Auf dem Wege zur Weltraumfahrt 13) Die Kosten der Weltraumfahrt In den bisherigen Fortsetzungen ist viel von dem gewalt...
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Auf dem Wege zur Weltraumfahrt 13) Die Kosten der Weltraumfahrt In den bisherigen Fortsetzungen ist viel von dem gewaltigen technischen Aufwand die Rede gewesen, der für die Verwirklichung der Raumfahrt nötig ist. Wir haben gesehen, daß man in der Theorie den Ablauf einer Weltraumreise ziemlich genau vorhersagen kann und daß auch die moderne Technik das nötige Rüstzeug für den Bau von Großraketen immer größerer Leistung und Reichweite bieten würde. Woran liegt es also, daß wir heute in der Praxis noch nicht weiter sind? In erster Linie ist es wieder einmal die leidige Geldfrage. Daß die Weltraumfahrt ein teures Unternehmen ist, läßt sich von vornherein ahnen. Aber über ihre tatsächlichen Kosten herrschen allgemein nur sehr unsichere Vorstellungen. Der deutsche Raketenforscher Dr. Eugen Sänger, einer der führenden Fachleute unserer Zeit, hat interessante Berechnungen darüber angestellt. Danach würde eine unbemannte Rakete zum Mond ungefähr so viel kosten, wie ein moderner Flugzeugträger. Die Kosten der Entwicklung der kosmischen Außenstation allein würden ein Zehntel des jährlichen Verteidigungshaushalts der USA, und eine Marsreise mit Umkreisung des Planeten nahezu die Kosten des Zweiten Weltkrieges erreichen. Alles in allem also gewaltige Summen, die kein Staat und kein Privatunternehmen nur „der Wissenschaft zuliebe“ so ohne weiteres aufbringen würde. So lange es eine wissenschaftliche Raketenforschung gibt, war die Kostenfrage immer der Hemmschuh für die Entwicklung. Lediglich für kriegerische Zweige der Raketentechnik wurden und werden beträchtliche Summen bewilligt. Es hat den Anschein, als übersteige die Förderung der reinen Weltraumfahrt die finanziellen Möglichkeiten eines jeden Staates der Erde. (Fortsetzung folgt.)
Die Welt der Kleinen Planeten Unter „Kleinen Planeten“ oder „Planetoiden“ versteht man winzige Wandelsterne, die in großer Zahl um die Sonne kreisen. Ihre Bahnen liegen im allgemeinen zwischen denen ihrer großen Brüder Mars und Jupiter, doch kennen wir auch Vertreter dieser Gattung, die bis in die inneren Bereiche des Sonnensystems hineingelangen, wie beispielsweise Ikarus, der bis in die Merkurbahn eindringt und der Sonne so nahe kommt, wie kein anderer Planet. Um solch einen Außenseiter handelt es sich auch bei dem Planetoiden, der im vorliegenden UTOPIA-Heft eine so verhängnisvolle Rolle spielt. Die Zahl der Kleinen Planeten ist außerordentlich groß. Der erste wurde im Jahre 1801 entdeckt. Heute sind bereits rund 1600 bekannt. Man findet sie mit den Hilfsmitteln der Himmelsphotographie und berechnet ihre Bahnen nach der Vermessung der photographischen Platten. Ihre tatsächliche Gesamtzahl ist noch viel größer; sie dürfte in die Zehntausende gehen. Doch nur die vier hellsten von ihnen sind groß genug, daß man ihre Durchmesser im Fernrohr bestimmen konnte. Es sind dies Ceres (Durchmesser: 770 km), Pallas (490 km), Juno (193 km) und Vesta (386 km). Über 90 Prozent aller kleinen Planeten haben Durchmesser von weniger als 120 Kilometer. Wahrscheinlich sind die Planetoiden nichts anderes als Trümmer eines einstigen großen Planeten, der im Raum zwischen Mars und Jupiter um die Sonne kreiste und vor Urzeiten einer kosmischen Katastrophe zum Opfer gefallen ist.
von Alf Tjörnsen
In einer der großen Hallen des Materialuntersuchungslabors des SA.T. * , die sich am Rande des Sperrgebiets im Süden der Forschungsstadt Orion-City erhoben, herrschte in diesen frühen Vormittagsstunden ein ohrenbetäubender Lärm. An einem fahrbaren Kran, der unterhalb der Decke auf Schienen montiert war, hing ein ausgewachsenes Stratosphärenflugzeug mit der Spitze nach oben. Mit seinen abgeschrägten Tragflügeln wirkte es wie ein riesiger toter Vogel, der am Hals aufgehängt wurde. Aber die Maschine bekam plötzlich Leben. Ein Elektromotor, außen an der Spitze angebracht, lief an und versetzte die Maschine in Schwingungen. Der ganze Rumpf zitterte heftig. Das Scheppern des vibrierenden Materials hallte häßlich in dem großen Raum wider. Auf ein Zeichen des leitenden Ingenieurs stellte der Werkmeister den Motor ab. „Prächtig, Sir“, grinste er. „Scheint ’ne feine Maschine zu sein, die XS – 470.“ *
S.A.T. = Staatliches Atom-Territorium
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William Harwell hob die Schultern. „Das kann man noch nicht sagen, Hollis. Die Kiste wird ungewöhnlichen Beanspruchungen ausgesetzt sein.“ Er überflog die Eintragungen in seinem Protokoll. „Es hilft nichts, wir müssen die Frequenz nochmals erhöhen.“ Wieder ratterte der Motor los. Das Zittern des Flugzeugrumpfes ging in ein Schütteln über und der Lärm schwoll so stark an, daß die Monteure aus allen Ecken der Halle zusammengelaufen kamen. Plötzlich ein Bersten – eine Blechplatte sauste pfeifend herab und flog zwischen die Männer, die erschrocken zur Seite sprängen. „Abschalten!“ befahl Harwell und notierte noch rasch die Versuchsdaten im Protokoll. Der zitternde Flugzeugrumpf beruhigte sich, der Höllenlärm ebbte ab. Kopfschüttelnd blickte der junge Ingenieur auf das Bruchstück des linken Tragflügels, das unter den Umstehenden bereits von Hand zu Hand ging und fachmännisch beäugt wurde. „Schätze, Sie haben ihm doch zuviel zugemutet“, meinte der Werkmeister. „Im Ernstfall wird er noch ganz andere Belastungen aushalten müssen.“ William Harwell nahm den Flügelteil an sich, steckte das Protokoll in die Tasche und verließ die Halle. Mit raschen Schritten überquerte er den kleinen Hof, der mit leeren Fässern und Verpackungsmaterial vollgestellt war, und stand gleich darauf vor dem Eingang zum Privatlaboratorium Doktor Youngs, des Leiters der Abteilung „Materialuntersuchung“ im S.A.T. Als auf sein Klopfen keine Antwort kam, drückte Williams auf die Klinke. Die Tür war nicht verschlossen. William trat ein und ließ seinen Blick durch den kleinen Raum schweifen. Immer, wenn er hier im Privatlabor seines Chefs stand, mußte er ein Gefühl des Unbehagens niederkämpfen. Der Raum war klein und nüchtern eingelichtet: weißgestrichene, zum Teil ge5
kachelte Wände, zwei große Kugellampen an der Decke, einfache Arbeitstische, mit allerlei Apparaten und Flaschen darauf, ein Panzerschrank, zwei kleinere Tischmikroskope und – in einer der Ecken – ein mächtiges Elektronenmikroskop, ein Wandbrett mit wissenschaftlicher Literatur und ein Brutofen, dessen rote Signallampe wie ein bösartiges Auge funkelte. Alles in allem eine etwas ungewöhnliche Einrichtung für ein Laboratorium für Werkstoffprüfungen. Aber William wußte, daß sein Chef ein Steckenpferd hatte – die Bakteriologie. Jede freie Stunde hockte der Gelehrte über seinen Reinkulturen, unterstützt von seiner Laborantin Sylvia Morrison. Sylvia – ein frohes Lächeln glitt über William Harwells ernste Züge: Sein Blick blieb an ihrem Arbeitsplatz haften, dem kleinen Tisch neben dem Fenster. Die Reiseschreibmaschine stand geöffnet darauf, ein leerer weißer Bogen war eingespannt. An der Wand darüber leuchteten bunte Nelken aus einer schmalen Vase. Wie eine freundliche Oase in einer Wüste kalter Sachlichkeit kam William dieses farbige Fleckchen vor … Unsanft wurde der junge Ingenieur aus seinen Betrachtungen gerissen. Die Tür zur anschließenden Dunkelkammer flog auf, und ein dürres Männchen, mit grämlichem, faltigem Gesicht, betrat mit seltsam hüpfenden Schritten den Arbeitsraum. Es steckte in einem fleckigen, vielfach zerrissenen Arbeitsmantel und hielt in der Rechten einen irisch entwickelten Mikrofilm, der noch naß war vom Wasserbade. „He – Sie da! Was haben Sie hier zu suchen?“ keifte der Gnom und kniff geblendet die Augen zusammen. „Pardon, Herr Doktor“, gab William ruhig zur Antwort, „aber ich finde die Frage etwas ungewöhnlich.“ „Ach, Sie sind es“, brummte Doktor Young ungnädig. „Sie wissen doch, daß ich um diese Zeit nicht gestört zu werden wünsche. Was haben Sie denn da, Harwell?“ William legte das Bruchstück des Tragflügels auf den Tisch 6
und schlug das Protokollbuch auf. „Legierung AM 64 entspricht nicht den Anforderungen. Der Bruch trat bereit bei …“ „Das ist doch kein Grund, mich hier von der Arbeit abzuhalten. Versuchen Sie es mit AM 66 oder 68 und kommen Sie nicht wegen jeder Lächerlichkeit angelaufen! Etwas eigenes Nachdenken, mein Lieber …“ „Verzeihung, Sir“, sagte William eisig. „Ich wußte nicht, daß es sich hier um Lächerlichkeiten handelte. Meines Wissens hält Kommodore Parker die Schwingungsversuche an der XS–470 für besonders wichtig.“ „Kommodore Parker? Pah, was versteht der schon davon! Und nun machen Sie weiter und halten Sie mich bitte nicht länger auf.“ William Harwell wollte aufbrausen. Doch da fiel sein Blick auf Sylvias Gestalt, die gerade in der Tür der Dunkelkammer erschien. Das junge Mädchen lächelte und schüttelte stumm den Kopf. William riß sich zusammen. Er nahm das Protokollbuch, murmelte einen Gruß und ging. – Aber als er abends nach Dienstschluß mit Sylvia Morrison das Werkgelände verließ, machte er seinem Herzen gewaltig Luft: „Dieser Young – hol’ ihn der Teufel! Mit seinem ewig grämlichen Getue, mit seinem widerlichen Gemecker nimmt er einem jede Freude an der Arbeit. Das S.A.T. kann mir leid tun. Solch einen Giftpilz als Abteilungsleiter einzusetzen, halte ich für eine unverzeihliche Dummheit.“ „Ich verstehe deinen Grimm, Bill“, sagte Sylvia und hängte sich lachend bei ihm ein. „Aber du schüttest das Kind mit dem Bade aus. Immerhin ist Doktor Young ein tüchtiger Wissenschaftler.“ „Er hätte bleiben sollen, wo der Pfeffer wächst, und seine albernen Bazillen züchten sollen bis an sein Lebensende“, lautete die wenig liebenswürdige Antwort. „Als Abteilungschef ist er 7
jedenfalls unfähig – das hast du heute vormittag selbst miterleben können. Und schau dir nur den Saustall bei uns im Hof an! Wenn mal ein Brand ausbricht, sehe ich schwarz.“ „Ich glaube, Bill, du siehst eher rot – nämlich dann, wenn nur der Name Young fällt.“ „Stimmt auffallend. Menschlich gesehen ist dieser Young ein ausgemachtes Ekel …“ „Menschlich gesehen ist er ein Wrack, Bill“, warf Sylvia nachdenklich ein. „Vielleicht verdient er eher unser Mitleid, als unseren Zorn. Doch komm, Bill, wir wollen uns seinetwegen nicht den schönen Abend verderben. Das ist er bestimmt nicht wert.“ Rasch hauchte William seiner schönen Begleiterin einen Kuß auf die Wange. Arm in Arm gingen sie nach dem Parkplatz hinüber, auf dem in langen Reihen die Wagen der Werksangehörigen warteten. * Nach des Tages Last und Hitze liebte es Jim Parker, zusammen mit seinem Freund Fritz Wernicke ein paar gemütliche Stunden am Kamin zu verplaudern. Er bewohnte einen behaglich eingerichteten Bungalow in einem Vorort von Orion-City, der mit seinen Vorgärten und Parkanlagen fast ländlich anmutete. Der Kommodore hatte freilich selten genug Gelegenheit, sich dieser stillen Stunden zu erfreuen. Wenn er nicht auf großer Fahrt im Weltraum war, auf der kosmischen Außenstation „Luna nova“- oder im gigantischen Mondwerk „Luna IV“, rief ihn der Dienst meist zu einer der weitverzweigten Versuchsstellen des S.A.T. Auch an diesem Abend war er gerade erst von mehrtägigen Prüfstandversuchen im Außenwerk „Texas II“ – fern im Llano estacado gelegen – zurückgekehrt. Während Jim Parker sich durch den riesigen Berg an Briefen 8
durchkämpfte, der sich in den Tagen seiner Abwesenheit angehäuft hatte, rekelte sich Fritz Wernicke, der kleine, ewig durstige Weltraumpilot, behaglich in seinem Klubsessel. Vor ihm, auf dem Tischchen, stand eine stattliche Batterie von Flaschen und Gläsern. „Prost, Jim, alte Mondrakete!“ rief er vergnügt und ließ den Whisky im Licht der Stehlampe funkeln. „Scheint ja mächtig spannend zu sein, deine geschätzte Korrespondenz. So spannend, daß du deinen besten Freund darüber ganz vergißt.“ Der Kommodore hob das Glas und lächelte. „Halb so wild, Fritz. Unglaublich, was die Leute alles von einem wissen wollen – besonders diese schrecklichen Menschen von der Presse.“ Er blätterte flüchtig weiter und warf einen Stapel Briefe ungeöffnet auf den Boden. Plötzlich stutzte er. „Von unserem Freund Douglas“, rief er erfreut und riß den Umschlag auf, der das Siegel des Observatoriums auf dem Mount Palomar trug. „Robert Douglas, der Entdecker des gleichnamigen Kometen?“ fragte Wernicke. „Riesig netter Kerl. Was will er denn von dir, Jim? Hat er etwa wieder ein neues, unheimliches Gestirn entdeckt?“ „Das will ich nicht hoffen. Doch höre, was er schreibt: … würden wir uns aufrichtig freuen, Sie, verehrter Kommodore, und Ihren Freund Wernicke wieder einmal als unsere Gäste begrüßen zu können. Wir denken viel und mit großer Dankbarkeit an Sie und hoffen auf ein baldiges Wiedersehen. Professor Johnson sagte mir heute, Sie weilten ausnahmsweise gerade auf unserer schönen, alten Erde. Hätten Sie nicht Lust zu einem kleinen Weekend-Ausflug auf den Palomar? In Erwartung Ihrer Nachricht oder – noch besser – Ihres Besuchs, grüßen Sie herzlichst Ihre Robert Douglas und Frau Betty.“ „Reizende Leute“, sagte Wernicke noch einmal gerührt und schenkte sein Glas von neuem randvoll. „Wie steht’s, Jim, haben wir schon was vor am kommenden Wochenende?“ 9
Jim Parker sog gedankenvoll an seiner „Maza Blend“. „Für Samstag war der erste Probeflug mit der XS–470 vorgesehen. Aber Doktor Young rief vorhin an und erklärte mit dürren Worten, die Materialprüfung wäre noch nicht abgeschlossen.“ „Das Übliche. Ekelhafter Kerl übrigens, dieser Doktor Young.“ Fritz Wernicke schüttelte sich und kippte das Glas mit einem Zug hinunter. „Fanatischer Abstinenzler und Tabak- und Weiberfeind.“ „Also gut, Fritz, wir fahren. Freue mich auch darauf, den guten Douglas und seine scharmante kleine Frau einmal wiederzusehen.“ Der Kommodore ging zum Tischtelephon und meldete ein Ferngespräch nach dem Mount Palomar an. * Es war ein reizender Abend, den Jim Parker und Fritz Wernicke in dem netten kleinen Heim verbrachten, das der Astronom Robert Douglas mit seiner jungen Frau auf dem Gelände des Observatoriums bewohnte. Und immer wieder kehrte das Gespräch zu den aufregenden Abenteuern zurück, die man vor längerer Zeit gemeinsam zu bestehen hatte – damals, als der Komet Douglas furchterweckend am Firmament erschien.* „Sie haben schlechtes Wetter mitgebracht, meine Herren“, sagt Douglas bedauernd und deutete mit einer Kopfbewegung nach dem großen Fenster, gegen dessen Scheiben der Regen trommelte. „Mit dem Beobachten ist es heute nichts.“ Der kleine Wernicke machte ein enttäuschtes Gesicht. „Sehr betrüblich, Mister Douglas. Ihre schöne Wissenschaft ist nun schon Jahrtausende alt und doch steckt sie heute noch in den Kinderschuhen. Es braucht nur mal schlechtes Wetter zu sein, und schon können Sie überhaupt nichts mehr machen. Selbst mit den dicksten Fernrohren können Sie nicht feststellen, was 10
hinter den Wolken los ist. Und wenn inzwischen alle Sterne vom Himmel fallen wurden – Sie säßen hier und ahnten nichts davon.“ „Nun, nun“, lächelte der Astronom belustigt, „ganz so hilflos, wie Sie denken, sind wir schließlich doch nicht. Mit den Methoden der Radar- und Radioastronomie können wir sogar die dichtesten Wolken durchdringen.“ „Und schließlich brauchen Sie nur zur Außenstation zu fahren“, fiel der Kommodore ein. „Dort oben haben Sie ewig klaren Himmel. Wie wär’s, Douglas, wollen Sie uns nicht wieder mal auf ‚Luna nova’ besuchen?“ „Um Gottes willen!“ rief Frau Betty entsetzt. „Nie wieder werde ich Robert zur Außenstation fliegen lassen. Wenn ich daran denke, wie viel Angst ich damals um ihn ausstehen mußte …“ Alles lachte. Robert Douglas stand auf und wandte sich an seine Gäste. „Übrigens, Gentlemen, wenn es Sie interessiert, will ich Ihnen gern einmal meine letzten Himmelsaufnahmen zeigen.“ Bald danach saßen sie in einem Meßraum des Observatoriums vor dem Stereokomparator. Douglas hatte eine großformatige Platte auf den Meßtisch gelegt. Interessiert blickte Jim Parker in das sinnverwirrende Gewimmel von schwarzen Punkten, deren jeder das Bild eines fernen Fixsterns war. „Was ist denn das für ein dunkler Strich, der sich da deutlich vom Hintergrund abhebt?“ fragte er und trat zurück. „Offenbar ein Plattenfehler“, meinte Fritz Wernicke sachverständig. „Aber nein, Mister Wernicke“, lächelte der Astronom. „Dieser Strich ist nichts anderes als die Lichtspur eines sogenannten Planetoiden, eines kleinen Planeten, wie sie zu Tausenden ihre Bahnen um die Sonne ziehen. Alljährlich werden verschiedene von diesen winzigen Wandelsternen neu entdeckt.“ „Und diese Entdeckung hier – stammt sie von Ihnen, Mister Douglas?“ 11
„So ist es. Es war natürlich reiner Zufall“, versicherte der junge Astronom bescheiden. „Das macht nichts. Die meisten großen Entdeckungen gelingen rein zufällig“, meinte Jim Parker. „Wird der neue Planetoid nun Ihren Namen erhalten?“ „Nein, diese Namengebung ist nur bei Kometen üblich. Kleine Planeten erhalten nur dann einen Eigennamen, wenn sie besonders hell sind oder eine besonders interessante Bahn haben.“ „Und dieser hier? Hat er irgendwelche besonderen Kennzeichen?“ Robert Douglas zuckte die Achseln. „Das kann erst die genaue Bahnrechnung zeigen. Aber es ist kaum zu erwarten. Einstweilen heißt der Planetoid ganz schlicht und einfach ‚Nr. 3312’.“ * Ted S. Cunningham, der Generaldirektor des Staatlichen AtomTerritoriums, war ein vielbeschäftigter Mann, der eigentlich jahraus, jahrein kein Privatleben kannte. Doch seit einiger Zeit pflegte er an Samstagnachmittagen seine Abteilungsleiter zum Fünfuhrtee in seine Privatwohnung in der vornehmen UraniaAllee zu laden. „Man sollte nicht nur dienstlich miteinander verkehren, sondern sich auch menschlich näherkommen“, halte er seinem Privatsekretär Shilling erklärt, der sich über diese Neuerung erstaunt zeigte. Aber trotz dieser schönen Absicht ging es meist ziemlich steif zu, und es wurde an allen Ecken und Enden gefachsimpelt. „Wollte Kommodore Parker nicht heute die XS–470 einfliegen?“ erkundigte sich der Chef der Aerodynamischen Hauptabteilung. „Er wollte wohl“, entgegnete Harrison, der Leiter der Trieb12
werksabteilung. „Aber die Materialprüfer sind wieder einmal nicht fertig geworden.“ Sein Blick streifte boshaft die dürre Gestalt Doktor Youngs, den er nicht verknusen konnte. Der Hieb saß. „Das liegt nicht an uns“, zischte Doktor Young wütend. „Was kann ich dafür, wenn man mir Schund und Pfuschwerk liefert?“ „Aber, aber“, versuchte Cunningham den Aufgebrachten zu besänftigen, „nehmen Sie’s doch nicht gleich so tragisch. Niemand wird Ihnen im Ernst einen Vorwurf machen. Verehrtester. Hier – trinken Sie einen mit?“ Er nahm zwei Likörgläser von dem silbernen Tablett, das der Diener herumreichte, und wollte seinem Mitarbeiter eins davon geben. Entsetzt fuhr Doktor Young zurück. „Pfui Teufel! Ich trinke nie Alkohol, Sir!“ „Soll aber ein gutes Gegengift gegen Bazillen sein“, bemerkte Harrison anzüglich. „Einmal Apfelsaft für Doktor Young“, befahl Cunningham gutmütig und trat zu einer anderen Gruppe seiner Gäste. Der Apfelsaft kam. Vorsichtig nahm Doktor Young das Glas mit spitzen Fingern, schnupperte mißtrauisch daran und nahm einen kleinen Schluck. Doch da schienen ihm die Augen aus dem Kopf zu quellen. Pustend spie er den lieblichen Trank auf den Boden. „Prost!“ rief jemand in das entstandene Schweigen hinein. „Da ist Alkohol drin!“ brüllte der Doktor zornrot und schüttelte das Glas drohend vor der Nase des entsetzten Dieners. „Da ist Alkohol drin, Sie elender Betrüger!“ „Verzeihung, Sir“, stammelte der Diener verständnislos. „Es ist wirklich nur reiner Apfelsaft …“ Cunningham nahm das Glas und probierte. „Unsinn, Doc! Woher wollen Sie wissen, daß es Alkohol ist? Haben Sie überhaupt schon mal Alkohol getrunken?“ „Ich denke gar nicht dran“, tobte Doktor Young. „Schließlich 13
will ich mich doch nicht vergiften. Ich lehne es grundsätzlich ab, ein durch Gärung entstandenes Erzeugnis zu genießen.“ „Da haben Sie sich entschieden viel entgehen lassen“, meinte Harrison. In diesem Augenblick betrat Bully den Salon. Bully war Ted S. Cunninghams Hund – ein Mops reinster Rasse. Boshafte Menschen beteuerten, der kleine dicke Hund mit dem unwirschen Gesichtsausdruck sehe seinem gewichtigen Herrn verblüffend ähnlich. Mit grämlicher Miene, doch freundlich wedelndem Ringelschwänzchen, begrüßte Bully seinen Herrn und konzentrierte dann seine Aufmerksamkeit auf den noch immer zornigen Doktor Abel Young. „Ist er nicht nett?“ fragte Cunningham und gab seinem vierbeinigen Freund einen freundschaftlichen Klaps auf das dicke Hinterteil. „Welch ein Leichtsinn!“ rief Doktor Young erregt und zog sich unter dem Gelächter der Gäste in die äußerste Ecke des Zimmers zurück. „Wenn er Sie nun beißt? Haben Sie noch nichts von der Tollwut gehört? Eine entsetzliche Infektionskrankheit, Gentlemen. Ich verstehe nicht, warum die Regierung nicht alle Hunde erschießen läßt.“ Der ängstliche Alkohol- und Hundefeind kam nicht mehr dazu, seine seltsame Forderung zu begründen. Etwas anderes nahm die Aufmerksamkeit der Anwesenden gefangen und ließ sie an die Fenster eilen. Durch die Urania-Allee rasten mit roten Blinkzeichen und heulenden Sirenen Fahrzeuge heran. Zwei, vier, sechs – Feuerwehrfahrzeuge, in halsbrecherischer Geschwindigkeit, den Außenbezirken der Stadt zu – dort, wo die Laboratorien des S.A.T. lagen. „Zwei Löschzüge“, konstatierte der Generaldirektor und ging, nichts Gutes ahnend, zum Telephon, um die Zentrale anzurufen. 14
Drei Minuten später war er wieder im Empfangssalon. „Es brennt bei Ihnen, Doc“, sagte er zu Doktor Young. „Wie ist das möglich? Wird denn heute nachmittag in Ihrem Labor gearbeitet?“ „Mein Labor? Meine Kulturen! Damned – ich muß hin!“ schrie der Doktor mit überschnappender Fistelstimme. Mit einem Riesensatz hastete er zur Tür. „Hallo, wohin denn?“ rief Cunningham ihm nach. „So warten Sie doch, Menschenskind, Sie können doch in meinem Wagen mitfahren.“ Aber sein Zuruf erreichte den verstörten Doktor schon nicht mehr. Mit flatternden Rockschößen sah man ihn in komischen hüpfenden Sätzen über den Rasen des Vorgartens hetzen und in der Allee verschwinden – den Feuerwehrfahrzeugen nach … * Doktor Felton, der Branddirektor der Forschungsstadt OrionCity, fluchte nicht schlecht, als er etwas später an der Brandstelle eintraf und im Hof des Laboratoriums für Materialuntersuchungen ein wüstes Tohuwabohu vorfand. Verzweifelt hatten seine Männer versucht, sich durch die unordentlich aufgetürmten Berge von Kisten, Papierballen und alten Fässern, die in hellen Flammen standen, einen Weg zum eigentlichen Brandherd zu bahnen. Das brennende Gerümpel machte alle Bemühungen zunichte. Mit drei Schlauchleitungen rückte man schließlich schrittweise vor. Indessen pumpten die Motorspritzen mit vollen Touren weitere Wassermassen zu den Dächern der angrenzenden Hallen hinauf, um ein Übergreifen der Flammen zu verhindern. Ein schnittiger zweisitziger Sportwagen durchbrach die Absperrung der Polizei und hielt mit kreischenden Bremsen. Wil15
liam Harwell sprang heraus und stürzte durch das weitgeöffnete Tor in den Hof. „He, junger Mann!“ brüllte der Branddirektor und packte William am Arm. „Sind Sie der Boß von diesem Saftladen? Schöner Misthaufen, den Sie hier aufgebaut haben. Feuerpolizeiliche Vorschriften sind hier wohl unbekannt, was?“ „Verzeihung – Harwell, Erster Assistent der Abteilung Materialuntersuchung“, stellte sich William verdattert vor. „Nett von Ihnen“, knurrte Doktor Felton. „Erzählen Sie mir lieber mal, was sich da hinten, hinter dieser Altwarensammlung, befindet?“ „Da hinten? Da liegt das Privatlabor des Abteilungsleiters.“ Ein furchtbarer Schreck durchzuckte den jungen Mann. Sylvia – hatte sie ihm nicht gesagt, daß sie an diesem Nachmittag Überstunden machen müßte – eine dringende Arbeit für den Chef … „Herr Branddirektor – dort drinnen – Menschenleben in Gefahr!“ „Verdammt, auch das noch!“ Doktor Felton knirschte mit den Zähnen. „Wie sollen wir nur dahin kommen?“ „Vielleicht von der Rückseite her …“ „Von der Rückseite kommen wir nicht ran“, mischte sich einer der Löschzugführer ein. „Dort liegt der Schrott turmhoch.“ William Harwell wußte Bescheid. Hinter dem Privatlabor Doktor Youngs lag ein unbebauter Platz, auf dem zerbrochene Werkstücke und Metallabfälle aller Art abgelagert wurden. Das geschah schon so lange, wie Doktor Young die Leitung des Materialprüfungslabors innehatte. Der Platz bot einen wüsten Anblick, und wiederholt hatte William vorgeschlagen, den Schrott abfahren zu lassen. Der Chef hatte abgewinkt; derartige lächerliche „Schönheitsfehler“ interessierten ihn nicht. Und nun war es zu spät. Zu spät? Irgendwo dort hinten – jenseits der prasselnden Flammen und des stinkenden Qualms – mußte Sylvia in höch16
ster Lebensgefahr sein, mußten ihre Hilferufe ungehört im Lärm der Feuersbrunst verhallen. Sylvia … Wie aus weiter Ferne vernahm Williams die Stimme des Branddirektors: „… nur die einzige Möglichkeit, mit Schutzanzügen zum Brandherd vorzudringen. Aber das hieße, das Leben der Männer aufs Spiel setzen.“ „Lassen Sie mich gehen, Sir. Ich will – ich muß es versuchen!“ William rief es, ohne einen Augenblick zu überlegen. Der Branddirektor blickte ihn prüfend an. Dann wandte er sich an den Führer des Gerätewagens, der eben mit einem dritten Löschzug vorgefahren war. „Hendrik, drei schwere Schutzanzüge klar! Dieser junge Mann will unbedingt in die Hölle da eindringen und sich die Rettungsmedaille verdienen. Schicken Sie zwei Freiwillige zu seiner Unterstützung mit nach vorn!“ Wenige Minuten später stapften drei plumpe, von den Köpfen bis zu den Füßen in Gummianzüge gekleidete Gestalten wie phantastische Roboter in das tosende Feuer hinein. Wasser sprühte zischend und verdampfend aus den Berieselungsdüsen ihrer Helme, Wasserstrahlen spritzten aus den Strahlrohren, die ihre asbestbehandschuhten Fäuste umkrampften. In wallenden Dampfwolken entschwanden die mutigen Retter den Blicken ihrer Kameraden. William fühlte sich eingehüllt in einen Wirrwarr unbekannter und unheimlicher Geräusche. Das Knattern und Prasseln der Flammen, das Zischen des Wassers, das Pfeifen des Sauerstoffventils in seinem Schutzhelm verwirrten ihn. Doch er dachte an Sylvia und riß sich immer wieder zusammen. Er mußte sie retten – mußte weiter, weiter … Verbissen kämpften sich die drei Männer vorwärts durch die brodelnde Glut. Und sie kamen ans Ziel. Plötzlich standen sie am Rande eines kleinen, freien Platzes, dessen Boden nur vereinzelt von schwelenden Trümmern bedeckt war. In zehn Meter Entfernung erhob sich das einstöckige Gebäude des Privatla17
bors. Der Dachstuhl stand in Flammen, aus der offenen Tür und den zersprungenen Fenstern quoll schwärzlicher Rauch in zähen Schwaden. So schnell es ihm der schwerfällige Anzug und der pralle Wasserschlauch erlaubten, stapfte William, gefolgt von den beiden Feuerwehrmännern, über den Vorplatz und verschwand im Innern des Labors. Der Brand hatte auch hier gewütet, doch schien er außer den wenigen Möbelstücken und einigen brennbaren Chemikalien keine Nahrung gefunden zu haben. Die gekachelten Wände waren geschwärzt, die Apparate lagen zertrümmert auf dem Boden herum. Nur in einer Ecke flackerte und qualmte es noch. Zweifellos hatte sich das Feuer durch den Aufzugsschacht nach oben hin ausgedehnt und war vom Dachgeschoß auf die Kisten und Fässer übergesprungen, die im Hofraum aufgestapelt lagen. William riß die Sichtscheibe seines Helms auf und suchte fieberhaft. Von Sylvia Morrison keine Spur. Sollte sie – auf der Suche nach einem rettenden Ausweg – in den brennenden Hof hinausgestürzt sein? Wieder durchfuhr ihn ein eisiger Schreck. Doch nein, das war kaum anzunehmen, und … Halt – da drüben – die Tür zur Dunkelkammer! In der kleinen Kammer herrschte tiefste Finsternis. Der Lichtschalter knackte. Vergeblich – der Strom war unterbrochen. Doch einer von den beiden Feuerwehrmännern hakte eine Taschenlampe von seinem Gurt los und ließ den grellen Lichtstrahl über den Arbeitstisch, die Regale an den Wänden und den Fußboden wandern. „Sylvia!“ Erschrocken beugte sich William über die junge Laborantin, die in tiefer Bewußtlosigkeit auf dem Boden lag. Eine flüchtige Untersuchung ergab, daß sie – abgesehen von einer kleinen Kopfwunde – unverletzt war. Aber man durfte sich hier nicht länger aufhalten. Sie mußten zurück durch die tobende Flammen18
hölle da draußen. William schloß den Helm und nahm Sylvia leicht auf die Arme. Entschlossen eilten die drei Männer dem Ausgang zu. Draußen hatte sich das Bild inzwischen geändert. Es war Doktor Felton gelungen, einen Turmwagen modernster Bauart im Innern des Hofes zu postieren. Aus den Strahlrohren seiner Spritze prasselten unglaubliche Wassermassen in die lodernde Feuersbrunst herab. Das ganze Gelände war im Augenblick in riesige Dampfwolken gehüllt. Das Feuer war bereits eingedämmt, als ein dürres Männchen atemlos auf der Brandstelle erschien und – wild mit den Armen fuchtelnd – hin und her sprang. „He, Sie komischer Grashüpfer, was soll dieser alberne Veitstanz?“ herrschte Doktor Felton den Ankömmling an und schüttelte ihn am Arm. „Was haben Sie hier zu suchen?“ In diesem Augenblick tauchte William Harwell auf. Er trug noch immer den unförmigen Schutzanzug und hatte nur den Helm abgesetzt. Sein Gesicht trug den Ausdruck größter Erschöpfung. „Das ist Doktor Young, der Abteilungsleiter, Sir“, stellte er seinen Chef vor. „Aha“, knurrte der Branddirektor grimmig. „Sie sind also für diesen Schweinestall hier verantwortlich? Na, mein Lieber, mit Ihnen werde ich mal ganz abscheulich Schlitten fahren.“ „Lassen Sie mich los!“ kreischte Doktor Young. „Meine Reinkulturen – ich muß in mein Labor!“ Er riß sich los und stolperte in die rauchenden Trümmer hinein – William ihm nach. Als der kleine Abteilungsleiter im Eingang zu seinem ausgebrannten Privatlabor ankam, mußte er sich am Türrahmen festhalten. Dann torkelte er zu dem mächtigen Panzerschrank hinüber und tastete mit fliegenden Händen nach dem Griff. Doch der war in der Hitze des Brandes abgeschmolzen. „Wir fanden Miß Morrison mit einer Kopfwunde und schwe19
rer Rauchvergiftung in der Dunkelkammer“, erklärte William. „Sie ist bereits mit dem Unfallwagen in die Südklinik geschafft worden.“ Doktor Young schien nicht verstanden zu haben. „Miß Morrison? Unwichtig – lassen Sie das jetzt. Und schaffen Sie schleunigst einen Geldschrankspezialisten heran! Meine Reinkulturen! Ich muß wissen, was aus ihnen geworden ist. Schnell, Mann, so laufen Sie doch!“ Kopfschüttelnd machte sich Harwell auf den Weg. * Ted S. Cunningham saß im Morgenrock auf der Veranda seines Hauses und gab sich mit wahrer Inbrunst dem Genuß des opulenten Frühstücks hin, unter dessen Last sich die Tischplatte zu biegen schien. Es war Sonntag und der dicke Atomboß glaubte, sich seiner Lieblingsbeschäftigung noch weit ausgiebiger widmen zu können, als er es an gewöhnlichen Arbeitstagen zu tun pflegte. Aber er sollte sich getäuscht haben. Ein Klopfen, ein diskretes Räuspern – Shilling, sein Privatsekretär, stand in der Tür. „Morning, Sir. Verzeihen Sie die Störung, aber Branddirektor Doktor Felton ist da …“ „Hat das nicht bis morgen Zeit?“ brummte Cunningham ärgerlich. Der Sekretär hob die Schultern. „Es handelt sich um den Brand im Materialprüfungslabor. Die Sache wird wohl noch ein Nachspiel haben. Doktor Felton hat Oberstleutnant Mortimer vom Sicherheitsdienst mitgebracht.“ „Mortimer! Nanu – also meinetwegen. Führen Sie die Herren in die Bibliothek!“ Eine Viertelstunde später saßen sich die vier Männer in der behaglichen, geschmackvoll eingerichteten Bibliothek des Ge20
neraldirektors gegenüber. Doktor Felton schloß seinen Grimmbericht: „Bin in all meinen Dienstjahren nie so viel sträflichem Leichtsinn begegnet, wie in dieser Bude, Gentlemen. Hätte dieser junge Mann, der Harwell, nicht im letzten Moment sein Leben eingesetzt – wer weiß, ob Miß Morrison mit dem Leben davongekommen wäre.“ „Schon gut“, winkte Cunningham ungeduldig ab. „Werde mir den Doktor Young mal gewaltig vorknöpfen. Werde dafür sorgen, daß so was nicht noch mal passiert. Doch nun zu Ihnen, Mortimer. Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs?“ „Der Brand im Materialprüfungslager“, erwiderte der lange Chef des Sicherheitsdienstes und hüllte sich in eine stinkende Wolke aus seiner mit Recht so gefürchteten Zigarette, Marke „Eigenbau“. „Wieso?“ fragte Cunningham unwirsch und unterdrückte einen Hustenanfall. „Was haben denn Sie damit zu tun?“ „Sorry, Sir“, sagte Mortimer gleichmütig, „aber die Feuerwehrmänner fanden dieses hier vor dem Panzerschrank des Abteilungsleiters. Und das hat mich veranlaßt, der kleinen Miß Morrison ein wenig auf den Zahn zu fühlen, sobald sie wieder vernehmungsfähig war.“ Der Atomboß nahm aus der Hand seines Sicherheitshäuptlings einen metallenen Gegenstand entgegen, der sich auf den ersten Blick als die Düse eines Schneidbrenners entpuppte. „Thunderstorm! Und Sie meinen …?“ „Es war kein Zweifel möglich. Wir fanden übrigens deutliche Spuren in der Wand des Tresors. Grund genug, um der vermutlich einzigen Augenzeugin einen kleinen Höflichkeitsbesuch in der Klinik abzustatten. Ich fand sie noch ein wenig mitgenommen, sonst aber ganz vergnügt, vor. Mister Harwell war auch erschienen – mit einem mächtigen Blumenstrauß.“ „Wackerer Bursche“, nickte der Feuerwehrchef anerkennend. 21
„Und weiter?“ drängte Cunningham. „Viel war es nicht, woran sie sich erinnerte. Aber immerhin … Miß Morrison war in der Dunkelkammer mit dem Entwickeln von Mikroaufnahmen beschäftigt gewesen. Als sie herauskam, sah sie sich plötzlich zwei maskierten Männern gegenüber, die dem Panzerschrank Doktor Youngs mit dem Schneidbrenner zuleibe gingen.“ „Natürlich fiel sie prompt in Ohmacht?“ „Mitnichten, Sir! Sie machte kehrt und stürzte zur Alarmklingel. Aber irgendein harter Gegenstand traf sie am Kopf, so daß ihr die Sinne schwanden. In der ersten Überraschung muß den beiden Ganoven ein Malheur mit dem Brenner passiert sein, denn im Hinfallen sah Miß Morrison noch, wie die Kiste mit Holzwolle neben dem Tresor, in der eine große Flasche mit absolutem Alkohol stand, Feuer fing. Die Einbrecher flüchteten Hals über Kopf. Miß Morrison muß es mit letzter Kraft gelungen sein, in die angrenzende Dunkelkammer zurückzukriechen und die Stahltür zuzuziehen.“ „Das war ihre Rettung. Haben Sie sonst irgendwelche Spuren gefunden, Mortimer?“ „Nicht die geringsten. Auch über das Motiv bin ich mir noch nicht im klaren. Daß die Kerle keine Banknoten gesucht haben, liegt auf der Hand. Aber was denn sonst? Werden bei der Abteilung Materialuntersuchung so wichtige Protokolle aufbewahrt, daß sie für irgendeine Konkurrenzfirma von Wert sein könnten?“ „Unsinn!“ knurrte Cunningham und schleuderte die halbgerauchte Havanna in den Ascher. Er stand auf und ging mit schweren Schritten durch den Raum. „Alle wirklich wichtigen Messungsergebnisse werden stets umgehend in den Panzerstollen im Hauptverwaltungsgebäude gebracht. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen …“ „Vielleicht galt der Anschlag den privaten Forschungsergebnissen Doktor Youngs“, wandte Shilling vorsichtig ein. 22
Der Generaldirektor und sein Sicherheitschef sahen sich betroffen an. „Sie meinen diesen ekelhaften Bazillenzirkus?“, fragte Cunningham. „Eine schauderhafte Art, seine Freizeit zu gestalten. Der Kerl wird uns eines Tages noch die Pest an den Hals zaubern!“ „Bazillen?“ fragte Mortimer verständnislos. „Ach so, das wissen Sie noch gar nicht? Dieser Young benutzt jede freie Minute, um irgendwelche komischen Bakterien zu züchten. Unheimliche Sache, sage ich Ihnen.“ „So so“ – der Sicherheitschef nickte gedankenvoll. „Das wäre immerhin eine Möglichkeit. Werde mir diese ‚Geflügelzüchterei’ mal unter die Lupe nehmen.“ „Da gehen Sie nur nicht zu nahe ran“, rief Cunningham und schüttelte sich. „Keine Sorge, Sir. Ich bin von Natur viel zu ängstlich“, grinste Mortimer. „Schätze übrigens, die Attentäter werden es nicht bei einem mißglückten Versuch bleiben lassen. Wenn Sie nichts dagegen haben, Sir, schicken wir diesen Weihnachtsmann von Laboratoriumswächter für ein paar Wochen auf Erholungsurlaub und postieren an seine Stelle ein paar tüchtige Männer vom Sicherheitsdienst.“ „Genehmigt, Mortimer. Sehen Sie nur zu, daß Sie bald Licht in diese merkwürdige Geschichte bringen. So long, Gentlemen!“ * Als Robert Douglas den Arbeitsraum seines Chefs, Professor Johnson, im Mount Palomar-Observatorium betrat, erhob sich der Gelehrte hinter seinem mächtigen Schreibtisch und reichte seinem Assistenten lächelnd die Hand. „Ich habe Sie rufen lassen, Mister Douglas, um mit Ihnen über Ihre Neuentdeckung, den Planetoiden 3312, zu sprechen.“ 23
Douglas richtete sich überrascht in seinem Sessel auf. „Ist es ein Außenseiter, Sir?“ „Nach der bisher vorliegenden, noch etwas rohen Bahnbestimmung, verspricht er, sehr interessant zu werden. Unsere Rechner haben mir vorhin die Bahnelemente durchgegeben, und ich habe eine kleine Skizze angefertigt. Sehen Sie her: Die ausgezogene Kurve entspricht dem bisher beobachteten Bahnstück, die punktierte deutet den weiteren Verlauf an.“ Interessiert beugte sich Douglas über die Zeichnung. „Tatsächlich – ein merkwürdiger Himmelskörper! Er erreicht also in Sonnenferne fast die Bahn des Jupiter …“ „Jawohl. Und in Sonnennähe dringt er bis tief innerhalb der Merkurbahn ein und kommt der Sonne noch näher als sein Artgenosse Ikarus …“ „… wobei er die Erdbahn schneidet und in nächster Nähe an uns vorübergondeln wird“, unterbrach Douglas aufgeregt. „Allerdings“, bestätigte Professor Johnson sachlich. „Wir wollen die vorläufigen Ephemeriden sofort an die Astronomische Zentralstelle durchgeben. Vielleicht gelingen weitere Beobachtungen, die eine noch genauere Bahnrechnung ermöglichen. Und im übrigen …“ – der Gelehrte hielt lächelnd inne. „Im übrigen, Sir?“ „… pflegt es üblich zu sein, solchen Außenseitern unter den Kleinen Planeten einen Eigennamen zu geben – in diesem Fall einen männlichen, wie Sie wissen.“ „Gewiß, Sir“, lächelte Douglas errötend. „Sie sind der Entdecker“, erklärte Professor Johnson. „Machen Sie einen Vorschlag.“ Robert Douglas überlegte. „Der Planetoid wird der Sonne sehr nahe kommen“, begann er nachdenklich, „so nahe, daß er in Sonnennähe selbstleuchtend werden wird. Ich schlage vor, wir nennen ihn Luzifer, den ‚Lichtbringer’ …“ „Oder auch den ‚Teufel’. Ein etwas doppelsinniger Name, 24
nicht wahr? Nun, hoffen wir, daß er nicht so schlecht ist, wie sein Ruf.“ * Im Großen Windkanal von Orion-City lief an diesem Montagmorgen eine neue Versuchsreihe an. Die Serie neuartiger Raketenflugzeuge für höchste Geschwindigkeiten, die mit dem Typ XS–470 begonnen wurde, sollte zunächst im Modellversuch eingehend erprobt werden. Doktor Ferguson, der Leiter der Aerodynamischen Hauptabteilung, betrat in Begleitung von Parker und Wernicke die langgestreckte, niedrige Halle, welche die Versuchsstrecke barg. Der Kanal mündete an einem Ende in eine Kugel, die wie der Behälter eines riesengroßen Wasserturms wirkte. Doch sie enthielt kein Wasser, sondern ganz einfach – nichts! Denn sie war mit großer Sorgfalt luftleer gepumpt worden. Aus einer Schachtel, die mit Watte ausgekleidet war, nahm der Kommodore drei kleine Flugzeugmodelle und reichte sie dem Abteilungsleiter. Der befestigte das erste sorgfältig im Beobachtungsraum des Windkanals, schloß die Scheiben und gab seinem Assistenten das Zeichen zum Beginn. Ein schrilles Klingelzeichen ertönte. Rotes Warnlicht flackerte über der Tür. Vor den Fenstern schoben sich die Verdunkelungsvorhänge herab. Der grelle Lichtkegel eines Scheinwerfers bohrte sich in die Scheibe des Beobachtungsfensters und entwarf auf der Projektionswand im Hintergrund ein scharfes Schattenbild des Versuchskörpers. „Modell XS–471“, verkündete Doktor Ferguson. „Erster Versuch – wir gehen auf fünffache Schallgeschwindigkeit. Achtung – los!“ Ein Pfeifen – ein Heulen – ein Brausen dröhnte durch die Halle. Durch die Enge des Kanals stürzte sich die Luft in die 25
mächtige Vakuumkugel hinein – mit der fünffachen Geschwindigkeit des Schalls … Auf dem Projektionsschirm ging ein leichtes Beben durch den Schatten des Flugmodells. Hinter dem Heck wirbelte es wie toll. „Sehen Sie nur diese Schlieren, Gentlemen!“ rief Doktor Ferguson durch das Brausen. „Reichlich viel Wirbelbildung“, schrie Jim Parker zurück. „Bin auf die Resultate gespannt.“ „Versuch beendet!“ Das Brausen klang in einem langgezogenen Heulen aus. Doktor Ferguson schickte sich an, zu seinem Assistenten hinüberzugehen, um die Messungsergebnisse zu vergleichen. „Wollte nicht Doktor Young auch an den Versuchen teilnehmen?“ fragte Jim Parker und sah sich suchend um. „Er ließ sich entschuldigen“, rief Ferguson über die Schulter zurück. „Hatte vorgestern ein Schadenfeuer in seinem Institut und hat nun andere Sorgen. Sein Mitarbeiter, Mister Harwell, vertritt ihn hier.“ Aus dem Kreis der Umstehenden löste sich die schlanke Gestalt Williams. Mit einer höflichen Verbeugung stellte er sich dem Kommodore und Fritz Wernicke vor. „Habe von Ihnen gehört, mein Freund“, sagte der kleine Steuermann gönnerhaft, „Übrigens, Mister Ferguson, verdammt heiß heute. Gibt es denn nichts zu trinken in Ihrem hochfeudalen Etablissement?“ „Sie hatten einen Brand in Ihrem Institut?“ erkundigte sich Jim Parker besorgt. „Hoffentlich wirkt sich das nicht auf die Versuche mit der XS–470 aus.“ „Die Halle für Schwingungsversuche ist nicht beschädigt, Sir. Aber wir hatten bisher kein Glück bei unserer Erprobung. Die Legierungen AM 64 bis 68 haben enttäuscht.“ „Dachte es mir schon“, nickte Jim Parker nachdenklich. „Ich 26
hatte seinerzeit bei der Vorbesprechung angeregt, die neue Serie auf ganz anderer Werkstoffbasis aufzubauen, aber Ihr verehrungswürdiger Chef wollte nichts davon wissen.“ William lächelte „Doktor Young ist nicht sehr für solche Neuerungen. Aber ich werde ein Paar Tragflügel aus MZ 14 anfertigen lassen und die Schwingungsversuche wiederholen – auf eigene Verantwortung.“ „Tun Sie das, Harwell.“ Der Kommodore betrachtete William aufmerksam. Der junge Mann mit dem frischen, aufgeschlossenen Gesicht gefiel ihm. „Und wenn Sie Schwierigkeiten bekommen sollten, berufen Sie sich getrost auf mich.“ Wieder schrillte die Alarmklingel. „Zweiter Versuch!“ verkündete Doktor Ferguson. * In seinem notdürftig instandgesetzten Privatlabor hockte Doktor Abel Young in verbissenem Schweigen vor dem Mikroskop. Sylvia Morrison war am Brutofen beschäftigt und regulierte vorsichtig die Temperatur. „Es taugt alles nichts“, zischte der Gelehrte wütend und sprang auf. Mit kurzen Schritten trippelte er auf und ab, zornig gestikulierend und abgerissene Worte ausstoßend. Er hatte die Anwesenheit der Laborantin ganz vergessen. „Die Sache hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn es gelingt, ganz neue, unbekannte Stämme zu züchten – Bakterien, die es auf der ganzen Erde noch nicht gibt, gegen die es aus diesem Grunde auch kein Gegenmittel geben kann. Aber – woher nehmen?“ Sylvia, der es bei dem unheimlichen Geflüster ihres Chefs eiskalt über den Rücken lief, verhielt sich mäuschenstill. Was waren es für unverständliche Ziele, die der Doktor mit seinen Arbeiten verfolgte? 27
Der kleine Abteilungsleiter setzte seinen Spaziergang schweigend fort. Plötzlich blieb er stehen und atmete tief. „Der Weltraum – daß ich daran nicht früher gedacht habe! Bakterien von Venus … Das könnte die Lösung sein!“ Das Selbstgespräch fand ein plötzliches Ende. Es klopfte, und William Harwell trat ein, Triumph in den Augen. „Legierung MZ 14 entspricht den Ansprüchen, Sir. Die neuen Tragflügel haben standgehalten. Kommodore Parker scheint doch mehr von der Sache zu verstehen, als Sie – ähem – angenommen haben.“ * Das neue Raketenflugzeug XS-470 hing im Versuchsturm des Prüfstands XVI. Gerade ging der erste Brennversuch zu Ende. Das Brausen der Heckdüse erstarb – ein paar knatternde Explosionen noch – dann Stille. Ein Schleier aus unverbranntem Treibstoff stäubte violett aus der Düse und wehte mit einem Windstoß davon. Gespannt gingen Parker und Wernicke in den Meßraum des Beobachtungsbunkers und stürzten sich mit den Technikern auf die Oszillogramme, die mit peinlicher Genauigkeit den ganzen Ablauf des Versuchs und alle erdenklichen Meßresultate wiedergaben. „Hallo, Gentlemen, ist der Kommodore bei euch?“ Durch den Eingang zwängte sich die massige Gestalt Generaldirektor Cunninghams. Ehrerbietig machte alles dem Gewaltigen Platz. „Hallo. Boß!“ Jim Parker schritt auf Cunningham zu. „Womit kann ich dienen?“ „Habe Sie im ganzen Werk suchen lassen“, brummte der Generaldirektor gekränkt. „Kommen Sie und machen Sie sich reisefertig – Sie und Wernicke. Es eilt. Alles Weitere später. Good bye, Gentlemen!“ 28
„Um es kurz zu machen“, sagte Cunningham, als sie sich kurz danach in seinem Arbeitsraum im Hauptverwaltungsgebäude gegenübersaßen, „es handelt sich um den nächsten Siedlertransport zur Venus. Sie müssen mit Wernicke zur Außenstation fliegen, um die Leute in die Planetenschiffe umzuladen und sie auf den Weg zu bringen. Ich habe im Augenblick außer euch beiden niemand, der das machen könnte.“ „Paßt mir verdammt schlecht, Boß. Ausgerechnet jetzt, wo die Versuche mit den neuen Überschallmaschinen auf vollen Touren laufen …“ „Weiß ich alles“, winkte Cunningham ab, „kann es aber nicht ändern. Wir müssen den Fahrplan einhalten. Frau Venus wartet bekanntlich nicht auf uns.“ „Warum erledigt das nicht Forster? Er ist schließlich der Kommandant von ‚Luna nova’.“ „Doktor Forster ist auf Erholungsurlaub in der Schweiz und wird anschließend ein anderes Kommando bekommen. Lasalle, sein Nachfolger auf ‚Luna nova’, ist noch nicht genügend eingearbeitet.“ „Also gut“, sagte Jim Parker und erhob sich seufzend. „Auf zur Außenstation! Fritz, sei so gut und rufe. Prüfstand XVI an. Sie sollen die Brennversuche für drei Tage unterbrechen. So long, Boß.“ In der Tür prallte er mit Shilling zusammen, der gerade in Begleitung von Doktor Young das Büro betreten wollte. „Hallo, Gentlemen!“ „Oh, Kommodore!“ Ein Grinsen huschte über das faltige Gesicht des mageren Männchens. „Hallo, Mister Cunningham! Gerade habe ich von dem neuen Transport zur Venus gehört. Da wollte ich Sie bitten, mir Urlaub zu geben und mich mitfahren zu lassen.“ „Thunderstorm! Doc, sind Sie verrückt geworden? Was suchen Sie denn auf Venus? Wollen Sie etwa unter die Siedler gehen?“ 29
„Siedeln? Pah!“ machte Young verächtlich. „Aber denken Sie an meine Forschungsarbeiten, Sir. Das Interesse der Wissenschaft erfordert …“ „Ihre Forschungen sollten sich auf Materialuntersuchungen beschränken, mein Lieber“, rief Cunningham ärgerlich, „und das Interesse des S.A.T. erfordert, daß Sie sich in den kommenden Wochen ausschließlich für das Programm XS-470 einsetzen, und sonst gar nichts. Nein, Doc, es kommt nicht in Frage, daß Sie mit zur Venus fahren. Schlagen Sie sich diese Schnapsidee getrost aus dem Kopf.“ „Ja, aber …“ „Kein ‚Aber’, Mann! Vielleicht später mal. Im Augenblick kann ich Sie nicht entbehren. Sonst noch was?“ Doktor Abel Young stand da wie ein begossener Pudel. Dann zischte er einen Fluch und wandte sich um. Zornrot rannte er an den Wartenden vorbei und huschte zur Tür hinaus. „Seltsamer Heiliger“, knurrte Cunningham. Parker und Wernicke folgten dem Doktor langsam durch das Vorzimmer auf den Gang. Ist er wirklich nur „seltsam“? dachte der Kommodore. Liegt nicht in seinem Blick, in seinem ganzen Wesen, der Fanatismus des von seiner Idee Besessenen? Wer weiß, ob wir nicht noch Überraschungen mit ihm erleben werden … Doch als er am Nachmittag auf dem Raketenflugplatz eintraf, um mit Fritz Wernicke an Bord der Zubringerrakete 411 zur Außenstation zu starten, hatte er diese Begegnung längst vergessen. * Eine Woche heißer Arbeit lag hinter den Mitarbeitern des Materialprüfungslabors. Ständig mußten neue Versuchsreihen abgewickelt werden, die alle nur dem einen Zweck dienten, die neu30
entwickelten Überschallflugzeuge vom Typ XS-470 mit dem größtmöglichen Maß an Betriebssicherheit auszustatten. Doch nun war es Sonntag, und William Harwell hatte seine Sylvia zu einer „Fahrt ins Blaue“ eingeladen. Da er seinen kleinen Zweisitzer zur Generalüberholung gegeben hatte, fuhren sie mit einem Autobus des „Arizona Tourist“, des größten und bekanntesten Verkehrsunternehmens der City. Im Grunde war es stets dasselbe. Der „Arizona Tourist“ führte seine geheimnisvollen „Fahrten ins Blaue“ immer zu denselben Zielen durch. Entweder ging es nordwärts zu den IndianerReservationen, wo die zivilisierten Nachkommen der einstmals kriegerischen Rothäute sich den Federschmuck ihrer Ahnen anlegten und – gegen entsprechende Trinkgelder – eine Art Kriegstanz zum besten gaben, oder aber südwärts nach dem Kolorado-Fluß, mit einem Abstecher zu den Naturwundern des Grand Canyon. Diesmal ging es südwärts. Der Fahrtleiter, ein aufgeregter, sommersprossiger Jüngling, war redlich bemüht, den Fahrgästen etwas zu bieten. „Ladies and Gentlemen, bitte sehen Sie: links die gewaltige Schlucht des Kolorado-Flusses – rechts die gigantischen Red Rocks – die Brücke, die wir sogleich passieren werden, ist vor zehn Jahren zusammengebrochen, gerade als ein vollbesetzter Autobus darüber fuhr.“ „Hat es dabei Tote gegeben?“ rief eine dicke Matrone schrill und beugte sich weit vor, damit ihr auch ja nichts entginge. „Tote?“ Der Fahrtleiter machte eine wegwerfende Handbewegung. „Alle waren tot, Mylady. – Sehen Sie dort vorn diese Felsblöcke liegen? Dort stand dereinst ein Indianerdorf. Vor achtzig Jahren brach die Felswand darüber ab und zerschmetterte die Siedlung mit Mann und Maus.“ „Und hat man niemand retten können?“ „Unmöglich. Da hätte man dreißig Meter tief graben müssen.“ Sylvia schauderte. Sie atmete erleichtert auf, als der Bus vor 31
einem primitiven Steinhaus hielt, das sich stolz als „Hotel“ bezeichnete, und der Reiseleiter zum Aussteigen aufforderte. „Ladies and Gentlemen, wir werden nachher einen Abstecher zum weltberühmten Grand Canyon machen. Darf ich Ihnen vorher eine Stärkung im ‚Palace Hotel’ empfehlen? Vorzügliche Menüs ab 5 Dollar 50, diverse Weine, gepflegte Biere und jeglicher Komfort.“ „Aha“, machte William und warf einen zweifelnden Blick auf die so verdächtig angepriesene Steinbude. „Hier kriegt er also seine Prozente. Komm, Sylvia, wir machen uns lieber selbständig.“ Es waren herrliche Stunden, die die beiden jungen Menschen in der gewaltigen Felswildnis des Grand Canyon-Gebietes verbrachten. Müde, aber zufrieden, wanderten sie am Spätnachmittag zum Halteplatz des Autobusses zurück. „Was hast du morgen zu tun, Bill?“ wollte Sylvia wissen. „Morgen? Ach, daran denke ich noch gar nicht. Die Arbeit macht mir kaum noch Freude. Immer, wenn mir unser bezaubernder Chef mit seinem grämlichen Gesicht über den Weg läuft, kommen mir die genossenen Speisen von mindestens acht Tagen wieder hoch.“ „Wie furchtbar!“ lachte Sylvia. „Deine Verdauung muß ja in einer erschreckenden Verfassung sein, du Armer. Ich empfehle dir Rizinusöl.“ „Ja, spotte du nur“, knurrte William böse. „Diesem Young kann man einfach gar nichts recht machen. Wundere mich nur, daß du es überhaupt bei ihm aushältst.“ „Manchmal ist er mir unheimlich“, gab Sylvia zu. „Er und seine Bazillen. Besonders neulich …“ „Neulich? Was war da, Sylvia?“ „Er war so merkwürdig – und redete lauter komisches Zeug vor sich hin.“ Und sie erzählte William Wort für Wort, was sie im Privatlabor unfreiwillig erlauscht hatte. 32
Der junge Mann schüttelte den Kopf. „Wozu braucht der Alte denn Bazillen von der Venus? Was soll denn das heißen: ‚Das könnte die Lösung sein’?“ „Vielleicht“, antwortete Sylvia, „braucht er sie, um irgendein Gegengift zu entwickeln?“ „Ein Gegengift – gegen Krankheitserreger, die es bei uns auf Erden überhaupt nicht gibt? Nein, Liebes, das lasse ich mir nicht weismachen. Wer weiß, was für eine Teufelei dahintersteckt? Ich traue diesem Giftzwerg jedenfalls nicht über den Weg.“ Weiter ging die Fahrt. Die Dunkelheit sank herab. Sylvia hatte den Kopf an die Schulter ihres Bill gelehnt und schlief. Die Befürchtungen, die das Verhalten ihres Chefs ihr eingeflößt hatten, waren vergessen … Doch noch am selben Abend sollte sie daran erinnert werden. Als sie die Halle des großen Wohnhauses betrat, um mit dem Lift zu ihrem Appartement im siebenten Stockwerk hinaufzufahren, erhob sich aus einem Sessel eine kleine, dürre Gestalt. „Guten Abend, Miß Morrison – ähem – kann ich Sie einen Augenblick sprechen?“ „Sie, Herr Doktor? Nanu, um diese Zeit? Ist im Labor etwas passiert?“ Doktor Young legte warnend den Zeigefinger auf die Lippen und blickte sich scheu um. „Vorsicht – nicht hier …“ Ein ungutes Gefühl beschlich Sylvia, als sie mit dem kleinen Doktor, dessen Augen ängstlich hin und her gingen, nach oben fuhr. Sie schloß ihre Wohnungstür auf und ließ den späten Gast eintreten. „Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten, Herr Doktor?“ Der Gelehrte schüttelte sich. „Ich trinke nie Kaffee. Koffein ist ein verabscheuungswürdiges Gift.“ „Oder vielleicht einen Fruchtsaft?“ „Sehr liebenswürdig, Miß“, murmelte Doktor Young, „aber – 33
wenn ich bitten darf – nur dann, wenn es sich um ein garantiert alkoholfreies Naturprodukt handelt.“ Sylvia brachte das Verlangte. Eine Weile herrschte Schweigen. Verlegen rutschte Doktor Young auf seinem Stuhl hin und her und suchte vergeblich nach einem Anfang. „Ahem – Miß Morrison“, seine Stimme klang belegt – „würden Sie mir wohl einen großen Gefallen tun?“ „Gern, Sir“, erwiderte Sylvia bereitwillig. „Dann fahren Sie morgen zur Außenstation. Schließen Sie sich dem Siedlertransport an, der von dort zum Planeten Venus startet, und – aber was haben Sie denn? Sie hören ja gar nicht zu.“ Sylvia war es, als hätte eine Bombe neben ihr eingeschlagen. Sie glaubte zu träumen. Nur mühsam fand sie in die Wirklichkeit zurück. „Zur Venus? Ich? Aber was soll ich denn dort – um Himmels willen?“ „Bakterien holen – für unsere Untersuchungen. Hören Sie zu“ – der kleine Doktor wurde plötzlich sehr lebendig. „Es muß dort unbekannte Mikroben geben, zum Beispiel die Erreger des Venus-Sumpffiebers und andere, die noch völlig unerforscht sind. Ich brauche sie dringend für meine Untersuchungen, und der Start der neuen Siedlerflotte wäre eine so günstige Gelegenheit, zum Abendstern mitzufahren. Leider war Mister Cunningham nicht dazu zu überreden, mir Urlaub zu geben …“ „Und nun soll ich an Ihrer Stelle fahren?“ fragte Sylvia, noch immer ungläubig. „Ich bitte Sie inständig darum, Miß Morrison. Sie sind eingearbeitet und mit der Materie vertraut. Außerdem gebe ich Ihnen alle notwendigen Geräte und genaue Anweisungen mit, dazu ein Empfehlungsschreiben an den Kollegen Richards, den Lagerarzt auf Venus. – Bedenken Sie doch: Es ist auch für Sie eine einmalige Chance. Die herrliche Reise durch die Wunder 34
des Weltraums, das Erlebnis unbekannter Fernen … Vielleicht bietet sich Ihnen nie wieder im Leben eine ähnliche Gelegenheit.“ Doktor Young war aufgesprungen und machte eine wertausholende Armbewegung, was bei seiner dürren Figur und dem Schrillen seiner Fistelstimme allerdings eher komisch als überzeugend wirkte. Sylvia fühlte das Unechte der Situation und schüttelte sich insgeheim. „Ich – will es mir überlegen, Herr Doktor“, erklärte sie schließlich ausweichend. Doktor Young fischte täppisch nach ihrer Hand und drückte sie: „Ich danke Ihnen“, sagte er feierlich. „Aber beeilen Sie sich, bitte mit Ihrem Entschluß. Die Zeit drängt. Morgen früh um 7 Uhr startet die letzte Zubringerrakete nach ‚Luna nova’. Ich erwarte also spätestens um sechs Ihren Bescheid.“ „Ich werde mich bis dahin gemeldet haben, Herr Doktor“, sagte Sylvia erschöpft. „Doch entschuldigen Sie mich jetzt bitte. Ich möchte gern noch ein paar Stunden schlafen, und die Nacht ist nur noch kurz. Good night!“ * Wenn Sylvia gehofft hatte, in dieser Nacht Ruhe und erquickenden Schlaf zu finden, so sollte sie sich in ihrer Erwartung getäuscht sehen. Was würde Bill sagen, wenn er von der Geschichte erfuhr? Wäre er jetzt hier, er würde ihr den Plan ihres schrulligen Chefs mit aller Überzeugungskraft auszureden suchen, dessen war sie gewiß. Aber Bill war nun einmal nicht hier. Er lag zu dieser Stunde schon in seiner Koje, fern am entgegengesetzten Ende der großen Stadt, und sie konnte ihm nicht einmal mehr Lebewohl sagen. Lebewohl? War sie denn etwa schon entschlossen, auf die 35
große Reise zu gehen? Ach ja, Sylvia kannte sich selbst nur zu gut. Sie wußte, daß sie ihren Chef nicht enttäuschen würde, mochte ihr sein Vorhaben auch noch so töricht vorkommen. Zur Venus … Sylvia dämmerte in das Land der Träume hinüber. Doch auch hier fand sie kein Vergessen. Sie war auf einem fremden Stern. Tief hingen die Wolken am Himmel. Die Luft war zum Ersticken heiß. War das die Venus, der Abendstern? Aus den Nebelschwaden, die ringsum die Sicht versperrten, kroch es auf sie zu: Giftgrüne Schlangen, Molche und Spinnen. Sylvia rannte um ihr Leben. Da wuchs vor ihr die Masse eines Sauriers aus dem Boden, eines furchtbaren Drachen der Vorzeit. Der riesige Krokodilrachen klappte auf, er bleckte die Zähne, ein schrilles Wiehern klang auf … Sylvia fuhr aus ihren Träumen hoch. Es war das Schrillen des Weckers gewesen, das sie vernommen hatte. Entschlossen schüttelte sie das Grauen ab und nahm ein erfrischendes Bad. Dann griff sie zur Feder und schrieb ihrem Bill in aller Hast und Eile einen Abschiedsbrief. * Unweit der kosmischen Außenstation „Luna nova“, die – wie ein gewaltiges Riesenrad langsam um ihre Achse schwingend – die Erde umschwebte, lag die gesamte Planetenflotte des Staatlichen Atom-Territoriums vor Anker: zwölf riesige, phantastisch aussehende Weltraumschiffe, dazu bestimmt, Tausende neuer Kolonisten zum fernen Abendstern zu bringen. Freilich war der Vergleich mit ankernden Schiffen nicht ganz zutreffend. Wenn schon bekanntlich das Wasser keine Balken hat, so hat der leere Weltraum erst recht keine. Die Schiffe schwebten frei in der Nachbarschaft der Station und kreisten mit ihr in gleicher Geschwindigkeit um den Erdball. 36
In der Nachbarschaft der Mammutschiffe herrschte reges Leben. Zubringerraketen und flinke, rückstoßgetriebene Raumtaxis flitzten hin und her, eine Unzahl von Menschen, die in ihren Raumtaucheranzügen plump und unförmig wirkten, aber doch winzig waren im Vergleich zu den Kolossen der Raumfahrzeuge, krabbelten im Gestänge der Schiffe herum. Gerade arbeitete sich eine kleine Schar dieser vermummten Gestalten an den Rumpf eines der Raumschiffe heran, an dessen Bug im gleißenden Licht der Sonne der Name ‚Hesperus’ glänzte Die Männer schwebten in die Schleusenkammern hinein, deren Außentür sich hermetisch hinter ihnen schloß. „Willkommen, Gentlemen!“ rief kurz danach der Kommandant des Schiffes freudig und schüttelte den drei Männern, die sich aus ihren Weltraumkombinationen befreiten, die Hände. Kapitän Griggs war ein erfahrener, alter „Seebär“, einer aus der alten Garde des S.A.T. und dem Kommodore seit Jahren bekannt. „Hallo, Käpten!“ erwiderte Jim Parker den Gruß. Hinter ihm drängten sich Fritz Wernicke und Henri Lasalle, der neue Kommandant der Außenstation, heran. „Wir wollen auch dem stolzen ‚Hesperus’ noch rasch einen Besuch abstatten, bevor es auf die große Reise geht.“ „Nett von Ihnen, Gentlemen. An Bord alles okay. Wir sind startklar.“ Gemeinsam durchschritten sie alle Abteilungen des Schiffes, vom Bug bis zum Heck. Die scharfen Augen des Kommodores erfaßten jede Einzelheit, sie glitten über das Gewirr der Skalen im Führerraum, hafteten prüfend an der Alarmanlage und ruhten schließlich auf den Passagieren, die sich im Gemeinschaftsraum A versammelt hatten.
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„Nun, boys“, wandte er sich lächelnd an eine Gruppe junger Farmer, die in der Nähe standen, „keine Angst vor der großen Reise?“ „Warum, Kommodore?“ fragte ein untersetzter junger Mann forsch. „Was soll uns unterwegs passieren? Der Weltraum ist doch leer – leer wie mein Geldbeutel, so wahr ich Tex Wimble heiße.“ „Hallo, Miß“ – Jim Parker trat auf ein junges Mädchen zu, das ihn mit ihren großen grauen Augen sonderbar ernst anschaute –, „wo haben wir uns nur schon gesehen?“ „Vermutlich in OrionCity“, lächelte die Angeredete. „Ich bin Sylvia Morrison, Laborantin bei Doktor Young …“ „Aha, bei der Materialuntersuchung. Ja, ich erinnere mich. Und warum wollen Sie auswandern, Miß Morrison?“ „Ich fahre in besonderem Auftrag meines Vorgesetzten mit.“ „Ach so, als eine Art Geheimkurier?“ grinste Fritz Wernicke. „Hätte gar nicht gedacht, daß so. ein häßlicher Vogel, wie dieser Doktor Young, sich solch scharmanter Botinnen bedienen 38
würde. Darf man Näheres über Ihren Auftrag erfahren? Kann mir kaum vorstellen, daß er etwas mit Materialprüfung zu tun haben dürfte.“ „Wir müssen gehen, meine Herren.“ Mit verbindlichem Lächeln mischte sich Lasalle in die Unterhaltung. „Gute Fahrt, Mademoiselle, und viel Erfolg bei Ihrer Aufgabe!“ „Glückliche Reise!“ rief auch Jim Parker und winkte den Passagieren noch einmal zu. „Grüßt mir die Venus!“ Eine halbe Stunde später hockten die drei in der Spitze des kleinen Observatoriums der Außenstation und beobachteten das Startmanöver der Raumschiff-Flotte. Am Heck der „Atlantis“, des mächtigen Flaggschiffes, leuchtete ein grünes Signal dreimal auf. Ein Feuerstrahl schoß aus der großen Heckdüse. Lautlos setzte sich das Schiff in Bewegung, gehorchte träge den Strahlrudern und entfernte sich in weitgeschwungener Kurve. Paarweise, in wachsendem Abstand auseinandergezogen, folgten die anderen Schiffe, als letztes der „Hesperus“. Wie ein schlankes, punktiertes V blitzte die Formation im Sonnenlicht. „Glückliche Reise!“ winkte der kleine Wernicke ihr nach und bekräftigte seinen Wunsch durch einen herzhaften Schluck aus der Whiskyflasche. Henri Lasalle strahlte. „Ein herrliches Bild, meine Herren! Triumph der modernen Technik! Wer hätte das noch vor zwanzig Jahren gedacht? Heute ist der Mensch der Beherrscher des Weltalls.“ Jim Parker riß sich von dem Bild der rasch entschwindenden Raumschiffe los. „Ich weiß nicht“, lächelte er, „aber von einer ‚Beherrschung’ des Alls sind wir wohl noch weit entfernt.“ „Aber, sehen Sie doch selbst, Kommodore!“ Lasalles flinke schwarze Augen blickten erstaunt. „Diese Raumschiffe, diese Station im leeren Raum – Wunder über Wunder!“ 39
„Gewiß“, bestätigte Parker. „Wir haben – dank unserer modernen Technik – in den letzten Jahrzehnten viel erreicht. Aber, beherrschen wir den interplanetarischen Raum wirklich schon? Ich glaube es nicht. Noch sind wir viel zu vielen Zufälligkeiten ausgesetzt. Solange eine Fahrt zur Venus nicht genau so sicher ist, wie eine Reise mit der Pacificbahn auf der Erde …“ „Der Vergleich hinkt – entschuldigen Sie, Kommodore“, warf Lasalle lebhaft ein. „Allein schon deshalb, weil die Teilstrecken im Weltraum im Verhältnis viel länger sind, als im irdischen Verkehr.“ „Vielleicht lassen sich die Raumbahnen irgendwie aufteilen“ meinte Jim Parker. „Denken Sie an die schwimmenden Stützpunkte der transatlantischen Fluglinien auf der Erde.“ „Wobei ja unsere Außenstation solch einer schwimmenden Insel entspricht …“ „So ist es. Aber sie allein erfüllt ihren Zweck nur unvollkommen. Geben Sie acht, Gentlemen, ich habe einen Plan …“ * William Harwell konnte sich Sylvias Ausbleiben am Montagmorgen nicht erklären. Vergeblich wartete er im Hof des Instituts, der inzwischen von den Spuren des Brandes gesäubert worden war, um, wie gewohnt, einen raschen Gruß mit ihr zu wechseln. Er war während des ganzen Vormittags nur mit halber Aufmerksamkeit bei seiner Arbeit und blickte alle Augenblicke zum Hallentor, das in den Hof mündete. Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Er lief zum Privatlabor hinüber, klopfte kurz und drückte die Türklinke nieder. Die Tür war verschlossen. Verdutzt sah William sich um. „Der Chef kann heute nicht kommen“, sagte hinter ihm einer der neuen Wachtmänner, die seit dem Brand im Institut beschäftigt waren. „Er hat gerade angerufen. Wichtige Besprechungen in der Hauptverwaltung.“ 40
„Danke.“ Kopfschüttelnd ging William zum Pförtnerhaus, um in Sylvias Wohnung anzurufen. Aber das junge Mädchen meldete sich nicht. Das Rufzeichen tönte wieder und wieder. Sie konnte unmöglich zu Hause sein. Kopfschüttelnd legte William den Hörer auf. In quälender Langsamkeit schlichen die Nachmittagsstunden dahin. Kaum kündete das Klingelzeichen das Ende der Arbeitszeit an, als William auch schon am Steuer seines Zweisitzers saß und mit polizeiwidriger Geschwindigkeit zur Nereide Road raste, wo Sylvia Morrison wohnte. Er nahm sich nicht die Zeit, auf den Lift zu warten. Atemlos rannte er die Treppen hinauf zum siebten Stockwerk und läutete Sturm an der verlassenen Wohnungstür. Vergebens … Mit gesenktem Haupt schritt William die Treppen wieder hinunter. Aus der Pförtnerloge kam die dicke Hausmeistersfrau gewatschelt. „Mister Harwell? Brief für Sie.“ Sie angelte einen Umschlag aus ihrer Schürzentasche und streckte ihn William grinsend, in Erwartung eines Trinkgeldes, entgegen. Er riß den Umschlag auf, überflog die wenigen Zeilen in Sylvias klarer Handschrift – einmal, zweimal – und mußte sich am Treppengeländer festhalten. Alles um ihn schien sich zu drehen. Sylvia – auf dem Wege zur Venus – für viele Monate von ihm getrennt – allein den Gefahren des Weltraums und des fremden Planeten ausgesetzt! War es ein böser Spuk, der ihn narrte – ein schlechter Scherz? Doch es war nicht Sylvias Art, solche törichten Scherze zu machen … Sylvia unterwegs zur Venus – und warum das alles? Weil ihr Chef, dieser halbverrückte Doktor Young, neue Bakterien für seine verdächtige Hexenküche brauchte. Doktor Young! Hol’ ihn der Teufel! Mochte er hundertmal sein Vorgesetzter sein, jetzt würde er, William Harwell, zu ihm gehen und ihm ganz gehörig die Meinung sagen. 41
Es war schon fast dunkel, als William Harwell in der engen Vorortstraße ankam, in der sein Chef eine bescheidene Wohnung innehatte. Er stellte seinen Wagen am Straßenrand ab und durchschritt den Torbogen des Hauses, hinter dem ein kleiner, verdämmernden Garten und in ihm ein niedriges Gartenhäuschen lag. Grimmig drückte William den Klingelknopf neben der Tür des Häuschens. Kein Laut war zu hören. Natürlich war die Klingel kaputt. Alles war Bruch und Unordnung, was mit diesem Young zu tun hatte. Der junge Mann ging zur Hinterfront des Gartenhauses, an der eine schmale Terrasse entlangführte. Aus zwei Fenstern und einer Glastür fiel Licht. Die Tür war nur angelehnt. Unwillkürlich blieb William stehen und lauschte auf die undeutliche Unterhaltung, die in Bruchstücken an sein Ohr drang. Es waren drei verschiedene Stimmen, und sie schienen in heftigen Streit verwickelt zu sein: die schrille Fistelstimme des kleinen Gelehrten – ein fremdes merkwürdig farb- und tonloses Organ – eine dritte Stimme, die nur hin und wieder ein paar Brocken in gebrochenem Englisch in das Gespräch warf. „Sie täuschen sich, Gentlemen“, kreischte der Doktor erregt. „Ich kann Ihnen nicht geben, was Sie von mir erwarten. Ich bin mit meinen Arbeiten noch nicht soweit.“ „Wir verdoppeln das Angebot“, ließ sich die tonlose Stimme vernehmen. „Sie sind doch einverstanden, nicht wahr, Mister …“ „Oh, bitte, keine Namen nennen!“ rief der dritte. „So gut, wie Sie meinen.“ Doktor Young überschrie sich vor Erregung. Seine Antwort blieb William unverständlich. Thunderstorm! Da schien sich ja eine feine Sache anzubahnen! Dieser Doktor Young schien auch in übertragenem Sinne keine ganz saubere Weste zu haben. Gespannt beugte er sich vor, um besser hören zu können. Doch da mußte er plötzlich niesen. 42
Ärgerlich klopfte William an die Glastür und trat ein. In dem kleinen, einfach eingerichteten Zimmer sah er sich wie erwartet drei Männern gegenüber. Ihm zunächst saß in einem abgeschabten Sessel ein glatzköpfiger, glattrasierter Herr mittleren Alters, dessen Gesicht eine einzige nichtssagende Maske war. Ein zweites Gesicht, mehr im Hintergrund, verschwand blitzschnell hinter einer riesigen Zeitung. Nur blitzartig hatte William den verschwommenen Eindruck mongolischer Züge. Vor den beiden hüpfte Doktor Young herum und fuchtelte wild mit den Armen. Bei Williams Eintreten fuhr er herum und schoß errötend auf ihn los. „Was wollen Sie hier?“ „Guten Abend, Gentlemen!“ grinste William spöttisch. „Mir scheint, ich komme ungelegen?“ „Allerdings. Was haben Sie hier zu suchen? Können Sie das nicht im Labor erledigen?“ „Sorry – ich hatte nicht das Vergnügen, Sie heute im Labor anzutreffen, Sir.“ „Ahem – war leider nicht zu ändern. Habe aber jetzt keine Zeit für Sie. Wie Sie sehen, habe ich Besuch.“ „Habe ich schon bemerkt“, sagte William böse. „Würde auch niemals dienstliche Dinge in Gegenwart von Fremden erörtern. Aber vielleicht haben Sie die Freundlichkeit, mir mal zu erklären, wo Miß Morrison steckt?“ „Miß Morrison?“ Doktor Young wurde sichtlich verlegen. „Habe sie – ähem – auf eine kleine Dienstreise geschickt.“ „Auf eine kleine Dienstreise – zur Venus, nicht wahr?“ höhnte William. „Soll sie dort etwa neue Flugzeugtypen erproben?“ „Darüber bin ich Ihnen keine Rechenschaft schuldig“, kreischte Young, am ganzen Körper zitternd. „Gehen Sie jetzt, sonst – sonst …“ William Harwell ging. Tatsächlich – das hatte er nicht sehr glorreich angestellt. Er empfand eine unbändige Wut – auf sei43
nen Vorgesetzten, auf sich selbst, auf Sylvia und auf die ganze Welt. Und in dieser Wut vergaß er auch die aufschlußreiche kleine Szene, die er kurz zuvor an der Gartentür belauscht hatte. * Am Schwanz der stolzen Formation der Planetenschiffe des S.A.T. eilte das Raumschiff ‚Hesperus’ dem fernen Ziel, der Venus, zu. Im Führerraum überprüfte Kapitän Griggs noch einmal den Kurs, warf einen Blick auf die Instrumente und rief dann den Ersten Offizier heran. „Will mal nach den Passagieren sehen, Bolivar“, brummte er. „Halten Sie den bisherigen Kurs. Maschinen weiterhin halbe Kraft. So long!“ Gemächlich trottete er zum großen Aufenthaltsraum, wo er sich augenblicklich von zwanzig bis dreißig Passagieren umringt sah. Ein Trommelfeuer von Fragen prasselte auf ihn herein. „Herr Kapitän, wann sind wir am Ziel?“ rief eine aufgeregte Dame. „Darüber wollen wir uns in einem Vierteljahr mal wieder unterhalten.“ „Herr Kapitän, was tun wir, wenn uns der Proviant unterwegs ausgeht?“ fragte ein dicker Mann besorgt. „Dann schieben wir Kohldampf.“ „Herr Kapitän, ich habe mal gelesen …“ „Sie müssen auch nicht alles glauben“, unterbrach Kapitän Griggs mit ernster Miene. „Herr Kapitän, wie kann man sich gegen die Weltraumkälte schützen!“ „Seien Sie froh, wenn Sie sich unterwegs nicht halbtot schwitzen.“ „Ja, aber wenn uns nun ein Meteorstein trifft, Herr Kapitän?“ 44
Sylvia Morrison war sonst nicht ängstlich, aber das Gerede der Passagiere über die Gefahren der Weltraumfahrt hatte auch sie ein wenig unsicher gemacht. „Mein liebes Fräulein“, sagte Kapitän Griggs gewichtig, „solche Geschichten gibt es nur in schlechten Romanen. Ich durchstreife den Weltraum nun schon seit Jahr und Tag – zuerst auf der Mondroute und neuerdings zur Venus, aber noch nie ist mir auch nur der kleinste Meteorit in die Quere gekommen. Nein, nein, das sind Ammenmärchen. Meteoriten sind im weilen Raum so dünn verteilt – wir könnten Jahrhunderte lang fliegen, ohne solch einem Steinchen zu begegnen. Eher würden Sie in der Lotterie gewinnen, als ..“ Ein scharfer metallischer Laut, ein Zischen von der Wand her, schnitten die Rede des Kapitäns ab. Erschreckt fuhr alles herum. „Einschlag!“ brüllte ein Raumschiffmatrose mit greller Stimme. „Abdichten!“ befahl Kapitän Griggs geistesgegenwärtig. Eine der stets griffbereiten Kautschukplatten flog durch die Luft, wanderte von Hand zu Hand und landete klatschend an der Wand. Das häßliche Leck, das der Meteorstein geschlagen hatte und durch das die kostbare Atemluft in den leeren Raum entwich, war provisorisch abgedichtet. „Man soll den Teufel nicht an die Wand malen“, brummte Kapitän Griggs in das entstandene Schweigen hinein. „Vielleicht sollte man doch in der Lotterie spielen“, meinte Sylvia trocken. Aber innerlich zitterte sie doch. Der Kapitän musterte die gegenüberliegende Wand, die an den Mittelgang des Schiffes grenzte. Bald hatte er das Loch gefunden, durch welches das rasende Weltraumgeschoß den Gemeinschaftsraum verlassen hatte. Nichts Gutes ahnend, trat er in den Gang hinaus und ging nach achtern. Aus den rückwärtigen Abteilungen des Schiffes, dort, wo 45
die mächtigen Kugelbehälter der Treibstofftanks vor dem Raketentriebwerk lagen, hasteten Schritte heran. Zwei Männer, unter ihnen der Erste Ingenieur, stürzten atemlos auf den Kapitän zu. „Leck im A-Tank, Käpten! Wir laufen aus, Feuersgefahr!“ Kapitän Griggs war sofort im Bilde. Eilends rannte er in den Führerraum, drückte den Knopf der Alarmanlage und trat ans Mikrophon. Schauerlich heulten die Sirenen in allen Räumen, auf- und abschwellend. Langsam schlossen sich die Schotten und dämmten den Strom von Alkohol ab, der vom Achterschiff her den Mittelgang überschwemmte. Aus den Lautsprechern klangen die ruhigen Befehle des Kommandanten: „Ruhe bewahren! Alle Mann auf Station! Die Passagiere in den Raum A! Zigaretten aus, kein offenes Licht! Freiwache klar zum Aussteigen!“ „Käpten, der Schub geht zurück“, meldete der Erste Offizier. Kapitän Griggs blickte auf die Skalen der Anzeigegeräte. „Zum Teufel, Sie haben recht. Das Triebwerk macht schlapp. Gehen Sie augenblicklich auf Gegenkurs! Maschinen äußerste Kraft!“ „Explosionsgefahr, Käpten! Wer weiß, was für hochexplosives Gemisch sich da achtern gebildet haben mag?“ „Egal – wenn wir nicht wenden und zur Außenstation zurückkehren können, ist der Ofen sowieso aus.“ Die Turbine der Pumpenanlage lief auf Höchsttouren. Ein Schüttern ging durch das mächtige Schiff. Die Strahlruder aus feuerfestem Material stemmten sich gegen die tobenden Flammen der Heckdüse. Widerwillig gehorchte das Schiff, lenkte aus der Fahrtrichtung heraus und ging in weiter Kurve auf Gegenkurs. Vom Heck her ertönte ein dumpfer Knall – noch einer – ein dritter. Auf den Skalen, die der Überwachung des Raketenmo46
tors dienten, pendelten die Zeiger in die Nullage zurück. Der Kommandant sah es und zerbiß einen Fluch zwischen den Zähnen. „Jetzt ist er aus – der Ofen. Glauben Sie, daß wir genug Fahrt haben, um in die Nähe von ‚Luna nova’ zu gelangen?“ Bolivar zuckte die Achseln. „Scheint mir nicht so, Sir. Wenn wir in diesem Schneckentempo dahintrudeln, treffen wir in diesem Jahr nicht mehr an der Außenstation ein.“ Griggs nickte düster. „Wir müssen den Schaden am Triebwerk so schnell wie möglich reparieren. Vielleicht reicht der Brennstoffrest, um nachher wieder etwas Fahrt aufzunehmen. Schicken Sie Pendary mit der Freiwache nach draußen. – Hallo, Carey!“ David Carey, der Bordfunker, kam hereingetobt, als hätte er nur auf diesen Ruf gewartet. „Jawohl, Käpten?“ „Geben Sie folgende Meldung an die ‚Atlantis’, an ‚Luna nova’ und an das S.A.T durch: ‚Raumschiff Hesperus von Meteorstein getroffen. Triebwerk und A-Tank beschädigt. Versuchen, mit eigener Kraft zur Außenstation zurückzukehren. Griggs, Kommandant!’“ * „Wenn ich Sie recht verstehe“, sagte im gleichen Augenblick Ted S. Cunningham und beugte sich über seinen Schreibtisch vor, „wollen Sie eine weitere Weltraumstation bauen – diesmal in der Nähe der Venus?“ „So ist es, Boß.“ Jim Parker blies den Rauch seiner „Maza Blend“ nachdenklich in die Luft. „Wir müssen danach trachten, die Venusroute absolut sicher zu gestalten. Die Besiedlung des Planeten macht rasche Fortschritte, schon reichen unsere Raumschiffe nicht mehr, um den Strom der Kolonisten zu befördern. Es könnte allerdings das Ende für das Venus-Projekt bedeuten, 47
wenn eins von den Passagierschiffen unterwegs in die Binsen ginge. Ein Stützpunkt in Venusnähe ist daher auf die Dauer unentbehrlich. Ich schlage vor …“ Das Summen des Tischtelephons schnitt dem Kommodore das Wort ab. Ärgerlich über die Störung, hob der Generaldirektor ab. „Ja – wer dort?“ Doch plötzlich versteinten sich seine massigen Züge. „Was sagen Sie da? ‚Hesperus’? Danke. Bleiben Sie mit dem Schiff in Funkverbindung.“ Krachend flog der Hörer in die Gabel. „Man sollte es nicht für möglich halten“, tobte der Boß und schleuderte die kostbare Havanna in den Aschenbecher. „Ein Meteorit! Ich dachte, so was gäbe es nur bei Jules Verne und Konsorten. Wollen die mich vielleicht für dumm verkaufen?“ „Das kann ich so ohne weiteres nicht entscheiden“, erklärte Jim Parker sachlich. „Wie mir scheint, ist das Raumschiff ‚Hesperus’ von einem Meteorstein getroffen worden? Nun, das ist doch noch kein Grund zur Aufregung.“ „Sie merken auch wirklich fast alles, Parker“, knurrte der Boß gereizt. „Aber diesmal täuschen Sie sich, Der Meteorit hat den Brennstofftank durchschlagen, und die ganze Suppe ist ausgelaufen. Außerdem scheint das Triebwerk kaputt zu sein. Das Schiff versucht, mit eigener Kraft zur Außenstation zurückzukehren.“ „Hoffentlich gelingt’s. Eine bittere Enttäuschung für die hoffnungsvollen Siedler, die an Bord sind. Sie werden sich auf eine lange Wartezeit gefaßt machen müssen.“ „Und ein ziemlicher Reinfall für das S.A.T. – was Sie ganz zu vergessen scheinen“, brummte Cunningham. Er stand auf und blickte auf den Terminkalender. „Ja, Parker, was Ihr Außenstationsprogramm betrifft, so will ich mir die Sache durch den Kopf gehen lassen. Sie hören wieder von mir. Doch zunächst müssen wir die Versuche mit der Serie XS–470 bis –475 zu Ende führen. Das Luftfahrt-Ministerium wird schon ungeduldig.“ – 48
Als Jim Parker gegen Mittag die große Halle des Materialprüfungslabors betrat, fand er Fritz Wernicke im Gespräch mit dem jungen Assistenten Doktor Youngs. Er begrüßte die beiden freundschaftlich und wandte sich dann an seinen kleinen Steuermann. „Hallo, Fritz, wann fährst du eigentlich wieder nach ‚Luna nova’?“ „Morgen abend, großer Meister. Der gute Lasalle bat mich, ihm noch ein wenig Nachhilfeunterricht zu geben, übrigens hat er einen ganz vorzüglichen französischen Kognak.“ „Aha … aus der Luke weht der Wind“, lachte Parker. „Hör mal, mein Lieber, wenn du schon fährst, dann sieh dich doch mal nach dem ‚Hesperus’ um …“ „Hesperus’? Ich denke, der ist unterwegs zur Venus?“ „Dachte ich auch. Er hatte aber ’ne Karambolage mit ’nem Meteorstein und scheint leicht ramponiert zu sein. Der Boß macht sich ziemlich Sorgen.“ „In Ordnung, Jim, ich gebe dir Nachricht.“ „Sprechen Sie von ‚Hesperus’, Gentlemen?“ mischte sich William Harwell ein. „Da ist nämlich meine – meine Braut mit an Bord …“ „Ach, daher Ihr betrübtes Gesicht“, lachte Fritz Wernicke. „Nun, trösten Sie sich, old fellow. ‚Hesperus’ ist schon auf der Heimreise. In ein paar Tagen werden Sie die Treulose schon in Ihre verzeihenden Arme schließen können.“ * Durch eine Reihe neuer Messungen war es gelungen, die Bahn des Planetoiden Luzifer so genau wie nur möglich zu berechnen. Das Ergebnis war für Professor Johnson interessant genug, um seine Mitarbeiter im Mount Palomar-Observatorium zusammenzurufen und ihnen die Beobachtung dieses Außenseiters am Himmel besonders nahezulegen. 49
„Luzifer wird heute nachmittag in Erdnähe sein, Gentlemen. Er passiert uns in dem ungewöhnlich geringen Abstand von drei Erdradien – eine selten günstige Gelegenheit, ihn mit allen Instrumenten aufs Korn zu nehmen. Vor allem denke ich an die Beobachtung seiner Helligkeit und des vermutlichen Lichtwechsels. Aber auch direkte visuelle Beobachtungen wären vielleicht aufschlußreich …“ „Vorausgesetzt, daß es nicht regnet“, warf Professor Harnack, der Hauptobservator, ein. Sorgenvoll blickte der Direktor des Observatoriums durch das große Fenster seines Arbeitszimmers zum verhangenen Himmel hinauf. „Sieht allerdings wenig verheißungsvoll aus. Aber für alle Fälle wollen wir auf dem Posten sein.“ – Am Abend war der Himmel über diesem Teil Kaliforniens noch immer bedeckt. Aber gegen Mitternacht klärte er sich stellenweise auf. Die Spalten der Beobachtungskuppeln öffneten sich. Mächtige Linsen und Parabolspiegel lauerten darauf, das Bild des kleinen Planeten einzufangen, der auf seinem Weg zur Sonne die Erde in nächster Nähe passiert hatte. Endlich gaben die ziehenden Wolken die Himmelsgegend frei, die das Sternbild des Skorpions beherrschte. Robert Douglas, der am Okular eines mittelgroßen Spiegelteleskops kauerte, prüfte sorgfältig die Feineinstellung. Tatsächlich – da war er! Nur wenige Bogenminuten vom errechneten Standort entfernt, schwebte ein kleines, blasses Scheibchen in der Schwärze des Nachthimmels. Der Planetoid Luzifer! Doch – was war das? Verblüfft zwinkerte Douglas mit den Augen, schaute dann abermals aufmerksam ins Okular. Nein, es konnte kein Zweifel sein: Der Planetoid bestand aus zwei Teilen! Nahe seinem Rande schwebte ein zweites, winziges Körperchen – und dieses Körperchen hatte eine längliche Form und gleißte grell im Sonnenlicht.
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* Kapitän Griggs fluchte nicht schlecht, als ihm der Erste Ingenieur meldete, in welchem Zustand er das Heck des Raumschiffes vorgefunden hatte. „Wir haben alles an Bord, was wir für die Instandsetzungsarbeiten brauchen“, erklärte er abschließend. „Aber der Schaden ist zu umfangreich, als daß wir ihn hier im leeren Raum ‚frei schwebend’ beheben könnten. Wir brauchen so etwas, wie ein Dock – eine feste Basis. Die Gefahr für die Arbeiter wäre zu groß …“ „Das bedeutet also, daß wir die Reparatur erst auf der Außenstation in Angriff nehmen können?“ fragte Bolivar, der Erste Offizier. „Gucken Sie mal aus dem Fenster, wenn Sie keinen Kopf haben“, grunzte der Kapitän verdrießlich. „Wir können den Motor erst auf der Außenstation reparieren. Aber, um dorthin zu gelangen, sind wir schon jetzt auf ihn angewiesen. Verteufelte Situation“ Achselzuckend ging Griggs zum Gemeinschaftsraum A hinunter, um die Passagiere schonend über die letzten Ereignisse aufzuklären. „Sie werden natürlich enttäuscht sein, Ladies und Gentlemen“, schloß er seine Ansprache, „daß es für diesmal nichts mit der Venusfahrt ist. Aber da kann man leider nichts machen. Höhere Gewalt …“ Ein Läufer trat ein und flüsterte dem Kapitän etwas ins Ohr. Der murmelte eine Entschuldigung und eilte zum Führerstand, wo ihm der Erste Offizier aufgeregt entgegenkam. „Unbekannter Himmelskörper backbord voraus!“ „Machen Sie keine Witze, Bolivar! Woher soll hier ein unbekannter Himmelskörper kommen?“ „Das möchte ich auch gern wissen“, gestand der „Erste“. Kapitän Griggs nahm einen Feldstecher und starrte aus dem großen Backbordfenster in den Raum hinaus, der sich schwarz 51
und grenzenlos vor dem Bug des „Hesperus“ dehnte. Weit links füllte das gewaltige Rund des Erdballs das Sichtfeld. Irgendwo weit voraus mußte das Riesenrad der Außenstation schweben. Der nachtschwarze Himmelshintergrund war übersät von den Lichtpünktchen ferner Fixsterne. Und dort … „Thunderstorm! Das Ding segelt direkt auf uns zu!“ Eine mächtige Kugel, matt im Sonnenlicht leuchtend, stand da vorn vor den Sternen und schob sich langsam heran. Durch das Fernglas konnte man die Rauhheit ihrer Oberfläche erkennen. Breite Spalten im Boden wechselten mit scharfen Klippen und stark gekrümmten Ebenen ab. „Ikarus?“ fragte der Kapitän ungläubig. „Unmöglich“, erwiderte Bolivar und reichte seinem Vorgesetzten das Astronautische Jahrbuch aufgeschlagen herüber. „Ikarus dürfte sich in diesem Augenblick jenseits der Marsbahn befinden.“ „Hm – dann kann es sich also nur um einen unbekannten Planeten handeln, auf jeden Fall aber um einen Vertreter aus der großen Familie der Planetoiden. Wie groß schätzen Sie seinen Durchmesser, Bolivar?“ „Schwer zu sagen. Vielleicht zehn bis zwölf Kilometer?“ „Thunderstorm!“ Der Kapitän faßte sich an den Kopf. „Mensch, Bolivar, der Kerl kommt uns ja wie gerufen.“ „Wieso, Käpten?“ fragte der „Erste“ erstaunt. „Wollen Sie ihn etwa anlaufen?“ „Erraten. Wir gehen auf ihm vor Anker und reparieren so schnell wie möglich unseren Motor.“ „Verzeihung, Käpten, aber ich fürchte, der Planetoid hat einen ganz anderen Kurs als wir. Er wird uns in Richtung zur Sonne entführen – und wir müssen doch zur Außenstation zurück, um Treibstoff nachzutanken.“ „Unsinn, Bolivar!“ rief Griggs optimistisch. „Dieser kleine Planet ist gerade das, was wir brauchen. Wir fordern durch 52
Funk ein Tankschiff von der Station an und bringen inzwischen unseren eigenen Kahn in Ordnung. Dabei schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe. Wir segeln mit unserem Planetoiden der Flotte nach und verhindern so, daß wir zu weit hinter den anderen zurückbleiben. Los, Bolivar! Es wäre doch gelacht, wenn wir’s nicht doch noch zur Venus schaffen würden.“ Der Erste Offizier teilte die Ansicht seines Chefs nicht ganz. Aber er fügte sich. Wenn man die Begegnung mit dem Planetoiden nicht verpassen wollte, mußte jetzt augenblicklich gehandelt werden. Die Alarmklingeln gellten durch das Schiff. Die Matrosen eilten auf ihre Posten. Kommandos dröhnten aus den Lautsprechern: „Klar zum Manöver! Bremsdüsen – Achtung – Feuer!“ Von brutalen Stößen hin und her geschleudert, purzelten die entsetzten Passagiere schreiend durcheinander. Sylvia Morrison hatte sich an den Griffen neben einem der Bullaugen im Gemeinschaftsraum festgeklammert. Mit blassem Gesicht und angstverzerrten Augen blickte sie in die Schwärze des Raumes … Jetzt schob sich der fremde Planetoid in ihr Gesichtsfeld. Eine unbekannte Drohung schien von der öden, trostlosen Welt auszustrahlen, von den wildzerrissenen Ebenen und dem zerklüfteten Gestein. Würden sie dort landen? Sylvia empfand einen eisigen Schauer. Schwindelnd schloß sie die Augen. Der fremde Himmelskörper schien jetzt stillzustehen. Und die Stimme Käpten Griggs’ befahl: „Landungsgruppe klar zum Ausbooten!“ * Der kleine, längliche Begleiter, den Robert Douglas mit dem Fernrohr dicht neben Luzifer entdeckt hatte, war nichts anderes, als das Raumschiff ‚Hesperus’, das an dem Planetoiden angelegt hatte. 53
Unverzüglich hatte die Mannschaft mit den Außenbordarbeiten und der Reparatur des beschädigten A-Tanks begonnen. Die Arbeit wurde dadurch sehr erschwert, daß alles in den plumpen Weltraumanzügen geschehen mußte, die ungemein hinderlich waren. Als man nach sechs Stunden eine Pause einlegen mußte, war noch kein sichtbarer Fortschritt erzielt. Ruhelos ging Kapitän Griggs durch das Schiff. Alle paar Minuten zog er die riesige Taschenuhr – ein Erbstück seines Urgroßvaters, der noch ein schlichter Seemann auf den Meeren der alten Erde gewesen war. Er würde nicht sehr geistreich geschaut haben, hätte ihm damals einer erzählen wollen, daß sein Urenkel dereinst den Weltraum befahren würde, in einem Fahrzeug, das freilich keine Ähnlichkeit mit einer ollen ehrlichen Viermastbark mehr hatte … „Verzeihung, Herr Kapitän – eine Abordnung der Passagiere möchte Sie sprechen.“ „Habe verdammt wenig Zeit, aber – na, meinetwegen.“ Langsam folgte der Kommandant dem Steward durch den Mittelgang nach vorn. Vor der Funkkabine standen drei Passagiere und hielten sich an den Griffen in der Wand fest, um nicht kopfüber davonzuschweben, denn es herrschte völlige Schwerelosigkeit an Bord des „Hesperus“, seitdem der Raketenmotor verstummt war. Der Kapitän erkannte „Old Mike“, einen alten, aber unternehmungslustigen Farmer aus dem Mittelwesten, Fred Lynam, einen rothaarigen Reporter, und Sylvia Morrison. Erwartungsvoll sahen sie dem Schiffsführer entgegen. „What’s the matter?“ knurrte Griggs. „Herr Kapitän“, begann Sylvia, „wir haben eine große Bitte. Wir, das heißt alle Passagiere, sind noch nie auf einem fremden Planeten gewesen. Bitte, erlauben Sie uns doch, einen kleinen Ausflug zu machen, solange noch an dem Schiff gearbeitet wird.“ 54
„Hm – verrückter Einfall.“ Käpten Griggs überlegte. Nun, so verrückt war es vielleicht gar nicht, was diese Greenhorns sich da ausgedacht hatten. Ein Spaziergang auf dem Planetoiden würde ein wenig Abwechslung in die monatelange Eintönigkeit der Venusfahrt bringen. Und außerdem standen die Passagiere hier doch nur im Wege herum. „Na schön. Aber entfernt euch nicht zu weit und bleibt schön zusammen. Ich gebe euch den Schiffsarzt als Leithammel mit. Doktor Fredborg!“ Der dicke Schiffsarzt schien nicht sonderlich erbaut von diesem ehrenvollen Auftrag. Aber als der Käpten zwei Matrosen zu seiner Unterstützung abkommandierte, willigte er schließlich ein. Während die Schutzanzüge für die ausflugsfreudigen Passagiere herbeigeschafft wurden, schärfte Griggs dem Schiffsarzt noch einmal äußerste Achtsamkeit ein. „Seien Sie vorsichtig, Doc, und vergessen Sie eins nicht: Der Planetoid ist so klein, daß er praktisch überhaupt keine Anziehung hat. Nehmen Sie Ihre Schäfchen hübsch an die Leine, daß keins verloren geht. Jeder unvorsichtige Luftsprung kann einen auf Nimmerwiedersehen ins Weltall entführen. Und nun good-by und viel Vergnügen!“ * Es wurde ein Vergnügen besonderer Art, und die zwanzig Passagiere, die an dem Ausflug teilnahmen, hüpften, purzelten und schwebten in ihren Raumtaucheranzügen dahin und kamen sich äußerst komisch vor. Schnell ging es voran, und schon nach wenigen Minuten war der Koloß des Weltraumschiffes hinter der starken Krümmung des Horizonts verschwunden. Durch ein Telephonkabel und ein langes Seil miteinander verbunden, trollten sich die Passagiere 55
in ihren unförmigen Weltraumpanzern dem unbekannten Abenteuer entgegen.
Sylvia schwirrte bereits der Kopf von dem Schnattern und Kreischen mit dem die Ausflügler ihre Empfindungen wiederzugeben suchten. Unerträglich laut klang es aus dem Telephon ihres Taucherhelms. „Macht doch nicht solchen Krach!“ rief sie gequält. „Seht euch lieber die Gegend an.“ „Juhu!“ schrie ihr Vordermann, der Reporter. Er machte vorsichtig eine Kniebeuge und schnellte sich plötzlich hoch. Der Schwung, der ihn auf der Erde kaum höher als einen Meter getragen hätte, federte ihn hier hoch in den Raum hinaus. Sylvia fühlte sich voller Entsetzen mit hochgerissen. Ängstliche Schreie gellten im Helmtelephon auf. Doch die beiden Raumschiffmatrosen, die an der Spitze und am Ende des Zuges schritten, hatten gut aufgepaßt. Blitzschnell schlangen sie die Seilenden um Felszacken, die überall aus dem Boden ragten, und holten die Ausreißer am Halteseil wieder herunter. „Unterlassen Sie doch diese albernen Bocksprünge, Mister“, 56
schnauzte Doktor Fredborg. „Hier – interessieren Sie sich lieber für die Geheimnisse, die der neue Planet für uns bereit hält.“ Er deutete auf eine Grotte aus schroffem Gestein, die im grellen Sonnenlicht vor ihnen lag. Wie ein pechschwarzes Loch gähnte in ihrer rechten Flanke der etwa mannshohe Eingang einer Höhle. Der Schiffsarzt knipste den starken Taschenscheinwerfer an und verschwand im Innern der Felsen. Langsam folgte ihm der lange Zug der Passagiere in ihren plumpen Weltraumkombinationen. Unwillkürlich schauderte Sylvia zusammen, als sie durch die finstere Öffnung schritt. Es war ihr, als steige sie hinab in das Totenreich – als warteten unnennbare, unheimliche Dinge dort unten auf sie. Aber sie riß sich zusammen und ging den anderen nach. Die Höhle war größer, als es von außen den Anschein hatte, und sie schien sich weit unter der Oberfläche des kleinen Planeten fortzusetzen. Doktor Fredborg folgte dem breitesten Gang und stand schließlich mit seinem Gefolge in einem weiten, nahezu kreisrunden Raum, in den durch unsichtbare Risse in der Decke dünne Streifen von Sonnenlicht hereinfluteten. Der Raum bot durchaus nichts Unheimliches, und doch wurde Sylvia ein beklemmendes Gefühl nicht los. Aufgeregt schnatternd rannten die Passagiere umher und rafften Gesteinsbrocken auf, um sie als Andenken mitzunehmen. Das Blitzlicht des Reporters zerriß grell das Halbdunkel. Plötzlich stieß er einen überraschten Ruf aus und zeigte auf eine Stelle am Boden, auf die ein breites Büschel Sonnenstrahlen fiel. Erstaunt sahen es jetzt auch die anderen: Der felsige Boden war an dieser Stelle von einer lockeren, dunklen Schicht bedeckt, die aussah wie feuchter Humus. Ein dünner, trüber Dampf stieg davon auf und verflüchtigte sich schnell. „By Jove, der Planet scheint gar nicht so tot zu sein, wie es zuerst den Anschein hatte“, murmelte der Schiffsarzt kopfschüttelnd. 57
„Sieht aus wie Blumenerde“, meinte Old Mike sachverständig. Mit spitzen Fingern hob er eine Handvoll des rätselhaften Stoffes auf und wollte vorsichtig daran schnuppern. Aber seine Hand stieß klirrend gegen die Sichtscheibe des Taucherhelms. Sylvia mußte lachen – es sah zu komisch aus. „Blumenerde aus dem Weltraum! Das gibt ’ne Sensation.“ Fred Lynam bückte sich und stopfte sich die Taschen mit dem dunklen Zeug voll. Vier andere Passagiere folgten seinem Beispiel. Doktor Fredborg drängte zum Aufbruch. „Kommen Sie, Ladies and Gentlemen! Der Planetoid wird noch viel Interessantes bieten, und wir dürfen nicht zu lange ausbleiben.“ An der Spitze der kleinen Expedition verließ er die Höhle und setzte die Wanderung fort. * „Hier stecken Sie also“, rief Fritz Wernicke und reichte dem Kommandanten von „Luna nova“ die Hand. „Habe schon die ganze Station nach Ihnen durchsucht. Erst machen Sie mir mit der Aussicht auf Ihren prächtigen französischen Kognak den Mund wässrig, und dann verkriechen Sie sich hier im äußersten Winkel. Was machen Sie da eigentlich?“ Sie standen im Vorraum des gewaltigen Brennstofflagers der kosmischen Außenstation. Die Pumpenanlage lief auf vollen Touren. Sie förderte den Alkohol durch eine kurze, starke Rohrleitung zum Zubringerschiff 288 hinüber, das draußen am Radkranz der Station verankert war. Ein Werkmeister stand vor der Schalttafel und beobachtete aufmerksam die Anzeigegeräte. „Willkommen, Mister Wernicke!“ rief Henri Lasalle erfreut. „Fein, daß Sie gekommen sind. Bitte, verzeihen Sie, daß ich mich nicht persönlich um Ihren Empfang kümmern konnte, aber …“ 58
„Nanu, ist was passiert? Warum pumpen Sie denn das alte Tankschiff da draußen voll?“ Monsieur Lasalle machte ein wichtiges Gesicht. „Schlechte Nachrichten vom ‚Hesperus’. Das Schiff hat soviel Brennstoff verloren, daß es nicht zu Station zurückkehren kann. Nr. 288 soll schnellstens Nachschub bringen.“ „Hm. Und wo trudelt dieser Unglücksvogel, der ‚Hesperus’, jetzt herum?“ „Kapitän Griggs funkte soeben, er hätte einen unbekannten Planetoiden angelaufen, um Außenbordarbeiten vorzunehmen.“ „Einen unbekannten Planetoiden? Das könnte doch nur der Luzifer sein, den Freund Douglas kürzlich entdeckt hat. Lasalle, ich verwette ein ganzes Faß Whisky, wenn das gut geht.“ Lasalle zuckte die Achseln. Er schien keine Lust zu haben, die Wette zu halten. „Wann ist Nr. 288 startklar?“ erkundigte sich Wernicke. Der Kommandant der Raumstation wechselte ein paar Worte mit dem Werkmeister „In zwanzig Minuten kann’s losgehen.“ Der kleine Steuermann reckte sich. „Rufen Sie mal gleich beim Palomar-Observatorium an und lassen Sie sich die genaue Position und die Bahngrößen des Luzifer durchgeben. Ich erbitte laufend Durchgabe neuer Positionen über S.A.T.-Welle. Inzwischen gehe ich schon an Bord der 288.“ „Sie wollen mitfahren, Monsieur Wernicke?“ „Allerdings. Habe so das Gefühl, als ob es dort drüben auf Luzifer allerhand für mich zu tun gäbe …“ * Es waren noch keine sechs Stunden seit dem Aufbruch vergangen, als Doktor Fredborg mit seinen Schutzbefohlenen wieder am Landeplatz des „Hesperus“ eintraf. Sie hatten den ganzen Planetoiden umwandert und eine nach irdischen Begriffen er59
staunliche Marschleistung vollbracht. Doch angesichts der minimalen Schwere auf dem winzigen Himmelskörper hatten sie sich kaum anzustrengen brauchen. Sie waren über Berg und Tal leicht hinweggeschwebt. An Bord des „Hesperus“ stürzte sich alles neugierig auf die steinernen Kostproben, die die Ausflügler mitgebracht hatten. Auch die merkwürdige „Blumenerde“ ging von Hand zu Hand. Sie fühlte sich feucht an, war wie von dünnen weißen Fasern durchzogen und strömte einen üblen Geruch aus. Angewidert warf Sylvia den schwärzlichen Stoff in die Schachtel zurück, die Fred Lynam ihr reichte. Es mochten etwa drei Stunden vergangen sein, als das junge Mädchen, das mit einem Buch im großen Gemeinschaftsraum gesessen hatte, eine tödliche Müdigkeit fühlte. Die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen. Ein stechender Kopfschmerz bohrte in den Schläfen, ein Frösteln kroch über ihre Haut. Befremdet blickte sie auf und klappte das Buch zu. Unter den Passagieren herrschte heute nicht die heitere, lärmende Stimmung wie sonst. Sollte sie der kleine Ausflug derartig ermüdet haben? Das war doch kaum anzunehmen. Mühsam stand Sylvia auf und tastete sich an der Wand entlang dem Ausgang zu. Sie sah, wie Ann Baker, ihre Kabinengenossin, sich ebenfalls erhob und sich ihr – auffallend blaß – anschloß. In der Nacht erwachte Sylvia mit einem Aufschrei aus qualvollen Fieberträumen. Die Wände der kleinen Kabine schienen auf sie einzudringen. Vergeblich versuchte sie, sich von den Haltegurten ihrer Hängematte zu befreien – die Glieder versagten ihr den Dienst. Verzweifelt rang sie nach Luft. Sie mühte sich ab, sich Ann Baker verständlich zu machen, die in der Hängematte über ihr lag. Aber ihre Lippen formten nur unartikulierte Laute. Auch von Anns Lager kam qualvolles Stöhnen … 60
Es war eine niederschmetternde Nachricht, mit der Doktor Fredborg den Kommandanten des „Hesperus“ am anderen Morgen aus den Federn jagte. Nicht weniger als sechsunddreißig Passagiere waren von einer unbekannten Krankheit befallen worden, die in der Mehrzahl der Fälle rasch einer Krisis entgegenzugehen schien. Kapitän Griggs fluchte wie ein Hafenkuli. Nur mühsam beruhigte er sich soweit, daß er den Schiffsarzt über nähere Einzelheiten befragen konnte. „Die Krankheit brach gegen Mitternacht aus, und zwar bei allen Befallenen fast zur gleichen Zeit. Genau drei Stunden später wurde eine zweite Gruppe von Passagieren von der Krankheit ergriffen. Es handelte sich durchweg um Kabinengenossen der zuerst Erkrankten. Nach abermals drei Stunden wurden mir sechs neue Fälle gemeldet. Diesmal waren die Opfer unter den freiwilligen Helfern, die sich zur Betreuung der Kranken gemeldet hatten.“ „Damned – also eine ansteckende Krankheit, eine regelrechte Epidemie?“ „Zweifellos, Käpten, und leider keine von den bekannten. Deshalb ist es auch schwer, sie wirksam zu bekämpfen. Die äußerlichen Symptome sind hohes Fieber, Atemnot, Lähmungserscheinungen …“ „Und Ihre Gegenmaßnahmen, Doc?“ Der Arzt zuckte die Achseln. „Wir können einstweilen nichts tun, als die Kranken und alle, die mit ihnen in Berührung kamen, streng zu isolieren und im übrigen alle Räume zu desinfizieren. Und noch etwas, Käpten: Verbieten Sie sofort das Betreten des Planetoiden.“ „Sie meinen doch nicht etwa, daß die Krankheitserreger auf diesem kleinen Planeten zu Hause sind?“ „Von der Erde haben wir sie jedenfalls nicht mitgebracht. Auffallend ist, daß die Seuche gerade drei Stunden nach unserer 61
Rückkehr vom Ausflug zum Ausbruch kam. Einige der Teilnehmer hatten sich Steine und ähnlichen Dreck ‚zur Erinnerung’ mitgebracht und zeigten sie herum. Wahrscheinlich waren sie mit den rätselhaften Bazillen behaftet, und …“ „… und so gelangte die Krankheit an Bord“, schloß Kapitän Griggs. „Sie haben recht, Doc. Und nun versuchen Sie, um Himmels willen, jedes Steinchen zu erwischen, das von diesem Satansplaneten stammt. Der Ingenieur soll in der Werkstatt ein prächtiges Feuerchen anzünden, und dann – hinein mit dem ganzen Zauber!“ * In stündlichen Abständen liefen in der kleinen Funkstation des Tankschiffes S.A.T. 288 die Meldungen ein, welche die genauer Position des Planetoiden Luzifer mitteilten. Das Raumfahrzeug eilte mit Höchstgeschwindigkeit dem kleinen Planeten nach, um dem „Hesperus“ Hilfe zu bringen. Allmählich holte das Tankschiff auf. Aber im gleichen Maße wuchs auch die Entfernung von der Außenstation. Das kleine Zubringerschiff, das nicht für größere Fahrten im interplanetarischen Raum konstruiert war, geriet stündlich mehr und mehr in Gefahr, selbst nicht mehr zurückkehren zu können. Fritz Wernicke bemerkte es mit Sorge. „War ’ne verdammte Schnapsidee von diesem Griggs, ausgerechnet diesen Luzifer anzulaufen. Finden Sie nicht auch, Chester?“ „Finde, ich eigentlich gar nicht, Sir“, lächelte der Führer des Zubringerschiffes, der in dem engen Kommandostand am Steuerknüppel saß. „Er will offenbar trotz seiner Havarie die Order ausführen und die Siedler zur Venus schaffen. Dabei hilft ihm Luzifer, den Vorsprung der anderen Schiffe einzuholen.“ „An sich nicht übel“, mußte Wernicke zugeben. „Aber an uns scheint er dabei verflucht wenig zu denken.“ 62
Die Zeit verging. Regelmäßig kamen die Positionsmeldungen von der Erde. Schließlich tauchte aus dem Sterngewimmel voraus die kleine Kugel des Planetoiden auf. Man war am Ziel. „Ich sehe nichts vom ‚Hesperus“, stellte Chester verwundert fest. „Der steckt natürlich auf der Sonnenseite“, belehrte ihn Fritz Wernicke, „auf der auch wir landen wollen. Aber zunächst, schlage ich vor, wollen wir noch eine kleine Ehrenrunde fliegen. Möchte mir erst mal die Bescherung von oben ansehen.“ Signalglocken rasselten. In das Tankschiff Nr. 288 kam Leben. Die Mannschaft eilte auf ihre Posten. Der Raketenmotor lief zu vollen Touren auf und ließ das Schiff erzittern. „Klar zum Landungsmanöver!“ „Warum nur der ‚Hesperus’ kein Lebenszeichen mehr gibt?“ wunderte sich Wernicke. „Am Ende ist der Vogel gar ausgeflogen. Los, Chester, gehen Sie in die Kurve!“ Das Schiff setzte zur Umkreisung des Planetoiden an. In scharfem Bogen folgte es der Krümmung seiner Oberfläche … „All devils!“ Fluchend drückte Chester das Höhensteuer, ließ gleichzeitig die Bremsdüsen aufheulen. „Schnell – runter!“ brüllte Wernicke. Nein, der Vogel war nicht ausgeflogen. Dicht vor dem Bugfenster wuchs der gewaltige Schiffsrumpf des „Hesperus“ vor ihnen auf. Mit voller Fahrt stürzten sie ihm entgegen – jeden Augenblick mußten die Schiffe zusammenprasseln. Das Ende? Doch die Katastrophe blieb aus. Das Tankschiff gehorchte dem Ruder. In letzter Sekunde schoß es unter dem Rumpf des Planetenschiffes hindurch. Es ging um Haaresbreite. „Achtung! Da – vor uns!“ Wernicke schrie es mit überschnappender Stimme. Das Schiff raste dicht über der Oberfläche des kleinen Him63
melskörpers dahin. Plötzlich rollte ihm – wie eine steinerne Woge – ein Hügelzug aus zerrissenem Fels entgegen.. Wieder tobten die Bremsdüsen los und schleuderten ihre Flammen der Fahrtrichtung entgegen. Verbissen legte sich Chester in die Steuerung … Doch diesmal schaffte er es nicht mehr. Die Felsen schossen heran – ein Ruck ging durch das Schiff – der schrille Laut reißenden Blechs … . Die Alarmsirene heulte. Automatisch schlossen sich die luftdichten Schotten. Unter der Wirkung der Bremsschüsse minderte sich die Fahrt, das Schiff setzte zur Landung an. Fritz Wernicke aber fluchte zum Steinerweichen … * Seite an Seite mit Doktor Young und William Harwell schritt Jim Parker in der großen Halle des Materialuntersuchungslabors auf und ab. Die letzten Schwingungsversuche waren befriedigend ausgefallen, und der Kommodore befand sich in bester Laune. „Wenn alles klar geht, Doktor“, rief er und schlug dem kleinen Gelehrten auf die Schulter, daß er entsetzt zusammenzuckte, „wenn alles klar geht, werden wir demnächst im Bereich der Venus eine neue Außenstation errichten.“ „So, so“, murmelte Young geistesabwesend. „Ich hätte gern schon jetzt ein paar Werkstoff-Fragen mit Ihnen besprochen“, fuhr Parker fort. „Da wäre vor allem das Baumaterial für die Zelle. Wir müssen in diesem Falle ganz besonderen Wert auf geringes Gewicht legen …“ „Auf geringes Gewicht – gewiß, gewiß.“ „… aber die Festigkeit darf natürlich in keiner Weise darunter leiden.“ „Natürlich, natürlich“, murmelte Young zerstreut. „Und was würden Sie als Fachmann, da vorschlagen?“ 64
„Ja eben, ja eben.“ Der Doktor hatte offenbar nicht zugehört. „Vielleicht – vielleicht können wir uns später weiter darüber unterhalten. Entschuldigen Sie mich jetzt bitte. Eine dringende Besprechung …“ Die kleine dürre Gestalt hüpfte bereits davon und verschwand durch das Hallentor. Kopfschüttelnd sah Jim Parker ihr nach. „Komischer Kauz.“ Harwell lächelte säuerlich. „Wir kommen nur selten mit ihm klar, Kommodore.“ „Kann ich mir denken. Na, dann will ich man auch gehen. Good bye, Harwell!“ „Einen Augenblick noch, Kommodore. Entschuldigen Sie – aber ich bin so in Sorge um Miß Morrison. Ist denn der ‚Hesperus’ immer noch nicht auf der Außenstation eingetroffen?“ „Der ‚Hesperus’? Nein, der hockt noch auf diesem komischen Planetoiden Luzifer. Wernicke funkte mir, daß er mit einem Zubringerschiff zur Hilfeleistung aufgebrochen wäre.“ „Und glauben Sie, daß die Hilfe noch zur rechten Zeit eintreffen wird?“ „Sie muß, old fellow“, erwiderte Jim Parker ernst. „Denn wenn Wernicke es jetzt nicht schafft, wird er Luzifer nicht mehr einholen.“ „Und das bedeutet?“ „Das bedeutet, daß der Planetoid mit allem, was sich auf ihm befindet, mit rasanter Geschwindigkeit auf die Sonne zustürzt, bis er unter der Hitze ihrer Strahlen in heller Glut aufflammen wird. Wenn Wernicke den ‚Hesperus’ nicht schleunigst flott bekommt, dann ist es zu spät … Aber so, wie ich den guten Fritz kenne, wird es ihm gelingen.“ *
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Und abermals fluchte Wernicke zum Steinerweichen … Als er im Raumtaucheranzug aus der Luftschleuse der Rakete 288 herausgeklettert war und den Schaden betrachtete, erkannte er auf den ersten Blick, daß das Tankschiff verloren war. Der verdammte Planetoid hatte zweifellos den härteren Schädel gehabt. Man würde den Brennstoff in die Tanks des „Hesperus“ umfüllen und an Bord des großen Planetenschiffes heimkehren müssen. Der dicke Cunningham würde nicht schlecht toben, wenn er vom Verlust des Tankschiffes erfuhr. Aber das war nun nicht mehr zu ändern. Schuld daran hatten letzten Endes diese Weihnachtsmänner vom „Hesperus“. Die Kerle mußten die ganze Zeit über geschlafen haben. Na – er, Fritz Wernicke, würde sie schon ganz abscheulich munter machen. Der kleine Steuermann stieß sich vom Boden ab und ließ die Rückstoßpistole spielen. In steiler Kurve schoß er aufwärts – auf die Einstiegluke des Planetenschiffes zu. Als er sich in die offene Schleusenkammer hineinschwang, hielt er erstaunt inne: Am Rahmen der Außentür hing die gelbe Quarantäneflagge! An Bord mußte eine ansteckende Krankheit ausgebrochen sein. Mit gewohnten Griffen schleuste sich Wernicke in das Innere des Schiffes ein. Als er die Tür zum Mittelgang öffnete und den Taucherhelm aufklappte, prallte er erschrocken zurück. Zwei Männer der Besatzung sprangen mit einer Eimerspritze auf ihn zu und besprengten ihn von oben bis unten mit einer scharfriechenden, desinfizierenden Flüssigkeit. „Ist das eine Art, friedliebende Bürger zu begrüßen?“ schimpfte der kleine Steuermann entrüstet. „Gebt mir lieber einen anständigen Whisky, ihr Trampeltiere. Der ist ein besseres Desinfektionsmittel als eure stinkende Brühe.“ Vom Führerraum her kam Kapitän Griggs. Er sah müde aus und schien um Jahre gealtert. „Willkommen, Mister Wernicke! Ihren Schnaps sollen Sie 66
haben. Fürchte aber, daß auch Sie uns nicht mehr helfen können. Kommen Sie mit nach vorn.“ „Wir haben getan, was wir konnten“, schloß der Kapitän seinen Bericht als sie einander im Führerstand gegenübersaßen. „Aber trotz aller Gegenmaßnahmen hat die Seuche erschreckend um sich gegriffen. Nun sind auch die Ingenieure und die Mehrzahl der Maschinisten erkrankt. Ich mußte die Instandsetzungsarbeiten am Triebwerk einstellen lassen.“ Wernicke schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Und ich dachte, wir brauchten nur den Brennstoff in Ihre Tanks zu pumpen und die Reise könnte losgehen. Lieber Mann, wissen Sie denn nicht, daß jede Minute kostbar ist? Wenn der ‚Hesperus’ nicht schleunigst von diesem gastlichen Planeten freikommt, sind wir alle verloren.“ „Ich weiß es“, nickte Griggs düster, „aber es ist zu spät. Ich sehe keine Rettung mehr.“ Fritz Wernicke leerte die Flasche mit einem Zuge. Er trat ans Fenster und blickte lange hinaus. Draußen schwebten seine Begleiter heftig gestikulierend um das Wrack des Tankschiffes 288 herum. Tausend Gedanken wirbelten durch seinen Kopf. Plötzlich drehte er sich um und eilte zur Funkkabine. „Es gibt noch eine schwache Hoffnung, Käpten“, rief er über die Schulter zurück. „Wir müssen es versuchen.“ Minuten später trugen die Funkwellen einen dringenden Hilferuf an Jim Parker durch den Weltraum. * Man setzte in Orion-City große Hoffnungen auf den „Meteor“, das neueste und modernste Raumschiff des S.A.T. Das Schiff sollte auf der Mond-Route eingesetzt werden und die 384 000 Kilometer zwischen der Erde und den Mondwerken in der Rekordzeit von 20 Stunden bewältigen. 67
Aber einstweilen lag das schlanke Raketenschiff noch aufgebockt in der großen Montagehalle, und Scharen emsiger Arbeiter waren dabei, ihm den letzten Schliff zu geben. Die Arbeiten am Triebwerk waren bereits abgeschlossen. Für 6 Uhr nachmittags war der letzte Brennversuch angesetzt. Der Kommodore überwachte persönlich die Vorbereitungen. Gerade kehrte er mit dem Montageleiter von einem Kontrollgang aus dem Heck des Schiffes zurück, als die optische Personenrufanlage an der Stirnwand der Halle sein Lichtsignal aufleuchten ließ. Rasch federte er zum nächsten Telephonapparat und meldete sich. „Hier Parker!“ „Cunningham. Ähem – hören Sie, Parker: Auf Luzifer ist der Teufel los.“ Jim Parker fühlte sich von einem eisigen Schreck ergriffen. Die Landung des „Hesperus“ auf dem Planetoiden, der auf die Sonne zueilte, war ihm von Anfang an nicht geheuer vorgekommen. Aber er hatte einige Hoffnung in Wernickes Eingreifen gesetzt. „Was ist los, Boß? Haben Sie neue Nachrichten vom ‚Hesperus’? Hat Wernicke sich gemeldet?“ „Er hat – war aber verdammt wenig Gutes, was er zu berichten wußte. Eine Seuche ist an Bord des ‚Hesperus’ ausgebrochen. Die Hälfte aller Leute liegt hilflos auf der Nase. Wernickes Kahn ist beim Landen zu Bruch gegangen …“ Dem Kommodore stockte der Atem. Das waren ja tolle Hiobsbotschaften. Offenbar befand man sich auf Luzifer in höchster Gefahr. Wenn die dort oben nicht schleunigst klar kamen und den teuflischen Planetoiden verlassen konnten, waren sie hoffnungslos verloren. „Was wird Wernicke tun, Boß?“ „Er will versuchen, mit seinen eigenen Leuten den ‚Hesperus’ wieder flott zu kriegen. Schafft er das nicht …“ 68
„… und schafft er es nicht bald, Boß, dann ist er verloren – mit allem, was auf diesem verdammten Planetoiden fleucht und kreucht. Und wir können ihm nicht einmal helfen.“ Cunningham seufzte tief. „Ich sehe auch keine Möglichkeit Wir können nur hoffen, daß ihm das schier Unmögliche doch noch gelingt.“ * Die Lage auf Luzifer war – nach menschlichem Ermessen – hoffnungslos. Aber der kleine Wernicke war ein zäher Bursche, und er dachte gar nicht daran, sich geschlagen zu geben. An Bord des „Hesperus“ hatte die rätselhafte Epidemie weiter um sich gegriffen, allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz. Es war, als ob die Krankheitserreger plötzlich allgegenwärtig seien. Alle paar Stunden wurden neue Krankheitsfälle gemeldet, und als der Tag zu Ende ging, hatte die Seuche ihre ersten Todesopfer gefordert: Ein älterer Farmer aus Idaho und ein Steward der Schiffsbesatzung waren in tiefe Bewußtlosigkeit gesunken, aus der sie nicht mehr erwachten. Fritz Wernicke überließ die Pflege der Kranken ganz dem Kapitän des „Hesperus“ und seinen Besatzungsmitgliedern, soweit sie nicht schon selbst hilflos daniederlagen. Er stürzte sich mit den Männern des zerstörten Tankschiffes auf das Triebwerk des „Hesperus“ und arbeitete wie ein Berserker, um es wieder klar zu bekommen. Aber als er schließlich eine Ruhepause einlegen mußte, wurde es ihm klar, daß er ohne Ersatzteile von der Außenstation kaum zum Ziel kommen würde. Von der Außenstation? Unmöglich – längst war der Abstand des Planetoiden von „Luna nova“ viel zu groß geworden. Auch von den anderen Planetenschiffen war keine Hilfe zu erwarten. Kein Schiffsführer durfte es wagen, von der haargenau berech69
neten Fahrtroute abzuweichen, wenn er nicht Schiff und Mannschaft aufs Spiel setzen wollte. Fritz Wernicke nahm einen tiefen Schluck aus einer GinFlasche, von denen ihm Kapitän Griggs eine ganze Kiste zur Verfügung gestellt hatte. Gedankenvoll ging er in die Funkkabine. „Hallo, Cary – Funkspruch nach Orion-City: ‚Wernicke an S.A.T., Cunningham: Tankschiff 288 verloren, mußte aufgegeben werden. Brennstoff durch ‚Hesperus’ übernommen. Triebwerksreparatur ‚Hesperus’ jedoch ohne Ersatzteile und Hilfsmannschaften nicht möglich. Seuche an Bord greift weiter um sich. Können Luzifer mit eigener Kraft nicht mehr verlassen. Brauchen dringend Hilfe. S–O–S!’“ Mechanisch schaltete der Funker die Sendeanlage ein und jagte den Notruf hinaus – wieder und immer wieder. Und unablässig raste Luzifer der Sonne entgegen – mit all den todgeweihten Menschen, die Schutz auf ihm gesucht hatten. Von Sekunde zu Sekunde wuchs sein Abstand von der Erde, wurde die Hoffnung auf Rettung geringer, um schließlich ganz zu verschwinden … * „Sie schlagen also für die Zelle der Venus-Außenstation die neue Legierung ML 22 als Baumaterial vor?“ fragte Jim Parker den Leiter des Materialuntersuchungslabors interessiert und zündete sich eine „Maza Blend“ an. Sie saßen im Privatlabor zusammen, das noch immer Spuren des Brandes aufwies: Jim Parker, Doktor Abel Young und William Harwell. Die Unterhaltung ging stockend; denn die Gedanken der drei Männer waren weit fort – auf einem winzigen Himmelskörper, der fern im Weltall dem mächtigen Glutball der Sonne entgegenstürzte. „ML 22 ist das Beste, das ich Ihnen zur Zeit bieten kann“, 70
sagte Doktor Young grämlich und fächelte entrüstet den Rauch aus Parkers Zigarette zur Seite. Das Rauchen galt hier, im Allerheiligsten des fanatischen Nikotingegners, als eine wahre Todsünde. „Die Anforderungen an das Material sind immerhin beträchtlich“, wandte der Kommodore gedankenverloren ein. „Die Legierung hat die Festigkeitsprüfungen befriedigend bestanden.“ „Allerdings nur bei normalen Temperaturen“, stellte Harwell richtig. „Wir werden die Untersuchungen im Kältelabor wiederholen müssen.“ Vom Hoftor her ertönte aufgeregtes Hupensignal. Ein schwerer Wagen kurvte in voller Fahrt über den Hof, hielt mit kreischenden Bremsen vor dem Privatlabor. Mit einer Behendigkeit, die man seiner massigen Gestalt nie und nimmer zugetraut hätte, turnte Ted S. Cunningham, der allgewaltige Beherrscher des S.A.T., aus dem Fond hervor und stürzte in den Laborraum. Die drei Männer sprangen überrascht auf. „Tag, Gentlemen! Mister Parker hier? Ach, da ist er ja …“ „Hallo, Boß! Was ist los?“ „Der Teufel ist los“, schimpfte der Atomboß und wischte sich mit seinem großen rotkarierten Schnupftuch den Schweiß aus dem Gesicht. „Dieser Luzifer! Hier, lesen Sie doch nur!“ Und er reichte dem Kommodore die Depesche, die das Raumschiff „Hesperus“ in größter Not zur Erde gesandt hatte. Jim Parker las sie und erstarrte. Im Stillen hatte er gehofft, sein alter Fritz Wernicke würde schon mit allen Schwierigkeiten fertig werden; aber was konnte er schon ausrichten, wenn die furchtbare Seuche an Bord des ‚Hesperus’ seine Helfer nacheinander dahinraffte? „Wie groß ist die augenblickliche Entfernung des Luzifer?“ fragte er den Generaldirektor. „18,7 Millionen Kilometer“, erwiderte Cunningham bedrückt. 71
„Wir dürfen keine Minute verlieren, Boß, wenn wir noch helfen wollen.“ Jim Parkers Gedanken jagten sich. Im Geist ließ er alle Schiffe der stattlichen Weltraumflotte des S.A.T. vorüberziehen – die kleinen Zubringerraketen für den Verkehr mit der Außenstation, die größeren Mondschiffe … Sie waren sämtlich für den „Nahverkehr“ gebaut und für Weltraumfahrten zu entfernteren Zielen nicht geeignet. Und die großen Planetenschiffe waren ohne Ausnahme unterwegs zur Venus und konnten den peinlich genau vorberechneten Kurs nicht willkürlich verlassen. Auch Cunningham wußte das, und mutlos hob er die Schultern. William Harwell sah die Ratlosigkeit der anderen. „Gibt es denn gar keine Möglichkeit?“ fragte er leise. Als hätte diese Frage ein Relais in seinem Gehirn ausgelöst, kam dem Kommodore blitzhaft ein Gedanke. „Der ‚Meteor’! Wenn es überhaupt noch möglich ist, dann nur mit dem ‚Meteor’.“ „Aber der ‚Meteor’ ist doch als Expreß-Frachtschiff für die Mond-Route bestimmt“, warf Cunningham zweifelnd ein. „Gewiß – aber denken Sie an seine überragende Triebwerksleistung, Boß. Außerdem können wir in den leeren Frachträumen größere Treibstoffreserven mitnehmen. Die übrigen Räume werden für die Aufnahme der ‚Hesperus’-Leute hergerichtet, einer davon als Isolierstation für die Kranken.“ Der dicke Cunningham, der eben noch so hoffnungslos ausgesehen hatte, war plötzlich wie verwandelt. „Sie haben recht, Parker!“ Mit raschen Schritten ging er zum Telephon und ließ die Nummernscheibe tanzen. Sekunden später dröhnten die Kommandos durch die große Montagehalle des Raketenflugfeldes von Orion-City. Raumschiff ‚Meteor’ wurde in größter Eile startklar gemacht. *
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„,Meteor’ klar zum Start!“ meldete der Flugplatzkommandant und salutierte vor dem Kommodore, der in seinem kleinen, grün-weißen Sportwagen – schon mit der leichten Raumfahrerkombination des S.A.T. bekleidet – über das weite, nächtliche Feld herangeschossen kam. „Danke.“ Jim Parker schüttelte dem anderen die Hand. „Ist die Besatzung vollzählig?“ „Die Besatzung für den ‚Meteor’ war noch nicht zusammengestellt, Kommodore. Wir haben die wichtigsten Posten mit Leuten aus dem Stammpersonal besetzt, mußten aber darüber hinaus auf Freiwillige zurückgreifen.“ „Haben sich genug Freiwillige gemeldet?“ „Aus allen Abteilungen des S.A.T., Kommodore. Die Mannschaft ist vor der Halle angetreten. Wollen Sie sie besichtigen?“ Jim Parker begrüßte die Männer, die ihn auf seiner Hilfsexpedition ins Weltall begleiten sollten, und musterte jeden von ihnen eingehend. „Hallo, Harwell!“ rief er und blieb vor dem jungen Ingenieur stehen, der in seiner Raumfahrerkombination ganz fremd wirkte, „ich hatte gewußt, daß Sie mit von der Partie sein würden.“ „Ich hatte keine Ruhe mehr, Kommodore. Ich muß dabei sein, wenn es um die Rettung der ‚Hesperus’-Mannschaft geht.“ Jim Parker schritt weiter. „Was? Sehe ich recht? Auch Sie, Doktor Young?“ Der kleine Gelehrte, der in seinem Weltraumdreß fast versank, trippelte verlegen von einem Fuß auf den anderen. „Es ist wegen dieser unbekannten Bakterien auf Luzifer. Meine Forschungen …“ „Ihre Forschungen als Bakteriologe in Ehren, Verehrtester“, mischte sich ein rundlicher Mann mit freundlichem Vollmondgesicht ein, „aber wenn Sie glauben, Sie könnten eine Kostprobe dieser scheußlichen Krankheitserreger von Luzifer mitbringen, irren Sie sich gewaltig. Ich habe von Mister Cunningham strenge 73
Order, dafür zu sorgen, daß auch nicht die Spur eines Bazillus auf der Erde eingeschleppt wird.“ „Doktor Leonhard! How do you do!“ rief der Kommodore erfreut und hieb dem Dicken, der den Posten des leitenden Arztes und Biologen beim S.A.T. bekleidete, kräftig auf die Schulter. „Nett, daß Sie uns begleiten. Aber wie stellen Sie sich die Ausführung Ihres schwierigen Auftrags in der Praxis vor?“ „Ganz einfach“, versicherte Doktor Leonhard zuversichtlich. „Das verseuchte Raumschiff bleibt auf Luzifer zurück. Die Kranken wandern in den Isolierraum des ‚Meteor’ und bleiben so lange in Quarantäne, bis die Epidemie erloschen ist. Die Gesunden kommen bis zum Ablauf der Inkubationszeit in einen besonderen Quarantäneraum. Alle Klamotten, die wir nicht zurücklassen, werden mit SDT desinfiziert. Wette, daß selbst der dickfelligste Bazillus diesem neuen Mittel nicht gewachsen ist.“ Doktor Young konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. Seine Mission war gescheitert, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Heimlich wollte er sich davonschleichen. Doch da klang der Befehl des Kommodore über das Feld: „Alle Mann an Bord!“ „Mitgegangen – mitgefangen“, knurrte William schadenfroh, der die mißglückten Absetzbewegungen seines Chefs beobachtet hatte. Eilig begab sich die Besatzung an Bord. Die Einstiegluke schwang zu. Hinter einem Seitenfenster des Führerraums blitzte eine Signallampe dreimal auf. „Achtung! Rakete klar – Zündung!“ Brausend schoß der „Meteor“ himmelwärts. Sein Flammenschweif wurde schwächer und verglomm zwischen den Sternen, die in unendlicher Zahl am Nachthimmel funkelten. *
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Doch der einzige Stern, dem in diesem Augenblick die Sorge aller, Menschen galt, befand sich nicht unter ihnen. Er war zu klein, um von der Erde aus mit bloßem Auge erkannt zu werden – der Planetoid Luzifer. „Äußerste Kraft voraus!“ befahl der Kommodore. „Wir müssen ihn einholen.“ .
War es im allgemeinen üblich, im Raum zwischen den Planeten ohne Antrieb oder nur mit schwach arbeitendem Raketenmotor zu fliegen, weil man sparsam mit den kostbaren Treibstoffen umgehen mußte, so hatte Jim Parker diesmal mit dem herkömmlichen Brauch gebrochen. Zu groß war der Vorsprung 75
Luzifers auf dem Wege zur Sonne, zu groß die Gefahr für die Schiffbrüchigen, die sich auf ihn geflüchtet hatten. „Wir holen auf, Kommodore“, frohlockte William Harwell. Er war mit der Fernrohrbeobachtung im Führerraum beauftragt worden und stand neben Jim Parker am Backbordfenster. „Sehen Sie doch selbst!“ Parker blickte durch das Okular des Beobachtungsinstrumentes. Wahrhaftig – man kam dem Ziel näher. Deutlich hob sich Luzifer bereits als kleines Scheibchen von den Lichtpunkten der Fixsterne ab. „Kommodore, wir müssen abschalten. Der Ofen brennt uns sonst durch. Das Kühlsystem ist dieser Beanspruchung nicht gewachsen.“ Der Ingenieur des „Meteor“ stand in der Tür des Führerraums und wiegte bedenklich den Kopf. Jim Parker sah auf das Fernthermometer der Ofenwand und erschrak. Der Zeiger stand weit über dem roten Strich, der Gefahr bedeutete. „Brennschluß!“ befahl er hastig. Das Brausen des Motors verstummte. Wie ein Pfeil schoß der „Meteor“ antriebslos weiter. Der Kommodore warf noch einen kurzen Blick auf die Positionskarte und begab sich zum Lagerraum VI im Mittelteil des Schiffes, wo Doktor Leonhard mit seinen Helfern an der Einrichtung des Lazaretts arbeitete. Die plötzliche Andrucklosigkeit bei Brennschluß hatte einige Verwirrung verursacht. Menschen und Gegenstände schwebten gewichtslos im Raum umher. „Was ist passiert, großer Meister?“ rief der dicke Doktor dem Eintretenden entgegen und angelte vergeblich nach einem festen Halt. Jim Parker fing den Zappelnden lächelnd ein und verankerte ihn am Türgriff. „Seien Sie unbesorgt, Doc, es ist nichts geschehen. Wir müssen nur dem Raketenmotor ein bißchen Erholung gönnen. Doch was ist denn in der Kiste drin, die Sie so liebevoll umarmt halten?“ 76
„Novomycin“, flüsterte Doktor Leonhard geheimnisvoll. „Das neueste Antibioticum. Wenn mich nicht alles täuscht, wird es den Kranken des ‚Hesperus’ die Rettung bringen.“ * Fritz Wernicke atmete tief auf, als Carey, der Funker des „Hesperus“, ihm im Mittelgang zwischen den Treibstofftanks den schmalen Zettel mit dem Funkspruch aus Orion-City in die Hand drückte. „S.A.T. an ‚Hesperus’“, las er halblaut vor. „Kommodore mit ‚Meteor’ zur Hilfeleistung gestartet. Verladen von Mannschaften und wichtigstem Gepäck vorbereiten. Raumschiffe ‚Hesperus’ und ‚288’ sind aufzugeben, Cunningham.“ „Jim Parker kommt?“ fragte Carey, der die Hoffnung auf Rettung schon aufgegeben hatte, ungläubig. „Er kommt!“ frohlockte der kleine Steuermann. „Ich wußte, daß er uns nicht im Stich lassen würde.“ Und schon eilte er nach vorn, um mit Käpten Griggs und dem Schiffsarzt das Ausbooten der Passagiere und Mannschaften vorzubereiten. – Es sollten noch einige Tage vergehen, bis der „Meteor“ heran war. Doch eines Morgens gellte der Ausruf des Ausgucks im Führerraum durch das Schiff: „Raumschiff steuerbord im Anflug!“ Unter dem Jubel aller, sofern sie nicht – von der Seuche niedergestreckt – in den Hängematten lagen, schob sich draußen der schlanke, silbrige Leib des so heiß herbeigesehnten Hilfsschiffes heran und hielt im Abstand von hundert Metern. Die Luftschleuse öffnete sich. Vier Gestalten in Weltraumpanzern stießen sich ab und schwebten auf den „Hesperus“ zu. „Willkommen, Kommodore!“ rief Kapitän Griggs und schüttelte Jim Parker, der gerade die Sichtscheibe seines Taucherhelms aufklappte, die Hand. „Das nenne ich Hilfe in größter Not.“ 77
„Keine langen Begrüßungszeremonien, Käpten“, wehrte der Kommodore ab. „Wir sind ohnehin um fast 24 Stunden im Verzug und dürfen keine Zeit mehr verlieren. Lassen Sie sofort mit dem Ausbooten beginnen. Gesunde und Kranke getrennt. Anschließend das Gepäck.“ Und – zu Fritz Wernicke gewandt: „Der ‚Meteor’ muß nachtanken. Erledige das bitte sofort. Alles Weitere später.“ Der kleine Fritz tobte bereits davon und rief das Maschinenpersonal zusammen. Doktor Leonhard riß sich den ungefügen Schutzanzug vom Leibe und lief zur Krankenstation, um den Schwerkranken die ersten Injektionen zu geben. Doktor Young hatte sich ihm angeschlossen und ließ seine listigen Augen wie flinke Mäuse zwischen den Hängematten der Patienten umherhuschen. Die ersten Kranken wurden vorübergetragen und vor der Luftschleuse sorgfältig in Raumanzügen verpackt. William Harwell, der vierte von den Männern, die vom „Meteor“ herübergekommen waren, erkannte in einer bleichen, abgemagerten Gestalt Sylvia Morrison. Erschüttert wollte er auf sie zueilen. Aber Doktor Leonhard, der gerade vorbeikam, riß ihn zurück. „Stop, old fellow – Ansteckungsgefahr! Aber trösten Sie sich: Sie ist bereits auf dem Wege zur Besserung.“ – Mit der Uhr in der Hand überwachte Kommodore Parker die Räumung des Schiffes. Immer wieder drängte er zur Eile. Schweißgebadet kam Fritz Wernicke auf ihn zu. „Tanken beendet!“ „Gut, Fritz. Hilf inzwischen den anderen beim Verladen des Gepäcks!“ Eine weitere Stunde verging. Da trat Kapitän Griggs heran und meldete: „Verladen beendet, Kommodore. Alles klar zum Verlassen des Schiffes!“ „Danke, Griggs. Geben Sie das Alarmsignal!“ 78
Dreimal heulte die Sirene in allen Räumen und Gängen des „Hesperus“. Als sie zum drittenmal verstummte, wurde die Tür des Lazarettraums hastig aufgerissen. In ihrem Rahmen erschien die Gestalt Doktor Youngs. Ein triumphierendes Lächeln stand im Gesicht des kleinen Gelehrten. „Nanu, Doktor – Sie noch hier?“ wunderte sich Jim Parker. „Nun aber schnell! Fast wären Sie allein zurückgeblieben!“ Eine letzte Gruppe von vermummten Gestalten verließ das dem Untergang geweihte Planetenschiff und schwebte auf den rettenden „Meteor“ zu. * Die Rückreise des „Meteor“ verlief ohne weitere Zwischenfälle. Dank den Bemühungen der beiden Ärzte und der hervorragenden Wirkung des neuen Wundermittels Novomycin kam die Seuche noch im Verlauf der Fahrt zum völligen Erlöschen. Bald konnte die Quarantäne aufgehoben werden. Um den geschwächten Organismus der Genesenden nicht – nach längerem Aufenthalt im schwerefreien Weltraum – sofort der vollen Wirkung der Erdschwere auszusetzen, verzichtete der Kommodore auf die unmittelbare Rückkehr zur Erde und lief fürs erste die Außenstation an. Hier sollten sie sich – als Gäste des S.A.T. – zunächst unter ärztlicher Aufsicht vollends erholen. Einige Wochen waren vergangen. William Harwell und Sylvia Morrison machten sich bereit, mit der nächsten Lastrakete nach Orion-City zu fliegen. „Und wie lange wird es wohl dauern, bis du mir das nächstemal entwischst?“ fragte William. „Zur Venus oder sonstwohin, um für unseren verehrten Chef Bazillen zu sammeln?“ „Oh, Bill, ich tue es bestimmt nicht wieder“, beteuerte Sylvia verlegen, „Übrigens wird Doktor Young keine Gelegenheit 79
mehr haben, mir solche ehrenvolle Aufträge zu geben. Ich habe mich nämlich zur Abteilung Doktor Leonhards versetzen lassen.“ William atmete auf. „Sylvia, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr mich das beruhigt. In 14 Tagen also – Zeit genug für dich, um vorher noch mit mir …“ „Ja, was denn?“ tat Sylvia erstaunt. „… aufs Standesamt zu gehen“, schloß William den Satz und gab Sylvia einen herzhaften Kuß. * Mit einer kleinen Schar seiner Mitarbeiter saß Jim Parker im Observatorium der Außenstation „Luna nova“ um ein Fernrohr herum, das soeben von der Erde heraufgeschafft worden war. Robert Douglas, den das weitere Schicksal seines Luzifer begreiflicherweise brennend interessierte, drehte am Okularrevolver. „Luzifer wird bald hinter der Sonne verschwinden, Gentlemen“, erklärte er. „Sie können ihn jetzt noch nahe am Sonnenrande erkennen. Durch die große Hitze des Zentralgestirns dürfte er bereits in Rotglut geraten sein.“ „Und mit ihm der ‚Hesperus’, unser prächtiges Planetenschiff“, murmelte der Kommodore bedauernd und blickte in das Okular, das Douglas ihm freigab. „Schade um den vielen Sprit, den er noch an Bord hatte“, seufzte Wernicke. „Wir konnten ihn leider nicht mehr bergen.“ „Die Sache hat auch ihr Gutes“, sagte Jim Parker ernst. „So betrüblich der Verlust des wertvollen Raumschiffs auch ist – der teuflische Planetoid wird wenigstens so gründlich durchgeglüht, daß seine Bewohner, diese niederträchtigen Bazillen, dabei mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden.“ „Ja, Gott sei Dank!“ rief auch Doktor Leonhard „Diese reizenden Zeitgenossen, die fast zu einer neuen Geißel für die 80
Menschheit geworden wären, sind nun endgültig aus der Welt geschafft.“ Niemand sah das hintergründige Lächeln in den faltigen Zügen Doktor Youngs, als seine Finger wie liebkosend über ein Fläschchen glitten, das er wohlverschlossen in einer Tasche seiner Kombination verborgen hielt. – Ende –
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All die Fragen der Atomphysik, Raketentechnik, Weltraumschiffahrt und Weltstationen behandelt im Rahmen einer spannungsgeladenen Handlung
Die für Deutschland ganz neue Zukunftsserie erscheint l4täglich und ist überall im Zeitschriftenhandel oder direkt durch den Verlag Erich Pabel, Rastatt/ Baden, erhältlich. Bisher sind 15 UTOPIA-Bände erschienen, die noch alle lieferbar sind. * Band 1: Strafkolonie Mond Das „Staatliche Atom-Territorium“ läßt die gefährlichen, bei der Gewinnung von Atomenergie anfallenden radioaktiven Nebenprodukte auf Anraten des Raumschiffkommodore Jim Parker nach dem Mond verfrachten. Die „Gelbe Union“ versucht, die Anlagen des S.A.T. auf dem Mond zu vernichten. Band 2: Die Macht des Unheimlichen Alarm und Schrecken in der Atomstadt. Die „Gelbe Union“ hat ihren Großangriff eröffnet. Eine geheimnisvolle, lenkbare Raumstation erscheint über Orion-City. Jim Parker wird als Geisel entführt. Man droht, ihn zu ermorden, falls Orion-City nicht seine geheimen Forschungsanlagen ausliefert.
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Band 3: Panik im Weltall Ein interplanetarisches Verkehrsunternehmen rüstet in Detroit zur ersten „Vergnügungsfahrt“ in den Weltraum. Mit dreißig dollarschweren, abenteuerlustigen Passagieren an Bord startet das Raumschiff „Globetrotter“ zu einer „Spritztour ins Weltall“. Eine Reihe dramatischer Zwischenfälle bringt Raumschiff und Fahrgäste in eine äußerst gefährliche Situation. Band 4: Auf dem künstlichen Mond Jenseits der Grenzen der irdischen Atmosphäre entsteht eine kosmische Außenstation. Jim Parker und seine Männer müssen nicht nur mit den technischen Schwierigkeiten fertig werden, sondern sie haben es darüber hinaus mit geheimnisvollen Gegnern zu tun, die den künstlichen Mond in den Dienst zerstörerischer Pläne stellen wollen. Band 5: Kurierflug nach Orion-City Tim Wendler soll als Kurier die geheimen Forschungsergebnisse des mexikanischen Atomphysikers, Professor Varras, von der „Varras-Insel“ im Südatlantik nach der „Atomstadt“ OrionCity schaffen. Als er zusammen mit Iris Varras, der Tochter des Gelehrten, in seiner Kuriermaschine startet, ahnt er noch nichts von den verhängnisvollen Abenteuern, die auf ihn warten, und von dem schweren Verdacht, in den er geraten soll. Band 6: Kameraden zwischen Erde und Venus In ihm rüstet das Staatliche Atom-Territorium zur ersten Fernexpedition zu unserem Nachbarplaneten Venus. Unter Kommodore Jim Parker startet das modernste Weltraumschiff von 83
der künstlichen Raumstation aus zu seiner abenteuerlichen Fahrt, die von der gesamten Menschheit mit Spannung verfolgt wird. Band 7: Kampf um den Vulkan Ein großes technisches Projekt – die Gewinnung von Energie aus dem heißen Inneren der Erde – soll verwirklicht werden. In Mexiko, dem Land der Vulkane, begibt sich der junge Geologe Harry Hilton an die Arbeit. Jim Parker, der Raumschiffkommodore, und sein treuer Gefährte Fritz Wernicke stürzen bei der Erprobung eines neuen Raketenflugzeugtyps über Mexiko ab und stoßen ebenfalls zu Hiltons Expedition. Die Männer haben eine Kette aufregender Abenteuer zu bestehen. Band 8: Das lautlose Grauen Im Gebiet der gigantischen Werkanlagen, die das „Staatliche Atom-Territorium“ der USA. auf der Suche nach Uranerzen auf der Rückseite des Mondes angelegt hat, dreht eine Filmgesellschaft Außenaufnahmen für einen Raumfahrtfilm. Durch Bohrungen in einer neuen Schachtanlage aufgeschreckt, verlassen Schlangen unbekannter Art, die in unerforschten Höhlen unter der Mondoberfläche hausen, ihre Schlupfwinkel und überfluten in großer Zahl das Werkgebiet von „Luna IV“. Band 9: Flucht vor dem Kometen Aus den Tiefen des Weltalls nähert sich ein mächtiger Komet. Die Astronomen rechnen aus, daß er die Erdbahn kreuzen und mit der Erde zusammenstoßen wird. Falsche Propheten kündigen bereits den Weltuntergang an. Der gewaltige Schweifstern 84
kann zwar der Erde nichts anhaben, da sie durch ihren dichten Luftmantel geschützt ist, aber der kosmischen Außenstation und den Anlagen auf dem Mond droht Vernichtung durch einen Hagel von Meteorsteinen aus dem Kometenkopf. Band 10: Abenteuer In Alaska Ein gewaltiger Meteorstein stürzt vom Himmel herab und schlägt in eine Hügelkette im Inneren von Alaska ein. Aus dem Einsturzkrater dringt eine unbekannte radioaktive Strahlung hervor, die sich über das Land ausbreitet und die Bewohner in höchste Gefahr bringt. Während skrupellose Gangster versuchen, die strahlende Materie zur Verwirklichung egoistischer Machtpläne in ihre Hand zu bekommen, setzt Jim Parker mit seinen Gefährten das Leben ein, um die geheimnisvolle Strahlung unschädlich zu machen und die furchtbare Gefahr zu bannen. Band 11: Wettflug zum Abendstern Das Staatliche Atom-Territorium der USA. entsendet eine Baumschiffexpedition unter Kommodore Parker zum Planeten Venus, um Bodenschätze auszubeuten und die Möglichkeit einer Besiedlung des Planeten zu erkunden. Vor dem Start von der kosmischen Außenstation wird jedoch bekannt, daß ein Konkurrenzunternehmen ebenfalls zwei Baumschiffe auf die Reise geschickt hat, um den Plänen des SA.T. zuvorzukommen und Besitz von dem Planeten zu ergreifen. Kommodore Parker versucht den Vorsprung der anderen einzuholen. Es kommt zu einem rasenden Wettflug durch 40 Millionen Kilometer Nichts, auf dem Jim Parker mit seinen Gefährten die aufregendsten Abenteuer zu bestehen hat.
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Band 12: In den Dschungeln der Venus Die Baumschiffexpeditionen des Staatlichen Atom-Territoriums der USA. und der Australian Industrial Company sind gleichzeitig auf Venus gelandet. Getrennt begeben sie sich an die Erforschung der feindlichen, unbekannten Welt des Planeten. Vor den Forschern und Wissenschaftlern eröffnen sich die Geheimnisse einer Umwelt, wie sie vor Jahrmillionen auch auf der Erde geherrscht hat. Im Augenblick größter Gefahr finden sich die Expeditionen der beiden rivalisierenden Mächtegruppen unwillkürlich zusammen. Band 13: Entscheidung in Sydney Nach seiner Rückkehr von der großen Venus-Expedition fliegt Kommodore Parker nach Australien, um an den Verhandlungen des Staatlichen Atom-Territoriums der USA. mit der Australian Industrial Company teilzunehmen. Es geht um die Besiedlung und Erschließung des fernen Planeten, auf dessen Besitz beide Mächtegruppen Anspruch erheben. In Sydney und in den Raketenwerken in der großen Sandwüste wird Jim Parker mit seinen Gefährten in eine Kette rätselhafter Anschläge und aufregender Abenteuer verwickelt. Wird es ihnen gelingen, alle Gefahren zu besiegen, um eine Einigung zwischen den rivalisierenden Gruppen herbeiführen zu können? Band 14: Siedler auf fremdem Stern Mit dem rasend schnellen Anwachsen der Menschheit drohen der Erde ständig Gefahren durch Übervölkerung. Auf der Suche nach neuem Lebensraum beschließt das Staatliche AtomTerritorium der USA, auf dem Planeten Venus Land urbar zu machen. Kommodore Jim Parker geleitet den ersten Transport 86
freiwilliger Siedler in zwei Raumschiffen zum Nachbarplaneten der Erde. Nach menschlichem Ermessen sind alle Vorkehrungen für ein Gelingen des kühnen Plans getroffen worden – aber das ganze Unternehmen gerät in höchste, Gefahr, als nach der Landung auf der Venus Gold entdeckt wird. Band 15: Das Rennen der Raketenfahrer An der Küste von Florida rüstet man zum ersten Raketenautorennen der Welt. Der junge Raketenwagen-Konstrukteur Dieter Helling, der auch ein Raketentriebwerk für Unterwasserfahrten erfunden hat, wird mitten aus den Vorbereitungen heraus auf geheimnisvolle Weise entführt. Seine Freunde Jim Parker und Fritz Wernicke setzen ihr Leben ein, um ihn selbst und seine Erfindung zu retten und seinem Wagen bei dem größten Rennen, das die Menschheit je erlebte, zum Siege zu verhelfen.
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Lesen Sie im nächsten (17.) UTOPIA -Band: Im tiefsten Asien rüstet der Diktator eines kriegerischen Staates zum Angriff auf seine Nachbarvölker. Mit Hilfe eines von seiner Idee besessenen Wissenschaftlers gelingt es ihm, eine neue, furchtbare Geheimwaffe zu entwickeln. Millionen friedlicher Menschen erleben die lähmende Drohung des bevorstehenden Bakterienkrieges. In der Stunde höchster Gefahr für die Menschheit schaltet sich Kommodore Parker ein und versucht, auf eigene Faust mit seinen Kameraden vom Staatlichen AtomTerritorium die verbrecherischen Pläne des Gegners zunichte zu machen. Sollten Sie die vorhergehenden UTOPIA-Bände 1 bis 15 bei Ihrem Zeitschriftenhändler nicht mehr erhalten, dann wenden Sie sich bitte direkt an den Verlag Erich Pabel, Rastatt (Baden). Senden Sie dabei den Geldbetrag (je Band 50 Pf.) auf das Postscheckkonto Karlsruhe 224 46 ein. Aber hierbei nicht vergessen, die gewünschten Nummern auf der Rückseite des linken Zahlkartenabschnittes anzugeben. Auch können Sie den Geldbetrag in bar sofort Ihrer Bestellung beifügen.
Auf dem Wege zur Weltraumfahrt 16) Der Aufbau des Sonnensystems Wenn wir in den Weltraum fahren wollen, dann ist es nötig, daß wir uns zuvor über unsere Reiseziele klar werden. Unsere Sonne, der gewaltige glühende Gasball, scheidet natürlich von vornherein für die Raumfahrt aus, und mit ihr die Milliarden heißer Fixsterne, die noch dazu so weit von uns entfernt sind, daß selbst das Licht, das 300 000 Kilometer in einer Sekunde durcheilt, viele Jahre unterwegs ist, um von ihnen zu uns zu gelangen. Es bleiben also nur die Planeten und ihre Monde übrig. Wir kennen heute 9 große Planeten, und zwar – von der Sonne aus gezählt – Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun und Pluto. Über ihre Entfernungen von der Sonne, ihre Rauminhalte und Massen (im Vergleich zur Erde) und die Zahl ihrer Monde soll uns die nachfolgende Tabelle Auskunft geben: Planet: Entf. v. d. Sonne in Millionen km Merkur 57,8 Venus 108,0 Erde 149,5 Mars 277,7 Jupiter 777,3 Saturn 1428 Uranus 2871 Neptun 4498 Pluto 5904
Rauminhalt Masse Zahl der (Erde = 1) (Erde = 1) Monde 0,06 0,04 0 0,97 0,82 0 1,00 1,00 1 0,16 0,11 2 1360 317 12 860 94,9 10 74 14,6 5 59 17,2 2 ? 0,8 – 0,9 0
Außer diesen neun großen Planeten gibt es noch Tausende von kleinen Planeten oder Planetoiden, die meist im Raum zwischen Mars und Jupiter ihre Bahnen ziehen. Doch sind nur wenige von ihnen groß genug, um als Ziele einer Raumfahrt in Betracht zu kommen. (Fortsetzung folgt)
Verlag und Druck: Erich Pabel, Rastatt in Baden, 1954 – Scan by Brrazo 08/2010 (Mitglied des Verbandes deutscher Zeitschriftenverleger e. V.) Die Bände dieser Serie dürfen nicht in Leihbüchereien verliehen, in Lesezirkeln nicht geführt und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden.