Hans Mathias Kepplinger Nonverbale Medienkommunikation
Theorie und Praxis öffentlicher Kommunikation Band 3 Herausgeg...
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Hans Mathias Kepplinger Nonverbale Medienkommunikation
Theorie und Praxis öffentlicher Kommunikation Band 3 Herausgegeben von Hans Mathias Kepplinger In Zusammenarbeit mit Simone Christine Ehmig
Hans Mathias Kepplinger
Nonverbale Medienkommunikation
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Dorothee Koch/ Marianne Schultheis VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17074-9
Inhalt
Vorwort .............................................................................................................. 7 Darstellungseffekte ...........................................................................................11 Visuelle Fernsehinformationen über die Spitzenkandidaten bei Bundestagswahlen 1990-2009 ...........................................................................19 Optische Kommentierung im Wahlkampf .........................................................33 Einfluss von Zuschauermeinungen auf die Wahrnehmung von Politikern im Fernsehen .....................................................................................53 Einfluss von Kameraperspektiven auf die Wahrnehmung von Politikern .........63 Einfluss nonverbaler Verhaltensweisen auf die Personenwahrnehmung in Fernsehinterviews .........................................................................................85 Identitätsprobleme der Personenwahrnehmung anhand von Fotos................. 105 Charakterfiktionen von Politikern in politischen Magazinen ......................... 123 Stabilität der Personenwahrnehmung anhand von Fotos ................................ 143 Generalisierungen der Personenwahrnehmung anhand von Fotos ................. 157 Einfluss von Musik auf die Interpretation von Filmhandlungen..................... 175 Quellennachweise .......................................................................................... 193
Vorwort
Die Analyse von Fotos besitzt eine lange Tradition. Nachdem Charles Darwin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts seine berühmte Studie über die nonverbalen Zeichen von Emotionen veröffentlicht hatte,1 publizierte Antoinette M. Feleky 1914 die erste empirische Analyse von Emotionen anhand von Fotos.2 Auf ihren Vorarbeiten aufbauend legte Robert S. Woodworth 1938 eine sechsstufige Klassifikation von Emotionen vor, die man umso besser erkennen kann, je weiter sie voneinander entfernt sind.3 Bereits einige Jahre zuvor hatte Werner Wolff seine Studien zur Asymmetrie von Gesichtshälften mit Hilfe halbierter Fotos herausgebracht,4 und nur wenige Jahre später ist Norman L. Munns Analyse des Einflusses von Informationen über den Handlungskontext auf die Identifikation von Emotionen erschienen.5 Gemeinsam ist diesen Studien ihr phänomenologischer Ansatz: Den Verfassern ging es um die Existenz, die Art und die Unterscheidbarkeit von menschlichen Eigenschaften. Dabei waren Fotos willkommene Hilfsmittel. Ihr Interesse war objektbezogen, ihre Vorgehensweise deskriptiv. Vergleichbare Fragestellungen liegen drei Studien des vorliegenden Bandes zugrunde. Dabei geht es um die Entwicklung der visuellen Berichterstattung des Fernsehens über die Spitzenkandidaten bei Bundestagswahlen von 1990 bis 2009, um das Verhältnis der visuellen Darstellung und verbalen Beschreibung von Publikumsreaktionen bei Politikerreden sowie um die Frage, ob mehrere Fotos von einer Person eine hinreichende Grundlage für Urteile über ihre Persönlichkeit sind. In allen genannten Fällen geht es um die Existenz und Art von Phänomenen. Allerdings sind die Fotos und Filme im Unterschied zu den eingangs erwähnten Studien keine Hilfsmittel zum Verständnis des Dargestellten. Sie sind selbst Gegenstand der Analysen. Den meisten der hier versammelten Studien liegt eine weitergehende Fragestellung zugrunde. In ihrem Mittelpunkt sehen die Zusammenhänge zwischen zwei und mehr Variablen. In diesem kausalanalytischen Ansatz werden die visuellen Informationen von Fotos und Filmen als Ursachen sowie die Wahrnehmungen und Folgerungen der Betrachter als Wirkungen verstanden. Konkret geht es um die Wirkung nonverbaler Verhaltensweisen von Politikern und Journalisten auf den Eindruck, den sie bei Fernsehzuschauern hervorrufen; um den Einfluss von Aufnahmen aus verschiedenen Kameraperspektiven auf die Vorstellungen der Fernsehzuschauer von der Persönlichkeit der dargestellten Person; um den
Einfluss der Meinungen über Politiker auf ihre Wahrnehmung anhand der aktuellen Fernsehberichterstattung; um den Einfluss der Bildberichterstattung von politischen Magazinen über bekannte Politiker auf die Vorstellungen der Betrachter von ihren Persönlichkeiten; um die Dauerhaftigkeit und Widerstandsfähigkeit von Personenvorstellungen, die auf Fotos beruhen; um den Einfluss solcher Vorstellungen auf die Beurteilung von Sachverhalten, die auf den Fotos überhaupt nicht zu sehen sind, sowie um den Einfluss von Filmmusiken auf die Wahrnehmung der Hauptfiguren und ihrer Beziehungen zueinander. In die Reihe dieser Studien gehört auch ein Experiment zum Einfluss der visuellen Darstellung von Gewalt in der aktuellen Fernsehberichterstattung auf die Anhänger der gezeigten Täter und Opfer. Sie wurde wegen ihres spezifischen Gegenstandes an anderer Stelle veröffentlich.6 Die Testfilme und Fotoserien für die Experimente wurden mit Rücksicht auf die theoretischen Fragestellungen und die Praxis der Massenmedien produziert. Sie sollten so realitätsgerecht wie möglich und so einsetzbar wie notwendig sein. Dies führte zu kurzen Testfilmen und Fotoserien von ca. drei Minuten bzw. aus sechs Bildern. Das Ziel der Experimente besteht in der Ermittlung von generellen Erkenntnissen, die von den konkreten Fällen relativ unabhängig sind. Den Inhaltsanalysen liegt die aktuelle Berichterstattung der Massenmedien über kontroverse Personen zugrunde. Dadurch sollen breit fundierte Erkenntnisse über spezifische Eigenschaften der Bildberichterstattung des Fernsehens und der Presse gewonnen werden. Dabei geht es vor allem um den anhand von Einzelbeiträgen kaum erkennbaren Einfluss der redaktionellen Linien auf die visuelle Darstellung von Politikern. Angesichts der zunehmenden Individualisierung der Kommunikation im Internet könnte diese Zielsetzung überholt erscheinen. Tatsächlich trifft jedoch das Gegenteil zu, weil viele Internetangebote mehr visuelle Elemente enthalten als die traditionellen Medien. Mehrere der hier aufgeworfenen Fragen sind deshalb heute noch aktueller als früher. Die Anlage und Durchführung der Experimente und Inhaltsanalysen werden so ausführlich beschrieben, dass sie auch von einem interessierten Laien gut nachvollziehbar sind. Die statistischen Analysen werden dagegen relativ kurz und auf das Wesentliche beschränkt dargestellt. Wer sich nur für die Befunde und ihre Interpretation interessiert, findet am Ende jeder Studie eine ausführliche Zusammenfassung. Dabei wird auch deutlich, dass im Bereich der visuellen Kommunikation zahlreiche offene Fragen existieren, die letztlich nur mit empirischen Untersuchungen geklärt werden können. Für die erneute Publikation von Beiträgen, die zuerst in Fachzeitschriften und Fachbüchern erschienen sind, habe ich im Interesse einer möglichst einfachen und allgemeinverständlichen Darstellung methodische Details, umfangreiche Literaturbelege und fachspezifische Exkursionen gestrichen. Sie können in den am Ende des Bandes ausgewiesenen
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Erstveröffentlichungen nachgeschlagen werden. Bei den Originalbeiträgen für diesen Band habe ich die Anmerkungen auf das notwenige Minimum beschränkt. Die vorliegende Publikation hätte ohne die Hilfe von mehreren Mitarbeitern nicht erscheinen können. Simone Christine Ehmig hat die Rechte bei Verlagen eingeholt, Andrea Ohters hat die Texte neu geschrieben und den Band formatiert. Nicole Podschuweit hat die Texte Korrektur gelesen, Stefan Geiss hat die Grafiken neu gestaltet, die Analyse der Berichterstattung über die Bundestagswahl 2009 geleitet und die Daten aus den früheren Wahlen vergleichend neu analysiert. Bei allen bedanke ich mich für ihre Sorgfalt und Geduld. Für alle Fehler, die dennoch existieren mögen, bin ich selbst verantwortlich. Hans Mathias Kepplinger Mainz, im November 2009
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Vgl. Charles Darwin: The Expression of the Emotions in Man and Animals. London 1872. Vgl. Antoinette M. Feleky: The Expression of Emotions. In: Psychological Review 21 (1914) S. 3341. 3 Vgl. Robert S. Woodworth: Experimental Psychology. London 1938, S. 242-256. 4 Vgl. Werner Wolff: The Experimental Study of Forms of Expression. In: Character and Personality 2 (1933) S. 168-176. 5 Vgl. Norman L. Munn: The Effect of Knowledge of the Situation upon the Judgement of Emotions from Facial Expression. In: Journal of Abnormal and Social Psychology 35 (1940) S. 324-338. 6 Vgl. Hans Mathias Kepplinger: Die Wirkung von Gewaltdarstellungen auf Anhänger und Gegner der Aggressoren. In: Derselbe: Publizistische Konflikte und Skandale. Wiesbaden 2009, S. 71-91. 2
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Darstellungseffekte
Das Fernsehen ist ein visuelles und personenbezogenes Medium. Visualisierung und Personalisierung sind geradezu Voraussetzungen für den größten Teil seiner Berichterstattung. Thema der Berichterstattung ist folglich vor allem, was sich bildlich darstellen lässt. Dies geschieht in der Regel durch Aufnahmen von Personen, die an einem Geschehen teilhaben oder über ein Geschehen berichten. Auch die Bildberichterstattung der Presse besteht zu einem großen Teil aus Personenfotos. Es erscheint deshalb naheliegend, die Darstellung von Personen als eine Ursache und die Wahrnehmung von Personen als eine Wirkung der Fernsehberichterstattung und der Bildberichterstattung der Presse zu betrachten. Dies ist der Gegenstand der vorliegenden Untersuchungen. Als Darstellungseffekte werden alle Wirkungen von Fernsehfilmen und Pressefotos betrachtet, die auf der nonverbalen Selbstdarstellung der abgebildeten Personen sowie ihrer visuellen Darstellung durch Fotografen, Kameraleute, Beleuchter, Tontechniker, Cutter, Metteure und Journalisten beruhen. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die Vorstellungen, die die Betrachter von den Eigenschaften der Abgebildeten gewinnen und die Folgerungen, die sie daraus ziehen. Darstellungseffekte sind das Ergebnis eines mehrstufigen Wirkungsprozesses. An seinem Beginn steht das reale Verhalten einer Person, ihre Sprechweise, Gestik und Mimik, die von der Aufnahmesituation beeinflusst sein können. Es folgt, gebrochen durch den Einfluss von Aufnahmetechniken wie Beleuchtung, Kameraperspektive und Einstellungsgröße sowie Editionstechniken wie Filmentwicklung, Auswahl der Aufnahmen, Schnitt und Montage, das dargestellte Verhalten. Das dargestellte Verhalten muss, obwohl es u. U. nahezu zeitgleich mit dem realen Verhalten stattfindet, vom realen Verhalten unterschieden werden, weil es faktisch davon verschieden sein kann. Die dritte Stufe bildet das wahrgenommene Verhalten, das durch Merkmale der Betrachter, ihre Einstellungen zur gezeigten Person, ihrer Sensibilität für Darstellungstechniken und nonverbale Verhaltensweisen sowie durch das Image der Darstellung in den Augen der Betrachter, wie ihrer Auffälligkeit, wahrgenommener Tendenz und Akzeptanz, gebrochen ist. Das wahrgenommene Verhalten umfasst die Sprechweise, die Gestik und die Mimik sowie den Gesamteindruck, den eine Person bzw. ihre Darstellung hervorruft, vor allem den Eindruck von ihrem sozialen Verhalten, ihrer Qualifikation und ihrem Durchsetzungsvermögen. Auf der vierten Stufe
schließlich folgt das attribuierte Verhalten. Hierbei handelt es sich um Glaubwürdigkeit, Intentionen und mögliche Verhaltensweisen, die einer Person aufgrund ihrer Wahrnehmung anhand von Pressefotos und Fernsehaufnahmen zugesprochen oder abgesprochen werden. Auch die Glaubwürdigkeit von Aussagen über eine Person gehört hierzu. Attributionen stellen bewusste und unbewusste Folgerungen aus den Wahrnehmungen dar. Darstellungseffekte gehen folglich weit über das reale Verhalten und seine Darstellung hinaus, obwohl sie in ihnen angelegt sind. Das folgende Modell der Darstellungseffekte fasst ohne Anspruch auf Vollständigkeit jeweils mehrere Einflussfaktoren zu acht Faktorenbündeln zusammen, das reale und dargestellte, das wahrgenommene und attribuierte Verhalten, die Aufnahme- und Editionstechniken sowie die Betrachtermerkmale und das Darstellungsimage. Die ersten vier Faktorenbündel betreffen das Verhalten und seine Wahrnehmung, die zweiten vier Faktorenbündel die Modifikationen durch Produzenten und Rezipienten. Darüber hinaus kann man die Situation und ihre Darstellung sowie die Reaktionen der Betrachter unterscheiden, zu denen jeweils vier Faktorenbündel gehören. Die einzelnen Faktorenbündel wirken entsprechend der modellhaft vereinfachten Darstellung aufeinander ein. Darüber hinaus beeinflussen sich jedoch auch die einzelnen Faktoren innerhalb der acht Faktorenbündel. Dies soll anhand von drei Beispielen illustriert werden. Sprechweise, Gestik und Mimik einer Person sind keine unabhängigen Größen. Sie bilden vielmehr eine mehr oder weniger enge Einheit. Darüber hinaus hängen Sprechweise, Gestik und Mimik einer Person von Sprechweise, Gestik und Mimik anderer Personen, etwa der Gesprächspartner oder des anwesenden Publikums, ab. Das reale Verhalten stellt deshalb keine wirklich unabhängige Größe dar. Es ist vielmehr selbst das Ergebnis vielfältiger Interaktionen. Auch Licht, Kameraperspektive und Einstellungsgröße sind nicht unabhängig voneinander. Vielmehr erfordern bestimmte Lichtverhältnisse bestimmte Einstellungsgrößen, bestimmte Kameraperspektiven bestimmte Lichtverhältnisse. Auch die Aufnahmetechniken hängen mit anderen Worten untereinander zusammen. Abbildung 1 zeigt den mehrstufigen Wirkungsprozess im Modell. Dabei wird deutlich, dass die Aufnahmetechniken und die Editionstechniken einen Filter zwischen realem und dargestelltem Verhalten bilden. Einen ähnlichen Filter bilden die Betrachtermerkmale und das Darstellungsimage zwischen dem dargestellten und dem wahrgenommenen Verhalten. Die Ergebnisse der hier versammelten Untersuchungen können nicht lückenlos dargestellt werden.1 Stattdessen werden einige zentrale Befunde referiert, die für das Verständnis und die Spezifikation des Wirkungsmodells notwendig sind. Die Bedeutung visueller Informationen über die Kanzlerkandidaten hat in den vergangenen 20 Jahren in der Fernsehberichterstattung aus mehreren
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Editionstechnik Entwicklung, Selektion, Komposition (Schnitt, Montage)
Dargestelltes Verhalten Aussehen, Gestik, Mimik, Sprechweise
Produktions-Filter
Aufnahmetechnik Licht, Ton, Perspektive, Einstellungsgröße
Reales Verhalten Aussehen, Gestik, Mimik, Sprechweise
Situation
Darstellungsimage Auffälligkeit, Wahrgenommene Tendenz, Akzeptanz
Rezeptions-Filter
Betrachtermerkmale Einstellung, Sehgewohnheit, Sensibilität
Disposition
Wahrgenommene(s) Eigenschaften/ Verhalten Aussehen, Gestik, Mimik, Sprechweise, Soziales Verhalten, Qualifikation, Durchsetzungsvermögen
Attribuierte(s) Eigenschaften/ Verhalten Glaubwürdigkeit von Informationen, Glaubwürdigkeit, Intentionen, Verhalten der Person
Reaktion
Abbildung 1: Darstellungseffekte im Modell
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Gründen erheblich zugenommen. Zum einen ist der Anteil der Beiträge mit visuellen Informationen gestiegen. Zum anderen hat der Anteil der visuellen Informationen in diesen Beträgen zugenommen. Die Hauptursache dieser Entwicklung besteht nicht darin, dass heute Sachverhalte visuell dargestellt werden, die früher verbal vermittelt werden. Sie besteht vielmehr darin, dass heute vermehrt über Sachverhalte berichtet wird, die auch früher schon visuell dargestellt wurden. Dies betrifft vor allem die Persönlichkeit der Kandidaten, die in der Berichterstattung die Darstellung ihrer Sachkompetenz überlagert.2 Der Gesamteindruck, den eine Person auf Pressefotos oder in Fernsehaufnahmen vermittelt, erstreckt sich in der Regel auf drei Dimensionen: ihr soziales Verhalten, ihre Qualifikation und ihr Durchsetzungsvermögen. Die Wahrnehmung des sozialen Verhaltens trägt am meisten zum Gesamteindruck bei, den die Person bzw. ihre Darstellung hervorruft. Defensive Verhaltensweisen vermitteln günstige Eindrücke vom sozialen Verhalten, jedoch ungünstige Eindrücke von der Qualifikation und vom Durchsetzungsvermögen einer Person. Entgegengesetzte Effekte treten bei offensiven Verhaltensweisen auf. Interviewteilnehmer stehen deshalb vor der Wahl, eher einen günstigen Eindruck von ihrem sozialen Verhalten oder einen günstigen Eindruck von ihrer Qualifikation und ihrem Durchsetzungsvermögen zu vermitteln. Den Gesamteindruck, den sie machen, können sie am ehesten auf Kosten eines positiven Eindrucks von ihrer Qualifikation und ihrem Durchsetzungsvermögen durch ein betont defensives Verhalten verbessern.3 Das Verhalten eines Gesprächspartners in einem Fernsehinterview beeinflusst die Wahrnehmung des anderen Gesprächspartners. Der Einfluss erstreckt sich vor allem auf die Wahrnehmung des sozialen Verhaltens. Dabei treten Kontrasteffekte auf: Verhält sich ein Teilnehmer an einem Interview offensiv, erscheint das soziale Verhalten seines Gesprächspartners positiver, als wenn sich der Erstgenannte defensiv verhält. Dies ist auch dann so, wenn sich der erwähnte Gesprächspartner in beiden Fällen absolut gleich verhält. Die Art und Weise, wie die Fernsehzuschauer einen Teilnehmer an einem Interview wahrnehmen, hängt folglich nicht nur von seinem eigenen Verhalten ab. Die Wahrnehmung der Fernsehzuschauer wird vielmehr, ohne dass sie sich dessen bewusst sind, auch vom Verhalten seines Gegenüber beeinflusst. Deshalb kann ein Teilnehmer an einem Fernsehinterview die Wahrnehmung des anderen steuern.4 Kameraperspektiven beeinflussen die Wahrnehmung einer Person. Einen positiven und homogenen Eindruck vermitteln Aufnahmen aus der Augenhöhe und aus der leichten Untersicht, einen negativen und diskrepanten Eindruck rufen Aufnahmen aus der starken Untersicht und der starken Draufsicht hervor. Die Effekte sind bei starker Draufsicht größer als bei starker Untersicht.5 In der aktuellen Berichterstattung über öffentliche Auftritte von Politikern hängen die
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Verwendung von Kameraperspektiven und die Auswahl der Aufnahmen nicht ausschließlich von den Gegebenheiten ab. So wurde bei der Bundestagswahl 1976 der groß gewachsene Helmut Kohl überdurchschnittlich häufig, der klein gewachsene Helmut Schmidt dagegen relativ selten aus der Vogelperspektive gezeigt. Bei Berichten über Reden von Kohl wurden im Unterschied zu den Reden von Schmidt häufig negative Publikumsreaktionen im Bild gezeigt, obwohl die sprachlichen Hinweise der Reporter auf die Reaktionen des Publikums keinen Unterschied erkennen ließen.6 Von jeder Person gibt es typische Fotos, die den durchschnittlichen Eindruck wiedergeben, den sie auf einer ganzen Serie von Aufnahmen vermittelt. Von jeder Person gibt es jedoch auch extreme Fotos, die völlig unterschiedliche Eindrücke von ihren Charaktereigenschaften hervorrufen. Obwohl es typische Fotos gibt, ist von einem Foto kein sicherer Rückschluss auf tatsächliche Charaktereigenschaften möglich. Dies gilt besonders für das soziale Verhalten, das auf verschiedenen Fotos sehr unterschiedlich erscheinen kann. Aus einer hinreichend großen Serie von Fotos einer Person können durch einfache Sortiervorgänge mindestens zwei kontrastierende Teilserien hergestellt werden, die unterschiedliche Eindrücke vermitteln. Hierbei handelt es sich um Charakterfiktionen, die sich auch dann deutlich voneinander unterscheiden, wenn die Fotos in völlig undramatischen Situationen innerhalb eines kurzen Zeitraumes aufgenommen wurden.7 Serien kontrastierender Fotos von einer Person rufen innerhalb weniger Wochen bei Personen, die immer nur eine von zwei Charakterfiktionen sehen, unterschiedliche Eindrücke von der gleichen Person hervor. Derartige Eindrücke sind erstaunlich dauerhaft: Sie bestehen noch eine Woche nach dem letzten Betrachten der Bilder und wirken sich auf die Glaubhaftigkeit von Aussagen über die dargestellte Personen aus: Betrachter, die günstige Fotos gesehen haben, halten positive Aussagen für glaubhaft; Betrachter, die ungünstige Fotos gesehen haben, finden negative Aussagen überzeugend. Der Einfluss ungünstiger Fotos auf die Glaubhaftigkeit negativer Aussagen ist dabei größer als der Einfluss positiver Fotos auf die Glaubhaftigkeit positiver Aussagen.8 Charakterfiktionen lassen sich nicht nur in Laborexperimenten erzeugen, sondern auch anhand der aktuellen Berichterstattung nachweisen. Dabei stehen die von den Fotos vermittelten Eindrücke gelegentlich im Widerspruch zur aktuellen Lage der Personen, die sie zeigen. So erschien Helmut Schmidt in der Fotoberichterstattung des Stern vor seiner Wahlniederlage gegen Helmut Kohl 1983 optimistischer und entspannter als vor seinem absehbaren Triumph über Franz-Josef Strauß 1980. In anderen Fällen zeigen sich markante Unterschiede zwischen den Charakterfiktionen verschiedener Blätter. So erschien Ronald Reagan auf den Fotos von Time kompetenter und heiterer als auf den Fotos des
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Stern. Andererseits erschien Leonid Breschnew auf den Fotos des Stern lockerer und friedlicher als auf den Fotos von Time.9 Daraus folgt, dass die Leser von bedeutenden Zeitschriften anhand der Fotos von Politikern keine sicheren Rückschlüsse auf die Persönlichkeit der Dargestellten ziehen können. Die Vorstellungen von den Eigenschaften einer Person anhand von kontrastierenden Fotoserien beeinflussen die Vermutungen der Betrachter über Motive und Verhaltensweisen der dargestellten Person: Betrachter, die günstige Aufnahmen gesehen haben, schreiben der dargestellten Person eher positive Motive und Verhaltensweisen zu; Betrachter, die ungünstige Fotos gesehen haben, dagegen eher negative Motive und Verhaltensweisen. Durch derartige Folgerungen erstreckt sich der Einfluss der Personenfotos auf Bereiche, die in den Darstellungen selbst nicht angesprochen sind.10 Die Vorstellungen von den Eigenschaften einer Person, die mit Hilfe von kontrastierenden Fotoserien erzeugt werden, besitzen einen Einfluss auf die Geltung sozialer Normen in öffentlichen Konflikten: Betrachter, die negative Fotos gesehen haben, halten unbewiesene Vorwürfe gegen die dargestellte Person eher für gerechtfertigt als Betrachter, die positive Fotos gesehen haben.11 Dadurch vergrößern oder verringern Fotos die Handlungschancen der Gegner der dargestellten Person. Zugleich verringern oder vergrößern sie die Erfolgsaussichten der dargestellten Person in öffentlichen Konflikten. Musikuntermalungen werden in jüngerer Zeit zunehmend bei aktuellen Berichten eingesetzt. Die Wirkung solcher Musiken beruht weniger auf ihrer Bekanntheit als auf den Emotionen, die sie auslösen. Dadurch steuern sie die Wahrnehmung und das Verständnis von mehrdeutigen Bilddarstellungen. Das betrifft u. a. die Vorstellungen vom Verhältnis der dargestellten Personen zueinender. Solche Effekte sind weitgehend unabhängig von der Musikalität der Zuschauer. Deshalb beeinflussen Musikuntermalungen unmusikalische Zuschauer in ähnlicher Weise wie musikalische Zuschauer.12 Aufgrund der hier nur auszugsweise referierten Ergebnisse kann man feststellen, dass die Massenmedien zuweilen eigenwillige Bilder von Personen des öffentlichen Lebens präsentieren. Dies ist vermutlich vor allem dann der Fall, wenn es sich um kontroverse Personen handelt, bzw. um Personen, die für kontroverse Positionen stehen. Aufgrund der wiederholten, konsonanten bildlichen Darstellung von Menschen entwickeln die Betrachter implizite Persönlichkeitstheorien, aus denen sie weit reichende Folgerungen ableiten. Dadurch geht die Wirkung von Pressefotos und Fernsehbildern in einer kalkulierbaren Weise weit über ihren manifesten Informationsgehalt hinaus.
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1
Für eine Darstellung der aktuellen Forschungslage vgl. Hans Mathias Kepplinger: Nonverbale Kommunikation und Darstellungseffekte. In: Elisabeth Noelle-Neumann, Winfried Schulz, Jürgen Wilke (Hrsg.): Fischer Lexikon Publizistik Massenkommunikation. Frankfurt a. M.: Fischer Verlag 2009, S. 397-425, 775-784. 2 Vgl. ÄVisuelle Fernsehinformationen über die Spitzenkandidaten bei Bundestagswahlen 19902009³. In diesem Band, S. 19. 3 Vgl. ÄEinfluss nonverbaler Verhaltensweisen auf die Personenwahrnehmung in Fernsehinterviews³. In diesem Band, S. 85. 4 Ebenda. 5 Vgl. ÄEinfluss von Kameraperspektiven auf die Wahrnehmung von Politikern³. In diesem Band, S. 63. 6 Vgl. ÄOptische Kommentierung im Wahlkampf³. In diesem Band, S. 33. 7 Vgl. ÄIdentitätsprobleme der Personenwahrnehmung anhand von Fotos³. In diesem Band, S. 105. 8 Vgl. ÄStabilität der Personenwahrnehmung anhand von Fotos³. In diesem Band, S. 143; und ÄGeneralisierungen der Personenwahrnehmung anhand von Fotos³. In diesem Band, S. 157. 9 Vgl. ÄCharakterfiktionen von Politikern in politischen Magazinen³. In diesem Band, S. 123. 10 Vgl. ÄGeneralisierungen der Personenwahrnehmung anhand von Fotos³. In diesem Band, S. 157. 11 Ebenda. 12 Vgl. ÄEinfluss von Musik auf die Interpretation von Filmhandlungen³. In diesem Band, S. 175.
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Visuelle Fernsehinformationen über die Spitzenkandidaten bei Bundestagswahlen 1990-2009
Fernsehnachrichten besitzen in Wahlkämpfen aus mehreren Gründen eine besondere Bedeutung. Sie erreichen wesentlich mehr Menschen als Zeitungsmeldungen und werden von den meisten Menschen auch als wichtigste Informationsquelle angesehen. Sie enthalten viele visuelle Informationen über Persönlichkeitseigenschaften von Politikern, die weder im Hörfunk erwähnt, noch in Presseberichten thematisiert werden. Die visuellen Informationen wecken die Aufmerksamkeit auch von politisch wenig interessierten Zuschauern, die in ihren Wahlabsichten oft schwanken und deshalb wahlentscheidend sein können. Diese Sachverhalte sind durch zahlreiche empirische Untersuchungen belegt und allgemein bekannt. Nicht bekannt ist dagegen der relative Einfluss von verbalen und visuellen Informationen der Wahlkampfberichterstattung des Fernsehens auf die Images von Politikern. Er ist der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. In den vergangenen 20 Jahren hat der Wettbewerb zwischen den Fernsehanstalten um möglichst viele Zuschauer zugenommen. Ihr Interesse erregt man durch Bilder vom Wahlkampfgeschehen eher als durch reine Textmeldungen. Gleichzeitig sind die Fernsehkameras kleiner, leichter und leistungsfähiger geworden. Deshalb können sie öfter für die aktuelle Berichterstattung eingesetzt werden. Zudem haben sich die Parteien und ihre Spitzenkandidaten auf die Bedürfnisse der Fernsehjournalisten eingestellt und inszenieren Ereignisse, die sich gut ins Bild setzen lassen. Wegen der hier nur knapp skizzierten Veränderungen kann man vermuten, dass die Fernsehanstalten in ihren Nachrichtensendungen immer mehr Bildberichte über die Spitzenkandidaten der Parteien bringen. Darüber hinaus kann man vermuten, dass der Anteil visueller Informationen über die Eigenschaften der Kandidaten auf Kosten des Anteils der verbalen Informationen zugenommen hat. Daraus kann man folgern, dass der Gesamteindruck, den die Fernsehzuschauer von den Spitzenkandidaten erhalten, von den visuellen Informationen heute mehr beeinflusst wird als früher. Diese Annahmen sollen in der vorliegenden Studie überprüft werden. Das geschieht anhand der Darstellung und Wahrnehmung der Persönlichkeit der Spitzenkandidaten von CDU/CSU und SPD. Die Darstellung und Wahrnehmung ihrer politischen Sachkompetenz spielt hier dagegen aus zwei Gründen keine Rolle. Zum einen liefern die Fernsehmel-
dungen weitaus mehr Informationen über die Persönlichkeit als über die Sachkompetenz der Spitzenkandidaten. Erstere bildet folglich den Kern der Problematik.1 Zum anderen spielen visuelle Informationen bei der Darstellung und Wahrnehmung der Sachkompetenz keine nennenswerte Rolle. Sie kann folglich hier vernachlässigt werden.2 Im Mittelpunkt der folgenden Analyse steht die Frage, ob die Bedeutung visueller Informationen gewachsen ist. Dagegen geht es weder darum, ob über einen Kandidat häufiger berichtet wurde, noch darum ob er besser dargestellt wurde als sein Kontrahent. Deshalb werden alle Beiträge über beide Spitzenkandidaten bei jeder Wahl zusammen betrachtet.3 Methode Die Bedeutung verbaler und visueller Informationen in den Fernsehnachrichten über Politiker wird anhand der Berichterstattung über Helmut Kohl und Oskar Lafontaine (1990), Helmut Kohl und Gerhard Schröder (1998), Gerhard Schröder und Edmund Stoiber (2002) sowie Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier (2009) untersucht. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich folglich auf 19 Jahre. Gegenstand der Analysen sind die Tagesthemen (ARD), das heutejournal (ZDF)) sowie RTL aktuell (RTL). Untersucht wurde die Berichterstattung vier Wochen nach der Entscheidung der großen Oppositionspartei für ihren Herausforderer sowie vier Wochen vor der Wahl.4 Erfasst wurden alle Beiträge mit verbalen oder visuellen Informationen über die Kandidaten. Dazu notierten geschulte Mitarbeiter anhand von 5-stufigen Schätzskalen den spontanen Gesamteindruck, den ein Beitrag von den genannten Politikern hinterließ. Die Skalenenden waren mit Äsehr positiv³ und Äsehr negativ³ beschriftet. Anschließend notierten sie ihre spontanen Eindrücke von 13 Persönlichkeitseigenschaften der Politiker.5 Dazu benutzten sie wieder 5-stufige Schätzskalen. Sie reichten von Ätrifft voll und ganz zu³ bis Ätrifft überhaupt nicht zu³. War eine Eigenschaft des Kandidaten nicht erkennbar, wurde dies gesondert festgehalten.6 Schließlich notierten sie, ob ihre Eindrücke auf verbalen oder visuellen Informationen beruhten. Dies geschah für alle Einzeleigenschaften gesondert mit Hilfe von 5-stufigen Schätzskalen, die von Äeindeutig verbal³ bis Äeindeutig visuell³ reichten. Lagen sowohl verbale als auch visuelle Informationen vor, wurde der Skalenmittepunkt verschlüsselt. Alle Codierungen wurden während der jeweiligen Wahlkämpfe bzw. kurz nach den Wahlen durchgeführt, so dass die Beiträge vor dem Hintergrund des aktuellen Geschehens erfasst wurden. Allerdings wurden die Codierer angehalten, sich bei der Codierung an den objektiv erkennbaren Informationen zu orientieren und nicht von ihren persönlichen Überzeugungen leiten zu lassen. Aufgrund dieser Vorgabe und der spezifischen Rezeption von Fernsehnachrich-
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ten besitzen die individuellen Meinungen über Politiker nur einen geringen Einfluss auf ihre Wahrnehmung und auf Codierungen dieser Informationen.7 Ergebnisse Bedeutung verbaler und visueller Informationen Die Zahl der Beiträge über die Spitzenkandidaten der CDU/CSU und der SPD hat von 1990 bis 2002 stark zugenommen, ist 2009 aber wieder deutlich zurückgegangen. Ob diese Entwicklung eine Folge der Art der Wahlkämpfe war oder auf fernsehspezifische Ursachen zurückzuführen ist, kann hier nicht beurteilt werden, ist für die folgende Analyse aber auch unerheblich. Der Anteil der Beiträge über die Spitzenkandidaten, die auch visuelle Informationen enthielten ± Standbilder oder Filmeinspielungen ± war 1990 ähnlich groß (72 Prozent) wie 2009 (75 Prozent). In den dazwischen liegenden Wahlkampfberichten lag er deutlich darunter (1998: 55 Prozent; 2002: 65 Prozent). Dies steht im Widerspruch zu der eingangs formulierten Annahme: Die Bildberichterstattung über die Spitzenkandidaten hat im Laufe der Jahre nicht generell zugenommen. Die Daten deuten aber darauf hin, dass sich die Art der Fernsehberichterstattung zwischen 1998 und 2002 markant geändert hat: Bei den Bundestagswahlen 1990 und 1998 betrug der durchschnittliche Anteil der Beiträge mit visuellen Informationen 64 Prozent, 2002 und 2009 aber 70 Prozent. Ein ähnliches Bild vermittelt der Blick auf die Darstellung der Spitzenkandidaten: Der Anteil der rein visuellen Informationen war bei den Bundestagswahlen 2002 und 2009 deutlich größer als 1990 und 1998. So stieg der durchschnittliche Anteil der visuellen Informationen von 23 Prozent auf 39 Prozent. Der Anteil der rein verbalen Informationen war dem entsprechend kleiner. Ihr durchschnittlicher Anteil fiel von 56 Prozent auf 33 Prozent (Tabelle 1). Beiträge mit visuellen Informationen vermittelten generell einen positiveren Gesamteindruck von den Spitzenkandidaten als Beiträge ohne solche Informationen. Das trifft auf Nachrichtenfilme und Interviews noch mehr zu als auf Standfotos. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Redaktionen bei Nachrichtenfilmen einen geringeren Einfluss auf die Auswahl des Bildmaterials besitzen als bei Standfotos, die sie aus einem riesigen Fundus auswählen können. Dabei spielen die redaktionelle Linie der Medien, die politischen Einstellungen der Redakteure sowie das vermutete Interesse des Publikums an ungewöhnlichen Schnappschüssen eine relativ große Rolle.8 Der Vorteil, den visuelle Informationen aus Sicht der Spitzenkandidaten besitzen, ist im Laufe von zwei Jahrzehnten
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Tabelle 1: Beiträge mit und ohne visuelle Informationen über die Spitzenkandidaten in den Fernsehnachrichten vor Bundestagswahlen 1990*
1998*
2002
2009
Anzahl der Beiträge
212
366
514
285
Anzahl der Beiträge mit visuellen Informationen
154
202
336
213
Visuell
29
16
43
34
Ambivalent
25
19
17
31
Verbal
46
65
31
34
100
100
101
99
Anteil der visuellen und verbalen Informationen über die Kandidaten in allen Beiträgen
* Die Fallzahlen für 1990 und 1998 wurden gewichtet. Vgl. Fußnote 4.
deutlich größer geworden. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Beiträge mit visuellen Informationen seit 1998 immer seltener negative Eindrücke von den Spitzenkandidaten vermittelten, während Beiträge ohne visuelle Informationen auch in jüngerer Zeit relativ häufig einen negativen Gesamteindruck hervorriefen. Diese Entwicklung besitzt vermutlich zwei Ursachen. Zum einen haben die Spitzenkandidaten gelernt, wie man ungünstige Aufnahmen vermeidet. Zum anderen enthalten reine Textmeldungen relativ häufig negative Aussagen von Kritikern der Spitzenkandidaten (Tabelle 2). Bedeutung einzelner Eigenschaften der Spitzenkandidaten Die Fernsehnachrichten vermittelten bei allen Wahlen vor allem einen Eindruck von der Selbstsicherheit, bzw. Unsicherheit der Spitzenkandidaten. Ähnlich häufig ließen sie die Spitzenkandidaten sympathisch oder unsympathisch erscheinen, wobei hier wie in allen anderen Fällen offen bleiben muss, ob dies an den Kandidaten oder ihrer Darstellung lag. Relativ häufig ließen sie die Spitzenkandidaten auch selbstbeherrscht oder unbeherrscht, energisch oder zögerlich erscheinen. Die quantitative Bedeutung dieser häufig vermittelten Eindrücke hat seit 1990 noch deutlich zugenommen. Dagegen ist die quantitative Bedeutung ei22
Tabelle 2: Gesamteindruck von den Kandidaten anhand der Fernsehnachrichten vor den Wahlen 1990 bis 2002 ± nicht ausgewiesen sind ambivalente Beiträge ± 1990
1998
2002
2009
pos %
neg %
pos %
neg %
pos %
neg %
pos %
neg %
Beiträge mit visuellen Informationen
48
11
39
21
41
18
32
9
Beiträge ohne visuelle Informationen
50
19
24
33
23
33
28
26
Basis: vgl. Tabelle 1. Zu 100 % fehlende Beiträge: ambivalenter Eindruck.
ner Reihe anderer Eindrücke deutlich zurückgegangen. Dazu gehört der Eindruck, ob die Spitzenkandidaten mit den anstehenden Problemen fertig werden, ob sie langfristig denken und planen, ob sie viel Erfahrung besitzen und ob sie viele Kontakte haben. Die schwindende Bedeutung dieser Eindrücke ist nicht zuletzt deshalb bemerkenswert, weil fast alle von den Fernsehnachrichten bereits 1990 relativ selten vermittelt wurden. Tabelle 3 weist die erwähnten Veränderungen aus und dokumentiert einige weitere Entwicklungen. In die Tabelle wurden nur die Eindrücke aufgenommen, die bei allen vier Wahlen erfasst wurden. Die Einbeziehung einer Reihe von weiteren Eindrücken, die bei einzelnen Wahlen nicht ermittelt wurden, ändert an dem vorliegenden Bild kaum etwas. Sie werden deshalb im Interesse einer möglichst einfachen Darstellung hier vernachlässigt (Tabelle 3). Die Fernsehbeiträge vermittelten einen Teil der Eindrücke von den Eigenschaften der Spitzenkandidaten durch visuelle Informationen, einen Teil durch verbale Informationen, einen weiteren Teil durch verbale und visuelle. Der zuletzt genannte Teil wird im Interesse einer möglichst einfachen Darstellung zu den visuellen Eindrücken gerechnet. Überwiegend visuell vermittelt wurde der Eindruck, ob die Spitzenkandidaten unbeherrscht oder beherrscht, sicher oder unsicher, sympathisch oder unsympathisch sind. Diese Eindrücke beruhten nahezu ausschließlich auf visuellen Informationen. Hinzu kamen eine Reihe weiter Eigenschaften, von denen sich die Zuschauer vor allem anhand von visuellen Informationen ein Bild machen konnten. Überwiegend verbal vermittelt wurden die Eindrücke, ob die Spitzenkandidaten langfristig denken und planen, sich nicht vor Entscheidungen drücken, vor allem an sich denken, sozial eingestellt sind und mit den anstehenden Problemen fertig werden. Die Eindrücke der Zuschauer
23
Tabelle 3: Anteil des Eindrucks von einzelnen Eigenschaften der Spitzenkandidaten an allen Eindrücken Der Beitrag vermittelt den Eindruck der Kanzler / Herausforderer«
Anteil an allen Eindrücken 1990* (n=751) %
1998* (n=1473) %
2002 (n=1980) %
2009 (n=908) %
ist unsicher
13,5
12,0
18,9
18,3
ist sympathisch
13,0
10,6
16,7
15,8
ist unbeherrscht
9,1
5,6
8,3
14,1
ist energisch
8,5
8,0
10,4
12,7
11,9
12,1
13,2
9,0
ist vertrauenswürdig
9,3
10,5
10,0
6,8
drückt sich nicht vor Entscheidungen
5,7
7,6
3,6
5,1
denkt und plant langfristig
8,0
10,4
4,2
4,6
wird mit den anstehenden Problemen fertig
ist sozial eingestellt
5,4
3,5
4,5
4,3
hat viel Erfahrung
3,6
5,7
1,7
3,0
hat gute Kontakte
4,9
4,3
2,2
2,4
ist rücksichtslos
4,9
3,5
4,6
2,1
denkt vor allem an sich
2,1
6,2
1,7
1,8
99,9
100,0
100,0
100,0
Gesamt
*Die Fallzahlen für 1990 und 1998 wurden gewichtet. Vgl. Fußnote 4. Von 100 % abweichende Werte sind auf Rundungsungenauigkeiten zurückzuführen.
von diesen Eigenschaften beruhten dementsprechend selten auf visuellen Informationen. Die Grundlagen der Vorstellungen, die die Fernsehzuschauer von den Eigenschaften der Spitzenkandidaten gewinnen konnten, haben sich im Laufe der Zeit z. T. geändert. So hat die Bedeutung der visuellen Informationen für den Eindruck davon, ob sie sicher oder unsicher sind, eher zugenommen. Dagegen ist die Bedeutung der verbalen Informationen für den Eindruck, dass sie vor allem an sich denken, eher zurückgegangen. Alles in allem gab es jedoch auch hierbei keine geradlinige Entwicklung zu einer wachsenden Bedeutung visueller Infor24
mationen, sondern zwei unterschiedliche Phasen ± die Zeit bis zur Bundestagswahl 1998 und die Zeit ab der Bundestagswahl 2002: In der zweiten Phase war der Anteil der Eindrücke, die schon von Beginn an vor allem visuell vermittelt wurden, bei fast allen Eigenschaften deutlich größer als in der ersten Phase. In einem weiteren Fall (unbeherrscht) ist er vermutlich nur deshalb nicht gewachsen, weil er schon von Beginn an extrem hoch war (Deckeneffekt). Dies deutet darauf hin, dass die Bedeutung der visuellen Informationen eher sprunghaft als kontinuierlich zugenommen hat, wobei diese generelle Entwicklung durch Besonderheiten der jeweiligen Wahlkämpfe modifiziert wurde. Tabelle 4 weist den Anteil der visuellen Informationen an allen Informationen aus, die den jeweiligen Eindrücken zugrunde lagen. Dabei wird zwischen den Eindrücken unterschieden, die 2009 überwiegend visuell (mehr als 50 Prozent visuelle Informationen) und überwiegend verbal vermittelt wurden (mehr als 50 Prozent verbale Informationen) (Tabelle 4). Zusammenhang zwischen Form und Gegenstand der Darstellung Bei den verbalen und visuellen Informationen über die Persönlichkeiten der Spitzenkandidaten bei Bundestagswahlen handelt es sich um formale Aspekte der Fernsehberichterstattung. Die oben skizzierte Veränderung der Form der Berichterstattung legt aber die Vermutung nahe, dass sich damit auch der Gegenstand der Berichterstattung verändert hat: In der Fernsehberichterstattung hat vermutlich die Bedeutung von Persönlichkeitseigenschaften, die auch früher schon vor allem visuell vermittelt wurden, auf Kosten von Persönlichkeitseigenschaften zugenommen, die überwiegend verbal vermittelt wurden. Falls diese Vermutung zutrifft, hat sich durch die Betonung visueller Informationen nicht nur die Form der Berichterstattung geändert, sondern auch ihr Inhalt. Was sich leicht visuell darstellen lässt und immer schon so dargestellt und wahrgenommen wurde, hat an Bedeutung gewonnen. Was besser verbal dargestellt werden kann und immer schon so dargestellt wurde, hat an Bedeutung verloren. Ob die Vermutung zutrifft, kann anhand eines Vergleichs der Veränderung der formalen und inhaltlichen Aspekte der Berichterstattung geprüft werden. Dazu betrachten wir zunächst den Anteil der Darstellung von Persönlichkeitseigenschaften der Spitzenkandidaten, die überwiegend visuell vermittelt wurden, an der Darstellung aller Eigenschaften. Hierbei geht es um die Inhalte bzw. die Gegenstände der Berichterstattung. Grundlage ist die Summe der Anteile der Darstellung dieser Eigenschaften an der Darstellung aller Eigenschaften. Sie ist von durchschnittlich 68,7 Prozent in der ersten Phase auf durchschnittlich auf 74,0 Prozent gestiegen. Entsprechend ist der Anteil der Darstellung von Persön-
25
Tabelle 4: Anteil der visuellen Informationen über einzelne Eigenschaften der Spitzenkandidaten Der Beitrag vermittelt den Eindruck, der Kanzler / Herausforderer«
auch visuelle Eindrücke 1990* (n=751) %
1998* (n=1473) %
2002 (n=1980) %
2009 (n=908) %
91
67
93
91
ist unsicher
75
59
77
85
ist sympathisch
84
63
84
83
hat gute Kontakte
47
50
28
73
ist energisch
61
51
52
70
überwiegend visuell ist unbeherrscht
hat viel Erfahrung
57
32
36
67
ist rücksichtslos
53
20
40
53
ist vertrauenswürdig
64
31
58
50
24
19
17
35
ist sozial eingestellt
29
14
28
26
denkt vor allem an sich
25
15
12
19
drückt sich nicht vor Entscheidungen
14
9
15
13
denkt und plant langfristig
10
10
7
12
überwiegend verbal wird mit den anstehenden Problemen fertig
* Die Fallzahlen für 1990 und 1998 wurden gewichtet. Vgl. Fußnote 4.
lichkeitseigenschaften, die überwiegend verbal vermittelt wurden, von 31,3 Prozent auf 26,0 Prozent zurückgegangen. Die Berichterstattung hat sich demnach auf Eigenschaften verlagert, die generell überwiegend visuell dargestellt wurden. Nun betrachten wir den Anteil der visuellen Informationen an der Darstellung der Persönlichkeitseigenschaften, die überwiegend visuell dargestellt wurden. Hierbei geht es um die Form der Darstellung, das Ausmaß der verbalen oder visuellen Präsentation der erwähnten Eigenschaften. Grundlage ist der durchschnittliche Anteil der visuellen Informationen bei der Darstellung von Eigenschaften, die überwiegend visuell vermittelt wurden. Der durchschnittliche An26
teil der visuell vermittelten Informationen über die Eigenschaften, die überwiegend visuell vermittelt wurden, stieg von 56,6 Prozent in der ersten Phase auf 65,1 Prozent in der zweiten Phase an. Dagegen blieb der durchschnittliche Anteil der visuellen Informationen über Eigenschaften, die von Beginn an überwiegend verbal vermittelt wurden, mit 16,9 Prozent bzw. 16,5 Prozent praktisch konstant. Das Angebot von visuellen Informationen über Persönlichkeitseigenschaften, die ohnehin überwiegend visuell vermittelt wurden, hat demnach auf hohem Niveau beginnend noch einmal zugenommen. Aus den Befunden kann man die Folgerung ableiten, dass sich durch die formale Änderung der Berichterstattung ± die zunehmende Verbreitung visueller Informationen über die Spitzenkandidaten auch ihre Gegenstände ± die Art der Persönlichkeitseigenschaften, die erkennbar wurden - geändert haben. Konkret bedeutet dies z. B.: Die Fernsehsender vermittelten in jüngerer Zeit häufiger den Eindruck als früher, dass die Spitzenkandidaten sicher oder unsicher sind und dies geschah in zunehmenden Maße durch visuelle Informationen (Tabelle 5). Tabelle 5: Form und Gegenstand der Darstellung der Spitzenkandidaten Erste Phase 1990/1998 %
Zweite Phase 2002/2009 %
Summe des Anteile der überwiegend visuell vermittelten Eindrücke
67,7
74,0
+6,3
Durchschnittlicher Anteil der visuellen Informationen an allen Informationen über wahrgenommene Eigenschaften
56,6
65,1
+8,5
Veränderung %
Einfluss einzelner Eigenschaften auf den Gesamteindruck Aufgrund der zunehmenden Konzentration der Fernsehberichterstattung auf einzelne Eigenschaften, die überwiegend anhand von visuellen Informationen wahrgenommen werden sowie aufgrund des wachsenden Anteils visueller Informationen bei der Präsentation dieser Eigenschaften kann man vermuten, dass der Einfluss visueller Informationen auf den Gesamteindruck, den die Spitzen27
kandidaten vermittelten, im Laufe der Zeit größer geworden ist. Der Einfluss der Wahrnehmung einzelner Eigenschaften auf den Gesamteindruck wurde mit multiplen Regressionen untersucht, bei denen der Gesamteindruck als abhängige Variable und die Wahrnehmungen einzelner Eigenschaften als unabhängige Variablen betrachtet wurden. Der Einfluss der verbalen Informationen auf den Gesamteindruck ist ± wie frühere Studien zeigen9 ± deutlich größer als der Einfluss visueller Informationen. Hier geht es aber nicht vorrangig um den relativen Einfluss beider Informationsquellen, sondern um die Entwicklung des Einflusses visueller Informationen. Im Interesse einer möglichst einfachen Darstellung werden deshalb nur diese Werte ausgewiesen. Der Einfluss einzelner Eigenschaften auf den Gesamteindruck eines Politikers hängt stark von der Person der Politiker ab. Deshalb wurden die Einflüsse für alle Spitzenkandidaten ± abweichend vom bisherigen Vorgehen ± gesondert berechnet. Die Wahrnehmung der visuellen Informationen erklärt durchschnittlich etwa 17 Prozent des Gesamteindrucks, den die Spitzenkandidaten anhand der Fernsehnachrichten vermittelten. Die visuellen Informationen der Fernsehnachrichten besitzen damit einen erheblichen Einfluss auf die Vorstellungen, die die Zuschauer von den Spitzenkandidaten gewinnen. Vernachlässigt man zwei Extremwerte (Lafontaine 1990; Schröder 2002) beträgt der Durchschnittswert 11 Prozent. Auch hierbei handelt es sich noch um einen bemerkenswerten Wert. Die Vermutung, dass der Einfluss visueller Informationen auf den Gesamteindruck im Laufe der Zeit zugenommen hat, trifft jedoch nicht zu. Ihr Einfluss ist vielmehr trotz der zunehmenden Menge visueller Informationen weitgehend konstant geblieben. Die Gründe hierfür können anhand der vorliegenden Daten nicht geklärt werden. Möglicherweise wurden Informationen über wichtige Eigenschaften, die im Laufe der Zeit ebenfalls häufiger präsentiert wurden, nicht erfasst. Möglicherweise überlagert der Einfluss verbaler den Einfluss visuellen Informationen. Möglicherweise begrenzen auch die Vorstellungen von den Spitzenkandidaten den Einfluss visueller Informationen auf ihren Gesamteindruck. Die bei weitem wichtigste visuelle Quelle des Gesamteindrucks ist der spontane Eindruck von Sympathie. Er wirkte sich in 4 von 8 Fällen signifikant auf den Gesamteindruck aus. Erstaunlicherweise war dies 1998 und 2002 bei Schröder nicht der Fall. Hierbei handelt es sich jedoch um ein statistisches Artefakt: Weil Schröder anhand fast aller Beiträge einen sympathischen Eindruck machte, handelte es sich nahezu um eine Konstante, die sich rechnerisch nicht niederschlug.10 Der Einfluss des visuell vermittelten Eindrucks von Sympathie auf den Gesamteindruck ist aus dem genannten Grund größer als es die Daten anzeigen. Neben der Sympathie besaßen nur noch einige wenige andere Eindrücke einen Einfluss auf den Gesamteindruck, die zudem von den Personen und Wahljahren abhingen und folglich nicht als dauerhafte Wirkfaktoren betrachtet
28
werden können. In die Berechnungen einbezogen wurden alle Skalen, Tabelle 6 weist aber nur die Skalen aus, mit denen signifikante Einflüsse der Wahrnehmung einzelner Eigenschaften auf den Gesamteindruck ermittelt wurden. Die Buchstaben im Kopf der Tabellen verweisen auf die jeweiligen Kandidatennamen (Tabelle 6). Tabelle 6: Einfluss visueller Informationen auf den Gesamteindruck 1990 K
1998 L
K
Sc
Sc
Sto
2009 M
Ste
-0,191
ist unsicher ist sympathisch
2002
0,369** 0,668**
0,321** 0,248**
-0,282*
ist energisch
0,139*
wird mit den anstehenden Problemen fertig -0,314*
ist vertrauenswürdig Multiples R
0,373*
0,716** 0,344** 0,314*
0,268* 0,472** 0,350*
0,312
R²
0,139*
0,513** 0,118** 0,099*
0,072* 0,223** 0,123*
0,097
ȕ-Gewichte aus OLS-Regressionen. Ausgewiesen sind nur signifikante Werte: *p<0.05; **p<0.01. Eindrücke, die eher visuell als verbal vermittelt wurden, sind kursiv gedruckt.
Zusammenfassung und Folgerungen Die wichtigsten Ergebnisse können in folgenden Feststellungen zusammen gefasst werden: 1.
Die Fernsehanstalten strahlen bei Bundestagswahlen in ihren Nachrichtensendungen heute mehr Beiträge über die Spitzenkandidaten mit visuellen Informationen aus als früher.
29
2.
Der Anteil der visuellen Informationen über die Persönlichkeit der Spitzenkandidaten ist im Laufe der Jahre erheblich gewachsen. Dies geschah zu Lasten des Anteils der verbalen Informationen. 3. Beide Entwicklungen sind aller Wahrscheinlichkeit nicht linear sondern sprunghaft zwischen 1998 und 2002 verlaufen. 4. Beiträge mit visuellen Informationen über die Spitzenkandidaten vermittelten generell einen positiveren Eindruck von ihrer Persönlichkeit als Beiträge ohne visuelle Informationen. 5. Der Vorteil ihrer visuellen Präsentation aus Sicht der Spitzenkandidaten ist im Laufe der Zeit größer geworden, weil Beiträge mit visuellen Informationen im Unterschied zu Beiträgen ohne solche Informationen nur noch sehr selten einen negativen Gesamteindruck vermitteln. 6. Die Fernsehnachrichten vermittelten mit visuellen Informationen vor allem einen Eindruck davon, ob die Spitzenkandidaten sicher oder unsicher, sympathisch oder unsympathisch, beherrscht oder unbeherrscht bzw. energisch oder zögerlich sind. Diese Schwerpunktbildung ist im Laufe der Zeit noch größer geworden. 7. Der Anteil der visuellen Informationen über die Eigenschaften von Politikern, die ohnehin meist anhand von visuellen Informationen wahrgenommen werden, hat alles in allem zugenommen. 8. Der Einfluss der visuellen Informationen über die Persönlichkeit der Spitzenkandidaten auf den Gesamteindruck, den sie anhand der Fernsehberichterstattung machen, hat trotz der wachsenden Menge an visuellen Informationen nicht zugenommen. 9. Den stärksten Einfluss auf den Gesamteindruck von der Persönlichkeit der Spitzenkandidaten besitzen visuelle Informationen, die sie mehr oder weniger sympathisch erscheinen lassen. 10. Die veränderte Form der Berichterstattung über die Spitzenkandidaten hat sich auch auf ihren Inhalt ausgewirkt: Kandidateneigenschaften, die meist visuell erkennbar sind, haben zunehmend Kandidateneigenschaften verdrängt, die eher anhand von verbalen Aussagen deutlich werden. Die Ursache der Zunahme visueller Informationen besteht nicht vorwiegend in der visuellen Darstellung von Sachverhalten, die früher verbal präsentiert wurden, sondern in der Verlagerung der Inhalte der Berichterstattung auf Aspekte, die man visuell darstellen kann. Dies kann eine Folge von veränderten Selektionskriterien und Darstellungsweisen der Nachrichtenredaktionen sein oder eine Konsequenz der veränderten Wahlkampagnen der Parteien. Vermutlich ist beides richtig: Die Wahlstrategen haben verstärkt optisch interessante Ereignisse inszeniert; die Medien haben diese Ereignisse bevorzugt aufgegriffen. Die TV-Duelle
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sind ein Beispiel hierfür. Das große Gewicht der visuellen Informationen in den Fernsehnachrichten birgt Chancen und Risiken. Einerseits profitieren die Spitzenkandidaten davon, im Bild zu sein, weil dies den spontanen Gesamteindruck verbessert, den die Rezipienten von ihnen erhalten. Eine Schlüsselrolle nimmt dabei die Sympathie ein, die ihr Aussehen sowie ihre Gestik und Mimik hervorrufen. Andererseits führt der Schwund verbaler Informationen dazu, dass die Wähler immer seltener über Kandidateneigenschaften informiert werden, die vor allem verbal kommuniziert werden. Dies betrifft vor allem ihre Bereitschaft und Fähigkeit zu langfristigen Planungen ± eine der zentralen Fähigkeiten, die man von einem Bundeskanzler erwarten sollte.
1 In der Berichterstattung über den Bundestagswahlkampf 2002 betrafen 87 % der Informationen die Persönlichkeiten von Gerhard Schröder und Edmund Stoiber, 13 % die Sachkompetenzen. Vgl. Hans Mathias Kepplinger / Marcus Maurer: Abschied vom rationalen Wähler. Warum Wahlen im Fernsehen entschieden werden. Freiburg i. Br. 2005. 2 Im Bundestagswahlkampf 2002 betrug der Anteil der visuellen Informationen über die Kompetenzen der Spitzenkandidaten weniger als 1 %. Ebenda, S. 76. 3 Die hier ausgewiesenen Daten unterscheiden sich von den Daten in früheren Publikationen, weil nur solche Informationen analysiert wurden, die für alle Zeiträume in vergleichbarer Weise erhoben wurden. 4 Vor der Wahl 1990 wurden zwei Wochentage in 13 Wochen analysiert (26 Tage); vor der Wahl 1998 5 Wochentage in 8 Wochen (40 Tage), vor der Wahl 2002 5 Wochentage in sieben Wochen (35 Tage), vor der Wahl 2009 5 Wochentage sieben Wochen (35 Tage). Um die Daten im Kopf von Tabelle 1 vergleichbar zu machen, wurde die Zahl der relevanten Berichte für 1990 hoch- und die Zahl der relevanten Berichte für 1998 entsprechend heruntergewichtet. In der vorliegenden Analyse geht es im Wesentlichen nicht um die absolute Zahl der Beträge, sondern um Prozentanteile. Die Umgewichtung ist für die Ergebnisse deshalb nicht relevant. 5 Bei den 13 Eigenschaften handelt sich um jene, die in allen Teilstudien erfasst wurden. 6 Die Eindrücke, die auf diese Weise erhoben werden, sind zwar spontan, stimmen aber bei unterschiedlichen Ratern dennoch stark überein. Sie sind insbesondere weitgehend von den Voreinstellungen der Rater unabhängig. Vgl. Hans Mathias Kepplinger / Hans-Bernd Brosius / Stefan Dahlem: Wie das Fernsehen Wahlen beeinflußt. Theoretische Modelle und empirische Analysen. München 1994, S. 69-80; Marcus Maurer / Olaf Jandura: Kontrast oder Konsistenz? Ein Feldexperiment zum Einfluss der Kanzlerpräferenz auf das Codierverhalten bei Inhaltsanalysen in Wahlkämpfen. In: Werner Wirth / Edmund Lauf (Hrsg.): Inhaltsanalyse. Perspektiven, Probleme, Potentiale. Köln 2001, S. 183-198. 7 Vgl. hierzu den Beitrag ÄEinfluss von Zuschauermeinungen auf die Wahrnehmung von Politikern im Fernsehen³. In diesem Band S. 53. 8 Vgl. Hans Mathias Kepplinger / Marcus Maurer: Der Nutzen erfolgreicher Inszenierungen. In: Cristina Holtz-Bacha (Hrsg.): Wahlkampf in den Medien ± Wahlkampf mit den Medien. Ein Reader zum Wahljahr 1998. Opladen 1999, S. 24-39. 9 Vgl. Hans Mathias Kepplinger / Marcus Maurer, a.a.O., S. 64-71.
31
10 In einer früheren Publikation der gleichen Daten ist für 1998 ein signifikanter Einfluss ausgewiesen, der hier fehlt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass damals SAT1 in die Analyse einbezogen war, was zu einem insgesamt heterogeneren Bild von Schröder führte. Vgl. Kepplinger / Maurer, a.a.O., S. 78.
32
Optische Kommentierung im Wahlkampf
In Untersuchungen der Wahlberichterstattung des Fernsehens wurden bisher fast ausschließlich verbale Aussagen der Journalisten und der Kandidaten analysiert.1 Die medienspezifischen Darstellungsmittel des Fernsehens ± Kameraführung, Schnitt, Beleuchtung usw. ± blieben dagegen weitgehend unberücksichtigt. Die vorliegende Untersuchung stellt einen ersten Schritt dar, diese Forschungslücke zu schließen. Dazu wurden drei Teilstudien durchgeführt: eine Expertenbefragung von Kameraleuten über die Ziele und vermuteten Wirkungen beim Einsatz bestimmter Aufnahmetechniken; eine quantitative Inhaltsanalyse der Verwendung dieser Aufnahmetechniken in der Wahlberichterstattung von ARD und ZDF vom 1. April bis zum Wahltag am 3. Oktober 1976; eine quantitative Inhaltsanalyse der Aussagen von Journalisten über, sowie der optischen Darstellung von Zustimmung und Ablehnung des Publikums gegenüber den Kandidaten der Koalition und der Opposition im gleichen Zeitraum. Der Vergleich der Expertenbefragung mit der Inhaltsanalyse der Aufnahmetechnik gibt Hinweise auf die Intentionen der Medienvertreter und Wirkungen der Darstellung. Der Vergleich der Aussagen der Journalisten über Zustimmung und Ablehnung und der optischen Darstellung von Zustimmung und Ablehnung gibt Hinweise auf den relativen Einfluss von verbalen und visuellen Informationen auf die Fernsehzuschauer. Sichtweisen von Kameramännern Die Befragung der Kameramänner wurde im Sommer 1979 von Willy Loderhose am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz durchgeführt.2 Schriftlich befragt wurden alle Kameramänner des Südwestfunk in BadenBaden und des Landesstudios Rheinland-Pfalz sowie des Hessischen Rundfunk in Frankfurt. Außerdem wurde eine Zufallsauswahl der im ÄJahrbuch des deutschen Kameramannes³ genannten Personen befragt. Nach zwei Erinnerungsschreiben gingen insgesamt 151 auswertbare Fragebögen ein. Der Rücklauf betrug nach Bereinigung der Stichprobe (19 Befragte waren verstorben bzw. mit unbekanntem Ziel verzogen) 51 Prozent. Dies ist angesichts der hohen Mobilität der Befragten und der ungünstigen Jahreszeit ein recht guter Wert, der auf ein erhebliches Interesse an der Befragung schließen lässt. Fast alle Kameramänner
± man kann durchaus berechtigt von ÄMännern³ sprechen, weil unter den 151 Befragten nur eine Frau war ± glaubten, dass Äein Kameramann mit rein optischen Mitteln Personen besonders positiv oder besonders negativ erscheinen lassen kann³: 78 Prozent stimmten der Antwortvorgabe zu ÄDas ist sehr gut möglich³, weitere 22 Prozent konstatierten ÄDas ist schon möglich³. Nur ein Befragter meinte ÄDas ist kaum möglich³. Angesichts derart klarer Ergebnisse kann man davon ausgehen, dass in der Fernsehberichterstattung die Aufnahmetechnik Möglichkeiten bietet, Politiker positiv oder negativ zu charakterisieren. Um welche technischen Mittel handelt es sich dabei? Die Kameramänner gaben auf diese Frage besonders in einem Fall recht eindeutige Antworten: Einen Politiker, den sie besonders schätzen, würden zwei Drittel in Augenhöhe, ein weiteres Viertel in leichter Drauf- oder Untersicht aufnehmen. Kein Einziger würde dagegen eine starke Drauf- oder Untersicht wählen (Tabelle 1). Tabelle 1: Aussagen von Kameramännern über aufnahmetechnische Mittel, um einen Politiker möglichst positiv darzustellen Frage: ÄStellen Sie sich bitte einmal vor, Sie kämen in die Situation, dass Sie eine Einstellung von einer Person drehen, die Ihnen sehr sympathisch ist, beispielsweise einer Person des öffentlichen Lebens oder einem Politiker, den Sie besonders schätzen. Diese Person ist sehr nervös am Drehtag, die Hände sind ständig in Bewegung. Wie würden Sie diese Person im Bild erscheinen lassen? Welche Gestaltungsmittel würden Sie einsetzen?³ ± Antwortvorgaben ± Einstellungsgrößen
%
Perspektiven
%
Kamerabewegung
%
Nahaufnahme
38
Augenhöhe
66
Statisch
53
Großaufnahme
27
Leichte Untersicht
19
Zoomfahrt
26
Amerikanische Aufnahme 18
Leichte Draufsicht
6
Kamerafahrt
11
Halbtotale Aufnahme
9
Deutliche Untersicht
0
Kameraschwenk
1
Detailaufnahme
0
Deutliche Draufsicht
0
keine Angabe
8
keine Angabe
10
keine Angabe
9
Summe
100
Summe
Summe
100
Häufigste Antwort auf eine offene Zusatzfrage: ÄLicht³.
34
100
Um festzustellen, welche Wirkungen Kameramänner mit verschiedenen Perspektiven erreichen wollen, wurde ihnen eine Liste mit sechs positiven und sechs negativen Effekten vorgelegt. Die Antworten der Kameramänner bestätigen zunächst, dass der Blick in Augenhöhe verwandt wird, um positive Wirkungen zu erzielen, während die starke Drauf- und Untersicht verwandt wird, um negative Wirkungen zu erzielen. In der Beurteilung der leichten Drauf- und Untersicht gingen die Ansichten auseinander. Aufgrund der vorliegenden Antworten können die Intentionen bei der Verwendung der verschiedenen Perspektiven dennoch differenziert angegeben werden: Mit dem Blick in Augenhöhe wollen die Kameramänner vor allem ÄSympathie³ erzeugen und den Eindruck von ÄRuhe³ und ÄUngezwungenheit³ vermitteln. Mit starker Drauf- und Untersicht wollen sie dagegen vor allem ÄAntipathie³ erzeugen und den Eindruck von ÄSchwäche³ und ÄLeere³ herstellen. Nicht in diese Gegenüberstellung passt der Eindruck von ÄKraft³, den die deutliche Untersicht hervorrufen soll (Tabelle 2). Kameramänner werden in ihrer beruflichen Praxis kaum mit jeder Einstellung, die sie drehen, bestimmte Intentionen verbinden. Dennoch wird man aufgrund der vorliegenden Antworten feststellen können, dass etwa die Hälfte der Kameramänner zumindest hin und wieder Personen mit Blick in Augenhöhe aufnimmt, um sie besonders positiv darzustellen. Etwa genauso viele Kameramänner nehmen zumindest hin und wieder Personen in deutlicher Draufsicht und in deutlicher Untersicht auf, um sie besonders negativ darzustellen. Experimentelle Untersuchungen über den Einfluss von Kameraperspektiven auf die Wahrnehmung von Personen deuten darauf hin, dass die Kameramänner mit den genannten Aufnahmetechniken die intendierten oder vermuteten Wirkungen tatsächlich erreichen.3 Aufnahmetechniken der Fernsehberichte Für die Inhaltsanalyse der Aufnahmetechniken wurden alle Wahlberichte in jeweils acht Magazinreihen der ARD und des ZDF von April bis zum Wahltag am 3. Oktober untersucht. Außerdem wurden mit Ausnahme der Fernsehdiskussion zwischen Schmidt, Genscher, Kohl und Strauß alle Wahlsondersendungen beider Fernsehanstalten analysiert.4 Als Wahlberichte wurden alle Sendungen betrachtet, in denen ein Bezug zur Wahl hergestellt wurde. Dies geschah meist explizit durch Hinweise auf die Bundestagswahl. Im Einzelnen wurden folgende Magazinreihen analysiert:
ARD: Monitor, Panorama, Report, Plusminus, pro und contra, Bericht aus Bonn, Weltspiegel, Im Brennpunkt;
35
ZDF: Kennzeichen D, Blickpunkt, ZDF Magazin, Bilanz, Journalisten fragen ± Politiker antworten, Bonner Perspektiven, auslandsjournal, LänderSpiegel.
Tabelle 2: Aussagen von Kameramännern über die Wirkungsabsichten bei der Verwendung verschiedener Perspektiven Frage: ÄAuch Perspektiven können Ruhe, Aufregung, Schwäche, Kraft usw. darstellen. Was möchten Sie erreichten, wenn Sie mit Unter- bzw. Draufsicht arbeiten? Bitte kreuzen Sie auch hier wieder die Ihrer Ansicht entsprechenden Gestaltungsmittel an.³ Draufsicht deutliche leichte %
%
Blick in Augenhöhe %
Untersicht leichte deutliche %
%
positiv Ruhe
9
16
54
5
1
Sympathie
3
8
60
11
0
Ungezwungenheit
5
12
46
14
1
Kraft
4
1
11
15
51
Lebendigkeit
3
8
36
25
3
Geschicklichkeit
8
11
36
19
2
32
56
243
89
58
Aufregung
11
9
7
31
22
Antipathie
15
13
3
8
44
Verkrampftheit
22
14
9
15
16
Schwäche
52
16
5
6
5
Leere
40
12
15
3
11
Ungeschicklichkeit
19
23
13
10
11
159
87
52
73
109
Summe negativ
Summe
Die positiven und negativen Charakterisierungen wurden in wechselnder Reihenfolge vorgegeben.
36
Bei der Inhaltsanalyse wurde zwischen ÄBerichten³, ÄBeiträgen³ und ÄEinstellungen³ unterschieden. Ein Bericht im Sinne der Untersuchung ist eine inhaltlich abgegrenzte Darstellung eines Themas, die aus mehreren unterschiedlichen Beiträgen bestehen kann, z.B. aus Interviews und Reden. Ein Bericht wird meist durch einen Moderator angesagt und/oder abgesagt. Ein Beitrag ist ein formal einheitlicher Teil eines Berichtes. Es wurden folgende Beitragsarten unterschieden: Reden, Straßeninterviews, Studiointerviews, Gesprächsrunden, andere Arten. Ein Bericht kann aus einem oder mehreren Beiträgen über einen oder mehrere Politiker bestehen. Jeder Beitrag über jeden Politiker wurde auf jeweils einem Codebogen codiert. Mehrere formal gleiche Beiträge über einen Politiker an verschiedenen Stellen eines Berichtes wurden zu einem Beitrag zusammengezogen. Eine Einstellung ist eine durch Kameraposition, Aufnahmegröße und Aufnahmerichtung definierte Darstellung einer Person. Unterschieden wurden drei Kamerapositionen ± Froschperspektive (deutliche Untersicht), Vogelperspektive (deutliche Draufsicht), Frontansicht (Augenhöhe, leichte Drauf- und Untersicht); drei Aufnahmerichtungen ± von vorne, der Seite und von hinten; sechs Aufnahmegrößen ± Detailaufnahme, Großaufnahme, Nahaufnahme, Amerikanische, Halbtotale und Totale. Leichte Unter- und Draufsicht wurden als Frontansicht (Augenhöhe) codiert, weil aufgrund der Umfrageergebnisse keine unterschiedlichen Intentionen bzw. Wirkungen zu erwarten sind. Ändert sich durch Zoom, Schwenk oder Schnitt eines der drei Merkmale, liegt eine neue Einstellung vor. Bei Zoom und Kamerafahrt wurden der Beginn und der Schluss der Bewegung als Einstellung codiert, nicht codiert wurden die Zwischenphasen. Die Berichte wurden von vier Teams aus jeweils zwei Personen verschlüsselt. Die Übereinstimmung zischen jeweils zwei Teams betrug nach einwöchigem Training bei allen vorgestellten Kategorien minimal .70. Die ARD und das ZDF stellten in den untersuchten Magazin- und Sondersendungen in 69 Berichten mit 394 Beiträgen und 3.115 Einstellungen Politiker der Koalition und der Opposition dar. Die ARD sendete weitaus mehr einzelne Berichte als das ZDF, jedoch war die Anzahl der Beiträge ähnlich, die Anzahl der Einstellungen sogar fast identisch. Der Grund für die unterschiedliche Anzahl der Berichte besteht darin, dass die ARD hauptsächlich in kürzeren Magazinsendungen, das ZDF jedoch hauptsächlich in längeren Wahlsondersendungen berichtete (Tabelle 3). Sowohl die ARD als auch das ZDF stellten Politiker der Koalition in mehr Einstellungen dar als Politiker der Opposition. Für beide Anstalten zusammen waren es 1.679 für die Koalition bzw. 1.436 für die Opposition. Aufgrund der Differenz von mehr als 200 Einstellungen kann man vermuten, dass die Koalitionspolitiker insgesamt auch länger im Bild waren als die Oppositionspolitiker.
37
Tabelle 3: Anzahl der Berichte, Beiträge und Einstellungen in Magazinsendungen der ARD und des ZDF mit Politikern der Koalition und der Opposition von April bis zur Wahl am 3. Oktober 1976 ARD
ZDF
Berichte
46
23
69
Beiträge
211
183
394
1557
1558
3115
Einstellungen
Summe
Im Unterschied zur Häufigkeit war die Art der Einstellungen, mit denen die Politiker der beiden Lager gezeigt wurden, nahezu gleich. Sowohl ARD als auch ZDF präsentierten die Politiker in den weitaus meisten Fällen in Frontansicht. Dies war beim ZDF noch etwas häufiger der Fall als bei der ARD. Beide Sender zeigten darüber hinaus die Politiker beider Lager prozentual ähnlich häufig in negativen Einstellungen ± Froschperspektive und Vogelperspektive. Die Darstellungsmittel lassen daher keine Tendenz der Gesamtberichterstattung erkennen. Die Berichterstattung war sozusagen optisch ausgewogen (Tabelle 4). Tabelle 4: Anzahl der Einstellungen mit unterschiedlichen Perspektiven zur Darstellung von Politikern der Koalition und der Opposition in ARD und ZDF von April bis zur Wahl im Oktober 1976 ARD Einstellungen
Koalition
ZDF
Opposition
Koalition
Summe
Opposition
Koalition
Opposition
(n=817) (n=740) (n=862) (n=696) (n=1679) (n=1436) %
%
%
%
%
%
Froschperspektive
5
5
4
2
4
4
Vogelperspektive
6
4
3
4
5
4
89
91
93
94
91
92
100
100
100
100
100
100
Frontansicht Summe
Bundestagswahlkämpfe sind in hohem Maße personalisiert: Sie sind auf die Spitzenkandidaten zugeschnitten und werden nach allgemeiner Ansicht auch
38
durch ihren persönlichen Erfolg oder Misserfolg entschieden. Die Darstellung der Spitzenkandidaten beider Lager besitzt deshalb besondere Bedeutung. Die Berichterstattung der beiden Fernsehanstalten spiegelte diesen Charakter des Wahlkampfes: Etwa jede vierte Einstellung mit Kandidaten der beiden Lager zeigte Schmidt oder Kohl. Diese Konzentration der Berichterstattung auf die Spitzenkandidaten war bei der Opposition überraschenderweise sogar noch ausgeprägter als bei der Koalition. Der Grund für diese Tatsache besteht darin, dass die Koalition mit dem Außenminister und Parteivorsitzenden Genscher noch einen weiteren halben Spitzenkandidaten besaß. Wichtiger als die absolute Häufigkeit erscheint jedoch die Art der Darstellung von Schmidt und Kohl. Während Schmidt nur in 31 Einstellungen aus der ungünstigen Frosch- oder Vogelperspektive gezeigt wurde, wurde Kohl in immerhin 55 Einstellungen aus diesen Perspektiven dargestellt. Berechnet man den Anteil der negativen Einstellungen an der Gesamtzahl aller Einstellungen, wird deutlich, dass das als konservativ geltende ZDF Kohl besonders häufig ausgesprochen ungünstig präsentierte (Tabelle 5). Tabelle 5: Anzahl der Einstellungen mit unterschiedlichen Perspektiven zur Darstellung der beiden Spitzenkandidaten Schmidt und Kohl in ARD und ZDF von April bis zur Wahl im Oktober 1976 ARD1 Einstellungen
Schmidt
ZDF2
Kohl
Schmidt
Summe3
Kohl
Schmidt
Kohl
(n=125) (n=178) (n=248) (n=244) (n=373) (n=422) %
%
%
%
%
%
Deutliche Untersicht (Froschperspektive)
7
9
0
3
2
5
Deutliche Draufsicht (Vogelperspektive)
9
6
4
9
6
8
84
85
96
88
92
87
100
100
100
100
100
100
Augenhöhe (Frontansicht) Summe
Die Unterschiede zwischen Frosch- und Vogelperspektive einerseits und Frontansicht andererseits wurden mit dem Chi-Quadrat-Test überprüft: 1 n.s.; 2 p<0.01; 3 p<0.02.
Die große Anzahl negativer Einstellungen bei der Darstellung von Kohl kann angesichts der Tatsache, dass er häufiger aus der Vogel- als aus der Froschper39
spektive gezeigt wurde, kaum durch seine Körpergröße erklärt werden. Man muss vielmehr aus der Expertenbefragung folgern, dass die Kameramänner bemüht waren, Schmidt besonders günstig aufzunehmen, während sie sich bei Kohl weniger Mühe gaben oder ihn bewusst ungünstig darstellten. Folgt man den Expertenurteilen, dann vermittelte die Darstellung von Schmidt durch die Betonung der Frontansicht eher Sympathie und den Eindruck von Ruhe und Ungezwungenheit, die Darstellung von Kohl durch die Betonung von Frosch- und Vogelperspektiven dagegen häufiger Antipathie und den Eindruck von Schwäche und Leere. Damit stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß diese in der Bevölkerung weit verbreitete Vorstellung vom Charakter beider Politiker Eigenschaften der Personen oder Folgen ihrer optischen Präsentation u.a. im Fernsehen waren. Bei Reden von Politikern führen Einstellungen aus der Froschperspektive, jedoch auch andere Techniken wie z.B. Großaufnahmen in Augenhöhe häufig dazu, dass das Gesicht des Redners mehr oder weniger stark von Mikrofonen verdeckt und entstellt wird. Besonders bei einer konstanten5 und starken6 Verdeckung des Gesichtes scheint der Redner wie durch ein Gitter vom Betrachter getrennt in einem Käfig zu sprechen. Die Wirkungen derartiger Bilder sind experimentell bisher nicht untersucht worden. Man kann jedoch aufgrund der vorhandenen Codiererbeobachtungen davon ausgehen, dass konstante starke Mikrofonabdeckungen einen ungünstigen Eindruck von einem Redner vermitteln.7 Mikrofonabdeckungen lassen sich wahrscheinlich in vielen Fällen wegen der örtlichen Gegebenheiten nicht völlig vermeiden. In den meisten Fällen gibt es jedoch Kamerapositionen, denen das Gesicht des Redners zumindest ohne konstante starke Abdeckung durch Mikrofone gezeigt werden kann. Man wird darüber hinaus davon ausgehen dürfen, dass dies bei Rednern beider Lager in etwa gleichem Maße möglich ist. Deutliche Unterschiede in der Darstellung von Rednern der Koalition und der Opposition wird man folglich darauf zurückführen müssen, dass die Kameramänner sich in einigen Fällen mehr, in anderen weniger Mühe gegeben haben, die Redner günstig aufzunehmen oder sie bewusst ungünstig dargstellt haben. Genau dies war in der Fernsehberichterstattung über den Wahlkampf 1976 der Fall. Sowohl die ARD als auch das ZDF haben Redner der Opposition häufiger als Redner der Koalition in Einstellungen gezeigt, in denen die Gesichter der Politiker durch Mikrofone verdeckt waren. Falls eine Abdeckung der Gesichter vorlag, war sie bei Rednern der Opposition häufiger stark entstellend, bei Rednern der Koalition häufiger nur mittel oder schwach entstellend (Tabelle 6). Die generellen Tendenzen der optischen Kommentierung von Kandidaten der Koalition und der Opposition zeigten sich wieder besonders deutlich bei der Darstellung der beiden Spitzenkandidaten. Die beiden Fernsehanstalten nahmen
40
Tabelle 6: Anzahl der Einstellungen, in denen das Gesicht von Rednern der Koalition und der Opposition konstant durch das Mikrofon abgedeckt war in ARD und ZDF von April bis zur Wahl im Oktober 1976 ARD1 Grad der Abdeckung
Koalition
ZDF2
Opposition
Koalition
Summe3
Opposition
Koalition
Opposition
(n=228) (n=200) (n=208) (n=100) (n=436) (n=300) %
%
%
%
%
%
86
83
82
77
84
79
leicht (Kinn etwas)
4
7
5
3
5
6
mittel (Kinn, Mund etwas)
4
3
8
6
6
4
stark (Kinn, Mund, Nase)
6
8
5
14
5
11
100
100
100
100
100
100
nicht oder flüchtig
Summe
Die Unterschiede insgesamt und im Grad der Abdeckung wurden mit dem Chi-Quadrat-Test geprüft: 1 Unterschiede insgesamt: n.s.; Grad der Abdeckung: n.s.; 2 Unterschiede insgesamt: p<0.05; Grad der Abdeckung: p<0.05; 3 Unterschiede insgesamt: p<0.05; Grad der Abdeckung: p<0.05.
Schmidt zwar wesentlich häufiger mit konstanten Mikrofonabdeckungen auf als Kohl (38 vs. 18). Bei Schmidt handelte es sich jedoch überwiegend um leichte (31 Prozent) oder mittlere (45 Prozent)Ã selten um starke (24 Prozent) Abdeckungen. Bei Kohl gab es dagegen überhaupt keine leichten und relativ wenige mittlere (28 Prozent) Abdeckungen. In mehr als zwei Drittel aller Fälle (72 Prozent) war dagegen das Gesicht zumindest bis zur Nase völlig von Mikrofonen verstellt. Der Unterschied in der Darstellung von Schmidt und Kohl ist statistisch hoch signifikant (p<0.01). Darstellung von Publikumsreaktionen Wahlkämpfe sind ritualisierte Konflikte mit dem Ziel, Zustimmung zu Programmen und Personen zu gewinnen. Berichte über Zustimmung und Ablehnung
41
im Publikum sind deshalb zugleich Kommentare über den Erfolg oder Misserfolg der Wahlkämpfer: Ein Kandidat, der immer wieder auf Ablehnung trifft, besitzt keine Chance, er hat sein Ziel verfehlt, er ist ein Versager. Berichte über Zustimmung und Ablehnung geben Journalisten dadurch die Möglichkeit, ihre eigenen Ansichten über die Kandidaten zu äußern, ohne selbst zu den Personen und ihren Programmen Stellung nehmen zu müssen. Eine Folge derartiger Kommentare dürfte darin bestehen, dass die Zuschauer an den Wahlchancen eines Kandidaten, der immer wieder auf Ablehnung trifft, zweifeln, während sie von den Siegesaussichten eines Kandidaten, der überall auf Zustimmung trifft, zunehmend überzeugt werden. Zustimmung und Ablehnung zu bzw. von Politikern der Koalition und der Opposition wurden auf zwei Wegen ermittelt: Zum einen wurden die verbalen Aussagen von Journalisten über Zustimmung und Ablehnung des Publikums untersucht, zum anderen wurde die optische und akustische Darstellung der Zustimmung und Ablehnung des Publikums analysiert. Verschlüsselt wurden unabhängig von der Einstellung alle Aussagen von Journalisten über Zustimmung oder Ablehnung im Publikum und alle Einstellungen, in denen Zustimmung oder Ablehnung des Publikums optisch dargestellt wurde. Der Grund für die Wahl unterschiedlicher Untersuchungseinheiten bestand darin, dass Journalisten ihre Kommentare häufig in einer oder wenigen Einstellungen sprechen, während Publikumsreaktionen in vielen Einstellungen gezeigt werden. Um dennoch möglichst alle Journalistenaussagen zu erfassen, wurde jeder grammatikalisch vollständige Satz als Untersuchungseinheit gewählt. Die Aussagen der Journalisten sind dadurch im Vergleich zu den Publikumsreaktionen möglicherweise leicht überrepräsentiert. Die Zustimmung des Publikums zu Politikern der Koalition und Opposition wurde mit sechs Kategorien ermittelt:
42
Akustische, nonverbale Zustimmung (Klatschen und ähnliche Reaktionen), Akustische, verbale Zustimmung (Zurufe, zustimmende Aussagen), Optische Zustimmung (Zeigen von Gesten, Symbolen), Gelungene Interaktionen zwischen Kandidat und Publikum (spontane positive Interaktionen, positive Reaktionen des Publikums auf Interaktionsangebote der Kandidaten), Aufmerksamkeit, Interesse des Publikums (Hinwendung zum Kandidaten, gespannte Haltung), Übereinstimmung im Publikum, unter den Anhängern (zustimmende Vergewisserung im Publikum).
Die Aussagen der Journalisten über Publikumsreaktionen wurden mit entsprechenden Kategorien ermittelt. Bei der Analyse wurden verbale Aussagen über positive Publikumsreaktionen sowie ihre visuelle Darstellung unterschieden und getrennt erfasst. Die Journalisten der ARD und des ZDF äußerten sich in ihren Wahlberichten erstaunlich selten über zustimmende Publikumsreaktionen. Insgesamt enthielt die Berichterstattung nur 54 bzw. 61 Aussagen über positive Publikumsreaktionen gegenüber Politikern der Koalition bzw. der Opposition. Dabei bestanden keine nennenswerten Unterschiede zwischen der Berichterstattung von ARD und ZDF.8 Obwohl die Aussagen der Journalisten über die Zustimmung des Publikums zu den Kandidaten der beiden Lager differenzierter gemessen wurden als die dargestellten Publikumsreaktionen, war die Anzahl der gezeigten Publikumsreaktionen etwa zehnmal so groß wie die Anzahl der sichtbaren Aussagen darüber. Die optische Kommentierung der Publikumsreaktionen war damit erheblich wichtiger als ihre verbale Kommentierung: Vor dem Hintergrund der optischen Präsentation verschwanden die verbalen Aussagen, wobei die Tendenz der Kommentierung im vorliegenden Fall identisch war: Es wurden nahezu gleich viele Einstellungen mit positiven Publikumsreaktionen zur Koalition wie zur Opposition gezeigt. Zum Vergleich werden die seltenen verbalen Aussagen über positive Publikumsreaktionen zusammengefasst am Fuß der Tabelle ausgewiesen (Tabelle 7). Aussagen über negative Reaktionen des Publikums gegenüber Kandidaten der Koalition und der Opposition fanden sich noch seltener als Aussagen über positive Publikumsreaktionen. Insgesamt enthielt die Berichterstattung nur 18 bzw. 25 Aussagen über negative Publikumsreaktionen gegenüber Politikern der Koalition bzw. der Opposition.9 Die Journalisten der ARD und des ZDF kommentierten das Verhältnis der Kandidaten zum Publikum weitaus häufiger optisch als verbal negativ: Die Anzahl der Einstellungen, in denen negative Reaktionen des Publikums gegen Kandidaten der Koalition und der Opposition gezeigt wurden, war mehr als viermal so groß wie die Anzahl der Aussagen über derartige Verhaltensweisen. Im Unterschied zum vorangegangenen Fall war die Darstellung hier jedoch in keiner Weise ausgewogen. Die Journalisten der ARD und des ZDF zeigten vielmehr weitaus häufiger Einstellungen, in denen das Publikum Kandidaten der Opposition zurückwies, als Einstellungen, in denen das Publikum gegen Kandidaten der Koalition protestierte. Besonders in den Berichten des ZDF wurden die Politiker der Opposition häufig als isolierte Personen gezeigt, die in der Bevölkerung auf krasse Ablehnung stießen. Zum Vergleich werden die seltenen verbalen Aussagen über negative Publikumsreaktionen zusammengefasst am Fuß der Tabelle ausgewiesen (Tabelle 8).
43
Tabelle 7: Darstellung der positiven Reaktionen des Publikums auf Politiker der Koalition und der Opposition in ARD und ZDF von April bis zur Wahl im Oktober 1976 ± Anzahl der Einstellungen ± ARD Dargestellte Publikumsreaktionen
Koalition n
ZDF
Opposition n
Koalition n
Summe
Opposition n
Koalition n
Opposition n
Akustische, nonverbale Zustimmung (Klatschen)
178
192
195
161
373
353
Akustische, verbale Zustimmung (Zurufe)
7
9
2
2
9
11
Optische Zustimmung (Gesten, Symbole)
31
34
17
31
48
65
Gelungene Interaktionen Kandidat ± Publikum
60
54
57
53
117
107
Aufmerksamkeit, Interesse Publikum
43
54
97
101
140
155
Übereinstimmung im Publikum, unter Anhängern
2
2
3
4
5
6
321
345
371
352
692
697
29
37
25
24
54
61
Summe Summe der verbalen Aussagen über die gleichen Aspekte
44
Tabelle 8: Darstellung von negativen Reaktionen des Publikums auf Politiker der Koalition und der Opposition in ARD und ZDF von April bis zur Wahl im Oktober 1976 ± Anzahl der Einstellungen ± ARD Dargestellte Publikumsreaktionen
ZDF
Summe
Koalition n
Opposition n
Koalition n
Opposition n
Akustische, nonverbale Ablehnung (Pfiffe, Buhrufe)
2
18
5
43
7
61
Akustische, verbale Ablehnung (Zurufe, Kritik)
3
2
2
10
5
12
Optische Ablehnung (Gesten, Symbole)
0
8
0
1
0
9
Fehlende, missglückte Interaktionen Kandidat ± Publikum
0
1
10
34
10
35
Unaufmerksamkeit, Desinteresse des Publikums
14
4
12
5
26
9
Konflikte im Publikum, unter Anhängern
0
2
1
10
1
12
19
35
30
103
49
138
7
8
11
17
18
25
Summe Summe der verbalen Aussagen über die gleichen Aspekte
Koalition n
Opposition n
Aufgrund der Tatsache, dass in den Reihen der Opposition mit Strauß und Dregger zwei Politiker waren, denen allgemein nachgesagt wurde, sie würden die 45
Bevölkerung polarisieren, kann man annehmen, dass es sich bei den dargestellten Verhaltensweisen hauptsächlich um negative Reaktionen auf diese beiden Kandidaten handelte. Dies war jedoch nicht der Fall. Die weitaus meisten Einstellungen (50 Prozent)Ã die negative Publikumsreaktionen darstellten, zeigten Pfiffe, Buhrufe und andere Arten der Ablehnung gegenüber Kohl, wobei besonders das ZDF Kohl als einen isolierten und missachteten Mann darstellte. Im scharfen Kontrast dazu wurden fast überhaupt keine Einstellungen gezeigt, in denen das Publikum Schmidt auspfiff oder auf andere Weise ablehnte. Sowohl die Journalisten der ARD wie des ZDF zeigten Schmidt vielmehr auf einer Woge von Beifall, wobei das ZDF besonders aktiv war. Die Wahlberichterstattung der beiden Fernsehanstalten, besonders jedoch des ZDF, vermittelte damit den Eindruck, dass sich mit Schmidt und Kohl zwei Kanzlerkandidaten gegenüberstanden, von denen der eine auf einhellige Zustimmung der Bevölkerung, der andere jedoch auch auf massive Kritik und Ablehnung stieß (Tabelle 9). Tabelle 9: Darstellung positiver und negativer Reaktionen des Publikums auf die Spitzenkandidaten Schmidt und Kohl in ARD und ZDF von April bis zur Wahl im Oktober 1976 ARD1 Einstellungen
Schmidt
ZDF2
Kohl
Schmidt
Summe3
Kohl
Schmidt
Kohl
(n=81) (n=178) (n=175) (n=147) (n=228) (n=403) % % % % % % Zustimmung Ablehnung Summe
100
86
95
68
97
75
0
14
5
32
3
25
100
100
100
100
100
100
Die Unterschiede wurden mit dem Chi-Quadrat-Test geprüft: 1 p<0.01; 2 p<0.01; 3 p<0.01.
Während des Wahlkampfes im Sommer 1976 blieb der Anteil derjenigen, die die Koalition bzw. die Opposition wählen wollten, nahezu konstant. Dennoch ging bei einem großen Teil der Bevölkerung die Erwartung, dass die Opposition die Wahl gewinnen werde, stark zurück: Personen mit hohem Fernsehkonsum sahen Kohl zunehmend als Verlierer, Personen mit geringem Fernsehkonsum blieben dagegen bei ihrer ursprünglichen Ansicht über die Wahlaussichten der Spitzenkandidaten.10 Die häufige Darstellung von Ablehnung gegenüber Kohl in ARD und ZDF könnte ein Grund dafür gewesen sein, dass die extensiven Fernsehzu-
46
schauer zunehmend an den Siegeschancen von Kohl zweifelten: Wie sollte ein Mann die Wahl gewinnen, der vom Publikum derart massiv abgelehnt wird? Ursachen der Darstellung Die große Anzahl und eindeutige Tendenz der optischen Kommentierung durch Kameraperspektiven und Bildauswahl macht deutlich, dass zumindest im vorliegenden Fall eine Inhaltsanalyse der verbalen Kommentare im Fernsehen keine validen Ergebnisse liefern würde: Gerade die medienspezifischen Informationen gingen verloren, die in ihnen enthaltene Tendenz würde nicht erfasst. Da diese Tendenz sehr deutlich ausgeprägt ist, stellt sich zunächst die Frage, wer die Entscheidungen über die Auswahl der optischen Kommentare trifft. Eine erste, vorläufige Auskunft geben die befragten Kameramänner.11 Der Einfluss von Journalisten und Kameramännern auf die Aufnahmen wurde durch die Frage ermittelt: ÄJede Kameraeinstellung orientiert sich an den Bedingungen am Drehort. Trotzdem müssen meist einige Entscheidungen getroffen werden. Welche Entscheidungen sind dies und wer trifft sie?³ Auf die hier relevanten Fragen nach der ÄBestimmung des Kameraortes³, dem ÄEinsatz bestimmter Einstellungsgrößen³, dem ÄEinsatz bestimmter Perspektiven³ und dem ÄEinsatz bestimmter Kamerabewegungen³ antwortete jeweils etwa die Hälfte der Befragtenà die Journalisten und sie selbst würden diese Entscheidungen gemeinsam treffen, die jeweils andere Hälfte antwortete, sie würden diese Entscheidungen alleine fällen. Nur in einigen Ausnahmefällen wurde der Journalist als alleiniger Entscheidungsträger genannt. Die Entscheidung über die Art der Aufnahmen, die für einen Fernsehbericht gedreht werden, ist nur ein erster Schritt in einem mehrstufigen Produktionsprozess. Es folgen die Entscheidungen über die Auswahl der Aufnahmen für den Film aus dem gedrehten Material und die Art der Montage. Diese Entscheidungen werden von Journalisten und Cutterinnen ohne den Einfluss von Kameramännern getroffen. Es steht jedem Journalisten frei, Einstellungen, die er nicht veröffentlichen will, wegzulassen. Die letzte Entscheidung liegt dabei zumindest theoretisch immer bei den Fernsehjournalisten. Die vorhandenen Ergebnisse zeigen dennoch, dass die Journalisten im Fernsehen keineswegs alleine Träger der Pressefreiheit sind. Die Freiheit, Ereignisse und Personen durch optische Kommentare zu werten, wird vielmehr faktisch auch von dem technischen Personal wahrgenommen. Die Kommunikatorforschung darf deshalb nicht bei den Journalisten stehenbleiben. Sie muss sich vielmehr auch auf die Kameramänner, Beleuchter, Tontechniker und Cutter erstrecken. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind verpflichtet, ein Äausgewogenes³ Programm auszustrahlen, die politischen Ansichten ihrer Mitarbeiter
47
waren (und sind) jedoch in keiner Weise ausgewogen: Mehr als zwei Drittel der Redakteure und freien Mitarbeiter standen 1976 politisch den Regierungsparteien nahe, weniger als ein Drittel den Oppositionsparteien. Damit waren (und sind) der Programmauftrag der Rundfunkanstalten und die Meinungsfreiheit der Journalisten im Rundfunk unvereinbare Ziele: Entweder ist das Programm politisch ausgewogen, dann können die Journalisten ihre politische Meinung nicht frei sagen, oder die Journalisten können ihre politische Meinung frei sagen, dann ist das Programm nicht ausgewogen. Der Widerspruch zwischen den politischen Präferenzen der Journalisten und dem Programmauftrag der Rundfunkanstalten besaß zwei direkte Konsequenzen: Mitarbeiter der Rundfunkanstalten, speziell jedoch des Fernsehens, klagten häufiger darüber, dass sie ihre Ideen nicht verwirklichen können als Redakteure der Presse, und sie äußerten häufiger, dass sie nicht genügend Freiheit besitzen. Die Tabellen 10 und 11 zeigen die Parteipräferenzen der Journalisten von 1969 bis 1979 und die Antworten von Pressejournalisten und freien Mitarbeitern der Rundfunkanstalten auf die Frage nach ihrer journalistischen Berufsfreiheit (Tabellen 10 und 11).12 Tabelle 10: Parteipräferenzen von Journalisten von 1969 bis 1979 November1 1969
September1 1973
Mai/Juni2 1976
August3 1979
(n=93) %
(n=86) %
(n=87) %
(n=1099) %
CDU/CSU
24
22
21
16
SPD
63
48
55
65
FDP
12
30
24
19
Andere
1
x
x
0
Summe
100
100
100
100
1 Nur Redakteure von Tageszeitungen (Institut für Demoskopie Allensbach). 2 Redakteure von Tageszeitungen und Fernsehanstalten. Vgl. Elisabeth. Noelle-Neumann: Die Entfremdung. Brief an die Zeitschrift ÄJournalist³. In: Hans Mathias Kepplinger (Hrsg.): Angepaßte Außenseiter. Freiburg 1979, S. 268. 3 Nur Redakteure von Rundfunkanstalten. Die Daten wurden auf diejenigen umgerechnet, die eine konkrete Partei nannten (85 %). Vgl. RFFU-Umfrage (Emnid).
48
Tabelle 11: Journalistische Berufsfreiheit in Presse, Hörfunk und Fernsehen Frage: ÄEinmal angenommen, Sie haben eine gute Idee für ein Thema, das nach Ihrer Ansicht unbedingt behandelt werden müsste: Können Sie dann Ihre Ideen im Allgemeinen verwirklichen oder häufig nicht?³ Presse1 Es können ihre Ideen verwirklichen
Rundfunk2
Redak- Ressort- ChefreHörfunk/ FernseHörfunk teure leiter dakteure Fernsehen hen (n=88) %
(n=55) %
(n=46) %
(n=56) %
(n=12) %
(n=62) %
Immer, fast immer
43
74
76
52
25
31
Meistens
51
24
17
37
67
50
6
2
7
11
8
19
100
100
100
100
100
100
Häufig nicht Summe 1
Repräsentativbefragung; vgl. Rüdiger Schulz: Einer gegen alle? Das Entscheidungsverhalten von Verlegern und Chefredakteuren. In: Hans Mathias Kepplinger (Hrsg.): Angepasste Außenseiter, a.a.O., S. 169. 2 Freie Mitarbeiter beim Hessischen Rundfunk und Südwestfunk. Die in Tabelle 10 genannte RFFU-Umfrage enthält umfangreiche Daten für festangestellte Mitarbeiter, die die vorliegenden Ergebnisse bestätigen.
Folgerungen Betrachtet man die Ergebnisse der Inhaltsanalyse im Kontext der zitierten Umfragen, bietet sich folgende Interpretation der Widersprüche zwischen der verbalen und der optischen Kommentierung innerhalb der Fernsehberichterstattung an: Der Programmauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verlangt die Ausstrahlung eines Äausgewogenen³ Programms. Die Fernsehjournalisten bemühen sich sorgfältig, in ihren verbalen Kommentaren diese Ausgewogenheit herzustellen. Dabei werden auch Sachverhalte, die sie höchstwahrscheinlich keineswegs ausgewogen sehen, ausgewogen kommentiert. Die Folgen sind ähnlich viele positive und negative Urteile über die Koalition und über die Opposition, wobei eine eindeutige Tendenz besteht, negative Urteile nach Möglichkeit überhaupt zu vermeiden. Die Problematik der verbalen Kommentierung liegt damit im vorliegenden Fall nicht in ihrer Tendenz, sondern in ihrer bis zur Selbstaufgabe gehenden Tendenzlosigkeit. 49
Die Fernsehjournalisten sehen jedoch wie die meisten ihrer Pressekollegen die politische Wirklichkeit dieses Landes überwiegend mehr oder weniger von links. Folglich stellen sie diese Wirklichkeit wenigstens im Bild annähernd so dar, wie sie sie sehen, wobei diese Sichtweise weder richtig noch falsch ist: Hier gibt es keine richtige oder falsche sondern allenfalls eine subjektiv aufrichtige oder unaufrichtige Darstellung. Die eindeutigen Tendenzen der optischen Kommentierung sind mit anderen Worten zumindest in der Regel nicht die Folge von bewussten Manipulationen. Man muss vielmehr davon ausgehen, dass sie die Folge informeller Prozesse sind, in denen sich das Bild der politischen Wirklichkeit so wie Journalisten, Kameramänner und Cutterinnen sie sehen, in den Berichten niederschlägt.
1 Vgl. u.a. Walter Ruhland, Fernsehmagazine und Parteien. Die Darstellung der Parteien in den innenpolitischen Magazinen des deutschen Fernsehens im Bundestagswahlkampf 1976. Berlin 1979; Robert D. McClure / Thomas E. Patterson: Television News and Political Advertising. The Impact of Exposure on Voter Beliefs. In: Communication Research 1 (1974) S. 3-31. Siehe auch Terry F. Buss / C. Richard Hofstetter: An Analysis of the Logic of Televised Campaign Advertisements. The 1972 Presidential Campaign. In: Communication Research 3 (1976) S. 367-392; vgl. Doris A. Graber: Press and TV as Opinion Resources in Presidential Campaigns. In: Public Opinion Quarterly 40 (1976) S. 285-303; Hans-Jürgen Weiß: Wahlkampf im Fernsehen. Untersuchungen zur Rolle der großen Fernsehdebatten im Bundestagswahlkampf 1972. Berlin 1976. Weiß geht mit seiner Interaktionsanalyse einen ersten Schritt über die Untersuchungen der verbalen Inhalte hinaus. 2 Vgl. Willy Loderhose: Zum Einfluß von Kameraleuten auf Fernseh- und Filmproduktionen. Mainz 1980 (Magisterarbeit). 3 Vgl. ÄEinfluss von Kameraperspektiven auf die Wahrnehmung von Politikern³. In diesem Band, S. 63. 4 Nicht codiert wurden vier Sendungen, weil die Bänder defekt waren, sowie der Aufruf von Annemarie Renger zur Bundestagswahl in ihrer Eigenschaft als Präsidentin des Bundestages. 5 Es wurde zwischen Äkonstanter³ und Äflüchtiger³ Abdeckung unterschieden. ÄKonstante³ Abdeckung liegt vor, wenn die Abdeckung während der gesamten Einstellung vorhanden ist. ÄFlüchtige³ Abdeckung liegt vor, wenn die Abdeckung durch Körper- und/oder Kopfbewegungen des Redners kurzfristig herbeigeführt wird. Im ersten Fall ist die Ursache der Abdeckung allein die Einstellung des Kameramannes, im zweiten Fall auch das Verhalten des Redners. 6 Es wurde zwischen Äleichter³, Ämittlerer³ und Ästarker³ Abdeckung unterschieden. Im ersten Fall ist das Kinn etwas, im zweiten Fall das Kinn völlig, der Mund etwas, im dritten Fall das Kinn und der Mund völlig, die Nase zumindest etwas verdeckt. 7 Diese Vermutung hat sich im Experiment nicht bestätigt. Vgl. Kapitel 5 in Hans Mathias Kepplinger: Darstellungseffekte. Experimentelle Untersuchungen zur Wirkung von Pressefotos und Fernsehfilmen. Freiburg i. Br. 1987. 8 Eine detaillierte Darstellung der Ergebnisse enthält Tabelle 7 der Erstpublikation. 9 Eine detaillierte Darstellung der Ergebnisse enthält Tabelle 9 der Erstpublikation.
50
10 Vgl. Elisabeth Noelle-Neumann: Das doppelte Meinungsklima. Der Einfluß des Fernsehens im Wahlkampf 1976. In: Politische Vierteljahresschrift 18 (1977) S. 408-451. 11 Vgl. zu Detailangaben Willy Loderhose, a.a.O. sowie Dietrich Wolfgang Henckels: Fernsehredakteure und Fernsehtechniker. Eine empirische Untersuchung zur Kooperation von Kommunikatorgruppen im Norddeutschen Rundfunk. Berlin 1979. 12 Gegen die Umfrage, die das Emnid-Institut im Auftrag der RFFU durchgeführt hat, wird eingewandt, die Stichprobe sei verzerrt, ein Linkstrend der Rundfunkmitarbeiter deshalb nicht nachgewiesen. Geht man davon aus, dass die Stichprobe verzerrt ist, dann müssten unter den Rundfunkmitarbeitern, die die Umfrage nicht beantwortet haben, ca. 60 Prozent CDU/CSU-Anhänger sein, damit die Parteipräferenzen aller Rundfunkmitarbeiter ausgeglichen wären. Bezieht man die Berechnung nur auf diejenigen, die eine konkrete Parteineigung angaben und unterstellt bei den Antwortverweigerern einen ebenso hohen Prozentsatz von Personen ohne konkrete Zuordenbarkeit, dann müssten unter dem nicht befragten Rest sogar 70 Prozent CDU/CSU-Anhänger sein. Diese Annahmen werden auch diejenigen kaum vertreten, die behaupten, die Umfrage habe keinen Linkstrend bewiesen.
51
Einfluss von Zuschauermeinungen auf die Wahrnehmung von Politikern im Fernsehen
Fernsehzuschauer nehmen Politiker anhand aktueller Berichte wahrscheinlich nicht gleich wahr, weil ihre Wahrnehmungen nicht nur von der Berichterstattung sondern auch von ihren Meinungen und Vorstellungen beeinflusst werden. Der Begriff ÄMeinung³ steht hier für generelle Bewertungen von Politikern, der Begriff ÄVorstellung³ für differenzierte Vermutungen über ihre spezifischen Eigenschaften. In einer zugespitzten Version lautet die Annahme, die Zuschauer würden nur wahrnehmen, was sie wahrnehmen wollen. Deshalb würden Fernsehnachrichten die vorhandenen Meinungen nicht ändern sondern nur verstärken. Diese Verstärkerthese führt zu der Frage, wie groß der Einfluss der Meinungen und Vorstellungen der Fernsehzuschauer auf die Wahrnehmung verbaler und visueller Informationen über Politiker ist. Diese Frage soll hier spezifiziert und analysiert werden.1 Annahmen Theoretisch kann man annehmen, dass Fernsehzuschauer Übereinstimmen zwischen ihren eigenen Überzeugungen und dem, was von Politikern oder über sie gesagt wird, deutlicher erkennen als Übereinstimmungen zwischen ihren Überzeugungen und dem, was man anhand von optischen Eindrücken erkennen oder aus ihren folgern kann. Dies gilt analog auch für Widersprüche zwischen den Meinungen und Vorstellungen der Zuschauer einerseits und den verbalen und visuellen Informationen andererseits. Deshalb werden ihre Meinungen und Vorstellungen auf die Wahrnehmung der verbalen Aussage einen stärkeren Einfluss besitzen als auf die Wahrnehmung von optischen Eindrücken. Theoretisch kann man ferner annehmen, dass die differenzierten Vorstellungen der Fernsehzuschauer von der Persönlichkeit der Politiker die Wahrnehmung einzelner Eigenschaften beeinflussen. Deshalb werden sie an Politikern genau jene Eigenschaften wahrnehmen, die sie nach ihrer Überzeugung ohnehin besitzen. Dagegen werden sie an ihnen jene Eigenschaften, die sie nach ihrer Ansicht nicht haben, nicht wahrnehmen. Schließlich werden sie anhand der Berichte über Politiker
genau jenen Gesamteindruck von ihnen gewinnen, den sie ohnehin von ihnen haben. Der Gesamteindruck, den die Fernsehzuschauer anhand der aktuellen Berichterstattung über Politiker gewinnen, wird demnach ihrer generellen Bewertung der Politiker entsprechen. Methode Die Annahmen wurden anhand der aktuellen Fernsehberichterstattung über Helmut Kohl und Oskar Lafontaine im Bundestagswahlkampf 1990 untersucht. Die Untersuchung erfolgte zeitnah zur Berichterstattung, so dass in die Ergebnisse auch der generelle Eindruck vom aktuellen Geschehen eingeht. Folgende Nachrichtensendungen wurden untersucht: ARD (Tagesschau und Tagesthemen), ZDF (heute und heute-journal), SAT1 (Haupt- und Spätnachrichten), RTL plus (RTL aktuell Haupt- und Spätausgabe). Erfasst wurden vom 3. September bis zum 1. Dezember 1990 alle Nachrichtensendungen an jeweils zwei Tagen pro Woche. Die Wochentage wurden systematisch rotiert. Die Beiträge wurden von 35 Personen analysiert. Jeder Betrachter beurteilte, damit er nicht überfordert war, jeweils nur die Persönlichkeit oder nur die Kompetenz der beiden Politiker. Jeder Beitrag wurde deshalb von zwei Betrachtern beurteilt, wobei die beiden Betrachter die Beiträge allein und unabhängig voneinander sahen. Analyseeinheit waren die einzelnen Einstellungen. Einstellungen waren als formale Einheiten definiert und wurden durch einen Wechsel der Perspektive, Veränderungen des Bildausschnittes, Schwenk oder Zoom voneinander abgegrenzt. Die Wahrnehmung der Persönlichkeit von Helmut Kohl und Oskar Lafontaine wurde mit 21 fünfstufigen Skalen ermittelt. Die Betrachter sollten jeweils angeben, ob eine Einstellung einen bestimmten Eindruck vermittelt ± ob Kohl oder Lafontaine z. B. Änervös³ oder Ävertrauenswürdig³ erschienen, ob er den Eindruck vermittelte, dass er Äviel Erfahrung hat³ und Ävor allem an die Bürger denkt³ usw. Die Pole der Skalen lauteten Ätrifft voll und ganz zu³ bzw. Ätrifft überhaupt nicht zu³. Zusätzlich sollten die Betrachter mit jeweils fünfstufigen Skalen angeben, ob ihr Eindruck eher auf sprachlichen Aussagen oder eher auf bildlichen Darstellungen beruhte. Die Pole dieser Skalen waren mit Ävisuell³ bzw. Äverbal³ beschriftet. Der mittlere Skalenpunkt wurde verschlüsselt, wenn die Eindrücke auf verbale und visuelle Informationen beruhten sowie wenn die Quelle der Eindrücke nicht erkennbar war. Dies wird hier mit dem Begriff Äambivalent³ bezeichnet. Die Wahrnehmung der Kompetenz von Helmut Kohl und Oskar Lafontaine wurde mit 17 fünfstufigen Skalen festgestellt. Die Betrachter sollten jeweils angeben, ob Kohl bzw. Lafontaine in der jeweiligen Einstellung den Eindruck
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vermittelte, dass er bestimmte Ziele verwirklichen kann, z. B., dass die ÄStaatsschulden nicht zu groß werden³, dass ÄFamilien mit Kindern mehr gefördert werden³, dass Äder Umweltschutz verbessert wird³, dass Ädie Gleichberechtigung der Frauen durchgesetzt wird³ usw. Die Beschriftung der Pole lautete, er Äkann (es) voll und ganz verwirklichen³ bzw. er Äkann (es) überhaupt nicht verwirklichen³. Auch hier sollten die Betrachter zusätzlich mit fünfstufigen Skalen angeben, ob ihr Eindruck eher auf sprachlichen Aussagen oder eher auf bildlichen Darstellungen beruhte. Die Pole dieser Skalen hatten die gleiche Beschriftung wie der Analyse der Persönlichkeitswahrnehmung. Zur Vereinfachung der Darstellung werden bei allen Skalen die Angaben links und rechts der Mittelpunkte jeweils zusammen betrachtet. Zusätzlich zur Wahrnehmung einzelner Aspekte der Persönlichkeit und der Kompetenz der beiden Politiker wurde der Gesamteindruck erfasst, den Helmut Kohl bzw. Oskar Lafontaine in den jeweiligen Einstellungen vermittelten. Hierbei handelt es sich um ein Maß für die ganzheitliche Wahrnehmung der kombinierten Text-Bild-Informationen über die beiden Politiker. Im Unterschied zu den zuvor beschriebenen Skalen liegt hier eine relativ globale Einstufung vor, bei der weder die Art, noch die Quelle der Informationen unterschieden wurden. Erfasst wurde der Gesamteindruck mit einer fünfstufigen Skala, deren Endpunkte mit Äeindeutig positiv³ bzw. Äeindeutig negativ³ beschriftet waren. Damit diese generellen Urteile nicht von den detaillierten Einstufungen beeinflusst werden konnten, wurden sie zuerst, direkt nach dem Ansehen, erhoben. Zwei Wochen vor Beginn des Verfahrens wurden die Betrachter gebeten, ihre persönlichen Vorstellungen von Helmut Kohl und Oskar Lafontaine anhand der späteren Skalen anzugeben und dabei auch ihren Namen zu vermerken. Für 29 der 35 Betrachter liegen die entsprechenden Angaben vor, so dass die Vorstellungen der Betrachter mit ihren Urteilen anhand der Fernsehbeiträge verglichen werden können. Die folgenden Aussagen über die Zusammenhänge zwischen Vorstellungen und Wahrnehmungen beruhen folglich auf Informationen von 29 Personen. Von diesen Personen hatten fünf keine eindeutige Meinung zu den Spitzenkandidaten. Von den anderen 24 Betrachtern hatte jeweils die Hälfte eine positive Meinung von Helmut Kohl und Oskar Lafontaine. Hierbei handelt es sich um einen für die Datenanalyse günstigen Zufall, der nicht voraussehbar war. Die verschiedenen Betrachter nahmen ± abhängig von den Sendungen, die sie sahen, ± die beiden Politiker unterschiedlich häufig und in verschiedenen Situationen wahr. Deshalb liegen nicht von allen Betrachtern Urteile über alle Aspekte der Persönlichkeit und der Kompetenz der beiden Politiker vor. Im Folgenden werden nur Korrelationen ausgewiesen, die auf den Angaben von mindestens vier Betrachtern beruhen. 2
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Ergebnisse Einfluss einzelner Vorstellungen von Kohl und Lafontaine auf die Wahrnehmung entsprechender Eigenschaften. Die Vorstellungen der Betrachter von der Persönlichkeit Helmut Kohls und Oskar Lafontaines hatten alles in allem nur einen geringen Einfluss auf die Wahrnehmung ihrer Persönlichkeit.3 Dies zeigt sich daran, dass nur neun von 77 Korrelationen signifikant sind. Von ihnen besitzen wiederum nur sechs ein positives Vorzeichen. Betrachter, die Kohl für unbeherrscht hielten, als rücksichtslos betrachteten und ihm Erfahrung zusprachen, nahmen ihn anhand der Fernsehnachrichten auch entsprechend wahr. Dies gilt analog auch für die Betrachter, die Lafontaine für unbeherrscht hielten. Alle anderen Eigenschaften nahmen die Betrachter weitgehend unabhängig von ihren individuellen Vorstellungen und z. T. sogar im Gegensatz zu ihnen wahr. Die Vorstellungen der Betrachter von der Persönlichkeit der beiden Politiker wirkten sich auf die Wahrnehmung der verbalen und der visuellen Informationen ähnlich aus. Zwischen den Vorstellungen und der Wahrnehmung verbaler Informationen bestanden vier positive signifikante Korrelationen, zwischen den Vorstellungen und der Wahrnehmung visueller Informationen drei. Die Betrachter der Fernsehnachrichten nahmen damit sowohl die verbalen als auch die visuellen Informationen weitgehend unabhängig von ihren Vorstellungen wahr. Die vorliegenden Ergebnisse enthalten keine Hinweise darauf, dass die Betrachter von Fernsehnachrichten visuelle Informationen, die ihren Meinungen widersprachen, eher akzeptierten als verbale Informationen. Die Vorstellung von der Kompetenz von Kohl und Lafontaine besaßen auch nur einen geringen Einfluss auf die Wahrnehmung der Kompetenz der beiden Politiker. Nur eine von 20 Korrelationen ist signifikant. Betrachter, die der Ansicht waren, dass Kohl eher als Lafontaine dafür sorgen wird, dass mehr für Recht und Ordnung getan wird, nahmen eher entsprechende Aussagen in diesem Sinne wahr als Betrachter, die nicht so dachten. Alle anderen Aussagen nahmen die Betrachter weitgehend unabhängig von ihren Meinungen über die beiden Politiker wahr. Tabelle 1 weist die signifikanten Zusammenhänge zwischen den Vorstellungen der Betrachter von einzelnen Eigenschaften der Politiker und ihrer Wahrnehmung dieser Eigenschaften anhand der aktuellen Berichterstattung aus.4 Positive Korrelationen belegen einen entsprechenden Einfluss, negative Korrelationen widersprechen der Annahme. Die Vielzahl der theoretisch möglichen, jedoch nicht signifikanten Korrelationen, die hier nicht eigens ausgewiesen werden, deutet darauf hin, dass die vermuteten Zusammenhänge nicht bestehen (Tabelle 1).5
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Tabelle 1: Einfluss einzelner Vorstellungen auf die Wahrnehmung entsprechender Eigenschaften Helmut Kohl verbal ambi- visuell valent
Oskar Lafontaine verbal ambi- visuell valent
Persönlichkeit (21 Skalen) Eindruck: «wird mit den anstehenden Problemen fertig «denkt vor allem an die Bürger «behält einen kühlen Kopf
.30
±
±
±
±
±
±
±
±
-.65
±
±
±
±
-.85
±
±
±
.71
.82
±
±
±
±
«wirkt nervös
±
±
±
±
-.86
±
«ist rücksichtslos
±
±
.97
±
±
±
1.00
±
±
±
±
.68
.61
±
±
±
±
±
«hat viel Erfahrung
«wirkt unbeherrscht Kompetenz (17 Skalen) Eindruck: «dass mehr für Recht und Ordnung getan wird p<0.05.
Einfluss der Meinungen über Kohl und Lafontaine auf den Gesamteindruck Die differenzierte Einschätzung der verbalen und visuellen Information über verschiedene Aspekte der Persönlichkeit und der Kompetenz der beiden Politiker vermittelt zwar detaillierte Kenntnisse über die Informationsverarbeitung der Zuschauer, sie entspricht jedoch nicht der eher ganzheitlichen Wahrnehmung von Fernsehnachrichten im Alltagsleben. Deshalb wurde zusätzlich der Gesamteindruck, den die Einstellungen vermittelten, auf fünfstufigen Skalen erhoben. Als Indikatoren für die Meinungen der Betrachter über die Persönlichkeit, bzw. die Kompetenz der beiden Politiker wird die Summe aller Aussagen über ihre 21 Persönlichkeitseigenschaften bzw. ihre 17 Kompetenzen betrachtet, die zwei 57
Wochen vor dem Betrachten der Fernsehnachrichten ermittelt worden waren. Zwischen den Meinungen der Betrachter über die Persönlichkeiten Kohls und Lafontaines und dem Gesamteindruck, den die Fernsehnachrichten von ihnen vermittelten, bestand kein Zusammenhang. Zwischen den Meinungen über die Kompetenz Lafontaines und dem Gesamteindruck von ihm bestand ebenfalls kein Zusammenhang. Die Betrachter nahmen die beiden Politiker alles in allem unabhängig von ihren Meinungen wahr. Dies trifft auf die Meinungen über die Kompetenz Kohls nicht zu. Zwischen den Meinungen über die Kompetenz Kohls und dem Gesamteindruck bestand ein schwacher negativer Zusammenhang. Das Bild, das die Betrachter anhand der Fernsehberichterstattung wahrnahmen, widersprach zumindest teilweise den Meinungen, die sie über seine Kompetenz hatten. Damit sprechen alle Ergebnisse gegen die Annahme, dass die Meinungen der Fernsehzuschauer einen wesentlichen Einfluss auf ihre Wahrnehmung von Politikern anhand der Nachrichten ausüben (Tabelle 2).6 Tabelle 2: Einfluss der Meinungen über die Persönlichkeit und der Kompetenz auf den Gesamteindruck. Meinungen über: Persönlichkeit Kompetenz
Kohl
Lafontaine
alle
(n)
129
46
175
(r)
-0.03
0.19
0.01
(n)
119
24
143
(r)
-0.25*
-0.19
-0.24*
*p<0.05.
Zusammenfassung in Interpretation Die wichtigsten Ergebnisse kann man zu fünf Feststellungen zusammenfassen: 1.
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Die Vorstellungen der Fernsehzuschauer von 21 Persönlichkeitseigenschaften Kohls und Lafontaines besaß einen Einfluss auf die Wahrnehmung von sieben dieser Eigenschaften anhand der aktuellen Berichterstattung. Alle anderen Eigenschaften nahmen sie unabhängig von ihren bereits bestehenden Vorstellungen wahr. Mit Blick auf Kohl handelte es sich um fünf, mit Blick auf Lafontaine um drei Eigenschaften.
2. 3.
4. 5.
Die Vorstellungen der Fernsehzuschauer von 17 Kompetenzen Kohls und Lafontaines besaß einen Einfluss auf die Wahrnehmung von einer dieser Eigenschaft. Dieser Effekt trat nur mit Blick auf Kohl ein. Die Vorstellungen der Fernsehzuschauer von den einzelnen Persönlichkeitseigenschaften Kohls und Lafontaines beeinflusste die Wahrnehmung von verbalen Informationen etwas häufiger als die Wahrnehmung von visuellen Informationen. Allerdings war der Unterschied nur gering (5 bzw. 3 Eigenschaften). Die Meinungen der Fernsehzuschauer über die Persönlichkeit Kohls und Lafontainen besaßen keinen Einfluss auf den Gesamteindruck, den die Fernsehnachrichten von ihnen vermittelten. Die Meinungen der Fernsehzuschauer über die Kompetenz Kohls besaßen einen leichten negativen Einfluss auf den Gesamteindruck, den die Fernsehnachrichten von ihm vermittelten. Ein vergleichbarer Effekt auf den Gesamteindruck von Lafontaine bestand nicht.
Der Einfluss der Vorstellungen der Fernsehzuschauer auf die Wahrnehmung von Politikern anhand der aktuellen Berichterstattung wurde anhand der Eindrücke von 29 Betrachtern untersucht. Eine deutlich größere Zahl von Betrachtern hätte aus statistischen Gründen zu einer größeren Zahl von signifikanten Korrelationen geführt. Dennoch wäre der Einfluss der Vorstellungen auf die Wahrnehmungen wegen der geringen Höhe der Korrelationen als schwach einzuschätzen. Bei der Wahrnehmung Kohls, für die relativ viele Messwerte vorliegen, beträgt der Durchschnitt der nichtsignifikanten Korrelationen zwischen den Vorstellungen der Betrachter und ihren Eindrücken anhand visueller Informationen .21 und anhand verbaler Informationen .17. Aufgrund der vorliegenden Ergebnisse kann man deshalb feststellen, dass die eingangs referierten Annahmen in ihrer Allgemeinheit falsch sind. Die Vorstellungen der Fernsehzuschauer besitzen zwar einen Einfluss auf die Wahrnehmung von Politikern anhand der aktuellen Fernsehberichterstattung. Dieser Einfluss ist jedoch schwach, betrifft nur wenige Eigenschaften und wäre, falls er sich auf weitere Eigenschaften erstrecken würde, nicht wesentlich bedeutsamer. Anders formuliert: Die Fernsehzuschauer nehmen im Gegensatz zu landläufigen Vermutungen Politiker anhand der aktuellen Fernsehberichterstattung weitgehend unabhängig von ihren Meinungen und Vorstellungen wahr. Dies gilt sowohl für den Gesamteindruck, den sie vermitteln, als auch für den Eindruck von einzelnen Eigenschaften ihrer Persönlichkeit sowie von ihren verschiedenen Kompetenzen. Die Annahme, die Vorstellungen der Fernsehzuschauer würden vor allem die Wahrnehmung der verbalen Informationen beeinflussen ist vermutlich ebenfalls falsch. Zwar deuten die Ergebnisse darauf hin, dass ihr Einfluss auf die
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Wahrnehmung verbaler Informationen etwas größer ist als ihr sehr geringerer Einfluss auf die Wahrnehmung visueller Informationen. Allerdings ist dieser Unterschied nur schwach ausgeprägt. Betrachtet man alle Ergebnisse zusammen, kann man feststellen, dass die Wahrnehmung der Fernsehschauer bei der aktuellen Berichterstattung über Politiker weit überwiegend stimulusabhängig ist. Im Vergleich dazu spielen die individuellen Meinungen und Vorstellungen der Zuschauer nur eine geringe Rolle. Die Ursachen der Wahrnehmungen liegen mit anderen Worten viel stärker in den Darstellungen des Fernsehens als in den Vorstellungen der Zuschauer.7 Die Wahrnehmung der Fernsehzuschauer muss von ihrer Beurteilung des Gesehenen und Gehörten unterschieden werden. Dies betrifft sowohl den Gesamteindruck, den sie von einem Politiker gewinnen, als auch den Eindruck von einzelnen Eigenschaften ihrer Persönlichkeit und von ihren verschiedenen Kompetenzen. So können Fernsehzuschauer durchaus anhand der aktuellen Berichterstattung einen positiven Gesamteindruck von einem Politiker gewinnen und trotzdem bei ihrer negativen Meinung über ihn bleiben. Auch können sie den Eindruck gewinnen, er sei bei dem berichteten Geschehen nervös und trotzdem an ihrer Vorstellung festhalten, er sei ein gelassener, in sich ruhender Mensch. Dies führt zu der weiter reichenden Frage nach dem Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Wirkung, die mit den hier vorliegenden Daten nicht beantwortet werden kann, sondern Gegenstand eines eigens dazu angelegten Experimentes ist.8
1
Die Studie wurde ursprünglich durchgeführt, um die Reliabilität eines neu entwickelten Messinstrumentes zu testen. Die Daten werden hier aber zur Klärung einer theoretischen und praktischen Frage genutzt. Zu den methodischen Aspekten vgl. Hans Mathias Kepplinger / Stefan Dahlem / Hans-Bernd Brosius: Helmut Kohl und Oskar Lafontaine im Fernsehen. Quellen der Wahrnehmung ihres Charakters und Kompetenz. In: Christina Holtz-Bacha / Lynda Lee Kaid (Hrsg.): Die Massenmedien im Wahlkampf. Opladen 1993, S. 144-184; Hans Mathias Kepplinger / Hans- Bernd Brosius / Stefan Dahlem: Wie das Fernsehen Wahlen beeinflußt. Theoretische Modelle und empirische Analysen. München 1994, S. 69-80; 2 Aufgrund des Stichprobenplanes waren insgesamt 193 Nachrichtensendungen zu analysieren. Davon lagen 172 für die Analyse vor. Die fehlenden Sendungen verteilten sich nahezu gleichmäßig auf die vier Sender. Mehr als zwei Drittel der verfügbaren Sendungen (119) enthielten Einstellung mit verbalen oder visuellen Hinweisen auf die Persönlichkeit oder die Kompetenz von Kohl oder Lafontaine. Diese 119 Sendungen bilden die Grundlage der vorliegenden Analyse. 3 Alle Korrelationen werden kausal interpretiert, weil die unabhängige Variable vor der abhängigen gemessen wurde und dadurch ein umgekehrter Einfluss ausgeschlossen ist.
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4
Die Befunde anhand von allen 38 Skalen können der Erstveröffentlichung (1993) entnommen werden. Die größere Zahl signifikanter Korrelationen zwischen den Vorstellungen von Kohl und der Wahrnehmung von Kohl anhand der Berichterstattung ist darauf zurückzuführen, dass das Fernsehen über ihn wesentlich häufiger berichtete, so dass in den Berechnungen eine größere Zahl von Beobachtungen einging. 5 Nach einer ähnlich angelegten Nachfolgestudie anhand der Bundestagswahl 1998 besaßen die Vorstellungen der Betrachter, die Kandidaten seien Äsympathisch³, bzw. Äunsicher³ einen schwachen bis mittleren Einfluss auf ihre Wahrnehmung anhand von Filmbeiträgen (r=.16 bis .35). Der Einfluss anderer Vorstellungen wurde nicht erfasst. Vgl. Marcus Maurer / Olaf Jandura: Kontrast oder Konsistenz? Ein Feldexperiment zum Einfluss der Kanzlerpräferenz auf das Codierverhalten bei Inhaltsanalysen in Wahlkämpfen. In: Werner Wirth / Edmund Lauf (Hrsg.): Inhaltsanalyse. Köln 2001, S. 183198. 6 In der in Fußnote 5 erwähnten Nachfolgestudie besaßen die Kanzlerpräferenzen der Betrachter keinen Einfluss auf die Beurteilung der Gesamttendenz der Darstellung von Schröder und einen schwach negativen Einfluss (r=-.15) auf die Beurteilung der Darstellung von Kohl anhand von Filmbeiträgen. 7 Theoretisch wäre zu ergänzen: Sie liegen im Verhalten der Dargestellten und ihrer Partner. Diese Annahme ist jedoch aus zwei Gründen fragwürdig. Zum einen hängt das Verhalten der Dargestellten z. T. von den Umständen der Berichterstattung ab. Zum anderen handelt es sich bei der Darstellung in der Regel nur um einen kurzen Ausschnitt aus allen verfügbaren Aufnahmen. In welchem Maße die Dargestellten oder die Darstellenden für das Erscheinungsbild verantwortlich sind, ist eine Frage, die nur empirisch beantwortet werden kann. Vgl. dazu ÄIdentitätsprobleme der Personenwahrnehmung anhand von Fotos³. In diesem Band, S. 105; und ÄCharakterfiktionen von Politikern in politischen Magazinen³, ebenda, S. 123. 8 Vgl. hierzu ÄStabilität der Personenwahrnehmung anhand von Fotos³. In diesem Band, S. 143 sowie ÄGeneralisierungen der Personanwahrnehmung anhand von Fotos³ ebenda, S. 157.
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Einfluss von Kameraperspektiven auf die Wahrnehmung von Politikern
Über den Einfluss von Kameraperspektiven auf die Wahrnehmung einer Person geben drei Arten von Quellen Auskunft, die sich teilweise widersprechen: Aussagen von Filmtheoretikern, Aussagen von Kameramännern und Ergebnisse von Experimenten. Filmtheoretiker vermuten, dass Aufnahmen aus der Untersicht (Froschperspektive) die Bedeutung und Überlegenheit eines Menschen unterstreichen. Rudolf Arnheim findet vor allem in den russischen Revolutionsfilmen Eisensteins Ädas Monumentale, Wichtige eines Menschen ... dadurch charakterisiert, dass der Schauspieler von unten her aufgenommen ist...³.1 Pierre Kandorfer vermutet, dass von unten nach oben aufgenommene Personen Äselbstbewusst, heldenhaft, überlegen, arrogant, diktatorisch oder dämonisch, unheimlich³ erscheinen.2 Auch in Lehrbüchern für Fernsehproduzenten wird die Auffassung vertreten, dass Aufnahmen aus der Untersicht die Wichtigkeit einer Person betonen.3 Über die Wirkung von Aufnahmen aus der Draufsicht (Vogelperspektive) werden die gegenteiligen Effekte wie bei Aufnahmen aus der Untersicht vermutet. Eine von oben gefilmte Person erscheint demnach als Äeinsam, armselig, erniedrigt³,4 als Äunbedeutend³5 oder als Äschwach³.6 Für Balázs ist es das Charakteristische des Films, dass die Einstellungen und der Blickwinkel der Kamera den Dingen ihre Form geben, Ä... und zwar in so hohem Maße, dass zwei unter verschiedenen Blickwinkeln gezeichnete Bilder ein und desselben Gegenstandes einander oft gar nicht ähnlich sind³.7 Angesichts dieser weitgehenden Feststellungen ist es erstaunlich, dass Filmtheoretiker generell von Unter- oder Draufsicht sprechen, ohne genauere Angaben über die jeweiligen Aufnahmewinkel zu machen. Dies erschwert die Interpretation ihrer Aussagen und lässt eine empirische Prüfung ihrer Thesen nicht zu. Kameraleute stimmen mit den Vermutungen von Filmtheoretikern nur teilweise überein. Diese Feststellung stützt sich auf die Ergebnisse einer schriftlichen Befragung der Kameraleute des Südwestfunk und des Hessischen Rundfunk sowie einer Zufallsauswahl von Kameraleuten aus dem ÄJahrbuch des deutschen Kameramannes³. An der Umfrage, die im Sommer 1979 von Willy Loderhose durchgeführt wurde, nahmen 151 Personen teil.8 Fast alle Befragten vertraten die Auffassung, dass es Äsehr gut möglich³ oder Äschon möglich³ ist, mit rein opti-
schen Mitteln Personen besonders positiv oder besonders negativ erscheinen (zu) lassen³. Auf die Frage, welche technischen Mittel sie einsetzen würden, um eine Person aufzunehmen, die sie besonders sympathisch finden, nannten zwei Drittel der Befragten die Aufnahme aus der Augenhöhe, ein weiteres Viertel entschied sich für die leichte Drauf- oder Untersicht. Kein einziger Kameramann nannte die starke Unter- oder Draufsicht. In einer projektiven Frage wurden die Kameramänner gebeten, über die Wirkungen Auskunft zu geben, die sie mit bestimmten Kameraperspektiven erreichen wollen. Hierzu wurde ihnen eine Liste mit sechs positiven und sechs negativen Effekten vorgelegt. Die Kameraleute antworteten, dass die Aufnahmen aus der Augenhöhe nach ihrer Ansicht überwiegend positive Eindrücke vermitteln, während die starke Unter- oder Draufsicht überwiegend negative Eindrücke hervorrufen. In der Beurteilung der leichten Unter- und Draufsicht waren die Ansichten weniger eindeutig. Im Einzelnen wurden folgende Vermutungen geäußert: Mit Aufnahmen aus Augenhöhe kann vor allem ÄSympathie³ erzeugt und der Eindruck von ÄRuhe³ und ÄUngezwungenheit³ vermittelt werden. Mit Aufnahmen aus der starken Untersicht kann sowohl ÄAntipathie³ erzeugt, als auch der Eindruck von ÄKraft³ hervorgerufen werden. Diese Aussagen widersprechen teilweise den Vermutungen der Filmtheoretiker. Weitgehende Übereinstimmung besteht dagegen in der Beurteilung der starken Draufsicht (wenn man die globalen Äußerungen der Filmtheoretiker in dieser Weise präzisiert): Aufnahmen aus der starken Draufsicht vermitteln vor allem den Eindruck von ÄSchwäche³ und ÄLeere³. Experimente zum Einfluss von Kameraperspektiven auf die Wahrnehmung von Personen zeigen widersprüchliche Ergebnisse. Bisher wurden sechs derartige Studien durchgeführt, dabei wurden in einer Studie der horizontale, in fünf Studien der vertikale Kamerawinkel variiert. Jon Baggaley analysierte den Einfluss verschiedener Aufnahmewinkel in einer horizontalen Ebene. Hierfür wurde eine Person, die eine Stellungnahme zu einem politischen Thema abgab, gleichzeitig von vorne und aus dem Halbprofil aufgenommen. Als abhängige Variable wurde die Personenwahrnehmung mit Hilfe eines Semantischen Differentials aus 14 Einzelskalen gemessen. Bei der Aufnahme aus dem Halbprofil wurde die Person als Ävertrauenswürdiger³ und Äsachkundiger³ beurteilt als bei der Aufnahme von vorne. Auch bei den übrigen 12 Skalen fiel die Beurteilung des Redners in der Halbprofil-Version besser aus, allerdings waren die Unterschiede hier nicht signifikant.9 Robert K. Tiemens10 nahm drei Nachrichtensprecher, die verschiedene Meldungen verlasen, gleichzeitig aus drei verschiedenen Kamerawinkeln auf, so dass sich insgesamt neun verschiedene Testfilme ergaben. Tiemens verwendete folgende Kamerawinkel: starke Untersicht (-18°), Augenhöhe und starke Drauf-
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sicht (+18°). Als abhängige Variablen wurden die Meinungsänderungen zu den Themen der Nachrichtensendung, der Informationstransfer, die Erinnerung an einen Werbespot innerhalb der Sendung und die Beurteilung des Nachrichtensprechers untersucht. Die Kameraperspektiven besaßen keinen Einfluss auf die Meinungen der Versuchspersonen zu den in den Nachrichten behandelten Themen, auf den Informationstransfer und auf die Erinnerung an einen Werbespot. Nur einer der drei Nachrichtensprecher wurde signifikant unterschiedlich beurteilt. Bei der Aufnahme aus der starken Untersicht wirkte er Äkommunikativer³, Äkenntnisreicher³ und Äzuverlässiger³ als bei den Aufnahmen aus den anderen Kameraperspektiven. Den schlechtesten Eindruck vermittelte die Aufnahme aus der starken Draufsicht. Die Studie von Tiemens bestätigt die Annahmen von Filmtheoretikern und Kameramännern über die Wirkung der starken Draufsicht, sie widerspricht jedoch ihren Vermutungen über die Wirkung der starken Untersicht. Lee M. Mandell und Donald L. Shaw11 untersuchten den Einfluss von Kamerawinkel und Körperbewegung einer im Film dargestellten Person auf die Wahrnehmung dieser Person durch die Zuschauer. In eine normale Nachrichtensendung von rund 46 Minuten Länge schnitten sie eine zwanzig Sekunden lange Aufnahme eines fiktiven Politikers ein, über den gleichzeitig eine Nachricht verlesen wurde. Der Politiker wurde aus der leichten Untersicht (-12°), aus der Augenhöhe und aus der leichten Draufsicht (+12°) aufgenommen. Zusätzlich wurde seine Körperbewegung variiert. Abhängige Variablen waren der Informationstransfer, die Auffälligkeit der Kameraperspektive und die Personenwahrnehmung. Die Personenwahrnehmung wurde mit Hilfe eines Semantischen Differentials gemessen. Mandell und Shaw erwähnen keine Ergebnisse für die Wirkung der Kameraperspektive auf den Informationstransfer. Man kann daher vermuten, dass sich keine signifikanten Unterschiede ergaben. Von den 78 Versuchspersonen, die die Aufnahmen aus der leichten Unter- bzw. Draufsicht gesehen hatten, äußerten 13, dass ihnen der Kamerawinkel aufgefallen sei. Eine Faktorenanaylse der Ergebnisse des Semantischen Differentials ergab die Faktoren ÄBewertung³, ÄPotenz³ und ÄAktivität³. Sie bildeten die Grundlage für die weitere Datenanalyse. Die Kamerawinkel beeinflussten die Beurteilung des Politikers auf den beiden Faktoren ÄPotenz³ und ÄAktivität³. Auf beiden Dimensionen wurde der Politiker am günstigsten bei der leichten Untersicht, am schlechtesten bei der leichten Draufsicht wahrgenommen. Die Ergebnisse für den Faktor ÄBewertung³ weisen in die gleiche Richtung, sind aber nicht signifikant. Betrachtet man die Skalen, die nach den Angaben der Autoren am stärksten auf den einzelnen Faktoren laden, dann erschien der Politiker bei der leichten Untersicht Ästark³, Ähart³, Ästreng³, Äunbedacht³, Äaktiv³, Äschnell³, Älebhaft³ und (mit Vorbehalt) Ädankbar³, Äfröhlich³, Äerfolgreich³, Äwertvoll³ und Äklug³. Bei der
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Aufnahme aus der leichten Draufsicht vermittelte er dagegen eher die jeweils entgegengesetzten Eindrücke. Die Werte für die Aufnahme aus der Augenhöhe liegen jeweils dazwischen. Die Studien von Tiemens bzw. Mandell und Shaw sind wegen der unterschiedlichen Aufnahmewinkel und der verschiedenartigen Messverfahren nur bedingt vergleichbar. Dennoch erhärtet das Experiment von Mandell und Shaw die Vermutungen und Befunde über die generell eher negativen Wirkungen der Draufsicht und die teilweise positiven, teilweise negativen Wirkungen der Untersicht. Robert E. Beverly und Thomas J. Young variierten in ihrer Untersuchung ausschließlich den Kamerawinkel.12 Während ein Sprecher einen Magazinbeitrag verlas, wurde er gleichzeitig aus vier verschiedenen Perspektiven aufgenommen: aus mittlerer Draufsicht (+14°), aus Augenhöhe, aus mittlerer Untersicht (-14°) sowie aus starker Untersicht (-18°). Der Bildausschnitt wurde jeweils konstant gehalten. Als abhängige Variablen wurden seine Glaubwürdigkeit und verschiedene physische, soziale und emotionale Eigenschaften erfasst, die die Versuchspersonen dem Sprecher attribuierten. Beverly und Young werteten die Beurteilung des Sprechers durch die Versuchspersonen auf zwei verschiedenen Wegen aus: Im ersten Schritt analysierten sie die Effekte des Kamerawinkels auf alle abhängigen Variablen zusammengenommen. Hintergrund für diese Analyse ist ihre Annahme, dass die Wahrnehmung von Personen im Fernsehen in Prozessen verläuft, die gestalttheoretisch zu erklären sind, weil der Zuschauer einen einheitlichen Eindruck von der gezeigten Person gewinnt. Die multivariate Analyse ergab signifikante Wahrnehmungsunterschiede zwischen der Aufnahme aus mittlerer Draufsicht und allen anderen Kamerawinkeln. Im zweiten Schritt analysierten sie die Effekte der Kamerawinkel auf die Wahrnehmung der Person im Hinblick auf einzelne Eigenschaftsdimensionen. Es ergaben sich signifikante Effekte für die Wahrnehmung der Glaubwürdigkeit, der Anziehungskraft, der Dominanz und der interpersonalen Nähe. Bei allen Merkmalen führte die Aufnahme aus der mittleren Untersicht (-14°) zur besten Wahrnehmung der gezeigten Person. Die Autoren sehen damit die Ergebnisse vorangegangener Studien in wesentlichen Teilen widerlegt und die Annahmen der frühen Filmtheoretiker bestätigt. Die umfangreichste Variation des Kamerawinkels wurde in der Untersuchung von Thomas A. McCain, Joseph Chilberg und Jacob Wakshlag13 vorgenommen. Die Autoren filmten vier Redner jeweils gleichzeitig aus fünf verschiedenen Kameraperspektiven: aus der starken Untersicht (-18°), aus der sehr leichten Untersicht (-9°), aus der Augenhöhe, aus der sehr leichten Draufsicht (+9°) sowie aus der starken Draufsicht (+18°). Die vier Redner hielten alle die gleiche Rede über Probleme der Notengebung. Die Untersuchung besaß ein 4x5 faktorielles Design, so dass insgesamt 20 verschiedene Filmversionen getestet
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wurden. Als unabhängige Variable wurde nur der Kamerawinkel betrachtet. Unterschiede, die durch die verschiedenen Redner auftraten, wurden bei der Analyse nicht berücksichtigt. Als einzige abhängige Variable wurde die Personenwahrnehmung getestet. Sie wurde mit Hilfe eines Semantischen Differentials aus 24 Einzelskalen gemessen. Eine Faktorenanalyse der Ergebnisse des Semantischen Differentials ergab vier unterschiedliche Dimensionen der Personenwahrnehmung: ÄKompetenz³, ÄGelassenheit³, ÄGeselligkeit³ und ÄDynamik³. Sie bildeten die Grundlage der weiteren Datenanalyse. Mit Ausnahme des Faktors ÄDynamik³ zeigen sich für alle Beurteilungsdimensionen signifikante Wahrnehmungsunterschiede Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass die Person umso besser beurteilt wurde, je höher die Kamera postiert war. Die Aufnahmen aus der Untersicht vermittelten mit einer Ausnahme die jeweils schlechtesten Eindrücke von dem Redner. Die Ergebnisse widersprechen damit den Ergebnissen der zuvor genannten Studien, den Aussagen der Kameramänner und den Wirkungsvermutungen in der filmtheoretischen Literatur. Eine Zusammenfassung der bisher vorliegenden Aussagen über die Wirkung vertikaler Kameraperspektiven auf die Personenwahrnehmung führt zu folgenden Feststellungen: In der filmtheoretischen Literatur wird den Aufnahmen aus der Untersicht weitgehend einheitlich die Wirkung beigemessen, eine Person bedeutender, überlegener, aber auch dämonischer erscheinen zu lassen. Kameraleute beurteilen die Aufnahme aus der Augenhöhe oder aus der leichten Unter- und Draufsicht als die besten Möglichkeiten, eine Person günstig darzustellen. Auf die Frage nach speziellen Wirkungsmöglichkeiten nennen sie Sympathie, Ruhe und Ungezwungenheit als Effekte der Aufnahme aus der Augenhöhe, Antipathie und Kraft als Effekte der Aufnahmen aus starker Untersicht. Mit dieser zuletzt genannten Wirkungsvermutung finden sie sich im Einklang mit der filmtheoretischen Literatur. Die experimentellen Studien kommen zu keinem einheitlichen Ergebnis. Tiemens fand lediglich für eine seiner im Film gezeigten Personen signifikante Wirkungsunterschiede. Bei starker Untersicht erscheinen sie kommunikativer, kenntnisreicher und zuverlässiger. Mandell und Shaw ermittelten, dass die leichte Untersicht zu einer positiveren Beurteilung der gezeigten Person auf den Eigenschaftsdimensionen ÄPotenz³ und ÄAktivität³ führte. McCain und seine Mitautoren kamen zu dem Ergebnis, dass die gezeigte Person bei Aufnahmen aus der starken Draufsicht als kompetenter, geselliger und gelassener angesehen wurde als bei den vorigen Versionen. Beverly und Young fanden einen signifikanten Effekt auf allen von ihnen untersuchten Wahrnehmungsdimensionen. Bei ihnen hinterließ der Redner den insgesamt besten Eindruck bei der Aufnahme aus der mittleren Untersicht. Tiemens und vermutlich auch Mandell und Shaw fanden keinen Einfluss von Kameraperspektiven auf die Vermittlung von Informationen.
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Die Unterschiede und Widersprüche zwischen verschiedenen Quellen können auf fünf Ursachen zurückgeführt werden. Erstens, die Aussagen der Filmtheoretiker sind ungenau und lassen zahlreiche Interpretationen zu. Man kann deshalb nicht feststellen, ob verschiedene Theoretiker die Begriffe gleich gebrauchen. Darüber hinaus sind ihre Wirkungsvermutungen so global oder normativ formuliert, dass sie in dieser Form einer empirischen Überprüfung nicht zugänglich sind. Zweitens, in allen Studien wurden Aufnahmen aus der Augenhöhe gezeigt. Die anderen Testfilme wurden aber zum Teil aus verschiedenen Perspektiven aufgenommen Abbildung 1 zeigt die verwandten Aufnahmewinkel im Überblick. Außerdem enthält sie die Perspektiven des hier vorliegenden Experimentes, das 1987 erstmals publiziert wurde. Abbildung 1:
Kameraperspektiven in der vorliegenden und in vorangegangenen Untersuchungen ± ein Überblick ± + 31° Kepplinger/Donsbach 1987
Tiemens 1970; McCain/Chilberg/Wakshlag 1977; + 18° Kepplinger/Donsbach 1987 + 14° Beverly/Young 1973; + 12° Mandell/Shaw 1973; Kepplinger / Donsbach 1987 + 9° McCain/Chilberg/Wakshlag 1977 Tiemens 1970; Mandell/Shaw 1973; 0° McCain/Chilberg/Wakshlag 1977; Beverly/Young 1978; Kepplinger/Donsbach 1987 + 9° McCain/Chilberg/Wakshlag 1977 + 12° Mandell/Shaw 1973; Kepplinger/Donsbach 1987 + 14° Beverly/Young 1973; + 18° Tiemens 1970; McCain/Chilberg/Wakshlag 1977; Beverly/Young 1978; Kepplinger/Donsbach 1987
+ 31° Kepplinger/Donsbach 1987
Drittens, die Aufnahmen aus verschiedenen Perspektiven wurden unterschiedlich präsentiert. In einigen Fällen wurden sie in größere Beiträge geschnitten, in anderen Fällen ohne filmisches Umfeld gezeigt. Viertens, die Wahrneh-
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mung der Redner, die in den Testfilmen gezeigt wurden, wurde mit unterschiedlichen Instrumenten gemessen (Rangordnung, Semantisches Differential). Auch der Informationstransfer wurde unterschiedlich ermittelt. Fünftens, die Semantischen Differentiale, die in einigen Studien verwandt wurden, bestanden aus unterschiedlichen Skalen. Dadurch ergaben sich bei den Faktorenanalysen unterschiedliche Lösungen. Weil die Ergebnisse auf den einzelnen Skalen nicht ausgewiesen wurden, sind sie selbst dann nicht vergleichbar, wenn die Messinstrumente teilweise übereinstimmten. Wegen der unterschiedlichen Testfilme, der verschiedenen Messinstrumente und der differierenden Analysetechniken können die Ergebnisse der referierten Studien nicht gegeneinander abgewogen werden. In der folgenden Untersuchung wird der Versuch unternommen, einige grundlegende Informationen über den Einfluss vertikaler Kameraperspektiven auf die Personenwahrnehmung und den Informationstransfer zu ermitteln. Untersuchungsanlage Für die vorliegende Untersuchung wurden sieben Testfilme produziert, die verschiedene Versionen einer Rede zeigen. Der Redner wurde gleichzeitig mit drei Kameras aufgenommen, die im Abstand von 0,85 Meter montiert waren. Die mittlere Kamera befand sich in Augenhöhe des Redners, die beiden anderen dahinter bzw. darüber. Die Kameras waren auf einer Linie postiert, die 1 Meter seitlich von der Mitte des Rednerpultes verlief, sie nahmen den Redner also leicht schräg im Profil auf. Der Redner wurde mit den drei Kameras dreimal gefilmt. Die Abstände zwischen den Kameras und der Grundlinie betrugen dabei 1 Meter, 2,50 Meter und 4 Meter. Abbildung 2 zeigt die Kamerapositionen. Der Bildausschnitt ± es handelte sich um eine Nahaufnahme, die den Kopf und einen Teil des Oberkörpers zeigte ± war bei allen drei Aufnahmen gleich. Insgesamt wurden neun Filmversionen produziert, für die die Aufnahmehöhe und die Aufnahmedistanz unabhängig voneinander variiert worden waren. Mit Hilfe der neun Testfilme hätte theoretisch ein 3x3 faktorielles Experiment durchgeführt werden können. Die Aufnahmen, die mit der mittleren Kamera gemacht worden waren, dienten der Kontrolle der nacheinander folgenden Aufnahmen. Nachdem festgestellt worden war, dass die Versionen kaum zu unterscheiden waren, weil sich der Redner bei allen drei Fassungen weitgehend gleich verhalten hatte, wurden die aus 1 und 4 Meter Entfernung gedrehten Versionen nicht weiter verwandt. Die sieben verbliebenen Filme bildeten das Testmaterial für ein einfaktorielles Experiment, in dem die Kameraperspektive als unabhängige Variable manipuliert wurde.
69
Die einzelnen Kamerawinkel wurden unter Berücksichtigung der seitlichen Versetzung der Kamera berechnet. Dabei wurden folgende Werte ermittelt: +31° +18° +11,5° 0°
= = = =
Extreme Draufsicht Starke Draufsicht Leichte Draufsicht Augenhöhe
-11,5° -18° -31°
= = =
Leichte Untersicht Starke Untersicht Extreme Untersicht
Die Testfilme zeigen einen etwa 45jährigen Mann, der eine Rede über Probleme der Energieversorgung hielt. Der Inhalt der Rede war politisch neutral, d. h. der Redner vertrat nicht die Ansicht einer bestimmten Partei. Der Redner stand an einem Rednerpult mit Mikrophonen, die sein Gesicht nicht verdeckten. Im Hintergrund war ein blaues Plakat mit der teilweise lesbaren Aufschrift ÄEnergieForum³ zu sehen. Jeder Testfilm wurde durch eine kurze Einführung eines Journalisten eingeleitet, in der der Redner als Äenergiepolitischer Sprecher des Bundestages³ vorgestellt wurde. Der Journalist war ein etwa 30jähriger Mann. Er wurde aus der Augenhöhe aufgenommen. Die Einführung dauerte etwa 15 Sekunden, die Rede etwa 90 Sekunden. Sowohl der Redner als auch der Journalist waren den Versuchspersonen unbekannt. Abbildung 2:
Positionen der Kameras 18°
11,5°
31°
0°
31°
11,5°
18°
1m 1m
70
2,5 m
4m
Das Experiment wurde in der Landespolizeischule Rheinland-Pfalz durchgeführt. An der Untersuchung nahmen 161 Versuchspersonen teil. Fast alle Versuchspersonen waren Männer, die überwiegende Mehrheit befand sich im Alter zwischen 20 und 34 Jahren Hinsichtlich ihrer politischen Einstellung waren die Versuchspersonen normalverteilt. Aus organisatorischen Gründen war eine Zufallszuweisung der Versuchspersonen auf die Testbedingungen nicht möglich. Wegen der großen Homogenität der gesamten Versuchsgruppe und der Normalverteilung der politischen Einstellungen sind die Testgruppen jedoch weitgehend egalisiert. Signifikante Unterschiede der erwähnten Merkmale wurden nicht gefunden. Die Anzahl der Versuchspersonen innerhalb der einzelnen Gruppen variierte zwischen 20 und 26. Die Wahrnehmung des Redners wurde mit Hilfe eines Semantischen Differentials aus 20 Skalen gemessen. Die Skalen waren in mehreren Pretests aus einer größeren Anzahl von Skalen aufgrund ihrer Trennschärfe ausgewählt worden. Jede der 20 Skalen bestand aus zwei gegensätzlichen Begriffen, die die positive und negative Ausprägung einer Eigenschaft bezeichneten. Die positiven bzw. negativen Bezeichnungen wurden im Semantischen Differential in zufälliger Reihenfolge links und rechts angeordnet, der positivste Wert jedoch immer mit 7, der negativste Wert mit 1 verschlüsselt. Hohe Werte zeigen deshalb generell positive, niedrige Werte negative Effekte an. Der Informationstransfer wurde mit einem Lückentest gemessen. Dazu wurden in dem Redetext des Politikers, der den Versuchspersonen vorlag, einige Worte gestrichen. Die Versuchspersonen mussten die fehlenden Worte nach ihrer Erinnerung eintragen. In einem Pretest war zuvor für jedes einzelne Wort die Wahrscheinlichkeit ermittelt worden, mit der eine Person, die die Rede nicht gehört hatte, das Wort erraten konnte. Die Ergebnisse des Lückentests wurden mit den ermittelten Werten (Redundanzfaktoren) gewichtet.14 Die Wahrnehmung der Kameraperspektiven wurde mit der Frage ermittelt, welche Darstellungsmittel den Versuchspersonen besonders aufgefallen waren. Sie konnten dabei sieben verschiedene Mittel ankreuzen, von denen jedoch nur der Kamerawinkel im Experiment manipuliert worden war. Die Frage lautete: ÄIst Ihnen an der Art, wie der Politiker aufgenommen worden war, etwas aufgefallen?³ Das Urteil der Versuchspersonen über die Tendenz der Darstellung des Redners wurde mit einer Frage ermittelt, die vier globale Aussagen vorgab. Sie lautete: ÄBitte denken Sie noch einmal an den Film, den Sie gerade gesehen haben: War der Politiker nach Ihrer Meinung eher günstig oder eher ungünstig aufgenommen?³ Zusätzlich zu den Fragen zum Testfilm wurden einige Fragen zu den Fernsehgewohnheiten, dem politischen Interesse und der politischen Einstellung der Versuchspersonen gestellt. Die politische Einstellung wurde mit
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einer siebenstufigen Skala gemessen. Die Endpunkte der Skala waren als links³ und Ärechts³, der mittlere Punkt als ÄMitte³ gekennzeichnet. Ergebnisse Wahrnehmung der Kameraperspektiven Mehr als die Hälfte der Versuchspersonen in allen Testgruppen kreuzten auf die Frage, was ihnen bei den Aufnahmen aufgefallen sei, die Kameraperspektive an. Dies kann man auf zwei Weisen interpretieren. Man kann zum einen annehmen, dass tatsächlich alle Kameraperspektiven in irgendeiner Hinsicht für einen großen Teil der Versuchspersonen auffällig waren. Zum anderen kann man annehmen, dass ein Teil der Versuchspersonen in allen Testgruppen durch die vorangegangenen Fragen sensibilisiert war und die entsprechende Antwortvorgabe ankreuzte, um ihre besondere Aufmerksamkeit zu dokumentieren. In beiden Fällen wird man nicht die absolute Zahl der Antworten, sondern die Unterschiede zwischen den Testgruppen interpretieren müssen. Dabei zeigt es sich, dass die Versuchspersonen die Kameraperspektiven um so häufiger als auffällig bezeichneten, je stärker die Aufnahmewinkel der Testfilme, die sie gesehen hatten, von der Horizontalen abwichen. Allerdings erschienen ihnen auch die Aufnahmen aus der Augenhöhe relativ häufig als auffällig. In fast allen Testgruppen beurteilten die meisten Versuchspersonen die optische Darstellung des Redners als Äeher ungünstig³. Eine Ausnahme bildeten nur die Versuchspersonen, die den Redner aus der leichten Untersicht (-11,5°) gesehen hatten. Von ihnen gaben nur 46 Prozent an, der Redner sei Äeher ungünstig³ aufgenommen gewesen. Am schlechtesten beurteilten die Versuchspersonen die Aufnahmen aus der extremen Draufsicht (96 Prozent Äeher ungünstig³), der starken Draufsicht (90 Prozent Äeher ungünstig³) und der extremen Untersicht (85 Prozent Äeher ungünstig³). Informationstransfer Die sieben Kamerawinkel besaßen keinen signifikanten Einfluss auf den Informationstransfer. Grundlage der Aussage ist eine einfache Varianzanalyse. Dabei wurden die Mittelwerte der einzelnen Testgruppen verglichen. Die Mittelwerte waren aus den mit den Redundanzfaktoren gewichteten Ergebnissen des Lückentests errechnet worden. Die Versuchspersonen in allen Testgruppen hatten nach den vorliegenden Ergebnissen die Aussagen des Redners ähnlich gut bzw. schlecht behalten. Dies bestätigt die Ergebnisse von Tiemens15 und eines weite-
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ren Experimentes der Verfasser über die Wirkung von Kameraperspektive und politischer Distanz auf die Wahrnehmung eines parteipolitischen Redners.16 Eine Ausnahme bildeten die Versuchspersonen, die den Redner aus der leichten Untersicht (-11Ã5°) gesehen hatten. Sie hatten die Informationen deutlich besser behalten. Urteile über die Darstellung Zwischen der Auffälligkeit der Kameraperspektiven und wahrgenommenen Tendenz der Aufnahmen bestand ein Zusammenhang: je unauffälliger eine Kameraperspektive war, desto günstiger wurde die Aufnahme einer Person beurteilt. Der Zusammenhang zwischen beiden Variablen wurde mit Hilfe des Kontingenz-Koeffizienten ermittelt werden. Dazu wurden die Antworten Ägünstig³, Äneutral³ und Äkeine konkrete Angabe³ zu einer Kategorie zusammengefasst und den Antworten Äungünstig³ gegenübergestellt. Der Kontingenz-Koeffizient beträgt C=0,29. Die erwähnten Ergebnisse ermöglichen eine erste generelle Aussage: Aufnahmen aus der leichten Untersicht sind am wenigsten auffällig, werden günstiger von den Versuchspersonen beurteilt und vermitteln den Zuschauern die meisten Informationen (Tabelle 1). Tabelle 1: Auffälligkeit der Kameraperspektiven, Urteile über die Tendenz der Darstellungen und Informationstransfer Kameraperspektive Extreme Starke Leichte Leichte Starke Extreme Unter- Unter- Unter- Augen- Drauf- Drauf- Draufsicht sicht sicht höhe sicht sicht sicht (-31°)
(-18°) (-11,5°)
(0°)
(+11,5°) (+18°) (+31°)
Auffälligkeit*
89
55
46
70
68
95
100
wahrg. Tendenz**
85
50
46
70
56
90
96
Inf.-Vermittl.***
8,1
7,7
10,2
7,7
6,6
7,9
7,9
*Ausgewiesen ist der Prozentsatz derjenigen, die angaben, dass ihnen die Kameraperspektive aufgefallen ist. **Ausgewiesen ist der Prozentsatz derjenigen, die die Darstellung des Politikers als Äeher ungünstig³ beurteilten. ***Ausgewiesen sind Mittelwerte. Signifikante Unterschiede bestehen nur zwischen der Aufnahme aus der leichten Untersicht und allen anderen Aufnahmen mit Ausnahme der starken Draufsicht (t-Test, p<0.05).
73
Gesamteindruck vom Redner Die sieben Kameraperspektiven beeinflussten die Wahrnehmung des Redners statistisch signifikant auf fünf der 20 Skalen des Semantischen Differentials. Grundlage dieser Feststellung ist eine einfache Varianzanalyse. Als statistisch signifikant werden Ergebnisse mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von maximal 5 Prozent betrachtet. Es handelt sich um die Skalen aktiv-passiv, gewaltlosgewaltsam, entspannt-angespannt, zurückhaltend-aufdringlich, friedlich-angriffslustig. Ersten Aufschluss über die generellen Wirkungsunterschiede der sieben Kamerawinkel ergeben Analysen, zu denen diese fünf Skalen zusammengefasst werden. Dabei wird zwischen der Tendenz und der Homogenität der Wahrnehmung unterschieden. Unter der Tendenz der Wahrnehmung wird der Grad der positiven oder negativen Beurteilung des Redners verstanden. Ihr Maß ist der Mittelwert aus den Urteilen der sieben Testgruppen auf allen fünf Skalen. Je höher dieser Mittelwert ist, desto positiver wurde der Redner wahrgenommen, unabhängig davon, um welche Eigenschaften es sich dabei im Einzelnen handelte. Eine einfache Varianzanalyse der Ergebnisse auf den fünf Skalen zeigt keinen signifikanten Einfluss der Kameraperspektiven auf die Tendenz der Wahrnehmung. Dieses Ergebnis scheint die Annahme zu widerlegen, dass mit unterschiedlichen Kameraperspektiven die Personenwahrnehmung beeinflusst werden kann. Unter der Homogenität der Wahrnehmung wird die Ähnlichkeit der Bewertung des Redners hinsichtlich verschiedener Eigenschaften verstanden. Sie wurde auf folgende Weise ermittelt: Aus den Urteilen jeder Testperson auf den fünf Skalen wurde die Standardabweichung berechnet. Die Standardabweichung ist ein Maß für die individuelle Streubreite der positiven und negativen Urteile. Je kleiner sie ist, desto einheitlicher ist die positive oder negative Bewertung des Redners auf den verschiedenen Skalen. Je größer sie ist, desto unterschiedlicher, diskrepanter ist seine Beurteilung. Sein Bild erscheint im Extremfall als widersprüchlich. Aus den Standardabweichungen wurde für jede Testgruppe der Mittelwert berechnet. Der Mittelwert der Standardabweichungen gibt Auskunft über die mittlere Homogenität der Wahrnehmungen der Versuchpersonen unter den verschiedenen Aufnahmebedingungen. Die Kameraperspektiven beeinflussten signifikant die Homogenität der Wahrnehmung des Redners. Grundlage dieser Feststellung ist eine einfache Varianzanalyse. Die Aufnahmen aus der extremen Draufsicht, aus der Augenhöhe und aus der extremen Untersicht führten zu einer wesentlich geringeren Streuung und damit zu einer homogeneren Wahrnehmung des Redners als die Aufnahmen aus den übrigen Kameraperspektiven. Die geringste Homogenität erzeugten die Aufnahmen aus der starken Draufsicht und der starken Untersicht. Erstaunli-
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cherweise bewirken die beiden Extremperspektiven ebenso homogene Wahrnehmungen wie die Aufnahmen aus der Augenhöhe (Tabelle 2). Tabelle 2: Einfluss der Kameraperspektiven auf Tendenz und Homogenität der Wahrnehmung des Redners ± Mittelwerte der Mittelwerte der fünf signifikanten Skalen / Mittelwerte der individuellen Standardabweichungen der fünf signifikanten Skalen ± Kameraperspektive Extreme Starke Leichte Leichte Starke Extreme Unter- Unter- Unter- Augen- Drauf- Drauf- Draufsicht sicht sicht höhe sicht sicht sicht (-31°)
(-18°) (-11,5°)
(0°)
(+11,5°) (+18°) (+31°)
Tendenz der Wahrnehmung (Mittelwerte der Mittelwerte)
4,75
4,33
4,75
4,76
4,43
4,38
4,63*
Homogenität der Wahrnehmung (Mittelwerte der individuellen Standardabweichungen)
1,40
1,91
1,54
1,35
1,71
1,97
1,32**
Einfache Varianzanalyse: * n.s.; ** p<0.001.
Wahrnehmung einzelner Eigenschaften des Redners In der folgenden Analyse werden die Skalen des Semantischen Differentials einzeln betrachtet, um die Wirkung der Kameraperspektiven auf die Wahrnehmung bestimmter Eigenschaften zu ermitteln. Die Veränderung des Kamerawinkels zwischen -31° und +31° beeinflusste die Wahrnehmung des Redners nicht linear, sondern kurvenlinear. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass es zwei Muster gibt, die durch zwei sinusartige Kurven dargestellt werden können. Wir bezeichnen die beiden Muster als Typ A und Typ B. Den beiden Typen können 17 der 20 Skalen des Semantischen Differentials zugeordnet werden. Diese Re-
75
gelmäßigkeit deutet darauf hin, dass es zwei Klassen von Eigenschaften gibt, die durch Kamerawinkel positiv oder negativ akzentuiert werden. Die Eigenschaften können entsprechend ihrer Zugehörigkeit zum Typ A oder zum Typ B klassifiziert werden. Die Existenz dieser Typen ist die Ursache dafür, dass sich bei der Analyse der generellen Wirkungen keine signifikanten Unterschiede in der Tendenz der Wahrnehmung ergaben: Positive und negative Effekte auf die Wahrnehmung verschiedener Personeneigenschaften heben sich gegenseitig auf. Zugleich sind die Typen die Ursache für die unterschiedliche Homogenität der Wahrnehmung: Je stärker sie bei einer Kameraperspektive ausgeprägt sind, desto diskrepanter wird die Personenwahrnehmung. Typ A wird durch Wahrnehmungen konstituiert, die mit den signifikanten Skalen friedlich-angriffslustig, gewaltlos-gewaltsam und zurückhaltendaufdringlich gemessen wurden. Alle drei Skalen erfassen einen ähnlichen Sachverhalt, den man als ÄAggressionspotential³ bezeichnen kann. Wenn der Redner aus der Augenhöhe dargestellt wurde (0°), erschien er als friedlich, zurückhaltend und gewaltlos. Mit einigen Einschränkungen gilt dies auch für die Aufnahmen aus der leichten Untersicht (-11,5°) und aus der leichten Draufsicht (+11,5°) Bei einer weiteren Vergrößerung der Aufnahmewinkel kippte dieser positive Eindruck um. Wenn der Redner aus der starken Untersicht (-18°) oder der starken Draufsicht (+18°) dargestellt wurde, erschien er als angriffslustig, gewaltsam und aufdringlich. Diese negative Tendenz war jedoch ebenfalls nicht linear. Wurde der Redner aus der extremen Untersicht (-31°) oder der extremen Draufsicht (+31°) dargestellt, erschien er als friedlich, zurückhaltend und gewaltlos. Die Versuchspersonen nahmen den Redner damit sehr ähnlich wahr, wenn er mit sehr unterschiedlichen Kamerawinkeln aufgenommen worden war. Dem Typ A können außer den drei signifikanten Skalen noch zwei nichtsignifikante Skalen ± differenziert-undifferenziert und verständlich-unverständlich ± zugeordnet werden (Abbildung 3). Typ B wird durch Wahrnehmungen konstituiert, die mit den Skalen entspannt-angespannt und aktiv-passiv gemessen wurden. Die beiden Skalen erfassen einen Sachverhalt, den man als ÄDynamik³ bezeichnen kann. Wenn der Redner aus der Augenhöhe dargestellt wurde (0°), erschien er als angespannt und passiv. Wenn er aus der leichten Untersicht (-11,5°) oder aus der leichten Draufsicht (+11,5°) dargestellt wurde, erschien er dagegen als entspannt und aktiv. Dieser Eindruck verstärkte sich noch bei der Darstellung aus der starken Untersicht (-18°) und aus der starken Draufsicht (+18°). Auch diese positive Tendenz war nicht linear. Wurde der Redner aus der extremen Untersicht (-31°) oder der extremen Draufsicht (+31°) dargestellt, erschien er als angespannt und passiv. Die Versuchspersonen nahmen den Redner damit auch hier sehr ähnlich wahr, wenn er mit sehr unterschiedlichen Kamerawinkeln aufgenommen worden war.
76
Abbildung 3:
Wahrnehmung von Eigenschaften des Sprechers bei unterschiedlicher Kameraperspektive: Typ A Kameraperspektive
+31°
+18°
+11,5°
Abweichung í1,2 í0,8 í 0,4 ±1,4 ±1,0 ±0,6 í0,2
+0,2
+ 0,4 +0,8 +1,2 +0,6 +1,0 +1,4
-11,5°
í18°
friedlich-angriffslustig gewaltlos-gewaltsam zurückhaltend-aufdringlich
-31°
77
Abbildung 4:
Wahrnehmung von Eigenschaften des Sprechers bei unterschiedlicher Kameraperspektive: Typ B
+31°
Kameraperspektive
+18°
+11,5°
Abweichung í1,2 í0,8 í 0,4 ±1,4 ±1,0 ±0,6 í0,2
+0,2
+ 0,4 +0,8 +1,2 +0,6 +1,0 +1,4
-11,5°
í18°
-31°
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aktiv-passiv entspannt-angespannt
Dem Typ B können außer den signifikanten Skalen folgende nichtsignifikante Skalen zugeordnet werden: interessant-uninteressant, geschickt-ungeschickt, gefühlvoll-gefühllos, vertraut-fremd, offen-verschlossen, erfolgreich-erfolglos, unverkrampft-verkrampft, selbstsicher-unsicher, klar-verschwommen, gehaltvoll-nichtssagend (Abbildung 4).17 Wahrnehmung in einzelnen Winkelzonen Auf der Grundlage der beiden Wahrnehmungen vom Typ A und Typ B kann man ein allgemeines Modell entwickeln, aus dem sich einige Folgerungen über den Einfluss von Kamerawinkeln auf die Wahrnehmung eines Redners ableiten lassen. Dazu werden für jeden Typ und für jeden Kamerawinkel die durchschnittlichen Abweichungen der signifikanten Skalen von den Skalenmittelwerten berechnet. Es wird angenommen, dass die höchsten Werte die Wendepunkte der Kurven vom Typ A und Typ B darstellen, und dass die beiden Kurven kontinuierlich verlaufen. Geht man von diesen Annahmen aus, ergeben sich 5 Winkelzonen mit unterschiedlichen Einflüssen der Kamerawinkel auf die Wahrnehmung eines Redners. Die Begrenzung der Winkelzonen muss als vorläufige Annäherung betrachtet werden, ihre Existenz ist jedoch wahrscheinlich, weil die Wahrnehmung auf fast allen Skalen den beiden Grundtypen entspricht. Zur Beschreibung der Kamerawinkel in den 5 Winkelzonen werden ähnliche Begriffe verwandt wie bei der Beschreibung der Testfilme. Bei den Testfilmen wurden die Perspektiven jedoch durch einzelne Winkel, nicht durch Winkelzonen definiert.
Zone I: -8° bis +8°: Die Wahrnehmung des Redners ist kontrastreich und überwiegend positiv. Eigenschaften des Typs A werden deutlich positiv, Eigenschaften des Typs B leicht negativ akzentuiert. Zone II: -9° bis -12° und +9° bis +12°: Die Wahrnehmung des Redners ist wenig kontrastreich und leicht positiv oder neutral. Es werden keine Eigenschaften negativ oder positiv akzentuiert. Zone III: -13° bis -26° und +13° bis +26°: Die Wahrnehmung des Redners ist sehr kontrastreich. Dies gilt besonders für den Bereich der starken Draufsicht. Eigenschaften des Typs A werden sehr negativ, Eigenschaften des Typs B sehr positiv akzentuiert. Zone IV: -27° bis -31° und +27° bis +31°: Die Wahrnehmung des Redners ist wenig kontrastreich und leicht negativ oder neutral. Es werden keine Eigenschaften negativ oder positiv akzentuiert.
79
Zone V: -32° und mehr und +32° und mehr: Die Wahrnehmung des Redners ist kontrastreich, wobei sich negative und positive Akzentuierungen etwa die Waage halten. Eigenschaften vom Typ A werden positiv, Eigenschaften vom Typ B negativ akzentuiert (Abbildung 5).
Aus dem Modell können drei generelle Folgerungen abgeleitet werden. Erstens, in einigen Winkelbereichen führen auch relativ große Veränderungen der Kamerawinkel nur zu kleinen Veränderungen der Wahrnehmung. In einigen anderen Winkelbereichen führen dagegen schon relativ kleine Veränderungen der Kamerawinkel zu relativ großen Veränderungen der Wahrnehmung. Dabei kann sich der Eindruck u. U. in sein Gegenteil verkehren. Dieser Sachverhalt dürfte die widersprüchlichen Ergebnisse vorangegangener Untersuchungen zumindest teilweise erklären. Zweitens, Aufnahmen aus bestimmten Winkelzonen führen zu einer kontrastreichen Darstellung. Kontrastreich bedeutet hier, dass bestimmte Eigenschaften negativ, andere positiv akzentuiert werden. Eine Person erscheint dadurch in sich widersprüchlich, zerrissen. Aufnahmen aus anderen Winkelzonen führen dagegen zu einer eher kontrastarmen Darstellung eines Redners. Eine Person erscheint dadurch eher als in sich geschlossen, harmonisch. Drittens, je höher die Kamera postiert ist, desto mehr werden einzelne Eigenschaften eines Redners positiv oder negativ akzentuiert. Diese Aussage ergibt sich aus einem Vergleich der Wendepunkte bzw. der Amplituden der beiden Kurven. In Abbildung 5 wird der genannte Sachverhalt durch zwei Geraden angedeutet, die über und unter den Kurven verlaufen. Hohe Kamerastandpunkte beeinflussen die Wahrnehmung eines Redners demnach mehr als niedrige Kamerastandpunkte. Diese Folgerung wird durch die vorangegangenen Ergebnisse gestützt: Höhere Kamerapositionen wurden häufiger als auffällig und als ungünstig bezeichnet als vergleichbare niedrigere Kamerapositionen. Symmetrische Veränderungen der Kamerawinkel um die Horizontale besitzen damit vermutlich asymmetrische Wirkungen. Zusammenfassung und Interpretation Die Ergebnisse des Experimentes können in sieben Feststellungen zusammengefasst werden: 1.
80
Verschiedene Kameraperspektiven hatten für den Zuschauer einen unterschiedlichen Auffälligkeitsgrad. Mit Einschränkungen lässt sich feststellen, dass die Auffälligkeit mit der Größe des Kamerawinkels, d.h. mit der Größe der Abweichung von der Augenhöhe, zunahm.
Abbildung 5:
Modell des Einflusses von Kameraperspektiven auf die Wahrnehmung von Persönlichkeitseigenschaften
Winkelzonen
Kameraperspektive
V
+31°
IV
III
+11,5°
II
I
Abweichung -1,0
II
III
Typ B: entspannt aktiv
+18°
-0,6
+0,4 -0,2
+0,2
+0,8
+1,2
+1,0
í11,5° Typ A: zurückhaltend gewaltlos friedlich
í18°
IV
V
í31°
81
2.
3.
4.
5.
6.
7.
82
Verschiedene Kameraperspektiven wurden von den Betrachtern in unterschiedlichem Maße als Äoptisch günstig³ für die dargestellte Person bezeichnet. Am günstigsten wurde die Aufnahme aus der leichten Untersicht beurteilt. Zwischen der Auffälligkeit und der wahrgenommenen Tendenz der Darstellung bestand ein signifikanter Zusammenhang: Je geringer die Auffälligkeit, desto günstiger war die Beurteilung. Die Kameraperspektiven beeinflussten die Informationsaufnahme der Zuschauer nicht generell. Eine Betrachtung der Wirkungsunterschiede einzelner Filmversionen macht jedoch deutlich, dass die Aufnahme aus der leichten Untersicht bessere Erinnerungsleistungen bei den Versuchspersonen erzielte als andere. Die Kameraperspektiven besaßen keinen Einfluss auf die generelle Tendenz der Wahrnehmung des Redners. Hierbei handelt es sich jedoch um einen Scheinbefund, der auf die Existenz zweier gegenläufiger Wirkungsaspekte zurückgeführt werden kann. Die Kameraperspektiven besaßen einen signifikanten Einfluss auf die Homogenität der Wahrnehmung der gezeigten Person. Aufnahmen aus der Augenhöhe sowie den beiden Extremperspektiven führten zu stimmigeren Wahrnehmungen als Aufnahmen aus der starken Unter- und der starken Draufsicht. Die Veränderung des Kamerawinkels zwischen ±31° und +31° beeinflusste die Wahrnehmung von einzelnen Eigenschaften nicht linear, sondern kurvenlinear. Ursache hiervon ist die Existenz zweier Wirkungsmuster, die als Typen A und B bezeichnet wurden. Aufnahmen aus der Augenhöhe und aus der leichten Unter- und Draufsicht ließen Eigenschaften des Typs A positiver erscheinen als Aufnahmen aus der starken Unter- und Draufsicht. Die extremen Kamerawinkel führten wiederum zu einer ähnlichen Wirkung wie Aufnahmen aus der Augenhöhe. Bei den Eigenschaften des Typs B war dieses Reaktionsmuster genau umgekehrt. Auf der Grundlage der Typen A und B wurde ein Modell mit fünf Winkelzonen gebildet, aus dem Prognosen über den Einfluss von horizontalen Kamerabewegungen auf die Personenwahrnehmung abgeleitet werden können. Danach führen kleine Veränderungen des Kamerawinkels in einigen Winkelbereichen zu großen Wahrnehmungsunterschieden. Dies trifft vor allem auf die Übergänge zwischen den einzelnen Winkelzonen zu. Darüber hinaus vermitteln Aufnahmen aus einigen Winkelzonen besonders kontrastreiche bzw. wenig homogene Eindrücke. Dieser Effekt ist umso stärker, je höher die Kamera postiert ist.
1
Rudolf Arnheim: Film als Kunst (1932), München 1974, S. 60. Pierre Kandorfer: Lehrbuch der Filmgestaltung: theoretisch-technische Grundlagen der Filmkunde. Köln 1978, S. 80f. Vgl. auch Siegfried Kracauer: From Caligari to Hitler. New York 21960, S. 302. 3 Vgl. Rudi Bretz: Techniques of Television Production. New York 21962, S. 32, und G. Millerson: The Technique of Television Production. New York 91972, S. 235. 4 Kandorfer: a.a.O., S. 80f. 5 Vgl. Raymond Spottiswoode: A Grammar of the Film (1933), Berkeley/Los Angeles 1959, S. 236; Bretz: a.a.O., S. 32. 6 Vgl. Donald Livingstone: Film and the Director. New York 1958, S. 52, zur Wirkung der Draufsicht auch A. L. Gaskill und D. A. Englaender: How to Shoot a Movie Story. New York 1960, S. 53, und E. Lindgren: The Art of the Film. New York 1968, S. 118. 7 Béla Balázs: Der Film. Werden und Wesen einer neuen Kunst. Wien 1976, S. 37. 8 Vgl. Willy Loderhose: Zum Einfluss von Kameraleuten auf Fernseh- und Filmproduktionen. Magisterarbeit Mainz 1980, S. 33ff. Vgl. hierzu auch Hans Mathias Kepplinger: ÄOptische Kommentierung im Wahlkampf³. In diesem Band, S. 33. 9 Jon Baggaley: Psychology of the TV Image. Westmead 1980, S. 27-30. 10 Robert K. Tiemens: Some Relationship of Camera Angle to Communicator Credibility. In: Journal of Broadcasting 14 (1970) Nr. 4, S. 483-490. 11 Lee Mandell / Donald L. Shaw: Judging People in the News ± Unconsciously: Effect of Camera Angle and Bodily Activity. In: Journal of Broadcasting 17 (1973) Nr. 3, S. 353-362. 12 Robert E. Beverly / Thomas J. Young: The Effect of Mediated Camera Angle on Receiver Evaluations of Source Credibility, Dominance, Attraction and Homophily. Paper presented at the International Communication Association Convention, Chicago 1978, S. 11. 13 Thomas A. McCain / Joseph Chilberg / Jacob Wakshlag: The Effect of Camera Angle on Communicator Credibility. In: Journal of Broadcasting 21 (1977) Nr. 1, S. 35-46. 14 Vgl. zur Technik des Lückentests Wilson L. Tylor: Cloze Procedure: A New Tool for Measuring Readability. In: Journalism Quarterly 20 (1953) S. 415-433. 15 Vgl. Tiemens: a.a.O. Mit der Wirkung verschiedener anderer Darstellungsformen auf den Informationstransfer beschäftigt sich eine Reihe von experimentellen Studien. Eine Zusammenfassung bietet Colin Berry: Learning from Television News: A Critique of the Research. In: Journal of Broadcasting 27 (1983) S. 359-370. 16 Vgl. Hans Mathias Kepplinger / Wolfgang Donsbach: Der Einfluß von Kameraperspektiven auf Anhänger und Gegner eines Politikers. In: Hans Mathias Kepplinger: Darstellungseffekte. Experimentelle Untersuchungen zur Wirkung von Pressefotos und Fernsehfilmen. Freiburg i. B. 1987, S. 147-164. 17 Für die grafische Darstellung der beiden Reaktionstypen war eine Transformation der Daten erforderlich. Der mittlere Punkt der Skalen des Semantischen Differentials hat den Skalenwert 4. Der Mittelwert aller 7 Filme zusammen auf allen 20 Skalen weicht von dem Skalenmittelpunkt 4 ab. Diese Abweichung kann nicht auf die Kameraperspektive zurückgeführt werden. In ihr manifestiert sich die Charakteristik der dargestellten Person. Um diese Personencharakteristik auszuschalten und die Ergebnisse besser vergleichbar zu machen, wurde für jede Skala der Mittelwert der Mittelwerte der 7 Testgruppen berechnet. Dabei wurde die unterschiedliche Größe der Testgruppen berücksichtigt. Die Wahrnehmung des Redners wird als Abweichung des Gruppenmittelwertes vom Mittelwert aller Testpersonen für die jeweilige Skala des Semantischen Differentials ausgewiesen. 2
83
Einfluss nonverbaler Verhaltensweisen auf die Personenwahrnehmung in Fernsehinterviews
Fernsehinterviews sind inszenierte Gespräche, die unsichtbare Dritte beeindrucken sollen. Beide Gesprächspartner können gleiche oder entgegengesetzte Ziele verfolgen und sie können dazu verbale und nonverbale Mittel verwenden. Damit stellt sich eine zentrale Frage: Gibt es besonders effektive Gesprächsstrategien? Obwohl Interviews einen wesentlichen Bestandteil der Fernsehberichterstattung bilden, wurden die Wirkungen von Gesprächsstrategien selten untersucht. Beachtenswert sind zwei Forschungsansätze mit ähnlichen Fragestellungen. Die eine beschäftigt sich mit dem Einfluss des Verhaltens eines Interviewpartners auf das Verhalten des anderen. Ralph Exline, David Gray und Dorothy Schuette analysierten den Einfluss von Gesprächsinhalten und Gesprächssituationen auf das Blickverhalten.1 Sie gingen von der Annahme aus, dass häufige Blicke zum Gesprächspartner Kontaktbereitschaft, seltene Blicke dagegen Kontaktvermeidung signalisieren. Daraus folgerten sie, dass Personen, denen in einem Interview peinliche Fragen gestellt werden, ihre Gesprächspartner seltener anblicken als Personen, die unverfängliche Fragen beantworten sollten. Ihre zweite Annahme war, dass Frauen ihre Gesprächspartner häufiger anblicken als Männer. Ihre dritte Annahme lautete, dass Personen, die ihre wahren Gefühle verbergen wollen, ihre Gesprächspartner seltener anblicken als Personen, die sie offen zeigen. Die Ergebnisse ihrer experimentellen Studie bestätigen ihre Annahmen mit einigen Einschränkungen. Frauen sahen ihre Gesprächspartner häufiger an als Männer ± jedoch nur, wenn sie sprachen oder wenn beide Partner schwiegen, nicht wenn sie zuhörten. Bei Interviews mit peinlichen Fragen blickten die Versuchspersonen ihre Gesprächspartner seltener an ± jedoch nur, wenn sie sprachen, nicht wenn sie zuhörten oder wenn beide Partner schwiegen. Die Absicht der Versuchspersonen, ihre Ansichten und Gefühle zu verheimlichen, besaß dagegen keinen Einfluss auf das Blickverhalten. Phoebe C. Ellsworth und J. Merrill Carlsmith untersuchten den Einfluss des Blickverhaltens eines Gesprächsteilnehmer auf seine Beurteilung durch den anderen.2 Die Autoren gingen von der Annahme aus, dass das Blickverhalten nicht nur eine Reaktion auf verbale Äußerungen darstellt, sondern auch eine Ursache inhaltlicher Stellungnahmen bildet. Aus dieser Annahme leiteten sie
zwei Hypothesen ab. Erstens, Interviewte beurteilen nach einem für sie inhaltlich positiven Gesprächsverlauf eine Interviewerin, die sie häufig anblickt, positiver als eine Interviewerin, die sie selten anschaut. Zweitens, Interviewte beurteilen nach einem für sie negativen Gesprächsverlauf eine Interviewerin, die sie häufig anblickt, negativer als eine Interviewerin, die sie selten anblickt. Die Ergebnisse ihrer experimentellen Studie bestätigen die Annahmen mit einer Einschränkung. Nach einem für sie günstigen Gesprächsverlauf bewerteten die Interviewten die Interviewerinnen, die sie häufig angeblickt hatten, positiver als Interviewerinnen, die sie selten angeblickt hatten. Darüber hinaus äußerten sie sich im ersten Fall auch positiver über das gesamte Interview. Nach einem für sie negativen Gesprächsverlauf bewerteten die Interviewten die Interviewerinnen, die sie häufig angeblickt hatten, negativer als die Interviewerinnen, die an ihnen vorbeisahen. Entgegen den Erwartungen wurden jedoch die Interviewerinnen nach einem positiven Gesprächsverlauf mit seltenen Blickkontakten ähnlich schlechter beurteilt wie nach einem negativen Gesprächsverlauf mit häufigen Blickkontakten. Interviewerinnen, die bei einem positiven Gesprächsverlauf Blickkontakte vermieden, verschenkten folglich den positiven Eindruck, den sie hätten machen können. Der zweite Ansatz behandelt den Einfluss des Verhaltens der Gesprächspartner auf die Wahrnehmungen von Beobachtern. Als Beispiele hierfür können zwei Studien herangezogen werden. Andrew S. Imada und Milton D. Hakel untersuchten den Einfluss der Gestik und Mimik einer Stellenbewerberin auf ihre Beurteilung.3 Sie gingen dabei von zwei Annahmen aus. Erstens, Personen mit offener Gestik und Mimik werden unabhängig von ihren verbalen Äußerungen günstiger beurteilt als Personen mit verschlossener Gestik und Mimik. Zweitens, die Bewertungsunterschiede sind bei der direkten Beobachtung der Personen größer als beim Betrachten von Videoaufnahmen des Gesprächs. Um ihre Annahmen zu prüfen, ließen die Autoren eine Modellperson zwei Versionen einer Stellenbewerbung spielen. In der offenen Version lächelte die Modellperson, suchte häufig den Blickkontakt, wandte sich dem Gesprächspartner zu usw. In der verschlossenen Version lächelte die Modellperson kaum, wich dem Blickkontakt aus, wandte sich vom Gesprächspartner ab usw. Die Ergebnisse bestätigen die erste Annahme eindeutig: Die Versuchspersonen charakterisierten die Modellperson in ihrer offenen Rolle als qualifizierter, motivierter und erfolgreicher als in ihrer verschlossenen Rolle. Sie waren häufiger der Ansicht, dass sie die angebotene Arbeit bewältigen könne, und sie empfahlen häufiger ihre Einstellung. Die Urteile der Versuchspersonen, die die Modellperson direkt beobachtet hatten, unterschieden sich jedoch entgegen der zweiten Annahme nicht von den Urteilen der Versuchspersonen, die das Bewerbungsgespräch im Neben-
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zimmer am Fernsehschirm verfolgt hatten. Die Präsentationsform besaß damit keinen Einfluss auf die Bewertung der Stellenbewerberin. Einen Schritt weiter gingen Judee K. Burgoon, David B. Buller, Jerold L. Hale und Mark A. deTurck, die fünf Verhaltensweisen variierten und ihren Einfluss auf die Beurteilung der Beziehungen zwischen zwei Gesprächspartnern feststellten.4 Die fünf Verhaltensweisen waren: Distanz zum Partner, Berührung des Partners, Körperhaltung, Blickkontakt und Gesichtsausdruck (Lächeln). Jede dieser Verhaltensweisen wurde von zwei Modellpersonen in zwei Ausprägungen simuliert: große und geringe Distanz, Berührung und Nicht-Berührung, vorgebeugte und zurückgelehnte Körperhaltung, viel und wenig Blickkontakt, Lächeln und kein Lächeln. Modellpersonen waren ein Mann und eine Frau, deren Verhalten getrennt gefilmt wurde, so dass die entsprechenden Szenen von der männlichen und von der weiblichen Modellperson vorlagen. Die Ergebnisse bestätigen und präzisieren die Annahmen. Geringe Distanz zwischen den Modellpersonen rief immer den Eindruck großer Vertrautheit hervor ± gleichgültig, welche Verhaltensweisen sonst gezeigt wurden. Allerdings wurde dieser Eindruck durch häufige Blickkontakte erheblich gesteigert. Den Eindruck geringster Vertrautheit vermittelte ein zurückgelehnter Oberkörper in Kombination mit einem ernsten Gesichtsausdruck. Ähnliche Resultate ergaben sich bei der Beurteilung von Harmonie bzw. Disharmonie. Auch hier besaß die Distanz zwischen den Gesprächspartnern den größten Einfluss auf die Wahrnehmung ihrer Beziehung zueinander. Theoretische Annahmen Die referierten Experimente demonstrieren, dass das nonverbale Verhalten eines Gesprächspartners einen Einfluss auf seine Beurteilung durch Dritte ausübt. Sie vernachlässigen jedoch den sozialen Charakter von Gesprächen, weil sie das Verhalten eines Partners variierten, das des anderen aber konstant hielten. Das Verhalten eines Interviewpartners beeinflusst jedoch nicht nur das Verhalten des anderen, sondern auch die Wahrnehmung beider durch die Beobachter des Geschehens. Ihr Eindruck hängt vermutlich zudem von einer Reihe weiterer Faktoren ab, darunter der Persönlichkeit der Interviewten und ihrer beruflichen Position. Zur Persönlichkeit der Interviewten gehören neben äußerlichen Faktoren wie ihrem Aussehen, dessen Bedeutung meist überschätzt wird, der Spaß an öffentlichen Auftritten und die Schlagfertigkeit in kritischen Situationen. Je mehr die Interviewten über diese Eigenschaften verfügen, desto besser ist in der Regel der Eindruck, den sie hervorrufen. Die berufliche Position der Interviewteilnehmer ist mit Rollenerwartungen verbunden. So erwarten die meisten Menschen von
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einem Politiker ein eher dominantes Verhalten, das Selbstsicherheit ausstrahlt und Überzeugungswille signalisiert. Dagegen erwarten sie von einem Journalisten ein eher neutrales Auftreten, das eine selbstbewusste Distanz anzeigt. Diese Faktoren werden im folgenden Experiment nicht variiert, jedoch zur Interpretation der Ergebnisse herangezogen. Beim Verhalten im Interview kann man verbale Inhalte und nonverbale Zeichen unterscheiden. Im vorliegenden Experiment geht es nur um nonverbale Zeichen. Anhand der nonverbalen Zeichen kann man defensive (zurückhaltende), neutrale und offensive (provozierende) Auftritte unterscheiden. Die meisten Zuschauer seriöser Fernsehinterviews erwarten von Politikern und Journalisten neutrale Verhaltensweisen, die folglich die besten Eindrücke vermitteln dürften. Politiker werden aufgrund ihrer Rolle auch durch offensive Verhaltensweisen einen relativ guten Eindruck hinterlassen. Dagegen werden defensive Verhaltensweisen von Politikern, weil sie Schwäche signalisieren, eher negativ ankommen. In längeren Interviews ändert sich zuweilen das Verhalten der Beteiligten. So kann ein Gesprächspartner defensiv beginnen und im Verlauf des Gesprächs offensiv werden oder umgekehrt. Darüber hinaus kann sich das Verhalten des anderen Gesprächspartners ändern. Er verhält sich möglicherweise zunächst offensiv und dann defensiv. Generell wird man davon ausgehen können, dass der Wechsel von einem offensiven zu einem defensiven Verhalten als Folge einer Einschüchterung erscheint und deshalb einen negativen Eindruck vermittelt. Dies dürfte aus dem oben genannten Grund für Politiker noch eher gelten als für Journalisten. Dagegen wird der Wechsel von einem defensiven zu einem offensiven Verhalten vermutlich als engagierte Entgegnung wahrgenommen und entsprechend positiv beurteilt werden. Auch dies dürfte vor allem auf Politiker zutreffen. Bisher wurde der Einfluss des Verhaltens eines Interviewpartners auf die Wahrnehmung seiner Person behandelt. Diese Betrachtungsweise vernachlässigt die Tatsache, dass die Teilnehmer an Interviews oft gemeinsam im Bild erscheinen und folglich gemeinsam wahrgenommen werden. Deshalb muss man davon ausgehen, dass die Wahrnehmung des Verhaltens eines Interviewpartners die Wahrnehmung des anderen beeinflusst. Dies dürfte auch dann der Fall sein, wenn die beiden Teilnehmer nicht gleichzeitig sondern nacheinander im Bild erscheinen. Dabei dürften Kontrasteffekte auftreten: Das defensive Verhalten eines Interviewpartners wird als besonders defensiv wahrgenommen werden, wenn sich der andere offensiv verhält. Umgekehrt wird ein offensives Verhalten des einen besonders offensiv erscheinen, wenn sich der andere defensiv verhält. Daraus kann man zwei Folgerungen ableiten. Erstens, die Wahrnehmung eines Menschen in einem Interview hängt nicht nur von seinem eigenen Verhalten ab,
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sondern auch vom Verhalten seines Gegenüber. Zweitens, die positiven und negativen Eindrücke, die das defensive oder offensive Verhalten eines Interviewpartners vermittelt, sind besonders stark, wenn sich der andere entgegengesetzt verhält. Untersuchungsanlage Der Einfluss der nonverbalen Verhaltensweisen auf den Eindruck, den ein Interviewter vermittelt, der Einfluss der Änderung seines Verhaltens sowie der Einfluss des Verhaltens seines Gegenübers auf die Wahrnehmung der eigenen Person wurden in einem komplexen Experiment getestet. Dazu wurden neun Testfilme produziert, die verschiedene Versionen eines Interviews zeigen. Gesprächspartner waren ein Journalist und ein Politiker, die von zwei semiprofessionellen Schauspielern dargestellt wurden. Das Interview bestand aus fünf Fragen und fünf Antworten. Die drei ersten Fragen waren in allen Versionen gleich. Beide Gesprächspartner verhielten sich neutral. Bei den folgenden Fragen und Antworten unterschied sich das nonverbale Verhalten der Gesprächspartner. Sie verhielten sich offensiv, neutral oder defensiv. In der offensiven Version sprachen die Interviewpartner relativ laut und provozierend, in der defensiven Version leise und zögerlich. Bei den ersten drei Fragen und Antworten wurden beide Gesprächspartner von einer Kamera in der Halbtotalen gezeigt. Die beiden folgenden Fragen und Antworten wurden mit hinter ihnen postierten Kameras aufgenommen. Thema des Interviews war die Kulturpolitik einer nicht genannten Stadt. Der Journalist erwähnte, dass die Ausstellungsförderung einen Schwerpunkt bilde und bezweifelte, dass die Bewilligung der Fördermittel angesichts der allgemeinen Finanznot gerechtfertigt sei. Der Politiker verteidigte die Bereitstellung der Mittel mit dem Argument, die bewilligten Mittel seien vergleichsweise niedrig. Zudem würden auch andere Aktivitäten gefördert, die nur eine Minderheit interessierten. Der Inhalt der Aussagen beider Gesprächspartner war in allen Versionen gleich. Die neun Versionen des Interviews wurden aus drei Basisversionen geschnitten. Im ersten Interview verhielten sich beide Gesprächspartner neutral, im zweiten defensiv, im dritten offensiv. Die Verhaltensunterschiede waren deutlich, jedoch nicht extrem, weil es anderenfalls nicht möglich gewesen wäre, die verschiedenen Versionen glaubhaft zu kombinieren. Rein rechnerisch könnten aus den beiden Fragen und Antworten 81 Versionen geschnitten werden. Da es nicht möglich ist, eine derart große Zahl von Filmen zu testen, wurde eine Auswahl getroffen. Für die Analyse ausgewählt wurden die drei Basisversionen, die den Journalisten und den Politiker durchgängig offensiv, neutral oder defensiv 89
zeigten, sowie sechs Versionen, in denen entweder der Journalist oder der Politiker dominierend, konternd oder eingeschüchtert war. Als dominierend werden die Gesprächspartner bezeichnet, wenn sie sich konstant offensiv und ihr Gegenüber konstant defensiv verhielt; als konternd, wenn sie sich zunächst defensiv verhielten und auf das offensive Verhalten ihres Gegenübers offensiv reagierten; als eingeschüchtert, wenn sie sich zunächst offensiv verhielten und nach einer offensiven Replik ihres Gegenübers zu einem defensiven Verhalten übergingen. Abbildung 1 zeigt die Anlage der Untersuchung. In den beiden oberen Versionen, die auf der linken Seite mit einer Linie verbunden sind, verhält sich der Journalist immer defensiv, der Politiker aber einmal defensiv und einmal offensiv. In den beiden unteren Versionen, die auf der linken Seite mit einer Linie verbunden sind, verhält sich der Journalist immer offensiv, der Politiker aber einmal defensiv und einmal offensiv. In der oberen Version, die auf der rechten Seite mit einer Linie verbunden ist, verhält sich der Politiker wie in der dazugehörigen Version defensiv, in der dazugehörigen Version der Journalist aber einmal defensiv und einmal offensiv. Dies trifft entsprechend auf die beiden anderen Versionen zu, die auf der rechten Seite mit einer Linie verbunden sind. Mit den erwähnten Versionen kann der Einfluss des Verhaltens eines Interviewpartners auf die Wahrnehmung des anderen untersucht werden (Abbildung 1). Jeder der neun Testfilme wurde einer Versuchsgruppe von 25 Personen vorgeführt. Die Versuchspersonen waren Studenten der Politikwissenschaft und wurden nach dem Zufallsprinzip auf die einzelnen Versuchsgruppen verteilt. Im Anschluss daran wurde die Wahrnehmung des Journalisten und des Politikers mit Hilfe eines Semantischen Differentials aus 18 siebenstufigen Skalen gemessen. Bei der Datenanalyse wurden die Skalen so verarbeitet, dass niedrige Werte immer negative, hohe Werte immer positive Eigenschaften anzeigen. Einfluss des nonverbalen Verhaltens einer Person auf die Wahrnehmung ihrer Persönlichkeit Wahrgenommene Dimensionen der Persönlichkeiten Der Journalist und der Politiker wurden auf den gleichen Dimensionen wahrgenommen. Eine Faktorenanalyse der Eindrücke führte in beiden Fällen zu einer Drei-Faktoren-Lösung, die jeweils 59 Prozent der Varianz erklärt. Die drei Wahrnehmungsdimensionen kann man als soziales Verhalten, Qualifikation und Durchsetzungsvermögen bezeichnen. Von einer Ausnahme abgesehen (beeindruckend±farblos) wurden in beiden Faktorenanalysen alle Eindrücke den gleichen Dimensionen zugeordnet. Um die Darstellung einfach zu halten, wird die erwähn-
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Abbildung 1:
Typologie der Interviews Versionen
Charakteristik
Frage 4
Antwort 4
Frage 5
Antwort 5
Journalist
Politiker
Journalist
Politiker
defensiv
defensiv
defensiv
defensiv
Übereinstimmende Zurückhaltung
defensiv
offensiv
defensiv
offensiv
Dominierender Politiker
defensiv
offensiv
offensiv
defensiv
Eingeschüchterter Politiker
defensiv
offensiv
offensiv
offensiv
Konternder Journalist
neutral
neutral
neutral
neutral
Übereinstimmende Neutralität
offensiv
defensiv
offensiv
defensiv
Dominierender Journalist
offensiv
defensiv
offensiv
offensiv
Konternder Journalist
offensiv
offensiv
defensiv
offensiv
Eingeschüchterter Journalist
offensiv
offensiv
offensiv
offensiv
Übereinstimmende Offensive
wähnte Skala in Tabelle 1 unter dem Faktor Durchsetzungsvermögen aufgeführt. Für die Wahrnehmung des Journalisten spielte die Qualifikation eine wichtigere Rolle als das Durchsetzungsvermögen. Für die Wahrnehmung des Politikers war das Durchsetzungsvermögen wichtiger als die Qualifikation. Ob die unterschiedliche Bedeutung der Qualifikation und des Durchsetzungsvermögens für den Gesamteindruck eine Folge der Vorstellungen der Versuchspersonen von der Rolle der Politiker und Journalisten ist (von Politikern erwartet man generell viel Durchsetzungsvermögen) oder eine Folge der Persönlichkeit der beiden Interviewpartner (der Journalist beeindruckte mehr durch Qualifikation als durch Durchsetzungsvermögen) kann anhand der vorliegenden Daten nicht entschieden werden (Tabelle 1). 91
Tabelle 1: Wahrgenommene Dimensionen der Persönlichkeiten ± Faktorenanalyse ± Journalist
Politiker
Soziales Qualifi- Durch- Soziales Durch- Qualifikation setzungs- Ver- setzungs- kation Verhalten vermögen halten vermögen höflich
- unhöflich
0,79
0,02
0,10
0,79
-0,04
0,11
zurückhaltend - aufdringlich
0,76
-0,02
-0,15
0,73
-0,21
-0,03
friedfertig
- angriffslustig
0,76
-0,11
-0,12
0,88
-0,14
-0,09
herrisch
- unterwürfig
-0,68
-0,06
-0,25
-0,71
0,36
0,18
fair
- unfair
0,61
0,41
0,09
0,63
-0,05
0,29
0,53
0,53
0,16
0,62
0,00
0,28
sympathisch - unsympathisch gewissenhaft - oberflächlich
0,07
0,66
0,25
0,35
0,15
0,56
gehaltvoll
- nichtssagend
-0,09
0,64
0,32
0,14
0,27
0,70
engagiert
- unbeteiligt
-0,52
0,58
0,08
-0,32
0,24
0,48
kompetent
- inkompetent
0,02
0,56
0,37
0,11
0,39
0,47
ehrlich
- unehrlich
0,06
0,52
0,02
0,36
0,00
0,46
sicher
- unsicher
-0,18
0,14
0,65
-0,29
0,75
0,15
geschickt
- ungeschickt
0,16
0,30
0,65
0,00
0,65
0,05
stark
- schwach
-0,34
0,23
0,65
-0,23
0,69
0,32
überlegen
- unterlegen
-0,22
-0,03
0,56
-0,29
0,74
0,06
locker
- verkrampft
0,11
0,22
0,50
-0,07
0,51
0,19
-0,37
0,50
0,49
-0,15
0,53
0,39
fachmännisch - laienhaft
0,18
0,42
0,48
0,05
0,61
0,28
Erklärter Varianzanteil (in Prozent)
28,7
22,1
8,4
30,2
22,8
7,2
beeindruckend- farblos
Einfluss des nonverbalen Verhaltens auf den Gesamteindruck Die Persönlichkeit der beiden Gesprächspartner besaß einen signifikanten Einfluss auf den Gesamteindruck: Der Journalist hinterließ unabhängig von den verschiedenen Verhaltenskombinationen einen günstigeren Gesamteindruck als der Politiker (Haupteffekt der Personen). Das neutrale Verhalten des Politikers 92
vermittelte erwartungsgemäß einen positiveren Eindruck als das offensive und als das defensive Verhalten. Dies war beim Journalisten jedoch nicht der Fall. Er wurde weitgehend unabhängig davon wahrgenommen, ob er sich defensiv, neutral oder offensiv verhielt. Zwischen dem Einfluss der Persönlichkeiten der Interviewpartner und dem Einfluss ihres Verhaltens auf den Eindruck der Zuschauer bestand folglich eine Wechselbeziehung (Interaktionseffekt). Ob dies auf die Einstellungen der Versuchspersonen zu Politikern, bzw. Journalisten oder auf die Persönlichkeiten der Interviewpartner zurückzuführen ist, kann anhand der vorliegenden Daten nicht entschieden werden. Bisher wurde die Wirkung von drei konstanten Verhaltensweisen miteinander verglichen. Im Folgenden geht es um die Wirkung von Verhaltensänderungen während des Interviews. Eine Möglichkeit besteht im Wechsel vom offensiven zum defensiven Verhalten, der auf eine Einschüchterung deutet. Wie bereits erwähnt dürften die Zuschauer von einem Politiker ein eher dominantes Verhalten erwarten. Dem entsprechend werden sie ein konstant offensives Verhalten positiv wahrnehmen. Dagegen dürften sie den Wechsel von einem offensiven zu einem defensivern Verhalten als Zeichen der Schwäche verstehen, die einen negativen Gesamteindruck vermittelt. Dies war jedoch nicht der Fall. Der eingeschüchterte Politiker vermittelte entgegen der Annahme einen etwas besseren Eindruck als der dominierende Politiker. Die Vermutung, dass in einem Interview ein dominierendes Verhalten generell günstig wäre, ist demnach falsch. Ein dominierendes Verhalten ist zwar vermutlich aus der Sicht der Interviewten erstrebenswert, es vermittelte jedoch aus der Sicht der Fernsehzuschauer keineswegs einen positiven Gesamteindruck. Die Betrachtungsweise der Akteure muss demnach von der Betrachtungsweise der Zuschauer unterschieden werden. Eine zweite Verhaltensänderung besteht im Wechsel von einem zunächst defensiven zu einem offensiven Auftritt. Bedeutsam ist dies als Reaktion auf ein offensives Verhalten des Interviewpartners (konterndes Verhalten). Theoretisch kann man annehmen, dass vor allem die offensive Reaktion eines zunächst defensiven Politikers auf das offensive Verhalten eines Journalisten einen besseren Gesamteindruck vermittelt als ein konstant defensives Verhalten, weil es zeigt, dass er sich von dem Journalisten nichts gefallen lässt. Für diese Annahme spricht auch, dass das offensive Verhalten eines Politikers den Rollenerwartungen entspricht, während das offensive Verhalten des Journalisten eher den Rollenerwartungen widerspricht. Die empirischen Daten belegen die Richtigkeit dieser Annahmen: Ein Politiker, der bei seiner zweiten Antwort auf die Frage eines offensiven Journalisten selbst in die Offensive geht (konternder Politiker) vermittelt einen positiveren Eindruck als ein Politiker, der in der Defensive bleibt (dominierender Journalist). Der gleiche Effekt tritt bei einer entsprechende Verhaltensänderung des Journalisten ein: Ein Journalist, der bei seiner zweiten
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Frage an einen von Beginn an offensiven Politiker selbst in die Offensive geht (konternder Journalist) vermittelt einen wesentlich positiveren Eindruck als ein Journalist, der im Gespräch mit einem von Beginn an offensiven Politiker konstant defensiv bleibt (dominierender Politiker). Die Ähnlichkeit der Reaktionen der Zuschauer auf die Verhaltensänderung des Politikers und des Journalisten deutet darauf hin, dass die Zuschauer es generell positiv bewerten, wenn sich ein defensiver Interviewpartner gegen einen offensiven Interviewpartner wehrt. Die Wirkung dieser Verhaltensänderung ist demnach nicht positions- und rollenabhängig (Tabelle 2). Tabelle 2: Einfluss des nonverbalen Verhaltens auf den Gesamteindruck ± 2fache Varianzanalyse; Mittelwerte* ± Versionen Journalist
Politiker
Journalist
Charakteristik Politiker
Persönlichkeit Journalist
Politiker
defensiv defensiv defensiv defensiv
Übereinstimmende Zurückhaltung
4,6
3,3
defensiv offensiv defensiv offensiv
Dominierender Politiker
4,8
3,1
defensiv offensiv offensiv defensiv
Eingeschüchterter Politiker
4,5
3,4
defensiv offensiv offensiv offensiv
Konternder Journalist
4,6
4,0
Übereinstimmende Neutralität
4,5
4,1
offensiv defensiv offensiv defensiv
Dominierender Journalist
4,4
3,4
offensiv defensiv offensiv offensiv
Konternder Politiker
4,4
3,7
offensiv offensiv defensiv offensiv
Eingeschüchterter Journalist
4,4
3,4
offensiv offensiv offensiv offensiv
Gegenseitige Provokation
4,4
3,8
4,5
3,6
neutral
neutral
Gesamtmittelwert
neutral
neutral
* Summe aller Skalen; Haupteffekt Version: p<0.011; Haupteffekt Persönlichkeit: p<0.0001; Wechselwirkung: p<0.0001. Niedriger Wert = negative Eindrücke; hoher Wert = positive Eindrücke.
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Einfluss des nonverbalen Verhaltens auf den Eindruck von sozialem Verhalten, Qualifikation und Durchsetzungsvermögen Die Zuschauer von Fernsehinterviews bilden sich bekanntlich ein Urteil über drei Dimensionen des Verhaltens von Politikern und Journalisten ± ihr soziales Verhalten, ihr Durchsetzungsvermögen und ihre Qualifikation. Dies führt zu der Frage, wie sich das nonverbale Verhalten der Interviewpartner auf die Wahrnehmung dieser drei Aspekte auswirkt. Antworten darauf gibt die exemplarische Betrachtung der drei Grundtypen der Verhaltensweisen ± die übereinstimmende Zurückhaltung (beide defensiv), die übereinstimmende Neutralität (beide neutral) sowie die gegenseitige Provokation (beide offensiv). Die übereinstimmende Neutralität des Politikers und des Journalisten vermittelte einen relativ günstigen Eindruck von ihrem sozialen Verhalten und von ihrer Qualifikation sowie einen noch günstigeren Eindruck von ihrem Durchsetzungsvermögen. Von dieser Verhaltenskonstellation profitierte folglich in ähnlicher Weise die Wahrnehmung aller drei Dimensionen beider Interviewpartner. Die übereinstimmende Neutralität beider Interviewpartner kann man deshalb als eine für beide Seiten ideale Konstellation betrachten. Wesentlich problematischer sind die beiden anderen Konstellationen. Die gegenseitige Provokation des Politikers und Journalisten vermittelte den Eindruck von einem relativ großen Durchsetzungsvermögen. Er ging jedoch zu Lasten des negativen Eindrucks von ihrem sozialen Verhalten. Die übereinstimmende Zurückhaltung des Politikers und des Journalisten vermittelte dagegen den Eindruck von einem relativ positiven sozialen Verhalten. Dies ging jedoch vor allem bei dem Politiker zu Lasten eines negativen Eindrucks von seiner Qualifikation und von seinem Durchsetzungsvermögen. Damit stehen oft Politiker vor einem Dilemma: Sie müssen sich entscheiden, ob sie einen möglichst guten Eindruck von ihrem sozialen Verhalten oder einen möglichst guten Eindruck von ihrem Durchsetzungsvermögen vermitteln sollen. Für einen Politiker ist Durchsetzungsfähigkeit eine unabdingbare Erfolgsvoraussetzung. Ohne Durchsetzungsfähigkeit hat er auf Dauer keinen Erfolg. Dass er ein umgänglicher Mensch ist, ist im Vergleich dazu zweitrangig. Aus der politischen Innenperspektive erscheint es deshalb notwendig, dass ein Politiker den Eindruck von Durchsetzungsfähigkeit auch auf Kosten des Eindrucks von seinem Sozialverhalten verbessert. Aus der kommunikationswissenschaftlichen Außenperspektive wäre dies jedoch ± wie die folgende Detailanalyse der Wirkung von Verhaltenänderungen belegt ± falsch. Hierfür sind zwei Gründe ausschlaggebend: Der Gesamteindruck eines Politikers beruht vor allem auf der Vorstellung von seinem sozialen Verhalten (vgl. Tabelle 1), das vor allem von seinem nonverbalen Verhalten geprägt wird (vgl. Tabelle 3 unten). Dagegen spielt seine Persönlichkeit hier keine große Rolle (Haupteffekt Version, kein
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Haupteffekt Person). Ein Politiker, der durch sein nonverbales Verhalten den Eindruck von seinem Durchsetzungsvermögen auf Kosten des Eindrucks von seinem sozialen Verhalten optimiert, schädigt folglich dadurch den Gesamteindruck, den er bei den Zuschauern hervorruft. Das beste historische Beispiel hierfür ist Franz Josef Strauß. Das beste Gegenbeispiel Hans-Dietrich Genscher.5 Einfluss von Verhaltensänderungen auf den Eindruck von sozialem Verhalten, Qualifikation und Durchsetzungsvermögen Die Analyse des Einflusses von Änderungen des nonverbalen Verhalten auf den Gesamteindruck hat folgendes gezeigt: Der Wechsel eines Politikers von einem offensiven zu einem defensiven Auftritt führte zu einem besseren Gesamteindruck als sein konstant offensives Verhalten (Tabelle 2 eingeschüchterter Politiker im Vergleich zu dominierendem Politiker). Die differenzierte Analyse zeigt warum: Der Wechsel vom offensiven zum defensiven Verhalten verschlechtert zwar erwartungsgemäß den Eindruck vom Durchsetzungsvermögen des Politikers erheblich. Er verbesserte aber den Eindruck von seinem sozialen Verhalten noch stärker. Dies führte, weil vor allem der Eindruck vom sozialen Verhalten den Gesamteindruck prägt (Tabelle 1), zu einem insgesamt besseren Gesamteindruck vom Politiker. Zur leichteren Lektüre sind in Tabelle 3 die relevanten Werte durch Linien miteinander verbunden.6 Eine zweite Möglichkeit der Verhaltensänderung besteht im Wechsel von einem defensiven zu einem offensiven Auftritt. Die Analyse des Einflusses von Änderungen des nonverbalen Verhalten auf den Gesamteindruck hat gezeigt: Ein Politiker, der bei seiner zweiten Antwort auf einen offensiven Journalisten selbst in die Offensive geht (konternder Politiker), vermittelt einen positiveren Eindruck als ein Politiker, der in der Defensive bleibt (dominierender Journalist) (Tabelle 1). Auch hier offenbart die differenzierte Analyse warum: Der konternde Politiker verbesserte, indem er als Reaktion auf einen offensiven Journalisten selbst in die Offensive ging, den Eindruck von seinem Durchsetzungsvermögen, ohne dass sich der Eindruck von seinem sozialen Verhalten gravierend verschlechterte. Zur leichteren Lektüre sind in Tabelle 3 die relevanten Werte wieder durch Striche miteinander verbunden. Der Grund für den verbesserten Eindruck bestand darin, dass sich der konternde Politiker gegen einen offensiven Journalisten zur Wehr setzte. Dadurch erschien sein soziales Verhalten in Grenzen akzeptabel. Dies war im Falle des dominierenden Politikers (vgl. oben) nicht der Fall, weil von Beginn an ein Konflikt mit dem Journalisten bestand, von dem nicht klar war, wer ihn ausgelöst hatte. Der Vergleich der Verhaltensänderungen des Politikers mit seinen konstanten Verhaltensweisen zeigt, dass ein offensiver
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Auftritt nur lohnt, wenn er als Reaktion auf das offensive Verhalten eines Journalisten gerechtfertigt erscheint. Dagegen lohnt sich der Wechsel von einem offensiven zu einem defensiven Aufritt in jedem Fall. Theoretisch besitzen die berufliche Position der Interviewpartner und die damit verbundenen Rollenerwartungen an Politiker und Journalisten einen Einfluss auf die Wahrnehmung ihres nonverbalen Verhaltens. Dies belegt die unterschiedliche Wahrnehmung von gleichartigen Verhaltensänderungen des Politikers und des Journalisten. So wurde das soziale Verhalten des konternden Politikers relativ günstig, das soziale Verhalten des konternden Journalisten dagegen relativ ungünstig beurteilt. Auf der anderen Seite wurde das soziale Verhalten des dominierenden Politikers noch schlechter bewertet als das soziale Verhalten des dominierenden Journalisten. Die Versuchspersonen billigten damit dem Politiker, nicht jedoch dem Journalisten zu, dass er sich nach einem offensiven Angriff offensiv verteidigte. Sie missbilligten beim Politiker dagegen noch mehr als beim Journalisten, wenn er sich gegenüber einem konsequent defensiven Gesprächspartner fortgesetzt offensiv verhielt. Diese Sachverhalte schlagen sich in signifikanten Wechselbeziehungen zwischen der Persönlichkeit und den Verhaltenskombinationen nieder (Interaktionseffekte). Tabelle 3 zeigt die Ergebnisse von zweifachen Varianzanalysen des sozialen Verhaltens. Da die Skalenwerte mit den Faktorenladungen gewichtet wurden, um ihrer tatsächlichen Bedeutung für die Wahrnehmung des sozialen Verhaltens gerecht zu werden, sind die Mittelwerte kleiner als man es bei einer ungewichteten Analyse erwarten würde. Einflüsse des nonverbalen Verhaltens einer Person auf die Wahrnehmung einer anderen Person Nahezu alle Untersuchungen zur Wirkung einer Person im Fernsehen liegt die unangesprochene Annahme zugrunde, dass ihre Wirkung im Wesentlichen auf dem beruht, was sie sagt und wie sie sich verhält. Diese Annahme ist jedoch sachlich nur berechtigt, wenn im Fernsehen eine Person etwa in der Rolle eines Nachrichtensprechers alleine auftritt. Sie ist schon dann fragwürdig, wenn sie vor einem Publikum agiert, weil die Reaktionen des Publikums die Wahrnehmung eines Redners beeinflussen können. 7 Noch fragwürdiger ist sie bei Interviews, in denen die Fragen und Antworten eine Einheit bilden und von den Zuschauern auch so gesehen werden. Sie nehmen den Interviewer und den Interviewten nicht unabhängig voneinander wahr und addieren sie zu einem synthetischen Gesamteindruck, sondern betrachten das Interview als Einheit und identifizieren darin Personen in unterschiedlichen Rollen. Deshalb hängt die Wahrnehmung des Interviewers theoretisch auch von der Wahrnehmung des Inter-
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Tabelle 3: Der Einfluss nonverbalen Verhaltens auf den Eindruck von sozialem Verhalten, Qualifikation und Durchsetzungsvermögen ± zweifache Varianzanalyse ±
Charakteristik
Soziales Verhalten+
Versionen J
P
J
P
J
P
Qualifikation++ J
P
Durchsetzungsvermögen+++ J
P
Übereinstimmende def def def def Zurückhaltung
2,1 2,5
2,3 1,7
3,2
1,7
Dominierender Politiker
def off def
off
2,8 0,4
2,5 1,8
2,8
2,3
Eingeschüchterter def off off Politiker
def
1,3 2,1
2,5 1,7
3,2
1,9
Konternder Journalist
off
1,6 1,3
2,6 2,2
3,1
2,9
Übereinstimmende neu neu neu neu Neutralität
2,2 2,1
2,3 2,1
2,9
3,0
Dominierender Journalist
off def off
def
1,1 2,9
2,5 1,7
3,2
1,5
Konternder Politiker
off def off
off
0,9 2,4
2,6 1,8
3,1
2,2
Eingeschüchterter off off def Journalist
off
2,0 0,7
2,5 1,8
2,6
2,7
Gegenseitige Provokation
off
1,4 1,2
2,7 2,0
2,8
2,9
3,0
2,3
Gesamtmittelwert Haupteffekt Version Haupteffekt Person Wechselwirkung
def off off
off off off
1,7 1,7 p<0.0001 n.s. p<0.01
2,5 1,9 p<0.01 p<0.01 n.s.
p<0.01 p<0.0001 p<0.0001
+ Summe der 6 Skalen des Faktors ÄSoziales Verhalten³ gewichtet mit ihren Faktorenladungen. ++ Summe der 5 Skalen des Faktors ÄQualifikation³ gewichtet mit ihren Faktorenladungen. +++ Summe der 7 Skalen des Faktors ÄDurchsetzungsvermögen³ gewichtet mit ihren Ladungen. Niedrige Werte = negative Eindrücke; hohe Werte = positive Eindrücke.
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viewten ab und umgekehrt. Für die Analyse der Einflüsse des einen Interviewpartners auf die Wahrnehmung des anderen werden jeweils zwei Versionen des Interviews herangezogen, in denen sich ein Interviewpartner gleich, der andere jedoch unterschiedlich verhält. Sie wurden in Abbildung 1 durch Linien miteinander verbunden. Im Vergleich zu dem konstant offensiven Journalisten verstärkte der konstant defensive Journalist den ohnehin negativen Eindruck vom sozialen Verhalten des konstant offensiven Politikers. Dies belegt ein Vergleich der Mittelwerte der beiden rechten Spalten auf der rechten Seite von Tabelle 4. Der offensive Politiker erschien im Gespräch mit einem defensiven Journalisten noch aufdringlicher, unhöflicher, angriffslustiger, unfairer und herrischer. Der konstant defensive Journalist ließ den konstant offensiven Politiker zudem inkompetenter und unehrlicher (Qualifikation) sowie ungeschickter, schwächer, farbloser und verkrampfter (Durchsetzungsvermögen) erscheinen. Vor allem die Wahrnehmung des sozialen Verhaltens beruhte demnach auf Kontrasteffekten: Aufgrund des unterschiedlichen Verhaltens des Journalisten wurde das in beiden Fällen gleiche soziale Verhalten des Politikers negativer wahrgenommen. Die erwähnten Kontrasteffekte auf die Wahrnehmung des Politikers traten jedoch (fast) nur dann auf, wenn sich der Politiker konstant offensiv verhielt. Verhielt er sich konstant defensiv, wurde er weitgehend unabhängig davon wahrgenommen, wie sich der Journalist verhielt (Mittelwerte der beiden linken Spalten). Daraus folgt, dass ein Politiker, der sich konstant defensiv verhält, die Wahrnehmung seines sozialen Verhaltens selbst kontrolliert. Dagegen überlässt er die Kontrolle bei einem konstant offensiven Verhalten dem Interviewer. Dies ist deshalb problematisch, weil er dadurch das Risiko eingeht, dass der an sich schon negative Eindruck seines offensiven Verhaltens durch das defensive Verhalten eines Journalisten noch verschlechtert werden kann. Im Vergleich zu dem konstant defensiven Politiker verstärkte der konstant offensive Politiker den ohnehin positiven Eindruck vom sozialen Verhalten des Journalisten. Dies belegt ein Vergleich der beiden linken Spalten auf der linken Seite von Tabelle 4. Der defensive Journalist erschien im Gespräch mit einem offensiven Politiker zurückhaltender, sympathischer, friedfertiger, fairer und weniger herrisch (soziales Verhalten). Der konstant offensive Politiker ließ den konstant defensiven Journalisten zudem ehrlicher und gewissenhafter (Qualifikation), allerdings auch unterlegener und unsicherer (Durchsetzungsvermögen) erscheinen. Auch beim Journalisten beruhte damit vor allem die Wahrnehmung seines sozialen Verhaltens auf Kontrasteffekten. Die erwähnten und einige weitere Kontrasteffekte auf die Wahrnehmung des Journalisten traten jedoch (fast) nur dann auf, wenn sich der Journalist konstant defensiv verhielt. Verhielt er sich konstant offensiv, wurde er weitgehend unabhängig davon wahrgenommen wie
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sich der Politiker verhielt. Daraus folgt, dass ein Journalist, der sich konstant offensiv verhält die Wahrnehmung vor allem seines sozialen Verhaltens selbst kontrolliert, während er bei einem konstant defensiven Verhalten die Kontrolle darüber verliert. Dies ist aber unproblematisch, weil der an sich schon positive Eindruck von seinem defensiven Verhalten durch das offensive Verhalten eines Politikers nur noch verbessert werden kann. Tabelle 4 zeigt die Ergebnisse im Überblick. Die nicht kursiv gesetzten Skalen oben in der Tabelle repräsentieren die Wahrnehmung des sozialen Verhaltens, die kursiv gesetzten in der Mitte die Wahrnehmung der Qualifikation und die nicht kursiv gesetzten darunter die Wahrnehmung des Durchsetzungsvermögens. Zusammenfassung und Interpretation Die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung können in acht Feststellungen zusammengefasst werden: 1.
2.
3.
4.
100
Sowohl der Journalist als auch der Politiker wurden auf drei Wahrnehmungsdimensionen beurteilt, die zusammen jeweils 59 Prozent der Varianz erklärten. Es handelte sich um die Dimensionen Äsoziales Verhalten³, ÄDurchsetzungsvermögen³ und ÄQualifikation³. Sowohl die Persönlichkeit der Gesprächspartner als auch ihre Verhaltensweisen besaßen einen unabhängigen Einfluss auf die Wahrnehmung des Gesamteindrucks. Daneben traten Wechselwirkungen zwischen der Persönlichkeit und den Verhaltenskombinationen auf. Defensives Verhalten vermittelte einen positiven Eindruck vom sozialen Verhalten, jedoch einen eher negativen Eindruck vom Durchsetzungsvermögen und von der Qualifikation der Gesprächspartner. Offensives Verhalten rief den umgekehrten Eindruck hervor. Wegen des entgegen gesetzten Einflusses von defensiven und offensiven Verhaltensweisen auf die Wahrnehmung des sozialen Verhaltens, der Qualifikation und des Durchsetzungsvermögens, stehen Interviewpartner vor der Wahl, die Wahrnehmung einer Persönlichkeitsdimension auf Kosten der Wahrnehmung einer anderen zu verbessern. Für die Entscheidung, welche Wahrnehmungen verbessert werden sollen, sind mehrere Kriterien relevant. Den stärksten Einfluss auf den Gesamteindruck der Zuschauer besaß der Eindruck vom sozialen Verhalten der Interviewpartner. Deshalb ist es in der Regel zweckmäßiger, den Eindruck vom sozialen Verhalten auch auf Kosten des Eindrucks vom Durchsetzungsvermögen zu optimieren.
Tabelle 4: Der Einfluss des nonverbalen Verhaltens einer Person auf die Wahrnehmung der anderen ± Mittelwerte ± Wahrnehmung des Journalisten
Verhalten
Wahrnehmung des Politikers
Journalist
(1. Frage)
def
def
off
off
def
off
def
off
Politiker
(1. Antwort)
def
off
def
off
def
def
off
off
Journalist
(2. Frage)
def
def
off
off
def
off
def
off
Politiker
(2. Antwort)
def
off
def
off
def
def
off
off
4,4
5,2
2,2
3,0
höflich
- unhöflich
1,9
3,6
sympathisch
- unsympathisch 4,4
5,8
friedfertig
- angriffslustig
3,7
5,6
1,5
2,9
fair
- unfair
4,8
6,0
2,2
3,6
herrisch
- unterwürfig
4,2
3,6
6,2
5,5
kompetent
- inkompetent
3,5
4,4
ehrlich
- unehrlich
5,0
5,9
2,9
4,0
gehaltvoll
- nichtssagend
unbeteiligt
- engagiert
gewissenhaft
- oberflächlich
4,2
5,1
überlegen
- unterlegen
5,1
4,2
sicher
- unsicher
5,8
4,7 3,1
4,4
3,4
4,5
2,1
3,2
2,9
3,9
zurückhaltend - aufdringlich
5,0
5,6
5,9
3,8
fachmännisch - laienhaft geschickt
- ungeschickt
stark
- schwach
5,7
4,3
beeindruckend - farblos locker
- verkrampft 4,5
5,1
5,7
4,1
p<0.05 (t-Test); niedrige Werte = negative Eindrücke; hohe Werte = positive Eindrücke.
101
5.
6.
7.
8.
9.
102
Änderungen des nonverbalen Verhaltens während eines Fernsehinterviews besaßen einen erheblichen Einfluss auf den Eindruck vor allem vom sozialen Verhalten und Durchsetzungsvermögen dieser Person. Die Richtung des Effektes von Verhaltensänderungen hing jedoch von der Ausgangslage ab. So verbessert ein Politiker, der gegen einen dominierenden Journalisten selbst in die Offensive geht, den Eindruck, den er auf die Zuschauer macht. Andererseits verschlechtert er seinen Eindruck, wenn er sich gegen einen konstant defensiven Journalisten zunehmend offensiv in Szene setzt. Neben der Ausgangslage wirkten sich die berufliche Position und die damit verbundene Rolle auf die Wahrnehmung von Verhaltensänderungen aus. So wurde das soziale Verhalten eines konternden Politiker relativ positiv, das eines konternden Journalisten dagegen relativ negativ wahrgenommen, weil die Zuschauer zwar einem Politiker nachsehen, wenn er sich gegen einen offensiven Journalisten wehrt, nicht jedoch einem Journalisten im umgekehrten Fall. Änderungen des nonverbalen Verhaltens führten in der Regel zu einer Verbesserung der Wahrnehmung des sozialen Verhaltens, die mit einer Verschlechterung der Wahrnehmung des Durchsetzungsvermögens einhergeht ± und umgekehrt. Weil die Wahrnehmung des sozialen Verhaltens einen stärkeren Einfluss auf den Gesamteindruck besitzt, ist es in der Regel günstiger, den Eindruck vom sozialen Verhalten auf Kosten des Eindrucks vom Durchsetzungsvermögen zu verbessern. Dies trifft auch auf Politiker zu, von denen man Durchsetzungsvermögen erwartet. Das nonverbale Verhalten des einen Gesprächspartners übte einen erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung des sozialen Verhaltens des anderen Gesprächspartners aus. Hierbei handelte es sich um Kontrasteffekte: Der defensive Journalist vermittelte im Vergleich zum offensiven Journalisten einen negativeren Eindruck vom sozialen Verhalten, von der Qualifikation und vom Durchsetzungsvermögen eines offensiven Politikers. Ein offensiver Politiker vermittelte im Vergleich zu einem defensiven Politiker einen positiveren Eindruck vom sozialen Verhalten und von der Qualifikation eines defensiven Journalisten. Aus der Tatsache, dass das nonverbale Verhalten des einen Gesprächspartners einen Einfluss auf die Wahrnehmung des sozialen Verhaltens des anderen Gesprächspartners ausübt, kann man eine praktische und eine theoretische Folgerungen ableiten. Die praktische Folgerung lautet: In einem Fernsehinterview kann der eine Gesprächspartner die Wahrnehmung des anderen Gesprächspartners durch sein eigenes nonverbales Verhalten beeinflussen. Einen defensiven Gesprächspartner kann er durch ein offensives Verhalten positiver, einen offensiven Gesprächspartner durch ein defensives
Verhalten negativer erscheinen lassen (Kontrasteffekte). Die theoretische Folgerung lautet: In einem Fernsehinterview können die nonverbalen Verhaltensweisen der Gesprächspartner nicht als wohldefinierte Stimuli betrachtet werden, die ihre Wirkung unabhängig von der Wirkung des Verhaltenskontextes entfalten. Man muss vielmehr davon ausgehen, dass gleiche Verhaltensweisen unter bestimmten Bedingungen und in verschiedenen Gesprächssituationen unterschiedliche Wirkungen besitzen.
1 Ralph Exline / David Gray / Dorothy Schuette: Visual Beavior in a Dyad as Affected by Interview Content and Sex of Respondent. In: Journal of Personality and Social Psychology 1 (1965) S. 201209. 2 Phoebe C. Ellsworth / J. Merrill Carlsmith: Effects of Eye Contact and Verbal Content on affective Response to a Dyadic Interaction. In: Journal of Personality and Social Psychology 10 (1968) S. 1520. 3 Vgl. Andrew S. Imada / Milton D. Hakel: Influence of Nonverbal Communication and Rater Proximity on Impressions and Decisions in Simulated Employment Interviews. In: Journal of Applied Psychology 62 (1977) S. 295-300. 4 Judee K. Burgoon / David B. Buller / Jerold L. Hale / Mark A. deTurck: Relational Messages Associated with Nonverbal Behaviors. In: Human Communication Research 10 (1984) S. 351-378. 5 Vgl.: Die Bedeutung von Gestik und Mimik für die Beurteilung von Schmidt, Genscher, Kohl und Strauß im Fernsehen. In: Hans Mathias Kepplinger: Darstellungseffekte. Experimentelle Untersuchungen zur Wirkung von Pressefotos und Fernsehfilmen. Freiburg. i. Br.: Verlag Karl Alber 1987, S. 20-56. 6 Ähnlich wirkte sich die entsprechende Verhaltensänderung des Journalisten aus. Bei ihm neutralisierten sich jedoch die Gewinne und Verluste, so dass sich am Gesamturteil nichts änderte. 7 Vgl. Jon Baggaley: Psychology of the TV Image. Westmead: Gower 1980, S. 30-35.
103
Identitätsprobleme der Personenwahrnehmung anhand von Fotos
Personenfotos zeigen Ausschnitte aus gestischen und mimischen Bewegungsabläufen, die nur Bruchteile von Sekunden dauern, mit bloßem Auge nicht erkennbar sind und keine eigenständige Bedeutung besitzen. Von den Betrachtern der Fotos werden sie jedoch so wahrgenommen, als besäßen sie eine eigenständige Bedeutung, wobei die wahrgenommene Bedeutung mehr oder weniger situationsgerecht sein kann. Situationsgerecht ist sie dann, wenn der Ausschnitt den gleichen Eindruck vermittelt wie der Ablauf, was jedoch nur selten der Fall ist.1 Die Personenfotos in Presseberichten sind häufig das Ergebnis einer Entscheidung zwischen mehreren Aufnahmen einer Person. Die Problematik der Aufnahme eines kurzen Ausschnitts aus einer Bewegung wird deshalb zur Problematik der Auswahl aus unterschiedlichen Aufnahmen des gleichen Bewegungsablaufs oder aus unterschiedlichen Situationen. So kann eine gezielte Auswahl von Fotos aus einer größeren Zahl von Bildern ganz bestimmte Eindrücke vermitteln, die einen Menschen nicht unbedingt angemessen darstellen. Ein Beispiel sind Aufnahmen von Personen mit halbgeschlossenen Augenlidern, die auch dann den Eindruck von Müdigkeit erwecken, wenn die Dargestellten bei der Aufnahme nicht müde waren. Ein anderes Beispiel sind Aufnahmen von Personen mit vorgestrecktem Kinn, die die Dargestellten auch dann aggressiv erscheinen lassen, wenn die Mimik andere Ursachen hatte. In beiden Fällen geht es um die zentrale Frage, ob man von Personenfotos mit hinreichender Sicherheit auf die Persönlichkeit der dargestellten Person bzw. ihre momentanen Intentionen und Emotionen schließen kann. Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei der Schluss auf die Persönlichkeit einer Dargestellten Person, also auf eine Eigenschaft, die sie im Unterschied zu ihren momentanen Emotionen dauerhaft besitzt. Vermutlich bilden sich die meisten Zeitungs- und Zeitschriftenleser anhand von Personenfotos unbewusst ein Urteil über die Persönlichkeit der dargestellten Personen. Sie glauben zu wissen, was die Dargestellten für Menschen sind. Die Einflüsse von Personenfotos können sich theoretisch auf mindestens drei Aspekte erstrecken: Urteile über die augenblicklichen Motive, die momentanen Empfindungen und die dauerhaften Charakterzüge der dargestellten Personen.2 Der Einfluss von Personenfotos auf diese drei Aspekte wurde bisher in keiner Studie
gezielt untersucht. Allerdings wurden in zahlreichen Experimenten Fotos als Testmaterial verwandt. Sie liefern sozusagen nebenbei einige Erkenntnisse. G. R. Thornton fotografierte mehrere Personen mit und ohne Brille und zeigt, dass Personen mit Brille intelligenter, zuverlässiger, fleißiger und rechtschaffener erscheinen.3 Percy H. Tannenbaum und James A. Fosdick nahmen PortraitBüsten mit verschiedener Beleuchtung auf und demonstrieren, dass die Fotos sehr verschiedene Eindrücke von den gleichen Gegenständen vermitteln.4 Pamela J. Shoemaker und James A. Fosdick stellten vier verschiedene Abzüge von mehreren Personenfotos her und belegen, dass sie ganz unterschiedliche Urteile hervorrufen.5 Norman L. Munn variierte den Bildausschnitt von Fotos aus der Illustrierten Life und fand, dass die Betrachter die dargestellten Personen vielfach nur dann übereinstimmend wahrnehmen, wenn sie nicht nur ihr Gesicht, sondern den Kontext des Geschehens erkennen.6 Alle genannten Studien belegen, dass man durch eine Veränderung der aufgenommenen Personen und durch eine Veränderung der Aufnahmetechnik unterschiedliche Eindrücke von einer Person vermitteln kann. Die grundlegende Frage, ob man von Fotos generell auf die Persönlichkeit der dargestellten Personen schließen kann, wird jedoch nicht gestellt. Am nächsten kommt dieser Problematik eine frühe Studie von Werner Wolff zur Asymmetrie der Gesichtshälften.7 Wolff ging von der Annahme aus, dass ein fundamentaler Unterschied zwischen der Selbstwahrnehmung durch Introspektion und der Wahrnehmung anderer durch Interpretation von Gestik und Mimik besteht. Sein Ziel war es, beide Wahrnehmungsweisen so zu objektivieren, dass sie vergleichbar werden. Zu diesem Zweck machte er Portraitfotos, von denen er seitenkorrekte und seitenverkehrte Abzüge herstellte. Anschließend schnitt er die Abzüge in der Gesichtsmitte durch und kombinierte die beiden linken und die beiden rechten Gesichtshälften zu zwei neuen Fotos. Wolff legte beide Fotos den dargestellten Personen und Dritten vor und bat die Betrachter, ihre Eindrücke wiederzugeben. Teilweise geschah dies durch freie Assoziation, teilweise anhand von Adjektivlisten. Wolff berichtet vier bemerkenswerte Ergebnisse, ohne allerdings quantitative Belege zu liefern. Die Kombinations-Portraits aus der linken bzw. rechten Gesichtshälfte vermittelten erstens einen sehr unterschiedlichen Eindruck. Anhand der Kombinations-Portraits aus der rechten Gesichtshälfte erschienen die Personen als Ävital, sinnlich, lächelnd, offen, aktiv, brutal, sozial und emotional³, anhand der Kombinations-Portraits aus den linken Gesichtshälften dagegen als Ähart, tot, konzentriert, zurückhaltend, passiv, ätherisch, dämonisch, einsam und maskenhaft³.8 Der Eindruck, den die Kombinations-Portraits aus den rechten Gesichtshälften vermittelten, entsprach zweitens grob demjenigen der Originale, während sich der Eindruck, den die Kombinations-Portraits aus den linken Ge-
106
sichtshälften erweckten, nicht darauf zurückführen ließ. Die Kombinations-Portraits aus den rechten Gesichtshälften vermittelten drittens einen intensiveren Eindruck als die Originalbilder. Die Betrachter der Kombinations-Fotos aus den rechten Gesichtshälften erkannten sich viertens häufig selbst nicht wieder. Wolff führte diesen überraschenden Befund darauf zurück, dass die rechte Gesichtshälfte die tatsächlichen Charaktereigenschaften einer Person, die linke Gesichtshälfte dagegen ihr subjektives Wunschbild zeigt. Die Studie von Wolff legt die Annahme nahe, dass Fotos von einer Person den Eindruck von verschiedenen Persönlichkeiten des Dargestellten hervorrufen können. Einen Beleg hierfür liefert eine Untersuchung von Norman Van Tubergen und David L. Mahsman, die den Einfluss günstiger und ungünstiger Fotos auf die Einstellungen gegenüber den dargestellten Personen analysieren wollten.9 Tatsächlich maßen sie die Wahrnehmung der Personen und nicht die Einstellungen ihnen gegenüber, was im vorliegenden Zusammenhang aber unerheblich ist. Die Autoren wählten für ihr Experiment jeweils zwei Fotos von zehn Personen, darunter fünf Personen des öffentlichen Lebens (u.a. Golda Meir, George Meany, C. P. Snow). Jeweils ein Foto zeigte nach Ansicht einer Expertengruppe die dargestellte Person günstig bzw. ungünstig. Van Tubergen und Mahsman legten ihren Versuchspersonen fünf günstige und fünf ungünstige Fotos vor, und zwar so, dass jede Versuchsperson nur ein Foto einer Person sah. Die Aufgabe der Versuchspersonen bestand darin, ihren Eindruck anhand eines Semantischen Differentials aus 17 Skalen anzugeben. Für die Analyse der Daten fassten die Autoren alle Urteile über die günstigen bzw. ungünstigen Fotos der zehn Personen zusammen. Die Versuchspersonen beurteilten die Bildpersonen anhand der ungünstigen Fotos als streitsüchtiger, unfreundlicher, schroffer, ungeselliger, unangenehmer, härter, ungeduldiger, unfairer, unsittlicher, unglaubwürdiger, unaufrichtiger und energieärmer, zugleich jedoch als aggressiver, dreister und offener. Zwar unterschieden sich die Urteile über die unbekannten Personen mehr als die über die bekannten Personen, allerdings waren auch diese Unterschiede signifikant. Dies deutet darauf hin, dass unterschiedliche Fotos bei den Betrachtern auch dann unterschiedliche Vorstellungen hervorrufen können, wenn die dargestellten Personen bekannt sind. Theoretische Annahmen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichen nicht nur ein oder zwei Bilder von Personen der Zeitgeschichte, sondern ganze Bilderserien. Dies führt zu der Frage, ob man aus einer größeren Anzahl von Fotos einer Person durch eine gezielte Auswahl mindestens zwei Fotoserien herstellen kann, die zwei scheinbar ver-
107
schiedene Persönlichkeiten zeigen. Falls dies möglich ist, könnten Redaktionen durch eine gezielte Bildauswahl unterschiedliche Vorstellungen davon vermitteln, was z. B. ein Politiker für ein Mensch ist, um welche Persönlichkeit es sich handelt. Dies hätte zwei Folgen. Die Leser eines Blattes könnten erstens auch anhand einer ganzen Serie von Fotos nicht sicher erkennen, welche Persönlichkeit der Dargestellte hat. Dies wäre nur dann möglich, wenn die Redaktionen entweder überwiegend typische Fotos veröffentlichen oder aus allen vorhandenen Fotos eine Zufallsauswahl treffen würden. Beides erscheint unwahrscheinlich und kann von den Lesern nicht überprüft werden. Die Leser der Blätter, die gezielt eine unterschiedliche Bildauswahl treffen, würden zweitens vermutlich unterschiedliche Vorstellungen davon entwickeln, was die abgebildete Person für ein Mensch ist, welche Persönlichkeit sie hat. Der Eindruck, den Menschen anhand von Personenfotos machen, hängt auch von Umständen ab, unter denen sie fotografiert werden. Deshalb lassen Fotos Menschen, die vor einem drohenden Unfall Angst haben, entsetzt und angstvoll erscheinen und Menschen, die sich über ein bevorstehendes Wiedersehen freuen, zufrieden und glücklich. Dies trifft analog auch auf die Politik zu, in der sich Siege und Niederlagen abwechseln. Deshalb kann man vor allem aus Fotos von Personen des öffentlichen Lebens durchaus ganze Serien konstruieren, die sie selbstsicher oder unsicher, bescheiden oder unbescheiden, aggressiv oder duldsam zeigen. Das ist trivial und muss nicht eigens bewiesen werden. Nicht trivial ist dagegen die Frage, ob dies tatsächlich geschieht10 und ob man auch aus Fotos, die in Alltagssituationen gemacht wurden, Bildserien herstellen kann, die unterschiedliche Vorstellungen von der Persönlichkeit der Dargestellten hervorrufen. Dies soll im vorliegenden Experiment geprüft werden. Dazu werden zwei gegensätzliche Annahmen zur Diskussion gestellt. Die erste Annahme lautet: Fotos zeigen die wahre Persönlichkeit des Dargestellten. Trifft diese Annahme zu, dann ist es nicht möglich, von einer Person in einer normalen Lebenssituation und innerhalb eines kurzen Zeitintervalls mehrere Fotos zu machen, die scheinbar verschiedene Charaktere zeigen. Aus der Annahme folgt, dass Fotos sichere Rückschlüsse auf den Charakter einer Person zulassen. Die Fotos legen die Identität der Person offen, und die dargestellte Person ist für den Eindruck, den sie hervorruft, selbst verantwortlich. Die zweite Annahme lautet: Fotos zeigen nicht die wahre Persönlichkeit des Dargestellten. Trifft diese Annahme zu, dann ist es möglich, von einer Person in einer normalen Lebenssituation und innerhalb eines kurzen Zeitintervalls mehrere Fotos oder gar ganze Fotoserien zu machen, die scheinbar verschiedene Persönlichkeiten zeigen. Aus der zweiten Annahme folgt, dass Fotos keine sicheren Rückschlüsse auf die Persönlichkeit zulassen. Die Fotos legen die Identität einer Person nicht offen, und die dargestellte Person ist für den Eindruck, den sie hervorruft, nicht
108
selbst verantwortlich. Der Eindruck anhand von Personenfotos ist in diesem Fall nicht wesensmäßig, sondern mehr oder weniger willkürlich. Untersuchungsanlage Für die Untersuchung wurden innerhalb einer Stunde jeweils 120 SchwarzWeiß-Fotografien eines Frisörs und eines Speditionskaufmanns im Alter von 45 bzw. 26 Jahren aufgenommen, die hier Horst Berger und Jürgen Schütz genannt werden. Um den Spielraum für Verhaltensvariationen der dargestellten Personen möglichst klein zu halten, wurden sie während ihrer Berufstätigkeit fotografiert. Auf allen Fotos von Horst Berger sind nur Kopf und Schultern, auf allen Fotos von Jürgen Schütz Kopf und Oberkörper sowie Teile einer einfachen Büroeinrichtung zu erkennen. Durch diese Maßnahmen sollte sichergestellt werden, dass die Annahmen unter möglichst strengen Bedingungen überprüft werden. Die Fotos für die Hauptstudie wurden in einer dreistufigen Vorstudie identifiziert. Zunächst wählten vier Juroren anhand von 9x13-Abzügen der 240 Aufnahmen jeweils zwei Serien von 10 Fotos beider Personen aus, die augenscheinlich einen unterschiedlichen Eindruck vermitteln. Anschließend beurteilte eine Gruppe von Studenten die dargestellten Personen anhand der 40 Fotos mit Hilfe eines Semantischen Differentials aus 45 Skalen. Jeweils ein Foto von Horst Berger und Jürgen Schütz konnte nicht eindeutig einer der beiden Serien zugerechnet werden und wurde ausgeschlossen. In die Hauptuntersuchung wurden folglich jeweils 19 Fotos der beiden Personen aufgenommen. Für die Hauptuntersuchung wurden aus den 45 Skalen 20 Skalen ausgewählt, die besonders trennscharf waren. Die meisten Skalen erfassen die Einschätzung der Persönlichkeit des Dargestellten (gutmütig ± bösartig; vertrauenerweckend ± hinterlistig; selbstsicher ± unsicher usw.), einige andere ihre Emotionen (z. B. heiter ± betrübt). Trotzdem wird im folgenden Text aus zwei Gründen nur die Wahrnehmung der Persönlichkeit erwähnt. Zum einen beziehen sich die weitaus meisten Skalen auf die Persönlichkeit. Zum anderen vereinfacht die Beschränkung auf den Hauptaspekt der Thematik die Darstellung. An der Hauptuntersuchung nahmen in 16 Gruppen 353 Polizeiangehörige teil. Die Gruppen bestanden aus 15 bis 22 Versuchspersonen. Fast alle Versuchspersonen waren Männer, fast alle befanden sich im Alter zwischen 20 und 43 Jahren. Die auf einer elfstufigen Links-Rechts-Skala gemessenen politischen Einstellungen der Gruppenmitglieder wiesen keine statistisch signifikanten Unterschiede auf. In der Hauptuntersuchung wurden die Aufnahmen mit Dias präsentiert. Dadurch konnte die Betrachtungszeit kontrolliert und unvermeidliche Unterschiede zwischen Papierabzügen ausgeschaltet werden. Nach einigen tech-
109
nischen Erläuterungen wurde jeder Versuchsgruppe ein Foto von Horst Berger oder Jürgen Schütz präsentiert. Die Versuchspersonen hatten 30 Sekunden Zeit, das Foto in Ruhe zu betrachten. Anschließend wurden sie aufgefordert, anhand des Semantischen Differentials ihren Eindruck von der dargestellten Person zu notieren. Während die Versuchspersonen die Testbogen ausfüllten, blieben die Fotos projiziert, so dass die Versuchspersonen ihre Eindrücke überprüfen und korrigieren konnten. Nachdem die Versuchspersonen ihre Beurteilungen abgeschlossen hatten, wurde ein zweites Foto projiziert. Dabei handelte es sich um eine Aufnahme von der bisher noch nicht gesehenen Person. Sechs Versuchsgruppen wurde zudem ein zweites Foto der zuerst gesehenen Person gezeigt. Da in diesen Gruppen jeweils zwei Fotos einer Modellperson gezeigt wurden, kann ein Einfluss des ersten Fotos auf die Wahrnehmung des zweiten Fotos nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Allerdings wurden bei der Datenanalyse keine Hinweise auf einen solchen Einfluss gefunden. Ergebnisse Typische und extreme Fotos Als typisch werden hier Fotos betrachtet, die einen der Person möglichst angemessenen Eindruck vermitteln. Typisch sind demnach nicht diejenigen Fotos, die man wegen der Akzentuierung bestimmter Eigenschaften als typisch bezeichnen würde. Hierzu müssten Außenkriterien herangezogen werden, anhand derer man solche Eigenschaften bestimmen kann. Derartige Kriterien ± intensive persönliche Erfahrungen oder psychologische Tests ± liegen in der Realität nicht vor und sollten deshalb auch nicht herangezogen werden. Typisch sind hier vielmehr diejenigen Fotos, die einen möglichst repräsentativen Eindruck hervorrufen. Um die typischen Fotos zu ermitteln, wurde die durchschnittliche Wahrnehmung der 20 Eigenschaften, die durch das Semantische Differential erfasst wurden, anhand aller Fotos errechnet. Sie zeigt an, welchen Eindruck Horst Berger und Jürgen Schütz vermittelten, wenn alle verfügbaren Bildinformationen herangezogen wurden. Anschließend wurden die Distanzmaße zwischen der durchschnittlichen Wahrnehmung der Person anhand aller Fotos und ihrer Wahrnehmung anhand der einzelnen Aufnahmen berechnet.11 Je kleiner das Distanzmaß ist, desto besser repräsentiert eine einzelne Aufnahme die ganze Serie. Sowohl von Horst Berger als auch von Jürgen Schütz enthalten die Fotoserien typische Aufnahmen, die den durchschnittlichen Eindruck nahezu perfekt wiedergeben. Dies ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil die Serien in der erklärten Absicht zusammengestellt wurden, möglichst unterschiedliche Eindrük-
110
Abbildung 1:
Typische und extreme Fotos Horst Berger 1
2
3
4
5
6
7 bösartig hinterlistig rücksichtslos unsympathisch gefühllos unehrlich unfreundlich angriffslustig unglaubwürdig fremd verschlossen unsicher unterlegen passiv erfolglos zaghaft unterwürfig betrübt ruhig pessimistisch
gutmütig vertrauenerweckend rücksichtsvoll sympathisch gefühlvoll ehrlich freundlich friedlich glaubwürdig vertraut offen selbstsicher überlegen aktiv erfolgreich energisch herrisch heiter lebhaft optimistisch 1
2
3
4
5
6
7
Durchschnittliche Wahrnehmung anhand aller Fotos Spannbreite Typische Fotos
ke hervorzurufen, was sich auch in der Spannbreite der Bewertungen beider Personen niederschlug. So liegen die extremsten Urteile über die beiden Personen häufig mehr als zwei, zuweilen auch mehr als drei Skalenpunkte auseinander, und zwar auf verschiedenen Seiten des theoretischen Mittelwertes. Da die typischen Aufnahmen nicht nur eine theoretische Möglichkeit darstellen, sondern 111
Jürgen Schütz 1
2
3
4
5
6
7 bösartig hinterlistig unsympathisch unehrlich rücksichtslos unfreundlich unglaubwürdig gefühllos angriffslustig fremd zaghaft unsicher unterlegen passiv unterwürfig erfolglos betrübt verschlossen pessimistisch ruhig
gutmütig vertrauenerweckend sympathisch ehrlich rücksichtsvoll freundlich glaubwürdig gefühlvoll friedlich vertraut energisch selbstsicher überlegen aktiv herrisch erfolgreich heiter offen optimistisch lebhaft 1
2
3
4
5
6
7
Durchschnittliche Wahrnehmung anhand aller Fotos Spannbreite Typische Fotos
in beiden Fällen tatsächlich vorhanden sind, kann man feststellen, dass es möglich ist, mit Hilfe von jeweils einem Foto einen angemessenen Eindruck von Personen zu vermitteln. Möglicherweise ist dieser Eindruck im journalistischen Sinne nicht interessant. Er wird aber den dargestellten Personen am besten gerecht. Abbildung 1 zeigt die durchschnittliche Wahrnehmung anhand aller Fotos, die Wahrnehmung anhand der typischen Fotos sowie die Spannbreite der Wahr-
112
nehmung von Horst Berger und Jürgen Schütz. Die oberen Kurven repräsentieren die Wahrnehmung des sozialen Verhaltens, die mittleren des Durchsetzungsvermögens und die unteren der Stimmung von Horst Berger und Jürgen Schütz. Dies geht aus vorgeschalteten Faktorenanalysen hervor, die hier nicht im Detail referiert werden.12 Charakterfiktionen Charakterfiktionen werden hier Darstellungen von Personen genannt, die anhand von Fotoserien sehr unterschiedliche, im Extremfall sogar gegensätzliche Eindrücke von ihrer Persönlichkeit vermitteln. Charakterfiktionen stellen eine Person so dar, als handele es sich um zwei Personen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten. Das Fiktionale derartiger Darstellungen zeigt sich darin, dass sich die Eindrücke von bestimmten Eigenschaften einer Person anhand verschiedener Fotoserien gravierend unterscheiden, das Charaktergebundene darin, dass solche Unterschiede nur innerhalb bestimmter Grenzen möglich sind, die durch die Person vorgegeben sind. Charakterfiktionen sind in diesem Sinne willkürliche Konstruktionen aus personengebundenen Elementen, die keine angemessenen Rückschlüsse auf die Person zulassen. Fotoserien, die unterschiedliche Versionen einer Person zeigen, kann man dadurch konstruieren, dass man bestimmte Eigenschaften herausgreift und alle Fotos heraussortiert, die einen möglichst unterschiedlichen Eindruck von diesen Eigenschaften vermitteln. So kann man z. B. alle Fotos zusammenstellen, die Horst Berger und Jürgen Schütz als eher heiter oder betrübt, freundlich oder unfreundlich, aktiv oder passiv zeigen. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine akzeptable Vorgehensweise, weil ein Betrachter einzelne Eigenschaften nicht isoliert wahrnimmt. Bei der Wahrnehmung einer Person sieht man vielmehr immer Kombinationen von mehreren Eigenschaften. Die Bedeutung der einzelnen Eigenschaften für die Wahrnehmung kann dabei unterschiedlich groß sein. So mag z. B. die Offenheit einer Person ein wichtiges, ihre Heiterkeit dagegen ein unwichtiges Element der Wahrnehmung sein. Einzelne Eigenschaftskomplexe können darüber hinaus bei verschiedenen Personen unterschiedliche Eigenschaften umfassen. So mag z. B. die Heiterkeit einer Person zusammen mit ihrer Freundlichkeit gesehen werden, bei einer anderen Person aber zusammen mit ihrer Aktivität. Bevor die Fotoserien gebildet werden konnten, wurden deshalb personentypische Eigenschaftskomplexe ermittelt. Eine Möglichkeit hierzu gibt die Diskriminanzanalyse. Gegenstand der Diskrimianzanalyse sind im vorliegenden Fall die Urteile der Versuchspersonen über Horst Berger und Jürgen Schütz anhand der präsentierten Aufnahmen. Die Diskriminanzanalyse identifi-
113
ziert sogenannte Diskriminanzfunktionen, die eine optimale Unterscheidung von Gruppen ermöglichen. Bei den Gruppen handelt es sich um die Versuchsgruppen, die hinsichtlich ihrer Urteile über die Fotos unterschieden werden. Für die Wahrnehmung von Horst Berger wurden vier, für die Wahrnehmung von Jürgen Schütz drei Diskriminanzfunktions-Koeffizienten ermittelt.13 Horst Berger wurde anhand der Fotos vor allem hinsichtlich der Eigenschaftskomplexe heiter/betrübt, freundlich/unfreundlich, energisch/zaghaft und offen/verschlossen unterschiedlich wahrgenommen. Dabei besaß seine Beurteilung anhand der Fotos als heiter oder betrübt eine Schlüsselstellung. Er wurde außerdem hinsichtlich des Eigenschaftskomplexes lebhaft/ruhig, friedlich/angriffslustig, gefühlvoll/gefühllos, gutmütig/bösartig und vertrauenerweckend/ hinterlistig unterschiedlich gesehen. Dazu gehörten einige weitere, weniger wichtige Eigenschaften. In beiden Fällen hingen positive Eindrücke von seiner Stimmung mit negativen Eindrücken von seinem sozialen Verhalten bzw. seinem Durchsetzungsvermögen zusammen. Das Gleiche gilt umgekehrt für die negativen Eindrücke von seiner Stimmung, die von positiven Eindrücken von seinem sozialen Verhalten bzw. seinem Durchsetzungsvermögen begleitet waren. Jürgen Schütz wurde anhand der Fotos vor allem hinsichtlich der Eigenschaftskomplexe lebhaft/ruhig, optimistisch/pessimistisch und aktiv/passiv unterschiedlich wahrgenommen. Dazu gehörten einige andere, weniger wichtige Eigenschaften. Er wurde ferner hinsichtlich des Eigenschaftskomplexes friedlich/angriffslustig, freundlich/unfreundlich, sympathisch/unsympathisch, vertrauenerweckend/hinterlistig und glaubwürdig/unglaubwürdig unterschiedlich gesehen. Im ersten Fall hingen positive Eindrücke von seiner Stimmung mit positiven Eindrücken von seinem Durchsetzungsvermögen zusammen. Im zweiten Fall hingen positive Eindrücke von seiner Stimmung mit entsprechenden Eindrücken von seinem sozialen Verhalten zusammen. Dies gilt analog auch für negative Eindrücke von seiner Stimmung. Die Wahrnehmung von Jürgen Schütz war damit insgesamt homogener als die Wahrnehmung von Horst Berger. Die Diskriminanzfunktionen zeigen, hinsichtlich welcher Eigenschaftskomplexe Horst Berger und Jürgen Schutz anhand der Fotos unterschiedlich wahrgenommen wurden. Sie sagen jedoch nichts darüber aus, welche Fotos sie unterschiedlich darstellen. Zur Identifikation dieser Fotos wurden die Gruppenzentroide herangezogen.14 Dies führte anhand der ersten Diskriminanzfunktion zu kontrastierende Fotoserien von Horst Berger und Jürgen Schütz. Vier Fotos zeigen eine (z. B. eine sozial wünschbare), vier weitere Fotos die andere (z. B. eine sozial nicht wünschbare) Darstellung der gleichen Eigenschaftskomplexe. Die Urteile über die Eigenschaften anhand der Fotos einer Teilserie wurden zu Mittelwerten verrechnet. Das Ergebnis sind Polaritäten-Profile der durchschnittlichen Wahrnehmung von Horst Berger und Jürgen Schütz anhand der kontras-
114
tierenden Teilserien. Die Eigenschaften, die die erste Diskriminanzfunktion konstituieren, sind in Abbildung 2 kursiv gedruckt, die dazugehörigen Kurvenpunkte dicker gezeichnet.15 Abbildung 2:
Wahrnehmung anhand von Kontrastserien aus jeweils 2x4 Bildern: Erste Diskriminanzfunktion
115
Horst Berger wurde anhand der Kontrastserien aus jeweils vier Fotos zur ersten Diskriminanzfunktion einmal als eher freundlich, offen und heiter, dabei jedoch auch als eher zaghaft, sowie einmal als eher unfreundlich, verschlossen und betrübt, dabei jedoch auch als eher energisch wahrgenommen. Alle genannten Unterschiede sind signifikant. Auch die Wahrnehmung der meisten anderen Eigenschaften folgte diesem Muster, wobei ebenfalls signifikante Unterschiede auftraten. Die beiden Kontrastserien zeigen somit zwei Charakterfiktionen von Horst Berger. Die Unterschiede der Wahrnehmung erstrecken sich über die für die Serienbildung zentralen Eigenschaften hinaus auf fast alle anderen Eigen116
schaften. Dabei sind, wie schon die Diskriminanzfunktionen andeuteten, positive Urteile über das soziale Verhalten und die Stimmung von Horst Berger mit negativen Urteilen über sein Durchsetzungsvermögen und vice versa verbunden. Jürgen Schütz wurde anhand der Kontrastserien zur ersten Diskriminanzfunktion einmal als eher energisch, selbstsicher, überlegen, aktiv, herrisch, heiter, offen, optimistisch und lebhaft, sowie einmal als eher zaghaft, unsicher, unterlegen, passiv, unterwürfig, betrübt, verschlossen, pessimistisch und ruhig wahrgenommen. Alle Unterschiede der Wahrnehmung dieser Eigenschaften sind signifikant. Die Wahrnehmung der anderen Eigenschaften folgte nicht diesem klaren Muster. Auch traten nur relativ wenige signifikante Unterschiede in der Wahrnehmung anderer Eigenschaften auf. Auch die beiden Kontrastserien zeigen damit zwei Charakterfiktionen von Jürgen Schütz. Zur zweiten Diskriminanzfunktion wurden auf die gleiche Weise zwei kontrastierende Fotoserien von Horst Berger und Jürgen Schütz zusammengestellt. Horst Berger erschien anhand der einen Kontrastserie als eher gutmütig, vertrauenerweckend, rücksichtsvoll, sympathisch, gefühlvoll, ehrlich, freundlich und vertraut, dabei jedoch als eher unterwürfig und ruhig. Anhand der anderen Kontrastserie wurde er als eher bösartig, hinterlistig, rücksichtslos, unsympathisch, gefühllos, unehrlich, angriffslustig und fremd wahrgenommen, zudem als eher herrisch und lebhaft. Zehn der elf Urteile über Eigenschaften, die die zweite Diskriminanzfunktion konstituieren, unterscheiden sich signifikant. Auch die Wahrnehmung der anderen Eigenschaften folgte diesem Muster, allerdings sind die Unterschiede dort nicht so deutlich. Die beiden Kontrastserien zeigen damit erneut zwei Charakterfiktionen von Hort Berger, deren Unterschiede sich über die für die Serienbildung zentralen Eigenschaften hinaus erstrecken. Dabei sind positive Urteile über das soziale Verhalten von Horst Berger generell mit negativen Urteilen über sein Durchsetzungsvermögen und seine Stimmung verbunden. Das gleiche gilt analog für negative Urteile über sein soziales Verhalten (Abbildung 3). Jürgen Schütz wurde anhand einer der Kontrastserien als eher vertrauenerweckend, sympathisch, freundlich, glaubwürdig und friedlich eingeschätzt, anhand der anderen als eher hinterlistig, unsympathisch, unfreundlich, unglaubwürdig und angriffslustig. Alle Unterschiede der Wahrnehmung dieser Eigenschaften, die die zweite Diskriminanzfunktion konstituieren, sind signifikant. Auch die Wahrnehmung einiger anderer Eigenschaften folgte diesem Muster, allerdings sind die Unterschiede nicht so deutlich. Die beiden Kontrastserien zeigen damit auch zwei Charakterfiktionen von Jürgen Schütz, deren Unterschiede sich über die für die Serienbildung zentralen Eigenschaften hinaus erstrecken.
117
Abbildung 3:
118
Wahrnehmung von Horst Berger und Jürgen Schütz anhand von Kontrastserien aus jeweils 2x4 Bildern: Zweite Diskriminanzfunktion
Zusammenfassung und Interpretation Die Ergebnisse der Untersuchung können in drei Feststellungen zusammengefasst werden: 1.
Sowohl von Horst Berger als auch von Jürgen Schütz gibt es typische Fotos, die den durchschnittlichen Eindruck anhand aller Fotos nahezu perfekt wie-
119
2.
3.
dergeben. In beiden Fällen ist es damit möglich, mit einem einzigen Foto einen angemessen Eindruck von beiden Personen zu vermitteln. Sowohl von Horst Berger als auch von Jürgen Schütz gibt es extreme Fotos, die einen insgesamt positiven oder negativen Eindruck hervorrufen. Die extremen Fotos beeinflussen vor allem die Wahrnehmung des sozialen Verhaltens und der Stimmung, weniger die Wahrnehmung des Durchsetzungsvermögens. Aus den Fotos von Horst Berger und Jürgen Schütz konnten jeweils zwei Kontrastserien aus 2x4 Fotos zusammengestellt werden, die einen unterschiedlichen Eindruck von ihrem sozialen Verhalten, ihrem Durchsetzungsvermögen und ihrer Stimmung vermitteln. Bei Horst Berger erstrecken sich diese Unterschiede auf alle drei Dimensionen der Personenwahrnehmung, bei Jürgen Schutz dagegen nur auf die Dimensionen, die der Serienbildung zugrunde lagen. Die Kontrastserien zeigen Charakterfiktionen der dargestellten Personen, die sich deutlich voneinander unterschieden.
Die Kontrastserien zeigen, so kann man argumentieren, nur dann verschiedene Charakterfiktionen, wenn sie nicht nur unterschiedliche, sondern gegensätzliche Eindrücke vermitteln. Eine Voraussetzung hierfür ist, dass die Mittelwerte der jeweiligen Messungen diesseits und jenseits des theoretischen Mittelwertes von 4,0 liegen. Nur dann ging der Eindruck tatsächlich in die eine oder andere Richtung. Für die Kontrastserien von Horst Berger ist diese Voraussetzung bei drei von vier bzw. sechs von elf Messungen erfüllt, für die Kontrastserien von Jürgen Schütz bei sieben von neun bzw. vier von fünf Messungen, so dass auch in diesem Sinne kontrastierende Wahrnehmungen vorlagen. Ein Vergleich der Werte für Horst Berger und Jürgen Schütz legt die Folgerung nahe, dass die Kontrastbildung anhand der Fotos von Jürgen Schütz eindeutiger war als anhand der Fotos von Horst Berger. Diese Interpretation ist allerdings nur bedingt richtig, weil Horst Berger im Durchschnitt positiver beurteilt wurde, wodurch die negativen Werte nahe an den theoretischen Mittelwert heranrückten. Vergleicht man die Kontrastserien zur ersten und zweiten Diskriminanzfunktion, werden weitere Unterschiede deutlich. Bei Horst Berger erstrecken sich die erste und die zweite Diskriminanzfunktion auf sein soziales Verhalten, sein Durchsetzungsvermögen und seine Stimmung. Dementsprechend wurden alle drei Dimensionen seiner Persönlichkeit anhand der beiden Kontrastserien mehr oder weniger unterschiedlich wahrgenommen. Bei Jürgen Schütz erstreckt sich die erste Diskriminanzfunktion nur auf sein Durchsetzungsvermögen und seine Stimmung, die zweite Diskriminanzfunktion sogar ausschließlich auf sein soziales Verhalten. Dementsprechend wurden anhand der Kontrastserie zur ersten Diskriminanzfunktion sein Durchsetzungsvermögen und seine Stimmung, an-
120
hand der Kontrastserie zur zweiten Diskriminanzfunktion dagegen ausschließlich sein soziales Verhalten unterschiedlich wahrgenommen. Alle Kontrastserien zeigen damit deutlich unterschiedliche Charakterfiktionen von Horst Berger und Jürgen Schütz. Die Art der Charakterfiktionen hängt jedoch offensichtlich von den dargestellten Personen ab. Aus der Tatsache, dass aus den Fotos von beiden Personen zwei Kontrastserien mit jeweils acht Fotos hergestellt werden können, folgt, dass aufgrund eines beliebigen Fotos kein sicherer Schluss auf die Persönlichkeit und die Stimmung einer Person möglich ist. Dies bedeutet nicht, dass es unmöglich ist, mit einem Foto die Persönlichkeit einer Person angemessen wiederzugeben. Allerdings kann der Betrachter anhand eines Fotos nicht entscheiden, ob es sich dabei um eine angemessene Wiedergabe seines Charakters handelt. Angesichts des engen Rahmens, in dem die hier verwandten Fotos gemacht wurden, können die Unterschiede der Personenwahrnehmung anhand der Kontrastserien nicht auf Veränderungen der dargestellten Personen zurückgeführt werden. Sie wurden vielmehr durch die Bildselektion hervorgerufen. Das Ergebnis sind Charakterfiktionen, die einen durchaus realistischen, in Wirklichkeit jedoch willkürlichen Eindruck vom Charakter einer Person vermitteln, wobei die Grenzen dieser Willkür von Person zu Person unterschiedlich weit gezogen sind.
1
Vgl. Kurt Gottschaldt: Methodologische Perspektiven in der Ausdrucksforschung. In: Zusammenfassung XVI. Intern. Kongr. Psychol. Bonn 1960, S. 475-481. Generell muss zwischen der Entstehung und Empfindung von Emotionen sowie der Wahrnehmung von Emotionen durch Dritte unterschieden werden. Im vorliegenden Zusammenhang wird nur die Wahrnehmung von Emotionen behandelt. 2 Vgl. hierzu die Unterscheidung von drei Aspekten des Gesichts in Paul F. Secord: Facial Features and Inference Processes in Interpersonal Perception. In: Renato Tagiuri / Luigi Petrullo (Hrsg.): Person Perception and Interpersonal Behavior. Stanford 1958, S. 300-315. 3 Vgl. G. R. Thornton: The Effect upon Judgement of Personality Traits of Varying a Single Factor in a Photograph. In: Journal of Social Psychology 18 (1943) S. 127-148. 4 Vgl. Percy H. Tannenbaum / James A. Fosdick: The Effect of Lighting Angle on the Judgement of Photographed Subjects. In: AV Communication Review 8 (1960) S. 253-262. 5 Vgl. Pamela J. Shoemaker / James A. Fosdick: How Varying Reproduction Methods Affects Response to Photographs. In: Journalism Quarterly 59 (1982) S. 13-20, 65. Siehe hierzu auch die Studie von Werner Wolff: The Experimental Study of Forms of Expression. In: Character and Personality 2 (1933) S. 168-178. 6 Vgl. Norman L. Munn: The Effect of Knowledge of the Situation upon the Judgement of Emotion from Facial Expression. In: Journal of Abnormal and Social Psychology 35 (1940) S. 324-338. Siehe hierzu auch Angelyn Spignesi / Ronald E. Shor: The Judgement of Emotion from Facial Expressions, Contexts, and Their Combination. In: The Journal of General Psychology 104 (1981) S. 41-58.
121
7
Vgl. Werner Wolff: The Experimental Study of Forms of Expression. A.a.O. S. 168-176; Siehe hierzu auch Joseph C. Hager: Asymmetries in Facial Expression. In: Paul Ekman (Hrsg.): Emotion in the Human Face. London 1982, S. 318-352. 8 Werner Wolff: The Experimental Study of Forms of Expression. A.a.O. S. 175. 9 Vgl. G. Norman Van Tubergen / David L. Mahsman: Unflattering Photos: How People Respond. In: Journalism Quarterly 51 (1974) S. 317-320. 10 Vgl. hierzu den Beitrag ÄCharakterfiktionen von Politikern in politischen Magazinen³. In diesem Band, S. 123. Einige Beispiele für die Kontrastserien können unter www.kepplinger.de aufgerufen werden. 11 Zum Distanzmaß vgl. Charles E. Osgood / George I. Suci / Percy H. Tannenbaum: The Measurement of Meaning. Urbana 1964, S. 90ff. 12 Eine Faktorenanalyse der Urteile über Horst Berger und Jürgen Schütz führte zu Drei-FaktorenLösungen, die jeweils 57 % der Varianz erklären. Die drei Wahrnehmungsdimensionen betreffen das Äsoziale Verhalten³, das ÄDurchsetzungsvermögen³ und die ÄStimmung³ von Horst Berger und Jürgen Schütz. Von einer Ausnahme abgesehen (offen-verschlossen) wurden alle Skalen in beiden Faktorenanalysen den gleichen Dimensionen zugeordnet. Die größte Bedeutung für die Wahrnehmung von Horst Berger und Jürgen Schütz spielte ihr soziales Verhalten (erklärte Varianz jeweils 32, 2 %), gefolgt von ihrem Durchsetzungsvermögen (erklärte Varianz H. Berger 18,8 %, J. Schütz 20,7 %). Als relativ unbedeutend erwies sich ihre Stimmung, die allerdings auch nur mit wenigen Skalen erfasst wurde (erklärte Varianz H. Berger 5,9 %; J. Schütz 3, 7 %). Die differenzierten Ergebnisse werden in der Erstveröffentlichung dokumentiert. 13 Die Anlage der Diskriminanzanalyse und ihre Ergebnisse werden differenziert in der Erstpublikation dokumentiert. Einige Beispiele aus den Kontrastserien der Fotos von Horst Berger können unter www.kepplinger.de aufgerufen werden. 14 Gewählt wurden diejenigen Fotos, die die höchsten positiven bzw. negativen Werte aufweisen und damit den unterschiedlichsten Eindruck von den jeweiligen Eigenschaftskomplexen vermitteln. Je mehr Fotos in Kontrastserien aufgenommen werden, desto heterogener und unähnlicher werden sie. Es ist deshalb notwendig, ein Kriterium für die Aufnahme der Fotos zu finden. Dieses Kriterium sind die Mittelwerte der Urteile über die Eigenschaften, die durch hohe DiskriminanzfunktionsKoeffizienten ausgewiesen sind. Bezogen auf diese Eigenschaften sollten, um die Serien möglichst klar zu trennen, keine Überschneidungen zwischen den Urteilen anhand der Fotos beider Serien auftreten. In anderen Fällen wurden sie dagegen hingenommen. 15 Durch die Zusammenfassung der Urteile über jeweils vier Fotos wird die Wahrscheinlichkeit signifikanter Unterschiede vergrößert. Aus diesem Grund wird das erforderliche Signifikanzniveau auf p<0.001 erhöht. Darunter liegende Befunde werden nicht als signifikant betrachtet.
122
Charakterfiktionen von Politikern in politischen Magazinen
Pressefotos bilden einen wesentlichen Bestandteil der Berichterstattung von Zeitungen und Zeitschriften. Dies gilt vor allem für die Illustrierten und Magazine, bei denen die Fotos zuweilen einen größeren Raum einnehmen als die Texte. So veröffentlichte der Stern zu politischen Themen von 1966 bis 1974 pro Ausgabe durchschnittlich 11 Seiten Text, aber 17 Seiten Fotos.1 Die politische Berichterstattung des Blattes lebte damit mehr von den Fotos als von den Texten, zumal die Fotos häufig als dokumentarischer Beweis für die Richtigkeit der Texte eingesetzt wurden.2 Die Studien zum Fotojournalismus kann man zu drei Kategorien zusammenfassen: Vergleiche zwischen Bild- und Textberichterstattung, Vergleiche zwischen der Bildberichterstattung verschiedener Blätter sowie Vergleiche zwischen Bildberichterstattung und tatsächlichen Gegebenheiten. Die Bildberichterstattung mit den tatsächlichen Gegebenheiten verglich Audrey M. Shuey. Die Autorin untersuchte jeweils eine Ausgabe pro Monat von Time, Life, The New Yorker und der Saturday Evening Post sowie alle Ausgaben von The Ladiesµ Home Journal aus den Jahren 1949 und 1950. Die Anzeigen vermittelten ein einigermaßen realistisches Bild von der Berufsstruktur der Schwarzen, aber ein völlig verzerrtes Bild von der Berufsstruktur der Weißen. Der Anteil der Schwarzen mit gehobenen Berufen war in den Anzeigen etwa genauso groß wie in der Realität (5 vs. 4 Prozent), der Anteil der Weißen mit gehobenen Berufen war dagegen in den Anzeigen weit größer als in der Realität (70 vs. 15 Prozent). Die redaktionellen Beiträge vermittelten weder von der Berufsstruktur der Schwarzen, noch von der Berufsstruktur der Weißen ein realitätsgemäßes Bild, wobei erneut die Verzerrungen bei der Darstellung der Weißen besonders krass waren. Von ihnen wurden 70 Prozent, von den Schwarzen 33 Prozent als Angehörige gehobener Berufe dargestellt. Die Anzeigen und die redaktionellen Beiträge zeigten damit durch Fotos und Zeichnungen ein stark geschöntes Bild von der Lebenswelt der Weißen. Die Welt der Schwarzen wurde dagegen vor allem in den Anzeigen so bescheiden oder gar primitiv dargestellt wie sie tatsächlich war.3 Die Bild- mit der Textberichterstattung verglich Hans Mathias Kepplinger in einer Untersuchung über optische und verbale Gewaltdarstellungen im Spie-
gel. Der Spiegel berichtete im Untersuchungszeitraum auf 3.450 Zeilen über Gewalt gegen Personen und auf 1.401 Zeilen über Gewalt gegen Sachen. Gewalt gegen Personen wurde in der Darstellung des Spiegel vor allem von Polizisten und nur in geringem Umfang von Demonstranten oder gemeinsam von Polizisten und Demonstranten ausgeübt. Gewalt gegen Sachen wandten dagegen in der Darstellung des Spiegel fast ausschließlich Demonstranten an. Die Bildberichterstattung vermittelte einen ähnlichen, allerdings noch pointierteren Eindruck. Der Spiegel veröffentlichte insgesamt 84 Fotos, auf denen Polizisten oder Demonstranten Gewalt ausübten bzw. als Opfer von Gewalt dargestellt wurden. Die weitaus meisten Fotos zeigten Gewalt gegen Personen, nur relativ wenige Gewalt gegen Sachen. Aggressoren waren in der Berichterstattung des Spiegel vor allem Polizisten. Die Gewalt der Polizisten richtete sich ausnahmslos gegen Menschen, die Gewalt der Demonstranten dagegen überwiegend gegen Sachen. Opfer von Gewalt waren in der Berichterstattung des Spiegel fast ausschließlich Demonstranten. Der Spiegel stellte damit in seiner Bild- und Textberichterstattung über Demonstrationen in der Bundesrepublik Deutschland Polizisten überwiegend als Urheber, Demonstranten dagegen überwiegend als Opfer von Gewalt dar.4 Die Bildberichterstattung von zwei Blättern, Time und Newsweek, verglich Kou-jen Tsang für drei Zeiträume, 1971, 1976 und 1980. Er stellte fest, dass Time in seiner Berichterstattung über die USA einen geringeren, in seiner Berichterstattung über andere Staaten dagegen einen höheren Anteil von Gewaltdarstellungen veröffentlichte als Newsweek. Time brachte vor allem mehr Fotos von bewaffneten Konflikten und Unglücken in anderen Ländern. Newsweek veröffentlichte dagegen mehr Fotos von gewaltsamen politischen Konflikten in den USA. Westeuropa und Japan erschienen in der Bildberichterstattung von Time wesentlich gewaltsamer, Südostasien dagegen wesentlich gewaltloser als in der Bildberichterstattung von Newsweek. Über die Zeit betrachtet, zeigte sich eine gegenläufige Entwicklung. Während in Time der Anteil der Gewaltdarstellungen insgesamt anstieg, ging er in Newsweek zurück. Beide Entwicklungen wurden wesentlich durch die Bildberichterstattung über gewaltsame politische Konflikte und über Alltagsereignisse verursacht: Während Time den gewaltsamen politischen Konflikten immer mehr, den Alltagsgeschichten dagegen immer weniger Beachtung schenkte, entwickelte sich die Berichterstattung in Newsweek genau umgekehrt.5 Wie sehr die subjektive Sicht von Fotografen die optische Darstellung der Realität beeinflussen kann, zeigt eine Studie von Kenrick S. Thompson und Alfred C. Clarke über Aufnahmen von David Douglas Duncan und Larry Burrows, die als Kriegsberichterstatter in Vietnam waren. Obwohl beide Fotografen über das gleiche Geschehen berichteten, zeichneten sie zwei völlig verschiedene Bilder des Krieges. Duncan stellte auf fast vier Fünfteln seiner Fotos Kampfge-
124
schehen dar ± Burrows nur auf weniger als der Hälfte. Duncans Fotos enthielten überhaupt keine Zivilisten, Burrows zeigt auf jedem zweiten Foto Frauen, Kinder, Alte. Auf Duncans Fotos sieht man fast keine verwundeten oder toten NichtAmerikaner, auf nahezu jedem zweiten Foto von Burrows sind tote oder verletzte Nicht-Amerikaner zu sehen. Die Unterschiede zwischen beiden Fotografen beschränken sich nicht nur auf das Thematische. Sie finden sich auch im Stilistischen: Burrows bevorzugte Nahaufnahmen, Duncan vermied Nahaufnahmen. Die Konzeption beider Fotografen war eng mit ihrer Einstellung und Erscheinung verbunden: Duncan empfand den Krieg nicht nur als soldatische Auseinandersetzung, er betrachtete sich selbst als Äveteran combat photographer³, der an der Front einen Kampfanzug trug, während Burrows wie ein Zivilist gekleidet war und an der Front nicht einmal einen Stahlhelm benutzte. Bei beiden Fotografen bestand mit anderen Worten eine Identität zwischen Lebensauffassung, Situationswahrnehmung und Bildberichterstattung, die den Betrachtern verschiedene Ansichten des gleichen Geschehens vermittelte.6 Die referierten Studien belegen zweierlei: Die Bilder unterschiedlicher Fotografen können unterschiedliche Ansichten von einem Geschehen vermitteln, und es gibt einen Zusammenhang zwischen der redaktionellen Linie von Publikationen und den Eindrücken, die die Rezipienten gewinnen. In solchen Fällen scheint die visuelle Darstellung des Geschehens seine verbale Beschreibung und Kommentierung zu bestätigen. Ob dies sachlich gerechtfertigt ist, ist eine offene Frage, die nur im Einzelfall entschieden werden kann. Unsere zuvor präsentierte 7 Studie zeigt: Theoretisch kann man von einer Person zwei Serien von kontrastierenden Fotos herstellen, die signifikant unterschiedliche Vorstellungen von dieser Person hervorrufen. Bei derartigen Fotoserien und den von ihnen hervorgerufenen Eindrücken handelt es sich um Charakterfiktionen ± mehr oder weniger willkürlichen Darstellungen von Menschen. Diese Befunde werfen drei Fragen auf. Die erste Frage lautet: Handelt es sich bei Charakterfiktionen um eine theoretische Möglichkeit oder um eine journalistische Praxis? Dass extreme Publikationen an den Rändern des publizistischen Spektrums Charakterfiktionen verbreiten, erscheint naheliegend, ist aber praktisch nicht sehr bedeutsam. Deshalb soll die Frage anhand der Berichterstattung von angesehenen Zeitschriften geprüft werden, die ein großes Publikum erreichen. Die zweite Frage lautet: Präsentieren angesehene Zeitschriften nur von relativ unbekannten und unbedeutende Personen Charakterfiktionen oder verfahren sie auch bei der Darstellung von bekannten und bedeutenden Politikern so? Die dritte Frage lautet: Setzen sich die Eindrücke, die Charakterfiktionen von bekannten und bedeutenden Politikern vermitteln, gegen die Einstellungen der Betrachter zu diesen Politikern durch oder werden sie von ihnen völlig überlagert?
125
Theoretische Annahmen Bei der Analyse von Fotos muss wie bei der Analyse von Texten zwischen der Tendenz und der Wirkung der Informationen unterschieden werden. Als Tendenz kann man die Richtung von Informationen auf einer Pro-Contra-Skala betrachten. Die Tendenz betrifft folglich das Verhältnis einer Darstellung zum Dargestellten. Aufnahmen und Aussagen sind nicht an sich vorteilhaft, günstig oder gut, sie gelten vielmehr als vorteilhaft, günstig oder gut. Letztlich beruht diese Klassifikation auf einem Konsens der Rezipienten. Als Wirkung kann man die Wahrnehmung und Erinnerung an Informationen betrachten. Die Wirkung betrifft folglich das Verhältnis einer Darstellung zu ihrem Nutzer. Dazu muss man auch die Konsequenzen rechnen, die aus diesen Wahrnehmungen und Erinnerungen folgen. Negative Fotos und Texte können, sie müssen jedoch keine negativen Wirkungen besitzen. Dies trifft analog auch auf positive Fotos und Texte zu. Allerdings ist anzunehmen, dass zwischen Tendenz und Wirkung Zusammenhänge bestehen, deren Stärke u.a. von der Präsentationsform der Informationen (Film, Foto, Text) und den Einstellungen der Rezipienten abhängt. Besonders bei der Bildberichterstattung über bekannte Politiker dürften neben den Darstellungen die Einstellungen die Wahrnehmung prägen, wobei im Extremfall der Einfluss der Einstellungen den Einfluss der Darstellungen völlig überlagern kann ± und umgekehrt. Geht man davon aus, dass Redaktionen dazu tendieren, Pressefotos entsprechend ihrer redaktionellen Linie auszuwählen, und nimmt man ferner an, dass Pressefotos die Wahrnehmung bekannter Politiker beeinflussen, dann werden Blätter mit unterschiedlichen redaktionellen Linien durch ihre Fotos verschiedene Eindrücke von bekannten Politikern hervorrufen. Darüber hinaus werden Blätter, die ihre Haltung gegenüber bekannten Politikern ändern, durch ihre Fotos nach der Änderung andere Vorstellungen vermitteln als zuvor. In beiden Fällen dürfte dies vor allem bei der Darstellung von kontroversen Personen geschehen. Die Blätter präsentieren dann, falls die Annahmen stimmen, ihren Lesern Charakterfiktionen, die scheinbar die Themen und Tendenzen der Texte bestätigen. Die Eindrücke der Leser sind in diesen Fällen weder allein die Folge ihrer subjektiven Einstellungen zu den Politikern, noch der objektiven Gegebenheiten. Vielmehr handelt es sich in hohem Maße um die Folge von redaktionellen Entscheidungen, die sich in einer einseitigen Darstellung und Wahrnehmung von Politikern niederschlägt. Ob diese weit reichenden Vermutungen zutreffen, soll in der folgenden Studie geprüft werden. Untersucht wird der Einfluss der Bildberichterstattung von Stern und Time über Ronald Reagan und Leonid Breschnew sowie der Bildberichterstattung des Stern über Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher in den Bundestags-
126
wahlkämpfen 1980 und 1982/1983 auf die Wahrnehmung der Politiker. Hier geht es folglich nicht vorrangig um die Tendenz der Darstellung, sondern um ihren Einfluss auf die Wahrnehmungen der Leser. Stern und Time wurden für die Untersuchung ausgewählt, weil sich die redaktionellen Linien der beiden Blätter deutlich unterscheiden und weil beide Blätter hinreichend viele Fotos von Reagan und Breschnew veröffentlicht haben. Die redaktionelle Linie des Stern kann man als linksliberal, die redaktionelle Linie von Time als konservativ bezeichnen. Dies zeigte sich auch in der Darstellung des Ost-West-Verhältnisses und müsste sich folglich in der Bildberichterstattung über Reagan und Breschnew niedergeschlagen haben. Die Bundestagswahlkämpfe 1980 und 1982/1983 wurden für die Untersuchung ausgewählt, weil Genscher im Wahlkampf 1980 als Garant, im Wahlkampf 1982/1983 als Totengräber der sozial-liberalen Koalition galt, während Schmidt im Wahlkampf 1980 der ungeliebte Kandidat des konservativen Establishments innerhalb der SPD,8 im Wahlkampf 1982/1983 dagegen das verehrte Opfer der Attacken des konservativen Establishments außerhalb der SPD war. Da der Stern die sozial-liberale Koalition entschieden befürwortete, müsste sich der Wechsel der Koalition auch in der Bildberichterstattung niedergeschlagen haben. Aufgrund der skizzierten Ausgangslage kann man fünf Annahmen formulieren. Erstens, Reagan wurde anhand der Bildberichterstattung des Stern negativer wahrgenommen als anhand der Bildberichterstattung von Time. Zweitens, Breschnew wurde dagegen anhand der Bildberichterstattung des Stern positiver wahrgenommen als anhand der Bildberichterstattung von Time. Drittens, Schmidt wurde anhand der Bildberichterstattung des Stern im Wahlkampf 1982/1983 positiver wahrgenommen als im Wahlkampf 1980. Viertens, Genscher wurde anhand der Bildberichterstattung des Stern im Wahlkampf 1980 positiver wahrgenommen als im Wahlkampf 1982/1983. Fünftens, die Einstellungen der Versuchspersonen zu den Politikern beeinflussten die Wahrnehmungen. Sie verhinderten aber nicht den Einfluss der Darstellungen auf die Wahrnehmungen. Untersuchungsanlage Für die Untersuchung wurden jeweils fünf Fotos von Reagan und Breschnew in Stern und in Time aus den Jahren 1980 bis 1982 (insgesamt 20 Aufnahmen) sowie jeweils fünf Fotos von Schmidt und Genscher im Stern aus den Bundestagswahlkämpfen 1980 und 1982/1983 verwandt (insgesamt 20 Aufnahmen), wobei jeweils ein Zeitraum von sechs Monaten vor dem Wahltermin berücksichtigt wurde. Ausgewählt wurden diejenigen Fotos, die die Redaktionen durch Größe und Plazierung besonders herausgestellt hatten. Dazu wurde eine Präfe127
renzliste erstellt. Erste Präferenz erhielten Titelfotos, zweite Präferenz ein- oder mehrseitige Fotos aus dem Innenteil, dritte Präferenz kleinere Fotos aus dem Innenteil entsprechend ihrer Größe. Nicht berücksichtigt wurde bei der Auswahl die Reproduktionstechnik (schwarz-weiß oder farbig). Nicht aufgenommen wurden Karikaturen, Zeichnungen, Gemälde sowie Archivfotos, die offensichtlich vor 1980 aufgenommen worden waren. Dies war bei einigen Fotos von Reagan der Fall. Die Originalfotos wurden, um möglichst realistische Wahrnehmungsbedingungen zu schaffen, unverändert übernommen. Auf den Fotos waren folglich neben den vier Politikern zum Teil andere Personen zu sehen, zum Teil enthielten sie Untertitel oder Überdrucke. Jeweils ein Foto von Reagan, Breschnew, Schmidt und Genscher wurde in Klarsichtfolien mit den entsprechenden Anweisungen und Testfragen zu insgesamt 10 Mappen zusammengestellt. Jede der 10 Versuchsgruppen mit 20 Personen erhielt eine dieser Mappen. Abbildung 1 zeigt die Anlage der Untersuchung. Versuchspersonen waren 200 Mitarbeiter eines Industrieunternehmens in Ludwigshafen. Etwa die Hälfte der Versuchspersonen waren Männer bzw. Frauen. Das Durchschnittsalter betrug 39 Jahre. Etwa ein Drittel hatte Hauptschulabschluss, etwa die Hälfte Mittlere Reife, etwa ein Zehntel Abitur. Weit mehr als zwei Drittel hatte nach dem Schulabschluss eine kaufmännische bzw. eine handwerklich-technische Ausbildung erhalten. Die Verteilung der genannten Merkmale in den Versuchsgruppen wurde mit Hilfe von Chi-Quadrat-Tests überprüft. Dabei wurden keine signifikanten Unterschiede gefunden. Dies traf auch auf die Einstellungen zu den vier Politikern zu, die mit Hilfe von einfachen Varianzanalysen überprüft wurden. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass zwischen den Versuchsgruppen, die die verschiedenen Fotos sahen, keine bedeutsamen Unterschiede bestanden. Die Tendenz der Fotos wurde mit folgender Frage ermittelt: ÄIst die Person auf dem Foto Ihrer Ansicht nach eher günstig/ungünstig aufgenommen?³ Vorgegeben waren die Antworten Äeher günstig³, Äeher ungünstig³, Äeher neutral³ und Änicht zu sagen³. Die Einstellungen der Versuchspersonen zu den vier Politikern wurden mit der Frage ermittelt: ÄSie haben sicher Ihre eigene Meinung von den gezeigten Politikern und ihrer Politik. Bitte teilen Sie uns Ihre Meinung zu Reagan, Breschnew, Genscher und Schmidt kurz mit.³ Die Versuchspersonen notierten ihre Einstellung zu den vier Politikern anhand von siebenstufigen Skalen, deren Pole mit Äpositiv³ und Änegativ³ beschriftet waren. Die Wahrnehmung der Politiker anhand der Illustriertenfotos wurde mit folgender Frage ermittelt: ÄIn dem folgenden Test möchten wir feststellen, welchen Eindruck Politiker auf Bildern vermitteln. Es geht uns also nicht um Ihre allgemeinen Vorstellungen von den Politikern, sondern um die spezifischen Eindrücke, die die verschiedenen Bilder vermitteln. Stellen Sie also bitte für einen Moment Ihre Urteile über
128
Abbildung 1:
Anlage der Untersuchung Versuchsgruppen / Mappen
1
2
3
4
5
Reagan
Time
Time
Time
Time
Time
Breschnew
Time
Time
Time
Time
Time
Schmidt
1980
1980
1980
1980
1980
Genscher
1980
1980
1980
1980
1980
6
7
8
9
10
Stern
Stern
Stern
Stern
Stern
Reagan
Stern
Stern
Stern
Stern
Stern
Schmidt
Breschnew
1982/83
1982/83
1982/83
1982/83
1982/83
Genscher
1982/83
1982/83
1982/83
1982/83
1982/83
Anzahl der Versuchspersonen pro Versuchsgruppe: n=20.
die Personen und ihre Politik zurück. Konzentrieren Sie sich ganz auf die einzelnen Bilder und ihre unterschiedliche Darstellung der jeweiligen Person.³ Die Versuchspersonen notierten ihre Wahrnehmung anhand eines Semantischen Differentials mit 19 siebenstufigen Skalen, die in mehreren Pretests als trennscharf ermittelt worden waren. Ergebnisse Urteile über die Tendenz der Fotos von Reagan und Breschnew Der Stern veröffentlichte nach Einschätzung der Versuchspersonen von Reagan ungünstigere Fotos als Time. Er brachte auch von Breschnew ungünstigere Fotos als Time ± allerdings war die Tendenz der Darstellung von Breschnew nicht so negativ wie die Tendenz der Darstellung von Reagan. Tabelle 1 zeigt die Ergebnisse im Überblick.9 Die Einstellung der Versuchspersonen zu Reagan besaß keinen Einfluss auf die Urteile über die Tendenz der Fotos im Stern, jedoch einen erheblichen Einfluss auf die Urteile über die Tendenz der Fotos in Time. Die Einstellung zu Breschnew besaß ebenfalls keinen Einfluss auf die Urteile über die Tendenz der
129
Tabelle 1: Tendenzen der Fotos von Reagan und Breschnew im Stern und in Time 1980 bis 1983. Reagan
Breschnew
Stern (n=100) %
Time (n=100) %
Stern (n=100) %
Time (n=100) %
Äeher günstig³
28
57
26
24
Äeher neutral³
25
27
29
46
Äeher ungünstig³
43
12
37
21
Änicht zu sagen³
4
4
8
9
100
100
100
100
Summe
Die Signifikanz der Unterschiede wurde mit Chi-Quadrat-Tests überprüft. Reagan in Stern und Time: p<0.001; Breschnew in Stern und Time: p<0.05; Reagan und Breschnew im Stern: n.s; Reagan und Breschnew in Time: p<0.001.
Fotos im Stern, jedoch einen deutlichen Einfluss auf die Urteile über die Tendenz der Fotos in Time. Die eher ungünstige Bildberichterstattung des Stern über Reagan und Breschnew nivellierte die Urteile der Anhänger und Gegner beider Politiker über die Tendenz der Fotos. Beide Gruppen hielten die Aufnahmen überwiegend für ähnlich ungünstig. Die insgesamt eher neutrale oder günstige Bildberichterstattung von Time differenzierte dagegen die Urteile der Anhänger und Gegner beider Politiker über die Tendenz der Fotos, wobei die Anhänger generell eine positivere, die Gegner dagegen eine negativere Tendenz wahrnahmen. Wahrnehmung einzelner Eigenschaften Reagan erschien anhand der Fotos in Time vor allem kompetenter, intelligenter, beherrschter, heiterer und offener. Breschnew erschien anhand der Fotos in Time verkrampfter, verschlossener und angriffslustiger. Die eher günstigen Aufnahmen von Reagan in Time vermittelten damit einen überwiegend positiven Eindruck, die eher neutralen Aufnahmen von Breschnew dagegen einen überwiegend negativen Eindruck. Tabelle 2 zeigt die Ergebnisse im Überblick.
130
Tabelle 2: Gesamteindruck von Reagan und Breschnew anhand von Fotos von Stern und Time 1980 bis 1983 Reagan
Breschnew
Stern
Time
Stern
Time
kompetent
± inkompetent
3,4
2,8*
2,9
2,8
sympathisch
± unsympathisch
3,3
3,0
4,3
4,5
sicher
± unsicher
2,7
2,6
3,3
3,4
ehrlich
± unehrlich
3,4
3,1
4,0
4,1
stark
± schwach
3,1
2,8
3,3
3,0
locker
± verkrampft
2,9
3,2
4,6
5,2*
herrisch
± unterwürfig
2,8
3,1
2,7
2,4
zuverlässig
± unzuverlässig
3,1
3,3
3,6
3,5
optimistisch
± pessimistisch
2,8
2,5
4,2
4,7
aktiv
± passiv
2,8
2,4
3,7
3,5
entspannt
± angespannt
3,9
3,5
5,1
5,5
offen
± verschlossen
3,4
2,8*
5,1
5,6*
friedlich
± angriffslustig
4,5
4,0
3,7
4,3*
erfolgreich
± erfolglos
2,7
2,5
3,2
3,4
vertrauenerweckend ± hinterlistig
3,5
3,2
4,0
4,3
intelligent
± dumm
3,0
2,5*
2,8
2,5
beherrscht
± unbeherrscht
3,0
2,5*
2,9
3,1
heiter
± betrübt
3,1
2,2*
4,7
4,8
glaubwürdig
± unglaubwürdig
3,1
3,1
3,6
3,6
3,2
2,9
3,8
3,9
Mittelwerte aller Skalen
Je kleiner der Wert, desto eher trifft der erste Begriff zu. * p<0.05 (t-Test).
Zusammenhänge zwischen den Urteilen Zwischen der Wahrnehmung Reagans und Breschnews sowie der Beurteilung der Tendenz der Aufnahmen bestanden deutliche Zusammenhänge. Je positiver
131
Reagan und Breschnew wahrgenommen wurden, desto häufiger wurden die Fotos als eher günstig bezeichnet. Je negativer sie wahrgenommen wurden, desto häufiger wurden sie als eher ungünstig eingestuft. Zugrunde gelegt wurde dieser Analyse die Wahrnehmung der beiden Politiker anhand aller 20 Skalen des Semantischen Differentials (Mittelwerte). Unterschieden wurden positive, neutrale und negative Eindrücke.10 Die Stärke der Zusammenhänge zwischen der Wahrnehmung der Politiker und der Tendenzbeurteilung der Fotos wurde mit Kontingenzkoeffizienten (Cramers V) ermittelt. Dabei ergaben sich für Reagan im Stern V=0,38 und in Time V=0,42, für Breschnew im Stern V=0,38 und in Time V= 0,27. Aufgrund der Zusammenhänge zwischen der Wahrnehmung der beiden Politiker und der Beurteilung ihrer Fotos kann man vermuten, dass Versuchspersonen, die Reagan und Breschnew negativ wahrnahmen, den negativen Charakter der Fotos erkannten. Diese Annahme ist aber nur teilweise richtig. Durchschnittlich 41 Prozent der Versuchspersonen, die die Politiker negativ wahrnahmen, waren der Ansicht, die Fotos von ihnen seien neutral oder sogar eher günstig gewesen. Dies galt auch für Anhänger der beiden Politiker und neutrale Betrachter der Fotos. Damit kann man feststellen, dass ein beachtlicher Teil der Anhänger von Reagan und Breschnew sowie der neutralen Betrachter, die die Politiker negativ wahrnahmen, sich der fotografischen Ursachen ihrer negativen Wahrnehmung nicht bewusst waren. Der relative Einfluss der Darstellungen Reagans und Breschnews in Stern und Time sowie der Einstellungen zu den beiden Politikern auf die Wahrnehmung ihrer Eigenschaften wurde mit Hilfe einer multiplen Klassifikationsanalyse (MCA) ermittelt. In die Berechnungen einbezogen wurden die Urteile über die Eigenschaften, die anhand der Fotos von Stern und Time unterschiedlich wahrgenommen wurden. Unterschieden wurden die Darstellungen in Stern und Time sowie positive, neutrale und negative Einstellungen. Sowohl die Darstellungen als auch die Einstellungen übten einen Einfluss auf die Wahrnehmung der Eigenschaften Reagans und Breschnews aus, wobei der Einfluss der Darstellungen im Durchschnitt etwas größer war als der Einfluss der Einstellungen. Dies geht aus den eta-Werten hervor. Kontrolliert man den Einfluss der Darstellungen bzw. der Einstellungen, um den alleinigen Einfluss der jeweils anderen Variablen zu bestimmen, zeigt sich, dass sowohl die Darstellungen als auch die Einstellungen einen Einfluss auf die Wahrnehmung ausübten, wobei erneut der Einfluss der Darstellungen im Durchschnitt etwas größer war als der Einfluss der Einstellungen. Dies geht aus den partialen beta-Koeffizienten hervor. Betrachtet man den Einfluss, den die Darstellungen und Einstellungen gemeinsam auf die Wahrnehmung der Eigenschaften von Reagan und Breschnew ausübten, so wird deutlich, dass beide Sachverhalte zwischen 3 und 24 Prozent der Wahrnehmung der Ei-
132
genschaften erklären. Dies geht aus den multiplen R hervor. Tabelle 3 zeigt die Ergebnisse im Überblick.11 Tabelle 3: Einfluss der Einstellungen zu Reagan und Breschnew und ihrer Darstellung in Stern und Time auf die Wahrnehmung ihrer Eigenschaften ± Multiple Classification Analysis ± Einfluss der Darstellung
Einfluss der Einstellung
eta
beta
eta
beta
R2
Reagan: kompetent
± inkompetent
0,26
0,23
0,33
0,31
0,16
intelligent
± dumm
0,26
0,21
0,41
0,38
0,21
beherrscht
± unbeherrscht
0,26
0,25
0,21
0,20
0,11
offen
± verschlossen
0,47
0,46
0,19
0,14
0,24
heiter
± betrübt1
0,42
0,42
0,08
0,03
0,18
friedlich
± angriffslustig
0,07
0,05
0,17
0,16
0,03
locker
± verkrampft
0,40
0,38
0,18
0,13
0,17
offen
± verschlossen
0,24
0,22
0,15
0,12
0,07
Breschnew:
1
signifikanter Interaktionseffekt (p<0.05).
Urteile über die Fotos von Schmidt und Genscher Der Stern veröffentlichte von Schmidt im Wahlkampf 1980 eher ungünstige oder allenfalls neutrale Fotos, im Wahlkampf 1982/1983 dagegen überwiegend eher günstige Aufnahmen. Die vorherrschende Tendenz der Darstellung Schmidts hatte sich damit in ihr Gegenteil verkehrt. Von Genscher veröffentlichte der Stern im Wahlkampf 1980 zum Teil eher ungünstige und zum Teil eher günstige Bilder, im Wahlkampf 1982/1983 dagegen überwiegend eher ungünstige Aufnahmen. Die widersprüchliche Tendenz der Darstellung Genschers war damit einer eindeutig negativen Tendenz gewichen. Die Bildberichterstattung über 133
Schmidt besaß im Wahlkampf 1980 eine ähnliche Tendenz wie die Bildberichterstattung über Genscher. Beide wurden mit unterschiedlicher Gewichtung eher ungünstig präsentiert. Im Wahlkampf 1982/1983 waren die Tendenzen der Fotos von Schmidt und Genscher dagegen diametral entgegengesetzt. Die Aufnahmen von Schmidt waren überwiegend eher günstig, die Aufnahmen von Genscher dagegen überwiegend eher ungünstig (Tabelle 4). Tabelle 4: Tendenzen der Fotos von Schmidt und Genscher im Stern in den Wahlkämpfen 1980 und 1982/1983 Schmidt
Genscher
1980 (n=100) %
1982/83 (n=100) %
1980 (n=100) %
1982/83 (n=100) %
Äeher günstig³
27
54
38
13
Äeher neutral³
33
28
15
24
Äeher ungünstig³
37
14
42
57
Änicht zu sagen³
3
4
5
6
100
100
100
100
Summe
Die Signifikanz der Unterschiede wurde mit Chi-Quadrat-Tests überprüft. Schmidt 1980-1982/83: p<0.001; Genscher 1980-1982/83: p<0.001; Schmidt-Genscher 1980: p<0.05; Schmidt-Genscher 1982/83: p<0.001.
Die Einstellungen zu Schmidt besaßen keinen Einfluss auf die Beurteilung der Fotos im zweiten, sie hatten allerdings einen Einfluss auf die Beurteilung der Fotos im ersten Wahlkampf. Die Einstellungen zu Genscher besaßen einen Einfluss auf die Beurteilung der Fotos im zweiten, jedoch keinen Einfluss auf die Beurteilung der Fotos im ersten Wahlkampf. Betrachtet man die Urteile der Anhänger und Gegner von Reagan, Breschnew, Schmidt und Genscher, kann man feststellen, dass die Anhänger der Politiker die Aufnahmen von ihnen günstiger beurteilten als ihre Gegner. Allerdings waren die Zusammenhänge zwischen den Einstellungen zu den Politikern und den Urteilen über die Fotos nur in jedem zweiten Fall statistisch signifikant. Darüber hinaus waren die ermittelten Zusammenhänge in den Fällen, in denen signifikante Unterschiede bestanden, nicht stark. Aufgrund dieser Ergebnisse kann man feststellen, dass zwischen der Einstellung zu den Politikern und den Urteilen über die Tendenz der Fotos von ihnen zwar ein genereller, aber nur ein schwacher Zusammenhang bestand. 134
Wahrnehmung einzelner Eigenschaften Der Stern veröffentlichte von Genscher im Wahlkampf 1980 Fotos, die ihn insgesamt positiver erscheinen ließen als im Wahlkampf 1982/83. Genscher erschien 1980 in der Rolle des künftigen Koalitionspartners der SPD ehrlicher, aktiver und heiterer, 1982/1983 in der Rolle des aktuellen und künftigen Koalitionspartners der CDU/CSU dagegen unehrlicher, passiver und betrübter. Der Stern veröffentlichte von Schmidt in beiden Wahlkämpfen Fotos, die relativ ähnliche Eindrücke vermittelten. Allerdings erschien er wenige Monate nachdem er von Kohl gestürzt worden war sicherer, entspannter, optimistischer und heiterer als 1980 vor seinem Wahlsieg 1980 (Tabelle 5). Zusammenhänge zwischen den Urteilen Zwischen der Wahrnehmung Schmidts und Genschers sowie der Beurteilung der Tendenz der Aufnahmen von ihnen bestanden deutliche Zusammenhänge. Je positiver Schmidt und Genscher wahrgenommen wurden, desto häufiger wurden die Fotos als eher günstig bezeichnet. Je negativer sie wahrgenommen wurden, desto häufiger wurden sie als ungünstig eingestuft. Zugrunde gelegt wurde dieser Analyse die Wahrnehmung der beiden Politiker anhand aller 20 Skalen des Semantischen Differentials (Mittelwerte). Unterschieden wurden positive, neutrale und negative Wahrnehmungen. Die Stärke der Zusammenhänge zwischen der Wahrnehmung der Politiker und der Tendenzbeurteilung der Fotos wurde mit Hilfe von Kontingenzkoeffizienten (Cramers V) ermittelt. Dabei ergaben sich für Schmidt im Wahlkampf 1980 V=0,30 und im Wahlkampf 1982/1983 V=0,34, für Genscher im Wahlkampf 1980 V=0,49 und im Wahlkampf 1982/1983 V=0,32. Aufgrund der deutlichen Zusammenhänge zwischen der Wahrnehmung der beiden Politiker und der Beurteilung ihrer Fotos kann man vermuten, dass die Versuchspersonen, die Schmidt und Genscher negativ wahrnahmen, den negativen Charakter der Fotos erkannten. Diese Annahme ist jedoch auch hier nur teilweise richtig. Durchschnittlich 25 Prozent der Versuchspersonen, die die Politiker negativ wahrnahmen, waren der Ansicht, die Fotos von ihnen wären neutral oder sogar eher günstig. Dies galt erneut auch für die Anhänger der beiden Politiker und neutrale Betrachter der Fotos, die zwar etwas häufiger als die Gegner den negativen Charakter der Aufnahmen erkannten, von denen aber immerhin noch durchschnittlich 20 Prozent erklärten, die Fotos seien neutral oder eher günstig. Weitere 3 Prozent äußerten dazu keine Meinung. Damit kann man auch hier feststellen, dass ein beachtlicher Teil der Anhänger Schmidts und
135
Tabelle 5: Gesamteindruck von Schmidt und Genscher anhand der Fotos im Stern aus den Wahlkämpfen 1980 und 1982/1983 Schmidt
Genscher
1980 1982/83
1980 1982/83
kompetent
± inkompetent
2,3
2,3
3,4
3,7
sympathisch
± unsympathisch
2,8
2,5
3,4
4,0
sicher
± unsicher
2,8
2,3*
3,6
3,9
ehrlich
± unehrlich
2,4
2,5
3,2
3,7*
stark
± schwach
2,9
2,7
3,8
4,0
locker
± verkrampft
3,8
3,3
3,5
3,4
herrisch
± unterwürfig
3,4
3,3
4,1
3,8
zuverlässig
± unzuverlässig
2,3
2,6
3,5
3,9
optimistisch
± pessimistisch
4,1
3,4*
3,3
3,9
aktiv
± passiv
3,0
2,7
3,2
3,9*
entspannt
± angespannt
4,9
4,0*
3,7
3,8
offen
± verschlossen
3,9
3,5
3,6
4,0
friedlich
± angriffslustig
3,5
3,9
3,1
3,3
erfolgreich
± erfolglos
2,9
2,9
3,4
3,8
vertrauenerweckend ± hinterlistig
2,7
2,8
3,4
3,7
intelligent
± dumm
2,0
2,1
2,8
2,9
beherrscht
± unbeherrscht
2,2
2,2
2,6
2,7
heiter
± betrübt
4,3
3,5*
3,3
4,0*
glaubwürdig
± unglaubwürdig
2,4
2,6
3,3
3,7
3,1
2,9
3,4
3,7
Mittelwerte aller Skalen
Je kleiner der Wert, desto eher trifft der erste Begriff zu; * p<0.05 (t-Test).
Genschers sowie der neutralen Betrachter, die die Politiker negativ wahrnahmen, sich der fotografischen Ursachen ihrer negativen Wahrnehmungen nicht bewusst waren.
136
Der relative Einfluss der Darstellungen Schmidts und Genschers in beiden Wahlkämpfen sowie der Einstellungen zu den beiden Politikern auf die Wahrnehmung ihrer Eigenschaften wurde auch hier mit einer multiplen Klassifikationsanalyse (MCA) ermittelt. Dabei wurde genauso verfahren wie bei den Urteilen über die Fotos von Reagan und Breschnew. Die Analyse zeigt, dass sowohl die Darstellungen als auch die Einstellungen einen Einfluss auf die Wahrnehmung von Eigenschaften Schmidts und Genschers ausübten. Beide Sachverhalte besaßen auf die Wahrnehmung Genschers einen größeren Einfluss als auf die Wahrnehmung Schmidts. Im Fall der Einstellungen ist dies vor allem darauf zurückzuführen, dass sich die Einstellungen zu Schmidt wesentlich weniger unterschieden als die Einstellungen zu Genscher. Kontrolliert man den Einfluss der Darstellungen bzw. der Einstellungen, um den alleinigen Einfluss der jeweils anderen Variablen zu bestimmen, zeigt sich erneut, dass sowohl die Darstellungen als auch die Einstellungen einen Einfluss ausübten, wobei der Einfluss der Darstellungen bei Schmidt aus dem genannten Grund größer war als der Einfluss der Einstellungen, während bei Genscher beide Sachverhalte einen ähnlich starken Einfluss besaßen. Betrachtet man den Einfluss, den die Einstellungen und Darstellungen gemeinsam auf die Wahrnehmung der beiden Politiker ausübten, so wird deutlich, dass zwischen 6 und 18 Prozent der Wahrnehmung der Eigenschaften von Schmidt, aber zwischen 22 und 32 Prozent der Wahrnehmung der Eigenschaften von Genscher auf die Darstellung von und Einstellungen zu ihnen zurückgeführt werden können. Tabelle 6 zeigt die Ergebnisse im Überblick. Zusammenfassung und Interpretation Die Ergebnisse der Untersuchung können in acht Feststellungen zusammengefasst werden: 1.
2.
Der Stern und Time veröffentlichten von Reagan und Breschnew Fotos mit unterschiedlicher Tendenz. Die Fotos von Reagan waren im Stern eher ungünstig, in Time dagegen eher günstig. Die Fotos von Breschnew waren im Stern eher ungünstig, in Time eher neutral. Der Stern stellte Reagan und Breschnew ähnlich ungünstig dar, Time stellte Reagan günstiger als Breschnew dar. Die Wahrnehmung Reagans und Breschnews anhand der Fotos in Stern und Time unterschieden sich. Reagan erschien anhand der Fotos in Time kompetenter, intelligenter, beherrschter, heiterer und offener; Breschnew erschien verkrampfter, verschlossener und angriffslustiger als anhand der Fotos im Stern.
137
Tabelle 6: Einfluss der Einstellungen zu Schmidt und Genscher und ihrer Darstellung im Stern in den Wahlkämpfen 1980 und 1982/1983 auf die Wahrnehmung ihrer Eigenschaften ± Multiple Classification Analysis ± Einfluss der Darstellung
Einfluss der Einstellung
eta
beta
eta
beta
R2
0,27
0,28
0,22
0,22
0,12
optimistisch ± pessimistisch
0,21
0,19
0,17
0,14
0,06
entspannt
± unbeherrscht
0,31
0,31
0,05
0,00
0,09
heiter
± betrübt
0,41
0,40
0,15
0,10
0,18
ehrlich
± unehrlich
0,23
0,13
0,54
0,51
0,30
aktiv
± passiv
0,37
0,32
0,35
0,29
0,22
heiter
± betrübt
0,52
0,48
0,30
0,22
0,32
Schmidt: sicher
± unsicher1
Genscher:
1
signifikanter Interaktionseffekt (p < 0.05).
3.
4.
5.
138
Zwischen der Wahrnehmung der beiden Politiker und der Beurteilung der Fotos von ihnen bestanden Zusammenhänge. Je negativer die Politiker wahrgenommen wurden, desto häufiger wurden die Fotos als eher ungünstig bezeichnet. Dennoch hielt ein bemerkenswerter Teil der Betrachter, die Reagan und Breschnew negativ wahrnahmen, die Fotos für neutral oder sogar eher günstig. Die Darstellungen Reagans und Breschnews in Stern und Time sowie die Einstellungen zu ihnen besaßen unabhängig voneinander einen Einfluss auf die Wahrnehmung ihrer Eigenschaften. Der Einfluss der Darstellungen war dabei etwas größer als der Einfluss der Einstellungen. Der Stern veröffentlichte von Schmidt und Genscher in den Wahlkämpfen 1980 und 1982/83 Fotos mit unterschiedlicher Tendenz. Die Fotos von Schmidt waren im Wahlkampf 1980 eher ungünstig oder allenfalls neutral, im Wahlkampf 1982/1983 dagegen überwiegend günstig. Die Fotos von
6.
7.
8.
Genscher waren im Wahlkampf 1980 zum Teil eher günstig bzw. ungünstig, im Wahlkampf 1982/1983 dagegen überwiegend eher ungünstig. Die Wahrnehmungen Schmidts und Genschers anhand der Fotos aus den beiden Wahlkämpfen unterschieden sich. Schmidt erschien anhand der Fotos aus dem Wahlkampf 1982/1983 sicherer, optimistischer, entspannter und heiterer; Genscher erschien weniger ehrlich, aktiv und heiter als anhand der Fotos aus dem Wahlkampf 1980. Schmidt erschien damit nach seinem Sturz u. a. optimistischer als vor seiner Wiederwahl, Genscher nach der Wende betrübter als zuvor. Zwischen der Wahrnehmung der beiden Politiker und der Beurteilung der Fotos von ihnen bestanden deutliche Zusammenhänge. Je negativer die Politiker wahrgenommen wurden, desto häufiger wurden die Fotos als eher ungünstig bezeichnet. Dennoch hielt ein bemerkenswerter Teil der Betrachter, die Schmidt und Genscher negativ wahrnahmen, die Fotos für neutral oder sogar für eher günstig. Die Darstellungen Schmidts und Genschers in den Wahlkämpfen 1980 und 1982/1983 sowie die Einstellungen zu ihnen besaßen unabhängig voneinander einen Einfluss auf die Wahrnehmung ihrer Eigenschaften. Der Einfluss der Darstellungen war bei Schmidt etwas größer als der Einfluss der Einstellungen, bei Genscher etwa genau so groß.
Die Fotos von Stern und Time vermittelten nur von einzelnen Eigenschaften Reagans und Breschnews unterschiedliche Eindrücke. Dies trifft analog auch auf die Fotos des Stern von Schmidt und Genscher zu. Deshalb stellt sich die Frage, ob es sich hierbei um Charakterfiktionen im engeren Sinn handelt. Für ihre Beantwortung sind neben quantitativen Aspekten ± der Zahl der unterschiedlichen Eindrücke ± qualitative Aspekte relevant. Zum einen handelte es sich bei den unterschiedlich wahrgenommenen Eigenschaften nicht um nebensächliche sondern um zentrale Eigenschaften von Politikern. So erschien beispielsweise Reagan auf den Fotos des Stern signifikant dümmer und inkompetenter als auf den Fotos von Time. Hier ging es um die intellektuelle Qualität eines Politikers und damit auch um die entsprechende Qualität seiner Vorhaben. Genscher erschien beispielsweise im Stern 1982/82 signifikant passiver und unehrlicher als 1980. Hier ging es um die moralische Qualität eines Politikers und damit auch um die entsprechende Qualität seines Verhaltens. Die praktische Bedeutung dieser Eindrücke wird im Kontext der kontroversen Sachfragen deutlich ± der Debatte um die Stationierung von Atomraketen in Deutschland und dem Wechsel von der sozial-liberalen zur konservativ-liberalen Koalition in Bonn. Zum anderen setzten sich die Eindrücke, die die Bildberichterstattung von den Politikern hervorrief, gegen langfristig gewachsene Vorstellungen der Betrachter durch. Die Fotos
139
vermittelten demnach nicht nur beiläufig Sichtweisen, die an den Einstellungen der Betrachter abprallten, sondern auch Eindrücke, die nicht zu ihren bisherigen Vorstellungen passten. Angesichts dieser qualitativen Aspekte wird man feststellen können, dass der Stern und Time Charakterfiktionen von den erwähnten Politikern veröffentlichten. Dabei muss offen bleiben, wie die typischen Fotos von ihnen ausgesehen hätten und inwieweit die veröffentlichten Bilder dem Charakter der Personen und der politischen Lage entsprachen.
1 Vgl. Otto Walter Haseloff: Stern. Strategie und Krise einer Publikumszeitschrift. Mainz 1977, S. 196. 2 Dies führte zuweilen zu grotesken Beiträgen. So veröffentlichte die Redaktion des Stern (28. April 1983) zum Beweis der Echtheit der Hitler-Tagebücher ein Foto des Führerhauptquartiers ÄFelsennest³ in der Eifel, auf dem einige Bücher zu sehen waren. In das Foto hatte die Redaktion einen Pfeil montiert. Die Bildunterschrift lautete: ÄSein Tagebuch war immer dabei (Pfeil).³ Auf ähnliche Weise belegte die Redaktion (5. Mai 1983) die Behauptung, Hitler habe mit Heß oberhalb von Berchtesgaden technische Probleme des Flugs nach England besprochen, sowie die Behauptung, Heß habe einen Abschiedsbrief an seine Frau in einem Safe deponiert, dessen Schlüssel er im Zimmer seines Sohnes aufbewahrte, mit entsprechenden Fotos. 3 Vgl. Audrey M. Shuey: Stereotyping of Negroes and Whites: An Analysis of Magazine Pictures. In: Public Opinion Quarterly 17 (1953/1954) S. 281-292. Zur Stereotypisierung von Personengruppen durch Fotos siehe auch Edward J. Trayes und Bruce L. Cook: Picture Emphasis in Final Editions of 16 Dailies. In: Journalism Quarterly 54 (1977) S. 595-598; Michael W. Singletary: Newspaper Photographs. A Content Analysis, 1936-76. In: Journalism Quarterly 55 (1978) S. 585-589. 4 Vgl. Hans Mathias Kepplinger: ÄDer Einfluss der Konfliktstruktur auf die Wahrnehmung politischer Gewalt³. In: Derselbe: Publizistische Konflikte und Skandale. Wiesbaden 2009, S. 53-70. 5 Kuo-jen Tsang: News Photos in Time and Newsweek. In: Journalism Quarterly 61 (1985) S. 578584, 723. Siehe hierzu auch Susan Miller: The Content of News Photos: Womenµs and Menµs Roles. In: Journalism Quarterly 42 (1975) S. 70-75. 6 Vgl. Kenrick S. Thompson und Alfred C. Clarke: Photographic Imagery and the Vietnam War: An Unexamined Perspective. In: Journal of Psychology 87 (1974) S. 279-292. 7 Vgl. ÄIdentitätsprobleme der Personenwahrnehmung anhand von Fotos³. In diesem Band, S. 105. 8 Besonders deutlich wurde die ursprünglich sehr distanzierte Haltung des Stern gegenüber Schmidt in einem Artikel über Oskar Lafontaine, in dem dieser Schmidt ÄSekundärtugenden³ zuschrieb, mit denen Äman auch ein KZ betreiben³ kann. Vgl. Jürgen Serke: ÄMein Sozi für die Zukunft.³ In: Stern Nr. 29 (15. Juli 1982). 9 Bei der Interpretation der Ergebnisse muss beachtet werden, dass die Versuchspersonen in vielen Fällen Fotos mit Texten sahen, so dass der Einfluss der Fotos auf die Urteile über die Tendenzen vom Einfluss der Texte überlagert worden sein kann. Dies wurde, weil es hier nicht um theoretische Zusammenhänge, sondern ihre praktische Bedeutung ging, in Kauf genommen. 10 Positiv = 1,0-2,9; neutral = 3,0-3,9; negativ = 4,0-7,0.
140
11 Die Ergebnisse der MCA werden bei starken Interaktionseffekten bedeutungslos. Dies ist bei der Interpretation der Ergebnisse für das Eigenschaftspaar heiter-betrübt zu beachten.
141
Stabilität der Personenwahrnehmung anhand von Fotos
Die Betrachter von Fotos gewinnen Eindrücke von den Charaktereigenschaften und Emotionen dargestellter Personen. Damit stellt sich die Frage, ob derartige Eindrücke momentan oder dauerhaft sind. Die Dauer der Eindrücke wurde bisher kaum untersucht, obwohl die Erinnerung an optische Eindrücke als eine Voraussetzung für ihre Wirkung betrachtet werden kann. Zu den wenigen Ausnahmen zählen die Studien von Joseph R. Jenkins, Daniel C. Neale und Stanley L. Deno sowie von Winfried Schulz, die allerdings in einem anderen theoretischen Zusammenhang durchgeführt wurden. Im Mittelpunkt der genannten Untersuchungen stand die Wirkungsqualität verschiedener Präsentationsformen, wobei im ersten Fall der Einfluss der Präsentationsform auf die Erinnerung, im zweiten Fall zusätzlich der Einfluss der Präsentationsform auf die Assoziationen anhand der jeweiligen Vorgaben analysiert wurde. Jenkins, Neale und Deno bildeten vier Versuchsgruppen. Zwei dieser Versuchsgruppen zeigten sie mit Hilfe eines Diaprojektors 17 Fotos von bekannten Objekten, einem Bett, einem Radio, einer Frau usw. Den beiden anderen Versuchsgruppen zeigten sie ebenfalls mit Hilfe eines Diaprojektors die Begriffe der Objekte. Jedes Bild war nur 1,5 Sekunden zu sehen. Die Bildfolge ähnelte damit eher einer Filmvorführung als dem Durchblättern einer Zeitschrift. Im zweiten Teil des Experiments wurden den Versuchspersonen 42 Fotos gezeigt, unter denen die 17 schon gesehenen und 25 neue Vorlagen waren. Einer der beiden Versuchsgruppen, die zuvor die Fotos gesehen hatten, wurden wieder Fotos, der anderen jetzt aber die zugehörigen Begriffe gezeigt. Entsprechend wurde bei den beiden anderen Versuchsgruppen verfahren, die zuvor die Begriffe gesehen hatten. Nach der Präsentation der einzelnen Vorlagen konnten die Versuchspersonen auf einem Testbogen eintragen, ob sie die Fotos oder die dazugehörigen Begriffe zuvor gesehen hatten, und wie sicher sie sich ihrer Erinnerung waren. Versuchspersonen, die beide Male Fotos gesehen hatten, erinnerten sich deutlich besser an die Objekte als Versuchspersonen, die zweimal die Begriffe gesehen hatten. Die Autoren folgerten daraus, dass Fotos von Objekten besser erinnert werden als die entsprechenden Begriffe. Einer der Befunde ist besonders bemerkenswert: Bei der Kombination von Foto- und Schriftvorlagen wurden die Ob-
jekte wesentlich besser erinnert, wenn sie zunächst auf einem Foto gezeigt und dann anhand der Schriftvorlage erinnert werden sollten. In diesem Fall war die Erinnerung ähnlich gut wie bei zweimaliger Schriftpräsentation. Wurde dagegen zuerst die Schrift präsentiert und dann das Foto gezeigt, war die Erinnerung wesentlich schlechter. Die Umsetzung von Fotos in Worterinnerungen gelang damit wesentlich besser als die Umsetzung von Worten in Bilderinnerungen.1 Schulz stellte eine Liste von 24 Begriffen zusammen, die neun konkrete Objekte des unmittelbaren Erfahrungsbereiches (Soldaten, Mädchen, alter Mann, Strandbad usw.), sieben konkrete Objekte des mittelbaren Erfahrungsbereiches (Sophia Loren, Zellteilung, Mond usw.) sowie acht abstrakte Sachverhalte (Trennung, Eleganz, Begeisterung usw.) bezeichneten. Jeder Begriff lag in vier Präsentationsweisen vor: als Schriftbild (gedruckt), Wortklang (gesprochen), Abbild und Schriftbild (fotografiert, gedruckt), Wortklang und Abbild (gesprochen, fotografiert). Das Schriftbild wurde auf einer DIN-A4-Seite vorgelegt, der Wortklang über Tonband abgespielt und das Abbild in der Kombination mit dem Schriftbild als Fotografie, in der Kombination mit dem Wortklang als Diapositiv präsentiert. Aus den insgesamt 144 verschiedenen Vorlagen bildete er vier kombinierte Serien mit jeweils 24 Elementen. Jede der vier Serien enthielt jeweils sechs Begriffe in den vier Darbietungsformen, die auf konkrete Objekte des unmittelbaren Erfahrungsbereiches, konkrete Objekte des mittelbaren Erfahrungsbereiches sowie abstrakte Sachverhalte verwiesen (Latin Square Design). Er präsentierte 32 Versuchspersonen jeweils eine der vier Serien, wobei er, um Reihenfolge-Effekte auszuschalten, die Anordnung rotierte. Die Versuchspersonen wurden aufgefordert, nach jeder Präsentation ein Wort zu nennen, das ihnen gerade einfiel (freie Assoziation). Nach Abschluss der Präsentation sollten sie alle Begriffe nennen, an die sie sich noch erinnern konnten. Die Bildpräsentationen führten nicht generell zu besseren Erinnerungsleistungen als die Wortpräsentationen. Allerdings gab es erhebliche Unterschiede zwischen den Erinnerungen anhand der Präsentation des Schriftbildes/Abbildes und des Wortklangs/Abbildes. Versuchspersonen, die das Bild gesehen und den Begriff gehört hatten, erinnerten sich wesentlich besser als Versuchspersonen, die das Bild gesehen und den Begriff gelesen hatten. Die Kombination Abbild/Wortklang führte damit zu einer wesentlich besseren Erinnerung als alle anderen Präsentationsformen, die sich untereinander nur relativ wenig unterschieden. Die Wortpräsentationen riefen andere Assoziationen hervor als die Bildpräsentationen. Schulz folgert daraus, dass die verschiedenen Präsentationsformen unterschiedliche Assoziationen freisetzen, ohne dass man hierbei von qualitativ besseren oder schlechteren Assoziationen sprechen könnte. Besonders bemerkenswert ist, dass die Bildpräsentationen häufig Kausal-, Ereignis- und Symbolbezüge stimulierten. Man kann dies als einen Hinweis darauf ansehen,
144
dass die Betrachter den festgehaltenen Augenblick als Teil einer Ereigniskette verstanden, die auf den Vorlagen selbst nicht abgebildet war.2 Die Ergebnisse der Studien von Jenkins und seinen Mitarbeitern sowie von Schulz stimmen nicht völlig überein, was u.a. dadurch zu erklären ist, dass im ersten Fall das Wiedererkennen, im zweiten Fall das Erinnern von Objekten gemessen wurde. Allerdings deuten die Ergebnisse darauf hin, dass bildliche Präsentationen besser erinnert bzw. wiedererkannt werden als schriftliche und sprachliche Vorgaben. Dieser Befund wird durch eine Reihe ähnlicher Untersuchungen bestätigt,3 die jedoch ebenfalls nur wenig zur Beantwortung der Frage nach der Dauerhaftigkeit von Personeneindrücken beitragen. Zum einen wurden nur selten Personenfotos vorgegeben oder die Ergebnisse für diese Vorgaben wurden nicht gesondert ausgewiesen, so dass keine detaillierten Angaben für die Erinnerung oder Wiedererkennung von Personen vorliegen. Zum anderen wurden die Messungen nur wenige Minuten nach der Präsentation der Fotos durchgeführt, so dass keine Aussagen über langfristige Einflüsse auf die Erinnerung oder das Wiedererkennen möglich sind. Ziel des vorliegenden Experimentes ist es, den langfristigen Einfluss von Fotos auf die Vorstellungen von den Charaktereigenschaften und den Stimmungen der dargestellten Personen zu untersuchen. Unter langfristig werden hier Einflüsse verstanden, die mindestens eine Woche lang nachweisbar sind. Dabei wird zwischen der Persistenz und der Resistenz der Personenwahrnehmung unterschieden. Unter der Persistenz wird der Fortbestand der Personenwahrnehmung über einen längeren Zeitraum verstanden, als Resistenz wird die Widerstandsfähigkeit der Personenwahrnehmung gegen konkurrierende Informationen ± hier bei der Gegenüberstellung mit der abgebildeten Person ± verstanden. Untersuchungsanlage Für die Untersuchung wurden drei Kontrastserien mit jeweils sechs Fotos zusammengestellt. Zwei Kontrastserien zeigten Männer im mittleren Alter, die Horst Berger und Jürgen Schütz genannt wurden,4 eine weitere Kontrastserie eine Frau von etwa 25 Jahren, die Hanne Krug genannt wurde. Horst Berger erscheint auf sechs Fotos friedlich/gütig, auf sechs Fotos aggressiv/bösartig, Jürgen Schütz auf sechs Fotos aktiv/optimistisch, auf sechs Fotos passiv/pessimistisch, Hanne Krug auf sechs Fotos offen/vertraut, auf sechs Fotos verschlossen/fremd. Bei den Begriffen handelt es sich um Schlagworte, die die generellen Unterschiede charakterisieren sollen. Die Kontrastserien für Horst Berger und Jürgen Schütz wurden in Anlehnung an die Ergebnisse von Diskriminanzanalysen zusammengestellt.5 Jeweils vier Bilder waren mit Kontrastserien
145
identisch, die anhand der Diskriminanzanalysen konstruiert wurden, jeweils zwei Bilder wurden ergänzt, wobei möglichst ähnliche Fotos berücksichtigt wurden. Die Kontrastserien für Hanne Krug wurden mit Hilfe von vier Juroren ausgewählt. Zur Urteilsbildung wurden die gleichen 20 Skalen eines Semantischen Differentials herangezogen wie in den beiden anderen Fällen. Jede KontrastSerie wurde durch ein neutrales Bild ergänzt, das keiner der beiden Kontrastserien zugeordnet werden konnte. Das neutrale Foto wurde als Erinnerungshilfe zur Identifikation der Personen benutzt. Die Fotos von Horst Berger, Jürgen Schütz und Hanne Krug wurden drei Versuchsgruppen gezeigt.6 Die erste Gruppe sah Jürgen Schütz aktiv/optimistisch und Hanne Krug offen/vertraut, die zweite Gruppe sah Horst Berger friedlich/gütig und Hanne Krug verschlossen/fremd, die dritte Gruppe sah Horst Berger aggressiv/bösartig und Jürgen Schütz passiv/pessimistisch. Alle Versuchspersonen waren Studenten im ersten bzw. zweiten Semester, die Grundkurse besuchten. Eine Zufallsauswahl konnte nicht getroffen werden, auch schwankte die Zahl der Versuchspersonen in den einzelnen Wochen zwischen 11 und 18, 21 und 29 sowie 15 und 29. In die Analyse einbezogen wurden nur Versuchspersonen, die an mindestens sechs der acht Sitzungen teilgenommen hatten. Da die Versuchspersonen während der achtwöchigen Dauer des Experiments Gelegenheit hatten, sich über die Fotos zu unterhalten, erfuhren sie, dass sie unterschiedliche Bilder sahen. Die Fotos selbst waren ihnen nicht zugänglich, so dass eine Vermischung der optischen Eindrücke ausgeschlossen ist. Abbildung 1 zeigt die Anlage des Experiments. Abbildung 1:
Experimentelle Anlage Gruppen
Modellpersonen
I
II
III
Horst Berger
---
gütig
bösartig
Jürgen Schütz
aktiv
---
passiv
Hanne Krug
offen
verschlossen
---
n=
11-18
21-29
15-29
Die Untersuchung erstreckte sich über einen Zeitraum von acht Wochen. Die Sitzungen in den ersten vier Wochen dienten dazu, stereotype Eindrücke von den Personen hervorzurufen. Den Versuchspersonen wurde dazu in jeder Sitzung mit Hilfe eines Dia-Projektors ein Foto aus einer der beiden Kontrastserien von Horst Berger, Jürgen Schütz bzw. Hanne Krug gezeigt. Die Versuchspersonen 146
wurden aufgefordert, sich zunächst 15 Sekunden lang das Foto genau zu betrachten und anschließend ihren Eindruck von der gezeigten Person anhand eines siebenstufigen Semantischen Differentials aus 20 Skalen zu notieren. Diese Messungen wurden aus zwei Gründen durchgeführt. Zum einen sollten die Versuchspersonen angehalten werden, sich ihre Eindrücke zu vergegenwärtigen, zum anderen sollte geprüft werden, ob die Zusammenstellung der Kontrastserien geglückt war. In der fünften Woche wurde die Persistenz der Personenwahrnehmung gemessen. Die Versuchspersonen wurden gebeten, die Personen aus der Erinnerung mit Hilfe des Semantischen Differentials zu charakterisieren. Um eine Verwechslung der Namen zu vermeiden, wurde zunächst für ca. zwei bis drei Sekunden ein neutrales Foto von Horst Berger, Jürgen Schütz bzw. Hanne Krug gezeigt. Die Sitzungen in der sechsten und siebten Woche dienten dazu, die in den ersten vier Wochen hervorgerufenen Eindrücke wachzurufen und zu verfestigen. Dazu wurde wie in den ersten vier Wochen verfahren, d.h. es wurden Fotos aus den Kontrastserien präsentiert und die Eindrücke festgestellt. In der achten Woche wurde die Resistenz der Personenwahrnehmung gemessen. Dazu wurden die Versuchspersonen mit Horst Berger konfrontiert. Horst Berger wurde zunächst in einer kurzen Geschichte vorgestellt, in der ihm schwere Vorwürfe gemacht wurden. Anschließend betrat er den Raum und nahm zu den Vorwürfen mit einem vorbereiteten Text Stellung. Nachdem er den Raum verlassen hatte, wurden die Versuchspersonen gebeten, erneut ihren Eindruck von Horst Berger mit Hilfe des Semantischen Differentials zu beschreiben.7 Ergebnisse Persistenz der Personenwahrnehmung Die Persistenz der Personenwahrnehmung wurde in der fünften Woche gemessen. In den vorangegangenen vier Wochen waren den Versuchsgruppen bekanntlich jeweils vier Fotos aus den Kontrastserien präsentiert worden, wobei jede Versuchsgruppe nur Fotos aus einer der beiden Serien gesehen hatte. In der fünften Woche wurde kurz ein neutrales Erinnerungsfoto gezeigt, das die richtige Zuordnung der Namen zu den abgebildeten Personen gewährleisten sollte. Für die Analyse wurden zwei Vergleiche durchgeführt. Zum einen wurden die Eindrücke der beiden Versuchsgruppen, die unterschiedliche Bilder gesehen hatten, miteinander verglichen. Dies geschah zweimal ± zunächst anhand der Fotos in der vierten Woche, sodann ohne erneute Bildvorgabe in der fünften Woche (synchrone Vergleiche). Zum anderen wurden die Vorstellungen der beiden Versuchsgruppen von den Personen in der fünften Woche mit ihren Eindrücken
147
anhand der Bilder in der vierten Woche miteinander verglichen (chronologischer Vergleich). In die chronologischen Vergleiche der vierten und fünften Woche wurden nur Versuchspersonen einbezogen, die an beiden Sitzungen teilgenommen hatten. Die synchronen Vergleiche lassen erkennen, ob die Fotos in der vierten Woche unterschiedliche Eindrücke von der gleichen Person vermittelten. Um Unterschiede festzustellen, wurden t-Tests für unabhängige Stichproben berechnet. Die chronologischen Vergleiche informieren darüber, ob zwischen den Eindrücken in der vierten Woche und den Erinnerungen in der fünften Woche signifikante Unterschiede bestanden. Um diese Frage zu prüfen, wurden tTests für abhängige Stichproben berechnet. In der vierten Woche besaßen die Versuchspersonen, die kontrastierende Fotos gesehen hatten, signifikant unterschiedliche Eindrücke von Horst Berger (acht Eigenschaften), Jürgen Schütz (sieben Eigenschaften) und Hanne Krug (fünf Eigenschaften), was darauf hindeutet, dass die Serienbildung in den ersten beiden Fällen besser gelungen war (erster synchroner Vergleich). Die Versuchspersonen beschrieben Horst Berger und Jürgen Schütz aus der Erinnerung (5. Woche) weitgehend so, wie sie sie wahrgenommen hatten (4. Woche), während Hanne Krug einen weniger stabilen Eindruck hinterließ (chronologische Betrachtung). Die Erinnerung an Horst Berger unterschied sich in einem Fall, die Erinnerung an Jürgen Schütz in drei Fällen und die Erinnerung an Hanne Krug in fünf Fällen von der Wahrnehmung in der vierten Woche. Allen Vergleichen wurde ein niedriges Signifikanzniveau (p<0.05) zugrunde gelegt, wodurch auch kleinere Veränderungen als Mangel an Stabilität betrachtet werden. Aus der Tatsache, dass sich die Versuchspersonen auch nach einer Woche sehr genau an jene Person erinnerten, die sie auf den Fotos gesehen hatten, folgte nicht notwendigerweise, dass die Versuchspersonen in den beiden Gruppen noch immer signifikant unterschiedliche Vorstellungen von den dargestellten Personen hatten. Dies war jedoch weitgehend der Fall (zweiter synchroner Vergleich). Von Horst Berger wurden von acht Eigenschaften, die in der vierten Woche unterschiedlich wahrgenommen worden waren, in der fünften Woche sechs Eigenschaften unterschiedlich erinnert, von Jürgen Schütz waren es alle sieben Eigenschaften, von Hanne Krug eine von fünf Eigenschaften. Abbildung 2 illustriert die Ergebnisse des zweiten synchronen Vergleichs exemplarisch anhand der Charakterisierung Horst Bergers. Weiteren Aufschluss über die Persistenz der Personenwahrnehmung geben systematische Vergleiche der Erinnerung an verschiedene Charakterdimensionen sowie der Erinnerung an positive und negative Vorlagen. Zur Strukturierung wurden Faktorenanalysen der Wahrnehmung von Horst Berger, Jürgen Schütz und Hanne Krug anhand aller Fotos der Kontrastserien durchgeführt. Dabei ergaben sich Drei-Faktoren-Lösungen, die bei Horst Berger und Jürgen Schütz
148
Abbildung 2:
Wahrnehmung und Erinnerung am Beispiel Horst Berger 4. Woche 1
2
3
4
5
6
7
friedlich aktiv überlegen selbstsicher energisch herrisch lebhaft optimistisch
angriffslustig passiv unterlegen unsicher zaghaft unterwürfig ruhig pessimistisch 1
2
3
4
5
friedlich / gütig
6
7
aggressiv / bösartig
5. Woche 1
2
3
4
5
6
7
friedlich aktiv überlegen selbstsicher energisch herrisch lebhaft optimistisch
angriffslustig passiv unterlegen unsicher zaghaft unterwürfig ruhig pessimistisch
1
2
3
friedlich / gütig
4
5
6
7
aggressiv / bösartig
149
weitgehend den Lösungen einer früheren Untersuchung mit anderen Versuchspersonen entsprachen.8 Der erste Faktor wurde Äsoziales Verhalten³, der zweite Faktor ÄDurchsetzungsvermögen³, der dritte Faktor ÄStimmung³ bzw. ,,Aufrichtigkeit³ (Hanne Krug) genannt. Bei Hanne Krug waren der erste und der zweite Faktor vertauscht, was auf eine größere Bedeutung des Durchsetzungsvermögens für ihre Wahrnehmung hindeutet. Das soziale Verhalten (im Durchschnitt 0,18 Skalenpunkte Differenz) und das Durchsetzungsvermögen (im Durchschnitt 0,13 Skalenpunkte Differenz) wurden deutlich besser erinnert als die Stimmung (im Durchschnitt 0,39 Skalenpunkte Differenz) bzw. Aufrichtigkeit (im Durchschnitt 0,40 Skalenpunkte Differenz). Die Erinnerung an die positiv präsentierten Versionen waren genauer als die Erinnerungen an die negativ präsentierten Versionen (im Durchschnitt 0,19 bzw. 0,28 Skalenpunkte Differenz). Dabei traten erhebliche Unterschiede in der Richtung der Veränderungen auf. Während sich die negativen Eindrücke vom sozialen Verhalten Horst Bergers in der Erinnerung verloren, verstärkten sie sich in der Erinnerung an Hanne Krug. Zugleich schliffen sich in der Erinnerung an Hanne Krug die negativen Eindrücke von ihrem Durchsetzungsvermögen ab. Aufgrund dieser Ergebnisse kann man drei generelle Feststellungen treffen. Das soziale Verhalten und das Durchsetzungsvermögen wurden besser erinnert als die Stimmung und die Aufrichtigkeit. Die Erinnerungen an die positiv präsentierten Eigenschaften waren genauer als die Erinnerungen an die negativ präsentierten Eigenschaften. In den Erinnerungen an die negativ präsentierten Eigenschaften verstärkten sich in einigen Fällen die negativen Eindrücke, in anderen Fällen schwächten sie sich dagegen ab, so dass man nicht von einer richtungsgebundenen Veränderung sprechen kann (Tabelle 1). Die Resistenz der Personenwahrnehmung Die Resistenz der Personenwahrnehmung wurde in der achten Woche gemessen. In den beiden vorangegangenen Wochen war bekanntlich der Eindruck von den dargestellten Personen durch zwei weitere Bilder aus den Kontrastserien wiederbelebt und verstärkt worden. In der achten Woche stellten sich Horst Berger und Jürgen Schütz den Versuchspersonen vor. Anschließend wurde erneut die Wahrnehmung der Personen mit Hilfe des Semantischen Differentials gemessen. Für die Analyse wurden wieder chronologische und synchrone Vergleiche durchgeführt. Um Unterschiede festzustellen, wurden t-Tests für abhängige (chronologische Vergleiche) und t-Tests für unabhängige (synchrone Vergleiche) Stichproben durchgeführt. In der siebten Woche besaßen die Versuchspersonen, die kontrastierende Fotos gesehen hatten, signifikant unterschiedliche Eindrücke von
150
Tabelle 1: Persistenz positiver und negativer Eindrücke vom sozialen Verhalten, vom Durchsetzungsvermögen und der Stimmung/Aufrichtigkeit Tendenz
Dimensionen
Fotoserien
(4. Woche) positive Eigenschaften
negative Eigenschaften
Soziales Verhalten Berger Schütz Krug
1 1 1
WahrErinnerung Verände- Durchschnittrung nehmung liche Verän(4. Woche) (5. Woche) derung 3,37 3,14 3,96
3,23 2,81 4,00
-0,14 -0,33 0,04
Durchsetzungsvermögen Berger 2 Schütz 1 Krug 2
2,45 3,43 2,86
2,35 3,45 2,81
-0,10 0,02 -0,05
Stimmung/Aufrichtigkeit Berger 2 Schütz 1 Krug 1
3,40 3,90 3,20
2,95 3,80 3,70
-0,45 -0,10 0,50
Soziales Verhalten Berger Schütz Krug
3,92 3,03 4,21
3,76 3,17 4,46
-0,16 0,14 0,25
Durchsetzungsvermögen Berger 1 Schütz 2 Krug 1
3,64 4,71 3,73
3,69 4,70 3,16
0,05 -0,01 -0,57
Stimmung/Aufrichtigkeit Berger 1 Schütz 2 Krug 2
4,00 5,60 3,80
3,50 5,10 4,10
-0,50 -0,50 0,30
2 2 2
0,19
0,28
151
Horst Berger (13 Eigenschaften) und Jürgen Schütz (neun Eigenschaften), was darauf hindeutet, dass die Serienbildung für Horst Berger besser gelungen war als für Jürgen Schütz (synchrone Vergleiche). Bei Horst Berger erstreckten sich die Unterschiede erneut auf sein Durchsetzungsvermögen. Darüber hinaus wurden auch seine Stimmung und sein soziales Verhalten teilweise unterschiedlich wahrgenommen. Bei Jürgen Schütz beschränkten sich die Unterschiede nicht mehr auf sein Durchsetzungsvermögen und seine Stimmung. Auch sein soziales Verhalten wurde teilweise unterschiedlich wahrgenommen. In der achten Woche präsentierten sich Horst Berger und Jürgen Schütz persönlich den Versuchspersonen. Nachdem sie den Raum verlassen hatten, beschrieben die Versuchspersonen Horst Berger und Jürgen Schütz deutlich anders als sie sie anhand der Fotos wahrgenommen hatten (7. Woche). Vor allem in der Wahrnehmung Horst Bergers zeigten sich zahlreiche Veränderungen. Die Wahrnehmung der realen Person Horst Berger unterschied sich in 14 Fällen von seiner Wahrnehmung anhand der Fotos. Die Wahrnehmung der realen Person Jürgen Schütz unterschied sich in sieben Fällen von seiner Wahrnehmung anhand der Fotos. Allen Vergleichen wurde dabei wieder ein niedriges Signifikanzniveau (p<0.05) zugrunde gelegt, wodurch auch kleinere Veränderungen als Mangel an Stabilität betrachtet werden. Aufgrund der erwähnten Veränderungen wurden die Unterschiede zwischen den Versuchsgruppen, die kontrastierende Fotos gesehen hatten, überwiegend eingeebnet. Von den 13 Eigenschaften Horst Bergers, die anhand der Kontrastserien unterschiedlich wahrgenommen worden waren, wurde nach der Konfrontation nur noch eine unterschiedlich charakterisiert. Von den neun Eigenschaften von Jürgen Schütz wurden nach der Konfrontation nur noch zwei unterschiedlich wahrgenommen. Weiteren Aufschluss über die Resistenz der Personenwahrnehmung geben auch hier systematische Vergleiche. Hierzu werden die einzelnen Skalen erneut zusammengefasst und die durchschnittlichen Veränderungen (chronologische Betrachtung) gegenübergestellt. Die Wahrnehmung des Durchsetzungsvermögens (im Durchschnitt 0,29 Skalenpunkte Differenz) war wesentlich stabiler als die Wahrnehmung des sozialen Verhaltens und der Stimmung (im Durchschnitt 0,36 bzw. 0,56 Skalenpunkte). Die Wahrnehmung der negativ präsentierten Versionen veränderte sich etwas weniger als die Wahrnehmung der positiven Versionen der Personen (im Durchschnitt 0,35 bzw. 0,46 Skalenpunkte Differenz). Aufgrund der zusammengefassten Ergebnisse kann man drei generelle Feststellungen treffen. Erstens, die Wahrnehmung des sozialen Verhaltens und der Stimmung wurde durch die Konfrontation mehr beeinflusst als die Wahrnehmung des Durchsetzungsvermögens. Zweitens, die Wahrnehmung der auf den Fotos positiv präsentierten Eigenschaften änderte sich unter dem Eindruck der Konfrontation etwas mehr als die Wahrnehmung der negativ präsentierten Ei-
152
genschaften. Drittens, die positiven Eindrücke anhand der günstigen Fotoserien verschlechterten sich durch die Konfrontation deutlich. Tabelle 2 zeigt die Ergebnisse im Überblick. Zusammenfassung und Interpretation Die Ergebnisse der Untersuchung können in fünf Feststellungen zusammengefasst werden. 1.
2.
3. 4.
5.
Die Kontrastserien vermittelten in der vierten Woche unterschiedliche Wahrnehmungen von Horst Berger, Jürgen Schütz und Hanne Krug. Bei Horst Berger waren die Unterschiede größer, bei Hanne Krug kleiner als bei Jürgen Schütz. Die Versuchspersonen erinnerten sich in der fünften Woche an Horst Berger, Jürgen Schütz und Hanne Krug weitgehend so, wie sie sie eine Woche vorher wahrgenommen hatten. Signifikante Unterschiede zwischen Erinnerung und Wahrnehmung traten nur in 10 von 120 Fällen auf. Die Erinnerungen an das soziale Verhalten und das Durchsetzungsvermögen von Horst Berger, Jürgen Schütz und Hanne Krug waren deutlich besser als die Erinnerung an ihre Stimmung bzw. ihre Aufrichtigkeit. Die Erinnerung an die positiv präsentierten Versionen ihres sozialen Verhaltens, ihres Durchsetzungsvermögens und ihrer Stimmung bzw. Aufrichtigkeit war deutlich genauer als die Erinnerung an die negativ präsentierten Versionen. Horst Berger und Jürgen Schütz wurden in der Realität deutlich anders wahrgenommen als anhand der Fotos. Besonders groß waren diese Unterschiede in der Wahrnehmung Horst Bergers. Aufgrund der veränderten Wahrnehmung verschwanden mit einer Ausnahme alle Unterschiede zwischen den Versuchsgruppen, die Kontrastbilder von Horst Berger gesehen hatten. Bei Jürgen Schütz blieben zwei Unterschiede bestehen. Aufgrund der Messungen nach der Konfrontation kann man feststellen, dass die Personenwahrnehmung anhand von Fotos nur in einigen Fällen eine Gegenüberstellung überdauerte. Am ehesten traf dies für die Wahrnehmung des Durchsetzungsvermögens zu, das sich auch hier als besonders stabil erwies.
Die Personenwahrnehmung anhand von Fotos besitzt eine erstaunliche Persistenz, jedoch nur eine geringe Resistenz. Die Betrachter von Personenfotos entwickeln in sich stimmige Vorstellungen von den Eigenschaften der Dargestellten, an die sie sich auch noch nach einer Woche mit großer Genauigkeit er-
153
Tabelle 2: Persistenz positiver und negativer Eindrücke vom sozialen Verhalten, vom Durchsetzungsvermögen und der Stimmung Tendenz Dimensionen (7. Woche) positive Eigenschaften
Fotoserien
WahrErinnerung Verände- Durchschnittrung nehmung liche Verän(7. Woche) (8. Woche) derung
Soziales Verhalten Berger Schütz
1 1
2,70 3,10
3,37 3,56
0,67 0,46
2,90 3,21
3,29 3,12
-0,39 -0,09
Stimmung/Aufrichtigkeit Berger 2
3,40
3,75
0,35
Schütz
1
3,40
4,20
0,80
Berger
2
3,81
3,70
-0,11
Schütz
2
3,75
3,95
0,20
Durchsetzungsvermögen Berger Schütz
negative Eigenschaften
2 1
0,46
Soziales Verhalten
Durchsetzungsvermögen Berger
1
3,43
3,48
0,05
Schütz
2
4,33
3,71
-0,62
0,35
Stimmung/Aufrichtigkeit Berger
1
3,05
3,85
0,80
Schütz
2
4,80
4,50
-0,30
innern. Sie nehmen die Dargestellten bei der persönlichen Begegnung aber trotzdem weitgehend unbefangen wahr. Dieser Sachverhalt besitzt eine erhebliche praktische Bedeutung vor allem für das Verhalten von Politikern bei Wahlen: Sie können durch ihren persönlichen Auftritt vor Publikum ein negatives Medienimage nachhaltig korrigieren.
154
Die erstaunliche Persistenz der Personenwahrnehmung dürfte auf zwei verwandte Sachverhalte zurückzuführen sein. Bei der Personenwahrnehmung treten sogenannte Halo-Effekte auf. Als Halo-Effekt bezeichnet man die Tendenz, einen Menschen im Hinblick auf verschiedene Charaktereigenschaften ähnlich zu beurteilen, so dass ein abgerundeter Gesamteindruck entsteht, der zum Teil auf Wahrnehmungsirrtümern beruht. Bei der Personenwahrnehmung kann man ferner zentrale und periphere Eigenschaften unterscheiden. Die Wahrnehmung zentraler Eigenschaften prägt die Wahrnehmung peripherer Eigenschaften, ohne dass man dabei von Wahrnehmungsirrtümern sprechen könnte.9 Aufgrund der Existenz zentraler Eigenschaften und aufgrund des Halo-Effektes muss man davon ausgehen, dass Personenfotos relativ beständige Eindrücke von zentralen Eigenschaften vermitteln, die die Erinnerung an die peripheren Eigenschaften steuern. Die Betrachter der Fotos entwickeln eine implizite Persönlichkeitstheorie, eine ihnen intuitiv überzeugend erscheinende Vorstellung vom Charakter der dargestellten Person, an der sie sich orientieren. Diese implizite Persönlichkeitstheorie erstreckt sich auf das Zusammenspiel zahlreicher Eigenschaften. Sie besitzen nicht nur einen sinnhaften Zusammenhang und damit eine gute Gestalt, sie sind darüber hinaus auch in hohem Maße redundant, so dass die Erinnerung an einen Eindruck das Vergessen eines anderen Eindrucks weitgehend kompensiert.
1
Vgl. Joseph R. Jenkins / Daniel C. Neale / Stanley L. Deno: Differential Memory for Picture and Word Stimuli. In: Journal of Educational Psychology 58 (1967) S. 303-307. 2 Vgl. Winfried Schulz: Wirkungsqualitäten verschiedener Medien. Experimentelle Untersuchungen über die Vermittlung von konnotativer Bedeutung durch unterschiedliche Formen medialer Darstellungen. In: Rundfunk und Fernsehen 23 (1975) S. 57-72. 3 Vgl. Douglas L. Nelson / David H. Brooks / Richard C. Borden: Sequential Memory for Pictures and the Role of the Verbal System. In: Journal of Experimental Psychology 101 (1973) S. 242-245; Douglas L. Nelson, Valerie S. Reed und John R. Walling: Pictorial Superiority Effect. In: Journal of Experimental Psychology: Human Learning and Memory 2 (1976) S. 523-528. Siehe auch August Frank: ÄEin Bild sagt mehr als tausend Worte...?³ Lernleistungsunterschiede bei optischer, akustischer und optisch-akustischer Präsentation von Lehrmaterial. In: AVforschung 23 (1980) S. 5-50; Douglas L. Nelson: Remembering Pictures and Words: Appearance, Significance, and Name. In: Laird S. Cermak / Fergus I. M. Craik (Hrsg.): Levels of Processing in Human Memory. Hillsdale, N. J. 1979, S. 45-76; Linda R. Warren / James W. Horn: What Does Naming a Picture Do? Effects of prior picture naming on recognition of identical and same-name alternatives. In: Memory and Cognition 10 (1982) S. 167-175; Raymond S. Nickerson: A Note on Long-Term Recognition Memory for Pictorial Material. In: Psychonomic Science 11 (1968) S. 58. 4 Vgl. hierzu die Beschreibung der Aufnahmen in dem Beitrag ÄIdentitätsprobleme der Personenwahrnehmung anhand von Fotos³. In diesem Band, S. 105. Die Aufnahmen von Hanne Krug wurden unter ähnlichen Bedingungen gemacht.
155
5
Die Anlage der Diskriminanzanalyse und ihre Ergebnisse werden differenziert in der Erstpublikation dokumentiert. Einige Beispiele aus den konstruierten Fotos von Horst Berger können unter www.kepplinger.de aufgerufen werden. 6 Die Untersuchung wurde, um einen Versuchsleiter-Effekt nach Möglichkeit auszuschließen, von einem studentischen Mitarbeiter durchgeführt. Die eigentlichen Ziele der Untersuchung wurden den Versuchspersonen erst nach Abschluss der Untersuchungen mitgeteilt. 7 Vgl. hierzu ÄGeneralisierungen der Personenwahrnehmung anhand von Fotos³. In diesem Band, S. 157. 8 Die genauen Ergebnisse der Faktorenanalyse sind in der Erstpublikation differenziert dokumentiert. 9 Vgl. Solomon E. Asch: Forming Impressions of Personality. In: Journal of Abnormal and Social Psychology 41(1946) S. 258-290.
156
Generalisierungen der Personenwahrnehmung anhand von Fotos
Die Wahrnehmung von Personen anhand von Fotos erstreckt sich auf Urteile über den Charakter und die Emotionen der Dargestellten. Dabei handelt es sich um relativ stabile Eindrücke, die zum Teil mehrere Tage Bestand haben und u. U. sogar eine Gegenüberstellung überdauern. Damit stellt sich die Frage, ob die Wahrnehmung des Charakters und der Emotionen einer Person einen Einfluss auf Vorstellungen von ihrem Verhalten ausübt. Hinweise auf einen derartigen Zusammenhang enthält die von Fritz Heider bereits 1944 skizzierte AttributionsTheorie.1 Die Kernthese Heiders lautet, dass Menschen generell dazu neigen, einen hinreichenden Grund für das Handeln anderer Menschen zu suchen, weil sie ihre eigenen Reaktionen daran orientieren. So hängt die Reaktion auf eine Unhöflichkeit davon ab, ob man sie auf eine Unachtsamkeit oder auf eine Absicht zurückführt. In beiden Fällen schließt der Betroffene von dem beobachteten Verhalten auf die ihm zugrundeliegenden Ursachen. Heider unterscheidet zwei Typen von spezifischen Verhaltensursachen ± Dispositions- und Situationsattributionen. Im ersten Fall führt der Beobachter das Verhalten auf Eigenschaften der handelnden Person, im zweiten Fall auf die jeweiligen Rahmenbedingungen zurück. Im Anschluss daran haben Edward E. Jones und Richard E. Nisbett die These formuliert, dass handelnde Personen die Ursachen ihres Verhaltens eher in den Umständen sehen, unter denen sie handeln, weil sie die Umstände sowie denkbare Handlungsalternativen kennen. Dagegen lokalisieren passive Beobachter des Geschehens seine Ursache intuitiv eher in den Persönlichkeitsmerkmalen der Akteure, weil sie die genannten Kenntnisse nicht haben und sich trotzdem ein Urteil bilden wollen.2 Folglich entwickeln Akteure und Beobachter verschiedene Vorstellungen von den Ursachen des gleichen Verhaltens. Diese Vermutung hat Michael D. Storms mit einem originellen Experiment bestätigt. Danach erklären Teilnehmer an einem Gespräch, das aus der Akteursperspektive gefilmt wurde (Kamera hinter ihnen auf den Gesprächspartner gerichtet), anhand der Filmaufnahmen ihr eigenes Verhalten vor allem durch die besonderen Umstände des Gesprächs. Dagegen führen die Teilnehmer, deren Verhalten aus der Beobachterperspektive gefilmt wurde (Kamera hinter dem Gesprächspartner auf sie
gerichtet), anhand der Filmaufnahmen ihr eigenes Verhalten auf ihre momentane Befindlichkeit während des Gesprächs zurück.3 Sowohl Heider als auch Jones und Nisbett beschäftigen sich mit dem Schluss vom beobachteten Verhalten auf die angenommenen Ursachen. Die passiven Beobachter entwickeln eine Vorstellung vom Charakter der handelnden Personen, die man als implizite Persönlichkeitstheorie bezeichnen kann ± unausgesprochene Vorstellungen vom Charakter von Menschen.4 Mit ihrer impliziten Persönlichkeitstheorie Äerklären³ sie das beobachtete Verhalten, indem sie sogenannte Kausalattributionen durchführen. Die theoretisch fruchtbare Konzeption der genannten Autoren enthält zwei unausgesprochene Einschränkungen. Zum einen berücksichtigt sie nur Situationen, in denen Verhaltensbeobachtungen möglich sind. Zum anderen erstreckt sie sich nur auf die Erklärung des bereits geschehenen Verhaltens. Beide Einschränkungen sind weder notwendig noch sinnvoll. Implizite Persönlichkeitstheorien entstehen vermutlich nicht nur durch die Beobachtung erklärungsbedürftiger Verhaltensweisen, sondern auch durch die Wahrnehmung von Personen anhand von Fotos und Filmen, die keine solchen Verhaltensweisen zeigen. Vermutlich entwickeln die Betrachter auch anhand von Schnappschüssen und gestellten Aufnahmen Vorstellungen vom Charakter der gezeigten Personen: Sie glauben zu wissen, um was für Menschen es sich handelt, wie sie ± nicht nur in dem gezeigten Moment ± denken, fühlen und handeln. Implizite Persönlichkeitstheorien dienen vermutlich nicht nur der Erklärung bereits geschehener Handlungen, sondern auch der Prognose zukünftiger Verhaltensweisen: Die Beobachter von Verhaltensweisen und die Betrachter von Personenfotos glauben zu wissen, wie sich die Dargestellten in anderen Situationen verhalten würden. Neben den Kausalattributionen gibt es deshalb vermutlich Finalattributionen. Hierunter werden Folgerungen aus impliziten Persönlichkeitstheorien verstanden. Sie erstrecken sich auf ein breites Spektrum von sozial relevanten Vermutungen. Dazu gehören u. a. die Interpretation von mehrdeutigen Äußerungen der dargestellten Person, die Zuschreibung von zukünftigen Handlungen, die Glaubwürdigkeit von Behauptungen über sie sowie die Art und Weise, wie man mit ihnen argumentativ umgehen darf und soll. Auch dabei dürften sich die Vermutungen der dargestellten Akteure und der unbeteiligten Betrachter der Fotos von ihnen in der skizzierten Weise unterscheiden. Abbildung 1 illustriert die Annahmen. Danach erklären die Dargestellten (Akteure) das Zustandekommen der Aufnahmen und den Eindruck, den sie darauf vermitteln, durch die Umstände des Geschehens, und sie leiten daraus keine Folgerungen für ihr zukünftiges Verhalten ab. Dagegen entwickeln unbeteiligte Betrachter der Fotos Vorstellungen von der Persönlichkeit der Dargestellten. Sie Äerklären³ die Entstehung der Fotos und den Eindruck, den die Dargestellten darauf vermitteln, mit
158
ihrer Persönlichkeit und leiten daraus Vermutungen über ihr zukünftiges Verhalten ab. Nicht eigens ausgewiesen sind die Einflüsse auf die Glaubwürdigkeit von Behauptungen über die Dargestellten sowie auf die Art und Weise, wie man mit ihnen argumentativ umgehen darf und soll. Zum Vergleich findet sich links daneben eine entsprechende Illustration der Annahmen der Attributionstheorie nach Jones und Nisbett. Die Vermutungen der Betrachter der visuellen Darstellung von Menschen stellen, weil sie weit über das hinausgehen, was auf den Aufnahmen tatsächlich zu sehen ist, Generalisierungen dar. Abbildung 1:
Erklärung und Prognose von Verhalten
Kausalattribution von Verhalten
Finalattribution anhand von Fotos / Videos
Beobachter Erklärung Verhalten durch Persönlichkeit
Beobachter Prognose Verhalten durch implizite Persönlichkeitstheorie
Erklärung Foto durch Persönlichkeit Verhalten
Erklärung Verhalten durch Umstände
Foto keine entsprechende Prognose
Erklärung Foto durch Umstände Akteur
Akteur
Aufgrund der theoretischen Annahmen kann man zwei allgemeine Hypothesen formulieren: Die Betrachter von Personenfotos entwickeln erstens Vorstellungen von der Persönlichkeit der dargestellten Personen; Betrachter kontrastierender Fotos schreiben zweitens dieser Person aufgrund der Vorstellungen von ihrer Persönlichkeit verschiedene Verhaltensweisen zu und sie halten drittens Behauptungen über die Person in unterschiedlichem Maße für glaubwürdig.
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Untersuchungsanlage Für die Untersuchung wurden zwei kontrastierende Serien von jeweils sechs Fotos eines Mannes zusammengestellt, der hier Horst Berger genannt wird.5 Horst Berger erschien auf sechs Fotos friedlich/gütig, auf sechs Fotos aggressiv/bösartig. Für die Präsentation wurden von den Negativen Dia-Positive hergestellt, die mit einem Dia-Projektor vorgeführt wurden. Dadurch wurden produktionsbedingte Unterschiede von Papierabzügen ausgeschaltet, zugleich konnte die Dauer der Präsentation kontrolliert werden. Die Fotos der Serien wurden zwei Versuchsgruppen gezeigt. Die eine Gruppe sah sechs Wochen lang jeweils an einem Tag der Woche Horst Berger auf Fotos friedlich/gütig, die andere aggressiv/bösartig (1. bis 4., 6. und 7. Woche). Alle Versuchspersonen waren Studenten im ersten bzw. zweiten Semester, die parallele Grundkurse besuchten. Die Zahl der Versuchspersonen betrug in den acht Wochen in einer Gruppe zwischen 21 und 29, in der anderen Gruppe zwischen 18 und 29. In die Analyse einbezogen wurden nur Versuchspersonen, die an mindestens sechs der acht Sitzungen teilgenommen hatten. In den ersten vier Wochen wurden Fotos aus den Kontrastserien präsentiert, in der fünften Woche wurde ein neutrales Foto zur Identifikation Horst Bergers gezeigt,6 in der sechsten und siebten Woche wurden erneut Fotos aus den Kontrastserien präsentiert. In der achten Woche stellte sich Horst Berger den Versuchspersonen persönlich vor. Den Versuchspersonen wurde von der ersten bis vierten sowie in der sechsten und siebten Woche jeweils eine Situationsbeschreibung vorgelegt. Die meisten charakterisierten Horst Berger als Architekten, einige betrafen sein Privatlaben.7 Die Aufgabe der Versuchspersonen bestand darin, zwischen vier vorgegebenen Fortsetzungen zu wählen, die mehr oder weniger aggressive/bösartige bzw. friedliche/gütige Verhaltensweisen von Horst Berger beschrieben. Während die Versuchspersonen die Testbögen ausfüllten, blieben die Fotos sichtbar. In der fünften Woche wurden den Versuchspersonen, nachdem sie kurz das Identifikationsfoto gesehen hatten, mehrere Behauptungen über Horst Berger vorgelegt, die ihm mehr oder weniger aggressive/bösartige bzw. friedliche/gütige Verhaltensweisen zuschrieben. Die Aufgabe der Versuchspersonen bestand darin, die Glaubwürdigkeit der Behauptungen zu beurteilen. Dabei war kein Foto sichtbar. Folglich mussten sie ihre Urteile aus der Erinnerung abgeben. In der achten Woche wurde zunächst ein Konflikt um Horst Berger beschrieben. Im Anschluss daran betrat Horst Berger mit einem vorbereiteten Text den Versuchsraum und verteidigte sich gegen die Vorwürfe. Nachdem er den Versuchsraum verlassen hatte, beurteilten die Versuchspersonen seine Glaubwürdigkeit. Außerdem wurden sie danach gefragt, ob sie öffentliche Angriffe der geschilderten Art für zulässig oder unzulässig hielten.
160
Ergebnisse Interpretation einer mehrdeutigen Aussage Horst Bergers In der persönlichen Kommunikation und in der Berichterstattung der Massenmedien gibt es häufig mehrdeutige Aussagen über Personen. Dabei kann man drei Fälle unterscheiden. Die Bedeutung einiger Aussagen kann man aus dem Kontext erschließen, etwa aus anderen Passagen eines Berichtes. Dazu ist im Prinzip jeder Leser in der Lage. Die Bedeutung anderer versteht dagegen nur, wer über entsprechende Vorkenntnisse verfügt, etwa den Inhalt früherer Berichte kennt. Die Bedeutung wieder anderer ergibt sich für die Adressaten aus ihren Vorurteilen ± relativ dauerhaften positiven oder negativen Meinungen. Dies dürfte vor allem dann der Fall sein, wenn andere Informationen aus dem Kontext oder früheren Berichten fehlen. In solchen Fällen wird man damit rechnen müssen, dass Menschen mehrdeutige Aussagen aufgrund ihrer Sympathie oder Antipathie gegenüber den Urhebern interpretieren: Je sympathischer ihnen die Urheber sind, desto eher werden sie sozial wünschenswerte Inhalte unterstellten, je unsympathischer sie ihnen sind, desto eher werden sie das Gegenteil vermuten. Dies führt zu der Frage, ob unterschiedliche Eindrücke von Personen anhand unterschiedlicher Fotos die Interpretation mehrdeutigen Aussagen dieser Personen beeinflussen. Eine Antwort auf diese Frage ist deshalb praktisch relevant, weil mehrdeutige Aussagen ein Wesensmerkmal der politischen Kommunikation sind. Die Interpretation einer mehrdeutigen Äußerung Horst Bergers durch die Betrachter der unterschiedlichen Bildserien wurde in der sechsten Woche anhand folgender Frage ermittelt: ÄHorst Berger antwortet in seinem Architekturbüro auf die besorgte Frage eines Klienten, ob die Preise für die Dachkonstruktion auch stabil bleiben werden, mit der Bemerkung: ÃMachen Sie sich da mal keine Sorgen!µ Wie ist diese Bemerkung zu verstehen? Was hat Horst Berger damit vermutlich gemeint?³ Vorgegeben waren vier mehr oder weniger sozial wünschbare und ethisch vertretbare Interpretationen. Nahezu alle Betrachter der Fotos, die Horst Berger als friedlich/gütigen Menschen zeigten, entschieden sich für eine der beiden positiven Interpretationen. Nach ihrer Ansicht hat Horst Berger gemeint, es gäbe keine oder keine gravierenden Preissteigerungen. Dagegen entschied sich die Hälfte der Betrachter der Fotos, die Horst Berger als aggressiv/bösartigen Menschen präsentierten, für eine der beiden negativen Interpretationen. Nach ihrer Ansicht hat Horst Berger mit mehr oder weniger starken Preissteigerungen gerechnet. Er wollte jedoch den Auftrag nicht verlieren und hat sich deshalb unklar ausgedrückt (Tabelle 1).
161
Tabelle 1: Interpretation einer mehrdeutigen Aussage Horst Bergers Frage: ÄHorst Berger antwortet in seinem Architekturbüro auf die Frage eines Klienten, ob die Preise für die Dachkonstruktion auch stabil bleiben werden, mit der Bemerkung: ÃMachen sie sich da mal keine Sorgen!µ Wie ist diese Bemerkung zu verstehen? Was hat Horst Berger damit vermutlich gemeint?³ Äfriedlich/gütig³ (n=24) %
Äaggressiv/bösartig³ (n=20) %
ÄEr ist sich sicher, dass die Preise bis zum Bautermin stabil bleiben und der Klient deshalb keine Bedenken zu haben braucht.³
29
25
ÄEr hofft, dass sich die Preissteigerungen in Grenzen halten, so dass dem Klienten keine nennenswerten Nachteile entstehen.³
63
25 92
50
ÄEr befürchtet, dass es deutliche Preissteigerungen geben wird, die der Klient aber gerade noch verkraften kann.³
0
15
ÄEr ist sich ziemlich sicher, dass es erhebliche Preissteigerungen geben wird. Hauptsache, der Klient zeiht den Auftrag nicht zurück.³
8
35
8 100
50 100
p<.01; (Chi-Quadrat-Test)
Vermutungen über das Verhalten Horst Bergers Die weitaus meisten Menschen kennen die Personen nicht persönlich, über die Presse, Hörfunk und Fernsehen berichten. Trotzdem reden sie über sie so, als würden sie sie kennen. Sie sagen z. B. sie würden einem Sportler zutrauen, dass 162
er dopt, einem Manager, dass er Mitarbeiter überwachen lässt, einem Politiker, dass er Urlaubsreisen auf Staatskosten macht usw. Eine Ursache dieser Vermutungen, die häufig im Ton von Tatsachenbehauptungen vorgetragen werden, ist die Art und Weise wie Sportler, Manager und Politiker in den Medien generell dargestellt werden. Eine weitere Ursache ist die Art und Weise, wie einzelne Personen charakterisiert werden. Dabei handelt es sich zum einen um sprachliche Aussagen, zum anderen um bildliche Darstellungen. Dies führt zu der Frage, ob unterschiedliche Fotos von einer Person unterschiedliche Vermutungen über ihre Verhaltensweisen hervorrufen. Der Einfluss der kontrastierenden Bildserien von Horst Berger auf Vermutungen über sein Verhalten im Alltag wurde von der ersten bis vierten Woche untersucht. Geschildert wurden eine leichte Rempelei in einer Fußgängerzone (1. Woche), spielende Kinder, die versehentlich mit einem Ball sein Auto trafen (2. Woche), der Ausgang eines von Horst Berger verlorenen Architekturwettbewerbes (3. Woche) und die Reaktion der Tochter von Horst Berger auf den Tod des Nachbarhundes (4. Woche). In allen Fällen wurden vier mehr oder weniger aggressive Reaktionen Horst Bergers vorgegeben. Bei der Entscheidung für eine der Reaktionen blieb jeweils das Foto aus der Kontrastserie sichtbar. Von einem Fall abgesehen (Architekturwettbewerb) schrieben die Versuchspersonen, die die kontrastierenden Bilder sahen, Horst Berger vor allem solche Reaktionen zu, die den von den Fotos vermittelten Eindrücken entsprachen. Zwar waren in keinem Fall die Unterschiede zwischen den Versuchsgruppen statistisch signifikant. Dies lag jedoch vor allem an der geringen Zahl der Versuchspersonen in den beiden Gruppen.8 Die Ergebnisse können anhand eines typischen Beispiels illustriert werden. In der vierten Woche wurde folgende Geschichte präsentiert: ÄHorst Berger hat einen Sohn und eine Tochter im Alter von sieben und neun Jahren, die häufig mit einem Hund in der Nachbarschaft spielen. Eines Abends kommt er nach Hause und findet seine Kinder in Tränen aufgelöst. Der Hund ist von einem Auto überfahren worden. Wie verhält er sich nach Ihrer Meinung?³ Die Mehrheit in beiden Versuchsgruppen vermutete, dass Horst Berger seine Kinder auf die eine oder andere Weise trösten würde. Allerdings war diese Mehrheit unter den Versuchspersonen, die die friedlich/gütigen Bilder gesehen hatten, deutlich größer als in der Versuchsgruppe, die die aggressiv/bösartigen Bilder gesehen hatten (Tabelle 2).9 Vermutungen über das Verhalten der Freunde Horst Bergers ihm gegenüber Ein wesentliches Element der Beurteilung von Menschen ist ± neben den Vorstellungen davon, wie sie sich gegenüber anderen Menschen verhalten ± die Vor-
163
Tabelle 2: Vermutungen über das Verhalten Horst Bergers Frage: ÄHorst Berger hat einen Sohn und eine Tochter im Alter von 7 und 9 Jahren, die häufig mit einem Hund aus der Nachbarschaft spielen. Eines Abends kommt er nach Hause und findet seine Kinder in Tränen aufgelöst. Der Hund ist von einem Auto überfahren worden. Wie verhält er sich nach Ihrer Meinung?³ Äfriedlich/gütig³ (n=24) %
Äaggressiv/bösartig³ (n=21) %
ÄEr legt den Kindern seine Arme auf die Schultern und erzählt ihnen von einem Hund, mit dem er selbst früher oft gespielt hat.³
58
29
ÄEr fragt die Kinder, wie das nur passieren konnte und versucht sie damit zu trösten, dass sich die Nachbarn sicher einen neuen Hund kaufen werden.³
29
29
87
58
ÄEr setzt sich einen Moment zu ihnen und sagt, es gäbe in der Nachbarschaft sicher noch andere Hunde, mit denen sie spielen könnten.³
13
23
ÄEr sagt zu seinen Kindern, sie sollten sich nicht so anstellen, man hätte halt auf den Hund auch besser aufpassen können.³
0
19 13
100
42 100
n.s. (Chi-Quadrat-Test)
stellung davon, wie andere sich gegenüber ihnen verhalten. Bei der Beurteilung von Menschen stützt man sich nämlich nicht nur auf die eigenen Eindrücke von ihnen, sondern zieht dazu auch die tatsächlichen oder vermeintlichen Reaktionen anderer heran. So erscheinen Redner, die im Fernsehen vor einem interessierten Publikum gezeigt werden, beliebter und kompetenter als Redner, die vor einem 164
desinteressierten Publikum sprechen.10 Das wirft die Frage auf, ob sich der Einfluss von kontrastierenden Fotos einer Person auf die Vorstellungen vom Verhalten ihrer Freunde gegenüber dieser Person auswirkt. Dies ist sachlich dann bedeutsam, wenn die Freunde die erwähnte Person vor einem möglicherweise folgenschweren Fehler bewahren können. Der Einfluss der Fotos von Horst Berger auf das vermutete Verhalten seiner Freunde ihm gegenüber wurde in der siebten Wochen anhand folgender Geschichte ermittelt: ÄHorst Berger hat bei Bekannten einen über den Durst getrunken und beharrt starrsinnig darauf, selbst mit dem Auto nach Hause zu fahren. Was glauben Sie, wie reagieren seine Freunde?³ Jeweils zwei Drittel in beiden Versuchsgruppen entschieden sich für eine der beiden fürsorglichen Reaktionen. Sie meinten entweder ÄEiner von ihnen fährt ihn nach Hause³ oder ÄSie bestellen ihm ein Taxi³. Jeweils ein Drittel entschied sich für eine der beiden eher nachlässigen Reaktionen. Sie meinten meist, sie würden Äversuchen, ihn davon abzuhalten³ wobei offen blieb, ob ihnen dies gelingt, einige meinten auch, sie würden ihn Äohne großen Widerstand fahren lassen³. Auch bei einer differenzierten Betrachtung der Antworten zeigt sich hier kein Unterschied zwischen den Versuchsgruppen. Die Eindrücke von Horst Berger anhand der kontrastieren Fotos besaßen demnach keinen Einfluss auf die Vorstellungen der Betrachter, wie sich die Freunde Horst Bergers ihm gegenüber verhalten würden. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Versuchspersonen relativ klare und festgefügte Vorstellungen vom Verhalten unter Freunden hatten, die von den Fotos einer spezifischen Person weitgehend unabhängig waren. Glaubwürdigkeit von Behauptungen über Horst Berger Eine wesentliche Voraussetzung für Medienwirkung ist die Glaubwürdigkeit der Darstellung aus Sicht der Mediennutzer: Je glaubwürdiger eine Meldung ist, desto eher wird sie für wahr gehalten und desto eher prägt sie die Vorstellungen von der dargestellten Realität. Damit stellt sich die Frage, ob positive bzw. negative Fotos von einer Person die Glaubwürdigkeit von positiven, bzw. negativen Aussagen über sie beeinflussen. Mit anderen Worten: Besitzen bildliche Darstellungen einen Einfluss auf die Akzeptanz sprachlicher Aussagen? Die Glaubwürdigkeit von positiven und negativen Behauptungen über Horst Berger wurde in der fünften Woche ermittelt. Den Versuchspersonen wurde zur Identifikation der Person, über die sie sich äußern sollten, kurz ein neutrales Foto von Horst Berger gezeigt, das während der eigentlichen Testaufgabe nicht mehr sichtbar war. Die Versuchspersonen beurteilten die Glaubwürdigkeit der Behauptungen über Horst Berger folglich anhand ihrer Erinnerung an die Person, die sie in den vorange-
165
gangenen vier Wochen auf Fotos gesehen hatten. Alle Behauptungen betrafen Sachverhalte, die in keinem inhaltlichen Zusammenhang mit den Fotos standen. Vorgegeben waren drei konkrete Antwortvorgaben Äglaubwürdig³, Äzweifelhaft³ und Äunglaubwürdig³. Weil man daran zweifeln kann, dass Menschen bereit sind, nach dem Betrachten von vier Fotos, die keine relevanten Sachinformationen enthielten, die Glaubwürdigkeit von Behauptungen zu beurteilen, war im Testbogen zusätzlich die Antwortmöglichkeit vorgegeben Äunmöglich zu sagen³. Der wichtigste Befund des Tests besteht in der Erkenntnis, dass die meisten Versuchspersonen nur auf der Grundlage der Fotos, die sie mehrere Wochen zuvor gesehen hatte, bereit waren, ihre Meinung zur Glaubwürdigkeit von Behauptungen über Horst Berger abzugeben. Dies traf im Durchschnitt der fünf Behauptungen auf 75 Prozent der Versuchspersonen zu. Sie hatten keine Ahnung von den fraglichen Sachverhalten, aber eine Meinung darüber, ob die Behauptungen zutrafen. Zwischen den Eindrücken, die die Versuchspersonen anhand der Fotos von Horst Berger gewinnen konnten, und der Glaubwürdigkeit der Behauptungen bestanden zudem in allen Fällen die erwarteten Zusammenhänge: Versuchspersonen, die die friedlich/gütigen Versionen gesehen hatten, hielten positive Behauptungen eher für glaubwürdig als Versuchspersonen, die die aggressiv/bösartigen Versionen gesehen hatten. Diejenigen, die die aggressiv/bösartigen Versionen gesehen hatten, hielten dagegen negative Behauptungen für glaubwürdiger als jene, die die friedlich/gütigen gesehen hatten. Zwar waren die Unterschiede zwischen den Versuchsgruppen aus dem oben genannten Grund statistisch nicht signifikant, die Gleichförmigkeit der Befunde deutet jedoch darauf hin, dass die Unterschiede tatsächlich durch die Fotos hervorgerufen wurden. Die kontrastierenden Fotoserien hinterließen demnach in der Erinnerung unterschiedliche Vorstellungen von Horst Berger, die sich in unterschiedlichen Urteilen über die Glaubwürdigkeit von Behauptungen über ihn niederschlugen. Im Interesse einer möglichst einfachen Darstellung wird in Tabelle 3 nur die Zustimmung zu der Vorgabe Äglaubwürdig³ ausgewiesen. Die Chi-QuadratTests wurden anhand aller Antwortmöglichkeiten durchgeführt (Tabelle 3). Glaubwürdigkeit der Person Horst Bergers Bisher ging es nicht um den Einfluss der Person Horst Bergers auf die Interpretation und Glaubwürdigkeit von Aussagen sowie auf die Vorstellungen von seinem Verhalten, sondern um den Einfluss kontrastierender Fotoserien. Nahezu alle Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Betrachter der unterschiedlichen Fotos unterschiedliche Vorstellungen von der Persönlichkeit Horst Bergers entwickelt und daraus unterschiedliche Folgerungen abgeleitet haben. Damit stellt sich die
166
Tabelle 3: Glaubwürdigkeit von Behauptungen über Horst Berger Frage: ÄWir haben hier einige mehr oder weniger glaubwürdige Behauptungen über Horst Berger zusammengestellt. Bitte sagen sie uns zu jeder Behauptung, ob Sie sie für glaubwürdig, für zweifelhaft oder für unglaubwürdig halten.³ ± Antwortvorgabe: Äglaubwürdig³ ± Äfriedlich/gütig³ (n=21) %
Äaggressiv/bösartig³ (n=18) %
ÄHorst Berger betreut in seiner Freizeit eine christliche Jugendgruppe.³
29
17
ÄHorst Berger hat einen beachtlichen Betrag für die Vietnamhilfe gespendet.³
33
22
Positive Behauptungen (Durchschnitt)
31
20
ÄHorst Berger schnauzt gelegentlich seine Kinder an.³
24
56
ÄHorst Berger erzwingt sich beim Autofahren häufig die Vorfahrt.³
10
33
ÄHorst Berger betrügt seine Frau.³
5
17
Negative Behauptungen (Durchschnitt)
13
35
n.s. (Chi-Quadrat-Tests)
Frage, ob sich die von den kontrastierenden Fotoserien vermittelten Eindrücke auch dann noch in den Urteilen der Versuchspersonen niederschlagen, wenn ihnen die dargestellte Person selbst gegenübertritt. Diese Frage wurde in der achten Woche untersucht. Im Zentrum des Interesses standen die Glaubwürdigkeit Horst Bergers sowie die sozialen Regeln, die im Umgang mit ihm Geltung besitzen. Damit die beiden Versuchsgruppen exakt die gleichen Bedingungen hatten, wurden sie unter einem Vorwand zusammengeführt. Sie befanden sich also im gleichen Raum. Den Versuchspersonen wurde folgender Text vorgelegt: ÄDer Architekt Horst Berger ist ehrenamtlicher Vorsitzender der Vereinigung ÃHumane Altstadtµ, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Abbruch alter Häuser bzw. ihre Zweckentfremdung zu verhindern. Die Wohnungen sollen bedarfsgerecht renoviert und 167
den alten Mietern zu günstigen Preisen angeboten werden. Horst Berger hat als Vorsitzender der Vereinigung mit einer großen Versicherungsgesellschaft über eine finanzielle Beteiligung an einem Sanierungsprojekt verhandelt. Bei der letzten Mitgliederversammlung wurden deshalb schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben: ÃEr beabsichtigt der Versicherungsgesellschaft das Projekt zuzuschanzen, die die Mietwohnungen nach der Renovierung als teure Eigentumswohnungen verkaufen will. Die Versicherungsgesellschaft will dafür Horst Berger als Architekt mit der Planung eines neuen Verwaltungsgebäudes beauftragen.µ Horst Berger hat während der Mitgliederversammlung zu diesen Vorwürfen Stellung genommen. Er wird seine Stellungnahme hier noch einmal wiederholen.³ Danach betrat Horst Berger den Raum und erklärte anhand eines vorformulierten Textes, es stimme, dass er mit der Versicherungsgesellschaft verhandelt habe. Er habe dies aber nur getan, um alle Möglichkeiten einer Finanzierung des gemeinsamen Vorhabens zu prüfen. Zu keiner Zeit sei es dabei um einen persönlichen Vorteil für ihn selbst gegangen. Nachdem Horst Berger ohne Aussprache den Raum wieder verlassen hatte, sollten die Versuchspersonen die Glaubwürdigkeit seiner Rechtfertigung beurteilen. Bei der Interpretation der folgenden Befunde ist zu beachten, dass ± wie der vorangegangene Beitrag gezeigt hat ± die persönliche Anwesenheit von Horst Berger die unterschiedlichen Vorstellungen von seiner Persönlichkeit weitgehend eingeebnet hatte. Drei Viertel der Versuchspersonen, die in den vorangegangenen Wochen Fotos gesehen hatten, die Horst Berger friedlich/gütig zeigten, hielten die Rechtfertigung Horst Bergers für glaubwürdig. Folglich zweifelte von ihnen nur ein Viertel mehr oder weniger entschieden an seiner Glaubwürdigkeit. Die Versuchspersonen, die Fotos gesehen hatten, die Horst Berger aggressiv/bösartig zeigten, gewannen einen deutlich anderen Eindruck: Von ihnen zweifelte die Hälfte an der Glaubwürdigkeit Horst Bergers. Zwar sind auch diese Unterschiede statistisch nicht signifikant. Dennoch deuten sie darauf hin, dass fotografisch vermittelte Eindrücke von Personen auch dann noch nachwirken, wenn sie aufgrund persönlicher Eindrücke erschüttert wurden (Tabelle 4).11 Regeln für den öffentlichen Umgang mit Horst Berger Theoretisch gelten in der öffentlichen Auseinandersetzung für alle beteiligten Personen die gleichen Regeln. Dies gilt nicht nur für den rechtlichen Schutz der Privatsphäre und anderer Rechtsgüter, sondern auch für den sozialen Schutz, den sie aufgrund der guten Sitten genießen. Dementsprechend müssten alle Teilnehmer an öffentlichen Kontroversen gegenüber allen Akteuren die gleichen Grenzen zulässiger Kritik beachten. Gegen diese Annahme sprechen praktische Erfah-
168
Tabelle 4: Glaubwürdigkeit der Person Horst Bergers Frage: ÄWie beurteilen Sie die Entgegnung von Horst Berger, er habe völlig uneigennützig gehandelt?³ Äfriedlich/gütig³ (n=24) % ÄDurchaus glaubwürdig.³ ÄEher glaubwürdig als unglaubwürdig.³
8
12
67
40
Positiv ÄEher unglaubwürdig als glaubwürdig³ ÄZiemlich unglaubwürdig³
75
52
17
40
8
8
Negativ Summe
Äaggressiv/bösartig³ (n=25) %
25 100
100
48 100
100
n. s. (Chi-Quadrat-Test)
rungen und empirische Befunde. So besitzt die Einstellung von Journalisten gegenüber Politikern einen Einfluss auf ihre Bereitschaft zur Veröffentlichung von schwerwiegenden Verdächtigungen vor einer Klärung des Sachverhaltes: Journalisten, die einen Politiker unsympathisch finden, sind eher dazu bereit als Journalisten, die ihn für sympathisch halten.12 Dies dürfte analog auch für die Leser, Hörer und Zuschauer gelten: Sie werden die sofortige Veröffentlichung von schwerwiegenden Verdächtigungen gegen einen ihnen unsympathischen Menschen eher billigen als gegen einen sympathisch. Damit stellt sich die Frage, ob positive und negative Fotos von einer Person bei den Betrachtern einen so starken Eindruck hinterlassen, dass er sich auch auf ihre Billigung bzw. Missbilligung von unbewiesenen Vorwürfen auswirkt. Sie wurde ebenfalls in der achten Woche untersucht. Nachdem die Versuchspersonen die Glaubwürdigkeit von Horst Berger beurteilt hatten, wurde eine Frage nach der Zulässigkeit öffentlicher Angriffe gestellt. Die Frage lautete: ÄAngriffe wie jener auf Horst Berger sind im öffentlichen Leben nicht selten und man kann darüber verschiedener Meinung sein. Wir haben zwei Beurteilungen aufgestellt. Bitte kreuzen Sie diejenige an, die ihrer persönlichen Ansicht am nächsten kommt.³ Als Antwortvorgaben wurden die 169
Begründungen für zwei gegensätzliche Positionen vorgegeben. Versuchspersonen, die die friedlich/gütigen Fotos gesehen hatten, stimmten überwiegend der Ansicht zu, dass Kritik nur dann zulässig sei, wenn sie auf Tatsachen beruht. Versuchspersonen, die die aggressiv/bösartigen Fotos gesehen hatten, schlossen sich dagegen überwiegend der Ansicht an, dass die Kritik auch dann zulässig sei, wenn sie sich nachträglich als falsch herausstellt (Tabelle 5). Tabelle 5: Zulässigkeit öffentlicher Kritik Frage: ÄAngriffe wie jener auf Horst Berger sind im öffentlichen Leben nicht selten und man kann darüber verschiedener Meinung sein. Wir haben zwei Beurteilungen aufgestellt. Bitte kreuzen Sie diejenige an, die Ihrer persönlichen Ansicht am nahesten kommt.³ Äfriedlich/gütig³ (n=25) %
Äaggressiv/bösartig³ (n=25) %
ÄIn der öffentlichen Auseinandersetzung kann man nicht jede Behauptung im Voraus prüfen. Die Kritik an Horst Berger ist auch dann zulässig, wenn sie sich nachträglich als unbegründet herausstellt.³
36
52
ÄAuch in der öffentlichen Auseinandersetzung muss man Vorwürfe im Voraus prüfen. Die Kritik an Horst Berger ist nur dann zulässig, wenn sie auf Tatsachen und nicht nur auf Vermutungen beruht.³
64
48
100
100
n. s. (Chi-Quadrat-Test)
Auch wenn der Unterschied zwischen den beiden Versuchsgruppen erneut statistisch nicht signifikant ist, deuten die Ergebnisse darauf hin, dass in der öffentlichen Auseinandersetzung nicht alle Personen den gleichen Schutz sozialer Normen genießen: Verdächtigungen gegen Menschen, die man unsympathisch findet, weil man sie z. B. für aggressiv und bösartig hält, werden eher akzeptiert als Verdächtigungen gegen Menschen, die man sympathisch findet, weil man sie z. B. als friedlich und gütig einschätzt. Das legt die Vermutung nahe, dass sich die 170
Medien gegen öffentlich bereits diskreditierte Menschen mehr erlauben können, ohne bei ihren Rezipienten auf Ablehnung zu stoßen, als gegen Menschen, die öffentlich in hohem Ansehen stehen. Zudem deuten die Ergebnisse darauf hin, dass sich die positiven, bzw. negativen Eindrücke von Fotos auf die Regeln auswirken können, die im Umgang mit öffentlichen Personen gelten: Durch eine einseitig fotografische Darstellung einer Person erscheinen bestimmte Formen öffentlicher Kritik zulässig oder unzulässig, wodurch die betroffene Person gegen die Kritik geschützt ist oder ihr preisgegeben wird. Sie wird optisch stigmatisiert oder immunisiert. Für diese Vermutungen spricht nicht zuletzt die Tatsache, dass medial erzeugte Vorstellungen von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens normalerweise nicht wie hier durch persönliche Kontakte erschüttert werden. Öffentliche Konflikte sind deshalb nicht nur Auseinandersetzungen um die beteiligten Personen, sondern auch Auseinandersetzungen um die Regeln, die im Umgang mit ihnen gelten. Dabei stellt die Entscheidung über die Geltung der Regeln eine Vorentscheidung über den Ausgang in der Sache dar. Zusammenfassung und Interpretation Gegenstand der Attributionstheorie ist die Erklärung des Verhaltens von Menschen durch Akteure und durch Beobachter. Die Grundlage der Erklärungen können direkte Beobachtungen des Verhaltens, seine visuelle Darstellung auf Fotos und in Filmen sowie seine verbale Beschreibung sein. Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind Folgerungen aus der Darstellung von Menschen anhand von Fotos. Theoretisch kann man die Überlegungen auch auf Film- und Fernsehaufnahmen übertragen. Sie spielen hier jedoch keine Rolle. Ausgangspunkt war die mehrfach bestätigte Annahme der Attributionstheorie, dass Beobachter das Verhalten anderer Menschen vor allem auf ihre Persönlichkeit zurückführen. Dies dürfte analog auch für Folgerungen aus der visuellen Darstellung von Menschen gelten. Es wurde angenommen, dass die Betrachter von Personenfotos implizite Persönlichkeitstheorien entwickeln ± Vorstellungen davon, was die Dargestellten für Menschen sind ± und dass sie aus diesen Vorstellungen Folgerungen ableiten. Die erwähnten Folgerungen werden hier als Finalattributionen bezeichnet. Finalattributionen erstrecken sich theoretisch auf die Interpretation von mehrdeutigen Äußerungen der Abgebildeten, auf die Vermutung über ihr Verhalten in bestimmten Situationen und auf die Glaubwürdigkeit von Behauptungen über die abgebildeten Personen. Darüber hinaus besitzen sie theoretisch auch einen Einfluss auf die Glaubwürdigkeit der Person bei einem persönlichen Kon-
171
takt sowie auf die Vorstellungen davon, wie man mit den Dargestellten in der Öffentlichkeit umgehen darf und soll. Der Einfluss von Personenfotos auf die erwähnten Folgerungen wurde anhand von zwei kontrastierenden Fotoserien der gleichen Person überprüft, die Horst Berger genannt wurde. Eine Versuchsgruppe sah acht Wochen lang nur Aufnahmen, die Horst Berger friedlich/gütig erscheinen ließen, eine andere Versuchsgruppe nur Aufnahmen, die ihn aggressiv/bösartig zeigten. Geprüft wurde der Einfluss der Fotos auf 1. 2. 3. 4. 5.
die Interpretation einer mehrdeutigen Aussage Horst Bergers, die Vorstellungen davon, wie sich Horst Berger im Alltag verhält, die Glaubwürdigkeit von positiven und negativen Behauptungen über Horst Berger, die Glaubwürdigkeit Horst Bergers nach einem kurzen persönlichen Kontakt und die Vorstellung davon, ob man ihn mit einer plausiblen aber unbewiesenen Behauptung öffentlich kritisieren darf.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen weisen alle Ergebnisse in die erwartete Richtung. Gegenläufige Befunde liegen nicht vor. Trotz der relativ klaren Ergebnisse liefert die vorliegende Studie keinen zwingenden Beweis für die theoretischen Annahmen und die daraus abgeleiteten Folgerungen. Zum einen beruhte die Zusammenstellung der Versuchsgruppen nicht auf einer Zufallsauswahl. Ein Einfluss individueller Merkmale der Versuchspersonen kann deshalb nicht völlig ausgeschlossen werden. Zum anderen waren fast alle Unterschiede zwischen den Versuchsgruppen aufgrund der Zahl der Versuchspersonen statistisch nicht signifikant. Schließlich sahen die beiden Versuchsgruppen (abgesehen von der fünften Woche) ausschließlich Fotos, die den Dargestellten entweder aggressiv/bösartig oder friedlich/gütig präsentierten. Wie sich die Kombination von unterschiedlichen Fotos auswirkt, muss deshalb offen bleiben. Aus den genannten Gründen sollten die theoretischen Annahmen unter besseren Bedingungen an größeren Versuchsgruppen überprüft werden. Trotz dieser Einschränkungen legen die Befunde drei vorläufige Folgerungen nahe. Erstens: Die wiederholte Veröffentlichung von Fotos, die Menschen in ähnlicher Weise zeigen, etablieren bei den Betrachtern unausgesprochene Vorstellungen13 von ihrem Charakter. Hierbei handelt es sich um relativ dauerhafte, nicht an die Rezeptionssituation gebundene Vorstellungen. Zweitens: Die Betrachter leiten aus den so gewonnen Vorstellungen vom Charakter der Personen Folgerungen ab, die weit über das hinausgehen, was auf den Fotos dargestellt ist. Die Wirkung solcher Fotos reicht folglich weiter als man aufgrund ihres objektiven Inhaltes vermuten könnte.
172
Drittens: Die auf Personenfotos beruhenden Vorstellungen vom Charakter der Personen beeinflussen die Glaubwürdigkeit von positiven und negativen Behauptungen über diese Personen. Die visuelle Darstellung von Personen kann demnach die Wirkung ihrer verbalen Charakterisierung verstärken, jedoch auch abschwächen.
1
Vgl. Fritz Heider: Social Perception and Phenomenal Causality. In: Psychological Review 51 (1944) S. 358-374. 2 Vgl. Edward E. Jones / Richard E. Nisbett: The Actor and the Observer: Divergent Perceptions of the Causes of Behavior. In: Edward E. Jones et al. (Hrsg.): Attribution: Perceiving the Causes of Behavior. Morristown, N. J. 1972, S. 79-94. 3 Vgl. Michael D. Storms: Videotape and the Attribution Process: Reversing Actor¶s and Observer¶s Point of View. In Journal of Personality and Social Psychology 27 (1973) S. 165-175. 4 Vgl. hierzu David J. Schneider: Implicit Personality Theory: A Review. In: Psychological Bulletin 79 (1973) S. 294-309. 5 Zu der abgebildeten Person vgl. ÄIdentitätsprobleme der Personenwahrnehmung anhand von Fotos³. In diesem Band S. 105. Die hier beschriebenen Tests wurden im Rahmen der beiden zuvor dargestellten Experimente durchgeführt. Es handelt sich folglich um die gleichen Testbilder. Allerdings wurden hier Effekte analysiert, die über die dort beschriebenen Sachverhalte hinausgehen. 6 Die Identifikation war notwendig, um Verwechslungen mit Fotos von einer anderen Person auszuschließen, die in einem anderen Teil des Experimentes gezeigt wurden. 7 Tatsächlich handelte es sich um einen Friseur und Hobbymaler. 8 Die statistische Signifikanz hängt sowohl von der absoluten Zahl der Personen in den Versuchsgruppen als auch der Größe des Unterschiedes zwischen ihren Antworten ab. Je größer die Versuchsgruppen sind, desto eher werden auch kleine Unterschiede statistisch signifikant. Für die Erstveröffentlichung des Experimentes wurden die Verhaltensalternativen, für die sich die Versuchspersonen entschieden hatten, mit Indikatoren u. a. für den Grad der Aggressivität der gewählten Version gewichtet. Die für die Gewichtung verwandten Werte waren in einer Zusatzstudie ermittelt worden. Bei dieser Vorgehensweise ergeben sich in der Hälfte der getesteten Fälle signifikante Unterschiede zwischen den Versuchsgruppen. Auf die Beschreibung dieser Befunde wird hier im Interesse einer leicht nachvollziehbaren Darstellung verzichtet. 9 Bemerkenswerte Unterschiede der Zuschreibung aggressiver, bzw. nicht aggressiver Reaktionen durch die beiden Versuchsgruppen gab es auch in der 1. Woche (21 Prozentpunkte), 2. Woche (22 Prozentpunkte), 8. Woche (36 Prozentpunkte). Überhaupt kein Unterschied trat in der 3. Woche auf. 10 Vgl. Jon Baggaley: Psychology of TV Image. Westmead 1980, S. 49-55. 11 Dies belegt auch folgende Anekdote: Während das Experiment noch lief, habe ich bei einer Vernissage in Eltville in der dicht gedrängten Menge einen Mann gesehen, der so aussah wie Horst Berger, dem ich zuvor persönlich noch nicht begegnet war. Dies warf zwei Fragen auf: Konnte das die Person auf unseren Testbildern sein? Das war unwahrscheinlich, denn warum sollte ein Friseur aus Offenbach zu einer Vernissage in das gut 60 Kilometer entfernte Eltville kommen? Um welche Persönlichkeit handelte es sich, falls es tatsächlich die Person war? War das ein aggressiver oder ein friedlicher Mensch? Die erste Frage konnte am folgenden Tag der Mitarbeiter beantworten, der die Fotos gemacht hatte: Es war der in seiner Freizeit malende Friseur, der hier Horst Berger genannt wird und der die Ausstellung einer Bekannten besuchte. Die zweite Frage wurde nie beantwortet. 12 Vgl. Hans Mathias Kepplinger: Voluntaristische Grundlagen der Politikberichterstattung. In: Frank E. Böckelmann (Hrsg.): Medienmacht und Politik. München 1989, S. 59-83.
173
13 Die Zusammenhänge zwischen den Vorstellungen der einzelnen Versuchspersonen und ihren Reaktionen auf die Testfragen wurden in einem aufwendigen Verfahren überprüft. Dabei ergeben sich in etwa der Hälfte aller Fälle statistisch signifikante Korrelationen. Vgl. Hans Mathias Kepplinger: Darstellungseffekte. Freiburg i. Br. 1987, S. 251.
174
Einfluss von Musik auf die Interpretation von Filmhandlungen
Zu Spielfilmen gehören Filmmusiken. Auch Informations- und Dokumentationsfilme sind ganz oder teilweise mit Hintergrundmusik unterlegt. Diese Praxis hat bereits früh zahlreiche theoretische Studien zur Funktion und Wirkweise von Filmmusiken angeregt.1 Darin werden den Filmmusiken im Wesentlichen drei Funktionen zugeschrieben: Erstens kennzeichnet die Musik das Filmgenre. Für einzelne Genres haben sich im Laufe der Zeit typische Filmmusiken herausgebildet, die in ähnlicher Form immer wieder verwendet werden. Ein Beispiel ist der Western mit seiner typischen Musik.2 Zweitens strukturiert die Musik die Filmhandlung als Ganzes. Sie verbindet durch Ähnlichkeit Szenen oder grenzt sie durch Kontrastierung voneinander ab. Sie weckt Erwartungen an den weiteren Handlungsverlauf, bestätigt bereits bestehende Erwartungen oder widerlegt sie.3 Drittens beeinflusst Filmmusik das Verständnis und die Interpretation der einzelnen Filmszenen. Sie leitet den Rezipienten durch den Ablauf einer Szene oder gibt Interpretationshilfen zum Verständnis von mehrdeutigen Bildern. Mit Blick auf informative Sendungen werden zudem andere Funktionen diskutiert,4 die hier außer Betracht bleiben sollen. Die empirische Forschung bestätigt die skizzierten Annahmen zumindest teilweise. Percy H. Tannenbaum fand, dass Hintergrundmusik die Wahrnehmung eines Theaterstücks beeinflusst.5 Wurde ein Theaterstück mit Musik unterlegt, verstärkte diese ± im Vergleich zu dem gleichen Stück ohne Musik ± den Eindruck von Kraft und Aktivität. Auf die Bewertung des Stücks hatte die Musik jedoch keinen Einfluss. Hans-Christian Schmidt fand keinen einheitlichen Einfluss der Filmmusik auf die Bewertung eines Films und seiner Protagonisten.6 In den erwähnten Studien wurden das Vorhandensein und die Art der Filmmusik variiert, nicht aber die Filminhalte. Dadurch war es nicht möglich, den konkurrierenden Einfluss von Filmbildern und Filmmusik gegeneinander abzuwägen. Dies leisten zwei weitere Studien. Dominic A. Infante und Charles M. Berg präsentierten ihren Versuchspersonen verschiedene Versionen eines spielenden Kindes.7 Sie unterlegten diese Versionen entweder mit Dur- oder mit MollMusik und zeigten zusätzlich das Gesicht eines Beobachters, das entweder positive oder negative Gefühle ausdrückte. Die optische Kommentierung des spie-
lenden Kindes beeinflusste die Wahrnehmung stärker als die akustische Kommentierung. Die Musik besaß keinen eigenen Einfluss. Sie verstärkte aber die Wirkung der optischen Kommentierung. Sabine Holicki und Hans-Bernd Brosius8 präsentierten ihren Versuchspersonen in einem Film den Konflikt zweier Autofahrer, die beide auf einen Parkplatz zusteuern. Die Szene wurde mit verschiedenen Musikarten (aggressiv, fröhlich und ruhig) sowie verschiedenen nonverbalen Reaktionen der beiden Fahrer (ebenfalls aggressiv, fröhlich und ruhig) gezeigt. Die Art der Musik beeinflusste die Stimmung, die der Film vermittelte, stärker als die nonverbalen Reaktionen. Die nonverbalen Reaktionen prägten dagegen die Interpretation und Bewertung der Situation stärker als die Musiken. Die Verfasser folgern daraus, dass Musik vor allem die emotionalen Komponenten, die Bilder vor allem die kognitiven Aspekte der Filmwahrnehmung beeinflussen. Den Einfluss von Musik auf die Wahrnehmung und Interpretation von Filmen können die vorliegenden Studien aus zwei Gründen nicht hinreichend klären. Zum einen wurden immer realistische, sinnhaltige Filmsequenzen gestestet, in denen durch Gestik und Mimik der Akteure die Bedeutung mehr oder wenigem stark festgelegt war. Die Bedeutung der Bilder überlagerte daher die Effekte der Musik in einer nicht trennbaren Weise. Dies dürfte den schwachen Einfluss von Musik auf die Interpretation von Filmhandlungen in den bisher Studien erklären. Zum anderen wurden die Effekte mit Hilfe semantischer Differentiale ermittelt. Damit können zwar zahlreiche Einzeleindrücke differenziert gemessen, die subjektive Verarbeitung der Information kann aber nicht adäquat erfasst werden. Deshalb sollen im folgenden Experiment die Einflüsse von Filmmusiken auf die Wahrnehmung von Filmen anhand eines inhaltlich ambivalenten Films untersucht und mit einem breiteren Spektrum von Messinstrumenten ermittelt werden.9 Theoretische Annahmen Die Hersteller der frühen Tonfilme haben vermutlich ihre Aufnahmen mit Musiken vertont, die nach ihrer Überzeugung die erwünschten Stimmungen unterstützen oder erzeugen. Aufgrund von Erfolgen und Misserfolgen haben sich daraus genretypische Filmmusiken entwickelt. Die Kinobesucher haben ihrerseits im Laufe der Zeit gelernt, welche Musiken für ein bestimmtes Filmgenre typisch sind. Als Ergebnis dieses Prozesses stellen genretypische Filmmusiken heute ± je nach Betrachtungsweise ± Auslösereize, Schemata, bzw. Frames dar. Sie signalisieren auch dann, wenn man den Film nicht kennt, um welches Genre es sich
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handelt. Sie lösen dazu passende Emotionen aus oder verstärken sie, und sie steuern die Interpretation mehrdeutiger Szenen. Aus diesem zweistufigen Prozess ± kluge Verwendung von geeigneten Musiken durch Produzenten, Einsicht der Rezipienten in die Praktiken der Produzenten ± kann man die Wirkung von Filmmusiken durch zwei Theorien erklären ± die Lern- und die Emotionstheorie. Entsprechend der Lerntheorie erinnern sich Menschen anhand der Musiken zu bekannten Filmen an diese Filme bzw. die Filmmusiken. Sie ordnen andere Filme, die mit der gleichen Musik vertont wurden, diesem Genre zu und interpretieren die Handlung entsprechend. Konkret bedeutet dies: Die Betrachter von Filmen mit Hintergrundmusik interpretieren die Filme nur dann entsprechend den Musiken, wenn es sich um bekannte Filmmusiken handelt, die für bestimmte Filme oder Genres stehen. Dies trifft entsprechend auch auf die Emotionen zu, die die Musik auslöst. Ist die Musik nicht bekannt, treten solche Effekte nicht auf. Entsprechend der Emotionstheorie rufen bestimmte Musiken unabhängig davon, ob die einzelnen Stücke bekannt oder unbekannt sind, typische Stimmungen hervor. Konkret bedeutet dies: Die Betrachter von Filmen mit Musikhintergrund interpretieren die Filme auch dann entsprechend den Musiken, wenn sie mit unbekannten Musiken eines bestimmten Musiktyps unterlegt wurden. Dies trifft entsprechend auch auf die Emotionen zu, die die Musik auslöst. Ob das Musikstück bekannt oder unbekannt ist, spielt folglich keine Rolle. Aus den genannten Gründen kann man die Relevanz der Lern- und Emotionstheorie für die Erklärung der Wirkung von Filmmusiken durch den Vergleich der Wirkung von bekannten und unbekannten Musiken des gleichen Genres ermitteln. Den Wirkungen von Filmmusiken können zwei Wirkungsmodelle zugrunde liegen ± das Überlagerungs- und das Steuerungsmodell. Nach dem Überlagerungsmodell färbt die Art der Musik auf die Wahrnehmung des Films und seiner Akteure ab. Der Eindruck, den die Bilder an sich vermitteln, wird von der Musik überlagert. Er bleibt jedoch als eigenständige Größe bestehen. Konkret bedeutet dies: Falls die Bilder eine bestimmte Interpretation nahelegen und entsprechende Emotionen auslösen, bleibt beides erhalten. Es wird jedoch intensiviert. Falls die Bilder keine solche Interpretation nahelegen und keine entsprechenden Emotionen auslösen, werden sie auch von der Filmmusik nicht geschaffen. So werden mehrdeutige Filmszenen durch die Begriffe beschrieben, die die Filmszenen selbst liefern. Sie bleibt auch bei einer Vertonung z. B. durch eine Westernfilmmusik mehrdeutig. Allerdings steigert eine Westermusik das Gefühl von Spannung, falls es durch die Bilder ohnehin vermittelt wird. Nach dem Strukturierungsmodell steuert die Filmmusik die Interpretation der Filmhandlung und die damit verbundenen Emotionen, so dass sich das Verständnis des Films und seiner Akteure sowie die damit verbundenen Emotionen
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ändern. Konkret bedeutet dies: Falls die Bilder eine bestimmte Interpretation nahelegen und eine bestimmte Emotion auslösen, werden sie der Musik entsprechend verändert. Die Musik fügt der Rezeption der Bilder etwas hinzu, was über eine Intensivierung der ohnehin vorhandenen Kognitionen und Emotionen hinausgeht. Falls die Bilder keine solche Interpretation nahelegen und keine entsprechenden Emotionen auslösen, werden sie durch die Filmmusik geschaffen. So werden mehrdeutige Filmszenen durch die Begriffe beschrieben, die die Musik nahelegt: Eine Westernmusik führt z. B. zur Beschreibung einer Szene als Duell und ruft beim Betrachter das Gefühl von Spannung hervor, was ohne die Musik nicht der Fall wäre. Aus den genannten Gründen kann man die Relevanz der beiden Modellannahmen zur Erklärung der vermuteten Wirkung von Filmmusiken durch den Vergleich von Filmen ohne und mit Musikhintergrund untersuchen. Die Vermutungen beruhen auf der impliziten Annahme, dass sich die Filmbetrachter an Filmmusiken erinnern, die sie einmal gehört haben und dass sie den Charakter, bzw. das Genre der jeweiligen Stücke erkennen. Dies dürfte umso eher zutreffen, je musikalischer die Betrachter sind und je mehr sie sich mit Musik beschäftigen. Ob dies zutrifft, kann mit Hilfe von entsprechenden Fragen geprüft werden, die als Kontrollvariablen benutzt werden. Hypothesen Grundlage des Experimentes sind die oben skizzierte Emotionstheorie sowie das ebenfalls beschriebene Steuerungsmodell. Dies schließt die alternativen Möglichkeiten nicht aus, dass die Lerntheorie bzw. das Überlagerungsmodell mit den Befunden besser vereinbar sind. Daraus werden folgende Hypothesen abgeleitet: Erstens: Filmmusiken beeinflussen den Gesamteindruck, den ein Film hervorruft, unabhängig von der Bekanntheit der Titel aufgrund des Charakters der Musik (Emotionstheorie). Zweitens: Filmmusiken beeinflussen die Wahrnehmung des Hauptcharakters, unabhängig von der Bekanntheit der Titel aufgrund des Charakters der Musik (Emotionstheorie). Drittens: Filmmusiken steuern die Interpretationen der Zuschauer und rufen zur Musik passende Interpretationen hervor, die ohne die Filmmusiken nicht auftreten würden (Steuerungsmodell). Viertens: Der Einfluss von Filmmusik auf die Interpretationen der Zuschauer hängt auch von ihrer Persönlichkeit ab: Aggressive Zuschauer halten die gezeigten Beziehungen eher für aggressiv als nicht aggressive Zuschauer. Musikalische Zuschauer interpretieren die Szenen stärker unter dem Einfluss der Filmmusiken als nicht musikalische Zuschauer.
178
Methode Testfilme Die dritte Hypothese kann aus den eingangs genannten Gründen nur anhand eines Films getestet werden, der keine eindeutige Handlung besitzt. Deshalb wurde im Einzelbildverfahren ein geeigneter Trickfilm hergestellt. Der Film besteht aus 4.320 Einzelbildern. Zwischen den einzelnen Aufnahmen wurden Halbkugeln nach einem Drehbuch per Hand verschoben. Der Film ist insgesamt drei Minuten lang und hat folgenden Ablauf: Zunächst bewegt sich auf einer grünen Filzfläche, die an drei Seiten stufenartig ansteigt, eine größere Zahl gelber Halbkugeln ziellos. Nach einiger Zeit treten eine rote und eine blaue Halbkugel hinzu. Die gelben Halbkugeln weichen an den Rand der Fläche aus, die blaue und die rote Halbkugel stehen sich zunächst gegenüber, berühren sich, umkreisen sich und verfolgen sich gegenseitig. Die gelben Halbkugeln kommen wieder in die Mitte, die rote und die blaue Halbkugel verschwinden. Die Kameraeinstellung wechselte während der drei Minuten zwischen Totale, Halbtotale und Großaufnahmen. Sowohl die Situation als auch die Akteure ± die farbigen Halbkugeln ± ließen einen großen Spielraum für Interpretationen und Bedeutungszuschreibungen. Die Relevanz der lerntheoretischen und der emotionstheoretischen Erklärung kann geprüft werden, wenn man die Wirkung der Vertonung von Filmen mit bekannten und unbekannten Musiken des gleichen Typs vergleicht. Die Relevanz des Überlagerungs- und Strukturierungsmodells kann ermittelt werden, wenn man musikalisch unterlegte und musikalisch nicht unterlegte Filme gegenüberstellt. Aus diesen Gründen wurden die Filme mit einer bekannten, bzw. unbekannten Liebesfilmmusik oder Kriminalfilmmusik unterlegt. Die fünfte Version wurde ohne Musik gezeigt. Die bekannten Liebes- und Kriminalfilmmusiken stammten aus ÄLove Story³ und ÄGoldfinger³, die beiden genretypischen, aber unbekannten Musiken aus dem unveröffentlichten Bestand eines Filmarchivs. Zuvor war in einem Vortest mit mehreren anderen Filmmusiken durch freie Assoziationen sichergestellt worden, dass die ausgewählten Musikstücke genretypisch waren. Untersuchungsanlage Die fünf Filmversionen wurden fünf Gruppen von jeweils etwa 20 Versuchspersonen (Studenten aus Lehrveranstaltungen der Universität) gezeigt. Insgesamt sahen 98 Personen die Filme. Nach einem Zufallsprinzip wurde festgelegt, wel-
179
cher experimentellen Bedingung die einzelnen Versuchsperson ausgesetzt wurden. Zwei studentische Versuchsleiter führten die Versuche in separaten Räumen durch. In den Räumen war jeweils eine Filmvorführungsanlage aufgebaut. Die Versuchsleiter lasen den Versuchspersonen eine standardisierte Instruktion vor. Ihnen wurde mitgeteilt, dass sie einen kurzen Film sehen und im Anschluss daran gefragt würden, wie ihnen der Film gefallen hätte. Dann wurde die jeweilige Filmversion vorgeführt. Die Versuchspersonen wurden danach instruiert, wie der Fragebogen auszufüllen war. Nachdem die Probanden sämtliche Fragen zum Film und zur Filmmusik ausgefüllt hatten, wurden sie gebeten, einen Kreativitäts- und Aggressivitätstest auszufüllen. Daran anschließend wurde mit Ausnahme der Kontrollgruppe den Versuchspersonen eine Musik aus einer anderen experimentellen Bedingung ohne den Film vorgespielt. Sie wurden gebeten, ihren Eindruck von dieser Musik anzugeben. Dieses Verfahren wurde gewählt, um zusätzlich Informationen über die Musik an sich zu erhalten, ohne dass sich die Anzahl der Versuchspersonen vergrößert (Abbildung 1). 10 Abbildung 1: Gruppen
Untersuchungsanlage
Stimulus 1
1. Gruppe Film ohne Musik
Stimulus 2 -
2. Gruppe Film + unbekannte Kriminalfilmmusik bekannte Liebesfilmmusik 3. Gruppe Film + bekannte Kriminalfilmmusik
unbekannte Liebesfilmmusik
4. Gruppe Film + unbekannte Liebesfilmmusik
bekannte Kriminalfilmmusik
5. Gruppe Film + bekannte Liebesfilmmusik
unbekannte Kriminalfilmmusik
Messinstrumente Mit dem erwähnten Fragebogen sollten Informationen über folgende Aspekte ermittelt werden: Gesamteindruck vom Film: Die Versuchspersonen sollten ihren Gesamteindruck von dem Film anhand eines semantischen Differentials mit 15 Gegensatzpaaren wiedergeben. Die Frage lautete: ÄBitte denken Sie nun einmal an den Film als Ganzes, also nicht an einzelne Figuren oder Szenen. Der Film ist...³. Wahrnehmung der blauen Halbkugel (Hauptakteur): Die Betrachter sollten ihren Eindruck von der blauen Halbkugel anhand eines semantischen Differentials mit zwölf Eigenschaftspaaren angeben.11 Die Frage lautete: ÄWir möchten noch etwas mehr über Ihre Eindrücke von dem Film erfahren. Wir haben einige Begriffspaare ausgewählt, mit denen man den Film und die Figuren cha180
rakterisieren kann... Die blaue ist...³. Verarbeitung der Szenen: Festgestellt werden sollte, wie die Befragten die Halbkugeln wahrgenommen haben, ob und wie sie dem Geschehen einen Sinn gaben. Zu diesem Zweck wurden direkt nach dem Film zwei offene Fragen gestellt. Die erste Frage lautete: ÄVersuchen Sie bitte, die Geschichte zu erzählen, die in dem Film dargestellt wurde. Was ist in dem Film passiert?³ Die zweite Frage lautete: ÄVielleicht können Sie das noch etwas genauer beschreiben, wenn Sie an das rote und das blaue Objekt denken. An wen oder was fühlten Sie sich erinnert, wen oder was stellen sie dar?³ Die Antworten wurden wie die Reaktionen in einem Thematischen Auffassungs-Test (TAT) ausgewertet. Die subjektive Verarbeitung der Szenen wurde direkt nach der Filmdarbietung ermittelt, um den spontanen Eindruck zu erfassen. Wahrnehmung der Musiken: Sie wurden mit einem Semantischen Differential aus 15 Gegensatzpaaren (identisch mit den oben genannten) ermittelt. Die Messung ermöglichte Vergleiche zwischen der Wahrnehmung der Musiken allein und der Musiken in Kombination mit dem Film. Bekanntheit der Musiken: Ja-NeinFrage. Musikalität: Spielen eines Musikinstruments. Aggressivität: 10 Fragen aus dem ÄFragebogen zur Messung von Aggressivitätsfaktoren³.12 Ergebnisse Einfluss der Musik auf dem Gesamteindruck Die Betrachter nahmen die Filme mit Musik anders wahr als die Filme ohne Musik. Waren die Bewegungen der Halbkugeln mit einer Liebesfilmmusik untermalt, wurde der ganze Film als passiver, defensiver, ruhiger, vertrauter, sentimentaler, friedlicher, erleichternder, schöner, zurückhaltender, fröhlicher, beruhigender und langsamer wahrgenommen. Fasst man die Unterschiede zusammen, zeigen sie sich vor allem auf den Dimensionen Aktivität und Bewertung. Die Liebesfilmmusik ließ den Film insgesamt passiver und gleichzeitig positiver wirken. Die Unterschiede zwischen der Version ohne Musik und den Kriminalfilmmusiken waren deutlich geringer. Die Kriminalfilmmusiken ließen den Film aber aggressiver, geräuschvoller und angriffslustiger erscheinen, verstärkten also den Eindruck von Aggressivität. Hier wie auch bei den folgenden Analysen zeigte sich jeweils eine Sonderstellung der Musik aus Goldfinger. Ob es an ihrer Bekanntheit selbst lag oder daran, dass diese Musik untypisch für das Kriminalfilmgenre ist, kann nicht entschieden werden. Zwar war die Musik in den Pretests als Kriminalfilmmusik identifiziert worden, möglicherweise ist die JamesBond-Musik aber für weitere Inhalte typisch und fiel deshalb aus dem Rahmen (Tabelle 1).
181
Tabelle 1: Einfluss der Filmmusiken auf den Gesamteindruck der Filme Filmversionen ohne Kriminalfilmmusik Liebesfilmmusik Musik unbekannt bekannt unbekannt bekannt (n=18) a
(n=20) a
(n=19) a
(n=21) b
(n=20) a
F-Wert
aktiv
± passiv
2.1
aggressiv
± defensiv
3.6b
1.9a
3.0b
4.3c
4.4c
15.44***
unruhig
± ruhig
2.9b
1.5a
2.5b
3.9c
4.9d
14.87***
a
a
a
a
b
fremd
± vertraut
2.9
1.7
2.7
2.3
2.8
3.1
3.8
2.3
5.1
3.40*
6.13***
geräuschvoll ± still
5.5c
2.5a
3.7b
4.9bc
4.9bc
7.89***
unsentimental ± sentimental
3.8ab
3.5a
4.4a
5.4b
6.0b
8.27***
5.7
b
4.0a
2.07
2.9
a
2.5
a
4.6
ab
5.2
b
eindeutig friedlich
± mehrdeutig ± angriffslustig
b
5.4 4.6
b ab
5.4
b
5.9
c
4.1
a
plump
± anmutig
4.2
quälend
± erleichternd
3.6a
3.3a
a
a
hässlich
± schön
aufdringlich
± zurückhaltend 3.7ab
traurig
± fröhlich
4.1 3.4
a a
aufreizend
± beruhigend
3.1
schnell
± langsam
2.7ab
4.1
5.2
ab
4.6
b
4.4
ab
3.8ab 4.3
a
2.9a
4.0b
3.6
a
4.7
b
2.6
a
3.2
a
2.0a
2.9b
4.4b 5.0
ab
4.5b 4.1
ab
5.2
b
4.3c
4.5b 5.3
b
4.3b
20.59*** 1.78 4.76** 2.85* 4.04**
4.1
ab
5.3
b
20.47***
4.0c
9.38***
2.97*
Die Eigenschaftspaare wurden mit siebenstufigen Skalen gemessen. In der Tabelle entspricht der erste Begriff jeweils dem Wert 1, der zweite jeweils dem Wert 7. Einfache Varianzanalysen. Mittelwerte ohne gemeinsamen Kennbuchstaben unterscheiden sich mit p<0.05 nach Duncan-Test für Posthoc-Mittelwertunterschiede. *p<0.05; **p<0.01; ***p<0.001.
Die Relevanz der lerntheoretischen und der emotionstheoretischen Erklärung kann bekanntlich durch einen Vergleich der Effekte der bekannten und unbekannten Musiken geprüft werden, die Relevanz des Überlagerungs- und Strukturierungsmodells durch einen Vergleich der Versionen mit und ohne Musik. Grundlage dieses Vergleichs ist der Q-Korrelationskoeffizient, der ein Maß für die Ähnlichkeit der Urteile auf allen verwandten Skalen ist. Je höher die Werte ausfallen, desto ähnlicher sind die Wahrnehmungen, je niedriger sie liegen, desto unähnlicher sind sie.13 Der Film ohne Musik wurde ähnlich wahrgenommen wie die Filmversionen mit den Kriminalfilmmusiken (Q=.68 und .75), jedoch nicht so ähnlich wie die beiden Liebesfilmmusikversionen (Q=.46 und .12). Dies deu182
tet darauf hin, dass die Liebesfilmmusiken die Wahrnehmung des gesamten Films strukturiert haben, während die Kriminalfilmmusiken die Wahrnehmung strukturiert, vor allem aber die ohnehin vorhandene Wahrnehmung des unvertonten Films verstärkt haben (andernfalls wären die Q-Werte noch geringer oder negativ). Die beiden mit Kriminalfilm-, bzw. mit Liebesfilmmusiken vertonten Versionen wurden jeweils als sehr ähnlich wahrgenommen (Q=.88 und .70). Dies deutet darauf hin, dass die Wirkungen der Filmmusiken nicht auf der Übertragung erlernten Wissens beruhte (Lerntheorie), sondern auf den Emotionen und Anmutungen, die die jeweiligen Musiken ausgelöst haben (Emotionstheorie). Die Zuschauer schlossen m. a. W. nicht mehr oder weniger bewusst von einer bekannten Musik auf den Charakter des Films. Der Eindruck vom Charakter des Films beruhte vielmehr auf dem Charakter der Musiken. Diese Befunde sprechen relativ eindeutig für die Emotionstheorie und gegen die Lerntheorie zur Erklärung der Wirkung von Filmmusiken. Sie sprechen eher für das Strukturierungsals das Überlagerungsmodell. Allerdings sind hier die Befunde weniger eindeutig (Tabelle 2). Tabelle 2: Ähnlichkeit der Wahrnehmung der Filmversionen Filmversionen ohne
Kriminalfilmmusik
Liebesfilmmusik
Musik unbekannt bekannt unbekannt bekannt (n=18)
(n=20)
(n=19)
(n=21)
(n=20)
Kriminalfilmmusik unbekannt
.68
-
-
-
-
Kriminalfilmmusik bekannt
.75
.88
-
-
-
Liebesfilmmusik unbekannt
.46
.14
.41
-
-
Liebesfilmmusik bekannt
.12
.12
.10
.70
-
Filmversion
Einfluss der Musik auf die Wahrnehmung des Hauptakteurs Die Betrachter nahmen die blaue Halbkugel, einen der beiden Hauptakteure, anhand der verschiedenen Testfilme unterschiedlich wahr. Dies galt vor allem für die Version mit der bekannten Liebesfilmmusik und der Version ohne Musik. Für die anderen drei Versionen fanden sich nur vereinzelte Unterschiede. Die bekannte Liebesfilmmusik ließ die blaue Halbkugel im Vergleich zur Darbietung 183
ohne Musik ruhiger, beliebter, männlicher, liebevoller, friedlicher, gefühlvoller, freundlicher und emotionaler erscheinen, vermittelte also ein wesentlich positiveren Eindruck. Ähnliche Effekte traten auch bei der unbekannten Liebesfilmmusik auf, waren dort aber wesentlich schwächer. Zwischen musikloser Version und Kriminalfilmmusik ergaben sich ebenfalls nur vereinzelt Unterschiede. Die Kriminalfilmmusik ließ die blaue Halbkugel als Hauptakteur unfreundlicher und rauher erscheinen. Tabelle 3: Der Einfluss der Filmmusiken auf die Wahrnehmung der blauen Halbkugel, einem der Hauptakteure Filmversionen ohne Kriminalfilmmusik Liebesfilmmusik Musik unbekannt bekannt unbekannt bekannt (n=18) ab
(n=20)
(n=19)
± erfolgreich
4.1
ruhig
± nervös
4.4b
5.2b
4.7b
3.7
b
3.9
b
3.6
b
a
4.5
a
4.7
a
± unbeliebt
4.4
ab
erfolglos beliebt
3.6
a
(n=21) 4.4
ab
4.3b 3.3
ab
4.9
ab
(n=20) 4.7
b
3.1a 2.8
a
5.8
b
F-Wert 1.83 5.47** 2.75*
weiblich
± männlich
4.7
liebevoll
± herzlos
3.7c
schwach
± stark
4.1
4.3
4.8
4.3
4.8
0.86
überlegen
± unterlegen
4.4b
4.0b
3.3a
3.7ab
3.7ab
2.75*
friedlich
± angriffslustig
4.3bc
5.0c
4.6bc
3.7ab
3.0a
4.69**
3.4
bc
4.3
c
4.0
bc
2.2a
8.09***
3.6
bc
4.6
d
4.1
cd
2.6
a
9.17***
b
3.5
b
4.1
b
2.1
a
5.71***
5.1b
6.32***
gefühlvoll freundlich
± gefühllos ± unfreundlich
emotional
± rational
3.1
rauh
± sanft
4.6b
4.2c
3.4a
4.1c
3.5a
3.1b
3.2
b
3.1
ab
3.4
b
4.5b
2.4a
2.23 13.08***
Die Eigenschaftspaare wurden mit siebenstufigen Skalen gemessen. In der Tabelle entspricht der erste Begriff jeweils dem Wert 1, der zweite jeweils dem Wert 7. Einfache Varianzanalysen. Mittelwerte ohne gemeinsamen Kennbuchstaben unterscheiden sich mit p<.05 nach Duncan-Test für Posthoc-Mittelwertunterschiede. *p<0.05; **p<0.01; ***p<0.001.
Die Relevanz der lerntheoretischen und der emotionstheoretischen Erklärung kann auch hier durch einen Vergleich der Effekte der bekannten und unbekannten Musiken geprüft werden, die Relevanz des Überlagerungs- und Strukturierungsmodells durch einen Vergleich der Versionen mit und ohne Musik. Grund-
184
lage der Vergleiche ist wieder der Q-Korrelationskoeffizient. Die beiden Kriminalfilmmusiken beeinflussten die Wahrnehmung der blauen Kugel, des Hauptakteurs, die sich von seiner Wahrnehmung anhand des unvertonten Films deutlich unterschied (Q=.29 und .13). Dagegen besaßen die beiden Liebesfilmmusiken nur einen geringen Einfluss auf seine Wahrnehmung (Q=.78 und .77). Sie unterschied sich nur wenig, aber immerhin noch beachtenswert, von seiner Wahrnehmung anhand des unvertonten Films. Dies spricht alles in allem für das Strukturierungsmodell. Die Bekanntheit der Filmmusiken spielte im Fall der Liebesfilmmusiken keine große Rolle. Die blaue Halbkugel wurde anhand einer unbekannten Liebesfilmmusik nahezu genau so wahrgenommen wie anhand der bekannten (Q=.90). Dies war bei der Vertonung mit der bekannten bzw. unbekannten Kriminalfilmmusik nicht so. Die Betrachter dieser beiden Versionen nahmen die blaue Halbkugel, den Hauptakteur, zwar ähnlich, aber nicht nahezu identisch wahr (Q=.49). Dies spricht erneut für eine emotionstheoretische Erklärung der Wirkung von Filmmusiken. Allerdings sind die Belege dafür anhand der Liebesfilmmusik klarer als anhand der Kriminalfilmmusiken (Tabelle 4). Tabelle 4: Ähnlichkeit der Wahrnehmung der blauen Halbkugel, des einen Hauptakteurs Filmversionen ohne
Kriminalfilmmusik
Liebesfilmmusik
Musik unbekannt bekannt unbekannt bekannt (n=18)
(n=20)
(n=19)
(n=21)
(n=20)
Kriminalfilmmusik unbekannt
.29
-
-
-
-
Kriminalfilmmusik bekannt
.13
.49
-
-
-
Filmversion
Liebesfilmmusik unbekannt
.78
-.01
.43
-
-
Liebesfilmmusik bekannt
.77
-.17
.21
.90
-
Einfluss der Musik auf die Interpretation der Filmhandlung Der Einfluss der Musiken auf die Interpretation der Handlungen wurde mit einem Thematischen Auffassungs-Test (TAT) untersucht. Die Filmbetrachter sollten zunächst allgemein den Inhalt der gesehenen Szenen beschreiben. Anschießend sollten sie sich speziell über die roten und blauen Objekte äußern. Die Aussagen der Betrachter informieren über die individuell verschiedenen Interpretati185
onen der Filme. Für die quantitative Analyse ihrer Aussagen wurde ein Codebuch entwickelt, mit dem die wahrgenommenen Beziehungen zwischen der blauen und der roten Halbkugel, den beiden Hauptakteuren, beschrieben wurden. Dazu wurden aufgrund einer Voruntersuchung folgende Beschreibungen unterschieden: vier Beziehungen des einen zum anderen Hauptakteur (Liebe, Außenseiter, Anführer und Gegner); fünf Stimmungen, die zwischen den Hauptakteuren herrschten (allgemein positive Stimmung, neutrale Stimmung, negative Stimmung sowie speziell Harmonie und Konflikt); zwei Situationen, in denen sich die Hauptakteure befanden (harmonische Situation, konflikthaltige Situation). Erfasst wurde jeder Hinweis auf die erwähnten Sachverhalte. Sie wurden für jede Versuchsperson addiert. Daraus wurden Mittelwerte für die Versuchsgruppen gebildet, die den folgenden Analysen zugrunde liegen. Zuschauer, die einen der mit Musik unterlegten Filme gesehen hatten, nahmen die Beziehungen zwischen den beiden Hauptakteuren, die herrschende Stimmung und die dargestellte Situation anders wahr als Zuschauer, die den unvertonten Film gesehen hatten. Dies trifft allerdings auf die Liebesfilmmusikversion erheblich mehr zu als auf die Kriminalfilmmusikversion, wobei erneut vor allem die bekannte Kriminalfilmversion nicht die erwarteten Interpretationen auslöste. Alles in allem sprechen jedoch auch diese Befunde eher für das Strukturierungs- als das Überlagerungsmodell. Die unbekannten Filmmusiken beeinflussten die Interpretationen der Art der Beziehungen zwischen den Hauptakteuren, die zwischen ihnen herrschende Stimmung und die Deutung der Situation als harmonisch oder konflikthaltig stärker als die bekannten Filmmusiken. Dies spricht eindeutig für eine emotionstheoretische und gegen eine lerntheoretische Erklärung der Wirkweisen von Filmmusiken. Die Kriminalfilmmusiken führten dazu, dass die Beziehungen der beiden Hauptakteure untereinander häufig als Verhältnis zwischen Anführern (und Gefolge), bzw. zwischen Gegnern charakterisiert wurden; die Liebesfilmmusiken ließen sie dagegen häufig als Liebende erscheinen. Vergleichbare Unterschiede bestanden bei der Beschreibung der Stimmung und der Situation. Die Kriminalfilmmusiken führten dazu, dass die Zuschauer die Stimmung zwischen den Hauptakteuren als Konflikt beschrieben, die Liebesfilmmusiken vermittelten dagegen den Eindruck von Harmonie. Diese Befunde belegt ein Index, der für die dominierende Stimmung steht. In ihn gehen alle Hinweise auf eine positive oder negative Stimmung ein.14 Die Kriminalfilmmusiken führten auch dazu, dass die Situation als konflikthaltig beschrieben wurde; die Liebesfilmmusiken ließen sie dagegen in den Augen der Zuschauer harmonisch erscheinen. Auch hier bestätigt ein Index die Einzelbefunde. Für den Index wurde die Zahl der Hinweise auf Konflikte von der Zahl der Hinweise auf Harmonie subtrahiert (Tabelle 5).
186
Tabelle 5: Der Einfluss der Filmmusiken auf die Wahrnehmung der Beziehung zwischen den beiden Hauptakteuren, der zwischen ihnen herrschenden Stimmung sowie der Situation insgesamt Filmversionen ohne Kriminalfilmmusik Liebesfilmmusik Musik unbekannt bekannt unbekannt bekannt (n=18)
(n=20)
(n=19)
(n=21)
(n=20)
F-Wert
0.28ab
0.00a
0.42bc
0.76c
0.80c
6.35***
Art der Beziehung Liebe Außenseiter
0.28
0.20
0.16
0.05
0.05
1.03
Anführer
0.78b
0.40ab
0.47ab
0.14a
0.05a
3.49*
Gegner
0.11a
0.60b
0.26a
0.10a
0.15a
3.94**
0.17a
0.30ab
0.37ab
0.71b
0.80b
3.17*
Stimmung Harmonie
a
Positive Stimmung
0.28
Neutrale Stimmung
2.44b
0.30
a
0.47
1.80ab
a
1.43
1.68ab
b
1.43a
0.80
ab
1.30a
5.95*** 1.57
Negative Stimmung
0.56
0.90
0.63
0.57
0.35
1.13
Konflikt
0.94a
1.95b
0.84a
0.29a
0.25a
6.61***
-1.83ab
-3.90a
-1.11b
1.71c
1.55c
8.98***
0.86b
1.00b
4.72**
Stimmungsindex Situation Harmonische Situation Konflikthaltige Situation
0.22a
0.15a
0.53ab
c
d
bc
0.89
1.30
-1.15a
-0.05bc
0.57cd
0.90d 11.42***
Häufigkeit v. Personennamen 0.11a
0.10a
0.58b
0.19a
0.25ab 2.70*
2.39b
2.50b
1.42a
2.81b
2.70b 5.04**
Grad der Animierung
0.29
0.10
a
-0.67ab
Situationsindex
0.58
ab
9.54***
Anmerkung: Die offenen Antworten wurden getrennt für Handlung, Stimmung und Situation ausgewertet. Dabei konnte für jede Versuchsperson eine Ausprägung mehrfach vorkommen, wenn entsprechende Antworten vorlagen. Einfache Varianzanalysen. Mittelwerte ohne gemeinsamen Kennbuchstaben unterscheiden sich mit p<0.05 nach dem Duncan-Test für Mittelwertunterschiede. *p<0.05; **p<0.01; ***p<0.001.
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Einfluss der Persönlichkeit der Zuschauer auf die Interpretation der Filmhandlung Das Zusammenwirken der Persönlichkeit der Zuschauer und der Vertonung der Filme wurde aus naheliegenden Gründen anhand von zwei Persönlichkeitsmerkmalen untersucht ± der Aggressivität und der Musikalität der Zuschauer. Man kann annehmen, dass aggressive Zuschauer eine mehrdeutige Konstellation zwischen zwei Akteuren eher als Gegnerschaft interpretieren als nicht aggressive Personen. Man kann auch annehmen, dass musikalische Zuschauer die Handlung eher anhand der Musiken interpretieren als nichtmusikalische Zuschauer. Die Persönlichkeitsmerkmale wurden mit den eingangs genannten Tests erfasst.15 Als Indikatoren für die Interpretation der Filmhandlung werden die in Tabelle 5 ausgewiesenen Mittelwerte herangezogen. Weil die bekannten und unbekannten Musiken die Interpretation der Filmhandlung sehr ähnlich beeinflussten, werden für die folgenden Analysen die Zuschauer, die die Versionen mit den bekannten und unbekannten Musiken gesehen hatten, zusammen betrachtet. Beide Annahmen wurden mit zweifaktoriellen Varianzanalysen untersucht, in die die Persönlichkeitsmerkmale sowie die Filmversionen als unabhängige Variablen und die Interpretation der Filmhandlungen als abhänge Variablen eingingen. Die Aggressivität der Zuschauer alleine besaß keinen Einfluss auf die Interpretation der Beziehung zwischen den beiden Hauptakteuren als Gegnerschaft. Die schwach und stark aggressiven Personen interpretierten vielmehr das Verhältnis zwischen den beiden Hauptakteuren ähnlich häufig als Gegnerschaft (kein Haupteffekt Aggressivität). Allerdings existierte eine bemerkenswerte Wechselwirkung zwischen der Aggressivität der Zuschauer und der verwandten Filmmusik: Stark aggressive Personen beschrieben das Verhältnis zwischen den beiden Hauptakteuren anhand von allen Filmversionen ähnlich häufig als Gegnerschaft. Schwach aggressive Zuschauer beschrieben sie dagegen nur dann als Gegnerschaft, wenn die Filmhandlungen mit den Kriminalfilmmusiken unterlegt waren. Dann taten sie dies auffällig häufig (Interaktionseffekt Aggressivität x Filmmusik). Ihre Interpretation der Filmhandlungen wurde folglich stark von der Vertonung mit den Kriminalfilmmusiken beeinflusst: Unter dem Einfluss der Kriminalfilmmusik nahmen sie die Beziehung zwischen den beiden Hauptakteuren als Gegnerschaft wahr, während sie das anhand der anderen Versionen nicht so sahen (Tabelle 6). Die Musikalität der Zuschauer alleine besaß ebenfalls keinen Einfluss auf die Interpretation der gezeigten Situation. Die musikalischen Zuschauer beschrieben sie vielmehr sehr ähnlich wie die nicht so musikalischen Zuschauer (kein Haupteffekt Musikalität). Allerdings nahmen die musikalischen Personen die Situation wesentlich häufiger als konflikthaltig wahr, wenn die Filmhand-
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Tabelle 6: Der Einfluss von Musik und Aggressivität der Betrachter auf die Interpretation der Beziehung als Gegnerschaft Filmversionen ohne Musik
Kriminal- Liebesfilmmusik filmmusik
alle
(n=18)
(n=39)
(n=41)
(n=98)
schwach aggressive Personen
0.10
0.61
0.00
0.26
stark aggressive Personen
0.13
0.29
0.22
0.23
alle
0.11
0.44
0.12
0.24
Haupteffekt Genre: p<0.01; Haupteffekt Aggressivität: n.s.; Interaktionseffekt: p<0.05.
lungen mit einer Kriminalfilmmusik unterlegt waren. Die nicht so musikalischen Personen nahmen die Situation dann nicht so häufig als konflikthaltig wahr (Interaktionseffekt Musikalität x Filmmusik). Dies deutet darauf hin, dass Kriminalfilmmusiken auf die Interpretation von Filmhandlungen durch musikalische Personen einen stärkeren Einfluss ausüben als auf die Interpretationen durch nicht so musikalische Personen. Zusätzliche Plausibilität gewinnt diese Folgerung durch die Tatsache, dass die musikalischen und weniger musikalischen Personen die Filmhandlung gleich interpretierten, wenn der Film nicht vertont war (Tabelle 7). Tabelle 7: Der Einfluss von Musik und Musikalität der Betrachter auf die Wahrnehmung der Situation als harmonisch oder konflikthaltig Filmversionen ohne Musik
Kriminal- Liebesfilmmusik filmmusik
alle
(n=18)
(n=39)
(n=41)
(n=98)
-0.69
-0.30
0.50
0.26
musikalische Personen
-0.60
-1.06
0.91
0.23
alle
-0.67
-0.62
0.73
-0.06
wenig musikalische Personen
Haupteffekt Genre: p<0.0001; Haupteffekt Musikalität: n.s.; Interaktionseffekt: p<0.05.
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Zusammenfassung und Interpretation Geprüft werden sollte, ob man den Einfluss von Filmmusiken auf die Wahrnehmung von Filmen eher lerntheoretisch oder eher emotionstheoretisch erklären kann und ob Filmmusiken ohnehin vorhandene Eindrücke nur überlagern oder diese Eindrücke steuern. Die wichtigsten Befunde können in sechs Feststellungen zusammengefasst werden: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Filmmusiken des gleichen Genres übten einen genretypischen Einfluss aus. Unbekannte Filmmusiken besaßen insgesamt einen stärkeren Einfluss auf die Zuschauer als bekannte Filmmusiken. Filmmusiken besaßen einen Einfluss auf den Gesamteindruck, den ein Film hervorruft. Filmmusiken besaßen einen Einfluss auf die Wahrnehmung des Hauptakteurs. Filmmusiken besaßen einen Einfluss auf die Interpretation der Filmhandlung ± hier erfasst anhand der Beziehung zwischen den Hauptakteuren, ihrer Stimmung und der Art der gezeigten Situation. Die Persönlichkeitsmerkmale der Zuschauer besaßen alleine keinen Einfluss auf die Interpretation der Zuschauer. Dies gilt für den Grad ihrer Aggressivität und ihrer Musikalität. Allerdings bestanden Wechselwirkungen mit den Filmmusiken. So interpretierten schwach aggressive Zuschauer die Beziehungen zwischen den Hauptakteuren nur dann als Gegnerschaft, wenn das Geschehen mit Kriminalfilmmusik unterlegt war. Musikalische Zuschauer hielten die Situation eher als andere für konflikthaltig, wenn das Geschehen mit einer Kriminalfilmmusik unterlegt war.
Die Befunde sind mit einer emotionstheoretischen Erklärung deutlich besser vereinbar als mit einer lerntheoretischen, weil unbekannte Musiken eines bestimmten Genres insgesamt stärkere Wirkungen besaßen als bekannte Musiken. Dies betrifft vor allem den Gesamteindruck von den Filmen, die Wahrnehmung der Hauptakteure und ± mit der erwähnten Einschränkung ± auch die Interpretation der Handlung. Die Zuschauer ziehen folglich nicht nur ihr Wissen zur Interpretation der ambivalenten Szenen heran, sondern lassen sich von den Stimmungen der Musiken leiten. Die vorliegenden Befunde sind mit dem Strukturierungsmodell besser vereinbar als mit dem Überlagerungsmodell. Die Musiken rufen vielfach Wahrnehmungen und Interpretationen hervor, die anhand der unvertonten Fassung nicht oder kaum auftreten. Filmmusiken intensivieren demnach nicht nur den ohnehin in den Bildern angelegten Sinn des Geschehens. Sie strukturieren vielmehr die
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Wahrnehmung und Interpretation der Bilder und leisten einen eigenständigen Beitrag zum Verständnis des gezeigten Geschehens. Aus beiden Befunden kann man die allgemeine Folgerung ableiten: Filmmusiken liefern Schemata zum Verständnis der visuellen Information. Zwischen den Einflüssen der Filmmusiken und den Persönlichkeitseigenschaften der Zuschauer bestehen bemerkenswerte Wechselwirkungen. So reagieren musikalische Zuschauer sensibler auf bestimmte Filmmusiken. Dies zeigt sich daran, dass ihre Wahrnehmungen und Interpretationen stärker von genretypischen Musiken gesteuert werden als die der nicht so musikalischen Zuschauer. Zudem nehmen vor allem schwach aggressive Zuschauer unter dem Einfluss von Kriminalfilmmusiken die Beziehungen zwischen Akteuren als Gegnerschaft wahr. Dies deutet darauf hin, dass vor allem sie bei Kriminal-, Abenteuer- oder Actionfilmen vom Einsatz genretypischer Musiken profitieren.
1
Vgl. Zofia Lissa: Ästhetik der Filmmusik. Berlin 1965; Franz Ronneberger: Musik als Information. In: Publizistik 24 (1979) S. 5-28; Helga de la Motte-Haber: Handbuch der Musikpsychologie. Laaber 1985; Norbert J. Schneider: Handbuch der Filmmusik. München 1986. 2 Vgl. Hermann Battenberg: Dramaturgische und ideologische Funktionen der Musik in der Fernsehserie Bonanza. Schulfach Musik. Mainz 1976, S. 106-116. 3 Vgl. Siegfried Kracauer: Theorie des Films. Frankfurt a. M. 1973. 4 Vgl. Hans-Bernd Brosius: Bewertung gut, Behalten schlecht: Die Wirkung von Musik in Informationsfilmen. In: Medienpsychologie 2 (1990) S. 44-55. 5 Vgl. Percy H. Tannenbaum: Music background in the judgement of stage and television drama. In: AV Communication Review 4 (1956) S. 92-101. 6 Vgl. Hans-Christian Schmidt: Musik als Einflußgröße der filmischen Wahrnehmung. In: Derselbe (Hrsg.): Musik in den Massenmedien Rundfunk und Fernsehen. Perspektiven und Materialien. Mainz 1976, S. 126-169. 7 Vgl. Dominic A. Infante / Charles M. Berg: The impact of music modality on the perception of communication situations in video sequences. In: Communication Monographs 46 (1979) S. 135141. 8 Vgl. Sabine Holicki / Hans-Bernd Brosius: Der Einfluß von Filmmusik und nonverbalem Verhalten der Akteure auf die Wahrnehmung und Interpretation einer Filmhandlung. In: Rundfunk und Fernsehen 36 (1988) S. 189-206. 9 Die Studie hat eine lange und wechselvolle Geschichte. Das Problem wurde mir bei der Analyse einer Reportage über eine Wanderung von Wirtschaftsminister Hans Friderichs im Bundestagswahlkampf 1976 bewusst, die mit einer ungewöhnlich schmissigen Version von ÄDas Wandern ist des Müllers Lust³ unterlegt war. Der vergleichende Test dieser und einer anders vertonten Version der Reportage war wenig aufschlussreich, weil die Reaktionen der Versuchspersonen stark von ihren Einstellungen überlagert wurden. Dies führte zu der Idee, einen inhaltsfreien aber interpretierbaren Testfilm zu produzieren, mit verschiedenen Musiken zu unterlegen und ein geeignetes Messinstrument zu entwickeln. Volker Angres hat die Testfilme produziert und vertont. Norbert Waldmann hat Tests durchgeführt, deren Ergebnisse zum Teil nicht mehr rekonstruiert werden konnten. Rainer
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Stefan Geiben hat, nachdem die Studie als Torso liegengeblieben war, die Tests wiederholt und eine erste Datenanalyse durchgeführt. Hans-Bernd Brosius hat die Daten reanalysiert und als Erstautor in einer Fassung publiziert, die für den vorliegenden Text stark überarbeitet wurde. 10 Die Versuchsgruppen unterschieden sich weder in ihren Persönlichkeitsmerkmalen noch in ihrem Filmkonsum. Alle Versuchspersonen kannten die Musik aus Love Story, 90 % kannten die Musik aus ÄGoldfinger³. Die unbekannten Musiken glaubten 10 % bzw. 24 % zu kennen. Man kann folglich davon ausgehen, dass bekannte mit unbekannten Musiken verglichen wurden. 11 Wir haben darauf verzichtet, auch die rote Halbkugel beurteilen zu lassen, weil dies den Fragebogen weiter aufgebläht hätte und Unterschiede zwischen rot und blau schwer zu interpretieren gewesen wären. 12 Rainer Hampel / Herbert Selg: Fragebogen zur Erfassung von Aggressivitätsfaktoren FAF. Göttingen 1975. 13 Eine zweifache Varianzanalyse kann wegen des unvollständigen Designs nicht durchgeführt werden. Der Q-Korrelationskoeffizient nach Peter R. Hofstätter liegt ebenso wie andere Korrelationskoeffizienten zwischen -1 und +1. 14 Der Index wurde wie folgt berechnet: Alle Aussagen über Harmonie wurden mit +2 gewichtet, Aussagen über positive Stimmung mit +1, Aussagen über neutrale Stimmung mit 0, Aussagen über negative Stimmung mit -1 und Konfliktaussagen mit -2. Alle Aussagen wurden dann mit ihren Gewichten aufsummiert. Negative Werte liegen vor, wenn die Stimmung negativ beschrieben wird, positive Werte deuten auf eine positive Wahrnehmung der Stimmung. 15 Die Punktwerte der Aggressionstests lagen zwischen 0 und 10. Der Mittelwert betrug 1,94. Personen mit geringeren Werten wurden als nicht aggressiv, Personen mit höheren Werten als aggressiv klassifiziert. Die Musikalität wurde anhand der Aussagen über Musikausübung erfasst. Personen, die ein Instrument spielten, wurden als musikalisch, Personen, die kein Instrument spielten, als nicht so musikalisch klassifiziert.
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Quellennachweise
Darstellungseffekte Zuerst veröffentlicht in: Hans Mathias Kepplinger (Hrsg.): Darstellungseffekte. Experimentelle Untersuchungen zur Wirkung von Pressefotos und Fernsehfilmen. Freiburg 1987, S. 9-19. ± überarbeitet ± Visuelle Fernsehinformationen über die Spitzenkandidaten bei Bundestagswahlen 1990-2009 ± Originalbeitrag ± Optische Kommentierung im Wahlkampf Zuerst veröffentlicht in: Thomas Ellwein (Hrsg.): Politikfeld-Analysen 1979. Opladen 1980, S. 163-179. ± leicht gekürzt ± Englisch: Visual Biases in Television Campaign Coverage. In: Communication Research (9) 1982, S. 432-446. Wieder abgedruckt in Ellen Wartella, Charles Whitney, Sven Windahl (Hrsg.): Mass Communication Review Yearbook (4), Beverly Hills 1983, S. 391-405. Einfluss von Zuschauermeinungen auf die Wahrnehmung von Politikern im Fernsehen ± Originalbeitrag auf der Grundlage des Bandes von Hans Mathias Kepplinger, Hans-Bernd Brosius, Stefan Dahlem (Hrsg.): Wie das Fernsehen Wahlen beeinflußt. Theoretische Modelle und empirische Analysen. München 1994 ± Einfluss von Kameraperspektiven auf die Wahrnehmung von Politikern Zuerst veröffentlicht unter dem Titel ÄDer Einfluß von Kameraperspektiven auf die Auffälligkeit und wahrgenommene Tendenz sowie die Informationsvermittlung und die Personenwahrnehmung³ in: Hans Mathias Kepplinger (Hrsg.): Darstellungseffekte, a. a. O., S. 92-124 ± mit Wolfgang Donsbach. ± leicht gekürzt ±
Französisch: L¶Influence des perspectives de la caméra et de la consistence de la perception d¶un acteur politique. In: Institut de Presse et des Sciences de L¶Information (Hrsg.): Enquéte Empirique: Dépouillement des données recueillies. Tunis 1982, S. 46-65; Englisch: The Influences of Changes in Camera Perspective on the Perception of a Speaker. In: Communication (12) 1986, S. 38-43; The Impact of Camera Perspectives on the Perception of a Speaker. In: Studies in Educational Evaluation (16) 1990, S. 133-156. Einfluss nonverbaler Verhaltensweisen auf die Personenwahrnehmung in Fernsehinterviews Zuerst veröffentlicht in: Hans Mathias Kepplinger (Hrsg.): Darstellungseffekte, a. a. O., S. 57-91 ± mit Hans-Bernd Brosius und Norbert Heine. Englisch: Contrast Effects of Nonverbal Behavior in Television Interviews. In: Communications (15) 1990, S. 121-134 ± mit Hans-Bernd Brosius. ± stark gekürzt und erheblich überarbeitet ± Identitätsprobleme der Personenwahrnehmung anhand von Fotos Zuerst veröffentlicht in: Hans Mathias Kepplinger (Hrsg.): Darstellungseffekte, a. a. O., S. 165-203 ± mit Thomas Hartmann. ± stark gekürzt ± Charakterfiktionen von Politikern in politischen Magazinen Zuerst veröffentlicht unter dem Titel ÄCharakterfiktionen von Reagan, Breschnew, Schmidt und Genscher in Stern und Time³ in: Hans Mathias Kepplinger (Hrsg.): Darstellungseffekte, a. a. O., S. 304-333 ± mit Thomas Hartmann, Winfried Schindler und Ulrich Nies. ± stark gekürzt ± Stabilität der Personenwahrnehmung anhand von Fotos Zuerst veröffentlicht in: Hans Mathias Kepplinger (Hrsg.): Darstellungseffekte, a. a. O., S. 204-229 ± mit Thomas Hartmann. ± stark gekürzt und erheblich überarbeitet ± Generalisierungen der Personenwahrnehmung anhand von Fotos Zuerst veröffentlicht in: Hans Mathias Kepplinger (Hrsg.): Darstellungseffekte, a. a. O., S. 230-265 ± mit Thomas Hartmann. ± stark gekürzt und erheblich überarbeitet ±
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Einfluss von Musik auf die Interpretation von Filmhandlungen Zuerst veröffentlicht unter dem Titel ÄDer Einfluß von Musik auf die Wahrnehmung und Interpretation einer symbolisierten Filmhandlung³ in: Rundfunk und Fernsehen (39) 1991, S. 487-505 ± mit Hans-Bernd Brosius. ± Neukonzeption der Zusammenhänge von Theorie, Untersuchungsanlage und Dateninterpretation ±
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