreizendes Lächeln auf den Lippen, trat sie einen Schritt zurück. »Okay, Cowboy, ich zuerst.« Spielerisch fuhren ihre Hände über seine Brust. »Aber damit du nur Bescheid weißt«, sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen provozierenden Kuss, »du bist als Nächster dran.« Immer noch lächelnd wandte sie ihm den Rücken zu. Er streifte ihr das Oberteil des Kleides von den Schultern bis zur Taille hinunter. Von da ab ging es nicht weiter. Mit einem frustrierten Stöhnen – er wollte sie nackt in all ihrer Schönheit hielt Shane inne. Solange sie den Petticoat anhatte, bekam er das Kleid unmöglich aus. »Falscher Weg, was?« Greta drehte sich um, äußerst zufrieden, dass er es kaum erwarten konnte, mit ihr zu schlafen. »Scheint so. Was meinst du, sollen wir es noch mal versuchen?« »Müssen wir wohl.« Plötzlich genauso ungeduldig wie er, hob Greta die Arme über den Kopf, wobei sich ihre Brüste unweigerlich zu
schwellenden Hügeln zusammendrückten. Der Anblick raubte Shane fast den Atem. Er raffte den voluminösen Rock zusammen. »Halt mal still.« »Als ob mir etwas anderes übrig bleibt«, gab sie zurück, ihre vor Erregung heisere Stimme gedämpft durch den fließenden Satin, während Shane sich abmühte, ihr das Kleid über den Kopf zu ziehen. »Wie kommst du voran?« Nicht schnell genug. »Gleich geschafft.« Mit einem letzten Ruck befreite er sie aus dem Kleid, das er anschließend sorgfältig über einen Stuhl legte. »Endlich befreit.« Mit einem leisen Lachen und einem aufreizenden Hüftschwung drehte sie ihm erneut den Rücken zu. »Noch nicht, Cowboy, aber wir arbeiten daran.« »Ach, das ist ja leicht.« Shane trat hinter sie, knöpfte das Band auf, das den Petticoat hielt, und zog ihr diesen ebenfalls über den Kopf. Er warf das raschelnde Organza-Gewebe achtlos beiseite und wandte sich wieder seiner Braut zu. Jetzt endlich konnte er den Anblick genießen, der sich ihm bot. Eine ganze herrlich viel versprechende Nacht lag vor ihnen. Greta stand in ihrer weißen Spitzenunterwäsche vor ihm und rührte sich nicht. Das Bustier aus Satin und kostbarer Spitze umschloss ihren Oberkörper wie eine zweite Haut. Darunter zeichneten sich deutlich die vollen, festen Brüste ab, die zarten Rundungen und die dunklen Knospen. Der nahezu durchsichtige Slip gab den Blick frei auf das dunkle Dreieck zwischen ihren Schenkeln. Die langen schlanken Beine steckten in langen hauchzarten Seidenstrümpfen mit einem breiten Spitzenrand. Aufreizend leuchtete ihm das blaue Strumpfband entgegen. »Gefällt es dir?« fragte sie mit einem herausfordernden Lächeln. Shane nickte, unfähig, auch nur ein Wort herausbringen. Wenn das nicht das Paradies war, dann wusste er auch nicht… Er beugte sich vor und küsste sie zärtlich auf den Nacken.
»Wetten, dass?« stieß er mit rauer Stimme hervor, während er die Finger ganz leicht über ihren Rücken und ihre Arme gleiten ließ. »Das freut mich. Weil nämlich jetzt ich an der Reihe bin, dich auszuziehen.« Sie trat hinter ihn und streifte ihm das Smoking Jackett ab. Ließ es neben ihrem Petticoat zu Boden fallen. Dann richtete sie sich auf die Zehenspitzen auf und gab ihm einen langen, sehnsüchtigen Kuss, der das Blut in seine Lenden schießen ließ. Shane stöhnte laut auf, nahe daran, die Beherrschung zu verlieren. »Greta…« »Zu langsam?« neckte sie ihn. Shane wollte nichts lieber, als das ganze Leben lang mit ihr zu verbringen, aber im Augenblick – heute Nacht – nahm er alles, wie es kam. »Viel zu langsam«, versicherte er. Um seine Worte zu bekräftigen, machte er sich daran, sein Hemd aufzuknöpfen, doch sie hielt ihn zurück. Keine Chance, ihr den Spaß zu rauben. Shane rief sich aufseufzend in Erinnerung, dass er ihr das Kommando übergeben hatte, jedenfalls im Moment, und überließ sich ihren fordernden Lippen und ihren geschickten Händen. Kummerbund und Hosenträger landeten auf dem Fußboden. Sie knöpfte ihm das Hemd auf, schälte ihn aufreizend langsam aus dem weißen feinen Leinen, wobei sie immer wieder innehielt, um ihn zu streicheln und kleine Küsse auf seine Brust zu drücken. Ihre offenkundige Absicht, ihn nach allen Regeln der Kunst zu verführen, erregte ihn derart, dass er es fast nicht mehr ertrug. »Du genießt das richtig, hm?« stieß er heiser hervor. Zu sehr, vielleicht. »Oh ja. Ich hatte noch nie Gelegenheit, endlich mal nicht das brave kleine Mädchen zu sein.« Sie öffnete die Schnalle seines Gürtels und zog ihm mit einem einzigen Ruck den Reißverschluss seiner Hose herunter. »Oops.« Die Hose rutschte bis zu seinen Knien herunter. Sie kniete sich vor ihn, wobei ihre
Brüste aufreizend aus dem Bustier quollen. »Erst mal die Schuhe.« »Ganz wie du meinst.« Er begann sich zu fragen, wie er je ohne sie hatte auskommen können. Sie brachte so viel Freude in sein Leben, so viel Feuer. Mit ihr an seiner Seite schien alles und jedes möglich. Sogar die Ehe… eine, die ein Leben lang hielt. Greta zog ihm erst den einen, dann den anderen Stiefel aus. »Ehrlich gesagt«, meinte sie und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe, während sie ihm die Hose abstreifte, »ich mag dich am liebsten ohne alles.« Shane lachte leise auf. Er streckte die Hand aus, um ihr liebkosend durchs Haar zu fahren. »Mach so weiter, und dein Wunsch geht in Erfüllung.« Achtlos warf Greta die Hose beiseite. Immer noch vor ihm kniend, strich sie über seinen Slip, unter dem sich deutlich seine harte Männlichkeit abzeichnete. »Andererseits gefällst du mir so auch ganz gut.« »Bist du sicher?« neckte er sie. Er beschloss, dass er ihr jetzt – lange genug das Ruder überlassen hatte. Er nahm ihre Hand und zog sie hoch. Mit wild klopfendem Herzen betrachtete Greta sein männlich markantes Gesicht. Sie schmiegte sich an ihn und verspürte ein heißes, sehnsüchtiges Ziehen in den Lenden. »Was hast du vor?« »Das.« Er bog ihren Oberkörper weit zurück und senkte seine Lippen auf ihren Mund. Dann wanderte er langsam und genüsslich über ihren Hals bis zu ihren Brüsten. »Und das…« Er richtete sie abrupt auf und gab sie frei. Ein mutwilliges Glitzern in den Augen, trat er zum Schrank und holte ein Päckchen heraus, das Greta sofort erkannte. »Die Hochzeitsnacht-Ausstattung!« rief sie aus, während ihr heiße Röte ins Gesicht schoss. In jener Nacht, als sie mit Shane durchgebrannt war, hatte man ihnen – zu ihrem äußersten
Missfallen – nach der Trauungszeremonie dieses Päckchen in die Hand gedrückt und ihnen viel Spaß gewünscht. Natürlich war Greta fest davon überzeugt gewesen, es nie und nimmer zu benutzen… Triumphierend leerte Shane den Inhalt des Päckchens aufs Bett aus. Schockiert und fasziniert zugleich betrachte Greta die Ansammlung verschiedener Lotionen, Gleitmittel und StrukturKondome. Alles Dinge, die Greta nie zu kaufen gewagt hätte. »So etwas habe ich noch nie benutzt«, gestand sie. Shane zog sie neben sich aufs Bett. Ihr Herz raste, als er ihre Arme über den Kopf hob und ihre Hände fest auf die Matratze drückte. »Um ehrlich zu sein, ich auch nicht.« »Aber du bist doch angeblich so erfahren…«, protestierte Greta, während Schauer der Erregung ihren Körper durchrieselten. »Mehr Fantasie als Fakten.« Er glitt über sie, zwischen ihre Beine. »Aber das kann sich ja ändern«, versprach er, und seine grauen Augen blitzten herausfordernd. »Wenn du bereit bist mitzuspielen.« Warum nicht, überlegte sie. Sie war lange genug das brave Mädchen gewesen. Jetzt wollte sie ihre heißesten, unverfrorensten erotischen Fantasien endlich Wirklichkeit werden lassen. »Okay«, seufzte sie. »Ich spiele mit. Aber nur, wenn ich anfangen darf.« Damit hatte Shane nicht gerechnet. Es gab eine Menge, womit er bei Greta nicht gerechnet hatte. »Da es sich um unsere Hochzeitsnacht handelt, überlasse ich dir wie ein wahrer Gentleman den Vortritt.« Er gab sie frei, rollte sich auf den Rücken herum und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Es war offensichtlich, dass er beabsichtigte, ihr Liebesspiel auf die ganze Nacht auszudehnen. »Fang schon an, Darling.« »Ich hatte gehofft, du würdest das sagen.« Unter ihrem Bustier hatten sich ihre Brustspitzen hart aufgerichtet. Interessiert studierte sie die Geschmacksrichtungen der verschieden
Lotionen, wobei ihr Körper vor Erwartung erbebte, wenn sie daran dachte, was für ein aufregender Liebhaber Shane war. Aber auch sie konnte aufregend und zügellos sein, das würde sie ihm schon beweisen. »Welche Geschmacksrichtung ziehst du vor?« Shane warf einen Blick auf die zur Auswahl stehenden Lotionen. »Ananas.« Greta erinnerte sich daran, irgendwo gelesen zu haben, dass Männer das visuelle Erleben beim Liebesakt erregte. Sie hatte diese Theorie nie überprüft, aber insgeheim hatte sie es sich immer gewünscht. Sie hatte auch eine ungefähre Ahnung davon, was Shane jetzt von ihr erwartete. Und sie war fest entschlossen, ihn mit etwas völlig anderem zu überraschen. Etwas, was sie vergangene Nacht noch nicht ausprobiert hatten. Sie kniete sich zwischen seine Schenkel, öffnete die Flasche mit der Ananas-Lotion und drückte eine pflaumengroße Menge in ihre Handfläche. Sie tauchte die Finger der anderen Hand in die zitronengelbe Creme und verstrich diese langsam über die schwellenden Rundungen ihrer Brüste, soweit sie aus dem Bustier hervor lugten, über ihren Bauch, über die freien Stellen nackter Haut ihrer Schenkel. Shane beobachtete sie fasziniert. »Weiter«, befahl er mit rauer Stimme. Mit einem Kopfnicken gab er Greta zu verstehen, was er meinte. »Du willst, dass ich…« »Ja, zieh es aus. Höschen, BH. Lass nur die Strümpfe und das Strumpfband an.« In dem Bestreben, ihm zu gefallen, ihn zu erregen, griff Greta hinter sich und öffnete die Häkchen ihres Bustiers. Dann streifte sie sich das Höschen herunter. Fest entschlossen, ihm zu beweisen, dass sie genauso wild lieben konnte wie er, schüttelte Greta auch den letzten Rest ihrer Hemmungen ab. Sie bestrich ihre Brüste jetzt vollständig mit der gelben Lotion, dann folgte der Bauch. Den Blick fest in seinen gesenkt, ließ sie die Hände tiefer gleiten. Shane stöhnte auf, und plötzlich
fand sie sich auf dem Rücken liegend wieder. Shane saß rittlings auf ihr, bereit, sie jede Nuance der Lust zu lehren. »Ich war noch nicht fertig«, protestierte sie atemlos. Ein Blick in seine Augen genügte, um zu sehen, wie sehr sie ihn erregt hatte. Ihr unersättliches Ich, das nur er zu wecken verstand, sehnte sich danach, es noch weiter zu treiben. Greta ließ die Finger unter den Bund seines Slips gleiten. »Wir haben die ganze Nacht Zeit, um mit unseren Spielzeugen zu spielen«, sagte er grinsend. Er drückte etwas Lotion in seine Hand und streckte sich neben Greta aus. Seine Blicke glitten verlangend über ihren fast nackten Körper, während er sie auf die Seite drehte. »Aber das hier ist der Job eines Mannes.« Noch bevor seine Lippen sie berührten, durchschossen Greta lustvolle, heiße Wellen der Leidenschaft. Zitternd klammerte sie sich an ihn. Sie spürte seine harte Männlichkeit durch den Stoff seines Slips. Mit der Zunge öffnete er ihre Lippen, und er liebkoste das zarte Innere ihres Mundes. Aufreizend stieß seine Zunge zu, wieder und wieder, während er die Ananas-Lotion in dem dunklen Dreieck zwischen ihren Schenkeln verteilte. Zärtlich liebkoste er ihre warme, feuchte Mitte, ließ seine Finger hineingleiten. Dann streichelte er ihre Brüste, rieb mit den Daumen über die hart aufgerichteten Spitzen. »Die bist so wunderschön«, murmelte er, die Augen dunkel vor Verlangen. »Jetzt lass mich mal probieren, wie du schmeckst.« Sie hielt den Atem an, als sein verheißender Blick sie traf. Sie versuchte, ihre Lust zu kontrollieren, um ihr Liebesspiel so lange wie möglich auszudehnen, aber das war schier unmöglich, so sehr erregte es sie, wie sein Blick über ihren Körper wanderte. Er streichelte ihren flachen Bauch, drehte sie schließlich sanft auf den Rücken. In dem Bewusstsein, sich nie im Leben sinnlicher gefühlt zu haben, registrierte sie, wie er den Kopf senkte. Seine Lippen glitten über ihre Haut, aufreizend und forschend, liebkosten ihren ganzen Körper, bis sie schließlich die Augen schloss und sich ihm in hilfloser
Sehnsucht entgegenbog. »Ananas«, meinte Shane mit einem leisen Lachen. »Definitiv Ananas.« Wieder trafen sich ihre Lippen in einem leidenschaftlichen, wilden Kuss. In dem verzweifelten Verlangen nach mehr schob sie sich wieder über ihn. Sie ließ seine heiße, harte Männlichkeit in sich hineingleiten, kam wieder in die Höhe, senkte sich auf ihn herab. Wieder und wieder liebte sie ihn so, bis er vor Erregung zu zittern begann. »Greta«, stöhnte er lustvoll auf, als sie von ihm hinunterglitt. Sie ersetzte ihren Körper durch ihre weichen, feuchten Lippen, den zarten Berührungen ihrer Zunge. Er hatte sie verrückt gemacht vor Verlangen. Das wollte sie ihm jetzt heimzahlen. Mit einer raschen Bewegung umfasste er ihre Taille und rollte sie über sich, bis sie wieder neben ihm lag. »Definitiv Ananas«, flüsterte sie lachend. Sie schlang die Arme um seinen Hals und presste ihre Brüste gegen seine raue, harte Brust. Shane schob seine Hand zwischen ihre Schenkel, ließ die Finger in sie hineingleiten, bis sie vor Lust laut aufstöhnte. Ihre Lippen fanden sich erneut in einem endlosen Kuss voller Hingabe und Leidenschaft. Schließlich veränderte Shane seine Position, so dass sie unter ihm zu liegen kam. In dem Verlangen, ihn ganz tief in sich aufzunehmen, schlang Greta ihre Beine um seine Hüften und presste sich an ihn. Wieder und wieder drang er in sie ein, bis sie beide aufstöhnten. In diesem von der Realität losgelösten Augenblick, in dem weder Zeit noch Raum zu existieren schien, erfuhr Greta endlich, wie es war, jemanden rückhaltlos zu lieben. Und zum ersten Mal in seinem Leben entdeckte auch Shane das Gefühl, einer Frau seine ganze Liebe zu schenken, mit Herz und Seele. Nie hatte er geahnt, dass man eine Frau so begehren konnte. Doch das tat er, das wurde ihm klar, als ihr Höhepunkt kam, dicht gefolgt von seinem. Als Greta am nächsten Morgen die Augen aufschlug, schien
die Sonne bereits hell ins Zimmer. Überall auf dem Fußboden lagen ihre Kleidungsstücke verstreut, ebenso wie die Überreste ihrer so genannten Hochzeitsnacht-Ausstattung. In ihrem Kopf dröhnte und pochte es. Sie hatte ganz offensichtlich zu viel Champagner getrunken. Schlimmer noch, sie hatte vergessen, den Wecker zu stellen, und heute war Samstag. Samstag! Die Eröffnungsfeier ihres Tanzclubs sollte in weniger als zehn Stunden stattfinden. Sie konnte kaum glauben, dass sie das gestern Abend tatsächlich vergessen hatte. Ein genervtes Stöhnen unterdrückend, löste sie sich aus Shanes Armen. Ein Blick auf ihn bedeutete ihr, dass er immer noch tief schlief. Leise huschte sie ins Bad. Um Zeit zu sparen, drückte sie Zahnpasta auf ihre Zahnbürste und stellte sich damit geradewegs unter die Dusche. Wenn nicht der unechte Ehering an ihrem Finger gewesen wäre – das einzige, was ihre übereifrigen Mütter vergessen hatten –, dann hätte sie fast geglaubt, die ganze verrückte Woche sei ein Traum gewesen. Doch es war kein Traum. Ein Blick auf die grüne Stelle an ihrem Finger genügte, um das zu erkennen. Hastig putzte Greta sich die Zähne, spülte den Mund aus und seifte sich von Kopf bis Fuß ein. Sie wusch sich die Haare und brauste sich anschließend mit heißem Wasser ab. Die ganze Prozedur dauerte nicht länger als fünf Minuten. Sie war gerade wieder aus der Dusche getreten und hatte sich in zwei flauschige Handtücher gewickelt, eines um ihren Körper und eines um ihre Haare, als die Badezimmertür geöffnet wurde. Shane tappte herein, nur mit seinem Slip bekleidet. Trotz des Schlafmangels der letzten beiden Nächte sah er umwerfend gut aus. Sein hoch gewachsener Körper war braungebrannt und fit. Das dunkelblonde Haar war jungenhaft zerzaust, die grauen Augen blickten schläfrig. Er brauchte dringend eine Rasur. Und ein Duschbad. Unwillig registrierte sie, dass ein Blick genügte, und er wusste genau, was mit ihr los war. »Du machst dir Sorgen um
die Eröffnung heute Abend?« Mehr noch um mein Herz und um mein Gefühlsleben, fügte sie im Stillen hinzu. Doch sie würde nicht so dumm sein, ihm zu gestehen, dass sie sich Hals über Kopf in ihn verliebt hatte. Also tat sie ihr Bestes, ihre Gefühle zu verbergen. »Darum und um eine Million anderer Dinge«, erwiderte sie düster. Nachdem Shane sich die Zähne geputzt hatte, drückte er Rasierschaum in die hohle Hand und verstrich den weißen Schaum über Kinn und Wangen. »Zum Beispiel?« Eigentlich hatte sie jetzt keine Lust auf eine Diskussion, aber in Anbetracht der beiden heißen Nächte, die sie miteinander verbracht hatten, war es vielleicht besser, offen zu reden. »Ich habe gerade daran gedacht, dass ich mir einen Platz zum Wohnen suchen muss, wenn ich hier in ein paar Wochen ausziehe.« Darüber hinaus mussten sie sich ein respektables Ende ihrer Ehe ausdenken, dass sowohl ihre Familien wie auch Freunde und Bekannte akzeptieren konnten. Fest entschlossen, sich der Situation und ihren Gefühlen zu stellen, sah sie ihn ernst an. »Wir brauchen einen endgültigen Termin, um diese Sache zu beenden, Shane.« Bevor sie sich noch mehr zum Narren machte. Wenn sie bloß an die vergangene Nacht dachte… Am liebsten hätte sie ihr Verhalten auf den übermäßigen Genuss von Champagner und die romantische Stimmung geschoben, doch das wäre Selbstbetrug. Es gab nur einen einzigen Grund für ihr Verhalten: Sie liebte Shane. »Weißt du, Greta…« Shane zog das Rasiermesser mit sicherer Hand über seine Wangen. Ihre Blicken trafen sich im Spiegel. »Ich frage mich allmählich, ob wir unsere Beziehung überhaupt beenden sollten.«
10. KAPITEL »Was willst du damit sagen?« entgegnete Greta bestürzt. »Du hast doch nicht etwa vor, diese Schmierenkomödie endlos fortzusetzen?« »Du musst zugeben, dass wir inzwischen gute Freunde geworden sind. Und im Bett klappt es zwischen uns auch hervorragend«, wandte Shane ein. Mehr als hervorragend, dachte Greta sehnsüchtig. Aber bis jetzt hatte er ihr nicht gesagt, dass er sie liebt, während sie sich von Tag zu Tag mehr in ihn verliebte. Hätte er nur ansatzweise durchblicken lassen, dass auch sein Herz nicht kalt blieb, dann wäre sie sofort auf seinen Vorschlag eingegangen. So aber blieb ihr nichts anderes übrig als abzulehnen. Sie erwartete mehr von einer Ehe als Freundschaft und guten Sex. »Wir haben eine Abmachung, Shane. Und daran möchte ich mich halten.« Shane zuckte gleichmütig die Achseln. »Na und? Da wir jetzt wissen, dass wir gut miteinander auskommen, warum die Sache nicht unendlich verlängern?« Aus seinem Mund hörte sich das alles so logisch an. Das hasste sie. Sie wollte Tränen und Lachen und Überschwang. Sie wollte, dass er seine Liebe zu ihr in die ganze Welt hirtausposaunte. Doch das würde nicht passieren. Stattdessen war er auf dem besten Weg, eine seiner Eskapaden in eine Vernunftehe umzuwandeln. »Und warum sollten wir das tun?« fragte sie kühl. »Weil wir beide nicht jünger werden.« Er hatte seine Rasur beendet und wusch sich das Gesicht mit klarem Wasser ab. »Und beide haben wir bis jetzt nicht unseren Traumpartner gefunden.« Ich schon, überlegte Greta traurig, und das bist du, Shane McCabe. Sie wusste, dass sie jeden Moment in Tränen ausbrechen würde, wandte sich daher lieber ab und ging ins Schlafzimmer,
um sich anzuziehen. Er folgte ihr und redete weiter auf sie ein, offenbar Feuer und Flamme für seine Idee. »Wir haben festgestellt, dass es die beste Versicherung gegenüber zukünftigen Verkupplungsversuchen ist, einen Ehepartner zu haben, wenn auch nicht im traditionellen Sinn. Weil wir beide uns in Laramie niederlassen wollen und unsere Ehe alle Welt glücklich macht, besonders unsere Eltern. Weil wir gern zusammen sind. Und es ist weitaus billiger, zusammen als getrennt zu leben.« Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. »Die Liste der Gründe, die für eine Fortsetzung der Ehe sprechen, ist schier endlos.« Und die Liste, die dagegen spricht, noch länger, dachte Greta bitter. »Du schlägst also vor, weiterhin so zu tun, als seien wir glücklich verheiratet, auch wenn das gar nicht stimmt?« meinte Greta aufgebracht. »Ich schlage vor, wir folgen dem Rat, das Beste aus der Situation zu machen, in die wir uns hineinmanövriert haben«, erwiderte er fest. Greta trat zum Schrank, um ihre Kleidung herauszusuchen. Sie kramte ihr schlichtestes BH- und Höschen-Ensemble hervor und wählte dann einen kurzen Jeans-Rock, ein weißes T-Shirt und eine bestickte Weste. »Und wie sollen wir das deiner Meinung nach anstellen?« schnappte sie, während sie das Handtuch fallen ließ. Shane trat hinter sie, um ihr den BH zuzuhaken. »Ganz einfach. Wir haben weiter eine heiße Liebesaffäre miteinander und bleiben legal verheiratet. Zugegeben, das wird keine Ehe im gewöhnlichen Sinn«, fuhr er fort, während sie in Slip und Rock schlüpfte. »Aber nichts an uns ist gewöhnlich. Wir sind beide immer unsere eigenen Wege gegangen. Warum jetzt damit aufhören? Wenn wir zusammen bleiben, dann müssen wir uns nicht ändern.« Greta sah ihn an. Auch wenn es ihm vielleicht nicht bewusst war, sie war davon überzeugt, dass sie beide etwas Besseres
verdient hatten. Und weil das so war und weil er ihr nicht gesagt hatte, dass er sie liebt, und es auch nie tun würde, wusste Greta, was sie zu tun hatte. »Das ist doch lächerlich, Shane.« Sie zog sich das T-Shirt über den Kopf, zupfte Saum und Ausschnitt glatt und schlüpfte in ihre Weste. »Wir bleiben nicht verheiratet.« Shane bedachte sie mit einem verführerischen Lächeln, das seinen Zweck auch nicht verfehlte. Augenblicklich wurde ihr weich in den Knien. »Bist du sicher?« Er zog sie in die Arme. Sie legte ihm die Hand auf die Brust und stieß ihn weg. »Ich bestehe auf unserem ursprünglichen Plan.« Sie rauschte an ihm vorbei ins Bad, um sich die noch feuchten Haare zu kämmen. An den Türrahmen gelehnt, sah Shane ihr zu. »Du kannst machen, was du willst«, erklärte er mit trügerisch sanfter Stimme. »Aber was mich betrifft, bleibt unsere Ehe bestehen.« Gretas Herz klopfte zum Zerspringen. »Soll das heißen, du bist nicht bereit, in die Annullierung einzuwilligen?« fragte sie lauernd. Seine Miene änderte sich abrupt. Er betrachtete sie jetzt in einer Mischung aus Ärger und Besorgnis. »Warum sollte ich? Damit du mit Beau auf und davon gehst?« »Du bist eifersüchtig.« »Ich verteidige nur mein Revier«, knurrte er. »Ich will eine Annullierung!« schleuderte sie ihm hitzig entgegen. Shane musste sich eingestehen, dass er nie ernsthaft erwogen hatte, sie gehen zu lassen, besonders nicht nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht. »Finde dich lieber damit ab, Darling«, erklärte er unnachgiebig. »Dazu wird es nicht kommen.« Nicht jetzt, da du in jeder Beziehung meine Frau geworden bist, fügte er im Stillen hinzu. Sie hielt sein Herz in den Händen, ohne es zu ahnen, und er würde dafür sorgen, dass sie es nicht zerdrückte. Es war fast zwei Uhr nachmittags, als Shane durch den
Hintereingang des Tanzclubs in die Küche gestürmt kam. Er konnte es nicht erwarten, Greta zu sehen, denn ein Gespräch mit seinem Bruder Jackson hatte ihm soeben vor Augen geführt, wie lächerlich er sich benahm. Er hatte Jackson seine Liebe zu Greta gestanden, und in dem Moment war ihm klar gewesen, dass er es ihr sagen musste, sonst würde er sie womöglich verlieren. Und das könnte er nicht ertragen. »Ich muss mit dir reden.« Greta warf einen bedeutungsvollen Blick auf die drei Köche, die damit beschäftigt waren, die abendlichen DinnerSpezialitäten vorzubereiten. Sie nahm ein Stück Kreide zur Hand und schrieb in sauberen Druckbuchstaben die Menüvorschläge auf eine hübsch dekorierte Schiefertafel, die sie vor dem Eingang aufstellen wollte. »Das muss warten.« Shane drängte sich an den Köchen vorbei. »Unmöglich.« »Aber es muss.« Der Chef koch wandte sich ihr zu. »Es ist sowieso höchste Zeit, dass Sie nach Hause gehen und sich fertig machen.« »Genau«, bekräftigte Shane, glücklich, einen Vorwand gefunden zu haben, sie von hier wegzulocken. Er zog Greta überschwänglich in die Arme, hob sie hoch und trug sie nach draußen zu seinem Pick-up. »Musst du immer so eine Show abziehen?« fragte sie ärgerlich, nachdem er sie abgesetzt hatte. Shane öffnete die Beifahrertür und war ihr beim Einsteigen behilflich. »Ich tue alles, um deine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.« Sie betrachtete ihn grimmig. Stur verschränkte sie die Arme vor der Brust. »Ich muss in spätestens zwei Stunden zurück sein.« »Ich bringe dich rechtzeitig wieder her, das verspreche ich.« Daran musste er sich halten, sonst würde sie ihm das nie verzeihen. Die Fahrt hinaus zur Ranch verlief ruhig, und beide schwie-
gen. »Also, was war denn so dringend?« fragte Greta, kaum waren sie auf der Ranch angekommen. Eifrig bemüht, sich als perfekter Gentleman zu erweisen, eilte er um den Wagen herum, um ihr die Tür zu öffnen. »Ich möchte mich für heute Morgen entschuldigen.« Er schloss die Hände um ihre Taille und hob sie aus dem Truck. »Warum?« Greta hielt sich an seinen Armen fest, als ihre Füße den Boden berührten. Dann ließ sie die Arme sinken und trat einen Schritt zurück. »Du hast doch nur deinen Gefühlen freien Lauf gelassen.« »Das ist es ja gerade«, erwiderte er ernst. Er nahm sie bei der Hand und begleitete sie auf die Veranda. »Habe ich eben nicht.« Rasch dirigierte er sie ins kühle Innere des Hauses. »Ich habe gesagt, dass ich mit dir verheiratet bleiben möchte, weil es so gut passt.« »Erinnere mich bloß nicht«, konterte sie streitlustig. »Aber das ist nicht der wahre Grund.« Sie sah ihn besorgt an. »Was dann?« Shane ließ sich in einen Sessel sinken und zog sie auf seinen Schoß. Er schlang die Arme um sie und hielt sie fest, während er all seinen Mut zusammennahm. »Ich möchte, dass du meine Frau bleibst, weil ich dich liebe. Ich liebe dich, wie ich nie zuvor jemanden geliebt habe.« Greta sah ihn an, und ihre Augen schimmerten feucht. Tränen verfingen sich in ihren langen Wimpern und rollten ihre Wangen hinab. »Oh Shane.« Sie sah so glücklich aus, wie er sie noch nie gesehen hatte. Shane beeilte sich fortzufahren. Nichts sollte ungesagt bleiben. »Es ist mir egal, wenn du mich nicht liebst«, erklärte er ernst, während er zärtlich ihr Haar, ihr Gesicht, ihren Hals streichelte. »Ich bin bereit, dir Zeit zu geben, und ich wünsche mir, dass du uns Zeit gibst. Denn ich bin sicher, mit genügend Zeit und ein bisschen Mühe werden wir…«
»Shane?« »Hmm?« Was hatte er diesmal falsch gemacht? »Sei still«, befahl sie ihm leise. Und dann sah sie ihn an, und er wusste, dass seine Sorgen völlig umsonst gewesen waren. Sie schlang die Arme um seinen Hals. Während ihr immer noch die Tränen über das Gesicht liefen, drückte sie ihre Lippen auf seine. »Ich liebe dich auch, Shane McCabe«, flüsterte sie bewegt. Sie zitterte am ganzen Körper. »Hast du gehört? Ich liebe dich auch.« Er wollte sie küssen, doch sie schüttelte den Kopf. »Deshalb war ich heute Morgen so wütend auf dich, weil ich dachte, nur ich allein fühle so.« Wie hatte er ihr nur so wehtun können? Sie zu verletzen war doch das Letzte, was er wollte. Shane zog sie fest an sich. »Du bist nicht allein.« Er küsste ihre Augen, ihre Lippen, ihr Haar. »Wenn es nach mir geht, bist du nie mehr allein.« Er stand auf, hob sie hoch und trug sie nach oben, ins Bett. Und dort, im sonnendurchfluteten Schlafzimmer, in den zerwühlten Laken ihres Betts, liebte er sie, als haften sie alle Zeit der Welt. Er liebkoste ihre Füße, streichelte ihre Fußknöchel, ihre Knie, die Innenseiten ihrer Schenkel. Er küsste ihre Brüste, ihren Bauch, umschloss ihren festen runden Po mit beiden Händen. Genüsslich beobachtete er, wie ihr Körper reagierte, sog ihre Süße in sich auf, ihr Feuer und ihre sehnsuchtsvollen Blicke. Auch sie küsste und liebkoste ihn voll unaussprechlicher Zärtlichkeit. Sie streichelte ihn, liebkoste ihn mit den Lippen und der Zunge, bis er es kaum mehr erwarten konnte, sie zu besitzen. Er schob sich über sie, spürte ihren heißen, erregten Körper unter sich. Er glitt mit der Hand über ihren Bauch, bis er die feuchte Wärme zwischen ihren Schenkeln fand. Sie hob ihm ihre Hüften entgegen, bewegte sich im Rhythmus seiner Hand, während er sie unablässig streichelte und küsste. Und dann drang er in sie ein, und die Welt um sie herum versank in einem Feuerwerk aus Lust und Erfüllung.
Danach hielt er sie fest umschlungen. Er drückte ihr einen sanften Kuss aufs verschwitzte Haar und wünschte, sie könnten hier bleiben. Doch das war unmöglich. »Was denkst du gerade?« murmelte Shane, während ihrer beider Herzschlag sich allmählich beruhigte. »Dass ich noch nie so glücklich war.« Widerstrebend stand sie auf und zog ihn mit sich. »Ich auch nicht.« Er gab ihr einen leichten Kuss auf den Nacken. »Ich auch nicht.« Um Zeit zu sparen, gingen sie gemeinsam unter die Dusche. Shane trat unter den Duschstrahl und schüttelte den Kopf. »Ich hätte es besser wissen und nicht auf Bonnie Sue hören sollen.« Greta horchte alarmiert auf. »Warum? Was hat sie denn gesagt?« »Es ist einfach lächerlich«, erwiderte er wegwerfend. Ich wusste doch, dass sie Ärger machen würde. Und ihr Instinkt sagte Greta, dass der Ärger noch nicht vorbei war, ganz egal, was Shane dachte. Sie schloss die Augen und lehnte sich gegen die Wand. »Klär mich auf, dann ist dieses Thema ein für alle Mal abgehakt.« Und ich weiß, was ich zu tun habe. Shane massierte Shampoo in ihr Haar. »Sie hat irgendetwas davon gefaselt, dass du mich benutzt, um Beau…« »Warum sollte ich das tun?« unterbrach sie ihn erstaunt. »Damit er dich heiratet.« Bei dem Gedanken an Beau stieg leichte Übelkeit in ihr auf. Das hatte sie ja völlig vergessen! Sie hatte heute Morgen nämlich ein konspiratives Gespräch mit ihm geführt. Zusammen hatten sie einen Plan ausgeheckt, der Shane dazu bringen sollte, in eine Annullierung ihrer Ehe einzuwilligen. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Hastig beeilte sie sich zu versichern: »Beau und ich… wir waren nie… ich meine, ich habe dir doch gesagt, eine Ehe stand nie zur Debatte…« »Ich weiß.« Er sah sie erwartungsvoll an. »Das habe ich Bonnie Sue auch gesagt.«
Innerlich verfluchte Greta dieses zweite Dilemma, in das sie sich da innerhalb nur einer einzigen Woche hineinmanövriert hatte. Sie wich seinem forschenden Blick aus. »Aber sie hat dir nicht geglaubt«, vermutete sie grimmig. Shane wusch den Schaum aus ihrem Haar, drückte etwas Conditioner in seine hohle Hand und verteilte die seidige Flüssigkeit in ihren nassen Haarsträhnen. »Sie ist fest davon überzeugt, dass jede Frau so denkt wie sie. Aber ich hätte es besser wissen müssen. Ich hätte dir vertrauen sollen. Ich hätte wissen müssen, dass du mich nie in der Weise benutzen und einen Idioten aus mir machen würdest.« Oh nein! Das Gefühl der Übelkeit verstärkte sich. Wie sollte sie Shane sagen, dass sie genau das geplant hatte? Und ausgerechnet mit dem Mann, den alle – Shane eingeschlossen für Shanes Erzrivalen hielten, was ihre Gunst betraf. »Was ist los?« Shane seifte sich ein und reichte ihr dann die Seife. Sag es ihm, drängte sie ihre innere Stimme. Damit er sich von dir abwendet? Und Bonnie Sue Baxter letztendlich doch Recht behält? Ihr Plan, Shane einen verdammt guten Grund zu liefern, um sie zu verlassen, kam ihr plötzlich gemein und heimtückisch vor. Aber es ist noch nicht zu spät, tröstete sie sich. Sie hatte eine Riesendummheit begannen, aber sie konnte die Sache wieder hinbiegen. Wenn sie schnell genug handelte, würde Shane nie erfahren, welche Demütigung sie für ihn vorgesehen hatte. »Nichts. Ich bin bloß… ich muss jetzt wirklich zurück zum Club.« »Lampenfieber?« fragte er verständnisvoll. Viel mehr als das, dachte sie bitter. Mach dir keine Sorgen, versuchte sie sich zu beschwichtigen. Es würde schon alles gut gehen. Sie musste nur Beau rechtzeitig Bescheid sagen, dass der Plan abgeblasen war. Dann brauchte sie sich keine Sorgen
mehr zu machen. Da gibt es bloß einen Haken an Plan B, überlegte Greta Stunden später, als sich allmählich lange Schlangen vor dem Eingang des Clubs bildeten. Sie hatte keine Möglichkeit, an Beau heranzukommen, um Plan A abzublasen. »Das ist schon das sechste Mal, dass ich dich mit dem Telefon in der Hand sehe«, spottete Shane, als Greta wieder mal stirnrunzelnd auflegte. »Wen rufst du an?« Sag es ihm, flüsterte eine innere Stimme. Damit er völlig durchdreht? Und sich verletzt und betrogen fühlt? »Nur eine Freundin«, beeilte Greta sich zu versichern. Ihr Blick glitt an Shane vorbei. »Da ist ja Dani!« Greta eilte ihrer Freundin entgegen, die sich bereit erklärt hatte, heute Abend als Hostess zu fungieren. Dani zog Greta in die Arme und trat dann einen Schritt zurück, um ihr Outfit zu bewundern: Jeansrock, Jeansbluse, ein Gürtel aus gehämmertem Silber, exquisit gearbeitete und verzierte Western Stiefel. »Du siehst toll aus.« Greta bewunderte Danis knallrotes Kleid und die dazu passenden Stiefel. »Du auch.« Wenn jemand ihr aus diesem Dilemma helfen konnte, dann Dani. Sie wandte sich entschlossen an Shane. »Wenn es dir nichts ausmacht, dann geh doch bitte mal raus und vertröste die Leute noch fünf Minuten, ja? Zuerst zerschneidet der Bürgermeister feierlich das rote Band, und dann ist Einlass, okay?« »Das ist schon mindestens der zehnte Botengang, auf den sie mich schickt, seit wir hier sind.« Er bedachte Greta mit einem zärtlichen Blick. »Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man meinen, dass du mich loswerden willst.« »Ich bin nur…« »Nervös. Ich weiß.« Er nahm ihre Hand und drückte sie. Dann wandte er sich an Dani. »Vielleicht gelingt es dir, sie zu beruhigen.« Lächelnd machte er sich auf den Weg, um Gretas Bitte zu
erfüllen. Kaum war er aus ihrem Sichtfeld entschwunden, nahm Greta Dani bei der Hand und zog sie mit sich in die hektische Betriebsamkeit in der Küche. Sie dirigierte sie zu einer kleinen Sitzecke direkt neben der Hintertür. »Du musst hier bleiben und nach Beau Ausschau halten. Er kann jede Minute eintreffen.« Dani sah sie an, als hätte sie völlig den Verstand verloren. »Ist mit dir alles in Ordnung?« »Nein, und ich habe jetzt keine Zeit, dir zu erklären, warum nicht«, erwiderte Greta scharf. »Halte Beau nur davon ab, mir heute Abend irgendwie nahe zu kommen. Hörst du? Halt ihn von mir fern, das meine ich ernst. Und sag ihm, unser Plan wäre abgeblasen.« Dani hob protestierend die Hand. »Hast du schon vergessen, dass Beau und ich eine Blutfehde miteinander austragen? Und das ist noch milde ausgedrückt. Er spricht nicht mal mit mir. Ich sehe wirklich nicht, wie ich ihn davon abhalten soll…« »Dani, bitte!« unterbrach Greta sie flehentlich. »Tu mir den Gefallen und vergiss das mal für den einen Abend, ja? Bitte!« Gretas offensichtliche Verzweiflung ließ Dani aufhorchen. Sie verstand zwar kein Wort von dem, was da vorging, aber sie spürte, dass Greta ernsthaft in Schwierigkeiten steckte. Sofort gab sie ihren Widerstand auf. »Aber klar doch.« »Gut.« Greta seufzte erleichtert auf. Ein Blick über die Schulter zeigte ihr, dass ihr Ehemann sich seinen Weg zu ihr bahnte. »Und kein Wort davon zu Shane«, zischte sie. »Zu Befehl.« Dani nickte ergeben. Shane nahm Gretas Hand. »Alle sind bereit. Der Bürgermeister ist da, um das Band zu zerschneiden. Auch die Presse ist vollzählig versammelt. Es kann losgehen.« Greta pappte sich ihr strahlendstes Lächeln ins Gesicht. Sie hakte sich bei Shane unter. Je eher sie das hinter sich brachten, desto besser. »Also, dann mal los.« Zu ihrer Erleichterung verlief das Banddurchschneiden ohne
Zwischenfälle. Gegen sechs Uhren waren nahezu alle Tische besetzt, und es gab eine Warteliste für die kommende Stunde. Der DJ, den sie angeheuert hatte, machte seinen Job ausgezeichnet, und auch das Soundsystem ließ sie nicht im Stich. Ihre beiden Familien waren vollständig versammelt. Und die ersten Leute strömten bereits auf die Tanzfläche. Greta war gerade in die Küche geeilt, um dort nach dem Rechten zu sehen, als Beau in der Hintertür auftauchte. Dani stand auf wie geplant und verstellte ihm den Weg. Es folgte ein hitziger Wortwechsel. Beau versuchte sich an Dani vorbeizudrängen, doch sie hielt ihn zurück. Greta blickte sich rasch um. Von Shane war weit und breit nichts zu sehen. Sie wollte die Gelegenheit nutzen, um selbst mit Beau zu sprechen und ihren Plan abzublasen. Mit hochroten Wangen eilte sie auf ihn zu. Beau stieß Dani im selben Moment beiseite, als Shane hinter ihm durch die Hintertür trat. Greta blieb auf der Stelle stehen, wohl wissend, dass Shane alles mitbekommen würde, was sie tat oder sagte. Das war Beau nur recht. Wie auf ein Stichwort zog er Greta in die Arme und beugte sich beschwörend über sie. »Darling«, verkündete er laut genug, so dass alle in der Küche ihn hören konnten. »Es tut mir so Leid. Bitte! Du musst mir verzeihen und mir eine zweite Chance geben!«
11. KAPITEL »Nicht jetzt!« formte Greta wortlos mit den Lippen. Doch bevor sie Beau die Regieänderung mitteilen konnte, stürmte Shane auch schon wutentbrannt vorwärts. »Was geht hier vor?« verlangte er zu wissen. »Es ist nicht so, wie es aussieht«, beeilte sie sich zu versichern, während sie Beau zurückstieß. »Ist es doch.« Beau bedachte Greta mit einem verliebten
Blick. Shane musterte die beiden einen Moment schweigend. »Also, was ist los?« fragte er gefährlich ruhig. Zu Gretas Entsetzen machte Beau keinerlei Anstalten, sie loszulassen. Im Gegenteil, er hielt sie weiterhin in seiner schützenden Umarmung gefangen. »Genau das, wonach es aussieht«, antwortete er stolz. »Greta ist endlich zu Verstand gekommen. Endlich ist ihr klar, dass sie mich nie hätte verlassen dürfen, um Sie zu heiraten.« Shane wandte sich an Greta. »Stimmt das?« wollte er wissen. Sein Blick machte deutlich, wie verletzt er war. Sich brav an das Skript haltend, dass Greta und er entworfen hatten, versicherte Beau: »Das hat sie mir heute Morgen gesagt.« »Heute Morgen«, wiederholte Shane. »Aber das war, bevor wir miteinander geredet haben, Shane«, beteuerte Greta. Mit aller Kraft löste sie sich aus Beaus Umarmung. »Das heißt?« Shane schob die Hände in die Gesäßtaschen seiner Jeans. »Wenn wir nicht miteinander geredet hätten, dann wärst du jetzt mit ihm zusammen?« Greta hob trotzig das Kinn an. Ihre Blicke trafen sich. Sie wusste, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als die Wahrheit zu sagen. »Heute Morgen war ich fest davon überzeugt, dass ich diese Ehe nicht länger fortsetzen könnte. Aber jetzt, wo ich weiß, dass du mich wirklich liebst, brauche ich diese Sache mit Beau nicht durchzuziehen.« »Welche Sache?« Greta errötete bis unter die Haarwurzeln und wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Immer noch auf eine Antwort wartend, wandte Shane sich an Beau. Beau hob ratlos die Hand. Sie hatten sich so weit von ihrem Skript entfernt, dass er keine Ahnung hatte, was Greta von ihm
erwartete. »Fragen Sie nicht mich. Ich bin nur hier, um Anspruch auf sie zu erheben«, erklärte er in einem Anflug von Ironie. »Als was?« fragte Shane. »Als Ihre Geliebte? Ihre Frau?« »Was immer sie wünscht.« Beau richtete den Blick auf Greta. »Und sie weiß das.« In dem Bewusstsein, dass Shane im Moment ganz und gar nicht angefasst werden wollte, schon gar nicht von ihr, ließ sie die Hände sinken. »Gehen wir irgendwo hin, wo wir allein sind«, forderte sie ihn auf. »Dann erkläre ich dir alles.« »Das wird dir auch nichts nützen«, bemerkte Bonnie Sue gedehnt. »Ich weiß das aus Erfahrung. In dieser Arena wünscht Shane keine Konkurrenz.« Wo kommt die denn her, fragte sich Greta, während sie erschrocken herumwirbelte. Wie lange steht sie da schon und hört zu? Und all die anderen Leute! Meine Eltern! Shanes Eltern! Bonnie Sue verzog spöttisch das Gesicht. »Scheint so, als hätte ich einen Nerv getroffen, was?« »Das weiß ich nicht, aber eine bessere Publicity hätte Greta sich gar nicht wünschen können«, stichelte der Fotograf der »Laramie News«, als er die Kamera hob und zu knipsen’ begann. »Das ist eine Titelstory wert.« Shane ignorierte das alles und konzentrierte sich weiterhin auf Greta. »Sag mir die Wahrheit«, befahl er. »Hast du diesen Kerl gebeten, heute Abend hier aufzutauchen, um dir zu helfen, unsere Beziehung zu beenden?« Greta wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, ohne die Sache noch schlimmer zu machen. Ganz bestimmt nicht die Wahrheit. Unglücklich sah sie Shane an. Dieser schüttelte grimmig den Kopf. »Nun, das ist auch eine Antwort.« In dem verzweifelten Bemühen, diesen Abend und ihre Ehe doch noch irgendwie zu retten, wandte Greta sich an Beau und
erklärte: »Ich weiß genau, was wir abgemacht haben, und ich bin dir dankbar für deine Hilfe, aber ich habe meine Meinung geändert. Ich möchte mit Shane verheiratet bleiben«, betonte sie. Beau musterte sie, seine Besorgnis um sie war offensichtlich. Wie aus weiter Ferne drang Musik zu ihnen in die Küche. Shanes Kinnmuskeln verkrampften sich. Er bedachte die beiden mit einem wütenden Blick. »Habe ich das richtig verstanden? Du hast ihm gesagt, dass du dich trennen willst, bevor du es mir gesagt hast?« Greta schluckte hart, und ihre Knie begannen zu zittern. »Er ist mein Freund.« »Scheint so, als sei er mehr als nur ein Freund«, bemerkte Bonnie Sue schneidend. Jetzt reichte es Greta. Shanes Ex hatte bereits genug angerichtet. Sie wirbelte zu Bonnie Sue herum und fauchte: »Halt du dich da raus!« »Jemand muss sich ja für Shanes Interessen einsetzen«, konterte Bonnie Sue mit Genugtuung. Ihr kam das Chaos, das Beaus Auftritt ausgelöst hatte, gerade recht. »Und das bist ganz offensichtlich nicht du. Aber vielleicht gefällt es dir ja, die Männer um dich kämpfen zu lassen. Zu dumm nur, dass Shane nicht der richtige Typ für solche Spielchen ist.« Wie Bonnie Sue aus eigener Erfahrung weiß, dachte Greta bitter. Es gab nur eine Möglichkeit, um sie zum Schweigen zu bringen. »Das hast du wohl auf die harte Tour lernen müssen, was, Bonnie Sue?« Bonnie Sue schnappte nach Luft. Interessierte Blicke richteten sich auf sie. »Zu schade für dich, dass dein Beau so rasch bereit ist aufzugeben.« Sie wollte damit sagen, dass Greta es nicht wert war, um sie zu kämpfen. »Ich habe keine Angst, mich zu schlagen, falls das nötig sein sollte«, eilte Beau zu Gretas Rettung herbei. Greta stöhnte entnervt auf. Dieser Schwachsinn hatte ihr
gerade noch gefehlt! »Ich auch nicht«, verkündete Shane laut und deutlich. Er bedachte Beau mit einem grimmigen Blick. »Wollen wir die Angelegenheit draußen austragen?« Beau erwiderte Shanes Blick. Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, kam es zu einem stillen Einverständnis zwischen den beiden Männern, das die anderen ausschloss. Oh nein, dachte Greta, und ihr Herz sank. »Aber .sicher.« Beau zuckte die Achseln, den Blick immer noch fest auf seinen Gegner gerichtet. Mit einem zuversichtlichen Lächeln fügte er hinzu: »Warum nicht?« Greta wurde bewusst, dass die Sache eine Wendung zum Schlechten genommen hatte. »Wartet mal eine Minute, Jungs. Das ist doch wirklich nicht nötig.« Sie wusste nur zu gut, wie sehr Shane es liebte, das Leben bis zum Limit zu leben. Beau hingegen hatte die Tendenz, die Realität nur allzu oft mit seinen Abenteuerfilmen zu vermischen. Ganz offensichtlich dachten die beiden Männer, dass sie ein neues aufregendes Level im Spiel des Lebens erreicht hatten. Aber das würde keine Stuntman-Szene werden. Blut würde fließen, Zähne könnten ausgeschlagen werden! »Das Letzte, was wir hier heute zur Eröffnung brauchen, ist ein Boxkampf auf dem Parkplatz!« Shane sah Greta an. Er schüttelte den Kopf über ihre Naivität. »Wer hat was von Boxen gesagt?« »Was soll’s denn sonst werden? Ein Duell im Kickboxen vielleicht?« fragte Greta gereizt. Allmählich hatte sie genug von diesem albernen Theater. Die Männer würden doch wohl hoffentlich jeden Moment zu Verstand kommen, und dann konnten sie in Ruhe über alles reden. Sie ärgerte sich über ihre eigene Dummheit. Wie hatte sie nur glauben können, Shane mit diesem billigen Trick, Beau als ihren Retter in die Arena zu schicken, überlisten zu können! Shane rieb sich nachdenklich das Kinn. »Pistolen.«
Greta rang verzweifelt die Hände. Waschechte Texaner neigten dazu, handgreiflich zu werden, wenn es um ihren Ruf ging, und Begriffe wie Ehre und Männlichkeit über alles zu stellen. Aber auch nur über ein Pistolen-Duell zu reden war einfach lächerlich! Und das wusste auch Shane McCabe. »Das meinst du doch nicht ernst«, meinte sie drohend. »Warum nicht?« Shane schien äußerst zufrieden mit seiner neuen Taktik. »Du brauchst doch ein bisschen Publicity für deinen Tanzclub, nicht?« Ohne ihr Gelegenheit zu einer Antwort zu geben, richtete er den Blick auf Beau. »Und hat nicht Ihr neuester Film demnächst Premiere?« Greta stöhnte auf. Beau drehte so viele Filme, dass fast immer eine Premiere anstand. Dani Lockhart, die sich als Filmkritikerin mit Filmen bestens auskannte, sprang bereitwillig ein. »Es geht um eine Dreierbeziehung zwischen einer verheirateten Frau, ihrem Mann und einem attraktiven Eindringling. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist rein zufällig«, informierte Dani ihr interessiertes Publikum. »Beau spielt übrigens den fiesen Ehebrecher.« »Pass auf, wen du hier als fies betitelst.« Beau schoss Dani einen wütenden Blick zu. Es war offensichtlich, dass sie ihre Fehde noch immer nicht beigelegt hatten. »Ich sage nur, was ich sehe«, schnappte Dani. Shane winkte Beau zur Hintertür. »Kommen Sie, wir gehen nach draußen und regeln die Sache unter Männern.« »Okay.« Die beiden Männer verließen den Club. Sie standen jetzt auf dem Hof und sprachen miteinander. Die Show war vorüber, für den Moment jedenfalls, und alle gingen wieder an ihre Arbeit. Dani gesellte sich zu Greta. »Die werden das doch wohl nicht wirklich machen«, schäumte Greta. Die beiden Frauen standen in der Tür und beobachteten gespannt, was draußen vor sich ging. »Shane ist nur sauer auf mich und will mich provozieren. Er spielt sein Spielchen
mit mir.« So wie sie mit ihren Eltern gespielt hatten. Das war bloß wieder eine von Shanes Eskapaden. Nur dass sie diesmal Opfer des Streichs war, anstatt selbst daran teilzunehmen. Dani seufzte gedankenverloren. »Shane hat ein Talent fürs Dramatische.« Sie lachte leise. »Er hätte Schauspieler werden sollen.« Shanes drei Brüder gesellten sich zu den beiden Männern auf dem Hof. Die Diskussion ging weiter, und plötzlich hatten alle ein breites Grinsen auf dem Gesicht. »Die hecken da irgendetwas aus«, bemerkte Dani. »Wem sagst du das«, zischte Greta. »Fragt sich bloß, was.« Im nächsten Moment löste Jackson McCabe sich aus der Gruppe und trat zu den beiden Frauen. »Sie werden es tun«, verkündete er ruhig. Trotz der Tatsache, dass er als Arzt nur zu oft Leute zusammenflicken musste, die eine Kugel im Körper stecken hatten, wirkte er bemerkenswert gleichmütig. »Travis ist los, um die Revolver zu holen.« Wo ist der Haken an der Sache? Was führen sie im Schilde? fragte sich Greta verzweifelt. »Die beiden wollen sich meinetwegen umbringen?« meinte sie spöttisch. Jetzt gesellte sich auch Wade McCabe zu ihnen. Der Ölmillionär wirkte ebenfalls unheimlich ruhig. »Nein. Sie haben versprochen, dass niemand verletzt wird.« So sehr sie sich auch bemühte, mehr bekam Greta aus den McCabe-Brüdern nicht heraus. Zu ihrer größten Verwunderung nahmen sie sogar die Hilfe der örtlichen Polizei in Anspruch sowie die des Diskjockeys, den Greta für die Eröffnungsfeier eingestellt hatte. Zwanzig Minuten später war der Straßenabschnitt vor dem Tanzclub mit einem Seil abgesperrt. Dahinter drängte sich die aufgeregte Menge. Shane und Beau enttäuschten sie nicht. Sie kamen breitbeinig anstolziert, altmodische Pistolenhalfter – wie aus einem Cowboy-Film – um die Hüften gebunden. In den Halftern steckten große Pistolen mit Perlmutt-Griffen wie
aus dem Western-Museum. Greta wusste nicht, was die beiden vorhatten. Hoffentlich waren die Pistolen jene Sorte Scherzartikel, aus denen eine Flagge hervorschoss, auf der Bang! geschrieben stand. Die ganze Sache gefiel Greta gar nicht. Sie kochte vor Wut. Dieser typisch männliche Unsinn ging ihr total auf die Nerven, und sie war mit ihrer Geduld am Ende. Wutentbrannt stürmte sie auf die Straße und baute sich mitten zwischen den beiden Rivalen auf. »Ich fordere euch auf, sofort damit aufzuhören!« »Zu spät, Darling«, erwiderte Shane unnachgiebig. Er sah sie kühl an. »Er hat Recht.« Offensichtlich hatte Beau sich auf Shanes Seite geschlagen. »Die Leute hier erwarten eine Show, und wir werden sie nicht enttäuschen.« Bevor Greta noch etwas sagen konnte, übernahm der DJ. Er verkündete den Zuschauern, dass es sich hier um einen Kampf zwischen erbitterten Rivalen handelte. Und der Preis für den Gewinner sei Greta. Er schob Greta energisch aus der Schusslinie, positionierte die Männer in fünfzig Schritten Abstand mitten auf der Straße und erklärte die Regeln. Beide Männern sollten auf sein Signal hin die Waffe ziehen und schießen. Wer am schnellsten zog beziehungsweise am Besten schoss, hatte gewonnen. »Möge der Bessere gewinnen.« Ein Raunen ging durch die Menge. Der DJ gab das Signal und trat zurück. Beide Männer standen da, den Blick fest auf den Gegner gerichtet, die Hände an den Hüften. Fünf schier endlose Sekunden verstrichen. Dann zehn. Fünfzehn. Später hätte Greta nicht sagen können, wer zuerst zog. Sie wusste nur, dass in Sekundenschnelle beide Pistolen aufblitzten und ein ohrenbetäubendes Krachen die erwartungsvolle Stille erschütterte. Und dann brach die Hölle los. Die Zuschauer schrieen hysterisch, beide Schützen prallten zurück, ganz offensichtlich getroffen – Shane in der Schulter, Beau in der Brust. Schließ-
lich verwandelten sich die aufgeregten Schreie in zunächst zögerndes, dann immer lauter schallendes Gelächter, als die Hemden der beiden Männer sich in Rot und Pink verfärbten. »Farbpatronen!« schäumte Greta, während Travis McCabe an ihrer Seite sich köstlich zu amüsieren schien. »Shane hat sie in seinen Rodeo-Zeiten mal von einem Clown bekommen«, erklärte er. »Ich dachte, das weißt du.« Greta biss wütend die Zähne zusammen. Nie zuvor im Leben hatte sie sich derart veralbert gefühlt. Die Arme vor der Brust verschränkt, starrte sie stur geradeaus. »Ich war nie auf einem Rodeo.« »Zu schade.« Travis Stimme troff geradezu vor brüderlicher Bewunderung. »Es ist schon etwas ganz Besonderes, Shane reiten zu sehen.« »Er liebt es, sich in der Aufmerksamkeit der Menge zu sonnen, stimmt’s?« So wie Greta das sagte, klang es ganz und gar nicht nach einem Kompliment. Travis nickte. »Allerdings.« Greta ging zu den beiden Schützen, die einander gerade freundschaftlich die Hand reichten. Ehe sie es noch verhindern konnte, umschlang Shane ihre Taille mit beiden Händen, wirbelte sie herum und küsste sie auf die Wange. Die Menge brüllte vor Vergnügen. Nachdem er sie wieder abgesetzt hatte, lüpften beide Männer ihren Hut und verbeugten sich. Die Show war zu Ende. Noch einmal tosten die Zuschauer vor Begeisterung. Die Musik setzte ein und übertönte das laute Klatschen, die Jubelschreie und die schrillen Pfiffe. »Sieht aus, als hätten Sie gewonnen«, wandte sich Beau an Shane. Sein Farbfleck lag mitten über dem Herzen, während Shanes Hemd sich lediglich an der Schulter rot gefärbt hatte. Wen interessiert das schon, dachte Greta wütend. Sie hatte soeben einen Riesendummkopf aus sich gemacht. Shane zuckte die Achseln. »Ich würde sagen, unentschieden.«
»Und ich finde, das war ein richtiger Publikumshit.« Dani Lockhart gesellte sich zu ihnen. Sie maß Beau mit einem zynischen Blick und fuhr dann mit vor Ironie triefender Stimme fort: »Das bringt dir eine Menge Publicity für deinen neuen Film ein.« Sie hörte sich an, als hätte er etwas Abscheuliches getan. »Egal.« Beau bedachte sie mit einem kühlen Blick. »Jedenfalls bringt es mir mehr positive Resonanz als eine deiner Kritiken.« Danis Augen blitzten zornig auf. »Zumindest kann ich schreiben«, erwiderte sie honigsüß. »Wenn du doch bloß auch schauspielern könntest!« Beau verdrehte entnervt die Augen. »Sagte die Lady mit dem giftigen Kuli.« Er richtete den Finger anklagend auf Dani. »Weißt du, was ich glaube? Du bist eine verhinderte Schauspielerin, die sich hinter der Rolle der Kritikerin versteckt!« »Oh, du…!« In ohnmächtiger Wut drehte sich Dani auf dem Absatz herum und rauschte davon, dicht gefolgt von Beau, der sie erneut in ein hitziges Wortgefecht verwickelte. Der Reporter des lokalen Fernsehsenders nutzte die Gelegenheit und hielt Shane das Mikrofon unter die Nase. »Verraten Sie uns die Wahrheit, Mr. McCabe. War das alles nur ein gigantischer Publicity-Gag?« Shane sah ihn an, ganz offensichtlich sprachlos über die scharfsinnige Frage. »Ich kann doch ganz offen sprechen, oder?« Der Reporter strahlte und warf einen Blick zurück zu Bonnie Sue Baxter, die ihn offenbar über einige Details aufgeklärt hatte. Derart angestachelt, fuhr der Reporter fort: »Soll das heißen, dass Sie die Ehe mit Miss Wilson annullieren lassen?« Shane sah Greta an. Nein, dachte sie. Sie hielt den Atem an. Bitte, Shane, sag Nein. Shane nickte. »Worauf Sie wetten können.«
12. KAPITEL »Schön«, meinte Travis früh am nächsten Morgen, als Shane eines seiner neu erworbenen Pferde auf die Weide führte. »Danke.« Shane jagte die schöne Stute auf die Wiese hinaus und schloss dann das Gatter. Travis, ganz offensichtlich in der Stimmung, den großen Bruder herauszukehren, begleitete Shane zu den Ställen zurück. »Es überrascht mich, dass du heute arbeitest.« Shane holte den Schimmel aus seinem Stall und brachte ihn ebenfalls auf die Weide. Er wünschte, Travis würde endlich gehen und sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern. »Was sollte ich denn sonst tun?« »Ich weiß nicht«, erwiderte Travis ironisch. »Vielleicht deine Ehe retten.« »Und warum?« Travis lehnte sich gegen den Zaun. Er sah aus, als hätte er bedeutend besser geschlafen als sein kleiner Bruder. »Vielleicht, weil du dich bis über beide Ohren in die Frau verliebt hast?« Shane wurde allmählich wirklich wütend. Sollte seine Familie doch vor der eigenen Tür kehren! Also drehte er den Spieß um und legte den Finger in die Wunde, die Travis Liebesleben betraf. »Nur weil du nicht darüber hinweggekommen bist, auf welche tragische Weise du Rayanne verloren hast, spiel dich bloß nicht so auf.« Rayanne war vor Jahren gestorben, bevor die beiden es bis zum Traualtar geschafft hatten. Travis hatte diese Tragödie nie verwunden, es war, als sei alles erst gestern geschehen, der verheerende Unfall am Tag der Hochzeit, der all seine Träume zerstört hatte. Travis Miene verdüsterte sich. »Ich würde alles dafür geben, die Sache ungeschehen zu machen«, brachte er gepresst hervor. »Ich, weiß, großer Bruder«, erwiderte Shane mitfühlend,
froh, nicht selbst eine solche Last zu tragen zu haben. »Aber meine Situation ist vollkommen anders.« Es war nicht er gewesen, der Greta Unrecht zugefügt hatte, sondern umgekehrt. Travis schob seinen Hut zurück und sah Shane fragend an. »Tatsächlich?« »Rayanne und du, ihr wolltet aus genau den richtigen Gründen heiraten.« Die beiden waren seit ihren Kindertagen ineinander verliebt gewesen, und es war immer klar, dass sie eines Tages heiraten würden. »Bei Greta und mir ist das nicht der Fall.« In knappen Worten erklärte er, warum Greta und er überhaupt zusammen durchgebrannt waren. »Ich habe von Anfang an so etwas geahnt«, seufzte Travis. »Und das Ende war auch vorhersehbar«, brummte Shane. Wann würde dieses Gefühl, verraten worden zu sein, endlich abklingen? »Wer ist denn jetzt immer noch nicht ehrlich?« bohrte Travis. »Was meinst du damit?« Shane ging zu den Ställen zurück, gefolgt von seinem Bruder. »Ich habe ihr gesagt, dass ich sie liebe. Und dennoch hat sie mich betrogen.« »Aber das war, bevor du es ihr gesagt hast.« Shane schnappte sich eine Forke und begann, den Stall auszumisten. »Ist doch egal«, stieß er grimmig hervor. Nie hätte er für möglich gehalten, so viel Schmerz wegen einer Frau zu empfinden. Als die Beziehung mit Bonnie Sue beendet gewesen war, hatte er lediglich Erleichterung verspürt. »Die Tatsache bleibt bestehen, dass Greta mich hintergangen hat.« Sie in Beaus Armen zu sehen, aus welchem ausgeklügelten Grund auch immer, hatte ihn tief gedemütigt. Er war sich wie der typische gehörnte Ehemann vorgekommen. »Greta hat also einen Fehler gemacht«, räumte Travis ein. »Doch am Schluss hat sie doch versucht, alles gerade zu biegen, bevor du sie in aller Öffentlichkeit hast fallen lassen.«
Shane hatte nicht vorgehabt, vor aller Ohren zu verkünden, dass er die Ehe annullieren lassen wollte. Nachdem das Scheinduell beendet war, hatte er sich eigentlich nur so rasch wie möglich aus dem Staub machen wollen. Oh ja, er wollte sich von Greta trennen, doch das wollte er ihr sagen, nachdem seine Wut und das Verlangen, sie in die Arme zu nehmen. und zu küssen, verraucht waren. Doch als der Reporter ihn so, direkt gefragt hatte, hatte er gedacht, warum nicht jetzt gleich einen sauberen Schlussstrich ziehen. Travis war der stille Konflikt, den sein Bruder ausfocht, nicht entgangen. Er legte ihm tröstend die Hand auf die Schulter. »Denk immer daran: Die Leidenschaft, die ihr während der vergangenen Woche empfunden habt, begegnet einem nur einmal im Leben, wenn überhaupt. Es ist noch nicht zu spät, die Sache wieder in Ordnung zu bringen.« Travis runzelte die Stirn. »Wenn du noch länger wartest, kleiner Bruder, hast du vielleicht keine Gelegenheit mehr dazu.« »Liebes, du siehst furchtbar aus.« Tillie setzte ihrer Tochter einen Teller mit gebratenem Speck und Eiern vor. »Hast du letzte Nacht überhaupt geschlafen?« Greta holte tief Luft und drängte mit aller Macht die Tränen zurück, die in ihr aufzusteigen drohten. »Nicht viel.« Bart legte die Zeitung beiseite. »Sieht aus, als hättest du die ganze Nacht geweint.« »Das auch.« Greta hatte nicht gewusst, dass sie einen anderen Menschen so sehr verletzen konnte. Sie hatte auch nicht gewusst, zu welcher Liebe sie fähig war, und sie würde Shane für immer und alle Zeiten lieben, auch wenn er ihre Liebe nicht wirklich erwiderte. Dass wusste sie jetzt. »Ich könnte diesem Shane McCabe den Hals umdrehen«, grummelte Bart. »Es ist nicht seine Schuld, was gestern passiert ist«, verteidigte Greta ihn. Es wurde höchste Zeit, endlich mit der ganzen Wahrheit herauszurücken. »Jedenfalls nicht allein. Ich bin ebenfalls verantwortlich.«
ebenfalls verantwortlich.« Bart und Tillie tauschten verwirrte Blicke. »Was soll das heißen?« fragten sie unisono. Mit gepresster Stimme erklärte Greta, was ihre wahren Beweggründe für diese Ehe gewesen waren. »Weißt du, wir wussten von Anfang an, dass ihr uns eine Lektion erteilen wolltet, damit wir uns nicht mehr in euer Leben einmischen«, sinnierte Tillie. »Aber dann haben wir euch beide zusammen gesehen – die Art, wie ihr euch in die Augen geblickt habt –, und wir kamen zu dem Schluss, dass ihr doch ineinander verliebt seid. Und wir haben uns so für euch gefreut, Liebes.« »Darum haben wir euch ja auch diese Traumhochzeit ausgerichtet«, fuhr Bart fort. »Wir wollten, dass ihr einen anständigen Start in die Ehe habt.« »Und es hat auch fast geklappt«, gestand Greta niedergeschlagen. »Vielleicht wäre alles gut gegangen, wenn Shane mir nur ein bisschen früher gesagt hätte, dass er mich liebt. Aber das hat er nicht getan, und ich dachte, er bleibt nur aus lauter Bequemlichkeit mit mir zusammen. Ich war sauer und habe mit Beau diese alberne Kinderei ausgeheckt, anstatt ernsthaft mit Shane zu reden. Shane sollte denken, dass ich ihn nur benutze, um Beau zurückzugewinnen, damit er mich endlich frei gibt. Doch bevor der Plan in Kraft treten konnte, hat Shane mir seine wahren Gefühle gestanden.« Das war unzweifelhaft der glücklichste Moment in ihrem Leben gewesen. »Und ich habe ihm gesagt, dass ich ihn auch liebe.« Bart schenkte ihnen allen Kaffee nach. »Aber du hast ihm nichts von deinem Plan erzählt.« Greta schüttelte traurig den Kopf. »Nein.« Tränen traten ihr in die Augen. Mit zitternden Fingern führte sie die Kaffeetasse an ihre Lippen. »Und ich kam nicht mehr rechtzeitig an Beau heran, um die ganze Sache abzublasen. Shane hat uns zusammen gesehen und natürlich sofort falsche Schlüsse gezogen. Er schäumte vor Wut und hat Beau zu diesem lächerlichen Duell
herausgefordert, und dann…« Greta seufzte schwer. »Den Rest kennt ihr ja.« Zu Gretas Überraschung wirkte Tillie eher nachdenklich als traurig. »Vielleicht hat er sich inzwischen ja abgeregt.« Greta rief sich seinen Gesichtsausdruck in Erinnerung, als er dem Reporter eröffnete, er wolle seine Ehe annullieren lassen. »Das bezweifle ich.« Was seinen Stolz anging, kannte ein Mann kein Pardon. Greta stocherte lustlos in ihrem Essen herum. Sie brachte einfach keinen Bissen hinunter. Tillie griff über den Tisch und tätschelte Gretas Hand. »Liebes, wenn du ihn liebst, dann vergiss jetzt deinen Stolz«, drängte sie ihre Tochter mit sanfter Stimme. Bart nickte. »Es könnte sein, dass Shane genau wie wir keinen Schimmer hat, was du in deinem Herzen fühlst.« Greta blieb während des gesamten Frühstücks bei ihren Eltern, und sie sprachen sich endlich einmal richtig aus. Greta bekannte, wie sie sich immer gezwungen fühlte, stets bei allem, was sie tat, die Beste zu sein. Ihre Eltern nahmen diese Eröffnung mit Erstaunen auf, waren aber bereit, in aller Ruhe darüber zu reden. »Wir wollten doch immer nur dein Bestes«, sagte Tillie, nachdem Greta ihnen ihr Herz ausgeschüttet hatte. Greta sah ihre Eltern an und wusste, dass das die Wahrheit war. Erleichtert wurde ihr klar, dass ihre Eltern letztendlich immer zufrieden mit ihr gewesen waren, dass sie sie nie enttäuscht hatte. Diese Erkenntnis erfüllte sie mit tiefem Frieden. »Wir wünschten nur, du hättest uns das schon früher gesagt«, meinte Bart gerührt. »Auf jeden Fall versprechen wir, nie wieder Druck auf dich auszuüben«, erklärte Tillie energisch. Bart nickte bestätigend. »Und du musst uns versprechen, immer ganz offen mit uns zu sein, mit allem. Wir wollen nämlich verstehen. Und deine Gedanken können wir leider nicht lesen, wenn wir es auch manchmal versuchen.« Er grinste verlegen.
»Ich verspreche es«, sagte Greta, während Tillie eine Packung Papiertaschentücher herumreichte. »Es ist nämlich ganz schön anstrengend, immer alles für sich zu behalten.« Zumindest was ihre Eltern betraf, fiel ihr ein Stein vom Herzen. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es bereits später Vormittag war. »Ich muss jetzt los.« »Gibt es etwas, was wir für dich tun können?« Tillie stand auf und begann, den Tisch abzuräumen. Greta schüttelte den Kopf. Sie half ihrer Mutter rasch, das schmutzige Geschirr in die Spüle zu stellen. »Nein.« »Falls doch, dann sag uns bitte Bescheid«, erklärte Bart ernst. Greta versprach, dass sie das tun würde. Nachdem ihre Mutter ihr versichert hatte, dass sie ihr beim Abwasch nicht zu helfen brauchte, machte sie sich fertig und fuhr zum Tanzclub. Dort angekommen, stellte sie erleichtert fest, dass alles in Ordnung war. Der Hausmeisterservice, den sie angeheuert hatte, hatte alles blitzsauber hinterlassen, bereit für einen zweiten Tanzabend. Sie brauchte jetzt bloß noch die Rechnungen des gestrigen Abends zu prüfen und die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter abzuhören. Sie hatte gerade damit angefangen, als Beau Chamberlain hereinplatzte, einen riesigen Strauß pinkfarbener und weißer Nelken in der Hand. »Ich habe mir schon gedacht, dass ich dich hier finde.« Greta blickte von der altmodischen Rechenmaschine auf. Mit ihrem Kumpel hatte sie noch ein Hühnchen zu rupfen. Sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück. »Falls die Blumen als Entschuldigung gedacht sind…« Beau hielt ihr den Strauß hin. »Das sind sie.« Greta schob seine Hand beiseite. »Ich bin nicht sicher, ob ich annehme.« Sie sah Beau ernst an. »Ich habe fast einen Herzanfall gekriegt, als du dich mit Shane auf dieses Duell eingelassen hast.« Beau hockte sich auf die Kante ihres Schreibtischs und ließ
den Nelkenstrauß in ihren Schoß sinken. »Was soll ich dir sagen… dass ich Mitleid mit dem Knaben hatte? Sein Stolz war ordentlich angeknackst. Man hatte ihn in aller Öffentlichkeit gedemütigt, und wie er nun mal ist, musste er sich auch in aller Öffentlichkeit Genugtuung verschaffen, um wieder die Oberhand zu gewinnen. Übrigens, wie hätte ich ahnen können, dass er dich anschließend nicht gewissermaßen als Trophäe mit nach Hause schleppt? Ich hatte erwartet, dass er nach dem Scheinduell entweder sterbend in deine Arme sinkt oder vor aller Augen noch einmal demonstriert, dass du seine Frau bist und bleibst. Du weißt schon… ein heißer Kuss, und eure Liebe ist auf immer und ewig besiegelt. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass er das Duell gewinnt und dich dann fallen lässt.« Greta fingerte an dem Zellophan herum, in das die Blumen eingeschlagen waren. »Schön gesagt.« Beau betrachtete sie über den Rand seiner Sonnenbrille hinweg. »Aber genau das ist doch passiert, oder?« »Leider ja.« »Also, was wirst du jetzt tun?« fragte Beau. »Ich weiß es nicht«, erwiderte Greta hoffnungslos. Sie wollte gerade ansetzen, um die verschiedenen Möglichkeiten mit ihm zu diskutieren, als hinter ihr Schritte erklangen. Shane betrat Gretas winziges Büro. Sekunden voller Spannung verstrichen, während die drei einander schweigend musterten. Obwohl Greta den verzweifelten Drang verspürte, aufzuspringen und wieder einmal zu beteuern, dass die Sache sich nicht so verhielt, wie sie aussah, gelang es ihr, sich zu beherrschen. Shane betrachtete die Blumen in Gretas Schoß. »Ein Geschenk von Beau?« Greta nickte. Ihr Herz raste, und erleichtert stellte sie fest, dass nichts in Shanes Miene darauf hindeutete, dass er eifersüchtig oder verärgert war. Beau stand auf. »Ich weiß, wann ich überflüssig bin«, erklärte er. »Ich muss ohnehin zurück nach Los Angeles. Die
Vorbereitungen für meinen neuen Film laufen an.« Beau beugte sich vor, gab Greta einen Kuss auf die Wange. Dann wandte er sich an Shane und schüttelte ihm die Hand. »Seien Sie gut zu ihr, hören Sie? Oder Sie bekommen es mit mir zu tun.« Die Tür fiel hinter ihm zu. Tränen schimmerten in ihren Augen, als Greta die Blumen hochnahm und auf den Schreibtisch legte. Shane trat näher und stützte die Hände auf ihren Schreibtisch. Dann musterte er sie eindringlich. »Du siehst schrecklich aus«, stellte er fest, als bereite ihm diese Tatsache große Freude. Greta wusste, dass ihre Augen geschwollen waren und ihre Nase gerötet – sie konnte sich glücklich schätzen, wenn sie bis zum nächsten Jahrhundert wieder normal aussah, so viel, wie sie zur Zeit weinte. Sie bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. »Der nächste Mensch, der mir das sagt, den mache ich fertig«, schwor sie. Sie stand auf und kam um den Schreibtisch herum. Anklagend richtete sie den Finger auf ihn. »Wo wir schon beim Thema sind, du siehst auch nicht gerade umwerfend aus, Cowboy.« Er verzog die Lippen zu einem breiten Grinsen. Er legte ihr beide Hände auf die Schultern und drückte sie Besitz ergreifend. »Das kommt, weil ich letzte Nacht kein Auge zugetan habe«, erklärte er mit sanfter Stimme. Doch Greta war noch nicht bereit einzulenken. Sie sah ihn mit sturem Blick an. »Ich auch nicht.« Shane ließ den Blick voller Zärtlichkeit über ihr Gesicht gleiten. »Und die Nacht davor haben wir auch kaum geschlafen«, erinnerte er sie mit einem sexy Unterton in der Stimme. »Allerdings aus völlig anderen Gründen.« Greta holte tief Luft. Falls er es darauf angelegt hatte, hier und jetzt mit ihr zu schlafen… »Welche Kurmaßnahme schlägst du also vor?« erwiderte sie hitzig. »Ein Tag im Bett… zusammen?« In Shanes Augen trat ein mutwilliges Glitzern. »Oder zwei
oder drei«, gab er grinsend zurück. Streng rief sie sich in Erinnerung, dass er sie gestern kalt lächelnd abserviert hatte, und das auch noch vor laufender Kamera. Sie funkelte ihn wütend an. »Falls du gekommen bist, um mir erneut das Herz zu brechen, dann beeil dich. Dieses Hickhack halte ich nicht länger aus.« Shane hockte sich auf die Kante ihres Schreibtischs und zog sie zu sich auf den Schoß, »Ich bin nicht hier, um dein Herz zu brechen, Greta«, erklärte er ernst. »Ich bin gekommen, um es wieder heil zu machen. Genau wie unsere Ehe. Und alles und jedes in unserem Leben, was der Reparatur bedarf. Mir ist heute nämlich etwas klar geworden, Greta.« Shane angelte zwei schlichte goldene Eheringe aus der Hosentasche. Er zog die billigen, unechten Ringe ab, die ihre Finger grün gefärbt hatten – die beide trotz allem aber immer noch trugen –, und ersetzte sie durch die aus massivem Gold. »Die Liebe, die ich für dich empfinde, verfliegt nicht so einfach«, bekannte er mit rauer Stimme. »Nicht heute oder morgen oder übermorgen. Meine Gefühle für dich sind stark genug für ein ganzes Leben. Und ich glaube…« Shane legte all seine Liebe und Hingabe in seinen Blick, als er ihr in die Augen sah, »… du empfindest dasselbe für mich.« Freudentränen liefen Greta über die Wangen. »Ja, das tue ich«, flüsterte sie inbrünstig. Sie schlang die Arme um ihn und zog ihn so dicht an sich, dass sie seinen Herzschlag spürte. Dann küsste sie ihn, bevor er womöglich noch auf die Idee kam, seine Meinung zu ändern und seine Worte zurückzunehmen. »Oh Shane, es tut mir so Leid.« Ein unendliches Glücksgefühl – ihn endlich wieder in ihrem Leben zu haben – ließ ihre Stimme erzittern. »Ich hätte dir gestehen sollen, was Beau und ich vorhatten, bevor es überhaupt passierte.« Shane streichelte zärtlich ihr Haar. »Das hätte auch nichts geändert«, gestand er reuevoll. Er sah sie entschuldigend an. »Ich wäre genauso verletzt gewesen und mit Sicherheit
genauso durchgedreht. Denn da waren mir ein paar simple Wahrheiten über diese ganze Liebesaffäre noch nicht bewusst.« »Die da wären…?« Shane drückte einen Kuss auf ihren Handrücken. »Zunächst mal steht Ehrlichkeit immer an erster Stelle, und das gilt doppelt, wenn es um den Menschen geht, den man liebt. Es wird Zeit, dass ich endlich erwachsen werde und den Leuten sage, was ich denke und fühle, anstatt mich wie ein pubertierender Jüngling zu verhalten.« »Da muss ich dir Recht geben.« In knappen Worten erzählte sie ihm von der Aussprache mit ihren Eltern. »Ich habe mir dasselbe vorgenommen… ich muss endlich lernen auszusprechen, was mich bewegt, anstatt alles in mich hineinzufressen und einfach die Flucht zu ergreifen.« »Gut.« Shane verschloss ihre Lippen mit einem langen, zärtlichen Kuss. »Was hast du sonst noch aus der ganzen Sache gelernt?« fragte Greta atemlos, nachdem er sie wieder freigegeben hatte. Mehr als alles andere auf der Welt wollte sie erst mal reinen Tisch machen, um den Weg für einen wirklichen Neuanfang zu ebnen. »Wir können nicht verheiratet sein und gleichzeitig einen Fuß in der Tür haben.« Seine dunkle, raue Stimme ging ihr durch und durch. »Wir müssen gemeinsam durch dick und dünn gehen, wenn wir bis ins hohe Alter glücklich zusammen leben wollen, so wie unsere Eltern, und das will ich.« »Das will ich auch«, bekräftigte sie, und sie besiegelten ihren Wunsch mit einem weiteren Kuss. In dem Bewusstsein, alle Zeit der Welt zu haben, lehnte sich Greta ein Stück zurück und studierte sein Gesicht. »Weißt du, auch ich habe eine Menge aus dieser Geschichte gelernt«, gestand sie glücklich. »Zum Beispiel?« wollte er wissen. Greta legte ihm die Hände auf die breite Brust. Sie liebte seine Wärme und Stärke genauso wie seine Impulsivität und
sein Ungestüm. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie bereit, aufs Ganze zu gehen. »In einer guten Ehe gibt es keinen Platz für Angst und Feigheit. Ich darf keine Angst davor haben, dir zu sagen, was mich bewegt. Ich muss darauf vertrauen, dass wir es schaffen werden, über alles hinwegzukommen, wie schwierig es auch wird.« Shane nickte. »Und ich verspreche, es auch immer so zu halten.« Auch dieses Versprechen wurde mit einem Kuss besiegelt. »Letztendlich ist es nie gut, auf den passenden Augenblick zu warten, um jemandem zu sagen, dass man ihn liebt.« Die Kehle wurde ihr eng, wenn sie daran dachte, was sie fast verloren hätte. »Man kann es ihn nicht oft genug wissen lassen. Also, von nun an bis in alle Ewigkeit werde ich dir auf hundert verschiedene Arten sagen, dass ich dich liebe, Shane McCabe«, schwor sie. Grinsend stand Shane auf und schloss die Bürotür ab. »Das hört sich gut an.« Greta lächelte. Sie wusste, dass innerhalb der nächsten Stunden keine Störung zu erwarten war. Das gab ihnen die Freiheit, hier tun und lassen zu können, was sie wollten. »Das dachte ich mir schon.« Shane hockte sich wieder auf den Schreibtisch, zog sie auf den Schoß und begann ihre Bluse aufzuknöpfen. »Ich vermute, das könnte auch im Schlafzimmer passieren?« neckte er sie. Greta sog scharf die Luft ein, als seine Hand den BH herunterzog und ihre Brust umfasste. »Oh ja.« »Und in der Küche?« Er bedeckte ihren Hals mit tausend kleinen Küssen. Ihre Brustspitzen richteten sich hart auf, und ein heißes Sehnen durchströmte ihre Lenden. »Höchstwahrscheinlich«, stieß sie atemlos hervor. »Weißt du, ich dachte immer, die Ehe sei ein Gefängnis für einen Mann«, gestand er zwischen hungrigen Küssen. »Aber
jetzt glaube ich, verheiratet zu sein ist gar nicht so schlecht.« Er sah sie voller Liebe an. »Tatsächlich scheint es mir das Beste zu sein, was es gibt.« »Es freut mich, dass du die Sache so siehst.« Mit einem verführerischen Lächeln auf den Lippen begann auch sie, ihm das Hemd aufzuknöpfen. »Und ich hoffe, das wird auch immer so bleiben.« »Das schwöre ich.« Er zog sie mit sich zu dem kleinen Sofa in der Ecke, und sie besiegelten ihre Ehe so, wie es sich für ein frisch verheiratetes Paar gehört, das die Hände nicht voneinander lassen kann.
-ENDE-