Eva Marbach
Peakoil Reloaded Roman
Wie wärs mit einem Buch zum Anfassen? http://autorin.eva-marbach.net
Der Verkehr...
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Eva Marbach
Peakoil Reloaded Roman
Wie wärs mit einem Buch zum Anfassen? http://autorin.eva-marbach.net
Der Verkehr steht still, Bauern können ihr Land nicht bearbeiten und Tankstellen gehen pleite. Alles nur, weil das Erdöl immer knapper wird. Die gesamte Wirtschaft leidet unter dem Mangel und droht zusammenzubrechen. Hungersnöte kündigen sich an. Alice muss in dieser schwierigen Situation nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Familie kämpfen. Dieser Roman erzählt in lebendiger Weise, wie die Welt aussehen könnte, wenn in wenigen Jahren das Erdöl tatsächlich knapp wird und schildert Lösungsansätze. Der Leser taucht ein in ein zukünftiges Szenario und erlebt hautnah die Probleme, denen sich in diesen Zeiten jeder stellen muss.
Über die Autorin: Eva Marbach, 1962 in Hannover geboren, schrieb mit 13 Jahren ihren ersten Roman über eine Marsexpedition. Anschließend widmete sie sich den Herausforderungen des Lebens und etwas später ihren zwei Söhnen, die inzwischen aus dem Haus sind. Seit 1997 leitet Eva Marbach das Internet-Projekt Parsimony.net mit Diskussionsforen, Online-Shops, Gästebüchern und vielen anderen Angeboten. 2003 beschloss sie, dass es Zeit wurde, endlich Schriftstellerin zu werden und begann mit dem Roman "EMP". "Peakoil Reloaded" ist der vierte Roman, den sie seitdem geschrieben hat.
Eva Marbach Verlag, Breisach Copyright 2005: Eva Marbach Verlag, Breisach http://verlag.eva-marbach.net Taschenbuchversion: ISBN 3-938764-00-7
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1 "Tut mir leid, die Lieferung Ihrer Solarzellen verzögert sich leider um mindestens vier Wochen. Wir melden uns bei Ihnen, sobald wir neue Panele erhalten haben", entnervt legte Alice den Telefonhörer auf. Da arbeitete sie nun in der Boombranche alternative Energien und musste all ihre Kunden vertrösten. Was nützte da der ganze Boom? Alice sammelte die Gesprächsnotizen der letzten Stunden zu einem Stapel und eilte ins Büro ihres Chefs. "Chef, so geht das nicht weiter. Etliche Kunden drohen bereits mit Klage, weil wir nicht liefern können." "Bitte halten Sie durch Alice! Ich weiß, es ist hart, die ganze Kunden zu vertrösten, aber immer noch besser, als sie ohne Informationen in der Luft hängen zu lassen. Weltweit sind zur Zeit keine Solarmodule lieferbar." "Was taugen alternative Energien, wenn sie im Ernstfall nicht verfügbar sind?" "Sie haben völlig recht, aber leider können wir die Welt nicht ändern. Hier ist die Liste der Kunden, die nächste Woche auf ihre Lieferung warten. Machen Sie erst eine Pause und nehmen Sie sich diese Liste anschließend vor. Ich bin sicher, Sie werden das mit dem üblichen Charme erledigen." "Grrr, na gut. Dafür werde ich schließlich bezahlt. Aber ich würde wirklich lieber an der Auslieferung mitwirken als bei der Vertröstung." "Sie sind eine wunderbare Vertrösterin!" "Ok, Sie haben gewonnen." Aber erst mal genehmige ich mir eine ausgiebige Pause. Die habe ich mir redlich verdient, dachte Alice und machte sich auf den Weg in die Kantine. Vergeblich suchte sich dort nach dem PremiumCappuccino, nur stinknormaler Billigkaffee war verfügbar. Der Service hier war auch schon mal besser. Ob es so schlecht mit unseren Finanzen steht? Auch Thorsten, einer der Techniker, rümpfte die Nase, als er das Angebot der Kantine begutachtete. Alice sah eine Gelegenheit gekommen, um sich Klarheit über die Lieferprobleme zu verschaffen. Manche der enttäuschten Kunden wollten es nämlich ganz genau wissen. "Hier Thorsten. Cappuccino gibt es zwar nicht, aber hier habe ich einen Milchkaffee für dich." "Das ist lieb von dir, danke!" "Sag mal, warum gibt es denn eigentlich so wenig Solarzellen auf dem Markt?" "Das ist schnell erklärt: sie verschlingen immer noch zuviel Energie bei der Produktion. Und seit das Öl ernsthaft knapp ist, kommen die Hersteller nicht mehr hinterher. Dass die Preise deutlich gestiegen sind, weißt du ja bestimmt." "Klar, das Gejammer der Kunden muss ich mir täglich anhören. Und wie sieht es mit den besonders dünnen Zellen aus?" "Die sind natürlich besser, aber das reicht bei weitem nicht aus, um den Weltmarkt zu befriedigen. Du musst die ganzen Kunden vertrösten, gell? Mit dir möchte ich echt nicht tauschen." "Auf die Vertrösterei könnte ich auch gut verzichten. Aber immer noch besser als ohne Job dastehen." "Stimmt auch wieder." Nachdenklich schlürfte Alice ihren Kaffee. Oh je, gleich wieder mit den schimpfenden Kunden telefonieren. Mich graust es! Was ist da nur schief gegangen? Dabei sind Solarzellen doch so eine tolle Sache. Aber kaum wurde das Öl knapp, gab es nur noch Probleme mit der Lieferung der Fotovoltaik. Selbst hier in der Kantine wird inzwischen auf die Festbeleuchtung verzichtet. Richtig duster ist es hier, trotz Frühling. Als sie wieder an ihrem Schreibtisch saß, holte Alice zehn mal tief Luft, bevor sie die Nummer des nächsten Kunden wählte. Dann imaginierte sie eine Schutzglocke um sich herum, die selbst durch den Frust der Kunden nicht gestört werden konnte. Ein wenig hilft das ja, aber meistens reicht es nicht.
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Diesmal soll es reichen. Ich bin unverwundbar. Locker und voller Verständnis bewältige ich die Kundentelefonate. "Ich habe mich aber voll auf die Lieferung der Solarmodule verlassen. Wir brauchen sie ganz dringend. Hier steht alles still!" So und ähnlich empörten sich die meisten der Kunden. Alice konnte dem nur freundliche Worte entgegen setzen. Ihr einziger Trumpf war die Tatsache, dass es weltweit die gleichen Probleme gab. Nirgendwo gab es genügend Fotovoltaik-Zellen, das stand sogar in den Zeitungen. Nur ein Viertel der Kunden wird wirklich unfreundlich. Die anderen sind eigentlich sehr verständnisvoll. Das sollte ich anerkennen. Wenn es doch nur nicht so schwer fallen würde. Endlich waren die aktuellen Kunden durchtelefoniert. Zeit für den Feierabend. Alice fühlte sich wie ausgewrungen. Nichts wie nach Hause. Dieser Job macht mich völlig fertig. Dabei habe ich es noch so viel besser als die meisten anderen. Kühle erwartete sie in ihrem Appartement. Für März war es deutlich zu kalt, aber seit das Thermometer keine Minusgrade mehr anzeigte, hatte Alice ihre Heizung ausgeschaltet. Mollige Wärme war inzwischen unbezahlbar. Mit einer dicken Strickjacke kuschelte sich Alice in die Kochnische und wartete bis ihr Süppchen aufgewärmt war. Um möglichst viel Wärme aus der Suppe zu ziehen, fügte Alice eine große Prise Cayennepfeffer hinzu. Die Schärfe verbrannte zwar fast ihren Mund, wärmte aber kräftig von innen. So sieht also das Leben der heutigen Erfolgsmenschen aus: Ganztags Kunden vertrösten und abends Aufwärmen mit scharfen Suppen. All die anderen haben nicht mal Kunden und bestimmt fehlt ihnen auch die Schärfe für die Suppe. Und ich dachte noch, ich hätte das große Los gezogen, als ich die Stelle bei der Solarfirma bekam. Dass es auch dort so massive Probleme gibt, hätte ich echt nicht erwartet. Gibt es überhaupt noch erfolgreiche Nischen in dieser abstürzenden Welt? Das Klingeln des Telefons riss Alice aus ihren schwermütigen Gedanken. Sie ließ es klingeln und wartete bis der Anrufbeantworter seine Pflicht übernahm. Nach ihrer Ansage hörte sie, wie ihre Mutter sich meldete. "Hallo Alice! Schade, dass du nicht da bist. Bitte ruf uns mal an. Wir haben leider massive Sorgen und brauchen dringend deine Hilfe." Alice stürzte ans Telefon und nahm den Hörer ab. "Hallo Mami, was gibt's? Ihr habt ernsthafte Probleme?"
2 "Ja, uns steht das Wasser leider bis zum Hals und wir wissen uns keinen Rat mehr, außer dich anzurufen, auch wenn es mir sehr schwer fällt, dich zu belästigen", die Stimme von Alices Mutter klang zitterig. "Schieß schon los: was ist passiert?" "Es ist die Stromrechnung. Die Jahresabrechnung war so teuer, dass wir sie nicht bezahlen können. Du weißt ja, unsere Tankstelle läuft miserabel, weil wir nichts zu liefern haben, darum fehlt uns an allen Ecken das Geld. Wir sparen ja schon so gut wie wir können. Aber dass der Strom jetzt auch noch so teuer geworden ist, bricht uns fast das Genick. Stell dir vor: die wollen uns den Strom abstellen, wenn wir nicht bis nächste Woche zahlen. Aber dann stehen die Zapfsäulen still und alles ist aus." "Ich verstehe. Das klingt ja gar nicht gut. Das kleine Solarmodul, das ich euch letztes Jahr besorgt habe, reicht bestimmt hinten und vorne nicht aus. Ich kann euch was überweisen, denn ich habe noch Ersparnisse auf der Bank." "Das würdest du für uns tun? Alice, du bist wirklich ein Schatz. Ich wage ja kaum, das anzunehmen." "Was bleibt dir anderes übrig? Wenn ich mal wieder bei euch bin, schaue ich, ob und wie ihr noch Energie sparen könnt, denn darin bin ich inzwischen Spezialistin geworden." "Ja, meine Liebe, du hast den richtigen Beruf ergriffen. Wir sind ja so stolz auf dich. Komm doch bald mal wieder zu Besuch!"
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"Gerne! Ich werde sehen, was sich machen lässt, aber versprechen kann ich leider nichts." "Lass es dir gutgehen, mein Schatz. Tschüss!" "Tschüss Mami und grüß den Vater ganz lieb." Oh je, das klingt ja nach einer echten Katastrophe bei denen. Normalerweise würden die ja nie anrufen und mich um Hilfe zu bitten. Das ist sonst gar nicht ihr Stil. Wie gequetscht Mamis Stimme geklungen hat. Die stehen wohl kurz vor der Pleite. Und glauben, dass wenigstens ich gut versorgt bin. Wie gut, dass sie nicht wissen, dass wir auch nichts liefern können. Sonst würden sie vor lauter Sorgen wohl umkommen. Ich muss unbedingt mal hinfahren und bei den Eltern nach dem Rechten sehen. Doch zu allererst sollte ich ihnen mal das Geld schicken. Alice warf ihren Computer an und überwies etwas mehr als die benötigte Summe. Ihre Rücklagen schmolzen spürbar dahin. Doch ein Blick auf den Wert ihrer Anlagen in Öl ließ ihre Laune wieder steigen. Tag für Tag wurden ihre fiktiven Barrel Light-Öl wertvoller. Das ist doch ein schönes Sicherheitspolster in diesen energiearmen Zeiten. Aber wenn es so weiter geht, muss ich wohl bald anfangen, mein kostbares Öl zu verkaufen. Wie schade. Vor dem Schlafen suchte Alice zähneklappernd nach ihrem Schlafsack. Diese Nacht wollte sie nicht wieder frieren. Dick eingemummelt in drei Schichten Decke lag sie schließlich im Bett und konnte vor lauter Sorgen nicht schlafen, aber wenigstens hatte sie es warm. Am nächsten Morgen war es draußen wieder klirrend kalt, aber ein Fünkchen Sonnenschein versprach Besserung im Laufe des Tages. Alice zog ihre Handschuhe an und schwang sich auf ihr Fahrrad. In der U-Bahn war es ihr zu voll, seit die Autos kaum noch fuhren. Der Kessel Stuttgart lag unter ihr und erstickte fast im Qualm. Welch ein Gestank von all diesen Kohleheizungen ausgeht. Hoffentlich ist es bald so warm, dass alle ihre Heizung abschalten. Wenigstens muss ich auf meiner Route nicht so tief in die Innenstadt eintauchen, sonst würde es noch schlimmer stinken. Im großen Bogen fuhr Alice durch Nebenstraßen um die halbe Stadt. Als sie endlich ihre Firma erreichte, fühlte sie sich gut durchgewärmt und hungrig genug für ein riesengroßes Frühstück. Der Aufzug war immer noch kaputt, also erstieg Alice die vier Geschosse zu Fuß auf der Treppe. Der Kaffeeduft erreichte sie schon vor der Kantinentür und ließ ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen. Als ich noch bequem mit der U-Bahn unterwegs gewesen bin, war ich nicht so gefräßig, aber meine tägliche Fitnesstunde auf dem Fahrrad macht sich stark bemerkbar. Ist mir ja schon fast peinlich. Aber die anderen Radler hauen auch gewaltig rein. Also ran an die Stullen. Das früher so üppige Frühstücksbuffet in der Kantine ihrer Firma war wieder etwas mehr zusammengeschrumpft. Inzwischen sah das Angebot richtiggehend armselig aus, aber immerhin gab es noch genügend Brot und Müsli, um satt zu werden. Schade, dass es kein Nutella mehr gibt, aber die Erdbeermarmelade schmeckt auch ganz passabel. Nachdem Alice die ersten beiden Brotscheiben verschlungen hatte, setzte sich ihre Kollegin Susanne zu ihr an den Tisch. Auch ihr gut gefülltes Tablett zeugte von kräftigem Hunger. "Morgen Alice. Das Radeln macht echt immer hungrig. Ich könnte einen ganzen Bären verspeisen." "Mir gehts ähnlich. Wie gut, dass wir hier Frühstück bekommen, sonst würde ich bis zum Mittagessen wohl nur zittrig und kraftlos in den Seilen hängen. Sag mal: wäre es wohl möglich, dass ich Freitag Urlaub nehme, denn meine Eltern brauchen übers Wochenende meine Hilfe?" "Du weißt doch, dass du die einzige bist, die so richtig gut vertrösten kann. Ich geb ja zu, in der Auftragsabwicklung habe ich gerade kaum was zu tun, aber bei mir werden die Kunden immer so richtig sauer, wenn ich ihnen absage." "Stimmt. Wenn ich nur wüsste, was ich anders mache, würde ich es dir ja gerne verraten. Ich hasse diese Vertrösterei genauso wie du, daran kann es also nicht liegen. Wie wär es denn, wenn ich die fälligen Anrufe schon am Donnerstag erledige und schwierige Fälle, die am Freitag reinkommen, könntest du mir dann aufs Handy weiterleiten?" "Na gut, darauf kann ich mich einlassen. Jetzt musst du natürlich noch einen Urlaubsantrag stellen. Ich drück dir die Daumen."
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Mit viel Überredungskraft gelang es Alice, ihren Chef zu überzeugen, ihr frei zu geben. Wie hartnäckig der ist. Dabei habe ich noch haufenweise Resturlaub vom Vorjahr. Der soll sich freuen, dass er mir nicht alles ausbezahlen muss. Sobald sie ihre wichtigsten Anrufe bewältigt hatte, steuerte Alice im Netz die Fahrkartenreservierung an. Sie gab die gewünschte Zugverbindung ein und klickte auf "Bestellen". Doch anstatt ihr eine Fahrkarte zum Ausdrucken anzuzeigen, stand dort "Alle ICE-Verbindungen ausverkauft!". Frustriert versuchte es Alice mit größeren Regionalzügen, aber auch die waren auf Wochen hinaus ausverkauft. Erst bei den allerlahmsten Bummelzügen hatte Alice mehr Erfolg. Sie konnte ihre bestellte Fahrkarte ausdrucken. Darauf prangte aber unübersehbar "Ohne Platzreservierung". Bestimmt sind diese Züge völlig überfüllt. Na, das kann ja was werden. Und wie lange das dauert! Schrecklich! Die nächsten Tage zogen sich wie Kaugummi. Immer wieder musste Alice mit Kunden telefonieren, die bitter enttäuscht darüber waren, dass ihre versprochenen Solarzellen nicht geliefert werden konnten. Ich kann es ja gut verstehen, dass sie so sauer sind, denn inzwischen werden die Solarzellen ja dringend benötigt, um den Strombedarf zu decken. Früher wäre das alles nicht so schlimm gewesen, weil Solarenergie mehr einem versponnen Hobby als einem essentiellen Bedarf entsprach. Aber bei den ständigen Stromausfällen und der Leistungslimitierung machen eigene Solarzellen einen riesigen Unterschied. Am Freitag morgen stand Alice besonders früh auf und machte sich reisefertig. Ihr Fahrrad wollte sie lieber nicht am Bahnhof stehenlassen, daher nahm sie ausnahmsweise mal wieder die U-Bahn. Mit grösster Mühe fand sie in der zweiten U-Bahn einen Platz, eingequetscht zwischen ungepflegten Jugendlichen und Berufstätigen im Anzug. Der Geruch nach Schweiß und Deo war überwältigend. Fast blieb Alice der Atem weg. Doch die Erfahrung in der U-Bahn war nichts im Vergleich zum Bummelzug. Nur unter Zuhilfenahme ihrer Ellenbogen gelang es Alice überhaupt, in den Zug zu gelangen. Bis zur vierten Station wurde sie heftigst gegen die Tür gedrückt und jedesmal, wenn sich diese öffnete, fast zerquetscht. Dann wurde sie mit den Aussteigenden rausgespült und musste sich erneut einen Platz erkämpfen. Im Laufe der Fahrt wurde sie jedoch ins Innere des Zuges gesogen, wo sie neben einen schmierigen Typen gepresst wurde, der die Gelegenheit nutzte, um sich an ihr zu reiben. Als Alice umsteigen musste, war sie ganz erleichtert, doch die Hoffnung währte nur kurz, denn der nächste Zug war kein Stück besser als der vorherige. Nur der eklige Mann blieb ihr erspart. Stattdessen stand sie neben einer Frau, die ihr ständig in den Nacken nieste. Immerhin konnte sie auf dieser Strecke aus dem Fenster gucken, denn sie wurde genau in Fensterblickrichtung festgehalten. Wie immer gefiel Alice das Oberrheintal ausgesprochen gut. Sie liebte es, auf der einen Seite den Schwarzwald zu sehen und auf der anderen Seite das weite Tal. Bei diesem Anblick fühlte sie sich sofort heimisch. Auf einem der Vorhügel des Schwarzwaldes stand ein einsames Windrad, unbeweglich, wegen der herrschenden Windstille. Schade, dass hier im Süden so wenig Wind weht, sonst hätten wir wohl weniger Energieprobleme. Dass die überhaupt ein Windrad aufgestellt haben, ist eigentlich erstaunlich. Aber es scheint weitgehend nutzlos zu sein und die Geldgeber ärgern sich bestimmt über diese Fehlinvestition. Hätten sie es besser weggelassen, dann wäre auch die Landschaft nicht dadurch verschandelt worden. In Freiburg musste Alice nochmal umsteigen und kurz darauf näherte sie sich Breisingen, ihrer kleinen Heimatstadt. Am Bahnhof wartete ihr Vater auf sie - zu Fuß - was Alice für ein sehr schlechtes Zeichen hielt, denn ihr Vater war ein leidenschaftlicher Autofahrer. "Hallo meine Liebe! Wie schön, dass du dir frei nehmen konntest." "Grüß dich, Vater. Was ist denn mit deiner Stimme passiert? Du klingst so atemlos."
3 "Von dieser schrecklichen Grippe habe ich mich immer noch nicht richtig erholt", Alices Vater blickte bei diesem Geständnis verlegen auf den Boden.
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"Was? Das wusste ich ja gar nicht, dass ihr auch diese Grippe hattet." "Wer hatte die nicht? Fast alle hatten sie in unserer Gegend. Und ich bin nicht mehr der Jüngste, da ist es wohl normal, dass es eine Weile dauert, bis alles wieder so funktioniert wie vorher." "Stimmt auch wieder. Ich hatte sie schließlich auch und habe euch nicht extra informiert. Aber bei mir verlief sie glimpflich, wie eine ganz normale Grippe." "Bei deiner Mutter war sie auch nicht so schlimm. Aber meine Lunge hat fast gestreikt; vermutlich weil ich soviel geraucht habe. Inzwischen habe ich das Rauchen aber aufgegeben." "Im Ernst? Du rauchst nicht mehr? Das ist ja kaum zu fassen! Dazu kann ich dir nur gratulieren!" Alice nahm ihren Vater noch mal in den Arm und drückte ihm einen Extrakuss auf die Wange. Oh je, das muss aber schrecklich gewesen sein, wenn er sich sogar das Rauchen abgewöhnt hat. Und ich wusste von nichts. Wie bedrohlich müssen da erst die aktuellen Sorgen sein, denn diesmal haben sie mich angerufen und um Hilfe gebeten. "Hat auch den Vorteil, dass wir eine Menge Geld sparen, das vorher für die Zigaretten draufgegangen ist", Alices Vater gelang ein schiefes Grinsen. "Und das Autofahren hast du auch aufgegeben?" "Oh, hör mir damit auf. Der Sprit fehlt an allen Ecken und Enden. Das droht uns fast zu ruinieren. Daher fahre ich nur noch, wenn es zu Fuss nicht geht." "Das ist bestimmt ganz schlimm für dich." "Was glaubst denn du? Na ja, lassen wir's. Deine Mutter wartet bestimmt schon ganz ungeduldig mit dem Essen auf dich. Sie hat extra dein Lieblingsessen gekocht." Wie gut, dass ich kaum Gepäck habe. So ist es nur ein netter Spaziergang, um nach Hause zu kommen. Vater ist bestimmt auch froh, dass er keine Koffer schleppen muss, so ohne Auto. "Oh, wie es hier nach Frühling duftet. Bei uns in Stuttgart ist der Frühling noch nicht so weit. Hier blühen ja schon die Bäume." "Einige schon, aber auch hier hat es heuer länger gebraucht als sonst. Hörst du, wie sich die Vögel über den Frühling freuen?" Alice nickte andächtig. Auf den Vogelgesang lauschend setzten Vater und Tochter ihren Weg fort. Der Weg bis nach Hause dauerte gerade lange genug, dass sich Alice wieder an die Heimat gewöhnen konnte. Im Frühling ist es hier am schönsten, oder vielleicht doch eher im Herbst, wenn der Wein reif ist und die Bäume bunt? Schade, dass es hier keine guten Jobs gibt. Kaum erreichten sie das heimische Grundstück, gackerten Hühner um sie herum und behinderten sie beim Weitergehen. "Ihr habt wieder Hühner?" "Da staunst du, was? Und Kaninchen haben wir auch angeschafft. Auf der Wiese steht sogar eine Ziege, die hoffentlich bald Milch gibt." "Stimmt. Da staune ich! Großvater wäre bestimmt superglücklich, wenn er das noch erleben könnte. Wie kommts?" "Ich weiß nicht, wie es bei euch ist, aber hier wird das Angebot in den Geschäften immer teurer. Und dann habe ich mich eben auf die Stärken unserer Vorväter besonnen und wieder Viehzeug angeschafft. Die Hühner legen schon fleißig Eier." "Bei uns gibt es auch Engpässe. Aber in der Stadt kommt man kaum auf die Idee, sich Hühner zu halten." "Das wär auch nix. Hühner brauchen Land, um zu gedeihen." Endlich gelangten sie zum Wohnhaus. Die Hühner hatten soviel Lärm gemacht, dass sie die Mutter anscheinend über die Ankunft informiert hatten, denn noch bevor Vater und Tochter sich der Tür genähert hatten, riss die Mutter sie auf und stürmte auf Alice zu. "Oh, mein Mädchen, wie schön, dass du kommen konntest. Wie gut dir die blonden Strähnchen stehen. Und wie dankbar ich bin, dass du uns gerettet hast. Komm rein, meine Liebe!" "Tach Mami! Das war doch selbstverständlich, dass ich euch geholfen habe. Ich habe übrigens einen Bärenhunger und es riecht schon ganz lecker." Ein Strahlen ging über das Gesicht von Alices Mutter.
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"Ja, ich habe Schupfnudeln mit Kalbsbrust und Erbsengemüse für dich gekocht." "Mhm, das klingt wunderbar! Du bist einfach die Größte!" Alices Mutter schien um zwei Zentimeter zu wachsen, so sehr freute sie sich über die Anerkennung. Bei dem leckeren Essen verflog Alices sorgenvolle Stimmung für eine Weile. Sie fühlte sich wieder ganz zu Hause, wie in alten Zeiten. Fast. Denn bei der Soße fehlte die Sahne. Es schmeckte zwar trotzdem hervorragend, aber diese winzige Veränderung zeigte deutlich, wie weit die Probleme schon in den Alltag hineinreichten. "Erzähl von deiner Arbeit, wenn du magst. Ich freue mich immer, wenn ich an dich denke, dass du dich für so einen zukunftsträchtigen Beruf entschieden hast." "Es ist sehr nett dort. Das Betriebsklima ist hervorragend und in der Kantine werden wir gut bekocht, aber natürlich lange nicht so gut, wie von dir. Das Kalbsfleisch ist dir mal wieder besonders zart gelungen." "Findest du? Ich habe mir auch besondere Mühe gegeben, damit es dir schmeckt." Noch mal Glück gehabt. Ohne lügen zu müssen, konnte ich ihr Positives von meiner Firma erzählen und den Köder mit dem Fleisch hat sie ja wunderbar geschluckt. "Sag mal, meine Liebe", begann Alices Mutter in einem Tonfall, der Alice sofort verriet, dass sie einen Wunsch äußern wollte, sich aber nicht ganz traute. "Nur zu, ich bin ganz Ohr." "Wir wollen unseren Rasen umgraben, um daraus einen Kartoffelacker zu machen. Dass dein Vater sich noch nicht wieder richtig erholt hat, weißt du ja bestimmt schon. Und da wollte ich fragen, ob du vielleicht beim Umgraben helfen könntest?" "Gerne grabe ich um. Aber da wird euch doch das Herz bluten, den heißgeliebten Rasen zu opfern." "Stimmt! Wir haben auch lange mit uns gekämpft", äußerte sich Alices Vater zu der Angelegenheit. Sein Gesicht wirkte wie versteinert. "Was ist denn mit den Nachbarn und ihren Traktoren? Können die nicht geschwind den kleinen Acker umzackern?" Der Vater räusperte sich: "Tja, die Nachbarn und ihre Trecker. Die haben keinen Sprit für ihre Maschinen. Und wenn sie welchen hätten, müssten sie erst mal ihre eigenen Felder pflügen." "Diese Unholde geben zu allem Überfluss auch noch uns die Schuld an ihrer Misere", Alices Mutter standen plötzlich Tränen in den Augen. "Beruhige dich, Mami. Wenn die anfangen zu denken, wird ihnen auch klar werden, dass die Ölknappheit nicht an euch liegt. Wie schon gesagt: ich grabe gerne um. Vom täglichen Fahrradfahren bin ich auch recht gut im Training. Habt ihr denn Arbeitsklamotten für mich?" "Ja, ich finde bestimmt was für dich. Natürlich mit Gürtel, denn meine Sachen sind dir viel zu weit. Wie schön schlank du geworden bist." "Die gute Figur kommt vom Radeln. Macht sich natürlich auch gut, wenn ich bei Außenterminen einen schicken Anzug anziehen muß." "Hach, das kann ich mir gut vorstellen, wie elegant du bei so einem Termin aussiehst. Ich bin ja so stolz auf dich." "Das freut mich Mami." Und stolz sollst du auch bleiben, dann hast du wenigstens einen Grund zur Freude. Nach dem Essen ging Alice mit ihrer Mutter in den Keller. Dort lag schon ein Stapel Arbeitskleidung bereit, duftend wie frisch gewaschen, sorgfältig gebügelt und präzise zusammengelegt. Ach, die Mami, bügelt sogar die Arbeitsklamotten perfekter als ich meine Nobelsachen. Die Kleidung passte gut, nur die Hose war ein wenig zu kurz und natürlich deutlich zu weit. Aber der bereitliegende Gürtel hielt sie rutschfrei an der Taille zusammen. Dann erhielt Alice noch Arbeitshandschuhe und mit einer Grabgabel bewaffnet betrat sie den Garten. Dort wartete schon ihr Vater auf sie, auch gerüstet für einen Arbeitseinsatz im Garten. Er zeigte Alice, wie sie am einfachsten die Rasensoden abheben konnte, um dann die darunterliegende Erde so tief wie möglich zu lockern. Sein Blick strich über die Fläche des Rasens, sein ganzer Stolz, Halm für Halm liebevoll gepflegt und seine Gesichtszüge verhärteten sich.
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"Hat sowieso immer viel zuviel Wasser verschlungen. Das kostbare Nass nutzen wir jetzt lieber für Kartoffeln, dann haben wir wenigstens was davon. Und soviel Feuchtigkeit wie der Rasen brauchen die bestimmt nicht." "Das leuchtet ein. Da könnt ihr bestimmt zentnerweise Kartoffeln ernten auf dieser großen Fläche." "Ja genau, das hoffe ich auch. Dann brauchen wir wenigstens kaum noch Essen kaufen. In meiner Kindheit haben wir hier auch genug Kartoffeln für die ganze Familie angebaut. Und auch noch Grünzeug und Rüben für die Viecher. Lass uns anfangen!" Am Anfang war ihr Vater schneller mit dem Umgraben, doch dann vergößerte sich Alices Fläche rasch und sie hörte ihren Vater keuchen, obwohl sie weit voneinander entfernt arbeiteten. Alice forderte ihn auf, sich nicht zu überfordern und zu ihrer Überraschung machte er tatsächlich immer wieder ein Päuschen. Oh je, es muss ihm wirklich schlecht gehen, wenn er Pausen beim Graben macht, während seine Tochter weiterackert. Mir macht es aber Spaß. Der Frühling ist hier so viel deutlicher als in Stuttgart. Wie die Sonne auf den Rücken brennt. Und das Zwitschern der Vögel spornt mich richtig an. Alices Handy klingelte und brachte einen Misston in die fröhliche Vogelmusik. Alice zog das Telefon aus ihrer Hosentasche und aktivierte das Gespräch. "Guten Tag! Hier spricht Alice Schafferer, was kann ich für Sie tun?"
4 "Solarzellen sind zur Zeit leider weltweit knapp. Wir werden Sie informieren, sobald es wieder welche gibt." Immer das Gleiche. Wie leid ich diese Vertröstungen bin. Wieviel lieber würde ich Tag und Nacht arbeiten und Solarpanele ausliefern. Was solls? Der Grabgabel hier muss ich wenigstens nicht absagen. "Was war denn das?" Alices Vater war näher gekommen. "Nur ein geschäftliches Telefonat. Ich musste versprechen, manche Anrufe entgegen zu nehmen, um Urlaub zu bekommen." "Könnt ihr etwa auch nicht liefern?" "Du hast viel zu gute Ohren. Ja, die Nachfrage ist so groß, dass wir nicht liefern können. Aber erzähl das bloß nicht Mami, sonst macht die sich nur unnötige Sorgen." "Aber sonst ist alles in Ordnung bei dir?" "Ja klar, auch du brauchst dir keine Sorgen machen." "Wenn du Probleme haben solltest, sind wir immer für dich da. Das weißt du ja bestimmt." "Ja, das weiß ich und ich bin froh darüber. Lass uns weiter umgraben." Das Graben geht ganz schön in den Rücken. Da nützt auch das ganze Fahrradtraining nichts. Hoffentlich halte ich noch ne Weile durch. Wie winzig das Stück erst ist, das wir geschafft haben. Und wie viel Rasen noch auf uns wartet. Das schaffen wir nie übers Wochenende. Nach und nach wurde Alice langsamer mit dem Graben und musste sich immer wieder aufrichten, um ihren Rücken zu entspannen. Schließlich hatte ihr Vater sie trotz seiner Atemprobleme wieder eingeholt. Immer wieder standen beide da, auf ihre Grabgabeln gestützt und grinsten sich verlegen an. "Lass uns Schluss machen. Für heute hat es keinen Zweck mehr und morgen ist auch noch ein Tag", schlug Alices Vater vor. "Du hast wohl Recht. Immerhin haben wir schon was geschafft." "Für die Frühkartoffeln reicht es schon. Und die anderen Kartoffeln kommen sowieso erst nach den Frösten in den Boden." "Schade, dass ich soweit weg wohne, sonst könnte ich öfters mal beim Umgraben helfen." "Stimmt! Lass uns reingehen. Deine Mutter hat bestimmt einen Kuchen für uns." Alice duschte sich den Schweiß vom Körper, dann ging sie in die Tankstelle, wo ihre Mutter an der Kasse stand. Kunden waren nicht zu sehen. Die Mutter griff nach ihrem Piepser, der sich melden würde, falls Kunden kämen und folgte Alice ins Wohnhaus. Dort servierte sie einen leckeren
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Erdbeerkuchen. Alice lief das Wasser im Mund zusammen. Wie erhofft, hatte sich ihre Mutter mit dem Kuchen mal wieder selbst übertroffen. Nach dem Kuchenessen legte sich Alices Vater zu einem Mittagschläfchen hin und Alices Mutter schaute nachdenklich von der Tankstelle zur Küche. "Soll ich für eine Weile die Tankstelle übernehmen, damit du Zeit für die Küche hast? Ich glaube, ich weiß noch, wie es geht." "Oh, das wäre wunderbar." Also setzte sich Alice hinter die Kasse und wartete auf Kundschaft. Sie bewegte ihren Rücken hin und her, um ihn zu lockern und freute sich, dass sie sich nicht mehr bücken musste. Trotz der Pausen, die sie beim Umgraben gemacht hatte, befürchtete sie einen fürchterlichen Muskelkater. Nach einer Weile stand sie auf und ging in dem kleinen Tankstellenladen umher, um zu sehen, wie sich das Angebot verändert hatte. Im Vergleich zu früher gab es mehr Artikel des täglichen Bedarfs und Nahrungsmittel. Die Tankstelle war zu einer Art Tante Emma Laden geworden, wie so viele Tankstellen in den letzten Jahren. Sogar eine Backecke hatten ihre Eltern eingebaut. Sie versuchen echt mit allen Mitteln, auch unabhängig vom Sprit Geld zu verdienen. Schade, dass es trotzdem so schwer fällt. Als sie nach draußen schaute, sah Alice einen unbekannten jungen Mann auf den Laden zu kommen. Die Ladenklingel schlug an, als er die Tür öffnete. "Guten Tag! Wie sieht's denn heute mit Diesel aus?" "Guten Tag! Leider kann ich Ihnen heute keinen Kraftstoff anbieten. Kann ich Ihnen mit etwas anderem behilflich sein?" "Schon wieder kein Sprit! Ist denn absehbar, wann es wieder welchen gibt?" Das gibt's doch nicht: überall wo ich hinkomme, muss ich Leute vertrösten, weil ich nicht liefern kann. Ob das wohl mein Schicksal ist? "Wir hoffen jeden Tag auf eine Lieferung, aber es dauert länger als erhofft." "Das merk ich! Mein Trecker hat Durst und mein Rücken tut schon ganz weh vom Umgraben." "Von einem schmerzenden Rücken kann ich auch ein Lied singen. Gerade heute habe ich umgegraben, bis der Rücken kracht. Sie sind aber nicht von hier, oder?" "Das hört man wohl deutlich raus? Ich bin aus dem Norden hergezogen und bewirtschafte im Nachbarort einen ehemals verlassenen Hof." "Sie meinen doch nicht etwa den alten Hippie-Hof?" "Doch, so könnte man ihn wohl nennen. Aber wir sind keine Hippies, das möchte ich betonen." "Sie sehen auch gar nicht wie ein Hippie aus", eher wie ein wütender Städter, der kurz vor der Verzweiflung steht, weil sein Trecker nicht brummt. "Wie kann ich Ihnen denn sonst eine Freude machen?" Der junge Mann warf Alice einen grimmigen Blick zu, doch dann schaute er sich um und fing an zu schnuppern. "Es riecht hier so lecker." "Sie meinen bestimmt unser Baguette. Frisch gebacken!" "Packen Sie mir so eins ein. Meine Frau wird sich darüber freuen. Und haben Sie auch was für den kleinen Hunger zwischendurch?" "Da könnte ich Ihnen ein Sandwichbrötchen anbieten, wahlweise mit Käse, Salami oder Schinken. Und wie wärs mit einem Kaffee?" "Gute Idee! Ich nehme eins mit Salami und den Kaffee gönne ich mir auch." Alice legte ein Salamisandwich auf einen Teller und eine Serviette daneben. "Hier schon mal das Sandwich. Sie können es sich dort an dem Stehtisch gemütlich machen. Der Kaffee kommt gleich." Da genehmige ich mir doch auch einen Kaffee und stelle mich dazu. Der Typ scheint nett zu sein, auch wenn er ziemlich zornig hier rein kam. Mit einem Röcheln schoss der Kaffee in die Tassen. Der Kaffeeduft mischte sich unter den Baguettegeruch, sodass es wie in einer Bäckerei duftete. Alice trug die beiden Tassen an den Stehtisch.
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"So, hier ist der Kaffee. Wie sind Sie denn dazu gekommen, den alten Hof zu übernehmen. Sie sind doch nicht etwa der Sohn der alten Frau Wagner, denn der sah früher völlig anders aus." "Nein, der bin ich nicht. Sie kennen sich aber gut hier aus. Dabei habe ich Sie hier bisher noch nie gesehen." "Normalerweise arbeite ich in Stuttgart, aber jetzt besuche ich gerade meine Eltern." "Das erklärt ihre verständliche Sprache. Es ist ganz erleichternd, mal mit jemand Einheimischen zu sprechen, den ich verstehe. Ein bisschen klingen Sie auch wie Frau Wagner und die kam ursprünglich aus Stuttgart, habe ich gehört." "Die Frau Wagner kennen Sie also?" "Ja klar, die habe ich in meiner alten Heimat kennengelernt. Und weil es ihr um den verlassenen Hof so leid tat, hat sie ihn mir anvertraut." "Klingt ja interessant und vor allem sehr mutig. Den Sprung von der Stadt aufs Land und dann gleich noch mit eigenem Bauernhof stelle ich mir recht abenteuerlich vor." "Da sprechen Sie ein wahres Wort gelassen aus. Es macht Freude, strengt aber höllisch an. An was man da alles denken muss." "Das glaube ich Ihnen gerne. Ich bin zwar hier aufgewachsen, hätte aber meine liebe Not, auch nur einen kleinen Gemüsegarten zu betreiben." "Ich hoffe ja, wir lernen es im Laufe der Zeit. So, jetzt muss ich aber nach Hause, meine Frau wartet bestimmt schon auf mich. Ach, da fällt mir noch ein: könnten Sie mich vielleicht informieren, wenn Sie Diesel bekommen? Dann müsste ich nicht täglich anrufen oder vorbeikommen. Mar... äh, Trautmann ist mein Name. Ich kann Ihnen meine Nummer da lassen." "Würde ich ja gerne, Herr Trautmann, denn ich kann gut verstehen, wie nervig es ist, täglich nachzufragen. Aber ich fürchte, wenn der Sprit erst mal ankommt, dann ist hier die Hölle los, sodass niemand dran denkt, Sie anzurufen. Außerdem bin ich dann wieder in Stuttgart und kann das leider nicht übernehmen." "Schade, aber es leuchtet ein, was Sie sagen. Danke für das Sandwich. Es war sehr lecker." Herr Trautmann bezahlte und schwang sich dann auf sein Fahrrad, das er vor dem Tankstellenladen geparkt hatte. Es zog einen Anhänger, der selbstgebaut wirkte und mit Einkäufen beladen war. Alice sah ihm nachdenklich nach, bis er in der Ferne verschwand. Welch ein Abenteurer! Der wird bestimmt noch schwer zu kämpfen haben, unerfahren wie er ist. Und die Bauern halten ihn wahrscheinlich für einen eingebildeten Fatzke, weil er so gestochen hochdeutsch spricht. Dabei ist er ein netter Kerl und gar nicht hochnäsig. Das Sandwich hat ihn ja gut besänftigt. Am liebsten würde ich auch meinen wütenden Solarzellenkunden Sandwichs anbieten, aber das geht leider schlecht durchs Telefon.
5 Kurz nach Sonnenuntergang kam Alices Mutter in den Tankstellenladen, um Alice zum Abendessen abzuholen und den Laden zu schließen. "Ist alles glatt gegangen? Und waren überhaupt Kunden da?" "Ja, einer war da. Ein junger Mann, der im Nachbardorf den Wagner-Hof übernommen hat." "Ach der! Der ruft täglich an und fragt nach Diesel. Wie mir dieses ewige Vertrösten auf die Nerven geht. Ich könnte daran verzweifeln." "Das glaub ich dir gern. Bestimmt würdest du liebend gerne die ganze Stadt volltanken, als immer wieder sagen zu müssen, dass nichts lieferbar ist." "Ganz genau! Du kannst dich wirklich gut in andere hineinversetzen." Wie gut, dass sie nicht weiß, warum es mir so leicht fällt, ihre Situation nachzuempfinden. "Der junge Mann hat sich übrigens mithilfe eines Sandwiches sehr gut besänftigen lassen. Vielleicht solltest du dein Sandwichangebot ausbauen. Dann können die Kunden wenigstens etwas mitnehmen und ihr verdient Geld." "Das habe ich mir auch gedacht, darum haben wir überhaupt damit angefangen."
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"Der Baguetteduft hat ihn übrigens gelockt. Ein passender Geruch ist anscheinend sehr verkaufsfördernd." "Wie lieb du dir Gedanken über unser Geschäft machst. Komm, lass uns rüber gehen, das Abendessen wartet." Das Abendessen war vergleichsweise schlicht, aber der Salat schmeckte Alice ausgesprochen gut. Aus dieser Kochkunst müsste man doch irgendwie Profit schlagen können. Da sollte ich echt mal drüber nachdenken. Nach dem Essen holte Alices Vater einen Wein aus dem Keller. "Hier haben wir ein feines Tröpfchen von Ludwig, du weisst schon, meinem Cousin. Hat er mir gegen eine der letzten Tankfüllungen gegeben, als ich noch Benzin liefern konnte." "Hm, lecker! Die Weine hier aus der Gegend sind einfach die besten, obwohl die Stuttgarter das immer nicht wahr haben wollen." Die Mutter holte die besten Gläser aus dem Schrank und der Vater öffnete geschickt die Flasche. Rubinrot leuchtete der Rebensaft in den Gläsern. Die Familie prostete sich zu und trank dann schweigend die ersten Schlucke. Wie ungewohnt, dass keiner etwas sagt. Sie wollen bestimmt nicht ständig von ihren Problemen erzählen und sagen deshalb nix. Wenn mir nicht gleich was einfällt, fragt Mami bestimmt nach meiner Arbeit und ob ich einen Freund hätte, bald heiraten wolle und überhaupt, wie es mit Enkeln stehen würde. Dem muss ich unbedingt zuvorkommen. "Sagt mal, über verschiedene Energieträger mach ich mir ja den ganzen Tag Gedanken bei meiner Arbeit. Bestimmt habt ihr schon mal überlegt, ob ihr Erdgas zum Tanken anbieten wollt." Alices Vater ergriff dankbar die Gelegenheit, das Schweigen zu brechen: "Sicher, darüber haben wir schon vor Jahren nachgedacht. Damals war es uns zu teuer und wir wollten uns für die Anlage nicht weiter verschulden. Der Trippinger, du weißt schon, unser Hauptkonkurrent hier im Ort, hat es damals gemacht. Die Bank hat ihm das ganze Geld geliehen. Am Anfang lief es auch wunderbar mit dem Gastanken. Taxiunternehmen und andere Profifahrer waren die Vorreiter, dann wurde es immer beliebter, mit Erdgas zu fahren, weil es billiger war. Aber natürlich stiegen schließlich auch die Gaspreise, als das Öl immer teurer wurde. Das war aber noch nicht weiter schlimm - für den Trippinger, meine ich natürlich. Für uns war es schon schlimm, dass wir da nicht mitmachen konnten. Aber dann gab es Lieferengpässe und seit fast zwei Jahren hat er gar kein Erdgas mehr bekommen. Die Russen haben anscheinend aufgehört, Deutschland zu beliefern, oder so ähnlich. Auf jeden Fall hängt das Problem mit Russland zusammen. Tja, und seit einem halben Jahr ist der Trippinger pleite, weil er die Raten für die Anlage nicht mehr zahlen konnte. Wie gut, dass wir das nicht mitgemacht haben." "Wie schade! Wäre eine schöne Alternative gewesen. Aber dann hättet ihr es ja schon längst gemacht. Und wie siehts mit Biodiesel und Salatöl aus?" "Im Prinzip genauso wie mit normalem Treibstoff: zu teuer und vor allem knapp. Das Öl der Rapsbauern geht an langfristige Vertragspartner und Regierungsstellen. Mit Biodiesel und anderen Kraftstoffen sieht es ähnlich aus. Wir können hier nur auf eine Sonderzuteilung für den ländlichen Raum hoffen. Als Sondermaßnahme der da oben, damit unsere Bauern pflügen können. Aber auch nur, wenn wir Glück haben. Und verdient wird an solchen Zuteilungen fast gar nichts." "Bitter!" "Du sagst es. Wir können uns freuen, dass unser Haus und der Laden abbezahlt sind, sonst sähe es ganz finster aus. Schon die Stromrechnung kann uns ruinieren, wie du ja erlebt hast. Für deine Hilfe in dieser Angelegenheit will ich dir noch mal ganz herzlich danken. Ich weiß gar nicht, was wir ohne dich gemacht hätten." Auch Alices Mutter bedankte sich noch mal wortreich. Anschließend unterhielten sie sich über den Garten und die Gemüse, die dort angebaut werden sollten. Wenigstens mal ein Thema, bei dem einem der Mangel nicht sofort ins Gesicht springt. Eigentlich faszinierend, wenn man sein Essen selbst herstellen kann. Macht einen etwas unabhängig vom leidigen Geldverdienen. Früher fand ich den Gemüsegarten immer furchtbar langweilig, außer den Erdbeeren natürlich. Mit einem leichten Schwipps ging Alice schließlich ins Bett. Ihr altes Jugendzimmer wartete wie immer auf sie, fast unverändert seit sie ausgezogen war. Die schwierige Situation ihrer Eltern ging ihr
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noch eine Weile durch den Kopf, doch die Gartenarbeit hatte sie so müde gemacht, dass sie nach kurzer Zeit einschlief. Am Morgen konnte Alice kaum aufstehen, so sehr schmerzte ihr Rücken bei jeder Bewegung. Ächzend schaffte sie es schließlich ins Bad, wo sie erstmal warmes Wasser über ihren gepeinigten Rücken fließen ließ. Aber auch danach konnte sie kaum gerade gehen. Stöhnend und seufzend erschien sie beim Frühstück, wo ihre Mutter schon mit der dampfenden Kaffeekanne auf sie wartete. "Oh, war das Umgraben gestern wohl zu viel?" "Anscheinend. Aber es gibt noch so viel umzugraben, da muss ich heute unbedingt noch mal ran, wenn auch mit Pausen. Schlimmer kann es eh kaum werden." "Du kannst mir auch beim Ansäen helfen. Oder im Laden. Oder du lässt es dir einfach gut gehen und genießt den freien Tag." "Wenn ich schon mal hier bin, dann kann ich euch auch helfen. Aber deine Vorschläge sind verlockend. Wenn ich eine Pause beim Umgraben brauche, komme ich darauf zurück." In kleinen Portionen grub Alice noch ein ordentliches Stück Rasen um, fast soviel wie ihr Vater. Dann lernte sie die Hühner und Kaninchen kennen, als sie beim Füttern half und säte mit ihrer Mutter Tomaten, Gurken und Kohl in kleine Töpfe, die sie an einen besonders warmen Platz stellten. In den Laden kamen kaum Kunden, daher nahmen sie einfach den Piepser mit, um niemanden zu verpassen. Das Telefon klingelte hingegen öfters. Alle wollten wissen, ob es inzwischen Treibstoff gab. Alice sprach einen charmanten Text auf den Anrufbeantworter, der alle Anrufer darüber aufklärte, dass sie auf Sprit noch warten mussten. Über diese kleine Aktion war Alices Mutter besonders glücklich. Am Sonntagmorgen ließen sie es ruhig angehen, denn in dieser gutbürgerlichen Gegend war an sonntägliches Umgraben gar nicht zu denken. Alice war froh darüber, denn ihr Rücken schmerzte noch schlimmer als am Vortag. Sie nahm ein ausgiebiges Bad, bei dem sich einige der Verspannungen lösten. Danach gab es Mittagessen und dann war es auch schon wieder Zeit für die Fahrt nach Hause. Irgendwie schade. Es fühlt sich gar nicht so an, als würde ich nach Hause fahren, sondern eher als würde es in die Fremde gehen. Dabei lebe ich jetzt schon seit so vielen Jahren in Stuttgart. Aber mit der Großstadt bin ich einfach noch nicht warm geworden. Die Zugfahrt war wieder ein unerfreuliches Gequetsche. Warum sie das bloß nicht besser in den Griff bekommen? Dabei hatten sie doch viele Jahre Zeit, sich auf das Knapperwerden des Öls einzustellen. Das wäre doch eigentlich die beste Chance für den Zugverkehr. Wir zahlen schließlich alle ein kleines Vermögen für so eine Reise. Da müsste es doch möglich sein, die Verbindungen besser auszubauen. Oder wenigstens genügend Waggons an die Züge zu hängen. Bestimmt fehlt ihnen die Energie zum Bau der Waggons. Das ist doch heutzutage die Ausrede für Alles. Und wahrscheinlich stimmt es sogar. Warum nur, warum haben sie sich nicht rechtzeitig darum gekümmert? Es war doch seit Jahrzehnten eine klare Sache.
6 "Iiiih!" der Schrei hallte durchs gesamte Büro. "Neiiiin!" Alice war auf den Gang getreten, gerade noch rechtzeitig, um ihre Kollegin aus der Finanzbuchhaltung davon abzuhalten, wie irre gegen die Stirnwand des Ganges zu rasen. "Was ist denn passiert?" fragte Alice und bemühte sich um einen beruhigenden Tonfall. "Der Herr Meyer! Neiiiin! Der, der..." "Ist ja gut, was ist denn mit dem Herrn Meyer?" "Nichts ist gut!" kreischte Frau Merkenthal und riss sich aus Alices Umarmung, nur um sich gleich darauf wieder schluchzend anzukuscheln. Oh je, was ist da wohl passiert? Ob sie einen scharfen Verweis von Herrn Meyer bekommen hat? Oder gar die Kündigung? Aber das würde mich wundern. Sie ist doch so fleißig bei der Sache und immer peinlichst genau mit all den Zahlen. Außerdem würde sie in so einem Fall nicht so ausflippen, sondern eher still leiden. Es muss was anderes sein. Ah, da kommt Susanne, die kann sich ums Trösten kümmern, dann schaue ich selbst mal nach.
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Alice winkte ihre Kollegin Susanne herbei und schob die schluchzende Frau Merkenthal in ihre Arme. Dann näherte sie sich der Tür zur Finanzbuchhaltung. Die Tür stand offen. Und dann sah Alice den Anlass für Frau Merkenthals Ausbruch: Herr Meyer baumelte von der Decke, mit einem Seil um den Hals. Sein Kopf hing schief und die Augen waren entsetzt aufgerissen. Er war ganz eindeutig tot. "Was ist denn hier für ein Drama?" ein anderer Kollege war neben Alice getreten und stieß einen Laut des Entsetzens aus, sobald er Herrn Meyer sah. In diesem Moment bewegte sich Herr Meyer plötzlich. Er ruckte mehrmals, aber sein Gesichtsausdruck änderte sich nicht. Fast hätte Alice selbst losgeschrien, aber sie konnte sich gerade noch zusammenreißen. Dann erkannte sie, dass nicht Herr Meyer sich bewegte, sondern dass die Deckenbeleuchtung, an der er sein Seil befestigt hatte, im Begriff war, von der Decke zu fallen. Was dann auch geschah. Mit einem ohrenbetäubenden Krachen stürzten die Lampe und Herr Meyer zu Boden. "Lasst mich mal durch, ich habe eine Sanitäterausbildung!" rief einer der Mitarbeiter, die sich inzwischen in der Finanzbuchhaltung eingefunden hatten. Er drängte sich nach vorne, kniete sich neben Herrn Meyer und fühlte seinen Puls. Zuerst am Handgelenk, dann am Hals. Nach einer Weile schüttelte er den Kopf und schloss die aufgerissenen Augen von Herrn Meyer. Alice war inzwischen an den Schreibtisch von Herrn Meyer getreten und fand dort ein Stück Papier mit der Aufschrift: "Es reicht nicht. Sorry!" das war alles. Der Computer-Bildschirm war eingeschaltet, aber der Bildschirmschoner war aktiv, sodass Alice nichts erkennen konnte. Weil ihr klar war, dass sie eigentlich nichts anfassen durfte, gab sie der Maus mit ihrem Fingernagel einen kleinen Schubs von der Seite, ohne sie richtig zu berühren. Jetzt konnte sie eine Tabelle erkennen, die ganz unten von einer fetten sechsstelligen Zahl in leuchtendem Rot und mit einem Minuszeichen davor abgeschlossen wurde. "Die Monatsabrechnung!" flüsterte einer der Mitarbeiter geradezu andächtig. "Hört mal Leute, wir sollten alle den Raum verlassen und die Polizei informieren. Es sieht zwar eindeutig nach einem Selbstmord aus, aber das sollten wir von einem Fachmann beurteilen lassen", der Leiter der Verkaufsabteilung brachte etwas Vernunft in die Sache. Nach und nach leerte sich der Raum der Finanzbuchhaltung wieder. Der Verkaufsleiter schloss ab und nahm den Schlüssel an sich. Dann informierte er mit seinem Handy die Polizei. "So, jetzt geht alle zurück an die Arbeit. Alice und Susanne kümmert ihr euch bitte um Frau Merkenthal?" Alice nickte und schloss sich Susanne und Frau Merkenthal an. Sie gingen in die Kantine, wo die Köchin schon mit einem extra starken Kaffee auf sie wartete. Wie sie die Ohren spitzt. Sie will bestimmt aus erster Hand wissen, was geschehen ist. Doch Frau Merkenthal schluchzte nur, weit davon entfernt, sich ihren Kummer von der Seele zu reden. Alice und Susanne verständigten sich mit Blicken, umarmten Frau Merkenthal und äußerten Tröstlaute. Die Köchin erfuhr nichts. "Guten Tag, ich bin Hauptkommissarin Martins. Sie haben den Toten aufgefunden?" "Ja sie", sagte Alice und deutete auf die immer noch schluchzende Frau Merkenthal. "Und dann ich. Frau Merkenthal! Da ist eine Kommissarin, die will wissen, wie Sie Herrn Meyer gefunden haben." Frau Merkthal hob langsam ihren Kopf und starrte die Polizistin mit glasigen Augen an. Zuerst schien sie nichts zu begreifen. Doch dann klärte sich ihr Blick allmählich. "Ich wollte zur Arbeit in mein Büro gehen, wie jeden Tag und da hing er. Dann habe ich geschrien und bin auf den Gang gelaufen." "Das war alles?" Frau Merkenthal nickte und sackte dann wieder zusammen. Ihre Schultern zuckten. "Ich hörte sie als Erste schreien und dann habe ich sie im Gang in Empfang genommen. Anschließend bin ich selbst ins Büro der Finanzbuchhaltung gegangen und sah Herrn Meyer von der Decke hängen. Er hing an einer Lampe, die dann kurz danach mit ihm zusammen von der Decke fiel." "Können Sie sich erklären, warum sich Herr Meyer aufgehängt hat? Hatte er Sorgen?"
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Alice erzählte von dem Zettel mit der kurzen Abschiedsnotiz und der Minuszahl im Computer. Die Kommissarin fragte nach jedem Detail. Das ist ja wie im Fernsehkrimi. Fehlt nur noch, dass sie nach meinem Alibi fragt. Doch nach Alices Alibi wurde nicht gefragt. Die Situation schien ohnehin so klar, dass nicht weiter in Richtung Mord ermittelt, sondern der Selbstmord klar als solcher akzeptiert wurde. Nach einigen Stunden rückten die Polizisten wieder ab. Frau Merkenthal erholte sich im Laufe des Tages soweit, dass sie in der Lage war, die Monatsabrechnung auszudrucken. Nachdem sie selbst die potentiellen Folgen der Abrechnung begriff, verschlechterte sich ihre Laune zwar wieder, aber damit war sie nicht alleine, denn alle Mitarbeiter waren über die schlechten Finanzzahlen entsetzt. Die alltäglichen Vertröstanrufe waren für Alice noch viel schwerer als sonst, denn ihr wurde klar, dass mit jedem dieser Anrufe tausende von Euros verzögert wurden, wenn nicht gar verloren gingen. Am Ende dieses bitteren Tages konnte sie gut nachvollziehen, was Herrn Meyer in den Tod getrieben hatte. Von der Geschäftsleitung hörte man kein aufmunterndes Wort. Die Chefs hatten sich zu einer Dauersitzung zurückgezogen, um die Zukunft der Firma zu besprechen. Kurz vor Feierabend wurde ein großes Meeting für den nächsten Nachmittag angekündigt. Den meisten Mitarbeitern war sehr mulmig zumute, was dieses Meeting anging. Die Gerüchte schäumten über.
7 So viele Mitarbeiter sind wir inzwischen! Beim letzten großen Meeting waren es noch deutlich weniger. Wir vermehren uns ja wie die Karnickel. Alice beobachtete, wie sich der Speisesaal nach und nach füllte, bis er zum Bersten voll war. Die letzten fanden keine Stühle mehr und lehnten sich an die Wände. Als Herr Wohlmuth, der Firmenchef, den Raum betrat, verstummte das allgegenwärtige Gemurmel. "Sie alle haben wohl schon vom Tod des Leiters unserer Finanzabteilung Meyer gehört. Wir beginnen mit einer Schweigeminute, um Herrn Meyer zu gedenken." Alle schwiegen. Zappelten. Blickten verstohlen von einem zum anderen. Dann war die Minute um, und Unruhe drohte auszubrechen. Doch vorher begann Herr Wohlmuth wieder zu sprechen. "Wir haben uns hier zusammengefunden, um die Schwierigkeiten zu lösen, die Herrn Meyer so erschreckt haben. Zuerst die gute Nachricht: Unser Auftragseingang ist nicht nur ungebrochen gut, sondern hat letzten Monat einen erneuten Höhepunkt erreicht. Wenn wir all unsere Kunden zügig beliefern könnten, würden wir in Saus und Braus leben." "Was für ein Unfug!", "Das können Sie Ihrer Grossmutter erzählen", "Das kann ich ja kaum glauben." Unruhe ergriff den Raum. Herr Wohlmuth nickte dem Leiter der Verkaufsabteilung zu. Dieser erhob sein elektronisches Steuergerät und ließ eine Kurvengrafik auf der Stirnwand des Raumes erscheinen. "Tatsächlich haben wir im letzten Monat einen Verkaufsrekord erlebt. Und dieser Monat sieht noch vielversprechender aus. Sehen Sie hier diese beiden Kurven. Die Blaue zeigt die Anzahl der Aufträge und weist steil nach oben. Und die Rote zeigt die Auftragsumsätze - noch steiler. Herr Wohlmuth liegt völlig richtig, wenn er sagt, dass wir in Saus und Braus leben könnten, wenn wir all unsere Kunden beliefern könnten." Die gleichen Mitarbeiter, die vorher protestiert hatten, klatschten jetzt frenetisch. Sie müssen wohl ihre Emotionen austoben. Ist ja fast peinlich, wie sie ihr Fähnchen nach dem Wind hängen. Na ja, sie haben wohl schlichtweg Angst um ihren Job. Geht mir ja genauso. "Leider", ergriff Herr Wohlmuth wieder das Wort, "können wir zur Zeit nicht in dem Maße liefern, wie wir und unsere Kunden wünschen. Das liegt daran, dass weltweit zu wenig Fotovoltaikzellen produziert werden. Daher haben wir einen gewissen Liquiditätsengpass, denn nicht belieferte Kunden zahlen natürlich auch nicht."
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"Aber warum werden so wenig Zellen produziert? Das widerspricht doch allen Gesetzen der Marktwirtschaft", empörte sich einer der Mitarbeiter aus der Marketingabteilung. Herr Wohlmuth forderte einen der Techniker auf, die Zusammenhänge zu erklären. Dieser ließ sich vom Verkaufsleiter das Steuergerät geben und projizierte eine neue Grafik an die Wand. "Die Balken in der oberen Grafik stellen die Energie dar, die benötigt wird, um eine FotovoltaikZelle zu produzieren. Wie Sie sehen, ist dieser Energiebedarf im Laufe der Jahre gesunken. Das ist sehr erfreulich für uns. Darunter die Grafik zeigt die Ausbeute der Fotovoltaik-Zellen. Wie Sie erkennen können, steigt die Ausbeute stetig an. Auch wieder sehr erfreulich. In der untersten Grafik sehen Sie die Zeitdauer, die eine Fotovoltaikzelle aktiv sein muss, um ihre Produktionsenergie wieder abzugeben. Glücklicherweise sinkt dieser Zeitraum immer weiter ab." "Alles gut und schön, aber wie erklärt das unser Problem?" wollte ein besonders ungeduldiger Mitarbeiter wissen. "Dazu wollte ich gerade eben kommen. Obwohl die erforderliche Produktionsenergie inzwischen sehr viel schneller wieder eingefahren wird als vorher, dauert es immer noch mehrere Jahre, bis sich eine Fotovoltaikzelle energetisch amortisiert hat. Da ist der Energieverbrauch unserer Firma noch gar nicht mit einkalkuliert, sondern nur die reine Herstellung. Ist das soweit verständlich?" "Ja klar, aber warum erhöht man nicht einfach die Preise, dann amortisieren sich die Produktionskosten schneller?" "Bei dieser Betrachtung geht es nicht um Geld, sondern um Energie. Teurer geworden sind die Zellen sowieso. Der Energiebedarf fragt aber nicht nach Geld. Es wird eifrig nach effektiveren Lösungen geforscht und wie Sie sehen, können wir uns auch schon über erhebliche Verbesserungen freuen. Aber all das führt nicht an der Tatsache vorbei, dass zuerst Energie gebraucht wird, um die Fotovoltaikzellen zu produzieren. Energie, die zur Zeit so knapp ist wie nie zuvor." "Dann hätten wir vielleicht besser eine Windrad-Firma aufgemacht, oder?" "Der Energiebedarf zur Windradproduktion ist, relativ gesehen, zwar geringer, aber im Prinzip besteht da genau das gleiche Problem. In Süddeutschland ist Windenergie zudem kaum von Interesse, weil hier zu wenig Wind weht. Dafür scheint hier die Sonne deutlich mehr als im Norden." "Und wann wird das alles wieder besser?" "Das wissen wir leider auch nicht. Die Grundsituation wird sich bis auf weiteres wohl nicht ändern. Sind die Zusammenhänge jetzt klar genug geworden?" Viele Mitarbeiter nickten und es gab keine neuen Zwischenrufe. Die meisten starrten erwartungsvoll auf Herrn Wohlmuth, der dies als Signal nahm, wieder das Wort zu ergreifen. "Sie fragen sich bestimmt, wie wir als Firma auf diese Situation reagieren wollen." Zustimmenden Nicken im ganzen Raum. "Eine Patenlösung mit Gelinggarantie kann ich Ihnen leider nicht anbieten, aber stattdessen mehrere vielversprechende Lösungsansätze. Manche von Ihnen haben bestimmt schon von organischen Solarzellen gehört, die nicht auf Silizium-Basis hergestellt werden. Der Vorteil dieser Zellen ist, dass ihre Produktion weniger Energie verschlingt. Sie produzieren pro Fläche zwar immer noch nicht soviel Strom wie Fotovoltaikzellen, aber dieser Nachteil scheint angesichts ihrer Vorteile immer unwichtiger. Auch bei diesen organischen Solarzellen gibt es Lieferprobleme, aber diese sind wohl geringer als bei der Fotovoltaik. Daher wollen wir sie in unser Programm mit aufnehmen. Wir stehen zudem mit unserer Hausbank in Verhandlungen über einen Kredit, um bei einer der Produktionsfirmen finanziell einzusteigen. Das würde für uns quasi eine Liefergarantie bedeuten." Tobender Applaus brandete auf. Da sieht man mal, wie wichtig ein Hoffnungsschimmer ist. Nicht eine dieser organischen Solarzellen steht zur Ansicht zur Verfügung, aber alle jubeln. Wie leicht die Menschen doch zu besänftigen sind. "Wie sieht es denn dann mit unseren Gehältern aus?" "Gut, dass Sie es ansprechen", hob Herr Wohlmuth an, "darauf wollte ich sowieso noch zu sprechen kommen. Die Gehälter können diesen Monat nicht ganz pünktlich überwiesen werden. Zunächst werden wir nur die Hälfte überweisen. Die andere Hälfte folgt, sobald sich unsere Liquidität erholt hat. Außerdem machen wir Ihnen allen das Angebot, sich den Restbetrag nicht auszahlen zu lassen,
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sondern damit als stiller Teilhaber in die Firma einzusteigen. Sie würden dadurch Mitinhaber der Firma werden. Dieses Angebot gilt auch für die nächsten Monate. Wenn Sie mit höheren Beträgen als Ihrem Gehalt einsteigen wollen, können wir Ihnen Sonderkonditionen bieten." Wieder klatschten die meisten Mitarbeiter. Wie leichtgläubig sie alle sind. Ok, das Angebot ist nicht ganz verkehrt. Wenn die Firma sich wieder erholt, könnte man sogar davon profitieren, dass man jetzt quasi auf Gehalt verzichtet, aber ich traue dem Ganzen nicht. Aber was bleibt dem Wohlmuth anderes übrig, als ein wenig Hoffnung zu verbreiten? Lassen wir sie mal alle brav klatschen und sich wieder freuen. Von dem Meyer-Selbstmord müssen wir uns ja auch erstmal erholen.
8 Die Hoffnung hatte nicht getrogen. Schon nach wenigen Tagen wurde eine große Rolle der organischen Solarzellen geliefert. Die Techniker rauften sich die Haare, denn sie waren an starre Materialien gewöhnt und das neue Material war auf flexible Folie aufgedampft worden. Daher mussten die Halterungen umkonstruiert werden. Das Gestöhne der Techniker hörte Alice nur bei den Mahlzeiten. Den Rest des Tages schwebte sie fast im siebten Himmel, denn jetzt konnte sie den wütenden Kunden eine Alternative bieten, anstatt sie nur zu vertrösten. Den meisten Kunden war das neue Angebot zunächst suspekt und sie lehnten ab. Das freute Alice jedoch ganz besonders, denn die eine Rolle reichte nur für wenige Kunden. Also verlängerte jeder ablehnde Kunde die Zeit, in der Alice eine Alternative anzubieten hatte. Und allein schon das neue Angebot besänftigte die Kunden enorm, selbst wenn sie es nicht annahmen. Doch leider war die Rolle Solarmaterial nach einer Woche restlos verbraucht, und Alice musste wieder auf die übliche Weise vertrösten. Immerhin hatte die Verkaufsabteilung aufgehört, eine schnelle Lieferung zuzusagen; auch das war eine spürbare Erleichterung. Ihre nicht ausgezahlte Gehaltshälfte hatte Alice nicht in Firmenanteile angelegt, denn sie sah der Firmenzukunft skeptisch entgegen. Dennoch musste sie mit der Hälfte des Geldes auskommen und die reichte gerade mal für ihre Miete. Gegessen wurde in der Firma und wenn sie abends zu Hause noch Hunger hatte, gab es bestenfalls Toastbrot mit Marmelade, denn das war billig. Auch Kino, Disco und Restaurantbesuche wurden gestrichen. So saß Alice nach Dienstschluss jetzt meistens vor dem Fernseher. Vom Radeln und den ewigen Kundengesprächen war sie sowieso meistens zu müde, um etwas zu unternehmen. So schreckte es Alice aus ihrem eintönigen Tagesablauf, als Susanne sie zu einem Kochevent mit Freunden einlud. Früher wurden bei solchen Gelegenheiten meistens teure Edelzutaten verarbeitet, denn man wollte sich gegenseitig zeigen, wie gut es einem ging. Dieses Treffen stand unter dem Motto "Billig, aber lecker". "Sag mal Alice, wäre es möglich, dass du Martin unter deine Fittiche nimmst. Der kann nämlich gar nicht kochen und wir haben schon drei andere, die nur Wein mitbringen." "Martin? Ist das nicht einer von den Technikern, die die ganze letzte Woche gejammert haben, weil sie ihr Verfahren umstellen mussten?" "Ja, der ist es. Aber normalerweise ist der eigentlich ganz nett. Du wirst schon sehen." "Na gut, will ich mal nicht so sein. Wieviel Leute kommen denn?" "Zwischen zehn und zwölf. Bitte gib mir möglichst bald Bescheid, was ihr kochen wollt, damit ich das Menü planen kann." "Ok, irgendwelche Wünsche oder Vorschläge?" "Eine deftige Vorspeise wäre nicht schlecht." "Alles klar. Dann stell dich mal auf eine Vorspeise mit Gemüse ein. Die Details sage ich dir dann, wenn ich weiß, was er wird." "Wunderbar, du bist ein Schatz!" Susanne gab Alice einen Schmatzer auf die Wange und zog zu ihrem nächsten Opfer. Mit leichtem Widerwillen sprach Alice bei der nächsten Gelegenheit Martin an.
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"Gerne beteilige ich mich an den Kosten. Aber ich hoffe, dass es nicht allzu teuer wird. Du weißt schon, wegen der halben Gehaltszahlung." "Wahrscheinlich wird es bezahlbar bleiben. Auch ich bin zur Zeit ziemlich knapp bei Kasse. Kannst du denn wenigstens ein bisschen beim Kochen helfen?" "Na ja, Gemüseschnippeln wird wohl gehen. Das musste ich schon öfters machen." Den ganzen Abend über grübelte Alice nach, was sie anbieten wollte. Es sollte lecker, ausgefallen und billig sein, gar nicht so einfach in dieser Kombination. Sie durchstöberte das Internet nach Anregungen, fand aber nichts, was sie eins-zu-eins umsetzen wollte. Doch sie fühlte sich immer inspirierter und dann fiel ihr schließlich kurz vor dem Insbettgehen ein, dass ihre Mutter früher öfter Gemüsetorte gebacken hatte. Das ist die Lösung! Es gibt Gemüsetorte. Am Tag der Party eilte Alice nach Dienstschluss in einen Supermarkt und kaufte Mehl, Hefe, Reibekäse, Eier, Sahne, Zwiebeln, Karotten und Lauch. Da sie besonders auf die Preise geachtet hatte, musste sie tatsächlich nur wenig Geld an der Kasse lassen. Anschließend machte sie sich zuhause noch ein wenig zurecht und fuhr dann mit ihren Einkäufen und einer Backformen im Fahrradkorb zum Austragungsort der Koch-Party. Martin machte große Augen als er sah, wieviel Alice eingekauft hatte. "Und, wieviel bin ich dir schuldig?" man sah ihm an, dass er sich vor der Preisangabe grauste. Alice nannte den Preis und Martin schaute sie zweifelnd an: "Was? Nur so wenig? Das ist ja weniger als ein halbes Päckchen Zigaretten. Das ist nicht dein Ernst? Für den Gegenwert einer Zigarettenpackung hast du diesen ganzen Korb voll gekauft? Das kann ich ja kaum glauben. Ich dachte, es kostet fünf bis zehnmal so viel." "Tja, dann solltest du lernen, preiswert einzukaufen", sagte Alice trocken und grinste dabei. Sie steckte das Kleingeld, das Martin ihr zusteckte, in ihr Portenmonnaie und sonnte sich in Martins bewundernden Blicken. Ist ja nett, wie er staunt, aber irgendwie ist der Typ der volle Idiot. Hoffentlich kann er Karotten schnippeln. Er konnte, wenn er auch Äonen für jedes Karöttchen brauchte. Der Rest blieb an Alice hängen. Statt der geplanten zwei Gemüsetorten wurden es schließlich sogar drei und die Gäste rieben sich stöhnend die vollen Bäuche, als sie die Torten verputzt hatten. Martin war im Verlauf der Party um mindestens zwei Zentimeter gewachsen, so stolz war er auf seine Teilnahme an den erfolgreichen Gemüsetorten. Na ja, soll er ruhig stolz sein. Immerhin hat er tapfer das Gemüse geschnitten. Ich bin ja schließlich auch ganz stolz auf den Erfolg, den wir mit den Torten hatten. Und ich kann mich kaum noch rühren, so satt bin ich. Auch die anderen Gäste schienen vom vielen Essen müde zu werden, denn die Party löste sich schon ziemlich bald auf. "Willst du noch mit zu mir kommen?" fragte Martin und blies Alice seinen verrauchten Atem in die Nase. "Ne danke, ich fahr lieber nach Hause." "Schade, vielleicht ein anderes Mal?" "Eher nicht, mach dir bloß nicht zuviel Hoffnung." Man konnte Martin seine Enttäuschung ansehen, als er sich auf den Heimweg machte. Ich lass mich doch nicht so einfach verkuppeln. Nur weil einer nicht selbstständig kochen kann. Pah!
9 Am nächsten Morgen lag eine Rose auf Alices Arbeitsplatz. Ein ziemlich mickriges, blassgelbes Exemplar, aber dennoch unverkennbar eine Rose. Alice schwante sofort, von wem die Rose war. Oh nein, nicht auch noch sowas! Und wie Susanne kichert. "Hast du gesehen, wer die Rose hier hingelegt hat?"
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"Nicht direkt, aber ich sah ihn rausgehen als ich kam. wie lustig du aussiehst: als hättest du bittere Medizin im Mund." "Du hast gut lachen. Du hast ja nicht so einen Verehrer an der Backe. Solchen Typen darf man nicht mal die Spitze des kleinen Fingers zeigen, sonst fressen sie einen gleich mit Haut und Haaren. Warum habe ich mich nur darauf eingelassen mit ihm zusammen zu kochen? Ich hätte es vorher wissen können. Aber nein: vor lauter Höflichkeit habe ich mich nicht getraut abzulehnen." "So schlimm ist er doch gar nicht." "Dieser unkultivierte Trampel, der sich an den Erfolg von anderen dranhängen will. Nein danke! Hier: nimm du das Blümchen und den Verehrer kriegst du gleich noch dazu. Siehste, du willst auch nicht. Ich geh das jetzt zu klären und hoffe, dass es nicht schon zu spät ist." Alice stürmte in die Halle der Techniker und baute sich drohend vor Martin auf, ungeachtet der Tatsache, dass dieser sie um Haupteslänge überragte. Sie drückte ihm die Rose in die Hand. "Danke für das Blümchen, aber ich will sowas nicht. Mach dir keinerlei Hoffnung auf mich." "Aber wir könnten doch einfach mal ganz freundschaftlich ausgehen." "Nein, können wir nicht. Wir sind Kollegen und damit basta. Und Tschüss!" Im Gang wurde sie von Susanne abgefangen, die sich die Szene nicht hatte entgehen lassen wollen. "Du bist ja die reinste Furie. Das hätte ich dir gar nicht zugetraut. Dabei hat der arme Kerl dir doch gar nichts getan." "Noch nicht, aber wenn ich nicht sofort einen Riegel vorgeschoben hätte, dann hätte der sich an mich gehängt wie eine Klette. Ich kenn solche Typen." "Bist du nicht manchmal einsam, so alleine?" "Ne, bin ich nicht. Zumindest nicht so sehr, dass ich mich auf solche Männer einlassen würde. Ich kann mich recht gut selbst beschäftigen. Wie ist es denn mit dir? Bist du manchmal einsam?" "Schon. Ein lieber Freund würde mir gut gefallen." "Na dann, greif zu! Der Martin ist jetzt bestimmt trostbedürftig." "Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen. Aber dass du so knallig durchgreifst....", Susanne schüttelte den Kopf bis beide wieder in ihrem Büro saßen. Das Geschäft lief wieder wie zuvor: vertrösten, vertrösten, vertrösten. Alice sehnte die viel zu kurzen Tage mit den organischen Solarzellen wieder herbei. Die Geschäftsleitung berichtete mit blumigen Beschönigungsworten, dass die Banken sich bisher nicht auf einen Kredit zum Einstieg in eine Produktionsfirma eingelassen hatten. Stattdessen wurden alle Mitarbeiter wieder und wieder ermuntert, ihr Geld in die Firma zu stecken. Alice widerstand der Verlockung, obwohl alle psychologischen Tricks angewandt wurden. Ostern näherte sich und die Firmenleitung empfahl allen Mitarbeitern, die noch Resturlaub hatten, diesen in der Osterwoche zu nehmen, denn an Auszahlung war nicht zu denken. Die Firma würde über Ostern nur im Notbetrieb laufen. Alice freute sich auf den Urlaub, denn bei dieser Gelegenheit konnte sie ihren Eltern etwas ausgiebiger im Garten helfen als bei ihrem letzten Besuch. Für den Kartoffelanbau war das gerade noch rechtzeitig. Die Bahn warb in allen Medien damit, dass sie für die Osterferien eine Menge Sonderzüge fahren lassen wollte, damit jeder, der wollte, mit dem Zug an ein Ziel seiner Wahl kommen konnte. Alice freute sich sehr über dieses Angebot, denn dadurch erhoffte sie sich eine Chance auf einen flotteren Zug. Tatsächlich ergatterte sie noch eine der letzten Platzkarten für einen Sonderzug am Montag vor Ostern. Nur auf der kurzen Strecke ab Freiburg würde sie wieder den Bummelzug nehmen müssen. Die letzten Tage vor dem Urlaub verliefen im gewohnten Vertröstungstrott. Vor den Feiertagen war nicht mehr mit Lieferungen zu rechnen, aber für Mai wurde eine größere Menge der organischen Solarzellen angekündigt. Es bestand also eine gewisse Hoffnung, dass sich die Situation nach dem Urlaub bessern würde. Auf diese Reise nahm Alice eine größere Reisetasche mit, denn sie wollte ja länger unterwegs sein. Einen Koffer verkniff sie sich jedoch, weil sie an den Transport vom Bahnhof in ihr Elternhaus dachte. Schwerbepackt stand sie also am Abreisetag am Bahnhof und wartete auf ihren Zug. Wegen der vielen
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Sonderzüge war auf dem Bahnhof ein leichtes Chaos ausgebrochen und Alice musste zweimal den Bahnsteig wechseln, bis sie schließlich dort stand, wo der Zug einfahren würde. Dann war es endlich soweit. Die Ansagestimme ließ die Reisenden von der Bahnsteigkante zurücktreten und der Zug rollte heran. Alices Waggon hielt natürlich an einer ganz anderen Stelle als sie erwartet hatte und obwohl sie auf dem Bahnsteig ein Stück in die richtige Richtung rannte, musste sie zwei Wagen vor ihrem eigentlichen Zielwaggon einsteigen. Also hieß es, sich innerhalb des Zuges durch das Menschengedränge quetschen und das auch noch mit der dicken Reisetasche. Der Zug war inzwischen abgefahren und warf Alice mehrmals fast um. Schritt für Schritt kämpfte sie sich an den Passagieren vorbei, die ohne Platzreservierung mitreisten und stehen mussten. An einigen Stellen zweifelte sie ernsthaft, ob sie es jemals bis zu ihrem Platz schaffen würde. Doch dann erreichte sie ihren Waggon und stand schließlich vor ihrem reservierten Platz. Dort saß schon ein junger Mann. Als Alice ihn aufforderte, sich zu erheben, schaute er Alice zuerst völlig verständnislos an. Dann schien er sich weigern zu wollen, doch als Alice ihm ihre Platzreservierung vor die Nase hielt und ihren Zickenblick aufsetzte, machte er zügig Platz und verschwand im Gedränge. So geschmeidig wie möglich glitt Alice an ihrem Sitznachbarn vorbei auf ihren Fensterplatz. Für ihre Reisetasche hatte sie keinen Stauraum gefunden, daher nahm sie sie auf ihren Schoß. Ist auch am diebstahlsichersten, auch wenn es unbequem ist. Wie gut, dass der Inhalt weich ist, außer meinem Schmöker, und den will ich jetzt sowieso lesen. Sie lehnte sich bequem zurück und nahm ihre Reiselektüre zur Hand. So lässt es sich reisen. Am liebsten würde ich einfach bis Freiburg durchfahren, aber leider droht in Karlsruhe das Umsteigen. Ist aber immer noch deutlich besser als auf der letzten Fahrt. Was Mami mir wohl diesmal kredenzen wird? Ich freue mich so richtig auf die zwei Wochen zu Hause. Wenn das Buch nicht so spannend gewesen wäre, wäre Alice fast eingeschlafen, denn der ratternde Rhythmus der Zugfahrt wirkte sehr entspannend auf sie. Ein gewaltiger Bremsruck riss Alice aus ihren verträumten Gedanken. Ihr Buch flog ihr aus der Hand und sie knallte mit voller Wucht, nur gebremst durch ihre Reisetasche, gegen den Sitz ihres Vordermannes. Ein ohrenbetäubender Knall vermischte sich mit Bremsquietschen und menschlichen Schreien. Das totale Chaos war ausgebrochen.
10 Benommen schaute sich Alice um. Was war denn das? Ein normaler Bremsvorgang war das aber nicht. Wie derb das geruckt hat. Die brave Reisetasche - hat das Schlimmste abgepuffert. Die anderen Leute schreien immer noch und jammern. Und jetzt? Wie gehts weiter? Wie als Antwort auf ihre Fragen rappelten sich die ersten Reisenden, die im Gang gestanden hatten, wieder auf. Kinder weinten. Aber auch Erwachsene stießen Schmerzenslaute aus. Das Entsetzen stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Alices Nachbar war auf den Gang geschleudert worden, nur die Beine waren im Sitzbereich geblieben. Stöhnend hievte er sich wieder zurück auf seinen Platz. Dann befühlte er seinen Kopf und Oberkörper. "Alles in Ordnung?" war das Erste, was Alice herausbrachte. "Scheint so, zumindest nicht stark beschädigt. Mir tut zwar alles weh, aber ich scheine noch zu fuktionieren. Was war denn das?" "Das habe ich mich auch schon gefragt. Bleiben Sie am besten ruhig sitzen. Man weiß ja nie, ob nicht doch etwas kaputtgegangen ist." Der Mann nickte und verzog dann schmerzerfüllt sein Gesicht. "Nicht nicken!" "Ok", flüsterte er, als ob eine gesenkte Stimme mit vorsichtiger Bewegung gleich zu setzen war. Ein erneuter Ruck ging durch den Zug.
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Stehende Passagiere wurden wieder umgeworfen. Schreie hallten - Metall knarrte und quietschte. Danach stand der Waggon schief. Alice musste sich festhalten, um nicht auf ihren Sitznachbarn zu rutschen. Ein lauter Schlag tönte von weiter vorne, dann noch ein Ruck und ihr Waggon stand wieder waagrecht. Die Passagiere, die nicht mit Aufrappeln oder Schreien beschäftigt waren, schauten verwirrt umher. Das klang aber gar nicht gut. Was ist denn jetzt noch passiert? Ich fürchte, das ist ein Zugunglück. Ob es jetzt vorbei ist? Außer den menschlichen Klagelauten hörte man nichts mehr. Nach und nach drangen auch normale Gesprächsfetzen an Alices Ohr. Und jetzt? Was tun? Im Gang sind anscheinend einige Verletzte. Wie komme ich hier raus? Oder geht die Fahrt bald weiter? Nein, die geht bestimmt nicht weiter. Also erstmal raus! Doch wie, bei diesem Gedränge? "Au, mein Arm, mein Arm!" klagte eine Frau ganz in ihrer Nähe. Ihr Arm war merkwürdig angewinkelt - vermutlich gebrochen. "Sie können meinen Platz haben, damit Sie wenigstens nicht mehr stehen müssen. Ich muss nur erstmal hier raus." Alices Sitznachbar sah sie verständnislos an. "Ich quetsche mich jetzt an Ihnen vorbei und dann können Sie auf meinen Platz rutschen. Dadurch wird Ihr Platz frei für die verletzte Frau. Verstanden?" "Ja, ok!" Wie gut, dass ich so schlank bin. Und das alles dank Fahrradfahren. So, jetzt auf die Situation konzentrieren, damit ich niemand wehtue. Wie ein Aal wand Alice sich aus ihrem Sitz und nutzte ein winziges Fleckchen auf dem Gang, um sich hinzustellen. Ihre Tasche hielt sie über ihren Kopf. Der Sitznachbar rutschte umständlich auf den Fensterplatz und ein Begleiter der verletzten Frau half ihr auf den frei gewordenen Platz. Inzwischen hatte sich eine allgemeine Bewegung in Richtung Ausstieg gebildet. Alice schloss sich den Menschen an, die nach draußen drängten. "Stop da drinnen! Wir müssen erst mal die Tür aufkriegen. Dauert noch einen Moment." Alice bekam fast Platzangst, eingeklemmt zwischen aufgeregten Menschen, die teilweise leise vor sich hin jammerten. Etwas weiter hinten schrie eine Frau unaufhörlich. Und plötzlich hörte man auch vorne jemand Aufkreischen. Dieser Schrei verebbte jedoch bald wieder und wich hektischem Lamentieren. Dann - endlich - ein langsames, schiebendes Quietschen und anschließend Jubelrufe. Anscheinend war die Tür jetzt offen. Die drängende Menschenmenge setzte sich im Schneckentempo in Bewegung. Immer wieder hörte man einen entsetzten Aufschrei, der schnell wieder verstummte. Irgendetwas stimmte im Ausgangsbereich nicht. Vor Alice stauten sich die Passagiere und ein paar Meter weiter konnte sie erkennen, warum. Auf dem Gangboden lag noch immer ein ältere Frau und wimmerte. Die Aussteigewilligen stiegen einfach über sie drüber und verhinderten, dass die Frau sich aufrichten konnte, was sie immer wieder versuchte. So geht das aber nicht! Ok, die Tasche erstmal senkrecht auf den Boden gestellt, damit ich die Hände frei habe. Ja, gut, jetzt kann ich ihr helfen. "Hallo, Sie da unten, greifen sie meine Hände. Ich helfe Ihnen auf." Zuerst schaute die alte Dame nur, doch dann schien sie zu begreifen und reichte Alice ihre Hände. Alice zog vorsichtig daran. "Geht das so, oder tut es weh?" "Geht", die Stimme der Frau war dünn und kraftlos. "He, Sie da vorne", herrschte Alice den Mann an, der zuletzt über die Frau gestiegen war und jetzt nach draußen drängte. "Fassen sie mal kurz an! Dann können Sie weiterdrängeln." Obwohl Alice kaum auf Erfolg gehofft hatte, drehte sich der Mann um, erkannte die Situation und ergriff die liegende Frau unter den Schultern, sodass es ihm und Alice mit vereinten Kräften gelang,
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die Dame aufzurichten. Die Frau fiel Alice weinend in die Arme. Der Helfer nickte, drehte sich dann wieder um und schob sich weiter in Richtung Ausgang. Die Reisenden hinter Alice drückten gegen ihren Rücken und murrten. Doch als Alice sich umdrehte und sie zornerfüllt anblickte, verstummten sie. "Sind Sie verletzt? Können Sie stehen?" fragte Alice die ältere Frau in ihren Armen. "Hm, geht wohl. Wie schrecklich, wie schrecklich", ihre Äußerungen gingen wieder in Wimmern über. "Ja, ich finde es auch ganz schrecklich. Aber jetzt müssen wir hier raus. Reißen Sie sich für ein paar Minuten zusammen, bis wir draußen sind!" Die Frau äußerte zustimmende Laute, dann ließ sie sich widerstandslos von Alice in Richtung Ausgang drehen und vorwärts schieben. Offensichtlich konnte sie aus eigener Kraft stehen. Alice nahm ihre Tasche wieder auf und setzte ihren Weg gen Ausgang fort. Jetzt ist es nicht mehr weit. Wer da vorne bloß immer so schreit? Klingt, als wären es verschiedene Leute. Was solls? Hauptsache raus hier! Endlich erreichte Alice den Ausgangsbereich. Sie konnte schon durch die offene Tür schauen. Doch dann erkannte sie die Ursache für die wiederkehrenden Schreie. Am Boden lag ein Verletzter, bei dem nicht nur der Knochen aus dem gebrochenen Unterarm ragte, sondern auch noch Blut im hohen Bogen pulsierend aus der Wunde spritzte. Fast hätte Alice auch geschrien vor lauter Entsetzen, doch sie konnte sich gerade noch zurückhalten. "Hilft hier denn niemand? Ist denn hier keiner, der sich mit sowas auskennt?" rief Alice stattdessen. Der Verletzte lag mitten im Durchgang und alle, die raus wollten, mussten über ihn drüberklettern. Alice steckte ihre Tasche, die ihr inzwischen lästig schien, in ein ruhiges Eck und tippte einen der Mitreisenden an. Zufälligerweise war es wieder der Gleiche, mit dem sie schon die Frau aufgerichtet hatte. "Packen Sie mal an und helfen Sie mir, den Verletzten vorsichtig aus dem Verkehr zu ziehen. Dann geht das Aussteigen auch schneller." Widerstandslos ergab sich der unfreiwillige Helfer und gemeinsam konnten sie den Verletzten aus dem Durchgang an eine ruhigere Stelle ziehen. Und jetzt? Der Typ blutet immer noch wie abgestochen. Wie grausig! Draufdrücken geht ja kaum, denn da ist ja noch der rausguckende Knochen. Wie war das bloß noch? Abbinden! Genau! Oder Abdrücken! Oh je, sowas habe ich ja noch nie gemacht. Alice hockte sich neben den blutenden Arm und befühlte den Oberarm. Und wo drück ich jetzt? Egal, einfach mal versuchen. Sie drückte den Arm kräftig zusammen, doch das Blut spritzte weiter. Vor ihrem Auge entfaltete sich langsam eine Schemazeichnung, wie sie sie im Erste Hilfe Kurs gesehen hatte. Innen also. Zwischen den Muskeln? Ausprobieren! Mit den Fingerspitzen beider Hände drückte sie zwischen die Muskeln des Oberarms, denn anders konnte sie die Stelle nicht erreichen. Der Blutstrom hörte auf zu pulsen, ließ nach und als Alice noch fester drückte, hörte er vollständig auf. Mist, lange halte ich das nicht durch. Die Finger tun mir jetzt schon weh. Aber loslassen kann ich auch nicht mehr. Der Typ ist schon ganz blass und anscheindend bewusstlos. Oh je, dass ist der, der vorhin auf meinem Platz saß und den ich weggejagt habe. Wie peinlich. Ausgerechnet den hat es erwischt. Wenn ich ihn nicht vertrieben hätte, würde es ihm wohl noch gut gehen. Aber was wäre dann mit mir? Egal! Jetzt heißt es drücken, drücken und nochmals drücken. "He, Sie da!" sprach sie ihren Mithelfer erneut an, denn er war diesmal dageblieben und starrte auf das Geschehen. "Wenn Sie rausgehen, suchen Sie nach einem Sanitäter. Dieser Mann hier braucht dringend professionelle Hilfe. Oder Sie übernehmen hier das Drücken und ich suche Hilfe." Wild schüttelte der Mann den Kopf. "Das kann ich bestimmt nicht. Dann geh ich lieber Hilfe holen. Oh Gott!" Der Mann erhob sich, stürzte an anderen Reisenden vorbei und sprang aus der Tür. Alice konnte gerade noch erkennen, wie er sich zusammenkrümmte und erbrach. Merkwürdig! Mir ist gar nicht übel. Aber vielleicht kapier ich auch noch gar nicht so richtig, was los ist. Es ist alles wie im Film. Tausendmal gesehen.
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Nach einer Weile ließ das Gedrängel der Aussteigenden nach und Alice saß immer noch neben dem Verletzten und drückte seine Schlagader zusammen. In der Ferne hörte sie Martinshörner. Aah, meine Finger. Die sind sowas gar nicht gewöhnt. Ich lass mal eine Hand los und drück nur noch mit der anderen. Ok, scheint zu gehen. Kräftig ausschütteln. Oh je, der anderen Hand fehlt die Kraft, das lange alleine durchzustehen. Also noch mal Hände wechseln und dann wieder mit beiden drücken. Gibt es nicht auch eine Möglichkeit, das abzubinden, ohne ständig drücken zu müssen? Alice grub ihn ihrer Erinnerung, bis sie vor sich sah, wie es funktionieren müsste. Mist! Dazu bräuchte ich zwei Verbände. Einen als Päckchen, der drückt und einen zum Drumwickeln. Verbände! Als hätte man sowas in der Hosentasche! Was könnte man denn noch nehmen? Hab ich irgendwas dabei, das diesen Zweck erfüllen könnte? Stück für Stück ging Alice ihr Gepäck in Gedanken durch. Sie war noch nicht soweit, eines ihrer TShirts zu zerreißen, denn das war das Einzige, was ihr zunächst einfiel. Da drückte sie lieber noch eine Weile mit den Fingern. Doch dann erinnerte sie sich an ihre Kniestrümpfe. Die Kniestrümpfe! Das könnte gehen. Einen fest zusammengerollt und einen zum Drumbinden. Ob er wohl lang genug ist? Ob es für einen Knoten reicht? Nein, eher nicht. Aber vielleicht die Strumpfhose. Ok, das müsste klappen. Vorsichtig löste Alice eine ihrer Hände vom Arm und beobachtete dabei genau, ob das Blut weiterhin stockte. Dann streckte sie sich so lang wie möglich und angelte nach ihrer Reisetasche, die ihr fürchterlich weit weg schien. Wo sind nur all die vielen Leute hin? Alle rausgeflohen! Typisch! Endlich konnte sie die Tasche an einer Ecke fassen und zu sich heranziehen. Für einen kurzen Moment hatte sie den Griff am Arm gelockert und das Blut schoss wieder aus der Wunde. Der Verletzte stöhnte. Schnell drückte sie wieder mit beiden Händen zu, bis der Blutstrom erneut nachließ. Dann löste sie die eine Hand wieder vorsichtig und öffnete ihre Tasche. Mühsam kramte sie darin herum und ärgerte sich, dass sie ihre Tasche so vollgestopft hatte. Pullover und Jeans quollen heraus, was es ihr erleichterte, in der Tasche zu wühlen. Dann - endlich - bekam sie ein Kniestrumpfknäuel zu fassen. Alice probierte, ob man mit dem Knäuel den Blutstrom abdrücken konnte. Es ging. Sie musste auch nicht mehr so verkrampft drücken. Vorübergehend wechselte sie die drückende Hand, denn die eine stand kurz vor einem Krampf. Dann wechselte sie wieder zurück, weil sie so nicht weiter nach ihrer Strumpfhose suchen konnte. Noch mehr Kleidungsstücke fielen aus der Tasche und verteilten sich auf dem Zugboden, doch dann zog sie endlich die gesuchte Strumpfhose hervor. Alice wickelte die langen Beine doppelt um den Arm und versuchte einhändig einen Knoten zu machen. Das misslang. Dann löste sie ihre zudrückende Hand, was sofortiges Blutspritzen zur Folge hatte. So schnell wie es ging, zog sie die Strumpfhose zusammen und atmete erleichtert auf, als das Bluten wieder aufhörte. Mit ihren verkrampften Händen bemühte sie sich einen Knoten zu knüpfen, was ihr erst beim dritten Anlauf gelang. Doch dann hielt ihre Abbindkonstruktion endlich. Sie schüttelte ihre verkrampften Hände und merkte erst jetzt, dass auch ihre Beine vom unbequemen Sitzen schmerzten. "Kommen Sie klar?" schreckte eine Stimme Alice auf. "Oh, endlich! Ein Fachmann! Nein, ich komme nicht klar. Der Mann hier ist schwer verletzt. Ich habe die ganze Zeit versucht, ihn am Verbluten zu hindern, aber mehr konnte ich nicht für ihn tun." Der Sanitäter bestieg den Waggon und beugte sich über den Verletzten. "Das Abbinden haben Sie aber recht gut hinbekommen, wenn auch mit unorthodoxen Mitteln. Sind Sie vom Fach?" "Ne, Erste Hilfe Kurs. Ich...", plötzlich schossen Alice Tränen in die Augen und ihr versagte die Stimme. Der Sanitäter tätschelte ihr die Schulter. "Na na, ist ja gut. Sie haben alles richtig gemacht und Ihrem Mann wahrscheinlich das Leben gerettet. Jetzt kommen sie erst mal zu sich. Ich kümmere mich jetzt um Ihren Mann." "Ist nich mein Mann. Kenn den gar nich", gelang es Alice mühsam, das Missverständnis zu klären. "Umso lobenswerter!" Der Sanitäter konzentrierte sich auf den Verletzten und beachtete Alice nicht weiter. Alice stopfte ihre Kleidungsstücke zurück in die Tasche, wischte sich mit einem T-Shirt die unerwarteten Tränen ab
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und stand dann auf. Ihr linkes Bein war eingeschlafen. Das war Alice jedoch ganz egal, denn sie wollte endlich raus aus dem Unglückszug. Wackelig ging sie zur Tür und schaute plötzlich in einen Abgrund, der unüberwindlich schien. Ihr wurde schwindelig.
11 Im letzten Moment gelang es Alice, sich an einer Stange fest zu halten. Sie konnte kaum noch etwas erkennen. Was ist das für ein Abgrund? Warum habe ich vorher nichts davon mitbekommen? Oh je, was ist mir schummrig. "Brauchen Sie Hilfe?" Ob der mich meint? Augen auf, Mädel! Hingucken was da los ist! Mit einiger Mühe gelang es Alice, ihre Augen wieder zu öffnen. Sie versuchte, ihre Umgebung zu erkennen, ohne dass ihr gleich wieder schwindelig wurde. Doch sie sah alles nur verschwommen. "Hallo, Sie da oben! Soll ich Ihnen beim Aussteigen helfen?" "Aussteigen? Ja, ich will aussteigen", stieß Alice hervor. Sie spürte, wie Hände nach ihr griffen, fühlte Stufen und dann knirschte Schotter unter ihren Füßen. Sie sah die Landschaft und um sie herum lauter Menschen und Eisenbahnwaggons, doch das bedeutete ihr alles nichts. Der Himmel war blau. Das war das Einzige, was sie bewusst wahrnahm. Treiben lassen, einfach treiben lassen. In den schönen blauen Himmel. Dann fand sie sich plötzlich auf dem Boden wieder, mit den Füßen nach oben. Ein freundliches Gesicht sah auf sie herab. "Geht es jetzt wieder?" "Ja, geht gut!" brachte Alice kloßig hervor und war erstaunt über ihre eigene Stimme. "Was n los?" "Sie haben einen Schock. Das Zugunglück war wohl zuviel für Sie. Waren Sie nicht auch die Frau, die dem einen Verletzten ewig lange die Schlagader abgedrückt hat?" "Verletzter? Ja, hat geblutet." "Ok, ich sehe schon, Sie fangen sich wieder. Wie heißen Sie?" "Heißen? Alice Schafferer. Ja, so heiße ich!" "Ok, alles klar. Ich muss mich jetzt um andere kümmern. Neben Ihnen steht eine Wasserflasche. Sie sollten etwas trinken, wenn Sie sich wieder besser fühlen." "Ok, alles klar!" Hier liegen is gut. Nur ein bisschen kalt isses. Noch eine Weile die Augen schließen, dann geht es mir bestimmt bald wieder besser. Mit geschlossenen Augen spürte Alice das Blut in ihrem Körper rauschen. Ihr Herz schlug schnell. Schneller als sonst. Nach einer Weile sah sie wieder die Situation mit dem blutenden Verletzten vor sich. Wie konnte ich ihm nur so lange helfen, wo ich doch jetzt hier hilflos auf dem Boden liege? Ist so ein Schock? Ist ja eigentlich ganz praktisch, denn wenn ich vorhin schon schlapp gemacht hätte, dann wäre der Mann verblutet. Erstaunlich sowas! Ich probier mal, ob ich mich wieder aufsetzen kann. Alice öffnete die Augen und hob ihren Kopf. Es ging. Dann setzte sie sich auf, doch dabei wurde ihr wieder schwindelig. Dennoch hatte sie die Wasserflasche erspäht, die neben ihr stand. Halb liegend öffnete sie die Flasche und trank ein paar Schlucke. Dabei goss sie sich eine Menge kalter Flüssigkeit über den Ausschnitt, doch das belebte ihre Lebensgeister. Sie trank noch mehr und atmete anschließend tief ein und aus. Dann versuchte sie erneut, sich auf zu setzen. Es klappte, ohne dass ihr schwindelig wurde. Danach war das Trinken einfacher und wenige Minuten später konnte Alice die Umgebung halbwegs klar wahrnehmen. Überall lagen oder saßen Menschen auf dem Boden. Zwischen ihnen eilten Helfer umher. Mehrere Zugwaggons waren umgefallen und lagen auf der Seite, andere standen auf den Gleisen, als wäre nichts geschehen. Bei den umgefallenen Waggons standen Feuerwehrautos und man konnte Schneidbrenner in Aktion erahnen. Weiter unten standen Krankenwagen in Reih und
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Glied hintereinander. Sanitäter mit Tragen eilten darauf zu und beluden sie mit Verletzten. Ein Krankenwagen nach dem anderen fuhr davon und machte Platz für nachfolgende. "Wie war es für Sie, den Schwerverletzten zu retten?" Alice drehte sich zu der Stimme um und sah das Objektiv einer Kamera auf sie gerichtet. Ein dickes Mikrofon fuchtelte vor ihrer Nase rum. "Hä?" war alles, was Alice einfiel. "Sie haben doch den Schwerverletzten im Zug gerettet, oder? Wie war das für Sie? Was haben Sie dabei empfunden?" Alice starrte den Fragenden an und wusste nicht, was sie sagen sollte. He, Mädel, das ist jetzt das Fernsehen. Sag was Schlaues! Aber was? "Scheiße!" entfuhr ihrem Mund, bevor sich Alice entschieden hatte, was sie sagen wollte. Das wars jetzt wohl mit meiner Heldenkarriere! Oh Mann, da kommt einmal das Fernsehen und du sagst "Scheiße". Sowas von bescheuert! Alice schlug die Hände vor ihrem Gesicht zusammen, um sich zu verstecken. Sie bemerkte kaum die Tränen, die wieder aus ihren Augen flossen. Ihr war auch egal, dass ihre Schultern zuckten. Als sie ihre Augen wieder freigab, war der Fernsehreporter weiter gezogen. Sie trank noch mal etliche Schlucke aus der Wasserflasche und fühlte sich gleich etwas besser. Dann fiel ihr ihr Gepäck ein und sie blickte sich suchend um. Sie fand ihre Tasche direkt neben sich. Vielleicht sollte ich zu Hause anrufen und Mami sagen, dass ich unverletzt bin. Wenn schon die Reporter hier rumstrolchen, kommt das Unglück bestimmt bald im Fernsehen. Sie öffnete ihre Tasche und suchte nach ihrem Handy. Als sie es gefunden hatte, wählte sie die Nummer ihrer Eltern. "Hallo, ich bin's, Alice", sagte sie, als ihre Mutter sich meldete. "Du bist es? Oh, was bin ich froh. Geht es dir gut?" "Ja, mir geht es gut." "Du klingst aber so merkwürdig. Warst du in dem Zug, der den Unfall hatte? Wir haben es eben erst im Fernsehen gesehen und sind fast umgekommen vor Sorge." "Keine Sorge! Nicht verletzt. Schock, hat der Eine gesagt. Ich bin irgendwie wie besoffen, is aber nicht schlimm." "Wie besoffen? Wie seltsam! Hauptsache du bist nicht verletzt. Schaffst du es denn heute noch nach Hause?" "Nach Hause? Ja, ich hoffe doch. Mir gehts bestimmt bald wieder gut. Dann komme ich. Ich melde mich wieder, wenn ich mehr weiß." "Oh, meine Kleine! Ich bete für dich. Komm bald heim!" "Ja Mami! Bis bald!" beendete Alice das Gespräch. Heim kommen? Heim kommen! Ob ich das wohl schaffe? Schwindelig ist mir kaum noch. Versuchen wir es mal mit Aufstehen. Ok, geht. Wann hier wohl der nächste Zug kommt? Alice ließ ihren Blick über das Gelände schweifen. Dabei sah sie, dass einer der Strommasten umgeknickt war. Die Stromkabel waren zerissen und reichten bis auf den Boden. Ob das wohl gebritzelt hat, als sie zu Boden fielen? Sie sah unzählige Filmszenen vor sich, bei denen Stromkabel beim Bodenkontakt Funken schlugen. Das sieht nicht so aus, als ob hier bald wieder Züge fahren würden. Und Busse? Dafür fehlt bestimmt der Sprit. Ganz sicher fehlt dafür der Sprit! Dann muss ich wohl nach Hause laufen. Ach Quatsch! So ganz richtig ticke ich wohl immer noch nicht. Wird Zeit, dass ich wieder fit werde. Bis Karlsruhe laufen reicht bestimmt. Das war doch gar nicht mehr so weit entfernt. Ob man sich hier irgendwie abmelden muss? Sieht nicht so aus. Hier wuseln alle durcheinander. Also mache ich mich einfach mal auf den Weg. Alice schulterte ihre Tasche und verließ den Bereich der Schienen. Neben den Bahngleisen verlief eine Straße. Dort standen auch die ganzen Krankenwagen. "Wo gehts denn hier nach Karlsruhe?" fragte Alice einen der wartenden Fahrer. "Immer geradeaus, mein Frollein. Aber Sie wollen doch nicht im Ernst zu Fuß nach Karlsruhe gehen?" "Wie sonst? Sie fahren mich doch bestimmt nicht hin, oder?"
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"Nein, ich muss natürlich hier warten, bis Verletzte eingeladen werden." "Eben! Danke für die Auskunft!" Alice setzte sich in die Richtung in Bewegung, die ihr der Fahrer gezeigt hatte. Mit jedem Meter, den sie lief, fühlte sie sich wieder normaler und kräftiger. Schließlich erreichte sie eine Kreuzung. Dort stand ein Schild mit der Aufschrift "Karlsruhe 20 km".
12 Zwanzig Kilometer sind zu Fuß schon ziemlich weit. Das ist ja die reinste Wanderung. Aber wenn man von fünf Kilometer pro Stunde ausgeht, müsste es in vier Stunden zu schaffen sein. Jetzt ist es vielleicht immer noch um die Mittagszeit. Wie spät ist es überhaupt? Alice durchwühlte ihre Tasche nach ihrem Handy und ließ sich die Zeit anzeigen. Kurz vor zwölf. So früh noch? Das Zugunglück war ja richtig flott. Dabei erschien es mir wie Ewigkeiten. Wie gut, dass es so schnell ging. Das erhöht meine Chancen, Karlsruhe noch bei Tageslicht zu erreichen. Und dass ich meine Sportschuhe anhabe, ist auch ein Segen. In Pumps hätte es gar keinen Sinn, los zu laufen. Auf gehts! Auf der Straße fuhr nur hin und wieder ein Lieferwagen. PKWs waren kaum unterwegs. Alice konnte sogar den Duft der Nadelbäume riechen, so wenig Abgase lagen in der Luft. Sie fühlte sich wie auf einer Wanderung. Nach einer Weile drückte jedoch die Tasche schwer auf ihre Schulter. Sie wechselte die Seite und marschierte weiter. Die einsame Wanderung gab ihr Gelegenheit, den Kopf zu klären und die Ereignisse beim Unfall gründlich Revue passieren zu lassen. Immer wieder blieben ihre Gedanken beim pulsierenden Blut des Verletzten hängen. Dann dachte sie kurz daran, dass sie dieses Blut ja gestoppt hatte und versuchte, an etwas anderes zu denken. Doch das fiel gar nicht so leicht. Andere Themen schienen so blass im Vergleich zum gerade Erlebten. Außerdem nagte ein Gefühl von Schuld an ihr. Immer wieder schalt sie sich, dass diese Schuldgefühle Unsinn seien, aber das schien die Gefühle nicht zu beeindrucken. Streckenweise liefen ihr Tränen über die Wangen, so dass sie kaum sehen konnte, wohin sie ihre Füße setzte. Sie wurde durstig. Als sie in das nächste Wäldchen kam, horchte sie, ob sie einen Bach gluckern hörte. Doch da war nichts. Der Graben am Wegesrand war auch knochentrocken. Eigentlich müsste es hier in der Nähe des Rheins doch massenhaft Wasser geben. Hoffen wir mal, dass bald was kommt. Hätte ich doch die Flasche vom Unglücksplatz mitgenommen, die war immerhin noch halb voll. Aber die gehörte schließlich den Rettern. Was solls? Ich habe sie wenigstens halb leer getrunken. Das müsste doch eigentlich für eine Weile reichen. Ich darf eben nicht mehr heulen, dann geht das schon. Doch der Durst blieb. Alice setzte einen Fuß vor den anderen und wechselte regelmäßig die Seite, auf der sie die Tasche trug. Dennoch fühlte es sich so an, als würde der Tragegurt in ihre Muskeln einschneiden. Dabei hatte der Gurt eine gepolsterte Verbreiterung und drückte schlimmstenfalls, schnitt aber keineswegs. Und der Durst wurde quälender. Gar nicht so leicht, so ein Marsch. Mit einem Rucksack wäre es bestimmt leichter. Ach, hätte ich nur die Wasserflasche mitgenommen. Ich Esel! Merkwürdig, dass niemand außer mir zu Fuß nach Karlsruhe unterwegs ist. Vielleicht sind die schlauer als ich, oder sie waren noch zu sehr mit dem Unfall beschäftigt, um aufzubrechen. Hauptsache, ich komme irgendwann vor Sonnenuntergang in Karlsruhe an; der Rest ist eigentlich egal. Nach geraumer Zeit sah Alice vor sich eine Brücke. Ob die wohl über einen Bach führt? Hoffentlich! Nix wie hin! Sie beschleunigte ihre Schritte und bald erreichte sie die Brücke. Tatsächlich spannte sich die Brücke über einen breiten Bach. Doch die Böschung, die zum Wasser führte, war steil und schien rutschig. Oh je, alles steil einbetoniert, soweit das Auge reicht. Ob ich mich da halten kann, ohne ins Wasser zu rutschen? Vielleicht wenn ich mich an der Brücke halte. Die hat zwar keine Griffe, sondern ist nur ein glatter Betonklotz, aber immer noch besser als ganz ohne Halt. Ok, nehm ich es in Angriff. Alice stellte ihre Tasche an den Rand der Böschung und trippelte vorsichtig nach unten. Mit einer Hand stützte sie sich an der Brücke ab. Weiter unten wurde der Beton feucht und rutschig, doch sie
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ging weiter, weil sie der Lösung ihres Durstproblems schon so nah gekommen war. Als sie die Wasseroberfläche erreichte, stand sie vor dem nächsten Problem. Sie musste sich hinknien und dann das Wasser mit der Hand schöpfen, um es trinken zu können. Langsam beugte sie die Knie, bis sie mit den Fingerspitzen das kühle Nass erreichen konnte. Nur noch ein paar Zentimeter! Ok, jetzt reichts! Das Wasser sieht ja irgendwie braun aus. Ob ich das wirklich trinken soll? Na klar, wir sind hier schließlich nicht in Indien. Wird schon gut gehen. Der Durst ist bestimmt schlimmer. Also los, hol dir dein Getränk! Sie schöpfte ihre Hand voll Wasser und trank. Es schmeckte akzeptabel, aber ein wenig nach Erde. Nachdem sie das Getränk für gut befunden hatte, trank Alice noch etliche Handvoll, bis sie in ihrer zusammengekauerten Haltung nicht noch mehr in ihrem Magen unterbrachte. Schade, dass ich kein Gefäß dabei habe, um etwas von dem Wasser mit zu nehmen. In der Tasche habe ich bestimmt einen Plastikbeutel, aber die ist leider da oben. Und nochmal wage ich mich hier nicht wieder runter. Das Umdrehen fand Alice ziemlich riskant, doch der Aufstieg fiel ihr dann leicht. Als sie bei ihrer Tasche angekommen war, fühlte sie sich sehr erleichtert, denn die Tour zum Bach war ihr mulmig gewesen. Der Durst war aber gestillt und das erfüllte sie mit neuer Kraft. Die nächsten Kilometer fielen ihr deutlich leichter als die letzten. Zu Alices Erleichterung folgte die Straße seit der Brücke dem Bach. Bei einem zukünftigen Durstanfall gäbe es also reichlich zu trinken. Ein Schild, das Karlsruhe in neun Kilometer Entfernung ankündigte, gab ihr zusätzlichen Auftrieb. Sie schritt zügig aus, um möglichst bald am Ziel zu sein. Doch dann fingen ihre Füße an zu schmerzen. Sie vermutete Blasen an beiden Ballen. Ob ich wohl Pflaster einstecken habe? Die würden wenigstens verhindern, dass es noch schlimmer wird. Da muss ich wohl mal suchen. Ein kleines Päuschen wäre sowieso nicht schlecht, also schaue ich mal nach. Zuerst zog sie Schuhe und Strümpfe aus. Ihre Füsse waren heiß und feuchtgeschwitzt. Wie befürchtet, prangten dicke Blasen an den Ballen. Weil Alice wusste, dass feuchte Füße besonders anfällig für Blasen sind, suchte sie zuerst nach trockenen Strümpfen. Mein Strumpfverbrauch ist heute echt enorm. Diese hier werde ich wenigstens behalten, anders als die, die ich zum Abbinden benutzt habe. Am besten ich kaufe mir in den nächsten Tagen ein paar neue. Aber jetzt erst mal Pflaster suchen. In der Innentasche könnten welche sein. Tatsächlich! Die sehen aber schon ganz schön alt aus. Mal sehen, ob die noch kleben. Sie trocknete ihre Füße so gut es ging und klebte dann die Pflaster auf die Blasen. Dann zog sie frische Strümpfe und wieder ihre Schuhe an. Die ersten Schritte schmerzten unangenehm, doch insgesamt fühlte es sich besser an mit den trockenen Strümpfen. Ob ich das wohl noch durchhalte bis nach Karlsruhe? Ganz bestimmt! Schließlich habe ich schon über die Hälfte geschafft. Ein Bus fuhr an ihr vorbei. Die Passagiere auf der Rückbank schauten nach hinten raus und winkten ihr zu. He, ein paar von denen waren doch auch im Zug, oder? Ob das ein Fahrservice für die Opfer des Zugunglücks ist? Sieht ja ganz so aus. Alice begann zu winken, doch der Bus fuhr unbeeindruckt weiter und war bald außer Sichtweite. So ein Mist! Da bin ich früher als all die anderen losgelaufen und komme trotzdem viel später als sie in Karlsruhe an. Hätte ich doch bloß ein bisschen länger abgewartet und wäre nicht gleich losgestürmt. Tja, nützt wohl nix, laufe ich halt weiter. Dass die Busse schicken, wo doch der Sprit so knapp ist, hätte ich denen gar nicht zugetraut. Der nächste Kilometer fiel ihr besonders schwer. Von hinten hörte sie plötzlich wieder ein größeres Fahrzeug näherkommen. Alice drehte sich um, sah einen Bus und begann aufgeregt zu winken. Die Reisenden winkten ihr zu, doch der Bus fuhr an ihr vorbei und verschwand in der Ferne. Wie gemein! Tja, die halten mich wohl für eine Tramperin. Also weiter, egal wie weh es tut! Als sie den nächsten Bus von hinten nahen hörte, winkte sie wieder, doch ihre Hoffnung war gering. Daher war sie überrascht, als der Bus bremste und kurz vor ihr zum Stehen kam. Mit einem Zischen öffnete sich die vordere Tür. Alice lief zur offenen Tür und schaute den Fahrer an. "Kann ich bis Karlsruhe mitfahren? Bitte!" "Sie sind doch die verschollene Retterin, oder?" "Ich? Verschollen? Nein, hier bin ich doch. Also was ist? Kann ich mitfahren?"
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"Ja, steigen Sie nur ein. Waren Sie nicht bei dem Zugunglück?" "Doch, doch, aber das ist schon lange her." "Dann sind Sie es tatsächlich!" Inzwischen war Alice eingestiegen, der Fahrer hatte die Tür geschlossen und war wieder losgefahren. Alice hielt sich an einer Stange fest, um nicht umzufallen. "Wer bin ich tatsächlich?" "Ich hab Sie im Fernsehen gehen. Bei der Sondersendung über das Zugunglück. Kurz bevor ich los musste." "Im Fernsehen?" "Ja! Sind Sie nicht die, die dem einen Verletzten das Leben gerettet hat? Und die dann verschwunden ist, nachdem sie nicht interviewt werden wollte?" "Also ich habe einem Verletzten geholfen, das stimmt. Aber das haben bestimmt auch viele andere." "Na ja! Aber nicht so. Manche halten Sie schon für einen Engel, weil sie ja verschwunden sind. Nun denn, seien Sie mir willkommen und machen Sie es sich bequem, wenn sie noch ein Plätzchen finden." "Gerne." Ein Sitzplatz war nicht mehr frei, denn die Passagiere waren wohl genau abgezählt. Also setzte Alice sich auf ihre Reisetasche, was sie deutlich bequemer fand, als zu Fuß weiter zu gehen. Die anderen Reisenden hatten anscheinend kein Fernsehen gesehen, denn sie ließen Alice mit Heldengeschichten in Ruhe, nachdem sie sie zuerst neugierig beäugt hatten. Die meisten unterhielten sich über die mutmaßliche Ursache des Zugunglücks. Oh, darüber habe ich mir ja noch gar keine Gedanken gemacht. War wohl mit zuviel anderen Dingen beschäftigt. Na klar: wie konnte so ein Unfall überhaupt passieren, einfach so auf freier Strecke? Manche vermuteten einen Anschlag, doch das schien Alice absurd. Schon nach wenigen Minuten erreichten sie Karlsruhe und nicht lange danach den Bahnhof. Alice suchte sich den nächsten Zug in Richtung Freiburg raus und hoffte, dass ihre Fahrkarte auch für diesen Zug gelten würde. Ihre Platzkarte war natürlich verfallen. Vielleicht sollte ich noch mal zu Hause anrufen. Die sitzen bestimmt die ganze Zeit vor dem Fernseher und machen sich totale Sorgen, weil sie mich dort gesehen haben und ständig hören müssen, dass ich verschollen sei. Diese blöden Reporter! Vor keiner Dummheit schrecken sie zurück. Was für ein Unfug! Also gut, wo steckt das Handy? Alices Eltern waren sehr froh, zu hören, dass es ihrer Tochter gut ging. Sie hatten tatsächlich das missratene Interview im Fernsehen gesehen und waren entsprechend besorgt gewesen. Alice beruhigte sie, verkündete ihre ungefähre Ankunftszeit und lief dann zum Gleis, wo ihr Zug abfahren sollte. Der Zug kam pünktlich und Alice stieg ein. Doch kaum stand sie im Inneren, drängte es sie, laut zu schreien und den Zug wieder fluchtartig zu verlassen. He Mädel! Nicht schreien. Das ist ein ganz normaler Zug. Du willst nach Hause. Darum bleibst du hier drin. Nicht schreien! Tief durchatmen! Entsetzt von dieser plötzlichen Attacke, hielt Alice sich krampfhaft an einem Griff fest. Die Mitreisenden in ihrer Nähe sahen sie teilweise besorgt, teilweise neugierig an. Die Fahrt nach Freiburg schien Alice endlos. Dann musste sie erneut in einen Zug einsteigen, um bis nach Hause zu fahren. Doch dieser Zug war leerer und die Panik hielt sich in Grenzen. Dennoch war sie heilfroh als sie endlich aussteigen durfte. Auf dem Bahnsteig warteten diesmal beide Eltern und schlossen ihre Tochter überglücklich in die Arme.
13 Alices Mutter hatte ausgiebig gekocht und der Vater holte zur Feier des Tages sogar einen Sekt aus dem Keller. Alice selbst war diese Aufregung eher suspekt, aber sie genoss es dennoch sehr, geborgen zu Hause zu sein und sich keine Sorgen mehr machen zu müssen. Das Essen war lecker, wie immer,
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wenn ihre Mutter gekocht hatte und der köstliche Sekt kam vom Weingut eines entfernten Verwandten. Nebenbei lief die ganze Zeit der Fernseher. Auf mindestens einem der zahlreichen Kanäle kam immer eine Sondersendung oder Kurzbericht zum Zugunglück. Immer wieder wurde auch die kurze Aufnahme mit Alice gesendet. Gnädigerweise hatten sie ihr "Scheiße" gelöscht, sodass die Szene weniger peinlich war. Auf den meisten Sendern wurde sie aber rührselig aufgebauscht. Gegen Abend war auch der Verletzte gefilmt worden, der inzwischen wieder bei Bewusstsein war, Alices Strumpfhose hoch hielt und seiner Retterin dankte. Alice lief jedes Mal rot an, wenn diese Szenen gezeigt wurden. Sie beschloss, offiziell verschollen zu bleiben. Schließlich hatte sie nichts Verbotenes getan und musste sich daher auch nicht den Behörden stellen. Immerhin half ihre öffentliche Heiligsprechung gegen das nagende Schuldgefühl, weil sie den Verletzten vor dem Unfall vom Sitz vertrieben hatte. Zwar war es ihr gutes Recht gewesen, aber das allein half nicht, um sich mit der Tatsache anzufreunden. Ihre vermeintlich engelsgleiche Heldentat setzte jedoch einen ausreichenden Kontrapunkt für ihre Gefühle. Die Frage nach der Ursache des Unfalls gewann im Laufe des Abends immer mehr an Bedeutung. Sachlich klingende Experten mutmaßten Materialermüdung im Gleisbett oder eine Störung der Signalanlage. Andere munkelten von menschlichem Versagen oder gar einem Terroranschlag. Aber keine Terrorgruppe bekannte sich zu dieser Tat, also war diese Variante eher unwahrscheinlich. Alice fragte sich zur Idee mit dem menschlichen Versagen, wie ein Zugführer auf kerzengerader Strecke einen solchen Unfall bauen könnte. Für einen Schaden am Gleisbett sprach, dass der Zug ohne Vorwarnung entgleist war. Außerdem behaupteten einige Fachleute, dass die Gleise in den letzten Jahren zu selten gewartet worden seien - deutschlandweit. Das führte zu der bangen Frage, ob Zugfahren noch sicher genug war. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass die Chefs der Bahn immer wieder andere mögliche Gründe erwähnen. Sie grausen sich vor der Möglichkeit, dass auf allen Strecken solche Unfälle drohen. Alice war zwar sehr interessiert an der Berichterstattung ihrer Erlebnisse und sie halfen ihr auch bei der Bewältigung, aber schon lange vor ihrer üblichen Bettgehzeit war sie so übervoll mit dem Thema Zugunglück, dass sie nichts mehr davon hören wollte. Sie ging kurz an die frische Luft, verabschiedete sich dann von ihren Eltern und legte sich ins Bett. Doch gelang es ihr nicht, bald einzuschlafen, obwohl sie sich wie gerädert fühlte. Zuviel war geschehen. Immer wenn sie langsam einnickte, schreckte sie wieder auf und dachte, sie würde gleich durch den Raum geschleudert werden. Später wurde sie von Alpträumen heimgesucht. Am Morgen erwachte Alice schweißgebadet. Sie schlich in die Dusche, um zu vermeiden, dass ihre Eltern sie so sahen. Jeder Schritt brannte an ihren Fußsohlen. So fühlt man sich also als Unverletzter nach einem Zugunglück. Einer derjenigen, die Glück gehabt haben. Wie mag es da den Verletzten gehen? Die über hundert Toten fühlen ja wohl gar nichts mehr. Siedendheiß fiel Alice ein, dass sie ganz vergessen hatte, in ihrer Firma anzurufen und bekannt zu geben, dass sie unverletzt geblieben war. Bestimmt hatten ihre Mitarbeiter sie erkannt und waren voller Sorge, weil sie als verschollen galt. Nach dem Frühstück, bei dem ihre Mutter sie mit Ei, selbstgemachter Erdbeermarmelade und frischem Brot verwöhnte, rief Alice gleich bei Susanne an, die tatsächlich voller Sorge war. "Das ist ja mal wieder typisch für dich: marschierst einfach los, ohne dich zu erkundigen, ob ihr gefahren werdet. Die Zeiten sind zwar schlecht, aber wir leben immer noch nicht in der dritten Welt, wo man nach einem Zugunglück zu Fuß weiterkommen muss." "Manchmal denke ich schon, dass wir inzwischen in einem Entwicklungsland leben. Aber in diesem Fall habe ich mich wohl geirrt. Die Wanderung war allerdings gar nicht so schlecht. Und wer weiß? Wahrscheinlich hätten sie mich am Unfallort noch stundenlang interviewt in ihrer Gier nach rührseligen Geschichten." "Stimmt auch wieder. Ich muss jetzt dringend an die Arbeit. Erhol dich gut! Morgen fahre ich auch in Urlaub und freu mich schon darauf." "Viel Spaß im Urlaub!"
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So, das wäre erledigt. Was fange ich jetzt mit dem Rest des Tages an? Ich versuche es mal mit Umgraben. Da werden schließlich andere Körperteile strapaziert als die Fußsohlen. Alice Vater war skeptisch, ob sie in der Lage sein würde umzugraben, doch man konnte durchhören, dass er sich über Hilfe beim Kartoffelacker freuen würde. Auch im Gemüsegarten gab es viel zu tun. Die ersten Gemüse sprießten schon und warteten aufs Unkrautjäten. Solange ihr Rücken mitmachte, half Alice also bei der Gartenarbeit und war froh darüber, etwas Sinnvolles zu tun zu haben. Das verdrängte die immer wieder hochkommenden Gedanken an den Zugunfall. Nach dem Mittagessen schaute sie eine Sondersendung im Fernsehen. Dort wurde berichtet, dass sich die Hinweise auf ein marodes Gleisbett verdichteten. Sie zeigten Filmausschnitte von anderen Stellen, wo der tragende Schotter teilweise weggespült war. Die Gleise hingen frei in der Luft. Außerdem konnte man viele leicht leicht gekrümmte Schienen bewundern. Offensichtlich war es nur eine Frage der Zeit gewesen, wann es zu einem schweren Zugunglück kommen würde. Weitere Unfälle dieser Art waren zu befürchten. Die Verantwortlichen klagten über Stahlmangel, gekürzte Mittel, zu wenig Personal, Energiemangel und Überlastung der Gleise durch erhöhtes Güterverkehraufkommen. Für den Stahl fehlte anscheinend vor allem der Koks, den man selbst für teures Geld kaum noch importieren konnte, weil er weltweit knapp war. Das gab den Managern der Bahn eine passende Gelegenheit, den Politikern den schwarzen Peter zu zu schieben, die es in früheren Jahren versäumt hatten, sich rechtzeitig um die Energieversorgung des Landes zu kümmern. Nach einer Weile war Alice die ewigen Litaneien leid und ging wieder in den Garten. Als ihr Rücken zu sehr schmerzte, ging sie in den Tankstellenladen, um dort ihre Mutter zu vertreten. Doch dort hatte sie so wenig zu tun, dass die Erinnerung an das Unglück sie heimsuchte. Also las sie Zeitschriften, die glücklicherweise noch nichts von dem Zugunglück wussten. Das half ein wenig. So vergingen die nächsten Tage: nachts quälende Alpträume, tagsüber Gartenarbeit und Langeweile in der Tankstelle. Karfreitag war schlimm, denn an diesem Tag durfte man in dieser Gegend auf keinen Fall im Garten arbeiten, sonst wäre man als Ausgeburt Satans betrachtet worden. Die neuen Zeitschriften hatten durchweg Sonderberichte über den Unfall. Alice schwankte, ob sie diese Berichte überblättern oder lesen sollte. Sie entscheid sich dafür, sie zu lesen, denn sie erhoffte sich davon eine innere Verarbeitung der Ereignisse. Außerdem war sie neugierig, was anderen Reisenden geschehen war. Immerhin waren zwei Waggons richtig entgleist und umgefallen. In diesen Waggons hatte es auch die Toten gegeben. Ihr eigener Wagen und die nachfolgenden waren vergleichsweise harmlos davongekommen. Ausnahmsweise ging Alice mit ihren Eltern in die Kirche und zündete sogar eine Kerze an, als sich Gelegenheit dazu bot. Im Gottesdienst sah sie hauptsächlich die üblichen alten Tanten, doch auch eine aufrecht wirkende unbekannte Frau in ihrem Alter. Alices Mutter stieß ihre Tochter vorsichtig an und flüsterte ihr zu: "Das ist die Frau von dem jungen Mann, den du beim letzten Mal kennengelernt hast. Die aus dem Norden, die den Wagner-Hof übernommen haben. Anscheinend ist die junge Frau eine brave Christin." "Aha!" flüsterte Alice zurück und schielte etwas ausgiebiger zu der Neuen rüber. Sieht eigentlich ganz nett aus. Als wüsste sie, was sie wollte. Aber ausgelaugt. Bestimmt haben die übelst viel Arbeit auf ihrem Hof. Wir haben ja schon mit unserem Garten genug zu tun. Vielleicht lerne ich sie ja mal kennen, wenn sich Gelegenheit dazu ergibt. Am Ostersonntag hatten Alice und ihre Mutter alle Hände voll zu tun, denn sie wollten für den Verkauf in der Tankstelle Ostergebäck produzieren. Vor den Laden stellten sie ein großes Schild, das Alice beschriftet hatte. Die Idee erwies sich als gut, denn tatsächlich kamen Kunden und kauften die duftenden Kuchen, Kränze und Lämmer. Auch am Ostersonntag buken die beiden Frauen gleich nach dem Gottesdienst wieder große Mengen Gebäck, das ihnen förmlich aus den Händen gerissen wurde. Sie machten das Geschäft des bisherigen Jahres. Alices Mutter strahlte und bekam vor lauter Freude rote Wangen. Doch als das Mehl ausging, konnte man ihr das Entsetzen ansehen. Alice lief kurzentschlossen zu den Nachbarn, brachte ihnen kleine Schokoladeneier und bat um Mehl, das sie selbstverständlich auch bezahlen wollte. Sie hatte Glück, denn die meisten Nachbarn
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hatten sie im Fernsehen gesehen, waren sich aber nicht sicher gewesen, wie sie damit umgehen sollten. So ergriffen sie die Gelegenheit und versorgten Alice nicht nur mit Mehl und anderen Backzutaten, sondern auch mit besonders leckeren Ostersüßigkeiten. Natürlich musste Alice auch kurz vom Zugunglück erzählen, aber sie durfte bald weiterziehen, denn jeder sah ein, dass sie jetzt viel zu tun hatte. Damit die Nachbarn auch etwas von ihren großzügigen Gaben hatten, lud Alice sie zum Kuchenessen am Nachmittag ein, was alle gerne annahmen. Als Alice mit ihren schwer gefüllten Körben wieder nach Hause kam, kehrte das Strahlen in das Gesicht ihrer Mutter zurück. Gemeinsam buken sie weiter und der Vater verkaufte das Gebäck in der Tankstelle. Später kamen die eingeladenen Nachbarn und brachten Wein aus eigener Produktion und weitere Backzutaten mit. Sie saßen auf den schnell aufgebauten Bierbänken und es entwickelte sich zu einem richtigen kleinen Nachbarschaftsfest. Selbst Alices Vater lächelte breit, nicht nur wegen der guten Geschäfte, sondern auch, weil die Nachbarn ihren Groll wegen des fehlenden Treibstoffes wohl zur Seite gelegt hatten.
14 Nach Ostern fühlte sich Alice wieder besser, denn die Alpträume ließen nach. Stundenweise konnte sie wieder schlafen, ohne ständig aufzuschrecken. Morgens erwachte sie zwar immer noch schweißgebadet aber deutlich erholter als zuvor. Von Tag zu Tag wurde ihr Rücken stärker. Sie konnte inzwischen erstaunlich große Beetstücke umgraben, ohne dass er ihr weh tat. Doch sie und ihr Vater näherten sich dem Ende des ehemaligen Rasens, sodass Alice dachte, dass sie frisch erworbenen Kräfte gar nicht mehr so dringend brauchen würde. Alices Vater versprach ihr jedoch, dass es noch viel kräftezehrende Arbeit im Garten gab. Im Gemüsegarten konnte man bereits die ersten Radieschen und jungen Salat ernten. So gut wie dieses Jahr hatten Alice die Radieschen noch nie geschmeckt. Sie konnte gar nicht genug davon bekommen und freute sich schon auf die dicken Rettiche, die heranwuchsen. Viel zu schnell näherte sich der Mai und damit ihre Abreise nach Stuttgart. Zwei Tage vor der Abfahrt war es mit den erholsamen Nächten vorbei. Alice konnte keine fünf Minuten mehr schlafen, ohne von Zugunglücken heimgesucht zu werden. Nachts musste sie mehrmals das nassgeschwitzte TShirt wechseln, um überhaupt weiterschlafen zu können. Einmal kam ihre Mutter besorgt zu Alice ins Zimmer als sie im Schlaf geschrien hatte, so laut, dass die Mutter davon aufgewacht war. "Mein armes Mädchen! Komm, ich beziehe dir das Bettzeug neu, das ist ja völlig durchweicht. Wie kommt es wohl, dass die Nächte jetzt wieder so schlimm sind? Ich dachte, du könntest wieder besser schlafen." "Ja, konnte ich auch. Ich glaube, ich habe zuviel Angst vor der Rückfahrt. Der Gedanke an eine Fahrt mit dem Zug erscheint mir grauenvoll. Ich darf gar nicht daran denken, sonst könnte ich sofort losschreien." "Ach meine Kleine! Das kann ich gut verstehen. Kannst du nicht noch eine Weile hier bleiben? Bis du dich wieder ganz erholt hast von dem Schrecken." "Da habe ich auch schon dran gedacht. Ein bisschen Urlaub habe ich noch. Aber bestimmt brauchen die mich dringend in der Firma." "Und wenn du von hier aus ab und zu mit deinen Kunden telefonierst? Das ging doch beim letzten Mal auch ganz prima." "Stimmt. Das ist eine gute Idee. Ich glaube, ich rufe morgen gleich mal im Büro an, und versuche, was zu erreichen. Funktioniert eigentlich euer Computer noch?" "Ja, der tut es bestimmt noch. Beim letzten Mal war der völlig in Ordnung. Willst du den dann zum Arbeiten benutzen?" "Vielleicht für meine Emails, mal sehen. Jetzt gehe ich mir erst mal den Schweiß runterduschen. Glaubst du, Vater kann weiterschlafen, wenn ich mich bemühe, leise zu sein?" "Bestimmt! Dusch du nur. Ich beziehe so lange dein Bett fertig und dann lasse ich dich wieder schlafen."
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"Danke Mami, du bist die Beste!" Das Duschen tat gut und der Gedanke an eine Verlängerung des Urlaubs tat noch besser. Das erste Mal seit Tagen konnte Alice wieder richtig schlafen. Am nächsten Morgen schlief sie eine Stunde länger als sonst. Ihre Mutter wartete schon mit dem Frühstück auf sie und schien erleichtert über den ausgiebigen Schlaf. Nach dem Frühstück rief Alice in ihrer Firma an. Ihr Chef war nicht begeistert von der Idee, dass sie noch länger wegbleiben würde, aber er hatte Verständnis für ihre Zugpanik und empfand die Lösung mit den Telefonaten von ihrem Elternhaus aus als akzeptable Lösung. Sie vereinbarten, dass Alice täglich per Email eine Liste mit Kunden erhalten würde, die angerufen werden mussten. Alice sollte diese Kunden überzeugen, dass sie ihre Bestellungen auf die organischen Solarzellen abändern sollten. Das übernahm Alice gerne, denn so konnte sie den Kunden wenigstens eine Alternative bieten. Der Chef schien zuversichtlich, dass die Firma nicht nur die eine größere Lieferung mit den neuen Zellen erhalten, sondern regelmäßig damit versorgt werden würde. Den Rest des Vormittags war Alice damit beschäftigt, den Computer ihrer Eltern mit aktuellen Programmen zu bestücken und bereit für den Arbeitseinsatz zu machen. Dann ging sie in den Garten, fest entschlossen, ihre letzten echten Urlaubstage voll zu genießen. Die Frühkartoffeln wuchsen schon kräftig und bald würde es Zeit werden, die Kartoffeln für die Haupternte einzupflanzen. Es ist ja fast unheimlich, wie gut mir das Leben bei meinen Eltern gefällt. Eigentlich müsste ich es stinklangweilig finden und mich in die Stadt zurücksehnen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Die Stadt finde ich langweilig und auch die Discos haben schon vor Jahren ihren Zauber verloren. Vielleicht fehlt mir dort auch ein echter Freundeskreis. Susanne ist zwar lieb und viele andere ganz nett, aber ich vermisse keinen von denen. Wahrscheinlich bin ich tief drinnen immer ein Landei geblieben. Ab dem zweiten Mai kamen die Emails aus der Firma und Alice telefonierte mehrere Stunden täglich mit den Kunden. Danach war sie immer froh, aus dem Haus zu treten und über die Rheinebene schauen zu können. Besonders liebte sie den Blick auf den Schwarzwald, dessen Ausläufer sich nur wenige Kilometer entfernt emporschwangen. Wie im Paradies ist es hier. Früher konnte ich die Schönheit der hiesigen Landschaft gar nicht richtig würdigen. Ich dachte wohl, dass es überall so schön sei. Jetzt geh ich erst mal in den Garten und schaue, was über Nacht aufgekeimt ist. Die Tage vergingen wie im Fluge. Nur selten dachte Alice daran, dass sie irgendwann, spätestens Ende Mai, ihre Furcht vor Zugfahrten überwinden musste, um wieder nach Stuttgart zu fahren. Denn so gut die aktuelle Lösung auch funktionierte, war sie doch kein Dauerzustand. Umso mehr genoss Alice jeden der Frühlingstage. Zu den Eisheiligen zog termingerecht noch einmal Kälte übers Land. Alice und ihre Eltern hatte alle Hände voll zu tun, die vorgezogenen Pflänzchen ins Haus zu holen und die bereits ausgepflanzten mit Plastikfolien zu schützen. Glücklicherweise kam kein strenger Frost, sondern nur eine kurze Kältephase mit leichten Nachtfrösten. Daher überstanden alle Pflanzen die kritischen Tage ohne Probleme. Anschließend brach jedoch das Pflanzfieber aus. All die wärmeliebenden Fruchtpflanzen, die vorher in Töpfen auf bessere Zeiten gewartet hatten, wollten endlich ins Freiland und auch die Kartoffeln mussten gesetzt werden. Im Keller hatten die vorbereiteten Saatkartoffeln bereits Triebe gebildet. Damit diese Triebe unbeschädigt blieben, musste man mit den Saatkartoffeln sehr vorsichtig umgehen. Alice und ihr Vater verbrachten mehrere gekrümmte Tage auf dem Kartoffelacker. Danach war Alice sehr froh über ihr vorangegangenes Rückentraining, denn ohne hätte sie die Pflanztage wohl kaum durchgestanden. Als alle Pflanzen im Boden waren, erlaubte der Garten ein paar ruhige Tage an denen nur gegossen werden musste, denn das Unkraut war schon vor dem Pflanzen entfernt worden und würde mehrere Tage brauchen, um erneut zu sprießen. Alice verbrachte die Nachmittage also bevorzugt in der Tankstelle, um ihrer Mutter Zeit für Hausarbeiten zu geben. Eines Spätnachmittags saß Alice an der Kasse, über eine Zeitschrift gebeugt, weil mal wieder keine Kunden da waren. Da klingelte die Ladenklingel und kündigte einen Kunden an. Alice blickte auf. Ein schweißüberströmter Mann betrat den Laden und ging auf Alice zu.
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"Hallo! Können Sie mir sagen, wie ich nach Eichingen komme?" "Aber gerne! Sie wollen bestimmt zu dem ehemaligen Wagner-Hof, nicht wahr?" "Stimmt! Wie kommen Sie darauf?" "Wegen ihrer Sprache. Die neuen Besitzer klingen so ähnlich wie Sie." "Wir kommen ja auch alle aus dem Norden. Bestimmt liegt es daran." "Wollen Sie nicht erst was zu trinken? Sie sehen so aus, als bräuchten Sie Wassernachschub." "Gute Idee! Was haben Sie denn da?" "Für den ersten Riesendurst empfehle ich ein Wasser des Hauses - kostenlos. Und dann vielleicht eine Cola?" "Wunderbar! Immer her mit dem kühlen Nass! Haben Sie vielleicht auch einen Happen zu essen da? Denn ich weiß nicht, ob die in Eichingen schon mit mir rechnen." "Na klar! Die leckeren Sandwiche sind eine Spezialität meiner Mutter. Sogar mit frischem Gartensalat. Wahlweise als Käse-, Schinken- oder Salamisandwich." "Klingt alles lecker. Ich nehme ein Salamisandwich." "Hier erstmal das Wasser. Die anderen Sachen kommen sofort. Dort an dem Stehtisch können Sie es sich bequem machen." "Aaah, das tut gut, die Kehle zu befeuchten. Ihr Wasserangebot war wirklich eine gute Idee. Gibt es auch nicht überall." "Seit einer Weile weiß ich, wie hilfreich ein paar Schlucke Wasser sein können. So, hier sind auch die Cola und das Sandwich." "Wunderbar! Welch Labsal! Sie wissen echt, wie man einen erschöpften Reisenden wieder aufmuntert." "Das freut mich. Doch das Lob für das Sandwich gebührt meiner Mutter und das für die Cola den unbekannten Erfindern dieses Wundergetränks." "Und Ihnen das Lob für die Kombination und die aufmunternden Worte. Sagen Sie, kann es sein, dass ich Sie schon mal gesehen habe?" "Nur wenn Sie schon mal hier gewesen wären. Wissen Sie, ich habe so ein Allerweltsgesicht, dass kann man leicht mal verwechseln", Oh je, der hat mich bestimmt im Fernsehen gesehen. Hoffentlich erinnert er sich nicht. "Ne, das glaube ich nicht. Aber was solls? Vielleicht habe ich von Ihnen geträumt", ein verschmitztes Grinsen glitt über sein Gesicht. "Sie Schelm!" "Wie darf ich Sie denn nennen?" "Mein Name ist Alice." "Sehr schön, Alice. Mich können Sie, kannst du Achim nennen." "Ok, Achim. Duzen ist in Ordnung." "Na denn Prost." Achim hob sein Cola-Glas und als Alice das ihre hob, prostete er ihr zu und ein breites Lächeln ließ seine Züge fast attraktiv wirken. "Wie sind Sie, äh bist du eigentlich vom Norden hier runter gekommen? Ich sehe da draußen nur ein schwer bepacktes Fahrrad." "Genau. Mit dem Fahrrad bin ich gekommen." "Die ganze Strecke? Nein!" "Doch! Hat gut fünf Tage gedauert. Auf ein Zugticket hätte ich drei Wochen warten müssen." "Sowas Verrücktes! Na ja, ich kenne auch andere, die zu Fuß nach Karlsruhe wandern wollten", Alice konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Siehst du, heutzutage muss man eben flexibel sein. Einfach mal mit dem Auto durch die Republik heizen ist Vergangenheit." "Aber mit dem Fahrrad von Norddeutschland bis hier runter ist echt ne starke Leistung." "Soll ich dir ein Geheimnis verraten: es hat mächtig Spass gemacht. Lange hatte ich nicht mehr soviel Freude. Und ich hoffe, dass sich die Freude noch steigern wird, wenn ich erstmal auf dem Hof
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angekommen bin. Ich kenne mich mit dem Landleben zwar nicht aus, aber anpacken kann ich allemal und hier ist es bestimmt besser als in der Großstadt." "Mir gefällt es hier auf dem Land auch besser als in der City. Leider muss ich bald wieder nach Stuttgart, denn dort ruft mein Job", was bin ich denn heute für eine Plaudertüte? Solche Vertraulichkeiten mit einem völlig Fremden? Na ja, dieser Achin scheint nett zu sein und seine Fahrradtour imponiert mir. "Gesegnet sind die, die heutzutage noch einen Job ihr Eigen nennen können. Was ist denn das für ein Job?" "Wir verkaufen Solarzellen." "Sowas Zukunftsträchtiges? Nicht schlecht. Hut ab!" "Wenn wir ausreichend liefern könnten, wäre es wirklich ne tolle Sache." "Aha, Lieferschwierigkeiten, wie überall. Sollte eigentlich nicht wundern. Ist doch ein Jammer, wo solche Solarzellen in diesen Zeiten so dringend gebraucht werden." "Stimmt. Wie wäre es mit noch einem Sandwich?" "Eines noch, aber dann muss ich wieder los. Ist es denn noch weit?" Alice holte ihm schnell ein weiteres Sandwich und freute sich, als er genussvoll hinein biss. "Eichingen ist ganz in der Nähe. Mit dem Fahrrad gerade mal eine Viertelstunde und bis zum Hippie-Hof, äh, jetzt müsste man wohl Trautmann-Hof sagen, vielleicht insgesamt zwanzig Minuten." "Das ist ja grad um die Ecke. Dann sind wir ja fast Nachbarn. Aber nein, du gehst ja bald wieder nach Stuttgart, wie schade. Und was hat es mit dem Hippie-Hof auf sich?" "Früher, als die Wagners den Hof noch bewirtschaftet hatten und als die jung waren, da war der Hof als Hippie-Hof verrufen. Mich hat das in meiner Kindheit immer fasziniert. Aber als die Wagners älter wurden, wurde es dort wohl immer bürgerlicher. Und wie es jetzt ist, weiß ich noch gar nicht. Die Besitzer habe ich nur mal kurz kennengelernt." "Ich kenne den Jens, also den Herrn, äh, Trautmann heisst der jetzt wohl, recht gut von der gemeinsamen Arbeit", ein unerfindlicher Ausdruck breitete sich auf Achims Gesicht aus, verschwand jedoch gleich wieder. Als ob ihm eine Erinnerung durch den Kopf gegangen war. Das muss ja eine interessante Arbeit gewesen sein, so wie der gerade geschaut hat. Na ja, das geht mich gar nichts an. Ist aber ein netter Gesprächspartner, dieser Achim. Das zweite Sandwich verschwand zügig in Achims Bauch und auch die Cola war bald geleert. Er zeigte Unruhe, daher wagte Alice es nicht, ihm weitere Getränke oder Brote aufzuschwätzen, obwohl sie sich gerne noch länger mit ihm unterhalten hätte. "Also gut, jetzt sollte ich wohl weiter. Wo geht es denn nun nach Eichingen?" "Das ist ganz einfach: Die Straße weiter geradeaus und bei der ersten Möglichkeit nach links abbiegen. Dann geht es noch einmal nach rechts und dann bist du schon in Eichingen. Hinter dem Ortsschild einfach der Straße nach. Das letzte Haus im Ort ist der Trautmann-Hof." "Vielen Dank! Es hat hervorragend gemundet. Ich werde dieses Etablissement wärmstens weiterempfehlen. Bis demnächst!" "Bis bald!" Achim bezahlte, verließ den Laden und schwang sich wieder auf sein Fahrrad. Alice schaute ihm hinterher, bis er aus ihrem Blickfeld verschwand.
15 Ende Mai näherte sich Alices Urlaub selbst in seiner gestreckten Form als Halbtagsurlaub dem Ende. Die Fahrt nach Stuttgart wurde unausweichlich. Alice zog sich der Magen zusammen, wenn sie daran dachte, einen Zug zu besteigen. Ihre Angst wurde noch vergrößert, weil sich in der Zwischenzeit zwei weitere, wenn auch kleinere, Zugunfälle ereignet hatten. Zugfahren war zu einer gefährlichen Angelegenheit geworden. Was mach ich nur? Ich kann doch nicht meinen Job riskieren, nur wegen dieser blöden Zugangst. Ob ich vielleicht einen Bus finde, der nach Stuttgart fährt? Sowas Dummes! Dabei sind Busse gar
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nicht ungefährlicher. Deren Gefahr ist nur schon länger bekannt. Nur, weil ich noch keinen Busunfall erlebt habe, fehlt mir die Angst davor. Ach, ich Esel. Doch dann kam endlich mal wieder ein Tanklaster mit einer Treibstofflieferung und brachte Alice einer Lösung näher. Kaum hatte es sich in der Umgebung herumgesprochen, dass die Tankstelle Diesel zu verkaufen hatte, bildete sich eine lange Schlange vor der Zapfsäule. Die ganze Familie hatte alle Hände voll zu tun, um dem Ansturm Herr zu werden. Alice hielt den Zapfhahn fast nonstop in der Hand und befüllte die Tanks der Kunden. An Selbstbedienung war nicht zu denken, damit möglichst viele Kunden bedient werden konnten. Ein Kunde mit einer älteren Limousine starrte Alice empört an, als sie nach zwanzig Litern aufhörte, den Tank zu befüllen. "He, ich brauche mehr Diesel. Unbedingt!" "Alle Kunden bekommen maximal zwanzig Liter. Schauen Sie sich doch mal die Warteschlange an! Die wollen alle tanken." "Ja, aber ich muss unbedingt nach Stuttgart und natürlich wieder zurück. Bitte tanken Sie voll!" "Nach Stuttgart fahren Sie? Können Sie mich mitnehmen?" "Ein Plätzchen dürfte noch frei sein. Aber auf der Rückbank. Der Beifahrersitz ist schon besetzt. Außerdem brauche ich natürlich eine Spritkostenbeteiligung. Und natürlich einen vollen Tank. Seien Sie doch so gut." Ach, jetzt wittert er wohl Morgenluft und wird ganz charmant. Na ja, ist ja in meinem Interesse. Mit dem Auto fahre ich viel lieber, als wieder in einen Zug zu steigen. "Ok, machen wir eine Ausnahme. Sie bekommen meinen Spritanteil. Aber erst, wenn es los geht. Wann soll es denn soweit sein?" "Übermorgen. Sie sind ein Schatz! Ich hole Sie dann gegen elf Uhr ab." "Alles klar! Bis übermorgen um elf. Aber jetzt müssen Sie drinnen erst mal zahlen. Der nächste bitte auf der anderen Seite!" Der Trubel hielt an bis die Sonne unterging. Dann waren die Dieselvorräte der Tankstelle fast erschöpft. Bis auf die halbe Tankfüllung, die Alice ihrer Mitfahrgelegenheit zugesagt hatte. Der Preis für diesen Treibstoff riss ein schmerzhaftes Loch in ihre Finanzen. Wenn ich wieder in Stuttgart bin, muss ich wohl mal einen Teil meiner Ölanlagen verkaufen, um wieder flüssig zu sein. Wie schade! Die Zeit bis zur Abfahrt verging schneller als Alice lieb war. Noch einmal arbeitete sie mit ihrem Vater im Garten, genoss die sprießenden Pflanzen und half ihrer Mutter noch einmal in der Küche. Von den Leuten des Hippie-Hofs hatte sie nichts mehr gehört. Merkwürdig, dass ich an die denke. Dabei kenne ich die doch kaum. Es gibt auch keinen Grund, warum ich einen von denen vor meiner Abfahrt noch mal sehen sollte. Seltsam, was mir manchmal durch den Kopf geht. Am übernächsten Tag stand der Stuttgartfahrer pünktlich vor der Tankstelle. Unter Tränen nahm Alices Mutter von ihr Abschied. Ihr Vater klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter. Das Auto war voll beladen, sodass Alice ihre Reisetasche auf den Schoß nehmen musste. Die Beifahrerin stank entsetzlich nach einem aufdringlichen Parfüm und der andere Passagier auf dem Rücksitz nach Schweiß, den er wohl schon seit Tagen nicht mehr abgewaschen hatte. Alice bemühte sich, möglichst flach zu atmen und fragte sich, ob eine Fahrt im Zug nicht doch besser gewesen wäre. Ansonsten verlief die Fahrt aber erfreulich ereignislos. Schon nach etwas über zwei Stunden konnte Alice vor ihrer Wohnung aussteigen. Alice fühlte sich ganz ungewohnt, wieder vor ihrem Wohnblock zu stehen und über Stuttgart zu blicken. Merkwürdig, dass ich hier zu Hause bin. Alles wirkt so kalt. So viele Häuser auf einem Haufen. Ach, was solls? Ich werde mich wieder daran gewöhnen. Sie öffnete den Briefkasten, der aus allen Nähten quoll. Die Briefe stopfte sie in ihre Reisetasche und die Werbung, die trotz Bitte-keine-Werbung-Hinweis eingeworfen worden war, schmiss sie in den bereitstehenden Papierkorb.
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Immer zwei Stufen auf einmal nehmend erstieg Alice die Treppen zu ihrer Wohnung. Sie öffnete die Tür und war angewidert, als ihr die abgestandene Luft entgegenschlug. Am liebsten hätte sie sofort wieder kehrtgemacht. Doch sie betrat tapfer ihre Wohnung und öffnete zuerst alle Fenster, um frische Luft einzulassen. Dann verknotete sie den Müllbeutel in ihrer Kochnische, denn diesen hielt sie für die Quelle des leicht muffigen Geruchs. Stell dich doch nicht so an, wegen so ein bisschen Mief. So riecht eine Wohnung nun mal, wenn man sechs Wochen nicht zu Hause war. Da ist überhaupt nichts besonderes dran. Die geöffneten Fenster werden es schon rausreißen. So, jetzt erstmal einen Kaffee kochen, um richtig anzukommen. Mit dem Kaffee in der Hand setzte sich Alice an ihren Schreibtisch und holte die Post aus ihrer Tasche. In ihrer Abwesenheit hatte sich eine Menge angesammelt. Vor allem lästige Rechnungen. Doch die meisten waren automatisch abgebucht worden und mussten nur zur Kenntnis genommen worden. Dann war da eine Einladung zu einer Party, die längst vorbei war und eine alberne Ostergrußkarte von einer Internetbekanntschaft. Nichtsdestotrotz musste Alice schmunzeln, als sie sich den drolligen Hasen anschaute. Und dann war da ein mysteriöser Brief von ihrem Vermieter. Etwas dicker als normale Briefe. Was der wohl von mir will? Der schreibt mir doch sonst keine Briefe. Ah, na klar, das ist die Nebenkostenabrechnung für das letzte Jahr. Oh, Schreck! Nein! Das kann nicht sein!
16 Die Höhe der Nebenkostennachzahlung überstieg die Kaltmiete eines halben Jahres. Unfassbar! Dabei wurde die Vorauszahlung doch schon erhöht und ich hatte es im Winter alles andere als warm. Nein! Alice ließ die Abrechnung sinken, stand auf und tigerte unruhig durch ihre Wohnung. Am liebsten hätte sie vor lauter Zorn aufgestampft, aber das verkniff sie sich im letzten Augenblick. Die Nachbarn trugen schließlich keine Schuld an ihrem Problem. Unermessliche Wut und Verzweiflung wechselten sich ab und ließen ihr den Schweiß ausbrechen. Alice griff erneut nach der Abrechnung und starrte darauf, in der Hoffnung, dass sie sich geirrt hatte, dass der Betrag doch nicht so hoch war. Doch da stand es, sauber aufgeschlüsselt. Wenn sie die Preissteigerung mit der Erhöhung des Benzinpreises verglich, dann kam die Summe auch irgendwie hin, es handelte sich also wahrscheinlich nicht um einen Fehler. Dennoch rief Alice ihren Vermieter an, sobald sie sich wieder einigermaßen im Griff hatte. Dieser war selbst ganz unglücklich über die hohen Kosten, denn es hatte ihn fast ruiniert, das Geld vorzustrecken und all seine Mieter bereiteten ihm anlässlich der Abrechnung eine harte Zeit. In ihrem wieder aufflammenden Zorn über die hohen Kosten kündigte Alice ihre Kündigung an. Dann tat ihr der Vermieter plötzlich leid, denn ähnlich hatten wohl die meisten der Mieter reagiert. Im nächsten Winter würde das Haus wahrscheinlich fast leer stehen und das würde den Vermieter glaubhaft an den Rand der Armut bringen. Die Idee mit dem Wohnungswechsel ging Alice jedoch nicht mehr aus dem Kopf. Sie schaltete ihren Computer an und ging ins Netz, um nach Wohnungsangeboten zu suchen. Doch auf den ersten Blick sah das Angebot nicht sehr geeignet aus. Moderne Wohnungen waren teuer und preiswerte Wohnungen schienen meistens so alt, dass dort die Nebenkosten bestimmt nicht billiger sein würden. Das muss ja nicht heute entschieden werden. Erstmal richtig hier ankommen. Im Frühling und Sommer heize ich ja sowieso nicht. Aber sogar mit dem Duschen sollte ich mich zurückhalten. Nur noch kurzduschen - dabei liebe ich es doch so, ausgiebig unter dem warmen Wasser zu stehen. Ich frage mich, wie andere mit diesen Energieproblemen umgehen. Ich verdiene ja immerhin noch halbwegs gut und muss keine Kinder durchfüttern. Kaum hatte Alice es sich vor dem Fernseher bequem gemacht, erhielt sie mehr Antworten auf diese Frage als ihr lieb waren. "Neue Rekorde bei Privatinsolvenzen" lautete die Schlagzeile des Tages, gefolgt von "Immer mehr Arme - Containersiedlungen quellen über". Auch auf anderen Kanälen blieb
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sie von Hiobsbotschaften nicht verschont. Nur auf Privatsendern konnte sie Kandidaten dabei bewundern, wie sie sich gegenseitig mit Schlamm bewarfen, doch das gefiel ihr genauso wenig. Weil sie den Abend mit etwas Angenehmem beenden wollte, holte Alice einen ihrer Lieblingsschmöker aus dem Bücherregal und machte es sich damit in ihrem Bett gemütlich. Doch die hohe Nebenkostenabrechnung ging ihr immer wieder durch den Kopf. Um sie zu bezahlen, würde sie einen Teil ihres kleinen Vermögens liquidieren müssen. Angesichts der unpünktlichen Gehaltszahlungen sah Alices finanzielle Situation plötzlich gar nicht mehr erfreulich aus. Wie schnell das gehen kann. Da freut man sich über seine bezahlbare Wohnung und sein gutes Gehalt und zack, von einem Monat auf den anderen, muss man plötzlich jeden Cent zweimal umdrehen. Schade, dass ich zu Hause in Breisingen keinen Job habe. Aber dort sind die Perpektiven genauso mies wie hier. Hoffentlich erholt sich meine Firma wenigstens von ihrer Krise. Wo wir doch so viele Kunden haben. Es könnte so schön sein - so viele Solarzellen könnten wir verkaufen. Noch mit dem Buch in der Hand schlief Alice schließlich ein. Sie träumte von ganzen Heerscharen von Kunden, denen sie persönlich ihre Solarzellen überreichte. Plötzlich kehrten all die vielen Kunden um, und schlugen Alice die Lieferung auf den Kopf, weil es sich angeblich nur um angemalte Holzbretter handelte und nicht um echte Photovoltaik-Zellen. Zitternd schreckte Alice aus dem Schlaf und musste sich den Angstschweiß gründlich vom Leib duschen, um wieder Ruhe finden zu können. Beim Duschen fiel ihr jedoch ein, wie teuer jede ausgiebige Dusche inzwischen war und selbst dieses bewährte Mittel half nicht mehr. Hadernd mit der Welt lag Alice noch stundenlang wach und grübelte über ihre Zukunft, bevor sie in einen unruhigen Schlummer fiel. Am Morgen war Alice ganz erleichtert, als der Wecker sie weckte, denn obwohl sie keine schlimmen Alpträume mehr gehabt hatte, hatten sich ihre Träume doch permanent in unangenehmen Kreisen gedreht. Ihre Fahrradreifen musste Alice zuerst aufpumpen, bevor sie sich in Richtung Büro schwingen konnte. Sie freute sich schon auf die Arbeit und hoffte, dass es etwas Sinnvolles zu tun gab. Im Büro angekommen, gab es in der Kantine das übliche Frühstück, sodass sich Alice gleich wieder ein wenig heimisch fühlte. Als Susanne eintraf, begrüßte sie Alice mit großem Hallo und auch die anderen Kollegen zu denen Alice einen persönlichen Bezug hatte, empfingen sie herzlich. An Alices Arbeitsplatz stand ein Rahmen, mit einer aufgespannten organischen Solarzelle. Darüber leuchtete ein kleines Lämpchen, das von der Zelle gespeist wurde. Laut Susanne war dieses Modell zur Aufmunterung gedacht, damit Alice diese Art der Solarzellen mit besonders viel Engagement anbieten konnte. "Können wir diese organischen Solarzellen denn inzwischen ausreichend liefern?" fragte Alice zwischen Hoffen und Bangen. "Tja, nun ja, vorgestern haben wir die letzten ausgeliefert und wir wissen noch nicht, wann die nächsten kommen. Wir sollen aber weiterhin die Kunden von der neuen Sorte überzeugen." "Sozusagen als Verzögerungstaktik?" "Ja, genau. Guck mich nicht so vorwurfsvoll an! Ich habe die Solarzellen nicht so knapp gemacht." "Sorry, ich weiß ja, dass du nichts dafür kannst."
17 Alice fühlte sich nicht wohl dabei, den Kunden ein Produkt aufzudrängen, von dem sie selbst nicht überzeugt war, ob sie es würden liefern können. Um nicht zur Lügnerin zu werden, hielt sie ihre Zusagen eher vage und legte wie früher den Schwerpunkt ihrer Telefonate auf Vertrösten und Aufklärung über die Marktsituation. Manche der Kunden mit aktuellem Liefertermin hatten auch schon direkt die neuartigen Solarzellen bestellt, und konnten trotzdem nicht beliefert werden, was Alice zeigte, dass ihre Vorgehensweise richtig war. Draußen schien die Sonne wie zum Hohn. Als ob sie uns beweisen will, dass sie sehr viel Energie zu vergeben hat. Irgendwie packen wir es wohl falsch an, denn es gibt ja wirklich massenhaft Energie,
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die von der Sonne auf die Erde strömt. Man müsste sie nur einfacher anzapfen können. Dieser Gedanke ließ Alice nicht mehr los. Ihr wurde im Laufe des Tages sogar bewusst, dass auch die anderen alternativen Energieformen die Sonnenstrahlung als ursprüngliche Quelle nutzten. Der Wind entstand durch Wärmeunterschiede in der Atmosphäre, das Wasser wurde von der Sonne verdampft und regnete über den Bergen ab, sodass man Wasserkraftwerke bauen konnte und die Bäume wurden von der Sonne genährt bis man das Holz schlagen und verbrennen konnte. Sogar das Erdöl war ein Produkt der Sonnenenergie, wenn es auch sehr lange gebraucht hatte, um zum Öl zu werden. Das Problem war also nicht die Sonnenenergie, sondern dass es so schwierig schien, deren Energie für Menschen direkt nutzbar zu machen. Alice konnte und wollte es nicht akzeptieren, dass daran möglicherweise ihre Firma scheitern würde. Auch auf dem Nachhauseweg dachte sie über eine Lösung für die Sonnennutzung nach. Beinahe hätte sie ein kleines Kind übersehen, das mit seinem Dreirad zwischen zwei parkenden Autos hervorschoss. Im letzten Moment gelang es Alice, einen großen Schwenker um das Kind herum zu machen. Danach schlug ihr Herz bis zum Halse und sie zwang sich, besser aufzupassen. Zuhause schaltete Alice jedoch sofort ihren Computer an, um im Internet nach neuen Ideen für die Nutzung der Sonnenkraft zu recherchieren. Von der Fülle der Informationen wurde sie fast erschlagen. Doch nach und nach schälte sich heraus, dass es am einfachsten war, die Wärme der Sonne zu nutzen. Nicht nur für heißes Wasser, wie bei den Sonnenkollektoren schon weit verbreitet war, sondern auch zur Erzeugung von Strom. Mehrere Verfahren trieben Turbinen mit Wasserdampf an, der durch Sonnenenergie erhitzt wurde. Dazu gab es Rinnen, Parabolspiegel und teilweise sogar Klappspiegel. Für die Speicherung der Hitze wurde von einigen Anbietern Zinn geschmolzen. Andere Seiten berichteten von sogenannten Stirlingmotoren, die den Wärmeunterschied nutzten, um Strom zu erzeugen. Es gab sogar Firmen, die die Sonnenwärme so sehr bündelten, dass sie daraus direkt Wasserstoff produzierten, ohne den Umweg über Strom. Faszinierend, was man da alles machen kann. Einen Spiegel müsste man doch einfach herstellen können. Schön wäre es, wenn ich Erfahrungsberichte aus der Praxis finden würde. Nicht nur die auf den Anbieterseiten, sondern echte, von unabhängigen Menschen. Ob ich sowas in einschlägigen Foren finden kann? Sie ergänzte ihre Suche, um Diskussionsforen zum Thema zu finden. Eine Menge Diskussionen gab es über die Nutzung der Sonnenenergie, doch viele der Gespräche glichen Schlachten um die Vorherrschaft bestimmter Meinungen. Das war nicht das, was Alice suchte. Sie ackerte sich durch diese Textmassen auf der Suche nach praktischen Beschreibungen von Leuten, die Sonnenenergie selbst auf unkonventionelle Weise nutzten. Es war wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Schließlich stieß sie auf eine Annette aus dem Ruhrpott, die auf ihrem Balkon einen Schefflerspiegel installiert hatte, und damit einen Großteil ihres Stroms und Warmwassers produzierte. Das muss wirklich eine schrullige Bastlerin sein. Sowas auf dem Balkon in einer Großstadtwohnung aufzubauen, ist ja ein echtes Abenteuer. Aber es scheint zu funktionieren. Sogar Fotos von ihrer Anlage hat sie beigefügt. Wie frech sie grinst mit ihren silbernen Locken, die ihr wirr ums Gesicht wehen. Aber wenn sowas sogar in einer Wohnung funktioniert, im trüben Norden Deutschlands, dann ist das bestimmt auch eine passable Lösung für Eigenheim-Besitzer. Ah, und hier ein Bauplan mit Anleitung. Sie hat das meiste aus Abfall gebaut nicht schlecht. Das muss ich unbedingt unseren Technikern zeigen. Und am besten schreibe ich dieser Annette mal eine Email. Alice setzte eine Email auf, in der sie aber nicht erwähnte, dass sie bei einer Solarfirma arbeitete. Während sie schrieb, wuchs in ihr die Idee, so einen Schefflerspiegel auf ihrem eigenen Balkon zu montieren, um in Zukunft Nebenkosten einzusparen. Als sie die Email abgeschickt hatte, stellte sie mit Schrecken fest, wie spät es schon war und ging schlafen. Im Traum sah sie Spiegel über Spiegel, alles voller Spiegel, die in der Sonne glitzerten.
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Am nächsten Morgen lief Alice gleich nach den Morgentelefonaten in die Technikabteilung und sprach den Leiter der Abteilung auf Schefflerspiegel und ähnliche Techniken an. "Das ist zwar nett, dass Sie sich Gedanken über Alternativen machen, Frau Schafferer, aber selbstverständlich kennen wir all diese Möglichkeiten schon. Das ist was für Entwicklungsländer, damit die sich bei Holzmangel ihren Eintopf aufwärmen können. Oder auch, um Großkraftwerke in die Wüste zu stellen. Aber für unsere Breiten taugt das alles nichts." "Ja, aber, ich kenne eine Frau, die in Norddeutschland mit so einer Anlage auf dem Balkon ihren Strom erzeugt." "Alles Spinnerei. Danke für Ihre Mühe, Frau Schafferer, aber ich habe jetzt andere Dinge zu tun." Enttäuscht verließ Alice die Technikabteilung. Am besten gehe ich direkt zum Chef. Der hat vielleicht ein offeneres Ohr. "Hallo Chef, ich habe mir Gedanken über zusätzliche Angebote zur Solarnutzung gemacht, um unserer Firma bessere Geschäfte zu ermöglichen." "Na, da bin ich ja gespannt. Schießen Sie los." "Wenn man die Sonnenwärme über Spiegel bündelt, kann man die Hitze zur Stromerzeugung nutzen. Beispielsweise als Schefflerspiegel, die sollen besonders effektiv arbeiten. Der Hauptvorteil daran ist, dass man sie mit einfachen Mitteln herstellen kann. Ich wette, selbst unsere Mechaniker hier könnten sie produzieren, immerhin bauen die ja jetzt schon die Module zusammen. Dann müsste man nicht mehr auf die Lieferungen von externen Firmen warten, sondern könnte selbst aktiv werden. Hier habe ich ein paar Internetseiten zu dem Thema." "Hm, das klingt zwar alles ganz schön, aber sowas können wir unseren Kunden doch kaum anbieten. Die wollen moderne Technik, die sie auf ihren Dächern unterbringen können. Wer will sich denn schon so einen großen Spiegel in den Vorgarten stellen?" "Die Leute haben doch auch überall Satellitenschüsseln montiert." "Das ist etwas völlig anderes. Außerdem erheblich kleiner. Acht Quadratmeter oder gar zehn sind eine große Fläche. Das können Sie mir glauben, meine Liebe. Ich danke Ihnen trotzdem für Ihr Mitdenken." Wie ein begossener Pudel schlich Alice zurück an ihren Arbeitsplatz. Den Rest des Tages verbrachte sie damit, den Kunden mitzuteilen, dass ihre Bestellungen nicht lieferbar seien. Immer der gleiche Trott! Und neue Lösungswege lehnen die Chefs rundweg ab. Welch ein Frust. Zuhause fand Alice eine Email von Annette vor, in der diese sich für Alices Interesse bedankte und alle offenen Fragen beantwortete. Alice war zunehmend begeistert von der Möglichkeit aus alten Spiegeln, Metallresten und Lichtmaschinen eine stromerzeugende Anlage zu bauen. Doch sich selbst traute sie diese Bastelei nicht zu, denn sie hatte keinerlei handwerkliche Erfahrung. Außerdem war ihr bewusst geworden, dass ihr Balkon nach Norden zeigte, was ihn ungeeignet machte. Dennoch fühlte sich Alice von der Email ermutigt. Sie dachte auch an ihr Elternhaus, denn dort gab es reichlich Fläche, um Spiegel aufzustellen. Und ihr Vater war handwerklich einigermaßen geschickt. Vielleicht konnte sie wenigstens ihren Eltern zu einer Lösung gegen zu hohe Stromkosten verhelfen. Also schrieb Alice dankbar zurück. Diesen Kontakt wollte sie nach Möglichkeit nicht mehr abreißen lassen.
18 Alice fühlte Tag für Tag, wie ihre Firma langsam starb. Es war ein Tod in vielen Etappen, eine frustrierender als die andere. In einer Woche ließ das Essen in der Kantine schlagartig nach. Zum Frühstück gab es nur noch eine Sorte Brot, vermutlich eine billige, und zum Mittagessen gab es meistens Eintopf oder Spaghetti. Dann wurde die Kaffeesorte ersetzt. Alice fand die neue Billigsorte erträglich, aber viele der anderen jammerten ganztags darüber. Ende Juni wurden alle Mitarbeiter schließlich aufgefordert, sich finanziell am Firmenesssen zu beteiligen. Dabei war die Geschäftsleitung immer so stolz darauf
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gewesen, dass in ihrer Firma alle Mitarbeiter auf Firmenkosten verköstigt wurden - alles Vergangenheit. So wie die Essensqualität ließ auch die Stimmung nach. Nur noch mürrische Gesichter sah man auf den Gängen. Die meisten Mitarbeiter hatten kaum noch was zu tun und verbrachten ihre Tage mit unproduktivem Gedümpel. Alice musste nach wie vor die wartenden Kunden vertrösten, aber selbst diese Anrufe wurden weniger. Als Alice in der Verkaufsabteilung nachfragte, woran das lag, gestand man ihr dort, dass die Verkäufer bei ihren Verkaufsgesprächen inzwischen die Lieferprobleme erwähnten. Das hatte einen drastischen Rückgang der Bestellungen zur Folge. Als Begründung für diese Änderung der Taktik erwähnte der Chefverkäufer, dass mehrere Klagen von Kunden eingereicht worden waren. Die Chancen für diese Prozesse sahen schlecht aus, was bedeutete, dass die Firma wahrscheinlich auch noch Entschädigungen würde zahlen müssen. Mit einem Kloß im Hals verließ Alice die Verkaufsabteilung. Was sag ich den nächsten Kunden bloß? Es ist wichtiger denn je, dass ich sie bei Laune halte. Sie dürfen keinesfalls auch noch klagen. Wann gibt es nur endlich wieder eine Lieferung? Oh bitte, liefer uns Solarzellen! Ihr Wunsch wurde erhört. Zumindest fühlte es sich für Alice so an. Denn kurz nach ihrem Besuch in der Verkaufsabteilung kam eine kleine Lieferung der organischen Solarzellen und eine Woche später sogar ein Schwung der traditionellen Photovoltaikzellen. Die Firma war wie im Rausch. Zwar konnte nur ein Bruchteil der Bestellungen abgewickelt werden, aber die Lieferungen erschienen wie ein Hoffnungsstrahl. Der Silberstreif am Horizont. Zumindest hofften fast alle, dass dem so war und dass die Firma sich jetzt wieder erholen würde. Doch Alice spürte und fürchtete, dass diese Lieferungen nur das letzte Aufbäumen in einem aussichtslosen Kampf waren. Sie versuchte zwar tagelang, in die Euphorie ihrer Kollegen einzustimmen, doch sie blieb argwöhnisch. Die hoffnungsvolle Stimmung wollte sich bei Alice einfach nicht einstellen. Ob es daran liegt, dass ich immer noch so viele Kunden vertrösten muss? Bei meinen Anrufen spüre ich nichts von den beiden Lieferungen. Die verpuffen nur so. Ach, was wäre das schön, wenn ich mich irren würde. Bestimmt irre ich mich. Irgendwann müssen die Produzenten der Solarzellen das doch mal in den Griff bekommen. Ganz bestimmt. Oder auch nicht? Nein, so darfst du gar nicht denken! Mit ihrem Zweifel behielt Alice jedoch Recht. Die beiden Lieferungen blieben die letzten, die die Firma erhielt. Eines sonnigen Tages im Juli bat die Firmenleitung zur Vollversammlung. Die Hausbank hatte den Überziehungskredit gekündigt, von einem Tag auf den anderen. Der Firmenvorstand hatte noch einige Tage lang versucht, einen Investor zu finden, aber keiner wollte die angeschlagene Firma haben. Also blieb nur der Weg, die Insolvenz einzugestehen. In der Vollversammlung wurde allen Mitarbeitern mündlich gekündigt. Entsprechende Schreiben würden folgen. Die Versammlung glich fortan einem Begräbnis. Viele der Frauen brachen in Tränen aus; den Männern konnte man ansehen, dass sie mit sich rangen, damit ihnen dies nicht passierte. Alice fühlte sich zwar auch nicht wohl in ihrer Haut, doch sie konnte dem Absturz der Gefühle widerstehen. Immerhin war sie keineswegs überrascht von der Wendung der Situation. Stattdessen tröstete sie Susanne und Frau Merkenthal, die schwer mitgenommen schienen. Statt Verzweiflung erwachte ein Gefühl von Trotz in Alice. Sie würde ihren Weg schon gehen! Von dieser Firmenpleite würde sie sich nicht unterkriegen lassen. Ihren Kolleginnen versuchte sie auch das Gefühl zu vermitteln, dass alles gut werden würde, wenn sie nur aufrichtig wollen würden. Doch diese Mutmachungen versickerten in den allgemeinen Tränen. Als Alice nach der Versammlung wieder alleine zu Hause war, holte sie die Verzweiflung jedoch hinterrücks ein. Ohne, dass sie sich dagegen wehren konnte, schossen ihr unvermittelt die Tränen aus den Augen. Sie saß an ihrem Schreibtisch und weinte um ihre Firma, um ihre beruflichen Zukunftsaussichten, um ihre Karriere, die bisher so geradlinig verlaufen war. Als Alice klar wurde, dass sie sich diesem Kummer nicht entziehen konnte, gönnte sie sich ein Glas Wein und zelebrierte den Abschied von ihrer Firma, ihrem Zukunftstraum.
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Eine Email von Annette brachte sie auf andere Gedanken. Zwar stand nichts Neues in der Email aber Alice fühlte sich einfach weniger alleine. Ich werde mich genauso durchschlagen können wie Annette. Die hat auch keinen sicheren Job und wurschtelt sich trotzdem sehr erfolgreich durchs Leben. So wie sie schreibt, füttert sie sogar noch ein fremdes Kind mit durch - einfach so. Das finde ich echt beachtlich. In ihrem Gefühlsdurcheinander erzählte Alice Annette von der Insolvenz ihrer Firma und dass sie zum Ende des Monats ihren Job verlieren würde. Allein schon das Schreiben half Alice bei der Bewältigung ihrer Gefühle. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie nicht in Stuttgart bleiben würde. Sie würde zurück zu ihren Eltern gehen. Denn dort hatte sie ein Zimmer und eine Aufgabe. Auch wenn sie dort kein Geld verdienen konnte, so wurde sie wenigstens gebraucht. Beim Anbau des Gemüses hatte sie sogar schon mitgeholfen, also hatte sie auch das Recht, einen Teil davon zu essen. Und viel mehr brauchte sie eigentlich gar nicht. Das ist die Lösung für mich. Eigentlich habe ich mich hier ja schon länger nicht mehr wohl gefühlt. Fragt sich nur, wie ich mit meinen ganzen Möbeln nach Breisingen komme. Ob Mami und Vater sich wohl freuen werden?
19 Die nächsten Tage waren grässlich. Viele Mitarbeiter der Solarfirma hatten ihren Resturlaub genommen, sodass nur noch ein Teil der Mannschaft anzutreffen war. Die gesamte Verkaufsabteilung war verwaist. Alice hatte aber mehr zu tun als sonst. Diesmal ging es nicht nur darum, die wartenden Kunden zur Geduld zu überreden, sondern sie musste ihnen mitteilen, dass ihre Lieferung nie kommen würde. Das nahmen viele der Kunden übel; manche beschimpften Alice so wild, dass sie kaum die Tränen zurückhalten konnte. Ab und zu war Alice auch kurz davor, die Kunden anzuschnauzen, wenn die zu unverschämt wurden. Doch das galt es um jeden Preis zu vermeiden. Um sich entspannt zu halten, kaufte sich Alice am zweiten Tag nach der Kündigung Baldriantabletten. Die halfen ein wenig. Dennoch waren es die härtesten Tage in Alices bisherigem Arbeitsleben. Abends saß Alice erschöpft in ihrer Wohnung und grübelte, was sie mit ihren Möbeln und den tausend Kleinigkeiten anfangen sollte. Nach ein paar Tagen entschloss sie sich, nur das Allerwichtigste mitzunehmen, denn der Transport würde teurer werden als der Wiederbeschaffungswert der meisten Gegenstände. Nach Feierabend kaufte sich Alice eine Handvoll stabile Umzugskartons, um ihre Lieblingsbücher und Klamotten einzupacken. Der Heimtransport der Kartons erwies sich als Alptraum, denn da diese auch zusammengeklappt sehr sperrig waren, konnte Alice sie nicht radelnd heimschaffen. Alle Kartons zusammen waren auch so schwer, dass Alice sie nicht mit einer Hand halten konnte. Nach vielen vergeblichen Versuchen, bat sie die Mitarbeiter des Umzugsunternehmens um eine Kordel, mit der sie die Kartons zusammenband. Dann stellte sie das Bündel auf das Rohr zwischen den Rädern ihres Fahrrads. Am Sattel fixierte sie die Kordel, damit das Kistenbündel dort blieb, wo es sein sollte. So zog Alice schließlich zu Fuss durch Stuttgart und schob ihr bepacktes Rad. Sie konnte kaum lenken und auch nur zu einer Seite schauen. Daher war sie dankbar, dass auf den Straßen nicht mehr soviel Verkehr wie früher war. Als sie sich endlich ihrer Wohnung näherte, war es schon dunkel. Weil nur jede dritte Straßenlaterne leuchtete, fiel Alice der letzte Teil der Strecke besonders schwer. Die Kartons warfen riesige Schatten, sodass Alice teilweise völlig im Dunkel tappen musste. Schließlich war Alice aber zu Hause und schleppte die Kartons in ihre Wohnung. Einen klappte sie gleich auseinander, um die Größe besser einschätzen zu können. Fix und fertig saß sie anschließend auf ihrem Sofa und begutachtete stolz ihre Beute. Sie kramte den Vertrag mit dem Umzugsunternehmen aus ihrer Tasche, und las ihn noch einmal gründlich durch. Am Tag vor ihrem Umzug würden die Kartons von der Spedition abgeholt und dann zum Güterbahnhof gebracht werden.
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Dort würden sie mit einem Zug nach Breisingen transportiert werden. Um Kosten zu sparen, hatte Alice nicht den Eiltarif gewählt; daher würde der Vorgang wahrscheinlich mehrere Wochen dauern. Den Rest ihrer Habseligkeiten sollte eine Entrümplungsfirma abholen und verscherbeln. Die Leute der Umzugsfirma hatten ihr einen Tipp gegeben, welcher Entrümpler seine Sache gut und zuverlässig erledigte. Blieb noch die Frage, wie Alice selbst nach Breisingen kommen würde. Züge entgleisten jetzt regelmäßig. Zwar hatte es bei den letzten Unfällen keine Toten mehr gegeben und die Strecke Stuttgart-Karlsruhe galt inzwischen wieder als sicher, doch Alice hatte Angst. Nach ein paar Tagen des Grübelns wurde ihr klar, dass sie diese Angst wohl kaum überwinden können würde. Immer wieder fiel ihr Achim ein, der mit dem Fahrrad sogar von Norddeutschland in den Süden gefahren war. Sie dachte gerne an Achim. Seine lange Radtour hatte ihr imponiert. Ob ich das auch schaffen kann, einfach mit dem Fahrrad umzuziehen? Bestimmt schaffe ich die Strecke, aber ob ich sie an einem Tag schaffe? Mit dem Zelt in der Wildnis übernachten ist nichts für mich; da hätte ich Angst vor Überfällen. Und Hotels sind so teuer. Na ja, stimmt eigentlich nicht. So eine Hotelübernachtung könnte ich wohl schon noch finanzieren. Aber es fühlt sich einfach nicht gut an. Ob ich vielleicht vorher irgendwo auf halber Strecke einen Gasthof raussuchen sollte, um vorher zu reservieren? Das wäre wahrscheinlich das Vernünftigste. Aber ich will das nicht. Keine Ahnung warum. Also bleibt nur, die Strecke in einem Rutsch durchzufahren. Dann muss ich aber ganz schön früh losfahren. Ich bin schon ziemlich bescheuert. Mit Übernachtung zwischendrin wäre es so viel bequemer. Noch habe ich ein paar Tage, um es mir zu überlegen. Die Firma glich von Tag zu Tag mehr einer Geisterstadt. Die Möbel der verwaisten Abteilungen wurden verkauft, ein Insolvenzverwalter kam und nahm die meisten Aktenordner mit. Alice musste sogar um ihre wichtigsten Unterlagen kämpfen, denn immer noch waren einige der Kunden nicht persönlich informiert. Einer der Mitarbeiter der Insolvenzfirma fragte Alice völlig verständnislos, warum sie sich der frustrierenden Mühe unterzog und den Kunden nicht einfach ein Standardschreiben schickte. Alice war versucht, genau dies zu tun, aber dann entschloss sie sich, den persönlichen Stil der Firma bis zum letzten Kunden durchzuhalten. Eine Woche vor Ablauf ihres Arbeitsverhältnisses waren endlich alle Kunden durchtelefoniert. Ein Standardschreiben wurde dennoch an alle verschickt, weil die Absage auch schriftlich vorliegen musste. Aber das erledigte Susanne im Rekordtempo und dann wurden beide nicht mehr gebraucht. Zum Abschied gingen Susanne und Alice nach ihrem letzten Arbeitstag essen und anschließend in eine Kneipe. Susanne hatte eine kleine Sekretärinnenstelle bei Bekannten ihrer Eltern gefunden. Dort würde sie zwar deutlich weniger verdienen als vorher, stand aber wenigstens nicht auf der Straße. Die Freundschaft zwischen Alice und Susanne war nicht tief genug, um den Abschied besonders schmerzvoll sein zu lassen, doch eine gewisse Wehmut kam auf. Immerhin hatten sie ein paar Jahre lang eng zusammen gearbeitet und waren sich die jeweiligen Lieblingskolleginnen gewesen. In letzter Zeit fühlte sich Alice jedoch mehr mit Annette verbunden als mit Susanne, obwohl sie Annette noch nie gesehen hatte und sie außerdem fast ihre Mutter sein könnte. Aber ihre gegenseitigen Emails vermittelten ein vertrautes Gefühl. Der Wein floss reichlich an diesem Abend, denn obwohl beide wussten, wo sie hingehen würden, beherrschte der Kummer über den Verlust der Firma die Gefühle. Alice schwankte, als sie sich schließlich auf den Heimweg machte. Daher schob sie ihr Fahrrad lieber und es dauerte Ewigkeiten, bis sie in ihrer Wohnung ankam. Dort standen die gepackten Kisten vor dem Bücherregal und machten deutlich, dass sich die Zeiten für Alice ändern würden. In ihrer Weinseligkeit konnte Alice endlich die zurückgehaltene Traurigkeit über den Verlust ihrer Arbeit loslassen und so weinte sie bis in die frühen Morgenstunden. In all den Tränen dachte sie immer wieder an ihre Heimat und nicht nur ihre Eltern erschienen vor ihren Augen, sondern überraschenderweise auch die Bewohner des ehemaligen Hippie-Hofs, vor allem Achim. Sowas Merkwürdiges. Was haben die denn bloß in meinen Gedanken verloren? Vor allem dieser Achim! Den habe ich ja nur einmal gesehen. Das liegt bestimmt daran, dass ich, wie der,
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mit dem Fahrrad umziehen will. Ganz bestimmt. Und die anderen zeigen mir vielleicht, dass dort, in meiner Heimat, die Hoffnung für die Zukunft liegt. Denn seltsamerweise trösten mich die Gedanken an diese fremden Leute. Eigentlich ist es ja egal, was mich tröstet, Hauptsache ich finde überhaupt Zuversicht. Trotz Traurigkeit freue ich mich auch schon auf die neue Zeit in der alten Heimat. Ich sollte ins Bett gehen. Draußen wird es schon heller. Gegen Mittag wachte Alice mit einem schweren Kater auf. An diesem Tag schaffte sie fast gar nichts. Aber sie entschied sich, auf ihrer Fahrt nach Hause doch zu übernachten, denn ihr wurde klar, dass eine Fahrt an einem Stück eine höllische Strapaze sein würde. Und das vollkommen unnötig, denn Alice hatte ja keine Eile. Im Netz suchte sie nach einer geeigneten Übernachtungsmöglichkeit und rief dort an, um ein Zimmer zu reservieren. Damit war ihr Umzug vollständig geregelt. Die letzten Tage in Stuttgart verbrachte Alice in einem Zwischenzustand der Gefühle, aber am Schluss siegte die Vorfreude. Dann war der letzte Tag gekommen. Der Spediteur der Umzugsfirma kam und holte die Kisten ab, der Entrümpler kam und nahm den ganzen Rest mit, außer einer Isomatte, einem Schlafsack und Alices Gepäck, das sie auf dem Fahrrad mitnehmen wollte. Der Vermieter kam und nahm die Wohnung ab, zu Alices Erleichterung ohne an ihrem Zustand rumzumäkeln. Sogar die Schlüssel nahm er mit, sodass Alice ihre Wohnung nur noch einmal verlassen konnte und dann nicht mehr rein kam. Aber das war genau das, was Alice wollte, denn sonst hätte sie am nächsten Tag noch mal beim Vermieter vorbeifahren müssen, um die Schlüssel abzuliefern. Die Nacht in der leeren Wohnung fühlte sich seltsam an. Sie machte Alice endgültig klar, dass ein Lebensabschnitt zu Ende war. Am nächsten Morgen war sie froh, die Wohnung vollbepackt zu verlassen und die Tür hinter sich zu schließen. Sie schnallte die Satteltaschen und ihre dicke Reisetasche auf den Gepäckträger ihres Fahrrads und machte sich auf den Weg in ihre Zukunft.
20 Die Sonne schien herrlich. Die Fahrt fühlte sich auf den ersten zwanzig Kilometern an wie ein Ausflug. Alice war zum Singen zumute, doch es ging streckenweise bergauf, sodass ihr die Puste dazu fehlte. Weil der Autoverkehr so sehr nachgelassen hatte, war selbst das Fahren auf den Bundesstraßen ein Vergnügen. Nur ab und zu kam ein Laster von hinten vorbeigedonnert und noch seltener ein PKW. Nach einer guten Stunde wurde die Straße schmaler und schlängelte sich durch eine hügelige Landschaft. Das Urlaubsgefühl verstärkte sich. Wie praktisch! Wo ich doch dieses Jahr noch gar keinen richtigen Urlaub gemacht habe. Abgesehen von der Zeit bei meinen Eltern als ich mich nicht in einen Zug gewagt hatte. Damals bin ich gar nicht auf die Idee gekommen, mit dem Fahrrad zurück zu fahren, aber ich hatte mein Rad ja auch nicht dabei. Wenn ich geahnt hätte, wieviel Spaß so eine Radtour macht, dann hätte ich mir bestimmt ein Fahrrad organisiert. Aber dann hätte ich den Mai in Breisingen verpasst, das wäre auch schade gewesen. Was solls? Jetzt bin ich mit dem Radel unterwegs und habe meine Freude daran. In Pforzheim endete die romantische Schlängelstraße und Alice musste mitten durch die Stadt radeln. In der Stadtmitte bog sie falsch ab und fuhr eine Viertelstunde lang in die falsche Richtung, bevor sie es merkte. Auf der verkehrten Straße käme sie zwar auch nach Karlsruhe, aber die Fahrt würde erheblich länger dauern. Außerdem, und das war schlimmer, fuhr Alice direkt auf die Strecke zu, die sie im Frühjahr zu Fuß marschiert war. Das wollte sie unbedingt vermeiden. Alice holte ihre Karte aus der Tasche und suchte nach einer Möglichkeit auf die gewünschte Straße zu wechseln. Kurz bevor sie auf ihre alte Wanderstraße stoßen würde, fand sie eine Abzweigung in die erhoffte Richtung. Die neue Straße war winzig, fast schon ein Feldweg, aber nach Alices Meinung genau das richtige für eine Radtour. Alice musste unter der Autobahn durchfahren und danach stieg die Strecke kräftig an. Als Alice endlich die ursprünglich geplante Straße erreichte, war sie vollständig durchgeschwitzt.
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Es wurde ein ausgesprochen warmer Augusttag und in der Mittagszeit wandelte sich die anfängliche Freude am Fahren zur Qual. Alice war inzwischen sehr froh, ihre Reise auf zwei Tage verteilt zu haben, denn so musste sie nur die Hälfte der Strecke bewältigen. In einem kühlen Wäldchen hielt sie an, um eine Pause zu machen. Sie parkte ihr Fahrrad neben einem Bach, zog Schuh und Strümpfe aus und watete spritzend durch das erfrischende Wasser. Das Urlaubsgefühl kehrte zurück. Dann setzte sie sich ans Ufer und packte ihren Reiseproviant aus. Von der langen Fahrt war sie enorm hungrig geworden, sodass sie sich zurückhalten musste, um für den nächsten Tag noch Proviant übrig zu lassen. Eigentlich bin ich ja schon ziemlich weit gekommen. Ich könnte ein winziges Nickerchen einlegen und mich ein wenig von der Hitze erholen. Nachher gibt es auch kaum noch Wälder oder Hügel auf der Strecke. Dann gehts nur noch das Oberrheintal entlang, so wie es schon die letzte Stunde über ging. Diese kühle Stelle hier muss man ausnutzen. Außerdem bin ich schon ganz schön erschöpft von der weiten Fahrerei. Solche Strecken bin ich halt doch nicht gewohnt. Das Gras neben dem Bach lud zum Hinlegen ein und so machte Alice es sich bequem. Das Gluckern des Wassers begleitete sie in einen tiefen Schlaf - viel tiefer als geplant. Sie wurde nicht mal wach, als ein Schmetterling auf ihrer Nase eine Pause machte. Auch die Vorbeifahrt einer Familie, deren Kinder laut herumalberten, riss Alice nicht aus dem Schlaf. Erst als die Sonne schon deutlich im Westen stand, wenn auch noch ziemlich hoch, öffnete Alice wieder ihre Augen. Als sie sah, wie spät es inzwischen war, erschrak sie fürchterlich und wollte sofort wieder aufbrechen. Doch beim Zusammenpacken ihrer Siebensachen merkte sie, dass sie noch ganz verschlafen war und ging noch mal zum Bach, um sich mit dem kalten Wasser zu erfrischen. Danach fühlte sie sich munterer und brach auf. Was bin ich doch für eine Träumerin. Das hätte leicht in die Hose gehen können. Wenn ich noch länger geschlafen hätte, hätte ich im Dunkeln fahren müssen. Noch viel schlimmer wäre es gewesen, wenn ich ausgeraubt worden wäre. Was habe ich doch für ein Glück gehabt. Ach, wenn ich ehrlich bin, war der Schlaf einfach herrlich. Ich sollte öfters mal in der Natur schlafen, aber ohne später noch ein fernes Ziel erreichen zu müssen. Während der Fahrt zu ihrem Nachtquartier fing Alice Hintern allmählich an zu schmerzen. Außerdem spannte ihre Gesichtshaut immer mehr und sie merkte, dass sie einen Sonnenbrand entwickelte. In den Orten, durch die sie als nächstes fuhr, hielt sie die Augen offen, ob sie einen Laden fand, in dem sie Sonnenschutzmittel kaufen konnte, doch sie passierte vorwiegend Läden, die leer standen. Die wenigen Geschäfte, in denen man Waren sehen konnte, waren geschlossen. Schlechte Zeiten für die Wirtschaft! Aber wo kaufen die Leute ihr Essen ein, wenn nicht in diesen Läden? In die größeren Städte fahren ist ja noch schwieriger geworden als vorher. Vor allem für alte Leute. Ein alter Mann, der im Schneckentempo mit seinem Fahrrad samt Anhänger aus der nächsten Kleinstadt kam, gab Alice die Antwort auf ihre Frage. In der Stadt aus der der Mann gekommen war, fand Alice schließlich auch ein offenes Geschäft und erstand ein Sonnenschutzmittel und eine kühlende Lotion für danach. Die Lotion trug sie sofort auf, denn vor allem brauchte sie jetzt Kühlung. Die Sonne hatte für diesen Tag schon an Kraft verloren. Eilig schwang sich Alice wieder auf ihr Fahrrad, denn sie hatte noch mehr als eine halbe Stunde Fahrt vor sich, bis sie ihr Nachtquartier erreichen würde. Dann war es endlich soweit. Die Sonne war schon untergegangen, als Alice im letzten Tageslicht das Gasthaus erreichte, in dem sie ein Zimmer reserviert hatte. Der Gasthof wirkte gepflegt, aber er hatte eindeutig schon bessere Zeiten erlebt. Die Frau des Hauses war wohl eine eifrige Putzerin, oder sie hatte Hilfen, die das für sie erledigten, aber für Renovierungen fehlte offensichtlich das Geld. Das störte Alice aber nicht besonders, ihr war vor allem wichtig, dass es reichlich zu Essen gab und das war der Fall. Die Portion Pommes war mehr als üppig, das Schnitzel hingegen eher mickrig. Am Schluss war Alice jedoch so satt, dass kein Pfefferminzblättchen mehr hineingepasst hätte. Sie erstieg hundemüde die knarrende Treppe zu ihrem Zimmer. Das Bett war extrem weich und quietschte bei
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jeder Bewegung, doch Alice war so müde, dass sie trotzdem sofort einschlief und erst am nächsten Morgen wieder aufwachte. Vor der Fahrt hatte sich Alice davor gegraust, ihre Reise zu unterbrechen und in einem fremden Haus zu übernachten, doch jetzt verstärkte es eher das Urlaubsgefühl, als dass es Alice störte. Zum Frühstück gab es ein popeliges Buffet, aber Alice war schon wieder so hungrig, dass sie sich über die angebotenen Speisen freute. Sie achtete jedoch darauf, sich nicht all zu sehr voll zu futtern, damit ihr beim Fahrradfahren nicht schlecht werden würde. Als sie reisefertig war, bezahlte sie und machte sich wieder auf die Reise. Ihr Gesicht hatte sie dick mit Sonnencreme eingerieben, doch für ihren schmerzenden Hintern hatte sie keine geigneten Polster. So hoffte Alice, dass sie die restliche Strecke auch ohne Hilfsmittel für ihr Sitzfleisch durchstehen würde. In der Morgenkühle kam Alice noch recht zügig vorwärts, doch mittags wurde es wieder so heiß, dass das Fahren in der offenen Ebene zur Qual wurde. Diesmal riskierte sie jedoch keinen Mittagschlaf, denn sie wollte auf keinen Fall zu spät bei ihren Eltern ankommen. Ihre Mutter würde umkommen vor lauter Sorgen, wenn sich die Sonne erstmal gen Horizont neigen würde. Also quälte sich Alice weiter auf der heißen Straße in Richtung Süden. Die Fahrt durch Freiburg kostete sie deutlich mehr Zeit als erhofft. Einen Teil der Stadt konnte sie jedoch auf einer ehemaligen Schnellstraße passieren, sonst hätte sie wohl alle Stadtteile abklappern müssen. Hinter Freiburg wurde es dann richtig ermüdend, denn Alices Kraft ließ allmählich nach. Doch sie hatte jetzt ein klares Ziel vor Augen, was ihr in den letzten andertalb Stunden immer wieder einen neuen Schub gab. Außerdem dachte sie mehrmals an Achim, der genau diese Strecke auch gefahren war, auf seiner so viel längeren Tour in den Süden. Dahinter wollte Alice nicht zu sehr zurückstehen. Dann, endlich, erreichte sie Breisingen. Sie musste noch durch ihre ganze Heimatstadt radeln, bevor sie am Südrand des Ortes bei ihrem Elternhaus ankam. Kaum hatte Alice ihr Fahrrad auf dem knirschenden Kies des Hofes abgestellt, stürzte ihre Mutter aus dem Haus und schloss ihre Tochter in die Arme.
21 Obwohl sie monatelang nicht in Breisingen gewesen war, fühlte sich Alice in ihrem Elternhaus sofort wieder zuhause. Stuttgart schien weit weg - wie ein Traum. Schon in der Küche, wohin sie ihre Mutter bei der Vorbereitung des Abendessens begleitete, wurde Alice deutlich, dass Erntezeit war. Auf allen Arbeitsflächen türmten sich Zucchinis, Gurken und Tomaten. Zur Mahlzeit gab es daher auch einen großen Tomatensalat, den Alices Mutter schon vorbereitet hatte. So ein großer Salat war genau das Richtige für Alice nach der langen Hitzetour. Sie nahm sich mehrmals nach und verdrückte außerdem drei Scheiben Brot mit Schinken. Anschließend erzählte Alice ihren Eltern ausgiebig von ihrer Reise. Im Nachhinein verloren sich die mühsamen Aspekte der Fahrt und sie schien wie ein einziges Vergnügen. Nur Alices Sonnenbrand und ihre Sitzprobleme erinnerten noch daran, dass die Radtour auch strapazenreich gewesen war. Durch die ungewohnte Anstrenung wurde Alice auch früh müde und ging bald ins Bett. In ihrem Zimmer angekommen, fühlte Alice wie ein massiver Schwung Heimatgefühl über sie hereinströmte. Gleichzeitig mischten sich aber auch Kindheitserinnerungen in die Gefühle und sie beschloss, gleich am nächsten Tag gründlich auszumisten, denn sie fühlte sich zu alt für ihre Hanni und Nanni Bücher und ihre Sammelbildchen von Popstars, die inzwischen längst die Bühne verlassen hatten. Die meisten Jugendstücke würde Alice wohlverpackt in den Keller räumen, denn zum Wegwerfen waren sie ihr zu schade. Dann würde sie die Möbel umstellen und auf ihr Gepäck aus Stuttgart warten, die den Raum dann so verwandeln sollten, dass er ihrem Alter entsprach. Wie merkwürdig, dass mir die letzten Male nicht aufgefallen ist, was für eine Kinderkruschtbude mein Zimmer ist. Aber da wollte ich ja auch nicht dauerhaft hier wohnen bleiben. Mami hat die ganzen Sachen von mir wohl wie ein Museum gehegt und gepflegt, denn Staub ist ja nirgends zu
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sehen, auch nicht dort, wo ich die ganzen Figürchen offen stehen hatte. So eine Überfleißige, diese Mami. Wo sie doch soviel im Laden, Garten und bewohnten Haus zu tun hat. Ab jetzt werde ich mich um mein Zimmer selbst kümmern. Auch sonst werde ich wohl genug zu tun haben, von Arbeitslosigkeit keine Spur. Und dann wollte ich mit Vater ja so einen Schefflerspiegel bauen, um die Energiekosten zu senken. Morgen sollte ich gleich mein Notebook ans Telefonnetz anschließen, um Anette schreiben zu können. Aber jetzt erst mal schlafen. Im Traum kämpfte sich Alice durch den Gemüsegarten, der enorm angewachsen war. Die mannshohen Gurkenpflanzen hingen voller beindicker Früchte und versuchten Alice beim Durchgehen einzufangen und sich um ihren Körper zu ringeln. Alice wehrte sich mit Händen und Füßen und griff nach den Früchten, deren Stiele so dick waren, dass Alice sie mit der Schere kaum abtrennen konnte. Doch schließlich gelang es Alice zwei Gurken zu erobern, was die betroffenen Pflanzen zum Anlass nahmen, ihr die Blätter mit Wucht ins Gesicht zu schlagen. Die Blätter waren so rauh, dass sie fast stachelig wirkten und brannten auf Alices Gesicht. Die Ranken wanden sich um Alices Füße, sodass sie fast gestolpert wäre und ihre Gurken verloren hätte. Aber Alice riss sich los, ihre Arme fest um die Früchte geklammert und entkam aus dem Garten. Auf dem Hof zwischen Haus und Tankstelle standen lauter runde Spiegel, die in der Sonne glänzten. Zwischen den Spiegeln stand Achim und lächelte Alice fröhlich zu. Er versteckte sich hinter einem der Spiegel und kam dann hinter einem anderen wieder zum Vorschein. Alice verspürte den Drang, Achim zu erreichen und zu berühren, doch immer wenn sie ihm nahe kam, verschwand er wieder, um gleich danach woanders wieder aufzutauchen. Alice war gerade kurz davor, Achim endlich zu berühren als sie aufwachte. Was war denn das für ein merkwürdiger Traum? Die Gurken sind ja noch verständlich. Als ich ankam, habe ich mich ja schon über die riesigen Gurkenpflanzen gewundert, die ich im Vorbeifahren gesehen habe. Und das mit den Spiegeln kann ich auch nachvollziehen, denn kurz vor dem Einschlafen habe ich noch daran gedacht. Aber warum Achim? Bestimmt, weil ich auf der Reise so oft daran gedacht habe, dass er eine noch viel weitere Strecke geschafft hat. Ganz bestimmt liegt es nur daran. Schließlich habe ich den Typen nur einmal gesehen und kenne ich überhaupt nicht. Alice stand auf und duschte ausgiebig. Dann ging sie in die Küche, um ihrer Mutter bei den letzten Frühstücksvorbereitungen zu helfen. "Guten Morgen, meine Liebe. Hast du gut geschlafen?" "Wunderbar, danke!" "Und hast du was Schönes geträumt? Du weißt ja, der Traum der ersten Nacht geht in Erfüllung." Alice fühlte, wie sie rot anlief. "Dann habt ihr aber wirkliche Monstergurken dieses Jahr, wenn dem so ist." "Monstergurken? In der Tat, die haben wir. Die großen Knüppel hier hast du ja bestimmt schon gesehen. Und wart nur, bis du in den Garten kommst; so groß wie dieses Jahr waren die Pflanzen nur selten. Es ist fast wie ein Urwald." "Aber sie greifen nicht nach einem, oder?" "Nur manchmal", sagte Alices Mutter verschmitzt und widmete sich wieder dem Kaffeekochen. Alice fiel auf, dass ihre Eltern die Kaffeesorte gewechselt hatten. Die Kaffeetüte sah aus wie die Billig-Packungen, die zuletzt in der Kantine ihrer Firma verwendet worden waren. Der Kaffee schmeckte auch genau so. Ob sie sich ihre Leib- und Magensorte vielleicht nicht mehr leisten können? Das wäre aber ein sehr schlechtes Zeichen. Aber ich frag besser nicht gleich, sonst verderbe ich ihnen womöglich den schönen Sonnentag. Nach dem Frühstück begleitete Alice ihren Vater in den Garten. Erst als sie vor dem Gartentörchen standen, fiel Alice auf, dass es nach oben mit Stacheldraht verlängert und mit einem Schloss gesichert worden war. Ebenso war der Zaun mit Stacheldraht erweitert worden. Ihr Vater holte einen Schlüssel aus der Tasche und schloss das Tor auf. "Seit wann habt ihr den Garten denn gesichert wie Fort Knox?" "Seit die Leute zum Plündern kommen." "Was? Hier wird geplündert?"
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"Genau. Viele können sich das teurer werdene Essen in den Läden nicht mehr leisten. Um nicht zu verhungern, holen sie sich das Essen aus den Gärten. Aber sie buddeln unreife Kartoffeln aus, zertrampeln das Zwiebelgrün und rupfen komplette Gurkenpflanzen aus. Das heißt der Schaden, den sie anrichten, ist viel größer als das, was sie am Ende mitnehmen." "Das ist ja entsetzlich. Und jetzt haben alle Gartenbesitzer Stacheldraht gezogen?" "Die meisten. Und die hungrigsten der Armen werden von den Leuten auf dem Hippie-Hof verköstigt. Der Staat kümmert sich nicht mehr um die Armen, also müssen Privatleute ran. Und die Kirchengemeinde unterstützt die Armenspeisung in Eichingen, aber selber haben die nix organisiert." "Echt? Die Neuen kümmern sich um unsere Armen?" "Tja, da sieht man mal, die Zugezogenen sind recht nützlich. Eine Schande ist es, dass es keiner von uns geregelt kriegt. Aber viele von uns helfen denen in Eichingen wo sie können. Auch wir haben schon Essen gespendet." "Das finde ich auch richtig so. Schließlich sind es unsere Armen und die Neuen haben bestimmt genug damit zu tun, ihren Hof in Schuss zu bekommen." "Am besten fragst du deine Mutter, was diese Sache angeht. Die hat sich schon ein paar Mal mit denen getroffen, um zu helfen oder zu spenden." "Werd ich tun. Aber jetzt gehts erstmal in den Garten. Was gibt es zu tun?" "Die Zwiebel- und Karottenbeete müssen dringend gejätet werden. Die sind schon völlig überwuchert. Und danach könntest du Gurken, Zucchini und Tomaten ernten." "Ja genau, Mami will später ja mit mir einmachen. Hier wächst ja alles super üppig." "Dank der liebevollen Pflege deiner Mutter. Aber die Felder der Bauern liegen großteils brach, weil sie keinen Sprit für ihre Traktoren haben und nicht genug Kunstdünger. Ich sag dir: da erwartet uns ein Debakel im Winter. Es gibt nicht genug zu essen." "Im Ernst? In Stuttgart gab es ab und zu schon leere Regale in den Supermärkten. Aber ich dachte, auf dem Land wächst alles reichlich." "Schon. Kleine Flächen, die man von Hand bearbeitet und wenn man Mist zum Düngen hat. Aber die Felder fürs Getreide sehen traurig aus. Zumindest wenn man sich damit auskennt." "Da fällt mir ein, dass ich unterwegs manchmal gar nicht wusste, was da auf den Feldern wächst. Das war dann wohl Unkraut, oder?" "Genau! Aber damit wird man kaum die Tiere über den Winter bringen. Die muss man dann schlachten und nächstes Jahr fehlen die dann. Milch wirds auch kaum noch geben. Und Getreidemangel werden wir haben, großen Getreidemangel." "Kaum zu glauben, wenn man den strotzenden Garten sieht." "Richtig! Kaum zu glauben. Ich bin nur froh, dass wir im Frühjahr den Kartoffelacker bestellt haben. Dann haben wir im Winter wenigstens Kartoffeln und Gemüse. Und ab und zu ein Kaninchen." "Dann hat sich das Umgraben ja gelohnt." "Hat es! Ohne hätten wir Anlass zu großer Sorge im Winter." "Dann werd ich mich mal um den Garten kümmern. Damit wir möglichst viel ernten können, jetzt wo ihr einen Esser mehr habt." "Tu das. Ich werde den Zaun beim Kartoffelacker ausbessern." Alice ging zu den Zwiebelbeeten und rupfte das reichlich sprießende Unkraut aus, das den dünnen Stengeln die Kraft zum Wachsen weg nahm. Schon nach einer Stunde spürte sie ihren Rücken, denn von ihrem Gartentraining im Frühling war nichts mehr übrig geblieben. Doch sie hielt noch eine Weile länger durch, denn es gab wirklich viel zu tun. Dass die Situation hier auf dem Land so schlecht ist, hätte ich ja nie gedacht. Wie kann in einem zivilisierten Land die Nahrung knapp werden? Nur weil es keinen Treibstoff für die Trecker gibt? Und keinen Dünger? Das kann ich mir kaum vorstellen. Ob irgendein Stadtbewohner weiß, was auf ihn zukommt? Wahrscheinlich ahnen es nur die betroffenen Bauern und selbst die können bestimmt kaum über ihren Tellerrand hinausblicken vor lauter Sorgen. Wir sollten wirklich so viel wie möglich einkochen und keine einzige Zucchini wegwerfen, auch wenn wir jetzt darin fast ertrinken. Das rettet zwar nicht die ganze Bevölkerung, aber vielleicht wenigstens uns.
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22 Als Alices Rücken genug vom Bücken für diesen ersten Tag hatte, beendete Alice das Jäten, stand auf und drückte ihr Kreuz durch, um die Verspannungen zu lindern. Dann nahm sie die mitgebrachte kleine Wanne, in der sie die Ernte unterbringen sollte. Die Gurkenpflanzen waren fast so hoch wie in Alices Traum, doch sie schlugen nicht nach ihr als sie sich ihnen näherte. Aber die Blätter zerkratzten ihr schmerzhaft die Arme, als sie nach den Früchten griff, um sie abzuschneiden. Auch die Zucchinipflanzen hatten aggressive Blätter und die Stellen, wo die Zucchinis an den Pflanzen hingen, waren so dick, dass Alice sie mit ihrem Messer richtiggehend absäbeln musste. Fast wie im Traum, wenn auch nicht gar so bedrohlich. Nur die Tomatenpflanzen verhielten sich Alice gegenüber friedlich. Sie waren übervoll mit leuchtend roten Früchten und rochen intensiv nach den Tomatenstengeln. Auch grüne Tomaten hingen noch reichlich an den Trauben; die ließ Alice hängen. Als Alice alles geerntet hatte, was sie für dringend hielt, war die Wanne schon übervoll und kaum noch zu heben. Im Vorbeigehen sah Alice, dass auch die Buschbohnen voll erntereifer Schoten hingen. Da werden wir noch viel zu tun haben. Wie Mami das alleine schaffen wollte, ist mir ein Rätsel. Hier wird mir die Arbeit bestimmt nicht so schnell ausgehen. Hoffen wir, dass sie mich auch ernährt. Alice trug die Wanne in die Küche und fand diese verwaist vor. Auf der Arbeitsfläche stand eine ganze Batterie Schraubdeckelgläser, die anscheinend gerade frisch aus der Spülmaschine kamen und vor Sauberkeit nur so blitzten. Von Alices Mutter keine Spur. Alice vermutete ihre Mutter in der Tankstelle und ging dort hin. Schon vor der Tankstelle sah Alice vollbesetzte Bierbänke. Die meisten der Sitzenden aßen eine wohlduftende Mahlzeit. Einige der Menschen kannte Alice von früher, teilweise waren es sogar Nachbarn. Alice begrüßte sie herzlich, war aber froh, dass keiner der Anwesenden anfing, viele Fragen zu stellen. Einer fragte kurz, ob sie jetzt wieder da sei und als Alice das bestätigte, wandten sich die Gäste wieder ihren Tellern zu. Auf dem Weg nach drinnen strömten Alice mehrere neue Gäste entgegen. Auch im Innenraum hatte sich die Tankstelle deutlich verändert. Sie sah mehr denn je wie ein Tante Emma Laden aus. Im vorderen Bereich standen mehrere Kisten mit Gemüse aus dem Garten, dahinter in den Regalen stapelten sich Nahrungsmittel in Tüten und Gläsern. Die Honiggläser wirkten wie handbeschriftet. Bei näherem Hinschauen schien das bei mehreren der Verpackungen der Fall. Hinterm Tresen entdeckte Alice ihre Mutter, die kaum mit der Ausgabe der Mahlzeiten hinterher kam. Vor dem Tresen warteten noch etwa zehn Menschen in der Schlange. So voll hatte Alice den Laden schon lange nicht mehr gesehen. "Hallo Mami, soll ich dir helfen?" "Ja, das wäre prima. Du könntest kassieren." Alice arbeitete sich an der Schlange vorbei und stellte sich zur Kasse. Zuerst war es etwas ungewohnt, zu kassieren, doch schnell hatte sie den Bogen wieder raus. Als Alice klar wurde, wie billig das Tagesgericht war, wunderte sie sich nicht mehr über den Andrang. Mit Alices Hilfe schrumpfte die Warteschlange schnell zusammen und versiegte dann vollends. "So, jetzt haben wir ein paar Minuten Zeit zum schwätzen, bevor wir die Teller einsammeln müssen. War's gut im Garten?" "Ja, war gut. Ihr seid jetzt hier vollends unter die Restaurantbesitzer gegangen, wenn mich nicht alles täuscht." "Das wohl nicht, eher machen wir Schnellimbissen Konkurrenz, denn mit gepflegtem Ambiente können wir ja nicht dienen. Der Preis bringt den Erfolg und dass es gute Hausmannskost ist. Da haben die Gäste das Gefühl zu essen wie bei Muttern." "Du bist ja auch die beste Mutter der Welt", Alice war erfreut, welches Strahlen angesichts dieses Kompliments über das angespannte Gesicht ihrer Mutter zog. "Der Preis ist aber tatsächlich sensationell. Lohnt sich das denn?"
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"Die Masse machts. Wir kaufen günstig ein und nehmen Saisongemüse aus dem Garten. Die Zusatzeinnahmen helfen uns, einigermaßen über die Runden zu kommen, wenn auch nur knapp. Tanken kann man hier ja nur noch zu besonderen Gelegenheiten. An solchen Tagen fällt dann das warme Essen aus", das Lächeln von Alices Mutter verbreiterte sich zu einem Grinsen und es fehlte nicht viel und sie hätte sich vergnügt die Hände gerieben. Ein Kunde kam und kaufte ein Glas Honig. "Produziert von deinem Großonkel aus dem Nachbardorf", erklärte Alice Mutter, nachdem Alice kassiert hatte und der Kunde wieder draußen war. "Aha, ihr seid jetzt eine Art Schaltstelle für den Handel mit regionalen Produkten." "Gut erkannt! Man muss sich nur umhören, dann findet man Viele, die etwas herstellen aber mit der Vermarktung Probleme haben. Und Supermärkte sind für solche Produkte kaum geeignet, weil die an ihre Lieferanten gebunden sind. So, jetzt beginnt das Abräumen." Die ersten Gäste betraten den Laden mit ihren leeren Tellern. Andere verließen die Tische vor der Tür, ohne ihre Teller abzuliefern. Alice ging nach draußen und übernahm das Abräumen, während ihre Mutter drinnen das Geschirr vorreinigte und in die Spülmaschine stellte. "Haben die Schafferers sich wohl endlich eine Mitarbeiterin geholt? Und dazu noch so eine schmucke", ein Gast, der Alice unbekannt war, konnte sich offensichtlich kaum zurückhalten, Alice in den Hintern zu kneifen. "Ja kennst du denn die Tochter des Hauses nicht?" wies ein altvertrauter Gast den Fremden hin. "Na, kleine Alice! Hats dir in der fernen Stadt nicht mehr gefallen?" "Stimmt! Hier ist es einfach am besten." Alices Antwort hatte Johlen und Schenkelklopfen zur Folge. Mehrere der Gäste reichten Alice anschließend ihre Teller und bestellten noch Kaffee, Wein und Bier.
23 Als die Mittagsgäste satt waren und die Tankstelle verlassen hatten, richtete Alice Mutter drei Portionen für die Familie her und forderte Alice auf, dem Vater Bescheid zu sagen. Alice fand ihren Vater auf dem Kartoffelacker, wo er gegen das wuchernde Unkraut kämpfte. Dann saßen alle drei an einem der Biertische und verzehrten ihr Mittagessen. "Das ist ja praktisch, wenn ihr das Gleiche esst wie die Gäste. Erspart das doppelt kochen." "Finde ich auch. Sonst würde ich auch gar nicht alles schaffen. Aber manchmal sind wir auch ausverkauft, dann koche ich abends für uns extra und mittags gibt es nur geschmierte Brote. Oder natürlich, wenn ich uns was Besonderes kochen will." "Läuft das Geschäft denn immer so gut wie heute?" "Bei gutem Wetter sind es meistens so viele, manchmal sogar noch mehr. Aber bei Regenwetter bleiben sie lieber daheim." "Eine tolle Sache, euer Mittagstisch." "Rettet uns auch den Kopf." "Und woher bekommt ihr die vielen Zutaten so billig?" "Getreideprodukte und Nudeln haben wir säckeweise von der Kornmühle gekauft. Ansonsten fährt dein Vater einmal in der Woche mit zusammengekratztem Treibstoff einkaufen. Wir versuchen aber, soviel wie möglich aus eigenem Anbau zu nehmen. Und manches liefern uns auch die Bauern aus der Umgebung. Was mir da gerade einfällt: Jetzt wo du da bist, könnte ich ja vielleicht mal mitfahren zum Einkaufen, denn es ist nicht immer einfach, alles zu erklären, was ich brauche." "Ja gerne, dann vertrete ich dich solange im Laden." Nach dem Essen setzte sich Alices Vater in den Laden, froh wirkend, dass er sich von der Buckelei im Garten etwas erholen konnte. Alice ging mit ihrer Mutter ins kühle Haus, um das geerntete Gemüse zum Einkochen zu verarbeiten. Zuerst kamen die Tomaten dran, die als Tomatensoße in Gläser wandern sollten. Sie wurden kurz in heißes Wasser geworfen, in kaltem Wasser abgeschreckt und dann gepellt. Alice mochte diese Tätigkeit überhaupt nicht, aber sie sah ein, daß Tomatensoße mit Schalenresten nicht akzeptabel war.
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Als die Tomaten fertig gepellt waren mussten Zwiebeln geschnitten werden, was Alice schon eher behagte, trotz der unvermeidlichen Tränen. Dann wurden die Tomaten aufgesetzt, um stundenlang zu kochen, denn nur so entstand eine besonders leckere Tomatensoße, die es mit ihren italienischen Vettern aufnehmen konnte, behauptete Alices Mutter. Während der Schnippelei konnte man sich natürlich wunderbar unterhalten. "Woher hast du eigentlich die vielen Gläser zum Einkochen?" "Die habe ich in jahrelanger Kleinarbeit gesammelt. In all den letzten Jahren habe ich immer nur ein paar Spezialrezepte eingekocht. Ansonsten habe ich die Gemüse, Marmeladen und Soßen im Supermarkt gekauft, wie andere auch. Aber die Gläser konnte ich einfach nicht wegwerfen, denn ich kenne die horrenden Preise, die man zahlen muss, wenn man solche Gläser speziell zum Einkochen kaufen will. Also habe ich immer die Etiketten abgeweicht und die Gläser gründlich gewaschen. In Kartons habe ich sie im Keller gestapelt. Du ahnst ja nicht, wie oft dein Vater über meine Sammelwut geschimpft hat, aber wenn ich dann auf eventuelle schlechte Zeiten hingewiesen habe, gab er immer Ruhe. Jetzt ist er genauso froh wie ich, dass wir die Gläser haben." "Das glaube ich gerne. Welch eine Weitsicht du doch besitzt. Ich hab die ganzen Gläser immer weggeschmissen." "Klar! Milliarden von wunderbaren Gläsern sind so auf den Müll gewandert. Und dazu noch tonnenweise zuviel gekauftes Gemüse und Obst. Mengen, die uns im Winter bitter fehlen werden. Dein Vater ist ja der festen Überzeugung, dass es demnächst ernsthafte Hungerprobleme geben wird." "Hat er mir schon erzählt. Das kann ich mir ja kaum vorstellen angesichts unserer Erntefülle. Aber es leuchtet ein, was er sagt. Und selbst wenn unser ganzer Keller vollsteht mit Eingemachtem, können wir nicht die ganze Stadt damit ernähren." "Genau, so denke ich mir das auch. Ich hoffe nur, dass es für uns reicht und für unsere Kunden. Einen Teil geben wir auch an die Armenspeisung in Eichingen ab. Dein Vater kauft immer eine gewisse Menge für die mit ein und auch überschüssiges Gemüse bringen wir denen." "Das finde ich ja sehr edel." "Na ja, wenn ich ehrlich bin, dient es hauptsächlich dazu, das Gewissen zu beruhigen. Und um uns die Hungernden hier vom Leib zu halten. Wir nehmen ja schließlich Geld von den Leuten, die hier essen. Da würde ich als ungerecht empfinden, wenn wir die Last der Gratisverköstigung komplett den Leuten vom Trautmann-Hof überlassen. So, jetzt kommen die Gurken dran. Die müssen in handliche Stücke geschnitten werden. Bei den größeren muss man vorher auch die Kerne entfernen." Alice nahm die erste der zahlreichen Gurken, schälte sie und schnitt sie auf. In der Mitte fand sie schwabbeliges Fruchtfleisch mit Kernen drin und verstand, warum das entfernt werden musste. Bei Salatgurken aus dem Supermarkt sah es in der Mitte anders aus, aber die waren auch kleiner als die Gurken aus dem Garten. Nach den sauer eingemachten Gurken kamen die Zucchinis dran, die zusammen mit Tomaten und Auberginen zu mediterranem Mischgemüse verkocht wurden. "Ein herrliches Fertigericht im Winter", erwähnte Alices Mutter dazu. Obwohl die beiden ganze Berge von Gemüse verarbeiteten und die gefüllten Gläser gegen Abend mehrere Arbeitsplatten füllten, blieb ein ganzer Waschkorb voller Zucchinis unverarbeitet. "Ohje, und morgen gibt es wieder massenweise Gemüse aus dem Garten. Zur Zeit können wir in unserer Ernte fast ertrinken. Diese ganzen Zucchinis sollten wir den Leuten in Eichingen spenden. Mal sehen, wie wir die dort hinbekommen", Alices Mutter wischte sich den Schweiß von der Stirn. Am Abend blieb die Tankstelle geöffnet für Gäste, die ein preiswertes Bierchen oder Wein trinken wollten. Alice war überrascht, wie viele Leute kamen und es sich auf den Bierbänken gemütlich machten. Der Vater übernahm den Ausschank. "Was sagen eigentlich die anderen Kneipen im Ort dazu, dass ihr ihnen Konkurrenz macht?" fragte Alice ihre Mutter. "Bevor wir damit anfingen, haben zwei Gasthäuser dicht gemacht. Der alte Adler hat keinen Nachfolger gefunden und der Hirschen ist pleite gegangen. Dann gab es keine billige Möglichkeit mehr für die weniger Betuchten. Die kamen dann immer abends zu uns, haben sich Bier gekauft und
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standen dann vor dem Laden rum. Wie die Penner. Da haben wir dann lieber Sitzgelegenheiten hingestellt und dann wurden es immer mehr Gäste am Abend." "Ich würde ja gar nicht mehr auswärts trinken gehen, wenn ich kein Geld mehr hätte, aber da sind viele Männer wohl anders. Die versaufen noch den letzten Groschen. Warum habe ich eigentlich gestern nichts davon gemerkt, dass die Tankstelle offen hat?" "Ausnahmsweise hat uns die Sabine vertreten. Die müsstest du eigentlich noch aus der Schulzeit kennen. War die nicht sogar in deiner Klasse?" "Sabine? Ja, wart, ich glaube, ich weiß, wen du meinst. Ja, die war in meiner Klasse. Merkwürdig: die werden jetzt wohl wieder meine Welt darstellen. Dabei war ich damals froh, von den ganzen Langweilern wegzukommen. Zumindest hielt ich sie immer für Langweiler." Bis zum Schlafengehen produzierten Alice und ihre Mutter noch etliche Gläser mit Eingemachtem. Als Alice schließlich gähnend in ihr Zimmer kam, erinnerte sie sich, dass sie ja eigentlich vorgehabt hatte, das Zimmer umzuräumen. Wie schnell der Tag vergangen ist und ich bin zu nix gekommen außer zum Einkochen. Die Erntezeit ist aber bald vorbei und dann finde ich bestimmt mehr Zeit, um mich einzurichten. Am nächsten Tag nutzten Alices Eltern nachmittags die Gelegenheit, um zu zweit zum Einkaufen zu fahren. Alice setzte sich mit großen Schüsseln voller Buschbohnen vor den Laden und schnitt sie in Stücke während sie die Tankstelle bewachte. Nach einem großen Schwung Mittagsgäste war es sehr ruhig geworden und Alice rechnete kaum mit Kunden. "Na, wieder im Lande und fleißig am Bohnenschnippeln?" eine Stimme schreckte Alice auf. Da stand, völlig unerwartet, Achim mit Fahrrad und Anhänger. "Oh, Hallo! Ja, ich lebe jetzt wieder hier. Übrigens bin ich auch mit dem Fahrrad hergezogen, aber meine Anreise war natürlich viel kürzer. Willst du einen Kaffee?" Was erzähle ich denn da für einen Unsinn? Der interessiert sich bestimmt nicht für meine Fahrradtour hier her. "Kaffee? Eigentlich habe ich ja wenig Zeit, aber einen kleinen Kaffee kann ich kaum ausschlagen." Alice eilte in den Laden und kam mit einer Tasse Kaffee und ein paar Keksen wieder nach draußen. Warum schlägt mir denn das Herz bis zum Halse? Das ist doch nur ein ganz normaler Kunde. "Danke! Und wie war das? Du bist per Fahrrad hergezogen? Von Stuttgart aus?" "Ja, dein Beispiel hat mich inspiriert. Es war eine wunderbare Tour", er interessiert sich doch dafür. Vielleicht war es ja doch nicht so blöd, es zu erwähnen. "Meine Reise hat mir auch sehr gut gefallen. Und ich war um Wochen vor einem anderen hier, der mit dem Zug gekommen ist. Weswegen ich eigentlich hier bin: wir brauchen demnächst dringend Sprit für den Transport von mehreren Biogasanlagen auf unseren Hof. Wann ist hier denn mal wieder mit einer Lieferung zu rechnen?" "Oh je, davon habe ich leider keine Ahnung. Wenn, dann weiß mein Vater darüber Bescheid, aber auch der erfährt die Liefertermine wohl meistens erst kurzfristig. Ich werde ihn mal darauf ansprechen. Biogasanlage klingt ja interessant. Soll die Strom produzieren?" "Finde ich auch super spannend. Die Fundamente stehen großteils schon. Das Gas der Anlagen soll in erster Linie mit einem Spezialverfahren zu einem dieselähnlichen Öl gepresst werden." "Das ist ja noch viel faszinierender. Dieselähnlich? Dann kann man damit bestimmt Fahrzeuge betreiben?" "Genau, und Landmaschinen." "Werdet ihr Überschüsse haben? Ich meine, wir würden eventuelle Überschüsse bestimmt mit Kusshand abnehmen, um unsere Kunden mal wieder beliefern zu können", Alice merkte, wie sie vor lauter Aufregung schneller atmete. "Das wird sich zeigen, ob was übrig bleibt. In erster Linie wird erst mal unser Trecker betankt. Dann werden die Bauern beliefert, die uns ihre Biomasse ankarren. Und wenn dann noch mehr produziert wird, können wir in Verhandlungen treten." "Wunderbar! Das wird meinen Vater auch ganz besonders freuen. Schade, dass er gerade nicht da ist. Aber ich werde es ihm erzählen."
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"Ok, tu das. Vielleicht kann er ja eine Sonderzuteilung Sprit für uns loseisen, wenn er Hoffnung auf spätere Lieferungen hat. Ich sollte jetzt aber dringend wieder los. Ein Kaffee war eigentlich gar nicht eingeplant", Achim machte Anstalten, sein Fahrrad wieder zu besteigen. Doch Alice hielt ihn auf: "Ich sehe gerade, du hast noch Platz in deinem Anhänger. Wir haben eine Wanne voll Zucchinis für eure Hungrigen." "Sehr gut. Immer her damit!" Alice sprintete in die Küche und trug die Zucchinis nach draußen. Sie passten gerade noch zu den anderen Einkäufen in den Anhänger. "So ein Anhänger ist ja ne feine Sache. Sollte ich mir auch irgendwann mal anschaffen." "Ja, ist enorm praktisch. Ohne würde ich kaum klarkommen. Selbstgebaut!" "Selbstgebaut?! Was du alles kannst! Gute Heimfahrt!" Achim setzte sich endgültig auf sein Fahrrad, winkte Alice zu und fuhr davon. Das ist ja wirklich spannend mit der Biogasanlage, die Diesel produziert. Hach, was bin ich aufgeregt.
24 Gegen Abend kamen Alices Eltern mit ihrem bis unters Dach vollgeladenen Kombi vom Einkaufen zurück. Das Ausladen zu dritt dauerte eine gute halbe Stunde. Nur vier Kisten mit Spaghetti verblieben im Auto. "Für die Hippies", war das einzige, was Alices Vater dazu sagte. Anschließend erholte sich die Familie auf den Bänken vor ihrem Laden. Alice nutzte die Gelegenheit, um von ihrer Begegnung am Nachmittag und den Plänen mit der Biogasanlage zu berichten. Wie erwartet war Alices Vater begeistert von der Aussicht, bald wieder regelmäßiger Treibstoff im Angebot zu haben. "Da werde ich doch mal alle Hebel in Bewegung setzen, um denen wenigstens einen Teil des benötigten Sprits zu besorgen. Dann fällt es ihnen später bestimmt leichter, uns zu beliefern", Alices Vater wirkte mindestes fünf Jahre jünger als in der ganzen letzten Zeit. Am nächsten Morgen klemmte sich Alices Vater sofort hinters Telefon. Nach zwei Stunden kam er mit stolzgeschwellter Brust zu Alice in den Garten. "So, ich habe eine Sonderlieferung aufgetrieben. Wenn du magst, kannst du heute nachmittag mit zu den Hippies kommen. Wir bringen denen dann auch gleich die Nudeln." "Gerne!" Nach dem Mittagessen packten Alice und ihr Vater zusätzlich zu den Spaghettis noch neue Zucchinis ins Auto und fuhren nach Eichingen. Wenn wir Fahrradanhänger hätten, bräuchten wir für so eine Fahrt gar keinen Sprit verfahren. Aber als Tankstellenbesitzer wäre das bestimmt nichts für Vater. Kurz vor dem Dorfeingang fuhren sie an einer Baustelle auf einem Feld vorbei, auf dem mehrere Männer eifrig werkelten. Andere arbeiteten auf dem Acker. Obwohl Alice sich fast den Hals verrenkte, konnte sie nicht erkennen, wer dort tätig war. Ist doch auch egal für mich, oder? Dann fuhren sie auf den schmalen Straßen durch das Dorf. Das letzte Grundstück vor den Weinbergen war der Trautmannhof. Alices Vater hielt auf dem Hof, dann betraten beide mit je einer Spaghetti-Kiste das Haus. In der Küche saßen eine alte Frau und ein Kind am Tisch und schnitten Gemüse. Zwei jüngere Frauen drängten sich um die Spüle. "Hallo, wir bringen Ihnen Nudeln und etwas Gemüse." "Oh, das ist ja wunderbar", riefen die Frauen wie aus einem Munde. Die alte Frau stand auf und eine der jüngeren Frauen blickte kurz fragend zur anderen. Als diese nickte, eilte auch die junge Frau auf Alice und ihren Vater zu. Es war die Frau, die Alice an Ostern in der Kirche gesehen hatte. Sie wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab, nahm Alice die Kiste ab und stellte sie auf den Küchentisch. Dann schüttelte sie erst Alices Vater, der seine Kiste an die alte Dame losgeworden war, die Hand und anschließend Alice. "Vielen Dank! Ich bin übrigens Johanna." "Sehr schön. Ich bin Alice."
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"Die aus dem Wunderland?" rief das Mädchen vom Tisch aus dazwischen. "Ja genau, die bin ich. Oder zumindest ihre Namensvetterin. Meine Mutter hat das Buch von Alice so gerne gelesen und mich darum so genannt." "Is ja toll, ich bin die Sonja und das dort ist Heide", das Mädchen war aufgestanden und hüpfte aufgekratzt um Alice und ihren Vater herum. "Prima Sonja!" Auch die Frau namens Heide schüttelte die Hände der Ankömmlinge. "Kann es sein, dass ich Sie von früher kenne? Aus meiner Kindheit?" fragte Alice, der die Frau vage vertraut schien. "Aber sicher doch. Wenn ich mich nicht irre, hast du früher hier manchmal gespielt. Sehr zum Missfallen deiner Eltern", Heide warf einen verschmitzten Blick auf Alices Vater, der nicht recht zu wissen schien, wie er auf diese Bemerkung reagieren sollte. Doch schließlich erlag er dem Charme der alten Dame und lächelte. Dann gingen alle auf den Hof und trugen die restlichen Kisten und Zucchinis ins Haus. Auch die kleine Sonja schleppte mehrere von den riesigen Gartenfrüchten und sah sehr drollig dabei aus. "Wo ist eigentlich Ihr Gatte?" fragte Alices Vater als alles reingetragen war. "Denn ich würde gerne mit ihm über die Biogasanlage und Treibstoff für deren Transport sprechen." "Die Männer sind alle unten auf der Baustelle", antwortete Johanna. "Gut, dann werde ich dort hingehen. Alice, willst du bei den Damen bleiben und sie kennenlernen." "Ja, das ist eine gute Idee, sofern hier nichts dagegen spricht", dabei schaute Alice Johanna und Heide fragend an. "Gerne, ich freue mich, wenn du noch eine Weile hier bleibst", lud Johanna Alice ein. "Ich helfe auch gerne beim Schneiden des Gemüses." "Noch besser! Dabei plaudert es sich wunderbar." Der Vater verließ die Küche und machte sich auf den Weg zur Besprechung mit den Männern. Johanna suchte ein Messer und Brettchen für Alice und gesellte sich selbst auch zu den Gemüseschnipplerinnen, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die andere Frau mit dem Restabwasch alleine klar kam. Alice genoss die Unterhaltung mit Johanna und Heide. Johanna hatte so einen wachen Intellekt, wie Alice es auf dem Land nur von wenigen gewohnt war. Auch Heide war ein erfreulicher Gesprächspartner. Für Alice war es eine gelungene Mischung aus den Vorteilen der Stadt- und Landbewohner. Aber warum wäre ich noch lieber unten auf der Baustelle, bei den Verhandlungen von Vater? Dabei gefällt es mir hier doch ausgesprochen gut. Ich könnte noch Ewigkeiten mit den Frauen quatschen. Als ihr Vater mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck zurückkam, fiel es Alice sehr schwer, sich von den Frauen zu verabschieden. Sie beschloss, öfter zum Trautmannhof zu fahren. Aber solange das Gemüse im eigenen Garten so üppig wuchs, konnte sie sich wohl nicht so oft frei nehmen, wie sie gewollt hätte. Auf der Fahrt nach Hause berichtete Alices Vater, dass er günstige Vereinbarungen mit dem Herrn des Hofes getroffen hatte. Als sie an der Baustelle vorbeikamen, fuhr Alices Vater etwas langsamer, damit Alice sehen konnte, wie die Männer dort bauten. Eine größere Fläche wurde gerade betoniert. Für einen kurzen Moment erhaschte sie auch einen Blick auf Achim und wunderte sich, dass ihr das Herz plötzlich bis zum Halse schlug. Zuhause angekommen, fiel Alice ein, dass sie Annette noch eine Email schuldig war und setzte sich im ersten geeigneten Moment in ihr Zimmer, um Annette von den interessanten Leuten zu berichten, die sie kennengelernt hatte. Als sie gerade fertig war, klopfte es an ihrer Tür und Alices Mutter kam herein. "Mir ist heute siedendheiß eingefallen, dass du noch einen Gesundheitspass brauchst, wenn du beim Essenausgeben hilfst. Und meinen Pass muss ich schon wieder verlängern lassen. Sonst könnten wir bei Kontrollen in Teufels Küche kommen. Wir sollten am besten gleich morgen nach Freiburg fahren." "Diese Behörden! Halten einen ständig vom Arbeiten ab. Wie kommen wir denn nach Freiburg?"
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"Am besten nehmen wir den Zug, das geht am schnellsten." "Den Zug? Oh je, ich weiß nicht, ob ich mich das traue."
25 Alice schlug vor, mit dem Fahrrad zu fahren, doch ihre Mutter hatte gar kein Fahrrad. Dann kam der Bus ins Gespräch, aber der brauchte doppelt so lange wie der Zug, war erheblich teurer und fuhr zudem nur zweimal am Tag. Schließlich willigte Alice zögernd ein, den Zug zu nehmen. Auf Dauer kann ich mich dem Zugfahren ja kaum verweigern; dem wichtigsten Verkehrsmittel für weitere Strecken. Und bis nach Freiburg ist es ja eine harmlose kleine Strecke. Für die Mittagsgäste hatte Alices Mutter einen Eintopf vorbereitet, den Alices Vater an die Gäste ausgeben würde. Gleich nach dem Frühstück brachen die beiden Frauen auf nach Freiburg. Im Zug ergatterten sie Sitzplätze und schon nach kurzer Zeit erreichten sie den Freiburger Bahnhof. Als sie wieder auf festem Boden standen, atmete Alice tief durch und stellte fest, dass sie am ganzen Körper zitterte. Sie tastete nach der Hand ihrer Mutter, die sie sofort in den Arm nahm, als sie merkte, was mit ihrer Tochter los war. "War es denn so schlimm, meine Kleine?" "Ne, ach ne, eigentlich nicht. Oh je, jetzt ist mir aber arg seltsam zumute. Aber, .. aber das vergeht bestimmt gleich wieder." "Lass uns mal hinsetzen. Und da hinten gibt es Kaffee. Soll ich dir einen besorgen?" "Ja,... bitte. Aber komm gleich wieder." Die Mutter führte Alice zu einer Bank und eilte dann zu dem Kaffeestand. Nach kurzer Zeit kam sie mit dampfenden Bechern und zwei Croissants zurück. Schon nach wenigen Schlucken kehrten die Lebensgeister zu Alice zurück. "Das war jetzt aber merkwürdig. Bestimmt war das die Anspannung, die mir gar nicht bewusst war, als wir im Zug saßen." "Ist schon gut meine kleine Alice. Immerhin bist du jetzt mal wieder mit dem Zug gefahren und alles ist gut gegangen." "Stimmt. Beim nächsten Mal habe ich bestimmt weniger Angst." Als Alice ihr Croissant verspeist und den Kaffee vollständig ausgetrunken hatte, fühlte sie sich wieder stabil genug, um in die nächste Straßenbahn zu steigen. Nach der Straßenbahnfahrt mussten sie noch zehn Minuten laufen und dann standen sie vor dem Gesundheitsamt. Das Gebäude sah heruntergekommen aus. "Kein Wunder, dass sie uns immer soviel Geld abknöpfen. Bestimmt wollen die damit irgendwann ihr Haus renovieren, geben es dann aber immer aus, um all die Ärzte zu bezahlen." "Wieviel Geld wollen die denn?" "Ein kleines Vermögen: die Gewinne einer guten Woche. Aber vor Steuern! Das Finanzamt sahnt auch immer mehr ab. Wenn die so weiter machen, strangulieren die noch die ganzen Firmen." "Das ist aber dumm von denen, denn wer soll den Laden denn dann am Laufen halten?" "Sag das denen mal! Aber das hören die schon seit Jahren jeden Tag von allen Seiten. Und ignorieren es einfach. Bevor sie zehn neue Formulare und Abgaben erfinden, palavern sie immer viel von Bürokratieabbau. Und dann wird flugs eine neue Behörde für diesen Zweck gegründet. Ich schau mir schon kaum noch die Nachrichten an, weil ich mich sonst zu Tode ärgern würde." Im ersten Stock mussten die beiden Frauen an einem wackeligen Tisch ein Formular ausfüllen und anschließend fünf Minuten warten. Dann wurden sie nacheinander in ein Untersuchungszimmer gerufen. Dort hörte ein Weißkittel kurz das Herz ab, gab ihnen eine Gebührennotiz mit und entließ sie wieder. Die Gebühren mussten sie an einer Kasse bezahlen. Nach der Zahlung erhielt Alices Mutter einen Stempel in ihren Gesundheitspass und Alice bekam einen frischen Pass mit Stempel. Anschließend fühlten sie sich kräftig ausgeplündert. "Ich fasse es nicht, was die für einmal kurz Herz abhören und Stempel machen verlangen. Und das alle drei Monate?"
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"Du sagst es! Jetzt brauche ich einen Kaffee, um mich wieder zu beruhigen. Hier fehlt ein kleines Bistro mit Kaffee, Schokoladenkuchen und Baldrian-Tabletten, damit man sich besser wieder abregen kann. Leider müssen wir bis in die Innenstadt marschieren, um sowas zu finden." Am Nordrand der City fanden sie ein verschlafenes Café, in dem sie es sich bequem machten. "Muss man denn eigentlich keine Stuhlprobe beim Gesundheitsamt abgeben? Ich dachte immer, das sei die wichtigste Untersuchung für Gastronomen." "Früher, ja früher, da haben die ihre Sache noch ernst genommen und wollten Infektionen verhindern. Aber inzwischen ist das zur reinen Gebührenschneiderei verkommen. Lassen wir es lieber, sonst rege ich mich zu sehr auf und bekomme noch Kopfschmerzen vor lauter Ärger. Freuen wir uns lieber, dass wir es mal wieder hinter uns haben. Zur Zeit läuft das Geschäft auch so gut, dass uns die Kosten nicht allzu sehr wehtun." "Stimmt, wir sollten uns freuen, Mami. Es ist so ein schöner Sommertag und nicht mal so schrecklich heiß. Haben wir in Freiburg eigentlich noch was anderes zu erledigen oder können wir gleich wieder nach Hause fahren?" "Wenn du hier nichts unternehmen willst, können wir von mir aus direkt wieder nach Breisingen fahren." "Ok, dann lieber gleich heimwärts. Im Garten gibts auch noch genug zu tun. Was mir gerade einfällt: Was ist eigentlich aus dem Solarmodul geworden, das ich euch mal besorgt habe." "Oh, das! Das wurde beim letzten großen Sturm vom Dach geweht und ist seitdem kaputt. Wir haben es in den Schuppen gestellt." "Wie schade! Ich glaube, ich schaue mir das mal an. Die Zellen arbeiten normalerweise auch noch, wenn ein Stückchen abgebrochen ist." "Aber das Glas ist grossflächig zerbrochen." "Das macht nicht soviel aus, denn das ist ja nur Glas. Teuer sind vor allem die Siliziumplatten. Das Glas dient nur dem Schutz. Zur Not können wir das mit ein paar alten Fensterglasscheiben ersetzen." "Wenn du das wieder hinkriegst, wäre das ne tolle Sache, denn dann könnten wir bei den Stromkosten etwas sparen. Die haben ja so gewaltig aufgeschlagen, dabei wird der Strom gar nicht mit Erdöl produziert, habe ich gehört." "Ne, hier in Baden-Württemberg wird er großteils immer noch mit Atom- und Wasserkraft erzeugt. Aber sie finden immer gute Argumente, warum alle Energien teurer geworden sind: erhöhte Rohstoffpreise, gestiegene Transportkosten und natürlich vermehrter Bedarf. Die Solarzellen sind im Preis ja auch enorm gestiegen und trotzdem kamen wir mit dem Liefern nicht hinterher." "So, ich bin hier fertig und du anscheinend auch. Lass uns heimfahren." Die Rückfahrt mit dem Zug fiel Alice erheblich leichter. Beim Einsteigen dachte sie zwar kurz mit mulmigem Gefühl an ihren Zitteranfall nach der letzten Fahrt, doch dann atmete sie tief durch und stieg ein. Während der Fahrt ertappte sie sich ein paar Mal dabei, dass sie die Luft anhielt und atmete dann ein paar Atemzüge bewusst ein und aus. Wahrscheinlich war es vorhin das Luftanhalten. Aber diesmal geht es einigermaßen. Das ist schon praktisch, wenn ich wieder Zug fahren kann. Zuhause angekommen eilte Alice gleich in den Schuppen, um nach dem Solarmodul zu sehen. Wie angekündigt war das Glas zum großen Teil zerbrochen oder wenigstens angebrochen. Bei den Solarzellen waren teilweise die Ecken abgesplittert und die Verkabelung war abgerissen. Unter Aufbietung all ihrer Kräfte wuchtete Alice das Modul auf den Hof, wo sie es auf zwei alten Ölfässern abstützte, damit es schräg in Richtung Sonne stand. Stirnrunzelnd betrachtete sie die Kabel. Eigentlich müsste ich das doch hinkriegen, schließlich habe ich es oft genug gesehen in unserer Firma. Und es schien immer ganz einfach. Wenigstens um auszuprobieren, ob es überhaupt noch funktioniert. Mal im Keller schauen, ob die Technik noch an Ort und Stelle ist. Dann muss ich Vater nicht damit belämmern und kann ihn überraschen. Alice ging in den Keller und fand den Wechselrichter und die Akkus so vor, wie sie am Tag der Installation aufgebaut worden waren. Ob die Akkus noch funktionieren? Nach so langer Zeit, ohne geladen zu werden? Wir werden sehen. Immerhin sind es teure Spezialakkus. Die sollten das aushalten.
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Zurück auf dem Hof verband Alice die Zellen, die am besten erhalten waren, mithilfe der Steckverbindungen an die Kabel. Dann lief sie wieder in den Keller und siehe da: der Strom floss. Vor lauter Freude führte Alice einen kleinen Indianertanz auf, dann eilte sie wieder nach oben, um noch mehr Zellen anzuschließen. "Na, schöne Frau. Heute ganz die Technikerin?" Alice schaute auf und sah Achim, der grinsend vor ihr stand und anerkennend nickte. "Äh ja, ich versuche, das alte Solarmodul wieder zum Laufen zu bringen. Ist beim Sturm vom Dach geweht worden." "Sieht man ihm auch an." "Das Glas muss ich wohl ersetzen, aber im Prinzip funktioniert es und das ist schließlich das Wichtigste. Am schwierigsten wird es wohl, es wieder aufs Dach zu hieven. Das kann ich meinem Vater wohl kaum zumuten." "Wenn wir mal die Biogasanlage am Laufen haben, könnte ich dabei vielleicht helfen. Aber zur Zeit bin ich voll eingespannt und komme zu nix anderem." "Das wäre ja prima. Zur Zeit funktioniert es auch hier im Hof halbwegs gut. Außerdem muss ich erstmal das Glas erneuern." "Jo, ich werd dann mal wieder. Bin nur grad vorbeigekommen und sah dich hier werkeln. Das konnte ich mir nicht entgehen lassen." "Gute Fahrt! Und viel Erfolg mit der Biogasanlage!" "Danke! Gute Wünsche können wir dringend gebrauchen." Jetzt zitter ich schon wieder. Aber diesmal liegt es nicht am Zugfahren. Bestimmt an der Aufregung über die Solaranlage, die ich selbst wieder hingekriegt habe. So, jetzt stell ich Vater meine Arbeit vor und dann gehts ab in den Garten. Der wartet bestimmt schon ganz sehnsüchtig auf mich.
26 Der Vater war sehr erfreut darüber, dass die Solaranlage wieder Strom produzierte und klopfte seiner Tochter anerkennend auf die Schulter. Beiden war klar, dass die Solarzellen nur einen Bruchteil des benötigten Stroms produzieren konnten, aber das schien ihnen immer noch deutlich besser, als gar keinen Strom selbst herstellen zu können. Und im Frühling baue ich dann solche Scheffler-Spiegel. Platz haben wir hier auf dem Hof genug. Jetzt übe ich das Werkeln schon mal bei der vollständigen Wiederherstellung der Photovoltaikanlage. "Was meinst du", unterbrach der Vater Alices Gedankengänge, "ob es Sinn macht, die alte Zapfsäule hier wieder in Betrieb zu nehmen? Gründlich entrosten, anstreichen und einen neuen Schlauch, dann müsste sie eigentlich wieder einsatzfähig sein. Der Tank da hinten dürfte auch noch in Ordnung sein." "Du meinst für den Treibstoff aus der Biogasanlage?" "Genau, denn den kann ich ja nicht einfach über unsere Dieselzapfsäule ausgeben, auch wenn wir nur selten echten Diesel haben. Ich werde mal den Techniker kommen lassen, der Anlagen für Biotreibstoffe überprüft und freigibt. Aber erst, wenn die Zapfsäule wieder propper aussieht." "Das würde mir gefallen, wenn das alte Ding wieder arbeiten würde. Es sieht einfach cool aus, so altmodisch wie es ist." "Wie ein echter Oldtimer." "Wenn du willst, helfe ich dir beim Anstreichen." "Oh, das mache ich sehr gerne selbst. Reparier du mal deine Solaranlage." "Stimmt. Und der Garten wartet auch ganz dringend auf meinen Einsatz. Ich werde mich mal an die Arbeit machen." Vom Garten aus konnte Alice sehen, wie ihr Vater in die Werkstatt ging und mit einem Schleifpapier wieder zur Zapfsäule ging. Zumindest vermutete sie, dass es ein Schleifpapier war, denn anschließend rieb ihr Vater intensiv an der Zapfsäule. Sie selbst widmete sich dem nächsten Beet auf dem das Unkraut wucherte. Dann pflückte sie die reif gewordenen Früchte und brachte sie ins Haus.
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Abends saßen Mutter und Tochter wieder beim Einkochen, während der Vater sich als Gastronom betätigte. Nur wenige Tage später sah die alte Zapfsäule aus wie neu und wurde vom Techniker für gut befunden. So wie die Zapfsäule hatte auch Alices Vater sich verjüngt; die Hoffnungslosigkeit war aus seinem Gesicht gewichen. Alice hatte aus verschiedenen Quellen alte Glasscheiben gefunden, mit denen sie die Solarzellen schützte. Das Modul sah dadurch zwar etwas zusammengeschustert aus, aber es erfüllte seine Arbeit sehr zuverlässig. Alice berichtete Annette ausführlich von ihren Versuchen mit dem Solarmodul und traf auf viel Interesse und Austausch von Tipps bei der ungewohnten handwerklichen Betätigung. Gegenüber Annette traute sich Alice auch eher die peinlichen kleinen Fragen zu stellen, die sie ihren Vater nicht zu fragen wagte, denn sonst hätte er ihr wohl mit mitleidigem Blick den Schraubenzieher aus der Hand genommen und es selbst gemacht. Annette schien große Freude daran zu haben, dass außer ihr auch eine andere Frau selbstständig an einer Solaranlage bastelte, auch wenn es um eine ganz andere Technik ging. Die Tage vergingen wie im Flug mit Gartenarbeit, Einkochen, Tiere füttern, Dienst im Laden und Basteln. Manchmal fuhr Alice auch mit Lebensmittelspenden nach Eichingen und half dort beim Kochen für die Armen. Ihr Zimmer hatte sie jedoch aus Zeitmangel immer noch nicht umgeräumt. Nur den schlimmsten Kinderkram warf sie eines Abends kurzentschlossen in einen Pappkarton und stellte die Kiste in den Keller. Auch Alices Umzugsgepäck ließ nach wie vor auf sich warten, obwohl die Wochen ins Land gingen. Vor lauter Arbeit hatte sie aber kaum Gelegenheit, ihre Erinnerungen ans Stadtleben zu vermissen. Der Sommer neigte sich dem Ende zu, aber die Tage waren immer noch warm. Dennoch brachte ein alter Schulfreund von Alices Vater eines Tages Ende August einen ganzen Laster voll Brennholz abgelagert und in dreißig Zentimeter lange Stücke gesägt. Allein das Aufstapeln der dicken Brocken unter dem Vordach des Hauses dauerte mehrere Tage. Alice war froh darüber, dass sie im Laufe der Erntezeit einen kräftigeren Rücken bekommen hatte, sodass ihr das Holzstapeln einigermaßen leicht von der Hand ging. Um in den Holzofen zu passen, mussten die Holzstücke jedoch noch gehackt werden. Alice hatte noch nie Holz gehackt und der Umgang mit der Axt war ihr anfangs ziemlich unheimlich. Doch sie wollte ihrem Vater die viele Arbeit nicht ganz alleine überlassen, und so wagte sie sich an die neue Aufgabe. Nach wenigen Tagen gelang es ihr, ansehnliche Haufen zu hacken, die anschließend nochmal neu gestapelt werden mussten. Eines Tages war es dann soweit: die Biogasanlage produzierte erstmals soviel Treibstoff, dass die Tankstelle beliefert werden konnte. Alices Vater spannte den extra für diesen Zweck hergerichteten Anhänger hinter sein Auto. Auf dem Anhänger stand ein voluminöses Fass für das Biodiesel. Alice durfte zu diesem besonderen Ereignis mitfahren und war schon ganz aufgeregt. Es hatte sich rumgesprochen, dass die Bauern aus Eichingen seit ein paar Tagen wieder regelmäßig mit ihren Traktoren auf ihren Feldern unterwegs waren. Die ganze Region genoss die Aufbruchstimmung. Nach kurzer Fahrt kamen Alice und ihr Vater bei der Biogasanlage an. Die Männer des TrautmannHofes halfen Alices Vater mit dem Anhänger so dicht an den Tank der Anlage zu manövrieren, dass der Treibstoff umgefüllt werden konnte. Alice war schon vorher ausgestiegen und holte die Sektflaschen aus ihrem Korb, denn dieses denkwürdige Ereignis sollte angemessen begossen werden. Der Sekt stammte natürlich aus dem Anbau eines entfernten Verwandten und war günstig gegen Diesel eingetauscht worden. Vor allem schmeckte er ganz hervorragend, fand Alice. Als das Fass des Anhängers vollständig gefüllt und der Gegenwert in Geld übergeben war, begann Alice, die erste Flasche zu öffnen. Das Angebot zu dieser kleinen Feier ließen sich die Männer nicht zweimal sagen, nahmen sich von den mitgebrachten Gläsern und kamen zu Alice, um sich einschenken zu lassen. Als Alice Achim das Glas füllte, berührten sich kurz ihre Hände. Wie ein Stromstoß durchfuhr es Alice. Was habe ich nur mit diesem Mann? Immer wenn ich ihn sehe, schlägt mir das Herz bis zum Hals. Ich habe doch gar keine Zeit für Männer. Und er ist zwar nett und interessant, aber so gut sieht er eigentlich nicht aus und er ist auch ein bisschen zu alt für mich. Aber
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nur ein bisschen, eigentlich kaum zu alt und er ist zwar keine Schönheit, sieht aber markant aus. Alice! Konzentrier dich auf das Sektausschenken! Da warten noch andere! Eine neue Flasche musst du aufmachen! Wie er mich angelächelt hat. Jetzt ist aber Schluss mit diesen romantischen Spinnereien! Alle stießen miteinander an und beschworen gute Geschäfte jetzt und in Zukunft. Hoffentlich hat niemand was gemerkt. Ob ich rot geworden bin? Jetzt schaut er in meine Richtung - und lächelt. Na ja, zurücklächeln ist bestimmt in Ordnung. Das ist ja völlig unverbindlich. Schon nach kurzer Zeit war der Sekt ausgetrunken und Alices Vater drängte darauf, den Treibstoff seiner Bestimmung zuzuführen. Alice sammelte die Gläser wieder ein und bestieg mit ihrem Vater den Kombi. Zum Abschied winkte sie den Männern zu. "Der junge Mann gefällt dir wohl ausnehmend gut", bemerkte ihr Vater auf dem Rückweg zu Alice. "Der junge Mann? Äh, wen meinst du? Da waren doch mehrere junge Männer." "Du weißt schon, wen ich meine. Den, bei dem du immer rot wirst. Der mit dem Fahrrad aus dem Norden gekommen ist." "Du meinst wohl den Achim. Ach ne, für Männer habe ich doch gar keine Zeit. Vor allem nicht für die Scherereien, die man damit hat. Der ist sehr nett der Achim, aber das ist auch schon alles." "Wie du meinst", Alices Vater schmunzelte jedoch rätselhaft, als er dies sagte. Zu Hause warteten schon etliche befreundete Kunden mit ihren Autos. Schnell gluckerte der Treibstoff in den renovierten Tank und von dort aus über die schmucke Zapfsäule, die wieder in triumphierendem Rot leuchtete, in die Autos der Kunden. Wieder gab es Sekt und außerdem Kuchen, den Alice Mutter zur Feier des Tages gebacken hatte. Einige der Kunden blieben bis spät in die Nacht und ließen ihre Autos auf dem Hof, um später zu Fuß nach Hause zu gehen, weil sie zuviel getrunken hatten, um noch fahren zu können. Was für gute Laune Vater heute hat. Endlich darf er wieder ein richtiger Tankstellenbesitzer sein und morgen kann er schon eine neue Lieferung abholen. Jetzt wird auch so richtig deutlich, wie sehr er darunter gelitten hat, nicht liefern zu können. Wenn er so weiter macht, müssen wir ihm nachher ins Bett helfen und morgen hat er einen Kater. Vielleicht sollte ich mal einen Kaffee kochen, damit das Gelage sich einem Ende nähert. Später lag Alice im Bett und musste immer wieder an Achim denken. Nein, vergiss es! Bleib lieber für dich! Als wenn dir das letzte Debakel in Stuttgart nicht gereicht hätte. Wirbt um dich, bis du endlich nachgibst und dann lässt er dich eiskalt sitzen. Wegen einer Blondine! Ne, ne, Alice, lass mal besser die Finger von den Männern! Die sind doch alle gleich. Aber der Achim ist wirklich nett. Pah, nett sind sie alle am Anfang, bis sie einen um den Finger gewickelt haben und dann peng. Außerdem scheint dieser Achim gar nicht wirklich interessiert an mir. Der ist einfach nur unverbindlich freundlich. Aber wie er lächelt! Und was für ein zupackender Typ er ist. So richtig verlässlich. Was weißt du denn von seiner Verlässlichkeit? Jetzt schlaf endlich ein, morgen wartet wieder viel Arbeit!
27 Das Energieproblem schien gelöst - zumindest fast. Die Diesellieferungen von der Biogasanlage gingen zwar immer weg wie warme Semmeln, aber wenn der Treibstoff ausverkauft war, konnten die Kunden auf einen neue Lieferung am nächsten oder spätestens übernächsten Tag hoffen. So pendelte sich wieder ein fast normaler Tankstellenbetrieb ein. Der Mittagstisch und der abendliche Getränkeausschank stellten zwar nach wie vor ein wichtiges Standbein des Betriebes dar, waren aber nicht mehr die einzige Geldquelle. Im Keller quollen die Einmachgläser fast aus den Regalen. Alices Mutter betonte strahlend, dass sie noch nie soviel eingekocht hatte. Ein guter Teil dieses Einmachgutes sollte jedoch auch im Laden verkauft werden, war also nicht allein für die Ernährung der kleinen Familie gedacht. Alice hatte ihren Computer dazu gebracht, auf einem billigen Drucker ansprechende Etiketten auszudrucken, die den Verkauf fördern sollten. Spezielle Holzkisten bargen die reichliche Kartoffelernte. Das Holz zum Heizen war auch fast fertig gehackt.
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Doch das perfekte Sicherheitsgefühl wollte sich nicht einstellen. Zu erschreckend waren schon die Nachrichten der Bauern aus der Umgebung, die mangels Landmaschinentreibstoff und Dünger nur äußerst magere Ernten eingefahren hatten. Richtig schlimm schien es aber in anderen Gegenden Deutschlands zu sein, wo die Höfe oft weit über hundert Hektar umfassten. Viele der Großbauern konnten angesichts der katastrophal mickrigen Ernte ihre Kreditraten nicht mehr bezahlen und gingen pleite. Das bedeutete, dass nicht nur in diesem Winter die Nahrungsmittel knapp werden würden, denn auch im nächsten Jahr würden wohl viele Flächen brach liegen. Die Nachrichtenticker im Internet waren voll mit diesen Hiobsbotschaften. Im Fernsehen durften Vater und Tochter nur die Hauptnachrichten ansehen, weitere Reportagen und unerfreuliche Sendungen wurden von der Mutter abgelehnt, denn sie wollte nicht soviel Unglück ins Haus strömen lassen. Insgeheim gab Alice ihrer Mutter recht, denn schon die Neuigkeiten, die sie im Internet las, reichten ihr, um ihrer Zuversicht immer wieder einen Knick zu verpassen. Die Tagesschau am Abend setzte diesem Ungemach noch ein giftiges Sahnehäubchen auf und trotz ihrer Proteste war Alice froh, dass ihre Mutter weitere negative Sendungen verbot. Trotz all der Vorräte im Keller schienen sich die Warnungen von Alices Vater zu bewahrheiten. Alles entwickelte sich in Richtung Hungersnot. Und dann kam auch noch Herr Storzig. Plötzlich stand er in der Tankstelle, als Alice gerade Dienst hatte. "Guten Tag, mein Name ist Storzig. Ich komme vom Bauamt. Uns wurde zugetragen, dass Sie hier eine illegale Verkaufsstätte für Treibstoff betreiben." "Illegal? Wir haben hier schon seit Jahrzehnten eine Tankstelle. Alles genehmigt", Alice wurde sofort wütend über die rechthaberische Art in der dieser Beamte auftrat. "Es geht um den Treibstoff aus Biogas. Sie haben keine Genehmigung für den Verkauf dieses Diesel-Äquivalents." "Warten Sie einen Moment! Ich hole meinen Vater. Ich bin sicher, dass sich alles aufklären wird." "Da wäre ich mir nicht so sicher", näselte Herr Storzig. Alice informierte ihren Vater, der sich mit den Papieren des Tankstellentechnikers bewaffnete und sich vor Herrn Storzig aufbaute. "Hier können Sie sehen, dass alles mit rechten Dingen vor sich geht. Unsere Tankstelle ist genehmigt und die Anlage zum Zapfen des Bioöls ist in Ordnung." "Für diese spezielle Art des Treibstoffs haben Sie aber keine Genehmigung." "Dieselartiges Öl aus Biogas ist ja auch völlig neuartig. Dafür gibt es noch keine Paragraphen." "Eben! Ich fordere Sie auf, den Verkauf dieses Stoffes sofort einzustellen. Andernfalls droht Ihnen eine empfindliche Strafgebühr." Einen Moment lang befürchtete Alice, dass ihr Vater den Beamten erwürgen oder mit nackten Händen erschlagen würde, doch dann entspannten sich seine Gesichtszüge. "Sicherlich wollen Sie die Vorzüge dieses Biotreibstoffes kennenlernen. Wenn Sie wünschen, können wir Ihnen dieses Produkt zukünftig zum Vorzugspreis anbieten." "Na, dann rücken Sie mal eine Probe Ihres Produktes raus, damit ich es überprüfen kann." Alices Vater holte einen neuen Kanister aus dem Laden und füllte ihn mit Diesel. Herr Storzig blickte unzufrieden und gab erst Ruhe, als er einen zweiten Kanister erhielt. Dann fuhr er von dannen. "Korrupt wie in einer Bananenrepublik!" fluchte Alices Vater. Dann nahm er die Axt und drosch beängstigend auf die unschuldigen Holzscheite ein. Nach kurzer Zeit türmte sich ein meterhoher Holzhaufen um seinen Hackklotz herum. Alices Mutter regte sich so sehr auf, dass sie sich mit plötzlich einsetzender Migräne ins Bett legen musste, als sie von dem Besuch des Beamten erfuhr. Alice vertrat sie daher den Rest des Tages im Laden. Am liebsten hätte sie aber auch auf irgendetwas eingedroschen, so empört war sie über Herrn Storzig. Nach und nach kam der Herbst und die Tage wurden nicht nur kürzer sondern auch kühler. Die Erntezeit war vorbei und Alice fand endlich Zeit, sich um ihr Zimmer zu kümmern. Auch ihre Umzugskartons aus Stuttgart waren endlich eingetroffen. Als sie Kisten mit alten Büchern auf den
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Dachboden schleppte, entdeckte sie ihr Spinnrad, das sie in einer kurzen Phase ihrer Jungend intensiv benutzt hatte. Sie trug es in ihr Zimmer, denn sie dachte sich, dass sie im Winter vielleicht Zeit für Handarbeiten finden würde. Als ihre Mutter das Spinnrad sah, fiel ihr ein, dass sie im letzten Jahr vom Schäfer bergeweise unverarbeitete Wolle erhalten hatte, mit der sie nichts anzufangen wusste. Also reinigte Alice die Wolleberge und immer wenn sie danach in der Tankstelle Dienst schob und keine Kunden kamen, saß sie an ihrem Spinnrad und verspann Wollfaden zum späteren Verstricken. Schon nach kurzer Zeit hatte sie den Dreh wieder raus und sie liebte diese gleichförmige Tätigkeit, die soviel Raum zum Nachdenken ließ. Im Oktober wurde es jedoch streckenweise so kalt, dass Alice Finger nicht mehr beweglich genug fürs Spinnen waren und der Faden ständig riss. Eine Heizung musste her, auch für die Kunden, denen deutlich anzusehen war, dass es ihnen im Laden zu kalt war - geschäftsschädigend fand Alice. Die bisherige Zentralheizung konnten sie nicht betreiben, weil dafür nicht genug Öl vorhanden war. Ein Holzofen wäre eine Möglichkeit, doch einerseits gab es im Tankstellenladen keinen Kamin und zweitens würde dann das Brennholz nicht über den Winter reichen. Selbst für das Wohnhaus würde es nur bei sparsamer Benutzung und einem milden Winter ausreichen. Als Alternative musste Alice immer wieder an eine Warmwasserheizung durch Sonnenkollektoren denken. Die Photovoltaikzellen waren inzwischen erfolgreich auf dem Dach befestigt worden und bei ihren Besuchen auf dem Trautmannhof hatte Alice die Kollektoren für Sonnenwärme gesehen, die der Hausherr selbst gebaut hatte. So eine Anlage schien ihr zwar weniger effektiv wie ein SchefflerSpiegel, wie Annette ihn hatte, doch immerhin besser als gar nichts und anscheinend preiswert herzustellen. Alice verkaufte einen Teil ihrer Öl-Finanzderivate und bestellte beim Trautmannhof solche Sonnenkollektoren für Warmwasser. An trüben Tagen wären diese zwar keine Lösung, aber es würde genug sonnige Tage mit Frosttemperaturen geben. Das aufgewärmte Wasser sollte über die vorhandenen Heizkörper die Tankstelle beheizen. Als Achim kam, um die Kollektoren auf dem Dach zu montieren, konnte Alice sich kaum an seinem beweglichen Körper sattsehen. Völlig unerschrocken bewegte er sich auf der schrägen Fläche. Im Laden funktionierte Achim die Heizkörper um, so dass ihre Flüssigkeit wahlweise mit Sonnenwärme oder Öl beheizt werden konnte. Die Arbeit hielt ihn so beschäftigt, das Alice kaum Gelegenheit fand, sich mit ihm zu unterhalten. Nur in den seltenen Kaffeepausen entspann sich ein unverfängliches Gespräch. Viel zu schnell war die Heizung montiert und Achim verschwand wieder aus Alices Alltag. Gibs zu, er gefällt dir! Ok, das stimmt, aber mehr auch nicht. Schön ist es, dass die Sonne jetzt einen Teil der Ladenheizung übernimmt. Da kann ich gleich viel besser spinnen.
28 Der November kam und mit ihm die typisch nebligen Tage. Kalt und feucht, so dass es einem durch Mark und Bein ging, selbst wenn man halbwegs warm angezogen war. Die neuen Sonnenkollektoren für den Laden waren bei diesem Wetter, wie befürchtet, fast nutzlos. Ohne zwiebelartige Bekleidungsschichten hielt man es im Laden nicht lange aus. Das fanden wohl auch die Kunden, denn bei den Mahlzeiten blieben sie nur solange, wie sie brauchten um das Essen hastig in sich hineinzuschlingen und manche blieben sogar ganz weg. Nur die Nachfrage nach dem Biomassen-Diesel blieb ungebrochen hoch. Alice tröstete sich, indem sie sich immer wieder bewusst machte, dass der Laden in erster Linie eine Tankstelle und kein Schnellimbiss war. Außerdem würden so ihre Vorräte länger halten. Als Alice mal wieder ihren zähneklappernden Vater in der Tankstelle ablöste, sprach sie ihn auf die Thematik an. "Ob wir nicht vielleicht eine Leitung mit warmem Wasser vom Haus in die Tankstelle legen könnten? Warmes Wasser, das wir durch den Holzofen aufheizen lassen und dann für die Heizkörper hier drin verwenden. Auf dem Trautmannhof habe ich so ein Konstrukt gesehen; das funktioniert ganz prima. Etwas Geld könnte ich wohl auch noch locker machen für diesen Zweck."
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"Nette Idee! Aber unser Holz reicht kaum, um das Wohnhaus den Winter über erträglich warm zu halten." "Und wenn wir noch Holz nachkaufen?" "Alles ausverkauft - weit und breit bekommt man kein Brennholz mehr." "Und Kohle? Die müsste man doch auch in unserem Ofen verbrennen können." "Klar kann man das, aber die ist auch überall ausverkauft." "Vielleicht sollte ich mal versuchen, übers Internet Bezugsquellen für Kohle rauszufinden." "Tu das. Ich rechne aber kaum mit Erfolgen. Wieso sollte das Internet mehr Kohle haben als die Realität?" "Leuchtet ein. Ich versuche es aber trotzdem. Fällt dir sonst irgendwas ein, wie wir unseren Laden wärmer kriegen können?" "Leider nicht. Das einzige, was mir zu dem Thema einfällt ist: warm anziehen." "Tu ich ja schon. Schau her!" Alice hielt ihre Hände hoch, die trotz Aufenthalt in einem Raum durch fingerlose Handschuhe gewärmt wurden. Die freien Fingerspitzen brauchte sie zum Spinnen. "Ich weiß meine Liebe. Wenn es ganz arg wird, denk daran, dass irgendwann auch wieder der Frühling kommt." "Aber erst wird es noch schlimmer. Bisher gibt es ja nicht mal starke Fröste." "Du hast ja Recht, aber was nützt es zu klagen?" "Ok, ich will tapfer sein." Als sie abends wieder im Haus war, setzte sich Alice an ihren Computer und recherchierte nach Kohleanbietern. Bei den meisten stand schon auf deren Webseite in dicken Lettern, dass sie ausverkauft waren. Den Anbietern der Umgebung, bei denen das nicht der Fall war, schrieb Alice eine Email und fragte nach ihrem Angebot. Bei einigen notierte sie sich die Telefonnummer, um am nächsten Tag anzurufen. Viel Hoffnung machte sie sich aber nicht. Alice wurde aber nicht so richtig klar, warum die deutsche Kohleindustrie die Chance nicht nutzte, um sich wieder zu alter Stärke aufzuschwingen. Angeblich sollte doch noch genügend Kohle im Boden lagern. Sie schrieb eine Email an Annette, erzählte vom Kältefrust und fragte sie, ob sie mehr über die Probleme der Kohleindustrie wusste, denn schließlich lebte Annette im Ruhrgebiet. Noch am selben Abend erhielt Alice eine Antwort auf ihre Email an Annette. Darin berichtete Annette, dass die Zechen mit großem Aufwand geschlossen und die Stollen teilweise sogar aufgefüllt worden waren. Die Eröffnung einer neuen Zeche dauerte anscheinend sieben bis zehn Jahre, selbst wenn reichlich Geldmittel und Maschinen zur Verfügung standen. Durch den Energie- und Rohstoffmangel konnten jedoch nicht mal die Maschinen in gewünschter Geschwindigkeit bereitgestellt werden. Am schlimmsten wirkte sich jedoch aus, dass die meisten erfahrenen Bergarbeiter alle im hohen Rentenalter waren und kaum junge Fachleute ausgebildet worden waren. Die alten Männer freuten sich zwar, wieder gebraucht zu werden, aber die jungen lernten nur langsam. Außerdem waren nur wenige der Jungen bereit, so eine harte Arbeit anzunehmen. Die Fördermenge der deutschen Steinkohle war zwar trotz aller Schwierigkeiten im letzten Jahr auf das Doppelte angestiegen, aber da die Importe fast vollständig weggebrochen waren, spürte man nichts von dieser Steigerung. Insgesamt stand deutlich weniger Kohle zur Verfügung. Als ihr die fatale Situation bewusst wurde, fröstelte Alice gleich noch mehr als zuvor und sie zog sich eine zusätzliche Jacke über. Sie hatte schon so viele Schichten an, dass sie sich kaum noch bewegen konnte, aber frieren wollte sie erst recht nicht. Mit Grausen dachte sie an den kommenden Winter, denn bisher war es ja erst Spätherbst. Immerhin war Alice mit ihrer Handarbeit inzwischen beim Stricken angekommen, was den Vorteil hatte, dass das fertig gestrickte Wollstück ihren Schoß wärmte. Den Pullover strickte sie bewusst besonders groß, denn bei den vielen Zwiebelschichten konnten die Kleidungsstücke gar nicht weit genug sein. Außerdem war sie sich noch gar nicht sicher, ob der Pullover überhaupt für sie selbst sein sollte, denn eigentlich hatte sie genügend Pullis.
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Wenige Tage später kursierte überall die Nachricht von einem stadtnahen Bauernhof bei Freiburg, der von einer Bande geplündert worden war. In aller Eile bereiteten sich die Landbewohner auf die Abwehr ähnlicher Plünderungen vor. Stacheldraht war innerhalb eines Tages überall ausverkauft. Die Tankstelle schien besonders gefährdet, denn immerhin gab es hier, wenn auch nur manchmal, das begehrteste Gut überhaupt. Alice und ihr Vater demontierten den Stacheldraht, der den Garten schützte, und bauten um die Tankstelle einen Zaun. Tagsüber wurde ein improvisiertes Tor geöffnet und nachts verschlossen. Sie besorgten Bewegungsmelder, die nicht nur Lichter angehen ließen, sondern auch Klingeln im Haus aktivierten. Bis diese Bewegungsmelder richtig eingestellt waren, klingelte es mehrmals pro Nacht, wenn Katzen über den Hof liefen. In seinem unausgeschlafenen Zorn war Alices Vater einmal kurz davor, die Nachbarkatze zu erschlagen, weil sie ihn immer wieder aus dem Schlaf riss. Im letzten Moment konnte Alice diese Gewalttat verhindern, wurde aber dazu verdonnert, am nächsten Tag die Nachbarn aufzufordern, ihre Katze nachts im Haus zu behalten. Alice zweifelte daran, dass es realistisch war, die Katze nachts einzusperren, denn sie lebte als Hofkatze und war nie im Haus der Nachbarn. Also grübelte Alice über eine Lösung nach, wie man den Katzen den Hof der Tankstelle verleiden konnte, ohne sie erschlagen zu müssen. Kurz vor dem Einschlafen hatte Alice eine Idee. Am nächsten Tag ging sie in ein Geschäft, das Spielwaren anbot. Dort erstand sie eine große Wasserpistole, denn sie wusste, dass Katzen kaltes Wasser nicht mochten. In den nächsten Nächten übernahm Alice das Aufstehen, wenn die Alarmklingel losging und spritzte die Katzen nass, so oft sie sie erwischte. Nach ein paar Tagen kamen die Katzen seltener und die Laune von Alices Vater besserte sich wieder. Menschliche Plünderer ließen sich aber nicht blicken. Dennoch kauften Alice und ihr Vater ein paar Paletten voller Steine, um eine Mauer um die Tankstelle zu ziehen. Denn auf Dauer hielt Alices Vater eine Mauer mit Stacheldraht auf der Mauerkrone für eine sicherere Lösung als einen reinen Drahtzaun. An frostfreien Tagen lernte Alice jetzt also das Mauern von ihrem Vater, der es schon vorher leidlich gekonnt hatte. Nachdem sie den Bogen erstmal raus hatte, fand Alice das Mauern recht einfach und die Mauer zog sich bald um das gesamte Grundstück.
29 "Warum kommen hier wohl keine der gefürchteten Plünderer hin?" fragte Alice ihren Vater, als sie gerade an mit den letzten Mauerarbeiten beschäftigt waren. "Bisher sind keine gekommen, aber ob das so bleibt, wissen wir noch nicht. Ich könnte mir aber vorstellen, dass die jungen Leute, die diese Banden bilden, einfach zu faul sind, sich weit von der Stadt weg zu bewegen." "Leuchtet ein. Die Gruppen, von denen im Fernsehen berichtet wird, wenn es wieder so einen Überfall gab, bestehen fast immer nur aus Jungvolk. Städtischem Jungvolk, das vermutlich aus den Stadtteilen der Unterschicht kommt." "Genau, Großstadtbanden, die aus Langeweile mal einen Ausflug aufs Land machen. Aber zu Fuß kommen sie nicht weit und für ihre Fahrzeuge fehlt der Kraftstoff. Aber sicher können wir hier trotzdem nicht sein, darum ist es gut, dass wir jetzt eine ordentliche Mauer haben." Statt Plünderern kam wenige Tage später ein weiterer Behördenmensch. Er kam vom LandesVermögensamt, einem Amt, von dem weder Alice noch ihre Eltern bisher gehört hatten. Im Gegensatz zu dem schrecklichen Herrn Storzig war er jedoch höflich, schaute sich auf dem Grundstück um, notierte einiges und verschwand dann wieder. Nicht lange danach drängten sich im Tankstellenladen plötzlich Kunden, die man dort seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Alice kannte einige der Leute von der Armenspeisung auf dem Trautmannhof, andere waren ihr völlig unbekannt. Sie kauften wie besessen. Schon nach wenigen Stunden war die Hälfte der Ladenregale leer. Alice erkundigte sich bei einer Bekannten, woher sie plötzlich soviel Geld hatte.
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"Vom Bürgeramt. Arbeitslosenknete. Echt ne tolle Sache! Die haben wohl eingesehen, dass das mit ihren Lebensmittelzuteilungen nicht funktioniert. Und jetzt gibt's wieder Geld. Damit wollen die bestimmt die Wirtschaft ankurbeln." "Sieht so aus." Gegen Mittag waren sie fast ausverkauft und Alice fragte ihre Mutter, ob sie aus dem Keller Nachschub holen sollte. "Mach mal langsam!" entschied Alices Mutter. "Wir haben ja nicht unbegrenzt viele Vorräte und bekommen sie auch nicht nach. Außerdem fühlt sich das hier irgendwie merkwürdig an." "Finde ich auch, da stimmt was nicht. Die ganze Zeit schon frage ich mich, woher der Staat plötzlich soviel Geld hat." "Die meisten der Kunden haben neue Scheine. Das ist zwar nichts besonderes, aber auch nicht normal." "Sehr merkwürdig das alles. Aber wo wir schon soviel Bargeld in der Kasse haben, sollten wir vielleicht versuchen, ob wir endlich genug Stacheldraht im Baumarkt bekommen können. Ob ich Vater mal danach fragen soll?" "Ja Mädchen, mach das mal. Aber komm dann bitte gleich wieder, damit wir hier dem Ansturm Herr werden. Einen Eintopf könnten wir ja auch nachkochen, damit die Kunden wenigstens irgendwas kaufen können. Und vielleicht noch ein oder zwei Kuchen, die sind besonders gut weggegangen." "Alles klar." Alice fand ihren Vater bei der Reinigung der ausverkauften Zapfanlage. Seit dem Wintereinbruch gab es nur noch selten Lieferungen aus der Biogasanlage, aber das war wohl normal, weil im Winter kaum Grünmasse wuchs. Daher wurde die Biogasanlage zur Zeit nur mit Kuhdung betrieben und das ergab keine großen Mengen. Der Vater war auch sehr skeptisch angesichts des Käuferansturms, aber er hielt es für eine gute Idee, das eingenommene Geld im Baumarkt zu investieren. Der Baumarkt lag gleich um die Ecke, aber um die Einkäufe transportieren zu können, nahm Alices Vater seinen Kombi. Sobald ihr Vater unterwegs war, eilte Alice wieder zurück in den Laden und half ihrer Mutter, die angewachsene Kundenschlange abzuarbeiten. Danach ebbte der Ansturm etwas ab, was aber nicht daran lag, dass weniger Kunden kaufen wollten, sondern weil die Regale sich zusehens leerten. Alices Mutter eiste sich von der Kasse los und begann, einen zusätzlichen Eintopf zu kochen. Kaum war der Eintopf fertig, wurde er Alices Mutter förmlich aus den Händen gerissen, so schnell kauften die Kunden die Portionen. Dann kam auch Alices Vater zurück und machte ein sauertöpfisches Gesicht. "Genau wie hier. Die Leute kaufen wie verrückt und haben den Laden schon fast leergekauft. Stacheldraht gab es natürlich nicht, aber ich habe ein paar Bretter und einige Eimer Farbe ergattert. Die kann man immer gebrauchen." "Da ist was faul an der Sache", Alices Mutter wiegte ihren Kopf hin und her, als würde sie noch überlegen, ob sie ihn schütteln sollte. "Gut erkannt!" der alte Herr Hirzler hatte den Laden betreten und die letzten Worte der Mutter gehört. "Und was?" wollte Alice wissen, denn sie hatte Herrn Hirzler bei den Trautmanns kennen- und schätzen gelernt und war an seinem Urteil interessiert. "Das verrate ich Ihnen erst, wenn Sie mir vorher die beiden letzten Stücke Kuchen verkaufen." "Aber gerne doch! Wir backen sowieso gleich nochmal nach", die Mutter griff nach den Kuchenstücken, platzierte sie auf einem Pappteller und wickelte sie fachmännisch in Papier ein. Dann überreichte sie das Päckchen Herrn Hirzler. "Gut, das hätten wir. Ich sag Ihnen: wir bekommen eine Inflation. Und zwar eine galoppierende." "Wie kommen Sie denn darauf?" "Schauen Sie sich doch um. Soviel Geld wie heute gab es schon lange nicht mehr. Bestimmt hat der Staat das einfach gedruckt. Und das bedeutet, dass das Geld nichts mehr wert ist, zumindest deutlich weniger als vorher. Spätestens morgen geht das los mit den Preissteigerungen, Sie werden sehen."
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"Und was machen wir da am besten?" fragte Alices Mutter äußerst besorgt. "Erstmal nur noch langsam verkaufen. Das Geld, das Sie heute einnehmen, ist morgen wahrscheinlich viel weniger wert. Wenn Sie Geld haben, am besten ausgeben, falls Sie noch etwas zu kaufen finden." "Das habe ich gerade schon versucht, aber der Baumarkt ist auch fast ausverkauft." "Sehen Sie! Das ist kein gutes Zeichen. Am besten steigen Sie vorerst auf Tauschhandel um, bis sich die Situation wieder beruhigt." "Tauschhandel? Klingt eigentlich vernünftig. Betreiben wir teilweise sowieso schon. Sprit gegen Wein, Sie wissen schon." "Sehr gut, so werden Sie bestimmt durchkommen. Ach wissen Sie, das letzte Baguette da in Ihrem Ständer, das hätte ich auch gerne." Alices Mutter sah auf das Baguette, dann auf Herrn Hirzler und dann wieder auf das Baguette. Man sah, wie es in ihrem Kopf arbeitete. Am liebsten hätte sie das Baguette wohl behalten, aber dann gab sie sich einen Ruck und steckte das Baguette in eine passende Langtüte. Immerhin hatte Herr Hirzler ihnen die drohende Gefahr erklärt. Als Herr Hirzler bezahlt und den Laden verlassen hatte, beschlossen Alices Eltern mit einem kurzen geflüsterten Wortwechsel, den Laden vorerst zu schließen, um über die Situation nachdenken zu können. Alices Vater stellte sich an den Eingang und wies die Kunden ab mit dem Hinweis, dass sie ausverkauft seien. Schließlich verließ der letzte Kunde den Laden. Alices Mutter öffnete die Kasse und starrte entgeistert auf die vielen Scheine, die ihr entgegenquollen. "Und was machen wir jetzt? Mit diesem ganzen Geld, das morgen vielleicht schon wertlos ist?" "Gute Frage. Einfach hier liegenlassen ist bestimmt nicht das Richtige", der Vater runzelte sorgenvoll die Stirn. "Mir fallen zwei Möglichkeiten ein", meldete sich Alice zu Wort. "Immer heraus damit!" "Einerseits könnten wir mal bei der Mühle anrufen und fragen, ob die noch etwas liefern können. Denn mit Getreideprodukten liegen wir bestimmt nicht falsch und ich gehe mal davon aus, dass man Einkauf in Supermärkten heute vergessen kann." "Gute Idee und das Andere?" "Mit dem restlichen Geld könnte ich zur Bank gehen und versuchen, es so gut wie möglich anzulegen. Gold kaufen, Aktien von Fahrradherstellern oder Produzenten von Biogasanlagen. Sowas in der Art, Hauptsache kein Geld. Vielleicht auch in Schweizer Franken umtauschen. Das müsste ich sowieso mit meinem eigenen Restgeld machen, das noch auf der Bank liegt." "Das klingt vernünftig. Dann könntest du bei der Gelegenheit auch noch das Geld von unserem Konto anlegen. Aber investier bloß nicht in unseriöse Firmen." "Bewusst würde ich das natürlich nie machen, aber in der Eile kann ich natürlich nicht gründlich überprüfen, welche Zukunftsaussichten die Firmen habe, von denen ich Aktien kaufe. Am besten streue ich die Investitionen, dann tut es nicht so weh, wenn sich eine Wahl als schlecht herausstellt. Außerdem ist es ja sowieso kein großes Vermögen, sondern nur ein paar letzte Notgroschen." "Alles klar, ich übernehme den Einkauf bei der Mühle. Gleich kann ich dir sagen, wieviel Geld ich mitnehme", Alices Vater eilte zum Telefon. "Und ich halte hier die Stellung und bereite ein verspätetes Mittagessen vor, denn wenn ihr wiederkommt seid ihr bestimmt sehr hungrig." "Au ja, Mami, du bist ein Schatz. So, ich ruf gleich mal bei der Bank an und versuche einen Eiltermin zu bekommen." Nach kurzer Zeit kam Alices Vater wieder in den Laden und nahm mehrere Bündel Scheine aus der Kasse. "So, der Rest ist für dich", sagte er auffordernd zu Alice und bestieg sein Auto. Alice nahm den größten Teil des Restgeldes aus der Kasse, küsste ihre Mutter zum Abschied und fuhr mit dem Fahrrad zur Bank. Ihr persönlicher Bankberater hatte ihr einen spontanen Termin gegeben. Als Alice die Bank betrat, staunte sie darüber, dass das möglich gewesen war, denn in der
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Bank herrschte Hochbetrieb. Ob es daran liegt, dass ich eine mittelgroße Summe anlegen will, wenn man in Kleinstadtmaßstäben denkt, oder daran, dass wir mal gemeinsam die Schulbank gedrückt haben? Hauptsache ich werde ich gleich mein Geld los. "Willkommen Alice!" sagte der Banker und reichte Alice seine schweißtriefende Hand. Bestimmt hat der heute viel Stress und darum so feuchte Hände. "Leider haben wir heute nicht viel Ruhe, aber ich konnte einen kurzen Termin einschieben. Womit kann ich dir dienen?" "Ich möchte Bargeld und das Geld von meinem Konto und den Konten meiner Eltern in Sachwerte anlegen." "Merkwürdig, da bist du heute nicht die Erste. Hier kann ich dir unser Portefeuille vorstellen. Wir bieten einige hochinteressante Fonds an zu sehr günstigen Konditionen." "Schnickschnack, an Fonds bin ich nicht interessiert. Ich will etwas Handfestes, etwas, das echte Zukunft hat." Obwohl Alice fest vorgehabt hatte, die Angelegenheit schnell hinter sich zu bringen, zog sich das Gespräch doch etwas hin, bis sie mit ihren Investitionen zufrieden war. Nach geleisteten Unterschriften verabschiedete sie sich und wurde ihr zufriedenes Lächeln gar nicht wieder los, bis sie zuhause eintraf. Auch ihr Vater war schon zurück, den ganzen Kofferraum voller Getreideprodukte. "Na, was hast du angeschafft? Bei welchen Firmen sind wir jetzt kleine Teilhaber geworden?" "Ihr werdet staunen! Kommt mal mit raus! Seht ihr dort hinten, hinter unserem Kartoffelacker das übernächste Feld? Das habe ich uns gekauft. Zwei Hektar, spottbillig. Da können wir nächstes Jahr noch viel mehr Kartoffeln anbauen." "Im Ernst? Keine Aktien? Hm, wenn ich es recht bedenke, dann ist das gar nicht so schlecht. Da wissen wir wenigstens, was wir haben. Nämlich viel Arbeit, aber auch genug zu essen, wenn wir die Arbeit bewältigen. Hast du gut gemacht, meine Tochter!" der Vater klopfte Alice stolz auf die Schulter. "Ein paar Aktien waren auch noch drin. Die meisten bei einem Fahrradhersteller, wie schon angekündigt." "Klingt alles sehr solide", fand auch Alices Mutter. "Jetzt gibt es aber erstmal was zum Mittagessen." "Geld haben wir jetzt natürlich kaum noch. Alles ausgegeben", warnte Alice, aber das schien angesichts der kommenden Wertlosigkeit des Geldes niemanden zu stören. Nach dem Essen legte sich Alices Mutter eine Weile hin, weil sie vor lauter Aufregung Kopfschmerzen bekommen hatte. Alice und ihr Vater setzen sich zusammen und überlegten, in welcher Form sie am nächsten Tag die Tankstelle wieder aufmachen wollten. Am Abend konnte man es schon in den Nachrichten hören und am nächsten Morgen stand es in allen Zeitungen, dass in Deutschland die Inflation ausgebrochen war.
30 Im Laden gab es bis auf Weiteres ein verkleinertes Angebot. Das Autozubehör war sowieso ausverkauft und auf die Schnelle nicht zu ergänzen und die Waren aus dem eigenen Vorratskeller war mehr als spärlich. Bald jedoch füllten sich die Regale mit Weinflaschen, denn im Zuge des Tauschhandels wurde Alices Familie vorwiegend Wein angeboten, mehr Wein als sich Käufer dafür fanden. Die Preise mussten jeden Tag neu festgelegt werden, was Alice sehr nervig fand, denn es war ihre Aufgabe, sich morgens im Netz über den aktuellen Wert der Währung zu informieren und dann neue Preisschilder zu beschriften. Nach wenigen Tagen entwickelte sie eine einfache Umrechnungsfunktion in ihrer Tabellenkalkulation, das für die gängigen Produkte alle Preise auf einmal hochrechnete. Für die Regale konnte sie beschriftete Preisschilder drucken und für ihre Eltern an der Kasse eine Liste. Trotz dieser Arbeitserleichterung ärgerte sich Alice über die ständigen Preisänderungen, denn sie musste täglich alle Preisschilder neu ausdrucken, zurechtschneiden und an Ort und Stelle in die
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Halterungen friemeln. Am schlimmsten war jedoch, dass man das Geld immer sofort wieder ausgeben musste. Daher nahmen sie am liebsten Schweizer Franken an, denn der war weiterhin stabil. Als eine neue Währung namens Regio Franken auftauchte, nahm die Tankstellenfamilie dieses Zahlungsmittel sehr gerne in ihr Repertoire auf. Innerhalb von einer Woche liefen die meisten Geschäfte über diese regionale Währung. Weihnachten näherte sich und Alice überlegte, ob sie nach Freiburg fahren sollte, um Geschenke für ihre Eltern zu kaufen. Aus Freiburg waren jedoch unerfreuliche Nachrichten gekommen, und so versuchte Alice ihr Glück lieber in Breisingen, wo sie nach einigen Anläufen zufriedenstellend fündig wurde. Für den Laden buken die beiden Frauen jetzt täglich Plätzchen und Stollen, die reißenden Absatz fanden. Die teureren Plätzchen waren bei den wohlhabenderen Kunden sehr beliebt, weil Alices Mutter mehrere alte Familienrezepte einsetzte, die an Geschmack kaum zu überbieten waren. Für die ärmeren Kunden hatte Alice mehrere Rezepte mit billigen Zutaten entwickelt, die trotzdem gut schmeckten. Zuerst war sie erstaunt gewesen, dass sich die Armen überhaupt Weihnachtsgebäck leisteten, aber viele verbanden damit wohl wichtige Wohlgefühle und hatten durch das frühere Überangebot in den Supermärkten nie gelernt, selbst Kekse zu backen. In den großen Läden gab es jetzt nur noch an guten Tagen Spekulatius und ansonsten kaum Gebäck. Zwei Tage vor Weihnachten packten Alice und ihre Mutter an die hundert kleine Gebäckpäckchen, um ihre Stammkunden zu beglücken. Sie waren so damit beschäftigt, die Tankstelle in einen festlichen Zustand zu versetzen, das kaum Zeit für private Festvorbereitungen blieb. An Heiligabend gab es noch einmal einen regelrechten Ansturm von Kunden, die erst in allerletzter Minute ihre Geschenke kauften. Bei dieser Gelegenheit ging der Wein weg wie warme Semmeln, sehr zu Zufriedenheit von Alices Vater, der sich schon Sorgen über die vielen Weinflaschen gemacht hatte, die sie von den Weinbauern eingetauscht hatten. Erst kurz vor dem Weihnachtsgottesdienst schlossen sie den Laden. In aller Eile zogen Alice und ihre Mutter sich um und dann hasteten sie zur Kirche. Dort fiel es Alice schwer, von der Hetze der letzten Tage herunterzukommen und still zu sitzen. Im Laufe der Stunde fand sie jedoch Ruhe und die Predigt half, neue Zuversicht in dieser schwierigen Zeit zu finden. Zuhause bei der Bescherung fühlte Alice sich dann in ihre Kindheit zurückversetzt. Von den Sorgen der letzten Monate war nichts zu spüren und der Weihnachtsbaum leuchtete wie in alten Zeiten. Alices Mutter freute sich sehr über die Weste, die Alice für sie erstanden hatte und dem Vater war anzusehen, dass er am liebsten gleich mit dem Akkuschrauber ein paar Schrauben reingedreht hätte. Alice bekam von ihren Eltern ein dickes Buch von ihrer Lieblingsautorin und eine Strickjacke, die sie sehr gut gebrauchen konnte. Die Weihnachts-CD spielte grauenhaft kitschige Versionen der Weihnachtslieder aber sie trug dennoch zur festlichen Stimmung bei. Am nächsten Tag schlief Alice lange aus, denn an diesem Tag hatte die Tankstelle ausnahmsweise geschlossen und keinerlei Pflicht rief. Alices Mutter werkelte jedoch schon frühzeitig in der Küche und betreute die Gans, die im Ofen schmorte. Als Alice schlaftrunken in der Küche erschien, duftete das ganze Haus schon nach dem köchelnden Festschmaus. Plötzlich klingelte es völlig unerwartet. Klingeln an der Haustür war ein seltenes Ereignis, denn meistens kamen eventuelle Gäste direkt in den Laden, der normalerweise immer geöffnet war. "Wer mag das sein? Am Feiertag? Erwarten wir Besuch?" wunderte sich Alice. "Nicht dass ich wüsste." "Ich geh mal schauen." Alice erhob sich und öffnete die Tür. Davor stand Achim und lächelte Alice scheu an. "Du? Welch Überraschung!" "Ich hoffe, eine angenehme Überraschung. Fröhliche Weihnachten!" "Dir auch frohe Weihnachten. Magst du reinkommen und einen Kaffee mittrinken?" "Gerne, aber zuerst möchte ich dir was zeigen." "Na, da bin ich aber gespannt."
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"So ist es recht, das sollst du auch sein. Komm!" Alice verließ das Haus und folgte Achim. Er ist echt ein prima Kerl. Wie angenehm es sich anfühlt, neben ihm zu gehen. Was er mir wohl zeigen will? "Voila! Für dich!" Achim deutete auf einen funkelnagelneuen Fahrradanhänger. "Für mich? Du meinst den Anhänger? Im Ernst? Sowas Tolles?" "Ja genau, den Anhänger habe ich für dich gebaut. Ich dachte mir, du kannst ihn gut gebrauchen." "Und wie! So einer hat mir die ganze Zeit über gefehlt. Ich bin fassungslos", Alice stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Achim auf die Wange. Am liebsten würde ich ihn ja richtig in den Arm nehmen und drücken. Aber vielleicht mag er das ja nicht. "Vielen tausend Dank!" "Freut mich, dass er dir gefällt", Achim wirkte verlegen. "Jetzt wird mir auch schlagartig etwas klar. Komm mit rein, denn ich habe auch etwas für dich." "Tatsächlich? Damit habe ich ja überhaupt nicht gerechnet." Ob ich ihm sagen soll, dass ich es auch erst seit eben weiß? Oder dass ich beim Stricken immer wieder an ihn gedacht habe und mich wunderte warum? Am besten sag ich keins von beiden. Alice ergriff Achim bei der Hand und zog ihn ins Haus. Dann die Treppe nach oben, bis in ihr Zimmer. "Und jetzt die Augen zu!" ordnete sie an. "Ok", brav schloss Achim seine Augen. Nach kurzer Zeit hatte Alice den frisch gestrickten Pullover hervorgeholt. Sie hielt ihn an Achims Oberkörper. Passt genau! Mann, was ich bin froh. Das wäre sonst echt peinlich gewesen, wenn er nicht gepasst hätte. Als hätte ich geahnt, für wen er sei soll. "Augen auf!" Achim öffnete seine Augen und traf Alices Blick. Für mehrere Sekunden sahen sie sich an - wortlos. Dann schien Achim wie aus einer Trance zu erwachen und schaute an sich herunter. "Dieser Pulli? Echt? Für mich?" "Ja, für dich!" "Fantastisch!" Achim zog seine Jacke aus, dann sein Sweatshirt aus maschineller Produktion und schlüpfte in den Pullover. Er saß wie angegossen. "Er ist einfach herrlich! Von dir gestrickt?" "Ja, und gesponnen. Mit Wolle von hiesigen Schafen." "Du überraschst mich immer wieder. Was du alles kannst! Da fällt mir ein, dass ich in letzter Zeit ab und zu mal ein Spinnrad in eurem Laden gesehen habe." "Genau, damit habe ich die Wolle gesponnen." Einen Moment dachte Alice, Achim würde sie stürmisch in seine Arme schließen. Doch dann zuckte er kurz zurück und begnügte sich mit einem Kuss auf die Wange. Ob er mich nicht mag? Doch, bestimmt mag er mich, sonst hätte er ja keinen Fahrradanhänger für mich gebaut. Aber das wars dann wohl auch schon. Es ist gut, so einen patenten Kumpel zu haben. "Komm mit in die Küche. Es gibt auch Kekse und Stollen." Zusammen gingen sie in die Küche. Alice war versucht, wieder nach Achims Hand zu greifen, ließ es aber bleiben, weil es ihr peinlich war. "Oh, guten Tag Herr Müller! Fröhliche Weihnachten! Der Pullover steht Ihnen aber ausgesprochen gut. Alice, ich wusste ja gar nicht, dass du den für ihn strickst. Wollen Sie nicht zum Essen bleiben, Herr Müller? Die Gans ist sowieso viel zu groß für uns drei", Alices Mutter schien ganz aufgekratzt angesichts des Besuches. "Ja, gerne, wenn ich Ihnen nicht zur Last falle." "Aber nein, überhaupt nicht. Nehmen Sie nur Platz!" Alice Mutter warf ihrer Tochter einen verschörerischen Blick zu, der Alice suspekt war. Sie merkte, wie sie rot anlief.
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31 Nach Weihnachten wurde sehr schnell deutlich, dass Alices Vater mit seiner Hungersnotwarnung Recht behalten sollte. Im Chaos der Inflation und der Weihnachtsvorbereitungen war die Lebensmittelknappheit völlig untergegangen, aber jetzt wurde offenbar, dass kaum noch Lebensmittel angeboten wurden. Wer keine Vorräte hatte, konnte nicht mehr genug kaufen, um satt zu werden. Es sei denn er besaß ein Vermögen, denn die wenigen Nahrungsmittel, die angeboten wurden, waren horrend teuer, selbst wenn man die Inflationsrate rausrechnete. Alice Vater hatte ihre Vorräte streng auf die verbleibenden Monate bis zur nächsten Ernte eingeteilt. Dabei war erschreckend klar geworden, dass die vielen eingemachten Gläser kaum für den eigenen Bedarf reichen würden. Auch mit ihren Getreidesäcken würden sie nicht bis zum Sommer durchhalten können. Und die Mühle war restlos ausverkauft. Immer wieder hämmerte Alices Vater Mutter und Tochter ein, dass erst im Hochsommer Erleichterung zu erhoffen war. Doch Alices Mutter bestand darauf, wenigstens einfache Mahlzeiten weiterhin anzubieten, denn sie befürchtete Ärger mit den Stammkunden. Nach wiederholten Streits zwischen den sonst so harmonischen Ehepartnern beschloss Alices Vater, ins benachbarte Frankreich zu fahren, um dort nach Lebensmittelangeboten zu suchen. Alice fuhr mit, denn sie konnte leidlich französisch, im Gegensatz zu ihrem Vater. Jenseits der Grenze klapperten sie einen Bauernhof nach dem anderen ab, aber überall erhielten sie die Auskunft, dass die Bauern ihren Mais für die Kühe bräuchten, die sonst verhungern würden. Mehrmals wurden Vater und Tochter sogar recht harsch des Hofes verwiesen. Doch dann, schon zwanzig Kilometer im Landesinneren, stießen sie endlich auf einen Landwirt, der die allgemeine Not in bare Münze umsetzte. Er hatte eine Milchkuh geschlachtet und daher gab es nicht nur Rindfleisch zu kaufen, sondern auch den freigewordenen Mais. Das Fleisch schien zäh und war kostspielig und der Mais steinhart. Es war unklar, ob die Mühle auf der deutschen Seite in der Lage war, diese großen Körner zu Mehl zu vermahlen. Dennoch kauften Alice und ihr Vater soviel wie ihr Kombi fassen konnte. Schwer beladen fuhren sie wieder nach Hause, mit einer Unterbrechung bei der Mühle. Der Müller stöhnte zwar über die Aufgabe, Maismehl zu mahlen, doch dies war nicht sein erster Auftrag dieser Art und nachdem Alices Vater ihm einen Preisaufschlag angeboten hatte, erklärte er sich bereit, den Mais zu mahlen. Als das geklärt war, ging alles recht schnell und das Mehl wurde in Säcke abgefüllt. Alices Mutter war begeistert über die mitgebrachte Beute. Das Rindfleisch wurde großteils eingefroren, damit es eine Weile halten würde. Dann kochte Alices Mutter einen Maiseintopf mit Fleischstückchen. Obwohl das Fleisch tatsächlich so zäh war, wie befürchtet, trotz langer Kochzeit und der Eintopf in guten Zeiten wohl von keinem der Kunden angerührt worden wäre, strömten die Menschen von allen Seiten herbei, um eine Portion Eintopf zu erstehen. Angesichts dieses Erfolges machten sich Alice und ihr Vater jetzt regelmäßig auf den Weg nach Frankreich und meistens kamen sie mit Nahrungsmitteln zurück. Doch es gab immer nur Mais und Rindfleisch. Obwohl Alices Mutter sich viele verschiedene Rezepte für Maismehl und Rindfleisch ausdachte und auch ihre Vorräte einsetzte, um mehr Vielfalt in ihr Angebot zu bringen, murrten die Gäste bald über das eintönige Essen. Alice tröstete ihre Mutter und machte ihr klar, dass die Meckerer woanders gar nichts zu essen bekommen würden. Schon Ende Januar begannen sie Gewächshäuser zu bauen, um eine möglichst frühe Gemüseernte erzielen zu können. Für das erste Gewächshaus nahmen sie die alten Fenster, die beim Einbau neuer Isolierfenster übrig geblieben waren. Alices Vater freute sich, dass er damals darauf bestanden hatte, die alten Fenster aufzuheben. Das nächste Gewächshaus musste mit dicker Folie bespannt werden, denn die Fenster reichten nicht mehr. Die Folie kostete ein kleines Vermögen, weil sie aus Erdöl hergestellt worden war. Gibt es eigentlich überhaupt noch etwas, was billig ist? Ein Haarschnitt vielleicht und elektronischer Schnickschnack. Aber alles Lebenswichtige ist fast unbezahlbar
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geworden. Was waren das für goldene Zeiten, als alle schon wegen der Krise gejammert haben, aber die Supermärkte überquollen und sich mit Niedrigpreisen gegenseitig überboten. Von Hungertoten wurde kaum berichtet, aber überall munkelte man, dass eine Menge Menschen an normalerweise harmlosen Krankheiten starben. Erkältungen wuchsen sich zu Lungenentzündungen aus, weil die abgemagerten Menschen den Krankheiterregern kaum Widerstand entgegensetzen konnten. Kleine Verletzungen entzündeten sich und streckten die Menschen mit Blutvergiftungen darnieder. Übergewichtige wurden zur Seltenheit. Viele der Menschen, die jahrelang unter ihrem überflüssigen Fett gelitten hatten, schmolzen dahin wie Schnee in der Sonne. Die meisten waren froh darüber, doch Alice ertappte sie immer wieder bei Seitenblicken auf die mageren Leute mit eingefallenen Wangen, die sich immer mehr verbreiteten. Dabei galten die Zustände im Südwesten noch als paradiesisch. Im Norden und Osten sollten wirklich schlimme Bedingungen herrschen, vor allem in den Großstädten. Auch Annette wusste Schreckliches zu berichten. Für sich selbst hatte sie genügend Vorräte und auch für das kleine Mädchen, das sie durchfütterte. Ihrem Wohnblock ging es besser als benachbarten Häusern, weil Annette viele der Bewohner rechtzeitig ermuntert hatte, sich Vorräte anzulegen, als es noch bezahlbar war. Ihr Häuserblock hatte sich zu einer Festung entwickelt und sie mussten ihre halbwegs günstige Situation mit allen Kräften verteidigen. Als sie davon las, war Alice froh, am Rande einer langweiligen Kleinstadt zu leben. Doch dann kam die erste Ahnung vom Frühling und brachte wieder neue Hoffnung. Alice säte Radieschen und Möhren im Garten und das ganze Haus stand voller Schalen, in denen die Gemüsesamen keimten. In freien Momenten hatte Alice begonnen, endlich einen Scheffler-Spiegel zu bauen, denn sie wollte die Kraft der Sonne möglichst das ganze Sommerhalbjahr über ausnutzen. Glas gab es plötzlich im Überfluss, denn in der Stadt war ein Häuserblock abgerissen worden. Die verwertbaren Einzelteile wurden relativ günstig verscherbelt. Natürlich nutzten Alice und ihr Vater dieses Glasangebot auch, um ein weiteres Gewächshaus hinzustellen, aber für Alice war es interessanter, den Scheffler-Spiegel zu realisieren. Alice grübelte gerade über den Schwierigkeiten bei der Konstruktion des Gestells und überlegte, ob sie Achim um Hilfe bitten sollte, als sie sah, dass der Postbote kam. Sie eilte ihm hinterher, denn sie wartete auf ein Bauteil zur Nachführung des Spiegels, damit er immer optimal in der Sonne stand. Anstelle dieses Bauteils brachte der Postbote jedoch ein Einschreiben, das er Alices Mutter überließ. Diese betrachtete den Umschlag stirnrunzelnd und riss ihn schließlich auf. Sie entfaltete das Schreiben und vertiefte sich in seinen Inhalt. Als Alice gerade fragen wollte, was in dem Brief stand, schrie Alices Mutter plötzlich auf, griff sich an den Kopf und sank zu Boden.
32 Alice eilte zu ihrer Mutter und beugte sich über sie. Die Mutter lag mit geschlossenen Augen gekrümmt auf der Türschwelle und rührte sich nicht mehr. "Mami, Mami, was ist mit dir?" rief Alice voller Entsetzen. Was hat sie nur? Sie ist bewusstlos! Was mach ich nur? Atmet sie noch? Schwer zu erkennen. Am besten, ich versuche erstmal, den Puls zu fühlen. Mit Zeige- und Mittelfinger fühlte Alice zuerst am Handgelenk und dann am Hals nach dem Puls. Sie vermeinte, ein schwaches Schlagen zu fühlen. Ob ihre Mutter atmete, konnte sie nicht sicher erkennen. In ihrer Ratlosigkeit beugte sie sich ganz tief runter zu ihrer Mutter, in der Hoffnung, mit der Haut ihres Gesichtes Atemzüge zu fühlen. Das gelang zwar nicht, aber Alice sah, wie ein Zipfel ihrer Haare sich leicht bewegte. Alice hielt den Haarzipfel direkt vor den Mund ihrer Mutter und war sich endlich sicher, Atembewegungen zu sehen. Und jetzt? Bewusstlose muss man doch irgendwie auf die Seite legen. Und dann? Oh je, hätte ich doch mal wieder einen Erste Hilfe Kurs gemacht in letzter Zeit. Also, auf der Seite liegt Mami ja schon. Worum ging es da nochmal bei dieser Seitenlage? Dass die Bewusstlosen nicht an
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Erbrochenem ersticken können und dass sie nicht umfallen können. Ok, Mamis Mund zeigt eher nach unten und erbrochen hat sie sich nicht. Und damit sie stabil liegt, halte ich sie einfach erstmal fest, bis mir was Besseres einfällt. Und nun? "Was ist denn hier los? Ich habe deine Mutter schreien gehört", zu Alices großer Erleichterung war plötzlich ihr Vater aufgetaucht. "Mami hat einen Brief geöffnet und ist dann zu Boden gefallen. Jetzt ist sie bewusstlos. Vorher hat sie sich noch an den Kopf gegriffen." "Das klingt aber gar nicht gut", Alices Vater kniete sich neben seine Frau, strich ihr über die Haare und rief leise ihren Namen. "Wir sollten sofort einen Krankenwagen rufen", schlug Alice vor. "Das geht nicht, wir sind nicht krankenversichert", tiefe Sorgenfalten durchfurchten die Stirn von Alices Vater. "Ihr seid nicht krankenversichert? Im Ernst?" "Ja, schon seit Jahren nicht mehr. Das hätten wir doch gar nicht zahlen können." "Das klingt aber gar nicht gut. Egal, Notfallbehandlungen müssen die Ärzte durchführen, auch ohne Versicherung. Und schließlich habe ich ja noch Ölderivate, wenn auch nicht mehr viele. Zur Not können wir auch die kürzlich gekauften Aktien verkaufen. Das Wichtigste ist jetzt, dass Mami in ein Krankenhaus kommt." "Gut, dann lass uns das machen. Wir nehmen das Auto, das geht schneller als ein Krankenwagen und ist auch billiger." "Wenn du meinst. Hoffentlich passiert unterwegs nichts Schlimmes." "Bis ein Krankenwagen kommt, kann auch was Schlimmes passieren. Ich schließe schnell den Laden und dann können wir los." Wenige Minuten später fuhr Alices Vater mit dem Kombi vors Haus, riss die Tür zum Rücksitz auf und klappte die Rückbank um, so dass sich hinten eine Liegefläche bildete. "Nein, so geht das nicht, das ist zu hart. Da wird sie unterwegs zu sehr durchgerüttelt. Ich hole noch geschwind eine Matratze aus dem Keller. Pass du weiter auf deine Mutter auf." Während Alice noch mal Puls und Atmung kontrollierte und vergeblich versuchte, ihre Mutter aufzuwecken, eilte ihr Vater ins Haus und kam kurz darauf mit einer Matratze zurück, die er in den Wagen schob. Mit vereinten Kräften hievten sie die bewusstlose Frau ins Auto. Bevor Alice die Haustür schloss, schob sie den bösen Brief etwas weiter ins Innere des Hauses, ohne ihn eines genauen Blickes zu würdigen. Diesen Giftzettel können wir uns auch später noch anschauen. Jetzt geht es erst mal um Mamis Leben. Sie kroch zu ihrer Mutter auf die Ladefläche und hielt sie fest, damit sie unterwegs nicht umhergeschleudert wurde. Nach kurzer Fahrt kamen sie beim Krankenhaus an. Alice stürmte zur Rezeption und erklärte kurz ihr Anliegen. "Dann bräuchte ich zuerst die Versicherungskarte und die Praxisgebühr", forderte die Schwester hinter dem Tresen sie auf. "Wir sind Selbstzahler!" antwortete Alice. "Also privat. Alles klar, Ihre Mutter wird sofort versorgt", schlagartig wurde die Schwester eifriger und klingelte nach Pflegern, um Alices Mutter abzuholen. Binnen einer Minute eilten zwei junge Männer mit einer fahrbaren Trage durch die Eingangshalle und ließen sich von Alice zum Auto führen. Fachmännisch hoben sie die Bewusstlose auf die Trage und schoben sie im Eiltempo in die Notaufnahme. Mit einem kurzen Blick verständigten sich Alice und ihr Vater darüber, dass Alice ihrer Mutter folgen und der Vater das Auto parken sollte. Gestreckten Schrittes eilte Alice hinter den Pflegern her, bis ihre Mutter in einen Untersuchungsraum geschoben wurde. Dort wurden sie schon von einem Arzt erwartet. Der Arzt vollzog eine erste Schnelluntersuchung und befragte Alice gleichzeitg, was geschehen war. "Aha, das war wohl der Sonderabgaben-Bescheid vom Vermögensamt. Ihre Mutter ist nicht das erste Opfer dieser Frechheit", erwähnte der Arzt bei Alices Schilderung der Ereignisse.
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Alice starrte den Arzt verständnislos an. Was meint er denn damit? Das bezieht sich wohl auf diesen Brief, den Mami gelesen hat. Na ja, das werde ich wohl erfahren, wenn wir wieder nach Hause kommen. "Jetzt müssen wir Ihre Mutter zunächst im Computertomographen untersuchen. Erst dann können wir sicher sein, was genau vorliegt und mit der Behandlung beginnen." "Ok, aber was hat meine Mutter für eine Krankheit?" "Es sieht sehr nach Schlaganfall aus. Von der Symptomatik her am ehesten durch eine Blutung im Gehirn." "Ein Schlaganfall, aber sie ist doch noch gar nicht so alt." "Für so eine Art des Schlaganfalls muss man nicht alt sein. Wenn die Gefäße anlagebedingt eine Schwäche haben und zugleich Bluthochdruck besteht, kann so ein Apoplex sogar in jungen Jahren auftreten. So, Sie entschuldigen mich bitte, wir müssen zum Tomographen. Anschließend erkläre ich es Ihnen genauer." "Ok." Der Arzt schob mithilfe eines Assistenten die Trage durch die Gänge. Alice musste im Wartebereich bleiben. Kaum hatte sie sich hingesetzt, kam auch schon ihr Vater auf sie zu. "Und? Was sagt der Arzt?" "Vielleicht ein Schlaganfall. Sie wird jetzt gerade untersucht." "Oh je, das klingt schlimm. Erstaunlich, wie zackig das hier alles geht. Nach meiner Lungenentzündung war ich mal hier, da haben die mich als Nichtversicherten behandelt wie den letzten Abschaum." "Hast du denen gesagt, du seist unversichert?" fragte Alice. Der Vater nickte. "Daran lags wohl, ich habe gesagt, wir seien Selbstzahler. Das ist zwar das gleiche, aber klingt wohl besser. Mami wird jetzt als Privatpatientin behandelt." "Sowas!" Alices Vater schüttelte verständnislos den Kopf. Nach überraschend kurzer Zeit erschien der Arzt und bat beide in einen Besprechungsraum. Dort erklärte er, dass Alices Mutter eine mittelkleine Blutung im Gehirn gehabt hatte, die aber schon von selbst wieder zum Stillstand gekommen sei. "Eine Operation macht daher kaum Sinn, denn das würde Ihre Frau und Mutter nur noch zusätzlich belasten. Wir behalten sie jetzt im Auge, um sicher zu gehen, dass nicht noch zusätzliche Probleme auftreten." "Ist sie denn wieder bei Bewusstsein?" fragte Alices Vater. "Bisher noch nicht, aber wir rechnen damit, dass sie in einigen Stunden wieder zu sich kommt. Erst dann werden wir sehen, in wieweit sie Schäden davongetragen hat. Wie gesagt: die Blutung steht und der betroffene Bereich ist nicht allzu groß." "Verstehe ich Sie richtig, dass man mit bleibenden Schäden rechnen muss." "Rechnen ja, aber es ist nicht sicher, inwiefern die Probleme von Dauer sind. Mit einer guten Reha bekommt man vieles wieder in den Griff." Eine gute Reha. Der denkt wohl, wir sind Millionäre. Oder ihm ist gar nicht bewusst, dass wir alles selbst zahlen müssen. Zur Not machen wir zu Hause eine Privat-Reha. Hauptsache sie kommt erst mal wieder zu sich. Dann durften Alice und ihr Vater auf die Intensivstation gehen, wo Alices Mutter bis auf weiteres untergebracht war. "Nur bis sie wieder bei Bewusstsein ist", hatte die Stationsschwester ihnen noch zugeraunt, bevor sie die beiden mit Alices Mutter alleinließ. Da lag sie nun, überall ragten Schläuche und Kabel aus ihrem Körper. Die Wand hinter dem Bett war ein einziges Flimmermeer mit Anzeigeräten, die nur ein Fachmann deuten konnte. Alice und ihr Vater setzten sich zu beiden Seiten neben das Bett und jeder hielt eine der Hände der Bewusstlosen. Verstohlen wischte Alices Vater sich eine Träne aus den Augen. Merkwürdig, dass Vater weint, und ich bin so cool. Aber einer muss ja die Fassung wahren und sich um alles kümmern. Immerhin habe ich erreicht, dass Mami hier gut versorgt wird. Wenn ich nur wüsste, was in dem schrecklichen Brief steht.
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33 Zwei Stunden später erwachte Alices Mutter. Vater und Tochter atmeten erleichtert auf, als sie sahen, wie die Lider von Alices Mutter zuerst zuckten und sich dann öffneten. "Liebes, wie geht es dir? Wie gut, dass du wieder wach bist, Liebes", die Stimme von Alices Vater drohte zu versagen. Die Tränen liefen jetzt ungehindert über sein Gesicht. Als Antwort stieß Alices Mutter unartikulierte Töne aus. Der Vater drückte die Hand seiner Frau und Alice konnte sehen, wie der Druck erwidert wurde. Nach kurzer Zeit drehte Alices Mutter ihren Kopf und sah ihrer Tochter direkt in die Augen. Doch ihre Hand drückte sie nicht. Ein entsetzlicher Gedanke durchfuhr Alice: Halbseitenlähmung. Dann erinnerte sie sich, dass solche eine Lähmung bei einem Schlaganfall wohl normal war. Und dass der Arzt gesagt hatte, es könnte wieder besser werden. Eine Schwester kam herein und kontrollierte den Zustand ihrer Patientin und der Geräte. Etwas später traf der Arzt ein, leuchtete Alices Mutter in die Augen und klopfte an verschiedenen Stellen. Dabei nickte er fortwährend und brummelte in sich hinein. "Noch können wir nichts Genaues sagen", wandte er sich nach der Untersuchung an Vater und Tochter. "Die Reflexe sind durchaus hoffnungsvoll. Wir müssen die nächsten Tage abwarten, um eine sichere Prognose treffen zu können." Nach kurzer Zeit schlief Alices Mutter wieder ein. Die Schwester teilte ihnen mit, dass dies ganz normal sei und ein Zeichen dafür, dass der Heilungsprozess einsetzen würde. Dafür bräuchte die Mutter viel Ruhe. Sie schickte Vater und Tochter nach Hause und versprach, sich zu melden, sobald sich etwas Unerwartetes ereignen würde. Da es schon dunkel wurde, akzeptierten Alice und ihr Vater, weggeschickt zu werden und machten sich auf den Heimweg. Zu Hause lasen sie zuerst den Brief, der das ganze Unheil über sie gebracht hatte. Er kam, wie erwartet, vom Landes-Vermögensamt und war ein Bescheid über eine Sonderabgabe. Der Betrag, den sie zahlen mussten, überstieg den Wert von Haus und Tankstelle um das Vielfache. Kein Wunder, dass Mami der Schlag getroffen hat, als sie das sah. Mir selbst läuft es auch eiskalt den Rücken runter. Und wenn ich die Bemerkung des Arztes richtig deute, sind wir nicht die einzigen, die so einen Bescheid bekommen haben. Das können wir ja niemals zahlen. Selbst nicht, wenn wir alles verkaufen würden. Wie kommen die nur auf die Idee? Von "Produktivwerten" schreiben die hier. Die wollen wohl alle Gewinne, die man lebenslang machen könnte, wenn die Geschäfte optimal laufen, vollständig abkassieren. Typisch Staat! Der Vater schien auch entsetzt. Er ging in den Keller, holte eine Flasche billigen Rotwein und schenkte sich das erste Glas ein. Wortlos stürzte er es hinunter. Das zweite Glas trank er etwas langsamer. Am nächsten Tag fuhr Alices Vater schon morgens in die Klinik. Alice hatte den Dienst im Laden übernommen und war fest entschlossen, eine Mahlzeit für den Mittagstisch zu kochen. Schließlich hatte ihre Mutter zusammen mit ihr die vielen Rezepte für Mais und Rindfleisch entwickelt, Alice kannte sich also aus - dachte sie. Doch dann brannte die Maissuppe an, als Alice einen Moment lang in Gedanken versunken war und nicht aufpasste. Plötzlich brach der ganze Kummer über ihr zusammen und die Tränen schossen ihr aus den Augen. Schluchzend hing sie über der missratenen Suppe und konnte sich gar nicht wieder beruhigen. Jemand strich über ihre Haar, drehte sie vom Topf weg und nahm sie in den Arm. Alice schmiegte sich an und schluchzte noch heftiger, bis sie sich allmählich wieder beruhigte. Dann erst fragte sie sich, wer sie da überhaupt im Arm hielt. Sie löste sich von ihrem Tröster, schaute nach oben und sah in das besorgte Gesicht von Achim. "Oh, du bists." "Nicht ok?" "Doch, doch! Danke, das hat gut getan."
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"Was ist denn Schreckliches geschehen? Die verbrannte Suppe ist ja bestimmt nicht die Hauptursache deines Kummers." "Stimmt." Alice erzählte Achim vom Schlaganfall ihrer Mutter und der extremen Geldforderung der Behörde. "Das mit deiner Mutter ist ja wirklich schrecklich. So einen Bescheid haben wir aber auch bekommen. Wir zahlen den einfach nicht. Stattdessen haben wir uns mit anderen zusammengeschlossen, um uns gegen diese Behördenwillkür zur Wehr zu setzen." "Da machen wir auch mit. Wir können das sowieso nicht zahlen. Und wenn ich so einen Behördenfuzzi jetzt vor mir sehen würde, würde ich ihm wohl ins Gesicht boxen bis er blutet, denn den Schlaganfall meiner Mutter kann ich denen nicht verzeihen." "Wir treffen uns von jetzt ab regelmäßig im wilden Bären. Da könnte dein Vater auch kommen oder du, falls dein Vater jetzt zu sehr mit der Krankheit deiner Mutter beschäftigt ist." "Einer von uns wird bestimmt kommen. Das lassen wir uns nicht bieten von Denen. Jetzt sollte ich aber noch eine Suppe kochen. Denn dieses verbrannte Zeug kann ich niemandem anbieten." "Soll ich dir dabei helfen?" "Wenn du Zeit und Lust hast, gerne." Schweigend schnitten sie Zwiebeln für die neue Suppe. Achims Blick wanderte nach draußen, wo immer noch das unvollendete Gestell für den Scheffler-Spiegel stand. "Was ist denn das dort draußen? Sieht interessant aus." "Das soll mal ein Scheffler-Spiegel werden." "Und was ist ein Scheffler-Spiegel?" "Das ist ein Spiegel, der sich mit dem Lauf der Sonne dreht und einen fixen Brennpunkt hat. Diesen Brennpunkt kann man ins Innere einen Hauses verlegen und beispielsweise darauf kochen. Oder man lässt Wasser kochen und betreibt damit eine Turbine, quasi als Dampfmaschine, die Strom produziert. Um die Hitze zu speichern, kann man auch Zinn schmelzen, denn dann hält sich die Temperatur bis in die tiefe Nacht. Wenn man es ganz raffiniert treibt, kann man sogar Wasserstoff mit der Hitze erzeugen, ohne den Umweg über Strom. Wie du siehst, bietet so ein Scheffler-Spiegel eine Menge Möglichkeiten. Das Beste ist aber, dass man ihn mit einfachen Mitteln bauen kann. Man braucht keine aufwendige Fabrik, wie bei der Produktion von Photovoltaikzellen." "Klingt ja faszinierend. So ein Spiegel würde mich auch reizen." "Sehr gut! Ich wollte dich sowieso um Hilfe bitten, denn mit dem Bau des Gestells habe ich Schwierigkeiten." "Weisst du eigentlich, dass du eine erstaunliche Frau bist? Wie du strickst, kochst und auch noch technische Geräte baust oder reparierst - echt klasse!" "Ach, das ist noch gar nichts gegen Annette. Die hat sich so einen Scheffler-Spiegel ganz alleine gebaut, mitten in der Großstadt. Nur ein Technikbastler, der in Indien lebt, hat ihr mit Tipps zur Seite gestanden." "Diese Annette kenne ich nicht, obwohl das natürlich sehr gut klingt, was du von ihr erzählst. Ich meinte dich und nicht unbekannte Fremde." Alice spürte, wie sie rot wurde. "Wenn du einen Moment hier auf den Laden aufpasst, dann hole ich geschwind meine Pläne für den Spiegel. Und dann muss ich dringend kochen, damit die Suppe bald fertig wird." Achim nickte und Alice stürmte in ihr Zimmer, um die Ausdrucke der Pläne zu holen. Sie übergab den Packen Papiere an Achim, der sofort anfing, sie zu studieren. Dabei warf er immer wieder Blicke durchs Fenster auf Alices angefangenes Gestell. "Du kannst gerne rausgehen und es dir vor Ort anschauen. Ich muss mich jetzt sowieso ums Essen kümmern." "Ok", Achim schien kurz zu zögern, riss sich dann aber los und ging auf den Hof. Dort umrundete er mehrmals das Gestell, bevor er sich den Details widmete und sie mit den Plänen verglich.
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Am liebsten hätte Alice weiter zugeschaut, aber dann erinnerte sie sich an ihre Suppe und setzte den frisch gescheuerten Topf auf die Herdplatte. Warum bin ich plötzlich so glücklich? Das ist ja richtig unanständig, wo Mami doch schwer krank darniederliegt. Noch bevor die Suppe in ihrem riesigen Topf kochte, kam Achim wieder in den Laden. Er sah aus wie eine Katze, die gerade eine Schale mit Sahne ausgeschleckt hatte. "Eine tolle Sache dieser Scheffler-Spiegel. Das Beste daran ist wohl, dass man ihn unabhängig von einem teuren Maschinenpark und massenhaft Produktionsenergie herstellen kann. Davon werde ich wohl auch mehrere für unseren Hof bauen und bei deinem helfe ich dir natürlich gerne. Viel Zeit habe ich heute leider nicht, aber wenn du mir zeigst, wo euer Werkzeug ist, baue ich ein Weilchen an deinem Gestell. Ich glaube zu wissen, wo dein Problem liegt." "Prima. Einen Moment, dann zeig ich dir die Werkstatt." Hastig zog Alice den Suppentopf von der Herdplatte, dann führte sie Achim zur Werkstatt. Sie erklärte ihm auch kurz, wo ihre Probleme gelegen hatten; genau da, wo Achim vermutet hatte. Während sie sich der Suppe widmete, erweiterte Achim das Spiegelgestell. Durchs Fenster konnte Alice ihm dabei zusehen. Konzentrier dich auf das Essen, Mädel! Gleich kommen die Gäste und sind hungrig. Tatsächlich, kaum war die Suppe fertig, strömten die Kunden in den Laden. Das Hauptgesprächsthema war der Bescheid über die Sonderabgabe, den alle Hausbesitzer erhalten hatten. Erst nach einer Weile fiel dem Ersten auf, dass Alices Mutter fehlte, die sonst Tag für Tag das Essen ausgab. Als Alice von dem Schlaganfall berichtete, steigerte sich der Ärger der Gäste zur Kampfeswut. Wie gut, dass niemand aus diesem Vermögensamt hier ist. Die würden den glatt zu Hackfleisch verarbeiten, so wütend sind sie. Erst als die meisten der Gäste schon weg waren, kam Achim wieder in den Laden. Er wirkte sehr zufrieden. "So! Ein Stückchen bin ich weitergekommen. Leider muss ich wieder weg, denn wir bauen einen Landwirtschaftsroboter, der bald fertig werden soll." "Ihr baut was?" "Einen kleinen Roboter, der beim Gärtnern hilft. Mit so einem Gerät kann man viel mehr Gartenfläche bestellen als ohne. Und er ist energieautark: lebt von der Sonne und den Pflanzenresten, die er ausreißt." "Ist ja toll! Sowas könnt ihr?" "Jens kann das vor allem. Ich helfe bei der Mechanik, aber er kümmert sich um die Intelligenz. Er ist nämlich eigentlich Programmierer." "Ihr überrascht mich immer wieder. Dagegen ist so ein Scheffler-Spiegel ja ein lahmer Zock." "Sag das nicht. Das Besondere an deinem Spiegel ist ja, dass er ohne übermäßig viel technischen Schnickschnack auskommt. Wann würde es dir denn passen, dass ich wiederkomme, um weiter an dem Spiegel zu arbeiten?" "Am besten wohl am frühen Vormittag, bevor ich kochen muss. Nachmittags will ich ins Krankenhaus, dann kümmert sich mein Vater um die Tankstelle. Du bist jetzt bestimmt hungrig. Darf ich dir eine Suppe anbieten - natürlich kostenlos." "Gerne. Du hast recht, ich bin ganz hungrig geworden." Alice füllte eine Suppenschale für Achim und freute sich, dass ihm die einfache Suppe zu schmecken schien.
34 Nachdem Alice die Mittagmahlzeit vollständig abgewickelt hatte, schloss sie die Tankstelle und fuhr mit dem Fahrrad zum Krankenhaus. Ihre Mutter lag inzwischen nicht mehr auf der Intensivstation, sondern in einem normalen Krankenzimmer. Durch die hochgeklappte Matratze wirkte es, als würde sie halb sitzen. Als sie Alice sah, stieß sie einen erfreut klingenden Laut aus. Alice umarmte ihre Mutter und war hin- und hergerissen, ob sie sich über die deutliche Verbesserung ihres Zustands
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freuen oder über die offensichtliche Sprachlosigkeit ihrer Mutter erschreckt sein sollte. Nach außen hin entschied sie sich für die Freude. "Der Doktor möchte gerne über Finanzen reden und ich habe ihm gesagt, er soll das mit dir besprechen. Ich hoffe, du bist damit einverstanden", sagte Alices Vater nach der Begrüßung. "Ja klar, das Finanzgespräch übernehme ich gerne. Vielleicht sollte ich das gleich erledigen, solange du noch hier bist." "Gut! War denn alles ok in der Tankstelle?" "Ja, lief wunderbar." Alice ging auf den Gang und ließ sich von der Schwester zeigen, wo sie den Arzt finden konnte. Dem Arzt schien es peinlich zu sein, Alice auf die Bezahlung des Klinikaufenthaltes anzusprechen. Doch Alice hatte keine Scheu und so entspann sich bald ein entspanntes Gespräch über das Thema. Bevor ich mein ganzes Vermögen an den Staat abliefern muss, kann ich auch dem Krankenhaus noch was zahlen. Das juckt jetzt irgendwie kaum noch. Gemeinsam vereinbarten der Arzt und Alice, dass Alices Mutter noch etwa fünf Tage im Krankenhaus bleiben würde, um im Falle eines zweiten Schlaganfalls sofort versorgt werden zu können. Danach würde sie mit einem Monitorgerät am Handgelenk und vorübergehend auch einem gemieteten, tragbaren EKG nach Hause entlassen werden. Die Messergebnisse würden ständig an die Klinik gefunkt werden, sodass im Ernstfall schnell Hilfe alarmiert werden könnte. Um zu lernen, wie sie ihrer Mutter am besten helfen konnte, wieder sprechen zu lernen und die Lähmung zu überwinden, bot der Arzt Alice eine Broschüre und mehrere Bücher an. Alice nahm diese Bücher sofort mit, denn sie wollte möglichst bald wissen, worauf sie sich einstellen musste. Dann machte der Arzt ihr noch ein Angebot für einen gebrauchten Rollstuhl und ein Gehgestell. Erstaunlich: eine Reha in einer offiziellen Klinik hat der Doc gar nicht ins Gespräch gebracht. Ihm war wohl von Anfang an klar, dass sich jemand ohne Versicherung so einen Luxus nicht leisten kannt. Die Trainingsgruppe, die vom Sportverein angeboten wird, klingt aber sehr sinnvoll und auch dass am Anfang ein paar Mal eine Krankengymnastin kommt und mir zeigt, wie ich mit Mami üben kann. Die Pflege zuhause scheint inzwischen schon der Normalfall zu sein. "Danke für Ihre Unterstützung!" sagte Alice, kurz bevor sie sich verabschieden wollte. "Hier bei Ihnen kann man sich wirklich gut aufgehoben fühlen. Selbst wenn man nicht auf das komplette medizinische Luxusprogramm zurückgreifen kann. Ganz im Gegensatz zum Staat, der seine Bürger anscheinend nur noch ausplündern will." "Stimmt, der Staat verhält sich seinen Bürgern gegenüber nicht gerade fürsorglich. Ihre Mutter ist ja nicht das einzige Opfer dieser Sonderabgabe. Wir hatten fünf Schlaganfälle deswegen hier, drei davon tödlich. Ferner sechs Herzinfarkte und zehn Selbstmordversuche. Acht weitere Selbstmorde waren erfolgreich und drei Menschen sind direkt psychotisch geworden und in Freiburg in die Psychiatrie eingeliefert worden. Und alle anderen fragen sich, wie sie diese unverschämte Forderung überstehen sollen. Selbst die Klinik hat einen Bescheid erhalten." "Im Ernst? Das hat ja erschreckende Dimensionen angenommen." "In der Tat! Wie gut, dass wenigstens Ihre Mutter auf dem Weg der Besserung ist." "Genau! Drücken Sie die Daumen, dass sie wieder sprechen und laufen lernt." "Werde ich. Einen schönen Tag noch und gute Besserungswünsche an Ihre Frau Mutter." Alice ging zurück ins Krankenzimmer und löste ihren Vater ab. Der schien erleichtert, sich wieder seiner Arbeit widmen zu können, aber andererseits fiel es ihm auch schwer, sich vom Krankenbett zu lösen. Jetzt sieht man erst ganz deutlich, wie sehr ihm an Mami liegt. Sonst bringt er das nie so klar zum Ausdruck. Dann saß Alice alleine am Bett ihrer Mutter und hielt deren unversehrte Hand. Mit Grunzlauten machte Alices Mutter ihrer Tochter klar, dass sie hören wollte, was sich seit ihrem Schlaganfall ereignet hatte. Also erzählte Alice von dem Brief und dass sie ihn boykottieren würden, was ihrer Mutter zu gefallen schien. Dann berichtete Alice von der angebrannten Suppe und dass Achim überraschend gekommen war und sie getröstet hatte. Daran nahm ihre Mutter intensiven Anteil und Alice bekam den Eindruck, dass ihre Mutter große Stücke auf Achim hielt. Also schilderte sie auch
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noch die gemeinsamen Bemühungen mit dem Spiegelbau. Mit ihren unartikulierten Lauten erreichte Alice Mutter ihre Tochter tiefer als mit all den Worten, die ihr vorher zur Verfügung gestanden hatten, die sie aber nicht geäußert hatte. Schließlich gestand Alice ihr, dass sie immerzu an Achim dachte, aber Angst hatte, sich näher auf ihn einzulassen, weil sie eine alte Enttäuschung noch nicht verwunden hatte. Außerdem war sich Alice gar nicht sicher, ob Achim mehr von ihr wollte, als eine lockere Freundschaft. Ihre Mutter reagierte heftig, als Alice diese Zweifel äußerte und machte klar, dass sie sich sicher war, dass Achim an Alice interessiert war. Über diesem intensiven Gespräch verging der Nachmittag viel schneller als erwartet und Alice war überrascht, als die Schwester kam und sie nach Hause schickte. Wer hätte das gedacht, dass ich mit meiner stummen Mutter plötzlich so tiefschürfende Gespräche führe, wo ich vorher immer nur über den nächsten Eintopf mit ihr geredet habe. Ob Achim wirklich ernsthaft an mir interessiert ist? Und ob ich mich auf ihn einlassen will? Am nächsten Vormittag kam Achim wie versprochen und half Alice beim weiteren Bau des Scheffler-Spiegels. Hunderte von kleinen Glasscheiben mussten zurechtgeschnitten und versilbert werden. Schon das Schneiden der Glasscheiben stellte für Alice eine echte Herausforderung dar. Und dann brauchte der Spiegel eine raffinierte Nachführung, damit er der Sonne folgen konnte. Um diese Raffinessen kümmerte sich Achim. Viel zu schnell wurde es Zeit zum Kochen und danach mussten Alice und Achim aufbrechen, um sich ihren anderen Aufgaben zu widmen. An den folgenden Tagen konnte Achim nicht kommen, weil der Bau des Landwirtschaftsroboters in die heiße Phase ging. Alice hatte gleich zwei davon bestellt, als ihr klar wurde, was diese Maschinchen leisten sollen. Gerade jetzt, wo sie voraussichtlich einen großen Teil des Tages mit der Pflege und Vertretung ihrer Mutter verbringen würde, konnte Alice jede Hilfe im Garten gut gebrauchen. Wie verabredet wurde Alices Mutter fünf Tage später aus dem Krankenhaus entlassen. Bei der Ankunft zu Hause entklappten Alice und ihr Vater den frisch gekauften Rollstuhl und hievten die Mutter aus dem Auto in ihren fahrbaren Sitz. Ein paar Worte konnte Alices Mutter manchmal schon wieder artikulieren, wenn auch nur für Eingeweihte verständlich. Sie machte deutlich, dass sie sich einerseits sehr freute, wieder zu Hause zu sein und andererseits extrem frustriert über ihre Hilflosigkeit war. Alice hatte schon Teile der Bücher zum Thema Schlaganfall gelesen und fürchtete sich davor, dass ihre Mutter eine Depression wegen ihrer Behinderungen bekommen könnte. Sie nahm sich vor, so fleissig mit ihrer Mutter zu üben, dass sie bald wieder beweglich und sprachfähig sein würde. Das Festessen, das Alice extra für die Heimkehr ihrer Mutter aus den Kellervorräten gekochte hatte, aß die Mutter immerhin mit gutem Appetit, was Alice mit Erleichterung erfüllte. In der nächsten Zeit wusste Alice manchmal gar nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. Die Mittagsmahlzeit in der Tankstelle, die Übungen mit ihrer Mutter und die Gartenarbeit hielten sie so in Atem, dass sie kaum dazu kam, an ihrem Scheffler-Spiegel weiter zu arbeiten. Auch Achim schien sehr beschäftigt, denn er ließ sich nur ab und zu mal blicken. Wie schade, dass wir mit dem Spiegel kaum weiterkommen. Aber die Landwirtschaft geht im Frühjahr nun mal vor. Was man im Frühling nicht anbaut, kann man für den Rest des Jahres vergessen. Die neuen Felder wurden von befreundeten Bauern gegen Lieferung von Biodiesel gepflügt. Auch der ehemalige Rasen musste diesmal nicht von Hand umgegraben werden. Wie gut, dass es jetzt im Frühling wieder mehr Biomasse gibt. Ohne würden wir und die Bauern wieder genau so traurig dastehen wie letztes Jahr. Der mühsame Aufbau neuer Hoffnung wurde durch den Besuch eine Gerichtsvollziehers unterbrochen. Doch als Alices Vater erkannte, wer da bei ihnen vor der Tür stand, entlud sich sein ganzer Zorn auf die Staatsmacht in wenigen Augenblicken. Er putzte den Gerichtsvollzieher so sehr runter und warf ihm Mord und Körperverletzung vor, dass der Staatsdiener deutlich einschrumpfte. Als es Alice schließlich gelang, ihren Vater von einem tätlichen Angriff abzuhalten, war der Gerichtsvollzieher schon auf dem Rückzug und verließ das Grundstück.
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Eines Tages brachte Achim ein Fahrrad mit drei Rädern für Alices Mutter. Es hatte eine spezielle Vorrichtung, mit der man es als Heimtrainer fixieren konnte, ohne dass es fortfuhr. Mit eingeklappter Vorrichtung war es jedoch ein richtiges Fahrrad, mit dem Alices Mutter würde fahren können, ohne in Gefahr zu geraten, umzufallen. Zwischen den beiden Hinterrädern konnte man ein Gehgestell und einen Einkaufskorb unterbringen. Alices Mutter strahlte über dieses Mitbringsel, denn sie konnte sich inzwischen zwar schon langsam am Gehgestell fortbewegen, aber das Fahrrad würde ihr die Möglichkeit geben, das Grundstück selbstständig zu verlassen. Achim und Alice halfen der Mutter auf das Rad und freuten sich, als sie eine Runde im Hof drehte. Alice war fast noch froher als ihre Mutter, denn gerade in den Tagen zuvor hatte ihr die Stimmung der Mutter ernsthafte Sorgen bereitet, doch die Gefahr der Depression schien jetzt gebannt. Eines Tages hörten sie von Angriffen des Zolls auf Dörfer und Kleinstädte. Offiziell ging es angeblich um die Eintreibung der Sonderabgabe. Alices Vater traf sich regelmäßig mit den anderen Männern der Stadt und den Nachbardörfern. Sie planten, im Falle eines Zollangriffs mit Jauche und Krähenfüßen zu reagieren. Eine Weile hatte Alice den Eindruck als hätte ihr Vater am liebsten alle abgeschlachtet, die seine geliebten Frau in die Krankheit gestürzt hatten. Aber anscheinend hatte er sich bei den gemeinsamen Treffen überzeugen lassen, dass eine gewaltfreie Reaktion besser sei, denn seine Gewaltäußerungen ließen wieder nach. Dann kam der große Tag des Kampfes und Alices Vater zog aus, um ihre Stadt zu verteidigen. Alice blieb zu Hause, um ihre Mutter und das Grundstück zu beschützen. Sicherheitshalber hatte sie sich mit der Axt bewaffnet, die ihr im letzten Herbst so gute Dienste beim Holzhacken geleistet hatte. Gegen Mittag erfuhr Alice, dass die Zolltruppen in die Flucht geschlagen worden waren und fuhr mit ihrer Mutter zum Marktplatz, wo ein Triumphfest stattfand. Ihre Mutter saß zwar noch recht unbeholfen auf ihrem Fahrrad, aber immerhin kam sie selbstständig vorwärts und dies schien beiden Frauen ebenso triumphal wie der Sieg über den Zoll.
35 Am nächsten Tag kam Achim freudestrahlend in den Garten, wo Alice gerade Unkraut ausriss. "Den haben wir es aber eingeschenkt, diesen Staatsmarionetten, nicht wahr?" "Ja, das war großartig, wie ihr das hier und in Eichingen geschafft habt. Meine Mutter kann jetzt übrigens schon mit dem neuen Fahrrad in die Stadt fahren. Das finde ich fast genau so toll. Jetzt überwacht sie alleine den Laden. Einfache Geschäfte kann sie sogar schon wieder selbst abwickeln und wenn sie nicht klar kommt, klingelt sie nach uns." "Das ist ja phantastisch! Überall gute Nachrichten. Jetzt können wir uns wirklich dem Aufbau der Zukunft widmen. Schau mal, was ich dir mitgebracht habe." Hinter seinem Rücken holte er zwei hundegroße Geräte hervor. Er setzte sie auf den Gartenweg und trat einen Schritt zurück. "Jetzt müssen sie erst mal Sonne tanken und dann gehts los. In der Wartezeit können wir uns über den weiteren Bau des Scheffler-Spiegels unterhalten. Ich habe nämlich auch die Chemikalien mitgebracht." "Das ist ja wie Weihnachten! Dann muss ich wohl nur noch meinen Ring holen und dann können wir mit dem Versilbern anfangen?" Alice hatte sich entschieden, einen Ring zu opfern, den sie sich in ihrer Jugend an einem Stand mit Asia-Kleinkram gekauft hatte. Inzwischen war ihr der Ring sowieso zu klein. "Genau! Diese Salpetersäure hier wird ihn auflösen und dann haben wir die Ausgangsbasis zum Versilbern." "Das muss ja ein aggressives Zeug sein, diese Säure." "Stimmt, muss sie aber auch, um den Ring zu verflüssigen." "Schau! Da tut sich was bei den Robotern", Alice beobachtete fasziniert, wie die erste der kleinen Maschinen sich in Bewegung setzte. Sie watschelte drollig auf das Beet zu, in dem Alice gerade gegen
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Gras und Brennesseln gekämpft hatte. Vor einer Brennesselpflanze angekommen, fuhr sie einen Greifer aus und riss die Pflanze aus dem Boden. Dann verspeiste sie die Brennessel mit einem raspelnden Geräusch. Alice war begeistert: "Ist ja toll! Und das hast du zusammen mit Jens hingekriegt?" "Ja", man konnte Achim ansehen, wie stolz er auf den Gartenhelfer war. "Und wie unterscheiden die zwischen Unkraut und Gemüse?" "Die gängigen Pflanzen haben sie in einer Datenbank und exotische Sorten kannst du ihnen beibringen." "Klasse! Und die Energie kommt durch diese Photovoltaikzellen?" "Nur die zum Start. Bei den neuen Modellen haben wir es geschafft, dass sie die Pflanzenreste direkt verdauen und in nutzbare Energie umwandeln. Darum arbeiten sie auch bei bewölktem Himmel und sogar in der Nacht gehen sie auf Schneckenjagd." "Ich bin zutiefst beeindruckt." "Das freut mich. Wenn du willst, können wir die Roboter jetzt arbeiten lassen und uns dem Spiegelbau widmen." "Glaubst du wirklich, dass die kleinen Kerlchen alleine klarkommen?" "Aber sicher. Bei uns im Garten arbeiten sie schon eine ganze Weile unbeaufsichtigt." "Gut, dann lass uns in die Werkstatt gehen." Den alten Schuppen hatte Alice zu einer Werkstatt umfunktioniert, denn nur dort war genug Platz gewesen, um die vielen Glasscheiben zu bearbeiten und die Teile für das Gestell und die Energiegewinnung auszubreiten. Alice holte den Ring aus ihrem Zimmer und überreichte ihn Achim, der ihn in ein geeignetes Gefäß legte und vorsichtig die Salpetersäure darüber goss. Man konnte zusehen, wie sich der Ring auflöste. "Was würdest du eigentlich davon halten, wenn wir beide eine Firma aufmachen, die SchefflerSpiegel anbietet?" "Eine Firma? Aber ich dachte, du bist schon auf eurem Hof und mit den Robotern schwerst eingespannt." "Stimmt, aber überall bin ich nur der Assistent. Der Hof und die Roboterfirma ist Jens' Sache. Er behauptet zwar, dass er ohne mich nicht auskommt, aber das stimmt nur teilweise. Ich würde ihm ja auch nicht verlorengehen, wenn wir eine eigenen Firma hätten. Genausowenig, wie du hier bei deinen Eltern aufhören müsstest. Ich würde aber sehr gerne auch etwas eigenes aufbauen." "Mit mir?" "Ja, am allerliebsten mit dir. Du könntest dich um die Kundenkontakte kümmern und ich baue die Spiegel." "Klingt sehr interessant! Auf Dauer würde es mir wohl auch nicht ausreichen, immer nur als Verkäuferin und Kellnerin bei meinen Eltern zu arbeiten." "Das dachte ich mir doch. Schließlich hast du ja schon in einer Firma gearbeitet, die Energieproduzenten anbot." "Ja, nur, dass die nicht liefern konnten. Ich glaube, ich brauche ein Weilchen, um über deine Idee nachzudenken. Das kommt alles sehr überraschend." "Klar, die Zeit solltest du dir nehmen." "Ich gehe mal in mein Zimmer, denn ich habe erweiterte Pläne von dem Spiegelbauer aus Indien bekommen. Der hat für das Energiemodul noch ein paar Vereinfachungen ausgetüftelt." "Tu das. Ich muss hier sowieso noch an der Nachführung weiterarbeiten." Alice spurte in ihre Zimmer und holte die Pläne. Dann suchte sie ihren Vater und fand ihn im Tankstellenladen, wo er nach der Anleitung von Alices Mutter Zwiebeln schnitt. In den letzten Wochen verbrachte er viel Zeit mit seiner Frau und hatte sogar ein wenig kochen gelernt, um sie unterstützen zu können. Voller Aufregung erzählte Alice ihren Eltern von Achims Plänen mit der Firmengründung. Zu ihrer Überraschung hatte keiner der beiden Einwände gegen diese Idee. Ihr Vater schlug ihr sogar wohlwollend auf die Schulter und die Mutter nickte heftig. Zufrieden ging Alice zurück in die Werkstatt.
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"Ich glaube, ich mache mit bei der Firma", verkündete sie. "Meine Eltern sind auch einverstanden und schienen sich sogar zu freuen." "Wunderbar!" scheu nahm Achim Alice in die Arme und gab ihr anschließend einen Kuß auf die Wange, den sie erwiderte. "Ja, Partner!" zur Besiegelung ihrer Firmenpläne ergriff Alice feierlich Achims Hand und schüttelte sie ausgiebig. An diesem Tag schafften sie es, einen Teil der vielen Glasfassetten zu versilbern. Sie schimmerten einfach herrlich, fand Alice. Von nun an kam Achim jeden Tag ein paar Stunden, um an ihrem gemeinsamen Werk weiter zu arbeiten. Und dann war es soweit: beiden war klar, dass sie den Spiegel an diesem Tag vollenden konnten, wenn sie nur lange genug dranblieben. Hunderte von spiegelnden Glasscheiben mussten am Rahmengestell befestigt werden, der Generator wurde mit der Turbine verbunden, die vom Wasserdampf angetrieben werden sollte und Rohre für die Restnutzung der Wärme mussten verlegt werden, wenn auch erst provisorisch in einen Behälter in der Werkstatt. Achim blieb zum Abendessen, das Alices Eltern angesichts des kommenden Ereignisses besonders üppig gestaltet hatten. Dann gingen Achim und Alice wieder auf den Hof, wo Alice bei Kunstlicht die letzten Spiegel montierte. Achim tüftelte noch an den Feinheiten der Energieproduktion. Kurz nach zwei Uhr nachts war der Spiegel endlich fertig. Die beiden Erbauer fassten sich an den Händen und führten mitten in der Dunkelheit des Hofes einen Freudentanz auf. Ich könnte fast platzen vor lauter Glück. Welch eine herrliche Nacht. "Und morgen scheint dann das erste Mal die Sonne darauf", freute sich Alice. "Diesen Moment sollten wir uns nicht entgehen lassen." "Stimmt eigentlich. Dann müssten wir aber fast solange aufbleiben. Denn wenn ich mich jetzt hinlege, verschlafe ich bestimmt." "Genau! Mir würde das nichts ausmachen, bis zum Sonnenaufgang zu warten, und dir?" "Mir auch nicht. Wir können uns ja gegenseitig wach halten." "Stimmt! Ich hole uns was, damit wir es uns bequem machen können." So leise sie konnte, schlich Alice ins Haus, denn sie wollte ihre Eltern nicht aufwecken. Aus dem Keller holte sie zwei Isomatten und einen Schlafsack, den man zur Decke aufklappen konnte. Zurück auf dem Hof legte sie eine Isomatte auf den Boden am Haus und die andere lehnte sie gegen die Wand, damit sie sich bequem anlehnen konnten. Sie forderte Achim auf, es sich neben ihr bequem zu machen und breitete die Decke über beiden aus. "Gut so?" fragte sie Achim. "Ja, ganz herrlich!" Zaghaft ergriff Achim Alices Hand. Sie fühlte sich warm und kräftig an. Alice schaute Achim tief in die Augen und dann küsste sie ihn - lange und leidenschaftlich. Wie göttlich er küsst. Das hätte ich ja gar nicht erwartet, wo er doch immer so schüchtern scheint. Als würde er nur seine Technik kennen. Ah, wenn dieser Moment doch nur endlos andauern würde. Die Wartezeit bis zum Sonnenaufgang verbrachten sie küssend und mit Zärtlichkeiten. Daher dauerte es gar nicht lange, bis sich im Osten ein schwach silberner Streifen zeigte. Wenige ausgiebige Küsse später schaute Achim auf seine Uhr. "Nur noch drei Minuten, dann ist es soweit." Gebannt beobachteten die beiden, wie sich die Sonne über den Horizont schob. Dann endlich traf der erste Sonnenstrahl auf den Spiegel. "Wow!" entfuhr es Achim. "Mein Gott, ist das hell!" -ENDE-
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Anhang PeakOil - was ist das? Die Erdöl-Vorräte der Erde sind endlich; das weiß fast jedes Kind. Aber da wir erst etwa die Hälfte des gesamten förder-baren Erdöls der Welt verbraucht haben, machen sich die meisten Leute keine größeren Sorgen darüber, was auch von den Regierungen und Ölkonzernen unterstützt wird. Das Problem ist aber, dass die Versorgungsengpässe beim Erdöl schon ab der Hälfte der Gesamtförderung auftreten, und dieser Zeitpunkt wird bald gekommen sein, wenn es nicht sogar schon angefangen hat.
Warum gibt es schon Probleme ab der Hälfte der Weltförderung? M.King Hubbert, ein Erdöl-Geologe, fand schon 1956 heraus, dass die Förderungsraten von Erdöl in etwa einer Glockenkurve gleichen. Bis zur Hälfte der Förde-rung eines Ölfelds steigt die Förderungsrate an und etwa ab der Hälfte sinkt die Förderungsrate. Das liegt, verein-facht betrachtet, daran, dass das Öl in einem neu ent-deckten Ölfeld von selbst aus dem Bohrloch sprudelt, wohingegen man später beispielsweise große Mengen Wasser einspritzen muss, damit man das Erdöl aus dem Boden bekommt. Es gibt vielerlei Techniken, die Förderrate eines älte-ren Ölfelds noch möglichst lange hochzuhalten, doch diese Techniken kosten alle Geld und Energie. Wenn ein Ölfeld dann soweit leergefördert ist, dass diese Techniken nichts mehr nützen, lässt die Förderrate dann schlagartig nach. Diese Gesetzmäßigkeit der Glockenkurve lässt sich auch auf die weltweite Ölförderung übertragen. Das bedeutet, wenn der Förderhöhepunkt einmal überschritten ist, wird die jährlich verfügbare ErdölMenge immer weniger, obwohl der Bedarf zur Zeit noch stark ansteigt (min. 2%/Jahr). Der Moment des weltweiten Förderhöhepunkts wird im Englischen "Peak-Oil" genannt. Auch im deutschen Sprachgebrauch schleicht sich dieser Begriff ein, um die Problematik im Zusammen-hang mit dem Förderhöhepunkt zu bezeichnen.
Wann findet Peak-Oil statt? Über das Jahr des Förderhöhepunktes gehen die Mei-nungen auseinander. Einige Erdöl-Geologen, die sich intensiv mit der Ma-terie beschäftigt haben, gehen davon aus, dass das Peak-Oil-Jahr möglicherweise schon im Jahr 2000 war. Im Jahr 2000 gab es die bisher höchste Förderquote; seit-dem ist sie etwa gleich geblieben. Wir wissen also noch nicht, ob nochmal mehr Öl gefördert werden wird, oder ob Peak Oil schon stattgefunden hat. Allerdings könnte die Förderquote im Jahr 2004 durchaus diejenige von 2000 nochmal übersteigen, weil alle Förderländer soviel fördern wie sie können, um den wachsenden Energie-hunger zu befriedigen, der vor allem durch China sprunghaft angestiegen ist. Erdölfirmen und Wirtschaftsfachleute gehen eher da-von aus, dass Peak Oil erst gegen 2020 oder später statt-finden wird. Das sollte aber mit Skepsis betrachtet werden, denn die Erdölfirmen müssen ja ihren Aktien-kurs hochhalten. Und Wirtschaftsfachleute übersehen meistens, dass irgendeine Ressource überhaupt begrenzt sein kann. Für Wirtschaftwissenschaftler ist alles eine Frages des Marktes und des Geldes. Andere Schätzungen zum Peak-Oil-Zeitpunkt liegen zwischen den Angaben vonn 2000 und 2020.
Warum ist Erdölverknappung schlimm? Dass man Erdöl für das Fahren mit dem Auto braucht, ist jedem klar. Aber auch LKWs, Flugzeuge und Schiffe brauchen Öl zum Fahren und dadurch wirken sich Ölpreissteigerun-gen auf alle Produkte aus, die weit in der Weltge-schichte rumgefahren werden (müssen).
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Viele Stromkraftwerke, vor allem in den USA, ver-brennen Öl, um Strom zu erzeugen, und wenn das Heiz-öl teurer wird, werden viele Leute ergänzende Stromheizkörper benutzen, was dann auch Strompreis-steigerungen und Stromausfälle zur Folge hat. Man kann davon ausgehen, dass alle Engergieträger teurer werden, wenn das Öl spürbar knapp wird. Jede Fabrik braucht grosse Mengen Energie, um ihre Produkte herzustellen. Auch in der Landwirtschaft wird Energie für Landma-schinen, Melkmaschinen usw. gebraucht. Das besonders Schlimme in der Landwirtschaft ist je-doch, dass auch Schädlingsbekämpfungsmittel und Dünger aus Erdöl bzw. Ergas hergestellt werden. Mit Gründüngung gedüngtes Getreide bringt nur ein Viertel des Ertrages von Getreide, das mit viel Kunstdünger angebaut wurde. Ganz ohne Düngung ist der Ertrag sogar nur ein ein Achtel des Kunstdünger-Ertrages. Das heißt, dass wir uns auf Inflation und große Hun-gersnöte einstellen müssen, wenn die Erdölförderung einen kritischen Punkt unterschritten hat. Manche befürchten sogar ein Aussterben der Mensch-heit, weil sie sich in ihrer Not wohl gegenseitig soweit dezimieren werden, dass nicht mehr genügend Men-schen übrig bleiben, um eine neue Zivilisation aufzubauen. Aber selbst wenn die Menschheit nicht am Ölmangel ausstirbt, könnte es im ungünstigen Fall zu Milliarden von Toten kommen.
Was können wir tun? Damit es nicht so ungünstig verläuft, müssen wir eine ganze Menge tun, vor allem gilt es, die Lebensweise umzustellen. Für ein komplettes Verhindern von Notsituationen ist es jetzt wohl schon lange zu spät. Wenn die ganze Menschheit in den 70er Jahren eine Kehrtwende vollzogen hätte, so wie es von damaligen Futurologen und den ersten Ökos gefordert wurde, hätte es vielleicht gerade so eben gereicht, um Katastrophen zu verhindern. Aber jetzt sind die erdölverbrauchenden Strukturen so gewachsen und verfestigt, dass sie sich nur unter großen "Schmerzen" wieder auflösen lassen. Bleibt also ein Abschwächen der Folgen der Energie-knappheit. Im Prinzip gibt es zwei Wege, dies zu erreichen: - Andere Energiequellen fördern - Enegieverbrauch reduzieren.
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PeakOil Web-Links Zum Roman - http://peakoil.4u.org Webseite zum Roman - http://autorin.eva-marbach.net Webseite der Autorin - http://verlag.eva-marbach.net Webseite des Verlags
Peak-Oil - http://peakoil.de Deutsche Seite über PeakOil, mit Links und Infos. - http://peakoil.net Offizielle Seite der ASPO - the Association for the study of Peak Oil & Gas - http://hubbertpeak.com/ Englischsprachige PeakOil-Seite - http://www.hubbertpeak.com/hubbert/ Webseite über M. Kin Hubbert - http://www.hubbertpeak.com/campbell/ Webseite über Colin Campbell, Erdölgeologe - http://peakoil.com Englischsprachige Seite über PeakOil - http://dieoff.com PeakOil und mögliche Folgen bis hin zum Aussterben. Umfangreiche Artikelsammlung - http://www.lifeaftertheoilcrash.net/Introduction.html - http://energiekrise.de - http://www.oilcrisis.com/de/ - http://www.hubbertpeak.com/
Forum http://f27.parsimony.net/forum66690/
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Weitere Romane von Eva Marbach Jenseits des Ölgipfels - Ein Peak-Oil Roman (Der erste Peakoil-Roman von Eva Marbach) Erdöl wird immer teurer und knapper verfügbar. Das hat massive Auswirkungen auf alle Länder der Erde. In manchen Gegenden droht das Aussterben der Bevölkerung. Jens erlebt, wie sogar in Deutschland das Essen knapp wird und braucht all seine Flexibilität, um sich der veränderten Situation zu stellen. EMP - ein Survival-Roman Ein EMP-Schlag zerstört schlagartig alle Elektrogeräte in den Industrieländern. Eva und ihre erwachsenen Kinder, die in Berlin, München und einer Kleinstadt leben, müssen sich durchschlagen und viele Gefahren überwinden. Vollautomatisch - Ein Automatisierungs-Roman Computer und Maschinen werden immer leistungsfähiger. Sie erledigen die meisten Arbeiten inzwischen besser und billiger als Menschen. Schafft es Juliane, dennoch einen Platz in der Welt zu finden? Pandemie (in Vorbereitung) Eine weltweite Epidemie bricht durch einem Virus aus, der sich nicht nur verbreitet wie ein Lauffeuer, sondern auch besonders tödlich ist. Das öffentliche Leben bricht völlig zusammen, Menschen isolieren sich und riskieren lieber den Hungertod als die qualvolle Lungenentzündung durch die Killergrippe. Gibt es Rettung für unsere Helden?
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