Alexander Sergejewitsch Puschkin Poeme und Märchen
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Alexander Sergejewitsch Puschkin Poeme und Märchen
Alexander Sergejewitsch Puschkin Gesammelte Werke in sechs Bänden Herausgegeben von Harald Raab
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Alexander Sergejewitsch
Puschkin Poeme und Märchen
Aufbau-Verlag
Die Übersetzer dieses Bandes sind: Friedrich Bodenstedt, Simon Ellenberg, Friedrich Fiedler, Wolfgang E. Groeger, Arthur Luther, August Plantener, Martin Remané, Bruno Tutenberg
Poeme
Ruslan und Ludmila
Zueignung
Ihr schönen Fraun, um zu bekunden, Daß mich für euch kein Dienst gereut, Hab ich in goldner Muße Stunden Versenkt mich in vergangne Zeit Und dieses Märchen aufgeschrieben. Ich hoffe, daß mir’s wohl gelang. Nehmt es als kleines Spiel, ihr Lieben, Ich fordre weder Lob noch Dank. Die Freude schon soll mir genügen, Daß holde Röte überfließt Der Jungfrau Antlitz, die verschwiegen So arge Verse schmachtend liest.
Ein Eichbaum ragt am Meeresstrande. An goldner Kette festgemacht, Kreist rund um seinen Stamm im Sande Ein weiser Kater Tag und Nacht. Geht’s rechts, hört man ein Lied ihn surren, Geht’s linksherum – ein Märchen schnurren. Von Zauber ist die Bucht umschauert: Der Schrat geht um, die Nixe lauert, Tierspuren, seltsame, erscheinen Auf fremdem, unbetretnem Pfad, Ein Häuschen steht auf Hühnerbeinen, Das weder Tür noch Fenster hat. Durch Wald und Sumpf Gespenster jagen; Und wenn die Wellen donnernd schlagen Im Frührot auf den Ufersand, Da mag den Bart der Meergott zeigen, Da sieht man dreißig Recken steigen Geharnischt an den öden Strand. Da mag der Königssohn besiegen Den Zaren, der sein Volk gequält, Der Zaubrer durch die Wolken fliegen Weit über Meere, Wald und Feld, Und mit ihm fliegt der wackre Held. Da sieht man die Prinzessin traurig Im Turm, vom treuen Wolf umhegt, Den Mörser mit der Hexe schaurig Umgehn, von Zauberhand bewegt. 11
Nach Gold den Geizhals sterbend gieren; Alt-Rußlands Geist kann man dort spüren! Auch ich war dort, hab Met getrunken, Saß unterm grünen Eichenbaum, Dem Kater lauschend, ganz versunken In alter Märchen Wundertraum. Das schönste – sollt ich es verhehlen? – Will ich euch frank und frei erzählen …
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Erster Gesang
Von Helden aus dem Altertum, Von grauer Vorzeit gibt es Kunde. Besonnt von seiner Taten Ruhm, Saß zechend in der Tafelrunde Der Söhne und der Freunde all, Der Fürst Wladimir froh beim Mahl; Den Metkrug schwenkte er, den schweren, Die Tochter würdevoll zu ehren Und ihren fürstlichen Gemahl, Getraut nach väterlicher Wahl. Wenn unsre Ahnen festlich speisten, Dann mußte es vergnüglich sein. Schöpfkellen, Silberschalen kreisten Mit goldnem Bier und edlem Wein. Geruhsam tranken sie und flößten Sich Heiterkeit ins Herz hinein. Die Diener schenkten allen Gästen Mit Ehrerbietung ständig ein. Schon schwoll der Lärm im Saal, als plötzlich Wohltönend männlicher Gesang Und süßes Saitenspiel ergötzlich Durch das Gewirr der Reden drang. Still war’s auf einmal, jeder hörte Andächtig zu, wie der Bajan Gott Lel zum Klang der Gusli ehrte, Ludmila rühmte und Ruslan. 13
Indes vor Liebe fast verschmachtend Und Trank wie Speise ganz mißachtend, Den Schnurrbart zupfend, blickt Ruslan Voll Ungeduld die Liebste an, Seufzt dann und wann aus tiefster Seele, Als ob er die Minuten zähle. Unweit mit finsterem Gesicht, Daraus nicht minder Mißmut spricht, Sieht man am Tisch drei junge Ritter. Auch ihre Krüge stehen leer, Und Speis und Trank dünkt ihnen bitter. Noch weniger schenken sie Gehör Des weisen Barden Ruhmgesängen. Sie schweigen, blicken keinen an. Was mag die drei hier so bedrängen? Haß, Eifersucht hält ganz im Bann Die Nebenbuhler von Ruslan! Rogdai, der erste, er bewährte Als Held sich oft, mit seinem Schwerte Hat Kiews Reich er groß gemacht. Farlaf, der zweite – ist ein frecher Schreihals – zwar unbesiegt als Zecher, Doch keine Leuchte in der Schlacht. Der dritte, feurigste von ihnen, Ist der Chasarenchan Ratmir: Für diese drei – in ihren Mienen Liest man’s – blüht keine Freude hier. Das Fest ist aus und reihenweise Erhebt sich alles rings im Kreise Und heftet auf das Paar den Blick: Die Braut, die Lider niederschlagend, Steht wie in banger Furcht verzagend, Ruslan jedoch strahlt jetzt vor Glück. Die holde Nacht, den Liebespaaren Geneigt, warf längst den Mantel aus; 14
Vom Met sind schläfrig die Bojaren, Verbeugen sich und ziehn nach Haus. Der Bräutigam umfängt mit Blicken Die Schöne schon so voll Entzücken, Als wollt er sie verschlingen gar. Doch muß er Zügel sich anlegen. Seltsam bewegt, gibt seinen Segen Zuvor der Fürst dem jungen Paar. Geleitet bis zur Tür, entschwindet Ins Lustgemach alsdann die Braut; Löscht aus die Leuchter … Lel entzündet Sein Licht nun, bis der Morgen graut. Die süßen Hoffnungen erfüllen Sich endlich, und die Liebe schenkt, Was sich verbirgt noch hinter Hüllen, Die sie nun abzustreifen drängt. Geflüster hört man sich erheben, Verliebte Küsse werden laut Und dann das letzte Widerstreben Der jungfräulichen, keuschen Braut … Der Vorgeschmack der höchsten Wonnen Hat für den Gatten kaum begonnen, Als jäh ein Blitz durchzuckt die Nacht, Ein Donnerschlag herniederkracht, Der alles zittern macht und beben. Lels Licht erlischt, Rauch wallt empor, Dann Dunkel, finstrer als zuvor. Am Boden liegt, wie ohne Leben, Ruslan – in schwarzer Nebelhülle, Bis jählings dann die Finsternis Zweimal ein grauser Ruf zerriß. Und wieder Schweigen, Grabesstille. Ruslan, auf dem der Schreck noch lastet, Erwacht, ruft nach der Liebsten laut und tastet 15
Nach ihr im Raum von Wand zu Wand, Schweißtriefend mit entsetzter Hand. Umsonst, geraubt ist sie ohn Zweifel Von bösen Geistern, gar vom Teufel! Nur leere Luft war’s, was er fand. Wenn ein Verliebter hoffnungslos Aufgeben muß sein Liebesstreben, Ist seines Herzens Trauer groß, Doch wird ihm nicht gleich leid das Leben. Wer aber, die er sich erwählt, Um die er litt seit tausend Tagen, Beseligt schon dm Arme hält Und jäh verliert … kann er’s ertragen? Gibt’s, Freunde, größre Herzensnot? Ich glaub, ich selbst war lieber tot! Ruslan jedoch war noch am Leben. Erfahrt nun, was der Großfürst tat: Als er gehört, was sich begeben, Versammelte er seinen Rat, Um seinen Eidam zu befragen: „Wo ist Ludmila?“ – Zorn und Schmerz Ließ seine Stimme fast versagen, Dem Eidam stockte gar das Herz. Stumm stand er wie ein reuiger Sünder. Da rief der Alte: „Freunde, Kinder, Wer sich in meinem Dienst nicht schont, Ihr wißt’s, der ward stets hoch belohnt! Doch wehe dir, du Bösewicht, Auf ewig muß ich dich verfluchen, Der selbst sein Weib beschützte nicht! Nun frag ich euch: Wer wagt’s, zu suchen Mein Töchterchen? – Der, dem’s gelingt, Daß er sie heil mir wiederbringt, 16
Ihm geb ich sie zum Weib – zugleich Vermach ich ihm mein halbes Reich! …“ „Ich!“ riefen wie aus einem Munde Ruslan, Rogdai, Farlaf, Ratmir: „Wir satteln noch zur selben Stunde Die Pferde! Ja, bereit sind wir, Die ganze Erde zu durchreiten. Nicht lange, Vater, währt dein Schmerz! Bald wirst du deine Arme breiten, Die Tochter drücken an dein Herz!“ Gerührt sah man die Hand ausstrecken Den Greis, stumm dankend den vier Recken. Gemeinsam mit den andern machte Ruslan sich auf in tiefem Gram. An nichts als die Verlorne dachte Er voller Schuldgefühl und Scham. Kaum daß die Rosse sie bestiegen, Sah man am Dnepr sie hinfliegen, Gar bald, von Staubgewölk verhüllt, Fortwirbeln in die Ferne wild … Der Alte aber hat noch lange, Als auch der Staub schon war verweht, Die Reiter segnend hoffnungsbange, Stumm übers leere Feld gespäht. Ruslan ritt schweigend, fast erstickend In seines heißen Herzens Harm. Farlaf, hochnäsig um sich blickend, Folgt ihm und prahlt, gestemmt den Arm Stolz in die Hüfte, kühn, verwegen: „Ich riß mich los nur mit Gewalt Und hoffe, daß wir nun recht bald Den Riesen treffen und erlegen! Für seinen Frevel soll er büßen! Längst freut sich drauf mein scharfes Schwert, 17
Das Blut des Unholds zu vergießen! Vor Kampflust wiehert schon mein Pferd!“ Auf seinem Rosse tanzt indessen Ratmir, umarmt bereits im Geist Ludmila, leidenschaftbesessen; Die Hoffnung macht ihn keck und dreist: Er zwingt den Renner, der schon schäumt, Die tollsten Sprünge auszuführen, Vor und zurück zu galoppieren, Reißt ihn am Zaum, daß er sich bäumt. Rogdai hüllt sich in tiefes Schweigen, Die Ungewißheit macht ihm Pein, Möcht seine Eifersucht nicht zeigen Und scheint doch recht erregt zu sein, Wirft ungesehen dann und wann Finstere Blicke auf Ruslan. Die grimmen Nebenbuhler ritten Mitsammen so den ganzen Tag. Schon war die Nacht herabgeglitten Ins Dneprtal, das finster lag, Von Nebelschwaden überzogen. Zu rasten war es Zeit schon lang, Als sie in einen Kreuzweg bogen, Der um den Uferhang sich schlang. Hier ward die Trennung schnell beschlossen; Nach kurzem Gruß und Abschiedswort Entschwanden sie auf ihren Rossen Nach Ost und West und Süd und Nord. Was sinnst du jetzt, du vielgetreuer, Vom Glück verlassener Ruslan? Dünkt dich die grause Hochzeitsfeier, Ludmila selbst nur noch ein Wahn? 18
Da schleichst du durch die öde Stille, Den Helm tief in die Stirn gedrückt, Schlaff auf des Pferdes Hals gebückt! Wo ist dein Glaube, wo dein Wille? Ziellos mit ganz verzagter Seele Irrt Held Ruslan so durch die Nacht, Als jäh am Hang aus einer Höhle Ein Lichtschein schimmert. Mit Bedacht Tritt er in das Gewölbe ein. Alt wie die Schöpfung schien’s zu sein. Was wird sein Auge dort erblicken? War es ein Traum? Beim Kienspan saß Ein Greis dort, der, gebeugt den Rücken, In einem alten Buche las. Umrahmt von grauem Bart und Haar Ist sein durchfurchtes Angesicht. Sein Blick ruht freundlich, seltsam klar Nun auf Ruslan, indem er spricht: „Sei mir willkommen, lieber Sohn! Vom Leben Abschied nehmend, hause Ich an die zwanzig Jahre schon Allein in dieser düstren Klause. Nimm Platz! Dies ist der Tag, Ruslan, Den ich vorausgesehen habe. Betracht es als des Himmels Gabe, Daß du mich trafst, und hör mich an: Konnt man dir auch Ludmila rauben, Verlier darum nicht allen Glauben! Jäh schlug das Schicksal auf dich ein, Nicht ewig wird es feind dir sein! Geh mutig deinem Ziel entgegen, Besiegen wirst du jede Macht! Vorwärts! Und bahne kühn verwegen Den Weg dir durch die dunkle Nacht! 19
Der es gewagt, dich zu verhöhnen, Ist Tschernomor, ein böser Zwerg, Bekannt als Räuber vieler Schönen. Er haust in einem Zauberberg. Sein Reich hat seltsame Gemächer, Kein Recke drang bisher dort ein. Doch dir gelingt’s, du wirst der Rächer Der Ränke dieses Wichtes sein! Er fällt durch deine Hand, glaub mir! Mehr darf ich heut dir noch nicht sagen: Dein künftiges Glück liegt nun bei dir, Du mußt nur furchtlos alles wagen.“ Dem Alten vor die Füße fiel Der Fürst und küßte ihm die Hände. War er auch längst noch nicht am Ziel, Schien seiner Qual doch bald ein Ende. Doch eben noch darob beglückt, Erbleichte er erschreckt aufs neue. Der Alte sah’s und sprach: „Befreie Dich von der Furcht, die dich bedrückt! Nie wird’s dem Zauberer gelingen, Der nur ein Zwerg ist und kein Mann, Ludmilas Liebe zu erringen! Sinnlos ist deine Angst, Ruslan! Ob Mond und Sterne auch erbeben, Wenn er nur pfeift – ihm fehlt die Kraft, Die Jugend sich zurückzugeben. Die Zeit trotzt seiner Wissenschaft. Nichts kann er, als die Jungfraun quälen, Die grausam er gefangenhält, Stets wacht er nur vor ihren Zellen, Von Eifersucht allein beseelt. So schleicht er nur herum voll Sorgen, Verflucht sich selbst und grollt und droht … 20
Doch, Fürst, es dämmert bald der Morgen, Längst tut dir Schlaf und Ruhe not.“ Aufs Moos streckt sich Ruslan nun nieder Beim Feuer, das nur schwach noch brennt; Schlaf aber ist ihm nicht vergönnt. Ruhlos wälzt er sich immer wieder Herum. – Umsonst! – Schon ganz verzagt Seufzt er: „Ach, Vater, grausam nagt In mir, nicht länger zu ertragen, Beklommenheit! Kein Schlaf erquickt Den, der vor Kummer fast erstickt. Drum laß uns plaudern, laß dich fragen: Wer bist du, den das Schicksal mir Als Freund beschert hat und Berater? Was trieb, verehrungswürdiger Vater, Dich her in diese Öde hier?“ Weh lächelte der Greis, nach innen Gekehrt den Blick, und sprach: „Mein Sohn, Ich stamme aus dem Land der Finnen. Vor langer Zeit verließ ich’s schon. Wie liebte ich die Heimaterde, Die Höhlen auf den Felsenhöhn, Die Eichenwälder, Bäche, Seen! Als Jüngling zog ich mit der Herde Der Dörfer rings durch Berg und Tal, Zwar arm, doch ohne Sorg und Qual. Für immer aber so in Frieden Zu leben war mir nicht beschieden. Unweit von unserm Dorf erblühte In stiller Abgeschiedenheit Naina, eine schöne Maid, Für die mein Herz sogleich erglühte, Als ich sie sah zum erstenmal. 21
Es war an einem Sommermorgen. Ich trieb die Herde sonder Sorgen Sackflöteblasend just zu Tal. Sanft plätscherte im Sonnenglanz Der Fluß, als sie am Ufer stand, Die Schöne, und sich träumend wand Aus Wiesenblumen einen Kranz. Ja, Fürst, da war’s um mich geschehen, Ich mußte ihr ins Auge sehen, Ich fühlte, sie war mein Geschick. Für meinen also kühnen Blick Ward mir als einzige Belohnung Der Traum von höchster Liebe Glück, Und – ihre Qual ohn alle Schonung. Denn als ich schüchtern ihr, voll Bangen, Entdeckt ein halbes Jahr darauf Mein Herz, mein sehnlichstes Verlangen, Nahm sie’s nur mit Gelächter auf. Sie schien sich selber nur zu lieben Und sagte kalt mir ins Gesicht, Als war’s ihr gleich, mich zu betrüben: ‚Nein, kleiner Hirt, ich lieb dich nicht!‘ Vergällt war mir das ganze Leben, Im Walde irrt ich ohne Ziel, Sinnlos schien mir der Hirten Spiel, Da war nichts mehr, mir Trost zu geben. Daheim hielt ich’s nicht länger aus, Es zog mich in die Welt hinaus, Wollt fern dem kalten Land der Finnen Als Seemann kreuzen übers Meer, Als Kriegsheld mir mit Ruhm und Ehr Nainas stolzes Herz gewinnen. Ich rief die tapfren Fischer auf, Zu Abenteuern auszufahren. 22
Zum erstenmal zu uns herauf Kam Kunde grad in jenen Jahren Vom Kampftumult in fernem Land, Wo mancher Gold und reiche Beute Im Streit mit fremden Völkern fand. Mit einem Heerbann wackrer Leute Bin ich, geschwellt von Kampfesmut, Alsdann auf Kriegsfahrt ausgezogen Und färbte Schneegefild und Wogen Zehn Jahr lang mit der Feinde Blut. Der Ruhm der Recken aus dem Norden War allbekannt in kurzer Zeit, Es flohn der fremden Zaren Horden Vor unserer Verwegenheit. Wir teilten, wie sich’s ziemt bei Freunden, Tribute bis zum letzten Rest, Versöhnten mit geschlagnen Feinden Uns ritterlich beim Siegesfest. Doch mußt ich selbst im Lärm der Schlachten Nainas denken unverwandt. Die Sehnsucht ließ mich fast verschmachten Nach ihr und meinem Heimatland. Zur Rückkehr war ich drum entschlossen Und sprach zu meinen Kampfgenossen: ‚Hängt, Freunde, euer Panzerhemd Zu Hause friedlich an die Wände! Die Feinde haben wir gezähmt!‘ Zufrieden, daß der Krieg zu Ende, Und fröhlich ob der Wiederkehr, Flog mit gewaltigen Ruderschlägen Die stolze Flotte übers Meer Der heimatlichen Bucht entgegen. Der Traum, der mich so lang gequält, Nun sollt er in Erfüllung gehen; 23
Die Liebste sollt ich wiedersehen, Von süßer Freude tief beseelt! Noch hör die Freundinnen ich stöhnen Neidvoll, als vor der stolzen Schönen Ich wie ein Sklave niedersank, In meiner Liebe Überschwang Mich kaum beherrschte, sie zu küssen, Mein Schwert, noch rot von Feindesblut, Korallen legte ihr zu Füßen Und Gold und Perlen als Tribut. Doch Spott nur mußte ich erfahren, Kalt lachte sie mir ins Gesicht Und sagte stolz so wie vor Jahren: ‚Nein, großer Held, ich lieb dich nicht!‘ Wozu noch mehr davon berichten! Ich fühle, mir versagt die Kraft. Ihr Hochmut zwang mich zu verzichten, Verdorrt ist Lieb und Leidenschaft. Denk ich, wie ich gelitten hab Dereinst durch diese kalte Schöne, Rinnt mir, nun da ich nah dem Grab, Oft in den Bart noch eine Träne. Doch hör: In meinem Heimatland, Am einsam öden Meeresstrand, Hat unter Fischern sich erhalten Der Glaube noch an Spukgestalten. Da mögen wohl im ewigen Schweigen Der Wälder sich gespenstig zeigen Grauhaarige Zaubrer dann und wann. Allwissenheit ist ihnen eigen, Und ihren Ruf hört jedermann. Entsetzlich hallt er in der Stille. Was war, was wird, befiehlt ihr Wille, Dem Tod und Liebe Untertan. 24
Auch ich, verzweifelt und verdrossen, Hab eines Tages mich entschlossen, Nainas stolzen, kalten Sinn Durch Zauberkünste zu entzünden. Der Hexerei gab ich mich hin Und lebte in den finstren Gründen Der Wälder ganz in Einsamkeit Als Zauberlehrling lange Zeit, Ich kann nicht sagen, wieviel Jahre, Bis eines Tages mein Verstand Das grauenhafte, wunderbare Geheimnis der Natur erkannt, Die Kraft, die Geister zu beschwören Und Frauenherzen zu betören. Jetzt, dacht ich, wird Naina mein! Jetzt werde ich der Sieger sein! Jedoch, mein Schicksal sollte siegen, Ich sollte elend unterliegen. Von Hoffnung war die Brust geschwellt, Wild hörte ich mein Herze pochen. Kaum aber hatt ich ausgesprochen Mein Zauberwort, da kam geschnellt Ein Feuerpfeil, der zischend, sausend Ganz nah an mir vorüberstob, Der Boden bebte, als sich brausend Ein wilder Wirbel drauf erhob. Wie von dem Wirbel ausgespien, Gebrechlich, bucklig von Gestalt, Sitzt eine Hexe, grau und alt, Jählings vor mir – die Augen glühn In düstren Höhlen sonderbar. Ich sah die Hexe vor mir hocken, Sprachlos, bis ich, zu Tod erschrocken, Begriff, daß es Naina war! … 25
Doch weil der Anblick mich verwirrte, Rief ich ihr, falls ich mich doch irrte, Erstickt von Tränen, fragend zu: ‚Ist’s wahr, Naina, das bist du? Wer hat die Schönheit dir genommen, Naina, tat die Zeit dir dies? Bin grad zur Welt zurückgekommen, Weiß nicht mehr, wann ich dich verließ, Wann diesem Leben ich entfahren …‘ Da sprach die schreckliche Gestalt: ‚Das war genau vor vierzig Jahren! Ich bin heut siebzig Lenze alt! Schnell sind die Jahre mir entflogen, Des Lebens Frühling ist vorbei, Das Alter hat uns krumm gebogen. Was tut’s? Ich seh, du bliebst mir treu. Treulos sind nur die Jugendjahre, Da stößt man sich die Hörner ab. Und wenn ich heut auch graue Haare Und einen kleinen Buckel hab, Wenn ich, wie in vergangnen Tagen Nicht mehr so frisch und reizvoll bin – Hier steht Naina – laß dir’s sagen – Vor dir als eine Zauberin.‘ Da stand ich selber stumm und starr, Hab sie entsetzt nur angegafft. Was war ich für ein armer Narr Mit meiner Hexenmeisterschaft! Nun war erreicht, was ich bezweckte Mit der erworbnen Zauberkraft, Doch, ach, in einer Greisin weckte Ich die erwünschte Leidenschaft. Wie greulich sie das Maul verzerrte, Als über ewige Treu sie plärrte, 26
Hohl krächzend, grad wie aus dem Grab! Was ich da ausgestanden hab! Als sie, von Husten unterbrochen, Mir ihre Liebe eingestand, Hätt ich am liebsten mich verkrochen. ‚Endlich hab ich mein Herz erkannt‘, Rief sie, ‚mein treuer Freund, für dich Schlägt es voll zärtlicher Gefühle! Vor Leidenschaft verbrenne ich! Ich leb nur noch dem einen Ziele, Dich zu umarmen! Küsse mich! Komm, Liebster, komm, sonst sterbe ich! …‘ Verschmachtend blinzte sie mich an, Und ihre dürren Finger krallten Sich fest an meinen Rock, Ruslan, Als wollt sie mit Gewalt mich halten. Mir war, als griff der Tod nach mir, Ich wagte nicht, sie anzuschauen, Laut schrie ich auf vor Angst und Grauen, Los riß ich mich und floh vor ihr. Sie hinterher mit wildem Kreischen: ‚Ah, du verfluchter, feiger Wicht! Warst auf die Liebe einer keuschen Jungfrau seit Jahr und Tag erpicht. Doch jetzt, nachdem du sie errungen Und es um meine Ruh geschehn, Wagst du’s, sie plötzlich zu verschmähn! Durch Täuschung nur ist dir gelungen, Du Scheusal, diese Übeltat! Des Mannes Name ist Verrat! O Schande! Und ich glaubte dir … Doch büßen sollst du mir dafür!‘ Weitabgewandt verbring ich hier Seitdem in Einsamkeit mein Leben. 27
Die Freude an der Weisheit nur, Die Schönheit, Stille der Natur Vermögen Trost mir noch zu geben. Im Grabe ruh ich bald, indessen Hat dieses Hexenweib bis heut, Was sie einst schwor, noch nicht vergessen. Aus später Gier und schnödem Neid Sinnt weiterhin der alte Drache, Feind allen Liebenden, auf Rache. Ruslan, so haßt dies Weib auch dich, Verschworen ist sie ganz dem Bösen! Doch wird der Himmel sicherlich Uns eines Tags von ihr erlösen!“ Dem Fürsten war von dem Bericht Des Alten nicht ein Wort entgangen. Die Schläfrigkeit bezwang ihn nicht, Obwohl des Frührots Strahlen drangen Schon in der Höhle Dämmerlicht. Dann trat er in des Morgens Helle, Von neuem Mut erfüllt die Seele. Froh sagte er dem Alten Dank, Umarmte innig ihn und schwang Sich auf sein Roß, das ihn vermißte Schon lang und wiehernd nun begrüßte. „Leb wohl, und laß mich nicht allein!“ Rief er und sprengte querfeldein. „Leb wohl, bleib treu auf allen Wegen Der Liebsten! Folge meinem Rat!“ Rief ihm der Alte nach. „Mein Segen Begleitet dich auf jedem Pfad.“
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Zweiter Gesang
Ihr Ritter, ewige Kampfrivalen, Zollt blutigem Ruhme nur Tribut, Statt Frieden wählt ihr Tod und Qualen, Berauscht von Feindschaft, Haß und Wut! Die Welt erstarrt vor euch in Schrecken, Bestaunt wohl eure Mordlust stumm, Bedauern kann sie nicht erwecken, Und keiner kümmert sich darum. Doch ihr Rivalen jener Sorte, Die ihr zum Ruhm der Musen singt, Gebt acht, daß nicht der Lärm der Worte Das Volk nur noch zum Lachen zwingt. Beschimpft ihr euch, tut’s klug, wenn möglich. Doch ihr, die ihr Rivalen seid In Liebesfragen, bleibt verträglich Und einigt euch in Freundlichkeit! Man kann ein Mädchenherz gewinnen Nur, wenn man’s liebenswürdig tut, Wem’s nicht gelingt, der war von Sinnen, Wenn er darob gerät in Wut. Rogdai, ein Mann, maßlos im Hassen, War, als die andern er verlassen, Von Hoffnungslosigkeit gequält. In ödes Waldgebiet geraten, Sann er, von Rachbegier beseelt, Ingrimmig nur auf finstre Taten. 29
Ein grausam böser Geist begann Ihm die Gedanken zu verwirren. „Erschlagen werd ich dich, Ruslan“, Sprach er, „nichts soll mich mehr beirren! Zu spüren geb ich dir mein Schwert … Ludmilas Schmerz soll mich nicht rühren!“ Und plötzlich wandte er sein Pferd, Um wild zurückzugaloppieren. Zur selben Stunde saß Farlaf, Erwacht soeben aus dem Schlaf, Im Schatten eines Baumes friedlich An einem kleinen Bach allein. Zur Stärkung nahm er ganz gemütlich Just seinen Mittagsimbiß ein. Doch plötzlich sprang er auf voll Schrecken. Was war’s, was mochte er entdecken? Grad auf sich zu sah einen Recken Zu Roß er rasen übers Feld! Speer, Panzer, Handschuh, Helm, erblassend, Den Imbiß selbst im Stiche lassend, Sprang in den Sattel flugs der Held Und sprengte spornstreichs querfeldein. Der andre jagte hinterdrein Und schrie aus vollem Hals ihm zu: „Halt! Halt, verfluchter Feigling du! Laß dir den Schädel von mir spalten!“ Farlaf, der an der Stimme klar Erkannt, wer sein Verfolger war, Gab angstgekrümmt, statt anzuhalten, Dem Gaul noch heftiger die Sporen. Und wie mit angelegten Ohren Ein Hase, der vom Hund gehetzt, Geduckt quer durch die Wiesen wetzt, So raste er durch Feld und Wald, Am Hals des Pferdes festgekrallt. 30
Durch Wasserlachen geht’s, o weh, Durch Tümpel von geschmolznem Schnee, Und dann kreuzt seinen Fluchtweg plötzlich Ein Graben, ganz voll Schlamm, entsetzlich! Das Roß saust mit gesträubter Mähne, Gestreckt den Schweif, gebleckt die Zähne, Drauflos und schwingt sich drüber weg. Farlaf schnellt hoch und – fliegt vom Pferde, Versackt, den Kopf voran, im Dreck. Nicht Himmel sieht er mehr noch Erde Und ist schon auf den Tod gefaßt, Denn grad vom Hang herunter rast Rogdai und schreit, das Schwert gezückt: „Stirb, schmutziger Feigling, geh zugrunde!“ Doch staunend, starr, mit offnem Munde, Stand er, als er Farlaf erblickt. Enttäuscht ließ er das Mordschwert sinken, Verärgert war er und verwirrt, Mußt er sich wie ein Narr doch dünken Darob, daß er sich so geirrt. Schnell wandte er sich weg vom Graben, Da Scham ihn neu in Wut gebracht, Doch hätt er dann im Weitertraben Beinah sich selber ausgelacht. Am Weg, der um den Berg sich wand, Saß vor ihm plötzlich eine bleiche Uralte Frau, wie eine Leiche So welk und fahl. – Sie hob die Hand Und wies mit ihrem Stab nach Norden. „Dort triffst du, den du möchtest morden!“ Sprach sie. – Rogdai war hoch erfreut Und sprengte fort, zum Tod bereit.
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Farlaf indessen lag noch immer Im Graben, hob den Kopf nur hoch Und dachte zitternd: Leb ich noch, Und wo ist jetzt mein Feind, mein grimmer? Da hört er krächzen über sich Das Hexenweib: „Erhebe dich! Hier ist dein Pferd, mein junger Held! Kein Feind ist mehr zu sehn im Feld! Hör mir gut zu, ich sag dir nun, Was du in Zukunft hast zu tun.“ Dem Graben ungern nur entsteigend, Erhob sich aus dem Modergrund, Mit Dreck beschmiert, der Fürst. – Beäugend Vorsichtig erst das Feld im Rund, Seufzt er: „Gottlob, ich bin gesund!“ Da fuhr die Alte fort: „Wohl schwerlich Erreichen wir Ludmila jetzt. Sie ist weit weg, zudem gefährlich War’s auch für dich dort nicht zuletzt. So in der Welt herumzureiten, Das gilt dir kaum als großes Glück. Drum hör auf meinen Rat beizeiten: Kehr heimlich in dein Dorf zurück! Ludmila wird dir nicht entgehen, Du wirst sie sicher wiedersehen! Bei Kiew in der Einsamkeit Leb unterdes ohn Sorg und Leid!“ Sprach’s und verschwand. – Und unser Held War klug genug, um heimzukehren. Gefahr nur barg die böse Welt, Zu hoch schien ihm für Ruhm und Ehren, Ja, für Ludmila selbst der Preis. 32
Er konnte seiner Furcht nicht wehren, Ließ sich im Wald ein Vogel hören, Mocht Bachgemurmel ihn aufstören, Schon überlief ihn kalter Schweiß. Ruslan indes streift ohne Wanken Durch Wald und Feld, Gebirg und Tal, Besessen nur von dem Gedanken An sie, die seine Lust und Qual. „Wo“, seufzt er, „werde ich dich finden, Daß wir auf ewig uns verbinden? Wann strahlt mir wieder dein Gesicht, Vernehm ich, was dein Mund mir spricht? Die Tage gehn, die Monde fliehen. Erbarmt sich mein der Himmel nicht? Sollst du im Kerker gar verblühen, Gepeinigt von dem Bösewicht? Sollt ich dich lassen den Rivalen, Dich, die nur mir zu Recht gehört? Zuvor soll von den Schultern fallen Der Kopf mir und zerschelln mein Schwert.“ An einem stillen Abend lenkte Ruslan sein Roß von einem Hang Hinab zum Fluß, damit er’s tränkte, Als Hufgetrappel zu ihm drang Und fernes Waffenrasseln klirrte. Im selben Augenblicke schwirrte Auch schon ein Pfeil an ihm vorbei, Und gellend scholl ein wilder Schrei: „Halt! Halt!“ – Da riß herum den Zügel Der Fürst und preschte hoch den Hügel. Den Speer erhoben, sprengt ein Ritter Her übers Feld … Wie ein Gewitter Stürmt ihm sogleich Ruslan entgegen. „Jetzt hab ich dich!“ brüllt zornesrot 33
Lauthals der andere verwegen. „Mach dich gefaßt auf deinen Tod! Zu Boden strecke ich dich hier! Such eine Braut im Jenseits dir!“ Auflodernd reckt sich wutentbrannt Ruslan, als er den Feind erkannt … Was dann geschah, wir werden’s sehen. Verlassen wir die Kämpen jetzt. Ludmilas Schicksal nachzugehen, Hab ich mir längst zum Ziel gesetzt. Hört, Freunde, den Bericht zuvor Vom bösen Zaubrer Tschernomor. Gewiß hat mancher schon gedacht, Ich hätte viel zu kurz berichtet Damals von jener Hochzeitsnacht Und allzu zag darauf verzichtet, Ludmilas Schönheit auszumalen, Eh sie, berührt kaum von der Hand Des fiebernden Ruslan, im fahlen Gespenstigen Nebeldunst verschwand. Das arme, unglückliche Kind! Als Tschernomor sie aus den Kissen Des Hochzeitsbettes jäh gerissen, Trug er sie wie ein Wirbelwind Davon durch Qualm und Finsternis Und warf sie in sein Bergverlies. Ohnmächtig, ihm zu widerstehen, Fand sie sich, sprachlos, zitternd, bleich, Auf einmal in des Zaubrers Reich, Eh sie begriffen, was geschehen. So rasch hat sich das zugetragen Wie der blitzschnelle Überfall Des Habichts auf den Hühnerstall. 34
Wie oft sah ich an Sommertagen Den Räuber seine Kreise ziehen. Stolz wie ein Sultan stelzt der Hahn Den Hennen nach, die furchtsam fliehen. Grad will er sich der Freundin nahn, Sie heiß umschlingen und begatten, Da stürzt herab ein grauer Schatten. Und eh der Ärmste sich’s versehn, Da ist das Unglück schon geschehn. Empor schwingt sich der Bösewicht, Schleppt fort die Henne in den Krallen, Des Hahns Verzweiflung rührt ihn nicht, So laut sein Wehgeschrei mag schallen. Hoch in der Luft ist er im Nu, Trägt seinem Felsenhorst sie zu. Die Liebste sieht der Hahn nie wieder, Nur ein paar Federn flattern nieder. Die so entführte Fürstin lag In tiefer Ohnmacht bis zum Morgen, Gequält von Träumen voller Sorgen. Langsam erwachend, hob sie zag Die Lider. – Teils war ihre Seele Von Lusterwartung noch bewegt, Teils würgte Schrecken ihr die Kehle. Und um sich blickend höchst erregt, Rief sie in ahnungsbanger Qual: „Ruslan, wo bist du, mein Gemahl?“ Doch fast bewußtlos sank sie wieder Entsetzt in ihre Kissen nieder. War das die traute Kemenate, Die sie als Braut betreten hatte? Was sie in dem Gemach erkannte, Wie fremd, unheimlich all das schien! Den üppigen Diwan überspannte Prunkvoll ein seidner Baldachin, 35
Brokatgewebe sah sie zieren Die Wände, Vorhänge, geschmückt Mit goldnen Quasten und bestickt Ganz mit Rubinen und Saphiren. Rings züngelten aus Räucherschalen Balsamisch zarte Dämpfe auf; Genug! Verzichten wir darauf, Den ganzen Zauber auszumalen, Da besser die Scheherezade Solch Lustgemach uns schildern kann, Und liegt ein Mädchen ohne Mann Darin allein, wirkt’s doch nur fade. Drei schöne Mädchen, die erschienen, Die junge Fürstin zu bedienen, Eilten anmutig nun herbei, Nur leicht gewandet alle drei. Mit ehrerbietiger Gebärde Verneigten sie sich bis zur Erde. Die erste flocht mit leichter Hand Ludmilas goldne Lockenpracht Zu einer Krone so gewandt, So kunstvoll, wie man’s heut noch macht, Um dann die weiße Stirn der Schönen Mit einem Perlenkranz zu krönen. Die zweite, ebenso bescheiden Gesenkt den Blick, trat dann heran, Ludmilas Nacktheit zu bekleiden Mit einem blauen Sarafan. Was einst den ritterlichen Freier Zur Glut entfacht, die nie gestillt, Küßt nun ein hauchdünn zarter Schleier, Der Brust und Schultern kaum verhüllt. Die himmlisch schönen Füße strahlen In leichten goldenen Sandalen. 36
Und einen Perlengürtel bringt Das dritte Mädchen dann der Schönen, Indessen hinterm Vorhang, klingt Ein heitres Lied; und dennoch können Kein Lied voll Scherz und Schmeicheleien, Kein Prunkgewand und kein Geschmeid Ludmilas armes Herz befreien Von ihrer Angst und Traurigkeit. Mag immer sich im Spiegel zeigen, Wie schön sie ist, sie achtet’s nicht, Die streng geschloßnen Lippen schweigen, Gram überschattet ihr Gesicht. Wer sich versteht auf Frauenherzen, Auf ihrem Grunde lesen kann, Weiß, daß sie ihre Liebesschmerzen Verbergen besser als ein Mann. Vorm Spiegel kann ihr Leid vergehen, Doch wenn ein schönes Weib vergißt, Wie eh und je hineinzusehen, Dann weiß man, daß sie traurig ist. Ludmila, wiederum allein, Ratlos in ihrer Angst und Pein, Tritt nun ans Fenster, das vergittert. Ganz fassungslos steht sie und zittert In stummer Hoffnungslosigkeit. Schneewüsten breiten endlos weit Sich wie ein Teppich aus vor ihr. Am Horizont, unheimlich schier, Verfließend in der Dämmrung Hülle Wie Wächter dieser ewigen Stille, Eisberge, riesenhafte, ragen. Ringsum kein Haus, kein Dach, kein Rauch, Kein Mensch, kein Tier, kein Baum, kein Strauch, Kein Hörnerklang von frohem Jagen. 37
Ein Windstoß wirbelt, heult und bellt Nur manchmal übers tote Feld. In Tränen bricht Ludmila aus Vor diesem Anblick voller Graus, Bedeckt die Augen mit den Händen Und seufzt: „Wie wird das alles enden?“ Kaum in den Raum zurückgewandt, Hört sie Musik, und dicht vor ihr, Geöffnet wie von Geisterhand, Tut auf sich eine goldne Tür. Sie wußte nicht, wie ihr geschah … Welch andrer Anblick bot sich da! Ein Park, dem Paradiese gleich, Weit herrlicher noch als die Gärten, Die König Salomon gehörten, Und jene in Armidas Reich. Da sah sie alte Eichen grünen, Lorbeer- und Myrtensträucher stehen, Gereiht an prächtigen Alleen, Zedern und goldne Apfelsinen Sich widerspiegeln in dem Spiegel Der sanften Teiche, stillen Seen. Und Hain und Garten, Tal und Hügel, Im frischen Frühling just erblüht, Sind eingehüllt in selige Träume. Leis flüstert nur das Laub der Bäume, Wenn drüberhin ein Windhauch zieht, Die Nachtigall anstimmt ihr Lied. Fontänen sprühn empor und flimmern Wie Diamanten blitzend klar, Anmutige Marmorstatuen schimmern, So lebensvoll sind sie fürwahr, Daß Phidias selbst, könnt er sie sehen, Den eignen Meißel möcht verschmähen. 38
Und ringsum rauscht’s von silberhellen. Stets ruhelosen Wasserfällen, Die schäumend auf den Marmorschwellen Zu diamantnem Gischt zerschellen. Einschläfernd laden kleine Quellen Im stillen, schattig-kühlen Hain Mit dem Gemurmel ihrer Wellen Den Wanderer zum Rasten ein. In süßen Träumen und Gedanken Könnt sorglos man sich hier ergehn, Ausruhen unter Rosenranken In Lauben, die am Wege stehn. Doch aller Zauber der Natur Gering gilt er Ludmila nur. Weht Blumendüfte noch so köstlich Ihr zu der zarte Maienwind, Sie irrt, in ihrem Gram untröstlich, Durch dieses Paradies wie blind. Und hoffnungslos, gesenkt die Lider, Läßt sie den Tränen freien Lauf, Blickt nur anklagend hin und wieder Zum gnadenlosen Himmel auf. Doch weiten sich die Augen plötzlich. Sie preßt die Finger auf den Mund, Als sei ein Plan, toll und entsetzlich, Gereift in ihrer Seele Grund. Und – sie betritt die kleine Brücke, Die vor ihr liegt … Ist’s ihr Entschluß, Sich zu entziehn des Schicksals Tücke, Will sie sich stürzen in den Fluß? Verzweifelt steht sie, händeringend, Und starrt ins kalte Wellengrab … Nichts bleibt mehr, als hinabzuspringen! Doch – schaudernd wendet sie sich ab.
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Die Füße schmerzten schon der Schönen, Zu lang lief sie bereits umher. Der Sonne müde, müd der Tränen, Empfand sie Hunger mehr und mehr. Kaum hatte sie, um Rast zu halten, Sich einen Platz im Gras gewählt, Sah sie zu Häupten sich entfalten Durch Zauberhand ein luftiges Zelt, Das schützend vor den Sonnenstrahlen Sie rings umgab erfrischend kühl. Und während zartes Harfenspiel Anhub, ward auf kristallnen Schalen Von gleichfalls unsichtbaren Händen Kredenzt vor ihr ein leckres Mahl, So reich wie von erlesner Wahl. Ludmilas Staunen wollt nicht enden. Doch dachte sie: Sollt ich vergessen Des Liebsten und hier fröhlich essen? Nein, unsichtbarer Bösewicht, Magst noch so feurig mich umwerben, Ich spotte dein und esse nicht! Ludmila weiß mit Stolz zu sterben! Dein Zelt, dein Lied, dein Festtagsschmaus Und all dein Prunk sind mir ein Graus. Glaubst du, das reizt mich? Nein! Mitnichten! Mit Freuden will ich drauf verzichten, Und wär’s mein Tod! – Das ist kein Spaß! So dachte sie, griff zu und – aß … Gesättigt steht sie auf und sieht: Kristall und Zelt sind jäh verschwunden, Verklungen ist das Harfenlied, Und weiter irrt sie wie seit Stunden Im Park umher von Hain zu Hain. Die Dämmerung senkt ihre Flügel Hernieder schon auf Tal und Hügel, 40
Herauf steigt schon mit sanftem Schein Der goldne Mond, der Fürst der Nacht. Ringsum ist alles eitel Friede – Ludmila nun, unsagbar müde, Wird jäh von unsichtbarer Macht, Kaum spürbar, sanft emporgehoben Und fliegt, entschlummert wie ein Kind, Im Traume durch die Lüfte droben Davon, als trüge sie der Wind. Alsdann, noch halb vom Duft der Rosen Betäubt, kam der Besinnungslosen Allmählich das Bewußtsein wieder, Als sacht die Hand, die sie erfaßt, Sie auf den Diwan legte nieder In dem vergitterten Palast, Und die drei Mädchen wiederum Erschienen, ehrerbietig stumm, Um ihr zu helfen aus dem Kleide Und abzunehmen das Geschmeide, Wobei ihr schmerzerfüllter Blick Verriet, daß sie das Mißgeschick Der armen Fürstin tief beklagten, Wenn sie sich Worte auch versagten. Doch stellen wir uns lieber vor – Die Schönheit wir zu schätzen wissen – Wie sie schlaftrunken in die Kissen Hinsank, nur leicht umhüllt vom Flor Des Nachtgewands, mit nackten Füßen … Und doppelten Respekt bezeigten Die Mädchen, als sie sie verließen, Indem sie eiligst sich verneigten, Um lautlos dann die Tür zu schließen … Was ward aus der Gefangnen nun? Ist ihr im Schlaf jetzt auszuruhn Endlich vergönnt? – Ach, wie ein Blatt Bebt sie auf ihrer Lagerstatt! 41
Durchs Dunkel starrt sie nun zur Tür, Verkrampft die Finger, die eiskalten, Und lauscht, den Atem angehalten, Bang in das tödlich düstre Schweigen, Hört schon Geflüster, sieht schon dreist Begehrlich übers Bett sich neigen Den unsichtbaren bösen Geist. Vergeblich ist’s, sich unter Decken Und Kissen zitternd zu verstecken! Was sie gehört, es war kein Wahn! Der Lärm, die Stimmen draußen nahn! Auf springt die Tür, ins Dunkel bricht Auf einmal blendend grelles Licht! Paarweise mit gezücktem Schwerte Kam anmarschiert ein stolzer Zug Von Mohren, der ein Kissen trug. Drauf lag der wie ein Gott verehrte Drei Meter lange, graue Bart – Ein Prachtstück wohl in seiner Art, Der dem bemützten Zwerg gehörte, Dem Buckligen, den man entdeckte Am Schwanz des Zugs, wenn er sich reckte. Schon nahte sich des Bartes Spitze. Angstschlotternd sprang die Fürstin schnell Aus ihrem Bett, griff bei der Mütze Den Zwerg und schrie so schrill und grell, Die Faust erhoben, daß die Mohren, Betäubt, fast den Verstand verloren. Der Zwerg selbst hielt sich zu die Ohren Und krümmte zitternd sich vor Schreck, Bleich wie die Fürstin vor Entsetzen, Versuchte er, schnell zu entwetzen, Doch kam er gar nicht erst vom Fleck, Da er sich in den Bart verstrickte, Der plötzlich ihm die Beine knickte. 42
Hin fiel er, währenddem der Schwarm Der Mohren wild zur Türe rannte, Wobei fast noch ein Kampf entbrannte. Den Zwerg nahm einer untem Arm, Um draußen zu entwirrn den Knäuel Und zu beenden diesen Greuel. So blieb Ludmila im Besitze Der Tschernomor entrißnen Mütze. Orlowski, greif zur Zeichenfeder, Um nun gebührend auszumalen Den Kampf der fürstlichen Rivalen, Die – längst erwartet das wohl jeder – Damals grad zogen wild vom Leder. Nacht war’s, und nur beim fahlen Licht Des Mondes kämpften sie erbittert, Ob Speer und Schwert in Stücke bricht, Ob krachend Schild an Schild zersplittert, Ob Helm und Panzer blutbefleckt, Im Sattel sitzen fest die Reiter. Sein Roß anspornend, ungeschreckt Kämpft jeder mit den Händen weiter. Im andern keuchend festgekrallt, Will er den Feind herunterreißen Und zähneknirschend, grausam kalt, Vor seines Pferdes Hufe schmeißen. In ihren Adern kocht das Blut, Die Kiefer sind verkrampft vor Wut. Von dem entsetzlichen Getümmel Wölkt schwarzer Staub sich hoch zum Himmel. Doch beide scheinen bald erschlafft, Der eine fängt schon an zu wanken, Da reißt mit letzter Willenskraft Der andre ihn mit Eisenpranken Vom Pferde, stemmt ihn hoch und brüllt: „Den Fischen sollst du dich gesellen!“ 43
Und wirft den Gegner grimmig wild Vom Ufer in des Stromes Wellen. Mein Freund, dir wurde wohl beim Lesen, Wer der Besiegte war, schon klar. Natürlich ist’s Rogdai gewesen, Der Kiews große Hoffnung war, Der Kampf, Gefahren suchte nur Und kühn Ludmilas Herz begehrte, Sie zu erringen, mit dem Schwerte Nachjagte des Rivalen Spur, Sich auf ihn warf, jedoch zum Schluß, So sieggewohnt er war, den Schlägen Ruslans, des Stärkeren, erlegen, Sein Ende fand im Dnepr-Fluß. Noch heute hört man dort vermelden, Daß eine Nixe Kiews Helden, Als er ins kalte Wasser fiel, Umarmte lachend wie im Spiel, Ihn gierig küßte auf den Mund, Um ihn für alle Ewigkeiten Ins Reich der Feen zu geleiten Hinunter auf des Stromes Grund. Doch weiter – heißt es – geht der Recke Noch als Gespenst um, steht auf Wacht Am Dnepr-Ufer und erschrecke Einsame Fischer in der Nacht.
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Dritter Gesang
Man sagt, mein Vers, du spielst Verstecken, Willst nur dem Freund verständlich sein … Ja, Neider gibt’s, die drin entdecken Anspielungen und Spötterein. Erlaubte sich doch schon zu fragen Solch ein gehässiger Kritikus: „Was will der Dichter damit sagen, Was brachte ihn zu dem Entschluß, Ludmila – Jungfrau nur zu nennen, Sie, die Ruslans Gemahlin war? Und wie soll man sich deuten können, Daß er sie ‚Fürstin‘ heißt sogar?“ Nein, Zoilus, zu deutlich spiegelt Sich deine schwarze Bosheit hier! Du sinnst Verrat und hast’s besiegelt! Kein Wort geb ich zur Antwort dir! Geh, schäm dich solcher Albernheiten! Ich weiß, daß ich im Recht doch bin! Hab keine Lust, mit dir zu streiten, Will friedlich schweigen fürderhin. Doch du wirst mich verstehn, Klimene, Der Hymenaeus gab kein Glück, Um zu verbergen deine Träne, Senkst du nur schamhaft schnell den Blick. Dir scheint mein Vers durchaus nicht schändlich, Du schweigst, dein Aug verrät mich nicht, Kannst seufzen nur, das ist verständlich! Doch, eifersüchtiger Bösewicht, 45
Mit dem Titanen kühn verschworen Ist Amor. Und der Rache Zeit Ist nah! Für dich, den eitlen Toren, Liegt längst der schönste Schmuck bereit. Der Morgenröte Strahlen steigen Hinter der Berge Grat hervor. Im Schloß des Zaubrers herrscht noch Schweigen. Und der verschmähte Tschernomor Wälzt sich noch mürrisch auf dem Bett, Als ob er schlecht geschlafen hätt. Rings um ihn her die Sklaven hocken, Die sich mit großer Vorsicht mühn, Die Knochenkämme durch die Locken Des langen Backenbarts zu ziehn, Indessen andere sich drängen, Das Schnurrbarthaar zu zwirbeln sacht, Mit Wohlgerüchen zu besprengen Die ganze silbergraue Pracht. Da rasselt jäh mit Donnerkrachen Durchs Fenster ins Gemach herein Ein erzgeschuppter Flügeldrachen, Rollt sich wie eine Schlange ein, Steht feixend, eh man sich’s versah, Als Hexenweib Naina da Und knarrt aus zahnlos welkem Munde: „Ich grüß dich, Bruder Tschernomor! Seit langem drang ruhmvolle Kunde Von dir, Verehrter, an mein Ohr. Zeit ist es, daß wir uns befreunden. Um dich zu warnen, bin ich hier, Die schrecklichste Gefahr droht dir! Von ungeheuer starken Feinden, Die meine Ehre auch verletzt! Nach Rache dürstet es mich jetzt!“ 46
Der Zwerg, ein abgefeimter Heuchler, Streckt schlau die Hand der Hexe hin. „Naina, Schönste“, spricht der Schmeichler, „Dein Wunsch ist ganz in meinem Sinn. Mit Schande werden wir bedecken Den Finnen, und, wer’s immer sei! Kein Feind kann Tschernomor erschrecken! Bin Meister in der Zauberei! Schau meinen Bart. Ist er nicht prächtig? Dank diesem wunderbaren Bart Bin ich, solang kein Widerpart Ihn mir abhackt, so übermächtig, Daß nicht der kühnste, stärkste Mann Je meine Pläne stören kann; Mein wird Ludmila sein, beim Teufel! Ihr Gatte ist zum Tod bestimmt.“ „Bestimmt zum Tode ohne Zweifel!“ Echote drauf das Weib ergrimmt, Wobei sie mit dem Fuß aufstampfte Und zischend, unter schrillem Lachen, Verwandelt wiederum zum Drachen, Hinaus durchs offne Fenster dampfte. Im schimmernden Brokatgewand, Ermuntert von der bösen Alten, Beschloß der Zaubrer, um die Hand Ludmilas weiter anzuhalten. Ihr Bart und Liebe ohne Zagen Ergeben nochmals anzutragen, Durchschreitet er die Zimmerflucht, Tritt, wie zur Hochzeit aufgeputzt, In ihr Gemach – und steht verdutzt … Weg ist die Schöne, die er sucht! Den Park durchforscht er überall, Rennt um den See, zum Wasserfall, 47
Kriecht selber unter jede Brücke Mit Augen voller Wut und Tücke, Durchstöbert ohne Aufenthalt Die Lauben und den Lorbeerwald. Wohin könnt sie hier schon verschwinden? Vergittert ist der Park ringsum! Doch nirgends ist das Weib zu finden! Vergeblich raste er herum! Vor Zorn könnt er sich nicht mehr fassen: „Auf keinen kann man sich verlassen!“ Schrie er und hetzte seine Mohren, Die zitternd sich um ihn geschart. „Bringt mir das Weib! Wenn ihr mich narrt, Dann seid ihr allesamt verloren! Ja, ich erwürg euch mit dem Bart!“ Mein Leser, soll ich Dir verraten, Wohin Ludmila nach der Nacht, Da sie den Zwerg vertrieb, geraten? Wie hatte er ihr Angst gemacht! Doch, als sie’s ruhig überdacht, Da fiel sie kichernd in die Kissen. Und jeder Schreck verliert die Macht, Sobald wir drüber lachen müssen … So schlief sie bis zum Morgengrauen, Erhob sich frisch und ausgeruht, Um sich im Spiegel zu beschauen, Zufällig, wie ein Weib das tut, Hebt mit der Linken und der Rechten Das Haar, das auf den Schultern ruht, Um es zur Krone hochzuflechten, Zufällig, wie ein Weib das tut. Zufällig fand sie auch das schöne Prachtkleid von gestern und zog’s an, Wobei ihr eine kleine Träne Unmerklich in den Busen rann. 48
Noch zupfend an des Kleides Spitze, Fiel ihr, bevor sie noch verließ Den Spiegel, plötzlich ein die Mütze, Die sie dem Zauberer entriß. Warum sollt sie nun nicht riskieren. Zu tun, was jedes Mädchen tat, Die Mütze schnell mal zu probieren? Sie stülpt sie auf – ob sie ihr steht? Soll man sie in die Stirne drücken? Ob sie nach hinten mehr gehört? Soll man sie schief, gerade rücken, Quer tragen oder ganz verkehrt? Doch – jäh verlischt, als ob es blitze, Das Bild, das sie noch eben sah; Nur schnell zurück gedreht die Mütze! Sie tut’s – schon ist es wieder da … Des Rätsels Lösung war gefunden. Sie probt’s nochmals, ob’s immer gilt. Nach hinten – wie ein Geist verschwunden … Nach vorn – zurückgekehrt ins Bild! … Welch Glück, dies Wunder zu entdecken! Nun könnt der Zwerg sie nicht mehr schrecken. Sie trug die Zaubermütze drum Seitdem nur noch verkehrt herum. Genug von Mützen jetzt und Bärten! Erinnern wir uns an Ruslan, Von dem wir schon so lang nichts hörten, Sehn wir, was er seitdem getan. Nachdem der Zweikampf war zu Ende, Durchritt er einen finstren Wald, Ein weites, ebenes Gelände Tat vor Ruslan sich auf alsbald. Was er dort sah, ließ selbst erschrecken Das kampferprobte Herz des Recken, 49
Ein Schlachtfeld war’s aus alter Zeit, Das vor ihm lag so öd und weit, Besät mit Schädeln und Gebeinen, Mit Waffen, die der Rost zerfraß. Zerspellt ein Schild hier zwischen Steinen. Durchbohrt ein Panzer dort im Gras, Hier eine Hand, die abgehauen, Den Griff des Schwertes nicht verlor, Ein Helm dort, schaurig anzuschauen, Daraus ein Schädel grinst hervor, Und flach am Boden zwei Gerippe, Ein Ritter mit zerbrochnem Schwert, Wie ihn gefällt des Todes Hippe, Noch sitzend auf dem tapfren Pferd. Manch Pfeil und Speer ragt auf daneben, Gerammt ins Erdreich wie ein Pfahl … Kein Laut, nicht eine Spur von Leben Regt sich in diesem Todestal. Schwermütig seufzt Ruslan und hält Umschau, so weit die Blicke reichen. „Wer hat dich, ödes, weites Feld, Getränkt mit Blut, besät mit Leichen? Wer war’s, der hier als letzter stand, Als Sieger nach der Schlacht Getümmel? Wer war’s, der betend sich gewandt Als letzter sterbend an den Himmel? Das Unkraut des Vergessens deckt Schon längst, die ruhmlos hier verdorben. Eh mich der nächste Morgen weckt, Bin ich vielleicht wie sie gestorben! Klanglos am Fuß des Hügels hier Werd ich verscharrt, und niemals wieder Wird mein gedacht, der Barden Lieder Berichten nicht ein Wort von mir!“ 50
Im Zweikampf hatte unser Held Zerschlagen alle seine Waffen. So fiel’s ihm ein, auf diesem Feld Ersatz dafür sich zu verschaffen. Ein wahrer Höllenlärm beginnt Beim Wühlen in dem Berg von Knochen, Von Helmen, die zerhauen sind, Von Panzern, Schilden, die zerbrochen. Ein Helm, ein Horn, ein alter Schild War alles, was er finden konnte, Jedoch kein Schwert, um das sich’s lohnte, Das er zu tragen war gewillt. Was da im Feld an Schwertern lag, Erschien zu klein dem mächtigen Recken, So leicht zerbrechlich wie ein Stecken, Der heutigen Helden eignen mag. Nur um die Brust paßt sich Ruslan Noch einen alten Panzer an, Und nimmt, da er nichts Beßres fand, Zur Kurzweil einen Speer zur Hand. Also gerüstet, zog der Reiter Verdrossen seines Weges weiter. Längst war die holde Abendröte Erblaßt am Steppenhorizont, Und wie ein Schleier überwehte Nun blauer Nebeldunst den Mond. Versonnen durch die Dämmrung reitet Ruslan, nicht fürchtend Nacht und Graus. Verschwommen in der Ferne breitet Sich schwarz ein Hügel vor ihm aus. Seltsames Schnarchen scheint zu tönen Vom Hügel her, wie sonderbar! Ruslan vermeint, er hör ihn stöhnen, Er seh den Hügel atmen gar! 51
Er reitet näher – scheut auch zitternd Sein Pferd zurück, nichts Gutes witternd. Es spitzt die Ohren, zerrt am Zaum, Es bläht die Nüstern, bleckt die Zähne, Es bäumt sich mit gesträubter Mähne, Der Reiter zwingt’s zur Ruhe kaum. Beglänzt vom hellen Mondstrahl plötzlich, Wird jetzt des Hügels Umriß klar: Ein abgehaunes Haupt – entsetzlich! – Von einem Riesen ist’s, fürwahr. Und dieser Kopf, er lebt! Ist’s möglich? Ruslans Erstaunen ist unsäglich! In tiefem Schlaf sieht er ihn liegen, Von einem riesigen Helm bedacht, Drauf Federn sich gespenstig wiegen Und drohend wehen in der Nacht, Bewegt von seines Atems Dröhnen, Der ihm aus Mund und Nase bricht. Starr steht Ruslan dicht vor dem schönen, Unheimlich wilden Angesicht, Das wie ein Wächter in der Stille, Umgeistert von der Nebelhülle Der Steppeneinsamkeit, aufragt. Ruslan umreitet unverzagt Das mächtige Haupt, gewillt, zu stören Des Riesen Schlaf, vielleicht zu hören, Welch ein Geheimnis in ihm steckt. Das wär ein Spaß, wenn er ihn weckt! Und kurz entschlossen, kitzelt er Ihn in der Nase mit dem Speer. Das war zuviel selbst für den Riesen, Weit riß er Maul und Augen auf, Um prompt so fürchterlich zu niesen, Daß sich ein Sturm erhob darauf, Von dem die ganze Steppe bebte. Was ihm an Bart und Brauen klebte 52
An altersgrauem Staub und Dreck, Dazu ein Schwarm von schwarzen Eulen, Stob auf mit ungeheurem Heulen Und wirbelte den Reiter weg. Kaum konnt er sich im Sattel halten. Und hundert Echos ringsum schallten, Der ferne Wald, die Berge niesten, Als ob sie ihren Herrn begrüßten. Dann drang, als sich der Lärm verlor, Ein Donnerruf Ruslan ans Ohr: „Wohin, du Tor von einem Recken? Kehr um! Du wagst es, mich zu necken? Wie kannst du so verwegen sein? Kehr um! Sonst atme ich dich ein!“ Ruslan, der grad zum Stehen brachte Sein Pferd, sah sich verächtlich um Und lächelte nur spöttisch, stumm, Als er streitlustig kehrt schon machte. „Du Frechling, he, was wolltest du?“ Schrie ihm das Riesenhaupt nun zu. „Warum raubst du mir meine Ruh? Pack dich, du Zwerg, sonst freß ich dich!“ Zorn wallte auf auch in dem Recken, Er rief: „Mich kannst du nicht erschrecken! Ein Strohkopf bist du nur für mich! Ist noch so breit auch deine Stirn, Verstand steckt nicht in deinem Hirn! Ich nehme nicht Reißaus vor dir! Auf Schonung rechne nicht von mir!“ Auf flammte nun das Haupt vor Wut, In seinen Adern schwoll das Blut, Die Augen glühten wie im Fieber, Der Geifer quoll im Maul ihm über, Die Lippen zuckten wie im Krampf, Aus Nas und Ohren qualmte Dampf. 53
Und wieder traf ein Wirbelwind Das Roß, daß es wie taub und blind, So wacker es auch widerstand, Gar bald doch keinen Halt mehr fand, Gezwungen ward, zurückzulaufen, Um fern im Felde zu verschnaufen. Nicht besser ging’s beim dritten Sturm, Als Roß und Reiter, wie ein Wurm Sich duckend, wurden weggeblasen, Ohnmächtig vor des Sturmes Rasen. Und höhnisch lachte übers Feld Das Riesenhaupt dem Reiter nach: „Halt an, halt an, gemach, gemach! Wohin so schnell, mein tapfrer Held? Nicht stolpern! Vorsicht! Da sind Steine! Ihr brecht euch ja noch Hals und Beine! Was hat dich denn so sehr erschreckt? Halt an, bevor dein Gaul verreckt! Komm her, und mach mir das Vergnügen, Gib mir nur einen Schlag! Komm her!“ Zornbebend hob Ruslan den Speer, Und schwirrend sah man ihn schon fliegen Genau ins offne Maul dem Riesen. Nun, der vergaß diesmal zu niesen. Zerbeißen wollt er das Geschoß, Doch schien’s, daß ihm sehr wenig schmeckte Der Speer, der in der Zunge steckte, Aus der das Blut in Strömen floß. Die Spötterei sich nun verkneifend, Sah er erblaßt, noch nichts begreifend, Ruslan, den Recken vor sich stehn. So mag’s Melpomenes Epheben Mitunter auf der Bühne gehn, Ein Pfiff braucht sich nur zu erheben, Und schon sieht man ihn sprachlos stehn. 54
Vergessen hat er seine Rolle Verdutzt ist er, weiß gar nichts mehr, Indes die Menge mit Gejohle, Mit Spott und Hohn fällt auf ihn her. Nun diesen Augenblick benutzte Ruslan – kaum daß der Gegner stutzte, Stürzt wie ein Habicht er sogleich Sich über ihn, erhebt die Rechte Und gibt ihm einen Backenstreich, Der jeden Mann ums Leben brächte. Die Steppe hallte weithin wider, Das Haupt, es wankte, rollte nieder Vom Hügel, wo’s so lang geruht, Und färbte rings das Gras mit Blut. Der Helm schlug auf mit dumpfen Schlägen. Doch sieh – da wo der Kopf gelegen, Erblickt Ruslan, was er entbehrt: Ein mächtiges, blankes Reckenschwert! Mit einem wilden Freudenschrei Ergreift er’s, um sogleich aufs neu Dem Haupt des Riesen nachzuspringen. Schon will das breite Schwert er schwingen, Ihm Nas und Ohren abzuschlagen, Da hört er es so flehend klagen, Daß er es übers Herz nicht bringt, Sein Zorn, sein Rachedurst verklingt. So schmilzt im Lenz das Eis im Tal, Erwärmt vom Mittagssonnenstrahl. „Du hast mich zur Vernunft gebracht“, Sprach seufzend drauf das Haupt des Riesen. „Dein starker Arm hat mir bewiesen, Wie schuldig ich mich hab gemacht. Von nun an will ich mich dir beugen. Und du wirst Großmut mir bezeugen! 55
Mein Los, es ist beweinenswert: Ein kühner Ritter war auch ich, Und keinen Gegner gab’s für mich, Der nicht gefürchtet hat mein Schwert. Nur einen hatt ich zum Rivalen, Durch den das Leben ich verlor, Der mich gestürzt in tiefste Qualen: Das war mein Bruder Tschernomor. Kein schlimmrer Schurke war im Lande: Gänzlich geraten aus der Art, Galt er der Sippe nur als Schande, Der krumme Zwerg mit langem Bart! Mich, der von Wuchs ein Gott, ohn Fehle, Sah er nicht ohne Bosheit an, Weshalb mich seine finstre Seele Als Kind zu hassen schon begann. Ich war einfältig, ohne Zweifel, Wenn ich auch hochgewachsen war, Doch er war schlau, schlau wie der Teufel, An Niedertracht ihm über gar. Zum Unglück birgt in seinem Bart Sich eine Kraft besondrer Art, Die er zu brauchen niemals scheute, So daß ihn kein Verrat gereute. Solang sein Bart bleibt unversehrt, Gibt’s nichts, was seiner Achtung wert. Und in der freundschaftlichsten Weise Bat er mich eines Tages schlau, ‚Hör zu‘, sprach er, ‚ich weiß genau, Daß ich ihm einen Dienst erweise. In einem finsteren Verlies Weit hinter dem Gebirg gen Morgen, Da liegt ein Reckenschwert verborgen. In alten Büchern las ich dies. Das Schicksal will’s, daß diese Klinge Uns eines Tages Unheil bringe. 56
Mir hackt dies Schwert einst ab den Bart Und dir, mein Bruder, gar das Haupt. Damit uns solches bleibt erspart, Wär’s klug, wenn man es vorher raubt. Versteh, die Sache ist sehr wichtig, Denn diese Weissagung ist richtig!‘ Ich lachte: ‚Eine Kleinigkeit! Was ist dabei? Ich bin bereit! Wir ziehen los, wann dir’s gefällt, Und ging es bis ans End der Welt!‘ Geschultert rechts den bärtigen Zwerg, Links einen Baumpfahl aufgeladen, Durchwanderte ich Tal und Berg Auf finstren, unwegsamen Pfaden Ohn Rast und Ruh, tagaus, tagein. Das Schicksal schien uns hold zu sein, Ließ das Gebirg uns überwinden Und endlich das Verlies auch finden. Ich brach es auf mit bloßen Händen Und zog beglückt das Schwert hervor. Doch unheilvoll sollt’s für mich enden. Mein böser Bruder Tschernomor Begann sofort, sich zu erhitzen, Denn er, er wollt das Schwert besitzen. Wir schrien, stritten lange Zeit, Bis ich ihn schließlich ausgelacht. Da schwieg er, doch nicht, weil’s ihm leid, Nein, weil er eine List erdacht! Denn, wie besänftigt sagte er: ‚Sinnlos ist’s, daß wir länger streiten Und uns entzwein, statt daß vielmehr Wir von Vernunft uns lassen leiten. Das Schicksal selber mag entscheiden, Wem dieses wundervolle Schwert, Ob dir, ob mir, ob gar uns beiden Gemeinsam fürderhin gehört. 57
Damit uns kund sein Wille werde, Knie hin wie ich, halt an die Erde Das Ohr gepreßt und lausch hinein. Wer nun als erster von uns zwein Des Schicksals Urteilsspruch vernimmt, Der ist auf Lebenszeit bestimmt, Besitzer dieses Schwerts zu sein.‘ Gewillt zwar, es ihm nicht zu lassen, Warf ich, wie er, mich hin aufs Ohr. Hätt ich geahnt, daß Tschernomor Selbst mich so grausam konnte hassen! – Auf sprang er plötzlich und ergriff Das Schwert … ein Wirbelwind, ein Pfiff, Und – eh ich es begriff, ich Tropf, Da rollt mir schon vom Rumpf der Kopf. Daß Leben in ihm blieb, ist nur Ein seltsam Wunder der Natur. Von Dornen ganz verdeckt, vergessen West mein Skelett im Steppensand, Mein Haupt trug Tschernomor indessen Hierher, in dieses fremde Land, Bewachen mußte ich bis heute Das Schwert, das nunmehr deine Beute. Nimm’s hin, das Schicksal schenke dir Auch fürderhin mehr Glück als mir. Ein guter Gott mag es dir segnen! Doch solltest du dem Bösewicht, Dem bärtigen Zwerg, einmal begegnen, Dann halte über ihn Gericht! Wenn du mich rächst für alle Leiden, Dann könnt ich glücklich alsogleich Die Augen schließen und verscheiden, Aus Dankbarkeit sogar mit Freuden Vergeben dir den Backenstreich!“
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Vierter Gesang
Jedweden Morgen danke ich Dem Schöpfer, daß in unsren Tagen Nicht mehr wie einst so fürchterlich Gespenster uns und Zaubrer plagen. Und gibt’s noch welche, Ruhm und Ehr Sei ihnen, wenn sie friedlich bleiben, Wenn Braut und Bräutigam nicht mehr Gefahren drohn von ihrem Treiben! Am meisten sind mir die verhaßt, Die tun, als wollten sie uns dienen. Sanft ist ihr Blick, betörend fast Ihr Wort, das Lächeln ihrer Mienen. Hört, wenn ihr ruhig leben wollt: Ich rat euch, ihnen nicht zu trauen! Sie sind dem Liebenden nicht hold, Flieht vor dem Gifttrank, den sie brauen! Du Genius meiner Poesie, Verkünder magischer Gesichte Von holder Lieb und Dämonie, Im Grab zu Haus, im Himmelslichte, Du meiner lockren Muse Hort, Beschützer, Wärter ihrer Wiege, Verzeih, wenn ich dir nun nachfliege, Orpheus des Nordens, und hinfort Die heitre Mär der Welt zur Freude In eine hübsche Lüge kleide. 59
Ihr hörtet sicher, meine Lieben, Von jenem alten Bösewicht, Der einst dem Teufel sich verschrieben, Selbst die zwölf Töchter schonte nicht Und ihre Seelen ließ dem Bösen; Wie er versuchte, sich zu lösen Von seiner Schuld, die er erkannt, Durch Ablaß, Fasten und Gebete, Als Fürsprech einen Heiligen fand, Der Gnade ihm von Gott erflehte, Wie er entschlief in seligem Frieden Und was den Töchtern war beschieden. Bezaubert hat uns ohne Zweifel Der wundersamen Nächte Bild, Von Träumen sonderbar erfüllt. Doch Gottes Zorn, der finstre Teufel, Des alten Sünders Reuequal Entsetzten uns von Mal zu Mal, Sosehr uns reizte anzuschauen Die hübschen, schuldlosen Jungfrauen. Ihr Schlaf, ihr stumm ertragnes Leid Ließ uns vor Rührung oft erschauern. Mit den Gefangnen Seit an Seit Umschweiften wir des Schlosses Mauern. Und sahen fließen ihre Tränen, Dann weinten wir selbst mit den Schönen. Wir sahn noch mehr … doch soll ich’s wagen, Die ganze Wahrheit hier zu sagen? Ich will es wagen und berichte Nun frank und frei Ratmirs Geschichte: Ruslans Gemahlin aufzufinden, Ritt er gen Süden unverwandt Den ganzen Tag. Schon sah er schwinden Die Sonne hinterm Waldesrand. 60
Sosehr er in die Weite spähte, Ringsum war alles leer und tot, Und überm Fluß nur Nebel wehte. Das letzte blasse Abendrot Noch auf den höchsten Wipfeln glühte. Zeit war’s, daß er sich nun im Wald Um eine Lagerstatt bemühte. An schwarzen Felsen aus Basalt Ritt er vorüber ohne Zagen Zu Tal, da sieht er droben ragen Ein altes Schloß mit Wehr und Zinnen. Hoch auf der Mauer kommt daher. Einsam, gleich einem Schwan im Meer, Vom goldnen Abendglanz beschienen, Ein holdes Weib. – Verlockend klingt Die zarte Weise, die sie singt: Es dunkelt schon, die Nacht bricht an; Kühl weht der Wind, komm, laß dir raten, Kehr ein, du junger Wandersmann, In unsre lustigen Kemenaten! Hier schläfst du wohlig in der Nacht, Hier harren dein an jedem Tage Die wonnevollsten Festgelage, Komm, komm, dein Bett ist schon gemacht! Hier wartet dein ein holder Schwarm Von schönen Mädchen! Nichts vermissen Wirst du an Freundlichkeit und Küssen, Hier winkt dir Liebe sonder Harm! Und wenn der goldne Morgen naht, Dann lassen wir den Becher kreisen, Und du vergißt das Weiterreisen! Komm, komm, kehr ein, folg meinem Rat! 61
Es dunkelt schon, die Nacht bricht an; Kühl weht der Wind, komm, laß dir raten: Kehr ein, du junger Wandersmann, In unsre lustigen Kemenaten! So singt und lockt die schöne Maid. Schon naht Ratmir ihr voll Verlangen. Ein Schwarm von Jungfraun steht bereit Am Tor, ihn zärtlich zu empfangen. Sie schaun ihn wohlgefällig an; Indem sie lärmend ihn umringen Und zwei das Roß des jungen Chan Eilfertig fort zur Stallung bringen, Wird er geführt in den Palast. Ab nimmt man ihm den Helm, den schweren, Das Schwert, den Schild, des Panzers Last. Er duldet’s, ohne sich zu wehren. Eh ihn umhüllt ein Lustgewand, Wird er zum Bad erst hingeleitet, Das eilig man für ihn bereitet, So wie es Brauch im Russenland. Umwölkt von Dampf, kann sich ausstrecken Auf Matten hier der junge Held. Und während in ein Silberbecken Des heißen Wassers Sprudel schnellt Und wechselnd kalte Strahlen wieder Erfrischen ihm die müden Glieder, Naht, halb entblößt, gesenkt die Lieder, Ihm nun der Jungfraun holde Schar. Die eine neigt sich zu ihm nieder, Besprengt mit Rosenöl sein Haar, Und eine andre aus dem Reigen Des Ritters Blut in Wallung bringt Mit frischen zarten Birkenzweigen, Die über ihm sie lachend schwingt. 62
Ratmir, glückselig unterdessen, Fühlt sich schon ganz der Welt entrückt, Sie, die ihn einst so sehr entzückt, Ludmila, hat er längst vergessen. Er blickte schmachtend vor Verlangen Mit heißen Augen um sich her, Als könnt er’s kaum erwarten mehr, Die Schönen zärtlich zu umfangen. Ratmir dem Bade nun entschreitet, In Samt und Seide frisch gekleidet, Vom Schwarm der Jungfräulein geleitet Zum Festmahl, das schon vorbereitet. Um dieses Festmahl zu beschreiben, Die Speisen all, den edlen Wein, Müßt ich Homer persönlich sein. So aber laß ich’s besser bleiben Und wandle lieber mit Parny Den lockren Pfad der Poesie, Laß lächelnd meine Leier tönen Zum Preis der Nacktheit unsrer Schönen, Beschreibe, wie der Held die Nacht Mit Lieb und Zärtlichkeit verbracht! Da lag das Schloß im Mondenschein Und im entlegnen Kämmerlein Der schlafende Ratmir, von bangen Traumbildern wollüstig umfangen. Die Stirne glüht, es glühn die Wangen, Als ob ihn Feuersglut verzehrt. Er spitzt den Mund schon voll Verlangen Zum Kuß, den fiebernd er begehrt, Gleichsam, als wähne er im Traume, Die Schöne stünde schon im Raume, Bereit, zu stillen seine Lust; Gequält seufzt er aus tiefster Brust. 63
Doch ist’s kein Traum! Wach auf, Ratmirl Lausch in die mitternächtige Stille! Knarrt nicht da draußen eine Diele! Und jetzt, jetzt tut sich auf die Tür! Wirf ab den Schlaf, mach dich bereit! Fürwahr, beglänzt vom Mondlicht, schreitet Herein die wunderschöne Maid Auf nackten Sohlen … Niedergleitet Die Decke von des Ritters Brust … Wach auf, Ratmir! Fliegt fort, ihr Träume! Die Liebe naht, wach auf, versäume Sie nicht, die süße Zeit der Lust! So arglos zeigt sie sich dem Recken Wie es Diana schelmisch tat Vor ihres Schäfers Lagerstatt. Wie wird sie nun den Schläfer wecken? Aufs Bett gestützt mit einem Knie, Neigt sie sich leise zu ihm nieder. Da fuhr ein Blitz ihm durch die Glieder, Solch einen Kuß empfing er nie … Doch nun, mein keusches Lied, nun hülle In Schweigen dich. Du bist zu schwach, Zu schildern, was noch in der Stille Der Nacht geschah in dem Gemach. Ratsamer scheint uns, zu beenden Jetzt die Geschichte von Ratmir, Dafür uns wieder zuzuwenden Ruslan, dem vielgetreuen hier, Dem Ritter ohne Furcht und Tadel, Dem Mann von wahrem Seelenadel. In tiefen Schlaf war er gefallen, Nachdem er siegreich übermannt Das Riesenhaupt. – Des Frührots Strahlen Vergoldeten des Himmels Rand, Als er mit frischem Mut erwachte. 64
Ohn daß er lange sich bedachte, Schwang er sich auf sein feurig Pferd Und stob davon, machtvoll bewehrt Mit dem erkämpften Reckenschwert. Welk fiel das Laub von Baum und Strauch, Ruslan ritt unverzagt gen Norden. Kein Vogel sang, des Herbstwinds Hauch Vertrieb sie längst schon, stumm geworden War Feld und Wald, vergilbt und kahl, Und kalte Nebelschwaden lohten Nun um die Hügel rings im Tal, Des Winters unbarmherzige Boten. Kein Tag verging, an dem der Recke Nicht Hindernisse überwand. Da blieben Riesen auf der Strecke, Manch Hexenweib ihr Ende fand. In einer fahlen Mondnacht stiegen Aus Nebeln Nixen auf vor ihm, Auf Bäumen sah er sie sich wiegen, Ihm winken zärtlich ungestüm, Doch konnte keine ihn betören, Er blickte überhaupt nicht hin. Ludmila wollt er nur gehören, Nach ihr allein stand ihm der Sinn. Der Nixen Lockung blieb verloren, Und so entkam er ungeschoren. Was tat die Jungfrau unterdessen? Seitdem die Schöne im Besitze Von ihres Peinigers Zaubermütze – Wir haben’s wohl noch nicht vergessen –, Geht sie, unsichtbar so gemacht, Nun durch die Gärten Tag und Nacht,
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Läßt ihren Träumen freien Lauf, Sich in Erinnrungen versenkend, Des Freundes wehmutvoll gedenkend, Seufzt sie oft tief bekümmert auf. Doch dann denkt sie der Heimat wieder, Des alten Vaters und der Brüder Und aller lieben Anverwandten, Der Freundinnen und der Bekannten. In ihr Bewußtsein kehrt zurück Der Kindheit ungetrübtes Glück. Das gibt ihr manchmal neue Kraft, So daß sie die Gefangenschaft, Ja selbst die Trennung von Ruslan Für kurze Zeit vergessen kann. Doch doppelt traurig und allein Fühlt sie sich, wenn aus solchen Träumen Sie aufscheucht neue Angst und Pein. Des Zaubrers Sklaven nämlich säumen Nicht Tag noch Nacht, sie aufzuspüren, Durchstöbern Park und Schloß beständig, Um sie dem Unhold zuzuführen. Doch freut die Jungfrau sich unbändig, Hört sie von ferne ihr Geschrei, Den Dienerschwarm zu überraschen, Indem sie plötzlich ohne Scheu, Als spiele sie mit ihnen Haschen, Vor ihnen auftaucht unbemützt Und mit dem Ruf: „Hier ist der Hase!“ Aufs neu getarnt vor ihrer Nase Verschwindet und von dannen flitzt. So konnten sie wohl Spuren finden Von ihr im Garten täglich fast. Zum Beispiel sahen sie verschwinden Orangen oft von einem Ast, Gleichsam von Geisterhand gepflückt, Sahn auf dem Rasen manche Stelle, 66
Wo grad ihr Fuß das Gras geknickt, Betropft den Boden bei der Quelle, Wo sie mit Wasser sich erquickt. Doch solche Atzung hält nicht jeder Gar für den allerbesten Schmaus, Und schlafen nachts auf einer Zeder, Wer hielte das wohl lange aus? Nein, Ruhe fand sie nimmermehr, Vor Angst, vor Kummer und vor Sehnen Verbrachte sie die Nacht mit Tränen. Erst bei des Frührots Wiederkehr Gelang ihr’s, an den Stamm den Rücken Gelehnt, bisweilen einzunicken. Jedoch sobald der Sonnenball Erschien, lief sie zum Wasserfall, Um unter seinem Strahl, dem kühlen, Die nächtigen Tränen wegzuspülen. Was Tschernomor wohl dabei fühlte, Wenn er vom Fenster aus erkannt, Wie eine unsichtbare Hand Das Wasser fing und damit spielte! So mußte sie, von ihrem Gram Gefoltert, Tag um Tag verbringen, Bis wiederum der Abend kam. Da hörte man sie leise singen Ein Lied voll Wehmut manches Mal. Ein Stück von ihrem seidnen Schal, Ein Blumenkranz, den sie gewunden, Ein Taschentuch, das tränennaß, Ward dann am nächsten Tag im Gras Von einem Diener aufgefunden. Das ging so lang, bis Tschernomor Vor Wut fast platzte und sich schwor, Um schnell zum Ziele zu gelangen, Ludmila endlich einzufangen 67
Durch einen schlauen Schurkenstreich, Dem lahmen Schmied von Lemnos gleich, Der Zytherea, die die Treue Ihm immer wieder brach aufs Neue, Fing, und den Göttern so entdeckte, Was Zypris insgeheim bezweckte … Die Fürstin saß, in ihre Träume Versunken, schweigend, ahnungslos In einer Laube und genoß Den Ausblick durchs Gezweig der Bäume Auf einer Wiese Blumenpracht. Da hört sie plötzlich in der Nähe Ein Flüstern, als ob vor ihr stehe Ruslan, an den sie just gedacht: „Ludmila, Liebste, ich bin hier!“ Fürwahr, er ist’s, er naht sich ihr! Gestalt und Stimme sind die seinen, Die Züge nur, die Augen scheinen Etwas verschleiert, blaß und krank. Doch macht das wohl die Dämmerstunde … Und, ach – er hat ja eine Wunde An seiner Hüfte! … Zitternd sprang Ludmila auf, lief auf ihn zu Mit offnen Armen – doch im Nu War die Gestalt wie Spuk verschwunden. Und dann flog ihr die Mütze weg, Nicht rühren konnt sie sich vom Fleck, Von einem Netz war sie umwunden. Vor Schreck erstarrte sie zu Stein, Als höhnisch gellte ihr ins Ohr Der Ruf: „Jetzt ist der Vogel mein!“ Vor ihr steht drohend Tschernomor. Ein kläglich Seufzen nur und Stöhnen Entfährt der holden Brust der Schönen, 68
Indem die Sinne ihr vergehn. Ach, was wird nun mit ihr geschehn! Entsetzlich ist’s, mit anzusehn! Der greise Unhold, grau und gräßlich, Von Kopf bis Fuß runzlig und häßlich, Beugt geil sich zu der Jungfrau nieder Und streichelt schamlos ihre Glieder … Just in demselben Augenblick Begann ein Streithorn laut zu dröhnen … Wer mocht es sein, wer war gekommen, Den Zwerg zu fordern zum Gefecht? Der Unhold rafft, noch halb benommen, Sich auf, streicht sein Gewand zurecht, Wirft auf die Schulter sich den Bart, Ergreift die Mütze unverweilt, Stülpt sie der Jungfrau auf und eilt Entgegen seinem Widerpart.
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Fünfter Gesang
Fürwahr, der Mann ist zu beneiden, Dem liebend sich Ludmila schenkt. Empfindsam, klug und doch bescheiden In allem, was sie tut und denkt, Gern fröhlich, voller Schelmerei, Doch unbedingt dem Gatten treu, Bezaubert sie uns stets aufs neu. Ihr gab der Himmel jene Gaben, An denen Aug und Herz sich laben, Mit ihrem Lächeln, ihren Worten Erweckt sie Liebe allerorten. Kein größeres Glück, als nachts im Garten Zum Stelldichein sie zu erwarten! Welch eine Anmut! Unerreichbar! Welch eine Schönheit! Unvergleichbar Mit irgendwelchen andern Frauen, Am wenigsten mit jener rauhen Delphira, die so finster blickt, Daß jeder Mann vor ihr erschrickt, Ja möglichst schnell von dannen rennt Und sie am liebsten gar nicht kennt. Hätt sie nur einen Bart und Sporen, War ein Husar an ihr verloren. Doch davon wollt ich gar nicht sprechen, Vielmehr von dem, der voller Zorn Just so gewaltig stieß ins Horn. Es war Ruslan. – Den Schimpf zu rächen, 70
Den er erlitt durch Tschernomor, Steht er nun vor des Schlosses Tor. Sturm bläst sein Horn, es ruft zum Kampf. Sein Roß, es schäumt und scharrt und stampft Und wiehert laut, als wollt es sagen: Komm, Zwerg, jetzt geht’s dir an den Kragen! Doch eh der Reiter sich’s versah, War schon der listige Gegner da, Hoch aus den Wolken braust der Schelm Herab und donnert auf den Helm Ihm einen Schlag von solcher Macht, Der andre wohl hätt umgebracht. Ruslan erhebt den trüben Blick, Erkennt den Gegner mit der Keule, Und blitzschnell schlägt sein Schwert zurück, Daß es den Bösewicht zerteile, Doch grad so schnell schwingt Tschernomor Sich rückwärts in die Luft empor. Schon aber stürzt der Unhold wieder Wutschnaubend auf den Recken nieder Und plumpst, vor Raserei ganz blind – Denn seitwärts weicht Ruslan geschwind –, Mit dumpfem Aufschlag in den Schnee. Flink war Ruslan vom Pferd gesprungen, Und eh dem Zwerge in die Höh Sich aufzuschwingen war gelungen, Erfaßte ihn des Recken Faust Beim Bart und ließ ihn nicht entwischen, Mocht er auch strampeln, zappeln, zischen. Doch plötzlich reckt er sich und saust Steil aufwärts, grade wie zuvor. Ruslan, der ließ den Bart nicht fahren, Hielt eisern fest sich an den Haaren, Und fort mit ihm flog Tschernomor. Das Pferd Ruslans, das treue Tier, Sah ihnen nach verwundert schier. 71
Sie flogen über wüste Felder Und undurchdringlich düstre Wälder, Hoch über wilder Berge Höhn, Weit über trostlos menschenleere Finstere, sturmzerwühlte Meere, Kein Ende war da abzusehn. Mocht ewig dauern diese Fahrt, Ruslan hielt zähe fest den Bart, Hingegen schien es bald, als werde Der Zauberer allmählich schwach, Da zu Ruslan er listig sprach: „Hör, Fürst, ich bringe dich zur Erde; Laß uns beenden unsern Streit! Ich tue dir fortan kein Leid, Du mußt mir eines nur versprechen …“ „Nichts, Elender! Schweig, rat ich dir! Mein Weib hast du gequält, dafür Will ich mich schrecklich an dir rächen! Nie werd ich mich mit dir vertragen, Mag bis zum Mond gehn diese Fahrt! Bestimmt verlierst du deinen Bart! Mein Schwert wird ihn dir bald abschlagen!“ Umsonst begann nun Tschernomor, An seinem Barte wild zu rütteln, Um seinen Gegner abzuschütteln. Ruslan blieb hängen wie zuvor, Er strafte ihn dafür sogar, Indem er selbst am Bart ihn zupfte Und manch ein Haar dabei ausrupfte. Am Ende seiner Kräfte war Der Zwerg dadurch schon nach zwei Tagen. Er schrie: „Laß ab, erbarm dich mein! Hab keine Kraft mehr, dich zu tragen! Hast mich besiegt, ich seh es ein, Ich bin in deine Hand gegeben! Doch, Fürst, sei gnädig, schon mein Leben! 72
Ich bin fürwahr genug gestraft Durch alles, was ich ausgestanden! Befiehl, wo soll ich mit dir landen?…“ „Ja, zittre vor des Russen Kraft, Fang nicht mit mir noch einmal an! Und nun beeil dich“, rief Ruslan, „In deinen Zwinger zu gelangen, Wo du Ludmila hältst gefangen!“ Gehorsam machte kehrt sogleich Der Zwerg, doch Todesängste litt er. Bald war erreicht sein Zauberreich, Zu Boden ging er mit dem Ritter. Kaum standen auf den Füßen beide, Da riß Ruslan schon aus der Scheide Sein Schwert, und wie ein Bündel Gras Hieb er dem Wicht, der’s totenblaß Erduldete, den Bart vom Kinn. „Nun, Räuber“, höhnte er, „wohin Ist deine Zauberkraft geraten? Aus ist’s mit deinen Freveltaten!“ Dann band er sich die Siegesbeute, Den Bart des Feindes, auf den Helm Und rief sein Pferd. Als es zur Seite Ihm wiehernd sprang, griff er den Schelm, Der kreischend zappelte, und zwängte In seinen Quersack ihn, dann sprengte Er ohne weitren Aufenthalt Den Berg hinauf, um alsobald Ins Schloß des Zaubrers einzudringen, Die Freiheit seinem Weib zu bringen. Die Mohren brauchten nur zu sehn Das sonderbare Siegeszeichen, Den Bart, auf seinem Helme wehn, Um schlotternd schleunigst zu entfleuchen. 73
Durch die Gewölbe ungestört Läuft er und ruft zu vielen Malen Nach der Geliebten – doch er hört Als Antwort nur sein Echo hallen. Verzweifelt reißt er auf die Türen, Die zu dem Park des Schlosses führen, Läuft durch die Haine kreuz und quer, Um die Geliebte zu erspähen, Durchsucht die Lauben – sie sind leer, Sein Rufen findet kein Gehör, Und keine Spur ist da zu sehen! Am Wasserfall erst macht er halt Und starrt hinunter von der Brücke. Da überläuft’s ihn heiß und kalt … Wie – wenn sie vor des Schicksals Tücke Entfloh – und stürzte sich hinab Verzweifelt in dies Wellengrab? … Bei diesem grausigen Gedanken Erschrak er bis ins Mark hinein, Gesenkt den Kopf, stumm wie ein Stein, Stand er und fürchtete zu wanken. Und von Verzweiflung übermannt, Verdunkelte sich sein Verstand, So daß ihn dünkte, er verspüre, Daß ihn ihr Schatten schon berühre Und keine Hoffnung mehr ihm bliebe Auf die Erfüllung seiner Liebe. Und wieder durch die Gärten rast Ruslan und ruft Ludmilas Namen, Von Wut und Rachedurst erfaßt, Beginnt er, ohne zu erlahmen, Was immer ihm im Weg mocht stehn, Wie ein Beseßner zu zerstören. Felsblöcke riß er von den Höhn, Um rings die Haine zu verheeren, 74
Kein Baum, kein Strauch blieb unversehrt, Zusammen schlug er mit dem Schwert Die Lauben alle und die Brücke Und schleuderte die Trümmerstücke Hinunter in den wilden Bach. In Kürze war des Zaubrers Reich Nur einer wüsten Steppe gleich. Das war ein Lärmen und Gekrach! Es hallte von den Bergen wider. Wo seine Klinge sauste nieder, Wuchs weder Gras noch Blume mehr. Blindwütig schlug er um sich her, Zerschnitt oft Luft nur kreuz und quer, Als schleudere der Himmel Blitze. Doch plötzlich, wie von ungefähr, Traf seines Reckenschwertes Spitze Die unsichtbare Zaubermütze, Die in der Eile Tschernomor Ludmila aufgestülpt zuvor … Und – vor ihm liegt, reglos und bleich, Die Liebste! … Voller Glück, zugleich Jedoch erstaunt und voll Entsetzen, Sieht er sie fest umstrickt von Netzen. Er reißt die Fesseln schnell in Fetzen, Kniet, Tränen in den Augen, nieder, Ruft ihren Namen immer wieder, Küßt ihre Hände ungestüm. Doch ihre Lippen, ihre Lider Verweigern jede Antwort ihm. Die Brust nur, die sich atmend hebt, Verrät ihm, daß sie schläft und lebt. Er starrt sie an, begreift es nicht, Ist vor Verzweiflung fast von Sinnen, Bis wie von ferne zu ihm spricht Die Stimme seines Freunds, des Finnen: 75
„Ermanne dich, Ruslan, und kehre Heim mit Ludmila, deinem Weib. Faß neuen Mut, mein Freund, und bleib Getreu der Liebe und der Ehre! Glaub mir, die Bosheit wird der Strafe Des zornigen Himmels nicht entgehn! Die Fürstin wird – du wirst es sehn – Alsbald aus ihrem Zauberschlafe Im Schloß zu Kiew auferstehn!“ Ruslan, erlöst aus tiefstem Harme, Tat wie der Alte ihm empfahl, Nahm die Geliebte seiner Wahl Behutsam auf die starken Arme Und stieg vom Berg hinab ins Tal. Im Quersack hinten aufgeschnallt Den Zwerg und sie, die er gerettet, Vor ihm, in seinen Arm gebettet, Ludmilas liebliche Gestalt, Ritt unser Held des Weges weiter. Der Steppenwind weht kühl und frisch, Zaust ihre Locken spielerisch. Ihr Antlitz lächelt ihm so heiter, So zart wie Frühlingsmorgenschein. Als träumte sie den schönsten Traum, Errötete sie manchmal fein Und seufzte leis, vernehmbar kaum. Bewegte sie die Lippen gar, Dann war, wovon sie träumte, klar, Ein Wort nur flüsterte sie dann, Das alles in sich schloß: „Ruslan!“ Das Herz zersprang ihm fast vor Sehnen, Sah er, im Schlaf, ihr unbewußt, Das Lächeln, Beben seiner Schönen, Das Atmen, Seufzen ihrer Brust … 76
Doch sittsam reitet unser Held Durch Täler, Berge, Wald und Feld Ohn Aufenthalt, ob’s tagt, ob’s nachtet, Ob er vor Sinnenglut verschmachtet Und ob sein Weg auch noch so weit. Die Schlafende nach Haus zu führen, Beileibe nimmer zu berühren, Nur dies schien ihm Glückseligkeit. Undenkbar, daß der Mönch uns narrte, Der für die Nachwelt aufbewahrte Ruslans Geschichte … Klipp und klar Beteuert er, daß es so war. Ich selber möcht es nicht verhehlen: Schal sind die Küsse, die wir stehlen. Das höchste Glück ist jederzeit Die Lust, die man genießt zu zweit. Ludmilas Schlaf hat – recht betrachtet – Mit Schäferinnen nichts zu tun, Die, wenn der Frühling sprießt, verschmachtet Scheinheilig unter Bäumen ruhn. Da fällt mir Lida wieder ein, Die ich einst fand bei Mondenschein Im Wäldchen, wo sie scheinbar tief Auf einer kleinen Wiese schlief … Der erste Kuß, nun ja, er schmeckte Ihr wohl noch etwas keusch und brav. Ich küßte dreister, doch ich weckte Sie so noch weniger aus dem Schlaf … Genug davon! Wozu beschwor Ich hier, was ich dereinst getrieben, Ich, der von sich längst abgetan, Was Liebe ist. Wir wollen sehn, Was weiterhin noch ist geschehn. Weithin die Ebene sich streckte, Vereinzelt standen Tannen drauf; 77
Und in der blauen Ferne reckte Wie drohend sich ein Hügel auf. Ruslan vermeint, erkannt zu haben, Daß er dem Riesenhaupt sich naht, Läßt schneller drum den Renner traben. Was er gehofft von Herzen hat, Das Wunder zeigt sich in der Tat: Das Haupt, es atmet noch und lebt! Die hohe Stirn, aus der ein Wald Des storren, schwarzen Haars sich hebt, Die Wangen sind zwar bleich und kalt, Die Zähne wie im Krampf verbissen, Der Mund schon röchelnd aufgerissen, Die Augen aber starrn Ruslan Im Sterben noch wie fragend an. Entgegen flog ihm nun der Ritter, Von fern schon rufend: „Sei gegrüßt! Du bist gerächt jetzt, wie du siehst! Nun dünkt der Tod dich weniger bitter!“ Im Quersack zitterte der Tropf, Zog in den Sack zurück den Kopf, Denn wie erweckt zu neuem Leben, Begann das Riesenhaupt zu beben. Ein Stöhnen brach aus ihm hervor, Als es erkannte Tschernomor. Die Nüstern blähten sich, die Wangen Erglühten drohend purpurrot, Den Augen, brechend schon im Tod, Zornblitze, schreckliche, entsprangen. Es knirschte mit den Zähnen ächzend Und schleuderte dem Bösewicht Mit schon gelähmter Zunge krächzend Die letzten Flüche ins Gesicht … Allmählich endete sein Leiden: Aus Stirn und Wangen wich das Blut, In seinem Blick verglomm die Wut, 78
Und zuckend sahn das Haupt verscheiden Ruslan und Tschernomor, der Wicht. Der muckste sich im Quersack nicht, Als stumm sich wendete der Ritter. Die ärgsten Todesängste litt er, Beschwor nur heimlich die Dämonen, Ihn vor dem Schlimmsten zu verschonen. Durch dichtes Waldesdunkel floß Ein Flüßchen, schmal und namenlos, Und eine kleine Hütte stand Im Dämmerlicht am Uferrand. Das Flüßchen plätscherte so friedlich Am Flechtzaun Tag und Nacht entlang, Sanft wie der Wind, der unermüdlich Hoch in den Kiefernwipfeln sang. Unweit davon, im Wald versteckt, Lag eine Lichtung, die gewiß Seit je kein Mensch noch hat entdeckt, Ein unberührtes Paradies, Ein Ort der Einsamkeit und Stille. Hier hielt Ruslan und stieg vom Pferd, Hier könnt man rasten ungestört. Hell durch des Morgendunstes Hülle Bricht just der Sonne roter Ball, Vergoldend Wald und Fluß und Tal. Er bettete sein Weib ins Gras Und setzte sich, sie zu bewachen, An ihre Seite. – Plötzlich sichtet Er durch das Dickicht, wo sich’s lichtet, Den Fluß durchquerend einen Nachen. Ein Fischer ist es, wie er sieht, Der friedlich seine Netze zieht. Herüber hallt, hinauf den Hang, Nun auch sein fröhlicher Gesang. 79
Indes das Boot zum Ufer gleitet, Um bei der Hütte anzulegen, Tritt aus der Tür ein Weib und schreitet Mit lustigem Zuruf ihm entgegen. Jung ist sie, lieblich von Gestalt, Das Haar gelöst im Winde wallt, Nackt, nur mit einem Schurz umhüllt, Fürwahr, ein paradiesisch Bild! Der Fischer, der an Land gesprungen, Hält sie glückselig nun umschlungen. Wohl eine holde Stunde währt Der Liebe Spiel ganz ungestört. Warum so plötzlich aber wandte Von diesem Bild sich ab Ruslan? Begreiflich ist’s – ach, er erkannte Im Fischer den Chasarenchan, Ihn, den einst Mars zum Ruhm erwählte, Der in der Liebe wie im Streit Zu seinen drei Rivalen zählte! Gilt dir der Ruhm nichts mehr, Ratmir? Von dieser Schönen ganz besessen, Hast du Ludmila jetzt vergessen? Was trieb dich in die Öde hier? Der Fürst trat plötzlich vor die zwei. Auf sprang Ratmir mit jähem Schrei, Doch kaum erkannte er Ruslan, Umarmte ihn der junge Chan. Als dann der Fürst ihn staunend fragte, Warum er Kampf und Ruhm entsagte Und rosten ließ sein gutes Schwert, Das Kiews Macht wie keins gemehrt. Da sprach der Fischer: „Teurer Freund, Du wunderst dich, doch Kriegslust scheint Mir längst im höchsten Maße greulich Und Ruhmsucht ebenso abscheulich. 80
Dagegen hundertfach erfreulich Heiß ich die Liebe heut, Ruslan! Seit ich’s verschmähe, für den Wahn Des Kriegs mein Leben zu vergeuden, Bin ich so reich an wahren Freuden, Daß ich Ludmila selbst vergaß! Verzeih, wenn ich mich einst vermaß …“ Der Fürst fiel ihm ins Wort: „Schon gut! Sie ist bei mir in sichrer Hut, Nur ein paar Schritt entfernt von hier …“ „Kann ich sie sehen?“ rief Ratmir. „Doch nein, ich will das nicht riskieren, Ein Rückfall könnte mir passieren! Der jungen Freundin bleib ich treu, Ihr, die verwandelt hat mein Leben, Die mir das Glück, die Jugend neu, Den Frieden hat zurückgegeben. Zwölf Zauberinnen liebten mich, Verhießen Lust mir ohne Maßen, Für diese eine habe ich Die anderen getrost verlassen. Nichts hielt in ihrem Schloß mich mehr, Hab kein Gelüst nach ihren Küssen, So wie ich Schild und Schwert und Speer Und Helm und Panzer heut kann missen. Hier leb ich jetzt als Eremit, Fern allem Streit und allem Leide, Mit ihr, zu der mein Herz mich zieht, Die meiner Seele Licht und Freude.“ Die Schöne hörte voll Entzücken Dies offne Zwiegespräch mit an Und schaute mit verliebten Blicken Auf ihren Freund, den jungen Chan.
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Der Fischer und der Ritter saßen Am Fluß noch, als die Nacht begann, Vertraulich plaudernd und vergaßen. Wie Stund um Stunde so verrann. Auf stieg der Mond nun überm Hang, Als wollte er Ruslan bedeuten: Brich auf, Zeit ist’s für dich schon lang, Mit deinem Weibe heimzureiten! Ludmila, die, in eine Decke Gehüllt, noch schlief, hob nun Ruslan Aufs Pferd, und Abschied nahm der Recke Nunmehr für immer von dem Chan, Der Sieg und Ruhm, des Himmels Segen Ihm herzlich wünschte allerwegen Und, von Erinnrung übermannt, Noch lange stumm versonnen stand, Nachtrauernd seinen Jugendjahren, Die mit Ruslan entschwunden waren … Launische Muse, ach, warum Will es dir nimmermehr gelingen, Nur Lieb und Freundschaft zu besingen, Nur hohes, edles Heldentum, Die es doch gibt zu allen Zeiten! Die traurigsten Begebenheiten, Intrigen, Laster, Niedrigkeit, Untreue muß zu meinem Leid Ich oftmals wider meinen Willen Wahrheitsgetreu der Welt enthüllen! Farlaf, Unwürdigster von allen. Die warben um Ludmilas Hand, War bösen Ränken nur verfallen Und barg sich still und unerkannt An einem menschenleeren Ort. Heimtückisch wartete er dort, 82
Daß sich die Hexe wieder zeige. Und schließlich war sie da und sprach: „Erkennst du mich? Nun, dann besteige Dein schnelles Pferd und folg mir nach!“ Doch wo sie stand, am selben Platze, Sah er nun vor sich eine Katze, Die schlängelnd durch den Wald sich wand. Er folgte ihrer Spur gespannt. Wie friedlich lag das stille Tal, Von Nebelschwaden überzogen. Am Himmel düstre Wolken flogen, Durch die des Mondes blasser Strahl Bisweilen brach und für Minuten Die zwei Gestalten flüchtig traf, Die da am Hang des Hügels ruhten: Ludmila noch im tiefsten Schlaf, Der sie gebannt hält schon seit Tagen, Ruslan, zwar wachend, doch von zagen Gedanken pausenlos gequält, Die er umsonst versucht zu zügeln, Bis daß auch ihn mit kalten Flügeln Bleierne Müdigkeit befällt. Matt blickt er auf die Liebste, schweigend, Verschmachtend fast vor Herzenspein, Und kummervoll die Stirne neigend, Schläft er zu ihren Füßen ein. Er träumt … Ist’s eine dumpfe Ahnung, Ist’s eine allzu späte Mahnung? … Er sieht in schwindelhaften Höhn Sein Weib vor einem Abgrund stehn. Laut stöhnt er auf … Was ist geschehn? Er kann sie plötzlich nicht mehr sehn! Allein steht er am Abgrund jetzt, Und aus der Schlucht hört er entsetzt 83
Ludmilas Hilferufe dringen. Er zögert nicht, ihr nachzuspringen. Durchs Dunkel fliegt er blind ins Leere, Und – als er schließlich Fuß gefaßt. Sieht er sich staunend im Palast Zu Kiew, wo wie einst zur Ehre Der Hochzeit von Ludmila noch Der alte Fürst mit den zwölf Söhnen Und edlen Gästen schmaust. – Jedoch Wladimirs Zorn nur hört er dröhnen, Wie damals, als er seiner Schönen Beraubt ward von dem bösen Geist. Kein Festlärm klingt, kein Becher kreist. Die Gäste saßen reglos da, Als wagten sie kein Wort zu sagen. Doch wie erschrak er, als er sah: Der, den er kürzlich erst erschlagen, Rogdai, war munter unter ihnen, Lebendiger, als die andern schienen, Trank Wein mit fröhlichem Gesicht Und tat, als sähe er ihn nicht. Und seltsam: Unweit von dem Feind Erkennt er auch Ratmir, den Freund. In diesem Augenblick erklang Das Saitenspiel und der Gesang Des Barden, der wie dazumal Sich jetzt zur Kurzweil präsentierte. Indessen stelzte in den Saal Farlaf, der stolz Ludmila führte Als Braut am Arm … jedoch bezeigt Von allen, die im Saale waren, Ihm keiner Ehre, alles schweigt, Stumm sitzen Fürsten und Bojaren. Der würdige Wladimir blickt Zu Boden, wie von Scham bedrückt, 84
Scheint nur Verachtung zu bekunden, Doch plötzlich ist der Spuk verschwunden, Und Todeskälte weht Ruslan, Den träumenden, erschauernd an, Läßt ihn im Innersten erbeben, So daß er aus dem Schlaf fast fuhr … Doch denkt er, ach, ein Traum war’s nur, Hat keine Kraft, sich zu erheben. Kein Mondstrahl streift nunmehr den Hang, Im Schatten birgt sich jeder Pfad, In Nacht der Wald, das Tal versank. Und siehe, der Verräter naht. Lautlos lenkt er den Gaul am Zügel Hin zu dem dämmerigen Hügel, Wo schlafgebannt Ludmila liegt, Ruslan sich ihr zu Füßen schmiegt. Unweit von ihnen spitzt sein Pferd Die Ohren, als ob’s Unheil wittert, Farlaf kommt näher, doch er zittert, Angstschlotternd nur zieht er sein Schwert, Möcht in zwei Hälften gleich zerteilen Kampflos den Schläfer und – enteilen. Doch stampft im selben Augenblick Das Roß Ruslans laut mit den Hufen Und wiehert hell, als wollt’s ihn rufen. Der Feigling weicht entsetzt zurück. Im Nebel taucht voll böser Wut Die Hexe auf und macht ihm Mut. Jedoch Ruslan hat nichts gehört, Bleischwerer Schlaf lähmt ihm die Glieder. Farlaf kehrt um, ermannt sich wieder, Stößt dreimal in die Brust sein Schwert Dem Schlafenden, ergreift die Beute Und jagt mit ihr davon ins Weite. 85
Die ganze Nacht besinnungslos Lag Held Ruslan, und Stund um Stunden Sein rotes Blut in Strömen floß Aus seinen grausam tiefen Wunden. Als es bereits begann zu tagen, Vermochte er erst aufzuschlagen Den müden halberloschnen Blick Und einmal noch den Kopf zu heben, Doch schon entwich aus ihm das Leben, Entseelt sank er sogleich zurück.
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Sechster Gesang
Geliebte Freundin, deinem Willen Gehorchend, setz ich fort dies Lied. Mag meine Muse dir enthüllen, Was unserm Helden noch geschieht. Verzeih, daß ich ein wenig säumte, Weil ich von andern Wonnen träumte. Auch stahl mir, wie du weißt, der Streit Um den so vagen Ruhm viel Zeit, Ließ mich die Arbeit oft vergessen. So schwieg mein Saitenspiel indessen. Fehlte es mir an Harmonie … Ruhmsucht beherrscht nicht mehr mein Streben, Jedoch kann meine Poesie Nicht ohne deine Liebe leben. Und fern bleibt mir der Genius Der Kunst – ich kann es nicht verhehlen, Wenn Durst nach Liebe und Genuß Zu lang mir Geist und Seele quälen. Du liebst zumindest, glaube ich, Die Helden meiner Traumgesichte, Ihr Schicksal rührt und fesselt dich, Drum willst du, daß ich fort berichte. Und nicktest du auch manchmal ein Beim Vortrag meiner Schwätzerein – Ich sah es wohl –, dann lachtest du Mir selbst zuvor doch zärtlich zu …
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So will ich hurtig weiterschwätzen, Die Saiten zupfen nach Begehr, Verliebt zu Füßen dir mich setzen, Fortspinnen klimpernd meine Mär. Zwar wäre von Ruslan, dem Helden, In diesem Lied nichts mehr zu melden. Ein Rabe kreist schon, wo er ruht, Nachdem verströmt ist all sein Blut. Verstummt ist seines Horns Gedröhn, Den Helmbusch sieht kein Feind mehr wehn! Das Roß Ruslans streift stumm umher Mit trüben Augen, und es schwenkt Die stolze Mähne nimmermehr, Trägt trauernd tief den Kopf gesenkt. Und doch – zu warten scheint’s gewillt, Daß sich aus seinem starren Schlafe Der Ritter neu belebt aufraffe, Eh ihm verrosten Schwert und Schild. Was tat indessen Tschernomor? Daß ihn die Hexe just vergessen Und was geschehen war zuvor, Er ahnt es nicht. Und wie besessen Fing er Ludmila und Ruslan Im Quersack zu beschimpfen an, Doch vorsichtshalber nur im Geist. Weil er nun draußen lang kein Raunen Vernahm, steckt aus dem Sack er dreist Den Kopf und – mußte baß erstaunen. Der Ritter tot? Die Jungfrau weg? „Frei bin ich!“ jubelte er keck Und strampelte vor wilder Freude, Doch – allzufrüh zu seinem Leide … 88
Inzwischen rast der Schuft Farlaf, Quer überm Sattel die in Schlaf Versunkne Fürstin, ohne Ruh Voll Angst und Hoffnung Kiew zu. Zwar von Naina gut beraten, Ist ihm nicht wohl ob seiner Taten. Von fern hört er den Dnepr schon, Wie grollend rollt er durch die Wiesen … Die goldnen Kuppeln aber grüßen Ihn nicht, sie scheinen ihm zu drohn. Jetzt trabt er in die Stadt hinein. Volk läuft zuhauf in allen Gassen Und kann vor Jubel sich nicht fassen. Voraus hört man den Herold schrein, Ludmilas Wiederkehr zu melden Sowie Farlafs, des wackren Helden … Wladimir saß gedankenschwer Im hohen Saal, vergrämt und bitter, Und schweigend saßen um ihn her Viel stolze Fürsten, edle Ritter, Als plötzlich vor dem Schloßportal Gelärm und Freudenrufe klangen. Geflüster regte sich im Saal. Die Fürsten und die Ritter sprangen Betroffen auf, als sich die Tür Auftat und sich ein Krieger zeigte; Sich tief und feierlich verneigte Und alles rief: „Farlaf ist hier, O Herr, die Tochter Euch zu bringen.“ Schwer mußte er nach Atem ringen, Eh es dem alten Mann gelang, Von seinem Sessel aufzustehen, Mühsam entgegen ihr zu gehen, Nach der er sich gesehnt so lang, 89
Um die er bangte Tag um Tag, Die aber reglos schlief, nichts spürte, Wie tot im Arm des Mörders lag, Als ihre Hände er berührte. Nichts Gutes schienen zu erwarten Die Fürsten, die den Greis anstarrten, Als sein gestrenger Blick Farlaf Wie prüfend, Klärung fordernd, traf, Und dieser, listig, auf die Lippen Sich mit dem Zeigefinger tippend, In hastigem Flüstertone sprach: „Sie schläft seit Tagen, wird nicht wach. So habe ich sie aufgefunden Im Wald, im Muromer Revier, Wo sie versteckt hielt und gebunden Ein Schrat. – Drei Tage kämpften wir, Die Sonne sah’s, Mann gegen Mann, Drei Nächte sah’s der Mond mit an, Wie ich’s dem Bösewicht gegeben! Es war ein Kampf auf Tod und Leben! Ludmila fiel in meine Hand, Als ich ihn schließlich überwand. Sie aus dem Zauberschlaf zu wecken, Das konnte nur der Bösewicht. Ich lernte diese Kunst noch nicht. Der Himmel wird sie dem entdecken, Dem es an Hoffnung nicht gebricht.“ In weniger als einer Stunde Vernahm die ganze Stadt die Kunde, Auf allen Straßen war Gedränge, Es staute sich vorm Schloß die Menge, Und trauernd drängte groß und klein Durchs Tor in das Gemach hinein, Wo auf erhöhter Lagerstatt Auf einer Decke aus Brokat 90
Die schlafende Prinzessin ruhte Und rings die Ehrenwache stand Von Edlen, die berühmt im Land. Da war nicht einem froh zumute. Die Gusli klagte, und es tönten Trompeten, dumpfer Hörner Klang Und Trommelschlag und Schellen dröhnten Ununterbrochen traurig bang. Am Fuß der Bahre weinend kniet Der alte Fürst, erschöpft von Leid. Blaß und verstört daneben sieht Das Volk Farlaf, der seltsam zittert, Bar seiner alten Dreistigkeit, Als ob er schon Vergeltung wittert. Die Nacht sank längst auf Kiew nieder. Doch keiner mochte schlafen gehn. Hinaus trieb’s viele immer wieder, Um zu beschwatzen, was geschehn. Der Ehemann schlich aus dem Zimmer Und ließ sein junges Weib allein, Bis des gehörnten Mondes Schimmer Verschwand im roten Morgenschein. Doch kaum war man ins Bett gefallen, Da gab’s Alarm, der schlimmer war, Geschrei, vermischt mit Hornsignalen, Verkündete der Stadt Gefahr! Zur Festungsmauer lief die Menge, Da bot sich ein entsetzlich Bild: Jenseits des Dnepr, welch Gedränge Von Zelten, Kriegern, Schild an Schild! Dort sieht man schon Berittne jagen, Staubwolken wirbelnd, übers Feld, Dort rollen sie heran auf Wagen, Dort loht ein Feuer auf und schwelt! 91
Nun, Unheil, nimm denn deinen Lauf, Die Petschenegen standen auf! Indessen saß in seiner Höhle Abwartend mit gelaßner Seele Er, dessen mächtiges Gebot Besiegen konnte Leid und Tod. Dem Freund Ruslans, dem Finnen, war Des Schicksals Lauf längst offenbar. In ferner Wüsteneinsamkeit, Weit hinter wilden Bergeshöhen, Wo ruhelos die Winde wehen, Liegt die Oase, die bis heut Kein Menschenauge noch gesehen, Selbst nachts auch Hexen nicht erspähen. Zwei Quellen gibt es da, der einen Entsprudeln fröhlich zwischen Steinen Des Lebens Wellen, aus der zweiten Des Todes Wasser träge gleiten. Kein Windhauch weht und fächelt Kühle Hier in die ewig stille Schwüle, Die Kiefernriesen rauschen nicht, Kein Vogel regt hier sein Gefieder, Kein Hirsch beugt sich zum Trinken nieder Am Quell, der aus dem Boden bricht, Geheimnisschwanger dampfend, zischend, Und keinem Wesen dünkt erfrischend. Zwei unsichtbare Geister nur Sind hier seit Anbeginn der Welt Am ewigen Urquell der Natur Als strenge Wächter aufgestellt … Zwei leere Krüge in den Händen, Taucht plötzlich auf der Eremit, Worauf die zwei zur Flucht sich wenden. Eh er zur Rechenschaft sie zieht, 92
Dieweil er just in tiefstem Schlaf Die pflichtvergeßnen Wächter traf. Die Krüge füllte er geschwind Und flog davon schnell wie der Wind, Um in der nämlichen Minute Schon zu erscheinen an dem Ort, Wo leblos stumm in seinem Blute Ruslan erschlagen lag, durchbohrt. Kaum hatte er des Ritters Wunden Mit Todeswasser leicht besprüht, Da waren sie auch schon verschwunden, In neuer Schönheit war erblüht Sein Leib – und als er ihn besprengte Mit seinem Lebenswasser gar, Da hob sich seine Brust und senkte Sich, atmend wie zuvor, fürwahr! Die Augen schlug er auf und spähte So munter in den Tag sogleich, Als ob ihn nie getroffen hätte Des Mörders hinterhält’ger Streich. Was ihm geschehen, schien ihm kaum So wichtig wie ein wirrer Traum. Denn seine erste Sorge galt Ludmila! – Ach, sie ist verschwunden, Sie, die er eben erst gefunden! Heiß überläuft es ihn und kalt. Auf springt der Held mit wildem Grimme, Da trat der Finne vor ihn hin Und sprach mit freundlich fester Stimme: „Mein Sohn, besänftige deinen Sinn! Nun wird das Schicksal sich vollenden. Zum Heil wird alles dir sich wenden. Doch manches steht dir noch bevor. Feindheere sind in diesen Tagen Zum Sturm marschiert auf Kiews Tor, Du wirst sie wie ein Blitz zerschlagen! 93
Nimm diesen heiligen Ring – berühr Damit Ludmilas Stirn! – Glaub mir, Sie wird erwachen und – ist dein! Und dann wird ewig Friede sein. Kein Zauber wird die Welt mehr schrecken, Die Bosheit wird zugrunde gehn!“ Die Hände reichte er dem Recken Und sprach: „Leb wohl! Auf Wiedersehn, Jedoch nicht mehr in dieser Welt!“ Und war im Augenblick verschwunden. Noch lang ins Leere hielt der Held Die Arme, Dank ihm zu bekunden, Sein Warten aber blieb vergebens. Allein steht er auf leerem Feld. Doch froh des neu erwachten Lebens, Ruft er sein Pferd, das wiehernd, springend Herbeieilt, wild die Mähne schwingend, Den Zwerg im Quersack tüchtig schüttelnd, Gewaltig durcheinanderrüttelnd. Im Sattel sitzt Ruslan im Nu, Durchrast so wild wie einst die Felder, So kühn wie je die Eichenwälder, Den anbefohlnen Taten zu. Doch was geschah in Kiew jetzt? Da stand das Volk auf Wall und Mauer Und spähte nach dem Feind entsetzt, Gelähmt von Angst und dumpfer Trauer. Da hallte Weinen, Wehgeschrei Beklemmend durch der Gassen Stille, Als ob das Ende nahe sei, Des Himmels Strafe sich erfülle. Indessen betend auf den Knien Wladimir unentwegt verweilte Allein bei seiner Tochter, eilte 94
Die Ritterschaft zuhauf, um kühn Zu kämpfen ohne Furcht und Grauen. Und kaum begann der Tag zu blauen, Da kam schon von den Hügeln her Mit Schlachtgeschrei in wilden Haufen Der Feinde Mannschaft angelaufen, Durchflutete die Gräben quer, An Wall und Mauer, Turm und Wehr Anbrandend wie im Sturm das Meer. Doch Pfeile prasselten wie Regen Hernieder auf die Petschenegen, Daß mancher schon sein Leben ließ, Eh Kiews Ritterschaft verwegen Ausbrach und auf die Feinde stieß. Da ging ein grimmes Haun und Stechen, Ein fürchterlich Gemetzel los, Da sah man Helme, Brünnen brechen, Daß Blut in Strömen sich ergoß. Hier prallen Reihen gegen Reihen, Und dort kämpft Mann nur gegen Mann, Die herrenlosen Pferde scheuen Und fangen durchzugehen an. Hier ficht zu Fuß ein wackrer Streiter Mit einem riesenhaften Reiter, Dort wird ein Mann mit einem Pfeile Gestreift und hier von einer Keule Ein andrer plötzlich hingestreckt, Und elend neben ihm verreckt, In seinem Schild verklemmt, ein dritter, Den mit dem Pferd zerstampft ein Ritter. So kämpfen sie bis in die Nacht, Doch keiner kriegt die Übermacht, Bis sie erschöpft die Augen schließen. Die Toten sind ihr Ruhekissen. 95
Fest ist ihr Schlaf, wohl hört man Stöhnen Von Feinden, welche todeswund, Doch nur Gebete aus dem Mund Von Kiews tapfren Heldensöhnen. So ungewiß die blutige Schlacht In dieser Nacht war ausgegangen, So war, von Nebeldunst verhangen, Alsdann der neue Tag erwacht. Noch schlief das Schlachtfeld tatenlos, Nur langsam klärte sich der Himmel, Da plötzlich scholl Fanfarenstoß! Und ein entsetzliches Getümmel Hob in des Feindes Lager an, Daß Kiews Krieger, die noch schliefen, Aufsprangen, durcheinanderliefen, Bis sie erstaunt auf einmal sahn: Ein wunderbarer, riesiger Ritter Braust hoch zu Roß, allein, verwegen, Wild, blitzend wie ein Sturmgewitter, Quer durch die Reihn der Petschenegen. Kein andrer war es als Ruslan. Er schwang mit so gewaltigen Streichen Sein Schwert, daß links und rechts die Leichen Sich türmten schon auf seiner Bahn. Im Quersack aufgeschnallt der Zwerg Sah rings um sich nur Köpfe fliegen Und Helme, Schilde, Speere liegen, Wahrhaft unzählbar, Berg an Berg. Sekundenlang nur senkte nieder Ruslan sein Schwert, um hin und wieder Gewaltig in sein Horn zu stoßen. Doch brausten schon auf ihren Rossen Die Ritter Kiews übers Feld. Da gaben auch die letzten Reihn Der Feinde schleunigst Fersengeld. 96
Wer konnte, fing ein Pferd sich ein Und floh in wilder Flucht von hinnen. Für wenige nur gab’s ein Entrinnen. Nach jagten Kiews Ritter ihnen Und mähten im gerechten Zorn Sie nieder wie das reife Korn. Kiew frohlockt, als in die Stadt Ruslan als Sieger wiederkehrte Mit seinem allgewaltigen Schwerte, Das also große Wunder tat, Den Feinden zum Verderben ward, Und wie sein Panzer, seine Lanze Hell funkelte im Ruhmesglänze. Hoch wehte auf dem Helm der Bart … Nach all der Trübsal, all dem Leide, Beseelt von Hoffnung, stolzer Freude, Bahnt sich der Held mit seinem Roß Durch das nicht endende Gedränge Der vor Begeistrung trunkenen Menge Den Weg nun zu Wladimirs Schloß. Und vor Ludmila endlich stand er, Die fest noch lag im Zauberschlaf, Und bei ihr an der Bahre fand er Den Alten, neben ihm – Farlaf, Der lieber sich im Schloß als Hüter Ludmilas hatte aufgestellt, Statt wie die andern wackren Ritter Zu kämpfen mit dem Feind im Feld. Kaum hatte er Ruslan gesehn, Sank er ins Knie und fiel gleich um. Fast wollt er um Erbarmen flehn, Wohlweislich aber blieb er stumm. Ruslan gab gar nicht auf ihn acht, Er war allein darauf bedacht, Wie er Ludmila mit dem Ringe Des Finnen zu Bewußtsein bringe. 97
Kaum daß er ihre Stirn berührt, Da war das Wunder schon passiere: Die Augen schlug sie auf, die blauen, Um höchst erstaunt ihn anzuschauen. Als sei sie nur aus einem langen Seltsamen Traume aufgewacht … Eh sie ein Wort hervorgebracht, Hielt sie den Liebsten schon umfangen. Und jäh befreit von allem Leide, Steht unser Held wie trunken da. Verwundert, wie all dies geschah, Umarmt der alte Vater beide. Den Schluß von dieser Mär kannst da, Geliebte Freundin, selbst erraten: Wladimirs Zorn erlosch im Nu. Farlaf, der seine Freveltaten Bereute, flehte auf den Knien Um Gnade – und ihm ward verziehn. Auch der, der mit dem Bart verloren Die Zauberkraft, blieb ungeschoren Fortan – Ruslan bestallte ihn An seinem Hof als Harlekin. Um all die ausgestandne Plage So schnell wie möglich zu vergessen, Gab dann der Fürst ein festlich Essen Mit ausgedehntem Trinkgelage. Und damit endet diese Sage Vom Heldentum vergangner Tage.
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Epilog
So habe ich in Mußestunden, Da ich dem dunklen Altertum Gehorsam sang dies Lied zum Ruhm, Den Gleichmut wiederum gefunden, Um all die Kränkung zu vergessen, Die mir Verleumder angetan, Von dummer Ränkesucht besessen. Auch Doris focht mich nicht mehr an Mit ihrer ewigen Perfidie. Die Flügel meiner Phantasie Enthoben mich all der Beschwerde, Die uns bedrängt auf dieser Erde. Von neuem aber ballte sich Ein heimlich drohendes Gewitter! … Doch Freundschaft, meiner Jugend Hüter Und Trost seit je, du schütztest mich. Besänftigtest das Donnerwetter Und gabst den Frieden mir zurück, Du wurdest meiner Freiheit Retter, Die meiner Seele höchstes Glück. Der Welt entronnen, dem Gerede, Den Newa-Ufern weit entrückt. Steh ich nun hier, fern aller Fehde, Vom Zauber der Natur entzückt, Kaukasiens stolze Gipfel recken Sich hoch zum Himmel über mir. Ursprünglich, wild ist alles hier, Seltsam gewaltige Bilder wecken 99
Gefühle, unaussprechlich groß, Gedanken, welche pausenlos Den Geist bedrängen immer wieder! Doch schweigt die Göttin meiner Lieder … Mich dünkt, die Zeit der Träumerei, Die Zeit der Verse ist vorbei, Die nur durch Liebe sich entzünden, Ich seh sie mehr und mehr entschwinden! O Muse, holde Poesie. Der Tag versinkt, werd ich dich nie Beglückt wie früher wiederfinden? …
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Gabrieliade
Fürwahr, du schöne Jüdin, jung und rein, Mir ist um deine Seelenrettung bange. Oh, komm zu mir, du holder Engel mein, Und meinen Segen auf dein Haupt empfange. Die du auf Erden herrlich bist und schön, Erretten möcht ich deiner Unschuld Schleier. Dir, Christo, und dem Herrn in Himmelshöhn Sing ich mein Lob auf gottergebner Leier. Oh, gebt mir Kraft, daß durch den frommen Klang Und durch das Lied der demutvollen Saiten Der Jungfrau Herz ich könnte vorbereiten, Auf daß es bald den heil’gen Geist empfang. Erst sechzehn Jahr, in Unschuld still ergeben, Die Braue schwarz, und unterm Linnen zwei Gar jungfräuliche Hügel leise beben, Das Beinchen süß, der Perlenzähne Reih … Was lächelst du, was liegt auf deinen Zügen Wie Morgenrot ein Schimmer, zart und mild? Mein schönes Judenkind, ich will nicht lügen, Es ist nicht dein, es ist Maria Bild. Im stillen Dorf, entfernt vom Tun und Walten Jerusalems mit seiner Buhlerschar (Die Satan fürs Verderben will erhalten), Noch unerkannt ein schönes Mädchen war. Sie lebte ohne Sorgen manches Jahr Und neben ihr der würdevolle Gatte, 103
Mit grauem Haupt, ein schlechter Zimmermann, In seinem Dorf der einz’ge Arbeitsmann, Weshalb er Tag und Nacht viel Pflichten hatte. Mit Axt und Richtscheit, mit der Säge baut’ Er Hütten für die Nachbarn, und er schaut’ Mit kühlem Auge auf die zarte Blume, Die Knospen trieb zu Gottes Ehr und Ruhme Und die trotz heißer Morgensonne Glühn Es noch nicht wagte, völlig aufzublühn. Der faule Mann mit seiner alten Brause Begoß sie nie beim Strahl des Morgenlichts. Die Jungfrau lebte still in seinem Hause, Er nährte sie – nun ja – und weiter nichts. Und es geschah zu jener Zeit, daß droben Der Allerhöchste seinen Blick gesenkt Und auf der Jungfrau zarten Leib gelenkt, Drauf fühlte er von Eifer sich erhoben. Und er beschloß in seiner Weisheit Thron, Den edlen Weinberg, still und abgelegen, Zu würdigen durch seinen Himmelssegen Und seiner Gunst geheimnisvollen Lohn. Das weite Feld umhüllt die Schlummerdecke, Maria schläft so sanft in ihrer Ecke. Der Herr gebot, der Jungfrau träumt ein Traum: Es öffnet sich vor ihr der Himmelsraum, Und sie vernimmt den Sang der Engelschöre, Dem Auge zeigen sich die Himmelsheere In ihrem Glanz, so göttlich und so rein. Die Cherubim und Seraphim in Scharen, Sie preisen Gott auf Harfen, wunderbaren, Erzengel sitzen da im Glorienschein, Das Haupt verdeckt mit himmelblauen Schwingen. Mit einemmal verstummt der Harfe Klingen, 104
Die Wolke flieht, die Gottes Thron verhüllt, Im Strahlenkranz, so herrlich, klar und mild, Erblickte sie des Allgebieters Bild … Das Haupt gesenkt, Maria liegt erschüttert. Da sprach der Herr, daß rings die Luft erzittert: „Du schönes Kind, der Erde Glück und Heil, Ich rufe dich, durchglüht von Liebesflammen, Kind Israels, o nimm mit mir zusammen An meinem Ruhm, an meiner Ehre teil. Der Bräutigam, er kommt, er kommt gegangen, Mach dich bereit, ihn würdig zu empfangen!“ In Wolken wieder hüllt’ sich Gottes Thron, Aufs neu erstand der Geister Legion. Die angesichts des Herrn sich niederwarfen. Aufs neu erklangen rings die Engelsharfen … Maria blickt verstört zum Himmel auf. Was ist denn das? Was regt das Blut ihr auf? Was zieht auf sich die aufmerksamen Blicke? Wer ist wohl jener in der Höflingsschar, Der auf sie lenkt das blaue Augenpaar? Der Federhelm, die schönen Waffenstücke, Der Schwingen Glanz, das goldne Lockenhaar, Der hohe Wuchs, der schwüle Blick vor allem Will unsrer Jungfrau gar zu gut gefallen, Sie ist ihm zugetan mit ganzer Seel. Sei stolz, sei stolz Erzengel Gabriel! Das Bild verschwand. – So flieht trotz Kinderweinen Der bunte Schatten auf der Wand von Leinen, Geboren durch der Wunderlampe Strahl. Das schöne Kind erwachte allzumal, Am Himmel tat bereits die Sonne scheinen. Doch Gabriel, das liebe Traumgesicht, Das will und will ihr aus dem Sinne nicht. 105
Dem Himmelskönig hält sie gern gefallen, Sein Wort war angenehm ihr, ohne Hehl, Sie ehrte ihn gebührend, doch vor allen Gefiel ihr doch der schöne Gabriel … So kommt es vor, daß der Frau Generalin Gefällt vielmehr der schlanke Adjutant. Schuld ist der General, nicht die Gemahlin, Das sieht wohl ein – Pedant wie Ignorant. Wie sind der Liebe Wege sonderbar. Davon laß uns, mein Freund, ein wenig plaudern. Kennst du des Blutes erstes Liebesschaudern? Entsinnst du dich der ersten Jugendjahr, Da sehnsuchtsvolle Wünsche, oft betrogen, Das Herz bedrückt, geängstet und beschwert? Nur eine Seele war uns lieb und wert, Zu ihr nur fühlten wir uns hingezogen, Und in der jungen Freunde froher Schar Wir suchten und wir fanden die Vertraute: Der schlanke Wuchs, das blonde Lockenhaar, Und voll Begeistrung Aug in Auge schaute. Doch wenn es uns gelungen schon, im Flug Den Augenblick der Wonne zu erhaschen, Den Rosentau der Liebeslust zu naschen, Wenn wir gelitten und geliebt genug Und wenn der schöne Frühlingstraum vergangen, In dem wir jauchzend Herz mit Herz vereint, Wir pflegen gern dem Traum noch nachzuhangen In stiller Klause mit dem alten Freund. Auch du, o Herr! erfuhrst der Liebe Sehnen Und warst wie wir – von Liebeslust entfacht. Dem Herrn ward leid die Welt mit allem Schönen Und schal war ihm der Lobgesänge Tönen, Er reimte Liebespsalmen Tag und Nacht. 106
Er sang: „Marie, du schönste aller Frauen, Ich liebe dich, ein Tal der Einsamkeit Ist ohne dich mir die Unendlichkeit. Gebt Flügel her, Maria will ich schauen! …“ Und anderes … der schönen Worte viel. Der Herrgott liebt den östlich bunten Stil. Dann rief er Gabriel, den Favoriten, Und legt’ in Prosa seine Liebe aus. Obzwar die Kirche ihr Gespräch bestritten (Auch der Apostel schweigt sich drüber aus), Doch in Armenien meldet eine Sage, Daß Gott der Herr, erfüllt von großem Lob, Zum Merkurstand den Gabriel erhob. Denn der war klug und witzig, ohne Frage, Drum schickt er zu Marien ihn. Darob War Gabriel jedoch nicht allzu glücklich. Das zarte Amt des Postillon d’amour Ist vorteilhaft, doch hielt er’s nicht für schicklich Für seinen Rang, für Erzengelsnatur. Er nahm es an, im stillen aber nur War er entschlossen, schadlos sich zu halten: Nicht billig wird der Kuppelpelz dem Alten! Der Satan aber ist auf seiner Hut. Es war ihm irgendwie zu Ohr gekommen, Daß Gott der Herr ein Weib aufs Korn genommen, Die all der schnöden Menschheit sündig Blut Erretten sollt vom ew’gen Höllenfeuer, Und das verdroß den Bösen ungeheuer. Er geht ans Werk. Der Herrgott unterdem Saß da in süßer Wehmut, still und träge. Vergaß die Welt und machte sich’s bequem: Auch ohne ihn ging alles seine Wege. Maria saß in früher Morgenstund Gedankenvoll in ihres Mannes Garten. 107
Der trübe Blick schweift lässig in der Rund. Das Auge schließt sich, heimlich gähnt der Mund, Auf neu tat sie den schönen Traum erwarten. Das liebe Bild geht ihr nicht aus dem Sinn. Zu Gabriel flieht ihre Seele hin. So hingestreckt im kühlen Palmenschatten, Das Haupt gelehnt auf duftend grüne Matten, Liegt sie und träumt. Die milde Morgenluft Erfreut sie nicht und nicht der Blumen Duft … Da, plötzlich, sieht sie eine schöne Schlange Im bunten Schuppenkleid (wie wird ihr bange), Am Baum sich wiegend, wie ein Zweig im Wind. Die sprach zu ihr: „Du schönes Erdenkind, Entfliehe nicht, ich tu dir nichts zuleide!“ Die Schlange spricht? O wunderlicher Ton! Wer war wohl jener Geist im Schuppenkleide? Das war, o weh!, der Böse in Person. Der Schlange Gruß, der Äuglein listig Blicken, Des Schuppenpanzers buntes Farbenspiel Marien leider allzuwohl gefiel. Und um des Herzens Muße zu erquicken (Sie dachte sich: Was kann dabei schon sein?) Ließ sie mit Satan ins Gespräch sich ein: „Wer bist du, Schlange, wundersam zu schauen? Der Stimme nach bist du, ich zweifle kaum, Derselbe, der die erste aller Frauen, Der Eva einst auf Edens sel’gen Auen Voll List gelockt nach dem verbotnen Baum. Du hast die unerfahrne Frau betrogen Und hast mit ihr das menschliche Geschlecht Auf ewig in den Sündenpfuhl gezogen. Schäm dich!“ „Die Pfaffen haben euch belogen, 108
Gerettet hab ich Eva, und mit Recht!“ „Vor wem?“ „Vor Gott!“ „Du kannst mich nicht betören!“ „Er liebte sie …“ „Schweig still!“ „Voll Leidenschaft, Sie schwebte in Gefahren, schauderhaft.“ „Du lügst!“ „Bei Gott!“ „Du wagst es noch zu schwören!“ „So höre doch …“ Maria senkt das Haupt Und denkt bei sich: Wer könnte mir’s verwehren? Doch weiß ich nicht, mag es sich wohl gehören, Daß man dem Teufel nur ein Wörtchen glaubt. Doch Gott ist gut, er wird mich wohl bewahren, Er wird mich nicht verlassen in Gefahren. Wofür auch? Für ein Wörtchen winzig klein? Ich weiß, der Herr läßt mich kein Unrecht leiden, Zudem scheint mir die Schlange recht bescheiden, Ich finde keine Sünde hier, o nein! So neigte willig sie ihr Ohr der Schlange, Vergessend Lieb und Gabriel solange. Der Böse aber löste seinen Schweif Und ließ vom Baume sich herniedergleiten. Ins Gras sich lassend an der Jungfrau Seiten, Schlug er vor ihr den wunderschönsten Reif. Und sprach zu ihr: „Die Sage eures Moses, Wie du von deinen Vätern sie gehört, Ist ein Gespinst von Lügen nur, ein loses, Mit dem er frech das Judenvolk betört. Er log geschickt. Der Herrgott ihn beehrte Als klugen Mann und guten Untertan; 109
Doch ich bin nicht wie andre Schriftgelehrte, Des Hof propheten Rang geht mich nichts an! Mit Recht muß man, du Schönste aller Schönen, Beneiden dich um deiner Augen Glanz, Berufen bist du, Adams stolzen Söhnen Die Sinne zu verwirren gar und ganz. Sie müssen stehn vor dir in frommem Staunen, Begeistert schauen dir ins Angesicht, Dein Lächeln heischen, folgen deinen Launen Und lauschen still, was deine Lippe spricht … Das ist dein Los. Die erste aller Frauen Verbrachte ihre Tage so wie du, Bescheiden, schön und klug, in frommer Ruh, Doch liebeleer auf Edens sel’gen Auen. Die Jungfrau und der Jüngling, Hand in Hand, Sie streiften durch das gnadenreiche Land. Sie aßen, tranken, hatten niemals Eile; Und Waldesschatten, Jugend, Langeweile, Nichts konnte wecken in der jungen Brust Die Sehnsucht nach der Jugendspiele Freuden, Und keine Macht eröffnete den beiden Die Seligkeit der höchsten Liebeslust. Denn, kurz und gut, ich komm der Sache näher: Der eifersücht’ge Herrgott der Hebräer War in des Menschen schönes Weib vernarrt, Weshalb er für sich selbst sie aufbewahrt. Der Ehre viel! Ja, wirklich, ein Vergnügen! In Ewigkeit zu Füßen ihm zu liegen, Im Himmelreich gefangen, Tag und Nacht Zu preisen seine Schönheit, seine Pracht, Auf andre nicht den kleinsten Blick zu wagen, Dem Erzengel kein Sterbenswort zu sagen – Dies schöne Los ist jener zubestimmt, Die sich der Herr zur Freundin endlich nimmt. 110
Für ew’ges Einerlei, für Qual und Mängel Ist aller Lohn der Küster Lobgequengel, Der alten Weiber Winseln und Gestöhn, Der Weihrauchqualm, der Armenscherflein Klimpern, Madonnenbilder, hingeschmiert von Stümpern … Beneidenswertes Schicksal! Herrlich! Schön! Mir tat es leid, ich wollte ohne Säumen Die schöne Eva wecken aus den Träumen Und aus dem Schlaf, der Mann und Weib umfing. Du hast gehört, wie alles vor sich ging? Zwei schöne Äpfel hingen an den Zweigen (Berufen, ihr der Liebe Sinn zu zeigen), Die lösten ihrer Sehnsucht keusches Band. Ihr ward, als war sie neu erwacht zum Leben, Die eigne Schönheit hatte sie erkannt. Sie fühlte ihres Herzens süßes Beben Und sah, daß Adam nackend vor ihr stand! Der Liebe erstes Blühen und Erreifen Ward mir an ihnen beiden offenbar: Im kühlen Hain verschwand das junge Paar, Die Blicke und die Hände suchend schweifen … Und in der jungen Gattin holden Schoß War Adam endlich seufzend hingesunken, Ein edles Feuer, wundervoll und groß, Durchflammte seinen Leib, und wonnetrunken Genoß er an der rosigweißen Brust Den Wunderquell der höchsten Erdenlust … Und Eva fürchtet nicht Jehovas Grollen. Die goldnen Locken auf die Schultern rollen, Im Liebestaumel war das Herz entbrannt. Auf grünem Rasen lagen sie darnieder, Die schönsten Vögel sangen Hochzeitslieder Im Palmenschatten – und das junge Land Bedeckte sie mit Rosen und mit Flieder. 111
O Tag voll Lust! Der selige Gemahl Liebkost’ sein Weib, bis daß die Nacht sank nieder, Und auch des Nachts schloß selten er die Lider, Sie tauschten heiße Küsse ohne Zahl … Du weißt es wohl: nicht lang ist’s so geblieben, Gott hat sie aus dem Paradies vertrieben, Wo sie gewohnt, von allen Sorgen frei, Wo sie verbracht die wonnevolle Jugend, Wo sie gelebt in Unschuld und in Tugend, In Muße und in frommer Spielerei. Doch als der Wollust Siegel sie erbrochen, Als sie erkannt der Jugend süßes Recht, Als sie zuerst ‚Ich liebe dich!‘ gesprochen, Ich glaube wohl, sie fühlten sich nicht schlecht. Wie meinst du: bin ich wirklich so durchtrieben? Hat Adam wohl durch mich nur Ärgernis? Ich glaube kaum, doch eines ist gewiß, Daß ich bis heute Evas Freund geblieben.“ Hier schwieg er still. Maria lauschend saß Und ringsumher die ganze Welt vergaß. Wie, wenn der Teufel doch kein Lügner wäre? Ich hört es wohl, daß weder Ruhm noch Ehre, Noch Gold und Reichtum Glück und Wonne gibt Und daß nur jener glücklich ist, der liebt … Doch lieben! Wen, wozu, wie muß man’s machen? … Und unterdessen spitzte sie die wachen Und klugen Ohren. Wirklich interessant War alles, was sie Satan hörte schildern In freien Worten und gewagten Bildern. (Wer liebt wohl nicht, was neu ist und pikant?) Und was bisher nur unklar sie empfunden, Der Liebe Ahnen ward ihr plötzlich klar … Die Schlange war mit einemmal verschwunden. Ein neues Bild bot sich dem Auge dar: 112
Ein schöner Jüngling liegt zu ihren Füßen, Er schaut sie an mit Blicken, feurig süßen, Und bietet ihr ein Blümchen wunderbar Mit einer Hand, die andre unterdessen Zerknüllt das weiße Linnentuch vermessen Und gleitet rasch ihr unter das Gewand. Mit Fingern, leicht, als wollte er nur necken, Berührt er sie. Aus lieblichen Verstecken Sucht er der Jungfrau Wollust zu erwecken. Marien war das neu und unbekannt. Indessen aber hatte ihre Wangen Bin wundervolles Rosenrot belebt, Und vor Erwartung, ja vor schwülem Bangen Der jungfräuliche Busen leise bebt, Ein leises „Ach!“ entrang sich ihrer Brust … Sie sank ins Gras – sich selber unbewußt … Oh, liebe Freundin, der ich fromm geweiht Die ersten Träume meiner Jugendzeit! Ich liebte dich, du warst mein ganzes Leben! Kannst du mir die Erinnerung vergeben? Die Stunden unsrer Liebe, jung und heiß, Die Abende in deiner Lieben Kreis, Da in der Mutter Gegenwart, der strengen, Ich pflegte dich mit Bitten zu bedrängen, Da ich die spröde Tugend aufgeklärt? Ich unterwies die unerfahrne Rechte, Wie öde Stunden sie versüßen möchte, Und manch Geheimnis hab ich dich gelehrt, Zu täuschen unsrer Trennung lange Nächte. Verschwunden ist der Jugend holder Mai. Viel Jahre sind seitdem ins Land gezogen, Auch deine Schönheit ist verblaßt, verflogen … Vergib mir, teure Freundin, und verzeih!
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Du Sündenfürst, Verletzer guter Sitten! Du warst es, der Marien doch verdarb, Der sich der Schande Ruhmeskranz erwarb, Der Gott dem Herrn die Gattin abgestritten Und der das fromme Gotteslämmchen mitten Hineinzog in der Sünde tiefen Sumpf. Ha, juble nur. Doch kurz ist dein Triumph! Beeile dich und nütze die Sekunden! Der Tag verbleicht, die Sonne ist verschwunden, Die Flur verstummt, es nähert sich die Nacht, Da hört Marie ein Rauschen und ein Klingen, Und über ihr, auf breiten Strahlenschwingen, Schwebt Gabriel in seiner ganzen Pracht. Darüber war Maria so erschrocken, Ihr wollt das Blut schier in den Adern stocken. Der Böse war verwirrt und aufgebracht. Er redet an den Himmelssohn mit Grollen: „Wer hat dich denn gerufen, stolzer Wicht? Heb dich hinweg, wir brauchen dich hier nicht! Willst du nur stören unsre unschuldvollen Vergnügungen? Du hättest besser sollen Verweilen vor des Alten Angesicht!“ Die Worte brachten Gabriel in Hitze, Aus seinen Augen sprühten Feuerblitze, Zum Teufel er mit Donnerstimme spricht: „Du Galgenstrick, du gottvergeßner Sklave, Verführt hast diese Jungfrau du, die brave, Und spreizt dich noch, du ausgestoßner Knecht! Entfleuch sofort, sonst trifft dich Gottes Strafe Und meine Faust, entfleuch, sonst geht dir’s schlecht!“ „Das fehlt mir noch, zu springen und zu tanzen Vor jedem von des Herrgotts feilen Schranzen Und vor den Kupplern des Herrn Zebaoth!“ Sprach Satan, und, vor Wut bald blau, bald rot, 114
Die Zähne fletschend, runzelnd seine Stirne, Gibt er dem Erzengel eins auf die Birne. Vor Schmerzen wankte Gabriel und schrie, Und wie betäubt sank er auf seine Knie, Doch gleich erhob er sich und neues Feuer Durchglühte ihn: Ein Faustschlag ungeheuer Traf Satans Ohr mit einem lauten Krach. Der Teufel stammelte ein leises „Ach!“ Drauf fahren sie einander in die Haare, Sie stürzen sich erbittert in den Kampf Und eng verflechten sich die Gliederpaare, Sie keuchen laut und sprühen Schweiß und Dampf. Sie raufen sich, daß rings die Fetzen fliegen. Noch sieht man nicht, wer wird wohl unterliegen? Gedenkt ihr, Kameraden, jener Au, Auf der wir oft gefochten und gerungen, Sobald der engen Klasse wir entsprungen? Wir waren jung, der Himmel war so blau … Wie wir uns balgten, ebenso genau, Der Teufel und der Himmelsbote kämpften, Und keiner wich zurück um einen Zoll, Um keinen Grad sie ihren Eifer dämpften, Da ward’s dem Teufel endlich doch zu toll, Er wand sich los, faßt’ Gabriel im Rücken (Von hinten griff er an, der arge Schelm!), Er schlug ihm ab den blanken Federhelm, Und, um ihn hinterrücks herabzubücken. Faßt er ihm in das blonde Lockenhaar Und zieht ihn voller Kraft zur Erde nieder. Des Engels ganze Schönheit tut sich dar Marias Blick; sie senkt verschämt die Lider. Vor Furcht um Gabriel das Herz ihr bebt. Es scheint ihr schon, als wollt der Böse siegen, Doch Gabriel läßt sich nicht unterkriegen. 115
Mit einem Ruck die rechte Hand er hebt Und klammert fest sich in die weiche Stelle, Die überflüssig ist bei jeder Schlacht, Ins Glied, mit dem die Sünde ward vollbracht. Um Schonung bat der arge Schandgeselle Und fand zur Not den Weg in seine Hölle. Maria saß indessen zitternd da Und atemlos; doch als die Schlacht geendet, Sich Gabriel gar freundlich zu ihr wendet. Maria wußte nicht, wie ihr geschah. Von Zärtlichkeit war ihre Brust befangen, Wie Morgenrot erglühten ihre Wangen, Ein schönres Bild kein Menschenauge sah! … Sein eigen Herz und Gottes Liebeskunde Eröffnet Gabriel der Jungfrau laut: „Freu dich, Marie! Und preise diese Stunde: Du wirst geliebt, o holde Himmelsbraut; Glückselig sei die Frucht in deinem Leibe, Sie hilft der Menschheit aus der Sünden Qual … Doch sag ich dir, dem himmlisch schönen Weibe: Der Vater ist glückselig hundertmal!“ Er ließ aufs Knie sich vor der Jungfrau nieder Und faßte sie gar zärtlich bei der Hand. Mit einem Seufzer senkte sie die Lider. Er küßte sie … Ein heißer Feuerbrand Durchströmte sie und lähmte ihre Glieder. Er griff ihr an den Busen kühn und frei. „Oh, laß mich doch!“ versucht sie sich zu sträuben, Doch hundert heiße Küsse gleich betäuben Der zarten Unschuld allerletzten Schrei … Was soll sie tun? Was wird der Herrgott sagen? Ihr schönen Frauen, nehmt es mir nicht krumm, Ich sah in keiner Not euch je verzagen, 116
Ihr hängt euch klug der Unschuld Schleier um. Der süßen Sünde offene Beweise Versteht ihr zu verbergen mit Geschick, Des Bräutigams, des Kenners wachen Blick Betrügt ihr auf die angenehmste Weise. Die Mutter hat’s der Tochter beigebracht, Wie man durch falsche Schüchternheit und Stöhnen, Durch vorgetäuschte Schmerzen und durch Tränen Die Rolle spielt in der bewußten Nacht. Und wenn am nächsten Morgen sie erwacht, Verstört und blaß, gesenkt der Blick, der matte, Dann freut sich die Frau Mutter und der Gatte, Indes der alte Freund im stillen lacht … Durchs weite All, auf wohlbekannten Wegen Flog Gabriel dem Himmelstor entgegen. Der Herrgott sah ihn freundlich lächelnd an Und bot dem treuen Boten Gruß und Segen; „Wie steht’s?“ – „Ich hab, was möglich war, getan, Ich hab’s eröffnet ihr, sie vorbereitet …“ Der Herr steht auf dem Thron, befehlend gleitet Im Saale ringsumher sein strenger Blick. Die Engelsschar zieht sich sofort zurück. So blickte der olympische Gebieter, Wenn er bezähmte seiner Kinder Heer. Doch wir sind klug geworden, an Jupiter Und auch an Zeus glaubt heute keiner mehr. Maria lag in ihrer stillen Ecke, Auf ihrem Lager, auf zerknüllter Decke, In Traumgefilde war ihr Geist entrückt. Von der Erinnerung berauscht, entzückt, Sucht den Geliebten sie in blauer Weite, Indem sie heimlich seinen Namen ruft. Wie drückend war die schwüle Abendluft! Die leichte Decke selbst warf sie beiseite, 117
In holder Nacktheit lag sie glücklich da, Und staunend sie die eigne Schönheit sah. „Oh, Gabriel!“ Die Lippen schmachtend beben, Die Lust der Sünde sich ins Herz ihr schleicht … Doch plötzlich sieht auf Flügeln wunderleicht Ein weißes Täubchen sie durchs Fenster schweben. Es fliegt zu ihr, es flattert und umschwirrt Der Jungfrau Haupt und setzt sich endlich nieder Auf ihre Knie und glättet sein Gefieder, Es wetzt das Schnäbelchen und gurrt und girrt, Es nickt und pickt – oh, seltsames Gekose! – Und setzt sich endlich zitternd auf die Rose, Marien ward auf einmal alles klar, Sie merkte wohl, wer dieses Täubchen war. Sie betet laut, die Hände auf dem Herzen, Und schreit und weint, als hab sie große Schmerzen. Das Täubchen aber müht sich unbeirrt An seinem Werk und vor Vergnügen girrt, Bis es ermüdet sinkt zum Schlummer nieder, Die Rose deckend sanft mit dem Gefieder. Es flog davon. Maria lag so bleich Und dachte sich: Das war ein toller Streich! Eins, zwei und drei! Das ist doch ohne Zweifel Ein bißchen viel, ja, mehr als ich vertrag, Ich hab beglückt an einem einz’gen Tag Den Herrgott, seinen Engel und den Teufel. Der Himmelskönig, wie sich das gehört, Erkannt der Jungfrau Sohn bald als den seinen. Doch Gabriel fuhr fort, ihr zu erscheinen, Und hat sie manche Nacht im Schlaf gestört. Und Joseph war, wie viele, recht zufrieden, Daß ihm ein stilles Vaterglück beschieden. Er liebte Christum, wie den eignen Sohn, Und dafür ward ihm auch des Herren Lohn! 118
Ich schließe die Erzählung, amen, amen! Besungen hab ich deinen edlen Namen Und deine Liebe, schöner Gabriel, Auf meiner Leier fromm und ohne Fehl. Bewahre mich, erhöre meine Bitten! Ich habe viel geliebt und viel gelitten, Manch schöne Göttin betete ich an … Der Dämon sah mein Opfer gnädig an. Ich bin bereit, die Sünde zu bereuen. Oh, segne mich und höre an mein Flehn! Auf beßren Wegen will ich gehn, auf neuen: Die schöne Helena hab ich gesehn. Sie ist so hold, nur sie will ich besingen. Auf ewig weih ich meine Liebe ihr. Des Sanges süße Kraft verleihe mir, Auf daß ihr hold sei meiner Leier Klingen, Und Liebessehnen flöß ins Herz ihr ein, Sonst muß ich dennoch mich dem Satan weihn! Die Zeit vergeht, und meine Tage schwinden, Und allzubald die Schläfe mir ergraut. Vorm Altar wird mit einer lieben Braut Der Priester mich zum Ehestand verbinden. Ich bitte dich, o Josephs hoher Freund Und der Gehörnten Schutzpatron und Stütze, Gedenke mein und gnädig mich beschütze, Wenn mir dereinst der Ehe Sonne scheint! Oh, halte meine Seele frei von Kummer, Unendliche Geduld verleihe mir, Vertrauen zur Gemahlin, sanften Schlummer, Im Hause Glück und Frieden für und für.
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Der Gefangene im Kaukasus Eine Erzählung
Nikolai Nikolajewitsch Rajewskij gewidmet
Magst lächeln, Freund, wenn ich dir heut Zueigne, was ich hier geschrieben. Ich schrieb’s für dich, nachdem man mich hierher vertrieben, In ungestörter Mußezeit. Damals, als mich Verzweiflung niederdrückte. Verleumdung schuldlos mich umzingelte, Verrat Den kalten Mörderdolch schon zückte, Als mich der höchste Foltergrad Der Liebe würgte ohne Gnade, Als ich, dem Tod schon nah, nur Zuflucht fand bei dir, Des sichren Hafens tröstendes Gestade, Als sich besänftigten die Stürme über mir, Wie hab den Göttern ich gedankt dafür! Nun, in der Trennung trüben Tagen, Sooft ich mocht die Saiten schlagen, Fiel jene Zeit mir wieder ein, Die ich dereinst mit dir im Kaukasus erlebte, Wo der Beschtu, fünfköpfig, hoch zum Himmel strebte, Beherrschte Dorf und Flur und Hain Mit seinem drohenden Geröll, den Donnerbächen, Den ausgedörrten, sonnverbrannten Weideflächen. Er wurde damals zum Parnaß für mich, Als wir im Jugendüberschwang uns dort erlabten, Wo in der Berge weltentrückter Stille sich Der Freiheit Genius barg und trotzige Räuber trabten.
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Hier findest du Erinnerungen An Tage, die dein Herz erfreut, An Stunden auch voll Widerstreit Quälender Träume, die noch nicht verklungen, Und – mancherlei Besinnlichkeit. Ins Leben zogen wir dann auf getrennten Wegen: Du, kaum gereift, flogst stolz und kühn entgegen Blutigem Schlachtgetümmel, wie ein Held Dem Vater gleich, durch Kampf zum Ruhm erwählt. Das Vaterland erwies dir Dank und Ehre Für deine Treue, deinen Opfermut. Ich aber, von Verleumdungen verfolgt, erwehre Mit knapper Not mich nur rachsüchtiger Schurken Wut. Doch, da Geduld und Freiheitssinn mein Leben leiten, Glaub ich an eine beßre Zeit. Das Glück der Freundschaft war bis heut Mein Trost in allen Widrigkeiten.
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Erster Teil
Im Bergdorf dunkelt’s, die Tscherkessen Hocken vor ihren Hütten jetzt. Da wird gelacht, gescherzt, geschwätzt, An Taten denkt man, unvergessen, An Überfälle, unerhört, An zügellose Trinkgelage. Kein Reiter, der nicht preist sein Pferd, Nicht stolz sich rühmt verwegner Tage, Wo sich der Fürsten List bewährt. Wie trafen ihre Säbelhiebe, Wie fand da jeder Pfeil sein Ziel! Und wo ein Dorf in Asche fiel, Entrann kein Mädchen ihrer Liebe. Aus Nebeln steigt der Mond herauf, Der sie belauschte schon seit Stunden. Und plötzlich taucht ein Reiter auf, Er schleift, am Wurfseil festgebunden, Einen Gefangnen hinter sich. „He, einen Russen bringe ich!“ Brüllt er. In zorniger Erregung Springt auf die ganze wilde Schar. Der Russe schweigt, liegt stumm und starr. Blut tropft hervor ihm unterm Haar, Sein Blick zeigt keinerlei Bewegung,
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Als hör er nicht der Feinde Wut, Als ob er sie schon nicht mehr sehe, Als ob erkaltet schon sein Blut, Tödlicher Schlaf ihn längst umwehe. In dieser Todesstarre lag Der Ärmste, bleich wie ausgeblutet. Hell glänzte über ihm der Tag, Als, von der Mittagsglut umflutet, Sich in ihm regte zag und bang Das scheinbar schon erloschne Leben, Ein Stöhnen sich der Brust entrang, Und er begann, sich zu erheben. Matt blickte er sich um und sah: Nur wilde Berge ragten da, Granitne, unwegsame Riesen, Darin gebettet, gleich Verliesen Der Freiheit, uneinnehmbar fest, Der räuberischen Stämme Nest. Und jäh entsetzt, begriff er klar, Als er den Druck der Kette spürte, Die, seine Füße fesselnd, klirrte, Wessen Gefangner er hier war. „Freiheit, leb wohl!“ konnt er nur stöhnen, „Den grausamen Tscherkessensöhnen Versklavt bleib ich nun ewiglich!“ Der Tag schien zu verfinstern sich. Am Dornenzaun hinter den Hütten Sieht er sich liegen. – Weit und breit Kein Mensch zu sehn – aufs Feld geritten Sind alle jetzt zur Erntezeit. Die öden Ebenen erstrecken Vor seinem Blick sich flimmernd fahl, Der Berge kalte Gipfel recken Sich hinter Hügeln, grau und kahl; 126
Ein menschenleerer Bergpfad windet Sich drüberhin ins Ungefähr Der finstren Ferne und entschwindet. Sein Auge folgt ihm kummerschwer … Nach Rußland führt der schmale Pfad, Dort, wo sein Leben hat begonnen, Wo sorglos er genossen hat Stürmischer Jugend erste Wonnen, Wo er viel Liebes hat geliebt, Doch manchen Schicksalsschlag empfangen, Bis er enttäuscht, zu Tod betrübt, Begrub sein Hoffen und Verlangen, Vergaß, was man an ihm verübt, Verließ, woran sein Herz gehangen. Bis er erkannt sein Vaterland, Hat er genug Verrat erfahren Von Menschen, die ihm freund einst waren, Mit denen Liebe ihn verband. Er war es leid, noch länger ihnen Als Opfer von Geschäftigkeit, Feindseliger Verlogenheit, Dummdreister Nachrede zu dienen. Der Heimat kehrte er den Rücken Und floh hierher – in der Natur Der Bergwelt sah er einzig nur Der Freiheit Hort, ihn zu beglücken. Nach Freiheit rief er lang genug, Hier wollte er sie nun gewinnen. Der Dichtkunst Traum, der Liebe Trug War längst verbannt aus seinen Sinnen.
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Hier drangen Lieder an sein Ohr, Die freiheitlichem Geist entstammten Und wieder neu in ihm entflammten Den Glauben, dem er sich verschwor. Auch dieser Traum ward nun zunichte, Ein Trug war auch dies Hoffnungsziel, Unwiderruflich heißt’s: Verzichte! Verloren ist für dich das Spiel! An einen Stein gelehnt die Stirne, Hofft er, daß mit dem Abendrot, Das schon verglüht am hohen Firne, Ihn von der Welt erlöst der Tod. Die Sonne sank, die Täler dunkeln, Fernher Gelärm und Lachen gellt. Die Schnitter kehren heim vom Feld, Und ihre blanken Sensen funkeln. Licht leuchtet in den Hütten auf, Und Türen werden zugeschlagen, Still wird’s, die Nacht steigt rasch herauf, Hüllt den Aúl ein in Behagen. Ein Bergquell plätschert hoch vom Hang, Matt glitzert er noch wie kristallen, Indes sich eine Wolkenbank Um den Beschtu beginnt zu ballen. Kein Laut ringsum – stumm ist die Nacht … Doch – plötzlich aus dem Schlaf erwacht, Sieht der Gefangene im bleichen Mondlicht ein Mädchen näher schleichen, Vorsichtig setzend Fuß vor Fuß. Und freundlich lächelnd wie zum Gruß, Steht sie vor ihm, der sie betrachtet, Als trau er seinen Augen nicht, Als narre ihn ein Traumgesicht, Ihn, der vor Fieberdurst verschmachtet, 128
Hilflos hier liegt, ach, schon so lang. Fürwahr … sie neigt sich zu dem Armen, Kniet vor ihm nieder voll Erbarmen Und reicht ihm einen kühlen Trank, Sie, eine Tochter der Tscherkessen! Zu trinken hätt er fast vergessen, So hält ihr Anblick ihn gebannt, So hängt sein Aug an ihrem Munde, Zu hören, was sie ihm bekunde, Obwohl er nicht ein Wort verstand. Doch fühlt er’s mit der Kraft der Seele, Was ihre Stimme ihm, ihr Blick So sanft, so liebevoll befehle: Zum Leben ruft sie ihn zurück! Auf rafft er sich mit einem Male, Gewillt, gehorsam ihr zu sein, Und in des Mädchens Wunderschale Ertränkt er seines Durstes Pein. Doch stöhnend läßt er sinken wieder Kraftlos den Kopf zu Boden dann, Starrt durch die matten Augenlider Das Mädchen unentwegt nur an. Und schweigend saß an seiner Seite Das schöne Kind die ganze Nacht, Mitfühlend nur darauf bedacht, Wodurch sie Tröstung ihm bereite. Statt Worten, die, ihm unbekannt, Auch mehr kaum hätten sagen können. Bekundeten ihm ihre Tränen, Was sie im Innersten empfand. Die Zeit zerfloß wie Rauch indessen, In seinen Fesseln Tag um Tag Beim Weideplatz am Berghang lag Der junge Russe wie vergessen, 129
Schutz suchend vor der Mittagsglut In einer feuchten, kühlen Höhle. Sobald jedoch des Mondes Helle Aufblinkte, schlich mit bangem Mut Die schöne Tochter der Tscherkessen Auf schattig schmalem Pfad herbei Und brachte Honig, Hirsebrei, Kumys und – Wein, nicht zu vergessen, Mit ihm zu trinken und zu essen. Und schweigend schaute sie ihn an, Bis sie durch Blicke dann begann Und Zeichen sinnfällig zu machen, Was lächelnd ihre Lippen sprachen. Oft sang sie ihm auch Lieder vor, Wie sie in Grusien alle singen. Schließlich gelang ihr, in sein Ohr Mit ihrer Sprache einzudringen. Ihr Herz, das sich an ihn verlor, Es hatte Liebe nie erfahren. Indes der junge Russe schwor Ab dieser Torheit schon vor Jahren. Sein Herz blieb stumm, er konnte nicht Erwidern solcherlei Gefühle, Aus Furcht, daß er aufs neu verfiele Verlorner Liebe Traumgesicht. Nur langsam fühlen wir entschwinden, Erlöschen Lebenskraft und Mut, Und immer wieder neu empfinden Wir unerhoffter Liebe Glut. Doch nie wird dies Gefühl erreichen Der ersten Liebe Überschwang, Der Glut des Himmelsfeuers gleichen, Das in der Jugend uns durchdrang.
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So schien’s, als hält der junge Russe Sich still ergeben, hoffnungslos. Fern allem irdischen Genusse, In sein trübselig Lebenslos. Gemartert von der Knechtschaft Leiden, Schleppt er sich mit verzagtem Sinn, Stumpf für die feurigste der Freuden, Am Morgen zwischen Felsen hin. Der Berge ferne Firne ziehen Nur seine Blicke an, ob rot Im Sonnenglanze sie erglühen, Ob sie von Wettern schwarz umdroht, Gleich Thronsesseln aus Schnee aufstreben Im blauen Äther, regungslos … Wie starre Wolkenbänke schweben … Bildwerke sind’s, gigantisch groß! Zweiköpfig, krönend ihre Kette, Ragt der Elbrus voll Majestät, Ewigen Eises Urweltstätte Von grellem Himmelslicht umweht. Und wenn Gewittersturm anrückte Und Donner grollend ihn umgab, Saß der Gefangne stumm und blickte Vom Berge auf den Aúl hinab. Zu seinen Füßen Wolken wallten, Flugsand stob in der Steppe auf, Schutz suchte zwischen Felsenspalten Das Berggetier in eiligem Lauf. Die Adler stiegen auf zum Himmel Und grüßten sich mit Schreien schrill, Während in panischem Gewimmel Die Rinderherden mit Gebrüll, Die Hammel blökend sich entsetzten, Talwärts hinab die Hänge hetzten,
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Erschienen sie auch noch so steil. Doch schon erstickte ihre Stimme Des Sturms gewaltiges Geheul, Aus dem Gewölk mit wildem Grimme Schmettert der Blitze Feuerstrahl, Dumpf hallt er von den Höhen wider. Und plötzlich stürzt auf Berg und Tal Regen und Hagelschlag hernieder, Wildbächen gleich, mit solcher Wut, Daß mitgerissen von der Flut Mächtige Steinlawinen rollen Herab von ewig alten Höhn Zu Tal mit polterndem Gedröhn. Mag’s blitzen, mag der Donner grollen, Der Russe schaut mit Seelenruh Der Wut der Urgewalten zu. Bald wird die Sonne wiederkehren, Kein Sturm der Welt kann ihr’s verwehren. Doch hatte sich Europas Sohn Langsam vertraut gemacht indessen Mit Lebensart und Religion Des fremden Stammes der Tscherkessen. Dies kriegerische Volk, das ihn Gefangenhielt, war unbestritten Gastfreundlich, gut, wie es ihm schien, Gesund und schlicht in Brauch und Sitten. Wie stolz, elastisch war ihr Gang, Wie kraftvoll Haltung und Gebärden. Oft sah er sie auf flinken Pferden In ihrem schwarzen Filzumhang, Mit zottiger Mütze stundenlang Auf staubiger Ebene galoppieren, Fest in die Steigbügel gestemmt, Den Bogen vor die Brust geklemmt, Gefechtsübungen exerzieren. 132
Ja, wahrhaft schön, bewundernswert Ist ein Tscherkesse hoch zu Pferd, Brust, Panzer, Pfeil und Bogensehne, Wurfschlinge, Dolch und sein Gewehr Trägt er mit Stolz, bis an die Zähne Bewaffnet, geht er stets umher. Ob müßig, bei der Arbeit Hitze, Nie trennt er sich von seiner Mütze. Und nichts fällt ihm zu tragen schwer, Nichts wirft ihn um, zu Fuß, zu Pferde Zeigt er kein Zeichen von Beschwerde, Als ob er unbesiegbar wär. Bedrohlich ist er und gefährlich Für die Kosaken. – Unentbehrlich Ist ihm das selbstgezüchtet Roß, Sein treuer Freund und Kampfgenoß. In Schluchten, finstren Felsenhöhlen Liegt er versteckt, um wie ein Pfeil Plötzlich daraus hervorzuschnellen. Ein sichrer Schlag, schon fliegt das Seil, Und ausgeraubt im Handumdrehen Kann man den Wandrer liegen sehen. Des Opfers Flehn hat keinen Zweck, Der Räuber schleppt es grausam weg. Sein wildes Pferd ist nicht zu halten, Durch Sumpf und Wald und Felsenspalten Rast es den steilsten Hang hinab. Blutspuren zeichnen seine Fährte, Wer den gespenstigen Hufschlag hörte, Der weiß, er führt zu einem Grab. Umsonst hofft er, den Reiter zwinge Der Strom vor ihm zum Halten … Nein! Er jagt, sein Opfer an der Schlinge Mitreißend, in die Flut hinein.
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Der Ärmste fleht nicht mehr um Gnade, Er bittet nur noch um den Tod, Doch schleppt ihn wie ein schnelles Boot Das Roß ans rettende Gestade. Ein andrer Räuber springt, umstellt Von den Kosaken, in die Wellen, Wenn sie kein Stern noch Mond erhellen. Ein knorriger Baum, vom Sturm gefällt, Dient ihm als Floß, dran er sich hält, Auf das er seine Rüstung ladet. Im Schutz der Nacht, umheult vom Wind, Schwimmt unbemerkt und unbeschadet Der Räuber lautlos und geschwind Vorbei an finstren Uferhöhen, Wo stumm, gestützt auf ihren Spieß, Die Posten der Kosaken stehen, Blind starrend in die Finsternis. Soldat, was träumst du? Von Attacken, Die du geritten mit Bravour? Von Biwakfeuern, wo Kosaken Sich rühmten blutiger Taten nur? Von Siegen, die ihr kühn erstritten, Von deines Landes Dank und Lohn, Von deinem Mädchen, von den Hütten Am heimatlichen stillen Don? Vorbei! Der listige Feind kam wieder! Verloren Lieb und Tatenruhm! Schon schwirrt der Pfeil, schon sinkst du stumm Auf blutigem Hügel sterbend nieder! Doch will ich den Tscherkessen loben, Sitzt friedlich er und unbeschwert Mit Weib und Kind am warmen Herd, Wenn draußen wilde Wetter toben. 134
Hat sich ein Reisender verirrt, Ist er der gastfreundlichste Wirt, Geht, höflich grüßend, ihm entgegen Und ladet ihn ans Feuer ein, Hilft ihm die Kleider abzulegen, Kredenzt ihm Grusiens roten Wein Und Speisen nach Tscherkessenweise, Gibt ihm ein Obdach für die Nacht, So daß er, andern Tags erwacht, Gestärkt ist für die Weiterreise. Hinaus ziehn nach den Fastentagen Die Jünglinge gemeinsam meist, Mit Pfeil und Bogen zu erjagen Den Aar, der in den Wolken kreist. Gar manchen holen sie herunter; In Reihen treten sie sodann Auf einem steilen Hügel munter Zu waghalsigem Wettlauf an. Sie stürzen in des Tales Tiefe, Als ob ein Rudel Hirsche liefe, Aufstampfend, daß der Staub hochstiebt, Sobald ein Mann das Zeichen gibt. Doch all das kann nur halb erfreuen Den, der zum Krieg geboren ward. So kommt’s, daß sich bei Zechereien Ihr Spiel mit Grausamkeit oft paart. Ein Säbel blitzt – und abgehauen Rollt eines Sklaven Kopf ins Gras, Die Jüngsten sehn es ohne Grauen Mit an, als wär’s ein lustiger Spaß. Auch unser junger Russe war Oft Zeuge solcher blutigen Spiele. 135
Gleichgültig sah er zu, als fühle Er keine Furcht. – Er, der, Gefahr Seit frühster Jugend tief verachtend, Nach Ruhm und Ehre sinnlos trachtend, Dem Lauf des Gegners allzu nah, Dem Tod schon oft ins Auge sah, Saß in Erinnerung versunken Und dachte jener tollen Zeit, Als er, selbst guten Weines trunken, Mit Freunden lärmte ungescheut … Ob jene Zeit, die längst verflogen, Die Hoffnungen, die ihn betrogen, Er nun beklagte oder gar Sein einstiges Leben mocht vergleichen Mit der Tscherkessen wilden Bräuchen, Reglos blieb sein Gesicht und starr. Er hüllte sich in tiefes Schweigen, Mit keiner Miene wollt er zeigen Angst vor der Wilden Grausamkeit. War’s diese Unbekümmertheit, War’s seine Jugend, daß man scheute Zu morden gnadenlos auch ihn? – Ihr Flüstern sagte, wie ihm schien: Sie waren stolz auf ihre Beute.
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Zweiter Teil
Du hast des Lebens höchstes Glück, Mädchen des Kaukasus, erfahren. Der Glanz in deinem reinen Blick Genügte, dies zu offenbaren. Wenn unterm nächtigen Sternenzelt Dein Freund dich schweigend hielt umfangen, Versank vor brennendem Verlangen Für dich die ganze Erdenwelt. Dann sprachst du leise: „Lieber, lehne Den Kopf an meine Brust! Gebannt Ist dann dein Leid! Wein keine Träne Um Freiheit mehr und Vaterland! Wie bin ich froh – sollt ich’s auch büßen –, Daß ich dich heimlich treffen kann! Sieh mir ins Auge! Noch kein Mann Ist mir genaht, um mich zu küssen. Noch kein Tscherkessenbursche schlich Sich nachts zu meinem keuschen Bett, Für kalt und grausam hält man mich, Als ob ich keine Seele hätt. Sei’s drum! Doch werd ich’s stets verschmähen. Daß man verschachert mich für Gold, Wie es mein Vater längst gewollt. Bisher gelang mir’s noch durch Flehen, Solch schlimmem Schicksal zu entgehen. Erspart man mir nicht diese Pein, Mag Dolch und Gift mein Retter sein! 137
Doch eh ich eine Tat verübe, An der ich selbst zugrunde geh, Erlaube, daß ich dir gesteh, Wie heiß, wie innig ich dich liebe! …“ Stumm hörte sich der junge Mann Des Mädchens Liebesworte an. Anstatt daß sie ihn fröhlich machten, Konnt er die Schöne nur betrachten Mitleidig und voll Traurigkeit. Sein Herz, es konnte nicht erwidern, Was zu gestehn sie nicht gescheut. Tränen entrollten seinen Lidern, Und seufzend saß er lange Zeit, Als lag ein Stein ihm auf dem Herzen, Als quälten ihn geheime Schmerzen, Erinnrung an erlittnes Leid. „Vergiß mich, Mädchen“, sprach er endlich, „Was du mir schenkst, steht mir nicht zu. Dich zu belügen wäre schändlich. Ich kann nicht lieben mehr wie du. Erloschen ist in mir das Feuer, Wähl einen andren dir zum Mann, Der deine Schönheit schätzt und treuer Dich liebt, als ich dich lieben kann, Der wert ist deiner heißen Küsse Und deiner Worte Zärtlichkeit, Ich welke lustlos hin und büße Die Leidenschaft vergangner Zeit. Sie schlug mir allzu tiefe Wunden, Nie mehr werd ich davon gesunden, Drum wende dich von meiner Spur, Mein traurig Los beklage nur! Ach, hätt ich früher dich getroffen, Bevor mir alles das geschehn, 138
Als ich noch fähig war zu hoffen, Im Traum mich glücklich noch zu sehn! Zu spät, in Finsternis versunken Ist Liebesglück und Glauben mir, In meiner Brust erloschen schier Der süßen Wollust letzter Funken … Mit toten Lippen ist es schwer, Lebendige Küsse zu erwidern, Noch gar zu lächeln, kalt und leer, Vor tränennassen Augenlidern, Umarmung ist da nur verflucht! Kein Menschenherz kann Liebe schenken. Zwingt es der Dämon Eifersucht, Vergangner Liebe zu gedenken! … Dir mögen unter meinen Küssen, Sowenig flüchtig sie auch sei’n, Der Liebe Stunden schnell verfließen, Dir lacht der Himmel licht und rein, Indessen ich, zerstreut und trübe, Mit Augen, tränenüberfüllt, Nur immer vor mir seh das Bild Der einen, die ich einzig liebe. Blind, taub und stumm bin ich für dich, Nur ihr allein gilt mein Verlangen. So fest du selbst mich hältst umfangen, Ein Trugbild nur umarme ich. Was nützt es, daß ich’s dir verhehle, Es folgt mir bis ans End der Welt, Nur Bitternis fühlt meine Seele, Seit mich gebannt dies Traumbild hält. Das Eisen fesselt meine Füße, Mein Traumbild hält mich fern von dir. 139
Drum gib mich auf, du kannst mit mir Nicht teilen so viel Kümmernisse. Verzeih, was dir mein Herz gestand, Und reich zum Abschied mir die Hand. Nicht lang verschließen schöne Frauen In Trübsal sich und Einsamkeit. Bald findet sich ihr Herz bereit, Sich neuer Liebe zu vertrauen.“ Als nun die Schöne dies vernahm, Erstarrte sie in stummem Gram, Umsonst ist’s, schien ihr Blick zu sagen, Ihn und das Schicksal anzuklagen. Und wie ein Schatten wankend, saß Sie neben ihm, zitternd und blaß, Hielt ihre kalte Hand die seine, Bis stammelnd, gänzlich fassungslos Ihr Leid in Worten sich ergoß: „Ach, warum wurde ich die Deine, Noch ehe ich dein Herz gekannt! Kurz war mein Glück, nur wenige Stunden Hab ich’s an deiner Brust gefunden, Schon hat’s zum Unheil sich gewandt! Ich ahn es wohl, mir wird sich zeigen Das Glück nicht huldreich noch einmal. Ach, hättest du erspart durch Schweigen Mir Unerfahrnen solche Qual! Ja, täuschen hättest du mich sollen, Und heucheln Lieb und Zärtlichkeit! Ich hätt dir treulich dienen wollen, Versüßen dir die Unfreiheit. Besänftigt hätt ich deine Klagen Und nächtens deinen Schlaf bewacht … Nun bitt ich dich, mir noch zu sagen: Wer ist’s, die so dein Herz entfacht? 140
Ist eure Liebe beiderseitig? Verzeih, ich frage nicht aus Neid, Mach deine Schöne dir nicht streitig … Doch mußt auch du verstehn mein Leid …“ Sie seufzte tief, und unter Tränen Aufschluchzend laut, verstummte sie. Der Brust entrang sich nur ein Stöhnen, Wortlos umschlang sie seine Knie. Schwer atmend sank sie hin, als schwänden Die Sinne ihr, auf kaltem Stein. Er hob sie auf mit zarten Händen, Und leise sprach er auf sie ein: „Wein nicht, laß dir zum Tröste sagen: Ich hab das gleiche Los zu tragen. Wie du, so innig liebte ich, Sie aber, sie verschmähte mich! Einsam auf diesen Bergeshöhen Werd ich verlöschen und vergehen. Weit fern von meinem Heimatland Sterbe ich bald und lieg vergessen, Eh noch die Kette hat zerfressen Der Rost, verweht im Steppensand …“ Mählich verblaßten die Gestirne, Schon zeichneten sich ab die Firne Im Morgengraun am Firmament. So durch des Schicksals Macht getrennt, Schieden sie stumm, gesenkt die Stirne. Und der Gefangne schlich allein Ums Dorf seitdem, gehüllt in Schweigen, Sah mit des Himmels Frührotschein Über der Berge Grat aufsteigen Noch manchen kummervollen Tag Und wiederum in Nacht versinken, 141
Doch keinen Weg zur Freiheit winken. Wie hoffnungsvoll er oft erschrak, Aufsprang, daß seine Kette klirrte, Wenn nachts er ein Geräusch vernahm. Vielleicht, daß sein Befreier kam, Ein mutiger Kosak? … Er irrte! Denn ohne Antwort blieb sein Ruf. Der Laut, der zu ihm war gedrungen, Kam nur von einer Gemse Huf, Die just den Hang hinabgesprungen. Still war es wieder überall, Das Tier stob, wie ein Schatten zitternd, Auf und davon, den Menschen witternd. Der Sturzbach rauschte nur zu Tal. Dann kam ein Tag … Schlachtruf erschallte, Der von den Bergen widerhallte: „Auf zu den Waffen, zum Kuban!“ Losstürmten alle, Mann für Mann, Nach Beute wild. – Die schnell gezäumten Kampfrosse wieherten und schäumten, Die Waffen blitzten – marschbereit War der Aúl in kurzer Zeit. Schon sprengten mit verhängten Zügeln Die wilden Reiter von den Hügeln Zum Fluß, wo jenseits ohne Scheu Kosakenpferde grasten frei. Und wieder fiel das Dorf in Schweigen, Die Hunde schliefen gähnend ein, Nackt tanzten Kinder ihren Reigen Im heißen Mittagssonnenschein, Und rauchend saßen rund im Kreise Wortlos die weißbärtigen Greise Und lauschten, während sich aufschwang Der Rauch der Pfeifen, dem Gesang 142
Der jungen Mädchen, jener Weise, Die Jugendträume weckte leise Und wie verjüngend kraftvoll klang. Tscherkessenlied 1 Die Woge grollt im Fluß und blitzt, Nacht sinkt auf Berg und Tal hernieder. Auf seine Lanze müd gestützt, Senkt der Kosak die Augenlider. Bleib wach, Kosak, und schlaf nicht, Mann, Denn der Tschetschene schleicht heran! 2 Kosak, gib acht in deinem Boot, Du wirst mit deinem Netz versinken! Kosak, gib acht, dir droht der Tod! Wirst wie ein kleines Kind ertrinken, Gib acht, Kosak, blick um dich, Mann, Denn der Tschetschene schleicht heran! 3 Am Strand, wo die Stanizen stehn, Die trauten Gärten üppig blühen, Die Mädchen singend sich ergehn, Da gilt’s, zur rechten Zeit zu fliehen! Ihr Mädchen, rette sich, wer kann, Denn der Tschetschene schleicht heran! So sangen sie … Unweit vom Flusse Träumt von verwegner Flucht der Russe. 143
Doch reißend ist der tiefe Fluß, Die Kette allzu schwer am Fuß … Nacht hüllt die Steppe ein, blaß schimmern Nur noch die steilen Felsenhöhn, Weiß in des matten Mondes Flimmern Sieht man am Hang die Hütten stehn. Die Hirsche träumen an den Tränken, Verstummt ist längst des Adlers Schrei. Huftrappeln weht von fern herbei, Wo ihre Herden heimwärts lenken Die Hirten aus dem Nachbartal. Dem Russen ist’s mit einemmal, Als ob ganz dicht in seiner Nähe Er einen Schleier flattern sähe. Des Mädchens Schleier ist’s, fürwahr! Jetzt kommt sie auf ihn zu sogar, Das Haar verhüllt in schwarzen Wellen Ihr Brust und Schultern und Gesicht. Sie möchte sprechen, doch es fehlen Die Worte ihr, sie kann es nicht. Die blanke Feile in der einen, Das Messer in der andern Hand, Mocht sie, wie sie da vor ihm stand, Zu großer Tat entschlossen scheinen. Stumm sah sie den Gefangnen an, Dann preßte sie hervor mit Mühe: „Nutz diese Nacht! Entschließ dich, fliehe! Von unsern Leuten blieb kein Mann Im Dorf zurück, der deine Fährte Verfolgt und dir die Flucht verwehrte!“ Fest faßte sie die Feile dann Und fiel vor seiner Kette nieder, Feucht wurden ihr die Augenlider, 144
Indes das Eisen schrill begann Zu kreischen unterm Stahl, zu singen, Um klirrend schließlich zu zerspringen. „Frei bist du“, sprach sie. – „Fort von hier!“ Doch ihre Augen, sie verrieten, Welch große Qual ihr Herz gelitten, Als rief es laut: Geh nicht von mir! Und in den Wind, der jäh aufbrauste, Den Schleier ihr, das Haar zerzauste, Schrie der Gefangne schmerzvoll: „Nein! Ich bleib bei dir! Bin ewig dein! Laß uns zusammen von hier fliehen, Verlassen dies verfluchte Land!“ „Nein“, rief sie. „Nie wird in mir blühen Die Freude, die ich hier empfand. Die Süßigkeit des Lebens schwand! Leer fühl ich mich, wie ausgebrannt. Dich treibt’s zu einer andern Schönen, Geh, finde sie und liebe sie! Oh, wär ich dir begegnet nie! Umsonst vergieß ich hier noch Tränen! Leb wohl! Denk nicht an meine Qual! Mein Segen soll zu allen Zeiten Dich auf dem Weg zum Glück begleiten. Gib mir die Hand … zum letztenmal!“ Noch einmal fühlte er aufwallen, Was er von Anbeginn gefühlt, Wie sehr dem Mädchen er verfallen, Als er sie in den Armen hielt, Und Mund von Mund nicht lassen wollte. Als er sich schließlich überwand, Schritten sie beide Hand in Hand Zum Fluß hinab, der tosend grollte.
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„Leb wohl!“ ruft er und springt hinein, Jählings entschlossen. – Schnell durchschwommen Hat er die Flut, heil angekommen Am Ufer, will er einen Stein Umfassen grad, als er ein Stöhnen Vernimmt … Dumpf rauscht das Wasser auf. Zum Ufer schwingt er sich hinauf Und blickt hinüber … Von der Schönen Kann er entdecken keine Spur, So klar erkennbar das Gestade Wie auf dem steilen Hang die Pfade … Ein kleiner Wasserwirbel nur Zieht seine letzten schwachen Kreise. Ein Windhauch streicht darüber leise, Ein Mondstrahl blinkt zum letzten Gruß, Und weiter rollt der finstre Fluß. Der Morgen fing schon an zu grauen, Da blieb er stehn zum letztenmal, Nach dem Aúl sich umzuschauen, Wo er erlitt so bittre Qual, So lang in Ketten lag, vergessen, Die Herde hütend auf dem Hang, Zum Bach schlich, lauschend dem Tscherkessen, Der seiner Freiheit Trutzlied sang. Im goldnen Licht der Morgenröte Steigt er hinan die Uferhöhn Auf Pfaden, wo nur Hirsche gehn, Frei, ledig der Tscherkessenkette, Und aus dem Nebel tauchend, nahn Kosaken schon, und Lanzenspitzen, Russische Bajonette blitzen, Alarmruf schallt längs dem Kurgan.
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Epilog
So flog die Muse, von der Macht Des Traums gelenkt, zu Asiens Grenzen, Um mit der wilden Blütenpracht Des Kaukasus sich zu bekränzen. Bezaubert von der Tapferkeit, Von Tracht und Bräuchen der Barbaren, War sie im kriegerischen Kleid Oftmals erschienen mir seit Jahren, Ließ ihre Dörfer oft im Geist Mich sehn, verödet, voller Grauen, Mich hören den Gesang der Frauen, Die nun zeitlebens sind verwaist. Auch die Kosakendörfer waren Ihr wie der Herdenlärm vertraut, Wie der Alarm der Reiterscharen, Die Gräber all im Steppenkraut. Vielleicht schreibt Sagen sie und Lieder Aus dieser Welt des Kaukasus, Bedrohlich lang, besiegt zum Schluß, Aus der Erinnrung später nieder, Erzählt von dem Duell des kühnen Mstislaw, der den Rededja zwang, Und von der Russen Untergang Im Schoße der Grusinierinnen. Vielleicht werd ich die Stunde loben, Als unser Aar aufstieg zum Flug Und die Rebellen niederschlug, Die sich im Kaukasus erhoben, 147
Als an dem grauen Terekfluß Uns Zizianows Eifer schützte Und sein Kanonenfeuer blitzte. Dich werd, Geißel des Kaukasus, Held Kotljarewskij, ich besingen, Der ausgerottet wie die Pest Die Räuberbrut im Felsennest … Doch müd, das Racheschwert zu schwingen, Hast du vom Krieg dich abgewandt, Bedeckt mit ehrenvollen Wunden, Frieden im trauten Heimatland Fern von dem Lärm der Welt gefunden. Allein nicht lange duckten sich Kaukasiens wilde Felsenwände. Tscherkess’, Tscherkess’, versöhne dich, Jermolow naht, es naht dein Ende. Grusiniens trotz’ger Freiheitswahn, Im Blut erstickt, ward er zuschanden, Dem Schwerte Rußlands Untertan Ist alles, was ihm widerstanden. Nicht Mut und wilde Tapferkeit, Kein Talisman, nicht schnelle Pferde Bewahrten vor der Unfreiheit Die Völker dieser felsigen Erde. Bald, wie der Stamm des Batu-Chan, Sinnt keiner mehr auf Heldentaten Und Beutezüge. Sie verraten Der Väter Geist, wie er’s getan. Furchtlos wird man durch Schluchten reiten, Wo einst des Räubers Kampfruf klang, Und schaudern werden künftige Zeiten Vor ihrem blutigen Untergang.
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Die Räuberbrüder
Kein Rabenschwarm war’s, der am Rande Der Wolga sich gesetzt zum Fraß, Was nächtens dort beim Feuer saß, War eine wilde Räuberbande. Ganz unterschiedlich von Gewand, Gesichtsschnitt, Mundart, Stamm und Stand! Ob Höhlen, Hütten, Kerkerzellen Ausspien diese Spießgesellen, Sie alle kannten nur ein Streben: Gesetzlos, frank und frei zu leben. Kosaken, kriegsgewohnt, vom Don, Die um ein Nichts den Hals riskieren, Und manchen rauhen Steppensohn Sah man, Kalmücken und Baschkiren. Schwarzlockige Juden gab’s dabei, Rotblonde Finnen – und Zigeuner, Die heimatlos und arbeitsscheu Die Welt durchziehn als ewige Streuner. Verbrechen, Laster und Gefahr Verschmolzen sie zu fester Einheit. Nicht einer, dem vertraut nicht war Der tiefste Abgrund der Gemeinheit. Der dort durchbohrt mit kaltem Eisen Die Witwe samt den armen Waisen Und lacht nur, wenn das Opfer stöhnt, So sehr ist er an Mord gewöhnt. Zu töten scheint ihn zu erfreun Wie andere ein Stelldichein. 151
Still ist die Nacht, vom fahlen Schein Des gelben Mondes übergossen, Sitzen die finstern Mordgenossen Um einen großen Krug voll Wein. Und manche sieht man langgestreckt, Doch sprungbereit am Boden liegen, Verbrecherische Träume fliegen Um ihre Stirnen unentwegt. Indes die Becher kreisen, tauschen Sie aus, was sie erlebt zuvor, Und alle spitzen jetzt das Ohr, Um schweigend dem Bericht zu lauschen, Den ein neu angekommner Mann Mit rauher Stimme grad begann: „Zwei Brüder waren wir – beizeiten Nahm uns die Eltern weg der Tod. Wir wuchsen auf bei fremden Leuten Und kannten nichts als bittre Not. Freudlos war unsre Jugendzeit, Mißachtung mußten wir ertragen, Dem Allernötigsten entsagen. Früh regte sich in uns der Neid. Nichts war uns Waisen hinterblieben, Kein eignes Dach, kein Ackerland. Zur Fron hat man uns nur getrieben … Ein Narr, wer dran Gefallen fand! So kamen wir denn überein, Mit eigner Kraft uns zu befrein, Ein bessres Dasein zu gewinnen, Und haben ohne viel Besinnen Scham, Anstand, Ehre und Gewissen Für immer über Bord geschmissen, Uns zu Verbündeten gemacht Das Messer und die stumme Nacht. 152
Jung waren wir, und keiner scheute Dem Tode ins Gesicht zu sehn. Wir teilten redlich stets die Beute. Verdammt, wie war dies Leben schön! Nachts, wenn der Mond aufging, verließen Wir unser Räubernest im Wald. Wo sich ein Opfer zeigte, stießen Wir’s nieder aus dem Hinterhalt, Ob Jud, ob Pope – Mitleid kannten Wir nicht – gefleddert ward der Mann. In kalten Winternächten spannten Wir dreist selbst unsre Troika an Und brausten durch verschneite Weiten Mit Pfeifen, Johlen und Geschrei. Wer grad des Weges kam vorbei, Der flüchtete spornstreichs beizeiten. In jede Schenke ging’s hinein, Wo just noch glomm ein Kerzenschein. Ob es im Dorf war, ob im Städtchen, Die Wirtin ließ uns willig ein, Umsonst für uns war Speis und Wein, Und uns gehörten alle Mädchen! Doch schließlich faßte man uns zwei. Aus war die lustige Zecherei. Da wir verbunden stets wie Kletten, Ließ man uns aneinanderketten. Lang saßen wir im Kerkerloch. Ich, fünf Jahre älter, konnte noch Halbwegs die Zuchthausluft ertragen, Mein Bruder, der begann jedoch Bald über Atemnot zu klagen, Und Fieber fing an ihn zu plagen, Gebadet lag er ganz in Schweiß. Allstündlich hörte ich ihn sagen: 153
‚Ach, mir ist zum Ersticken heiß!‘ Nach Wasser rief er immer wieder. Ich hielt ihm vor den Mund den Topf, Er trank, dann schloß er matt die Lider, Und an die Brust sank mir sein Kopf. Doch mocht er sich zum Bersten füllen, Sein Durst war nimmermehr zu stillen. Verwirrt vom Fieber blieb sein Blick. ‚Raus will ich, in den Wald zurück!‘ Schrie er. ‚Läßt du mich hier verrecken? Wo bist du? Spiel doch nicht Verstecken! Es ist so finster! Komm doch her!‘ Ach, er erkannte mich nicht mehr. ‚Komm her! Du hast mich von den Feldern Einst weggelockt, mich in den Wäldern Gelehrt den ersten blutigen Mord! Und jetzt, jetzt gehst du von mir fort. Läßt den Gefährten hier allein, Dich selbst der Freiheit zu erfreun, Schlägst weiter tot unschuldige Leute, Verzehrst allein die ganze Beute! …‘ Nach solchen vorwurfsvollen Klagen Begann die Reue ihn zu plagen. Manch einer, den in frühren Tagen Wir beide hatten totgeschlagen, Erschien ihm drohend dann als Geist. Ein Greis vor allem war’s zumeist, Den wir erdolchten ohn Erbarmen. Die Hände schlug er vor’s Gesicht Und schrie: ‚Halt ein! Erstich ihn nicht! Verschon den alten Mann, den armen! Sieh seine Tränen, hör sein Schrein, Das Herz zerreißt es mir! Halt ein! Mißachte nicht sein weißes Haar! Von ihm droht keinerlei Gefahr. 154
Er könnte, wenn wir ihn nicht töten, Zu Gott für uns um Gnade beten!‘ Obwohl ich seinen Fieberwahn Schnell zu beschwichtigen begann, Die Geister der Erschlagnen traten, Grollend gleich einem Rachechor, Vor seine Augen wie zuvor Und fluchten ihm ob seiner Taten, Umkreisten ihn in wildem Tanz. Dann funkelte in irrem Glanz Sein Blick und sträubte sich sein Haar, Wie Espenlaub im Wind fürwahr Erzitterten des Ärmsten Glieder. Entsetzlich, wie sich immer wieder Sein abgezehrter Körper bäumte, Wenn er von seinem letzten Gang Zum Richtplatz, von den Gaffern träumte, Die aufmarschiert am Weg entlang, Vom Henker, der die Knute schwang. Und seiner selbst nicht mehr bewußt, Sank er mir schlotternd an die Brust. Das währte Wochen, Tag und Nacht, Kein Aug hab ich da zugemacht. Ich gab den Bruder schon verloren. Als er die Krankheit überwand, Verfolgungswahn und Fieber schwand, Da waren wir wie neugeboren, So daß uns stärker als zuvor Des Kerkers Grabesluft beengte. Wenn früh die Sonne stieg empor Und sich durchs Gitterfenster zwängte Zu uns ein schmaler, goldner Strahl, Gar ein verirrter Vogel lenkte
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Den Flug an uns vorbei einmal, Dann stöhnten wir vor Sehnsuchtsqual. Nur einem Ziel galt unser Sinnen: Den Wächtern, dem Geklirr der Ketten Um jeden Preis schnell zu entrinnen Und in die Freiheit uns zu retten. Die Stunde kam, eh wir’s gedacht. Um milde Gaben zu erflehen, Ließ man uns durch das Städtchen gehen, Zwar von den Wächtern streng bewacht Und festgekettet Fuß an Fuß. Doch kaum erreichten wir den Fluß, Da stürzten wir uns schon verwegen Vom steilen Ufer in die Flut. Verzweiflung gab uns diesen Mut. Im Gleichtakt schwammen wir entgegen Der Insel, die wir vor uns sahn, Indessen, zwar noch fern, sich nahten In wilder Hast zwei Wachsoldaten. Doch kamen wir am Strand gut an. Fort warfen wir die ganz durchtränkten Gefängnislumpen und zersprengten Die Kette schnell an einem Stein. Und froh, so weit entwischt zu sein, Sahn wir den einen der Soldaten Wild zappeln und mit einem Schrei Versinken in der Flut wie Blei, Den andern, schon auf Grund geraten, Trotz unsrer Warnung näher waten, Hoch in der Hand sein Schießgewehr. Blut spritzte rings, als wir dem Tropf Zwei Steine warfen an den Kopf, Und tot ins Wasser sank auch er. Verfolger gab’s nun keine mehr. 156
Wir konnten also ohne Zagen Die Flucht zum andern Ufer wagen, Erreichten es und fanden bald Ein sicheres Versteck im Wald. Der Bruder hat die kalte Flut Jedoch nicht ungestraft durchschwommen. Kaum waren wir zur Ruh gekommen, Befiel ihn neu des Fiebers Glut. Von Angstgesichten immer wieder Gequält, lag er drei Tage lang, Zu schwach zum Sprechen, todesbang. Kein Schlaf schloß ihm die Augenlider. Er wußte wohl, es ging zu Ende. Noch um ein Abschiedswort bemüht, Ergriff er zitternd meine Hände, Doch seufzte er nur und – verschied. Drei Nächte hab ich bei der Leiche Gewacht, es war, als hoffte ich, Daß die Erstarrung von ihm weiche. Glaubt mir, ich weinte bitterlich. Dann, unter Flüchen und Gebeten Grub ich ihn in die Erde ein, Zog weiter meines Wegs, allein Fortan zu rauben und zu töten. Die Zeit mit ihm, sie war das Beste, Was mir beschieden war bisher, Die kecken Taten, wilden Feste, Für sie gibt’s keine Wiederkehr. Was ich an Glück genossen hab, Der Bruder nahm es mit ins Grab. Einsam, verzagt zieh ich dahin, Versteinert ist mein finstrer Sinn, Kenn auch noch heut nicht Gnad noch Reue Und töte, wo ich töten kann. 157
Doch seltsam ist’s: Bisweilen scheue Ich, zu erschlagen einen Mann, Wenn ich sein weißes Haar erkannt, Und wie gelähmt sinkt mir die Hand. Dann muß ich an den Kerker denken, Wo einst im Alptraum, fieberheiß, Der Bruder mich beschwor, dem Greis Die letzte Lebensfrist zu schenken.“
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Die Fontäne von Bachtschissarai
Viele haben wie ich diese Fontäne besucht, aber die einen leben nicht mehr, die anderen wandern in der Ferne. Sadi
Girej saß stumm, den Blick gesenkt; Ließ Rauch nur aus der Pfeife steigen. Um den gestrengen Chan gedrängt Stand in erwartungsvollem Schweigen Die unterwürfige Höflingsschar. Kein Wort war im Palast zu hören, Bemüht war jeder offenbar, Des Herrschers Zorn sich zu erklären. Der winkte barsch nur mit der Hand, Gleich beugten sich zu Boden alle, Worauf der ganze Schwarm verschwand. Allein nun in der goldnen Halle, Seufzte der Chan gleichsam befreit. Die strenge Stirn, die wie versiegelt Bislang hielt seines Herzens Leid, War nun umwölkt von Traurigkeit, Wie Wasser Wetterwolken spiegelt. Was war es wohl, was quälte ihn? Was mochte ihn so sehr erregen? Wollt er nochmals gen Rußland ziehn, Tribut den Polen auferlegen? Beängstigt ihn der Völker Zorn, Kam eine Meuterei zutage, Brennt er, daß man sie niederschlage?
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Sind Genuas Ränke ihm ein Dorn? Doch nein, alldem gilt nicht sein Trachten, Kriegstaten lernte er verachten, Müd ist die blutige Hand der Schlachten. Drang auf verbrecherischem Pfad In seinen Harem gar Verrat? Könnt ein Giaur hineingelangen, Wo er die Wollust hält gefangen? Ach, keine seiner Frauen wagt, Freiheit zu denken noch zu suchen. Bewacht von fühllosen Eunuchen, Verblühen sie, freudlos, geplagt Von Langerweile – nutzlos bleiben Sie zwischen Gittern aufgespart, Wie hinter den Gewächshausscheiben Arabiens Blumen man verwahrt. Die Tage, Monde, Jahre fliehen Vorüber ohne Ziel und Sinn, Und unbemerkt mit ihnen ziehen Schönheit und Liebeslust dahin. Nur Müßiggang regiert das Leben, Trübselig rinnt der Stunden Fluß, Nichts, was die Seele könnt erheben, Kein herzerfrischender Genuß! Nichts bleibt den schönen jungen Frauen Sich zu beschäftigen irgendwie, Kleider und Schmuck nur wechseln sie, Um sich im Spiegel zu beschauen. Untätig liegen sie und schwätzen Im Ahornschatten, wenn es schwül, Lustwandeln auch, sich zu ergötzen Um der Fontäne Wasserspiel.
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Doch ob sie gehen, stehen, liegen, Kein Wort von beßrem Liebesglück, Von eigenwilligem Vergnügen Entgeht dem Ohr, dem flinken Blick Des sie bewachenden Eunuchen. Ob sie ihn auch zu meiden suchen, Allüberall sehn sie ihn nahn. Unmöglich ist es, zu verletzen Ein einziges von den Gesetzen, Die aufgegeben ihm der Chan, Ernst nimmt er sie wie den Koran. Gleichgültig sind ihm all die Schönen, Er braucht die Liebe nicht, darum Mag man verspotten ihn, verhöhnen, Er trägt es wie ein Götze stumm. Verstohlne Blicke, Seufzer, Schmachten Und Tränen lernte er verachten. Er hat die Künste einer Frau, Ob frei, ob unfrei, ganz genau, Ihr listiges Wesen wohl erfahren Als Mann wie als Eunuch seit Jahren. Was ihm das schönste Glück einst schien, Hat keine Macht mehr über ihn. Lässig gelöst das üppige Haar, Sieht er sie, nackt wie die Najaden, Zur heißen Tageszeit beim Baden Ihm bieten ihre Reize dar. Mag die Fontäne sanft die Haut Der schön geschwungnen Schenkel streicheln, Die zarten Brüste sanft umschmeicheln, Mit kalten, toten Augen schaut Er’s an, bar jeglicher Gefühle. Grad so umschleicht er jede Nacht, Wenn er der Schönen Schlaf bewacht, 163
Im Harem ihre seidnen Pfühle. Lautlos geht er von Tür zu Tür, Um immer wieder nachzusehen, Ob sie gehorsam offenstehen, Getrieben nur von der Begier, Schlaftrunkne Seufzer zu erlauschen, Geständnisse, die sich die Frauen Im Flüsterton nachts anvertrauen, Geheime Pläne, die sie tauschen. Geht es um einen fremden Mann, Sofort erfährt’s durch ihn der Chan! Was also quält des Herrschers Seele? Die Wasserpfeife in der Hand, Die längst schon kalt und ausgebrannt, Träumt er noch fort. Seiner Befehle Harrt der Eunuch, der an der Tür Der Halle steht, vergeblich schier. Doch plötzlich sieht der Haremshüter Aufstehn den grübelnden Gebieter. Schon hat die Tür sich aufgetan, Zu seinen Frauen geht der Chan. Auf seidnen Teppichen erwarten Die Schönen ihren Herrn im Garten, Gruppiert um der Fontäne Rund, Schaun zu, wie sich im Marmorbecken Die Fische tummeln, sie zu necken, Lassen die Mädchen auf den Grund Des Beckens goldne Ringe fallen. Wenn dann, von Sklavinnen serviert, Scherbett umgeht in goldnen Schalen, Erschallt, wohlklingend intoniert, Um den Gebieter zu erbauen Das Haremslied der schönen Frauen. 164
Tatarisches Lied 1 Der Himmel schickt uns nicht nur Leiden, Er tröstet uns auch dann und wann. Wohl dem Fakir, der vorm Verscheiden Das heilige Mekka sehen kann. 2 Wohl dem, dem es bestimmt, zu enden Am Donaustrand zu Allahs Ruhm! Ein Engel trägt ihn auf den Händen Ins himmlische Elysium. 3 Doch dreimal wohl dem, der den Frieden Des Harems liebt! Der schönste Trost Ist, o Sarema, dem beschieden, Der dich, du Liebliche, liebkost! Doch sie ist nirgends zu erblicken, Die man die Zier des Harems nennt. Sarema kann kein Lied beglücken, Von all den Schönen fern, getrennt, Gleich einer Palme, vom Gewitter Zerbrochen, sitzt sie kummerschwer Im Winkel. Ach, ihr Los ist bitter! Der Chan Girej liebt sie nicht mehr. Wer aber wäre ihr vergleichbar, Ihr, die an Schönheit unerreichbar! Zweimal kann sie das üppige Haar Sich um die Lilienstirne winden, Und wo, wo war ein Augenpaar, 165
Das schwärzer als die Nacht, fürwahr, Doch klarer als der Tag, zu finden! Gibt’s eine Stimme, voller Glut, Die so in Wallung bringt das Blut? Wer könnt mit zärtlicheren Händen, Süßeren Küssen Liebe spenden! Und solche Reize könnt ein Mann, Treulos, wie es der Chan getan, Der sie solang geliebt, verachten! Man sieht ihn einsam jede Nacht Nach einer Polenfürstin schmachten, Die in den Harem er gebracht. Ihr gilt allein sein Tun und Trachten. Ach, Polens schönste Blüte war Maria, ehe sie als Beute Hierher verschleppte der Tatar Und unter seine Frauen reihte. Dem greisen Vater, welcher sie Die Freude seines Alters nannte Und keine größre Sorge kannte, Als daß ihr Glück sich trübte nie, Galt als Gesetz, ihr jeden Willen Nach bestem Wissen zu erfüllen. Den kleinsten Kummer wollte er Fernhalten ihren Kindheitstagen. Selbst nach der Hochzeit sollt sie sagen, Daß ihr so traumhaft niemals mehr Der Tage Flucht dahingeglitten, Daß sie noch nie ein Leid erlitten. Ein schönes Kind war sie, fürwahr, Recht für die Liebe auserlesen, Bezaubernd durch ihr sanftes Wesen, Durch ihre Anmut, wunderbar, Ihr schmachtend blaues Augenpaar. 166
Doch hatte ihr für dieses Leben So überreichlich die Natur Auch andere Gaben mitgegeben, Nicht körperliche Reize nur. Bewundrung fand ihr Harfenspiel Stets bei des Vaters Festlichkeiten, Wodurch sie um so mehr gefiel, Und Würdenträger um sie freiten Von höchstem Rang in großer Zahl Und Jünglinge voll Liebesqual. Doch sie, noch frei davon geblieben, Hatte sich ihre Mußezeit In spielerischer Fröhlichkeit Nur mit den Freundinnen vertrieben. So lebte sie – lang ist es her! –, Bis eines Tags in riesigen Scharen Nach Polen strömten die Tataren, So rasend wie ein wildes Meer. Mit solcher Schnelligkeit verbreitet Sich im Getreidefeld kein Brand, Kaum, daß die Sturmglocken geläutet, Lag halb verwüstet schon das Land. Verzagt war Adel, Bürger, Bauer, Das Land verstummt, bedeckt mit Schmach, Des Fürsten Schloß umweht von Trauer, Verwaist Marias Schlafgemach … Und in der alten Schloßkapelle Stand an der vorbestimmten Stelle Nunmehr ein neuer Sarkophag, In dem der Fürst bestattet lag. Ein schnöder Erbe residierte Jetzt in dem ehrwürdigen Schloß, Nachdem Maria mit sich führte Als Beute der Tatarentroß. 167
So war sie jetzt hierhergeraten, Die Fürstin, in dies Haremshaus, Um zu vergehen wie ein Schatten. Die Augen weinte sie sich aus. Durch ihre Seufzer, ihre Tränen Bewegt, verschonte sie der Chan Und zähmte seine Gier, der schönen Jungfrau in Lüsternheit zu nahn, Als ob ihn sein Gewissen plage. Drum schärfte er den Wächtern ein: „Stört dieser Frau nachts wie bei Tage Die Ruhe nicht! Laßt sie allein!“ So wagte keiner von den Wichten, Schamlos in ihr Gemach zu gehn, Zur Nacht das Bett ihr herzurichten Noch ihr beim Baden zuzusehn. Die Schöne aus- und anzukleiden War einer Sklavin nur erlaubt. Ja, alles wollt der Chan vermeiden, Was ihr den Frieden hätt geraubt; Weit fern vom üblichen Getriebe Des Harems lebte sie allein. Erwählt schien sie vom Chan zu sein Zum reinen Ideal der Liebe. Ein Bild der Heiligen Jungfrau war In ihrem Zimmer aufgestellt, Von einer Lampe wunderbar Bei Tage wie bei Nacht erhellt, Der Trauernden zu stiller Freude. Vor diesem Bilde betend, fand Sie täglich Trost in ihrem Leide, Erinnrung an ihr Heimatland. Ob alles rings im Sumpf der Sünden, In Wollust hemmungslos versank, Hier war – dir, Mutter Gottes, Dank! – Noch eine Heilige zu finden. 168
So fühlt ein Herz in allen Wirren Geborgen sich in Gottes Hand, Läßt durch kein Laster sich beirren Und wahrt der Liebe heiliges Pfand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Nacht brach an, auf Tauriens Felder Senkt sich herab der Dämmrung Flor; Fern unterm Dach der Lorbeerwälder Schluchzt leis der Nachtigallen Chor; Der Mond steigt schmachtend auf, vom Flimmern Der klaren Sterne dicht umkränzt, Und Täler, Hügel, Haine schimmern, Von seinem Silberlicht beglänzt. Gehüllt in weiße Schleier, schreiten Gestalten durch Bachtschissarai, Leichtfüßig, als ob Schatten gleiten, Ganz lautlos huschen sie vorbei, Die einfachen Tatarenfrauen, Von Tür zu Tür, von Haus zu Haus. Zur Mußezeit der ersten lauen Nachtstunden schwätzen sie sich aus. Doch da, wo Wollust und Vergnügen Nur herrscht, im Haremshause, wiegen Sich alle längst schon mit Behagen Im Schlaf, von Wächtern streng bewacht, Die argwöhnisch die ganze Nacht Kein Auge zuzumachen wagen. Und der den Rundgang grad gemacht, Nickt manchmal, ein, doch niemals lange. Bald ist er wieder aufgewacht, Sein Argwohn macht ihn ewig bange, So daß er nirgends Ruhe hat.
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Geraschel hört er stets im Dunkel, Heimliches Flüstern und Gemunkel, Er wittert überall Verrat. Auf springt er plötzlich, um zu lauschen, Doch wie er auch die Ohren spitzt, Sinnlos ist’s, daß er sich erhitzt, Nur die Fontäne hört er rauschen. Der Nachtwind weht nur sanft herbei Der Nachtigallen Rosenlieder, Und eingelullt ergibt aufs neu Sich der Eunuch dem Schlummer wieder. O Zauber einer duftdurchwehten Geheimnisvollen Orientnacht, Wo jede Stunde selig macht Die frommen Jünger des Propheten! Da spielt die Wollust auf zum Tanz, Gleicht jedes Haus, gleicht jeder Garten Dem Haremshaus, dem wohlbewahrten, Und in des milden Mondes Glanz Schwelgt jede Seele voll Verzückung In leidenschaftlicher Beglückung! . . . . . . . . . . . . . Nichts regt sich mehr im Haremshaus, Die Frauen schlafen … Einzig eine Ist wach, steht auf und schleicht hinaus, Steigt über des Eunuchen Beine, Der vor der Türe schlafend liegt – So scheint’s, jedoch der Anschein trügt. Gewiß hat er sie längst gesehen, Wenn er sich auch vorerst nicht rührt. Er läßt die Schöne ruhig gehen Und späht, wohin ihr Weg sie führt. . . . . . . . . . . . . . 170
Vor einer Pforte bleibt sie stehen, Um zögernd, wie von Furcht gebannt, Sich rasch noch einmal umzusehen, Dann greift sie flink mit banger Hand Zum Riegel und schiebt ihn zurück. Nicht Angst nur zeigt ihr scheuer Blick, Vor Staunen scheint sie zu erstarren, Während sie eintritt durch die Tür. Welch Wunder muß sie da gewahren! Fürwahr, entgegen leuchten ihr, Erhellt vom Ewigen Lämpchen trübe, Das Christenkreuz, ein Andachtsschrein. Die Jungfrau mit dem Heiligenschein, Symbole unirdischer Liebe! Erinnerungen wurden wach In Grusiens Tochter, als in Lauten, Vergessenen, doch tief vertrauten, All dies zu ihrer Seele sprach … Da sieht sie vorm Altare liegen Die Polenfürstin traumentrückt, Ein Lächeln auf den schönen Zügen Und Tränenspuren, kaum versiegt, Der Lilie gleich, die taubefeuchtet Im Silberlicht des Mondes leuchtet. Sarema, die Grusinierin, Der sie fast wie ein Engel schien – Ein Engel, der auch noch im Schlummer Beweint der Haremssklavin Kummer – Sank schluchzend vor ihr auf die Knie. „Erbarm dich meiner“, flehte sie. „Unsäglich habe ich gelitten, Erhöre mich, laß dich erbitten! …“ Maria, aus dem Schlaf geweckt Durch ihre Worte und ihr Weinen, Erhob sich staunend und erschreckt. Seltsam mußt ihr die Fremde scheinen. 171
„Wer bist du und was trieb dich her“, Rief sie, „zu dieser nächtigen Stunde?“ Sarema sprach: „Ach, allzuschwer Ist mir ums Herz! Ich geh zugrunde! Du bist es, die mich retten kann. Das Glück, das ich solang genossen, Ist wie ein Schatten mir verflossen. Ach, Schwester, hilf mir! Hör mich an! Weit fern von hier stand meine Wiege, Doch blieben mir in Herz und Sinn Tief eingeprägt die Wesenszüge, Die meine Heimat mir verliehn. Wie Glaube und Gesetz und Sitten Sind Wälder, Ströme, Bergeshöhn, Die staunend ich als Kind gesehn, Meiner Erinnrung nicht entglitten. Doch weiß ich nicht, wie es geschah, Daß ich mein Heimatland verlassen, Weiß nur: Ein Meer, ein Schiff war da, Ein Mann stand oben an den Brassen … Ich habe seitdem Angst und Leid In diesem Harem nie erfahren, Auf blühten hier in wenigen Jahren Die Reize meiner Weiblichkeit, Bereit, die Liebe zu erleben, Gehorsam, wie es unsre Pflicht. Enttäuscht ward meine Sehnsucht nicht. Der Chan, der Kriegslust lang ergeben, Kam eines Tags hierher zurück, Nach Frieden dürstend und nach Glück. Als wir uns dann vor ihm aufreihten, Erwartungsvoll, und er den Blick Ließ über unsre Reize gleiten, 172
Da konnte er nicht weitergehn, Nachdem er mir ins Aug gesehn. Er winkte mir … auf mich gefallen, Auf mich allein, war seine Wahl! Groß war mein Glück! Eifersuchtsqualen Trübten es nicht ein einzig Mal. Wir liebten uns mit allen Sinnen, Langweile hat uns nie geplagt Bis zu dem Tag, da du erschienen … Seitdem hat er sich mir versagt. Er geht umher mit düstren Mienen, Ich fühl’s, verstoßen hat er mich! Entbrannt ist er für dich, für dich! Wie kann ich ihn zurückgewinnen? Er spricht nicht mehr wie einst mit mir, Sein Herz will sich nicht mehr versöhnen, Lästig ist ihm mein Flehn und Stöhnen. Zwar seh ich keine Schuld bei dir … Jedoch bist du der Grund dafür. Nur deine Schönheit wurde hier Im Harem zum Verhängnis mir; Doch nimmermehr kannst du dich messen Mit mir in wahrer Liebesglut! Umsonst erregst du nur sein Blut! Ich, die von Wollust ganz besessen, Die ich dazu geboren bin, Kann seine Küsse nie vergessen! Drum schlage ihn dir aus dem Sinn! Mein ist er! Er hat’s selbst beschworen Durch einen fürchterlichen Eid! Eins sind wir und in Ewigkeit! Ich stürbe, war er mir verloren! … Hier, Schwester, laß mich knien vor dir, Sieh meine Tränen, hör mein Flehen: Laß meines Lebens Freude mir! Bevor das Unheil noch geschehen, 173
Stoß ihn zurück, gib dich nicht hin! Erweich durch Bitten seinen Sinn! Versprich mir fest, ihn zu verschmähen! Schwör mir (obgleich ich dem Koran Zulieb wie meinem Herrn, dem Chan, Entsagte meinem einstigen Glauben, Der heute noch der deine ist), Schwör mir beim Kreuz als frommer Christ Girej Sarema nicht zu rauben! … Doch wisse wohl und glaube mir: Hältst du nicht, was du mir geschworen, Dann gibt mein Dolch die Antwort dir! Ich bin im Kaukasus geboren!“ Maria, noch ganz unberührt Von Leidenschaften, schwieg verwirrt. Bevor sie Worte noch gefunden, War die Rivalin schon verschwunden. Doch klang ihr lang noch nach im Ohr Die Drohung, die sie mußte hören. Wie sollte sie von sich abwehren Die Rache, die Sarema schwor, Wenn sie sich nicht entzog der Schande, Als Haremsweib in diesem Lande Zu dienen? – Stand ihr doch bevor, Wollt sie dem Chan sich nicht hingeben, Daß er beenden würd ihr Leben Vorzeitig hier in dem Verlies! Wie gern, wie gerne wollt sie scheiden Aus dieser kummervollen Welt, Wo sie verlor der Jugend Freuden, Wo alle Hoffnung ihr vergällt. Was hat sie hier noch zu erwarten? Für sie ist es zum Sterben Zeit.
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Die Ihren stehn in Gottes Garten Schon lächelnd zum Empfang bereit. . . . . . . . . . . . . . Die Tage schwanden, und mit ihnen War dieser Erde bald entflohn Maria und vor Gottes Thron Als holder Engel längst erschienen. Was führte ihren Tod herbei? War es die Schmach der Sklaverei, Hat Krankheit sie der Welt entrissen? Saremas Dolch? Wer mag es wissen? Verödet liegt heut der Palast, Verstummt sind längst der Schönen Lieder … Der Chan Girej verließ ihn wieder. Manch fremdes Land hat er durchrast Seitdem mit seinen wilden Scharen. Jedoch im Herzen des Tataren Hat einer andren Flamme Glut Freudlos geschwelt, erhitzt sein Blut. Es heißt, daß er oft in Gefechten, Den Säbel schwingend in der Rechten, Den Arm ließ sinken jäh im Schwung, Als lähmte ihn Erinnerung … Daß dann sein Blick ins Weite irrte Und er seltsame Worte sprach, Als ob sich sein Verstand verwirrte, Daß er in Tränen gar ausbrach … Die Haremsfraun, verschmäht, vergessen Vom Chan, verblühten unterdessen, Sinnlos, so wie bisher, bewacht Von den Kastraten Tag und Nacht. Sie sterben alle hin allmählich, Wenn sie ein Wächter nicht alsbald 175
Zur Strafe wie Sarema schmählich Ertränkte heimlich mit Gewalt. Wofür sie solche Strafe litt? Von ihrer Schuld gibt’s keine Kunde, Jedoch geschah’s zur selben Stunde, Als aus der Welt Maria schied. Der Chan, zur Krim nach vielen Jahren In seinen Harem heimgekehrt Von Rußland, wo durch seine Scharen Manch Dorf verbrannt ward und zerstört, Ließ zum Gedächtnis an die schöne Gefangne aus dem Polenland Erbaun die marmorne Fontäne An des Palasts entlegnen Rand. Halbmond und Kreuz gemeinsam schmücken Die Kuppel (wahrlich ein Symbol, Nicht minder töricht als frivol!) Und eine Inschrift zeigt den Blicken Des Wandrers sich, vom Zahn der Zeit Kaum angenagt, lesbar noch heut. Und hinter diesen fremden Zeichen Rieselt das Wasser und verfließt, Der Flut der Tränen zu vergleichen, Die eine Mutter stumm vergießt, Wenn ihr der Krieg den Sohn entrissen. Die um die Vorgeschichte wissen, Die jungen Mädchen hier im Land, Haben, gedenkend an die schöne Gefangne, die den Tod hier fand, Das düstre Denkmal „Die Fontäne Der Tränen“ drum seither genannt. Ich selber kam, als mir der Norden Schon längst zuwider war geworden, 176
Hierher zu süßer Träumerei. Ich streifte durch die öden Hallen Des Schlosses von Bachtschissarai, Längst menschenleer nun und verfallen, Wo einst in Lust und Müßiggang, Ausruhend von den Beutezügen, Der stürmische Tatar versank. Ein Hauch von Wollust und Vergnügen Strömt noch aus jedem Winkel heut. Hoch ranken sich aus jener Zeit Rebstöcke noch, und Rosen schimmern, Fontänen plätschern, golden flimmern Und glitzern sieht man’s überall In den Gemächern an den Wänden. Manch Gitter trotzt noch dem Verfall, Wo, Bernsteinkränze in den Händen, Seufzend die Schar der Schönen saß Und wahrer Liebe Glück vergaß. Den Friedhof habe ich betrachtet, Die Säulen, drunter manch ein Chan Begraben liegt, vom Tod entmachtet, Gekrönt vom marmornen Turban. Was Macht und Schönheit sollt bekunden, Ist klägliche Vergangenheit, Die stolzen Chane sind verschwunden Mit ihres Harems Herrlichkeit. Doch war’s nicht das, was mich indessen Erregte – hier, wo rings die Luft Voll Wasserrauschen, Rosenduft, Könnt man des Todes bald vergessen. Statt dessen kam mir in den Sinn Ein Bild aus weniger fernen Zeiten, Wie einen Schatten sah ich’s gleiten Auf allen Wegen vor mir hin … . . . . . . . . . . . . . 177
Doch wessen Bild mocht unausweichlich Verfolgen mich an diesem Ort, Erregte süß und unvergleichlich Betörend mir die Sinne dort? War es Marias reine Seele, War es Sarema, welche mir Gleichsam wie ein Phantom der Hölle Als Rachegeist erschienen hier? Ach, keine war es von den beiden! Sie lebt ja noch, die mir erschien, Noch immer zieht’s mich zu ihr hin, Seitdem ich mußte von ihr scheiden … Jedoch wozu rufst du, du Tor, Hier als Verbannter neu hervor Den Schmerz um sie! Ihn zu besiegen, Sollt dies Poem hier dir genügen, Hast hier unseliger Liebe Glut Aufrührerisch genug bedichtet, Für alle Zeit genug Tribut Ihr, die dich quält, damit entrichtet – Gefangner einst, jetzt fern von ihr, Willst du die Kette weiter küssen, Ausschreien deinen Wahn auch hier? Wozu soll alle Welt es wissen? Lebt wohl, ihr Ufer des Salgir! Will Ruhm und Liebe denn hienieden Vergessen! – Dichtkunst nur und Frieden Sei meines Lebens Elixier! Bald werde ich euch wiedersehen, Taurische Wellen, und am Hang Des steinigen Meeresufers stehen Erinnerungsvoll, das Herz voll Dank. Zaubrisches Land, so voller Leben! Wald, Hügel, Tal in bunter Pracht. 178
Rubinrot, bernsteingelb die Reben, Zur Augenweide uns gemacht. Die Pappeln, der Gewässer Kühle, Sie locken in die Berge weit Zur wolkenlosen Morgenzeit Den Reiter zu dem fernsten Ziele, Solang sein Pferd ihn tragen mag, Den Uferweg entlangzujagen, Wo Wogen brandend sich zerschlagen Am Felsenfuß des Aju-Dag.
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Die Zigeuner
Durch Bessarabiens Steppen streicht Geräuschvoll der Zigeuner Bande. Die Nacht hat sie am Fluß erreicht, Zerfetzte Zelte stehn am Strande. Das Lager ist, der Freiheit Bild, Froh unterm Himmel aufgeschlagen, Des Feuers Schein umleuchtet mild Die Räder halbbedeckter Wagen. Das Abendessen wird gemacht, Die Pferde gehn auf offnem Felde, Ein zahmer Bär liegt unbewacht In Freiheit hinter einem Zelte. Von Leben rauscht die Steppe weit, Geschäftig macht man sich bereit, Sich früh von dannen zu bewegen. Dort singt ein Weib, ein Knabe schreit, Der Amboß tönt von lauten Schlägen. Doch währt’s nicht lang. Es senkt sich schnell Der Schlummer auf das Lager nieder; Nur Pferdewiehern, Hundsgebell Hallt in der stillen Steppe wider. Die Feuer löschen langsam aus, Rings tiefe Ruh, der Mond alleine Schaut sich vom hohen Himmelhaus Das Lager an mit bleichem Scheine. In einem Zelt noch wacht ein Greis Allein; sich wärmend, schürt er leis Der halberloschnen Kohlen Gluten 183
Und blickt ins ferne Feld, drauf weiß Die nachtentstiegnen Nebel fluten. Der Tochter harrt er, die im Feld Umherstreift; wohl ist ihm nicht bange: Er weiß, sie fügt sich keinem Zwange Und kommt und geht, wann’s ihr gefällt. Doch schon ist’s Nacht, und seine Reise Durchs Wolkenmeer vollendet halb Der Mond; indessen wird dem Greise Das kümmerliche Nachtmahl kalt. Doch sieh! Da kommt sie schon! Und einer Begleitet sie, ein junger Mann. Wer ist’s? Im Lager kennt ihn keiner! „Hier kommt“, so hebt das Mädchen an, „Ein Gast; ich traf ihn bei den Pferden Weit draußen, und für diese Nacht Hab ich ins Lager ihn gebracht. Er will gleich uns Zigeuner werden. Vor dem Gesetze mußt er fliehn, Ich aber will ihn freundlich pflegen. Aleko heißt er, mit mir ziehn Will er hinfort auf allen Wegen.“ Der Alte Willkommen! Bleib in unserm Zelt Bis morgen. Wenn es dir gefällt, Magst du noch länger hier verweilen. Mit uns dann sollst du Dach und Brot Und unsre arme Freiheit teilen. Früh mit dem ersten Morgenrot Wird ein Gespann uns weitertragen. Welch Handwerk würde dir behagen? Wie du’s beschließest, soll es sein: Kannst Eisen schmieden, singen, geigen. Im Dorf des Bären Künste zeigen. 184
ALEKO Ich bleibe bei euch. SEMFIRA Er ist mein! Ganz mein! Und niemand trennt uns wieder! Doch es ist spät … Des Mondes Schein Verblaßt. Das Feld hüllt Nebel ein, Und Schlaf bewältigt meine Glieder … Es tagt. Der Alte wandelt leise Ums Zelt, darin noch alles schweigt. „Semfira, auf! Zeit ist’s zur Reise! Wach auf, mein Gast, die Sonne steigt! Erhebet euch vom weichen Pfühle! …“ Und rings ein emsiges Gewühle. Es regt sich rührig klein und groß, Die Zelte werden abgebrochen, Hier noch ein Hämmern, dort ein Pochen, Und langsam vorwärts geht der Troß. Die Esel schleppen an den Seiten Tragkörbe, von den Kindern schwer, Und Väter, Mütter, Brüder schreiten In langem Zuge hinterher. Gelächter, Schreien, wilde Lieder, Der Hunde Heulen und Gebell, Der Greise, Kinder nackte Glieder, Der Weiber Lumpen, bunt und grell, Des Bären ungeduld’ges Brummen, Der Kette zorniges Geklirr, Des Dudelsackes dumpfes Summen, Der Wagen knarrendes Gewirr – Ein unharmonisches Gemenge, Doch so bewegt, so farbenreich, So lebensvoll, so wenig gleich Der Städte müß’gem Lustgepränge, 185
Das tot und starr und monoton Wie Sklavensang in harter Fron. Der Jüngling wandte das Gesicht Der Steppe zu in bangem Schauer, Doch was die Ursach seiner Trauer, Sich selbst zu deuten, wagt er nicht. Semfira geht an seiner Seite. Er zieht hinaus, hinaus ins Weite; Hoch über sich in heitrer Lust Sieht er des Südens Sonne schweben … Was macht des Jünglings Herz erbeben? Welch stiller Gram füllt seine Brust? Vöglein kennt, von Gott geborgen, Keine Mühsal und kein Leid, Und sein Nestlein ohne Sorgen Baut sich’s nicht für lange Zeit. Duckt sich in die Zweige nieder, Schlummert, bis der Morgen winkt; Hört es Gottes Stimme wieder, Flattert’s froh empor und singt. Nach dem Lenz, dem schönen, milden, Schwindet schnell des Sommers Glut, Und der Spätherbst bringt die wilden Stürme, Nebel, Regenflut. Menschenherz will fast verzagen, Vöglein eilt vom rauhen Strand Übers Meer mit Flügelschlagen Fernhin in ein wärmres Land. Wie dieses kleine Vöglein kannte Auch er, der Flüchtling, der Verbannte, Kein dauerhaftes, sichres Nest, Nichts hielt mehr seine Seele fest. 186
Er fragte nicht nach Ziel und Wegen, Gleich schlief er überall bei Nacht Und pflegte, wenn er früh erwacht, Den Tag in Gottes Hand zu legen; Mit seiner Not ihn zu erregen, Besaß das Leben keine Macht. Vorzeiten hat auch ihm geflimmert Des Ruhmes Stern mit falschem Schein Und Glanz und Reichtum hell geschimmert – Nun blieb Erinnrung ihm allein. Und bei der Elemente Grollen, Bei Blitzesstrahl und Sturmeswind, Schlief er, gewiegt von Donners Rollen, So sanft und sorglos wie ein Kind. Die Macht des blinden, launenhaften Geschicks erkannt er nimmer an … Und doch! Wie war den Leidenschaften Einst seine Seele Untertan! Wie schäumten sie im Wogendrange Durch seine Brust, nun müd und schwach. Sie schlummerten – wer weiß, wie lange? Geduld! Bald sind sie wieder wach! SEMFIRA O sag, mein Freund, was du für immer Verlassen, hat’s dich nie gereut? ALEKO Verlassen? Was? SEMFIRA Versteh, den Schimmer Der Stadt und ihre Herrlichkeit. ALEKO Bereuen?’ Oh, daß in der Nähe Ein einzig Mal dein Auge sähe 187
Der dumpfen Städte Sklaverei! Die Mauern drücken dich wie Grüfte, Nicht wehen kühle Morgenlüfte, Und keine Wiese blüht im Mai. O sähest du, wie man der Liebe Sich schämt, vor Götzen niederfällt, Gedanken jagt, der Seele Triebe Verkauft für Ketten und für Geld … Was gab ich hin? Verrates Tücke Und niedrige Verstellungskunst, Der Großen neiderfüllte Blicke, Des Pöbels schmacherkaufte Gunst. SEMFIRA Allein die prächtigen Paläste, Die Teppiche, so bunt gestickt, Die Mädchen alle, reich geschmückt, Und Tanz und Spiel und üpp’ge Feste. ALEKO Was soll mir diese Fröhlichkeit? Wo Liebe fehlt, fehlt auch die Freude. Die Mädchen überstrahlst du weit Auch ohne Perlen und Geschmeide. O bleib, Geliebte, wie du bist, Der einz’ge Wunsch des Flüchtlings ist, In deiner holden Näh zu weilen Und Leid und Lust mit dir zu teilen. DER ALTE Du liebst uns, bist du gleich ein Mann Aus eines reichen Volkes Mitte; Doch preist nicht jeder unsre Sitte, Der jenem Leben zugetan. Die Sage geht in unserm Lande, Daß fern von Süden her ein Zar 188
Einst einen Mann zu uns verbannte. (Sein Name klang so sonderbar, Und ich vergaß, wie er sich nannte.) Er war schon alt, sein Haar war bleich, Doch jung und lebensfrisch die Seele, Und rauschendem Gewässer gleich Entströmten Lieder seiner Kehle. Und lieb gewann ihn jedermann. So lebt’ er still am Donaustrande, Und keinem tat er Leides an. Gern lauschte ihm das Volk im Lande. Doch furchtsam, ungeschickt und schwach, War er dem Kinde zu vergleichen, Statt seiner stellten andre nach Dem Wild in Steppe, Wald und Teichen. Und wenn der Wintersturm zu Eis Erstarren ließ des Stromes Welle, Dann hüllten sie in zott’ge Felle Mit Sorgsamkeit den heil’gen Greis. Doch nie vermocht er sich zu fügen Ins Los der Armut, schlich umher Mit bleichen abgehärmten Zügen … Er sprach, daß Gott im Zorne schwer Ihn heimgesucht für ein Vergehen. Stets hofft’ er, sich erlöst zu sehen, Und sehnsuchtsvoll am Donaustrand Irrt’ er allein mit trüben Sinnen, Und seine Tränen sah man rinnen, Gedacht er an sein Heimatland … Und sterbend bat er noch, gen Süden Zu tragen sein entseelt Gebein, Daß in der Heimat man den müden, Im fremden Lande ohne Frieden Entschlafnen Körper scharre ein.
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ALEKO O Roma, das die Welt bezwungen, Sieh deiner Söhne Schicksal hier! Was ist der Ruhm? O sag es mir, Der Lieb und Götter du besungen! Ein letzter kurzer Grabgesang, Ein Märchen in des Volkes Munde, Des Wüstensohnes dürft’ge Kunde An moosbewachsnem Felsenhang … Zwei Jahre sind dahingeschwunden, Und noch ist alles, wie es war. Noch zieht Aleko treu verbunden Durchs Land mit der Zigeuner Schar. Von allem Bildungszwang entladen, Auf sich allein gestellt und frei, Fühlt er sich eins mit den Nomaden, Kennt keine Sorgen, keine Reu; Nicht denkt er an vergangne Tage, Teilt der Genossen Lust und Plage, Ihr Wanderleben ward ihm traut. Er liebt es, unterm Zelt zu liegen, In trunkner Faulheit sich zu wiegen, Liebt ihrer armen Sprache Laut. Der Bär, dem heimischen Gehege Entführt, sein Zeitgenosse ward, Und wenn ein Dorf am Steppenwege Die Schar berührt auf ihrer Fahrt, Dann schlägt der Greis die Becken träge, Auf seinen Stab gestützt. Es drängt Das Volk herbei und steht im Kreise. Aleko singt eintön’ge Weise, Laut brüllt der Bär, vom Druck beengt Der läst’gen Kette, die ihn lenkt. Und dreht sich, stampft und wirft sich nieder 190
Indessen schreitet hin und wieder Semfira durch der Bauern Reihn Und sammelt ihre Gaben ein. Und abends kochen sie zusammen Sich Hirse von dem fremden Feld. Der Alte schlummert ein. Die Flammen Verglimmen. Dunkel ist das Zelt. Der Alte wärmt im Sonnenscheine Sein Blut, das nur noch träge schleicht. Semfira singt und wiegt das Kleine, Aleko hört es und erbleicht. SEMFIRA Alter Mann, böser Mann, Schneide mich, senge mich, Fest bin ich, fürchte nicht Feuersglut, Messerstich. O wie hasse ich dich, Wie verachte ich dich! Und ich weiß, wer mich liebt, Lieb ihn auch ewiglich! ALEKO Sei still, das Lied ist mir zuwider, Die wilden Weisen ekeln mich! SEMFIRA Gleichviel, ich singe meine Lieder Für mich allein und nicht für dich! Schneide mich, senge mich, Stumm bin ich, rede nicht. 191
Alter Mann, böser Mann, Du findest ihn nicht! Frischer als Frühlingswehn, Heißer als Sonnenglut – Wie er jung ist und kühn, Wie ist er mir so gut! O wie herzte ich ihn In der stilldunklen Nacht! Und wie haben wir zwei Deines Graukopfs gelacht! ALEKO Semfira, schweig, ich will nicht hören! SEMFIRA Hast du das Lied verstanden, sprich? DER ALTE Semfira! SEMFIRA Magst dich nur empören! Mit meinem Liede meint ich – dich! Sie geht fort und singt vor sich hin: „Alter Mann, böser Mann!“
DER ALTE Ja, ich erinnre mich, vorzeiten Vernahm ich dieses Lied zuerst, Wie du es von den jungen Leuten Noch heutzutage singen hörst. Im Steppenlager am Kagule, Zur Winterszeit am Feuerschein Sang einst es meine Mariule Als Wiegenlied dem Töchterlein. 192
Dem Geiste werden trüb und trüber Die Bilder der Vergangenheit, Doch unauslöschlich tönt herüber Dies Lied mir aus der Jugendzeit. Still alles. Nur am dunkelblauen Südhimmel strahlt des Mondes Licht. Semfira weckt den Greis und spricht: „Aleko, Vater, macht mir Grauen! Hörst du? Im Schlafe stöhnt er schwer Und schluchzt und wälzt sich hin und her.“ DER ALTE Rühr ihn nicht an, er muß es tragen. Es währt nicht lang. Die Russen sagen, Daß um die Mitternacht oft schwer Den Schlummernden der Kobold drücke, Doch mit dem ersten Tagesblicke Verschwinde. Setze dich hierher. SEMFIRA Horch, meinen Namen nannt er eben! DER ALTE Sogar im Schlafe sucht er dich! Du bist ihm teurer als das Leben. SEMFIRA Doch kalt läßt seine Liebe mich. Frei will das Herz sich binden, trennen, Und schon … Doch stille! Hörst du wohl Ihn einen andern Namen nennen? DER ALTE Ei, welchen? 193
SEMFIRA Horch, wie ächzt er hohl Und knirscht in Wut! Ich kann’s nicht hören! Ich weck ihn, Vater! DER ALTE Nein! Nicht stören! Der Geist will nicht vertrieben sein. Er geht von selbst … SEMFIRA Sieh! Er erhebt sich! Er ruft … Das offne Aug’ belebt sich … Ich muß zu ihm. Schlaf ruhig ein. ALEKO Wo warst du? SEMFIRA Bei dem Vater drüben. Es hat die Angst mich fortgetrieben … Ein böser Geist war über dir. Du schriest und stöhntest, riefst nach mir Und knirschtest wütend mit den Zähnen. Da sprang ich auf … ALEKO Dir galt mein Traum! Und zwischen uns ließ er mich wähnen … O grauenvoll! Ich faß es kaum! SEMFIRA Glaub den Gesichten nicht, sie lügen. ALEKO Ich glaube keinem Traumgesicht, Ich glaub nicht deinen holden Zügen, Selbst deinem Herzen glaub ich nicht. DER ALTE Was klagst du, junger Unverstand? So weit als deine Blicke schauen, 194
Ist blau der Himmel, grün das Land, Die Männer frei und schön die Frauen. So sprich, was macht das Herz dir schwer? ALEKO Sie liebt, o Vater, mich nicht mehr. DER ALTE Du grämst dich ohne Überlegung. Bedenke doch – sie ist ein Kind. Du liebst mit schmerzlicher Bewegung, Des Weibes Herz ist leicht gesinnt. Sieh unterm weiten Himmelsbogen Den Mond lustwandeln sonder Zwang, Und allen Wesen gleich gewogen, Schenkt er sein Licht auf seinem Gang. Frei durch die Wolken will er wandern, Jetzt leiht er jener seinen Schein – Doch sieh! Schon ist er bei der andern Und laßt auch diese bald allein. Wer wird, zum Himmel deutend, wagen Zu sprechen: „Bleibe, Mondeslicht!“ Wer wird zum Mädchenherzen sagen: „Nur einen liebe, wanke nicht!“ Beruh’ge dich! ALEKO Wie sie mich liebte! O wenn sie nachts an meiner Brust, Wenn alles schwieg, in sel’ger Lust Das holde Spiel der Liebe übte. Wie kindlich heiter war ihr Scherz! Ließ sie mich ihren Reden lauschen, An ihren Küssen mich berauschen, Wie löste sich mein Seelenschmerz! Im Augenblick war er verflogen! 195
Und heut? Erkaltet ist ihr Herz! Es hat Semfira mich betrogen! DER ALTE Vernimm denn meines Lebens Mär, Du Eigensinn’ger. Lang ist’s her. Die moskowitischen Armeen Bedrohten noch die Donau nicht. (Der Gram ist alt, weit rückwärts gehen Muß mein Gedächtnis beim Bericht.) Den Sultan der Türkei erkannte Das Volk als seinen Herrscher an, Und seine Macht vertrat im Lande Der Pascha noch von Akkerman. O Zeit der Jugend, Zeit der Blüte! In meinen schwarzen Locken war Noch nicht ein einz’ges weißes Haar. Und meine Seele schäumte, glühte! Da traf ich in der Mädchen Schar Die eine – wie zur Sonne blickte Ich lange scheu zu ihr empor – Bis sie den Flehenden beglückte Und mich zu ihrem Freund erkor. Schnell, wie ein Stern am Himmelsbogen Hinabstürzt in den weiten Raum, War meine Jugendzeit verflogen, Doch schneller noch mein Liebestraum. Ach, nur ein Jahr war Mariule Die Meine, nur ein kurzes Jahr! Einst stießen wir an dem Kagule Aufs Lager einer fremden Schar. Zwei Nächte blieben wir zusammen, Uns wärmend an den gleichen Flammen; 196
Doch als sich in der dritten Nacht Das fremde Volk davongemacht, Zog Mariule mit ins Weite. Leichtfert’gen Sinnes ließ sie mich Und unser Töchterlein im Stich. Erwacht, sah ich an meiner Seite Das Lager leer. Wo ist sie nur? Ich suche, rufe … keine Spur … Semfira weinte voller Bangen. Ich weinte mit … Seit jener Zeit Trug ich nach keinem Weib Verlangen, Nie hat mein Blick seitdem gefreit. Mit keiner hab ich mich verbunden, Und meine einsam freien Stunden Hab ich mit niemand mehr geteilt. ALEKO Und du bist ihr nicht nachgeeilt? Du gabst die Flüchtigen verloren, Statt ihr und ihm den Dolch zu bohren In die verräterische Brust? DER ALTE Wozu das? Luft’ger als die Schwingen Des Vögleins ist der Jugend Lust. Wer könnte sie zur Liebe zwingen? Ein flücht’ger Gast nur ist das Glück, Und was verging, kehrt nie zurück. ALEKO So denk ich nicht. O nein! Ich lasse Niemals von meinem guten Recht, Bis ich mich an dem Feind gerächt, Verfolg ich ihn mit meinem Hasse. Säh ich den Schlafenden am Meer Hoch über schroffen Felsenwänden, 197
Allein und ohne jede Wehr, Hinab zur Tiefe würde senden Ihn mein erbarmungsloser Fuß! Und hören sollt er im Erwachen Des Gegners triumphierend Lachen Als letzten graus’gen Abschiedsgruß. EIN JUNGER ZIGEUNER Noch einen Kuß nur, eh wir gehen! SEMFIRA Zeit ist’s: mein Mann ist bös und schlimm. DER ZIGEUNER Noch einen werd ich doch erflehen! SEMFIRA Den Abschiedskuß, du Böser, nimm! DER ZIGEUNER Wann werden wir uns wiedersehen? SEMFIRA Noch heute, senkt der Mond sein Licht Dort auf den Totenhügel nieder … DER ZIGEUNER Kommst du auch wirklich? Täuschst mich nicht? SEMFIRA Da ist er! … Fort! … Ich kehre wieder. Aleko schläft. Ein wilder Traum Zeigt ihm Semfira. Voller Schrecken 198
Fährt er empor und wagt es kaum, Nach ihr die Hände auszustrecken. Doch es erfaßt die zage Hand Nur die zerwühlten kalten Decken. Die Freundin hat sich ihm entwandt … Er lauscht, er will sich selbst nicht trauen. Rings alles still. Ein banges Grauen Durchströmt ihm heiß und kalt das Blut; Rasch hat er Bett und Zelt verlassen, Er schreitet durch der Wagen Gassen. Die Felder schweigen. Alles ruht. Matt blinken hie und da die Sterne; Der Mond versank in Nebelgrau, Und eine leichte Spur im Tau Führt nach den Hügeln in der Ferne. Er geht, von Ungeduld bewegt, Wohin die Unglücksspur ihn trägt. Und vor sich, an des Weges Grenzen, Sieht er mit ahnungsvollem Sinn Die bleichen Grabeshügel glänzen Und schleppt den matten Fuß dahin. Die Lippen beben. Es ermatten Die Knie. Plötzlich – ist’s ein Traum? – Sieht er zusammenstehn zwei Schatten, Vernimmt ein Flüstern, hörbar kaum, Auf den entweihten Grabeshöhen … EINE STIMME ’s ist Zeit … EINE ZWEITE STIMME O bleib! DIE ERSTE
Wir müssen gehen. 199
DIE ZWEITE O bleibe, bis der Morgen lacht! DIE ERSTE Spät ist’s. DIE ZWEITE Die Liebe darf nicht beben. Verweile noch! DIE ERSTE
Es gilt das Leben.
DIE ZWEITE Verweile! DIE ERSTE Wenn mich in der Nacht Mein Mann vermißt … ALEKO Ich bin erwacht! Wohin? Ihr wolltet doch verweilen? Hier ist das Grab! Ihr könnt es teilen! SEMFIRA Geliebter, flieh! Entflieh! … ALEKO Halt an! Wohin so eilig, junger Mann? Du, meiner Liebe schöner Erbe, Nimm das! Er ersticht ihn.
SEMFIRA
Aleko!
DER JUNGE ZIGEUNER Weh! Ich sterbe! 200
SEMFIRA Aleko! Weh, aus seiner Brust Strömt Blut – und deine Hände bluten! Was tatest du? ALEKO Was ich gemußt. Jetzt wärme dich an seinen Gluten. SEMFIRA Nein, ich verachte deine Wut, Ich spotte deiner wilden Triebe. Fluch dir um das vergoßne Blut! ALEKO So stirb auch du! Ersticht sie. Semfira
Ich sterb und liebe!
Der Osten glüht im Frührotscheine. Den Dolch noch immer in der Hand, Sitzt auf des Grabmals kaltem Steine Der Mörder. Antlitz und Gewand Sind blutbespritzt. Die beiden Leichen Zu seinen Füßen, wie gebannt, Starrt er sie an. Verstört umschleichen Ihn die Zigeuner. Nebenan Gräbt man das Grab. Die Weiber schreiten In langem Trauerzug heran Und küssen auf das Aug die beiden. Fern von den andern, wie entrückt, Sitzt stumm der Alte da und blickt Zu seinem toten Kind hinüber. Die Leichen tragen sie zum Grab Und senken langsam sie hinab Und wölben stumm den Hügel drüber. 201
Aleko gab auf alles acht, Doch als die letzte Hand sich leerte Vom Staube, den sie dargebracht, Sank er mit dumpfem Fall zur Erde. Da trat der Greis zu ihm heran Und sprach: „Verlaß uns, stolzer Mann. Bei uns, der Wildnis freien Söhnen, Gibt’s keine Folter, kein Gericht. Nicht lechzen wir nach Blut und Tränen, Doch dulden wir den Mörder nicht. Du taugst nicht für das wilde Leben: Es soll nur dir die Freiheit geben. Du bist voll Stolz und Rachbegier, Doch friedlich sanft sind unsre Sitten. Das Band ist zwischen uns zerschnitten. Leb wohl! Und Friede sei mit dir!“ Der Alte sprach’s. Und von der Heide Hebt sich des Lagers bunter Schwarm, Im lauten Treiben schweigt der Harm. Auf bricht der Zug. In blauer Weite Entzieht er langsam sich dem Blick. Ein Wagen bleibt allein zurück, Den Plan bedeckt mit grauem Linnen. So in des Herbstes rauhem Wehn, Wenn über Land und über Seen, Den milden Süden zu gewinnen, Laut schreiend sich ein später Zug Von Kranichen erhebt zum Flug, Bleibt einer mit zerschoßnem Flügel Betrübt zurück am fremden Hügel. Nacht ward es. Dunkel blieb und tot Der Wagen, den kein Feuer hellte, Und unterm Dach im Wanderzelte Schlief keiner bis zum Morgenrot. 202
Epilog
Der Dichtung zauberisches Walten Erweckt aus der Vergessenheit Zu neuem Leben die Gestalten Aus froher wie aus trüber Zeit. Auf jener blutgedüngten Erde, Die lange scholl von Kriegsgeschrei, Wo seine Grenzen mit dem Schwerte Rußland gewiesen der Türkei, Wo noch mit ungeschwächten Schlägen Sich unsers Adlers Schwingen regen – Auf Trümmern der Vergangenheit Traf ich, von meinem Weg verschlagen, Der freundlichen Zigeuner Wagen Und fand erbetne Gastlichkeit. Ich schloß mich ihnen an. Die Reise Ging tief ins Steppenland hinein. Mit ihnen teilt ich Trank und Speise Und schlief an ihren Feuern ein. Und ihrer Lieder frohem Klange Lauscht ich mit tiefbewegtem Sinn, Und zärtlich flüsterte ich lange Mariulens Namen vor mich hin.
203
Doch ach! Es zieht auf leichten Wagen Das Glück mit euch nicht durch die Welt, Und böse Traumgesichte plagen Den Schläfer im geflickten Zelt. Verworrne Leidenschaften halten Gefesselt auch den Steppensohn, Und des Geschickes strengem Walten Ist noch kein Irdischer entflohn.
204
Graf Nulin
Das Horn erschallt: Heraus! heraus! Kaum dämmert’s, sind die Jägersleute Im Sattel; vor dem Herrenhaus Zerrt an der Koppel wild die Meute. Am Treppenpfeiler tritt ins Licht Der Herr; er schaut auf Hof und Hürde; Aus dem zufriedenen Gesicht Spricht eine angenehme Würde. Er schaut, die Hand am Gürtel, stumm, Im grünen Wams ein Fläschchen Rum, Im Gurt ein Messer, türkisch krumm, Ein schmuckes Horn an bronzner Kette. Im Häubchen, leicht zerknüllt vom Bette, Verschlafnen Auges, blickt sein Weib Durchs Fenster zornig aufs Getreib Im Hof. Die Hand an Schopf und Zügel, Springt – hopp! – ihr Mann aufs Pferd, im Nu Trifft sein geübter Fuß den Bügel; „Wart nicht auf mich!“ ruft er ihr zu, Verschwindend hinterm Scheunenflügel. Ende September ist die Zeit (Die dürftige Prosa mir verzeiht!) Der Langweil auf dem Land. Die Sonne Verblaßt, es stürmt und regnet. Schmutz, Kaltnasser Schnee. Doch welche Wonne Lacht da dem Jägersmann! Voll Trutz Streift er durchs Feld, dem Sturme lauschend; 207
Schläft dort, wohin der Gaul ihn trug, Und flucht, durchnäßt, sich neu berauschend An seinem räuberischen Zug. Was aber macht die junge Gattin Daheim, verlassen von dem Gatten? Nun, recht viel Mühe hat auch sie: Salzt Pilze, sorgt fürs Federvieh, Schaut in den Keller, muß ersinnen Das Mittags- und das Abendbrot, Prüft Fensterscheiben und das Linnen: Der Hausfrau Aug tut immer not. Doch unsre Heldin (ach! zu sagen Vergaß ich, wie sie hieß: ihr Mann Nannte Natascha sie, wir wagen Das nicht und nennen sie fortan Natalja Pawlowna) beschweren Nicht Hausfraun-Sorgen, Alltagspflicht, Nicht locken sie die Küchensphären; Der Väter Sitten, streng und schlicht, Ist unsre Heldin nicht gewogen, Da sie, wie’s damals oft geschah, Im Adelsinstitut erzogen Der Emigrantin Falballat. Sie sitzt am Fensterbrett, im Händchen Des überschwenglichen Romans „Die Liebe Ellys und Merans“ Unheimlich dickes viertes Bändchen, „In Briefen“. Altertümelnd war Ein klassischer Roman von Rang er, Ein endlos langer, langer, langer. Belehrender, vor allem banger, Romantischer Ergüsse bar. 208
Wie eifrig ihre Augen eilen Hin über die gedrängten Zeilen! Dann aber ward sie abgelenkt Durch Kämpfe zwischen Hund und Ziege Im Hofe vor der Kellerstiege Und schaute still, den Blick gesenkt. Ein Junge stand dabei und lachte; Mit traurig heiserem Gekrächz Schritt eine Pute, folgend sachte Dem nassen Hahn, von links nach rechts; Drei Enten trübten eine Lache; Ein Weiblein, ohne aufzuschaun, Hing Wäsche an den Gartenzaun – Das war eine gewagte Sache: Es schien, als würde es bald schnein … Jäh tönte Schellenklang herein. Wer je in Einsamkeit und Trauer Gelebt hat, Freunde, weiß es gut, Was für erwartungsvolle Schauer Solch Schellenklang erweckt im Blut. Bringt nicht der unsichtbare Wagen Uns einen Freund aus Jugendtagen? … Ist sie es selber? … O mein Gott! Horch: näher, näher … Wie im Fieber Die Pulse pochen. Doch vorüber Zieht das Getön voll Hohn und Spott. Die junge Frau lauscht vom Balkone Dem immer deutlicheren Tone, Sie schaut und sieht: verwegen, flott Rollt da ein Wagen bei der Mühle, Lenkt auf die Brücke – hierher … nein, Er biegt nach links! Es sollt nicht sein! Denkt sie voll bitterer Gefühle. 209
Doch plötzlich … welches Glück! – ein Stein, Der Wagen kippt. Und ohne Zagen Ruft sie: „Wlas! Peter! – jenen Wagen, Schnell holt ihn in den Hof herein! Ich laß den Herrn zum Essen laden; Lebt er auch noch? … Nahm er nicht Schaden? Schnell, schnell!“ Der Diener eilt zum Fluß. Natalja Pawlowna (sie muß Die Locken bauschen, sich noch schmücken Mit einem Schal, die Sessel rücken) Verschwindet. Gott, sie schaffen’s nie! Da, endlich kommen, kommen sie. Ganz grau bespritzt vom langen Wege, Trübselig, in verstörter Schräge, Kommt an der Wagen, und der Herr Hinkt nach der lahmen Equipage; Sein Diener ruft: „Allons, courage!“ Reicht an der Treppe: „Bitte serr …“ Ihm seinen Arm hinauf die Fliesen … Soll – während unserm jungen Herrn Sein Zimmer wurde angewiesen, Während Picard von nah und fern Laut und geschäftig alles brachte, Was seinen Herrn saalfähig machte – Soll ich verraten, wie er hieß? Graf Nulin, kommend aus Paris, Wo er verpraßt hat sonder Mühen All seine künft’gen Revenuen. Sich zeigen will der Kavalier In Petersburg als Wundertier, Versehn mit Fräcken, Westen, Ketten, Mit Hüten, Fächern und Korsetten, Mit Busennadeln und Lorgnetten, Durchbrochnen Strümpfen, mit Guizots Sehr schlimmem Buche, einem letzten 210
Romane Walter Scotts, bon mots, Die am Pariser Hof ergötzten, Mit Weisen von Rossini, Paër, Dem neusten Lied aus Frankreichs Fluren – Von Beranger, Karikaturen Und andrem mehr und andrem mehr. Es ist gedeckt; sie harrt allein, Zuweilen nach der Türe spähend; Die Tür geht auf, der Graf tritt ein; Die junge Hausfrau, zart und fein, Fragt höflich, ihm ins Auge sehend, Ob ihm sein Fuß noch wehe tut; Der Graf erwidert: „Alles gut!“ Man geht zu Tisch, nimmt Platz; ihr näher Rückt er den Teller und fängt an Zu sprechen: wie man leben kann Im heil’gen Rußland, das versteh er Noch immer nicht, in ewigem Schnee; Denkt an Paris voll Sehnsuchtsweh. „Und das Theater?“ – „Es verfällt sehr! C’est bien mauvais, ça fait pitié. Talma ist taub, wird immer kälter, Und Mamsell Mars, o weh! wird älter. Jedoch Potier, le grand Potier! Den frühren Ruhm der Rampenlichter Hält aufrecht dieser einzige nur.“ „Und wer ist der modernste Dichter?“ „Oh Lamartine und d’Arlincourt.“ „Die ahmt man nach auch hierzulande.“ „Nein, wirklich? Gebe Gott, daß hier Die Geister kämen zu Verstande, Aufklärung, Bildung brauchen wir!“ „Wie wird die Taille jetzt getragen?“ „Sehr niedrig, beinah bis … ich mein, Bis hier. Darf ich Ihr Kleid sehn? Fein! 211
So … Rüsche, Bändchen, Stickerein: Ganz nach der Mode, muß ich sagen.“ „Wir halten ja den ‚Telegraf ‘.“ „Darum auch! … Um’s nicht zu vergessen: Ein liebes Liedchen?“ – Und der Graf Singt leis. „Doch, Graf, Sie sollen essen!“ „Ich bin schon satt und danke sehr.“ Sie stehen auf. Bezaubernd heiter Ist unsre junge Wirtin. Er (Paris beschäftigt ihn nicht weiter) Denkt: Lieblich ist sie, meiner Ehr! Er spürt’s wie Wein in allen Gliedern. Unmerklich flieht die Zeit. Ihr Blick Bricht bald erwidernd aus den Lidern, Bald sinkt er, ohne zu erwidern. Jäh schlägt es zwölf, welch Mißgeschick! Im Flur die Diener schnarchend warten; Schon kräht ein früher Hahn im Garten; Des Wächters Klapper ruft zum Schlaf; Im Saal die Lichte löschen leise. Die junge Frau erhebt sich: „Graf, Wünsch gut zu ruhen nach der Reise, Die Betten warten! …“ Nicht nach Schlaf Sehnt sich der halbverliebte Graf; Küßt ihre Hand mit leisem Beben, Und – wohin Kokettieren führt! – Die Schelmin – Gott mög ihr vergeben! – Drückt seine Hand, die’s fiebernd spürt. Natalja Pawlowna, entkleidet, Empfängt Paraschenkas Bericht, An dem sie sich verstohlen weidet. Des jungen Kammerzöfchens Pflicht Ist nähen, waschen und erzählen (Dafür darf sie manch Kleid sich wählen); 212
Bald scherzt sie mit dem Herrn fidel, Bald kommt dem Herrn sie mit Krakeel; Und vor der Herrin lügt sie tüchtig. Im Augenblick erzählt sie wichtig Vom Grafen und von seinem Haus, Und was er treibt, und läßt nichts aus, Woher sie’s hat, ist undurchsichtig. Die junge Herrin sagt zuletzt: „Ich hab genug von deinem Grafen! Gib mir die Nachtjacke und jetzt Das Häubchen, bitte. Nun geh schlafen.“ Den Grafen hat Monsieur Picard Nun auch entkleidet ganz und gar. Er liebt zu rauchen noch im Bette; Der Diener bringt auf dem Tablette Zigarren, Leuchter, Taschentuch, Ein Federzänglein, eine Flasche, Glas, Wecker, Schale für die Asche Und ein unaufgeschnittnes Buch. Im Bette liegend, streift die Zeilen Von Scotts Roman er flüchtig heut, Denn seelisch ist der Graf zerstreut. So hitzig die Gedanken eilen, Daß er das Buch beiseite schiebt: „Bin ich am Ende gar verliebt? Wie, wenn es ginge? … Fein verbrächt ich Die Nacht! Nein, wirklich, das wär prächtig! Und ich gefiel dem hübschen Kind!“ – Und Nulin löscht das Licht geschwind. Die Glieder brennt ein Glutgeträufel, Er schläft nicht – und nicht schläft der Teufel Und neckt mit wollüstigem Bild Des Grafen Sinne. Er wird wild 213
Und stellt sich vor, als wär’s im Leben, Den Blick der jungen Frau, sein Beben, Die etwas üppige Gestalt, Die weiche Stimme, wirklich fraulich, Der Wangen Rosa, so beschaulich (Denn mehr als Schminke übt Gewalt Gesundheit aus); er sieht das feine, Das zarte Füßchen … „Weshalb harr Ich noch? Hat ihre Hand nicht meine Lässig gedrückt? Ich Narr, ich Narr! Ich hätte bei ihr bleiben sollen, Ausnutzen diese hoffnungsvollen Minuten klüglich für und für – Noch ist’s zu spät nicht. Ihre Tür Ist sicher auf.“ Schnell wirft er über Den bunten, seidnen Schlafrock; schon Fiel um ein Stuhl, er schleicht vorüber, Erhoffend einen süßen Lohn; So zu Lucretia zieht ein neuer Tarquinius auf Abenteuer. Gezierter Günstling einer Magd, Ein Kater, voller Lust und Tücken, Weiß sich zuweilen so zu drücken Die Wand entlang auf list’ger Jagd; Bald durch geschloßne Augen schielend; Bald buckelnd, mit dem Schwanze spielend; Die schlauen Krallen spreizt er jach – Kaum piept das arme Mäuschen: „Ach!“ Der liebesheiße Nulin irrte Durchs Dunkel, tastend; ihn verwirrte Ein jeder Laut; jäh macht er halt, Knarrt leis der Boden. Doch Verlangen Treibt ihn mit flammender Gewalt. Er nähert sich mit glühenden Wangen 214
Der heißersehnten Tür; schnell fand Die Messingklinke seine Hand. Die Tür gibt nach, ganz leise, leise … Er schaut: das Schlafzimmer erhellt Ein Lämpchen; in dem blassen Kreise – Die Frau, die schlummert oder weise Vor ihm sich friedlich schlafend stellt. Leis tritt er ein; harrt, ihren Namen Schon auf den Lippen; sinkt aufs Knie. Sie … meine Petersburger Damen, Ich bitte schön, nun stellen Sie Sich ihren Schreck vor beim Erwachen, Und sagen Sie, was sollte machen Die junge Frau und handeln wie? Erschreckt fährt sie empor vom Pfühle, Schaut groß ihn an und unverwandt – Er sprudelt wärmende Gefühle, Und seine unverschämte Hand Will heiß an ihre Decke fassen, Erröten fühlt sie sich, erblassen … Doch plötzlich die Erstarrung schwand, Und sie, in stolzem Zorn entbrannt (Und Angst vielleicht), gab kurz entschlossen Tarquinius’ feurigem Genossen Klatsch! eine Ohrfeige: ja, ja! Und was für eine, daß es knallte! Graf Nulin, als ihm dies geschah. In stummer Wut die Fäuste ballte. Ich weiß nicht, was der grimme Graf Im Sinne hatte, als ihn schreckend Der zottige Spitz anbellte, weckend Paraschenka aus festem Schlaf. 215
Graf Nulin hörte Schritte, Töne … Und sich verwünschend und das Haus Und unsre eigenwillige Schöne, Nahm schmachvoll unser Held Reißaus. Wie sie den Rest der Nacht verbrachten, Die junge Frau, Parascha, er, Mögt ihr nach eigenem Erachten Ausmalen euch, ich helf nicht mehr. Der Graf stand schweigend auf am Morgen; Sein Anzug macht ihm weniger Sorgen, Die rosa Nägel nur aus Pflicht Poliert er nachlässig und linde, Schlingt gähnend um den Hals die Binde Und streicht mit nasser Bürste nicht Die Schmachtlocke aus dem Gesicht. Woran er denkt, kann ich nicht melden; Da ruft zum Tee man unsren Helden. Was tun? Der Graf bezwingt voll Mut Peinliche Scham und stumme Wut; Er geht. Die kleine Schelmin, senkend Den spött’schen Blick, die Lippen beißt Und spricht, die Unterhaltung lenkend, Von diesem, jenem mit viel Geist. Der arme Graf, zuerst verlegen, Fühlt bald aufs neu sich leise regen Im Herzen Lebensmut und gibt Sich freier; eine halbe Stunde – Er scherzt und lacht mit frohem Munde Und ist beinah aufs neu verliebt. Da tönt im Flur Geräusch, Getümmel. „Natascha, guten Tag!“
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„Ach, Himmel, Graf, hier, mein Mann. Mein Lieber, hier – Graf Nulin.“ „Freut mich herzlich. Schier Unmöglich ist das Wetter heute! Ja, von der Schmiede kommend, traf Ich Ihren fert’gen Wagen, Graf. Natascha, dort fiel uns zur Beute Ein Hase, doch die Hatz war schwer. He, Schnaps! Graf, bitte. Nicht vergessen Hat uns ein Freund; sandt ihn weither. Sie bleiben doch zum Mittagessen?“ „Ich eil und fürcht, es wird nicht gehn.“ „Ach was denn, Graf, ich bitte schön. Ein lieber Gast ist stets willkommen. Sie bleiben, Graf!“ Doch mitgenommen Durch Ärger, aller Hoffnung bar, Spricht der betrübte Graf: „Ich fahr.“ Schon schrauben mit erhabner Ruhe Zwei Diener an die Reisetruhe; Picard, den schon gestärkt ein Glas, Krächzt hinterm Koffer her im Baß; Schon vor der Treppe steht der Wagen; Picard hat alles schnell verstaut; Der Graf fuhr ab … Nichts mehr zu sagen Hätt, Freunde, ich, wenn diese Mär Damit auch schon zu Ende war. Doch kam mit sachlichem Berichte Zu ihrem Mann die junge Frau, Kaum war der Wagen fort; genau Erfuhr die traurige Geschichte Auch mancher Nachbar. Aber – trau, Schau, wem! – wer wohl am meisten lachte? Ihr ratet’s nicht; ihr meint – wohlan: 217
Ihr Mann? – O nein doch, nicht der Mann. Der war gekränkt, die Sache machte Ihn wild, er sprach mit rotem Kopf, Graf Nulin sei ein rechter Tropf, Er würd sich in den Sattel setzen, Mit Hunden ihn ins Jenseits hetzen. Es lachte Nachbar Lidin – war Ein Herr von dreiundzwanzig Jahr. So, Freunde, wissen wir jetzt und er Selbst noch in unsrer schlimmen Zeit Ist Treue keine Seltenheit Und eine treue Frau kein Wunder.
218
Poltawa
The power and glory of the war, Faithless as their vain votaries, men, Had pass’ d to the triumphant Czar … Byron
Widmung
Dir! – doch gelingt wohl auch den Klängen Der Weg zu Dir ins ferne Land? Wird meines Herzens heißes Drängen Von Deiner Schlichtheit auch erkannt? Vielleicht kann es des Dichters Liedern Wie einstmals seiner Liebe gehn, Und ohne diese zu erwidern, Wirst Du auch jene jetzt verschmähn? Lausch nur dem einst vertrauten Klange Und wisse, daß Dein Abschiedswort, Die Wüste, die nunmehr für lange Dein kummervoller Zufluchtsort, In meines Schicksals wirrem Werden, Seitdem Du mir entschwunden bist. Mein einz’ges Heiligtum auf Erden, Mein einz’ges Liebessehnen ist.
Erster Gesang
Der Ruhm und Reichtum und die Pracht Pan Kotschubejs wird weit gepriesen, Die Rosse weiden unbewacht Auf schier unendlich weiten Wiesen. Und er besitzt so manches Gut Rings um Poltawa – Höfe, Gärten, Zur Schau und in den Truhen ruht An Pelz und Silber eine Flut Mit vielen andern reichen Werten. Doch rühmt er sich nicht seines Guts In manchem angestammten Schlosse Und nicht des goldnen Krimtributs Und nicht der Mähnen seiner Rosse – Des Alten größten Ruhm erschuf Ihm seiner Tochter stolzer Ruf. Und wahrlich, mit Marias Bild Kann keine sich ringsum vergleichen: Lenzblütenähnlich, frisch und mild, Gehegt im Schatten alter Eichen. Gleich Pappeln in dem Kiew-Wald Ist ihre Schlankheit. Die Bewegung Des Körpers wechselt und ist bald Gleich einem Schwan – bedächtig, kalt –, Bald gleich des scheuen Rehs Erregung. Der Busen – blendend weiß wie Schaum. Um ihre Stirn – ein Wolkensaum Aus Locken, die den Glanz umdunkeln. 223
Die Lippen – wie ein Rosenschein, Die Augen – wie zwei Sterne funkeln. Doch macht es Schönheit nicht allein, Daß man sie schätzt vor andern Maiden – denn bald verblüht ist diese Zier –, Die laute Fama rühmt an ihr, Daß sie auch klug ist und bescheiden. Die Besten aus dem ganzen Land Maria gern zur Gattin hätten, Doch flieht sie vor dem Ehestand, Als fürchte sie die schweren Ketten. Da wirbt – die Boten sind gesandt – Der Hetman selbst um ihre Hand. Er ist schon alt, gebeugt von Jahren, Von Sorgen, Mühen, Kriegsgefahren, Doch heiß durchwallt Masepas Brust Aufs neu der Liebe Leid und Lust. Im Nu entflammen und erkalten Die jungen Herzen; Liebe zieht, Sich rasch verändernd, durchs Gemüt In täglich immer neuem Walten. Nicht so gehorsam, nicht so sacht, Von nicht so wechselvollen Trieben Wird eines Alten Herz entfacht, Das lange Jahre hart geblieben. Nur langsam, schwer beginnt’s zu glühn, Wenn Liebesfeuer es durchziehn: Doch späte Glut wird nicht erkalten Und bis zum Tode Kraft entfalten … Der Gemse gleich, die vor den Klauen Des Adlers in die Höhle flieht, Harrt in dem Flur die Braut voll Grauen, Wie jetzt ihr Schicksal sich vollzieht. 224
Da naht die Mutter voll Empörung – Sie bebt vor Zorn –, wie zur Beschwörung Nimmt sie der Tochter Hand und spricht: „So alt, so schamlos! Welche Sünde Am unschuldvollen Patenkinde! … Solang ich leb, geschieht sie nicht. Ist’s wirklich möglich? – Welche Schande! Statt Vater oder Freund zu sein, Will er als Gatte um dich frein, Der Narr – an seines Grabes Rande.“ Maria erzittert. Das Gesicht Wird leichenblaß, und die Gedanken Erstarren. Ihre Glieder schwanken, Bis völlig sie zusammenbricht. Sie wacht wohl auf, doch wieder neigen Die Lider sich in totem Schweigen. Vergebens sucht das Elternpaar Den Schmerz zu lindern und den Schrecken Vor der ihr drohenden Gefahr Und neuen Mut ihr zu erwecken … Umsonst. Zwei ganze Tage krankt Sie wortlos weinend, seufzt und bangt, Mag weder schlafen noch gesunden Und taumelt schwankend, blaß und bleich, Und ißt und trinkt nicht … Schattengleich War sie am dritten Tag – verschwunden. Und niemand wußt, wie sie’s vollbracht. Ein Fischer nur in jener Nacht Vernahm Geräusch von Pferdehufen, Von Frauenflüstern, Männerrufen, Und sah auf taugenäßter Flur Achtfache Pferdehufenspur.
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Nicht nur der Wangen erster Flaum, Nicht nur der Jugend blonde Locken – Der Greis weckt auch des Mädchens Traum, Es bringt das heiße Blut zum Stocken Sein strenger Blick, das Silberhaar, Die Narben aus so manchem Jahr. Bald drang auch an des Vaters Ohren Die dunkle, schicksalhafte Mär: Vergessen hat sie Scham und Ehr, Sich an den Bösewicht verloren! O Schmach! Die Eltern wagen nicht, Es zu begreifen; das Gerücht, Erst jetzt wird es zur nackten Wahrheit In seinem eigentlichen Sinn, Und offenbart sich erst in Klarheit Das Herz der jungen Sünderin. Erst jetzt auch wurde es verstanden, Warum sie den Familienbanden Voll Eigenwilligkeit entglitt, Warum sie seufzte, heimlich litt Und der Bewerber buntem Reigen Begegnete mit stolzem Schweigen; Warum beim Tafeln sie so still Nur auf des Hetmans Worte lauschte, Wenn alles sich am Wein berauschte Und sprach und lachte, laut und schrill; Warum sie stets nur auserlesen Die Lieder, die er selbst erfand, Als er noch arm und klein gewesen Und ihn die Fama nicht gekannt; Warum ihr Herz sich so belebt, Wenn er den Feldherrnstab erhebt Und Reiterei auf tausend Hufen Mit Kriegsmusik vorüberstrebt Und ihn begrüßt mit Jubelrufen … 226
Pan Kotschubej ist stolz und reich, Hat Freunde, die mit ihm sogleich, Um ihn zu rächen, sich verschwören, Um ganz Poltawa zu empören Und in des Bösewichts Gemach Zu sühnen seiner Tochter Schmach In jäh entschlossenem Beginnen. Er könnte selbst mit sichrer Hand Den Dolch … doch ist sein Herz gebannt, Er muß auf andre Rache sinnen. Es war, als unser junges Volk Die Kraft in langem Ringen spannte, Durch Peters Genius ermannte Und endlich aufstieg zum Erfolg. Zwar mußte auf dem Feld der Ehre Ein rauher Lehrer es erziehn; Manch unverhoffte blut’ge Lehre Erteilte Schwedens Paladin. Doch zähe trotzend den Gefahren In all den schicksalsschweren Jahren, Erstarkte es. – Der harte Schlag Schuf harten Stahl; das Glas zerbrach. Mit seinem Ruhme kühnlich spielend, Trieb König Karl, auf Moskau zielend, Des Zaren Mannen vor sich her; So beugt ein Sturm das Gras am Stiele Und treibt in eigenwill’gem Spiele Den Staub der Täler bis ans Meer. – Er ging den Weg, den unsrer Tage Ein neuer starker Feind erkor, Des Ruhm durch seine Niederlage Den schicksalhaften Ruf verlor.
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Kleinrußland wogte aufruhrtrunken. Schon lange glimmten hier die Funken. Ein Kreis der Freunde alter Macht War auf den Völkerkrieg bedacht. Beim Hetman sie darauf beharrten, Daß er von Fesseln sie befrei; Ihr Leichtsinn konnt es nicht erwarten, Daß Karl ihm seine Hilfe leih. Masepa hörte zwar die Rufe: „Zur Tat, zur Tat! Es wird schon Zeit!“ Doch stand er an des Thrones Stufe In treuer Untertänigkeit, Regierte mit gewohnter Strenge, Als wenn am Urteil dieser Menge In seinem Gleichmut ihm nichts lag, Und zechte ruhig Tag für Tag. „Was ist mit ihm?“ Die Jungen klagen: „Er siecht dahin; er ist zu alt; Sein Tatendrang aus frühren Tagen, Sein Feuer – ausgelöscht und kalt. Wozu in altersschwachen Händen Trägt er den Stab des Feldherrn noch? Jetzt könnt man sich gen Moskau wenden Und sprengen das verhaßte Joch! Wenn – sei’s der alte Doroschenko, Sei es Samoilowitsch, der Held, Sei es Palej, sei’s Gordejenko – Noch herrschten in dem Feldherrnzelt, Dann stürben nicht so endlos viele Im Schnee der fernen Wüstenei; Der Gram der Heimat war am Ziele, Und die Ukraina wäre frei.“ So murrte voller Eigenwillen Die kecke Jugend schon im stillen, 228
Nach Neuem gierig und dabei Vergessend alter Sklaverei, Der von Bogdan erteilten Schläge, Der heil’gen Eide und Verträge, Des Ruhms der langen Ahnenreih. Doch hat das Alter nichts vergessen, Mißtrauisch trifft es seine Wahl: Was möglich ist und was vermessen, Das wird durchdacht von Mal zu Mal. Wer mag in Meerestiefen dringen, Die von dem Eise festgebannt? Was Falschheit schicksalhaft erfand, Wes scharfem Geist mag’s wohl gelingen, Es zu durchschaun? – Es keimt der Trieb Verborgen, einsam, wie ein Dieb, Braucht viele Jahre zum Entfalten, Um zäher Leidenschaft zulieb Zur reifen Frucht sich zu gestalten. Je boshafter Masepa ward, Je falscher, schlauer seine Seele, Um soviel offner, dem zum Hehle, Ja arglos dünkte seine Art! Wie unterjochte seinem Willen Er fremde Herzen, um alsdann Mit list’ger Vorsicht, ganz im stillen, Zu lösen ihrer Zunge Bann! Wie treuherzig, wie offen weiß Er oft bei festlichen Gelagen, Mit Greisen ein geschwätz’ger Greis, Zu reden von vergangnen Tagen! Dem Dummen kann er klug erscheinen, Mit einem Heißsporn ehrlich weinen, Den Mißstand tadeln, kühn und scharf, Und Freiheit rühmen – nach Bedarf!
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Unzähmbar aber ist sein Willen, Wenn es dem Feind zu schaden gilt Und hemmungslos den Haß zu stillen, Der ihm aus schnödem Herzen quillt. Es blieb bisher in seinem Leben Noch keine Kränkung ungerächt. Sein überheblich wildes Streben Kennt keine Grenzen und kein Recht, Nichts, was uns heilig – weder Liebe Noch Freundschaft, noch der Wohltat Triebe, Noch Dank für gütiges Bemühn; Bereit, durch Menschenblut zu waten, Verachtet er der Freiheit Taten. Es gibt kein Vaterland für ihn! Er hatte schon seit vielen Jahren Die schnöde Absicht klug bedacht, Doch hat sein Feind davon erfahren Und insgeheim ihn überwacht. Nein, Unhold, viel zu tief verachtet Dich Kotschubej für dein Vergehn: Das Schloß, wo meine Tochter schmachtet, So denkt er knirschend, mag bestehn; Nicht sollst im Feuer du verderben Noch vom Kosakensäbel sterben, Ich hab für das, was du vollbracht, Dir Moskaus Henker zugedacht; Und in der Qual der Folterkammer, Vor Schmerz dich krümmend voller Jammer, Sollst du verfluchen jenen Tag, Da sie als Taufkind vor dir lag. Als jenen vollen bis zum Rande, Den Ehrenbecher, du geleert, Und jene Nacht, als du in Schande Dein eignes Patenkind entehrt … 230
Es gab die Zeit, da waren beide Die besten Freunde jahrelang, Erprobt in Freude wie im Leide, Und teilten Salz und Brot und Trank. Sie sprengten wohl in manchen Schlachten In nächster Nähe übers Feld; Im trauten Zwiegespräch verbrachten So manche Stunde sie im Zelt. Der Hetman sprach von Umsturzplänen, Von wildem Ehrgeiz, heißem Sehnen Und deutete so manches an, Was in ihm gärte, was ihm fehlte, Wovon er sonst wohl nicht erzählte, Der Freund jedoch ein Bild gewann. Und dieser Freund war ihm ergeben – Zu jener Zeit –, doch nach dem Bruch Beherrscht der Zorn sein ganzes Streben Und Rachedurst, dem nichts genug. Nichts kann den bittren Willen schwächen, Dem all sein Denken untersteht: Er will und muß die Tochter rächen, Wenn er auch selbst zugrunde geht! Doch tief in seines Herzens Schreine Verbirgt er’s. Und in dieser Not Spricht er mit allen jetzt – zum Scheine – Von seinem eignen nahen Tod. „Am Hetman übt er keine Rache, Schuld trägt die Tochter ganz allein, Doch er vergibt ihr; mag die Schwache Für alle Schande, Schmach und Pein, Dafür, daß sie die Pflicht vergessen, Vom Himmel Gnade sich erflehn …“ Im engen Kreis sucht er indessen Mit Adlerblicken zu erspähn 231
Die unbestechlichsten Genossen, Verwegen, treu und fest entschlossen; Nur seinem Weib erzählt er jetzt Vom Brief, den längst er aufgesetzt, Masepas Absicht aufzukarten. Nun gönnt die Frau ihm keine Ruh Und treibt voll Ungeduld dazu, Nicht länger mehr damit zu warten. An seinem Bett, in stiller Nacht, Hält wie ein Geist sie flüsternd Wacht, Heischt zornig Rache und Vergelten Und drängt mit Tränen, Zuspruch, Schelten Solange ihn zu einem Eid, Bis endlich er dazu bereit. Der Plan ist reif. Dem Rachebunde Tritt Iskra bei, der kühne Held. Im Geiste sehn sie schon die Stunde, Da ihr verhaßter Gegner fällt. – Wer aber mag es kühnlich wagen, Des mächtigen Tyrannen Schuld An Peters Thron heranzutragen, Der ihm vertraut und dessen Huld Ihm zukam noch in diesen Tagen? In der Kosaken großen Schar, Von unsrer Maid dereinst verachtet, Ihr einer treu ergeben war, Der schon als Knab für sie geschmachtet; Ergriffen von der Liebe Macht, Sucht’ er vom Morgen bis zur Nacht Sie bald beim Fluß, bald auf der Wiese. Schon die Begegnung war ein Glück, Und schenkte sie ihm einen Blick, War er bereits im Paradiese. 232
Er liebte hoffnungslos, verzagt Und hat auch nie um sie geworben, Denn hätte sie ihm abgesagt, So wäre er vor Gram gestorben. Er leistete betrübt Verzicht, Als all die vielen Freier kamen; Doch als das schreckliche Gerücht Von ihrem schmachbedeckten Namen Bei den Kosaken weit und breit Ein Hohngelächter jäh entfachte, War er der einz’ge, der nicht lachte Und der ihr treu blieb auch im Leid. Und hörte er Masepas Namen, Erblaßte er zu jeder Zeit, Und heimlich quälend überkamen Ihn bittres Weh und Herzeleid. . . . . . . . . . . . . . Wer mag bei Mond- und Sternenschein Der späte schnelle Reiter sein? Wes ist das Roß, das ohn Ermatten Durchfliegt die Steppe wie ein Schatten? Nach Norden geht’s in wilder Hast, Und der Kosak hält nirgends Rast, Am Strome nicht und nicht im Walde Noch auf gefahrenvoller Halde. Wie Glas sein scharfer Säbel blinkt, Am Sattel hell der Beutel klingt. Sein Roß ist feurig und geschwinde Und läßt die Mähne wehn im Winde. Der Bote braucht sein blankes Gold, Dem blanken Säbel ist er hold, 233
Lieb ist sein Renner ihm, sein treuer, Doch mehr ist ihm die Mütze teuer. Für seine Mütze gab zumal Sein Gold er hin, das Roß, den Stahl – Die Mütze hielt nach blut’gem Kampfe Er noch im letzten Todeskrampfe. Warum ist ihm die Mütze wert? Sie ist mit jenem Brief beschwert, Drin Kotschubej beim Zaren Peter Masepa anzeigt als Verräter. Nichts ahnend noch von der Gefahr, Benutzt Masepa dieses Jahr, Um die Kosaken aufzuwiegeln. Das Recht auf einen schwachen Thron Verspricht Salenski zu besiegeln, Des Hetmans Ränkespiel zum Lohn. Den Dieben gleich, zu nächt’ger Stunde, Verhandeln sie von ihrem Bunde, Von ihrem Lohn für den Verrat, Verfassen Volks-Universallen, Verkaufen Kaiser, Volk und Staat Mitsamt den Eiden von Vasallen. Oft kommt ein Bettler – unbekannt, Aus welchem Land – ins Schloß gegangen. Wird von Masepas rechter Hand, Von Orlik selber, stets empfangen. Und überall wird Gift gesät, Wohin des Hetmans Boten kommen: Am Don ist Aufruhr schon entglommen, Bulawin an der Spitze steht, Kosaken an den Dnepr-Schnellen, Der Steppenhorden wilde Jagd, 234
Sie alle werden zu Rebellen Aus Angst vor absoluter Macht. Nichts wird vergessen. Briefe wandern Mit list’ger Drohung – und im Grimm Gesellen sich zu allen andern Die alten Feinde in der Krim. Zar Peter schenkt ihm sein Vertrauen, Und viele Mächt’ge fördern ihn, Die seine Arglist nicht durchschauen. Ihm glückt’s, das Ränkenetz zu ziehn, Das unablässig sich verbreitet, Und da er den Entscheidungsschlag Jetzt um so sichrer vorbereitet, Wird nie sein böser Wille schwach. Doch wie muß er zusammenfahren, Als er von Moskauer Bojaren Den Brief des Kotschubej erhält! Ein Blitz aus heitrem Himmelszelt! Und nun – statt er, der Feind des Zaren, Dem wohlverdienten Schimpf verfällt, Wird er als Opfer hingestellt; Man läßt ihm Gnade widerfahren; Zar Peter selbst ist voller Huld, Glaubt nicht an seines Hetmans Schuld, Läßt das vermeintliche Verbrechen, Wie er es ihm zum Trost verspricht, Von diesem Judas selber rächen Durch hochnotpeinliches Gericht. Masepa aber heuchelt Demut Und schreibt dem Zaren voller Wehmut: „Von Gott und Menschen wird’s belegt, Ich diene treu und unentwegt Seit zwanzig Jahren Deinem Throne Und bin mit überreichem Lohne 235
Von Dir versehn … Und hätte jetzt, Bereits an meines Grabes Rande, Dem alten guten Ruf zur Schande, Den Eid der Treuepflicht verletzt? Verschmäht hab ich Ukrainas Krone, Die Stanislaw mir bot zum Lohne! Ich war vor Scham und Zorn erkrankt Und sandte die Geheimverträge Dir auf dem allerschnellsten Wege, Wie es die Pflicht von mir verlangt! – Taub für die Stimmen des Chanates Und des Byzanzer Sultanates, Hab ich für Dich mich bis zuletzt Mit Kopf und Säbel eingesetzt. Und da wagt es mit frechen Händen Der Feinde hirnverbrannte Brut, In blindem Haß, in toller Wut, Mein altersgraues Haupt zu schänden! Ein Kotschubej, ein Iskra, die So lange meine Freunde waren! …“ Und weinend fordert er vom Zaren, So kalt und frech wie wohl noch nie, Das blut’ge Henkerbeil für sie. Für wen? – Den Vater deiner Schönen! Vermagst du des Gewissens Schmerz, Dein schläfriges und müdes Herz Unbeugsam kalt zu übertönen? Du sagst dir: Er versucht sein Heil Im Kampf, der ungleich und verwegen. Hält er sich mir für überlegen? Er schärft sich selbst sein Henkerbeil. Warum muß er ins Unglück laufen? Hofft er vielleicht, sie zu erkaufen? Worauf begründet er den Mut? Doch so wird er es nicht erreichen: 236
Die Liebe muß … dem Hetman weichen, Sonst fließt mein eignes altes Blut. Maria, arme Maid! So lange Warst du als Schönste rings verehrt! Du kennst sie nicht, die gift’ge Schlange, Die du an deiner Brust genährt. Was zog dich hin zu diesem kalten, Begehrlich lasterhaften Alten, Mit unerklärlich starker Macht? Wem ist dein Opfer dargebracht? Die Silberlocken dieses Alten, Des Hauptes tiefgezogne Falten, Der Glanz im Aug, das tief versank, Der list’gen Reden kühner Klang Verführten dich zum Liebesbette Und haben dich so stark betört, Daß du dich von des Vaters Stätte, Ja von der Mutter abgekehrt. Du ließt vom Zauber dich bezwingen, Der in Masepas Augen liegt, Und seiner Worte leises Klingen Hat dein Gewissen eingewiegt. Du hegst und pflegst ihn voller Milde, Du schaust empor zu seinem Blick In Andacht, wie zum Heil’genbilde; Du trägst die Schande wie ein Glück! Du fühlst dich stolz und auserkoren! – Als er sich deine Unschuld nahm, Hast du den Liebreiz keuscher Scham In deiner Schicksalsnacht verloren … Was gelten Schande, Scham und Welt, Wenn sie in liebendem Bemühen Sein stolzes Haupt an ihren Knien Mit zartem Arm umfangen hält, 237
Wenn er mit ihr und ihretwillen Vergißt sein Wirken, sein Geschick Und sich vor ihrem zagen Blick Die kühnen Pläne jetzt enthüllen? Dann ist sie gegen Reu gefeit … Nur eines läßt von Zeit zu Zeit, Der Wolke gleich, ihr Glück beschatten: Der Eltern Gram und all das Leid, Das sie dank ihr zu tragen hatten. Ihr bittrer Vorwurf steigt empor Und dringt bis an das bange Ohr Und bringt die Seele zum Ermatten … Oh, wüßte sie, wovon man spricht, Was schon in aller Leute Munde! Nur zu Marien drang noch nicht Des Schreckens unheilvolle Kunde.
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Zweiter Gesang
Masepa schweigt mit finstrem Blick, Vertieft in grausam düstres Denken. Den Hetman zärtlich abzulenken, Versucht Marie, doch ihr Geschick, Ihn durch Liebkosen zu gewinnen – Was sie auch tut, was sie auch spricht –, Versagt heut ganz. Sein finstres Sinnen Weicht selbst Mariens Liebe nicht. Die Fragen ohne Antwort lassend, Senkt er den Blick, als schiene ihm Des zarten Drängens Ungestüm Nicht mehr für ein Erwidern passend. – Erstaunt, gekränkt wie nie zuvor, Schwer atmend schnellt Marie empor Und ruft ihm zu, sich kaum noch fassend: „Masepa, hab ich nicht für dich Mein ganzes Dasein aufgegeben? Seitdem du alles wardst für mich, Ist dies mein einzig Ziel und Streben: Daß du mich liebst. – Und dir zurück Gab ich dafür mein ganzes Glück. Doch als ich dir mich hingegeben In jener schreckensstillen Nacht, Da schwurst du Liebe mir fürs Leben. Hast du an diesen Schwur gedacht? Hast du geschworen … um zu scherzen?“ 239
MASEPA Geliebte, du bist ungerecht, Mißtraue nicht, das wäre schlecht Für junge flammendheiße Herzen. Dich blenden – allzuleicht entfacht – Die Feuer jugendlicher Triebe. O glaub nur: mehr als Ruhm und Macht Gilt mir, Maria, deine Liebe. MARIE Das ist ja alles Lug und Trug: Noch unlängst konnte nichts uns trennen, Doch jetzt hast du von mir genug Und willst mich nicht mehr anerkennen. Tagsüber wirst du abgelenkt Durch Dienst und Fahrten oder Feste, Und nachts wird deine Zeit verschenkt An die geheimnisvollen Gäste. Nun läßt dich meine Liebe kalt, Bin ich dir nichts. Und neulich galt Dein Trinkspruch einer fremden Dame. Ich weiß es; Dulska ist ihr Name. Wer ist das? MASEPA
Eifersücht’ges Kind! Soll ich in meinen alten Tagen Mich noch mit schönen Frauen plagen, Die hochmutsvoll und eitel sind, Und seufzend wie ein müß’ger Knabe Durch schmähliche Verstellungskunst – Mit einem Fuße schon im Grabe – Noch werben um der Schönen Gunst?
MARIE Nein, rede, ohne abzuschweifen, Gib eine Antwort klipp und klar. 240
MASEPA Nun gut; so magst du jetzt begreifen, Was dir bisher verborgen war: Wir hegen in geheimem Bunde Seit langem einen kühnen Plan. Jetzt scheint mir eine günst’ge Stunde Für den Entscheidungskampf zu nahn. Wir waren lange untertänig Und beugen unsre Häupter noch Wie Sklaven, bald vor Polens König, Bald unter Moskaus hartes Joch! Nun steigt für uns – wie ich es ahne – Die Freiheit unsrer Heimat auf. Der Freiheit blut’ge Aufstandsfahne Roll ich jetzt vor dem Zaren auf. Der Plan ist reif. Und eng verbunden Sind mir zwei Königsthrone schon. Vielleicht entsteht in Schlachtenstunden Aus Kampf und Zwist mein eigner Thron? In Dulska und dem Jesuiten Und jenem Bettler, als dem dritten, Kannst du nur sichre Freunde sehn; Sie führen meinen Plan zu Ende; Von Land zu Land durch ihre Hände Geheime Königsbriefe gehn. Es ist ein Großes im Entstehen. Vermagst du nun es einzusehen? Mißtraust du noch? MARIE Geliebter mein! Du wirst Ukrainas Herrscher sein! Wie paßt zu deinen Silberhaaren Die Zarenkrone! MASEPA Warte, nein! Mir kann auch andres widerfahren, Wenn sich der Sturm entladen wird. 241
MARIE Nein, du, der machtvoll starke Lenker, Bleibst unantastbar, unbeirrt, Dein harrt der Thron! MASEPA
Und ist’s der Henker?
MARIE Dann geh ich mit auf das Schafott. Wie könnte ich dich überleben? Doch du bist machtgeweiht von Gott. MASEPA Du liebst mich? MARIE
Kann ich mehr dir geben?
MASEPA Doch sage: Vater oder ich, Wer gilt dir mehr? MARIE Mein Freund, so sprich: Was sollen solche grausen Fragen? Gemahn mich nicht ans Elternhaus, Ich löscht es gern im Herzen aus: Sie müssen meine Schande tragen. Darunter leid ich schon genug; Mag sein, mich traf des Vaters Fluch! Du weißt, wofür. MASEPA Dir also wäre Ich mehr als deines Vaters Ehre? MARIE O Gott! 242
MASEPA MARIE
So sprich. O laß die Qual!
MASEPA Sprich: Müßtest du in freier Wahl Als Richter zwischen uns entscheiden, Nach eignem Urteil, und es droht Dem Vater oder mir der Tod, Wen wähltest du wohl von uns beiden? MARIE O laß! Nicht länger quäle mich! Du führst mich in Versuchung. Masepa
Sprich!
MARIE Wie du erblaßt! Dein Wort ist Schrecken Vergib! Du willst es: dich zu decken, Scheu ich kein Opfer, keine Last. Doch fühl ich tödliches Erkalten. Genug. MASEPA Du sollst es gut behalten, Was du jetzt ausgesprochen hast. Wie still ist die Ukraina-Nacht! Die Sterne sprühen helle Funken. In Silberpappeln flüstern sacht Die müden Lüfte, schlummertrunken, Im Traum, als schliefen sie schon ganz. Der Mondschein strahlt in mildem Glanz Breit über Bela-Zerkows Türmen, 243
Um in der Gärten üpp’gen Kranz Das alte Hetmanschloß zu schirmen. Und still, ganz still ist’s ringsherum. Nur in dem Schloß raunt ein Geflüster … Am Fenster, hart gefesselt, stumm, In tiefem Sinnen, schwer und düster, Sitzt finster Kotschubej und schaut Zum Himmel. – Wenn der Morgen graut, Dann ist’s soweit! Doch ohne Zagen Denkt er ans Beil, in diesen Tagen Betrauert er sein Leben kaum: Der Tod ist ein ersehnter Traum! … Ihn schläfert: Mögen denn die Schergen In einem blut’gen Sarg ihn bergen. – Doch – hilflos vor dem Feinde knien, Von ihm noch Schmähungen erfahren, Sich seiner Folter unterziehn, Laut Hinweis des betörten Zaren Entehrt sein und – gerechter Gott! – Die Freunde mitziehn aufs Schafott Und dort noch ihre Flüche hören, Das Henkerbeil am Nacken schon, Noch fühlen seines Feindes Hohn, Ihm, schuldlos sterbend, Rache schwören Und im erlöschenden Geschlecht Nicht einen wissen, der es rächt!… Er denkt an seine Waffenbrüder, An den Familienkreis zurück, An seiner Tochter süße Lieder, An frührer Tage Ruhm und Glück: Das alte Haus, da er geboren, Die Freuden, die es ihm verhieß; An alles, was er nun verloren, Aus eignem Antriebe verließ. 244
Wofür? – Doch da wird er vom Klange Im rost’gen Türschloß aufgescheucht. Er denkt, von seiner Not gebeugt: Ein Priester will zum blut’gen Gange Mich leiten nach der Kirche Art, Von aller Sündenschuld entsühnen, Als Seelenarzt dem Heiland dienen, Der einst für uns gekreuzigt ward, Mir, Herz und Seele stärkend, geben Zum Sterben einen frohen Mut, Bereiten zu dem ew’gen Leben Durch Christi heilig Leib und Blut! … Und gerne hätte voller Demut, In heißem, brünstigem Gebet Ergießend seines Herzens Wehmut, Er den Allmächt’gen angefleht. Doch wehe! Nicht den heil’gen Priester, Nein, Orlik – grausam, finster, düster – Erkennt er in dem späten Gast. Und voller Widerwillen faßt Er den Entschluß zur bittren Frage: „Was hat Masepa noch erdacht, Um mich in meiner letzten Nacht Erneut zu quälen, welche Plage?“ ORLIK Ich setze das Verhör noch fort. KOTSCHUBEJ Du hattest schon mein letztes Wort. Verlaß mich. ORLIK Noch ein Eingeständnis Verlangt Pan Hetman. 245
KOTSCHUBEJ Welches noch? Was ihr gewollt, das habt ihr doch: Ein volles reuiges Bekenntnis, Daß ich die Anzeige erlog. Ich intrigierte, ich betrog. Was wollt ihr mehr? ORLIK Wir alle wissen, Wie unermeßlich reich du bist. So mancher Schatz ist voller List Von dir versteckt, den wir noch missen. Dein ganzes Gut steht nach dem Tod Dem Heeresschatze zu Gebot. Das ist Gesetz. Nach den Befehlen Des Hetmans darfst du nichts verhehlen, Damit du pflichttreu offenbarst, Was du an Schätzen noch verwahrst. KOTSCHUBEJ Nun, ja; ich konnte an drei Schätzen In diesem Leben mich ergötzen. Doch meine Ehre unterlag Der Folter grausam bittren Schmach. Der schönste Schatz, den ich besessen, Marias Ruf – mit nichts zu messen –, Den ich gehütet und bewacht, Den stahl Masepa mir bei Nacht. Doch einen Schatz, den ich noch horte – Der heiligen Rache heißes Loh’n –, Den trage ich zu Gottes Thron. ORLIK Was sollen diese leeren Worte, Wo du zum Sterben schon bereit? Du sollst mir ernstlich Antwort geben, Für Scherze hab ich keine Zeit. 246
Sonst wird die Folter auferleben. Wo sind die Schätze? KOTSCHUBEJ Böser Knecht! Wann wirst du das Verhör beenden? Lieg ich im Grabe schlecht und recht, Dann möget ihr mit blut’gen Händen Mein Erbe zählen voller Wut, In meinen Kellern gierig wühlen, Vernichten Gärten, Hof und Gut Und jeden Gegenstand befühlen. Nehmt meine Tochter dazu mit, Sie braucht ja nun nicht mehr zu schweigen Und wird euch selbst die Schätze zeigen. Nur um das eine noch ich bitt: Gönn mir um Gottes willen Ruhe! ORLIK Gib Antwort mir: Wo ist der Schatz? Du schweigst? – Bezeichne mir den Platz. Im Walde, Garten oder Truhe? Wirst du der Forderung gerecht? Du willst nicht? Nun. He, Folterknecht! Er tritt herein …
O Nacht der Qualen! – Wo aber ist, wohin entfloh Vor des Gewissens blut’gen Malen Der Unhold selbst, so grausam roh? Dort, wo Marie auf weichen Kissen Schläft, ohne noch darum zu wissen, Dort sitzt er, selbst des Schlafs beraubt, Mit düstrem, still gesenktem Haupt Und sieht im Geiste grause Bilder, Eins nach dem andern, immer wilder Und finsterer vorüberziehn. 247
Der Feind muß büßen, nichts kann ihn Vom Tode retten, nichts auf Erden: Je näher ich dem Ziele bin, Um vieles härter muß mein Sinn Und meine Macht noch fester werden. Und jeder Feind, der mich bedroht, Auch Kotschubej, verfällt dem Tod. – Ein Zweifel dennoch ihn bedrückte, Als er Marien jetzt erblickte: Was aber wird aus ihr, o Gott! Noch ruht sie sanft auf ihren Kissen, Doch bald wird auch Marie es wissen. Schon morgen wird es vom Schafott Im ganzen Lande widerhallen, Wenn erst das Beil herniedersinkt, Und dann von aller Lippen schallen, Bis es auch zu Maria dringt! Wem einmal Kampf und Sturm beschieden Im kriegumtosten Erdensein, Dem lächelt keiner Ehe Frieden, Der bleibe auch im Sturm allein. Man spanne nicht vor einen Wagen Ein feurig Roß, ein scheues Reh. Vergaß ich dies, muß ich nun tragen Das bittre, doch verdiente Weh … Mit ihrem ganzen jungen Leben Hat sich das Mädchen mir ergeben, Mit allem, was man bieten mag. Und nun trifft sie durch mein Verschulden Ein so unsäglich harter Schlag! Ich kann’s nicht ändern, muß es dulden … Da liegt sie, noch so unbewußt Von süßem jungem Schlaf umfangen, Mit roten Lippen, frischen Wangen! Wie ruhig atmet ihre Brust! 248
Und morgen … Selbst Masepas Wille Hält diesen Anblick nicht mehr aus, Es treibt ihn in des Gartens Stille Und in die Einsamkeit hinaus. Wie still ist die Ukraina-Nacht! Die Sterne sprühen helle Funken. In Silberpappeln flüstern sacht Die müden Lüfte, schlummertrunken, Im Traum, als schliefen sie schon ganz. Doch düster drückt ihn dieser Glanz, Als wären jene Sterne Zeugen, Die voller Argwohn ihn beäugen, Als wiegten – silberweiß belaubt – Die Pappeln ihr bedächt’ges Haupt, Wie Richter, die den Spruch erwägen, Und in den finsteren Gehegen Der warme, sommernächt’ge Duft Erscheint ihm schwül wie Kerkerluft. Ein Schrei – ganz schwach – vom Schloß ertönt. Ihn deucht, man hätte dumpf gestöhnt, Vielleicht ein Mensch in Folterqualen, Ein Wild, ein Kauz, ein krankes Vieh, Vielleicht war’s nur die Phantasie, Bereit, sein Wahnbild auszumalen. Es ist ihm selbst nicht mehr bewußt, Doch lockt’s den Ruf aus seiner Brust, Mit dem im Taumel wilder Schlachten Sie ihre Kühnheit einst entfachten – Sabela, er und Gamalej –, Als sie durch Pulverdämpfe sprengten Und jubelnd ihre Truppen lenkten … Mit ihm – mit diesem Kotschubej …
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Des Frührots greller Purpursaum Umspannt den weiten Himmelsraum; Die Hügel, Täler, Flüsse heben Sich langsam aus der dunklen Nacht; Es weckt der Morgen Lärm und Leben, Und da – ist auch der Mensch erwacht. Noch liegt Marie in leichtem Schlummer Und ahnt noch nichts von all dem Kummer, Doch scheint’s ihr, man betritt den Raum, Berührt den Fuß, beugt sich hernieder, Und aufgescheucht aus süßem Traum, Blickt sie durch halbgeschloßne Lider Und schließt sie lächelnd vor dem Licht. Sie streckt den Arm, ihn zu umfassen, Und raunt in schmachtendem Erblassen: „Masepa, du?“ – Doch er ist’s nicht. Ein andrer Laut läßt sie erbeben: Es ist – die Mutter, die soeben Sie anspricht. DIE MUTTER Still, o still, mein Kind! Verrat uns nicht; durch Nacht und Wind Hab ich ganz heimlich hergefunden, Dich anzuflehn in tiefster Not. Heut geht der Vater in den Tod. O nutze noch die letzten Stunden; Ihn retten kannst nur du! DIE TOCHTER entsetzt: Wes – Vater?
Wes – Tod?
DIE MUTTER Weißt du denn bis heute Noch nichts? Es wissen alle Leute! Du lebst doch in Masepas Hut Und weißt, mit welcher grauser Wut 250
Er seine Feinde niederschlachtet Und daß der Zar ihn dennoch achtet. Der armen Eltern Harm und Schmerz Vergißt du aber ihm zuliebe, Du schläfst! – Und dein verstocktes Herz Spürt nichts vom grausamen Getriebe, Vom Urteilsspruche, vom Gericht, Vom Henkersbeil – von deiner Pflicht! Du mußt sofort zum Hetman gehen. Um Gnade für den Vater flehen. Besinn dich! Rette ihn, Marie! Eil hin und sinke in die Knie. Mit deinen Blicken, Tränen, Klagen Verlang es, gib ihm keine Ruh. Und dir kann er es nicht versagen, Denn alles opfertest ihm du: Gott, Ehre, uns … DIE TOCHTER Bin ich von Sinnen? Masepa … Vater … Tod … Es rinnen Der Mutter Klagen durch den Raum, Im Schlosse, hier … Ist das ein Traum? Ist’s Wahnsinn? DIE MUTTER Nein, kein Traumgesicht. Unmöglich, weißt du es noch nicht? Dein Vater hat beim Zaren Peter, Erbittert über deine Schmach, Ihn angezeigt als Hochverräter, Aus Rache, als Vergeltungsschlag, Und dann im blut’gen Folterstande Es widerrufen – sich zur Schande, Denn nun, obgleich er schuldlos war, Stellt man ihn als Verleumder dar. Er ist jetzt in Masepas Händen, Und nur der Himmel kann es wenden. 251
Es droht ihm noch am heut’gen Tag, Erlöst ihn nicht die Gnade Gottes, Die Schmach und Schande des Schafottes. Noch harrt er hier auf diesen Schlag, Im Burgverlies … DIE TOCHTER Du großer Gott! Mein Vater – heute – aufs Schafott! Und kraftlos sinkt sie auf ihr Lager, Wie eine Leiche, kalt und tot. Dort aber herrscht ein buntes Leben. In Trommelwirbeln sprengt vorbei Der Garden stolze Reiterei. Die Menge kocht. Die Herzen beben. Wie eine Riesenschlange bricht Das Volk sich Bahn auf breiter Straße Zum Felde mit dem Hochgericht. Es spielt in opfergier’gem Spaße Der Henker mit dem schweren Beil Und scherzt dabei aus Langeweil Mit dem belustigten Gedränge Der pöbelhaften Menschenmenge. Sie lärmen wie ein Wasserfall: Geschrei und Zank, Gelächter, Rufe … Doch plötzlich – Stille überall; Nur dumpf ertönen Rossehufe: Es sprengt des Hetmans Herrlichkeit Heran auf rabenschwarzem Rosse, Umringt von Reitern und vom Trosse, Die Heeresführer im Geleit. Da sieht man einen Wagen kommen, Und alle blicken herzbeklommen Auf Kotschubej und Iskra hin: 252
Durch Glauben stark und Gott verbunden, Hat sich der Alte abgefunden, Sich ausgesöhnt in Christi Sinn; Und Iskra, teilnahmslos zu allen, Bereit zum Los, dem er verfallen, Gleicht einem stillen Opferlamm. – Nun tönen heil’ge Messeklänge. Der Weihrauch steigt, und wundersam Mischt sich in machtvolle Gesänge Das stille Füreinanderflehn Von Volk und Duldern. Ruhig gehn Sie aufs Gerüst, zuerst der Alte, Der sich bekreuzend niederduckt. In jäher Totenstille zuckt Das Beil herab, das glänzend kalte. Es rollt der Kopf, vom Blute naß. Ein Ächzen. Und nun rollt der zweite, Mit offnen Augen, ihm zur Seite Und rötet rings das grüne Gras. Der Henker aber trotzt dem Blute: In seines Grimmes Übermute Fängt er die Köpfe an dem Schopf Und schwingt sie über seinem Kopf. Es ist getan … Die Menschen strömen Vom Richtplatz unbekümmert fort. Des grauen Alltags Sorg und Grämen Pulsiert bereits in Herz und Wort. Allmählich liegt das Feld verlassen, Da kreuzen seine bunten Gassen Zwei Frauen, staubbedeckt und müd; Es scheint, als wären sie bemüht, In Eile, voller Herzensbangen, Zur Henkersstätte zu gelangen. Doch jemand ruft: „Es ist zu spät!“ Das letzte, was sie noch erspäht: 253
Dort wurde das Gerüst zerschlagen, Und Priester beteten am Sarg, Den man hinauf hob auf den Wagen Und der die beiden Opfer barg. Masepa ritt aus dem Gewühl Allein, weit vor dem Reiterheere. Ihn quälte drohend eine Leere, Ein schreckendüsteres Gefühl. Sich ihm zu nahen keiner wagte, Er sprach zu niemandem ein Wort, Sein Roß trug schaumbedeckt ihn fort. Daheim war seine erste Frage: „Wo ist Maria?“ – Doch er hört Nur bange Antwort, dumpfe Klage … Von jähem Grauen furchtbeschwert, Sucht er Marie in ihrer Stube. Doch sie ist leer, und todesbleich Irrt er im Park und eilt zur Grube, Zum breiten regungslosen Teich, Vom Schloß zum Garten, immer weiter, Doch nirgends, nirgends eine Spur. Entflohn! – Da ruft er seine Reiter, Bedarf ’s doch eines Wortes nur, Und schon beginnt das wilde Jagen: So flink sie ihre Rosse tragen, Nach allen Enden, Ort um Ort, So geht’s in wüster Hetze fort. Die kostbaren Sekunden fliehen. Vergebens harrt man auf Marien. Wohin sie ihre Flucht gewandt, War dem Gesinde ganz entgangen. Es schweigt Masepa zornentbrannt, Die Diener zittern angstbefangen. 254
Sein Busen kocht in gift’ger Pein; Ihn treibt’s, an ihrem Bett allein Die schwarze Nacht hindurch zu wachen Und alle Stufen durchzumachen Der infernalisch bittern Qual, Bis mit dem ersten Morgenstrahl – Zunächst der eine, dann der ander’ Und schließlich alle nacheinander – Die Boten, die er ausgesandt, Zum Schloß zurückgeritten kamen; Die Rosse – schäumend, blutend – lahmen, Das Zeug zerfetzt; doch keiner fand Von ihr auch nur ein Unterpfand. Dem leeren Schalle gleich, verlor sich Ihr Leben ohne jede Spur, Und der Verbannten Los erkor sich In Nacht und Not die Mutter nur.
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Dritter Gesang
Der tiefe Kummer unterbricht Masepas freches Wagnis nicht, Läßt ihn die Ränke nicht vergessen, Die er – entschlußbereit gesinnt – Mit Schwedens stolzem König spinnt, Mit ihm verhandelnd; doch indessen Gebärdet er sich sterbenskrank. Der Feinde Argwohn zu vermeiden, Beruft er Ärzte, die’s beeiden, Und fleht um Hilfe todesbang. Er stöhnt in vorgetäuschten Leiden: Die Todesboten ketten ihn – Gebeugt von Kummer, Schmerz und Jahren, Von Mühen, Kämpfen und Gefahren – Ans Lager. Doch zum Himmel ziehn Soll seine Seele vorbereitet, Nach altem Kirchenbrauch geleitet; Und eines Priesters Segensspruch Soll ihn der Ewigkeit vermählen Mit feierlich geweihten ölen Bei seinem letzten Atemzug. Jedoch vergebens harrt der Gäste Zu heimlich düstrem Totenfeste Der alten Feinde Massengrab Bei Moskau. – Plötzlich ward’s entschieden: Karl wendet sich von Moskau ab Und überträgt den Krieg nach Süden. 256
Und sieh! Den man schon tot gemeint, Masepa, die lebend’ge Leiche, Der so gejammert und geweint Vor seines Grabes Schattenreiche – Jetzt ist er Peters mächt’ger Feind, Der alte sturmbeschwingte Reiter, Der stolzen Auges immer weiter Die Regimenter vorwärts zwingt Und kraftvoll seinen Säbel schwingt. – Verlor nicht so die Last der Jahre Dereinst ein schlauer Kardinal Und ward – gekrönt von der Tiare – Gesund und jung mit einemmal? Durch die Ukraina fliegt die Kunde Und tönt alsbald von aller Munde: „Vollzogen hat er den Verrat! Er unterwarf das Hetmanat Dem König Karl!“ – Die Flammen treiben. Es loht des Aufstands rote Glut. Wer aber könnte sie beschreiben: Des Zaren Zorn, Empörung, Wut? Masepas Abbild geht zuschanden, Ihn trifft der Kirche Acht und Bann; In freier Reden wildem Branden Wählt sich das Volk den neuen Mann. Die Sippen Iskras, Kotschubejs Vom öden Strom des Jenissejs Beruft Zar Peter schnell zurück, Vergießt mit ihnen Reuezähren, Beschenkt sie über ihr Begehren Mit neuem Ansehn, Geld und Glück. Masepas Gegner, der verbannte, Als hitz’ger Reiter weit bekannte Palej, erscheint im Hauptquartier. 257
Es zittert die Empörerrotte. Mit Tschetschel stirbt auf dem Schafotte Der Ataman vom Dnepr-Revier. Und du – zum Könige geboren, Des Schlachtenruhmes Favorit –, Ahnst du, daß vor Poltawas Toren Dein Feldherrnschicksal sich vollzieht? Dorthin mit seinen Heeresgruppen Stürmt auch der Zar und ordnet sie Nun angesichts der Königstruppen Nach Regeln schlauer Strategie. Wohl oft besiegt trotz allem Mute, Vorweg berauscht vom Schlachtenblute, Trifft er den Feind, den er schon lang Ersehnt zum neuen Waffengang. Ergrimmt sieht Karl: Nicht sind’s die Scharen, Die Narwa einst entflohen waren, Es ist ein wohlgeordnet Heer Von flinken, glänzenden Schwadronen Und ruhig sichren Bataillonen In unerschütterlicher Wehr. Und doch gibt Karl Befehl: Die Schlacht Beginnt nach Ablauf dieser Nacht. – In tiefem Schlafe ruhn die Schweden. In einem Zelt nur hört man sacht Zwei Männer miteinander reden. MASEPA Ich sehe, Orlik – doch zu spät –, Daß unbedacht wir beide waren; Wie übel unsre Rechnung steht, Das werden morgen wir erfahren. Ich habe doch mein Ziel verfehlt Und bin enttäuscht von diesem Jungen. 258
Karl ist zwar kühn und kampfgestählt, Und manche Schlacht ist ihm gelungen, Er mag vielleicht in keckem Ritt Den Feind beim Festmahl überraschen Und – reißt ihn eine Bombe mit – Mit lautem Lachen nach ihr haschen, Kann wie ein russischer Soldat Die Wachen seines Feinds beschleichen Und niederhaun, um nach der Tat – Auch selbst verwundet – zu entweichen. Durch Trommeln möchte er das Los Wie seine Regimenter lenken. Doch Peters Macht ist ihm zu groß, Vor ihr wird er die Fahnen senken. An Leichtsinn, Ungeduld – ein Kind, Halsstarrig, überheblich, blind, Ist Karl vom Wahn des Glücks besessen. Er mag des Feindes neue Kraft Nur am Erfolg von gestern messen Und wird von ihr hinweggerafft. Zu meiner Schande muß ich’s sagen: Der kriegerische Vagabund Hat mich betört durch kühnes Wagen Und flücht’ge Siege ohne Grund. ORLIK Doch diese Schlacht kann manches wandeln. Wart ab, was morgen sich noch tut. Da können wir aufs neu verhandeln, Dann wird vielleicht noch alles gut: Laß uns den Zaren erst besiegen, Dann sucht er Frieden nach den Kriegen. MASEPA Zu spät! Denn zwischen ihm und mir Gibt’s keine Aussicht mehr auf Frieden. 259
Mein Schicksal ist schon längst entschieden Durch lang verhaltne Rachegier. Wir zechten mit dem strengen Zaren Im Asow-Lager einst, vor Jahren, Die ganze dunkle Nacht hinfort. Vom Weine schäumten unsre Becher, Mit ihnen auch der Mut der Zecher, Ich sprach ein allzu kühnes Wort. Die Gäste schwiegen eingeschüchtert; Der Zar empört sich, jäh ernüchtert; Sein Becher klirrt, und drohend hart Packt mich der Zar am grauen Bart. Ich kuschte. Doch seit jenen Tagen Heg ich der Rache zorn’gen Eid. – So werden Kinder ausgetragen Im Mutterschoß. Nun ist es Zeit. Der Zar vergißt bis an sein Ende Mich nie in allem seinem Glanz. Ich bin jetzt seines Schicksals Wende, Ein Dorn in seinem Ruhmeskranz. Er gäbe seine besten Stunden Und manche alte Stadt dahin, Könnt er, wie einst, die Macht bekunden, Um mich, zur Schmach, am Bart zu ziehn. Doch morgen wird es sich entscheiden, Und Sieger hoffe ich zu sein. Verstummend schlafen auch die beiden Verräter ihres Zaren ein. Im Osten glüht ein neues Leben. Kanonen donnern schon im Tal Und auf den Hügeln. Aufwärts schweben Im purpurfarbnen Morgenstrahl Des Rauches Ringe ohne Zahl. Die Schützen bergen sich in Büschen, 260
Es schließen sich die Heeresreihn, Granaten rollen, Kugeln zischen, Kalt blinkt der Bajonette Schein. Des Feuers ungeachtet, drängen Der Schweden sieggewohnte Mengen Durch unsrer Schützengräben Reihn. Es sprengen feurige Schwadronen, Gefolgt von schweren Bataillonen, Die ihnen Festigkeit verleihn. Es flammt und donnert hier und dorten Das schicksalhafte Schlachtenfeld, Doch hat das Glück schon allerorten Sich unsren Fahnen zugesellt. Es häufen sich der Feinde Leichen In unsrem Feuer nach und nach; Im Engpaß mußte Rosen weichen, Und es ergab sich Schlippenbach. Wir drängen vorwärts. Es erblassen Der Schweden Siegesruhm und -glanz; Die Siegesgötter überlassen Uns nach und nach den Ruhmeskranz. Da tönt, vom Himmel eingegeben, Des Zaren lauter Ruf ins Feld: „Mit Gott ans Werk!“ Er tritt vors Zelt, Von seinen Lieblingen umgeben. Die Augen leuchten. Sein Gesicht Ist schreckerregend, übermächtig. Er ist so herrlich, rasch, so prächtig. So ganz wie Gottes Strafgericht. Da wird das flinke, feurig-schöne Und treue Schlachtroß vorgeführt; Es rollt die Augen, denn es spürt Das schicksalhafte Kampfgedröhne, Und stürmt mit Peter durch die Schlacht, Voll Stolz auf seines Reiters Macht. 261
Es glühn der Mittagshitze Dämpfe. Dem Landmann gleich, ruhn alle Kämpfe. Kosaken reiten querfeldein. Es ordnen sich die Kämpferreihn. Die Kriegsmusik ist im Verhallen, Das opfergierige Gebrüll Der Kanonade wird nun still; Statt dessen dröhnt in lautem Schallen Der Ruf „Hurra“ von nah und fern. – Das Heer erblickte seinen Herrn. Ein Halbgott voller Kampfesschöne, Sprengt er vorbei mit Adlerblick. Ihm nach des Adlerhorstes Söhne, Von seinem wechselnden Geschick Zu Weggefährten ihm beschieden In Staatskunst, Machtkampf, Krieg und Frieden, Zur Mitarbeit in seinen Mühn: Graf Scheremetew und Repnin, Und neben Adelsveteranen Läßt sich ein Bruce und Bauer sehn Und jenes Glückskind ohne Ahnen, Schon selbst ein halber Souverän. Im Stuhl getragen, unbeweglich, Noch leidend an der Wunde Pein, Erschien auch Karl – ein wenig kläglich – Vor seinen blauen Kriegerreihn, Bleich, still, versunken in Gedanken; Die Führer gingen hinterdrein. Sein Blick verriet ein heimlich Schwanken, Bestürzung zuckte im Gesicht In ungewöhnlicher Erregung; Es schien, als freue ihn schon nicht Der lang ersehnten Schlacht Bewegung. 262
Doch da – ein matter Wink der Hand; Das Heer wird in den Kampf gesandt. Es stößt nunmehr im Pulverdampfe Im Tal aufs Zarenheer zum Kampfe, Und die ersehnte Schlacht erbebt! Die Kugeln scheinen abzuprallen, Denn wo lebend’ge Mauern fallen, Gleich eine neue sich erhebt. In schweren Wolken Reiter wehen, Die alles vor sich niedermähen Und ineinander sich verwirrn, Die Säbel rasseln, Zügel klirrn. Dazwischen springen die Granaten Und häufen Leichen der Soldaten, Verbohren sich in Sand und Sud Und zischen im vergoßnen Blut. Man sticht und schlägt, Kanonen dröhnen, Die Trommeln wirbeln. Rufe, Stöhnen, Gewieher, Hufschlag, wilder Schall, Und Tod und Hölle überall. Doch ruhevoll in all dem Rasen Verfolgen jede seiner Phasen – Sowohl Erfolg als Mißgeschick Erahnend mit geübtem Blick – Die Führer, die sich still beraten, Begeistert von den kühnen Taten. Wer aber ist es, schwach und alt, Der Held mit silbergrauen Haaren In nächster Nähe von dem Zaren? Zwei Krieger bieten ihm den Halt – Er ward zum Greis in der Verbannung. Doch glüht des Kenners heiße Spannung
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Im Blick Palejs. Sein Kampfgeschrei Ruft nicht mehr wie in frühern Jahren Berittene Kosakenscharen Aus allen Gegenden herbei – Was aber läßt sein Auge funkeln, Sein Antlitz plötzlich sich verdunkeln, Gleich zorndurchblitzter finstrer Nacht? Was hat wohl seinen Grimm entfacht? Hat er vielleicht im Pulverdampfe Den Feind erspäht, den er gesucht, Und, selbst nicht stark genug zum Kampfe, Sein wehrlos Greisentum verflucht? Masepa aber, voll Gedanken, Blickt auf des Schlachtfelds wildes Schwanken, Umringt von der Rebellen Schar, Die ihm noch treu geblieben war. Da fiel ein Schuß, und er erspähte: Ganz nah von ihm ein Mann sich wand Im Blut. Noch rauchte die Muskete, Umspannt von Woinarowskijs Hand. Doch der vom Reiterzwang befreite, Von Staub und Schaum bedeckte Hengst Durchsprengte wild des Schlachtfelds Weite: Der Jüngling hatte wohl schon längst Masepa sich zum Ziel erkoren Und war – die Augen zornentbrannt – Mit blankem Säbel in der Hand Auf ihn gestürmt wie traumverloren. Masepa fragt ihn noch: „Warum?“ Doch sterbend schon, bleibt jener stumm. Es droht dem Feinde – todumdüstert – Sein Auge noch, bevor es bricht. Und zärtlich noch „Maria“ flüstert Es vom erstarrenden Gesicht. 264
Doch nahen schon die Siegeszeichen. Die Schweden fangen an zu weichen, Es wankt der Feind. Hurra! Er flieht. Ihm nach die Jagd der Reiter zieht. O Ruhmesstunde ohnegleichen! Das Schwert wird stumpf und lahm der Arm, Die ganze Steppe decken Leichen, Wie Heuschrecken in schwarzem Schwarm. Zar Peter tafelt, stolz und mächtig, Im klaren Blick des Ruhmes Schein. Sein Mahl ist kaiserlich und prächtig. Er läßt die Truppen fröhlich sein. Die Seinen, die gefangenen Gäste, Der Führer ruhmumwobnen Kranz Bewirtet er im Zelt aufs beste, Auf seiner Lehrer Wohl und Glanz Trinkt er als Höhepunkt beim Feste. Wo aber bleibt der Ehrengast, Der erste grausam harte Lehrer, Den du jetzt überwunden hast, Poltawas Siegeszar, du hehrer? Wohin entfloh Ischariot Masepa, Ausgeburt der Hölle? Warum kam er nicht aufs Schafott Und ist der König nicht zur Stelle? Es flieht in wildem Ritt das Paar Auf kahlem, ödem Steppengrunde. Aus Zorn erstarkt in der Gefahr, Vergißt der König seine Wunde. Er reitet mit gesenktem Haupt, So schnell sein Renner es erlaubt, Gehetzt von russischen Schwadronen, Und seiner treuen Diener Ritt, 265
Die weder sich noch Rosse schonen, Hält kaum noch mit dem König Schritt. Mit scharfem Blick durchspäht die Weite Der Steppe bis an ihren Rand Der alte Hetman ihm zur Seite. Da naht ein Hof – und wie gebannt Vom Schreck, der ihm das Herz beengte, Masepa jäh vorübersprengte In weitem Bogen ums Revier. Warum? – Vielleicht gemahnt ihn hier Des Hofes einsam stille Lage, Das Haus, die offne Tür ins Feld, An eine halbvergeßne Sage, An eine abgeklungne Welt? Ob er das traute Heim erkannte, An das ihn einst die Freundschaft bannte. Wo er – von starkem Weine heiß – So oft beim Tafeln Scherze machte Und mit den andren herzlich lachte In glücklichem Familienkreis, Wo er des Engels Liebe schürte, Der selber sich von hier verbannt’, Den er in dunkler Nacht entführte? – Verführer! Ja, du hast’s erkannt! Die Nacht umhüllt die Steppenlande. In leisen Schlaf versunken war Im Felsspalt an des Dnepr Strande Des Zaren Peter Feindespaar. Der Held hat seine Schmach vergessen, Poltawa kümmert ihn noch kaum; Doch schwer ist des Masepas Traum, Er bleibt vom bösen Geist besessen.
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Da, plötzlich ruft ihn jemand wach In diesem lautlos nächt’gen Schweigen. Im Dunkel sieht er, nach und nach, Sich über ihn ein Antlitz neigen. – Er zuckt, als träfe ihn der Schlag. Vor ihm, vom Mondlicht hell beschienen, Das Haar zerzaust, verstört die Mienen, In Lumpen, abgemagert, bleich, Steht düstren Blickes, bettlergleich … „Marie? – Bist du es? – Kann ich’s fassen?“ MARIE O Liebster, weck sie nicht; sei still! Du mußt die Eltern schlafen lassen, Sonst hört man uns … Doch wart, ich will MASEPA Marie, mein armes Kind! – Bedenke, Besinn dich! – Gott, was ist mit dir? MARIE Nein, höre doch: welch schlaue Ränke! Die Mutter, sie erzählte mir Als ein Geheimnis, im Vertrauen, Daß Vater sanft entschlafen sei, Und zeigte mir den Kopf, den grauen, Ganz heimlich, so … Gott steh mir bei! Wie retten wir uns vorm Betrügen? Es war ja gar kein Menschenkopf, Es war ein Wolfskopf … So belügen Hat sie mich wollen. – Welch ein Tropf! So plump die Wahrheit zu verdrehen, Mich so zu quälen, martern! … Sieh, Warum wohl? Kannst du es verstehen? – Damit ich heut nicht mit dir flieh! Schämt sie sich nicht? 267
(In tiefem Grimme Lauscht’ er Mariens irrer Stimme, Die immer wirrer wird.) Und doch Entsinne ich mich dunkel noch: „Es war ein Feld … ein festlich Lärmen … Und Leichen … und gemeines Volk … Die Mutter geht zum Fest … ich folg … Wo warst denn du? … Und warum irre Ich jetzt des Nachts umher, allein? Komm mit nach Haus, ’s ist spät … Wie wirre Scheint’s doch in meinem Kopf zu sein, Welch Phantasien ihn durchwandern! Ich hielt dich ja – für einen andern: Du bist ein Greis … Laß mich allein. Dein Antlitz ist entsetzlich, gräßlich, Dein Blick – so spöttisch und so häßlich. Des andren – strahlte Liebesglut, Er sprach so süß, der Wunderbare, Mit seinem schneeig weißen Haare! – An deinem Barte haftet Blut!“ Und flinker noch als die Gazelle, Die jäh sich aus dem Staube macht, Mit gellem Lachen, leicht und schnelle, Verschwand sie in der dunklen Nacht. Es weicht die Nacht dem Morgenrot. Das Feuer der Kosaken loht; Sie kochen ihre Weizensuppe, Die Rosse tränkt am Dneprlauf Die mitgekommne Reitertruppe. Und Karl erwacht: „Oho, steh auf! Mein Freund, es graut bereits der Morgen.“ – Doch dieser schläft schon lange nicht, Das Herz bedrückt von bittren Sorgen, Von tiefer Schwermut Alpgewicht. 268
Er sattelt stumm. Und beide fliehen, Der König wie auch der Trabant, Doch furchtbar seine Blicke glühen Beim Abschied von dem Heimatland. Was wurde nun – nach hundert Jahren – Aus jener stolzen Männer Kraft, Die willensstark und heldenhaft Und so voll Leidenschaften waren? Mit ihren Siegen, Nöten, Mühn Erlosch der blut’gen Spuren Glühn. – In Rußlands staatlichem Gefüge, In seinem kriegerischen Los Erwuchs aus diesem Heldensiege Nur Peters Denkmal, wahrhaft groß. Vom Schwedenkönig zeugt hingegen In Benders ödem Steppenland, Wo Büffel grasen an den Wegen Und Mühlenflügel still sich regen Ringsum als friedensvolle Wand – Nur eine längst zerstörte Feste Mit zwei, drei Stufen ganz in Moos. Da focht er mit dem letzten Reste Der Diener um sein Heldenlos. Da hielt er noch dem Türkenheere Bei dessen wildem Angriff stand Und warf zuletzt des Degens Ehre Vor einem Pascha aus der Hand. Doch sucht der Wanderer am Stabe Vergebens nach dem Hetmansgrabe, Vergaß man ihn doch allzubald; Sein denkt man einmal nur im Jahre, Wenn feierlich vom Hochaltare Laut das „Anathema“ erschallt.
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Doch hat uns noch – mit vielen alten – Der Kirche friedensvolle Weih Die Gräber jener andern zwei Bis auf den heut’gen Tag erhalten, Und – einst gepflanzt von Freundeshand – Ragt noch die Reihe alter Eichen, Den Enkeln als ein Ahnenzeichen, Vom Dorf Dikanka weit ins Land. Doch von Maria … Selbst die Sagen Enthalten nichts von ihren Klagen, Von ihrem Ende, ihrem Los, So ging sie in dem Dunkel unter, Wie ein Verbrechen … Nur mitunter Erwähnt’s ein blinder Sänger bloß, Wenn in der Dorfbewohner Kreisen Melodisch seine Leier klingt Und er des Hetmans alte Weisen Dem jungen Volk zur Warnung singt.
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Das Häuschen in Kolomna
1 Vierfüßige Jamben reizen mich nicht sehr, Den Knaben werd ich sie als Spielzeug lassen, Fünffüßig will ich dies Poem nunmehr In schöne achtzeilige Strophen fassen. Dreifache Harmonie könnt ich unschwer Im Handumdrehn erzielen solchermaßen. Die Reime find ich leicht, hab ich erst zwei, Spaziert der dritte ganz von selbst herbei. 2 Damit die Reime nicht auf Stelzen gehen, Nehm ich dazu auch Verben ungeniert, Mag das zwar allen Bräuchen widerstehen, Kein Grund, daß man sich drüber echauffiert. Hab ich, Schichmatow gleich, wie man gesehen, Bisher auch diese Bräuche respektiert, Warum, beim Himmel, sollte ich mich schämen, Von nun an Verben für den Reim zu nehmen! 3 Die Verben auszumustern, find ich dumm, So wie man’s macht mit krüppligen Rekruten Oder mit Gäulen, die ein bißchen krumm. Ich mache Reime selbst aus Attributen 273
Und wühl im Lexikon nach Silben rum, Die tauglich sind. Aus guten, minder guten Formiere ich ein Heer in Reih und Glied, Das nicht nur protzig zur Parade zieht. 4 Achtung und hergehört, ihr Silbenreihen, Mögt ihr nun weiblich oder männlich sein, Richt’ euch und schwenkt zu dreien und zu zweien In die Oktaven-Marschkolonne ein! Habt keine Angst, daß wir zu strenge seien, Setzt unbefangen mählich Bein vor Bein, Im Gleichschritt werden ohne Schwierigkeiten Wir bald auf glatter Straße vorwärts schreiten. 5 Wie lustig, wenn man seine Verse führt Beziffert als geordnete Verbände, Wenn keiner seitwärts schleichend sich verliert, Als ob er aus dem Feld zur Flucht sich wende, Wenn jede Silbe steht, wie sich’s gebührt, Und jeder Vers als Held sich zeigt am Ende, So daß man von dem Dichter sagen kann: Er gleicht Napoleon oder Tamerlan. 6 Bei dieser Stelle möcht ich kurz verweilen. – Nicht, weil den Einsatz ich erneuern möcht – Ich will nur sagen: In fünffüßigen Zeilen War die Zäsur beim zweiten Fuß mir recht, Sonst plumpst der Vers beim schnellen Weitereilen In eine Grube, und das wäre schlecht. 274
Selbst auf dem Sofa hier schien mir’s zu holpern, Als müßt ich über Ackerfurchen stolpern. 7 Wie dem auch sei, man kann nicht jeden Tag Nur auf dem glatten Newskij promenieren, Man geht auch nicht zum Ball, sooft man mag, Um das Parkett beim Tanzen zu polieren, Auch reiten ist nicht jedermanns Geschmack, Quer durch Kirgisien. – Ich werd kutschieren Wie der Kauz, der, ohn’ zu rasten, ritt Von Moskau zur Newa – gemach im Schritt. 8 Mein gutes Roß holt Pegasus, die Mähre, Die alt und zahnlos ward, dennoch nicht ein. Im Brunnen, den sie grub, gähnt graue Leere, Brennesseln decken des Parnaß Gestein. Apoll ist pensioniert, und seine Chöre Erklingen jetzt nicht mehr, uns zu erfreun. Sein Zelt, herabgestürzt von heiligen Höhen, Ist heute auf dem Trödelmarkt zu sehen. 9 So setz dich, Muse, in die Ärmel quer Die Hände schieb, still unterm Tischchen lasse Die Füße, Wildfang, wirble nicht umher. Daß Form und Inhalt gut zusammenpasse, Denn jetzt geht’s los mit unsrer Schauermär: Es stand einmal ein Häuschen in der Gasse Bei Sankt Marien hinterm Wächterhaus. Harmlos und friedlich sah das Häuschen aus. 275
10 Heut ist es weg. – Wo ich es hab gesehen, Hat man ein Haus, drei Stockwerk hoch, gebaut. Mit einem Freund hab im Vorübergehen Ich mir die Gegend neulich angeschaut. Denn wieder fiel mir ein, was da geschehen, In jenem kleinen Häuschen, still und traut. Ein Mädchen wohnte da, schön zum Entzücken, Oft sah ich sie dort aus dem Fenster blicken. 11 Das große Haus, mißmutig sah ich’s an. War augenblicks ein Brand darin entstanden, Es hätte meinem Herzen wohlgetan, Ging’ es dabei bis auf den Grund zuschanden! … Seltsame Träume sind’s, die dann und wann Wie wilde Wogen die Vernunft umbranden. Manch Unsinn fällt uns ein, streift man allein Oder mit einem Freund umher zu zwein! 12 Wohl dem, der dann die Worte und Gedanken Im Zaume hält und lenkt aufs rechte Gleis, Des Herzens Schlange abwürgt ohne Wanken Und, schießt sie vor, sie zu beschwichtigen weiß. Doch wer geschwätzig sich nicht hält in Schranken, Gibt seinen Ruf leicht den Verleumdern preis. Ich, dem der Arzt verbot, Trübsal zu blasen, Scher mich nicht drum, gebrauche keine Phrasen. 13 Drum freiheraus gesagt: Die Jungfrau war So schön, wie selten eine ich erblickte, 276
Schwarz wie die Nacht die Augen und ihr Haar, Die Haut so zart, daß jeden sie entzückte, Zudem war sie gescheit, las Bücher gar Von Emin (was die Mutter kaum beglückte, Die Witwe war, bebrillt, bigott und alt, Mit Zügen, wie sie Rembrandt oft gemalt). 14 Mein Herz schlug, wenn das schöne Kind zur Laute Das Lied „Es seufzt das graue Täubchen“ sang Sowie „Ich tret heraus …“, wobei das traute Gesumm des Samowars vom Ofen klang, Indes der Winterabend draußen graute. In allen ihren Weisen Wehmut schwang, Sie klangen, so wie Russenlieder klingen, Die unsre Mädchen selbst im Frühling singen. 15 Trübselig in des Wortes wahrem Sinn Vom Fuhrmann bis zum edelsten Poeten Ist unser Lied! – Gram drückt sich aus darin, Als ob wir niemals Grund zur Freude hätten. Wo man in Rußland singt, nur zu Beginn Singt man auf die Gesundheit froh bei Feten, Doch bald schwelgt in schwermütiger Harmonie Der Musen wie der Mädchen Melodie. 16 Parascha war der Name unsrer Schönen, Sie konnte waschen, bügeln, stricken, nähn. Die wahre Hausherrin war sie zu nennen. Durch ihre Hände mußte alles gehn. 277
Sollt nicht der Brei im Kochtopf stets anbrennen, Dann mußte sie selbst in der Küche stehn. Der Köchin, welche taub auf beiden Ohren, Ging der Geruchsinn auch schon längst verloren. 17 Die alte Mutter sah man tags nur still Am Fenster sich mit Strickarbeiten plagen, Indessen abends ihr nur noch gefiel Das Kartenlegen, um draus wahrzusagen. Die Tochter trieb dafür ein andres Spiel: Neugierde schien sie hin und her zu jagen, Sie spähte oft am Tag durchs Fenster flink Nach jedem, der vorbeiritt oder ging. 18 Im Winter konnte das zwar kaum geschehen, Da werden früh die Läden zugemacht, Im Sommer könnt Diana lange sehen Tief in des Mädchens Stube oft zur Nacht. (Dies Bild darf heut kein Dichter übergehen, Es sei, er läßt die Mode außer acht.) Die Alte schnarchte, und der Morgen graute, Indes Parascha in den Mond noch schaute 19 Und lauschte auf die Katzen unterm Dach, Die ihren Brunstschrei in die Stille gellten, Die sonst der Turmuhr Schlag nur unterbrach Sowie des Wächters Ruf, während nur selten Zwei Menschenschatten huschten, die hernach
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Sich einen dunklen Platz zum Treffpunkt wählten. Dann pochte vor verhaltner Liebeslust Das Herz laut hörbar in Paraschas Brust. 20 Doch sonntags sah man sie, um Gott zu dienen, Mit ihrer Mutter in die Kirche gehn Nach Sankt Marien und mit frommen Mienen Ganz vorne links am Chor andächtig stehn. Noch heute zieht’s mich selbst mit allen Sinnen In diese alte Kirche, die so schön, Daß ich behaupte, wer, wie ich, je Messen Dort hörte, kann’s sein Lebtag nicht vergessen. 21 Auch eine Gräfin war dort stets zu sehn (Den Namen weiß ich heut nicht mehr zu sagen). Reich war sie, jung und majestätisch schön In ihrem hohen weißen Spitzenkragen. Stolz sah ich sie im Chorstuhl betend stehn. Oft trieb’s mich Sünder, einen Blick zu wagen, Um mit Parascha den Vergleich zu ziehn, Die dann recht arm und blaß dagegen schien. 22 Manchmal geschah’s, daß auch die Gräfin blickte Hochmütig, lässig auf Parascha hin, Die im Gebet, das sie der Welt entrückte, Versunken blieb mit kindlich frommem Sinn. Inbrünstiger Glaube, wahre Demut drückte Sich ohne eitle Selbstsucht aus darin, Indes die Gräfin nur des Eindrucks dachte, Den ihre Schönheit und Garderobe machte. 279
23 Doch diese ganze Schönheit wirkte kalt, Nur Eitelkeit ließ ihren Glanz entbrennen, So schien es wohl, doch ich verstand es bald, Die Gründe ihres Hochmuts zu erkennen: Ein langer Kummer hielt ihr Herz umkrallt, Verhärtete die Seele dieser Schönen, Eh sie geahnt, daß ich durchschaut den Schein, Sollt ich vielleicht ihr nächstes Opfer sein. 24 So schön und reich sie war, so daß ihr Leben Ganz unbeschwert im Nichtstun floß dahin, Obwohl Fortuna alles ihr gegeben An Modeglanz und Luxus – ohne Sinn Und ohne Glück blieb all ihr weiblich Streben. Ach, hundertmal gesegneter darin Sollt sich Parascha, der nur Schlichtheit eigen Und Herzenswärme, in der Folge zeigen. 25 Stand sie am Fenster mit dem langen Zopf, Dem billigen Kettchen, um den Hals gewunden, Dem schlichten Tüchlein um den Lockenkopf, Zum Knoten kreuzweis unterm Kinn gebunden, Dann lenkte manch ein schnurrbärtiger Tropf Sein Pferd vorbei – das ging so Stund um Stunden. Verrückt nach ihr Gardist wie Leutnant war, War sie auch arm und goldenen Schmuckes bar. 26 Welchem Verehrer sie ihr Herz gegeben, Ob sie gefühllos gegen alle blieb, 280
Wir werden’s sehn. – Friedlich noch schien ihr Leben, Als ob sie keinerlei Erfolgssucht trieb, Beim Ball zu glänzen, nach Paris zu streben. Selbst was bei Hof sich tat, schien ihr nicht lieb, Obwohl durch eine Base, deren Gatte Hoffurier war, sie dort Beziehung hatte. 27 Das Schicksal änderte die Lage jäh: Die Köchin wurde krank. Daß man sie rette, Gab man ihr warmen Wein, Kamillentee, Doch ohne, daß es was gebessert hätte. Die Nacht vor Weihnacht – draußen lag längst Schnee – Fand man sie tot und starr in ihrem Bette. Kurz war die Trauer und das Abschiedsweh. Am nächsten Tag schon war sie aufgebahrt Und trat nach Ochta an die letzte Fahrt. 28 Der Kater Waska war’s, der sie noch lange Beweinte, währenddes die Witwe schon Nach ein paar Tagen, um ihr Wohlsein bange, Sich eine Köchin, die um kleinen Lohn Die Küche und die Wirtschaft hielt im Schwange, Von Gott erbat und seinem lieben Sohn. „Parascha“, rief sie, „geh die Nachbarn grüßen Und frag, ob sie solch eine Köchin wissen!“ 29 Parascha war sofort dazu bereit Und machte sich davon, warm angezogen, (Denn Winter war’s, es hatte lang geschneit, Nun funkelte frostklar der Himmelsbogen). 281
Die Mutter schlief schon seit geraumer Zeit, Als, wie ein Engel leis hereingeflogen, Parascha vor ihr stand um Mitternacht Und sprach: „Ich hab die Köchin mitgebracht.“ 30 Da trat hervor mit schüchternem Gebaren Ans Bett der Alten, welche halb noch schlief, In kurzem Rock und mit verhüllten Haaren Ein hochgewachsnes Mädchen, das sich tief Verneigte, um in Demut zu erstarren. Nun, das gefiel der Alten, und sie rief: „Was forderst du? Ich hab nichts zu verschenken!“ Das Mädchen hauchte: „Was die Gnädige denken …“ 31 Die Alte hörte diese Antwort gern. Als sie des Mädchens Namen dann vernommen, Sprach sie: „Bist jung, Mawruscha, hältst du fern Uns auch die Männer, bist du uns willkommen. Die alte Köchin ließ nie einen Herrn Ins Haus. Zehn Jahr vertrauten dieser frommen, Getreuen Magd wir ganz, tu deine Pflicht Wie sie, sei fleißig und bestiehl uns nicht! …“ 32 Nach ein paar Tagen ließ sich schon erkennen, Daß Mawra kaum geschickt als Köchin war. Mal ließ sie überkochen, mal anbrennen Die Suppe und versalzte sie sogar, Zerbrach die Teller und begann zu stöhnen, Wenn sie beim Nähn sich stach – war’s da nicht klar. 282
Daß, eh Mawruscha nichts als Pfusch vollbrachte, Parascha lieber alles selber machte? 33 Die fromme Mutter mit der Tochter ging Zur Messe wie am Sonntagmorgen immer. Mawruscha blieb zu Haus, das arme Ding, Geplagt von Zahnweh in der Nacht, das schlimmer Geworden war, indessen trotzdem flink Den Kuchen backen wollt das Frauenzimmer. Die Alte ließ es zu, im Bethaus dann Fiel sie erst Sorge und Entsetzen an. 34 Warum ist diese Närrin jetzt so plötzlich Versessen auf die Kuchenbäckerei? Ausrauben will sie uns vielleicht? – Entsetzlich! Und macht sich aus dem Staub? – Ah, Teufelei! Das war ein Feiertag, der kaum ergötzlich! Barmherziger Gott im Himmel, steh mir bei! Gequält von diesem schrecklichen Gedanken, Sah man sie jählings aus der Kirche wanken. 35 „Bleib hier, Parascha, Kind, ich muß nach Haus!“ Sprach sie. „Ich fühl’s, ein Unglück ist geschehen!“ Und durch die Halle gradenwegs hinaus Sah die erstaunte Tochter sie schon gehen. Dann eilte sie, gejagt von Furcht und Graus, Lief in die Küche … nichts war da zu sehen, Brach ein ins Schlafgemach, vor Angst halbtot … O Gott! Welch grauses Bild sich ihr dort bot! 283
36 Vorm Spiegel saß die Köchin, schwang ein Messer Und – schabte sich die Seife ab vom Kinn. Die Alte schrie, als saß ein Menschenfresser Vor ihr und – fiel ohnmächtig rücklings hin. Der Menschenfresser fand es trotzdem besser, Der Nemesis sich schleunigst zu entziehn, Sprang über sie hinweg zur Tür (nicht achtend Der Witwenehre), nur nach Rettung trachtend. 37 Die Messe war zu Ende. Heimgekommen, Betrat Parascha schnell das Schlaf gemach. Die arme Alte schien noch ganz benommen, Als sie, vor Schrecken zitternd, schließlich sprach: „Mawruscha …“ – „Ja, was ist?“ – „Statt einer frommen, Ehrlichen Köchin … Täubchen … Tochter … ach … Kam uns ein Dieb ins Haus … grad beim Rasieren Traf ich ihn an, da mußt er retirieren!…“ 38 Ob nun Parascha rot ward oder nicht, Wer weiß es, doch Mawruscha blieb verschollen. Nicht mal ein Kissen hatte dieser Wicht, Der ohne Lohn verschwand, im Haus gestohlen. Ich selbst war zu erkunden nicht erpicht, Wo er verblieb … mag ihn der Teufel holen! Ich weiß auch nicht (es geht mich auch nichts an), Wer ihn im Haus vertreten hat fortan. 39 Ich komm zum Schluß … und sollt man mich jetzt „War das denn alles? Das ist sonderbar! [fragen: 284
Solch prahlerischen Lärm darum zu schlagen, Achtzeilige Strophen zu bemühn sogar! Ein umständlicher Weg, das muß man sagen! Bot sich kein besseres Thema dafür dar? Wo steckt da die Moral, die gute Lehre?“ Geduld! Glaubt nicht, daß mich das gar nicht schere! 40 Nach meiner Meinung ist dies die Moral: Man soll umsonst nie eine Köchin dingen, Auch ist’s für Männer komisch und fatal, In Weiberkleider listig sich zu zwingen. Denn jeder Mann muß sich doch schließlich mal Rasieren, und so kann sein Trick mißlingen. Ein Bart paßt nicht zur weiblichen Natur. Schnappt man den Mann, gilt er als Spitzbub nur.
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Der eherne Reiter Eine Petersburger Erzählung
Das in dieser Erzählung beschriebene Ereignis beruht auf Wahrheit. Die Einzelheiten der Überschwemmung sind den damaligen Zeitschriften entnommen. Wißbegierige können in dem von W. N. Berch zusammengestellten Bericht nachschlagen.
Einleitung
Er stand am wellumspülten Strand In tiefem Sinnen, unverwandt Ins Ferne schauend. Bleiern zogen Die Fluten durch das niedre Land; Ein Kahn trieb einsam auf den Wogen, Und hier und da im Ufermoor Stach eine Hütte grau hervor, Die karge Wohnstatt eines Finnen, Und Wald, in dem sich nie verlor Ein Sonnenstrahl durch Nebellinnen, Rauschte ringsum. Stolz dachte er: Von hier aus drohen wir dem Schweden; Hier werde eine Stadt am Meer, Zu Schutz und Trutz vor Feind und Fehden; Hier hatte die Natur im Sinn Ein Fenster nach Europa hin, Ich brech es in des Reiches Feste; Froh werden alle Flaggen wehn Auf diesen Fluten, nie gesehn, Uns bringend fremdländische Gäste. Hin gingen hundert Jahre – und Das Wunder mitternächt’ger Lande, Die Stadt wuchs auf aus Meeresgrund, In stolzem, prunkvollem Gewände: 289
Wo einst der Stiefsohn der Natur, Der Finne, sein betrübtes Leben Erstritt durch Netz und Angelschnur An öden Ufern – heute streben An dem in Stein gefaßten Strand Empor in goldnem Kuppelbrand Kirchtürme, schimmernde Paläste, Und Schiffe schneiden durch die Flut Aus aller Welt, voll reichem Gut, Begrüßt als gern willkommne Gäste; Die Newa hüllte sich in Stein; Die Wasser überspannen Brücken, Und dunkelgrüne Gärten schmücken Der Inseln malerische Reihn. Und vor der jungen Metropole Neigt Moskau demütig das Haupt, Wie vor der Kronengloriole Die Zarin-Witwe, machtberaubt. Ich lieb dich, Schöpfung Peters, deine Gestrenge, einheitliche Pracht, In dem granitenen Gesteine Der Newa königliche Macht, Und deine schmucken Eisengitter, Und deiner nachdenklichen Nacht Durchsichtig-weißes Lichtgezitter, Wenn ich im Zimmer, traumerwacht, Schreib, lese ohne Licht und Lampe, Wenn klar vor meines Fensters Rampe Das hehre Bild der Stadt ersteht Und von der Admiralität Mich grüßt der Nadel Goldgefunkel Und an dem goldnen Firmament Die Dämmerung, kaum ward es dunkel, In neuer Dämmerung entbrennt; 290
Ich lieb der Winterstürme Tosen, Des starren Frostes kalten Kuß, Die Mädchenwangen, rot wie Rosen, Den Flug des Schlittens längs dem Fluß; Der frohen Bälle Glanz und Flimmer; Ich lieb im Junggesellenkreis Des Punsches blauen Flammenschimmer, Im goldnen Wein der Perlen Weiß Und auf dem Marsfeld, vor dem Volke, Das kriegerische Spiel voll Zucht: Des Fußvolks einheitliche Wucht, Der Reiterei Gewitterwolke; Vor ihrer schlanken, ranken Pracht Die Fetzen unbesiegter Fahnen, Die Messinghauben der Ulanen, Durchlöchert in der letzten Schlacht; Ich lieb den Donner der Kanonen, Verkündend, daß dem Kaiserthron Der mitternächtlichen Regionen Geboren der erlauchte Sohn, Daß neuer Siege Blitzesloh’n Durchzittert Rußlands stumme Weiten, Daß ihren Panzer jäh gesprengt Die Newa und, vom Lenz gedrängt, Die Schollen stürmisch meerwärts gleiten. Rag, Peters Stadt, in hehrer Pracht, Wie Rußland stolz und unbezwungen! Bezähm der Elemente Macht, Der du dein Leben abgerungen: Erneuert nicht die alte Schlacht – Den Haß der Meer- und Newawellen, Des Aufruhrs meuterisches Gellen Stör nicht des Großen ew’gen Schlaf!
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Die Stadt ein schweres Unglück traf, Es lebt noch zitternd im Gedenken … Davon will ich erzählen schlicht Den Freunden, die mir Liebe schenken. Gar kummervoll ist mein Bericht.
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Erster Teil
Durch Peters Stadt am Newadelta Zog herbstliche Novemberkälte; In ihrem rauschenden Bereich Jagten die Wellen um die Wette; Die Newa, einem Kranken gleich, Warf ruhlos sich in ihrem Bette; Es war schon Nacht; an Wand und Glas Schlug bös der Regen, schneeig naß, Laut klang des Windes trübes Klagen. Eugen kam eben heim – zu Gast War er so spät gewesen … Laßt Den Jüngling diesen Namen tragen. Es liegt in ihm ein schöner Klang, Und meine Feder ist schon lang An ihn gewöhnt aus frühren Tagen. Den Zunamen will ich nicht sagen, Obgleich er in vergangner Zeit Umleuchtet war von Ruhmesstrahlen Und unter Karamsins Geleit Erklang in unseren Annalen; Doch heute ist er von der Welt Vergessen. Unser junger Held Lebt in Kolomna, dient im Amte, Er scheut den Kreis, dem er entstammte, Und fühlt kein trübes Herzeleid Um jene gute alte Zeit. Wohl denn, er schüttelte die Tropfen Vom Mantel ab und ging zur Ruh – 293
Doch seine Aufregung nahm zu, Er hörte seine Pulse klopfen. Woran denn dachte er? Daran, Daß er durch Arbeit im Gespann, Sich Unabhängigkeit und Ehre Erkämpfen mußte in der Welt; Daß es für Gott ein leichtes wäre, Ein wenig mehr Verstand und Geld Ihm zu gewähren; daß es doch So manchem Faulpelz besser ginge Und ohne großen Geist gelinge. So schön zu leben, ohne Joch! Daß er im Amt erst seit zwei Jahren Und daß der Sturm in seinen Haaren So arg gewühlt; daß immer noch Das Wasser steigt; daß vor den Wogen Man wohl die Brücken weggezogen, Daß er Parascha, die er liebt, Für zwei, drei Tage jetzt nicht sieht. Hier seufzt’ Eugen aus tiefster Brust, Begann zu träumen, ein Poet: Heiraten? Ich? Ja nun, das geht. Es ist nicht leicht, ich hab’s gewußt; Doch was, ich bin gesund und jung. Kann schaffen bis zur Dämmerung: Schon irgendwie wird’s mir gelingen, Ein Heim zu gründen, einfach, klein. Drin werde ich sie unterbringen. Indes, wie sich die Jahre reihn, Werd einen Posten ich erhalten. Parascha wird im Hause schalten, Die Kinder hüten Jahr für Jahr … So gehen wir bis hin zum Grabe, Verleben friedlich unsre Tage, Umgeben von der Enkel Schar … 294
So träumte er, die Traumgespenster Betrübten ihn. Er wünschte heiß, Der Regen schlug nicht mehr ans Fenster, Der Sturmwind hör auf sein Geheiß Zu toben auf … Er schloß die Lider, Schlief endlich ein … Nach wilder Nacht Löst langsam sich das Dunkel wieder, Und trüb ein fahler Tag erwacht … O Schreckenstag! Die ganze Nacht Drängte die Newa ihre vollen Gewässer hin zum Meer, dem Tollen Des Winds entgegen. Seiner Macht War sie erlegen … Menschen standen Zuhauf am Ufer. Das Gestampf Der Flut, der Wellen Schaum und Branden Verriet den ungestümen Kampf. Doch durch den Sturm getrennt vom Meere, Als wie durch eines Dammes Wehr, Floß zornig in metallner Schwere Die Newa wild zurück vom Meer Und überflutete die Inseln. Zu Donner schwoll des Windes Winseln, Und kochend wie in Kesselglut, Warf einem Tiere gleich, in Wut, Sich auf die Stadt der Strom. Die Menschen Ergriffen jäh die Flucht, und leer Ward schnell das Ufer; dumpf und schwer Die Fluten in die Keller schlugen Durch der Umzäunung Gitterfugen – Petropolis wie ein Triton Schwamm auf den Wogen im Zyklon. Belagrung! Sturm! Die Wellen brachen Wie Diebe durch die Fenster; Nachen 295
Zerschlagen Scheiben, windumprallt; Fischstände gleiten durch den Spalt; Trümmer von Hütten, Balken, Dächer, Waren der Kaufleute und Schacher, Der Armut karges Gut und Hab, Särge aus aufgewühltem Grab, Und fortgeschwemmte Brücken schnellen Wild durch die Straßen! Held und Wicht Spürt Gottes Zorn und sein Gericht. Nahrung und Heim wird Raub der Wellen. In jenem schicksalsschweren Jahr Regierte noch, ruhmvoll und weise, In Rußland der verstorbne Zar. Er, dessen Herz voll Güte war, Trat still auf den Balkon, und leise Sprach er: „Nicht können Könige Krieg Mit Gottes Elementen führen.“ Er schaute auf die Flut und schwieg, Im Herzen ein erschüttert Rühren. Die Plätze glichen tiefen Seen, In die die Straßen sich ergossen Als breite Flüsse; flutumflossen, Erschien das Schloß im Sturmeswehn Ein trübes Eiland. Dem Befehle Des Zaren folgend, eilten kühn In Booten seine Generäle Durch das Gewoge der Kanäle, Helfend in eiferndem Bemühn. Und auf dem Petersplatz, umgeben Von der Gewalten Kampfesbeben, Dort, wo vor marmornem Portal Zwei Löwen mit erhobner Tatze Als Wächter stehn am Kaiserplatze, 296
Saß auf dem einen Tiere, fahl. Erfüllt von namenloser Qual, Eugen, mit starr gekreuzten Armen, Zum Himmel flehend um Erbarmen – Nicht für sich selbst. Er nahm nicht wahr, Wie sich die gier’ge Wellenschar Nach oben reckte, seine Sohlen Umspülte, wie der Regen kalt Sein Antlitz netzte, wie das Johlen Des Windes wuchs, der mit Gewalt Den Hut vom Kopf ihm riß. Voll Bangen Irrte sein Blick, in Fieberglut, Um einen Punkt. Dort rollten, sprangen Die Wogen der empörten Flut Hin übers flache Land, Getrümmer Mit sich entführend; immer grimmer Heulte der Wind … O Gott, und dort, Ganz nah am überschwemmten Port, Steht hinter einem Zaun aus Latten In einer Trauerweide Schatten Ein schlichtes Häuschen, dort lebt sie Mit ihrer Mutter, sie, sein Leben Und seines Lebens Poesie … Ist es ein Traum, dies Meererbeben? Ist unser ganzes Leben nur Ein Traum der höhnenden Natur? Und wie gebannt vom Blick des Bösen, Kann sich Eugen vom Stein nicht lösen! Ringsum, im Schein des fahlen Lichts, Ist trübes Wasser – weiter nichts. Und auf granitnem Postamente, Am unbewegten Felsenrand, Ragt starr, mit ausgestreckter Hand, Aus dem empörten Elemente Auf erznem Rosse der Gigant. 297
Zweiter Teil
Doch endlich, müde der Zerstörung Und satt der meuterischen Wut, Wandt sich zurück die wilde Flut Des Stroms, sich freuend der Empörung Und mit Verachtung der Verheerung Entfliehend. Allen Mitleids bar, Bricht eine räuberische Schar So in ein Dorf mit Raub und Morden: Es plündern, sengen wild die Horden; Schrei und Gestöhn erstickt im Graus … Beschwert durch die erraffte Beute, Verlachend die entsetzten Leute, Entflieht die wüste Schar nach Haus, Manch Stück verlierend auf dem Wege. Das Wasser sank, die Bürgerstege Entblößend, und das Sturmgebraus Erlosch allmählich. Durchs Gehege Der Trümmer eilt auf schnellem Fuß Voll Angst Eugen hinab zum Fluß, Jedoch die siegestrunknen Wellen Noch kochend an die Ufer schnellen, Als ob am Grund ein Feuer floß; Noch war die Flut vom Schaum umflogen; Schwer atmeten der Newa Wogen Wie ein dem Kampf entflohnes Roß. Stumm blickt der Arme in die Runde – Ein Kahn! O Segen diesem Funde! 298
Er ruft. Der Bootsmann, voller Mut, Stößt, ohne nach dem Grund zu forschen, Für einen kümmerlichen Groschen, Mit ihm in die empörte Flut. Und lange kämpfte mit den Wogen Der kühne Mann im kleinen Boot; Bald in die Tiefe, bald im Bogen Von Well und Well emporgezogen, Ging ihre Fahrt, von Tod bedroht. Es glückte. Ohne aufzuschauen, Lief er landein. Gar wohlvertraut Sind ihm die Straßen hier. Er schaut … Und kennt nichts mehr: O Bild voll Grauen! Durch Trümmer ist der Weg verlegt; Verwirrt, zerbrochen, weggefegt Ist alles hier; die Häuser liegen Wirr durcheinander; Wände, Stiegen Sind eingestürzt zuhauf ringsum; Wie auf dem Schlachtfeld schlummern stumm Und reglos Leichen. Angstbesessen, In einem gähnenden Vergessen, Eilt er, indem sein Aug erstarrt, Vorbei, dahin, wo seiner harrt Des Schicksals unbekannte Kunde Wie ein verschloßner Brief. Gradaus Läuft er, mit furchtverzerrtem Munde. Da blinkt die Bucht, gleich kommt das Haus … Hier … Was ist das? Eugen bleibt stehen; Er kehrt zurück – kann er nicht sehen? Er geht und schaut, und schaut und geht: Hier ist’s doch, wo das Häuschen steht; Da ist die Weide. Und die Pforte? Wohl fortgeschwemmt. Jedoch das Haus? 299
Er kreist und kreist am selben Orte, Im Ohre rauscht’s wie Sturmgebraus. Er spricht zu sich … es nimmt kein Ende Und plötzlich schlägt er beide Hände Vor seine Stirn und lacht und lacht. Die wehe Stadt versank in Nacht, Doch lang noch redeten die Leute Von dem vergangnen Tag; man scheute Sich vor dem Schlaf. Der Morgenstrahl, Der sich aus müden Wolken stahl, Erleuchtete mit fahlem Schimmer Die stille Stadt. Des Unheils Mal Erloschen war vorm Lichtgeflimmer. Das Leben trat in seinen Kreis Und lief in dem gewohnten Gleis. Schon schritten durch die freien Gassen, Wie immer nüchtern und gelassen, Die Menschen. Die Beamtenflut Strömte zum Dienst, halb ausgeruht. Den von dem Strom beraubten Laden Tat auf der Krämer, unverzagt, Um an der Herrschaft und der Magd Zu rächen den erlittnen Schaden. Es wurde flink von Platz und Hof Manch Boot gekarrt. Der Graf Chwostow, Ein Dichter, den die Musen lieben, Hatte in Versen schon beschrieben Der Newa-Ufer Schreckenstag. Jedoch Eugen, der Arme, Arme … Sein Geist, erschüttert, träumte vag, Von dem erbarmungslosen Harme Gebrochen, irr. Der Donnerchor 300
Des Stroms, da er durchbrach die Schranken, Tönt schmerzlich fort in seinem Ohr. Erfüllt von marternden Gedanken, Strich er umher, im dunklen Bann Des Wahnes. Mancher Tag verrann – Nach Haus zu gehen kam dem Kranken Nicht in den Sinn. Die Zeit nicht steht – Es zog ein hungernder Poet In seine Kammer. Bei dem Wirte Lag aufbewahrt sein kärglich Gut. Tags durch die Stadt der Arme irrte, Nachts schlief am Kai er, nah der Flut; Er nährte sich von Liebesgaben, Gereicht von mitleidiger Hand; Sein fadenscheiniges Gewand Zerriß. Es warfen böse Knaben Mit Steinen nach ihm; mancher Hieb Der Kutscherpeitschen traf den Kranken, Wenn er, versunken in Gedanken, Auf offner Straße stehenblieb; Dann schien ihm alles rings zu schwimmen, Doch ward er scheinbar nicht gewahr Der Schläge, Schreie, der Gefahr, Betäubt von innerlichen Stimmen. So fristete – ein Wunder schier – Sein Dasein er, kein Mensch, kein Tier, Kein Wesen dieser Welt, kein Schatten Aus Grabesnacht … Einst schlief Eugen Am Newakai auf morschen Matten. Es war schon Herbst. Des Windes Wehn Strich durch die Straßen. Finstre Seen Die Ufer netzten, auf die Stufen Sich drängend mit Gemurr und Rufen, Gleich armen Bittstellern am Tor Des Richters mit befangnem Ohr. 301
Eugen erwachte. Winde jagten, Der Regen tropfte, Wellen klagten, Und wechselnd riefen aus der Nacht Die fernen Posten auf der Wacht … Eugen sprang auf, das frühre Grauen Ward wieder wach; um nachzuschauen, Lief er davon, wie damals stumm; Jäh blieb er stehn und sah sich um Und lauschte auf des Windes Heulen. Er stand vor einem Haus mit Säulen. Im schattenschweren, kargen Licht Erhoben starre Marmorpranken Zwei Löwen, wachend an den Schranken Des Dunkels; hoch am Felsenrand Des Sockels ragte, nachtumwoben, Die Hand zum Newastrom erhoben, Auf erznem Rosse der Gigant. Eugen erbebte. Plötzlich klärten Sich die Gedanken. Wohlbekannt War ihm der Ort, wo wutentbrannt Die fessellosen Fluten gärten, Den Platz verwandelnd in ein Meer; Die Löwen, und der Fels, und Er, Er, der mit eherner Gebärde, Stolz überragend Flut und Land, Die Stadt erschuf am Newastrand Durch sein verhängnisvolles „Werde!“ … Wie schrecklich ragt er aus der Nacht! In diesem Blicke – welche Macht! Auf dieser Stirn – welch ein Gedanken! In diesem Rosse – welche Glut! Wo sprengt es hin in wildem Mut, Wo sinkt sein Huf, daß Welten wanken?
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O mächt’ger Zwingherr des Geschicks! Hast du nicht so, am Eisenzaume, Emporgeschnellt aus dumpfem Traume, Vorm Abgrund, Rußland, festen Blicks? Im Herzen jammernde Beschwerde, Umschlich Eugen das Reiterbild, Und seine Augen schauten wild Den Herrscher an der halben Erde. Schwer ging sein Atem. Sein Gesicht Sank an das Gitter, und das Licht Erlosch in seinem Auge. Flammen Durchzuckten jäh sein wehes Herz. Er trat vors stolze Bild aus Erz, Zog knirschend seine Hand zusammen Und zischte wie in Fieberglut, Im Banne nachtgeborner Schauer: „Ha, wundertätiger Erbauer!“ Er zitterte in dumpfer Wut: „Auf ewig sei …“ Jäh sank sein Mut, Er floh entsetzt. Ihm war, als wandte Im halb erwachten Sternenlicht Der Strenge langsam sein Gesicht, Das jäh in grausem Zorn entbrannte … Er läuft durch leere Straßenreihn Und hört voll namenloser Pein Im Rücken donnergleich ertönen Gewalt’ger Hufe ehern Dröhnen Auf dem erschütterten Gestein, Im Mondstrahl den entsetzten Streiter Verfolgt, ein ragender Koloß, Erhobnen Arms der Eherne Reiter Auf dröhnend galoppierendem Roß … Eugen, von Angst gewürgt, läuft weiter, Doch, wohin er den Lauf auch lenkt, 303
Die ganze Nacht der Eherne Reiter Ihm nach mit schwerem Stampfen sprengt. Seitdem, wann immer aus den Gassen Er auf den Platz am Strome trat, Fühlt er ein tödliches Erblassen: Aufs Herz er beide Hände tat, Als suchte er so aufzuhalten Den Kampf der quälenden Gewalten; Entblößten Haupts, bleich im Gesicht, Hob er, verstört, die Augen nicht, Schlich stumm vorüber. Im Gefunkel Der Wellen liegt am Meeresstrand Ein Eiland. Manchmal geht an Land Ein Fischer hier, vom jähen Dunkel Ereilt, und kocht sein Abendbrot, Auch ein Beamter mag sein Boot An Land hier ziehn an Feiertagen. Öd ist die Insel, wüst und leer. Die Überschwemmung trieb hierher Ein armes Häuschen. Zackig ragen Noch Dach und Wände wie ein Strauch. Im vorigen Frühjahr kamen Leute Nach dieser vogelfreien Beute Der freien Flut, nach altem Brauch. Das Haus war leer. Auf seiner stillen Gebrochenen Schwelle lag Eugen … Sie gruben ihn, nicht wissend wen, Daselbst auch ein, um Gottes willen.
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Märchen
Märchen von dem Popen und seinem Knecht Trottel
Es war einmal im Land Ein Pope – „Dummkopf “ genannt. Er begab sich auf den Markt, mit eignen Augen Zu sehen, was die Waren taugen. Dort begegnet ihm Trottel, der Wicht, Wohin des Wegs, weiß er selber nicht. „Was, Onkelchen, so früh erschienen – Womit kann ich Euch dienen?“ Da spricht der Pope: „Einen Knecht brauch ich, Kleiner, Koch soll er sein, Stallbursche, Schreiner, Weißt du einen Diener, an Welchem ich recht sparen kann?“ Trottel spricht: „Ich will dir dienen mit Vergnügen, Fleißig sein und mich in alles fügen. Nasenstüber kriegst du dafür jährlich dreie – Und ich gekochte Kleie.“ Der Pope bemüht sein Gehirn Und kratzt sich dabei die Stirn: Nasenstüber hin und Nasenstüber her – Vielleicht wird’s nicht so schwer, Darum sagt er: „Ist gut, schlag ein. Wir können handlungseinig sein. Kannst in meinem Hause leben, Eifer zeigen und Bestreben.“ So lebt denn Trottelchen im Popenhause, Schläft auf Stroh in der Klause. Trottel futtert für viere und lacht, Weil er für sieben die Arbeit macht. 309
Früh schon wirbelt alles im Haus. Und wacker Spannt er das Pferd an, pflügt den Acker, Heizt den Ofen, räumt auf, kauft ein, Kocht Eier, schält sie selbst, alles allein. Die Popenfrau lobt ihn in allen Sachen. Die Popentochter seufzt – was soll sie weiter machen? „Vater“ nennt ihn der Popensohn, Der Knecht kocht ihm Brei und spielt „Postillion“. Nur der Pope kann den Knecht nicht leiden, Er lobt ihn nie, versucht Trottel zu meiden. An die Bezahlung muß er stündlich denken, Die Frist vergeht, der Knecht wird ihm nichts schenken. Er ißt nicht, trinkt nicht, schläft nicht; im Dunkeln Beginnt schon jetzt seine Nase zu funkeln. Da gesteht er der Frau seine Lage: „So und so – was mach ich nun – sage.“ Eine Frau ist immer schlau, Allerlei Listen ersinnt eine Frau. „Ich weiß ein Mittel“, sagt sie, „du wirst sehen, Uns kann solch Unglück nicht geschehen. Trag dem Trottel eine Arbeit an, Die er nie und nimmer schaffen kann. So wird er deine Nase nie anfassen, Denn du kannst ihn ohne Lohn entlassen.“ Leichter wurde es da dem Pfaffen, All seinen Mut zusammenzuraffen, Und er rief: „Komm doch mal her. Mein treuer Trottelbär! Hör, das Teufelspack ist verpflichtet, Daß es mir mein Lebtag Tribut entrichtet. Wer kann eine bessere Rente schnappen? Doch seit drei Jahren will das nicht klappen. – Iß deine Grütze und hol dann im Sack Die fälligen Raten vom Teufelspack!“ Mit Streiten hatte Trottel nichts im Sinn. Er setzte sich ans Meeresufer hin. 310
Er drehte einen Strick, den tauchte er Ins Meer. Da kroch ein alter Teufel aus dem Naß: „Ei, Trottelchen, was ist denn das?“ „Ich will, daß sich die Wellen biegen, Um euch, ihr Sippschaft, kleinzukriegen.“ Ganz bekümmert war der Alte: „Ach Trottel, warum die Zornesfalte?“ „Wieso: Warum? Ihr zahlt nicht mehr den Tribut, Versäumt die Fristen, listige Brut! Na, das gibt mal ein Vergnügen, Prügel sollt ihr Hunde kriegen!“ „Trottel, wart, das hat noch Weile, Der Tribut kommt ja in aller Eile, Ich schicke dir meinen Enkel wegen der Fristen“, Trottel denkt: Der ist leicht zu überlisten! – Ein Teufelchen schickte der Großvater, Das miaute wie ein hungriger Kater: „Gegrüßt seid, Bauer Trottelmann, Was ist mit dem Tribut, sag an! Von Tributen habe ich nie gehört. Die Sorge hat uns Teufel nie gestört. Wie dem auch sei – damit wir beiden Möglichst Zank und Leid vermeiden Heute und auch hinterher: Wer von uns beiden läuft schneller ums Meer? Der Sieger bekommt die Entschädigung, Solang wir laufen, sorgt man hier für Erledigung.“ Da hat der Trottel listig gelacht: „Ihr habt euch was Feines ausgedacht! Wie kannst du, Teufelchen, es wagen, Dich mit mir, dem Trottel, im Wettstreit zu schlagen? Ein feines Gegnerlein schicken die mir! Wart mal, mein Brüderchen mißt sich mit dir.“
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Trottelchen rennt in den Wald, Dort fängt er bald Zwei Hasen. Treuherzig harrt der kleine Teufel am Meer im Sonnenscheine. Bei den Ohren packt Trottel den Hasen. „Brüderchen, tanz, wie wir beide blasen. – Und du, Teufelchen, bist noch nicht alt genug, Mit mir dich zu messen, das wäre nicht klug. Unnütze Mühe würde man’s nennen, Versuch erst, mit meinem Bruder zu rennen. Eins – zwei – das gibt ein Späßchen, Drei!“ – Da laufen Teufel und Häschen! Das Teufelchen lief ums Meer herum, Das Häschen zum Wald, war nicht so dumm. Nachdem es ums Meer herumgelaufen, Kam Teufelchen an und konnte kaum schnaufen, Lang hängt die Zunge, bald lang wie ein Lätzchen, Schweißperlen verschmieren die Pfötchen im Frätzchen. Er denkt: Jetzt geb ich’s dem Trottel mal saftig! Doch der Trottel streichelt – wahrhaftig, Sein Brüderchen und spricht: „Kleines Schätzchen, Bist müde, ruh dich aus, mein Spätzchen.“ Das Teufelchen war einfach platt, Zog’s Schwänzchen ein und schaute matt Zum Brüderchen, von der Seite, verstohlen. Und flüsterte: „Will den Tribut schon holen.“ Geht zum Großvater: „Zu dumm, Der jüngere Trottel war früher rum.“ Der alte Teufel versank in Gedanken, Der Trottel aber fing laut an zu zanken. Das ganze Meer kam in Erregung Und alle Wogen in Bewegung. Das Teufelchen kroch hervor: „Nun, Bäuerlein, Der ganze Tribut ist dein, Nur, siehst du diesen Stecken da? Such dir ein Ziel, ob fern, ob nah, 312
Und wer noch weiter werfen kann, Kriegt den Tribut, du kluger Mann. – Fürchtest, den Arm zu verrenken? – Miau – Worauf wartest du?“ – „Auf jene Wolke im Blau, Dorthin will ich den Stecken jagen, Und dann werde ich mich wacker mit euch schlagen!“ Das erschrockene Teufelchen stieg Zum Großvater, erzählte von Trottels neuem Sieg. Doch Trottel drohte der Höllenbrut Mit dem Strick, denn er geriet aufs neue in Wut. Das Teufelchen stieg wieder nach oben. „Du kriegst den Tribut, sollst noch nicht toben!“ „Nein!“ das war Trottels Schrei, „Jetzt bin ich an der Reih, Jetzt sollst du, Sohn des Bösen, Meine Aufgabe lösen! Na, wie ist dir zumute? Siehst du dort die graue Stute? Die Stute heb an Und trag sie eine Meile voran. Gelingt es dir, dann ist dein der Tribut, Gelingt es dir nicht, dann ist mein das Gut.“ Unter die Stute kroch Das Teufelchen, seufzte: „Och!“ Mühte sich baß, Wurde rot und naß, Trug die Stute zwei Schritt weit mit Not, Fiel um und lag da wie tot. Der Trottel sprach: „Siehst du jetzt ein, Daß du für mich noch viel zu klein? Selbst mit den Armen hobst du sie kaum auf, Ich nehm sie nur zwischen die Beine – und lauf!“ Er schwingt sich auf die Stute, brüllt Und sprengt davon – in Staub gehüllt. Das erschrockene Teufelchen stieg Zum Großvater, erzählte von Trottels neuem Sieg. 313
Nichts zu machen, die Teufel brachten voll Wut Dem Trottel in einem Sack den Tribut. Der Trottel schleppt und stöhnt dabei, Da sieht ihn der Pope. Mit einem Schrei Versteckt er sich hinter seiner Frau Und wird vor Angst ganz grün und blau. Doch der Trottel findet ihn schon, Liefert den Tribut ab und will seinen Lohn. Der Pope, der Tor, Kroch hervor. Beim ersten Nasenstüberlohn, Da sprang er bis zur Decke schon. Beim zweiten Nasenstüber War’s mit der Sprache vorüber, Der dritte aber, der hat sacht Den Alten um den Verstand gebracht. Der Trottel sagte nur dabei: „Das kommt von Geiz und Feilscherei!“
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Märchen vom Zaren Saltan, von seinem Sohn, dem berühmten und mächtigen Recken Fürst Gwidon SaltanowiTSch, und von der wunderschönen Schewanenprinzessin
Saßen spät drei junge Mädchen, Schnurrend ging ihr Spinnerädchen, Redet eine von den drein: „Ach, könnt ich doch Zarin sein! Für die ganze weite Welt Hätt ich selbst ein Fest bestellt!“ Sprach die zweite von den drein: „Schwester, könnt ich Zarin sein, Aller Welt mit eigner Hand Webt ich feine Leinewand!“ Sprach die Jüngste von den drein: „Käm ein Zar, um mich zu frein, Schenkt ich ihm auf seinen Thron Einen rechten Heldensohn!“ Kaum der Wunsch gesprochen ward, Als die Türe leise knarrt: Zu den Mädchen, zu den drein, Tritt der Zar des Landes ein. Draußen stand er bei dem Reden, Hört’ die Wünsche einer jeden, Was die Jüngste grad gesagt, Hat am meisten ihm behagt. Sagt der Zar: „Gruß dir, der Schönen, Dich will ich zur Zarin nehmen. Und bis zum September schon Schenk mir einen Heldensohn! 317
Aber ihr, ihr beiden andern, Macht euch auf, mit uns zu wandern, Bei der Schwester sollt ihr bleiben, Was ihr wünscht, das sollt ihr treiben: Eine soll als Köchin leben Und die andre Leinwand weben.“ Die drei Mädchen, wie sie waren, Folgten zum Palast dem Zaren. Gleich am Abend ward die Braut Ihm als Zarin angetraut. Zar Saltan im Kreis der Gäste Mit der Zarin saß beim Feste; Drauf die Ehrengäste schreiten Und das Hochzeitsbett bereiten, Fein geschnitzt aus Elfenbein; Und man ließ das Paar allein. Weberin und Köchin einen Sich, ihr Schicksal zu beweinen; Und es einen sich die beiden, Ihre Herrin zu beneiden; Doch das junge Zarenpaar Machte sein Versprechen wahr: Eh die Hochzeitsnacht vergangen, War der Heldensohn empfangen. Zu derselben Zeit gab’s Krieg. Zar Saltan sein Roß bestieg, Bat die Zarin, sich zu wahren Ihm zuliebe vor Gefahren. – Und indes er ferne weilt, Stark von Kampf zu Kampfe eilt Mit den rauhen Kriegsgenossen, Ist die Kindesfrist verflossen, Und Gott schenkt ihm einen Sohn, Ellenlang geboren schon. 318
Ihren Sprößling pflegt die Zarin, Wie ihr Junges pflegt die Aarin; Einen Boten, einen raschen, Schickt sie, froh zu überraschen Ihren Zaren. Doch die beiden Schwestern, die ihr Glück beneiden, Mit der Base Babariche Sinnen sie auf arge Schliche, Fangen ab den ersten Boten, Den die Zarin selbst entboten, Senden einen andern fort Mit der Botschaft Wort für Wort: „Deine Zarin hat geboren, Doch Gott weiß, was Dir erkoren, ’s ist kein Sproß für Deinen Thron, Keine Tochter und kein Sohn – ’s ist nicht Frosch und ist nicht Maus: Sieht fast wie ein Untier aus.“ Wie die Botschaft ihm gekommen Und der Zar den Sinn vernommen, Ward er zornig, und es drohten Seine Worte Tod dem Boten. Doch das Töten unterblieb, Und der Zar zur Antwort schrieb: „Schweigt jetzt still von der Geschichte, Bis ich selber seh und richte.“ Mit der Schrift, auf schnellem Roß, Kehrt der Bote heim zum Schloß. Doch der bösen Schwestern Neid Schuf der Zarin neues Leid: Mit der Base Babariche Sannen sie auf arge Schliche, Machten erst den Boten trunken, Bis er tief in Schlaf versunken; 319
Nähten in sein Brustgewand Einen Brief von ihrer Hand. Als der Bote dann erwacht, Ward die Botschaft überbracht: „Zar Saltan an die Bojaren: Was geschehn, hab ich erfahren, Drum die Zarin und ihr Kind Sollt ihr beide, wie sie sind, Alsofort ins Meer versenken, Sie im Wasser still ertränken.“ Trauernd folgten die Bojaren Dem gefälschten Brief des Zaren, Drangen, zu der Zarin Schmach, Nächtlich in ihr Schlaf gemach, Lasen ihr mit lauter Stimme, Was der Zar in seinem Grimme Anbefohlen. In ein Faß Wurden ohne Unterlaß Kind und Mutter eingesteckt, Und das Faß ward zugedeckt, Dicht verstopft mit Werg und Teer Und gerollt ins blaue Meer. Glänzt der Himmel sternenhelle, Rauscht im Meer die dunkle Welle; Wolken ziehn am Himmel schwer, Und das Faß schwimmt auf dem Meer. Klagt die Zarin in dem Faß, Jammert ohne Unterlaß; Doch ihr Kind wächst wunderbar, Nicht bloß täglich, stündlich gar. Und indes die Mutter klagt, Singt das Kind im Faß und sagt: „Ach, du Welle, Meereswelle, Wie du plätscherst frei und helle, 320
Keinen Zwang noch Fesseln fühlend, Bald das Meergestein umspülend, Bald ans hohe Ufer schlagend, Mastenhohe Schiffe tragend – Oh, erlös uns unsrer Bande, Trag uns hin zum festen Lande!“ Und die Welle hört das Wort, Trägt das Faß zum Ufer fort, Läßt es sanft am Strande nieder, Gleitet dann zum Meere wieder. Kind und Mutter sind gerettet, Sind auf festem Land gebettet. Aber wer macht jetzt die zwei Aus der Haft des Fasses frei? Auf den Füßchen steht das Kind, Mit dem Köpfchen preßt es lind An den Boden ihrer Tonne: „Mach ein Fenster für die Sonne!“ Sprach er, brach den Boden aus Und verließ das enge Haus. Frei sind Sohn und Mutter beide, Sehn sich um in großer Freude. Steigt vom Strand ein Hügel auf, Eine Eiche steht darauf. Denkt der Sohn: Ein Abendbrot Tut uns jetzt vor allem not! „Doch wo find ich Speise?“ spricht er, Einen Zweig vom Baume bricht er, Biegt den Zweig zu einem Bogen, Hat die Schnur schnell abgezogen Seinem Kreuz, mit fester Hand Sie dem Bogen aufgespannt, Kleine Zweiglein dann in Eile Zugespitzt als scharfe Pfeile – 321
Und er sucht am Dünenhügel An der Bucht nach Seegeflügel. Kaum jedoch kam er ans Meer, Hört er: jemand stöhnt gar sehr … Sieht: Ein Schwan im Schaume bebt, Über ihm ein Geier schwebt; Und der Schwan schaut bang unsäglich, Windet sich und zittert kläglich, Wild gespreizt hat – welch ein Graun! Schon der Geier seine Klaun … Doch von dem gespannten Bogen Plötzlich kommt ein Pfeil geflogen In des Geiers Hals – sein Blut Färbt mit Purpur rings die Flut, Und in Todesqual und Grimme Schreit er wie mit Menschenstimme. Und der Schwan mit Schlagen, Beißen Sucht ihn in die Flut zu reißen, Sicher ihn zu töten. Drauf Tut der Schwan den Schnabel auf, Russisch und mit Menschenton Spricht er zu dem Zarensohn: „Zarensohn! Mich zu erlösen, Kamst du, von der Macht des Bösen; Kannst du jetzt um meinetwillen Auch nicht deinen Hunger stillen, Ging verloren auch dein Pfeil, Glück wird dir dafür und Heil! Keinen Schwan hast du befreit – Eine stolze Königsmaid! Und der Geier, der als Ziel Deines sichern Schusses fiel. War ein Zaubrer – reicher Lohn Soll dir werden, Zarensohn! 322
Deinem Dienst will ich mich weihn, Überall dir nahe sein, Was du wünschest, will ich tun, Doch jetzt geh, dich auszuruhn!“ Sprach’s der Schwan und war entflohn. Und die Zarin und der Sohn Schliefen ein mit leerem Magen. Aber kaum begann’s zu tagen, War der Sohn bereits erwacht. Staunend sieht er, über Nacht Auf dem weiten öden Strand Eine große Stadt erstand, Um das weite Häusermeer Laufen weiße Mauern her, Goldne Kuppeln sieht er blitzen, Klöster, Kirchen, Turmesspitzen. Weckt der Sohn die Mutter – oh! Wie wird sie des Anblicks froh! „Komm und laß der Stadt uns nahn“, Ruft er, „Wunder tut mein Schwan.“ Und sie gehn mit schnellen Schritten, Haben kaum das Tor durchschritten, Hören sie von allen Seiten Feierliches Glockenläuten; Mit Gesang auf allen Wegen Wallt das Volk dem Paar entgegen; Durch die festgeschmückten Scharen Goldne Hofkarossen fahren, Und das Volk von nah und fern Ruft hurra dem neuen Herrn! Und man setzt dem Zarensohne Auf das Haupt die Fürstenkrone, Da die Mutter eingewilligt Und des Volkes Wahl gebilligt, 323
Herrscht im Land der Zarensohn, Und man nennt ihn Fürst Gwidon. Weht der Wind vom Meere her, Treibt ein Schifflein auf dem Meer, Das, die Segel ausgebreitet, Leicht und schnell die Flut durchgleitet. Plötzlich ruft das Schiffsvolk laut: „Welch ein Wunder! Kommt und schaut! Auf dem alten Inselland Eine neue Stadt erstand. Stolz gebaut mit Türmen, Zinnen, Goldne Kuppeln blitzen drinnen.“ Ein Kanonenschuß vom Walle Grüßt das Schiff. Zur Fürstenhalle Führt man bald die fremden Gäste Und bewirtet sie aufs beste. Fürst Gwidon hebt an zu fragen, Welcher Wind sie hergetragen, Was der Reise Zweck und Ziel Und noch andrer Fragen viel. Sprachen sie: „Mit Pelzwerkwaren Haben wir die Welt durchfahren, Führten Fuchs und Zobel aus, Und jetzt kehren wir nach Haus. Ostwärts führt uns unsre Bahn, Um beim Inselland Bujan In das Reich Saltans zu fahren, Des berühmten, mächt’gen Zaren.“ Sprach der Fürst: „Ein guter Stern Führe euch, ihr lieben Herrn. Durch den weiten Ozean Bis zum mächt’gen Zar Saltan; Sollt ihm meinen Gruß bestellen.“ Weiter zogen die Gesellen. 324
Doch das Herz von Kummer schwer, Ging der Fürst zum blauen Meer. Siehe – durch die blauen Wogen Kommt der weiße Schwan gezogen. „Sei gegrüßt, mein Fürst! Warum Wandelst du so trüb und stumm? Sprich, was ist dir angetan?“ So den Fürsten fragt der Schwan. Trüb der Fürst dem Schwan entgegnet: „Ist kein Unglück mir begegnet, Und doch traurig ist mein Sinn, Zu dem Vater zieht mich’s hin!“ Drauf der Schwan: „Wünschst du nichts mehr! Folg dem Schiffe übers Meer, Fliege hin zu deinem Glücke, Nimm Gestalt an einer Mücke!“ Und der Schwan bewegt die Schwingen, Daß die Wellen hochauf springen, Übers Ufer springen sie, Fürst Gwidon verschlingen sie, Der ins Meer bis übers Ohr kommt Und als Mücke dann hervorkommt. Und die Mücke schwirrt einher, Fliegt zum Schiffe übers Meer, Sucht in einer Spalte dort Einen sichern Zufluchtsort. Lustig weht und pfeift der Wind, Und das Schifflein fliegt geschwind. Fliegt vom Inselland Bujan Zu dem Reich des Zaren Saltan. Und das heißersehnte Land Taucht empor am Himmelsrand. Schon am Ufer sind die Gäste, Zar Saltan lädt sie zum Feste, 325
Und es fliegt die Mücke klein Ihnen nach ins Schloß hinein. Auf dem goldnen Herrscherthrone Sitzt Saltan mit goldner Krone. Finster seine Augen blitzen. Weberin und Köchin sitzen Ihm zu Füßen, und als dritte Babariche in der Mitte. Sehen scharf auf sein Gesicht, Hören eifrig, was er spricht, Da der Zar das Wort genommen: „Liebe Gäste, seid willkommen! Sagt mir doch, wo kommt ihr her? Wart ihr lange auf dem Meer? Und jenseits des Meers, wie war es, Saht ihr dort viel Wunderbares?“ Und der Schiffsherr sprach zum Zaren: „Haben alle Welt umfahren, Jenseits auch der Meeresflut Ist es schön und lebt sich’s gut; Doch das größte Wunder sahn Wir im blauen Ozean! Ragte aus den Fluten weiland Nackt und kalt ein Felseneiland; Nichts wuchs da als eine Eiche – Jetzt steht eine wunderreiche Große, schöne Stadt am Meer, Gärten liegen ringsumher; Im Palast, auf goldnem Thron Sitzt der Herrscher, Fürst Gwidon, Der uns auftrug, als wir gingen, Seine Grüße dir zu bringen.“ Staunend sprach der mächt’ge Zar Zu den Schiffern: „Sprecht ihr wahr. Will ich, läßt mich Gott am Leben, Selbst zum Fürsten mich begeben.“ 326
Weberin und Köchin sinnen, Zu verhindern das Beginnen Zar Saltans; mit Babariche Sinnen sie auf arge Schliche, Eine von dem Schwesternpaar Spöttisch ruft: „Warum nicht gar! Nachzulaufen solchem Plunder! Ich weiß ein viel größres Wunder: Fern am grünen Waldessaum, Unter einem Tannenbaum, Sitzt ein Eichhorn, singt und knackt Nüsse zu des Liedchens Takt, Nüsse, gar nicht zu bezahlen: Ganz von Golde sind die Schalen. Jeder Kern ist ein Smaragd – ’s ist ein Wunder, wie gesagt!“ Zar Saltan erstaunte höchlich, Daß ein solches Wunder möglich; Doch die Mücke, zornerpicht, In das Aug die Muhme sticht, Daß sie sich vor Schmerzen windet Und am rechten Aug erblindet. Diener, Base, Schwestern sprangen Auf, das kleine Tier zu fangen: „Warte du, wir wollen dich!“ Doch die Mücke rettet sich Schnell durchs Fenster, fliegt hinaus Übers blaue Meer nach Haus. Fürst Gwidon geht spähend wieder An dem Strande auf und nieder, Siehe! Durch die dunkeln Wogen Kommt der weiße Schwan gezogen. „Sei gegrüßt, mein Fürst! Warum Wandelst du so trüb und stumm? Sprich, was ist dir angetan?“ 327
So den Fürsten fragt der Schwan. Und der Fürst zur Antwort sagt: „Nur ein Wunsch ist’s, der mich plagt, Eines großen Wunders gern Macht ich mich durch dich zum Herrn: Fern am grünen Waldessaum, Unter einem Tannenbaum, Sitzt ein Eichhorn, singt und knackt Nüsse zu des Liedchens Takt. Nüsse, gar nicht zu bezahlen: Ganz von Golde sind die Schalen, Jeder Kern ist ein Smaragd – Wenn es wahr ist, was man sagt.“ Drauf der Schwan: „Ist es nichts weiter, Was dich plagt, mein Fürst, sei heiter! Jene Wundermär ist richtig, Doch dein Gram darob ist nichtig. Denn das Wunder kommt von mir. Und in Freuden schenk ich’s dir!“ Voll von seinem neuen Glück, Kehrt der Fürst zum Schloß zurück: Auf des Hofes breitem Raum Steht ein schöner Tannenbaum; Sieht der Fürst das Eichhorn sitzen, Sieht die goldnen Nüsse blitzen, Sieht es vor sich auf zwei Seiten Gold und Edelsteine breiten, Hört es dabei pfeifen, singen, Und des Eichhorns Lieder klingen Weit im Hofe auf und nieder, Laut vor allem Volke wider. Hoch erstaunte Fürst Gwidon, Und er rief im Jubelton: „Dank dir, Schwan, du machst mich reich!“ Und er ließ dem Eichhorn gleich 328
Ein kristallnes Haus bereiten, Stellt davor zu beiden Seiten Wachen; und ein Schreiber muß Schriftlich zählen jede Nuß, Daß des Eichhorns Ruhm und Ehre Und des Fürsten Schatz sich mehre. Weht der Wind vom Meere her, Treibt ein Schifflein auf dem Meer, Das, die Segel ausgebreitet, Leicht und schnell die Flut durchgleitet, Zu der steilen Insel schwimmt es, Seinen Lauf zum Hafen nimmt es, Als der Schuß vom Wall erschallt, Macht das Schiff im Hafen halt; Ladet man die Schiffer alle Gastlich ein zur Fürstenhalle. Als das reiche Mahl geendet, Sich der Fürst zum Schiffsherrn wendet: Fragt nach Herkunft, Reiseziel, Tut noch andrer Fragen viel. Und er hört zur Antwort sagen: „Weit hat uns das Meer verschlagen, Haben alle Welt durchwandelt, Hengste gar vom Don gehandelt; Jetzt zur Heimkehr ist es Zeit, Unser Weg führt uns noch weit: Nach dem Inselland Bujan In das Reich des Zaren Saltan …“ Sprach der Fürst: „Ein guter Stern Führe euch, ihr lieben Herrn, Durch den weiten Ozean In das Reich des Zaren Saltan; Seid ihr glücklich heimgefahren, Grüßt von mir den mächt’gen Zaren!“ 329
Schifften sich die Gäste ein, Ging der Fürst zum Meer allein: Siehe, durch die blauen Wogen Kommt der weiße Schwan gezogen. Spricht der Fürst: „Mich zieht mein Sinn Wiederum zur Ferne hin!“ Wieder ließ der Schwan die Wellen An dem Fürsten hochauf schnellen, Der ins Meer bis übers Ohr kommt Und als Fliege dann hervorkommt. Auf dem Schiff bot ihm ein Spalt Einen sichern Aufenthalt. Lustig pfeift und weht der Wind, Und das Schifflein fliegt geschwind Nach dem Inselland Bujan, Nach dem Reich des Zaren Saltan; Und das heißersehnte Land Taucht empor am Himmelsrand. Schon am Ufer sind die Gäste, Zar Saltan lädt sie zum Feste. Und es fliegt die Fliege klein Ihnen nach ins Schloß hinein. Auf dem goldnen Herrscherthrone Sitzt Saltan mit goldner Krone. Finster seine Augen blitzen. Weberin und Köchin sitzen Ihm zu Füßen, und als dritte Babariche in der Mitte; Sehen scharf auf sein Gesicht, Merken eifrig, was er spricht, Da der Zar das Wort genommen: „Liebe Gäste, seid willkommen! Sagt mir doch, wo kommt ihr her? Wart ihr lange auf dem Meer? 330
Und jenseits des Meers, wie war es, Saht ihr dort viel Wunderbares?“ Und der Schiffsherr sprach zum Zaren: „Haben alle Welt umfahren, Jenseits auch der Meeresflut Ist es schön und lebt sich’s gut: Doch das größte Wunder sahn Wir im blauen Ozean: Eine Insel steigt dort auf, Eine Stadt dehnt sich darauf, Stolz gebaut mit Türmen, Zinnen, Goldne Kuppeln blitzen drinnen. Vor dem Schloß auf weitem Raum Steht ein hoher Tannenbaum; Im kristallnen Häuschen drunter Sitzt ein Eichhorn, zahm und munter, Und dies Eichhorn singt und knackt Nüsse zu des Liedchens Takt, Nüsse, gar nicht zu bezahlen, Ganz von Golde sind die Schalen, Jeder Kern ist ein Smaragd. Krieger, Diener halten Wacht. Ein besondrer Schreiber muß Schriftlich zählen jede Nuß, Die es knackt, und von dem Heere Wird ihm kriegerische Ehre. Aus den Schalen prägt man Geld Und verteilt es in der Welt. Mit den bunten Edelsteinen Füllt man Kisten dort und Scheunen. Hütten gibt’s dort nicht zu sehn. Weit und breit Paläste stehn. In der Burg, auf goldnem Thron Herrscht der mächt’ge Fürst Gwidon. Der uns auftrug, als wir gingen, Seine Grüße dir zu bringen.“ 331
Staunend sprach der mächt’ge Zar Zu den Schiffern: „Sprecht ihr wahr, Will ich, läßt mich Gott am Leben, Selbst zum Fürsten mich begeben.“ Weberin und Köchin sinnen, Zu verhindern das Beginnen Zar Saltans, mit Babariche Sinnen sie auf arge Schliche. Spricht die Weberin zum Zar: „Nun, was ist da wunderbar, Daß ein Eichhorn Nüsse nagt, Ganz von Gold und von Smaragd! Ob auch wahr sei, was er spricht, Wunderbares ist es nicht! Ich will dir ein Wunder sagen: Hoch im Meer die Wellen schlagen, Brausen, zischen, stürmen, toben, Wälzen schäumend sich nach oben Auf den nackten, öden Strand, Überschwemmen rings das Land – Plötzlich, flammend wie Gewitter, Springen dreiunddreißig Ritter Aus der Flut, in blankem Stahl, Junge Riesen allzumal, Hochgemut, von stolzer Schöne, Auserwählte Heldensöhne, Ein gewalt’ger Reckenchor, Und es führt sie Tschernomor. Solch ein Wunder läßt sich hören, Daß es wahr ist, will ich schwören.“ Und die Gäste schweigen still, Da sich niemand zanken will. Zar Saltan erstaunte höchlich, Daß ein solches Wunder möglich; Doch die Fliege zornerpicht In das Aug die Muhme sticht, 332
Daß sie sich vor Schmerzen windet Und am linken Aug erblindet. Diener, Base, Schwester sprangen Auf, das kleine Tier zu fangen: „Warte nur, wir wollen dich!“ Doch Gwidon im Nu entwich Durch das Fenster, flog hinaus Übers blaue Meer nach Haus. Und am Meeresstrande wieder Geht er spähend auf und nieder. Siehe! durch die dunklen Wogen Kommt der weiße Schwan gezogen: „Sei gegrüßt, mein Fürst! Warum Wandelst du so trüb und stumm? Sprich, was ist dir angetan?“ So den Fürsten fragt der Schwan. Und der Fürst zur Antwort sagt: „Höre, was mein Herz zernagt: Eines großen Wunders gern Macht ich mich durch dich zum Herrn!“ „Willst du mir das Wunder sagen?“ „Hoch im Meer die Wellen schlagen. Brausen, zischen, stürmen, toben, Wälzen schäumend sich nach oben Auf den nackten, öden Strand, Überschwemmen rings das Land – Plötzlich, flammend wie Gewitter, Springen dreiunddreißig Ritter Aus der Flut, in blankem Stahl, Junge Riesen allzumal, Hochgemut, von stolzer Schöne, Auserwählte Heldensöhne, Ein gewalt’ger Reckenchor, Und es führt sie Tschernomor.“ 333
Und der Schwan zur Antwort sagt: „Das ist alles, was dich plagt? Jene Wundermär ist richtig, Doch dein Gram darob ist nichtig, Denn die Ritter alle sind Meine Brüder, und geschwind Kommen sie, wenn ich es will. Geh nur heim und warte still.“ Ging der Fürst getröstet wieder In sein Schloß. Vom Turme nieder Schaut er: sieht das Meer sich bäumen, Übers nackte Ufer schäumen; Plötzlich, flammend wie Gewitter, Springen dreiunddreißig Ritter Aus der Flut, in blankem Stahl, Junge Riesen allzumal; Paarweis zieht die stolze Schar. Glänzend in schneeweißem Haar Schreitet Tschernomor voran, Führt sie zu der Stadt hinan. Und vom Turm, auf schnellen Füßen, Seine Gäste zu begrüßen, Eilt Gwidon, das Volk ihm nach, Und der Führer also sprach: „Auf Befehl des Schwans erschienen Sind wir, Fürst, um dir zu dienen. Deine stolze Stadt zu wahren Und zu schützen vor Gefahren. Jeden Tag um diese Stunde Steigen wir vom Meeresgrunde Künftig auf an dieser Stelle Und umschreiten deine Wälle. Laß uns nun zurück zum Meer, Denn die Erdenluft ist schwer, 334
Drückt uns hart, sooft wir landen.“ Sprach’s, und allesamt verschwanden. Weht der Wind vom Meere her, Treibt ein Schifflein auf dem Meer, Das, die Segel ausgebreitet, Leicht und schnell die Flut durchgleitet. Zu der steilen Insel schwimmt es, Seinen Lauf zum Hafen nimmt es. Als der Schuß vom Wall erschallt, Macht das Schiff im Hafen halt; Ladet man die Schiffer alle Gastlich ein zur Fürstenhalle. Als das reiche Mahl geendet, Sich der Fürst zum Schiffsherrn wendet: Fragt nach Herkunft, Reiseziel, Tut noch andrer Fragen viel. Und er hört zur Antwort sagen: „Weit hat uns das Meer verschlagen. Haben alle Welt durchwandelt, Silber, Gold und Stahl verhandelt; Jetzt zur Heimkehr ist es Zeit, Denn uns führt der Weg noch weit: Nach dem Inselland Bujan In das Reich des Zaren Saltan …“ Sprach der Fürst: „Ein guter Stern Führe euch, ihr lieben Herrn, Durch den weiten Ozean Zum berühmten Zar Saltan; Seid ihr glücklich heimgefahren, Grüßt von mir den mächt’gen Zaren!“ Schifften sich die Gäste ein. Ging der Fürst zum Meer allein: Siehe! durch die blauen Wogen Kommt der weiße Schwan gezogen. 335
Spricht der Fürst: „Mich zieht mein Sinn Wiederum zur Ferne hin!“ Wieder ließ der Schwan die Wellen An dem Fürsten hochauf schnellen, Der ins Meer bis übers Ohr kommt Und als Wespe dann hervorkommt. Und die Wespe summt und streicht, Hat das Schifflein bald erreicht, Sucht in einer Spalte dort Einen sichern Zufluchtsort. Lustig pfeift und weht der Wind, Und das Schifflein fliegt geschwind Nach dem Inselland Bujan, Nach dem Reich des Zaren Saltan. Und das heißersehnte Land Taucht empor am Himmelsrand. Schon am Ufer sind die Gäste, Zar Saltan lädt sie zum Feste. Und es fliegt die Wespe klein Ihnen nach ins Schloß hinein. Auf dem goldnen Herrscherthrone Sitzt Saltan mit goldner Krone. Finster seine Augen blitzen. Weberin und Köchin sitzen Ihm zu Füßen, und als dritte Babariche in der Mitte. Und vieräugig, wie sie waren, Sehn die dreie auf den Zaren, Der alsbald das Wort genommen: „Liebe Gäste, seid willkommen! Sagt mir doch, wo kommt ihr her? Wart ihr lange auf dem Meer? Und jenseits des Meers, wie war es, Saht ihr dort viel Wunderbares?“ 336
Solche Antwort ward dem Zaren: „Haben alle Welt umfahren, Jenseits auch der Meeresflut Ist es schön und lebt sich’s gut. Doch das größte Wunder sahn Wir im blauen Ozean: Eine Insel steigt dort auf, Eine Stadt dehnt sich darauf; Meereswellen stürmen, toben, Wälzen schäumend sich nach oben Auf den nackten, öden Strand, Überschwemmen rings das Land – Plötzlich, flammend wie Gewitter, Springen dreiunddreißig Ritter Aus der Flut, in blankem Stahl, Junge Riesen allzumal, Hochgemut, von stolzer Schöne, Auserwählte Heldensöhne, Ein gewalt’ger Reckenchor, Und es führt sie Tschernomor. Täglich zu bestimmter Stunde Steigen sie vom Meeresgründe Auf, die stolze Stadt zu wahren Und zu schützen vor Gefahren. Keine Wächterschar gleicht diesen Auserkornen Heldenriesen. In der Stadt auf goldnem Thron Herrscht der mächt’ge Fürst Gwidon, Der uns auftrug, als wir gingen, Seine Grüße dir zu bringen.“ Staunend sprach der mächt’ge Zar Zu den Schiffern: „Ist das wahr, Will ich, läßt mich Gott am Leben, Mich zum Fürsten selbst begeben.“ Weberin und Köchin wagen Dieses Mal kein Wort zu sagen. 337
Mit verschmitztem Angesicht Lächelnd Babariche spricht: „Ob es falsch ist oder wahr, Doch was ist da wunderbar, Daß in Waffen und in Wehre Menschen steigen aus dem Meere, Besser als von solchen Helden Will ich dir ein Wunder melden: Lebt ein Zarentöchterlein Überm Meer, so schön und fein, Daß sie tags das Licht verdunkelt, Nächtens wie die Sonne funkelt, Glänzt ein Mond in ihrem Haar, Auf der Stirn ein Sternlein klar. Majestätisch ist die Frau, Schreitet stolz, gleich einem Pfau, Und ihr Stimmchen klingt so hell Wie im Wald ein Rieselquell. Solche Wundermär wie meine Gibt es sonst auf Erden keine!“ Und die Gäste schweigen still, Da sich niemand zanken will. Zar Saltan erstaunte höchlich, Daß ein solches Wunder möglich. Fürst Gwidon war ungehalten, Doch es jammert ihn der Alten; Mit Gebrumm und mit Gesumm Fliegt er lang um sie herum, Fliegt ihr mitten auf die Nase, Sticht sie – eine große Blase Schwoll empor – und alles schrie: „Fangt die Wespe, tötet sie! Warte du, wir wollen dich!“ Doch Gwidon im Nu entwich Durch das Fenster, flog hinaus Übers blaue Meer nach Haus. 338
Und am Meeresstrande wieder Geht er spähend auf und nieder: Siehe! durch die dunklen Wogen Kommt der weiße Schwan gezogen: „Sei gegrüßt, mein Fürst! Warum Wandelst du so trüb und stumm? Sprich, was ist dir angetan?“ So den Fürsten fragt der Schwan. Und der Fürst zur Antwort sagt: „Höre, was mein Herz zernagt: Alle Menschen frein, ich sehe, Daß nur ich noch ledig gehe …“ „Wen hast du dir denn erkoren?“ Fragt der Schwan. – „Mir kam zu Ohren, Daß ein Zarentöchterlein Lebt, so wunderschön und fein, Daß sie tags das Licht verdunkelt, Nächtens wie die Sonne funkelt, Glänzt ein Mond in ihrem Haar, Auf der Stirn ein Sternlein klar, Majestätisch ist die Frau, Schreitet stolz, gleich einem Pfau, Und ihr Stimmchen tönt so hell Wie im Wald ein Rieselquell. Aber ist es wahr auch, sage?“ Voller Angst stellt er die Frage. Sinnend schweigt der weiße Schwan, Und dann hebt er also an: „Ehestand hat schwere Pflicht, Eine Gattin kann man nicht Von der Hand wie Handschuh streifen Und nach einer andern greifen. Drum erwäg es erst vernünftig. Daß du nichts bereuest künftig.“ „Möge Gott mein Zeuge sein, Daß es Zeit für mich, zu frein“, 339
Sprach der Fürst. „Schon Rat gepflogen Hab ich, alles wohl erwogen, Und so stark treibt mich mein Sinn Zu der Zarentochter hin: Sie zu sehn, zu Fuße gerne Ging’ ich bis zur weitsten Ferne!“ Seufzt der Schwan tief auf und spricht: „Weit zu gehen brauchst du nicht, Sieh, dein Schicksal ist dir nah, Bin die Zarentochter ja!“ Sprach’s und schwang sich aus den Wogen, Kam zum Uferland geflogen, Ins Gebüsch sank er geschwind Und erschien als Zarenkind. Glänzt ein Mond in ihrem Haar, An der Stirn ein Sternlein klar, Majestätisch ist die Frau, Stolz geht sie, gleich wie ein Pfau, Und ihr Stimmchen klingt so hell Wie im Wald ein Rieselquell. Fürst Gwidon in Wonne schaut Seine königliche Braut, Küßt sie, und mit frohem Sinn Führt er sie zur Mutter hin. Der zu Füßen sinkt der Sohn, Spricht in flehentlichem Ton: „Mütterchen, der Wunsch mich quälte, Daß ich mir ein Weib erwählte, Diese hab ich nun geminnt Mir zum Weib und dir zum Kind. Liebend kam sie mir entgegen, Und nichts fehlt uns als dein Segen!“ Und gerührt die Mutter stand, Nahm ein Heil’genbild zur Hand, Ein geweihtes, wunderbares. Hielt es übers Haupt des Paares, 339
Weinte, schluchzte laut vor Freude, Segnete die Kinder beide. Was in Liebe sich gefunden, Ward in Liebe bald verbunden. Und sie lebten wohlgemut, Wartend auf die junge Brut. Weht ein Wind vom Meere her, Treibt ein Schifflein auf dem Meer, Das, die Segel ausgebreitet, Leicht und schnell die Flut durchgleitet, Zu der steilen Insel schwimmt es, Seinen Lauf zum Hafen nimmt es. Als der Schuß vom Wall erschallt, Macht das Schiff im Hafen halt. Ladet man die Schiffer alle Gastlich ein zur Fürstenhalle. Als das reiche Mahl geendet, Sich der Fürst zum Schiffsherrn wendet: Fragt nach Herkunft, Reiseziel, Stellt noch andrer Fragen viel. Und er hört zur Antwort sagen: „Weit hat uns das Meer verschlagen. Haben alle Welt durchfahren, Handeln mit verbotnen Waren. Jetzt zur Heimkehr ist es Zeit, Denn uns führt der Weg noch weit: Nach dem Inselland Bujan In das Reich des Zaren Saltan.“ Sprach der Fürst: „Ein guter Stern Führe euch, ihr lieben Herrn, Durch den weiten Ozean Zum berühmten Zaren Saltan! Seid ihr glücklich heimgefahren. Grüßt von mir den mächt’gen Zaren, 340
Und erinnert ihn, zu kommen, Wie er oft sich vorgenommen.“ Und das Schifflein zog hinaus. Doch der Fürst blieb heut zu Haus. Lustig pfeift und weht der Wind, Und das Schifflein fliegt geschwind Nach dem Inselland Bujan, Nach dem Reich des Zaren Saltan. Und das heißersehnte Land Taucht empor am Himmelsrand. Schon am Ufer sind die Gäste, Zar Saltan lädt sie zum Feste. Auf dem goldnen Herrscherthrone Sitzt Saltan mit goldner Krone. Finster seine Augen blitzen. Weberin und Köchin sitzen Ihm zu Füßen, und als dritte Babariche in der Mitte. Und vieräugig, wie sie waren, Sahn die dreie auf zum Zaren, Der alsbald das Wort genommen: „Liebe Gäste, seid wilkommen! Sagt mir doch, wo kommt ihr her? Wart ihr lange auf dem Meer? Und jenseits des Meers, wie war es, Saht ihr dort viel Wunderbares?“ Solche Antwort ward dem Zaren: „Haben alle Welt umfahren. Jenseits auch der Meeresflut Ist es schön und lebt sich’s gut; Doch die größten Wunder sahn Wir im blauen Ozean: Eine Insel steigt dort auf, Eine Stadt dehnt sich darauf, 342
Stolz gebaut mit Türmen, Zinnen, Goldne Kuppeln blitzen drinnen. Vor dem Schloß auf weitem Raum Steht ein hoher Tannenbaum; Im kristallnen Häuschen drunter Sitzt ein Eichhorn zahm und munter, Und dies Eichhorn singt und knackt Nüsse zu des Liedchens Takt, Nüsse, gar nicht zu bezahlen, Ganz von Golde sind die Schalen, Jeder Kern ist ein Smaragd; Treulich wird das Tier bewacht. Noch von Wundern kann ich sagen: Hoch im Meer die Wellen schlagen, Brausen, zischen, stürmen, toben, Wälzen schäumend sich nach oben Auf den nackten, öden Strand, Überschwemmen rings das Land – Plötzlich, flammend wie Gewitter, Springen dreiunddreißig Ritter Aus der Flut, in blankem Stahl, Junge Riesen allzumal, Hochgemut, von stolzer Schöne, Auserwählte Heldensöhne, Ein gewalt’ger Reckenchor, Und es führt sie Tschernomor. Keine Kriegerschar gleicht diesen Auserkornen Heldenriesen! Und der Herrscher jener Stadt Solch ein schönes Frauchen hat. Daß sie tags das Licht verdunkelt. Nächtens wie die Sonne funkelt. Glänzt ein Mond in ihrem Haar, An der Stirn ein Sternlein klar. In dem goldenen Paläste Lud uns Fürst Gwidon zu Gaste 343
Und befahl uns, als wir gingen, Seine Grüße dir zu bringen, Dich zu mahnen, bald zu kommen, Wie du oft dir vorgenommen.“ Neu erwacht des Zars Gelüsten. Eilig läßt er Schiffe rüsten. Weberin und Köchin sinnen, Zu verhindern das Beginnen; Mit der Base Babariche Denken sie an neue Schliche – Doch Saltan will sie nicht hören: „Wollt ihr mich schon wieder stören? Bin ich Zar noch, bin ich Kind? Rüstet euch zur Fahrt geschwind, Heut noch fahr ich.“ Und er machte So die Tür zu, daß es krachte. Sitzt am Fenster Fürst Gwidon, Blickt in Schweigen lange schon Nieder auf das blaue Meer. Trübt kein Sturm die Fläche mehr, Und es späht der Fürst und sieht, Fern dort eine Flotte zieht – Durch den blauen Ozean Schwimmt das Schiff des Zaren Saltan. Fürst Gwidon mit einem Satze Springt in Freuden auf vom Platze, Springt hinunter von den Stufen, Mutter und Gemahl zu rufen: „Seht des Vaters Schiff, dort schwimmt es! Seinen Weg zum Hafen nimmt es!“ Kommt der Stadt die Flotte nah. Fürst Gwidon durchs Fernrohr sah – Sieht er seinen Vater stehn. Vom Verdeck durchs Fernrohr sehn. 344
Auch das böse Schwesternpaar Und die Base mit ihm war. Alle drei in Staunen stehen Und das fremde Land besehen. Plötzlich von Kanonen dröhnt es, Und von Glockenläuten tönt es, Fürst Gwidon kommt selbst gegangen, Um den Zaren zu empfangen Samt den Fraun, die ihn begleiten; Feierlichen Zuges schreiten Freudevollen Angesichts Sie zur Stadt – Gwidon sagt nichts. Nach dem goldenen Palaste Führt er allesamt zu Gaste; Sieh: vor des Palastes Gitter Stehen dreiunddreißig Ritter, Riesenhaft von Wuchs, verwegen, Auserkorne stolze Degen, Ein gewalt’ger Reckenchor, Und es führt sie Tschernomor. Kommt der Zar zum Hofesraum, Unterm hohen Tannenbaum Sitzt das Eichhorn, singt und knackt Nüsse zu des Liedchens Takt. Goldne Nüsse, drin die Kerne Edelsteine; nah und ferne Liegen auf dem Hof die Schalen Und von eitel Golde strahlen. Aber starr die Gäste stehn, Wie sie jetzt die Fürstin sehn! Glänzt ein Mond in ihrem Haar, An der Stirn ein Sternlein klar. Stolz geht sie, gleich wie ein Pfau. Führt am Arme eine Frau … 345
„Ist es Wahrheit, ist es Wahn!“ Ruft in Staunen Zar Saltan, Als er seine Zarin sieht, Die er schluchzend an sich zieht. Nun erkannt er auch Gwidon, Herzte, küßte seinen Sohn Und das schöne Weib nicht minder. Fröhlich führten ihn die Kinder Nun zu Tische in den Saal – Hei, gab das ein frohes Mahl! Doch die bösen Schwestern schlichen Sich hinweg mit Babarichen, Suchten schnell sich zu verstecken, Kaum noch kann man sie entdecken. Und sie beichten voller Reue Ihre Untat nach der Reihe; Doch der Zar, der wohlgemut, Schickt sie heim mit Hab und Gut. Der Tag verging, und halb betrunken Ist Saltan ins Bett gesunken … Ich war dort, trank Met und Bier, Naß ward nur der Schnauzbart mir.
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Märchen vom Fischer und dem Fischlein
Lebte einst mit der Alten ein Alter Am Ufer des blauen Meeres; Eine Erdhütte war ihre Wohnung, Drin sie dreiunddreißig Jahre hausten. Mit dem Sacknetz fing Fisch der Alte, Die Alte saß spinnend am Spinnrad. Einstmals warf er sein Sacknetz ins Meer aus – Doch nur Schlamm zog das Netz ans Ufer; Wieder warf er das Sacknetz ins Meer aus – Doch nur Seegras brachte das Sacknetz; Und zum drittenmal warf er das Netz aus – Sieh, da brachte das Netz ihm ein Fischlein, Ein gar seltenes Fischlein, ein goldnes. Da flehte das goldene Fischlein Und sprach mit menschlicher Stimme: „Laß mich, Alter, zurück in die Meerflut, Will dafür dir ein Lösegeld zahlen: Wie du’s selber bestimmst, will ich’s zahlen.“ Staunen faßte den Alten und Schrecken: Dreiunddreißig Jahr lang fing er Fische Und hörte doch nie einen sprechen. Er ließ frei das goldene Fischlein, Sprach zu ihm die freundlichen Worte: „Gott sei mit dir, du goldenes Fischlein! Deines Lösegelds nimmer bedarf ich; Tauch zurück in die blauende Meerflut Und ergehe dich lustig im Freien!“ 349
Heim zur Alten ging wieder der Alte Und erzählte vom Wunder, dem großen: „Heute hatt ich ein Fischlein gefangen, Ein gar seltenes Fischlein, ein goldenes; So wie wir sprach das goldene Fischlein, Bat, nach Hause, ins Meer es zu lassen, Wollte mir ein Lösegeld zahlen, Wie ich selber es sollte bestimmen, Ich mochte kein Lösegeld nehmen, Ließ umsonst in die Meerflut das Fischlein.“ Doch da schalt die Alte den Alten: „Ach, du Erznarr, du alberner Tölpel! Warum hast du kein Lösegeld genommen? Einen Trog hättest du sollen verlangen, Da der unsere längst schon geborsten!“ An das blauende Meer ging der Alte – Sieh, da kräuselte leicht sich die Fläche. Er rief laut nach dem goldenen Fischlein, Und es kam das Fischlein und fragte: „Sprich, Alter, was willst du haben?“ Und der Alte verneigt sich und bittet: „Hab Erbarmen, allmächtiges Fischlein! Meine Alte, die schilt mich und zankt mich, Läßt mich Alten daheim nicht in Ruhe: Sie begehrt einen Trog, einen neuen, Da der unsere längst schon geborsten.“ Antwort bietet das goldene Fischlein: „Sei getrost, geh mit Gott deines Weges! Einen neuen Trog sollt ihr haben.“ Heim zur Alten kehrte der Alte – Sieh, der neue Trog war zur Stelle! Doch noch ärger schalt ihn die Alte: „Ach, du Erznarr, du alberner Tölpel! Warst so dumm, einen Trog zu begehren! Welchen Nutzen kann bringen ein Trog mir? 350
Geh zurück, du Narr, zu dem Fischlein, Verneig dich und bitt um ein Häuschen!“ An das blauende Meer ging der Alte – War das blaue finster geworden –, Er rief laut nach dem goldenen Fischlein, Und es kam das Fischlein und fragte: „Sprich, Alter, was willst du haben?“ Und der Alte verneigt sich und bittet: „Hab Erbarmen, allmächtiges Fischlein! Ärger schilt nur und zankt mich die Alte, Läßt mich Alten daheim nicht in Ruhe: Gar ein Haus will die Keiferin haben!“ Antwort bietet das goldene Fischlein: „Sei getrost, geh mit Gott deines Weges! So sei’s denn, ein Haus sollt ihr haben!“ Heim zur Erdhütte kehrte der Alte, Aber diese ist spurlos verschwunden. Vor ihm steht ein Häuschen mit Erkern, Mit getünchtem Schornstein aus Ziegeln, Vorn – ein Tor von behobelten Eichen. Die Alte sitzt vor dem Fenster: Was das Zeug hält, schilt sie den Alten: „Ach, du Erznarr, du alberner Tölpel! Warst so dumm, nur ein Haus zu begehren! Geh zurück zu dem Fischlein und sag ihm: Eine Bäuerin will ich nicht bleiben, Eine Edelfrau will ich nun werden!“ An das blauende Meer ging der Alte – Es wogte und brauste die Fläche –, Er rief laut nach dem goldenen Fischlein, Und es kam das Fischlein und fragte: „Sprich, Alter, was willst du haben?“ Und der Alte verneigt sich und bittet: „Hab Erbarmen, allmächtiges Fischlein! 351
Immer ärger treibt’s meine Alte, Läßt mich Alten daheim nicht in Ruhe: Eine Bäuerin will sie nicht bleiben – Eine Edelfrau will sie nun werden!“ Antwort bietet das goldene Fischlein: „Sei getrost, geh mit Gott deines Weges!“ Heim zur Alten kehrte der Alte. Und was sieht er? Ein Herrenhaus! Auf der Freitreppe steht seine Alte In kostbarem Zobelfellpelzchen. Auf dem Scheitel brokatenes Häubchen, Um den Hals ein Geschnüre von Perlen, An den Fingern goldene Ringe, An den Füßen rotjuchtene Schuhe. Vor ihr stehen dienstwillige Diener, Sie schlägt sie, zieht sie am Schopfe. Der Alte sagt zu der Alten: „Gott zum Gruße, vielgnädige Herrin! Sprich, ist nun deine Seele zufrieden?“ Doch voll Zornes fuhr an ihn die Alte Und befahl ihm, als Stallknecht zu dienen. Eine Woche verstreicht und die zweite, Noch närrischer wurde die Alte. Wieder schickt sie den Alten zum Fischlein: „Geh zurück zu dem Fischlein und sag ihm: Eine Edelfrau will ich nicht bleiben, Will als Zarin uneingeschränkt herrschen!“ Da erschrak der Alte und flehte: „Aber Weib, hast du Tollkraut gefressen? Kannst mit Anstand nicht gehen, noch sprechen, Wirst dich lächerlich machen im Reiche!“ Da ergrimmte die Alte noch grimmer, Einen Backenstreich gab sie dem Alten. 352
„Was, du Bauer, du wagst es zu trotzen, Einer Edelfrau zu widersprechen? Geh zum Meere, ich rat es dir gütlich, Gehst du nicht, so wird man dich zwingen!“ An das blauende Meer ging der Alte – Ganz schwarz war das Meer nun geworden –, Er rief laut nach dem goldenen Fischlein, Und es kam das Fischlein und fragte: „Sprich, Alter, was willst du haben?“ Und der Alte verneigt sich und bittet: „Hab Erbarmen, allmächtiges Fischlein! Wiederum schlägt Krach meine Alte: Eine Edelfrau will sie nicht bleiben, Will als Zarin uneingeschränkt herrschen!“ Antwort bietet das goldene Fischlein: „Sei getrost, geh mit Gott deines Weges! Deine Alte soll herrschen als Zarin.“ Heim zur Alten kehrte der Alte. Sieh – ein Zarenschloß reckt seine Hallen. In dem Schlosse, da sitzt seine Alte, Thront als Zarin an zarischer Tafel, Edelleut und Bojaren sind Diener; Überseeischen Wein trinkt die Zarin, Honigkuchen dazu ißt die Zarin; Die Leibwächterschar steht da im Kreise, Auf den Schultern die Streitäxte tragend. Als der Alte das sah, da erschrak er, Zu Füßen der Alten warf er sich nieder: „Gott zum Gruße, du vielgestrenge Zarin! Sprich, ist nun deine Seele zufrieden?“ Keines Blicks ward gewürdigt der Alte, Von sich zu treiben befahl ihn die Alte. Alle Edelleut und Bojaren, Ins Genick stießen fort sie den Alten; 353
An der Tür mit der Axt die Wachen, Hätten bald ihn niedergehauen. Und das Volk verlachte ihn höhnisch: „Alter Tölpel, recht ist dir geschehen, Wird in Zukunft als Lehre dir dienen: Laß den Vorwitz, was nicht deines Amts ist!“ Eine Woche verstreicht und die zweite, Noch närrischer wurde die Alte, Schickt die Höflinge nach ihrem Manne, Endlich fand man den Alten, bringt aufs Schloß ihn. Spricht die Alte zu ihrem Alten: „Geh zurück zu dem Fischlein und sag ihm: Zarin will ich länger nicht bleiben, Will nun werden die Herrscherin des Meeres, Will nun leben im Ozean-Meere, Daß das goldene Fischlein mir diene, Daß es Botendienste mir leiste!“ Keinen Widerspruch wagte der Alte, Sprach kein einziges Wörtchen dagegen. An das blauende Meer ging er wieder. Sieh – da brandet tief schwarz die Fläche, Hochauf bäumen sich zornig die Wogen Und heulen mit hohlem Geheule. Nach dem goldenen Fisch rief der Alte, Und es kam das Fischlein und fragte: „Sprich, Alter, was willst du haben?“ Und der Alte verneigt sich und bittet: „Hab Erbarmen, allmächtiges Fischlein! Meine Alte ist vollends des Teufels! Zarin will sie länger nicht bleiben, Will nun werden die Herrscherin des Meeres, Will nun leben im Ozean-Meere, Daß du selber, Fischlein, ihr dienest, Daß du Botendienste ihr leistest!“ 354
Nicht ein Wort sprach das goldene Fischlein, Mit dem Schwanze nur schlug es das Wasser Und tauchte hinab in die Tiefe. Lange harrte der Alte auf Antwort, Doch vergebens. Da ging er zur Alten. Sieh – vor ihm hockt die Erdhütte wieder, Auf der Schwelle sitzt seine Alte, Und vor ihr liegt der Trog, der geborstne.
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Märchen von der toten Zarentochter und den sieben Recken
Von der Zarin nahm der Zar Abschied; lang die Reise war. Und die Zarin klagte sehr, Harrt des Zaren Wiederkehr, Sitzt am Fenster früh und spät Und hinaus ins Weite späht; Schmerzt vom Sehn ihr das Gesicht, Und der Zar kommt immer nicht! Bricht der Winter schon herein, Schnee hüllt Wald und Felder ein. Schon neun Monde sind dahin, Und in wehmutvollem Sinn Sitzt die Zarin, früh und spät Nach des Gatten Heimkehr späht. Weihnachtsabend bricht herein. Schenkt ihr Gott ein Töchterlein. Kaum war ihr dies Glück beschert, Als ihr Gatte wiederkehrt; Früh am Morgen war er da – Und als ihn die Zarin sah, Außer sich ganz vor Entzücken, Wollte sie ans Herz ihn drücken; Doch zu stark war die Erregung, Ihre freudige Bewegung Schuf der Kranken Weh und Not, Und am Mittag war sie tot. 359
War der Zar voll Gram und Pein, Und wie könnt es anders sein? Wie ein Traum entschwand ein Jahr, Da aufs neue freit der Zar. Und die Frau, die er erkoren, War zur Zarin wie geboren, Weiß, von stolzem Gliederbau, Eine schöne, kluge Frau; Doch voll Hochmut nebenbei, Auch von Eifersucht nicht frei, Eigenwillig, eigensinnig, Aber wirklich schön und minnig. Nichts war ihr ins Eheleben Als ein Spiegel mitgegeben, Klein, doch eine seltne Habe, Denn ihm wurde Redegabe. Sah sie nach dem Spiegel hin, War die Zarin froh im Sinn, Er war ihr zum Trost und Spiel, Nichts war sonst, was ihr gefiel. Rief sie: „Lieber Spiegel, sage Treu mir Antwort auf die Frage: Ziemt mir nicht der Schönheit Preis? Bin ich nicht so frisch und weiß, Hold und lieblich von Gebärden, Daß kein Weib mir gleicht auf Erden?“ Gab der Spiegel Antwort gleich: „Ja, du bist so anmutreich, Hold und lieblich von Gebärden, Daß kein Weib dir gleicht auf Erden!“ Und mit strahlendem Gesicht Hört sie, was der Spiegel spricht, Läßt der Freude freien Lauf, Zieht die weißen Schultern auf, Hat bald hier, bald da zu lüften, Stemmt die Arme in die Hüften, 360
Dreht und biegt sich, blinzt und nickt, Stolzen Auges um sich blickt. Doch das Töchterlein des Zaren Wurde größer mit den Jahren, Wuchs zu wunderbarer Blüte; Sanft von Herzen und Gemüte War sie, blendend von Gesicht, Schönre Jungfrau sah man nicht. Wie Prinz Jelissej sie schaut, Hält er um sie an als Braut. Willigt gern der Vater ein, Kommt der Prinz, um sie zu frein. Man beschenkte sie aufs beste: Hundertvierzig Prunkpaläste, Sieben Städte, groß und reich, Gab der Zar als Mitgift gleich. Schon versammeln sich die Gäste Im Palast zum Hochzeitsfeste. Doch die schöne Zarin kleidet Sich noch an, im Spiegel weidet Sie das stolze Angesicht, Und aufs neu die Zarin spricht: „Spiegel, lieber Spiegel, sage Treu mir Antwort auf die Frage: Ziemt mir nicht der Schönheit Preis? Bin ich nicht so frisch und weiß, Hold und lieblich von Gebärden, Daß kein Weib mir gleicht auf Erden?“ Und was sagt der Spiegel wieder? „Schön geformt sind deine Glieder, Frisch und weiß ist dein Gesicht, Doch die Schönste bist du nicht, Denn das schöne Zarenkind, Das der Prinz als Gattin nimmt, 361
Ist so lieblich von Gebärden, Daß kein Weib ihr gleicht auf Erden.“ Wie die Zarin da erbittert Aufspringt und voll Ingrimm zittert! Tobend ihren Arm bewegt, Zornig nach dem Spiegel schlägt: Mit den Füßchen auf die Erde Stampft sie, ruft in Zorngebärde: „Oh, du schlechtes Spiegelglas! Mir zum Hohne sagst du das; Ich soll ihrer Schönheit weichen? Wie kann sie sich mir vergleichen! Warte nur, ich will sie lehren, Sich so stolz herauszukehren! Zu verwundern ist es nicht, Daß so schneeweiß ihr Gesicht, Sah die Mutter immer nur Aus auf die verschneite Flur; Doch soll darum gleich ihr Kind Schöner sein als ich? Oh, blind Mußt du sein, mir das zu sagen! Brauchst den Blick nur aufzuschlagen: Wer, in meines Zaren Reichen, Mag sich mir an Schönheit gleichen?“ Gab der Spiegel Antwort gleich: „Schön bist du und anmutreich, Doch die Zarentochter ist Schöner, als du selber bist!“ Nie ward ihr so großes Leid. Voll von Eifersucht und Neid, Warf sie, grimmig von Gebärde, Ihren Spiegel auf die Erde, Rief Tschernawka, ihre Zofe, Durch das Fenster her vom Hofe, Gab Befehl, das Zarenkind In den tiefsten Wald geschwind 362
Fortzuführen, und zu binden, Möge sie den Tod dort finden. Hätte selbst der Teufel Mut, Einem Weib in ihrer Wut Von Vernunft zu reden? Bald Kam Tschernawka in den Wald Mit dem schönen Zarenkinde, Schickt sich an, daß sie es binde. Und das Zarenkind erschrickt, Jammernd auf zur Zofe blickt, Fleht mit ausgestreckten Armen Sie um Mitleid und Erbarmen: „Gott, was ist denn mein Verschulden, Daß ich solches soll erdulden? Rette mich, laß mich am Leben, Reichen Lohn will ich dir geben Künftig, wenn ich Zarin werde!“ Ruft sie flehender Gebärde. Und die Zofe hört ihr Flehen, Kann, gerührt, nicht widerstehen, Denn sie liebt die schöne Maid, Spricht: „Ich tue dir kein Leid, Mög der Himmel mit dir sein!“ Ließ sie, kam nach Haus allein. Und die Zarin fragt geschwind: „Nun, wo ist das schöne Kind?“ Spricht die Zofe: „Dort im Wald Steht sie festgebunden, bald Wird sie dort ihr Leid vergessen, Werden sie die Wölfe fressen.“ Kam die Mär zu aller Ohren, Daß das Zarenkind verloren! Schmerzgebeugt ob solcher Kunde Ward der Zar. Zur selben Stunde 363
Jelissej bereitet sich, Betet erst inbrünstiglich, Eilt, von Sehnsucht fortgetrieben, Auszuspähn nach seiner Lieben. Die Prinzessin kummerschwer Irrt im Walde hin und her; Schon der Tag im Osten graute, Plötzlich sieht sie eine Baute Hochgezäunt. Es kommt ein Hund Auf sie zu, umkriecht sie rund, Schnüffelt, wedelt, bellt und springt; Und die Zarentochter dringt In den Hofraum mit dem Hunde – Tiefes Schweigen in der Runde. Und sie faßt sich Mut und leicht Auf die breite Treppe steigt, Macht die Tür auf, und im Schimmer Mustert sie ein großes Zimmer, Rings von Bänken eingehegt Und mit Teppichen belegt. Heil’genbilder an der Wand, Und ein eichner Tisch befand Sich darunter; um den tiefen Ofen bunte Fliesen liefen. Alles zeigte deutlich ihr: Gute Menschen wohnen hier, Und man wird sie gut empfangen. Doch, so weit sie auch gegangen Ringsum, niemand ist zu sehn! Müde von dem vielen Gehn, Zündet sie ein Wachslicht an. Heizt den großen Ofen dann, Macht im Hause alles rein, Legt sich hin und schlummert ein. 364
Mittag naht. Vom Hof herauf Schallt ein Lärm; sie wachte auf. Sieben Recken auf einmal, Stolz, mit Schnurrbart und in Stahl, Treten ein. Der Ältste spricht: „Seht nur! Täuscht mich mein Gesicht? Alles glänzt so schmuck und rein, Jemand muß im Hause sein, Der uns alles schön bereitet!“ Und der Recke spähend schreitet Durch das Zimmer: „Tritt hervor! Schallt mein Rufen an dein Ohr, Wisse, es ist gut gemeint, Tritt hervor, sei unser Freund! Bist du alt schon von Gebärden, Sollst du unser Oheim werden. Bist du jung noch auf den Füßen, Laß als Bruder dich begrüßen, Bist du eine alte Frau, Ist dein Haar in Ehren grau, Wollen wir dich Mutter heißen, Dich zu ehren uns befleißen. Doch bist du ein Jungfräulein, Sollst du unsre Schwester sein!“ Und das Zarenkind in Zittern Naht, verbeugt sich vor den Rittern Und, schamrot von Angesicht, Manches zur Entschuld’gung spricht, Daß am Abend ungebeten Sie zum Hause eingetreten. Und die Recken allsofort Merkten an der Jungfrau Wort, Daß sie Zarentochter sei, Holten Kuchen, Wein herbei, 365
Luden sie zum Essen ein – Doch sie dankte für den Wein, Und vom Kuchen, den es gab, Brach sie nur ein Stückchen ab. Gar zu müde war sie, hätte Gern ein Stübchen und ein Bette. Noch beim hellen Tagesschimmer Führte man sie in ein Zimmer Oben, ließ sie dort allein, Und bald schlummerte sie ein. Tag auf Tag also entschwand, Und das Zarenkind befand Sich noch immer wohlgemut In der sieben Recken Hut. In der Frühe stets von Haus Ziehn die sieben Brüder aus, Streifen auf verschiednen Wegen, Wilde Enten zu erlegen, Sarazenen aufzujagen Oder Köpfe abzuschlagen Von Tataren und Tscherkessen. Und das Zarenkind indessen Weilt im Waldeshaus allein, Läßt sich’s angelegen sein, Einer Hausfrau gleich zu schalten, Alles ordnend zu erhalten. Tag auf Tag also vergeht, Froh in Eintracht alles steht. Doch die Brüder, alle sieben. Sich ins Zarenkind verlieben. Einstmals, schon beim Frührotschimmer, Treten alle in ihr Zimmer. Hebt der Ältste an zu reden: 366
„Holde Maid, du kennst nun jeden Von uns, weißt, daß alle sieben Dich wie eine Schwester lieben; Jeder würde glücklich sein, Dich als Ehgemahl zu frein. Doch das geht nicht, drum gestehe: Welchen wünschest du zur Ehe Von uns sieben? Einen wähle, Und auf alle andern zähle Wie auf Brüder. Ach! Du schweigst, Still das Köpfchen du nur neigst. Ist dir keiner zu Gefallen, Liebst nicht einen von uns allen?“ „Ach, ihr Brüder, meine Lieben, Schwesterlich euch alle sieben Lieb ich“ – so die Jungfrau spricht. „Doch euch freien kann ich nicht. Strafe Gott mich, wenn ich lüge, Euch durch falsches Wort betrüge: Meinem Herzen wert und traut Seid ihr – doch ich bin schon Braut! Alle seid ihr hochgemut, Weise, edel, stolz und gut. Alle seid ihr gleich vernünftig, Aber ich gehöre künftig Einem andern. Lieb ich schon Jelissej, den Königssohn.“ Standen alle Brüder stumm, Kratzten sich am Ohr herum. „Fragen ist nicht sünd’gen“, spricht Drauf der Ältste, „zürne nicht, Gutgemeint war unser Wort, Schweigen wir davon hinfort!“ 367
Sprach die Jungfrau: „Liebe Herrn, Euch zu zürnen sei mir fern! Laßt auch mich Verzeihung hoffen, Daß ich meine Minne offen Euch bekannt …“ Und alle sieben Brüder grüßten sie und blieben Freundlich, wie sie immer waren, Mit dem holden Kind des Zaren. Doch die Zarin hat indessen Nicht das Zarenkind vergessen. Jeder Tag in ihrem Innern Weckt ein neidisches Erinnern. Lange Zeit in ihrem Haß Geht sie nicht zum Spiegelglas. Doch sie kann nicht widerstehen Auf die Dauer, muß es sehen, Macht ein freundliches Gesicht, Spiegelt sich im Glas und spricht: „Gruß dir, lieber Spiegel! Sage Treu mir Antwort auf die Frage: Ziemt mir nicht der Schönheit Preis? Bin ich nicht so frisch und weiß, Hold und lieblich von Gebärden, Daß kein Weib mir gleicht auf Erden?“ Gab der Spiegel Antwort gleich: „Schön bist du und anmutreich, Doch wo sich ein Haus erhebt Tief im Eichenwalde, lebt Ohne Ruhm zu dieser Frist Eine, die noch schöner ist; Schönre Jungfrau sah man nie! Sieben Recken hüten sie!“ Stürzt die Zarin zornesvoll Auf Tschernawka, ruft in Groll: 368
„Wie hast du mit falschem Sinn Mich betrogen! Und worin!“ Und Tschernawka, voller Schrecken, Eilt, ihr alles zu entdecken. Drauf die grimme Zarin droht Ihr mit martervollem Tod, Tötet sie nicht selbst geschwind Das verhaßte Zarenkind. Eines Tags das Zarenkind Sitzt am Fenster spät und spinnt, Dreht das Spinnrad schnurrend, harrt Ihrer Brüder Gegenwart. Plötzlich bellt’s im Hofe laut, Springt sie auf und späht und schaut: Eine arme Frau treibt dort Mit dem Stock den Hofhund fort. Ruft das Zarenkind ihr zu: „Warte nur, gleich schaff ich Ruh, Werde selbst den Hund verjagen, Speise dir hinuntertragen!“ Und die Alte spricht zu ihr: „Schöne Jungfrau, Dank sei dir! Sieh, wie das verwünschte Tier Wütig bellt und schnappt nach mir, Hat mich blutig schon gebissen. Hätte mich beinah zerrissen!“ Und das schöne Zarenkind Eilt mit Brot hinab geschwind, Es der armen Frau zu bringen; Doch der Hund hebt an zu springen, Wie sie nie gesehn – ein Bellen, Heulen, daß die Ohren gellen, Sucht gewaltsam von der Alten Seine Herrin fernzuhalten – Kaum naht sich die Alte ihr: 369
Stürzt, gleichwie ein wildes Tier, Auf sie los der Hund in Wut. Hat gewiß schlecht ausgeruht! „Fang!“ Die Jungfrau wirft das Brot, Und die Alte fängt’s mit Not: „Segne Gott dich für die Gabe, Nimm zum Dank, was ich hier habe!“ Sprach’s, und einen Apfel zog Sie hervor, der Apfel flog … Sucht der Hund ihn zu erwischen, Springt empor und heult dazwischen, Doch das Zarenkind gewandt Fängt den Apfel mit der Hand. Wie er frisch und mürbe war, Glänzend wie von Golde gar! Nochmals dankend, rief die Alte: „Daß der Himmel dich erhalte, Wie du bist, so schön und rein! Iß den Apfel, denke mein …“ Also sprach sie, mit der Hand Winkt’ sie grüßend und verschwand … Und hinauf die Treppenstufen Eilt die Jungfrau. Ungerufen Folgt der Hund ihr, springt und bellt Nach dem Apfel, den sie hält, Kann den Apfel nicht erreichen; Sieht der Hund mit schmerzenreichen Blicken ihr ins Angesicht, Und sein flehend Auge spricht – Denn der Zunge fehlt das Wort: Laß den Apfel, wirf ihn fort! „Nun, was hast du?“ fragt sie, schmeichelnd Ihn mit zarten Händen streichelnd. „Komm, mein Hündchen, lege dich, Ruh dich aus und pflege dich!“ 370
Eilt die Jungfrau in ihr Zimmer, Schließt die Türe leis, wie immer, Setzt ans Fenster sich und harrt Ihrer Brüder Gegenwart. Doch vom Apfel in der Hand Wird kein Auge abgewandt: Wie er saftig, rosig, mürbe, Schade, wenn der so verdürbe! Schmeckt er gut? Sie riecht daran, Führt ihn an die Lippen dann, Beißt ein Stückchen ab und schluckt. Plötzlich wirr ihr Auge zuckt, Fiebernd zittern alle Glieder, Ihre Arme sinken nieder; Des Bewußtseins ganz beraubt, Stürzt sie hin und lehnt ihr Haupt An die Bank, die an der Wand Unter Heil’genbildern stand … Bald darauf aus blut’gem Strauß Kehrt die Brüderschaft nach Haus. Bellend kommt auf ihren Wegen Ihnen schon der Hund entgegen: Unter kläglichem Gewimmer Führt er sie hinauf ins Zimmer. In des Hundes Wimmern, Keuchen Sehen sie ein schlechtes Zeichen – Treten ein und staunend sehen, Was hier Gräßliches geschehen. Und der Hund laut bellend springt Auf die Frucht, die er verschlingt. Und sich winselnd streckt; es trifft Tötend selber ihn das Gift. Doch die Brüder, alle sieben, Tiefgebeugten Hauptes blieben 371
Trauernd bei der Schwester stehn. Schön im Tod noch anzusehn War sie. Nach inbrünst’gem Beten Leis die Brüder zu ihr treten, Legen ihr ein Grabkleid an, Wollen sie begraben dann, Doch beschließen anders wieder – Denn so frisch sind ihre Glieder Anzusehn und ihre Wangen, Als ob Schlummer sie umfangen. Und drei Tage so verstrichen, Doch sie war und blieb verblichen. Nach der Totenfeier barg Man den Leib in einem Sarg Von Kristall. Um Mitternacht Ward die Leiche fortgebracht Ins Gebirg. Die sieben Ritter Zogen um den Sarg ein Gitter, Drin sechs runde Säulen standen: Fest an diese Säulen banden Sie den Sarg mit Eisenketten, Als ob sie gefürchtet hätten, Daß man sie noch rauben könnte, Ihr die letzte Ruh nicht gönnte. Eh sie von der Leiche schieden, Sprach der Ältste: „Ruh in Frieden! Schnell, als Opfer böser Leute, Wurdest du des Todes Beute. Lebst im Himmel jetzt als Engel Ohne Fehl und ohne Mängel. Deiner Schönheit feine Blüten Suchten wir für den zu hüten, Den du liebend selbst erkoren, Doch er blieb für dich verloren – Keinem hast du dich im Leben, Nur dem Grab ganz hingegeben.“ 374
An dem Tag der Zarin war es, Als ob etwas Wunderbares Vorgefallen; heimlich geht sie Hin zum Spiegel, fragend steht sie: „Spiegel, lieber Spiegel, sage Treu mir Antwort auf die Frage: Ziemt mir nicht der Schönheit Preis? Bin ich nicht so frisch und weiß, Hold und lieblich von Gebärden, Daß kein Weib mir gleicht auf Erden?“ Gab der Spiegel Antwort gleich: „Ja, du bist so anmutreich, Schön und lieblich von Gebärden, Daß kein Weib dir gleicht auf Erden!“ Jelissej in seinem Schmerz Sucht indessen allerwärts Seine Braut, doch ach! vergebens, Denn kein Ende seines Strebens Zeigt sich ihm. Auf seine Fragen Kann ihm niemand Antwort sagen. Löst sein Schmerz sich auf in Tränen, Und gar viele Menschen wähnen Ihn in Wahnsinn: wenn er spricht. Lacht ihm einer ins Gesicht, Zeigt den Rücken ihm der andre. Ob er alle Welt durchwandre, Die Verlorne sieht er nicht! Endlich auf zum Sonnenlicht Hat er seinen Blick erhoben, Spricht: „Du schöne Sonne oben. Aller Welt mit warmem Schein Leuchtest du jahraus, jahrein, Auf und ab am Himmel ziehst du. Und auf Erden alles siehst du. 375
Hör mich, helle Sonne, sage Wahr mir Antwort auf die Frage: Sahst du nicht, die ich erkoren, Meine Braut, die sich verloren?“ Und die helle Sonne spricht: „Die Verlorne sah ich nicht; Ob sie lebt und wo sie wohnt, Weiß ich nicht. Vielleicht der Mond Kann, mein Nachbar, Kunde geben, Ob sie wirklich noch am Leben.“ Jelissej in schwerem Gram Harrte, bis der Abend kam, Und kaum war der Mond erschienen, Fragt’ er ihn mit bangen Mienen: „Lieber Mond, aus tiefstem Dunkel Hebt sich strahlend dein Gefunkel, Rund und voll ist dein Gesicht, Silbern deiner Augen Licht; Und im strahlenden Gewimmel Schaun die Sterne rings am Himmel Liebend auf dich hin! O sage Wahr mir Antwort auf die Frage: Sahst du nicht, die ich erkoren, Meine Braut, die sich verloren?“ Und der Mond zur Antwort spricht: „Die Verlorne sah ich nicht. Weiß nicht, ob sie nah, ob ferne, Denn ich hüte nur die Sterne; Und auf Erden viel geschieht, Was mein strahlend Aug nicht sieht!“ Jelissej laut weint und klagt. Und der Mond aufs neue sagt: „Warte, weiß vielleicht der Wind Von dem schönen Zarenkind; 374
Tröste dich, auf deine Fragen Wird er gern dir Antwort sagen.“ Jelissej auf seinen Wegen Eilt dem Winde schnell entgegen. Ruft ihm zu: „O mächt’ger Wind, Unsichtbaren Laufs geschwind Wandelst du einher auf Erden! Wolken treibst du gleichwie Herden Vor dir her; bei deinem Stürmen Muß das blaue Meer sich türmen; Fürchtest rings im Räume keinen, Bist nur dienstbar Gott, dem einen. Sahst du nicht, o mächt’ger Wind, In der Welt ein Zarenkind, Das ich mir zur Braut erkoren Und in Trauern dann verloren?“ So der Wind zur Antwort sprach: „Sieh, dort hinter jenem Bach, Murmelnd geht sein Schlangenlauf, Steigen hohe Berge auf. In den Bergen gähnt ein Schlund; Auf des Schlundes finsterm Grund, Zwischen Säulen hingestellt, Ein Kristallsarg steht; ihn hält Ringsum eine Eisenkette. Nirgends nah der wüsten Stätte Wohnt ein Mensch – kein Auge schaut Auf das Grabmal deiner Braut.“ Sprach’s der Wind und weiter weht, Jelissej, laut schluchzend, geht Ins Gebirg zur wüsten Stätte, Um in ihrem Todesbette Noch einmal – zum letzten Male! – Seine Braut zu sehn. Vom Tale 375
In die Berge kommt er bald. Gähnt vor ihm ein Felsenspalt, öffnet ihm den Weg zum Schlunde, Wo auf tiefem, finsterm Grunde Der Kristallsarg steht; dort ruht Seine Braut in treuer Hut. Jelissej tat einen Schlag, Daß der Sarg zerbrochen lag. Und er steht und staunend schaut Seine totgeglaubte Braut Plötzlich neu erwacht zum Leben Aus dem Sarge sich erheben. Und sie streckt’ sich, schluchzte tief, Rieb die Augen sich und rief: „Ach, was ich geschlafen habe!“ Dann entstieg sie ihrem Grabe … Beide weinten laut vor Glück. Jelissej führt sie zurück An das Tageslicht, ins Freie. Scherzten, herzten sich die zweie, Waren ganzer Wonne voll. Und mit Blitzesschnelle scholl Das Gerücht in allen Landen, Daß das Zarenkind erstanden! Weilt im Haus die Zarin müßig, Und, des Nichtstuns überdrüssig, Sitzt sie vor dem Spiegel nieder, Scherzt mit ihm und fragt ihn wieder: „Spiegel, lieber Spiegel, sage Treu mir Antwort auf die Frage: Ziemt mir nicht der Schönheit Preis? Bin ich nicht so frisch und weiß, Hold und lieblich von Gebärden, Daß kein Weib mir gleicht auf Erden?“ 376
Und der Spiegel zu ihr spricht: „Schön bist du von Angesicht, Doch die Zarentochter ist Schöner, als du selber bist.“ Tobend, zornig von Gebärde, Sprang die Zarin auf, zur Erde Schmettert sie das Spiegelglas, Stürzt zur Türe leichenblaß – Plötzlich kommt auf ihren Wegen Ihr das Zarenkind entgegen. Da versagten ihr die Glieder, Tot vor Schrecken schlug sie nieder. Hochzeit hielt das junge Paar, Als sie kaum begraben war, Mit der jungen, schönen Braut Wurde Jelissej getraut; Nie, seit Erd und Himmel stehn, Sah man solch ein Fest begehn! Ich war dort, trank Met und Bier, Naß ward nur der Schnauzbart mir.
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Märchen vom goldenen Hahn
Saß einmal, vor langen Zeiten, Irgendwo im neunmalweiten Zarenreiche auf dem Thron Der berühmte Zar Dadon. Einst, in seinen jungen Jahren, Der gefürchtetste der Zaren, Führt’ er tapfer Streich auf Streich Gegen manches Nachbarreich. Als das Alter aber nahte, Blieb er still in seinem Staate Und beschloß, in Frieden nun Nichts zu tun – als auszuruhn. Doch die Nachbarn seines Reiches Taten jetzt dem Zar ein Gleiches Und bedrohten überall Ihn mit Krieg und Überfall. Um das Land vor den Gefahren Eines Einfalls zu bewahren, Unterhalten mußte er Ein gewaltig Kriegerheer. Und die Feldherrn mit dem Heere Setzten wacker sich zur Wehre, Stritten spät und stritten früh – Doch vergebens war die Müh. Stehn sie weit im Westen Posten, Schlüpft der Feind ins Land von Osten;
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Sie nach Osten – er, zum Hohn, Jetzt vom Meer her. Zar Dadon Weinte nur vor Gram und Kummer, Fand nicht Schlaf und fand nicht Schlummer. Um die Zeit, da dies geschehn, Lebt’ ein weiser Sarazen, Weit gerühmt als Sternendeuter. Eilends kam vom Zar ein Reiter, Grüßte von Dadon und bat: „Hilf mit einer Wundertat!“ Vor Dadon erschien der Weise, Neigte tief das Haupt, das greise, Griff in einen Sack und holt’ Einen Hahn hervor aus Gold. „Diesen Hahn, den ich dir reiche“. Sprach er, „setz auf eine Speiche, Und mein goldner Vogel hier Wird, ein treuer Wächter dir, Deines Reiches Grenzen schützen. Schweigend wird er oben sitzen, Wie im Schlafe eingenickt, Wenn dein Staat in Frieden liegt; Kaum jedoch, daß sich verwegen Wieder deine Feinde regen, Krieg und Unheil, Zar Dadon, Irgendwo dem Lande drohn, Wird der Hahn im Nu erbeben Und ein wild Geschrei erheben. Jener Seite zugewandt, Wo Gefahr droht deinem Land.“ Zar Dadon, in seinem Glücke, Er versprach im Augenblicke Goldne Berge ihm zum Lohn, „Für den Dienst“ – so sprach Dadon – „Will ich deinen ersten Willen, 382
Den du kundtust, dir erfüllen, Was auch immer dein Begehr – Gleich als ob’s mein eigner war.“ Treu, von seiner hohen Speiche, Wachte nun der Hahn im Reiche. Kaum gewahrt’ er irgendwo, Daß Gefahr dem Zaren droh’, Fuhr im Nu er in die Höhe Und erhob ein wild Gekrähe: „Kikerii – kerikukuh! Schlaf nur Zar, regier in Ruh.“ Und wie einst, in frühern Zeiten, Schlug Dadon nach allen Seiten, Und kein einzig feindlich Heer Wagte einen Einfall mehr. Jahre kamen, gingen friedlich, Und der Hahn saß unermüdlich. Da geschah’s im achten Jahr – Tief im Schlummer lag der Zar –, Daß ein wild Geschrei ihn weckte, Aus dem besten Schlaf ihn schreckte. „Zar!“ – so schrie sein Feldherr, bleich, „Wieder droht Gefahr dem Reich. Vater deines Volks, erwache!“ „Meine Herrn, was gibt’s? Zur Sache! Wer bedroht mein Reich? Wer rief?“ Sprach Dadon und gähnte tief. „Zar, ich kam, um dich zu wecken, In der Hauptstadt Lärm und Schrecken: Auf der Speiche, heute nacht, Ist der goldne Hahn erwacht; Kräht nach Osten. Zum Palaste Strömt das Volk.“ Dadon erblaßte. Sprang ans Fenster: Welch ein Bild! 383
Oben schreit der Hahn wie wild. „Nicht gezögert, schnelle, schnelle, Auf, zu Pferd!“ – Und auf der Stelle Zog ein Heer aus von Dadon Mit dem Jüngern Zarensohn. Wieder ward es still im Reiche, ’s schwieg der Hahn auf seiner Speiche, Zar Dadon, er gähnte tief, Sank in seinen Thron – und schlief. Sieben Tage gingen ohne Nachricht hin vom Zarensohne. Kam’s zum Kampfe? Oder nicht? Keine Kunde! Kein Bericht! Und am achten Tage plötzlich Fängt der Hahn aufs neu entsetzlich Von dem Posten an zu krähn Und nach Osten sich zu drehn. Zar Dadon vernahm die Kunde, Ließ ein Heer zur selben Stunde Mit dem ältern Sohne gehn, Um dem Jüngern beizustehn. Wieder warn in Furcht und Bangen Sieben Tage hingegangen, Ohne daß dem Zar Dadon Nachricht kam von seinem Sohn. Und am achten Tage: Wieder Sträubt der Hahn sein Goldgefieder, Schaut nach Osten hin – und kräht. Zar Dadon sprach ein Gebet Zu Elias, dem Propheten, Nahm sein Schwert, gleich nach dem Beten, Und mit einem dritten Heer Zog nach Osten selber er.
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Und das Heer geht sieben Tage, Und der Feldzug wird zur Plage, Und kein Feind ist noch zu sehn Und kein Schlachtfeld zu erspähn. Keine Spur von Kriegerleichen. Heldengräbern und dergleichen – Nichts gewahrte Zar Dadon. Welch ein Wunder! dacht er schon. Und es neigt zum achten Male Sich die Sonne schon zu Tale – Ins Gebirge tritt der Zar! Welch ein Anblick, wunderbar! Vor Dadons erstaunten Blicken, Zwischen hohen Bergesrücken. Mitten in die Schlucht gestellt. Schimmert hell ein Seidenzelt. In der Schlucht, von Blut gerötet: Eine Kriegerschar getötet – Schweigend, wie verzaubert lag Alles rings. Dadon erschrak. Eilte hin zum Zelt. Entsetzlich! Seine Söhne sah er plötzlich. Sah sie bleich und blutbedeckt Auf dem Rasen hingestreckt. Ohne Helm und Panzer beide: Leblos, vor dem Zelt aus Seide. Hielten sie einander dort Mit den Schwertern sich durchbohrt. Und es irrten ihre Pferde Über aufgestampfte Erde. „Wehe! wehe!“ schrie der Zar. Raufte wild sein greises Haar. „Meine Falken, meine Schätze Lockte wer in seine Netze. Wehe mir! Und weh dem Staat! Meine letzte Stunde naht.“ 385
Nach Dadon – auf zwanzig Meilen Ward gehört des Heeres Heulen, Bis hinauf zu Bergeshöhn Drang ihr Jammer und Gestöhn. Bis hinab zum tiefsten Tale Klang ihr Weh. Mit einem Male. Wie berührt von Zauberhand, Tat sich auf die Seidenwand: Aus dem Zelte, jung und blühend. Wie das Morgenrot erglühend, Trat die Zarin Schamachan Vor Dadon – und sah ihn an. Und Dadon, ihr zugewendet, Wie die Eule, die geblendet Von dem Morgensonnenstrahl. Wurde stumm mit einemmal. Sah verzückt nur auf die Schöne Und vergaß die beiden Söhne, Ihren Tod und seinen Gram. Lächelnd ihm entgegenkam Nun die Zarin. Sich verneigend, Nahm sie ihn am Arme schweigend. Und voll Anmut zog sie ihn Sanft zu ihrem Zelte hin. Als sie dann im Zelte waren, Setzte sie zu Tisch den Zaren. Labte köstlich ihn und tat Auf ein Bett ihn aus Brokat. Sieben Tag und sieben Nächte Schwelgte Zar Dadon und zechte. Unterwarf sich ganz dem Bann Der Zariza Schamachan. In der achten Morgenröte Stand er auf vom Frühgebete. Nahm die Jungfrau und die Schar – In die Heimat zog der Zar. 386
Und es lief von Mund zu Munde Schon die wundersame Kunde Von der schönen Schamachan. Von der Zarin, weit voran. Bis zur Residenz im Staate. Als Dadon sich dieser nahte, Strömte jubelnd, mit Geschrei, Zum Empfang das Volk herbei, Drängte sich in dichten Scharen Um den heimgekehrten Zaren Und begrüßte froh und laut Zar Dadon und seine Braut. Zar Dadon zeigt sich der Menge. Da erblickt er im Gedränge. Einem Schwane gleich, so weiß, Einen Sarazenengreis – Seinen Freund, den Sternendeuter. „Ah, willkommen!“ wendet heiter Sich zum Alten hin der Zar. „Sah dich lange nicht, fürwahr. Näher, näher, Freund, zu mir her, Und erzähl, was führt dich hierher? Nun? Was steht zu Diensten? Sprich!“ „Zar Dadon, entsinnst du dich, Was du mir versprachst vor Jahren? Wandte dieser sich zum Zaren. „Für den goldnen Hahn zum Lohn, Sprachst du damals, Zar Dadon. Will ich deinen ersten Willen, Den du kundtust, dir erfüllen. Was auch immer dein Begehr, Gleich als ob’s mein eigner war. Nun, was du versprachst, das will ich Fordern jetzt, wie’s recht und billig! Schenk mir für den goldnen Hahn Die Zariza Schamachan.“ 387
Sprachlos blieb der Zar. Er traute Seinen Ohren kaum und schaute Ganz entsetzt den Alten an. „Ach, die Zarin!“ rief er dann. „Bist von Sinnen, ohne Zweifel. Oder spricht aus dir der Teufel. Welch ein Wunsch! Was fällt dir ein! Ich versprach’s, ich sag nicht nein: Doch für alles gibt es endlich Seine Grenzen selbstverständlich. Und wozu die Jungfrau dir? Alter, sei vernünftig mir: Was dein Herz ersehnt, begehr es. Sprich es aus, und ich gewähr es, Wär’s auch ein Bojarenschloß. Ein Palast, ein Zarenroß, Nimm das edelste des Stalles, Wünsch dir meinen Kronschatz, alles – Ich gewähr’s, und wenn es gleich Auch mein halbes Zarenreich.“ „Will kein Zarenroß zum Lohne. Will nicht Schloß noch Zarenkrone: Gib mir für den goldnen Hahn Die Zariza Schamachan. Weiter nichts, nur sie begehr ich.“ „Nicht – dann nicht! Zum Teufel scher dich!“ Heftig spuckte aus der Zar: „Nichts bekommst du, alter Narr. Aus den Augen mir, geschwinder! Schafft ihn fort, den alten Sünder. Fort mit ihm, solang er heil!“ Eine kurze, bange Weil Stand der Alte noch im Zaudern. Doch mit Zorn ist nicht gut plaudern. Seinen Stab erhob Dadon. Auf die Stirne traf Dadon – 388
Lautlos brach der Alte nieder, Und im Augenblick verschied er. Schaudernd steht das Volk und schaut Wie erstarrt. Kein Sterbenslaut War zu hören rings im Kreise. Nur die Jungfrau lachte leise: „Ha-ha-ha!“ und „hi-hi-hi!“ – Keine Sünde fürchtet sie. Und Dadon, noch heiß vom Streite. Neigt sich liebevoll zur Seite Hin zur schönen Schamachan: Schaut sie zärtlich lächelnd an. In die Stadt, in hellen Scharen, Zieht das Volk ein mit dem Zaren – Düster blickt der goldne Hahn. Wie sie dem Palaste nahn. Da erblitzt er und erklingt er, Vor dem ganzen Volke springt er Auf den Scheitel Zar Dadon, Hackt hinein – und schwirrt davon. Leblos, wie vom Blitz erschlagen, Sank Dadon aus seinem Wagen. Und die Jungfrau – sie verschwand Von der Stelle, wo sie stand; Blieb bis heute noch verschwunden – Niemand hat sie je gefunden. Nur ein Märchen war’s, nicht mehr – Doch sei’s manchem eine Lehr.
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Anmerkungen
Die mit A. P. gekennzeichneten Anmerkungen stammen vom Verfasser.
Ruslan und Ludmila
Bereits als Lyzeumsschüler hatte sich Puschkin dem Genre des scherzhaften Märchenpoems zugewandt, doch blieb sein Versuch „Bowa“ (1814) unvollendet. In den Jahren 1817–1820, als Puschkin ein ungebundenes Leben in der Petersburger Gesellschaft führte und in Kreisen der Adelsrevolutionäre verkehrte, entstand „Ruslan und Ludmila“. Das Erscheinen des Poems im Sommer 1820 – der Dichter befand sich zu jener Zeit bereits als Verbannter im Süden Rußlands – sicherte Puschkin endgültig eine führende Stellung in der russischen Literatur. Das anerkannte Haupt der russischen Romantiker. Wassilij Andrejewitsch Shukowskij (1783–1852), schickte ihm am Tag der Vollendung des Poems sein Porträt mit der Widmung: „Dem siegreichen Schüler vom besiegten Lehrer.“ Das Poem „Ruslan und Ludmila“ war ein Wendepunkt in der Entwicklung der russischen Literatur. Zunächst versetzte es der bedeutendsten Gattung des Klassizismus, dem Epos, durch seine parodistische Vereinigung des Sagenhaften und des Historischen, des Komischen und des Heroischen den Todesstoß. Wie kein anderes Werk zuvor kam es darüber hinaus der aktuellen Forderung der Romantiker nach Volkstümlichkeit entgegen; sie äußerte sich in der Verwendung volkssprachlicher Elemente sowie zahlreicher Gestalten und Motive aus dem russischen Volksschaffen, die Puschkin mit weltliterarischen Anregungen (die Tradition der westeuropäischen Ritterromane, „Der rasende Roland“ von Ariosto, „Die Jungfrau von Orleans“ von Voltaire) zu einer künstlerisch überzeugenden Einheit zu verbinden wußte. Auch der literarisch anspruchsvollen „Geschichte des russischen Staates“ von Nikolai Michailowitsch Karamsin (1766–1826) – die ersten acht Bände erschienen 1818 – verdankte Puschkin viel. So gelang ihm ein Werk, das die empfindsame und religiös gefärbte Richtung der Romantik, wie sie Shukowskij vertrat, zu überwinden half. Die Dynamik des literarhistorischen Prozesses brachte es mit sich,
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daß Puschkin – bei allen Vorzügen seines ersten vollendeten Poems – sehr bald zu einer neuen Stufe des romantischen Schaffens vordrang (die „Südlichen Poeme“). Er wurde sich der Grenzen einer Gestaltungsweise bewußt, die noch in vielem den Travestien des 18. Jahrhunderts verpflichtet war. Auch in der schöpferischen Anverwandlung der Folklore gelangte Puschkin, den Weg von der Romantik zum Realismus beschreitend, zu einer vertieften Konzeption. Der Prolog zu „Ruslan und Ludmila“ („Ein Eichbaum ragt am Meeresstrande …“) zeugt von dieser Entwicklung; er entstand nachträglich 1824/25 und erschien erst in der umgearbeiteten zweiten Ausgabe des Poems 1828. Nachdem bereits 1823 ein Ausschnitt aus „Ruslan und Ludmila“ – als erste deutsche Puschkin-Übersetzung überhaupt – in Karl Friedrich von der Borgs Anthologie „Poetische Erzeugnisse der Russen“ publiziert worden war, erschienen 1833 in Moskau die ersten beiden Gesänge in der deutschen Übersetzung Erhard Görings. Eine vollständige Übersetzung legte Johannes von Guenther 1922 vor. Ein weiser Kater Tag und Nacht – Puschkin variiert hier eine von den Erzählern russischer Volksmärchen verwendete bildhafte Einleitungsformel (priskaska). Ein Häuschen stellt auf Hühnerbeinen – Motiv aus dem russischen Volksmärchen über die Hexe Baba-Jaga. Da sieht man dreißig Recken steigen – Motiv aus einem russischen Volksmärchen, das Puschkin 1824 in Michailowskoje aufzeichnete und später in seinem „Märchen vom Zaren Saltan“ verarbeitete, vgl. S. 332, 333, 337 und 345. Den Mörser mit der Hexe schaurig / Umgehn – Gleichfalls ein mit der Hexe Baba-Jaga verknüpftes Märchenmotiv. Die Hexe benutzt den Mörser zur Fortbewegung. 13 Fürst Wladimir – Der historische Ausgangspunkt für die von der russischen Volksepik besungene Gestalt des Fürsten Wladimir ist der Kiewer Großfürst Wladimir Swjatoslawitsch (gest. 1015). Bajan – Eigentlich Bojan. Sagenhafter Sänger und Dichter epischer Heldenlieder gegen Ausgang des 11. Jahrhunderts. Sein Name ist im „Lied von der Heerfahrt Igors“ überliefert. Lel – Gott der Liebe und Ehe. Eine Erfindung der um eine Bereicherung der altslawischen Götterwelt bemühten Mythologen des 18. Jahrhunderts. Gusli – Altrussisches Saiteninstrument. 11
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14 Chasarenchan – Die Chasaren, ein zwischen Wolga und Krim nomadisierendes Turkvolk, wurden im 10. Jahrhundert vom Kiewer Reich unterworfen. 36 Scheherezade – Name der Erzählerin der einzelnen Märchen in der Rahmenhandlung von „Tausendundeine Nacht“. Sarafan – Ärmelloses, vorn zuknöpfbares Gewand. In späterer Zeit gehörte es zur Tracht der russischen Bäuerinnen. 38 König Salomon – Biblischer König; verfügte über märchenhafte Reichtümer. Annida – Heldin aus dem Poem „Das befreite Jerusalem“ (1581) von Torquato Tasso. In ihre verzauberten Gärten lockt sie den Ritter Tankred. Phidias – Der bedeutendste griechische Bildhauer der Antike (5. Jahrhundert v. u. Z.). 43 Orlowski – Aleksander Ossipowitsch Orlowski (1777–1832), Schlachten- und Genremaler polnischer Herkunft. 45 Zoilus – Griechischer Rhetor (4. Jahrhundert v. u. Z.), Kritiker Homers. Sein Name wurde zur Bezeichnung für einen mißgünstigen Kritiker schlechthin. Klimene – Name einer fiktiven Leserin. Hymenacus – Griechischer Hochzeitsgott. 54 Melpomenes Epheben – Gemeint sind die Jünger der ernsten Schauspielkunst. Melpomene galt bei den Griechen als Muse der Tragödie. 59 Du Genius meiner Poesie – Gemeint ist Wassilij Andrejewitsch Shukowskij. Orpheus des Nordens – Puschkin vergleicht Shukowskij wegen der melodischen Ausdruckskraft seiner Verse mit dem sagenhaften griechischen Sänger Orpheus. 60 Ihr hörtet sicher … / Von jenem alten Bösewicht – Puschkin legt in großen Zügen die Handlung von Shukowskijs zweiteiliger Balladendichtung „Die zwölf schlafenden Jungfrauen“ (1810–1817) dar, die er im weiteren Verlauf in scherzhafter Form parodiert. Shukowskij entnahm den Stoff zu seinen „Zwölf schlafenden Jungfrauen“ dem gleichnamigen Schauerroman von Christian Heinrich Spieß (1755–1799). 63 Parny – Evariste-Désiré de Forges. Vicomte de Parny (1753 bis 1814), französischer Dichter. Verfasser einer erotisch gefärbten Lvrik.
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64 Wie es Diana schelmisch tat – Von der griechischen Göttin der Jagd und des Mondes Artemis – sie hieß bei den Römern Diana – wird berichtet, daß sie den Hirten Endymion in ewigen Schlaf versenkt habe. 68 Lahmer Schmied von Lemnos – Gemeint ist Hephaistos, der griechische Gott des Feuers und aller Handwerker, die sich des Feuers bedienen. Seine untreue Gemahlin, die Göttin der Liebe. Aphrodite, fing er mit ihrem Liebhaber in einem Netz und stellte sie vor allen anderen Göttern bloß. Hauptkultstätten der Aphrodite befanden sich u. a. auf den Inseln Kythera und Zypern, weshalb sie auch Kythereia und Kypris genannt wurde. 70 Delphira – Fingierter Frauenname. 80 Mars – Römischer Kriegsgott. 90 Muromer Revier – Die tiefen Wälder um Murom waren sagenumwoben. 92 Petschenegen – Ein nomadisierendes Turkvolk in Südrußland, das mehrfach gegen das Kiewer Reich Krieg führte. 99 Doris – Name einer fiktiven Geliebten. Ein heimlich drohendes Gewitter – Gemeint ist die Verbannung Puschkins nach dem Süden im Mai 1820, kurz nach der Vollendung der sechs Gesänge des Poems. Die Fürsprache seiner Freunde Gneditsch, Tschaadajew sowie das Eintreten Karamsins bewahrten ihn vor Schlimmerem. Der Epilog entstand im Juli 1820 im Kaukasus.
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Gabrieliade
Die kecke Parodie auf das biblische Thema der „unbefleckten Empfängnis“ schrieb Puschkin 1821. Selbstverständlich konnte ein solches Werk unter den Bedingungen des Absolutismus und der Orthodoxie nur handschriftlich und illegal Verbreitung finden. Puschkin mußte sich 1828 dem Zaren und den Behörden gegenüber dieses Poems wegen verantworten (vgl. Band 6 unserer Ausgabe, S. 181). Der vollständige Text erschien erstmalig 1861 in London. Im Lichte der Traditionen des 18. Jahrhunderts war der frivole Ton des Poems nichts Außergewöhnliches. Ähnlich geartete Dichtungen Voltaires und Parnys dienten Puschkin als Vorbild. Schon als Vierzehnjähriger hatte er sich 1813 mit dem Poemfragment „Der Mönch“ in dieser Richtung versucht. Zu einer Zeit, da reaktionäre Kreise am Zarenhof einem religiösen Mystizismus huldigten und in moralischen Fragen eine scheinheilige Prüderie an den Tag legten, war eine mit Witz und Geist geschriebene Parodie in der Art der „Gabrieliade“ auch politisch aktuell. Die bisher einzige deutsche Übersetzung der „Gabrieliade“ von August Plantener erschien 1937 in einer sowjetischen Auswahl der Poeme Puschkins. 104 Cherubim und Seraphim – Alttestamentliche Bezeichnungen für Engel, die das Paradies bewachen bzw. Gott preisen. 106 Pedant – Hier im Sinne eines Besserwissers. 107 Zum Merkurstand den Gabriel erhob – Gott machte den Erzengel Gabriel zu seinem Boten. In der griechischen Mythologie übte Merkur u. a. die Funktion eines Götterboten aus. Postillon d’amour – (franz.) Liebesbote. 109 Die Sage eures Moses – Gemeint ist die alttestamentliche Darstellung vom Sündenfall Adams und Evas im 1. Buch Mose, Kapitel 3.
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114 Herr Zebaoth – Biblische Bezeichnung für Gott. 115 Gedenkt ihr, Kameraden, jener Au… – Mit diesen und den folgenden Worten wendet sich Puschkin an seine ehemaligen Lyzeumskameraden und gedenkt der frohen Stunden auf dem „Rosenfeld“ in Zarskoje Selo. 119 Helena – Fingierter Frauenname.
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Südliche Poeme
Die sogenannten „Südlichen Poeme“ entstanden 1820–1824, als sich Puschkin als Verbannter im Süden Rußlands (im Kaukasus, auf der Krim, in Kischinjow und Odessa) bzw. in Michailowskoje aufhielt. Die Abfassung und Veröffentlichung ging in folgender Reihenfolge vor sich: „Der Gefangene im Kaukasus“ (geschrieben 1820/21, veröffentlicht 1822), „Die Räuberbrüder“ (geschrieben 1820/21 und als Fragment veröffentlicht im Almanach „Poljarnaja swesda“ [Polarstern], 1825), „Die Fontäne von Bachtschissarai“ (geschrieben 1821–1823, veröffentlicht 1824), „Die Zigeuner“ (geschrieben 1824, veröffentlicht 1827). Mit den „Südlichen Poemen“ leitete Puschkin eine neue Phase in der Entwicklung der russischen revolutionären Romantik ein, die organisch zum Realismus hinführte. Ohne Zweifel hat Puschkin in den „Südlichen Poemen“ starke Anregungen von den „Östlichen Poemen“ Byrons empfangen, für die er sich zu Beginn seiner Verbannung begeisterte. Er blieb aber stets eigenständig und überwand bald jene Begrenztheit, die der Schaffensweise des englischen Dichters eigen ist. Ungewöhnliche, mit dem Schleier des Geheimnisvollen umgebene Helden begegnen uns in ungewöhnlichen Konfliktsituationen: Der in einem kaukasischen Gebirgsdorf gefangengehaltene russische Offizier, dem ein Tscherkessenmädchen aus Liebe zur Flucht verhilft; zwei dem Kerker entronnene Räuber im Kampf um die Freiheit; die stolze und schöne Polin Maria, die im Harem des Krimchans Girej das Opfer der blinden Eifersucht ihrer Rivalin Sarema wird; und schließlich Aleko, der bei Zigeunern eine Heimstatt gefunden hat, die erwiesene Gastfreundschaft aber schändlich mißbraucht. Der romantische Protest gegen eine ungerechte Gesellschaftsordnung findet seinen Niederschlag in der Antithese Zivilisation – Natur (das ist auch in der „Fontäne von Bachtschissarai“ der Fall, wo Marias beherrschte Geistigkeit der Sinnlichkeit des echten Naturkindes Sarema gegenübersteht). Entsprechend den
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künstlerischen Prinzipien der Romantik werden die gesellschaftlichen Widersprüche in die Psyche der Einzelpersönlichkeit projiziert. Das objektive Milieu hingegen, das diese Einzelpersönlichkeit hervorgebracht hat, bleibt weitgehend im Verborgenen. Vom Gefangenen im Kaukasus erfahren wir nicht einmal den Namen. In seiner Gestalt wollte Puschkin den „Helden seiner Zeit“ darstellen, ohne diese weitgespannte Absicht allerdings voll verwirklichen zu können (vgl. Band 6 unserer Ausgabe, S. 44). Die Subjektivität der romantischen Schaffensweise mußte erst überwunden werden, ehe dies einige Jahre später in der Gestalt Onegins gelang (vgl. „Eugen Onegin“ in Band 3 unserer Ausgabe). Das bedeutendste der „Südlichen Poeme“ sind die „Zigeuner“. Anregungen empfing Puschkin in Bessarabien, wo er das Leben und Treiben der Zigeuner aus nächster Nähe beobachten konnte. Hier zeichnet sich der Übergang zum Realismus bereits ab. Die Charaktere sind plastischer als in den früheren Poemen, die ethnographischen Details fügen sich organischer in den Handlungsablauf ein. In das stark lyrisch gefärbte Genre des romantischen Poems ist objektivierend ein ausgeprägter dramatischer Zug getreten. Wesentliche Partien sind in Dialogform geschrieben, Held und lyrisches Ich bilden keine undifferenzierte Einheit mehr. Der Held des Poems, Aleko, hat „der dumpfen Städte Sklaverei“, wo er offenbar mit den Gesetzen der Klassengesellschaft in Konflikt geraten ist, mit der freien Natur vertauscht. Der tragische Ausgang bahnt sich an, als sich Aleko als unfähig erweist, das Freiheitsethos der patriarchalischen Zigeunergemeinschaft vorbehaltlos anzuerkennen. Das Urteil des alten Zigeuners über Aleko ist zugleich ein Urteil Puschkins über den subjektiven Idealismus des romantischen Helden und eine endgültige Absage an Byron. Das Zigeunermilieu zeichnet Puschkin zwar in romantischen Farben – eine solch ideale ethische Harmonie hatte in der Wirklichkeit keine Entsprechung –, doch gibt er deutlich zu verstehen, daß eine Flucht in den Naturzustand keinen Ausweg aus den gesellschaftlichen Widersprüchen bedeuten kann. Auch den Zigeunern selbst als Kindern des Naturzustandes ist das Glück letztlich versagt. Damit überwand Puschkin jene Illusionen, wie sie in den Werken Rosseaus und auch Chautebriands ihren Ausdruck fanden. Bemerkungen Puschkins zu den „Zigeunern“ sind im Entwurf enthalten, vgl. Band 5 unserer Ausgabe, S. 19 f. Die ersten deutschen Übersetzungen der „Südlichen Poeme“ erschienen sehr früh: „Der Gefangene im Kaukasus“ unter dem Titel „Der
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Berggefangene“ 1823 in Petersburg, übersetzt von Alexander Wulffert, „Die Räuberbrüder“ unter dem Titel „Das Räuberbrüderpaar“ 1840 im ersten Band der Puschkin-Ausgabe von Robert Lippert, „Die Fontäne von Bachtschissarai“ unter dem Titel „Der Trauerquell“ 1826 in Petersburg, übersetzt von Alexander Wulffert, „Die Zigeuner“ 1840 im ersten Band der Puschkin-Ausgabe von Robert Lippert und im selben Jahr in der Puschkin-Ausgabe von Eduard von Olberg.
Der Gefangene im Kaukasus 123 Rajewskij – Nikolai Nikolajewitsch Rajewskij (1801–1843), Sohn des Generals Nikolai Nikolajewitsch Rajewskij, dessen Familie Puschkin 1820 in den Kaukasus und auf die Krim begleitete. Beschtu – Richtiger Beschtau, ein kaukasischer Berg, vierzig Werst von Georgijewsk entfernt. Er ist in unserer Geschichte bekannt. (A. P.) 124 Dem Vater gleich – General Rajewskij verteidigte 1812 in der Schlacht bei Borodino die zentrale Feldschanze und zeichnete sich auch bei anderen Kampfhandlungen durch Tapferkeit aus. 128 Aúl – So heißen die Dörfer der kaukasischen Völker. (A. P.) 130 Kumys – Wird aus Stutenmilch hergestellt. Dieses Getränk ist bei allen Bergvölkern und Nomaden Asiens sehr beliebt. Es hat einen recht angenehmen Geschmack und gilt als sehr gesund. (A. P.) Wie sie in Grusien alle singen – Das segensreiche Klima Grusiniens wiegt jenem Land nicht all die Leiden auf, die es ständig ertragen mußte. Die grusinischen Lieder sind angenehm und größtenteils melancholisch. Sie preisen die flüchtigen Erfolge der kaukasischen Waffen, den Tod unserer Helden Bakunin und Zizianow, Verrat, Totschlag und bisweilen Liebe und Genuß. (A. P.) 131 Elbrus – Höchster Berg des Kaukasus. 135 Gibt ihm ein Obdach für die Nacht – Im Vergleich zu uns zeichnen sich die Tscherkessen wie alle wilden Völker durch Gastfreundschaft aus. Der Gast ist für sie eine geheiligte Person. Ihn zu verraten oder nicht zu verteidigen gilt bei ihnen als größte Ehrlosigkeit. Der Kunak (d. h. der Freund, der Bekannte) bürgt mit seinem Leben für Ihre Sicherheit, und mit ihm können Sie sich mitten in die kabardinischen Berge begeben. (A. P.)
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135 nach den Fastentagen – Bairan oder Bairam heißt das Fest, mit dem der Ramasan, die muselmanische Fastenzeit, ihren Abschluß findet. (A. P.) 143 Tschetschene – Angehöriger eines dagestanischen Volksstammes, der sich durch besondere Kampfeslust auszeichnete. Staniza – Befestigte Kosakensiedlung. 147 Mstislaw, der den Rededja zwang – Mstislaw, genannt der Kühne, Sohn des Heiligen Wladimir, Teilfürst von Tmutarakan (Halbinsel Taman). Er kämpfte gegen die Kassogen (aller Wahrscheinlichkeit nach die heutigen Tscherkessen) und besiegte in einem Zweikampf deren Fürsten Rededja. (A. P.) Dieses Ereignis der altrussischen Geschichte, das Puschkin zum Gegenstand eines selbständigen Poems machen wollte, fiel in das Jahr 1022. unser Aar – Gemeint ist das russische Wappen. 148 Zizianoro – Pawel Dmitrijewitsch Zizianow (1754–1806), seit 1802 Oberkommandierender in Grusinien. Kotljaremskij – Pjotr Semjonowitsch Kotljarewskij (1782–1852); diente als General bis 1813 im Kaukasus und zeichnete sich mehrfach in Kampfhandlungen aus. Jermolow – Alexej Petrowitsch Jermolow (1772–1861), seit 1817 Oberkommandierender im Kaukasus; mußte wegen der Sympathien, die ihm die Dekabristen entgegenbrachten, 1827 seinen Abschied nehmen. der Stamm des Batu-Chan – Gemeint sind die Tataren. Der tatarische Chan Batu eroberte im 13. Jahrhundert weite Teile Rußlands.
Die Fontäne von Bachtschissarai Puschkin ließ auf den Text seines Poems „Die Fontäne von Bachtschissarai“ einen Auszug aus I. M. Murawjow-Apostols „Reise durch Taurien“ (1823) folgen, da ihm diese Beschreibung als zusätzliche Charakterisierung der Örtlichkeit, in der die Handlung seines Poems spielte, geeignet erschien: „Gestern abend erreichte ich Bachtschissarai, begab mich in die Schlucht hinunter, in der es liegt, schaffte es aber im Hellen nur noch die lange Straße entlang bis zum Chans-Sarai (d. h. dem Chanspalast)
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am östlichen Ende der Stadt. Die Sonne war längst hinter den Bergen versunken, und es wurde schon dunkel, als ich den ersten Hof des Sarais betrat. Doch das hinderte mich nicht, die Gemächer und Höfe der taurischen Alhambra zu durchstreifen; je undeutlicher ich die Dinge wahrnahm, desto lebhafter umspielte sie meine Phantasie mit den prächtigen Farben orientalischer Poesie. Mein Freund, ich will dich nicht von innen her führen, sondern, wie es empfehlenswert ist, durch das äußere Tor, das man von der Straße her passiert, über die Brücke, über das schmale Schmutzige Flüßchen Suruk-Su. Hast du das Tor durchschritten, so findest du dich auf dem ersten Hof; die Schmalseite des weiten Parallelogramms, die dem Eingang gegenüber liegt, grenzt an Gartenterrassen; an den beiden Längsseiten befinden sich links Moschee und Nebengebäude, rechts der Palast mit mehreren ungleich hohen, miteinander verbundenen Flügeln. Rechts gelangt man durch ein Tor in den inneren Hof, in dem man linker Hand auf eine eiserne Tür stößt, mit farbenfrohen Malereien im arabischen Stil geschmückt und einem Doppelkopfadler anstatt des osmanischen Monds. Jenseits der Schwelle findest du dich in einem geräumigen Flur, auf einem Marmorpodium, und erblickst rechts eine breite Treppe, die in die oberen Gemächer führt. Doch verweilen wir zunächst im Flur, um die beiden herrlichen Fontänen zu betrachten, die unaufhörlich Wasser aus der Wand in weiße Marmorschalen gießen: eine gegenüber der Tür, eine zweite links von ihr. Um dir dieses untere Geschoß ganz zu beschreiben, erwähne ich noch den langen Korridor, der von der linken Ecke gegenüber der Tür direkt in die Hauskapelle des Chans führt. Über der Tür stellt: ‚Chan Selamid-Girej, Sohn des Chans Hadschi-Selim-Girej.‘ Die andere Tür auf diesem Korridor führt links in ein großes Zimmer, dessen Wände zur Hälfte von einem Diwan gesäumt sind. In der Mitte befindet sich ein marmorner Wasserspeier. Es ist ein vortrefflicher Zufluchtsort in den heißen Stunden, wenn die Berge um Bachtschissarai vor Hitze glühen. Die dritte Tür führt in den Chans-Diwan, d. h. in das Zimmer, wo sich der Staatsrat zu versammeln pflegte; es ist auch durch ein Vorzimmer vom großen Hof aus zu erreichen. Wenn ich dir einen Saal des Oberstocks beschreibe, hast du durchaus eine Vorstellung von allen übrigen, denn sie unterscheiden sich voneinander nur durch die Wandbemalungen. Da die Fassade des Gebäudes nicht durchgehend ist, sondern aus einzelnen Teilen besteht, so
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muß ich zunächst bemerken, daß die großen Säle von drei Seiten Licht bekommen, d. h. alle aus der Fassade hervorspringenden Wände sind mit Fenstern versehen. Der Saal ist nicht anders zu betreten als durch eine verdeckte Seitentür zwischen Pilastern in arabischem Stil. An diesen dunklen Seiten sind, ebenfalls unauffällig, Schränke eingebaut. Über ihnen ist (in den schönsten Sälen) außen wie innen Glas bis zur Decke hinauf. Dazwischen finden sich zierliche Stuckarbeiten: Schalen mit Früchten, Blumen oder kleine Bäumchen mit ausgestopften Vögeln. Die Decken sind, wie die nichterhellte Wand, von Tischlerhand gearbeitet und sehr schön: ein feines vergoldetes Gitter auf dunkelrotem Lackgrund. Der Fußboden war, wie ich es von Spanien her kenne, mit kunstvoll geflochtenen Schilfmatten bedeckt, die man auf Ziegel- oder Steinfußböden anstelle von Teppichen benutzt. Außer durch Fensterläden ist das von drei Seiten erhellte Zimmer durch farbiges Ornamentglas gegen grelles Licht geschützt, eine Verzierung, die man auf den Ritterburgen liebte und die die Europäer sicherlich während der Kreuzzüge von den Orientalen übernommen haben. Wenn du dir zum Schluß dieser allgemeinen Beschreibung noch den Diwan vorstellst, d. h. die Kissen, die an allen drei Fensterwänden auf dem Boden verteilt lagen und einst mit Seide bezogen waren, hast du einen Begriff von den vornehmsten Sälen des Palasts, abgesehen von den drei oder vier Gemächern, die für die Kaiserin Katharina II. in europäischem Stil hergerichtet worden waren – mit hohem Diwan, Sesseln und Tischen. Dies letzterwähnte Möbel ist uns Getauften besonders teuer, weil die Rechtgläubigen in allen Koranländern an Stelle von Tischen niedrige runde Bänke benutzen, auf die Tablette gestellt werden und an denen man, die Beine untergeschlagen, seine Mahlzeit einnimmt. Du wirst unschwer erraten, daß sich neben diesem Gebäude der Harem befand, für keinen zugänglich außer für den Chan und von ihm durch einen besonderen Korridor zu erreichen. Dieser Teil ist am ärgsten verfallen. Ein paar Häuschen, in denen einst die Opfer der Liebe oder besser der Wollust in Unfreiheit schmachteten, bieten jetzt ein trauriges Bild der Zerstörung: eingestürzte Decken, morsche Fußböden. Die Zeit hat den Kerker gebrochen. Doch was nützt das, wenn die Zeit, die das Schicksal den Gefangenen bestimmte, freudlos verging, wenn sie diesem einen sklavisch zu Willen sein mußten – einem Herzensfreund nicht, sondern einem grausamen Gewaltherrn! Neben dem Harem steht auf dem großen Hof ein hoher sechseckiger Pavillon mit Gittern statt Fenster, aus dem, wie es heißt, die Frauen des
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Chans, selber ungesehen, die Spiele, die Besuche der Gesandten und andere Ergötzlichkeiten verfolgen konnten. Andere erzählen, daß sich der Chan hier seiner Fasanen erfreute und sie seinen Gespielinnen zeigte. Das möchte man schon deshalb für glaubwürdig halten, weil das Bild des Hahns mit seinem Anhang das einzige ist, was ein muselmanischer Ehemann seinen Gefangenen zur Rechtfertigung der Vielweiberei vorführen kann. Zwischen diesem halbverfallenen Pavillon und dem Zimmer, von dem ich eben sprach, befindet sich auf der unteren Etage mit der Marmorfontäne ein entzückendes Blumengärtchen, dessen Myrten und Rosen einem tatarischen Anakreon die schönsten Lieder eingegeben haben mögen. Doch es ist Zeit, diese bedrückenden Denkmäler der Knechtschaft zu verlassen und hinaus ins Freie zu gehen. Dem großen Tor gegenüber, am Ende des Hofs, ziehen sich in vier Stufen Terrassen den Berg hinan, bestanden mit fruchttragenden Bäumen und Wein, getränkt vom klaren Wasser der Quellen, das Stufe um Stufe in die Steinbecken herabfällt. Vielleicht haben die Mursen, als sie das Geschlecht der Girej einst mit den Herrschern von Babylon verglichen, auch die Terrassen den hängenden Gärten der Semiramis gegenübergestellt: Heute jedenfalls bietet das Wunder der Krim ein Bild des Verfalls, wie alle diese taurischen Denkmäler. Am meisten bedauert man, daß der kostbarste Schatz nicht gepflegt wird, das Wasser. Viele Röhren sind verstopft und manche Quellen schon völlig versiegt. Hinter der Moschee, außerhalb des Hofs, ist der Friedhof der Chane und Sultane, des Herrscherhauses Girej. Ihr Staub ruht unter weißen Marmorgrabmälern, die im Schatten hoher Pappeln, Nußbäume und Maulbeerbäume stehen. Hier liegt Mengli und sein Vater, der Gründer des mächtigen Krimreichs. Alle Denkmäler tragen Inschriften … Bevor wir dieses Kleinod ewigen Schlafs verlassen, zeige ich dir von hier noch den Hügel, links von der oberen Gartenterrasse, auf dem ein schönes Gebäude mit runder Kuppel steht: das Mausoleum einer schönen Grusinierin, der Frau des Chans Kerim-Girej. Eine neue Zaire, gebot sie mit der Macht ihrer Reize dem, der hier allen gebot. Doch nicht lange: Die Paradiesesblüte welkte bereits in der Morgenfrühe ihres Lebens, und der untröstliche Kerim errichtete seiner Geliebten dieses Denkmal, auf daß er täglich hingehe und seine Tränen über dem Staub der Unvergeßlichen vergieße. Ich wollte dem Grab der Schönen die Ehre erweisen, doch man kommt nicht mehr hinein; die Tür ist fest verschlossen. Seltsam, der Volksmund will durchaus wissen, die
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Schöne sei keine Grusinierin, sondern eine Polin gewesen, Potocka mit Namen und von Kerim-Girej geraubt. Wie ich auch stritt und versicherte, diese Überlieferung sei historisch nicht haltbar und es sei in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts für Tataren nicht so einfach gewesen, Polinnen zu rauben – meine Gründe fruchteten nichts. Man schwört darauf: die Schöne war eine Potocka. Ich finde für diese Hartnäckigkeit keine andere Erklärung als die weitverbreitete und richtige Meinung, weibliche Schönheit sei sozusagen ein Privileg des Geschlechts der Potocki.“ 159 Sadi – Oder Saadi (um 1215–1292), persischer Dichter. 161 Tribut den Polen auferlegen – Die Krimtataren bedrohten vom 16. bis zum 18. Jahrhundert des öfteren den damaligen polnischen Herrschaftsbereich in der Ukraine. Beängstigt ihn der Völker Zorn – Gemeint sind die Völkerschaften des Kaukasus, die an das Reich der Krimtataren angrenzten. Kam eine Meuterei zutage … – Innerhalb des tatarischen Heeres, das sich aus verschiedenen Horden zusammensetzte, waren Meutereien an der Tagesordnung. 162 Sind Genuas Ränke ihm ein Dorn? – Bis zum letzten Drittel des 15. Jahrhunderts vermochte Genua seine befestigten Stadtkolonien am Südufer der Krim gegen den Ansturm der Türken zu halten. Reste der genuesischen Siedler zogen in das Tal des Belbek, wo sie allmählich in der tatarischen Bevölkerung aufgingen. Giaur – Muselmanische Bezeichnung für einen Andersgläubigen. 164 Scherbett – Eisgekühltes Getränk aus sirupartigem Fruchtsaft. 169 Taurien – Vom antiken Namen „Tauris“ abgeleitete Bezeichnung für die Krim und das angrenzende Gebiet. 178 Sie lebt ja noch – Gemeint ist Puschkins „verschwiegene Liebe“, über deren Identität bis heute keine völlige Klarheit herrscht, vgl. Band 6 unserer Ausgabe, 3. Anmerkung zu S. 54 und 3. Anmerkung zu S. 55. Ufer des Salgir – Gemeint ist hier die gesamte Krim und nicht nur das Tal des Flusses Salgir. 179 Aju-Dag – Ein steil ins Meer hineinragender Felsen bei Artek. Er trägt heute den Namen Puschkins.
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Die Zigeuner 189 Sein Name klang so sonderbar – Gemeint ist der römische Dichter Publius Ovidius Naso (43 v. u. Z. – 17 u. Z.), den Kaiser Augustus nach Tomi, einem Städtchen an der Donaumündung, verbannte. Puschkin, der während der Verbannung im Süden sein Schicksal mit dem Ovids verglich, fuhr im Dezember 1821 an die Donau und besuchte die ehemaligen türkischen Festungen Ismail und Akkerman, in der Hoffnung, Spuren des Aufenthalts von Ovid zu entdecken. 191 Alter Mann, böser Mann … – Semfiras Lied ist ein echtes Zigeunerlied, das Puschkin in Kischinjow gehört hatte. 192 Kagule – Eigentlich Kagul, linker Nebenfluß der Donau. 203 Wo seine Grenzen … gewiesen der Türkei – Bessarabien war lange Zeit russisch-türkischer Kriegsschauplatz. Im Jahre 1812 wurde dort durch den Bukarester Friedensschluß die Grenze zwischen Rußland und der Türkei festgelegt.
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Graf Nulin
Das Poem „Graf Nulin“ entstand am 13. und 14. Dezember 1825 und trug ursprünglich den Titel „Der neue Tarquinius“. Puschkin knüpfte an Shakespeares Versdichtung „Die Schändung der Lucretia“ (1594) an, die eine altrömische Sage zum Thema hat: Der Königssohn Sextus Tarquinius entehrte Lucretia, die Gattin des Tarquinius Collatinus, worauf diese ihrem Leben freiwillig ein Ende bereitete und damit den Auftakt zum Sturz des Königtums gab. Mit seiner Parodie wollte Puschkin, der bereits auf realistischen Positionen stand, ein Bild aus dem Alltag des russischen Landadels zeichnen. Über die Entstehungsgeschichte des Poems schrieb Puschkin 1828 eine kurze Notiz, vgl. Band 5 unserer Ausgabe, S. 155. Veröffentlicht wurde das Poem 1828 im Almanach „Sewernyje zwety“ (Nordische Blüten). Eine deutsche Übersetzung von „Graf Nulin“ erschien erstmalig 1840 im ersten Band der Puschkin-Ausgabe von Robert Lippert. 208 Falballat – Ein fingierter Name. Die Liebe Ellys und Merans – Ein fingierter Titel (genau übersetzt würde er „Die Liebe Elisas und Armands“ lauten), der die im Stile der Empfindsamkeit des 18. Jahrhunderts gehaltene Lektüre der Heldin charakterisieren soll. 210 Allons, courage! – (franz.) Voran, nur Mut! Revenue – (franz.) Einkommen. mit Guizots / Sehr schlimmem Buche – Gemeint ist wahrscheinlich der 1823 erschienene „Versuch der Geschichte Frankreichs“ des französischen Historikers und Politikers François-Pierre-Guillaume Guizot (1787–1874), der in den zwanziger Jahren in seinen Schriften die historische Berechtigung der Revolution verteidigte. Später ging Guizot ins reaktionäre Lager über. 211 bon mots – (franz.) treffende Witzworte. Mit Weisen von Rossini, Paër – Die neuen Opern der italienischen
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Komponisten Gioacchino Rossini (1792–1868) und Ferdinande Paër (1771–1839) erfreuten sich zu jener Zeit in Frankreich großer Beliebtheit. 211 Dem neusten Lied … / Von Beranger – Der französische Lyriker Jean-Pierre de Beranger (1780–1857) trat in den zwanziger Jahren mit politischen Chansons hervor, die gegen die Herrschaft der Bourbonen gerichtet waren. C’est bien mauvais … – (franz.) Sehr schlecht, einfach kläglich. Talma – François-Joseph Talma (1763–1826), französischer Tragöde; setzte eine Verinnerlichung des Deklamationsstils durch. Mamsell Mars – Anne-Françoise Mars (1779–1847), französische Schauspielerin; verkörperte noch in reifen Jahren jugendliche Rollen. le grand Potier – (franz.) der große Potier. – Der französische Schauspieler Charles Potier (1775–1838) war als Darsteller in Vaudevilles und Possen sehr beliebt. Lamartine – Alphonse-Marie-Louis de Prat de Lamartine (1790 bis 1869), französischer romantischer Dichter; besang das Gefühl der menschlichen Vereinsamung. Er nahm in den zwanziger Jahren eine konservative Haltung ein. d’Arlincourt – Charles-Victor Prevot, Vicomte d’Arlincourt (1789 bis 1856), Verfasser von Unterhaltungsliteratur; war in den zwanziger Jahren beim französischen Publikum in Mode. 212 Telegraf – Gemeint ist die von Nikolai Alexejewitsch Polewoi (1796–1846) herausgegebene Zeitschrift „Moskowskij telegraf “ (Moskauer Telegraf), die als Beilage farbige Modezeichnungen brachte.
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Poltawa
Das Poem „Poltawa“ entstand 1828 und erschien 1829. Es ist das dichterische Ergebnis eines verstärkten Interesses Puschkins für die russische Geschichte und für die Gestalt Peters I. im besonderen. Puschkin studierte, wie u. a. seine eigenen Anmerkungen zum Poem ausweisen, eine Reihe von russischen und französischen historischen Werken und hatte auch, als er „Poltawa“ schrieb, die Poeme „Mazeppa“ (1819) von Byron und „Woinarowskij“ (1825) von Kondratij Fjodorowitsch Rylejew kritisch vor Augen. Zum Unterschied von seinen romantischen Vorgängern orientierte er schon durch die Titelgebung auf keinen Einzelhelden, sondern auf den historischen Wendepunkt, den der Sieg bei Poltawa 1709 für Rußland darstellte. Der Höhepunkt des Poems ist die Schilderung der Schlacht, gedeutet als Schicksalsstunde des erstarkenden russischen Nationalstaates. Die Darstellung Peters I. knüpft an die heroischen Genres des 18. Jahrhunderts an, ist aber frei von jeglichem abstrakten Pathos und fügt sich in die konkret-historische Situation ein. Menschliche Einzelschicksale werden im Zusammenhang mit dem Schicksal des Volkes gezeigt. Mit dem zentralen Ereignis der Schlacht sind im Widerstreit zwischen patriotischer Pflicht und Vaterlandsverrat die persönlichen Schicksale Kotschubejs und Masepas verflochten. Als Antithese zu der strahlenden Gestalt Peters wird ohne jede Idealisierung der ehrgeizige Hetman Masepa gezeichnet. Er ist ein Schurke im privaten Leben wie in der großen Politik. Seine Verschwörung gegen Peter I. treibt die Handlung voran. In der Gestalt Maries, die Masepa liebt, andererseits aber ihren Vater, den von Masepa gefolterten und hingerichteten vaterlandstreuen Kotschubej, beweint, verdichtet sich der Konflikt. Die vielschichtige Komposition weist vor allem im Bereich der Handlungslinie Maries romantische Stilelemente auf. Im Poem „Poltawa“ müssen wir den Versuch eines Realisten sehen, Traditionen des Klassizismus und der Romantik zu einer Synthese zusammenzufassen und seiner künstleri-
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schen Absicht nutzbar zu machen. In der Auseinandersetzung mit der wenig verständnisvollen Kritik schrieb Puschkin 1830 einen Artikel über sein Poem, vgl. Band 5 unserer Ausgabe, S. 138 ff. Die ersten deutschen Übersetzungen von „Poltawa“ veröffentlichten Robert Lippert 1840 im ersten Band seiner Puschkin-Ausgabe und im selben Jahr Eduard von Olberg in seiner Puschkin-Ausgabe. 219 The power and glory … – (engl.) „Des Krieges Macht, des Ruhmes Glanz, / Feil wie der Mensch, ihr eitler Schranz, / Ging zum siegreichen Zaren nun …“ – Das Motto entnahm Puschkin der ersten Strophe des Poems „Mazeppa“ von Byron. 221 Dir! – Vermutlich hat Puschkin die „Widmung“ Marija Wolkonskaja, der Tochter des Generals Rajewskij, zugeeignet. Marija Wolkonskaja lebte zur Zeit des Erscheinens von „Poltawa“ bereits in Sibirien, wohin sie ihrem Gatten, einem verbannten Dekabristen, gefolgt war. 223 Pan Kotschubej – Der General-Oberrichter Wassilij Leontjewitsch Kotschubej war einer der Vorfahren des jetzigen Grafenhauses. (A. P.) Tochter – Kotschubej hatte mehrere Töchter; eine davon war mit Masepas Neffen Obidowskij verheiratet. Jene, von der hier die Rede ist, hieß Matrjona. (A. P.) 225 Patenkind – Masepa hielt in der Tat um die Hand seiner Patentochter an, wurde jedoch abgewiesen. (A. P.) 226 Lieder – Die Überlieferung schreibt Masepa mehrere Lieder zu, die noch heute im Gedächtnis des Volkes bewahrt werden. In seiner Anzeige nennt Kotschubej auch eine patriotische Duma (ukrainisches historisches Volkslied), die Masepa verfaßt haben soll. Sie ist nicht nur in historischer Hinsicht bemerkenswert. (A. P.) 227 Schwedens Paladin – Gemeint ist Karl XII. (1682–1718), König von Schweden seit 1697. Ein neuer starker Feind – Gemeint ist Napoleon I. 228 Kleinrußland – Die Ukraine. Doroschenko – Doroschenko, einer der Helden aus dem alten Kleinrußland, war ein unversöhnlicher Feind der russischen Herrschaft. (A. P.) Samoilowitsch – Grigorij Samoilowitsch war der Sohn eines Hetmans, der zu Beginn der Regierung Peters I. nach Sibirien verbannt worden war. (A. P.)
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228 Palej – Simeon Palej, Oberst des Chwastowschen Regiments und berühmter Reiterführer. Seiner eigenmächtigen Überfälle wegen wurde er auf Masepas Beschwerde hin nach Jenissejsk verbannt. Als letzterer sich jedoch als Verräter erwies, wurde auch Palej, sein Todfeind, aus der Verbannung zurückgeholt und wohnte der Schlacht von Poltawa bei. (A. P.) Gordejenko – Kostja Gordejenko, Heeresataman der Saporoger Kosaken; ging später zu Karl XII. über. Er wurde gefangengenommen und 1708 hingerichtet. (A. P.) Wüstenei – 20 000 Kosaken schickte man nach Livland. (A. P.) 229 Bogdan – Bogdan Chmelnizkij (um 1595–1657), ukrainischer Staatsmann, Heerführer und Diplomat, Hetman der Ukraine von 1648 bis 1657; kämpfte erfolgreich gegen die polnische Herrschaft in der Ukraine. Unter ihm schloß sich die Ukraine 1654 Rußland an. 232 Weib – Masepa wirft Kotschubej in einem Brief vor, er lasse sich von seiner stolzen und hochfahrenden Gattin beherrschen. (A. P.) Iskra – Oberst des Poltawschen Regiments, Gefährte Kotschubejs; teilte mit ihm seine Pläne und sein Los. (A. P.) 233 Wer mag bei Mond- und Sternenschein … – Die folgenden sechs Vierzeiler hat Bruno Tutenberg mit unwesentlichen Änderungen der älteren Übersetzung von Ascharin-Bodenstedt entnommen. 234 Salenski – Der Jesuit Salenski, die Fürstin Dulskaja und ein gewisser bulgarischer Erzbischof, den man aus seiner Heimat vertrieben hatte, waren die Hauptagenten bei Masepas Verrat. Der Erzbischof ging häufig, als Bettler verkleidet, von Polen nach der Ukraine und zurück. (A. P.) Volks-Universallen – Universallen wurden die Aufrufe der Hetmane genannt. Orlik – Filipp Orlik, Generalsekretär und Vertrauter Masepas; bekam nach dessen Tode (1710) von Karl XII. den nichtssagenden Titel eines Hetmans von Kleinrußland verliehen. Später trat er zum Islam über. Er starb um 1736 in Bender. (A. P.) Bulawin – Ein Donkosak, der zu dieser Zeit zum Aufstand aufrief. (A. P.) 235 Die alten Feinde in der Krim – Gemeint sind die Krimtataren. Moskauer Bojaren – Der Geheimsekretär Schafirow und Graf Golowkin, Freunde und Gönner Masepas; ihnen muß, um der Ge-
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rechtigkeit willen, die Schuld am grausamen Urteil und an der Hinrichtung der Ankläger zugesprochen werden. (A. P.) 236 Stanislaw – Im Jahre 1705 bot Stanislaw Leszczytiski, König von Polen von 1704 bis 1711 und von 1733 bis 1736, Masepa den Titel eines Fürsten an. Taub für die Stimmen des Chanates – Zur Zeit des mißlungenen (russischen) Krimfeldzuges machte der Chan Kasy-Girej Masepa den Vorschlag, sich mit ihm zu verbünden und das russische Heer gemeinsam anzugreifen. (A. P.) 243 Bela-Zerkow – Eigentlich Belaja Zerkow; Sitz des Hetmans der Ukraine. 247 O Nacht der Qualen! – Kotschubej wurde im Heereslager des Hetmans noch gefoltert, als er bereits zum Tode verurteilt war. Aus den Antworten des Unglücklichen geht hervor, daß man im Verhör nach seinen verborgenen Schätzen forschte. (A. P.) 256 Der alten Feinde Massengrab – Puschkin spielt hier auf die Fremdherrschaft der Tataren (13.–15. Jahrhundert) und die polnische Invasion Anfang des 17. Jahrhunderts an. 257 Kardinal – Kardinal Montalto (1521–1590); täuschte lange Zeit schwere Gebrechen vor, warf aber, nachdem er 1585 zum Papst (Sixtus V.) gewählt worden war, die Krücken fort und stimmte einen lauten Dankgesang an, wodurch er alle, die mit seinem baldigen Ableben rechneten, in Staunen und Schrecken versetzte. Tiare – Dreireifige Papstkrone mit zwei an der Seite herabhängenden weißen Bändern. Des Zaren Zorn – Die von Peter mit der ihm eigenen Schnelligkeit und Energie ergriffenen strengen Maßnahmen hielten die Ukraine in Gehorsam. „Am 7. November 1708 wählten die Kosaken auf Befehl des Zaren nach ihrem Brauch mit freien Stimmen Iwan Skoropadskij, den Obersten des Starodubschen Regiments, zum Hetman. Am 8. November kamen die Erzbischöfe von Kiew, Tschernigow und Perejaslawl nach Gluchow. Und am 9. November wurde von diesen hohen Geistlichen der Kirchenfluch über Masepa öffentlich ausgesprochen; an demselben Tage wurde auch eine den Verräter vorstellende Puppe zur Schau gestellt, das Ordensband, mit welchem die Puppe dekoriert war, abgenommen und die Puppe dem Henker übergeben, der
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sie an einem Strick durch die Straßen, über den Markt und sogar bis an den Galgen schleifte und danach aufhängte. Am 10. November wurden in Gluchow Tschetschel und die übrigen Verräter hingerichtet …“ – Tagebuch Peters des Großen. (A. P.) 258 Tschetschel – Tschetschel verteidigte Baturin mit dem Mut der Verzweiflung gegen die Truppen des Fürsten Menschikow. (A. P.) Narwa – Karl XII. schlug im Jahre 1700 die schlecht ausgebildeten russischen Truppen bei Narwa in die Flucht. In den darauffolgenden neun Jahren schuf Peter I. jedoch ein neues, diszipliniertes Heer, das den Schweden bei Poltawa eine vernichtende Niederlage zufügte. 259 Feind – Gemeint ist August II. (1670–1733), genannt der Starke, König von Polen seit 1697, als Friedrich August I. Kurfürst von Sachsen; wurde 1702 von Karl XII. geschlagen und 1704 des polnischen Thrones entsetzt. Bombe – „Bombe, Majestät! …“ – „Was hat die Bombe mit dem Brief zu tun, welchen ich dir diktiere? Schreib weiter!“ Dieser Vorfall hat sich übrigens viel später zugetragen. (A. P.) verwundet – Nachts, als Karl in eigener Person unser Lager rekognoszierte, stieß er auf Kosaken, die am Feuer kauerten. Er sprengte auf sie zu und erschoß einen von ihnen. Die Kosaken feuerten dreimal auf ihn und verwundeten ihn schwer am Bein. (A. P.) 261 Rosen und Schlippenbach – Hauptleute unter Karl XII. 262 Scheremetew – Boris Petrowitsch Graf Scheremetew (1652–1719), russischer Feldmarschall, Anhänger Peters I. Repnin – Anikita Iwanowitsch Fürst Repnin (1668–1726), russischer Feldmarschall; kommandierte in der Schlacht bei Poltawa das russische Zentrum. Bruce – Jakow Wilimowitsch Bruce (1670–1735), russischer Feldherr, Diplomat und Gelehrter, Anhänger Peters I. Bauer – Rodion Christianowitsch Baur (1667–1717), russischer General, gebürtig aus Holstein. ein halber Souverän – Dank den vortrefflichen Dispositionen und Manövern des Fürsten Menschikow war die Hauptschlacht schon früh entschieden. Sie dauerte keine volle zwei Stunden. „Denn“ (so lesen wir im Tagebuch Peters des Großen) „die unbesiegbaren Herren Schweden haben das Hasenpanier ergriffen, und
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die ganze feindliche Armee wurde durch unsere Truppen zersprengt und zerstreut.“ (A. P.) 264 Woinarowskij – Andrej Woinarowskij (gest. 1740), Neffe und Mitverschwörer Masepas. 265 Ehrengast – Dazu das folgende französische Zitat Puschkins aus Voltaires „Histoire de Charles XII“ in deutscher Übersetzung: „Der moskowitische Imperator, von Freude geschwellt, die er nicht zu verbergen suchte, empfing auf dem Schlachtfeld die Gefangenen, die man ihm in einem Rudel vorführte, und fragte jeden Augenblick: ‚Wo ist denn mein Bruder Karl?‘ Dann ergriff er ein Glas Wein und sagte: ‚Auf das Wohl meiner Lehrmeister in der Kriegskunst!‘ Renschild fragte ihn, wen er mit einem so schönen Titel beehre. ‚Sie, meine Herren schwedischen Generale‘, antwortete der Zar. ‚Ihre Majestät ist also ziemlich undankbar‘, versetzte der Graf, ‚wenn Sie Ihre Lehrmeister so mißhandeln konnten.‘“ 269 In Benders ödem Steppenland – Kurze Zeit nach der Schlacht bei Poltawa starb Masepa im damals türkischen Bender, wohin er mit Karl XII. geflohen war. 270 Die Gräber jener andern zwei – Die enthaupteten Leichname von Kotschubej und Iskra wurden den Verwandten zurückgegeben und im Kiewer Höhlenkloster beigesetzt, wo eine Inschrift ihre Ruhestätte bezeichnet. (A. P.) Dikanka – Die Besitzung Kotschubejs.
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Das Häuschen in Kolomna
Puschkin schrieb das scherzhafte Poem „Das Häuschen in Kolomna“ im Herbst 1830 auf dem väterlichen Landgut Boldino und veröffentlichte es 1833 im ersten Teil des Almanachs „Nowosselje“ (Einzugsfeier). Er hatte in den Jahren 1817–1820 selber in Kolomna, einem unansehnlichen Stadtteil Petersburgs am rechten Ufer der Fontanka, gewohnt, ein Umstand, der sich in der realistischen Detailschilderung des Poems widerspiegelt. Die ursprüngliche Fassung enthielt eine Reihe von Strophen literarisch-polemischen Inhalts, wie denn die anekdotische Fabel des Poems insgesamt als Erwiderung auf den Vorwurf reaktionärer Kritiker konzipiert war, Puschkin schreibe keine ernsthaften, die Waffensiege der zaristischen Regierung an der russisch-türkischen Front im Kaukasus preisenden Dichtungen. „Das Häuschen in Kolomna“ wird in einer Übersetzung von Martin Remané in der vorliegenden Ausgabe dem deutschen Leser erstmals vorgelegt. 273 Schichmatow gleich – Sergej Alexandrowitsch Schirinskij-Schichmatow (1783–1837); schrieb u. a. Poeme religiösen Inhalts. Er lehnte es ab, Verbendungen für die Reimbildung zu nutzen. 274 Oktave – Achtzeilige Strophenform. beim zweiten Fuß – Gemeint ist der zweite Versfuß. 275 Nemskij – Der Newskij Prospekt in Petersburg. Ich werd kutschieren … – Mit diesem Vergleichsbild charakterisiert Puschkin die auf Detailtreue ausgerichtete Darstellungsweise, die er in der folgenden Strophe mit der klassizistischen konfrontiert. Pegasus – Nach der griechischen Sage ein geflügeltes Dichterroß; soll durch seinen Hufschlag Quellwasser hervorgebracht haben. Hier als Symbol des überlebten Klassizismus gebraucht. Parnaß – Ein Gebirge in Mittelgriechenland; galt im Altertum als Sitz Apollos und der Musen.
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275 Apoll – Griechischer Gott der Künste und Herr der Musen. Sankt Marien – Gemeint ist die Pokrowskij-Kirche (Maria Schutz) im Stadtteil Kolomna. 277 Emin – Die Werke des russischen Romanschriftstellers Fjodor Alexandrowitsch Emin (1735–1770) waren in kleinbürgerlichen Schichten populär. Es seufzt das graue Täubchen – Empfindsame Romanze im volkstümlichen Stil, verfaßt von dem russischen Dichter Iwan Iwanowitsch Dmitrijew (1760–1837). Ich tret heraus … – Empfindsame Romanze im volkstümlichen Stil, verfaßt von dem russischen Dichter Jurij Alexandrowitsch Neledinskij-Melezkij (1752–1829). 278 Diana – Vgl. die Anmerkung zu S. 64. 281 Ochta – Am Flüßchen Ochta im gleichnamigen Vorort Petersburgs lag ein Friedhof, auf dem vorwiegend die ärmere Bevölkerung ihre Toten beerdigte.
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Der eherne Reiter
Das Poem „Der Eherne Reiter“ entstand 1833 auf dem Landgut Boldino. Wegen Schwierigkeiten von Seiten der Zensur, die auf persönliche Vorbehalte Nikolais I. zurückgingen, vermochte Puschkin nur den einleitenden Teil 1834 in der Dezembernummer der „Biblioteka dlja tschtenija“ (Lesebibliothek) zu veröffentlichen. Vollständig, wenn auch in einer von Shukowskij vorgenommenen Bearbeitung der beanstandeten Stellen, erschien das Poem postum 1837 im fünften Band des „Sowremennik“ (Der Zeitgenosse). Der „Petersburger Erzählung“, wie das Poem im Untertitel genannt wird, liegt ein gegenwartsnaher Stoff zugrunde: das tragische Schicksal eines aus verarmtem Adel stammenden kleinen Beamten namens Eugen, der bei der großen Überschwemmung des Jahres 1824 sein geliebtes Mädchen verliert. Die meisterhafte Komposition des Poems, dessen Ideengehalt geschichtsphilosophische Fragen berührt, baut auf Kontrasten auf. In der Einleitung, die uns in die Zeit der Gründung Petersburgs zu Anfang des 18. Jahrhunderts zurückversetzt, erscheint die faszinierende Gestalt Peters als Verkörperung der schöpferischen Kräfte der Nation. Im Hauptteil symbolisiert das eherne Reiterstandbild Peters – im Original als „Idol“ apostrophiert – die unerbittliche Staatsräson des Absolutismus. Puschkin hat nicht nur gelernt, neben den großen historischen Verdiensten Peters I. auch die Schattenseiten seines Wirkens zu sehen, er bringt darüber hinaus unmißverständlich zum Ausdruck, daß bei den Nachfolgern Peters von dessen positiven Seiten keine Spur mehr übriggeblieben ist. Diesem Reiterstandbild nun sieht sich der Durchschnittsbürger Eugen gegenübergestellt. Durch die Katastrophe aufgerüttelt, wird er zum Wortführer aller einfachen Menschen. Sein spontanes Aufbegehren aber stürzt ihn ins Verderben. Sosehr der Dichter Sympathie für ihn hegt, eine geschichtliche Rolle ist ihm nicht zugedacht. So klingt das Poem düster aus. Und doch zeichnet sich jene historische Gesetzmäßig-
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keit ab, die einst den tragischen Gegensatz zwischen Staatsgewalt und Individuum, Zivilisation und persönlichem Glück beseitigen wird. Auch aus diesem Werk spricht der zukunftszugewandte Humanismus Puschkins. Die erste deutsche Übersetzung des „Ehernen Reiters“ veröffentlichte 1892 Friedrich Johansen in den „Poetischen Erzählungen“ Puschkins (Meyers Volksbücher). 288 Berch – Wassilij Nikolajewitsch Berch (1781–1834), russischer Gelehrter; verfaßte das 1826 erschienene Buch „Eine ausführliche geschichtliche Mitteilung über alle Überschwemmungen, die in Petersburg stattgefunden haben“. Für das Bild der Überschwemmung benutzte Puschkin die darin geschilderte Naturkatastrophe vom 7. November 1824. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Dichter in Michailowskoje. 289 Fenster nach Europa – Algarotti sagt irgendwo: „St. Petersbourg est la fenêtre par laquelle la Russie regarde en Europe.“ (St. Petersburg ist das Fenster, durch welches Rußland nach Europa blickt.) (A. P.) 290 junge Metropole – Von 1712 bis 1918 war Petersburg (im inoffiziellen und nach 1914 auch im offiziellen Sprachgebrauch Petrograd) Hauptstadt des russischen Reiches. Und deiner nachdenklichen Nacht – Mit dieser und den folgenden Zeilen beschreibt Puschkin die hellen Juninächte Petersburgs, bekannt unter dem Namen „weiße Nächte“. Sie sind durch die nördliche geographische Lage der Stadt bedingt. der Nadel Goldgefunkel – Gemeint ist die vergoldete Spitze des 72,5 m hohen Admiralitätsturms. 291 Marsfeld – Zu Puschkins Zeiten Parade- und Truppenübungsplatz. Stör nicht des Großen ew’gen Schlaf! – Gemeint ist Peter I. 293 Karamsin – Nikolai Michailowitsch Karamsin (1766–1826), russischer Schriftsteller und Historiker; aus seiner „Geschichte des russischen Staates“ (1818–1826) schöpfte Puschkin wertvolle Anregungen. Kolomna – Vgl. die Vorbemerkung zum Poem „Das Häuschen in Kolomna“. 294 Man wohl die Brücken weggezogen – Zu dieser Zeit gab es noch keine festen Brücken über die Newa, sondern nur hölzerne Pon-
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tons, die bei Überschwemmungsgefahr oder Eisgang auseinandergeschoben wurden. 295 Und trüb ein fahler Tag erwacht … – Mickiewicz hat in herrlichen Versen den Tag, welcher der Petersburger Überschwemmung vorausging, in einem seiner besten Gedichte – „Oleszkiewiez“ – geschildert. Es ist nur bedauerlich, daß seine Schilderung ungenau ist. Es lag kein Schnee, und auch die Newa war nicht mit Eis bedeckt. Unsere Beschreibung ist genauer, wenn ihr auch die leuchtenden Farben des polnischen Dichters fehlen. (A. P.) Petropolis – Gräzisierte Form des Namens Petersburg. Triton – Griechischer Meeresgott; wurde als Mann mit Fischschwanz dargestellt. 296 der verstorbne Zar – Alexander I. starb am 19. November 1825. Verglichen mit dem grausamen Regime Nikolais I. erschien die Regierungszeit seines Vorgängers in positivem Licht. Petersplatz – Der Senatsplatz, auf dem am 14. Dezember 1825 der Dekabristenaufstand ausbrach. Hier steht das 1782 von Falconet errichtete Denkmal Peters I. 300 Graf Chwostow – Dmitrij Iwanowitsch Graf Chwostow (1757 bis 1835), ein unbegabter Verseschmied, auf den Puschkin hier mit spöttisch gemeintem Lob anspielt. 303 Emporgeschnellt … / Vorm Abgrund, Rußland … – Vgl. die Beschreibung des Denkmals bei Mickiewicz (gemeint ist sein Gedicht „Das Denkmal Peters des Großen“). Sie lehnt sich an Ruban an, wie Mickiewicz selbst bemerkt. (A. P.) Der russische Schriftsteller Wassilij Grigorjewitsch Ruban (1742–1795) war der Autor bekannter Verse über das Reiterdenkmal Peters I.
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Märchen
Als Verbannter auf dem Landgut Michailowskoje beschäftigte sich Puschkin 1824/25 verstärkt mit russischen Volksmärchen. Er hörte sie aus dem Mund seiner alten Kinderfrau Arina Rodionowna und leibeigener Bauern. Die Aufzeichnungen dieses Märchengutes – sie sind uns teilweise erhalten –, aber auch bestimmte weltliterarische Anregungen bilden den Ausgangspunkt für Puschkins Versmärchen, die in folgender Reihenfolge verfaßt und veröffentlicht wurden: „Märchen von dem Popen und seinem Knecht Trottel“ (geschrieben in Boldino am 13. September 1830, postum veröffentlicht 1840 in „Syn otetschestwa“ [Sohn des Vaterlandes]), „Märchen vom Zaren Saltan“ (geschrieben 1831, veröffentlicht 1832 im dritten Band der Gedichtausgabe Puschkins), „Märchen vom Fischer und dem Fischlein“ (geschrieben am 14. Oktober 1833, veröffentlicht 1835 in der Mainummer der „Biblioteka dlja tschtenija“), „Märchen von der toten Zarentochter und den sieben Recken“ (geschrieben 1833, veröffentlicht 1834 in der Februarnummer der „Biblioteka dlja tschtenija“), „Märchen vom goldenen Hahn“ (geschrieben 1834, veröffentlicht 1835 in der Septembernummer der „Biblioteka dlja tschtenija“). Das „Märchen von der Bärin“ blieb Fragment und wurde in die vorliegende Ausgabe nicht aufgenommen. Das im volkstümlichen Versmaß gehaltene „Märchen von dem Popen und seinem Knecht Trottel“ trägt starke sozialkritische Züge. Shukowskij vermochte die postume Publikation nur zu erwirken, indem er die Gestalt des Popen durch die eines Kaufmanns ersetzte. Das auch dem deutschen Volksmärchen bekannte weitverbreitete Motiv vom überlisteten Teufel wird hier mit den volkstümlichen Traditionen der antiklerikalen Satire verknüpft. Puschkins Quelle ist eine Aufzeichnung des russischen Volksmärchens über den Popenknecht. Den Stoff zu seinem „Märchen vom Fischer und dem Fischlein“ entnahm Puschkin dem plattdeutschen Märchen „De Fischer un syne Fru“, das ihm aus einer französischen Übersetzung der Grimmschen Samm-
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lung bekannt war. Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß Puschkin den Ursprung dieses Märchens den einstigen slawischen Bewohnern der deutschen Ostseeküste zuschrieb. In der Ausgestaltung des Stoffes bewahrte er der Quelle gegenüber weitgehende Selbständigkeit. Auch hier schwingt eine gesellschaftskritische Note deutlich mit. Das „Märchen von der toten Zarentochter“ weist mit „Schneewittchen“ aus der Grimmschen Sammlung gewisse Übereinstimmungen auf. Anklänge an den späten westeuropäischen Ritterroman und seine russischen volksbuchartigen Bearbeitungen begegnen uns im „Märchen vom Zaren Saltan“. Beide Versmärchen sind aber auch durch die mündliche Oberlieferung beeinflußt, wie die Aufzeichnung zweier russischer Volksmärchen durch Puschkin beweist. Eine Satire auf den Absolutismus stellt das „Märchen vom goldenen Hahn“ dar. Das Sujet ist Washington Irvings andalusischem Skizzenbuch „The Alhambra“ (1832) entlehnt, hat aber in der Gestaltung Puschkins russisches nationales Kolorit angenommen. Die Lösung des Konflikts ist in ihrer antizaristischen Tendenz schärfer ausgeprägt als bei Irving. Das „Märchen von dem Popen und seinem Knecht Trottel“ lernte der deutsche Leser unter dem Titel „Das Märchen vom Pfäfflein“ erstmalig 1923 in der Übersetzung von Wolfgang E. Groeger kennen, das „Märchen vom Zaren Saltan“ unter dem Titel „Das Märlein vom mächtgen König, Herrn Silvan“ 1840 im ersten Band der Puschkin-Ausgabe von Robert Lippert, das „Märchen vom Fischer und dem Fischlein“ und das „Märchen von der toten Zarentochter“ 1854 im ersten Band der Puschkin-Ausgabe von Friedrich Bodenstedt, das „Märchen vom goldenen Hahn“ 1922 in der Übersetzung von Ervin Walter. 332 Tschernomor – Diese Reckengestalt steht in keiner Verbindung mit dem gleichnamigen Zauberer im Poem „Ruslan und Ludmila“. 362 Tschernawka – (russ.) Eigentlich „die Dunkelhäutige“; hier als Name gebraucht. 366 Sarazenen – Hier volkstümlich im Sinne von „Muselmanen“ oder „Fremdländische“ schlechthin gebraucht. 386 Zariza – (russ.) Zarin.
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Inhalt
Poeme Ruslan und Ludmila . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Gabrieliade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Der Gefangene im Kaukasus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Die Räuberbrüder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Die Fontäne von Bachtschissarai . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Die Zigeuner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Graf Nulin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Poltawa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Das Häuschen in Kolomna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Der Eherne Reiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Märchen Märchen von dem Popen und seinem Knecht Trottel . . . . . Märchen vom Zaren Saltan, von seinem Sohn, dem berühmten und mächtigen Recken Fürst Gwidon Saltanowitsch, und von der wunderschönen Schwanenprinzessin . . . . . . . . . . . Märchen vom Fischer und dem Fischlein . . . . . . . . . . . . Märchen von der toten Zarentochter und den sieben Recken . Märchen vom goldenen Hahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
307 315 347 357 379
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
Ruslan und Ludmila · Der Gefangene im Kaukasus Die Räuberbrüder · Die Fontäne von Bachtschissarai Das Häuschen in Kolomna Deutsch von
Martin Remané Gabrieliade Deutsch von
August Plantener Die Zigeuner Deutsch von
Arthur Luther Graf Nulin · Der Eherne Reiter Deutsch von
Wolfgang E. Groeger Poltawa Deutsch von
Bruno Tutenberg Märchen von dem Popen und seinem Knecht Trottel Deutsch von
Wolfgang E. Groeger Bearbeitet von Marianne Schmidt
Märchen vom Zaren Saltan Märchen von der toten Zarentochter und den sieben Recken Deutsch von
Friedrich Bodenstedt Märchen vom Fischer und dem Fischlein Deutsch von
Friedrich Fiedler Märchen vom goldenen Hahn Deutsch von
Simon Ettenberg
Alle Rechte vorbehalten Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1. Auflage 1966 Printed in Germany · Lizenz-Nr. 301. 120/66/66 Einband und Schutzumschlag Heinz Hellmis Druckhaus „Maxim Gorki“ Altenburg
Alexander Sergejewitsch Puschkin Gesammelte Werke in sechs Bänden Band 1 Gedichte Band 2 Poeme und Märchen Band 3 Eugen Onegin / Dramen Band 4 Romane und Novellen Band 5 Aufsätze
und Tagebücher
Band 6 Briefe