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! Inhaltsverzeichnis :: Contents ! Abstracts .................................................................. 04
Editorial ................................................................... 08
Daniel BÖTTGER ...................................................... 13 Titelbild :: Cover Vanessa MEIER
[email protected] (FU Berlin/ Uni Fribourg)
Der Eingang der ScientologyZentrale in Berlin, fotografiert an einem eiskalten Abend im März 2008 durch die reflektierende Scheibe einer Bushaltestelle. Die Scheinwerfer, viel Stahl, blitz– blanke Glasfronten und ein rie– siges Plakat lassen mich an ein erfolgreiches junges IT-Unter– nehmen denken, »SCIENT« passt da ja ganz gut. Doch da ist dieses Kreuz, gleich daneben irgendwo ist auch »Kirche« und »Glaubens–bekenntnis« lesbar. Religion und Wissenschaft, verschiedene Reflexionsebenen, Innen- und Außenperspektiven,... meine Gedanken geraten durcheinander. Und dann kommt dieser Mensch mit dem rosa Zettel raus und fragt: »Wissen Sie eigentlich, wie viel Prozent Ihrer Gehirnkapazität Sie tatsächlich nutzen?«
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Ergebnisbericht zur religionspsychologischen Studie »Intersubjektivität von Tranceerleben durch religiös-rituelle Körperhaltungen« Sebastian CÖLLEN ................................................... 28 Can Science Be Enchanting? Ways to a Phenomenology of Religion in the Post-Modern Age Anja KIRSCH ............................................................ 43 Religionen im Realsozialismus – Widerspruch oder Tatsache? Eine wissenschaftliche Expertise zum aktuellen Forschungsstand Anna NEUMAIER ...................................................... 73 5 nach 12 in Hollywood – Postapokalypse in modernen Medien Anna-Konstanze SCHRÖDER ............................... 100 Angewandte und zugleich kritische Religionswissenschaft
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Rezensionen :: Reviews Von Brück, Michael: Ewiges Leben oder Wiedergeburt? Sterben, Tod und Jenseitshoffnung in europäischen und asiatischen Kulturen Rezensiert von Tobias BAUER ................................................................................................... 118
Schmitz, Bertram: Vom Tempelkult zum Abendmahl: Die Transformation eines Zentralsymbols aus religionswissenschaftlicher Sicht Rezensiert von Sylvie EIGENMANN ............................................................................................. 123 Behr, Hartmut und Hildebrandt, Mathias: Politik und Religion in der Europäischen Union. Zwischen nationalen Traditionen und Europäisierung Rezensiert von Steffen FÜHRDING .............................................................................................. 127 Metzger, Franz und Feuerstein-Praßer, Karin: Die Geschichte des Ordenslebens. Von den Anfängen bis heute Rezensiert von Sarah JAHN .......................................................................................................... 132
Martin Greschat: Kirchliche Zeitgeschichte. Versuch einer Orientierung Rezensiert von Claudius KIENZLE .............................................................................................. 135 Johann Maier: Judentum Rezensiert von Jeannine KUNERT ............................................................................................... 139
Idinopulos, Thomas Athanasius, Wilson, Brian C. and Hanges, James Constantine: Comparing Religions: Possibilities and Perils? Reviewed by A. Patrick PEGUES ................................................................................................. 143 André Kukuk: Die Paläo-SETI Hypothese als alternative Theorie zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Homo sapiens Rezensiert von Jonas RICHTER .................................................................................................... 148 Yousefi, Hamid Reza et.al.: Wege zur Religionswissenschaft. Eine interkulturelle Orientierung. Ansätze, Grundprobleme, Ergänzende Perspektiven Rezensiert von Steffen Rink ...................................................................................................... 153
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! Abstracts ! Daniel BÖTTGER (UNIVERSITÄT LEIPZIG, DEUTSCHLAND) Ergebnisbericht zur religionspsychologischen Studie »Intersubjektivität von Tranceerleben durch religiös-rituelle Körperhaltungen« E N G L I S H
D E U T S C H
The article describes an experiment conducted by the author at the University of Leipzig in 2006. The experiment was an attempt to test the hypothesis that certain body postures described by the anthropologist Felicitas Goodman would, under certain circumstances, always lead to similar trance experiences. After a brief outline of Goodmans theory, the experiment is described in detail with emphasis placed on the interpretation of data. The result turns out to contradict the hypothesis and is then briefly discussed.
Der Artikel beschreibt ein Experiment, das 2006 an der Universität Leipzig durch den Autor durchgeführt wurde. Darin sollte die Hypothese überprüft werden, bestimmte von der Anthropologin Felicitas Goodman publizierte Körperhaltungen würden unter bestimmten Bedingungen zu stets ähnlichen Tranceerlebnissen führen. Nach einer Kurzdarstellung von Goodmans Theorie wird das Experiment vergleichsweise detailliert beschrieben. Ein Schwerpunkt liegt auf der Auswertung der Daten. Das Ergebnis widerspricht der Hypothese und wird im Abschluss kurz diskutiert.
Sebastian CÖLLEN (University of Uppsala, Sweden) Can Science Be Enchanting? Ways to a Phenomenology of Religion in the Post-Modern Age E N G L I S H
Writing dissertations, papers, or articles on a variety of religions, often foreign to us, sometimes even extinct, we more often than not find ourselves between two opposing theoretical camps, each deprecating the other, one being accused of »colonizing the Other,« the second of promoting a boundless relativism. Why does scientific explanation tend to »disenchant« its objects (Weber)? And what is the option, assuming we want to revert neither to the romantic Nacherlebnis of Dilthey, nor to the relativism inherent in much post-modernist work? I would like to speak about possible ways between these camps and will venture a third option, one that tries to evade the old and influential dichotomy of (subjective) interpretation and (objective) explanation.
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D E U T S C H
Beim Verfassen von Abschlussarbeiten, Vorträgen oder Artikeln über Religionen, die uns oftmals fremd oder sogar ausgestorben sind, finden wir uns nicht selten zwischen zwei gegensätzlichen, sich einander ablehnenden Lagern wieder: das erste ist der »Kolonisierung des Fremden« angeklagt, das zweite wird beschuldigt, für einen grenzenlosen Relativismus zu werben. Weshalb neigen wissenschaftliche Erklärungen dazu, ihre Objekte zu »entzaubern« (Weber)? Und worauf würde unsere Wahl fallen, angenommen wir wollten weder in Diltheys romantisches »Nacherlebnis« noch in den in zahlreichen postmodernen Schriften inheränten Rela– tivismus zurückfallen? Dieser Artikel bespricht Möglichkeiten zwischen beiden Lagern und will einen dritten Weg wagen, der versucht, die alte und einflussreiche Dichotomie der (subjektiven) Interpretation und (objektiven) Erklärung zu umgehen.
Anja KIRSCH (Universität Basel, Schweiz) Religionen im Realsozialismus – Widerspruch oder Tatsache? Eine wissenschaftliche Expertise zum aktuellen Forschungsstand E N G L I S H
D E U T S C H
The article deals with a subject matter still marginalised within the academic study of religions: the religious landscape of the GDR. It is argued that this subject matter ought to be accepted and explored as part of the European History of Religions. Based upon an overview of those few accounts already existing in the German speaking scientific community, the author presents some proposals for further academic analysis. However, the question whether the concept of socialism itself could be interpreted as a religionis not considered.
Der folgende Artikel fasst den gegenwärtigen Forschungsstand zur religiösen Landschaft in der DDR zusammen und widmet sich damit einem Thema, das, obwohl die DDR nach der sog. Wende zum »besterforschten Phänomen deutscher Zeitgeschichte« (Jessen/John 2005) avancierte, bislang durch keinerlei konkrete Untersuchungen oder Problemanzeigen wissenschaftlich plausibilisiert worden wäre. Auf der Basis bereits vorhandener – deutschsprachiger – Arbeiten können deshalb v.a. Desiderate aufgezeigt und Vorschläge für zukünftige religionsgeschichtliche Untersuchungen entwickelt werden. Unberücksichtigt lässt der Beitrag die Frage, ob das Konzept des Sozialismus möglicherweise selbst als Form des Religiösen zu verstehen ist.
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Anna NEUMAIER (Universität Bremen, Deutschland) 5 nach 12 in Hollywood – Postapokalypse in modernen Medien E N G L I S H
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Apocalypticism as a literary genre has been a field of broad research for the study of religions. Scholars have also paid attention to its appearance in modern narratives. But those scenarios which »enable« the apocalypse to »generate« a sequel have been almost completely ignored to this day: however, amazingly many movies and contemporary narratives come to a continuation after the end. This offspring, labelled in this article as »postapocalypse«, challenges existing concepts of apocalyptic patterns and requires a revision of established categories. This article, based upon an empirical study of modern movie narratives, intends to develop some features of such a categorisation. In addition, grounded in an explorative approach the article aims at offering some starting points for further research. Die Apokalyptik als Literaturgattung ist seitens der Religionswissenschaft ausgiebig erforscht worden. Auch ihr Auftreten in der Moderne hat Beachtung gefunden. Bisher weitgehend außen vor gelassen aber wurden diejenigen Szenarien, in denen die Apokalypse »sequel-fähig« gemacht wird: Wenn es nach dem Untergang weitergeht – ein Bild, das von er– staunlich vielen Filmen oder Erzählungen in der Moderne gezeichnet wird. Diese Erweiterung, im vorliegenden Aufsatz als »Postapokalypse« bezeichnet, fordert die eingeführten Konzepte apokalyptischer Formen heraus und macht eine Überarbeitung der bestehenden Kategoriensysteme unumgänglich. Der Aufsatz will mit Hilfe einer empirischen Untersuchung moderner Filmerzählungen erste Kern- und Eckpunkte einer solchen Kategorisierung erarbeiten und mit seiner explorativen Vorgehensweise Ansatzpunkte für weitere Forschung bieten.
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Anna-Konstanze SCHRÖDER (Universität Greifswald, Deutschland) Angewandte und zugleich kritische Religionswissenschaft E N G L I S H
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Insights from the study of religions can be applied to various practical questions, for instance, the influence of religion on mental health. But what about contract research by religious organisations, for example, for consulting services? In this article I will point out that the applied study of religions (Angewandte Religionswissenschaft) can still be scholarship critical of the scholar's perspective and of the religious ideology under examination. The basis for this is an empirical, social scientific, theorybased and hypothesis-testing methodology. Therefore, it is theory in the study of religions which is the actual subject of critical scholarship. Furthermore, it is argued that the problem of responsibility for any possible exploitation of research results lies with the individual scholar and is indeed a question of ethics. Religionswissenschaft kann angewandt sein. Wenn es beispielsweise um den Einfluss von Religiosität auf die Gesundheit geht, ist das leicht verständlich. Aber darf religionswissenschaftliche Forschung auch von einer bestimmten Religionsgemeinschaft beauftragt sein? In diesem Aufsatz wird dargestellt, dass angewandte Religionswissenschaft durchaus dem Kriterium der doppelten Distanz entsprechen kann. Voraussetzung dafür ist eine empirisch-sozialwissenschaftliche, theoriebezogene und hypothesenprüfende Methodologie. Hier ist die Theorie, die sich in den religionswissenschaftlichen Konsens einfügen soll, der Standort religionswissenschaftlicher Kritik. Das Problem einer möglichen Instrumentalisierung der Forschungsergebnisse soll dann als forschungsethische Frage den einzelnen Forschenden überlassen bleiben.
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Editorial
Die Herausgeber
Liebe Leserinnen und Leser, ein vielen nicht unbekannter, unverkennbar in der Tradition Jonathan Z. Smiths stehender Religionswissenschaftler hat einmal in einem der allseits beliebten Versuche, den Diskurs über Religion zu erhellen, geschrieben: »[T]here is no such thing as !a religion" or !the history of a religion," strictly speaking, because there is no religion out there or in here anywhere. Instead, all we have to study are assorted human actions that may be labeled – by specific people for specific reasons – as religion.«1 »Taking the social and historical scale of analysis as our only available reference point, we come to see that there exists only assorted human behaviors, non any more or less significant, meaningful, or valuable than any other.«2
Während man obige Gedanken oder Variationen davon sicherlich zu Genüge gehört hat, so illustrieren sie doch auf eine leicht verständliche Weise den Konsens innerhalb der wichtigsten Strömungen religionswissenschaftler Forschungsarbeit: (1) Religion ist nicht einfach eine sui-generis-Erscheinung. »Sie« wird von Menschen aus bestimmten Interessen heraus geschaffen. (2) Religion ist etwas ganz Gewöhnliches und zudem im gesellschaftlichen Miteinander zu verorten. Interessanterweise aber verdienen sich Religion und Gegenstände, die dem so genannten religiösen Bereich zugeordnet werden, oft Adjektive wie bunt, schön, bisweilen exotisch oder auch schrecklich, mittelalterlich und gewalttätig.3 Eindrucksvoll hat uns dies auch eine Debatte der letzten Monate vor Augen geführt, an die das diesmalige Titelbild angelehnt ist und die dieses Editorial – wie gleich deutlicher werden wird – inspiriert hat. Egal ob man nun den eher positiven oder negativen Attributen zugeneigt ist, unserer Wahrnehmung nach besteht bei vielen Menschen oft Einigkeit darin, 1 2 3
McCutcheon, Russell T. (2003) The Discipline of Religion: Structure, Meaning, Rhetoric. London: Routledge, S. 237 McCutcheon, Russell T. (2003) The Discipline of Religion, S. 257 Hier sei nur kurz auf Märchenbücher wie Mircea Eliades Geschichte der religiösen Ideen (1983) verwiesen, die zahlreiche Nachahmer gefunden hat.
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Religion als etwas Besonderes zu sehen – etwas, dass nicht so leicht hinterfragt werden kann, dass nicht hinterfragt werden darf. Sie wird in einem sakralen Bereich verortet, der vom Profanen und Alltäglichen getrennt zu sein hat. Religion bekommt ihren Sitz im Inneren der Menschen, in ihren Gefühlen und persönlichen Erfahrungen, oder wabert als eigenständiger Gegenstand unabhängig von der menschlichen Existenz irgendwo da draußen herum, um sich dann und wann in der Geschichte zu manifestieren. Selbst die historische und humanwissenschaftliche Einordnung und Erforschung von Religion, die ihr den Nimbus des Überirdischen nehmen und sie auf dem Seziertisch der Wissenschaft analysieren will, erkennt manche Teile von Religion als etwas Besonderes an. Denn auch dieses Vorgehen akzeptiert die »Einmaligkeit« des zu untersuchenden religiösen Materials. Für den Austausch der Religionswissenschaft mit anderen Wissenschaften, welche oftmals zahlreichere und heldenhaftere Vernarbungen aus den erkenntnistheoretischen Gefechten des letzten Jahrhunderts mit sich tragen, sind diese Vorstellungen der Einmaligkeit des Gegenstandes, egal ob in religionsphänomenologischer, dialogorientierter oder anderer Tradition, problematisch. Stets bleibt ein Rest, über den nicht gesprochen werden kann, der ausgeklammert werden muss. Menschliches Leben ist komplex; so komplex, dass keine Einzeldisziplin für sich beanspruchen kann, menschliches Dasein mit ihren Blickwinkeln allein erklären und verstehen zu können. Gerade daher ist es wichtig eine Basis für den wissenschaftlichen Austausch und das Zusammenführen der unterschiedlichen Erkenntnisse zu schaffen, die über eine Methodologie des Verwendens von Fußnoten und Bibliographien hinausgeht. Metaphysische Spekulationen oder ein unerklärbarer Rest, außerhalb des Gewöhnlichen, wie er für Religion oft reklamiert wird, haben bei diesen Unterfangen keinen Platz. Anders ist unsere Disziplin und ihr Dasein an modernen Universitäten – zumindest wissenschaftlich – nicht zu legitimieren. Begreift man Religion wie im Eingangszitat, bietet sich eine Chance; denn schaut man etwas genauer hin, ist Religion nicht mehr als ein aus dem Lateinischen stammender Terminus mit einer wechselhaften Begriffsgeschichte, der in der Religionswissenschaft als Bezeichnung für unterschiedliche Objekte Vol. III • 01/2008
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genutzt wird. Welche Objekte genau gemeint sind, hängt von der jeweiligen Definition und – wie im Zitat angedeutet – den Zielen der definierenden Wissenschaftler/-innen ab. Aus diesem Blickwinkel bleibt kein mysteriöser Rest; wissenschaftlicher Dialog wird möglich. Gerade die Betonung des Wortteils Wissenschaft in der Bezeichnung Religionswissenschaft ist Ziel der ZjR, um so bei unseren Leser/-innen auf das eigentliche Fundament aufmerksam zu machen, auf dem unsere Disziplin ihr Häuschen baut. Dazu muss jedoch eine letzte Bastion »theologischen« Denkens fallen: die Besonderheit desjenigen Raumes, den derzeitig bestimmte Menschen aus bestimmten Gründen heraus »Religion« nennen. Dieser Ausschnitt menschlicher Aktivität darf nicht als etwas Besonderes erfunden und gedacht werden, um ihn vor den analytischen, kritischen und entmystifizierenden Mitteln der Wissenschaft zu schützen. Es bleibt die tausendfach wiederholte Formel: Religion muss ebenso wie solche Bereiche, die wir als Politik und Wirtschaft konstruieren, nämlich als Teil des menschlichen Zusammenlebens erforscht werden dürfen. Religion ist eben nichts Besonderes, sondern ein ganz normaler Bestandteil menschlichen Verhaltens – nichts mehr und nichts weniger als »ordinary social formations employing specific rhetorical techniques in their never-ending quest to reproduce and authorize themselves.«4 In diesem Geist wurde auch das Titelbild der ZjR geschaffen. Die jüngsten Debatten um die Berliner Scientology-Hauptzentrale haben in der öffentlichen Diskussion nichts an Qualität gegenüber den Desinformationskampagnen der 1990er Jahre hinzugewonnen.5 Machtgierige Scientologen und eine zur Wirtschaftsmaschinerie degradierte (!) Organisation auf der einen und politischkonservative sowie vorwiegend christliche »Werteträger« auf der anderen Seite verschmelzen zu einem vor wertenden Adjektiven nur so strotzenden Scien– tologydiskurs, der über den Besonderheitsanspruch von Relion am Leben erhalten wird. Doch für eine wissenschaftliche Untersuchung solcher Konstrukte, muss man die Untersuchungsgegenstände ihrer selbst- und fremdgeschaffenen Aura 4 5
McCutcheon, Russell T. (2003) The Discipline of Religion, S. 57 Vgl. beispielseweise http://www.remid.de/remid_info_scientology.htm versus http://www.ingo-heinemann.de/remid3.htm(beide zuletzt eingesehen am 31.03.2008)
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entkleiden und sie als ganz normale Formen z.B. von menschlicher Vergemeinschaftung begreifen. Daten müssen über Mutmaßungen siegen. Das diesmalige Titelbild versucht diesen Ansatz auf zweierlei Weise zu illustrieren: Zum einen stellt es die Scientology-Zentrale in Berlin aus einer ganz alltäglichen und somit für den Religionsdiskurs, auch innerhalb bestimmter Strömungen der Religionswissenschaft, ungewohnten Perspektive dar. Dennoch bleiben die Einzelbausteine, aus denen sich das Bild formt, wahrnehmbar und sind als Stahlträger, Glasscheibe oder auch Plastikförmchen deutlich sichtbar. Hinzu kommt, dass auf dem Bild die Auswirkungen der Bushaltestel– lenscheibe klar erkennbar sind. Es treten Lichtreflexionen auf, die an den Standpunkt der Photographin erinnern. Denn Religionswissenschaft glotzt nicht vom Himmel herunter, sondern erschafft – nach wissenschaftlichem Kochrezept – menschliche Perspektiven, die erkennbar bleiben und reflektiert werden müssen. Folglich ist es ihr fremd, reißerische Verschwörungstheorien über die ScientologyZentrale in Berlin zu produzieren. Vielmehr will sie sich ihrem Gegenstand in seiner nackten Alltäglichkeit, eingebettet in die Gesellschaft der gewöhnlichen Dinge wie z.B. Ampeln, Telephonzellen, Parkplätze oder Autos, widmen.6
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Photos der Scientology-Zentrale/ Berlin, geschossen von Doreen Wohlrab.
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Im Nachhall dieses Mantras beginnen wir nun diese dritte Ausgabe, in der sich die Energie, Vorstellungen und Expertise eines international-wachsenden ZjRTeams – sowie Helfer/-innen7 außerhalb des Projekts – verdichtet und virtuell materialisiert hat. Wir hoffen sehr, dass diese Ausgabe vielseitig genug geworden ist, um bei ihren Leserinnen und Lesern neue Ideen, Nachdenklichkeit, Schmunzeln oder auch ein gutes Stück Identifikation mit der Religions– wissenschaft als einer aktiven Disziplin hervorzurufen. Mittlerweile hat sich das ZjR-Projekt einen Bekannheitsgrad auch außerhalb deutschsprachiger Gelehrsamkeit erobert, was wir nicht nur durch steigende Verlinkungen von deutschfernen Bibliothekskatalogen, sondern vor allem auch durch Artikeleingänge von Nordamerika, über die britischen Inseln bis hin zu Osteuropa verspüren konnten. Dies bedeutet natürlich ein Mehr an Aufwand und Energie vom ganzen ZjR-Team. Deshalb möchten wir auch hier wieder den Platz nutzen, um enagierte und theoriefirme Studierende der Religionswissenschaft zu ermuntern, sich der ZjR mit einer Bewerbung vorzustellen. Wir laden dazu ein, unterschiedlichste Journal-Erfahrungen in einem Raum des Experimentierens zu sammeln und dabei mitzuwirken, den studentischen Stimmen der Religions– wissenschaft eine Platform zu geben. Doch zunächst viel Freude an und interessante Entdeckungen in dieser Ausgabe der Zeitschrift für junge Religionswissenschaft! Die Herausgeber
! Rechtlicher Hinweis ! Alle Inhalte der ZjR unterliegen einer Creative-Commons-Lizenz. Weitere Informationen dazu erhalten Sie unter http://www.zjr-online.net bzw. http://creativecommons.org. Für diese Ausgabe der ZjR wurden Werke der folgenden Creative-CommonsLizenzhalter benutzt: Graham King (flickr.com), Strangnet (flickr.com) 7
Wir möchten hier besonders David Wilson, Lara Day und Stefan Schröder danken.
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Ergebnisbericht zur religionspsychologischen Studie »Intersubjektivität von Tranceerleben durch religiös-rituelle Körperhaltungen«
Daniel Böttger
Theorie und Fragestellung Dieser Artikel beschreibt ein Experiment, das an der Universität Leipzig im Ja– nuar 2006 durch den Autor durchgeführt wurde. Die Studie befasste sich mit der Hypothese des Vorhandenseins spezifischer »religiös-ritueller Körperhaltungen«, die unter diesem Namen durch Felicitas Goodman vorgestellt worden sind. Es handelt sich um eine Theorie älteren Datums, die vornehmlich in der Ethnologie rezipiert worden ist und den Ruf Goodmans als eine der wichtigsten Expertinnen auf dem Gebiet veränderter Bewusstseinszustände mitbegründete. Goodman wird vom religionspsychologischen Mainstream wenig rezipiert1 und Bezüge auf sie in der ethnologischen Literatur scheinen größtenteils älteren Datums zu sein. Diesem Umstand ist es offenbar geschuldet, dass eine unabhängige empirische Untersuchung ihrer Theorie bisher nicht vorzuliegen scheint. Die folgende inhaltliche Einführung in den Theoriekontext ist entnommen aus Andrea Baldemair (2001):Trancezendenz. Trancezustände beim Tanzen auf Technoparties und durch das Praktizieren religiös-ritueller Körperhaltungen nach Felicitas Goodman.2 »Seit nahezu 30 Jahren beschäftigt sich die Linguistin und Kulturanthropologin Felicitas Goodman mit der Wiederentdeckung der von ihr als ›religiös-rituell‹ bezeichneten Körperhaltungen, einem verschütteten Kulturgut in Form einer speziellen Trance-Technik. Die Körperhaltungen, deren ursprünglich religiöse Bedeutung und tranceinduzierende Wirkung sich zufällig herausstellte, entdeckte Goodman anhand von Höhlenzeichnungen oder figurativen Darstellungen in der primitiven Kunst. Der Ablauf einer religiös-rituellen Trance-Sitzung wird durch einen in sich geschlossenen Handlungsablauf in Anlehnung an religiöse Zeremonien der Navajo-Indianer nachkonstruiert, zu dem in der Regel Salbeiräucherungen, das Verstreuen von Dinkelmehl sowie das Einladen und Verabschieden der Geister aus der sogenannten ›anderen Wirklichkeit‹ gehören. Diese ›andere‹ Wirklichkeit, welche der hiesigen Welt landschaftlich gleicht, stellt für Goodman eine ursprüngliche, religiös besetzte Dimension dar. Den Weg dorthin beschreitet man über die religiös-rituelle Trance, welche neben körperlichen Begleiterscheinungen wie Schauergefühlen, Wärmeempfindungen, Schwitzen, Zittern und einem ›paradoxen Erregungszustand‹ meist auch zu visionären landschaftlichen Eindrücken, lebhaften Begegnungen oder gar Identifizierungen mit den dort ansässigen Pflanzen- und Tiergeistern führt. Nimmt man nun eine Vol. III • 01/2008
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der mittlerweile mehr als 45 erforschten Körperhaltungen über einen Zeitraum von 15 Minuten lang unter zusätzlicher Stimulation durch einen rhythmischen Klangkörper ein (Zierkürbisrassel oder Trommel; die rhythmische Empfehlung liegt bei 200 bis 250 bpm [d.h. Schlägen pro Minute, D.B.]),so entsteht dabei ein Trancezustand, der weitgehend als angenehm und positiv erlebt wird. Erstaunlich ist der Umstand, dass es – abgesehen von ernsthaften körperlichen Gebrechen und psychischen Behinderungen – weder bestimmter körperlicher noch weltanschaulicher Voraussetzungen bedarf, um Zugang zu dieser Form von Trance zu erhalten.«
Dass diese Haltungen prinzipiell in der Lage zu sein scheinen, Trancezustände hervorzurufen, konnte bereits gezeigt werden (Guttmann/Langer 1992). Erstaunlicher sind die genauen Eigenschaften dieser speziellen Trance. Der Text fährt wie folgt fort: »Physiologische Laboruntersuchungen (vgl. Guttmann/Langer 1992) haben auf beeindruckende Weise gezeigt, dass sich bei der religiös-rituellen Trance der Gehalt an Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol im Blutserum verringert und zugleich der Blutdruck bei gleichzeitig erhöhter Pulsfrequenz sinkt. Dieser aus medizinischer Perspektive ›paradoxe Erregungszustand‹ (paradox arousal) tritt normalerweise nur in lebensbedrohlichen Situationen auf, beispielsweise im Schockzustand oder beim Verbluten. Parallel dazu kommt es im Gehirn zur Produktion von Thetawellen und zur Ausschüttung von Beta-Endorphin. Dieses körpereigene Opiat wirkt einerseits schmerzstillend (vgl. Zehentbauer 1992), kann aber auch überwältigende Euphorie-Gefühle erzeugen, vergleichbar mit jener ›Süße‹ religiösen Erlebens, dessen Intensität sich in Aufzeichnungen zahlreicher MystikerInnen niederschlägt (vgl. Hoffmann 1994). Insgesamt betrachtet ergibt sich bei der religiös-rituellen Trance ›das Bild eines umwälzenden körperlichen Geschehens, welches beim religiösen Erlebnis die biologische Grundlage darstellt und mit dem visionären Erleben korreliert‹ (Goodman 1992, S. 23). Aus den Goodmanschen Erlebnis-Protokollen geht zudem hervor, dass die ProbandInnen trotz unterschiedlicher kultureller Herkunft und ohne entsprechendes Vorwissen eindrucksvolle – jeweils haltungsbezogene – Übereinstimmungen im visuellen Erleben aufwiesen, ›die nicht von der Kultur des Betreffenden herstammen, sondern offensichtlich von der Haltung herrühren‹« (ebd. 31f).
Zielsetzung der hier vorgestellten Studie war es, die Behauptung im letzten Satz zu überprüfen: Haben Personen, die dieselbe Körperhaltung einnehmen, tatsächlich automatisch ähnliche Tranceerlebnisse? In anderen Worten: Sind die Tranceerlebnisse bei der Ausübung »rituell-religiöser Körperhaltungen« nach Felicitas Goodman intersubjektiv? Die Frage liegt vor allem aus dem Grund nahe, da Goodman ihre Versuche mit den Körperhaltungen als solche in kleinen Gruppen und ohne Doppelblindheit beVol. III • 01/2008
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schreibt, bei denen die Probanden offenbar die Möglichkeit hatten, Beschreibungen anderer Probanden zu hören, bevor sie ihre eigenen Ergebnisse zu verbalisieren hatten. Eine scheinbare Ähnlichkeit der verschiedenen Tranceerlebnisse hätte durch eine solche unsaubere Verfahrensweise zustande kommen können. Die Überprüfung der Frage, ob diese Techniken überhaupt zu Trancezuständen führen, war demnach ausdrücklich nicht Ziel der Studie.
Versuchspersonen Die Versuchspersonen (im Folgenden Vpn) waren 61 Freiwillige, größtenteils Studenten und Studentinnen. Voraussetzungen für die Teilnahme war körperliche und geistige Gesundheit, Unkenntnis der Beschreibungen der (nach Goodman) »typischen« Tranceerlebnisse und bei weiblichen Teilnehmern Nicht-Gravidität. Die Erfüllung der Voraussetzungen versicherten die Vpn gemeinsam mit ihrer Einverständniserklärung schriftlich. Weitergehende psychologische und medizinische Daten wurden nicht erhoben, da sie nach Goodmans Darstellung für die Hypothese unerheblich wären.
Versuchsablauf Der Versuch fand im Religionswissenschaftlichen Institut der Universität Leipzig am 31.1.2006 statt. Alle Teilnehmer wurden gemeinsam in einem Kurzvortrag über Goodmans Theorie informiert, etwa wie im Abschnitt Theoriekontext geschehen. Es wurden keine Beispiele für mögliche Inhalte des Tranceerlebens genannt, sondern die Vielfalt möglicher Erlebnisse für Trance-Unerfahrene mit der von Träumen verglichen. Alle Fragen zum geplanten Versuchsablauf (außer betreffend der hypothetischen Inhalte der zu erwartenden Erlebnisse) wurden beantwortet. Nachdem alle Vpn der Teilnahme zugestimmt hatten, erhielten sie Schreibwerkzeuge und Bögen mit der Erklärung des Einverständnisses zur Teilnahme und der Kenntnis ihrer Rechte als Probanden. Die Vpn erhielten fortlaufende Nummern. Nachdem die Erklärungen unterschrieben und eingesammelt waren, spielten sie für den weiteren Versuchsablauf keine Rolle. Die Vpn wurden
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(durch einfaches Durchzählen) randomisiert in vier Gruppen von einmal 16 und dreimal 15 Mitgliedern aufgeteilt. Jede Gruppe erhielt eine Einweisung in eine von vier Haltungen. Die einweisende Yogalehrerin und Psychologiestudentin Katja Schlegel war nicht über die den Haltungen zugeordneten Tranceinhalte informiert. Diese Bedingung (Doppelblindheit) war wichtig, um auszuschließen, dass die Vpn durch unterschwellige Kommunikation Hinweise darauf erhalten würden, was sie erleben »sollten.« Alle Vpn blieben im selben Raum, mit dem Gesicht zur Wand stehend. Auf ein Zeremoniell der eingangs beschriebenen Art wurde verzichtet, um etwaige religiöse Gefühle der Vpn nicht zu verletzen. Um dennoch in Übereinstimmung mit den gängigen ethnologischen Ritualtheorien (vgl. Belliger, Krieger 1998) einen Übergang vom Alltagsraum zum Ritualraum zu markieren, wurde eine Entspannungsübung (Tiefatmung) durchgeführt, die den Beginn einer Phase völligen Schweigens markierte. Außerdem wurde das elektrische Licht durch Kerzenlicht ersetzt. Ein CD-Track mit einem Goodmans Anforderungen entsprechenden Rhythmusgeräusch von 15 Minuten Länge wurde abgespielt.3 Dabei nahmen die Vpn jeweils die ihnen zugewiesene Haltung ein. Die Haltungen lauten wie folgt (bei allen Vpn sind die Augen geschlossen):4 1. »Man steht aufrecht, die Füße sind parallel zueinander und etwas auseinander gestellt, die Knie werden leicht gebeugt; der rechte Arm hängt gerade nach unten, der linke Arm liegt mit gestreckter Hand auf dem Oberkörper so, daß der Unterarm einen rechten Winkel mit dem Oberarm bildet.« (S. 93) 2. »Man steht mit den Füßen parallel, mit leicht gekrümmten Knien. Beide Hände werden gekrümmt, so als würde man einen kleinen Gegenstand, etwa ein Taubenei, umklammern. Dann legt man die Hände so aneinander, daß sich der erste Knöchel des Mittelfingers berührt. Macht man es richtig, dann formen die geballten Hände ein Dreieck. Dann legt man die Hände auf den Leib, so daß der Nabel sich in diesem Dreieck befindet, wie die Dachluke unter einem spitzen Dach. Die Daumen liegen locker nebeneinander auf den Fingern. Die Oberarme stützen sich leicht am Oberkörper an. Den Kopf lehnt man zurück, so als wollte man die Kante zwischen Wand und Decke sehen.« (S. 97) 3. »Die Knie werden leicht gekrümmt, der Kopf ist etwas zurückgelegt, der Mund wird geöffnet, indem man die untere Kinnlade fallen läßt, aber man gibt keinen Laut von sich und atmet durch die Nase. Die Hände werden gespreizt in die Leistengegend gelegt.« (S. 116)
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4. »Man steht aufrecht, mit den Füßen parallel und eine Spanne auseinander. Die Knie sind leicht gekrümmt, die Arme liegen auf der Brust in der Weise, daß sich der linke Arm oberhalb des rechten befindet. Der Abstand zwischen den Armen wird verschieden angegeben und scheint das Erlebnis nicht zu beeinflussen.« (S. 116)
Alle Vpn hatten jederzeit die Möglichkeit, abzubrechen, waren jedoch gebeten, sich in diesem Fall sehr ruhig zu verhalten und die anderen Vpn nicht zu stören. Für etwaige medizinische Notfälle befand sich der Facharzt Carsten Siegert im Nebenraum. Zwei Teilnehmer mussten mit Schwindelgefühlen abbrechen – eine Teilnehmerin stürzte dabei – und wurden ärztlich versorgt, erholten sich aber ohne weiteres schnell. Aufgrund eines technischen Defektes brach die Audiowiedergabe nach nicht ganz 13 Minuten ab – daraufhin wurde so verfahren wie für das reguläre Ende der Audiowiedergabe geplant. Die Vpn wurden gebeten, die Haltungen zu beenden und eine abschließende Tiefatem-Übung mitzumachen. Dann erhielten alle Vpn folgende zwei Fragebögen: Fragebogen1
Teilnehmer Nr.:
zur Studie »Intersubjektivität von Tranceerleben durch religiös-rituelle Körperhaltungen« Bitte beschreiben Sie den Inhalt der Gedanken, Eindrücke und Bilder, die sie hatten, als Sie die religiös-rituelle Körperhaltung eingenommen haben. Bitte gehen Sie nicht darauf ein, wie leicht oder schwer es Ihnen fiel, Tranceeindrücke zu erhalten oder was Sie über das Experiment und Ihre Umgebung dachten. Bitte schreiben Sie leserlich. Vielen Dank! Wenn Sie mehr erlebt haben, als auf diese Zeilen passt, fassen Sie bitte nur die für Sie wichtigsten Themen und Abläufe zusammen. Wenn Sie wenig oder so gut wie nichts erlebt haben, beschreiben Sie bitte, welche Eindrücke Sie während der 15 Minuten richtig oder passend gefunden hätten oder von was für Eindrücken Sie denken, dass Ihre Haltung sie hätte bewirken können, wenn sie funktioniert hätte. ___________________________________________ __________________________________________ __ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ __ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ __ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Vol. III • 01/2008
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Die Aufforderung, nötigenfalls auch nur »richtige« oder »passende« Tranceerlebnisse zu notieren, hatte den Hintergrund, dass Tranceerlebnisse teils schwer verbalisierbar sein können. Von Teilnehmern, die sich über ihre Erlebnisse nicht ausreichend im Klaren waren sollten so dennoch Daten über die Qualität der Eindrücke erhalten werden – sofern überhaupt möglich. Der sehr begrenzte Platz auf den Fragebögen und die Bitte, gegebenenfalls zusammenzufassen, dienten dazu, die Beschreibungen in ihrer Form denjenigen von Felicitas Goodman vergleichbar zu machen. Diese haben ähnliche Länge, siehe unten. Beide Vorgehensweisen – sowohl die Priorisierung von eventuell sehr vielen Erlebnissen, als auch die Beschreibung von nur als potentiell erlebten Eindrücken – sind prinzipiell problematisch, weil sie das unreflektierte Wiedergeben der Eindrücke einschränken. Sie schienen als Kompromiss zwischen der freien Wiedergabe
und
den
Anforderungen
der
analytischen
Vergleichbarkeit
erforderlich, ohne den die später folgende Inhaltsanalyse so nicht hätte stattfinden können. Um zu verhindern, dass die in Fragebogen 2 zur Auswahl stehenden Möglichkeiten die Antworten auf Fragebogen 1 beeinflussen würden, wurde Fragebogen 2 erst verteilt, als Fragebogen 1 vollständig eingesammelt worden war. Die Teilnehmer wurden daran erinnert, auch während der Beantwortung dieser Fragen nicht miteinander zu sprechen. Fragebogen 2
Teilnehmer Nr.:
Haltung Nr.:
zur Studie „Intersubjektivität von Tranceerleben durch religiös-rituelle Körperhaltungen« Bitte kreuzen Sie an, inwiefern folgende Aussagen auf die von Ihnen in Fragebogen 1 geschilderten Inhalte zutreffen. Wenn Sie wenig oder so gut wie nichts erlebt haben, beziehen Sie sich hier bitte wieder auf die passend oder möglich scheinenden Eindrücke.
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trifft stark zu
trifft eher zu
trifft eher nicht zu
trifft nicht zu
Ich hatte das Gefühl, einer heilenden Kraft zu begegnen, die mir helfen wollte/ geholfen hat. Ich habe viele verschiedene schöne Dinge gesehen, wie bei einem Ferienausflug. Ich habe vor allem eine Höhle oder Dunkelheit und Tiefe erlebt. Ich hatte den Eindruck, nach oben zu wachsen und mich zu verwandeln. Ich habe mich längere Zeit so gefühlt, als ob ich über die Erde fliegen würde. Es schien, als würden eine Reihe von Tieren und Vögeln zu mir kommen. Ich habe ein einzelnes Tier getroffen, das ein wichtiges Thema meiner Erlebnisse war. Meine Erlebnisse schienen mit dem Thema Tod zu tun zu haben.
Die Beleuchtung wurde in ihren Normalzustand zurückversetzt. Das Schweigen wurde beendet und die Teilnehmer konnten sich entspannen und Erfrischungen zu sich nehmen. Damit war das Experiment beendet. Die Vpn waren aber eingeladen, die Auswertung abzuwarten und noch vor Ort das Ergebnis zu erfahren. Mit der Auswertung wurde sofort begonnen. Das sollte einerseits die Neugier der Beteiligten befriedigen, andererseits aber auch weitere Aspekte der experimentellen Arbeit vorstellen ohne eigene Mitarbeit zu erfordern und konnte schließlich auch als Belohnung für die Teilnahme empfunden werden.
Auswertung Die ausgefüllten Fragebögen 1 wurden in einem abgesonderten Raum einer qualitativen Textanalyse unterzogen. Es waren die einzelnen Beschreibungen der Vpn jeweils derjenigen von Goodmans Beschreibungen zuzuordnen, in der die meisten
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semantischen Elemente wiederkehrten. Es wurden also Gruppen von ausgefüllten Fragebögen gebildet, die jeweils einer der Beschreibungen am meisten ähnelten Die Zuordnung wurde wiederum durch Katja Schlegel doppelblind – ohne die Information, welche von Goodmans Beschreibungen zu welcher Haltung gehört – vorgenommen. Völlig fehlende Tranceerlebnisse wurden aussortiert, da die Tranceinduktion selbst nicht Gegenstand der Untersuchung war. Die Beschreibungen zu den Körperhaltungen lauten (vgl. Goodman 1996): 1. Fahrt über die Mittlere Welt [d.h. über die Erde, D.B.] (Thema Seelenfahrt) Die Erlebnisse erinnern an einen Bericht aus Ostasien, wo der Schamane die Totenseele noch einmal über die Erde führt, damit sie sich zum letzten Mal an der Schönheit der Heimat erfreuen kann. Die Seelenfahrt findet waagerecht zur Erde statt, die Erlebnisse sind außerordentlich vielseitig, wie bei einem Ferienausflug, und meist von großer Heiterkeit. 2. Die Haltung des Bärengeistes (Thema Heilung) Bei dieser Haltung wird oft berichtet, daß man gespalten wird und eine Flüssigkeit eingeträufelt bekommt. Aber das Heilen kann auch viele andere Formen annehmen. Die Energie strömt z.B. aufwärts oder sammelt sich an der kranken Stelle. Man kann von der Bärenkraft geschüttelt oder gestoßen werden. Hingefallen ist aber noch niemand bei dieser Behandlung. Der Bärengeist erscheint oft persönlich, und sein Erscheinen wird fast immer von einer leuchtend violetten Farbe begleitet. Oder es kommt einer seiner Gehilfen, die Schlange, der Dachs, der Adler oder der Berglöwe. Die heilende Kraft des mächtigen Bärengeistes wirkt vornehmlich auf den Teilnehmer/die Teilnehmerin, man kann aber auch um Heilung für Abwesende bitten. Der Bärengeist nimmt außerdem des öfteren die Gelegenheit wahr, um eine/n Teilnehmer/in zu weihen, indem er ihn in Trance zerstückelt und dann wieder zusammenfügt, ohne daß das Erlebnis als leid- oder qualvoll empfunden wird. 3. Das Rufen der Geister (Thema Metamorphose) Man verwandelt sich meist in ein hohes Gebilde, in einen Berg, eine Säule oder vor allem in einen Baum. Als solcher wiegt man sich, die Krone schwingt, man wird vom Wind bewegt. Dann kommen Tier- und Vogelgeister heran. Wir meinen, es handelt sich bei dieser Verwandlung um den Weltenbaum. 4. Der Ritt zum Totenreich (Thema Tod) Das Vorfeld des Totenreiches erscheint dunkel und öde. Nach Ablegung des Körpers gelangt man schließlich an eine dunkle Kuhle oder einen Kessel, in dem mit Hilfe eines Tiergeistes ein neuer Körper erworben werden kann.
Währenddessen wurden die Daten aus dem zweiten Fragebogensatz digitalisiert. Nach erfolgter Zuordnung wurden auch die Ergebnisse der Textanalyse digitaliVol. III • 01/2008
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siert. Anhand der gewonnenen Daten wurde die Hypothese computergestützt überprüft. Die Ergebnisse der qualitativen Analyse waren durch einfache Zuordnungshäufigkeiten zu erfassen. Die Fragen auf Fragebogen 2 operationalisieren Goodmans vier Beschreibungen in je zwei Items. Die einzelnen Antworten hatten Zahlenwerte: 2 für »trifft stark zu«, 1 für »trifft eher zu«, -1 für »trifft eher nicht zu«, -2 für »trifft nicht zu«. Ein genau Goodmans Vorgaben entsprechendes Erlebnis würde zu positiven Antworten auf die der Haltung entsprechenden Items und negativen Antworten auf die zu den drei anderen Haltungen gehörenden Items führen. Der Ähnlichkeitsindex wurde deshalb in folgender Weise berechnet. I=
! p1" p 2# !n1" n2"n3"n4"n5"n 6# $ 8 24
p sind dabei die Werte der zwei Items, die zu der Haltung gehören und die positiv sein müssen, um Ähnlichkeit anzuzeigen. n sind die Werte der sechs konkurrierenden Items, die bei Ähnlichkeit negativ sein müssen. Der maximale Ähnlichkeitsindex I von 1 wäre ein vollständig Goodmans Beschreibungen entsprechendes Ergebnis, eine -1 wäre ein vollkommen entgegengesetztes. Gleichmäßig verteilte Antworten – etwa ein »trifft nicht zu« auf alle 8 Fragen – führen zu einem Index von 0. Für jeden Fragebogen wurden vier Indizes berechnet; die Ähnlichkeiten zu jeder der vier Haltungen. Anschließend wurde ausgewertet, wie ähnlich die Beschreibungen derjenigen Vpn, die Haltung 1 eingenommen hatten, Goodmans Beschreibung von Haltung 1 waren, wie sehr sie eher Haltung 2 ähnelten usw. Die Ergebnisse (Abschnitt 5) wurden allen Vpn mitgeteilt. Es folgte eine für alle Vpn offene Diskussion der Ergebnisse.
Ergebnisse Im Fall des ersten Fragebogens zeigte sich, dass ein Großteil der Erlebnisse der Teilnehmer keiner einzigen der vorgegebenen Beschreibungen auch nur entfernt ähnelte. Die zur Verfügung stehende Zeit reichte für die Textanalyse aus – das Material war wenig umfangreich und in der Form recht homogen – aber die gesuchten semantischen Elemente waren schwer zu finden. Meist war es nötig, weit Vol. III • 01/2008
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hergeholte Zuordnungen zu treffen. So etwa bei folgender Beschreibung, die nur der Haltung 2 zugeordnet werden konnte, weil das Stichwort »violett« vorkam:5 »Visualisierung der Farbe gelb bzw. der Sonne in Verbindung mit Landschaftsbildern aus Sand- und Steinwüste (trocken) Rotationsgefühl im Körper Visualisierung der Farbe ultraviolett«
In vielen Fällen war es selbst mit einer so großzügigen Auslegung von »Übereinstimmung« nicht möglich, die Erlebnisse der Vpn zuzuordnen. Das gilt insbesondere für diejenigen Personen, bei denen sich die Trance keineswegs so automatisch einstellte wie von Goodman geschildert: »Die Haltung hat bei mir nichts bewirkt, eher die Musik. So hatte ich anfangs das Bild eines tanzenden Naturvolkes: Doch die meiste Zeit hatte ich keinerlei Bilder. Meiner Meinung nach bewirkt die Haltung nichts als Halsschmerzen. Wenn etwas Eindrücke hervorruft dann ist es höchstens die Musik.«
Die Aufforderung, nötigenfalls auch nur »richtige« oder »passende« Tranceerlebnisse zu notieren, war von den Vpn offenbar ignoriert worden. In diesen – zahlreichen – Fällen wurden die Beschreibungen aussortiert. Die Fragebögen eingerechnet, bei denen die Vpn ihre Nummer nicht angegeben hatten, mussten 44 aussortiert werden und es blieben nur 17, bei denen eine Zuordnung möglich war. Tabelle 1: Ergebnisse Fragebogen 1
Eingenommene Haltung
Gesamt
1 2 3 4
1 3 3 2 0 8
In Textanalyse zugeordnete Haltung 2 3 1 0 0 0 1 1 0 3 2 4
Gesamt 4 0 0 2 1 3
4 3 6 4 17
Von besonderer Bedeutung ist in dieser Darstellung das Verhältnis zwischen grau markierten und unmarkierten Feldern. Um Goodmans Hypothese zu bestätigen, müssten die Werte in den markierten Feldern signifikant größer sein als die Werte in den unmarkierten Feldern. Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dieses Ergebnis hat jedoch praktisch keinen Wert – bloße 17 zugrundeliegende Ausprägungen, die
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zudem mit einem sehr weichen Instrument erhoben wurden, können keine Grundlage für seriöse Schlussfolgerungen sein. Glücklicherweise war die Auswertung von Fragebogen 2 ergiebiger. Hier mussten nur 7 Fragebögen aussortiert werden, die unvollständig oder fehlerhaft ausgefüllt worden waren und die Berechnung der in Abschnitt 4 beschriebenen Indizes ergab folgende Tabelle: Tabelle 2: Ergebnisse Fragebogen 2
Eingenommene Haltung
1 2 3 4
Durchschnittliche Ähnlichkeitsindizes zu Haltungen 1 2 3 4 0,07 -0,11 -0,1 0,13 0 -0,03 -0,1 0,13 0,13 -0,09 -0,03 -0,01 -0,06 -0,04 0,01 0,09
Gesamt
N 14 14 11 15 54
Die Hypothese wäre bestätigt, wenn die Werte in den markierten Feldern signifikant über denjenigen in den unmarkierten Feldern liegen würden.6 Das ist wiederum offensichtlich nicht der Fall. Die allein von der eingenommenen Haltung abhängigen Inhalte von Tranceerleben bei religiös-rituellen Körperhaltungen konnten nicht bestätigt werden. Stattdessen bestätigen die Ergebnisse die Nullhypothese; sie sprechen dafür, dass die Übereinstimmungen in den Ergebnissen von Felicitas Goodman und von Rezipienten/-innen wie Andrea Baldemair andere Gründe haben.
Diskussion Ein möglicher Erklärungsversuch wäre, dass die zwei aufgetretenen Störungen – die kurze Unruhe, als eine Teilnehmerin stürzte, oder die Tatsache, dass der Trommelrhythmus etwas zu früh aussetzte – die Intersubjektivität der Tranceerlebnisse verhindert haben. Goodman macht in ihrer Theorie keine Angaben über die möglichen Auswirkungen solcher Ereignisse. Ebenso wenig gibt sie beispielsweise an, ob die vergleichsweise hohe Anzahl von 61 Personen oder die vier verschiedenen Haltungen zur gleichen Zeit dazu führen könnten, dass Intersubjektivität der Tranceerlebnisse nicht zu erwarten wäre. Auch eine Erklärung dafür, dass ein Großteil der Vpn keine Trancebilder erlebt hat, fehlt. Vol. III • 01/2008
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In jedem Fall ist die einfache Hypothese der Intersubjektivität ohne weitere (möglicherweise verletzte) Bedingungen nicht mit den Daten zu vereinbaren. Es ist naheliegend, stattdessen als mögliche andere Gründe für die bei Goodman vorhandenen Übereinstimmungen das Fehlen von Doppelblindheit und die vergleichsweise kleinen Probandenzahlen anzunehmen. Das hieße, dass Mängel in den entsprechenden Versuchsanordnungen zum Auftreten des vermeintlichen Effektes geführt hätten. An dieser Stelle kann nur gemutmaßt werden, weil Frau Goodman ihre Versuchsanordnungen nicht im Detail beschreibt. Ob und welche anderen Faktoren ausschlaggebend waren, ist beim derzeitigen Stand der Forschung zur Induktion veränderter Bewusstseinszustände kaum zu ermitteln. Es liegen zwar Studien beispielsweise zur Wirkung von Fasten, Reizentzug, Reizüberflutung, Hyperventilation, verschiedenen Drogen und anderen Methoden vor, die in verschiedenen Religionen verwendet werden, um besondere Bewusstseinszustände zu erreichen (vgl. Wulff 1997). Jedoch hat noch kein umfassendes Modell des Bewusstseins und seiner Zustände, wie sie auch religiöse Handlungen begleiten, breite Akzeptanz gefunden (Schuster 2005). Das führt dazu, dass teils grundverschiedene Zustände unter »Trance« oder »Meditation« zusammengefasst werden, schlicht weil es keine zulängliche Terminologie
(geschweige
denn
eine
religionspsychologisch
taugliche,
mehrdimensionale Definition) für sie gibt (Walsh 1990). Die Untersuchungen, die zum Thema vorliegen, befassen sich mit Vorliebe mit individuellen Erlebnissen, nicht
aber
mit
den
potentiell
komplexen
Zusammenhängen
in
einer
experimentellen (und erst recht einer rituellen) Gruppensituation.7 Das ist umso erstaunlicher, da eine starke Fraktion innerhalb der Religionspsychologie diese Bewusstseinszustände (sofern sie religiös gedeutet werden) und ihre neuronalen Korrelate für die Grundlage von Religiosität überhaupt halten (Wulff 1997). Der Versuch zeigt nicht zuletzt aber auch, dass experimentelle religionswissenschaftliche Forschung eine reizvolle und spannende Aufgabe ist, die sich auch Studierende zutrauen dürfen, eine passende Aufgabenstellung vorausgesetzt. Die beschriebene Studie hat weniger Arbeitsaufwand gekostet als die meisten Hausarbeiten und hat durchaus einen bescheidenen Erkenntnisgewinn erbracht. Es war vor allem durch den freundlichen Rat verschiedener Dozenten/-innen und der
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Hilfe einiger Kommilitonen/-innen überraschend einfach, das Experiment in Eigenverantwortung durchzuführen. Wenn sich deshalb weitere Studierende ermutigt fühlen, die experimentelle Arbeit selbst auszuprobieren, so hat dieser Artikel – neben dem rein wissenschaftlichen – auch sein zweites Ziel erreicht.
Der Autor: Daniel Böttger hat von 2004 bis 2006 in Leipzig Religionswissenschaft, Psychologie und Ethnologie studiert. Derzeit studiert er Religionswissenschaft im Masterstudiengang. Kontakt:
[email protected], http://daniel.boettger.googlepages.com
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Quellen: BELLIGER, Andréa, KRIEGER, David J. (Hrsg.) (1998):Ritualtheorien. Opladen: Westdeutscher Verlag. CARDEÑA, Etzel, LYNN, Steven J., KRIPPNER, Stanley C. (2000):Varieties of Anomalous Experience: Examining the Scientific Evidence. Washington DC: American Psychological Association. DUNDE, S.R. (Hrsg.) (1993):Wörterbuch der Religionspsychologie. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. GOODMAN, Felicitas (1992, 1996):Trance – der uralte Weg zum religiösen Erleben. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. GOODMAN, Felicitas (1989):Wo die Geister auf den Winden reiten. Trancereisen und ekstatische Erlebnisse. Freiburg im Breisgau: Hermann Bauer. GUTTMANN, G. und G. LANGER: Das Bewußtsein. Multidimensionale Entwürfe. Wien, New York: Springer. 1992. HOFFMAN, Kayne (1994):Dimensionen der Ekstase. München: Anarche. SCHUSTER, Lars (2005): Mens ex Machina. Technische Modelle in der Bewusstseinsforschung. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien: Peter Lang. WALSH, Roger (1990):The Spirit of Shamanism. New York: Tarcher. WULFF, David (1997):Psychology of Religion: Classic and Contemporary. New York: John Wiley & Sons. ZEHENTBAUER, Josef (1992):Körpereigene Drogen. Die ungenutzten Fähigkeiten unseres Gehirns. München, Zürich: Armetis und Winkler.
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Anmerkungen: 1 2 3 4 5 6
7
Eine Ausnahme ist ihre Mitautorinnenschaft in (DUNDE 1993). Darin verweist sie ebenfalls auf ihre Theorie religiös-ritueller Körperhaltungen. Veröffentlicht in: Beiträge zur Popularmusikforschung, Beiträge 27/28, S. 253-269. Von der CD »Ecstatic Trance« von Nana NAUWALD, einer Schülerin von GOODMAN Alle Beschreibungen aus (GOODMAN 1996). Diese Vpn hatte Haltung 3 eingenommen. Das würde bedeuten, dass im Schnitt die Angaben der Personen, die Haltung 1 eingenommen hatten, überwiegend GOODMANs Beschreibung von Haltung 1 ähnelten, die der Personen mit Haltung 2 der Beschreibung für Haltung 2 usw. Einen Überblick über die individuumsbezogene Forschung bietet CARDEÑA, LYNN, KRIPPNER 2000.
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Can Science Be Enchanting? Ways to a Phenomenology of Religion in the Post-Modern Age1
Sebastian Cöllen
Max Weber often spoke about the process of rationalization. This occurred not only in religion, where vital and unpredictable forms of religious life had been replaced by a systematized view of cosmos and of »the sacred« itself, culminating in the Protestant Ethic. Rationalization was also a common theme in the evolution of an increasingly impersonalized justice, even in the evolution of music. In his 1911 essay Rationale und soziale Grundlagen der Musik,2 Weber thought himself to be able to spot a deep difference between the music of pre-modern »Man« and the modern (Western) way of composition, the latter being subjected to a set of calculable rules which reached their peak with the twelve-tone system, the rationality of which even the most rebellious step—a move away from tonality—could negate, but never transcend to another order. Science was a fundamental part of this slow but steady movement toward a »disenchanted world«. In Science as a Vocation (WEBER 1970; German Wissenschaft als Beruf, 1922), Weber speaks about feelings that the youth of his day held toward science. In an allusion to the cave metaphor of Plato’s Republic, Weber describes the unbridled enthusiasm of early science as the sun of Enlightenment rose outside the dark walls of the mediaeval cavemen: how could one not have thought this light the sun of Plato’s eternal ideas; that science would be the new and safer way to God (WEBER 1970, p. 140)! »Today«, Weber says, »youth feels rather the reverse: the intellectual constructions of science constitute an unreal realm of artificial abstractions, which with their bony hands seek to grasp the blood-and-sap of true life without ever catching up with it.« (WEBER 1970, pp. 140 f.)
The youth of Weber’s day is probably no longer among us but these feelings toward science still hold true. According to Weber, this simply has to be so. Science cannot tell us the »meaning« of the world. It cannot tell us how we could or should live. This stand
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has to be taken from another point, one that science should not attempt to cover by relapsing into irrationalism or by promoting subjectivist views instead of relating objective facts (WEBER 1970, p. 142-45, cf. p. 149 f.). From this point of view, rationalization would seem to belong to the very essence of science and disenchantment would consequently appear to be the natural expression of its own self-realization. In an extraordinary way, this process actually seems to have taken place within one particular discipline of science during the 20th century: the phenomenology of religion. One of the most important schools of this discipline—the one of the Dutch scholar Gerardus van der Leeuw—was from the start highly interested in the »meaning« of religious phenomena. Van der Leeuw’s phenomenological paradigm relied heavily upon a distinction between »explanation« and »interpretation« drawn from the hermeneutics of Wilhelm Dilthey. Although scholars like Jacques Waardenburg have recognized Dilthey’s influence on the young van der Leeuw as undisputable (WAARDENBURG 1997, p. 268), the impact of this dichotomy really has to be seen in a larger context, one in which »the call for understanding (Verstehen)« pervaded such different fields of research as psychology, cultural anthropology, and the philosophy of, for instance, Max Scheler and Edmund Husserl (WAARDENBURG 1997, p. 268). This distress call was raised in a time when the humanities felt a strong need to defend their independence against the natural sciences. Dilthey, for one, claimed the unique nature of the Geisteswissenschaften, those sciences that were able to »understand« the meaning of the creations of the human spirit (Geist), while the natural sciences could only »explain« them as natural objects (DILTHEY 1927). Within the study of religion, this view was adopted by scholars like Brede Kristensen, who defended not only the humanities against the natural sciences, but also religion as an entity per se among the other humanities. Gerardus van der Leeuw was one of Kristensen’s most outstanding pupils. In his magnum opus, Phänomenologie der Religion, he adopted several principles from the philosophical phenomenology of Scheler and Husserl to develop a phenomenological method applicable to the study of religions (V.
D.
LEEUW
19562).3 The goal of this study was to search for the essence of religious pheno– mena, or »ideal types« (Idealtypen), as they »appeared« to the scholar Vol. III • 01/2008
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(cf. Gk phaínomai »to appear«). In themselves, however, these ideal types were eternal, situated in a realm outside historical time (V. D. LEEUW 19562, § 109, esp. pp. 771 f.). Only through a process of classification, of activation (Einschaltung) of the phenomenon in the scholar’s own life,4 through the unbiased observation of the phenomenon (Epoché) in its present essence, and a clarification (Klärung) of the experience through shutting out all that did not belong to the phenomenon’s »essence«, could the scholar see the ideal type of which the phenomenon was an example: that is, to obtain a total »understanding« of the phenomenon (V. D. LEEUW 19562, pp. 772–777). But even if van der Leeuw’s phenomenological school was no doubt the most influential one between 1925 and 1950 (so SHARPE 19922, p. 229), it was not the only one. Already in 1887, P. D. Chantepie de la Saussaye’s Lehrbuch der Religionsgeschichte had been published. In a »phenomenological« part, this work dealt with the classification of religious phenomena. In this earliest use of the term »phenomenology of religion«, phenomenology was obviously not deemed a special theory, nor did Chantepie try to invoke a theory external to his work. In fact, when the phenomenological discussion was missing in the second edition of the Lehrbuch, it was probably due to the theoretical difficulties of this approach, which Chantepie felt would need a book of their own (SHARPE 19922, p. 223). Nevertheless, as a reaction against the somewhat »platonic« approach of van der Leeuw’s phenomenological school and to other »sensitive« approaches to religion made in the footsteps of men such as Rudolf Otto and Nathan Söderblom, Chantepie’s rather non-philosophical conception of phenomenology of religion was to be called to life again. Following World War II, principally in Scandinavia and the Netherlands, a second phenomenological branch appeared within history of religion,5 sometimes also considered the synchronic complement to the diachronic study of the history of religion.6 This branch was chiefly represented by scholars like the Swedes Geo Widengren and Åke Hultkrantz, who aimed at a purely descriptive approach. In an article about the aims and methods of phenomenology of religion, Hultkrantz made it clear that he saw van der Leeuw’s phenomenology as itself comprising »an ›Einklammerung,‹ a parenthesis«, between Chantepie’s work and the common attitude that began to emerge among Scandinavian and Italian researchers along Vol. III • 01/2008
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the lines of a strict positivist science (HULTKRANTZ 1970, p. 73). Hultkrantz, for his part, defined phenomenology of religion as the »systematic study of the forms of religion, that part of religious research which classifies and systematically investigates religious conceptions, rites and mythtraditions from comparative morphologic-typological points of view.« (HULTKRANTZ 1970, pp. 74 f.)
According to Hultkrantz, »no specific intuitive quality« was needed to grasp the meaning of phenomena. Widengren even stated the »ideal goal« of phenomenology of religion to be, not an »understanding« of specific cultural worlds, but a »general, overarching phenomenological monograph.«7 As a reaction against a basically essentialist and intuitive approach to religion, this stand is, I would say, fully understandable and, in its own way, even justified. But even if this approach constitutes a special »method«—a claim that can be criticized (cf. ALLEN 2005, p. 7086)—, the question is whether this activity, reaching neither for the »meaning« of phenomena, nor for an »explanation« of them, could ever claim to have greater aspirations than the simple satisfaction of the curious collector. Naturally, such collections and categorizations of data are what make any knowledge possible; what is questioned is not the methodology behind them, but whether they could in themselves aspire to the epithet of »knowledge« and, thus, to the role they have within the typological approach of forming a purpose in themselves. In the meantime, phenomenology of religion seems to have lost its footing. Stretching across two branches which in reality seem to have very little in common except for their name, »phenomenology of religion« has become a term that lacks clear content. Being something like an entry-ticket into a »fashionable methodological circle« (RYBA 1991, p. xv. Cf. SPIEGELBERG 19782, p. 3), the concept has been adopted by a continuously growing party of scholars, thus making it very hard to see wherein the »methodology« of this circle should really consist. At its widest, most watered-down definition of »phenomenology of religion«, simply denoting »an investigation of any religious phenomena« (ALLEN 2005, p. 7086), even a scholar within the field of psychology of religion could be termed a »phenomenologist«.
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Perhaps because of this confused state, the quest for the historical origins of the wide spectrum of phenomenology of religion has been a frequent topic during recent decades,8 as has the quest for the common traits of its actual branches. Gilhus, for instance, means that what still unites the two extremes should be their comparative, systematizing approach: »The phenomenology of religion is, in both its branches, the comparative discipline of the history of religions. It is this comparative character which makes it a special discipline […]. It is used to legitimize the claim that the history of religions constitutes a special science.« (GILHUS 1984, p. 31)
To me, this wide definition seems only a reflection of the general confusion, and one might ask how such a vague meaning could »legitimize the claim« of any science as a special discipline. If one follows the trend and goes back to the roots of phenomenology as a concept in the world of Western science and culture, this becomes very clear. When the word was first introduced in German from French phénomène in the 18th century, it typically represented anything that appeared to the senses or, in a narrower sense, a !strange appearance" (J./W. GRIMM 1889). This usage would persist, adopted for instance by the natural sciences and employed e.g. in Newton’s writings (SPIEGELBERG 19782, p. 8). This nonphilosophical branch of phenomenology also coined the narrower sense in which the word was employed by John Robinson in his article about »Philosophy« in Encyclopædia Britannica of 1788. Here, the term designated that part of philosophy which merely described and arranged phenomena from different comparative contexts. Similarly, the polymath William Whewell (Philosophy of the Inductive Sciences, 1847) used it with reference to that branch of certain »palaeontological [i. e., !historical"] sciences« which dealt with classification and whose aim was to discover »natural classes« (SPIEGELBERG 19782, p. 9). The word was still used about comparison, classification, and arrangement of facts in the diverse field of the natural sciences of the 19th and 20th centuries; and a quick browse through any library catalogue of biology, pharmacy, or physics will show this to be true for the 21st century, as well. Thus, comparison can obviously not be enough to characterize phenomenology of religion as a methodologically separate field. Any claim that we could be without comparison actually reveals a lack of insight in what we do, because, as Vol. III • 01/2008
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Thomas B. Lawson (1996, p. 32) has said in respect to comparison, we do it all the time. The recognition of this fact probably underlies observations such as phenomenology of religion being a »method«, albeit used by several sciences (cf. BLEEKER 1959, p. 106), a statement which reveals an identification of phenomenology with comparison but also of comparison being a general trait of any science. One answer to the methodologically dim and in part theoretically questioned condition of phenomenology of religion has been to abandon the »phenomenological project« as a whole, as one of the many dead-ends of modernity. To an extent, this has certainly meant that the study of religion has been »rationalized« in the Weberian sense. Instead of meaning, it asks for »hard facts«—or, to use Dilthey’s dichotomy, instead of trying to »understand« the Other, it seeks to »explain« it. To take one example, the cultural-historical school to which scholars like Bruce Lincoln could be counted no longer uses comparison to reconstruct »eternal essences« or »ideal types«, but to find out the laws governing the formation of a religious society (LINCOLN 1981). To answer his question whether religions are similar, given similar cultures, Lincoln still uses comparison.9 But in the post-modern critique against phenomenology of religion, even the method of comparison has been questioned. Timothy Fitzgerald, for instance, has termed the discipline of phenomenology of religion a »liberal ecumenical theology«, its comparative concepts harboring from the start a hidden ideological agenda from which we cannot rid ourselves (FITZGERALD 1997). Where do we go from here? What is the role of cross-cultural comparison in the post-modern age? Can science be enchanting? Or is disenchantment the necessary consequence of science being scientific? As much as I agree with Weber with the point that science should not revert to subjectivism or the anti-empirical tendencies that have been criticized within phenomenology of religion at least since the death of Gerardus van der Leeuw in 1950, I am reluctant to see this as a dead end. On the contrary, I think it could be worthwhile to consider the possibilities of dealing scientifically with meaning, with the potential of science to expand beyond the bonds of rationalization. But then, a third way has to be found, one in which the quest for meaning does not involve the irrationalism of the »sensitive« way to understanding. Vol. III • 01/2008
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I would begin with questioning the very dichotomy that from the outset propounded this distinction between (subjective) understanding and (objective) explanation which has accompanied the search for meaning since the days of Dilthey. For Dilthey, the concept of Verstehen was not viewed as a goal but as a process, involving feeling etc. I think this distinction has to be rejected from the start, because what we arrive at at the end of an investigation is always, hopefully, an »understanding« of the phenomena, no matter if we see them as part of a natural order or an order of semantic meaning. And, conversely, there can never be a scientific understanding lest it is preceded by explanation. »Explanation« literally means: to make plain, or clear. It always involves a disclosure of structures and relations that somehow exist in a given context. To »understand« a phenomenon is to have »explained« any structure in and through which it exists. Admittedly, this is more or less what Weber’s »verstehende Soziologie« aimed at. But defining Sinn (meaning) as the intention of the acting subject (WEBER 19473, esp. § 1.I), this approach—like the modern hermeneutics of Betti or Hirsch —remains caught with a subject-dependent method (»ask the believer!«), which must end up either with an an infinite number of specific perspectives, or with abstracted generalizations, much like van der Leeuw’s Idealtypen. Furthermore, the
possibility must be considered that there simply is no clearly definable
subjective intention—and this is not the least the case when it comes to religious actions: in the solemn prayer, in the traditional ritual, during the ecstatic trance. And, even if there is one, any claim by the subject to be the authoritive interpreter can be seriously called into question. It is a familiar fact that one and the same person can look at her/his actions in completely different ways from different positions in her/his life: why would one of them be more true than the other—or, for that matter, more true than that of the detached observer? There is a certain metaphysics in this way of thinking, even if just the old metaphysics of the subject as the source of meaning and truth. But, precisely because we hardly notice it, this metaphysics—as a discourse, as a way of thinking—has been so hard to escape. To transcend this pattern of thought would seem to imply a turn away from the most obvious object of study for any interpretive cultural science: the human being. But is this not what the »explaining« sciences have already done in turning to the natural, e.g. the economical or biological causes of actions and behaviour Vol. III • 01/2008
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patterns? Would this, therefore, be the »objective way to understanding« intended through the destruction of the »understanding-explaining« dichotomy? And, if that is so, and if »understanding« can still claim to escape rationalization, why does scientific explanation still seem to disenchant its objects? Wherein does this fatal spell of rationalization lie, and how can we avoid it—if avoiding it is possible, at all? To Weber, the intellectualization of the world, in which science is part, means that there are »principally no mysterious incalculable forces that come into play, but rather that one can, in principle, master all things by calculation« (WEBER 1970, p. 139). What happens each time I start my car may be a mystery to me, but in principle, it is not one. »This means«, says Weber, »that the world is disenchanted.« Everything is predictable. Everything works after rules and structures that are long known, or could be known, if I only wished to learn them (WEBER 1970, p. 139). Or, to allude to a theme from Nietzsche (19665, p. 248), everything taught from the past is already well known from the present, and even trivial. But it is doubtful whether familiarity or predictability would be disenchanting as such. A ritual of magic may be just as predictable as the proceedings of logic. The fact that we »understand« something or learn to »come to terms« with it does not mean that the phenomenon inevitably becomes less captivating. Rather, it a question of what we understand it as. Here is the bifurcation where the traditionally »explaining« sciences and a hermeneutic phenomenology part and where the turn away from the subject as the traditional object of study to the work or act itself, may become productive. In actions, in language, in all the different kinds of cultural products that a society brings forth, relations between human beings and their world, their culturally situated being, come to expression and, thereby, into existence. As words, acts, things, they exist, and, as expressions, they speak. To listen to this speech means not to listen to an underlying »essence« which now comes into existence: this dichotomy, too, needs to be transcended. Speaking is not primarily an archetypal pattern or an ahistorical structure, but the historically situated human’s relation to his/her existence, human understanding of the bordering world. What exists is, so to speak, already in itself »essential«.
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This world of human beings, which is also the world of their works of poetry, of their edifices, and of public decorative art, harbour structures that are only in part collectively readable: they may also be exclusive. The complex symbolism of an Iron Age bracteate might not have been understood by all, even if everyone could admire the value of the workmanship. To some, it would be a riddle. Dug up by an archaeologist one and a half millennia later, the same piece of artistry is understood simply as a relic. If the archeologist is not also a historian of religions, his/her interpretations will be based on a completely different system of meaning, which cannot relate to, cannot »disclose« the world which, metaphorically speaking, lies hidden in the beaten metal. Nevertheless, all of these ways of disclosing structures are »true«. This is not a matter of subjective relativism—what someone thinks that the object is—, but of asking what it is factically10 in the context-determined way in which it exists and in which we deal with it. What is important is that this particular »way«, this »how«, is in a significant way always dependent on the historical world within which it exists. Some of these worlds, however, will always be able to open up for a thing more possible ways in which it can be. The axe, for instance, could be used as a hammer, the temple as a mall; but neither would exploit the full possibilities of either object. Here lies the importance of regaining the original world of a myth, a relic, a ritual object, of reconstructing its possible references: not because this context will bring the only »true« meaning of the object of study, but because it will probably render the richest one. Hence the need for the scholar to be a good listener, a good anthropologist, a good historian: only because of her/his knowledge of the culturally specific context might s/he be able to disclose the structures of the different worlds centered upon a specific object of study, preserving, thereby, the multivocality inherent in every cultural object, that is to say, its potential to mean different things to differently situated human beings. A rationalized view of the same things would, on the other hand, mean that the phenomenon would be reduced to its factual existence, to what it materially is, to certain predicates or to the causal laws that govern its functioning. This second view seems to open up the possibility of a mutual understanding: we can »agree« on the things the bracteate is constituted. But at the same time, this view closes the Vol. III • 01/2008
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factical world of the aristocrat who carried it, of the farmer who admired it, and of the archaeologist who unearthed it. Rationalization, to Weber, meant a systematization of our world-view, a ten– dency to analyze everything in terms of unchangeable mechanistic laws. But there is a »magic« in every foreign system of thought, not only in religious ones, but also in chemistry and mathematics—different ways of thinking, new ways of existing and relating to existence. If there is a problem here, it is not the »rationality« of those systems of explanation, but rather that their explanation always remains factual. Because, when all of existence is reduced to the causal workings of nature, the most important way of existing is forgotten: human's own, namely, their understanding way of being in the world, which they express above all through language and which ultimately separates them from plants or stones. Access to this way of existing is access to the magic of life, a magic we cannot afford to loose. Disenchantment, then, does not simply mean that things become predictable; that the workings of gods and demons are replaced by the workings of mechanics. That science »disenchants« means that it closes off worlds of meaning, even though it harbours the possibility of opening them. But it is not only disciplines which explicitly and because of their particular field of interest deal with factual explanation that tends to neglect the existential worlds of meaning; the same thing also happens within the interpretive branches of science of religion, i.e., those branches that have human beings and their world of meaning as their explicit object. Eliade, for instance, in realizing the possibility of applying Otto’s concept of »the sacred« to the study of religious traditions and rituals from all over the world, even believed himself to have the foundation of a »New Humanism« within his grasp (e.g., ELIADE 1961). But I am at a loss to see any substantial difference between, for example, the interpretatio iudaeica—the Jews’ interpreting other peoples’ gods merely as forms of their own—and Eliade’s search for »the sacred« as the universal expression of homo religiosus. Both views are in my eyes equally metaphysical. In both views, we are prevented from seeing how humans exists with their gods and see instead an ahistorical »essence« as fundamental.
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The post-modern criticism of the comparative method within phenomenology of religion has been particularly severe on this point. It has been claimed that our working across borders essentially leads to what has simply been called a »colonization of the Other«,11 where »understanding« really means the forcing of the foreign into familiar structures. I would agree that the legacy of Eliade’s »humanism« was an intellectual imperialism but this was not because its explanatory model would necessarily have been less »valid« than those of, say, structuralist anthropology or, to take a more far-fetched example, the principles of mathematics: we can certainly study »the sacred« in different cultures. But we must be aware that this ethnocentric approach closes other worlds of meaning; that it covers rather than dis-covers the Other in its unique historical being. If humanism can be understood as an attempt to caringly preserve, to cultivate, or to explore the »humanity« of human beings, then a humanistic phenomenology of religion will not seek to understand human existeance from a given essence: for instance, humanitas being interpreted as the religiositas of homo religiosus. Instead, it will seek to uncover the structures existing within the human activity or state of »being religious«, to reach a deeper understanding of their »religious world«, meaning a culturally specific, historically dependent structure of meaning ordered around phenomena we—as scholars in the Western tradition of »doing religion«—term »religious«. In this activity, comparison is an irreplaceable tool, as in any activity involving the faculty of »understanding«. For instance, already the very young child develops the ability to tell the difference between animate and inanimate objects, which necessitates the ability to compare; and one of the most important conceptual activities of the human child already involves the process of classification (LAWSON 1996, p. 31). The ability to abstract, to compare, and to recognize similarity and difference between the content of objects and concepts belongs to the requisites for learning and using language: that is, for acquiring meaning. The role of comparison, however, need not work only as a tool to establish universal laws or to find the cognate in the strange: it can help us see diversity; question our traditional categories and even, for a moment, makes us strange to ourselves, thus letting us redefine our existing concepts. It does not serve to find proofs for a given thesis, but instead helps us discover precisely those structures Vol. III • 01/2008
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we could not have expected to find. Comparison in the post-modern study of religion helps us open up previously overlooked worlds of existence. The starting-point of such comparison is always and inevitably similarity: but similarity is not identity. It is the responsibility of the scholar to determine from her/his knowledge of the emic sources, the language, and the cultural context whereof her/his object of study has been part whether the relationships hinted at by a comparative structure are really there also in the context of the phenomenon itself. Culturally specific knowledge thus remains the determining factor for the validity of her/his study and is what must articulate the material. But without raising her/his eyes above the margins of this cultural horizon, this study may well deteriorate into factual atomism and the material, for all that it has to say, remains silent. Summary I have tried to indicate a way between the »imperialistic« tendencies of modern history of religions and the threat of arbitrary subjectivism in the post-modern alternative, where »the Other« is more often than not placed on the opposite side of an unbridgeable gulf. Both perspectives no doubt have good intentions: the former wants to understand, the latter to respect. But both perspectives also harbor an alienating aspect, closing the possibility of understanding between worlds of meaning in this physical world we all have in common. My answer has been a return to the roots of hermeneutical phenomenology through Heidegger’s notion of factical understanding and a method of comparison that does not seek to identify causal relations but whose aim is to reveal structures of meaning. My intention has certainly not been to claim that this is the best even less the only way of studying religious phenomena. I have only wanted to show a way in which science could escape rationalization without rendering it »unscientific« or subjectivist: a way in which science can be enchanting.
About the author: Sebastian Cöllen is a PhD candidate in the History of Religions and Old Norse Religions at the Department of Theology of the University of Uppsala. Contact:
[email protected] Vol. III • 01/2008
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A shorter version of this article was originally given as a paper at the 13th Students' Symposium on the Study of Religions in Marburg on May 27th 2006. Weber’s essay and his »sociology of music« are discussed by FEHER 1987. 1st edition 1933. See esp. »Epilegomena«, pp. 768–798, which expound van der Leeuw’s methodological-theoretical »program«. Here, refers to Dilthey’s »Erlebnis eines Strukturzusammenhanges«, as well as to Usener, who stated that, »Nur durch hingebendes Versenken in in diese Geistesspuren entschwundener Zeit, … vermögen wir uns zum Nachempfinden zu erziehen; dann können allmählich verwandte Saiten in uns mit schwingen und klingen, und wir entdecken im eigenen Bewußtsein die Fäden, die Altes und Neues verbinden.« (V. D. LEEUW 19562, p. 773.) E.g., the second branch of phenomenology of religion in ALLEN 20052, p. 7086, dealing simply with »the comparative study and the classification of different types of religious phenomena.« See alsoGILHUS 1984, p. 26 f., who distinguishes the same branch as the »typological« counterpart to the »hermeneutic« school within the comparative (phenomenological) discipline of the history of religions. So WIDENGREN 1942, who considers phenomenology of religion the synthetic and systematic complement to the analytical studies of »genetic« (homologue) problems within history of religion, although he mentions that, at his time, this purely classificatory »complement« was already beginning to reach the status of an independent branch. »[en] allmän, allt omspännande fenomenologisk monografi.«WIDENGREN 1942, p. 22.—For an alternative ecological approach, see BURHENN 1997, pp. 116 ff., where the »monodirectional theories« of Hultkrantz are contrasted with the »functional theory« employed by, among others, Roy Rappaport. See JAMES 1985. See also RYBA 1991, who ventures to find the »common semantic core« of the actual »phenomenologies«. Being of the opinion that the importance of Husserl’s phenomenology for the study of religions has been exaggerated, Ryba makes his research an explicit attempt to find the extra-Husserlian roots of philosophical phenomenology, treating scientist and philosophers such as John Robinson, Friedrich Hegel, William Whewell, and C. S. Peirce. The task is stated at p. 12. Lincoln’s comparison covers cattle breeding cultures in East Africa and in the old Indo-Iranian area. In this way, Lincoln arrives at a point from which he is able to »explain« how similarities in each culture could develop without ever having influenced each other; see esp. pp. 172 ff. The concept derives from Heidegger (e.g., HEIDEGGER 196310, esp. § 38, p. 179; § 12, pp. 56 f.), to whose thinking I owe the main thoughts of this article. However, I have preferred not to use his philosophy more explicitly here, in part because of its complex nature, being very hard to »use« in a context where the basic concepts are not already familiar, and in part because I make no claim to follow it, only to be inspired by it. In her article, How new is really the »new comparativism«? Difference, dialectics and world-making, Marsha A. Hewitt simply calls the »old comparativism« of the Eliadean school a »colonizing practice«. (HEWITT 1996.)
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Religionen im Realsozialismus Widerspruch oder Tatsache? Eine wissenschaftliche Expertise zum aktuellen Forschungsstand
Anja Kirsch
Einleitung Der vorliegende Beitrag liefert einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zum Thema Religion und Religionen in der DDR. Neben der Zusammenschau der im Wesentlichen auf die deutsche Forschungslandschaft beschränkt bleibenden, bereits geleisteten Arbeiten, sollen vor allem die Desiderate herausgearbeitet und mögliche Anknüpfungspunkte für eine Erforschung der religiösen Landschaft des Realsozialismus aufgezeigt werden. Aus den existierenden Einzeldarstellungen geht hervor, dass die verschiedenen religiösen Traditionen in der bisherigen Forschung unterschiedlich stark berücksichtigt wurden. Auch wenn die Frage nach Islam, Hinduismus und Buddhismus in der DDR bislang durch keinerlei konkrete Untersuchungen oder Problemanzeigen wissenschaftlich plausibilisiert wurde, soll im Folgenden auf nicht-christliche Religionen eingegangen werden. Anstatt eines existierenden Forschungsstandes können jedoch nur mögliche Quellen und denkbare Anknüpfungspunkte für zukünftige Untersuchungen genannt werden. Unberücksichtigt lässt der Beitrag die Frage, ob das Konzept des Sozialismus möglicherweise selbst als Form des Religiösen zu verstehen ist. Der Artikel ist folgendermaßen aufgebaut: Nach einer kurzen Problemanzeige wird im Hauptteil nacheinander der Forschungsstand zum Christentum und christlichen Sondergemeinschaften, Judentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus referiert. Im dritten und letzten Teil werden die Ergebnisse kurz zusammengefasst. Ein Ausblick schlägt Ansatzpunkte für zukünftige Forschungen vor. Außerdem wird versucht, eine Antwort auf die Frage zu geben, weshalb die religiöse Pluralität im Realsozialismus bislang kaum thematisiert wurde, obwohl die DDR nach der sogenannten Wende zum »besterforschten Phänomen deutscher Zeitgeschichte« (Jessen/John 2005, 7) avancierte.
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Die DDR ein »religiös unfruchtbares« Territorium? Zur Problemanzeige Nach einer pluralen religiösen Landschaft in der DDR zu fragen, mag auf den ersten Blick Irritationen hervorrufen. Bekanntlich konstruierte der Staat sein Selbstverständnis sowie seine Außendarstellung wesentlich als Gegenbild zur BRD (was auch umgekehrt der Fall war), die ihre christlichen Wurzeln in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu betonen suchte. Ein Gottesbezug beispielsweise, wie in der Präambel des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949, fehlte in der DDR-Verfassung vom 7. Oktober 1949 gänzlich. Zu der Abgrenzungsstrategie zählte ferner die Vision eines religionsfreien Staates. Das Schlagwort Atheismus sollte langfristig nicht nur als politischer Kampfbegriff, sondern v.a. als Teil einer Überzeugung Eingang in die kollektive Identität der Bevölkerung finden. Aus diesem Grund überschritten dessen gesellschaftliche Verwurzelungsversuche die politische Rhetorik bei weitem. Besonders im Bildungs- und Ausbildungsbereich sollten zahlreiche Maßnahmen (sozialistische Rituale, Organisation in Gruppen, Einflussnahme in Schulen und Universitäten, etwa durch das eingeführte und für alle Studierenden obligatorische Studienfach Marxismus-Leninismus) für die Verbreitung der sozialistischen Weltanschauung sorgen. Ergänzt wurden diese Maßnahmen durch die restriktive Politik des Staates gegenüber Religionen, über die auch nicht die in der Verfassung von 1949 (Artikel 41 bis 48) bzw. 1968 (Artikel 20, Abschnitt 1) gegebene formale Rechtsgarantie für freie Religionsausübung hinwegtäuschen konnte. Die Ergebnisse empirischer Forschung zur Religiosität im gegenwärtigen Ostdeutschland scheinen den staatlich gelenkten Entkirchlichungs- und Entchristianisierungsversuchen langfristig überdies Erfolg zu bescheinigen und damit das Bild eines »religiös unfruchtbaren« Territoriums zu stützen: Auch fast 20 Jahre nach dem Ende der DDR sind große Teile der neuen Bundesländer weitestgehend entkonfessionalisiert geblieben, eine signifikante Verbreitung Neuer Religiöser Bewegungen ist nicht festzustellen (vgl. Usarski 2000, 310–327). Die dargelegten Sachverhalte führten offenbar dazu, dass die Frage nach einer pluralen religiösen Landschaft im Realsozialismus als Thema religionswissenschaftlicher Forschung bislang kaum in Betracht gezogen wurde. Vielfach scheint die Annahme zu dominieren, in der DDR habe es – von den kulturellen Über-
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bleibseln des verwurzelten Christentums und der These, der (Real-)Sozialismus trage selbst religiöse Züge, einmal abgesehen – praktisch keine öffentlich wahrnehmbare Religion gegeben. Angesichts der gegenwärtigen Forschungslage bleibt dieser Schluss jedoch eher fraglich. Tatsache ist, dass es durchaus Indizien für die Existenz sichtbarer religiöser Gruppen in der DDR gibt. Beispielsweise bot das seit der Reformation traditionell lutherische Sachsen in der Region des Erzgebirges Hort für eine Reihe kleiner protestantischer Splittergruppen, die aus religionswissenschaftlicher Sicht bisher nur wenig erforscht sind. Aber nicht nur in dörflichen Gegenden, sondern auch im städtischen Bereich machten sich religiöse Gruppierungen bemerkbar: 1985 wurde in Freiberg/Sachsen, 1988 an zentraler Stelle in Dresden, gegenüber des Großen Gartens, der Neubau eines Mormonentempels eingeweiht. Die Beispiele mögen genügen um aufzuzeigen, dass das Thema »Religion(en) in der DDR« der Forschung verschiedene lohnenswerte Anknüpfungsmöglichkeiten böte. Inwieweit dabei im Einzelnen auf bislang geleistete Arbeiten zurückgegriffen werden könnte, zeigt der folgende Forschungsüberblick. Das behandelte Material ist sowohl im Hinblick auf seine Entstehungszeit als auch auf die Motivation der Schreibenden sehr unterschiedlicher Qualität.
Bereits geleistete Untersuchungen
Prolegomena für eine umfassende
Erforschung der religiösen Landschaft in der DDR Aktuell gibt es so gut wie kein Material zur Erforschung der religiösen Vielfalt in der DDR. Die religionsgeschichtliche Entwicklung im Realsozialismus wurde bislang vor allem unter dem Aspekt Kirche, Kirchenpolitik der SED oder Situation von Christen resp. Entwicklung der christlichen Konfessionen untersucht. Einen deutlichen Schwerpunkt bildete dabei der Zusammenhang zwischen Kirche und Staatssicherheit. Dementsprechend kann der Forschungsstand zur Kirchengeschichte der DDR als relativ gut bezeichnet werden. Die Fülle der Beiträge kann hier im Einzelnen nicht angemessen wiedergegeben werden. Einen kompakten Einstieg in die Thematik liefern die in den Handbüchern zur DDR-Geschichte abgedruckten Überblicksartikel (z.B. Ordnung 1997, 432-442). Umfangreiche Materialbände (vgl. Hartweg 1995) ergänzen diese Perspektive. Das wohl Vol. III • 01/2008
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umstrittenste Werk stammt von Gerhard Besier. Das dreibändige Opus Der SEDStaat und die Kirche (1993-1995)wurde in der Vergangenheit vor allem auf Grund seiner methodischen und sachlichen Unzulänglichkeit scharf kritisiert. Stellvertretend für die unzähligen entstandenen Arbeiten in den letzten Jahren seien hier folgende genannt: Der Sammelband von Dähn/Heise (2003), Staat und Kirchen in der DDR. Zum Stand der zeithistorischen und sozialwissenschaftlichen Forschung, in dem sich neben einem Aufsatz zum aktuellen Forschungsstand auch eine Arbeit des US-amerikanischen Doktoranden Bruce W. Hall befindet, dessen Beitrag sich gleichsam wie seine geplante Dissertation auf die Untersuchung kleinerer Religionsgemeinschaften in der DDR konzentriert (vgl. ebd. 187-201). Ferner ist die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte zu erwähnen, deren Publikationsreihe auch einige Darstellungen zur Geschichte der Kirchen nach 1945 in der DDR bzw. im geteilten Deutschland enthält. Dieser knappe Einblick verdeutlicht, dass sich das Gros der Forschungen nach wie vor auf das Staat-Kirche-Verhältnis bezieht. Zur religiösen Landschaft insgesamt existieren bisher nur spärliche, bereits etliche Jahre alte Beiträge, die einen ersten Einblick in die Thematik liefern. Eine Gesamtanalyse oder ein Versuch, sämtliche Religionen und Religionsgemeinschaften der DDR systematisch zu erheben, steht bislang jedoch noch aus (vgl. Hall 2003, 187f.; Daiber 1988, 75-88; Pollack 1991, 306–317, Fincke 1994).1 Mitunter finden sich in Studien zur lokalen Religionsforschung vereinzelt Hinweise zu religiösen Traditionen und Gruppen in der DDR (vgl. Hase/re.form 2003). Zumeist finden außerchristliche Religionen jedoch nur in einer Randnotiz Erwähnung (vgl. Daiber 1988, 80; Henkys 1985, 196). Für die mangelnde Forschungslage gibt es indes verschiedene Gründe: Die politischen Entwicklungen von 1989 haben maßgeblich zu einer Verschiebung der Interessenlage beigetragen. Während die zuvor entstandenen Arbeiten immer auch vor dem Hintergrund des Konkurrenzverhältnisses beider deutscher Staaten beurteilt werden müssen, änderten sich die Motivationen und mit ihnen die wissenschaftlichen Fragestellungen mit dem Ende der DDR schlagartig. Das alte Regime existierte nicht mehr, nun stand erst einmal die Auseinandersetzung mit DDR-Unrecht und Stasi-Vergangenheit im Vordergrund. Zudem war mit der Vol. III • 01/2008
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Wiedervereinigung ein neues Forschungsfeld verbunden: die religiöse, d.h. vor allem die kirchliche Lage im ehemaligen DDR-Gebiet und den neuen Bundesländern. Die Konzentration auf die Zusammenhänge von Kirchen und Staat ist verständlich, denn die DDR bot eine kirchenhistorisch und theologiegeschichtlich interessante Sondersituation innerhalb der ehemaligen Ostblock-Staaten: Im Gegensatz zu vielen anderen sozialistischen Ländern war das Theologiestudium zwar unter erschwerten Bedingungen, aber immerhin an einer der sechs staatlichen Theologischen Fakultäten möglich. Neben der Vernachlässigung einer etwaigen pluralen religiösen Landschaft der DDR, die maßgeblich mit dieser Konzentration auf das Staat-Kirche-Verhältnis zusammenhängt, bewirkte der Fokus auch eine methodische Einschränkung: Sozialwissenschaftliche Darstellungen der DDR-Kirchengeschichte, wie die von Detlef Pollack 1994 vorgelegte Studie, bilden bis heute die Ausnahme.2
Freikirchen und Christliche Sondergemeinschaften Die schwerpunktmäßige Verlagerung auf das institutionalisierte Christentum hat dazu geführt, dass die Untersuchung christlicher Sondergemeinschaften in der DDR quantitativ eher in den Hintergrund getreten ist. Eine Ausnahme bilden in mancher Hinsicht die Zeugen Jehovas, deren Analyse sich jedoch ähnlich wie im Falle der christlichen Kirchen auf das Verhältnis zum Staat, besonders auf Verfolgung und Bespitzelung, konzentriert (vgl. Hacke 2000; Gursky 2003; Hirch 2003; sowie aus juristischer Perspektive Dirksen 2001). Dies ist angesichts der Tatsache, dass die Organisation bereits 1950 verboten wurde, verständlich. Dennoch hinterlässt dieser Fokus ein bislang unberücksichtigt gebliebenes Forschungsfeld. Qualitative Untersuchungen zur gelebten Religiosität im Alltag, wie die des Soziologen und Kulturwissenschaftlers Robert Schmidt, bilden die Ausnahme (vgl. ders. 2003). Jedoch legt auch diese Arbeit maßgeblich das Thema Macht-Unterwerfung zugrunde, indem sich der Verfasser auf die Analyse der Auseinandersetzung um den öffentlichen (politischen) Raum konzentriert. Untersucht werden die SED-Kirchenpolitik, der staatliche Umgang mit Freikirchen und kleinen Religionsgemeinschaften sowie deren Beobachtung durch das MfS.
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Auch die Freikirchen in der DDR sind längst nicht hinreichend erforscht, wenngleich es neben älteren Studien, die z.T. noch vor 1989 entstanden sind, einige neuere Untersuchungen gibt. Einen nach wie vor grundlegenden Beitrag bildet das 1987 von Hubert Kirchner herausgegebene Handbuch Freikirchen und konfessionelle Minderheitskirchen in der DDR. Auch der schmale Band Kirchen, Freikirchen und Religionsgemeinschaften aus dem Jahr 1989, ebenso von Kirchner herausgegeben, beinhaltet Artikel, die zur Erforschung der Vielfalt des Christentums in der DDR beitragen. Allerdings sind die Texte unterschiedlich motiviert: Während sich drei der insgesamt vier Beiträge eher aus ökumenischer und programmatisch-theologischer Perspektive mit den Landes- und Freikirchen bzw. mit der Vielfalt innerhalb der Landeskirchen beschäftigen, ist die Analyse des inzwischen emeritierten Hallenser Professors für Ökumenik neuen Rechts, Konfessionskunde und Religionswissenschaft, Helmut Obst, stärker religionsgeschichtlich und empirisch angelegt. Auch die des Öfteren vom Autoren gemachten theologischen Bemerkungen sowie Kommentare zu den internen Auseinandersetzungen der Gruppen schmälern den Wert des Beitrages als ersten Überblick über die historischen Bedingungen der christlichen Pluralität in der DDR sowie ihrer Entwicklung nicht. Obst legt neben den Freikirchen unter anderem die Vielfalt der apostolischen Gemeinden, von denen die 1902 gegründete Gemeinschaft des göttlichen Sozialismus – Apostelamt Juda die kleinste in der DDR bildete, dar. Außerdem erwähnt werden die Mormonen, deren Bedeutung zahlenmäßig eher gering ist. Allerdings trat die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage seit Beginn der 1980er Jahre verstärkt in der Öffentlichkeit in Erscheinung. Die 1985 vollzogene Tempeleinweihung in Freiberg war die erste in einem sozialistischen Land überhaupt. Sie wurde begleitet vom regen Interesse der Bevölkerung: Noch vor der Weihe besuchten laut Obst innerhalb kürzester Zeit 100.000 Menschen den Tempel (vgl. ders., 1989, 52f). Daneben thematisiert der Autor die Siebenten-Tags-Adventistenund Zeugen Jehovas sowie eine Reihe kleiner lokaler Gruppen, bspw. aus dem Erzgebirge. Mit dem
Hinweis
auf
hauskreisähnliche
Gemeinschaften
werden
außerdem
privatreligiöse Strukturen angesprochen. Eines bleibt abschließend anzumerken: Der Sache entsprechender wäre ein Titel gewesen, der von vornherein die Erwartung, etwas zur Erforschung der religiösen Pluralität in der DDR Vol. III • 01/2008
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beizutragen, wie der erste Satz auf S. 46 evoziert, vermeidet. Am Ende seines Beitrages nennt Obst weiterführende Literatur, die jedoch für die hier angesprochene Fragestellung nur begrenzt brauchbar ist.3 Des Weiteren existiert neben einer älteren Selbstdarstellung zum Thema Freikirchen (Lorenz 1986) die neuere Materialsammlung des Baptistenpastors Reinhard Assmann (2004), der bereits 1994 in der Zeitschrift Freikirchenforschung einen Artikel zum damaligen Wissensstand veröffentlichte. Einen weiteren Baustein für die Aufarbeitung der Geschichte der Freikirchen liefert die Untersuchung von Lothar Beaupain (2001), die jedoch auf Grund ihrer Innenperspektive – Beaupain weist sich selbst als Mitglied einer freikirchlichen Gemeinschaft aus – in verschiedener Hinsicht problematisch ist. Jedoch macht der Autor zahlreiches Quellenmaterial zugänglich und trägt damit zur kirchenhistorisch orientierten Forschung gewinnbringend bei. Einzeluntersuchungen zu den religiösen Gruppierungen gibt es jedoch kaum. Zudem sind die vorhandenen Beiträge zumeist weniger deskriptiv und mehr aus der Perspektive von religiös Beteiligten verfasst (vgl. Kirchner 1986; Stepper 1995; Röder 2007). Die Arbeit von Frank Stepper zur Geschichte der charismatischen Bewegung mag hierfür als Beispiel dienen: Zwar bezieht der Autor als einer der wenigen die DDR mit ein. Im Vordergrund der durch großes theologisches Engagement gekennzeichneten Untersuchung steht jedoch eher die Beschreibung von Gemeindeentwicklung und theologischen Positionen der einzelnen Pfarrer, die offenbar mit Hilfe von Interviews ermittelt wurden. Genaueres muss ungeklärt bleiben, weil der Verfasser darauf verweist, aus Datenschutzgründen sämtliche Interviewkassetten und Abschriften vernichtet zu haben. Der 2007 erschienene und von Christoph Raedel herausgegebene Sammelband Methodismus und charismatische Bewegung. Historische, theologische und hymnologische Beiträge enthält immerhin einen Aufsatz zur Situation in der DDR, geschrieben von dem evangelisch-methodistischen Pastor und Mitglied des Kirchenvorstandes der EmK, Thomas Röder. Eine ältere Publikation von 1980 in der Reihe der EZW-Texte liefert erste Einblicke in die Arbeit und Organisation der charismatischen Gemeinden der DDR. Darin beschäftigt sich der – unbekannte – Autor mit einer Projektstudie, die der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR zur Erforschung der charismatiVol. III • 01/2008
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schen Bewegung 1977 in Auftrag gegeben hat. Deren Ergebnis war die 71-seitige, 1979 erschienene Publikation Kirche und charismatische Erneuerung – über Chancen und Probleme der Bewegung in unseren Kirchen. Nach Einschätzung des Autors entbehrt diese Projektstudie jedoch jeglicher Repräsentativität, weil sie in »zu geringem Umfang« (S. 2) durchgeführt worden sei. Sowohl ihr Inhalt als auch die Form der EZW-Publikation lassen keinen Zweifel an der kirchlichtheologischen Interessenlage der Studie. So wird aus dem Vorwort des Projektes zitiert: »Diese Studie ist [...] ein gezielter, theologisch verantworteter Beitrag in dem notwendigen Gespräch zwischen Kirche und charismatischer Bewegung.« Auf dieser Ebene verbleibt letztlich auch die Argumentation des unbekannten Autoren. Gewinnbringend ist jedoch die Bestandsaufnahme der existierenden Gruppen und ihre geographische Verbreitung in der DDR bis zum Ende der 1970er Jahre sowie die Beschreibung der Organisationsstrukturen und Kontakte zu ausländischen Gemeinden. Die Projektgruppe konnte anhand von Besuchen, teilnehmender Beobachtung, Interviews und Quellenanalyse Einblicke in Entstehung und Entwicklung sowie Alltagsreligiosität gewinnen. Die Verortung der religiösen Gruppierungen in der sozialistischen Gesellschaft sowie damit verbundene Probleme wurden in der Studie offenbar nur am Rande thematisiert. Der EZW-Text spielt jedenfalls eher in allgemein gehaltenen Äußerungen auf das schwierige Verhältnis von Religionsgemeinschaften und Staat an. Im Fazit heißt es beispielsweise, der Erfolg der Bewegung sei auf ihre oppositionelle Haltung gegenüber »Säkularisierungstendenzen« und dem »Unbehagen [...] an der Dominanz rationalen Denkens und der wissenschaftlich-technischen Weltbewältigung« zurückzuführen. Außerdem stütze die Bewegung den Einzelnen durch ihren exklusiven Charakter, der das Gefühl des Auserwähltseins vermittele, während sich »der Gemeindechrist im Umfeld atheistischer Überzeugungen« häufig von den kirchlichen und theologischen Autoritäten im Stich gelassen« fühle (vgl. S. 34). Als Spezifikum der religiösen Gemeinschaft benennt der Autor abschließend deren innere Vielfalt: Im Gegensatz zum Ausland habe die charismatische Bewegung der DDR sämtliche religiöse Neuorientierungen der Jugend aufgefangen und verfüge deshalb über größere Pluralität als dies in anderen Ländern der Fall sei.
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Letztlich macht das nachvollziehbare Interesse der Studie an der Förderung des Dialogs zwischen charismatischer Bewegung und Landeskirchen in der DDR die Untersuchung für eine religionshistorische Fragestellung nur bedingt brauchbar. Um die Erforschung der Adventgemeinden hat sich Manfred Böttcher (2001; 2006; 2007) verdient gemacht. Dessen jüngst erschienene Überblicksarbeit ist eines der wenigen Werke der Sekundärliteratur zu diesem Thema, wenngleich auch diese Studie unter die Kategorie Selbstdarstellungen fällt. Auch die Forschung zum Methodismus befindet sich noch am Anfang, Einzeluntersuchungen gibt es bislang nicht. Neben einem Vortrag zum Selbstverständnis der Evangelisch-methodistischen Kirche im Sozialismus, abgedruckt in einer Festschrift (Weyer 1993), existiert lediglich eine Materialsammlung (Weyer 1997). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die traditionelle christliche Pluralität auch in der DDR Bestand hatte. Dies kann freilich kein Indiz für eine insgesamt plurale religiöse Landschaft sein. Im Sinne des religionswissenschaftlichen Vergleichs mag sie jedoch dazu anregen, zumindest nach außerchristlichen Religionen und religiösen Gemeinschaften in der DDR zu fragen. Dies geschieht in dem Bewusstsein darüber, dass ihre Entstehung und Entwicklung ungleich schwierigeren – oder anders formuliert – anderen Bedingungen unterlag, als dies in nicht-sozialistischen Ländern der Fall war. Im folgenden Teil werden Forschungsarbeiten oder Quellen zusammengetragen, die sich mit nicht-christlichen Religionen in der DDR beschäftigen und somit Anknüpfungspunkte für zukünftige Untersuchungen bieten können.
Judentum und jüdische Gemeinden Der Erkenntnisse zum Judentum in der DDR könnten als vergleichsweise gut bezeichnet werden. Allerdings stammen die vorhandenen Arbeiten zumeist aus der Geschichtswissenschaft. Aus religionswissenschaftlicher Perspektive ist bislang keine Analyse erfolgt. Problemorientierte Untersuchungen konzentrieren sich häufig auf folgende Themenbereiche: (kultur-)politische Zusammenhänge, z.B. das Verhältnis zu Partei und Staat (Richarz 1986; Mertens 1997; Offenberg 1998; Zuckermann 2002; Schatzker 1994), Restitution und Entschädigung (stellvertreVol. III • 01/2008
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tend: Groehler 1994; Spannuth 2007) oder Gedenken an nationalsozialistische Verbrechen (Schmid 2004). Historisch angelegte Überblicksarbeiten, wie die von Vincent von Wroblewsky (1993), sind eher selten. Die im letzten Jahr erschienene Studie von Stephanie Tauchert ist eine der wenigen, die sich nicht mit dem Judentum als institutioneller Einheit oder politischem Gegenüber beschäftigt, sondern die Frage nach jüdischer Identität aus historischer Perspektive beleuchtet. Bislang, so Tauchert, sei die Frage nach jüdischem Selbstverständnis vor allem Teil eines selbstreflexiven Diskurses, einer
»Selbstverständigungsdebatte«, gewesen (vgl. dies. 2007, 20).
Die vergleichende Perspektive der Autorin, die die jeweils unterschiedlichen gesellschaftlichen Voraussetzungen berücksichtigt, ermöglicht den Blick auf die Vielfalt dessen, was sich an jüdischer Identität nach 1945 in den zwei deutschen Staaten herausgebildet hat. Dass dabei dezidiert auf Religion als Faktor jüdischen Bewusstseins eingegangen wird, macht die Studie besonders für Religionswissenschaftler interessant. Zum Schluss ist noch eine Untersuchung zu erwähnen, die buchstäblich nach der DDR-Erfahrung jüdischer Bürger fragt. Kurz nach dem Fall der Berliner Mauer führte Vincent von Wroblewsky Interviews mit acht jüdischen Frauen und Männern, um sie nach ihrem Verhältnis zu einem Staat, der sich selbst als areligiös und antifaschistisch definierte, zu befragen. Die Untersuchung Eine unheimliche Liebe. Juden in der DDR (ders. 2001) ist auch deshalb von besonderem religionswissenschaftlichen Interesse, weil in ihr der Religionsbegriff problematisiert wird: Wroblewsky stellt implizit die berechtigte Frage, ob das, was bislang als Judentum in der DDR untersucht worden ist, überhaupt etwas mit Religion zu tun hat. Diejenigen, die in den ersten Nachkriegsjahren aus verschiedenen Gründen in die Sowjetische Besatzungszone zurückkehrten, waren zwar jüdischer Herkunft. Jüdische Religion und Kultur war den meisten jedoch vollkommen fremd. Eine religionswissenschaftliche Untersuchung könnte hier weitere Anknüpfungspunkte finden und ähnlich wie bei Tauchert der Frage nachgehen, was jüdische Religiosität in der DDR ausgemacht hat.
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Islam Derzeit gibt es weder eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Islam in der DDR, noch wird in der Literatur der Frage nach einer möglichen Existenz von Muslimen im Realsozialismus ernsthaft nachgegangen. Einer der wenigen Hinweise zu dieser Problemstellung findet sich im Rahmen einer von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebenen Expertise zum Islam in Deutschland. Der Autor Thomas Lemmen streift das Thema, indem er betont, dass die in der ehemaligen DDR tätig gewesenen ausländischen Arbeitnehmer und Studenten »überwiegend aus befreundeten sozialistischen Staaten« stammten, jedoch nur »sehr selten« aus muslimischen Ländern kamen. Weiter heißt es: »Aus Zeiten der DDR sind keine nennenswerten muslimischen Aktivitäten bekannt« (vgl. Lemmen 2000, 20). Diesem Urteil entsprechend finden sich im Literaturverzeichnis keine konkreten Angaben. Allerdings bietet der Verweis von Lemmen auf die Islamische Religionsgemeinschaft der DDR einen konkreteren Anknüpfungspunkt. Die im Zuge der politischen Umwälzungen 1990 in Ostberlin entstandene Gemeinschaft bot in der Vergangenheit viel Stoff zur Auseinandersetzung. Grund dafür bildete die Diskussion um eine beträchtliche Geldspende aus dem SED-Parteivermögen, das die PDS dem damaligen Vorsitzenden der gerade erst gegründeten Religionsgemeinschaft, Abdel Majid Younes, Ende Mai 1990 gespendet hatte. Die Kontroverse um die Spendenaffäre ist in diesem Zusammenhang nicht weiter interessant. Entscheidend ist vielmehr, dass in der Diskussion mehrfach der Hinweis auf zu diesem Zeitpunkt in Ostberlin und der DDR lebende Muslime auftaucht. Allerdings sind die Zahlenangaben sehr unterschiedlich. Thomas Lemmen spricht beispielsweise von »einige[n] wenige[n]« (ders. 2000, 20), während an anderer Stelle von der – hochgegriffen erscheinenden – Zahl von 40.000 die Rede ist.4 Genaueres ist derzeit nicht eruierbar und muss zukünftiger Forschung überlassen werden. Es gibt jedoch weitere Indizien, die für eine zumindest temporäre Präsenz von Muslimen in der DDR sprechen: Tatsache ist, dass die Deutsche Demokratische Republik ausländische Vertragsarbeiter beschäftigte und fremde Studierende aufnahm, von denen einige aus muslimischen Ländern kamen.5 Gegenwärtig liegt auch dieses Forschungsfeld brach, das ebenso zur Klärung der Frage, ob es in der
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DDR Buddhisten oder Hindus gegeben hat, beitragen könnte. Bislang gibt es nur sehr wenig Literatur, die sich überhaupt mit dem Thema Ausländer/Fremdarbeiter im Realsozialismus auseinandersetzt. Der Journalist Landolf Scherzer, der noch zu DDR-Zeiten etliche dokumentarische Berichte zu unterschiedlichen politischen und gesellschaftlich relevanten Themen in der DDR produzierte, hatte 1982 eine Reportage über die Situation mosambikischer Vertragsarbeiter geplant. Zu diesem Zweck wurden Interviews geführt, die die skandalösen Verhältnisse, unter denen die Menschen leben mussten, offenbarten. Die offiziell als Freunde geltenden Arbeitskräfte sollten in der DDR die Schulden ihres Staates abarbeiten. Sie lebten zumeist isoliert und von der Außenwelt angefeindet. Es wundert nicht, dass dieses Material nicht gedruckt wurde. Erst zwanzig Jahre später führte Scherzer erneut Gespräche mit den verbliebenen Mosambikanern und veröffentlichte schließlich die Protokolle (Scherzer 2002). Die Publikation wurde nicht näher bearbeitet und kann insofern nur als Material für eine Untersuchung zur gelebten Religiosität von Fremdarbeitern hinzugezogen werden. Wie hoch der Anteil an muslimischen Arbeitnehmern unter ihnen war, ist von vornherein schwer einzuschätzen und müsste genau geprüft werden.6 Daneben existiert ein jüngst erschienener Erfahrungsbericht von Leonel Cala Fuentes, der allerdings die Situation und Erfahrungswelt kubanischer Fremdarbeiter in der DDR schildert. Neben diesem Interviewmaterial ist auch eine von Marianne Krüger-Potratz herausgegebene Untersuchung zu Minderheiten in der DDR erschienen (1991). Während die Arbeitskräftekooperationen mit anderen sozialistischen Ländern, den sogenannten RGW-Ländern (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe), bekannt sein dürfte, verweist die Autorin auch auf weniger bekannte Verträge, z.B. mit der Türkei. Weiterhin ist ein Aufsatz von Patrice Pourtrus zum Thema Ausländer in der DDR erschienen (2005), der in Zusammenhang mit der Ausstellung Zuwanderungsland Deutschland. Migrationen 1500-2005, die vom 22. Oktober 2005 bis 12. Februar 2006 im Deutschen Historischen Museum entstand. Die Ausstellung thematisierte u.a. Vertragsarbeiter und ausländische Studierende in der DDR (vgl. www.dhm.de). Insgesamt gesehen existieren jedoch keine Forschungsarbeiten zum gelebten Islam in der DDR. Es gibt drei noch vor 1991 auf ostdeutschem Gebiet entstandene Untersuchungen, die sich aber auf vorhandene Exponate und Quellen Vol. III • 01/2008
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sowie deren Ausstellung beziehen: Karin Rührdanz untersucht in ihrer Habilitation (1985) die Entwicklung persischer Manuskriptillustrationen in der Zeit vom 14. bis 16. Jahrhundert. Sie geht dabei besonders auf die in der DDR in Museen und Bibliotheken vorhandenen Materialien ein. Der von dem Hallenser Archäologen Burchard Brentjes herausgegebene Sammelband Islamische Kunst in Museen und Sammlungen der DDR (1990) ist das Ergebnis einer Tagung der Orientwissenschaft in Halle. Thomas Tunsch untersucht in seiner Dissertation die Tradition mamlukischer Buchkunst in Berliner Museen (ders. 1990). Einen möglichen Ansatzpunkt könnte auch die ostdeutsche Islamforschung selbst bieten, aus der sich womöglich interessante Hinweise extrahieren lassen. Die Dissertation von Kai Hafez zur Orientwissenschaft in der DDR (1995) beinhaltet jedenfalls einige wertvolle Spuren: Auf der einen Seite profitierte die DDR vom Islam als Forschungsfeld und dem Prestige der ostdeutschen Orientwissenschaft, andererseits gestaltete sich das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Staat stets problematisch. Dass dieser Drahtseilakt auch für die politische Führung bestand, wird daran deutlich, dass die DDR ihre ausgebildeten Orientwissenschaftler keineswegs für philologische Studien, wie man hätte vermuten können, sondern vor allem für konkrete Berufsfelder einsetzte. Als Beispiele sind die Dienste als Botschafter oder Entwicklungshelfer in sozialistischen »Bruderländern« zu nennen. Spätestens in diesem berufspraktischen Bereich stellt sich die Frage nach einem Islam in der DDR neu, auf die Hafez in seiner Arbeit jedoch nicht zu sprechen kommt. Deshalb muss die Überlegung, ob sich im Rahmen von Orientwissenschaft oder bestimmten Berufsfeldern ein direkter Kontakt mit dem Islam innerhalb der DDR ergeben konnte, spekulativ bleiben. Insgesamt müssen Forschungen zum Thema Muslime in der DDR verschiedene Quellenbestände und sogenannte »graue« Literatur berücksichtigen: Die ostdeutsche Orientwissenschaft kann beispielsweise Erkenntnisse zum akademischen Diskurs über die historische Entwicklung des Islam in verschiedenen Ländern, politische und gesellschaftliche Zusammenhänge oder das Verhältnis der ostdeutschen Orientwissenschaft zu ihren Nachbardisziplinen oder ausländischen Kollegen liefern. Vermutlich wird sie allerdings weniger zur gelebten Religiosität in der DDR beitragen können. Vol. III • 01/2008
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Bei der Erfassung des vorhandenen Materialbestandes zu Fremdarbeitern oder ausländischen Studierenden könnten Bezüge zu Religion entdeckt werden. Als Quellen kämen beispielsweise Gesetzestexte und andere juristische und politische Dokumente oder Aktenbestände in Archiven bzw. Universitäten in Frage, die nachweislich ausländische Studierende aufgenommen hatten. Zwingend ist in jedem Fall die Suche nach Zeitzeugen, deren Erfahrungsberichte das einzige konkrete und damit unverzichtbare Material bietet.
Hinduismus und Buddhismus Ähnliches wie für den Bereich Islam trifft auch für den Buddhismus und Hinduismus in der DDR zu, die im Folgenden gemeinsam behandelt werden. Abgesehen davon, dass ein eigentlicher Forschungsstand zum Thema hier noch viel weniger existiert, sind konkretere, wissenschaftlich belegte Hinweise auf in der DDR lebende Buddhisten oder Hindus eher spärlich. Martin Baumann geht in seiner 1993 erschienenen Studie Deutsche Buddhisten an einigen Stellen auf die Situation in der DDR ein. Zumeist wird jedoch darauf verwiesen, dass es keine nennenswerten buddhistischen Aktivitäten gegeben habe (vgl. ders. 1993, 73, 229). Später werden in einem kurzen Abschnitt aber etwas genauere Angaben zu den bestandenen informellen Kontakten gemacht. Dort heißt es: »In der DDR rief 1981 Udeno (Wolfgang Schüler, geb. 1933) in Leipzig einen, !Arbeitskreis für Yoga und klassische Medizin" ins Leben. Udeno war 1963 im, !Haus der Stille" ordiniert worden und lebte seit 1967 in Leipzig. Ende der achtziger Jahre waren in Ost-Berlin, Dresden und Thüringen Zen-Gruppen verzeichnet; Lassalle veranstaltete jährlich im Eichsfeld eine Zen-Woche, Ole Nydahl betreute in Ost-Berlin eine Karma-Kagyüpa-Gruppe. In Cottbus existiert seit 1989 eine Zweigsitzhalle der Kin-Mo-Kutsu, der Sitzhalle von Mumon-Kai um Sotetsu Yuzen Sensei (Berlin). In Rostock gründete der ehemalige Pfarrer Ullrich Teipel (geb. 1951) 1991 das !Institut für Buddhismus und Esoterik, in dem neben buddhistischen Seminaren auch ein Ausbildungsgang zum, !psychologisch-ganzheitlichen Lebensberater" angeboten wird.« (S. 107)
Aus der Kartographie im Anhang geht hervor, dass buddhistische Aktivitäten in der DDR offiziell erst ab 1985 in Form einer einzigen Gruppe in Leipzig nachweisbar sind (vgl. S. 428). Für das Jahr 1991 sind allerdings mehrere Gemein-
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schaften verzeichnet (vgl. S. 429). Dies dürfte auch damit zusammenhängen, dass sich die Informationsmöglichkeiten mit dem Ende der DDR ungleich verbessert haben. Insgesamt gesehen findet der Buddhismus im Realsozialismus in der Baumann`schen Studie wenig Berücksichtigung, weil er nur schwerlich zum Hauptthema einer Grundlagenuntersuchung gemacht werden kann, die sich der bis dahin vernachlässigten Genese des Buddhismus in Deutschland widmet und nach Geschichte und Organisationsstrukturen, vor allem aber nach der deutschen Buddhismusrezeption fragt. Die Untersuchung der Minderheit einer Minderheit findet in den Arbeiten zur historischen Entwicklung des Buddhismus in Deutschland eine wichtige Grundlage. Die direkte Frage nach gelebtem Buddhismus in der DDR wird in einem Artikel der Zeitschrift Buddhismus heute angesprochen. Der Beitrag des Autors Michael den Hoet ist eher im Stil eines Erfahrungsberichtes verfasst. Eingegangen wird beispielsweise auf die angesichts der eingeschränkten Reisefreiheiten und Informationsmöglichkeiten schwierigen Bedingungen, unter denen das Erlernen von Meditationstechniken stattgefunden hat. Des Weiteren erzählt den Hoet von Ende der 1980er Jahre durch heimliche Kontakte mit dem Westen entstandenen kleinen Meditationsgruppen. Geschildert werden persönliche Erfahrungen mit einer Mahayana-Gemeinschaft in Potsdam sowie einem Zen-Meditationskreis in Ostberlin. Wie sich später herausstellte, seien beide vom Ministerium für Staatssicherheit abgehört worden. Diese Äußerung verdeutlicht einmal mehr, dass auch die Unterlagen verschiedener Archive aus DDR-Zeiten für die Untersuchung von Religionen und Religionsgemeinschaften in Betracht zu ziehen sind. Neben den Beständen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) müssen die umfangreichen Materialien des Staatssekretariats für Kirchenfragen (StfK) sowie das Robert-Havemann-Archiv, das neben persönlichen Dokumenten aus dem Nachlass des ehemaligen Anhängers und späteren Dissidenten des DDRRegimes auch Volksgerichtshofs-, SED- und MfS-Akten enthält, zu Rate gezogen werden. Neben diesen beiden Informationsquellen zu Deutschen Buddhisten in der DDR sollte auch der Frage nach einem durch Arbeitsmigration entstandenen buddhistischen Bevölkerungsteil der DDR nachgegangen werden. Hierfür bietet die Vol. III • 01/2008
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Ausländer- und Migrationsforschung weiterführende Anknüpfungspunkte (vgl. Möggenburg 1996; Freytag 1998). In einer neueren Publikation, dem Themenheft Entwicklung durch Migration der Reihe Aus Politik und Zeitgeschichte vom Juli 2005, widmet sich der Aufsatz der Sozialpädagogin Karin Weiß den vietnamesischen Vertragsarbeitern in der DDR. Er fasst die Ergebnisse eines von 2002 bis 2005 an der Universität Wolverhampton, Großbritannien, durchgeführten Forschungsprojektes zusammen. Allerdings haben alle der drei genannten Beiträge eines gemeinsam: In keinem von ihnen wird die konkrete Frage nach Religion gestellt. Diese lässt sich allerhöchstens »zwischen den Zeilen“, im zumeist verwendeten Kulturbegriff, aufspüren. So heißt es bei Weiß: »Trotz der ständigen Aufsicht und Überwachung entwickelten sich informelle Netzwerke, mit denen sowohl soziale als auch ökonomische Ziele verfolgt wurden und die sogar über überregionale Strukturen verfügten. Neben der Funktion, die restriktiven Lebensbedingungen in den Wohnheimen zu erleichtern und dringend benötigte Nebenerwerbsquellen zu erschließen, boten sie sowohl die Möglichkeit zur Pflege der eigenen Kultur als auch Schutz vor ablehnenden Reaktionen von Seiten der deutschen Bevölkerung, die es trotz der offiziellen Freundschafts- und Solidaritätserklärungen immer wieder gab.« (dies. 2005, 28)
Nun mag die Vernachlässigung der Frage nach Religion im Fall der vietnamesischen Vertragsarbeiter mit dem Umstand zusammenhängen, dass Vietnam als sozialistisches Bruderland weitestgehend als areligiös galt bzw. wahrgenommen wurde. Abgesehen davon, dass eine genauere Untersuchung mit der Schwierigkeit einer klaren Differenzierung von »Kultur« und »Religion« konfrontiert werden müsste, ist zu vermuten, dass religiöse Aktivitäten weitestgehend im Privatbereich stattfanden und infolgedessen durch Interviews mit entsprechendem Personenkreis ermittelt werden müssen. Auch die akademische Beschäftigung mit Buddhismus und Hinduismus hatte in der universitären Landschaft der DDR ihren Platz: Leipzig zählte zu den traditionsreichen Standorten für das Fach Indologie, ab 1960 kam die Tibetologie hinzu. In Halle-Wittenberg gründete Heinz Mode, von 1948-1978 Professor für Orientalische Archäologie, im Jahr 1966 die Arbeitsgemeinschaft für Buddhistische Forschungen in der DDR.
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Neben der Untersuchung der wissenschaftlichen Rezeptionsgeschichten von Buddhismus und Hinduismus könnte auch die Außenpolitik der DDR und ihre diplomatischen Beziehungen zu entsprechenden Ländern weitere Bausteine liefern. Bislang ist ungeklärt, in welchem Maß die ab 1970 intensivierten diplomatischen Kontakte zwischen der DDR und Indien, die u.a. Generalkonsulate in den Hauptstädten beider Länder einzurichten beinhalteten, zu einem Personen- und vor allem Kulturaustausch führten, den es religionswissenschaftlich zu bearbeiten lohnt.
Neue Religiöse Bewegungen Zum Schluss sollen noch einige Bemerkungen zu Neuen Religiösen Bewegungen in der DDR gemacht werden. Der Forschungsstand dazu ist rasch referiert. In den meisten Fällen finden neureligiöse Gruppierungen immer dann Erwähnung, wenn es um den Hinweis geht, dass sie in der DDR eben nicht oder so gut wie nicht existiert hätten. Häufig geschieht dies in Form einer Randnotiz, wenn im Rahmen von Untersuchungen zur religiösen Lage in den neuen Bundesländern kurz Stellung zur Situation in der DDR genommen wird. Die Aussage Detlef Pollacks im einleitenden Aufsatz zu dem Sammelband Religiöser Wandel in den postkommunistischen Ländern Ost- und Mitteleuropas mag dies verdeutlichen: »In der DDR gab es so gut wie keine neureligiösen Gruppierungen. Die Zahl der Bhagwan- und Krishna-Anhänger, die es gab, blieb auf wenige Dutzend beschränkt. Ihre Zulassung, um die sie sich seit 1981 mehrfach bemühten, wurde durch das Staatssekretariat für Kirchenfragen immer wieder entschlossen abgewehrt. Auch wenn es einige neureligiöse Gruppierungen bereits vor 1989 in den mittel- und osteuropäischen Ländern gab, handelte es sich insgesamt gesehen doch um ein Minderheitenphänomen« (Ders. 1998, 17)
Mit dem Hinweis auf das Staatssekretariat für Kirchenfragen liefert diese kurze Passage dem Leser jedoch auch Anhaltspunkte für die Sichtung weiterführender Quellen. Auf der Suche nach zusätzlicher wissenschaftlicher Literatur bietet der Artikel von Helmut Obst Zwischen Geistheilung und Konsum. Religion nach dem einst existierenden Sozialismus (1992) Orientierung. Der Beitrag ist in den diskursiven Rahmen um die nach dem Mauerfall einsetzenden erhitzten Debatten um die
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Verbreitung von »Sekten« und »Psychogruppen« in den neuen Bundesländern einzuordnen. Thematisch geht es zwar vornehmlich um die Wende- und frühe Nachwendezeit. Für die Analyse geht Obst aber auf die Verhältnisse in der DDR ein. Er ist einer der wenigen, der bereits früh erkannte, dass die These des durch den Zusammenbruch des Systems all seiner Werte beraubten, sich in einem SinnVakuum befindenden und daher »sektenanfälligen« DDR-Bürgers unhaltbar ist. Den Ausgangspunkt für die Rückschau auf DDR-Verhältnisse bildet die Frage, ob und – wenn ja – welche religiöse Gemeinschaft bzw. Richtung vom Zusammenbruch des Regimes profitierte. Für die Lage von 1989 hält Obst die Konfrontation zweier sich gegenüberstehender, minoritärer Gruppen für konstitutiv. Gemeint sind die überzeugten Sozialisten auf der einen, das »christliche Lager« (S. 9) auf der anderen Seite. Auf der Suche nach einem eindeutigen Gewinner unter den Gruppen stellt der Autor fest, dass weder christliche Kirchen noch Sondergemeinschaften oder Jugendreligionen, die immerhin von einer Art ExotismusBonus profitieren, zu den »Erben der weltanschaulichen Konkursmasse aus dem Zusammenbruch des Sozialismus« gehörten (S. 10). Nutznießer sei zwar zweifelsfrei die New-Age- und Esoterikbewegung, doch auch sie könne letztlich keine bahnbrechenden Missionserfolge verzeichnen. So kommt der Autor zu dem naheliegenden Schluss, dass die Gewinner der Einheit nicht auf der Ebene der Religionen, sondern im Bereich der Wirtschaft zu suchen seien. Am meisten profitiert hat – so das Fazit – der »westliche Konsummaterialismus, der auf weltanschauliche Deutungen von vornherein verzichtet.« (S. 11) Frank Usarski bezieht sich in seinem Aufsatz zur alternativen Religiosität in Ostdeutschland (ders. 2000, 310–327) indirekt auf die Situation in der DDR, indem auch er die Frage nach dem mangelnden Erfolg neureligiöser Bewegungen in der Nachwendezeit zu begründen versucht. Das alternative Feld wird auf wenige Anhänger begrenzt: von einem Dutzend heimlicher TM-Absolventen in Kleinmachnow (südwestlich von Berlin), einigen Bhagwan-Anhängern in Dresden, Thüringen und Ostberlin, vereinzelten Schülern hinduistischer Gruppen sowie einer geringen Anhängerschaft der Vereinigungskirche ist die Rede (vgl. S. 318f). Bei der Deutung der Ergebnisse bezieht Usarski sowohl defizitäre Bedingungen auf Seiten der neureligiösen Gruppierungen (mangelndes soziales Netzwerk, an das nach der Wende hätte angeknüpft werden können, fehlende Vol. III • 01/2008
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Bewerbung) als auch auf Seiten der Adressaten ein (fehlendes religiöses Interesse, Bedürfnis nach Anpassung an »westdeutsche Alltagswirklichkeit« bzw. Normalität). Der Gewinn von Usarskis Untersuchung für das Thema Neue Religiöse Bewegungen in der DDR bleibt leider auf die genannten Textstellen beschränkt. Zwar bietet die im Verzeichnis angegebene Literatur vereinzelt Hinweise auf weiterführende Informationen zur Situation im Realsozialismus. Diese stammen allerdings aus nicht-wissenschaftlichen Quellen. Ein Beitrag Roland Walters, ehemaliges, 1989 auf Grund politischer Differ– enzen in Ungnade gefallenes Kreisleitungsmitglied der FDJ, später Mitbegründer der Dokumentationsstelle Sekten-Esoterik-Psychogruppen in Berlin, berichtet von der Existenz sogenannter Sekten in der DDR. In der seit 1989 in Telegraph umbenannten, ehemaligen Oppositionszeitschrift, die der alternativen Friedensbzw. Umwelt- und Dritte-Welt-Bewegung der DDR zuzuordnen ist, verfasste Walter 1994 den Artikel Sekten gab`s [sic!] in der DDR nicht... Hare Krishna im Osten (ders. 1994, 42-45). Dort ist von in der DDR lebenden Hare KrishnaAnhängern die Rede. Erwähnt wird der Gründer des ersten Tempels, Eberhard Matz, der 1980/81 zu diesem Zweck ein altes abrissreifes Haus in BerlinFriedrichshagen mietete. Walter gibt wichtige Hinweise, die die unterschiedlichen alltagspraktischen Lebensumstände der neureligiösen Szene in Ost und West verdeutlichen: In der DDR war es beispielsweise nicht möglich, ohne nachweisbares Einkommen oder Arbeitsstelle dauerhaft unbehelligt – also ohne wegen »Asozialität« juristisch belangt zu werden – zu leben. Auch die Staatssicherheit überwachte die verdächtig scheinenden Gruppen. Im Falle der Hare Krishna-Anhänger berichtet Walter von einer Ende 1981 durch Stasi und Staatsanwaltschaft durchgeführten Razzia. Nicht ohne Ironie wird von dem hilflosen Verhalten der Stasi berichtet, die die Gruppe aus Mangel an kundigen Spezialisten nicht einordnen konnte. Abgesehen von dem Vorwurf, durch den Besitz von Räucherstäbchen gegen das Drogen-Gesetz verstoßen zu haben, entließ die Stasi die ehemals festgenommenen, nun offiziell als Zeugen einer Vernehmung bezeichneten Anhänger. Die beschlagnahmten Unterlagen wurden bis auf eine fehlende Bhagavad-gita zurückgegeben, die, so der Autor, »offensichtlich als Fachliteratur [...]für die zwei Spezialisten, welche das MfS in der Folge eigens Vol. III • 01/2008
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für die kleine Krishna-Gruppe abgestellt hatte [benötigt wurde]« (S. 44). Außerdem sei ein weiterer Tempel in der ehemaligen Hausmeisterwohnung einer Kirche eingerichtet worden. Logischerweise bleiben sämtliche dieser Angaben wissenschaftlich unbelegt, so dass mit dem Text von Roland Walter eine dem persönlichen Erfahrungsbericht am nähesten kommende Quelle vorliegt. Es zeigt sich einmal mehr, dass die Befragung von Zeitzeugen für diesen Zusammenhang ein dringend notwendiges Mittel darstellt. Insgesamt existiert keine Analyse, die sich ausschließlich der Erforschung von Jugendreligionen bzw. neureligiösen Gemeinschaften in der DDR – nicht in den neuen Bundesländern – widmen würde. Abgesehen von den Artikeln von Pollack und Obst, die auf eine alternativ-religiöse Szene in der DDR zumindest einzugehen versuchen, konzentrieren sich die ab der Wendezeit entstandenen Beiträge ausnahmslos auf die religiöse bzw. kirchliche Entwicklung in den neuen Bundesländern. Die Fülle an Literatur sowie die in ihr geführten Auseinandersetzungen brauchen für diesen Zusammenhang nicht im Einzelnen wiedergegeben zu werden. Grundsätzlich sei nur soviel angemerkt: Die Erwartung einiger Zeitgenossen, Ostdeutschland werde nach dem Ende des sozialistischen Regimes zukünftig fruchtbaren Boden auch für blühende religiöse Landschaften bieten, wurde enttäuscht. Dabei schien die anfängliche Zuversicht durchaus plausibel: Bis auf das ohnehin katholische Polen war für alle anderen ehemaligen OstblockStaaten der Zusammenbruch des Kommunismus unmittelbar mit dem Wiedererstarken von Religion bzw. Kirche verbunden (vgl. Pollack 2000, 18). Die DDR bildete auch in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Tröstlich mag indes erscheinen, dass eine zuweilen befürchtete »Invasion der Seelenfänger« (Fincke 1996) gleichermaßen ausblieb.
Fazit und Ausblick Dass ein eigentlicher Forschungsstand zur religiösen Pluralität in der DDR nicht existiert, ist hinreichend deutlich geworden. Eine Überblicksdarstellung, die ausführlich auf nicht-christliche Religionen eingehen würde, bildet somit fast zwanzig Jahre nach der sogenannten Wende immer noch ein Desiderat. Das ist Vol. III • 01/2008
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auch deshalb bedauerlich, weil erst eine Analyse der religiösen Landschaft im Realsozialismus den historischen und transnationalen Vergleich mit anderen (sozialistischen) Staaten fundiert. In den vorhandenen Untersuchungen sind m.E. zwei wesentliche Deutungsmuster erkennbar. Die Religionsgeschichte der DDR bzw. die Geschichte einzelner religiöser Gruppen wird entweder als Opfergeschichte geschrieben in dem Sinne, dass
Religionsanhänger zu Verfolgten des Regimes wurden.
Prägnantes Beispiel dafür bieten die Zeugen Jehovas. Das andere Deutungsmoment lässt sich als eine Art Strategiegeschichte bezeichnen insofern, als hier vor allem die Taktik der religiösen Gemeinschaften im Umgang mit der Staatsmacht und die Gratwanderungen zwischen Anpassung und Eigenständigkeit thematisiert werden. In dem Überblick klang des Öfteren eine weitere, für die systematische Religionswissenschaft bedeutsame Fragestellung an: die Untersuchung des offiziellen Religionsbegriffes sowie der in der DDR geführten Religionsdiskurse. Beides ist für die Analyse der grundsätzlichen rechtlichen und gesellschaftlichen Stellung der religiösen Gemeinschaften von Belang. Die analog zum tagespolitischen Geschehen mögliche Wandelbarkeit des marxistischen Religionsverständnisses (vgl. Klohr 1993, 283; Thiede 1999) hatte spürbare Auswirkungen, wie die seit Ende der 1970er Jahre unter christlichen und marxistischen Historikern entflammte Diskussion um das Erbe der DDR zeigt. Deren akademische Konsequenz war die historisch konkretere Betrachtung von Religion(en). Auf realpolitischer Ebene führte die Einsicht, dass das Christentum eine bedeutende Rolle bei der Vermittlung des kulturellen Erbes spielte, dessen Einfluss bis in die Gegenwart reichte, zur Zusammenarbeit von Marxisten und Christen. Zur Planung und Vorbereitung der Feierlichkeiten anlässlich das 500. Geburtstags von Martin Luther im Jahr 1983 wurde das Martin-Luther-Komitee der DDR gegründet, in dem staatliche und kirchliche Vertreter mitarbeiteten. Die Voraussetzung für diese Zusammenarbeit war ein veränderter Religionsbegriff, der – so meine These – Religion vor allem als Teil von Kultur deutete und damit die gemeinsame »Erberezeption« (Thiede 1999, 40) ermöglichte. Dass dieser Wandel in der Einstellung von Atheismus und Religion seinen wesentlichen Ausgangspunkt in einer veränderten Religionstheorie hatte (so auch Thiede 1999, Vol. III • 01/2008
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64), spricht für eine vielfältigere theoretische Reflexion als vielfach angenommen. Demnach ist die Reduktion der ostdeutschen Religionsforschung auf Schlagworte wie »historischer Materialismus« oder »atheistische Religionskritik« ähnlich verkürzend, wie die Darstellung des Verhältnisses von Religionen und Staat anhand des Schemas Macht-Unterwerfung. Wie die Veränderungen des Religionsbegriffes indes zu deuten sind, ob sie sich beispielsweise als kulturwissenschaftliche Ansätze innerhalb der Religionsforschung der DDR beschreiben ließen, müsste freilich eingehender geprüft werden. Hilfreich
hierfür
ist
zweifellos
die
Analyse
des
Untersuchungsfeldes
Atheismus/Religionslosigkeit, das im gegebenen Forschungsüberblick nicht berücksichtigt wurde, weil es einen gesonderten Bereich darstellt. Die sich ergebenden möglichen Anknüpfungspunkte sollen hier jedoch wenigstens genannt werden. Für die Erforschung von Religionen in der DDR ist das Feld in dreierlei Hinsicht interessant: Erstens als Gegenstand der religionsgeschichtlichen Untersuchung; zweitens als wichtige Voraussetzung für die akademische Reflexion über Religion; drittens als Einflussfaktor in der Realpolitik. Zudem ist die Untersuchung von Atheismus und Religionslosigkeit auch für die gegenwärtige religionswissenschaftliche Forschung von Belang. Abgesehen von Untersuchungen zu Kirchlichkeit und Religiosität in den neuen Bundesländern spielt sie für die gesamte Auseinandersetzung zum Stellenwert von Religionen in der modernen Lebenswelt eine Rolle. In der aktuellen Diskussion tauchen zuweilen Fragen auf, die sich – zeitlich und gesellschaftlich versetzt – in vergleichbarer Form für die DDR ergeben haben. Auch wenn deren zuweilen programmatischer Atheismus sich nicht ohne weiteres mit Konzepten wie dem Laizismus in Frankreich vergleichen lässt, wird doch deutlich, dass die Auseinandersetzung um die Trennung von weltlicher und geistlicher Macht, von Kirche und Staat, ein wesentliches Moment der gesamten europäischen und nordamerikanischen Religionsgeschichte bildet. Zuletzt stellt sich die Frage, weshalb die Erforschung der religiösen Landschaft der DDR, den verschiedenen Anknüpfungspunkten, möglichen Fragestellungen und ihrem Aktualitätsbezug zum Trotz, bislang vernachlässigt wurde. Meine These dazu lautet, dass es sich dabei um die Spätfolgen des Wettlaufes der Systeme und die Auswirkungen eines erfolgreich popularisierten Selbstbildes der DDR handelt. In der Ost-West-Auseinandersetzung sind auf beiden Seiten Selbst- und Vol. III • 01/2008
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Fremdbilder diskursiv produziert worden, die jedoch insgesamt nur zum Teil erfolgreich verbreitet werden konnten. Während die Rede von der antifaschistischen DDR in der sich als antitotalitaristisch verstehenden Bundesrepublik gleichsam ihr Spiegelbild und ihre implizite Kritik an dem anderen deutschen Staat fand, handelt es sich bei der Vorstellung eines weitestgehend religionsfreien sozialistischen Staates um ein Stück bis heute erfolgreicher Propagandageschichte. Die Tatsache jedenfalls, dass das religiöse Feld der DDR auch gegenwärtig nicht zum Gegenstand religionswissenschaftlicher Untersuchungen geworden ist, scheint diese These zu stützen.
Die Autorin Anja Kirsch M.A., geb. 1980 in Hannover, Studium der Religionswissenschaft, Geschichte und Germanistik in Hannover (M.A. 2004) von Januar bis März Praktikum in einem hannoverschen Bestattungsunternehmen, dort von April 2005 bis August 2005 Tätigkeit als Sekretärin und Bestattungsrednerin; danach zwei Jahre in Jena als wiss. Hilfskraft bzw. Mitarbeiterin tätig. Seit September 2007 am Departement für Religionswissenschaft unter der Leitung von Prof. Jürgen Mohn, Universität Basel, als Assistentin tätig. Kontakt:
[email protected]
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Bei Pollack finden sich detailliertere Bemerkungen zum Forschungsstand Anfang der 1990er Jahre sowie der Verweis auf zwei seiner früheren Publikationen zum Thema, vgl. ders. 1988; 1989. Auch Dokumentationen zur religiösen Landschaft konzentrieren sich zumeist auf das Christentum, z.T. werden jüdische Gemeinden einbezogen, vgl. Maser 1992. Stellvertretend für weitere Studien mit sozialwissenschaftlichem Ansatz vgl. ders./Pickel 2000 (s. Anm. 1). Zur Akzeptanz des Religionsunterrichtes in den neuen Bundesländern vgl. Hanisch/Pollack 1997. Zur Veränderung der religiösen Landschaft in den postkommunistischen Ländern vgl. die Länderstudie Borowik/Jagodzinski/Pollack 1998. Die Arbeit Apostel und Propheten der Neuzeitenthält, wie der Titel bereits ankündigt, eine Untersuchung christlicher Religionsgemeinschaften sowie ihre Entstehungszusammenhänge im 19. und 20. Jahrhundert. Die DDR wird dabei kaum thematisiert, jedoch ist das Buch auf Grund seines religionsgeschichtlichen Ansatzes als wichtiges Hintergrundwissen für das Verständnis der später auch in der DDR existierenden christlichen Gruppierungen wichtig. Das von Jenssen/Trebs herausgegebene Theologische Lexikon ist hingegen eine bedeutende Quelle. Die einzelnen Artikel zum Christentum und zu christlichen Sondergemeinschaften beziehen sich mitunter auf die Situation in der DDR. Die Verweise auf nichtchristliche Religionen bleiben freilich klassisch religionsgeschichtlich motiviert. Dieser Nachweis ist problematisch: Auf der Internetseite des katholischen Religionslehrers und Politikwissenschaftlers Helmut Zenz (www.helmut-zenz.de) werden Zahlen genannt, die die Islamische Religionsgemeinschaft der DDR erhoben haben will. Demnach lebten 1987 in Ost- und Westdeutschland 1,655 Mio. Muslime. Im Februar 1990 sollen auf ostdeutschem Gebiet nach Auskunft derselben Gemeinschaft 40.000 Muslime gelebt haben. Bedauerlicherweise sind diese Zahlen nirgendwo belegt, so dass sie mit größter Vorsicht zu behandeln sind. Vgl. das sog. »Ausländer-Gesetz« der DDR vom 28. Juni 1979 sowie die Abkommen zwischen der DDR und anderen Ländern über die Entsendung von Vertragsarbeitern. Mosambik bietet plurale religiöse Verhältnisse, etwa 20% der Bevölkerung gehören dem Islam an. Insofern wäre durchaus denkbar, dass unter den Arbeitnehmern auch ein muslimischer Anteil zu verzeichnen ist.
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5 nach 12 in Hollywood – * Postapokalypse in modernen Medien
Anna Neumaier
Einleitung Katastrophen und Weltuntergangsszenarien sind im Film ein allgegenwärtiges Phänomen. Allenthalben bedrohen auf der Leinwand Meteoriten die Existenz der Erde oder zumindest der Menschheit oder greifen feindlich gesinnte Außerirdische die irdische Zivilisation an. Für die Religionswissenschaft hat dieses Genre der Endzeiterzählungen eine ganz eigene Faszination: Durch seine explizite oder implizite Nähe zur apokalyptischen Literatur in der Bibel und ihrem historischen Umfeld fordert es Fragen über die Anwendbarkeit religionswissenschaftlicher Modelle zur antiken Apokalyptik auf moderne Phänomene in den Massenmedien heraus. Dabei wird schnell ersichtlich, dass die Charakteristika der klassischen Apokalypsen nicht ohne Weiteres auf die modernen Endzeitszenarien zutreffen. In den Motiven wird man einige Übereinstimmungen entdecken: Feuer, das vom Himmel regnet oder Übellaunen der Natur lassen sich in Vertretern beider Gattungen finden. Die Struktur der Erzählung unterscheidet sich dabei aber oft grundlegend: Während die Katastrophen in den antiken Texten letztlich nur das Weltgericht und den Übergang in ein paradiesisches ewiges Zeitalter einleiten, ist für moderne Apokalypsen, wie sie etwa in Hollywood-Filmen gezeichnet werden, klar: Die Katastrophe bedeutet das Ende der Menschheit und muss durch aktives Handeln verhindert werden. Der Komet wird zerstört, die Aliens werden besiegt, die Apokalypse (im Sinne der Katastrophe) ist abgewendet. Doch gerade angesichts der knappen Errettung stellt sich die Frage: »Was wäre, wenn?« Dieser Frage verdankt ein zweites Genre seine Existenz das Verbindungen zur Apokalyptik aufweist: Wenn die Apokalypse die Katastrophe bezeichnet, dann ist die Schilderung dessen, was nach der Katastrophe stattfindet, die Postapokalypse. Die Filme dieses Genres1 beschreiben die Welt, in der die Katastrophe stattgefunden hat, in der nicht dank des heldenhaften Einsatzes der Menschen noch einmal alles gut gegangen ist. Vol. III • 01/2008
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Dabei ist der Begriff der Postapokalypse oder, häufiger anzutreffen, die Charakterisierung als postapokalyptisch, eine Fremdbeschreibung, die erst im Reden und Schreiben über die Filme auftaucht – die Einteilung wird nicht durch die Regisseure oder Filmproduzenten festgelegt, sondern findet sich in der journalistischen Analyse der Werke durch Rezensenten und Kritiker und in der wissenschaftlichen Literatur, die sich des so bezeichneten Feldes annimmt. Ähnliches gilt für die Apokalyptik in ihrer antiken wie in ihrer modernen Form. Die Bibelwissenschaft wählt den Begriff aus der Offenbarung des Johannes als Bezeichnung für eine ganze Gattung religiöser Literatur, deren Grenzen sie, wie noch ausgeführt wird, erst im Nachhinein abstecken muss. Aufgrund weniger systematischer Kategorisierungen greift auch die moderne Medienlandschaft Elemente aus der Johannesoffenbarung heraus, um danach Werke als apokalyptisch zu charakterisieren. Dabei ist das Augenmerk spürbar auf die Katastrophenschilderungen gerichtet, und nicht auf den Offenbarungscharakter und die Aussicht auf das Himmlische Jerusalem. Für die Religionswissenschaft ist es nun von Bedeutung, die Charakteristika der Postapokalypse herauszuarbeiten und sie von der Apokalypse abzugrenzen. Hierbei ist es wichtig, nicht nur eine Eingrenzung in Bezug auf andere moderne Formen der Verarbeitung apokalyptischer Themen vorzunehmen, sondern nach Möglichkeit die Postapokalypse auch zu den antiken (biblischen und außerbiblischen) Formen der Apokalyptik und den bestehenden religionswissenschaftlichen Modellen in Beziehung zu setzen. Das Feld der Postapokalyptik wird, wie bereits angesprochen, erst ex post facto durch die Behandlung von Rezensenten auf der einen und Wissenschaft auf der anderen Seite abgegrenzt. Daher ziehe ich Literatur verschiedener Disziplinen zu diesem Thema heran, um die Auswahl der relevanten Filme vorzunehmen. Im weiteren Verlauf wird untersucht, in welcher Weise die Filme charakterisiert und eingeordnet werden können. Daran schließt sich die Überlegung an, ob diese Charakterisierungen passend für eine religionswissenschaftliche Modellbildung sind und ich stelle eigene Überlegungen zu diesem Thema vor.
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Der Begriff der Apokalypse Um eine religionswissenschaftliche Einordnung der Postapokalyptik vornehmen zu können, sind zuerst einige Vorüberlegungen zur Apokalyptik notwendig. Bei der Beschäftigung mit dem Phänomen der Apokalypse wird man recht schnell feststellen, dass es alles andere als eindeutig ist, was eigentlich unter diesem Begriff verstanden wird. Die theologische Apokalypseforschung, die sich ausgehend vom biblischen Text der Johannesoffenbarung mit verschiedenen Apokalypsen beschäftigt, unterscheidet sich hier grundlegend von einem nicht von dieser Forschung geprägten, journalistischen Verständnis, welches in der öffentlichen Debatte rund um die untersuchten Filme dominant ist. Bei der Untersuchung moderner apokalyptischer Werke stellt sich also die Frage, ob und wie man die verschiedenen Auslegungen des Begriffes sinnvoll einbeziehen kann. Eine exakte Eingrenzung der zur Gattung »Apokalypse« gehörigen Texte ist aufgrund der Vielfalt aus unterschiedlichsten kulturellen Zusammenhängen, die mal mehr und mal weniger Gemeinsamkeiten aufweist, auch aus religionswissenschaftlicher Sicht kein einfaches Unterfangen. Nichtsdestotrotz gibt es historische Texte, die bei einer Beschäftigung mit dem Thema von besonderem Interesse sind und in der Forschung immer wieder als Vorlagen für weitere Analysen herangezogen werden. Der »Klassiker« unter den historischen Texten ist die Offenbarung des Johannes, der letzte Text des Neuen Testamentes. Diese besondere Stellung nimmt er erst einmal ein, weil er der Namensgeber der Gattung ist – verbirgt sich hinter dem Begriff »Offenbarung« doch nichts anderes als die Übersetzung des griechischen Wortes »apokalypsis«, eine Bezeichnung, die dem Text von seinem Autor selbst gegeben wurde. Von ihm als Musterbeispiel ausgehend lassen sich auch noch andere biblische und antike Texte finden, die Bilder, Strukturen und/oder Funktionen mit der Johannes-Offenbarung teilen. Von der Forschung besonders beachtet werden dabei Daniel und Henoch aus der jüdisch-biblischen Tradition, außerdem unter anderem das vierte Esrabuch sowie das zweite und dritte Baruchbuch.2 Doch auch hellenistische oder ägyptische Texte teilen einige der Charakteristika biblisch-apokalyptischer Texte, indem sie etwa ebenso durch Visionen begründete Geschichtsdeutungen vornehmen (so zum Beispiel das Lammorakel und das Töpferorakel).3
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Apokalypsen in diesem Sinne sind – auch wenn die Abgrenzung oft alles andere als eindeutig ist – Texte, die in gewissen Strukturmerkmalen mit der Johannesapokalypse übereinstimmen4: Das zentrale Element, auf das der Begriff verweist, ist der Offenbarungscharakter, die Enthüllung der göttlichen Vorsehung. Die Apokalypse, als Literaturgattung verstanden, zeichnet sich außerdem durch eine Rahmenhandlung aus, die den Verkünder der Offenbarung nennt, sowie durch den Inhalt der Offenbarung als innere Erzählung. David Hellholm nennt fünf Elemente der Offenbarung: Die Einteilung der Weltgeschichte in Zeitalter, Beschreibung des Weltuntergangs und der Welterneuerung durch eine Retterfigur, den »Endkampf« zwischen Gut und Böse, Naturkatastrophen und soziale Unordnung.5 Das Wissen um diese Geschehnisse in der Zukunft wird dem menschlichen Überbringer der Offenbarung von Gott oder einem göttlichen Boten in Himmelsreisen, Traumvisionen o. Ä. mitgeteilt. Einige dieser Elemente sind auch dem in den Medien dominanten Verständnis von Apokalypse inhärent. (Natur-)Katastrophen und Weltuntergang sind wohl die häufigsten Assoziationen zu diesem Begriff.6 Gerade auch das Kino bedient sich dieser Bilder und stellt zum Teil explizit die Verbindung zur biblischen Offenbarung her. So ist beispielsweise im Kinofilm Armageddon von Michael Bay aus dem Jahr 1998 die Welt von einem Meteor bedroht, der alles menschliche Leben zu vernichten droht. Der Titel stellt dabei die Verbindung zur Offenbarung des Johannes dar, wo Harmagedon den Ort der letzten Schlacht bezeichnet (Offb 16, 16). Allerdings entspricht dieses moderne Verständnis von Apokalypsen in anderen Teilen weniger dem Kriterienkatalog, der auf die antiken Texte angewendet wird: Die gattungsspezifische Rahmenhandlung spielt meist keine Rolle. Filme wie Armageddon stellen eher das (in der Realität des Filmes) tatsächliche Eintreten der biblisch prophezeiten Ereignisse dar. Eine wesentlichere Differenz ist allerdings, dass mit der Apokalypse zwar der Weltuntergang verbunden wird, aber nicht die Neuschöpfung der Welt, die die göttliche Ordnung etabliert. Diese Aussage, dass nach dem – meist mit einem Weltgericht verbundenen – Weltuntergang eine neue, transzendente Ordnung geschaffen wird, ist für die antiken Apokalypsen zentral. Damit wird die Erfüllung der in der Apokalypse offenbarten Weltgeschichte positiv konnotiert, die Ungerechtigkeit der Welt wird mit dieser untergehen und einer göttlichen Ordnung weichen. Dies konstituiert die grundleVol. III • 01/2008
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gende Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz, auf die auch Jürgen Brokoff hinweist: »Die Erzählung vom Weltuntergang und vom ›neuen Jerusalem‹ wird dabei durch eine Unterscheidung strukturiert, die zwei zunächst voneinander getrennte Handlungsräume entwirft. [...]Während die Menschheit an irdische Bedingungen und damit an einen weltlichen Status, eben der Immanenz gebunden ist, sind im ›neuen Jerusalem – wie auch in Gott selbst – diese Bedingungen und dieser Status überschritten, das heißt transzendiert und außer Kraft gesetzt.«7
Dabei ist sich die religionswissenschaftliche Forschung weitgehend einig, dass die von ihr untersuchten apokalyptischen Texte trotz der äußerst bildhaften Ausmalungen nicht als rein fiktives Geschehen zu werten sind, sondern davon ausgegangen werden kann, dass die jeweiligen Texte auf ganz konkrete historische Situationen Bezug nehmen bzw. nahmen. Vor allem Klaus Vondung interpretiert in seinem Standardwerk »Die Apokalypse in Deutschland« (1988) die Apokalypse als »Symbolik der Erfahrungsauslegung«8 und plädiert dafür, »die unterschiedlichen Möglichkeiten, die Existenzspannung ›apokalyptisch‹ auszulegen, auf ihren jeweiligen Inhalt, ihre Erscheinungsform, ihren motivierenden Hintergrund, ihre Bedeutung zu befragen«9. Vondung geht davon aus, dass apokalyptische Texte aus der Erfahrung einer Existenzspannung zwischen zwei Polen – Defizienz und Fülle – entstehen.10 Defizienz und Fülle stehen dabei für zwei Seinszustände, die ein Mensch im Laufe seines Lebens immer wieder in unterschiedlich starker Ausprägung erfährt. »Defizienz« benennt Erfahrungen des Mangels, von kleinen alltäglichen Missgeschicken über verschiedene Erfahrungen der Unzulänglichkeit bis hin zur Erfahrung existenzieller Nöte wie Hunger, Krankheit, Verlust und letztendlich die Erfahrung menschlicher Vergänglichkeit. »Fülle« steht dementsprechend für positive Erfahrungen des Erfolges, des Glückes und der Liebe – bis hin zur »Präsenz eines jenseitiges Grundes aller Fülle«11, die in der Erfahrung der Fülle aufleuchten könne. Diesen beiden Zuständen, Defizienz und Fülle, können im Zusammenhang der hier untersuchten Filme die Handlungsräume von Immanenz und Transzendenz zugeordnet werden.
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Apokalypse und Moderne Auch in der Moderne sind im öffentlichen Diskurs noch vielfach apokalyptische Erzählungen vorzufinden. Claudia Gerhards begründet dies in den spezifischen Strukturmerkmalen unserer Epoche, und geht hier insbesondere auf Systemdifferenzierung, Rationalisierung und Technik
ein.12 Letztlich führten alle drei
Merkmale dazu, dass der Mensch durch das Fehlen eines strukturierenden Ordnungsprinzips für die Totalität der Gesellschaft einer Erfahrung der Fragmentarität ausgesetzt wird13, wogegen gerade der apokalyptische Diskurs mit seinen stark ordnenden Eigenschaften ein »Regulativ zu den fragmentären Zerrüttungen der Moderne«14 entwerfen kann. Auch Victor und Victoria Trimondi15 verweisen auf den Reiz des der Offenbarung des Johannes eigenen dualistischen Weltbildes, das eine »Simplifizierung bei der Lösung von politischen, gesellschaftlichen und religiösen Konfliktsituationen«16 biete und deshalb eine große Versuchung auch für aktuelle Diskurse und Argumentationen darstelle.17 Im modernen Verständnis wird die positive Aussage der klassischen Apokalypse, dass das Reich Gottes kommen werde, nun aber geradezu in ihr Gegenteil verkehrt. Das Hereinbrechen der »Apokalypse« – womit nun nicht mehr die Offenbarung gemeint ist, sondern die Katastrophe selbst – bedeutet das Ende der Menschheit, das mit allen Mitteln (im Film Armageddon sind dies Atombomben, die den Meteor zerstören) aufgehalten werden muss. Es ist also nicht der Anbruch der Transzendenz, der erhofft wird, sondern der Erhalt der Immanenz. Ein treffendes Konzept für dieses Phänomen bietet Klaus Vondung unter dem Begriff »›kupierte‹ Apokalypse«18: Er beschreibt damit diese Entwürfe der Apokalypse, die die auf die Vernichtung in der klassischen Apokalypse eigentlich folgende Erlösung beiseite lassen – also das Ende einfach »abschneiden«. Die Religionswissenschaft sieht sich also mit zwei Auslegungen des gleichen Begriffes konfrontiert, die sich diametral gegenüberstehen. Für viele Fragestellungen wird es sinnvoll sein, sich in erster Linie einem dieser beiden Begriffe von Apokalypse zuzuwenden. Die Untersuchung der antiken Schriften kommt gut ohne Exkurse über den journalistischen Sprachgebrauch aus. Für eine systematische Untersuchung kann es aber gerade interessant sein, die beiden strukturell Vol. III • 01/2008
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verschiedenen Apokalypsebegriffe aufeinander zu beziehen und gegeneinander abzugrenzen. Für die Untersuchung des Genres der Postapokalyptik gilt das ebenso. Der Begriff, der sich außerhalb der Wissenschaft im Sprechen über bestimmte literarische, filmische oder künstlerische Werke herausbildet, macht klar, welches Verständnis von Apokalyptik ihm zu Grunde liegt. Nicht die Zeit nach der Offenbarung bislang verborgenen Wissens ist gemeint. Auch ist die Postapokalypse nicht, wie man auf Grundlage der biblischen Texte vermuten könnte, die göttliche Ordnung im Zeitalter nach dem jüngsten Gericht.19 Die Postapokalypse bezieht sich auf die Situation der Erde nach einer globalen Katastrophe, der in den meisten Fällen auch ein Großteil der Menschen zum Opfer gefallen ist. Für die religionswissenschaftliche Einordnung ist nun interessant, wie sich die postapokalyptischen Erzählungen von den konventionellen, »präapokalyptischen« Bedrohungsszenarien abgrenzen. Interessant ist aber auch die Frage, wie sich die Postapokalypsen zu den antiken Apokalypsen verhalten. Wie lassen sich postapokalyptische Werke in ein Schema einordnen, das seinerseits sowohl die klassischen antiken Apokalypsen als auch die modernen Apokalypsen einbezieht? Ähnlich wie bei der Unterscheidung dieser beiden ApokalypseBegriffe, die sich an der Struktur der Erzählung orientiert, muss auch die Postapokalypse auf strukturelle Charakteristika untersucht, müssen Immanenzund Transzendenzbezüge ausgemacht und die Aussage der Handlungsführung herausgestellt werden. Zunächst soll nun ein Blick auf die bestehende Literatur zu diesem Themenfeld geworfen werden. Diese soll eine Auswahl relevanter Filme ermöglichen und gleichzeitig mögliche theoretische Herangehensweisen aufzeigen.
Relevante Literatur und ihre Kategorienbildung Um einen Überblick über den bisherigen Stand der Literatur zu geben, sollen hier vor allem drei Arbeiten vorgestellt werden, die sich mit der Zusammenführung von Apokalypse, Postapokalypse und Medien im weiteren Sinne befassen. Diese werden kurz vorgestellt. Vor allem aber soll eine Zusammenschau ihrer hier relevanten Thesen und eine wissenschaftliche Einordnung durchgeführt werden. In dieser Hinsicht ist vor allem von Interesse, auf welche Weise sich die Autoren Vol. III • 01/2008
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der Kategorie »Postapokalypse« nähern, und welche Kriterien sie für die Einordnung der Filme anwenden. Auffälliger weise kommen alle drei hier im Mittelpunkt stehenden Arbeiten aus recht unterschiedlichen Wissenschaftszweigen (Theologie, Journalistik, Filmwissenschaft). Eine Bearbeitung des vorliegenden Themas durch die Religionswissenschaft steht meines Wissens noch aus. Daher ist es notwendig und lohnend, aus der Perspektive dieses Faches eine Untersuchung der bisherigen, sehr unterschiedlichen theoretischen Ansätze vorzunehmen.20
Ein Theologe: John W. Martens John W. Martens ist Assistant Professor of Theology an der St.-ThomasUniversity, St. Paul, Minnesota. Seine Veröffentlichung »The End of the World. The Apocalyptic Imagination in Film and Television« thematisiert antike apokalyptische Gedanken und ihre aktuelle Rezeption bzw. Bearbeitung in Film und Fernsehen. Als eine Gruppe unter mehreren definiert er im Zuge dessen die »post-apocalyptical dystopias«21 und untersucht die Bedeutung und Aufgabe postapokalyptischer Filme sowie den Nährboden, auf dem sie entstehen konnten. Charakteristisch für seine Thesen ist seine relative Gleichbehandlung aller zu dieser Gruppe gehörenden untersuchten Filme, die von appellativen Dramen wie The Day After bis hin zu Liebeskomödien wie Eve und der letzte Gentleman reichen. Martens nimmt hier im Gegensatz zu den noch folgenden Autoren keine Unterscheidung oder Ausdifferenzierung der postapokalyptischen Erzählungen vor, sondern bemüht sich um eine Argumentation, die alle untersuchten Beispiele einbezieht. Dabei bezeichnet er jene Filme als Postapokalypsen, deren Fokus auf der Zeit nach einer Katastrophe liegt. Abgegrenzt werden davon Kategorien wie die »alien apocalypses«22 sowie die »technological, natural and futuristic apocalypses«23. Diese Untersuchung einer großen Gruppe von »postapocalyptic dystopias« hat insofern seine Berechtigung, als Martens sich auch nur auf einen Aspekt konzentriert, der tatsächlich für die überwältigende Mehrheit der Filme als vergleichbar eingestuft werden kann: Diesen »postapokalyptischen« Filmen fehle eine explizit transzendente Ebene (im Sinne eines eindeutigen Jenseitsbezuges), wie sie sich in klassischen Apokalypsen finde: »for there exists no world and no Vol. III • 01/2008
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God beyond this one to save us«24. Es gibt keine Aussicht auf ein himmlisches Jerusalem oder einen Platz am Tisch des Herrn, und genauso wenig greift natürlich ein höheres Wesen ein, um die Katastrophe zu verhindern. Was ohne jeden göttlichen Funken bleibt, sei erst einmal Verzweiflung.25 Menschen kämpfen um ihr Überleben, und es zeigt sich in vielen Szenen, dass sich Bösartigkeit in diesem säkularen Bezugssystem auszahlt. Mit dem technologischen Rückfall scheint automatisch ein moralischer Rückfall zu erfolgen, die menschliche Natur erweist sich als hobbesianisch.26 Die postapokalyptischen Filme reflektieren unsere modernen, aufgeklärten Ängste: Wir haben nur diese Welt und wir arbeiten zielstrebig auf ihre Zerstörung hin. Hieraus erwächst der Appellcharakter der Filme.27 In den Filmen, angetrieben durch die Bestätigung dieser Angst und akute Not, scheint sich keine Hoffnung mehr in Gott oder einer anderen Welt zu finden. Martens' letztendliche und eher rhetorisch anmutende Frage ist nun: Geht es uns besser, nachdem wir uns von Gott abgewendet haben? Seine Ergebnisse der abschließenden Analyse der Filme geben eine eindeutige Antwort: »No-God has led us into a world of despair«28.
Eine Medienwissenschaftlerin: Tanja Busse Tanja Busse promovierte 1999 nach einem Studium der Journalistik und Philosophie mit einer Arbeit zum Thema »Weltuntergang als Erlebnis. Apokalyptische Erzählungen in den Massenmedien«. Darin setzt sie sich medientheoretisch und fallbezogen mit apokalyptischen Darstellungen vor dem Millennium auseinander. Ohne dass sie explizit auf postapokalyptische Elemente eingeht, sind Teile ihrer Arbeit zur medientheoretischen und kultur- sowie kommunikationswissenschaftlichen Analyse moderner Apokalypse-Erzählungen auch für die Zwecke dieser Arbeit verwendbar. Das hängt auch mit dem Umstand zusammen, dass sie bei ihrer Untersuchung apokalyptischer Diskurse medialer Erzählungen Kategorien schafft, die sich ebenso im Zusammenhang postapokalyptischer Erzählungen einsetzen lassen. Busse setzt eine ganz andere Kategorisierung als Martens an. Ihre Unterscheidung zwischen authentischen, sekundären und Scheinapokalypsen29 leitet sie von Vol. III • 01/2008
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einer bestehenden Kategorisierung im Bereich des Mythos ab: Der authentische Mythos zielt »auf das Ganze des Seins und der Wirklichkeit von Welt«30 und hat für die Menschen, die ihn erkennen, »absolute und verbindliche Qualität«31. Dem sekundären
Mythos
dagegen
fehlt
die
transzendente
Dimension,
sein
Bezugssystem sind ausschließlich Weltausschnitte. Scheinmythen schließlich finden sich häufig in politischer Rhetorik oder in der Werbung. Apokalypsen lassen sich nun, ähnlich wie Mythen, nach Tiefendimensionen unterteilen. Die authentische Apokalypse – Busse führt als Beispiel die JohannesOffenbarung mit ihrem Heilsversprechen an – verlangt vom Rezipienten Glauben an Gültigkeit und absolute Verbindlichkeit. Der sekundären Apokalypse fehlt dieser Anspruch auf religiöse bzw. transzendente Elemente. Sie bezieht sich auf das Leben und Handeln der Menschen, ist dabei aber, wie auch beim sekundären Mythos, zeitlich und kulturell begrenzt. Busse nennt als Beispiel hier The Day After, merkt aber an, dass hier die apokalyptische Figur nicht komplett sei, denn es fehle der Neubeginn – aber genau darin bestehe ja eben die Warnung des Filmes.32 Der Scheinapokalypse dagegen fehlt eine Botschaft komplett, sie »bedient sich apokalyptischer Elemente um des Effektes Willen«33. Eine Teleologie oder ein kritischer Impetus fehlt ihr vollkommen. Eine weitere Kategorisierung Busses ist die Unterscheidung zwischen einer Apokalypse, die tatsächlich die ganze Welt betrifft, und einer solchen, die ihren Fokus ausschließlich auf einen kleinen Weltausschnitt richtet. Dies hängt insofern eng mit der vorangegangenen Kategorisierung zusammen, als zumindest die authentische Apokalypse ihrer Definition nach die ganze Welt betreffen müsste.34
Ein Filmwissenschaftler: Ralf Leppin In den Kontext medientheoretischerBearbeitung gehört auch die Veröffentlichung »Die postnukleare Endzeitvision im Film der achtziger Jahre« von Ralf Leppin aus dem Jahr 1997. Nach einer kurzen Auseinandersetzung mit den Begriffen »Apokalypse« und »Utopie« sowie einem Streifzug durch die Filmgeschichte der fünfziger bis achtziger Jahre richtet er sein Augenmerk vor allem auf die Typologie der postnuklearen Filme der achtziger Jahre. Diese besticht insbesondere Vol. III • 01/2008
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durch die Reichhaltigkeit der untersuchten Beispiele. Prinzipiell ist sein Untersuchungsfeld ja nur ein Ausschnitt dessen, was hier behandelt werden soll, doch lassen sich nicht nur seine Beispiele verwenden: auch seine Thesen zur Typologie
postnuklearer
Filme
können
als
Diskussionsgrundlage
für
postapokalyptische Filme im Allgemeinen dienen. Leppin nimmt die am weitesten reichende Kategorisierung vor. Er untersucht akribisch eine Vielzahl von Filmen und stellt eine Vielzahl von wiederkehrenden bzw. differierenden Merkmalen fest, die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen: (1) Auslöser/Begründung der Katastrophe35: Bei der Mehrzahl der Filme findet Leppin diffuse oder keine Begründungen, auch Schuldzuweisungen fehlen meist. Das hängt auch damit zusammen, dass bei den meisten untersuchten Filmen der Atomkrieg bereits Vergangenheit ist.36 Dies ist etwa bei Waterworld oder der Mad-Max-Trilogie der Fall. Ein Gegenbeispiel wäre The Day After Tomorrow, der dezidiert die Klimakatastrophe auf das unverantwortliche Handeln der Menschheit zurückführt. (2) Welt- und Zeitbezug: In der Regel scheinen die Filme davon auszugehen, dass die ganze Welt zerstört ist.37 Das wird kaum filmisch dargestellt, doch allein die Tatsache, dass auch Jahrzehnte nach der Katastrophe keine Hilfe von »anderswo« kommt, lässt auf einen weltweiten Wirkungskreis der Katastrophe schließen. In diesen Filmen, die bereits eine gewisse Zeit nach der Katastrophe einsetzen, zeigt sich zudem eine veränderte Zeitrechnung: das Leben vor der Katastrophe gilt als »alte Welt«38. Nach der Katastrophe beginnt für die Menschheit ein neues Zeitalter. (3) Das Motiv des Einzelgängers39: Haupt- und Identifikationsfigur ist in vielen Filmen – wiederum unter anderem Waterworld und die Teile 2 und 3 der Mad-Max-Serie – ein Einzelgänger, der oft durch vergangene Schicksalsschläge zu einem solchen geworden ist. Er wird meist als Retter in der Not eingeführt, doch ist ansonsten verschlossen und durch sein Schicksal misstrauisch gegen Fremde(s) und hartherzig bis gewaltbereit gegenüber Bösem geworden. Dieses Motiv hängt eng zusammen mit einer allgemein deformierten Gesellschaftsstruktur. (4) Gesellschaftssystem: Charakteristisch für beinahe alle Filme ist der Niedergang der Gesellschaften, so wie wir sie kennen, und das Aufkommen moralischen Verfalls.40 Immer wieder wird gesteigerte Brutalität und eine herabgesetzte Hemmschwelle vor Mord, Vergewaltigung und Brandschatzung gezeigt.41 Diese Entwicklung hat ihren Ursprung sicher zum Teil in fehlenden Vol. III • 01/2008
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Rechtsinstanzen und dem Kampf aller um das nackte Überleben angesichts knapper Ressourcen. Trotzdem geht diese Entwicklung weiter, als die oben angeführten Ursachen vermuten ließen. In vielen Fällen zeigt sich eine anscheinend nur der Lustbefriedigung dienende Brutalität. Wie dies in Hinblick auf die Kategorisierung postapokalyptischer Filme zu beurteilen ist, wird noch genauer zu untersuchen sein. Prinzipiell spiegelt sich die beschriebene Entwicklung auch in einzelnen zwischenmenschlichen Beziehungen wider. Leppin entdeckt eine »auffällige Häufigkeit an verhinderten und unmöglichen Liebesbeziehungen«42. Dazu kommt ein sprachlicher Verfall43 und das häufig auftretende Motiv marodierender Banden44. Auch die Art, in der Kinder im Film thematisiert werden, sollte hinsichtlich einer möglichen Einteilung genauer ins Auge gefasst werden, denn diese, so Leppin, sei ein Indiz für die jeweilige Intention des Filmes: pessimistische Desillusionierung oder »unterschwellige[r] Positivismus«45. So wird in manchen Filmen explizit die Problematik, ob gesunde Kinder geboren werden können und ob bzw. wie ihre Versorgung gewährleistet werden kann, thematisiert. Überhaupt mündet die Kategorisierung Leppins in eine Unterteilung postnuklearer Filme in zwei Gruppen: genre-inspirierte und anti-utopische Endzeitvisionen. Diese beiden Gruppen lassen sich je nach Intention und Realitätsnähe voneinander trennen. Der Realitätsbezug ist nach Ansicht des Autors vor allem an zwei Merkmalen deutlich feststellbar, nämlich an der Darstellung der medizinischen Versorgung46 und an der Aufarbeitung der Ernährungsproblematik47. Die Auswirkung der radioaktiven Strahlen auf den menschlichen Körper ebenso wie die Verseuchung bestehender Nahrung sowie des Wassers und Mutterbodens sind zwei Punkte, bei denen Filmproduzenten und –regisseure auf gesicherte Erkenntnisse zurückgreifen können. Hieran ließe sich also, so konstatiert Leppin, die Seriosität eines Filmes erkennen. Ein anderes Merkmal ist die Intention des Filmes: Schürt er Hoffnung für ein Weiterleben im postnuklearen Zeitalter? Werden gesunde Kinder geboren oder auf unrealistische Weise Nahrung und medizinische Versorgung gewährleistet? Gibt es ein Happy End? Je nach Umgang des Filmes mit diesen Merkmalen lässt selbiger sich nun als genre-inspiriert oder anti-utopisch klassifizieren. Vol. III • 01/2008
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Anti-utopisch sind dabei solche Filme, die aus einer Intention entstammen, die »einzig und allein darauf abzielt, die Menschen aufzuklären und vor dem Einsatz nuklearer Waffen zu warnen«48. Diesen Filmen, die nach Leppin stark in der Minderheit sind, ist eine realistische Sichtweise zu Eigen, und ihnen fehlt konsequenterweise ein Happy End. Der weitaus größere Teil der untersuchten Filme lässt sich zu den genreinspirierten Endzeitvisionen zählen. Diese zeichnen sich aus durch eine »Nutzung des postnuklearen Rahmens für eine vordergründig erzählte Geschichte, deren Spannungsdramaturgie und Motivgebung klassischen Genres wie Science-fiction, Fantasy-Film, Abenteuerfilm oder Western entlehnt ist. Die atomare Verwüstung dient dabei mehr als bizarre Kulisse und als Stimulator für die Aktionen der Protagonisten denn als eindeutige Warnung vor dem atomaren Grauen.«49
Gleichzeitig ist ein unrealistischer Umgang mit den bereits angeführten Merkmalen und ein (inkonsequentes) hoffnungsvolles Ende typisch für diese Gattung. Anhand dieser Unterscheidung lässt sich dann auch feststellen, wie die auftretende Gewalt bewertet werden muss: Bei der ersten Gattung kann sie mit Blick auf Existenzkampf und gesellschaftlichen Verfall symbolisch gedeutet werden, bei der zweiten Gattung gehört sie zum sowieso vorhandenen und gewaltbereiten Plot des Film, der ja eher zufällig im postnuklearen Ambiente angesiedelt ist.50 Ob und inwieweit diese Kategorisierungen für einen religionswissenschaftlichen Zugang zum Thema tragfähig sind, ist die Fragestellung für die folgende Analyse.
Der Gegenstand: Ausgewählte Filme Die Auswahl der behandelten Autoren lässt sich gut als Anhaltspunkt nehmen, um selbst eine Auswahl von Filmen zu treffen, die die Untersuchung bestimmter Charakteristika des postapokalyptischen Genres ermöglicht. Eigene Recherchen ergänzen diese Liste.51 Dabei wurde aufgrund des explorativen Ansatzes dieses Aufsatzes versucht, mittels einiger weicher Auswahlkriterien zunächst einmal mit den ausgewählten Vol. III • 01/2008
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Filmen ein möglichst breites Feld abzustecken: Sie sollten sich über einen eher weiten Zeitraum erstrecken (mehr als zwei Jahrzehnte), dabei möglichst unterschiedliche Szenarien und Handlungsrahmen vorschlagen (bspw. Atomproblematik, Klimawandel, Viren, Drachen) sowie zumindest aus Rezipientensicht ein unterschiedliches
»Herangehen«
an
die
Thematik
wagen,
sich
also
unterschiedlichen Genres zuordnen lassen (Action, Fantasy, Science Fiction). Dabei ist es den Filmen, die in unterschiedlichem Maße explizit biblische Symbole (die man in manchen Filmes häufig antrifft, in anderen gar nicht) aufgreifen, gemein, dass sie die beschriebenen Kriterien des vorgeschlagenen Konzeptes der »Postapokalypse« erfüllen. The Day After (USA 1983, Regie: Nicholas Meyer) ist ein Film, der eine möglichst realistische Beschreibung der Konsequenzen eines Atomkrieges liefern will. Neben der weitgehenden Zerstörung der Infrastruktur und den zunehmenden Auswirkungen, die die Strahlenkrankheit auf die Überlebenden hat, sind es vor allem zwei für postnukleare Filme bezeichnende Topoi, die das Szenario bestimmen: zum Einen die technische Regression, die den Rückfall auf eine frühere Zivilisationsstufe assoziiert. Zum Anderen ist die Situation durch soziale Unordnung gekennzeichnet. Um den Übergriffen Einhalt zu gebieten, werden öffentliche Exekutionen als Strafe für Plünderungen und Vergewaltigungen ohne Gerichtsprozesse durchgeführt. Der Film bleibt in zweierlei Hinsicht unbestimmt: Es wird nicht klar, wie gravierend sich die Katastrophe auf globaler Ebene auswirkt, denn von anderen Kontinenten ist kaum die Rede. Außerdem ist der Ausblick auf die Zukunft vage: die staatlichen Versuche eines Wiederaufbaus stehen mit dem schleichenden Tod durch die Strahlung im Widerspruch. Insgesamt ist jedoch das Bild von Hoffnungslosigkeit und Skepsis gegenüber einer Verbesserung der Situation bestimmt. Ein zweites Beispiel für ein postnukleares Szenario geben die Filme der MadMax-Trilogie mit Mel Gibson. Der Umgang mit der Thematik ist hier jedoch ein gänzlich anderer. Es geht den Filmen nicht um eine realistische Schilderung einer atomaren Katastrophe. Diese liegt zur Zeit der Handlung schon in weiter Vergangenheit. Die Katastrophe ist jedoch für den Zustand der Welt verantwortlich, in der die Mad-Max-Filme spielen. Die Natur ist zu großen Teilen
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vernichtet, die Landschaft gleicht einer unendlichen Wüste. Die öffentliche Ordnung ist gegen marodierende Motorradbanden nur schwer zu verteidigen. Ein Film, der mit sehr ähnlichen Ansätzen arbeitet, dabei aber weniger düster und gewaltbeladen ist, ist Waterworld mit Kevin Costner (USA 1994/1995, Regie: Kevin Reynolds). Hier ist es auch eine Katastrophe (auch wenn ihr Charakter noch unbestimmter bleibt als in Mad Max52), die die Erde unwirtlich macht und das Leben der verbliebenen Bewohner erschwert. Allerdings ist es hier eine globale Überschwemmung, die die Szenerie bestimmt. Auch in Waterworld haben wir es mit marodierenden Banden zu tun, die die friedlichen Bewohner eines Atolls bedrohen. Ein weiterer Film, der von Martens untersucht wird, ist die Verfilmung des Romans Das letzte Gefecht (USA 1994, Regie: Mick Garris) von Stephen King. Die Katastrophe fällt hier in Gestalt eines tödlichen Virus über die Menschheit herein, den nur einige Wenige überleben, die über eine genetische Resistenz gegen den Virus verfügen. Die Überlebenden werden durch Visionen in zwei Lager gerufen, und es zeigt sich schnell, dass einer der beiden Anführer Böses im Schilde führt. Letztendlich erkennen auch seine Anhänger, dass sie sich mit dem leibhaftigen Teufel eingelassen haben. In dieser Situation ist es die Hand Gottes, die eine Atombombe zündet und damit das Lager des Bösen sowie den Satan selbst vernichtet. Die andere Gruppe ist nun von der Bedrohung befreit und beginnt, ein neues Leben aufzubauen. Ein Film, der recht prototypisch für postapokalyptische Filme aus dem Fantasygenre steht, ist Herrschaft des Feuers (USA 2002, Regie: Rob Bowman). Die Kinozeitschrift »Filmdienst« bezeichnet ihn als »Postapokalyptisches Fantasy-Spektakel«53. Bei Bauarbeiten in London wecken die Arbeiter einen Drachen aus seinem Jahrtausende währenden Schlaf. In der Folge vernichten der Drache und seine Nachkommen den größten Teil der Menschheit. Nur kleine Gruppen können sich mehr schlecht als recht gegen die Drachen halten. Erst nach der Tötung des »Vaters aller Drachen« können die Drachen keine Nachkommen mehr zeugen und die übrigen Menschen beginnen in der zurückgewonnenen Sicherheit ein neues Leben. Ein weiterer Film, der von seiner Ausrichtung her als postapokalyptisch zu bezeichnen ist, ist The Day After Tomorrow (USA 2004, Regie: Roland Vol. III • 01/2008
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Emmerich). Er will, ähnlich wie The Day After, eine potenzielle Gefahrenquelle unserer Zeit deutlich machen und die Konsequenzen der möglichen Katastrophe aufzeigen. Während die Atomthematik heute im Westen nur noch von untergeordneter Bedeutung ist, macht Roland Emmerich auf die Gefahr eines möglichen Klimakollapses aufmerksam. Ein Wissenschaftler entdeckt bei Bohrungen im Polareis Anzeichen für die Gefahr einer erneuten Eiszeit, wenn das Schmelzen der Polkappen den Golfstrom zum Erliegen brächte, doch seine Warnungen werden überhört. Es kommt dann im Folgenden tatsächlich zu den befürchteten Änderungen im Klimasystem, und binnen weniger Tage bricht die Katastrophe in der Form von Tornados, Flutwellen und einem drastischen Temperaturabfall über die Nordhalbkugel herein. Die noch lebenden Bewohner der südlichen Teile der USA werden evakuiert und nach Mexiko gebracht. Der letzte Film, der in die Betrachtung mit aufgenommen werden soll, ist Quiet Earth – Das letzte Experiment (Neuseeland 1983, Regie: Geoff Murphy). Auch hier ist es eine von Menschen »gemachte« Katastrophe, die im Zentrum steht. Ein geheimes militärisches Experiment, bei dem ein Energiefeld um die Erde herum angelegt wird, scheitert und das kollabierende Feld tötet alle Menschen – mit Ausnahme derer, die gerade im Augenblick des Unfalls gestorben sind. Schon dieser Umstand, der erst im Laufe des Films zu Tage gefördert wird, macht die metaphysische Ausrichtung von Quiet Earth deutlich. So ist der Film auch nicht primär auf die Warnung vor den Gefahren militärischer Forschung ausgelegt, sondern verwendet die Katastrophe eher als Ausgangspunkt für eine Sozialstudie. Am Ende des Filmes kollabiert das Kraftfeld ein zweites Mal, genau in diesem Augenblick stirbt erneut einer der Protagonisten – die Endszene zeigt den Mann an einem Strand, den zwei aufgehende Sonnen als nicht irdisch kennzeichnen. Schon bei der Beschreibung der Filme wird deutlich, dass das Thema der Postapokalypse sehr unterschiedlich behandelt wird. Gemeinsam ist den Filmen lediglich, dass sie eine Zeit nach einer wie auch immer gearteten global angelegten Katastrophe schildern. Im Folgenden soll mit Hilfe der vorgestellten Kategorien eine Klassifizierung der Filme vorgenommen und ein daraus abgeleitetes Modell vorgestellt werden, das es ermöglichen soll, aus religionswissenschaftlicher Perspektive eine Einordnung der Filme in den größeren Kontext apokalyptischer Erzählungen vorzunehmen. Vol. III • 01/2008
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Versuch einer religionswissenschaftlichen Kategorienbildung Um zu einer religionswissenschaftlich adäquaten Kategorisierung der postapokalyptischen Erzählungen zu kommen, sollen zunächst noch einmal die Kategorien aufgegriffen werden, die in der verwendeten Literatur angewendet werden. In der Diskussion dieser Ansätze soll dann ein eigener Vorschlag entwickelt werden, wie das Phänomen der Postapokalypse religionswissenschaftlich angemessen behandelt werden kann. Für Martens steht ein Charakteristikum der postapokalyptischen Erzählungen im Vordergrund: Sie gehen im Gegensatz zu den klassischen Apokalypsen von einem säkularisierten Weltbild aus, in dem Gott nicht nach der Katastrophe eingreift und das Himmlische Jerusalem erschafft. Die Katastrophe ereignet sich in dieser Welt, und die Menschen müssen auch in dieser Welt mit ihr umgehen. Dies ist zunächst eine sehr plausible Herangehensweise. In der Tat findet sich in den wenigsten Filmen ein expliziter Bezug auf Gott und sein Handeln am Ende der Welt.54 Dies scheint heutzutage keine populäre Möglichkeit, den Weltuntergang filmisch auszugestalten. Allerdings
findet
sich
bei
Martens
keine
weitere
Unterteilung
der
Postapokalypsen. Angesichts der teilweise recht gravierenden Unterschiede erscheint dies als Versäumnis, denn die Behandlung des Themas bleibt damit sehr oberflächlich. Auch bei Busse findet sich die Abgrenzung authentischer Apokalypsen zu sekundären, die zwar eine Botschaft in Bezug auf das Handeln der Menschen haben, aber im Gegensatz zu ersteren ohne Transzendenzbezug auskommen. Daneben entwirft sie aber mit den »Schein-Apokalypsen« eine weitere Kategorie, die diejenigen Werke umfasst, die sich der apokalyptischen Motive nur um des Effektes Willen bedienen, ohne eine Aussage zur Lebensführung der Menschen zu treffen. Ganz ähnlich argumentiert auch Leppin: Er begrenzt seine Untersuchung von vornherein auf postnukleare Erzählungen, die an sich keinen Transzendenzbezug voraussetzen. Dabei trifft aber auch er die Unterscheidung zwischen Anti-Utopien, die um eine realistische Schilderung der Konsequenzen nuklearer Kriegsführung bemüht sind, und solchen, die er als genre-inspiriert bezeichnet. Diese Kategorie lässt sich mit den Schein-Apokalypsen bei Busse vergleichen.
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Um einen genaueren Blick auf die exemplarisch gewählten Filme zu ermöglichen, bietet es sich an, die Filme tabellarisch aufzulisten und anhand bestimmter Kriterien zu vergleichen. Dann wird erkennbar, inwieweit die Filme Gemeinsamkeiten aufweisen, und an welchen Stellen auch Unterschiede hervortreten. Als Ausgangspunkt dienen die von Leppin zu Grunde gelegten Kategorien (siehe oben). Dabei ist sein Blickwinkel teilweise ein anderer, so dass hier die Kategorien entsprechend der beschriebenen Fragestellung abgewandelt und neue Kategorien mit aufgenommen werden sollen. Als erstes Unterscheidungsmerkmal bietet sich an, zwischen jenen Filmen, bei denen die Schilderung der Katastrophe und ihrer Folgen im Vordergrund steht, und solchen, bei denen die Katastrophe in der Vergangenheit angesiedelt ist, zu differenzieren. Als zweites trenne ich Filme, bei denen der Mensch Auslöser der Katastrophe ist von solchen, die eine andere Ursache nennen. Dritte Kategorie ist der explizite Transzendenzbezug, vierte die globale Dimension der Katastrophe und fünfte die globale Dimension der Errettung, so sie in den Filmen eine Rolle spielt. Die sechste Kategorie ist das Auftreten von sozialer Anomie als Motiv. Die siebte Trennung unterscheidet Filme mit einem hoffnungsvollen Ende von solchen mit pessimistischer Perspektive. Als Achtes wird das Auftreten einer »liminalen Gestalt«, oder – wie Leppin diese Figur nennt – eines »Einzelgängers«55 untersucht. Das neunte Motiv, anhand dessen unterschieden wird, ist die Konstitution einer »In-Group«, einer Gemeinschaft, die sich von der bedrohlichen Außenwelt abgrenzt. Das zehnte und letzte Kriterium ist eine starke Gut-Böse-Dichotomie. Nicht alle Filme lassen sich bei allen Kategorien eindeutig zuordnen. Oft ist ein gewisser Interpretationsspielraum vorhanden, der beide Möglichkeiten zulässt. Dennoch vermittelt die folgende Tabelle mit der erarbeiteten Kategorisierung einen guten Eindruck von den Charakteristika der Filme.
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(X)*
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Quiet Earth
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(X)**
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Das letzte Gefecht
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Waterworld
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X
X
Mad Max 2
-
X
-
X
-
X
X
X
X
X
The Day After The Day After Tomorrow
Herrschaft des Feuers
* Die Katastrophe betrifft unmittelbar nur die nördliche Halbkugel, die Auswirkungen sind aber global. ** Nach dem Tod aller Menschen wird Hoffnung auf das Leben in einer transzendenten Welt zumindest vage angedeutet, allerdings nicht erzählerisch »bestätigt«. 1 = Katastrophe im Fokus
6 = Soziale Anomie
2 = Mensch als Auslöser
7 = Hoffnung am Ende
3 = Expliziter Transzendenzbezug
8 = Liminale Gestalt
4 = Globale Katastrophe
9 = In-Group
5 = Globale Errettung
10 = Klare Gut-Böse-Differenzierung
Die Verteilung der Merkmale in der Tabelle weist eine Gruppierung für einige Merkmale auf, die hier optisch hervorgehoben ist. Für insgesamt vier Kriterien lässt sich eine genaue Zweiteilung feststellen, eine weitere zeigt bis auf eine Ausnahme das gleiche Schema. Diese Unterteilung deckt sich weitgehend mit der Unterscheidung, die auch Leppin und Busse treffen: Die sekundären Apokalypsen bzw. Antiutopien, die die Katastrophe und ihre Auswirkungen zeigen (1: Fokus auf die Katastrophe), lassen sich von den genre-inspirierten »ScheinApokalypsen« abgrenzen, die ein Happy-End aufweisen (7: Hoffnung am Ende).
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Die Kategorisierung bei Leppin und Busse ist allerdings mit einem unnötigen moralischen Impetus versehen. Gerade bei Leppin, der sich mit der Atomproblematik auseinander setzt, erscheinen die Filme in einem schlechten Licht, die die Atomkatastrophe nur benutzen, um – wie beispielsweise bei Mad Max – eine bizarre Kulisse für eine gewöhnliche Actiongeschichte zu schaffen. Hierbei wird aber übersehen, dass die Filme der zweiten Kategorie generell einen anderen Fokus haben. Diese Filme unterscheiden sich sehr in der Art der Katastrophe. Ist es bei Max Mad ein Atomkrieg, so ist es bei Waterworld vermutlich eine nicht näher definierte Klimakatastrophe und bei Das letzte Gefecht ein Supervirus. Dies könnten auch Themen von Katastrophenfilmen mit mehr Anspruch auf Realismus sein.56 Sicherlich geht es diesen Filmen nicht darum, die möglichen Konsequenzen dieser Bedrohungen aufzuzeigen. Dennoch weisen sie eine gemeinsame Erzählstruktur auf, die aus religionswissenschaftlicher Perspektive durchaus relevant ist: In all diesen Filmen liegt die eigentliche Katastrophe lange zurück. Die Zeit ist durch soziale Anomie bestimmt, regelmäßig taucht das Motiv der marodierenden Verbrecherbanden auf (Mad Max, Waterworld, Herrschaft des Feuers). Alle diese Filme sind durch eine starke Gut-BösePolarität charakterisiert und eine liminale Figur taucht als eine Art Retterfigur auf. Ebenfalls ist diesen Filmen ein »Happy End« gemein. Dies ist allerdings nicht nur als hollywoodeske Schwäche zu verstehen, die die wahren Auswirkungen von Katastrophen wie einem Atomkrieg unterschätzt, sondern stellt auch einen zentralen Bestandteil der Erzählstruktur dar. Das Happy End markiert einen Übergang in ein neues, friedliches Zeitalter, das das Zeitalter des Schreckens ablöst, welches durch die Katastrophe in der Vergangenheit eingeleitet wurde. Dies kann in diesem Zusammenhang als Ausdeutung der in der religionswissenschaftlichen Analyse gebräuchlichen Dichotomie von Transzendenz und Immanenz als Handlungsräume
gesehen werden. Denn die Kategorie der
Transzendenz muss nicht als expliziter Bezug auf etwa ein Gottesreich gelten,57 sondern findet sich in den Filmen auch in Form eines auf der Erde befindlichen – und trotzdem mit einem »gelobten Land« vergleichbaren – Bezugsfeldes wieder – wie es etwa bei »Dryland«, einem sagenumwobenen, von allen fieberhaft gesuchten Stück Land inmitten der endlosen Wassermassen im Film »Waterworld« der Fall ist. Hier zeigt sich besonders deutlich, wie gleichsam Vol. III • 01/2008
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»innerhalb« der Welt ein bestimmter Handlungsraum als Gegenmodell zur aktuell beschriebenen, defizitären Situation besonders herausgehoben und sein Erreichen als Erlösung gezeichnet wird. Betrachtet man diese Bestandteile im Zusammenhang, fällt auf, dass die Filme der zweiten hier beobachteten Kategorie eine Struktur aufweisen, die der klassischer Apokalypsen sehr ähnlich ist. Wenn man noch einmal die fünf Kriterien heranzieht, die David Hellholm für Apokalypsen nennt (siehe oben), wird man eine bemerkenswerte Übereinstimmung feststellen: Einteilung der Weltgeschichte in Zeitalter, Beschreibung des Weltuntergangs und der Welterneuerung durch eine Retterfigur, »Endkampf« zwischen Gut und Böse, Naturkatastrophen und soziale Unordnung. Somit lässt sich durchaus festhalten, dass es (idealtypisch) zwei Arten postapokalyptischer Filme gibt. Der ersten Art fehlt jeder transzendente Handlungsraum – also auch ein innerweltliches, ersehntes und eintretendes »Danach« oder »Anderswo«. Sie konzentriert sich dagegen darauf, die Auswirkungen einer möglichen Katastrophe realistisch darzustellen, und die Handlung verharrt in einem Zustand der Defizienz. Dabei geht es darum, gerade die Hilflosigkeit gegenüber der Bedrohung herauszustellen, was konsequent durch die Vermeidung eines Happy End verwirklicht wird. Auf der anderen Seite stehen Filme, die insofern die Kategorien der zwei Handlungsräume von Transzendenz und Immanenz aufgreifen, als sie letztendlich den als defizient gekennzeichneten, immanenten Zustand verlassen, und ein Weiterleben in einem Handlungsraum der Fülle versprechen. Zwar ist Martens Recht zu geben, dass das aktive Handeln Gottes, das in den klassischen Apokalypsen eine große Rolle spielt, im Film nur selten umgesetzt wird. Aber bei der Betrachtung der Erzählstruktur dieser Filme wird doch ein Gegenüber von Immanenz und Transzendenz deutlich. Die erzählte Gegenwart im Film wird als bedrohlich und verkommen dargestellt und dem neuen Zeitalter, dessen Anbruch am Ende angedeutet wird, gegenübergestellt.
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Fazit Die meisten apokalyptischen Erzählungen in der Moderne zeichnen sich dadurch aus, dass sie in spezifischer Weise unvollständig sind: Sie gehen von einer akuten Bedrohung aus, die die Welt und/oder die Menschheit zu vernichten droht. In den typischen modernen Apokalypsen wird diese Bedrohung durch das entschlossene Handeln der Menschen verhindert. Die Postapokalypsen gehen anders mit dem apokalyptischen Szenario um. Es lassen sich hier zwei unterschiedliche Ansätze ausmachen. Die in der Immanenz verbleibenden Postapokalypsen gehen von einem ähnlichen Bedrohungsszenario aus, denken dies aber konsequent zu Ende: Wie sieht eine Welt aus, in der die Katastrophe nicht abgewendet werden kann, und in der keine menschliche oder göttliche Kraft uns rettet? Damit eng verbunden ist der appellative Charakter dieser Filme, die auf reale Gefahren hinweisen und eine Änderung des Handelns und des Lebensstils der Menschen anregen wollen.58 Die zweite Gruppe der Postapokalypsen nutzt die Katastrophe dagegen, um ein bestimmtes Szenario zu schaffen, das den Hintergrund für eine apokalyptische Erzählung bildet, die in ihren Merkmalen den klassischen Apokalypsen sehr viel näher ist. Sie beziehen sich weniger auf reale Umstände, sondern nutzen die Katastrophe, um den Rahmen für eine Erzählung mit einer starken Gut-BöseDichotomie zu schaffen. Damit greifen sie die Muster klassischer Apokalypsen auf, die nach wie vor eine starke Faszination auf die Menschen auszuüben scheinen.59 Diese Typisierung ist selbstverständlich nur idealtypisch. Einzelne Filme fallen in bestimmten Punkten aus dem Rahmen, wenige haben – wie beispielsweise Quiet Earth mit seinen starken metaphysischen Elementen – einen wesentlich anderen Ansatz bei der Bearbeitung des Themas.
Trotzdem
kann
insgesamt
festgehalten werden, dass mit der vorgenommenen Unterteilung eine für die Kategorisierung apokalyptischer Narrationen wesentliche Dimension erfasst wird. Am Anfang dieser Untersuchung stand die Beobachtung, dass das klassische Konzept der Apokalyptik nicht ohne weiteres auf Weltuntergangserzählungen in den modernen Medien übertragen werden kann, und eine neue Kategorie – die der
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Postapokalypse
–
zu
einer
religionswissenschaftlichen
Erfassung
und
Kategorisierung dieser Erzählungen beitragen könnte. Der Befund, dass das Etikett der »Postapokalypse« letztlich zwei in ihrer Erzählstruktur grundsätzlich verschiedene Konzepte bezeichnet, hat auch Konsequenzen für den Begriff der Apokalypse selbst. Die Annahme, dass sich Apokalypsen in der Moderne durch ihre verkürzte, kupierte Form von den antiken, »vollständigen« Apokalypsen unterscheiden, wird von der Beobachtung widerlegt, dass die zweite Kategorie der hier untersuchten Postapokalypsen sehr wohl der Struktur klassischer Apokalypsen entspricht. Die erste Kategorie der Postapokalypsen dagegen lässt sich strukturell als Fortsetzung der kupierten Apokalypsen lesen, wenn auch unter ganz eigenen Vorzeichen. Der vorliegende Aufsatz soll daher auch als ein Plädoyer für eine Revision der Begriffsbildung in der Apokalypseforschung unter Berücksichtigung struktureller Textmerkmale verstanden werden. Hiervon, so die Hoffnung, kann auch die Analyse der antiken Texte profitieren, hat die Religionswissenschaft doch hier ebenso mit Abgrenzungsproblemen zu kämpfen, so dass die hier erarbeiteten Aspekte an dieser Stelle neue Kriterien für begründete Zusammenstellungen apokalyptischer Texte anbieten können.
Die Autorin: Anna Neumaier hat Kulturwissenschaft, Religionswissenschaft und Musikwissenschaft an der Universität Bremen und zwischenzeitlich an der Universität Leipzig studiert. Kontakt:
[email protected]
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Quellen:
Bibliographie: BROKOFF, Jürgen (2001):Die Apokalypse in der Weimarer Republik. München: Fink. Zugl. Bonn, Univ., Diss., 1999. BUSSE, Tanja (2000):Weltuntergang als Erlebnis. Apokalyptische Erzählungen in den Massenmedien. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag. Zugl. Dortmund, Univ., Diss., 1999. film-dienst (2003): Nr. 1/2003. Eingesehenunter URL: http://cinomat.kiminfo.de/filmdb/filme.php?filmnr=519838 , [30. 07. 2007]. GERHARDS, Claudia (1999):Apokalypse und Moderne. Alfred Kubins »Die andere Seite« und Ernst Jüngers Frühwerk. Würzburg: Königshausen und Neumann. HELLHOLM, David (19994): »Apokalypse I. Form und Gattung«. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. Hans Dieter BETZ (Hg.) (Sp. 585 – 588). Tübingen: Mohr Siebeck. KAISER, Gerhard R. (1991):Apokalypsedrohung, Apokalypsegerede, Literatur und Apokalypse. Verstreute Bemerkungen zu Einleitung. In: KAISER, Gerhard R.: Poesie der Apokalypse. Würzburg: Königshausen und Neumann. KIPPENBERG, Hans G. (1990):»Apokalyptik / Messianismus / Chiliasmus«. In: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe. Hubert CANCIK, Burkhard GLADIGOW, Matthias LAUBSCHER (Hg.) (S. 9 – 26). Stuttgart, Berlin, Köln: W. Kohlhammer. LEPPIN, Ralf (1997):Die postnukleare Endzeitvision im Film der achtziger Jahre. Köln: Verlag Ralf Leppin. Zugl. Köln, Univ., veränd. Magisterarbeit, 1988. MARTENS, John W. (2003):The End Of The World. The Apocalyptic Imagination In: Film And Television. Winnipeg: Shillingford Publishing. TRIMONDI, Victor und Victoria (2006): Krieg der Religionen. Politik, Glaube und Terror im Zeichen der Apokalypse. München: Wilhelm Fink Verlag. VONDUNG, Klaus (1988):Die Apokalypse in Deutschland. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.
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Filmographie: Die Herrschaft des Feuers. USA 2002. Regie: Rob BOWMAN. Mad Max. Australien 1978. Regie: George MILLER. Mad Max II - Der Vollstrecker. Australien 1981. Regie: George MILLER. Mad Max III – Jenseits der Donnerkuppel. Australien 1985. Regie: George MILLER, George OGILVIE. Quiet Earth - Das letzte Experiment. Neuseeland 1983. Regie: Geoff MURPHY. The Day After. USA 1983. Regie: Nicholas MEYER. The Day After Tomorrow. USA 2004. Regie: Roland EMMERICH. The Stand - Das letzte Gefecht. USA 1994. Regie: Mick GARRIS. Waterworld. USA 1994/95. Regie: Kevin REYNOLDS.
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Anmerkungen: * 1 2 3 4 5 6
7 8 9 10 11 12 13 14 15
16 17 18 19 20
21 22 23 24 25 26 27
28 29 30 31 32 33
Ich danke Frederik Elwert für seine wertvollen Anregungen und Hinweise. Dieses Genre ist dabei nicht auf den Film beschränkt. Verwandte Themen gibt es auch in der Literatur, in der Musik, in der bildenden Kunst und zunehmend auch in PC-Spielen. Vgl. Hellholm 1998, 588. Vgl. ebd. Vgl. Kippenberg 1990, 9. Vgl. Hellholm 1999, 590. Auch in Bezug auf die Johannes-Offenbarung weist Vondung übrigens darauf hin, dass die Bilder des Grauens wesentlich mehr Platz einnehmen als die des neuen Jerusalems (vgl. Vondung 1988, 265). Brokoff 2001, 15. Vondung 1988, 65. Ebd. Vgl. ebd., 65f. Ebd., 66. Vgl. Gerhards 1999, 15. Vgl. ebd., 16. Ebd., 25. Trimondis und Trimondis Werk »Krieg der Religionen. Politik, Glaube und Terror im Zeichen der Apokalypse« ist durchaus nicht frei von normativen Setzungen und daher aus religionswissenschaftlicher Sicht zumindest mit Vorsicht zu genießen. Als erste Überlegungen zum Einsatz apokalyptischer Deutungen und Redeformen in aktuellen politischen Diskursen und deren Reiz sind sie an dieser Stelle aber recht fruchtbar und sollen daher mit der nötigen Distanz mit einbezogen werden. Trimondi und Trimondi 2006, 19. Vgl. ebd., 19ff. Vondung 1988, 106. Vgl. Martens 2003, 163. Um Abgrenzungen des Feldes »Postapokalypse« von dem der Apokalypse treffen zu können, werden in allen Texten zunächst Geschichte und Merkmale antiker Apokalypsen aufgearbeitet. Dies hier wiederzugeben wäre aber für meine Zwecke redundant. Martens 2003, 163. Ebd., 138. Ebd., 192. Ebd., 190. Vgl. ebd., 186. Vgl. ebd., 174. Zum Verhältnis von Apokalypse, Katastrophe und der sich verändernden realen Bedrohung siehe auch Kaiser, Gerhard R.: Apokalypsedrohung, Apokalypsegerede, Literatur und Apokalypse. Verstreute Bemerkungen zur Einleitung. In: Kaiser, Gerhard R.: Poesie der Apokalypse. Würzburg: Königshausen und Neumann, 1991. Martens 2003, 191. Vgl. Busse 2000, 9. Ebd. Ebd. Vgl. ebd., 10. Ebd., 11.
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Anmerkungen: 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51
52
53 54
55 56 57 58
59
Vgl. ebd., 12. Vgl. Leppin 1997, 40. Vgl. ebd., 44. Vgl. ebd., 46. Ebd., 49. Vgl. ebd., 53. Vgl. ebd., 89. Vgl. ebd., 55. Ebd., 59. Vgl. ebd., 57. Vgl. ebd., 52. Ebd., 62. »Positivismus« verwendet Leppin im Sinne einer optimistischen Grundhaltung, nicht als wissenschaftstheoretische Position. Vgl. ebd., 65. Vgl. ebd., 69. Ebd., 91. Ebd., 96. Vgl. ebd., 56. Eine ausführliche Vorstellung der Filme und ihres Inhalts würde diesen Rahmen sprengen. Pointierte Zusammenfassungen müssen deshalb an dieser Stelle reichen, Feinheiten der Handlung und filmischen Ausgestaltung leider außen vor bleiben. Da es sich nicht wie bei Mad Max eindeutig um eine nukleare Katastrophe handelt, wird dieser Film von Leppin nicht besprochen. Martens dagegen nimmt den Film in seine Untersuchung mit auf. film-dienst 2003. Interessanterweise bezieht mit Stephen King (The Stand) gerade ein Autor Gottes Handeln mit ein, der in seinem Werk auch andere Formen des Übernatürlichen behandelt. In diesem Kontext scheinen auch Gott und der Satan nur eine anderes Motiv in einer Reihe von Mystery-Erzählungen. Leppin 1997, 53. Eine Ausnahme ist hier Herrschaft des Feuers, der mit den Drachen ein eindeutig fantastisches Motiv verwendet. Vgl. Brokoff 2001, 11. In Anlehnung an Vondung, der wie o.g. darauf hinweist, dass apokalyptische Texte jeweils einem ganz bestimmten historischen Hintergrund entspringen, ließen sich hier bei einem größeren Sample sicher auch Aussagen bzgl. einer Kontextualisierung der Hollywoodfilme treffen. Ein erster Anhaltspunkt wäre hier vielleicht das verstärkte Auftreten von Filmen, die die Atomproblematik thematisieren in den achtziger Jahren (hier vertreten durch The Day After und Quiet Earth sowie als »Vorgeschichte« bei Mad Max) oder die Thematisierung des Klimaproblems im Film The Day after Tomorrow von 2004, der in den Zeitraum der Debatte um das Kyotoprotokoll fiel, das auch von den USA Ende der Neunziger unterzeichnet, aber zu seinem Inkrafttreten Anfang 2005 von den USA nicht ratifiziert wurde. Vgl. Brokoff 2001; Trimondi und Trimondi 2006.
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Angewandte und zugleich kritische Religionswissenschaft
Anna-Konstanze Schröder
Einleitung, Problemstellung und Zielformulierung Religionswissenschaft kann anwendungsbezogen sein. Religionswissenschaft mischt sich in die gesellschaftlichen Diskurse ein. Sie will kein Orchideenfach sein, sondern ein »Gemüsefach«.1 Denn Religionswissenschaft kann von Nutzen sein.2 Damit ist nicht gemeint, dass Religionswissenschaft sich, einer neoliberalen Ideologie folgend, ihre Daseinsberechtigung verdienen soll.3 Aber auch wenn Religionswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen ihr Fach um seiner selbst Willen betreiben, so haben religionswissenschaftliche Erkenntnisse als Teil der Gesellschaft durchaus Konsequenzen. Und so können religionswissenschaftliche Forscherinnen und Forscher Einfluss nehmen ohne Absicht4 oder aus eigener Motivation um der wissenschaftlichen Redlichkeit willen5 oder weil sie es für ihre ethische Pflicht halten.6 Sie können auch Experten in Auftragsforschungen sein. Diese Aufträge können aus einem religiösen Kontext mit einem innerreligiösen Anliegen kommen,7 oder Religionen zum Gegenstand einer politischen oder medizinischen Fragestellung haben.8 Im Folgenden soll es darum gehen, wie angewandte Auftragsforschung9 im Fach Religionswissenschaft den religionswissenschaftlichen Gütekriterien10 genügen kann. Im sozialwissenschaftlichen Kontext wird sie Evaluationsforschung genannt.11 Sie hat das Ziel, »[…] dem Auftraggeber bzw. Projektträger verständliche und nützliche Entscheidungsgrundlagen zu verschaffen […]«.12 Wissenschaftliche Expertise bedeutet hier, aufgrund der Daten und Kenntnisse ein Gutachten zu einem Sachverhalt zu formulieren. Sie ist legitime Forschung mit Bezug zu einem Feld außerhalb des eigenen fachakademischen Horizontes. Damit reagiere ich kritisch auf die Darstellungen zu »angewandter Religionsforschung«, wie sie Verena Schmidt im ersten Band dieser Zeitschrift referierte und formulierte.13 Dem Vorwurf der Normativität werde ich gegenüberstellen, dass auch Religionswissenschaft nicht normfrei (im Sinne von standortlos) forschen kann, wenn sie mehr will, als Religionen zu beschreiben. Dies wird im Abschnitt Normativer
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und kritischer Umgang mit Religionen in der Debatte um die Abgrenzung zwischen Theologie und Religionswissenschaft genauer beschrieben. Im Abschnitt Sozialwissenschaftliche Methodologie für eine angewandte Religionswissenschaft stelle ich dar, dass in der Religionswissenschaft, unabhängig davon, ob sie beauftragt (angewandt) oder anwendungsbezogen ist, an den Kriterien einer kritischen Forschung festgehalten werden kann. Gerade wenn sich die Forschenden am Methodeninstrumentarium der empirischen Sozialwissenschaften orientieren, ist eben nicht »[…] von vornherein das gewünschte Ergebnis vorgegeben […]«.14 Im Abschnitt Forschungsethische Bedenken gehe ich schließlich auf den Anspruch Verena Schmidts ein, Religionswissenschaft solle allein der »[…] Gewinnung von Wissen und Erkenntnis […]«15 dienen. Religionswissenschaft, deren Ergebnisse öffentlich zugänglich sind, kann sich »[…] anderen gesellschaftlichen Subsystemen […]«16 nicht entziehen und sollte sie deshalb bewusst gestalten. So sind die Forschungsergebnisse zwar Missdeutungen und Instrumentalisierungen ausgesetzt. Aber dieses ist eine forschungsethische Frage und kein Problem von wissenschaftlicher und methodischer Redlichkeit. Abschließend werde ich Konsequenzen für eine angewandte Forschung, die den religionswissenschaftlichen Kriterien entspricht, aus dem Dargestellten ziehen und Thesen formulieren.
Normativer und kritischer Umgang mit Religionen Sowohl Theologie17 als auch Religionswissenschaft sind religionsbezogene Wissenschaften. Traditionell wurden beide aufgrund ihrer Stellung zum Gegenstand Religion(en) unterschieden. So stellt Fritz Stolz in seiner Einführung in die Religionswissenschaft dar, dass Theologie die Religionen aus einer innerchristlichen Perspektive betrachtet, während Religionswissenschaft den Anspruch erhebt, einen nichtreligiösen Standort einzunehmen. Während der innerreligiöse Standpunkt »normativ« genannt wird, gilt der nichtreligiöse Standort als »kritisch«.18 In der Wissenschaftsgeschichte waren und sind Religionswissenschaftlerinnen und –wissenschaftler mehr oder weniger bemüht, sich von solchen normativen Forschungstraditionen abzugrenzen. Dies geschieht weniger aufgrund einer AusVol. III • 01/2008
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einandersetzung mit dem akademischen Fach Theologie. Vielmehr stellt es das Bemühen der empirisch-sozialwissenschaftlichen Forschungstradition dar, sich von der Religionsphänomenologie abzugrenzen. Inzwischen finden sich in der kulturprotestantischen, theologischen Wissenschaftstradition durchaus auch nichtnormative Theologen – normativ im Sinne von aus einem innerreligiösen Standpunkt argumentierend. Deswegen schlage ich vor, positive Kriterien für »gute« oder »richtige« Religionswissenschaft zu formulieren. Das soll im Folgenden ausführlicher dargestellt werden.
Religionswissenschaftliche Forschungstraditionen Die beiden großen Traditionen der Religionswissenschaft lassen sich aufgrund ihres Gegenstandsbereiches unterscheiden: Während die so genannte Religionsphänomenologie direkt religiöse Phänomene zum Gegenstand hat, werden in der empirisch-sozialwissenschaftlichen Tradition soziale Phänomene mit einem Bezug zu Religionen erforscht. Religionswissenschaft, die sich als empirisch bzw. sozialwissenschaftlich versteht, bezieht sich zum einen auf manifeste Phänomene, die beobachtbar sind. Sie formuliert Theorien, die zum anderen auch eine latente Ebene wie das Denken und Wahrnehmen mit einschließen. Es wird so geforscht, dass über das, worauf sich ein religiöses Symboluniversum bezieht, keine Aussagen gemacht werden – weder darüber, dass es vorhanden ist noch wie es sich verhält. Denn sozialwissenschaftliche Methodik kann dies nicht empirisch erfassen. Das nennt man methodischen Agnostizismus. Wenn hier über das religiöse Symboluniversum gesprochen wird, dann geschieht das unter der Voraussetzung, dass es als sozial vermittelt und konstruiert zu betrachten ist. Denn nur aus dieser Perspektive erhält die empirisch-sozialwissenschaftlich orientierte Religionswissenschaft Zugang zu den jeweiligen Religionen.19 Die religionsphänomenologische Wissenschaftstradition macht durchaus Aussagen über religiöse Phänomene. Hier werden durch einen verstehenden Zugang und Vergleich der Kern von Religion und auch spezifische religiöse Elementarformen gesucht, deren verschiedene Ausprägungsformen in den verschiedenen Religionen zu typologisieren sind.20
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Diese Unterscheidung ist idealtypisch und verschwimmt beispielsweise in der Debatte um Religiosität: Hier wird in denselben kurzen Texten sowohl sozialwissenschaftlich argumentiert – im Sinne eines Perspektivwechsels von soziologischer zu psychologischer Betrachtungsweise (»…bisher aber weitgehend übersehen […] die Beziehung des Individuums zu jenen objektiven Gegebenheiten und seinen Umgang damit […]«21) – als auch religionsphänomenologisch – im Sinne der Bestimmung eines spezifischen religiösen Gegenstandes, der hermeneutisch neu erschlossen werden müsse (»[…] die Differenz von (subjektiver) Religiosität und (objektiver bzw. intersubjektiver) Seite der Religion theoretisch […] beschreiben […]«)22.
Theologische Forschungstraditionen Der Gegenstand von Theologie ist das Christentum in Theorie und Praxis. 23 In einigen theologischen Forschungstraditionen wird kein Gottesbezug formuliert. Die normgebende Instanz von theologischen Aussagen verlagerte sich in der kulturprotestantischen Tradition von der Gottesbeziehung des Glaubenden (Schleiermacher) hin zu einer empirischen Erfassung und Reflexion der Christentumspraxis.24 Das heißt, das Kriterium der Normativität ist nur bedingt für das gesamte Spektrum der theologischen Wissenschaft gegeben. So gibt es theologische Fakultäten, die sich einer kulturanthropologischen Theologie zugeordnet haben. Sie sprechen durchaus noch von Beteiligung an gesellschaftlichen Wertdiskursen. Hier ist die Wertung an sich schon Theologie, die nur noch im weitesten Sinne an theologische Forschungstraditionen anknüpft.25 In diesem Feld agiert auch der Bereich der so genannten Empirischen Theologie in den Disziplinen von Systematischer und Praktischer Theologie. Hier spricht man von der »empirischen Wende«, die sich bereits um das Jahr 1910 vollzog. Die Themen der empirisch arbeitenden Theologen reichen von der Führungsberatung für Pfarrer über die Predigtlehre und Seelsorgeausbildung, entwicklungspsychologische und -pädagogische Konzepte bis hin zu Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen oder Evaluationen von Gottesdiensten.26 Und das alles geschieht meist mit dem Ziel, das Verhalten von Kirche und religiösen Spezialisten dem Bedarf
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der kirchenzugehörigen bzw. religiösen Bevölkerung anzupassen.27 Von einigen Theologen wird allerdings die theologische Reflexion der verwendeten sozialwissenschaftlichen Methoden angestrebt.28
Standort der Religionswissenschaft Nach Oliver Freiberger bleibt als Unterscheidungsmerkmal zwischen Theologie und Religionswissenschaft nur die Verortung in unterschiedlichen Wirkungskontexten und wissenschaftlichen Diskursen, die nicht streng voneinander trennbar sind.29 Das heißt, Abgrenzung ist nötig und schafft zugleich neue Abhängigkeit. Denn solange sich Religionswissenschaft in Abgrenzung von Theologie definiert, ist sie nicht unabhängig. Auf diese Weise wäre das Selbstverständnis der religionswissenschaftlichen Forschergemeinschaft nicht mehr als wissenschaftspolitische Profilierung. Viel besser ist also eine positive Definition von Religionswissenschaft als Disziplin, die sich sowohl von der persönlichen Wertung durch den Forschenden als auch von den Kategorien des Gegenstands distanziert.30 Auf der Grundlage dieser doppelten Distanz werden Theorien in eigener Forschungstradition entwickelt. Wenn nun Theologen und Theologinnen sich in diesem Forschungskonsens bewegen, dann sind sie wohl bereits Religionswissenschaftler und Religionswissenschaftlerinnen.31 Der Ort der kritischen Distanz ist also kein nichtnormativer Standpunkt, er ist lediglich ein nicht-religiöser. Wenn so die Zugehörigkeit zum Forschungskonsens geklärt ist, dann bleibt noch die Zugehörigkeit zum Wirkungskontext. Dieses Kriterium halte ich für nicht haltbar. Denn der jeweilige Wirkungskontext kann durchaus unabhängig von den Wirkungsintentionen des Wissenschaftlers sein.32 Die Wirkungskontexte sind doch eher ein forschungsethisches Problem und keines, das unbedingt das Selbstverständnis einer ganzen wissenschaftlichen Disziplin bestimmen sollte. Wenn es hier um die Möglichkeit einer angewandten religionswissenschaftlichen Forschung auch im christlichen Kontext geht, dann stellt sich mir weniger die Frage nach der Abgrenzung von der Theologie. Vielmehr muss geklärt werden, auf welche Art und Weise ein Forscher oder eine Forscherin dieser religionswissenschaftlichen doppelten Distanz gerecht werden kann. Und wenn dies
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möglich ist, wie dann ein forschungsethisch zu verantwortender Umgang in der Anwendung der Forschungsergebnisse möglich ist. Ich schlage vor, eine Lösung dafür in den empirischen Sozialwissenschaften zu suchen, die sich dem kritischen Rationalismus verpflichtet wissen.33 Das soll im Folgenden konkretisiert werden.
Sozialwissenschaftliche Methodologie fr eine angewandte Religionswissenschaft Die angewandte Religionswissenschaft sollte sich an angewandten, empirischen Sozialwissenschaften34 orientieren. Sie suchen nach Bedingungsgefügen bezogen auf Menschen in gesellschaftlichen Kontexten. Sie machen durchaus auch normative Aussagen und haben hierzu eine elegante Lösung, mit der sich die Forschenden sowohl einer eigenen Meinung enthalten als auch die Distanz zum Gegenstand gewährleisten können. Dies wird durch einen strengen Theoriebezug möglich.
Distanz zum eigenen Standpunkt in der Sozialwissenschaft Anwendungsbezogene Aussagen mit empfehlender bzw. normierender Wirkung sind für die Forschenden auch möglich, ohne dass ihnen eine fehlende kritische Distanz zum eigenen Standpunkt vorgeworfen werden kann. Denn bezogen auf die Fragestellung, aufgrund der gegebenen Bedingungen und im Rahmen des aktuellen, gewählten Theorierahmens können Urteile auf Basis der erhobenen Daten unabhängig von der persönlichen Meinung des Forschenden gefällt werden. Die Bedingungen, anhand deren Ausprägung ein Werturteil getroffen werden soll, sind durch die Fragestellung vorgegeben, und diese kommt mehr oder weniger direkt vom Auftraggeber.35 Das heißt, dass im Zusammenhang mit der angewandten Erforschung von Religionen eine Übertragung notwendig sein wird von der Ideologie (Forschungsauftrag) der Religionsgemeinschaft in eine wissenschaftliche Theorie (Forschungsfrage).36
Distanz zum Gegenstand in der Sozialwissenschaft Die Distanz zum Gegenstand kann in den Sozialwissenschaften dadurch gewährleistet werden, dass streng theoriebezogen gearbeitet wird. Dies soll ausführlich
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an einem klassischen Beispiel der Sozialpsychologie, der »EinstellungsVerhaltens-Theorie«, verdeutlicht werden.37 Hierzu soll ein Experiment geschildert werden, das bereits 1934 im Zusammenhang mit der Vorurteilsforschung veröffentlicht wurde:38 In der ersten Testphase wurden an der Westküste der USA Motelbesitzer angerufen und befragt, ob bei ihnen ein chinesisches Ehepaar übernachten dürfe. Zu dieser Zeit gab es sehr negative Einstellungen gegenüber Chinesen in dieser Region. So wurde diese telefonische Anfrage zu 90% zurückgewiesen. In der zweiten Testphase bat ein chinesisches Paar (Mitarbeitende in dem Experiment) persönlich in denselben Motels um ein Zimmer. Diesmal bekamen sie in 90% der Fälle ein Zimmer. Was hat die Motelbesitzer dazu bewogen, in der konkreten Situation anders zu handeln als sie es am Telefon getan hatten? Dies ist eine klassische Fragestellung in der Einstellungsforschung: Warum denken und reden Menschen anders, als sie dann tatsächlich handeln? Wie kommt es von der Einstellung zum Verhalten? Die Theorie zur Erklärung des Zusammenhangs von Einstellung und Verhalten mit der besten Prädikationskraft ist die »Theory of planned behavior« von Icek Ajzen.39 Sie geht davon aus, dass Verhalten zunächst von zwei Faktoren bestimmt wird: von der Verhaltensabsicht und von der wahrgenommenen Ausführbarkeit dieses Verhaltens. Die Verhaltensabsicht wiederum wird bestimmt durch drei vorgelagerte Faktoren: durch die Einstellung zu dem Verhalten, durch den wahrgenommenen sozialen Druck und der Bereitschaft ihm (also der Norm) zu folgen und wiederum durch die wahrgenommene Ausführbarkeit dieses Verhaltens (Kontrolle). Mit diesem Modell lässt sich Verhalten mit bis zu 60-prozentiger Wahrscheinlichkeit voraussagen. Für eine sozialwissenschaftlicher Theorie ist das ein außerordentlich gutes Ergebnis. In dem Beispiel-Experiment hätte man also nicht nur die Verhaltensabsicht gegenüber den Chinesen erfassen sollen, die offensichtlich nicht ausschlaggebend für das Verhalten war. Über die anderen Faktoren (Einstellung, Norm, Kontrolle) lassen sich aber nur Vermutungen anstellen,40 die empirisch geprüft werden müssten. Eingesetzt wird die Theorie von Icek Ajzen für eine Vielzahl angewandter Fragestellungen. Es geht vor allem darum herauszufinden, an welchen Stellen Vol. III • 01/2008
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(Einstellung, soziale Norm, Durchführbarkeit) man intervenieren muss, um ein bestimmtes Verhalten zu fördern. Angewendet wird dieses Modell für Forschungen zu Themen wie der Kondomverwendung in AIDS-Gebieten41, dem Einsatz bestimmter Inhalte durch Lehrer im Schulunterricht (Umwelterziehung)42 oder sogar der Bereitschaft zur Bestechlichkeit unter Ärzten in Albanien.43 Eine relativ abstrakte Theorie wird für eine angewandte Forschung verwendet, um menschliches Verhalten beeinflussen zu können. Dabei kann ein Urteil über mögliche Interventionsmethoden unabhängig davon gefällt werden, welche Einstellung der Forscher oder die Forscherin persönlich zum Gegenstand hat, und unabhängig davon, welche Wertvorstellungen im Forschungsfeld vorherrschend sind. Den Rahmen für wissenschaftliche Expertenurteile liefert die intersubjektiv kommunizierte Theorie. Die zu untersuchenden Bedingungen (z.B. Korruptionsbereitschaft unter Ärzten) werden durch den Auftraggeber bestimmt. Angesichts dieser Themen wird die Frage nach der ethischen Angemessenheit der Anwendung in der Psychologie nicht gestellt. Heikel würde es erst werden, wenn für den Forscher zur Debatte stünde, ob beispielsweise die Korruptionsbereitschaft unter Ärzten gefördert oder verhindert werden soll.
Eine sozialwissenschaftliche Theorie als Standort der Kritik Entscheidend für ein solches Vorgehen ist die Arbeit mit Theorien,44 wie sie auch in der Religionswissenschaft üblich sein sollte. Die kritische Distanz zur eigenen Position und zum Gegenstand lässt sich durch einen konsequenten Theoriebezug und eine nachvollziehbare Methodik finden. In den Sozialwissenschaften wird dies als das Gütekriterium »Objektivität« definiert: »…unterschiedliche Forscher müssen bei der Untersuchung desselben Sachverhalts mit denselben Methoden zu vergleichbaren Resultaten kommen.«45 So kann im Rahmen einer sozialwissenschaftlichen Methodik auch dem Vorwurf von verfälschten Ergebnissen46 begegnet werden. Sozialwissenschaftliche Theorien werden anhand empirischer Daten aufgestellt, sie werden anhand von empirischen Daten und mittels objektiver Methoden geprüft, und sie werden auf diese Weise bestätigt, verworfen oder einer
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Revision unterzogen, wobei die so entstandenen Theorien wiederum geprüft werden. Diese (neuen) Theorien fügen sich in den vorhandenen Forschungskontext ein.47 Die empirische Theoriearbeit ermöglicht bei Wahrung der doppelten Distanz, dass religionswissenschaftliche Forschungsgegenstände nicht nur beschrieben, sondern auch erklärt werden können. Hier bedeutet allerdings »Erklären« die Formulierung von Ursache-Wirkung-Zusammenhängen, nicht aber die Erklärung als Einbettung in einen empirisch nicht überprüfbaren Verstehens- bzw. Wertungshorizont.48
Diese
formulierten
Ursache-Wirkung-Zusammenhänge
(Theorien) sind der normative Standort des Religionswissenschaftlers bzw. der Religionswissenschaftlerin. Allerdings ist dies eine Norm, die ständig revidiert werden und sich an empirisch Messbarem bewähren muss. Das heißt, der Empiriebezug bezieht sich nicht nur auf die Ableitung von Theorien aus empirischem Material (induktives Vorgehen), sondern fordert die Prüfung theoretischer Aussagen anhand empirischen Materials (deduktives Vorgehen).49 Mit der Forderung nach empirischer Prüfbarkeit von Theorien wird deutlich, was der Gegenstand einer angewandten Religionswissenschaft sein muss: nicht religiöse Phänomene, sondern psychische und soziale Phänomene, die sich auf Religionen beziehen.
Religionswissenschaft als Sozialwissenschaft So wie Religionswissenschaftler traditionell mit der Abgrenzung von Theologie beschäftigt sind, entsteht auch hier die Schwierigkeit, empirisch-sozialwissenschaftliche Religionswissenschaft von empirischen Sozialwissenschaften abzugrenzen. Religionswissenschaft erweist sich so als eine Sozialwissenschaft mit spezifischem Gegenstandsbereich und eigener Wissenschaftstradition. Der Vorteil religionswissenschaftlicher Konzepte gegenüber den jeweiligen sozialwissenschaftlichen ist ihre interdisziplinäre Orientierung. Denn sie sind komplexer als die Perspektive einer einzelnen sozialwissenschaftlichen Disziplin. Das heißt, Religionswissenschaftler haben die Expertise in ihrer Wissenschaftstradition für die kritische Forschung, die sich auf Religionen bezieht.
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Forschungsethische Bedenken Jetzt bleibt allein die forschungsethische Frage, ob Religionswissenschaft einer innerreligiösen Perspektive nützen darf. Die Ideologiedebatte steht somit vor einem neuen Problemhorizont. Es geht hier nicht darum, dass religionswissenschaftliche Aussagen auch normativ sind. Denn das Wissen darum ist Ausdruck wissenschaftstheoretischer Redlichkeit.50 Das Problem ist vielmehr: wenn sich Forschende mit evaluativer bzw. angewandter Auftragsforschung beschäftigen, arbeiten sie mit den Vorgaben (konkretes Anliegen des Forschungsauftrags) und in den ideologisch konnotierten Bereichen des Auftraggebers. Wenn gar Religionsgemeinschaften eine religionswissenschaftliche Forschung beauftragen, dann ist die Situation besonders verzwickt.51 Hier kann man zwar zwischen anwendungsbezogener und angewandter bzw. beauftragter Forschung unterscheiden. Aber in der Anwendung der Forschungsergebnisse wird es keinen Unterschied geben. Gegen eine interdisziplinäre Bezugnahme auf religionswissenschaftliche Forschungsergebnisse aus dem christlich-theologischen Kontext kann man nichts tun.52 Hier kann sich der Religionswissenschaftler oder die Religionswissenschaftlerin kaum einer indirekten Einflussnahme entziehen. Eine bewusste Einflussnahme irritierte so manchen Religionswissenschaftler oder so manche Religionswissenschaftlerin sicherlich aufgrund ihres oder seines persönlichen Standpunktes: Dürfen Kollegen und Kollegen und Kolleginnen einer Religionsgemeinschaft organisationsberatend beispielsweise bei der Mitgliederaquise helfen? Sollte man das dann nicht auch den Organisationsberatern53 überlassen? Die können aber, wie oben erwähnt, kein angemessenes Theorierepertoire vorweisen. Oder vielleicht ist das Aufgabe der Empirischen Theologie? Hier wird aber keine angemessene Distanz zum Gegenstand gewahrt. Das heißt, Religionswissenschaftler können die beste Expertise für eine sachliche Auftragsforschung in Religionsgemeinschaften vorweisen. Durch das Kriterium der doppelten Distanz können Religionswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen dafür sorgen, dass die Forschungsarbeit mit einer guten Methodik und einer passenden Theorie zu objektiven Ergebnissen kommt. Damit meine ich nicht einen Brückenschlag zwischen Theologie und Sozialwissenschaft,
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wie ihn Vertreter der Religionsphänomenologie vorschlagen,54 sondern einen sachlichen und fachkompetenten Umgang mit Forschungsfragen. Denn Religionswissenschaftler haben hier die Freiheit, verschiedene Konsequenzen von verschiedenen Handlungsweisen aufzudecken, religionspolitische Anliegen zu durchschauen und mehrere Positionen in ihrer Forschung zu berücksichtigen.55 Offen bleibt, inwieweit man seine Forschung für innerreligiös politische Zwecke eingesetzt wissen möchte. Aber der Rücktransfer religionswissenschaftlicher Forschungsergebnisse in die Konzepte der Religionsgemeinschaft bleibt letztlich den Auftraggebern überlassen.
Konsequenzen Ich plädiere hier dafür, die Entscheidung über die Bearbeitung von religionswissenschaftlichen Konzepten im Kontext von Forschungsaufträgen auch aus Religionsgemeinschaften jeweils dem Religionswissenschaftler oder der Religionswissenschaftlerin zu überlassen. Es ist solange Religionswissenschaft, wie die Kriterien der doppelten Distanz gewährleistet sind und die Einbindung der verwendeten
Theorien
in
die
religionswissenschaftliche
Forschungstradition
geschieht. Zusätzlich sollte die Distanz zu möglichen Nutznießern oder Geschädigten gewahrt bleiben, indem der Forscher oder die Forscherin mehrere innerreligiös politische Positionen im Forschungsdesign berücksichtigt. Dann kann auch im Kontext von Theologie oder im Auftrag von Religionsgemeinschaften religionswissenschaftlich geforscht werden. Das Anliegen von Religionswissenschaft, möglichst umfassend ideologiekritisch zu sein, wird im Umgang mit Theorien, wie er in den empirischen Sozialwissenschaften gang und gäbe ist, am besten erfüllt. Das bedeutet auch, kritisch gegenüber eigenen Ideologien und Tabus der eigenen Forschungstradition zu sein. Abschließend möchte ich Thesen formulieren und damit Kriterien benennen, die eine angewandte Religionswissenschaft – auch im Auftrag von Religionsgemeinschaften bzw. im Kontext von theologischer Forschung – ermöglichen. 1) Religionswissenschaft kann sowohl angewandt als auch anwendungsbezogen sein.
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2) Religionswissenschaft sollte den Kriterien der doppelten Distanz entsprechen. So sind weder religiöse Musikalität noch religiöse Unmusikalität als Voraussetzung für religionwissenschaftliche Forschung vonnöten . 3) Die doppelte Distanz wird durch eine sozialwissenschaftlich orientierte, theoriebezogene, hypothesenprüfende Religionswissenschaft ermöglicht 4) Eine solche sozialwissenschaftlich orientierte Religionswissenschaft soll sich auf den Theoriekontext der eigenen Forschungstraditionen beziehen. 5) Angewandte Religionsforschung, die für und in Religionsgemeinschaften forscht, berücksichtigt die innerreligiösen Debatten, indem sie sich auch hier von jeglicher Positionierung distanziert.
Die Autorin Anna-Konstanze Schröder ist Diplompsychologin. Sie hat in Leipzig Psychologie sowie dort und in Heidelberg Religionswissenschaft studiert. Derzeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald. Kontakt:
[email protected]
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Diese Formulierung geht wohl auf Hubert Seiwert zurück. (Schmidt 2006, 47). Schmidt 2006, 37f. Stichwort ist hier »Ökonomisierung der wissenschaftlichen Tätigkeit«. Vgl. Albrecht 2007, 25f. So stellen Hans Kippenberg und Kocku von Stuckrad in ihrer Einführung in die Religionswissenschaft (2003) dar, dass Religion als Gegenstand religionswissenschaftlicher Forschung durchaus »Öffentliche Arenen« besetzt. Ganz zu schweigen von Max Webers sprichwörtlich gewordener Protestantismus-These. (Vgl. Weber 1995, 315–356). Und so waren Religionswissenschaftler durchaus Akteure in den politischen Sektendebatten am Ende des 20. Jahrhunderts. »Die Wissenschaftler warfen dem Bericht gravierende methodische Mängel und sachliche Fehler vor […]. Mit dieser gemeinsamen Aktion schalteten sich zum ersten Mal führende europäische und nordamerikanische Religionsforscher, von denen sich einige seit Jahrzehnten mit der Erforschung von Sekten und neuen Religionen befassen, massiv in eine politische Diskussion ein.« (Seiwert 1998, 10). Vgl. die Debatte um »Engaged religious studies« oder eine Beteiligung von Religionswissenschaftlern am sogenannten »Interreligiösen Dialog« (Freiberger 2000, 120–121). So verantwortete in der vierten Erhebung zur Kirchenmitgliedschaft der EKD die Kultursoziologin Monika Wohrab-Sahr einen wesentlichen Anteil der Studie (vgl. Huber et. al. 2006). Oder am Institut zur Erforschung der religiösen Gegenwartskultur wurde im Auftrag der »Arbeitsgemeinschaft der Männerarbeit der EKD« die Religiosität von Männern erforscht (vgl. Engelbrecht und Rosowski 2007). Vgl. hierzu beispielsweise Murken 1998. Es gibt durchaus auch Anwendungen von religionswissenschaftlichen Kenntnissen im nichtakademischen Bereich. Hier sei besonders hingewiesen auf den Bildungsbereich und die Bereiche der interkulturellen Konfliktbewältigung sowie des nichtkonfessionellen Ritualdesigns. Insgesamt scheint eine große Ratlosigkeit über die Anwendbarkeit von Religionswissenschaft zu herrschen. Schmidt 2006. Vgl. Bortz und Döring 2003, 101–136. Bortz und Döring 2003, 102. Schmidt 2006, besonders 38 und 48f. Schmidt 2006, 38. Schmidt 2006, 49. Hubert Seiwert wird in der Diktion Niklas Luhmanns referiert, nach Schmidt 2006, 49. Die Ausführungen beziehen sich auf den Kontext der Evangelischen Theologie. Stolz 1997, 35–44. Vgl. auch Seiwert 2004: »[…] besteht […] Konsens, daß R.[eligionswissenschaft] eine empirische und nichtnormative Wiss.[enschaft] ist. Damit wird üblicherweise eine deutliche Abgrenzung zur Theol.[ogie] vorgenommen, die sich zwar ebenfalls mit Rel.[igion] befaßt, dabei jedoch nicht grundsätzlich die Frage der Wahrheit und existentiellen Bedeutung rel.[igiösen] Glaubens ausklammert.« Seiwert 1977. Seiwert 2004. Bochinger und Kurth 2007, 58. Bochinger und Kurth 2007, 58. »Wir definieren diesen Gegenstand der Theologie als das erinnerte Gesamtleben des Christentums, wie es sich aufgrund seines Ursprungs und seiner Geschichte als gegenwartsbestimmend erweist und uns für die gegenwärtige Ermöglichung der Dialog-, Handlungs- und Verantwortungsfähigkeit aus Glauben – also der Praxis des christlichen Glaubens – aufgegeben ist.« (Hervorhebungen im Original), Stock 2002, 326. McGrath 2002. Das bedeutet durchaus, dass daneben Vertreter noch weiterer und anderer akademischer Theologieschulen an evangelischen Fakultäten bestehen, die durchaus auch einen Gottesbezug formulieren.
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Selbstdarstellung des Profils der Rostocker theologischen Fakultät: »Ihr [der Theologie, Anm. d. Verf.] besonderer Gegenstandsbereich ist das Christentum mit seinen Traditionen und Texten, seiner Geschichte und Zukunft. Theologische Forschung und Lehre hat in diesem Rahmen ihre Eigenständigkeit und Anschlussfähigkeit zu zeigen; sie beteiligt sich am Diskurs um Orientierungen und Werte. Mit der Verortung theologischer Arbeit im Rahmen der Kulturwissenschaften […] fragen wir, welche Bedeutung das kulturwissenschaftliche Forschungsprogramm für theologische Fragestellungen, Methodik, Ergebnisse und ihre Relevanz hat […]«, (Reinmuth 2008). Vgl. Dinter et. al. 2007. Vgl. Huber et. al. 2006 und Dinter, et. al. 2007. Bei anderen so genannten »empirischen Theologen« hat der Religions- bzw. Gottesbezug jedoch auch nur insofern Relevanz, wie er sich im Spiegel von Erleben, Verhalten und Kontext der Glaubenden finden lässt. (vgl. Dinter, et. al. 2007, 25). Freiberger 2000, 118–119. Den Anspruch der doppelten Distanz findet man sowohl in der empirischsozialwissenschaftlichen als auch in der religionsphänomenologischen Tradition von Religionswissenschaft. Vgl. Freiberger 2000, 119 und Tworuschka 2002, 10. »Für eine Beurteilung einzelner Studien erscheint es daher von größerem Nutzen, die Vorgehens- und Darstellungsweise in der konkreten Abhandlung zum Maßstab zu machen und nicht die wissenschaftliche Herkunft des Verfassers und seine Eingebundenheit in ein bestimmtes Fach.« Freiberger 2000, 116. Beispielsweise die Zitierung von Hubert Seiwert auf einer Website von Scientology. z.B. N.N. (Andrea Marco Bianca), http://religo.ch/2007/09/, [06.02.2008] Vgl. Seiwert 1977. Es gibt natürlich nicht die Sozialwissenschaft, sondern sozialwissenschaftliche Disziplinen mit spezifischen Gegenstandsbereichen, wie z.B. Psychologie, Soziologie, Ethnologie, Politikwissenschaft, Jura. Hier sind solche Sozialwissenschaften gemeint, die sich dem Kritischen Rationalismus nach Karl Popper verpflichtet wissen und ihre Theorien auch einer Prüfung am empirischen Material unterziehen. (Friedrichs 1990, 69–73). Hier zwei klassische Beispiele: Das geschieht so in der Psychodiagnostik, bei der Themen wie »Ermöglichen die kognitiven Voraussetzungen des Kindes den Besuch des Gymnasiums?« bearbeitet werden, wobei hier eine Intelligenzdiagnostik indiziert ist. (Boerner 2004). Das geschah auch durch die Mitarbeit von Religionswissenschaftlern in der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages »Sogenannte Sekten und Psychogruppen«, die die Fragestellung »Sind Sekten gefährlich?« bearbeiteten. Die Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung für das Wohlbefinden von Mitgliedern einer Gesellschaft war hier die gesetzte zu erforschende Bedingung für die Begutachtung (Deutscher Bundestag, 1998). Wiebe 1993. An dieser Stelle hätte ich gern eine hypothesenprüfende Auftragsstudie aus der Religionswissenschaft als Beispiel aufgeführt. Jedoch war es mir nicht möglich, eine solche Studie zu finden, die sowohl mit einer religionswissenschaftlichen Theorie arbeitet als auch daraus abgeleitete Hypothesen prüft und zusätzlich von einer außer(religions)wissenschaftlichen Einrichtung beauftragt wurde. (Insbesondere hypothesenprüfende Studien sind im Zusammenhang mit religionswissenschaftlichen Theorien selten.) LaPiere 1934. Ajzen 1985. Im Gegensatz zur Situation am Telefon waren neben einer Erwartung von finanziellen Einkünften sicherlich die Abwesenheit von möglicher sozialer Kontrolle und die Ausführbarkeit – sicherlich war ein Zimmer frei – von entscheidender Bedeutung. Der erwartete Gewinn war größer als der soziale Schaden. Molla et. al. 2007. Zint 2002. Burak und Vian 2007.
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Theorien sind »… durch eine präzise Terminologie, einen logisch-konsistenten Informationsgehalt […], durch eine möglichst breite inhaltliche Tragweite sowie durch eine begrenzte Anzahl von Annahmen […] gekennzeichnet.« Anwendungsbezogene Zusatzannahmen sollten »[…] wissenschaftliche Erkenntnisse in effiziente, routinisierbare Handlungsanleitungen umsetzen und Wege ihrer praktischen Nutzbarmachung aufzeigen.« Bortz und Döring 2003, 105. Bortz und Döring 2003, 326. Schmidt 2006. Wenn die theoretischen Hintergründe, die Operationalisierungen und die Datenerhebungsmethode transparent und der intersubjektiven Kommunikation zugänglich sind, dann müssten die Ergebnisse so eindeutig sein, dass sie in einer Replikationsstudie von anderen Wissenschaftlichern und Wissenschaftlerinnen bestätigt werden müssten. Vgl. die Darstellung des »wheel of science« bei Creswell 2003. Vgl. Seiwert 1977. Vgl. hierzu die wissenschaftstheoretische Debatte um den »Kritischen Rationalismus« nach Karl Popper, wie sie von Jürgen Friedrichs auf die empirischen Sozialwissenschaften angewendet wird. (Friedrichs 1990, 69–73). Vgl. Freiberger 2000, 119. Hier bewegt sich der Forscher oder die Forscherin tatsächlich im Bereich des möglichen – aber nicht notwendigen – Vorwurfs, sich für seine Forschung zu »verkaufen« (Ökonomisierung von Forschung, vgl. Schmidt 2006, 38), die Distanz zum Gegenstand zu verlieren und dem Auftraggeber genehme Ergebnisse zu liefern. Oder aber er oder sie nehmen aufgrund persönlicher Motivation einen bestimmten Standpunkt ein, der nicht genügend reflektiert wird. Vgl. beispielsweise die Rezeption von Berger und Luckmanns »Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit« bei Zimmermann 2006. Vgl. hierzu den Überblick über sozialwissenschaftliche Forschung für das »reflexive monitoring« (Überdenken der eigenen Organisationsstrukturen mit Hilfe von sozialwissenschaftlichen Daten) von religiösen Führungskräften in den USA (Carroll 2000). Roberts 2006. Ich möchte das am Beispiel einer theologischen Forschungsfrage kurz erläutern: »Welche Aktivitäten der evangelischen Kirchen fördern das Erleben einer Bekehrung zum christlichen Glauben?« Angenommen, in einer entsprechenden Konversionsstudie werden solche Theorien bestätigt, die bisher bei so genannten »Sekten« erforscht wurden. Oder man würde gar einen Vergleich zwischen evangelisch-landeskirchlichen Christen und z.B. Jehovas Zeugen anstreben. Könnte das den landeskirchlichen Christen beweisen, dass so genannte »Sekten« nicht so »schlimm« sind, weil nun nachgewiesen wäre, dass innerhalb der Kirche dieselben Prozesse stattfinden? Wahrscheinlich würden diejenigen innerhalb der Kirche, die von Konversion bzw. »Bekehrung« sprechen, eher zu den gefährlichen Sektierern gezählt. Oder der Religionswissenschaftler bzw. die Religionswissenschaftlerin würde in den Verdacht geraten, in der innerchristlichen Debatte Argumente für die Fraktion beizusteuern, die nur bekehrte Christen für »richtige« Christen hält.
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REZENSIONEN
ISSN 1862 – 5886
Sterben, Tod und Jenseitshoffnung in europäischen und asiatischen Kulturen
Tobias Bauer
Autor: Titel:
Von Brück, Michael Ewiges Leben oder Wiedergeburt? Sterben, Tod und Jenseitshoffnung in europäischen und asiatischen Kulturen
Verlag: Erscheinungsort: Erscheinungsjahr:
Herder Freiburg/ Breisgau 2007
Umfang: Preis: ISBN:
304 Seiten 19,90 ! 9783-451-29599-7
Sterben, Tod und Jenseits sind grundlegende existentielle Fragen des Menschen, mit denen sich Religionen wohl seit jeher auseinandersetzen, dabei jedoch unterschiedliche Vorstellungen und Konzepte hervorbringen.1 Beispielsweise in Form von Debatten medizinethischer Dilemmata, Berichten über Nahtoderfahrungen oder der Diskussion um die öffentliche Zurschaustellung konservierter Körper im Rahmen der sog. »Körperwelten«-Ausstellungen sind die Themen Sterben, Tod und Jenseits auch in der Gegenwart Gegenstand nicht nur öffentlicher Aufmerksamkeit sondern auch religionswissenschaftlicher Untersuchungen. Das neueste Buch des Münchner Professors für Religionswissenschaft Michael von Brück Ewiges Leben oder Wiedergeburt? wählt eine Zugangsweise zu diesen Fragen von Sterben, Tod und Jenseitshoffnung, die von religionswissenschaftlichen Beschreibungen der relevanten Mythen und Riten im europäischen und asiatischen Kulturraum ihren Ausgangspunkt nimmt, diese dabei miteinander in Beziehung bringt und schließlich in eine existentiell-religiöse Betrachtung überführt. Zielsetzung des Buches ist es, die unterschiedlichen kulturellen Ausprägungen des menschlichen Umgangs mit dem Tod einer interkulturellen historischen Betrachtung zu unterziehen und diese Erkenntnisse für die eigene Auseinandersetzung (der Leser/-innen) mit Sterben, Tod und Jenseits fruchtbar zu machen. Mit diesem Ansatz wendet sich das in Sprache und Aufbau leicht lesbare Buch auch an einen über das religionswissenschaftliche Fachpublikum hinausgehenden breiteren Kreis einer an interkulturellem und -religiösem Dialog und Vergleich sowie an der Thematik von Sterben und Tod interessierten Leserschaft. 1
Zur Frage nach dem Tod als «anthropologische Konstante» und universelles Phänomen der Religionen siehe etwa von Barloewen, Constantin (Hrsg.) (2000):Der Tod in den Weltkulturen und Weltreligionen. Frankfurt am Main und Leipzig: Insel.
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Ein einführender Teil erörtert zunächst die Vielschichtigkeit des Phänomens »Tod« mit seinem Doppelcharakter als eines kultureller Deutung bedürfenden biologischen Faktums sowie eines sowohl den Bereich des Privaten wie auch den des Sozialen betreffenden Ereignisses und zeigt die den kulturspezifischen Vorstellungen von Sterben, Tod und Jenseits zugrundeliegenden Bedingungsfaktoren auf. Anschließend werden im ersten Kapitel Mythen, im zweiten Kapitel Riten des europäisch-christlichen Raums denen der hinduistisch-buddhistischen Tradition vergleichend gegenübergestellt. Im dritten und letzten Kapitel erfolgt der Versuch einer interkulturellen Perspektive auf die Fragen von Sterben, Tod, Jenseitshoffnung und insbesondere Wiedergeburt, bei dem Konzepte der beiden Kulturräume miteinander in Beziehung gesetzt werden und zu einem integrierenden Lösungsmodell verwoben werden. Im Bereich »Mythos« diskutiert von Brück zunächst relevante Vorstellungen und Konzepte des europäisch-christlichen Kulturraumes. Seine Betrachtung erstreckt sich dabei von der griechischen Antike über biblische Quellen bis hin zur Entwicklung des europäischen Fortschrittsmythos von der Renaissance bis zum 19. Jahrhundert, wobei die mit Fragen von Tod und Todesüberwindung in engem Zusammenhang stehenden Vorstellungen über die Zeit besondere Berücksichtigung erfahren. Auch bei der Behandlung hinduistisch-buddhistischer Vorstellungen, u.a. der in den Mythen des Vishnuismus und Shivaismus, in der Philosophie des Samkhya-Yoga,des Vedanta sowie in den verschiedenen Strömungen des Mah"y"na-Buddhismus auftretenden Konzepte, steht neben den kultur- und zeitspezifischen Deutungen von Sterben und Tod auch die Interpretation von Zeit und Zeitlichkeit im Vordergrund. Ein eigener Abschnitt ist den chinesischen Todesvorstellungen gewidmet, bevor – die vorangegangen Darstellungen zusammenfassend – Grundmodelle der Anschauung von Zeit, Sterben und Tod im Mythos der Religionen herausgearbeitet werden. In gleicher Weise finden im Kapitel »Ritus« Vorstellungen und Riten einer enormen zeitlichen wie räumlichen Bandbreite ihre Berücksichtung. Für den europäischen Raum spannt von Brück den Bogen von vorchristlichen Vorstellungen und Riten in Ägypten, Mesopotamien und Griechenland über die christliche Sterbekultur im frühen Christentum, in Mittelalter und Neuzeit bis hin zur gegenwärtigen Trauer- und Bestattungskultur. Besonders intensive Auseinandersetzung erfährt dabei die Musik, deren Bedeutung für den Themenbereich Sterben und Vol. III • 01/2008
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Tod aufgezeigt und am Beispiel des Requiems als musikalischer Ritus im Christentum ausführlich erörtert wird. Den europäisch-christlichen Bestattungsund Übergangsriten stellt von Brück die aus dem Gedanken des Opfercharakters des Todes entspringenden hinduistischen Sterbe- und Totenrituale sowie die rituellen Implikationen einer buddhistischen ars moriendi mit ihrer spezifischen Anforderung an die Vorbereitung auf den Tod und an eine bestimmte Geisteshaltung im Zeitpunkt seines Eintritts gegenüber. Auch im Schlußkapitel »Geheimnis als Hoffnung« wird zunächst der europäisch-christliche Raum behandelt, wobei das in der menschlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Todes entstehende Spannungsfeld zwischen Angst und Hoffnung im Mittelpunkt der Betrachtung steht. In der Diskussion der Angst und ihrer Überwindung greift von Brück auf Paul Tillichs Unterscheidung von drei Formen der Angst zurück. Ausgehend von der «Angst der Leere und Sinnlosigkeit» formuliert er angesichts der bis zur Gegenwart andauernden Hinwendung vieler Menschen zu den Praktiken des Hinduismus und Buddhismus in der Absicht, Sinnlosigkeit und Todesangst zu überwinden, die Notwendigkeit, dem Bedürfnis nach einer Verbindung von Erfahrungen hinduistischer und buddhistischer Praxis mit der europäisch-christlichen Tradition Rechnung zu tragen und die christliche Hoffnung auf Auferweckung von den Toten neu zu durchdenken. Der christlichen Auferstehungshoffnung wird anschließend der indische Wiedergeburtsglauben sowie die vedantische Reinkarnationslehre gegenübergestellt. Im ausführlichen dritten Teil des Schlußkapitels zeigt von Brück Notwendigkeit und Möglichkeiten einer Diskussion der Reinkarnationslehre im christlich-theologischen Kontext auf, weist Einwände gegen eine solche Diskussion zurück, und entwickelt aufbauend auf einer Kritik der indischen Reinkarnationslehre einen Lösungsvorschlag einer «kontinuierlichen Manifestation», der aus interkultureller Perspektive Reinkarnationstheorien mit christlich-europäischen Denktraditionen in Verbindung setzt. Ewiges Leben oder Wiedergeburt? ist in mehrfacher Hinsicht deutlich als ein Buch Michael von Brücks erkennbar: Er knüpft darin nicht nur an seine bisherigen bedeutenden Beiträge zur vergleichenden Religionswissenschaft und zum interreligiösen Dialog an und führt diese anhand des konkret umrissenen Themenfeldes Sterben, Tod und Jenseits fort, indem er einerseits die unterschiedlichen Vorstellungsmuster europäischer und asiatischer Religionen Vol. III • 01/2008
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herausarbeitet, andererseits jedoch mit der Entwicklung seiner Theorie der »kontinuierlichen Manifestation« versucht, Möglichkeiten aufzuzeigen, diese unterschiedlichen, bzw. zunächst gegensätzlich erscheinenden Vorstellungen miteinander in Beziehung zu setzen und gleichzeitig Anknüpfungspunkte für einen Dialog des Christentums mit den Religionen des hinduistisch-buddhistischen Raumes in den Fragen von Sterben, Tod und Jenseits zu eröffnen. Das vorliegende Buch verbindet darüber hinaus auch zum einen religionswissenschaftliche Erkenntnisse mit einer existentiell-religiösen Zugangsweise zum Thema, zum anderen ist es nicht nur auf Basis religionsgeschichtlicher Schriftquellen erarbeitet, sondern auch in hohem Maße durch die intensive und langjährige Auseinandersetzung von Brücks mit den praktischen Aspekten asiatischer Religiosität sowie durch die mittels persönlicher Teilhabe gewonnenen Einsichten geprägt. Dementsprechend ist auch die Auswahl des zu Fragen von Mythos und Ritus behandelten religionsgeschichtlichen Materials an »biografischen Kriterien« orientiert. Dies bedeutet andererseits, dass bestimmte Schwerpunkte sicher auch anders hätten gesetzt werden können. Beispielsweise wäre anstelle der ausführlichen, einen breiten Raum einnehmenden Behandlung der Musik auch eine eingehendere Auseinandersetzung mit anderen kulturellen Ausformungen von Todesund Jenseitsvorstellungen denkbar, etwa mit der Totentanz- oder Memento-moriLiteratur, wobei freilich angesichts der enormen zeitlichen wie räumlichen Bandbreite der Darstellung eine Auswahl und Beschränkung auf die wichtigsten mythologischen und rituellen Erscheinungsformen unumgänglich ist. Auch wenn das Buch daher schon allein aus Platzgründen keinen Anspruch auf eine vollständige Darstellung aller relevanten Mythen und Riten erheben möchte und kann, wäre dennoch eine explizitere Herausarbeitung grundlegender, interkulturell vergleichbarer Vorstellungsmuster wünschenswert gewesen. Die Diskussion dieser religiösen Grundmodelle der Todes- und Jenseitsvorstellungen ist vergleichsweise knapp gehalten bzw. beschränkt sich für den Bereich des Ritus auf eine kurze Darstellung der Lichtsymbolik, was die Erwartungen eines in erster Linie am rein religionsgeschichtlichen bzw. religionsvergleichenden Aspekt dieses Themas interessierten Leser u. U. nicht voll erfüllt. Da zu vielen Einzelaspekten der im vorliegenden Buch diskutierten europäisch-christlichen und hinduistisch-buddhistischen Mythen und Riten fundierte Fachliteratur einschlägig ist, wäre gerade dieser vergleichende Aspekt, das ausführliche Aufzeigen von BeVol. III • 01/2008
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rührungspunkten – aber auch grundlegend verschiedener Muster der Todes- und Jenseitsvorstellungen – aus der Perspektive eines für diese Aufgabe geradezu prädestinierten Fachmannes ein wichtiger Beitrag gewesen. Hier zeigt sich, dass sich von Brück in seiner Darstellung zwar des religionsgeschichtlichen Materials der relevanten Mythen und Riten bedient, eine rein religionswissenschaftliche und -vergleichende Auseinandersetzung mit den Todes- und Jenseitsvorstellungen der Religionen jedoch hinter der eigentlichen Zielsetzung des vorliegenden Werks, eine existentiell-religiöse Betrachtung der Thematik aus interkultureller und -religiöser Perspektive vorzunehmen, zurücktritt. Insofern ist das vorliegende Werk in seiner letzten Intention weniger als ein Beitrag zur religionswissenschaftlichen Forschung zu sehen, sondern vielmehr als der Versuch einer Vereinbarung christlicher Konzepte mit asiatischen Traditionen zu einem integrierenden Lösungsmodell für die Bewältigung der Fragen von Sterben, Tod und Jenseits auf einer existentiell-religiösen Ebene zu verstehen. In jedem Fall bietet jedoch der eindrucksvolle Überblick über westliche und östliche Vorstellungsmuster dem Leser eine Fülle von Anknüpfungspunkten, die zu tiefergehender religionsgeschichtlicher und -vergleichender Beschäftigung mit den verschiedenen Aspekten der Thematik anregen. Den Höhepunkt des Werks stellt zweifellos die Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Anliegen des Buches dar, auf Grundlage dieser religionswissenschaftlichen Analysen den existentiellen Fragen des Menschen nach Sterben, Tod und Jenseits auf interreligiös-offene Weise nachzuspüren. Es gelingt von Brück, mit seinem, u.a. die christliche Lehre der creatio continua mit einer nicht-dualistischen Grundhaltung und der Annahme einer selbständigen »feinstofflichen« Wirklichkeitsebene verbindenden Konzept der »kontinuierlichen Manifestation« einen faszinierenden Vorschlag vorzulegen, der nicht nur den Leser in seiner eigenen Auseinandersetzung mit den existentiellen Fragen nach Sterben, Tod und Jenseits inspiriert, sondern zugleich auch eine fundierte Grundlage für den Dialog des Christentums mit den Religionen des hinduistisch-buddhistischen Kulturraums darstellen könnte. Rezensiert von Tobias Bauer, Universität Kumamoto, Japan Kontakt:
[email protected]
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Vom Tempelkult zum Abendmahl
Sylvie Eigenmann
Autor: Titel:
Schmitz, Bertram Vom Tempelkult zur Eucharistiefeier: Die Transformation eines Zentralsymbols aus religionswissenschaftlicher Sicht
Reihe:
Studien zur orientalischen Kirchengeschichte
Verlag: Erscheinungsort: Erscheinungsjahr:
Lit Münster/ Berlin 2006
Umfang: Preis: ISBN:
408 Seiten 34,90 ! 3-8258-9362-6
Am Anfang war Jom-Kippur. Ohne diesen jüdischen Feiertag sähe das heutige Christentum deutlich anders aus. Dies behauptet jedenfalls Bertram Schmitz in seiner religionswissenschaftlichen Habilitationsschrift, die er 2003 an der Universität Hannover eingereicht hat. Seine Hauptthese lautet, dass sich das christliche Abendmahl nicht nur phänomenologisch an Jom-Kippur anlehnt, sondern sich auch genetisch daraus ableitet. Die These ist neu; bisher herrschte in der Forschung die Meinung vor, die Eucharistiefeier hätte sich in der frühen christlichen Kirche durch den Einfluss der sogenannten Mysterienreligionen gebildet und sei somit griechisch-hellenischen Ursprungs. Dem widerspricht Schmitz. Seine Arbeit untersucht die Beziehung zwischen dem Tempel als zentralem Ritualsymbolsystem der israelitischen Religion und der Eucharistiefeier als zentralem Symbolsystem des Christentums aus »phänomenologischer«, religionsgeschichtlicher und religionswissenschaftlicher Perspektive. Schmitz will einen Deutungsversuch der Trennung von rabbinischem Judentum und frühem Christentum wagen, indem er eben diese Trennung als Erbaufteilung der israelitischen Religion nach der Zerstörung des Tempels 70 n. Chr. darstellt. Die Tempelzerstörung ist darum zentral, weil laut Schmitz die Anfänge des heutigen Judentums wie auch des Christentums damit verbunden sind. Nach der Zerstörung nämlich konnte die israelitische Religion nicht mehr in ihrer bisherigen Form beibehalten werden. So schuf sich ein Teil von ihr sein neues kultisches Zentrum um Jesus Christus in der Abendmahlsfeier. Der anderer Teil – das rabbiVol. III • 01/2008
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nische Judentum – fokussierte die Heiligung des alltäglichen Lebens. Die Abendmahlsfeier gewann darum, so Schmitz, für das Christentum dieselbe zentrale Stellung wie für das Judentum der Tempel und hätte mit dessen Zerstörung noch an Bedeutung gewonnen. Neben dem Tempel als zentralem Element jüdisch-christlicher Bedeutungskonstruktion untersucht Schmitz einen spezifisch jüdischen Feiertag: Jom-Kippur, den jüdischen Versöhnungstag, der die christliche Eucharistiefeier in ihrer Form so geprägt habe, dass das Abendmahl im Grunde eine Fortsetzung der Jom-KippurFeiern darstelle. Um dies aufzuzeigen, gebraucht Schmitz »phänomenologische« Methoden: er untersucht anhand theologischer und religionsgeschichtlicher Quellen einzelne Strukturelemente sowohl der Jom-Kippur-Feiern als auch der christlichen Eucharistie in vergleichender Weise und widmet seiner Vorgehensart auch ein eigenes Kapitel. Elemente und Figuren wie »der Hohepriester«, »weisse Kleidung«, »Tiere«, »der Tempel«, »der Vorhang«, »Räucheropfer«, »Blut« etc. werden auf ihre Rolle und Bedeutung im jüdischen wie auch im frühchristlichen Kult vergleichend untersucht, um aufzuzeigen, dass sich Letzterer aus Ersterem, ableitet. Denn die Christen, so Schmitz, hätten sich als Erben des ehemaligen Tempelgottesdienstes betrachtet und sich bemüht, einen Gottesdienst zu schaffen, der diesem zu großen Teilen entsprach. Neben den schon erwähnten, parallelen Symbolkomplexen sei aber zentral, dass es auch im Christentum ein Fest gibt, an dem der Hohepriester (Jesus) im Allerheiligsten (den eucharistischen Gaben) zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Ritual mit dem Blut des Bundes zur Vergebung der Sünden vollziehe. Dieses Fest entspricht Jom-Kippur, dem wichtigsten jährlichen Festtag im Judentum. Er war gekennzeichnet durch Tempelopfer und Arbeitsverbot. Früher war Jom-Kippur der einzige Tag, an dem der Hohepriester – allein und streng abgeschirmt – das Allerheiligste im Tempel betreten durfte, um stellvertretend für das Volk die Vergebung der Sünden zu empfangen. Dort besprengte er die Bundeslade mit dem Blut von zwei Opfertieren und sprach dreimal den Namen Gottes aus, dessen Aussprache sonst allgemein verboten war. Ebenso wurde über zwei Böcken das Los geworfen. Der eine wurde geopfert, der andere als Sündenbock in
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die Wüste gejagt, nachdem ihm der Hohepriester die Sünden des Volkes auferlegt hatte. Viele Juden pflegen sich an diesem Tag weiß zu kleiden, als Symbol der Reinheit von Sünden. Aufgrund der erwähnten Parallelen in den Elementen von Jom-Kippur und der Eucharistie kommt Schmitz darum zu dem Schluss: »Judentum und Christentum gehen je ihren eigenen Weg. Aber sie haben jeweils auch ein ganz bestimmtes Ritual zur Verfügung, das in höchster Form den Themenkomplex Schuld und Vergebung, Sünde und Entsühnung, menschliche Gottesferne und göttliche Menschennähe gestaltet. […] Es ist nach wie vor dasselbe Symbolinventar des Tempelsymbolkomplexes, insbesondere in der Person des Hohepriesters, im Akt des Opfers und in der Intention der Wiederherstellung des idealen Gottesverhältnisses, das das jüdische Jom-KippurVerständnis über die israelitische Tempelfeier hinweg mit der christlichen Eucharistie verbindet.« (S. 299)
Was für die Juden also der Tempel war, wurde für die Christen Jesus; was für die Juden Jom-Kippur war, wurde für die Christen das Abendmahl. Tempel und Eucharistie, schreibt Schmitz, stehen in genetischer Relation. Deshalb scheint es Jom-Kippur im Christentum nicht zu geben: das gesamte Christentum mit seinem Christusereignis und der rituellen eucharistischen Umsetzung stelle nichts anderes dar als die ihm eigene Transformation des Jom-Kippur Ereignisses. »Das christliche Zentralritual, die eucharistische Feier, aber stellt nun – nach dem Selbstverständnis der christlichen Religion und ihrer Konfessionen – die rituelle Umsetzung dieses Versöhnungsereignisses zwischen Gott und der Menschheit bzw. die Partizipation an Gott und seiner Anwesenheit oder auch seiner Gnade dar.« (S. 366)
Die Arbeit liest sich angenehm, die Sprache ist klar, der Aufbau sinnvoll, die Grundthese neu im Diskurs, die Methoden werden reflektiert. Es ist mutig, heutzutage in der Religionswissenschaft mit phänomenologischen Methoden zu arbeiten, gelten diese den meisten doch als überholt; sie arbeiten ahistorisch und auf eine mehr oder weniger unzulässige Weise komparatistisch, da sie religiöse Gegenstände (im weitesten Sinne) aus ihrem jeweiligen kulturellen Kontext herauslösen, um sie vergleichen zu können. Schmitz jedenfalls ist sich der Ungewöhnlichkeit seiner Vorgehensweise bewusst und widmet, wie gesagt, sympathischerweise ein Unterkapitel der Erläuterung dieser Methode, ihrer Problematik und der von ihm gewählten Bezugsgegenstände.
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Allerdings behauptet Schmitz, dass es sich in seiner Arbeit um eine »Gegenprobe im jüdischen bzw. christlichen Rahmen handelt und nicht um den Versuch, historische Abhängigkeiten aufzuzeigen« (S. 292), was m. A. n. fehlschlägt. Denn die Bedeutung der von ihm gewählten Elemente kann er nur zu rekonstruieren versuchen – etwa je zur Hälfte aus entsprechenden theologischen und religionsgeschichtlichen Quellen, was aber trotzdem einen provisorischen Charakter haben muss. Inwieweit seine Methode in diesem Sinn »phänomenologisch« und nicht »historisch« ist, ist zweifelhaft, denn gerade das Faktum, dass er die Eucharistie als genetisch von Jom-Kippur abgeleitet sieht, zeugt von einem historischen Verständnis. Schließlich ist diese Vorgehensweise m. A. n. auch die Rechtfertigung für seine Methode; seine »Phänomenologie« vergleicht schließlich nicht Elemente zweier zeitlich und regional weit entfernter religiöser Strömungen, sondern zweier eben auseinander abgeleiteter Religionsformen im selben Raum in einem engen zeitlichen Rahmen. Auch der Fakt, dass gerade im ersten Teil seiner Arbeit einschlägig theologische Literatur zitiert wird, die nicht immer religionswissenschaftlich anmutet, gibt zu denken. Zwar bezieht Schmitz im Vorwort Stellung: »Diese Untersuchung hat keinerlei theologischen Anspruch, weder innerhalb der zugrunde gelegten Religionen noch ihrer Konfessionen.« Doch wenn solche Referenzliteratur beispielsweise unbesorgt zwischen »Christen« und »Heiden« unterscheidet, sollte man von einem Religionswissenschaftler, der dies dann als Zitat nutzt, zumindest eine eigene Abgrenzung erwarten dürfen. Ob seine Arbeit daher, wie Peter Antes im Geleitwort euphorisch schreibt, wirklich den Siegeszug für den religionsphänomenologischen Vergleich als wissenschaftliche Methode darstellt und dessen jahrzehntelanger Ablehnung ein Ende gesetzt hat, bleibt m. A. n. offen. Rezensiert von Sylvie Eigenmann, Universität Bern Kontakt:
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Politik und Religion
Herausgeber: Titel: Verlag:
Steffen Führding
Behr, Hartmut; Hildebrandt, Mathias Politik und Religion in der Europäischen Union. Zwischen nationalen Traditionen und Europäisierung
VS Verlag für Sozialwissenschaften Erscheinungsort: Wiesbaden Erscheinungsjahr: 2006
Umfang:
500 Seiten
Preis: ISBN:
49,90 ! 9783531-15309-4
Der von den Politikwissenschaftlern Hartmut Behr und Mathias Hildebrandt herausgegebene Sammelband »Politik und Religion in der Europäischen Union. Zwischen nationalen Traditionen und Europäisierung« wurde 2006 in der Schriftenreihe des gleichnamigen Arbeitskreises »Politik und Religion« der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft veröffentlicht. Der Band umfasst 23 Aufsätze von Autorinnen und Autoren verschiedener Provinenz und geht auf eine Tagung des AK Politik und Religion im Sommer 2002 zurück. Zielsetzung des Arbeitskreises ist nach eigenen Angaben eine grundlegende Bestimmung des Verhältnisses von Religion und Politik vorzunehmen und eine stärkere Etablierung dieses Themenfeldes innerhalb der (deutschen) Politikwissenschaft zu erreichen.1 Nicht nur der hier besprochene Sammelband zeigt, dass gerade hinsichtlich der Bestimmung des Gegenstandes Religion(en) noch viel Arbeit vor den Mitgliedern des Arbeitskreises liegt. So fehlt in der programmatischen Einleitung von Behr eine (Arbeits-)Definition von Religion; vielmehr werden die Begriffe Religion, Religionen und Religionsgemeinschaften undifferenziert nebeneinandergestellt und verwendet. Schon in einer früheren Publikation des Arbeitskreises zum Thema Gewalt und Religion fällt das Problem der Definition von Religion auf. In »Unfriedliche Religionen? Das politische Gewalt- und Konfliktpotenzial von Religionen«2 wurde zwar nicht auf eine Definition verzichtet, 1 2
Behr, Hartmut; Hildebrandt, Mathias (Hg.) (2006): Politik und Religion in der Europäischen Union. Zwischen nationalen Traditionen und Europäisierung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 9-10. Hildebrandt, Mathias; Brocker, Manfred (Hg.) (2005): Unfriedliche Religionen? Das politische Gewalt- und Konfliktpotenzial von Religionen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
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allerdings griff man auf Rudolph Ottos höchst problematisches Konzept des »Heiligen« zurück, ohne über die mit dieser Definition verbundene Problematik zu reflektieren. Vor allem an dieser Stelle könnte die Religionswissenschaft der Religionspolitologie von großem Nutzen sein. Der vorliegende Band stellt ein buntes Mosaik zum Thema Religion und Politik dar, dessen Ausgangspunkt und Rahmen die in der Einleitung getroffene Feststellung bildet, dass »[d]as Thema ›Politik und Religion‹ […] seit geraumer Zeit auch die Europäische Union« erfasst habe (S. 11). Dabei stelle sich zum einen die Frage nach Allgemeinen, sowohl für die EU als auch für die Mitgliedstaaten, verbindlichen Richtlinien für das Verhältnis von Politik und Religion. Zum anderen gehe »es um die Frage von Politik und Religion im allgemeinen und die Beziehung von Kirche und Staat im Besonderen in ihren spezifischen mitgliedstaatlichen Ausprägungen.«(S. 11). Damit wird auf das im Untertitel ›Zwischen nationalen
Traditionen
und
Europäisierung‹
angesprochene
Spannungsfeld
eingegangen. Europäisierung wird definiert als dreidimensionaler (institutioneller, politischer und kultureller) »top-down-Prozess […], der das Verhältnis von Politik und Religion […] Hegemonisierungs- und Homogenisierungstendenzen auf gesamteuropäischer Ebene zuführt« (S. 11). Diese Perspektive soll nach Behr in den anschließenden Kapiteln den Fokus bilden, um den rechtlichen und institutionellen Auswirkungen von Europäisierung auf die einzelstaatlichen Rahmenordnungen im Verhältnis Politik und Religion nachzugehen. Zudem soll das Verhältnis von Religionsgemeinschaften und Europäisierung und die »Idee Europa« thematisiert sowie abschließend ein »Ausblick auf den Prozess der EU-Erweiterung unter religionspolitischer Perspektive« (S. 16) formuliert werden. In diesem Zitat wird die Gliederung des Bandes angedeutet. Auf die Einleitung folgen vier größere Abschnitte, die sich nacheinander mit der »Europa-Idee im Spiegel der Religionen« – konkret mit Protestantismus, Katholizismus und Orthodoxie sowie Islam und Judentum –, dem Verhältnis von Politik und Religion in ausgewählten alten und neuen Mitgliedstaaten sowie potentiellen Beitrittsstaaten sowie dem Zusammenhang zwischen religiösem Pluralismus, Erweiterung und Integration der Union beschäftigen. Während der Aufbau des Buches auf den ersten Blick überzeugt, sind die einzelnen Teile von unterschiedlicher Qualität. Zudem wirft die Artikelauswahl Vol. III • 01/2008
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und -zuordnung Fragen auf. So suggeriert die Überschrift des ersten Abschnitts »Die Europa-Idee im Spiegel der Religionen« eine Analyse oder zumindest Beschreibung des Verhältnisses einzelner Religionsgemeinschaften zur »Idee Europa«. Deutlich wird dieses Thema leider nicht in allen der sechs zu diesem Abschnitt gehörenden Aufsätze. Ein die einzelnen Aufsätze verbindender roter Faden ist nicht erkennbar, auch weil die einzelnen Artikel in ihrem Aufbau und ihrer Fragestellung zu unterschiedlich sind. Ein Vergleich der unterschiedlichen Positionen wird dadurch erschwert. Die geringe Vergleichbarkeit der Artikel ist ebenso ärgerlich wie die (teilweise) mangelnde Distanz zum Gegenstand, z.B. tritt Andreas Rauch in seinem Artikel engagiert für die katholische »Sache« ein. Interessant und erfrischend ist die Spannung, die durch die unterschiedlichen Einschätzungen von Armin Adams und Jamal Malik – die Rolle von Religion betreffend – entsteht. Während Adam eine Zusammenhang zwischen »Europa-Idee« und einer wie auch immer gearteten religiösen Fundierung verneint, verweist Malik auf eine enge Verzahnung zwischen der Europa-Idee der Nachkriegszeit und christlicher – speziell katholischer – Religion. Gerade an diesen beiden Aufsätzen wird deutlich, welchen Mehrwert eine stärkere, Vergleichbarkeit insgesamt bieten könnte, die ansonsten fehlt. Sehr viel überzeugender präsentieren sich die Abschnitte zwei und drei des Bandes, die sich mit dem Verhältnis von Religion und Politik in ausgewählten Mitgliedsstaaten der Union und potentiellen Beitrittsländern beschäftigen. Auch hier sind die Abschnittsüberschriften »Politik und Religion in den alten Mitgliedsstaaten der EU« sowie »Politik und Religion in neuen und möglichen Mitgliedsstaaten der EU« nicht immer treffend, da nicht generell das Verhältnis von Politik und Religion in den jeweiligen Staaten reflektiert wird, sondern zumeist bestimmte Ausschnitte desselben im Mittelpunkt stehen. Die einzelnen Artikel stellen diese mehr oder weniger breiten Ausschnitte überzeugend und kenntnisreich dar. So gibt der Spanienexperte Walther Bernecker nicht nur eine glänzende Zusammenschau des von Gegensätzen geprägten Verhältnisses von Religion – insbesondere des Katholizismus – und spanischem Staat in der Neuzeit, die nicht auf rein deskriptiver Ebene verbleibt, sondern analysiert eben dieses Verhältnis kritisch. Überzeugend befasst sich auch der Europa-Verfassungsrechtler Michael Brenner in seinem stärker thematisch fokussierten Artikel mit den Auswirkungen Vol. III • 01/2008
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der Europäisierung auf das deutsche Staatskirchenrecht. Dabei zeigt er auf, wie die Union – obwohl sie keine originäre kirchenrechtlich relevante Regelungskompetenz besitzt – mittelbar durch das Gemeinschaftsrecht, z.B. im wirtschaftlichen Bereich, auf die Religionsgemeinschaften und das Staatskirchenrecht einwirkt; gleichzeitig aber auch, wo die Grenzen dieser Einwirkungsmöglichkeiten verlaufen. Dietrich Jung beleuchtet wiederum in seinem eher historisch ausgerichteten Aufsatz »Staat, Nation und religiöse Minderheiten in der türkischen Republik« die Transformationsprozesse im Osmanischen Reich hin zum türkischen Staat seit Mitte des 19. Jahrhunderts und versucht mit Hilfe dieser Darstellung das heutige Verhältnis von Staat und Religion in der Türkei zu erklären sowie auf die Folgen für das Verhältnis zur EU hinzuweisen. Leider wird nicht in allen »Länderberichten« ein Bezug zur europäischen Dimension hergestellt (siehe z.B. den Artikel von Bernecker zu Spanien). Dies ist allerdings nur ein kleines Manko der insgesamt guten Darstellungen. Der vierte und kürzeste Abschnitt des Sammelbandes wendet sich in vier Aufsätzen wieder der gesamteuropäischen Ebene zu. Mathias Hildebrandt geht z.B. der Frage nach, ob sich um eine europäische Verfassung »ein zivilreligiöser europäischer Verfassungspatriotismus kristallisieren könnte«. (S. 440). Er kommt zu dem Schluss, dass die »EU […] keine Zivilreligion [hat…], aber um des langfristigen Erfolges Willen eines legitimatorischen Äquivalents« bedürfe (S. 447). Denn allein der Bezug auf einen »Friedensraum« und Wirtschaftsmarkt Europa reiche für die Legitimation der voranschreitenden politischen Integration nicht aus. Auch die prägenden religiösen und kulturellen Traditionen Europas – zumeist eher konkurrierend als homogen – könnten keine hinreichende Legitimation für die europäische Integration bieten. »Politik und Religion in der Europäischen Union« bietet ein breites Spektrum an Aufsätzen zu einem aktuellen und wichtigen Thema. Die Versuche, diesem Spektrum einen Rahmen durch eine gemeinsame grundlegende Fragestellung und Perspektive zu geben, gelingen leider nicht vollends. Das könnte unter anderem an der fehlenden Verständigung über das, worüber eigentlich gesprochen werden soll, nämlich Religion, liegen. An diesem Punkt muss auch der Arbeitskreis Poli-
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tik und Religion der DVPW verstärkt Grundlagenarbeit leisten, wobei für diese ein Rückgriff auf Erfahrungen der Religionswissenschaft mit diesem Problem hilfreich sein könnte. Nichts desto trotz bieten gerade die »Länderberichte« gute Einblicke in Ausschnitte des Verhältnisses von Politik und Religion. Zudem greift der Band insgesamt einen nicht nur für die Politikwissenschaft wichtigen Themenbereich auf sondern kann vor allem für eine eigene Auseinandersetzung mit dem Thema innerhalb der Religionswissenschaft wichtige Denkanstöße geben. Rezensiert von Steffen Führding, Universität Hannover Kontakt:
[email protected]
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Die Wurzeln Europas?
Sarah Jahn
Autor: Titel:
Metzger, Franz und Feuerstein-Praßer, Karin Die Geschichte des Ordenslebens. Von den Anfängen bis heute
Verlag: Erscheinungsort: Erscheinungsjahr:
Herder Freiburg/ Breisgau 2007
Umfang: Preis: ISBN:
227 Seiten 19,90 ! 3-451-29093-6
»Die Geschichte des Ordenslebens. Von den Anfängen bis heute« behandelt das abendländische Mönchstum von seiner Entstehung bis in die Gegenwart. Im Zentrum steht hier die Frage nach den Wurzeln Europas. Die Autoren – beide studierte Historiker, vertreten den Standpunkt von der Geschichte des Mönchstums ausgehend Einblicke in die Entwicklung Europas geben zu können. »Was sind die Wurzeln Europas?« (S. 10) – Der Fragestellung werden zwei Ausgangspunkte vorangesetzt: Die Betrachtung von Europa als christliches Abendland sowie die damit einhergehende Annahme, dass das Christentum ein wesentliches Fundament des heutigen Europa bildet. Die Darstellung der Geschichte erfolgt chronologisch mit Schwerpunkt auf dem Mittelalter. Einleitend wird auf das Prinzip »Abkehr von der Welt« (S. 13ff.) und auf die Vorläufer der institutionalisierten Form des Mönchtums eingegangen sowie auf Regelwerke von Augustinus (354-430) und Basilius dem Großen (330379), welche maßgeblichen Einfluss auf spätere Klosterordnungen ausübten. Zudem erfolgt eine Erläuterung grundlegender Begriffe, beispielsweise Askese, Kloster, Nonne, die zum weiteren Verständnis von Bedeutung sein werden. Den Beginn des abendländischen Mönchtums legen die Autoren mit Benedikt von Nursia und der Gründung des Klosters Monte Casino (529) fest. Seine weitere Verbreitung erfolgte durch den heiligen Patrick (385-460), der Klöster vorrangig als Missionsstätten des Christentums anstatt als Orte der Kontemplation ansah. Die folgenden zwei Kapitel beschäftigen sich ausführlich mit dem Hochmittelalter und den Kreuzzügen. Der Fokus liegt jeweils auf der Betrachtung der Auswirkungen der jeweiligen Zeit auf die Orden selbst. Hervorgehoben wird in besonderer Weise die Neugründung und Neuordnung der Klöster in der Phase des Hochmittelalters am Beispiel des Klosters Cluny (908-910) sowie die Bedeutung der Reformorden. Hier liegt der Schwerpunkt auf der Darstellung des Aufbruchs in Vol. III • 01/2008
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ein neues Zeitalter, indem zunehmend Laien und ärmere Bevölkerungsschichten einen Platz im religiösen Leben der Klöster finden. Abseits der Chronologie widmen sich separate Betrachtungen der Geschichte der Frauenfrömmigkeit in Klöstern, der Problematik der Abhängigkeit von Stiftern und Stifterfamilien sowie dem Kloster als Pilgerstätte. Die letzten drei Kapitel gehen auf die Reformation und den damit einhergehenden Erneuerungen des Glaubens sowie auf die Säkularisation ab der Neuzeit ein. Im Vordergrund stehen hier die Schilderungen der Verweltlichung der Kirche im Zuge der Reformation sowie die Zunahme von Alternativformen zum Klosterleben; beispielsweise Bruderschaften, welche Frömmigkeit und Nächstenliebe praktizieren, jedoch religiöse Laien sind, oder Frauenorden, wie die Ursulinen und Angeliken, die ohne Klausur leben. Dieser Prozess, durch die Aufklärung mit ihrem Motto »!Sapere Aude!" Habe Mut dich deines Verstandes zu bedienen …« (S. 195) und die Französischen Revolution mit der Auflösung von Klöstern, ausgelöst durch den Klostersturm (1790),angestoßen, setzt sich im 20. Jahrhundert fort, indem neue Formen gefunden werden, wie das »Kloster auf Zeit« (S. 202) oder die Ökonomisierung der Klöster durch den Verkauf von eigens hergestellten Produkten. Die Autoren Metzger und Feuerstein-Praßer haben in ihrem Buch gefragt, was die Wurzeln Europas sind. Diese Frage haben sie meines Erachtens nicht beantworten können. Denn die »Wurzeln Europas« implizieren nicht nur eine sondern mehrere Antworten. Das christliche Mönchstum in Mitteleuropa ist nur eine von vielen Wurzeln oder gar Wurzelzweigen. Es gab viele andere Einflüsse, die Auswirkungen auf die europäische Kultur hatten. Verwiesen sei hier auf die Antike und das Römische Reich, sowie auf Juden und Muslime, die vor allem im Mittelmeerraum ansässig waren. Dies ist zugegebenermaßen keine Thematik für eine Ordensgeschichte, sollte jedoch zumindest kurz Erwähnung finden, wenn die Fragestellung eines Buches in der vorliegenden Weise gestellt wird. Ein darauf aufbauender jedoch anderer Aspekt ist, dass es ein Ziel des Buches war, darzustellen, wie die Orden auf die Geschichte Europas eingewirkt haben. Meines Erachtens ist der Aufbau des Werkes jedoch genau umgekehrt: Wie haben verschiedene Epochen auf die Geschichte der Orden Einfluss genommen? Darüber hinaus sind meiner Meinung nach beide Ansätze nicht wissenschaftlich, da beide eine stärkere Gewichtung einer Seite vornehmen.
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Des Weiteren ist festzustellen, dass der Aspekt des Mittelalters einen erheblichen Teil des Buches einnimmt. Wenn man andere Bücher über Ordensgeschichte zur Hand nimmt, kann man den Eindruck gewinnen, dass Ordensgeschichte meist nur das Mittelalter zu betreffen scheint. Zu dieser Zeit sind Orden und Klöster erwiesenermaßen wichtige Kultureinrichtungen gewesen, zumindest in Mitteleuropa. Doch es gab sie auch schon vor und vor allem nach dieser Zeit. Das vorliegende Buch umgeht diese Fehlbetrachtung nicht gänzlich und untersucht die Klostergeschichte vom 3. Jahrhundert bis in die Gegenwart, jedoch mit der bereits erwähnten Übergewichtung des Mittelalters. Wesentlich interessantere Aspekte der Geschichte vor Benedikt von Nursia und ab der Reformation sind leider zu kurz geraten. Gerade diese Zeiträume wären meiner Meinung nach anregender gewesen, da es bisher nur wenige Beiträge hierzu gibt. Die Ordensgeschichte im Mittelalter sowie die Geschichte bestimmter Orden, wie dem der Benediktiner, gehören beinahe zur Allgemeinbildung, ganz abgesehen einmal von den Auswirkungen der Aufklärung auf die Religiosität und die institutionalisierte Religion. Die Arbeit hätte eine Aufwertung durch Verweise auf die aktuelle Situation der Orden sowie durch die Nennung von speziellen Phänomenen, wie dem des Darmstädter Marienorden (1947 gegründet), welcher der erste neu gegründete evangelisch-kontemplative Orden seit der Reformation ist, erfahren können. Im aktuellen Verlagsprogramm des Herder-Verlages liegt nach Selbstaussage der Schwerpunkt auf Büchern, »… die helfen wollen, das Leben zu verstehen – auf Büchern, in denen Zukunftsfragen thematisiert und neue Kontexte hergestellt werden und die damit einen Beitrag zum Dialog zwischen den Traditionen und Kulturen leisten.«
Das vorliegende Buch liefert einen Einblick in die Geschichte Europas unter einem ausgewählten Gesichtspunkt. Wenn dies berücksichtigt wird und man lediglich einen groben Überblick über die Ordensgeschichte haben möchte, wird man mit diesem Buch zufrieden sein. Auf 227 Seiten wird unter Zuhilfenahme von vielen sehr gut ausgewählten Bildern und einem leicht verständlichen, prosaischen Erzählstil die christliche Ordensgeschichte abgehandelt. Wer jedoch kritische Fragen, aktuelle Forschungsansätze und eine dezidierte Darstellung bestimmter Epochen oder Problematiken erwartet, wird mit diesem Buch nicht zufrieden sein. Rezensiert von Sarah Jahn, Universität Leipzig Kontakt:
[email protected] Vol. III • 01/2008
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Martin Greschats »Kirchliche Zeitgeschichte«
Claudius Kienzle
Autor: Titel:
Martin Greschat Kirchliche Zeitgeschichte. Versuch einer Orientierung
Verlag:
Evangelische Verlagsanstalt
Reihe:
Forum Theologische Literaturzeitung 16
Umfang: Erscheinungsort: Erscheingungsjahr:
105 Seiten Leipzig 2005
Preis: ISBN:
14,80 ! 3374-023185
Das Methodengespräch zwischen Religionswissenschaft und Theologie ähnelt einer Unterhaltung zweier Taubstummen. Der eine sagt nichts und der andere hört nicht einmal das Schweigen. Erschwert wird dieses Gespräch durch die Frage der Deutungshoheit über religiöse Phänomene und den unfruchtbaren Streit um das Monopol auf die »Rede über die Religion«. Völlig kommunikationslos wird das Verhältnis, wenn die Sprache auf den Gegenstandsbereich der neueren Christentumsgeschichte Europas zu kommen droht. Vielfach gilt noch die unausgesprochene, aber stillschweigend akzeptierte Arbeitsteilung, wonach für das Christentum die konfessionell gebundenen Theologen zuständig sind und die Religionswissenschaftler das immer noch ausufernde Feld der übrigen religionshistorischen, systematischen und methodologischen Fragestellungen bearbeiten. Auf diese Weise blieb es in großen Teilen der Religionswissenschaft unbemerkt, dass sich andere Disziplinen auf methodisch-theoretischer Ebene verstärkt mit den christlichen Religionen beschäftigten. Die Gesprächspartner sind hier eine sozial- und kulturwissenschaftlich orientierte Geschichtswissenschaft und Volkskunde, die Religion neu entdeckten, und die in den theologischen Fakultäten beheimatete Kirchengeschichtsschreibung, welche die Methoden- und Theoriedebatten der allgemeinen Historiografie wahr- und aufnahm (Schieder 1977; von Thadden 1983; KZG 1992/1994; Doering-Manteuffel/Nowak 1996). Eine Aufforderung Günter Kehrers an die Religionswissenschaft, sich an diesen Methodendiskussionen zu beteiligen, verhallte bisher allerdings nahezu ungehört (Kehrer 1993).
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Sichtbare Frucht des Methodendialogs ist die Herausbildung eines eigenen disziplinübergreifenden Fachgebiets, der Kirchlichen Zeitgeschichte, in die einzuführen der Essay des emeritierten evangelischen Kirchenhistorikers Martin Greschat verspricht. Greschat formuliert diese Einführung »aus der Sicht eines deutschen evangelischen Theologen«, ohne dabei das »international akzeptierte geistesgeschichtliche und speziell historisch-kritische Wissenschaftsverständnis« (S. 9) zu verlassen. Greschats Darstellung besteht aus drei Teilen. Zunächst widmet er sich Periodisierungsfragen verbunden mit einer Entwicklungsgeschichte der jeweiligen Gegenwartsdeutungen des offiziellen Christentums vornehmlich protestantischer Prägung (S. 11–38). Sodann stellt er methodische Überlegungen über die Kirchliche Zeitgeschichte an. Der Verfasser plädiert für eine internationale Sichtweise mittels einer Interpretation in den jeweiligen historisch-politischen Kontexten, wie es für die Kirchengeschichte anderer Epochen bereits der Fall sei (S. 41). Auf diese Weise kämen ganz im Sinne postkolonialer globalisierungshistorischer Ansätze die internationale Zusammenarbeit christlicher Kirchen (genannt Ökumene) und die außereuropäischen Christentümer ins Blickfeld. Greschat betont hier die pentekostalen Gruppierungen in Amerika und Afrika (S. 45-48). Kundig führt Greschat durch die methodischen Entwicklungen der Geschichtswissenschaft in den letzten 20 Jahren und stellt fest, dass die »entscheidenden Impulse« (S. 56) in der Moderne eben nicht von der Theologie ausgingen. Aus dieser Erkenntnis fordert er, verstärkt die Rückwirkung der politikgeschichtlichen, gesellschaftshistorischen und kulturgeschichtlichen Entwicklungen auf Religion und Kirche zu untersuchen. Theologiegeschichte bleibt zwar im Blick, gleichwohl geht es Greschat um die Einbeziehung von Strukturen und subjektiven Wirklichkeitsdeutungen (S. 59-60), von Kunst und Literatur (S. 69-71), von Kultur und Mentalität (S. 61-66), Recht (S. 78-80) und Wirtschaft (S. 76-78) sowie von Frömmigkeit (66-69) und Alltag (S. 73-76). Der Verfasser wirbt hier für eine »Vielfalt der Forschungsperspektiven und Methoden« (S. 81) und überprüft die Möglichkeiten jeder Methode an jeweils einem konkreten religionshistorischen Beispiel. Gleichwohl bieten Greschats methodische Bündelungen reichhaltige Chancen zur Anknüpfung für religionswissenschaftliche Subdisziplinen: Zu denken ist etwa an die Religionssoziologie, die Vol. III • 01/2008
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Religionsgeografie oder die Religionsökonomie. Kategorien wie Mentalität und Frömmigkeit gehören darüber hinaus zum Kerngeschäft der Religionswissenschaft, ebenso die Frage der kulturellen Verflechtung von Religionen, die den missionsgeschichtlich arbeitenden Christentumshistoriker ebenso interessieren wie den Regionalwissenschaftler mit anderen Schwerpunktregionen. Überaus spannend wird Greschats Rede über die historische Wissenschaft – er richtet sie an die Theologen unter ihren Verächtern – für den Religionswissenschaftler im letzten Kapitel, in dem er nach der Spezifik der Kirchlichen Zeitgeschichte und ihrer Verortung in der theologisch gebundenen, aber methodisch erweiterten Kirchengeschichtsschreibung fragt. Nachdem er den Kritikern in den Lagern aller christlichen Theologien bereits behutsam die methodischen Möglichkeiten einer geöffneten Christentumsgeschichte erläutert hat, grenzt er sich hier von den Vertretern einer historischen Theologie ab, die sich durch die Behauptung der Deutungshoheit selbst vom wissenschaftlichen Diskurs der Disziplinen ausschließen. Greschats knapp hundertseitige Schrift ist im »Forum Theologische Literaturzeitung« erschienen. Sie richtet sich in Sprache und Argumentationsführung vornehmlich an die protestantische Theologie. Das konterkariert zwar Greschats eigene Forderung nach einer konfessionsübergreifenden Christentumsgeschichte, ist aber darin begründet, dass Protestantismusgeschichte noch immer weitgehend von Theologen betrieben wird, während an der Erforschung des Katholizismus verstärkt auch andere Disziplinen beteiligt sind (S. 82). Trotzdem kann sie auch der/die Religionswissenschaftler/in mit Gewinn und weitgehend mit Zustimmung lesen, denn sie stößt ihn/sie auf die methodische Vielfalt der Kirchlichen Zeitgeschichte und lässt zugleich die Verständigungsschwierigkeiten sichtbar werden. Es ist an der Zeit, die eingespielte Arbeitsteilung zwischen Theologie und Religionswissenschaft bezüglich der Erforschung der Christentumsgeschichte zu überwinden und einen religionswissenschaftlichen Beitrag zum eingangs skizzierten Gespräch zwischen Geschichtswissenschaft, Volkskunde und Theologie zu leisten. Rezensiert von Claudius Kienzle, Universität Tübingen Kontakt: ClaudeKienzle[at]web.de
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Literatur: DOERING-MANTEUFFEL, Anselm/ NOWAK, Kurt (Hrsg.) (1996):Kirchliche Zeitgeschichte. Urteilsbildung und Methoden, Stuttgart/Berlin/Köln: Kohlhammer. KEHRER, Günter (1993):»Religionsgeschichte Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert. Religionswissenschaftliche Überlegungen«. Zeitschrift für Religionwissenschaft (ZfR), Heft 1, S. 93-104. Kirchliche Zeitgeschichte (KZG) 5 (1992), Heft 1, Zur Historik Kirchlicher Zeitgeschichte. Kirchliche Zeitgeschichte (KZG) 7 (1994), Heft 1, Psychohistorie und Kirchengeschichte. SCHIEDER, Wolfgang (1977):»Religionsgeschichte als Sozialgeschichte. Einleitende Bemerkungen zur Forschungsproblematik«. Geschichte und Gesellschaft (GuG), 3, S. 291-298. VON
THADDEN, Rudolf (1983):»Kirchengeschichte als Gesellschaftsgeschichte«. Geschichte und Gesellschaft (GuG), 9, S. 598-614.
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Johann Maiers Einführung in das Judentum
Jeannine Kunert
Autor: Titel:
Johann Maier Judentum. Studium Religionen
Verlag: Erscheinungsort: Erscheingungsjahr:
Vandenhoeck und Ruprecht (UTB) Göttingen 2007
Autor: Titel:
Johann Maier Judentum Reader. Studium Religionen
Verlag:
Vandenhoeck und Ruprecht (UTB) Göttingen 2007
Erscheinungsort: Erscheingungsjahr:
Umfang:
235 Seiten
Preis: ISBN:
16,90 ! 978–3-8252-2886-6
Umfang:
117 Seiten
Preis: ISBN:
8,90 ! 978–3-8252-2912-2
Johann Maier, emeritierter Professor für Judaistik an der Universität Köln, legt auf 235 Seiten eine neue Einführung in das Judentum und einen begleitenden Reader mit Quellentexten vor. Ebenso wie die Einführung sich auf Texte aus dem Reader bezieht – an entsprechenden Stellen wird auf die Quellentexte im Reader verwiesen – bleibt der Reader ohne die Einführung unverständlich, da die zusammengestellten Texte nicht erläutert werden. Zusammen sind die beiden Bände im Handel für 25,80 Euro erhältlich. Die Einführung ist übersichtlich in vier Abschnitte gegliedert: »Definitionen« (S. 18-20), »Die geglaubte Geschichte in der jüdischen Religion« (S. 21-62), »Jüdische Religion in der erlebten Geschichte« (S. 63-185) und »Praktizierte Religion« (S. 186-223). Die vier großen Abschnitte sind in sich sehr feingliedrig und vermitteln auf den ersten Blick eine gute Übersicht über den Inhalt des Buches. Bei genauerem Studium kann jedoch festgestellt werden, dass einige Kapitel, wie beispielsweise das zu den »Schöpfungsgeschichten« (Kap. 1.1, S. 22) oder »Das Exil im !Sklavenhaus"Ägypten und der Auszug unter Mose (Ex 1-15)«mit je einer halben Seite Umfang zu kurz geraten sind und den Leser dadurch nicht hinreichend informieren können. Der Ansatz des Autors ist hier – wie auch im Rest des
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Buches – rein deskriptiv-historisch, weshalb auf sozialhistorische und sozialwissenschaftliche Erläuterungen nahezu gänzlich verzichtet wird. Die Gliederung des Readers richtet sich nicht nach der Kapiteleinteilung der Einführung aus, sondern nummeriert die Texte – teilweise zu thematischen Einheiten gebunden – durch, folgt allerdings der Chronologie der Einführung. Der Reader »versucht, vor allem die grundlegenden Glaubensvorstellungen zu dokumentieren, die der praktizierten Religion als Sinngebung dienen, und aus der religiösen Praxis jene Verhaltensweisen und Verrichtungen besonders [zu] berücksichtigen, die infolge ihrer Häufigkeit oder Bedeutung das Leben traditionsverbundener Juden besonders prägen« (Reader, Vorwort, S. 9). Dementsprechend finden sich keine Quellentexte zum größten Abschnitt des Buches »Jüdische Religion in der erlebten Geschichte«, sondern religiöse Texte (die sich auf die Kapitel zwei und vier beziehen), wie Auszüge aus der Torah, dem Talmud und diverse Kommentare bis hin zu Gebetstexten. Zwar wurden die Quellentexte jeweils mit einer Überschrift versehen, die dem Leser knapp und prägnant vermittelt, welchem Thema die Quelle zugeordnet wird, doch wurde auf eine Kontextualisierung (zeitliche Verortung, historischer Kontext der Entstehung, Rezeption usw.) der Quellen im Reader selbst verzichtet. Die hier angesprochenen Probleme treten in ähnlicher Form auch in der Einführung auf. Es bietet sich außerdem an, während der Lektüre ein Altes Testament neben sich liegen zu haben, wenn man nicht besonders bibelfest ist. Der Autor verweist auf Bibelstellen, ohne näher auf diese einzugehen oder kurz deren Inhalt wiederzugeben und geht somit von deren Kenntnis aus. Ohne dieses Wissen bleiben mancherorts die Aussagen des Autors schwer oder gar nicht verständlich. Bei der vom Autoren vorgenommenen Aufsplittung der Themenbereiche in »Geglaubte Geschichte« und »gelebte Religion« sowie deren Praxis stellt sich mir die Frage, ob diese drei Bereiche wirklich so getrennt voneinander dargestellt werden können, besonders da recht selten Verbindungen zwischen den verschiedenen Teilen hergestellt werden. Vor allem im zweiten Teil »Geglaubte Geschichte« kann ein des Judentums unkundiger Leser (und ein solcher ist unter den Rezipienten einer Einführung zu vermuten) schnell verwirrt und überfordert sein, wird doch hier eine gewisse Vertrautheit mit der jüdischen Religion und Geschichte vorausgesetzt. Es werden Begriffe verwendet, welche – wenn überhaupt – erst viele Seiten später oder in einem anderen Abschnitt erörtert werden. VerVol. III • 01/2008
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misst habe ich Erläuterungen zu den unterschiedlichen Texten und Textgattungen sowie kurze Hinweise zum Aufbau der hebräischen Sprache, auf die so oft im Text rekurriert wird. Augenfällig ist die Präferenz des Autors für die »erlebte Geschichte«, welche den mit Abstand größten Teil des Buches ausmacht (ca. 120 Seiten zu ca. 85 Seiten, welche den übrigen Kapiteln vorbehalten sind). Wo Maier in den Abschnitten zwei und vier zu wenig Informationen bietet, wird der Leser in diesem Abschnitt anfänglich mit sehr vielen historischen Details konfrontiert und verliert dadurch zeitweise den Blick für das große Ganze. Der Leser bemerkt hier deutlich, dass die Qumran-Forschung ein Steckenpferd des Autors ist. Mancherorts wird durch Verwendung des Begriffes »man« für historische Personen nicht deutlich, auf wen sich der Autor in seiner Beschreibung der Geschichte bezieht bzw. wer die Handelnden in der Geschichte sind. Auch manche Betonung des Autors könnte einen religionswissenschaftlich geschulten Leser irritieren: Mag es auch zutreffend sein, dass gewisse jüdische Texte nur durch christliche Bemühungen erhalten blieben – wobei diese Information in einer Einführung in das Judentum meines Erachtens an sich nicht so zentral ist – stellt sich mir doch die Frage, ob dieses gleich mehrfach im Text erwähnt werden muss, zumal nicht erläutert wird, worin das christliche Interesse an den jüdischen Texten bestand. Fragwürdig erscheint aus religionswissenschaftlicher Perspektive die Verwendung von Begriffen wie beispielsweise »Aberglaube«, v.a. wenn der Autor den Eindruck vermittelt, dass die »Elitereligion« am Ende doch besser sei als die »Volksfrömmigkeit«, »die mit Aberglaube und magischen Vorstellungen durchsetzt« sei (Einführung, S. 144), ohne auf eben diesen »Aberglauben« oder die »magischen Vorstellungen« näher einzugehen. Hilfreich sind die Darstellungen verschiedener jüdischer Richtungen und Gruppierungen, angefangen bei den »Essenern« (Einführung, S. 95-97) bis hin zum »Reconstructionism« (Einführung, S. 163-164) und einer Vielzahl orthodoxer Strömungen (Einführung, S. 165-175). Die Zeit des Nationalsozialismus und der Holocaust werden zwar an diversen Stellen erwähnt, doch gibt es kein eigenes Kapitel zu diesem Teil der jüdischen Geschichte. In Kapitel 3.7 »Zionismus und jüdische Religion« (Einführung, S.176-185) verliert das Buch völlig den einführenden Charakter – die Anfänge des Zionismus sowie moderne jüdische Siedlungsgeschichte in Palästina werden fast gar nicht Vol. III • 01/2008
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beachtet und eine Kontextualisierung bleibt aus – und avanciert zu einer persönlichen Stellungnahme des Autors. Schon im Vorwort (Einführung, S. 11) wird darauf hingewiesen, dass das Judentum pluralistisch ist und es Differenzen innerhalb dieser Religion gibt. Von daher wurde versucht, »bei allen Unterschieden gerade auch die Gemeinsamkeiten aufzuzeigen« (Einführung, S. 9). Teil vier (»Praktizierte Religion«) behandelt u.a. die jüdische Lebensführung (beispielsweise Reinheitsgebote sowie Rollenaufteilung von Mann und Frau), verschiedenste Gebete und den jüdischen Jahreszyklus. Maier beschreibt die jüdischen Fest- und Feiertage. In diesem Teil des Buches setzen die Verweise auf die Quellentexte des Readers wieder ein. Schön kann man hier unterschiedlichste Gebete und Texte zu Feierlichkeiten – wenn auch wieder ohne Kommentar – nachlesen. Liest man den Abschnitt zum Purimfest (Einführung, S. 212), erfährt man, dass dieses Fest etwas mit der Rettung der Juden durch Esther zu tun hat. Worauf sich das Fest jedoch konkret bezieht, wird nicht erörtert. Ähnlich verhält es sich mit Pessach (Einführung, S. 212213): Wäre der Auszug aus Ägypten in Teil zwei besser vorgestellt worden, würden sich wahrscheinlich manche Fragen des Lesers erübrigen. Zwar bietet dieser Abschnitt einen guten Überblick zur religiösen Praxis, doch wären auch hier insgesamt mehr Erläuterungen und Querverweise zum geschichtlichen Teil des Buches für den Einzuführenden wünschenswert gewesen. Hinzu kommt ein nützliches Literaturverzeichnis zum Weiterlesen. Ein Personen- und Sachverzeichnis fehlt leider. Johann Maier hat den schwierigen Versuch unternommen, einen umfassenden Überblick zur jüdischen Geschichte und Religion zu geben. Dabei bespricht er klassisch die Themenfelder Geschichte, Glaube und Praxis und trennt diese in seiner Darstellung voneinander – anders als es in den meisten vergleichbaren Werken der Fall ist, in denen zumeist rein chronologisch vorgegangen wird. Maier stellt eine große Bandbreite an Informationen zur Verfügung, setzt allerdings gleichzeitig sehr solide Vorkenntnisse von jüdischer Religion und dem Inhalt des Alten Testaments voraus, weswegen dieses Buch zwar einen Überblick, aber keine Einführung darstellt. Rezensiert von Jeannine Kunert, Universität Leipzig
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Comparing religions
A. Patrick Pegues
Editors:
Idinopulos, Thomas Athanasius, Wilson, Brian C. and Hanges, James Constantine
Title:
Comparing Religions: Possibilities and Perils?
Publisher: City: Year:
Brill Leiden 2006
Number of pages: Price: ISBN:
xvii + 320 pp 93,00 ! 90-04-15267-9
Imagine, if you will, entering a university lecture or seminar on religion and that floating above the heads of each participant is a thought-bubble – the kind found in a cartoon or comic book. Imagine further that contained in these bubbles are the thoughts that each participant entertains concerning aspects or features of the religion being discussed. It would be relatively safe to assume that eventually, on some level, these thoughts would be of a comparative nature and could generally be stated in the form »how is x similar to or different from y?« The editors of this anthology have made it their task to examine the issues involved in the asking of such questions about religion in the classroom. The work consists of contributions from twelve authors and is divided into three parts: »Part One [chapters 1–5]: Theoretical Aspects of Comparison, Part Two [chapters 6-10]: Theory into Method: Comparison of Religions in the Study and the Classroom, and Part Three [chapters 11-14]: Postcolonialism, Postmodernism, Modernism in the Comparison of Religion.« The anthology begins with Anthony J. Blasi addressing the characteristics of comparative categories, specifically their inclusiveness, their exclusiveness, and their use in establishing boundaries in and between the objects of comparison. In chapter 2, George Weckman raises the issue of judgments and prejudices that can be brought to the comparison by the scholar’s relationship to the topic and by the negative connotations of certain terms typically used in comparison. In the next chapter, David Cave, following the work of Bruce Lincoln, chooses authority as a conceptual means for justifying whether or not certain objects can be compared, for locating the scholar within both the religious and the academic discourse, and
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for increasing the likelihood that the »act of comparison itself becomes consequential.« (p. 50) In the fourth chapter Thomas Athenasius Idinopulos argues for the importance of understanding the historical »birth process« (p. 57) of new religions out of old religions and the relevance of this process in the comparative endeavor. In the last chapter of Part One, William E. Paden focuses on panhuman contexts and dispositions and their arguable usefulness in comparing the various »worldmaking« capacities manifested in religious traditions. Part Two begins with Wesley J. Wildmans’s explication of the Crosscultural Comparative Religious Ideas Project (CRIP), which attempts to establish a method (or better yet, a program) for the comparison of religious ideas that is not based as much on the soundness or adequacy of categories and theories in any single, comparative study as on the susceptibility of the chosen categories to subsequent improvement and correction in hopes of building post-comparison theories. In chapter seven John Stratton Hawley provides the most pedagogically-oriented chapter (including a summarized syllabus) of the anthology by detailing the rationale behind a course he teaches, which, after »historicizing the history of religion« (p. 116) and »comparativizing comparative religion« (p. 132), enables students to critically evaluate differing works on religion and encourages them to be more self-conscious in their own research projects. Next, James Constantine Hanges examines how a questionable comparison of religious founder-figures can be turned into a justifiable comparison of the problems encountered by the authors of the compared texts, in which the founder-figures are mentioned. Idinopulos’ chapter nine examines the strengths and weaknesses of Joseph Klausner’s treatment of the emergence of Christianity out of Judaism – Klausner’s strengths being found in his knowledge of materials and methods of usage and his weaknesses being found in his lack of »appreciation of the novelty and mystery and authenticity« of the new religion (pp. 179-80). Hanges’ second contribution to this anthology (chapter 10) follows Hawley’s previous strategy in so far as that he compares comparisons, but rather than addressing comparison in the study of religion, he examines the apologetic use of comparisons of glossolalia within certain Christian traditions. Part Three begins with Arvind Sharma’s argument that the introduction of Orientalism into the understanding of the comparative enterprise compels scholars Vol. III • 01/2008
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to be conscious of the extent to which Western scholarship has played a formative role in certain religious traditions themselves. In chapter twelve, Russell T. McCutcheon draws attention to and elaborates on the various and numerous problems in comparison associated with presupposing an »us« and a »them« - the insider/outsider problem. On a different note in the thirteenth chapter, Robert Segal defends »old comparativism« by offering refutations to several critiques leveled by postmodernists, i.e. »ignoring differences, confusing similarities with identity, generalizing too broadly [and] prematurely, taking phenomena out of context, and generalizing at all.« (p. 258) Lastly, Ivan Strenski proposes what he considers to be a feasible »strong program« of comparison as developed in the tradition of Durkheim, which recognizes and embraces both the unavoidable consequences of the investigator’s involvement in comparison and the constructed nature of the comparative categories. This compilation, a single work which represents several different approaches to comparison in the study of religion, was intended to raise further questions rather than provide answers. »[I]f our contributors have shown the several roads to comparison and also raised consciousness about the difficulty in and desirability of traveling these roads, they will have done their work as scholars and teachers very well.« (p. xvi) The individual contributions obviously deserve more time, space, and attention than a single review can provide. Inasmuch as this anthology provides a resource for instructors in helping their students engage the many issues associated with comparison in the study of religion and in so far as this work, as a whole, provides several touchstones for evaluating works produced by both scholars and students, this work could find constructive use both inside and outside of the classroom. Both of the above comments, however, are rather vague as to how this work could be implemented, and it is to a possible approach to that issue that I would like to turn for a moment. The work as a whole is not as much about the activity of comparison, per se, as it is about the eventual consequences of our categories in the study of religion. The possibilities and perils mentioned in the title seem to stem from the success or failure in justifying categories rather than the capacity to perform comparisons – although the two activities are interlocking. Wildman, stressing the importance of justifying categories, spends two pages discussing how we can justify comparing Vol. III • 01/2008
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apples and oranges as segmented fruits! (pp. 80-82) If we return to our example of thought-bubbles, a few helpful observations can be made. Several features of the seminar room full of thought-bubbles are noticeable from the outset. First, the thought-bubbles are someone’s thought-bubbles and might be the product of someone’s desire to compare two or more “religious” things. (p. ix) Second, the thought-bubbles have content. Third, in so far as the content of the thoughtbubble is a question, it can be asserted in the form of a proposition, which raises the question of and commits one to the truth of the assertion at some level. Recognizing these characteristics of our imagined scenario may help identify the theoretical contexts of many of the anthology’s contributions and aid in implementing these contributions in the classroom. To take Hanges’ chapter eight as an example, we begin to see the way in which the category »founder-figure« is a content not so easily identifiable apart from the someone identifying individuals as »founder-figures«. In this sense, Hanges readily admits that his handling of the problems shared by the authors of different texts also serves to help students identify their own categorical presuppositions. (p. 150) As compared to Hanges’ chapter 10, he shifts the importance away from the justifiability of content (from founder-figure to glossolalia) to an importance of identifying the someone doing the comparing (from the scholar/student to the apologetic Christian). Several authors touch on the »commitment to truth at some level« aspect in our imagined classroom context in, for example, mentioning the possibility or desirability of hypothesis testing – in short, what the »study« in »study of religion« means. Strenski seems to have few qualms about stating his position – »By ›strong program‹ I understand that comparisons are devised for the sake of testing hypotheses.« (p. 278) Blasi’s approach, on the other hand, seems to be more reserved. Regarding the importance he sees in developing inclusive, sensitizing concepts, Blasi adds, »such an approach stands in marked contrast to those who would ›test‹ hypotheses to see whether they qualify as instances of a scientific ›law‹« (p. 10). Finally, from the fact that someone might have a desire to undertake a comparison, it need not follow that the content (comparative categories) are automatically justified. This observation is relatively obvious in almost all of the individual contributions of this book.
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Thus, it should come as no surprise that in such an anthology certain background controversies in the study of religion will rise to the surface. It is ultimately the instructor’s decision how he or she addresses the issues involved in the comparison of religion – a few of which are mentioned in this anthology. One can choose a combination of strategies ranging from bubble-bursting to bubbleappreciation. In light of this anthology, however, the instructor who focuses only on destroying comparative thought-bubbles does the student a great disservice, as does the instructor who leaves the comparative thought-bubbles unexamined. Reviewed by A. Patrick Pegues, University of Leipzig Contact:
[email protected]
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Apologie der Astronautengötter
Jonas Richter
Autor: Titel:
André Kukuk Die Paläo-SETI Hypothese als alternative Theorie zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Homo sapiens. Eine Analyse und Bewertung der Grundlagen, Argumente und Kritikpunkte vor dem Hintergrund heutiger Erkenntnisse der modernen Wissenschaft
Verlag: Erscheinungsort: Erscheingungsjahr:
dissertation.de Berlin 2006
Umfang: Preis: ISBN:
414 Seiten 59,00 ! 3-86624-192–5
André Kukuk hat ein Buch über die Paläo-SETI-Hypothese (auch bekannt als PräAstronautik) verfasst. Man ist leicht überrascht - eine Dissertation über dieses sonst als pseudowissenschaftlich angesehene Thema? Auf der Verlagswebseite (www.dissertation.de) erfähtr man, die Arbeit sei an der University of Dublin im Fachbereich Philosophie vorgelegt worden. Die angeführten Betreuer sind jedoch auf der Hochschulwebseite nicht aufzufinden. Eine Anfrage beim Verlag, einem wissenschaftlichen Print-on-demand-Verlag, wurde an den Autor weitergeleitet, der den Irrtum sofort aufklärte: Es handelt sich nicht um die University of Dublin, Irland (das renommierte Trinity College), sondern um die gleichnamige Hochschule in Kalifornien, hinter der sich jedoch eine so genannte Titelmühle (diploma mill) verbirgt. Solche nicht akkreditierten Einrichtungen vergeben akademische Titel teilweise bereits für Lebenserfahrung. Während meine Anfrage vom Autor freimütig beantwortet wurde, forschte der Verlag eigenhändig nach und kam zu demselben Ergebnis. Besorgt um sein Ansehen, aber auch unsicher, ob die unzutreffende Bezeichnung als „Dissertation“ dem Verlag rechtliche Schwierigkeiten ins Haus bringen könnte (vgl. den Rechtsschutz des Doktorgrades nach §132a StGB), wurde die Arbeit sofort aus dem Katalog genommen. Das Werk ist daher nur noch in wenigen Bibliotheken zugänglich. Kukuk ist von Haus aus Sportwissenschaftler, er hat sich aus Interesse zwei Jahre mit dem ungewöhnlichen Thema befasst, um die mögliche Wissenschaftlichkeit dieser Theorie nachzuweisen, die sonst fast ausschließlich in populär ge-
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haltenen Sachbüchern und Zeitschriften für ein breites Publikum auf den Markt kommt. Nachdem deutsche Institute die Arbeit ablehnten, geriet Kukuk an die kalifornische Titelmühle, deren Doktortitel hierzulande nicht anerkannt ist (und den der Autor auch nicht führt). Aber was ist nun die Paläo-SETI-Hypothese, der sich die Arbeit widmet? SETI steht für Search for Extra-Terrestrial Intelligence, die Vorsilbe »paläo-« drückt aus, dass nicht in der Gegenwart, sondern in der Vergangenheit nach Spuren außerirdischer Intelligenz gesucht wird. Die Hypothese besagt, dass die Erde vor langer Zeit von außerirdischen Wesen besucht worden sei, die die Entwicklung des Menschen genetisch und kulturell beeinflusst hätten. Die Außerirdischen seien von den Menschen verehrt und gefürchtet worden, und die Göttergeschichten aller Völker seien, so die Hypothese, Berichte von den Kontakten mit den »Astronautengöttern«. Die bekanntesten Vertreter der Theorie, die auch als Prä-Astronautik bezeichnet wird, sind die Autoren Erich von Däniken und Zecharia Sitchin. Nach der Veröffentlichung des Bestsellers Erinnerungen an die Zukunft von Von Däniken im Jahr 1968 herrschte in den 1970er Jahren eine rege Diskussion um die Theorie. Von Däniken wurde wiederholt nachgewiesen, dass seine Methode wissenschaftlichen Standards nicht genüge; damit wurde die Prä-Astronautik den Para- oder Pseudowissenschaften zugeordnet. Die Theorie wurde jedoch in zahlreichen Sachbüchern und mittlerweile auch Webseiten weiterverbreitet, Von Däniken und andere Autor/innen suchen weiter nach Indizien für ihr alternatives Geschichtsbild - einen substanziellen Beweis sind sie der Allgemeinheit bisher schuldig geblieben. Kukuk macht es sich nun zur Aufgabe, »eine Gesamtbetrachtung des Themenkomplexes Paläo-SETI zu erstellen, die bislang auf wissenschaftlicher Basis nicht existent ist« (S. 5). Keinesfalls aber wolle er ein abschließendes Urteil darüber fällen, ob die Theorie richtig oder falsch sei. Dabei ist es nichts Neues, dass zwar einerseits die Existenz außerirdischen Lebens (und damit prinzipiell auch die Möglichkeit eines Kontakts mit diesem – egal zu welchem Zeitpunkt) möglich ist, dass andererseits die Kritik an der Paläo-SETI sich überwiegend gegen die Methodik, nicht gegen die Hypothese richtet. Statt eines abschließenden Urteils über die Hypothese wäre eine umfassende Bewertung der Argumentation im Einzelnen also viel sinnvoller – so Kukuk. Vol. III • 01/2008
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Die Arbeit gliedert sich – nach zwei kurzen Kapiteln zur Einleitung und Aufgabenstellung – in drei Hauptteile: Das umfangreiche dritte Kapitel legt Grundlagen der Paläo-SETI-Forschung dar, indem es die Theorien Erich von Dänikens und Zecharia Sitchins vorstellt (S. 7-204).Der nächste Teil der Arbeit setzt sich mit Kritik an der Paläo-SETI bzw. an den beiden vorgestellten Autoren auseinander (S. 205–311). Im fünften Kapitel befasst sich Kukuk mit der Vereinbarkeit der Paläo-SETI-Hypothese mit gegenwärtigen Erkenntnissen (S. 313–357). Eine sehr kurze Zusammenfassung, ein Ausblick und das Literaturverzeichnis schließen die Arbeit ab. Man sieht bereits an dieser Aufteilung, dass der Kritik deutlich weniger Platz eingeräumt wird als der Darstellung der Theorien von Dänikens und Sitchins. Auch vermisst man Abschnitte zum Forschungsstand und zur Methodologie der Arbeit. Im »Grundlagen«-Kapitel stellt der Autor unter anderem die Panspermie-Theorie als alternatives Modell zur Entstehung des Lebens auf der Erde vor (demnach kam das Leben von außerhalb auf die Erde) und beschreibt verschiedene mythologische und biblische Überlieferungen sowie archäologische Stätten und Artefakte rund um den Globus, die Erich von Däniken als Indizien für die Astronautengötter-Hypothese interpretiert. Dabei fällt schmerzlich der Mangel an seriöser Literatur zu den angesprochenen Themen auf: meist wird die wissenschaftliche Lehrmeinung nur aus von Dänikens Sicht wiedergegeben. So bleibt die kritische Gegenmeinung hoffnungslos unterrepräsentiert. Das Manko bleibt auch in der Darstellung der Theorie Zecharia Sitchins bestehen, der mit seinem Buch Der zwölfte Planet 1976 ein alternatives Modell zur Geschichte des Sonnensystems und der Menschheit vorstellte, in welchem er versucht, mesopotamische Überlieferungen modern zu deuten. Im Gegensatz zu von Dänikens besteht Sitchins Theorie nicht aus einem disparaten Gemenge weltweiter Indizien, die eine recht allgemeine Hypothese stützen sollen, sondern aus einem relativ kleinen Quellencorpus, auf dem eine detaillierte Frühgeschichte der Erde und des Menschen aufbaut. Da Sitchins Theorie relativ kompakt auf einen Kulturraum konzentriert ist, macht sich das Fehlen von Fachliteratur zu den Bausteinen seines Geschichtsmodells weniger bemerkbar als bei dem heterogenen Themenspektrum Von Dänikens. Vol. III • 01/2008
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Im vierten Kapitel referiert Kukuk – leider nur sehr kurz – einzelne Kritikpunkte an der Arbeitsweise der Prä-Astronautik, bevor er zu einer detaillierten Kritik an vier Themen übergeht, die von von Däniken als Indizien für die Astronautengötter betrachtet werden. Die Auseinandersetzung mit dem »Sirius-Rätsel« (dem verblüffenden astronomischen Wissen in den Mythen der Dogon), den Kernbohrungen von Abusir, den seltsamen Hieroglyphen am Sethos-Tempel von Abydos sowie mit dem Alter von Tiahuanaco folgt im Großen und Ganzen älteren Arbeiten, die sich mit den vermeintlichen Anomalien kritisch beschäftigt haben. Auch bei der sich anschließenden Kritik an Zecharia Sitchin wird deutlich, dass Kukuk sich wenig eigene kritische Gedanken gemacht hat und sich stattdessen an die Vorlagen anderer Kritiker hält. Erstaunlich bleibt in diesem Kapitel, mit welcher Beharrlichkeit der Autor bemüht ist, den Spekulationen der Paläo-SETI im Angesicht der Kritik ihre prinzipielle Berechtigung zuzusprechen und ihre methodischen Schwächen zu übersehen. Statt die Plausibilität konkurrierender Sichtweisen abzuwägen und ein eigenes Urteil zu fällen, verweist Kukuk immer wieder darauf, dass gewisse Fragen nicht entscheidbar seien. Einzig im Fall der altägyptischen Kernbohrungen stimmt er der Kritik zu und gesteht ein, dass keine außerirdische Hochtechnologie für diese Bohrungen benötigt werden würde. Im letzten großen Kapitel versucht Kukuk, die Paläo-SETI-Hypothese mit modernen Erkenntnissen zu vereinbaren. Es überrascht nicht mehr, wenn beliebte Argumente von Kreationisten (der fossile Hammer von London, Texas, und die Paluxy-River-Fußspuren) als die modernen Erkenntnisse bezüglich der Evolutionstheorie ausgegeben werden. Anschließend werden jüngste astronomische Erkenntnisse über Objekte in unserem Sonnensystem als Gründe für die Wahrscheinlichkeit von Sitchins »zwölftem Planeten« dargestellt. Der Autor lässt hier leider jegliche kritische Distanz missen. In der »Zusammenfassung«, dem sechsten Kapitel, das wenig mehr als eine Seite umfasst (S. 359f.), wiederholt Kukuk die Ausgangsthese aller Paläo-SETIAutoren, dass das wissenschaftliche Weltbild lücken- und fehlerhaft sei, und eine prä-astronautische Korrektur deswegen voll berechtigt sei. Die Paläo-SETI-Hypothese sei kompatibel zur modernen Wissenschaft. Dabei scheint Kukuk so auf
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diese Kompatibilität fixiert, dass er eine generelle Beurteilung der lücken- und fehlerhaften Methodik der Paläo-SETI-Forschung unterlässt. Im siebten Kapitel (S. 361–378) gestattet uns der Autor einen »Ausblick«, in welchem er die anfangs beschriebenen Indizien auf die Besuche der Astronautengötter als absichtlich hinterlassene, kodierte Spuren eben dieser Außerirdischen charakterisiert, die uns anhand dieser Spuren eine Botschaft von ihrer Existenz geben wollten. Mit dem Hinweis auf das Versprechen der »Rückkehr der Götter«, das sich anhand des Maya-Kalenders auf den 21. Dezember 2012 vorhersagen lasse, wird die Dissertation für den Religionswissenschaftler endgültig zum Primärtext. Eine Frechheit sind mehrere ungekennzeichnete Textübernahmen. Auf den Seiten 15–22, 46–56, 82–92, 105 f., 110 und 231–244 übernimmt Kukuk bei nur geringfügiger Modifikation ganze Sätze und teilweise Absätze von anderen Autoren, ohne sie in irgendeiner Form zu kennzeichnen. Bei den Vorlagen handelt es sich jeweils um Texte, die er im Umfeld der ungekennzeichneten Übernahmen mehrfach zitiert, für die übrigen Absätze aber nicht als Quelle angibt. Die Seitenangaben oben sind mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht vollständig, da bisher nicht allen Verdachtsmomenten nachgegangen werden konnte. Gegenüber diesen »Ausrutschern« muten gelegentliche Kommafehler, der mitunter essayistische Stil und die oft mangelnde Einarbeitung wissenschaftlicher Literatur gering an. Abschließend bleibt festzuhalten, dass die angestrebte »Gesamtbetrachtung« des Themas aus wissenschaftlicher Sicht unbefriedigend ist, um es milde auszudrücken. Gerade die im Untertitel angekündigte »Analyse und Bewertung […] vor dem Hintergrund heutiger Erkenntnisse der modernen Wissenschaft« sucht der Leser vergebens. Der Stand der Wissenschaft ist nur selektiv zu einzelnen Themen aufgegriffen worden und entsprechend selektiv in die Bewertung eingeflossen. Kukuks Arbeit kann als Ausdruck des Bewusstseins gelesen werden, dass die Prä-Astronautik seit Beginn ihres Bestehens noch einer gründlichen wissenschaftlichen Aufarbeitung bedarf. Unkritisches Vertrauen in ihre sensationellen »Erkenntnisse« ist in dieser Hinsicht jedoch kein guter Ausgangspunkt.
Rezensiert von Jonas Richter, Universität Göttingen Kontakt:
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Wege zur Religionswissenschaft?
Steffen Rink
Herausgeber: Titel:
Yousefi, Hamid Reza et.al. Wege zur Religionswissenschaft. Eine interkulturelle Orientierung. Ansätze, Grundprobleme, Ergänzende Perspektiven
Verlag: Erscheinungsort: Erscheinungsjahr:
Traugott Bautz Nordhausen 2007
Umfang: Preis: ISBN:
341 Seiten 40,00 ! 9783-88309375-8
Es gibt viele Rezensionen, in denen von den Schwierigkeiten zu lesen ist, einen Sammelband zu besprechen. Das sollte ein Rezensent oder eine Rezensentin normalerweise nicht tun, denn entweder kann man einen Gesamteindruck eines Buches mit unterschiedlichen – im vorliegenden Fall 16 – Beiträgen vermitteln oder man sollte die Besprechung jemand anderem überlassen. Aber: die 341 Seiten, die hier in der gebotenen Kürze vorgestellt werden sollen, machen es einem wirklich nicht leicht. Bereits die Ziele des Bandes auf den Punkt zu bringen fällt schwer. Da ist zunächst der große Anspruch im Vorwort, »zivilisationstheoretische bzw. praktische Dimensionen der Religionswissenschaft im 21. Jahrhundert neu zu vermessen und zu bestimmen« (S. 9). Auf der anderen Seite wollen die Herausgeber nicht mehr als »Perspektiven aufzeigen, kontrastieren und öffnen«, da es verschiedene methodische Möglichkeiten gäbe, Religionswissenschaft zu betreiben (ebd.). Und irgendwie geht es den im Buch beteiligten Autorinnen und Autoren um eine ›angewandte‹ oder ›anwendungsorientierte‹ Religionswissenschaft, verbunden mit einer – so der Untertitel – »interkulturellen Orientierung«. Die Einleitung wiederum versucht, alle Beteiligten miteinander zu harmonisieren, indem ihre Ausführungen als im Grunde auf das gleiche Ziel gerichtete Facetten des selben Anliegens dargestellt werden. Nun schreiben die Autorinnen und Autoren aber nicht in diesem Sinne. Peter Kaiser zum Beispiel (»Religiosität im interkulturellen Kontext«) zeigt lediglich, dass religionsgeschichtliche Kompetenz in der Flüchtlingsarbeit in Asien für die Behandlung traumatisierter Menschen hilfreich sein kann. Adelheid HerrmannVol. III • 01/2008
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Pfandt hält in ihrem Text über Menschenopfer ein Plädoyer, dass auch Religionswissenschaftlerinnen und Religionswissenschaftler problematische Aspekte von Religionen weder romantisieren noch dramatisieren sollten. Bretislav Horyna wiederum wendet sich strikt gegen eine angewandte Religionswissenschaft, mit der man zwar gesellschaftliche Relevanz erlangen könne, aber nur um den Preis der Aufgabe zentraler Grundprinzipien von Wissenschaft. Und wenn Peter Antes fragt: »Religionswissenschaft – Wozu?«, dann führt seine Antwort – angesichts immer komplexer werdenden Spezialwissens Orientierungsleistungen zu erbringen und so auch die Theoriediskussion zu befruchten – nicht unmittelbar zu der von den Herausgebern erkannten zivilisationstheoretischen Dimension von Religionswissenschaft. Auf den möglichen Widerspruch von Anwendungsorientierung und Wissenschaftlichkeit der Religionswissenschaft macht – ungewollt – Michael Schmiedel (»Der interreligiöse Dialog als Aufgabe der Religionswissenschaft«) aufmerksam: Er stellt das viel diskutierte Verhältnis von Theorie und Methodik auf der einen Seite dem außerhalb der wissenschaftlichen Betätigung stehenden Engagement im interreligiösen Dialog auf der anderen Seite gegenüber: Die Lösung liegt darin, dass für den Dialog der Religionen, die Integration von Zuwanderern, für Diversity-Strategien von Konzernen oder – und das ist das Anliegen zumindest von Yousefis interkultureller Orientierung der Religionswissenschaft – für die Lösung anstehender Menschheitsprobleme das Fachwissen der Religionswissenschaft und die Empathie für Religionen gemeinsam den Dienst genommen werden. Wie sich jedoch diese gegenseitige Bezugnahme für die Religionswissenschaft wissenschaftstheoretisch fundieren lässt – darüber geben die 341 Seiten nur wenig Auskunft. An erster Stelle wäre noch Wolfgang Gantke zu nennen, der sein bekanntes Programm der problemorientierten Religionsphänomenologie mit der »offenen Frage« (S. 49 ff) nach dem Heiligen darlegt. Alle anderen Beitragenden setzen voraus, dass Religionswissenschaft eine gesellschaftliche Verantwortung zu erfüllen hat und dass sich der Anwendungsbezug aus der Fragestellung ergibt, die an die Wissenschaft herangetragen wird. Angewandte Religionswissenschaft aber soll über die Vermittlung von Faktenwissen für andere gesellschaftliche Akteure hinaus gehen und, so der Tenor vieler Beiträge, als Wissenschaft engagiert sein. Einzig Horyna kritisiert dies zu Recht als Moralisierung von WissenVol. III • 01/2008
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schaft. Die meisten anderen im Buch versammelten Beiträge bleiben auf einer eher unbestimmten Sowohl-als-Auch-Position stehen: sowohl Neutralität wahren als auch Werte vertreten, sowohl Distanz wahren als auch aktive Einmischung betreiben. Diese Unbestimmtheit kann leicht Programm werden, was umso leichter fällt, wenn man die interkulturelle Kompetenz, die in einem solchen Engagement gefragt ist, den Religionswissenschaftlerinnen und Religionswissenschaftlern gleichsam a priori zuspricht, da sie sich doch mit verschiedenen Religionen und Kulturen beschäftigten. Dass aber eine Funktion als Moderator oder Mediator noch ganz andere Voraussetzungen erfordert als Kenntnisse der Religionsgeschichte und Sensibilisierung für das Heilige, wird nicht problematisiert. An keiner Stelle des Buches wird nach den Ansätzen, Leistungen und Problemen existierender interkultureller Pädagogik gefragt, von der die hier geforderte »interkulturelle Orientierung« viel lernen könnte. Überhaupt: Was ist eigentlich »Interkulturalität«? Wenn es hierbei um globale »zivilisationstheoretische« Fragen gehen soll, findet sich im Buch außer Allgemeinplätzen wenig Erhellendes. Es ist offensichtlich einfacher, sich an hehren Toleranzidealen zu orientieren und diese gemeinsam mit den Religionen umsetzen zu wollen als die Kernerarbeit einer wissenschaftstheoretischen Fundierung und Kontextualisierung in politische oder ökonomische Zusammenhänge anzugehen. Aber: Geht es den Herausgebern oder auch nur Hamid Reza Yousefi, der sich durch seine publizistische Tätigkeit als Erfinder der interkulturellen Religionswissenschaft geriert, überhaupt darum, diese Fragen auf Basis religionswissenschaftlicher Theoriebildung zu beantworten? Zweifel hätten bereits auf der ersten Seite von Yousefis programmatischem Aufsatz »Interkulturelle Religionswissenschaft. Struktur – Gegenstand – Aufgabe« aufkommen müssen. Hier nämlich unterscheidet er »innerhalb der bestehenden Religionswissenschaft« eine »phänomenologische und eine philologisch ausgerichtete Verfahrensweise« als Traditionslinien »religionswissenschaftlicher Tätigkeitsformen« (S. 21). Von solch überholten Kenntnissen über die akademische Disziplin Religionswissenschaft ausgehend ist es natürlich leicht, eine grundsätzliche Neubestimmung zu fordern. Das hat das Fach aber seit der Mitte des letzten Jahrhunderts bereits selbst getan – eben nur nicht in der Weise, dass der interreligiöse Dialog zur Aufgabe der Religionswissenschaft erklärt wurde. Und dass die »Aufklärungsfunktion« der ReligionswisVol. III • 01/2008
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senschaft darin liegen soll, »theoretisch und praktisch« anzuerkennen, »dass auch andere Völker Vernunft und Rationalität besitzen« (S. 26), kann wohl kaum als ernsthaft gemeinte Forderung aufgefasst werden, weil Religionswissenschaft seit den Anfängen des Fachs nichts anderes tut – es sei denn, man begreift »das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen«, wie der Untertitel von Rudolf Ottos Buch »Das Heilige« lautet, als Kerngeschäft der Religionswissenschaft. Spätestens wenn man an das Ende von Yousefis Beitrag gelangt, klärt sich die eingangs beklagte Überforderung des Rezensenten auf: Er war kurz davor, dem Glanz der Produktivität der Schreibfabrik Yousefi & Co., publiziert im Verlag Traugott Bautz, zu erliegen. Die angeführten 29 »Dimensionen« interkultureller Religionswissenschaft leisten nicht viel mehr als die unentwirrbare Wortakrobatik Yousefis zusammenzufassen (S. 46-48). Sie umfasseneine »Religionswissenschaft der Mitte«, als »Schul- und Weltbegriff«, normativ aber nicht zu deutlich, nicht konsens-, aber kompromissorientiert, die eigene religiöse Überzeugung fördernd, Religion auch kritisierend, nicht zentristisch, multilateral, und schlussendlich (Dimension Nr. 29) arbeitet man »gegen jegliche Form von religiösem Tendenzjournalismus« (ebd.). Das Problem dieses Buch besteht offensichtlich im Etikettenschwindel: Nicht die Religionswissenschaft bildet den Ausgangspunkt des proklamierten interkulturellen Programms – die Yousifi entworfene interkulturelle Religionswissenschaft bedeutet nichts anderes als die Vereinnahmung der Religionswissenschaft für ein philosophisches Programm der Völkerverständigung auf religiöser Grundlage. Dabei will der Rezensent nicht die Völkerverständigung in Frage stellen, wohl aber die Art und Weise, wie dies erreicht werden soll und vor allem wie mit der Religionswissenschaft hier verfahren wird. Diese Grundhaltung ist durchaus in manch anderem Beitrag des Sammelbandes, etwa bei Udo Tworuschka – mit Bezug auf Gustav Mensching und seine »Welt-Universität« – oder bei Michael von Brück erkennbar. Jenseits eines solchart religiösen, moralischen oder philosophischen Hintergrunds bleibt für die ›herkömmliche‹ Religionswissenschaft allerdings, ihre Kompetenzen in aktuelle Diskussionen einzubringen und mit anderen Akteuren und Disziplinen zu verknüpfen. Das aber ist nicht neu und schlägt sich beispielsweise auch in der Neustrukturierung von Studiengängen nieder; in diesem Sinn sollte auch der Vol. III • 01/2008
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REZENSIONEN
Zei tsc hri ft fü r ju nge Re li gi on swis se ns cha ft ISSN 1862 – 5886
Beitrag von Richard Friedli bedacht werden. Allein dass hier niemand einer »interkulturellen Religionswissenschaft« die Hybris der Lösung der Weltprobleme oder gar der »Gesamtschau« auf die Menschheitsgeschichte aufsetzt, sondern die beharrliche Detailarbeit in Forschung und Praxis anbietet. Dem steht nicht entgegen, dass einzelne Beiträge des Buches durchaus lesenswert und für sich genommen diskussionswürdig sind. Als »Wege zur Religionswissenschaft« sollten sie jedoch nicht wahrgenommen werden, denn der Rahmen des Buches führt sie von der Religionswissenschaft weg. Die 40,00 ! – für die gebundene Ausgabe gar 55,00 ! – können weitaus sinnvoller angelegt werden, zumal einige Beiträge in ähnlicher Form bereits anderswo erschienen bzw. online verfügbar sind. So soll denn auch nicht verschwiegen werden, dass die redaktionelle Anmerkung, nach der auf formale Einheitlichkeit »bewusst zu Gunsten der jeweiligen individuellen Präferenzen unserer Autoren und Autorinnen verzichtet« (S. 20) wurde, die satztechnischen Mängel nicht überdecken kann. Rezensiert von Steffen Rink, Marburg Kontakt:
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Vol. III • 01/2008
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