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Für den Profos Edwin Carberry gab es an diesem sonnigen Tag nicht den geringsten Anlaß ...
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Seewölfe 148 1
Fred McMason 1.
Für den Profos Edwin Carberry gab es an diesem sonnigen Tag nicht den geringsten Anlaß zum Meckern. Die „Isabella VIII.“ segelte mit einer frischen achterlichen Brise nordwärts, dem fernen England entgegen. Die Dünung war sanft, der Himmel von azurner Bläue und die Stimmung an Bord direkt fröhlich. Das Schiff blitzte vor Sauberkeit, die Segel waren getrimmt, und, genau genommen, hatte außer dem Rudergänger niemand etwas zu tun. Deshalb stand Carberry auf dem Quarterdeck, ließ seine Blicke vom Wasser zum Land wandern und fand trotz aller angestrengten Suche nichts, was zu bemängeln war. Ein wenig verdroß ihn das. Himmel, auf einem Schiff wie diesem gab es immer etwas zu tun, und wenn die Kerle herumstanden, faselten und sich unterhielten, dann wurden ihnen höchstens die Knochen morsch. Segel nachtrimmen? Nein, die standen wie eine Eins, da gab es nichts zu trimmen. Das Deck? Aufgeklart und sauber! Die Ladung, bestehend aus Reis, Seide und Schätzen war in Ordnung. „Dem alten Plymson seine Kneipe müßte mal wieder aufgeräumt werden“, sagte er zu Hasard, der an, der Schmuckbalustrade stand und zum Land hinüberblickte, das etwa eine Meile entfernt war. Dieses Land war flach, nur ab und zu von kleinen Dattelpalmen bewachsen, und von Büschen und niedrigen Pflanzen unterbrochen. Der Seewolf sah seinen Zuchtmeister an und musterte das fast häßliche, narbige Gesicht und das trotzig vorgeschobene Rammkinn, das Carberrys innerlichen Unmut deutlich ausdrückte. Der Profos war nicht zufrieden, obschon er allen Grund hatte, zufrieden zu sein. Hasard lächelte. Der laue Wind spielte mit seinen langen schwarzen Haaren, und ließ sein Gesicht verwegen und hart erscheinen. „Du kannst es wohl gar nicht mehr erwarten, Ed? Bis nach England haben wir
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noch eine gewaltige Strecke vor uns, und du wirst dich noch eine Weile gedulden müssen, bis du mit Plymsons Perücke die Theke aufwischen kannst.“ „Mit ihm selbst vor allem“, sagte der Profos grimmig. „Weißt du, Sir, wie ich mir das vorstelle? Wir gehen ganz harmlos grinsend in seinen Saftladen, trinken einen und fangen Stunk an.“ „Weshalb denn das?“ Carberry räusperte sich verlegen. „Ich meine natürlich, der alte Plymson wird Stunk anfangen und ...“ „Weshalb sollte er?“ „Jedenfalls wird es Stunk geben –wie auch immer“, versprach der Profos düster. „England, Plymson und wir, das kann gar nicht gut gehen, da treffen so viele Dinge aufeinander, daß es irgendwann ganz einfach zu einer Explosion kommt. Und natürlich bleibt uns nichts anderes übrig, als uns zu wehren.“ „Natürlich nicht“, sagte Hasard sanft und warf wieder lächelnd einen Blick in das narbige Gesicht, das sich jetzt zu einem Grinsen verzog und fast verträumt wirkte. Hasard kannte seinen Zuchtmeister genau, besser als der sich selbst, und so spürte er überdeutlich, daß Carberry irgendetwas brauchte, um sich abzureagieren. Es lief ihm alles zu glatt, im Moment gab es keine Abwechslung, es war ruhig, und es war einfach nichts los. Einzig und allein aus diesem Grund kribbelte es Ed in den Fäusten, und deshalb reagierte er sich mit düsteren Versprechungen ab. So wie der Seewolf ihn kannte, hätte Ed jetzt am liebsten gleich und sofort des alten Plymsons Kneipe ausgeräumt, mit den Galgenvögeln, die dort verkehrten, den Fußboden aufgewischt und die Kneipe samt ihren Huren, Säufern und Schnapphähnen zu Kleinholz verarbeitet. Als Hasard nichts mehr entgegnete, warf der Profos noch einen irritierten Blick auf ihn, zuckte dann mit den Schultern und ging über den Niedergang zur Kuhl hinunter, wo der Kutscher mit einigen anderen Seewölfen stand und zum Land zeigte.
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„Datteln sind das“, sagte er und unterstrich seine Worte dabei mit Gesten, „süß und fein, sage ich euch, eine Bereicherung für unseren Speisezettel. Aber leider legen wir dort nicht an.“ „Datteln“, sagte Ed verächtlich und sah, wie der Kutscher zusammenzuckte. „Diese klebrigen Riesenwanzen! Die sind höchstens was für Affen, aber nicht für uns.“ „Datteln sind gesund“, widersprach der Kutscher empört. „Und ich sage dir, das sind klebrige Mistdinger, und wenn ich das sage, dann stimmt es auch. Halte hier keine Reden, Kutscher, sieh lieber zu, daß heute keine Kakerlaken oder Ratten in der Suppe schwimmen.“ Der Kutscher glaubte, sich verhört zu haben. „Kakerlaken, Ratten?“ stammelte er ungläubig. „Ja, zum Teufel!“ schrie er laut und reckte seine magere Brust heraus. „Was glaubst du eigentlich, wer du bist, he? Das lasse ich mir von dir nicht unterstellen, Ed, das geht zu weit, geht das! Ich gebe mir die größte Mühe, ein anständiges Essen auf die Back zu bringen, und dann kreuzt du auf und quasselst dummes Zeug! Dir ist wohl eine Kakerlake über die Leber gelaufen, was? Was, wie?“ wiederholte er Ed Lieblingsworte, um ihn zu ärgern. Es sah nach einem handfesten Streit aus, doch dann staunten alle, denn der Profos wandte sich ab und stellte sich ans Schanzkleid. „Du verstehst wohl auch keinen Spaß mehr, du Kombüsenwanze“, sagte er, ohne sich umzublicken. „Das — das war ein Spaß?“ fragte der Kutscher, wobei er ratlos und verwirrt in die Runde blickte. „Das habe ich natürlich nicht gewußt, Ed.“ Carberry brummte etwas, das kein Mensch verstand, worauf der Kutscher sich umdrehte und laut lachte. Allerdings hörte sich das Lachen eher nach dem Gemecker einer Ziege an. „Was gibt es da zu lachen, verdammt?“ fragte Ed.
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„Ich lache über deinen Spaß“, versicherte der Kutscher, und damit hatte er dem Profos das Wasser abgegraben. Säuerlich grinsend ging Carberry nach vorn, doch hinter seinem breiten Rücken tippte sich der Kutscher bedeutungsvoll an die Stirn. „Er kann es auf den Tod nicht leiden, wenn nichts passiert“, sagte der Kutscher leise. „Dann brennen ihm die Kaldaunen durch.“ Eine halbe Stunde später allerdings gab es einen Zwischenfall, und es passierte tatsächlich etwas, das sie jäh hochriß. Die „Isabella“ befand sich nur noch knapp drei Kabellängen vom Land entfernt und segelte auf eine kleine Landspitze zu, hinter der sich eine ebenso kleine Bucht verbarg, als Bob Grey aus dem Ausguck laut rief: „Deck! Ein Schiff in der Bucht, fast ein Wrack!“ Gleich darauf tauchte es auf, von der Landspitze aus durch eine dichte Gruppe Dattelpalmen fast verborgen. Ein kleiner Zweimaster war es, der dort lag. Genau betrachtet hatte das Schiff keinen einzigen Mast mehr, nur noch zwei Stümpfe standen an Deck, und auf dem Deck sah es aus, als hätte sich dort eine ganze Horde Piraten gründlich ausgetobt. Im Nu hingen die meisten Seewölfe in den Wanten, um sich das merkwürdige Gebilde anzusehen, doch die zweite Überraschung folgte sofort. Auf dem Wrack stieg an einer auf Deck hochkant gestellten Rah die holländische Flagge hoch. Auf der Backbordseite wurde gleichzeitig eine Qualmwolke sichtbar, und zur grenzenlosen Verblüffung der Seewölfe klatschte eine Eisenkugel vor dem Bug der „Isabella“ in die See —das allgemeine Zeichen zum Stoppen. Hasard sah ungläubig zum Land hinüber. Dieser abgebrochene Zweimaster erfrechte sich, der „Isabella“ einen Schuß vor den Bug zu setzen. Das war nicht nur unglaublich, das war einfach eine bodenlose Frechheit, eine Unverschämtheit. Carberry, der mittlerweile wieder auf dem Achterdeck war, schwoll am Hals eine Ader an, ein sicheres Zeichen dafür, daß ihm spontan die Galle überlief und er sich
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nur noch sehr mühsam in der Gewalt hatte. Es war ein plötzlich ausbrechender Jähzorn, der ihn erfaßte und knallrot anlaufen ließ. „Dieses Rübenschwein zerreiße ich in der Luft!“ schrie er und sah den Seewolf wild an. „Sollen wir ihm die Flagge wegschießen, Sir?“ „Nein“, sagte der Seewolf zu seiner großen Überraschung. „Ich habe mir das eben überlegt, Ed. Wir könnten diesen Holländer mit einer Breitseite in einen Trümmerhaufen verwandeln, nur so im Vorbeisegeln, und das weiß er auch genau. Er wollte nichts weiter als uns warnen. Etwas anderes anzunehmen, wäre unsinnig.“ Hasard hatte gerade das letzte Wort gesprochen, als es drüben schon wieder aufblitzte, die Flagge schnell gedippt wurde, auf dem Wrack Leute winkten. und gleichzeitig die zweite Kugel, ein Sechspfünder vermutlich, weit vor dem Bug des Rahseglers ins Wasser klatschte. „Kein Zweifel, eine Warnung“, sagte auch der Bootsmann Ben Brighton und blickte den Seewolf an. Hasard nickte. „Wir sehen uns diese Leute einmal an“, sagte er. „Es sieht so aus, als brauchen sie Hilfe. Auf die Stationen! Wir laufen die Bucht an. Die Kanonen gefechtsbereit halten, Tiefe loten und aufpassen!“ Für Carberry gab es endlich etwas zu tun, und so überzog ein hartes Grinsen sein Narbengesicht. Endlich konnte er wieder nach Herzenslust loswettern. „Hopp, hopp, ihr lahmen Krüppel!“ donnerte seine Stimme über das Deck. „Über Stag und backbrassen! Zeigt mal, ob ihr das überhaupt noch könnt! Habt schon lange keinen Tampen mehr in der Hand gehabt, was, wie? Willig, willig, ihr triefäugigen Kanalratten! Glotzt nicht den Wind aus den Segeln, und wenn auch nur ein einziger Lappen bei dem Manöver killt, dann werde ich dafür sorgen, daß eure Affenärsche im Großmars ebenfalls killen!“ Er rieb sich zufrieden die Hände, als die Männer mit dem Manöver begannen, als
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die ersten Schweißperlen auf den Gesichtern glänzten und harte Fäuste Schoten und Brassen packten. Unterdessen blickte Hasard zu dem Holländer hinüber. Außer dem halben Wrack war weit und breit kein anderes Schiff zu sehen. Auch an Land rührte sich nichts. Nur die Männer auf dem Zweimaster, die das Manöver der „Isabella“ verfolgten, liefen hin und her, winkten und schrien. Merkwürdig, überlegte er, die Holländer waren doch ausgezeichnete Schiffsbauer und hatten meist erstklassige Zimmerleute an Bord. Sollten die nicht imstande sein, ihr lahmes Schiffchen ohne fremde Hilfe wieder aufzuriggen? Nach einer Falle sah es jedenfalls nicht aus, aber man konnte nie wissen. Vielleicht hatten sie auch die Absicht, ihren zerfetzten Zweimaster gegen die „Isabella“ zu tauschen. Er beschloß jedenfalls, auf der Hut zu sein und sich nicht überrumpeln zu lassen. Er sah wie Al Conroy zusammen mit Batuti und Blacky an den Culverinen hantierte und etwas später auch die vorderen und achteren Drehbassen lud. Der Stückmeister Conroy war da ein besonders vorsichtiger und mißtrauischer Mann. Zusätzlich zu seiner Armierung hatte er auch noch eins der tragbaren Bronzegestelle mit einem der chinesischen Brandsätze geladen, um allen Eventualitäten vorzubeugen. Nachdem die Segel ausnahmslos im Gei hingen, trieb die letzte Brise die „Isabella“ schräg versetzt dem Land entgegen. Von dem holländischen Schiff löste sich ein Boot, besetzt mit vier Männern, die wie rasend pullten, und die Strecke schon halb geschafft hatten, als auf dem Rahsegler der Anker fiel. Die Seewölfe lehnten am Schanzkleid und sahen den Holländern entgegen, die jetzt heran waren. Auf Hasards Anordnung hatte Carberry die Jakobsleiter ausbringen lassen, und jetzt wartete der Profos mit verschränkten Armen und mißtrauisch nach unten gerichteten Blicken.
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Die vier Holländer trugen nur ausgefranste Hosen, die bis zu den Waden reichten, ihre Oberkörper waren nackt und von der Sonne verbrannt. Einer von ihnen stand im Boot und sah zur „Isabella“ hoch, während die anderen die letzten Yards pullten. „Ist es gestattet an Bord zu gehen, Sir?“ fragte der aufrecht stehende Mann auf Englisch mit holländischem Akzent. „Woher wissen Sie, daß wir Engländer sind?“ fragte Hasard, der neben dem Profos stand. Der Holländer winkte ab. Dabei lachte er. „Ich lasse mich nicht täuschen, Sir, ich kenne die neuartige Bauweise der Engländer. Dies ist ein englisches Schiff, darauf wette ich ein Faß Rotwein.“ „Entern Sie auf!“ sagte Hasard knapp. Der Mann hatte ein ehrliches Gesicht, hellblonde Haare und blaue Augen, die wach und neugierig in die Welt blickten. „Ihr bleibt im Boot und wartet!“ befahl der Holländer seinen Männern, die ruhig nickten. Auch das imponierte dem Seewolf. Er ließ nicht gleich die ganze Horde an Bord stürmen, sondern gab sich zurückhaltend und bescheiden. „Lassen Sie Ihre Männer aufentern“, sagte Hasard. Von den vier Leuten drohte nicht die geringste Gefahr. Was wollten sie gegen zwanzig Seewölfe schon ausrichten! Der Profos allein hätte die Burschen nach Strich und Faden weichgeklopft. Der Blonde gab Hasard die Hand, ein kräftiger Händedruck, wie der Seewolf fand, nickte den anderen zu und musterte schnell das blitzsaubere Deck und die Männer. „Mein Name ist de Haas, Pit de Haas“, sagte er, „ich bin der Bootsmann von diesem Wrack da.“ Hasard gab sich kühl und verbindlich. „Killigrew“, sagte er kurz. „Ist es bei Ihnen üblich, daß man den Bootsmann schickt? Oder ist der Kapitän krank?“ „Augenblicklich haben wir keinen Kapitän, Sir, der ist sozusagen verhindert. Ich möchte mich für den Vorfall von vorhin entschuldigen, aber ich sah keine andere
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Möglichkeit, um Sie zum Beidrehen zu bewegen.“ Hasard wartete ab. Er sah, daß die drei anderen zwar neugierig das Schiff anstarrten und die Leute musterten, aber es war eben nur die übliche Neugier. Auch trug keiner von ihnen eine Waffe, wie er sofort feststellte. Niemand hatte eine Pistole im Hosenbund. „Was führt Sie zu mir, Bootsmann?“ fragte der Seewolf. „Ich nehme an, Sie brauchen Hilfe.“ „Nein, das ist es nicht, Sir. Wir werden zwar eine Weile zu tun haben, aber mit unseren Arbeiten werden wir selbst fertig. Das einzige was uns fehlt, ist eine Handvoll großer Nägel, aber es geht zur Not auch ohne sie.“ Der Seewolf lächelte spöttisch und sah den Bootsmann an. „Sie werden uns nicht wegen dieser Handvoll Nägel gestoppt haben, nehme ich an. Weshalb dann, wenn Sie nicht einmal Hilfe brauchen?“ Er blickte in ein offenes und ehrliches Gesicht. „Ich möchte Sie warnen, Sir“, sagte der Holländer schlicht. „Sie segeln dicht an der Küste entlang, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis man Sie überfallen wird. Zwar sieht Ihre ‚Isabella' wie ein Spanier aus, aber mich kann man nicht täuschen, ich kenne mich aus. Ich wußte schon, daß es ein englischer Rahsegler ist, als ich Ihren Bug von weitem sah.“ Hasard nickte anerkennend. „Sogar die Spanier selbst sind schon darauf hereingefallen“, sagte er lächelnd. „Wer also, denken Sie, sollte uns überfallen, und aus welchem Grund?“ Van Haas deutete mit der Hand auf die Laderäume. „Ich sehe, daß Sie geladen haben, Sir. Was es ist, weiß ich natürlich nicht, aber es wird schon einigen Wert besitzen, etwas das man brauchen kann“, setzte er hinzu. „Das also ist der erste Grund. Der zweite ist El Corsario, wie er sich nennt, ein größenwahnsinniger Spanier. der sich einbildet, jedes Schiff das hier vorbeisegelt. müsse eine Art Tribut an ihn errichten.“
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„Wie ich sehe, haben Sie Ihren Tribut nicht freiwillig entrichtet“, sagte Hasard trocken und deutete auf das Wrack. „Richtig, Sir! Unser Kapitän sah keinerlei Veranlassung, diesem El Corsario Anteile aus unserer Gewürzladung zu überlassen. Auch die Stoffe, die wir auf einer großen Insel tauschten, wollte er nicht hergeben. El Corsario nahm sich daher, was ihm gefiel. Und ihm gefiel alles“, setzte De Haas bitter hinzu. „Sie haben sich gewehrt?“ „Das Resultat sehen Sie da drüben. El Corsario bot etwa zwanzig Schiffe auf, kleine und große. Uns blieb nur die Flucht, und auch die gelang nicht, jedenfalls nur teilweise.“ „Was verlangen Sie als Gegenleistung für Ihre Warnung?“ fragte der Seewolf. „Symbolisch nur eine Handvoll Nägel. Unsere Warnung ist nicht gerade uneigennützig. Wir wollen nicht, daß diesem gottverdammten Halunken noch mehr in die Hände fällt. Deshalb mein Rat, Sir: Segeln Sie weit hinaus, mindestens zehn, zwölf Meilen, sonst geht es Ihnen wie uns.“ Hasard nickte langsam und sah dem Mann wieder in die Augen. „Wo ist Ihr Kapitän?“ „El Corsario hat ihn und den Bestmann gefangen genommen und sie eingesperrt. Er will sie hinrichten lassen, Hängen, wie er sagte.“ „El Corsario“, sagte Hasard verächtlich. „Der scheint sich hier als Volksheld aufzuspielen. Der faule Zahn sollte ihm schleunigst gezogen werden.“ „Es hat keinen Zweck, sich mit ihm anzulegen, Sir, wirklich nicht. Seine Übermacht ist zu groß, und er hat viele Leute:“ Hasard gab dem Moses Bill einen Wink. „Bringe einen Schluck zur Begrüßung, Junge“, sagte er. Die Seewölfe lauschten den Worten der drei anderen Holländer, die haarklein von dem Angriff berichteten und wie El Corsario sie auseinandergenommen hatte. Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, unterhielt sich mit
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einem, der das gleiche Handwerk gelernt hatte. Es war ein holländischer Schiffsbaumeister, der als Zimmermann zur See fuhr. „Jetzt seid ihr also dabei, euer Wrack aufzuriggen. Wie wollt ihr das schaffen?“ fragte er. „Habt ihr Ersatzmaste?“ „Einen haben wir, den anderen flicken wir zusammen. Die Segel sind ebenfalls wieder geflickt und die Löcher an der Wasserlinie alle ausgebessert. Uns fehlt nichts weiter als eine Handvoll Nägel, wie schon der Bootsmann sagte.“ „Die kriegt ihr von mir“, versprach Ferris, „und wenn ihr noch etwas braucht, kriegt ihr es ebenfalls, wenn der Seewolf, äh – der Kapitän nichts dagegen hat.“ Der Holländer starrte ihn mit offenem Mund an. „Sagtest du eben Seewolf, Rotschopf?“ fragte er entgeistert. Tucker sah, daß auch die anderen sich umdrehten, Hasard anstarrten und kein Wort hervorbrachten. Sekundenlang wurde es auf der „Isabella“ totenstill. Der Bootsmann faßte sich als erster. Respektvoll trat er einen Schritt vor Hasard zurück. „Ihr seid der Seewolf?“ fragte er erschreckt. „Der Mann, von dem ganz Spanien spricht?“ „Ich bin es“, sagte Hasard leichthin. „Deshalb braucht euch doch nicht der Schreck in die Knochen zu fahren.“ „Auf Ihren Kopf ist von den Spaniern eine hohe Belohnung ausgesetzt, Sir“, sagte der Bootsmann. „Wollt ihr sie euch verdienen?“ „Godverdomme, nein, Sir! Ihr seid also der Seewolf! Wenn El Corsario euch fängt, wird er euch an die Spanier ausliefern, um die Belohnung zu kassieren, obwohl er bei seinen eigenen Landsleuten nicht sehr geschätzt wird, denn auch von ihnen verlangt er Wegezoll.“ Hasard lachte laut, auch der Profos und ein paar andere fielen in das Gelächter ein. „Dazu muß El Corsario mich aber erst einmal haben, Mijnheer van Haas. Und das geht nicht von heute auf morgen.“
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Hasard ließ den Männern Wein reichen und trank ihnen zu. „Dieser Korsar, wie er sich nennt, hat wohl eine Menge Schätze angehäuft?“ fragte er. „Mit Sicherheit, Sir.“ „Man sollte sie sich ansehen“, schlug der Profos händereibend vor. „Ja, das sollte man wirklich, Ed. Du wolltest doch ohnehin eine Kneipe ausräumen. Wir sollten uns das wirklich in aller Ruhe überlegen.“ Die Männer sahen, wie es in den eisblauen Augen des Seewolfs aufblitzte, und sie wußten jetzt schon alle, daß Hasard dicht an der Küste vorbeisegeln würde und gleichzeitig wieder etwas ausheckte, das El Corsario letzten Endes nicht gerade freuen würde. Der holländische Bootsmann rang die Hände. „Sir“, sagte er beschwörend, „ich weiß, was man über Sie erzählt. Die Spanier zucken zusammen wenn der Name Lobo del Mar fällt, sie haben Angst vor jedem Raid des Seewolfs. Aber hier begeben Sie sich unnötig in Gefahr. Sie werden gegen zwanzig Schiffe nichts ausrichten können.“ Hasard verschränkte die Arme über der Brust. „Nun, wir haben keine sonderliche Eile, Bootsmann, uns bleibt also Zeit zum Überlegen. Nun jedoch zu euch: Wir haben einen Besan als Ersatz, ihr sollt ihn haben, er würde genau passen, und wir werden euch helfen, das Schiff aufzuriggen.“ „Das kann ich nicht verlangen, Sir. das können wir nicht annehmen.“ Hasard antwortete nicht darauf. Stattdessen fragte er: „Wie weit entfernt befindet sich El Corsarios Versteck?“ „Etwa dreißig Meilen nordwärts, Sir! Ganz in der Nähe gibt es eine Oase mit frischem Quellwasser. Eine Bucht befindet sich dort, länger als diese und nur schlecht einsehbar von See aus. Weit draußen liegt ständig ein Schiff vor Anker, ein kleineres kreuzt Tag und Nacht in der Nähe.“ Hasard wußte, daß er diesen Leuten Vertrauen schenken konnte. Er hatte ein sicheres Gespür dafür. Er konnte Halsabschneider und Schnapphähne von
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ehrlichen Leuten auf Anhieb unterscheiden, und er hatte sich so gut wie noch nie geirrt. „Laß das große Beiboot abfieren, Ed“, sagte er zum Profos. „Und holt den Besan, den wir als Ersatz haben. Dann suche dir ein paar Freiwillige, die den Leuten beim Aufriggen helfen.“ „Aye, aye, Sir!“ brüllte Ed. Freiwillige fand er mehr als genug, und so war es verständlich, daß bei den zurückhaltenden Holländern lauter Jubel ausbrach, obwohl der Bootsmann immer wieder betonte, wie peinlich ihm das alles sei, und daß er selbst schon klarkommen würde. 2. Die Holländer waren frische, aufrichtige Kerle, wie die Seewölfe schnell feststellten. Allerdings befand sich ihr Zweimaster in einem reichlich erbarmungswürdigen Zustand. Ferris Tucker, der mit fünf anderen Männern an Deck stand, sah sich kopfschüttelnd um. Überall gab es Planken, die sich nach oben bogen, die zerfetzt und zersplittert waren. Er entdeckte zahlreiche Einschläge von Eisenkugeln, und obwohl sie das Deck schon aufgeklart hatten, wie sie sagten, glich es immer noch einem Trümmerhaufen. Wie mochte es wohl vorher ausgesehen haben? „Das gibt Arbeit für mindestens drei oder vier Tage“, sagte der Schiffszimmermann. „Wie viele Leute seid ihr jetzt?“ „Zehn Mann, ohne die beiden, die fehlen.“ „Gut, dann hieven wir zuerst den Mast an Bord!“ Auch der Seewolf sah sich an Bord um. El Corsarios Kerle hatten die Laderäume erbrochen und alles verwüstet. Nachdem er das Schiff restlos ausgeplündert hatte und es nichts mehr zu holen gab, hatte er die Holländer hohnlachend davongejagt, den Kapitän und den Bestman jedoch zurückbehalten, um sie zu hängen.
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„Dieses Kerlchen muß ich mir unbedingt aus der Nähe betrachten“, sagte Hasard zu Tucker, „und ich weiß auch schon, wie wir das anstellen werden. Natürlich sollten wir ihn nicht unterschätzen. Wie lange brauchen wir, wenn alle mit anpacken, Ferris?“ „Shane und die anderen auch und diese Leute hier?“ „Ja; alles was wir entbehren können, ohne daß die Gefechtsbereitschaft darunter leidet.“ „Dann sind wir morgen gegen Abend fertig, das kann ich mit gutem Gewissen versprechen.“ „Prächtig. Ich finde, wir sind es diesen Männern ganz einfach schuldig, daß wir helfen. Wir wären vermutlich ahnungslos und unvorbereitet einer größeren Übermacht in die Falle gelaufen.“ „Das ist auch meine Ansicht.“ Der Mast, den sie von Bord der „Isabella“ der Einfachheit halber ins Wasser geworfen hatten und ihn nachschleppten, wurde von kräftigen Fäusten an Deck gehievt. Tucker registrierte anerkennend, daß die Holländer noch mehr schufteten als die Seewölfe. Unter ihnen gab es keine Drückeberger oder Leute, die nur so taten, als würden sie arbeiten. Etwas später folgten Big Old Shane, der Gambianeger Batuti, Smoky, der Profos, Gary Andrews und ein paar andere. Danach begann unverzüglich die Arbeit. An Bord wurde pausenlos gehämmert, geklopft, gesägt und zugeschnitten, und zusehends veränderte sich das Deck, wurden neue Planken eingepaßt und befestigt, während ein anderer Trupp unverzüglich mit dem Kalfatern begann. Einmal wandte sich der schwitzende Bootsmann De Haas mit ungläubigem Blick an den Seewolf. „Ich habe einen sehr guten Zimmermann, Sir“, sagte er, „aber dieser rothaarige Mann ist ein Könner, der übertrifft alle Zimmerleute, die ich kenne, bei weitem. Und das will, godverdomme, Sir, schon etwas heißen. Der Mann mustert nicht
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zufällig bei Ihnen ab, Sir?“ fragte der Bootsmann lachend. „Zufällig nicht“, sagte Hasard. „Aber Sie können ihn ruhig selbst danach fragen.“ „Wer bei Lobo del Mar fährt, müßte direkt verrückt sein, wenn er abmustert, Sir. Es gibt gleich etwas zu essen. Proviant hat uns dieser verrückte Pirat gelassen.“ Es gab Plum und Klüten, in großen Kummen an Deck serviert. Bei den Holländern war es beliebt, es bestand aus getrockneten Pflaumen und kleinen Klößen aus Mehlteig. Die Männer waren jetzt ausgehungert und hauten rein. Sie aßen, wie sie arbeiteten — schnell und viel, und sie ließen sich nicht lange bitten. Am Nachmittag stand der Besan, einschließlich der Takelung. Die meisten Löcher im Deck gab es nicht mehr, und ein anderer Trupp nahm sich den Laderaum vor und klarte auf. Zwischendurch ließ der holländische Bootsmann den Seewölfen und seinen eigenen Leuten ein scharfes Gebräu aus klarem Schnaps bringen, das mit Zitrone vermischt war. Danach wurden die Arbeiten bis zum späten Abend fortgesetzt. Lange nach Dunkelheit kehrte Ruhe auf dem Schiff ein, und die Seewölfe gingen müde an Bord zurück. * Gegen Mittag des anderen Tages stand auch der zweite Mast nach endloser Schufterei. Hasard wehrte den Dank des Holländers ab, der immer wieder bedauerte, ihn nicht bezahlen zu können. „Ich verlange keine Bezahlung, Mijnheer De Haas“, erklärte der Seewolf ruhig. „Was wir getan haben, geschah nicht selbstlos, Sie haben uns gewarnt, und wir revanchierten uns dafür. Ihr Schiff ist wieder in Ordnung, Sie können segeln, wohin Sie wollen, und mit etwas Glück sehen Sie auch Ihren Kapitän und den Bestmann wieder, wenn dieser Größenwahnsinnige sie noch nicht gehängt hat. Das werden wir jedoch bald
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feststellen. Eine Frage noch: Haben Sie schon mal gehört, daß El Corsario auch spanische Kriegsschiffe ausgeplündert oder überfallen hat?“ „Nein, das traut er sich nicht, wahrscheinlich aus Angst, sie würden ihn mit einer ganzen Flotte ausräuchern. Spanische Handelsfahrer überfällt er, jedenfalls kassiert er seinen Anteil an der Fracht, aber Kriegsschiffe ...“ Er sah den Seewolf verwegen lachen und rieb sich nachdenklich das Kinn, das von Stoppeln übersät war. „Sie haben etwas vor; Sir“, sagte er. „Habe ich recht?“ „Allerdings, wir werden in die Höhle des Löwen segeln, und wenn Sie Ihren Kapitän wiederhaben wollen, dann rate ich Ihnen, in dieselbe Richtung zu segeln, allerdings erst in ein paar Tagen.“ „Sie schaffen das nicht, Sir“, warnte der Bootsmann eindringlich. „Es täte mir leid um Sie, ich würde das sehr bedauern, denn ich kann Ihnen keine große Hilfe anbieten.“ „Ich denke doch, daß es zu schaffen ist, Bootsmann. Wir werden heute nacht ankerauf gehen und auslaufen. Zuvor bitte ich Sie, mir noch eine genaue Beschreibung und alle Einzelheiten mitzuteilen.“ Die erneute Warnung des Holländers schlug Hasard lachend in den Wind. Er hatte sich vorgenommen, El Corsario einen Denkzettel zu verpassen, und daran hielt er sich. Zudem spielte bei ihm der Gedanke mit, die dort angehäuften Schätze des Piraten könnten zur Bereicherung der englischen Krone beitragen und ihren eigenen Anteil entsprechend erhöhen. Wenn er dem Kerl das abnahm, was er den anderen gestohlen hatte, war das nur recht und billig. „Wollen Sie von mir noch ein paar Leute haben?“ fragte der Bootsmann. „Ich kann Ihnen die Hälfte der Männer mitgeben oder zwei Drittel, wenn Sie das wünschen.“ Hasard schüttelte den Kopf. „Ihre Leute sind fast alle blond“, sagte er, „nein, das ist gut gemeint, aber es geht nicht.“
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De Haas sah den Seewolf an, öffnete den Mund und verstand im übrigen kein Wort. „Was hat das mit der Haarfarbe zu tun, Sir?“ fragte er. „Sehr viel, Bootsmann. Ich werde es Ihnen gelegentlich erklären. Wundern Sie sich nicht, wenn bei uns an Deck plötzlich Spanier erscheinen sollten.“ Der Bootsmann war nicht gerade begriffsstutzig. aber dennoch brauchte er eine Weile angestrengten Nachdenkens, bis sich sein breitflächiges Gesicht erhellte. „Ich verstehe“, stieß er erregt hervor. „Sie wollen ihn mit den eigenen Waffen schlagen.“ „Überlisten“, verbesserte Hasard. „Aber aber, wie steht es mit der Sprache?“ „Oh, die meisten oder jedenfalls ein großer Teil meiner Besatzung spricht perfekt Spanisch. Und viele sind dunkelhaarig. So haben wir schon manches Problem gemeistert.” Der Holländer sah ihn an, respektvoll und nachdenklich. Ja, dieser Mann hatte das Zeug dazu, mit einem Kerl wie El Corsario fertig zu werden. Daran zweifelte er keinen Augenblick mehr. Der Seewolf war ein harter unbeugsamer Bursche, der zu kämpfen verstand, dem nahm keiner den Wind aus den Segeln. Und wenn er sich die Männer betrachtete, verstärkte das seine Zuversicht nur noch. Das waren eiserne Burschen, Kerle aus Granit, die nicht lange fackelten. Kein Wunder, dachte er weiter, daß diese Burschen überall gefürchtet waren, und doch hatten sie sich um ihn und das Boot gekümmert und in unglaublich kurzer Zeit unter der Leitung des rothaarigen Riesen das Schiff in Ordnung gebracht. Der Holländer wußte wirklich nicht, wie er seinen Dank abstatten sollte, und so streckte er dem Seewolf stumm die Hand hin. Etwas später kehrten die Seewölfe an Bord zurück. Hasard besprach sich mit seinem Bootsmann, dem untersetzten Ben Brighton. „Hast du inzwischen nachgesehen, was wir an spanischen Uniformen noch an Bord haben?“
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„Mehr als genug“, versicherte Ben. „Wir haben den Spaniern so viel abgeknöpft, daß wir fast eine kleine Armee damit ausrüsten können. Alles ist da, von den Helmen bis zu den Waffen, einige Kerle müssen nur noch künstlich etwas nachgedunkelt werden.“ „Das wird der Kutscher noch heute besorgen. Kurz vor Tagesanbruch laufen wir aus, und unterwegs werden wir noch eine kleine Übung abhalten, damit es keine Pannen gibt. Es muß alles wie am Schnürchen laufen. Du steigst in die Rolle des ersten Offiziers und gibst dich so arrogant und herablassend wie nur möglich. Jeder andere erhält seine Rolle unterwegs auf See genau zugewiesen. Laß jetzt den Kutscher antreten und alle die Männer, die blonde Haare haben. Wir werden uns gründlich verwandeln.“ Ziemlich fertig und erschöpft traten die Seewölfe etwas später auf dem Deck an, aber als sie hörten, um was es ging, begannen die ersten zu grinsen und sich die Hände zu reiben. Das war wieder mal so ganz nach ihrem Geschmack, besonders Carberry freute sich diebisch. „Das wird ein Fest“, verkündete er und schlug sich auf die Schenkel, grinste und blickte wild um sich. „Das einzige was mir dabei nicht gefällt, ist die stinkige Salbe, die der Kutscher hat, aber die müssen wir wohl in Kauf nehmen, wenn alles so echt wie nur möglich aussehen soll.“ „Unterhaltungen werden nur noch in Spanisch geführt“, sagte der Seewolf. „Nach dem Auslaufen drehen wir in Richtung See ab, etwa sechs Meilen Küstenentfernung, bis wir diesen kreuzenden Kahn entdecken, das Auge El Corsarios. Dieses Auge werden wir blenden, es geht sofort voll drauf, sobald die Kerle Anstalten unternehmen, uns auf den Pelz zu rücken. Es wird erbarmungslos gefeuert. Wir führen ab sofort die spanische Flagge und segeln im Auftrag seiner Allerkatholischsten Majestät, unseres lieben Philipp. Wer Fragen hat, kann sie jetzt stellen! Alles weitere wird noch geübt, sobald wir unterwegs sind.“
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„Und wenn das ganze Geschwader gleichzeitig ausläuft und uns einkreist?“ wollte Matt Davies wissen. „Wir segeln mit Vollzeug in die Bucht, direkt im Neunzig-Grad-Winkel von See aus. So schnell werden sie gar nicht reagieren, ich habe mir das von dem Holländer genau beschreiben lassen. Dieser El Corsario lauert auf die Beute, die sich dicht unter Land bewegt und Nordoder Südkurs segelt. Er wird nicht damit rechnen, daß sich ein Schiff direkt auf seine Bucht bewegt.“ Der riesige Gambia-Neger lachte dröhnend. „Batuti nicht aussehen wie Spanier“, sagte er, „auch wenn Batuti haben schwarze Haar, ganz krumme. Batuti werden wieder spielen armes Nigger von Sklavenmarkt, wo immer kriegen von Profos viel Prügel und schlecht Essen.“ „Du kannst auch unter Deck bleiben“, sagte Hasard, aber der Neger schüttelte den Kopf. „Batuti machen viel Spaß, wenn können Don ärgern, Sir. Lassen Batuti an Deck, vielleicht können an Mast binden, wo Batuti schreien nach Negerland und armes Vater und Mutter.“ „Hmm, das dürfte nicht schlecht wirken“, sagte Hasard lachend. „Legt euch also spanische Namen zu, ich selbst fungiere als Don Manuel de Funchal. Gerüchteweise haben wir gehört, daß es an der Küste nicht mit rechten Dingen zuginge. Uns folgen sechs schwerbewaffnete Galeonen mit Seesoldaten, demnach wird El Corsario sich hüten, uns anzugreifen. Er wird uns etwas vorflunkern, nehme ich an, und wir werden improvisieren müssen. Aber das werden die Gelegenheit und der Augenblick mit sich bringen. Das läßt sich nicht in allen Einzelheiten im voraus planen.“ Etwas später trat der Kutscher in Aktion, während der Moses Bill und der alte Segelmacher Will Thorne die verstaubten Uniformen heraussuchten und sie nach Größen ordneten. Das Geschrei ging wieder los, als der Kutscher den ersten Männern das
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übelriechende Färbemittel auf die Haare klatschte und genüßlich verrieb. Es stank in der Tat mehr als bestialisch, aber das ließ sich leider nicht ändern, wie der Kutscher versicherte, und' wenn sie ihre Köpfe schon nicht zum Denken hätten, so wenigstens dazu, sie sich färben zu lassen, wie er betonte. Stenmark, der blonde Schwede, verzog angewidert das Gesicht, als der Kutscher ihn salbte. „Ich sehe bestimmt aus wie mein eigener Großvater“, sagte er. „Mußt du das Zeug denn unbedingt so dick auftragen, Kutscher?“ „Wer hier meckert, den seife ich zweimal ein“, drohte der Feldscher der „Isabella“. „Endlich kann ich mich einmal an euch Kerlen revanchieren. Wirst du noch einmal am Essen mäkeln?“ fragte er, und hielt schon die nächste Menge übelriechendes Zeug in der Hand, um es dem Schweden auf die blonden Borsten zu klatschen. „Nie mehr“, versicherte Stenmark unter dem Gelächter der anderen. „Deine Kakerlaken sind die besten und die Ratten in der Suppe immer so zart und fein gewürzt.“ Ungerührt ließ der Kutscher die übelriechende Masse los, klatschte, rieb und massierte genüßlich. Diesmal konnte er sich austoben, sie waren ihm ausgeliefert, und das wußte der Kutscher zu würdigen. Ab und zu schickte er prüfende Blicke in die Runde, und sobald sein Auge etwas länger auf einem mißmutigen Gesicht verweilte, verzog es sich zu einem gequälten Grinsen, wie er zufrieden feststellte. Unterdessen versuchte Ed Carberry, sich fluchend in eine spanische Uniform zu zwängen, die ihm Will Thorne gab. Es ging nicht, das Wams war zu eng, es drohte aus den Nähten zu platzen. „Verdammt, gibt es denn keine großen Dons?“ fragte Carberry ärgerlich. „Die Kerle sollten mehr fressen, dann wachsen sie auch. Das Ding paßt nicht, Will, gib mir das andere.“ Thorne ließ ihn geduldig probieren, doch Carberry war ein schwieriger Fall, und es
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dauerte lange, bis er eine halbwegs passende Uniform gefunden hatte. „Na, wie sehe ich aus?“ fragte er den Segelmacher. Der alte Thorne kratzte sich den Schädel und überlegte. „Na, sag schon!“ drängte Ed ungeduldig. „Hm, wenn du es mir nicht verübelst, Profos, aber ich würde dich für einen etwas zu groß geratenen spanischen Bauernlümmel halten, einen, der von zu Hause ausgekniffen ist.“ „Vielen Dank!“ brüllte Ed. „Aber ich habe dich nicht um deine Meinung gefragt.“ „Dann muß ich mich verhört haben“, sagte Will grinsend. „Aber du siehst wirklich gut aus, Profos. Du bist der größte Spanier, den ich je gesehen habe.“ Carberry stolzierte in Seiner spanischen Uniform ein wenig herum und fühlte sich reichlich merkwürdig darin. Aber der Zweck heiligte die Mittel, und so ließ er sich auch eine Weile geduldig hänseln, bis sich die anderen wieder beruhigt hatten. Inzwischen ging das Einseifen weiter. Die ersten Männer standen mit angeklatschten Haaren an Deck und betasteten den Aufbau, der an der Luft trocknete und steinhart zu werden begann. Mindestens eine Stunde lang sollten sie das Zeug drauf lassen, wie der Kutscher bestimmte, erst danach wurde es ausgewaschen. „Und wenn euch der Schädel noch so juckt und steinhart wird, es löst sich mit Wasser später wieder auf. Und jetzt verzieht nicht so griesgrämig die Gesichter, ihr Stinte, ihr spanischen.“ „Mein Gesicht verzieht sich von allein“, schimpfte Stenmark, „weil das Zeug jetzt hart wird. Ich bringe kaum noch das Maul auf.“ „Umso besser“, erwiderte der Kutscher ungerührt. „Dann halte es für eine Weile.“ Die Prozedur ging weiter und endete erst kurz vor Mitternacht. Bis dahin hatten sich alle stark verändert. Hasard ordnete Ruhe an. Er ließ Doppelwachen aufziehen, obwohl die Holländer aufpaßten und ebenfalls Wache gingen. Aber des Seewolfs Devise war,
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immer selbst die Augen offen zu halten und sich nicht auf andere zu verlassen. Diese Nacht verlief fast verdächtig ruhig. 3. Noch vor Tagesanbruch wurden der Anker eingeholt und die Segel gesetzt. Die Holländer standen in dem morgendlichen Zwielicht am Ufer und staunten, als sie den Seewölfen das Geleit gaben. Der Bootsmann De Haas stand da und schüttelte den Kopf. „Godverdomme“, sagte er laut, und traute sich kaum, die Hand zum Gruß zu erheben, denn die grimmigen Gesichter in den spanischen Uniformen wirkten so echt, daß er glaubte, tatsächlich spanische Seesoldaten vor sich zu haben. Diese Kerle waren nicht nur verblüffend eiserne Kämpfer und hervorragende Arbeiter, sie waren auch die reinsten Gaukler, rotzfreche Korsaren, die sich den Teufel um die Spanier scherten und sich von ihrer Absicht, direkt in die Hölle zu segeln, nicht mehr abbringen ließen. Der Seewolf winkte ihnen vom Achterdeck zu, auch die anderen hoben die Fäuste und grinsten. Als die Holländer ihnen lautstark viel Glück wünschten, glitt die „Isabella“ sanft aufs Meer hinaus und segelte jetzt mit Backbordhalsen auf Steuerbordbug in den Atlantik. Noch war der Himmel grau und verhangen, der Wind blies mit Stärke vier aus südlicher Richtung, aber am Horizont zeichnete sich bereits das erste Morgenrot ab, und an der Kimm tanzten feine Nebelschleier. Die winzige Bucht, in der der Holländer lag, wurde schnell kleiner. Dattelpalmen verdeckten das Schiff, und dann war es nicht mehr zu sehen. Die Seewölfe musterten sich gegenseitig, denn beim beginnenden Tageslicht sah alles anders aus als in der Nacht. „Verblüffend echt“, urteilte Smoky und nickte anerkennend, doch dann zuckte er zusammen, als er die Stimme des Seewolfs hörte.
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„Noch ein einziges englisches Wort, Smoky“, erklang es laut vom Achterdeck, „und du paßt in keine spanische Uniform mehr. Hast du das begriffen?“ „Si, Senor Capitan!“ brüllte Smoky. Von da an wurde die Unterhaltung nur noch in Spanisch geführt. Sie hatten genügend Zeit, um sich einzugewöhnen, und Spanisch war nun einmal ihre zweite Sprache. Nicht umsonst hatte der Seewolf es ihnen eingebläut, immer wieder, bis es allen zum Hals heraushing. Aber gerade durch die Kenntnis dieser Sprache hatten sich ihre verwegenen Raids immer wieder gut bewährt, und oft genug waren sie gerade noch mit einem blauen Auge davongekommen. Der Seewolf auf dem Achterdeck glich einem hartgesichtigen, unnachgiebigen Spanier. Er trug grüne Kürbishosen. mit roten Streifen die in langen weichen Stiefeln steckten. Das Wams hatte die gleiche Farbe. Darüber trug er eine Lederweste mit einem breiten Gürtel, in dem die Pistole steckte. Unter dem spanischen Helm lugten pechschwarze Haare hervor. Die dazugehörenden weichen Stulpenhandschuhe trug er noch nicht, er fühlte sich nicht wohl darin, die wollte er erst dann anziehen, wenn sie dem ersten Spanier begegneten. Im Osten, auf dem Kurs den sie segelten, wurde es jetzt hell. Über dem Atlantik schob sich der Glutball der Sonne aus dem Wasser und ließ das Meer wie flüssiges, in Bewegung geratenes Silber erscheinen. Hasard warf einen Blick nach oben. Der Ausguck im Fockmars war mit Blacky besetzt, im Großmars stand Jeff Bowie hinter der Segeltuchverkleidung. Weit und breit war kein anderes Schiff zu sehen. Es hatte den Anschein, als wären sie allein auf dem Wasser. Hasard achtete darauf, daß die Männer in ihre Rolle hineinwuchsen, daß sie sich so gaben, wie es auf spanischen Schiffen üblich war, und daß kein Schlendrian einriß. Die spanische Flagge flatterte im Wind, und an Deck waren unter Al Conroys Aufsicht die Männer damit beschäftigt, die
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geladenen Culverinen zu kontrollieren. Erst als der Waffen- und Stückmeister alles klar meldete, war der Seewolf zufrieden. Als der Sonnenball sich aus dem Meer geschoben hatte und gelblichrot am fast wolkenlosen Himmel stand, war der Küstenstrich endgültig verschwunden. „Auf die Stationen!“ rief Ben Brighton. „Kursänderung Nordnordwest.“ Die Rahen wurden herumgeholt, die Männer standen an Brassen und Schoten, und der Profos gab seine Kommandos mit ruhiger Stimme weiter, ohne auch nur einmal zu fluchen. Er achtete lediglich darauf, daß auch weiterhin jeder Mann Spanisch sprach. Kurz danach waren die Rahen vierkant gebraßt, und jetzt lief die „Isabella“ mit fast achterlichem Wind auf NordnordwestKurs. Das Land war immer noch nicht zu sehen. Gegen Mittag meldete sich der Ausguck. Diesmal war es Gary Andrews, der Jeff Bowie vor einer Stunde abgelöst hatte. „Deck! Mastspitzen ein Strich Steuerbord voraus!“ Hasard verglich zusammen mit dem jungen O'Flynn die zurückgelegte Strecke, den Koppelkurs, und rechnete eine Abweichung von annähernd zehn Prozent dazu. „Das könnte er sein“, meinte er nachdenklich, „das Auge El Corsarios, der Fühlunghalter zum Land.“ Vom Achterdeck aus blickte er zum Horizont, aber selbst durch das Spektiv waren die Mastspitzen infolge der Erdkrümmung noch nicht zu sehen. Die sah man erst aus luftiger Höhe, aber er verließ sich auf Gary Andrews' Angaben, blickte jedoch immer wieder zum Großmars. „Wie viele Masten?“ rief er hinauf. „Zweimaster, Sir!“ „Genau auf Kurs bleiben, keine Abweichung“, sagte Hasard zu dem Rudergänger Pete Ballie, dessen ungewöhnlich große Pranken das Ruder umklammert hielten. „Aye, Sir. Kein Kunststück bei dieser See.“
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„Kursänderungen des Zweimasters melden!“ rief Hasard nach oben. Gary Andrews starrte hoch oben ebenfalls durch ein Spektiv. Bis er sich wieder meldete, vergingen einige Minuten. „Liegt auf Kreuzkurs!“ brüllte er. „Segelt lange Schläge.“ Jetzt erst sah man vom Achterdeck der „Isabella“ die Masten des anderen. Er fuhr jeweils zwei Segel an zwei Masten, und damit war für den Seewolf auch der letzte Zweifel ausgeräumt. „Schiff klar zum Gefecht“, sagte er zu Ben. „Sobald der Bursche frech wird, kriegt er eine volle Breitseite. Wir behalten die Luvposition, halten auf ihn zu und drehen hart nach Steuerbord ab. Feuererlaubnis abwarten!“ Brighton nickte schnell und wandte sich dann an Pete Ballie. „Hast du alles verstanden, Pete?“ „Aye, aye, Luvposition behalten, abdrehen nach Steuerbord.“ Er grinste. hart. Ballie war der beste Gefechtsrudergänger, den sie an Bord hatten. Er verstand sein Handwerk im Schlaf, und diesmal würde er es dem lausigen Piraten-Don schon zeigen. Auf der Backbordseite gingen auf Al Conroys Befehl die Stückpforten hoch, denn diese Seite war die erste, die sie dem Gegner beim nächsten Manöver zuwenden würden. Die Position, in der die „Isabella“ sich befand, ließ allerdings nur eine Breitseite zu, ausgenommen die beiden vorderen Drehbassen, die beim Anlaufen ebenfalls noch eingesetzt werden konnten, bevor man hart nach Steuerbord abdrehte, um die günstigere Luvposition beizubehalten. „Genau auf ihn zuhalten und seine Kreuzschläge ausgleichen“, sagte der Seewolf zum Rudergänger. „Dreht er einen Strich nach Backbord, so gehst du einen Strich nach Steuerbord. Laß dich aber nicht ausschmieren, Pete, der Spanier ist ganz sicher kein Dummkopf.“ „Ich auch nicht, Sir“, sagte Pete, immer noch grinsend. „Ja, das weiß ich. Al, sind die vorderen Drehbassen feuerbereit?“
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„Aye, Sir, feuerbereit!“ Auf dem Deck waren Kugeln gemannt worden, schwere Siebzehn-Pfünder, die in Taurollen lagen. Der Moses flitzte hin und her, brachte Sand und stellte Lederpützen mit Wasser bereit. In der Kombüse hatte der Kutscher Lunten entzündet und sie an Deck gebracht. Edwin Carberry begab sich an die vordere Drehbasse, gefolgt von dem Decksältesten Smoky. An den anderen Geschützen standen Big Old Shane, Conroy, Bob Grey, Luke Morgan, Stenmark, Sam Roskill und der alte Segelmacher Thorne sowie Ferris Tucker. Hasard hatte die Blinde wegnehmen lassen, um bessere Sicht bei dem Manöver zu haben. Dort standen jetzt der Profos und Smoky in spanischen Uniformen, Helme auf den Schädel gestülpt und Handschuhe an den Fäusten. Der spanische Zweimaster wurde größer, und die Seewölfe sahen, daß er an jeder Seite ebenfalls acht Kanonen hatte, genau wie die „Isabella“, nur von geringerem Kaliber. „Ein böser Giftzwerg“, sagte Carberry, „bis an die spanische Halskrause tödlich bewaffnet. Ob er es wagen wird, uns zu stoppen?“ „Hoffentlich“, erwiderte Smoky, dem es in den Fäusten juckte. „Dann haben wir wenigstens einen Grund, ihm sofort eins auf den lausigen Pelz zu brennen. Nach dem, was der Holländer gesagt hat, stoppen diese Kastanienfresser jedes Schiff, da werden sie auch vor uns nicht haltmachen. Sieh nur, Ed, die haben mindestens so viele Leute wie wir, obwohl das Schiff kleiner ist.“ „Das wird ihnen nichts nutzen, Smoky. Wir haben die längeren Rohre, dagegen können sie nicht anstinken.“ Hasard blickte auf dem Achterdeck wieder durch das Spektiv und erkannte Einzelheiten. Die beiden Schiffe hatten sich jetzt immer weiter genähert, doch genau genommen näherte sich die „Isabella“, denn der andere kreuzte nur, fiel dann wieder ab und wiederholte das
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Spiel geduldig, damit er immer ungefähr auf der gleichen Höhe blieb. „Sollte ich mich doch getäuscht haben?“ fragte Hasard. Er sprach mehr zu sich und erwartete auch keine Antwort. „Die Kerle tragen die Uniformen der spanischen Seesoldaten, aber ich wette, die tragen sie nur, um sich nach außen hin einen glaubhaften Anstrich zu verleihen.“ Ben Brighton hatte die Arme über der Brust verschränkt. „Warten wir es ab“, sagte er in stoischer Ruhe. „Es wird sich gleich zeigen, ob sie etwas wollen.“ Die Stückpforten des Spaniers waren ebenfalls hochgezogen, wie der Seewolf erkannte, als das Schiff um einen Strich den Kurs änderte. Aber diese Stückpforten waren verdammt schmal, und daran waren die kleinen spanischen Schiffe schon oft gescheitert, denn beim Ausrammen hatten sie nicht viel Spielraum. Er fragte sich, warum sie das nicht änderten, aber die Spanier mochten wohl ihre Gründe dafür haben. „Ein Strich Steuerbord, Pete!“ befahl der Seewolf. „Laß dich nicht täuschen, die ändern gleich wieder den Kurs.“ Ballie hatte schon angeglichen, er reagierte auf jede Bewegung des anderen Schiffes und ahnte sie schon im voraus. Auf dem Zweimaster ging eine Flagge hoch, gelb mit weißen Streifen und zwei Punkten darin. „Was sollen wir darauf antworten?“ fragte Ben unsicher. „Ich kenne das Zeichen nicht. Was erwarten sie von uns?“ „Vermutlich, daß wir die gleiche zeigen“, sagte Hasard trocken, „aber einen derartigen Lappen haben wir nicht an Bord. Wir segeln weiter, die Kerle sollen denken, was sie wollen.“ „Entfernung etwa drei Kabellängen!“ rief der alte O'Flynn, der gebeugt und mit grimmig verkniffenem Gesicht am Schanzkleid in der Kuhl stand und sich mit einer Hand leicht aufstützte. Wer den alten O'Flynn in der spanischen Uniform sah, mußte unwillkürlich grinsen, denn das alte Rauhbein wirkte mit dem Helm auf dem Schädel völlig deplaciert.
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Und in dem grünen Wams und dem einen Stiefel sah er aus wie ein verwitterter bösartiger alter Zwerg, einem eigensinnigen spanischen Altgrande nicht unähnlich. Aber sie hüteten sich, über Old O'Flynn zu lachen, denn seit er in den grünen Kürbishosen steckte, hatte sein Gesicht einen derart grimmigen Ausdruck angenommen, daß den Männern das verstohlene Grinsen schon im Ansatz erstickte. Als keine Antwort von der „Isabella“ erfolgte, blitzte es bei dem Spanier auf, und eine Kugel klatschte weit vor ihrem Bug ins Wasser, genau wie bei den Holländern. Hier bedurfte allerdings niemand der Hilfe. „Wir helfen den Rübenschweinen höchstens beim Versenken mit“, knurrte der Profos und sah sich mit vorgerecktem Rammkinn nach Hasard um, der auf dem Achterdeck leicht den Arm erhoben hatte. „Das ist ein Angriff auf unser Leben“, wetterte Smoky, „das können wir uns nicht gefallen lassen.“ Hasard unternahm immer noch nichts, und der Profos begann ungeduldig und unterdrückt zu husten. „Die schießen uns in Grund und Boden“, meinte er, wobei er wieder einmal kräftig übertrieb, denn auch beim besten Willen reichten die Geschütze des Spaniers nicht über drei Kabellängen. Der zweite Schuß löste sich aus einer Semi-Culverine, als die „Isabella“ stur ihren Kurs beibehielt, und jetzt gab der Seewolf endlich das Zeichen. Sein Arm fuhr nach unten. Carberry fletschte die Zähne. Es war ein hartes, schnelles Grinsen, als er die Lunte auch schon auf das Zündkraut drückte. „Auf was wartest du noch?“ knurrte er Smoky an, als sich die Funken knisternd durch das Kraut fraßen, aber Smoky hatte bereits das gleiche getan. Die beiden vorderen Drehbassen entluden sich mit ohrenbetäubendem Krachen, und eine schwarzgraue Wolke aus Pulverrauch legte sich vor den Bug.
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Gleichzeitig jagten sich auf dem Achterdeck die Kommandos. „Die „Isabella“, bisher mit fast achterlichem Wind segelnd, luvte leicht nach Steuerbord an, und zeigte ihrem total überraschten Gegner jetzt die Backbordseite. Inzwischen ging ein Eisenhagel über den Spanier nieder, der prasselnd über das Vordeck fegte, teilweise in die Segel fuhr und die ersten Anzeichen zum Chaos hinterließ. „Breitseite, Feuer!“ schrie der Seewolf. „Schießt ihm die Masten weg! Hartruder Steuerbord, Pete! Noch etwas höher anluven, ohne daß wir nachtrimmen müssen.“ Unter dem brüllenden Abschuß der acht Culverinen zuckte der ranke Rahsegler des Seewolfs zusammen. Der Rückstoß trieb die Culverinen in die Brooktaue, das Schiff krängte leicht, und eine übelriechende Pulverwolke legte sich wie ein Vorhang auf die Backbordseite. Hier bewährten sich wieder einmal die überlangen Rohre der Culverinen und die Erfahrung der Seewölfe, die es schon mit ganz anderen. Gegnern aufgenommen hatten. Die See wurde von einem nachhallenden Dröhnen überlagert, wie Donner grollte es beim Abschuß. Auf dem Spanier schlug es achtmal hintereinander ein. Es schien, als hätte ein Unsichtbarer mit einer Riesensense dort drüben gehaust. Der Fockmast flog in einem Regen aus Trümmern, zerfetzten Segeln, Rahen und Spieren davon und legte sich wie ein Leichentuch über das Schiff. Zwei Treffer rissen riesige Löcher an der Wasserlinie auf, ein weiterer knallte in den zweiten Mast, der sich schwerfällig zur Seite neigte, eine Weile geneigt stehenblieb und dann mit Donnergetöse ins Wasser schlug. Dabei zertrümmerte er das Schanzkleid, fetzte Planken durch die Luft; säbelte Männer um und fegte einige der Semi-Culverinen über Bord. Als die „Isabella“ noch höher an den Wind ging und sich der Winkel zur
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Windrichtung weiter verkürzte, ließ Hasard auch noch die beiden achteren Drehbassen abfeuern. Das war für den Spanier zuviel. Ein Bleiund Eisenhagel zersiebte den Kolderstock, fegte das Kompaßgehäuse über Bord und mähte auch noch den Rest nieder, der an Deck stand. Innerhalb weniger Minuten hatte sich der Zweimaster in einen rauchenden, zerfetzten Holzhaufen verwandelt, der nicht mehr zu manövrieren war, der dwars in der See trieb, von der leichten Dünung hilflos hin und her geschaukelt. „Um das Ding zu bauen, dürften sie wesentlich länger gebraucht haben“, sagte Dan O'Flynn auf dem Achterdeck trocken. „Es ist direkt erstaunlich, wie schnell sich so ein Schiffchen in einen nutzlosen Trümmerhaufen verwandeln läßt.“ „Ja, scheint so, als wäre ihnen jede weitere Lust an Aktionen gründlich vergangen“, bemerkte Hasard und sah auf das Chaos an Deck. Auf dem Zweimaster sah es wirklich erbärmlich aus. Das Auge El Corsarios war geblendet, der Fühlunghalter zum Land glich einem zerfetzten, noch schwimmfähigem Holzstapel, in den eine Riesenaxt große Löcher geschlagen hatte. Bestenfalls war es noch Treibgut, das bald irgendwo an die Küste geschwemmt wurde und dazu diente, ein Feuerchen zu entfachen. Den Rest konnte El Corsario sich getrost an den Helm stecken. Carberry ging nach achtern, scheuchte die Männer wieder an Brassen und Schoten und zeigte auf den qualmenden Trümmerhaufen. „Die paar Dons, die da noch über Deck latschten, werden sich wundern. wie gut ihre eigenen Landsleute schießen können“, sagte er zu Hasard. „Wenn einer die beiden Warnschüsse tief bereut, dann sind sie es. Was tun wir mit den Kerlen? Lassen wir sie auf ihrem Trümmerhaufen zurück, oder hängen wir sie an den Haken und bringen sie dem großen El Corsario persönlich?“ Hasard winkte ab. „Ich zähle mindestens acht Kerle, die sich verzweifelt abmühen, ein Boot zu Wasser
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zu lassen. Ihr sogenanntes Schiff säuft ihnen jetzt buchstäblich unter dem Achtersteven ab. Sie sollen an Land pullen, dann bleibt ihnen genügend Zeit zum Überlegen, was sie falsch gemacht haben, und für El Corsario wird das ein herzerfrischender Anblick sein, wenn er hört, daß sein Kahn so eben im Vorbeisegeln von einer spanischen Breitseite getroffen wurde. Ich hoffe, wir haben ihnen gründlich imponiert.“ Carberry grinste infam und nickte beipflichtend. „Da bin ich mir ganz sicher, Sir. Sie gehen in dem lausigen Gefühl baden, kleine Scheißer zu sein. Wer darf sich auch schon erfrechen, ein Schiff seiner Allerkatholischsten Majestät zum Stoppen zu zwingen! Noch dazu ein mieser kleiner Zweimaster!“ Hasard sah, daß die Segel wieder nachgetrimmt waren. An Deck waren die anderen Männer dabei, die Rohre zu wischen und neu zu laden. Auch die Spanier hatten ihr Boot jetzt im Wasser, feuerten ihre Verwundeten rigoros über Bord und fischten sie aus der See. Einer nach dem anderen verließ das Schiff, das nicht so aussah, als würde es sich noch lange über Wasser halten. „Es liegt verdammt achterlastig im Wasser“, sagte Ferris Tucker fachmännisch. „Ich gebe dem Wrack nicht mehr Zeit bis zum nächsten Glasen, dann tritt es seine letzte Fahrt an. Ein paarmal haben wir es genau an der Wasserlinie erwischt.“ Die „Isabella“ entfernte sich von dem sinkenden Wrack und den Männern in spanischen Uniformen, die von der Unglücksstelle wegpullten, als sei der Teufel hinter ihnen her. Wie die Wilden trieben sie ihr Boot voran. Niemand drohte mit den Fäusten hinter der „Isabella“ her. Der Schock war ihnen so nachhaltig in die Knochen gefahren, daß sie sich hüteten, sich noch einmal mit ihren vermeintlichen Landsleuten anzulegen. Die kriegten es fertig und versenkten den kleinen Eimer auch noch, auf dem sie sich in Sicherheit gebracht hatten.
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„Es sinkt“, sagte Ben Brighton nach einem Blick durch das Spektiv. Der Rest des Zweimasters stellte sich hart auf den Achtersteven, bis der Bug steil in den Himmel wies. Heckabwärts rauschte es ab, Luftblasen zurücklassend, die an die Oberfläche blubberten und dann zerplatzten. Über der Unglücksstelle schwammen noch immer zwei zersplitterte Rahen und Teile des Mastes. Ein leeres Faß flog wie ein großer Korken an die Wasseroberfläche, als wollte es in den Himmel springen, ehe es zurück ins Wasser klatschte. Ein letzter Schaumwirbel, ein kleiner Strudel, und das Meer beruhigte sich wieder. Jetzt würde der Spanier nicht einmal mehr als Strandgut an die Küste treiben, er hatte seine letzte Reise angetreten, von der es kein Zurück mehr gab. „Wir bleiben auf dem Kurs zur Küste“, sagte Hasard. „Ich bin sicher, daß man den Kanonendonner an Land gehört hat und sich noch keinen vernünftigen Reim darauf bilden kann.“ Die Küste war als haarfeiner Strich an der Kimm zu erkennen, aber noch war keine Bucht zu sehen, auch zeigte sich kein anderes Schiff. Der Rahsegler lag jetzt auf Westkurs und segelte mit Steuerbordhalsen auf Backbordbug liegend weiter. „Ein anderes Schiff wäre ihnen vermutlich entwischt“, überlegte der Seewolf. „Der Zweimaster war viel zu weit draußen, ich habe das Gefühl, die Kerle haben nicht aufgepaßt und sind vom Kurs abgekommen, oder aber sie haben sich dichter zur Küste hin in einer Formation verteilt und lauern dort.“ Immer wieder wurde der Landstrich mit dem Spektiv abgesucht. Im Ausguck starrten sich die Männer die Augen aus. Hasard rechnete wieder nach, überschlug die zurückgelegte Strecke und verglich sie auf der Karte. „Wir können nicht mehr weit entfernt von der Bucht sein, dem Versteck des Piraten.“ Dan O'Flynn lieh sich das Spektiv aus und blickte sehr lange hindurch. Als er es
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wieder absetzte, hatte er einen roten Ring unter dem rechten Auge. „Das scheint ein Wüstenstrich zu sein“, sagte er. „Aber die Sonne flimmert derart, daß es dahinter aussieht, als befände sich dort ein größerer See. Ich kann mich auch täuschen. Wir sollten einen Strich nach Backbord gehen, dann kann man es besser erkennen. Sollen wir?“ „Einen Strich Backbord“, befahl Hasard dem Rudergänger. „Ich glaube, du täuschst dich, Dan“, sagte er. „Es ist vermutlich nur eine Luftspiegelung, aber ich kann es auch nicht genau erkennen.“ Etwas später hatten sie die Gewißheit, als der Seewolf zum wiederholten Mal durch das Spektiv blickte. Hinter dem schmalen Landstreifen befand sich Steuerbord voraus ein anscheinend seichtes Gewässer, von dem der Holländer auch schon gesprochen hatte. Dieses Gewässer wurde mehrmals durch dichte Palmengruppen unterbrochen, und daneben befanden sich ein paar Hügel, Sanddünen wahrscheinlich, aber auch das ließ sich noch nicht genau erkennen. Erst viel später sahen sie ein anderes Schiff, das der Ausguck meldete. Hasard hatte den Kurs noch einmal ändern lassen, und nun segelten sie darauf zu. Es war ein einmastiges Schiff, es lag vor Anker, und es war nicht größer als vierzig oder fünfzig Tonnen, wie der Seewolf schätzte. „Dahinter scheint die Bucht zu sein, von der der Holländer sprach“, sagte Dan. „Sie ist wirklich schlecht einsehbar, weil ein paar Hügel sie verbergen. Wir sind richtig, Hasard.“ „Gefechtsbereitschaft bleibt bestehen. Wir segeln hart an dem kleinen Schiff vorbei, ich glaube nicht, daß man es noch einmal versuchen wird, aber wenn ...“ Er sprach nicht weiter, denn jetzt entdeckte er hinter den Hügeln eine Anzahl Masten und ein kleines Bauwerk, das allerdings sehr schwach zu erkennen war. Das Versteck El Corsarios! „Diesen Burschen ist der Kanonendonner gewiß nicht entgangen“, sagte Brighton,
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„und wenn sie nur ein wenig Grips in ihren Schädeln haben, dann werden sie wissen, was dort draußen passiert ist. Sie unternehmen auch nichts, sie lassen den Anker stehen und setzen keine Segel.“ Auf dem Deck waren jetzt ein halbes Dutzend Gestalten zu erkennen. Wie festgefroren standen sie da, und blickten der heransegelnden „Isabella“ entgegen. Keine Hand rührte sich. „Drei Kanonen auf jeder Seite“, sagte Dan geringschätzig. „Für die lohnt es sich gar nicht, die Stückpforten hochzuziehen.“ Al Conroy hatte an die Männer vorher noch Musketen verteilen lassen, damit es noch echter aussah. Als die „Isabella“ auf eine halbe Kabellänge Entfernung vorbeisegelte, rührte sich auf dem kleinen Schiff immer noch nichts. Nur das halbe Dutzend Leute starrte gebannt herüber, aber die Seewölfe blickten so grimmig und drohend, daß die Kerle sich schnell wieder umdrehten und in eine andere Richtung starrten. Nur einer hob lahm die Hand zum Gruß. Dann hatten sie das Schiff passiert, und dahinter tat sich die Bucht auf, so gut versteckt, daß man sie wirklich erst im allerletzten Augenblick bemerkte. Die Seewölfe zählten mehr als zwölf Schiffe unterschiedlicher Größe, die sich dort tummelten. 4. Der Profos kommandierte nur ein paar Seewölfe zum Aufgeien der Segel ab. Die anderen standen in gespannter Erwartung dicht bei den feuerbereiten Culverinen. Tucker und Conroy hielten Lunten in der Hand, um sie an die überall -verteilten Brandsätze zu halten, falls irgendetwas schiefging oder ein Angriff erfolgte. In dem Falle wollte der Seewolf mit einem blitzartigen überfall antworten, Brandsätze in die vor Anker liegenden Schiffe jagen und die Bucht in ein Flammenmeer verwandeln. Aber es kam anders, ganz anders. Zunächst zeigten sich am Strand der Bucht nur vereinzelte Leute, die ein Schiff
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beluden. Sie taten so, als würden. sie die „Isabella“ erst jetzt bemerken, luden ihre Kisten ab und starrten herüber. El Corsario hatte eine Pier angelegt, vielleicht war sie aber auch schon vorher vorhanden gewesen, das ließ sich nicht feststellen. Und der Bau hinter den Dattelpalmen erwies sich als ein kleines Fort mit Zinnen und einem Wehrgang. Hinter den Zinnen, halb versteckt, standen Kanonen. Man hatte sie so verborgen, daß sie nicht ins Auge fielen. Eine natürliche Böschung war zu einer langgestreckten Pier ausgebaut worden, und darauf steuerte die „Isabella“ nun zu. Da befand sich auch der einzige freie Platz. Die Männer, die sich eben noch mit dem Beladen eines Schiffes beschäftigt hatten, schlenderten langsam näher und starrten die vermeintlichen Spanier respektvoll an. Sie warfen sich Blicke zu, als sie den Gambia-Neger sahen, der mit Stricken an den Mast gefesselt war und ein wehleidiges Gesicht aufgesetzt hatte. Für die Spanier war es nur ganz natürlich, daß man diesen Neger unterwegs irgendwo aufgelesen oder geraubt hatte, um ihn später irgendwo zu verkaufen oder als Sklavenarbeiter einzusetzen. Während das Schiff an die Pier glitt, belauerte Hasard aus schmalen Augen das kleine Fort und die Schiffe, auf denen sich merkwürdigerweise nichts rührte. Sie sahen aus, als wären sie von ihren Mannschaften verlassen worden. Nirgends entdeckte der Seewolf jedoch ein Anzeichen von offener oder versteckter Hinterlist. Keins der Schiffe hatte die Stückpforten hochgezogen, und niemand kauerte bewaffnet hinter einem Schanzkleid. Folglich hatten die Kerle Angst, dachte Hasard. Oder sie wußten noch nicht, wie sie sich verhalten sollten und warteten ab. Das Schiff glitt auf die Pier zu, und der Profos schrie mit lauter herrischer Stimme die Männer an. „Nehmt die Taue an, legt das Schiff fest!“ brüllte er. Die wenig vertrauenerweckenden Kerle gehorchten mit unterwürfigen
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Verbeugungen und nahmen die Taue an, die ihnen von Bord zugeworfen wurden. Der Rahsegler wurde vertäut, und Hasard blickte noch einmal über die ganze Bucht. Sie lagen nicht besonders günstig, und auf seine Culverinen konnte er sich nicht verlassen, wenn die Kerle ihn angriffen. Aber er vertraute auf die Brandsätze und darauf, daß sie das kleine Fort sofort unter Feuer nehmen konnten. Er war in der Lage, ein Chaos zu entfesseln. Ben Brighton flankte von der Kuhl aus mit einem Satz auf die Pier und stieß einen der Kerle unsanft an. „Was ist das für ein Empfang?“ rief er. „Wo bleibt der Alkalde oder der Kommandant? Empfängt man so ein Schiff seiner Majestät?“ Er griff dem Kerl ins Hemd und schüttelte ihn. Der Mann kroch vor Angst in sich zusammen. „Ich werde den Alkalden holen, Senor“, dienerte er, „wir ahnten nichts von dem hohen Besuch. Perdone, Senor.“ Wie ein geprügelter Hund schlich der Mann davon und auf das Fort zu, hinter dessen Mauer er verschwand. Hasard stand am Schanzkleid der Kuhl und blickte gelangweilt und scheinbar leicht verärgert die restlichen Kerle an, die sich still und heimlich davonschlichen. „Das gefällt mir ganz und gar nicht“, sagte der Seewolf leise. „Sie wissen längst, daß wir hier hereingesegelt sind, aber kein Mensch läßt sich blicken. Ich habe das Gefühl, als würde dieser El Corsario den gleichen Trick anwenden wie wir.“ „Du glaubst, daß er uns tatsächlich als Alkalde gegenübertritt?“ fragte Ben. „Ich traue es ihm zu. Vielleicht nimmt er an, wir seien schlecht unterrichtet. Jedenfalls werden wir auf das Schauspiel eingehen und so tun, als würden wir ihm glauben.“ Jetzt erst zeigte sich auf den anderen Schiffen ab und zu mal ein Mann. Hasard nahm an, daß ein Großteil dieser Schiffe gekapert und die eigentliche Mannschaft ermordet oder ausgesetzt war. Da gab es kleine Schiffe, Karacken und einen
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Dreimaster, eine bauchige spanische Galeone, alle Handelsfahrer, nirgendwo war auch nur ein einziger uniformierter Spanier zu sehen. Doch das änderte sich zu ihrer Verblüffung rasch. Es vergingen keine zehn Minuten, bis sich aus dem Fort eine kleine Schar löste, angeführt von einem wüst aussehenden bulligen Kerl, der sich mühsam in eine Uniform gezwängt hatte. An seiner Kürbishose trug er einen Degen, und auf den Schädel hatte er sich einen Helm gestülpt, der ihm nicht so recht paßte. In der Figur stand er Carberry nicht viel nach, nur wirkte sein Gesicht verschlagen und hinterhältig, und auf seinen wulstigen Lippen lag ein öliges Grinsen. Begleitet wurde er von einem schwarzbärtigen Kerl und einem anderen hochgewachsenen Mann. Allen dreien sah man die Galgenvögel und Schnapphähne auf Meilen an. „Das ist er“, sagte Hasard, „genauso hat ihn der Holländer beschrieben, kein Zweifel.“ „Wie verhalten wir uns?“ fragte Ben. „Laß mich reden!“ Dicht vor dem Rahsegler blieb El Corsario stehen und deutete eine Verbeugung an, die Spott ausdrückte, denn das ölige Grinsen auf seinem Gesicht blieb kleben wie Pech. Hasard sah hochmütig über ihn weg. „Es ist mir eine große Ehre, ein Schiff seiner Majestät begrüßen zu dürfen ...“ sagte er, doch der Seewolf unterbrach ihn mit einer barschen Handbewegung. „Name?“ fragte er scharf. El Corsario verbeugte sich wieder und grinste. „Esteban Moreno, Senor Capitan. Ich darf wohl annehmen, daß Sie der Capitan der ‚Isabella' sind.“ „Sie dürfen das nicht nur annehmen, Moreno, Sie können das als Tatsache betrachten. Ein Regierungsauftrag führt mich hierher. Welchen Rang bekleiden Sie?“
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Himmel, ist das ein scharfer Hund, dachte El Corsario. Und im Auftrag der Regierung kommt er auch noch. Er blinzelte und wischte sich mit der fleischigen Hand leicht über das Gesicht. „Ich bin sozusagen der Alkalde dieses Forts“, sagte er. „Was heißt sozusagen!“ herrschte Hasard ihn an. „Sind Sie es nun, oder sind Sie es nicht?“ „Es ist ein Handelshafen, Senor Capitan“, sagte der Pirat kläglich, „und ich überwache das Fort, die Leute und die Schiffe.“ Hasard, blickte sich herablassend um. „Soso, eine Handelsniederlassung also, und Sie fungieren hier als Alkalde. Haben Sie ein Beglaubigungsschreiben seiner Majestät oder ein anderes Dokument, das Sie ausweist? Mein Name ist übrigens Manuel de Funchal. Falls Sie ihn noch nicht gehört haben, werde ich dafür sorgen, daß er Ihnen in Erinnerung bleibt, Moreno! Zu Ihrer Information: Mir folgen drei bewaffnete Galeonen, die im Laufe der nächsten zwei Tage hier eintreffen werden. Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, ein Schiff seiner Majestät vor der Küste von einem Zweimaster angreifen zu lassen, Senor?“ fragte Hasard scharf. Er musterte den Piraten, der sichtlich kleiner wurde und sich nicht mehr wohl in seiner Haut fühlte. Die beiden anderen sagten kein Wort. Sie hatten die Köpfe gesenkt und starrten zu Boden. „Ich habe niemanden angreifen lassen, Senor Capitan, ich schwöre es. Mir ist davon nichts bekannt. Ein Pirat vielleicht, der vor der Küste sein Unwesen treibt.“ „Getrieben hat“, verbesserte Hasard in arrogantem Tonfall. „Natürlich habe ich ihn sofort versenken lassen. Ein paar der Halunken konnten sich retten und pullen der Küste entgegen. Sobald sie hier eintreffen, befehle ich Ihnen, diese Kerle unverzüglich hängen zu lassen.“ Er sah, wie El Corsario zusammenzuckte, als hätte er einen Hieb mit der Peitsche erhalten. Dabei zerriß es Hasard fast vor innerlichem Lachen. Vom Vordeck ertönte die Stimme des
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Negers, der plötzlich wie ein Tier schrie und an seinen Stricken zerrte. Hasard konnte sich gut vorstellen, daß Batuti sich in seiner Rolle gefiel. „Bindet den Kerl los und bringt ihn nach unten!“ befahl er seinen Männern. „Und wenn er noch einmal schreit, gebt ihm nochmals zehn Hiebe.“ Stenmark und Gary Andrews nahmen Haltung an. Sie banden den schreienden Batuti los und drohten ihm lautstark Schläge an, wenn er nicht sofort sein verdammtes großes Maul hielte. El Corsario fühlte sich ausgesprochen unbehaglich. Er rieb sich die Hände aus Verlegenheit, dienerte und war völlig von herrischen Auftreten der vermeintlichen Spanier verunsichert. Hasard aber entging nicht, daß es in seinem Schädel buchstäblich knisterte und der Pirat nach einer Möglichkeit sann, das Blättchen zu seinen Gunsten zu wenden, wenn er auch noch nicht wußte, wie er das anstellen sollte. Aber er heckte etwas aus, das war sicher. „Selbstverständlich lasse ich die Kerle hängen“, sagte er. „Sie müssen doch gesehen haben, daß es sich um ein Schiff Seiner Majestät handelte. Unverzeihlich', setzte er hinzu. Der Seewolf rückte seinen Degen zurecht. „Ich beabsichtige, das Fort zu besichtigen“, schnarrte er. „Alles, Moreno, ich muß einen Bericht abfassen, denn dem König von Spanien sind haarsträubende Dinge zu Ohren gekommen. Es soll hier ein Piratennest geben, in dem ein größenwahnsinniger Kerl sein Unwesen treibt, der sich El Corsario nennt. Er verlangt von sämtlichen Schiffen, die den Küstenbereich passieren, Tribut oder Wegezoll. Haben Sie jemals von diesem Kerl gehört, der wahllos Engländer, Franzosen und Holländer überfällt. und ausplündert und sich nicht scheut, auch spanische Handelsfahrer zu berauben?“ El Corsario, der sich Moreno nannte, legte seine mächtige Pranke treuherzig auf seine linke Brust und trat einen Schritt zurück. „Nein, Senor Capitan“, sagte er kopfschüttelend. „Das ist doch nicht
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möglich! Wo gibt es einen derart abgefeimten Halunken?“ „Das wollen wir ja feststellen“, sagte der Seewolf, und wieder hatte er diesen arroganten Tonfall in der Stimme. „Vielleicht verbirgt er sich hier in dem — hm — Hafen auf einem der Schiffe, und Sie selbst wissen noch gar nichts davon. Mir fällt auf, daß auf diesen Handelsfahrern sehr wenige Leute sind.“ „Die halten Siesta, Senor Capitan“, beeilte sich der Halunke sofort zu versichern. „Um diese Zeit?“ Hasard hob indigniert eine Augenbraue. „In den Leuten scheint nicht viel Zucht und Ordnung zu stecken, mein Lieber. Aber Sie wollten uns durch das Fort führen, Moreno, so lautete doch Ihr Vorschlag.“ El Corsario nickte kläglich. Zwar hatte er von diesem Vorschlag nicht eine einzige Silbe unterbreitet, aber er konnte diesen Capitan, der im Auftrag des Königs von Spanien handelte, nicht länger warten lassen. „Sie sind gerade zur rechten Zeit erschienen, Senor Capitan“, sagte El Corsario. „Ich wollte gerade zwei Männer hängen lassen, als man mir die frohe Botschaft Ihres Erscheinens überbrachte. Sie können der Hinrichtung beiwohnen.“ „Gern“, sagte Hasard leichthin. „Handelt es sich etwa um Piraten oder Meuterer?“ Er wandte sich Ben Brighton und Dan O'Flynn zu. „Sie werden mich begleiten, Senores“, sagte er, „um sich davon zu überzeugen, daß es hier keine Piraten gibt. Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet, Moreno!“ Der grobschlächtige Mann mit dem verschlagenen Gesicht zuckte wieder einmal zusammen. „Perdone, Senor, es handelt sich um Holländer, Piraten selbstverständlich, die ein spanisches Schiff plünderten und versenkten. Wir haben leider nur zwei erwischt, die anderen konnten fliehen.“ „Interessant“, meinte der Seewolf. „Die muß ich mir ansehen. Holländer, die spanische Schiffe überfallen.“
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Immer noch hatten die beiden anderen kein Wort gesprochen. Es hatte den Anschein, als seien sie stumm. Aber ihre Augen waren unermüdlich. auf Schiff und Mannschaft gerichtet und sie musterten alles sehr genau, wie die Männer sahen. Hasard blickte O'Flynn an, der warf einen Blick auf den Bootsmann Ben Brighton, und hinter den Rücken der Piraten grinsten die Seewölfe sich verstohlen zu. El Corsario ist ein ganz ausgekochtes Bürschchen, dachte der Seewolf, vor allem ist er mit dem Hängen schnell bei der Hand. Ob er auch so schnell sein würde, wenn es um seine eigenen Leute ging, die immer noch der Küste entgegenpullten? Oder hatten diese Burschen sich längst anderswo abgesetzt? Jedenfalls lebten die beiden Holländer noch, und das war etwas, das den Seewolf beruhigte. Er würde schon dafür sorgen, daß die beiden Männer nicht gehängt wurden. Sie folgten El Corsario in das kastellartige Gebäude, das einen großen Innenhof hatte. Dort befand sich auch ein Verlies. Hinter dem Gitter erkannte Hasard zwei auf den Boden gekauerte Gestalten. „Sind sie das?“ fragte Hasard. „Ja, eine ganz üble Brut“, versicherte El Corsario schnell. „Wir haben den Galgen schon aufgebaut, aber wenn es Ihnen lieber ist, Senor Capitan, können wie die Lumpen auch durch die Garotte umbringen lassen, das geht langsamer.“ „Ich werde sie mir nachher ansehen“, entschied Hasard von oben herab. „Sie haben natürlich eine Gerichtsverhandlung angesetzt?“ „Bei uns gibt es keine Verhandlungen. Die Kerle sind schuldig und damit ist der Fäll erledigt.“ „Sie haben ihre Schuld eingestanden?“ „Seit wann fragen wir danach, Senor? Wir haben sie überführt, sie werden natürlich alles abstreiten.“ „Das ist so üblich. Trotzdem muß ich auf einer ordentlichen Verhandlung bestehen, aber das hat ja noch Zeit.“
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El Corsario wandte sich ihm zu, das Gesicht zu einer Grimasse des Ärgers verzogen. „Ich verstehe Sie wirklich nicht, Senor Capitan“, sagte er scharf. „Halten Sie den Mund!“ fuhr Hasard ihn an. „Sie unterstehen sich, mich belehren zu wollen! Ich habe das Gefühl, als müßte hier einmal energisch durchgegriffen werden. Sie haben meinen Anordnungen Folge zu leisten, Moreno. Haben Sie verstanden?“ „Perdone, Senor, ich habe mich nur gewundert.“ Der scharfe Ton, in dem Hasard sprach, verfehlte seine Wirkung auf den Piraten nicht. Aber in seinem Gesicht standen Haß und Ärger, das konnte er nicht verbergen. Es kommt immer darauf an, wie man sich einführt, dachte Hasard belustigt. Tritt man gleich von Anfang an energisch auf, dann kuschen diese Kerle, daher darf man nicht nachgeben. El Corsario zeigte ihnen widerwillig das Fort, das anscheinend vor doch nicht allzu langer Zeit erbaut worden war, denn an dem Mörtel ließ sich erkennen, daß es keineswegs alt sein konnte. Viel Räume waren es nicht, aber die Residenz des Piraten konnte sich sehen lassen. In dem großen Raum stand eine lange Tafel, auf dem Boden lagen Teppiche, die er wahrscheinlich vorbeifahrenden Schiffen abgenommen hatte und nach Hasards Ansicht aus dem Orient stammten. In den Wandnischen standen schwere Goldpokale und Geschirr aus Zinn. Selbst für einen sogenannten Alkalden war das nicht gerade ungewöhnlich, denn die waren immer die ersten, die sich an fremden Schätzen bereicherten. Vom bleiverglasten Fenster aus sah man auf die Schiffe in der Bucht, und als der Seewolf einen Blick hinauswarf, entdeckte er, daß die Kerle ihre Siesta beendet hatten und sich an Deck herumtrieben, ohne zu arbeiten. Galgenvogelgesichter, Piraten der übelsten Brut, dachte er, denen man ihr Metier
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schon aus der Ferne ansah. Die meisten starrten neugierig zur „Isabella“ hinüber. El Corsario ließ eine Karaffe Rotwein kredenzen und blickte die drei Seewölfe hinterhältig an. „Salud, Senores“, sagte er und hob den Becher. „Tut mir leid, wir trinken nicht, Moreno“, sagte Hasard. „Es ist bei uns nicht üblich, während des Dienstes zu trinken.“ „Einen Schluck nur, Senores“, bat der Pirat, „auf das Wohl seiner Majestät des Königs von Spanien.“ „Sie haben gehört, was der Capitan sagte“, erklärte Ben Brighton, „und ich bitte Sie, sich daran zu halten.“ Er beugte sich ein wenig vor und flüsterte: „Senor de Funchal kann sehr ungemütlich werden, Moreno. Verscherzen Sie sich seine Sympathie nicht, und denken Sie daran. daß noch ein paar andere Capitane ihm folgen werden. El Corsario blickte auf die Karaffe. hob die Schultern und befahl einem Mann, den Rotwein weg/ u bringen. Dabei behauptete er mit der größten Unverfrorenheit, daß er eigentlich auch nicht trinke. Er habe es nur der Herren wegen tun wollen. „Es wird spät“, sagte er nach einer Weile, „wir wollen damit beginnen, die Piraten zu verhören. Wir könnten sie noch heute, gegen Abend, hängen lassen.“ Hasard sah ihn nachdenklich an. Er hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und wanderte auf und ab. Dabei blieb er immer wieder am Fenster stehen und warf einen Blick hinaus. „Ich habe mir das überlegt, Moreno“, sagte er hochmütig. „Wir werden diese Holländer nicht hängen. Ich habe bereits einen Sklaven an Bord und kann noch zwei tüchtige Seeleute brauchen, und im allgemeinen sind die Holländer ja tüchtig. Ich werde sie mit an Bord meines Schiffes nehmen und sie in Spanien wegen Piraterie anklagen lassen. Was halten Sie davon, Senor Virgil?“ wandte er sich fragend an Ben Brighton. „Eine hervorragende Idee, Senor Capitan. Sollen sie schuften, diese Kerle, bis sie umfallen.“
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El Corsario lief rot an. Er stand so heftig auf, daß der Stuhl hinter ihm zu Boden polterte. „Es sind meine Gefangenen, Senor, und ich habe sie angeklagt. Sie haben kein Recht ...“ Gedankenschnell hielt Hasard den Degen in der Hand, sprang einen Schritt vor und setzte ihn El Corsario leicht an die Halsspitze. Den zurückweichenden Mann drückte er an die Wand, bis er sich nicht mehr rührte und angsterfüllt auf die scharfe Degenspitze blickte. „Treiben Sie es nicht zu weit“, warnte Hasard kalt. „Sonst werde ich Ihnen einen anderen Umgangston angewöhnen, Moreno! Wenn ich anordne, daß diese holländischen Piraten zu mir an Bord kommen und dort arbeiten werden, dann haben Sie das zu akzeptieren, madre santissima, oder ich lasse Sie selbst mit nach Spanien nehmen.“ Hasard zog die Degenspitze wieder zurück, aber dieses Mal hatte er El Corsario persönlich tief gekränkt. Der Pirat glitt blitzschnell und geschmeidig einen Schritt zur Seite, griff nach seinem Degen und riß ihn heraus. Dabei lachte er dreckig. „Ich lasse mir auch von einem spanischen Capitan nicht den Degen an den Hals setzen!“ schrie er wütend. „Verteidigen Sie sich, Senor!“ Schnell drang er auf den Seewolf ein, der hart lächelte. Er wußte noch nicht, was für ein Gegner ihm gegenüberstand, aber er würde es gleich erfahren. Ben Brighton und der junge O'Flynn traten höflich zur Seite. Für sie bestand kein Grund zum Eingreifen, sie behielten jedoch die beiden anderen Spanier im Auge und drohten ihnen nur mit stummen Blicken. Daraufhin verhielten sich die Kerle ganz ruhig. El Corsarios Ausfall erfolgte schnell und überraschend. So grobschlächtig der Mann auch wirkte, mit dem Degen verstand er umzugehen, wie Hasard neidlos anerkannte. Haarscharf fuhr die Klinge an ihm vorbei.
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Den nächsten Hieb parierte der Seewolf mit einer schnellen Drehung aus dem Handgelenk heraus. Den dritten und vierten wehrte er ebenso gedankenschnell ab. Der Pirat schien sich in einen Rausch zu steigern, als er sah, daß sein Gegner defensiv kämpfte. Immer wilder führte er die Klinge, immer schneller drang er auf Hasard ein und versuchte, ihn in die Nähe des Fensters zu treiben. Hasard hatte seine Absicht längst durchschaut und lächelte hochmütig und arrogant, was El Corsario zur Weißglut brachte. Er kam an den Mann einfach nicht heran, der parierte jeden Hieb und schien schon im voraus zu wissen, wie er sich verhielt. „Greifen Sie endlich an, Senor!“ schrie er, außer sich vor Wut. „Ich nehme keine Rücksicht mehr!“ Hasard ließ ihn toben, brüllen und fluchen, entging wieder nur um Haaresbreite einem tödlichen Stich und ließ sich auch noch bereitwillig bis zum Fenster treiben. Dort blieb er aufrecht stehen. El Corsario lauerte auf seine Chance, als der Gegner ihm jetzt kaum noch Deckung bot. Waagerecht zischte der Degen durch die Luft, als der Seewolf sich blitzschnell duckte. Die Degenspitze sauste in das bleiverglaste Fenster. El Corsario fand keinen Halt mehr, als ein Splitterregen nach unten prasselte und die Scheibe hinausfiel. Hasard drehte sich um, versetzte dem Mann einen Tritt in den Achtersteven und lachte laut, als El Corsario mit der Wucht eines Stieres durch den Raum schoß. Seinen Degen hatte er bei dem Angriff verloren. Hasard hob ihn sehr ruhig auf und warf ihn seinem Gegner zu. „Ich sagte schon, daß Sie meinen Namen nicht so schnell vergessen würden. Sie werden sich an mich erinnern, Moreno!“ „Perro!“ keuchte der Pirat, packte seinen Degen fester und sprang auf den Seewolf los, der ihn ruhig erwartete. Diesmal verzichtete Hasard auf weitere Defensive, als die Klingen hart aufeinander klirrten. Er blockte ab, drehte sich dabei
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um seine eigene Achse und ließ den Piraten leerlaufen. Noch bevor El Corsario es richtig begriff, traf ihn der kalte Stahl an der Schulter, und er hatte das Gefühl, ein glühendes Messer hätte ihn gestreift. Auch dem zweiten Hieb vermochte er nicht mehr auszuweichen, so blitzartig und schnell wurde er geführt. Dieser Hieb schlitzte ihm die rechte Wange auf, und er fühlte, wie es warm und klebrig an seinem Gesicht herunterlief. Plötzlich überfiel ihn Angst. Unfähig sich zu rühren, stand er da, den Degen kraftlos in der Hand haltend. Er zitterte am ganzen Körper, sah dem Seewolf in die Augen und las eine tödliche Eiseskälte in diesem harten, unnachgiebigen Blick. Die hohntriefende Stimme des Mannes vernahm er wie aus weiter Ferne. „Sie wollen aufgeben, Moreno? Wo bleibt ihr Schneid? Eben waren Sie doch noch so tapfer!“ Moreno, wie er sich nannte, versuchte sein angeschlagenes Selbstvertrauen zurückzugewinnen, doch das war nicht so einfach. Die Angst, von diesem Mann tödlich getroffen zu werden, nistete in ihm und fraß sich wie Feuer durch seine Brust. Unschlüssig starrte er den Seewolf an, hob den Degen, zuckte mit den Schultern und sah, wie Hasard die Waffe senkte. El Corsario schleuderte seinen Degen wie einen Wurfspieß auf den Seewolf zu. „Hasard!“ schrie Dan O'Flynn, und im nächsten Augenblick hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen, als er den Namen rief. Es kam ganz spontan, und es war eine Warnung, denn O'Flynn glaubte, der Seewolf würde dem Degen nicht mehr ausweichen können. Hasard war der hinterhältige Angriff jedoch nicht entgangen. Er hob den linken Arm hoch und warf sich zur Seite, gerade noch rechtzeitig, als der Stahl an ihm vorbeipfiff. El Corsario hatte bei dem Namen die Ohren gespitzt, aber Hasard wollte den Fehler des jungen O'Flynn ausbügeln, und dazu durfte er den Piraten gar nicht erst zur Besinnung kommen lassen.
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Als die Waffe hinter ihm in der holzverkleideten Wand steckenblieb, sprang der Seewolf vor. Er ließ die Degenspitze vor dem schwitzenden Gesicht auf und ab tanzen, bis El Corsarios Augen groß und rund wie Marmorkugeln wurden und ihm aus dem Schädel zu quellen drohten. Dann ließ Hasard die nächste Attacke folgen. Ein fast spielerischer Hieb fetzte den Stiefel des Piraten vom Knie bis zur Wade auf, und als der Kerl sich fast automatisch bückte, traf der nächste sein Hemd und fetzte es auseinander. Nicht zur Besinnung kommen lassen, schwor sich Hasard, damit er den Namen so schnell wie möglich vergaß oder glaubte, sich verhört zu haben. Er drehte den Degen und zog mit der flachen Seite El Corsario eine über das Hinterteil, daß der Pirat laut aufschrie und in die Höhe sprang. Sofort folgte der nächste Hieb, und El Corsario legte ein Tänzchen auf den Boden, das die beiden anderen Seewölfe laut auflachen ließ. Als der gepeinigte Mann schließlich auf dem Boden nach Luft rang, steckte der Seewolf den Degen ruhig in die Scheide zurück. „Ich hoffe, Sie wissen jetzt, was Sie einem spanischen Capitan schuldig sind, Moreno“, sagte er kalt. „Sollten Sie jedoch an eine Fortsetzung denken, bin ich gern bereit. Nur wird es diesmal nicht so glimpflich für Sie ablaufen!“ Der grobschlächtige Mann hielt sich die Wange, die immer noch leicht blutete. Aus seinen Augen loderte Haß, und er sann auf Rache. Mühsam zog er sich hoch, schwankte leicht und wischte sich das Blut aus dem Gesicht. „Sie haben gewonnen“, sagte er, grinste aus seinem blutverschmierten Gesicht und streckte Hasard die Hand hin, der sie auch nahm. Doch El Corsario steckte voller Hinterlist, er konnte die Niederlage nicht vergessen, sie war zu schmählich für ihn verlaufen.
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Er packte Hasards Hand mit festem Druck, legte die linke darauf und versuchte, den Seewolf herumzuschleudern. Hasard hatte es in den Augen tückisch aufblitzen sehen, und so reagierte er entsprechend. Statt sich von dem Schwung herumreißen zu lassen, lief er auf den Mann auf und prallte hart mit ihm zusammen. Gleichzeitig schlug er mit der linken freien Hand hart zu. Die eisenharte Faust des Seewolfs fegte El Corsario halb durch den Raum, er flog rückwärts und landete krachend an der Wand. Zwei goldene Trinkbecher fielen nach unten, und gerade als sie auf seinem Schädel landeten, fühlte er sich hochgerissen, gebeutelt und durchgeschüttelt, daß er kaum noch Luft kriegte. Und dann traf ihn diese mörderische Faust aus Eisen noch einmal. Sie explodierte vor seinem Brustkasten und trieb ihm die Luft aus den Lungen. Stöhnend brach er in die Knie, stützte die Hände auf den Boden und blieb kniend in dieser Stellung. Dan O'Flynn verzog indigniert das Gesicht, stieß den Mann leicht mit dem Fuß an und kippte ihn zur Seite. „Diablo“, sagte er pikiert, „ein Feigling, por dios, der nur aus Hinterhältigkeiten besteht. Sie sollten ihn einmal richtig verprügeln, Hasardo, und nicht nur mit ihm spielen.“ Diesmal geriet bei El Corsario einiges durcheinander. Einmal hatte er den Namen Hasard oder so ähnlich verstanden, jetzt sprach dieser junge Laffe von einem Hasardo, und das brachte ihn durcheinander. Er schöpfte jedoch keinen Argwohn mehr, als O'Flynn seine eigene Panne wieder begradigte, indem er den Namen etwas geändert hatte. Das gilt unter guten Bekannten sicher nur als vertrauliche Anrede, dachte er benommen. „Genug, Moreno?“ fragte die sanfte Stimme höhnisch. „Oder wollen Sie immer noch bestimmen, was mit den Holländern geschieht? Wenn ja, sagen Sie es, wir setzen unsere Unterhaltung dann fort.“
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El Corsario rappelte sich wieder auf. Er sah den Seewolf aus blutunterlaufenen Augen an, war aber nicht in der Lage, diesen eisenharten Kerl richtig einzuordnen. Er wußte, daß er höllische Angst vor ihm hatte. Er kannte keinen spanischen Capitan, der so rigoros und hart zuschlug, und ihn dabei gleichzeitig noch der Lächerlichkeit preisgab, und, verdammt, das mußte er sich trotz seiner Niederlage eingestehen: Er kannte auch keinen, der so fair kämpfte und seinen Gegner außer-, dem noch verschonte, als der besiegt war. Jeder andere hätte ihm hocherfreut den Degen durch den Körper gestoßen. „Es sind Ihre Gefangenen, Senor“, sagte er lallend, denn in seinem Mund befand sich ein Gebilde das ihn an einen großen klobigen Schwamm erinnerte, der beim Sprechen hinderlich war. „Dann lassen Sie die Männer jetzt holen. Ich warte!“ El Corsario schlich höchstpersönlich davon. Seine beiden Begleiter räusperten sich, peinlich berührt und blickten angestrengt auf ihre Stiefelspitzen. * Der Seewolf sah auf den ersten Blick, daß es Holländer waren, die da vor ihm standen. Trotzig hielten sie seinem Blick stand. Beide waren untersetzte gedrungene Gestalten mit blonden Haaren und fingerlangen Bärten. „Sprecht ihr spanisch?“ fragte Hasard. „Een betjen, Senor“, sagte der eine. „Ik kan et wel verstaan.“ Der Beschreibung nach mußte es der Kapitän sein, denn er war einen halben Kopf größer als der Bestmann, der den Seewolf mit fast verächtlichen Blicken musterte. Hasard dachte nicht daran, seinen hochmütigen und arroganten Tonfall abzulegen. Er schnippte verächtlich mit den Fingern. „Ihr seid der Piraterie angeklagt und sollt gehängt werden“, sagte er. „Mir ist es
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gleichgültig, ob ihr heute hängt oder morgen.“ „Wir sind keine Piraten!“ schrie der Kapitän. „Diese lausigen Spanier verdrehen die Tatsachen. Der Kerl da“, er wies auf den mühsam grinsenden El Corsario, „der ist ein Pirat. Er hat uns überfallen, unser Schiff zusammengeschossen und uns beide gefangen. Er überfällt alle Schiffe an der Küste, die er kriegt.“ Hasard drehte sich zu El Corsario um, der bei den Worten trotz seines lädierten Gesichtes laut lachte. „So habe ich es mir vorgestellt“, sagte er, „das hatte ich vorhin schon gesagt, Senor. Die Kerle streiten alles ab und beschuldigen mich noch. Ich an Ihrer Stelle würde sie aufknüpfen oder mit der Garotte erdrosseln.“ Hasard beachtete den Einwand nicht. Er tippte dem holländischen Kapitän mit dem Degen auf die: Schulter. „Lausiger Pirat“, sagte er, „wie ist dein Name?“ „Godverdomme, ich bin kein P rat!“ schrie der Holländer. „Dein Name!“ verlangte Hasard. „Kannietverstaan“, schrie der Holländer mit rotem Kopf zurück. „Bueno, dann nenne ich dich eben Kannietverstaan, obwohl ich sicher bin, daß du mich verstehst. Ich dachte, dein Name sei De Haas“, sagte der Seewolf. Der Holländer zuckte unmerklich zusammen und versuchte in dem harten Gesicht des vermeintlichen Spaniers zu lesen, aber das zeigte keine Regung. Es blieb abweisend und kühl. Der Kapitän sah seinen Bestmann an und hob die Schultern. Der Teufel soll aus diesen lausigen Spaniern schlau werden, hieß das. „Ihr werdet nicht gehängt“, sagte Hasard, „wenigstens vorerst nicht. Ihr werdet auf meinem Schiff Dienst tun, mir fehlen ein paar Männer.“ „Lieber lasse ich mich hängen, als für die Spanier zu arbeiten!“ schrie der Holländer unbeherrscht. „Ich nicht, Mijnheer, ich nicht. Hängt mich doch!“
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„Ich habe meine Entscheidung getroffen“, sagte der Seewolf kühl. „Man wird euch nachher an Bord bringen.“ Er musterte den holländischen Kapitän genauer. Ein Bursche, der ihm imponierte, fand er. Ein aufgewecktes Gesicht, ehrliche Augen, hart und abgebrüht. Ein harter Mann, der nicht gewillt war, in Spaniens Dienste zu treten, der lieber am Galgen baumelte, als sich selbst zu verraten, ein Kerl mit einem eisernen Willen, der mit seinem Schädel knochenhart durch die Wand ging. Hasard wußte, daß er ihm genauso vertrauen konnte wie den anderen Holländern, die aufrecht und ehrlich waren. Er wandte sich El Corsario zu. „Wir sehen uns später, Moreno“, sagte er. „Ich lasse die beiden Männer jetzt an Bord bringen, es ist schon Abend. Wir sind noch nicht fertig miteinander.“ Der Holländer weigerte sich. Er gab erst dann nach, als Brighton ihm die Pistole ins Genick drückte. „Du gehst jetzt mit, du Holzhammer“, sagte er, „und der andere Bursche ebenfalls, sonst könnt ihr euch die Bucht von der Großrah aus ansehen. Allerdings werdet ihr dann verdammt lange Hälse haben.“ Ohne Abschied gingen sie hinaus. El Corsario sah ihnen nach und ballte die Hände zu Fäusten, aber er sagte kein Wort. Er hatte sich schon einmal an diesem verdammten spanischen Capitan die Zähne in des Wortes doppelter Bedeutung ausgebissen, und ein zweites Mal wollte er es nicht riskieren. Das mußte die Zeit mit sich bringen. Er hatte auch schon einen Plan. 5. Die beiden Holländer links und rechts eingerahmt, gingen sie zur Pier hinunter, wo die „Isabella“ lag. „Ich weigere mich, auf einem spanischen Schiff Dienst zu tun“, sagte der Kapitän noch einmal nachdrücklich. „Ob Sie es
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glauben oder nicht, Senor, ich lasse mich lieber hängen.“ Hasard prüfte schnell ob jemand in der Nähe war. Aber die Seewölfe hielten diesen Teil der Pier besetzt, und es hatte sich niemand in die Nähe des vermeintlich spanischen Schiffes getraut. „Verstehst du englisch?“ fragte Hasard den Kapitän. Der blieb daraufhin stocksteif stehen. „Besser als spanisch”, sagte er leise. Jetzt begriff er gar nichts mehr, und in dem Dämmerlicht sah Hasard es auch deutlich an seinem Gesicht, daß der Mann total verunsichert war. Er spürte, daß alles in dem Holländer auf Alarm schaltete und er sich versteifte, als sie vor „Isabella“ standen. „Dein Name?“ fragte der Seewolf leise. Der Holländer wand sich, es war ihm ebenfalls nicht gelungen, diesen schwarzhaarigen Mann einzuordnen, aber er hatte seltsamerweise ein vages Vertrauen zu dem spanischen Kapitän. „Willem van der Koop“, sagte er leise. Hasard lachte unterdrückt. Er stieß dem Holländer fast freundschaftlich den Daumen in den Rücken. „Ihr seid Geusen“, sagte er, „Wassergeusen, die gegen die politische und religiöse Gewaltherrschaft unseres Königs Kaperkrieg führen. genauer gesagt gegen den Beauftragten Seiner Majestät, Herzog Alba. Ihr führt den Befreiungskrieg der Niederlande. Schämt ihr euch nicht?“ Van der Koop richtete sich auf, seine hellen Augen blitzten. Er war ein Mann, der sofort begriff, einer, dem man nichts vormachen konnte. Scharf sog er die Luft ein. „Schämen?“ fragte er lang gedehnt. Dann lachte er stoßartig auf. „Senor, wenn ihr ein Spanier seid, dann bin ich verdammt für alle Zeiten. Ihr seid genauso wenig Spanier, wie ich ein Pirat bin.“ „Du zweifelst an meinen Worten, Geuse?“ „Ich lasse mich von meinem Verstand leiten. Ihr habt nicht vor, uns den Spaniern auszuliefern, denn Ihr seid keiner. Ich wette mein unrasiertes Gesicht gegen das Eure, Ihr habt etwas vor, aber ich
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durchschaue es nicht. Es fiel mir vorhin schon auf, als Ihr den Namen De Haas erwähntet.“ „Ein ehrenwerter Mann“, sagte Hasard. „Aber jetzt seid so gut und sträubt Euch ein wenig, sonst wirken wir unglaubwürdig.“ „Godverdomme“, sagte Van der Koop leise und gab sich den Anschein, als müßten die Seewölfe ihn gewaltsam an Bord bringen. Auch der Bestmann schlug um sich, wurde aber schnell überwältigt. In der Kuhl wurden sie von den Seewölfen umringt. „Beweist mir, daß Ihr ein Geuse seid“, forderte Hasard den Holländer auf. Willem van der Koop lachte leise. Er fühlte sich befreit und schöpfte neue Hoffnung. Er bückte sich, zog seinen rechten Stiefel aus und drehte ihn um. Eine Münze fiel auf das Deck, und es gab einen zarten hell klingenden Ton. Hasard ließ sich die Münze reichen und betrachtete sie im Licht der Schiffslaternen, die in der Kuhl brannten. Die Münze war aus Gold und hatte eine länglich-ovale Form. Ihre Rückseite zeigte das Bild König Philipps von Spanien, die Prägung bestand aus dem Jahre 1566. „Der Geusenpfennig“, sagte Hasard, „das Abzeichen der im Geusenbund vereinigten Niederländer. Laß dich an Bord begrüßen, Willem van der Koop!“ Der Holländer wußte immer noch nicht, wie ihm geschah, der Umschwung war zu überraschend erfolgt. „Wer, godverdomme, seid Ihr, Mann?“ fragte er. „Ich habe mich offenbart, jetzt seid Ihr an der Reihe!“ Die meisten der Seewölfe sahen verständnislos auf die Szene, aber bei einigen zündete es sofort, als hätte man eine Lunte ins Zündkraut gedrückt. Das konnte nur der Kapitän des Zweimasters sein, den sie aufgeriggt hatten. Hasard wußte, daß er Willem van der Koop unbegrenztes Vertrauen entgegenbringen konnte. Das Gesicht des Freiheitskämpfers im Krieg gegen die Spanier drückte absolute Ehrlichkeit aus.
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„Wir haben euer Schiff entdeckt, van der Koop“, sagte er. „Eure Männer stoppten uns durch einen Schuß vor den Bug, den wir anfangs als Beleidigung empfanden. Doch dann sahen wir, daß sie Hilfe brauchten und drehten bei. Euer Zweimaster glich einem Wrack, und de Haas bat uns um eine Handvoll Nägel. Wir riggten Euer Schiff auf, halfen mit einem Mast aus und haben es wieder instandgesetzt, daß es fast wie neu aussieht. De Haas warnte uns vor El Corsario, und deshalb schlüpften wir in die Rolle der Spanier, um hier nach dem rechten zu sehen. Wie Ihr seht, kamen wir gerade rechtzeitig.“ Van der Koop forschte in dem Gesicht des Seewolfs. Er wußte immer noch nicht, wen er vor sich hatte. „Wer, zum Teufel, seid Ihr?“ wiederholte er seine Frage. „Man nennt ihn den Seewolf“, sagte Carberry grinsend, dem inzwischen sämtliche Positionslampen aufgegangen waren. „Deine Männer haben es sofort begriffen.“ Van der Koops Lächeln erstarrte, als er den Namen hörte. Langsam fuhr er sich mit der Hand durch den Bart. „Der Alptraum der Spanier“, sagte er, „in der Verkleidung eines Spaniers. Godverdomme, das hatte ich nicht geahnt. Ihr benehmt euch wie ein lausiger Spanier, aber Ihr seid Engländer, Mijnheer. Fürwahr, das nenne ich Draufgängertum. Ihr kämpft also auch gegen die Spanier wie wir.“ „So ist es. Wir nehmen ihnen zumeist die Beute ab und jagen sie zum Teufel.“ „So ähnlich verfahren wir auch, damit nicht zuviel Gold nach Spanien fließt. Diesmal war es leider umgekehrt, doch davon will ich Euch später berichten. Ich danke Euch für alles, was Ihr für mich getan habt. Ohne euch würden wir heute noch am Galgen baumeln. Was ist mit meinem Schiff?“ Hasard wies auf Ferris Tucker und die anderen. „Sie haben es zusammen mit Eurer Crew instandgesetzt. Es liegt ein paar Meilen
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weiter südlich in derselben Bucht. Aber jetzt geht nach unten, ich will keine Aufmerksamkeit erregen. Bei einem Glas Wein könnt Ihr mir alles erzählen, ich habe noch eine Menge Fragen.“ Van der Koop hatte sich gefaßt, wenn er auch noch immer ein wenig konsterniert wirkte. Er hätte anfangs Stein und Bein darauf geschworen, einen Spanier und eine spanische Mannschaft vor sich zu haben, und doch waren alles Engländer! Ein Teufelskerl, dieser Seewolf, dachte er, und bevor er zusammen mit dem Bestmann nach unten ging, sah er sich noch einmal um. Dabei glaubte er, oben an dem zertrümmerten Fenster die boshaft verzogene Fratze El Corsarios zu sehen, der mit brennenden Augen in die Bucht und auf die „Isabella“ starrte. 6. Solange der Seewolf noch da war, hatte sich El Corsario einigermaßen in der Gewalt. Jetzt aber schäumte er vor Wut. Seine beiden als spanische Soldaten verkleideten Kerle, Ramirez und Manigo standen übelgelaunt herum und warteten, bis El Corsarios Wutausbruch einigermaßen abgeklungen war. Das Blut auf seiner Wange war eingetrocknet, aber da, wo ihn die Faust des Seewolfs getroffen hatte, entstand eine Schwellung, die sein grobschlächtiges Gesicht noch mehr verunstaltete. Er trat an das zerschlagene Fenster und sah hinaus. Auf der „Isabella“ hatte man Lichter angezündet, kleine Öllampen, die einen großen Teil des Decks erhellten. Und inmitten der Meute spanischer Soldaten sah er die beiden Holländer. „Verdammt“, murmelte er, „was haben diese Kerle denn nur miteinander zu faseln! Da stimmt doch etwas nicht! Und dieser Funchal paßt mir erst recht nicht. Der stellt hier alles auf den Kopf. Aber gefressen hat er es doch, was wir ihm erzählten.“
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Ramirez stellte sich neben El Corsario. Sein Gesicht hatte sich düster verzerrt, und seine Lippen waren schmale Striche. „Stell dir vor, der Kerl verfällt auf die Idee, sich die Kammern im Fort anzusehen. Dann findet er das Gold, Silber und die Schmuckstücke, die wir erbeutet haben. Sollen wir es nicht lieber auf eine der kleinen Galeonen bringen lassen? Die könnte heute nacht noch auslaufen.“ „Der Gedanke ist nicht schlecht, aber wie bringen wir das Zeug ungesehen an dem Kerl vorbei? Die haben mindestens vier Wachen an Bord, den scharfen Hunden entgeht nichts, und wenn wir nachts ein Schiff beladen, wird dieser Funchal wissen wollen, aus welchem Grund das geschieht.“ „Man sollte diese Kerle überfallen, schlagartig“, sagte Manigo. „Noch bevor sie wissen, was geschieht, muß es schon vorbei sein.“ „Auch das geht nicht. Morgen oder übermorgen laufen hier noch die anderen Galeonen ein, und dann wird man sich fragen, was hier geschah und erst recht alles auf den Kopf stellen. Laßt euch etwas anderes einfallen.“ „Vielleicht war das nur ein Bluff von dem Kerl, weil wir in der Überzahl sind. Deshalb hat er die Geschichte erfunden.“ „Auf das vielleicht kann ich mich nicht verlassen, denn wenn es stimmt, ist es aus für uns.“ El Corsario ging auf und ab, blickte immer wieder aus dem Fenster und überlegte. „Der Capitan heißt doch Manuel de Funchal, wenn ich seinen Namen richtig verstanden habe. Weshalb hat ihn dann dieser Kerl mit Hasard oder Hasardo angeredet? Er sagte es, als ich den Degen nach ihm warf und er gerade noch ausweichen konnte.“ Jetzt standen alle drei am Fenster und blickten hinaus. Hinter ihren Stirnen arbeitete es. „Weiß der Teufel, warum“, sagte Manigo. „Vielleicht hat das gar nichts zu bedeuten.“ „Vielleicht aber eine ganze Menge“, erwiderte El Corsario. „Auch das Palaver mit den Holländern gibt mir immer noch
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zu denken. Es sah aus, als hätte Funchal ihm auf die Schulter geklopft.“ Etwas später glitt ein Grinsen über sein Gesicht. „Im unteren Gewölbe stehen sechzehn Fässer“, sagte er, „deine Idee, Ramirez, war doch nicht schlecht. Wenn wir diese sechzehn Fässer voll Gold und Juwelen laden, ist der größte Teil der Beute verschwunden. Langsam“, sagte er abwehrend, als Ramirez etwas sagen wollte, „diese Fässer stellen wir an die Pier, und Pedro soll sie morgen vor den Augen der Soldaten an Bord nehmen. Wir werden sie auch nicht bewachen, es soll so wirken, als wären es Proviantfässer, ganz unauffällig. Keiner der Kerle wird auf die Idee verfallen, daß sie Gold enthalten. Sie werden annehmen, daß sich Wasser und eingepökeltes Fleisch darin befinden. Sagt den anderen Bescheid, sie sollen sofort damit beginnen und unterrichtet Pedro. Und arbeitet ganz öffentlich bei Licht, veranstaltet auch ein wenig Geschrei und brüllt, daß Pedro morgen nicht vergessen soll, seine verdammten Fässer an Bord zu nehmen.“ Die beiden anderen lachten. „Eine ausgezeichnete Idee“, lobten sie ihn. „Wir werden sofort damit anfangen, und weil es auf den Schiffen noch nicht ruhig ist, wird es auch nicht auffallen.“ Unverzüglich begaben sie sich nach unten, und etwas später begann emsige Hektik zu herrschen, und Lampen wurden entzündet. Goldbarren wurden aus der Kammer geholt und verpackt, und nach einer Stunde gingen die ersten Männer durch den Torbogen, trugen zu zweit an einem Faß, schleppten ein paar Kisten und brüllten herum. Die Fässer stellten sie nicht weit von der „Isabella“ auf die Pier. Einer der Kerle rief etwas zu einem Schiff hinüber. „Wenn ihr morgen früh segelt, Pedro, dann packt die Fässer am besten gleich an Bord, sonst habt ihr kein Wasser.“ Und der Kerl, den sie Pedro nannten, antwortete so, wie es vereinbart worden war.
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„Heute feiern wir noch einmal. Die Fässer können bis morgen warten, das Wasser wird schon nicht verfaulen!“ Ein dröhnendes Gelächter begleitete seine Worte. „Ihr müßt aber noch verholen.“ „Auch das hat Zeit bis morgen.“ Kurz darauf kehrte Ruhe ein, nur auf Pedros Schiff hörte man die Kerle noch rumoren und singen. * In dieser Nacht hatte es aufgebrist, der Himmel bewölkte sich, und kurz vor Mitternacht ging ein Schauer nieder. Dennoch war es warm und drückend, fast schwül. Auf der „Isabella“ gingen der junge Dan O'Flynn, Ben Brighton, Matt Davies und Blacky Wache. In der Kuhl traf Dan mit Ben Brighton zusammen. Der junge O'Flynn schüttelte den Kopf und zeigte auf die Pier, wo fein säuberlich sechzehn Fässer aufgereiht standen. „Findest du es nicht merkwürdig, Ben, daß die Burschen ihr Trinkwasser nachts fassen? Die hatten doch den ganzen Tag dazu Zeit gehabt, aber nein, sie bringen Wasser und Proviant nachts und veranstalten dabei noch ein lautes Gebrüll.“ „Wirklich, sehr eigenartig“, sagte Ben. „Die müssen das Wasser doch aus der Oase holen, ganz in der Nähe, wie die Holländer uns sagten.“ „Vielleicht haben sie es am Tag geholt und vergessen.“ „Ja, das ist auch möglich.“ Erneut ging ein schwacher Regenschauer nieder, der wiederum keine Kühlung brachte. Dan schüttelte sich wie ein nasser Hund. Sie gingen wieder auseinander, Und Brighton dachte über die Fässer nach. Plante dieser lausige Pirat etwas? War es möglich, daß diese Fässer ganz in ihrer Nähe Schießpulver enthielten wie vor ein paar Monaten in China?
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Es ließ ihm keine Ruhe mehr, wenn er daran dachte und so beeilte er sich, wieder mit O'Flynn zusammenzutreffen. „Pirsch dich mal an die Fässer 'ran“, sagte er zu Dan, „zieh den Spund raus und versuche festzustellen, ob da wirklich nur Wasser drin ist.“ „Ich werde mit dem Degen herumstochern“, sagte Dan. „Du weißt ja, daß Hasard uns gesundes Mißtrauen eingebleut hat. Außerdem wird uns niemand sehen, denn heute scheint nicht einmal der Mond.“ „Versuche es. Von den anderen Schiffen kann man die Fässer nicht sehen, sie werden vom Schanzkleid verdeckt.“ O'Flynn flankte von der Kuhl aus über Bord, duckte sich und schlich auf die Fässer zu. Da sie El Corsario nicht trauten, erwarteten sie irgendeine Teufelei von ihm, und vielleicht hatte es daher mit den Fässern eine ganz besondere Bewandtnis. Am dunklen Himmel jagten Wolken dahin. Der Wind, der sie vor sich hertrieb war warm, unangenehm warm. Dan tastete sich an das erste Faß heran, hebelte ein bißchen mit dem Entermesser und löste den Spund, in der Erwartung, ein Strahl Wasser würde herausfließen. Aber nichts geschah, Dann begann er mit dem Degen zu stochern und traf immer wieder auf harten Widerstand. „Wenn das Pökelfleisch ist, werden sich einige die Zähne daran ausbeißen“, murmelte er vor sich hin. Behutsam und mit viel Fingerspitzengefühl, stocherte er weiter, bis er Umrisse ertasten konnte. Kein Zweifel, dachte er, das hier fühlte sich eher nach Barren an, Silber oder Gold vielleicht, und er entsann sich jetzt auch, daß zwei Männer an dem Faß schwer geschleppt hatten. Grinsend kehrte er an Bord zurück und fühlte, wie ihm vor Freude der Schweiß ausbrach, als er Ben von den Fässern erzählte. „Donnerwetter“, sagte der Bootsmann, „der Kerl hat Angst, daß wir die Beute bei ihm finden könnten. Ich muß sofort den Seewolf wecken, paß inzwischen gut auf.
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Bist du sicher, ganz sicher, daß die Fässer Barren enthalten?“ „Darauf kannst du einen Becher Gift trinken!“ Ben Brighton verschwand in der achteren Kammer und weckte den Seewolf. „Kein Licht“, sagte Hasard, als Ben die Lampe entzünden wollte. Lautlos kleidete er sich an und blieb vor Ben, den er nur als schattenhaften Umriß sah, stehen. „So hat der Kerl sich das also gedacht“, sagte Hasard. „Aber er hat die Rechnung ohne uns geschrieben. Den werden wir einseifen, daß er sich sein Leben lang nicht mehr waschen muß. Du weckst jetzt Ferris und den Profos, sie sollen ein Faß zur Probe holen, ich will es mir ansehen. Keinen Krach, kein Aufsehen.“ „Uns hört keiner, der Wind überlagert alle Geräusche und sehen kann man uns auch nicht. Die Kerle bewachen die Fässer absichtlich nicht, weil sie nicht daran denken, daß wir auch mal eine gute Idee haben.“ Brighton lachte leise, als er ging. Hasard rieb sich die Hände. Er grinste in die Dunkelheit hinein und konnte es kaum erwarten, bis der Profos und Ferris Tucker an Deck waren. Ben Brighton hatte ihnen bereits alles erklärt. Die Männer waren begeistert. Das war die beste Gelegenheit El Corsario genauso hinterhältig übers Ohr zu hauen, wie er es mit ihnen tat. Der Wind jaulte immer noch, pfiff durch die Pardunen und sang in den Blöcken. Kleine gekräuselte Wellen entstanden in der Bucht. Der Seewolf hörte die Schiffe leise ächzen. Die beiden Riesen, Carberry und Tucker, hatten zu schleppen, bis sie das erste Faß an Bord hatten. Der Schiffszimmermann öffnete es fachmännisch und lautlos. Hasard griff hinein und hielt einen Goldbarren in der Hand. „Tatsächlich“, sagte er leise, „du hast dich nicht geirrt, Dan. Der Kerl bringt sein Piratengold vor uns in Sicherheit. Ladet die Barren aus und bringt sie nach unten. Sagt den anderen, sie sollen sich absolut ruhig verhalten.“
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„Es soll auch keiner an Deck aufkreuzen“, sagte der Profos, „das schaffen wir allein.“ Lautlos huschten Gestalten hin und her, die Barren wurden ausgeladen und verschwanden einer nach dem anderen im Bauch der „Isabella“, wo sich bereits ein sagenhafter Schatz stapelte. Ihr Anteil an der Beute wurde immer größer. „Was tun wir mit den leeren Fässern?“ fragte Carberry. „Spätestens morgen früh merken sie, was los ist.“ „Füllt sie mit Seewasser bis obenhin und legt ein paar Steine mit hinein, da vorn gibt es genug.“ Sie alle freuten sich diebisch, grinsten trotz der harten Arbeit und hätten am liebsten laut vor Freude gebrüllt. Die leeren Fässer, auf die Ferris den Deckel wieder setzte, wurden etwas weiter unten an der Bucht mit Seewasser gefüllt. Zwei Mann schleppten sie zurück und stellten sie wieder auf. Sieben Fässer standen noch, das Gewicht jedes einzelnen entsprach etwa Carberrys Körpergewicht, vielleicht war es sogar noch ein wenig mehr, denn sie waren bis oben an den Rand gefüllt. Tucker wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. „Ich kann den morgigen Tag kaum erwarten“, sagte er, „und wenn ich nur eine Stunde schlafe, aber ich möchte gern mit ansehen, wenn sie die Fässer an Bord bringen.“ Die mit Wasser und Steinen gefüllten Fässer überprüften sie mehrmals. Sie waren etwas leichter als zuvor, aber wenn man sie zu zweit anhob, rumorte es leise darin, als bewegten sich die Barren. Das nächste Faß wurde geholt, entleert, mit Wasser und Steinen gefüllt und an die Pier gestellt. Hasard beobachtete das Fort, aber er konnte weder El Corsario noch einen seiner Spießgesellen entdecken, dazu war es zu dunkel. Wenn er sie nicht sah, dann sahen sie ihn auch nicht, und so konnten sie in aller Ruhe weitere Fässer umladen. „Alles für die spanische Krone“, sagte Dan grinsend. „Don Philipp wird sich freuen, wenn wir ihm die Schätze bringen.“
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„Morgen holen wir uns noch den Rest, sofern einer vorhanden ist“, sagte der Seewolf. „Ich nehme an, dieser Hundesohn hat auch eine ganze Menge englische Schiffe ausgeplündert, die ihre Beute wiederum den Spanieren abgeknöpft haben. So bleibt der Kreislauf erhalten. Wie viele Fässer sind es noch?“ „Drei Fässer“, sagte der Profos. „Das wird diesen Rübenschweinen verdammt sauer aufstoßen. Vielleicht merken sie es erst, wenn sie längst unterwegs sind. Dann ist die Überraschung umso größer.“ „Ich nehme an, das Schiff wird wieder zurücksegeln, sobald wir aus der Buch verschwunden sind“, sagte Dan, „und dann laden sie den ganzen Kram wieder aus, und El Corsario lacht sich eins ins Fäustchen.“ „Anfangs vielleicht ja, später ganz sicher nicht mehr“, erwiderte Hasard lachend. Alles in allem schätzte er das Gewicht der leicht erworbenen Beute auf knapp zwei Tonnen, eine schöne Bereicherung für sie selbst und für die Krone, für die englische allerdings, denn der Seewolf beabsichtigte, einen Teil bei Hofe abzuliefern, obwohl man sie damals so ausgesprochen schlecht und hinterhältig behandelt hatte. Inzwischen konnte sich allerdings einiges geändert haben. Die Barren aus dem letzten Faß wurden verstaut, das Faß ebenfalls mit Steinen und Seewasser gefüllt. Tucker verschalkte den Laderaum, von dem er nur ein paar Bohlen zur Seite gelegt hatte, und zog die Persenning darüber. Es war jetzt fast vier Uhr morgens, als sie die Arbeit beendet hatten, und es war trotz allem eine ganz schöne Schufterei gewesen. „Wer noch Durst auf einen kräftigen Schluck hat, soll mit nach achtern gehen“, sagte Hasard. „Wer dazu zu müde ist, kann sich in seine Koje legen. Ihr habt prächtig gearbeitet, falls man das als Arbeit bezeichnen will.“ „Zu müde für einen Besan-Schot-an?“ fragte Carberry mit hochgezogenen Brauen. „Dafür kann man nie zu müde sein. Allein diese Ladung hat uns
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steinreich werden lassen, von dem anderen ganz zu schweigen.“ Sie folgten Hasard nach achtern in die Kapitänskammer, nur die Wache an Deck blieb zurück, und man hörte die Schritte, die sich oben an Deck bewegten. Es wurde keine Lampe entzündet, als Hasard die Flasche auf den festgeschraubten Tisch stellte. „Niemand hat etwas bemerkt“, sagte er fröhlich. „Die Kerle haben auch keine Wachen an Deck. Sie denken, wenn die Seesoldaten Wache gehen, dann kann ihnen nichts passieren.“ „Passiert ist ihnen ja auch nichts“, sagte der Profos grinsend. „Sie sind noch genauso gesund wie vorher, niemand hat ein Messer geschwungen, und kein einziger Schuß wurde abgefeuert. Prost auf die Beute!“ sagte er und trank einen kräftigen Zug. Die Flasche, die Hasard spendiert hatte, hauchte schnell ihren Geist aus, als jeder eine kräftige Daumenbreite getrunken hatte. „Der Moses soll mich wecken, wenn die Fässer gestaut werden'', sagte der Profos zu Dan, der grinsend nickte. Dann gingen sie nach vorn, alle paar Minuten einer, für den Fall, daß die Nacht doch Augen hatte. Aber niemand hatte sie bemerkt. El Corsario und seine Gesellen fühlten sich absolut sicher. * Am frühen Morgen wehte der Wind immer noch so stark wie in der vorangegangenen Nacht. Am Himmel jagten Wolkenfetzen dahin. Bei den Seewölfen hatte sich mittlerweile herumgesprochen, welch Stückchen heute nacht passiert war. Niemand ließ sich etwas anmerken, obwohl alle gespannt lauerten. bis sich auf dem Spanier drüben endlich etwas tat. Zwei Mann erschienen an Deck, ungewaschen, ungepflegt, mit leicht aufgedunsenen Gesichtern. Der Rotwein
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lief ihnen fast noch aus den Ohren, wie der Moses Bill bemerkte. Nach und nach tauchten andere Gestalten auf, unter ihnen auch der großsprecherische Pedro. Die Seewölfe waren an Deck, nur die beiden Holländer und der Gambianeger Batuti hielten sich unten auf. Hasard stand uniformiert mit Brighton, O'Flynn und dem Profos auf dem Achterdeck. „Jetzt verholen sie, um die Fässer an Bord zu nehmen“, sagte Hasard. „Sie werden auf die Seite des kleinen Schiffes verholen.“ Sie drückten den Segler mit Haken ab, bis er langsam zur anderen Seite schwoite. Dort ergriffen kräftige Fäuste die Leinen und begannen zu ziehen, bis der Bug leicht an das andere Schiff stieß. Dort hatten sie bereits Planken ausgelegt. Kurz darauf lagen beide Schiffe nebeneinander. „An Bord mit dem Proviant und Wasser!“ schrie Pedro. „Beeilt euch, ihr Kerle, staut die Fässer!“ Hasards Gesicht war maskenhaft starr, und der Profos sah aus, als hätte er Krämpfe, als die ersten Kerle ein Faß anhoben, es auf die Planke trugen und dann über das andere Schiff an Bord schleppten. „Sind die Fässer bis obenhin voll, Dan?“ fragte Hasard. „Nicht, daß man es gluckern hört.“ „Randvoll, ich habe extra darauf geachtet. Das Wasser wird kein Geräusch verursachen.“ Carberry kratzte sich das Kinn, hütete sich aber, allzu auffällig zu dem Schiff zu blicken. Sie alle taten so, als sei es etwas ganz Natürliches, Fässer zu stauen, und das war es ja auch, obwohl diese Fässer eine Ausnahme bildeten. „Da schleppen diese Kerle Seewasser an Bord“, sagte Ed ganz ruhig, „und dabei haben sie draußen nun wirklich genug davon, ein ganzes Meer voll.“ Dan O'Flynn hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzulachen. Ein Faß nach dem anderen wurde getragen, sie rollten es nicht, sie schleppten und keuchten zu zweit daran.
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„Das ging ja schneller als bei uns“, sagte Hasard trocken. Die Seewölfe lästerten, grinsten verstohlen mit abgewandten Gesichtern und sahen ungerührt zu, wie das Schiff die Leinen löste, wie die Segel gesetzt würden und es langsam Fahrt aufnahm. Pedro, der auf dem Achterdeck stand, hob lässig die Hand zum Gruß, als sie ah der „Isabella“ vorbeisegelten. Aus seinem Gesicht sprach der Hohn. Hasard grüßte mit kühler Arroganz zurück, und auch der Profos und Dan ließen es sich nicht nehmen, dem lieben Pedro einmal kühl zuzuwinken. Dann glitt das Schiff aus der Bucht und nahm Kurs auf den Atlantik, den eine leichte Dünung bewegte. „Der Arme“, sagte Ferris Tucker, der auf dem Achterdeck aufkreuzte. „Allein sein huldvoller Gruß war schon sechzehn Fässer Gold wert. Noch fühlt er sich groß und stark, aber das wird sich irgendwann einmal ändern. Dann möchte ich ihn gern sehen, wenn er einen Tobsuchtsanfall kriegt.“ „Die Kerle werden sich gegenseitig des Diebstahls und der Gaunerei bezichtigen“, sagte Hasard. Er drehte sich um, als Dan ihm etwas zuflüsterte. „Moreno kommt, strahlender Laune.“ El Corsario schlenderte heran. Seinem geschwollenen Gesicht sah man noch die Bekanntschaft mit Hasards Faust an. Aber er gab sich leutselig und direkt fröhlich, und es hatte den Anschein, als hätte er den ganzen Ärger längst vergessen. Sein infames Grinsen sagte alles. Seine Gedanken kreisten ausschließlich darum, wie prächtig er den vermeintlichen spanischen Capitan hereingelegt hatte. Einzig das war der Grund für seine gute Laune. Die Seewölfe erwiderten seinen frohen Blick, wobei jeder vor dem anderen die Genugtuung hatte, ihn hereingelegt zu haben. „Vergessen wir unseren Streit von gestern“, sagte El Corsario. „Mein Temperament ist mit mir durchgegangen, ich bin eben heißblütig, Senor Capitan.
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Natürlich werden Sie mir heute ein kleines Gläschen nicht ausschlagen wollen.“ „Ausnahmsweise“, gestattete Hasard leutselig. „Aber nur einen Schluck, Senor Moreno, denn ich rechne damit, daß die anderen Galeonen bald auftauchen werden.“ „Gehen wir, meine Herren!“ sagte Hasard zu Brighton und Dan. Er hatte nicht die Absicht, den grobschlächtigen Kerl an Bord zu bitten, der war viel zu neugierig. „Nach dem Gläschen Wein werden wir ihm ein Ding verpassen, daß ihm ganz übel wird“, sagte der Seewolf leise. „Er hat bestimmt noch einen Teil seiner Beute hier.“ „Und wie oder mit welchem Vorwand wollen wir die kassieren?“ fragte O'Flynn gespannt. „Wir requirieren, natürlich im Auftrag der Krone und gegen eine Quittung. Ich werde diesen alten Gauner schon aufs Kreuz legen, wartet es nur ab.“ El Corsario dienerte sie in seinen Raum hinauf. Er blickte den Seewolf verschlagen an und grinste. „Wie lange gedenken Sie uns noch zu beehren, Senor Capitan?“ fragte er lauernd. „Nun, ich warte die Galeonen ab, damit wir im Verband segeln können, sie werden ja bald eintreffen. Dann brauchen wir noch etwas Frischwasser, unsere Fässer sind ziemlich leer, wir hatten keine Gelegenheit, sie nachzufüllen.“ „Selbstverständlich, Senor. Wir holen es aus der Oase. Das andere Schiff, das eben lossegelte, hat auch Wasser gemannt.“ „Ja, das stimmt“, sagte Hasard doppelsinnig. „Sie haben etliche Fässer Wasser gemannt, wir brauchen aber höchstens vier.“ O'Flynn nieste laut, weil er sein Gelächter kaum noch zurückhalten konnte. Das erleichterte ihn ein wenig. Nur Ben Brighton lief mit verkniffenem Gesicht herum. „Darf man fragen, wohin Sie segeln, Senor?“ fragte der Pirat. „Nach Spanien selbstverständlich, nach Cadiz, die anderen Galeonen begleiten uns.“
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„Dann haben Sie wertvolles Gut geladen?“ „Ein wenig Beute schon, als wir einen Engländer aufbrachten. Er hat sich nicht lange gewehrt.“ „Die Engländer sind Feiglinge“, sagte El Corsario verächtlich. Der kurze Satz wurmte alle drei ungemein, aber sie wollten El Corsario nicht widersprechen, er hatte diesen Satz ohnehin schon teuer bezahlt und würde bald noch- mehr bluten müssen. Hinter dem Torbogen blieb Hasard stehen. Er deutete mit der Hand auf einen Gang, der schräg in die Tiefe führte und vor einer großen Bohlentür endete. „Wo geht's denn da hinein?“ fragte er: „Äh - da ist der Weinkeller“, erwiderte der Pirat und wollte schnell weitergehen, doch Hasard hielt ihn fest, verdrehte die Augen und setzte ein verzücktes Gesicht auf. „Der Weinkeller“, fragte er andächtig, „Senor Moreno, den müssen Sie uns zeigen. Ah, ich spüre schon den Duft. Vielleicht können wir um ein paar Fässer handelseinig werden.“ „Äh, Senor Capitan, der Wein ist sauer. Die letzte Lieferung war wohl zu lange unterwegs.“ „Herb-sauer?“ fragte Hasard zurück. „Ja, sehr herb und sehr sauer“, gab El Corsario erleichtert zu. „Gehen wir nach oben, Senores.“ Hasard und die beiden anderen aber blieben stehen. „Endlich mal etwas anderes als dieser ewig süße Wein“, sagte der Seewolf genüßlich. „Ich liebe herben Rotwein, besonders wenn er einen sauren Geschmack hat.“ El Corsario wand sich. Er grinste verlegen, betastete seine geschwollene Wange und winkte mit der Hand ab. „Es ist nur noch ein angebrochenes Faß übrig“, sagte er und verzog kläglich das Gesicht. „Das macht nichts“, sagte Brighton. „Sie werden doch dem Capitan nicht ein angebrochenes Faß abschlagen wollen, wenn er Sie darum bittet, Moreno. Er bezahlt es ja auch, er liebt nun einmal herben Sauerwein.“
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Die Grimasse des Piraten wurde immer kläglicher. „Ich weiß gar nicht wo der Schlüssel ist“, sagte er und versuchte, sich auf diese Weise aus der Affäre zu ziehen. Hasard sah ihn ungläubig an. „Sie wissen nicht wo der Schlüssel ist?“ wiederholte er. „Moreno, fast habe ich das Gefühl, Sie verbergen etwas vor mir. Ist das etwa so?“ Der grobschächtige Kerl wurde weiß im Gesicht, seine Hände zuckten, und er schnitt eine Grimasse. „Vielleicht ist er irgendwo oben“, sagte er. „Senor Virgil“, sagte Hasard zu Ben, „lassen Sie den Schiffszimmermann holen, er soll das Schloß öffnen. Senor Moreno ist ja sonst nicht in der Lage, in seinen eigenen Keller zu steigen. Er soll auch gleich einen Ersatzschlüssel anfertigen.“ „Si, Senor Capitan“, sagte Ben und drehte sich um. „Äh — einen Moment, ich glaube er ist doch oben, ja, ganz sicher ist er oben.“ El Corsario brach der Schweiß aus allen Poren. Er hatte die Gold- und Silberbarren in dem Gewölbe zwar versteckt, aber er traute diesem Kerl zu, daß der alles durchschnüffelte und sie auch fand. Viel war es nicht, aber es reichte, um bis zum Tod ein angenehmes Leben zu führen. Wenn nur diese anderen Galeonen nicht gewesen wären, dann hätte er es diesem Kerl gezeigt, aber da sie jede Stunde auftauchen konnten, war das viel zu riskant. Die anderen Capitans waren vielleicht noch gemeiner als dieser hier. „Ich hole ihn“, sagte er matt, „aber Sie werden von dem Wein krank werden und mir später die Schuld geben.“ „Der hat die Hosen bis obenhin voll“, sagte Dan grinsend, als El Corsario verschwunden war. „Irgendwo in diesem Keller hat er jedenfalls noch Beute versteckt.“ Er legte die Hände an den Mund und rief hinauf: „Vergessen Sie das Licht nicht, Moreno, sonst brechen wir uns noch das Genick.“ Hoffentlich brecht ihr euch alle das Genick, dachte der Pirat und nahm den
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Schlüssel. Es hatte doch keinen Zweck zu leugnen, er hätte ihn nicht. Für den Schiffszimmermann war das Schloß kein Problem, der knackte es in kürzester Zeit. Verbittert kehrte er zurück, gab Dan eine Ölfunzel und fummelte mit dem Schlüssel im Schloß herum, bis die Tür sich öffnete. Ein Gewölbe nahm sie auf, in dem es dumpf roch. Die Wärme hatte sich gestaut und legte sich beklemmend auf die Lungen. Die Männer mußten sich bücken, so niedrig war die Decke. „Nun“, sagte Hasard spöttisch und blickte sich im Licht der trüben Funzel um, „das sieht ja direkt nach mehr als einem angebrochenen Faß sauren Weines aus.“ „Äh - das meiste ist süßer Wein, Senor Capitan, aber da drüben steht das angebrochene Faß, von dem wir sprachen. Wenn Sie es unbedingt haben wollen, bitte sehr, ich schenke es Ihnen.“ „Eine nette Geste“, murmelte Hasard. Dans scharfe Augen blickten umher. Er registrierte alles in diesem Gewölbe, und so entging ihm auch nicht der Stapel leerer, leicht angeknackster Fässer, der sich in einer Ecke türmte. Darunter jedoch sah es aus, als wäre die Erde umgegraben worden. Er löste sich von der Gruppe, schlenderte hinüber und gab dem einen Faß einen Tritt. Der kleine Berg geriet ins Wanken, und Dan stolperte mit einem leisen Aufschrei nach vorn, als die Fässer in Bewegung gerieten und zu rollen begannen. „Das tut mir leid“, sagte er bedauernd und warf dem Seewolf einen verstohlenen Blick zu. „Macht nichts, macht nichts“, versicherte El Corsario, „ich stapele sie später wieder auf.“ Er legte Dan den Arm um die Schulter und versuchte, ihn mit einem freundlichen Grinsen von der Stelle fortzuziehen. „Haben Sie da jemanden begraben, Moreno?“ fragte Dan frech und deutete auf die frische Erde. „Das ist ausgelaufener Wein“, versicherte der Pirat hastig. Aber O'Flynn blieb hartnäckig. Erlöste sich von der Pranke, die ihn an der Schulter
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gepackt hatte, trat zu der frischen Erde hin und kratzte mit dem Stiefel darüber. Im Schein der trüben Öllampe begann es ganz matt zu blinken. „Das sieht aus wie Goldbarren“, sagte Dan unschuldig. Er bückte sich blitzschnell und hob einen auf. Die Erde war nur lose darüber gehäuft, und die Fässer hatten eine gute Tarnung abgegeben. Der Seewolf trat näher und warf dem Piraten einen strengen Blick zu. Mit fast spielerisch anmutender Bewegung zog er den Degen. El Corsario, der diese Degenspitze schon zur Genüge kannte, schob sich zitternd an die Wand und wurde noch bleicher. „Erbarmen, Senor“, winselte er, als die Gesichter der anderen immer härter wurden. „Es sind nur ein paar Barren, wir haben sie einem vorbeisegelnden Engländer abgenommen. Sie sollen mit dem nächsten Schiff nach Spanien gebracht werden.“ „Wirklich?“ fragte Hasard. „Mein Wort darauf, Capitan.“ Hasard hielt ihm immer noch die Spitze an die Kehle. „Du hast doch nicht vor, die spanische Krone zu betrügen, mein schmieriger Freund?“ fragte er drohend. „Wenn das der Fall sein sollte, dann lasse ich dich hängen, im Namen des Königs!“ El Corsario würgte an einem unsichtbaren Kloß. Um zu demonstrieren, wie machtlos er war, hob er beide Arme. „Nein, ich wollte es abliefern, ganz gewiß.“ „Wieviel ist es?“ fragte der Seewolf hart. „Etwa zwanzig Barren, Senor Funchal.“ „Sollen wir ihm das glauben?“ fragte Hasard die beiden anderen. Ben Brighton hob die Schultern, und Dan schüttelte den Kopf. „Er hat es vergraben“, sagte er dumpf. „Ein sicheres Zeichen, daß er betrügen wollte. Er will den König von Spanien begaunern und sich selbst daran bereichern. Ich bin dafür, daß wir ihn hängen, sobald die anderen Schiffe eintreffen. Die Kapitäne mögen ihr Urteil gemeinsam fällen.“
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„Ja, sie sollen alle entscheiden“, sagte Hasard. Er tat so, als müsse er überlegen, hielt den Degen aber weiterhin auf den völlig verstörten Mann gerichtet. El Corsario, sonst stark und mächtig, wenn es darum ging, harmlose Handelsfahrer auszuplündern, wußte, was ihm blühte. Die Männer handelten nach Kriegsrecht, und sie würden nicht zögern, ihn an der nächsten Rah aufzuknüpfen, wenn sie merkten, daß er das Gold, das der Krone gehörte, vergraben hatte, um es für sich zu behalten. Die Krone brauchte Gold, um ihren Machtbereich auszudehnen und um weiteres Gold zu erhalten. Und wenn sie erst herausfanden, wer und was er wirklich war, dann gab es keine Gnade. „Ich werde es Ihnen mitgeben, Senor!“ schrie er, als er sah, daß Hasard es verteufelt ernst meinte mit dem Hängen. „Es geht nicht darum, ob ich das Gold mitnehme oder nicht“, sagte der Seewolf, „es geht um den Betrug an seiner Majestät.“ „Aber ich wollte doch nicht betrügen, Senor Funchal, wirklich nicht. Ich hätte es abgeliefert, aber es wäre mir lieber, wenn Sie es gleich mitnehmen, dann gibt es keinen Irrtum.“ Er bettelte und flehte, drängte Hasard das Gold auf und bat ihn, noch einmal Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Schließlich ließ der Seewolf abstimmen. Ben Brighton plädierte fürs Hängen, Dan sagte, wenn er das Gold aushändige, sollten sie noch einmal darüber wegsehen, und schließlich, nach einem scheinbaren Kampf gegen sich selbst, stimmte der Seewolf dem Vorschlag zu. „Ich kann dir den Betrug nicht nachweisen, Moreno, aber gut. Vielleicht hast du es wirklich ehrlich gemeint. Laß das Gold also ausgraben und bringe es an Bord. Ich werde zwei Männer zur Aufsicht abkommandieren.“ „Dank, Senor, Dank. Es befindet sich auch etwas Silber darunter, ich grabe es sofort selbst aus.“ „Senor Virgil“, befahl Hasard, „lassen Sie vorn Zahlmeister eine Quittung ausstellen, sobald der Wert registriert und an Bord
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gebracht ist. Dann kann Moreno später jederzeit beweisen, daß er Gold und Silber an die spanische Krone abgeliefert hat. Er soll keinen Nachteil erleiden, er hat es anscheinend doch ehrlich gemeint, wie ich sehe.“ „Si, Senor Capitan“, sagte Ben Brighton. Er wandte sich ab, denn er konnte nichts für sein fürchterlich verzogenes Gesicht, und auch der junge O'Flynn, ganz strenger Offizier, trat aus dem Schein der Lampe und grinste hinterhältig, als der Grobschlächtige daran ging und mit bloßen Händen die Barren ausbuddelte. Innerlich zerriß es die Seewölfe fast vor Lachen, daß ihnen dieser Tölpel so auf den Leim gekrochen war, und jetzt noch darum bettelte, das Gold abliefern zu dürfen. Nun ja, dachte Hasard, er hatte ja immerhin genug beiseite geschafft -Gold, das sich ganz überraschend in Seewasser und Steine verwandelt hatte. Das würde noch ein Theater geben! Nach und nach stapelten sich unter den grinsenden Blicken der Seewölfe Barren auf dem Boden, und Dan stieß den schwitzenden Piraten einmal an, als der sich stöhnend aufrichtete. „Wehe, wir finden noch einen Barren, Moreno“, sagte er, „an unseren Rahen ist noch genügend Platz.“ El Corsario buddelte weiter und brachte auch noch die Silberbarren zum Vorschein. Dann stand er erleichtert auf. „Das ist alles“, sagte er, „mehr habe ich für die Krone nicht versteckt. Ich habe es sowieso nur vergraben, damit es nicht plündernde Engländer finden.“ „Sehr lobenswert“, sagte Hasard kühl. Er und Brighton zählten sorgfältig die Barren. „Lassen Sie es an Bord bringen!“ befahl der Seewolf. „Die Quittung erhalten Sie anschließend vom Zahlmeister; denn schließlich muß alles seine Richtigkeit haben. Damit Sie sehen, daß wir Ihnen nichts nachtragen, dürfen Sie uns zu einem Glas Wein einladen!“ El Corsario dienerte und wünschte den Männern die Pest an den Hals, aber die paar Barren konnte er verschmerzen, der.
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Großteil der Beute befand sich sicher auf Pedros Schiff. Er ahnte nicht, daß er jetzt ein armer Mann war, der nur noch das besaß, was er auf dem Leib trug — und seinen Wein im Keller. Er holte den besten hervor, einen Malaga, den er einem spanischen Kauffahrer abgenommen hatte. Etwas später ließ er die Barren an Bord bringen und erhielt von Smoky, der „als Zahlmeister fungierte, eine Quittung, die nicht einmal das Pergament wert war, auf dem sie geschrieben war. Als Smoky auch noch ein spanisches Siegel darunter klebte, hatte alles seine Ordnung. Die Barren verschwanden im Laderaum der „Isabella“. 7. Der Seewolf hatte jetzt alles, was er wollte. El Corsario war ausgemistet wie ein Schweinestall, und als er dem holländischen Kapitän van der Koop alles erzählte, kriegte der Holländer kaum noch Luft vor Lachen. Aber anscheinend war doch nicht alles in Ordnung, denn am Nachmittag lief Pedros Schiff wieder in die Bucht ein und ging vor Anker. Die Seewölfe beobachteten das Manöver und grinsten, als ein Beiboot mit Pedro und drei anderen Gestalten lospullte. Ihre Gesichter waren dunkel vor Zorn, die Kerle hatten sich kaum noch in der Gewalt. Sie hieben .die Riemen ins Wasser, daß sie fast brachen. „Irgendwie haben sie es gemerkt“, sagte Hasard. „Schade, daß wir nicht Zeugen des jetzt folgenden Gespräches werden. Ich möchte zu gern die Gesichter sehen.“ „Ja, das wäre mir direkt ein Barren Gold wert, den wir König Philip dann abziehen müßten“, sagte auch Ben. Die Kerle ruderten erbost an der „Isabella“ vorbei, pullten an die Pier, flitzten wie die Ratten aus dem Boot und hasteten durch den Bogengang des Forts. Alles weitere entzog sich den Blicken der Seewölfe.
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Hasard ordnete vorsichtshalber erhöhte Gefechtsbereitschaft an. * „Was ist das für eine Lumperei!“ brüllte Pedro, der mit Riesenschritten in El Corsarios Raum stürmte. Der Pirat blickte hoch. Sein ganzer Haß galt noch immer dem vermeintlichen Spanier, und als er jetzt die wütende Visage Pedros sah, sprang er erregt auf. „Was schreist du hier herum!“ brüllte er zornig zurück. Pedro versuchte, sich zu beherrschen, aber es gelang ihm nicht. „Die Fässer“, würgte er hervor. „Wir trauten unseren Augen nicht, als eins umstürzte und der Spund sich löste. Weißt du, was da herausfloß?“ schrie er. „Was soll da herausfließen?“ brüllte der Pirat zurück. „Wasser!“ schrie Pedro noch lauter. „Reines Seewasser floß da heraus. Keine Spur von den Barren oder Juwelen. Die Fässer enthielten nichts anderes als Wasser und ein paar Steine! Wir haben eins nach dem anderen geöffnet, nicht mal Goldstaub war drin. Was sagst du jetzt?“ El Corsario sagte zunächst gar nichts. Es hatte ihm ganz einfach die Sprache verschlagen. Erst nach einer Weile sah er Pedro an und schluckte hart Bevor der bärtige Spanier sich's versah, landete El Corsarios Faust in seinem Gesicht und warf ihn zurück an die Wand. „Das könnte dir so passen“, sagte der Pirat gefaßt und ruhig, denn er glaubte, das Spiel zu durchschauen. „Ihr Idioten habt doch selbst die Fässer beladen, oder etwa nicht? Und jetzt erscheinst du und behauptest, da wäre Salzwasser drin, he! Nicht mit mir, du Bastard, nicht mit mir!“ Bevor Pedro sich aufrappelte, traf ihn ein zweiter Schlag. Seine Begleiter wollten eingreifen, doch der mörderische Blick des Piraten hielt sie zurück. „Du Lump bist irgendwo an Land gesegelt!“ schrie er. „Dort hast du die
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Beute sicher vergraben, und jetzt willst du mir Märchen erzählen und dich herausreden.“ Pedros Wange blutete. Noch auf dem Boden drehte er sich wie ein Kreisel und schlug mit dem Bein nach El Corsario. Der Hieb säbelte den grobschlächtigen Mann um, und er landete krachend auf dem Boden. Pedro war mit einem Satz über ihm, zog das Messer und setzte es ihm an den Hals. Sein Gesicht war haßverzerrt, in seinen Augen loderte wilde Glut. „Ich stech dich ab!“ brüllte er. „Du hast die Fässer vertauscht und willst mir jetzt alles in die Schuhe schieben, um die Beute ganz allein zu kassieren.“ „Laß uns vernünftig reden“, sagte El Corsario. „Nimm das lausige Ding weg, hier stimmt etwas nicht, das geht nicht mit rechten Dingen zu.“ „Ah, du hast Angst, du Hund! Rühr dich nicht, oder ich stoße zu!“ „Ihr solltet euch wirklich vernünftig unterhalten und nicht wie die Ochsen 'rumbrüllen. Man hört euch ja bis in den letzten Winkel der Bucht“, sagte einer der Männer. „Seid vernünftig!“ schrie ein zweiter. „Hier will keiner den anderen bescheißen. Los, steht auf!“ Pedro steckte zitternd vor Wut das Messer weg. El Corsario erhob sich und blickte sich wild um. Ihre Gemüter waren noch immer nicht ab- gekühlt. Die beiden Männer schnauften. Der Pirat zwang sich zur Ruhe und bedeutete Pedro, er möge sich setzen. „Die anderen haben recht“, sagte er. „Hier stimmt etwas nicht. Wir haben uns noch nie wegen der Beute beschissen. Laß uns noch einmal von vorn beginnen. Also: Wir haben das Gold in Fässer verstaut, ihr wart alle dabei. Du, Ramirez und Manigo. Dann haben wir die Fässer auf die Pier gestellt und ein wenig Geschrei veranstaltet, um die Seesoldaten zu täuschen. Und jetzt überlegt mal richtig! Die Fässer standen die ganze Nacht vor der ‚Isabella'. Ist es nicht möglich, daß die Kerle etwas
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gerochen haben und die Fässer ausleerten?“ „Das tun die nicht“, widersprach Pedro. „Die tun noch ganz andere Sachen. Heute haben sie das Fort durchsucht und die restliche Beute gefunden. Sie wollten mich hängen lassen, diese Halunken, und ich mußte die Barren abgeben. Dafür habe ich eine Quittung gekriegt. Hier ist sie!“ „Verdammt!“ sagte Ramirez. El Corsario sprang wieder auf, wild und unbeherrscht. Er hob die Faust und schüttelte sie. „Saubande, dreckige!“ brüllte er. „Wir haben keinen einzigen Barren mehr. Was wir haben, sind nur ein paar lahme Schiffe und ein paar lausige Leute. Nein, das lasse ich mir nicht ausreden, diese Kerle geben sich vielleicht nur als spanische Soldaten aus und sind in Wirklichkeit selbst Piraten.“ „Aber es sollen doch noch andere Galeonen einlaufen“, sagte Manigo verwundert. „Hast du bis jetzt auch nur ein lausiges Segel von den Galeonen gesehen?“ schrie El Corsario. „Das haben die sich nur ausgedacht, um uns einzuschüchtern. Jetzt, da sie alles haben, werden sie bald lossegeln, vielleicht noch heute.“ Pedro legte dem wütenden Mann die Hand auf den Arm. „Du hast recht, ganz sicher, und du weißt, daß ich nicht der Kerl bin, der mit unserer gemeinsamen Beute abhaut und sie irgendwo verbuddelt. Wenn das eine Faß nicht zersprungen wäre, hätten wir es gar nicht bemerkt. Ein anderer von uns hat die Fässer auch nicht geklaut, also bleiben nur die Kerle von der ,Isabella'. Laßt uns jetzt überlegen, was zu tun ist.“ „Um ganz sicher zu gehen“, sagte Ramirez, „werden wir still und unauffällig unsere eigenen Schiffe durchsuchen. Dann wird einer nach dem anderen auslaufen, und wir schnappen uns die Burschen. Die werden uns nicht entgehen.“ „Wie wollen wir sie schnappen? Seht euch das Schiff an, seht euch die Kerle an. Die sind aus Eisen, sage ich euch, und die Galeone ist bis an die Zähne bewaffnet.
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Habt ihr schon mal die langen Rohre der Culverinen gesehen? Die feuern doppelt so weit wie unsere Kanonen.“ „Wir riegeln die Bucht ab“, sagte Pedro. „Wenn zwei Schiffe draußen liegen, können sie nicht heraus. Dann nehmen wir sie von See her unter Feuer und vom Fort her. Um ganz sicherzugehen, schicken wir einen Brander in die Bucht.“ Sekundenlang herrschte tiefes Schweigen. „Selbst wenn wir sie versenken“, sagte Ramirez eifrig, „geht uns das Gold nicht verloren. Die Bucht ist nicht mal drei Faden tief, wir können das Gold wieder 'raufholen.“ „Ja, das stimmt“, gab El Corsario zu. „Sie fragten noch nach Trinkwasser. Wir könnten es vergiften, denn Wasser saufen sie jeden Tag. Selbst wenn sie lossegeln, können wir sie wie reife Pflaumen einsammeln, bis einer nach dem anderen umkippt.“ „Hast du Angst, dich mit ihnen anzulegen?“ fragte Pedro spöttisch. „Nein, zum Teufel, ich gehe nur alle Möglichkeiten durch.“ „Auf das Wasser können wir uns nicht verlassen. Vielleicht holen sie gar keins, vielleicht haben sie etwas gemerkt. Wenn ihr wieder zurückgeht, dann laßt euch nichts anmerken. Grüßt die Kerle freundlich, zieht normale Gesichter. Vorhin seid ihr wie angestochene Büffel durch die Bucht gerudert.“ In allen Einzelheiten besprachen sie ihre Aktion, ihre Gemüter erhitzten sich und immer, wenn die Rede auf das Gold kam, kriegten sie fast einen Tobsuchtsanfall. Aber etwas später stand ihr Plan fest, nach dem sie vorgehen wollten. 8. Hasard stand mit fünf Seewölfen in der Kuhl und grinste, als die Kerle mit Pedro zurückkehrten. „Fällt dir nicht auf, wie sie sich verwandelt haben?“ fragte er den jungen O'Flynn. „Doch, sie platzen bald vor Freundlichkeit. Ein Zeichen, daß die Flaggen auf Sturm stehen.“
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„Na, habt ihr unterwegs Schiffbruch erlitten?“ fragte Carberry den einen Galgenvogel. Der lachte unbekümmert. „Nein, wir laufen wieder aus“, sagte er, und blieb vor der Bordwand grinsend stehen. „Wir trafen draußen auf ein Schiff, und das kam uns nicht geheuer vor, deshalb kehrten wir um.“ „Vielleicht war es dieser lausige Pirat, der sich an der Küste 'rumtreibt“, vermutete Ed ebenso freundlich. „Ja, das dachten wir auch. Mit dem wollten wir uns auf kein Gefecht einlassen. Zum Glück folgte er uns auch nicht. Aber nun ist er verschwunden, und wir können weiter und die anderen auch. Sie liegen schon seit Tagen hier, weil sie Angst haben.“ Der Kerl grinste freundlich und stieg in das Boot. Aber sie ruderten erst zu einem anderen Schiff, und gleich darauf begann es sich in der Bucht sachte zu regen. Hasard lehnte sich an den Großmast und blickte zu den anderen Schiffen hinüber. „Nicht mehr lange“, sagte er nachdrücklich, „dann wird in dieser stillen Bucht der Teufel los sein. Die Kerle haben gemerkt, daß nur wir für die Fässer infrage kommen.“ „Damit konnten wir ja nicht rechnen“, sagte Ben. „Ihre Gesichter haben sie jedenfalls verraten, die sagten mir mehr als alle Worte. Nimm einmal an, Dan, sie wissen jetzt Bescheid, halten uns für ausgekochte Gauner und gehen davon aus, daß wir das Gold geklaut haben. Was würdest du an ihrer Stelle tun?“ O'Flynn brauchte nicht lange zu überlegen. Er verstand es, sich in die Lage der Kerle zu versetzen. „Ich würde einen Feuerzauber veranstalten“, sagte er, „und zwar von allen Seiten zugleich. Die Burschen haben uns eben eindeutig angelogen, und deshalb nehme ich an, daß sie soeben alle Einzelheiten genau durchgesprochen haben.“
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„Ganz richtig“, stimmte der Seewolf zu. „Mindestens zwei oder drei Schiffe werden jetzt auslaufen.“ „Folgen wir ihnen doch“, schlug Brighton vor. „Auf See haben sie keine großen Chancen gegen uns, aber hier sind sie uns überlegen. Sie feuern aus den Geschützen des Forts, können uns auch von 'dem Kahn da drüben unter Feuer nehmen und uns ganz anständig von See her einheizen.“ „Ihnen folgen?“ überlegte Hasard. „Ja, wir tun so, als würden wir ihnen Schutz anbieten vor dem angeblichen Piraten, der sie bedrängt hat.“ Langsam schüttelte der Seewolf den Kopf. „Das sieht mir zu sehr nach Rückzug aus, Ben. Praktisch würden wir uns heimlich aus der Bucht schleichen. Nein, wir bleiben hier, wir haben die Brandsätze, mit denen wir die ganze Bucht eindecken können. Und sieh dir mal genau die Kanonen des Forts an. Fällt dir daran etwas auf?“ Ein Lächeln glitt über das Gesicht des Bootsmanns. „Ja, ich kann mir denken, was du vorhast. Wenn wir nur ein paar Yards weiter verholen, erreichen uns die Rohre nicht mehr, wir liegen dann im toten Winkel von mindestens drei Geschützen. Sie würden nicht einmal mehr die Masten treffen.“ „Na siehst du, dann laß das Schiff verholen, die Kerle sollen denken, was sie wollen.“ Eine knappe Schiffslänge genügte, um den toten Winkel zu erreichen, und während kräftige Fäuste an den Leinen zogen, blickten die Piraten mißtrauisch herüber. Sie fanden nicht heraus, warum die „Isabella“ verholte, wahrscheinlich um für nachlaufende Schiffe Platz zu schaffen. „Noch etwas“, sagte Hasard. „Zwei Mann gehen bewaffnet nach oben auf den kleinen Wehrgang. Dort tun sie so, als würden sie nach den anderen Galeonen Ausschau halten. Damit sind dem Lausekerl gleichzeitig noch die Hände gebunden, denn ihr habt ihn genau vor euch und könnt beobachten, was er tut.“ „Ich gehe freiwillig“, erbot sich Dan, und auch ein paar andere wollten mit,
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Schließlich bestimmte der Seewolf Dan O'Flynn und den Decksältesten Smoky, die mit Musketen und Pistolen bewaffnet zum Fort heraufmarschierten. Bisher war noch kein Gesicht da oben aufgetaucht, niemand ließ sich blicken. Jetzt lief das erste Schiff unter der Führung von Pedro aus, es schwoite herum, setzte Segel und glitt langsam an den anderen Schiffen vorbei. Smoky und Dan trafen inzwischen auf El Corsario und zwei weitere Kerle, die sich gerade anschickten, ebenfalls auf den Wehrgang des Forts zu steigen. Der Pirat stutzte, als er die beiden sah, und sein Gesicht verfinsterte sich augenblicklich. „Was tut ihr hier?“ fragte er, „und weshalb habt ihr das Schiff verholt? Ihr liegt doch jetzt schlechter.“ Smoky stand auf einem aufgeschichteten Haufen Eisenkugeln und blickte angestrengt durch ein Spektiv. „Wir sehen nach, ob unser Verband schon in Sicht ist“, sagte Dan überaus freundlich. „Aus dem Grund haben wir auch verholt, Morena, die anderen haben sonst keinen Platz. Und ihr, was tut ihr hier?“ erkundigte Dan sich immer noch freundlich. „Wir wollten eigentlich die Geschütze überprüfen“, sagte der Pirat sauer. „Kann sein, daß dieser lausige Pirat bald wieder auftaucht, und dann wollen wir ihm einen heißen Empfang bereiten, den er so schnell nicht wieder vergißt.“ Er sah, wie Dan höhnisch grinste und ärgerte sich. „Das könnt ihr uns überlassen“, erklärte er, „für lausige Piraten sind wir zuständig. Verschwindet nur getrost. Wir werden auch die Kanonen überprüfen.“ „Nein, nein“, wehrte El Corsario ab. „Wir haben eure Hilfe schon genug strapaziert.“ Zwei weitere Männer erschienen jetzt oben und blickten sich verdutzt um, als sie die beiden Seewölfe sahen. Smoky setzte den Kieker ab und drehte sich herum. Sein. Gesicht war finster verzogen.
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„Was faselst du hier herum?“ schrie er den Pirat an. „Hast du nicht gehört, was der Offizier sagte! Wir übernehmen die Kontrolle über den Wehrgang und prüfen auch die Geschütze. Los, Mann, verschwinde endlich, sonst lasse ich den Kapitän rufen!“ Er sah, daß der Pirat vor Wut schäumte. Er zitterte vor verhaltener Wut und trat einen Schritt vor. Smoky riß die Pistole aus dem Hosenbund und sah ihn an. „Willst du ein Stück Blei zwischen die Rippen?“ fragte er drohend. Für den grobschlächtigen Mann war die Lage mehr als miserabel. Immer wenn er sich einen neuen Trick ausdachte, gruben ihm diese verdammten Halunken das Wasser ab. Schließlich konnte er ja nicht zugeben, daß er die „Isabella“ unter. Feuer nehmen wollte. Damit war der erste Teil seines Planes geplatzt, und er mußte sich fügen, um sich nicht vorzeitig zu erkennen zu geben. Als er sich umdrehte, hatte er Schaumblasen in den Mundwinkeln. Verdammt, dachte er, diese Kerle hatten ihn regelrecht ausgeplündert, beklaut, bestohlen, hintergangen, aber genau genommen hatten sie ihn mit seinen eigenen hinterhältigen Waffen geschlagen. Wenn es von hier oben aus nicht ging, dann ging es eben anders. Der Brander würde ihnen die Hölle heiß machen und die Geschütze der anderen Schiffe ihnen den Rest geben. Er riß sich mühsam zusammen und versuchte seine Stimme einigermaßen beherrscht klingen zu lassen. „Sind die Galeonen schon in Sicht?“ Smoky wollte ihm erst sagen, dass gerade die Mastspitzen am Horizont auftauchten, aber davon hätte El Corsario sich schließlich selbst überzeugen können, und so brummte er unfreundlich: „Noch nicht, dauert aber nicht mehr lange. Und jetzt verschwindet endlich!“ „Ich habe ein Recht darauf, hier zu stehen“, widersprach der Pirat hitzig, aber als er erneut in Smokys Gesicht blickte, da duckte er sich unwillkürlich, denn der
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Mann sah aus, als würde er jeden Augenblick abdrücken. „Gut, ich gehe“, sagte er, „aber hier stimmt etwas nicht, hier ist einiges faul.“ „Was ist denn hier faul?“ wollte Dan wissen, doch er erhielt keine Antwort mehr. Der Mann drehte sich um und ging wortlos und wutschnaubend die Treppe hinunter. Drei folgten ihm, der vierte blieb noch unschlüssig zurück, so als hätte El Corsario ihm befohlen, den Posten nicht zu verlassen. „Was will das Rübenschwein hier eigentlich?“ fragte Smoky leise. „Uns belauern natürlich. Aber den werden wir gleich zum Teufel jagen.“ Dan ging auf den Mann zu und sah ihn drohend an. „Was willst du hier noch?“ fragte er. Der Kerl deutete auf seine Ohren und grinste. Sein Rattengesicht verzog sich, daß man seine spitzen Zähne sah. „Ah, er hört nichts, er ist taub wie eine Muschel.“ Er wiederholte seine Frage noch einmal, doch der Kerl hob wiederum die Schultern und deutete auf seine Ohren. „Soll ich ihn erschießen?“ fragte Smoky. „Klar“, sagte Dan, „der hört doch nicht mal den Knall, weil er taub ist. Aber erschieße ihn von hinten, ich gehe ein wenig zur Seite.“ In dem Rattengesicht arbeitete es vor Angst, aber die beiden taten so, als würden sie nichts bemerken. Smoky fummelte seine Pistole wieder aus dem Hosenbund, pfiff laut und falsch und umging den Kerl, als wollte er sein Vorhaben in die Tat umsetzen. Der Rattengesichtige begann sich wie ein Kreisel zu drehen und behielt Smoky immer wieder im Auge. Dan O'Flynn riß seinen Degen heraus und grinste. „Die Pistole knallt zu laut“, sagte er. „Nimm lieber den Degen, schlag dem Kerl die Rübe ab und bringe den Rest dem Koch.“ Er hatte kaum ausgesprochen, als der „Taube“ entsetzt auf die beiden Männer
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blickte, sich. umdrehte und mit wilden Sätzen die Treppe hinunterraste. Smoky und Dan lachten sich zu, steckten ihre Waffen wieder ein und beobachteten weiter, nachdem der Kerl verschwunden war und sich nicht mehr blicken ließ. „Das zweite Schiff läuft aus“, sagte Dan. „Das dritte macht gerade seeklar. Glaubst du, man könnte mit den Kanonen einen der Segler erwischen?“ „Ganz sicher. Wenn die da draußen kreuzen, kann man sie erreichen, die Rohre schießen bestimmt dreihundert Yards weit.“ „Dann könnten wir von 'hier oben aus eingreifen“, überlegte der junge O'Flynn. „Sobald sie feuern, werden sie annehmen, daß sie vom Fort her Unterstützung kriegen. Die kriegen sie auch, aber von uns, und damit rechnen sie bestimmt nicht. Hasard hat uns in weiser Voraussicht hier nach oben geschickt.“ „Wir haben kein Pulver“, gab Smoky zu bedenken. „Dort unter der Plane stehen Fässer, und da ist gewiß kein Wasser drin. Wenn du an der Treppe bleibst, sehe ich mal nach.“ Smoky sicherte die Treppe ab, damit nicht unversehens einer der Kerle auftauchte, während O'Flynn ein Faß öffnete, das unter der Plane verborgen war. Es war bis zum Rand mit Schießpulver gefüllt, wie er schnell feststellte. Kugeln hatten sie genug, mehr als sie verschießen konnten, und Stahl und Flintstein ebenfalls. Smoky hatte auch ein kurzes Luntenstück in seinem Lederwams. „Jetzt, da wir den Turm besetzt haben, hätten wir uns das Verholen sparen können“, sagte er, „aber ich habe nicht damit gerechnet, daß der Halunke sich hier vertreiben läßt.“ Zu zweit versuchten sie, die Geschütze auf ihren Lafetten in die richtige Stellung zu bringen. Eine' der Kanonen war geladen, die anderen luden sie selbst und nahmen die doppelte Menge Pulver. Dann zerrten sie das erste Geschütz herum und brachten es zwischen den Scharten in Stellung. Das Rohr zeigte jetzt auf den Teil
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der Bucht, von dem aus die anderen vermutlich das Feuer eröffnen würden. Allerdings tat sich vorerst nichts. Nur ein weiteres Schiff lief noch aus und ein anderes verholte an der „Isabella“ vorbei und legte sich hinter sie. * Auf dem Rahsegler wurde jeder Handschlag beobachtet. Dem Seewolf entging auch nicht, daß Smoky und Dan die Kerle oben auf dem Wehrgang vertrieben und die Geschütze in Stellung brachten. Aber die beiden taten das so geschickt, daß man es nur durch das Spektiv sah. Sie ließen sich kaum sehen. „Alles überprüft, alles gefechtsbereit?“ fragte Hasard. Al Conroy nickte. „Wir brauchen nur noch die Lunten an das Zündkraut zu halten“, sagte er, „dann fliegen hier im Hafen die ersten Schiffe auseinander. Die meisten liegen so, daß sie uns nur sehr schlecht unter Feuer nehmen können, Sorgen bereiten mir nur die, die ausgelaufen sind.“ „Die beharken wir mit Brandsätzen, die dürfen gar nicht erst zur Besinnung kommen. Hat einer von euch El Corsario gesehen?“ Niemand hatte ihn gesehen, entweder befand er sich unten im Fort, oder er hatte sich an Bord eines der Schiffe geschlichen. „Angriff ist die beste Verteidigung“, sagte der Waffenmeister der „Isabella“ eifrig. „Wollen wir nicht damit beginnen?“ „Wir warten noch ab, Al. Die Position der anderen ist noch nicht klar, ich will erst sehen, wie sie taktieren. Wenn ich den Befehl dazu gebe, nehmt ihr die beiden vor der Bucht lauernden Schiffe mit Brandsätzen unter Feuer. Den kleinen, der hinter uns liegt, beschießen wir mit den achteren Drehbassen, und die Breitseite wird gut verteilt auf die zwei da drüben eingesetzt, während die Bugdrehbassen den Hafen Backbord bestreichen. Smoky und Dan werden uns von oben unterstützen. Ich bitte mir Schnelligkeit und genaues Schießen aus, sonst sind wir die Dummen.“
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„Die Segler vor der Bucht“, sagte Carberry, „sind so weit entfernt, daß ihre Geschütze gerade noch mit Mühe und Not unsere alte Tante erreichen, dagegen treffen wir sie mühelos. Unsere Reichweite beträgt gut und gern hundert Yards mehr. Damit haben wir einen unschätzbaren Vorteil“ „Den wir geschickt ausnutzen müssen“, sagte der Seewolf. Das einzige, was Hasard leicht beunruhigte, war das Schiff, das hinter ihnen lag. Seine Stückpforten waren geschlossen und es hatte nur ein einziges Buggeschütz, eine Drehbasse kleineren Kalibers. Damit konnten sie nicht viel anfangen. „Der erste ankert“, sagte Carberry. „Der scheint sich seiner Sache ja verdammt sicher zu sein.“ Hasard blickte durch das Spektiv und setzte es dann wieder ab. Auf dem Schiff, das jetzt eine feste Position bezogen hatte, fiel der Anker. Es lag mit der Backbordseite zur Bucht und hatte aus dieser Position heraus ein gutes Angriffsziel. Allerdings war es auch für die Culverinen der „Isabella“ leichte Beute. Der zweite Segler begann zu kreuzen. Nach Hasards Ansicht würde er eine Breitseite abfeuern und dann weitersegeln. Insgeheim amüsierte den Seewolf die Tatsache, daß alle so taten, als gelte der ganze Aufwand nicht ihnen. Die Kerle gaben sich, als erwarteten sie einen imaginären Gegner, der jeden Augenblick aufkreuzen mußte. Es verging nochmals eine halbe Stunde, ehe die Schiffe ihre Positionen bezogen hatten. Draußen vor der Bucht segelte jetzt der Zweimaster ganz langsam vorbei. Auf der „Isabella“ herrschte gespannte Erwartung. Die Luft in der Bucht begann nach Eisen und Blei zu riechen. „Wenn er die Hälfte der Bucht erreicht hat, geht der Tanz los“, prophezeite der Seewolf. „Und jetzt hißt die englische Flagge!“ 9.
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Was dann folgte, hörte sich nach einem kleinen Weltuntergang an. Genau wie der Seewolf es gesagt hatte, begann der Tanz in dem Augenblick, als der Segler die Hälfte der Bucht erreichte. An der Bordwand blitzte es auf. Noch war der Knall nicht zu hören, man sah nur die Blitze. „Feuer!“ sagte der Seewolf ruhig. Neben ihm waren die beiden Holländer erschienen, die sich nützlich machen wollten. Hasard schickte sie in die Kuhl, und die beiden verschwanden mit unglaublichem Eifer. Auf der „Isabella“ begann es zu brüllen, zu fauchen und in den höchsten Tönen zu kreischen. Das Schiff verwandelte sich in ein funkenspeiendes, brüllendes und donnerndes Ungeheuer, in einen Drachen, der nur aus Rauch und Feuer bestand und jählings explodierend erwachte. Aus den von Tucker gezimmerten tragbaren Gestellen heulten die ersten chinesischen Pfeile, die Brandsätze, deren verheerendes Feuer einen unlöschbaren Brand erzeugte. Mit bestialischer Geräuschentwicklung jaulten sie aus ihren Gestellen und tauchten die Bucht in gespenstisches Licht. Der überaus schrille Heulton, der sie auf ihrer Flugbahn begleitete, steigerte sich zu einem Höllenkonzert. Diese Begleitmusik zermürbte nicht nur den Gegner, sie klang in den Ohren der Seewölfe sogar noch schauerlich. Mit dem Abzischen der ersten Brandsätze schlug auch die Breitseite des Seglers dicht vor der „Isabella“ ins Wasser der Bucht. Sie lag etwa zwanzig Yards zu kurz. Wasserfontänen spritzten hoch und stürzten gleich darauf in sich zusammen. Die Rohre der Culverinen antworteten sofort. Die gut verteilte Breitseite bestrich die von Hasard bestimmten Schiffe und leitete ein grauenhaftes Finale ein. Fast alles geschah gleichzeitig. Der kreuzende Segler wurde von drei Siebzehn-Pfündern getroffen. Eine der Eisenkugeln ließ den Fockmast zersplittern, die zweite traf das Deck, die dritte schlug achtern ein und riß ein großes
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Loch in die Bordwand. Als der Mast mit Segeln und allem Zubehör aufs Deck krachte, lief der Zweimaster aus dem Kurs. Im selben Augenblick ging der rötlichgrüne Flammenregen über dem ankernden Fahrzeug nieder und setzte den Bug in Brand. Von dort aus fraß sich das Feuer rasend schnell nach achtern. Die Kerle, die an den Geschützen standen, begannen zu rennen und so laut zu schreien, daß es bis in die Bucht zu hören war. „Godverdomme!“ schrie der Holländer Willem van de Koop immer wieder bewundernd aus, denn was er jetzt sah, hatte er noch nie erlebt, und die pfeifenden Brandsätze jagten ihm und dem Bestmann einen Schauer nach dem anderen über den Rücken. In das Krachen und Bersten mischte sich ein dumpfes Grollen. Smoky und Dan hielten die Lunten an die Verschlußstücke der Kanonen und vermehrten den Eisenhagel vom Fort aus. Der erste Schuß ließ eine Wassersäule vor dem brennenden Segler aufsteigen, der zweite schlug genau mittschiffs ein und riß die Planken auf. Die beiden Männer rissen die Arme hoch. „Arwenack!“ brüllte Dan, und gleich darauf wurden auch die anderen von dem alten Schlachtruf angesteckt und brüllten ihn begeistert hinaus. „Godverdomme“, sagte der Geuse wieder, und diesmal kriegte er eine Gänsehaut. „Ihr seid wahre Teufel!“ rief er Al zu. Er und der Bestmann halfen beim Laden, und schon jagte die nächste Breitseite brüllend hinaus. Am Bug spuckten die beiden Drehbassen ihren tödlichen Eisenhagel nach allen Seiten und zersiebten den Bug des Piratenschiffes. Vom Achterdeck aus erfolgte ebenfalls das dumpfe Knallen, mit dem sich die Drehbassen entluden. Tucker und Davies bedienten sie, und als es an der unteren Bugseite dröhnend einschlug, griff Tucker sich an den Schädel.
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„Verdammt, da ist keine Laus an Bord, den können wir vergessen.“ Er warf sich platt auf die Planken, als aus irgendeiner Richtung ein Sechs-Pfünder heranflog und achtern in das Schanzkleid schlug. Er hinterließ ein größeres Loch, aus dem grobe Splitter nach allen Seiten ragten. Tucker fluchte laut. Er sah kaum noch etwas, er starrte nur auf das Loch im Schanzkleid und hustete, als ihn beißender Pulverqualm von allen Seiten einhüllte. Willem van der Koop raste nach. achtern. Er war der erste, der es bemerkte. „Die Leinen von dem Schiff sind los!“ rief er dem Seewolf zu. Hasard verstand ihn kaum, erst als der Geuse sein Gebrüll wiederholte, bemerkte er, daß sich der Segler wie ein Gespensterschiff vom Land gelöst hatte und zu treiben begann. Für das Auge kaum sichtbar, trieb er achtern der „Isabella“ entgegen, und gleich darauf zuckte mitschiffs ein Feuerschein auf. „Godverdomme — ein Brander!“ schrie der Geuse. Der Ruf ließ die Männer zusammenzucken. Sekundenlang erstarrten sie und blickten nach achtern. Dort lief jetzt eine Feuerspur wie rasend über das ganze Schiff, setzte das Deck in Brand und umlohte die Aufbauten. Was das hieß, einen Brander ganz in der Nähe zu haben, wußten sie alle. Sie hatten Erfahrung darin. Wenn der dichter herantrieb, gab es für die „Isabella“ keine Rettung mehr. Die gewaltige Gluthitze, die ein Brander verströmte, setzte alles in Brand, was in seiner Nähe war. Conroy ließ immer noch feuern und deckte die anderen Schiffe so ein, daß sie das Feuer kaum erwidern konnten. Ein Brandsatz nach dem anderen jaulte durch die Bucht und setzte Schiffe in Brand. „Leinen los!“ rief der Seewolf. „Drückt das Schiff ab!“ Auf dem Brander, der jetzt wie eine riesige Fackel zu lohen begann, schlug ein Treffer ein, abgefeuert vom Fort aus, gleich darauf ein zweiter. Es war die äußerste Stelle, die
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man mit den Kanonen des Forts noch bestreichen konnte. Glühende Holzteile flogen durch die Luft, ein Teil des Schanzkleides barst auseinander und verschwand im Wasser, wo es qualmend und zischend verlöschte. Ferris Tucker und der Geuse verständigten sich mit einem Blick. Noch bevor die „Isabella“ die Leinen löste und sich von der Pier wegbewegte, sprangen die beiden über Bord an Land, mit schweren Äxten bewaffnet. Der Seewolf rief ihnen etwas zu, aber in dem allgemeinen Lärm und Getümmel war kaum ein Wort zu verstehen. Die beiden Männer stürmten auf den Brander zu. Hitze schlug ihnen entgegen, ließ die Gesichter knallrot werden und versengte den blonden Bart des Geusen, der immer sein „Godverdomme“ schrie. Achtern war der Brander erst einen Yard von der Pier entfernt, aber er stand in hellen Flammen und die Höllenglut, die er verströmte, brachte die beiden fast um. „Da können wir durch!“ rief van der Koop und sprang mit einem wilden Satz an Bord, einer Stelle zu, die das Feuer erst teilweise ergriffen hatte. Auch Ferris sprang auf, hielt den Kopf gesenkt und rannte durch die erbarmungslose Glut nach unten in den brennenden Laderaum. Hier unten war die Hitze noch nicht so schlimm wie oben. Flammen leckten über den Süllrand, schlugen nach unten, und die Wände verströmten ekelhafte Hitze. Wie besessen hieben die beiden Männer ihre Äxte in das Holz der Bordwand, weit unterhalb der Wasserlinie. In der brüllenden Hitze hörten sie das Heulen und Pfeifen der Brandsätze, die Abschüsse von Kanonen und hoch über sich das Knistern und Prasseln des Feuers, das den Brander in Rotglut versetzte. Die paar Kerle, die an Bord gewesen waren, hatten Schießpulver ausgestreut, es in Brand gesteckt und waren dann vermutlich achtern über Bord gesprungen. Die harten Schläge ließen das Schiff erbeben, bis es krachte und in Ferris Nähe
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ein armdicker Wasserstrahl ins Innere drang. Auch der Geuse hatte ein Loch in die Bordwand geschlagen. Er grinste sogar, ließ sich von dem hereinbrechenden Wasser, das ihn fast umwarf, durchnässen und hieb wie ein Wilder mit der Axt weitere Planken heraus. Wasser schoß in solchem Schwall herein, daß die beiden Männer den Halt verloren und gleich darauf bis an die Knie im Wasser standen. Sie schlugen weitere Löcher in die Bordwand. Rauch drang jetzt in weißgrauen Schwaden nach unten und ließ sie husten, bis sie kaum noch Luft kriegten. Immer schneller stieg das Wasser, bis sie nicht mehr in der Lage waren, ihre Äxte zu gebrauchen. Um sie her herrschten immer noch Höllenlärm, Krach, Feuer, Rauch und wildes Geschrei, das aus allen Ecken hörbar war. Sie schwammen und strampelten in der Brühe, bis Ferris auf die Leiter zeigte. „Hopp auf, Geuse!“ rief er. „Und dann mit einem Satz über Bord. Aber spring nicht mit dem Schädel aufs Land!“ Die beiden Männer enterten auf und standen in einem brüllenden Inferno, in dem es prasselte und krachte. Aber sie standen nicht mal eine Sekunde lang, dann warfen sie sich, ohne etwas zu sehen, durch die rote Glut und fielen. Noch im Fallen hatte Tucker das Gefühl, er werde auf einem riesigen Scheiterhaufen geröstet. Schmerz fraß sich durch alle seine Knochen, als er ins Wasser tauchte und die Luft anhielt. Neben sich hörte er ein ersticktes Gurgeln und einen Fluch, als der Geuse auftauchte und glaubte, sich mitten in der Hölle zu befinden und sogleich wieder unter Wasser verschwand. Erst als Tucker keine Luft mehr kriegte, tauchte er auf, und warf einen Blick zurück. Der Brand tobte noch immer, aber der Brander hatte jetzt so viel Wasser gezogen, daß er auf der Stelle lag wie ein schwerfälliges Tier und nicht mehr weiterschoite. Die „Isabella“ befand sich immer noch in unmittelbarer Nähe des
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Höllenschiffes, aber sie gewann langsam Abstand, als der Brander tiefer sackte. Von dem brennenden Schiff flogen glühende Holzstücke nach allen Seiten, noch immer krachte und knackte es, als es sich langsam auf die Seite legte. Der Schädel und das schwarz verrußte Gesicht mit dem angesengten Bart tauchte dicht neben ihm auf. Van der Koop sah jetzt direkt schrecklich aus, als er grinste. Schneeweiß leuchteten seine Zähne in dem schwarzen Gesicht. „Godverdomme“, ächzte er, „das war höchste Zeit. Wo sind wir überhaupt, Rotschopf?“ „Fühlt sich nach Wasser an”, entgegnete Tucker und versuchte, ebenfalls zu grinsen, doch seine Gesichtshaut spannte, daß er es nicht fertigbrachte. Um sie her war ein Inferno, wie sie es sich schrecklicher kaum noch vorstellen konnten. In der Bucht brannten die kleinen und größeren Schiffe, von einem ragten nur noch die Mastspitzen aus dem Wasser, und der ankernde Segler vor der Bucht war auch verschwunden, wahrscheinlich war er inzwischen untergegangen. Sie schwammen auf die „Isabella“ zu. Hilfreiche Hände halfen ihnen an Bord, wo sie ermattet in der Kuhl stehenblieben. „Ihr verdammten Dickschädel“, hörten sie Hasards Stimme, „ich habe euch doch befohlen ...“ „Wir haben nichts gehört“, sagte Tucker. „Aber der Brander hätte uns erwischt, wenn wir nicht ...“ Auch Hasards Gesicht war vom Pulverrauch geschwärzt, und seine Zähne blitzten. „Ja, ich weiß“, sagte er, „der Holländer hat einen genauso dicken Schädel wie du.“ „Aber er ist ein echter Wassergeuse“, sagte der Profos lachend und wischte sich mit der Hand über das Gesicht. „Er tropft nämlich immer noch.“ Erst jetzt fiel Ferris auf, daß der Kanonendonner verstummt war. In der Bucht war nur das Prasseln, Knacken und Bersten von brennendem Holz zu hören, und als er sich umdrehte, ging der Brander hinter ihnen brennend und in eine
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Qualmwolke gehüllt unter. Und diese dunkle Qualmwolke stand noch zäh wie Nebel auf der Wasseroberfläche, als der Brander verschwunden war. Sie sahen Männer rennen und schreien, die von der anderen Seite der Bucht kopflos davonliefen, und nur mit Mühe und Not das nackte Leben gerettet hatten. Kein Schuß fiel mehr, niemand wehrte sich, die „Isabella“ trieb in einem Meer aus abgesoffenen, brennenden und qualmenden Booten, und sie hatten Mühe, nicht wieder in die Nähe eines brennenden Schiffes zu geraten. „Raus aus der Bucht“, befahl Hasard. Die Hitze war immer noch unerträglich und hüllte sie von allen Seiten ein. „Fiert das kleine Boot ab, ein Mann rudert zur Pier zurück, die anderen setzen die Segel!“ „Aber Dan und Smoky sind noch an Land“, sagte der alte O'Flynn. „Deshalb setzen wir auch das Boot aus und kreuzen vor der Bucht solange gegen den Wind, du spanische Kürbishose“, sagte der Profos. Blacky ruderte mit dem kleinen Beiboot los, das über das Heck abgefiert wurde. Schon von weitem sah er Dan und Smoky, die den Wehrgang verlassen hatten und zur Pier hinunterliefen. Inzwischen manövrierte die „Isabella“ mit aller Vorsicht aus der Bucht heraus. Überall schwammen Wrackteile, schwarz verkohlt, mitunter waren große Trümmer dabei, die noch teilweise brannten. Insgesamt zählte Hasard noch zwei intakte Schiffe, die ganz am Ende der Bucht lagen, aber auch sie würden sich nicht mehr lange halten, dafür sorgten die rauchenden und brennenden Trümmer, die auf sie zutrieben. Nun gut, dachte er verbissen. El Corsario hatten sie nicht mehr erwischt, aber mit den traurigen Überbleibseln seiner Flotte konnte er nichts mehr anfangen, und ein Großteil seiner Männer hatte ebenfalls das Leben ausgehaucht. Sie erreichten die flache Stelle an der Bucht, wo der zweimastige Segler untergegangen war. Auch von dem anderen fand sich nichts mehr als ein paar verkohlte Planken, die in der See trieben.
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Ferris Tucker inspizierte inzwischen das Schiff und fluchte. Insgesamt war die „Isabella“ viermal getroffen worden. Einmal am achteren Schanzkleid durch die Kugel, die Ferris fast noch erwischt hätte, zweimal in der Kuhl und einmal auf der Back, direkt neben der Kombüse des Kutschers. In der Bordwand selbst fand der Schiffszimmermann keine Schäden. Aber das Deck war fast schwarz, weil die Brandsätze immer dunkle kleine Körnchen beim Abschuß hinterließen, sobald die Zündschnüre brannten. „Weiß Gott“, sagte der Profos, der sich zu Tucker gesellt hatte. „Da sind wir noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Ohne die Brandsätze hätten wir Ärger gekriegt.“ „Es hat auch so gelangt“, sagte Tucker. „Arbeit gibt's jedenfalls in den nächsten Tagen genug. Das Deck muß gescheuert, die Schäden müssen ausgebessert werden. Das wird deine Laune mächtig heben, Ed.“ „Ja, das kann man wohl sagen, jedenfalls werden die Kerle nicht mehr 'rumstehen und den Wind aus den Segeln glotzen.“ Die „Isabella“ befand sich jetzt eine halbe Kabellänge von der Bucht entfernt und kreuzte gegen den Wind, aber so, daß sie kaum Fahrt lief. Blacky und Dan pullten mit dem Boot heran, während Smoky breit und wuchtig auf der Ducht hockte und immer wieder in den Trümmerhaufen blickte, den sie zurückgelassen hatten. Dann legten sie an, kletterten an Bord, hängten das kleine Beiboot in die Talje und hievten es achtern auf. Dan zeigte auf Smoky. „Er hat El Corsario erledigt“, sagte er. „Der Kerl hatte sich versteckt, und als wir die Geschütze abfeuerten, schlich er sich an und wollte Smoky seinen Degen ins Kreuz rammen.“ „Bist du verletzt?“ fragte der Seewolf. „Keine Spur“, versicherte der Decksälteste. „Ich konnte dem Stich gerade noch entgehen, und von da an hatte El Corsario nichts mehr zu lachen. Er ist tot
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„Dann wird an diesem Küstenstrich vermutlich auch wieder Ruhe—und Frieden einkehren“, sagte Hasard. „Und das Fort wird auch nicht mehr lange stehen“, sagte Dan und zeigte mit dem Daumen zum Land hinüber. „Wir haben die längste Lunte genommen, die wir finden konnten, damit uns nicht die Trümmer um die Ohren fliegen. Elf Fässer voller Pulver haben wir in den darunter liegenden Raum gerollt. Die Explosion werden wir noch in England hören.“ „Sieht aber kaum danach aus“. sagte Dans Vater zweifelnd. „Vielleicht ist die Lunte ausgegangen.“ „Wo sollte die wohl hingehen?“ fragte Dan feixend. „Himmelnochmal!“ schrie der Alte. „Dreh mir nicht immer das Wort im Maul herum. Natürlich kann eine Lunte ausgehen ...“ Ein paar Sekunden später spürten sie es, daß die Lunte doch nicht ausgegangen war. Vom Fort strebte plötzlich eine riesige Feuersäule zum Himmel, grell-weiß und blendend. Ihr schob sich ein pechschwarzer Pilz nach, der Steine und große Brocken mit sich riß. Der rollende Donner, der der Explosion folgte, ließ die Masten der „Isabella“ erzittern und das Wasser beben, so deutlich wurde es spürbar. Das Fort flog auseinander bis auf den hinteren Teil, der mit rußgeschwärzter Mauer stehenblieb. Der Rest sank in einer großen Wolke in sich zusammen. Die „Isabella“ segelte weiter, diesmal gegen den Wind. * Am nächsten Tag trafen sie auf den Holländer, der ihnen mit achterlichem Wind entgegensegelte. Beide Schiffe liefen auf den nahen Strand zu und gingen vor Anker. Es gab eine herzliche Begrüßung, und die beiden Geusen, van der Koop und der Bestmann wurden von den sonst so kühlen Burschen stürmisch begrüßt. Dann begann
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das Loblied auf die Seewölfe, aber' die wollten davon nichts wissen und winkten ab. „Die Geusen kriegen ein Drittel der Beute, die wir El Corsario abgenommen haben“, sagte Hasard, nachdem er sich mit den anderen abgesprochen hatte. Sie alle waren einverstanden, und van der Koop, der zuerst ablehnte, grinste dann doch und strich sich über den Bart, den der Kutscher ihm sauber gestutzt hatte. „Zur Unterstützung im Kampf gegen die Spanier“, sagte Hasard. „Und natürlich als kleiner Anteil für euch.“ Als die beiden Holländer auf ihr Schiff stiegen und die Barren umgeladen wurden, nahm Willem van der Koop einen der Goldbarren liebevoll in die Hand. „Von meinem Anteil“, sagte er andächtig, „etwa der Hälfte dieses Barrens, werde ich mir in Holland, so wir es glücklich erreichen, ein Haus bauen lassen - für später.“ Carberry wiegte zweifelnd den Kopf. „Mann“, sagte er kopfschüttelnd, „du bist doch ein Wassergeuse, du paßt doch gar nicht in ein Haus. Was willst du da?“ „Später erst”, wehrte der Holländer ab. „Schließlich muß auch ein Seemann wissen, wo er hingehört, und wenn die Spanier eines Tages besiegt sind, gegen wen, godverdomme, soll ich dann kämpfen? Dann ruhe ich mich aus.“ „Vielleicht hat er gar nicht mal so unrecht“, meinte Ed. „Ich werde mir das auch noch überlegen.“ Aber den Profos konnte sich erst recht keiner an Land vorstellen, und so lachten sie alle. Zwei Stunden später gingen beide Schiffe ankerauf und segelten gemeinsam los. Doch noch am selben Tag verlor der Holländer die „Isabella“ aus den Augen. Sie war weit voraus nur noch als schmaler kaum sichtbarer Strich an der Kimm zu erkennen, und dann war auch dieser Strich im Atlantik verschwunden. Es ging weiter nordwärts.
ENDE