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BAD EARTH Die große Science-Fiction-Saga PHANTOMJAGD von Conrad Shepherd Im Jahr 2019 setzen erstmals irdische Astronauten ihren Fuß auf den Mars. Sie sollen den Grundstein für eine spätere Kolonisierung legen. Doch die Mission scheitert. Zwei Jahrzehnte später starten die USA ihr modernstes Raumschiff, um die unter dem Marssand lauernde Gefahr zu erforschen. Doch noch während die RUBIKON unterwegs ist, wird das gesamte Sonnensystem von einem verheerenden Phänomen heimgesucht. Auf der Erde kommt es zu apokalyptischen Szenen. Dann verwandelt sich auch noch Jupiter, der größte Planet des Sonnensystems, in ein Schwarzes Loch - aus dem heraus eine fremde Invasionsflotte Kurs auf die Erde nimmt! Auch die gemischte RUBIKON-Besatzung, aus normalgeborenen und geklonten Menschen - so genannten GenTecs - bestehend, wird angegriffen. Ihnen gelingt es jedoch, das außerirdische Schiff zu kapern und von seinem Kurs abzubringen. Statt wie vermutet zur Erde, rast der Raumer plötzlich unaufhaltsam in das Wurmloch auf der ehemaligen Jupiterbahn. Cloud und die GenTecs Scobee, Resnick und Jarvis werden in eine unbekannte Region der Galaxis verschlagen - und dort Zeugen einer Raumschlacht. Der größte Schock steht ihnen aber noch bevor. Denn auf der Hülle eines der kämpfenden Schiffe prangen irdische Schriftzeichen. PEKING steht auf dem fantastischen Raumschiff, von dem die Erde, die Cloud und die GenTec-Klone kennen, nur träumen könnte. Eine Erde, die noch nie ein bemanntes Raumschiff auch nur über die Marsbahn hinaus entsandt hat... Prolog Warum waren all die Sterne verschwunden - und wohin? Niemand wusste die Antwort darauf. Und nach der Schwarzen Flut, nach den Schiffen, die aus dem Jupiter-Wurmloch aufgetaucht waren, konnte das Abhandenkommen der Sterne kaum noch jemanden erschüttern... Über dem unterirdischen Bunker, in den sich Sarah Cuthbert, Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika, zurückgezogen hatte, war es noch heller Tag. Aber auch hier kam das Phänomen voll zum Tragen. Denn am fast wolkenlosen Nachmittagshimmel stand keine Sonne mehr. Keine Sonne - und trotzdem herrschte milde Helligkeit? Sarah schauderte innerlich. Der Mann, der sie unmittelbar nach der Landung der AF1 in Empfang genommen und begrüßt hatte, wartete auf ihre Antwort. »Wie lauten ihre Befehle?«, hatte er gefragt. »Alles ist zum Gegenschlag bereit. Minütlich kommen neue Anfragen auf der von Kampfjets aufrechterhaltenen
Sonderfrequenz herein. Kaiser Sadako verlangt, sie zu sprechen. Sadako hat den Finger schon auf dem roten Knopf. Er...« Die Jets hatten eine provisorische Relaiskette gebildet und waren bislang unbehelligt geblieben. Ein »Friede«, dem jeder misstraute. »Er wäre ein Narr, wenn er das täte«, unterbrach Sarah den Mann, der ihr fast so ein Unbehagen bereitete wie die Außerirdischen. Reuben Cronenberg. NCIA. Zwei Namen, zwei Garanten für Gänsehaut. Selbst für die mächtigste Frau der Welt, dachte sie in milder Selbstironie. Der Leiter des amerikanischen Geheimdienstes wirkte auf den ersten Blick wie ein biederer Familienvater. Doch die Aura, die ihn umgab, strafte diesen Eindruck Lügen. Und die Dossiers, die Sarah im Laufe ihrer Amtszeit über ihn beziehungsweise von ihm gelesen hatte, unterstrichen die Gefährlichkeit dieses Mannes, der einen Staat im Staate führte. Sarah hatte nie Anlass gehabt, an seiner Loyalität zu zweifeln. Doch in Anbetracht der kurz vor dem Zusammenbruch stehenden Weltordnung, war ihr Cronenberg suspekter denn je. Traue niemandem!, rief sie sich die Maxime einer antiquierten TV-Serie in Erinnerung, die sie hin und wieder zur Zerstreuung anschaute. Traue niemandem. Sie war geneigt, diesen Wahlspruch zu beherzigen, zumal... »Sie sind jetzt alle gelandet!« Jemand rief es aus dem Hintergrund der Bunkerzentrale. Sarahs Blick irrte zwischen den Versammelten hindurch und fand Sid Palmer, einen ihrer engsten Vertrauten. Über eine lange Strecke hatte er sie als väterlicher Freund begleitet - was nicht hieß, dass es nie zu Differenzen zwischen ihnen kam. Im Gegenteil. Sie gingen hart, aber ehrlich miteinander um. Der äußerlich an einen Schauspieler des 20. Jahrhunderts - Frank Sinatra - erinnernde Palmer nahm im Gegensatz zu den meisten so genannten Beratern, die Sarah umschwärmten, selten ein Blatt vor den Mund. »Das will ich mir ansehen...« Die Präsidentin ließ Cronenberg einfach stehen und eilte auf die Monitorscheibe zu, vor der Sid Palmer stand. Insgesamt waren neun großflächige Wiedergabeschirme über den Raum verteilt, ein jeder gut zwei mal zwei Meter groß. Vor der Zerstörung des Satellitennetzes war es möglich gewesen, darauf Live Bilder von jedem Punkt der Erde zu empfangen. Inzwischen beschränkten sich die Darstellungen fast ausnahmslos auf Computersimulationen. Anders hier. Sarah hatte mitbekommen, dass es den Technikern gelungen war, in verschiedene Gebiete der Staaten, die von besonderer Wichtigkeit und Brisanz waren, leitungsgestützte Verbindungen aufzubauen. Die alten Kabel gelangten so zu neuen Ehren. Aber der Anlass war äußerst unerfreulich... Mein Gott, dachte Sarah. Wenn jemand wüsste, mit welchen Dingen ich mich beschäftige, während draußen die Außerirdischen herumspuken!
Als sie neben Palmer trat, nickte dieser ihr wortlos zu und richtete gleich wieder selbst den Blick auf das Geschehen der 3-D-Wiedergabe. Washington, erkannte die Präsidentin. Umfeld des Weißen Hauses. Dort, wo ich mich bis vor wenigen Stunden selbst noch aufhielt. Ein Schatten lag über dem Komplex, der seit seiner Fertigstellung nur noch im Innern, nicht aber äußerlich den sich ändernden Zeiten angepasst worden war. Im direkten Kontrast zu dem Gebilde, das neben ihm in der Parklandschaft gelandet war, wirkte die Architektur des White House noch überholter, beinahe lächerlich. Das Gebilde... Nicht höher als die höchsten Wolkenkratzer der Menschen, aber unsagbar anders. Unsagbar bedrohlich. Die Länge des Alien-Raumschiffs - nur eines von insgesamt 76, die zeitgleich an verschiedenen Orten der Erde niedergegangen waren - betrug rund fünfhundert Meter, sein Durchmesser an der dicksten Stelle etwa sechzig. Es erinnerte vage an die Raketen des einstigen Apollo-Programms, war aber wesentlich düsterer, bestand offenkundig aus Metall und wurde spiralförmig von etwas umlaufen, das ihm binnen kürzester Frist seinen Namen verliehen hatte: Äskulap-Schiff. Denn wie eine Schlange, die selbst aus keiner festen Materie, sondern aus einer auf unbekannte Weise »gezähmten« Art von Energie zu bestehen schien, umlief sie den Hauptkörper und erinnerte so entfernt an den Stab des Äskulap, das Symbol der Heilkraft. Im Inneren des Energieschlauchs zuckten immer wieder blitzartige Entladungen, deren Verderben bringende Wirkung Sarah aus der Aufzeichnung kannte, die Kaiser Sadako ihr zur Verfügung gestellt hatte. Die Aufzeichnung, die auch den letzten Zweifel an den kriegerischen Absichten der Alien-Armada beseitigt hatte. Denn ein baugleiches dieser Schiffe war auch über dem Mond aufgetaucht und hatte die lunare Basis der Chinesen angegriffen. Zerstört, korrigierte sich Sarah. Nicht nur grundlos angegriffen, sondern wahrscheinlich auch restlos zerstört - mit allen Menschen, die sich darin befunden hatten. Nein, der fromme Wunsch, die fast schon naive Hoffnung, dieses geballte Auftreten außerirdischer Macht könne anderes im Sinn haben als aggressive Eroberungslust, hatte sich spätestens mit diesen Bildern und der Säuberungsaktion im Erdorbit zerschlagen. Bis auf Skytown waren ihr sämtliche Satelliten zum Opfer gefallen. Ersatzweise hatten die Fremden ihre eigenen Maschinen ausgeschleust und entlang der Meridiane verteilt. Vielleicht haben sie mit dem Verschwinden der Sonne und der anderen Himmelsobjekte zu tun, schoss Sarah ein Gedanke durch den Sinn. Sie verfolgte ihn jedoch nicht weiter. »Was mag aus Skytown geworden sein?«, murmelte sie. Die Raumstation war multikulturell ausgelegt, diente sowohl dem Tourismus und der Wissenschaft, als auch dem Militär. »Ob sie noch leben?« Sie blickte zur Decke. »Dort oben?« Als Palmer nicht antwortete, fügte sie so leise, dass nur er es hören konnte, hinzu: »Was glauben sie? Tue ich das Richtige?« Ihr Blick fand zum Monitor zurück, zu dem, was sich dort abspielte.
Der Anblick der verängstigt durch die Straßen Washingtons hastenden Bürger traf sie bis ins Mark. Die meisten von ihnen flohen vor dem gelandeten Giganten, aber es gab auch Gruppen, die sich ihm näherten - ob aus Neugier, Sensationslust, verquerer Erwartung - oder doch nur nackter Verzweiflung, die sie keinen klaren Gedanken mehr fassen ließ - war im einzelnen kaum zu unterscheiden. »Das würde ich sagen«, erwiderte Palmer. »Zumindest so lange, bis sie einen eindeutigen Akt der Aggression gegen unsere Leute verüben. Dann allerdings... « »Wollen sie damit andeuten, dass sie Sadako misstrauen? Dass sie den Film für eine Fälschung halten?« Palmer zuckte die Achseln. »Fragen sie ihn.« Er wies zu Cronenberg, der sich inzwischen in Hörweite begeben hatte. 6 Dieser fing den Ball auf und sagte: »Wir haben die Überspielung des Kaisers inzwischen ausgewertet. Es handelt sich um einen extrem kurzen Ausschnitt. Er scheint authentisch. Aber wir wissen nicht, was dem vorausgegangen ist.« Sarahs Unbehagen wuchs. »Er wollte eine Koalition - beide Supermächte vereint gegen die Fremden«, sagte sie. »Und sie haben sich Bedenkzeit ausbedungen - was sehr klug war.« Cronenberg nickte und fügte hinzu: »Wenn sie mir jetzt bitte folgen würden, Mrs. President...?« »Jetzt? Wohin, in Dreiteufelsnamen?« Sie nickte zu dem Raumschiffkoloss, an dem sich noch keine Veränderung zeigte. Wie mochten die Außerirdischen aussehen? Menschenähnlich? Oder völlig fremdartig? »Ich kann hier nicht weg. Überall auf der Welt ist der Teufel los. Ich muss eine erneute Ansprache an die Bevölkerung richten. Wir...« »Das würde ich nicht empfehlen.« Sie starrte ihn an wie einen Geist - dann, fast Hilfe suchend, irrte ihr Blick zu Sid Palmer, der betreten zu Boden schaute. »Und warum würden sie mir das nicht empfehlen?« »Weil wir darauf bedacht sein sollten, unseren Standort und damit den momentanen Aufenthaltsort der Präsidentin der Vereinigten Staaten geheim zu halten.«»Geheim »Geheim vor wem?« »Vor den Aliens.« Sie musste sich eingestehen, dass Cronenbergs Sichtweise der Dinge vermutlich klarer als ihre eigene war. Sie hatte sich immer von Emotion leiten lassen - was ihr manchen Vorwurf seitens ihrer politischen Gegner eingehandelt hatte. »Okay«, lenkte sie ein. »Sid scheint ihrer Meinung zu sein. Aber mich müssen sie erst überzeugen. Wir können uns niemals völlig tot stellen. Wir müssen Verbindung zu den Streitkräften halten. Die Fremden könnten auch das zurückverfolgen. Machen wir uns nichts vor: Es gibt keine absolute Sicherheit, auch hier nicht!« »Es wurden alle Vorkehrungen getroffen, um uns - vorübergehend - völlig von der Außenwelt abzuschotten. Allerdings enthebt uns das nicht einer baldigen Entscheidung«, räumte selbst Cronenberg ein. »Aber diese Entscheidung sollten sie auf der Basis dessen treffen, was ich bereits weiß.«
Sarah schüttelte unwillig den Kopf, fuhr sich unbeherrscht durch die Haare, in denen winzige Schmuckkristalle befestigt waren, die aneinander rieben und leise sphärische Klänge erzeugten. »Worauf wollen sie jetzt schon wieder hinaus?« »Sagt ihnen der Name Scobee etwas?« »Ja. Die GenTec, die das Kommando auf der RUBIKON übernommen hat, heißt so, und...« »Ich meine die andere.« Cronenberg wies zur Tür. »Soweit ich weiß, haben sie das Mädchen persönlich kennen gelernt - am Tag, als die Schwarze Flut alle technischen Anlagen lahm legte.« »Und?« »Nun, sie hat ein paar verwirrende Beobachtungen gemacht, und sie sollten es sich anhören, bevor sie eine Koalition mit dem Kaiser rigoros ablehnen.« »Wo ist das Mädchen? Hier?« Er nickte. »Ich habe sie herbringen lassen. Sie und die beiden anderen Doppeltelepathen. Aber wir müssen nicht zu ihr. Wir müssen nur in einen Raum, wo sie sich ungestört anhören können, was sie beobachtet hat.« »Was ist aus der RUBIKON geworden? Hatte Scobee noch einmal Kontakt dorthin?« »Hören sie es sich einfach an. Danach wissen sie, worauf ich hinaus will. Und warum ich glaube, dass eine Koalition mit Sadako wichtig für uns sein könnte - von geradezu existenzieller Bedeutung.« Sie musste zugeben, dass er sie neugierig machte - mehr als das. »In Ordnung. Wo?« Erneut wies er zu einer Tür, links von ihr. Sid Palmer wollte sich mit ihr in Bewegung setzen, aber Cronenberg schüttelte den Kopf. Palmer, gut zwanzig Jahre älter als der NCIA-Chef, wurde rot. »Überspannen sie den Bogen nicht, Cronenberg«, fauchte er. »Sid wird mich auf alle Fälle begleiten«, erklärte Sarah kategorisch. Cronenberg zuckte die Schultern und ging voraus. Der Raum, den sie wenig später betraten, erinnerte Sarah an ihren Privatbereich an Bord der AF-1. Sie und Palmer ließen sich in Sesseln nieder, während Cronenberg an einem Schreibtisch Schaltungen vornahm. »Ich habe lange nichts mehr von der Marsmission gehört«, sagte Sarah. »Seit der Kontakt abriss.« Sie schaute zu Palmer. »Was war der letzte Stand?« »Wir fingen noch einen Spruch auf, demzufolge sich ein Askulap-Schiff auch ihrer Position näherte. Dann brach die konventionelle Verbindung ab.« »Dann wurden sie wahrscheinlich ebenso vernichtet wie die Menschen auf der Mondbasis...« Cronenberg mischte sich ein. »Nein«, sagte er. »Vier von ihnen haben überlebt... « »Sie wurden also angegriffen.« »Es ist ziemlich kompliziert.« Zum ersten Mal, seit sie auf dem geheimen Stützpunkt in der Nevadawüste angekommen waren, lächelte er. Aber es war kein Ausdruck von emotionaler Wärme, eher Zynismus. »Hören sie es sich einfach an - zunächst bis zu der Stelle, als die Crew in das Wurmloch stürzte.«
Sarahs Augen weiteten sieh. Und Cronenbergs Lächeln wurde noch eine Spur penetranter.
Zur gleichen Zeit, Qomolangma Hu Sadako... Kaiser Hu Sadako wusch sich die Hände am Becken der Unschuld und trocknete sie anschließend sorgfältig ab. Seine Familie beobachtete ihn dabei. Seine engsten Angehörigen, von denen nicht einmal Atemzüge zu hören waren. Stumm hatten sie sich versammelt. Stumm erwarteten sie seine Entscheidung, die vielleicht über die Fortexistenz der menschlichen Zivilisation entscheiden würde. Langsam wandte sich Sadako den teilweise hoch dekorierten Repräsentanten aus Militär, Wirtschaft und Wissenschaft zu - allesamt enge bis weitläufige Verwandte. »Amerika kapituliert«, sagte er. »Die Präsidentin ist schwach. Sie glaubt, die Katastrophe dadurch verhindern zu können, indem sie sich kampflos unterwirft. Ich glaube das nicht. Unsere einzige Chance ist, uns zu verteidigen. Und zwar mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln.« Seine Stimme klirrte wie Eis. Den Arm ausgestreckt, wies er zur Glasfront des riesigen Saales, hinter der sich ein atemberaubendes Bild bot: ein atemberaubender Abgrund, nur begrenzt durch die Wolkenmeere in der Tiefe. Sie befanden sich auf dem höchsten Punkt der Erde, dem Gipfel des Qomolangma einem Ort mit Symbolkraft. Bei seiner Krönung vor 14 Jahren hatte Sadako den Bau des kaiserlichen Palastes an dem unwirtlichsten Ort der Welt als einen Kraftakt bezeichnet, nur noch vergleichbar mit dem Bau der ägyptischen Pyramiden. Das Ausland hatte das Projekt zunächst als Aberwitz bezeichnet, inzwischen aber, fünf Jahre nach seiner Fertigstellung, wurde es allgemein als achtes Weltwunder bestaunt. Es hatte das Mysterium um das neu entstandene chinesische Kaiserreich noch verstärkt. Mochte Beijing auch nach wie vor die Hauptstadt sein, der Ort, von dem aus Sadako sein Volk regierte, thronte auf dem Dach der Welt, fast neun Kilometer über dem Meeresspiegel. Hier oben war die Luft so dünn, ihr Druck so gering, dass ein Menschen ohne Atemgerät keine zehn Minuten überlebt hätte. Seine Gedanken irrten kurz zu den Opfern der Aliens auf dem Mond. Er hatte Präsidentin Cuthbert darüber unterrichtet - aber wohlweislich verschwiegen, dass das Altenschiff erst zum Angriff übergegangen war, nachdem es auf kaiserlichen Befehl hin zunächst selbst beschossen worden war. »Ich habe ihr ein Bündnis angeboten, sie hat sich Bedenkzeit erbeten... Aber ich glaube nicht, dass wir auf ihre Unterstützung zählen können. Erstmals in der Geschichte geht es nicht mehr allein darum, die Grenzen unseres eigenen Landes zu verteidigen, sondern den ganzen Planeten. Dies ist nicht nur Pflicht, sondern auch
Chance. Wir vertreiben die Wesen von den Sternen - und wir werden danach den uneingeschränkten Respekt aller Völker genießen.« Er blickte auf seine Söhne. »Wir warten nicht länger. Verständigt die Streitkräfte. Wir werden zurückschlagen. Nicht in einer Stunde, nicht in einem Tag, sondern jetzt!« Er präzisierte seine Instruktionen, sprach von atomar bestückten Raketen und dergleichen. Seine Lakaien leiteten die Befehle ohne Zögern weiter, während sich an der Decke des »gläsernen Palastes« auch jetzt schon Dramen abspielten. Überall im Land, überall auf der Welt, kam es zu Massenhysterien und Panikreaktionen. Aber noch schien kein Staat der vermeintlichen Übermacht aus dem All offen die Stirn bieten zu wollen. Sie sind alle wie gelähmt, dachte Sadako. Tief im Kern hatte er nur Verachtung für die Zauderer übrig. Plötzlich ging ein Raunen durch die Anwesenden und lenkte Sadakos Aufmerksamkeit sofort auf die monitorübersäte Decke - zu einem ganz bestimmten Punkt, der eines der gelandeten Schiffe in Großaufnahme zeigte. Irgendetwas daran hatte sich verändert; irgendetwas ging dort vor. Sadako blinzelte ein paar Mal, als müsste er sich davon überzeugen, dass er keiner optischen Täuschung erlag. Aber noch während er damit beschäftigt war, sich selbst Gewissheit zu verschaffen, geschah es. Und es betraf nicht nur das eine Schiff der Aliens, dem in diesem Moment das Augenmerk galt, sondern jedes einzelne der weltweit gelandeten extraterrestrischen Fahrzeuge. Sie wechselten nicht ihren Standort. Sie ließen nicht ihre Waffen sprechen. Dennoch bannten sie die Menschen, die aus schreck geweiteten Augen zu den Schiffen starrten - bannten sie, indem sie sich ohne Ausnahme und gleichzeitig verwandelten... 1. Darnok schwebte an der Grenze zwischen Tod und Leben. Was er getan hatte, um diesen fernen Ort in dieser fernen Zeit zu erreichen, hatte ihm fast alle Kraft gekostet. Im allerletzten Moment hatte er sein Karnut in das andere Schiff einzuschleusen vermocht. Hatte unbemerkt und unentdeckt einen Korridor durch die Raan-Materie geöffnet, war eingedrungen und hatte sich verborgen. Aber Zeit zur Ruhe, Zeit zur Regeneration blieb ihm nicht. Erschöpft öffnete er seine Sinne und streckte die Fühler seines Geistes aus. Um ihn herum dröhnte eine Kakophonie schwerer, vom Prinzip her vertrauter Maschinen, sangen Neuronen, fluktuierten Energiefelder. Und dazwischen - SIE. Die Wurzel allen Übels...
»Peking... « Cloud merkte nicht, wie seine Lippen das Wort formten. Das Wort, das auf einem Raumschiff prangte - einem gigantischen, waffenstarrenden Raumschiff weitab von der Erde, und nur eines von vielen, die hier draußen im eisigen All in eine apokalyptische Raumschlacht verwickelt waren! PEKING. Die Erde besaß keine Raumschiffe - nicht solche jedenfalls, und erst recht keine regelrechte Flotte davon! Die U.S.S. RUBIKON, mit der Cloud und ursprünglich fünf andere Besatzungsmitglieder zum Roten Planeten gereist waren, um die Ursache des Scheiterns der ersten bemannten Marsmission zu ergründen, war das modernste Schiff der Menschen gewesen - und ein absolutes, sündhaft teures Unikat. Denn hätten wir solche Schiffe besessen, wäre alles anders gekommen. Die Fremden hätten sich warm anziehen müssen... Verdammt - es war anders gekommen, ganz anders! Und zwar in einer Art und Weise, die Menschenverstand kaum fassen konnte. Cloud und seine Gefährten waren durch das Jupiter-Wurmloch gegangen - an Bord eines der Äskulap-Schiffe, eines von insgesamt 78, die das Jupiter-Wurmloch hervorgespien hatte. Das Jupiter-Wurmloch. Der größte Planet des Sonnensystems existierte nicht mehr. Beziehungsweise hatte seinen »Aggregatzustand« verändert. Seine Masse war geblieben, die Dichte hatte sich dramatisch erhöht - so sehr, dass er zuletzt höchstens noch einen Kilometer durchmessen hatte und zum Schwerkraftmonster mutiert war. Oder zu etwas anderem, das sich jeder Definition entzog. Beinahe jeder. Eine Einstein-Rosen-Brücke, dachte Cloud. Etwas, das eigentlich nur in der Theorie existiert hat - bis vor ein paar Stunden zumindest. War es wirklich erst ein paar Stunden her? Zumindest behaupteten dies die in ihre Anzüge eingearbeiteten Mikrocomputer. Die Schirme des fremden Schiffes behaupteten indes etwas noch viel Verblüffenderes: Sie zeigten in einem unsteten, von den an Bord befindlichen Menschen nicht beeinflussbaren Wechsel der Szenen, dass sie sich nicht mehr im heimatlichen Sonnensystem befanden, sondern irgendwo in unbekannter Ferne! Wer weiß, dachte Cloud mit einem Grauen, das ihm bis zu dieser Sekunde fremd gewesen war, ob wir uns überhaupt noch in der Milchstraße aufhalten... »Würden sie mich mal kneifen?«
Die Frauenstimme schaffte, was seine eigene nicht vermocht hatte - sie holte ihn in die Realität zurück. Aber was war die Realität? Clouds Blick streifte den Toten, Mike Darcy, der erst vor wenigen Minuten von der Monstrosität umgebracht worden war, die sich aus dem Sessel dieser mutmaßlichen Schiffszentrale erhoben hatte. Darcy hatte die Nerven verloren und das Feuer auf die Kreatur eröffnet, bei der sie immer noch rätselten, ob es sich um eine unbekannte Art von Roboter oder allen tief verwurzelten Vorstellungen zum Trotz vielleicht doch um eine unbekannte Lebensform gehandelt haben mochte. In unzählige Teile hatte der konzentrierte Beschuss das »Steinwesen« gesprengt. Die Splitter lagen überall verteilt auf dem Metallboden des Raumes, dessen Wände die perfektesten Bildschirme waren, die Cloud - und jeder andere der Gruppe - je gesehen hatte. Und auf diesen Schirmen war gerade wie durch Zauberhand ein bestimmter Sektor der Umgebung herangezoomt worden und hatte ihnen die Identität des Schiffes enthüllt, das dort draußen gemeinsam mit anderen gegen einen ebenso hochgerüsteten Gegner kämpfte. Ein Gegner, dessen Schiffe bislang nur nicht näher ins Bild gerückt waren...
Eine unbekannte Automatik bestimmte die Bildfolge. Vielleicht war sie durch ihre Stimmen oder schon durch ihre Anwesenheit aktiviert worden. Scheinbar nach einem kruden Zufallsprinzip nahm sie ständig neue Raumsektionen aufs Korn und projizierte sie ins Innere der Kommandozentrale. Kommandozentrale! Auch so ein Begriff, der hier eine völlig neue Dimension bekommen hatte. Ein Raum, geschätzte fünfhundert Quadratmeter groß. Die genaue Ausdehnung war auf Grund seiner Eigenart des Einbeziehens der Wände als Rundumsichtschirme nicht herzustellen. Und die Höhe entzog sich ohnehin jeder Spekulation, da auch die Decke den umgebenden Weltraum mit seinen Sternen wiedergab. Wände und Decken waren nahtlos ineinander übergehende Sichtschirme ohne jede Segmentierung, ohne jede Abgrenzung. Unterbrochen nur an jenen Stellen, wo die Schüsse des mutmaßlichen Roboters Schäden hinterlassen hatten. Die Energien, die während des kurzen Kampfes freigesetzt worden waren, hatten die Homogenität der Schirme aufgebrochen - und gleichzeitig die dahinter liegende Verkleidung zerstört. Jetzt waren dort verwirrende Geflechte zu sehen, die die Wände wie dicke Adern durchliefen und auf beinahe obszöne Weise an zerrissene Gefäße erinnerten, die aus einem riesigen Torso hingen.
Das Gefühl mitten im All zu treiben, wurde einzig dadurch abgeschwächt, dass der Boden massiv war. Und nicht transparent. >Ein spektakuläres Wunder<, hatte Scobee die Zentrale bezeichnet. Spektakulär und fremd. Ebenso befremdlich wie die Tatsache, dass im Schiffsinnern völliges Vakuum herrschte. Und Weltraumkälte. Dennoch war es kein totes Schiff, bei weitem nicht. Es war Energie vorhanden. Aber keine Besatzung. Hatte es überhaupt Leben an Bord gegeben, oder hatten sie es mit einem von künstlicher Intelligenz gesteuerten Raumfahrzeug zu tun? Cloud bezweifelte es; er hatte eine feste Vorstellung von einer menschlichen Besatzung. Dafür sprach eigentlich alles: Licht, das den Raum erhellte und in seiner Zusammensetzung für Menschen geradezu ideal schien, auch wenn unklar blieb, woher es strömte. Und dass das Schiff für eine humanoide Besatzung gedacht war, dafür sprachen auch die Konsolen und Steuerelemente, der Sitz mit der hohen Rückenlehne und zusätzliche Bildschirme über den Instrumentenkonsolen... Aus den Augenwinkeln registrierte Cloud eine Veränderung. Er drehte den Kopf und sah auf eine bestimmte Stelle des gläsernen Domes. Draußen spalteten erneut Blitze das All wie bei einem nächtlichen Gewitter. Es hatte den Anschein, als habe sich das Kampfgetümmel der Raumschlacht wieder mehr in ihre Richtung verlagert. Oder wir sind ihm näher gekommen! Die fernen, blinkenden Punkte wuchsen zu Raumschiffen heran, zu waffenstarrenden Giganten, aus denen sich unaufhörlich grelle Strahlbahnen lösten und ihre Ziele fanden. Schiffe von der Erde, die eine erbitterte Schlacht gegen wen führten? Cloud fröstelte. Der Anblick so vieler Raumschiffe überwältigte ihn. Science-Fiction. Das war Realität gewordene Science-Fiction! Oder war er etwa noch immer in der Singularität des Schwarzen Lochs gefangen? Bildete er sich diese Schlacht und das ganze Drumherum nur ein? War das die Vorstufe des Todes, der ihn und alle anderen innerhalb des Raumzeitphänomens, in das der Äskulap regelrecht eingesogen worden war, ereilen musste? Daran glaubte er nicht wirklich. Das hier war bei aller Rätselhaftigkeit kein Traum, keine Halluzination. Es war real. Die Schiffe waren es. Und die damit verbundene Bedrohung ebenso. Er warf einen Blick auf das in den Ärmel seines Anzugs integrierte, multifunktionelle Display. Vor wenigen Stunden noch war ihm die Reise zum Mars als das größte Abenteuer seines Lebens vorgekommen, doch inzwischen verblasste es fast zur Bedeutungslosigkeit. »Wahrhaftig«, sagte er langsam. »Dramatischer könnte ein Kursus in neuartigen Waffentechnologien, die alles in den Schatten stellen, was ich mir je für die Zukunft ausgemalt habe, nicht ausfallen.« »Ich glaube das einfach nicht! «, wunderte sich Scobee neben ihm auf eine Weise, die in Cloud den Verdacht nährte, dass sich die GenTec in Wahrheit weit weniger wunderte, als sie zu vermitteln versuchte.
Cloud warf ihr einen schnellen Blick zu. Ihr schien nichts zu fehlen. Und schon gar nicht erweckte sie den Eindruck einer Frau, die kurz davor stand, an ihrem Verstand zu zweifeln. Ihr Gesicht hinter der Klarsichtscheibe des Helms zeigte weder Überraschung noch Verwirrung oder Bestürzung. Der Tonfall ihrer Stimme war kühl, beherrscht. Trotz der mehr als prekären Lage, in der sich der überlebende Teil der Crew befand. »Zu deiner Beruhigung, ich glaube es auch nicht - zumindest möchte ich es nicht glauben«, sagte er und widmete sich dabei wieder den Schirmen zu, die ständig neue Perspektiven der tobenden Schlacht zeigten. Dann spürte er ihren Blick - und grinste sie an. »Ist was?« Sie nickte hinter dem Helm. »Es ist nicht unbedingt die Frage, die ganz oben auf meiner Prioritätenliste steht, aber... seit wann duzen wir uns?« »Ich dachte, ich mache den Anfang - als der Ältere.« Eine Weile drang nur ihr Atemgeräusch aus seinem Helmfunk. Dann fragte sie: »Ist das ein Friedensangebot?« »Hatten wir jemals Krieg?« Er lachte. Er fühlte sich irgendwie von einer Last befreit - und das in einer Situation, die nicht einmal ansatzweise zu Optimismus Anlass gab. »Ich dachte...« Sie spielte auf seine Amtsenthebung an. Darauf, dass die Erde sie im Zuge der sich überstürzenden Ereignisse kurzerhand zur Kommandantin der RUBIKON ernannt und ihn, den ursprünglichen Commander, ins zweite Glied zurückbeordert hatte. Weil man den GenTecs offenbar ein besseres Krisenmanagement zutraute, dachte er. Was aber nun auch voll in die Hose gegangen ist. Diese Krise braucht mehr als einen Manager - sie bräuchte einen Zauberer. »Das dort...«, Cloud zeigte auf die Szenen der Sulilaaht, »... ist der hlAnke Aberwitz - oder? Und wäre es nicht der pure Wahnsinn, wenn wir vier...«, er schloss die beiden anderen, verstreut über die Zentrale tätigen GenTecs in einer Geste mit ein, »... in der Situation, in der wir uns befinden, nicht wie Pech und Schwefel zusammenhielten? Wenn wir noch Rücksicht auf Ränge, Floskeln und was weiß ich noch alles nähmen?« Resnick und Jarvis hörten mit. Sie hielten inne, wandten ihre Gesichter in Richtung beider Ex-Commander. Scobee ließ sich Zeit, ehe sie antwortete, und Cloud konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie es genoss, ihn zappeln zu lassen. »Okay«, sagte sie schließlich und streckte die Hand aus. »Brüderschaft trinken und Küsschen austauschen muss aber noch etwas warten. Ich würde momentan ungern meinen Helm öffnen...« Er ergriff ihre Hand und drückte sie. Nur kurz, dann winkte er Resnick und Jarvis zu. »Was ist mit euch? Einwände?« »Ja«, sagte Resnick. »Ich knüpfe das Du an eine Bedingung.« Die beiden anderen GenTecs schienen so neugierig zu sein wie Cloud, der fragte: »Welche?« Resnicks sagte es ihm.
Und für einen Moment drohte die Absurdität wieder die Oberhand zu gewinnen, drohte sie, Clouds Verstand in einem Strudel fortzureißen. Er schürzte die Lippen. Ja, verdammt, er hatte Probleme mit den Geklonten. Er hatte Schwierigkeiten, echte, vollwertige Menschen in ihnen zu sehen - auch wenn das wahrscheinlich jeder Vernunft entbehrte. Aber jetzt spülten all seine Vorbehalte, die in der Dramatik der Situation kurz verschüttet gewesen waren, mit Macht wieder an die Oberfläche. Und ausgelöst hatte dies Resnick mit seinem Hinweis darauf, dass er, Scobee und Jarvis nicht einmal mit dem einfachsten Attribut ausgestattet waren, das man einem Menschen zugestehen konnte - einem normalen, nicht im Labor gezeugten und in speziellen Einrichtungen aufgewachsenen Menschen jedenfalls. »Einen Vornamen«, sagte er völlig ernst. »Ich bestehe auf einem Vornamen - meiner Wahl.«
Wie lange mag er diesen Wunsch schon mit sich herumgetragen haben?, fragte sich Cloud, während er den kraftstrotzenden Hünen im silbrig grauen Einheitsanzug betrachtete. Dann räusperte er sich und sagte: »Ich wüsste nicht, was dagegen sprechen sollte. - Schon eine Idee?« »Nein«, sagte Resnick. »So etwas will wohl überlegt sein. Aber ich sage Bescheid. Ich lass es euch wissen...« Er wandte sich wieder der unterbrochenen Beschäftigung zu - der Untersuchung des fremdartigen Instrumentariums auf den halbkreisförmig angeordneten Konsolen, von dem er vermutete, dass es das Steuerungssystem des Askulaps darstellte -, und nun erklärte Jarvis mit spöttischem Unterton: »Dann will ich natürlich auch einen Vornamen, aber einen, an den ich mich schon gewöhnt habe.« Scobee schüttelte nur den Kopf; sie schien nicht begreifen zu können, was aus ihnen geworden war. »GT«, sagte Jarvis. »Nennt mich einfach G.T. - okay?« »Okay«, sagte Cloud. »Ich bin John. Scobee? Ebenfalls Wünsche, was das angeht?« »Nein«, erwiderte sie. »Aber wenn ich euch so zuhöre und es mir recht überlege, wäre es vielleicht doch nicht der schlechteste Gedanke gewesen, vorhin den Helm zu öffnen...«
Die Situation schien ausweglos verfahren. Keiner von ihnen hatte die geringste Ahnung, was um sie herum stattfand. Niemand war mit den Möglichkeiten des Äskulap-Schiffes vertraut, und doch schien es ihnen wie von Geisterhand geführt - zuzuarbeiten. Das Heranzoomen der PEKING war nur ein Beleg dafür. Oder hatten sie es durch willkürliches Herumprobieren selbst ausgelöst? Gezielt reagierte das Schiff jedenfalls auf keines ihrer Kommandos. Und wenn es doch Befehlen gehorchte... ... woher kamen diese dann? »Wir müssen das Schiff so schnell wie möglich unter unsere Kontrolle bringen und eine atembare Atmosphäre aufbauen, sonst sind wir geliefert«, sagte Cloud. »Ich finde, darauf sollten wir uns konzentrieren. Ich habe nicht vor, in diesem verfluchten Anzug entweder in meinen eigenen Exkrementen zu ersaufen, sobald das Recycling-Modul den Geist aufgibt, oder an Luftmangel zu ersticken. Unser Vorrat an Sauerstoff ist endlich, falls es jemand vergessen hat.« Keiner der GenTecs erwiderte etwas darauf. GenTecs konnten ihre Emotionen unter Kontrolle halten. Durch gezielte Genmanipulation in den Amygdalas, den »Mandelkernen«, oberhalb des Hirnstammes, war die Ausschüttung von Adrenalin sowie Noradrenalin ins Nebennierenmark von ihnen selbst dosierbar. Angst, eine der Triebfedern menschlichen Verhaltens, konnte demnach nur entstehen, wenn sie nützlich war. Darüber hinaus waren sie weniger schmerzempfindlich als unkonditionierte Menschen und besaßen höhere Selbstheilungskräfte. Als Cloud erstmals mit den Einzelheiten seiner nicht normal geborenen Crewmitglieder konfrontiert worden war, hatten diese ihn ein wenig an die Replikanten aus Ridley Scotts »Blade Runner« erinnert, an jenen Film mit Kultcharakter, den er sich ungezählte Male angesehen hatte. Nur dass GenTecs eine nach menschlichen Maßstäben adäquate Lebensspanne besaßen und von vornherein nicht zu Killermaschinen degradiert worden waren... Seine Gedanken irrten zu Darcy, dessen Leiche etwas abseits lag. Cloud seufzte unhörbar. Die Mission stand unter keinem guten Stern. Nein, das konnte man wahrlich nicht behaupten. Erst Seymor, dann Darcy. Würde er, Cloud, der nächste sein, der... »John!« Und noch einmal, lauter, drängender: »John?« Cloud runzelte die Stirn. »Was ist denn, Scobee?« Er wandte sich der Klon-Frau zu. »Du warst wie weggetreten. Ich...« »Unsinn!«, versetzte er schroff. Er schloss die Augen und versuchte, Ordnung in das Durcheinander zu bringen, das in seinem Kopf herrschte. »Es geht hier nicht um mich. Mit mir ist alles in Ordnung - soweit man das in unserer Lage überhaupt sagen kann«, sagte er schließlich, die Augen wieder öffnend. »Aber es gibt da ein paar Fragen, die mich beschäftigen und die ich gerne beantwortet hätte.«
»Und die wären?« »Das Schwarze Loch... Das Wurmloch, das an Stelle Jupiters getreten ist... Wer hat es erzeugt? Und wohin hat es uns verschlagen? Befinden wir uns überhaupt noch in unserer Milchstraße?« »Die Schiffe sprechen dafür...« »Aber alles andere ist fremd - unfassbar fremd...« Cloud drehte sich zur Seite und vertiefte sich in die Betrachtung des Planetensystems, das seit dem Rücksturz in den Real-Raum beständig auf dem Wandschirm zu sehen war. Schon was Größe und Farbe betraf, entsprach die hiesige Systemsonne nicht dem Sol-Typ. Sie glomm rötlich. Exaktere Daten waren allerdings (noch?) nicht greifbar... Es war Jarvis, der einen überraschten Laut von sich gab und Cloud ablenkte. »Verdammt!«, fluchte der GenTec. »Was ist?« Das war Scobee. »Da - war etwas! Ich bin sicher, dass da etwas war! « Sie verstanden nicht, was er meinte. »Geht's auch ein bisschen klarer?«, knurrte Cloud. Jarvis hatte sich an der Konsole aufgerichtet, über die er gebeugt gewesen war. »Wenn ich es sage, haltet ihr mich für verrückt, aber...« »Du hast einen Geist gesehen. Ein Gespenst«, tippte Scobee. Es klang keineswegs spöttisch. Und genau das alarmierte Cloud. Es machte auch Jarvis stutzig. »Hey, woher...?« »Woher ich das weiß? Nun, ich hatte diese Anwandlung auch schon mal. Vor ein paar Minuten. Unmittelbar bevor...« »Bevor?«, drängte Cloud. »... die Bildwand uns die PEKING zeigte. Wie bestellt zeigte. Als wollte der Askulap uns unbedingt auf die Nase binden, wer da draußen sein Unwesen treibt...« Jarvis lachte rau auf. »Ich bin erleichtert. Das klingt noch viel verrückter als ich es hätte formulieren können.« »Aber du hast ihn gesehen«, hakte Scobee nach, »den Schemen?« »Ich bin mir keineswegs sicher...« »Das war ich auch nicht. Aber wenn wir beide es zu unterschiedlichen Zeiten wahrnahmen, könnte mehr dahinterstecken als bloße Einbildung.« Cloud wusste, das GenTec-Augen »mehr sahen« als seine eigenen. Sie waren frequenzvariabel. Konnten sogar in den Infrarot- und Ultraviolettmodus schalten. In diesem Augenblick änderte sich das Motiv der Wände abermals. Die Raumschlacht entrückte. Es wurde auch nicht wieder ein einzelnes Objekt herausgelöst und vergrößert dargestellt. Stattdessen erschien eine Art Simulation, die aller Wahrscheinlichkeit nach das Sternensystem zeigte und erklärte, in das es Cloud und die GenTecs verschlagen hatte. Wie bestellt, hallte es in Cloud wider. Und auch der letzte Rest von Zweifel verflog, dass diese »Show« gezielt für sie produziert wurde. Nein, sie waren nicht allein an Bord! Jeder ihrer Schritte wurde beobachtet!
Aber... von wem?
Sechs Planeten unterschiedlichster Größe umkreisten den rötlichen Stern. Der unbekannte Bordrechner bereitete die eingehenden Daten auf. Die wuchtigen irdischen Schiffe hatten konzentrische Abwehrringe um einen dunklen, aurenartig umrahmten Wirbel herum gebildet - das Schwarze Loch. Das Wurmloch, das den Askulap ausgespien hatte. Die Menschenflotte schien es mit aller Vehemenz zu verteidigen. Die angreifende Flotte setzte sich, wie jetzt ersichtlich wurde, aus filigran anmutenden Konstruktionen zusammen. »Wer mögen die Fremden sein?«, murmelte Cloud. »Ihre Schiffe sehen so... zart aus.« Er sprach aus, was vermutlich auch die GenTecs in diesem Moment empfanden. Und tatsächlich, ein nicht ganz unvoreingenommener Beobachter hätte auf die Idee kommen können, sich moralisch auf die Seite der Angreifer zu schlagen, und das, obwohl sie ganz offenkundig angriffen. Zu zerbrechlich, zu anmutig wirkten ihre Konstruktionen. »Wie die anderen wohl aussehen mögen?« Es war Scobee, die laut darüber sinnierte. Cloud ging sofort darauf ein. »Während unserer Ausbildung habe ich Seminare über mutmaßliches außerirdisches Leben besucht, intelligentes Leben. Zusammen mit Naturwissenschaftlern, Biologen, Bio-Chemikern und Anthropologen - darunter waren einige Nobelpreisträger - hat man den Versuch unternommen, sich fremde Lebensformen vorzustellen und ausgeknobelt, wie man mit ihnen in Verbindung treten könnte. Und jetzt...« Er deutete auf die Bildwand. »Und jetzt wissen wir«, sagte Jarvis, »dass es mit der Einzigartigkeit des Menschen nicht weit her ist, denn dort draußen sind auch jede Menge Raumschiffe nichtirdischen Ursprungs, nicht wahr? Gesteuert von Intelligenzen, die sich, wie immer sie auch aussehen mögen, über Menschen hermachen wollen.« »Die ganze Flotte - ich meine >unsere< Flotte - muss ein Fake sein. Eine gezielte Fälschung. Da agiert jemand unter irdischer Flagge, der alles sein mag, nur kein Mensch! - Oder hat jemand eine bessere Erklärung?«, fragte Cloud. »Vor zwei Stunden war die RUBIKON noch das Nonplusultra menschlicher Technologie - und jetzt...« »Es gibt vielleicht eine Erklärung dafür«, sagte Scobee, »ob sie uns allerdings schmecken wird, ist eine andere Frage.« »Raus mit der Sprache«, schnarrte Jarvis. »Welche wäre das?« Bevor Scobee antworten konnte, warf Cloud ein: »Ich glaube, ich verstehe... Die Passage!« »Die Passage?«, echote Jarvis.
»Was John sagen will, ist, dass es inzwischen wohl nicht nur darum geht, zu erfahren, wohin uns das Schwarze Loch gebracht hat«, ergriff Scobee das Wort, »sondern wann. Mit anderen Worten: Es steht zu befürchten, Freunde, dass wir uns nicht nur eine unbestimmte Strecke von Lichtjahren von unserer Heimat entfernt haben, sondern auch eine unbestimmte Zeit. Die Wurmloch-Passage könnte uns Jahre, Jahrzehnte... vielleicht sogar Jahrhunderte in die Zukunft geschleudert haben. Und damit wäre dann die Situation da draußen vor unseren Augen doch schon um einiges erklärlicher, oder...?« Obwohl Scobee lediglich den Verdacht aussprach, den Cloud tatsächlich gerade hegte, überkam ihn ein heftiger Schwindel, der ihm klar machte, dass wieder einmal die Zeit der Gespenster gekommen war: Eines der nimmermüden Fragmente fremder Seelen, mit denen er sein Gehirn teilte, drängte an die Oberfläche... ... und trübte kurzzeitig jede eigene Sinneswahrnehmung... 2. Die Barschieri-Einheit SIOB pflügte im Schutz des Sphärenwechslers durch das All. Der Wechsler versetzte alles an Bord in einen Zustand nahe der Nichtexistenz - ohne dass die betroffenen Lebewesen in ihrem Tun oder ihrer Wahrnehmung beeinträchtigt wurden. Es gab viele Tricks, um die in den Naturgesetzen verankerte Geschwindigkeitsobergrenze in diesem Universum zu überwinden - die Sphärenreise war nur einer. Die SIOB bewegte sich im vorderen Drittel einer breit gefächerten keilförmigen Formation und befand sich in relativer Nähe zur KHARAK, auf der Präzeptor Feriil faktisch den Oberbefehl über das ins Tunnelsystem des Feindes entsandte Flottenkontingent hatte. Es war von Barschier aus zur Verstärkung auf den Weg gebracht worden, nachdem die Meldungen von den Kampfhandlungen immer mehr von einem Ungleichgewicht zu Gunsten der Erinjij, der Schalenlosen, sprachen. In der Praxis aber überließ Feriil die taktische Führung des Einsatzes seinem Schwestersohn und Förderer Manaan Kijth. »Sphärenende in sechzig Sekunden«, meldete die Ordonanz. Manaan Kijth an Bord der STOB öffnete den breitlippigen Mund. »Status, Daimid?« »Alle Systeme gefechtsbereit, Herr. Alle Stationen gesichert.« »Gut.« Kijth starrte auf die halbmondförmig angeordnete Phalanx der Bildschirme, von denen jeder einzelne den Status einer anderen Schiffssektion anzeigte. Die Eliteeinheit der Fünften Barschier-Flotte, ein Verband aus vierzehn schwer bewaffneten Elter-Fregatten und einem Zerstörer der Hoglon-Klasse, wechselte die Position und wählte eine ungefähre oktaedrisehe Formation, die das Schlachtschiff des Präzeptors wie eine Faust umschloss: Verteidigungs- und Angriffsformation gleichermaßen. In genau dieser Anordnung würde der Verband bei den Zielkoordinaten aus dem sphärischen Zustand zurück ins Materielle gleiten, würde unverzüglich ins Innere des Systems einfliegen und dort so schnell wie nur möglich in die Kampfhandlungen eingreifen.
»Gib das Signal!«, ordnete Kijth an. Im Schiff erschallten die Alarmhörner; der Geräuschorkan lärmte durch sämtliche Decks. »Schiff auf Wechsel vorbereiten!« Manaan Kijth saß erhöht im hinteren Drittel der Zentrale und prüfte die Aktivitäten auf der Kommandobrücke. Die Rückhaltevorrichtungen der Sitze schlossen sich um Körper; Gurte rasteten ein; Kampfanzüge und Helme wurden einer letzten Inspektion unterzogen. Mit Genugtuung erkannte der Flottenkommandeur, dass jeder Handgriff saß. »Status der Jets! « verlangte Kijth. Der dafür verantwortliche Barschier saß vor seinem taktischen Schirm. Seine chitingepanzerten Finger flogen regelrecht über die Bedienfelder der Konsole, um den Status jedes einzelnen Jägers abzufragen. »Alle bereit zum Einsatz! « »Gut.« Als nächstes richtete Kijth das Wort an seinen Adjutanten. »Zeitindex bis zum Austritt?« »Drei Minuten, Herr.« Kijth machte eine Geste, die Zufriedenheit signalisieren sollte. Dass der Verband unbemerkt wechseln würde, daran wagte er nicht einmal im Traum zu denken. Dennoch versprach er sich einen Vorteil aus der Tatsache, dass der Feind vorher nicht mit ihnen rechnen konnte. Das würde den Kampf vielleicht vorzeitig beenden. Mit einem Minimum an Ausfällen. Wobei sich der Flottenkapitän klar darüber war, dass der Terminus >Ausfälle< den Tod vieler Barschiert bedeutete. Kein Barschiert will diesen Krieg. Er ist uns aufgezwungen worden. Vor dem Auftauchen der Erinjij waren sie immer ein friedliebendes Volk gewesen. Irgendwann aber hatten sie sich der Notwendigkeit fügen müssen, aufzurüsten, und zu ihrem eigenen Erstaunen hatten sie dabei einen gewissen Gefallen - manche meinten auch: Lust - daran gefunden. Die Erinjij mussten in ihre Grenzen verwiesen werden, so lange noch Zeit war! Sämtliche Barschieri hatten sich in den Dienst dieses Zieles gestellt... ... und so hatte der Krieg sie allmählich verändert - ähnlich dramatisch wie die Wechsler den zustand jedweder Materie zu wandeln vermochten. Kijth knirschte mit den Zähnen. Fünf Standardjahre waren vergangen, seit die Barschieri zum ersten Mal Kontakt mit den Erinjij, die sich selbst »Menschen« nannten, gehabt hatten - weit, weit draußen an der Grenze ihrer Zivilisation, im Sjidim-Sektor, wo die Barschiert einige Außenposten und Forschungseinrichtungen besaßen. Besessen hatten, verbesserte sich Manaan Kijth, denn sie hatten sie an einem einzigen Tag verloren, und mit ihnen das gesamte Expeditionskorps, das aus einem Mutterschiff und siebzehn Beibooten bestanden hatte. Siebentausend Raumfahrer und Wissenschaftler hatten dabei den Tod gefunden. Darunter auch...
Das Bild von SeelyeVeeva tauchte vor seinem geistigen Auge auf. Was hätte er dafür gegeben, ihren biegsamen Körper noch einmal in seinen Armen halten zu dürfen. Für einen Augenblick versank er in einen Strudel überbordender Gefühle; dann gewann wieder rationales Denken die Oberhand. Seelyes Tod war ein Grund dafür gewesen, weshalb er der Akademie den Rücken gekehrt und sich der Legion zugewandt hatte. Er, der als Kurator an der Universität von Char-Taboo, dem geistigen und künstlerischen Zentrum der BarschieriZivilisation, eine beispiellose Karriere vor sich gehabt hatte, war Soldat geworden. Auch dafür hasste er den Feind, denn dieser hatte ihn zu etwas gezwungen, was ihm von Grund auf zuwider war. »Herr!« Manaan Kijth löste den Blick vom Hauptschirm. »Ja?« »Die KHA.RAK ruft uns! « Er klopfte mit den hornigen Fingern auf das Display, das sich in der verbreiterten Armlehne des Sitzes befand. »Leg mir die Verbindung hierher.« Auf dem Schirm erschien ein Barschieri mit einer Kom-Einheit vor dem offenen Visier seines Kampfanzugs. »Rog Kijth«, sprach er ihn mit seiner Ehrenbezeichnung an. »Der Präzeptor wünscht euch zu sprechen.« Während sich die Verbindung aufbaute, tippte Kijth den Chiffriercode in die Sensortastatur, sodass nur er auf der Brücke der SIOB hören konnte, was Feriil von ihm wollte. »Wie ist der Status der Schiffe, Kijth?«, kam der Präzeptor ohne Umschweife zur Sache. Sein weißes Altersgesicht mit den rot glühenden Augen war unter der weit fallenden, schwarzen Kapuze zu erkennen, die er an Stelle eines Kampfhelmes trug. Für einen flüchtigen Moment glaubte Manaan Kijth Angespanntheit in den Zügen des Führers zu entdecken. »Wir sind gefechtsbereit, Präzeptor«, meldete er militärisch knapp, was ihm inzwischen leicht fiel. »Der Verband wartet nur noch auf meine Befehle.« »Gut, sehr gut.« Feriil nickte. »Präzeptor?« Manaan Kijth forschte im Gesicht seines Vorgesetzten nach Anzeichen von Nervosität. Aber wenn der Berater Uwaji Koros Cheongjs, des Primus von Barschier, tatsächlich nervös war, so kaschierte er dies perfekt. »Gibt es einen Grund für eure Frage?« Einen Moment lang schien Feriil nicht zu hören, blickte mit seinem Auge einfach durch ihn hindurch. Kijth wollte seine Frage schon wiederholen, als der Präzeptor doch noch reagierte. »Nein, den gibt es nicht.« Wie immer sprach Feriil mit leiser, fast hypnotischer Stimme. »Ich wollte mich nur noch einmal vergewissern, dass der Schlachtplan eingehalten werden kann. Du weißt, dass der Senat auf mein Drängen hin den Zeitindex für den Vernichtungsschlag gegen die Erinjij vorverlegt hat. Unsere Angriffsoperation wird hoffentlich die Wende bringen. Bei der Entdeckung und unserem Ziel handelt es sich doch um den Zugang zu ihrem Heimatsystem?«
»Alles spricht dafür, Präzeptor.« Kijths Miene blieb ungerührt. Feriil hatte von der Führung der Legion den Befehl erhalten, das Aufmarschgebiet der Erinjij aufzuspüren, deren Heimatwelt-Koordinaten bislang unbekannt waren. Bislang, richtig, dachte Kijth. Er war überzeugt, dass sich dies in Kürze ändern würde. Und wenn die Völker erst einmal wussten, wohin die Schalenlosen sich immer wieder zurückzogen und von wo aus sie einen schier unversiegbaren Quell an Nachschub bezogen, dann... ja, dann würde sich das Blatt bald wenden. Dann würden die friedliebenden Völker wieder aufatmen können und... Er zuckte unter dem eigenen lautlosen Tadel zusammen. Er belog sich selbst. Der Friede war kaum zur Illusion verkommen. Selbst wenn die Erinjij besiegt würden... Sie hatten schon so viel Hass gesät, so viel Konfliktstoff angehäuft und Allianzen vernichtet, dass mehr als eine vereinzelte Schlacht, und sei sie noch so heftig, drohte. Es konnte geschehen, dass die gesamte Sterneninsel im Rausch der Gewalt versank, und dass die Legenden aus dunkler Zeit wieder auflebten... Er verdrängte den Gedanken. Sein Verband war tiefer und tiefer in die Randzonen der äußeren Sphäre vorgedrungen, die das Reich der Barschieri von den Grenzen anderer Zivilisationen trennte. Es war ein gefährliches, langwieriges und zeitintensives Unterfangen gewesen. Es hatte manch gutes Schiff mitsamt seiner Besatzung gekostet, ohne dass zunächst Erfolge aufzuweisen gewesen waren. Wie auch! Selbst im Sphärenflug war die Galaxis schier unendlich in ihrer Ausdehnung. Die Schiffe der Barschieri hatten erst einen winzigen Bruchteil davon erschlossen. Aber schließlich hatte sich eine Spur verdichtet - und hierher, in dieses System geführt. Seitdem versuchte die neu geschaffene Barschieri-Flotte, stellvertretend für andere Völker, die erst noch den Mut finden mussten, einzuschreiten, die Erinjij-Bedrohung auszuschalten. »Oder hast du Bedenken, was den Erfolg unseres Eingreifens angeht?«, fragte der Präzeptor. »Bislang haben wir es nicht geschafft, die Heimatwelt derer, die sich selbst .Menschen. nennen, ausfindig zu machen, Präzeptor«, sprach Manaan Kijth seine Bedenken aus. »Ein Grund mehr, es diesmal zu schaffen«, wischte Feriil Kijths Einwand hinweg. »Die Legion will es so. Sie ist der festen Überzeugung, dass unser Einsatz erfolgreich verlaufen wird und keinerlei Komplikationen auftreten werden.« »Es steht mir nicht zu, die Fähigkeiten der Propheten in Zweifel zu ziehen«, sagte Kijth verhalten. Die roten Augen Feriils schienen aufzulodern. »Dann verstehen wir uns ja. Gut.« Der Präzeptor senkte den Blick auf etwas, das außerhalb des visuellen Erfassungsbereichs der Übertragungsgeräte lag. »Es wird Zeit. Bereiten wir uns vor«, sagte er schließlich. »Gaal sei mit dir« »Und mit uns allen«, vollendete Manaan Kijth den rituellen Spruch.
Das Holobild verblasste und verschwand, als die KHARAK die Verbindung unterbrach. Kijth starrte lange auf den leeren Schirm. Ob sich jetzt eine Wende abzeichnete? Sämtliche Fregatten der Spezialeinheit waren mit verstärkter Offensivbewaffnung ausgestattet, die in ihrer Vernichtungskraft alle bisherigen Errungenschaften der Barschieri auf diesem Gebiet in den Schatten stellen sollten: SchwerkraftSchockwellen, mit denen sich gegnerische Schutzschirme und Panzerungen knacken lassen sollten... »Noch eine Minute bis zum Wechsel«, meldete die Navigation. Kijth hob die Hand und gab ein Zeichen. Die Taktische Station stellte die Verbindung zu allen Einheiten her. Der Flottenkapitän sah jeden seiner Kapitäne auf der Schirmphalanx vor sich auftauchen. »Nexusaufbau!« kam seine Stimme über die Lautsprecher. »Angriffssequenz. Bestätigen!« »Sind bereit, SIOB...« Die Bestätigungen der einzelnen Kommandanten kamen in gewohnt rascher Fblge. »Übertritt in fünf Yan«, meldete das Steuerzentrum. »Vier... drei... zwei... eins...« Und dann... »Gaal sei mit denen, die sich uns in den Weg stellen!« hallte der Motivationsschrei der Barschier durch die offenen Funkkanäle aller Schiffe, als der Verband den Sphärenwechsel vollzog und wieder wurde.
Prof. Dr. Poul Shemar marschierte vor seinen Studenten auf und ab und fühlte sich zum ersten Mal während eines Vortrags irgendwie fehl am Platze. Er vermied es aber, dies zu offen zu zeigen. Mit einem gewissen Neid blickte er ab und zu nach draußen, wo sich ein sonniger Mai-Nachmittag dem Ende zuneigte und viele Gruppen von Studenten den Rasen des Campus unter den weit ausladenden Baumkronen in Beschlag nahmen. Er hätte am liebsten im Freien unterrichtet. Aber eine Koryphäe der Astrophysik gehörte nun einmal in den Lehrsaal und nicht an die frische Luft. Ein Dutzend mehr oder weniger aufmerksamer Studenten lümmelte sich in den Sitzreihen des kleinen Auditoriums. Poul war meist in der Lage zu sagen, wer seinen Ausführungen während einer Vorlesung folgte und wer nicht. Diese jungen Männer und Frauen waren überwiegend aufmerksam und eifrig bei der Sache, bis auf ein paar wenige, die er sich vornahm im Auge zu behalten. Die heutige Vorlesung behandelte die Entstehung von >Schwarzen Löchern<. »Wenden wir uns also«, begann er, »wie beim letzten Mal angekündigt, der Schwarzschild-Metrik zu, die bei der Entstehung von Schwarzen Löchern eine unverzichtbare Rolle spielt... Wer kann darüber etwas sagen?«
»Die Schwarzschild-Metrik geht bis auf das Jahr 1916 zurück«, meldete sich Scott Grier ein Doktorand vom MIT, »und wurde ursächlich von Albert Einstein angeschoben. Denn schon wenige Monate nachdem Einsteins neue Gravitations Theorie veröffentlicht worden war, lag bereits die erste wichtige Lösung dieser Gleichungen als Ergebnis der Forschungen eines deutschen Astronomen namens Karl Schwarzschild vor, der sich seit langem mit der Krümmung der Raumzeit in der Nähe einer sphärischen Masse befasst hatte. Seine Lösung, als Schwarzschild Metrik bekannt, ergab für Massen von Sonnen- oder Planetengrößen exakt das von Newton schon früher vorhergesagte Schwerkraftverhalten: ein umgekehrt quadratisches Verhältnis zum Abstand vom Mittelpunkt der Masse.« »Ah, sie haben den Text gelesen. Ausgezeichnet, Mr. Grier-Die Schwarzschild Lösung«, fuhr Poul Shemar fort, während er mit einer gewissen Befriedigung registrierte, dass die wenigen Studentinnen fasziniert an seinen Lippen hingen, »ist das vierdimensionale Äquivalent der Situation, die sich ergibt, wenn ein kugelförmiger, schwerer Gegenstand auf ein flach gespanntes Trampolin fällt - es wird eine Beule im kosmischen Gewebe erzeugt. Dabei hängt das Ausmaß der Verformung ursächlich von der Masse des Zentralkörpers ab. Mit der erwähnten Schwarzschild-Metrik lässt sich das Verhalten eines jeden Sonnensystems darstellen. Durch die Krümmung der Raumzeit in ihrer Umgebung zwingt eine Sonne ihre unterschiedlich schweren Planeten dazu, in elliptischen Bahnen um sie zu kreisen. Jemand hier, der diesen Vorgang vielleicht selbst visualisieren möchte?« Die Studenten im Lehrsaal blieben stumm. Der Professor nickte, als hätte er nichts anderes erwartet und legte seinen Lichtgriffel wieder aus der Hand. »Dann lassen wir es eben und wenden uns stattdessen weiter der sprachlichen Aufarbeitung zu. Außer der Schwarzschild-Metrik gibt es noch einen anderen Begriff, der ebenfalls von Karl Schwarzschild geprägt wurde: den des Schwarzschild-Radius. Dieser Radien, dessen Umfang sieh nach der jeweiligen Masse des zur Disposition stehenden Himmelskörpers richtet, legt eine kugelförmige Region fest, in der die Auswirkungen der allgemeinen Relativitätstheorie besonders intensiv spürbar sind. Die Raumkrümmung innerhalb der Grenzen dieser Region ist außerordentlich extrem, weshalb sehr starke Bahnabweichungen auftreten. Bei den Objekten unseres Sonnensystems beispielsweise sind diese Radien ziemlich klein so beträgt der Schwarzschild-Radius der Sonne etwa drei Kilometer, der der Erde keine drei Zentimeter. Bei sehr großen Sternen oder Galaxien sind diese Radien natürlich ungleich größer. - Ja, Mister Wilks?« »Wollten wir uns nicht den Schwarzen Löchern widmen, Sir?«, fragte Tom Wilks, ein Doktorand von der Bostoner Universität für Astrophysik. Professor John Cloud mochte Tom Wilks nicht sonderlich, aber er konnte nicht umhin, dessen scharfen, analytischen Verstand zu akzeptieren... Professor John Cloud? Der Erinnerungsfaden zerriss.
Cloud erkannte erleichtert, dass niemand seinen kurzzeitigen Aussetzer bemerkt hatte. Am Schlachtengetümmel draußen im All hatte sich nichts geändert. Gerade zog ein Angreifer-Pulk diagonal über den sichtbaren Ausschnitt, dem sich eine Formation der irdischen Flotte mit grell feuernden Energiekanonen in den Weg stellte und ein Schiff des gegnerischen Verbandes in glühende Partikel verwandelte. Als sich die Gaswolken verzogen und die Sterne des Alls wieder durchschienen, zoomte die Automatik des Äskulapschiffes erneut einen bestimmten Bereich des Alls ins Zentrum des visuellen Bereichs. Und da war es. War es wieder! Das mächtige Raumschiff, die PEKING, schien bewegungslos vor dem Hintergrund aus Schwärze und Sternen zu stehen. Es gab keinen unmittelbar erkennbaren Anzeichen von Fahrt, lediglich auf einem Konsolenschirm in der hiesigen Zentrale trat eine erhöhte Aktivität. von unverständlichen Symbolen auf. Bedeuteten die kryptischen Zeichenfolgen etwa Entfernungsangaben? Cloud trat näher heran, blickte auf die Bildwände. Die Nomenklatur auf der stumpfgrauen Hülle der PEKING konnte er immer noch nicht fassen. »Der Kursvektor des Schiffes ist eindeutig auf uns gerichtet », sagte Resnick unaufgefordert. »Sieht so aus«, brummte Cloud. »Ja«, bekräftigte Jarvis. Ihm war keine Erregung anzumerken. »Was hat es vor? Was glaubst du, Scobee?« »Und du, John?« »Ich wünschte, du würdest nicht jede meiner Fragen mit einer Gegenfrage beantworten...« Es blieb ungewohnt, Scobee nicht nur zu duzen, sondern generell vertraulichen Umgang mit den GenTecs zu pflegen. Cloud begriff einmal mehr, dass er sie bis zur Konfrontation mit den Außerirdischen weniger als Mensch denn als funktionierenden Organismus mit klar umrissenen Pflichten betrachtet hatte Pflichten, aber wenig Rechte... Im Nachhinein fand er dafür keine Entschuldigung mehr. »Ich verstehe«, sagte sie. Ihre Stimme klang ruhig, nicht einmal spöttisch. »Also, noch einmal von... John?«Cloud war einen Schritt zur Seite getreten, als wiche er Cloud war einen Schritt zur Seite getreten, als wiche er etwas aus. Etwas Unsichtbarem. Was war das - dort in der schimmernden Einfassung eines Instrumentenpanels?
Eine Spiegelung? Aber eine Spiegelung wovon? Cloud blinzelte. Die Zentrale wirkte wie immer. Nein, da war nichts, nur Scobees hartnäckige Stimme: »John! Was ist?« Er machte eine abwehrende Handbewegung. »Nichts, Scobee, gar nichts«, versicherte er. Die GenTec schien nicht davon überzeugt zu sein, überhaupt nicht, enthielt sich aber einer Bemerkung. Dann sagte Resnick, auf die Schirme zeigend: »Wir sollten etwas unternehmen. Offensichtlich glaubt man dort drüben, wir gehörten zum Feind. Weshalb sollten sie uns sonst mit einer derartigen Hartnäckigkeit verfolgen? Möglicherweise funken sie uns schon eine ganze Weile an, ohne eine Antwort zu bekommen - wie sollten sie auch l - und stufen uns nun als weiteren potentiellen Gegner ein...« »Heilige Scheiße1«, rief Jarvis in diesem Moment. Deutlich war zu sehen, wie sich an der Breitseite des Verfolgers eine grell blaue Lichtflut aufbaute, die im nächsten Moment auf den Äskulap-Raumer zuschwappte. »Sie schießen auf uns!«, rief Resnick über Funk. »Die verdammten Arschlöcher eröffnen das Feuer auf uns!« »Dann war's das wohl«, flüsterte Scobee und starrte wie hilflos auf die Symbole, die in rascher Folge über die Konsolen huschten. Wie paralysiert warteten Cloud und die GenTecs auf den Einschlag. Der nicht erfolgte. Im Inneren des atmosphärelosen Raumschiffes war nichts davon zu spüren, aber irgendeine selbsttätig anlaufende Schaltung musste den Askulap für Bruchteile von Sekunden beschleunigt und aus der Gefahrenzone katapultiert haben. Obwohl das niemand so recht glauben wollte. Eine derartige Masse in derart kurzer Zeit so radikal zu bewegen, konnte nicht ohne Folgen über die Bühne gehen. Nicht nach menschlichem Verständnis. Auch nicht nach dem von GenTecs. Trotzdem war nichts zu spüren. Nicht die leiseste Vibration, die sich durch die Stiefelsohlen bis in ihre Körper gepflanzt hätte. Nicht der geringste Andruck! Und dennoch war das angreifende Schiff im Getümmel der Raumschlacht zurückgeblieben, war nicht mehr auf den Schirmen zu sehen. Zumindest konnte man es nicht mehr unter all den vielen Lichtpunkten ausmachen... Cloud stieß den angehaltenen Atem aus. Er fühlte sich hilflos. Sie waren der Willkür dieses Schiffes ausgeliefert. Und diese Situation ging ihm so gehörig gegen den Strich, dass er drauf und dran war, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen und seinen Ärger lauthals kund zu tun. Wenn es nur einen Weg gäbe, die künstliche Intelligenz des Bordrechners anzusprechen und dazu zu bringen, die Lebenserhaltungssysteme an ihre Bedürfnisse anzugleichen...
Alles, was sie gegenwärtig hatten, war eine annähernd bequeme künstliche Schwerkraft, nur unwesentlich höher als die Erdnorm. Er wagte sich gar nicht auszumalen, wie es gewesen wäre, hätte die Schwerkraft an Bord mehr als das Doppelte betragen. »Puh«, stöhnte jetzt Scobee, »das war aber knapp.« »Knapper ging's nicht«, bestätigte Resnick. Schweißperlen bedeckten sein Gesicht. Er schob angriffslustig das Kinn vor. »Wenn ich je den verantwortlichen Kommandanten in die Finger bekomme, dann gnade ihm Gott!« Er ballte die Fäuste, als wollte er damit auf jemanden losdreschen. »Dazu bekommst du vielleicht schneller Gelegenheit, als dir lieb ist«, sagte Cloud mit heiserer Stimme. »Sieh mal dort!«
Sie hatten den Wechsel vollzogen. Der abrupte Übergang ließ alle Geräusche an Bord der STOB bis auf den dumpfen Lärm der Gravomotoren für die Dauer eines Herzschlags verstummt. Dann setzte er mit unverminderter Stärke wieder ein; in sämtlichen Einheiten des BarschieriVerbandes herrschte höchste Alarmbereitschaft. Auf dem Kommandodeck verfolgte Manaan Kijth die Lichtpunkte, die sich von der kosmischen Schwärze des Alls abhoben. Er versuchte den metallischen Geschmack im Mund zu ignorieren. Eine der unangenehmen Nebenfolgen des Sphärenwechsels. Er konzentrierte sich auf den großen Hauptschirm und den dort angezeigten Status der BarschieriFlotte. Am unteren Schirmrand strahlte für alle sichtbar der Stern, bei dem sich das ermittelte Wurmloch befand. Der Verband, der eine etwas erhöhte Position zur System-Ekliptik hatte, war weit außerhalb der Umlaufbahn des äußeren Planeten rematerialisiert. Die Sicherheit des Sphärenflugs gab es nun nicht mehr. Aber der Feind befand sich noch jenseits des Zentralgestirns im Hauptkampfgebiet um das Wurmloch; der Verband mit der STOB hatte die Koordinaten des Sphärenwechsels so gewählt, dass er auf der anderen Seite herauskam. Seine Strategen hatten Flottenkapitän Kijth diese Vorgehensweise empfohlen, um den größtmöglichen Überraschungseffekt auf ihrer Seite zu haben. Kijth machte eine Geste. »Verbindung mit der Hauptflotte herstellen«, befahl er. »Abschirmmodus. Wir wollen doch nicht, dass wir vorzeitig entdeckt werden.« »Hergestellt, Herr«, meldete der Beauftragte. »Man bestätigt unsere Ankunft und heißt uns willkommen.« »Gut«, sagte Kijth und studierte die Sensordaten. »Stellen sieVerbindung zur Flottenmatrix her.« »Steht.«
Der Kommandant der STOB nickte. »Ausgezeichnet. Beginnen sie mit der Übermittlung der augenblicklich relevanten Daten aus der Matrix.« Dann verdrängte er alle unwichtigen Gedanken und konzentrierte sich auf den Schirm und die Flut der hereinströmenden Daten. Die rechnererzeugte, holografische Situationsanalyse zeigte die Positionen aller Kampfeinheiten im System an. Die normaloptische Sicht war zurückgefahren worden. Stattdessen war die von den Taktikrechnern erzeugte virtuelle Darstellung des Planetensystems zu sehen, in der winzige grün und blau pulsierende Dreiecke die Positionen der übrigen BarschieriSchiffe markierten, während rote Symbole für die Einheiten des Feindes standen. Dazwischen schwärmten die blinkenden Punkte unzähliger Kleinstjäger wie Sternenstaub. Im Dunstkreis des Wurmlochs traten die roten Symbole massiert auf. Ihr Anblick löste in Manaan Kijth Zorn aus. Für einen Augenblick gab er sich der heißen Woge seiner atavistischen Vergangenheit hin. Dann gewann die gewohnte Sachlichkeit wieder die Oberhand. »Beim großen Gaal«, sagte der Taktische Offizier in diesem Moment fast erschrocken, nachdem er eine Weile die vom Zentralrechner ausgewählten Bildsequenzen studiert hatte, »dieses System ist ja ein einziges Aufmarschgebiet!« Dieser Einschätzung konnte der Flottenkapitän nicht widersprechen. »Was hast du erwartet, Daimid?« Das System »explodierte« förmlich vor militärischer Aktivität. Dutzende der Kampfgiganten der Menschen patrouillierten durch den interplanetarischen Raum auf der Jagd nach Schiffen der BarschieriFlotte. An mehreren Fronten lieferten sich die Einheiten beider Parteien erbitterte Kämpfe. Wie Schwärme monströser Insekten quollen die Kampfjets aus den gewaltigen Bäuchen der Trägerschiffe. Der Flottenverband des Präzeptors bewegte sich im Augenblick auf einer Tangentialbahn ins Innere des Systems. Die Orterwarnung produzierte eine Folge von Warntönen. »Kapitän, wir messen Strukturmuster an, die auf die Ankunft weiterer feindlicher Einheiten hindeuten könnten.« Manaan Kijths Augen flogen über die geschäftig laufenden Anzeigen seiner Konsole, als ein neuer Warnruf ihn aufschreckte. »Achtung! Drei Objekte tauchen aus dem Ereignishorizont des Schwarzen Lochs auf - und sie nehmen direkten Kurs auf uns!« »Kein Irrtum möglich, Daimid?« »Die Parameter sind eindeutig.« »Gib mir eine visuelle Darstellung«, befahl Kijth in das Verebben der Warnsignale. »Maximal mögliche Vergrößerung! « Auf dem Hauptschirm zeichneten sich vor dem Hintergrund der Sterne monströse Gebilde ab. Aus dem Wurmloch waren drei der Raumgiganten des Feindes materialisiert. Die Datensequenzen, die der Zentralcomputer der SIOB in den Holoschirm hineinschrieb, bescheinigten ihnen eine Länge, die über der des größten BarschieriSchiffes lag.
Der Flottenkapitän fauchte. Nun hatte er keine Zeit mehr, sich in aller Ruhe auf den Kampf vorzubereiten. Jetzt wurde ihm vom Gegner das Gesetz des Handelns aufgezwungen. »Ich frage mich, wo ihre Jäger bleiben, oder wollen sie sich uns ohne Flankenschutz nähern?«, sinnierte Kijth laut nach. »Feindliche Jäger im Anflug«, meldete da die Taktikzentrale auch schon. »Wenn man vom Shaju spricht«, knurrte der Flottenkapitän. Er starrte auf den Schirm, der ihm die Situationsanalyse zeigte. Schwärme von hellen Punkten lösten sich aus dem Verband der drei Raumschiffgiganten. Sie würden binnen kurzer Frist auf Schussweite heran sein. »Abschirmung aktivieren!«, befahl Manaan Kijth mit harter Stimme. Auf einem Nebenschirm konnte man das Ausschleusen der eigenen Jäger verfolgen, die sich um die SIOB gruppierten und dann in den Raum vor ihr hinaus stießen, wobei sie sich fächerförmig aufteilten, um die größtmöglichen Schusswinkel zu erzielen. Auch die anderen Einheiten des Verbandes sowie die KHARAK des Präzeptors stießen ihre Raumjäger aus.
Die Barschieri an den Taktikkonsolen in der großen Zentrale der STOB hatten alle Hände voll zu tun, die einlaufenden Meldungen zu sichten und den Piloten mit Hilfe der Gefechtscomputer Unterstützung zu geben.»Neue Strukturveränderung«, meldete »Neue Strukturveränderung«, meldete die Taktik.
»Sie ziehen sich zurück... Vermutlich haben sie eingesehen, dass sie gegen uns nichts ausrichten können.« »Nein, Herr, vier neue Schiffe kommen aus dem Wurmloch. Entfernung nur...« Es folgte eine Angabe, die den Säurepegel in Kijths Metabolismus steigen ließ. »Bei Gaal! Das ist...« »Der erste Pulk nähert sich jetzt ebenfalls«, übertönte Daimid den Kommandanten. sie wollen uns in die Zange nehmen!, dachte Kijth. »Alle entbehrliche Energie in die Schutzschirme!«, befahl Daimid. Und Kijth ergänzte. »Angriff ! «
Einen Augenblick lang herrschte ungläubiges Schweigen. »Tatsächlich, da ist sie wieder! « bestätigte dann Scobee. Sie ließ sich in den monströsen Sitz fallen und starrte kopfschüttelnd auf die Bildwand. Die PEKING war darauf zu sehen. Bedrohlicher als zuvor. Die Präsenz des Schiffes weckte zwiespältige Gefühle in den Betrachtern. Cloud starrte wie hypnotisiert auf die Bildwand, die den immer näher kommenden Verfolger zeigte. »Ob wir noch einmal soviel Glück haben und mit heiler Haut davonkommen werden?«, sagte Jarvis. Die Minuten verstrichen in quälender Monotonie. Auf dem Schirm wurde der Verfolger größer und größer. Bis... »Er hat Verstärkung bekommen!«, erkannte Jarvis als Erster. Einen Augenblick herrschte beklommenes Schweigen. Dann sagte Cloud: »Keine Verstärkung. Der Verfolger wird verfolgt, von zwei Schiffen der anderen Partei!« Die wie filigrane Insektenkörper geformten Gebilde setzten sich hinter das irdische Schiff und nahmen es in die Zange. Doch die erste Doppelsalve ging fehl - und traf stattdessen beinahe den Äskulap. Die beiden Angreifer reagierten, trennten sich. Einer tauchte nach unten weg, der andere versuchte über das Erdschiff zu kommen. Cloud verzog das Gesicht, als er sah, was die beiden Schiffe vorhatten. Ihre Strahlenbahnen tasteten von zwei Seiten auf das irdische Schiff zu, während dieses
alles aufbot, um der Falle zu entrinnen. Es flog eine scharfe Kurve und wich den Energiestrahlen aus. Dann wendete es und ging auf Kollisionskurs mit dem Gegner, dessen Strahlbahnen sich vor dem Bug des irdischen Raumers trafen. Eine Glutwand entstand im All, als die entfesselten Energien in die Bugschirme einschlugen und sie zu sprengen versuchten. Doch ohne erkennbare Schäden kam das Erdschiff aus der flammenden Wolke hervor und setzte seine Fahrt mit geändertem Vektor fort. »Es lässt sich abdrängen«, murmelte Resnick. So war es; das irdische Schiff verschwand im Gewimmel der Sterne, die beiden Gegner nahmen die Verfolgung auf. Damit war auch die Bedrohung für den Äskulap hinfällig geworden. »Was mich wundert, ist, dass die beiden fremden Schiffe überhaupt kein Interesse an uns gezeigt haben«, brach Cloud die Stille. »Wahrscheinlich vermuten sie keine Lebewesen an Bord. Vielleicht zeigen ihnen ihre Sensoren, dass unser Kahn luftleer ist.« Cloud starrte dumpf vor sich hin. Erleichterung wollte sich nicht in ihm breit machen. Denn mit dem Erdschiff war - zumindest vorläufig - auch jede Hoffnung auf Rettung entschwunden.
Die Barschieri-Einheiten hatten erneut ihre Positionen im Nexus ihres Verbandes verändert und eine Kugel gebildet. Keine Formation war tödlicher, wenn es um maximale Feuerkraft ging. Schiffe in einem derartigen Verband konnten zwar keine komplexen Flugmanöver ausführen, waren dafür aber in der Lage, aus jedem Anflugwinkel ununterbrochen auf ihre Ziele zu feuern. Fünfzehn hochgerüstete und mit den neuesten Errungenschaften derWaffentechnik ausgestattete Schiffe schickten sich an, gegen einen Gegner zu bestehen, der Angst und Schrecken in der Galaxis verbreitete. Die SIOB bewegte sich - vom Zentrum des Angriffsvektors aus gesehen - an der Spitze der Formation. Sie befand sich deshalb in relativer Nähe zum ersten Schwarm angreifender Jäger - und bekam auch den ersten Feindkontakt. Die SIOB vollführte ein halsbrecherisches Manöver, um den Kampfgleitern auszuweichen, wobei die Geschütze im Salventakt feuerten. In der Schwärze des Weltraums leuchteten Explosionswolken wie giftige Blüten, wenn gegnerische Schiffe regelrecht zerplatzten. Ein düster-grandioses Spektakel. Und erst der Anfang. Denn neuer Alarm gellte durch die SIOB. »Wir werden abgetastet, Herr! Der Angreifer richtet seine Waffenphalanx aus!«
Manaan Kijth warf einen Blick auf den Statusschirm, auf dem das Dreieck, das die STOB darstellte, von einem roten, segmentierten Gefahrenkranz umgeben war. Dann sah er zu seinem Taktischen Offizier. »Daimid?« »Alle Geschütze maximale Feldstärke und feuerbereit, Herr.« »Dann: Feuer frei...!« Ein gewaltiger Schlag traf die SIOB und brachte die Hülle zum Dröhnen. Kijth keuchte, als seine Statuskonsole den Einschlag einer vollen Breitseite registrierte, unmittelbar bevor die eigenen Geschütztürme zu feuern begannen. Grellblaue Lichtfluten sprangen aus den Waffenkuppeln des Barschieri-Schiffes, bewegten sich lichtschnell auf den Feind zu - und wurden von dessen Schirmfeldern fokussiert und zielgerichtet auf die SIOB zurückgeschmettert! Noch ehe sich Kijth einen Reim darauf machen konnte, heulte der Kollisionswarner durch sämtliche Decks. »Die wollen uns rammen! «, schrie eine Stimme. »Bei Gaal!« Mit pausenlos zuckenden Blitzen kam ihnen das Schiff entgegen. Manaan Kijth reagierte. Die STOB vollführte eine komplizierte Ausweichbewegung und stieß in einer Aufwärtsspirale an der Flanke des feindlichen Schiffes vorbei nach oben. Doch gleich darauf zwang das andere Fahrzeug die STOB dazu, nach rechts zu schwenken, um nur Sekunden später wieder nach unten zu stoßen. Jetzt befand sich Kijths Schiff in der richtigen Angriffsposition. Der Nexus des Gefechtscomputers gab unablässig Manöver- und Entfernungsanweisungen und schickte konzentrierte Feuerstöße aus den Geschütztürmen zum Kriegsschiff der Menschen. Dieses leitete sie mit wabernden Abwehrschirmen teilweise in den Weltraum ab, aber auch wieder zur SIOB zurück, was deren Schirmfeldgeneratoren langsam aber sicher an den Rand einer Überlastung brachte. Die Schutzschirmsensoren pulsierten bereits in greller Warnfarbe. Die Angriffs- und Abwehrtaktik war das Ergebnis der logischen Algorithmen der Gefechtscomputer, die ein Ausweichmanöver nach dem anderen berechneten, während sie gleichzeitig versuchten, eigene Wirkungstreffer zu erzielen. Manaan Kijth betrachtete einen der Sichtschirme über der Kommandokonsole seines Schiffes: Die anderen Barschieri-Einheiten waren in die gleichen Kämpfe und Manöver verwickelt, hatten die gleichen Schwierigkeiten wie die STOB - selbst die KHARAK des Präzeptors. Er öffnete einen Kommunikationskanal und lauschte für kurze Zeit den Anordnungen und Befehlen der anderen Schiffsherren, die wie fernes Geflüster über die abgeschirmte Frequenz an sein Ohr drangen. Dann konzentrierte er sich wieder auf sein eigenes Kommando. Der Taktische Offizier meldete sich. »Herr! Irgendetwas stimmt hier nicht! « Kijth wandte sich ihm augenblicklich zu. »Rede!« »Die Sensoren melden, dass wir immer häufiger von unserem eigenen Geschützfeuer getroffen werden!« Der Offizier klang aufs tiefste besorgt. »Wir brauchen jetzt schon mehr Energie für die Schutzschirme, als für die Geschütze.« »Eine gute Gelegenheit herauszufinden, was unsere Feinde nahezu unverwundbar macht«, erwiderte Kijth.
»Was schlagt ihr vor?« Wieder war es der Feind, der etwas völlig Unerwartetes tat - und Kijth damit einer Antwort enthob. »Er zieht es vor, zu verschwinden!«, rief Daimid. »Bei Gaul, warum tut er das?« In der Tat, so rasch, wie der Feind aufgetaucht war, so schnell zog er sich auch wieder zurück, wobei er die gleiche Vorgehensweise wie bei seinem Erscheinen wählte: die Passage durch das Wurmloch. Ein Weg, der den Barschieri-Einheiten verschlossen blieb. Sie besaßen nicht die dazu erforderliche Technologie. Manaan Kijth gab seinen Untergebenen ein Zeichen. »Schadensbericht!«, verlangte er. »Keine Schäden am Schiff. Die Jäger kehren ebenfalls unversehrt zurück, keine Staffel meldet Ausfälle.« »Was ist mit dem Verband?« »Keine neueren Verluste. Nur minimale Schäden im Schildgenerator der SAN.« »Herr!« Ein Techniker zog Kijths Aufmerksamkeit auf sich. »Sichtspruch von der KHARAK! « »Kanal öffnen«, befahl Kijth und richtete seine Aufmerksamkeit auf den Holoschirm. Das dreidimensionale Abbild des Präzeptors füllte den Schirm vollkommen aus. »Wir leben - aber wir sind gescheitert«, sagte Feriil dumpf. Seine roten Augen glühten unter der Kapuze hervor. »So lange es uns nicht möglich ist, in das Wurmloch zu folgen, werden wir auf diese verlustreiche Taktik der Nadelstiche angewiesen sein.« Noch bevor Kijth etwas entgegnen konnte, unterbrach der Präzeptor die Verbindung. Manaan Kijth starrte auf den nun inaktiven Schirm und kämpfte mit einer derart tief sitzenden Resignation, wie er sie so noch nie empfunden hatte. »Nehmt Kurs auf Barschier!«, befahl er, was nur im Sinn des Präzeptors sein konnte. Und noch während er dies sagte, beschlich ihn die klamme Angst, dass Barschier vielleicht nicht mehr existierte, wenn sie den Planeten der acht Monde erreichten. Die Hinterlist der Menschen war weithin berüchtigt, und wer wollte sagen, ob sie nicht, während sie hier ein ganzes Flottenkontingent banden, gleichzeitig anderenorts zuschlugen. Es wäre nicht die erste Welt gewesen, die im Glutatem ihrer Geschütze verging...
»Ihr habt was vor?« Cloud sah von Scobee über Resnick hinüber zu Jarvis. »Wir wollen mit dem Sprechfunk unserer Anzüge versuchen, Kontakt zu diesem Raumschiff herzustellen, das sich uns so hartnäckig an die Fersen hängt«, wiederholte die GenTec. »Ich habe die Hoffnung, dass die Besatzung an Bord - und
ich gehe jetzt mal davon aus, dass es sich um Menschen handelt und die Nomenklatur auf der Schiffshülle nicht trügt - diese Sendung empfangen und endlich erkennen, dass sich hier an Bord ebenfalls ihresgleichen befinden, die auf ihre Rettung warten.« »Wie willst du das anstellen, Scobee?«, fragte er. »So weit mir bekannt ist, ist die Sendeleistung unserer Anzüge begrenzt. Ich habe da meine Zweifel ob wir damit bis zu unserem Verfolger durchdringen können.« Cloud empfand plötzlich ein bohrendes Verlangen nach heißem Kaffee. Außerdem meldete sich sein Magen mit Vehemenz; er hatte lange nichts mehr zu sich genommen. Die flüssige Nahrung, die das Überlebensmodul des Anzugs bereitstellte, war aufgebraucht; nur Wasser war noch vorhanden, auch wenn man das, was aus dem Saugrohr kam, kaum noch so bezeichnen konnte. Immer wieder aufbereitete Körperflüssigkeiten und Schweiß verdienten dieses Prädikat nicht. Dennoch, ohne Essen konnte man lange überleben, ohne Flüssigkeit nicht. Aber vermutlich drohte ihnen weder der Tod durch Verhungern noch durch Dehydrierung, erkannte Cloud ganz klar. Nein, sie würden schon vorher jämmerlich an Sauerstoffmangel krepieren. Oder erfrieren. Die Energie- und Atemgasvorräte der Anzüge verringerten sich kontinuierlich. Es war abzusehen, wann das letzte Quäntchen aufgebraucht sein würde. Scobee sagte: »Mit einer entsprechenden Modifikation müsste es gehen, die Sendeleistung zu erhöhen. G.T. und Resnick sind überzeugt, sie schaffen das, stimmt's?« »Wir werden es zumindest versuchen«, erwiderte Resnick. »Immerhin haben wir doch einiges während der Vorbereitung auf die Marsmission beigebracht bekommen...« Jarvis sagte: »Außerdem ist die Alternative wesentlich unangenehmer - falls dieses Wort überhaupt ausreicht, zu umschreiben, was uns erwartet. So wie es aussieht, werden wir wohl Opfer eines übereifrigen Kommandanten, der uns längst im Visier seiner Kanonen hat.«
Cloud sah den GenTec an. »Wir können also nur darauf hoffen, dass man unseren Funkspruch rechtzeitig empfängt und versteht?« »Darauf, oder wir erfrieren beziehungsweise der Sauerstoffmangel gibt uns den Rest! Unsere einzige Chance mit dem Leben davonzukommen liegt darin, rechtzeitig von einem der vorgeblichen Erdschiffe da draußen geborgen zu werden. Allerdings...« »Ja?« fragte Cloud, als der GenTec verstummte. »Was ist noch, G.T.?« Aber es war Resnick, der sagte: »Der modifizierte Funksender wird den größten Teil der Energie eines Anzugs aufzehren. Das ist es, was Jarvis dir sagen wollte.« »Nicht nur«, warf Scobee ein. »Was denn noch?« »Sag es ihm selbst, G.T!« Jarvis nickte. »Gut. Um sicher zu gehen, dass unser Hilferuf von der Schiffshülle nicht behindert wird, sollte einer von uns... sollte ich nach draußen gehen. Sozusagen als mobile Abstrahlantenne. « Eine ganze Weile herrschte Schweigen. Dann sagte Cloud: »Großartig. Wirklich verdammt großartig«, spottete er. »Aber ob das wirklich so eine grandiose Idee ist?« »Es ist die beste, weil es die einzige ist, die Erfolg verspricht.« »Willst du das wirklich auf dich nehmen? Wenn wir nicht rechtzeitig empfangen werden, bist du der Erste, der stirbt, weil dein Energie-Pack dann ausgelutscht sein wird wie ein alter Kaugummi«, sagte Cloud unverblümt. »Das sehe ich nicht so«, versicherte der GenTec und wirkte irgendwie belustigt. »Schon vergessen? Wir sind in der Lage, unseren Metabolismus allein kraft unseres Willens zu verändern und unseren Grundumsatz auf eine ziemlich niedrige Ebene herunterzufahren. Ich werde dann zwar nicht mehr so schnell wie gewohnt reagieren können, aber dich dennoch um einiges überleben, Ex.« »Ex und hopp«, brummte Cloud kopfschüttelnd. »Okay, tu es. Und...« Jarvis blickte ihn fragend an. »Toi, toi, toi!« 3. Er schlief nicht. Obwohl es auf Außenstehende diesen Eindruck gemacht hätte. Auf Außenstehende, die ihn, seine Spezies, nicht kannten. Doch Schlaf in der Form, wie Vertreter anderer Spezies ihn benötigten, war für ihn entbehrlich. Er regenerierte auf andere Weise. Obwohl er noch zusätzlich von den notwendig gewordenen Ausflügen in diesem Raumschiff geschwächt worden war, waren seine Sinne pausenlos nach draußen gerichtet, hielten Kontakt mit der Umgebung, spürten dem Flüstern der Energieströme nach, fühlten die pulsierende Kraft der ihn umgebenden Energien und den Puls der Sterne. Die lange Reise zur Wurzel allen Übels, die Reise, die nur ein Keelon zu bewältigen imstande war, hatte fast Darnoks gesamte Kräfte aufgezehrt und ihn an den Rand des Todes gebracht.
Dennoch fühlte er Triumph. Bald. Bald würde er denen gegenübertreten, die für seine nie mehr endende Einsamkeit und unstillbare Sehnsucht nach Heimat verantwortlich waren. Er, der letzte seiner Art...
Eine weitere halbe Stunde verstrich in der Zentrale des Äskulaps. Im Schiff war es ruhig. Über die Außenmikrophone war nichts zu vernehmen. Vakuum übertrug keine Geräusche. Die Energie- und Sauerstoffvorräte der Anzüge aber gingen stetig zurück. Dem Wiederaufbereitungssystem waren Grenzen gesetzt. Scobee hatte sich an eine der Konsolen zurückgezogen, ohne dass erkennbar war, was genau sie dort tat. Jarvis arbeitete an der Verwirklichung seines Vorhabens. Resnick assistierte ihm dabei und gab hin und wieder kurze Hilfestellung, wenn es einmal ins Stocken geriet. Es sah nach wenig Arbeit aus, war aber dennoch nicht einfach, da die klobigen Handschuhe der Raumanzüge für eine derart feinfühlige Handhabung winzigster Bauteile alles andere als optimal waren. Die beiden GenTecs hockten mit gekreuzten Beinen auf dem Boden, zwischen sich hatten sie das Funkgerät, das mit der Energieversorgung von Jarvis' Überlebensmodul aus dem Anzug durch die Nabelschnur dünner Lichtfaserleitungen verbunden war. Resnick überbrückte eine Schaltung auf dem nur handtellergroßen Modul. Dann wühlte er in dem zerstörten Funkgerät aus Darcys Anzug herum, auf der Suche nach Teilen, die zu gebrauchen waren. Cloud beobachtete das Tun. Aber seine Aufmerksamkeit war geteilt - er konzentrierte sich noch auf etwas anderes... Da! Sein Magen zog sich zu einem kalten Knoten zusammen. »Was, zum Teufel...?« Er fuhr herum. Und hätte schwören können, etwas gesehen zu haben - etwas Ungeheuerliches, Surreales, das sich irgendwie durch die Zentrale bewegte. Schnell, und nur zu sehen, wenn man genau den entsprechenden Punkt zufällig mit seinem Blick traf. Und dabei hatte er etwas empfunden, das er mit keinem ihm bekannten Begriff hätte beschreiben können. Einbildung? Darin hatte er Erfahrung. Er brauchte nur an die Aspekte, die tief in seinem Innern nistenden »Gespenster« zu denken. Da! Da war es wieder! Cloud bemerkte aus den Augenwinkeln eine Bewegung, erhaschte quasi am äußersten Rand seiner Wahrnehmung einen dunklen Schatten, wo eigentlich keiner
hätte sein dürfen. Für Sekundenbruchteile breitete sich ein Gefühl völliger Unwirklichkeit in dem Achtundzwanzigjährigen aus. Cloud spürte, wie sein Mund trocken wurde, regelrecht ausdörrte... »Fertig, Ex! « Resnicks Stimme holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Er war versucht, zu lachen. Nein, da war kein surreal anmutendes Ungeheuer. Alles war wie zuvor. Nur dass Resnick, Jarvis und Scobee vor ihm standen und auf etwas zu warten schienen. »Ja?« »Es ist so weit!«, sagte Jarvis ungeduldig. Offenbar wollte er es hinter sich bringen. »Wir können senden!« Cloud begriff - und nickte. »Dann los.« Der Weg zurück zum Hangar und dem dort zurückgelassenen Marsmobil war, anders als bei ihrer Ankunft, als die alles Licht schluckende Schwärze der Wände klaustrophobische Ängste in Cloud ausgelöst hatte, diesmal schattenlos hell ausgeleuchtet. Und trotzdem war ihm. als wurde etwas versuchen, ihn zu erdrücken. Er fuhlte sich beobachtet, immer eindringlicher. Cloud schüttelte den Kopf. An Jarvis gewandt, sagte er. »Noch einmal: Wie willst du es anstellen? Das Schwerefeld endet dort draußen. Schon dran gedacht?« »Unsere Raumanzüge haben magnetisierbare Stiefel.« »Du weißt, dass es trotzdem kaum vertretbar ist.« »Natürlich... Aber bleibt uns eine Wahl?« »Wir wissen zu wenig über dieses Schiff. Dort draußen gibt es vielleicht Einrichtungen, die etwas dagegen haben, wenn du auf ihnen herumtrampelst oder ihnen zu nahe kommst. Ich erinnere nur an die Spirale, die sich um die Hülle windet. Wir wissen nichts über ihre Funktion, außer dass sich in ihr energetische Vorgänge abspielen. Vorgänge, die unter Umständen tödlich sind für jedes Lebewesen, das ihnen zu nahe kommt.« »Was nichts daran ändert, dass es sein muss.« Cloud gestand sich ein, dass er für so viel Sturheit schon wieder Bewunderung empfand. Inzwischen waren sie im Hangar angelangt. Das Marsmobil stand noch so da, wie sie es verlassen hatten, die Luken offen. Niemand, so schien es, hatte sich in der Zwischenzeit daran zu schaffen gemacht. Ohne innezuhalten ging Jarvis um das Fahrzeug herum. »Hier! Das muss das Hangarschott sein!« Jarvis legte die Hände, gegen die Metallwand, deren Beschaffenheit auf ein Schott rückschließen ließ. Er drückte dagegen. Nichts geschah. »Versuch's mal mit Anklopfen«, riet Resnick freundlich. Jarvis brummte nur.
Drückte stärker. Wieder erfolglos. »Verdammt, wie bringen wir das Ding auf?« Aus den Augenwinkeln glaubte Cloud eine Bewegung wahrzunehmen. Sein Blick zuckte zur Seite. »Hast du das auch gesehen?«, hörte er Scobees leise Stimme. »Was glaubst du denn gesehen zu haben, Scobee?« »Ich... weiß es nicht genau. Eine Art Schemen.« »He!«, rief Jarvis in diesem Moment. »Wer sagt's denn...« Lautlos hatte sich das Schott vor ihm geöffnet.
Der GenTec näherte sich der Öffnung, stand an der Schwelle zum Nichts und blickte hinaus. Die Sterne schienen winzige Löcher in den schwarzen Samt des Weltraums zu brennen. Die Systemsonne war nicht zu sehen, sie lag auf der anderen Seite des Schiffes. Als Jarvis den Kopf drehte und nach oben sah, konnte er ihr Gleißen entlang des Hüllenrandes erahnen. »Was ist?«, erreichte ihn Resnicks Stimme. »Jemand zu sehen?« Der andere lachte über seinen eigenen Witz. Ohne etwas darauf zu erwidern, stieß Jarvis sich ab. Im selben Augenblick spürte er, wie die Gravitation auf Null fiel und er schwerelos wurde. Er schluckte, um die momentane Übelkeit zu kompensieren. Sein Innenohr wurde für einen Moment durcheinander gebracht. »Ich habe das verdammte Gefühl zu fallen!«, stieß er hervor. Er drehte sich und sah die Schleuse mit den anderen kleiner werden, während sich vor und neben ihm der mächtige Leib des Askulap auftürmte. Jarvis lächelte. Aus irgendeinem Grund, der ihm nicht ganz klar war, fühlte er sich gut. Die Anzugheizung arbeitete, ihm war warm, und das dunkle Nichts um ihm herum erinnerte ihn ein wenig an die Zeit vor seiner Geburt. Die Schnur - die Nabelschnur -, seine einzige Verbindung mit dem Schiff, entrollte sich lautlos. Dann straffte sie sich, und er verharrte mit ausgebreiteten Armen und Beinen in der Schwerelosigkeit. »G.T.!« Das war Scobee. »Was ist?« »Sei bloß vorsichtig.« »Was kann mir hier schon passieren?« Für sich selbst beantwortete er die Frage: Alles. Alles konnte passieren! Und dann passierte etwas, womit er nicht gerechnet hätte.
Bewegungen in einem Planetensystem mit seinen sich überschneidenden Schwerefeldern sind niemals geradlinig. Und so bewegte sich auch das AskulapSchiff nicht auf einer Geraden, die von A nach B führte, sondern unterlag den Einflüssen und Gesetzen der Präzession, einer durch äußere Kräfte bewirkte Kreiselbewegung um einen Massenmittelpunkt. Ob es sich tatsächlich um eine Präzession handelte oder um ganz andere Faktoren, die mit hineinspielten, ließ sich im Nachhinein nicht mehr ermitteln. Fakt war: Das Schiff schlingerte. Jarvis bemerkte plötzlich, dass er nicht etwa ruhig an seiner Position verharrte, sondern dass das hell erleuchtete Rechteck der Schleusenöffnung von ihm weg nach »unten« driftete. Rasch, ohne in Panik zu verfallen, informierte er die anderen. Die Nabelschnur hing schon leicht durch, beschrieb einen Bogen. »Keine Bange«, sagte Resnick. »Das Ding kann nicht reißen. Damit könnte man ein zweites Raumschiff in Schlepp nehmen.« »Dann bin ich ja beruhigt.« »Wir holen dich herein und versuchen etwas anderes«, sagte Cloud. »Nichts da«, wehrte Jarvis ab. »Schon vergessen? Die Zeit bleibt nicht stehen. Außerdem habe ich die Hülle schon fast erreicht.« Dann prallte Jarvis oberhalb der Schleuse mit dem Rücken gegen den Rumpf. Er zuckte unwillkürlich zusammen, holte tief Luft und betrachtete einen Moment lang das straff gespannte Seil, das zwischen seinen Beinen der Biegung des Rumpfes folgte. Die Spannung des Seils brachte ihn wieder von der Hülle weg. »Verdammt!«, fluchte er, als er sich dabei auch noch um seine eigene Längsachse drehte. Und in diesem Moment bemerkte er, dass sich das Seil von seinem Raumanzug gelöst hatte; es bewegte sich in Schlangenlinien von ihm weg und verschwand vor ihm in der Dunkelheit des Alls. Er wusste sofort, was geschehen war. Der Aufprall hatte die Magnetverriegelung des Seils am Rücken entweder gelöst oder beschädigt. Er hatte plötzlich keine Verbindung mehr. Fluchend hörte er Resnicks Stimme. »Jarvis, verdammt noch mal, antworte mir!« »Okay, okay. Es ist alles in Ordnung.« »Was ist passiert?« »Das verdammte Seil hat sich gelöst. Frag mich nicht wie...« »Wir können dich im Augenblick nicht sehen. Wie ist deine Lage?« »Ich befinde mich etwa einen Meter über der Hülle, oberhalb von euch.« »Schalte die Magnete ein. Los! Vielleicht ziehen dich die Stiefel an den Rumpf.« Jarvis griff nach dem Gürtelschalter, klappte die Schutzabdeckung hoch und aktivierte die Magnete. Nichts geschah. »Hast du's?« »Ja.« »Und?« »Bin schon zu weit von der Schiffshülle weg.«
»Wie weit?« »Vier Meter etwa.« Schweigen. Resnick überlegte. Es war Cloud, der sagte: »Nimm die Anzugtriebwerke, G.T. - damit müsstest du problemlos zu uns gelangen.« Jarvis befolgte auch diesen Ratschlag. Keine Reaktion. Dann bemerkte er das rote Licht unterhalb seines Kinns. Er schaute auf das Ärmeldisplay. Die Tankanzeige signalisierte Leerstand! Den Treibstoff musste er schon irgendwann auf dem Mars aufgebraucht haben, als alles drunter und drüber ging; er war nie dazu gekommen, ihn zu ersetzen. »Jarvis, wie ist dein Status?«, fragte Scobee. Beschissen!, hätte er am liebsten geantwortet, so aber sagte er »Nun... die Triebwerke sind ausgefallen.« »Bitte?« »Glaubt mir, mir gefällt das genauso wenig wie euch.« »Überprüf die Werte der Anzeige noch einmal«, sagte Cloud. »Schon gecheckt. Negativ.« Stille. Inzwischen war der GenTec bereits zwanzig Meter in den Raum abgedriftet. Selten hatte er sich einsamer und verlassener gefühlt als in diesem Moment. Er vernahm kein Geräusch außer dem Rauschen des eigenen Blutes in den Ohren, und über die Heimfunkanlage das charakteristische Hintergrundprasseln auf dem 21-cm-Band. Sonst nichts. Er räusperte sich. »Okay, Leute. Es ist zwar ein Erlebnis, mitten im Nichts zu treiben. Aber dennoch würde ich es vorziehen, wieder an Bord zu sein. Ihr solltet euch langsam etwas einfallen lassen.« Noch immer war keine Panik in Jarvis' Stimme. Er regulierte den Stressaufbau nach Belieben. »Okay!« Das war Resnick. »Ich hole dich jetzt. Meine Tanks sind noch voll.« »Tu das«, sagte Jarvis. »Ich will endlich wieder festen Boden unter den Füßen haben!« In der Schleuse des Askulaps war Resnick zurück zum Marsmobil gegangen. Er wühlte in den außen angebrachten Gerätecontainern und kam mit einem Ausrüstungsgegenstand zurück, der wie eine überdimensionierte Signalpistole aussah. Unter dem dicken Lauf war auf einer Art Angelrolle ein hauchdünnes Seil von hundert Metern Länge aufgespult. Cloud hatte inzwischen Jarvis' »Nabelschnur« eingeholt, und Resnick befestigte den Karabinerhaken seiner Seilrolle an deren Endstück. Dann trat er durch die Schleuse hinaus ins Nichts und zündete sein Anzugtriebwerk. Die Mikrodüsen arbeiteten immer nur für Bruchteile von Sekunden; das herausschießende Gas verwandelte sich im Weltraum in funkelnde Eiskristalle von absolutem Ebenmaß.
Die winzigen Stichflammen trieben den GenTec entlang der Rumpfhülle langsam nach oben, wobei er seinen Flug mittels der Lagekontrolle am Gürtel des Raumanzugs kontrollierte. Die Schnur spannte sich hinter ihm, und die Seilrolle der »Spinnenausrüstung« spulte sich ab. Jarvis erspähte Resnick, der ihm entgegenflog, abbremste und gleich darauf das kurze Sicherungsseil an Jarvis' Gürtel einhakte. Resnick betätigte den Kontakt am Pistolengriff; das Spinnenseil wurde wieder zurückgespult und zog die beiden der Schleuse entgegen. »Danke«, sagte Jarvis knapp. »Du würdest dasselbe für mich tun.« »Stopp!«, rief Jarvis, als sie über dem Rand der Schleuse waren. »Setz mich auf der Hülle ab.« »Was hast du vor?« »Schon vergessen, wir haben unseren Notruf noch nicht abgesetzt...« Kurz darauf setzte Jarvis den rechten Fuß vorsichtig auf die Außenhülle und betätigte die Kontrolle. Der Stiefel heftete sich lautlos an das Schiffsmetall. Jarvis stellte das andere Bein auf den Rumpf des Äskulaps und aktivierte die Magneten. Schließlich 2 Stand er aufrecht und ragte wie ein Dorn vom stumpf weg. »Okay. Die Show kann beginnen - fangen wir an! « »Jetzt heißt es abwarten«, stellte Scobee fest, nachdem sie wieder in die Kommandozentrale des Äskulaps zurückgekehrt waren, »ob unser SOS von irgendjemandem aufgefangen und vor allem richtig gedeutet wurde.« Ihr Blick glitt suchend über den fast nahtlosen Stellardom, aber noch war nichts darauf zu erkennen, was als Reaktion auf den von Cloud formulierten Hilferuf interpretiert werden konnte. Plötzlich sagte Cloud: »Da war es wieder - Himmel! « Die GenTecs starrten ihn entgeistert an. Scobee fragte: »Was war da wieder?« »Eine... Bewegung.« In dürren Worten berichtete Cloud von seiner Beobachtung und schloss mit der Behauptung: »Ihr habt doch längst selbst den Verdacht, dass es außer uns noch etwas hier gibt, oder?« Die GenTecs nickten zögernd. »Wir sollten klären, was hinter diesem >Phantom< steckt«, sagte Cloud »bevor wir es bereuen, es nicht getan zu haben.« Scobee schrie etwas Unverständliches. Cloud und die beiden GenTec sahen sie überrascht an, dann erst bemerkten sie, warum sie den Ruf ausgestoßen hatte. Im Stellardom, über ihren Köpfen, spielte sich etwas ab. Es sah aus, als würde der mit Sternen übersäte Weltraum eine blinde Stelle bekommen. Dann sah man, dass sich der blinde Fleck bewegte. Und schließlich wurde aus dem diffusen Schatten der Rumpf eines Raumschiffes - eines irdischen Schiffes! Cloud betrachtete das waffenstarrende, näher kommende Gebilde. »Was bist du?«, murmelte er angespannt. »Freund oder Feind?«
»Wie auch immer«, sagte Jarvis. »Es scheint sich jedenfalls um die Antwort auf unseren Hilferuf zu handeln.«
»Seht ihr, was ich sehe?«, rief Resnick alarmiert. Und Scobee machte nur: »O-oh...« Um die Geschützantennen des sich nähernden Schiffs loderte Energie, als würde sich dort ein todbringender Blitz aufbauen. Ähnlich den Verderben bringenden Strahlen, die der Askulap zu schleudern vermochte - wie er auf dem Mars bei der Attacke gegen die RUBIKON und das alte Habitat der ARMSTRONG bewiesen hatte.(siehe Heft 01 Armageddon) Cloud spürte, wie Kälte nach ihm griff. Eiseskälte. Er ahnte bereits, dass sie sich mit dem abgestrahlten Notsignal einen Bärendienst erwiesen hatte - auch wenn er immer noch nicht wusste, was hinter der aberwitzigen Situation steckte, in die sie verschlagen worden waren. Irdische Schiffe! Wer trieb hier falsches Spiel? Wer spiegelte anderen Intelligenzen vor, die Menschen würden über solche Raumschiffe verfügen? Und wie passte das alles mit der Tatsache zusammen, dass die Erde von einer außerirdischen Armada angegriffen worden war? Sein Puls beschleunigte zu einem rasenden Stakkato - als wiederum Merkwürdiges geschah: Innerhalb der Kommandozentrale liefen plötzlich Prozesse an, ohne dass jemand einen Finger gerührt hätte. Zumindest niemand von ihnen... Auf den Bildwänden erschienen in rasender Abfolge kryptische Symbolketten und Schriftzeichen. Die Szenenwiedergabe veränderte sich. Cloud und die GenTecs konnten verfolgen, wie eine Art Energiefeld über den Rumpf des Askulaps hinausgriff. Es hatte den Anschein, als würde der sternengesprenkelte Weltraum von einem leichten Schleier überzogen, der dennoch klare Sicht bot. Eine Art Schild? Wie in den einschlägigen Filmen? Aktiviert ohne ihr Zutun? Clouds Blicke suchten den irdischen Raumer, der wahrscheinlich ihrem SOS-Ruf gefolgt war. Und der gerade zu feuern begann. Auf sie. Noch ehe Cloud und die GenTecs ihrer Bestürzung Ausdruck verleihen konnten, wurde der Schuss auch schon abgeschmettert. Von eben jenem Feld, das sich gerade um den Askulap herum aufgebaut hatte. Dennoch wurde das Schiff durchgeschüttelt. Andruck kam durch. Die Menschen stürzten, wirbelten durch den luftleeren Raum... ... und fanden nacheinander Halt, konnten sich wieder aufrappeln. »Das war knapp«, seufzte Jarvis.
»Feine Reaktion auf unseren Funkspruch«, fügte Scobee zerknirscht hinzu. Erneut feuerten die Geschütze des irdischen Raumers. »Es ergibt keinen Sinn«, sagte Cloud gepresst, »nicht den geringsten Sinn. Wenn die da draußen unseren Ruf aufgeschnappt hätten, müssten sie doch kapiert haben, dass wir welche von ihnen sind!« Und wieder überschlugen sich die Ereignisse. Scobee stieß einen Warnruf aus.
Sie sah etwas Schattenhaftes durch die Zentrale huschen, etwas seltsam Verzerrtes. Wie ein dunkler Nebelfetzen. Ein... Phantom, das in einem Wirbel kurz die Steuerkonsolen streifte, ehe es verschwand, als hätte es einen Spalt in der Wirklichkeit gefunden und wäre hindurchgeschlüpft... »Da! Da war... etwas!« Cloud hörte Scobees Ausruf und wusste im gleichen Moment, was ihn verursacht hatte. »Du hast es gesehen, Scob! «, sagte er fast triumphierend. Sie drehte sich langsam zu ihm um. Widerstreitende Emotionen spiegelten sich auf ihrem Gesicht. Sie starrte Cloud an, dann Resnick und zuletzt Jarvis. Niemand außer ihr hatte dieses Etwas gesehen. Zum x-ten Mal veränderten sich die Bilder auf den umgebenden Wänden. Zu dem angreifenden Raumschiff gesellten sich weitere Schiffe »irdischer« Bauart. »Sie nehmen uns in die Zange«, stellte Jarvis lapidar fest. Resnick brummte etwas Unverständliches. Mehrere Energieblitze versuchten gleichzeitig, sich einen Weg durch den Schild des Askulaps zu bahnen. Immer wieder lösten sich Breitseiten aus den anfliegenden Schiffen. Cloud stöhnte gepresst auf. Versuchte, seine Emotionen unter Kontrolle zu halten. War dies das endgültige Aus? »Nein!«, knurrte er. »Noch ist nicht aller Tage Abend! « Erneut schlugen die entfesselten Energien ein, versuchten, den Schutzschild aufzureißen, ihm eine tödliche Lücke zuzufügen. Das Schiff schüttelte sich wie ein waidwunder Riesenwal. Beharrungskräfte wurden spürbar. Wieder wurden die Menschen zu Boden geworfen. Dann kehrte urplötzlich Ruhe ein. Ächzend richtete sich Cloud auf und starrte wie die anderen auf einen bestimmten Punkt in der Zentrale. Zwischen den Steuerkonsolen und den Wänden bewegte sich etwas mit einer geradezu irrwitzigen Geschwindigkeit! Resnick brachte seine Automatikwaffe in Anschlag.
»Stopp!«, bremste ihn Cloud. »Viel zu gefährlich! Du weißt, was wir schon einmal angerichtet haben... Außerdem: Vielleicht haben wir es diesem Etwas zu verdanken, dass wir überhaupt noch am Leben sind!« Zögernd senkte Resnick den Lauf der Automatik. »Woher nimmst du diesen Glauben?« »Wer, glaubst du, hat wohl denn den Schutzschild aktiviert - und versucht jetzt, uns aus der Gefahrenzone zu bringen?« »Das ist reine Spekulation...« »Aber mit einem gewissen Wahrscheinlichkeitsgehalt!« In der Tat hatte der Äskulap erkennbar Fahrt aufgenommen; auf der Bildwand gerieten die nahen Sterne in Bewegung, glitten nach hinten weg, als das Raumschiff den Ring der Angreifer durchbrach. »Ich... ach, verdammt!« Cloud wich zur Seite, als der Schatten zwischen ihm und Jarvis hindurch jagte und einfach das geschlossene Schott durchdrang. »Wir könnten es mit einem Atavar zu tun haben, einer virtuellen Manifestation des Bordrechners - oder einem völlig fremdartigen Wesen, das sich irgendwo an Bord versteckt und auch nicht zur eigentlichen Besatzung zählt...«, beteiligte sich Scobee an den wilden Spekulationen. »Sei es wie es ist«, warf Jarvis in die Debatte. »Viel scheint es ja nicht von uns zu halten, denn sonst wüsste es, dass wir kurz davor stehen, an schnödem Sauerstoffmangel zu krepieren.« »Woher sollte es das wissen?«, hielt Resnick dagegen, der noch immer seine Waffe umklammert hielt, als befürchtete er, dass jeden Augenblick Horden von vielbeinigen Monstern durch das Schott brechen würden. »Kann gut sein, dass sein Metabolismus gar keinen Sauerstoff benötigt und es deshalb auch nicht um dessen Notwendigkeit für unser Überleben weiß... « »Machen wir es ihm begreiflich. Vielleicht kommt es dann zu dem Ergebnis, dass es von allergrößter Dringlichkeit ist, eine Atmosphäre aufzubauen - und sei es nur für uns«, seufzte Cloud. »Wie sollen wir das anstellen?«, erkundigte sich Jarvis. Eine neue Breitseite aus den Waffensystemen der Verfolger erschütterte den Äskulap. Diesmal blieben die Menschen jedoch auf den Beinen. »Indem wir nach ihm suchen.« »Das müsste aber dann schon im Eiltempo geschehen«, murmelte Jarvis und klopfte auf sein Display. »Der Sauerstoff geht zur Neige, Freunde. Ihr könnt schon mal anfangen, euer Testament aufzusetzen.« »Lasst uns nicht länger warten«, drängte auch Scobee zur Eile. »Okay. Jarvis, du bleibst hier in der Zentrale und hältst uns über das, was draußen geschieht, auf dem Laufenden. Wir anderen machen uns auf den Weg, etwas aufzuspüren, was vermutlich nicht aufgespürt werden will.« Und so geschah es. Überall war es hell. Die Gänge und Räume, die sie passierten, wurden von mildem Licht durchströmt. »Zumindest müssen wir nicht ganz im Dunkeln tappen«, spottete Resnick.
»Wie tröstlich«, beschied ihm Scobee. »Ich für mein Teil würde gern im Strahl meiner Lampe nach etwas suchen, dafür aber nicht diesen stinkenden Anzug tragen müssen.« Cloud hatte den GenTec die Führung überlassen, ging selbst am Ende ihrer Dreiergruppe. »Und? Irgendetwas festzustellen?« Clouds Frage bezog sich auf das MikroAnalysesystem von Scobees Anzug. »Hier existiert ebenfalls nichts«, sagte die Klonfrau. »Nicht das klitzekleinste Gasmolekül« »Uns bleibt aber auch nichts erspart«, kommentierte Resnick missmutig. Gleich nachdem sie den Stellardom des Askulaps verlassen hatten, waren sie dem Hauptkorridor - zumindest war ihre einhellige Meinung, dass es sich bei diesem Gang um einen solchen handelte - in Richtung Heck gefolgt, wo aller Voraussicht nach die Triebwerkssektion liegen würde. Im Augenblick bewegten sie sich auf einem eineinhalb Meter breiten Steg über einem Abgrund hinweg, dessen Verwendungszweck nicht feststellbar war. Ein dichtes Gitterwerk aus sich überkreuzenden Rohren erstreckte sich sowohl nach oben als auch nach unten und füllte den Raum vollständig aus. Die Kreuzungspunkte bestanden aus kugelförmigen Knoten. Energetische Entladungen gewitterten zwischen dem Netzwerk, und Cloud glaubte Elektrizität zu schmecken, was natürlich Unsinn war und nur seiner Einbildungskraft entsprang. »Das sieht fast aus wie bioelektrische Abläufe in einem Gehirn«, sagte Resnick. »Korrekt«, ging Scobee darauf ein. »Man kommt sich vor wie eine Mikrobe in einem neuronalen Netz.« Cloud hörte die Spannung, die in der Stimme der GenTec mitschwang. Sie gingen weiter. Vor ihnen mündete der Steg in eine Plattform und verzweigte sich. »Wohin jetzt?«, fragte Resnick. »Irgendwelche Vorschläge?« »Immer geradeaus«, sagte Scobee. »Erst die Hauptachse entlang. Und finden wir da nicht das Versteck unseres blinden Passagiers, nehmen wir uns die Seitenabschnitte vor.« »Wenn ihr dann noch Gelegenheit dazu habt«, drang plötzlich Jarvis' Stimme aus dem Heimfunk. »Ich sage es ja nur ungern, aber hier oben ist die Hölle los! Der Schild gerät immer stärker unter Beschuss. Der Zeitpunkt, wann er zusammenbricht, ist abzusehen. Ich bemühe mich zwar, die Technik zu verstehen, von der ich hier umgeben bin, aber es ist aussichtslos.« »Sind die Schiffe immer noch hinter uns her?« Kurze Pause. Dann: »Natürlich - wie eine Horde Teufel hinter der einzigen armen Seele weit und breit! Wie kommt ihr voran?« »Besser als gedacht. Die Drucktüren öffnen sich wie von selbst, wenn wir ihnen nahe kommen. Sobald wir einen dunklen Abschnitt vorfinden, erhellt er sich selbsttätig.« »Was machen eure Sauerstoffreserven?«, kam seine nächste Frage aus den Funkempfängern. »Es geht ihnen nicht besser als deinem eigenen Vorrat«, sagte Scobee. »Dann solltet ihr bald etwas erreichen.«
Niemand widersprach. Am Ende des Stegs versperrte ein weiteres Trennschott den Weg. Auch dieses öffnete sich automatisch, und wie erwartet flammten Lichter auf, sobald sie den neuen Abschnitt betraten. Vor ihnen lag ein weitläufiger, hell beleuchteter Raum. Er war etwa acht auf acht Meter groß und vier Meter hoch. Darin befanden sich Objekte, die nicht auf den ersten Blick zu erkennen waren. Und auch nicht auf den zweiten, dritten... Ein absonderlicher Ort. Er strahlte eine größere Fremdartigkeit aus als jeder andere Punkt des Schiffes, den sie bislang betreten hatten. »Was zur Hölle ist das?« Scobee brach das stumme Staunen. Cloud schob sich an ihr vorbei und trat tiefer in den Raum, der voller... Dinge hing. »Wir bleiben dicht beisammen«, sagte er. »Und jeder achtet auf jeden. Das sieht nicht gut aus. Das sieht verdammt gespenstisch aus.« So war es in der Tat. Zylinderförmige »Blasen« schwebten in der Luft, insgesamt mehrere Dutzend, jede etwa dreißig Zentimeter dick und siebzig Zentimeter lang. Sie veränderten nicht ihre Position, sondern hingen wie an unsichtbaren Fäden an fixen Stellen. Und leuchteten. Genau genommen waren sie die einzige Lichtquelle hier. Sie sonderten einen silbrigen, an fahles Mondlicht erinnernden Schein ab, der sich wie etwas Klebriges an die Raumanzüge heftete... Was für ein absurder Gedanke. Cloud schüttelte den Kopf. Gleichzeitig fühlte er, wie das Licht auch die Filter seines Helmes durchdrang und sich auf seine Gesichtshaut legte. Fühlbar nicht als Wärme, sondern wie eine Berührung. Ihn schauderte. Er überlegte, ob er die anderen darauf ansprechen sollte und entschied sich dafür. »Merkt ihr das auch?« Er beschrieb ihnen seine Empfindung. Beide verneinten unisono - was ihn aber nicht im Mindesten beruhigte. Vorsichtig glitt er zwischen den schwebenden Gebilden hindurch und blieb vor einem von ihnen stehen, um es näher in Augenschein zu nehmen. Es war durchsichtig, wirkte wie eine zylindrische, lichtgefüllte Seifenblase, die jeden Moment zerplatzen konnte... ... und noch während Cloud dies dachte, streckte links von ihm Scobee ihre Hand aus und berührte das Gebilde, vor dem sie stehen geblieben war... ... berührte es und... ... brachte es damit zum Bersten.
Sie fluchte, aber es änderte nichts mehr. Was geschehen war, war geschehen. »Vorsicht!« Ihr Ruf alarmierte die anderen, die sie entgeistert anstarrten - aber nur eine Sekunde lang, denn dann zog das, was sie ausgelöst hatte, ihre ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich. Etwas tropfte zu Boden: Der Inhalt der zerstörten Blase, die keineswegs leer oder nur lichtgefüllt gewesen war... Mehr fasziniert als entsetzt betrachtete auch Scobee die Tropfen, die lautlos wie schmutziger Regen auf den Metallboden klatschten und sich dort quecksilbrig zu einem amöbenartigen »Fladen« vereinigten, der... ... langsam auf Scobees Stiefel zuzukriechen begann. Und dabei veränderte es sich. Bildete plötzlich Formen aus, Strukturen, die an nichts erinnerten, was menschliche Augen je geschaut hatten... Scobee hörte erst Cloud, dann Resnick fluchen und dann Cloud schreien: »Raus hier! Sofort raus hier! Was immer das ist... wir sollten es in Ruhe lassen...!« Sie dachte nicht daran zu widersprechen, wich zurück - und achtete darauf, nicht gegen ein weiteres dieser »Lichtgebilde« zu stoßen, in denen ganz offenbar etwas... lebte? War das tatsächlich Leben? Die Bewegung suggerierte es, aber weder Scobee noch die beiden anderen waren begierig darauf, herauszufinden, was wirklich dahinter steckte. Die Zeit brannte ihnen unter den Nägeln. Sie waren unterwegs, um ein Phantom zu finden... ... und so vielleicht ihre hauchdünne Chance zu wahren, doch noch rechtzeitig in den Besitz neuer Vorräte an Atemluft zu gelangen... »Ja, verschwinden wir«, seufzte Scobee. »Das hier ist... mehr als unheimlich... « Resnick bewegte sich bereits zum Ende des Raumes und dort auf das nächste Trennschott zu. Das Fehlen jeglicher Außengeräusche steigerte ihre Beklemmung noch. Nur ein beständiges Vibrieren pflanzte sich über den Boden in die Anzüge fort und kündete davon, dass im Schiff gewaltige Maschinen arbeiteten. Ansonsten hörten Cloud und die GenTecs nur ihre eigenen Atemgeräusche. Die nächste Drucktür öffnete sich wieder auf ihre bloße Annäherung hin. Resnick schob erst die Mündung seiner Automatik durch die Öffnung, dann folgte der Kopf, und er sah sich um. »Alles klar«, rief er, bevor er eintrat. »Keine sichtbare Gefahr weit und breit! « Hinter ihnen schloss sich das Schott wieder, was Cloud zu der Bemerkung veranlasste: »Und was, wenn der Bewegungsmelder auch auf die >Amöbe< anspricht?« »Dann werde ich mich um sie kümmern«, versprach Scobee. Es klang sehr entschieden. »Immerhin habe ich uns das auch eingebrockt.« Der Raum, in den sie jetzt gelangten, erinnerte an eine Steuerzentrale, wie Resnick meinte. »Aber keine sekundäre Zentrale«, konkretisierte Cloud. »Zu klein dafür. Vermutlich eine automatisierte Maschinenbrücke. Von hier aus werden bestimmte Systeme des
Schiffes ferngesteuert, die zu hochsensiblen Bereichen gehören, in denen sich besser niemand aufhält,« »Wegen der Strahlung?« »Zum Beispiel«, beantwortete Cloud Scobees Frage. »Ich nehme an, in einem Raumschiff dieser Größe wird es möglicherweise mehrere davon geben.« Sie gingen tiefer in den Raum; im Vorbeigehen inspizierten sie die abge48 schrägten Konsolen, die Phalanx flacher Bildschirme und einen Hauptschirm über den Steuerpulten. »Ich gäbe weiß Gott was darum, wenn ich wüsste, wie das alles funktioniert«, murmelte Scobee. »Wer von uns nicht«, erwiderte Cloud. »Aber dafür haben wir jetzt keine Zeit mehr. Unser Sauerstoffvorrat geht unerbittlich zur Neige. Los, weiter.« Nach wenigen Minuten sahen sie sich in einem Vorraum am Weitergehen gehindert. Vor ihnen versperrte ein Trennschott, größer als die bisherigen, den Weiterweg. Und es machte keine Anstalten, sich automatisch zu öffnen. »Unser Sesam-öffne-dich-Zauber versagt«, sagte Resnick. »Aber vielleicht können wir den Öffnungsmechanismus zwingen. Er inspizierte die Symbole einer kleinen Sensorplatte neben dem Trennschott und tippte auf der fremd anmutenden Tastatur, als hätte er nie etwas anderes in seinem Leben getan. Schließlich schüttelte er unter der transparenten Glocke des Helmes den Kopf. »Nichts zu machen.« »Toll«, sagte Cloud. Resnick zuckte die Schultern; er wirkte frustriert. »Und jetzt?«, fragte Scobee. »Zurück, von wo wir gekommen sind? Eine neue Suche starten?« »Ich frage mich schon die ganze Zeit...«, setzte Cloud an. »Was?« »Ich weiß nicht, wie ich es begründen soll, aber ich habe das Gefühl, dass uns jemand beobachtet und jeden unserer Schritte verfolgt - schon die ganze Zeit.« Die GenTecs schwiegen. Cloud deutete es als verständliche Skepsis. »Habt ihr nicht bemerkt, dass sich manche Trennschotts nicht öffnen, wenn wir uns ihnen nähern, andere aber sehr wohl?« »Du meinst...?« »Jemand dirigiert uns in eine ganz bestimmte Richtung, ja!« »Hierher?« »So würde ich denken.« »Unser unbekannter Passagier?« Scobee nickte, als würde sie gerade Gefallen an Clouds These finden. »Hmm. Vielleicht ist er - oder sollte ich besser sagen: es - gar kein Passagier, sondern Teil der Besatzung dieses Schiffes.« »Wie der >Steinerne<, der vielleicht gar kein Roboter war, sondern eine uns unbekannte Lebensform?« »Warum nicht?« »Das sind für meinen Geschmack entschieden zu viele Vielleichts«, erklärte Resnick. »Ich halte mich lieber an Fakten.« Er hob die Automatik.
»Was hast du nun schon wieder vor?«, wollte Scobee wissen. »Doch nicht etwa...?« »Lass ihn«, sagte Cloud. »Mitunter führt auch Gewalt zum Ziel.« »Oder in den Untergang!«, brach Jarvis' Stimme aus dem Helmfunk. »Der Schirm ist endgültig kollabiert. Wir sind dem nächsten Angriff unserer Verfolger schutzlos ausgeliefert!« Seine Stimme verlor sich unter Störgeräuschen. In diesem Augenblick geschah etwas, dass mit einem Schlag alles veränderte. Die Wände um sie herum wurden... durchsichtig! Das Licht der Sterne schimmerte herein. Dann schien das Schiff eine Dimensionsgrenze zu durchstoßen. Ein psychedelischer Kosmos entfaltete sich, wie ihn Cloud noch nie gesehen hatte, weil ihm alle diesbezüglichen Erfahrungswerte fehlten. Ein von leuchtenden Kugeln und Blasen erfüllter Kosmos... Wieder dieses entsetzliche Gefühl, als würde sich die Zeit erst dehnen und dann auf die geringst mögliche Dichte zusammenfalten. Cloud hörte einen Schrei. Aber der erreichte ihn nicht über die Ohren, sondern entlud sich in seinem Gehirn. Cloud nahm nicht mehr wahr, wie sich ein röchelnder Laut aus seiner Kehle quälte. Konvulsivisch zuckend ging er zu Boden. Wie eine alles verschlingende Woge brandete Dunkelheit heran und schlug über ihm zusammen. Begrub ihn unter sich. Und mit dem allerletzten Rest seines malträtierten, schwindenden Bewusstseins dachte er: Vorbei! 4. ... sie folgten der Straße acht Meilen entlang des schmalen Sees nach Westen. Dort, wo die Straße nach Icaza abbog, fuhr Gustavo, der einheimische Führer, hügelaufwärts über eine Fläche, die im grauen, unsicheren Licht des frühen Morgen wie Weideland aussah. Der Motor des schweren Humvees dröhnte durch die Stille. Als es etwas heller wurde, sah Professor Darren Callahan, dass sie einem überwucherten Knüppeldamm folgten, der über kleine Hügel und durch seichte Wasserläufe führte. Sie waren so früh aufgebrochen, um nicht den Banden mordender, chilenischer Schatzjäger zu begegnen. Seit am Fuße der Kordilleren uralte Tempelanlagen entdeckt worden waren, wurden immer wieder ganze Gruppen von Professoren überfallen, ermordet und ihrer Artefakte beraubt. »Wie weit noch?«, brüllte Darren gegen den Motorenlärm an. »Sind gleich da, Senor Callahan - noch etwa dreihundert Meter weiter.« Nach einer Weile bremste Gustavo den Wagen ab und stieg aus. »Ab hier müssen. wir zu Fuß weiter.« Er zeigte nach Westen, auf die Kordilleren. »Mögen sie Berge?« »Nicht besonders.« »Der hohe Gipfel ist der Cerro Blanco, der andere El Catedral.« Darren spähte zum gezackten, weit oben verlaufenden Horizont. »Ein wildes Land«, bemerkte er und stieg ebenfalls aus. Er streckte sich, dann schulterte er seinen Rucksack.
»Nun denn«, sagte er, »vergessen wir den El Catedral und die anderen Berge. Ich bin nicht hier, um die Schönheiten des Landes zu bewundern. Wo, sagen sie, ist das... der Satellit abgestürzt?« Fast hätte er UFO gesagt. »Gleich hinter dem Grat dort oben, Senor Professor. Sie können die Stelle nicht verfehlen, folgen sie nur dem schmalen Pfad.« »Gut, gehen wir.« Doch der Führer blieb stehen, wo er gerade war, neben dem Felsen, den Rücken dem eisigen Wind zugekehrt. »Ich werde nicht mitgehen«, sagte er und spuckte aus, »denn ich habe Angst.« Seine Augen waren weit aufgerissen, als er Darren ansah. »Wenn sie wollen, werde ich beim Wagen warten, bis sie wiederkommen, dann bringe ich sie zurück nach San Carlos, und im Hotel werden sie mir die vereinbarten Dollars geben.« Darren Callahan sah ihn an. Er hatte so etwas befürchtet und sich bereits damit abgefunden. War vielleicht nicht ein50 mal verkehrt, wenn er den Flugkörper allein untersuchte. Damit gehörten ihm die Exklusivrechte, ihm, Darren Callahan, Professor für Fremdkörperphysik und Raumfahrt am CALTECH. »Senor?« Das Gesicht des Führers war grau. Nur auf seinen zerfurchten Wangen brannten zwei rote Flecken. »Machen wir es so? Ich brauche das Geld. Nicht für mich, für meine Frau.« Darren nickte. Er wandte sich zum Gehen, als er einen Laut hörte, der wie das trockene Knacken eines brechenden Zweiges unter einem Stiefel klang. Der Laut schien fern, doch er rollte hallend durch das enge Tal. Dann sah Darren, wie sich Gustavo an die Brust griff und vornüber sank. Instinktiv lief er zurück, um den Fallenden aufzufangen. Er kniete neben ihm nieder und sah die brechenden Augen. »Erica!«, kam es röchelnd über Gustavos Lippen, und ein zweites trockenes Knacken drang von unten herauf, von jenseits des Weges, wo der Humvee stand. Etwas von der Gewalt eines Presslufthammers warf Darren um, schleuderte ihn mehrere Meter weit den Hang hinunter. Ein stechender Schmerz in seiner Brust schwoll plötzlich an, und als er versuchte aufzustehen, konnte er sich nicht bewegen. Er lag mit dem Gesicht im gefrorenen Gras, schmeckte die Erde und spürte, wie das Eis zwischen den Graswurzeln unter der Wärme seines Gesichtes zu schmelzen begann. Dann wälzte er sich auf den Rücken, seine Beine zeigten hinunter ins Tal. Er starrte ungläubig auf den sich auf der rechten Brustseite seines Parka ausbreitenden Fleck, während sein Gehirn wieder zu funktionieren begann. Der Schütze musste sich jenseits des Weges befinden. Wenn sonst niemand auf dieser Seite war, bestand eine Chance zu entkommen. Der Mörder würde den Hang herauf klettern, um sich zu vergewissern, dass er getroffen hatte und um seinen Opfern nötigenfalls den Gnadenschuss zu versetzen. Ihm blieben, überschlug Darren, nicht mehr als zehn Minuten, um ein Versteck zu finden. Er blickte wieder auf seine Brust, sah, dass sich der Fleck vergrößert hatte und presste die Zähne aufeinander, um keinen Schrei auszustoßen, weil der stechende
Schmerz übermächtig wurde. Er hustete und schmeckte Blut auf den Lippen. Der Schuss musste die Lunge verletzt haben. Der eisige Wind trieb ihm scharfe Schneekristalle in Gesicht und Augen. Er schätzte den Hang des Hügels ab und ließ sich, den Kopf mit Armen und Händen schützend, die schiefe Ebene hinabrollen. Schmerzhaft prallte er gegen etwas Hartes und schrie laut auf. Eine verkrüppelte Kiefer hatte ihn aufgehalten. Er öffnete die Augen und sah, dass er fast am Fuß des Hangs angelangt war. Das Kieferndickicht war niedrig. Er schob sich hinein, so gut er es vermochte. Dann griff er in die Außentasche seines Parka und tastete nach der Automatik; sie war nicht mehr da. Offenbar hatte er sie beim Herunterrollen verloren. Hustend zog er sein Jagdmesser aus der Scheide und hielt es in der linken Faust. Es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, als er Schritte hörte. In der Luft war ein Brausen und Schlagen, als würden riesige Kondore ihre Kreise ziehen. Nein, korrigierte er sich, keine Kondore. Hubschrauber. So hörten sich die schlagenden Rotorblätter von Hubschraubern an. Und während er sich noch darüber wunderte, was Hubschrauber in diesem Teil der Welt zu suchen hatten, wurden die Schritte lauter und zahlreicher. Wenigstens drei Männer kamen ihm entgegen. Sein Bewusstsein begann zu verschwimmen. Seine Sehkraft schien nachzulassen und wieder zurückzukehren. Flecken tankten ihm vor den Augen. Er keuchte schwer, schien immer weniger fähig, seine Lungen zu füllen. Die Schritte waren jetzt ganz nah. Darren sah Uniformen im Licht der Morgensonne. Amerikanische Uniformen. Ranger-Uniformen in Wintertarnung. In dieser Höhe lag Schnee. Einer der Soldaten hatte ein Sniper-Gewehr geschultert; der lange Lauf mit dem übergroßen Korn über der Mündung ragte über seinen Kopf hinaus. Ein Lächeln huschte über Darrens schweißbedecktes Gesicht. Er schloss die Augen. Es war vorbei. Er war gerettet. »Schön, euch zu sehen, Kumpels«, murmelte er. »Er lebt noch, Captain!«, sagte eine junge, forsche Stimme erstaunt. »Schlechter Schuss, Gunnery-Sergeant«, erwiderte eine andere Stimme. »Sie haben ihn rechts getroffen, sie Pfeife. Beenden sie es. Aber nicht in den .Kopf, verstanden!« Darren zwang sich, die Augen zu öffnen. Wovon redeten die Ranger? Er sah, wie sich die Mündung eines großkalibrigen Colts auf ihn richtet und wusste plötzlich, dass er hier sterben würde. Er öffnete den Mund. »Warum...?«, formten seine Lippen. »Das würden sie nicht verstehen, Professor«, sagte der Captain der Army Banger, während sich der Schuss löste und Professor Darren Callahans Herz durchschlug...
Er trieb durch die endlose Nacht dahin. Ein Nichts, das schweigend in astraler Kälte schwebte. Himmelskörper schimmerten in allen Farben des Regenbogens, verschwanden im Dunkel des Tiefraums, und nach einiger Zeit wurde ihm klar, dass er ohne Druckanzug im All kreiselte. Hinter ihm entfernte sich der Äskulap zwischen den Sternen. Und um ihn war absolute Stille; er hörte nicht den geringsten Laut, erinnerte sich aber, dass etwas nicht funktioniert hatte und er von allen an Bord der einzige Überlebende gewesen war. Oder war es anders? Sein Kopf war zu bleiern, als dass er sich hätte erinnern können, doch er wusste genau, dass er langsam und unaufhaltsam starb. Dann trieb er weiter. Seine Sinne waren nicht länger mehr Teil von ihm. Nur in seinem Gehirn machte sich noch ein leichtes Pulsieren bemerkbar; pochte gegen die verschlossenen Türen seiner Erinnerung...
Cloud träumte. Träumte von gigantischen Flügeln. Es waren die mächtigen Flügelschläge des kreisenden Kondors. Er war dieser Kondor! Die Luft war von seinen peitschenden Flügelschlägen erfüllt. Mit vorgerecktem Schnabel stieß er einen heiseren Schrei Des Triumphes aus. Dann legte er die Flügel an und fiel aus dem leeren Blau des Himmels in einem endlosen, kreiselnden Sturz durch die Wolken den Bergketten entgegen. Es war ein zerklüftetes Land mit schneebedeckten Gipfeln, das da unten auf ihn wartete. Die eisigen Finger von Gletschern krochen darüber hinweg, doch unter ihm blinkte in einem Kratersee inmitten der Kordilleren ein Widerschein des blauen Himmels. Brazo de la Tristeza nannten die Einheimischen den See. Eine Opferstätte. Und er war das Opfer, das aus unermesslicher Höhe in dieses eisige Wasser stürzte, um unter der glatten Oberfläche zu Stein zu werden, zu einer für immer verschütteten Statue. Dort würde sein Körper die Zeiten überdauern... Dann nahm der Traum jäh eine andere Wendung.
Ein Teil von ihm wusste, dass es sich nur um einen Traum handeln konnte, ein anderer nahm ihn für bare Münze. Um ihn herum war eine vage Helligkeit, in der er dennoch kaum etwas erkennen konnte. Die Chemie, die durch seine Adern zirkulierte, unterdrückte jeden seiner Sinne, jede seiner Empfindungen und ließ ihn nur vereinzelte schemenhafte Gestalten wahrnehmen. Ein Schweißtropfen hing in seinem Augenwinkel und irritierte ihn. Als er die Hand heben wollte, um ihn fortzuwischen, merkte er, dass ihn etwas daran hinderte. Er hob den Kopf - nur wenige Zentimeter waren möglich - und sah an sich hinunter. Breite Bänder fesselten ihn. Er konnte sich nicht bewegen. Dafür wurde er bewegt. Das, worauf er, lag, glitt vorwärts durch die labyrinthartigen Korridore des medizinischen Labors. Eine Glaswand ragte vor ihm auf, eine Tür öffnete sich. Er wurde hindurch geschoben. Die Tür schloss sich hinter ihm mit einem leisen, saugenden Geräusch. Einem sonderbaren Geräusch. Cloud empfand keine Furcht. Noch nicht. Vielleicht, so dachte er in einem Anflug von unmotivierter Heiterkeit, war er ja auch schon tot. Er stemmte sich gegen die Idee. Ich bin Cloud. Was immer das heißen mochte. Vielleicht hieß es ja auch nichts. Aber zumindest war es ein Gedanke. Cogito ergo sum... War das nicht der Grundsatz von Descartes' theoretischer Philosophie? Ich denke, also bin ich. Seltsamerweise brachte ihn dieser Gedanke zum Lachen. Eine Gestalt in Weiß näherte sich ihm. Als sich ein vermummtes Gesicht über ihn beugte, brachen sich auf einer chirurgischen Lupe Lichtreflexe. Augen sahen ihn über den Rand einer Maske hinweg an. »Träumt er nur, oder ist er wach? Wie viel haben sie ihm injiziert, Doktor Ruskay?« »Die vorgeschriebene Menge.« »Hoffentlich kollabiert sein Kreislauf nicht. Er hat schließlich eine langwierige Operation vor sich.« »Risiken sind niemals ganz auszuschließen, wie sie am besten wissen, Professor Cheong... Das Prionenverfahren ist nicht hundertprozentig ausgereift.« »Unsinn, Doktor. Gab es Probleme bei diesem Darcy? Nein. Oder bei Seymor? Auch nein. Also was soll dieser, sie verzeihen mir den Ausdruck, unqualifizierte Einwurf?« Cloud reagierte schwach. Was hatten sie mit ihm vor? Wieder die erste Stimme: »... unternehmen sie etwas, Ruskay, damit das aufhört...« Cloud spürte einen Schmerz wie von einem Insektenstich an seinem Hals. Ein Medikament schoss durch seinen Kreislauf und ließ die Nerven vibrieren wie extrem gespannte Klaviersaiten. Erneut zuckten ihm Gedankenfragmente durch den Kopf. Sie wollen etwas mit mir anstellen, sagte er sich. Mit meinen Kopf. Nur was? Gesprächsfetzen drangen an sein Ohr. ... Implantate sind bereit...« »... assistieren sie mir, Doktor Ostergard...«
Die Stimmen verloren sich in der Ferne. Ein letztes, schwaches Echo: »... Machen wir aus diesem prächtigen Burschen einen echten Allrounder. Typen wie er und die anderen beiden repräsentieren schon heute den Menschen der Zukunft...« Wer hatte das gesagt? Jemand aus der Phalanx weiß vermummter Gestalten vermutlich, die ihn umstanden und musterten, als wäre er ein Versuchsobjekt für eine Vivisektion. Cloud schloss die Augen, und eine abgrundtiefe Müdigkeit überkam ihn.
»John!« Cloud befand sich am Boden eines tiefen Schachtes. Es war dunkel, und es tat weh, nach oben ins grelle Licht zu blicken. Er wollte bleiben, wo er war, aber die hartnäckige Stimme schrie von oben herab: »John!« Er antwortete nicht, schloss die Augen. Wozu sollte er sie auch offen halten? Die Schmerzen. Diese verfluchten Schmerzen in der Brust. Dort, wo ihn die Kugel getroffen hatte... Kugel? Welche Kugel? Und wer hatte auf ihn geschossen? Die Stimme wurde lauter, drängender, näherte sich, bis sie ihm förmlich ins Ohr plärrte: »John! Bist du in Ordnung?« »Ja«, murmelte er. »Ja doch...« Natürlich war er in Ordnung. Er hatte nur geträumt. Die Erinnerungen eines Fremden. »Bist du wirklich in Ordnung?« »Deine Fürsorge ist rührend, Scob, aber ich bin okay - wirklich.« Obwohl er dies sagte, war es, zumindest für den Augenblick, gelogen. Er setzte sich auf und wehrte brüsk ihre helfende Hand ab. Verstohlen griff er sich an die Brust. Aber da war nur der Raumanzug. Unversehrt. Keine Spur von Verletzungen, die von Schüssen herrührten. Ein unsicheres Lachen löste sich aus seiner Kehle. Nur ein Albtraum, durchzuckte es ihn. Nichts als die verdammten Seelenreste eines Toten. So hatten sie sich alle - Seymor, Darcy, er - die Folgen der erhaltenen Wissenstransplantation nicht vorgestellt... »War ich lange >weg<, Scob?« »Nein... Und hör auf, mich Scob zu nennen. Das kann ich verdammt nicht leiden. Ich schätze, ich muss mir auch noch einen Namen zulegen, mit dem ich leben kann. Aber es sollte etwas weniger >Originelles< sein als G.T...« »Wie lange?«, hakte Cloud nach, ohne darauf einzugehen. »Zehn Minuten.«
Doch so lange! Er war diesem Aspekt namens Darren Callahan nie persönlich und zu dessen Lebzeiten begegnet, hatte auch nichts über ihn gelesen, dennoch war er ihm gerade so nahe gewesen, wie vermutlich kein anderer Mensch zuvor. Er räusperte sich. Seine Kehle brannte, und das Atmen fiel ihm schwer. »Und was ist mit dir, mit Resnick und >GT« Sie schüttelte den Kopf. Ihre Stimme kam irgendwie dünn und blass aus dem Lautsprecher. »Wir wurden nicht ohnmächtig, falls es das ist, was du meinst. Dank unserer Konstitution bleiben wir von derartigen...«, sie suchte nach dem passenden Wort, »... Unpässlichkeiten verschont.« »Zehn Minuten hast du gesagt...« Er warf einen Blick auf sein Ärmeldisplay. Die Sauerstoffanzeige stand unweit der roten Markierung. »Ja«, sagte Scobee, die seinem Blick gefolgt war, »viel Zeit haben wir nicht mehr. Eine Stunde noch, allerhöchstens. Dann geht uns allen die Luft aus.« »Wie ist der Status des Schiffes - sind wir unseren Verfolgern doch noch entwischt, ja?« »Ja.« Sie zögerte merklich. »Und weiter?« »Erinnerst du dich noch, dass sich das Schiff scheinbar aufzulösen begann, kurz bevor du ohnmächtig wurdest?« Er erinnerte sich und brachte es zum Ausdruck. »Nachdem wir genügend Geschwindigkeit aufgebaut hatten«, fuhr sie fort, »führte das Schiff eine Art Ortswechsel durch - frag mich nicht, wie. Aber den begleitenden Effekt haben wir alle zu spüren bekommen - du am dramatischsten. Schwächling.« Sie lachte. Cloud war noch nicht in der Lage, ihren Humor in gebührender Weise zu würdigen. »Und wo sind wir im Augenblick?« »Nach Jarvis' Worten driften wir gerade durch ein wiederum anderes Sonnensystem.« Grundgütiger! »Wo ist eigentlich Resnick?« Cloud kam trotz Scobees tatkräftiger Hilfe, die er diesmal nicht ablehnte, nur mühsam auf die Beine. Dabei fiel sein Blick über ihre Schulter. Er atmete tief ein und ließ die Luft langsam wieder ausströmen. »Was...?«, begann er. »Ich vergaß zu erwähnen«, fiel ihm die GenTec ins Wort, »dass wir das Schloss zum Hangar geknackt haben.« Es war nicht zu übersehen. Die Sensorplatte war von mehreren Schüssen zerstört worden. Drähte hingen aus dem Innern, und das Hangartor stand weit offen. Resnick und seine Art von Problemlösung... »Wo rohe Kräfte sinnlos walten«, murmelte Cloud. »Sinnvoll, John. Das Wort heißt s-i-n-n-v-o-1-1!« Resnicks Stimme dröhnte überlaut aus Clouds Helmfunk. »Wo hältst du dich vor mir versteckt?« Statt Resnick antwortete Scobee, indem sie mit einer Hand in den Hangar zeigte. »Du solltest dir ansehen, was wir da gefunden haben...«
Er nickte. »Ich brenne darauf.« Cloud wankte durch das Schott. Wie vermutet, lag dahinter ein Hangar. Resnick befand sich vor einem fremdartigen Fahrzeug, das seitlich versetzt im hinteren Bereich des Raumes stand. Cloud stockte der Atem. Schließlich trat er näher. Das kleine, wahrscheinlich raumtüchtige Gefährt erinnerte an eine riesige, raureifüberzogene Schildkröte, die Kopf und Gliedmaßen eingezogen hatte. »Ist es das, wofür ich es halte?« Cloud warf Scobee einen Blick zu, und seine Mimik verriet die Anspannung, in die ihn der Fund versetzt hatte. »Wahrscheinlich. Zumindest scheint es der Unterschlupf unseres Phantoms zu sein...« »Es lässt sich leider nicht öffnen«, erklärte Resnick. »Ich habe alles versucht.« Das war mit Sicherheit übertrieben. Alles konnte er nicht versucht haben - nur alles Menschenmögliche... »Wie wäre es mit Brachialgewalt?«, schlug Cloud vor und löste damit ein Kopfschütteln bei Scobee und Resnick aus. In diesem Augenblick öffnete sich an der ihnen zugewandten Seite des »Schildkrötenpanzers« lautlos eine Luke. Aus der Öffnung drang blendend weißes Licht. Resnick schluckte. »Das sieht verdammt nach einer Einladung aus. Aber ist es ratsam, sie anzunehmen?« Auch Cloud verdaute die Überraschung verblüffend schnell. »Wie viel Zeit bleibt uns noch?«, stellte er die Kernfrage. »Eine Dreiviertelstunde - großzügig geschätzt. Dann atmen wir nur noch Kohlendioxid.« Cloud zögerte, dann nickte er den anderen aufmunternd zu und sagte: »GT, hörst du mich?« »Klar und deutlich.« »Hast du uns irgendwo im Bild?« »Negativ.« »Hätte ja sein können. Aber auch gut. Hör zu...« Er informierte den GenTec über ihr Vorhaben und schloss mit den Worten: »Scobee und ich gehen jetzt in das Beiboot. Resnick bleibt zur Sicherheit hier draußen. Verstanden?« »Verstanden«, antwortete Jarvis. Cloud sah Scobee an. »Einverstanden?« »Dafür, dass du nur ein Ex-Commander bist, führst du hier ganz schön das Kommando...« Der Spott funkelte in ihren Augen, die das einzige äußere Merkmal waren, an dem sich erkennen ließ, dass sie anders war. Unglaubliche Augen... Cloud lächelte, und gemeinsam schritten sie vorwärts... hinein in das Licht. Sie waren kaum über die Schwelle getreten, als sich die Luke ohne Vorwarnung wieder hinter ihnen schloss.
Scobee wirbelte herum. »Wir sitzen in der Falle!« »Sehe ich nicht so«, antwortete Cloud, dem ein lautes Zischen auffiel. »Wie will es sonst verhindern, dass die Luft entweicht?« »Du meinst, das ist eine Schleuse?« »Sieh auf dein Display.« »Du hast Recht, John. Hier gibt es plötzlich eine Atmosphäre; der Druck hat annähernd Erdnorm...« »Was meinst du? Atembar?« Scobee zog die Analysemöglichkeiten ihres Anzugs zu Rate. »Stickstoff und Sauerstoff in nahezu perfekter Mischung vorhanden. Wir könnten unsere Helme abnehmen.« »Warten wir damit lieber noch...« Cloud blieb skeptisch. »Hast du übrigens bemerkt, dass die Schwerkraft hier spürbar geringer ist, als im Schiff draußen?« Ehe Cloud etwas erwidern konnte, öffnete sich die innere Schleusentür. Feiner Dunst lag in der Luft. Die Wände schimmerten, als wären sie eingeölt. Cloud drückte mit der flachen Hand dagegen. Unter dem Handschuh fühlte sich das Material weich und nachgiebig an. »Interessant«, sagte er. Aber die geschwungenen Wände zeigten keine Instrumente, auch waren keine erkennbaren Sitzgelegenheiten vorhanden. Der Raum - fast so groß wie die Außenmaße des Fahrzeugs - weckte ein trostloses Gefühl, das noch von dem Etwas verstärkt wurde, das in der Mitte, eingebettet in einer Art Wanne, lag. Es erinnerte an einen riesigen dunklen Herzmuskel, von dem strunkähnliche Extremitäten wie abgeschnittene Adern abzweigten. Ein »Kopf« war nicht erkennbar. Die Extremitäten schienen mit dem runden, beckenartigen Gefäß verschmolzen zu sein. Nahm man irdische Maßstäbe zum Vergleich, war das molluskenartige Wesen etwa doppelt so dick wie ein Mensch bei etwa zweieinhalb Metern Länge. Das Etwas regte sich nicht, lag da wie... Was immer es oder er oder sie einmal war, dachte Cloud bestürzt, wir sind zu spät gekommen. Es scheint tot zu. Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende geführt, als ein tiefer Seufzer durch die Kabine wehte und der gewaltige Muskel von einer zitternden Bewegung durchlaufen wurde.
Und eine Stimme, die aus den Wänden kam, Darnoks Stimme, sagte in verständlicher Sprache: »Endlich! Endlich lerne ich die Mörder meines Volkes kennen...« 5. Jarvis blickte auf den Wandschirm und bemerkte eine geringfügige Veränderung. Ein schmaler, mehrfarbiger Balken war am Rand erschienen. Einfache, in einem bestimmten Rhythmus wechselnde Symbole blinkten daneben. Der GenTec konzentrierte sich auf die Zeichen. Offensichtlich ein Zahlencode mit... sechzehn verschiedenen Ziffern... vielleicht ein Hexadezimal-System? Die Zeichen ändern sich annähernd im Sekundentakt. Hastig vergab er die adäquaten irdischen Ziffern von Eins bis Null sowie die Buchstaben von A bis F, musste noch zweimal nachkorrigieren, und wusste nach nur wenigen Minuten, dass hier ein Countdown lief. Richtung Null lief. Der farbige Balken wurde synchron dazu immer kleiner. Was passieren würde, wenn der Countdown endete, wollte sich Jarvis lieber nicht vorstellen. Aber er befürchtete, dass es sich um einen irgendwie ausgelösten Selbstzerstörungsmechanismus handeln könnte. So wie er es einschätzte, war der Moment Null nur noch wenige Minuten entfernt. Er informierte Resnick über die neue, unerwartete Verschärfung der Situation. Danach ließ Jarvis jeden Gedanken an Vorsicht fallen. Willkürlich drückte er auf Knöpfe, fuhr über Schaltflächen, die auf Wärme und Druck reagierten oder fuchtelte in semimanifesten Hologrammen herum. Vergeblich. Das Schiff reagierte auf keine seiner Manipulationen. Der Selbstzerstörungsmechanismus - so es denn einer war - folgte einem übergeordneten Befehl, der wahrscheinlich nur mit mehr Kenntnis der Technik rückgängig zu machen gewesen wäre. Wütend hieb Jarvis mit der Faust auf die Konsole - und ging damit ein unkalkulierbares Risiko ein. Ein einziger Splitter des spröden, glasähnlichen Materials konnte seinen Raumanzug verletzen und ihn dem Vakuum aussetzen... Mühsam beherrscht regulierte er seinen Adrenalinspiegel auf ein Normalmaß und verließ dann die Zentrale, hastete, während er erneut Kontakt zu Resnick aufnahm nur zu Resnick; die anderen reagierten nicht mehr - durch die Gänge des Äskulaps. Resnick warnte ihn vor einem Raum mit schwebenden Gebilden, den er dank dessen Angaben umgehen konnte, und bald darauf erreichte er den Hangar, in dem die anderen sich aufhielten. Jarvis sah den kleinen, schildkrötenpanzerartigen Flugkörper erstmals mit eigenen Augen - und dann Resnick, der in der offenen Innenschleuse stand und ihm zuwinkte. Jarvis stolperte bedenkenlos in das Ding, und kaum war er an Bord, schloss sich auch schon das Außenschott. Die Schleuse füllte sich zischend mit Luft. Kurz darauf öffnete sich das Innenschott.
»Jarvis, alles in Ordnung?« Scobees Stimme vermittelte echte Sorge. »Alles bestens«, keuchte Jarvis, während er den Moment Null erwartete. Da passierte es: Auf einem auflodernden Bildschirm war zu sehen, wie sich ein gewaltiges Tor in der Außenhülle des Askulaps öffnete. Und schneller, als es Jarvis oder ein anderer nachvollziehen konnte, waren sie draußen. Der große Raumer schrumpfte zu einem kleinen, bedeutungslosen Punkt zusammen. Ein Lichtblitz folgte, so grell und stechend, dass der GenTlec seine Augen schließen musste. Als er sie wieder öffnete, war von den Resten des Askulaps nichts mehr zu sehen. »Ruhe in Frieden, Darcy...«, flüsterte Cloud. Sterne umgaben sie - sonst nichts. Jarvis blickte auf die Sauerstoffanzeige und erkannte, dass es noch genau achtundvierzig Minuten und zwei Sekunden bis zum nächsten Moment Null waren.
»Endlich lerne ich die Mörder meines Volkes kennen! «, hatte das dunkle Etwas zu ihnen gesagt. Der Satz hing wie eingefroren im Raum. Das gut zweieinhalb Meter hohe Ding pulsierte leicht und sah mit viel gutem Willen wie ein stark vergrößertes Herz aus, von dem mehrere strunkähnliche Extremitäten wegliefen; unregelmäßig stark und mit einer ledrigen Haut bedeckt, die sich scheinbar vom Fleisch schälte. »Kannst du mich hören? Warum antwortest du nicht?« Cloud versuchte seit mehreren Minuten, Kontakt mit dem mysteriösen Lebewesen unter der Glaskuppel aufzunehmen. Er oder es war der einzige Anhaltspunkt im sonst leeren Raum. Selbst Jarvis, der nur zu gut wusste, wie großzügig man den Begriff Leben auslegen konnte, tat sich schwer, ein denkendes Individuum in dieser unförmigen Masse zu erkennen. »Du rettest uns das eine ums andere Mal, und erklärst gleichzeitig, dass wir die Mörder deines Volkes sind.« In Clouds Stimme schwang ein leichter Hauch von Panik mit, als er weiter sprach: »Wenn du nicht mit uns redest, können wir uns auch nicht rechtfertigen. Und in wenigen Minuten werden wir ersticken, weil unsere Sauerstoffvorräte zur Neige gehen. Ist es das, was du wolltest? Uns zusehen, wie wir langsam krepieren? Oder ist die Atmosphäre hier an Bord für uns atembar?« Ein leichtes Zucken des Körpers war die einzige Reaktion. Cloud schlug zornig gegen die unsichtbare Barriere, und Jarvis legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. Cloud drehte sich abrupt um und fauchte zornig: »Lass mich los! « Er beruhigte sich. »Entschuldige, G.T.! Das ist alles etwas zu viel auf einmal...« »Verstehe«, antwortete Jarvis mit belegter Stimme. Cloud wankte, hustete erstickt. Dann setzte er sich auf den Boden. Die GenTecs stellten sich um ihn auf.
»Scobee, hilf mir. Ich will den Anzug... öffnen.« Die Atmung kam flach und hastig. »TL das nicht, John! Das Risiko ist einfach zu groß!« »Auf was soll ich warten? Auf ein weiteres Wunder? Die Atemluft reicht... nur noch ein paar Minuten! « »Wir könnten uns im Verbund zusammenschließen und die Vorräte teilen. Dann hätte jeder von uns noch... hm... zwanzig Minuten. Wir drei könnten uns mit Medikamenten in die Stase versetzen und dir die zusätzliche Atemluft rüberpumpen. Du hättest dann fast eine dreiviertel Stunde Zeit, um weiter mit diesem... Wesen zu verhandeln.« Es klang wie ein Witz. »Das zögert es... nur hinaus, Scob. Das Wesen will oder kann nicht... zu uns sprechen.« Die Atmung wurde immer unruhiger. Cloud japste nach Luft. »Hilf mir!« Die letzten Worte hatte er unbeherrscht geschrien. Jarvis und die beiden anderen GenTecs nickten einander zögernd zu. Sie halfen Cloud hoch und stützten ihn. Scobee öffnete mit routinierten Griffen die versteckten Bajonettverschlüsse des Kragenstücks und entriegelte die Primärsicherungen. »Bist du dir absolut sicher, Ex?«, fragte Jarvis. »Ja, zum Teufel, ich bin mir sicher.« Scobee verschob den Helm um eine Vierteldrehung gegen den Uhrzeigersinn, bis er aus der Fassung glitt. Es zischte leise, fast unhörbar. Das Helmvisier schnappte nach hinten, und dann war Cloud der Bordatmosphäre ausgesetzt.
Er zog hastig die Luft ein. »Es riecht angenehm, ein wenig nach einem ammoniakhaltigen Desinfektionsmittel, doch hundertmal besser als alles, was wir in den letzten Monaten eingeatmet haben!« Cloud lächelte. »Die Luft ist in Ordnung. Warum sollte uns Joe oder wie auch immer er heißt«, er deutete auf das herzförmige Wesen, »auch passende Atemluft zusammenmischen, nur, um uns dann mit einem tödlichen Zusatz umzubringen? Das hätte er schon viel früher viel leichter haben können.« Es war eine prinzipielle Frage: Wollte »Joe. sie vorsätzlich quälen und dann töten, oder wollte er ihnen trotz seiner barschen Aussage helfen? Jarvis und die beiden anderen GenTecs warteten eine Zeitlang ab, in der sie den Commander beobachteten. Cloud fühlte sich sichtlich unbehaglich, sagte aber kein Wort. Schließlich bat ihn Scobee, ihr beim Aufschrauben ihres Helms behilflich zu sein. Das Visier schnappte lautlos nach hinten. Ihre grünen Augen wirkten stumpf und müde. Die schwarzvioletten Tattoos, die sie an Stelle der Augenbrauen trug, schienen zu verblassen.
Resnick folgte ihrem Beispiel, und wenige Sekunden später öffnete auch Jarvis den Helm. Erschöpft setzten sie sich nieder und ignorierten die Anwesenheit des lähmend fremden Wesens. Ganz langsam nur wurde ihnen bewusst, in welch abstruser Situation sie sich befanden. Und plötzlich wurde ihnen schwarz vor Augen. Sie brachen zusammen. Betrogen..., war Clouds letzter, zerfasernder Gedanke. Das verdammte Ding hat uns also doch betrogen! Und jetzt bringt es uns alle um... Epilog Sarah Cuthbert erkannte die Stimme des Telepathenmädchens sofort wieder, obwohl sie nur ein einziges Mal mit ihm gesprochen hatte. »... zieht uns in sich hinein... kein Entkommen... Ist dunkel hier, so dunkel... Schwere kehrt zurück... Muss künstlich sein... Darcy wartet drauf, dass die Fremden Luft in den Hangar pumpen... Passiert aber nicht... Dann schlägt er vor, das Marsmobil, in dem sie entführt wurden, zu verlassen – auszusteigen... Wir haben Anzüge, wir haben - noch jedenfalls - eigene Luftvorräte... Die andern willigen ein, ich auch... Steigen aus... Scheinwerfer... Unheimlich... Der Ort macht mir Angst... Kann nichts erkennen - nichts Vertrautes... Ist wie das Gemälde eines Irren... Die Wände - kann gar keine Struktur erkennen, alles so... düster, krank...! - Entdecke einen Gang... weise die anderen darauf hin... Wir marschieren los, erreichen ein Schott... Öffnet sich... Und dahinter... -Grundgütiger! Das Schiff muss gestartet sein! Mit uns! Sind nicht mehr auf dem Mars... sind im Weltraum...! Wo sind die Wände? Was ist das für ein Raum? Als stünde man mitten im All...! - Da! Ein Sitz! Ein... Wesen! Erhebt sich! Darcy springt vor und... schießt! Dieser Wahnsinnige... schießt...! Und das... Ding... schießt zurück! Darcy fällt. Wieder feuert das Biest. Verfehlt uns. Die Energie zerfetzt einen Teil der >unsichtbaren< Wand... Verständige mich mit Resnick und Jarvis. Treten auch vor, Waffen im Anschlag, feuern alle zugleich... Treffer! 0 mein Gott! Das Ding zerbirst. Als wär es aus Stein. Aus... Verdammt! Überall Splitter, Scherben... Was für ein Irrsinn! Das Biest ist >tot(... Darcy auch! Himmel, da liegt er... Und das Ding... Scheint ein Roboter gewesen zu sein, gar nichts Lebendiges. Sonst ist alles verlassen. Die Wände sind riesige Bildschirme... oder etwas in der Art... Vor uns Kommandopults, völlig unverständlich. Wir beraten. Kommen zu keiner Entscheidung. Doch ich entdecke etwas, was uns die Entscheidung wohl abnimmt. Das Schiff ist beschädigt. Der Roboter... oder was immer es war... muss irgendeinen sensiblen Teil getroffen haben. Trudeln steuerungslos auf das Schwarze Loch zu, zu dem Jupiter geworden ist... Angst! Angst, die selbst meiner Kontrolle entgleitet... Geht alles gespenstisch schnell... Verschlingt uns... Schiff taucht unter den Ereignishorizont...! Ich... wir... wir werden alle... sterben...! «
Cronenberg betätigte einen Schalter, und die jäh zurückkehrende Stille war fast schmerzhaft. Sarah starrte dorthin, wo sich ein Lautsprecher verbarg und von wo das Telepathenmädchen gesprochen hatte. Schließlich räusperte sich die Präsidentin: »Das ist alles sehr bedauerlich. Aber...« Sie schürzte die Lippen. »... aber hier auf der Erde sind Millionen im Zuge der Schwarzen Flut gestorben. Und es werden vielleicht noch Milliarden folgen... Ich verstehe nicht, wie mir diese Aufzeichnung bei meiner Entscheidung helfen soll. Und erst recht nicht, was die Tragödie mit Sadako zu tun hat.« Als Cronenberg nicht antwortete, räusperte sie sich erneut. Sie fühlte sich aus irgendeinem Grund roh und gefühllos. Obwohl ihr gar nicht der Sinn danach stand, fragte sie: »Wie geht es dem Mädchen? Wie hat es den... Schock dieser brutalen Trennung verkraftet?« Das Telepathenprojekt... Ein Projekt, so geheim, dass nicht einmal die »Sender« auf der RUBIKON etwas von seiner Existenz ahnten... »Erstaunlich gut«, antwortete Cronenberg. »Im Gegensatz zu den beiden anderen.« »Resnick und Jarvis?« Sie kannte die Namen - sie waren identisch mit denen ihrer »Spiegelbilder« auf der RUBIKON - aus den Akten. »Weniger. Sie befinden sich noch in psychologischer Behandlung.« »Scobee nicht?« »Scobee nicht. Scobee ist...« Der NCIA-Mann zögerte. »... unabkömmlich.« Zum ersten Mal, seit sie den Raum betreten hatten, mischte sich Palmer ein. »Entweder sie legen die Karten jetzt auf den Tisch, Mr. Geheimniskrämer, oder die Präsidentin und ich verlassen auf der Stelle diesen Raum, um...« Cronenberg hob in einer beschwichtigenden Geste die Hände. »Ich betreibe keine Geheimniskrämerei... im Gegenteil. Sie werden mir gleich dankbar sein für das, was ich herausgefunden habe.« »Und das wäre?« »Der Kontakt zwischen dem >Sender< und >Empfänger< riss mit Eintauchen des Äskulap-Schiffes in das Wurmloch ab...« »Erstaunlich«, warf Palmer mit unverhohlenem Sarkasmus ein. »Absolut erstaunlich. Wenn sie noch mehr Sensationen dieser Güteklasse bereithalten... alle Achtung! « »Arschloch«, sagte Cronenberg gelassen. Palmer wäre ihm an den Hals gegangen, wenn Sarah nicht eingegriffen hätte. »Meine Herren! Mäßigen sie sich - beide. Und sie...«, wandte sie sich an Cronenberg. »Sagen sie uns endlich Dinge, die wir noch nicht wissen.« »Ich freue mich, wenn ich endlich zu Wort komme, ohne unterbrochen zu werden«, sagte der NCIA-Chef. »Worauf ich hinauswollte, ist, dass der Kontakt inzwischen wieder hergestellt ist. Oder anders ausgedrückt: Der Sturz in das Schwarze Loch bedeutete nicht das Ende für die RUBIKON-Crew.« »Sie... leben?« Sarah konnte es nicht glauben. Obwohl ihr in diesem Moment bewusst wurde, dass die außerirdische Armada ja auch aus dem Wurmloch gekommen war. »In der Tat. Noch jedenfalls. Und sie haben eine Entdeckung gemacht, die ich für wichtig genug erachte, um davon Ihre Entscheidung, Mrs. President, ob sie mit Kaiser Sadako gegen die Aliens kooperieren, mit beeinflussen zu lassen.«
»Welche Entdeckung?« Statt selbst zu antworten, löste Cronenberg eine weitere Schaltung aus. Das Band mit der Stimmenaufzeichnung des Telepathenmädchens lief weiter. Es stöhnte: »0 mein Gott...« Und dann rief es, laut und baff vor Erstaunen: »Heh! Was soll das? Wer verscheißert uns hier?!« In diesem Moment, das wusste Sarah, war das Mädchen GT-Scobee. Es ging völlig in den fremden Gedanken auf, die es empfing. Etwas gemäßigter, aber mit keuchendem Atem, fuhr es fort: »Im All vor uns tobt immer noch der Kampf. Zwei Parteien. Zwei... Flotten... Halt: War da nicht ein Schemen? Hier in der Zentrale? Dachte, hätte was gesehn, aber... muss mich getäuscht haben... Egal. Spielt keine Rolle. Das da zählt. Nur das da!« Wieder eine kurze Pause. Dann, aus dem Off eine andere Stimme, die Sarah als die von Hays identifizierte - der Leiter des Telepathenprojekts hielt sich also auch auf diesem Stützpunkt auf! - und die das Mädchen drängte: »Sag schon!«, drängte er das Mädchen. »Sag, was du siehst und hörst! « Das Mädchen gehorchte. »Bild hat gewechselt. Die Schlacht, die draußen tobt... rückt in den Hintergrund... 'Einzelnes Schiff wurde herangezoomt... Riesengroß... Aber nicht... fremd... So unwirklich... So unwirklich... vertraut... Versteh das nicht. Versteh das nicht! Schrift...? Schrift auf dem fremden Raumschiff, die ich lesen kann...? Die andern sind so baff wie ich. Hör ihr Raunen. Sind völlig perplex... PEKING... Auf dem Raumschiff - nur eins von vielen, die dort kämpfen - steht... PEKING...« Wieder brach die Aufzeichnung ab. Cronenberg, der auf der Tischkante gesessen hatte, stand auf und trat Sarah zwei Schritte entgegen. »Haben sie das gerade verstanden?« »Nein«, sagte sie. »Akustisch ja, aber... « »Akustisch ist schon mal ein guter Anfang.« »Das Mädchen phantasiert«, sagte Palmer. »Wie sollte es sein, dass...?« »Genau darüber müssen wir sprechen«, nickte Cronenberg. »Die Crew ist durch das Wurmloch gegangen. Und irgendwo herausgekommen. Irgendwo fernab unseres Sonnensystems, wo eine Raumschlacht tobt... auch jetzt noch... « Er tippte sich gegen das linke Ohr, und erst jetzt bemerkte Sarah den winzigen Empfänger, der darin steckte. »Mit dem Mädchen. Permanent. Ich höre, was sie sagt. Ich will auf dem Laufenden bleiben. Jede Sekunde kann etwas passieren, was uns neuen Aufschluss gibt über das dortige Treiben...« »Sie machen sich zum Narren, Cronenberg«, meldete sich Palmer erneut zu Wort. Auch er hatte sich erhoben und machte Anstalten, zwischen den NCIA-Chef und die Präsidentin zu treten - als müsse er sie vor ihm... oder seinen hanebüchenen Behauptungen schützen. »Ein außerirdische Raumschiff irgendwo im Universum, das den Namen einer irdischen Stadt auf seiner Hülle trägt... « Cronenberg blieb unbeeindruckt. »Einer chinesischen irdischen Stadt«, sagte er. »Na und?«, blaffte Palmer.
»Ich weiß nicht, wie es ihnen geht, Mrs. President, aber meine Phantasie hat das Gehörte beträchtlich in Schwung gebracht... Und ich versichere ihnen, dass die Aufzeichnung echt ist und wir ihr vertrauen können - zumindest, wenn wir den Worten dieses Mädchens jemals trauen durften.« »Aber...« »Ich weiß, wie wirr und verrückt es sich anhört, und ich bin auch kein Wissenschaftler, aber ich habe mir inzwischen Rat von Expertenseite eingeholt und...« Er brachte das Kunststück fertig, dass sowohl Palmer als auch Sarah in diesem Moment dachten, er blicke nur sie und niemanden sonst an. »... und mir wurde bestätigt, dass es denkbar wäre.« »Was?«, fragte Sarah und versuchte, besonnen zu klingen.Vorurteilsfrei. Ob es ihr gelang, blieb unklar. Aber Cronenberg schien auf solche Feinheiten auch nicht zu achten. Nicht in diesem Moment. »Dass die Crew bei ihrem Sturz durch das Wurmloch nicht nur räumlich von uns getrennt wurde, sondern...« Wieder eine quälend lange Sekunde, die er stockte. »... sondern auch zeitlich.« Palmer stieß pfeifend den Atem aus. Sarah schüttelte den Kopf. »Das ist absurd. Sie meinen, das Mädchen spricht von einem Ereignis in ferner Zukunft? Einer Zukunft, in der möglicherweise irdische Schiffsverbände Schlachten in heute noch unbekannten Regionen des Alls führen. Gegen wen?« »Ich fürchte«, erwiderte Cronenberg, »das ist nicht die vorrangigste Frage.« »Sondern?« »Wer«, sagte er. »Wer die Schlacht auf Seiten der Menschen führt. Der Name PEKING legt einen bestimmten Verdacht nahe. Genau den Verdacht, der mich zumindest dazu bringt, darüber nachzudenken, ob wir mit Sadako nicht kooperieren müssen - um diese Zukunft, falls sie so gestaltet ist, wie ich befürchte, zu verhindern.« »Sie meinen...?« Endlich dämmerte es Sarah, worauf der NCIA-Chef hinauswollte. Cronenberg nickte. »Ich meine, dass uns hier, in der aktuellen Gegenwart, die Invasion und Eroberung durch einen übermächtigen Gegner droht... Wie aber kann dann in einer Zukunft, von der ich nicht sagen kann, wie weit sie von unserer Gegenwart entfernt ist, ein irdisches Schiff gegen Unbekannte kämpfen?« »Sagen sie es mir.« »Es gibt nur eine Antwort: Wir haben die Invasion erfolgreich abgeschmettert.« »Wir?« »Um dieses >wir< geht es. Wir sollten nicht einmal den Hauch einer Wahrscheinlichkeit aufkommen lassen, dass das Schiff, von dem das Telepathenmädchen spricht, eine rein chinesische Besatzung besitzt. Was wiederum heißt: Wir müssen mit Sadako zusammenarbeiten - und die Invasoren gemeinsam bekämpfen.« »Was ich nicht verstehe«, warf Palmer ein, »ist, wieso das Mädchen immer noch Bilder empfangen sollte, falls die Crew tatsächlich nicht nur den Raum, sondern auch
die Zeit überwunden hat. Gerade dann müsste der Kontakt unwiederbringlich abgerissen sein!« Sarah nickte ihm zu. An Cronenberg gewandt sagte sie: »Er hat Recht - oder?« Ihr Gegenüber zuckte die Achseln. »Ich gebe zu, dass ich die Frage nicht beantworten kann. Auch Hays kann es nicht. Fakt ist: Die beiden anderen Doppelklone haben ihre Verbindung zu GT Resnick und GT Jarvis verloren, und es scheint nicht, als würde sich daran noch etwas ändern. Das Mädchen ist die große Ausnahme. Und es scheint selbst am meisten darüber überrascht zu sein.« »Was sagt Hays?«, fragte Sarah. »Dass das selbst für ihn Neuland sei. Aber er sagt auch, dass. es, wenn es Telepathie gibt, was er nachgewiesen hat, auch echte Präkognition - Hellseherei = geben könnte. Oder sogar eine Mischung aus beidem.« »Eine Mischung?« »Er meint, dieses Mädchen könnte die Telepathie in einem Umfang beherrschen, wie es von Seiten des Projekts nie angedacht war.« Cronenberg seufzte. »Er nannte die Kleine eine...« Sie wurden unterbrochen, als die Tür aufging. Ein Mann in Uniform trat ein, salutierte fahrig und stotterte: »Die Schiffe! Die Schiffe der Außerirdischen! Das müssen sie sich ansehen... ! « Fast widerwillig folgten sie dem Mann nach draußen. Im Gehen wandte sich Sarah an Cronenberg. »Sie haben ihren Satz nicht zu Ende gesprochen. Wie nannte Hays das Mädchen?« Cronenberg blieb kurz stehen, blinzelte, als wäre ihm das, was er im Begriff stand zu sagen, selbst suspekt. Doch dann gab er sich einen Ruck. »Das Wort, das er gebrauchte, war Zeittelepathie. Zeittelepathin ... « ENDE Sie lasen einen Roman mit der Bastei Zinne. Wo gute Unterhaltung zu Hause ist. Sie finden uns im Internet: unter http://www.bastei.de. Hier können Sie aktuelle Informationen zu unseren Serien und Reihen abrufen, mit anderen Lesern in Kontakt treten, an Preisausschreiben und Wettbewerben `teilnehmen oder in Fan-Shops stöbern. Schauen Sie mal rein - es lohnt sich!