Gordon � Black � Nr. 19 �
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Party mit dem � Knochenmann �
Wenn der Antiquitätenhändler Gabert zur Part...
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Gordon � Black � Nr. 19 �
Bryan Danger �
Party mit dem � Knochenmann �
Wenn der Antiquitätenhändler Gabert zur Party einlädt, dann kommen alle seine Freunde und solche, die sich dafür halten. Hinterher ereignen sich grauenhafte Dinge, die Kommissar Belois fast um den Verstand bringen. In Paris geht die Furcht um. Wer ist der entsetzliche Knochenmann, der wahllos seine Opfer findet? Geheimnisvolle finstere Mächte sind am Werk, davon ist Belois überzeugt. Er steht auf verlorenem Posten. Nur einer könnte ihm helfen – Gordon Black. *** Zwei Fahrzeuge fuhren auf der Landstraße zwischen Loudeac und St. Meen le Grand. Das eine war ein klappriger Reisebus, das andere ein unbeschreibliches Gefährt auf hohen Rädern, das noch aus einer Zeit zu stammen schien, in der die Reisenden in der Bretagne mit Kutschen befördert wurden. Beide Fahrzeuge hatten entgegengesetzte Ziele. Irgendwo zwischen den beiden Orten würden sie sich begegnen, irgendwo sollte es zur Katastrophe kommen. Der Bus war mit fröhlichen Menschen vollbesetzt. Sie lachten und scherzten. Heitere Bemerkungen flogen hin und her. Der Ausflug nach Rennes hatte allen prächtig gefallen. Die Universität, der Justizpalast, der noch aus dem ,siebzehnten Jahrhundert stammte, und natürlich der Wein, der während der letzten drei Stunden reichlich geflossen war. Nur zwei Männer hatten dem Alkohol nicht zugesprochen. Der eine hieß Jaques Verdot und war der Chauffeur. Seine Abstinenz hatte berufliche Gründe. Schließlich wollte er seinen Job nicht 3 �
verlieren und die muntere Gesellschaft wieder heil in Loudeac abliefern. Der andere war François Gabert, ein Mann, der so mürrisch dreinschaute, als könne er sich selbst nicht ausstehen. Gabert haßte Ausgelassenheit und alles, was damit verbunden war, denn seine letzten Spekulationen waren danebengegangen. Er war ruiniert und sah keinen Ausweg mehr. Dabei träumte er von einem luxuriösen Leben in der Hauptstadt, von rauschenden Festen, bei denen er umworbener Mittelpunkt sein würde. Bei den Finanziers und natürlich bei den Frauen. Der Traum war ausgeträumt. Er konnte nur noch zwischen einer Kugel, dem Strick oder einer Giftkapsel wählen. Aus eigener Kraft fand er nicht mehr aus seiner Misere und den horrenden Schulden, und niemand war mehr bereit, ihm die helfende Hand zu reichen. »Du besitzt einen Freund, Gabert«, flüsterte ihm jemand ins Ohr. Die Stimme klang bröcklig und unangenehm. Unwillkürlich drehte sich der Mann mit den schütteren Haaren und den starken Brillengläsern um, aber hinter ihm saß Duvier mit seiner neuen Flamme. Die beiden schmusten miteinander, daß es nur so schmatzte, und die dicke Frau daneben achtete auch nicht auf ihn, sondern beschäftigte sich mit einem überdimensionalen Käsebrot. »Ich könnte etwas für dich tun, Gabert«, klang es erneut. »Ein kleiner Handel, wie du ihn so sehr liebst. Diesmal aber springt ein ansehnlicher Profit für dich heraus.« Der Mann fröstelte. Ihm war plötzlich kalt, obwohl die Busheizung auf vollen Touren lief. Modriger Geruch schlug an seine Nase. Es war, als würde er neben einem Sack verrotteter Erde sitzen. Niemand war zu sehen, der mit ihm sprach, und doch vernahm er die lockenden Worte ganz deutlich. Was ist los mit mir? dachte er. Ich habe doch nicht getrunken, 4 �
weil mir nicht zum Trinken zumute war. Höre ich schon Gespenster? »Zerbrich dir nicht den Kopf, Gabert. Du willst ihn doch behalten. Oder nicht?« Unwillkürlich nickte der Mann heftig und warf einen raschen Blick zur Seite, ob jemand diese Bewegung gesehen hatte. Aber alle waren mit sich selbst beschäftigt. »Dein Leben gegen das dieser Leute im Bus, die du ohnehin nicht ausstehen kannst.« François Gabert zuckte zusammen. Was für ein Vorschlag! Sollte er etwa zum Mörder werden? »Denke keinen Unsinn, Gabert! Du sollst nur tun, was ich dir sage. Alles andere erledige ich.« Die Stimme mußte aus ihm selbst kommen, aber sie hatte einen ganz konkreten Klang. Hohl, drohend, höhnisch – und doch verlockend. Der Teufel würde es schon nicht sein. Also was riskierte er, wenn er sich den Vorschlag anhörte? »Ich mache dich zum mächtigen Mann, Gabert. Du wirst dir deine sämtlichen Wünsche erfüllen können. Und du wirst Einfluß auf andere besitzen. Es liegt an dir, was du daraus machst. Paris gehört dir. Du brauchst es dir nur zu nehmen.« Dem Mann wurde schwindlig. Was für ein Angebot! Durfte er das ablehnen? War er denn ein Narr? Aber, was hatte er dafür zu tun? »Ich will diese Leute, die mit dir fahren, zu mir holen«, hörte er den Unsichtbaren sagen. »Ich müßte noch sehr lange auf sie warten, und an einigen bin ich außerordentlich interessiert. Sie machen meinen Freunden Schwierigkeiten. Das ist schlecht. Für uns beide, denn wir wollen doch unseren Vorteil. Entscheide dich schnell. Du hast nur noch wenige Minuten.« François Gabert spürte, daß er zitterte. Er ahnte, daß er sich da auf etwas Entsetzliches einließ, das mit Sicherheit nicht Rechtens 5 �
war. Wieder blickte er sich um und sah in lauter Gesichter, die ihm zuwider waren. Menschen, die zufrieden und glücklich waren. Frauen und Mädchen, die sich geliebt wußten, Männer, denen unverdienter Erfolg in den Schoß fiel. Eine Blondine lachte schrill auf, aber die Hand auf ihrem Knie wehrte sie nicht ab. Zwei Männer, die ernster wirkten als die übrige Gesellschaft, redeten angeregt miteinander. Sie gestikulierten und machten seltsame Zeichen. Dann steckten sie ihre Nasen in ein uraltes Buch, das sie vermutlich in Rennes auf einem Trödelmarkt erstanden hatten. Ein jugendliches Pärchen summte den neuesten Schlager vor sich hin und hielt verzückt die Augen geschlossen. Warum sollte er sterben, wenn sie alle lebten und ihr Glück genossen? dachte Gabert. Er lehnte sich seufzend zurück, während die fremde Stimme ihm verlockende Worte ins Ohr träufelte. Sein Gesicht wurde hart und gehässig. Seine Mundwinkel bogen sich weit nach unten. Seine Nase sprang unter den Brillengläsern spitz hervor und wirkte wie der Schnabel eines angriffsbereiten Raubvogels. Er war bereit, das Furchtbare zu tun. * Unterdessen raste das hochrädrige, kutschenähnliche Fuhrwerk nach Osten. Es wurde von zwei Tieren hinter sich hergerissen, die zwar Pferdeköpfe besaßen, deren Körper aber denen geschmeidiger Raubkatzen glichen. Ihre Augen sprühten Funken, und auch wenn ihre Pranken den Boden berührten, blitzte greller Feuerschein auf. Nur für einen winzigen Moment, aber während dieser Zeitspanne wurde der einzige Fahrgast in ein gespenstisches Licht gehüllt. 6 �
Der Reisende war vermummt. Er sah aus wie einer, der zum Richtblock geführt werden sollte. Sein Gesicht hielt er scheu unter schwarzen Tüchern verborgen. Er saß gekrümmt auf der Bank der offenen Kalesche. Die Luft um ihn her verwandelte sich in winzige Eiskörnchen, und da das Fahrzeug in atemberaubendem Tempo dahinflog, zog sie einen kristallisierten Schweif hinter sich her, der sich knisternd auf den Wiesen neben der Straße niederschlug. Einen Kutscher gab es nicht. Das Gespann kannte seinen Weg. Es war ihn wohl schon oft gefahren. Nur manchmal hob der Reisende kaum merklich die Hand, worauf die Tiere mit einem Schnauben reagierten, das wie das Brodeln der Hölle klang. Sie verschärften das Tempo noch mehr und warfen ihre Köpfe stolz zurück. Das Gefährt nahm genau die Straßenmitte ein. * Im Bus diskutierten die beiden ernsten Männer noch immer miteinander. Das zerfledderte Buch lag auf den Knien des einen. Er verfolgte mit dem Finger die Zeilen, die nicht in französisch geschrieben waren. Es schien sich überhaupt um eine merkwürdige Sprache mit völlig fremdartigen Schriftzeichen zu handeln. Die Männer aber waren davon fasziniert. »Damit packen wir ihn«, versicherte der Größere. »Sobald wir den Schlüssel lesen können, brechen wir damit seine Macht.« Der andere nickte bestätigend. Seine Augen leuchteten in einem unerbittlichen Stahlblau. Sein Gesicht wies verschiedene häßliche Narben auf. Sie waren zum Teil frisch, doch aus dem Studentenalter war er längst heraus. »Unser Fund ist ein großes Glück«, sagte er begeistert. »Was uns bisher gelungen ist, war nichts gegenüber dem, was wir in 7 �
Zukunft werden erstreiten können. Er ist schon so gut wie besiegt, und seine höllischen Helfershelfer haben erst recht gegen uns keine Chance. Gleich morgen werden wir beginnen.« »Du hast recht. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Die Bedrohung ist groß. Nur schnelles, entschlossenes Handeln kann noch das Schlimmste verhindern.« Sie vertieften sich wieder in das Studium ihres Fundes, und deshalb sahen sie nicht das Schreckliche, das auf sie zukam. Jaques Verdot, der Chauffeur, rieb sich die Augen. Das war doch nicht möglich! War der Kerl besoffen? Der fuhr doch glatt mitten auf der Fahrbahn und noch dazu ohne Licht. Wenn nicht ständig die bläulichen Blitze aufgezuckt hätten, hätte er den Verrückten wahrscheinlich viel zu spät gesehen. Er tupfte leicht auf das Bremspedal. Man konnte nie wissen, ob der Bursche nicht noch weiter von seiner eigenen Fahrbahn abkam. Fest umklammerte er das Lenkrad. Er hatte keine Lust, den Bus mit den Chausseebäumen Bekanntschaft schließen zu lassen. Hinter ihm kicherten und ulkten die Leute. Das kleine Bremsmanöver hatten sie gar nicht bemerkt. Mit Wein vollgefüllt, waren sie nicht mehr in der Lage zu unterscheiden, ob der Bus bedenklich schaukelte oder aber sie selbst. François Gabert richtete sich auf. Sein Befehl war klar. Er wollte den richtigen Moment nicht verpassen. Er spreizte die Hände und legte sie leicht gegeneinander. Jaques Verdot schob den Unterkiefer vor. Das Wahnsinnsfahrzeug wich nicht aus, obwohl er ständig die Lichthupe betätigte und damit sogar einen Schlafenden aufwecken mußte. Verdot fuhr den Bus seit über sechs Jahren. Er kannte ihn inund auswendig. Und er kannte diese Straße. Aber noch nie war ihm ein Wagen begegnet, der so unheimlich aussah wie diese klapprige Rumpelkiste. Er kniff die Augen zusammen, riß sie aber gleich darauf wieder auf. Das gab es doch nicht! Waren das 8 �
Pferde? Sie sahen eher wie wilde Tiere aus. Wie Tiger oder Leoparden. Und der Fahrgast wirkte, als wäre er schon längst gestorben. Himmelangst konnte einem werden. Das Fuhrwerk raste direkt auf den Bus zu. Verfluchter Dreckskerl! Wenn du schon schlafen willst, dann tu das gefälligst zu Hause! Jaques Verdot riß das Lenkrad herum. Er spürte einen Lufthauch in seinem Nacken, aber das hatte wohl nichts zu bedeuten. François Gabert hatte die Hände gehoben. Auch er starrte durch die Windschutzscheibe. Er hatte seinen Platz ja unmittelbar hinter dem Fahrer. Er sah die Kutsche, die funkensprühend heranraste. Das Herz rutschte ihm in die Hose. Das mußte er sein. Wie er wohl aussehen mochte? Nur noch wenige Meter. Die Gestalt auf der Bank rührte sich. Eines der Tücher fiel ein wenig zur Seite. Eine Hand wurde sichtbar. Einige der Insassen schrien auf. Auch Gabert war dabei. Er hatte eine Knochenhand gesehen. Die fünf hageren Finger eines Skeletts. Sein Herz drohte auszusetzen. Worauf ließ er sich da ein? Das konnte er doch nicht tun. Seine Hände fielen auf seine Knie. Er wurde zur Seite geschleudert und fiel fast von seinem Sitz. Das Pärchen hinter ihm kreischte. Jaques Verdot hätte sich gerne bekreuzigt, doch er brauchte beide Hände, um das Lenkrad zu halten. Haarscharf zwang er den Bus an der höllischen Kutsche vorbei, in der zweifellos der Tod selbst reiste. Der rechte Außenspiegel flog mit einem singenden Laut davon. Einer der Chausseebäume hatte ihn abrasiert. Der Fahrer biß die Zähne zusammen. Er zitterte, aber er schaffte es, das schwere Fahrzeug wieder auf die Straße zurückzuma9 �
növrieren. Die schwarze Kutsche war vorbei. Zum Glück hatte es keinen größeren Schaden gegeben. Monsieur de Coulons würde zwar trotzdem toben und ihm die Geschichte mit der Geisterkalesche nicht abnehmen. Vielleicht warf er ihm sogar Trunkenheit vor und setzte ihn vor die Tür. Es war wohl am besten, wenn er überhaupt den Mund hielt und den Spiegel aus der eigenen Tasche bezahlte. Auch Gabert machte sich Gedanken. Seine Sorgen wurden von der unheimlichen Stimme geschürt, die wütend auf ihn einredete und ihm heftige Vorwürfe machte. »Du hast unsere Vereinbarung gebrochen«, geiferte sie in seine Ohren. »Ich hatte dein Wort. Jetzt muß ich mich an dich halten. Du wirst einen grausamen Tod sterben.« »Ich – ich konnte es nicht tun«, murmelte der totenbleiche Mann. »Es war zu grauenvoll. Ich habe ja nicht geahnt, daß…« »Jetzt weißt du es, und ich fordere dich noch einmal auf, unseren Pakt zu erfüllen. Denke an die Macht, die ich dir versprochen habe.« Macht! Das war ein Wort, das sich unheimlich süß anhörte. François Gabert sah leichtgeschürzte Mädchen auf seinen Knien sitzen, er sah sich in Truhen voll Schätzen und Geld wühlen, und einflußreiche Männer krochen vor ihm. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze. Er war ein Narr gewesen. Was ging ihn der betrunkene Pöbel hinter ihm an? Sollte sie doch der Teufel holen – oder wer immer sie haben wollte. Er durfte nur an sich denken. Es war an der Zeit, daß auch er endlich einmal zum Zuge kam. »Ich will es tun«, flüsterte er verstört. »Gib mir noch eine Chance.« »Eine letzte«, krächzte es dumpf. »Wenn du wieder versagst, kenne ich keine Gnade mehr.« 10 �
François Gabert sah verschiedene Blicke auf sich ruhen. Hatte er etwa zu laut gesprochen? Hielten das fette Weib und der versoffene Kerl neben ihr ihn schon für einen senilen Greis, der seine Sinne nicht mehr unter Kontrolle hielt? Er wollte es ihnen zeigen. Ihnen allen. Zum erstenmal sollten sie seine Macht zu spüren bekommen, und in Zukunft würde keiner mehr wagen, über ihn zu lächeln. Jaques Verdot traute seinen Augen nicht. War er denn verrückt? Da holperte ja schon wieder so ein schwarzes Ungetüm heran, und es sah haargenau so aus wie das erste. Hier mußte irgendwo ein Nest sein, anders konnte er sich das nicht erklären. Die Nackenhaare sträubten sich ihm, wenn er an den unheimlichen Fahrgast mit der knöchernen Hand dachte. Ob auch in dieser Kalesche wieder ein bis zum Skelett Abgemagerter saß? Vielleicht handelte es sich um vom Tode Gezeichnete, die an einer schrecklichen Krankheit litten. Nur unverständlich, daß sie dann so offen zum Krankenhaus transportiert wurden. Er hieb mit der Faust auf die Hupe. Das Signalhorn dröhnte so laut, daß alle vierundfünfzig Fahrgäste zusammenschreckten. Auch Gabert, doch um seine Mundwinkel spielte ein dämonisches Lächeln. Wieder fuhr die Kutsche viel zu weit in der Mitte. Verdot machte sich auf ein riskantes Ausweichmanöver gefaßt, denn auf sein Hupen hatte der Trottel in seinen schwarzen Tüchern nicht reagiert, und auch die entsetzlichen Viecher störten sich nicht daran. Mit satanischem Gebrüll warfen sie ihre Köpfe zurück und spien Feuer und stinkenden Rauch. Der Fahrer umklammerte das Lenkrad und kurbelte wie ein Wahnsinniger daran. Er mußte die Lücke zwischen der Kutsche und den Bäumen erwischen, sonst… Zwei eiskalte Hände legten sich von hinten über seine Augen. Schlagartig war Dunkelheit um ihn und ein entsetzliches Brau11 �
sen, das aus der Luft auf ihn eindrang. Jaques Verdot wollte sich losreißen, aber die Hände preßten ihn zurück. Er sah nichts mehr als bodenlose Schwärze. François Gabert ließ nicht locker. Er wandte den Blick ab, um den Höllischen in der Kutsche nicht sehen zu müssen. Der Chauffeur wand sich unter seinem mörderischen Griff. Die Kalesche raste vorbei. Die Menschen sprangen von ihren Sitzen, taumelten und schrien gellend vor Todesangst. Der Bus fegte genau auf die Bäume zu. Ein furchtbares Krachen und Splittern. Gabert wurde von einer riesigen Faust in die Höhe gehoben und durch ein berstendes Fenster geschleudert. Grauenvolle Schmerzen zerrissen seinen Körper und seinen Verstand. Das Schreien in seiner unmittelbaren Nähe schwoll an. Dann donnerte eine Explosion durch die Nacht. Blutrote Stichflammen schossen in den nachtschwarzen Himmel. In dem Bus flackerte die Hölle. Die Eingeschlossenen, die durch den Aufprall noch nicht tot oder zumindest betäubt waren, versuchten, ins Freie zu gelangen. Sie stießen sich gegenseitig zur Seite, stiegen übereinander weg und hieben sich in panischer Todesangst die Fäuste in die Gesichter. In der letzten Reihe klammerten sich zwei ernste Männer an ein vergilbtes Buch und schrien unverständliche Worte. Dann starben auch sie. * Die Gestalt huschte durch die regennasse Rue Legendre. Sie war offensichtlich in Eile, denn sie schaute weder nach rechts noch nach links, auch nicht beim Überqueren der Straßen. Zum Glück war in dieser Gegend der Verkehr nicht sehr dicht, 12 �
und alles, was der Gestalt passierte, waren ein paar saftige Flüche aus heruntergekurbelten Autofenstern. »Der muß verrückt sein«, äußerte sich ein Taxifahrer, nachdem er scharf gebremst hatte. »Oder sternhagelvoll«, antwortete sein Fahrgast. »Im übrigen handelte es sich um eine Frau.« Während die beiden die Fahrt in Richtung Clichy fortsetzten und noch eine Weile über das Geschlecht des Traumtänzers stritten, hastete die Gestalt weiter. Sie passierte die Überführung der Bahn und bog zehn Minuten später in die Rue Nollet ein. Zwei entgegenkommende Burschen wichen geschickt aus und drehten sich kopfschüttelnd um. Der eine stieß dem anderen in die Seite. »War das nicht Duval?« »Was für’n Duval? Ich kenne mindestens zwanzig.« »Der Fußballer natürlich.« »Gerard Duval?« »Den meine ich. Ich wette, daß er’s war.« »Willst du ’n Autogramm von ihm?« »Warum nicht? Ich kenne einen, der zahlt mir dafür zehn Francs.« Sein Freund wurde interessiert. »Dann nichts wie hinterher! Den holen wir noch ein.« Sie machten kehrt und setzten sich in Trab. Es hatte aufgehört zu regnen. Der Asphalt dampfte. Dünner, fadiger Nebel stieg aus den Kanalisationsschächten. Die beiden Burschen rannten sich die Lungen aus dem Leib. Die Gestalt, die sie für den Fußballstar Gerard Duval hielten, hatte ein Wahnsinnstempo drauf. »Der rennt, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her«, schimpfte Bernard, der Jüngere. Allmählich verlor er die Lust, hinter dem durchtrainierten Sportler herzukeuchen. 13 �
Sein Freund warf ihm einen mißbilligenden Blick zu. »Deine Witze sind nicht sehr komisch«, rügte er. »Mir ist ohnehin schon so merkwürdig zumute, und da fängst du auch noch mit dem Satan an.« Bernard lachte, aber es klang nicht sehr fröhlich. »War doch bloß ’ne Redensart. So sollte er mal im Stadion Colombes flitzen, wenn er aufs gegnerische Tor losstürmt. He! Was hat er denn jetzt vor?« Die Gestalt war stehengeblieben. Sie sah sich nicht um. Ihr Interesse galt den Auslagen eines kleinen Juweliergeschäftes. Sie zog einen Hammer aus dem Ärmel und schlug damit auf die Schaufensterscheibe ein. Augenblicklich füllte ein lärmender Sirenenton die Rue Nollet. Die beiden Halbwüchsigen blickten sich entgeistert an. »Das ist doch nicht Duval«, stellte Victor fest. »Das ist ein Einbrecher. Nichts wie weg hier!« »Warum denn?« protestierte Bernard. »Die Polizei sucht später bestimmt Zeugen.« »Dann soll sie suchen. Ich bin doch nicht verrückt und will Ärger mit meinen Alten haben. Die fragen mir wieder ein Loch in die Figur, was ich noch so spät auf der Straße zu suchen hatte. Nein danke! Ich mach ’ne Fliege. Zeugenaussagen sind ein undankbares Geschäft.« Er machte kehrt und setzte sich in Bewegung. Bernard zögerte. Er sah, wie die Gestalt immer wieder durch die zertrümmerte Scheibe griff und alles an sich raffte, dessen sie habhaft wurde. Schmuck und Uhren stopfte sie in ihre Tasche, und als sich die Sirene eines Streifenwagens näherte, hob sie lediglich kurz den Kopf und lief den gleichen Weg zurück, den sie gekommen war. Victor zerrte Bernard in das Dunkel einer Hausnische. »Er darf uns nicht sehen«, flüsterte er. »Er hat einen Hammer bei sich. 14 �
Mit dem möchte ich keine Bekanntschaft schließen.« Bernard sagte nichts. Er zitterte und preßte beide Hände auf seinen Mund, um nicht schreien zu müssen. Die Gestalt hielt genau auf sie zu, und ihre Augen leuchteten, als wollte sie damit die Dunkelheit bis in die letzte Nische durchdringen. Auch Victor war nicht wohl in seiner Haut. Eisiger Hauch schlug ihm entgegen, als die Gestalt vorbeihastete, und nahm ihm für einen Moment den Atem. Er rang nach Luft und drohte zu ersticken. Bernard verdrehte die Augen. Er griff sich an den Hals und riß sich den obersten Knopf seines Hemdes auf. »Was war das?« keuchte er mühsam. »Das war wie der Tod.« Victor tippte sich an die Stirn. »Rede nicht solchen Unsinn! Mit dir kann einem angst und bange werden. Glaubst du, der Tod räumt Juwelierläden aus? Der greift sich lieber furchtsame Jungen und stößt ihnen seine Knochenhand ins Genick.« Bernard schrie entsetzt auf. Victor hielt ihm erschrocken den Mund zu. »Du willst uns wohl unbedingt die Polizei auf den Hals hetzen«, tobte er. »Los jetzt! Sie kommen schon.« Tatsächlich bog jetzt der erste Polizeiwagen um die Ecke, und von der anderen Seite näherte sich bereits der nächste. Die beiden Burschen verdrückten sich eiligst. Sie behielten ihre Beobachtungen für sich. Sollte doch die Polizei sehen, wie sie mit dieser Sache fertig wurde. * Kommissar Belois verfügte normalerweise über eine Engelsgeduld. Alle seine Vorgesetzten, Gleichgestellte und Untergebene zollten ihm deswegen Bewunderung. Diesmal platzte aber sogar ihm der Kragen. Er hieb mit der Faust auf den Schreibtisch und 15 �
blitzte sein Gegenüber an. »Halten Sie mich für dämlich, Duval? Das Foto, das die automatische Kamera geschossen hat, zeigt eindeutig Ihr Gesicht. Zwar ein bißchen verzerrt, aber eindeutig zu identifizieren. Da Sie bestätigen, keinen Zwillingsbruder zu haben, kommen nur Sie als Einbrecher bei Montgarder in Frage. Also heraus mit der Sprache! Wo haben Sie die Sachen? Wer ist Ihr Abnehmer? Arbeiten Sie allein oder organisiert?« »Ich war es nicht«, sagte der Fußballer uninteressiert. Er wirkte schläfrig und gelangweilt. Je mehr der Kommissar auf Touren kam, umso heftiger mußte Gerard Duval gähnen. Belois ließ wie ein Huhn seinen Kopf vorschießen. Er blickte dem Verdächtigen scharf in die Augen, doch die schienen sich hinter einer Mattscheibe zu verbergen. Sie wirkten geistesabwesend. »Sie wissen genau, daß meine Beweise gegen Sie ausreichen«, brüllte Belois. »Es ist ja nicht nur das Foto, das Sie auslösten, als Sie die Schaufensterscheibe einschlugen. Da sind vor allem die Fingerabdrücke, die eindeutig zu Ihnen gehören. Bei denen könnten Sie sich nicht mal auf einen Zwilling herausreden. Menschenskind, seien Sie doch vernünftig, Duval! Leugnen hat überhaupt keinen Zweck. Sie sind geliefert.« »Ich war es nicht«, kam es nörgelnd. Belois explodierte. Er sprang auf und warf seinen Kugelschreiber gegen die Wand. So hatten Herraut und Pascal ihren Chef noch nie erlebt. Sie zogen die Köpfe zwischen ihre Schultern und verhielten sich mucksmäuschenstill. »Wie Sie wollen, Duval«, schrie der Kommissar. »Auf das Strafmaß dürfte Ihr Geständnis ohnehin keinen Einfluß haben. Sie sind überführt. Früher oder später sehen Sie das schon noch ein. Ich begreife Sie ja nicht. Sie haben doch ein klotziges Geld verdient. Soviel ich weiß, hat sich ein italienischer Verein für Sie 16 �
interessiert. Jetzt ist Ihre ganze Karriere im Eimer. Aber das ist schließlich Ihre Sache. Nur wenn Sie sich einbilden, Sie könnten mich für dumm verkaufen, dann habe auch ich ein Wörtchen mitzureden. Und das Wörtchen werde ich Ihnen auch verraten: Untersuchungshaft!« Er verzog sein breites Gesicht zu einem öligen Grinsen. »Abführen!« brüllte er dann plötzlich los, und Herraut und Pascal schossen in die Höhe, packten den Sportler und stießen ihn aus dem Büro. Belois hörte, wie er noch im Gang beteuerte: »Ich war es nicht.« Aufseufzend ließ er sich auf seinen Sessel sinken. Hatte sich denn die ganze Unterwelt gegen ihn verschworen? Wollten sie ihn in die Nervenheilanstalt bringen? Kaum ein Tag verging, an dem nicht ein neues, erstaunliches Verbrechen verübt wurde. Erstaunlich deshalb, weil ausnahmslos angesehene Persönlichkeiten die Täter waren. Geschäftsmänner, Diplomaten, Leute vom Militär und nun dieser Duval, das Idol fußballversessener Franzosen. Aber genau wie dieser Ballkünstler leugneten auch alle anderen die Verbrechen, und nicht alle verhielten sich so zurückhaltend wie Gerard Duval. Sir Henry Fireman von der schottischen Botschaft, dem man den Griff in die Kasse eines Supermarktes zur Last legte, was von mehreren Zeugen untermauert wurde, hatte sich bei der Gegenüberstellung mit der Kassiererin wie ein Berserker aufgeführt und alles kurz und klein geschlagen, was sich in erreichbarer Nähe befunden hatte. Seine Immunität schützte ihn zwar vor Strafverfolgung, aber natürlich lief das Ausweisungsverfahren. Der schottische Botschafter war außer sich und kündigte diplomatische Gegenmaßnahmen an. Direktor Luc de Luque von der chemischen Firma Pellier et fils hatte auf offener Straße einen Bankboten überfallen. Das Geld blieb zwar verschwunden, doch de Luque konnte trotz brutalster Gegenwehr überwältigt werden. Später fand man ihn in sei17 �
ner Zelle erhängt. Romain Lasalle, Gerichtsrat im Ruhestand, würgte während eines Wohltätigkeitsballs die Gastgeberin, riß ihr ein wertvolles Perlencollier vom Hals und war bis heute noch nicht wieder aufgetaucht. Während der Flucht schlug er insgesamt sieben Burschen nieder, von denen jeder einzelne in der Lage war, einen Mittelklassewagen mit angezogener Handbremse eine fünfzehnprozentige Steigung hinaufzuschieben. Einige von ihnen laborierten noch an ihren Prellungen. Und diese Reihe konnte Kommissar Belois noch eine Weile fortsetzen. Illustre Halunken, die mit Gütern selbst gesegnet waren oder doch zumindest bedeutendes Ansehen in der Pariser Gesellschaft genossen, machten ihm das Leben schwer, und nicht einer war bereit, seine unverständliche Schandtat zuzugeben. Belois knirschte hörbar mit den Zähnen. Duval hatte ihm den Rest gegeben. Er ließ sich nicht länger auf den Arm nehmen, und noch weniger Vergnügen bereiteten ihm die bissigen Vorwürfe seines Vorgesetzten Perdule, der ihm nahelegte, ein Gesuch für den Posten eines Verkehrspolizisten einzureichen, das er bereit sei zu befürworten. Belois ging nicht so weit anzunehmen, daß sich die Verbrechensserie gegen ihn persönlich richtete, aber er kam immer mehr zu der Überzeugung, daß hier Dinge im Spiel waren, denen er mit seinen Kenntnissen der Schulkriminalistik nicht gewachsen war. Wenn ein primitiver Gauner sich einbildete, durch hartnäckiges Leugnen etwas für sich retten zu können, wenn aktenkundige Gewalttäter sich den Fluchtweg freischossen, wenn neurotische Existenzen sich durch den Freitod der Verantwortung und Strafe entzogen, ließ er sich das eingehen, aber nicht bei Männern wie Sir Henry, de Luque oder jetzt Duval. 18 �
Das »ich war es nicht« dröhnte noch immer hämisch in den Ohren des Kommissars. Er ballte die Fäuste. »Wenn du es nicht warst, wer war es sonst, Duval?« fauchte er. »Wer hat dich dazu gebracht, dich zu ruinieren? Wer steckt mit seinen teuflischen Absichten in dir?« »Wie meinen Sie, Monsieur?« Belois fuhr herum und starrte in das Gesicht Herrauts. Sein Assistent stand in der offenen Tür und sah ihn ratlos an. Belois hüstelte und hatte eine heftige Erwiderung auf den Lippen. Doch er schluckte sie hinunter, wenn er auch beinahe daran erstickte. Was konnte der brave Herraut dafür, daß irgendein Halunke sein wüstes Spiel trieb? Der Mann leistete solide Arbeit. Ohne ihn und Pascal würde er sich noch ohnmächtiger fühlen. Der Kommissar kniff die Augen zusammen und musterte seinen Mitarbeiter. Er kämpfte lange mit sich, bevor er fragte: »Was halten Sie davon, Herraut? Was ist Ihre Meinung zu den ganzen Teufeleien der letzten Wochen?« Herraut wurde verlegen. »Sie werden es denen schon zeigen, Monsieur«, versicherte er. Belois wurde wieder wütend. »Zum Teufel, das will ich nicht von Ihnen hören. Erzählen Sie mir nicht, daß ich ein guter Polizist bin. Ich fühle mich wie der hilfloseste Anfänger. Ich will wissen, ob Sie einen Zusammenhang sehen. Die Welt kann doch nicht ausgerechnet in Paris anfangen durchzudrehen. Lasalle war ein Freund meines Vaters, und jetzt reißt er Perlen von faltigen Hälsen. Da muß doch eine finstere Macht seine Hand gelenkt haben. Irgendein Nebelgeschöpf hat ihn und die anderen in seine Gewalt gebracht.« Herraut wäre am liebsten davongelaufen. Belois sprach das aus, was er schon lange überlegt hatte, doch er wollte diese Gedanken nicht hören. Sie flößten ihm Grauen ein. Außerdem durfte er unmöglich als Beamter der Sûreté an Mächte glauben, die 19 �
man nicht hinter Gitter bringen konnte. Das war schlichtweg unmöglich. Und doch glaubte er daran. Er konnte es nicht ändern. Er hatte diesen Duval auf dem Fußballfeld erlebt und eben hier im Büro. Es waren zwei Personen aus verschiedenen Welten, und doch handelte es sich um ein und denselben Mann. Grauenhaft! Warum redete Belois ihm diese Gedanken nicht aus? Er war als sein Vorgesetzter verpflichtet dazu. Stattdessen bestärkte er ihn auch noch in diesem gefährlichen Unsinn. »Ich fürchte, Sie haben recht, Monsieur«, sagte er leise, als müßte er dafür um Entschuldigung bitten. Belois wollte auffahren. Dann begriff er, daß ihm Herraut nicht widersprochen hatte. Er stöhnte auf und vergewisserte sich: »Sie sind meiner Meinung?« »Ja, Monsieur.« »Und Sie sagen das nicht nur, weil ich zufällig Ihr Vorgesetzter bin?« »Nein, Monsieur. Ich kann es leider nicht erklären, aber schon seit dem Fall Guiroulet bin ich zu der heimlichen Überzeugung gelangt, daß ein Dämon sein Unwesen mit uns treiben muß.« »Ein Dämon!« Belois verfärbte sich. Normalerweise hatte er ein stark gerötetes Gesicht. Jetzt sah es so grau aus wie die Mauern von Talbot-au-mer. Die Erinnerung an Louise Guiroulet ließ seine Magensäure quirlen. Das Mannequin hatte ein Angebot von Dior abgelehnt, um mit dem Tennis-As Berthold nach Monte Carlo Jetten zu können. Man fand Berthold im Exotischen Garten zwischen Kaktusgewächsen. Er war total ausgeplündert und tot. Am nächsten Tag sprach die Guiroulet bei Dior vor und fragte, ob das Angebot noch Gültigkeit habe, doch da warteten bereits seine Männer auf die Schöne. Sie schlug einen nieder, verletzte einen zweiten mit einer dolchartigen Broschennadel beträchtlich 20 �
und konnte nur durch Handschellen gebändigt werden. Seitdem saß sie in ihrer Zelle und heulte. Herraut schloß vorsichtig die Tür, nachdem er sich vergewissert hatte, daß sich niemand auf dem Gang befand. Pascal befand sich noch bei dem Fußballer und hoffte, ihn zu einer Aussage zu veranlassen. »Sie sollten mit Perdule darüber sprechen«, schlug er vor. »Wenn nicht bald etwas geschieht, sehe ich schwarz. Wir brauchen Unterstützung. Das ist meine feste Überzeugung.« »Durch Interpol?« Herraut schüttelte entschieden den Kopf. »Durch einen Dämonenjäger.« Jetzt war es heraus. Herraut fürchtete sich vor dem Donnerwetter, aber es blieb aus. Kein lautes, unfreundliches Wort rief ihn zur Ordnung. Kommissar Belois sah ihn nur betrübt an und sagte: »Damit kann ich Perdule nicht kommen. Der schickt mich in die Provinz, und ich weiß nicht mal, ob er damit nicht recht hätte.« »Aber Sie würden diesen Gedanken gutheißen«, bohrte Herraut. »Darum geht es nicht.« »Doch geht es darum, Monsieur, denn es muß Ihnen überlassen bleiben, wie Sie Ihre Fälle lösen, solange Sie sich nicht gesetzwidriger Methoden bedienen. Aber nun zeigen Sie mir mal die Stelle in unseren Gesetzbüchern, in denen das Verbot steht, einen Dämonenjäger um Unterstützung zu ersuchen.« »Ich sagte Ihnen doch eben, daß Perdule niemals…« »Er muß ja nicht erfahren, daß Sie den Mann angefordert haben«, meinte Herraut mit Verschwörermiene. »Von mir erfährt er es bestimmt nicht, und ein anderer weiß nichts davon.« »Und Pascal?« äußerte Belois seine Bedenken. »Halten Sie mich für ein Klatschweib, Monsieur?« Herraut tat 21 �
beleidigt. »Ich kann die Adresse eines Spezialisten für unerklärliche Fälle beschaffen. Der Mann ist zwar in New York ansässig, aber es wäre nicht das erste Mal, daß er über den großen Teich käme, um einem Unhold der schwarzen Mächte den Kampf anzusagen. Kürzlich war er in England. Ich las darüber in einem Nachrichtenblatt, das den Fall allerdings herunterspielte. Zwei Besessene hatten eine ganze Grafschaft in Angst und Schrecken versetzt. Mister Black hat ihnen den Garaus gemacht.« »Black heißt der Mann?« fragte Belois zögernd. Herraut nickte eifrig. »Gordon Black. Er stammt meines Wissens aus Schottland, und er soll einer der Besten seines Faches sein.« * Sie stiegen im Hotel Moliere ab. Kommissar Belois hatte dort für Gordon Black und seine zierliche Mitarbeiterin Hanako Kamara zwei Zimmer reservieren lassen. Er selbst war zu ihrer Begrüßung nicht erschienen, da die zu bearbeitenden Fälle ihm während der Dienstzeit keine Zeit dafür ließen. Aber er hatte Herraut geschickt und sich durch diesen entschuldigen lassen. »Monsieur Belois bittet Sie, sich für achtzehn Uhr zu seiner Verfügung zu halten, Monsieur Black«, richtete er aus. Er bekam einen trockenen Hals, als er die aufregend geformte Asiatin sah, die seine bewundernden Blicke gelassen über sich ergehen ließ. Gordon Black hatte am Telefon von Kommissar Belois nur das Allernötigste erfahren. Einen Teil davon wußte er bereits aus den Zeitungen, denn die haarsträubenden Geschehnisse in der französischen Hauptstadt hatten auch auf der anderen Seite des Atlantik für Schlagzeilen in gewissen Gazetten gesorgt. Aus der Ferne betrachtet, hatte er zwar nicht unbedingt etwas 22 �
Gespenstisches daran erkennen können, wenn ein paar Angehörige der oberen Gesellschaftsschicht ausflippten und so richtig auf den Putz hauten, schließlich hatte schon der alte Psychoanalytiker Sigmund Freud etwas von Verdrängungskomplexen gewußt und vor deren Ausbrüchen gewarnt. Da jedoch sogar diplomatische Kreise in die Geschehnisse verwickelt waren und die Zusammenhänge von Tag zu Tag verworrener wurden, konnte auch er nicht ausschließen, daß ein paar Finsterlinge ihre Hand im Spiel hatten, die sich höchstwahrscheinlich nicht mit ein paar Francs und etwas Glitzerschmuck zufriedengeben würden. Inzwischen wußte er, daß es zumindest einen Mord gegeben hatte, und der sollte ausgerechnet von einer grazilen Frau an einem durchtrainierten Sportler verübt worden sein. Gordon Black erfuhr bald, daß Herraut nicht nur das sogenannte Empfangskommitee darstellte, der Mann wußte auch über alle Verbrechen bestens Bescheid, die Paris und besonders den Polizeipräsidenten Perdule derart in Aufregung versetzten. »Wie lange kannten sich die Guiroulet und Berthold?« erkundigte er sich, während Hanako sich in ihr Zimmer zurückzog, um sich nach dem langen Flug zu erfrischen. Herraut hob die Schultern. »Wir sind auf Vermutungen angewiesen, aber da die Regenbogenpresse diese Verbindung sofort aufgegriffen hätte, können wir davon ausgehen, daß es sich allenfalls um wenige Tage gehandelt hat.« »Befand sich die Frau in finanziellen Schwierigkeiten?« Der Polizist winkte müde ab. »Jeder einzelne der Täter war nicht nur mit Popularität oder offizieller Anerkennung, sondern auch mit materiellen Gütern ausreichend gesegnet. Sie gehörten sozusagen der gleichen Gesellschaftsschicht an, wenn sie auch aus völlig unterschiedlichen Bereichen kamen. Ich soll Ihnen von Kommissar Belois diese Liste hier geben, Monsieur Black.« 23 �
Er zog ein zusammengefaltetes Blatt aus der Tasche und reichte es dem Geisterjäger. »Es stehen sämtliche Fakten in Kurzfassung drin. Sie sehen daraus den augenblicklichen Ermittlungsstand. Sie werden feststellen, daß es zwischen den Beschuldigten keinerlei Verbindung gibt.« »Davon bin ich noch nicht überzeugt«, widersprach Gordon Black. »Irgendeinen Zusammenhang muß es geben, und wenn er weit in ihrer Vergangenheit zu suchen ist. Vielleicht entstammen sie alle derselben Linie. Vielleicht haben sich ihre Vorfahren gemeinsam einer Tat schuldig gemacht, die einem Dämon sauer aufgestoßen ist und für die er sich nun an der späteren Generation rächt.« Herraut sah reichlich hilflos aus. Irgendwie hatte er sich den Geisterjäger anders vorgestellt. Geheimnisvoller. Vielleicht in einem mit kleinen, silbernen Sternen übersäten Mantel. Oder wenigstens mit einem Pendel in der nervigen Hand. Dieser Mann aus Übersee machte ihm aber keineswegs den Eindruck, als könnte er die Pariser Polizei aus dem Schlamassel ziehen. Hoffentlich hatte er Belois nicht einen schlechten Rat erteilt! »Sie vergessen, Monsieur, daß es sich hier um Täter und nicht um Opfer handelt«, wandte er ein. »Die Guiroulet hat nach unserer Überzeugung einen Mann umgebracht. Lasalle raubte gewaltsam ein Collier. Duval ist ein Einbrecher. Sir Henry begnügte sich mit der Kasse eines Supermarktes, während de Luque einen Bankboten niederschlug und ausplünderte.« »Das ist der Mann, der sich das Leben genommen hat?« hakte Gordon Black ein. Herraut nickte düster. »Er hat sich erhängt, obwohl es uns ein Rätsel ist, woher er den soliden Strick dafür nahm.« »Aber die anderen vier kann man jederzeit verhören?« »Bei Sir Henry ist das schwierig. Der Botschafter hat ohnehin schon mit Konsequenzen gedroht. Lasalle ist wie vom Erdboden 24 �
verschwunden. Duval leugnet stur, und die Guiroulet heult ohne Unterbrechung. Aus den beiden kriegen Sie nichts heraus.« »Trotzdem werde ich es versuchen. Sie wissen vielleicht, daß ich Rechtsanwalt bin. In dieser Eigenschaft wird es möglich sein, mir ein Gespräch mit den Untersuchungsgefangenen zu vermitteln, ohne daß Ihr Chef die Wahrheit über meine Tätigkeit erfährt.« Herraut wurde verlegen. »Sie müssen das verstehen«, murmelte er. »Monsieur Perdule trägt eine große Verantwortung der Regierung gegenüber. Die Polizei von Paris ist sein ganzer Stolz. Wenn er eingestehen müßte, mit seinem Latein am Ende zu sein und einen Dämonenjäger eingeschaltet zu haben, wäre er seinen Posten los. Ganz abgesehen davon, daß er nicht an übersinnliche Möglichkeiten glaubt.« »Umso anerkennenswerter, Monsieur Herraut, ist Ihr Mut und der von Kommissar Belois«, fand Gordon Black. »Schließlich haben auch Sie einiges zu verlieren, wenn Sie auch nicht so weit oben auf der Rangleiter stehen. Es beeindruckt mich immer wieder, daß die Kleineren oft mehr Courage entwickeln als die sogenannten Großen. Ich werde nichts unternehmen, was Ihre Schwierigkeiten noch vergrößern könnte. Das verspreche ich Ihnen.« »Danke, Monsieur«, sagte Herraut erleichtert. »Wenn Sie einverstanden sind, kann ich Sie unverzüglich zu den Gefangenen bringen.« Gordon Black sagte zu. Irgendwo mußte er mit seinen Ermittlungen ansetzen. Er wußte schon jetzt, daß es schwierig werden würde. In vielen Fällen waren sie beim Eintreffen bereits von einer deutlich spürbaren dämonischen Abwehrwelle empfangen worden. In Paris hatten sie seit ihrer Landung noch keinen Hinweis erhalten, daß Mächte des Bösen im Spiel wären. Es konnte durchaus sein, daß sie die Reise umsonst unternommen hatten. 25 �
Aber vorläufig glaubte er noch nicht daran. * Während sich Gordon Black von Herraut zu Louise Guiroulet, dem inhaftierten Mannequin, bringen ließ, um zu versuchen, Licht in das geheimnisvolle Dunkel zu bringen, nahm Hanako Kamara ein heißes Duschbad und summte eine alte japanische Weise vor sich hin. Die Asiatin war gespannt, was sie hier erleben würden. In dieser Lichterstadt, in die man gemeinhin der Liebe und anderer romantischer Abenteuer wegen kam. Was Gordon und sie hergeführt hatte, hatte mit Romantik nicht das geringste zu tun. Sie spürte mit jeder Faser ihres Körpers, daß sie schon sehr bald mit dem Grauen konfrontiert werden würden. In dieser Beziehung war sie sehr viel sensibler als der Geisterjäger. Er empfand nur die Gegenwart, sie aber vermochte hin und wieder ihre Nerven nach der nahen Zukunft auszurichten und schwache Signale zu empfangen. Momentan nahm sie solche Signale auf. Es würde bald etwas Entsetzliches geschehen, vielleicht aber passierte es auch schon in diesem Augenblick. Hanako fröstelte. Sie frottierte ihren dampfenden Körper und kleidete sich an. Sie blickte auf die Uhr. Gordon hatte ihr Bescheid gegeben, daß er sich für einige Zeit im Untersuchungsgefängnis aufhalten würde. Sie wäre gerne dabeigewesen, doch hätte man ihre Gegenwart nur schwer erklären können. Aus diesem Grund wollte sie sich die Zeit damit vertreiben, Augen und Ohren offenzuhalten. Oft erfuhr man eine ganze Menge interessanter Dinge, wenn man den Leuten sozusagen aufs Maul schaute. Sie waren dann gesprächiger, als wenn sie offiziell verhört wurden. 26 �
Hanako entschloß sich, der Hotelbar einen kleinen Besuch abzustatten. Es war zwar noch reichlich früh am Tage, aber vielleicht war gerade deshalb der Barmixer dankbar für ein kleines Gespräch und erzählte ihr den neuesten Klatsch. Sie überlegte, ob sie ihr Dogu im Hotelsafe hinterlegen sollte. Sie mochte es nicht ständig mit sich herumtragen, wenn keine unmittelbare Gefahr bestand. Es konnte ihr leicht gestohlen werden. Zwar wollte sie keinem raten, die kleine Figur zu berühren, doch die Schnur, an der sie hing, war auch für Uneingeweihte nicht gefährlich. An den Safe kam sie aber nicht jederzeit heran. Es war wohl doch besser, wenn sie sich nicht von ihrer stärksten magischen Waffe trennte, zumal ihr noch unbekannt war, in welcher Gestalt sich ihnen ihr Gegner zeigen würde. Mit dem Lift fuhr sie ins Kellergeschoß, wo sie sofort sämtliche Blicke auf sich zog. Das >Moliere< war nicht gerade eine billige Absteige. Man war dort den Anblick schöner Frauen gewöhnt Trotzdem erregte die Asiatin mit ihrem fremdländischen Reiz bewundernde Aufmerksamkeit. Sie war eine Frau, in der sich Geheimnisvolles mit Modernem glücklich verband. Der Tresen an der Bar war nur durch zwei Männer besetzt, die in ein intensives Gespräch vertieft waren. Die übrigen Anwesenden schlürften ihre Drinks an kleinen Tischen und starrten alle in die gleiche Richtung. In der Ecke flimmerte auf einer erhöhten Konsole ein Farbfernseher. Es lief gerade eine Talk-Show mit beliebten Künstlern und Sportlern. Hanako warf nur einen flüchtigen Blick zur Mattscheibe hinüber, blieb dann aber wie gebannt daran hängen. Sie spürte, wie sich die feinen Härchen auf ihren Armen aufstellten. Ein Blick hatte sie getroffen, der von abgrundtiefem Haß zeugte, obwohl 27 �
sie die Frau auf dem Bildschirm nicht kannte und diese sie natürlich auch gar nicht sehen konnte, da sie sich ja irgendwo in einem TV-Studio aufhielt, falls es sich nicht sogar um eine Aufzeichnung handelte. Die Asiatin stieg auf einen Barhocker und wandte sich noch einmal um. Wieder traf sie der wütende Blick der schönen Rothaarigen, obwohl diese eigentlich ihren Gesprächspartner hätte ansehen müssen. Sie bildete sich das nur ein. Woher sollte sie wissen, was sich neben der Aufnahmekamera abspielte. Vielleicht stand dort der Freund der Frau, mit dem sie sich gerade verkracht hatte. Hanako bestellte einen Sherry und warf dem Mixer einen Blick zu, der ihn ein wenig gesprächig machen sollte. Der Erfolg stellte sich augenblicklich ein. »Sie sind zwei Minuten zu spät gekommen«, bedauerte der junge Mann mit den schwarzgewellten Haaren. »Gerade hat sie gesungen. Finden Sie nicht auch, daß sie eine traumhafte Stimme besitzt?« Hanako nippte an dem Sherry. Er war ausgezeichnet. »Wer?« fragte sie harmlos. »Blanche, natürlich«, gab der Mixer verwundert zurück. Er wies zum Fernseher hinüber. »Kennen Sie sie nicht?« »Tut mir leid. Nein. Ich sehe sie heute zum ersten Male.« »Dann waren Sie bestimmt lange Zeit aus Frankreich fort, Mademoiselle.« Hanako lächelte. »Ich bin Amerikanerin.« Der Mann schüttelte fassungslos den Kopf. »Welch ein Verlust für unser Land! Aber Sie beherrschen die französische Sprache ganz ausgezeichnet« Hanako war überaus sprachenbegabt. Das hatte sich schon oft als nützlich erwiesen. Fremde brachten einem mehr Vertrauen entgegen, wenn man sie in ihrer Sprache anreden konnte. 28 �
Die Asiatin lächelte, doch ihr Lächeln gefror, als hätte sich eine eiskalte, feuchte Hand auf ihren Rücken gelegt. Blitzschnell drehte sie sich um, und wieder zuckte sie vor dem gnadenlosen Blick zusammen. Diese zweifellos schöne Sängerin wurde dadurch abstoßend und häßlich. Einer Eingebung folgend, erwiderte Hanako diesen Blick. Sie saugte sich an der Rothaarigen geradezu fest, und zu ihrer Überraschung mußte sie erleben, daß Blanche unsicher und nervös wurde. Ihre Augenlider begannen zu flattern, und sie verhaspelte sich mit ihrer Antwort. Der Moderator sah seine Gesprächspartnerin verunsichert an. Dann hatte er die Situation aber, wie gewohnt, fest im Griff und erkundigte sich nach den Hobbys und Leidenschaften der Frau. Hanako hörte, wie Blanche von Pferden und Antiquitäten, von schnellen Wagen und guterzogenen Männern schwärmte. Das interessierte sie alles nicht. Sie war nicht hier, um einer in Frankreich anscheinend sehr beliebten Sängerin zuzuhören. Sie wollte etwas über die geheimnisvollen Verbrechen in Erfahrung bringen. Sie brachte geschickt die Sprache darauf, und auch hier war der Barmann bestens im Bilde. Sie merkte aber schon bald, daß der Mann hauptsächlich aus der Gerüchteküche schöpfte. Alles, was nächtelang an Vermutungen und Behauptungen über seinen Tresen gegangen war, gab er als Tatsachen weiter. Seine Mutmaßungen gipfelten in dem Verdacht, daß die Oppositionspartei bestimmt nicht unglücklich über die Vorkommnisse sei. Bei den nächsten Wahlen würde sich das zweifellos niederschlagen. Konkrete Informationen erhielt Hanako nicht. Sie hoffte, daß Gordons Ermittlungen ergiebiger ausfallen würden. Nach einiger Zeit verließ sie die Bar. Blanche sang gerade mit rauchiger Stimme ihr neuestes Chan29 �
son. Sie lächelte verführerisch in die Kamera. Als Hanako sich erhob und dem Ausgang zustrebte, vereiste das Gesicht der Sängerin. Sie verfolgte Hanako mit wütenden Blicken, bis diese verschwunden war, brach danach ihr Lied überraschend ab und entschuldigte sich mit einer leichten Verkühlung. Die Talk-Show ging mit dem nächsten Prominenten weiter. Kaum einer der Zuschauer maß dem Zwischenfall irgendwelche Bedeutung bei. * Gordon Blacks Optimismus erhielt sehr schnell einen Dämpfer. Gerard Duval erklärte, daß er keinen Anwalt brauche, da er unschuldig sei. Vor allem würde er keinen Amerikaner zu Rate ziehen. »Ihr spielt da drüben einen schauderhaften Fußball«, sagte er spöttisch. »Ihr braucht entschieden mehr Hilfe als ich.« »Sie sind jetzt siebenundzwanzig«, erinnerte der Geisterjäger. »Wenn man Sie nach schätzungsweise fünf Jahren aus dem Gefängnis entläßt, ist Ihre Karriere ruhmlos beendet. Kein Verein wird Ihnen mehr einen Vertrag anbieten, auch nicht einer der von Ihnen so geschmähten amerikanischen.« Der Fußballer begehrte auf. »Niemand wird mich einsperren. Ich habe nichts verbrochen. Jeder, der mich kennt, weiß, daß ich diesen modernen Schmuck verabscheue. Ich würde mich nie daran vergreifen. Ich besitze sehr viel schönere, kostbarere, ältere Schmuckstücke. Dergleichen suchen Sie in einem Geschäft wie dem von Montgarder vergeblich. Und jetzt lassen Sie mich gefälligst in Ruhe. Ich muß trainieren.« Er begann, in seiner Zelle Lockerungs- und Laufübungen durchzuführen. Anscheinend rechnete er fest damit, am Sonntag 30 �
schon wieder seiner Mannschaft zur Verfügung zu stehen. Gordon Black nahm sich vor, diesen Verein aufzusuchen. Er wollte ein bißchen mit dem Trainer plaudern. Duval schien sich für alten Schmuck zu interessieren. Das war ein kostspieliges Hobby. Warum sollte er sich nicht das erforderliche Geld durch den Diebstahl und Verkauf moderner Juwelen verschaffen? Falls dieser Fall eine so wenig geheimnisvolle Klärung fand, steckten wohl auch hinter den übrigen Verbrechen menschliche Motive. In diesem Fall würde Belois ohne seine Hilfe zurechtkommen müssen. Dafür war ihm seine Zeit zu schade. Anschließend brachte ihn Herraut zu Louise Guiroulet. Das gertenschlanke Mannequin wirkte fast zerbrechlich. Ihre dunklen Augen waren durch das viele Weinen noch größer geworden. Die Frau starrte stumpf in einen halbblinden Spiegel und versuchte verzweifelt, ihre Frisur in Ordnung zu bringen. Gordon Black stellte sich als Rechtsanwalt vor und bot ihr seine Dienste an. Sie blickte durch ihn hindurch, als existiere nur seine Stimme. Ihre ausdrucksvollen Augen wurden schon wieder feucht, und gleich darauf sprudelte der Tränenstrom. »Sie dürfen mir vertrauen, Mademoiselle«, drang der Geisterjäger in sie. »Ich möchte Ihnen wirklich helfen und Sie aus diesem unwürdigen Loch herausholen. Auch der Polizei liegt nichts daran, Sie festzuhalten, falls Sie unschuldig sind und Berthold nicht ermordet haben. Nach meiner Überzeugung gehört dazu eine beachtliche Kraft. Sie sind zwar außerordentlich schön, aber stark?« Louise Guiroulet hörte wohl gar nicht zu, was er sagte. Sie war geistesabwesend und schluchzte. Gordon Black griff in seine Tasche und reichte ihr ein Tuch, womit sie ihr Gesicht trocknen konnte. Das Mannequin kramte bereits in einer kleinen Handtasche 31 �
und zog ein fliederfarbenes Spitzentuch heraus. Damit tupfte es die Wangen ab. Das Make-up war längst total verschmiert, was der Schönheit dieser Frau keinen Abbruch tat. Gordon Black bückte sich, um den Gegenstand aufzuheben, den die Guiroulet mit dem Tuch aus der Tasche gezogen hatte. Er betrachtete ihn bewundernd und sagte: »Das ist ein sehr hübsches Stück. Hat Berthold es Ihnen geschenkt?« Die Frau nahm den elfenbeinernen Anhänger entgegen, der nach Gordons Überzeugung die nepalesische Göttin Uma darstellte, und legte ihn in die Tasche zurück. Ein scheues, versonnenes Lächeln stahl sich auf ihre Züge, verschwand aber gleich darauf wieder. »Berthold hatte nur Sinn für Frauen auf Banknoten«, flüsterte sie. »Für nichts sonst. Die Figur habe ich von François.« »Ein Freund?« erkundigte sich der Geisterjäger, um das Gespräch in Gang zu bringen. »Niemand hat wirkliche Freunde«, antwortete Louise Guiroulet schwach. »Lassen Sie mich das Gegenteil beweisen«, bat Gordon Black. Die Frau sagte nichts. Sie weinte wieder. Ihr ganzer Körper wurde geschüttelt. Er nahm noch ein paar Anläufe. Brachte das Gespräch auf dieses und jenes Thema, ließ vorsichtig die Namen der anderen Verbrecher einfließen, um festzustellen, ob sie ihr bekannt waren, und behauptete kühn, daß das Tennis-As Berthold nicht gerade ein Kind von Traurigkeit gewesen sei. Doch es gelang ihm nicht, sie zu provozieren. Sie blieb stumm und ließ nur ihr unaufhörliches Schluchzen an sein Ohr dringen. Schließlich gab er es auf. Auch hier boten sich keine Anhaltspunkte für dämonisches Einwirken. Es hatte vielmehr den Anschein, als sei der Stolz der Frau empfindlich verletzt worden, als Berthold sich zu wenig für sie interessierte. Ein Kurzschluß 32 �
war die Folge gewesen, an den sie sich möglicherweise wirklich nicht mehr erinnerte. Blackout, so etwas sollte es geben. Enttäuscht fuhr Gordon Black zum Hotel zurück. Er hatte sich mehr erhofft. Und als er Hanako traf, die ihn erwartungsvoll ansah, ahnte er, daß auch sie auf Sand gelaufen war. »Nichts«, verkündete er. »Die beiden rücken einfach nicht mit der Sprache heraus. Belois ist wirklich nicht zu beneiden.« »Aber vielleicht erinnern sie sich tatsächlich nicht«, gab Hanako zu bedenken. »Ihr Bewußtsein könnte lahmgelegt worden sein. Sie dürfen nichts verraten, das versteht sich doch von selbst.« »Aber das macht unsere Aufgabe nicht leichter. Ich habe das Gefühl, daß ich schon ziemlich dicht dran war. Aber da ist etwas, was sich wie eine Barriere aufbaut. Ich konnte nicht hindurchdringen. Belois muß mir sämtliche Protokolle zur Verfügung stellen. Vielleicht finden wir dort einen Hinweis, den er in seiner Liste nicht erwähnt hat. Und was hast du erlebt?« Hanako gab einen kurzen Bericht und ließ auch die eigenartige Begegnung mit der Sängerin Blanche nicht unerwähnt. »Sie starrte mich an, als wollte sie mich am liebsten verschlingen«, erinnerte sie sich. »Hast du eine Erklärung dafür?« »Ja. Daß du dir das vermutlich nur eingebildet hast. Die Augen der Frau folgten der Kamera. Jeder andere Zuschauer hat sich zweifellos ebenfalls angestarrt gefühlt. Kann sein, daß sie high war. Manche Künstler dämpfen damit ihre Kameraangst.« »Ängstlich sah sie bestimmt nicht aus«, meinte die Asiatin. »Aber sicher hast du recht. Jedes Fernsehbild sieht gleich aus, und nur vor einem Gerät stand ich. Ein alberner Zufall. Ich begehe manchmal den Fehler, überall Gespenster zu sehen, wenn ich danach suche.« Gordon Black sah seine Mitarbeiterin prüfend an. Er bildete sich ein, Hanako recht gut zu kennen. Es war nicht ihre Art, aus 33 �
einer Mücke einen Elefanten zu machen. Wenn sie die Geschichte mit der französischen Sängerin erwähnte, lohnte es sich, darüber nachzudenken. »Glaubst du, daß es eine Aufzeichnung von der Sendung gibt?« fragte er plötzlich. Hanako war mit ihren Gedanken schon längst woanders. Sie grübelte über den Dingen nach, die Gordon Black ihr berichtet hatte. Irgendetwas hatte er gesagt, das sie hatte stutzig werden lassen. Wenn sie nur wüßte, was es gewesen war. Sie kam einfach nicht darauf. Gordon Black grinste anzüglich. »Von welchem Muskelmann träumst du?« Hanako schreckte auf. »Was hattest du gesagt?« »Ich fragte dich, ob es möglicherweise von der Talk-Show eine Aufzeichnung auf Video gibt. Könnte doch sein, wenn diese Blanche hier so beliebt ist.« Die Asiatin zuckte mit den Schultern. »Nimm es nicht so wichtig. Es war bestimmt nichts von Bedeutung.« Da aber der Geisterjäger vor seinem Gespräch mit dem Kommissar, auf das er noch ein paar Stunden warten mußte, keinen Ansatzpunkt für seine Ermittlungen erkannte, begeisterte er sich für seine Idee. An Hand einer Aufzeichnung konnte er leicht feststellen, ob an Hanakos Behauptung etwas Wahres dran war. Gegebenenfalls würde er sich intensiv um diese Blanche kümmern. Hanako wußte Rat. Der Barmixer schien ja ein Fan der Sängerin zu sein. Er wußte bestimmt eine Bandüberspielung aufzutreiben. Damit hatte sie ins Schwarze getroffen. Der junge Mann freute sich, der zierlichen Halbjapanerin gefällig sein zu können und führte ein kurzes Telefonat. Danach verkündete er stolz: »Ich habe mir gleich gedacht, daß Jean sich diese Gelegenheit nicht 34 �
entgehen läßt. Von Blanche schneidet er alles mit, was er kriegen kann. Er ist direkt vernarrt in sie. Die Ärmste kann einem leid tun.« »Warum leid?« wollte Gordon Black wissen, der die Antwort auf einen Verdacht witterte. Aber der Mixer erklärte seine Bemerkung nur mit den hohen Ansprüchen der Sängerin. Er gab Hanako die Adresse dieses Jean und kündigte ihren Besuch an. Jean war nicht enttäuscht, als die Asiatin einen Begleiter mitbrachte. Für ihn gab es nur eine einzige Frau, und die hieß Blanche. Stolz hantierte er an dem Recorder herum, und wenig später flimmerte die Aufzeichnung des Interviews über die Mattscheibe. Den Anfang kannte Hanako selbst noch nicht. Erst nach vier Minuten kam der Zeitpunkt, an dem sie die Bar betreten hatte. Sie stieß Gordon Black an und zischelte: »Jetzt kommt es.« Aber es kam nicht. Die Rothaarige gurrte und lächelte in die Kamera. Sie ließ ein dunkles Lachen hören und machte selbst einen Scherz. Ihre Augen blickten ein wenig verrucht, aber ganz sicher nicht diabolisch oder voller Haß, auf wen auch immer. Hanako rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Sie kam sich ziemlich töricht vor. Gordon mußte sie für überspannt halten. Der Geisterjäger wandte keinen Blick von dem Bildschirm. Mit wachsender Erregung verfolgte er das Gespräch, und das konnte sich nun wieder die Asiatin nicht erklären. Die Tatsache, daß die Sängerin ein Faible für Pferde und Männer besaß, war doch nun wirklich nicht weltbewegend. Sie schauten sich das Band bis zum Schluß an. Danach bedankten und verabschiedeten sie sich. Auf der Straße neckte Hanako den Dämonenjäger. »Diese Frau 35 �
scheint dich in ihren Bann geschlagen zu haben. Du bist ja ganz durcheinander.« »Und zwar nicht ohne Grund«, erwiderte Gordon Black. »Ich habe soeben etwas Erstaunliches erfahren. Blanche ist begeisterte Antiquitätensammlerin.« »Eine kostspielige Leidenschaft, aber keine außergewöhnliche. Und vor allem keine, die teuflisch oder verboten wäre.« »Wie recht du hast, Mädchen! Aber jetzt denke mal nach! Duval besitzt angeblich eine Menge antiken Schmuck, und die Guiroulet besitzt das Abbild einer nepalesischen Göttin, bei dem es sich nach meinem Dafürhalten um keine Replik handelt. Fällt dir was auf?« Hanako fiel es wie Schuppen von den Augen. Das war der Punkt, über den sie erfolglos nachgegrübelt hatte. Das konnte der Zusammenhang sein, den sie suchten. »Der Elfenbeinanhänger stammt von einem gewissen François«, fuhr Gordon Black fort. »Mehr hat sie mir über diesen Mann nicht verraten. Es könnte ein Freund sein.« »Eher ein Händler«, meinte Hanako aufgeregt. »Jemand, von dem sie die alten Stücke bekommen haben, an denen ihnen so viel liegt.« Gordon Black seufzte. »Ein Antiquitätenhändler namens François also. Weißt du, wie häufig dieser Name in Frankreich ist?« »Nicht häufiger als bei uns Tom oder Jim. Wenn wir Glück haben, weiß sogar Belois etwas über diesen Mann.« Diese Hoffnung war verfrüht. Der Kommissar hatte bisher in dieser Richtung nicht ermittelt. Er bestätigte zwar, daß auch Sir Henry Fireman ein großer Kunstkenner sei und daß er noch von seinem Vater wisse, daß Romain Lasalle mehrmals nach Ägypten und Indien gereist war, um von dort fremdländische Kultgegenstände mitzubringen, 36 �
doch er war bereit, aus dem Stegreif hundert andere Leute zu nennen, die sich für Antiquitäten begeisterten, ohne deswegen zum Dieb oder Mörder zu werden. »Ich wäre Ihnen für eine Liste sämtlicher Antiquitätenhändler in Paris dankbar«, sagte Gordon Black. »Und vergessen Sie die Trödler nicht.« »Und ihre sämtlichen Vornamen«, ergänzte Hanako. Belois breitete die Arme zu einer großzügigen Gebärde aus. »Nichts leichter als das. Sie können sie in wenigen Augenblicken haben. Diese Berufsgruppe behalten wir ständig im Auge. Sie kommt oft als Hehler in Betracht. Manchmal, ohne es zu wissen. Ich lasse Ihnen gleich die Namen ankreuzen, die schon einmal unangenehm aufgefallen sind.« Der Geisterjäger war gespannt. Kamen sie endlich einen Schritt weiter? Der Kommissar gab telefonisch einen Befehl weiter, und während sie auf die angekündigte Aufstellung warteten, ließen sie sich die Untersuchungsprotokolle vorlegen und stellten eine Menge Fragen, die aber Belois nicht zu ihrer Zufriedenstellung beantworten konnte. »Was werden Sie unternehmen, Monsieur Black?« fragte der Beamte. »Mein Chef sitzt mir im Genick. Ich weiß schon kaum noch, womit ich ihn vertrösten soll.« »Wir halten Sie auf dem laufenden«, versprach Gordon Black. »Mehr kann ich Ihnen im Moment auch noch nicht sagen. Leider!« Die Tür öffnete sich, und zwei Polizisten stürzten herein. Der eine brachte die Liste, die Hanako, sofort mit Beschlag belegte. Der andere sprudelte etwas hervor, versprach sich, stotterte und begann noch mal von vorne. Kommissar Belois sprang auf und kam hinter seinem Schreib37 �
tisch hervor. »Das ist nicht wahr«, ächzte er. »Das darf ganz einfach nicht wahr sein.« »Es ist aber leider so. Die Kollegen konnten die Verfolgung aufnehmen und schließlich in der Nähe der Metro-Station Vaugirard abschließen. Sie riefen den Mann an, sie gaben auch Warnschüsse ab, aber er zog einen Revolver und schoß. Da feuerten sie zurück.« »Und trafen«, sagte Belois fassungslos. »Er war sofort tot, Monsieur. Der Koffer mit den Banknoten konnte sichergestellt werden. Er hatte nur ein paar Scheine davon unterwegs verloren.« »Und es war Marcel Ferron, der Physiker? Es gibt keinen Zweifel?« Der Beamte schüttelte den Kopf. »Sein Bild stand in den letzten Wochen oft genug in den Zeitungen. Außerdem trug er seinen Paß bei sich.« Gordon Black schaltete sich ein. »Handelt es sich um jenen Ferron, der durch die Erforschung neuer Energiequellen von sich reden machte?« erkundigte er sich. »Derselbe«, bestätigte Belois. »Ein friedliebender Mensch und Christ, der häufig gegen jede Art von Gewalt eintrat. Und ausgerechnet er trägt einen Revolver bei sich und kann nur durch eine Kugel gestoppt werden.« »Mich interessiert der genaue Fluchtweg von der Bank, bei der er sich das Geld durch vorübergehende Geiselnahme beschaffte, bis zur Metro-Station«, sagte Gordon Black. Der Beamte trat an die große Wandkarte und fuhr mit dem Finger auf den entsprechenden Straßen entlang. »Er war zu Fuß und unauffällig mit einem Trenchcoat bekleidet«, erklärte er. »Er hätte einsehen müssen, daß er keine Chance gegen unsere Leute besaß, aber er trennte sich nicht mal von dem schweren Koffer 38 �
und benahm sich regelrecht vernagelt. Der Teufel allein weiß, was in ihn gefahren war.« Gordon Black und Hanako mußten daran denken, daß diese Bemerkung möglicherweise den Nagel auf den Kopf traf, aber sie behielten ihre Meinung für sich. »Ich muß mich unverzüglich um diese katastrophale Geschichte kümmern«, stieß der Kommissar hervor. »Schauen Sie mich noch einmal genau an, damit Sie sich erinnern, wie ich mit Kopf ausgesehen habe. Den reißt mir Perdule jetzt auf alle Fälle herunter.« Die beiden Geisterjäger verließen das Büro. Die ausgehändigte Liste nahmen sie mit. Gordon Black überlegte laut: »Ferron ist das beachtliche Stück vom Boulevard Garibaldi bis zur Rue de Vaugirard zu Fuß gelaufen, obwohl er zum Beispiel in der Metro hätte untertauchen und mit ihr auch schneller vorankommen können. Er muß tatsächlich nicht bei Sinnen gewesen sein. Und das, obwohl er eiskalt einen Banküberfall mit allen kriminellen Schikanen hinter sich hatte.« Hanako fand das auch merkwürdig. Sie nahm die Liste zur Hand und sagte: »Gesetzt den Fall, alle Verbrecher hatten einen Auftraggeber, in dessen Gewalt sie sich befanden, und weiter angenommen, sie lieferten ihre Beute bei ihm ab…« »… dann müßte dieser Unbekannte in der Nähe der Rue Vaugirard zu suchen sein«, fiel ihr Gordon Black ins Wort. »Vermutlich südlich davon. Haben wir einen François in unserer Liste, auf den das zutreffen würde?« Sie studierten die Blätter gemeinsam und kamen nach einiger Zeit überein, daß zwei Trödler und ein Antiquitätenhändler die Bedingungen erfüllten. »Trennen wir uns?« fragte Hanako. Der Geisterjäger lehnte ab. »Das könnte gefährlich werden. Wir 39 �
bleiben zusammen, und ich möchte, daß du dein Dogu mitnimmst.« »Glaubst du, daß das nötig ist?« fragte Hanako überrascht. »Ich hoffe es sogar, denn wenn wir unseren Gegner wieder nicht aufspüren, müssen wir wieder ganz von vorn anfangen.« Hanako verriet ihm, daß sie das Dogu auf der Haut trug, und Gordon Black war zufrieden. »Dann laß uns beginnen«, schlug er vor. * François Beauvois war ein Trödler reinsten Wassers. Er handelte mit allem, was ihm in die Finger kam. Sein Kellergeschäft befand sich in der Rue Destin und war genauso schmutzig und unordentlich wie der Inhaber. Schon nach kurzer Zeit warfen sich Hanako und Gordon einen Blick zu. Ein Mann, der alte Bügeleisen, abgeleierte Schallplatten und Comic-Hefte unter die Leute brachte, schien Ihnen nicht der Gesuchte zu sein. Sie fuhren in die Rue Valet, eine Seitenstraße der Rue d’Alleray. Hier unterhielt François Gabert sein Antiquitätengeschäft, das einen ungleich seriöseren Eindruck machte als der Laden Beauvois’. Gabert begrüßte sie eilfertig und erkundigte sich nach ihren Wünschen. »Wir suchen nichts Bestimmtes«, erklärte Hanako Kamara und seufzte. »Bei uns in den Staaten treibt man nicht so leicht alte Schätze auf. Und wenn, dann sind sie sicher gefälscht. Wir sind extra nach Europa gekommen, um uns hier ein wenig umzusehen. Ein Freund empfahl uns Ihr Geschäft. Wir hoffen, er hat nicht übertrieben.« Gabert dienerte verbindlich. »Ein Freund?« erkundigte er sich. 40 �
»Darf man den Namen erfahren?« »Aber gewiß. Monsieur Lasalle lobte Sie in den höchsten Tönen. Leider scheint er momentan auf Reisen zu sein, aber das macht nichts. Wir haben die Absicht, länger in Paris zu bleiben.« »Lasalle?« meinte der Händler. »Ich glaube, mich zu erinnern. Er bevorzugt Stücke des ägyptischen und indischen Raums. Wirklich einwandfreie Exemplare sind nur schwer zu beschaffen. Man muß sich ständig umhören.« »Sie sagen es«, bestätigte die Asiatin und verzichtete auf ein triumphierendes Schmunzeln. Der Gerichtsrat, der mit einem geraubten Perlencollier verschwunden war, hatte also tatsächlich mit Gabert geschäftlich zu tun gehabt. Nur geschäftlich? »Schauen Sie sich bitte in aller Ruhe in meinen Räumen um«, sagte der Mann. Er trug eine starke Brille, hinter deren Gläsern seine Augen irgendwie lauernd wirkten. Sein volles, braunes Haar war nicht echt. Er trug ein Toupet, das nicht besonders gut saß. »Haben Sie vielleicht etwas aus Nepal am Lager?« wollte Gordon Black wissen. François Gabert strahlte. »Sie haben Glück, Monsieur. Vorgestern habe ich eine einmalige Skulptur hereinbekommen, von der ich mich eigentlich nicht schon so schnell wieder trennen wollte. Wenn Sie mir folgen wollen?« Er führte die beiden eine Treppe hinauf und einen Gang entlang. Eine Tür stand offen. Sie ließ den Blick auf einen großen Saal frei, in dem kleine Tische und Sitzgruppen zwanglos angeordnet waren. Seitlich war ein Podest angeordnet, auf dem Stühle und Notenständer standen. François Gabert sah Gordon Blacks Blick. »Hier veranstalte ich meine Partys«, erklärte er. »Sie sind in ganz Paris berühmt und wahrscheinlich noch ein Stück darüber hinaus. Wenn es Sie interessiert, ich würde mich freuen, auch Sie heute abend begrü41 �
ßen zu dürfen.« »Zu einer Party?« wunderte sich der Geisterjäger. Gabert lächelte dünn. »Natürlich keine der üblichen Feten. Es kommen ausschließlich Kunstkenner und Freunde des Hauses. Auch Händler beehren mich immer wieder. Meine Gäste profitieren davon. Sie haben schon manchen Handel direkt abgeschlossen und mich um meine Provision geprellt.« Er lachte wieder. »Aber das macht mir nichts aus. Ich betrachte das als Dienst am Kunden.« Sie gingen weiter, und Gabert blieb am Ende des Ganges vor einer Tür stehen, die er aufschloß. Drinnen brannte Licht. Der Raum war völlig leer. Nur in der Mitte stand auf einem Tisch eine gläserne Vitrine, unter der sich eine Bronzefigur befand. Sie war ungefähr einen Fuß hoch und von außergewöhnlicher Schönheit. Sie nahm eine sitzende Haltung ein, wobei sie das linke Bein angewinkelt hatte. Sie trug einen kronenartigen Kopfschmuck, eine Halskette und Geschmeide an den Oberarmen. Sie waren mit Bergkristallen und Türkisen bestückt. Hanako war begeistert. »Neuntes Jahrhundert«, rief sie spontan. Gabert nickte anerkennend. »Alle Achtung, Mademoiselle. Sie sind wirklich Kennerin.« Auch Gordon Black war beeindruckt. Erstens, weil diese Skulptur tatsächlich eine Kostbarkeit war, vor allem jedoch, weil er erst vor wenigen Stunden eine Miniaturausgabe in Elfenbein im Untersuchungsgefängnis bei Louise Guiroulet gesehen hatte. Hier stand das Original. Er war nun fast sicher, in dieser Galerie noch mehr Überraschungen zu erleben. Er hatte nicht die Absicht oder die Mittel, das Kunstwerk zu kaufen. Trotzdem erkundigte er sich nach dem Preis. »Zweihundertvierzigtausend, Monsieur«, antwortete Gabert 42 �
und machte ein Gesicht, als müßte er bei diesem Preis draufzahlen. Gordon Black wollte nicht unglaubwürdig werden, deshalb bedauerte er: »Schade! Das übersteigt unsere momentanen Mittel.« »Darüber bin ich fast froh«, gab François Gabert zu. »Ich habe meine kleine Freundin verständlicherweise ins Herz geschlossen. Aber Sie sollten wirklich heute Abend kommen. Vielleicht kann ich dann schon Ihren Wunsch nach einem nepalesischen Kunstwerk erfüllen. Ich erwarte interessante Gäste.« »Vielleicht können wir es einrichten«, sagte Hanako rasch. »Wir sagen einfach bei den Duchateaus ab. Dort ist es ohnehin schrecklich langweilig.« »Ich würde mich freuen.« François Gabert begleitete seine Besucher hinaus und verabschiedete sich förmlich. Er dienerte tief. Deshalb konnten sie das tückische Glitzern in seinen Augen nicht erkennen. * Sie gingen mit großen Erwartungen zu der Party, nachdem sie sich bei Kommissar Belois erkundigt hatten, ob über diesen Gabert irgendetwas Nachteiliges bekannt sei. Er konnte ihnen nicht weiterhelfen, zumal sich der Antiquitätenhändler erst vor einem Jahr in Paris niedergelassen hatte. Sie hatten gehofft, inmitten des Partygewühls ein wenig untertauchen und sich die Räume des Antiquitätenhändlers genauer ansehen zu können, doch daraus wurde nichts. Gabert sorgte dafür, daß sie sofort Gesellschaft erhielten. Hanako stellte er einen etwas primitiv aussehenden Muskelmann vor, der keine Ahnung von alter Kunst hatte, dafür umso mehr von Bodybuilding und ähnlichem Krafttraining. Er redete unentwegt, und wenn sich die Asiatin unbemerkt verdrücken wollte, 43 �
war er schon wieder neben ihr und ließ vor ihren Augen seinen Bizeps spielen. Ergeben fügte sich Hanako in ihr Schicksal und zählte diesen Abend bereits zu den verlorenen. Sie suchte Gordon Black, und als sie ihn in einer Nische entdeckte, glaubte sie, einen elektrischen Schlag erhalten zu haben. Die Frau, die neben ihm stand und ihm schöne Augen machte, war keine andere als die Sängerin Blanche. Auch Gordon hatte die Rothaarige sofort erkannt. Er dachte an Hanakos Behauptung, die sich auf der Video-Aufzeichnung allerdings nicht bestätigt hatte. Er glaubte nicht an einen Zufall, daß Gabert ausgerechnet ihn mit der Sängerin zusammengeführt hatte. Hatte der Mann Verdacht geschöpft? Dann mußte er auch etwas zu verbergen haben. Momentan benahm er sich allerdings völlig normal und kümmerte sich eifrig um seine Gäste. Er achtete darauf, daß die Band keine langen Pausen einlegte und daß genügend Getränke zur Verfügung standen. Was Gordon Black vermißte, waren die Fachsimpeleien über Antiquitäten, aber so richtig konnte er das nicht beurteilen, denn Blanche hing förmlich wie eine Klette an ihm und bewegte sich so aufreizend, daß ihm heiß wurde. Sie überredete ihn sogar zum Tanzen und schmiegte sich nach der einschmeichelnden Klarinettenmelodie so dicht an ihn, daß er die Wärme ihres Körpers spürte. Nein, ein Geist war sie kaum. Dafür pulste zu heißes Blut in ihren Adern. Ihr Blick war auch keinesfalls haßerfüllt, wie Hanako behauptet hatte. Sie war nicht mehr und nicht weniger als eine verführerische Frau, die um die Stärke ihrer Waffen wußte. Gordon Black lenkte das Gespräch behutsam auf die Liebe zu den Antiquitäten und zu der Gelegenheit, bei der sie François Gabert kennengelernt hatte, doch Blanche plauderte munter 44 �
drauflos, und was sie verriet, war nicht geheimnisvoll. »Kennen Sie meine Begleiterin?« fragte er plötzlich und beobachtete das Gesicht der Sängerin scharf. Blanche wandte ihren Kopf und zog die Brauen in die Höhe. »Ich habe leider ihren Namen nicht behalten«, bedauerte sie. »Er klang so fremdländisch.« »Hanako Kamara«, half der Geisterjäger nach. Blanche nickte freundlich. »Richtig. Wie dumm von mir. Namen behalte ich so schlecht. Schlagertexte bleiben bei mir gleich hängen, aber Namen…? Nein, ich sehe sie heute zum ersten Male, aber ich muß zugeben, daß sie gefährlich schön ist. Sie sollten sie nicht so lange mit diesem Lazare allein lassen.« Lazare war der Muskelmann. Hanako flüsterte ihm gerade etwas ins Ohr, und er grinste töricht. Die Asiatin verschwand, um sich frisch zu machen. Dabei konnte ihr der Protz unmöglich folgen. Er wandte sich einer Tür zu, die in einen anschließenden Raum führte, doch kaum tauchte Hanako wieder auf, war auch Lazare wieder zur Stelle und wich nicht von ihrer Seite. Gordon Black sah, daß Hanako den Muskulösen ein paarmal mit seltsamem Gesichtsausdruck musterte. Weiter konnte er sich nicht um seine Mitarbeiterin kümmern, denn Blanche nahm ihn wieder völlig in Anspruch. Eigentlich fand er sie ganz nett und nicht so, wie man sich einen Star im allgemeinen vorstellte. Aber schließlich war er nicht hergekommen, um zu flirten und die Augen zu verdrehen. Er befand sich auf der Suche nach einem Mann, der Gerard Duval, Sir Henry und die anderen in seine geistige Abhängigkeit gebracht hatte, um sie für Verbrechen zu mißbrauchen. Und diesen Mann glaubte er in François Gabert gefunden zu haben. Leider gab ihm dieser keine Gelegenheit, den Verdacht zu erhärten. Er mußte auf eine bessere Gelegenheit hoffen. Sie verließen die Party zwei Stunden später. Alles, was Gordon 45 �
Black beiläufig erfahren hatte, war die Tatsache, daß Luc de Luque, der den Bankboten überfallen hatte, zwei Tage vorher ebenfalls an einer dieser Partys teilgenommen hatte. Eine Nachricht, die ihm zu denken gab. * Lazare dachte an die bezaubernde Asiatin. Sie hatte ihm ausnehmend gut gefallen. Schade, daß sie schon so früh gegangen war. Lazare war nicht etwa Boxer oder Catcher, er sah lediglich so aus. Sein Gemüt war das eines Kindes, und er übte einen fast lyrischen Beruf aus. Er machte Entwürfe für Porzellanmalereien. Als Hanako Kamara mit ihrem Begleiter gegangen war, hielt es auch ihn nicht mehr im Hause des Antiquitätenhändlers. Er verabschiedete sich und versicherte, daß es ihm ausnehmend gut gefallen habe. In der Nähe des Hauses parkte sein Wagen, aber er ließ ihn stehen. Er wollte die frische Nachtluft genießen. In seinem Schädel dröhnte es wie ein Hammerwerk, obwohl er so gut wie nichts Alkoholisches getrunken hatte. Lazare taumelte ein wenig. Seine Schritte waren unsicher wie die eines betrunkenen Bären. Dabei stand er sonst immer fest auf den Füßen. Nichts vermochte ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, jedenfalls nicht aus dem körperlichen. Er dachte an Hanako und lächelte. Ein süßes Ding! Wirklich zum Anbeißen. Sie hatte ihn zwar nicht gerade ermutigt, aber von seinen Muskeln war sie doch ziemlich beeindruckt gewesen. So glaubte er jedenfalls. Er schüttelte seinen massigen Schädel, als müßte er einen lästigen Hornissenschwarm abwehren. Das Dröhnen in seinen Ohren nahm zu. Es kam ihm vor, als tauchte er tief unter Wasser. Die Verkehrsgeräusche drangen nur wie durch einen dicken, 46 �
schweren Vorhang zu ihm. Lazare atmete tief durch. Er wußte genau, wie man richtig atmete. Sein Brustkorb nahm gewaltige Ausmaße an. Zum Glück trug er seine Jacke offen, sonst wären jetzt die Knöpfe davongeflogen. Er bog in die Rue d’Alleray ein und ging in östlicher Richtung zur Rue de la Procession weiter. Außer ihm befand sich sonst kaum jemand auf der Straße. Kein Wunder! Es war ja mitten in der Nacht, und die Kinos und Theater hatten längst geschlossen. Unter einer Laterne stand eine Gestalt. Sie bewegte sich kaum. Erst als Lazare näherkam, erkannte er, daß es sich um zwei Menschen handelte. Zwei ziemlich junge Menschen, die sich eng umschlungen hielten und ihre Umgebung vergessen hatten. Lazare lächelte. Ein nettes Paar. Jung und schrecklich verliebt. Das gefiel ihm. Er ging weiter. Druckwellen prallten gegen sein Gehirn. Sein Gesicht verzerrte und glättete sich wieder. Was war nur mit ihm los? Das Pärchen blickte nur flüchtig auf, als er sich näherte, dann gab es sich wieder seiner zärtlichen Tätigkeit hin. Lazare ging vorüber. Er schmunzelte verständnisvoll. Schade, daß er hier nicht mit Hanako stand! In seine sanften Augen schossen plötzlich zwei grelle Blitze. Er krümmte sich zusammen, röhrte wie ein weidwundes Tier auf und sprang das Pärchen mit gewaltigem Satz an. Das Mädchen schrie entsetzt, und der junge Mann riß mutig die Fäuste hoch, um seine Freundin und sich selbst zu verteidigen. Lazare packte ihn mit einer Faust und schleuderte ihn quer über die Straße. Ein Auto kam heran und konnte gerade noch bremsen, aber der Mann prallte so unglücklich mit dem Kopf auf die Fahrbahn, 47 �
daß die Reaktionsschnelligkeit des Fahrers für ihn keine Hilfe mehr war. In dem Wagen saßen vier Männer. Sie kamen gerade von einer Sauftour und waren entsprechend aufgekratzt. Sie erkannten, daß hier etwas Schreckliches vorging, und sprangen aus dem Fahrzeug, um dem Mädchen, das laut um Hilfe schrie, beizustehen. Lazare kümmerte sich nicht um sie. Er war wie von Sinnen. Seine riesigen Pranken schlossen sich um den zarten Hals des Mädchens, das eben noch Liebkosungen empfangen hatte, und drückten erbarmungslos zu. Bevor die Retter zur Stelle waren, hing ein schlaffer, lebloser Körper in seinen Armen. * Gordon Black und Hanako Kamara erfuhren bereits in aller Frühe durch Kommissar Belois von dem grausigen, sinnlosen Doppelmord. »Der Killer hat wie eine Bestie gewütet«, sagte er erregt durchs Telefon. »Könnten Sie es einrichten, gleich herzukommen?« Gordon Black erklärte sich selbstverständlich dazu bereit, obwohl sie noch nicht mal gefrühstückt hatten. Aber das konnten sie immer noch unterwegs erledigen. »Hat der Mann etwas geraubt?« wollte er wissen. »Und wer ist es überhaupt? Wieder jemand aus der besseren Gesellschaft?« »Wir kennen seinen Namen noch nicht. Er trug keine Papiere bei sich.« »Heißt das, daß Sie ihn überwältigt haben?« Belois bestätigte diese Vermutung. »Zufällig wurden vier Passanten Zeugen dieses Verbrechens«, sagte er. »Sie griffen spontan ein, und es gelang ihnen auch, den Berserker unschädlich zu machen. Allerdings war er nach ihren eigenen Angaben 48 �
überraschend sanft und behauptete sogar, mit der Bluttat nichts zu tun zu haben. Er zeigte sich beim Anblick der Leichen erschüttert und äußerte das Verlangen, den Mörder zur Rechenschaft zu ziehen. Sie müssen mit ihm reden. Er ist offensichtlich verwirrt. Vielleicht bekommen Sie die Wahrheit aus ihm heraus. Ich bin mit meinem Latein am Ende.« Der Geisterjäger setzte Hanako in kurzen Worten über den Vorfall in Kenntnis. Diesmal bestand sie darauf mitzukommen, und Gordon Black hatte nichts dagegen. Kommissar Belois war völlig aufgelöst, als er sie begrüßte. »Ein sinnloses Verbrechen«, ächzte er. »Die beiden Opfer trugen insgesamt siebenunddreißig Francs, zwei billige Armbanduhren und einen vergoldeten Ring mit einem Glasstein bei sich. Wenn der Kerl einen Raub vorhatte, dann war er jedenfalls an die Falschen geraten.« »Falls sexuelle Motive mitspielen, dürfte der Fall nichts mit den bisherigen Verbrechen zu tun haben«, äußerte Gordon Black. »Bis jetzt kam es den Tätern regelmäßig auf ihre Beute an, und wir haben auch schon einen Verdacht, wo diese Beute bleibt. Aber jetzt wollen wir uns erst mal diesen Burschen ansehen. Spielt er noch immer den Unschuldigen?« »Er schimpft auf den gemeinen Mörder und schwört, daß er ihn in Stücke reißt. Aber das ist natürlich nur Theater. Wahrscheinlich bildet er sich ein, die Sachverständigen würden ihm Unzurechnungsfähigkeit bescheinigen.« Als sie den Mann in seiner Zelle sahen, atmeten beide hörbar aus. »Lazare!« rief Hanako entgeistert. Gordon Black überlief es eiskalt, als er sich vor Augen führte, daß die Asiatin noch kurz vor dem Doppelmord ahnungslos mit diesem entmenschten Killer geplaudert hatte. Sie hatte unwahrscheinliches Glück gehabt, daß nicht sie sein Opfer geworden 49 �
war. Oder galt der Anschlag in Grunde ihr? War dieser Bär manipuliert worden, um an einem ganz bestimmten Zeitpunkt einen Mord auszuführen, weil sein Auftraggeber ihn dann noch mit Hanako zusammen glaubte? Der Geisterjäger dachte daran, daß angeblich auch Blanche seiner Mitarbeiterin haßerfüllte Blicke zugeworfen hatte. Immer mehr setzte sich bei ihm die Überzeugung durch, daß der Grund ihres Hierseins von der Gegenseite längst durchschaut worden war. Man wußte genau, daß sie nicht nach Paris gekommen waren, um Antiquitäten zu erstehen oder an stinklangweiligen Partys teilzunehmen. Sie waren als Feinde zur Kenntnis genommen worden, und als Feinde würde man sie behandeln. Aber wer war der Unbekannte, der in ihnen eine Gefahr für sich sah? War es dieser Gabert? Steckte ein anderer, ein Gewaltigerer hinter ihm oder gar in ihm? Diese Frage mußte er schnellstens ergründen, bevor noch mehr Unheil geschah. Anscheinend ging es dem Auftraggeber nicht mehr ausschließlich um reiche Beute, er hatte auch Geschmack an der bloßen Verbreitung des Schreckens gefunden. Er übte Gewalt aus um der Gewalt willen, und er benutzte dazu Menschen, die selbst nichts davon ahnten und jede Schuld weit von sich wiesen. So wie dieser Lazare. Der Muskelmann hockte auf der Pritsche und flüsterte immer wieder etwas vor sich hin. Die Worte waren nur sehr leise, aber Gordon und Hanako verstanden sie doch. »Warum hat er das getan? Warum mußten die Ärmsten so schrecklich sterben?« »Wer?« fragte der Geisterjäger eindringlich. »Wer hat es getan, Lazare? Wer ist der Lump, der Ihnen den Befehl dazu erteilt hat?« Lazare hob mühsam den Kopf. Seine Augen waren geschwol50 �
len. Offenbar war ihm das fürchterliche Verbrechen, das man ihm zur Last legte, sehr zu Herzen gegangen. Er erhob sich taumelnd und wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Als er die Hand wegnahm, erschien eine mordlüsterne Fratze, und Gordon Black hatte keine Zeit mehr, daraus für sich die richtigen Schlüsse zu ziehen. Lazare fiel mit einem Wutschrei über ihn her und knallte ihm beide Fäuste mitten ins Gesicht. Damit ließ der Rasende es aber noch nicht bewenden. Er war wie entfesselt. Als würde der Satan persönlich in ihm hausen. Seine Augen waren blutunterlaufen, sein Unterkiefer klappte nach unten, und aus seiner Kehle entrangen sich Laute, die urweltlich anmuteten. Hanako schrie auf, und auch der Kommissar, der sich außerhalb der Zelle aufhielt, um den Gefangenen mit den Geisterjägern allein zu lassen, bekam einen gehörigen Schreck. Er fummelte an seiner Pistolentasche, bekam die Dienstwaffe aber nicht schnell genug heraus. »Nicht schießen!« schrie Gordon Black. Er fühlte sich, als wäre ein Kirchturm über ihm zusammengekracht. Zwar hatte er den nächsten Schlägen ausweichen können, aber an den beiden Anfangstreffern, die ihn voll erwischt hatten, kaute er noch immer. Er beobachtete seinen Gegner genau und beschränkte sich darauf, die mörderischen Hiebe ins Leere puffen zu lassen. Es war sinnlos, sich dem Kampf zu stellen. Lazare war in der Lage, ihm sämtliche Knochen zu brechen. Wieder zuckte eine behaarte Faust dicht an seinem Ohr vorbei. Er packte entschlossen zu und versuchte, den Rasenden auszuhebeln. Doch die Zelle war für solche Manöver zu eng. Gordon Black erhielt einen Tritt ins Kreuz, der ihn bis zu den Eisenstäben beförderte. Gleich darauf fühlte er sich an den Schultern gepackt und zurückgerissen. Über ihm war das zähnefletschende 51 �
Gesicht Lazares. Reine Mordgier stand darin zu lesen. Gordon Black ließ sich zusammenfallen und entwand sich den gespreizten Fängen. Er war davon überzeugt, daß in Lazare eine dämonische Macht tobte, die er mit den Fäusten ohnehin nicht zu brechen vermochte. Den gleichen Gedanken hatte Hanako. Sie dachte an das Dogu, das sie um den Hals trug, doch in der Enge des Raumes lief sie Gefahr, den Mann damit zu berühren, und das hätte ihn möglicherweise töten können. Das aber lag nicht in ihrer Absicht. Über Lazare wollten sie an den Dämon herankommen, der ihr eigentlicher Widersacher war. Aus ihrer Handtasche zerrte sie ein paar verschlungene Holzringe, die wie ein Spielzeug für Kleinkinder aussahen, aber in denen eine Kraft steckte, die nur Eingeweihte der japanischen Magie zu handhaben wußten. Hanako gehörte zu diesen Eingeweihten. Sie reckte die Ringe, die an farbigen Fäden hingen, gegen den Berserker und murmelte Worte, deren Inhalt keiner der Männer verstand. Gordon Black, der ebenfalls in den Bannbereich der Ringe geraten war, spürte nichts. Er war von keiner höllischen Macht besessen, und nur gegen diese wandten sich die geheimnisvollen Ringe. Lazare dagegen brüllte auf und krümmte sich wie unter gewaltigen Schmerzen. Er verkroch sich in der hintersten Ecke der Zelle und verbarg sein Gesicht hinter den Schaufelhänden. Hanako ließ die Ringe immer noch kreisen. Sie trat an Lazare heran und fragte ihn mit fester Stimme: »Wer hat dich ausgesandt zu morden?« »Er«, kam es wimmernd. »Ihm muß ich gehorchen.« »Wen meinst du? Gabert?« Lazare heulte auf, schüttelte aber den Kopf. Sein massiger Körper bäumte sich auf. Er wurde wie unter qualvollen Krämpfen 52 �
geschüttelt. Schaum trat vor Lazares Mund. Er schrie und schlug wie ein gebrochener Baumriese auf den Zellenboden, wo er reglos, aber flach atmend liegenblieb. Gordon Black kam in die Höhe. »Das ist die reinste Mordmaschine«, sagte er keuchend. »Kein Wunder, daß mit den beiden jungen Menschen so Furchtbares geschehen ist.« Hanako steckte die Holzringe zurück, die Kommissar Belois verständnislos betrachtet hatte. »War das Zauberei?« fragte der Beamte. Seinem Gesicht war anzusehen, daß die Vorstellung ihm Unbehagen bereitete. Die Asiatin überging die Frage. Sie erkundigte sich, ob Gordon Black okay sei, und war erleichtert über dessen Bestätigung. »Lassen Sie den Mann vorläufig in Ruhe«, empfahl der Geisterjäger. »Wir müssen seinen Auftraggeber ausschalten. Erst dann wird der dämonische Einfluß von ihm abfallen.« »Sie haben ihn Lazare genannt«, erinnerte sich Belois. »Sie kennen ihn also?« »Wir lernten ihn letzte Nacht bei einem Mann kennen, um den wir uns jetzt näher kümmern müssen.« »Dieser Antiquitätenhändler?« fragte Belois. Gordon Black nickte. »Lazare hat zwar geleugnet, daß er sein Auftraggeber ist, aber ich bin davon überzeugt, daß wir es bei ihm mit einem gefährlichen Magier zu tun haben, der immer mehr Menschen in seine Abhängigkeit bringt und für das Böse benutzt.« »Monsieur Gabert ist nicht aktenkundig«, verteidigte der Kommissar den Mann. Gordon Black winkte ab. »Der Satan auch nicht«, sagte er. »Und trotzdem legt er sich seit undenklichen Zeiten mit uns an. Ich möchte alles über Gabert erfahren. Vor allem über seine Vergangenheit. Können Sie diesen Part übernehmen, Kommissar? Sie haben in dieser Beziehung bessere Möglichkeiten als wir.« 53 �
Belois erklärte sich bereit, befürchtete aber, nichts Sensationelles herauszufinden. * Für Hanako und Gordon war der Fall Lazare noch lange nicht beendet. Als sie beim nachträglichen Frühstück saßen, diskutierten sie intensiv darüber. »Lazare war wie umgewandelt«, sagte der Geisterjäger. »Vorher machte er mir einen eher gutmütigen, etwas tölpelhaften Eindruck. Und dann plötzlich dieser Vulkanausbruch.« Hanako konnte diese Beobachtung nur bestätigen. »Während der Party war er zwar lästig, weil er mich keine Sekunde allein ließ, aber er versuchte nicht ein einziges Mal, mir zu nahe zu treten. Er war vollkommen mit sich selbst und seinen Muskeln beschäftigt. Er kam mir vor wie ein großes Kind. Aber die Wirkung der Ringe hat einwandfrei bewiesen, daß eine düstere Macht von ihm Besitz ergriffen hat. Diese Macht konnte ich angreifen.« »Mir fiel allerdings schon heute Nacht auf, daß du ihn ein paarmal ziemlich verdutzt angesehen hast«, erinnerte sich Gordon Black. »Ich wollte dich schon nach der Ursache fragen, vergaß es dann aber doch.« »Wann soll das gewesen sein?« erkundigte sich die Asiatin. »Gleich nachdem du aus dem Waschraum zurückkehrtest.« Hanako erinnerte sich. »Du hast recht, Gordon. Ich wunderte mich über seine geistesabwesenden Antworten und sein apathisches Benehmen. Eine Veränderung schien mit ihm vorgegangen zu sein. Ich maß dem aber keine Bedeutung bei, denn er hatte in der kurzen Zeit ja den Saal nicht verlassen.« »Doch, hatte er«, widersprach Gordon erregt. »Er ging, während du fort warst, in einen Nebenraum, kam aber bald wieder zurück.« 54 �
»Was befindet sich in diesem Raum?« »Das weiß doch ich nicht. Aber ich werde es in Erfahrung bringen.« »Heißt das, daß wir Monsieur Gabert heute wieder einen Besuch abstatten?« »Selbstverständlich. Aber diesmal wird er nichts davon erfahren. Wir brauchen ihn nicht als Fremdenführer.« »Kommissar Belois würde das einen Einbruch nennen.« »Du wirst lachen, so nenne ich das auch. Aber ich habe kein schlechtes Gewissen dabei. Es scheint festzustehen, daß alle bisherigen Täter irgendwann Kontakt mit Gabert hatten. Wahrscheinlich war jeder einmal Gast auf einer seiner angeblich so berühmten Partys, und ich wette, daß sie bei dieser Gelegenheit manipuliert wurden.« »In dem bewußten Raum?« »Möglich wäre es. Wir werden uns davon überzeugen.« Für Hanako war noch nicht alles klar. »Es wird aber nicht jeder Gast der Partys zum Verbrecher«, meinte sie. »Davon bin ich noch nicht überzeugt«, widersprach der Geisterjäger. Die Halbjapanerin lächelte ihr unergründliches Lächeln. »Nimm uns zum Beispiel. Niemand hat versucht, uns in seine Gewalt zu bringen. Weder Gabert noch irgendein Dämon.« Gordon Black schnaufte verächtlich. »Es passierte überhaupt herzlich wenig auf dieser Party«, sagte er. »Für mich war das alles nur Theater. Gabert hat uns durchschaut. Er spielte uns eine Komödie vor, um uns von seiner Spur abzubringen. Wir sollen glauben, daß bei ihm alles in Ordnung ist. Und genau das glaube ich nicht. Der Bursche ist äußerst durchtrieben. Es hat sicher keinen Sinn, ihm mit einer offiziellen Hausdurchsuchung zu kommen. Die Polizei würde nichts finden. Wir müssen ihn heimlich besuchen. Heute nacht.« 55 �
Die Asiatin war begeistert. Endlich gab es etwas Handfestes zu tun. Und das Schönste war, daß Gordon sie mitnahm. »Und was tun wir in der Zwischenzeit?« fragte sie. »Wir haben noch einen ganzen Tag vor uns.« Gordon Black wollte sich einen Plan des Hauses in der Rue Valet besorgen, um sich schon vorher über die Räumlichkeiten orientieren zu können. »Dann gehe ich zu Louise Guiroulet«, schlug Hanako vor. »Vielleicht gelingt es mir, das Mannequin zum Reden zu bringen. Von Frau zu Frau spricht es sich oft leichter. Und vor allem sind wir inzwischen schon ein bißchen klüger geworden.« Gordon Black war einverstanden. »Aber sei vorsichtig!« warnte er. »Auch die Guiroulet ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine Mörderin. Es könnte dir so gehen wie mir mit Lazare.« Die Asiatin versprach, auf der Hut zu sein, und setzte sich mit Belois in Verbindung, der alles Weitere arrangieren sollte. Gordon Black besorgte sich den Bauplan und lernte ihn in allen Einzelheiten auswendig. Er fand auch den Nebenraum, der sich an den als Partyraum benutzten Saal anschloß. Dieser Raum besaß unglücklicherweise nur diesen einen Zugang und auch kein Fenster, durch das man eindringen konnte. Aber wenn sich in der Zwischenzeit nichts baulich verändert hatte, bot sich ein schmales Gelaß als Einstieg an. Das wollte er im Auge behalten. Hanako Kamara zog einen Flunsch, als sie sich im Hotel trafen. Ihre Erfolglosigkeit stand ihr im Gesicht. »Mach dir nichts draus«, tröstete sie Gordon Black. »Diese Täter, die in Wirklichkeit eher Opfer sind, können nichts verraten, weil ihr Bewußtsein für einen bestimmten Zeitraum gelähmt ist. Dadurch schützt sich unser Gegner vor Verrat und Entdeckung.« Hanako seufzte. »Sie steht noch immer unter unheilvollem Einfluß«, wußte sie. »Ich habe die Probe mit den Ringen gemacht. 56 �
Nur ganz vorsichtig, aber die Guiroulet sprach sofort darauf an und schrie wie im höllischen Feuer. Die Frau tut mir leid. Ich möchte sie von ihrer Qual befreien, ohne sie natürlich töten zu müssen.« »Schalte ihren Dämon aus, dann hast du sie befreit«, orakelte der Dämonenvernichter. »Was spricht Belois?« Hanako schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Richtig. Fast hätte ich es vergessen. Belois war nicht untätig. Er hat einiges aus Gaberts Vergangenheit ausgegraben. Der Mann muß riesiges Glück gehabt haben. Vor ungefähr einem Jahr saß er in einem Bus, der auf der Straße zwischen Loudeac und St. Meen le Grand verunglückte. Obwohl es keinen Gegenverkehr gab und die Straße schnurgerade und trocken war, kam das Fahrzeug von der Fahrbahn ab und raste gegen ein paar Bäume. Der Tank explodierte, und der Bus brannte restlos aus. Der Fahrer und dreiundfünfzig Fahrgäste fanden einen entsetzlichen Tod in den Flammen.« »Und Gabert?« »Wie durch ein Wunder wurde er beim Aufprall durch ein Fenster geschleudert und kam mit vergleichsweise harmlosen Schnittwunden und Abschürfungen davon. Er ist der einzige Überlebende. Belois hat mir die Liste der Toten mitgegeben. Ich weiß nicht, ob sie dich interessiert.« Gedankenverloren nahm Gordon Black das Blatt entgegen. Er überflog die Namen und stoppte an einer Stelle. »Das ist doch nicht möglich«, flüsterte er. Sein Gesicht war auf einmal aschfahl. »Was hast du?« fragte Hanako beunruhigt. »Kennst du einen dieser Unglücklichen?« »Zwei. Zwar nicht persönlich, aber ich habe eine Menge über sie gehört. Dinge, die mich beeindruckt haben. Es sind Kollegen von uns. Geisterjäger wie wir. Carpin und sein Freund Dessi57 �
gnol. Ich wunderte mich schon, daß sich Belois nicht an sie um Hilfe gewandt hat, aber ich glaubte, es wäre wegen Perdule, der davon nichts erfahren soll. Außerdem gilt der Prophet im eigenen Land nicht viel. Ich hatte keine Ahnung, daß die beiden schon seit einem Jahr tot sind.« »Und ausgerechnet durch einen läppischen Verkehrsunfall«, meinte Hanako kopfschüttelnd. Gordon Blacks Züge wurden hart. Er starrte auf die beiden ihm so wohlbekannten Namen und stieß hervor: »Ich glaube nicht, daß dieser Unfall läppisch war. Auch wenn in dem Protokoll Fremdverschulden ausgeschlossen wird, so lasse ich mir nicht ausreden, daß der Bus nur deshalb ausbrannte, weil Carpin und Dessignol darin saßen. Die beiden sollte der Tod treffen. Daß zweiundfünfzig Unbeteiligte ihr Schicksal teilen mußten, kümmert die Schuldigen nicht. Daß ausgerechnet unser Gabert am Leben blieb, war kein Zufall. Hat Belois noch mehr herausgefunden?« »Nur, daß Gabert gleich nach dem Unfall nach Paris kam und das Antiquitätengeschäft eröffnete. Seine beachtlichen Schulden, die er in Loudeac gemacht hatte, zahlte er von einem Tag auf den anderen zurück, obwohl er nicht versichert gewesen sein soll.« Gordon Black zeigte sein grimmigstes Gesicht. »Braucht es noch mehr Beweise? Gabert ist in eine dämonische Schurkerei verwickelt, die vierundfünfzig Menschen das Leben gekostet hat. Dafür wird er von der Unterwelt seinen großzügigen Lohn erhalten haben.« »Das zu beweisen, wird nicht leicht sein«, befürchtete Hanako. Gordon Black ließ sie nicht weiter reden. »Es wird nicht dazu kommen, Gabert oder seinen dämonischen Partner vor ein Gericht zu schleifen«, sagte er zornig. »Sie der gerechten Strafe zuzuführen, ist unsere Sache. Es ist leider schon zu spät, noch in 58 �
die Bretagne zu fahren. Ich würde gern mit einigen Leuten dort über das Busunglück sprechen. Vor allem wäre interessant zu erfahren, woran Carpin und sein Freund zu dem damaligen Zeitpunkt gerade gearbeitet haben. Sie müssen ihrem gespenstischem Widersacher sehr im Weg gewesen sein. Wahrscheinlich fühlte er sich von ihnen bedroht und veranlaßte Gabert, ihm zu helfen. Der einzige Zeuge, der das bestätigen könnte, ist Gabert selbst. An ihn müssen wir uns halten. Nach Loudeac fahren wir dann morgen.« * Sie beobachteten das Haus in der Rue Valet seit Stunden. Inzwischen war es finster geworden. Der günstige Zeitpunkt für das geplante Unternehmen war gekommen. Aber es war etwas eingetreten, das ihr Vorhaben in Frage stellte. Sie hatten erwartet, daß es nach Geschäftsschluß in dem Gebäude ruhig werden würde. Sie wollten ungestört die Räume durchsuchen. Aber es wurde immer lebhafter. Wagen fuhren vor. Menschen verschwanden in dem schmalen Eingang. Da und dort erstrahlten die Fenster. »Er gibt schon wieder eine Party«, flüsterte Hanako enttäuscht. »Gehen wir einfach hinein und versuchen auf diese Weise unser Glück! Lazare kann mich ja nicht wieder aufhalten.« »Gabert wird einen anderen Aufpasser für dich abstellen«, vermutete Gordon Black. »Auf diese Weise hat es keinen Zweck. Wir würden nur wieder einem braven Theater beiwohnen. Vielleicht ist gerade der Partyrummel unsere Chance. Bei dem Lärm wird man auf keine Geräusche achten, die wir eventuell verursachen. Wir sind ungestörter, als wenn das Haus leer wäre.« »Worauf warten wir dann noch?« 59 �
»Ich möchte sehen, wer alles eingeladen wurde. Von dem Gelaß, das ich mir ausgesucht habe, werden wir kaum noch etwas beobachten können.« Sie blieben noch über eine Stunde in ihrer Deckung. Dann machten sie sich ans Werk. »Deine Verehrerin ist auch wieder da«, neckte Hanako den Geisterjäger, während er die zierliche Asiatin zu dem schmalen Fenster hochhob. »Meinst du Blanche?« Gordon Black spürte unwillkürlich das Feuer dieser Frau in seiner Nähe, als würde sie schon wieder neben ihm stehen. Aber da war niemand außer ihnen. »Ich habe sie auch bemerkt. Ich weiß, daß du sie nicht besonders magst. Aber keine Angst! Sie wird mir nicht gefährlich.« Von nun an schwiegen sie und konzentrierten sich voll auf ihre Aufgabe. Das Fenster, vor dem sich Hanako nun befand, war zwar durch einen kräftigen Riegel versperrt, aber ihr Dogu hatte schon ganz andere Schlösser bezwungen. Sie hielt die kleine Figur gegen den Verschluß, und der Riegel drehte sich knirschend. Der Fensterflügel federte ein Stück zurück, und Hanako drückte ihn vollends auf. Die schlanke Frau hatte keine Schwierigkeiten, sich durch die enge Öffnung zu zwängen. Bei Gordon Black wurde das schon problematischer. Er verfügte über beachtliche Schultern, und auch sonst war er zwar sportlich, aber nicht gerade hager zu nennen. Aber auch er schaffte es. Mit einiger Anstrengung zwar und mit Luftanhalten, aber es ging. Aufatmend landete er neben seiner Mitarbeiterin. Von irgendwo sickerte Gelächter durch die Wände. Die beiden hielten den Atem an. Sie dachten dasselbe. In dieser Nacht schienen die Gäste wesentlich ausgelassener zu sein als 60 �
am Vortag. Auch die Musik, die sie deutlich hören konnten, klang wilder. Gordon hatte Hanako in den Stunden vorher eingehend über die zu erwartenden Räumlichkeiten informiert. Sie hatte auch den alten Bauplan studiert, war aber dabei darauf gestoßen, daß der Waschraum gar nicht eingezeichnet war. Das bedeutete, daß auch noch andere Veränderungen vorgenommen worden sein konnten. Veränderungen, die für ihre Mission wichtig waren. Den Raum, an dem ihnen besonders gelegen war, konnten sie nur über den großen Saal erreichen. Dieser Weg war ihnen aber versperrt. Trotzdem ließen sie den Mut nicht sinken. Sie hatten viel Zeit mitgebracht. Sie würden das Ende der Party abwarten und den Raum anschließend einer Kontrolle unterziehen. Einstweilen gab es genug zu tun. Gaberts Privaträume waren bestimmt nicht uninteressant. Dort wollten sie nach Schriftstücken suchen, die ihn verrieten. Sie hegten aber auch die Hoffnung, irgendwo dämonische Strahlungen auszumachen, die den letzten Beweis für ihre Theorie liefern sollten. Hanako berührte Gordon Black leicht am Arm und hauchte: »Fangen wir an? Die Tür zum Gang müßte dort drüben sein.« Es war so dunkel, daß Gordon Black nicht sehen konnte, in welche Richtung sie deutete. Allerdings interessierte er sich ohnehin nicht dafür, denn seine Aufmerksamkeit wurde durch etwas anderes gefesselt. Er sah vor sich ein winziges Aufblitzen. Nur ein scharfes Auge konnte es wahrnehmen. Er zog die Asiatin sanft mit sich und bedeutete ihr, sich absolut ruhig zu verhalten. Sie tasteten sich zu dem Lichtfleck vor und stellten fest, daß an dieser Stelle die Wand aus Holz war. Es roch muffig und nach Mottenkugeln. Offenbar handelte es sich um einen Wandschrank, der von beiden Seiten zugänglich war. 61 �
Gordon Black hätte am liebsten einen Jubelruf ausgestoßen, aber er unterdrückte ihn und bemühte sich, die Türen geräuschlos zu öffnen. Ganz glückte ihm das nicht, aber auf der anderen Seite hielt der ausgelassene Lärm unvermindert an. Man war also anscheinend nicht auf sie aufmerksam geworden. Endlich standen beide Türen offen, und nun fiel das Licht ungehindert durch einen schmalen, aber sechs Fuß hohen Spalt. Ohne Zweifel handelte es sich um den Zwischenraum zwischen den saalseitigen Türen des Schrankes. Auch der Lärm wurde nun deutlicher. Die beiden Lauscher vermochten sogar vereinzelte Worte zu verstehen. Hanako kauerte sich nieder und preßte ihr Auge gegen die Ritze. Gordon Black tat über ihr das gleiche. Sie hatten einen ausgezeichneten Blick auf einen Sektor des Saals. Sie konnten die gegenüberliegende Tür sehen, die offenstand, und sie sahen ein Gewimmel heiterer Menschen, in deren Mitte François Gabert sein unsichtbares Szepter schwang. Das Podium mit den Musikern und die Tür zum Nebenraum hatten sie dagegen nicht im Blickfeld. Die Musik hämmerte monoton und schrill immer die gleiche Melodie. Die Deckenleuchter warfen grelles Licht über die Anwesenden, die ausnahmslos tanzten. Dabei hatten sich keine Paare gebildet, es war ein einziger gemeinsamer Reigen, und Gabert stand in der Mitte des Kreises und hob wie beschwörend die Arme. Etwas Diabolisches ging von ihm aus. Das war nicht mehr derselbe höfliche, vornehme Mann vom Vorabend. Er peitschte seine Gäste zur Ekstase, und sie folgten ihm alle willig. Blanche war nirgends zu entdecken. Wahrscheinlich tanzte sie in einer der Ecken, die sie nicht einsehen konnten. Ein seriös wirkender Mann im dunklen Anzug löste sich aus 62 �
der Kette der Tanzenden. Er mochte knapp fünfzig sein und machte den Eindruck eines gutsituierten Geschäftsmannes. Er sprang in die Mitte des Saales und stand nun unmittelbar neben François Gabert, der ihm mit teuflischem Grinsen seinen Platz zur Verfügung stellte. Die Menge seufzte auf. Bei vielen fiel der entrückte Gesichtsausdruck auf. Sie bewegten sich wie in Trance. Der Mann spreizte die Hände und duckte sich wie ein Raubtier. Sein Blick war starr. Die großen Augen ähnelten Glaskugeln. In ihnen spiegelten sich die Leuchter und warfen hysterische Reflexe. Der Unbekannte sprang in die Höhe und wirbelte im Kreis herum. Dabei schrie er verzückt auf und klatschte immer wieder in die Hände. Seine Füße stampften den Takt der Melodie, die den Saal erfüllte. Das Dröhnen übertrug sich bis zu den beiden Lauschern im Wandschrank. Sie fürchteten, daß die beiden Türen aufspringen und sie den Blicken aller preisgeben würden. Der Mann geriet immer mehr in Ekstase. Er sah dem seriösen Menschen kaum noch ähnlich, sondern erinnerte eher an einen ungebärdigen Teufel, der die Leute erschrecken wollte. Aber keiner der Anwesenden erschrak. Sie jauchzten begeistert und klatschten den Takt mit. Vereinzelte Zurufe feuerten den Tänzer in der Mitte immer mehr an. Seine Augen rollten. Sie suchten ein Opfer. Mit lustvollem Aufschrei stürzte er sich vor und riß eine vollbusige Schöne aus der Kette. Die Frau wehrte sich nicht. Sie jubelte und fiel ihm um den Hals. Er küßte sie wild und hemmungslos. Dann schleuderte er sie an ihren Platz zurück. Schon hielt er nach einem Ersatz Ausschau. Es war ein Mädchen mit schwarzen Haaren und Feuer in den Augen. Er zerrte es zu sich, und unter dem Gejohle der Menge zerriß er ihm das 63 �
Kleid bis zur Taille. Er griff mit beiden Händen zu, und das Mädchen stöhnte lustvoll auf. Doch es mußte schon Sekunden später einer Rivalin weichen. Der Mann war in seiner Wildheit unersättlich. Er griff sich eine Frau reiferen Alters, und auch sie wurde unter seinen Händen und Blicken jung und leidenschaftlich. Plötzlich ließ ein Donnerschlag den Saal erbeben. Die Lichter verfinsterten sich. Der Mann stürzte wie vom Blitz gefällt zu Boden und blieb bewegungslos liegen. »Er ist tot«, flüsterte Hanako betroffen. Mit diesem Ende hatte sie nicht gerechnet. »Ich glaube, daß er nur in eine tiefe Bewußtlosigkeit gefallen ist«, antwortete Gordon Black genauso leise. »Das ist der Zustand, in dem die Menschen manipuliert werden können.« Aber er sollte sich irren. Niemand kümmerte sich mehr um den schlafenden, bewußtlosen oder gar toten Mann. Die Aufmerksamkeit aller wandte sich einem neuen Objekt zu. Durch die offene Tür trat eine Frau, die in ein großes Badetuch gehüllt war. Das mußte auffallen, da alle übrigen in kleiner Abendgarderobe zu der Party erschienen waren. Die Frau war gertenschlank und bildhübsch. Das Augenfälligste aber waren ihre langen, roten Haare, die ihr über den Rücken fielen. »Blanche!« Gordon Black erschrak. Hatte er vor Überraschung diesen Namen zu laut gerufen? Niemand wandte den Kopf. Alle starrten die Frau an und ließen sie in den Kreis treten. François Gabart verneigte sich vor ihr, doch es wirkte wie blanker Hohn. So verneigten sich früher Hofnarren vor ihrem König, den sie mit beißendem Spott verhöhnten. Die Musik wechselte ihren Rhythmus. Sie intonierte jetzt eine wiegende, einschläfernde Weise mit eigenartigen, fremdländischen Instrumenten. 64 �
Blanche reckte einen Fuß vor und begann zu tanzen. Erst zaghaft und scheu, doch schon bald selbstbewußter und kühner. Sie drehte sich und preßte das Badetuch an ihren geschmeidigen Körper. Die Menge jubelte. Sicher hofften alle Männer, von ihr erwählt zu werden. Sie war eine hinreißende Frau, auch wenn ihr Blick etwas Besessenes, Grausames hatte. Gordon Black und Hanako Kamara ahnten, wie es weitergehen würde. Auch ihr Tanz würde immer wilder, immer zügelloser werden, auch sie würde ihre Gunst verschenken und danach vor Erschöpfung zusammenbrechen. Doch es kam anders. Blanche führte einen wahren Hexentanz auf. Von Zeit zu Zeit lachte sie grell und bog ihren Oberkörper weit zurück. Dann grätschte sie wieder quer durch den Saal und ließ ihre flammende Haarpracht lodern. Die Musik wurde atemloser, aber Blanches Kräfte ermüdeten nicht. Sie wirbelte in einem höllischen Kreisel um ihre eigene Achse. Aufstöhnend breitete sie die Arme aus und das Badetuch glitt zu Boden. Sie war darunter völlig nackt. Gordon Black spürte plötzlich eine Gefahr. Diese Frau war die personifizierte Versuchung. So, wie sie sich den Blicken darbot, war sie die reine Sünde. Hanako räusperte sich leise. Gordon legte eine Hand auf ihre Schulter zum Zeichen, daß sie sich um ihn keine Sorgen zu machen brauchte. Aber ganz sicher war er sich da nicht. Er mußte seinen ganzen Willen aufbieten, um nicht in den Saal zu stürzen und die verführerische Frau in seine Arme zu reißen. Das war neu für ihn. Zwar wußte er den Anblick einer schönen Frau zu schätzen, aber er behielt dabei immer seinen klaren Verstand. Jetzt merkte er, wie ihn dieser Verstand allmählich im Stich ließ. Blanche bot sich den Augen aller in ihrer offenherzigen Nackt65 �
heit, aber keiner der Männer wagte den Schritt auf sie zu. Nur einer! Hanako und Gordon hatten ihn vorher nicht bemerkt. Er mußte sich erst jetzt unter die Anwesenden gemischt haben. Er wandte ihnen den Rücken zu. So sahen sie nur, daß er kerzengerade auf die rothaarige Frau zuschritt. Er war sehr hager, fast dürr. Sein Gang wirkte staksig. Er trug einen schwarzen Anzug und auf dem Kopf einen Homburg. Schlagartig gefror die Musik. Leichenstille breitete sich aus. Die Menge verstummte. Sogar François Gabert verhielt sich abwartend. Blanche blickte dem Mann entgegen. In ihren Augen flackerte keine Leidenschaft mehr. Aber sie bückte sich auch nicht nach dem Tuch, um ihre Blöße zu bedecken. Sie stand still und wartete ab, was mit ihr geschehen sollte. Angst war in ihrem Gesicht nicht zu lesen. Der Fremde hatte sie nun erreicht. Er hob seine Arme und fing die Frau auf, die im selben Moment zusammenbrach. Er wandte sich halb um, und nun erschraken die beiden Versteckten in ihrem Wandschrank. Unter dem Homburg grinste das Pferdegebiß eines Totenschädels! * Hanako griff entschlossen nach ihrem Dogu und wollte sich auf den Gespenstischen stürzen. Gordon Black hielt sie energisch zurück. »Nicht jetzt«, sagte er tonlos. »Es könnte sie töten. Außerdem befinden sich alle Anwesenden im Banne dieses Knochenmannes. Wir hätten sie ausnahmslos gegen uns.« »Aber wir können doch nicht zulassen, daß er sie mit sich nimmt«, jammerte die Asiatin hilflos. 66 �
»Er wird sie nicht töten«, versicherte der Geisterjäger, in dessen Gehirn es gewaltig arbeitete. »Wir müssen abwarten, was weiter geschieht.« Der Unheimliche hatte tatsächlich einen Totenkopf mit großen, gähnendleeren Augenhöhlen. Auch seine Hände, mit denen er den nackten Körper der Frau hielt, waren die eines Skeletts. Er preßte die Rothaarige an sich, und sie unternahm keinen Versuch, sich aus diesem Griff zu befreien. Mit wenigen ungelenken Schritten durchmaß er den Saal und verschwand dort, wo Gordon Black die Tür zum Nebenraum wußte. In diesem Raum hatte sich auch Lazare für kurze Zeit aufgehalten. Zusammen mit dem Knochenmann? Wenn diese Annahme stimmte, dann bestand die Gefahr, daß diesmal Blanche manipuliert werden sollte. Sie würde schon bald ein Verbrechen begehen, um Gabert neue Schätze zuzuführen. Hinterher würde sie sich an ihre Tat nicht erinnern. Sie würde leugnen, gewalttätig reagieren oder sich verzweifelt das Leben nehmen. Das mußte verhindert werden. Aber wie? Durch den Saal konnten sie keinesfalls gehen. Gabert, der mit Sicherheit ein Magier war, würde sie zumindest lange genug aufhalten, bis der Knochendämon sein teuflisches Werk vollendet hatte. Auch würde der Unheimliche gewarnt werden und sich vielleicht doch seines Opfers gewaltsam entledigen. Ein leises Seufzen war zu hören. »In mir kocht es auch«, erklärte Gordon Black. »Aber da hilft alles Seufzen nichts. Wir müssen uns etwas einfallen lassen.« »Ich habe nicht geseufzt«, entgegnete Hanako. »Das kam von nebenan. Ich fürchte, es war Blanche.« Gordon Black fuhr hoch. »Hilf mir suchen!« rief er. »Wenn die Stimme so deutlich zu hören ist, muß hier irgendwo eine Verbindung bestehen.« 67 �
Hanako war Feuer und Flamme. Sie tastete mit den Fingern die Wand ab, die in Frage kam. Gemeinsam rückten sie Möbelstücke beiseite und klopften behutsam gegen die Mauer. »Hier bewegt sich etwas«, sagte Hanako aufgeregt. Gordon Black eilte zu ihr und untersuchte die bezeichnete Stelle. Sie gab dem Händedruck nicht nach. Deshalb versuchte er es mit Magie. Er sprach eine Formel mit dem Wortlaut: »Über die Brücke trage mich, über die Zeit versetze mich, über das Böse erhebe mich!« Der Stein, auf dem seine Hand ruhte, geriet in Bewegung und polterte auf der anderen Seite zu Boden. Er löste eine Lawine aus. Die ganze Trennwand stürzte krachend ein und gab den Weg zu dem rätselhaften Raum frei. Allerdings verursachte sie dabei einen Höllenlärm, der Tote hätte erwecken können. »Verdammt!« fauchte der Geisterjäger unzufrieden. Der benachbarte Raum lag in absolutem Dunkel. Hanako eilte zu dem Wandschrank zurück und stellte fest: »Drüben ist alles finster und ruhig. Die Party ist vorüber.« Gordon Black schaltete eine kleine Taschenlampe an. Er sah sich einem ganz in schwarz gehaltenen Raum gegenüber, in dem es vor dämonischer Strahlung nur so knisterte. Fußboden, Decke und Wände waren schwarz. In der Mitte stand ein Tisch, der mit einem schwarzen Tuch bedeckt war. An einer Wand erkannte er eine pechschwarze Liege, die sich kaum von ihrer Umgebung abhob. Ein paar schwarze Gerätschaften waren im Raum verteilt. Das war alles. Von Blanche und dem Kerl mit dem Totenschädel war keine Spur zu entdecken. Gordon und Hanako sahen sich ratlos an. »Sie können nur in den Saal zurückgegangen sein«, vermutete der Geisterjäger. Da alles schwarz war, war es gar nicht so einfach, die Tür zu entdecken. Als er sie endlich gefunden hatte und öffnen wollte, 68 �
um nebenan die Suche nach den Verschwundenen fortzusetzen, wurde sie von außen aufgerissen, und in dem erleuchteten Viereck stand zornbebend François Gabert. * »Ich habe es geahnt«, krächzte er. »Ihr Verruchten habt meine Gastfreundschaft mißbraucht und euch unberechtigt in mein Haus geschlichen. Das müßt ihr mir büßen.« Er riß die Arme vor, und gegen Gordon Black prallte eine Welle dämonischer Kraft, die ihn in den schwarzen Raum zurückschleuderte. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr, daß sie einen Magier vor sich hatten. Einen Magier, der sich dem Bösen verschrieben hatte, zu seinem Nutzen und zum Verderben seiner Opfer. Gordon Black hatte mit keinem Angriff gerechnet. Deshalb wurde er halbwegs überrumpelt und brauchte Sekunden, um sich von dem magischen Schlag zu erholen. Inzwischen warf sich Gabert der Asiatin mit dem gleichen unversöhnlichen Haß entgegen. »Ich habe euch von Anfang an durchschaut«, kreischte er. »Ihr wollt mir schaden, aber das gelingt euch nicht. Ich bin mächtiger als ihr. Meine Helfer sind überall.« »Üble Helfer hast du dir ausgesucht, Gabert«, erwiderte Hanako. Auch sie war eine Magierin, aber eine Magierin der weißen Mächte. Sie warf dem Feind ihre ganze geistige Kraft entgegen, und es mußte sich zeigen, wer stärker war. Gordon konnte in diesem Moment nicht eingreifen. Er hätte Hanakos Kraftfeld zerstört und ihr damit einen schlechten Dienst erwiesen. Aber er war bereit, seine Waffen zu benutzen, sobald dies erforderlich wurde. Ihm war klar, daß sich auch der Knochenmann noch in der 69 �
Nähe befand, und diesen schätzte er in seiner Gefährlichkeit höher ein als den Antiquitätenhändler, der seine Kraft nur einem schlimmen Handel verdankte. Der Kerl mit dem Totenkopf aber war das Böse selbst. Er entstammte fraglos einer der Welten, in denen das Unheil zusammengebraut wurde. Er mußte aufpassen, daß ihnen dieser Dämon nicht in den Rücken fiel, während sie von Gabert beschäftigt wurden. Noch fiel zwischen dem Mann mit der Brille und der zierlichen Asiatin mit den Mandelaugen keine Entscheidung. Beide setzten alle ihre Mittel ein, und keinem gelang es, die Oberhand zu gewinnen. Gordon Black versuchte, den Gegner abzulenken. »Du fühlst dich stark, Gabert«, spottete er. »Aber in Wirklichkeit bist auch du nur ein Werkzeug. Du bist so gefährlich wie ein Hammer ohne Faust. Wer ist deine Faust, Gabert? Dieser jämmerliche Knochendämon? Hast du mit ihm den verhängnisvollen Pakt geschlossen? Damals im Bus?« François Gabert wirbelte entgeistert herum. Hanakos Kraftwellen schleuderten ihn augenblicklich gegen den Geisterjäger, und dieser hielt ihn unerbittlich fest. »Jetzt wirst du uns Rede und Antwort stehen, Gabert!« befahl der Dämonenjäger. »Wo ist Blanche? Was geschieht mit ihr?« Der Antiquitätenhändler stieß eine Verwünschung aus. Er versuchte, sich gegen den weißmagischen Kraftwellenansturm zu behaupten, aber er war zwischen die beiden Geisterjäger geraten und hatte gegen sie gemeinsam keine Chance. »Er wird euch töten«, keuchte er. »Ihr müßt mir diesen Frevel büßen.« »Wo ist sie?« drängte Gordon Black ungeduldig. »Oder soll ich dich erst ein bißchen kitzeln, daß du kapierst, wie ernst es uns ist?« Er löste eine Hand von dem Jackett des Magiers und tastete mit ihr unter sein Hemd, wo er zunächst nur ein silbernes Kreuz 70 �
hervorholen wollte. Gabert erschrak. Er hatte keine Ahnung, welche Waffe der Geisterjäger gegen ihn einzusetzen gedachte. Er riß sich los und brachte sich mit einem verzweifelten Sprung hinter Gordon Black, der damit Hanako Kamara verdeckte und ihr die Möglichkeit nahm einzugreifen. Der Antiquitätenhändler lachte triumphierend auf. Er spreizte seine Finger, und plötzlich lag eine monströse Axt in seinen Fäusten. Ihr stählernes Blatt wies dunkle Flecken auf, die bestimmt nicht von vergossenem Wein verursacht worden waren. Bläuliche Flämmchen knisterten auf der Schneide, und als Gabert den ersten Hieb gegen seinen Widersacher führte, spürte dieser die höllische Hitze, die die Waffe verströmte und ihm fast die Haut verbrannte, obwohl sie ihn verfehlte. Gordon Black wich geschickt aus und rammte dem anderen seine Fäuste in den Körper. Er konnte gewaltig zuschlagen, aber Gabert konnte noch mehr einstecken. Durch dämonische Kräfte gestärkt, wies er einen großen Teil menschlicher Schwächen nicht mehr auf. Sein Pakt mit dem Knochendämon, dem er in jener grausigen Nacht seine Opfer zugespielt hatte, hatte ihn nur schwer angreifbar gemacht. Hanako hielt wieder ihre Holzringe in den Händen. Sie hoffte, den Magier damit schwächen zu können, daß dieser für die Schläge wieder empfänglich wurde. Doch Gabert trotzte ihr und der japanischen Magie. Er bedurfte stärkerer Mittel. Immer wieder schwang er die Höllenaxt, und immer wieder mußte Gordon Black seine ganze Geschicklichkeit aufbieten, dem gräßlichen Tod zu entrinnen. Der Dämonenjäger sprach in großer Hast die erste Anrufung Adonays, aber darüber lachte der andere nur. Mit Sprüchen war er nicht zu besiegen. Sein Partner hatte ihn mit zu großer Macht 71 �
ausgestattet. An diesen Partner dachte Gordon Black. Er fürchtete, daß Blanche nicht mehr zu retten war, wenn er sich durch Gabert zu lange aufhalten ließ. Er mußte ein schnelles Ende herbeiführen, ohne den Mann zu töten, denn nur der Antiquitätenhändler wußte, wo er die Frau finden konnte. Während er erneut einem Axthieb auswich, nestelte er das silberne Kruzifix von seinem Hals und hielt es Gabert entgegen. Dieser knurrte wie ein gereizter Hund und fletschte auch die Zähne. Er versuchte, den Arm, der das Kreuz hielt, zu zerschmettern, was ihm aber nicht auf Anhieb gelang. »Du bist des Teufels, Gabert«, schrie Gordon Black. Der andere wich geringfügig zurück, jedoch nur, um besser ausholen zu können. Pfeifend sauste die Axt herab und grub sich in die Dielenbretter des Fußbodens. Blitzschnell war Gordon Black heran und stieß das Kruzifix gegen das Mordinstrument. Gabert schrie auf und ließ die Axt los, als hätte ihn eine Schlange gebissen. Er sprang in den großen Saal zurück, der längst leer war. Keiner der Gäste oder der Musiker war mehr zu sehen. »Ja«, brüllte er höhnisch. »Ich habe mich mit einem Mächtigen verbündet, weil ich es leid war, mich immer nur zu ducken und den anderen die Geldbeutel zu füllen. Ich wollte auch einmal Herr sein, und das habe ich geschafft.« »Mit Hilfe des Knochendämons.« »Es gibt schlechtere Partner, Black. Vor allem Partner, die weniger mächtig sind. Für einen Gefallen hat er mir sämtliche Wünsche erfüllt, und nun lasse ich andere für mich arbeiten. Aber das hast du ja inzwischen herausgefunden.« »Stimmt, Gabert, und dafür wirst du deine gerechte Strafe bekommen. Wo ist Blanche?« Der, Antiquitätenhändler lachte gehässig. »Du findest sie nie. 72 �
Sie ist bei Horos und wird mich noch reicher und mächtiger machen.« Gordon Black merkte, daß Gabert die Absicht hatte, dem Kampf auszuweichen. Er fühlte sich offensichtlich nicht stark genug ohne seinen Dämon. Er hetzte hinterher, aber Gabert hatte bereits die andere Tür erreicht. Der Händler jubelte, weil seine Flucht ihm gewiß war. »Ich liebe das Geld«, hechelte er, »und inzwischen habe ich gelernt, die Macht zu lieben. Und das Böse, denn durch das Böse erhält man beides: Geld und Macht. Deshalb bin ich froh, damals dem tölpelhaften Busfahrer die Augen zugehalten zu haben, daß er gegen die Bäume fahren mußte. Oh, wie es herrlich krachte und brannte. Wie die Narren schrien und wimmerten. Aber sie hatten keine Chance. Sie mußten alle sterben, und ich wurde dafür belohnt.« Wieder lachte er gemein und wandte sich zur Flucht. Ein einwandfreieres Geständnis konnte es nicht geben, und Gabert hatte sich zweifellos nur deshalb entlarvt, weil er sich absolut sicher fühlen durfte. Er eilte durch die Tür, ohne sie hinter sich zuzuwerfen, und rannte weiter. Gordon Black war knapp hinter ihm. Hinter sich hörte er die leichtfüßige Halbjapanerin. Als er die Tür mit großen Schritten passieren wollte, prallte er gegen einen unsichtbaren Wall dämonischer Kraft. Gabert hatte ihn aufgebaut, um seine Verfolger aufzuhalten, was ihm auch gelang. Hanako prallte zwangsläufig gegen den Geisterjäger. Sie stürzten beide übereinander, und Gordon Black verlor sogar das silberne Kreuz. Ihm war nach Fluchen zumute, aber er unterließ es, weil dadurch nichts geändert werden konnte. Gabert verfügte über Mit73 �
tel, die sie ihm nicht zugetraut hatten. So leicht gab sich der Teufelspächter nicht geschlagen. Der Dämonenjäger war als erster auf den Beinen und half Hanako in die Höhe. Während er das Kruzifix aufhob, sprengte die Asiatin mit dem Dogu den dämonischen Wall und öffnete dadurch die Tür. Gabert war verschwunden, und es waren auch keine Schritte mehr zu hören. »Er hat es geschafft«, stieß Gordon Black voller Zorn hervor. »Ich hätte ihn bannen müssen, aber ich ahnte nicht, daß sein höllischer Partner soviel Macht auf ihn übertragen hat. Er bedient sich nicht nur des Knochendämons und seiner Opfer, er stellt auch selbst eine Gefahr dar.« »Wichtiger als Gabert ist momentan auch Blanche«, erinnerte Hanako. »Sie schwebt in großer Gefahr. Zweifellos wurde sie von dem Knochenmann mit dem Totenschädel in dämonische Abhängigkeit gebracht. Irgendwo in Paris wird sie in dieser Nacht ein Verbrechen ausführen, und wir können es nicht verhindern, weil wir nicht wissen, wo wir sie suchen sollen.« »Vielleicht doch«, fauchte Gordon Black wütend. Hanako sah ihn verdutzt an. Was machte ihn so sicher? Gabert hatte ihren Aufenthaltsort nicht verraten. Sie würden ihn erst morgen früh durch die Zeitungen oder durch Kommissar Belois erfahren. Der Geisterjäger zog die zierliche Frau hinter sich her, und sie verließen das gespenstische Haus, in dem ein Magier sein Unwesen trieb. »Wohin gehen wir?« wollte Hanako ungeduldig wissen. »Blanche ist bei Horos«, antwortete Gordon Black. »Das hat Gabert jedenfalls behauptet, und diesmal glaube ich ihm.« »Horos war der Sohn von Isis und Osiris«, wußte die Asiatin. »Ich sehe keinen Zusammenhang mit Gabert und seinem knö74 �
chernen Helfer.« »Aber einen Zusammenhang mit seiner Habgier. Im Louvre befindet sich eine Statue des Horos, die einen beträchtlichen Wert verkörpert. Ich fürchte, daß Blanche diese Figur für den Antiquitätenhändler beschaffen soll.« »Ein Diebstahl im Louvre? Aber das ist ganz und gar unmöglich. Niemals kann Blanche die zahlreichen Sicherheitsvorkehrungen ausschalten. Man wird sie entdecken, bevor sie noch den richtigen Raum erreicht hat.« Gordon Black teilte ihre Sorge und mahnte zur Eile. Sie nahmen ein Taxi und nannten ihr Ziel. Der Fahrer sah sie verwundert an. Vermutlich hatte er noch nicht oft Fahrgäste mitten in der Nacht zu diesem berühmten Museum fahren müssen. Der Geisterjäger trieb den Mann zu größter Eile an und flüsterte Hanako zu: »Blanche verfügt momentan wahrscheinlich über außerordentliche Fähigkeiten. Es ist denkbar, daß elektronische Alarmanlagen ihr nichts anhaben können. Falls sie aber entdeckt wird, und sie leistet Widerstand, wird man auf sie schießen. Das müssen wir verhindern.« * Die rothaarige Frau war nicht mehr nackt. Sie trug inzwischen ein helles Kostüm und hochhackige Schuhe. Ihr Blick war starr. Ohne auch nur ein einziges Mal den Kopf zu wenden, eilte sie an den Kunstwerken Botticellis vorbei. Sie schenkte dem sagenhaften Silberschatz von Boscoreale nicht die geringste Aufmerksamkeit und ließ die Gemälde der französischen Meister des 17. Jahrhunderts unbeachtet. Durch die Salle Clarac gelangte sie zu der Abteilung der ägyptischen Altertümer, die ihr eigentliches Ziel war. 75 �
Niemand hatte sie bisher aufgehalten, aber man war auf sie aufmerksam geworden. Zwei Museumswärter eilten zum südlichen Trakt des Cour Carree. Ein dritter telefonierte mit der Polizei. Sie wunderten sich, daß bisher kein Alarm ausgelöst worden war. Wie war der Eindringling hereingekommen? Hatte er sich einschließen lassen? Blanche ahnte nicht, daß sie den Angestellten des Louvre Rätsel aufgab. Sie steuerte auf die Konsole zu, auf der die kleine Statue mit dem Falkenkopf unter einer gläsernen Haube stand. Tagsüber wurde sie angestrahlt. Jetzt gab es keine Lichteffekte. Lediglich die Notbeleuchtungen brannten. Die rothaarige Frau verharrte sekundenlang vor der Figur, die vor annähernd zweieinhalb Jahrtausenden entstanden war. Ihrem matten Blick war nicht anzusehen, ob sie von der faszinierenden Schönheit begeistert war. Sie hob die Hand und kümmerte sich nicht um den Lärm, der in einem der benachbarten Säle zu hören war. Stimmen kamen näher. Vor dem Museum fuhren Polizeiwagen vor. Wenig später auch ein Taxi. Blanche ließ die zarte Hand heruntersausen. Die Glasglocke zersplitterte. Ein schriller Sirenenton schrie auf und heulte durch den Louvre, in dem für gewöhnlich jeder laute Ton verpönt war. Die Museumswächter beeilten sich. Ihr furchtbarer Verdacht bestätigte sich. Da versuchte tatsächlich jemand, das ehrwürdige Museum zu bestehlen. Blanche streckte ihre Hand, die von den Splittern geringfügig verletzt war, aus und wollte die Statue von ihrem kleinen Sockel nehmen. »Halt!« schrie eine Männerstimme hinter ihr. Sie federte herum. Ihr Blick war zwar noch immer abwesend, aber nicht mehr matt. In den Augen glomm ein schreckliches 76 �
Feuer. Sie duckte sich wie eine Raubkatze, die sich im nächsten Augenblick auf ihr hilfloses Opfer stürzen wollte. Hilflos waren die Wächter nicht. Sie wußten die Polizei in der Nähe. Die würde mit dem frechen Eindringling, der sich zu ihrem Erstaunen als Frau herausgestellt hatte, spielend fertig werden. »Bleiben Sie stehen!« befahl einer, denn er vermutete, daß die schöne Rothaarige versuchen würde zu fliehen. Davon hielt aber Blanche ganz und gar nichts. Sie fauchte giftig und schleuderte auf die Männer so haßerfüllte Blicke, daß diese erschrocken zurückprallten. »Hast du das gesehen, Marcel?« raunte der eine. »Sie hat einen Blick wie ’ne Hexe.« »Hexen gibt es nicht«, widersprach Marcel. Trotzdem schlug er vorsichtshalber das Kreuz. Blanche fauchte erneut, zog sich aber etwas zurück. Noch immer konnte sie die Statue des Horos erreichen. Sie brauchte nur zuzulangen. Inzwischen war die Polizei heran. Als Blanche die Uniformierten sah, schrie sie wütend auf. Sie griff in die Tasche ihres Kostüms und riß eine Pistole heraus. Die Polizisten gingen in Deckung und zogen ebenfalls ihre Waffen. »Nicht schießen!« wimmerte einer der Wächter. Er dachte an die unreparablen Schäden, die die Geschosse an den Kunstwerken verursachen konnten. So eine Verrückte mußte doch auch auf andere Weise zu überwinden sein. Die hatte doch keine Chance. Blanche war anderer Ansicht. Sie gab einen ersten Schuß ab. Ein Polizist konnte sich gerade noch hinter einen Marmorsockel werfen. Danach feuerte sie Schuß auf Schuß ab. Zehnmal, zwanzigmal. 77 �
Sie brauchte nicht nachzuladen. Allein diese Tatsache erschreckte die Männer. »Das geht nicht mit rechten Dingen zu«, flüsterte Marcel voller Grauen. Blanche beherrschte den Saal mit ihren Kugeln. Niemand wagte sich vor. Sie lachte kreischend und griff nach der Figur des Falkenköpfigen. Doch plötzlich versteifte sich ihr schlanker Körper. Sie wirbelte herum und schoß in derselben Sekunde. Gordon Black, der sich von der anderen Seite angeschlichen hatte, um Blanche zu überlisten und Blutvergießen zu verhindern, spürte, wie die Kugel an seinem Ärmel zupfte. Er wußte, daß jedes Zögern seinen Tod bedeutete. Er hielt den silbernen Anhänger der magischen Göttin Aradia in der Hand. Ihn reckte er der Rasenden entgegen, die sich wie ein Wurm krümmte und aufheulte. Sofort erkannten die Polizisten ihre Chance. Sie kamen aus ihren Deckungen hervor und eröffneten das Feuer. »Seid ihr verrückt geworden?« brüllte der Geisterjäger und warf sich vor die rothaarige Frau, der er die Pistole aus der Hand schlug. Das gelang ihm nur, weil in seiner Faust noch immer Aradia steckte, deren Kraft die der dämonischen Waffe überstieg. Blanche riß ihn an den Haaren und fuhr ihm mit ihren langen Fingernägeln ins Gesicht. Daß er sie vor den Kugeln der Polizei geschützt hatte, erkannte sie offensichtlich nicht an. In ihr war Haß gegen jeden, der sie aufhalten und an der befohlenen Tat hindern wollte. Die Polizisten stellten das Feuer ein, da ihnen nicht klar war, zu welcher Seite der Dämonenjäger gehörte. Das nützte Blanche aus. Sie versetzte Gordon Black einen ge78 �
waltigen Stoß, der ihn quer durch den Saal fegte, an zahlreichen Altertümern vorbei. Der Geisterjäger war sofort wieder auf den Beinen, aber inzwischen hatte sich bei den Polizisten die Überzeugung durchgesetzt, daß der Fremde gegen sie arbeitete. Also mußte er zu der Räuberin gehören. Zu sechst fielen sie über ihn her, und obwohl Gordon Black noch zwei der Angreifer abwehrte, spürte er im nächsten Augenblick eine stählerne Fessel um seine Handgelenke. Blanche aber packte die ägyptische Statue und eilte hohnlachend davon. * Gordon Black war voller Wut. Er wußte zwar, daß sich Hanako Kamara an Blanches Fersen heften würde, aber er fürchtete, daß es der Besessenen nicht schwerfiel, ihre Verfolgerin abzuschütteln. Er selbst war zur Untätigkeit verdammt. Man hatte ihn in eine Zelle gesteckt, und es würde wertvolle Zeit vergehen, ehe Kommissar Belois ihn hier wieder herausholte. Die übereifrigen Beamten hatten einen kapitalen Bock geschossen und ahnten es nicht einmal. Noch wütender als der Geisterjäger gebärdete sich allerdings Perdule. Der Vorgesetzte von Belois tobte wie ein Taifun und schrie den Kommissar an. Schließlich war der Louvre so etwas wie das Heiligtum von Paris, wenn nicht gar von ganz Frankreich. Wenn jemand sich erdreistete, sich an dessen Schätzen zu vergreifen, dann kam das dem Frevel gleich, der bei der Erbeutung der britischen Kronjuwelen begangen wurde. »Ich habe mir sagen lassen, Belois«, brüllte er, »daß dieser 79 �
Black schon ein paarmal versucht hat, sich in unsere Kompetenzen zu mischen. Angeblich sollen Sie selbst sogar mit ihm gesprochen haben. Verraten Sie mir gefälligst, was ich davon halten soll!« Belois wurde immer kleiner. Er konnte unmöglich zugeben, selbst den Geisterjäger um Hilfe gebeten zu haben. Dann konnte er gleich seinen Hut nehmen. In diesen Dingen verstand Perdule keinen Spaß. Geister und Dämonen existierten für ihn nicht. Es gab nichts, womit die Pariser Polizei nicht allein zurechtkam. »Mister Black ist Anwalt«, sagte er deshalb nur. »Als solcher hat er das Recht, mit seinen Mandanten…« Perdule ließ ihn nicht ausreden. Nach den Informationen, die er erhalten hatte, war es allein diesem Amerikaner zuzuschreiben, daß die Museumsräuberin mit ihrer Beute entkommen war. Dabei hätte man sie nur zu erschießen brauchen. Die beteiligten Beamten hatten wohlweislich ihre eigene klägliche Rolle verschwiegen und nicht zugegeben, daß der Fremde sich ohne Waffe an die unaufhörlich Schießende gewagt hatte. »Und Sie haben nicht nur das Recht, sondern die verdammte Pflicht, endlich etwas für Ihr Gehalt zu tun«, schrie Perdule. »Die Statue muß selbstverständlich wieder her. Wie Sie das machen, ist mir egal. Ich gebe Ihnen genau drei Tage. Danach sprechen wir über Ihre Zukunft. Haben Sie das kapiert, Belois?« Und ob er das kapiert hatte. Die Drohung hätte nicht deutlicher sein können. Wie sollte er die Statue wieder heranschaffen? Seine Männer wußten schließlich nicht, wohin die Diebin verschwunden war. Gordon Black hatte etwas von einem Antiquitätenhändler gesagt, der vermutlich die Beute einstrich. Gabert hieß er und hatte sein Geschäft in der Rue Valet. Belois konnte den Gedanken des Geisterjägers zwar nicht folgen, denn Gabert war noch nie mit dem Gesetz in Konflikt gera80 �
ten, aber in seiner momentanen Lage mußte er jeder Spur nachgehen. Er würde diesen Mann selbst aufsuchen. Gordon Black konnte er leider nicht aus seiner Zelle erlösen, ohne sich selbst zu schaden. Das mußte der New Yorker einsehen. Im Grunde war es ja auch egal, wer Gabert aufs Dach stieg. Der Kommissar mußte sich noch einige Schmähungen anhören, dann schlich er aus Perdules Büro und war fest entschlossen, seinen Posten zu behalten. Wenn Gabert wirklich etwas mit den rätselhaften Verbrechen der letzten Zeit zu tun hatte, dann würde er ihm schon die Zunge lösen. * Der erste persönliche Eindruck, den Belois von dem Antiquitätenhändler erhielt, war durchaus positiv. Gabert zeigte sich ungewöhnlich entgegenkommend und war nicht verärgert, als Belois ihm einen Hausdurchsuchungsbefehl unter die dicken Augengläser hielt. »Sie tun ja nur Ihre Pflicht, Kommissar«, sagte er schleimig. »Die Aufmerksamkeit der Polizei ist schließlich auch zu meinem eigenen Vorteil. Unsereins muß sich nicht nur vor Fälschungen, sondern ganz besonders auch vor Diebesgut schützen.« Belois wunderte sich, daß Gordon Black diesen hilfsbereiten Mann für einen Halunken hatte halten können. Er zeigte Gabert verschiedene Fotos, auf denen nicht nur die Statue des Horos, sondern auch ein Perlencollier und diverse Schmuckstücke, die aus dem Einbruch bei dem Juwelier Montgarder stammten, abgebildet waren. »Wurde Ihnen in den letzten Tagen etwas von diesen Stücken zum Kauf angeboten?« erkundigte er sich. Gabert prüfte die Fotos gewissenhaft. Dann schüttelte er bedauernd den Kopf. »Tut mir leid. Ich fürchte, daß ich Ihnen gar 81 �
nicht helfen kann. Aber Sie dürfen sich ganz ungehindert in meinen Räumen umsehen. Brauchen Sie mich noch oder kann ich mich inzwischen um meine Kundschaft kümmern?« Belois hatte seine Assistenten Herraut und Pascal mitgebracht. Pascal ließ er bei dem Händler zurück, damit dieser ihn im Auge behalten konnte. Herraut sollte bei der Suche nach belastendem Material helfen. »Sie kümmern sich um das obere Stockwerk«, befahl er. »Ich sehe mich hier unten um.« Herraut flitzte los. Er hatte Gordon Black gegenüber ein schlechtes Gewissen. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn die Kollegen den Geisterjäger nicht verhaftet hätten, aber darüber hatte er nicht zu entscheiden. Leider! Belois durchkämmte sämtliche Räume, obwohl er von vornherein wußte, daß er nichts finden würde. Wer so entgegenkommend war wie François Gabert, hatte bestimmt nichts zu verbergen. Der Kommissar suchte annähernd zwei Stunden. Dann stieß er auf einen saalähnlichen Raum, in dem allem Anschein nach Feste gefeiert wurden. Behältnisse, in denen man Diebesgut verstecken konnte, waren keine zu sehen. Es gab nur kleine Tische mit Sitzgelegenheiten, ein Podest mit Musikinstrumenten und zahlreiche Beleuchtungskörper. Von hier aus führte eine Tür in einen dunklen Nebenraum. Die Tür stand offen. Kommissar Belois beschloß, hier seine hoffnungslose Suche fortzusetzen. Der erste Blick belehrte ihn, daß der Raum nicht völlig dunkel war. Er wirkte lediglich so, weil er absolut in Schwarz gehalten war. Das sah unheimlich aus. Wie in einer Gruft. Zu diesem Eindruck paßte auch die Kerze, die auf einem mit schwarzem Tuch bedeckten Tisch stand. Auch sie war schwarz. 82 �
Nur die Flamme leuchtete in dunklem Blau. Vor der Kerze stand etwas, was Belois aus dieser Entfernung nicht genau erkennen konnte. Trotzdem durchzuckte ihn ein Schreck. Er hatte sich die kleine Figur mehr als hundertmal auf den Fotos angesehen. Deshalb war er jetzt sicher, daß es sich um die Statue des Horos handelte. Blitzschnell blickte er sich um. Nein, da war niemand hinter ihm, der ihn hindern konnte, sich von der Richtigkeit seiner Vermutung zu überzeugen. Er schritt durch die offene Tür, und als er dicht vor dem Tisch stand, gab es keinen Zweifel mehr. Es war der Gott mit dem Falkenkopf. Aber wie war das möglich? Gabert hätte ihn doch niemals so bereitwillig die Räume durchsuchen lassen, noch dazu, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, dieses verräterische Stück vor seinen Blicken zu verbergen. Eine Falle! schoß es ihm durch den Kopf. Du Narr bist blind in eine Falle getappt. Aber hinter ihm war niemand gewesen. Der Antiquitätenhändler wurde von Pascal beaufsichtigt. Sie befanden sich beide im Laden. Hatte sich die Rothaarige hier irgendwo versteckt? Vielleicht dort hinter der Mauer, die aus irgendeinem Grund eingestürzt war. Angeblich war das Weibsbild ja außerordentlich gewalttätig und verfügte sogar über eine Waffe, aus der sie pausenlos schießen konnte. Unwillkürlich griff Belois nach seiner Dienstpistole. Er wollte für alle Fälle gewappnet sein. Da legte sich von hinten eine Hand auf seine Schulter. Sie übte kaum einen Druck aus, aber Belois brach vor Überraschung fast zusammen. Er hatte keinen Schritt hinter sich gehört. Nicht den leisesten Laut. 83 �
Die Schulter wurde steif. Kälteschauer durchjagten sie. Das war nicht etwa Angst. Irgendetwas anderes mußte im Spiel sein. Belois war seit über zwanzig Jahren Polizist. Furcht kannte er nicht. Er wußte genau, wie er sich in einer derartigen Situation verhalten mußte. »Ich bewundere Ihre Kaltblütigkeit, Gabert«, sagte er drohend. »Was versprechen Sie sich davon? Wollen Sie mich etwa umbringen? Meine Männer werden Sie überwältigen, und dann ist Ihr Spiel aus.« Der andere antwortete nicht. Der Kommissar wandte sich ganz langsam um. Er wollte den Mann nicht zu einer Panikhandlung provozieren. Allerdings war er es selbst, der in Panik geriet. Er stieß einen entsetzten Schrei aus. Seine Haare stellten sich steil auf. Sein gerötetes Gesicht verlor jegliche Farbe. Aber vor ihm stand jemand, der noch bleicher war. Er grinste ihn hämisch an. Die leeren Augenhöhlen glotzten durch ihn hindurch. Ein Toter! Ein Skelett! Es bewegte sich. Das war kein billiger Trick, keine makabre Illusion. Dieses Gerippe lebte tatsächlich. Belois’ Herz übersprang ein paar Schläge. Er suchte nach einer vernünftigen Erklärung, aber er fand keine. Der Totenkopf hatte anscheinend keine Feindseligkeit im Sinn. Er grinste lediglich und fletschte die übergroßen Zähne. Vorsichtig trat Belois einen Schritt zur Seite. Seine Rechte tastete zur Waffe, seine Augen suchten den Fluchtweg durch die Tür, falls er dazu gezwungen wurde. Der Knochenmann hob nun auch die andere Hand. Er spreizte die Finger und griff nach dem Hals des Kommissars. Da hörte der Spaß auf. Blitzschnell zog Belois die Pistole und gab einen Warnschuß ab, der den Knöchernen jedoch nicht beeindruckte. Die dürren Finger krochen weiter. Sie berührten das Gesicht des Mannes. Zu beiden Seiten drückten sie sanft gegen die 84 �
Schläfen. Belois’ Atem wurde flacher. Der Gräßliche erschien ihm wie ein großes, seltsames Spielzeug, vor dem man sich nicht fürchten mußte. Zwar hielt er noch immer die Pistole in der Hand, aber er richtete sie nicht auf den Knöchernen, den er mit einer Kugel auch nicht gestoppt hätte. Der Druck an seinen Schläfen verstärkte sich. Sein Bewußtsein kippte um. Von irgendwoher empfing er Signale. Es war, als spräche François Gabert mit ihm. Er hörte ganz deutlich dessen Stimme, obwohl er ihn nirgends sah. »Töte Gordon Black!« hämmerte es in seinem Gehirn. »Er ist eine Gefahr. Auch für dich, Belois. Durch ihn verlierst du deinen Job und dein Ansehen. Bringe ihn um!« Der Kommissar lächelte sanft. Er fühlte sich anscheinend sehr wohl. Fast war er enttäuscht, als der Knochendämon ihn freigab. Einige Sekunden stand er unschlüssig inmitten der Schwärze des Raumes. Dann setzte er sich in Bewegung. Er durchquerte den Saal und stieß irgendwo auf Herraut, dem er befahl, die Suche abzubrechen, da sie hier nichts finden würden. Auch Pascal zog er von seinem Posten ab. »Haben Sie geschossen, Kommissar?« erkundigte sich Herraut. »Mir war, als hätte ich einen Schuß gehört.« Belois blickte durch ihn hindurch. »Auf wen sollte ich geschossen haben, Herraut?« entgegnete Belois abwesend. »Was soll diese unsinnige Frage? Kommen Sie mit! Ich weiß jetzt, wem wir den ganzen Schlamassel zu verdanken haben.« Herraut und Pascal tauschten überraschte Blicke. Belois schien etwas gefunden zu haben, was er ihnen nicht verraten wollte. Nun gut! Perdule hatte ihm die Hölle heiß gemacht. Verständlich, daß er einen möglichen Erfolg mit keinem teilen wollte. Sie folgten dem Kommissar, der unbeirrt zum Wagen schritt. Sein Gesicht wirkte versteinert. Er hatte einen klaren Auftrag er85 �
halten, und er war entschlossen, ihn bedingungslos auszuführen. * Gordon Black war beunruhigt. Noch immer hockte er in der engen Zelle und hatte noch nichts von Hanako gehört. Ob sie überhaupt wußte, daß man ihn verhaftet hatte? In den benachbarten Zellen befanden sich Louise Guiroulet, Gerard Duval, Marcel Ferron und Lazare. Alles Leute, die schwerer Verbrechen so gut wie überführt waren. Seine Gesellschaft war wirklich ziemlich fragwürdig. Sprechen konnte er nicht mit ihnen. Jedesmal, wenn er den Versuch unternahm, etwas hinüberzurufen, kam ein breitschultriger Kerl in Uniform daher und bot ihm Prügel an, wenn er nicht endlich ruhig sei. Vor den Prügeln fürchtete er sich nicht. Er überlegte sogar, ob er es darauf ankommen lassen sollte, um sich damit die Flucht zu ermöglichen. Doch auf der Flucht war schon so mancher wie ein Hase abgeknallt worden. Außerdem würde danach seine Arbeit in Paris noch schwieriger werden. Man würde nach ihm fahnden. Er mußte wohl oder übel auf Kommissar Belois warten. Wo der nur blieb? So lange konnte doch der Anschiß von Perdule unmöglich dauern. Hatte er etwa gleich seinen Hut nehmen müssen? War er beurlaubt worden? Würde ein anderer seinen Platz einnehmen? Nun, dann war immer noch Herraut da, aber der würde kaum seinen Mund aufmachen und mit der Wahrheit herausrücken, wenn er sich an seinen zehn Fingern die Konsequenzen ausrechnen konnte. Als Belois endlich erschien, fiel Gordon Black ein Stein vom Herzen. Um sich selbst hatte er sich keine Gedanken gemacht, 86 �
aber während er untätig hier herumhockte, geschahen draußen weitere Verbrechen. Menschen mußten möglicherweise sterben, und Hanako begab sich in Gefahr. Ihm fiel selbstverständlich die Veränderung des Kommissars auf. Er schrieb das maskenhafte Gesicht aber dem gewaltigen Rüffel zu, den Belois zweifellos hatte einstecken müssen. Was wirklich in diesem Mann vorging, konnte er unmöglich ahnen. »Gut, daß Sie endlich da sind, Kommissar«, sagte er erleichtert. »Nichts gegen die aufmerksame Betreuung durch Ihre Leute, aber ich fürchte, es gibt noch eine Menge zu tun. Lassen Sie mich bitte raus. Ich kann Ihnen genau sagen, was im Louvre geschehen ist.« Belois gab den Befehl, die Gittertür aufzuschließen, und der Polizeibeamte kam der Aufforderung mit einiger Enttäuschung nach. »Es ist gut«, sagte der Kommissar danach. »Ich brauche Sie nicht mehr. Pascal, kümmern Sie sich mit Herraut um die Protokolle für den Louvre-Einbruch. Ich komme gleich nach.« Gordon Black glaubte den Grund zu kennen, warum Belois alle Männer fortschickte. Anscheinend hatte er etwas erfahren, was er ihm unter vier Augen sagen wollte. Als sie allein waren, lächelte der Kommissar bedauernd. »Es tut mir leid, daß ich nicht früher kommen konnte, Mister Black. Sie müssen das Vorgehen meiner Männer entschuldigen. Anscheinend hat man Sie sogar entwaffnet.« Der Geisterjäger bestätigte das. Seine Pistole und das Hexenmesser hatte man ihm in der Tat abgenommen. Er hatte die Polizisten zwar eindringlich vor den Spezialwaffen, vor allem vor der Klinge des Athame, gewarnt, aber sie hatten ihn ausgelacht, und zum Glück war auch nichts passiert. »Ihre Leute begriffen nicht, daß es sich um keine normalen Waffen handelt«, sagte er. »Sie halten mich wirklich für einen 87 �
Komplizen jenes Mädchens, das die Narren um ein Haar erschossen hätten. Dabei ist es genauso unschuldig wie Lazare und die anderen, es diente Gabert und seinem Dämon lediglich als ausführendes Werkzeug.« Kommissar Belois zog seine Pistole und richtete sie auf den Geisterjäger, ohne mit der Wimper zu zucken oder ihm eine Antwort zu geben. Ungläubig starrte Gordon Black in die Mündung. Das konnte nur ein schlechter Witz sein. Erst als er sah, wie sich der Finger des Polizeibeamten zu krümmen begann, begriff er, daß es bei diesem Spaß wenig zu lachen geben würde. Jedenfalls nicht für ihn. Er sprang zur Seite, und im nächsten Moment raste das Geschoß hinter ihm in die Mauer und ließ den Putz davonstieben. Schlagartig wurde Gordon Black bewußt, was mit Belois geschehen war. Jetzt konnte er auch den starren Gesichtsausdruck richtig deuten. Er rührte nicht von dem Rüffel her, den er von Perdule empfangen hatte. Der Kommissar war manipuliert worden. Genau wie Lazare, wie Duval und die anderen. Er war eine Mordmaschine ohne eigenen Willen und ohne Bewußtsein für sein Handeln. Sein Auftrag lautete, ihn zu ermorden, und diesen Auftrag würde er ausführen. Belois mußte bei Gabert gewesen sein. Er hatte dort zweifellos den Knochendämon gesehen und war in dessen Gewalt geraten. Er hätte zu Perdule gehen und ihm die Wahrheit sagen können. Stattdessen stand er in der Zelle und schoß auf den Mann, den er selbst zu seiner Unterstützung hergebeten hatte. Gordon Black warf sich erneut herum. Man hatte ihn entwaffnet, damit er keinen Polizisten bedrohte. Welch ein Hohn! Wieder bellte die Dienstwaffe auf. Im Gang wurde es laut. Vermutlich dachte man an eine Gefangenenrevolte. Niemand der Polizisten kam auf die Idee, daß Belois Amok lief. 88 �
Der Geisterjäger dachte daran, daß ihm das Kruzifix und der Anhänger der Göttin Aradia geblieben waren. Das hatten die Polizisten, die ihn durchsuchten, nicht für gefährliche Waffen gehalten. Belois schoß. Gordon Black spürte, wie sich eine brennende Spur über seinen Arm zog. Zu den bisherigen würde sich eine neue Narbe gesellen. Er zerrte das Abbild der Aradia hervor, und sofort zog sich der Kommissar winselnd zurück. Pascal und Herraut eilten herbei. Hinter ihnen folgten weitere Beamte. Sie sahen, daß sich Belois offensichtlich bedroht fühlte. Die Gefahr konnte nur aus der offenen Zelle kommen. Sie beeilten sich, ihrem Mann zu Hilfe zu kommen. Nur Herraut war sich im Zweifel. Wieso drehte Black auf einmal durch? Er sah als einziger, daß der Dämonenjäger keine Waffe in der Hand hielt. Nur die kleine, silberne Figur, mit der wohl kein Mensch getötet werden konnte. Aber der Kommissar hielt seine Pistole in der Hand, und er schoß auch jetzt wieder. Er feuerte tatsächlich auf einen Wehrlosen, auf einen unbewaffneten Mann, der in seiner Zelle auch keine Möglichkeit besaß zu fliehen oder wenigstens in Deckung zu gehen. »Er steht unter dem Einfluß eines Dämons«, keuchte Gordon Black und deutete mit der Silberfigur auf Kommissar Belois. Für Herraut bedurfte es dieser Erklärung nicht. Er hatte längst begriffen, und während Pascal und die anderen Front gegen den Dämonenjäger machten, warf er sich dem Manipulierten entgegen und versuchte, ihm die Waffe aus der Hand zu schlagen. Doch Belois ließ sich nicht überwinden. Hart schlug er zu, und er traf seinen Assistenten am Kehlkopf. Herraut schrie verblüfft auf und taumelte zurück. Belois kümmerte sich nicht mehr um ihn. Er sollte Gordon 89 �
Black töten. Von dieser Pflicht ließ er sich durch nichts ablenken. Er suchte sein Ziel, das aber von Pascal momentan verdeckt wurde. Das machte Belois nichts aus. Dann mußte er eben erst das Hindernis aus dem Weg räumen. Gordon Black und Herraut erkannten gleichzeitig die Gefahr für den Ahnungslosen. Während der Geisterjäger den Polizisten kurzerhand ansprang und ihn von den Füßen riß, warf sich Herraut auf seinen Vorgesetzten. Der Schuß löste sich zwar trotzdem, aber er verfehlte sein Ziel. Pascal erbleichte, als die Kugel über seinen Scheitel zischte. Er wehrte sich zwar noch gegen Gordon Black, aber gleichzeitig begriff er, wer sein wirklicher Gegner war. »Belois dreht durch«, schrie er den anderen Polizisten zu. »Mister Black ist unschuldig. Er hat keine Waffe.« Der Kommissar schleuderte den anstürmenden Herraut zurück. Der krachte gegen die Wand und glitt seufzend zu Boden. Er verdrehte die Augen und rührte sich nicht mehr. Diesen Widersacher hatte der Manipulierte vorübergehend ausgeschaltet. Aber seinen Auftrag hatte er noch immer nicht erfüllt. »Töte Gordon Black!« dröhnte es in seinen Ohren. »Töte ihn!« Er marschierte vorwärts. Er blickte in entgeisterte, entsetzensstarre Gesichter, die vor ihm zurückwichen. Er suchte den Geisterjäger und fand ihn. Aber Gordon Black war diesmal gewappnet. Er hielt noch das Abbild der Göttin Aradia in der Hand. Damit wollte er sich zur Wehr setzen. Er ließ die silberne Kette kreisen, während er sich selbst mit riskanter Bewegung aus der Schußbahn brachte. Der Anhänger streifte die Pistole in der Hand des Kommissars. Ein greller Blitz flammte auf. Belois hielt sich winselnd die Hand, die deutliche Brandspuren aufwies. Entschlossen trat Gordon Black zu. Sein Schuh traf die Pistole. 90 �
Der letzte Schuß raste in die Decke der Zelle. Dann flog die Teufelswaffe in hohem Bogen davon. Aber noch immer kam Belois nicht zur Vernunft. Wenn er nicht mehr schießen konnte, dann würde er seinen Mann eben erwürgen. In seinen Händen spürte er unüberwindbare Kräfte. Pascal bekam sie als erster zu spüren. Er hatte mitgekriegt, wie Herraut von Belois behandelt worden war. Seine Handkante zuckte vor, aber im nächsten Moment brüllte er auf und rieb sich unter Schmerzen seine Hand. Belois grunzte wie ein Kampfstier. Seine Augen hatten sich rot gefärbt. Rasend schlug er um sich, und die übrigen Polizisten beeilten sich, außer Reichweite zu geraten. Einer kam auf die Idee, seine Pistole zu ziehen. Gordon Black sah es und drosch sie ihm geistesgegenwärtig aus der Hand. Er hoffte noch immer, daß Belois und die anderen Täter nach der Überwältigung des Dämons wieder zu normalen Menschen werden würden. Er mußte seinen Tod verhindern. Belois dankte es ihm nicht. Geschickt fing er die Pistole auf und richtete sie auf den Dämonenjäger. Doch der brüllte die Polizisten an, daß sie endlich aus der Zelle verschwinden sollten, was sie nur zu gerne befolgten. Sie verstanden die Welt nicht mehr. Mit einem Sprung brachte sich Gordon Black selbst in die Nähe der Zellentür. Als Belois sich auf ihn werfen wollte, wehrte er ihn mit der magischen Göttin ab. Er trieb ihn in die hinterste Ecke zurück und schlug die Gittertür hinter sich zu. Aufatmend drehte er den Schlüssel und händigte ihn Pascal aus. »Der Mann ist explosiv«, erklärte er, »aber er ist es nicht durch eigene Schuld. Ich erwarte, daß die Zelle nicht geöffnet wird. Belois steht unter unheilvollem Einfluß.« Er zog ein silbernes Kreuz aus seiner Tasche und befestigte es 91 �
an dem Gitter. Belois heulte gequält auf und zog sich noch weiter zurück. »Es wird ihn zwar peinigen«, sagte der Dämonenvernichter. »Aber es geschieht im Grunde zu seinem eigenen Schutz. Ich bin nämlich nicht sicher, ob er nicht sogar die Eisenstäbe aufbiegen könnte. Bevor ich den Fall nicht geklärt habe, darf er nicht freigelassen werden. Herraut, erklären Sie den anderen bitte, worum es geht. Ich übernehme Monsieur Perdule. Es wird Zeit, daß auch er die volle Wahrheit erfährt.« * Hanako Kamara blieb am Ball. Sie hatte sich in den hübschen Kopf gesetzt, Blanche zu überlisten. Sie wollte unbedingt die geraubte Statue zurückbringen und die Frau aus dem verderbenbringenden Einfluß des Knochendämons befreien. Die Asiatin wußte eine ganze Menge noch nicht. Sie hatte keine Ahnung, daß Gordon Black gefangengesetzt worden war, weil die Pariser Polizei ihn der Mittäterschaft bezichtigte. Sie ahnte nicht, daß Kommissar Belois, angestachelt durch die Drohung seines Vorgesetzten, auf eigene Faust versucht hatte, sich mit François Gabert zu messen und dabei den kürzeren gezogen hatte. Sie konnte auch nicht wissen, daß Belois um ein Haar im Untersuchungsgefängnis ein Blutbad angerichtet und nicht nur den Geisterjäger ermordet hätte, inzwischen aber durch die Kraft des geweihten Kreuzes gebändigt wurde. Das alles war Hanako unbekannt. Das Wichtigste aber, von dem sie keine Kenntnis hatte, waren zwei Tatsachen: Blanche, der sie nun schon seit Stunden beharrlich folgte, trug die gestohlene Statue des ägyptischen Gottes schon längst nicht mehr bei sich. Gabert hatte ihr unauffällig einen Helfer geschickt, und da sie ohnehin keinen eigenen Willen besaß, hatte sie die Beute wie 92 �
einen Staffelstab weitergegeben. Hanako hatte das nicht sehen können, weil zwischen ihr und der Flüchtenden für einen winzigen Moment eine dämonische Wand errichtet worden war, die die Blicke der Asiatin nicht durchließen. Der zweite Punkt, auf den Hanako hereinfiel, war die Flucht der Rothaarigen selbst. Die Frau hatte einen neuen Auftrag erhalten. Er lautete: »Führe Hanako Kamara möglichst weit fort, damit sie Gordon Black nicht helfen kann.« Diesen Befehl führte Blanche treulich und durchaus unauffällig aus. Hanako spürte schon eine gewisse Müdigkeit in ihren Beinen. Quer durch die Lichterstadt hatte sie sich lotsen lassen, bevor sich die Rothaarige anscheinend endgültig für den Bois de Vincennes entschied. Hanako war der Meinung, Blanche hätte sie nicht entdeckt, da diese sich nicht ein einziges Mal nach ihr umgedreht hatte. Wie konnte sie ahnen, daß die Augen des Magiers sie längst entdeckt hatten? Nur aus diesem Grund hielt sich die Asiatin stets in ausreichendem Abstand hinter der Verfolgten. Blanche sollte sie führen. Sie wollte den Beweis, daß sie die Beute bei Gabert ablieferte, und sie hoffte, bei dieser Gelegenheit zu erfahren, wer noch in diesem höllischen Spiel drinhing. Doch sie sollte nichts erfahren. Blanche hätte viel schneller laufen können. Sie hätte ihre Verfolgerin dank dämonischer Kräfte mühelos abgehängt, aber das hätte ihrem Auftrag widersprochen. Blanche löste ihre Aufgabe perfekt. Sie griff ihre Verfolgerin nicht an. Sie schüttelte sie nicht ab. Sie lockte sie lediglich hinter sich her. Hier, in den ausgedehnten Parkanlagen von Vincennes, eilte sie über die gepflegten Wege und hielt die Asiatin zum Narren. Hanako war von ihrem Gedanken wie besessen. Sonst hätte sie 93 �
sicher schon früher gemerkt, was hier mit ihr gespielt wurde. Erst als Blanche den gleichen Weg zum zweiten Male entlanghastete, ging ihr ein Licht auf. Sie kniff ihre Mandelaugen zusammen und schwor sich, am Ende doch Siegerin zu bleiben. Jetzt hatte das Versteckspielen ein Ende. Die Rothaarige würde ihr freiwillig niemals eine Information liefern. Sie mußte sie schon dazu zwingen. Durch Schnelligkeit allein würde ihr das nicht gelingen. Ihr entsprechender Versuch schlug kläglich fehl, denn Blanche bewies sofort, daß sie auch Tempo zu machen verstand. Also griff Hanako zu einer List. Sie kannte den Park inzwischen einigermaßen. Sie legte sich einen Plan zurecht und drehte den Spieß um. Sie machte kurzerhand kehrt und lief vor Blanche davon. Die Rothaarige war außerstande zu denken. Sie hielt sich lediglich an den Befehl, ihre Gegnerin an sich zu binden, damit sie nicht an anderer Stelle eingreifen konnte. Also spielte jetzt sie die Verfolgerin und blieb der Asiatin auf der Spur. Allerdings nicht lange. Plötzlich kuckte sie zurück und wandte sich entsetzt ab. Sie taumelte ein paar Schritte zurück. Sie konnte sich den Grund nicht denken, denn es war nichts zu erkennen. Weder Hanako Kamara hatte sie angegriffen noch gab es einen anderen unerwarteten Gegner. Die unscheinbaren, getrockneten Pflanzen, die Hanako in die Erde gesteckt hatte und von denen geheimnisvolle Energien ausgingen, nahm sie nicht zur Kenntnis. Sie spürte lediglich ihre für sie ausgesprochen unangenehme Wirkung und zog sich schleunigst zurück. Aber schon bald ging es auch hier nicht weiter. Wieder stieß sie auf eine unsichtbare Barriere, wieder hatte Hanako für eine Sperre gesorgt. Und schon war die Asiatin dabei, die beiden offenen Flanken 94 �
abzuschirmen. Sie hütete das Geheimnis dieser Pflanzen. Nicht einmal Gordon Black kannte sich damit aus. Jetzt zeigten die unscheinbaren, dürren Kräuter ihre erstaunliche Wirkung. Blanche zuckte jedesmal wie unter einem Stromschlag zusammen, wenn sie in der Nähe einer dieser Pflanzen geriet. Sie hatte jetzt nur noch eine Richtung, in die sie sich wenden konnte, und da stand Hanako und ließ die hölzernen Ringe kreisen. * Perdule durchlief sämtliche Phasen eines Temperamentausbruchs. Nachdem er die Unverschämtheit, daß dieser Gordon Black in sein Büro eingedrungen war, verkraftet hatte, sperrte er Mund und Augen ungläubig auf, als der Mann aus Manhattan ihm eine unglaubliche Geschichte von einem verbrecherischen Antiquitätenhändler, der angeblich ein Magier war, von einem knöchernen Dämonen, von Horrorpartys, auf denen Menschen für verbrecherische Zwecke manipuliert wurden, und von seinem Kommissar Belois auftischte, der ebenfalls in die Fänge dieses Dämons geraten war und auf dessen Befehl sich wie ein Irrsinniger gebärdet und fast einen Mord begangen hatte. Er klappte seinen Mund wie ein Karpfen auf dem Trockenen ein paarmal auf und zu. Dann schrie er los, wurde blaurot im Gesicht und wütete noch ärger, als Gordon Black sich dadurch nicht im geringsten beeindruckt oder gar eingeschüchtert zeigte. Er rief verschiedene Namen und erwartete, daß ein paar Polizeibeamte auftauchen und ihm diesen Verrückten vom Hals schaffen würden. Stattdessen erschien lediglich Herraut, und dieser bestätigte nicht nur in wesentlichen Punkten Blacks Behauptungen, er gestand sogar, daß er selbst Belois auf die Idee gebracht hatte, einen Geisterjäger zu Rate zu ziehen. Das brachte Perdule vollends auf die Palme, und von der kam 95 �
er so schnell nicht wieder herunter. Er donnerte ein ums andere Mal seine Faust auf den Tisch, als wollte er das stabile Möbelstück zertrümmern. Das schaffte er zwar nicht. Dafür zerfetzte er Papiere, zerbrach Bleistifte und hielt erst inne, als seine Faust zu bluten anfing. Er sprang auf, erweckte den Anschein, als wollte er Gordon Black an die Kehle springen, der auch diesen Ausbruch gelassen über sich ergehen ließ. Als nächstes trat er ans Fenster, riß es so unbeherrscht auf, daß der Flügel gegen die Wand krachte und einen Glassplitterregen zur Folge hatte. Nun blutete auch noch seine andere Hand. Er achtete nicht darauf, sondern schnaufte die Luft ein, die durch das Fenster quoll. Er hatte seit sechsunddreißig Stunden nicht mehr geschlafen. Der Justizminister machte ihm die Hölle heiß, und sie wurde mit jedem Tag, mit jedem ungeklärten, unerklärbaren Verbrechen heißer. »Verrückte«, brüllte er. »Lauter Verrückte laufen hier herum. Aber glauben Sie nur nicht, Black, daß Sie mich zu Ihrem Obernarren machen können. Diese Rolle müssen Sie schon selbst übernehmen. Was Sie mir da erzählt haben, ist horrender Blödsinn. Nicht mal mein Jüngster würde Ihnen das abnehmen, und der wird im Winter acht Jahre. Wenn Belois auf Sie geschossen hat, dann wurde er von Ihnen bedroht.« »Ohne Waffe?« wandte Gordon Black ungeduldig ein. Er merkte, wie die Zeit verrann, ohne daß etwas Sinnvolles geschah. Aber er konnte nicht mehr ohne Perdules Einverständnis agieren. Das war ausgeschlossen. Und vor allem mußte der Mann auch einsehen, daß Belois vorläufig keinesfalls freigelassen werden durfte. Von dieser Einsicht war Perdule aber noch weit entfernt. Aufgeregt massierte er seine Fingerknöchel und trat dicht an den Geisterjäger heran, der keinen Zoll vor ihm zurückwich. 96 �
Wild starrten sich die beiden ungleichen Männer an. Perdule wußte eine gewaltige Organisation hinter sich und bis zu einem gewissen Grad auch noch den Justizminister. Gordon Black war allein. Wenn er auch von der UNO unterstützt wurde, so hatte er mit keiner Hilfe bei diplomatischen Verwicklungen zu rechnen. Trotzdem gab er nicht nach, denn er wußte sich im Recht. Die Blicke bohrten sich ineinander, und nach Sekunden mußte der Polizeigewaltige die Lider senken. Das machte ihn nur noch wütender. Herraut war Zeuge seiner Niederlage geworden. Das durfte er nicht auf sich sitzen lassen. »Herraut!« schrie er. »Nehmen Sie den Mann fest! Sie haften mir persönlich für ihn. Wenn er entkommt, brauchen Sie hier gar nicht mehr zu erscheinen.« Herraut trat einen Schritt vor. Er sah den Geisterjäger ernst an. Dann zog er seine Dienstpistole, und Gordon Black fragte sich, ob dieser Mann tatsächlich notfalls auf ihn schießen würde. Was blieb ihm sonst übrig? Er war Polizist, und Perdule stand einige Stufen über ihm. Herraut hielt die Waffe einen Augenblick in der Hand. Dann legte er sie behutsam auf den Schreibtisch. Er fingerte in seiner Tasche und holte seine Dienstmarke heraus. Diese legte er neben die Pistole. Perdule glotzte ihn fassungslos an. »Was, um alles in der Welt, tun Sie da, Herraut?« krächzte er. »Sie haben mich soeben vom Dienst suspendiert, Monsieur«, erwiderte Herraut mit leicht zitternder Stimme. »Ich bin Polizist, und ich bin vor allem Franzose. Kein Amerikaner soll von mir sagen können, daß ich an meinem Job mehr gehangen habe als an Recht und Wahrheit.« Er kramte weiter in seinen Taschen und förderte noch einige Dinge zutage, die zu seiner Ausrüstung gehörten. »Was fällt Ihnen ein, Herraut? Sie wissen wohl nicht, wen Sie 97 �
vor sich haben?« »Doch, Monsieur«, erwiderte Herraut tapfer. »Einen Mann, den ich wegen seines Gerechtigkeitssinns und seiner Unbestechlichkeit immer bewundert habe. Aber heute habe ich gelernt, daß für einen Polizisten noch eine weitere Eigenschaft wichtig ist. Er muß den Mut haben einzugestehen, wenn er mit seinen eigenen Mitteln einen Fall nicht mehr lösen kann. Es geht nicht um das Ansehen der Pariser Polizei, sondern darum, daß Verbrechen aufgeklärt und verhindert werden. Dahinter muß jede Eitelkeit zurückstehen. Notfalls auch die persönliche Existenz.« In Perdule tobte ein Gefühlsstreit. Einerseits war er ein Mann, der Mut in jeder Form anerkannte, andererseits glaubte er, Respektlosigkeit und Befehlsverweigerung nicht dulden zu dürfen. Sein Mienenspiel verriet, daß er sich die Entscheidung nicht leicht machte. Gordon Black schätzte diesen Mann, der sicher nicht ohne Grund an verantwortlicher Stelle saß, hoch ein. Er war entschlossen, ihm eine Brücke zu bauen. Aber Herraut war fest entschlossen, den begonnenen Kampf zu Ende zu fechten. Er erinnerte Perdule daran, daß Belois ihn niedergeschlagen und sogar auf Pascal geschossen hatte. Er schlug ihm vor, sich selbst von der Wirkung des silbernen Kreuzes auf den Kommissar zu überzeugen. Man sah Perdule die Erleichterung an. Natürlich! Dieser Versuch würde die Unsinnigkeit der Behauptungen aufdecken. Gemeinsam gingen sie zu der Zelle. Pascal bewachte sie und erhob sich von seinem Stuhl, als er Perdule nahen sah. Kommissar Belois kauerte in der äußersten Ecke der Zelle und winselte. »Beschämend!« stieß Perdule hervor. Und zu Pascal gewandt, befahl er: »Schließen Sie die Tür auf! Sie werden sich zu verantworten haben.« 98 �
Pascal blickte sich hilfesuchend nach dem Geisterjäger um. Er war froh, daß Belois eingesperrt war. Noch jetzt saß ihm der Schreck in den Knochen. Der Kommissar hatte immerhin auf ihn geschossen. »Schließen Sie auf, Monsieur Pascal«, sagte Gordon Black. »Aber lassen Sie das Kreuz hängen.« Er tastete vorsichtshalber nach dem Hexenmesser, das er unter seinem Hemd an der roten Schnur trug. An überflüssigen Überraschungen war ihm nicht gelegen. Pascal drehte den Schlüssel und öffnete die Tür. »Kommen Sie heraus, Belois!« rief Perdule. »Ich erwarte von Ihnen eine Erklärung.« Der Kommissar bewegte sich nur kurz zum Zeichen, daß er verstanden hatte, aber er stand nicht auf. Als würde er mit hundert Maschinenpistolen bedroht, drängte er sich tief in die hinterste Ecke. Perdules Gesicht lief wieder rot an. Es paßte ihm nicht, daß er schon wieder etwas nicht verstehen konnte. Gordon Black gab Pascal einen Wink, und dieser versperrte wieder hastig die Tür zur Zelle. Der Geisterjäger nahm das Kruzifix vom Gitter und zog sich damit zurück. Das Ergebnis war gräßlich. Belois sprang kreischend auf und war mit einem einzigen Satz am Gitter. Er fletschte die Zähne wie ein Wolf, und als Perdule beruhigend auf ihn einredete, spie er ihm mitten ins Gesicht. Sein hauptsächlicher Haß galt aber dem Dämonenjäger. Er schlug mit beiden Fäusten in dessen Richtung, da die Gitterstäbe ihn aber von dem Mann trennten, den er töten sollte, rüttelte er zornig daran und brachte es tatsächlich fertig, sie aufzubiegen. Perdule taumelte zurück und wurde kreidebleich. »Schnell!« ächzte er. »Das Kreuz! Hängen Sie das Kreuz wieder hin, Monsieur Black!« 99 �
Gordon Black tat es unverzüglich, was zur Folge hatte, daß Belois schreiend floh und wieder seine frühere Position einnahm. Er knurrte noch verhalten, aber er wagte sich nicht mehr vor. Perdule bebte am ganzen Körper, aber auch Herraut und Pascal ging es nicht besser. Gordon Black wandte sich an den Polizeichef. »Ich habe die Absicht, einem Antiquitätenhändler namens François Gabert einen Besuch abzustatten, Monsieur«, sagte er. »Es ist wahrscheinlich, daß ich mir gewaltsam Zutritt zu seinem Haus verschaffen muß. Es ist auch möglich, daß sich sonst noch Dinge ereignen, bei denen normalerweise Ihre Männer eingreifen. Ich möchte, daß ich in Ruhe arbeiten kann und nicht wieder wie im Museum behindert werde.« »Ich werde das veranlassen, Monsieur Black«, versprach Perdule matt. Er warf noch einen unsicheren Blick auf Kommissar Belois, und seinem grauen Gesicht war anzusehen, daß er eine ganze Menge dazugelernt hatte. * François Gaberts Gesicht zuckte dämonisch. Dank seiner vom Knochendämon verliehenen Fähigkeiten spürte er bereits jetzt, daß sich seinem Haus eine Gefahr näherte. Es konnte nur dieser Amerikaner sein, der sich in seine Geschäfte gemischt hatte. Der Anschlag auf ihn war fehlgeschlagen. Er hatte den Kerl ein wenig unterschätzt. Aber nun wußte er genau, mit wem er es zu tun hatte, und er konnte sich darauf einstellen. Sein Plan stand in allen Einzelheiten fest. Black kam in sein Haus, um ihn zu entlarven und seine Macht zu brechen. Er würde dieses Haus auch wieder verlassen, aber er würde sich nie wieder gegen ihn auflehnen. 100 �
Gabert hatte in kurzer Zeit gelernt, das Böse zu lieben. Hätte er früher geahnt, wie erfolgreich man mit Schwarzer Magie werden konnte, hätte er nie mit dem Gedanken spielen zu brauchen, sich aus Verzweiflung das Leben zu nehmen. Wie lange war das schon her! Inzwischen war er ein reicher und mächtiger Mann. Und er wollte noch reicher, noch viel mächtiger werden. Gordon Black war ein Schritt auf diesem Weg. Er war der erste Geisterjäger, den er vernichten würde, und danach würde sich kein zweiter mehr an ihn heranwagen. Blacks Schicksal würde wie ein Lauffeuer um den Erdball gehen. Gabert hockte mit gekreuzten Beinen in einem seiner vielen Räume. Er hatte alle Vorbereitungen getroffen. Die Dämonen waren beschworen. Sie würden zur Stelle sein, sobald er sie rief, falls das überhaupt nötig wurde. Neben dem Magier standen auf dem Fußboden zwei große, flache Schalen. Dünner Rauch stieg aus ihnen empor. Er verteilte sich im ganzen Raum und verbreitete einen Geruch, der sich auf die Nervenzellen legte. In Gaberts Augen flackerte es. Er spürte genau, wie sich Black seinem Haus näherte. Sicher würde er einbrechen. Er würde zweifellos das nur angelehnte Fenster im Erdgeschoß entdecken und sich über die Nachlässigkeit seines Gegners freuen. Zu spät würde er begreifen, daß er bereits in die erste magische Falle geraten war. François Gabert nickte zufrieden. Das ganze Haus war eine einzige, vielfältige Falle. Er hatte sich große Mühe gegeben, denn anfangs hatte er den Geisterjäger einfach töten wollen. Schon bald aber war ihm etwas Besseres in den Sinn gekommen. Da war ja auch noch die kleine Asiatin, die er nicht unterschätzen durfte. Sie würde alles daransetzen, den Tod Blacks zu rächen. Warum sollte er nicht zwei Fliegen mit einer Klappe 101 �
schlagen? Hanako Kamara würde erleichtert sein, den Dämonenjäger wiederzusehen, doch dann sollte sie das Grauen kennenlernen, denn Gordon Black würde seine ahnungslose Mitarbeiterin töten. * Gordon Black schlich um das Haus. Es war noch sehr früh am Morgen. Die Geschäfte hatten noch geschlossen, und natürlich auch der Antiquitätenladen François Gaberts. Die Straßen waren leer. Nur in einiger Entfernung polterte ein Müllwagen von Haus zu Haus. Auch vor Gaberts Haus stand eine Tonne. Sie quoll über. Ratten beschäftigten sich mit ihrem Inhalt und ließen sich auch durch das Erscheinen des Geisterjägers nicht stören. Alle Fenster waren verdunkelt. Nirgends schimmerte auch nur der winzigste Lichtschein hindurch. Gabert, der Magier, schlief vermutlich noch. Oder er brütete in aller Stille eine neue Schandtat aus. Daß dabei Menschen starben, machte ihm offensichtlich nichts aus. Er hatte sich dem Bösen verschrieben. Gordon Black kontrollierte die Hausfront und erspähte, daß eines der Fenster nicht richtig geschlossen war. Es war nur angelehnt. Da er den Bauplan noch im Kopf hatte, erinnerte er sich, daß sich hinter diesem Fenster ein Raum mit drei Türen befand. Eine führte zum Gang, die beiden anderen zu den Nachbarräumen. Von seinem ersten Besuch bei Gabert wußte er, daß es sich um Lagerräume handelte, in denen der Antiquitätenhändler seine Ware unterbrachte, für die im Ausstellungsraum kein Platz war. Ziemlich leichtsinnig von ihm, dachte der Geisterjäger. Welcher Geschäftsmann läßt ausgerechnet ein Fenster offen, das Dieben die Arbeit so erleichtert? 102 �
Er gab sich die Antwort auf diese Frage selbst. Nur zwei Sorten von Menschen kamen für diesen Leichtsinn in Frage. Ausgesprochene Narren oder durchtriebene Halunken, die den Einbrechern eine verlockende Falle stellen wollten. Für einen Narren hielt Gordon Black seinen Gegner keineswegs, dafür für umso durchtriebener. Deshalb kam er zu dem Ergebnis, daß er eine reichlich plumpe Falle vor sich hatte. Und diese Falle galt zweifellos ihm. Ein böses Lächeln stahl sich auf die Lippen des Dämonenjägers. »So leicht mache ich es dir nicht, Gabert«, murmelte er. »Wenn du dich schon mit mir anlegen willst, dann aber richtig.« Gordon Black kümmerte sich nicht weiter um das Fenster und hielt nach einer anderen Einstiegsmöglichkeit Ausschau. Er entschied sich auch nicht für das schmale Fenster, das er mit Hanako in der Nacht benutzt hatte. Es war jetzt zugemauert. Gabert hatte entdeckt, auf welche Weise seine ungebetenen Besucher ins Haus gelangt waren. Wäre Hanako mit ihrem Dogu bei ihm gewesen, hätten sie mit Leichtigkeit jedes beliebige Fenster öffnen können, so aber mußte sich Gordon Black auf seine einbrecherischen Fähigkeiten verlassen. Er sah keine Möglichkeit, eines der oberen Fenster zu erreichen. Die Fassade war glatt und wies keine Vorsprünge auf. Also zerschnitt er mit einem Diamant eine der unteren Fensterscheiben und war froh, damit keinen Alarm ausgelöst zu haben. Jetzt in das Haus einzudringen, bereitete keine Schwierigkeit mehr. Der Geisterjäger zog sich in den dunklen Raum und versuchte, sich zu orientieren. Er spürte eine Gefahr. Offenbar war sein Einbruch doch nicht unbemerkt geblieben. Wahrscheinlich hatte Gabert hinter einem der abgedunkelten Fenster auf der Lauer gelegen und ihn die ganze Zeit beobachtet. 103 �
Gordon Black war sich im klaren, daß es mindestens zwei Gegner waren, mit denen er es zu tun hatte: Gabert, der Magier, und der knöcherne Dämon mit dem Totenschädel. Vielleicht gab es aber auch noch andere Vasallen, die den beiden dienten. Er mußte auf der Hut sein. Irgendwo war ein Geräusch. Nach seiner Meinung war es genau über ihm verursacht worden. Das mußte Gabert sein. Dieser dämonische Schuft sollte ihm die ganze Wahrheit preisgeben. Er mußte den Bann von den Opfern des Knochendämons nehmen. Er mußte ihn mit dem Knöchernen zusammenbringen, damit auch dieser besiegt werden konnte, und er mußte verraten, ob es noch weitere Höllengeister gab, denen er seine Macht zu verdanken hatte. Tot nützte ihm Gabert nichts. Er brauchte ihn lebend. Deshalb war Gordon Black in der Wahl seiner Waffen vorsichtig. Er verließ leise den Raum, in den er eingedrungen war, und schlich zur Treppe. Hier verharrte er für einen kurzen Augenblick, bevor er die Stufen erklomm. Auch in der oberen Etage war es so dunkel wie in jedem Haus, in das lediglich das Licht entfernter Straßenlaternen fiel. Es reichte gerade aus, um sich leidlich zu orientieren und gegen keine Möbelstücke zu rennen. Von der linken Seite tönte unterdrücktes Gemurmel. Kein Zweifel! Das war der Magier Gabert. Er beschwor die Bösen, ihm beizustehen. Gordon Black hatte inzwischen seine sämtlichen Waffen, die ihm die Polizei abgenommen hatte, wieder ausgehändigt bekommen. Er entschied sich jedoch für die Göttin Aradia, mit der er den Magier in die Enge treiben wollte. Er huschte zu der Tür, hinter der das Murmeln zu hören war. Lautlos öffnete er sie und sah Gaberts Rücken vor sich. Der Magier zuckte herum. Seine Augen blitzten auf. Er schoß 104 �
in die Höhe und hetzte zu einer seitlichen Tür. Gordon Black schaffte es nicht mehr, sich ihm in den Weg zu stellen. Er mußte hinterherlaufen. Er war überrascht, daß sich Gabert zur Flucht wandte. Fühlte er sich ihm tatsächlich unterlegen? Oder wollte er lediglich Zeit für seinen Angriff gewinnen, den er zweifellos vorbereitet hatte? François Gabert jagte durch die Räume, die alle durch Türen miteinander verbunden waren. Natürlich kannte er sich in seinem Haus besser aus als sein Verfolger, trotzdem holte Gordon Black auf. Ihn trennten nur noch drei Schritte von seinem Widersacher, mit dem er einige Wörtchen zu reden hatte. Gabert blickte sich gehetzt um und hob abwehrend beide Hände. Die Innenflächen waren mit satanischen Symbolen bedeckt. Sie strahlten gegen den Geisterjäger, und dieser mußte die Göttin Aradia dagegen einsetzen, um die Wirkung auszugleichen. Gabert stieß einen lästerlichen Fluch aus. Rückwärts wich er zurück. Seine flackernden Augen starrten auf die silberne Figur in Gordon Blacks ausgestreckter Hand. Offensichtlich peinigte sie ihn. »Gabert«, sagte Gordon Black zornig. »Dein Spiel ist zu Ende. Du hast dich der falschen Seite verschrieben. Ich will den Grund wissen. War es nur wegen des Geldes?« Der Antiquitätenhändler zog sich in den nächsten Raum zurück, und der Geisterjäger folgte ihm. »Ich habe Hilfe von denen genommen, die sie mir angeboten haben«, verteidigte sich Gabert. »Hätte ich das nicht getan, wäre ich jetzt tot. Und wer will das schon?« »Hast du deine Opfer danach gefragt? Glaubst du, daß die vierundfünfzig Menschen, die mit dir im Unglücksbus saßen, sterben wollten? Du wirst dafür deine Strafe erhalten. Und deine höllischen Helfer ebenso.« Der Geisterjäger drängte den Magier weiter zurück. Er war 105 �
voller Mißtrauen. Daß Gabert nicht den geringsten Versuch unternahm, sich ihm entgegenzuwerfen, erschien ihm seltsam. Er witterte die Falle förmlich, aber er erwartete sie von der falschen Seite. Der Magier erreichte das nächste Zimmer. Er sah sich entsetzt um. Die Tür stand weit offen. Es war die einzige Tür in diesem Raum. Gabert hatte sich selbst in eine Sackgasse manövriert. Ihm blieb nur noch der Sprung aus dem Fenster. War er mit entsprechenden Fähigkeiten ausgestattet, daß er den Sturz unbeschadet überstehen würde? »In dem Bus saßen zwei Männer, die einem Dämon im Wege waren. Sie mußten sterben. So oder so.« Gaberts Blicke huschten hin und her. Sie blieben am Fenster hängen. »Sie waren eine furchtbare Gefahr«, fuhr er winselnd fort. »Geisterjäger haben nun mal keinen Platz in dieser Welt, in der die Bösen die Herrschaft übernehmen wollen.« Gordon Black trat durch die letzte Tür. Das Abbild der Göttin Aradia reckte er vor. In diesem Moment bäumte sich Gabert hohnlachend auf. Glühende Blitze schossen aus seinen Augen. Die Tür flog krachend zu. Sie donnerte gegen das Handgelenk des Geisterjägers, den ein grauenvoller Schmerz durchpulste. Es war ihm unmöglich, die silberne Figur festzuhalten. Sie fiel auf den Boden, und da die Tür ihn von ihr trennte, blieb sie vorläufig für ihn unerreichbar. Es gelang ihm auch nicht, seine Hand freizubekommen. Der Schmerz wurde unerträglich, und im anderen Raum hörte er Gaberts höhnisches Gelächter. Aber Gordon Black hörte auch noch etwas anderes. Hinter ihm war ein Knistern, das ihn so weit herumfahren ließ, wie seine eingeklemmte Hand das gestattete. Ihm wurde trotz der brennenden Schmerzen eiskalt. Vor ihm 106 �
stand der Knochendämon und kam mit grinsendem Gebiß und erhobenen Händen auf ihn zu. Die dürren Finger zielten auf seine Schläfen. Da wußte er, daß diesmal er das manipulierte Opfer sein sollte. * Blanche saß in der Falle. Hanako Kamara hatte sie in einen Ring von Pflanzen gelockt, deren Art und Zusammensetzung nur ihr bekannt war. Von den getrockneten Blättern ging eine überraschende Kraft aus, die die rothaarige Frau jetzt zu spüren bekam. Hanako trieb sie mit den magischen Ringen in die Enge. Ihre Gegnerin schlug die Hände vors angstverzerrte Gesicht und schrie unter Qualen. Die Asiatin wollte die unschuldige Frau nicht leiden lassen. Ihr war klar, daß sie ein Opfer des Knochendämons vor sich hatte. Und natürlich Gaberts, dem sie zu Reichtum verhelfen sollte. Erst wenn beide besiegt waren, würden Blanche und die anderen, die im Gefängnis saßen oder sich wie Romain Lasalle auf der Flucht befanden, von dem dämonischen Bann befreit sein. Sie hielt die Ringe so, daß ihre Kraft abgeschwächt auf Blanche traf. Dann forderte sie zunächst die gestohlene Statue. Blanche blickte sie aus glasigen Augen an. Sie rührte sich nicht. Hanako war gezwungen, die Frau zu durchsuchen, und mußte zu ihrem großen Ärger feststellen, daß die Statue verschwunden war. Hanako war sicher, die Verfolgte keine Sekunde aus den Augen gelassen zu haben. Sie hätte sehen müssen, wenn die Frau ihre Beute fortgeworfen hätte. Aber die Tatsache blieb bestehen. Irgendetwas mußte geschehen sein, was sie nicht hatte beobachten können. Hinter einem 107 �
dämonischen Schutzschild zum Beispiel. Die Asiation sah langsam klar. Man hatte sie genarrt. Während sie stundenlang durch Paris gerannt war, hatte längst ein anderer die Beute übernommen und an ihren Bestimmungsort gebracht. Aber wozu diese Umstände? Gabert wußte sich doch ohnehin entlarvt. Wozu benutzte er solche aufwendigen Tricks? Sie brauchte jetzt nur mit Gordon zu ihm zu gehen und ihm die Hölle, die er anscheinend so sehr liebte, recht heiß zu machen. Hanako durchzuckte die plötzliche Erkenntnis, daß die ganze Täuschung einen konkreten Sinn gehabt haben mußte. Sie hatte von Gordon getrennt werden sollen, damit der Geisterjäger gefahrloser überwunden werden konnte. Ohne Zweifel hatten sie eine Falle für ihn aufgebaut, und sie konnte nur hoffen, daß er sie durchschaut hatte, sonst lebte er zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich nicht mehr. Dieser Gedanke brachte die zierliche Asiatin fast um den Verstand. Wie hatte sie sich derart hereinlegen lassen können? Nachträglich begriff sie das nicht mehr. Zu ihrer Entschuldigung konnte sie nur den Wunsch angeben, Blanche nicht aus den Augen zu verlieren und sie vor einer weiteren Auseinandersetzung mit bewaffneten Polizisten zu bewahren. Doch dieser gute Wille nützte Gordon nichts. Im Normalfall war er zwar nicht auf ihre Hilfe angewiesen, doch diesmal ahnte sie, daß sie sich zu einem schweren Fehler hatte verleiten lassen. Mit den Ringen hielt sie Blanche in Schach, obwohl sie bezweifelte, daß die Rothaarige auf Gewalttätigkeit programmiert war. Eher noch auf Flucht, aber auch die wollte sie unter allen Umständen verhindern. Gemeinsam verließen sie den Bois de Vincennes, und Hanako stoppte das erste Taxi, dessen sie habhaft werden konnte. Sie lieferte Blanche zu deren Schutz bei der Polizei ab und er108 �
fuhr dort, daß sich Gordon Black zum Hause des Antiquitätenhändlers begeben hatte. Da er jedoch schon vor über einer Stunde losgezogen war, hatte er einen uneinholbaren Vorsprung. Den würden seine Gegner gnadenlos ausnützen. * Gordon Black konnte sich nicht erinnern, sich jemals in einer ähnlich ausweglosen Situation befunden zu haben. Der Knochendämon kam immer näher. Seine Absicht, ihn zu unterwerfen und zu einem willenlosen Werkzeug für den verbrecherischen Gabert zu machen, war klar. Sobald die knöchernen Finger seine Schläfen berührten, war er verloren. Seine rechte Hand steckte noch immer in der Tür fest. Trotz aller Anstrengungen bekam er sie nicht frei. Eher würde er sie sich vermutlich aus dem Gelenk reißen. Er warf sich mit voller Wucht gegen die Tür, doch zweifellos wurde sie von dämonischen Riegeln gehalten. Gordon Black war nicht gerade ein Schwächling, aber hier versagten auch seine Schultern. Ohne seine Dämonenwaffen erreichte er nichts. Hastig glitt seine linke Hand unters Hemd, wo er das Hexenmesser wußte. Schon ergab sich die nächste Schwierigkeit. Wie sollte er die Waffe mit nur einer Hand von der roten Schnur lösen? Sie steckte zudem so, daß er sie besser mit der rechten Hand erreicht hätte. Der Knochendämon weidete sich augenscheinlich an seiner Ohnmacht. Das Opfer war ihm sicher. Der Fuchs hatte sich in der Falle gefangen. Man konnte ihm ungefährdet den Todesstoß versetzen. Aber der Geisterjäger war entschlossen, bis zur letzten Sekunde zu kämpfen. Schon jetzt konzentrierte er sich voll auf Ab109 �
wehr. Wenn der Knöcherne ihn berührte, wollte er möglichst lange geistigen Widerstand leisten. Unaufhörlich murmelte er die Anrufungen Adonays, doch der Dämon lachte nur darüber. Gabert brauchte nun nicht mehr vor ihm zu fliehen. Die vermeintliche Sackgasse war ein raffinierter Köder gewesen, den er, Gordon Black, prompt geschluckt hatte. Sein Hemd ging in Fetzen. Mit verrenkter Hand riß der Geisterjäger an der roten Schnur. Sie begann sich zu lösen. Schon fühlte er Erleichterung, denn mit dem Athame gelang es ihm wahrscheinlich, den Knochenmann auf Distanz zu halten. Doch im nächsten Augenblick schrie er unter Höllenqualen auf. François Gabert wartete nicht untätig, bis ihm sein dämonischer Partner die Arbeit abnahm und seinen ärgsten Gegner zum Bösen umpolte. Gordon Black spürte, wie eine Feuerklaue in seine eingeklemmte Hand schlug. Sie fraß sich fest, und hatte er zuvor wenigstens noch die Finger bewegen können, so wurden sie jetzt stocksteif, und die Lähmung kroch langsam den ganzen Arm hinauf. Würde sie danach auch den restlichen Körper erfassen? Sollte auch die Hand, die noch immer das Hexenmesser zu lösen versuchte, ausgeschaltet werden? Der Knochendämon zeigte seine fürchterliche Fratze, in die Gordon Black am liebsten mit beiden Fäusten geschlagen hätte. Aber er konnte nicht mal mehr zwei Fäuste ballen. Nur die linke war noch funktionsfähig. Die Gefahr rückte unaufhaltsam näher. Sie kroch von beiden Seiten auf ihn zu. Bis zum Ellbogen war der rechte Arm bereits steif, gleich würde es auch die Schulter sein. Was hatten sie mit ihm vor? Jetzt war der Knöcherne gänzlich heran. Seine Hände stießen grausam zu. 110 �
Gordon Black nahm den Kopf blitzschnell zur Seite. Nach hinten konnte er nicht mehr ausweichen. Da befand sich die Tür, die ihn bombenfest hielt. Der Dämon fauchte wütend. So zähen Widerstand war er nicht gewöhnt. Er startete den nächsten Angriff. Im gleichen Moment sprang ihn der Dämonenjäger mit beiden Füßen gleichzeitig an und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Während der Knochenmann taumelte, brüllte Gordon Black, denn er hing nur an der einen Hand fest, und der Schmerz war so gewaltig, als hätte er sich beide Unterarmknochen gebrochen. Ein gelähmter Arm, der aber Schmerzen empfinden kann, schoß es ihm durch den Kopf. Dann ist noch nicht alles verloren. Der Dämon stürzte nun mit voller Wut auf ihn zu. Die Tändelei hatte ein Ende. Der Geisterjäger war als noch immer ernst zu nehmender Widersacher erkannt worden. Und das war er auch. Endlich war es ihm gelungen, das Athame von der Schnur zu lösen. Sofort stieß er mit der Klinge zu und verfehlte den Rasenden nur knapp. Der Knochendämon, der – wie während der unheimlichen Party – einen schwarzen Anzug und seinen Homburg trug, hatte wahnsinnig schnell reagiert, als er die Gefahr auf sich zukommen sah. Jetzt rollte er sich über den Fußboden und richtete sich erst in sicherem Abstand von dem Geisterjäger wieder auf. Gordon Black nutzte die winzige Verschnaufpause. Er steckte die Klinge des Hexenmessers in den Türspalt und sprengte damit die magischen Riegel. Benommen torkelte er auf den Knöchernen zu. Er hatte sich so sehr gegen die Fessel gestemmt, daß er jetzt förmlich auf seinen lauernden Verderber zukatapultiert wurde. Er hörte François Gabert triumphierend aufjauchzen. Der Magier sah den Geisterjäger bereits überwunden, weil er nun am Boden lag. 111 �
Gordon Black hatte beträchtliche Mühe, schnell genug wieder in die Höhe zu kommen, denn sein rechter Arm war steif. Daran war nichts zu ändern. Und der Dämon wußte dieses Handikap in seinen Vorteil umzumünzen. Er warf sich auf den Geistervernichter und begrub ihn unter sich mit seinem knöchernen Leib. Er schlug mit aller Gewalt auf Gordon Blacks Handgelenk, damit dieser das Hexenmesser loslassen sollte. Gordon Black biß die Zähne zusammen. Niemals durfte er sich von dem Athame trennen. Er klammerte sich förmlich daran fest und versuchte, die Klinge aufzustellen, um den Dämon damit zu bedrohen. Zum Glück hatte der Knöcherne jetzt keine Hand frei. Dadurch konnte er seinen Gegner nicht in seine Abhängigkeit bringen. Das war Gordon Blacks Glück, wenn man in seiner verzweifelten Lage noch von Glück sprechen konnte. Gabert erkannte, daß der Knochendämon Hilfe brauchte, aber er konnte das vor der gesprengten Tür liegende Abbild der Göttin Aradia nicht überwinden. Das Böse in ihm bot eine breite Angriffsfläche für ihre weißmagischen Kräfte. Bebend vor Zorn war er dazu verurteilt, dem Kampf tatenlos zuzusehen. Schon jetzt überlegte er vermutlich, wie er das Hindernis beseitigen sollte, wenn Gordon Black erst mal tot war. Aber da fiel ihm schon etwas ein. Er würde einfach die danebenbefindliche Wand zerstören. Gordon Black hätte nicht gedacht, daß ein klappriges Gerippe so schwer sein konnte. Mit einer höllischen Last erstickte ihn der Dämon. Der rechte Arm des Geisterjägers wurde von tausend Schmerzen gepeinigt. Mit dem silbernen Anhänger hätte er den teuflischen Bann vielleicht wieder lösen können, doch Aradia war in unerreichbarer Ferne. Für den Bösen ein ärgerliches Hindernis, 112 �
für Gordon Black ein Hoffnungsschimmer, an den er sich klammerte. Der Knochendämon holte zum entscheidenden Schlag aus. Er kämpfte wie ein Lebender, nur mit ungleich größerer Kraft. Und mit allen unfairen Tricks, die je ersonnen wurden. Ein spitzes Knie rammte den Geisterjäger, der sich in wilden Schmerzen aufbäumte. Der Knöcherne ließ ihm keine Pause. Er schlug erneut zu, und Gordon Black wußte, daß er den nächsten Schlag nicht bei vollem Bewußtsein erleben würde. Er war so gut wie wehrlos. Sein rechter Arm taub und unbrauchbar, der linke durch rohe Gewalt am Fußboden gefesselt. Von unten drang eine Stimme herauf. »Gordon! Bist du da?« Das war Hanako. Dank allen guten Göttern und Geistern! Die Asiatin kam in buchstäblich letzter Sekunde. Gordon öffnete den Mund, um sich bemerkbar zu machen. Da schossen die Knochenhände auf seine Schläfen zu. »Töte Hanako!« kreischte François Gabert in höchsten Tönen. »Töte sie! Ich befehle es dir.« Gordon Black ruckte herum. Die Klinge des Hexenmessers streifte den Knochendämon und verursachte eine gespenstische Veränderung. Der Totenschädel begann grünlich zu leuchten. Auch die Hände strahlten phosphoreszierend auf. In einer kurzen Stichflamme gingen Anzug, Schuhe und Hut des Dämons in einem bestialisch stinkenden Feuer auf. Das Skelett kauerte nun nackt vor dem Geisterjäger, der seinen Kopf wie ein Bär schüttelte. Darin ging es zu wie in einem Bienenschwarm. Und immer wieder drang der unerbittliche Befehl an sein Ohr: »Töte Hanako!« Schritte. Sie kamen die Treppe herauf, liefen zuerst den Gang und bald darauf die Zimmerflucht entlang. Durch die Reihe geöffneter Türen konnte Gordon Black die erhitzte Asiatin erken113 �
nen. Er erhob sich taumelnd. Er wich ein paar Schritte zurück, während im gleichen Augenblick der Knochendämon endgültig explodierte. Den Kontakt mit dem Hexenmesser hatte er nicht überstanden. Gabert heulte voller Wut auf. Er rannte wie verrückt in seinem selbstverschuldeten Gefängnis hin und her und krachte immer wieder gegen die Mauer, die zu bersten begann. »Töte Hanako!« schrie er unentwegt. »Töte sie.« Da blickte Gordon Black auf seine Hand, in der er das Hexenmesser hielt. Das Brummen in seinem Schädel ließ nicht nach. Es ließ sich nicht abschütteln. Hanako Kamara eilte durch die Türen, und der Geisterjäger marschierte ihr mit gesenktem Kopf entgegen. * Hanako prallte entsetzt zurück, als sie den starren Blick Gordon Blacks erkannte. Sie wußte, was er zu bedeuten hatte. Genauso hatte auch Blanche sie angesehen. Hastig tastete sie nach ihrem Dogu, doch ihre Hand stockte. Niemals konnte sie diese Waffe gegen Gordon richten. Niemals! Lieber starb sie selbst. »Laß dir nichts anmerken, Hanako!« raunte Gordon Black ihr zu. »Gabert bildet sich ein, der Dämon hätte mich noch erwischt, aber ich konnte seinen Angriff in letzter Sekunde abwehren. Ich habe ihn vernichtet. Nur mein rechter Arm ist steif. Ich brauche Aradia. Die Göttin liegt bei Gabert und fesselt ihn.« Die Asiatin war unendlich erleichtert. Was Gordon behauptete, hörte sich ganz normal an. Sie glaubte nicht mehr, daß er manipuliert und auf sie angesetzt war. »Was hast du vor?« flüsterte sie. 114 �
»Gabert flieht durch die geschlossenen Mauern, wenn er merkt, daß wir nicht überwunden sind. Dann fängt sein hinterhältiges Spiel vielleicht an anderer Stelle wieder von neuem an. Wir müssen ihn fassen. Er soll glauben, ich hätte dich getötet. Alles andere wird sich ergeben.« Hanako brauchte keine weiteren Erklärungen. Sie schrie gellend auf und stürzte wie eine gelernte Schauspielerin zu Boden. Sie war eine zauberhafte Leiche. Gabert quittierte den Schrei mit höhnischem Beifall. »Gut gemacht, Killer Black«, lobte er. »Nun komm zurück und entferne diese scheußliche Figur von der Tür.« Er meinte die Göttin Aradia, die ihm mehr als nur Unbehagen einflößte. Gordon Black wandte sich gehorsam um. Er bemühte sich, den starren Blick gekonnt hinzukriegen. Vorsichtshalber hielt er den Kopf etwas gesenkt. »Beweg dich gefälligst ein bißchen schneller!« plärrte der Magier. Gordon Black gehorchte. Schon stand er wieder in dem Raum, in dem der Knochendämon verpufft war. Drei Schritte vor ihm lag der silbern blitzende Anhänger. Da brüllte Gabert auf. »Betrug! Du Verfluchter willst mich hinters Licht führen.« Seine magischen Kräfte hatten den Trick entschleiert. Er wußte nun Bescheid. Mit wildem Aufschrei fegte er mit einem einzigen Satz durch die Tür und riß Gordon Black mit sich. »Hanako, er flieht«, schrie Gordon Black. Das hatte die Asiatin ohnehin gesehen. Sie raste auf den Gang, um dem Magier den Weg abzuschneiden. Gordon Black mußte für die bevorstehende Auseinandersetzung voll einsatzfähig sein. Mit dem gelähmten Arm war er das 115 �
nicht. Deshalb hob er die magische Göttin auf, bevor er sich an die Verfolgung machte. Vorsichtig strich er mit der Figur von der rechten Schulter bis hinunter zu den Fingerspitzen und nahm erleichtert zur Kenntnis, daß ein entsetzliches Kribbeln begann. Das war jedoch ein erfreuliches Symptom. Das Blut begann wieder zu zirkulieren. Der dämonische Bann war gebrochen. Nun verlor Gordon Black keine Sekunde mehr. Er stürzte auf den Gang, den er leer vorfand. Er mußte stehenbleiben, um sich zu orientieren. Die hastigen Schritte klangen bereits aus dem Erdgeschoß. Gordon Black erschrak. Hanako war mit dem Magier allein. Er wußte nicht, welche Tricks dieser noch auf Lager hatte. Kaum hatte er das gedacht, als sich auch schon seine Haare sträubten. Sie signalisierten Gefahr. Blitzschnell hechtete er nach vorn und hinter ihm sauste etwas scheppernd zu Boden. Ein Blick zurück verriet ihm, daß ein messerscharfes Fallbeil ausgelöst worden war. Es hätte ihn zerschmettert, wenn ihn sein Instinkt nicht rechtzeitig gewarnt hätte. Er hielt sich nicht auf. Er hatte die Gefahr ja überstanden. Für die Gänsehaut war später noch reichlich Zeit. Er sah die Treppe vor sich. Es war die Treppe auf der anderen Seite des Ganges. Mit langen Sätzen flog er darauf zu, während er Hanako entsetzt aufschreien hörte. Irgendetwas Schreckliches mußte geschehen sein. Er erreichte die Treppe, die bei der ersten Berührung krachend zusammenstürzte und den Geisterjäger unter ihren Trümmern begrub. *
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Hanako hatte die Gefahr gewittert, aber erst als dreizehn feurige Lanzen auf sie zuschnellten, wußte sie, daß sie sich nicht geirrt hatte. Aber jetzt war es zu spät. Auch ihr verzweifelter Schrei nützte nichts mehr. Die Lanzen hackten neben ihr in die Wand. Sie nagelten sie dort beidseitig regelrecht fest, ohne sie allerdings zu berühren. Sie spürte nur die unerträgliche Hitze. Ohrenbetäubender Lärm erschütterte das Haus. Qualm drang von der Treppe her. Hanako sah, daß sie einstürzte und Gordon Black mit sich in die Tiefe riß. Er mußte sich das Genick brechen. Gabert stoppte seine Flucht. Die war nun nicht mehr nötig. Seine dämonischen Fallen waren zugeschnappt. Er hatte noch viel mehr davon ausgelegt, doch die würde er nicht mehr benötigen. Langsam kehrte er um und ging auf die Asiatin zu, die zwischen den feurigen Lanzen eingekeilt war. Bei der geringsten Bewegung mußte sie sich verbrennen. Der Magier nickte zufrieden. »Ihr wolltet mich reinlegen«, sagte er spöttisch, »aber ihr habt dabei nicht bedacht, daß ich mächtiger bin als ihr. Mächtiger auch als der Knochendämon, der sich hat vernichten lassen. Und mächtiger als jener Geist, der vor einem Jahr den Tod der Dämonenjäger Carpin und Dessignol in Auftrag gab und von dem ich auch nie wieder etwas hörte, weil er vermutlich doch noch an einen Stärkeren geraten ist. Für mich gibt es keinen Stärkeren. Nicht für François Gabert, den mächtigen Magier.« Er riß mit der bloßen Faust eine der glühenden Lanzen aus der Mauer, ohne sich daran zu verbrennen. Ihm konnte nur heiliges Feuer etwas anhaben. Er hob die Lanze und schickte sich an, Hanako Kamara damit zu blenden. Diese Strafe hatte er sich für sie ausgedacht. Wer ihm nicht dienen wollte, sollte leiden. »Zurück, Gabert!« Die Stimme kam von der Treppe. Dort stand 117 �
Gordon Black. Mehr tot als lebendig. Wie er sich unter den Trümmern hervorgeschunden hatte, würde wohl sein Geheimnis bleiben. Jedenfalls war kein heiler Fetzen mehr an ihm. In der Faust hielt er die Dämonenpeitsche, aber bevor er zum Schlag ausholen konnte, schleuderte Gabert die Lanze nach ihm. Der Geisterjäger duckte sich, und das höllische Geschoß raste über ihn hinweg. Es hieb in die geborstenen, hölzernen Stufen und setzte sie sofort in Brand. Nur flüchtig dachte Gordon Black an die ganzen Beutestücke, die nun auch ein Opfer der Flammen werden würden. Die fünf Schnüre der Dämonenpeitsche zuckten den Gang entlang. Sie rissen die Lanzen, die Hanako auf einer Seite gefangenhielten, aus der Wand. Die Asiatin war wieder frei. Gabert heulte auf. Sollte er doch noch unterliegen? Gab es eine stärkere Macht als das Böse? Er wandte sich zur Flucht. Mit einem zweiten Hieb fetzte Gordon Black die restlichen Feuerlanzen aus der Mauer und machte damit den Weg für die Verfolgung frei. Hanako lief bereits los. Sie hatte noch lange nicht die Nase voll. Gemeinsam rannten sie aus dem Haus. Draußen fuhr gerade ein schwarzer Wagen los. Gabert saß am Steuer. Er drehte sich nach ihnen um und winkte ihnen höhnisch zu. Er war ihnen entkommen. Doch sein Hohn rächte sich. Hanako und Gordon hörten ihn aufschreien. Dann sahen sie, wie sein Wagen frontal gegen eine Häuserwand raste und dort in eine lodernde Fackel verwandelt wurde. François Gabert starb den gleichen entsetzlichen Tod, den er an vierundfünfzig unschuldigen Menschen verschuldet hatte. *
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Der erste, der ihnen dankbar die Hand drückte, war Perdule. Er war bekehrt und versicherte, die Fähigkeiten des Geisterjägers und seiner mutigen Mitstreiterin höheren Ortes rühmen zu wollen. Kommissar Belois brauchte eine Weile, ehe er verkraftet hatte, was man von ihm behauptete. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, daß auch er ein Handlanger des Knochendämons gewesen war. Den übrigen Inhaftierten erging es nicht anders, wenn auch keiner mehr aggressiv auf die Verdächtigungen reagierte. Der verderbenbringende Bann war von ihnen genommen worden. Zur gleichen Zeit, als der Magier den gerechten Flammentod starb, erlosch das Feuer in seinem Haus. Die Statue des Horos sowie die übrigen Schätze konnten den Bestohlenen zurückgegeben werden. Die meisten hatten ein erfreutes »Danke schön!«. Lediglich die Bank, die der Physiker Marcel Ferron überfallen hatte, zeigte sich durch einen großzügigen Scheck bei den Geisterjägern erkenntlich. Und so behielten sie Paris zum Schluß doch noch in einigermaßen angenehmer Erinnerung. ENDE
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