Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 731
Positronische Erinnerungen Ein Roboter verwandelt sich
von Falk-Ingo Klee
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Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 731
Positronische Erinnerungen Ein Roboter verwandelt sich
von Falk-Ingo Klee
Auf Terra schreibt man die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide eine plötzliche Ortsversetzung erlebt. Atlans neue Umgebung ist die Galaxis Manam-Turu. Das Fahrzeug, das dem Arkoniden die Möglichkeit der Fortbewegung im All bietet, ist die STERNSCHNUPPE. Und der neue Begleiter des Arkoniden ist Chipol, der junge Daila. In den sieben Monaten, die inzwischen verstrichen sind, haben die beiden schon manche Gefahr bestanden – immer auf der Spur jener Kräfte, die schon an anderen Orten des Universums verheerend wirkten. In dieser Zeit hat Atlan neben schmerzlichen Niederlagen auch Erfolge für sich verbuchen könne. So sind zum Beispiel die Weichen für eine Zusammenarbeit der verbannten Daila mit den Bewohnern ihrer Ursprungswelt gestellt worden – was sich auf den Freiheitskampf der Daila gegen das Neue Konzil positiv auswirken dürfte. Und während Atlan gegen das vom Erleuchteten ausgeschickte Pre-Lo ums Überleben kämpft und noch andere, ähnlich schwerwiegende Probleme bewältigt, blenden wir um zu »Schwiegermutter«, dem seltsamen Roboter, der vom Pre-Lo auf einen öden Gesteinsbrocken im All ausgesetzt worden war. Der Roboter erlebt eine Verwandlung durch POSITRONISCHE ERINNERUNGEN…
Die Hauptpersonen des Romans: Schwiegermutter – Ein Roboter verändert sich. Das Pre-Lo – Ein effektives Werkzeug des Erleuchteten. Traykon-1 und Traykon-6 – Robotische Helfer des Pre-Los. Imas – Kommandant des Piratenstutzpunkts auf Domain. Quaph – Imas’ Stellvertreter.
1. Das Schiff, das sich von Latos-Tener entfernte, war nicht sonderlich groß, flunderförmig und ein wenig exotisch. Der flache scheibenförmige Rumpf mit einem stimmgabelähnlichen Ausläufer besaß seitlich zwei schlanke Ausleger. Außergewöhnlich war die Pilotenkanzel aus getöntem Glas, außergewöhnlich war auch, daß der Name ebenso fehlte wie jegliche Bezeichnung. So fremdartig wie der Raumer war auch die Besatzung. Es handelte sich um drei Gestalten. Sie waren 1,80 Meter groß, hatten zwei Arme und zwei Beine, ohne wirklich hominid zu sein. Fast die Hälfte des Körpers nahm eine große Kugel ein, aus der auch die oberen Extremitäten wuchsen, die in mehrgliedrigen Händen endeten. Der Ball, der anstelle eines Kopfes auf dem Rumpf thronte, hatte an der Vorderseite das Aussehen eines riesigen Facettenauges, ein Kreis, der in sich strukturiert war. Allem Anschein nach diente diese Fläche der Wahrnehmung der Umgebung, doch welche Aufgaben das in allen Farben des Spektrums schillernde Gebilde tatsächlich erfüllte, war nicht auszumachen. Obwohl sich die drei ähnelten wie ein Ei dem anderen, waren nur zwei wirklich Roboter – Traykon1 und Traykon-6. Das Kommando hatte Traykon-Null, der sich auch Pre-Lo Traykon nannte. Tatsächlich steckte hinter der Maske dieses Traykons das Pre-Lo, das die Gestalt eines Silbernen angenommen hatte. An den Bewohnern des Planeten Tener sowie an den dort lebenden Daila hatte das Pre-Lo kein Interesse mehr. Es wollte Atlan, der von dieser Welt verschwunden war. Es hatte nur noch eine einzige Spur, und das war Schwiegermutter. Nur er konnte jetzt noch weiterhelfen und einen Hinweis geben. Folglich nahm das Raumschiff Kurs auf den öden Brocken, auf dem der merkwürdige Roboter ausgesetzt worden war… * Vergeblich hatte Schwiegermutter versucht, mit dem kleinen Hyperfunkgerät Hilfe herbeizurufen, schließlich hatte er es aufgegeben. Ziellos wanderte er auf und um den Planetoiden herum, ein einsamer Gefangener auf einem Stück toter Materie, das um eine ferne Sonne kreiste. Manchmal stand er stundenlang regungslos da und betrachtete die Sterne und ihre Formationen, ohne ergründen zu können, wo er sich befand. Seine Sehnsucht nach Atlan war ungestillt, doch es gab keine Möglichkeit, den zernarbten Felsen ohne technische Hilfsmittel zu verlassen. Wie sollte er da zu dem Arkoniden gelangen, wie und wo ihn suchen? Warum mußte er ausgerechnet an die Traykons geraten sein? Mit seinem Schicksal hadernd, war er wieder einmal zu einer ruhelosen Wanderung aufgebrochen, als sich die lebensfeindliche Umgebung auf einmal veränderte. Zuerst waren es nur zarte Farbkleckse und konturenlose Gebilde, die er zu erkennen glaubte, die umgebende Stille war plötzlich nicht mehr absolut, etwas, das aus ihm selbst heraus zu kommen schien, raunte ihm etwas zu. Verblüfft blieb er stehen, wurde regelrecht dazu gezwungen. Auch seine anderen Glieder gehorchten ihm nicht mehr. Wie gelähmt verharrte er auf der Stelle, während sich um ihn herum etwas Unbegreifliches tat. Die Farben wurden intensiver, flächiger, formten sich regelrecht, die Schemen verdichteten sich und nahmen Gestalt an, wurden zu Häusern, Bäumen, Daila, zu Ständen und Buden. Das war Aklard, das war Ghyltirainen – der Markt von Sambantytas! Da war Schirtuboh – und da war er selbst! Er, Schwiegermutter, stand hinter einem Verkaufstisch und wog Käse ab, vernahm das Gemurmel der
schwatzenden Menge, und er hörte die Stimme seines früheren Herrn! »Bei deinem Tempo ist der Käse schimmelig, bevor ihn der Kunde in der Tasche hat, du Schlafmütze!« Das war der Händler, wie er leibte und lebte, das war der Vorort von Ghyltirainen bis ins Detail. Ein eisiger Schreck durchzuckte ihn. War er tatsächlich wieder in Aklard, wo man ihn suchte? Aber das war unmöglich, denn er sah sich ja selbst? »Gemach, Meister Schirtuboh. Man gab diesem Laib die Zeit zum Reifen, lassen wir ihm also auch jetzt die nötige Ruhe angedeihen, mit Verlaub gesagt.« Er hörte sich selbst, ohne daß er wirklich sprach! Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Was geschah mit ihm? War das Realität? Oder wurde ihm etwas vorgegaukelt? War er zum Teil einer Holographie geworden? Wer war der Urheber, wie konnte so etwas auf diesem öden Brocken ohne Technik geschehen? Wem lag daran, ihn zu Verwirren? Seine Steuereinheit lief auf Hochtouren, suchte nach Fakten, an denen sie sich orientieren konnte. Die fremden Gestirne waren verschwunden, über Schwiegermutter wölbte sich ein strahlender Himmel, der Boden ringsumher war gepflastert. Nichts erinnerte mehr an den Planetoiden. Also war es doch keine Fiktion, sondern eine Tatsache? War er versetzt worden, hatte eine blitzschnelle Reise durch Raum und Zeit stattgefunden? Der Markt verschwand. Das Bild verblaßte nicht und wurde nicht unscharf, nein, es war einfach weg, als hätte jemand einen Film durchschnitten. Um ihn herum war es dunkel, er stand wieder auf dem Planetoiden. Hatte er ihn überhaupt verlassen? Konnte ein Roboter träumen? Konnte eine künstliche Intelligenz schizoid werden, sich selbst als Zuschauer erleben? Gleich darauf erkannte Schwiegermutter sich in einer anderen Szene. Er stand neben Schirtubohs klapprigem Lastwagen und belud das altersschwache Vehikel mit Kisten. Einige waren mit Laiben gefüllt, die schon mehr als reif waren. Der Roboter war wie elektrisiert. Sein synthetisches Gehirn benötigte keine Assoziationen, die gespeicherten Daten waren jederzeit abrufbar. Der überreife Käse! Schirtuboh hatte ihn in Ghyltirainen als Bewaa losgeschlagen, als angeblich neue Hartkäsedelikatesse aus den Bergen. Das war eine Lüge, denn in Wahrheit war er bei dem Jahrmarkt in Chinchidurry darauf sitzengeblieben. In diesem Dorf war Schwiegermutter Atlan und Chipol zum ersten Mal begegnet. Und das, was er sah, zeigte ihn bei den Vorbereitungen zur Fahrt nach Chinchidurry. Was er da tat, war eigentlich belanglos, aber es war ein klarer Hinweis auf das Datum, auf einen bestimmten Tag in der Vergangenheit. Warum? Dieser Tag war so bedeutungslos wie die anderen auch - bis er den Arkoniden getroffen hatte. Erst da hatte sein Dasein einen Sinn bekommen. Noch immer versuchte die Positronik vergeblich, logisch zu erfassen, was sich tat. War es Wahn oder Wirklichkeit, wurden die Wahrnehmungssysteme getäuscht oder ausgeschaltet? Gab es eine Beeinflussung von außen, die nicht erkennbar war? So sehr die Steuereinheit auch kontrollierte und Sensoren abfragte – Störungen konnten nicht angemessen werden. Dieser Widerspruch in sich veranlaßte die Positronik zu noch mehr Aktivität, so daß die Gefahr bestand, daß sie kollabierte. Plötzlich erkannte Schwiegermutter, der sich noch immer beim Beladen zusah, daß sich an seinem Rücken ein merkwürdiges Gebilde befand. Wie es dorthin gekommen war, hatte er nicht beobachten können. Tatsache war, daß es behende wie ein Käfer unter seiner Weste verschwand und nicht mehr zum Vorschein kam. Das unscheinbare graue Etwas war nicht sonderlich groß, sein Aussehen unbeschreiblich. Auf keinen Fall war es ein Tier, auch kein Miniaturautomat, eher eine Ansammlung von positronischen Elementen und Bauteilen. Dann war die Szene weg. Dem Roboter fiel es wie Schuppen von den Augen. Das, was er wie bei einer 3-D-Aufzeichnung erlebt hatte, war echt, es kam aus ihm selbst heraus. Bislang gesperrte Daten aus der Vergangenheit waren freigelegt worden und waren auf einmal abrufbar. Dieses Ding, das er gesehen hatte, war unbemerkt in ihn eingedrungen und hatte von ihm Besitz ergriffen, genauer gesagt von seiner
Positronik. Ihn schwindelte, seine Steuereinheit, die unvermittelt damit konfrontiert wurde, flüchtete sich in regelrechte positronische Psychosen. Mal glaubte Schwiegermutter, bei Atlan an Bord der GHYLTIROON zu sein, dann wieder sah er sich auf dem exotischen Raumer der Traykons, gleich darauf flog er mit Noetor und der BAMPERLETSCH durchs All. Der Tenor war immer der gleiche: Flucht von diesem Ort, hin zu Atlan. Dessen ungeachtet lief auf einer anderen Ebene der Informationsfluß. Das positronische Paket, das sich seiner bemächtigt hatte, gab stichwortartig frei, wie es sich verhalten hatte, Daten, die dem Roboter unbekannt waren und die nur der Bausatz wissen konnte. Zuerst hatte das Gebilde in ihm nur sondiert und nicht versucht, das ursprüngliche Programm zu beeinflussen. Nur ganz allmählich drängte es sich in den Vordergrund und – das wurde Schwiegermutter ganz klar - bewirkte seine Wandlung, die um so schneller verlief, je mehr Atlan und dessen Wirkung spürbar wurde. Die erste Begegnung mit ihm beschleunigte diesen Vorgang ebenso wie das Wissen um seine Aktivitäten. Bedingt durch die Vereinsamung und die aufgezwungene Tatenlosigkeit brach sich das Bahn, was ihm bisher verborgen geblieben war, die Erinnerung des positronischen Pakets, das seine eigene Vergangenheit abgeschottet hatte. Es war ein Schock für den Roboter. Nicht seine Speicherkapazität war erweitert worden, wie er angenommen hatte, auch keine Zusatzprogrammierung war erfolgt, nein, er war übernommen worden, vereinnahmt von unbekannten positronischen Elementen. »Wer bist du?« »Das Fragment. Du kannst mich auch Torso nennen.« »Woher kommst du?« »Das ist eine lange Geschichte, doch du sollst sie erfahren, denn du bist nun ich, und ich bin du. Wir sind eins geworden.« Abermals kam es Schwiegermutter so vor, als würde er einer 3-D-Aufführung beiwohnen. Die Umgebung veränderte sich… * ERINNERUNG Langsam schob sich der feuerrote Ball der Sonne hinter den Bergen empor. In den Tälern wogte Nebel, Dunst stieg von den dichten Wäldern auf, Tau lag auf den Blättern der tropischen Baumriesen. In die Siedlung auf der freigeschlagenen Lichtung mitten auf einem Hochplateau kam Leben. Humanoide Gestalten mit gnomenhaften Gesichtern und wolligem weißen Kopfhaar huschten aus den einfachen, mit Blattwedeln gedeckten Hütten. Sie waren nackt bis auf einen geflochtenen Lendenschurz, ihre bronzehäutigen Körper glänzten in der Sonne wie flüssiges Metall. Klein waren die Eingeborenen, keiner war größer als ein Meter. Lärmend rannten sie zu einem künstlich angelegten Reservoir, das von kristallklarem Wasser aus einem höhergelegenen Gebirgssee gespeist wurde. Ausgelassen wie Kinder tauchten sie ihre Schädel in das kühle Naß und bespritzten sich gegenseitig. Etwas abseits von den luftigen Unterkünften, die nur aus einem hölzernen Gerüst mit lose befestigten Wandmatten aus Pflanzenfasern bestanden, stand ein doppelstöckiges Gebäude aus massiven Balken. Ein skurril geformter Roboter mit Spinnenbeinen verharrte auf der durch einen Vorbau geschützten Terrasse und beobachtete die N’gur bei ihrer Morgenwäsche.
Der giftgrün lackierte Automat war so etwas wie ein Mädchen für alles. Nicht nur in dieser Niederlassung war er das einzige Exemplar seiner Art, sondern auf dem ganzen Planeten überhaupt. Seine Erbauer stammten von einer anderen Welt und unterhielten hier nur den einen Stützpunkt. Von Zeit zu Zeit landete ein Versorgungsfrachter, der lebensnotwendige Güter brachte und den Abtransport der Früchte übernahm, die im umliegenden Dschungel geerntet wurden. Sie enthielten ein bestimmtes Alkaloid, das zur Herstellung von Medikamenten erforderlich war und synthetisch nur mit ungeheurem Aufwand produziert werden konnte. Die Kolonie der Usber war klein und bestand nur aus sechs Personen, denn niemand drängte sich danach, hier zu arbeiten. Sie, die von ihrer Heimat her arktische Temperaturen gewohnt waren, hatten unter der schwülen Hitze sehr zu leiden und ertrugen dieses Klima in der Regel nicht länger als ein halbes Jahr, dann wurden sie ausgewechselt. Zwar gab es im Haus eine Klimaanlage, und es standen auch Kühlanzüge zur Verfügung, doch die hatten sich im dichten Regenwald als unpraktisch erwiesen. Die Funktion der Usber bestand im wesentlichen darin, Aufsicht zu führen und die Einlagerung der faustgroßen purpurnen Beeren in die klimatisierten Container zu überwachen, das Pflücken und den Transport zur Station übernahmen die Zwerge. Wie Affen turnten sie durch das Geäst der riesigen Bäume und ernteten die Früchte einer Lianenart ab, die nur auf diesem Hochplateau gedieh. Entlohnt wurden die Eingeborenen dafür mit Dingen des täglichen Bedarfs, mit Stoffen, Messern, einfachen Werkzeugen und allerlei Tand. Zugleich übernahmen die Usber den Schutz des Stammes. Die friedlichen N’gur lebten in ständiger Furcht vor den räuberischen Kerto, die dunkelhäutiger und hochgewachsener waren. Es waren verwegene Krieger, die schon mehrmals versucht hatten, die Station zu überfallen, aber immer zurückgeschlagen worden waren. Mool trat auf die Veranda, der derzeitige Leiter der Niederlassung. Er glich entfernt einem dicken, fast zwei Meter großen Pinguin mit kurzem Schnabel. Anstatt der Stummelflügel besaß er zwei dünne Ärmchen, die von einem dichten Federkleid umgeben waren und so wesentlich umfangreicher wirkten. Zart waren auch die Hände mit den vier Fingern. Wie alle seine Artgenossen war Mool ausgesprochen fett zu nennen. Das lag nicht an dem weißen, bläulich schimmernden Flaum, der seinen ganzen Körper bedeckte, sondern an der dicken Speckschicht unter der Haut. Die Usber waren zweigeschlechtlich, doch einem Fremden war es unmöglich, äußere Unterscheidungsmerkmale zwischen Männern und Frauen zu entdecken. Wie bei seinem Volk üblich, war er unbekleidet. Er hatte ein einfaches Plastikgeschirr übergestreift mit zahlreichen Taschen, eine davon enthielt einen Strahler. Für ihn das wichtigste Utensil war der Kühlgürtel, der in das leichte Tragegestell integriert war. Obwohl es noch recht frisch war, schwitzte er bereits. Da seine Körperflüssigkeit schlecht verdunstete, versuchte er, sich mit weit geöffnetem Schnabel Kühlung zu verschaffen. Schwerfällig watschelte er über die glattgehobelten Bohlen bis zum Geländer vor. »Alles in Ordnung, Torree?« »Keine besonderen Vorkommnisse«, antwortete der Roboter. »Es war eine ruhige Nacht.« »Aber es wird ein heißer Tag«, stöhnte Mool. »Dieser Planet ist wirklich unerträglich. Ich muß verrückt gewesen sein, als ich mich zu diesem Job gemeldet habe.« Er hechelte. »Zwar ist die Entlohnung fürstlich, doch kein Geld der Welt macht diese Strapaze wett.« Die beiden Hilfsbeine, die angezogen am Bauch anlagen und der schnelleren Fortbewegung im ewigen Eis dienten, zuckten wie eigenständige Lebewesen. »Was gäbe ich für ein Bad im Schnee.« »Du mußt nicht mehr lange leiden«, versuchte die Maschine zu trösten. »Übermorgen wirst du abgelöst.« »Hoffentlich bringen mich die letzten zwei Tage nicht noch um«, unkte der Usber. »Dieses Klima
ist mörderisch.« »Die Eingeborenen denken sicher anders darüber.« »Ich nicht«, kommentierte Mool grimmig und sah den lebensfrohen N’gur zu. »Weißt du was, Torree? Ich werde mich auch erfrischen. Laß die warme Brühe im Becken ablaufen und fülle es mit dem eisigen Wasser aus dem See.« Gehorsam stakste der Automat zu einer einfachen Armatur, die sich neben dem Vorbau befand. Die kleinwüchsigen Planetarier hatten ihre Katzenwäsche mittlerweile beendet und hockten schwatzend und schmatzend vor ihren Hütten. Für sie, die ausschließlich vegetarisch lebten, bot Mutter Natur immer einen reichgedeckten Tisch. Gurgelnd leerte sich das Reservoir, doch als der Roboter den Schieber öffnete, um frisches Wasser einlaufen zu lassen, tat sich so gut wie nichts. Lediglich ein paar Liter ergossen sich in den Auffangbehälter, dann tröpfelte es nur noch. »Das waren die Kerto«, rief der Usber wütend. »Sie haben die Leitung zerstört. Und du sagst mir, daß es keine besonderen Vorkommnisse gab. Hast du denn davon nichts bemerkt, du taube Schneeraupe?« »Nein, sonst hätte ich es gemeldet.« »Du bist unfähig«, erregte sich Mool. »Wozu wachst du nachts eigentlich? Demnächst werden dich die Wilden noch wegtragen, und du bemerkst es nicht einmal.« Faath und Beeba verließen das klimatisierte Blockhaus. Beide öffneten sofort den Schnabel, um sich Linderung zu verschaffen, wie Mool hatten sie ihre Gestelle mit Waffen und Kühlgürtel umgeschnallt. Obwohl das Vogelgesicht nur über einige wenige Muskeln verfügte, die eine Mimik ermöglichten, war ihnen anzusehen, daß sie nicht bester Laune waren. Ihnen war für heute die Aufgabe zugefallen, die N’gur in den Dschungel zu begleiten. Mool hatte es da besser getroffen. Er begleitete die Träger mit den gesammelten Früchten und hatte dabei immer wieder Gelegenheit, sich bei der Einlagerung der Beeren in den gekühlten Transportbehältern zu erfrischen. Die anderen drei Usber blieben zurück. Sie waren gestern an der Reihe gewesen und erholten sich nun von den für sie mörderischen Strapazen, außerdem oblag ihnen die Bewachung der Siedlung. »Torree hat geschlafen«, schnaubte der Stationsleiter und deutete zu dem Reservoir hinüber. »Die Kerto haben die Frischwasserzufuhr unterbrochen. Wir müssen die Leitung reparieren.« »Wozu?« brummte Beeba. »In zwei Tagen landet der Raumfrachter und holt uns ab. Soll sich doch die neue Mannschaft darum kümmern, uns genügt der Notvorrat allemal.« »Rede keinen Unsinn. Ich habe die Niederlassung intakt übernommen, und so werde ich sie auch übergeben«, wies Mool seinen Artgenossen zurecht. »Manchmal habe ich den Eindruck, daß Torree dümmer ist als eine Gletscherspalte«, ärgerte sich Faath. »Nur weil dieser Idiot nicht aufgepaßt hat, müssen wir uns stundenlang der prallen Sonne aussetzen. Hoffentlich überleben wir das.« * Der spinnenbeinige Roboter stakste voraus, ihm folgte Mool, dann kamen die zwergenhaften Eingeborenen, die Röhren und Werkzeug trugen. Den Abschluß bildeten Faath und Beeba. Obwohl die drei Usber sich einen zweiten Kühlgürtel umgehängt hatten und Kopfbedeckungen mit integrierten Eisaggregaten trugen, deren breiter Rand den ganzen Körper beschattete, schwitzten sie erbärmlich. Im Gegensatz zu ihnen machte den N’gur die Hitze nichts aus. Trotz der Lasten, die sie transportierten, plapperten sie fröhlich miteinander und schienen an der ungewohnten Tätigkeit
sogar Gefallen zu finden. Der Weg führte steil bergan. Jetzt rächte es sich, daß ein Teil des Waldes damals einfach abgeholzt worden war, um die Leitung auf dem kürzesten Weg verlegen zu können. Kein Baum bot Schutz vor der sengenden Sonne. Die dünne Humusschicht war teilweise fortgespült worden, hier und da zeigte sich nackter Fels, der das Fortkommen erschwerte. Immer wieder mußten die Usber ihre Hilfsbeine einsetzen, um das schwierige Gelände zu bewältigen. Das schlauchte sie zusätzlich. Bisher waren noch keine Schäden an dem oberirdischen Versorgungssystem zu erkennen gewesen. Vier Kilometer hatten sie bereits zurückgelegt, zwei weitere waren es bis zum See. Wenn die Kerto die Röhren direkt am Einlauf zerstört hatten, stand ihnen noch ein mühsamer Weg bevor. Die Berge rückten enger zusammen, eine Felsschlucht mit Steilwänden tat sich auf. Sie mußte durchquert werden. Da sie sich als Hinterhalt geradezu anbot, zogen die erschöpften Usber ihre Waffen und musterten argwöhnisch die Grate links und rechts. Nichts rührte sich, nur der Ruf eines Hähers war zu hören. Ein anderer antwortete gleich darauf. Beim ersten Ton ruckten die Köpfe der Eingeborenen hoch. Als derselbe Laut noch einmal ertönte, schrien sie »Kerto!«, warfen ihre Lasten weg und rannten panikerfüllt in Richtung Siedlung davon. Vergeblich versuchten die drei Riesen, die Fliehenden aufzuhalten. Wie eine Springflut aus menschlichen Leibern sausten die quirligen Planetarier an Faath und Beeba vorbei, umsonst schrie Mool sein »Kommt zurück!« Schon brach das Unheil über die Usber herein. Felsbrocken und Geröll donnerten in die Tiefe, zersprangen beim Aufprall und verwandelten sich in scharfkantige Geschosse, die jaulend davonsausten, zentnerschwere Trümmer hüpften und polterten in alle Richtungen. Der Boden der Schlucht erzitterte wie bei einem Bombenangriff, Staub wurde aufgewirbelt, pulverisiertes Gestein verdunkelte die Sonne, ein Brausen und Tosen erfüllte die Luft, als würde die Welt untergehen. Überhänge, die Schutz boten, gab es nicht. Ausgelaugt, wie sie waren, hatten die schwerfälligen Geschöpfe vom Planeten Us nicht mehr die Kraft, sich schnell in Sicherheit zu bringen. Mool versuchte zwar, die herabprasselnden Felsen über sich zu zerstrahlen, aber die Kapazität der Handfeuerwaffe reichte bei weitem nicht aus, um mit den massigen Gebilden fertig zu werden. Bevor der Roboter ihm zu Hilfe eilen konnte, wurde der Stationsleiter von einem wuchtigen Quader begraben. Seine Rufe verstummten augenblicklich. Der Steinschlag wurde spärlicher und hörte dann ganz auf, der Geräuschorkan ebbte ab. Noch immer war die Sicht schlecht, doch allmählich lichtete sich der Dunst. Johlende dunkelhäutige Gestalten tauchten oben zu beiden Seiten der Schlucht auf und schwenkten triumphierend ihre primitiven Waffen. Das charakteristische Fauchen eines Strahlers war zu hören. Einer der Krieger wurde getroffen und stürzte aufschreiend in die Tiefe. Bevor der Schütze einen anderen Kerto anvisieren konnte, verschwanden die sehnigen Leiber wie auf Kommando. Der vernichtende Strahl ionisierte nur eine Felsnadel, neben der eben noch ein besonders herausgeputzter Jäger gestanden hatte. Ein vielstimmiges Wutgeheul zeigte, daß die Einheimischen zwar Respekt vor einem Strahler hatten, ihn jedoch nicht als Zauber fürchteten. Steine wurden in den Abgrund geworfen. Die Reaktion auf den Überfall bewies Torree, daß zumindest einer seiner Herren noch lebte, also machte er sich auf, um ihm beizustehen. Er selbst hatte einiges abbekommen, war verbeult und ramponiert, aber noch funktionsfähig. Daß ein Bein abgeknickt und zwei Handlungsarme zerstört waren, behinderte ihn nicht sonderlich. Für die aufgeplatzte, teilweise völlig zertrümmerte Leitung hatte er keinen Blick übrig. Wippend und tänzelnd bewegte er sich über den mit Trümmern übersäten Boden, kletterte über Geröllhaufen hinweg und marschierte zielstrebig auf den Eingang der Schlucht zu. Je näher er ihm kam, um so geringer waren die Auswirkungen der künstlich ausgelösten Lawine. Das gab zu der Vermutung Anlaß, daß Faath und Beeba den Angriff relativ unbeschadet überstanden hatten.
»Ich komme«, rief der Automat. »Seid ihr verletzt?« Torree bekam keine Antwort, nur ein schwaches Stöhnen war zu hören. Noch immer flogen Steine. Obwohl er ihnen auswich, so gut er konnte, hatte er nicht immer Glück. Mehrmals erwischte ihn eins der urtümlichen Geschosse und verbeulte seine Außenhaut, ein ausgefahrener Greifarm wurde deformiert. Unbeirrt stakste die Maschine weiter. Zusammengekrümmt lag Faath auf dem felsigen Untergrund. Er gab kein Lebenszeichen mehr von sich, aus zahlreichen Wunden tropfte Blut. Überall dort, wo er von Splittern und Querschlägern getroffen worden war, wies sein weißer Flaum rote Flecken auf. Obwohl er kein Medo war, erkannte der Automat sofort, daß ihm nicht mehr zu helfen war. Bei Beeba sah es nicht viel besser aus. Er hatte das Bewußtsein verloren, die Waffe war aus seiner kraftlos gewordenen Hand gefallen. Halb verschüttet lag er unter Geröll, der gesamte Unterleib war von den Gesteinsmassen begraben worden. Sofort machte sich der Roboter daran, den Schutt beiseite zu räumen. Er schuftete wie ein Berserker und wuchtete Trümmer weg, die er trotz seiner gewaltigen Kräfte nur mit Mühe heben konnte. Endlich hatte er es geschafft. Beeba atmete nur ganz flach, seine Hilfsbeine waren gebrochen, der linke Fuß stand merkwürdig verkrümmt vom Körper ab. Neben den Knochenfrakturen schien er auch noch innere Verletzungen davongetragen zu haben, denn aus seinem geöffneten Schnabel tropfte blutiger Speichel. Vorsichtig hob Torree den Bewußtlosen hoch, setzte ihm die eisige Kopfbedeckung wieder auf und lud sich den ohnmächtigen Usber auf seinen plattgedrückten Körper. Mit mehreren Armen fixierte er ihn, nahm den Strahler an sich und rannte los. Die Kerto hatten aufgehört, mit Steinen zu werfen. Offensichtlich hatten sie eingesehen, daß dem Roboter damit nicht beizukommen war, und begnügten sich damit, zu beobachten. Immer wieder lugte ein Kopfüber den Rand des Abgrunds, doch eine weitere Attacke blieb aus. Trotz der hohen Geschwindigkeit und des unebenen Geländes wurde der Schwerverletzte nicht durchgeschüttelt. Die gefederten Beine des Automaten fingen Stöße und Schaukelbewegungen weitgehend ab und sorgten für einen schonenden Transport. Die Krieger ließen die dahinrasende Maschine unbehelligt – sie hatten auch keine Chance mehr, sie einzuholen. Dort, wo sich die Station befand, stieg eine dunkle Rauchsäule in den blauen Himmel. Noch verwehrte der Dschungel den direkten Blick darauf, aber Torree ahnte Unheil. Vermutlich war die Zerstörung der Wasserleitung nur ein Manöver gewesen, um die Stützpunktbesatzung wenigstens zum Teil wegzulocken. Ein paar Kerto hatten ihnen an der Schlucht aufgelauert und die Lawine ausgelöst, die anderen Krieger – wahrscheinlich der Großteil des Stammes – hatten unterdessen die Siedlung überfallen, die nur von drei Usbern verteidigt wurde. Und dann sah der Automat die Niederlassung – oder besser gesagt, das, was davon übriggeblieben war. Die Container hatten allen Zerstörungsversuchen widerstanden, aber das Hauptgebäude war ein Raub der Flammen geworden, die Hütten der N’gur waren verkohlt. Hier und dort züngelten noch Flammen an den geschwärzten Balken empor, an einigen Stellen schwelte es, Funken und Asche wirbelten hoch. Zwischen dem teilweise eingestürzten Haus und den Kühlbehältern lagen die toten Usber, getroffen von Giftpfeilen aus den Blasrohren der Kerto. Im Holz steckten noch andere, größere Pfeile. Offensichtlich hatten die Eingeborenen das Gebäude in Brand geschossen und damit die Angegriffenen gezwungen, die Unterkunft zu verlassen. Wie es aussah, hatten die Usber versucht, sich in den Containern in Sicherheit zu bringen, aber das war ihnen nicht mehr gelungen. Rußbedeckt, mit versengtem Körperflaum, lagen die Getöteten auf dem verfärbten Boden. Von den Jägern war nichts mehr zu sehen, doch auch die Zwerge waren spurlos verschwunden. Hier konnte Torree nichts mehr tun, wichtig war jetzt, sich um Beeba zu kümmern. Er lief zu einem der riesigen Transportkübel, von dem er wußte, daß er noch nicht voll war, und betätigte das KodeSchloß. Automatisch glitten die dicken Isoliertüren auf und gaben den Weg frei in die
Kälteschleuse, hinter der sich die eigentliche Lagerhalle befand. Schwaden eisiger Luft drangen ins Freie und verflüchtigten sich sofort. In diesem Augenblick brachen die Kerto aus dem umliegenden Wald hervor. Sie schienen hier auf der Lauer gelegen zu haben für den Fall, daß jemand dem Hinterhalt entkam. Nun wollten sie auch noch die letzten verhaßten Fremden beseitigen. Ein Hagel von Pfeilen überschüttete den Roboter, ohne ihn jedoch zu treffen. Torree handelte augenblicklich. Nahezu gleichzeitig schaltete er die Containerbeleuchtung ab, um in dem dunklen Behälter ein schlechteres Ziel abzugeben, und betätigte den Schließkontakt. Geräuschlos glitten die Flügelhälften zu. Nur ganz gedämpft drangen die Wutschreie der enttäuschten Krieger herein, die sich um den totalen Erfolg geprellt fühlten. Der Automat kümmerte sich nicht um die tobenden Planetarier, denn er wußte, daß er hier vor ihnen sicher war. Vorsichtig hob er den Usber von seinem Rücken und legte ihn sanft auf den kalten Boden, dann machte er Licht. Beeba lebte noch, aber es ging ihm schlecht, der so robust wirkende Körper kämpfte um jeden Atemzug, der Herzschlag war unregelmäßig. Behutsam nahm Torree dem Verletzten das Gestell ab und durchsuchte die Taschen nach Medikamenten. Was er fand, war mehr als kläglich. Ein paar kreislaufstärkende Tabletten, ein Mittel, um kleinere Wunden zu reinigen und eine Dose mit Sprühverband. Auch die Lebensmittelausbeute war mager: ein kleiner Thermobehälter mit Eiswasser und drei Beutel mit breiigem Eiweißkonzentrat. Damit ließ sich nicht einmal wirksam Erste Hilfe leisten. In Ermangelung wirksamer Präparate und Hilfsmittel zerkleinerte der Roboter zwei Tabletten, löste sie in etwas Wasser auf und flößte sie dem Usber schlückchenweise ein. Da dabei die Gefahr bestand, daß der Bewußtlose erstickte, hielt er dessen Kopf in der Seitenlage. Mit Aurgusaugen wachte er darüber, daß Beeba sich nicht verschluckte oder etwas erbrach. Erst als er sicher war, daß nichts mehr passieren konnte, nahm er sich der Brüche an. Richten oder gar schienen konnte er nichts, das stellte er durch behutsames Betasten fest. Abgesehen davon, daß ihm die nötige Ausrüstung fehlte, war er auch kein Medo, zudem war eine Operation erforderlich. Die Hilfsbeine hatten Splitterfrakturen, der linke Fußknöchel war zerquetscht worden. Welche inneren Organe geschädigt waren, vermochte die Maschine nicht abzuschätzen. Noch machte die Ohnmacht Betäubungsmittel überflüssig, aber wenn der Verletzte das Bewußtsein wiedererlangte, würde er sich vor Schmerzen krümmen. Torree erkannte, daß er keine andere Wahl hatte, als den Container noch einmal zu verlassen, um in dem niedergebrannten Gebäude nach der hitzebeständigen Kunststoffbox zu suchen, in der sich die gut ausgerüstete Apotheke befand. Irgendwann, so hoffte der Roboter, würden die Kerto der tatenlosen Warterei überdrüssig werden und die Belagerung aufgeben. Im Schutz der Dunkelheit konnte er dann die Trümmer durchstöbern, doch dann kam ihm plötzlich ein anderer Gedanke. Konnte es nicht sein, daß die Krieger auf Beute aus waren und plünderten? Was, wenn sie schon dabei waren und die Medobox wegschleppten? Das durfte auf keinen Fall geschehen, also mußte er sofort aktiv werden. Ohne Zeit zu verlieren, öffnete er die besonders gesicherte Tür zum Lagerraum und trug Beeba vorsichtig in den hinteren Teil des Containers, der gut zur Hälfte mit Früchten gefüllt war. Infolge der niedrigen Temperatur sonderten die Beeren kaum Aromastoffe ab, ihr sonst betörender Geruch war kaum wahrnehmbar. Dem Usber schien die Kälte gutzutun. Seine Atmung war ruhiger geworden, der Puls gleichmäßiger. In regelmäßigen Abständen stiegen kleine Dampfwölkchen aus den Nasenöffnungen auf, der Schnabel war mittlerweile geschlossen. Der Roboter bettete den Verletzten so bequem wie möglich und verließ die Halle. Sorgfältig verschloß er den Eingang, nahm den abgelegten Strahler an sich und stellte ihn auf Lähmung, erst dann betätigte er den Öffnungskontakt für das Außenschott. Triumphierendes Johlen der Jäger drang zu ihm herein, gleich darauf zwängten sich
die schlanken Gestalten durch die größer werdende Öffnung. Ihr Freudengeheul verwandelte sich in Gejammer und Rufe des Schreckens, als sie die Kälte spürten und ihre nackten Füße den mit einer dünnen Eisschicht überzogenen Boden berührten. Schreiend wandten sie sich zur Flucht. Als Torree den Großbehälter verließ, prasselte eine Unzahl der tückischen Pfeile auf ihn hernieder und prallte an seiner Außenhaut ab. In dem Bewußtsein, daß ihm mit Gift nicht beizukommen war, marschierte der Automat auf die Ruine zu, ohne die Waffe einsetzen zu müssen. Die Dunkelhäutigen gaben Fersengeld und flüchteten in den Wald. Offensichtlich hatten die Betroffenen ihre Artgenossen vor dem Kältezauber der Fremden gewarnt, denn Frost und eine Umgebung, in der man fror, war den Kerto völlig unbekannt und noch suspekter als die Wirkung eines Strahlers. Dem Roboter war das nur recht. Unbehelligt erreichte er das kaum noch als solches zu bezeichnende Haus. Der Vorbau war herabgestürzt, Trümmer und halbverkohlte Balken versperrten den Eingang, geschwärzte Bohlen und angebrannte Sparren bildeten ein undurchdringliches Gewirr. Die Rückfront war eingestürzt und teilweise eingeäschert, der hintere Ausgang existierte nicht mehr, auch die Fensteröffnungen waren unpassierbar geworden. Er mußte sich einen Weg durch das Durcheinander bahnen und begann damit, die Hölzer wegzuräumen. Das war eine mühselige Arbeit, zumal der Automat darauf achten mußte, keins der arg in Mitleidenschaft gezogenen Stützelemente zu entfernen. Einige der Pfeiler, die einen Teil der noch intakten Decke trugen, befanden sich in einem beklagenswerten Zustand und knackten verdächtig unter dem Gewicht, das auf ihnen lastete. Immer wieder polterten Träger und Verstrebungen zu Boden, verkohlte Holzstückchen wurden hochgewirbelt. Längst bedeckten Asche und Ruß den Körper des skurrilen Roboters. Die Statik der Ruine entsprach der eines Kartenhauses, dennoch gelangte Torree in jenen Teil des Erdgeschosses, in dem sich die Hygiene- und Sanitäreinrichtungen befunden hatten. Mitten in dem Durcheinander, aus verschmorten Kabeln, geplatzten Leitungen, herabgefallener, verformter Verkleidung, angesengten Latten und zertrümmerten Einrichtungsgegenständen entdeckte er den grellroten Kunststoffbehälter, nach dem er gesucht hatte. Zwar war er an den Seiten geschwärzt vom Feuer, wirkte jedoch noch brauchbar. Was nun kam, glich einem Mikadospiel. Direkt erreichen konnte der Automat die Apotheke nicht, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, das wackelige Gebilde zum Einsturz zu bringen. Mit einem schmalen Brett angelte er nach der flachen Kiste und bugsierte sie so langsam zu seinem Standort. Als er vorsichtig ein verbogenes Rohr zur Seite bog, das im Weg war, fiel ein deformiertes Kühlaggregat von der Wand. Die Erschütterung zeigte sogleich Folgen. Krachend stürzte eine Abtrennung in sich zusammen, ein Teil der Deckenverschalung fiel herab und begrub den Roboter unter sich, der dabei einen Werkzeugarm einbüßte. Als er sich daran machte, sich von den Trümmern zu befreien, krachte ein verkohlter Balken auf ihn, was den Verlust eines weiteren Beins bedeutete. Immerhin war er noch funktionsfähig. Mit Ausdauer und katzenhafter Geduld kam Torree dann doch noch zum Erfolg. Arg lädiert, aber mit der Box, verließ er das zerstörte Gebäude und lief zu dem Container, in dem Beeba lag. Die Kerto ließen sich nicht blicken. Offensichtlich hatte der Kälteschock seine Wirkung nicht verfehlt. Gewissenhaft verschloß die Maschine die Außentore hinter sich und eilte durch die Schleuse nach hinten. Der Usber lag auf dem Rücken und gab kein Lebenszeichen mehr von sich. Er war an seinen inneren Verletzungen gestorben, auch mit den mühsam herbeigeschafften Medikamenten war ihm nicht mehr zu helfen. Ein wenig betroffen war der Roboter schon, aber Trauer war ihm fremd, dagegen besaß er so etwas wie Takt. Seine Herren sollten würdig bestattet werden – in ihrer Heimat. Die, die noch draußen lagen, mußte er in die Kühlschleuse eines Transportbehälters bringen, dann mußte der Auftrag erfüllt werden. Noch fehlten ein paar Zentner Früchte, und übermorgen landete das Raumschiff, das die Ablösung brachte und die Ladung übernahm. Aber wie sollte er es anstellen, den letzten
Container zu füllen? Klettern konnte er nicht, und die willigen Eingeborenen waren wie vom Erdboden verschluckt. Wohl oder übel würde er sich auf die Suche nach den N’gur machen müssen, selbst auf die Gefahr hin, dabei mit den kriegerischen Kerto aneinanderzugeraten. Torree verließ den riesigen Kübel wieder, um die Toten zu bergen. Er hatte erst einige Schritte gemacht, als er das charakteristische Geräusch eines Raumers hörte, der sich im Landeanflug befand. Noch war das Schiff zu hoch und zu weit, um es identifizieren zu können. Sollte das schon der erwartete Frachter sein? Eine andere Erklärung gab es nicht, denn in diesem Sektor gab es keine andere raumfahrende Zivilisation als die der Usber, aber warum kam das Schiff zwei Tage zu früh? Der Roboter blieb stehen und beobachtete den immer noch winzigen Flugkörper. Er funkelte im Licht der Sonne wie ein Wassertropfen und hielt zielstrebig auf das Hochplateau zu. Das Geräusch des Antriebs erstarb. Vom Antigrav getragen, sank der Raumer nach unten und; wurde größer, Einzelheiten waren erkennbar. Das Schiff war langgestreckt und wirkte beinahe zerbrechlich. Die schlanke Konstruktion war bestimmt einen Kilometer lang und besaß zwei seitliche Ausleger, die zusammen gut sechshundert Meter ausmachten. Der Rumpf war bestimmt zweihundert Meter breit und ebenso hoch. Nein, das war kein Raumer der Usber, solche Giganten besaßen sie nicht. Sie benutzten auch nicht diese Form, sondern einen genormten Schiffstyp in. Form eines Kegels. Die gerodete Fläche war zu klein, um dem Riesen eine Landung zu gestatten. Ein Beiboot, das immer noch fast sechzig Meter Länge hatte, wurde ausgeschleust und schwebte auf die vernichtete Siedlung zu. Kein Zweifel, daß es sich um Fremde handelte. Wie würden sie sich verhalten, wie sollte er sich verhalten? Torrees Programm enthielt keine Anweisungen für einen solchen Fall. Die Station existierte nicht mehr, seine Herren waren tot. Alles, was er zu schützen hatte, waren die Container – und seine eigene Existenz. Sollte er sich und die Transportbehälter notfalls mit der Waffe gegen die Unbekannten verteidigen? Oder sollte er im Dschungel verschwinden und abwarten, was sich tat? Aber konnte das nicht falsch aufgefaßt werden, wenn er plötzlich untertauchte? Ohne Frage war er bereits entdeckt worden, und Wesen, die solche Kolosse bauten, hatten nicht nur ganz andere Möglichkeiten als die Kerto, sondern waren vermutlich auch den Usbern in allen technischen Belangen überlegen. So beschloß die Maschine, wie desaktiviert zu verharren. Ramponiert, wie sie war, hatte dieses Täuschungsmanöver durchaus Aussicht auf Erfolg. Das Schiff setzte dort auf, wo sich die zerstörten Hütten befunden hatten, Asche und verbrannte Holzstückchen wurden hochgewirbelt. Die Gestalt, die die Landungseinheit verließ, war eindeutig ein Roboter. Er machte einem Lebewesen Platz, das Torree noch nie zuvor gesehen hatte. Gestalt und Körperform entsprachen den N’gur, doch anders als die Eingeborenen war der Fremde ein wahrer Riese von 2,20 Meter Größe. Seine Hautfarbe war ein bräunliches Oliv, die Hände waren schwach geschuppt und sechsfingrig. Das markante Gesicht mit der breiten Nase und den schmalen Lippen wurde beherrscht von einem Paar herrisch blickender Augen von honiggelber Farbe. Am auffälligsten an dem Fremden war ein herausgeputzter Helm, der von der Stirn bis in den Nacken reichte. Mit athletischen Bewegungen ging der Hüne auf die Container zu, während sein synthetischer Begleiter wohl den Auftrag hatte, sich um den vermeintlich inaktiven, spinnenbeinigen Roboter zu kümmern und ihn zu untersuchen. Das tat der Automat auch. Darauf hatte das Fragment, das in Torree ein mehr als kümmerliches Dasein geführt hatte, nur gewartet. Der Torso, der nur sehr begrenzte Möglichkeiten hatte, auf seine Umgebung Einfluß zu nehmen, nutzte die gebotene Chance und setzte sein geringes verfügbares Repertoire rücksichtslos ein. Lange genug hatte das Fragment in einer unbrauchbaren Hülle gesteckt, fernab jeglicher Zivilisation, dabei verlangte sein Programm einen geeigneten robotischen Wirtskörper, um sich wieder voll entfalten und selbst erkennen zu können. Unbemerkt von dem unbekannten Roboter
gelangte der Torso in diesen hinein und mit ihm später an Bord des mächtigen Raumers. Das ligridische Schiff nahm Kurs auf Suuma, jenes Gestirn, das Aklard Licht und Wärme spendete.
2. Wie ein rüttelnder Greif verharrte das namenlose Raumschiff auf der Stelle. Es schwebte über dem Planetoiden, direkt über Schwiegermutter. Halb hockend, halb liegend lehnte der Roboter am Rand eines kleinen Meteoritenkraters. Bewegungslos, als wäre seine Energiequelle versiegt, verharrte er dort und machte keinerlei Anstalten, aufzustehen oder anderweitig auf die Ankunft des Raumers zu reagieren. »Holt ihn an Bord«, befahl Pre-Lo Traykon. Gehorsam verließen die Kugelköpfe die Steuerkanzel und kehrten wenig später mit dem Ausgesetzten zurück. Insgeheim wunderte sich Traykon-Null, der die Aktion auf dem Monitor verfolgt hatte, darüber, daß der Gefangene keinerlei Schwierigkeiten machte. Widerstandslos folgte er seinen Bewachern und unternahm nicht den geringsten Versuch, ihnen zu entkommen oder sie unschädlich zu machen. Nach dem, was er wußte, hatte er Schwiegermutter ganz anders eingeschätzt, doch sein derzeitiges Verhalten konnte auch Taktik sein. So harmlos, wie er sich jetzt gab, war er auf keinen Fall, immerhin hatte er vier Traykons ausgeschaltet und sogar die Steuerpositronik manipuliert. Das würde ihm in Zukunft allerdings nicht mehr gelingen. Gewiß hatten die ihm unterstellten Automaten ihre Qualitäten, doch mit ihm, dem Pre-Lo, konnten sie es in keiner Weise aufnehmen. Es bestand aus Materie – zumindest zum Teil – die früher zum Leib des Schöpfers gehört hatte, und es besaß Fähigkeiten, die nur das Endprodukt einmal besser beherrschen würde: EVOLO, dessen Fertigstellung noch nicht beendet war. Es, das Pre-Lo, war ein Testobjekt für etwas, das zusätzlich noch andere, bessere und vielfältigere Eigenschaften besitzen würde, aber der Vorläufer EVOLOS fühlte sich schon mit den ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten grenzenlos überlegen. Abschätzig musterte er Schwiegermutter, der wie ein armer Sünder zwischen den beiden Silbernen stand und lethargisch wirkte. »Dir scheint es ziemlich gleichgültig zu sein, daß wir dich von dem öden Brocken abgeholt haben«, sagte Traykon-0. »Willst du nicht mehr zu Atlan?« »Natürlich. Bringt mich zu ihm.« Schwiegermutter hatte Mühe, sich zu konzentrieren und zu antworten, gleichzeitig wollte er sich nicht anmerken lassen, wie es um ihn stand. Innerlich zerrissen und halb gelähmt, hatte er sich nicht gewehrt, als ihn die Kugelköpfe abführten, hätte es auch nicht gekonnt, zudem war es sinnlos. Er litt unter einer regelrechten positronischen Psychose, die noch verstärkt wurde durch die Eröffnung des Fragments bzw. die übermittelte Information, daß es in Ghyltirainen den Automaten der Ligriden verlassen und ihn als Trägerkörper nicht nur ausgesucht, sondern auch übernommen hatte. Er war nicht mehr der, der er einmal war, seine Positronik war dem Torso untergeordnet, und dagegen sträubte sich – wenig erfolgreich – seine ursprüngliche Programmierung. In seinen Speichern manifestierte sich bereits die Bezeichnung »Fragmentmutter«. Der Roboter wollte seinen Zwist verbergen, seinen inneren Kampf verheimlichen, doch die nicht optimal funktionierenden Gesichtssensoren seines künstlichen Daila-Antlitzes machten ihm mal wieder einen Strich durch die Rechnung. Seine Mimik durchlief alle Stufen von Ärger bis Lustlosigkeit – und signalisierte dann Desinteresse. Pre-Lo Traykon deutete das auch so. »Atlan ist dir anscheinend doch egal geworden.« »Nein. Wo befindet er sich?« »Das wüßte ich gerne von dir.« »Ich weiß es nicht. Seit ich auf dem Planetoiden abgesetzt wurde, bin ich von Informationen abgeschnitten.«
»Du lügst!« herrschte Traykon-0 Schwiegermutter an. »Ich will die Wahrheit wissen, und zwar auf der Stelle. Niemand hält das Pre-Lo zum Narren, denn ich verfüge über Möglichkeiten, die du dir noch nicht einmal vorstellen kannst. Also?« Der Roboter erschrak, als die Bezeichnung »Pre-Lo« fiel. Zum erstenmal hatte er von den Traykons davon gehört, die es als etwas dargestellt hatten, was Atlan vernichten würde - und nun stand er dieser Waffe des Erleuchteten in Gestalt eines Kugelkopfs direkt gegenüber. Niemals durfte dieser Silberne dem Arkoniden begegnen – niemals! »Was willst du wissen?« »Namen und Koordinaten von Orten und Planeten, wo Atlan sich nach seiner Flucht aus dem LatosTener-System aufhalten könnte.« Latos-Tener sagte Schwiegermutter nichts, aber die Worte des Pre-Los bewiesen, daß der Arkonide lebte. Vor wem er sich in Sicherheit gebracht hatte, ging aus dem Satz nicht hervor, aber die Vermutung lag nahe, daß es mit den Traykons oder gar mit dem Pre-Lo selbst zusammenhing. Und noch eins wurde deutlich: Die Schergen des Erleuchteten hatten die Spur des Gesuchten verloren. Der Roboter war immer noch durcheinander und zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um sich richtig freuen zu können. Er wollte Atlan schützen, aber er brauchte auch Zeit, um sich wieder stabilisieren zu können. So nannte er den Namen einer Welt, von der er einmal etwas gehört hatte, ohne wirkliche Kenntnisse darüber zu besitzen. »Domain. Diesen Planeten hat Atlan öfter erwähnt.« Schwiegermutter rasselte die Koordinaten herunter, die sogar stimmten. »Er ist von Aklard etwa 58 Lichtjahre entfernt.« Es war natürlich gelogen, daß der Aktivatorträger von Domain je gesprochen hatte, dennoch klang der Roboter so überzeugend, daß Pre-Lo Traykon Traykon-1 befahl, den neuen Kurs einzugeben. Eine Überprüfung ergab, daß sich an den angegebenen Raumkoordinaten tatsächlich ein Sonnensystem mit Planeten befand, aber das Pre-Lo blieb mißtrauisch und bewies damit, daß es ein anderes Format besaß als die eigentlichen Kugelköpfe. »Traykon-6, bringe unseren Gefangenen in ein Labor und zerlege ihn. Ich will wissen, ob es stimmt, was er gesagt hat. Und untersuche seine Speicher daraufhin, ob es weitere Hinweise auf Atlans Aktivitäten gibt. Sei gründlich – auch Kleinigkeiten sind wichtig.« Die Stimme des Vorläufers von EVOLO bekam einen zynischen Unterton. »Die Positronik des Testobjekts muß nach der Untersuchung nicht mehr funktionsfähig sein.« »Der Auftrag wird zu deiner Zufriedenheit erledigt«, versicherte der Silberne, faßte Schwiegermutter am Arm und zog ihn mit sich aus der Pilotenkanzel. Dirigiert von Traykon-6 bewegte sich Schwiegermutter wie in Trance durch das Schiff. Die Anordnung des Pre-Los bedeutete, daß er seine Existenz verlor, regelrecht abgewrackt wurde und seine Funktionstüchtigkeit für immer verlor, aber er war nicht in der Lage, sich zu wehren, obwohl er mit den Örtlichkeiten vertraut war und wußte, wie den Kugelköpfen beizukommen war. Demoralisiert war er nicht, sondern innerlich zerrissen. Seine Ursprungspositronik wollte sich dem drohenden Schicksal widersetzen, das Fragment dämpfte diese Impulse bis zur Apathie ab. Widerstandslos ließ sich der Roboter von den Transportbändern dorthin tragen, wo er sein Ende finden sollte. Als wäre er benommen, passierte Schwiegermutter das Schott und blieb in der Mitte des Raumes einfach stehen wie ein dummes Tier, das keine Ahnung hatte, daß es geschlachtet werden sollte. Die Einrichtung des Labors entsprach dem Standard des flachen Raumers, alles wirkte supermodern und technisch perfekt. Mit einem einfachen Knopfdruck nahm Traykon-6 einen Teil des Instrumentariums in Betrieb, setzte es aber noch nicht ein. Der Silberne schien den Befehl, sein positronisches Pendant zu zerlegen, wörtlich zu nehmen. Er riß Schwiegermutter die dunkelblaue Livree herunter, Hemd, Handschuhe und Fliege, und der ließ es
geschehen, als wäre er gar nicht betroffen. Achtlos warf der Kugelkopf die zerrissene und ziemlich mitgenommene Kleidung zur Seite und begann damit, den Roboter zu demontieren. Die Gummifolie, künstliche Haut des Daila-Nachbaus, ging zum Teufel, dann kam die Körperabdeckung an die Reihe. Noch war Schwiegermutter in der Lage, Widerstand zu leisten, sich zu verteidigen, sein Gegenüber zu überwältigen, doch dann änderte sich die Umgebung auf einmal… * ERINNERUNG Gleich nach der Landung löste sich das Fragment von dem Raumschiff und entfernte sich. An der Hülle des Raumers verankert, hatte es die lange Reise durch das eisige Vakuum des Weltraums mitgemacht und machte sich nun auf die Suche nach einem geeigneten robotischen Trägerkörper. Obwohl es nur über einige wenige Sensoren verfügte, konnte es sich leidlich orientieren. Die nahe Großstadt hatte von oben einen freundlichen Eindruck gemacht. Ausgedehnte Grünflächen und weitläufige Parks lockerten das Häusermeer auf, hier hatte die Technik die Natur noch nicht vergewaltigt, die Gewässer waren sauber und die Luft rein und klar. Bunter Blütenflor und knospende Bäume und Sträucher zeigten mit ihrem zarten Grün an, daß der Frühling in der nördlichen Hemisphäre Einzug gehalten hatte. Ein warmer Wind fächelte über die anmutige Landschaft. Stratosphärenclip per jagten in fünfzig Kilometer Höhe von Kontinent zu Kontinent, Magnetschienenbahnen rasten wie helle Blitze über die zerbrechlich wirkenden Hochstrecken. Eher spärlich war dagegen der Individualverkehr auf den dafür eingerichteten Gleitertrassen. Fast die Hälfte der schnittigen Schweber waren poppig lackierte Taxigleiter. Im Gegensatz zu den Clippern und Bahnen beförderten sie ausschließlich Passagiere, der Gütertransport im Nahbereich wurde über besondere Containerstraßen abgewickelt. Sie waren subplanetar angelegt, ein Röhrennetz, das so verästelt war wie die Kanalisation. Orientierungsprobleme hatte der Torso nicht und fand sich auch in der Stadt zurecht, nur – Automaten, die seinen Vorstellungen entsprachen, entdeckte er nicht. Zwar war alles vernetzt und verkabelt, es gab elektronische Leitsysteme und Einrichtungen zuhauf, und Computer regelten und überwachten, was überhaupt steuerbar war, aber Roboter im eigentlichen Sinn fehlten im Straßenbild. Es gab kein synthetisches Wesen, das seinen Erbauern nachgebildet war oder als multifunktionale kybernetische Einheit zu bezeichnen war, egal, ob er eine Industrieansiedlung durchsuchte oder ein Wohnviertel unter die Lupe nahm. Das enttäuschende Erlebnis ließ das Fragment dreister werden. Bisher hatte es sich bemüht, versteckt und heimlich zu agieren, nun wollte es Informationen fast um jeden Preis. Die Positronik drängte darauf, einen geeigneten Kunstkörper zu finden, denn sie empfand die Einheit, die sie beherbergte, als unvollkommen, als Stückwerk. Das, was sie einsetzen und kommandieren konnte, war ein Notbehelf, nicht mehr. Erst ein Trägerkörper von Format versetzte sie in die Lage, optimal zu handeln und das Programm erfüllen zu können. Ohne aufzufallen, gelangte der Tor so im Schlepp von zwei Planetariern in ein Kaufhaus. Die hier heimischen Intelligenzen waren geschwätzige Wesen, die einem Plausch nie abgeneigt waren und dann kaum noch einen Blick für ihre Umgebung hatten. Bekleidet waren sie mit farbenfrohen Gewändern, die die spärlichen Reize der Geschlechter betonten, gleichzeitig deuteten sie eine Leibesfülle an, die angesichts der schmächtigen Körper direkt grotesk wirkte. Die drei Beine waren hornig und dünn, der kurze Hals mager und ledern. Ein einziger Tentakelarm baumelte von der Brust herunter. Er gabelte sich in Höhe des Unterleibs in
drei Pseudoarme, die in jeweils drei Ausläufern endeten. Der nackte Kopf wurde von weißer, faltiger Haut bedeckt. Obwohl er klein und rund war wie der eines Vogels, wies er einige Echsenmerkmale auf. Das galt vor allem für den zähnestarrenden, schnauzenförmig vorgezogenen Mund. Die Augen befanden sich links und rechts im Schädel, waren stechend gelb und konnten unabhängig voneinander bewegt werden. Merkwürdig war die Art der Fortbewegung. Während die beiden äußeren’ Beine einen Schritt nach vorn machten, blieb die mittlere Extremität als Stütze stehen, dann wurde das Körpergewicht wieder auf die anderen Beine verlagert, das Standbein nachgezogen, und der Ablauf begann von neuem. Dieses Gehen war mehr ein Vorwärtshüpfen, ähnlich dem Bockspringen der Kinder. Die Unterhaltung der beiden Pxter, in deren unmittelbarer Nähe sich das Fragment aufhielt, war unergiebig. Sie drehte sich um allerlei Belanglosigkeiten aus dem Alltag, kein Hinweis darauf, warum keine Roboter zu sehen waren. Auch im Warenhaus fand sich keine solche Maschine, obwohl eine Zivilisation wie diese ohne solche Helfer eigentlich gar nicht auskommen konnte. Unbefriedigt verließ der Torso das Gebäude – und wurde prompt entdeckt. Rufend und gestikulierend folgten ihm drei Planetarier, andere, die aufmerksam wurden, schlossen sich an. Bald verfolgte ein ganzer Pulk von Pxtern das merkwürdige Gebilde. Trotz ihrer aufwendigen Gangart entwickelten sie dabei eine beachtliche Geschwindigkeit und holten langsam, aber sicher auf. Da Geschäfte und Läden mit Publikumsverkehr keine geeigneten Verstecke waren, es aber allmählich brenzlig wurde, verschwand das Fragment in einer gemächlich vorbeirollenden Straßenreinigungsmaschine. Es drang an der Rückseite ein und benutzte den Aufbau als Sichtschutz, doch ein Passant hatte das beobachtet und gab seinen Artgenossen einen entsprechenden Tip. Die Menge, die schon geglaubt hatte, daß das geheimnisvolle Objekt spurlos verschwunden war, machte kehrt und rannte hinter dem Fahrzeug her. Sonderlich glücklich über seinen fahrbaren Zufluchtsort war der Torso nicht. Zwar war es ein Automat, aber einer von jener Sorte, der als Hülle für ihn nicht taugte. Das armselige Steuerprogramm bestand nur aus ein paar Mikrochips und konnte per Funk beeinflußt werden. Das hätte ihn nicht weiter gestört, da er über eine eigene leistungsfähige Positronik verfügte, aber ein Körper, der nur für die Schmutzaufnahme konstruiert war, war unbrauchbar. Ein sonderlich gutes Versteck war die Kehrmaschine auch nicht – trotz ihrer Mobilität. Jederzeit konnte sie mittels Fernsteuerung angehalten werden, » und wenn…« Es war schon eingetreten. Geschrei drang herein, Schläge erschütterten die Kunststoffkarosserie. Der Wagen hatte angehalten, weil seine Sensoren Hindernisse auf der Straße registriert hatten. Als der Torso sich einschaltete und über Adapter die Daten der Meßfühler abfragte, erkannte er, was sich da in den Weg gestellt hatte: Pxter. Die aufgeregten Stimmen verrieten, daß sie nicht eher Ruhe geben würden, bis sie seiner habhaft geworden waren. Daran war ihm nun absolut gar nichts gelegen. Gezwungenermaßen verließ er seinen Unterschlupf durch die Bodenplatte und versuchte, sich durch das Gewirr der Beine zu mogeln, doch es gelang ihm nicht ganz. Ein Polizist, der sich nach vorne drängte, um zu ergründen, warum eine simple Straßenreinigungsmaschine seine Landsleute in solchen Aufruhr versetzte, trat gegen ihn - und blickte herab. Auf Anhieb erkannte er, daß dieses Etwas nicht hierhergehörte. Argwöhnisch beäugte er das positronische Paket und war ziemlich perplex, als es sich aus dem Staub machte. »Halt! Stehenbleiben… äh, liegenbleiben…« Daß ein solches Ding sich bewegen konnte, machte den Ordnungshüter ganz konfus. »Stopp! Im Namen des Gesetzes befehle ich dir, zurückzukommen!« Als das merkwürdige Gebilde keine Anstalten machte, der Anordnung Folge zu leisten, brüllte der Uniformierte: »Los, hinterher! Dieses Objekt versucht, sich einer amtlichen Handlung zu entziehen!« Die Aufmerksamkeit der erregten Menge, die eben noch die harmlose Kehrmaschine traktiert hatte, wurde durch die Schreie des Polizisten wieder auf das gelenkt, was die Unruhe verursacht hatte.
Wütend setzten die Pxter dem Torso nach, der im Gewühl untertauchte und in einer Seitenstraße verschwand. Nach den bisher gemachten Erfahrungen vertraute das Fragment nicht mehr darauf, seine Verfolger abgehängt zu haben, wenn kein Sichtkontakt mehr bestand. So nahm es die günstige Gelegenheit wahr, durch ein geöffnetes Fenster in den darunterliegenden Raum zu flüchten – und geriet vom Regen in die Traufe. Das Zimmer war das Refugium eines spielenden Kindes. Es reagierte ohne Furcht, eher erfreut, und erhaschte das Geschenk, was so unerwartet in die Wohnung gekommen war. Das positronische Paket eng an sich gepreßt wie einen kostbaren Schatz, rannte der Sprößling zu seiner Mutter, die gerade auf dem Bildschirm die Sonderangebote der Woche abrief. »Mama, der Frühlingsbote hat mir doch noch die gewünschte Speichererweiterung für meinen Heimcomputer gebracht. Ist das nicht toll?« Irritiert betrachtete die Frau das, was der Sohn für ein Zusatzmodul hielt. Wie ein positronisches Element sah es schon aus, fand sie. »Woher hast du das denn?« »Es kam durchs Fenster ins Kinderzimmer.« »Jemand wird es hereingeworfen haben, weil es defekt ist. Da hat sich wahrscheinlich einer deiner Kameraden einen schlechten Scherz mit dir erlaubt.« »Nein, es flog nicht einfach durch die Luft, als wäre es fortgeschleudert worden, es bewegte sich gezielt. Bestimmt hat es der Frühlingsbote ferngesteuert. Ich probiere das Teil gleich einmal aus.« Bevor seine Mutter es verbieten konnte, stürmte der Junge aus dem Raum zurück in sein Zimmer. Das Fragment, das sich nicht wehren konnte, machte das Spiel mit und veränderte sich geringfügig, so daß die Anschlüsse in die Steckverbindungen des Kleinrechners paßten. Vielleicht erfuhr es einiges, was ihm nützlich war. Der junge Planetarier bemerkte in seinem Eifer nicht, daß das vermeintliche Modul nicht mehr exakt die gleiche Form hatte wie noch vor einer Minute. Er freute sich darüber, daß der nur in der Phantasie der Kinder existierende Frühlingsbote seinen Herzenswunsch erfüllt hatte und nahm das Gerät in Betrieb, ohne auch nur zu ahnen, daß er eine komplette Hochleistungspositronik mit seinem Spielzeug gekoppelt hatte. Der Knabe testete die Anlage und stellte begeistert fest, daß die Programmiermöglichkeiten sich potenziert hatten. Während der Torso die Speicher abfragte, stellte er einen Bruchteil seiner Kapazität dem Kind zur Verfügung, das schier aus dem Häuschen geriet. Die abrufbaren Daten waren spärlich, gemessen am Leistungsvermögen des Torsos, und nichtssagend dazu. Spiele, Lern- und Lehrprogramme bildeten neben Unterhaltung das Hauptkontingent. Doch dann, als er sich die Informationen des Alphaspeichers zugänglich machte, stieß er auf etwas, das erklärte, warum die hier lebenden Intelligenzen keine Roboter im eigentlichen Sinne produzierten. Die Pxter verehrten eine Wesenheit, deren sterbliches Ebenbild sie waren. Da sie nach göttlichem Vorbild geschaffen worden waren – so sagten es alte Überlieferungen - verbot ihnen ihre Religion, seelenlose Maschinen zu bauen, die so aussahen wie der Schöpfer und Weltenlenker. Roboter waren Blasphemien, Automaten und Computer nicht, obwohl sie die gleichen Arbeiten tun konnten. Nun, da das Fragment erfahren hatte, daß es auf diesem Planeten vergeblich nach einem brauchbaren Körper suchen würde, hatte es an der Welt der Pxter kein Interesse mehr. Noch harrte es aus und spielte den Part eines Erweiterungsmoduls, um den Knaben nicht zu enttäuschen, doch es hatte die Absicht, so schnell wie möglich zum Raumhafen zurückzukehren. Dieser Globus bot ihm keine Möglichkeit, sein Ziel zu erreichen, und als Steuereinheit einer Waschmaschine - selbst
wenn sie mobil sein sollte - wollte es nicht tätig werden. Irgendwann rief die Mutter den Sohn zum Essen. Das Kind, seines technischen Spielzeugs fast schon überdrüssig, verschwand, und der Torso nutzte die Gelegenheit und stahl sich davon. Diesmal erregte er kein Aufsehen, weil ihn die anbrechende Dunkelheit schützte. Unbehelligt gelangte er so zum Raumhafen. Zu seinem Leidwesen standen nur noch zwei Schiffe auf dem Landefeld. Eins davon schied gleich aus - es hatte die typische Glockenform der pxtischen Raumer. So drang er in den anderen Flugkörper ein. Diesmal hatte er mehr Glück. Unbemerkt konnte er einen spinnenbeinigen Allzweckroboter übernehmen und gelangte in ihm zum Planeten der Usber. * Abrupt verschwand das Bild, Schwiegermutter war plötzlich von allen Informationen abgeschnitten. Er sah und hörte nichts mehr, konnte nichts mehr riechen und war unfähig, sich zu bewegen. Der letzte bewußte Impuls, der sein künstliches Gehirn erreichte, war so etwas wie eine Erleuchtung. Ihm wurde klar, daß das positronische Paket immer noch für sich allein handlungsfähig und nicht unbedingt auf einen Körper angewiesen war, dann wurde er kybernetisch gesehen »bewußtlos«. Das Fragment hatte seine Ursprungspositronik gelähmt. »Du stellst dich nicht sehr geschickt an.« Es war Schwiegermutters Stimme, die da sprach, doch in Wahrheit redete der Torso mit den Sprechwerkzeugen des Roboters. »Mir scheint, daß du deiner Aufgabe nicht gewachsen bist. So geht man mit Schrott um, aber nicht mit einem so sensiblen Gebilde wie mir.« »Roboter ist Roboter«, sagte Traykon-6 und fuhr damit fort, die Brustabdeckung zu lösen. »Was soll an dir schon besonderes sein?« »Mein kompliziertes Innenleben beispielsweise. Du kannst meine Sensoren nicht wahllos entfernen, ohne meine Positronik zu schädigen. Es muß eine bestimmte Reihenfolge eingehalten werden, sonst erfährst du aus meinen Datenspeichern nicht einmal mehr, was zwei mal zwei ergibt.« »Eine solche Rückkoppelung ist unlogisch, da du beim Verlust eines Gliedes dann einen Teil deines Wissens einbüßen würdest.« »Das könnte man meinen, doch ich bin in der Lage, das zu steuern und zu beeinflussen.« Schwiegermutter alias der Torso gab sich überlegen. »Wenn du mir ein Bein demontierst und ich den Löschimpuls nicht blockiere, gehen automatisch alle Daten verloren, die mit Fortbewegung zusammenhängen, also auch Koordinaten von Planeten und die Namen der Orte, an denen Atlan sich aufhalten könnte.« »Unmöglich«, entfuhr es dem Kugelkopf: »Willst du es auf einen Versuch ankommen lassen?« »Welchen Sinn soll eine solche Vorrichtung haben?« »Ich bin ein Geheimnisträger. Diese Schaltanordnung schützt mich davor, von jedem dahergelaufenen Traykon zerlegt zu werden.« »Nimm dich in acht«, drohte der Silberne. »Ich habe auch andere Möglichkeiten, um an dein Wissen zu kommen.« »Wenn du glaubst, daß ich dir die Reihenfolge verrate, in der die Sensoren entfernt werden müssen, hast du dich getäuscht.«
Unsicher geworden, stellte Traykon-6 seine Arbeiten ein. Das Fragment registrierte es mit leichtem Triumph. »Und wenn ich den Kode herausfinde, kann ich dich demontieren, ohne daß Daten gelöscht werden?« »Ganz recht, das kann ich nicht beeinflussen, aber es wird dir nicht gelingen.« »Nun, dann werde ich deine Positronik anzapfen und dich später zerlegen.« »Tu das, doch es wird dir nichts nützen. Nicht die kleinste Information wirst du bekommen.« »Das wird sich zeigen«, sagte der Kugelkopf zuversichtlich. »Wenn ich mit dir fertig bin, sind deine Speicher so leer wie das Vakuum, selbst wenn die Daten verschlüsselt sind und für jede Datei eine andere Identifikation erforderlich ist.« »Du wirst dich wundern.« »Und du wirst keine Gelegenheit mehr dazu haben.« Traykon-6 zog ein elastisches kunststoffummanteltes Kabel aus einer flachen, schrankförmigen Einheit und befestigte den Multifunktions-Adapter an der Schalteinheit des Robotkörpers, dann nahm er an einem kleinen Tastenfeld an der Frontseite des Quaders einige Einstellungen vor. Die Anzeigen signalisierten Funktionsbereitschaft. »Nun?« »Ich fürchte deine Maschine nicht. Setze sie ruhig in Gang.« »Wie du willst.« Der Kugelkopf drückte auf einen weißen Knopf. Rein äußerlich tat sich nichts, nicht das kleinste Geräusch war zu hören, aber das Fragment spürte eine Art kybernetischen Sog, der die Speicher erfaßte. Es koppelte sich von Schwiegermutters Positronik ab und ließ nur eine Verbindung bestehen, die als Kontrolleitung diente. Sie war so geschaltet, daß sie nur wie eine Einbahnstraße funktionierte und die Impulse der fremden Maschine durch sich pausenlos ändernde Verschlüsselungen blockierte. Nun war nur noch der Zugriff zu Schwiegermutters Steuereinheit möglich, und die war quasi desaktiviert. Nicht ein einziges Bit konnte abgerufen werden. Die schrankähnliche Einheit meldete es auch sofort. Ein zarter Gong ertönte, dann sagte eine wohlmodulierte Stimme: »Eine Datenübertragung ist nicht möglich. Das angeschlossene System ist nicht aktiv.« »Aber das kann nicht sein«, entfuhr es Traykon-6. »Ein Irrtum ist ausgeschlossen. Die eigene Funktionsprüfung ergab keinen Fehler.« »Na, Traykon-6, was habe ich dir gesagt?« fragte das Fragment in Schwiegermutter. »Freue dich nicht zu früh«, fauchte der Kugelkopf. »Meine Möglichkeiten sind noch nicht erschöpft.« Er löste das Adapterkabel, das sich selbsttätig einrollte und in der Maschine verschwand. Der Silberne kümmerte sich nicht mehr darum, da sie sich automatisch abschaltete. Mit einem Kodegeber holte er eine Plattform mit sonderbarem Aufbau heran, die auf Prallfeldern schwebte. Vor dem Roboter verharrte das Gerät. Ein Würfel klappte auseinander und gab filigrane Gitter frei, die sich entfalteten und Schwiegermutters Oberkörper wie eine Glocke umhüllten, ohne ihn zu berühren. Aus den Verbindungselementen lösten sich hauchdünne Glasfasern mit Elektroden an den Enden. Sie setzten auf der Außenhaut des Roboters auf und begannen, von ihnen heraus zu leuchten, während Traykon-6 sich an der Eingabetastatur zu schaffen machte. Der Torso konnte anmessen, daß der Trägerkörper abgetastet wurde. Diesmal spürte er keinen Sog, sondern ein energetisches Ziehen, einen besonderen Magnetismus, der als Trägermedium fungierte
und versuchte, die Speicherinhalte in eine andere Datenbank zu transformieren, ohne die Einzelinformationen abzufragen. Sofort baute das Fragment ein Hochenergieinduktionsfeld auf, das die fremden Impulse nicht nur unbrauchbar machte und verfälschte, sondern auch eine Bumerangfunktion erfüllte. Wie starke Energiestöße mit anders gepolten Ladungen kehrten die Impulse an den Ausgangsort zurück und richteten dort Zerstörungen an. Wie wild schlugen die Zeiger von Skalen aus, Digitalanzeigen veränderten sich so schnell, daß kein Lebewesen sie erkennen konnte, aufgeregt blinkten Warnlämpchen. Es knisterte, die Luft lud sich elektrisch auf. Bevor der Silberne reagieren konnte, schaltete ein eingebauter Überlastungsschalter die Maschine ab. Feiner weißer Rauch drang aus den Schlitzen am unteren Rand der Verkleidung. Ein Primärprogramm für den Notfall fuhr die Elektroden ein und faltete die zarten Gitter zusammen, zog sie in den Würfel zurück und desaktivierte das Prallfeld mit Verzögerung. Zeitlupenhaft sank das Gerät zu Boden. Es war nicht mehr einsatzfähig. »Jetzt habe ich dich durchschaut«, rief der Kugelkopf, den der Schaden an der Maschine nicht zu reuen schien. »Du besitzt eine Binärpositronik.« »Ganz recht, du kluges Kerlchen. Während die eine ruht, narrt die andere dich.« Das Fragment ließ Schwiegermutter lachen. »Um das herauszufinden, hast du eine Menge Zeit und Material benötigt, doch deine Erkenntnis wird dir nicht weiterhelfen. Ich werde mit allem fertig, was du hier im Labor aufzubieten hast.« »Mich überlistest du nicht«, tönte Traykon-6 siegessicher. »Meine Positronik wird auch mit zweien deines Kalibers fertig.« Das war genau das, was der Torso beabsichtigt hatte, doch um den anderen in seinem Plan zu bestärken, gab er sich jämmerlich und unterlegen – so, als würde er sich vor dem Vorhaben des Silbernen fürchten. »Das kannst du nicht machen. Ich sprach von den technischen Einrichtungen, nicht von dir. Ich bin dir schon einmal unterlegen, eine weitere Niederlage würde zum Verlust meiner Selbstachtung führen.« »Die brauchst du in Zukunft nicht mehr.« Der Kugelkopf schien sich an der Angst seines Gegenübers zu weiden. »Wenn ich mit dir fertig bin, bist du fertig.« Spielerisch schwang er eine flexible Steckverbindung hin und her, die er aus einer Klappe genommen hatte. Gewissenhaft stöpselte er sie an sich fest und stülpte den anderen Adapter über Schwiegermutters Anschluß. »Was willst du wissen? Ich sage es dir – alles.« »Schweig endlich, du furchtsamer Narr. In wenigen Minuten habe ich den gleichen Kenntnisstand wie du, und dann bist du überflüssig.« Still und stumm standen die beiden Roboter da, doch der Kampf, der sich in ihrem Innern abspielte, wurde so verbissen geführt, als würden sie sich prügeln. Ein vorsichtiger Vorstoß des Fragments wurde abgeschmettert, weil Traykon-6 Impulse von größerer Intensität von sich gab, gleichzeitig versuchte er, die beiden Positroniken seines Gegners zu täuschen und die Sperre aufzubrechen. Brauchbare, verständliche Symbole wechselten mit solchen ab, die eine mathematisch-logistisch orientierte Steuereinheit verwirren mußten. Der Torso wiederum konnte sich nicht so offensiv zeigen, ohne sich zu verraten. Er begnügte sich mit Ablenkungsmanövern, blockierte Datenbahnen, leitete ankommende Impulse in die positronische Irre und signalisierte Unsicherheit und Angst. Als er dem Silbernen gar den Zugriff zu einem Speicher mit unbedeutendem Inhalt ermöglichte – nicht einfach so, sondern nach einem verbissen geführten kybernetischen Krieg –, fühlte sich der Kugelkopf bereits als Sieger und ließ es auch erkennen. Und dann schlug das Fragment zurück, wild entschlossen und angetrieben von einem Programm,
das kaum Skrupel kannte, wenn es um Automaten und damit um die Realisierung der Aufgabe ging, einen geeigneten Trägerkörper zu finden. Nur so war es möglich, zu dem eigentlichen Ziel zu gelangen, das Atlan hieß. Der Angriff kam für den Silbernen so überraschend, daß er nur einen Teil der Impulse abblocken konnte, die ihn regelrecht überschwemmten. Vergeblich versuchte er, Sperren aufzubauen. Das positronische Paket, geübt darin, auch fremdartigen Steuereinheiten beizukommen, hatte keine Mühe, die kybernetischen Blockaden zu durchbrechen. Noch einmal bäumte sich Traykon-6 auf und setzte den Zufallsgenerator ein, um der Attacke auf seine Positronik und die Speicher durch eine ständig wechselnde Kennung zu begegnen, doch auch damit hatte er kein Glück und unterlag. Bombardiert von gegensätzlichen Symbolfolgen, die jeweils Priorität beanspruchten und doch nicht miteinander zu vereinbarende Aussagen hatten, fühlte sich die Steuereinheit überfordert. Es bestand keine Aussicht auf Erfolg, also blieb nur noch die Möglichkeit, eine entsprechende Meldung an PreLo Traykon abzusetzen. Bevor es dazu kommen konnte, hatte das Fragment Traykon-6 übernommen und abgeschaltet. Gefährlich werden konnte er dem positronischen Paket nun nicht mehr, aber seine Handlungsunfähigkeit war verräterisch. Der Dialog und die Auseinandersetzung hatten Zeit gekostet. Jederzeit konnte Traykon-0 Verbindung zum Labor aufnehmen, und wenn er dann einen unzerlegten Schwiegermutter und einen bewegungslosen Kugelkopf sah, würde das den Verdacht des ohnehin mißtrauischen Pre-Los wecken. Das mußte unter allen Umständen vermieden werden. Der Torso wechselte in den Körper des Silbernen hinüber und transferierte – unter Zeitdruck stehend - auch all das mit, was Schwiegermutter ausmachte. Einiges empfand er als unnötigen Ballast, aber er mußte rasch handeln und konnte nicht aussieben. Ob wichtig oder nicht – es gelangte zusammen mit dem Fragment in die Hülle des Traykons. Vorsichtig reaktivierte das positronische Paket Speichereinheiten der Ursprungspositronik, die Informationen über die Steuerung des Silbernen enthielten. Sie lieferten zugleich Daten über das Wahrnehmungsvermögen des Kugelkopfs. Das Fragment, an unterschiedliche kybernetische Systeme und andersartige Körper gewöhnt, hatte keine Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden. Es würde so reden und sich bewegen können, wie es für einen Traykon typisch war. Auch an andere Dateien wagte sich der Torso heran. Behutsam sondierend, gelang es ihm, das Wissen der Primäreinheit zu überspielen. Das Ergebnis war enttäuschend, denn neue Erkenntnisse brachte es ihm nicht. Welche Hintergründe der Auftrag der Traykons hatte, blieb ebenso ungewiß wie die eindeutige Definition ihres Herrn. Zweifellos agierten sie auf Befehl des ominösen Erleuchteten, doch wer oder was dahintersteckte, ließ sich nicht ergründen. Unzufrieden beendete das Fragment den Kontakt mit dem Steuerteil des Silbernen und koppelte es nicht nur von der Energieversorgung ab, sondern zugleich von den Impulsgebern, die Extremitäten und Sensoren lenkten und kontrollierten. Da keine direkte Gefahr mehr bestand, hob es auch die Lähmung von dem Daila-Roboter auf, dessen Ego sich jetzt in Traykon-6 befand. Vielleicht war das ein wenig vorschnell gehandelt. Es war unerläßlich, das zu zerstören, was Schwiegermutter dargestellt hatte. Sein alter Körper mußte so zerlegt werden, daß alles nach einer gründlichen Untersuchung aussah, doch damit konnte sich der Roboterrest nicht anfreunden, obwohl er einsah, daß es keine andere Wahl gab. Schließlich erteilte Schwiegermutter doch seine Zustimmung. Die Demontage seines ursprünglichen Leibes war die einzige Möglichkeit, um dieses Abenteuer in anderer Gestalt heil zu überstehen. Wie immer er auch dem Gesuchten gegenübertrat - er mußte Atlan finden. Das gab den Ausschlag. Als Traykon-6 alias Schwiegermutter/Torso das Labor verließ, war die Konstruktion, die einst Schirtuboh als Helfer gedient hatte, nicht einmal mehr ein Fragment, sondern ein Puzzle aus Einzelteilen. Der Haufen, der dort lag, verriet nicht nur gründliches Vorgehen, sondern auch eine gewisse Verachtung für Technik, die nicht dem eigenen Standard entsprach. Wieder hatte es das
Fragment schwer, Schwiegermutter davon zu überzeugen, daß er in den Augen der Traykons und des Pre-Los ein minderwertiges Produkt war. Fraglos trauerte der Roboter seinem Körper nach, doch er akzeptierte die Entscheidung des Fragments dennoch. Aber da war noch etwas, was sich nicht in Formeln pressen ließ und nicht rein logisch erfaßbar war. Eine völlig andere Welt tat sich auf, als der zum Trojanischen Pferd umfunktionierte Kugelkopf das Transportband betrat. Vergangenheit… * ERINNERUNG Der kommende Winter kündigte sich an. Es war naßkalt und nebligtrüb, ein eisiger Nordostwind fegte über die Siedlung der Kolonisten, die ihre Heimatwelt verlassen hatten, um hier ein freieres Leben zu führen. Die reichen Bodenschätze des Planeten ermöglichten ihnen eine gewisse Unabhängigkeit, doch sie zogen auch allerlei lichtscheues Gesindel an, das die schwere Arbeit in den Minen scheute und durch obskure Geschäfte reich werden wollte. Die Sonne, die wie ein verwaschener Fleck am bleigrauen Firmament stand, beschien auch Trafeis, die häßliche Stadt der Siedler am Fuß eines viertausend Meter hohen Gebirgszuges. Sie war ein Provisorium aus Bretterbuden, Verschlagen und schäbigen Hütten, innerhalb von wenigen Wochen aus dem Boden gestampft. Reiche Goldfunde hatten Abenteurer aller Schattierungen angelockt, aber auch windige Geschäftsleute, die Ausrüstungen zu überhöhten Preisen verkauften und den Leuten das Geld in zweifelhaften Etablissements aus den Taschen zogen. Minderwertige Lebensmittel konnten hier mit stolzem Gewinn an den Mann gebracht werden, und der billige Fusel einer eilig errichteten Destille fand trotz gepfefferter Beträge reißenden Absatz. Sanitäre Einrichtungen gab es so gut wie nicht. Wer seine Notdurft verrichten wollte, tat das in der freien Natur hinter einem der spärlichen Sträucher und Bäume. Körperpflege war dagegen möglich, doch auch nicht gerade erschwinglich. Man mußte schon ein hübsches Sümmchen opfern, um sich nach des Tages Mühen Schweiß und Staub vom Körper zu waschen, weil ein pfiffiger Händler mobile Duschkabinen aufgestellt hatte, deren Benutzung er sich fürstlich honorieren ließ. Trafeis war eine triste. Siedlung, nicht nur, was die Unterkünfte betraf. Das Klima war rauh, die Vegetation litt nicht nur unter Wind und Wetter, sondern auch unter dem kargen Boden. Abraumhalden und Berge von taubem Gestein umsäumten die Stadt ebenso wie Müllkippen und Wälle von Unrat und Abfall. Niemanden schien der penetrante Geruch zu stören, der davon ausging und Ungeziefer anlockte. Auch Mafis wurden davon angezogen, die mausgesichtigen Ureinwohner dieses Planeten, die in und von der Wildnis lebten. Sie waren versprengt in Stammesgemeinschaften über den ganzen Globus verteilt und ernährten sich von allem, was sie finden konnten, und dazu gehörte auch Aas. Selbst Knochen verschmähten sie nicht, die sie mit ihren kräftigen, zahnbewehrten Kiefern nicht nur zerknacken, sondern dank ihrer aggressiven Magensäure auch verdauen konnten. Die affenähnlichen Eingeborenen waren intelligent, aber primitiv. Sie nächtigten in selbstgegrabenen Erdhöhlen, ein zottiges Fell von oliv-bräunlicher Färbung schützte sie vor der Kälte. Werkzeuge kannten sie kaum. Steinmesser, Holzkeule oder -speer – das war alles. Obwohl es sich ausschließlich um Gerät handelte, das als Waffe zu gebrauchen war, handelte es sich um sehr friedliche Vertreter, die die Kolonisten unbehelligt ließen, obwohl diese rücksichtslos in Gebiete vordrangen, die ihr ureigener Lebensraum war. Vielleicht lag es daran, daß die Siedler die Planetarier in gewisser Weise respektierten und nicht versuchten, die Mafis zu zivilisieren oder als billige Arbeitskräfte einzusetzen, zudem war ihre Zahl zu gering, um zu einem regelrechten Verdrängungswettbewerb zu führen.
In der Regel bewegten sich die Eingeborenen auf allen vieren, dabei waren die vorderen Gliedmaßen durchaus als Hände zu gebrauchen und wurden auch als solche benutzt. Eine einfache Sprache ermöglichte die Verständigung untereinander und beinhaltete sogar abstrakte Begriffe. Das Zusammenleben der Maos wurde durch das Matriarchat geprägt. Die weiblichen Vertreter waren nicht nur deutlich in der Minderzahl, sondern auch größer und kräftiger als die schmächtigen Männer. Ihnen oblag die Betreuung der Kinder und das Sammeln von Früchten, Beeren und Wurzeln, die Jagd war Domäne der Frauen. Wie immer in den letzten Tagen stöberte eine Schar männlicher Mafis auf der Müllkippe herum auf der Suche nach Eßbarem und weggeworfenen Dingen, für die sie Verwendung hatten. Weichgeklopfte Tierbälge, die sie mitführten, dienten als Taschen für Schätze wie abgebrochene Messer, Spiegelscherben und anderes Gerumpel. Niemand von den Kolonisten nahm an den Eingeborenen Anstoß, auch Artel nicht, ein knorriger Pionier der ersten Stunde. Der Digger war schlechter Laune. Schon ziemlich benebelt, hatte er sich gestern abend von einer undurchsichtigen Type in der Spelunke einen Detektor andrehen lassen, der besonders auf Gold ansprechen sollte. Für drei nußgroße Nuggets hatte das Wunderding den Besitzer gewechselt. In der Hoffnung, daß die Investition sich schnell amortisierte, war der Siedler am Morgen in aller Frühe losgezogen, doch gefunden hatte er nichts. Daß er übers Ohr gehauen worden war, erkannte er endgültig, als das Spürgerät nicht einmal ansprach, als er es auf seine Werkzeuge richtete, die aus Metall bestanden. Nun befand er sich auf dem Weg zur Kneipe, um sich den Betrüger vorzuknöpfen. Es würde wohl eine Unterhaltung werden, in der hauptsächlich die Fäuste sprechen würden, aber davor fürchtete sich Artel nicht. Zwar war er kein Schläger, aber um sein Eigentum zurückzubekommen, war eine Keilerei wohl unausweichlich. Und aus den meisten war er als Sieger hervorgegangen. »Fauler Zauber«, brummte der Kolonist und schleuderte das unbrauchbare Gerät wütend auf den Abfallhaufen. »Den Kerl werde ich mir vornehmen, und wenn ich mit ihm fertig bin, ist er auch nur noch Müll. Der wird keine ehrlichen Digger mehr betrügen.« Während Artel dem nutzlosen Ding keine Beachtung mehr schenkte und zornbebend auf die Kaschemme zuhielt, erweckte der merkwürdige Körper bei den Mafis große Aufmerksamkeit. Kaum, daß er auf der Halde gelandet war, liefen sie herbei und betrachteten ihn interessiert, aber auch mit einer gewissen Scheu. So etwas hatten die Fremden noch nie hier deponiert. Was mochte es sein, wozu war es zu gebrauchen? Sumbü, der vierte Mann der Anführerin, aufgeweckt und gewitzt, war nicht so unschlüssig wie die anderen und hob den unbekannten Gegenstand mutig hoch. Er war leichter, als er aussah. »Großer Zauber«, behauptete er kühn. »Ich bringe ihn Dülü.« Als die Mafis sahen, daß das Ding nichts tat und es sich sogar gefallen ließ, daß Sumbü es an sich preßte, wollten sie auf einmal auch den »großen Zauber« oder zumindest ein Stück davon haben, doch der Eingeborene weigerte sich und rannte mit seinem kostbaren Schatz davon, zurück zum Lager. Zeternd und schreiend folgten seine Stammesgenossen. Sumbü versprach sich einiges von seinem Geschenk. Als Stammesoberhaupt genoß Dülü uneingeschränkte Autorität. Ihre Macht übertrug sich automatisch auf ihre Lebensgefährten, die dann in der Hierarchie der Männer gleiches Ansehen genossen, nur – Sumbü war nicht der Favorit der Anführerin, er mußte sich mit Platz vier begnügen. Und das hoffte er, mit dem Ding zu seinen Gunsten ändern zu können. Dülü hockte vor ihrem Erdloch. Sie war einige Jahre älter als Sumbü und die meisten ihrer Männer, nicht gerade häßlich, doch es gab ansehnlichere weibliche Exemplare. Dennoch widersetzte sich niemand, wenn sie um einen Gatten warb. Jeder Junggeselle war froh, wenn eine Frau ihn erwählte, mit ihr das Lager zu teilen, und wenn es gar eine Frau in einer Position wie Dülü war, bedeutete das innerhalb der Gemeinschaft einen Aufstieg, der sonst nicht zu erreichen war.
Als die Verfolger sahen, daß Sumbü die Gabe vor seiner Gefährtin niederlegte, die aufgrund ihrer Qualitäten und ihrer Erfahrung allseits geachtet und respektiert wurde, blieben sie zurück, ihre Proteste verstummten. Niemand wagte es, jetzt noch Ansprüche geltend zu machen. »Was ist das?« »Großer Zauber, Dülü Öltras. Er wird dich mächtiger machen als alle anderen Führerinnen, die vor dir waren und nach dir kommen werden. Er wird Glück über unseren Stamm bringen und die Götter gnädig stimmen in allem, was wir tun.« Dülü – der Zusatz »Öltras« war eine Standardformel und bedeutete »Weib, dem mein Leib und Leben gehört« – beugte sich über das fremdartige Gebilde, dessen Äußeres nicht verriet, wozu es diente oder taugte. Vorsichtig betastete sie das unbekannte Objekt, doch auch das gab keinen Aufschluß über die Funktion. »Warum haben die Fremden den großen Zauber nicht behalten?« Es war nicht unbekannt, daß die Männer gern die künstlichen Berge aufsuchten, um den Lebensunterhalt zu sichern und Geschenke mitzubringen, die es erst gab, seit die Fremden hier waren. Die Frage brachte den jungen Mann in Verlegenheit. »Sie haben viel von dem großen Zauber«, schwindelte Sumbü. »Ein freundlicher Fremder warf ihn uns zu, und ich konnte ihn für dich erlangen.« Sumbü war ein aufmerksamer Beobachter. Die Mafis verehrten Naturgottheiten, darunter auch den Feuergott, doch seit der Eingeborene gesehen hatte, daß die Kolonisten die Flammen beherrschten und sie sogar nach Belieben löschen konnten, war er von der Religion der Mutter nicht mehr völlig überzeugt. Immerhin war er klug genug, seine Zweifel zu verschweigen. Die Frau klatschte begeistert in die Hände und gab durch gurrende Laute ihrer Freude Ausdruck. Erstmals verfügte der Stamm über so etwas Kostbares, und sie hatte es in Verwahrung. Keinen Augenblick lang zweifelte sie daran, daß es sich um einen großen Zauber handelte, den die freundlichen Fremden dem Stamm geschenkt hatten. Und ausgerechnet ihr Gefährte hatte ihn in seinen Besitz gebracht, um ihn ihr zu schenken. Dülü konnte sich an dem Schatz nicht satt sehen. Rätselhaft war der große Zauber, fremdartig, etwas Geheimnisvolles ging von ihm aus. Fast kam es ihr vor, als wenn er leben würde, aber auf eine unbekannte, mystische Art wie Erdgeister und andere Wesen, die Einfluß auf die Geschicke nehmen konnten. Da der große Zauber vom Umfang her jedes Amulett übertraf, mußte er auch mächtiger sein und besser vor bösen Geistern schützen als alles, was zur Abwehr dagegen am Körper getragen wurde. »Der große Zauber muß einen würdigen Platz bekommen«, rief die Anführerin den Versammelten zu. »Er soll direkt zu den Göttern sprechen können – im Hain der heiligen Bäume. Und zu Ehren des großen Zaubers werden wir ein Fest veranstalten und den Göttern opfern. Du, Sumbü, wirst dabei an meiner Seite sitzen.« Die Mafis brüllten begeistert Zustimmung. Eine solche Feier war eine willkommene Abwechslung in ihrem kargen Leben. Die Opfergaben waren stets ausgesprochene Leckerbissen, doch bisher hatten es die Eingeborenen immer geschafft, so viel davon zu besorgen, daß auch für sie selbst genügend abfiel für einen Festschmaus. Am meisten freute sich Sumbü. Seine Rechnung war aufgegangen – Dülü hatte ihn zu ihrem Favoriten gemacht und damit zum mächtigsten Mann im Stamm. Die bisherige Nummer Eins war dagegen wütend, weil er von seinem Platz verdrängt worden war und schmiedete dunkle Pläne. Voller Haß blickte Bütus auf den großen Zauber, der nichts anderes war als das Fragment. Plötzlich wurde die Landschaft flächig, die Körper der Mafis erstarrten. Und dann verschwand das Bild wie ein flüchtiger Gedanke.
* Das Konglomerat aus Schwiegermutter und dem Fragment fand sich vor dem Schott des namenlosen Raumschiffs wieder, das in die Pilotenkanzel führte. Für den Bruchteil einer Sekunde verharrte der Roboter, um wieder zu sich selbst zu finden und um sich zu orientieren, dann betrat er die Steuereinheit. Traykon-1 saß vor den Kontrollen, das Pre-Lo lehnte lässig an der Wand. Was in ihm vorging, war nicht einmal zu erahnen. »Du hast mehr Zeit gebraucht, als ich angenommen habe.« Das gesichtslose Facettenfeld konnte keine Regung zeigen, aber in der Stimme von Traykon-0 schwang ein vorwurfsvoller Unterton mit. »Hat Schwiegermutter Schwierigkeiten gemacht?« »Er hat es versucht, aber es hat ihm nichts genützt.« Da die Sprechwerkzeuge des so nicht mehr existierenden Silbernen benutzt wurden, gab es keine verräterischen Unterschiede in Ton und Artikulation. »Allerdings war er vom Aufbau her komplizierter, als es den Anschein hatte. Ich habe ihn völlig zerlegt, wie du es angeordnet hast.« »Konntest du neue Erkenntnisse gewinnen?« »Nein. Der Roboter war ein Aufschneider, ein Wichtigtuer. Außer den Koordinaten von Domain fanden sich in seinen Speichern keinerlei Daten von Welten, die Atlan als Fluchtziel gewählt haben könnte.« Schwiegermutters positronisches Ego war angeknackst. Sein synthetisches Selbstbewußtsein hatte deutlich gelitten, seit ihn die Psychosen plagten, die Bilder aus der Vergangenheit des Torsos freilegten. Hinzu kam das Bewußtsein, nicht mehr er selbst zu sein, sondern nur noch ein Teil von etwas, das stärker war als er. Das Fragment hatte demonstriert, welche Fähigkeiten es besaß, es hatte ihn angezapft und quasi übernommen, ohne ihn jedoch zu vereinnahmen. Auch jetzt überließ ihm der Torso die Wahl der Worte und die Art des Vorgehens. Daß er so verächtlich über sich selbst sprechen mußte, barg für das positronische Paket ein Risiko in sich, dennoch ließ es Schwiegermutter freie Hand, weil er Erfahrungen im Umgang mit den Kugelköpfen, besaß und weitaus besser in der Lage war, einen Traykon nachzuahmen. Äußerlich Traykon-6, innerlich Fragment und Schwiegermutter, beschloß er eine Namensänderung, die eigentlich schon vollzogen war. Er würde sich in Zukunft Fragmentmutter nennen. »Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, den Gesuchten auf dem Planeten zu finden, den wir anfliegen?« erkundigte sich Pre-Lo Traykon. »Der Roboter war ziemlich sicher, auf Domain seinen Herrn anzutreffen«, log Fragmentmutter. »In einer seiner Dateien fand ich den Wert von 89,7 Prozent hochgerechnet.« »Wenn das zutrifft, kann ich auf Domain meinen Auftrag endgültig erfüllen.« Der Kommandant des exotischen Raumers wirkte siegessicher. »Wann erreichen wir unser Ziel?« »In 1.13 Stunden«, antwortete Traykon-1. »Ich empfehle, vor der Landung noch ein paar anstehende Wartungen durchzuführen.« »Das kannst du tun«, entschied das Pre-Lo. »Traykon-6 wird deinen Platz einnehmen.« Wortlos erhob sich der Silberne und verließ den Raum, während Fragmentmutter sich vor den Kontrollen niederließ. Durch das Wissen von Traykon-6 mit den Geräten vertraut, bereitete es ihm keine Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden. Alle Anzeigen lagen innerhalb der zulässigen Toleranzgrenzen. Und dann, als er gerade einen Parameter abrufen wollte, kam es wie aus heiterem Himmel wieder über ihn…
* ERINNERUNG Die Welt der Mafis wurde nur spärlich von zwei Monden und funkelnden Sternen erhellt. Ihr Licht reichte nicht herunter bis zum Fragment, das auf einem Graspolster im Hain der heiligen Bäume lag, jenen Pflanzenriesen, die den verschiedenen Göttern geweiht waren. Nichts rührte und regte sich. Rechtschaffen müde von Jagd- und Beschwörungstänzen und üppigem Essen ruhten die Eingeborenen in ihren Erdhöhlen und schliefen. Alle - bis auf einen. Geschmeidig wie ein Raubtier bewegte sich eine dunkle Gestalt durch die Nacht. Geschickt wich sie den in der Finsternis kaum erkennbaren Schlaflöchern aus und pirschte auf leisen Sohlen zwischen den Stämmen hindurch zu der Stelle, wo sich der große Zauber befand. Immer wieder blickte sich der Mafis um, um sich zu vergewissern, daß er nicht verfolgt wurde und sein Vorhaben unbeobachtet blieb. Ganz wohl war Bütus nicht in seiner Haut. Fest umklammerte er sein Amulett, dessen magische Kraft ihn vor den Mächten der Finsternis, den Nachtgeistern und den Wurzelkobolden schützen sollte, die jetzt ihr Unwesen trieben. Die Götter hatten sie dazu verdammt, in der Dunkelheit zu leben, und sobald die allmächtige Sonnenmutter wieder ihr Licht spendete, verschwanden sie in ihren unterirdischen Schlupfwinkeln, die tiefer lagen, als die Wurzeln der Bäume reichten. In demütiger Haltung näherte sich der Mafis dem großen Zauber. Ihm war unheimlich, ein geheimnisvolles Wispern und Raunen erfüllte den Hain der heiligen Bäume, tausend Augenpaare schienen ihn anzustarren. Lautlos murmelte er Beschwörungsformeln und legte einige ausgesuchte Früchte in eine Opfermulde. Sie sollten den Zorn der Götter besänftigen, den er sich mit seiner Tat zweifellos zuzog. Größer als seine Angst davor war sein Haß auf Sumbü, der ihn von seinem angestammten Platz verdrängt hatte. Daran war nur der große Zauber schuld. War der erst einmal weg, würde Dülü ihm wieder ihre Gunst schenken, dessen war er sicher. Und war er erst einmal wieder der mächtigste Mann, konnte er über alle Geschlechtsgenossen seines Stammes verfügen und ihnen befehlen, den Göttern oft und reichlich Opfer zu bringen, um sie so gnädig zu stimmen, daß sie ihm seinen Frevel verziehen. Die Rache des großen Zaubers fürchtete er nicht. Dessen Wirkungskreis war begrenzt wie der von jedem Kultgegenstand, und in der Ferne hatte er keine Macht mehr über ihn. Auch jetzt konnte Bütus nicht der Fluch des großen Zaubers treffen. Er war den guten Göttern des Tages geweiht. In der Dunkelheit fehlte ihm die Kraft, etwas zu bewirken, er war schutzlos, dagegen fühlte sich der Mafis durch sein Amulett vor den bösen Mächten der Finsternis gefeit. Dennoch spürte Bütus, daß sich sein Nackenfell sträubte, als er den für ihn mystischen Gegenstand aufnahm und wegtrug. Sein Ziel war die Siedlung der Fremden. Er hatte gesehen, daß einer der Zauberwagen beladen wurde, der auf Feuerstrahlen durch die Luft ritt. Aus eigener Beobachtung wußte er, daß der dann erst nach zwei Lichtwechseln zurückkehrte, aber mit anderer Ladung. Und so wollte er sich auch den großen Zauber vom Hals schaffen. Wenn der Donnervogel, der schneller war als jeder am Himmel jagende Greif, so lange brauchte für den Flug, konnte er sicher sein, daß die Ausstrahlung des großen Zaubers ihn und seinen Stamm nicht mehr erreichte. Der Eingeborene wählte nicht den direkten Weg zur Stadt, sondern umging das Lager mit den Erdhöhlen. Nun, da er seinen Plan fast in die Tat umgesetzt hatte, wollte er es nicht riskieren, als Dieb eines geweihten Objekts ertappt zu werden. Aufgewühlt, wie er war, spürte er nicht die Kälte und den schneidenden Wind, registrierte kaum den Eisregen, der herniederprasselte. Dunkle Wolken türmten sich am Firmament, es roch nach Schnee. In der Ansiedlung brannte kein Licht mehr. Mitternacht war längst vorüber, und auch die
trinkfestesten Zecher und die Kolonisten mit dem ausgeprägtesten Sitzfleisch hatten ihre Betten aufgesucht. Alles lag in tiefem Schlaf. Da die Planetarier harmlos und friedlich waren, gab es weder Wachen noch besondere Vorsichtsmaßnahmen. Die Sicherheitsmaßnahmen, die getroffen worden waren, richteten sich ausschließlich gegen diebische Artgenossen, die als Langfinger unterwegs waren. Verrammelte Fenster, mit Ketten, Schlössern und Riegeln bestückte Türen waren eher die Norm als die Ausnahme. Seit sich Zwielichte Elemente in Trafeis breitgemacht hatten, schützte jeder sein Eigentum, so gut es ging, denn Polizei gab es nicht. Unangefochten erreichte Bütus den nur notdürftig befestigten Landeplatz für Gleiter. Zumeist handelte es sich um archaische Modelle mit Verbrennungsmotoren oder Raketentriebwerken. Um zu verhindern, daß die klapprigen Veteranen entwendet wurden, waren sie regelrecht angepflockt worden an schwere Betonklötze. Die Maschine, die der Mafis im Auge hatte, stand am Rand der geschotterten Fläche. Zu seiner Überraschung stand die Laderaumtür einen Spaltbreit offen. Er wußte nicht, daß vor ihm schon ein Einbrecher den hier versammelten Oldtimern einen Besuch abgestattet und vergeblich nach Beute gesucht hatte. Erkennen konnte Bütus nichts, im Bauch des Flugkörpers war es stockfinster. Er ertastete Kisten mit leeren Flaschen, Tonnen und Container. So gut es ging, versteckte er das Fragment zwischen den Behältern und stahl sich davon. Als der Frachter am nächsten Morgen zu dem kleinen Raumhafen startete, über den der gesamte Güterverkehr abgewickelt wurde, bemerkte niemand etwas von der zusätzlichen Ladung. * »Traykon-6, ich habe dich etwas gefragt. Hast du von Schwiegermutter Einzelheiten über Domain erfahren?« Innerlich noch ganz mit den Geschehnissen in und um Trafeis beschäftigt, fuhr der Roboter zusammen. Ein eisiger Schreck durchzuckte ihn. Hatte das Pre-Lo etwas bemerkt? Nur mit Mühe gelang es ihm, die aufkommende Panik zu unterdrücken. »Entschuldige, Pre-Lo Traykon, daß ich nicht sofort geantwortet habe. Ich habe gerade noch einmal die überspielten Daten abgerufen, aber keine detaillierten Informationen über den Planeten gefunden.« »Du hattest ausreichend Zeit, dich mit diesen Informationen zu beschäftigen«, tadelte TraykonNull. »Ich betrachte die Auswertung als abgeschlossen und befehle dir, dich auf deine zugewiesene Aufgabe zu konzentrieren. Eigenmächtigkeiten jeglicher Art dulde ich nicht.« »Es wird nicht wieder vorkommen«, versicherte Fragmentmutter, der erleichtert war, daß das PreLo keinen Verdacht geschöpft hatte und die Ausrede akzeptierte. Er ließ die Fernortung anlaufen. Erste Daten über das Zielgebiet gingen ein.
3. Domain, zweiter und damit mittlerer Trabant eines Sterns, der im Begriff war, sich zu einem Roten Unterriesen zu entwickeln, war eine Sauerstoffwelt mit oasenähnlichen Vegetationszonen in der Nähe von Binnengewässern. Ozeane existierten nicht, der Globus war eine riesige Wüste aus Sand und Gebirgen. Zuerst hatte es den Anschein, als wäre der Planet unbewohnt, aber der erste Eindruck täuschte. Ein paar gut getarnte Raumschiffe wurden ausgemacht, ein versteckter Raumhafen und eine Siedlung, die durch Felsen und Palmen gegen die Einsicht aus der Luft geschützt war. Spärliche Energieechos bewiesen, daß die hier lebenden Intelligenzen zwar im Besitz einer ausgereiften Technik waren, sie jedoch nur sporadisch nutzten. Es sah ganz so aus, als scheuten die Planetarier Kontakt mit anderen Völkern, als würden sie sich auf ihrer Welt verstecken. Vielleicht hatten sie schlechte Erfahrungen gemacht, vielleicht fürchteten sie Überfälle. Gemessen an der Größe der einzigen Siedlung mußte ihre Zahl gering sein – nicht mehr als einige tausend Seelen. Selbst mit modernster Ausrüstung waren sie allein von daher schon jedem potentiellen Gegner unterlegen, so daß ihre heimliche Lebensweise verständlich war. Aber auch das war ein Irrtum. In Wahrheit handelte es sich um einen geheimen Stützpunkt der Piraten, die sich selbst als Händler bezeichneten. Sie gehörten den unterschiedlichsten Völkern und Rassen an. Alle hatten nur ein Ziel: Das Sammeln und Horten von Schätzen und Kunstwerken. Das wußte das Pre-Lo natürlich nicht, als es befahl: »Landen!« Langsam sank das exotische Schiff dem Planetenboden entgegen und steuerte den verborgen angelegten Raumhafen an. * Der Raumer war den Piraten nicht verborgen geblieben. Unbehaglich musterte Imas den auf dem Bildschirm deutlich sichtbaren Flugkörper. Eine direkte Bedrohung stellte er aufgrund seiner Größe nicht dar, aber allein die Tatsache, daß jemand sich für diesen Planeten interessierte, mißfiel dem Kommandanten. Fremde hatten hier nichts verloren. Mit Sicherheit bestand die Besatzung des unbekannten Raumers nicht aus Ligriden. Dieser Schiffstyp war ihm völlig unbekannt, kein Volk in diesem Raumsektor baute oder benutzte derartige Flugkörper. Woher kam das Raumschiff, was war für seine Insassen so interessant an dieser Welt? Drohte ihm und seinen Leuten vielleicht doch eine Gefahr, die so fremdartig war wie der Raumer selbst? Der Anführer der Piraten, ein zwei Meter großer Lasque, war ein herrischer, kampferprobter Mann, der weder Tod noch Teufel fürchtete. Seine Erfahrung sagte ihm, daß er vor den Fremden auf der Hut sein mußte. Voller Mißtrauen beobachtete er das Landemanöver. »Was hältst du davon?« fragte Imas Quaph, der sein Stellvertreter und zugleich so etwas wie sein Vertrauter war. Das Wesen mit dem schildkrötenähnlichen Körper und einem langen Giraffenhals, der zu einem Pilzhut mit Stielaugen auslief, kratzte sich mit seinen Greifstummeln nachdenklich an der Kopfunterseite. »Das gefällt mir nicht«, sagte der Wehrutibujarumine mit seiner knarrenden Stimme.
Wie seine Artgenossen legte er Wert darauf, daß der Name seines Volkes ganz ausgesprochen wurde, doch zum Leidwesen der Wehrutibujaruminen begnügte sich alle Welt mit dem Kürzel »Wehru«. »Ganz meine Meinung.« Der Kommandant schaltete die Rundrufanlage an. »Alarmbereitschaft! Den Raumhafen unauffällig umstellen, die Sicherheitskräfte der Gruppe 1 beziehen die vorgesehenen Stellungen. Und daß mir keiner von euch Trotteln nach Gutdünken handelt. Ich entscheide, wann was getan wird. Ende.« Quaph verzog keine Miene. Er kannte Imas schon lange und wußte, daß der Befehlshaber ein Rauhbein war, das nicht gerade zimperlich mit seinen Untergebenen umging. Sein ganzes Interesse galt dem Herbeischaffen von sonderbaren Kunstwerken. Nach seiner Leidenschaft befragt, tat er so, als wüßte er selbst nicht recht, warum sein ganzes Sinnen und Trachten darauf ausgerichtet war. Der Stützpunktkommandant erhob sich aus seinem Sessel und schaltete das Übertragungsgerät ab. Schwerfällig stapfte er zur Tür und schickte sich an, den mit Kostbarkeiten angefüllten Raum zu verlassen. Als er den behaarten Kopf drehte und sah, daß der Wehru keinerlei Anstalten machte, ihm zu folgen, wurde er ungehalten. »Bewege endlich deinen fetten Hintern, Quaph. Du gehörst auch zum Empfangskomitee!« »Das muß einem ja schließlich auch gesagt werden«, meinte der Wehrutibujarumine. »Und was das dicke Gesäß betrifft, muß ich dich korrigieren. So etwas besitze ich nicht.« »Nun komm schon. Oder soll ich dich, aus dem Haus prügeln?« Die Worte Imas’ ließen Quaph unbeeindruckt. Ohne sich von der Hektik des anderen anstecken zu lassen, watschelte er auf seinen vier Beinen gemächlich zu dem Durchlaß. Bücken mußte er sich nicht, um hindurchzukommen. Obwohl sein Hals ein Meter lang war, war er gut dreißig Zentimeter kleiner als Imas. »Euch muß die Evolution in Zeitlupe entwickelt haben«, stöhnte der Kommandant. »Leider hat das auf das Individuum abgefärbt.« »Nur die Art überlebt, die sich durchzusetzen vermag«, konterte sein Stellvertreter. »Auf jedem anderen Planeten wären deine Vorfahren eine Beute der Raubtiere geworden, du Schleicher.« »Irrtum, die gab es bei uns auch.« »Und was waren das für Biester?« »Riesenschnecken. Unsere schnellen Ahnen haben sie ausgerottet.« Der schlagfertige und wortgewandte Pirat schluckte. Eine solche Antwort verschlug selbst ihm die Sprache. Stumm schwang er sich hinter das Steuer des bereitstehenden Gleiters und wartete ergeben, bis der Nachfahre der »flinken« Jäger eingestiegen war. »Gibt es Forschungsergebnisse oder Erkenntnisse darüber, wieviel Kilometer die Riesenschnecken in einer Stunde zurücklegten?« »Selbstverständlich, doch von Kilometern kann nicht die Rede sein. Die schnellste Gattung, eine kleinere Unterart, brachte es immerhin auf siebenhundert Meter trotz eines Körpergewichts von einer halben Tonne.« »Es ist fast unglaublich, daß deine Vorfahren diesem Tempo gewachsen waren«, sagte Imas sarkastisch und startete. »Halte dich fest, wir brausen los.« »Nur zu, Geschwindigkeit war für mein Volk noch nie ein Thema.« *
Imas und Quaph kamen gerade rechtzeitig, um zu beobachten, wie die Fremden von Bord gingen. Sie stuften die drei sofort als Roboter ein, ohne zu ahnen, über welche Fähigkeiten das Pre-Lo verfügte. Furchtlos ging Imas den Kugelköpfen entgegen. »Ich kann mich nicht daran erinnern, daß wir euch eine Landeerlaubnis erteilt haben«, sagte er unfreundlich. »Darum habe ich auch nicht gebeten«, gab Traykon-Null hochmütig zurück. »Ich pflege meine Entscheidungen nicht vom Wohlwollen anderer abhängig zu machen.« »Wenn ich etwas nicht leiden kann, sind es überspannte Automaten. Wer seid ihr und was wollt ihr?« »Ich bin Pre-Lo Traykon, die beiden Traykons sind meine Helfer. Wie ist dein Name?« »Imas«, knurrte der Lasque. »Darf ich nun den Grund eures Hierseins erfahren?« »Wir suchen einen Mann namens Atlan.« »Nie gehört.« Die Mimik des Piraten ließ nicht erkennen, ob er log oder die Wahrheit sagte. »Ich habe aber sehr deutliche Hinweise darauf, daß Atlan sich auf Domain aufhält«, beharrte das Pre-Lo. »Dann sind deine Informationen falsch. Von einem Atlan weiß ich nichts, und es hat hier auch noch nie einen gegeben.« Imas’ kleine blauen Augen, zwischen Fettwülsten und dichter Gesichtsbehaarung fast verborgen, blinzelten vergnügt. »Pech für euch, ihr seid umsonst hergekommen. Hiermit erteile ich euch Startfreigabe.« »Ich habe nicht die Absicht, meinen Besuch auf dieser Welt schon zu beenden.« Die Stimme von Traykon-0 bekam einen herrischen Unterton. »Ich werde mich selbst davon überzeugen, daß der Gesuchte nicht auf diesem Planeten weilt.« »Die Erlaubnis dazu verweigere ich dir«, sagte der Kommandant barsch. »Niemand hält sich ohne meine Zustimmung auf Domain auf, schon gar nicht hergelaufene Roboter.« »Dein Einverständnis brauche ich nicht. Und mäßige dich in deinem Ton – du weißt nicht, mit wem du sprichst.« »Hör zu, Pre-Lo Traykon! Ich weiß nicht, in wessen Auftrag du unterwegs bist, es interessiert mich auch nicht, aber wenn ich dir einen guten Rat geben darf: Nimm deine Knechte und verschwinde auf der Stelle, sonst lasse ich euch festsetzen und zu Plastiken umarbeiten.« »Du kannst mir nicht drohen, und du kannst mich auch nicht daran hindern, das zu tun, was ich für richtig halte. Versuche also nicht, dich mir entgegenzustellen – es würde dir auch gar nichts nützen, im Gegenteil.« Nicht nur das selbstbewußte Auftreten des Silbernen warnte Imas vor offener Gewaltanwendung, sondern auch sein Tonfall. Er mußte wissen, daß die Händler über eine erdrückende Übermacht verfügten, und dennoch ließ er es auf eine Auseinandersetzung ankommen. Ein Automat war eine logisch orientierte Maschine, dessen Positronik sehr wohl in der Lage war, ein Risiko zu kalkulieren. Wenn Pre-Lo Traykon sich trotz der zahlenmäßig deutlichen Unterlegenheit eine Chance ausrechnete, in einem Kampf Sieger zu bleiben, mußte vier über besondere Machtmittel und Möglichkeiten verfügen. Der Kommandant blickte sich unauffällig um. Seine Leute waren nicht zu sehen, doch er war sicher, daß sie auf dem Posten waren. Sie waren allesamt bewaffnet, die Kugelköpfe vermutlich nicht.
Sollte er das Zeichen zum Angriff geben und es darauf ankommen lassen? War es wirklich so sicher, daß sie unterlagen? Auf der Seite der Händler würde es Opfer geben. Sie fielen dann für die Zukunft als Sammler und Beutebeschaffer aus. Das gab den Ausschlag. »Du kannst dich hier umsehen, ich fliege in die Stadt zurück.« »Das ist auch mein Ziel«, sagte Traykon-0 herablassend. »Im Schweber ist kein Platz mehr für euch.« »Wir sind nicht auf eure Hilfsmittel angewiesen.« Das Pre-Lo wandte sich an seine Begleiter. »Kommt mit!« Imas, der damit gerechnet hatte, daß die Kugelköpfe einen eigenen Gleiter benutzen würden, sah sich plötzlich in eine Sandwolke eingehüllt. Verdutzt starrte er den davonrennenden Silbernen nach, die mit unglaublicher Geschwindigkeit in Richtung Siedlung rasten. Kopfschüttelnd klopfte er sich den feinpudrigen Staub ab und spie den Sand aus, den er zwischen die Zähne bekommen hatte. Mit wenigen Schritten war er bei dem Flugkörper und ließ ihn aufsteigen. Hochgewirbeltes pulverisiertes Gestein zeigte an, wo sich die Traykons befanden. Mit traumwandlerischer Sicherheit folgten sie der sandbedeckten Piste durch die Wüste, die die Oase mit der Landefläche verband. »Warum hast du ihnen erlaubt, die Stadt zu betreten?« fragte Quaph. »Um ein Blutbad zu vermeiden.« »Ein Kampf wird sich nicht vermeiden lassen. Wir müssen sie vernichten, sie dürfen Domain nicht mehr verlassen. Keiner darf von den Schätzen erfahren.« »Das ist richtig, aber auf die Wahl der Mittel kommt es an. Die Auseinandersetzung muß so geführt werden, daß wir keine eigenen Verluste haben.« »Und wie willst du das anstellen?« »Mit List. Wir locken sie in einen Hinterhalt.« Imas grinste breit. »Sobald wir in der Stadt sind, wirst du in aller Heimlichkeit mit den Vorbereitungen beginnen, ich behalte unsere Freunde einstweilen im Auge.« »Was ist mit den. Wachen am Raumhafen?« »Die bleiben dort. Ich möchte vermeiden, daß die Fremden das Raumschiff oder darin befindliche Roboter zu Hilfe rufen.« »Warum zerstören wir es nicht? Das könnte zeitgleich mit dem Überfall auf die Traykons geschehen.« »Und so etwas will ein Händler sein.« Mißbilligend verzog Imas das Gesicht. »Du bist ein ausgewachsener Narr, Quaph. Das ist der erste Raumer, der ohne unser Zutun auf Domain gelandet ist, und ausgerechnet den sollen wir nicht nach Schätzen durchsuchen?« Der Pilzhut verfärbte sich schamviolett. »Oh!« machte der Wehrutibujarumine. * Die Ankunft der auffälligen Roboter verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Siedlung am Fuß der Berge und erweckte sie aus ihrem Dornröschenschlaf. Hier, auf Domain, in ihrem geheimen
Stützpunkt, hatten sich die Piraten immer sicher gefühlt, und nun waren auf einmal Fremde aufgetaucht – dazu noch Automaten. Keiner verstand, warum Imas nicht kurzen Prozeß mit ihnen machte, zumal sie so arrogant und herrisch auftraten, als wäre die Oase ihr Eigentum. Die Hütten unter den Palmen sahen alle gleich aus, ebengeschossige Häuser in Fertigbauweise, deren Dächer und Wände in der gleichen Farbe gehalten waren wie der überall und reichlich vorhandene Sand. Sie dienten nicht nur den unterschiedlichsten Lebensformen als Behausung, sondern waren auch Magazine, Vorratslager, Ersatzteildepots und Aufbewahrungsort für Schätze und Kunstwerke aller Art. Die Traykons nahmen sie sich systematisch vor, und immer wieder wurden die stereotypen Fragen gestellt: »Kennst du einen Mann namens Atlan? Hast du von ihm gehört? Was weißt du über ihn?« Das Ergebnis war mehr als mager. Keiner konnte oder wollte sich an den Namen erinnern, Hinweise auf den Arkoniden gab es ebensowenig wie Spuren, die darauf hindeuteten, daß der Gesuchte sich je auf dem Planeten aufgehalten hatte. Dennoch machte das Pre-Lo verbissen weiter. Daß ihm Unmut’ und sogar offene Feindseligkeit entgegenschlug, beeindruckte es überhaupt nicht. Was wiederum die Piraten nicht verstanden: Keiner der Kugelköpfe zeigte sonderliches Interesse für die hier angehäuften Kostbarkeiten, Traykon-Null reagierte völlig gleichgültig. Alle drei ignorierten auch, daß jeder Schritt von Dutzenden von Augen beobachtet wurde. »Ziemlich sinnlos, was ihr da tut«, meinte Imas, der sich unter die Menge gemischt hatte. »Das wird sich erweisen«, gab das Pre-Lo zur Antwort und wandte sich# dem nächsten Bungalow zu. Ein Insektenabkömmling mit lackschwarzem Chitinpanzer und perlmuttfarben schimmernden Facettenaugen saß davor und polierte scheinbar weltvergessen und mit Hingabe einen fünfarmigen Leuchter aus massivem Gold. Demonstrativ hatte er sich so placiert, daß sein Körper den Eingang versperrte. »Mach Platz!« herrschte Traykon-0 das zartgliedrige Geschöpf an. Einige hundert Piraten hatten sich zusammengerottet. Sie folgten den Kugelköpfen und warteten nun darauf, was sich tat. Zwar hatte der Kommandant es untersagt, den Robotern mit Waffengewalt zu begegnen, doch passiven Widerstand hatte er nicht ausdrücklich verboten. Das hatte seinen guten Grund: Allzu willfährig sollten sich die Händler nicht geben, nachdem anfangs dieser Affront geschehen war. So, wie sich die Männer jetzt verhielten, wurde am wenigsten das Mißtrauen der Traykons geweckt. »Ich bin ein freier Händler und keinem Roboter Gehorsam schuldig«, zirpte der Pirat und machte keinerlei Anstalten, aufzustehen. Schon war Traykon-1 neben ihm, packte den Insektenabkömmling wie eine Puppe und hob ihn zur Seite, ohne auf das Protestgeschrei zu achten. Zusammen mit Traykon-6 alias Schwiegermutter verschwand das Pre-Lo in der Unterkunft. Sie entpuppte sich als Schatzkammer. In Regalen und Kisten lagerten fremdartige Kultgegenstände, Amulette, Pokale, Schalen, Leuchter, sakrale Objekte, Zierat, Skulpturen und was der Dinge mehr waren. Es blitzte und blinkte in dem Haus, als wären überall Spiegel aufgehängt, die das durch die Fenster einfallende Sonnenlicht reflektierten. Silber war noch das gewöhnlichste Edelmetall, Gold und Platin überwogen. Diamanten versprühten ihr kaltes Feuer, Rubine und Smaragde verzierten die angehäuften Schätze gleich im Dutzend. Da es nichts gab, was sich als Versteck eignete, verzichtete das Pre-Lo auf eine Durchsuchung und nahm sich das nächste Gebäude vor. Es war die Behausung von Quaph. Imas, der zugegen sein wollte, wenn die Traykons das Haus seines Stellvertreters unter die Lupe nahmen, drängte sich nach vorn. »Nun laßt mich doch mal durch, ihr schlappen Säcke.«
Bereitwillig wichen seine Leute zur Seite, doch ihm ging das nicht schnell genug. Mit ein paar derben Ellbogenstößen verschaffte er sich Luft und durchpflügte die Menge regelrecht. Inmitten der aneinandergedrängten Körper entstand eine Schneise, die sich sofort wieder schloß. Abermals blieb einer der Kugelköpfe als Wache vor dem Haus stehen. Die Befürchtung Imas’, daß er ihm den Zutritt verwehren würde, erwies sich als unbegründet. Die Silbernen waren schon dabei, die Wohnung zu inspizieren. Sah man einmal von den vielen Wertgegenständen ab, war die Einrichtung eher gewöhnlich. Ein paar Möbel,’ auf die Bedürfnisse des Wehru zugeschnitten, Schränke, ein einfaches Lager. Hervorstechende technische Geräte gab es nicht – Bildschirm mit Aufzeichnungsanlage, Kassetten-Recorder, eine Kleinpositronik und einige elektrisch betriebene Dinge, auf deren Komfort ein zivilisiertes Lebewesen nicht verzichten konnte. Die drei Zimmer und die Hygieneeinheit waren schnell kontrolliert – ohne Ergebnis. »Warum bist du uns gefolgt?« fragte Traykon-Null. »Ist dies ein besonderes Haus?« »Nein, nein«, versicherte Imas, »ich wollte euch nur mal zusehen. Ich hatte noch nie Gelegenheit, Robotern bei einer so absurden Tätigkeit zuzusehen. Ebensogut könntet ihr auch den Wüstensand sieben.« »Was weißt du schon von meinem Auftrag, du Nichts?« Das Pre-Lo machte eine abfällige Handbewegung. »Dem Mobiliar nach zu schließen, wohnt hier dein langhalsiger Begleiter.« »Sehr treffend beobachtet und kombiniert.« Am liebsten hätte der Stützpunktkommandeur dem aufgeblasenen Automaten Prügel angeboten, doch er beherrschte sich. Noch war die Stunde der Rache nicht gekommen. »Wo ist dein Freund jetzt?« Auf diese Frage hatte Imas gewartet. »In der Felsengrotte. Dort befinden sich die Generatoren zur Stromerzeugung. Aus Gründen der Geheimhaltung ist Fremden der Zutritt nicht gestattet.« Das war nicht einmal gelogen, auch wenn der letzte Satz nur ein Köder war. Es existierten drei Gewölbe, eins mit abgewrackten technischen Anlagen darin. Diese Höhle, die wie die anderen auch durch ein Schott mit aufgebrachter Gesteinsstruktur verschlossen werden konnte, hatte Imas als Hinterhalt präparieren lassen. Unter Führung von Quaph lagen dort dreißig Piraten auf der Lauer, die besonders erfahren und zuverlässig waren. Sie sollten auf einer umlaufenden Galerie Posten beziehen. Geschützt durch natürliche Felswälle konnten sie gefahrlos das Feuer auf die Traykons eröffnen, die – wenn sie in das Gewölbe eindrangen – in der Falle saßen, weil das Tor nur mit einem Kodegeber zu entriegeln war. »Dein Verbot kümmert uns nicht«, schnarrte das Pre-Lo. »Wir werden uns dort umsehen, wenn wir die Siedlung durchkämmt haben.« »Ihr dürft nicht in die Grotte«, rief der korpulente Hüne. »Nur ein paar ausgesuchte Techniker und Ingenieure kennen sich dort aus. Jede Beschädigung kann irreparabel sein, weil es uns an Ersatzteilen fehlt, und die Generatoren sind unsere einzige Energiequelle. Die Anlage ist euch fremd, es kann zu Ausfällen und Zerstörungen führen, wenn ihr eine Unachtsamkeit begeht.« »Deine Bedenken sind albern«, wies Traykon-0 Imas zurecht. »Die Traykons und ich haben einen anderen Maßstab. Das, was hier der Standard ist und was ihr Technik nennt, ist archaisch. Meine Helfer setzen das instand, ohne Werkzeuge und Justiereinrichtungen zu benötigen.« Der Silberne schob den massigen Lasquen einfach beiseite wie einen lästigen Quälgeist. »Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig und keine Erklärungen. Betrachte meine Mitteilung als Information, die jedes weitere Wort überflüssig macht. Entscheidungen, die ich treffe, sind unumstößlich. Wir werden die Felsengrotte durchsuchen.« »Aber warum? Niemand kennt diesen Atlan. Er war nie auf Domain und wird vermutlich hier auch
nicht auftauchen.« »Die Schlußfolgerungen kannst du getrost mir überlassen.« »Eben nicht. Ihr vergeudet auch unsere Zeit«, schrie Imas den davonstürmenden Kugelköpfen nach. Sie reagierten nicht. Zufrieden zog der Kommandant ein winziges Funkgerät aus der Tasche und nahm es in Betrieb. »Meldung von Pflücker an Landwirt: Die Ernte kann in Kürze eingebracht werden.« Imas schaltete ab. Sein Stellvertreter wußte nun, daß alles nach Plan verlief und die Traykons keinen Verdacht geschöpft hatten. Blind und unwissend würden sie in die Falle tappen, die die Händler aufgebaut hatten – unbemerkt von dem Pre-Lo. Als der Kommandant das Haus verließ, gab er sich zerknirscht, aber innerlich triumphierte er. In Kürze würden die arroganten Roboter nicht mehr existieren. Gutgelaunt stapfte er davon, ohne die Kugelköpfe zu beachten. Hätte er es getan, wäre ihm vermutlich auch nicht aufgefallen, daß Traykon-6, der sich selbst als Fragmentmutter bezeichnete, fast apathisch hinter dem Pre-Lo hertrottete. Wieder einmal erlebte Schwiegermutter Ereignisse aus der Vergangenheit des Torsos… * ERINNERUNG Es herrschte ewige Nacht, es war eisig kalt, und ein ungeheurer Druck lastete auf dem Automaten, der seit Tagen in mehreren tausend Metern Tiefe auf dem Grund des Ozeans lag, eingeklemmt und hilflos. Er war noch intakt, sein Körper funktionierte noch, doch selbst eine Gesamtleistung von gut zweihundert Kilowatt reichte nicht aus, um freizukommen. Und dabei hatte alles ganz harmlos begonnen… Als exotisches Mitbringsel einer Archäologengruppe war das Fragment auf den Planeten Chumo gekommen. Die wundersame Maschine war durchleuchtet und analysiert worden, ohne daß ihre wirkliche Funktion erkannt wurde. Spezialisten identifizierten das positronische Paket als einen elektronischen Baustein, der Teil einer Großrechenanlage gewesen sein mußte. Völlig schieflagen sie damit nicht, doch der Wahrheit kamen sie auch nur bedingt nahe. Da drei namhafte Gutachter zum gleichen Ergebnis kamen, wurde der Torso von progressiven Altertumsforschern und Völkerkundlern als Fakt dafür vereinnahmt, daß die untergegangene Rasse sehr wohl so hochstehend war, daß sie Computer kannte. Die Grabungen hatten bisher eher das Gegenteil ergeben, aber selbst Skeptiker kamen nicht umhin, das Fragment als Fakt anzuerkennen. Das alterungs- und witterungsbeständige Material ließ im Gegensatz zu organischen Stoffen kaum Rückschlüsse auf das Jahr der Entstehung zu. Es widersprach der Bestimmung des Torsos, als Schauobjekt in Museen zu dienen oder als Ausstellungsstück herumgereicht zu werden, und so war er auf einmal verschwunden. Niemand konnte sich den dreisten Diebstahl trotz aller Sicherheitsvorkehrungen erklären, Sonderkommissionen wurden gebildet, um der anonymen Täter habhaft zu werden. Einschlägig bekannte Kunden der Polizei wurden verhaftet, aber das kostbare Stück tauchte nicht mehr auf. Die Chumos waren ein lebenslustiges Volk, sinnenfroh und den irdischen Genüssen zugetan. Wer wollte, fand täglich einen Grund zum Feiern, und wo die Natur den leiblichen Genüssen Einhalt gebot, sorgten Farmen und Züchter für das Angebot in diesem Garten Eden. Geregelter Tätigkeit waren die Planetarier nicht direkt abhold, doch sie beschränkten sich bei ihrem Broterwerb auf ein Minimum an Arbeit. Das spiegelte sich auch in ihren Produkten wider. Freizeit
war oberstes Gebot, Vergnügen ein Dogma. Industrieroboter stellten her, was gebraucht wurde, Haushaltsroboter sorgten für Bequemlichkeit und das leibliche Wohl, vollautomatische Fabriken stellten Lebensmittel her, Vieh und Felder wurden von Maschinen betreut, geschlachtet, abgeerntet und verarbeitet. Auch die Wissenschaftler waren Teil des Systems. Möglicherweise waren sie ein wenig motivierter als die Masse, aber auch sie vergruben sich nicht in einem Elfenbeinturm. Wie alle frönten sie der Unterhaltung, suchten Ablenkung von ihrer Tätigkeit und hatten Sinn und Zeit für das, was das Leben erst lebenswert machte. Die Raumfahrt – Prestigeobjekt ehrgeiziger Politiker – war den Kinderschuhen entwachsen. Man war in der Lage, nahe Sonnensysteme zu erreichen, aber nur wenige waren bereit und zugleich dazu geeignet, die Strapazen eines solchen Fluges auf sich zu nehmen. Die logische Folge war die Entwicklung von Robotern, die in der Lage waren, eigenständig zu handeln, das vorgegebene Programm zu erfüllen und zumindest so zu agieren, wie es ein Astronaut in der gleichen Situation tun würde. Das Fragment, das keine Zukunft darin sah, als Rasenmäher zu enden, der nebenbei Drinks servierte und saubermachte, sich aber auch mit dem Job einer Steuereinheit für Produktionsstraßen nicht anfreunden konnte, strebte nach mehr. Brauchbar mußte der Körper sein, brauchbar im Sinne des Programms – und robotisch dazu. Das war nicht ganz einfach. Fast alles, was sich in dieser Hinsicht auf dem Planeten tummelte, erfüllte die Voraussetzungen nicht. Es waren Automaten, aber sie waren so schlicht und zweckgebunden, daß der Torso sie nicht übernehmen wollte. Das positronische Unvermögen konnte er egalisieren, den mangelhaften Körper nicht. Und das war ein Punkt, der ausschlaggebend war. Nicht die eigentliche Hülle war maßgebend, sondern die Möglichkeiten, die sie bot, um zum Erfolg zu kommen. Auf abenteuerlichem Weg, über Verstecke und Umwege, gelangte das Fragment auf das Versuchsgelände. Unentdeckt konnte es sich eines Roboters bemächtigen, der – der Versuchsphase entwachsen – dazu ausersehen war, probehalber ein unbemanntes Raumschiff zu führen. Der Start war perfekt, und der Torso glaubte schon, Chumo entronnen zu sein, als er einen Fehler im Antriebssystem entdeckte. Der Defekt war weder konstruktionsbedingt noch im Material begründet, sondern herbeigeführt worden, und zwar ganz bewußt. Nur jemand aus dem Kreis der Techniker und Ingenieure konnte den Sabotageakt begangen haben. Das positronische Paket, das ohnehin lieber seinen eigenen Fähigkeiten vertraute als den Chips und Mikroprozessoren der Chumos, steuerte nicht nur den Automaten, sondern auch den nach seinen Begriffen vorsintflutlichen Raumer. Obwohl es sofort alle seine Möglichkeiten einsetzte, blieb viel zu wenig Zeit, um den Schaden mit Bordmitteln zu beheben. Das Schiff verließ die vorgesehen Flugbahn und stürzte ab. Da es weder ein Beiboot noch entsprechende Rettungseinheiten gab, war das Fragment zur Tatenlosigkeit verurteilt. Nein, nicht ganz. Durch Einsatz der schwachen Hilfstriebwerke für Lagekorrekturen gelang es ihm, die abwärtsführende Parabel so zu verändern, daß sie flacher wurde und aufs Meer hinausführte, aber steuern oder abbremsen ließ sich der Raumer nicht mehr. Hilflos mußte es mitansehen, wie der Flugkörper auf die Wasserwüste zuraste. Und dann berührte er die Meeresoberfläche. Die Nase tauchte ein, der schlanke Körper traf im spitzen Winkel auf. Es waren ein paar Grad zuviel, um das nasse Medium einfach zu zerteilen wie ein Turmspringer. Abrupt wurde der freie Fall gestoppt. Der Aufprall war so heftig, daß der eingeklinkte Roboter mitsamt der Halterung aus der Verankerung gerissen und gegen einen Terminal geschleudert wurde, der zu Bruch ging. Splitter der demolierten Abdeckung sausten umher und ruinierten anderes Gerät, größere Fetzen Hartkunststoff hatten die Wirkung von Geschossen.
Eine Kontrolleinrichtung wurde regelrecht durchsiebt, knallend zerplatzten Instrumente, Signallämpchen erloschen und hauchten reihenweise ihr künstliches Leben aus. Mit Getöse implodierte ein Bildschirm, dessen Überreste umherschwirrten und weitere Zerstörungen anrichteten. Abgerissene Hebel flogen durch die Luft, Schalteinheiten wurden zertrümmert, Monitoren zerplatzten, Überwachungsgeräte gaben gleich reihenweise ihren Geist auf. Die Außenkameras funktionierten nicht mehr, andere Einrichtungen stellten ihren Dienst ganz oder teilweise ein. Die Energieversorgung war unterbrochen, das Licht erloschen. Ein paar wenige Skalen, die noch intakt waren, dokumentierten das Chaos mit abnormen Werten. Das schwache Leuchten der Anzeigen, deren System von Akkus versorgt wurde, tauchte die Zentrale in eine diffuse Dämmerung, Kurzschlüsse erzeugten fahle Blitze, doch es brach kein Feuer aus. Da Roboter keinen Sauerstoff benötigten, war das Schiff mit einem nicht brennbaren Gas genutet worden. Dennoch war die Lage mehr als prekär. Überall knackte, krachte und rumorte es, übertönt vom Wimmern der Sirenen. Und dann brach das Verhängnis über das Schiff und seinen einzigen Insassen herein. Für solch extreme Belastungen war der Flugkörper nicht gebaut worden. Durch die Wucht des Aufpralls wurden Wände zusammengepreßt, Träger deformiert, Verkleidungen lösten sich, Kabel rissen. Selbst die besonders gesicherte und verwindungssteife Überlebenszelle war davon betroffen. Die arg lädierte Außenhaut vermochte dem Druck der Wassermassen nicht mehr standzuhalten, der Raumer zerbrach in mehrere Teile. Der Torso hörte mit den synthetischen Sinnesorganen des Automaten das Gurgeln der Fluten, die mit Urgewalt am Schott und den Verbindungsstellen der Kapsel zerrten. Im spärlichen Licht der autarken Instrumente, die über eigene Energieblöcke versorgt wurden, sah er, daß sich neben einer Verstrebung eine Delle bildete, die rasch größer wurde. Schon hatte die Vertiefung das Format einer Männerfaust. Das Fragment, dessen Trägerkörper unter Trümmern begraben lag, wußte, was kommen würde, konnte aber gegen das drohende Unheil nichts tun. Verzweifelt stachelte es den Bewegungsapparat zu noch größeren Anstrengungen an. Die Beine schüttelten zentnerschwere Lasten ab, die Arme schaufelten beiseite, was möglich war, doch der Einsatz war vergeblich. Das Metall beulte sich weiter ein, dann war die Grenze der Elastizität erreicht. Haarrisse bildeten sich, Sprünge, durch die Wasser eindrang. Bevor sich der Roboter endgültig befreien konnte, platzte die Wand auf. Wie eine Springflut ergoß sich das eisige Naß in die Zentrale und riß alles mit sich, was nicht niet- und nagelfest war. Auch an einer anderen Stelle war ein Leck entstanden. Einem Dammbruch nicht unähnlich, schwappten die Wassermassen herein, Strudel bildeten sich. Sie zerrten an dem Robotkommandanten, defekte Geräte und deren Überreste prallten gegen ihn und wurden herumgewirbelt wie er selbst. Im Nu war der Raum überflutet, schlagartig wurde es stockfinster. Das Element, das keine Balken hatte, hatte auch den Anlagen den Garaus gemacht, die für den Notfall mit Batterien bestückt waren. Die Dunkelheit war total. Und als wenn ein nasses Grab nicht ausreichen würde, zeigte sich der Ozean nicht nur als Moloch, der alles verschlang, sondern auch noch als Titan, der vernichtete und zerstörte. Noch bevor die Überlebenseinheit den Meeresgrund erreichte, war sie Schrott, und der Roboter saß hilflos in der Falle, eingeklemmt in dem Wrack. Aus eigener Kraft konnte er sich nicht retten, einen Notsender besaß er nicht. Zweifellos hatte das Kontrollzentrum den Absturz ebenso mitbekommen wie den Untergang des Raumschiffs, aber würden die Chumos eine Suchaktion starten, um herauszufinden, welcher Fehler das Schiff aus der Bahn gebracht hatte? Interessierten sie sich für die Reste oder dafür, was aus dem Roboter geworden war, starteten sie eine Bergungsaktion? Jedes Volk würde wohl kaum zögern,
dem nachzugehen, was für den teuren Fehlschlag verantwortlich war, bei der Mentalität der Planetarier hatte das Fragment berechtigte Zweifel daran. Und sie schienen sich zu bestätigen. Seit Tagen ruhte der Torso in der fremden Hülle auf dem Boden des Ozeans, und die einzigen Kontakte, die er hatte, waren Besuche von Fischen und grotesk anmutenden Tiefseebewohnern. Des Wartens müde, machte sich das positronische Paket bereits mit dem Gedanken vertraut, seinen Trägerkörper zu verlassen und notfalls in die Hülle eines primitiven Automaten zu schlüpfen, als sich doch etwas tat. Ein Spezialschiff bezog Position, ein Tauchboot sank nach unten. Ausgestattet mit Greifern und anderen Bergungseinrichtungen, wurden nicht nur Trümmer geborgen und nach oben befördert, sondern auch das, was von der Zentrale noch übriggeblieben war. So gelangte der Roboter, der in Wahrheit von dem positronischen Paket gesteuert wurde, wieder ans Tageslicht. Hilfreiche Hände befreiten ihn aus seiner mißlichen Lage, seine Unversehrtheit wurde trotz des negativen Ausgangs wie ein Erfolg gefeiert. Bis zum nächsten Start dauerte es fast ein Jahr, das angefüllt war mit unzähligen Tests, Kontrollen und Überprüfungen. Dann war es endlich soweit: Das Raumschiff hob ab, wieder mit dem Fragment als Roboter an Bord. Diesmal ging alles glatt, und der Torso verließ das Sonnensystem, in dem die Chumos lebten. Eine lange, einsame Reise begann… * Die Durchsuchung der Häuser war abgeschlossen, von Atlan war nicht die geringste Spur gefunden worden. Wie in Trance hatte Fragmentmutter seine Aufgabe erfüllt, mechanisch hatte er die Türen von Unterkünften und Wandschränken geöffnet, war von Hütte zu Hütte getrottet. Anders als sonst hatte er keine rechte Erinnerung an das, was er getan hatte, der Ablauf war nur unvollkommen gespeichert. Daß das Pre-Lo und Traykon-1 nichts bemerkt hatten, war wohl nur dem Umstand zu verdanken, daß die Arbeit so stupide war, daß ein paar Module zur Erfüllung des Auftrags ausreichten. Fragmentmutter verwünschte die positronischen Psychosen. Diese Rückblenden machten ihn fast handlungsunfähig. Irgendwann würden sie ihm das Genick brechen, wenn das Pre-Lo oder der andere Kugelkopf aufmerksam wurde, aber er konnte sich nicht dagegen wehren. Die Geschichte des Torsos war zu einem Teil seiner eigenen Vergangenheit geworden. »Wir nehmen uns jetzt die Felsengrotte vor«, sagte Pre-Lo Traykon zu seinen Helfern. »Soll ich diesen Imas herbeischaffen?« erkundigte sich Traykon-1. »Er kann uns führen.« »Wir sind auf die Unterstützung dieser Kreaturen nicht angewiesen«, brauste das Pre-Lo auf. »Entschuldige.« Der Silberne wirkte zerknirscht. »Es lag mir fern, deine Fähigkeiten in Zweifel zu ziehen. Ich dachte nur, es wäre sinnvoll, einen ortskundigen Begleiter dabei zu haben, um durch eine mögliche Suche nach dieser Höhle keine Zeit zu verlieren.« »Du überschätzt dich und unterschätzt mich«, grollte der Anführer der Kugelköpfe. »Überlasse die Entscheidungen gefälligst mir, schließlich kenne ich meine Möglichkeiten. Ihr beide seid nur dazu da, um meine Befehle auszuführen.« »Verstanden«, schnarrte Traykon-1, und Traykon-6 rief zackig: »Jawohl!« Es bereitete Fragmentmutter ein inneres Vergnügen, daß der Helfer des Erleuchteten vom Pre-Lo gerügt worden war – ausgerechnet der Kugelkopf, der loyal zu seinem Herrn stand. Vielleicht
konnte ihm dieser Schnitzer in Zukunft noch von Nutzen sein. Das Interesse der Piraten an den Aktivitäten der Roboter verlor sich allmählich, doch noch immer folgte ihnen ein harter Kern. Feixend, mit hämischen Gesichtern und eindeutigen Gesten kommentierten sie den bisherigen Mißerfolg der fremden Automaten und machten sich lauthals darüber lustig. Unbeeindruckt davon marschierte das Pre-Lo los, flankiert von den Silbernen. Nur noch eine kleine Schar aus dem Vielvölkergemisch folgte den dreien. Die meisten mußten irgendwelche Tätigkeiten erledigen, ein paar wenigen war der Marsch bei der Hitze zu mühsam, zumal er ohnehin kein anderes Ergebnis brachte als in der Siedlung. Einige schon krankhaft Neugierige, die immer noch auf ein aufregendes Erlebnis oder gar eine Sensation hofften, machten sich mit den Automaten auf den Weg, der Rest waren Eingeweihte, die von dem Hinterhalt wußten. Sie zählten etwa fünfzig Köpfe und waren ausnahmslos bewaffnet, trugen ihre Strahler allerdings nicht offen. Unter der Glut der sengenden Sonne bewegte sich die merkwürdige Prozession auf die Ausläufer der nahen Berge zu. Das Pre-Lo, völlig von sich und seinen Fähigkeiten überzeugt, ahnte nichts von der Falle, die Quaph aufgebaut hatte. Imas, der den Plan ausgeheckt hatte, wollte es sich nicht entgehen lassen, dabeizusein, wenn es den anmaßenden Automaten an den Kragen ging. Um nicht aufzufallen, hatte er kurzerhand Aelo abkommandiert. In der Bauchtasche des elefantengroßen Beutlers verborgen und mit angemessenem Abstand, ließ er sich dorthin transportieren, wo die Automaten ihr Ende finden sollten.
4. Damit sich die Fremden nicht in eine andere Höhle verirrten, hatte Quaph die getarnten Schottflügel so weit geöffnet, daß die Roboter hindurchpaßten. Ohne suchen zu müssen, fanden die Silbernen die bewußte Grotte auf Anhieb. Im Vertrauen auf seine Fähigkeiten drang das Pre-Lo an der Spitze seiner Vasallen in den Felsendom ein. Die aus dem Berg herausgebrochene Halle war oval, zwanzig Meter tief und mehr als halb so breit. Der Boden war mit einer Kunststoffmasse ausgegossen worden, die gewölbte, im Scheitelpunkt sechs Meter hohe Deckenkuppel und die Wände waren unverkleidet. In halber Höhe umlief eine Galerie mit Natursteinbrüstung das Rund. Unsichtbar für die Traykons hockten dahinter die Piraten. Unterhalb der Galerie umlief ein Band aus Leuchtstoffröhren die Höhle. Da ihr Schein nach unten gelenkt wurde, lag das obere Drittel ziemlich im Dunkeln, dagegen war die untere Hälfte der Grotte taghell beleuchtet. Es war ein angenehmes, der Sonne nachempfundenes Licht. Der vordere Teil der Halle diente als Aufbewahrungsort für verschiedene Schätze, darunter auch Büsten, Plastiken und Skulpturen, die offensichtlich besonders wertvoll waren. Der Großteil der Fläche wurde von Maschinenkolossen eingenommen, die in trostlosem Grau gehalten waren. Einige hatten die Ausmaße eines Zimmers, andere nahmen sich gegen die Giganten direkt zierlich aus – Generatoren, Speicherbänke, Umformer. Eins waren allen gemein: Sie wirkten heruntergekommen, und sie waren allesamt außer Betrieb. Auch die riesige Schalttafel mit dem darunterliegenden Steuerpult war energetisch tot. »Das ist eine Falle«, sagte das Pre-Lo emotionslos. Als wäre damit ein Stichwort gefallen, schlossen sich die Torhälften. Ein Energiegewitter, abgestrahlt von dreißig Hochleistungswaffen, ging auf die Kugelköpfe hernieder, blieb jedoch ohne Wirkung. Blitzschnell hatten sich die Traykons in ihre Schirmfelder gehüllt, als ihr Anführer die Warnung aussprach. Er selbst bewegte sich im Schutz einer auffällig rosa gefärbten Abwehrhülle so gemessen durch die Anlage, als ginge ihn der Angriff nichts an. In Wahrheit war das Pre-Lo sehr wohl aktiv. Es feuerte seine heimtückischen Körperpfeile auf die bunt zusammengewürfelte Schar der Piraten ab, die gezwungen waren, sich zu zeigen, wenn sie einen Treffer anbringen wollten. Traykon-1 rannte auf den Aufgang zur Galerie zu. Sofort änderten die auf Domain lebenden Händler ihre Taktik. Hatten sie bisher versucht, alle drei Kugelköpfe gleichzeitig auszuschalten, so konzentrierten sie sich nun auf den heranstürmenden Kugelkopf, von dem im Augenblick – so sah es für sie aus – die größte Gefahr ausging. Scharf gebündelte, ultrahelle Strahlenbahnen schlugen im Schutzschirm des Silbernen ein, fauchend entluden sich die Waffen in pausenlosem Rhythmus. Eingehüllt in eine gleißende Lohe, raste der Roboter weiter, ohne das Bombardement zu beachten. Sein Körperschirm verfärbte sich an jenen Stellen, wo die Energiebündel konzentriert auftrafen. Farbige Schlieren durchzogen die Hülle, transparente Felder flackerten, es sah aus, als umtanzten Elmsfeuer den Kugelkopf, der sich die ersten Stufen hinaufschnellte. Die Piraten verstärkten ihre Anstrengungen. In immer schnellerer Reihenfolge prasselten die vernichtenden Blitze der Strahler auf Traykon-1 hernieder, eine Wand aus Gluthitze und entfesselten Gewalten schob sich auf den Silbernen zu. Sein Schutzschirm zeigte immer deutlicher, daß er überlastet war, immer schneller wechselten die Farben. Schon blähte er sich auf, die Struktur veränderte sich. Und dann brach er zusammen. Der ballonförmige Kopf glühte auf, der Helfer des Pre-Los verging in einer donnernden Explosion. Jaulend fegten die Trümmer durch die Luft, prallten gegen Wände und Maschinen und sausten als Querschläger davon. Bruchstücke und abgesprengte Gesteinssplitter zickzackten durch das
Gewölbe, übelriechender Rauch breitete sich aus. Dort, wo sich Traykon-1 eben noch befunden hatte, bildete sich eine Pfütze aus verflüssigtem Fels, ein Teil der Brüstung war weggesprengt worden. Faustgroße Brocken wurden weggeschleudert und herumgewirbelt. Sie knallten gegen Verkleidungen und deformierten sie, Aufbauten wurden weggefetzt, die Schalttafel zersprang. Ein Stein knallte in das Sammelsurium der angehäuften Schätze und riß einen regelrechten Krater in einen Berg von Kunstgegenständen. Zahlreiche Objekte flogen bei dem Aufprall in alle Richtungen davon. Der Erfolg gab den Piraten Auftrieb. Unter Beibehaltung ihrer Taktik nahmen sie Fragmentmutter aufs Korn, der dadurch in höchste Gefahr geriet, das gleiche Schicksal wie Traykon-1 zu erleiden. Der Roboter befand sich in einem Gewissenskonflikt. Ihm lag nichts daran, den Händlern Schaden zuzufügen – ganz im Gegenteil – doch er konnte auch nicht einfach untätig bleiben, ohne sich verdächtig zu machen. Traykon-0 war höherrangig, es war seine Pflicht, das Pre-Lo zu beschützen, auch wenn es allein in der Lage war, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Schwiegermutters Positronik hielt es für das klügste, in Deckung zu gehen und nicht als wandelnde Zielscheibe herumzulaufen, in den Speichern des Traykon-Rechners war auch die Selbstaufgabe verankert, wenn es erforderlich war. Und das war es. Das Pre-Lo war ein Diener des Herrn, ihm durfte nichts geschehen. Die körpereigenen Sensoren übermittelten, daß es allmählich brenzlig wurde, weil das Defensivsystem kritische Werte zeigte. Er mußte handeln, und er wußte auch, wie. Durch hektische Betriebsamkeit konnte er Aktivitäten vortäuschen, die kaschierten, daß er in Wahrheit nichts tat. Angesichts des Überfalls und der Vernichtung von Traykon-1 war eine gewisse Kopflosigkeit erklärlich und nicht so auffällig wie tatenloses Herumstehen oder der Sprung in eine sichere Deckung. Fragmentmutter rannte los, begleitet vom Johlen der Piraten und verfolgt von den Energiebündeln ihrer Strahler. Sogleich wurde die Trefferzahl geringer, die Belastung des Schirmfelds ging in den Gelbbereich zurück. An zwei Aggregaten vorbei wieselte er durch eine Ansammlung von Blöcken durch das Gewölbe zu Traykon-Null und tanzte wie ein Irrwisch um ihn herum, spurtete auf die Galerie zu und sauste dann in eine andere Richtung. Alles spielte sich mit rasender Geschwindigkeit ab, die Ereignisse überschlugen sich. Seit die Händler das Feuer eröffnet hatten, waren drei, vier Minuten vergangen, und längst hatten die Körperpfeile des Pre-Los ihr Ziel gefunden. Sofort wurden die Getroffenen konditioniert und handelten im Sinn des Stammes. Sie wandten sich gegen die, die eben noch Freunde und Verbündete waren und nahmen sie unter Beschuß. Nur noch vereinzelt wurden Traykon-Null und Traykon-6 von einem Energiestrahl gestreift oder gar getroffen. Der Kampf hatte sich völlig auf die Galerie verlagert. Verbissen wehrten sich die wenigen Unbeeinflußten gegen ihre Artgenossen, die plötzlich den Verstand verloren haben mußten. Mit Grimm beobachtete Fragmentmutter das sinnlose Feuergefecht in der Höhe. Die Auseinandersetzung wurde mit unerbittlicher Härte geführt, rücksichtslos gingen die Vasallen des Pre-Los vor. Schreie Verwundeter hallten durch die Grotte. Und dann war auf einmal alles vorbei. Das Fauchen der Strahler verstummte, niemand schrie mehr vor Schmerz, kein Querschläger sauste mehr durch den Felsendom. Nur die angerichteten Schäden und Verwüstungen, sowie träge Rauchschwaden zeugten noch von dem Kampf, der auch zwei Tote gefordert hatte. Es gab nicht mehr Freund und Feind, alle waren ein Teil geworden, ein Teil des Stammes Pre-Lo. In der entstandenen Stille wirkte das Klappern der weggeworfenen Waffen auf dem Steinboden des Umlaufs unnatürlich laut. Der rosafarbene Schirm von Traykon-0 war erloschen, und auch der Roboter desaktivierte sein Körperfeld. Die Piraten auf der Galerie lehnten an der Brüstung, sie wirkten zufrieden, fast glücklich, sogar die Verletzten, die böse Wunden davongetragen hatten.
Im Bewußtsein seiner eigenen Stärke und Unangreifbarkeit stolzierte das Pre-Lo zum Ausgang, Fragmentmutter folgte. Fast wäre er über einen Gegenstand gestolpert, der direkt vor seinen Füßen lag. Es handelte sich um ein halbmondförmiges Amulett aus reinem Platin. Da es ihm gefiel, hob er es auf und nahm es an sich, ohne sich etwas dabei zu denken. Wie auf ein geheimes Kommando hin öffneten sich die Schottflügel. Es war Quaph, der den Kodegeber betätigte, weil er nicht anders konnte, weil er eine Kreatur vom Pre-Lo war, ein Stück von ihm. Heiße Luft drang durch den sich verbreiternden Spalt in das kühle Gewölbe, in dem der Helfer des Erleuchteten wieder einmal eine Schlacht für sich entschieden hatte. Daß dabei ein Traykon auf der Strecke geblieben war, ließ ihn kalt. Er wäre auch dann Sieger geblieben, wenn er auf sich allein gestellt gewesen wäre. Die Traykons waren zwar brauchbar, aber sie besaßen keine besonderen Fähigkeiten. Weitaus mehr als der Verlust des Automaten schmerzte Traykon-Null sein bisher vergebliches Bemühen, eine verwertbare Spur von Atlan zu finden. War es möglich, daß Schwiegermutter ihn auf eine falsche Fährte gelockt hatte? Das war kaum denkbar, denn die Koordinaten hatten gestimmt. Das allein war noch kein Indiz für die Richtigkeit, aber dann fand sich auch noch ein Wahrscheinlichkeitswert von 89,7 Prozent in den Speichern, dem Gesuchten hier zu begegnen. Und das war ein Fakt, der unwiderlegbar war, selbst wenn Schwiegermutters Rechner von minderer Qualität war. Eine mögliche Fehlerquote bei einem Vergleich positronischer Systeme untereinander bewegte sich in der Regel weit hinter dem Komma im Promillebereich. Schwiegermutter hatte allerdings keinen Zeitpunkt genannt, ein Hinweis auf ein konkretes Datum war auch in den Dateien nicht gefunden worden, sonst hätte ihn Traykon-6 darüber informiert. War das der springende Punkt? War er zu früh auf Domain gelandet? Von den Robotern wußte er, daß Schwiegermutter kein eigenes Raumschiff besaß und mit einem schrottreifen Frachter zum Planeten Vorsig gelangt war, wo ihn die Traykons in ihre Gewalt gebracht hatten. Wenn Schwiegermutter sich als Sternentramp verstand und nur per Anhalter im Raum unterwegs war, dazu noch die Geschwindigkeit des altersschwachen Raumers als Maßstab nahm, dann allerdings war er um Tage oder gar Wochen zu früh hier eingetroffen. Wußten die Händler etwas von Atlans Ankunft, kannten sie ihn, hatten sie ihm angeboten, sich hier zu verstecken? Gab es Agenten, die mit ihm in Verbindung standen und auch Kontakt zu Schwiegermutter gehabt hatten? Der Verdacht drängte sich förmlich auf, denn wie sonst konnte der Roboter an die Koordinaten gelangt sein? Warum versteckten sich diese Wesen und versuchten vom All aus den Eindruck zu erwecken, daß die Wüstenwelt unbewohnt war? Primitiv waren sie nicht, dennoch hatten sie alles verkabelt und transportierten per Leitung, was via Draht übermittelbar war, um Energieemissionen so gering wie möglich zu halten. Es war nicht allein diese Heimlichtuerei, die das Pre-Lo stutzig machte, auch nicht der unfreundliche Empfang, sondern die ablehnende Haltung der Planetarier ganz allgemein. Auf die Frage, ob sie einen Mann namens Atlan kannten, antworteten sie spontan und ohne zu überlegen mit »Nein!« – eine Reaktion, die durchaus nicht typisch war für Lebewesen, die erst nachdenken mußten und ihre Erinnerungen nicht einfach abrufen konnten. Verdächtig war auch, daß sie passiven Widerstand bei der Durchsuchung ihrer Häuser geleistet hatten, von der Felsfalle einmal ganz abzusehen. Offensichtlich hatten die angesiedelten Planetarier etwas zu verbergen, aber ging es ihnen wirklich nur um Schutz vor Überfällen und Bewahrung der Schätze? War die Erklärung für den aufgebauten Hinterhalt wirklich so einfach? Davon überzeugt, daß die Piraten mehr wußten, als sie zugeben wollten und ihm etwas verschwiegen, schritt das Pre-Lo aus, sicher, Herr der Lage zu sein. Es würde schon noch herausfinden, was die Planetarier unter ihrem Anführer Imas zu verbergen hatten und wieviel sie wirklich von Atlan wußten.
Noch bevor Traykon-0 die mit feinem Sand bedeckte Schwelle überschritt, beorderte er die abgefeuerten Pfeile zurück und nahm sie wieder in seinen Körper auf. Um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, beeilte sich Fragmentmutter, zu seinem vermeintlichen Herrn und Meister aufzuschließen. Rennend und balancierend bewegte er sich vorwärts. Ein paar Meter Sprint, wenn es möglich war, Sprünge, um Hindernisse zu überwinden, turnerische Einlagen, wenn es galt, gleißende Schatzberge hinter sich zu bringen. Trümmer hatten sich angesammelt, denen der Roboter auswich, so gut er konnte. Fast Seite an Seite verließen die Kugelköpfe die Grotte. Enttäuschte Rufe wurden laut. Man hatte die eigenen Leute erwartet, und nun zeigte sich, daß zumindest zwei Silberne der Falle heil entkommen waren. Was war mit Quaph und seinen Kämpfern? Waren sie tot? Wie war es den Robotern gelungen, sie zu überwältigen? Scheu wichen die Piraten zurück, zahlreiche Hände, Tentakel und Krallen griffen heimlich nach den Waffen. Schon vorher hatten sich die Kugelköpfe recht rücksichtslos benommen, nun fürchteten die Händler, daß sie Rache nehmen würden für den mißlungenen Überfall. Aller Augen hingen an den Silbernen, nur Imas war kaltblütig genug, einen Blick in die Höhle zu werfen. Er hatte den Beutel Aelos verlassen und stand vor seinen Getreuen. Was er sah, ließ ihn jede Bedrohung vergessen. »Sie haben unsere Schätze verwüstet!« brüllte der Kommandant. Zornig starrte er die Roboter an und entdeckte bei Fragmentmutter das Amulett. »Und bestehlen wollen sie uns auch. Auf sie!« Das angerichtete Chaos in der Grotte sehen und den Strahler ziehen, war eins, die Angst wich kalter Wut. Niemals würden sie es zulassen, daß sich jemand an den gesammelten Kleinodien vergriff. Die kampferprobte kleine Truppe handelte sofort und zielbewußt. Einige rannten zur Seite, um ein freies Schußfeld zu schaffen, andere gingen hinter Steinen und Felsen in Deckung, die mutigsten Piraten warfen sich einfach zu Boden und eröffneten noch im Fallen das Feuer. Zu ihnen gehörte der Lasque, der seine Leute mit einem Schlachtruf anfeuerte. Das Fauchen der Strahler ging in einem vielkehligen Schrei unter. * Pre-Lo Traykon und Fragmentmutter reagierten auf den neuerlichen Angriff mit robotischer Schnelligkeit. Bevor die vernichtenden Strahlen ihre ungeschützten Körper erreichten, hatten sie sich in ihre Schutzschirme gehüllt. Unter den ersten Treffern glühten sie schwach auf. Traykon-0 feuerte wieder seine Körperpfeile ab. Die winzigen Dinger waren mit bloßem Auge kaum zu erkennen, doch mit traumwandlerischer Sicherheit fanden sie ihr Ziel. Erstes Opfer war Aelo. Schwerfällig kam der Koloß hoch, packte den am nächsten liegenden Piraten und entriß ihm mit seinen riesigen Greiflappen den Strahler. Der Händler war so perplex, daß er noch nicht einmal einen Schrei der Entrüstung ausstoßen konnte. Bevor er sein Fassung wiedergewonnen hatte, war er Teil des Stammes und warf sich auf Imas, den er mit bloßen Händen angriff. »Bist du verrückt?« brüllte der Kommandant, erzielte jedoch kein Reaktion. Imas wälzte sich herum. Daß sich jemand ihm widersetzte und sogar tätlich wurde, war ein Novum. Voller Zorn stieß er den anderen vor die Brust, doch der ließ nicht locker. Er hatte sich in den Haaren verkrallt und riß ungestüm am Waffenarm des Kommandanten. »Na warte, dir werde ich es zeigen!« Die freie Hand des Kommandanten schoß vor und zog den Gegner zu sich heran, dann sauste der Strahler auf den Kopf des Angreifers hernieder - und verfehlte ihn, weil der Pirat sich mit einem Tritt Luft verschaffte und sich zur Seite schnellte. Schon war der flinke Bursche wieder heran und
umklammerte mit seinen sehnigen Fäusten die Waffe. Imas sah rot. Wütend spuckte er den Sand aus, den er in den Mund bekommen hatte, und schleuderte dem Piraten eine Handvoll von dem feinkörnigen Gestein ins Gesicht. Halbblind riß der Angreifer die Hände vor die Augen – und sackte aufstöhnend zusammen. Ein Hieb des Hünen hatte ihn genau am Kinn getroffen. Imas legte erneut auf die Roboter an – und erschrak. Nicht mehr die Fremden standen im Mittelpunkt des Kampfes, sondern seine eigenen Leute lieferten sich ein Gefecht. Einige setzten Lähmstrahlen ein, die Mehrzahl hatte ihre Strahler nicht umgestellt. »Aufhören, ihr Idioten!« schrie Imas. Er war völlig außer sich. »Ihr bringt euch ja gegenseitig um! Dort ist der Feind!« Er gab einen Schuß auf Traykon-6 ab – und entging nur knapp einem Energiestrahl, der über ihn hinwegzuckte und den Sand beim Auftreffen in eine glasierte Fläche verwandelte. Reflexhaft ließ er sich in die Bodenvertiefung fallen. Was war nur in seine Leute gefahren? Welche Teufelei bewirkte, daß sie sich gegenseitig bekriegten und nicht die Kugelköpfe aufs Korn nahmen? Er spürte einen schmerzhaften Stich im Rücken und sprang auf. Wie kamen diese Dummköpfe dazu, den Stamm anzugreifen? »Mir nach!« brüllte der Kommandant. »Niemand tut dem Stamm etwas zuleide.« Wie ein Haufen gleichgeschalteter Automaten setzten sich die Beeinflußten in Bewegung und folgten Imas, der aus allen Rohren feuernd auf einen Felsen zustürmte, hinter dem sich ein paar Piraten verschanzt hatten, die noch Herr ihrer selbst waren. Für einen Moment war das Häuflein Aufrechter verwirrt darüber, daß sich ihr Kommandant mit den Silbernen verbündete und sich gegen seine Getreuen wandte, aber dann siegte die Vernunft über den Respekt vor Imas. Seine Worte verrieten, daß er nicht bei Sinnen war. Die vier, die noch in der Lage waren, sich zu verteidigen, hockten auseinandergezogen hinter dem kantigen Brocken. Einer riskierte es, vorzuschnellen und seine Waffe auszulösen. Er bekam nicht mehr mit, daß Imas paralysiert zusammenbrach. Ein regelrechtes Energiegewitter zwang ihn in die Deckung zurück, glutflüssiges Gestein tropfte zu Boden, die Luft flirrte vor Hitze. »Wir können die Stellung nicht mehr halten, die Übermacht der Verrückten ist zu groß.« »Sie sind schon zu nah.« »Egal, wir versuchen es. Oder willst du dich umbringen lassen?« Die vier Piraten wandten sich zur Flucht und rannten los. Noch schützte sie der Felsen, dennoch hatten sie kaum eine Chance zu entkommen. Die Verfolger waren ihnen schon zu dicht auf den Fersen, ein Blutbad schien unvermeidlich. Plötzlich blieben die Beeinflußten jedoch stehen und gingen zurück, als wäre nichts passiert. Für die Händler war dieser Vorgang ebenso unbegreiflich wie die unheimliche Verwandlung vorher, aber niemand fragte jetzt nach dem Grund dafür. Überglücklich fielen sich die vier in die Arme. Sie hatten schon geglaubt, daß ihr letztes Stündchen geschlagen habe – und nun diese wundersame Rettung. Die Piraten wußten nicht, daß sie es nur einem Zufall zu verdanken hatten, daß sie mit heiler Haut davongekommen waren. Daß das Pre-Lo seine Körperpfeile in sich selbst zurückzog, ging auf einen kodierten Funkspruch zurück, den auch Fragmentmutter empfing. Er enthielt die Anweisung, sofort einen Ort aufzusuchen, von dem nur die Koordinaten genannt wurden. Absender dieser Nachricht war die »Brücke zum Erleuchteten«. Fragmentmutter konnte weder mit dem ominösen Namen etwas anfangen noch mit den Koordinaten, doch Traykon-0 schienen die Informationen sehr viel zu sagen.
»Wir verlassen diesen Planeten auf der Stelle«, gab das Pre-Lo die ihm übermittelte Entscheidung weiter. »Und was ist mit der Suche nach Atlan?« erkundigte sich der Roboter. »Domain ist in diesem Zusammenhang nicht mehr wichtig«, lautete die ausweichende Antwort. »Rufe das Raumschiff herbei.« Fragmentmutter tat es. Neben der Startmeldung strahlte das Schiff die Mitteilung ab, daß die Planetarier versuchten, den Flug mit Waffengewalt zu verhindern. Das mißlang ebenso wie vorher der Überfall der Piraten mit dem Ziel, das Pre-Lo zu vernichten. Der Roboter blickte den Händlern nach, die sich jetzt absolut friedlich verhielten und in die Stadt zurückkehrten. Und dann verschwamm auf einmal das Bild der Oase… * ERINNERUNG Das Ereignis, das fast die Bedeutung des Urknalls hatte, war Vergangenheit, zugleich aber auch der Beginn einer neuen Zukunft. Angefangen hatte es mit der Zerstörung technischer Bastionen. Ihre Vernichtung hatte eine Wende eingeleitet, etwas zusammengefügt und miteinander verbunden, was negative Intelligenz und in ihrem Dienst stehende Wissenschaftler getrennt hatten. Grenzen hatten sich geöffnet, Absperrungen künstlicher Art, wie sie die Natur so nicht kannte. Die, die sie errichtet hatten, rissen sie nicht freiwillig ein, nein, positive Kräfte bewirkten das, die Isolation des eines Systems zerbrach, und damit die Abkapselung eines Teils des Universums. Sterne, die markant waren und charakteristische Konstellationen bildeten, aber durch unsichtbare Barrieren getrennt und wie ausgelöscht waren, schickten sich gegenseitig wieder ihr Licht zu. Planeten, die unerreichbar hinter undurchdringlichen Fronten lagen, wurden wieder zu dem, was sie einst waren – Bestandteil einer regulären Galaxis. Das Reservoir des Bösen, das sich hier gebildet hatte, war befriedet und befreit worden. Der Weltraum war in Aufruhr geraten, als der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt wurde. Das, was für intelligente Völker und raumfahrende Rassen seit Jahrtausenden Gültigkeit hatte, war so nicht mehr existent, taugte nicht einmal mehr als Hypothese. Alles war anders geworden, weiträumiger, offener, beeindruckender. Die Unendlichkeit des Universums war zu spüren, das Pulsieren der Zeit, ein Hauch der Äonen. Wer immer den Blick zum nächtlichen Himmel richtete, der sah Sonnen, die selbst in alten Karten nicht verzeichnet waren, Gestirne, deren Namen niemand kannte und die doch seit Ewigkeiten ihren Platz im Raumgefüge innehatten. Das All brannte. Dort, wo sich das Zentrum der negativen Macht befunden hatte, tobte eine Raumschlacht zwischen den Kräften des Guten und denen, die den abgespaltenen Teil des Universums beherrscht hatten. Drei gleiche und ein völlig anders konstruierter Großraumer kämpften gemeinsam gegen eine Flotte von Schiffen an, die der gleichen Baureihe entstammten. Pausenlos leuchteten die Schutzschirme auf, Miniatursonnen entstanden und vergingen, Salve auf Salve verließ die Geschütze. Nicht jede traf. Beide Seiten verfügten über ausgezeichnete Piloten, die mit tollkühnen Angriffen und halsbrecherischen Ausweichmanövern ihr Können unter Beweis stellten. Eine Einheit aus dem Verband versuchte sich abzusetzen. Mit flammenden Triebwerken raste der Flugkörper unter dem Pulk hindurch, feuerte eine Breitseite auf eins der exotischen, 1,2 Kilometer hohen und achthundert Meter breiten Schiffe ab und jagte davon. Das Defensivsystem des Riesen trotzte dieser Belastung, ohne Zeichen von Instabilität zu zeigen, dagegen blähte sich das Schirmfeld des davoneilenden Raumers auf. Das größte Schiff der miteinander verbündeten
Parteien hatte einen Volltreffer erzielt. In einer Glutwolke verging der Raumer, nur ein paar Trümmer, die davonwirbelten, blieben von ihm übrig. Beide Seiten nahmen davon kaum Notiz. Immer heftiger wurde das Kampfgeschehen, in dessen Verlauf deutlich wurde, daß die standardisierten Raumschiffe trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit auf der Verliererstraße waren. Die Abschüsse häuften sich, und es war abzusehen, wann der Verband endgültig vernichtet war. * Irritiert blickte Fragmentmutter in die Sonne. Sie war echt, keine Explosionszone, wie er sie eben noch erlebt hatte. Und das zur Landung ansetzende Schiff gehörte nicht zu denen, die sich bekämpften, sondern war der schon vertraute namenlose Raumer, der gekommen war, um sie abzuholen. Mit gemischten Gefühlen ging der Roboter auf den eigenwillig geformten Flugkörper zu. Wie es aussah, hatte es nichts gebracht, das Pre-Lo hierherzulocken. Die Ereignisse auf Domain würde es als eine Episode abtun, die es kaum wert war, gespeichert zu werden. Ob dieser Abstecher und damit eine kurzfristige Neutralisierung des Pre-Los Atlan von Nutzen war, vermochte er nicht zu sagen. Nach seinem Dafürhalten hatte Traykon-Null seine eigene Tarnung bisher nicht durchschaut. Das gab ihm Hoffnung, das Schlimmste verhüten zu können, doch sicher war das nicht. Der Funkspruch der geheimnisvollen »Brücke zum Erleuchteten« gab zu der Vermutung Anlaß, daß der Unbekannte im Hintergrund sich nicht nur auf einen Helfer verließ, sondern eine ganze Schar davon ausgeschickt hatte. Bedeutete die Nachricht vielleicht, daß eine Spur des Arkoniden gefunden worden war? Oder wie war die ultimative Aufforderung sonst zu verstehen? Gab es noch andere Aufgaben, die der Helfer des Erleuchteten zu erfüllen hatte? Wurden seine Möglichkeiten anderswo gebraucht, etwa, um Atlan auszuschalten oder gefügig zu machen? Fragmentmutter hatte keinerlei Zweifel daran, daß das Pre-Lo in der Lage war, den Aktivatorträger zu vereinnahmen und umzupolen. Eindrucksvoll hatte er erlebt, daß das Werkzeug durch seine Körperpfeile die Macht hatte, Gegner zu willenlosen Verbündeten zu machen. Selbst Atlan würde kaum ein Mittel dagegen finden. Unzufrieden mit sich und der Welt schleuste sich der Roboter ein und ließ sich von den Transportbändern zur Pilotenkanzel befördern. Pre-Lo Traykon war direkt vor ihm, nicht einmal eine Armlänge entfernt. Er fürchtete die Waffen des Pre-Los nicht, konnte es vielleicht sogar überwältigen und unschädlich machen, aber dann würde er nie erfahren, wohin die Reise ging, also verzichtete er darauf, Traykon-0 anzugreifen. Das Schott zur Zentrale öffnete sich. Traykon-6 alias Schwiegermutter/Fragment eilte sogleich zum Sessel des Piloten und ließ sich darin nieder. Noch bevor er Koordinaten eingeben konnte, erreichte ihn der Ruf des Pre-Los. »Ich werde den Kurs programmieren und den Start vornehmen.« Traykon-0 machte sich an einem zweiten Terminal zu schaffen und tastete Daten ein. »Wie lautet unser Ziel?« »Warte es ab, du wirst es erleben!« Diese Auskunft war wenig befriedigend. Bevor Fragmentmutter nachfassen konnte, holte ihn wieder die Vergangenheit ein. Die Szene wechselte…
* ERINNERUNG In der Zentrale des Raumers hielten sich etliche Insektoide auf, ein Humanoider mit Bart und ungepflegten Haaren und ein Roboter, der einem Insektenabkömmling nachgebildet war. Das Besatzungsmitglied, dem der Roboter ähnelte, hatte bei einem gefährlichen Einsatz vor einigen Minuten den Tod gefunden. Das Unternehmen war heikel, fast schon selbstmörderisch. Die gesamte Crew bestand ausschließlich aus Freiwilligen, die wußten, auf was sie sich eingelassen hatten. Es galt, einen tollkühnen Plan in die Tat umzusetzen, um ohne Blutvergießen ein Volk zu befrieden, das es sich zum Ziel gesetzt hatte, die absolute Macht zu erringen und ein Imperium aufzubauen, das seinesgleichen suchte. Wer immer sich diesem Anspruch widersetzte, wurde unterjocht und gewaltsam unterworfen. Die Aufgabe des Kommandos erforderte es, sich in die Höhle des Löwen zu wagen. Nur direkt vor Ort konnte das in die Tat umgesetzt werden, was in wissenschaftlichen Versuchen ausgetüftelt worden war. Es war keine kriegerische Maßnahme, ganz im Gegenteil, aber der Gegner war skrupellos. Die Vernichtung anderer Intelligenzen war für diese Wesen ein ganz legales Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen. Die Atmosphäre im Steuerzentrum war angespannt, eine gewisse Hektik war nicht zu übersehen. Überschattet vom Tod des Gefährten, fieberte die Mannschaft förmlich nach einem Erfolg, der die Wende bringen sollte. Noch reichten die getroffenen Maßnahmen nicht aus, um das zu bewirken, was erreicht werden sollte. Das Schiff verließ die Umlaufbahn und hielt mit steigender Geschwindigkeit auf den fünften Planeten zu. Ohne Vorwarnung meldete der Leiter der Ortung, daß sechs Raumschiffe von der Regierungswelt abgehoben hatten. Da sie sich wohl nicht zu einem Rendezvousmanöver im Raum treffen wollten, gab es für die zwölfhundert Meter langen, einer Insektenart nachempfundenen Flugkörper nur ein Ziel: das Schiff, das von den Humanoiden kommandiert wurde. Das sah nicht gut aus für den bärtigen Mann und seine Begleiter, aber selbst angesichts der Überzahl wollte er nicht einfach aufgeben und fliehen. »Antrieb auf Vollast!« Der Planet fiel hinter dem Raumer zurück, nicht jedoch die Verfolger. Die Großraumschiffe hatten die Lufthülle ihrer Heimatwelt bereits durchstoßen und gingen auf Abfangkurs. Die Anzeigen belegten, daß der Vorsprung sich leicht vergrößert hatte und nun 3,59 Millionen Kilometer betrug. Viel war das nicht unter den gegebenen Umständen. Vorausgesetzt, daß die Verfolger ebenfalls mit Lichtgeschwindigkeit flogen, bedeutete das einen Vorsprung von zwölf Sekunden. »Ein Beiboot mit Sprengsatz und die restlichen Explorer zur Ausschleusung fertigmachen! Es darf nicht die geringste Panne und keine Verzögerung geben, sonst können wir die Geräte und vielleicht sogar die LUNGARETTE abschreiben.« »Ich empfehle einen automatischen, von der Positronik gesteuerten Start, Chef«, sagte der Roboter. »Unter diesen Umständen kommt sowieso nichts anderes in Frage«, gab der Humanoide ärgerlich zurück. »Oder hast du geglaubt, daß wir die Satelliten mit einem Tritt aus dem Hangar befördern?« »Sie holen auf!« rief einer der Insektoiden. Es stimmte. Alle Displays zeigten, daß der Abstand sich auf 3,45 Millionen Kilometer verringert hatte, und er schrumpfte weiter. »Beschleunigen, beschleunigen! Mehr Leistung, volle Energie!«
»Die Belastungsgrenze ist bereits um zehn Prozent überschritten.« »Dann überschreitet weiter, zum Teufel!« schrie der Bartträger aufgebracht. »Entweder halten die Aggregate durch und wir schaffen es, oder das Schiff explodiert. Ob wir dadurch umkommen oder durch die Waffen der Zytonier, macht keinen Unterschied.« »Jawohl, Jungs, ich muß dem Chef beipflichten. Gebt Saft auf die Düsen, bis die Rohre glühen. Als Scientologe kann ich fünfzig Prozent im Rotbereich vertreten.« Der Humanoide – es war der Solaner Hage Nockemann – musterte pikiert seinen Helfer Blödel, der immer noch seine Verkleidung als zyrtonischer Roboter trug. »Ich verbitte mir deine Einmischung ganz entschieden. Erstens habe ich dich nicht um Rat gefragt, und zweitens bist du kein Hilfskommandant. Nimm das gefälligst zur Kenntnis.« Der Wissenschaftler wandte sich an die Besatzung. »Antriebsleistung auf einhundertfünfzig Prozent steigern.« Ein kaum merkliches Zittern durchlief den Raumer, das Brüllen und Tosen der überlasteten Meiler drang bis in die Zentrale. Abdeckungen klirrten, Vibrationen machten sich bemerkbar, unruhig pendelten die Zeiger von Instrumenten hin und her, die über keine Digitalanzeige verfügten. Ein tiefer Brummton war zu hören, vermischt mit undefinierbaren Geräuschen. Immerhin kamen die Zeckenschiffe durch das Gewaltmanöver nicht näher heran. »Ortung. Von Gautan aus sind soeben vier Raumschiffe gestartet. Sie entsprechen dem Typ der sechs Verfolger, was Form und Größe betrifft.« Der solanische Wissenschaftler machte aus seinen Gefühlen keinen Hehl. Seine Mimik signalisierte Bitterkeit, zugleich auch Furcht. Mühsam beherrscht fragte er: »Entfernung zum Planeten?« »Noch 8,2197 Millionen Kilometer.« »Schleust das Beiboot und die Satelliten aus. Abdrehen und Kurs nehmen auf die Systemgrenze. Schutzschirme aktivieren.« Als die Vollzugsmeldungen eintrafen, setzte Nockemann zögernd hinzu: »Geschützstände besetzen!« Das Schiff ächzte und schüttelte sich, als der Pilot es mit abrupten Korrekturschüben in eine andere Richtung zwang. Die von Gautan kommenden Verfolger eröffneten das Feuer. Mehrere Salven verfehlten die LUNGARETTE knapp, dann erhielt sie einen Treffer. Zum Schrecken der Besatzung kletterte die Schirmfeldmarke auf annähernd fünfzig Prozent. Jeder hatte die Defensiveinrichtungen für leistungsfähiger gehalten. »Setzt die Waffen ein! Sperrfeuer!« Die Riesenraumer hatten sich ebenfalls in Schutzschirme gehüllt. Eine grelle Energiewand schob sich zwischen Jäger und Gejagte. »Warum holen die Zyrtonier auf? Was ist mit dem Antrieb?« »Er hält die Überbelastung nicht durch, wir mußten die Energiezufuhr drosseln. Leistung derzeit zwanzig Punkte über Normal wert.« »Von Persijigg und Munntson haben jeweils vier der bekannten Großraumer abgehoben. Sie befinden sich im Anflug auf unsere Position.« Angesichts der neuerlichen Hiobsbotschaft schlug Nockemann aufstöhnend die Hände vors Gesicht, kalter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, sein Antlitz zeigte widerstreitende Gefühle, innere Not – und Angst. Auch seine Mitstreiter hatten kaum noch Hoffnung, mit dem Leben davonzukommen. Ein gewaltiger Schlag erschütterte die LUNGARETTE, die sich sofort schräg legte. Urgewalten rissen den Solaner von dem Möbel, das ihm als Sitz diente, wie ein Fetzen Kunststoff wurde er hochgewirbelt und zu Boden geschleudert. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, und dennoch machte er einen wachen Eindruck.
Das Schiff hatte einen Volltreffer erhalten. Die Beleuchtung war ausgefallen, Kurzschlüsse und weißblaue Überschlagblitze tauchten den verwüsteten Raum in ein unwirkliches Licht. Das Schreien und Wimmern Verletzter mischte sich mit dem Knallen der sich schließenden Sicherheitsschotte und dem Geheul der Alarmsirenen. Der Raumer stöhnte wie ein waidwundes Tier, die Hülle schwang wie eine Glocke. Unheilvolles Knistern und Knacken ging von Verbindungen und Verstrebungen aus. Bildschirme zerplatzten, Splitter ungenügend verankerter Instrumente und Trümmerstücke sausten jaulend durch die Luft und krachten gegen Wände und Einbauten. Das dumpfe Dröhnen des Antriebs war zu hören, überlagert vom Tosen überlasteter Meiler und dem schrillen Geräusch fehlgesteuerter oder außer Kontrolle geratener Aggregate. Der Roboter beugte sich über Nockemann. »Chef, du blutest ja aus mehreren Wunden! Bleib ruhig liegen, ich werde dich ärztlich versorgen.« Das schmerzverzerrte Gesicht des Solaners entspannte sich, sein Antlitz verriet innere Ruhe und Frieden. Gelöst und heiter umfaßte er einen Tentakelarm seines Assistenten, mit der freien Hand zog er eine Kassette aus dem winzigen Aufnahmegerät, das er bei sich trug. »Meine Eindrücke, Empfindungen und Erlebnisse der letzten Tage sind auf diesem Band gespeichert. Übergib es Atlan.« »Warum willst du es nicht selbst tun?« »Ich fühle, daß es mit mir zu Ende geht. Du bist derjenige, der von uns allen die besten Aussichten hat, zurückzukehren.« »So darfst du nicht reden, Chef. Noch…« Die Worte Blödels gingen in einem infernalischen Lärm unter. Titanenfäuste griffen nach der LUNGARETTE und beutelten sie wie eine Baumfrucht im Herbststurm, die Außenhaut zerplatzte. Explosionsartig entwich die Atmosphäre, mit rasender Geschwindigkeit griff das Vakuum auf das gesamte Schiff über. Schottflügel wurden aus ihrer Verankerung gerissen und davongewirbelt, massive Wände wurden weggefetzt und zerknüllt, als wären sie aus Seidenpapier gefertigt. Ein gewaltiger Sog tobte durch das von Detonationen erschütterte Wrack und zerrte mit Urgewalt lebendes und totes Inventar in den luftleeren Weltraum. Maschinen und Mobiliar wurden aus ihrer Verankerung gerissen, tonnenschwere Aggregate sausten in diesem Strömungsfeld ins Freie und durchschlugen Decks und Abtrennungen wie Geschosse. Gleich hilflosen Puppen wurde die Besatzung durcheinandergewirbelt und ins All geschleudert. Nockemann und die Vulnurer merkten nicht mehr, was mit ihren Körpern geschah. Das eindringende Vakuum hatte sie auf der Stelle getötet. Das Schiff zerbrach. Blödel fand sich in einem Inferno entfesselter Energien wieder, er hatte das Gefühl, in eine Sonne geraten zu sein. Das All schien zu brennen, und er befand sich mittendrin. Gleißende Helligkeit und wabernde Lohe umhüllte ihn, Glut,’ ionisierte Gase, die sich ausdehnten, Flammen griffen nach ihm. Wegkatapultiert vom ungeheuren Explosionsdruck, raste er rotierend und sich überschlagend davon, umgeben von Wrackteilen und kochendheißen Trümmern. Der Roboter funktionierte noch, hatte aber schwere Schäden davongetragen. Seine Gehwerkzeuge waren bei einem Zusammenprall abgetrennt worden, ein Splitter hatte seine Körperhülle durchschlagen und die Laboreinrichtungen demoliert. Einer der Tentakelarme war ein Opfer der Explosion geworden, der andere war zur Hälfte abgebrochen. An unzähligen Stellen war seine Außenhaut lädiert, zerschrammt und verbeult, der Kopf war nur noch ein deformiertes Etwas. Rein äußerlich hatte Blödel kaum noch Ähnlichkeit mit seiner ursprünglichen Gestalt als Scientologe, er war nicht mehr als ein Torso und nur noch bedingt handlungsfähig. Von seiner Maske als zyrtonischer Automat war nichts mehr übriggeblieben. Noch immer steckte er inmitten der dahindriftenden Wolke aus Schrotteilen, die langsam expandierte.
Die Miniatursonnen verblaßten, hier und da wetterleuchtete es noch. Kein Laut war zu hören, da ein Trägermedium für Schallwellen fehlte. Nach dem ohrenbetäubenden Lärm hatte diese Stille etwas Unnatürliches an sich. Daß er kaum mehr als ein Torso war, bekümmerte Blödel nicht, er trauerte um seine Begleiter, die diesen Einsatz mit ihrem Leben bezahlt hatten. Am meisten schmerzte ihn der Verlust Nockemanns, mit dem er sich innig verbunden fühlte. Sein einziger Trost war die begründete Hoffnung, daß der Bio-Plan Wirkung zeigte und Atlan so zum Erfolg kam. Dann waren die dreihundert Vulnurer, Daug, Katzulla, Borallu und sein verehrter Chef nicht umsonst gestorben. Die Riesenraumzecken der Zyrtonier drehten ab und hielten auf ihre Heimatwelten zu. Der Feind war vernichtet, für weitere Manöver bestand keine Notwendigkeit mehr. Der Roboter empfand beim Anblick der kleiner werdenden Schiffe Bitterkeit. Zu gern hätte er seine Lage stabilisiert. Wie eine kurze Überprüfung ergab, war das zur Sonderausrüstung gehörende Rücktriebwerk wie durch ein Wunder noch intakt, aber er wagte es nicht, das Gerät zu aktivieren, weil er fürchtete, daß die Energieemissionen angemessen wurden und ihn verrieten. Mit immer noch sehr hoher Geschwindigkeit trieb er auf die äußeren Planeten zu. Dann, nach einer Stunde antriebslosem Flug, riskierte er es, das Triebwerk einzuschalten. Verloren wie ein Tropfen im Meer, winzig in der Weite des Alls, raste Blödel auf den unsichtbaren Wall zu, der das Zentrum der Macht umgab. Er schaffte es, das Zyrton-System hinter sich zu lassen, aber er war kaum noch funktionsfähig. Die Schäden, die er erlitten hatte, waren doch gravierender, als es zuerst den Anschein gehabt hatte, ein Großteil seiner Energiereserven war verbraucht. Immerhin gelang es ihm, Atlan anzufunken und zu informieren. Er war zuversichtlich, daß die Maßnahmen zum Erfolg führten, vorausgesetzt, die Zyrtonier fanden kein Gegenmittel. Die. Spontan-Mutation, hervorgerufen durch das Cyklotropin, mußte sich ab dem 29.9.3808 einstellen. Als treuer Diener seines Herrn erfüllte er noch den letzten Wunsch des Verstorbenen und überspielte die Kassette, dann gab das Wrack endgültig seinen synthetischen Geist auf. Das Scientologen-Team existierte nicht mehr, aber Blödel hatte vorgesorgt. Eine Notschaltung sprach an, eine Klappe seines Körpers öffnete sich, und ein positronisches Paket wurde ausgestoßen. Es entfernte sich von dem, was von dem Roboter noch existierte. Es trug alle Erinnerungen und Informationen Blödels in sich. Eine Aufgabe war vordringlich: Es mußte einen geeigneten robotischen Trägerkörper finden, um Atlan als Helfer zur Verfügung stehen zu können. * Fragmentmutter fiel es wie Schuppen von den Augen. Das Fragment - das war Blödel. Der Torso, der jetzt Teil seines eigenen Ichs war, hatte ihm den Untergang des Roboters gezeigt, dem er entstammte, den Beginn einer Odyssee, die fast elf Jahre gedauert hatte. Alle Erinnerungen waren plötzlich abrufbar und standen im Zusammenhang. Das Ende der Namenlosen Zone hatte er erlebt und die Vernichtung der Schiffe der 1.000 Pagen. Er wußte vom Eingreifen der Lichtquelle, vom Einsatz der Jenseitsmaterie und dem Freisetzen der in ihr gespeicherten ordnenden Bewußtseinsinhalte, was erst eine Wende zum Positiven ermöglichte. Chybrain und die Kosmokraten waren ihm auf einmal ein Begriff, er wußte von Varnhager-Ghynnst und dem Bio-Plan, er kannte die SOL und ihre wechselvolle Geschichte. Alles Wissen, was Blödel sich erworben und gespeichert hatte, stand ihm zur Verfügung, nur waren seine Möglichkeiten mangels fehlender Einrichtungen und Labors in seinem Körper beschränkt.
Nun, da er erkannt hatte, was das Fragment in Wahrheit war, kam ihm die Bezeichnung »Fragmentmutter« nicht mehr passend vor. Er war so etwas wie Blödels Erbe, dessen kybernetischer Geist in ihm weiterexistierte, aber er war es nicht total. So beschloß er, seinen alten Namen wieder zu gebrauchen: Schwiegermutter. So hatte ihn Schirtuboh getauft, der Käsehändler auf Aklard, dem er als Gehilfe gedient hatte. Die positronischen Psychosen waren Rückblenden gewesen, Ausflüge in die Vergangenheit des Torsos bei seiner Reise durch Zeit und Raum. Ein langer Weg war es gewesen von der Namenlosen Zone zur Galaxis Manam-Turu. Jetzt galt es, den Arkoniden zu finden. Nicht mehr verunsichert, sondern ganz souverän, saß Schwiegermutter in dem Sessel. Nun, da er über einen so reichen Erfahrungsschatz und umfassende Kenntnisse auf nahezu allen ’ Gebieten verfügte, war es ihm auf einmal um sich selbst und Atlan nicht mehr so bange wie vorher, doch auch mit seinem neuen Wissen konnte er sich keinen Reim auf den Funkspruch machen. Was hatte es mit der Nachricht der »Brücke zum Erleuchteten« auf sich? Unschlüssig legte er das halbmondförmige Amulett zur Seite, das er mitgenommen hatte. Die Bedeutung dieses Gegenstands war genauso rätselhaft wie die Koordinaten, die das Pre-Lo anfliegen sollte.
5. Domain lag längst hinter dem namenlosen Schiff, mittlerweile kümmerte sich Schwiegermutter wieder um die Kontrollen. Wirkliche Arbeit bedeutete das nicht, denn Traykon-0 hatte den Kurs programmiert. Noch immer schwieg sich der Kugelkopf über das Ziel aus. »Fliegen wir ein Sonnensystem an?« fragte Schwiegermutter wie beiläufig. »Das hat dich nicht zu interessieren«, kam es abweisend zurück. »Aber ich könnte dir ein besserer Helfer sein, wenn ich wüßte, was uns erwartet.« »Seit wann muß ein Werkzeug sich auf eine Tätigkeit einstellen, für die es bestimmt ist?« »Ich gebe zu bedenken, daß ich der letzte Traykon bin, der dir verblieben ist.« »Bisher seid ihr mir kaum von Nutzen gewesen, dennoch ist dein Einwand nicht ganz unberechtigt. Vielleicht brauche ich dich wirklich noch einmal. Da du jedoch die Zusammenhänge ohnehin nicht begreifen würdest, mag dir ein Hinweis genügen.« Schwiegermutter war zwar anderer Ansicht, aber er widersprach nicht, um seine Tarnung als Traykon-6 nicht zu gefährden. Gespannt wartete er darauf, daß das Pre-Lo weitersprach. »Der Herr hat eine Spur seines größten Feindes entdeckt, jenes Feindes, der ihn zur überstürzten Flucht aus Alkordoom veranlaßte.« ENDE
Im nächsten Atlan-Band blenden wir wieder um zu Atlan, dem Haupthandlungsträger der Serie! Nach den Aktionen auf der Guray-Welt Phurthul ist der Arkonide nicht zufrieden mit dem Erreichten. Auch Mrothyr, der Freiheitskämpfer von Zyrph, ist alles andere als glücklich über das, was er bisher für sein Volk vollbracht hat. Und so nehmen die beiden Männer einen neuen Anlauf mit der Mission Zyrph… MISSION ZYRPH – so lautet auch der Titel des nächsten Atlan-Romans, der von H. G. Francis geschrieben wurde.