Roman Böckmann Quo vadis, PKV?
Roman Böckmann
Quo vadis, PKV? Eine Branche mit dem Latein am Ende?
Bibliografische...
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Roman Böckmann Quo vadis, PKV?
Roman Böckmann
Quo vadis, PKV? Eine Branche mit dem Latein am Ende?
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Frank Schindler / Verena Metzger VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17928-5
Danksagung
Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2010 von der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Ein ganz besonderer Dank gilt meinem wissenschaftlichen Betreuer Prof. Dr. Klaus Schubert, bei dem ich nicht nur die nötigen Freiräume für die Arbeit an der Dissertation erhalten, sondern stets tatkräftige Unterstützung für meine wissenschaftlichen Projekte gefunden habe. Ein ebenso herzlicher Dank gilt meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Nils C. Bandelow, dessen wertvolle Hinweise meinen Schreibprozess maßgeblich beschleunigt haben. Die motivierende, zuverlässige und hilfsbereite Art meiner Betreuer hat wesentlich dazu beigetragen, dass ich meine Promotionsphase stets in guter Erinnerung behalten werde. Ein besonderer Dank gilt auch den Mitarbeitern des Instituts für Politikwissenschaft und der Graduate School of Politics (GraSP) – allen voran Kate Backhaus und Dr. Simon Hegelich, deren organisatorische Unterstützung während der gesamten Promotionsphase eine unverzichtbare Hilfe war. Meinen Kollegen Sonja Blum, Florian Blank und Hendrik Meyer aus der Forschungsgruppe „Future of European Welfare Systems“ danke ich für zahlreiche gemeinsame Seminare, Studienreisen und Fachdiskussionen. Dass es uns stets gelungen ist, für sämtliche Fragen rund um die Promotion ein offenes Diskursfeld und ein kollegiales Miteinander zu etablieren, ist keineswegs selbstverständlich und zählt zu den vielen positiven Erfahrungen der vergangenen drei Jahre. Der Hans-Böckler-Stiftung danke ich für die materielle und ideelle Förderung meiner Promotion. Eine außerordentliche Bereicherung waren auch die zahlreichen Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten, die sich stets durch ein konstruktives und freundliches Arbeitsklima innerhalb der Stiftung ausgezeichnet haben. In diesem Zusammenhang sei sowohl Werner Fiedler vom Referat Promotionsförderung als auch meinem Vertrauensdozenten Prof. Dr. Karl-Heinz Stange herzlich gedankt. Bei ihnen habe ich für jedes meiner stipendiatischen Anliegen immer ein offenes Ohr sowie tatkräftige und unkomplizierte Unterstützung gefunden. Münster, 2010
Roman Böckmann
Inhaltsverzeichnis
Danksagung .............................................................................................................. 5 Tabellenverzeichnis ................................................................................................. 9 Abkürzungsverzeichnis ......................................................................................... 11
Einleitung ............................................................................................................... 15 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6
Die PKV als blinder Fleck der Politikwissenschaft..................................... 23 Die Isolation der Politikwissenschaft .............................................................. 23 Korporatismus und Gesundheitspolitik ........................................................... 25 Vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung ...................................................... 28 Der Beitrag der Nachbardisziplinen ................................................................ 31 Wohlfahrtsmärkte als anschlussfähiges Konzept............................................. 37 Zwischenfazit: Ein integrativer Ansatz ........................................................... 41
2
Das duale Versicherungssystem – Unterschiede zwischen GKV und PKV ....................................................... 45 Die Entstehung des dualen Versicherungssystems .......................................... 45 Die Abgrenzung der versicherten Personenkreise ........................................... 48 Die Leistungen der Versicherungssysteme...................................................... 53 Beitragsberechnung und Prämienkalkulation .................................................. 57 Rechtsformen und Verbandsstrukturen ........................................................... 63 Zwischenfazit: Die Unterschiede auf einen Blick ........................................... 66
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6
3 Die Hybridisierung der Versicherungssysteme........................................... 69 3.1 Der Konvergenzprozess in der PKV................................................................ 69 3.1.1 Die Dritte Richtlinie Schadenversicherung........................................... 70 3.1.2 Die Doppelfunktion des Standardtarifs................................................. 75 3.1.3 Pflegeversicherung und Basistarif ........................................................ 80 3.1.4 Freiwillige Selbstverpflichtungen der PKV .......................................... 84 3.2 Der Konvergenzprozess in der GKV............................................................... 86 3.2.1 Verschärfter Problemdruck vor 1992.................................................... 86 3.2.2 Kassenwettbewerb, sektorale Budgets und Zuzahlungen ..................... 89 3.2.3 Selbstbehalte, Beitragsrückerstattungen und Kostenerstattung............. 94 3.2.4 Weitere Konvergenzentwicklungen ...................................................... 97 3.3 Zwischenfazit: Chancen und Risiken der Hybridisierung ............................... 98
8
Inhaltsverzeichnis
4
Konsequent inkonsequent – Die Abgrenzung der Versicherungssysteme.............................................. 105 Subsidiarität und „Eigenverantwortung“ – Die normativen Grundlagen des Trennungsdenkens ..................................... 105 Ordnungspolitische Leitvorstellung trifft soziale Realität ............................. 109 4.2.1 Die Beamten – „Eigenverantwortung light“ ....................................... 109 4.2.2 Die Selbständigen – bisherige Risikogruppe der PKV ....................... 112 4.2.3 Die abhängig Beschäftigten – gesetzlich geförderte Risikoselektion . 115 Zwischenfazit: Konsequente Inkonsequenz................................................... 119 Die private Krankenversicherung in schlechter Verfassung? ........................ 122 4.4.1 Der Verfassungsrekurs als Verteidigungsstrategie der PKV............... 122 4.4.2 Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur PKV ......................... 124 4.4.3 Interessenvertretung durch den Verband der PKV ............................. 134 Reformvorschlag I: Grenzen öffnen!............................................................. 139
4.1 4.2
4.3 4.4
4.5
5 Markt ohne Wettbewerb – Das Paradoxon der PKV............................... 143 5.1 Das Wettbewerbsproblem der PKV............................................................... 143 5.2 Erfolgreiche Wettbewerbsverhinderung........................................................ 150 5.2.1 Die Lethargie der PKV-Traditionalisten............................................. 150 5.2.2 Die Ratlosigkeit der Expertenkommissionen...................................... 154 5.2.3 Die Verteidigung des Status Quo durch den Verband der PKV ......... 161 5.3 Zwischenfazit: Der Zielkonflikt zwischen sozialem Sicherungsanspruch und marktwirtschaftlichem Geschäftsmodell ................................................ 170 5.4 Reformvorschlag II: Mehr Wettbewerb wagen! ............................................ 172 6 Der Vorteil als Nachteil – Das Ausgabenproblem der PKV .................... 179 6.1 Das Ausgabenproblem der PKV.................................................................... 179 6.2 Die Steuerungsinstrumente der Privatversicherer.......................................... 187 6.2.1 Prämienanpassungen in den Bestandsverträgen.................................. 188 6.2.2 Verhaltenssteuerung der Versicherungsnehmer.................................. 191 6.2.3 Geringer Einfluss auf die Leistungsanbieter ....................................... 197 6.3 Das interessenpolitische Dilemma der Privatversicherer............................... 201 6.4 Reformvorschlag III: Miteinander statt gegeneinander!................................ 209 7 Resümee: Quo vadis, PKV?........................................................................ 215 7.1 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse ............................................. 215 7.2 Theoretische Reflektion und Ausblick .......................................................... 219
Literatur ............................................................................................................... 223
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5:
Idealtypische Unterscheidung von GKV und PKV ....................67 Leistungsausgaben für Vollversicherte in der PKV .................180 Leistungsausgaben für Versicherte in der GKV.......................181 Leistungsausgaben in der PKV nach Versorgungsbereichen ...184 Verwaltungs- und Abschlusskosten in der PKV ......................187
Abkürzungsverzeichnis
AG: ALG: AOK: AVB: BaFin: BAV: BAKred: BaWe: BBhV: BDA: BKK: BMF: BMG: BMGS: BSSichG:
BVA: BVerfG: DBB: DMP: DRG: EBM: EG: EKAng: EKArb: EU: e.V.: EWG: G-BA:
Aktiengesellschaft Arbeitslosengeld Allgemeine Ortskrankenkasse Allgemeine Versicherungsbedingungen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel Verordnung über Beihilfe in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (Bundesbeihilfeverordnung) Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Betriebskrankenkasse Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium für Gesundheit Bundesministerium für Gesundheit und Soziales Gesetz zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzsicherungsgesetz) Bundesversicherungsamt Bundesverfassungsgericht DBB Beamtenbund und Tarifunion Disease Management Program Diagnosis Related Groups (diagnosebezogene Fallpauschalen) Einheitlicher Bewertungsmaßstab Europäische Gemeinschaft Ersatzkasse für Angestellte Ersatzkasse für Arbeiter Europäische Union eingetragener Verein Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Gemeinsamer Bundesausschuss
12 GDV: GG: GKV: GKV-OrgWG: GKV-SolG: GKV-WSG: GMG: GOÄ: GOZ: GRG: GSG: IKK: IQWiG: KalV:
KBS: KBV: KfW: KHEntgG: KHG:
KV: LKK: MBO-Ä: NHS:
Abkürzungsverzeichnis
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. Grundgesetz Gesetzliche Krankenversicherung Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung Gesetz zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz) Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (Wettbewerbsstärkungsgesetz) Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz) Gebührenordnung für Ärzte Gebührenordnung für Zahnärzte Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheitsreformgesetz) Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz) Innungskrankenkasse Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen Verordnung über die versicherungsmathematischen Methoden zur Prämienkalkulation und zur Berechnung der Alterungsrückstellung in der privaten Krankenversicherung (Kalkulationsverordnung) Knappschaft-Bahn-See Kassenärztliche Bundesvereinigung Kreditanstalt für Wiederaufbau Gesetz über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen (Krankenhausentgeltgesetz) Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Krankenhausfinanzierungsgesetz) Kassenärztliche Vereinigung Landwirtschaftliche Krankenkassen Musterberufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte National Health Service
Abkürzungsverzeichnis
NOG:
PKV: RSA: SGB II: SGB V: SGB XI: SGB XII: SichKVV:
VAG: VVaG: VVG: WIP:
13
Erstes und Zweites Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (1. und 2. GKV-Neuordnungsgesetz) Private Krankenversicherung Risikostrukturausgleich Sozialgesetzbuch – Zweites Buch Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Elftes Buch Sozialgesetzbuch – Zwölftes Buch Verordnung über die Übertragung von Aufgaben und Befugnissen eines Sicherungsfonds für die Krankenversicherung an die Medicator AG Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz) Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz) Wissenschaftliches Institut der privaten Krankenversicherung
Einleitung
Die substitutive private Krankenversicherung (PKV) ist eine Eigenart des deutschen Gesundheitssystems, die in Europa einmalig ist. Die institutionelle Besonderheit resultiert vor allem daraus, dass die PKV nicht nur Zusatzversicherungen zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) anbietet, sondern einen vollen Krankenversicherungsschutz für bestimmte Personen, die nicht unter eine gesetzlich definierte Versicherungspflicht fallen. Diese Koexistenz von GKV und PKV blickt auf eine über hundertjährige Sozialstaatstradition zurück, deren spezielles Solidaritätsverständnis auf bestimmte gesellschaftliche Statusgruppen und nicht auf die gesamte Bevölkerung gerichtet ist. Bis heute beruht die PKV auf der gesetzgeberischen Auffassung, dass bestimmte Einkommens- und Berufsgruppen nicht des Schutzes einer solidarischen Krankenversicherung bedürfen. Daher können diese Personen ihr Krankheitsrisiko auf dem privaten Versicherungsmarkt absichern. Die PKV steht jedoch unter erheblichem Druck, denn sie hat nicht nur mit einem zunehmenden politischen Akzeptanzproblem, sondern auch mit einigen veritablen Strukturproblemen zu kämpfen. Zum einen wird die Zweiteilung des Versicherungsmarktes aus verschiedenen politischen Lagern immer deutlicher in Frage gestellt. Befürworter eines solidarischen Krankenversicherungssystems kritisieren seit Jahren, dass durch die Systemtrennung vor allem die stärkeren Gesellschaftsmitglieder aus der Solidargemeinschaft entlassen werden und fordern von den überwiegend gut situierten privat Versicherten einen stärkeren Finanzierungsbeitrag zur GKV. Befürworter marktwirtschaftlicher Reformkonzepte beanstanden vor allem die Wettbewerbsverzerrungen, die sich aus der dualen Struktur des Versicherungsmarktes ergeben, denn zwischen gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen existieren höchst ungleiche Wettbewerbsbedingungen. Obwohl sich die Gemeinsamkeiten vieler Beobachter zumeist in der Kritik an der dualen Struktur erschöpfen und über die weitere Gestaltung der Krankenversicherung in der Regel erheblicher Dissens herrscht, sind beide Kritikpunkte nicht von der Hand zu weisen. Ein funktionierendes Solidarsystem benötigt die starken Mitglieder einer Gesellschaft, während ein funktionierender Versicherungsmarkt die institutionelle Verankerung gleicher Wettbewerbsbedingungen erfordert. Abgesehen
R. Böckmann, Quo vadis, PKV?, DOI 10.1007/978-3-531-92741-1_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Einleitung
von diesen Abgrenzungsfragen zwischen Sozial- und Privatversicherung hat die PKV jedoch noch weitere „Baustellen“, die zu bearbeiten eigentlich in ihrem ureigensten Interesse liegen müsste. Nach wie vor bestehen erhebliche Wettbewerbsdefizite in der PKV. Noch immer ist es nicht möglich, dass ältere Bestandsversicherte benachteiligungsfrei von einem privaten Versicherungsunternehmen zu einem anderen wechseln können. Für die am Markt etablierten Unternehmen bedeutet dies zwar insofern eine komfortable Marktposition, als einmal unter Vertrag genommene Versicherte das Unternehmen nicht mehr ohne weiteres verlassen können. Für die Versicherten jedoch ist ein solcher Zustand äußerst unbefriedigend, denn Wahlfreiheiten bedeuten auch einen Schutz vor wirtschaftlicher Macht, schlechten Serviceleistungen oder abnehmender Versorgungsqualität. Die fehlenden Wechselmöglichkeiten stellen aber nicht nur eine kaum zu rechtfertigende Benachteiligung der älteren Bestandsversicherten dar, sie bedeuten für ein marktwirtschaftliches Versicherungssystem auch ein erhebliches Legitimationsproblem. Es ist überdies zu erwarten, dass vor allem junge Menschen, die als potentielle Neukunden für die PKV in Frage kommen, in Zukunft nicht mehr bereit sein werden, sich ein ganzes Versichertenleben an ein einziges Unternehmen zu „ketten“. Der Lösung dieses Problems hat sich die private Versicherungsbranche bisher hartnäckig verweigert. Schließlich hat die PKV auch ein nicht zu unterschätzendes Ausgabenproblem, das sich in einer enormen Dynamik bei den Ausgabensteigerungen widerspiegelt. In der Vergangenheit haben diese Entwicklungen vor allem für die älteren Versicherten immer wieder zu entsprechenden Prämienanpassungen geführt. Zwar gewährleistet die PKV in der Regel ein relativ hohes Versorgungsniveau, allerdings haben auch die privat Versicherten ein Interesse daran, dass ihr Krankenversicherungsschutz langfristig „bezahlbar“ bleibt. Dies gilt umso mehr, als die privat Versicherten zwar insgesamt ein überdurchschnittliches Einkommensniveau aufweisen, jedoch auch in der PKV längst nicht mehr ausschließlich „Besserverdiener“ versichert sind. Die zunehmend heterogenen Einkommensstrukturen der privat Versicherten erfordern, dass die PKV ihr Ausgabenproblem zukünftig in den Griff bekommt. Die Chancen dafür stehen bislang jedoch schlecht, denn außer Prämienanpassungen und Instrumenten zur Verhaltenssteuerung der Versicherungsnehmer besitzen die Privatversicherer kaum Möglichkeiten, um auf die Ausgabendynamik nennenswerten Einfluss zu nehmen.
Einleitung
17
Dass sich die PKV bewegen muss, steht außer Zweifel. Offen ist jedoch der Weg, den sie dabei einschlagen wird. Im Folgenden geht es darum, mögliche Reformwege für die PKV aufzuzeigen. Die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit lautet daher: Wie können die drei Probleme der PKV – das Abgrenzungs-, das Wettbewerbs- und das Ausgabenproblem – vor dem Hintergrund bisher vollzogener Gesundheitsreformen gelöst werden? Zielsetzung der nachfolgenden Untersuchungen ist es, ƒ ƒ ƒ ƒ
die gegenwärtigen Probleme sachanalytisch zu erfassen Bedingungen und Grenzen möglicher Veränderungen zu analysieren Argumente und Lösungsansätze zu prüfen sowie praxistaugliche Vorschläge zu unterbreiten, mit deren Hilfe die Probleme der PKV gelöst werden könnten.
Die Beantwortung der hier aufgeworfenen Fragen erfolgt vor dem Hintergrund, dass seit Mitte der 1990er Jahre in beiden Versicherungssystemen erstmals grundlegendere strukturelle Veränderungen vorgenommen wurden. Es steht außer Frage, dass sich GKV und PKV noch immer durch eine Reihe unterschiedlicher Strukturelemente auszeichnen. Spätestens seit Mitte der 1990er Jahre vollzieht sich jedoch eine Hybridisierung der beiden Versicherungssysteme, die sich in weiten Teilen auch als gegenseitige Annäherung interpretieren lässt. Institutionell hat der Gesetzgeber zwar das duale Versicherungssystem gestärkt, indem er der PKV die Rolle der substitutiven Krankenversicherung zugewiesen hat. Innerhalb der jeweiligen Systeme wurden jedoch Veränderungen vorgenommen, die die Grenze zwischen Privat- und Sozialversicherung immer mehr aufgeweicht haben. Für die PKV bedeuteten die Entwicklungen eine verstärkte sozialregulative Einbettung des privatwirtschaftlichen Versicherungsmodells und für die GKV eine zunehmende wettbewerbliche Transformation unter staatlicher Aufsicht. Für die politischen Entscheidungsträger und die an den Aushandlungsprozessen beteiligten Akteure ergeben sich durch den Hybridisierungsprozess durchaus positive Gestaltungsoptionen. Durch die Ausdifferenzierung lassen sich nämlich oftmals Handlungsspielräume gewinnen, da sich viele Anknüpfungspunkte und Entwicklungsmöglichkeiten bieten, um auf verschiedene Probleme zu reagieren. Gerade im komplexen und von pluralistischen Interessen geprägten Gesundheitswesen lassen sich Kompromisse und gemeinsame Lösungen eventuell leichter finden, wenn es für politische Entscheidungen mehrere Alternativen gibt. Daher kann auf diesem Wege möglicherweise auch das Kon-
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Einleitung
fliktpotential reduziert werden, so dass Streitfragen weniger ideologisch, sondern eher pragmatisch und sachorientiert gelöst werden können. Es kann im Folgenden also nicht darum gehen, die PKV „abschließend“ zu reformieren. Vielmehr muss nach Wegen und Möglichkeiten gesucht werden, die vorhandenen Probleme zu lösen und die PKV moderat weiterzuentwickeln. Die Hybridisierung der Systeme beinhaltet daher nicht nur ein kreatives, sondern auch ein überaus integratives Potential, das es hier zu nutzen gilt. Dabei wird folgendermaßen vorgegangen: In Kapitel 1 erfolgt zunächst eine Einordnung in den Forschungszusammenhang dieser Arbeit. Der Politikwissenschaft mangelt es im Allgemeinen zwar nicht an Beiträgen zur Gesundheitspolitik, allerdings gehört die PKV bislang nicht zu ihren bevorzugten Forschungsgegenständen (1.1). Innerhalb der Politikwissenschaft besteht außerdem eine gewisse Affinität zu bestimmten Erscheinungsformen des Wohlfahrtsstaates, die eine Auseinandersetzung mit der PKV nicht gerade begünstigt haben. Hierzu zählen vor allem die Steuerungsdiskurse über die Selbstverwaltungsstrukturen der GKV (1.2), sowie die vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung, der es im Hinblick auf spezielle Probleme kleinerer Subsysteme wie der PKV oftmals an analytischer Tiefenschärfe mangelt (1.3). Die politikwissenschaftliche Zurückhaltung beim Thema PKV hat die „akademischen Zuständigkeiten“ daher weitgehend den Wirtschafts- und Rechtswissenschaften sowie den Interessenvertretern der PKV überlassen. Obwohl die Nachbardisziplinen ganz wesentlich zum Verständnis diverser Problemlagen in der PKV beigetragen haben, zeigen auch sie ihre ganz speziellen perspektivischen Verengungen (1.4). Vor dem Hintergrund neuerer Konzepte der Politikwissenschaft, die sich im Zuge der rot-grünen Sozialstaatsreformen mit der Konstitution von Wohlfahrtsmärkten beschäftigt haben (1.5), wird eine interdisziplinäre Brücke geschlagen, indem versucht wird, die jeweiligen Stärken der drei beteiligten Fachdisziplinen als analytischen Rahmen zu nutzen (1.6). Kapitel 2 setzt sich mit den unterschiedlichen Grundlagen der beiden Versicherungssysteme auseinander, wobei der Schwerpunkt hier auf den strukturellen und organisationsbezogenen Grundlagen der PKV liegt. Da das Leistungsgeschehen der PKV maßgeblich durch die rechtlichen Rahmenbedingungen der GKV beeinflusst wird, werden die wichtigsten Grundzüge hier so weit skizziert, wie es für die PKV und den Fortgang der Untersuchung von Bedeutung ist. Vor dem Hintergrund der Entstehung des dualen Versicherungssystems (2.1) geht es zunächst um die Abgrenzung des für die PKV relevanten Personenkreises (2.2) sowie die Unterschiede in den Leistungs- und Beziehungsstrukturen der beiden
Einleitung
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Versicherungszweige (2.3). Von entscheidender Bedeutung für das Verständnis zahlreicher Probleme in der PKV ist das Kalkulationsverfahren, dem in Abgrenzung zur einkommensabhängigen Beitragsbemessung in der GKV besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird (2.4). Abschließend werden die unterschiedlichen Rechtsformen der gesetzlichen und privaten Versicherungen sowie die unterschiedlichen Aufgaben ihrer Verbände behandelt (2.5) und die Ergebnisse kurz zusammengefasst (2.6). In Kapitel 3 werden die seit Beginn der 1990er Jahre einsetzenden Reformprozesse analysiert, die für beide Versicherungssysteme einen bis heute anhaltenden Prozess der Hybridisierung eingeläutet haben. Im Vordergrund steht hier zunächst die Transformation der PKV (3.1). Für die Privatversicherer war vor allem die europarechtliche Neuordnung infolge der Dritten Richtlinie Schadenversicherung von Bedeutung, die zu wesentlichen Veränderungen im nationalen Aufsichtsrecht geführt hat (3.1.1). Zu einer weiteren Annäherung an die GKV kam es seit Mitte der 1990er Jahre durch die Einführung des PKVStandardtarifs für ältere Versicherte (3.1.2) sowie durch die Einführung der Pflegeversicherung und des Basistarifs (3.1.3). Darüber hinaus hat die Branche immer wieder auch freiwillige Maßnahmen getroffen, die ebenfalls eine Annäherung an die GKV bedeuten (3.1.4). Im folgenden Abschnitt wird die Transformationsphase der GKV analysiert, denn auch hier wurden Anfang der 1990er Jahre vertraute Pfade verlassen (3.2). Zunächst geht es um den verschärften Problemdruck im Vorfeld der Reformen, die seit 1992 zu weitreichenden Veränderungen geführt haben (3.2.1). Im Zuge dieser Entwicklungen wurden auch in der GKV immer mehr Steuerungsinstrumente eingeführt, die den Individualakteuren ökonomische Verhaltensanreize setzen. Hierzu zählen der Kassenwettbewerb, die Einführung sektoraler Budgets und Zuzahlungen (3.2.2) sowie Selbstbehalte, Beitragsrückerstattungen und Kostenerstattungstarife (3.2.3). Darüber hinaus wurden einige Modifikationen in den rechtlichen Strukturen der gesetzlichen Versicherungen vorgenommen (3.2.4). Abschließend werden die Chancen und Risiken dieses Transformationsprozesses diskutiert (3.3). Vor diesem Hintergrund werden in den drei folgenden Kapiteln die aufgeworfenen Probleme der PKV – Systemabgrenzung, Wettbewerbsdefizit und Ausgabendynamik – analysiert. Kapitel 4 setzt sich mit der überkommenen Systemabgrenzung auseinander, indem die normativen Grundlagen des Trennungsdenkens dargestellt und einer kritischen Reflektion unterzogen werden (4.1). Darauf aufbauend wird gezeigt, dass die politische Leitvorstellung, schutzbedürftige und nicht schutzbedürftige Personen voneinander abgrenzen zu können, seit Jahren auf eine
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Einleitung
sozialpolitische Realität trifft, die diesem Trennungsdenken zuwider läuft (4.2). Für die PKV hat dies zur Folge, dass auch unter ihren Versicherten immer häufiger faktische soziale Schutzbedürftigkeit entsteht. Die zunehmend heterogenen Einkommensverhältnisse der privat Versicherten geraten somit immer wieder in Konflikt mit dem privatwirtschaftlichen Geschäftsmodell der PKV, das vornehmlich darauf ausgerichtet ist, einen gut situierten und wohlhabenderen Personenkreis zu versichern. Es wird überdies gezeigt, dass von einer „eigenverantwortlichen“ Absicherung des Krankheitsrisikos in der PKV keine Rede sein kann und vielfach unbeteiligte Dritte wieder für die entstandenen Schäden aufkommen müssen (4.3). In der Vergangenheit hat der Sozialgesetzgeber daher immer häufiger innerhalb der PKV nach Lösungen gesucht, was in der Branche regelmäßig auf erbitterten Widerstand gestoßen ist (4.4). Zu den wichtigsten Strategien der Interessenvertretung gehört es, sozialpolitische Interventionen in das „angestammte“ Geschäftsfeld der Privatversicherer als verfassungswidrig zu brandmarken (4.4.1). Da nahezu alle sozialpolitischen Maßnahmen des Gesetzgebers vor dem Bundesverfassungsgericht gelandet sind, gibt es hier mittlerweile eine umfassende Rechtsprechung, die die Privatversicherer mit bemerkenswerter Deutlichkeit an ihren sozialen Auftrag erinnert (4.4.2). Dass es den Interessenvertretern bisher jedoch trotzdem gelungen ist, tiefgreifendere Reformen stets abzuwehren, ist vor allem den netzwerkartigen Verflechtungen des PKVVerbandes zu verdanken, die nicht nur Unterstützung vom Beamtenbund und den freien Ärzteverbänden erfahren, sondern auch ausgezeichnete Kontakte zu wichtigen Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Medien unterhalten (4.4.3). Auf der Grundlage der Analysen werden abschließend Vorschläge unterbreitet, die auf eine moderate Neuordnung des Systemtrennung abzielen (4.5). Kapitel 5 beschäftigt sich mit dem nach wie vor ungelösten Wettbewerbsproblem der PKV. Anders als zumeist behauptet, ist für die Wechselhemmnisse der PKV-Bestandsversicherten nicht die mangelhafte Übertragbarkeit der Altersrückstellungen verantwortlich, sondern der hybride Charakter des PKVGeschäftsmodells. Es wird zunächst auf sachanalytischer Ebene argumentiert, dass diese Wechselhemmnisse einzig daraus resultieren, dass zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses andere Spielregeln gelten als nach dem Vertragsabschluss (5.1). Im folgenden Abschnitt wird analysiert, wie es seit nunmehr zwei Jahrzehnten gelungen ist, einen funktionierenden Wettbewerb um die Bestandsversicherten zu verhindern (5.2). Während unter den Vertretern der Branche zunächst überhaupt kein Problembewusstsein vorhanden zu sein schien, hat die wettbewerbliche Transformation der GKV die Diskussion seit Mitte der 1990er Jahre maßgeblich befeuert (5.2.1). In der Folge haben verschiedene Experten-
Einleitung
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kommissionen die Wechselhemmnisse immer wieder auf die vermeintliche Nicht-Übertragbarkeit der Altersrückstellungen zurückgeführt und damit den Kern des Problems regelmäßig verfehlt. Darüber hinaus haben fast alle Kommissionen die Auffassung vertreten, dass der Wettbewerb in einem marktwirtschaftlichen Versicherungssystem letztlich verzichtbar sei. (5.2.2). Als der Gesetzgeber im Rahmen der Gesundheitsreform 2007 versucht hat, in der Privatversicherung etwas mehr Wettbewerb zu etablieren und auch den Bestandsversicherten benachteiligungsfreie Wechseloptionen einzuräumen, ist es den Interessenvertretern der PKV erneut gelungen, tiefergehende Veränderungen abzuwehren. Allerdings waren hier erstmals Risse in der sonst so geschlossenen Branche zu beobachten (5.2.3). Nach einem kurzen Zwischenfazit (5.3) wird ein Vorschlag unterbreitet, wie das Wettbewerbsproblem ursachenadäquat und zum Wohl der Versicherten gelöst werden könnte (5.4). In Kapitel 6 geht es um das Ausgabenproblem der PKV. Seit langem verzeichnet die PKV sehr starke und im Vergleich zur GKV überproportionale Ausgabenzuwächse. Diese Entwicklung wird zunächst dargestellt und gezeigt, dass die höchsten Ausgabenzuwächse seit Jahren dort entstehen, wo die Ärzte ihre medizinischen Leistungen auf der Grundlage der Einzelleistungsvergütung abrechnen können (6.1). Der Vorteil dieser Abrechnungspraxis besteht zwar darin, dass die medizinische Versorgung allumfassend ist und in der Regel ein hohes Versorgungsniveau erreicht wird. Der Nachteil für die Versicherten ergibt sich allerdings aus den hohen Kostensteigerungen, die sich regelmäßig in entsprechenden Prämienanpassungen niederschlagen. Vor diesem Hintergrund werden die Steuerungsinstrumente analysiert, mit denen die Privatversicherer auf die Ausgabenanstiege reagieren können (6.2). Es wird gezeigt, dass die Einflussmöglichkeiten der Unternehmen insofern gering sind, als sie entweder nur Prämienanpassungen vornehmen können (6.2.1) oder über die Tarifgestaltung versuchen können, einen Einfluss auf das Versichertenverhalten zu nehmen (6.2.2). Was den Privatversicherern jedoch bis heute fehlt, sind Steuerungsinstrumente, die auf das Abrechnungsverhalten der Leistungsanbieter abzielen (6.2.3). Aufbauend auf dieser Problemanalyse wird der Interessenkonflikt zwischen dem PKV-Verband und der Bundesärztekammer analysiert, bei dem sich die Privatversicherer bisher vor allem in Widersprüchen verfangen haben (6.3). Am Ende dieses Kapitels werden auch hier Vorschläge unterbreitet, wie die PKV ihr Ausgabenproblem lösen könnte (6.4). In Kapitel 7 werden die wichtigsten Ergebnisse und Empfehlungen zusammengefasst (7.1) und ein Ausblick auf noch offene Forschungsfragen gegeben (7.2).
1
1.1
Die PKV als blinder Fleck der Politikwissenschaft
Die Isolation der Politikwissenschaft
Wer sich als Politikwissenschaftler mit der deutschen Gesundheitspolitik auseinandersetzt, wird vermutlich schon nach kurzer Zeit drei Dinge feststellen: Erstens ist die Politikwissenschaft in gesundheitspolitischen Fragen eine weitgehend „isolierte“ Wissenschaft, die von anderen Fachdisziplinen kaum wahrgenommen wird. Zweitens nimmt auch die Politikwissenschaft die Arbeiten ihrer Nachbardisziplinen nur selten zur Kenntnis. Drittens scheint sich auch die Nachfrage der gesundheitspolitischen Entscheidungsträger nach politikwissenschaftlichen Erkenntnissen in überschaubaren Grenzen zu halten. Die Gründe für die wissenschaftliche Isolation und das mangelnde Vertrauen in die Problemlösekompetenz der Politikwissenschaft sind zu einem gewissen Teil „hausgemacht“. Ein erheblicher Teil der politikwissenschaftlichen Energie konzentriert sich darauf, rückblickend institutionellen Wandel zu erfassen sowie die Intensität und die Richtung vollzogener Sozial- und Gesundheitsreformen zu bewerten (Döhler 2002; Hartmann 2002; Wendt u.a. 2005). Die Betrachtung vergangener Entwicklungen ist zweifelsohne erforderlich, um wohlfahrtsstaatliche Transformationsprozesse zu identifizieren. Erst über das intensive Studium langfristig wirksamer Veränderungen erschließen sich die Zusammenhänge einzelner Reformschritte, werden institutionelle Verflechtungen sichtbar, zeichnen sich neue Machtstrukturen ab (Trampusch 2008: 365). Der Rückblick auf bereits vollzogene Entwicklungen ist somit zwar ein ebenso berechtigtes wie konstitutives Anliegen der Politikwissenschaft, allerdings lässt diese Herangehensweise allzu oft einen konkreten und aktuellen Problembezug vermissen (Schubert 2009: 40). So kann beispielsweise die Frage, ob die sozialen Sicherungssysteme eher eine institutionelle Beharrungskraft aufweisen, ob sie sich sogar grundlegend verändern oder doch nur einem inkrementellen Wandel unterliegen, nahezu unabhängig von konkreten Problemlagen, Lösungsansätzen und Reformergebnissen verhandelt werden (ein guter Überblick über die wissenschaftliche Kontroverse findet sich bei Lütz 2004: 15-20). Erschwerend kommt noch hinzu, dass es weder allgemein anerkannte Maßstäbe noch eine
R. Böckmann, Quo vadis, PKV?, DOI 10.1007/978-3-531-92741-1_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Die PKV als blinder Fleck der Politikwissenschaft
gemeinsame Bewertungsgrundlage zur Beurteilung von Reformintensitäten gibt (Kersbergen 2000: 26). Die abstrakte Frage nach Kontinuität oder Wandel kann somit auch losgelöst von den jeweiligen Ursachen, Anlässen und Wirkungen vollzogener Reformen diskutiert werden, ohne dass sich hieraus ein praktischer Nutzen ergäbe. Den mangelnden Praxisbezug der Politikwissenschaft kritisiert Schubert auch unter Verweis auf die hiermit verbundene Immunisierungsstrategie: „Ein Großteil politikwissenschaftlicher Forschung stellt sich gar nicht dem Ziel, praktisch umsetzbares Wissen zu entwickeln. Vielmehr sieht sie ihre Aufgabe darin – und macht sich insofern unabhängig – , politische, soziale, ökonomische Zusammenhänge ohne Praxisbezug theoretisch zu untersuchen.“ (Schubert 2003: 7)
Diese Kritik, auch wenn sie bei Schubert viel allgemeiner formuliert und nicht auf ein bestimmtes Politikfeld bezogen wird, trifft in besonderem Maße auf die Gesundheits- und Sozialpolitik zu. Dieser Einwand bedeutet natürlich keineswegs, dass der Sinn der Politikwissenschaft einzig darin bestehen soll, politischen Entscheidungsträgern beratend zur Seite zu stehen. Ohne theoretische Vorarbeiten wäre dies auch kaum möglich, denn politische, soziale und ökonomische Zusammenhänge müssen zunächst beschrieben, erklärt und reflektiert werden, bevor auf dieser Grundlage handlungsrelevantes Wissen für konkrete Probleme bereitgestellt werden kann (Schneider 2008: 56; Schubert/Bandelow 2009: 7-12). Auf der anderen Seite kann es ebenso wenig Ziel der Wissenschaft sein, dass mühsam gewonnene Expertise ausschließlich im engsten Kreis akademischer Fachzirkel diskutiert und verhandelt wird. Will man aber einen sinnvollen Beitrag zur Problemdiagnose und zur politischen Intervention im Sozial- und Gesundheitsbereich leisten, dann muss die Politikwissenschaft versuchen, eine Brücke zu schlagen zwischen Theorie und Praxis, zwischen der Analyse vergangener Ereignisse, der Wahrnehmung gegenwärtiger Probleme und der Entwicklung zukunftsweisender Lösungsansätze. Der oftmals fehlende Praxisbezug und die wissenschaftliche Isolation der Politikwissenschaft resultieren aber nicht nur aus der skizzierten Wissenschaftstradition, rückblickend institutionellen Wandel oder politische Entscheidungsprozesse zu erklären, sondern auch aus zementierten „akademischen Zuständigkeiten“ für bestimmte Erscheinungsformen des Sozial- und Gesundheitssystems. Dass die PKV gegenüber der GKV grundsätzlich eine eher untergeordnete Rolle spielt, ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass sie seit jeher den kleineren Zweig des dualen Versicherungssystems darstellt. In der Tat sprechen zunächst einmal viele gute Gründe für eine ausführliche Betrachtung der GKV. Sowohl ihre historische Bedeutung als erste gesetzliche Sozialversicherung in Europa,
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ihre soziale Bedeutung als solidarische Krankenversicherung für 85 Prozent der Bevölkerung, ihre ökonomische Bedeutung als größter Ausgabenträger im Gesundheitswesen als auch ihre politische Bedeutung als eine der Kerninstitutionen des Wohlfahrtsstaates rechtfertigen ohne Zweifel einen gewissen „akademischen Vorrang“ gegenüber anderen Institutionen des Gesundheitswesens. Trotzdem ist die PKV keineswegs unbedeutend, denn seit über hundert Jahren erfüllt sie eine wichtige Sicherungs- und Substitutivfunktion im deutschen Gesundheitswesen. Heute umfasst sie weit mehr als acht Millionen Versicherte und ersetzt somit für einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung den gesetzlichen Krankenversicherungsschutz. Die betriebswirtschaftlichen, versicherungsmathematischen und juristischen Grundlagen der PKV sind jedoch für Sozialwissenschaftler oftmals sehr undurchsichtig. Bis zu einem gewissen Grad erklärt dies sicherlich auch, warum die PKV nicht gerade zu den bevorzugten Untersuchungsgegenständen der Politikwissenschaft gehört. Tiefgehendere Ursachen für das politikwissenschaftliche Desinteresse an der PKV dürften jedoch vor allem in bestimmten Wissenschaftstraditionen, bzw. „dominanten“ Forschungsrichtungen liegen. Hierzu zählen sowohl die theorielastigen und bis heute nachwirkenden Steuerungsdiskurse der 1980er und 1990er Jahre (Gäfgen 1988; Mayntz 1990) als auch die innerpolitikwissenschaftliche Dominanz der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung (EspingAndersen 1990; Pierson 1996). Beide Forschungsrichtungen zeichnen sich durch eine gewisse Affinität zu den korporatistischen Erscheinungsformen der GKV, bzw. zum traditionellen Wohlfahrtsstaat aus und haben eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der PKV nicht gerade begünstigt.
1.2
Korporatismus und Gesundheitspolitik
Politikwissenschaftliche Beiträge, die sich speziell mit Steuerungsproblemen im deutschen Gesundheitswesen auseinandergesetzt haben, wurden lange Zeit fast ausschließlich von Ansätzen dominiert, die sich – zumeist kritisch – auf die Selbstverwaltungsorgane und die korporatistischen Strukturen der gesetzlichen Krankenversicherung bezogen haben (Mayntz 1990; Rosewitz/Webber 1990). Im Mittelpunkt des politikwissenschaftlichen Interesses standen vor allem die Organisationsstrukturen des ambulanten Sektors, der „geradezu als Musterbeispiel des Korporatismus“ (Gerlinger 2009: 20) gelten kann. Die wichtigsten Akteure für diese Form der Interessenvermittlung sind bis heute die Verbände der gesetzlichen Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV),
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die als Interessenvertretung für ihre Mitglieder verbindliche Regelungen in den Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung schaffen. Die Korporatismusdebatten waren bis weit in die 1990er Jahre von einem tiefgreifenden Steuerungspessimismus getragen (Lehmbruch 1988: 31; Murswieck 1990: 173; Alber 1992: 169). Vor allem die Kassenärztlichen Vereinigungen galten lange Zeit als machtvolle „Lobby in Weiß“ (Rauskolb 1976) und auch der gemeinsamen Selbstverwaltung hielten viele Politikwissenschaftler ein hohes Maß an „Strukturkonstanz“ (Döhler/Manow 1995: 141) und „Steuerungsresistenz“ (Mayntz 1990: 288) vor. Als wesentliche Gründe für die strukturelle Beharrungskraft des Gesundheitswesens galten neben der hohen Verbandslastigkeit vor allem die Dominanz von Koalitionsregierungen und die föderale Politikverflechtung (Rosewitz/Webber 1990: 299-313). Zu den wesentlichen Kritikpunkten an der korporatistischen Interessenaushandlung gehört bis heute, dass Entscheidungen oftmals zu Lasten unbeteiligter Dritter gehen und die Vertragspartner dazu neigen würden, an bestehenden Strukturen festzuhalten (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVRGesundheit) 2005: 51-53). Der PKV-Verband und die privaten Versicherungsunternehmen waren jedoch zu keinem Zeitpunkt an dieser Form korporatistischer Interessenaushandlung beteiligt. Bis heute unterhalten sie keine vergleichbaren Vertragsbeziehungen zu den niedergelassenen Ärzten und übernehmen auch keine öffentlich-rechtlichen Aufgaben (siehe hierzu Kapitel 2.3). Dies ist sicherlich einer von vielen Gründen, warum die PKV oftmals aus dem politikwissenschaftlichen Blickfeld gerät. Unabhängig von der breiten Diskussion um die Vor- und Nachteile korporatistischer Steuerung haben sich politikwissenschaftliche Beiträge auch mit der Frage beschäftigt, ob bestimmte Konzeptionen des Korporatismusbegriffs den Selbstverwaltungsstrukturen im deutschen Gesundheitswesen entsprechen (Schmitter 1979; Lehmbruch 1988; Czada 1994; Streeck 1999). Die strukturellen Besonderheiten des Gesundheitswesens wurden jedoch oft nur als „Anschauungsmaterial“ für theoretische Steuerungsdiskurse benutzt, ohne dabei genuin gesundheitspolitische Fragen in den Vordergrund zu stellen. Auch dies mag in gewisser Hinsicht die politikwissenschaftliche Isolation erklären, wenn es darum geht, für die gesundheitspolitischen Entscheidungsträger praxisrelevantes Wissen bereitzustellen oder für die Nachbardisziplinen interessante und anknüpfungsfähige Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. Wie Ulrich von Alemann einmal treffend bemerkte, blieb „der Korporatismus der Sozialwissenschaften in den achtziger Jahren (...) Fachjargon und verließ kaum die Seminare und Diskurse“ (Alemann 2000). Allerdings – so möchte man mit Blick auf
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die politikwissenschaftliche Kommentierung der aktuellen Gesundheitspolitik hinzufügen – stellt er genau in jenen Seminaren und Diskursen bis heute einen äußerst beharrlichen Bezugspunkt dar. Wenngleich der Bedeutungszuwachs marktwirtschaftlicher Steuerungsinstrumente seit Beginn der 1990er Jahre auch unter Politikwissenschaftlern durchaus konsensfähig ist (Kania/Blanke 2000; Bode 2004; Gerlinger/Schmucker 2009), erweist sich die Korporatismusfokussierung noch immer als äußerst beständig. Seinen Ausdruck findet dies auch im Sprachgebrauch, wenn unter Berücksichtigung wettbewerblicher Transformationsprozesse immer wieder auf den Korporatismus Bezug genommen wird. So sehen z.B. Jochem/Siegel (2003) eine Entwicklung „vom Tauschkorporatismus zum Wettbewerbskorporatismus“, Urban (2001) spricht von „wettbewerbskorporatistischer Regulierung“ und Noweski (2004) von einem „rehierarchisierten Wettbewerbskorporatismus“. Der positive Beitrag dieser Forschungsrichtung besteht zweifelsohne darin, einen tiefen Einblick in die grundlegenden Strukturen verbandlicher Interessenvertretung geliefert zu haben. Darüber hinaus haben die Korporatismusdebatten wesentlich dazu beigetragen, die Zusammenhänge zwischen dem vielfach beklagten „Reformstau“ im Gesundheitswesen und dem politischen System der Bundesrepublik Deutschland zu erklären, bzw. zu zeigen, unter welchen Bedingungen trotzdem weitreichendere Reformen möglich sein können (z.B. Reiners 1993; Perschke-Hartmann 1994; Stegmüller 1996). Die intensiven Auseinandersetzungen mit den korporatistischen Erscheinungsformen gesundheitspolitischer Steuerung haben sicherlich zu einer ausführlichen Betrachtung der hier tätigen Akteure geführt. Allerdings sind die realen Gegebenheiten im Gesundheitswesen nicht ausschließlich durch Selbstverwaltungsstrukturen geprägt, sondern durch einen großen Pluralismus an Steuerungsebenen, Akteuren und Institutionen (Rosenbrock/Gerlinger 2006: 13-18). Sowohl traditionell eher marktwirtschaftlich organisierte Versorgungsbereiche wie beispielsweise die private Krankenversicherung oder der pharmazeutische Sektor, als auch nicht oder nur schwach organisierte Interessengruppen, wie beispielsweise Versicherte, chronisch Kranke, multimorbide Patienten, pflegende Familienangehörige etc., wurden somit tendenziell vernachlässigt. Das hierdurch entstandene Vakuum wurde zum Teil dadurch gefüllt, dass viele Nachbardisziplinen mittlerweile gesundheitsspezifische Fachbereiche wie beispielsweise die Gesundheitsökonomie, die Medizinsoziologie oder die Gesundheitswissenschaften (Public Health) gebildet haben (Noweski/Engelmann 2006: 9-12). Zweifelsohne spielen die Selbstverwaltungsstrukturen im deutschen Gesundheitswesen auch heute noch eine wichtige Rolle. Vor diesem Hintergrund ist sicherlich auch das berechtigte Interesse
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der Wissenschaft an diesen Erscheinungsformen gesundheitspolitischer Steuerung zu erklären. Diese mitunter zwar nicht falsche, in ihrer Ausrichtung aber etwas einseitige Herangehensweise hat jedoch zu perspektivischen Verengungen geführt, die eine angemessene Beschäftigung mit nicht korporatistisch eingebundenen Akteuren erheblich erschwert haben. Allmählich scheint sich die Politikwissenschaft jedoch von den Korporatismusdiskursen zu lösen. So wird z.B. seit einiger Zeit der Fokus verstärkt auf Qualitätsaspekte des Gesundheitswesens gerichtet (Bandelow u.a. 2009a) und die Perspektive der Patienten und Versicherten immer mehr in den Vordergrund gerückt (Gellner/Wilhelm 2006; Ewert 2009; Gerlinger 2009). Hinzu kommen gerade in jüngerer Vergangenheit viele Publikationen, die sich ebenso kritisch wie anschaulich mit den Erosionstendenzen korporatistischer Verpflichtungsfähigkeit unter der Bedingung zunehmend wettbewerblicher Orientierung im Gesundheitswesen auseinandersetzen (für die veränderten Machtstrukturen der Kassenärztlichen Vereinigungen siehe z.B. Bandelow 2007; Bandelow/Schade 2009). Hieraus lassen sich zum Teil wertvolle Impulse für die derzeitige Entwicklung der verbandlichen Interessenvertretung der PKV gewinnen, auch wenn diese keinen öffentlich-rechtlichen Status haben und auch keine Zwangsmitgliedschaften vorsehen (siehe Kapitel 2.5 und 5.2.3).
1.3
Vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung
Mit der international vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung existiert ein weiterer Zweig der Politikwissenschaft, der seit nunmehr zwei Jahrzehnten erhebliche Ressourcen bindet. Unter den komparativen Studien war die Typologisierung liberaler, konservativer und sozialdemokratischer Wohlfahrtsstaaten in „The Three Worlds of Welfare Capitalism“ von Esping-Andersen (1990) zweifelsohne ein bahnbrechendes Werk, das fast zwei Jahrzehnte zahlreiche Debatten geprägt hat. Gleichwohl sah sich die Typologisierung seit jeher vielfältiger empirischer, methodischer und konzeptioneller Kritik ausgesetzt, was der Anziehungskraft dieses Forschungszweiges jedoch keinen Abbruch getan hat. Die vielen vergleichenden Studien, die mit langjähriger Kontinuität institutionellen Wandel und sozialpolitische Reformen analysiert haben, haben sicherlich zur Klärung von Gemeinsamkeiten und Differenzen unter den Wohlfahrtsstaaten beigetragen. Allerdings scheint sich allmählich die Ansicht durchzusetzen, dass nicht Typen, Regime oder Cluster, sondern „Eigenheit und Pluralität“ die Wohlfahrtslandschaften prägen (Hegelich/Schubert 2008: 647). Dieser Erkenntnis ist insbesondere mit Blick auf die Gesundheitssysteme uneingeschränkt
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zuzustimmen, denn die jahrzehntelange Kategorisierung von Wohlfahrtssystemen hat einer adäquaten Beschäftigung mit gesundheitspolitischen Fragen – und vor allem mit nationalen Besonderheiten wie der PKV – eher im Wege gestanden, als dass sie wesentliche Erkenntnisse über die (Teil-)Systeme sozialer Sicherung hervorgebracht hätte. Dass die Gesundheitspolitik im Allgemeinen und die substitutive PKV im Speziellen nicht zu den bevorzugten Gegenständen der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung zählt, dürfte zum einen auf die relativ hohe Komplexität von Gesundheitssystemen zurückzuführen sein und zum anderen auf die Tatsache, dass die PKV im europäischen Vergleich eine Eigenart darstellt, die sich kaum auf vergleichbare Strukturen beziehen kann. Gesundheitssysteme weisen in allen modernen Wohlfahrtsstaaten einen relativ hohen Komplexitätsgrad auf. Sie sind zumeist durch unübersichtliche Akteursgeflechte, multiple Nutzeridentitäten und vielfältige Steuerungsebenen gekennzeichnet, die zudem ein hohes Maß an horizontaler und vertikaler Verflechtung aufweisen. Daher ist es eigentlich schon im Ansatz schwierig, diese ausdifferenzierten Systeme bestimmten Wohlfahrtsstaatstypen, -regimen oder clustern zuzuordnen. Typologisierungen erfolgen jedoch notwendigerweise auf der Basis international vergleichbarer Grunddaten. Dieses ist nicht zuletzt ein forschungspraktisches Erfordernis, denn allzu detaillierte Analysen würden in internationalen Forschungszusammenhängen schnell an komparativer Integrationskraft verlieren. Allerdings sagen Ausgabenniveaus, Finanzierungsmodi, Bettenzahlen oder durchschnittliche Lebenserwartungen noch nicht viel über die systemspezifischen Besonderheiten oder gar die Qualität eines Gesundheitssystems aus. Die Analyse spezieller Probleme erfordert aber eine gewisse Genauigkeit und Detailkenntnis, die sich in international vergleichenden Studien oftmals nicht realisieren lässt. Dies gilt natürlich umso mehr, je höher die Anzahl der verglichenen Staaten und je umfassender die betrachteten Politikfelder sind. Gerade in den rechtlichen und politischen Eigenheiten der einzelnen Politikfelder verbergen sich aber oftmals die größten Schwierigkeiten, wenn es darum geht, für konkrete Probleme praktikable Lösungen zu finden. Gemessen an ihrer sozialpolitischen Bedeutung nimmt die Gesundheitspolitik in der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung seit jeher eine nachrangige Stellung ein. Sofern sich komparative Studien überhaupt mit Gesundheitssystemen befassen, berücksichtigen sie in der Regel nur den Teil der Gesundheitsversorgung, der über staatliche Versorgungssysteme oder staatsnahe Sozialversicherungen bereitgestellt wird (Bambra 2005; Rothgang u.a. 2006; Wendt u.a. 2007). Die PKV fällt schon allein deshalb aus dem Analyseraster, weil außer Deutschland kein anderes Land in der Europäischen Union eine substitutive
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private Krankenversicherung unterhält. Als nationale Besonderheit ist sie für solche Vernachlässigungen geradezu prädestiniert, obwohl die deutschen Privatversicherer in quantitativer Hinsicht Personen in der Größenordnung ganzer EU-Mitgliedsstaaten versichern. Der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung mangelt es in dieser Hinsicht oft an der erforderlichen Tiefenschärfe. Hier deutet sich bereits ein Problem grundsätzlicherer Natur an: Sofern es der Wissenschaft darum geht, verallgemeinerbare Aussagen mit höherer theoretischer Reichweite zu formulieren, wird dies immer auf einem hohen Abstraktionsniveau geschehen müssen. Der Vorteil der höheren theoretischen Reichweite wird dabei jedoch mit dem Preis einer gewissen Ungenauigkeit bezahlt. Umgekehrt gilt, dass konkrete Antworten auf sehr spezielle Probleme zwar sehr gut zu einzelnen Lösungsansätzen beitragen können, in aller Regel aber nicht zu verallgemeinerbaren Aussagen führen und somit in theoretischer Hinsicht zumeist eine eher geringere Rechweite besitzen (Schubert/Bandelow 2009: 9). In jüngerer Vergangenheit gab es aber immer wieder einzelne Arbeiten, die sich vor dem Hintergrund konkreter nationaler Reformdiskurse eingehender mit den Gesundheitssystemen anderer Wohlfahrtsstaaten auseinandergesetzt haben. So existierte z.B. bis vor kurzem in den Niederlanden ein annähernd vergleichbares duales Krankenversicherungssystem, das im Jahr 2006 nach einer längeren Konvergenzphase in ein einheitliches Versicherungssystem überführt wurde (siehe hierzu z.B. die niederländisch-deutschen Vergleichsarbeiten von Wasem u.a. 2004 vor der Reform und Leiber/Manouguian 2009 nach der Reform).1 Bei diesen Arbeiten ging es aber nicht um die Frage, ob ein Land nach einer bestimmten Reform noch dem Idealtypus irgendeines Wohlfahrtsregimes entspricht (oder sich nicht doch Mischelemente oder Modellerweiterungen finden lassen), sondern darum, ob mögliche Reformkonzepte, die in anderen Staaten bereits umgesetzt sind, hierzulande als Vorbild dienen könnten. Unter der Bedingung eines möglichst genauen Problemzuschnitts kann der Blick in die Nachbarländer dazu beitragen, eventuelle Rückschlüsse über gelungene Reformwege, strategische Allianzen oder mögliche Reformergebnisse zu ziehen. Auch eventuelle Umsetzungsschwierigkeiten oder unbeabsichtigte Nebenwirkungen lassen sich auf diesem Wege bis zu einem gewissen Grad antizipieren. Trotz des möglicherweise engen Zuschnitts zeigt sich aber immer wieder, dass es vor allem die Unterschiede im Detail sind, die eine Übertragbarkeit von Reformideen und Konzepten erschweren.
1 Einen interessanten Blick auf die Schweiz, die Mitte der 1990er Jahre ein flächendeckendes Kopfpauschalenmodell eingeführt hat, wirft z.B. Gerlinger (2003).
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In den bisherigen Ausführungen ist argumentiert worden, dass es innerhalb der Politikwissenschaft eine gewisse „Betriebsblindheit“ gibt, wenn es um die Belange der PKV geht. Die akademischen Zuständigkeiten für diesen Versicherungsbereich wurden dann auch bereitwillig den politikwissenschaftlichen Nachbardisziplinen – vor allem den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften – überlassen. Was aber tragen diese Fachbereiche tatsächlich zum Verständnis diverser Problemlagen in der PKV bei? Wie ist es um das theoretische Rüstzeug dieser Nachbardisziplinen bestellt?
1.4
Der Beitrag der Nachbardisziplinen
Die politikwissenschaftliche Isolation und ihre Affinität zu korporatistischen Erscheinungsformen der gesetzlichen Krankenversicherung haben dazu geführt, dass fast ausschließlich Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler sowie Interessenvertreter der privaten Krankenversicherung die „Deutungshoheit“ über Probleme in der PKV gewonnen haben. Sehr deutlich zeigt sich der Vorsprung der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften auch an zahlreichen Dissertationen, die sich in der Vergangenheit mit speziellen Problemen der PKV auseinandergesetzt haben (Dissertationen mit rechtswissenschaftlichem Zugang z.B. Eilfort 1997; Kirsten 2005; mit wirtschaftswissenschaftlichem Zugang z.B. Bastiani 1995; Terhorst 2000; Kiel 2002; Bürger 2005; Wimmer 2008). Konsequenterweise haben politische Entscheidungsträger in der Vergangenheit oft auf den Sachverstand dieser Fachdisziplinen zurückgegriffen, wenn es um strittige Fragen der PKV ging. Die Beiträge der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften haben ohne Zweifel wesentlich zum Verständnis diverser Problemlagen in der PKV beigetragen. Grundsätzlich sprechen auch gute Gründe dafür, bei Reformen und Gesetzgebungsprozessen die betroffenen Akteure der privaten Versicherungsbranche einzubinden, da sie über detailliertes Wissen aus der Praxis verfügen. Die Integration der Beteiligten kann beispielsweise sinnvoll sein, um die Akzeptanz ausgehandelter Lösungen zu stärken oder praktische Umsetzungsschwierigkeiten bei neuen Verfahren auszuschließen. Allerdings resultiert hieraus oftmals eine gewisse Einseitigkeit in der Problemwahrnehmung und eine von starken betriebswirtschaftlichen Einzelinteressen geleitete Politikberatung. Sowohl die in ihrer Grundhaltung eher konservativen Juristen als auch die überwiegend marktliberalen Ökonomen haben sich oftmals schwer getan, im hybriden Grenzbereich von marktwirtschaftlichem Geschäftsmodell und sozialpolitischer Verantwortung tragfähige Zukunftskonzepte für die PKV zu entwickeln. Besonders
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offensichtlich wurde dies bei der bis heute ungelösten Frage, wie die bestehenden Wechselhemmnisse für ältere Bestandsversicherte in der PKV beseitigt werden könnten (detailliert zu diesem Problem und der Rolle der Expertenkommissionen Kapitel 5.2.2). Es stellt sich daher auch die Frage, ob die Ansätze der politikwissenschaftlichen Nachbardisziplinen tatsächlich so gut geeignet sind, die gegenwärtigen Probleme der Privatassekuranz adäquat zu erfassen und zu lösen. Die Rechtswissenschaften Die sozialpolitische Regulierung der privaten Krankenversicherung bedient sich fast ausschließlich des Steuerungsmediums Recht, so dass rechtliche Aspekte grundsätzlich eine große Rolle spielen. Rechtswissenschaftliche Ansätze beschäftigen sich häufig mit Detailfragen des nationalen Sozial- und Versicherungsrechts, wobei seit einigen Jahren vor allem die Auseinandersetzung mit europarechtlichen Fragen sowie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) an Bedeutung gewinnt (Heilmann 1994; Eichenhofer 2001; Wein 2001; Seewald 2002). Der Charakter rechtswissenschaftlicher Beiträge ist zumeist dadurch bestimmt, dass (erfolgte) Rechtsprechung kommentiert oder (erwartete) Rechtsprechung antizipiert wird. Letzteres ist insbesondere im Hinblick auf die Rolle der PKV im deutschen Verfassungsrecht der Fall. Vor allem Gutachtertätigkeiten zu verfassungsrechtlichen Fragen der Gesetzgebung sind zumeist eng verknüpft mit der Interessenvertretung der PKV (siehe z.B. Leisner 1974; Papier 1992; Depenheuer 2006; Thüsing/Kämmerer 2006; Sodan 2006). Hier gilt in besonderem Maße die bereits angedeutete Kritik, dass wissenschaftliche Expertise oftmals in enger Kooperation mit oder sogar im Auftrag von privaten Versicherungsunternehmen generiert wird. Den meisten juristischen Ausführungen liegt ein eher konservatives Bild des Wohlfahrtsstaates zugrunde, das am berufsständischen Zuweisungssystem zur PKV zumeist ebenso festhält wie am normativ begründeten Vorrang der Individualversicherung vor der Sozialversicherung (Präve 2005; Zipperer 2003). Dabei gerät mitunter aus dem Blick, dass der Gesetzgeber seit jeher einen sehr weiten Ermessensspielraum besitzt, wenn es um die Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen Grundlagen des Sozialstaates nach Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geht. Dieser Ermessensspielraum ist dem Gesetzgeber auch vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) immer wieder eingeräumt worden (Pilz 2004: 4750). Reformen im Gesundheitswesen, die die Freiheitsrechte der Privatversicherer im Interesse des Allgemeinwohls einschränken, sind daher nicht per se als
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verfassungswidrige Sozialstaatsinterventionen zu betrachten, sondern auch als Ausdruck einer demokratisch legitimierten Verantwortung der politischen Entscheidungsträger für veränderte gesellschaftliche Problemlagen. Gutachterliche Rechtsauffassungen, die im Auftrag des PKV-Verbandes gewonnen wurden, sind daher schon häufig an ihre Grenzen gestoßen, wenn konkrete Streitfragen vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt wurden (ausführlich hierzu Kapitel 4.4.2 dieser Arbeit). Rechtswissenschaftliche Ansätze scheinen als innovative Ideengeber, die konstruktive Wege für Veränderungen aufzeigen, oftmals ungeeignet. Gleichwohl besteht der wesentliche Beitrag der Rechtswissenschaft darin, juristische Konfliktlinien anzudeuten und – gerade im Hinblick auf versicherungs- und verfassungsrechtliche Fragen – sowohl der Politik als auch den Sozialwissenschaften Grenzbereiche aufzuzeigen. Es geht also zumeist nicht um die Ausarbeitung eigener Reformvorschläge, sondern vielmehr um das Benennen von Demarkationslinien für staatliche Interventionen, wobei diese Grenzen immer auch ein gewisses Maß an Variabilität beinhalten. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich bei den versicherten Leistungen um soziale Risiken handelt, die zumeist in lebenslanger Perspektive abgesichert werden. Dies gilt grundsätzlich für die Versicherten beider Versicherungssysteme. Aus der Langfristigkeit der Versicherungsverhältnisse resultieren in allen modernen Rechtsstaaten Eigentumsrechte und Bestandsschutzgarantien, die allzu radikalen Umbauplänen einen verfassungsrechtlichen Riegel vorschieben würden (Schulte 2005: 17-24). Die Erwartung großer „Jahrhundertreformen“ erweist sich vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund oft als nicht erfüllbar. Dies ist ein überaus wichtiger Impuls, wenn man sich nicht der Gefahr aussetzen will, theoretisch präzise Modelle zu entwerfen, die nur im akademischen Vakuum durchdacht aller realen Einflüsse entledigt werden. Auf der anderen Seite gilt aber auch, dass die Berücksichtigung von Bestandsschutzrechten nicht als Argument gegen jede Form von Veränderung instrumentalisiert werden kann. Die Wirtschaftswissenschaften Gesundheitsökonomische Ansätze befassen sich mit der Knappheit von gesundheitsrelevanten Gütern und medizinischen Dienstleistungen. Dabei stehen reale Gesundheitsmärkte als konkrete Untersuchungsgegenstände und „der Markt“ als abstrakte Steuerungsebene im Vordergrund. Da die Funktionalität des Marktmechanismus sowohl in der Arzt-Patient-Beziehung als auch im Verhältnis von Versicherungsnehmer und Krankenversicherer oftmals eingeschränkt ist, thema-
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tisieren gesundheitsökonomische Beiträge vor allem die Frage, wie durch geeignete Interventionen die Funktionsfähigkeit des Marktes bewirkt werden kann (Schulenburg/Greiner 2000; Breyer u.a. 2005). Damit leistet die Gesundheitsökonomik zunächst einmal einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis von Marktdefekten im Gesundheitsbereich. Darüber hinaus hält sie Lösungen bereit, wie diese Marktdefekte beseitigt oder zumindest so minimiert werden können, dass sie die individuelle Entscheidungs- und Handlungsfreiheit der Menschen in möglichst geringem Ausmaß einschränken (Hajen 2006). Die Gesundheitsökonomik erinnert die in ihrer Grundhaltung gegenüber Märkten eher skeptischen Sozialwissenschaften immer wieder daran, dass auch regulative Politik nicht nur advokatorische Arbeit am Gemeinwohl leistet, sondern durch staatliche Eingriffe – seien sie noch so gut gemeint – immer wieder auch Probleme geschaffen werden anstatt sie zu lösen (Greven 2008: 27). Grundsätzlich sollten daher auch die Sozialwissenschaften in alle Richtungen offen für Lösungen sein, und nicht bei jedem Anzeichen von Marktdefekten vorschnell darauf vertrauen, dass der Staat grundsätzlich die besseren Lösungen bereit hält. Gleichwohl muss sich auch die Gesundheitsökonomik der Frage stellen, inwieweit die propagierten Konzepte tatsächlich zur Problemlösung beitragen (Reiners 2006). Ein wesentlicher Kritikpunkt bezieht sich dabei sicherlich auf die mitunter recht unreflektierte Nähe zu einseitig marktwirtschaftlichen Lösungen. Mit marktliberalen Ökonomen über Sozialpolitik zu diskutieren, kann ein schwieriges Unterfangen sein, denn fast immer lautet die Antwort, dass „Mehr Markt im Gesundheitswesen“ (Engels 1987) die richtige Lösung für nahezu alle Probleme sei. Selbst der Hinweis, dass es im Gesundheitsbereich vergleichsweise wenig marktwirtschaftliche Beziehungen gibt, weil die Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit von Märkten nicht gegeben sind, wird unter marktliberalen Ökonomen immer den Widerspruch hervorrufen, dass dies ja gerade der Fehler sei. Durch mehr oder weniger geeignete Maßnahmen müsse eben jeder Einzelne in die Lage versetzt werden, als souveräner Konsument auf den verschiedensten Gesundheitsmärkten tätig zu werden (ähnlich argumentiert z.B. HerderDorneich 1999: 43). Lösungen, die außerhalb von Märkten liegen, sind den vielen Ökonomen nicht zugänglich. Die „menschenverachtende Diktatur des Wohlfahrtsstaates“ (Baader 1995: 147) gilt den marktliberalen Ökonomen als die Ursache allen Übels: „Die Dauerkrise ist geradezu das Markenzeichen des staatlichen Gesundheitswesens [...]. Das kann auch gar nicht anders sein, denn staatliche Systeme können in der Menschenwelt, in der die ökonomischen Gesetze wie Naturgesetze herrschen, nur falsche Systeme sein.“ (Baader 2002: 6)
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Es ist – wenngleich nicht ganz so extrem wie im zitierten Beispiel – oftmals eben dieses Welt- und Menschenbild, das Eingang in die wirtschaftswissenschaftliche Politikberatung findet. Die Monopolkommission, die als ständige Einrichtung seit über dreißig Jahren die Bundesregierung in wirtschaftspolitischen und regulativen Fragen berät und immer wieder auch zu organisationsbezogenen Fragen der Krankenversicherung Stellung genommen hat, fordert z.B. plakativ in ihren Gutachtenüberschriften: „Mehr Wettbewerb ist möglich“ (1977), „Die Wettbewerbsordnung erweitern“ (1988), „Mehr Wettbewerb auf allen Märkten“ (1994), „Marktöffnung umfassend verwirklichen“ (1998) oder „Weniger Staat, mehr Wettbewerb“ (2008). Die Liste ließe sich beinahe beliebig mit weiteren Spielarten solcher Forderungen fortsetzen, die allesamt darauf hinauslaufen, dass Markt und Wettbewerb allen anderen Formen der Handlungskoordination prinzipiell überlegen sind (z.B. Henke 2004: „Mehr Freiräume und weniger Verbändewirtschaft“). Alternative Handlungsmöglichkeiten sind bei dieser Art der Politikberatung stets begrenzt, da sie außer einem Ausbau marktwirtschaftlicher Koordination keine weitergehenden Optionen bereithalten. Eng verknüpft mit dieser Einseitigkeit der Problemwahrnehmung ist die dualistische Ordnungsvorstellung, die zumeist nur zwischen den Koordinationsmechanismen „Staat“ und „Markt“ unterscheidet. Diese treten jedoch entgegen der von modelltheoretischen Überlegungen geprägten Welt der Wirtschaftswissenschaften nicht in Reinform auf (Berner 2004: 7-8; Kaufmann 2002: 181). Weder lassen sich die Institutionen im Gesundheitswesen ausschließlich „dem Staat“ oder „dem Markt“ zuordnen, noch können dynamische Prozesse wie beispielsweise sozialpolitische Reformen als bloße Veränderungen „vom Markt zum Staat“ oder umgekehrt „vom Staat zum Markt“ beschrieben werden. Es geht also zumeist nicht um quantitative Variationen entlang einer fiktiven Markt-Staat-Achse, sondern vor allem um qualitative Veränderungen (Leisering u.a. 2002: 6; Rüb 2003: 256). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass rechtsstaatliche Basisinstitutionen für das Funktionieren von Märkten grundsätzlich unverzichtbar sind. Zudem bedarf es gerade in den wohlfahrtsstaatlichen Kernbereichen Gesundheit, Rente, Arbeit und Pflege der sozialen Einbettung des Marktmechanismus (Bode 2005:). Sofern „der diskrete Charme des Marktes“ (Berger 2001) eine stärkere Rolle hinsichtlich der Absicherung grundlegender Lebensrisiken spielen soll, sind zunächst einmal die sozialen Voraussetzungen dieses Koordinationsmechanismus zu klären (Beckert 2001: 46). Die Konstitution von Märkten erfolgt daher keineswegs als Ergebnis „spontaner Ordnung“ (Hayek 1980: 94), sondern vielmehr im Sinne einer politischen Aufgabe
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der Marktschaffung, der Markteinbettung und der Marktkorrektur (Lütz/Czada 2000: 10-11). Andererseits dürfte die Integration von Markt- und Wettbewerbselementen in staatliche, verbandliche und unternehmerische Hierarchien zur Herausbildung neuer Anreizstrukturen und Handlungslogiken führen, die keineswegs einem politischen Design folgen müssen, sondern sich zunehmend ungeplant entwickeln können (Czada 2003: 11). Genau diese Interdependenz gerät aber mitunter aus dem Blick, wenn allzu unreflektiert an dualistischen Ordnungsvorstellungen festgehalten wird. Wirtschaftswissenschaftliche Denkmuster sind jedoch oftmals durch einen solchen Markt-Staat-Dualismus geprägt, der nicht zuletzt in Schlagworten wie „Marktversagen“ und „Staatsversagen“ seinen sprachlichen Ausdruck findet (z.B. Frantzke 1999: 308-309; Oberender u.a. 2002: 16; Hajen u.a. 2006: 87). Folgt man diesem Markt-Staat-Dualismus in seiner polarisierenden Reduktion, sind entsprechende Assoziationsketten naheliegend. In dieser schlichten Simplifizierung wird der Markt zum Garanten der Freiheit, wohingegen der Staat zum Vollstrecker von Zwangsmaßnahmen mutiert. Solch isolierte Betrachtungen rücken jedoch nur die substitutiven Beziehungen von Markt und Staat in den Vordergrund und vernachlässigen dabei die komplementären Eigenschaften zwischen beiden Steuerungsebenen. In der Realität konkurrieren jedoch nicht Marktwirtschaft und Staatswirtschaft miteinander, sondern bestimmte Kombinationen von marktwirtschaftlicher Koordination und sozialpolitischer Regulierung. Folglich geht es nicht um ein Mehr oder Weniger, sondern um alternative Formen der Synthese beider Koordinationsformen (Wille 1990: 272-273). Dieser Einwand wird auch unmittelbar deutlich, wenn man die beiden Versicherungssysteme GKV und PKV betrachtet. Weder ist der gesetzliche Zweig des sozialen Sicherungssystems frei von Markt- und Wettbewerbselementen, noch ist der private Krankenversicherungszweig frei von sozialpolitischen Regulierungen. Ein strikt trennbarer Dualismus von Markt und Staat liegt auch schon deshalb nicht vor, weil „der Staat“ kein monolithischer Block ist, sondern durch eine Vielzahl von Akteuren und Institutionen repräsentiert wird (Schubert 2004: 14-15). Hinzu kommt, dass die Marktakteure oft auf vielfältige Weise mit dem politischen System sowie staatlichen Institutionen und Repräsentanten verflochten sind (detailliert zu den konkreten Verflechtungen des PKVVerbandes Kapitel 4.4.3). Von einem Dualismus – Markt auf der einen und Staat auf der anderen Seite – kann hier mitnichten ausgegangen werden. Dies erklärt aber auch zu einem gewissen Teil, warum sich Expertenkommissionen stets so schwer getan haben, wenn es z.B. um die Wechselhemmnisse für ältere Bestandsversicherte in der PKV geht. Dieses Problem ist in erster Linie eine
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Folge des hybriden PKV-Charakters, dessen adäquate Erfassung gerade auf dem Weg dualistischer Ordnungsvorstellungen nicht zu erreichen ist (siehe Kapitel 5.1). Zusammenfassend lässt sich zunächst einmal festhalten, dass den Rechtsund Wirtschaftswissenschaften recht bereitwillig das Diskursfeld für die PKV überlassen wurde. Neben unbestreitbaren Stärken zeigen allerdings auch die politikwissenschaftlichen Nachbardisziplinen ihre ganz speziellen Schwächen und perspektivischen Verengungen. Eine möglicherweise sinnvolle Erweiterung der jeweiligen Stärken und Schwächen kommt nun ausgerechnet wieder aus der Politikwissenschaft, die sich im Zuge der rot-grünen Sozialstaatsreformen intensiv mit der Hybridisierung der sozialen Sicherungssysteme auseinandergesetzt hat. Grund genug also, um noch mal im „eigenen Lager“ nach anschlussfähigen und integrativen Konzepten zu suchen.
1.5
Wohlfahrtsmärkte als anschlussfähiges Konzept
Die 1990er Jahre markierten den Beginn eines bis heute anhaltenden Aufstiegs marktwirtschaftlicher und wettbewerbsorientierter Konzeptionen in sämtlichen Gesellschaftsbereichen. Die verschiedenen Formen dieser Vermarktlichungsprozesse wurden oft mit Schlagworten wie Liberalisierung, Privatisierung, Deregulierung, wettbewerbliche Transformation etc. beschrieben. Sie beschränken sich dabei keineswegs auf die klassische Sozialpolitik, sondern schließen auch Veränderungen in der öffentlichen Verwaltung und Daseinsvorsorge mit ein.2 In der Politikwissenschaft haben diese Prozesse zu einer ausführlichen Forschungstätigkeit geführt. Die verschiedenen Erklärungsansätze und Beschreibungen, mit deren Hilfe der institutionelle Wandel interpretiert werden soll, sind dabei so vielfältig wie die sozialpolitischen Entwicklungen selbst. Einen differenzierteren Blick auf den wohlfahrtsstaatlichen Wandel hat die Politikwissenschaft aber vor allem durch die Auseinandersetzung mit den Sozialstaatsreformen der rot-grünen Bundesregierung (1998-2005) gewonnen. Die Einführung der kapitalgedeckten staatlich geförderten Altersvorsorge durch das Altersvermögensgesetz („Riester-Rente“) sowie die Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt („Hartz-Gesetze“) haben das Forschunsinter 2 Die Privatisierung ehemals großer Staatsmonopole in den Bereichen Eisenbahn, Telekommunikation, Post, Elektrizität und Wasserversorgung hat in der europäischen Regulierungsforschung zu einer intensiven Auseinandersetzung mit regulativer Politik geführt (siehe z.B. Majone 1990, 1994; Grande 1997, 1998; Werle/Müller 2000; Czada/Lütz 2003).
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Die PKV als blinder Fleck der Politikwissenschaft
esse maßgeblich befördert. Weitgehende Einigkeit bestand unter den meisten Politikwissenschaftlern darin, dass mit den rot-grünen Renten- und Arbeitsmarktreformen ein grundlegenderer Wandel einhergegangen ist. So sieht Seifert (2005: 17) in den Hartz-Gesetzen „mehr als eine Reform der Arbeitsmarktpolitik“, da diese „zugleich Symbol für die Reformfähigkeit des deutschen Sozialstaats schlechthin“ seien. Trampusch (2008: 365) spricht von einer „gelösten Reformbremse“, die eine „Zäsur in der bundesdeutschen Sozialpolitik“ bewirkt habe. Zimmermann (2005: 5) sieht aufgrund der zeitlich fragmentierten Einführung der Hartz-Gesetze sogar eine „Revolution in Raten“.3 Die Einschätzungen zur Einführung der Riester-Rente gestalten sich ebenfalls deutlich. So spricht Nullmeier (2002: 275) von einem „grundlegenden Eingriff in das bisher geltende sozialpolitische Paradigma einer Absicherung des Lebensstandards über die öffentliche, beitragsfinanzierte Rentenversicherung“. Vor dem Hintergrund dieser Einschätzungen wird vielleicht deutlich, warum sich das Forschungsinteresse so stark auf die Bereiche Alterssicherung und Arbeitsmarkt konzentrieren konnte. Die intensive Auseinandersetzung mit diesen Reformen hat zu einer Vielzahl neuer Erkenntnisse über die Zusammenhänge von marktwirtschaftlicher Steuerung und deren sozialpolitischer Einbettung geführt. Diese spiegeln sich nicht zuletzt in neuen Begriffen, Konzepten und Erklärungsmustern wider. Ein Teilaspekt dieser Debatte hat sich unter dem Schlagwort „Wohlfahrtsmärkte“ mit den jüngsten Transformationsprozessen auseinandergesetzt. Auch wenn die hierdurch gewonnenen Erkenntnisse weder aus gesundheitspolitischen Reformen abgeleitet noch besonders konsequent auf sie bezogen wurden, sind einige Aspekte gerade für eine Auseinandersetzung mit der PKV sehr anschlussfähig. Der Begriff „welfare market“ ist gegen Ende der 1990er Jahre zunächst in der angelsächsischen Literatur zu finden (Taylor-Gooby 1999).4 In Deutschland wurde der Begriff Wohlfahrtsmarkt zunächst im Zusammenhang mit der Einführung der Riester-Rente belebt und später auch auf die Veränderungen in anderen sozialen Sicherungsbereichen bezogen (Leisering/Berner 2001; Nullmeier 2001; 2004a; Berner 2004; Bode 2005; Köppe 2007). Ausgangspunkt 3 Für eine eher skeptische Einschätzung der Reformintensität von Hartz-Gesetzen und „Agenda 2010“ siehe z.B. Berthold 2005: 30. 4 Die Arbeiten von Taylor-Gooby konnten sich auf einen längeren diskursiven Vorlauf über sogenannte „Quasi-Märkte“ stützen (Le Grand 1993; Roberts u.a. 1998). Bereits in den frühen 1990er Jahren hatte Le Grand diesen Begriff geprägt und unter anderem am Beispiel der Gesundheitsreformen des National Health Service (NHS) in Großbritannien erläutert. Allerdings war der Marktbegriff bei Le Grand noch relativ schwach ausgeprägt, da er unter Quasi-Märkten lediglich die Integration von Markt- und Wettbewerbselementen in staatlich finanzierte Versorgungssysteme verstand (Le Grand 1991).
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dieser Analysen war die Beobachtung, dass der traditionelle (Wohlfahrts-)Staat zumindest in Teilen dazu übergeht, die Bereitstellung sozialer Güter und Dienstleistungen nicht mehr selbst zu übernehmen, sondern diese Aufgaben verschiedenen Wohlfahrtsmärkten zu übertragen. Nullmeier beschreibt Wohlfahrtsmärkte wie folgt: „Unter Wohlfahrtsmärkten sollen hier alle marktförmigen wirtschaftlichen Strukturen begriffen werden, die auf die Produktion und Verteilung von traditionell unter dem Schutz des Sozialstaates stehenden Gütern und Diensten gerichtet sind. Demnach sind unter Wohlfahrtsmärkten staatlich subventionierte oder regulierte Märkte als auch Quasimärkte zu fassen, nicht aber Marktlichkeit nur nachahmende Wettbewerbsprozesse ohne Beteiligung privater Anbieter oder ohne Preismechanismus. Von Wohlfahrtsmärkten soll nur dann gesprochen werden, wenn eine sozialpolitische Gesetzgebung als Marktrahmen oder Marktregulation fortbesteht.“ (Nullmeier 2003: 962; Hervorhebungen im Original)
Dass die Definition bei Nullmeier unter Rückgriff auf „traditionelle“ Schutzbereiche des Sozialstaates erfolgt, der Aspekt der „staatlichen Subvention“ hervorgehoben und das „Fortbestehen sozialpolitischer Gesetzgebung“ betont wird, dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, dass die Einführung der staatlich geförderten, kapitalgedeckten Altersvorsorge der eigentliche Anlass für diese Forschungsarbeiten gewesen ist.5 Die Möglichkeit, Alterssicherung auf dem Wege staatlich subventionierter Kapitalbildung zu betreiben, wurde durch eine deutliche Absenkung des zukünftigen Rentenniveaus der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung „gegenfinanziert“. Vor diesem Hintergrund ist die starke Bezugnahme auf traditionelle oder ehemalige Sozialstaatsbereiche zu verstehen. Diesen traditionellen Wohlfahrtsstaat als Ausgangespunkt zu nehmen und ihn gedanklich zu dekonstruieren, ist jedoch kein zwingendes Kriterium für das institutionelle Arrangement, das mit Hilfe des Wohlfahrtsmarktbegriffes beschrieben wird. Es ist schon deshalb eine unnötige Einengung der Forschungsperspektive, weil ausgehend von konkreten Reformen ein eindimensionaler Prozess der Vermarktlichung vorausgesetzt wird. Dieser kann sich aber nur in Bereichen vollziehen, die vorher nicht oder nur in geringem Maße marktwirtschaftlich organisiert waren. Institutionen wie die traditionell marktwirtschaftlich organisierte PKV geraten damit gar nicht erst in den Blick. Wenn man das Phänomen Wohlfahrtsmarkt weniger aus etablierten Sozialstaatstraditionen ableitet, sondern aus der faktischen Existenz von Märkten mit 5 In einem Aufsatz aus dem Jahr 2001 zeigt auch Nullmeier noch ein relativ schwach ausgeprägtes Verständnis von Märkten. Bei diesem früheren Versuch einer Definition ist noch davon die Rede, dass auch „Marktprozesse nur nachahmende Wettbewerbsprozesse ohne Beteiligung privater Anbieter“ Wohlfahrtsmarktlichkeit bedingen können (Nullmeier 2001).
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einem dezidiert sozialpolitischen Gestaltungsauftrag, dann lassen sich Wohlfahrtsmärkte zunächst einmal als ganz gewöhnliche Märkte begreifen, die sich jedoch durch ein gewisses Maß an sozialpolitischer Regulierung auszeichnen. Entscheidende Bedeutung kommt also dem Interpretationsgehalt sozialpolitischer Regulierung bei. Berner (2004: 20) konkretisiert den Sinngehalt und spricht von Wohlfahrtsmärkten, „...wenn sich das politische Bewusstsein dieser staatlichen Verantwortung und ein sozialstaatlich begründeter Geltungsanspruch auf Märkte oder einen Komplex von Marktbereichen erstreckt. Die staatliche Regulierung geht dann über das ordnungstheoretisch geforderte Mindestmaß hinaus: Es entsteht der Anspruch, nicht nur das Funktionieren der Märkte zu gewährleisten, sondern bestimmte sozialpolitische Ziele zu erreichen.“ (Berner 2004: 40)
Diese sozialkonstruktivistische Sicht öffnet den Begriff gegenüber der empirischen Realität und betont den Aspekt der sozialpolitischen Bedeutung, die einem Versorgungsbereich von der Gesellschaft beigemessen wird. So verstanden lässt sich dieses Konzept auch auf die PKV beziehen, die zwar zu keinem Zeitpunkt Bestandteil des Wohlfahrtsstaates im engeren Sinne war, jedoch mit ihrem substitutiven Charakter zweifelsohne ein etablierter Teil der sozialen Sicherung in Deutschland ist. Gerade in diesem Marktbereich gab es schon immer eine Vielzahl sozialpolitisch motivierter Regulierungen, die ausdrücklich Ziele der sozialen Sicherheit verfolgen (detailliert hierzu Kapitel 2 und 3.1). Dass die PKV kein beliebiger Versicherungsmarkt ist, entspricht – auch wenn dieser Aspekt oft nicht in den Vordergrund gestellt wird – nicht nur der Auffassung aller bisherigen Gesetzgeber, sondern auch der Selbstwahrnehmung der privaten Krankenversicherer. So betonte z.B. Christoph Uleer, langjähriger Geschäftsführender Direktor des Verbandes der privaten Krankenversicherung, die PKV sei „trotz aller Besonderheiten integraler Bestandteil der sozialen Sicherung“, welche er „selbstverständlich in einem umfassenden Sinn“ verstehe (Uleer 1990: 365). Wohlfahrtsmärkte bezeichnen somit zunächst einmal ein institutionelles Arrangement, bei dem sozialpolitische Ziele mittels marktwirtschaftlicher Steuerung erreicht werden sollen. Hierfür ist es letztlich nicht entscheidend, ob diese Märkte zuvor unter dem institutionellen Dach der gesetzlichen Sozialversicherungen angesiedelt waren (wie z.B. im Fall der staatlich geförderten kapitalgedeckten Altersvorsorge), ob es sich um völlig neu geschaffene Märkte handelt (z.B. die ambulanten Pflegedienste als Folge der Einführung der Pflegeversicherung) oder ob traditionell marktwirtschaftlich organisierte Versorgungsbereiche eine sozialpolitische Regulierung erfahren (z.B. die PKV mit ihrer über hundertjährigen Versicherungstradition). Entscheidendes Kriterium ist vielmehr, dass
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sich die regulativen Aufgaben des Staates nicht nur auf das Funktionieren des reinen Marktmechanismus konzentrieren, sondern mit Hilfe regulativer Vorschriften explizit sozialpolitische Ziele erreicht werden sollen. Die Stärke dieses Wohlfahrtsmarktbegriffes liegt in der Betonung eines sich wechselseitig bedingenden Verhältnisses von marktförmiger Absicherung einerseits und sozialpolitischer Regulierung andererseits. Einfachen Erklärungsmustern wie „Markt vs. Staat“ oder „Wettbewerb vs. Regulierung“ wird somit eine klare Absage erteilt. Die Entdifferenzierung von Wohlfahrtsmarkt und Wohlfahrtsstaat (Bode 2005: 251) deutet vor allem auf den ambivalenten Charakter eines solchen Arrangements hin, denn einerseits soll ein sozialpolitischer Gestaltungsauftrag wahrgenommen werden, der gesellschaftlich unerwünschte Marktergebnisse korrigiert, andererseits wird aber die Verantwortung hierfür wieder verschiedenen Märkten übertragen, die genau jene markttypischen Unsicherheiten wieder hervorbringen. Der Vorteil dieses Konzepts liegt aber nicht nur darin, den hybriden Charakter solcher Modelle zu beschreiben. Es stellt auch einen geeigneten Bezugsrahmen dar, um die voraussetzungsvollen Bedingungen marktwirtschaftlicher Steuerung im Sozial- und Gesundheitswesen stärker in den Vordergrund zu rücken. Dies ist ein Diskurs, dem sich die private Versicherungsbranche sowie zahlreiche ihr wohlgeneigte Politiker und Wissenschaftler bisher weitgehend entziehen. Letztlich muss es aber für alle Beteiligten darum gehen, ein offenes Diskursfeld zu etablieren und nach integrativen Lösungen zu suchen.
1.6
Zwischenfazit: Ein integrativer Ansatz
Eine kritische Auseinandersetzung mit der privaten Krankenversicherung kann ganz offensichtlich nur auf der Basis interdisziplinärer Ansätze funktionieren. Ziel muss es dabei sein, bestehende Missstände klar herauszuarbeiten und nach sinnvollen, konsensfähigen und praktikablen Lösungen zu suchen. Ein handlungsorientierter, auf praktische Umsetzbarkeit abzielender Beitrag sollte daher die disziplinspezifischen Unzulänglichkeiten beseitigen und sich zugleich die positiven Erkenntnisse zu Nutze machen. Bei diesem Anliegen kann es also nicht allein darum gehen, ein „ideales System“ am akademischen Reißbrett zu entwerfen, das unter realen Bedingungen keinerlei Chance auf Umsetzung hat und an den faktischen Gegebenheiten nur scheitern kann. Vielmehr bedarf es neben einer kritischen, von betriebswirtschaftlichen Einzelinteressen unabhängigen Wissenschaft auch einer Berücksichtigung der realen politischen, rechtlichen, sozialen und ökonomischen Gegebenheiten, an denen sich tragfähige
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Konzepte messen lassen müssen. Dies bedeutet vor allem, dass es im Vorfeld angestrebter Veränderungen einer sorgsamen Abwägung bedarf, unter welchen Bedingungen geplante Maßnahmen tatsächlich zu gewünschten Ergebnissen führen können. Natürlich lassen sich nicht alle möglichen Fragen, die in der Praxis auftreten können, theoretisch antizipieren. Allerdings könnten manche Probleme sicherlich vermieden werden, wenn zuvor eine kritischere Reflektion angestrebter Reformmaßnahmen erfolgen würde. Der hier gewählte Ansatz, sich der PKV zu nähern, ist integrativer Natur, da er nicht Gegensätze, sondern Gemeinsamkeiten, nicht Spaltendes, sondern Verbindendes hervorhebt. Dies erfolgt in mehrfacher Hinsicht: Einerseits geht es um die Verknüpfung von Theorie und Praxis, indem die Analyse des Gegebenen und die konstruktive Mitarbeit an ungelösten sozialpolitischen Fragen vereint werden. Hierzu bedarf es sowohl einer empirisch orientierten Wissenschaft als auch einer auf Gegenwarts- und Zukunftsfragen orientieren Erarbeitung von Problemlösungsstrategien. Integrativ ist der Ansatz aber auch im Hinblick auf die unterschiedlichen akademischen Fachdisziplinen, indem deren Vorzüge genutzt und die fachdisziplinären Unzulänglichkeiten nach Möglichkeit umgangen werden. Integrativer Natur ist der Ansatz letztlich auch im Hinblick auf die ganz konkrete und aktuelle Frage nach der zukunftsfähigen Organisation des Krankenversicherungsschutzes, denn anders als es das für Deutschland so typische Denken in trennenden Kategorien nahe legt, zeichnen sich die sozialen Sicherungsbedürfnisse der Versicherten beider Systeme vermutlich durch mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen aus. Die vorliegende Arbeit versteht sich als wissenschaftlicher Beitrag zur zukünftigen Gestaltung der PKV. Deren Weiterentwicklung stellt sich offensichtlich als ergebnisoffener Prozess dar, an dessen Ende sowohl das Festhalten an einem dualen Versicherungssystem stehen kann als auch die Integration der beiden Versicherungszweige. Allerdings sollte auf der Grundlage möglichst sachorientierter Kriterien auch konsequent gehandelt werden. Die Aufforderung zu mehr Konsequenz impliziert jedoch nicht, dass Umbauten der Versicherungsarchitektur mit besonderer Härte oder Eingriffsintensität vorgenommen werden müssen. Auch kleine Schritte, die einem wohlüberlegten Umbauplan folgen, können konsequent angewandt werden. Wichtig ist hierbei jedoch, eine konkrete Zielvorstellung zu entwickeln und sich über eine anzustrebende Entwicklungsrichtung im Klaren zu sein. Erst auf dieser Grundlage lassen sich dann Reformschritte begründen und Menschen von der Sinnhaftigkeit bestimmter Maßnahmen überzeugen. Die sozialpolitische Einbettung von Marktmechanismen bedarf jedoch jenseits ideologisch aufgeladener Debatten über „mehr Staat“
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oder „mehr Markt“ eines theoretisch reflektierten Fundaments und einer zukunftsfähigen Vision. Hybride Konstruktionen werden erst dann zu sozialpolitisch erwünschten Ergebnissen führen, wenn ihnen eine kritische Reflektion ihrer Chancen und Grenzen vorausgegangen ist. Widmen wir uns also im Folgenden dem eigentlichen Untersuchungsgegenstand.
2
2.1
Das duale Versicherungssystem – Unterschiede zwischen GKV und PKV
Die Entstehung des dualen Versicherungssystems
Der institutionelle Dualismus von gesetzlicher und privater Krankenversicherung ist ohne einen Rekurs auf seine historische Genese kaum zu verstehen, denn er blickt auf eine über hundertjährige Geschichte zurück, dessen spezielles Solidaritätsverständnis auf bestimmte Statusgruppen und nicht auf die gesamte Gesellschaft gerichtet ist (Bandelow 2006: 160). Diese in Grundzügen auch heute noch vorherrschende Auffassung fand ihren Ursprung im Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter aus dem Jahr 1883. Die erstmalige Einführung einer gesetzlichen Versicherungspflicht unter Reichskanzler Bismarck erstreckte sich vornehmlich auf einen kleinen Kreis von Industriearbeitern und Handwerksgesellen. Dieser Meilenstein der europäischen Sozialgeschichte war jedoch keine Folge gesellschaftlicher Demokratisierung, sondern vielmehr ein Instrument, die erstarkende Sozialdemokratie durch soziale Zugeständnisse an ihrem Aufstieg zu hindern (Rosenbrock/Gerlinger 2006: 34-35). Die damaligen Versicherungsleistungen beinhalteten neben dem Rechtsanspruch auf ärztliche Behandlung vor allem einen Schutz vor krankheitsbedingtem Einkommensausfall sowie einen Sterbegeldanspruch für verbliebene Familienangehörige. Die gesetzliche Krankenversicherung war jedoch noch weit davon entfernt, großen Teilen der Bevölkerung eine Absicherung gegen krankheitsbedingte Lebensrisiken zu gewährleisten, denn sie umfasste zu Beginn gerade einmal zehn Prozent der Bevölkerung (Deppe 2005: 12-13). Diesem engen Zuschnitt auf nur wenige Statusgruppen lag die Auffassung zugrunde, dass die besser verdienenden Berufsgruppen selbst für ihre sozialen Risiken sorgen könnten (Simon 2008: 26). Allerdings war der Rekurs auf den Berufsstatus bereits in den Anfängen der Sozialversicherung nicht so zielgenau, wie es der häufig betonte Zuschnitt auf die Arbeiterklasse vermuten lässt. Die Sozialgesetzgebung des ausgehenden 19. Jahrhunderts bezog zum Beispiel kleinere Betriebsunternehmer und Hausgewerbetreibende – sogenannte „proletaroide Selbständige“ – in die Versicherungspflicht ein (Wannagat 1965: 23).
R. Böckmann, Quo vadis, PKV?, DOI 10.1007/978-3-531-92741-1_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Das duale Versicherungssystem – Unterschiede zwischen GKV und PKV
Da der Versicherungszwang nur für diejenigen Personen eingeführt worden war, die dem Gesetzgeber als schutzbedürftig galten, veranlasste dies die nicht mit einbezogenen Bevölkerungsschichten, entsprechende Einrichtungen auf privatwirtschaftlicher Grundlage zu errichten. Allerdings war in der Anfangsphase auch die zahlenmäßige Bedeutung der privaten Versicherungsunternehmen noch äußerst gering. Beamte erhielten staatliche Versorgungszusagen und schlossen lediglich Zusatzleistungen privat ab (Böhle 2003: 16). Die Angehörigen des wohlhabenden Mittelstandes hingegen trugen zum damaligen Zeitpunkt ihre Krankheitskosten überwiegend aus eigenem Vermögen. Erst mit der Hyperinflation des Jahres 1923, durch die die Sparvermögen des Mittelstandes weitgehend entwertet wurden, erhöhte sich auch die Nachfrage nach privatem Krankenversicherungsschutz. Seit 1924 stiegen die Versichertenzahlen und Beitragseinnahmen der Privatversicherer rasant an (Klingenberger 2001: 34-35). Mit diesen Entwicklungen war bereits früh der Grundstein für das duale Versicherungssystem gelegt, dessen wesentliches Abgrenzungskriterium bis heute der Rekurs auf bestimmte Statusgruppen ist. Der Zeitraum bis 1933 war für beide Versicherungssysteme geprägt durch den Ersten Weltkrieg und die Nachkriegssituation sowie durch Inflation und Weltwirtschaftskrise. Die institutionelle Struktur der PKV blieb während der nationalsozialistischen Diktatur weitgehend bestehen.6 Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte der Wiederaufbau des Gesundheitswesens, wobei in der Bundesrepublik an den alten Strukturprinzipien angeknüpft wurde (Kaufmann 2003: 281). Dies betraf sowohl die Koexistenz von GKV und PKV als auch die interne Differenzierung der verschiedenen gesetzlichen Kassenarten in Allgemeine Ortskrankenkassen (AOK), Betriebskrankenkassen (BKK), Innungskrankenkassen (IKK), Ersatzkassen für Arbeiter und Angestellte (EKArb/EKAng), Landwirtschaftliche Krankenkassen (LKK), Seekrankenkasse (SeeKK) und Bundesknappschaft (BKnp).7 Für die GKV wurde das Sozialpartnerschaftsmo6 Über die Entwicklungen der PKV während des nationalsozialistischen Diktatur zwischen 1933 und 1945 liegt wenig informatives Material vor. Da die detaillierte Rekonstruktion der historischen Entwicklungen nicht Gegenstand dieser Arbeit ist, soll dieser Aspekt hier nicht weiter vertieft werden. Dennoch sei in diesem Zusammenhang auf zwei überaus lesenwerte Publikationen verwiesen: Ein guter Überblick über die historische Entwicklung von GKV und PKV, in der die Entwicklungen des Dritten Reiches nicht ausgespart werden, findet sich in einem Kapitel der Dissertation von Klingenberger (2001: vor allem 38-42), die sich schwerpunktmäßig mit der „Friedensgrenze“ zwischen PKV und GKV auseinandersetzt. Die Dissertation von Böhle (2003) beschäftigt sich explizit mit der Privaten Krankenversicherung im Nationalsozialismus und berücksichtigt dabei vor allem die Rolle der Deutschen Krankenversicherung AG (DKV). 7 Seit Anfang 2008 sind Seekrankenkasse und Knappschaft zusammengeschlossen zur KnappschaftBahn-See (KBS), die gleichzeitig auch als Rentenversicherungsträger firmiert.
Das duale Versicherungssystem – Unterschiede zwischen GKV und PKV
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dell der Selbstverwaltung festgeschrieben und die Verwaltung gewählten Vertretern von Arbeitnehmern und Arbeitgebern übertragen. Auch am Geschäftsmodell der PKV wurde nach dem Zweiten Weltkrieg im Wesentlichen festgehalten. In der Bundesrepublik entschied man sich somit in weiten Teilen für das alte Krankenversicherungsmodell Bismarckschen Ursprungs, dessen Sicherungsanspruch lediglich auf bestimmte Statusgruppen gerichtet war. Die Abgrenzung zwischen den Systemen war stets ein dynamischer und unabgeschlossener Prozess. In langfristiger historischer Perspektive – vor allem in der ersten Hälfte der 1970er Jahre – hat zumeist eine Expansion der GKV stattgefunden, so dass heute annähernd 85 Prozent der Bevölkerung gesetzlich versichert sind. Allerdings verlief die Systemabgrenzung erstens nicht nach einem klaren Muster im Sinne völlig eindeutiger Entwicklungslinien und zweitens war die Ausweitung der gesetzlichen Versicherungspflicht immer von Maßnahmen begleitet, die der PKV einen bestandssichernden Zulauf an Neuversicherten gewährleistet haben (siehe hierzu Kapitel 2.2). Auch die deutsche Wiedervereinigung im Jahr 1990 hätte – politischer Wille vorausgesetzt – zu einer Neuordnung des Gesundheitswesens führen können. Obwohl insbesondere die sektorale Fragmentierung, die gegliederte Struktur der Versicherungslandschaft und die problematische Finanzentwicklung zu diesem Zeitpunkt bereits Gegenstand grundlegender Kritik waren, wurden wesentliche Strukturelemente des westdeutschen Gesundheitssystems auf die neuen Bundesländer übertragen (Stange 1994). Auch nach der deutschen Wiedervereinigung wurden die Systemgrenzen in regelmäßigen Abständen variiert, ohne jedoch die duale Versicherungsstruktur aufzugeben. Obwohl mit Beginn des Jahres 2009 erstmals in der Geschichte der deutschen Krankenversicherung eine allgemeine Versicherungspflicht für alle Bürger eingeführt wurde, hat der Gesetzgeber erneut an der Koexistenz der beiden Versicherungssysteme festgehalten. Die Beharrlichkeit dieses institutionellen Dualismus ist insofern bemerkenswert, als das 20. Jahrhundert mit seinen Weltkriegen, Währungsreformen und Wirtschaftskrisen von erheblichen historischen Diskontinuitäten geprägt war. Dass die Versicherungssysteme angesichts dieser politischen, sozialen und ökonomischen Zäsuren ungehindert fortbestehen konnten, verdanken sie ohne Zweifel nicht nur vorgezeichneten historischen Pfadabhängigkeiten, sondern vor allem bewussten politischen Entscheidungen. Die herausragende Bedeutung dieses Trennungsdenkens für die Koexistenz von GKV und PKV resultiert daraus, dass sie auf viele Gestaltungsmerkmale der beiden Versicherungssysteme prägend wirkt (Klingenberger 2001: 76).
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Das duale Versicherungssystem – Unterschiede zwischen GKV und PKV
Die wesentlichen Unterschiede zwischen den Systemen betreffen die rechtlichen Grundlagen, die Art der Finanzierung, die Prinzipien der Beitragsberechnung sowie die unterschiedlichen Formen der Leistungsgewährung und Leistungsvergütung. Allerdings handelt es sich bei beiden Versicherungssystemen nicht um „Idealtypen“ im engeren Sinn. So sah sich die GKV als Bestandteil der Sozialversicherung schon immer mit einer Vielzahl marktwirtschaftlicher Steuerungsinstrumente und Akteure konfrontiert, die oftmals betriebswirtschaftlichen Handlungskalkülen folgen. Auch die PKV war zu keinem Zeitpunkt ein rein marktwirtschaftliches Pendant zur Sozialversicherung, sondern hatte seit jeher eine soziale Schutzfunktion inne. Im Folgenden wird zunächst eine Unterscheidung der beiden Versicherungssysteme vorgenommen, wobei der Fokus auf den Gestaltungsmerkmalen liegt, die für die PKV relevant sind.
2.2
Die Abgrenzung der versicherten Personenkreise
Das Leistungsgeschehen der PKV wird maßgeblich durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen der GKV bestimmt. Die Rechtsgrundlagen der GKV sind einheitlich im Fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) geregelt. Indem das SGB V den Personenkreis abgrenzt, der einer gesetzlichen Versicherungspflicht unterliegt, definiert es auch den potentiellen Kundenstamm der privaten Versicherungsunternehmen. In der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig sind die nachfolgend dargestellten Personenkreise, die als Nachfrager nach privatem Krankenversicherungsschutz nicht in Frage kommen: ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ
Arbeitnehmer, deren Arbeitsentgelt mehr als 400 Euro monatlich beträgt, aber die Versicherungspflichtgrenze von 4050 Euro monatlich (2009) nicht überschreitet Arbeitnehmer, deren Einkommen noch nicht in drei aufeinanderfolgenden Kalenderjahren über der Versicherungspflichtgrenze lag Auszubildende und Studierende sowie Praktikantinnen und Praktikanten, die eine in Studien- oder Prüfungsordnungen vorgeschriebene berufspraktische Tätigkeit ohne Arbeitsentgelt verrichten Rentner, sofern bestimmte Vorversicherungszeiten erfüllt sind Bezieher von Arbeitslosengeld, Arbeitslosengeld II oder Unterhaltsgeld nach dem SGB III land- und forstwirtschaftliche Unternehmer und ihre mitarbeitenden Familienangehörigen sowie Altenteiler in der Landwirtschaft Künstler und Publizisten
Das duale Versicherungssystem – Unterschiede zwischen GKV und PKV
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Personen ohne anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall, die zuletzt gesetzlich krankenversichert waren oder der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen sind.
In der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungsfrei und somit potentielle Nachfrager auf dem privaten Krankenversicherungsmarkt sind die folgenden Personen: ƒ ƒ
ƒ ƒ ƒ
Arbeitnehmer, deren Arbeitsentgelt die Versicherungspflichtgrenze von 4050 Euro (2009) in drei aufeinanderfolgenden Kalenderjahren übersteigt Beamte, Richter, Soldaten auf Zeit sowie Berufssoldaten der Bundeswehr, Geistliche und Lehrer an privaten genehmigten Ersatzschulen und sonstige Beschäftigte, sofern sie nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Krankheit Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge und auf Beihilfe oder Heilfürsorge haben. Für diese Personengruppen gilt die Versicherungsfreiheit auch, wenn sie im Ruhestand sind Selbständige, die hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind Personen, die während der Dauer ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule oder einer anderen der fachlichen Ausbildung dienenden Schule gegen Arbeitsentgelt versichert sind geringfügig Beschäftigte.
Eine freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung ist in der Regel nur für Personen möglich, die bereits zuvor der GKV angehört haben. Wer aus der Pflichtversicherung oder der Familienversicherung ausscheidet, kann sich entweder privat oder freiwillig gesetzlich versichern. Letzteres ist nur möglich, sofern ein Versicherter unmittelbar vorher ununterbrochen mindestens zwölf Monate oder in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden insgesamt mindestens 24 Monate gesetzlich versichert war. Beitragsfrei familienversichert sind Ehepartner, eingetragene Lebenspartner und minderjährige Kinder eines gesetzlichen Versicherungsmitglieds. Kinder sind normalerweise bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres familienversichert, wobei sich die Altersgrenze unter bestimmten Voraussetzungen erhöhen kann.8 Wer eine gesetzliche Rente bezieht, kann in der GKV ebenso wie alle anderen Versicherten 8 Die Altersgrenze erhöht sich vom 18. auf das 23. Lebensjahr, wenn das Kind nicht erwerbstätig ist. Sie erhöht sich auf das 25. Lebensjahr, wenn es sich in der Schul- oder Berufsausbildung befindet oder ein freiwilliges soziales bzw. ökologisches Jahr ableistet. Wird die Schul- oder Berufsausbildung durch Grundwehr- oder Zivildienst unterbrochen oder verzögert, verlängert sich die Familienversicherung um diesen Zeitraum über das 25. Lebensjahr hinaus.
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pflichtversichert, freiwillig versichert oder familienmitversichert sein. Der Krankenversicherungsstatus (pflichtversichert oder freiwillig versichert) richtet sich bei Rentnern nicht nach der Höhe des Einkommens, sondern nach bestimmten Vorversicherungszeiten in der GKV. Die Zahl der Pflichtmitglieder (ohne Rentner) in der GKV lag im Jahr 2008 bei ca. 29,6 Millionen Versicherten, die Zahl der freiwilligen Mitglieder (ohne Rentner) bei ca. 4,5 Millionen Versicherten. Die Rentner stellen mit ca. 16,8 Millionen Versicherten ebenfalls einen relativ großen Mitgliederanteil dar. Die Zahl der Mitglieder (Pflichtversicherte, freiwillig Versicherte und Rentner) beläuft sich damit auf ca. 51 Millionen Versicherte. Hinzu kommen noch ca. 19 Millionen beitragsfrei mitversicherte Familienangehörige (knapp 1,3 Millionen davon familienmitversicherte Rentner), so dass sich die Gesamtzahl aller GKVVersicherten im Jahr 2008 auf knapp über 70 Millionen beläuft (Bundesministerium für Gesundheit (BMG) 2009a: 61-62). Indirekt haben die Regelungen des SGB V auch für die PKV existenzielle Bedeutung, denn erst die in der GKV versicherungsfreien Personen kommen als mögliche Kunden für einen privaten Krankenversicherungsschutz in Frage. Zu den Personen, die nicht unter die gesetzliche Versicherungspflicht fallen, gehören somit vor allem Richter, Berufssoldaten, Beamte und Pensionäre, Selbständige und Freiberufler sowie abhängig Beschäftigte, deren Jahreseinkommen die Versicherungspflichtgrenze übersteigt. Gesetzliche Rentenbezieher, die während ihres Erwerbslebens als abhängig Beschäftigte überwiegend in der PKV versichert waren, bleiben auch im Alter privat krankenversichert. Auch Studenten können privat krankenversichert sein, etwa wenn sie über einen verbeamteten Elternteil noch beihilfeberechtigt sind. Eine beitragsfreie Mitversicherung von Familienangehörigen erfolgt in der PKV grundsätzlich nicht. In langfristiger historischer Perspektive hat sich der Personenkreis der gesetzlich Versicherten zumeist erweitert. Allerdings wurden sämtliche Veränderungen, die die Abgrenzung der Systeme betreffen, durch Maßnahmen begleitet, die der PKV einen relativ gesicherten Zugang an Neuverträgen garantiert und damit ihren Fortbestand gesichert haben. Die Abgrenzung der Systeme verlief dabei nicht immer nach eindeutigen Mustern. Vor allem die erste Hälfte der 1970er Jahre war zunächst durch die Expansion der GKV geprägt. So wurde z.B. der versicherungspflichtige Personenkreis in der GKV auf höher verdienende Angestellte (1970), Landwirte (1972) Behinderte (1975) und Studenten (1975) ausgedehnt und die kassenärztlichen Leistungen erweitert (Bandelow 2006: 161). Im Jahr 1981 wurden auch die Künstler und Publizisten in die gesetzliche Versicherungspflicht miteinbezogen. Die Ausdehnung der gesetzlichen
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Versicherungspflicht auf weitere Berufsgruppen und die sukzessive Anhebung der Versicherungspflichtgrenzen haben den Personenkreis möglicher PKVKunden eingegrenzt; die Expansion der gesetzlichen Leistungsansprüche hat unmittelbar das Zusatzversicherungsgeschäft der PKV beschränkt (Rosenbrock/Gerlinger 2006: 103). In der ersten Hälfte der 1970er Jahre sanken daher zunächst die Versichertenzahlen der PKV von 5,76 Millionen (1970) auf 4,18 Millionen Versicherte (1975). Seit Mitte der 1970er Jahre ist der Marktanteil der PKV jedoch kontinuierlich bis auf das heutige Niveau von 8,55 Millionen Versicherten (2007) angewachsen, wobei ca. 4,15 Millionen PKVVersicherte beihilfeberechtigt waren und ca. 4,40 Millionen Versicherte auf die anderen Personengruppen entfielen (BMG 2005: Tab. 10.9; Verband der privaten Krankenversicherung 2008a: 30). Die Einbeziehung weiterer Personenkreise in die gesetzliche Pflichtversicherung wurde jedoch schon 1970 durch die Festschreibung der Versicherungspflichtgrenze flankiert. Durch die Regelung, dass diese Grenze in der GKV auf dem Niveau von 75 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung liegen soll, wurden zwar einerseits viele höher verdienende Angestellte in die gesetzliche Versicherungspflicht miteinbezogen, allerdings war den Privatversicherern durch die rechtliche Festschreibung dieser Grenze auch ein gewisser Zulauf an Arbeitnehmern gewährleistet, die aufgrund ihres hohen Einkommens zwischen den beiden Krankenversicherungssystemen wählen konnten. Die gesetzliche Fixierung der Versicherungspflichtgrenze kam einer (rechtlichen) Bestandsschutzgarantie der PKV gleich und schrieb die dauerhafte Koexistenz der beiden Versicherungssysteme fest. Durch das Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG), das zum Jahresbeginn 2003 in Kraft trat, wurde die Versicherungspflichtgrenze gegen den massiven Widerstand der PKV erneut um ca. 14% angehoben (Schulte 2005: 20). Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) 2007 hat den höherverdienenden Beschäftigten einen Wechsel in die PKV nochmals erschwert. Während es früher möglich war, bei Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze sofort in die PKV zu wechseln, muss das Jahresarbeitsentgelt die Versicherungspflichtgrenze nun in drei aufeinanderfolgenden Kalenderjahren überschreiten, bevor ein freiwillig gesetzlich Versicherter in die PKV wechseln darf (Simon 2008: 161). An der grundsätzlichen Existenz dieser Grenze wurde allerdings weiterhin festgehalten. Die Abgrenzung der Systeme vollzog sich jedoch nicht nur im Sinne einer kontinuierlichen Ausdehnung der GKV, denn zum Teil gab es sogar gegenläufige Entwicklungen. Bereits Ende der 1980er Jahre kam es zu einigen wichtigen Neuregelungen für die PKV. Mit dem Gesundheitsreformgesetz (GRG) von
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1988 wurden für PKV-Versicherte die damals noch vorhandenen Rückkehrmöglichkeiten in die GKV eingeschränkt. Ein Wechsel aus der PKV in die GKV war nur noch bei Unterschreiten der Versicherungspflichtgrenze möglich (Deppe 2005: 37). Mit dieser Maßnahme sollte vermieden werden, dass ein Versicherter in die PKV wechselt, solange er gesund und jung ist, um bei entsprechender Änderung der Rahmenbedingungen wieder in die Solidargemeinschaft der GKV zurückzukehren („einmal PKV – immer PKV“). Mit dem GRG hat der Gesetzgeber aber auch die berufsgruppenbezogene Zuweisung zur PKV verstärkt. Insbesondere für Selbständige und Beamte wurde der Zugang zur GKV erschwert, was der PKV den verstärkten Zulauf dieser Personengruppen eröffnet hat. Den Selbständigen wurde durch die Modifikation der GKV-Beitragskalkulation im Rahmen des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) von 1992 sogar ein Anreiz gesetzt, die GKV zu verlassen. Dies geschah in erster Linie dadurch, dass der zu zahlende Beitrag der Selbständigen grundsätzlich der Höchstbeitrag zu sein hatte. Eine Beitragsminderung war nur über den Nachweis geringerer beitragspflichtiger Einnahmen möglich, wobei aber gleichzeitig ein spezieller Mindestbeitrag festgelegt wurde (Greß/Walendzik/Wasem 2005: 21-22).9 Wesentlich stärkere Zugangsbarrieren zur GKV gelten für die Beamten, die unter den privat Versicherten eine Sonderstellung einnehmen. Ihnen wird im Krankheitsfall ein bestimmter Prozentsatz der Krankheitskosten, die sogenannte Beihilfe, vom jeweiligen Dienstherrn erstattet. Das Beihilferecht ist in Bund und Ländern zum Teil durch divergierende Vorschriften ausgestaltet, die Grundstruktur ist allerdings sehr ähnlich (Die Bundesregierung 2001: 252). Die Höhe der Beihilfesätze ist für die Beamten des Bundes in der Bundesbeihilfeverordnung (BBhV) geregelt. Sie hängt davon ab, wie viele Familienmitglieder beihilfeberechtigt sind und ob der Beamte erwerbstätig ist oder sich bereits im Ruhestand befindet. Der Bemessungssatz beträgt für Beihilfeberechtigte 50%, für Versorgungsempfänger (Pensionäre) 70%, für berücksichtigungsfähige Ehepartner ebenfalls 70% und für berücksichtigungsfähige Kinder und Waisen 80%. Wenn zwei oder mehr Kinder berücksichtigungsfähig sind, erhöht sich der Bemessungssatz für Beihilfeberechtigte ebenfalls auf 70%. Während es in der PKV keine beitragsfreie Mitversicherung von Familienangehörigen gibt und die privat Versicherten auch nicht am GKV-internen Solidarausgleich teilnehmen, sorgt im Fall der Beamten die steuerzahlende Allgemeinheit dafür, dass auch diese Statusgruppe in den Genuss familienpolitischer Sozialleistungen kommt. 9 Im Rahmen des GKV-WSG wurden die Mindestbeiträge moderat nach unten korrigiert, so dass die finanziellen Anreize für einen Wechsel in die PKV wieder etwas abgemildert wurden. Die Details regelt § 240, Abs. 4 SGB V.
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Da mit den Beihilfesätzen nur ein Teil der entstehenden Behandlungskosten abgedeckt ist, muss das verbleibende Restrisiko privat abgesichert werden. Während die privaten Krankenversicherungen jedoch entsprechende Beihilfetarife anbieten dürfen, ist den gesetzlichen Krankenversicherungen eine beihilfekonforme Teilkostenerstattung weitgehend untersagt (wenige Ausnahmen ohne zahlenmäßige Relevanz regelt § 14 SGB V). Derzeit verhindern aber nicht nur die Regelungen des SGB V das Angebot beihilfekonformer Versicherungstarife durch die GKV, sondern auch die 2008 erneuerte Beihilfeverordnung, infolgedessen Sach- und Dienstleistungen nach § 2 Abs. 2 SGB V nicht beihilfefähig sind (§ 8 BBhV). Beamte, die sich in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versichern möchten, können dies folglich nur unter Verlust ihrer Beihilfeansprüche tun. Hieraus erwächst für die Beamten ein starker finanzieller Anreiz, sich in der PKV zu versichern (Simon 2008: 161). Da der Staat seine Alimentationsverpflichtung nicht wahrnimmt, wenn die Versicherung in der GKV erfolgt, hat die PKV das faktische Monopol für die Beamtenversicherung inne. Im Wesentlichen sind die Selbständigen und Beamten damit auf die PKV verwiesen. Eine freiwillige Weiterversicherung in der GKV ist allerdings – trotz der finanziellen Anreize zum Wechsel in die PKV – bei Vorliegen der erforderlichen Vorversicherungszeiten rechtlich möglich (Schulte 2005: 12). Zusammenfassend lässt sich zunächst einmal festhalten, dass der Gesetzgeber den Fortbestand der PKV durch die Festschreibung der Versicherungspflichtgrenze, die Verstärkung der berufsgruppenbezogenen Zuweisungspraxis bei Beamten und Selbständigen sowie die Einschränkung der Rückkehrmöglichkeiten für ältere privat Versicherte gewährleistet und gefördert hat.
2.3
Die Leistungen der Versicherungssysteme
Neben der Definition versicherungspflichtiger Personenkreise haben auch die zu gewährenden Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen Auswirkungen auf die PKV. Der Leistungsumfang und das Gesamtbudget der GKV werden nicht explizit im SGB V festgelegt, sondern im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erarbeitet. Der G-BA wurde zu Beginn des Jahres 2004 durch das GKV-Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) errichtet und trat damit die Nachfolge der bis dahin tätigen unterschiedlichen Ausschüsse der gemeinsamen Selbstverwaltung an. Durch das GKV-WSG 2007 wurde eine erneute Restrukturierung des G-BA eingeleitet, in dessen Rahmen die Zahl der beschlussfassenden Mitglieder verkleinert wurde (Simon 2008: 94; detailliert zu den früheren Ausschüssen Urban 2001). Der G-BA ist als oberstes Beschluss-
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gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet und setzt sich gegenwärtig aus den folgenden 13 Mitgliedern zusammen: ƒ ƒ ƒ
drei unparteiische Mitglieder (davon ein unparteiischer Vorsitzender) fünf Vertreter der gesetzlichen Krankenversicherungen fünf Vertreter der Leistungserbringer (davon zwei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, zwei der Deutschen Krankenhausgesellschaft und einer der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung).
Darüber hinaus nehmen bis zu fünf Patientenvertreter an den Sitzungen des G-BA teil. Sie besitzen allerdings nur ein Antrags- und Mitberatungsrecht, jedoch kein Stimmrecht. Direkte Vertreter der PKV gibt es im G-BA zwar nicht, allerdings unterhalten einige Privatversicherer eigene Betriebskrankenkassen, die dann unter dem institutionellen Dach der GKV als Körperschaften öffentlichen Rechts fungieren. Auf diesem Weg können die PKV-Unternehmen die Selbstverwaltungsstrukturen der GKV indirekt mitgestalten. Betriebskrankenkassen, die von großen Privatversicherern unterhalten werden, sind die BKK Victoria D.A.S., die Debeka BKK und Die Continentale BKK. In jüngerer Vergangenheit hat es auch einige Fusionen gegeben, bei denen sich Betriebskrankenkassen von PKV-Unternehmen mit gesetzlichen Krankenversicherungen zusammengeschlossen haben. Hierzu zählen die Signal Iduna IKK (aus der Fusion der Signal Iduna BKK und der Vereinigten IKK als Innungskrankenkasse hervorgegangen), die KKH Allianz (aus der Fusion von BKK Allianz und Kaufmännischer Krankenkasse KKH als Ersatzkasse hervorgegangen) und die Deutsche BKK (hervorgegangen aus der Fusion von Gothaer BKK und der Deutschen BKK). Das Leistungsangebot der GKV muss ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 12 SGB V). Dieser Anspruch wird in § 70 SGB V bekräftigt und insofern erweitert, als die Krankenkassen und Leistungserbringer eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten haben. Dieser Gestaltungsauftrag wird vom G-BA wahrgenommen, indem er mittels Richtlinien festlegt, welche Leistungen der medizinischen Versorgung von der GKV erstattet werden. Diese Richtlinien haben den Charakter untergesetzlicher Normen und sind für die gesetzlichen Krankenversicherungen, die Kassenärzte, Krankenhäuser und die gesetzlich Versicherten rechtlich bindend. Zudem hat
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der G-BA Aufgaben im Bereich der Qualitätssicherung, an der weitere Akteure des Gesundheitswesens – unter anderem auch der Verband der PKV – beteiligt werden müssen (§ 137 Abs. 1 und Abs. 3 sowie § 137a, Abs. 3 SGB V). Diese Beteiligung ist aber keineswegs gleichbedeutend mit einer Mitgliedschaft im GBA, so dass der Einfluss der beteiligten Verbände hier eher gering ist. Die wissenschaftliche Absicherung sämtlicher Entscheidungen erfolgt durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), das der G-BA im Jahr 2004 im Auftrag des Gesetzgebers errichtet hat. Als unabhängiges wissenschaftliches Institut bewertet das IQWiG den medizinischen Nutzen, die Qualität und die Wirtschaftlichkeit von Leistungen der GKV anhand geeigneter wissenschaftlicher Maßstäbe. Die Rechtsaufsicht des G-BA obliegt dem Bundesgesundheitsministerium, dem die erarbeiteten Richtlinien vorgelegt werden müssen. Diese können dann innerhalb einer Frist von zwei Monaten beanstandet werden. Kommen die Richtlinien nicht oder nicht fristgerecht zustande, können diese vom Bundesgesundheitsministerium erlassen werden. Sie sind damit für alle beteiligten Akteure rechtsverbindlich (Rosenbrock/Gerlinger 2006: 146). Der Leistungskatalog der GKV beeinflusst indirekt auch den Leistungsumfang der substitutiven PKV, der sich im Wesentlichen am gesetzlichen Versicherungsschutzniveau zu orientieren hat. Nach gegenwärtiger Rechtsauffassung ist die PKV substitutiv, wenn sie den in der GKV angebotenen Versicherungsschutz ganz oder teilweise ersetzen kann. Personen, die nicht versicherungspflichtig oder von der Versicherungspflicht befreit worden sind, können sich gegen die wirtschaftlichen Folgen einer Krankheit im Allgemeinen nur in der PKV versichern. Nach Auffassung des Gesetzgebers hat die PKV für diese Personen die gleiche Funktion wie die GKV für die gesetzlich Versicherten. Die PKV substituiert somit die fehlende Versicherungsmöglichkeit in der GKV, soweit sie deren Leistungen der Art nach entspricht (detailliert zu dieser Rechtsauffassung: Deutscher Bundestag 1994: 59-61). Der Leistungsumfang der GKV nimmt aber auch Einfluss auf das Geschäft mit privaten Zusatzversicherungen. Je stärker der Leistungsumfang in der GKV reduziert wird, desto größer wird das Marktpotential der PKV in diesem Segment und umgekehrt. Die medizinische Versorgung wird für gesetzlich Versicherte überwiegend in Form von Sachleistungen erbracht, d.h. der Patient erhält die ärztliche Leistung, ohne in den Zahlungsvorgang involviert zu sein. Das Sachleistungsverfahren ist Ausdruck des Solidarcharakters in der GKV, denn hierdurch kann vermieden werden, dass der Patient für die mitunter hohen Behandlungskosten zunächst in Vorlage gehen muss. Abrechnungsgrundlage für die vertragsärztli-
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chen Leistungen ist der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM). Dieser umfasst sämtliche Leistungspositionen, die mit einer bestimmten Punktzahl versehen sind. Bisher entsprachen diese Punktzahlen keinen festen Euro-Werten, sondern drückten lediglich das Wertverhältnis zwischen den abrechnungsfähigen Einzelleistungen aus (§ 87 Abs. 2 SGB V). Sofern die abgerechneten Leistungsmengen bisher die vereinbarte Gesamtvergütung überstiegen, kam es zu einer entsprechenden Abwertung der Punktwerte (floatende Punktwerte). Seit Anfang 2009 gilt ein neues EBM-System, bei dem die Punktwerte mit festen EuroBeträgen versehen wurden. Um ein unkontrolliertes Ausgabenwachstum zu verhindern, wurden gleichzeitig sog. Regelleistungsvolumina installiert. Diese definieren die Punktmenge, die ein Arzt mit dem festen Punktwert vergütet bekommt. Für darüber hinaus erbrachte Leistungen gelten dann abgestaffelte Punktwerte. Über die Aufnahme neuer Leistungen in den EBM entscheidet der G-BA. Vergleichbare Vertragsbeziehungen zwischen Versicherungen und Leistungsanbietern wie in der GKV existieren in der PKV nicht. Medizinische Dienstleistungen werden nicht in Form von Sachleistungen erbracht, sondern der Patient bezahlt seine Rechnung zunächst selbst und erhält den Rechnungsbetrag (oder je nach Versicherungstarif Teile davon) von seinem Versicherungsunternehmen zurückerstattet (Kostenerstattungsverfahren). Vertragsbeziehungen bestehen also auf der einen Seite zwischen dem versicherten Patienten und dem Leistungserbringer und auf der anderen Seite zwischen dem Versicherten und dem Versicherer. Die Vergütung ambulanter Leistungen in der PKV unterschiedet sich deutlich von den Abrechnungsmodalitäten der GKV. Die Preise ärztlicher und zahnärztlicher Leistungen für Privatversicherte sind in den Gebührenordnungen für Ärzte und Zahnärzte (GOÄ/GOZ) festgeschrieben. Dabei ist jeder ärztlichen Leistung eine bestimmte Punktzahl zugeordnet, die mit einem einheitlichen Punktwert multipliziert wird. Der so ermittelte Gebührensatz ist der „allgemeine“ Preis für ärztliche Leistungen. Das endgültige Honorar berechnet der Arzt, indem er diesen Gebührensatz nochmals mit einem Steigerungssatz multipliziert. In Abhängigkeit von Schwierigkeitsgrad und Zeitaufwand können sich die Steigerungssätze zwischen dem einfachen und 3,5-fachen Satz bewegen. Die GOÄ und die GOZ sind allen Versicherten der PKV prinzipiell zugänglich. Auch haben sie die Möglichkeit, im Vorfeld einer Behandlung einen Kostenvoranschlag zu verlangen. Die Steigerungssätze können aber später auch vom Kostenvoranschlag abweichen. Der Patient kennt also den „Grundpreis“ für eine bestimmte Leistung, jedoch nicht den endgültigen Steigerungssatz. Im Jahr 2006 wurden 85,66% der ambulanten Behandlungskosten zum
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sogenannten Regelhöchstsatz (für ärztliche Leistungen ist dies der 2,3-fache Satz) abgerechnet, 8,89% der ambulanten Behandlungskosten lagen über und 5,45% der Kosten unter dem Regelhöchstsatz (Verband der privaten Krankenversicherung 2008a: 80).
2.4
Beitragsberechnung und Prämienkalkulation
Der wohl größte Unterschied zwischen den beiden Versicherungssystemen besteht in der Art und Weise, wie die Beiträge berechnet, bzw. die Versicherungsprämien kalkuliert werden.10 In der GKV erfolgt die Beitragserhebung bis zur Beitragsbemessungsgrenze (2009: 3.675 Euro im Monat) einkommensabhängig und die Leistungsgewährung bedarfsabhängig. Die GKV beruht auf dem Solidarprinzip, das sich auf den Ausgleich von Gesunden zu Kranken, von höheren zu niedrigeren Einkommen und von Alleinstehenden zu Familien erstreckt. Dem Versicherungsgedanken der Äquivalenz wird insofern Rechnung getragen, als sich die Einkommensumverteilung maximal bis zu dem Beitrag erstreckt, der aus der Anwendung des Beitragssatzes auf die Beitragsbemessungsgrenze resultiert. Auf Einkommen, die darüber hinaus erzielt werden, müssen folglich keine Beiträge mehr gezahlt werden. Die einkommensabhängigen Versicherungsbeiträge werden weitgehend paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen. Die paritätische Finanzierung ist Ausdruck sozialpartnerschaftlicher Fürsorge, auch wenn sie in den vergangenen Jahren an einigen Stellen zu Lasten der Versicherten aufgeweicht wurde. Sie begründet darüber hinaus (mit Ausnahme der Ersatzkassen) auch die paritätische Besetzung in den Kontrollgremien der GKV-Selbstverwaltung. In Analogie zur paritätischen Finanzierung während der Erwerbsphase werden auch die Krankenversicherungsbeiträge der Rentner anteilig vom Rentenbezieher und dem (gesetzlichen) Rentenversicherungsträger gezahlt. Ein weiteres typisches Merkmal der GKV besteht darin, dass die Ausgaben innerhalb einer Rechnungsperiode durch die Einnahmen weitgehend gedeckt sein müssen; es werden keine Rücklagen gebildet (Umlageverfahren). Bisher haben die gesetzlichen Krankenversicherungen ihre Beitragssätze selbständig festgesetzt. Mit Beginn des Jahres 2009 wurde jedoch die Finanzierung der GKV auf einen Gesundheitsfond umgestellt, aus dem die einzelnen Kranken10 Während in der GKV von Beiträgen gesprochen wird, verwendet man in der PKV eher den Begriff der Prämie. Die begriffliche Differenzierung folgt damit der gängigen Unterscheidung in der Versicherungstheorie und auch den Formulierungen in den einschlägigen Gesetzeswerken.
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kassen Zuweisungen auf der Grundlage eines standardisierten Leistungsbedarfs erhalten. Seither gilt zunächst ein für alle Versicherungen einheitlicher Beitragssatz von 15,5%, der vom BMG per Rechtsverordnung festgelegt wird (14,6% werden paritätisch finanziert, 0,9% nur von den Versicherten). Außerdem fließt zu einem vergleichsweise geringen Anteil ein steuerfinanzierter Bundeszuschuss in den Gesundheitsfond. Sofern die einzelnen Krankenversicherungen mit den Mittelzuweisungen aus dem Gesundheitsfond nicht auskommen, dürfen sie einen Zusatzbeitrag erheben, der allein von den Versicherten getragen werden muss (Simon 2008: 60-61). Die Tarifkalkulation in der PKV unterschiedet sich grundlegend von der Beitragsberechnung in der GKV. Zwar erfolgt auch in der PKV eine weitgehend bedarfsabhängige Leistungsgewährung, jedoch werden die Versicherungsprämien in Abhängigkeit vom individuellen Risiko erhoben (Äquivalenzprinzip). Eine Einkommensumverteilung gibt es in den Normaltarifen der PKV ebenso wenig wie eine beitragsfreie Mitversicherung von Familienangehörigen, so dass sich der Solidargedanke in der PKV innerhalb homogener Risikogruppen lediglich auf den Ausgleich von Gesunden zu Kranken erstreckt. Der Tarifkalkulation in der PKV liegt der Grundgedanke eines individuellen Äquivalenzprinzips zugrunde, bei dem die erwarteten Versicherungsleistungen durch die Prämienzahlungen des Versicherungsnehmers über die gesamte Vertragslaufzeit gedeckt sein sollen. Da die medizinischen Kosten mit zunehmendem Alter eines Versicherten steigen, ergäben sich unter Zugrundelegung einer reinen Risikoprämie Versicherungstarife, die mit zunehmender Vertragsdauer immer teurer würden. Eine reine Risikoprämie hätte also zur Folge, dass die jüngeren Versicherten sehr günstige Tarife in Anspruch nehmen könnten, wohingegen die älteren Versicherten mit vergleichsweise hohen Versicherungskosten konfrontiert würden. Ein entsprechender Anstieg der Versicherungsprämien wäre bei gleichzeitig reduziertem Einkommen für viele ältere Menschen jedoch problematisch. Ein solches Kalkulationsmodell würde nämlich die Gefahr in sich bergen, dass ältere Versicherte ihren Versicherungsschutz genau in der Lebensphase verlieren, in der sie ihn am dringendsten benötigen. Da diese Folgen nach aktueller Gesetzeslage als unerwünscht gelten, müssen die privat Versicherten Altersrückstellungen bilden. Die Prämien enthalten somit einen Umlage- und einen Kapitaldeckungsanteil, der vom Versicherungsunternehmen ertragsbringend angelegt wird. Mit zunehmendem Alter des Versicherten wird dieser Sparanteil dann zur Reduzierung der Beitragsbelastung verwendet (Anwartschaftsdeckungsverfahren).
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Die Vorschrift zur Bildung einer Altersrückstellung ist vor allem als Ausdruck sozialpolitischer Regulierung zu betrachten, die sich allerdings des marktwirtschaftlichen Instruments der Kapitaldeckung bedient. Die verpflichtende Bildung von Altersrückstellungen stellt hierbei keine Reaktion auf ein Marktversagen im strengen ökonomischen Sinne dar, denn das marktwirtschaftliche Prinzip der Risikoäquivalenz beinhaltet ja gerade, dass „hohe Risiken“ auch entsprechend hohe Versicherungsbeiträge zahlen. Auch der Verlust des Versicherungsschutzes im Alter wäre kein Marktversagen, denn auf einem reinen Versicherungsmarkt kommt nur derjenige Nachfrager zu einem Versicherungsvertrag, der über eine entsprechende Zahlungsfähigkeit verfügt. Die verpflichtende Bildung von Altersrückstellungen ist also in erster Linie eine normativ begründete, soziale Sicherungsfunktion für ältere Menschen. Allerdings ist nicht nur die Verpflichtung, dass Rückstellungen zu bilden sind, sondern auch die konkreten Vorschriften, wie diese kalkuliert werden müssen, in hohem Maße reguliert. Die Prämienkalkulation gestaltet sich wie folgt. Zunächst wird eine nach versicherungsmathematischen Grundsätzen errechnete Nettoprämie kalkuliert, die sowohl eine Umlagekomponente als auch eine Kapitaldeckungskomponente enthält. Die Umlagekomponente wird für die in der jeweiligen Rechnungsperiode anfallenden Krankheitskosten verwendet, während die Kapitaldeckungskomponente den Beitragsanstieg älterer Versicherter begrenzen soll. Die zu Beginn der Vertragslaufzeit angesammelten Sparanteile reichen dabei gerade aus, um die erwarteten altersbedingten Kostensteigerungen abzudecken (Meyer 1997: 181). In Abhängigkeit von den erwarteten Kosten der kalkulatorischen Restlebenszeit ergeben sich unterschiedliche Nettoprämien für Versicherte mit unterschiedlich hohem Eintrittsalter. Obwohl man in diesem Zusammenhang von „individueller Risikoäquivalenz“ spricht, wird dem Versicherungsgedanken jedoch insoweit Rechnung getragen, als dass die Kalkulation nicht genau auf die Krankheitsrisiken eines einzelnen Versicherten abzielt, sondern auf die Krankheitsrisiken einer gleichartigen Versichertengruppe. Die Ermittlung der Nettoprämien erfolgt anhand verschiedener Rechnungsgrundlagen. Hierzu zählen: ƒ ƒ ƒ ƒ
die Kopfschäden der Kalkulationszinssatz die Sterbewahrscheinlichkeiten die Stornowahrscheinlichkeiten.
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Die Kopfschäden spiegeln die durchschnittlichen Krankheitskostenverläufe wider, die sich nach den individuellen Risikomerkmalen Lebensalter zum Zeitpunkt des Versicherungseintritts und Geschlecht bemessen (§ 6 Kalkulationsverordnung (KalV)). Die Daten werden in Form von allgemeinen Wahrscheinlichkeitstafeln regelmäßig von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) veröffentlicht und aktualisiert (§ 103a Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG)). Sie dienen dazu, möglichst homogene Versichertenkollektive abzugrenzen. Eventuelle Vorerkrankungen dürfen die Versicherer ebenfalls berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind die privaten Versicherungsunternehmen grundsätzlich berechtigt, vor Vertragsabschluss Risikoprüfungen durchzuführen. Die potentiellen Versicherungsnehmer müssen im Versicherungsantrag Fragen zum Gesundheitsstatus beantworten, wobei eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch die Leistungsfreiheit des Versicherers im Schadensfall sanktioniert wird. Wer bei einem privaten Versicherungsunternehmen aufgenommen werden will, muss das Unternehmen ermächtigen, versicherungsrelevante Informationen über den Gesundheitszustand sowie Erkrankungen und Behandlungen der letzten Jahre einzuholen. Hierfür muss der Antragsteller alle Leistungserbringer, die ihn im relevanten Zeitraum behandelt haben, von der Schweigepflicht entbinden (Simon 2008: 164). Gesundheitliche Beeinträchtigungen, die eine erhöhte Schadenserwartung begründen, werden dann entweder durch Risikozuschläge oder durch vertragliche Leistungsausschlüsse berücksichtigt. Im Fall der Beamten gelten teilweise abweichende Bedingungen. So haben sich die Privatversicherer dazu verpflichtet, Antragsteller mit Beihilfeberechtigung nicht abzulehnen, keine Leistungsausschlüsse vorzunehmen und mögliche Risikozuschläge auf 30 Prozent zu begrenzen (Verband der privaten Krankenversicherung 2005a: 42). Darüber hinaus geht in die Kalkulation der Nettoprämie die Verzinsung der angesparten Altersrückstellung ein. Die Kalkulation dieser Zinsen muss im Voraus erfolgen, da der tatsächlich am Kapitalmarkt erzielte Zinssatz a priori nicht bekannt ist. Daher spricht man vom Rechnungs- oder Kalkulationszinssatz. Würde man einen hohen Zinssatz ansetzen, wäre die Nettoprämie gering. Umgekehrt gilt, dass bei einem geringen kalkulatorischen Zinssatz die Nettoprämie entsprechend höher sein müsste. Unter der Bedingung eines unregulierten Versicherungsmarktes hätten die Versicherungsunternehmen folglich einen starken Anreiz, ihre Prämien mit außerordentlich hohen Zinserwartungen zu kalkulieren. Durch die hoch angesetzte Kapitalverzinsung ließen sich dann günstige Einstiegstarife errechnen, die den Versicherungen einen Vorteil im Wettbewerb um Neukunden verschaffen würden. Zum Schutz der Versicherten ist den Versi-
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cherungsunternehmen daher ein Kalkulationszinssatz von höchstens 3,5 Prozent vorgeschrieben (§ 4 KalV). Mit den Sterbe- und Stornowahrscheinlichkeiten berücksichtigt man, dass Versicherte „durch Tod oder Kündigung“ aus dem Versicherungsvertrag ausscheiden (§ 5 KalV). Die älteren Jahrgänge sind daher weniger stark besetzt als die jüngeren Jahrgänge. Somit kann bei der Kalkulation der Nettoprämie prämienmindernd berücksichtigt werden, dass zu Beginn der Vertragslaufzeit mehr Versicherte Sparanteile sammeln, als später Entnahmen aus den Altersrückstellungen erfolgen (zur Tarifkalkulation in der PKV siehe auch Meyer 1997: 182; Wiesemann 2001: 17-23; Hofer 2008: 69-84). Die Nettoprämie dient jedoch lediglich der Deckung des reinen Versicherungsrisikos. Die Prämie, die der Versicherungsnehmer zu zahlen hat, ist die Bruttoprämie. Diese ergibt sich, indem verschiedene Kostenzuschläge und ein Sicherheitszuschlag erhoben werden. Zu den Kostenzuschlägen zählen nach § 8 KalV die unmittelbaren und die mittelbaren Abschlusskosten, die Schadenregulierungskosten, die sonstigen Verwaltungskosten, der Zuschlag für die erfolgsunabhängige Beitragsrückerstattung sowie der Zuschlag für den Standardtarif, bzw. ab dem 1.1.2009 der Zuschlag für den Basistarif (detailliert zur Rolle des Standard- und Basistarifs siehe Kapitel 3.1.2 und 3.1.3). In die Prämie ist nach § 7 KalV zusätzlich ein Sicherheitszuschlag von mindestens fünf Prozent der Bruttoprämie einzurechnen. Dieser Zuschlag dient dem Ausgleich zufälliger Schwankungen. Mit dieser Regelung soll verhindert werden, dass kurzfristige Änderungen der Rechnungsgrundlagen sofortige Beitragserhöhungen erforderlich werden lassen (Thielbeer 1999: 48; Wiesemann 2001: 22). Da es der PKV in der Vergangenheit nicht gelungen ist, mit den bisherigen Kalkulationsvorschriften die tatsächliche Ausgabenbelastung für ältere Versicherte zu reduzieren, wurden den Unternehmen weitere Gewinnregulierungsvorschriften sowie ein zehnprozentiger Beitragszuschlag zur Bruttoprämie auferlegt (siehe hierzu auch Kapitel 6.2.1). Individuelle Risikofaktoren werden jedoch nur vor dem Vertragsabschluss berücksichtigt. Veränderungen der individuellen Risikodisposition nach Abschluss des Versicherungsvertrages haben dagegen keine Auswirkungen auf die individuelle Prämienhöhe. Sofern allgemeine Gründe eine Erhöhung der Prämien erforderlich werden lassen, gelten diese für alle Versicherten einer homogenen Risikogruppe gleichermaßen. Im Gegensatz zur GKV, für die ein gesetzlicher Kontrahierungszwang gilt, darf die PKV Versicherungswillige mit besonders schlechter Risikostruktur allerdings schon im Vorfeld ablehnen (Vertragsfreiheit). Ist ein Versicherungsvertrag aber einmal zustande gekommen, so ist
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zum Schutz des Versicherten das ordentliche Kündigungsrecht durch den Versicherer ausgeschlossen (ausführlich zu den Details der regulativen Vorschriften und den Aufweichungen der „idealtypischen“ Merkmalsausprägungen siehe Kapitel 3.1). Während das Versicherungsverhältnis in der GKV per Gesetz begründet ist, ist das Versicherungsverhältnis in der PKV ein privatwirtschaftliches Rechtsverhältnis zweier Vertragsparteien und beruht im Wesentlichen auf der Freiwilligkeit der vertragschließenden Parteien. In idealtypischer Hinsicht basiert das Geschäftsmodell der PKV auf dem Grundsatz der individuellen Risikoäquivalenz, bei dem die Prämienzahlungen in lebenslanger Perspektive auch dem individuellen Krankheitsrisiko entsprechen sollen. Die Altersrückstellungen haben dabei die Funktion, mögliche Prämienanstiege im Alter zu vermeiden oder wenigstens abzumildern. Allerdings ist zu bedenken, dass allein 4,15 Millionen PKV-Versicherte beihilfeberechtigt sind, so dass sich deren Beihilfeansprüche nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben automatisch erhöhen. Dieser Umstand kann natürlich prämienmindernd berücksichtigt werden, denn für die Absicherung der im Alter entstehenden Krankheitskosten muss dann zu 70% die steuerzahlende Allgemeinheit aufkommen, während lediglich das geringe Restrisiko vom Beihilfeberechtigten zu tragen ist. Würden die Beihilfesätze für Pensionäre mit dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben nicht automatisch von den üblichen 50% auf 70% ansteigen (wie beispielsweise die Krankenversicherungszuschüsse der gesetzlichen Rentenversicherung für gesetzlich oder privat versicherte Rentner auch nur zur Hälfte gewährt werden), müssten die Sparanteile der beihilfekonformen Einstiegstarife in der PKV wesentlich höher kalkuliert werden. Obwohl es in der PKV weder einkommensabhängige Beiträge noch paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern besetzte Kontrollgremien in den Unternehmen gibt, erhalten auch die privat versicherten Arbeitnehmer einen hälftigen Arbeitgeberzuschuss zu ihren risikoäquivalenten Versicherungsprämien (§ 257 SGB V). Auch die Bezieher einer gesetzlichen Rente, die im Alter privat krankenversichert sind, zahlen – wie in der PKV üblich – eine risikoäquivalente Versicherungsprämie. In diesem Fall leistet der gesetzliche Rentenversicherungsträger für den privat krankenversicherten Rentner einen monatlichen Zuschuss zur Versicherungsprämie.11 An diesen Regelungen zeigt sich nicht nur, dass Sozialversicherung und Privatversicherung eng verflochten sind, son11 Der Zuschuss erfolgt in Höhe des halben Betrages, der sich aus der Anwendung des um 0,9 Beitragssatzpunkte verminderten allgemeinen Beitragssatzes der gesetzlichen Krankenversicherung auf den Zahlbetrag der Rente ergibt. Er wird jedoch auf die Hälfte der tatsächlichen Aufwendungen für die (private) Krankenversicherung begrenzt (für die genauen gesetzlichen Regelungen siehe SGB VI §106. Abs. 3; SGB V §258; SGB V §6, Abs. 3a).
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dern auch, dass der Fortbestand der PKV vor allem das Resultat politischer Entscheidungen ist. Während die Beamten und Pensionäre ihre Beihilfeansprüche nicht in die GKV transferieren können, dürfen gutverdienende Arbeitnehmer ihren Arbeitgeberbeitrag in die PKV „mitnehmen“. Natürlich lässt sich sowohl der Arbeitgeberbeitrag als auch der Zuschuss des Rentenversicherungsträgers mit einigermaßen nachvollziehbaren Argumenten begründen. Der Arbeitgeberzuschuss für privat Versicherte kann mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung zwischen gesetzlich und privat versicherten Arbeitnehmern gerechtfertigt werden und auch der Beitragszuschuss der Rentenversicherungsträger resultiert aus jahrelangen Beitragszahlungen in die gesetzlichen Rentenkassen im Sinne eines begründeten Rechtsanspruchs. Allerdings ist sowohl die Betonung von Gleichbehandlung als auch die Verflechtung von Sozial- und Privatversicherung das exakte Gegenteil einer idealtypischen Unterscheidung und klaren Systemabgrenzung.
2.5
Rechtsformen und Verbandsstrukturen
Die Krankenversicherungen in Deutschland unterscheiden sich sowohl hinsichtlich ihrer Rechtsform als auch ihrer verbandlichen Strukturen. Die insgesamt 186 gesetzlichen Krankenkassen sind als Körperschaften öffentlichen Rechts einem gesetzlich definierten, öffentlichen Auftrag verpflichtet. Sie sind somit keine unmittelbaren Einrichtungen des Staates, sondern als mittelbare Staatsverwaltung organisatorisch und finanziell selbständige, rechtsfähige Körperschaften. Die Eigenständigkeit in der Entscheidungskompetenz erstreckte sich bisher vor allem auf organisationsbezogene Fragen, die Gewährung satzungsmäßiger Mehrleistungen sowie die Festlegung des Beitragssatzes (Rosenbrock/Gerlinger 2006: 112-113). Letzteres gilt seit Einführung des Gesundheitsfonds nicht mehr, allerdings werden die möglicherweise anfallenden Zusatzbeiträge kassenindividuell erhoben. Ansonsten gibt der Gesetzgeber lediglich den Leistungsrahmen vor, kann aber z.B. auch anderweitig in die Finanzierung eingreifen (etwa im Fall von Zuzahlungen bei der Inanspruchnahme medizinischer Dienstleistungen). Sowohl die gesetzlichen Krankenversicherungen als auch ihre Verbände unterliegen der staatlichen Rechtsaufsicht, die zwischen Bund und Ländern aufgeteilt ist. Das BMG und das Bundesversicherungsamt (BVA) beaufsichtigen die bundesunmittelbaren Krankenversicherungen (Ersatzkassen und Betriebskrankenkassen, die in mehreren Bundesländern tätig sind) und die jeweiligen Bundesverbände der Krankenversicherungen. Die zuständigen Länderministerien überwachen die Orts-, Innungs- und Betriebskran-
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kenkassen sowie die Landesverbände der Versicherungen (Rosenbrock/Gerlinger 2006: 111). Als Körperschaften öffentlichen Rechts arbeiten die Krankenversicherungen nicht gewinnorientiert, sondern kostendeckend. Seit 1996 wird die Vertretung der Krankenkassen primär von hauptamtlichen Vorständen wahrgenommen. Diese werden durch Verwaltungsräte bestellt, die aus Versichertenvertretern und Arbeitgebervertretern (im Fall der Ersatzkassen nur aus Versichertenvertretern) bestehen (Bandelow 2004a: 96). Mit dem GKV-WSG wurden auch die Verbandsstrukturen der GKV neu geordnet. Die bisherigen Bundesverbände der verschiedenen Kassenarten wurden in ihrer Bedeutung herabgestuft und in Gesellschaften bürgerlichen Rechts umgewandelt. Seit dem 1. Juli 2008 gibt es den neuen Spitzenverband Bund der Krankenkassen, der als Körperschaft öffentlichen Rechts die Belange aller gesetzlichen Krankenversicherungen auf Bundesebene vertritt. Zu den wichtigsten Aufgaben zählen u.a. die Interessenvertretung der GKV in der gemeinsamen Selbstverwaltung (G-BA), der Abschluss von Rahmenverträgen und Vergütungsvereinbarungen für die stationäre, ambulante und zahnärztliche Versorgung sowie die Festsetzung von Festbeträgen für Arznei- und Hilfsmittel, sowie der Höchstbeträge für Arzneimittel. Der Gesetzgeber folgte damit einem seit Ende der 1980er Jahre anhaltenden Trend, dessen wesentliche Merkmale darin bestehen, die historisch gewachsenen Unterschiede zwischen den Kassenarten zu egalisieren und die regional fragmentierten Verbandsstrukturen auf Bundesebene zusammenzuziehen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen bilden das Pendant zu den Verbänden der gesetzlichen Krankenversicherungen. Diese nehmen im deutschen Gesundheitssystem eine besondere Stellung ein, da sie einerseits als Interessenvertretung der niedergelassenen Ärzte auftreten und andererseits als Träger mittelbarer Staatsverwaltung fungieren (Bandelow/Schade 2009: 92-93). Seit 1955 verfügen die KVen, die ebenfalls den Rechtsstatus einer Körperschaft öffentlichen Rechts besitzen, über den sogenannten Sicherstellungsauftrag, der sie zur Versorgung der gesetzlich Versicherten verpflichtet. Für alle niedergelassenen Ärzte, die an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, besteht der Zwang der Mitgliedschaft in der KV. Andererseits muss der Spitzenverband Bund der Krankenkassen die Verträge über die ambulante Versorgung im G-BA allein mit den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen (KBV) abschließen (zu Aufweichungen dieses Reglements komme ich im folgenden Kapitel). Dieses Vertragsmonopol erhielten die KVen als Gegenleistung für den Verzicht auf das Streikrecht (Webber 1992: 212-213). Die KVen sind außerdem mit der Verteilung der Honorare für die ambulante vertragsärztliche Versorgung betraut. Sie
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verfolgen somit einerseits berufsständische Interessen, unterstützen aber andererseits auch die staatliche Verwaltung. Aus kassenärztlicher Verbandsperspektive lagen die Vorteile in der staatlichen Garantie ihrer Marktposition sowie im Schutz vor externer Konkurrenz und innerärztlichem Preiswettbewerb (Bandelow/Schade 2009: 93). Zu den Gegenleistungen zählt die Verpflichtung zur flächendeckenden Versorgung der gesetzlich Versicherten, die Kontrollfunktion gegenüber den eigenen Mitgliedern sowie die Durchsetzung konfliktträchtiger Entscheidungen (Leistungskatalog, Gesamthonorar, Honorarverteilung). Die niedergelassenen Ärzte treten jedoch keineswegs nur als Verhandlungspartner in den Organen der Selbstverwaltung auf, sondern folgen als freiberuflich tätige Unternehmer einem ausdrücklich betriebswirtschaftlichen Handlungskalkül (Beck 2004: 131; Rosenbrock/Gerlinger 2006: 131). Von den 47 Mitgliedsunternehmen des Verbandes der PKV hatten im Jahr 2007 21 Unternehmen die Rechtsform des Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit (VVaG) und 26 Unternehmen die Rechtsform der Aktiengesellschaft (AG). Erstere erzielten 45 Prozent der Gesamtbeitragseinnahmen und hatten einen Anteil von 52,3 Prozent der Vollversicherten. Letztere kamen auf 55 Prozent der Gesamtbeitragseinnahmen bei einem Anteil von 47,7 Prozent der Vollversicherten (Verband der privaten Krankenversicherung 2008b: 11-12). Die privaten Krankenversicherungen weisen damit zwei Rechtsformen auf, die sich nicht nur von den Körperschaften öffentlichen Rechts sondern auch untereinander in einigen wesentlichen Punkten unterscheiden. In den VVaG sind die Versicherungsnehmer zugleich Mitglieder und damit auch Träger des Versicherungsvereins. Ähnlich wie die gesetzlichen Krankenversicherungen weisen auch die VVaG Selbstverwaltungsstrukturen auf, allerdings nicht im Sinne der paritätischen, aus Arbeitnehmern und Arbeitgebern zusammengesetzten Selbstverwaltung. Die drei gesetzlich notwendigen Organe eines VVaG sind der Vorstand als Geschäftsführungsorgan, der Aufsichtsrat zur Kontrolle des Vorstands und die Mitgliedervertretung oder Mitgliedervertreterversammlung als oberste Vertretung. Die Mitglieder eines VVaG sind nicht nur Versicherungsnehmer, sondern auch Eigentümer, die durch das Organ der obersten Vertretung repräsentiert werden. Diese wählt den Aufsichtsrat und entscheidet über Satzungsänderungen. Jedes Mitglied kann in der Vertreterversammlung sein Stimmrecht ausüben und darf Wahlvorschläge für die Mitgliedervertretung unterbreiten. Als Träger des Versicherungsvereins haben die Mitglieder auch grundsätzlich einen Anspruch auf Überschussbeteiligung aus den Gewinnen des Unternehmens, wobei es den VVaG auch gestattet ist, die Ge-
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winne zur Verbesserung der Eigenkapitalausstattung zu verwenden (Arbeitsgemeinschaft der Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit o.J.). Anders als bei den VVaG, die nur ihren Mitgliedern verpflichtet sind, tragen Aktiengesellschaften vor allem gegenüber ihren Aktionären Verantwortung. Ein Aktionär ist Miteigentümer eines Unternehmens und hat zahlreiche Vermögensrechte. Das Gewinnanteilrecht gewährleistet einen Anspruch auf Dividendenausschüttung, deren Höhe sich in der Regel nach dem Bilanzgewinn richtet. Aus dem Miteigentum entstehen den Aktionären außerdem Mitbestimmungsrechte, wie beispielsweise das Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung, Auskunftsrechte, sowie das Stimmrecht bei der Hauptversammlung. Mit der Ausübung des Stimmrechts kann der Aktionär auch über die Besetzung des Aufsichtsrates, die Gewinnverwendung und die Höhe der Dividende sowie über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat sowie Satzungsänderungen mitbestimmen (Buscher u.a. 2003: 288). Die Aufsicht über die privaten Krankenversicherungsunternehmen obliegt der BaFin. Die Verbandsstrukturen der PKV unterscheiden sich ebenfalls deutlich von denen der GKV. Der Verband der privaten Krankenversicherung ist ein eingetragener Verein (e.V.) und nimmt somit keine öffentlich-rechtlichen Aufgaben wahr, sondern nur die Interessenvertretung der im Verband organisierten Versicherungsunternehmen. Daher ist der PKV-Verband – anders als z.B. die Kassenärztlichen Vereinigungen – auch nicht verpflichtet, missliebige Entscheidungen des Gesetzgebers gegenüber den Mitgliedsunternehmen durchzusetzen. Auf der anderen Seite gibt es für die einzelnen Unternehmen aber auch keinen Zwang zur Mitgliedschaft.
2.6
Zwischenfazit: Die Unterschiede auf einen Blick
Zusammenfassend lässt sich zunächst einmal festhalten, dass gesetzliche und private Krankenversicherung auf eine lange Sozialstaatstradition zurückblicken, wobei die Abgrenzung seit jeher über die Definition schutzbedürftiger und nicht schutzbedürftiger Statusgruppen erfolgt. Dieses Trennungsdenken ist innerhalb der EU einmalig und insofern bedeutend, als es noch immer die Grundlage für zahlreiche unterschiedliche Gestaltungsmerkmale darstellt. So sind die beiden Systeme auch heute noch durch erhebliche Differenzen – vor allem im Hinblick auf die einkommensabhängige Beitragserhebung in der gesetzlichen und die risikoäquivalente Prämienkalkulation in der privaten Krankenversicherung – gekennzeichnet. Die idealtypischen Ausprägungen der beiden Versicherungs-
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zweige sind zusammenfassend noch einmal in der nachfolgenden Tabelle dargestellt: Tabelle 1: Idealtypische Unterscheidung von GKV und PKV Rechtsform Finanzierung Beitragsberechnung Versicherungsverhältnis Leistungsgewährung Leistungsvergütung
GKV Körperschaft öffentlichen Rechts Umlageverfahren einkommensabhängig (Solidaritätsprinzip) kraft Gesetz (Versicherungspflicht mit Kontrahierungszwang) Sachleistungen
PKV Aktiengesellschaft, Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Anwartschaftsdeckungsverfahren risikoabhängig (Äquivalenzprinzip) kraft Vertrag (Vertragsfreiheit ohne Kontrahierungszwang) Kostenerstattung
budgetierte Einzelleistungsvergütung
unbegrenzte Einzelleistungsvergütung
Quelle: Eigene Darstellung
Trotz der unterschiedlichen Grundstrukturen der beiden Versicherungssysteme werden jedoch die meisten Versorgungseinrichtungen und Leistungen sowohl von gesetzlich Versicherten als auch von privat Versicherten gleichermaßen in Anspruch genommen. Bis auf wenige Ausnahmen haben die Versicherten von GKV und PKV einen in weiten Teilen gleichberechtigten Anspruch auf medizinische Versorgung. Sie suchen normalerweise dieselben Ärzte auf, werden in denselben stationären Einrichtungen versorgt und kaufen ihre Arzneimittel in denselben Apotheken ein. Da fast alle niedergelassenen Ärzte auch für die vertragsärztliche Versorgung zugelassen sind, werden sie auch von gesetzlich und privat versicherten Patienten gleichermaßen in Anspruch genommen. Zwar gibt es auch niedergelassene Ärzte, die keine vertragsärztliche Zulassung für die Behandlung von gesetzlich Versicherten haben, allerdings ist ihr Anteil nur sehr gering. Eine vollkommene Systemabgrenzung ist hier weit weniger deutlich erkennbar, als es die idealtypischen Unterscheidungen suggerieren, denn separate Versorgungsstrukturen, die ausschließlich von gesetzlich oder privat Versicherten in Anspruch genommen werden können, gibt es im deutschen Gesundheitswesen kaum.
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Obwohl am dualen Versicherungssystem bis heute festgehalten wird und nach wie vor relevante Systemunterschiede bestehen, hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine verstärkte Hybridisierung und partielle Konvergenz der beiden Versicherungszweige vollzogen. Jenseits allgemeiner Reformgründe, die auch für die Gesundheitssysteme anderer europäischer Länder gelten (z.B. medizinischer Fortschritt, demographischer Wandel, negativer Preisstruktureffekt, internationale Wettbewerbsfähigkeit etc.), gab es immer wieder spezielle Problemlagen, die ihren Ursprung einzig und allein in den Besonderheiten des deutschen Gesundheitssystems hatten. Hierauf haben die verschiedenen Gesetzgeber seit den 1990er Jahren sehr individuelle und zum Teil auch überraschende Antworten gefunden. Diese Entwicklungen werden im folgenden Kapitel analysiert. Der Schwerpunkt liegt dabei zunächst auf den Veränderungen der PKV, bevor dann die Konvergenzentwicklung der GKV erläutert wird.
3
3.1
Die Hybridisierung der Versicherungssysteme
Der Konvergenzprozess in der PKV
Seit Anfang der 1990er Jahre unterliegen die beiden Versicherungssysteme zum Teil deutlichen Veränderungen, die einerseits zwar auf eine Annäherung hindeuten, andererseits aber die wesentlichen Grundstrukturen der Systeme jeweils bewahrt haben (Wasem 1995; Fuchs 2000; Böckmann 2009). Diese Konvergenzbewegung ist dadurch gekennzeichnet, dass Wesensmerkmale des einen Systems in die Strukturen des jeweils anderen Systems eingeführt wurden. Mit Konvergenz ist jedoch nicht unbedingt eine wechselseitige Übernahme exakt übereinstimmender Ausgestaltungsdetails gemeint, sondern eine Aufweichung der idealtypischen Ausprägungen beider Versicherungszweige. Für die traditionell eher marktwirtschaftlich organisierte PKV bedeutete der Konvergenzprozess vor allem eine Zunahme sozialpolitisch motivierter, staatlicher Regulierung. Für die GKV hingegen manifestierte sich dieser Wandel vor allem in der weitgehenden Aufwertung wettbewerblicher und regulativer Elemente (Lange 2004: 9-10; Böckmann 2007: 14). Während jedoch die Reformen der GKV in Öffentlichkeit, Wissenschaft und Politik regelmäßig große Aufmerksamkeit erfahren haben, vollzogen sich viele Veränderungen in der PKV vergleichsweise lautlos. Auch wenn die PKV das marktwirtschaftliche Pendant zur GKV darstellt, unterliegt sie seit jeher einer Reihe sozialpolitisch motivierter Regulierungen, die ihren Ausdruck in verschiedenen gesetzlichen Vorschriften finden. Obwohl kein unmittelbarer Zusammenhang zum Beginn der Konvergenzphase in der GKV besteht, wurden fast zeitgleich auch im privaten Versicherungsbereich „versicherungsfremde“ Systemelemente eingeführt und sozialpolitische Regulierungen stärker im Rechtssystem verankert. Zunächst sollen hier die Maßnahmen betrachtet werden, die den Konvergenzprozess für die PKV begründet haben.
R. Böckmann, Quo vadis, PKV?, DOI 10.1007/978-3-531-92741-1_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Die Hybridisierung der Versicherungssysteme
Die Dritte Richtlinie Schadenversicherung
Auf europäischer Ebene hat die Dritte Richtlinie Schadenversicherung (92/49 EWG), die am 18. Juni 1992 durch den Ministerrat verabschiedet wurde und zum 1. Juli 1994 in den Mitgliedsstaaten in Kraft trat, bedeutenden Einfluss auf die deutsche Versicherungsaufsicht im Allgemeinen und die Rechtsstellung der PKV im Speziellen ausgeübt. Der Gründungsvertrag der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) vom 25. März 1957 sah die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes vor („Römische Verträge“). Dies galt grundsätzlich auch für den gemeinsamen Versicherungsmarkt, so dass die Versicherungsunternehmen der Mitgliedsländer in allen Staaten der EWG die Möglichkeit erhalten sollten, ihr Geschäft frei und ohne Wettbewerbsbeschränkungen zu betreiben. Voraussetzung hierfür war zunächst die Verwirklichung der Grundfreiheiten, insbesondere die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit (Zweifel/Eisen 2003: 357). Die Niederlassungsfreiheit wurde 1973 durch die Erste Richtlinie Schadenversicherung (73/239 EWG) eingeführt, die Dienstleistungsfreiheit 1989 durch die Zweite Richtlinie Schadenversicherung (88/357 EWG). Mit der Dritten Richtlinie Schadenversicherung hat die Europäische Gemeinschaft (EG) 1994 die rechtliche Grundlage für die Vollendung des europäischen Versicherungsbinnenmarktes geschaffen. Damit die Versicherungsunternehmen unabhängig von ihren nationalen Standorten Versicherungsgeschäfte tätigen können, bedurfte es einer Harmonisierung der Versicherungsaufsicht. Soweit die Regulierungsintensität der bisherigen Aufsichtssysteme das gemeinsam festgelegte Maß überstieg, wurde sie gemindert, was häufig auch als Deregulierung bezeichnet wurde (Farny 2006: 114). Infolge der Dritten Richtlinie Schadenversicherung können die Versicherungsunternehmen nun ihre Tätigkeit im gesamten Gemeinschaftsgebiet ausüben ohne von jedem Versicherungsland eine gesonderte Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb zu benötigen. Hat also die Sitzlandsaufsicht einmal die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb erteilt, gilt diese für das gesamte Gemeinschaftsgebiet („Single-Licence-Prinzip“). In vielen Mitgliedsstaaten führte diese Richtlinie zur Deregulierung der Versicherungsmärkte (Glaeske/Rothgang 2005: 13-14). In der deutschen PKV war genau das Gegenteil der Fall. Die konsequente Anwendung des Single-Licence-Prinzips auf den Markt für private Krankenversicherungen hätte bedeutet, dass europäische Krankenversicherer mit der Betriebsgenehmigung ihres eigenen Sitzlandes auf den Versicherungsmärkten anderer Mitgliedstaaten hätten tätig werden können. Dieses Szenario hätte zum damaligen Zeitpunkt jedoch nur den deutschen und den niederländischen Versicherungsmarkt betroffen, denn außer diesen beiden Län-
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dern existierte in keinem Staat der Europäischen Union (EU) eine substitutive private Krankenversicherung. Wegen „der als besonders hoch eingestuften Schutzbedürftigkeit der Versicherten und der großen sozialen Bedeutung“ (Farny 2006: 120) wurden – vor allem auf Druck des deutschen PKV-Verbandes – in Art. 54 der Richtlinie Sonderregelungen für die substitutive Krankenversicherung aufgenommen. Für Versicherungsverträge, die „die im gesetzlichen Sozialversicherungssystem vorgesehene Krankenversicherung ganz oder teilweise ersetzen können“, ist es den Mitgliedstaaten demnach erlaubt, „spezifische Rechtsvorschriften zum Schutz des Allgemeininteresses“ (Art. 54, Abs. 1 Dritte Richtlinie Schadenversicherung) zu erlassen, deren Gültigkeit sich auf alle im eigenen Mitgliedsland tätigen Unternehmen erstreckt. Darüber hinaus können die Mitgliedsstaaten verlangen, dass ihren zuständigen Aufsichtsbehörden die allgemeinen und besonderen Versicherungsbedingungen vor deren Verwendung mitgeteilt werden. Art. 54, Abs. 2 der Dritten Richtlinie Schadenversicherung konkretisiert den Sinngehalt der spezifischen Rechtsvorschriften aus dem ersten Absatz. Demzufolge können die Mitgliedstaaten vorschreiben, dass die Krankenversicherung nach Art der Lebensversicherung zu betreiben ist, wenn ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ
die Beiträge nach versicherungsmathematischer Methode berechnet werden eine Altersrückstellung gebildet wird der Versicherer den Vertrag nur innerhalb einer bestimmten Frist kündigen kann in laufenden Verträgen die Beiträge erhöht oder gesenkt werden können der Versicherungsnehmer das Recht erhält, innerhalb desselben Unternehmens unter Anrechnung der erworbenen Rechte (Übertragung der Altersrückstellung und Verzicht auf neuerliche Gesundheitsprüfung) in neue Verträge wechseln zu können.
Von seinem Recht auf nationale Sonderregelungen nach Art. 54 der EURichtlinie hat der deutsche Gesetzgeber umfassenden Gebrauch gemacht. Zu diesem Zweck wurden bestehende Gesetzeswerke ergänzt oder nach Maßgabe der europäischen Richtlinie erweitert. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die PKV sind vor allem dadurch gekennzeichnet, dass mehrere Gesetzeswerke ineinander greifen. Die unmittelbare Umsetzung der Europäischen Richtlinie erfolgte durch die Modifikation des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG). Des Weiteren wurde auch das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und das Fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V) um einige für die PKV relevante Regelungen erweitert.
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Die Hybridisierung der Versicherungssysteme
Nach gegenwärtiger Rechtsauffassung gilt eine private Krankenversicherung im Sinne der Dritten Richtlinie Schadenversicherung als substitutiv, wenn die Leistungen dieser Krankenversicherungsverträge den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen. Dies bedeutet nicht, dass die Leistungen völlig identisch sein müssen. So sind den Privatversicherern z.B. größere Gestaltungsspielräume bei Selbstbehaltregelungen erlaubt. Der substitutiven Krankenversicherung zuzurechnen sind Krankheitskostenversicherungen für ambulante, stationäre und zahnärztliche Heilbehandlung. Dies gilt auch für Krankentagegeldversicherungen, die den Verdienstausfall bei Arbeitsunfähigkeit abdecken und Zahnersatzleistungen. Diese Leistungen sind „Spiegelbild der in der GKV vorgesehenen Leistungen“ und stellen für die privat Versicherten den Ersatz für die gesetzliche Absicherung dar (siehe hierzu den ausführlichen Rechtskommentar zum VAG von Präve 2005: 285-286). Nicht substitutiv hingegen sind alle diejenigen Leistungen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht abgedeckt sind (z.B. Chefarztbehandlung, Einbettzimmer etc.). Das VAG regelt das Verhältnis von Rechtsaufsicht und Versicherungsunternehmen. Es enthält vor allem Vorschriften zur Erlaubnis des Geschäftsbetriebs sowie Bedingungen zur Gestaltung der Prämien. Die wichtigsten aufsichtsrechtlichen Vorschriften für die substitutive Krankenversicherung finden sich in § 12 VAG, der die Vorgaben der EU-Richtlinie in nationales Aufsichtsrecht übersetzt (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG vom 21.07.1994). In § 12 Abs. 1 VAG ist kodifiziert, dass die substitutive PKV in Deutschland nur „nach Art der Lebensversicherung“ betrieben werden darf. Zu den Voraussetzungen hierfür zählen – in enger Anlehnung an die EU-Richtlinie – die Kalkulation der Prämien auf versicherungsmathematischer Grundlage, die Bildung einer Alterungsrückstellung, der Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts inklusive eines Prämienänderungsvorbehalts und das Tarifwechselrecht des Versicherungsnehmers (grundlegend hierzu Farny 2006: 114-125). In einem wichtigen Punkt geht das deutsche VAG damit über die europarechtlichen Auflagen hinaus, denn aus dem Erfordernis, lediglich eine Kündigungsfrist einhalten zu müssen, ist im nationalen Recht der Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts geworden. Seit 2009 zählt auch das verpflichtende Angebot eines Basistarifs zu den Auflagen des VAG (zu den Regelungen des Basistarifs, die in den Schadenversicherungsrichtlinien keine Erwähnung finden, siehe Abschnitt 3.1.3). Was aber bedeuten diese Auflagen konkret für den Geschäftsbetrieb eines privaten Krankenversicherungsunternehmens? Die Kalkulation der Prämien auf versicherungsmathematischer Grundlage hat auf der Basis geeigneter statistischer Daten zu erfolgen, die von der BaFin
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veröffentlicht werden müssen. Hierbei sind Annahmen zur Gefahr der Invalidität, Krankheit, Sterblichkeit, zur Stornowahrscheinlichkeit sowie zur Alters- und Geschlechtsabhängigkeit des zu versichernden Risikos zu berücksichtigen. Darüber hinaus sind auch Sicherheits- und sonstige Zuschläge zu kalkulieren. Die genaue Ausgestaltung der Rechnungsgrundlagen regelt die Kalkulationsverordnung (KalV). Die Bildung einer Alterungsrückstellung ist für eine nach Art der Lebensversicherung betriebene Krankenversicherung obligatorisch. Sie dient dazu, den altersbedingten Anstieg der Versicherungsprämien zu begrenzen. Unter Einbeziehung absehbarer Zukunftsentwicklungen soll diese Rücklage so gebildet werden, dass die Krankheitskosten für die gesamte Lebensdauer eines Versicherten abgedeckt sind (siehe hierzu auch die Ausführungen zum Äquivalenzprinzip in Kapitel 2.4). Der Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts des Versicherers dient der Absicherung des Versicherten im Krankheitsfall, insbesondere mit zunehmendem Alter des Versicherten. Hierin kommt das sozialpolitische Bestreben zum Ausdruck, dass die Absicherung des Krankheitsrisikos auch für die privat Krankenversicherten in lebenslanger Perspektive erfolgt. Um die dauerhafte Erfüllbarkeit der Verträge zu gewährleisten, muss sich der Versicherer jedoch ein Prämienänderungsrecht vorbehalten. Die Kalkulation hat zwar so zu erfolgen, dass der Barwert der Prämienzahlungen dem der Leistungsausgaben über die gesamte Versicherungsdauer entsprechen muss, jedoch kann diese Kalkulation nur auf der Basis vorhersehbarer Entwicklungen erfolgen. Um auf nicht vorhersehbare Entwicklungen reagieren zu können, müssen die Versicherer daher ein Prämienänderungsrecht erhalten. Der Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts und das Prämienänderungsrecht sind somit zwei Seiten derselben Medaille. Das Tarifwechselrecht ist jedem Versicherten einzuräumen, wobei die aus der Vertragslaufzeit erworbenen Rechte sowie die Alterungsrückstellung anzurechnen sind. Allerdings beschränkt sich das Tarifwechselrecht nur auf einen Wechsel innerhalb desselben Versicherungsunternehmens (Präve 2005: 288-291). Es kommen aber noch weitere Regulierungsvorschriften für die PKV hinzu. Gemäß § 8 VAG darf die substitutive PKV nur unter der Bedingung der Spartentrennung betrieben werden, d.h. der Betrieb der substitutiven Krankenversicherung und der Betrieb anderer Versicherungszweige in einem Unternehmen schließen sich aus. Das Gebot der Spartentrennung ergibt sich aus dem besonders hoch bewerteten Gläubigerschutz der Versicherten in der Krankenversicherung. Es besteht außerdem eine Gewinnbeteiligungspflicht zugunsten der Versicherungsnehmer (§ 81d, Abs. 1). Die hier skizzierten Regelungen des VAG gelten auch für ausländische Versicherer, die in Deutschland einen substi-
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tutiven Krankenversicherungsschutz anbieten (Farny 2006: 120). In diesen Punkten geht das VAG erneut über die europäische Richtlinie hinaus, da für die substitutive PKV weder eine Spartentrennung noch eine Gewinnbeteiligung vorgesehen war. Während das VAG das Verhältnis von Rechtsaufsicht und Versicherungsunternehmen regelt, geht es im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) um das Verhältnis von Versicherungsunternehmen und Versicherungsnehmern. Ziel des VVG ist der Schutz des Versicherungsnehmers. Bis zum Inkrafttreten der Dritten Richtlinie Schadenversicherung im Jahr 1994 fand die PKV im VVG keine explizite Berücksichtigung, wobei jedoch die allgemeinen Vorschriften (§§ 1-80 VVG) auch für diesen Versicherungsbereich angewandt wurden. Die wichtigste Rechtsquelle waren bis dahin die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), die von der damals zuständigen Aufsichtsbehörde – dem Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV)12 – genehmigt werden mussten. Die EU-Richtlinie hatte diese Genehmigungspraxis verboten, so dass die Umsetzung der europäischen Vorgaben in nationales Recht darin bestand, die AVB im VVG zu kodifizieren (Thielbeer 1999: 36). Im VVG wurden diese Regelungen durch die Ergänzung des Abschnitts Krankenversicherung in den §§ 178a-o VVG getroffen. Zum 1.1.2008 wurde das gesamte VVG, dessen Ursprung auf das Jahr 1908 zurückgeht, grundlegend überarbeitet, so dass sich die relevanten Regelungen für die PKV nun in den neuen und teilweise modifizierten §§ 192208 (VVG Kapitel 8, Krankenversicherung) wiederfinden.13 Die Regelungen des VVG haben wie kein anderes Gesetzeswerk das Ziel, die Versicherungsnehmer der PKV durch sozialpolitisch motivierte Regulierungen zu schützen. So wird z.B. geregelt, dass die substitutive private Krankenversicherung unbefristet ist (§ 195; alt: § 178a), dass das ordentliche Kündigungsrecht durch den Versicherer ausgeschlossen ist (§ 206; alt: § 178i), wohingegen der Versicherungsnehmer vorbehaltlich einer vereinbarten Mindestversicherungsdauer ein grundsätzliches Recht der Vertragskündigung besitzt (§ 195; alt: § 178h). Festgelegt ist außerdem der Umfang des Versicherungsschutzes, demzufolge der Versicherer im vereinbarten Umfang für die Aufwendungen medizinisch notwendiger Behandlungen wegen Krankheit oder Unfallfolgen sowie für 12 Das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen ist zusammen mit dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BAKred) und dem Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel (BAWe) zum 1. Mai 2002 zur Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) verschmolzen worden, die heute die Aufsicht über die PKV führt (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht o.J.). 13 Da die Einführung der §§ 178a-o VVG in vielen wissenschaftlichen Debatten eng mit der Richtlinienumsetzung verknüpft ist, seien sie hier zur besseren Orientierung nochmals in Klammern aufgeführt.
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sonstige vereinbarte Leistungen einschließlich Schwangerschaft, Entbindung und ambulanten Vorsorgeuntersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten nach gesetzlich eingeführten Programmen haftet (§ 192; alt: § 178b). Darüber hinaus begrenzt der Gesetzgeber z.B. die in vielen anderen Versicherungsbereichen üblichen Wartezeiten zu Versicherungsbeginn auf maximal drei Monate (§ 197; alt: § 178c). Bei neugeborenen Kindern geht der Gesetzgeber noch weiter, indem er Risikozuschläge und Wartezeiten grundsätzlich ausschließt, wenn am Tag der Geburt für mindestens einen Elternteil ein privater Krankenvollversicherungsschutz besteht (§ 198; alt: 178d). Weitere Schutzrechte für den Versicherungsnehmer bestehen im Tarifwechselrecht innerhalb des Versicherungsunternehmens, wobei die aus dem bisherigen Vertrag erworbenen Rechte und die Altersrückstellungen anzurechnen sind (§ 204; alt: § 178f). Andere Regelungen betreffen den Schutz von Hinterbliebenen (§ 207; alt: § 178n) oder bestimmte Transparenzpflichten des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer, etwa bei der Einsicht in Gutachten, die der Versicherer zur Prüfung seiner Leistungspflicht über die Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung eingeholt hat (§ 202; alt: § 178m). Die Modifikationen der nationalen Versicherungsaufsicht und der einschlägigen Gesetzeswerke haben sicherlich nicht das gesamte Geschäftsmodell der PKV auf den Kopf gestellt, denn die meisten Regelungen, die im VAG und im VVG Niederschlag gefunden haben, konnten sich bereits auf eine langjährige Genehmigungspraxis stützen. Die Tragweite für die private Krankenversicherungsbranche darf in ihrer Bedeutung jedoch keinesfalls unterschätzt werden. Erstens ist die PKV nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich näher an die GKV gerückt. Dies geschah durch den auf europäischer Ebene notwendigen Rekurs auf die soziale Bedeutung der PKV als einer Institution, die den gesetzlichen Versicherungsschutz ganz oder teilweise ersetzen kann. Zweitens sind mit den gesetzlichen Neuregelungen der 1990er Jahre auch rechtliche Ankerpunkte geschaffen worden, die es dem Gesetzgeber in der Folgezeit ermöglicht haben, genau an diesen Stellen zu intervenieren und die Weiterentwicklung der PKV im Sinne einer stärkeren sozialpolitischen Inpflichtnahme voranzutreiben. 3.1.2
Die Doppelfunktion des Standardtarifs
Vor dem Hintergrund der verstärkten sozialpolitischen Regulierung sind auch die Modifikationen des SGB V von besonderem Interesse, da der Gesetzgeber mit diesen Maßnahmen eine bemerkenswerte Doppelstrategie verfolgt hat. Durch die geschickte Neuordnung des SGB V ist es dem Gesetzgeber gelungen, sozialpolitische Maßnahmen für die älteren privat Versicherten mit einem natio-
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Die Hybridisierung der Versicherungssysteme
nalen Protektionismus für die deutsche Versicherungsbranche zu vereinen. Wie konnte dieses gelingen? Betrachten wir zunächst einmal die relevante Stelle im entsprechenden Gesetzeswerk. In § 257 SGB V ist allgemein die Gewährung von Beitragszuschüssen der Arbeitgeber für Beschäftigte geregelt, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze freiwillig gesetzlich oder privat krankenversichert sind. Seit dem 1. Juli 1994 ist der Erhalt dieses Arbeitgeberzuschusses für privat Versicherte an verschiedene Bedingungen gekoppelt, die zum Teil schon im VAG und im VVG Erwähnung gefunden haben, andererseits aber auch einige sozialpolitische Neuregelungen hervorgebracht haben.14 Zu diesen Neuregelungen zählt, dass der Arbeitgeberzuschuss für eine private Krankenversicherung nur gezahlt wird, wenn diese einen brancheneinheitlichen Standardtarif für ältere Menschen anbietet und die Versicherungsunternehmen verpflichtend an einem finanziellen Spitzenausgleich teilnehmen. Mit dem GKV-WSG wurde auch die Verpflichtung zum Angebot eines Basistarifs festgeschrieben, der den alten Standardtarif seit dem 1.1.2009 abgelöst hat (§ 257 Absatz 2a SGB V). Weder der Standardtarif noch der Basistarif finden in Art. 54 der Dritten Richtlinie Schadenversicherung eine Entsprechung. Das Erfordernis der rechtlichen Neustrukturierung der nationalen Gesetzeswerke aufgrund der EU-Richtlinie fiel zeitlich mit der Diskussion um die damals stark angestiegenen Prämienbelastungen für ältere Privatversicherte zusammen. Anders als in der GKV, in der die Beiträge einkommensabhängig erhoben werden, sinken die Versicherungsprämien für Rentner und Pensionäre in der PKV nicht automatisch, sobald sich das Einkommen verringert. Der Prämienanstieg wird lediglich durch das Entsparen der Altersrückstellung gedämpft. Bis Ende der 1980er Jahre war es möglich, dass „gute Risiken“ zunächst in die PKV wechseln konnten, um sich im Alter und bei entsprechender Verschlechterung der individuellen Risikodisposition wieder in den Schutz der GKV zu begeben. Diese Finanzierungslast musste dann wieder von der Solidargemeinschaft der gesetzlich Versicherten getragen werden. Hiervon profitierten nicht nur die Rückkehrer, sondern vor allem die privaten Versicherungsunternehmen: Erstens konnten sie sich auf diesem Wege ihrer älteren und tendenziell teureren Versicherten entledigen und zweitens fielen ihnen auch noch die bis dahin angesparten Altersrückstellungen der Rückkehrer zu. Sowohl den altersbedingten Abgang aus den Versichertenbeständen als auch das Erbe der Alters14 Zu den Regelungen des § 257 SGB V, die sich auch im VAG und im VVG wiederfinden, zählt der Betrieb nach Art der Lebensversicherung, die Überschussbeteiligung, die Spartentrennung sowie der Verzicht auf das ordentliche Kündigungsrecht.
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rückstellung konnten die Privatversicherer wieder prämienmindernd im Neukundengeschäft berücksichtigen.15 Die entsprechende Kalkulation günstiger Tarife war gegenüber der GKV dann wieder ein Vorteil im ohnehin ungleichen Wettbewerb um junge und gesunde Versicherte. Die Einschränkung der zunehmend als unsolidarisch wahrgenommenen Rückkehrmöglichkeiten durch das Gesundheitsreformgesetz (GRG) von 1988 führte dazu, dass nun auch in der PKV de facto Prämien kalkuliert werden mussten, die allen Bestandskunden eine Versicherung über die gesamte Lebenszeit gewährleisteten. Die Folge waren jedoch steigende Prämienbelastungen für die Bestandsversicherten in der PKV, da sich die Versichertenkollektive nicht mehr durch den Abgang schlechter Risiken verjüngt haben. Der Gesetzgeber ist den steigenden Prämienbelastungen für ältere Versicherte mit einer Reihe von Maßnahmen begegnet, die dieses Problem zwar nicht gänzlich beseitigen, aber dennoch etwas abmildern konnten. Dem Standardtarif kam hier eine doppelte Bedeutung als sozialpolitisches Instrument einerseits, sowie als nationalprotektionistisches Element andererseits zu. Die Einführung des Standardtarifs für ältere Privatversicherte erfolgte im Rahmen des Gesundheitsstrukturgesetzes mit Wirkung zum 1. Juli 1994 (zur Gesetzesänderung und -begründung siehe Deutscher Bundestag 1992: 29; 116). Damit wurde zunächst einmal der Tatsache Rechnung getragen, dass es auch in der PKV eine zunehmende Zahl älterer Menschen gab, die nicht mehr in der Lage waren, die hohen Versicherungsprämien im Alter aufzubringen. Für privat Versicherte, die das 65. Lebensjahr vollendet hatten und bereits seit zehn Jahren privat versichert waren sowie für privat Versicherte, die das 55. Lebensjahr vollendet hatten und deren Gesamteinkommen die Versicherungspflichtgrenze nicht überstiegt, bestand die Möglichkeit, in den Standardtarif zu wechseln. Die Höhe dieses Tarifs richtete sich nach dem Eintrittsalter und dem Geschlecht. Er war jedoch für Einzelpersonen begrenzt auf den durchschnittlichen Höchstbeitrag16 der GKV. Für Eheleute und Lebenspartnerschaften war der insgesamt zu zahlende Betrag auf das 1,5-fache des durchschnittlichen GKV-Höchstbeitrags begrenzt. Beamte und Pensionäre, die nur den Teil der Kosten abdecken, der nicht durch die Beihilfe des Dienstherren gedeckt ist, entrichten einen entsprechenden prozentualen Höchstbeitrag. Bei einem Wechsel in den Standardtarif 15
Die Abgänge gehen über die Kalkulation höherer Stornowahrscheinlichkeiten in die Prämienberechnung ein. Je höher die Stornowahrscheinlichkeiten, desto niedriger die Prämien (siehe hierzu auch Kapitel 2.3). 16 Der Begriff „durchschnittlicher Höchstbeitrag“ entstammt dem SGB V. Gemeint ist hiermit, dass der durchschnittliche Beitragssatz auf die Beitragsbemessungsgrenze – also das höchste zu verbeitragende Einkommen – bezogen wird.
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wurde die Altersrückstellung des bisherigen Tarifs bei demselben Unternehmen angerechnet. Die Leistungen entsprachen im Wesentlichen denen der GKV, wobei auch die Leistungsvergütung bei der Inanspruchnahme medizinischer Behandlungen maximal auf den 1,7-fachen Gebührensatz nach GOÄ/GOZ begrenzt war (Verband der privaten Krankenversicherung 2002a: 10-12; 18). Im Jahr 2006 wurde der Standardtarif von 24.819 Versicherten genutzt, von denen 19.860 ohne und 4.959 mit Beihilfeberechtigung versichert waren (Verband der privaten Krankenversicherung 2007a: 30). Neben der Begrenzung der Beitragsbelastung für ältere Versicherte dürften die damaligen Regierungsverantwortlichen aber noch ein zweites Ziel verfolgt haben. Die passgenau auf die deutschen Versicherungsunternehmen zugeschnittenen Regelungen des § 257 SGB V stellen nämlich nicht nur einen sozialpolitisch motivierten Schutz der hiesigen Privatversicherten dar, sondern auch eine hohe Marktzutrittshürde für EU-ausländische Privatversicherer. Abhängig Beschäftigte, die aufgrund eines ausreichend hohen Einkommens in die PKV wechseln können, erhalten den Arbeitgeberzuschuss zu ihren Versicherungsprämien nur dann, wenn das betreffende Versicherungsunternehmen den Standardtarif anbietet, am unternehmensübergreifenden Finanzausgleich teilnimmt und auch sonst alle weiteren Kriterien des § 257 SGB V erfüllt. Der Erhalt des Arbeitgeberzuschusses ist unter Wettbewerbsbedingungen für jedes private Versicherungsunternehmen zwingend erforderlich, da die Versicherungsverträge für abhängig Beschäftigte in der PKV nur unter dieser Bedingung zu einem konkurrenzfähigen Marktpreis angeboten werden können. Würde der Arbeitgeberanteil für diese Versichertengruppe entfallen, weil das betreffende Versicherungsunternehmen die Kriterien des § 257 SGB V nicht erfüllt, dann müsste sich die Versicherungsprämie entsprechend verdoppeln. Für EU-ausländische Privatversicherer bedeutet diese Regelung einen faktischen Zwang zum Angebot des Standardtarifs nach deutschen Spielregeln. Im Gegensatz zu den deutschen Unternehmen, die durch ihren Verband vertreten werden, können die EUausländischen Versicherer jedoch weder auf die Ausgestaltung dieses Tarifs noch auf den vereinbarten finanziellen Spitzenausgleich einen Einfluss nehmen (Präve 2005: 296). Das Hauptanliegen des Gesetzgebers wird daher neben dem Verbraucherschutz der Versicherten auch im Bestandsschutz der deutschen Privatversicherer gelegen haben, da der deutsche Sonderweg der „Lex PKV“ vor allem die nationale Versicherungsbranche vor europäischen Wettbewerbern geschützt hat. Das protektionistische Anliegen ist hier allzu offensichtlich, denn Deutschland (und zum damaligen Zeitpunkt auch die Niederlande, die ihr duales Versicherungs-
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system im Jahr 2006 in ein einheitliches System transformiert haben) ist mittlerweile der einzige Staat in der Europäischen Union, der für relativ große Bevölkerungskreise die Möglichkeit einer substitutiven privaten Krankenversicherung vorsieht. Unter der Bedingung eines wirklich freien Marktes hätte sich für EU-ausländische Versicherungsunternehmen ein lukratives Betätigungsfeld ergeben, auf dem diese mit der jeweils eigenen nationalen Sitzlandgenehmigung hätten tätig werden können („Single-Licence-Prinzip“). Die deutschen Versicherungsunternehmen hingegen hätten aufgrund des fehlenden Marktes für substitutive Krankenversicherungen in fast keinem anderen Mitgliedsstaat den Geschäftsbetrieb aufnehmen können. Attraktiv ist das Marktsegment der PKV insofern, als es sich bei den deutschen Versicherungsnachfragern um überwiegend gut verdienende, bzw. gut alimentierte Personenkreise handelt, die eine vergleichsweise hohe Zahlungsbereitschaft für einen umfassenden Versicherungsschutz haben dürften. Hinzu kommt, dass das Marktsegment mit einem potentiellen Kundenkreis im zweistelligen Millionenbereich insgesamt sehr groß ist und die absolute Zahl möglicher Privatversicherungskunden zum Teil die Gesamteinwohnerzahlen ganzer EU-Mitgliedsstaaten erreicht. Es mag mit Blick auf den Schutz der Versicherten zwar nachvollziehbar erscheinen, dass hier nationale Sonderregelungen erwirkt wurden, allerdings steht der Rekurs auf den Schutz des Allgemeininteresses in der europäischen Versicherungsrichtlinie in einem latenten Widerspruch zur Definition von Nicht-Schutzbedürftigkeit im nationalstaatlichen Gesetzeskontext, namentlich des SGB V. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang sicherlich auch, dass die Marktabschottung der PKV auf europäischer Ebene mit der Einführung marktwirtschaftlicher Steuerungselemente in der GKV auf nationaler Ebene einherging (siehe Abschnitt 3.2). Während die gesetzlichen Krankenversicherungen mit der Einführung des Kassenwettbewerbs faktisch ihre Bestandsgarantie verloren, durfte die Existenz einzelner Privatversicherer durch die europäische Konkurrenz offensichtlich unter keinen Umständen gefährdet werden. Möglicherweise hatten die damals Regierungsverantwortlichen von CDU/CSU und FDP tatsächlich weder Vertrauen in die Leistungsfähigkeit eines deregulierten Versicherungsmarktes noch in die Zuverlässigkeit der europäischen Versicherungsunternehmen. Es entbehrt allerdings nicht einer gewissen Widersprüchlichkeit, dass ausgerechnet diejenigen politischen Kräfte, die die marktwirtschaftliche Transformation im Gesundheitswesen so oft mit dem Verweis auf den mündigen Bürger, Versicherten und Patienten forciert haben, ihrem privat versicherten Stammwählerklientel eine eigenverantwortliche Auswahlentschei-
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dung unter den europäischen Krankenversicherern durch einen marktskeptischen Nationalprotektionismus vorenthalten haben. 3.1.3
Pflegeversicherung und Basistarif
Unter dem Aspekt der zunehmenden Konvergenz von GKV und PKV war auch die Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 als „fünfter Säule der Sozialversicherung“ von besonderer, vor allem rechtlicher Bedeutung. Der Neugründung der Pflegeversicherung gingen seit Anfang der 1970er Jahre kontroverse Debatten über die Gestaltung der Absicherung im Pflegefall voraus. Kurz zusammengefasst bestand das wesentliche Problem darin, dass die pflegerische und hauswirtschaftliche Versorgung bei Pflegebedürftigkeit bis Anfang der 1990er Jahre kein Bestandteil des GKV-Leistungskatalogs war. Die Kosten für eine erforderlich werdende Langzeitpflege mussten vom Pflegebedürftigen, bzw. den Angehörigen selbst getragen werden. Erst wenn deren finanzielle Leistungsfähigkeit erschöpft war, konnte auf die Sozialhilfe als letztes Sicherungssystem zurückgegriffen werden. Infolge dessen wurden pflegebedürftige Menschen vor allem im Fall von Heimunterbringungen immer häufiger zu Sozialhilfeempfängern, was wiederum die Kommunen als Träger der Sozialhilfe zunehmend belastete. Einigkeit bestand zwar parteiübergreifend darin, dass eine Lösung des Pflegeproblems erforderlich war, erheblicher Dissens herrschte jedoch über die konkrete Ausgestaltung. Im Wesentlichen ging es um die Frage, wie die Absicherung des Pflegerisikos organisiert werden sollte. Durch das GRG von 1988 wurde der GKV-Leistungskatalog zwar durch Leistungen bei Schwerstpflegebedürftigkeit erweitert, allerdings galten die Neuregelungen erst ab Januar 1991, so dass das Pflegeproblem noch immer einer umfassenden Lösung harrte. Letztlich entschied sich der Gesetzgeber Mitte der 1990er Jahre für ein modifiziertes Sozialversicherungsmodell, das sich in vielen Punkten zwar an der Krankenversicherung orientierte, jedoch an einigen Stellen wichtige Abweichungen von den „historisch gewachsenen“ Strukturen des dualen Versicherungssystems vorsah (Simon 2008: 311-312; ausführlich zum Entstehungsprozess der Pflegeversicherung Meyer 1996). Die Belange der Pflegeversicherung sind im Elften Sozialgesetzbuch (SGB XI) geregelt. Im Hinblick auf die Zuweisung der Personenkreise gilt der Grundsatz „Pflegeversicherung folgt Krankenversicherung“, d.h. alle gesetzlich Krankenversicherten sind auch sozial pflegeversichert und alle privat Krankenversicherten müssen eine private Pflegeversicherung abschließen. Das Besondere an dieser Regelung ist jedoch, dass zum ersten Mal eine allgemeine Versiche-
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rungspflicht für fast alle Bürger gesetzlich vorgeschrieben wurde.17 Lediglich diejenigen Personen, die zum damaligen Zeitpunkt weder über eine gesetzliche noch über eine private Krankenversicherung verfügten, wurden nicht erfasst. Die Privatversicherer wurden zur Absicherung weiter Bevölkerungsteile erstmals per Gesetz verpflichtet und das marktwirtschaftliche Prinzip der Vertragsfreiheit durchbrochen. Das Leistungsniveau der privaten Pflegeversicherung muss dem der sozialen Pflegeversicherung entsprechen. Auch hinsichtlich der Prämiengestaltung existieren zahlreiche Vorschriften, die, gemessen an den Kalkulationsgrundlagen des privaten Krankenversicherungsgeschäfts, eine Abkehr von privatwirtschaftlichen Versicherungsprinzipien bedeuten. Für Personen, die zum 1. Januar 1995 bereits privat krankenversichert waren, durften die Versicherungsprämien nicht nach Geschlecht und Gesundheitszustand gestaffelt werden. Für alle danach abgeschlossenen Versicherungsverträge darf die Prämie zwar nach Morbiditätskriterien, nicht aber geschlechtsabhängig kalkuliert werden. Außerdem unterliegt die private Pflegeversicherung einem Kontrahierungszwang und der beitragsfreien Mitversicherungspflicht von Kindern. Auch die Prämien dürfen insgesamt den Höchstbeitrag der sozialen Pflegeversicherung nicht überschreiten (Wasem 1995: 91; Bäcker u.a. 2008: 181-182; Simon 2008: 338-339). Damit wurden in der privaten Pflegeversicherung von Anfang an typische Elemente der gesetzlichen Sozialversicherung wie Solidarausgleich, Kontrahierungszwang, definiertes Leistungsniveau und familienpolitische Umverteilungselemente eingeführt. Diese Maßnahme kann sicherlich auch als Eingeständnis des Gesetzgebers interpretiert werden, dass die Schutzbedürftigkeitsdefinition im Krankenversicherungsbereich zwar historisch gewachsen, aber gegen Ende des letzten Jahrhunderts längst überkommen war. Hier zeigte sich bereits in ersten Ansätzen, dass der Gesetzgeber immer mehr bereit war, die privaten Krankenversicherer auch in die sozialpolitische Pflicht zu nehmen, statt nur das Funktionieren marktwirtschaftlicher Vertragsgestaltung zu gewährleisten. Mit dem GKV-WSG 2007 wurde dann erneut mit sozialpolitischer Intention in das Geschäftsmodell der PKV eingegriffen. Erstmals seit dem Bestehen des dualen Versicherungssystems wurde eine allgemeine Krankenversicherungspflicht für die gesamte Bevölkerung eingeführt, ohne jedoch die Versicherungspflichtgrenze in ihrem Grundsatz aufzuheben. An der Koexistenz der bei17 Da sich die gesetzliche Pflegeversicherungspflicht auf die Krankenversicherten von GKV und PKV erstreckt, wird der Oberbegriff „gesetzliche Pflegeversicherung“ zur Beschreibung beider Versicherungssysteme benutzt; die soziale Pflegeversicherung folgt der GKV, die private Pflegeversicherung folgt der PKV.
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den Versicherungszweige wurde somit zwar festgehalten, die PKV jedoch zum ersten Mal in ihrer über hundertjährigen Geschichte per Gesetz in die soziale Pflicht genommen, für bestimmte Bevölkerungskreise einen finanzierbaren Krankenversicherungsschutz anzubieten. Mit dieser Neuregelung wollte der Gesetzgeber vor allem das Problem der gänzlich unversicherten Personen beseitigen. Dieser Fall konnte bisher z.B. bei Selbständigen auftreten, die über einen längeren Zeitraum privat versichert waren, aber aus finanziellen Gründen ihren Krankenversicherungsschutz verloren hatten. Da sie als Selbständige weder einer gesetzlichen Versicherungspflicht unterliegen noch über die erforderlichen Vorversicherungszeiten für eine freiwillige Versicherung in der GKV verfügen, konnten sie bisher aus dem dualen System herausfallen. Nach Angaben der Bundesregierung ist die Zahl der Nichtversicherten von 105.000 Personen (1995) über 150.000 Personen (1999) auf 188.000 Personen (2003) gestiegen (Deutscher Bundestag 2006: 94).18 Auf diese Entwicklung hat der Gesetzgeber mit der Einführung der allgemeinen Krankenversicherungspflicht reagiert. Dazu heißt es wörtlich in der Gesetzesbegründung zum GKV-WSG: „Die Zahl dieser Menschen, die ohne Absicherung im Krankheitsfall sind, hat in den letzten Jahren spürbar zugenommen. [...] In einem modernen Sozialstaat ist es jedoch nicht hinnehmbar, dass eine größere Zahl von Menschen ohne Absicherung im Krankheitsfall ist.“ (Deutscher Bundestag 2006: 94)
Eine gesetzliche Pflicht zur Versicherung erfordert in rechtlicher Hinsicht jedoch notwendigerweise eine faktische Zugangsregelung für die potentiellen Versicherten. Die Neuregelungen des GKV-WSG sehen daher vor, dass der Standardtarif ab dem 1.1.2009 durch den Basistarif ergänzt wird. Zugang zu diesem neuen Basistarif haben alle freiwillig gesetzlich Versicherten, alle privat Versicherten und alle diejenigen, die weder in der GKV versicherungspflichtig sind und noch einer der ersten beiden Gruppen angehören. Hinsichtlich dieser Personengruppen besteht für die Versicherungsunternehmen ein Kontrahierungszwang, der durch die Einrichtung eines Risikoausgleichssystems zwischen den Versicherern flankiert wird. Die Einführung der allgemeinen Versicherungspflicht für die Bürger und die Verpflichtung zum Angebot eines Basistarifs für die Unternehmen sind folglich zwei Seiten ein und derselben Medaille. Die Vertragsleistungen des neuen Basistarifs müssen in Art und Höhe denen des SGB V vergleichbar sein. Die Versicherungsprämie darf für Einzelper18 Die Einschätzungen beruhen auf den alle vier Jahre durchgeführten Erhebungen des Statistischen Bundesamtes im Rahmen des Mikrozensus. Nach Schätzung von Experten lag die Zahl der Nichtversicherten im Jahr 2003 sogar bei ca. 194.300 Menschen, im ersten Quartal 2007 dann schon bei 211.000 Menschen (Greß/Walendzik/Wasem 2005: 57 und Greß/Walendzik/Wasem 2008: 15).
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sonen den durchschnittlichen Höchstbeitrag der GKV und bei Mitversicherung von Ehegatten, bzw. Lebenspartnern den 1,5-fachen Satz nicht übersteigen. Bis zum Erreichen dieser Höchstgrenze erfolgt die Prämienkalkulation in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht, nicht aber auf der Grundlage von Vorerkrankungen. Risikozuschläge oder Leistungsausschlüsse werden also im Basistarif nicht vorgenommen (Kingreen 2007: 36). Entsteht durch diese Beitragslast Hilfebedürftigkeit im Sinne des Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) oder des Zwölften Sozialgesetzbuch (SGB XII), vermindert sich der Betrag um die Hälfte (§ 12 Abs. 1c Satz 3 VAG). Sollte auch danach noch Hilfebedürftigkeit bestehen, beteiligen sich die zuständigen Träger nach SGB II oder SGB XII mit dem für Bezieher von Arbeitslosengeld II in der GKV zu zahlenden Beitrag (§ 12 Abs. 1c Satz 4 VAG). Solidarelemente existieren damit erstens zwischen den privat Versicherten eines Unternehmens, da die reduzierten Prämien des Basistarifs bei vergleichbarer Anspruchsberechtigung aus den Beiträgen aller Versicherten aufgebracht werden müssen, zweitens zwischen den privaten Versicherungsunternehmen, da im Fall des Basistarifs ein Finanzausgleich zwischen den Privatversicherungen vorgeschrieben wurde und drittens zwischen der Gesamtheit der steuerzahlenden Bürger und den hilfsbedürftigen PKV-Versicherten, da mit der Gewährung von Zuschüssen im Bedarfsfall eine aus öffentlichen Mitteln finanzierte Unterstützungsleistung an privat Versicherte erfolgt. Die Vergütung medizinischer Leistungen erfolgt im Basistarif – wie in der PKV üblich – auf der Grundlage der GOÄ, bzw. der GOZ, allerdings ist der maximale Gebührensatz bei ärztlichen Leistungen auf das 1,8-fache, bei zahnärztlichen Leistungen auf das 2,0-fache begrenzt (§ 75, Abs. 3a SGB V). Hierdurch wird die Annäherung der Vergütungshöhe an das geringere Niveau der GKV angestrebt (üblich ist sonst der 2,3-fache, in schweren Fällen sogar der 3,5-fache Steigerungssatz). In diesem Punkt ähnelt der Basistarif dem ehemaligen Standardtarif, bei dem die Gebührensätze ebenfalls auf niedrigerem Niveau festgelegt waren. Eine wesentliche Abweichung vom Standardtarif besteht jedoch darin, dass den Kassenärztlichen Vereinigungen der Sicherstellungsauftrag für die im Basistarif versicherten Personen übertragen wurde. Mit dieser Maßnahme hat der Gesetzgeber auf Beschwerden reagiert, dass Ärzte den Versicherten im Standardtarif zum Teil die Behandlung unter Verweis auf die Gebührenbegrenzung verweigert hatten. Nach Auffassung des Gesetzgebers hat sich diese Regelung daher nicht bewährt (Deutscher Bundestag 2006: 116). Da im Basistarif mit einer ähnlichen Entwicklung zu Lasten der Versicherten zu rechnen wäre, haben die KVen die verpflichtende Aufgabe erhalten, die Versorgung für diese Versicherten zu gewährleisten. Ferner ist es dem PKV-Verband erlaubt,
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mit den KVen oder der KBV abweichende Verträge über die Vergütung der Leistungen zu schließen. Sofern die genannten Vertragspartner von dieser Option Gebrauch machen, hat dies a) einheitlich für die Unternehmen der privaten Krankenversicherung und b) im Einvernehmen mit den Kostenträgern der Beihilfe zu erfolgen (die Vertragskompetenz für die Kassenärzte regelt § 75, Abs. 3b SGB V, die Vertragskompetenz für den Verband der PKV regelt § 12, Abs. 1d VAG entsprechend). Auch wenn zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch offen ist, ob und inwieweit die Vertragsparteien von dieser Option Gebrauch machen werden, stellt diese Regelung erneut eine rechtliche Annäherung an die GKV dar. Der Basistarif steht damit zweifelsohne in der Kontinuität der seit Mitte der 1990er Jahre vollzogenen Reformen. Auch wenn die letztendlich erreichten Ergebnisse deutlich hinter den ersten konzeptionellen Überlegungen des SPDgeführten Bundesgesundheitsministeriums zurückblieben – geplant war ursprünglich die Einbeziehung der PKV in den neu geschaffenen Gesundheitsfond –, hat mit der Einführung der allgemeinen Versicherungspflicht und des Basistarifs eine sozialpolitische Inpflichtnahme der Privatversicherer stattgefunden, die einen vorläufigen Höhepunkt gesetzgeberischer Intervention in das Geschäftsmodell der PKV darstellt. In seiner komplexen Gesamtheit besitzt der Basistarif aber nicht nur eine sozialpolitische, sondern auch eine verfassungsrechtliche und eine wettbewerbspolitische Dimension. Da es hier zunächst um die Darstellung des Konvergenzprozesses geht, werde ich mich der verfassungsrechtlichen Bedeutung sowie dem Wettbewerbsproblem und seinen Ursachen ausführlich in den folgenden Kapiteln widmen. 3.1.4
Freiwillige Selbstverpflichtungen der PKV
Neben den regulierenden Eingriffen des Staates hat die PKV in verschiedenen Fragen immer wieder auch freiwillige Selbstbeschränkungen und eigene Lösungsansätze hervorgebracht. Hierzu zählt beispielsweise die Einführung von Sachleistungselementen für privat Versicherte im stationären Versorgungsbereich. Da bei Krankenhausbehandlungen recht hohe Kosten entstehen können, rechnen die meisten PKV-Unternehmen die allgemeinen Krankenhausleistungen sowie die Zuschläge für eine gesonderte Unterbringung im Ein- oder Zweibettzimmer direkt mit den Krankenhäusern ab. Für den privat Versicherten erfolgt der Nachweis seiner Versicherung über die „Klinik-Card“, die ab 1996 von der technisch überarbeiteten „Card für Privatversicherte“ abgelöst wurde (Simon 2008: 167; Verband der privaten Krankenversicherung o.J.a: 2-4). Deren Verwendung – oder anders formuliert: die Abrechnung von Sachleistungen – erfolgt
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zwar freiwillig, allerdings dürfte sie aufgrund der hohen Kosten im stationären Bereich von den meisten privat Versicherten in Anspruch genommen werden. Dass die PKV-Unternehmen für einen ökonomisch keineswegs vernachlässigbaren Versorgungsbereich Sachleistungen anstelle des „idealtypischen“ Kostenerstattungsprinzips gewähren, ist sicher ein weiteres Indiz für die faktische Konvergenz der Systeme. Ebenfalls ein Ergebnis freiwilliger Initiative der PKV-Branche war im Jahr 2003 die Einführung eines privaten Sicherungsfonds. Die „Medicator AG“ wurde für den Fall einer Insolvenz als Auffanglösung für Gläubigeransprüche der Versicherungsnehmer geschaffen. Auslöser für die Neugründung waren der Verfall der Aktienmärkte und der Rückgang des Zinsniveaus, was in der Versicherungswirtschaft allgemein zu Schwierigkeiten führte (Sahmer 2005: 40). Mit dieser Lösung sollte auch ein Signal an die Versicherten gegeben werden, dass die Krankenversicherungsverträge im Konkursfall nicht gegenstandslos werden. Im Zuge der Modifikation des VAG hat der Gesetzgeber den Lebensversicherern und den (privaten) Krankenversicherern jedoch vorgeschrieben, dass sie zum Schutz der Versichertenansprüche einem Sicherungsfond angehören müssen (§ 124, Abs. 1 VAG). Der gesetzliche Sicherungsfond wurde bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) errichtet. Im Fall einer Unternehmensinsolvenz wird diese mit der Weiterführung der Verträge eines betroffenen Versicherungsunternehmens betraut (§126 Abs. 1 und 2 VAG). Da der Gesetzgeber allerdings auf den bereits existierenden privaten Sicherungsfond Medicator AG zurückgreifen konnte, wurde im Gesetz die Möglichkeit vorgesehen, per Rechtsverordnung die Aufgaben und Befugnisse des gesetzlichen Sicherungsfonds einer juristischen Person des Privatrechts zu übertragen. Die „Verordnung über die Übertragung von Aufgaben und Befugnissen eines Sicherungsfonds für die Krankenversicherung an die Medicator AG“ (SichKVV) wurde im Mai 2006 durch das Bundesministerium der Finanzen (BMF) erlassen. Mit diesem Erlass war der Weg frei für den Fortbestand der versicherungsinternen Lösung. Alle Mitglieder des PKV-Verbands gehören kraft Satzung der Medicator AG an, deren Aktienkapital im Alleinbesitz des Verbands ist. Würde ein privater Krankenversicherer zahlungsunfähig werden, kann die BaFin den gefährdeten Bestand auf die Medicator AG übertragen, die die Verträge dann entweder selbst verwaltet oder auf die anderen Unternehmen überträgt (Sahmer 2006: 58). Während der Gesetzgeber in der PKV vor allem auf eine verstärkte regulative Einbettung des Marktmechanismus gesetzt hat, hat die GKV in erster Linie eine gewisse Annäherung an ihr privatwirtschaftliches Pendant erfahren. Diese Entwicklungen sollen im Folgenden erläutert werden.
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Der Konvergenzprozess in der GKV
Ein übergeordnetes Ziel deutscher Gesundheitspolitik besteht bis heute in der Stabilisierung der GKV-Beitragssätze, die aufgrund der lohnzentrierten, weitgehend paritätischen Finanzierung unmittelbare Wirkung auf die Beschäftigungskosten entfalten. Dieses nicht genuin gesundheitspolitische Ziel hat seit vielen Jahren dazu geführt, dass Reformen der GKV vor allem mit dem Ziel der Kostendämpfung durchgeführt wurden.19 Der Zeitraum zwischen 1975 und 1992 lässt sich insgesamt als relativ geschlossene Phase traditioneller Kostendämpfungspolitik im Gesundheitswesen beschreiben. Die zentralen Elemente lagen in der einnahmeorientierten Ausgabenpolitik, der allmählichen Stärkung der Krankenkassen gegenüber den Kassenärztlichen Vereinigungen, der vorsichtigen Korrektur von Fehlanreizen auf Seiten der Ärzte und der Einführung moderater Zuzahlungen bei den Krankenbehandlungskosten. Allerdings wurden in diesem Zeitraum die bestehenden Versorgungsstrukturen im Grundsatz noch weitgehend beibehalten (Rosenbrock/Gerlinger 2006: 274-276, Simon 2008: 40-43). Zu Beginn der 1990er Jahre geriet das Gesundheitssystem jedoch unter verschärften Problemdruck, der auf mehrere Gründe zurückzuführen war. Neben dem gesundheitspolitischen Dauerziel der Beitragssatzstabilität gab es zu diesem Zeitpunkt auch ganz spezielle Probleme, die einzig vor dem Hintergrund der strukturellen Besonderheiten des deutschen Gesundheitssystems zu interpretieren sind. Auch wenn die nachfolgend dargestellten Maßnahmen sich auf die GKV beziehen, haben sie in langfristiger Perspektive sowohl das Geschehen innerhalb der PKV als auch die Abgrenzung zwischen den Systemen wesentlich beeinflusst. 3.2.1
Verschärfter Problemdruck vor 1992
Zu Beginn der 1990er Jahre bezog sich ein immer stärker werdender Teil der Kritik auf die Ärzte und deren Verbände, die bereits nach dem Scheitern der ersten Kostendämpfungsversuche in den 1960er Jahren als sehr organisations19 Die Diskussion um den Einfluss der Sozialabgaben auf die Lohnkosten ist so alt wie die Sozialversicherung selbst. Über die Frage, ob das Hauptproblem eher auf der Ausgabenseite oder eher auf der Einnahmenseite liegt, wird seit jeher leidenschaftlich gestritten. Seinen sprachlichen Ausdruck findet diese Debatte in Schlagwörtern wie z.B. „Kostenexplosion“ und „Erosion der Beitragsgrundlagen“. Ein guter Überblick über die Diskussion, die hier nicht weiter vertieft werden soll, findet sich z.B. bei Hajen u.a. 2006: 124-140 oder im Gutachten des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen 2003: 17-23, insbesondere Kapitel 2.2.3 der Kurzfassung „Beitragssatzstabilität im Kontext der Abgabenbelastung“.
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und konfliktfähige Interessenvertretungen galten (für frühe Auseinandersetzungen siehe Naschold 1967; Rauskolb 1976, später auch Mayntz 1990; Rosewitz/Webber 1990). Die Ärzteverbände zeichneten sich lange Zeit durch eine gewisse berufsbedingte Homogenität, exklusives Fachwissen, hohes soziales Ansehen und solide finanzielle Ressourcen aus (Bandelow 1998: 77-87). Die Krankenkassen befanden sich dagegen in einer vergleichsweise schwachen Position, da sie verschiedene und oftmals konkurrierende Interessengruppen repräsentierten.20 Die Durchsetzungsfähigkeit der Kassenärztlichen Vereinigungen äußerte sich lange Zeit in hohen Steigerungsraten ärztlicher Einkommen und der erfolgreichen Verteidigung einer strikten Trennung von ambulanter und stationärer Versorgung (Rosenbrock/Gerlinger 2006: 150). Hinzu kam, dass es den Ärzten immer wieder gelungen war, vor allem die FDP für die Durchsetzung der eigenen Interessen zu gewinnen. Da die Liberalen seit Beginn der ersten Kostendämpfungsgesetze an allen Bundesregierungen beteiligt waren, konnten sie unliebsame Einschnitte für die niedergelassenen Ärzte stets verhindern. Als allerdings die Ausgaben im Gesundheitswesen – und damit auch die Kosten für Arbeit und Beschäftigung – in den 1990er Jahren weiter stiegen, hätte die FDP ihre Funktion als politischer Arm der kassenärztlichen Interessenvertretung nur auf Kosten anderer Branchen erfüllen können, was offensichtlich immer weniger durchzuhalten war (Reiners 1993: 30). Die von wissenschaftlicher Seite seit Jahren vorgetragene Kritik an den Ärzteverbänden schlug sich allmählich auch auf parteipolitischer Seite in einer wachsenden Distanz zu den ärztlichen Interessenvertretern nieder. Norbert Blüm (CDU), der 1988 als Bundesarbeitsminister auch für das Gesundheitsressort verantwortlich war, charakterisierte seine Reformbemühungen zum GRG angesichts der permanenten Auseinandersetzungen mit den Lobbygruppen entnervt als „Wasserballett im Haifischbecken“ (zitiert nach Bandelow 2003: 14) und sein damaliger Abteilungsleiter Karl Jung wurde mit den Worten zitiert, das GRG sei „wie eine leckgeschlagene Yacht, die mit zerfetzten Segeln den Hafen erreicht hat“ (zitiert nach Reiners 1993: 23). Die Parteien waren zum damaligen Zeitpunkt ganz
20 Dies galt zum Teil schon innerhalb der einzelnen Kassen. In den paritätisch besetzten Selbstverwaltungsgremien der sogenannten Primärkassen (Orts-, Innungs-, Betriebs- und landwirtschaftlichen Krankenkassen) waren zum einen die Gewerkschaften vertreten, zum anderen die Arbeitgeber. Als dritte Gruppe kamen noch die Vertreter der jeweiligen Krankenkasse hinzu. Während Letztere vor allem an einer guten Ausgangsposition ihrer Kasse interessiert waren, strebten die Vertreter der Arbeitgeber in erster Linie das Ziel geringer Lohnkosten an. Die Gewerkschaften hingegen verfolgten nicht nur das Ziel möglichst niedriger Beiträge für ihre Klientel, sondern auch eine gute gesundheitliche Versorgung. Zum Teil vertraten sie wiederum Angehörige der Gesundheitsberufe und damit nicht unbedingt das Ziel der Kostendämpfung (Bandelow 2004b: 54).
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offensichtlich immer weniger bereit, sich weiter vor den Karren der verschiedenen Lobbygruppen im Gesundheitswesen spannen zu lassen. Neben den sich lockernden Bindungen zwischen Parteien und Interessenvertretern galten spätestens zu Beginn der 1990er Jahre auch die gewachsenen Strukturen innerhalb der gesetzlichen Krankenkassen als überkommen. So war das damalige Verhältnis der gesetzlichen Krankenversicherungen untereinander durch einen sehr unvollständigen Wettbewerb zwischen den Versicherungen unterschiedlicher Kassenarten gekennzeichnet. Dieser Zustand war in erster Linie auf die ungleich verteilten Wahlfreiheiten der einzelnen Versichertengruppen zurückzuführen, denn das berufsständische Zuweisungssystem der Pflichtmitgliedschaft räumte bis dato nur den Angestellten individuelle Wahlrechte zu den Ersatzkassen ein. Die Folge war eine sich selbst verstärkende Risikoselektion, die sich überwiegend zu Lasten der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) und zu Gunsten der Ersatzkassen für Angestellte (EKAng) vollzog. Diese Entwicklung wurde auch durch den beschleunigten Strukturwandel der Wirtschaft forciert, in dessen Folge immer mehr Angestellte die AOK verließen und in die zumeist günstigeren Ersatzkassen wechseln konnten. Ein Finanzausgleichssystem existierte seit 1977 zwar für die Krankenversicherung der Rentner, nicht jedoch für die Gesamtheit der gesetzlich Versicherten und deren Krankenkassen. In Folge der starken Abwanderung „guter Risiken“ stiegen vor allem die Beiträge der Allgemeinen Ortskrankenkassen, während die Ersatzkassen aufgrund ihres tendenziell einkommensstärkeren und gesünderen Klientel vergleichsweise günstige Beiträge anbieten konnten (Paquet 2009: 5). Diese Entwicklung führte dazu, dass die Krankenversicherungen zu Beginn der 1990er Jahre bei einem weitgehend gleichen Leistungsspektrum Beitragssatzunterschiede von bis zu 7,5 Prozentpunkten zu verzeichnen hatten. Die zum Teil extremen Beitragssatzentwicklungen einiger Ortskrankenkassen erhöhten schließlich den politischen Druck, die Verhältnisse zwischen den gesetzlichen Krankenversicherungen neu zu ordnen und somit auf eine Angleichung der Beitragsbelastungen für einzelne Versichertengruppen hinzuwirken. Als dann auch die kostendämpfenden Wirkungen des GRG aus dem Jahr 1988 schon nach kurzer Zeit wieder nachgelassen hatten und die Ausgaben zu Beginn der 1990er Jahre erneut stark anstiegen, wurden die Grenzen traditioneller Kostendämpfungspolitik immer deutlicher (Reiners 1993: 22-24). Erschwerend kam zum damaligen Zeitpunkt noch hinzu, dass die Kosten der deutschen Wiedervereinigung und die infolge der einsetzenden Rezession steigenden Arbeitslosenzahlen den Handlungsdruck auf die Politik weiter erhöhten (Gerlinger 2002: 11).
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Mit dem Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) von 1992 hat dann ein Kurswechsel in der Gesundheitspolitik stattgefunden, der die Koordinaten gesundheitspolitischer Steuerung nachhaltig verschoben hat. Die wesentlichen Neuerungen des Gesundheitsstrukturgesetzes bestanden in der Einführung der freien Kassenwahl für die gesetzlich Versicherten, der sektoralen Budgetierung, der Reform der Krankenhausfinanzierung und der verstärkten Privatisierung von Behandlungskosten. Diese Maßnahmen, die in einer großen Sachkoalition von CDU/CSU und der damals oppositionellen SPD unter weitgehendem Ausschluss der Interessenvertreter vollzogen wurden, sollten die weiteren Entwicklungen im gesamten Gesundheitssystem maßgeblich prägen. 3.2.2
Kassenwettbewerb, sektorale Budgets und Zuzahlungen
Die Einführung der freien Krankenkassenwahl für (fast) alle gesetzlich Versicherten ab dem 1.1.1997 bedeutete für die Versicherungen, dass sie von nun an im Wettbewerb zueinander standen. Während die Versicherungen seither um die Versicherten konkurrieren, ist der Ordnungsrahmen für die gesetzlich Versicherten insofern solidarisch geblieben, als sie weiterhin innerhalb bestimmter Oberund Untergrenzen einkommensabhängige Beiträge entrichten, Familienmitglieder beitragsfrei mitversichert werden und der Zugang zu einem weitgehend einheitlichen Leistungskatalog weiterhin rechtlich garantiert ist (Jacobs u.a. 2007: 421). Die gesetzlichen Krankenversicherungen unterliegen auch unter Wettbewerbsbedingungen einem Kontrahierungszwang, d.h. dass alle Menschen, die einen Anspruch auf Absicherung in der GKV haben, auch aufgenommen werden müssen. Damit ist gewährleistet, dass auch „schlechte Risiken“ einen bezahlbaren Versicherungsschutz erhalten. Ein gesetzlicher Kontrahierungszwang erfordert in rechtlicher Hinsicht jedoch eine weitgehende Konkretisierung der Vertragsleistungen, da der Gesetzgeber die Krankenversicherungen nicht zum Vertragsabschluss zwingen kann, ohne den Versicherungsumfang zu definieren. Die gesetzlich Versicherten können somit zwar zwischen den verschiedenen Krankenkassen wählen, allerdings sind ca. 95% des Leistungsspektrums als Pflichtleistungen im SGB V festgeschrieben (Lauterbach/Wille 2001: 29). Der Anspruch auf ein weitgehend standardisiertes Leistungsangebot ist daher vor allem als Ausdruck des Solidarcharakters in der GKV zu betrachten. Unter dieser Bedingung entfällt allerdings das wesentliche Wettbewerbsfeld der Produktgestaltung (Daubenbüchel 2004: 47). Hinzu kommt, dass seit der Einführung des Gesundheitsfonds im Jahr 2009 auch der Beitragssatz einheitlich festgelegt ist. Während dieser bisher ein wichtiger Wettbewerbsparameter der Versicherungen war, dürfte es in Zukunft der möglicherweise zu erhebende
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Zusatzbeitrag sein. Der Wettbewerb beschränkt sich daher nur auf vergleichsweise kleine Wettbewerbsbereiche (z.B. Zusatzbeitrag, Satzungsleistungen, Service und Kundennähe, Geschäftsstellenpräsenz). Mit der Einführung des Kassenwettbewerbs haben sich die Rahmenbedingungen für die gesetzlichen Krankenversicherungen maßgeblich verändert, da sie ihre bisherige Bestandsschutzgarantie verloren haben. Anders als in einem marktwirtschaftlichen System mit Vertragsfreiheit, risikoäquivalenten Prämien und Leistungsausschlüssen können sie jedoch einer Bestandsverschlechterung durch den Zulauf „schlechter Risiken“ oder durch die Abwanderung „guter Risiken“ nicht entgegenwirken, so dass die Risikostrukturen zwischen den Versicherungen erheblich variieren können. Unter den gegebenen Bedingungen von Kontrahierungszwang, Diskriminierungsverbot und solidarischem Finanzierungsmodus würden Versicherungen mit einer schlechten Risikostruktur aus dem Wettbewerb ausscheiden, während sich Versicherungen mit einer guten Risikostruktur gegen die Konkurrenz durchsetzen würden. Da diese Form der Risikoselektion aber vom Sozialgesetzgeber nicht erwünscht ist, wurde der Kassenwettbewerb durch den versicherungsübergreifenden Risikostrukturausgleich (RSA) flankiert, der die unterschiedlichen Risikostrukturen der Versicherten zunächst anhand der Merkmale Alter, Geschlecht, Einkommen, Anzahl der beitragsfrei mitversicherten Familienangehörigen und Bezug einer Erwerbsminderungsrente ausgleichen sollte. Diese Merkmale waren zwar leicht feststellbar und schienen im Sinne der Praktikabilität zunächst einmal geeignet, die unterschiedlichen Risikostrukturen der Krankenversicherungen annähernd abzubilden. Allerdings zeigte sich schon nach kurzer Zeit, dass die letztlich kostenverursachenden Morbiditätsunterschiede mit Hilfe dieser indirekten Kriterien keine hinreichend präzise Berücksichtigung erfahren hatten (Stock u.a. 2006: 407). Die unbeabsichtigte Folge war, dass sich die Krankenversicherungen vor allem darum bemühten, „gute Risiken“ anzulocken und „schlechte Risiken“ fernzuhalten. Auch wenn eine aktive Risikoselektion weder erlaubt noch erwünscht ist, gab und gibt es verschiedene Strategien, „weiche“ Selektionsinstrumente anzuwenden. Hierzu zählen z.B. selektive Werbe- und Marketingstrategien, besonders guter oder schlechter Service, die Lage und Anzahl von Geschäftsstellen oder die Gewährung von Satzungsleistungen, die auf „gute Risiken“ gerichtet sind (ausführlich hierzu Höppner u.a. 2005). Zu den verschiedenen Formen der Risikoselektion kam noch der Umstand, dass von der Möglichkeit des Versicherungswechsels vor allem gesunde und relativ junge Versicherte Gebrauch machten (grundlegend zu diesen Entwick-
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lungen: Lauterbach/Wille 2001; Jacobs u.a. 2001). Schon im Jahr 2001 wurde daher beschlossen, dass der RSA die unterschiedlichen Morbiditätsstrukturen besser abbilden sollte (Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung). Die indirekte Erfassung der Risikostrukturen hätte eigentlich schon zum 1.1.2007 durch eine direkte Erfassung der Morbiditätsunterschiede präzisiert werden sollen. Da sich dieses Anliegen jedoch als äußerst komplex erwies, wurde die Einführung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs auf den 1.1.2009 verschoben (Simon 2008: 159). Allerdings wurden die indirekten Ausgleichsmechanismen seither nicht ersetzt, sondern lediglich um eine morbiditätsorientierte Komponente – genauer gesagt 80 ausgewählte Krankheiten – ergänzt. Für die GKV hat sich aufgrund der unterschiedlichen Handlungsnormen – Solidarität unter den Versicherten, Wettbewerb zwischen den Versicherungen – der Begriff der „solidarischen Wettbewerbsordnung“ etabliert, als dessen Kernstück der Risikostrukturausgleich gesehen wird (Glaeske u.a. 2001: 18-22; Jacobs u.a. 2001: 12-15; Lauterbach/Wille 2001: 179-182; Jahn u.a. 2009: 43-46). Dass die damals oppositionelle SPD das GSG nicht nur mitgetragen, sondern maßgeblich mitgestaltet hat, dürfte in erster Linie darauf zurückzuführen sein, dass sie sich von der wettbewerbsbedingten Angleichung der Beitragssätze eine verbesserte Situation für ihre traditionellen Stammwähler – die überwiegend in der AOK versicherten Arbeiter – erhoffen konnten. Auch in der offiziellen Gesetzesbegründung zum GSG bestand das zentrale Argument für die freie Kassenwahl darin, dass das Solidaritätsprinzip der GKV durch die „Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten bei der Wahl der Krankenkasse und die überkommenen berufs- und betriebsbezogenen Gliederungsprinzipien der GKV“ gefährdet sei (Deutscher Bundestag 1992: 68). Bemerkenswert an dieser Gesetzesbegründung ist sicherlich, dass in der Wahrnehmung der politischen Entscheidungsträger nur die berufsbezogenen Gliederungsprinzipien innerhalb der GKV als überkommen galten, nicht aber die berufsgruppenbezogenen Zuweisungen zwischen den Versicherungssystemen. Dass auch die Zuweisung von Beamten und Selbständigen zur PKV längst nicht mehr zeitgemäß war, spielte in den Überlegungen zum GSG keine nennenswerte Rolle. Während sich die FDP, die neben den Interessen der Kassenärzte vor allem auch die Belange der finanzstarken Ersatzkassen vertrat, vehement gegen die Einführung der freien Kassenwahl inklusive des kassenartenübergreifenden Risikostrukturausgleichs wehrte (Perschke-Hartmann 1994: 265-266; 272), dürften Teile der CDU/CSU in der Einführung des Kassenwettbewerbs auch eine Chance gesehen haben, das
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Gesundheitssystem stärker an marktwirtschaftlichen Steuerungselementen zu orientieren (Gerlinger 2002: 15-16). Auch wenn gelegentlich die Auffassung vertreten wird, dass die Entscheidung für mehr Wettbewerb im Vorfeld keineswegs angelegt und politisch kaum vorbereitet gewesen sei (z.B. Paquet 2009: 5), kann es doch als außerordentlich wahrscheinlich gelten, dass die marktorientierten Gesundheitspolitiker dieses Steuerungsinstrument sehr bewusst gewählt haben. Diese Entwicklungen konnten sich einerseits auf einen langen diskursiven Vorlauf über die krisenhaften Erscheinungen korporatistischer Steuerung stützen (Oberender 1980; Lehmbruch 1988; Streit 1988), andererseits lagen den Abgeordneten des Deutschen Bundestages auch zum damaligen Zeitpunkt bereits detaillierte Reformkonzepte vor, anhand derer sich die wettbewerbliche Transformation des Gesundheitswesens gestalten ließ. Im Jahr 1990 hat die „Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung“ nach zweieinhalbjähriger Arbeit dem Parlament ihren Abschlussbericht vorgelegt. Hierin sind ausführlich alle Argumente für und wider eine marktwirtschaftliche, bzw. wettbewerbliche Transformation des Gesundheitswesens sowie konkrete Reformvorstellungen zur Neuordnung der GKV-Organisationsstrukturen enthalten (Deutscher Bundestag 1990). Wäre es einzig darum gegangen, die Beitragssätze anzugleichen, hätte man auch auf ein Risikoausgleichssystem zurückgreifen können, wie es seit 1977 bereits für die Krankenversicherung der Rentner existierte. Einiges spricht also dafür, dass diese wettbewerbliche Neuausrichtung – auch wenn sie nur mit kleinen Schritten begann und fortgesetzt wurde – Ausdruck eines wohlüberlegten strategischen Regierungshandelns war. Die ebenfalls im Zuge des GSG eingeführten sektoralen Budgetierungen dienten zunächst sicherlich dem Ziel der Beitragssatzstabilisierung, wobei das innovative Element hier weniger in der Neuformulierung der Ziele lag, sondern in der Wahl der Instrumente, bzw. deren verschärfter Anwendung. Vor allem mit den Budgetierungen reagierte der Gesetzgeber auf die bis dahin gescheiterten Versuche, die Ausgaben mit Hilfe von Appellen und freiwilligen Vereinbarungen zwischen Ärzten und Krankenkassen zu begrenzen. Zwar wurde im ambulanten Sektor am Grundsatz der Einzelleistungsvergütung festgehalten, allerdings durften die Gesamtausgaben in diesem Bereich nicht mehr stärker steigen als die beitragspflichtigen Einnahmen der gesetzlich Versicherten. Die Budgetobergrenzen, die zunächst nur als vorübergehende Maßnahme bis 1995 geplant waren und letztlich trotz mehrfacher Änderungen der Vergütungsverfahren bis heute beibehalten wurden, beschränkten spürbar den Trend zur Mengenexpansion ärztlicher Leistungen (Rosenbrock/Gerlinger 2006: 277; Simon 2008:
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54-55). Da es, wie schon in den Jahren zuvor, im Laufe der 1990er Jahre zu einem weiteren Anstieg der Arztzahlen kam, ging von der Kombination aus Budgetierung und steigender Ärztedichte ein zunehmender Druck auf die ärztlichen Einkommen aus (Rosenbrock/Gerlinger 2006: 127). Die Budgetierungen verschärften einerseits die Verteilungskonflikte innerhalb der Vertragsärzteschaft, andererseits senkten sie nachhaltig die Akzeptanz und die Verpflichtungsfähigkeit der kassenärztlichen Verbandsführung, die diese Einschränkungen gegenüber den Ärzten durchsetzen mussten. Vor dem Hintergrund der Sparmaßnahmen und der Verlagerung des Morbiditätsrisikos auf die Ärzte besteht das Dilemma der KVen darin, einerseits die Interessenvertretung der niedergelassenen Ärzte wahrzunehmen und andererseits die Kostendämpfungsziele gegenüber den eigenen Mitgliedern durchzusetzen (detailliert zur Entwicklung der Kassenärztlichen Vereinigungen siehe Bandelow/Schade 2009). Mit der Einführung der sektoralen Budgets demonstrierte der Gesetzgeber eindrucksvoll die Absicht, staatliche Regulierung im Gesundheitswesen auch ohne Berücksichtigung der Ärzteinteressen und unter Androhung und Anwendung der Ersatzvornahme durchzusetzen (Perschke-Hartmann 1994: 262-263). In dieses Bild passt auch, dass der damalige Bundesgesundheitsminister Seehofer (CSU) die Vorverhandlungen zum GSG mit der oppositionellen SPD unter Ausschluss der Ärztevertreter führte („Lahnsteiner Kompromiss“). Die Einführung des Kassenwettbewerbs und die Budgetierungen haben den ökonomischen Druck auf die gesetzlichen Krankenversicherungen und die Leistungsanbieter erhöht. Im Rahmen des GSG wurden aber erneut auch die Patienten und Versicherten in die Pflicht genommen. Zu den Steuerungsinstrumenten, die in idealtypischer Hinsicht eher der privaten Versicherungsbranche zuzurechnen sind, gehören Zuzahlungen bei Inanspruchnahme medizinischer Produkte und Dienstleistungen. Moderate Zuzahlungen hat es zwar auch vor 1992 bereits gegeben, ein deutlicher Schub in Richtung einer Privatisierung von Behandlungskosten hat sich aber vor allem mit dem GSG 1992, den Neuordnungsgesetzen (NOG) 1997 und dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) 2004 vollzogen. Gegenwärtig müssen in allen Versorgungsbereichen der GKV Zuzahlungen geleistet werden. Im ambulanten Bereich ist eine Praxisgebühr von 10 Euro pro Quartal und Arzt- bzw. Zahnarztkontakt zu entrichten. Bei Krankenhausaufenthalten ist in den ersten 28 Tagen eine Gebühr von 10 Euro pro Tag zu zahlen. Für alle verschreibungspflichtigen Arznei-, Verband- und Hilfsmittel gilt eine Zuzahlung von 10% des jeweiligen Preises, wobei die Zuzahlung mindestens 5 Euro, jedoch höchstens 10 Euro beträgt. Im Bereich der Heil- und häuslichen Krankenpflege gibt es ebenfalls für die ersten 28 Tage eine Zuzah-
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lung von 10% der Kosten des Mittels zuzüglich 10 Euro pro Verordnung. Beim Zahnersatz variieren die Zuzahlungen sogar zwischen 35% und 50% in Abhängigkeit von der regelmäßigen Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen. Um unzumutbare Härten zu vermeiden, ist die Höhe der Zuzahlungen auf 2% des jährlichen Bruttoeinkommens begrenzt (bei chronisch Kranken auf 1%). Außerdem sind Kinder und Jugendliche von den Zuzahlungsregelungen ausgenommen (Bäcker u.a. 2008: 137). Die Einführung von Zuzahlungen kann als Versuch des Gesetzgebers interpretiert werden, einerseits eine Steuerungswirkung im Sinne der Förderung eines moderaten Inanspruchnahmeverhaltens bei den Versicherten zu bewirken und andererseits die Beitragssätze stabil zu halten. Allerdings geht mit den Zuzahlungen nicht notwendigerweise eine Kostendämpfung einher, sondern vielmehr ein Privatisierung der Krankenbehandlungskosten (Gerlinger 2002: 13). 3.2.3
Selbstbehalte, Beitragsrückerstattungen und Kostenerstattung
Die Einführung des Kassenwettbewerbs inklusive des RSA hat die Strukturen innerhalb der GKV insofern neu geordnet, als diese Maßnahmen auf eine Angleichung der historisch gewachsenen Unterschiede zwischen den verschiedenen Kassenarten abzielten. Diesem Schritt lag die Auffassung zugrunde, dass die Ungleichbehandlung der Versicherten als Folge des berufsständischen Zuweisungssystems nicht mehr tragbar war. Im Hinblick auf das Verhältnis zur PKV wurde jedoch am berufsständischen Zuweisungssystem unbeirrt festgehalten. Gleichzeitig wurde in der Folgezeit die Position der GKV gegenüber der PKV moderat gestärkt. Die seit Mitte der 1990er Jahre verabschiedeten Gesetzte bedeuteten für die GKV zum Teil eine sehr konkrete Annäherung an die private Krankenversicherung. In mehreren Reformschritten wurden den Krankenkassen immer wieder Instrumente an die Hand gegeben, die eigentlich typisch für privatwirtschaftlich verfasste Versicherungsmärkte waren. Mit dem GMG 2004 wurden unter anderem wählbare Selbstbehalttarife eingeführt, bei denen der Versicherte die Verpflichtung eingeht, für eine jährliche Beitragsreduktion einen Teil der medizinischen Behandlungskosten bis zu einem vertraglich definierten Höchstbetrag alleine zu tragen. Die Höhe der Ermäßigung ist dann abhängig von der Höhe des Selbstbehalts. Während das GMG 2004 diese Option zunächst nur für die freiwillig gesetzlich Versicherten und auch nur bei Kostenerstattungstarifen vorsah, wurde die Regelung durch das GKV-WSG auf alle gesetzlich Versicherten ausgedehnt und kann seither auch bei Sachleistungen in Anspruch genommen werden (§ 53, Abs. 1 SGB V). Darüber hinaus wurden auch Möglichkeiten zur Beitragsrückerstattung, bzw. zu
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Prämienzahlungen21 geschaffen, die es gesunden Versicherten ermöglichen, eingezahlte Beiträge bei Nichtinanspruchnahme medizinischer Dienstleistungen erstattet zu bekommen. Die Höhe der Prämienzahlung ist dabei auf ein Zwölftel der jeweils im Kalenderjahr gezahlten Beiträge begrenzt. Auch diese Regelung galt seit 2004 zunächst nur für die freiwillig Versicherten und wurde 2007 auch auf die Pflichtversicherten ausgedehnt. Eine auf individuelle und freiwillige Vertragsbeziehungen abzielende Innovation besteht seit den Neuordnungsgesetzen von 1997 in der Einführung und dem allmählichen Ausbau von Einzelverträgen zwischen gesetzlichen Krankenversicherungen und Leistungserbringern. Solche Einzelverträge sind mittlerweile bei Modellvorhaben, in der hausarztzentrierten Versorgung, in der integrierten Versorgung, bei Disease Management Programmen (DMP) sowie in der besonderen ambulanten ärztlichen Versorgung möglich (Gerlinger 2009: 22-23; Bandelow/Schade 2009: 95-97). Die gesetzlichen Krankenversicherungen können Prämienzahlungen oder Zahlungsermäßigungen auch gewähren, wenn die Versicherten sich bereit erklären, an diesen besonderen Versorgungsformen teilzunehmen (§ 53, Abs. 3 SGB V). Der Ausbau von Einzelverträgen bedeutet einerseits eine Stärkung individueller und wettbewerbsorientierter Handlungsoptionen in der GKV, allerdings resultiert hieraus nicht unbedingt eine direkte Annäherung an die PKV, da diese bis heute kaum Möglichkeiten der Vertragsgestaltung mit den Leistungserbringern hat. Die Privatversicherer dürfen also für die privat Versicherten in Normaltarifen weder Kollektiv- noch Einzelverträge mit den niedergelassenen Ärzten abschließen. Allerdings stellen diese Instrumente zweifelsohne einen Bruch mit den idealtypischen Merkmalen der GKV – Kollektivverträge zwischen Krankenversicherungen und Vertragsärzten, Versorgungsmonopol der Kassenärztlichen Vereinigungen, Verpflichtung zum „einheitlichen und gemeinsamen Handeln“ – dar. Wenngleich eine umfassende Liberalisierung der Vertragsbeziehungen bisher nicht stattgefunden hat, kann die Stärkung einzelvertraglicher Kompetenzen dennoch als juristischer Durchbruch zur Aushöhlung des Vertragsmonopols betrachtet werden. Die Freiwilligkeit von Vertragsabschlüssen, die Gestaltungsmöglichkeiten bei Vertragsinhalten und die Fokussierung der Individualakteure sind weitere Schritte in Richtung eines stärker marktwirtschaftlich orientierten Versicherungssystems, die in der Logik des Wettbewerbs konsequent sind. 21 Seit 2007 ist im SGB V nicht mehr von Beitragsrückerstattungen die Rede, sondern von Prämienzahlungen. Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass seit Einführung des Gesundheitsfonds von den Krankenkassen keine eigenen Beiträge mehr erhoben werden, sondern Prämienzuweisungen aus diesem Fonds erfolgen. Folglich könne es sprachlich auch keine Beitragsrückerstattungen mehr geben (Deutscher Bundestag 2006: 108).
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Ebenfalls mit dem NOG 1997 wurde zunächst optional für alle Versicherten das Kostenerstattungsprinzip eingeführt, das im Bereich der zahnärztlichen Versorgung sogar verpflichtend war. Durch das GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz (GKV-SolG) 1999 wurde diese Maßnahme zunächst wieder zurückgenommen und auf den Kreis der freiwillig Versicherten beschränkt. Seit dem GMG 2004 können sich mit Wirkung vom 1.1.2004 wieder alle Versicherten für die Kostenerstattung entscheiden. Hierbei haben die gesetzlichen Krankenversicherungen die Kosten zunächst nur bis zu der Höhe zu tragen, die bei der Erbringung einer Sachleistung entstanden wäre. Außerdem müssen Versicherte einen Abschlag für die Verwaltungskosten und die fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfung zahlen. Seit dem GKV-WSG 2007 können die Krankenkassen die Höhe der Kostenerstattung variieren und hierfür spezielle Prämienzahlungen durch die Versicherten vorsehen (§ 53, Abs. 4 SGB V). So ist es seither möglich, einem Versicherten – genau wie in der PKV – den 2,3-fachen Satz nach der GOÄ/GOZ zu erstatten. Für die Mehrkosten, die gegenüber dem Sachleistungsverfahren entstehen, muss der Versicherte dann eine entsprechend höher kalkulierte Prämie vom Versicherungsnehmer einfordern. Die Kostenerstattungsoption stellt ein systemfremdes Element in der vom Sachleistungsprinzip geprägten gesetzlichen Krankenversicherung dar und bedeutet eine weitere Annäherung an die PKV. Mit der Einführung der hier vorgestellten Steuerungsinstrumente hat der Gesetzgeber erneut mehrere Ziele verfolgt. Einerseits sind Selbstbehalte, Beitragsrückerstattungen und Kostenerstattungstarife vor allem als privatwirtschaftliche Steuerungselemente zu betrachten, die die strukturelle Unterlegenheit der GKV gegenüber der PKV abmildern sollen. Der GKV sind somit Instrumente an die Hand gegeben worden, die „gute Risiken“ von einer Abwanderung in die PKV abhalten sollen. Ob die GKV im Wettbewerb um diejenigen Versicherten, die sich für eines der beiden Systeme entscheiden dürfen, von diesen Instrumenten wirklich profitiert, muss zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch offen bleiben. Dafür spricht sicherlich, dass die GKV über bessere Gestaltungsmöglichkeiten verfügt, um die Versicherungstarife auch für „gute Risiken“ attraktiv zu machen. Dagegen spricht jedoch, dass die PKV aufgrund der risikoäquivalenten Prämienkalkulation noch immer über das stärkste Instrument zur Risikoselektion verfügt (siehe hierzu Kapitel 4.2.3). Neben der Stärkung der GKV gegenüber der PKV besteht die zweite intendierte Steuerungswirkung von Selbstbehalten, Beitragsrückerstattungen und Zuzahlungen darin, die Versicherten zu einem moderaten Inanspruchnahmeverhalten medizinischer Versorgungsleistungen zu bewegen. Instrumente wie Zu-
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zahlungen, Selbstbehalttarife und Beitragsrückerstattungen sind jedoch insofern nicht ganz unproblematisch, als sie auch einen Anreiz setzen, Erkrankungen zu verschleppen oder medizinisch notwendige Behandlungen aufzuschieben. Außerdem schwächen diese Instrumente das Solidarprinzip, indem sie allein den kranken Menschen eine höhere Finanzierungslast aufbürden, bzw. gesunde Menschen finanziell belohnen. Dabei ist es aus der Perspektive der Versicherten letztlich unerheblich, ob Gesunde im Nachhinein einen Teil der Beiträge zurückbekommen oder Kranke bei Behandlungsbedarf direkte Zuzahlungen leisten müssen. 3.2.4
Weitere Konvergenzentwicklungen
Neu ist auch das Recht der GKV, Zusatzversicherungen anzubieten. Den Versicherungen ist es erlaubt, in ihren Satzungen gegen Zusatzbeiträge die Übernahme der Kosten für Arzneimittel der besonderen Therapieeinrichtungen zu regeln, die nicht durch den gemeinsamen Leistungskatalog abgedeckt sind (z.B. homöopathische Mittel). Die Inanspruchnahme solcher Satzungsleistungen erfolgt freiwillig (§ 53 Abs. 5 SGB V). Seit dem 1.1.2004 ist es den gesetzlichen Versicherungen außerdem erlaubt, private Zusatzversicherungsverträge zu vermitteln und auf diese Weise mit den Privatversicherern zu kooperieren (§ 194 SGB V). Neuregelungen gab es seit Mitte 2005 auch bei Zahnersatz und Krankengeld. Beide Leistungen sind zwar weiterhin Bestandteil des Leistungskatalogs, allerdings werden sie nicht mehr paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sondern allein von den Versicherten finanziert. Für die Absicherung des Zahnersatzes wurde der Beitragssatz um 0,4 Prozentpunkte angehoben, für die Absicherung des Krankengeldes um 0,5 Prozentpunkte. Vom Gesetzgeber wurden die gesetzlichen Versicherungen verpflichtet, ihren Beitragssatz um 0,9 Prozentpunkte zu senken, was wiederum zu 0,45 Prozentpunkten den Arbeitgebern zu Gute kam und die Versicherten insgesamt mit 0,45 Prozentpunkten zusätzlich belastet hat (Rosenbrock/Gerlinger 2006: 106-107). Diese Maßnahmen sind allerdings eher als Abkehr von der paritätischen Finanzierung zu interpretieren, denn die Leistungen bleiben weiter Bestandteil des Leistungskataloges, werden einkommensabhängig finanziert und können nicht abgewählt werden. Im Schatten der öffentlichen Wahrnehmung haben sich jedoch noch weitere Veränderungen vollzogen, die eine Annäherung der GKV an die PKV begründen. Bereits im Zuge des Gesundheitsstrukturgesetzes sind 1992 die Kompetenzen der hauptamtlichen Vorstände zu Lasten der Selbstverwaltung ausgeweitet worden (Rölke/Schröder 2006: 52; Rosenbrock/Gerlinger 2006: 112).
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Dies geschah vor allem mit dem Ziel der Professionalisierung und der Stärkung unternehmerischer Elemente (Welti 2006: 258). Im Oktober 2008 wurden durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) die Vorschriften zur Insolvenzfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherungen modifiziert. Während bisher nur die bundesunmittelbaren Krankenversicherungen insolvenzfähig waren, wurde die Regelung nun auf nahezu alle gesetzlichen Versicherungen ausgedehnt (Ausnahmen gelten für die landwirtschaftlichen Krankenkassen und die Bundesknappschaft-Bahn-See). Bei einer Insolvenz haften zunächst die Versicherungen einer Kassenart und, sollte dies nicht ausreichen, auch die Versicherungen der anderen Kassenarten (Lambertin 2008: 327-328). Damit ist ein weiteres Element des Wirtschaftsrechts im Bereich der Sozialversicherung ausgedehnt worden, das eine partielle Annäherung an die privatwirtschaftliche Versicherung bedeutet.
3.3
Zwischenfazit: Chancen und Risiken der Hybridisierung
Gesetzliche und private Krankenversicherung zeichnen sich auch heute noch durch eine Reihe unterschiedlicher Strukturelemente aus. Spätestens seit Mitte der 1990er Jahre vollzieht sich jedoch eine Hybridisierung der beiden Versicherungssysteme, die sich in weiten Teilen als partielle Konvergenz interpretieren lässt. Der Gesetzgeber hat die PKV zwar durch eine Reihe sozialpolitischer Regulierungen in die soziale Pflicht genommen, allerdings bedeuteten diese Maßnahmen im Kern keine Abkehr vom marktwirtschaftlichen Geschäftsmodell. Die wesentlichen Entwicklungslinien bestehen darin, ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ
die Existenz der PKV durch die stärkere Zuweisung bestimmter Personenkreise aufrechtzuerhalten und aktiv zu fördern die PKV per Gesetz in die Versicherungspflicht zu nehmen und ein Mindestmaß an Solidarelementen vorzuschreiben die Finanzierbarkeit von privatem Krankenversicherungsschutz auch für ältere Versicherte zu gewährleisten sozialpolitische Verbraucherschutzelemente zu verankern und die Anbietermacht zu begrenzen seitens der Versicherungsbranche nach Möglichkeiten der Selbstverpflichtung zu suchen.
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Im selben Zeitraum vollzogen sich auch in der GKV wesentliche Veränderungen. Die wichtigsten Entwicklungslinien bestehen darin, ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ
den solidarischen Ordnungsrahmen für die Versicherten im Kern beizubehalten, gleichzeitig aber die Privatisierung von Behandlungskosten voranzutreiben den Kassenwettbewerb zu fördern und den Versicherten umfassende Wahlmöglichkeiten einzuräumen die Verhandlungsmacht der Krankenkassen gegenüber den Leistungsanbietern zu stärken den Versicherungen mehr Gestaltungsspielräume im Hinblick auf Beitragsdifferenzierungen und Leistungspakete einzuräumen die betriebswirtschaftliche Professionalisierung der Krankenkassen voranzutreiben.
Mit den skizzierten Veränderungen wurden zu Beginn der 1990er Jahre in beiden Versicherungssystemen vertraute Pfade verlassen. Diese Entwicklungen waren zumindest am Anfang weniger das Ergebnis eines politisch geplanten Konvergenzmodells, sondern eher pragmatische Reaktionen auf wahrgenommene systemspezifische Problemlagen. Die konkreten Anlässe für die einzelnen Reformschritte waren zunächst höchst unterschiedlich und sind auf bestimmte historische Pfadabhängigkeiten, traditionelle Machtstrukturen oder Besonderheiten des deutschen Gesundheitswesens zurückzuführen. „Initialzündungen“ der Reformprozesse waren für die GKV das Gesundheitsstrukturgesetz und für die PKV die Umsetzung der Dritten Richtlinie Schadenversicherung, die damals in keinem erkennbaren Zusammenhang zueinander standen. Obwohl der Gesetzgeber in beiden Versicherungssystemen zunächst grundlegendere Weichenstellungen vorgenommen hat, lassen sich die seither vollzogenen Reformen in ihrer komplexen Gesamtheit nicht auf ein einzelnes Gesetz, eine ideengebende Kommission oder eine bestimmte Bundesregierung zurückführen. Die Veränderungen in beiden Systemen haben sich insgesamt weniger im Sinne großer „Gesundheitsrevolutionen“ vollzogen, sondern eher im Sinne kleiner, aber stetiger Reformschritte, die jedoch durchaus zu grundlegenderen Veränderungen geführt haben (für die Entwicklungen in der GKV siehe z.B. Leiber 2007: 21-32; Trampusch 2008: 367; Gerlinger 2009: 22). Für die PKV bedeuteten die Entwicklungen eine verstärkte sozialregulative Einbettung des privatwirtschaftlichen Versicherungsmarktes und für die GKV eine wettbewerbliche Transformation, die ebenfalls in einen starken regulativen
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Rahmen eingebunden wurde. Anstatt klare Grenzziehungen vorzunehmen, forciert die Hybridisierung der „Idealtypen“ die (partielle) Konvergenz und somit auch die weitere Entdifferenzierung der beiden Versicherungssysteme. Diese Entwicklung weist insgesamt in Richtung eines wohlfahrtsmarktlichen Arrangements, das einerseits verstärkt die Individualakteure zu Adressaten der gesundheitspolitischen Steuerungsbemühungen macht und andererseits der staatlichen Aufsicht und Kontrolle eine stärkere Rolle zuweist. Was die skizzierten Reformmaßnahmen in beiden Versicherungssystemen grundsätzlich eint, ist die übergeordnete Leitvorstellung, dass die sozialpolitische Einbettung und Regulierung von Markt- und Wettbewerbskonzeptionen zu gesundheitspolitisch erwünschten Zielen führt. Für die politischen Entscheidungsträger beinhalten die skizzierten Entwicklungen – zumindest auf den ersten Blick – durchaus Vorteile. Durch die Ausdifferenzierung der Systeme lässt sich nämlich zunächst einmal eine gewisse Handlungsfähigkeit gewinnen. In hybriden Systemen steigen in der Regel die politischen Handlungsoptionen, da sich viele Anknüpfungspunkte und Möglichkeiten bieten, um auf zukünftige Herausforderungen zu reagieren. Sie ermöglichen damit nicht zuletzt eine hohe (potentielle) Innovationsfähigkeit. Auch vor dem Hintergrund möglicher neuer Koalitionsbündnisse haben diese Entwicklungen einen durchaus integrativen Charakter. In einem demokratischen Gemeinwesen müssen stets Kompromisse gefunden, Konflikte ausgetragen und gemeinsame Lösungen gesucht werden. Dieses kann im komplexen und von pluralistischen Interessen geprägten Gesundheitsbereich unter Umständen besser gelingen, wenn es mehrere Handlungsoptionen gibt und sich traditionelle Konfliktlinien auflösen (ähnlich argumentieren im Hinblick auf das Ziel der Qualitätssicherung Bandelow u.a. 2009b: 283-384). Ähnliches gilt auch für die Versicherungssysteme selbst. In dem Maße, wie sozialpolitische Handlungslogiken Einzug in die Privatversicherung halten oder betriebswirtschaftliche Erwägungen in den Alltag der Sozialversicherungen vordringen, wächst auch das integrative Potential beider Systeme. Dadurch, dass die Versicherungszweige bereits eine Annäherung erfahren haben, sind möglicherweise „systemfremde“ Instrumente für alle Beteiligten in Zukunft schon etwas naheliegender und können sich bereits auf eine interne Praxiserfahrung stützen. Auch wenn zukünftige Gestaltungsfragen weiterhin von unterschiedlichen Interessen und gewachsenen Machtstrukturen abhängen werden, können durch reflexives Lernen potentielle Handlungsspielräume für Veränderungen gewonnen werden (siehe hierzu auch Bandelow 2009). Das Konfliktpotential von neuen Reformmaßnahmen kann in ausdifferenzierten und hybriden Subsys-
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temen möglicherweise leichter entschärft werden. So nehmen vielleicht die Reformbaustellen – und damit auch die potentiellen Konfliktfelder – zu. Die Intensität der Auseinandersetzungen kann aber möglicherweise reduziert werden, so dass sich die Chancen vergrößern, auf dem Verhandlungsweg eine Einigung über Streitfragen zu erzielen (ähnlich argumentieren in einem anderen Kontext Hegelich/Schubert 2008: 657-658). Der Vorteile dieses Hybridisierungsprozesses sind zugleich aber auch die größten Nachteile. Aus dieser Entwicklung erwächst nämlich auch ein sehr hoher Komplexitätsgrad politischer Steuerung, der für die meisten Beteiligten kaum mehr transparent und für den Gesetzgeber kaum mehr kontrollierbar ist. Nullmeier (2004b: 19-20) spricht in diesem Zusammenhang von einer „Dauerreform ohne Reform“ und weist auf die Widersprüchlichkeit hin, dass „dieser allseits beklagten Unfähigkeit zur großen Reform eine enorm hohe Reformgeschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit im Kleinen“ gegenüberstehe. Wenn als Folge ständiger Interventionen eine Art „Chaospluralismus“ entsteht, dann eröffnet dies den betroffenen Akteuren auch die Möglichkeit, immer häufiger unbeabsichtigte Ausweichreaktionen zeigen. So besteht z.B. ein dominantes Muster der skizzierten Reformen für beide Versicherungszweige darin, dass neue Instrumente oftmals nicht an die Stelle alter, als überkommen wahrgenommener Strukturen treten, sondern regelmäßig den bereits bestehenden Arrangements hinzugefügt werden. Altes wird folglich nicht konsequent durch Neues ersetzt, sondern lediglich durch Neues ergänzt. In hochgradig ausdifferenzierten Systemen können die Interessenvertreter der beteiligten Akteure ihre Machtspiele immer noch an anderer Stelle fortsetzen (Nullmeier 2004b: 27-28). Diese Möglichkeiten fallen jedoch angesichts von Macht- und Informationsasymmetrien zwischen Arzt und Patient, aber auch zwischen Versicherungen und Versicherten höchst unterschiedlich aus. Wenn sich politische Entscheidungsträger jenseits programmatischer Konzepte und klarer Leitlinien nur noch darauf beschränken, pragmatisch auf tatsächliche oder wahrgenommene Krisen des Gesundheits- und Sozialsystems zu reagieren, sinkt auch die Nachhaltigkeit von Reformen. Da sich die Rahmenbedingungen der Gesundheitsversorgung stetig ändern, kann es natürlich keine nachhaltigen Problemlösungen in dem Sinn geben, dass es lediglich eines beherzten Durchgreifens des Gesetzgebers bedarf, um das Gesundheitssystem abschließend zu reformieren. Dass der Gesetzgeber auf veränderte Problemlagen mit Anpassungen der sozialen Sicherungssysteme reagiert, entspricht daher zunächst einmal seinem demokratisch legitimierten Gestaltungsauftrag. Allerdings vollziehen sich die meisten gesundheitspolitisch relevanten Makroent-
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wicklungen, wie z.B. medizinisch-technische Innovationen, epidemiologische Veränderungen, demographischer Wandel oder veränderte Einkommensstrukturen, über längere Zeiträume. Aus solchen langfristigen Veränderungen resultiert normalerweise keine Notwendigkeit für permanente staatliche Interventionen. Vielmehr erwächst hieraus das Erfordernis, Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen und moderate Anpassungen an veränderte Rahmenbedingungen vorzunehmen. Rüb (2003) spricht in diesem Zusammenhang vom „manageriellen Staat“ und führt hierzu aus: „Die Umstellung von zielgerichteter und programmorientierter Politik auf situative und prinzipienlose Politik hat zur Folge, dass die so produzierten Policies die Merkmale dieser Politikproduktion tragen. Sie sind in der Regel inkonsistent, müssen oft nachgebessert werden, erzielen keine nachhaltigen Wirkungen. [...] vor allem die verstärkte Inanspruchnahme von Wohlfahrtsmärkten führt neue Akteure ein, die den Entscheidungsprozess verkomplizieren und innerhalb des Staates zur Fragmentierung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten führen.“ (Rüb 2003: 292)
Sofern der Komplexitätsgrad gesundheitspolitischer Regelungen in einer Art und Weise zunimmt, dass nicht nur Versicherte und Patienten, sondern auch Gesundheitsexperten, Leistungsanbieter und Finanzierungsträger das eigene Gesundheitssystem kaum noch verstehen, schwindet möglicherweise auch das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme. Dass die Ausdifferenzierung der Versorgungsstrukturen für alle Beteiligten nicht nur einen (positiven) Zugewinn an Wahlmöglichkeiten darstellen muss, sondern auch zu problematischen Akzeptanzproblemen führen kann, betont der Rechtwissenschaftler Ebsen. In einem Beitrag zu Strategien der Nachhaltigkeit für den deutschen Sozialstaat heißt es zu den ständigen gesetzgeberischen Aktivitäten: „Dies hat in mehrfacher Hinsicht negative Wirkungen: Die Unübersichtlichkeit der Gesetze steigt mit der Folge, dass diese für die meisten Menschen zentralen Rechtsgebiete zu Arkanbereichen werden, welche insbesondere auch die Gesetzgeber nicht mehr verstehen. Eine juristische Systembildung und Durchdringung – auch als Voraussetzung für gute Gesetze – wird erschwert. Übergreifende Linien und sozialpolitische Grundsätze, welche auch für die Akzeptanz von Gesetzen als sinnvoll und gerecht wichtig sind, bleiben verborgen.“ (Ebsen 2005: 62)
Hierin besteht zweifelsohne ein destruktives Potential für die Systeme der sozialen Sicherung. Gesetze und Institutionen, die von den Menschen nicht mehr verstanden werden, können schnell an Akzeptanz und demokratischer Legitimation verlieren, auch wenn sie dem Grunde nach erhaltenswerte soziale Errungenschaften darstellen. Dies gilt umso mehr, je stärker den Bürgern gleichzeitig Leistungseinschränkungen und Zusatzbelastungen abverlangt werden.
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Natürlich mag manche Kritik an bestehenden sozialstaatlichen Institutionen berechtigt sein, allerdings ist das grundsätzliche Vertrauen in die soziale Einbindung des Individuums in die Gesellschaft ein kostbares Gut. Dies sollte insofern nicht leichtfertig verspielt werden, als der Aufbau von Vertrauen viel Zeit erfordert und ein erfolgter Vertrauensverlust nicht ohne Weiteres revidierbar ist (Wendt 2007: 380). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die beiden Versicherungssysteme auch weiterhin eine Annäherung vollziehen werden, wobei jedoch völlig offen ist, ob und gegebenenfalls an welchem Punkt sich diese treffen werden. Die Attraktivität einer Weiterentwicklung in Richtung regulierter Wohlfahrtsmärkte dürfte vor allem in der Chance gesehen werden, das Gesundheitswesen als Wachstumsbranche mit erheblichen Gewinnchancen zu betrachten, individuelle Vertragsmöglichkeiten für alle Beteiligten zu stärken sowie Innovations- und Beschäftigungspotenziale des dienstleistungsintensiven Gesundheitssektors freizusetzen. Dass der Konvergenzprozess letztlich von allen Bundesregierungen mehr oder weniger stark gefördert worden ist, kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die parteipolitischen Auffassungen über die zukünftige Gestaltung des Gesundheitswesens erheblich differieren. Es geht also keineswegs nur um die Frage, wie Reformen durchgesetzt werden können, sondern vor allem darum, welche Reformen vollzogen werden sollen. Daher ist die zukünftige Entwicklungsrichtung der beiden Krankenversicherungssysteme ein ergebnisoffener Prozess, der maßgeblich von politischen Mehrheits- und Machtverhältnissen abhängt. Faktisch dürfte es vor allem die GKV sein, die einem erhöhten Veränderungsdruck ausgesetzt sein wird. Bevor jedoch Umstrukturierungen dieser Art forciert werden, sollten die Stärken und Schwächen der PKV einer sorgfältigen Analyse unterzogen werden. Im Folgenden wird dieser Reformdiskurs daher um eine inhaltliche Dimension erweitert. Dieses geschieht in den folgenden drei Kapiteln, indem die Argumente für die bisherige Trennung der Systeme auf den Prüfstand gestellt werden (Kapitel 4), das faktische Wettbewerbsproblem der PKV seziert wird (Kapitel 5) und die Ausgabenentwicklung der PKV zur Diskussion gestellt wird (Kapitel 6).
4
4.1
Konsequent inkonsequent – Die Abgrenzung der Versicherungssysteme
Subsidiarität und „Eigenverantwortung“ – Die normativen Grundlagen des Trennungsdenkens
Die Trennung der beiden Versicherungssysteme beruht auch heute noch auf dem Gedanken der Schutzbedürftigkeit. Bestimmte Personen zwingt der Gesetzgeber daher weiterhin in die gesetzliche Krankenversicherung, andere wiederum sind in der GKV versicherungsfrei und können wählen, ob sie sich gesetzlich oder privat versichern möchten. Selbständige und Beamte sehen sich dabei mit starken finanziellen Anreizen konfrontiert, die GKV zu verlassen und der PKV beizutreten. Die soziale Realität holt dieses Trennungsdenken jedoch immer mehr ein, denn die zunehmende sozialpolitische Regulierung der PKV steht in einem offensichtlichen Widerspruch zur gesetzgeberischen Auffassung, dass privat Versicherte nicht sozial schutzbedürftig seien. Die sachliche Rechtfertigung dieses institutionellen Dualismus gleicht immer mehr einem argumentativen Drahtseilakt. Anstatt jedoch die Grundlagen dieses Trennungsdenkens zu reflektieren, beschränken sich die gesetzgeberischen Interventionen seit nunmehr zwei Jahrzehnten lediglich darauf, punktuell wahrgenommene Missstände zu korrigieren. Dadurch ist es zwar immer wieder gelungen, akute und flächendeckende Krisen zu vermeiden, allerdings wurden durch diese Maßnahmen oftmals neue Probleme geschaffen und alte Fehlanreize beibehalten. Im Folgenden sollen die Grundlagen der Systemtrennung einer sachlichen Analyse unterzogen werden, um hieraus einen geeigneten Maßstab für die zukünftige Organisation der privaten Krankenversicherung zu gewinnen. Die normative Grundlage der Systemtrennung bildet das Subsidiaritätsprinzip. Dieser Grundsatz zielt darauf ab, dass staatliche Eingriffe und öffentliche Leistungen grundsätzlich nur unterstützend und auch nur dann erfolgen sollen, wenn Einzelpersonen oder kleinere Solidargemeinschaften (z.B. die Familie) nicht in der Lage sind, diese Leistungen alleine zu erbringen. Die Individuen sollen daher zunächst die Schadenskosten tragen, die ihrer Leistungsfähigkeit entsprechen (Simon 2008: 73). Die Existenz der PKV wird seit jeher mit
R. Böckmann, Quo vadis, PKV?, DOI 10.1007/978-3-531-92741-1_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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diesem Subsidiaritätsargument begründet, denn bestimmten Personenkreisen wird zugetraut, dass sie für sich alleine sorgen können und zur Absicherung des Krankheitsrisikos nicht des Schutzes einer solidarischen Krankenversicherung bedürfen (siehe z.B. Papier 1992: 12-13; Boetius/Wiesemann 1998: 31; Genett 2009: 137). Daher beruht das PKV-Geschäftsmodell auch nicht auf solidarischen Umverteilungsmechanismen, sondern im Kern noch immer auf den Grundsätzen der Vertragsfreiheit und der Risikoäquivalenz. Allerdings sind in dieser Art der Systemgestaltung bereits zwei grundsätzliche Konfliktlinien angelegt. Erstens steht das Subsidiaritätsprinzip in einem latenten Spannungsverhältnis zum Solidarprinzip, denn Solidarität benötigt immer einen Ausgleich von Stärkeren zu Schwächeren, wohingegen Subsidiarität gerade fordert, dass die Stärkeren für sich selbst und nicht für andere sorgen. Zweitens sind die marktspezifischen Grundlagen dieses Geschäftsmodells in theoretischer Hinsicht ungeeignet, bestimmte sozialpolitische Ziele zu erreichen. Sofern nämlich keine anderweitigen Sicherungssysteme in Anspruch genommen werden können, besteht unter der Bedingung von Risikoäquivalenz und Vertragsfreiheit grundsätzlich die Möglichkeit, dass manche Personen nur ein geringes Schutzniveau realisieren oder sich im schlimmsten Fall mit dem Problem der Nichtversicherung konfrontiert sehen. Ein zu geringes Schutzniveau kann sich zum Beispiel dadurch ergeben, dass bestimmte Vorerkrankungen nicht versichert werden oder eventuelle Risikozuschläge so teuer sind, dass der Versicherte sie nicht über die Dauer der gesamten Vertragslaufzeit bezahlen kann. Aus versicherungsbetriebswirtschaftlicher Perspektive ist ein solches Ergebnis unmittelbar einleuchtend, denn auf einem Versicherungsmarkt sind nur diejenigen Risiken versicherbar, bei denen der Schaden ungewiss ist. Eine bereits vorliegende Erkrankung ist aber (auch bei wohlhabenden Menschen) nicht mehr ungewiss und stellt somit unter marktwirtschaftlichen Bedingungen auch kein versicherbares Risiko dar. Auf einem Versicherungsmarkt werden daher viele Menschen genau den Teil des Versicherungsschutzes, den sie zukünftig mit der größten Wahrscheinlichkeit benötigen, nicht bekommen. Das Problem der Nichtversicherung kann z.B. entstehen, wenn versicherungswillige Menschen bereits zum Zeitpunkt des angestrebten Vertragsabschlusses schwer krank sind oder ein so hohes Krankheitsrisiko aufweisen, dass kein Unternehmen diese Versicherten (selbst bei hoher Zahlungsbereitschaft) aufnehmen will. Sofern auf dem Versicherungsmarkt Vertragsfreiheit herrscht, kommen solche Versicherungsverträge erst gar nicht zustande. Nichtversicherung kann auf dem privaten Krankenversicherungsmarkt aber auch nach Abschluss eines Versicherungsvertrages entstehen,
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wenn ein Versicherter in Zahlungsschwierigkeiten gerät und die teuren Prämien nicht mehr bezahlen kann. Dieser Fall kann z.B. eintreten, wenn Menschen im Alter oder bei sonstigen Wechselfällen des Lebens einen Großteil ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit einbüßen. Ein Krankenversicherungssystem mit Risikoäquivalenz und Vertragsfreiheit führt letztlich immer wieder zu sozialpolitisch unerwünschten Ergebnissen, da es aus der Perspektive der betroffenen Individuen entweder kaum zu bewältigende Einzelschicksale hervorbringt oder unbeteiligten Dritten wieder die soziale Verantwortung für diese Menschen überträgt. Ob solche Zustände der Unterbzw. Nichtversicherung von der Gesellschaft akzeptiert werden, hängt von normativen Überzeugungen und gesellschaftlichen Wertvorstellungen ab. Beide Phänomene sind z.B. im marktwirtschaftlichen Gesundheitssystem der USA ein relativ häufig auftretendes Problem.22 Auch in Deutschland hat man lange Zeit ein gewisses Niveau der Nichtversicherung in Kauf genommen. Allerdings wurde für die betroffenen Individuen spätestens mit der Einführung des Basistarifs aus der abstrakten ethischen Norm, Unter- bzw. Nichtversicherung möglichst zu vermeiden, ein soziales Recht, das die Menschen nun in Anspruch nehmen können. Die Systemabgrenzung war und ist vor allem das Ergebnis politischer Entscheidungen zugunsten des einen oder des anderen Systems. Die Grenzlinie markiert daher lediglich, wo der Gesetzgeber die Schutzbedürftigkeit bestimmter Personengruppen sieht (Hajen u.a. 2006: 131). Daher kann es kaum verwundern, dass über mögliche Grenzverschiebungen heftig gestritten wird. Marktliberale und der PKV nahe stehende Ökonomen sowie die Interessenvertreter der Privatversicherungsbranche machen sich seit Jahren für eine Ausweitung ihres Geschäftsfeldes stark. Daher werden immer weitreichendere Forderungen erhoben, die Systemgrenze zugunsten der Privatversicherer zu verschieben. Lange (2006: 13) fordert z.B. eine „Rückbesinnung auf das Subsidiaritätsprinzip“, aus dem unmittelbar folge, „dass eine Versicherungspflicht für mehr als 60 Prozent der Bevölkerung nicht zu rechtfertigen ist“ – eine Variante, die der PKV immerhin einen Marktanteil von 40 Prozent bescheren würde. Boetius/Wiesemann 22 Trotz weltweit höchster Gesundheitsausgaben (absolut, pro Kopf und im Vergleich zum BIP) besitzen gegenwärtig ca. 47 Millionen US-Amerikaner keinen Versicherungsschutz (Ostermann, Frankfurter Rundschau vom 17.08.2009). In den Vereinigten Staaten sind die meisten privaten Krankenversicherungen arbeitsplatzbezogen, d.h. der Arbeitnehmer erhält für die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses eine Krankenversicherung, die der Arbeitgeber bei einer privaten Versicherung abgeschlossen hat. Da viele kleinere und mittlere Unternehmen jedoch keine Versicherung bieten, kann das Problem der Nicht- oder Unterversicherung auch bei einem Arbeitsplatzwechsel entstehen (ausführlich zum Gesundheitssystem der USA Murswieck 2004: 658-665).
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(1998: 32) fordern in einer vom PKV-Verband herausgegebenen Dokumentationsreihe, die „Zuordnung von Versicherten zur GKV dürfte 50% der Bevölkerung nicht überschreiten; davon wären 25% als wirklich Schutzbedürftige anzusehen und 25% wären zur Aufrechterhaltung des Solidarzwecks notwendig.“ Einen noch größeren Marktanteil für die Privatversicherer wünschen sich Dill/Raffelhüschen (2003: 178). Sie verlangen, „dass der einkommensstarke Teil der Bevölkerung (etwa 60%) das Krankheitsrisiko privat absichern soll“. Bevor jedoch die weitere Expansion der PKV vorangetrieben wird, sollten zunächst einmal die Probleme reflektiert werden, die bereits heute – bei einem Marktanteil von gerade einmal zehn Prozent der Bevölkerung – auftreten. Die Abgrenzung der Versicherungssysteme leidet nämlich an einigen handfesten Denk- und Konstruktionsfehlern, die seit Jahren immer wieder zu den verschiedensten Problemen und Fehlanreizen führen. Würde man das Subsidiaritätsprinzip konsequent auslegen, dann dürften die privat Versicherten – also jene Personen, die der Gesetzgeber in der offiziellen Lesart als nicht sozial schutzbedürftig erachtet – auch tatsächlich keinen Schutz durch staatliche Unterstützungsleistungen oder sozialpolitische Regulierungen erhalten. Genau dieses ist aber nicht einmal ansatzweise der Fall, denn die Systemabgrenzung hat bislang keineswegs dazu geführt, dass die privat Versicherten ihr Krankheitsrisiko wirklich „eigenverantwortlich“ abgesichert haben. Bei sachlicher Betrachtung ist dieser Befund auch kaum verwunderlich, denn die Grenzziehung ist aus verschiedenen Gründen mit Mängeln und Inkonsequenzen behaftet. Zum einen weist das Abgrenzungskriterium des Berufsstatus keinen sinnvollen Bezug zum versicherten Risiko auf. Eine Krankenversicherung schützt die Versicherten vor den materiellen Folgen im Schadensfall Krankheit und nicht vor dem Verlust des Berufs (was Aufgabe von Berufsunfähigkeits-, Unfall- oder Invalidenversicherungen wäre). Die Absicherung des Krankheitsrisikos in der PKV erfordert eine dauerhaft hohe ökonomische Leistungsfähigkeit, die durch den ausgeübten Beruf nur eine sehr indirekte Vermittlung erfährt. Zum anderen dient bei den abhängig Beschäftigten zwar die in theoretischer Hinsicht besser geeignete Einkommenshöhe als Abgrenzungskriterium, allerdings lässt der Gesetzgeber hier einen subsidiären Graubereich, innerhalb dessen die höher verdienenden Arbeitnehmer über individuelle Wahlfreiheiten zwischen den Systemen verfügen. Den Privatversicherern eröffnet dies seit Jahrzehnten die Möglichkeit der Risikoselektion gegenüber der GKV. Letztlich besteht der vielleicht grundlegendste Konstruktionsfehler dieser Systemtrennung in der statischen Auffassung von Schutzbedürftigkeit und NichtSchutzbedürftigkeit. Die zeitpunktbezogene Zuschreibung von Schutzbedürftig-
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keit bei zeitraumbezogenem Leistungsversprechen hat nämlich immer wieder dazu geführt, dass faktische Schutzbedürftigkeit nach der Systemzuweisung auch im Umfeld der PKV entstanden ist. Für die hieraus entstehenden Nachteile müssen stets unbeteiligte Dritte wieder die (finanzielle) Verantwortung übernehmen. Die hier angedeuteten Mängel wirken keineswegs isoliert, sondern beeinflussen sich größtenteils gegenseitig. Die Risiken und Konsequenzen der marktförmigen Absicherung stellen sich für die betroffenen Personengruppen allerdings höchst unterschiedlich dar.
4.2 4.2.1
Ordnungspolitische Leitvorstellung trifft soziale Realität Die Beamten – „Eigenverantwortung light“
Die Beamten nehmen unter den privat Versicherten in vielerlei Hinsicht eine Sonderrolle ein. Da sie innerhalb der PKV mit 4,15 Millionen Versicherten die größte Statusgruppe darstellen, hängt die Existenz vieler Privatversicherer entscheidend vom gesetzlich geförderten Zulauf der Beamten ab (Wenner 2009: 233). Dieses dürfte auch der wesentliche Grund dafür sein, dass sich die Privatversicherer verpflichtet haben, beihilfeberechtigte Personen trotz Vorerkrankungen nicht abzulehnen und Risikozuschläge auf 30 Prozent zu begrenzen. Da die Beamten zudem über keine wirklichen Wahlfreiheiten verfügen, andererseits aber auf einen Vertragsabschluss in der PKV angewiesen sind, ist die Versicherung dieser Statusgruppe ein einträgliches und nahezu risikoloses Geschäft.23 Die Zuordnung der Beamten zur PKV kann jedoch angesichts der relativ hohen Beihilfeleistungen kaum mit dem Argument der sozialen Nicht-Schutzbedürftigkeit begründet werden. Auch anhand der Gehaltsstrukturen lässt sich keine
23 Man könnte an dieser Stelle die Frage stellen, ob die Erhöhung, bzw. die Absenkung der Beihilfe im jeweiligen Interesse einzelner Versicherungsunternehmen liegt. Versicherer mit vielen Beamten in ihren Versichertenbeständen könnten daran interessiert sein, dass entweder die Beihilfen reduziert werden oder die Beamtenbezüge im Umfang der Beihilfeaufwendungen erhöht und die Leistungsansprüche gegenüber dem Dienstherrn entsprechend reduziert werden. Hierdurch könnte sich das Geschäftsvolumen dieser Privatversicherer erheblich erhöhen. Andererseits könnten Privatversicherer mit nur wenigen Beamten im Versichertenbestand ein Interesse daran haben, dass die Beihilfen erhöht werden, da dies das Geschäftsvolumen der Konkurrenten reduzieren würde (siehe hierzu Blum-Barth 2005: 85-86). Diese Überlegungen sollen jedoch nicht weiter fortgeführt werden, da die Institution PKV von der Aufrechterhaltung des Status Quo insgesamt profitieren dürfte. Die Interessenvertreter der Beamten standen bisher stets an der Seite der PKV. Diese Unterstützung durch entsprechende politische Debatten zu gefährden, dürfte kaum im Interesse der Branche liegen.
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sinnvolle Argumentation für die privatwirtschaftliche Absicherung des Krankheitsrisikos festmachen. Die Grundgehälter der Beamten im einfachen, mittleren und teilweise sogar im gehobenen und höheren Dienst unterschreiten zumeist deutlich die Einkommen, mit denen abhängig Beschäftigte von der Pflichtversicherung in der GKV befreit sind. So liegt z.B. laut Bundesbesoldungsordnung A für das Jahr 2008 das Einstiegsgehalt der untersten Besoldungsgruppe A2 bei 1571,85 Euro. Selbst das Einstiegsgehalt der Besoldungsgruppe A14, die bereits zum höheren Dienst zählt und beispielsweise für Akademische Oberräte oder Oberstudienräte gilt, liegt mit 3142,91 Euro noch deutlich unter der GKV-Versicherungspflichtgrenze von 4012,50 Euro (2008). Erst Besoldungsgruppe A15 übersteigt mit 4076,34 Euro Einstiegsgehalt knapp diese Grenze. Zwar werden die Grundgehälter der Beamten mit zunehmender Dienstzeit angehoben, allerdings erreicht weder ein Kriminalkommissar mit Besoldungsgruppe A9 noch ein Realschullehrer mit A12 nach zwanzig Dienstjahren ein Einkommen, das dem Niveau der Versicherungspflichtgrenze entspräche. Laut Viertem Versorgungsbericht der Bundesregierung (Stand 30.6.2006) entfielen auf die insgesamt 1,62 Millionen (aktiven) Beamten in Bund, Ländern und Gemeinden gerade einmal 136.300 Beamte (8,4%), die ein Gehalt der Besoldungsgruppe A15 oder höher bezogen (Deutscher Bundestag 2009: 199). Da die Versorgungsbezüge der Pensionäre – ebenso wie die gesetzlichen Renten – grundsätzlich nach Äquivalenzkriterien gewährt werden, spiegeln sich die vormals erzielten Einkommen der Beamten (die sogenannten ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge) auch in der Höhe der Versorgungsbezüge wider. Vor allem die Beamten des einfachen und mittleren Dienstes gehören daher auch im Alter keineswegs zu den „Besserverdienern“ in der Gesellschaft. Nicht umsonst hat der Gesetzgeber sowohl den Standardtarif als auch den Basistarif für die Beamten und Pensionäre geöffnet und entsprechende beihilfekonforme Versicherungstarife vorgesehen. Wenn infolge des demographischen Wandels zukünftig mehr Beamte in den Ruhestand versetzt werden, könnte sich die Nachfrage nach solchen Tarifen eventuell noch verstärken. Da die Pensionierung normalerweise mit Einkommenseinbußen einhergeht, werden bei gleichzeitig steigenden Ausgabenniveaus möglicherweise mehr Beamte in diese Tarife wechseln. Die mangelnde Zielgenauigkeit der Systemzuweisung wurde jedoch mit keiner dieser Maßnahmen behoben. Trotzdem stellen sich die möglichen Probleme der privaten Risikoabsicherung nicht existenzbedrohlich dar. Zum einen erfolgt die Einstellung in das Beamtenverhältnis zumeist auf Lebenszeit, so dass die Beamten vom Arbeits-
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platzverlust oder von gravierenden Einkommenseinbußen normalerweise nicht betroffen sind. Erst die staatliche Aushebelung des Arbeitsmarktrisikos ermöglicht den Beamten die langfristige berufliche Sicherheit, die für die privatwirtschaftliche Absicherung des Krankheitsrisikos erforderlich ist. Ausgerechnet diese sozial gewährte Arbeitsplatzsicherheit ist auch für die PKV ein wesentlicher Stabilitätsfaktor – und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen der staatlichen Fürsorge. Hinzu kommt, dass nur ein Teil des Krankheitsrisikos wirklich „eigenverantwortlich“ abgesichert werden muss. Ein Großteil der Gesundheitsversorgung wird durch die steuerzahlende Allgemeinheit finanziert, da der Staat seinen Alimentationsverpflichtungen durch die Beihilfezahlungen nachkommt. In faktischer Anerkennung der Schutzbedürftigkeit erhöhen sich die Beihilfesätze mit dem Eintritt in den Ruhestand automatisch von 50 auf 70 Prozent der anfallenden Krankheitskosten, wodurch das Risiko finanzieller Überforderung im Alter erheblich reduziert wird.24 Die durchschnittlichen Beihilfeausgaben je Versorgungsempfänger sind allein im Bund von 2799 Euro im Jahr 1995 auf 4759 Euro im Jahr 2006 gestiegen, was einer Ausgabensteigerung von ca. 70 Prozent in diesem Zeitraum entspricht. Die durchschnittliche monatliche Beihilfezahlung pro Versorgungsempfänger im Bund betrug im Jahr 2006 somit über 396 Euro (Deutscher Bundestag 2009: 146-148). Da die Allgemeinheit aber nicht nur die höheren Beihilfen für Pensionäre sondern auch die entsprechenden Leistungen für beihilfeberechtigte Familienangehörige finanzieren muss, werden letztlich die Umverteilungsmechanismen der GKV gemäß ihrem sozialen Regelungssinn auch auf die Beamten übertragen. Das Wohlergehen der Beamten liegt also weitaus stärker in der sozialen als in der individuellen Verantwortung. Angesichts dieser Sozialleistungen kann man kaum davon sprechen, dass die Beamten zum Kreis der sozial nicht schutzbedürftigen Bürger zählen. Das hier vorgetragene Argument betont daher eine Gemeinsamkeit, die viele Beamte und Pensionäre mit ihren Mitmenschen teilen: Auch sie sind nämlich schutzbedürftig, wenn es um die Absicherung des Krankheitsrisikos geht. Auch sie gehören keineswegs automatisch zu den „Besserverdienern“, sondern sind auf die Hilfe der Gemeinschaft angewiesen, um die hohen finanziellen Lasten im Krankheitsfall schultern zu können.
24 Die verschiedenen Sparmaßnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung wurden z.T. auch auf die Beihilfen übertragen. Kostenintensiv sind die Beihilfen aber trotzdem insofern, als die Erstattung tatsächlich anfallender Krankheitskosten auf der Grundlage der wesentlich teureren privatwirtschaftlichen Abrechnungsgrundlage der GOÄ/GOZ erfolgt und die Steigerungssätze hier ebenfalls Anwendung finden.
112 4.2.2
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Die Selbständigen – bisherige Risikogruppe der PKV
Während die Einstellung in das Beamtenverhältnis in aller Regel auf Lebenszeit erfolgt und somit auch die lebenslange Alimentationspflicht des Dienstherren begründet, ist das unternehmerische Risiko bei den Selbständigen wesentlich größer. Gerade für diese Berufsgruppe gilt, dass allein die Statuszugehörigkeit noch nicht viel über deren soziale Schutzbedürftigkeit aussagt. Besonders deutlich wird dies bei der arbeitsmarktpolitisch geförderten Kleinselbständigkeit. Aber auch sonst wird dieses Zuordnungskriterium nicht besonders konsequent angewandt, denn bestimmte Selbständigengruppen wie beispielsweise die Landwirte, Künstler und Publizisten sind unabhängig von ihrem tatsächlich erzielten Einkommen in der GKV pflichtversichert. Andere Selbständige wiederum besitzen trotz geringer Einkommen keine Möglichkeit, der GKV beizutreten, weil sie z.B. die notwendigen Vorversicherungszeiten in der GKV nicht vorweisen können.25 Dem Abgrenzungskriterium der Selbständigkeit fehlt nicht nur der theoretische Bezug zum versicherten Risiko, sondern angesichts der inkonsequenten Zuweisungspraktiken auch die sozialpolitisch sinnvolle Anwendung. Für die privat versicherten Selbständigen, die weder ein Beitrittsrecht zur GKV besitzen noch einen Beihilfeanspruch (wie die Beamten) oder ein Recht auf den Arbeitgeberzuschuss (wie die privat versicherten Arbeitnehmer) haben, können die hohen Risikozuschläge oder Leistungsausschlüsse in der PKV ein generelles Problem darstellen. Auch das Recht auf Vertragsfreiheit stiftet den Vertragspartnern einen unterschiedlichen Nutzen, da diese nicht gleichermaßen auf das Zustandekommen eines Versicherungsvertrages verzichten können. In Anbetracht der möglicherweise extrem hohen Kosten für medizinische Behandlungen ist es für den potentiellen Versicherungsnehmer in aller Regel nicht möglich, auf einen Vertragsabschluss zu verzichten (Eilfort 1997: 8). Darüber 25 Ein solcher Fall kann z.B. auftreten, wenn sich privat versicherte Studenten unmittelbar nach dem Studium selbständig machen. Sie verfügen dann nicht über die erforderlichen Vorversicherungszeiten in der GKV, um sich freiwillig gesetzlich zu versichern. Beim privat versicherten Studenten setzen sich die Zuordnungsfehler der Systemtrennung z.T. noch bis in die nächste Generation fort. Während die studierenden Kinder von gesetzlich Versicherten bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres beitragsfrei mitversichert sind, können die studierenden Kinder von privat versicherten Beamten ihre entsprechende Beihilfeberechtigung nur aufrecht erhalten, wenn sie weiterhin in der PKV versichert bleiben. In den meisten Fällen dürfte dies auch die einzig finanzierbare Variante darstellen, denn andernfalls würde der Beamte einen Teil seiner eigenen Beihilfen verlieren (wenn keine Kinder mehr beihilfeberechtigt sind, gelten wieder die niedrigeren Beihilfesätze) und müsste gleichzeitig für das unterhaltspflichtige studierende Kind eine freiwillige gesetzliche Krankenversicherung abschließen. Spätestens wenn mehr als ein Kind schulpflichtig oder in der Ausbildung ist, dürfte ein solcher Schritt für einen durchschnittlich verdienenden Beamten finanziell kaum möglich sein.
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hinaus tragen die Selbständigen innerhalb der PKV-Statusgruppen bisher auch das größte Risiko, den privaten Versicherungsschutz im Laufe der Zeit zu verlieren. Hier sind grundsätzlich mehrere Möglichkeiten denkbar, die letztlich alle darauf hinauslaufen, dass wieder unbeteiligte Dritte zur Mitfinanzierung dieser Personen herangezogen werden. Sofern nach einer Phase der Selbständigkeit eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit einem Arbeitsentgelt unterhalb der Versicherungspflichtgrenze aufgenommen wird, tritt wieder die Pflichtversicherung in der GKV ein (§ 5 Abs.1 Nr.1 SGB V). In diesem Fall muss die Solidargemeinschaft der gesetzlich Versicherten wieder für die Absicherung dieser Personen aufkommen. Auch wenn die Privatversicherer grundsätzlich kein Interesse daran haben können, Versicherte an die GKV zu verlieren, profitieren sie von solchen Abgängen insofern, als die bisher angesparten Altersrückstellungen des Wechslers dem verbleibenden Versichertenkollektiv „vererbt“ werden. Eine 2007 erschienene Studie, die sich auf der Datengrundlage des Sozioökonomischen Panels mit den finanziellen Auswirkungen und typischen Formen des Wechsels zwischen den Versicherungssystemen auseinandergesetzt hat, kam zu dem Ergebnis, dass zwischen 2000 und 2004 ca. 40% der GKV-Zugänge aus der PKV mit der Aufgabe einer beruflichen Selbständigkeit verbunden waren. Die Zugänge zur GKV enthielten insgesamt einen größeren Anteil versicherungstechnisch „schlechter Risiken“ (Albrecht/Schiffhorst/Kitzler 2007: 19-20). Der weitaus ungünstigere Fall der Nichtversicherung konnte bislang auftreten, wenn Selbständige in Zahlungsschwierigkeiten gerieten oder nach einer Geschäftsaufgabe nicht direkt wieder gesetzlich versicherungspflichtig wurden. Da die Privatversicherer bei Zahlungsverzug ein grundsätzliches Recht der Vertragskündigung besitzen (§ 38 VVG), drohte diesen Personen bislang der Verlust des privaten Krankenversicherungsschutzes einschließlich der bis dahin angesparten Altersrückstellungen.26 Letzteres stellt wohl den denkbar ungünstigsten Fall der individuellen Zukunftsvorsorge dar. Für die Betroffenen kann der Verlust des Versicherungsschutzes schwerwiegende Folgen haben. Die Leistungsanbieter rechnen die Kosten für medizinische Behandlungen direkt mit den unversicherten Personen ab, allerdings erstattet in diesem Fall keine Versicherung die Rechnungskosten. Die Höhe der Vergütungen ergibt sich aber trotzdem auf der Grundlage der GOÄ/GOZ. Da die Ärzte auch hier den 2,326 Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass der unternehmensseitige Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts nach § 206 VVG nur gilt, solange der Versicherte seine Versicherungsprämien auch bezahlen kann. Diese Regelung schützt also nur davor, dass sich die Unternehmen ihrer inzwischen krank gewordenen Versicherten durch Vertragskündigung entledigen, nicht jedoch vor Zahlungsunfähigkeit.
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fachen Gebührensatz ansetzen können, zahlen Nichtversicherte im ungünstigsten Fall sogar höhere Beträge als es den Krankenversicherungen für gesetzlich Versicherte in Rechnung gestellt wird. Ausgenommen hiervon sind lediglich Notfallbehandlungen, die die Ärzte nicht verweigern dürfen und für die sie auch das Ausfallrisiko tragen. Über die Folgen von Nichtversicherung liegen in Deutschland kaum gesicherte Erkenntnisse vor. Allerdings zeigen vergleichbare Studien aus den USA übereinstimmend, dass Krankheiten bei Nichtversicherten später erkannt werden, da medizinische Leistungen und Vorsorgeuntersuchungen später und seltener in Anspruch genommen werden. Es ist daher zu vermuten, dass Nichtversicherte öfter Krankheiten verschleppen und häufiger notfallmedizinische Behandlungen in Anspruch nehmen als versicherte Personen (ausführlich zu diesem Problem: Greß/Walendzik/Wasem 2005: 62-66). Mit der Einführung des Basistarifs können zwar möglicherweise akute Krisenzustände bei einzelnen Nichtversicherten vermieden werden, allerdings ist der Basistarif kein besonders günstiger Tarif, da er sich am Maximalbeitrag der GKV (ca. 570 Euro monatlich) orientiert. Sofern ein Versicherter im Basistarif mit dieser Summe überfordert ist, muss die Halbierung der Versicherungsprämie zwar zunächst von den übrigen privat Versicherten getragen werden (siehe hierzu auch Kapitel 3.1.3). Allerdings könnten die finanziellen Belastungen für Menschen, die bereits am Existenzminimum leben, noch immer eine hohe Zugangshürde darstellen (Greß/Walendzik/Wasem 2008: 19). Daher hat für Härtefälle in letzter Konsequenz wieder die Allgemeinheit, hier in Gestalt der Lohnersatzträger, aufzukommen. Positiv ist allerdings bei dieser Lösung, dass der Gesetzgeber die Privatversicherer verpflichten konnte, in Zukunft die Altersrückstellungen im Umfang des Basistarifs anzurechnen. Inwieweit der Basistarif tatsächlich zu einer Wiederversicherung ehemals privat Versicherter führen wird, muss hier offen bleiben, da es für eine seriöse Beurteilung zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch zu früh ist. Die mangelnde Zielgenauigkeit der Systemzuweisung als eigentlicher Ursache des Problems wurde jedoch auch mit dieser Maßnahme nicht behoben. Da die Zuordnung zum System der PKV für Beamte und Selbständige nicht vor dem Hintergrund der finanziellen Leistungsfähigkeit, sondern einzig aufgrund der Statusgruppenzugehörigkeit erfolgt, ist die soziale Inpflichtnahme der Privatversicherer letztlich als notwendige Kurskorrektur einer insgesamt verfehlten und im Sinne des Subsidiaritätsprinzips inkonsequenten Zuweisungspraxis zu verstehen.
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4.2.3
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Die abhängig Beschäftigten – gesetzlich geförderte Risikoselektion
Abhängig Beschäftigte, die aufgrund ihres hohen Einkommens in der GKV versicherungsfrei sind, müssen diese nicht verlassen, sondern können wählen, ob sie sich gesetzlich oder privat versichern möchten. Grundsätzlich gelten diese Wahlfreiheiten auch für alle anderen versicherungsfreien Personengruppen, sofern diese über die notwendigen Vorversicherungszeiten in der GKV verfügen. Die finanziellen Anreizsysteme zum Wechsel in die PKV ändern grundsätzlich nichts an der rechtlichen Option, der GKV beitreten zu dürfen oder ggf. weiterversichert zu bleiben (Bäcker u.a. 2008: 147; Simon 2008: 161). Die Schaffung und Aufrechterhaltung dieses subsidiären Graubereiches zwischen Sozialversicherung und Privatversicherung stellt eine weitere Inkonsequenz der Systemabgrenzung dar. Die Entscheidung für Verbleib oder Wechsel hängt aufgrund der systemspezifischen Beitrags- und Prämienkalkulationen maßgeblich vom Einkommen, Geschlecht, Familienstand, Alter und möglichen Vorerkrankungen ab. „Gute Risiken“ werden dabei eher in die PKV wechseln, während „schlechte Risiken“ als freiwillig Versicherte in der GKV verbleiben werden. Die Selektionsmechanismen wirken dabei auf unterschiedliche Art und Weise. Freiwillig gesetzlich Versicherte zahlen in einem Versicherungssystem mit einkommensabhängigen Beiträgen einen vergleichsweise hohen Versicherungsbeitrag. Mit der Wechseloption in die PKV ergibt sich für diese Personen die Möglichkeit, der solidarischen Umverteilung in der GKV auszuweichen. Da die Prämienkalkulation in der PKV nicht einkommensabhängig sondern risikoabhängig anhand der Merkmale Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen erfolgt, ist es tendenziell für jüngere, männliche und gesunde Menschen attraktiv, in die PKV zu wechseln. Für ältere Menschen ist ein Wechsel in die PKV normalerweise kaum möglich, da sowohl die Anwendung der altersabhängigen Kopfschadenstatistiken als auch die verkürzte Zeit zum Ansparen der Altersrückstellungen eine erhöhte Prämie zu Folge haben. Auch für Menschen mit Vorerkrankungen ist ein Wechsel in die PKV nicht sinnvoll, da sie entweder hohe Risikozuschläge zahlen müssen oder genau die Leistungen, die sie in Zukunft mit der größten Wahrscheinlichkeit benötigen werden, nicht versichern können. Die Selektionsmechanismen wirken auch zwischen den Geschlechtern, da Frauen eine erhöhte Schadenswahrscheinlichkeit aufweisen. So hatten Frauen ohne Beihilfeberechtigung im Jahr 2006 gerade einmal einen Anteil von 12% an allen Vollversicherten in der PKV, wohingegen Männer ohne Beihilfeberechtigung auf 29% kamen
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(Verband der privaten Krankenversicherung 2007b: 12).27 Ähnliche Anreizmechanismen wirken, wenn Familienmitglieder mitversichert werden müssen. Während nicht erwerbstätige Ehepartner und Kinder eines Versicherten in der GKV beitragsfrei mitversichert werden, muss in der PKV für jede versicherte Person eine eigene, am individuellen Versicherungsrisiko orientierte Prämie entrichtet werden. Auch Versicherte mit Familie werden also eher zur GKV tendieren, da hier die finanzielle Mehrbelastung der Familienmitversicherung auf die gesamte Versichertengemeinschaft verteilt wird. Neben der risikoäquivalenten Prämienkalkulation stellt auch die Vertragsfreiheit ein wichtiges Selektionsinstrument dar, mit dessen Hilfe die Aufnahme besonders „schlechter Risiken“ in die PKV-Normaltarife grundsätzlich abgelehnt werden kann. Diese Personen werden dann wieder an die GKV verwiesen. Die ungleichen Ausgangsbedingungen im Kampf um diejenigen Versicherten, die zwischen beiden Systemen wählen können, verschaffen der PKV seit Jahrzehnten einen wesentlichen Marktvorteil gegenüber der GKV. Die Selektionsmechanismen wirken aber nicht nur im Fall eines Wechsels von der GKV in die PKV, sondern auch in umgekehrter Richtung. Wenn z.B. privat versicherte Arbeitnehmer vor Vollendung des 55. Lebensjahres aufgrund eines Arbeitsplatzwechsels oder anderweitiger Einkommenseinbußen wieder unter die Versicherungspflichtgrenze fallen, dann kehren sie als Pflichtversicherte wieder in die Sozialversicherung zurück.28 Je nach Einkommenssituation und individueller Risikodisposition profitieren sie dort möglicherweise wieder von der Einkommensumverteilung, der sie sich selbst zu guten Einkommenszeiten entzogen haben. Grundsätzlich sind hier zwar viele unterschiedliche Einzelfälle und Merkmalskombinationen denkbar, so dass sich unter den Rückkehrern sowohl versicherungstechnisch „gute Risiken“ als auch „schlechte Risiken“ befinden können. Allerdings sind die grundsätzlichen Anreizstrukturen darauf angelegt, die im Sinne des SGB V schutzbedürftigen Personen wieder in die Sozialversicherung zu integrieren (siehe hierzu z.B. die empirische Studie von 27 Unter den beihilfeberechtigten Beamten ist das Geschlechterverhältnis erwartungsgemäß etwas ausgewogener. Hier haben die Frauen einen Anteil von 19%, die Männer einen Anteil von 21% an allen Vollversicherten. Die größere Ausgewogenheit ist vor allem auf die Tatsache zurückzuführen, dass Beamte nicht über dieselben Wahlmöglichleiten wie gut verdienende Arbeitnehmer und Selbständige verfügen. Da ein Verzicht auf die Beihilfeansprüche für die meisten Beamten unabhängig vom Geschlecht ökonomisch irrational wäre, ist das Geschlechterverhältnis hier ausgeglichener. Die fehlenden 19% der Versicherten werden durch die Kinder von Privatversicherten abgedeckt, wobei 10% der Kinder beihilfeberechtigt sind und 9% nicht (Verband der privaten Krankenversicherung 2007b: 12). 28 Sofern die Versicherungspflicht wegen einer Erhöhung der Jahresarbeitsentgeltgrenze eintritt, kann die Person auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit werden (§ 8 SGB V).
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Albrecht/Schiffhorst/Kitzler 2007). Die Fluktuation zwischen den beiden Versicherungssystemen ist größer, als es die statische Betrachtung der reinen Marktanteile im Zeitablauf nahe legt. Zwischen 1991 und 2004 sind insgesamt über 4,51 Millionen Menschen von der GKV in die PKV übergetreten. Im selben Zeitraum sind in umgekehrter Richtung knapp 2,06 Millionen Menschen von der PKV wieder in die soziale Pflichtversicherung gewechselt (BMG 2005: Tab. 9.18). Für das Solidarprinzip in der GKV ist diese Ausgestaltung insofern ein Problem, als dass ausgerechnet die einkommensstärksten Mitglieder der Gesellschaft die Möglichkeit erhalten, sich der solidarischen Umverteilung auf dem Weg der Selbstselektion zu entziehen. Ein Solidarsystem kann jedoch nicht funktionieren, wenn sich die Starken immer in dem Moment zurückziehen, in dem sie gerade stark sind, um dann erneut auf die Hilfe ihrer Mitmenschen zurückzugreifen, wenn sie wieder zu den Schwächeren gehören. Es ist nur allzu gut nachvollziehbar, dass Menschen, die dem Solidargedanken nur bei einer individuell vorteilhaften „Kosten-Nutzen-Bilanz“ etwas abgewinnen können, von der Solidargemeinschaft nicht mit offenen Armen wieder aufgenommen werden. Bisher ist es dem Gesetzgeber allerdings nicht gelungen, diesen subsidiären Graubereich im Sinne klarer – auch klar angewandter – Regeln zu gestalten. Anstatt das Trennungsdenken zu reflektieren und gegebenenfalls zu modifizieren, wurden stets nur kosmetische Korrekturen vorgenommen. So wurden zwar die Handlungskompetenzen der GKV gestärkt, indem immer mehr privatwirtschaftliche Steuerungsinstrumente wie Selbstbehalttarife, Beitragsrückerstattungen, Kostenerstattungstarife, Wahlleistungen etc. eingeführt wurden. Am wichtigsten Instrument der Risikoselektion – der unterschiedlichen Beitragsbzw. Prämienkalkulation bei Fortsetzung des subsidiären Graubereichs – wird jedoch seit Jahren unverändert festgehalten. Damit wird nicht nur die Möglichkeit der Risikoselektion zu Lasten der GKV im Kern beibehalten, sondern auch der Leitgedanke der Solidarität innerhalb der GKV nachhaltig geschwächt. Diese Art der Systemtrennung ist weder Ausdruck einer „Friedensgrenze“ (Greisler 2002: 67) noch eines „Systemwettbewerbs“ (Beutelmann 2001: 81), sondern eine volkswirtschaftlich und versicherungstechnisch bedenkliche Form der Risikoselektion. Der Begriff „Friedensgrenze“ suggeriert, dass die Grenzziehung einem friedvollen und gegenseitigen Einvernehmen zu verdanken ist, die nicht durch „kriegerische“ Interventionen des einen Systems zu Lasten des anderen verschoben werden darf. Der Begriff „Systemwettbewerb“ hingegen legt nicht nur eine ökonomische Fairness nahe, sondern vor allem eine systemübergreifende Effizienzsteigerung, dessen wohlfahrtsoptimierende Wirkung sich
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Konsequent inkonsequent – Die Abgrenzung der Versicherungssysteme
auf die Versichertengemeinschaft beider Systeme erstreckt. Beide Begriffe haben mit der Realität nichts gemeinsam. Von einem friedlichen Nebeneinander der beiden Systeme kann angesichts der hart umkämpften Marktanteile unter ungleichen Wettbewerbsbedingungen natürlich keine Rede sein. Auch das Argument vom „Systemwettbewerb“ überzeugt aus naheliegenden Gründen nicht, da dieser durch Wahlfreiheiten aller Versicherten bei gleichen Ausgangsbedingungen zwischen den Wettbewerbern – also den Systemen – gekennzeichnet sein müsste. Da aber weder für die gesetzlich Pflichtversicherten noch für die Mehrheit der Beamten Wahlfreiheiten hinsichtlich ihres Versicherungssystems bestehen, kann von einem Wettbewerb zwischen den Systemen kaum gesprochen werden. Hinzu kommt, dass der „Systemwettbewerb“ um diejenigen Personen, die tatsächlich Wahlfreiheiten besitzen, unter sehr unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen geführt wird (Jacobs/Schulze 2004: 8-10). Beides zusammen – also „Systemwettbewerb an der Friedensgrenze“ – ist zudem eine offensichtliche Paradoxie, denn eine „Friedensgrenze“, die einem gegenseitigen und friedvollen Einvernehmen zu verdanken ist, kann mit einem „Systemwettbewerb“, dessen genuines Wesen der Konkurrenzkampf ist, augenscheinlich nichts gemeinsam haben. Trotzdem wird von Seiten der PKV die mögliche Erweiterung der Versicherungspflichtgrenze mit dem Hinweis auf die zu beachtende „Friedensgrenze“ zurückgewiesen (Uleer 1990: 372; Boetius/Wiesemann 1998: 29) und der berechtigte Vorwurf der Risikoselektion mit dem Verweis auf den zu fördernden „Systemwettbewerb“ gerechtfertigt (Verband der privaten Krankenversicherung 2005b: 11). Da die verschiedenen Formen der Risikoselektion gegenüber der Solidargemeinschaft kaum mit vernünftigen Argumenten zu rechtfertigen sind, hat der Gesetzgeber in der Vergangenheit die Rückkehrmöglichkeiten einzelner PKVVersichertengruppen immer stärker eingeschränkt. Bereits mit dem GRG von 1988 wurde den älteren privat Versicherten die Rückkehr in die GKV erschwert, was die Privatversicherer mit der Notwendigkeit konfrontierte, eine lebenslange – und damit auch teurere – Tarifkalkulation vorzunehmen (siehe auch Kapitel 3.1.2). Von nun an waren der PKV jedoch immer mehr ältere Menschen zugewiesen, die mit zunehmender Versicherungsdauer faktisch schutzbedürftig wurden. Dass dieses schon nach kurzer Zeit zu erneuten gesetzgeberischen Interventionen – hier zunächst der Einführung des Standardtarifs – führen musste, war abzusehen. Eine weitere Einschränkung hat der Gesetzgeber im Rahmen des GKV-WSG 2007 vorgenommen. Darin wurde geregelt, dass der Bezug von Arbeitslosengeld (ALG) II keine Versicherungspflicht in der GKV mehr auslöst, wenn vor dem Bezug ein privater Krankenversicherungsschutz bestanden hat
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(§5 Abs. 5a SGB V).29 Die allgemeine Versicherungspflicht, der Kontrahierungszwang und die Unterstützungsleistungen der Lohnersatzträger im Basistarif stellen somit das erforderliche sozialpolitische Korrektiv dar, das eine allein auf Risikoäquivalenz und Vertragsfreiheit basierende PKV nicht leisten kann. Durch die partielle Einschränkung der Rückkehrrechte hat der Gesetzgeber zwar bis zu einem gewissen Grad verhindern können, dass die GKV-Solidargemeinschaft von älteren und arbeitslosen privat Versicherten weiter ausgenutzt wird. Allerdings ist es erneut nicht gelungen, die Grundlagen der Systemtrennung einer sachlichen Revision zu unterziehen. In Zukunft werden jedoch auch in der PKV immer mehr Menschen versichert sein, die einen faktischen sozialen Schutzbedarf haben werden.
4.3
Zwischenfazit: Konsequente Inkonsequenz
Die mittlerweile fast 130-jährige Geschichte der deutschen Krankenversicherung ist bis heute durch das Denken in trennenden Kategorien gekennzeichnet. Als zentrale Legitimation dient noch immer der Rekurs auf die soziale Schutzbedürftigkeit bestimmter Statusgruppen. Betrachtet man jedoch die Praxis der Systemtrennung, so ergibt sich zwischen beiden Versicherungszweigen keine erkennbare Ordnung, die sich mit dem Argument der Schutzbedürftigkeit, bzw. der Nicht-Schutzbedürftigkeit rechtfertigen lässt. Die Kriterien, anhand derer der Gesetzgeber seine Einteilung vornimmt, lassen nicht nur einen Bezug zum versicherten Risiko vermissen, sondern werden auch völlig inkonsequent angewandt. So existiert mittlerweile eine Sozialversicherung, in der gut verdienende Arbeitnehmer, Selbständige und vereinzelt sogar Beamte versichert sind, obwohl keine dieser Statusgruppen das im SGB V konkretisierte Kriterium der Schutzbedürftigkeit erfüllt. Trotzdem können diese Personen bei Vorliegen entsprechender Vorversicherungszeiten die Option der freiwilligen Versicherung in der GKV wählen. Auf der anderen Seite sind in der Privatversicherung ebenfalls alle möglichen Berufs- und Einkommensgruppen vertreten. Beamte und Selbständige sind hier ebenso zu finden wie Arbeitnehmer, Rentner, Stu29 Bislang wurden privat Versicherte im Fall von Arbeitslosigkeit wieder in der GKV versicherungspflichtig (§5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V alt). Allerdings konnten sich diese Personen auf Antrag von der Pflichtversicherung befreien lassen, sofern sie in den letzten Jahren vor dem Bezug von Lohnersatzleistungen nicht gesetzlich versichert waren und einen substitutiven privaten Krankenversicherungsschutz besaßen (§8 Abs. 1 Nr. 1a SGB V alt). Die Versicherung von Arbeitslosen in der PKV war somit rein rechtlich auch bisher schon möglich. Der Unterschied zur Neuregelung besteht jedoch darin, dass der Weg zurück in die GKV nun stark eingeschränkt ist.
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Konsequent inkonsequent – Die Abgrenzung der Versicherungssysteme
denten und Arbeitslose. Insgesamt sind in der PKV zwar noch immer überwiegend wohlhabendere oder zumindest gut alimentierte Personen versichert, allerdings trifft das längst nicht auf alle Versicherten zu. Dieses Problem wird mittlerweile auch von den Interessenvertretern der PKV wahrgenommen. In einem Artikel von Genett, Büroleiter des PKV-Verbandsdirektors, heißt es dazu: „Die heterogenen Einkommensverhältnisse im Selbständigen- und Beamtenbereich, aber auch die Privatversicherten ohne Einkommen wie zum Beispiel Kinder und Partner [...] relativieren erheblich die These vom „privat versicherten Besserverdiener“. Gut die Hälfte der Privatversicherten verdient unterhalb/bis zum Durchschnittseinkommen (ca. 2500 Euro/Monat), siebzig Prozent unterhalb/bis zur Beitragsbemessungsgrenze der Krankenversicherung (2007: 3563 Euro/monatlich).“ (Genett 2009: 139)
Weder die Abgrenzung über den Berufsstatus noch die Abgrenzung über die Einkommenshöhe folgt irgendeiner erkennbaren Sachlogik. Sie scheint einzig dem Zweck zu dienen, der PKV einen bestandssichernden Zulauf an Neukunden zu gewährleisten und gleichzeitig die Möglichkeiten der Risikoselektion aufrecht zu erhalten. Würde man jedoch – wie in allen anderen Mitgliedsstaaten der EU üblich – die soziale Schutzbedürftigkeit aller Bürger anerkennen und als gleichwertig erachten, wäre die Segmentierung des Versicherungsmarktes weder aus solidarischer noch aus wettbewerblicher Perspektive zu rechtfertigen (Böckmann 2009: 84-85). Dass das duale System aus solidarischer Perspektive kritisiert wird, ist angesichts seiner entsolidarisierenden Anreizstrukturen wenig verwunderlich. Allerdings kommt ein immer stärker werdender Teil der Kritik ausgerechnet von wettbewerbsorientierten Ökonomen, die sich in ihrer Grundhaltung für ein stärker marktwirtschaftliches, aber regulativ eingebettetes Versicherungssystem einsetzen. So kritisiert z.B. Henke (2004: 31), das duale Versicherungssystem habe „mit Wettbewerb nichts zu tun“. Auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2008: 396) spricht in diesem Zusammenhang von „allokativen und distributiven Verwerfungen“ als Folge einer „wenig sinnvollen und versicherungsökonomisch nicht begründbaren Trennung der Versichertenkreise“. Abgesehen von den unzureichend begründeten und inkonsequent angewandten Abgrenzungskriterien hat sich in der Praxis immer wieder gezeigt, dass der Zuweisungsmodus insgesamt zu statisch ist. Auch bei privat Versicherten kann sich die individuelle Leistungsfähigkeit durch plötzliche Arbeitslosigkeit, unerwartete Insolvenz, sonstige Einkommensverluste oder das altersbedingte Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verändern. Angesichts der Langfristigkeit der Versicherungsverträge lässt sich kaum vermeiden, dass auch in der PKV immer wieder faktische soziale Schutzbedürftigkeit entstehen kann. Die tiefgrei-
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fenden Veränderungen der Arbeitswelt und der individuellen Erwerbsbiographien sowie die abnehmende Vorhersehbarkeit ökonomischer und sozialer Veränderungen lassen die Systemtrennung immer fragwürdiger erscheinen. Das unreflektierte Festhalten an der subsidiären Verantwortungszuweisung offenbart hier bereits eine gewisse Paradoxie: Je komplexer die Wechselwirkungen und je stärker die gegenseitigen Abhängigkeiten unseres Handelns sind, desto weniger lässt sich Verantwortung individuell zuweisen. Anstatt jedoch der wachsenden Unsicherheit der Arbeits- und Lebensbedingungen mit einer stärkeren sozialen Abfederung individueller Risiken zu begegnen, wird hierzulande unverändert an der Zuweisung von „Eigenverantwortung“ festgehalten. Dabei wäre es zunächst einmal ratsam, die Vorraussetzungen zu klären, unter denen eine Person verantwortlich gemacht werden kann. Erst wenn Handlungsfolgen vorhersehbar, gegebenenfalls kontrollierbar und bei erwarteten negativen Konsequenzen auch vermeidbar sind, erscheint eine Zurechnung von Verantwortung legitim (Günther 2002: 118, 126; allgemein zum Verantwortungsdiskurs im Sozial- und Gesundheitswesen siehe Aust u.a. 2006; Heidbrink 2003; Kaufmann 2006; Nullmeier 2006; Schmidt 2008). Die Existenz der PKV wird jedoch noch immer mit dem Subsidiaritätsprinzip gerechtfertigt, demzufolge die privat Versicherten „eigenverantwortlich“ für ihren Krankenversicherungsschutz sorgen sollen. Würde man dieses „Prinzip“ tatsächlich im Sinne eines Grundsatzes anwenden, dann müssten die privat Versicherten einschließlich ihrer Familien auch die Risiken des privaten Versicherungsmarktes tragen. So verstanden würde Subsidiarität nämlich auch ein möglicherweise eingeschränktes Versorgungsniveau, finanzielle Einschnitte oder den Verlust des Versicherungsschutzes mit einschließen. „Eigenverantwortung“ würde dann – ganz im Gegensatz zum Eigennutz – bedeuten, dass die Individuen nicht nur die erwarteten Vorteile der privaten Krankenversicherung in Anspruch nehmen, sondern auch die möglichen Nachteile. Die sozialpolitische Realität zeichnet jedoch ein völlig anderes Bild, denn von individueller Verantwortung kann in der PKV keine Rede sein. Da die negativen Folgeerscheinungen des privaten Versicherungsmarktes regelmäßig zu Ergebnissen führen, die offensichtlich nicht erwünscht sind, muss die soziale Verantwortung für ein ethisch vertretbares Sicherungsniveau immer wieder von unbeteiligten Dritten übernommen werden. Diese Problematik gehört unter dem Stichwort „Trittbrettfahrerverhalten“ zum einführenden Standardrepertoire der gesundheits- und versicherungsökonomischen Basisliteratur und dient üblicherweise als Legitimation für die Einführung einer Pflichtversicherung (Herder-Dorneich 1994: 647-648; Breyer u.a. 2005: 183-185; Breyer/Buchholz 2009: 202-207). Sämtli-
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Konsequent inkonsequent – Die Abgrenzung der Versicherungssysteme
che Spielarten eines solchen Trittbrettfahrerverhaltens lassen sich auch an der PKV demonstrieren. Die Beamten können sich über die gesamte Versicherungsdauer auf die Steuerzahler verlassen, die bisher Nichtversicherten können im Basistarif letztendlich wieder auf die Lohnersatzträger vertrauen und alle Personen, die zu einem späteren Zeitpunkt eine abhängige Beschäftigung unterhalb der Versicherungspflichtgrenze annehmen, kehren erneut in die Solidargemeinschaft der GKV zurück. Da die Privatisierung des Nutzens bei gleichzeitiger Sozialisierung der Kosten aber kaum noch vermittelbar ist, sieht sich der Gesetzgeber immer häufiger gezwungen, innerhalb der PKV nach Lösungen zu suchen. Dem faktischen Schutzbedürfnis der Privatversicherten wurde daher durch die zunehmende Regulierung der PKV Rechnung getragen. Die vielen gesetzgeberischen Interventionen sind dabei keineswegs als Auswüchse einer überbordenden Regulierungswut zu betrachten. Vielmehr sind sie indirekte Anerkennung des faktischen Schutzbedürfnisses und zugleich prägnanter Ausdruck der sozialpolitischen Verantwortung des Gesetzgebers für alle Bürger dieses Landes. Es gehört jedoch zu den Paradoxien dieser Zuweisungspraxis, dass die sozialpolitischen Korrekturen unerwünschter Ergebnisse in der PKV seit Jahren mit einem unreflektierten Festhalten am subsidiären Leitgedanken einhergehen. Für die politischen Entscheidungsträger ergibt sich dadurch eine immer wiederkehrende Konfliktlinie: Einerseits ist ein Mindestmaß sozialpolitischer Interventionen in das Geschäftsfeld der Privatversicherer erforderlich, um bestimmte soziale Ziele wie bezahlbaren Versicherungsschutz oder barrierefreien Zugang zur PKV zu ermöglichen. Andererseits stößt diese gesetzgeberische Verantwortungsübernahme regelmäßig auf erbitterten Widerstand der Interessenvertreter, da jede Form sozialpolitischer Regulierung – hier verstanden als Abweichung von Risikoäquivalenz und Vertragsfreiheit – das betriebswirtschaftliche Ziel der Gewinnmaximierung gefährdet. Verbesserungen sind daher oft nur durch hart erstrittene Kompromisse zu erzielen, die über das Niveau kosmetischer Veränderungen nicht hinauskommen.
4.4 4.4.1
Die private Krankenversicherung in schlechter Verfassung? Der Verfassungsrekurs als Verteidigungsstrategie der PKV
Für die etablierten PKV-Unternehmen bedeuten die bis heute gepflegten Spielregeln eine überaus komfortable Marktposition, die bisher vehement und erfolgreich verteidigt wurde. Die wichtigsten Ziele der privaten Versicherungsbranche
Konsequent inkonsequent – Die Abgrenzung der Versicherungssysteme
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bestehen hinsichtlich des Verhältnisses zur GKV darin, a) die Systemtrennung aufrecht zu erhalten, b) das Neukundengeschäft auszuweiten sowie c) das bisherige Geschäftsmodell mit Risikoäquivalenz und Vertragsfreiheit zu verteidigen. Allen sozialpolitischen Regulierungen zum Trotz ist es dem PKV-Verband bisher weitgehend gelungen, diese drei Kernelemente vor politischen Interventionen zu schützen. Die Abgrenzung zwischen GKV und PKV war zwar immer wieder Veränderungen unterworfen, an der Grenze selbst wurde jedoch bis heute festgehalten. Auch um einen ausreichenden Zulauf an Neuversicherten brauchte sich die PKV bislang keine Sorgen zu machen, denn seit über drei Jahrzehnten hat sie ihren Versichertenbestand kontinuierlich ausweiten können. Die wichtigsten Instrumente der Risikoselektion – Vertragsfreiheit und Risikoäquivalenz – konnten ebenfalls bis heute verteidigt werden, so dass im Neukundengeschäft die ungleichen Ausgangsbedingungen gegenüber der GKV weiterhin fortbestehen. Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass die Interessenvertreter der privaten Versicherungsbranche bisher alles daran gesetzt haben, am Status Quo möglichst nichts zu ändern. Eine der wichtigsten Verteidigungsstrategien besteht seit Mitte der 1970er Jahre darin, sozialpolitische Interventionen in das „angestammte“ Geschäftsfeld der Privatversicherer als verfassungsrechtlich unzulässig darzustellen. Zu diesem Zweck hat der Verband wiederholt Staats- und Verfassungsrechtler mit Gutachtertätigkeiten beauftragt, die diese Interessenpolitik mit verfassungsrechtlichen Argumenten untermauern sollten (Leisner 1974; Papier 1992; Depenheuer 2006; Thüsing/Kämmerer 2006; Sodan 2006).30 Die verfassungsrechtlichen Argumentationen zielen im Wesentlichen darauf ab, an der Auffassung eines nicht schutzbedürftigen Personenkreises festzuhalten, so dass sich der sozialpolitische Gestaltungsauftrag des Gesetzgebers nach Art. 20 Abs. 1 GG bestenfalls auf den Bereich der Sozialversicherung zu erstrecken hat. Für die PKV hingegen soll ein Bereich des autonomen und durch verfassungsrechtliche Freiheiten geschützten Privatversicherungsrechts gelten, in dem die Versicherer weitgehend ungestört agieren können. Ein weiteres Diskursfeld, in dem ebenfalls mit verfassungsrechtlichen Bandagen gekämpft wird, ist das Beihilfe- und Beamten30 In den Jahreszahlen dieser Veröffentlichungen spiegeln sich bereits die verschiedenen direkten und indirekten Eingriffe in den Marktbereich der PKV wider. Bis Mitte der 1970er Jahre war es die Ausdehnung der Versicherungspflicht in der GKV, 1992 die Diskussion um die Organisation der Pflegeversicherung sowie der Abschied vom berufsständischen Zuweisungssystem innerhalb der GKV durch die Einführung des Kassenwettbewerbs, 2003 die von Teilen der „Rürup-Kommission“ angestoßene Diskussion um die Einführung eines einheitlichen Krankenversicherungsmarktes und 2006 die ersten Reformpläne zu Versicherungspflicht, Kontrahierungszwang und Basistarif im Rahmen des GKV-WSG.
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Konsequent inkonsequent – Die Abgrenzung der Versicherungssysteme
recht. Sofern es um die mögliche Einbeziehung der Beamten in die Sozialversicherung geht und deren Privilegien zur Disposition gestellt werden, verweisen Verfassungsrechtler gerne auf die sogenannten „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“ in Art. 33 Abs. 5 GG, denen zufolge solche Maßnahmen nicht verfassungskonform seien (z.B. Leisner 1978; Zipperer 2003). Die häufige Bezugnahme auf das Verfassungsrecht drückt vor allem das Bestreben aus, der eigenen Existenz eine verfassungsrechtliche Legitimation zu geben, die über legislative Sozialstaatsinterventionen erhaben ist. Auch wenn diese Debatte letztlich wohl zu stark an verfassungsrechtlichen Argumenten orientiert ist, verdient sie aus zwei Gründen besondere Aufmerksamkeit. Erstens werden verfassungsrechtliche Einwände zwar oftmals vorgeschoben, um missliebige Reformen abzuwenden, völlig bedeutungslos sind sie jedoch nicht. Grundsätzlich besitzt der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Sozialstaats einen sehr weiten Ermessensspielraum, der auch vom Bundesverfassungsgericht immer wieder bekräftigt worden ist (siehe unten). Allerdings muss er dabei auch beachten, dass sich Reformen stets vor dem Hintergrund konkreter sozialstaatlicher Gegebenheiten und bestehender Bestandsschutzrechte vollziehen. Zweitens stellt die permanente Bezugnahme auf angebliche Grundrechtsverletzungen eine der wesentlichen Strategien der Interessenvertretung dar. Allerdings sind auf diesem Wege gewonnene Rechtsauffassungen stets an ihre Grenzen gestoßen, wenn konkrete Streitfragen tatsächlich vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt wurden. 4.4.2
Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur PKV
Da in jüngerer Vergangenheit fast alle sozialpolitischen Interventionen in das „angestammte“ Geschäftsmodell der PKV vor dem Bundesverfassungsgericht beklagt worden sind, gibt es mittlerweile einige wegweisende Urteile und konkretisierende Klarstellungen der Bundesverfassungsrichter. Entscheidend für die Weiterentwicklung der PKV sind hierbei vor allem die Urteilsbegründungen. Als Grundrechtsträger kommen sowohl einzelne privat Versicherte (natürliche Personen) als auch die privaten Versicherungsunternehmen (juristische Personen) in Frage. Auf einige richtungsweisende Urteile des Bundesverfassungsgerichts soll im Folgenden eingegangen werden, da sie im Rahmen der hier zu behandelnden Fragestellungen von Bedeutung sind und möglicherweise für die Zukunft handlungsleitend sein können. Die Klagen richteten sich a) gegen die Variationen der Versicherungspflichtgrenze, b) gegen die Einführung einer allgemeinen Versicherungspflicht in der privaten Pflegeversicherung sowie c)
Konsequent inkonsequent – Die Abgrenzung der Versicherungssysteme
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gegen die Einführung des Basistarifs nebst Kontrahierungszwang und Versicherungspflicht im privaten Krankenversicherungsgeschäft. Variationen der Versicherungspflichtgrenze Im Rahmen des Beitragssatzsicherungsgesetzes (BSSichG) 2002 hatte der Gesetzgeber die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze von 40.500 Euro/Jahr (2002) auf 45.900 Euro/Jahr (2003) beschlossen. Im Sinne des Bestandsschutzes wurde für Personen, die Ende 2002 aufgrund des Überschreitens der Versicherungspflichtgrenze bereits privat versichert waren, die Grenze jedoch nur auf 41.400 Euro/Jahr angehoben, so dass die Belange der PKV-Bestandsversicherten von der stärkeren Anhebung der Versicherungspflichtgrenze kaum betroffen waren. Gegen diese Regelungen hatte die DKV Deutsche Krankenversicherung AG Verfassungsbeschwerde eingelegt und sich dabei auf Art. 12 Abs.1 GG (Berufsfreiheit) und Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsschutz) berufen, weil den Privatversicherern durch diese Maßnahme eine große Zahl potentieller Neuversicherter verloren ginge und diese Regelung unverhältnismäßig sei. Im Februar 2004 haben die Bundesverfassungsrichter einstimmig beschlossen, die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen, da erstens die klagende Versicherung nicht Adressat der gesetzlichen Neuregelung sei (BVerfG 2004: Rdnr. 13), zweitens die Frage keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung erlange (BVerfG 2004: Rdnr. 14) und drittens das Grundrecht der Berufsfreiheit keinen Anspruch auf Sicherung zukünftiger Erwerbsmöglichkeiten erfasse (BVerfG 2004: Rdnr. 15). Darüber hinaus haben die Verfassungsrichter in ihrer Begründung allerdings noch einige grundsätzliche Aspekte zur Bedeutung der GKV und der Kompetenz des Gesetzgebers ausgeführt. So sei die Anhebung der Versicherungspflichtgrenze eine von mehreren Maßnahmen zur Sicherung der finanziellen Stabilität in der GKV gewesen. Die damit einhergehende Funktionsfähigkeit der GKV bezeichneten die Richter unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „besonders wichtiges Gemeinschaftsgut“. Sofern die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung auf dem Wege eines Sozialversicherungssystems erreicht werden solle, stelle auch dessen Finanzierbarkeit einen „überragend wichtigen Gemeinwohlbelang“ dar. Von diesem dürfe sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Sozialversicherung leiten lassen (BVerfG 2004: Rdnr. 24). Auch sei die Stabilität des GKV-Systems kein Selbstzweck. Die Absicherung der als sozial schutzbedürftig angesehenen Versicherten vor den finanziellen Risiken einer Erkrankung könne sich auf den
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Konsequent inkonsequent – Die Abgrenzung der Versicherungssysteme
sozialen Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken, zwischen Versicherten mit niedrigen und höheren Einkommen sowie zwischen Alleinstehenden und Personen mit unterhaltsberechtigten Familienangehörigen stützen. Um dies zu gewährleisten, könne der Gesetzgeber den Mitgliederkreis von Pflichtversicherungen so abgrenzen, wie er es für die Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft für erforderlich halte (BVerfG 2004: Rdnr. 25). Zugleich wiesen die Bundesverfassungsrichter darauf hin, dass die geltende Versicherungspflichtgrenze die Schutzbedürftigkeit eher unter- als überschätzt: „Gemessen an den versicherten Risiken dürfte der Kreis der Schutzbedürftigen mit der Versicherungspflichtgrenze eher zu eng als zu weit gezogen worden sein. Da es an der Möglichkeit der beitragsfreien Mitversicherung von Familienangehörigen in der privaten Krankenversicherung fehlt und dort zusätzlich eine Risikoselektion stattfindet, ist die private Krankenversicherung für besserverdienende ältere Arbeitnehmer mit familiären Unterhaltsverpflichtungen ohnedies zu teuer.“ (BVerfG 2004: Rdnr. 27)
Insgesamt dürfte der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers mit einer solchen Begründung eher gestärkt als geschwächt worden sein. Allerdings haben die Richter auch argumentiert, dass die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze das duale Versicherungssystem nicht grundsätzlich verändere. Weder seien abhängig Beschäftigte vom Zugang zur PKV generell ausgeschlossen, noch sei die Versicherung von Beamten und Selbständigen tangiert. Auch auf das Geschäft mit Zusatzversicherungen habe die Regelung keine Auswirkungen (BVerfG 2004: Rdnr. 21). Daraus lässt sich zwar nicht ableiten, dass all diese Merkmale per se verfassungsrechtlich geschützt seien, allerdings dürften weitergehende Interventionen wohl eine erneute verfassungsrechtliche Prüfung erforderlich werden lassen. Im Rahmen des GKV-WSG hatte der Gesetzgeber im Jahr 2007 erneut beschlossen, den Zugang zur PKV für abhängig Beschäftigte zu erschweren, da diese erst in die PKV wechseln können, wenn die Jahresarbeitsentgeltgrenze in drei aufeinanderfolgenden Jahren überschritten wird (siehe Kapitel 2.2). Auch diese Regelung wurde – wie auch alle anderen die PKV betreffenden Maßnahmen des GKV-WSG (siehe unten) – von fünf Versicherungsunternehmen und drei privat Versicherten vor dem Bundesverfassungsgericht beklagt. Eine beschwerdeführende Privatperson machte die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG geltend, die durch die Dreijahresfrist in unzulässiger Weise beschnitten sei. Die Versicherungsunternehmen bezogen sich erneut auf die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG, da ihnen ein Teil des Neukundengeschäfts entgehe und die Gesetzesregelung einen verfassungswidrigen Eingriff in das Grundrecht auf freie Berufsausübung darstelle. Auch in diesem Fall haben
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die Verfassungsrichter – allerdings nur mit knapper 5:3-Mehrheit – die Rechtmäßigkeit des gesetzgeberischen Eingriffs bestätigt und klargestellt, dass die Dreijahresfrist weder die Handlungsfreiheit der Privatperson noch die Berufsfreiheit der Unternehmen in unzulässiger Weise verletze (BVerfG 2009: Rdnr. 228 und 235). Das Bundesverfassungsgericht hielt die Dreijahresfrist für zumutbar, da der Gesetzgeber lediglich den Zeitraum verlängert habe, innerhalb dessen die wechselwilligen Versicherten in der GKV verbleiben müssten. Die Erwägungen des Gesetzgebers hielten die Verfassungsrichter für gerechtfertigt: Damit sollen insbesondere Beschäftigte, welche zuvor unter Umständen jahrzehntelang als beitragsfrei Familienversicherte, als Auszubildende oder Berufsanfänger mit geringem Arbeitsentgelt von den Leistungen der Solidargemeinschaft profitiert haben, bei ihrem erstmaligen Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze für einen gewissen Zeitraum weiterhin an die Solidargemeinschaft gebunden werden [...]. Das ist eine Erwägung, die eine gewisse zeitliche Ausweitung des Solidarausgleichs zwischen den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung mit höherem und niedrigerem Einkommen rechtfertigt.“ (BVerfG 2009: Rdnr. 231)
Wenn das Bundesverfassungsgericht hier von der Rechtmäßigkeit einer „gewissen zeitlichen Ausweitung“ spricht, so bedeutet dies auch, dass eine beliebige zeitliche Ausweitung oder gar eine völlige Einschränkung des Zugangs aus verfassungsrechtlicher Perspektive möglicherweise problematisch sein könnte. Die Bundesverfassungsrichter machten gleichsam klar, dass die Verlängerung zwar durchaus in die Berufsfreiheit eingreife, da den Privatversicherern temporär der Kundenkreis eingeschränkt werde. Allerdings sei dieser Grundrechtseingriff „aus hinreichend gewichtigen Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt“, zumal der Versicherungsbestand der privaten Krankenversicherungsunternehmen hiervon unberührt bleibe und Beamte, Freiberufler und Selbständige, für die sich keine Einschränkungen beim Zugang zur privaten Krankenversicherung ergäben, von der Neuregelung überhaupt nicht betroffen seien (BVerfG 2009: Rdnr. 236 und 237) Insgesamt lassen sich die Begründungen im Hinblick auf die Grenzziehung zwischen GKV und PKV dahingehend interpretieren, dass der Gesetzgeber zwar grundsätzlich einen weiten Ermessensspielraum bei der Gestaltung der Sozialversicherung besitzt, er die gegeben Strukturen sowie die Grundrechte der privat Versicherten und der Versicherungsunternehmen aber nicht in unverhältnismäßiger Weise einschränken darf. Neben den hier skizzierten Abgrenzungsfragen gab es in jüngerer Vergangenheit aber noch zwei weitere wichtige Urteile, die sich auf die Einführung der Pflegeversicherung Mitte der 1990er Jahre sowie die Einführung des Basistarifs im Jahr 2009 beziehen.
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Die Einführung der privaten Pflegeversicherung Am 3. April 2001 hatte das Bundesverfassungsgericht über die Frage zu entscheiden, ob Personen, die in der PKV freiwillig gegen das Krankheitsrisiko versichert sind, gesetzlich zum Abschluss eines privaten Pflegeversicherungsvertrages verpflichtet werden können. Geklagt hatte eine privat gegen das Krankheitsrisiko versicherte Rechtsanwältin, die eine Versicherungspflicht in der Pflegeversicherung als unzulässigen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG angesehen hatte. Es sei, so die Klage, mit diesem Grundrecht unvereinbar, in die private Pflegepflichtversicherung gezwungen zu werden und auch über die Art der Absicherung nicht frei entscheiden zu können (BVerfG 2001a: Rdnr. 45 und 47). Die Verfassungsbeschwerde wurde vom Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls zurückgewiesen. Die Richter stellten klar, dass der Gesetzgeber eine im Grundsatz alle Bürger umfassende Volksversicherung einrichten durfte, um die notwendigen Mittel für die Pflege hilfebedürftiger Menschen auf der Grundlage einer Pflegeversicherung sicherzustellen (BverfG 2001a: Leitsatz 2). Der mit der gesetzlichen Versicherungspflicht verbundene Eingriff in das Grundrecht allgemeiner Handlungsfreiheit nach Art 2 Abs. 1 GG sei verfassungsgemäß (BVerfG 2001a: Leitsatz 3). Entscheidend für die Rechtmäßigkeit des Grundrechtseingriffs sei die Tatsache, dass der Gesetzgeber mit seinen Maßnahmen legitime Zwecke des Gemeinwohls verfolge und der Eingriff dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entspräche (BVerfG 2001a: Rdnr. 84). Hierzu führt das Bundesverfassungsgericht unter Bezugnahme auf die Würde des Menschen (Art.1 Abs. 1 GG) aus: „Die Fürsorge für Menschen, die vor allem im Alter zu den gewöhnlichen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens aufgrund von Krankheit und Behinderung nicht in der Lage sind (vgl. § 14 Abs. 1 SGB XI), gehört im Geltungsbereich des Grundgesetzes zu den sozialen Aufgaben der staatlichen Gemeinschaft (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG). Dem Staat ist die Wahrung der Würde des Menschen in einer solchen Situation der Hilfsbedürftigkeit besonders anvertraut (Art. 1 Abs. 1 GG). Soweit der durch die Pflegebedürftigkeit hervorgerufene Hilfsbedarf finanzielle Aufwendungen notwendig macht, ist es ein legitimes Konzept des zur sozialpolitischen Gestaltung berufenen Gesetzgebers, die dafür notwendigen Mittel auf der Grundlage einer Pflichtversicherung sicherzustellen [...], die im Grundsatz alle Bürger als Volksversicherung erfasst. (BVerfG 2001a: Rdnr. 85)
Die Verfassungsrichter haben den Eingriff in die Handlungsfreiheit der Beschwerdeführerin aber nicht nur mit dem grundlegendsten aller Verfassungsrechte gerechtfertigt, sondern auch grundsätzliche Aspekte zum Wesen der Privatversicherung geklärt. Die private Pflegeversicherung weicht in den Punkten
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Versicherungspflicht, Kontrahierungszwang und Vertragsgestaltung wesentlich vom traditionellen Geschäftsmodell der privaten Krankenversicherung mit Vertragsfreiheit und Risikoäquivalenz ab. Dass die Gestaltungsmerkmale der Pflegeversicherung grundsätzlich mit dem Privatversicherungsrecht vereinbar seien, stellten die Richter unmissverständlich klar. Die Zuordnung der privaten Pflegeversicherung zum privatrechtlichen Versicherungswesen sei nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Zustandekommen der Versicherungsverträge auf einer gesetzlich angeordneten Versicherungspflicht beruhe (BVerfG 2001a: Rdnr. 75). Auch der Kontrahierungszwang widerspreche nicht dem Begriff des privatrechtlichen Versicherungswesens; entsprechendes gelte für die Vorschriften zur Aufrechterhaltung des Pflegeversicherungsschutzes (BVerfG 2001a: Rdnr. 76). Ebenfalls stehe die Regulierung der Vertragsinhalte nicht der Zuordnung zum privatrechtlichen Versicherungswesen entgegen (BVerfG 2001a: Rdnr. 77). Im September 2001 hatte das Bundesverfassungsgericht in einem weiteren Fall darüber zu entscheiden, ob der Gesetzgeber beihilfeberechtigte Personen zum Abschluss eines ergänzenden Pflegeversicherungsvertrages bei einem privaten Versicherungsunternehmen (§ 23 Abs. 1, 3 und 4 SGB XI) verpflichten durfte. Während sich die Beschwerdeführerin im zuvor beschriebenen Fall jedoch auf die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG berufen hatte, machte der (beihilfeberechtigte) Beschwerdeführer eine Verletzung des Art. 33 Abs. 5 GG (Berufsbeamtentum) geltend. Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, da ihr keine grundlegende verfassungsrechtliche Bedeutung beikommt (BVerfG 2001b: Rdnr. 1 und 2). Auch in diesem Fall haben die Bundesverfassungsrichter die Kompetenz des Gesetzgebers unterstrichen und auf ihr Urteil vom 3. April 2001 verwiesen, demzufolge die konkrete Ausgestaltung der privaten Pflegeversicherung durch die Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG gedeckt sei (BVerfG 2001b: Rdnr. 19). Zu den hergebrachten Gründsätzen des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) haben die Bundesverfassungsrichter unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung zudem klargestellt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich nicht in seinen aus Art. 33 Abs. 5 GG abzuleitenden Rechten auf amtsangemessene Alimentation und auf Fürsorge des Dienstherrn verletzt sei (BVerfG 2001b: Rdnr. 7). Das Alimentationsprinzip verpflichte den Gesetzgeber, für den Unterhalt des Beamten und seiner Familie zu sorgen. Dabei habe er die Alimentation so zu bemessen, dass sie nach Dienstrang, Bedeutung und Verantwortung des Amtes und entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse angemessenen Lebensunterhalt gewährt. Art. 33 Abs.
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5 GG räume dem Gesetzgeber in der Frage, welcher Lebensunterhalt angemessen sei, einen weiten Ermessensspielraum ein (BVerfG 2001b: Rdnr. 8). Wörtlich betonten die Bundesverfassungsrichter: „Das gegenwärtige System der Beihilfegewährung gehört nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums und könnte jederzeit geändert werden, ohne dass Art. 33 Abs. 5 GG berührt wäre. Dementsprechend besteht auch keine spezielle verfassungsrechtliche Verpflichtung, den Beamten und Versorgungsempfängern für Krankheitsfälle und Ähnliches Unterstützung gerade in Form von Beihilfen im Sinne der Beihilfevorschriften oder gar von solchen Beihilfen in bestimmter Höhe zu gewähren.“ (BVerfG 2001b: Rdnr. 9)
Darüber hinaus stellten die Richter klar, dass eine solche Pflicht auch nicht aus den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums herzuleiten sei. Die beamtenrechtliche Alimentation wäre erst dann nicht mehr ausreichend, wenn die erforderlichen Krankenversicherungsprämien einen solchen Umfang erreichten, dass der angemessene Lebensunterhalt des Beamten oder Versorgungsempfängers nicht mehr gewährleistet wäre. Selbst bei einer solchen Sachlage wäre verfassungsrechtlich nicht eine Anpassung der Beihilfesätze, sondern eine entsprechende Korrektur der Besoldungs- und Versorgungsgesetze geboten (BVerfG 2001b: Rdnr. 9). Zudem machten die Bundesverfassungsrichter deutlich, dass nicht nur der Umfang der Beihilfen, sondern auch die Art und Weise, wie der Gesetzgeber seine Fürsorgepflicht wahrnimmt, einem weiten Ermessensspielraum unterliegt: „Kraft seiner Fürsorgepflicht muss der Dienstherr Vorkehrungen treffen, dass der amtsangemessene Lebensunterhalt des Beamten bei Eintritt besonderer finanzieller Belastungen durch Krankheits-, Geburts- oder Todesfälle nicht gefährdet wird. Ob er dieser Pflicht über eine entsprechende Bemessung der Dienstbezüge, über Sachleistungen, Zuschüsse oder in sonst geeigneter Weise Genüge tut, bleibt von Verfassungs wegen seiner Entscheidung überlassen.“ (BVerfG 2001b: Rdnr. 10)
Letztlich beziffert Art. 33 Abs. 5 GG weder den genauen Umfang der Alimentationsverpflichtungen, noch enthält er irgendeine Aussage darüber, wie der Kranken- oder Pflegeversicherungsschutz der Beamten konkret ausgestaltet sein soll. Auch die Kombination aus Beihilfe und ergänzender privater Risikoversicherung ist nicht durch Art. 33 Art. 5 GG geschützt. Im ersten der beiden hier vorgestellten Fälle vom 3. April 2001 hatte der Verband der privaten Krankenversicherung in der mündlichen Verhandlung Stellung bezogen und entgegen der Beschwerdeführerin die Auffassung vertreten, dass die Einführung der Pflegeversicherung formell und materiell mit dem Grundgesetz vereinbar sei (BVerfG 2001a: Rdnr. 64 und 65). Diese Einschätzung war durchaus zu erwarten, denn die Neugründung der Pflegeversicherung erfolgte 1995 als politische Kompromisslösung und im Einvernehmen mit der
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privaten Versicherungsbranche. Damals wirkten zwei entscheidende Aspekte dieser Lösung stabilisierend auf die PKV. Erstens war ihnen qua Gesetz ein weiteres Betätigungsfeld zugewiesen, dem die PKV-Bestandsversicherten aufgrund der Pflegeversicherungspflicht nicht ausweichen konnten. Eine vergleichbare Erhöhung des Geschäftsvolumens hätte sich allein auf dem Wege freiwilliger Vertragsabschlüsse kaum realisieren lassen. Zweitens wurde mit dem institutionellen Grundsatz „Pflegeversicherung folgt Krankenversicherung“ die Systemgrenze für einen weiteren Bereich der sozialen Sicherung fortgeschrieben und gefestigt. Allerdings war die bisherige verfassungsrechtliche Argumentation von nun an aus zwei Gründen wesentlich geschwächt. Zum einen war es nicht mehr möglich, die Grundsätze der Vertragsfreiheit und der Risikoäquivalenz als alleinige Merkmale der Privatversicherung zu verteidigen, denn offensichtlich war trotz Versicherungspflicht, Kontrahierungszwang und Mindestsicherungsniveau die Rechtsform der Unternehmen noch immer dieselbe wie zuvor. Zum anderen erfolgte durch die Verankerung der sozialpolitischen Elemente in der privaten Pflegeversicherung eine indirekte Anerkennung der Schutzbedürftigkeit der privat Versicherten. Da das materielle Risiko im Krankheitsfall aber wesentlich höher ist als im Pflegefall, verlor das Argument der Nichtschutzbedürftigkeit in der Krankenversicherungssparte deutlich an Überzeugungskraft. Sofern sich die Gestaltung der privaten Pflegeversicherung bereits auf das Kriterium der allgemeinen Schutzbedürftigkeit berufen konnte, war es von nun an auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive immer schwerer zu rechtfertigen, dass exakt dieselben Personen im sehr viel teureren Krankheitsfall als nicht schutzbedürftig gelten sollen. Trotzdem kam es in Folge des mit dem GKVWSG eingeführten Basistarifs, der ebendiese Maßnahmen für einen Teil des privaten Krankenversicherungsgeschäfts vorsah, erneut zu einer Verfassungsklage. Die Einführung des Basistarifs Mit dem GKV-WSG wurden die Rechtsgrundlagen des privaten Krankenversicherungsgeschäfts neu geordnet. Schon bei der Verabschiedung dieses Reformgesetzes 2007 war abzusehen, dass sämtliche die PKV direkt und indirekt betreffende Regelungen wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landen würden. Die Beschwerdeführer richteten ihre Klagen gegen alle Reformbestandteile, die in irgendeiner Weise das Geschäftsmodell und den Marktbereich der PKV betrafen. Neben der bereits erwähnten Dreijahresfrist stand auch die Einführung von Wahltarifen in der GKV zur Disposition, durch die die Privatversi-
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cherer ihr Zusatzversicherungsgeschäft beeinträchtigt sahen (zur Reformmaßnahme selbst siehe Kapitel 3.2.4). Darüber hinaus ging es vor allem um die Einführung des Basistarifs sowie die Portabilisierung der Altersrückstellungen im Umfang des Basistarifs (letzteres wird aufgrund der wettbewerbspolitischen Bedeutung in Kapitel 5.2.3 behandelt). Die Beschwerdeführer haben sich hinsichtlich dieser vier Reformmaßnahmen verschiedentlich sowohl auf die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), die Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 Abs. 1 GG), die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG), die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und das Recht auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) berufen (BVerfG 2009: Rdnr. 45-84). Die Verfassungsklagen aller Kläger wurden – sofern sie überhaupt zulässig waren – als unbegründet zurückgewiesen. Bis auf die Entscheidung zur Dreijahresfrist ergingen alle anderen Entscheidungen einstimmig. Die Bundesverfassungsrichter haben die beschwerdeführenden Privatversicherer erneut daran erinnert, dass sie nicht nur gewinnorientierte Versicherungsunternehmen, sondern ein Teil des sozialen Sicherungssystems sind, so dass sozialpolitische Interventionen des Gesetzgebers grundsätzlich gerechtfertigt sind. Die konkreten Maßnahmen seien zumutbar, da den Privatversicherern eine Aufgabe übertragen wurde, „die zu ihrer ureigenen Geschäftstätigkeit gehört“ (BVerfG 2009: Rdnr. 176). Für das im GKV-WSG formulierte Ziel, allen Bürgern der Bundesrepublik Deutschland einen bezahlbaren Krankenversicherungsschutz in der GKV oder PKV zu sichern, könne sich der Gesetzgeber auf das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG berufen. Der Urteilsbegründung mangelt es auch in diesem Fall nicht an klaren Worten: „Der Schutz der Bevölkerung vor dem Risiko der Erkrankung ist in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes eine Kernaufgabe des Staates. Die gesetzgeberische Absicht, einen Krankenversicherungsschutz für alle Einwohner zu schaffen, ist von dem Ziel getragen, ein allgemeines Lebensrisiko abzudecken, welches sich bei jedem und jederzeit realisieren und ihn mit unabsehbaren Kosten belasten kann. Es ist ein legitimes Konzept des zur sozialpolitischen Gestaltung berufenen Gesetzgebers, die [...] notwendigen Mittel auf der Grundlage einer Pflichtversicherung sicherzustellen.“ (BVerfG 2009: Rdnr. 171)
Während der Verband der PKV im Rechtsstreit um die Pflegeversicherung noch die Auffassung vertreten hatte, dass deren Einführung formell und materiell mit dem Grundgesetz vereinbar sei (BVerfG 2001: Rdnr. 64 und 65), bezog er im Rechtsstreit um die Einführung des Basistarifs eine völlig entgegengesetzte Position und stützte im Wesentlichen die Positionen der Beschwerdeführer (BVerfG 2009: Rdnr. 99; siehe hierzu auch die im Vorfeld erstellten Rechtsgutachten von Thüsing/Kämmerer (2006) und Sodan (2006), die in der Verhand-
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lung als Bevollmächtigte der Beschwerdeführer auftraten). Allerdings stand die verfassungsrechtliche Argumentation in diesem Fall von Anfang an auf schwachem Fundament, da sich die Gestaltung des Basistarifs nicht wesentlich von der Pflegeversicherung unterscheidet. Zudem bezog sich der Basistarif nicht einmal auf die Gesamtheit der privat Versicherten, sondern nur auf einen kleinen Teil potentieller Wechsler oder Rückkehrer. Das interessenpolitische Kalkül ist jedoch offensichtlich. Der Grundsatz „Pflegeversicherung folgt Krankenversicherung“ hatte Mitte der 1990er Jahre zur Folge, dass die (freiwillig) privat Krankenversicherten von nun an (verpflichtend) privat pflegeversichert waren. Insofern ergab sich für die Privatversicherer keine Konkurrenzsituation zur sozialen Pflegeversicherung der GKV, denn man versicherte ohnehin den bereits der PKV zugewiesenen Teil der Versicherten. Anders stellt sich jedoch die Situation im Krankenversicherungsgeschäft dar, denn hier sind Vertragsfreiheit und Risikoselektion unverändert die wichtigsten Instrumente der Risikoselektion gegenüber der GKV. In den Maßnahmen des Basistarifs sahen die Interessenvertreter der PKV letztlich das „Einfallstor“ für tiefgreifendere Veränderungen ihres Geschäftsmodells. Da der ungleiche Wettbewerb um „gute Risiken“ vor allem im Bereich der Krankenversicherung ausgetragen wird, besitzen die Selektionsinstrumente hier auch eine völlig andere Bedeutung als im Pflegesegment. Allerdings verwiesen die Bundesverfassungsrichter in den Streitpunkten Versicherungspflicht und Kontrahierungszwang erwartungsgemäß auf ihre Rechtsprechung im Pflegeversicherungsurteil vom 3. April 2001, demzufolge die Ausgestaltung des Basistarifs mit dem privatrechtlichen Versicherungswesen nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG vereinbar sei (BVerfG 2009: Rdnr. 157). Darüber hinaus machten die Karlsruher Richter in ihrem Urteil zum Basistarif auch deutlich, dass sich bestimmte soziale Sicherungsziele auf dem Wege von Vertragsfreiheit und Risikoäquivalenz nicht verwirklichen lassen. Die Verbindung von Versicherungspflicht und Kontrahierungszwang im Basistarif sei zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels geeignet, dem der PKV zugewiesenen Personenkreis einen ausreichenden und bezahlbaren Versicherungsschutz zu gewährleisten (BVerfG 2009: Rdnr. 172). Auch hier beweist die Urteilsbegründung Realitätssinn: „Ein milderes Mittel als der gesetzlich angeordnete Kontrahierungszwang zu Lasten der Versicherungsunternehmen ist nicht erkennbar, um für den betroffenen Personenkreis einen Krankenversicherungsschutz sicherzustellen. Ohne den Kontrahierungszwang hätten insbesondere Personen mit gravierenden Vorerkrankungen keine Möglichkeit, in eine private Krankenversicherung aufgenommen zu werden, weil diese sie wegen des erhöhten Risikos nicht aufnehmen würde. Zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels sind sowohl Versicherungspflicht als auch Kontrahierungszwang erforderlich.“ (BVerfG 2009: Rdnr. 173)
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Abschließend hielten die Bundesverfassungsrichter fest, dass der Basistarif insgesamt eine zulässige sozialstaatliche Indienstnahme der PKV zum Allgemeinwohl darstellt, die der „Vollfunktionalität der privaten Krankenversicherung“ diene und sicherstelle, dass die von Krankheit am stärksten betroffenen Personen unter den Bedingungen risikoäquivalent berechneter Prämien bezahlbaren und gleichwohl ausreichenden Versicherungsschutz finden“ (BVerfG 2009: Rdnr. 187). In der Gesamtschau aller hier dargestellten Urteile und Begründungen ergibt sich insgesamt ein differenziertes Bild, das keineswegs für voreilige Schlüsse taugt. Alle bisherigen Gesetzgeber haben bei ihren Reformen auf eine vorsichtige Einbindung der PKV gesetzt, indem sie weder die Abschaffung noch die allmähliche Auflösung der PKV vorgesehen haben. Vielmehr wurden die Privatversicherer stärker in die soziale Verantwortung genommen, was letztlich auch dem Wesen einer substitutiven Kranken- und Pflegeversicherung gerecht wird. Diese Politik der kleinen Schritte dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, dass alle Verfassungsklagen bisher recht deutlich gescheitert sind. Ist die PKV also nun der große Verlierer? Diese Frage lässt sich nicht mit einem eindeutigen Ja oder Nein beantworten. Würde man einzig darauf abheben, dass alle Verfassungsklagen entweder gar nicht erst zugelassen oder ansonsten durchweg als unbegründet zurückgewiesen wurden, läge ein solcher Schluss sicherlich nahe. Allerdings haben die Verfassungsrichter ihre Begründungen stets mit ausgleichenden und abwägenden Argumenten untermauert. Auch wenn sich aus den Urteilen weder eine verfassungsrechtliche Garantie des dualen Versicherungssystems noch ein Grundrecht auf zukünftige Marktanteile und Gewinnchancen herleiten lässt, dürfte dem Gesetzgeber die Argumentation nun schwerer fallen, dass einzig die Sozialversicherung diejenige Institution sei, die eine sozialstaatlich gebotene Absicherung des Krankheitsrisikos leisten könne. Letztlich könnte es sich als Ironie der Sozialpolitik herausstellen, dass die Existenz der im Kern immer noch marktwirtschaftlich organisierten PKV nicht trotz, sondern gerade wegen der sozialpolitischen Interventionen gesichert wurde. Das größte Reformverhinderungspotential liegt jedoch nicht im Verfassungsrecht, sondern in den hochgradig verflochtenen Strukturen der Interessenvertretung des PKV-Verbandes und seiner Mitgliedsunternehmen. 4.4.3
Interessenvertretung durch den Verband der PKV
Gesetzgeberische Interventionen in das „angestammte“ Geschäftsfeld der Privatversicherer dürften wohl zu den heikelsten Aufgaben zählen, die ein Gesundheitsminister in Angriff nehmen kann. Sozialpolitische Reformen in der PKV
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durchzusetzen bedeutet nämlich nicht nur, gegen die Widerstände des PKVVerbandes ankämpfen zu müssen, sondern gegen eine ganze Armada gut organisierter Interessengruppen, die allesamt ein starkes Interesse am Erhalt und Ausbau der PKV haben. Diese Interessengruppen verfügen ebenfalls über eine solide Finanzausstattung und zumeist auch über ein gewisses Konfliktpotential. Ein grundsätzliches Interesse am Fortbestand der PKV haben unter anderem die Verbände, deren Mitglieder überwiegend der PKV zugeordnet sind. Hierzu zählen beispielsweise der DBB Beamtenbund und Tarifunion (DBB) als Interessenvertretung der Beamten oder die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) als Interessenvertretung der selbständigen Arbeitgeber. So lehnt beispielsweise der DBB eine Einbeziehung der Beamten in die GKV strikt ab und macht sich für die Beibehaltung des Beihilfesystems stark. Auch gegen die erschwerten Wechselbedingungen für abhängig Beschäftigte (Dreijahresfrist) hat der DBB deutlich Stellung bezogen (DBB Beamtenbund und Tarifunion o.J.). Auf der anderen Seite haben auch die freien Ärzteverbände, wie beispielsweise der Hartmannbund, der NAV-Virchow-Bund oder der Marburger Bund, ein starkes Interesse am Erhalt und Ausbau der PKV, da privatversicherte Patienten nicht nur höhere Preise für medizinische Versorgungsleistungen entrichten müssen, sondern deren Leistungsvergütung auch keinerlei Budgetrestriktionen unterworfen ist. So unterstützt der NAV-Virchow-Bund die Privatversicherer in ihrem Anliegen, den Anteil der privat Versicherten zu Lasten der GKV auszuweiten (NAV-Virchow-Bund o.J.). Auch der Marburger Bund macht sich für eine Beibehaltung des dualen Versicherungssystems stark. Da die PKV „als Alternative und Ergänzung der umlagefinanzierten GKV unverzichtbar“ sei, dürfe sie nicht einer „Einheitszwangsversicherung“ geopfert werden (Marburger Bund 2009: 7). Vergleichsweise kämpferisch geht der konservative Hartmannbund mit all jenen ins Gericht, die eine Vereinheitlichung des dualen Versicherungssystems anstreben. Deren Vorsitzender Kuno Winn warnte anlässlich der Koalitionsverhandlungen zum GKV-WSG davor „die PKV auf den Opfertisch“ zu legen und kündigte schon mal mit dem geballten Unmut ärztlicher Interessenvertretung an, „den drohenden Versorgungsnotstand in ausgewählten Regionen Deutschlands vorab exemplarisch zu demonstrieren“ (Hartmannbund 2006, Pressemitteilung). Der PKV-Verband findet aber nicht nur in den genannten Interessenverbänden starke Partner, sondern gehört selbst zu den einflussreichsten Interessenvertretern im deutschen Gesundheitswesen. Er ist auf vielfältige Art und Weise mit wichtigen Akteuren in Politik, Wissenschaft und Medien verflochten.
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Zu den traditionell starken Partnern unter den Parteien zählen die CDU/CSU und die FDP, die sich stets zur PKV bekannt und – sofern die politischen Mehrheitsverhältnisse dies zugelassen haben – ihren Ausbau aktiv gefördert haben. Im Vorfeld des GKV-WSG, das von heftigen innerkoalitionären Auseinandersetzungen um die zukünftige Rolle der PKV geprägt war, haben sich führende Politiker von CDU und CSU immer wieder für den Erhalt des Status Quo stark gemacht (siehe hierzu z.B. o.V. 2006a, Stern vom 12.6.2006; o.V. 2007, Stern vom 4.1.2007). Die ursprünglichen Überlegungen des SPD-geführten Bundesgesundheitsministeriums sahen vor, die Privatversicherer in den geplanten Gesundheitsfond mit einzubeziehen, was aufgrund der Abwehrhaltung der konservativen Politiker letztlich nicht erfolgt ist. Auch im Bundestagswahlkampf 2009 haben sich CDU/CSU und FDP für den Erhalt der PKV stark gemacht und dieses Vorhaben auch im Koalitionsvertrag bekräftigt. Dort heißt es, dass „die privaten Krankenversicherungen als Voll- und Zusatzversicherungen ein konstitutives Element in einem freiheitlichen Gesundheitswesen“ seien (CDU/CSU und FDP 2009: 78). Damit wurde die Formulierung aus dem CDU-Wahlprogramm fast wortgleich in den Koalitionsvertrag übernommen. Als kurzfristige Bedrohung mag die PKV vielleicht die Pläne von SPD und Bündnis90/Die Grünen empfunden haben, die mit dem Reformmodell einer Bürgerversicherung, aber ohne realistische Machtoption in den Bundestagswahlkampf 2005 gezogen waren. Noch 1999 – im ersten Regierungsjahr der rot-grünen Koalition – hieß es jedoch in einer Stellungnahme der Bundesregierung, sie sei „nicht der Auffassung, dass sich die Ordnungspolitik auf eine allmähliche vollständige Auflösung der Unterschiede zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung konzentrieren sollte“. Das Nebeneinander beider nach unterschiedlichen Prinzipien organisierter Sicherungssysteme habe sich „auch unter wettbewerblichen Gesichtspunkten bisher bewährt“ (Deutscher Bundestag 1999: 17). Da die Abgeordneten des Deutschen Bundestages seit Juli 2007 zur Offenlegung von Tätigkeiten und Einkünften neben dem Mandat verpflichtet sind, lassen sich nun auch personelle Verflechtungen zwischen Versicherungsbranche und Volksvertretern transparenter darstellen. Ein Großteil der parlamentarischen Arbeit wird in den verschiedenen Fachausschüssen vorgenommen, wobei deren Besetzung entsprechend den parlamentarischen Kräfteverhältnissen mit Abgeordneten aller Fraktionen erfolgt. Von den 31 Mitgliedern des Gesundheitsausschusses mussten insgesamt acht Abgeordnete veröffentlichungspflichtige Funktionen oder entgeltliche Tätigkeiten angeben, die in unmittelbarem Zusammenhang mit einem der privaten Krankenversicherungsunternehmen oder Versicherungskonzernen mit einer Krankenversicherungssparte stehen. Fünf der
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Ausschussmitglieder gehörten der CDU/CSU an, zwei der FDP und eines der SPD.31 Für zwei der Ausschussmitglieder erwies sich die Kombination aus politischer Mandatsträgerschaft und Funktion in privaten Versicherungsunternehmen sogar als Karrieresprungbrett: Die Abgeordneten Annette Widmann-Mauz (CDU, Mitglied des Sozialpolitischen Beirates Gothaer Versicherungsbank VVaG sowie Mitglied des Beirates Hallesche Krankenversicherung a.G.) und Daniel Bahr (FDP, Mitglied des Beirates ERGO Versicherungsgruppe AG) bekleiden unter dem neuen Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) die zwei zu vergebenden Ämter als parlamentarische Staatssekretäre im Bundesgesundheitsministerium. Der PKV-Verband pflegt aber auch gute Kontakte in den wissenschaftlichen Bereich. Um den eigenen Positionen Nachdruck zu verleihen, unterhält der PKV-Verband seit 2005 das Wissenschaftliche Institut der PKV (WIP) in Köln, das sich schwerpunktmäßig mit der Schnittstellenproblematik zwischen GKV und PKV sowie dem demographischen Wandel beschäftigt. Der Leiter des WIP, Christian Weber, gehört auch zugleich der Geschäftsführung des PKVVerbandes als stellvertretender Verbandsdirektor an. Gute Kontakte unterhalten einige Versicherungsunternehmen sowie der Verband der PKV auch zu verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen. So zählt beispielsweise das Forschungszentrum Generationenverträge der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg nicht nur den Verband der PKV oder den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), sondern auch einzelne Unternehmen wie Allianz AG, Deutsche Krankenversicherung AG, ERGO-Versicherungsgruppe AG, Süddeutsche Krankenversicherung a.G. zu seinen „ausgewählten Partnern“ (Forschungszentrum Generationenverträge 2009). Umgekehrt nehmen die von der PKV geförderten Wissenschaftler selbst wieder lebhaft an der Politikberatung teil. So gehörte z.B. der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen, zugleich Leiter des Forschungszentrums Generationenverträge, ebenso wie Claus-Michael Dill, Vorstandsvorsitzender der AXA AG, der Rürup31 Es handelt sich hierbei um die Abgeordneten Hans-Georg Faust (CDU/CSU) Mitglied des Beirates Barmenia Versicherungen; Michael Hennrich (CDU/CSU) Mitglied des Sozialpolitischen Beirates Gothaer Versicherungsbank VVaG; Jens Spahn (CDU/CSU) Mitglied des Beirates Barmenia Versicherung (bis April 2008) sowie Mitglied der Mitgliederversammlung Iduna Vereinigte Lebensversicherung a.G.; Max Straubinger (CDU/CSU) Generalvertreter Allianz Beratungs- und Vertriebs AG; Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) Mitglied des Sozialpolitischen Beirates Gothaer Versicherungsbank VVaG sowie Mitglied des Beirates Hallesche Krankenversicherung a.G.; Eike Anna Maria Hovermann (SPD) Mitglied des Beirates Barmenia Versicherung sowie Mitglied Sozialpolitischer Beirat Gothaer Versicherungsbank VVaG; Daniel Bahr (FDP) Mitglied des Beirates ERGO Versicherungsgruppe AG; Konrad Schily (FDP) Mitglied des wissenschaftlichen Beirates AXA Krankenversicherung AG (Deutscher Bundestag o.J.).
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Kommission an, die im Auftrag des damaligen Bundesministeriums für Gesundheit und Soziales (BMGS) Vorschläge zur Reform der Krankenversicherung erarbeiten sollten.32 Professionell ist auch die Öffentlichkeitsarbeit des PKV-Verbands. Neben großen Anzeigenkampagnen in überregionalen Tageszeitungen, Magazinen sowie Publikums- und Programmzeitschriften gibt der Verband zehnmal jährlich die hauseigene Verbandszeitschrift PKV-Publik heraus, in der sowohl verbandseigene als auch weitere der PKV überwiegend wohlgeneigte Stimmen zu Wort kommen. Darüber hinaus hat der Verband immer wieder auch mit einzelnen Partnern (z.B. mit dem Rheinischen Merkur) „Medienpartnerschaften“ gepflegt und konnte seine Positionen in mehrseitigen Sonderbeilagen zu Tageszeitungen einem breiten Publikum zugänglich machen (Verband der privaten Krankenversicherung 2007b: 33). Der PKV-Verband, dessen Hauptsitz in Köln liegt, hat unlängst auch seine gesamte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit nach Berlin verlegt. Im Rechenschaftsbericht des PKV-Verbandes aus dem Jahr 2008 heißt es, dass sich die „Nähe zu den politischen Entscheidungsträgern und den gesundheitspolitischen Hauptstadtjournalisten (...) auch im Jahr 2008 als essentiell für die erfolgreiche Kommunikation der PKV-Positionen erwiesen“ habe. Insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten Gesundheitsreform habe sich „die räumliche Nähe zu den relevanten Ansprechpartnern in Presse und Politik aufs Neue bewährt“ (Verband der privaten Krankenversicherung 2009: 41). Die Beziehungsstrukturen zwischen PKV, Politik, Medien, Wissenschaft und kooperativen Interessenverbänden ergeben ein netzwerkartiges Geflecht von Interessenanwälten, die eine sich gegenseitig bestätigende Funktion ausfüllen. So werden von verschiedener Seite – scheinbar unabhängig voneinander – immer wieder vermeintliche Probleme ins öffentliche Bewusstsein getragen (demographischer Wandel birgt Versorgungsrisiken, Umlagefinanzierung steht vor dem Kollaps, medizinischer Fortschritt ist nicht für alle bezahlbar etc.) und den eigenen Forderungen Nachdruck verliehen (mehr Marktanteil für die Privatversicherer, mehr Kapitaldeckung, geringeres Versorgungsniveau in der GKV). Obwohl diese Akteure letztlich nur die Interessen weniger Menschen vertreten, gelingt es ihnen nach und nach, in wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen die Meinungsvorherrschaft zu erlangen. Wenn Universitäten jedoch immer weniger kritische Wissenschaft betreiben, weil sie am Tropf von Dritt32 Bert Rürup, der nicht nur Vorsitzender der nach ihm benannten Kommission war, sondern auch langjähriges Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Rentenberater verschiedener Bundesregierungen, wechselte Ende 2008 zum Finanzdienstleister AWD (Hagelüken/Bohsem 2008, Süddeutsche Zeitung vom 19.11.2008).
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mitteln hängen, wenn Medien auf kritischen Journalismus verzichten, weil sie auf zahlungskräftige Anzeigenkunden angewiesen sind, wenn gewählte Volksvertreter in ihren politischen Entscheidungen nicht mehr frei sind, weil sie neben ihren Ämtern Geld von Versicherungskonzernen erhalten, dann werden Reformen gegen den Willen dieser Meinungsführerschaft immer schwerer. Zum Teil scheinen sie bereits heute kaum durchsetzbar- oder werden schon gar nicht mehr angestrebt. Ungeachtet der vehementen Verteidigung des Status Quo bleiben jedoch sachliche Erwägungen, die eine Neuordnung des institutionellen Dualismus überfällig erscheinen lassen.
4.5
Reformvorschlag I: Grenzen öffnen!
Für die Überwindung der dualen Versicherungsstruktur sprechen grundsätzlich gute Sachargumente. Das Bedürfnis nach sozialer Sicherheit, medizinischer Versorgung und bezahlbarem Versicherungsschutz verbindet die Versicherten beider Systeme mehr, als es sie voneinander trennt. Insofern ist es weder aus solidarischer noch aus wettbewerblicher Perspektive sonderlich plausibel, dass zwei Versicherungssysteme, die im Wesentlichen denselben Sicherungsauftrag erfüllen sollen, derart unterschiedliche Spielregeln vorfinden. Ein funktionierender Versicherungsmarkt erfordert die institutionelle Verankerung gleicher Wettbewerbsbedingungen, ein funktionierendes Solidarsystem verlangt die gleichberechtigte Verantwortung aller Bürger für die Finanzierung einer bedarfsgerechten Grundversorgung. Die Vorstellung, dass sich auch heute noch ein schutzbedürftiger von einem nicht schutzbedürftigen Personenkreis abgrenzen lässt, ist angesichts der enormen Kosten, die sich für den Einzelnen im Krankheitsfall ergeben können, nicht mehr aufrecht zu erhalten. Daher wäre es grundsätzlich sinnvoll, die Systemgrenzen allmählich aufzulösen. Veränderungen zwischen den Systemen können sich jedoch nicht im Sinne radikaler Strukturbrüche vollziehen, denn es gilt sowohl die Rechte der Bestandsversicherten als auch die Interessen der Versicherungsunternehmen zu wahren. Reformen, die das Verhältnis der beiden Versicherungszweige betreffen, werden daher wohl eher im Sinne einer moderaten Weiterentwicklung und weniger im Sinne großer Organisationsreformen vollzogen werden. Eine Abschaffung der substitutiven PKV wird es in absehbarer Zeit ebenso wenig geben wie eine vollständige zeitnahe Systemintegration. Ein wesentliches Integrationshemmnis im Hinblick auf die PKV-Bestandsversicherten stellen vor allem die erworbenen Rechte in Form der Altersrückstellungen dar (siehe z.B. BMGS 2003: 152; Albrecht/Schräder/Sehlen 2006). Das Kapitaldeckungsverfahren in
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der PKV ist grundsätzlich nicht unumstritten und viele Kritikpunkte an diesem Finanzierungsmodus scheinen durchaus berechtigt (siehe hierzu auch Kapitel 6.2.1). Allerdings gibt es gute Argumente, die bisher angesparten Rückstellungen genau für den Zweck zu verwenden, für den sie aufgebaut wurden. Hierfür sprechen vor allem Vertrauensschutz- und Bestandsschutzrechte der privat Versicherten. Der Gesetzgeber hat in der Vergangenheit auf diese Form der sozialen Sicherung vertraut, indem er der substitutiven PKV bestimmte Personenkreise zugewiesen und den Unternehmen entsprechende Kalkulationsvorschriften zum Betrieb des Versicherungsgeschäfts gemacht hat. Die bisherigen Rechtsgrundlagen lassen den Unternehmen daher keine Wahl, auf die Bildung von Altersrückstellungen zu verzichten. Auch die Versicherten, die sich bereits entschieden haben, auf diesem Weg ihr Krankheitsrisiko abzusichern, müssen darauf vertrauen können, dass der Staat oder öffentlich-rechtliche Körperschaften nicht zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf diese Mittel zurückgreifen. Dies gilt auch, wenn die Entscheidung für die privatwirtschaftliche Absicherung des Krankheitsrisikos nicht freiwillig getroffen wurde, wie dies etwa bei den Beamten und z.T. bei den Selbständigen der Fall ist. Damit die Unternehmen ihre soziale Sicherungsfunktion erfüllen können, sollten die bisherigen Versichertenbestände der PKV ebenso unter dem institutionellen Dach der PKV verbleiben wie die erworbenen Rechte aus den bisher geschlossenen Versicherungsverträgen. Reformmaßnahmen sollten daher weniger auf die Bestandsversicherten gerichtet sein, sondern vielmehr auf die zukünftige Gestaltung der Systemgrundlagen. Ein sinnvoller Anknüpfungspunkt ergäbe sich im Hinblick auf das überkommene berufsständische Zuweisungssystem, das keinen erkennbaren Bezug zum versicherten Risiko aufweist und einzig dem Ziel dient, „den privaten Versicherungen ein Marktsegment zu sichern und somit Verkrustungen bei historisch gewachsenen Strukturen im Gesundheitswesen nicht aufbrechen zu müssen“ (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2008: 396). Der Gesetzgeber könnte hier ansetzen, indem er die berufsgruppenbezogene Zuordnungspraxis allmählich auflöst. Innerhalb der GKV wurde das berufsständische Zuweisungssystem zu den einzelnen Kassenarten bereits mit dem GSG 1992 beendet. Für die Zuweisung zur PKV stellt der ausgeübte Beruf ebenfalls kein geeignetes Kriterium dar. Der Gesetzgeber sollte daher die GKV für alle Berufsgruppen öffnen. Gleichzeitig könnte er das Verantwortungsbewusstsein derjenigen stärken, die sich für einen Wechsel in die PKV entscheiden. Folgende Maßnahmen sollte der Gesetzgeber ergreifen:
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Beamte und Selbständige, die in Zukunft in der GKV aufgenommen werden möchten, erhalten das Recht auf gesetzlichen Versicherungsschutz in der Sozialversicherung. Selbständigen wird der Beitritt zu GKV ebenso barrierefrei ermöglicht wie den Beamten. Für letztere dürfen in der GKV beihilfekonforme Kostenerstattungstarife angeboten werden. Personen, die ein hohes Einkommen erzielen oder ein größeres Vermögen nachweisen, können weiterhin in die PKV wechseln. Sie erhalten eine einmalige Austrittsmöglichkeit aus der GKV und verwirken mit dem Wechsel in die PKV alle Rückkehrmöglichkeiten in die Sozialversicherung. Dies gilt auch, wenn sich die individuelle Einkommens- und Vermögensdisposition der betroffenen Personen ändert. Altbestände in der PKV bleiben von dieser Regelung unangetastet. Ein generelles Rückkehrrecht in die GKV gibt es nicht.
Mit diesen Maßnahmen könnte das berufsständische Zuweisungssystem überwunden werden. Jeder Bürger, der für die Absicherung des Krankheitsrisikos auf den Schutz der Solidargemeinschaft zurückgreifen möchte, erhält somit ein Zugangsrecht zur GKV. Durch die Öffnung für Selbständige und Beamte wird der Anachronismus beseitigt, dass die Zuschreibung von Schutzbedürftigkeit über den Berufsstatus erfolgt. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive dürfte die Einbeziehung der Beamten unproblematisch sein, da der Gesetzgeber weder die Bestände der Privatversicherer antastet, noch den Zugang zur PKV prinzipiell verwehrt. Das Erfordernis, für einen schonenden Übergang zu sorgen, wäre eingehalten (siehe hierzu z.B. Schulte 2005: 31; Wenner 2009: 233). Da der Gesetzgeber in der Vergangenheit auch der GKV die Möglichkeit eingeräumt hat, Kostenerstattungstarife anzubieten und medizinische Leistungen nach der privatrechtlichen Gebührenordnung GOÄ abzurechnen, ist die Bereitstellung beihilfekonformer Versicherungstarife auch für die GKV kein versicherungstechnisches Problem mehr. Die Überwindung des berufsständischen Zuweisungssystems ermöglicht denjenigen Gruppen, die bisher einen erschwerten Zugang zur GKV hatten, eigenverantwortlich darüber zu entscheiden, in welchem Versicherungssystem sie ihr Krankheitsrisiko absichern möchten. Dies schließt von nun an auch die Option ein, das Krankheitsrisiko auf solidarischem Wege zu versichern. Den Belangen der Privatassekuranz wird insofern Rechnung getragen, als der Neuzugang zur PKV nicht grundsätzlich verhindert wird. Der Wechsel in die PKV erfolgt jedoch durchweg freiwillig und auf der Grundlage einer als dauerhaft anzunehmenden, hohen ökonomischen Leistungsfähigkeit. Wer ein
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Konsequent inkonsequent – Die Abgrenzung der Versicherungssysteme
bestimmtes Einkommen oder Vermögen nachweisen kann und die GKV verlassen möchte, erhält eine einmalige Austrittsoption, mit der alle Rückkehrrechte in die GKV oder andere vergleichbare soziale Sicherungssysteme verwirkt werden. Den Bedürfnissen derjenigen Menschen, die wohlhabend genug sind, um sich (und gegebenenfalls ihre Familienmitglieder) auf dem privaten Versicherungsmarkt zu versichern, wird ebenfalls Rechnung getragen. Allerdings wird in diesem Modell ein anderer Handlungsanreiz gesetzt als bisher. Wer nämlich die Solidargemeinschaft verlässt, muss sich darüber im Klaren sein, dass diese Entscheidung nicht reversibel ist. Dies gilt für Rückkehrrechte bei Einkommensverlusten ebenso wie für möglicherweise entstehende Versorgungsprobleme bei der Minderung des Versicherungsschutzes im Alter (etwa durch die Vereinbarung erhöhter Selbstbehalte). Hiermit wird verhindert, dass sich Individuen in guten Zeiten der Solidargemeinschaft entziehen, um diese in schlechten Zeiten wieder in Anspruch zu nehmen. Der Versicherungsnehmer ist beim Austritt aus der GKV umfassend über die Konsequenzen zu informieren. Wer sich für den Austritt aus der Solidargemeinschaft entscheidet, muss also neben den Vorteilen auch die möglichen Nachteile einer privatwirtschaftlichen Alternative berücksichtigen. Neben diesen Maßnahmen, die unmittelbar die Systemabgrenzung betreffen, scheint es jedoch sinnvoll, die Systeme „intern“ weiterzuentwickeln und dabei vor allem die jeweiligen systemspezifischen Probleme zu beseitigen. Für die PKV bedeutet dies vor allem, dass sie ihre Wettbewerbsdefizite bei den Bestandsversicherten beseitigen und ihr Ausgabenproblem im Bereich der Privatliquidationen lösen muss. Diesen Aspekten werde ich mich in den nächsten beiden Kapiteln widmen.
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5.1
Markt ohne Wettbewerb – Das Paradoxon der PKV
Das Wettbewerbsproblem der PKV
Die gegenwärtige Gestaltung der Prämienkalkulation sorgt in der deutschen Versicherungslandschaft für eine Situation, die ein Außenstehender vermutlich nicht erwarten würde. Während nämlich gesetzlich Versicherte ihre Krankenkasse jederzeit problemlos wechseln können, verfügen privat Versicherte schon nach kurzer Vertragslaufzeit über keine vergleichbaren Wechselmöglichkeiten. Der Wettbewerb in der PKV erstreckt sich somit ausschließlich auf das Neukundengeschäft. Die Wettbewerbsrestriktionen der PKV sind keineswegs neu und werden in rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fachkreisen seit vielen Jahren diskutiert (Meyer 1997; Thielbeer 1999; Sehlen 2002, Bürger 2005). Der eigentliche Kern des Problems wird dabei jedoch oftmals verfehlt, denn diese Auseinandersetzungen kreisen vornehmlich um die Nicht-Mitnahmefähigkeit der Altersrückstellungen. Tatsächlich ist die Rolle der Altersrückstellungen nicht unbedeutend, denn nach derzeit geltendem Recht wird das angesparte Kapital eines wechselnden Versicherten dem verbleibenden Versichertenkollektiv „vererbt“. Es ist offensichtlich, dass die Wechselmöglichkeiten durch diese Zwangsvererbung erheblich eingeschränkt werden. Da die Altersrückstellung beim alten Versichertenkollektiv verbleibt, müsste ein Versicherter im Falle eines Wechsels in vergleichsweise kürzerer Restversicherungszeit und unter der Bedingung eines möglicherweise verschlechterten Gesundheitszustands einen neuen Kapitalstock aufbauen. Die Zeit, die dem Versicherten zur erneuten Ansparphase bleibt, ist daher umso kürzer, je älter der wechselnde Versicherte ist. Die Folge für den wechselnden Versicherten wäre eine deutlich höhere Versicherungsprämie als er sie bei seinem alten Unternehmen gezahlt hat. Bislang ist ein Tarifwechsel unter Anrechnung der erworbenen Rechte nur innerhalb eines Unternehmens möglich (§12 Abs. 1 VAG; §207 VVG). Mit der Einführung des Basistarifs wurden die Privatversicherer zwar gezwungen, ihre Altersrückstellungen bei zukünftigen Neuverträgen im Umfang des Basistarifs auch unternehmensübergreifend mit-
R. Böckmann, Quo vadis, PKV?, DOI 10.1007/978-3-531-92741-1_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Markt ohne Wettbewerb – Das Paradoxon der PKV
nahmefähig zu machen, allerdings ist die Portabilität nur bei einem Wechsel in den Basistarif, nicht jedoch in alle anderen Normaltarife eines Unternehmens möglich. Die Nicht-Mitnahmefähigkeit der Altersrückstellungen in den weiterhin dominierenden Normaltarifen stellt zweifelsohne ein Wettbewerbshemmnis dar, sie ist jedoch nicht ursächlich für das Wettbewerbsproblem verantwortlich. Worin aber liegt die eigentliche Ursache des Wettbewerbsproblems in der PKV? Die Absicherung des Krankheitsrisikos erfolgt in der PKV – genau wie in der GKV – prinzipiell in lebenslanger Perspektive. Daher können während der Vertragslaufzeit bei einzelnen Versicherten Schadensereignisse auftreten, die die langfristig erwarteten Schadenskosten erheblich beeinflussen. Dies könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn nach Vertragsabschluss nicht heilbare, chronische Krankheiten auftreten. Auch Multimorbiditäten, also mehrere sich wechselseitig beeinflussende Krankheiten, können zu erheblichen individuellen Risikoverschiebungen führen. Unter der Bedingung eines unregulierten Versicherungsmarktes würden solche Schadensereignisse eine erneute individuelle Risikobewertung erforderlich machen, so dass der Versicherte dann eine höhere, seinem Risiko angemessene Versicherungsprämie zu zahlen hätte. Im Extremfall könnte die neuerliche Risikobewertung sogar dazu führen, dass der Versicherer den Versicherungsvertrag kündigt und der Versicherte seinen Versicherungsschutz ganz verliert. Beides ist aus sozialpolitischen Gründen nicht erwünscht, denn es gehört seit jeher zu den sozialen Sicherungszielen in der PKV, dass ein privat Versicherter seinen Versicherungsschutz im Alter nicht verlieren soll und die Versicherungsprämien auch dann noch lebenslang „bezahlbar“ bleiben, wenn während der Vertragslaufzeit Verschlechterungen des individuellen Gesundheitszustands eintreten. Um dies zu gewährleisten, bestehen in der substitutiven PKV zwei wichtige sozialpolitische Regulierungen, die für das Wettbewerbsproblem von entscheidender Bedeutung sind. Zum einen sind die Bestandsversicherten vor Kündigungen durch den Versicherer geschützt, zum anderen dürfen keine nachträglichen individuellen Risikobewertungen in den Bestandsverträgen vorgenommen werden (Sehlen 2002: 85; Terhorst 2000: 87). Gegenwärtig kalkulieren die PKV-Unternehmen die Prämie zu Beginn der Versicherungsphase nach versicherungsmathematischen Kriterien, indem Alter, Geschlecht und Gesundheitsstatus des Versicherten berücksichtigt werden. Handelt es sich bei einem Versicherungswilligen um ein unversicherbares Risiko (z.B. aufgrund erheblicher Vorerkrankungen), wird der Versicherungsvertrag nicht zustande kommen. Sofern der Vertrag zustande kommt, gehen die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bekannten Risiken in die Prämienkalkulation ein. Die beiden marktwirtschaftlichen Grundsätze Vertragsfreiheit und Risiko-
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äquivalenz bestehen jedoch nur zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Ist der Vertrag einmal zustande gekommen, ist das ordentliche Kündigungsrecht durch den Versicherer ausgeschlossen und die nachträgliche individuelle Risikobewertung einzelner Versicherter verboten. Der Versicherer kann die Prämien für alle Versicherten einer Risikogruppe also nur noch auf der Grundlage allgemeiner Kostensteigerungen oder Bestandsverschlechterungen, nicht aber aufgrund des erhöhten Alters oder des verschlechterten Gesundheitszustandes eines einzelnen Versicherten anpassen. Auch eine zeitliche Befristung der Verträge ist nicht möglich. Vor diesem Hintergrund lässt sich nun anschaulich zeigen, warum die Nicht-Mitgabefähigkeit der Altersrückstellungen zwar ein Wettbewerbshemmnis, jedoch nicht die Ursache des Problems darstellt. Zum besseren Verständnis sei zunächst einmal angenommen, die Prämienkalkulation erfolge ohne die Bildung von Altersrückstellungen, aber unter sonst gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen. Die Versicherer würden also einerseits bei jeder Neuaufnahme eine risikoäquivalente Prämie kalkulieren und wären nicht zum Vertragsabschluss verpflichtet, andererseits dürften sie aber keinem Bestandsversicherten kündigen und auch keine nachträglichen individuellen Risikoadjustierungen in Bestandsverträgen vornehmen. Bereits unter diesen Bedingungen würde schon nach kurzer Zeit kein rational handelnder Versicherter seine Versicherung wechseln. Da jedes PKV-Unternehmen beim Vertragsabschluss eine erneute Risikoprüfung vornehmen wird und dabei grundsätzlich keinem Kontrahierungszwang unterliegt, wäre ein Unternehmenswechsel aufgrund des fortgeschrittenen Alters und des möglicherweise verschlechterten Gesundheitszustandes nur zu höheren Versicherungsprämien oder unter Inkaufnahme eventueller Leistungsausschlüsse möglich. Sofern sich der Gesundheitszustand eines Versicherten derart verschlechtert hat, dass kein Unternehmen ein solches „Hochrisiko“ versichern würde, wäre der Abschluss eines neuen Vertrages sogar völlig ausgeschlossen. Der Vollzug des Wechsels kann unter der Bedingung der Vertragsfreiheit rechtlich nicht garantiert werden, was einen Unternehmenswechsel gerade für kranke und ältere Menschen im Extremfall unmöglich macht. Rational handelnde Versicherte werden auf ihre rein rechtlich jederzeit mögliche, finanziell jedoch kaum erstrebenswerte Vertragskündigung verzichten. Der Wettbewerb in der PKV würde sich unter sonst gleichen rechtlichen Bedingungen auch ohne Altersrückstellungen lediglich auf das Neukundengeschäft beschränken. Ursächlich verantwortlich für die Wettbewerbshemmnisse ist also nicht die mangelhafte Portabilität der Altersrückstellungen, sondern der hybride Charak-
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ter des PKV-Geschäftsmodells, demzufolge bei Neuverträgen einerseits nach marktwirtschaftlichen Kriterien kalkuliert wird, wohingegen in Bestandsverträgen der sozialpolitische Charakter dominiert. Genau dieses ist das eigentliche Problem, die „defekte Gelenkstelle“ zwischen zwei unterschiedlichen Krankenversicherungskonzepten. Die marktförmige Ausgestaltung in den Neuverträgen widerspricht in zwei entscheidenden Punkten der sozialpolitischen Aushebelung der Marktmechanismen in den Bestandsverträgen: Erstens steht die Vertragsfreiheit des aufnehmenden Unternehmens im Widerspruch zur Kündigungsschutzregelung des abgebenden Unternehmens. Zweitens passt die individuelle Risikoprüfung bei jedem neuerlichen Vertragsabschluss nicht zum Verbot individueller Risikoanpassungen in den Bestandsverträgen. Interessanterweise steht im Zentrum der wissenschaftlichen Debatte um die fehlende Wettbewerbsintensität jedoch nicht die problematische Hybridkonstruktion der PKV, sondern die Nicht-Mitgabefähigkeit der Altersrückstellungen (Meyer 1997; Sehlen 2002; Bürger 2005). Da die Zwangsvererbung vielfach als das zentrale Wettbewerbshemmnis betrachtet wird, geht es zumeist nur um die Frage, wie unter unveränderten Rahmenbedingungen – also einem Festhalten an Vertragsfreiheit und Risikodifferenzierung einerseits und der gegenwärtigen sozialpolitischen Regulierung andererseits – die Altersrückstellungen so ermittelt werden können, dass sie hinreichend präzise mitnahmefähig gemacht werden können. Gleichzeitig herrscht eine gewisse Ratlosigkeit, wie diesem Problem zu begegnen sei (siehe hierzu vor allem Kapitel 5.2.2). Ungeachtet der Tatsache, dass mittlerweile eine fast unüberschaubare Vielzahl unterschiedlicher Mitgabemodelle existiert, können im Wesentlichen zwei Grundkonzepte – die Mitgabe der durchschnittlich kalkulierten und die Mitgabe der individuellen Altersrückstellung – unterschieden werden. Als einfachstes Mitgabemodell wird zumeist die Mitgabe der durchschnittlich kalkulierten Altersrückstellung diskutiert (Deutscher Bundestag 1996: 4344; Thielbeer 1999: 210-212). Die kalkulierte Altersrückstellung ist die für alle Versicherten einer Risikogruppe gebildete Rückstellung. Da alle Versicherten einer homogenen Risikogruppe zu Beginn der Vertragslaufzeit mit derselben statistischen Wahrscheinlichkeit erkranken werden, ist der Wert der Altersrückstellung für alle Versicherten dieser Risikogruppe gleich. Nach einer gewissen Zeit werden einige Versicherte dieser Gruppe erkranken, andere wiederum nicht. Würde man bei einem Versicherungswechsel nun die durchschnittlich kalkulierte Altersrückstellung mitgeben, würde dies zu einer Risikoselektion führen. Für diejenigen Versicherten, die erkrankt sind, wäre bei erneuter Risikoprüfung des aufnehmenden Versicherungsunternehmens die kalkulierte Alters-
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rückstellung zu niedrig. Für die gesunden Versicherten hingegen wäre die durchschnittliche Prämie zu hoch, so dass sie einen größeren Betrag mitnehmen würden als es ihrem Erkrankungsrisiko entspricht. Für das abgebende Versicherungsunternehmen wäre diese Risikoselektion insofern problematisch, als es der systematischen Verschlechterung der Bestandsversicherten nicht ausweichen kann. Zusätzliche Beitragserhöhungen wären die logische Konsequenz, die zu einer weiteren Abwanderung besserer Risiken führen würde. Die dauerhafte Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge wäre somit nicht mehr gegeben. Daher wird dieses Modell von den meisten Experten in der Regel schnell wieder verworfen (Deutscher Bundestag 1996: 44; Milbrodt o.J. 5-6). In theoretischer Hinsicht gilt vielen Beobachtern daher die Mitgabe einer individuellen Altersrückstellung als denkbare Lösung (Meyer 1997; Meyer 2001; Bürger 2005). Eine individuelle Altersrückstellung müsste genau die Höhe haben, die für den einzelnen Versicherten aufgrund seines Gesundheitszustandes erforderlich wäre, um die zukünftig erwarteten Versicherungsleistungen zu finanzieren. Gesunde Versicherte würden bei einem Versicherungswechsel dann eine niedrigere, inzwischen erkrankte Versicherte eine entsprechend höhere Summe aus der kollektiven Altersrückstellung erhalten. Ein solches Übertragungsmodell soll gewährleisten, dass sich weder für das abgebende noch für das aufnehmende Versicherungsunternehmen unerwünschte Probleme der Risikoselektion ergeben. Dieses Verfahren ist in der Branche vor allem aus praktischen Gründen äußerst umstritten (Wiesemann 2002: 43). Die Skeptiker dieses Übertragungsmodells – hierzu zählt die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler, die sich bisher mit diesem Problem auseinandergesetzt haben – verfolgen im Wesentlichen drei Argumentationsstränge: Erstens die prinzipielle NichtIndividualisierbarkeit der kollektiv kalkulierten Altersrückstellung, zweitens die mangelnde Informations- und Datenbasis für eine hinreichend präzise Berechnung der individualisierten Altersrückstellung und drittens die rechtliche Problematik einer erforderlichen Streitregelung bei erwartbaren Interessengegensätzen zwischen abgebendem und aufnehmendem Versicherungsunternehmen (zu den Argumentationen im Einzelnen siehe Kapitel 5.2.2). Die Debatte um die Portabilität der Altersrückstellungen greift insofern zu kurz, als die Altersrückstellungen nur den Sparanteil, nicht aber den Umlageanteil der Prämienkalkulation ausmachen. Bei einem Versicherungswechsel wird jedoch nicht nur der Sparanteil der Versicherungsprämie neu kalkuliert, sondern auch der Umlageanteil wird der neuen Risikosituation angepasst. Hinzu kommt, dass durch den Grundsatz der Vertragsfreiheit das Zustandekommen eines Neuvertrages auch dann nicht gewährleistet ist, wenn eine Altersrückstellung hinrei-
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chend präzise berechnet und mitgabefähig gemacht würde. Zumindest für besonders „schlechte Risiken“ besteht daher immer die Gefahr, bei einem neuen Versicherungsunternehmen abgelehnt zu werden. Solange aber den „schlechten Risiken“ der benachteiligungsfreie Wechsel nicht garantiert ist, kann es auch keinen Wettbewerb um die Bestandsversicherten geben. Ein Modell, bei dem ausschließlich die „guten Risiken“ mit Wechseloptionen ausgestattet sind, würde stets zu Problemen der Risikoselektion führen, da es zu einer Kumulation „guter Risiken“ in günstigen Versicherungstarifen und einer Kumulation „schlechter Risiken“ in teuren Tarifen kommen würde. Eine ursachenadäquate Problemlösung erfordert daher eine genaue Analyse des gesamten Kalkulationsverfahrens unter Berücksichtigung der sozialpolitischen Regulierungsvorschriften. Das bedeutet aber auch, dass Regelungen, die allein auf die Übertragung der Altersrückstellungen abzielen, nicht zur Lösung des Wettbewerbsproblems beitragen. Solange jedoch an den unterschiedlichen Maßstäben in Neu- und Bestandsverträgen festgehalten wird, sind alle Vorschläge zur Portabilisierung der Altersrückstellungen von vornherein zum Scheitern verurteilt. Dass ausgerechnet die überwiegend marktwirtschaftlich organisierte PKV mit dem Problem mangelnder Wettbewerbsintensität konfrontiert wird, wiegt insofern schwer, als der Wettbewerb eine zentrale Voraussetzung für einen funktionierenden Marktmechanismus ist. Der Wettbewerb ist jedoch kein Selbstzweck. Sein Sinn erschließt sich vielmehr über die Erfüllung verschiedener Wettbewerbsfunktionen, zu deren wichtigsten die Allokationsfunktion, die Innovationsfunktion, die Verteilungsfunktion und die Freiheitsfunktion zählen (Herdzina 1999: 32; Nullmeier 2005: 108). Die Allokationsfunktion soll für einen optimalen Einsatz der ökonomischen Ressourcen sorgen, sodass Präferenzen von Anbietern und Nachfragern bestmöglich zur Geltung kommen. Die Unternehmen haben unter Wettbewerbsbedingungen Anreize, ihre Leistungen kosteneffizient zu erbringen und an den Präferenzen der Konsumenten zu orientieren. Die Innovationsfunktion soll gewährleisten, dass innovative Produktionsverfahren und Organisationsformen angewandt werden. Der Selbststeuerungscharakter liegt darin, dass den Unternehmen, die ihre innovativen Leistungen auf dem Markt ausprobieren, einerseits durch Kaufentscheidung der Nachfrager Informationen über die relative Qualität ihrer Leistungen erteilt werden und andererseits durch die entstehenden Gewinne und Verluste Anreize zur Verbesserung der Leistungen gesetzt werden. Die Verteilungsfunktion soll eine (im ökonomischen Sinne) leistungsgerechte Verteilung der Unternehmensgewinne gewährleisten. Gewinne sollen also nicht aufgrund erfolgreicher Risikoselektion oder als Folge staatlicher Sonderregelungen erzielt werden, sondern durch bes-
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sere Leistungen für die Nachfrager. Neben diesen Funktionen kommt dem Wettbewerb auch eine gesellschaftspolitische Funktion zu, denn die Konkurrenzsituation eröffnet den Marktteilnehmern Wahlmöglichkeiten und damit Freiheitsspielräume. Sie wird häufig als Freiheitsfunktion bezeichnet (Olten 1995: 21-22; Knieps 2001: 4; Kerber 2003: 300). Wahlfreiheiten stellen auch bei geringen Produktunterschieden, bzw. bei nahezu identischen Vertragsinhalten einen „Wert an sich“ dar. Sie bedeuten vor allem einen Schutz vor wirtschaftlicher Macht, schlechten Serviceleistungen und geringer Versorgungsqualität. Der Wettbewerb auf dem Versicherungsmarkt kann nur funktionieren, wenn die Versicherten jederzeit frei über die angebotenen Leistungen entscheiden können. Darüber hinaus muss es Merkmale geben, anhand derer sich die Anbieter unterscheiden. Das Nachfrageverhalten von Versicherten könnte auch unter der Bedingung weitgehend standardisierter Vertragsinhalte z.B. durch folgende Wettbewerbsparameter beeinflusst werden: ƒ ƒ
ƒ ƒ
Kundennähe (Erreichbarkeit einer Geschäftsstelle, kundenfreundliche Internetpräsenz, guter Service) Kulanzverhalten (Erfolgt die Kostenerstattung nur nach viel bürokratischem Schriftverkehr oder schnell und unkompliziert? Ist die Bereitschaft zur Kostenübernahme eher generös oder wird sie sehr restriktiv gehandhabt?) medizinische Kompetenz (Gibt es Beratungsangebote in medizinischen Sachfragen? Existieren Präventionsprogramme?) Unternehmensimage (Werden Versichertenrechte beachtet? Werden Datenschutzrichtlinien eingehalten? Gibt es Anzeichen für unseriöses Geschäftsgebaren, dubiose Anlageentscheidungen oder andere ethisch fragwürdige Unternehmensstrategien?).
Die gegenwärtige Situation in der PKV stellt nicht nur eine kaum zu rechtfertigende Diskriminierung älterer Versicherter dar, sie ist auch unter Legitimations- und Effizienzgesichtspunkten eindeutig negativ zu bewerten. Ein Versicherter kann unter diesen Bedingungen weder schlechte Serviceleistungen sanktionieren noch wird sich das Angebot des Versicherers an den Präferenzen der Bestandsversicherten orientieren. Die Versicherungen haben somit kaum Anreize zu Leistungs- und Versorgungsinnovationen für ihre älteren Kunden. Ferner besteht für die Versicherungsunternehmen auch keine besonders große Notwendigkeit, auf eine Begrenzung der Kosten für langjährig Versicherte hinzuwirken, denn selbst bei hohen Beitragsbelastungen können die älteren Bestandskunden
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nicht benachteiligungsfrei wechseln. Für ein marktwirtschaftliches Krankenversicherungssystem stellt ein solcher Befund ein nicht zu unterschätzendes Legitimationsproblem dar. Dies gilt umso mehr, als die normativen Begründungen für ein stärker marktwirtschaftliches Gesundheitssystem immer wieder auf die Freiheit des Einzelnen, individuelle Verantwortung und die unterstellten Effizienzvorteile wettbewerbsbasierter Marktprozesse rekurrieren. Von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen, beeindruckt der wissenschaftliche Diskurs aber vor allem durch die beinahe einhellige Nachsicht, mit der ansonsten marktliberale Akademiker das Wettbewerbsproblem der PKV behandeln (für kritische Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen, aber klar wettbewerbsorientierten Ansätzen siehe z.B. Meyer 1997; Terhorst 2000; Bürger 2005; Kirsten 2005). Bevor ein ursachenadäquater Vorschlag zur Lösung des Wettbewerbsproblems unterbreitet wird, werden im nächsten Schritt die Argumente reflektiert, die von Experten und Interessenvertretern gegen eine stärkere Wettbewerbsorientierung vorgetragen werden. Der Diskurs ist insofern sehr aufschlussreich, als er nicht nur das Dilemma des PKV-Geschäftsmodells zum Ausdruck bringt, sondern auch zeigt, wie sehr die wettbewerbliche Transformation der GKV das Geschäftsmodell der PKV delegitimiert. Darüber hinaus erlaubt er tiefe Einblicke in die Vielschichtigkeit der verbandlichen Interessenvertretung.
5.2
Erfolgreiche Wettbewerbsverhinderung
Die akademische Wahrnehmung des Wettbewerbsdefizits hat in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte Transformation erfahren. Die Art und Weise, wie dieser Diskurs seine Schwerpunkte verlagert hat, ohne dabei den eigentlichen Kern des Problems zu thematisieren, ist überaus aufschlussreich und steht sinnbildlich für die nach wie vor ungelöste Frage nach dem Verhältnis von marktwirtschaftlichem Geschäftsmodell auf der einen und sozialpolitischer Verantwortung auf der anderen Seite. Wie es dabei gelingen konnte, bis heute einen umfassenden Versicherungswettbewerb zu verhindern, soll im Folgenden analysiert werden. 5.2.1
Die Lethargie der PKV-Traditionalisten
Das Wettbewerbsproblem der PKV ist keineswegs neu, denn umfangreiche Wechselmöglichkeiten für Bestandsversicherte hat es noch nie gegeben. Allerdings hat dieser Umstand auch jahrelang niemanden gestört. Bis Ende der 1980er Jahre – und zum Teil sogar darüber hinaus – waren offensichtlich auch
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die akademischen Vorstellungen noch stark vom berufsständischen Zuweisungssystem geprägt. Mit dem Aufstieg der Wirtschaftswissenschaften und der auch im Grenzbereich von Politik und Wissenschaft immer stärker werdenden Forderung nach marktwirtschaftlichen Reformen der Sozialversicherungen wurde auch das Wettbewerbsdefizit der PKV allmählich wahrgenommen. Allerdings wurden die fehlenden Wechselmöglichkeiten für privat Versicherte gegen Ende der 1980er Jahre bestenfalls in überschaubaren Fachzirkeln thematisiert, ohne dass Wissenschaftler und Versicherungsbranche hier dringenden Handlungsbedarf gesehen hätten. Jörg Finsinger, damals Professor am Fachbereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Lüneburg, schrieb 1988 zur Wettbewerbsproblematik in der PKV: „Im Rahmen des bestehenden Krankenversicherungswesens scheint eine Aufhebung der Wettbewerbsbeschränkung durch Einschränkung des Versicherungswechsels nicht denkbar. Es kann also nur noch darum gehen, den Wettbewerb um die neu Versicherten wirksam zu gestalten.“ (Finsinger 1988: 11)
Ähnlich nachsichtig liest sich eine Bemerkung von Hans-Leo Weyers, damals Professor am Fachbereich Rechtswissenschaft an der Goethe-Universität in Frankfurt a.M., in seinem juristischen Lehrbuch zum Versicherungsvertragsrecht aus dem Jahr 1995. Dort heißt es, nachdem die Regelungen des VVG ausführliche Würdigung erfahren haben: „Nichts ändern lässt sich freilich mit diesen Mitteln an dem wettbewerbspolitisch unbefriedigenden Zustand, daß der Versicherungsnehmer, wenn er erst einmal einige Zeit bei einem Unternehmen krankenversichert war, oft nur unter großen finanziellen Verlusten zu einem Konkurrenzunternehmen wechseln kann.“ (Weyers 1995: 258)
Dass die Beurteilungen des Wettbewerbsproblems in einer bemerkenswerten Mischung aus Lethargie und Resignation vorgetragen werden, ist umso erstaunlicher, als es sich bei diesen Experten nicht gerade um sozialpolitisch motivierte Kritiker des PKV-Geschäftsmodells handelt, sondern eher um Befürworter eines stärker an marktwirtschaftlichen Prinzipien ausgerichteten Gesundheitssystems. Schon damals konnte der Eindruck entstehen, dass die mangelhaften Wechseloptionen ein unlösbares und zum Schutz der älteren Versicherten auch nicht lösenswertes Problem seien. In den 1990er Jahren hat jedoch die wettbewerbliche Transformation der GKV dazu beigetragen, den Legitimationsdruck auf die PKV zu erhöhen. Durch die Tatsache, dass gesetzlich Versicherte seit 1997 ihre Krankenkasse frei wählen konnten, während in der vergleichsweise marktwirtschaftlichen PKV an einem System mit erheblichen Wettbewerbsrestriktionen festgehalten wurde, verlor die damalige Argumentation der wettbewerbsaversen PKV-Traditio-
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nalisten zunehmend an Überzeugungskraft. Diese Schieflage hat maßgeblich zur Belebung der wissenschaftlichen Debatte beigetragen. Während unter Politikwissenschaftlern bis weit in die 1990er Jahre vor allem darüber diskutiert wurde, wie die damaligen Gesundheitsreformen das Verhältnis von Staat und Verbänden beeinflusst haben (Lamping 1994: 98; Döhler/Manow 1995: 148; Döhler/Manow 1997: 119-120), war unter Ökonomen und Juristen schnell klar, dass die entscheidende Triebfeder für Veränderungen von nun an im Wettbewerb der Versicherungen zu sehen war. Die wettbewerbliche Transformation der GKV hat dabei zweifelsohne den Druck auf die PKV erhöht. So heißt es beispielsweise in einem 1997 veröffentlichten Aufsatz von Meyer: „Es sei aber darauf hingewiesen, daß derzeit, und erst recht ab 1997, wenn die volle Wechselmöglichkeit in der GKV realisiert ist, eine paradoxe Situation in der deutschen Krankenversicherung besteht: Die gesetzliche, auf Solidarprinzip und Umlageverfahren beruhende Krankenversicherung setzt auf Wettbewerb als ein auch im Bereich der Sozialversicherung wirksames marktwirtschaftliches Mittel zur Kostendämpfung, während in der auf Äquivalenzprinzip und Kapitaldeckungsverfahren basierenden privaten Krankenversicherung, die marktwirtschaftlichen Prinzipien näher stehen sollte, praktisch kein Wettbewerb um den Versichertenbestand herrscht.“ (Meyer 1997: 200)
Auch Terhorst lässt unter Verweis auf die Situation in der GKV keinen Zweifel an der Notwendigkeit wettbewerbsorientierter Reformen aufkommen: „Die aus den bestehenden Wahlfreiheitsbeschränkungen resultierende Verringerung der individuellen Freiheit verstößt nicht nur gegen den Freiheitsgrundsatz, sondern ist darüber hinaus weder mit den üblichen Systemelementen der PKV (freie Arzt- und Krankenhauswahl, individuelle Wahl des Versicherungsschutzes etc.) noch mit der gegenwärtig verfolgten Reformoption einer (wahl-)freiheitlich organisierten GKV vereinbar“. (Terhorst 2000:253)
Fast schon wie eine Drohung in Richtung des PKV-Verbandes klingt es in einem insgesamt ebenfalls klar marktbefürwortenden Ansatz bei Thielbeer: „Doch muß die PKV davor gewarnt werden, immer neue Argumente gegen die Einführung einer freien Wettbewerbsordnung vorzubringen. Insbesondere vor dem Hintergrund, daß der Unternehmenswechsel für Pflichtversicherte in der sozialen GKV – auch wenn dort andere Voraussetzungen gelten – nach Maßgabe des GSG seit 1996 bereits möglich ist, erscheint es merkwürdig, wenn die privatwirtschaftliche Alternative an überkommenen Kalkulationsgrundsätzen festhält. Deshalb ist die PKV aufgefordert, [...] selbst Alternativen zu entwickeln, die den freien Wechsel von Versicherten ermöglichen.“ (Thielbeer 1999: 215-216)
Diesem nunmehr zehn Jahre alten Aufruf ist die PKV-Branche bekanntermaßen nicht gefolgt. Stattdessen aber wurden von Politikern und Wissenschaftlern, die der PKV nahe stehen, sowie vom Verband der PKV und verschiedenen
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Expertenkommissionen immer wieder neue Argumente vorgebracht, warum die Realisierung von Wahlfreiheiten für die Versicherten nicht möglich sei. Ein immer wiederkehrendes Abwehrargument, das jegliche Kritik am Wettbewerbsdefizit der PKV schon im Keim zu ersticken versucht, bezieht sich auf die prinzipielle Nicht-Übertragbarkeit der Altersrückstellungen. Die Wettbewerbsskeptiker betonen dabei stets, dass schon der Grundgedanke der individuellen Zurechnung von Ansprüchen falsch sei. Nur auf der kollektiven Ebene homogener Versichertengruppen bestehe die statistische Gewissheit, dass die Prämienzahlungen auch den erwarteten Leistungen entsprechen. Daher sei auch die Altersrückstellung eine kollektive, nicht individualisierbare Größe. Die Absicherung des Krankheitsrisikos in der PKV erfolge in lebenslanger Perspektive, ein Wechsel des Versicherungsunternehmens sei daher auch gar nicht vorgesehen (Bauermeister 1997: 207; Scholz 2001: 13-14; Milbrodt o.J.: 1). Eine weitere, ebenso durchschaubare wie ausweichende Argumentation zur Rechtfertigung des Wettbewerbsproblems ist der Verweis auf das Vorhandensein von „Leistungswettbewerb“, „Produktwettbewerb“ oder „Vertriebswettbewerb“ (Lange 2006: 11; Hofer 2008: 85-92; Milbrodt o.J.: 2-3). Gemeint ist hiermit, dass die privaten Krankenversicherungen Verträge mit unterschiedlichen Versicherungsleistungen anbieten, unterschiedliche Versicherungsprodukte bereithalten oder unterschiedliche Vertriebskanäle nutzen. Dass die PKV in begrenztem Umfang über mehr Gestaltungsmöglichkeiten verfügt als die GKV, ist zwar grundsätzlich richtig, allerdings kann der Versicherte das Angebot einer privaten Krankenversicherung nur ein einziges Mal, nämlich zu Beginn der Vertragslaufzeit, wählen. Das zentrale Problem, dass Bestandskunden ihre Versicherung faktisch nicht wechseln können, bleibt ungeachtet solch semantischer Ablenkungsmanöver natürlich bestehen. Solange sich die vielen Gestaltungsmöglichkeiten lediglich auf das Neukundengeschäft beschränken, während die Versicherten schon nach kurzer Vertragslaufzeit nicht mehr über die Vorzugswürdigkeit bestimmter Vertriebswege, Produkte und Leistungen entscheiden können, sind diese Wettbewerbsparameter für die Bestandskunden völlig wertlos. Gegenüber den Versicherten kommunizieren die Interessenvertreter der PKV das Wettbewerbsproblem in einer Mischung aus Vereinnahmung und indirekter Drohgebärde. In einer Informationsbroschüre des PKV-Verbandes mit dem Titel „Lohnt der Wechsel innerhalb der PKV?“ wird die Frage gleich selbst beantwortet: „In den meisten Fällen lohnt der Wechsel nicht. Die Regel ist, dass Versicherte ihr PKV-Unternehmen zum eigenen Schaden gewechselt haben. Ein Wechsel zwi-
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schen den Unternehmen der privaten Krankenversicherung sollte darum genau überlegt werden.“ (Verband der privaten Krankenversicherung o.J.b: 2)
Hier zeigt sich bereits in Ansätzen, dass „die Marktbefürworter“ im Gesundheitswesen eine äußerst heterogene Gruppe darstellen, so dass die Absicherung des Krankheitsrisikos über „den Markt“ aus höchst unterschiedlichen Motiven unterstützt wird. Während die einen der Auffassung sind, dass hiermit vor allem der Wettbewerb auf Seiten der Anbieter forciert und die Handlungsautonomie der Nachfrager gestärkt wird, sind die anderen vor allem daran interessiert, Gewinne auf dem „Wachstumsmarkt Gesundheit“ zu erzielen. Das betriebswirtschaftliche Ziel der Gewinnmaximierung muss dabei keineswegs mit dem volkswirtschaftlichen Ziel einer effizienten Leistungserstellung übereinstimmen. 5.2.2
Die Ratlosigkeit der Expertenkommissionen
Den mit Abstand größten Raum im Wettbewerbsdiskurs nimmt zweifelsohne die Debatte um die Mitnahmefähigkeit der Altersrückstellungen ein. Dieser Diskurs wurde vor allem durch die Arbeit verschiedener Expertenkommissionen gefördert, denen überwiegend Versicherungsmathematiker, Ökonomen und Juristen sowie Interessenvertreter der Versicherungsbranche angehört haben. Eine wegweisende, da argumentativ vorbereitende Rolle hat hierbei die „Unabhängige Expertenkommission zur Untersuchung der Problematik steigender Beiträge der privat Krankenversicherten im Alter“ (im Folgenden „Unabhängige Expertenkommission“) eingenommen, die 1994 vom Bundesministerium für Finanzen eingesetzt wurde. Die Kommission sollte nicht nur Vorschläge unterbreiten, wie der Prämienanstieg für ältere privat Versicherte begrenzt werden könnte, sondern auch Möglichkeiten des Versicherungswechsels untersuchen und entsprechende Lösungskonzepte erarbeiten. Im Mai 1996 hat die Unabhängige Expertenkommission dem Deutschen Bundestag ihren Abschlussbericht vorgelegt. Dem ersten Teil ihres Auftrags ist die Kommission nachgekommen, indem sie der Politik Vorschläge zur Prämienbegrenzung im Alter unterbreitet hat, die letztlich auch Eingang in die Kalkulationsvorschriften gefunden haben (siehe hierzu Kapitel 6.2.1). In der Wettbewerbsfrage konnten jedoch keine praxistauglichen Lösungsvorschläge erarbeitet werden. Zwar zeigte sich die Kommission „überzeugt, dass eine Intensivierung des Wettbewerbs auch in der PKV gesamtwirtschaftlich von Vorteil ist“ (Deutscher Bundestag 1996: 42), allerdings wurde das Wettbewerbsproblem ausschließlich unter dem Aspekt möglicher Übertragungsmodelle der Altersrückstellungen verhandelt, wobei die hybriden Ausgangsbedingungen nicht zur Disposition standen.
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Kurz diskutiert und sogleich wieder verworfen wurde ein Modell zur Mitgabe der kalkulierten Altersrückstellung, das aus den bereits skizzierten Gründen der Risikoselektion als ungeeignet erachtet wurde (siehe Abschnitt 5.1 in diesem Kapitel). Zwar wurde auch darüber nachgedacht, das Problem der Risikoselektion zu beheben, indem die Unternehmen zu einem Kontrahierungszwang mit einheitlicher Prämiengestaltung und einem unternehmensübergreifendem Risikoausgleich verpflichtet werden. Allerdings wurde die Standardisierung der Versicherungsverträge mit dem Argument verworfen, dass der Wettbewerb im Leistungsbereich damit ausgeschlossen wäre (Deutscher Bundestag 1996: 44). Weitaus intensiver hat sich die Kommission daher mit dem Modell individueller Altersrückstellungen beschäftigt, bei der ein Versicherter genau die Altersrückstellung mitnehmen würde, die seinem Gesundheitszustand zum Zeitpunkt des Versicherungswechsels entspricht. Würde es gelingen, eine individuell mitzugebende Altersrückstellung möglichst genau zu ermitteln, wäre dies nach Einschätzungen der Kommission ausreichend, um auch Bestandsversicherten den Wechsel zu ermöglichen. Letztlich vertrat die Kommission jedoch die Auffassung, dass aufgrund fehlender Datengrundlagen eine hinreichend präzise Berechnung der individuellen Altersrückstellung nicht realisierbar sei. Trotz der unbefriedigenden Wettbewerbssituation wurde der Politik daher ein Festhalten am Status Quo nahegelegt. In der abschließenden Beurteilung kam die Unabhängige Expertenkommission zu dem Ergebnis, dass das Modell individueller Altersrückstellungen zwar einen „theoretisch attraktiven“ Ansatz darstelle, es aber „in praktischer Hinsicht erhebliche Probleme aufweist, so dass es dem Gesetzgeber derzeit nicht empfohlen werden kann“ (Deutscher Bundestag 1996: 47). Ähnlich hatte bereits die Monopolkommission in ihrem Siebten Hauptgutachten („Die Wettbewerbsordnung erweitern“) aus dem Jahr 1986/87 geäußert, die zwar die wettbewerbliche Steuerung im Gesundheitswesen für wirtschaftlich geboten hielt, im Fall der PKV jedoch ebenfalls die Auffassung vertrat, dass die „Ausbezahlung des Deckungskapitals bei Vertragskündigung (...) keine sinnvolle Alternative“ darstelle (Deutscher Bundestag 1988: 247). Ein Jahrzehnt später hat sich die Monopolkommission jedoch in ihrem Zwölften Hauptgutachten („Marktöffnung umfassend verwirklichen“) gegen die Auffassung der Unabhängigen Expertenkommission gewandt, dass eine ausreichende Informationsbasis für ein individuelles Mitgabemodell nicht gegeben sei. Einigkeit mit der Unabhängigen Expertenkommission bestand zwar darin, dass die Mitgabe der individualisierten Altersrückstellung der Schlüssel zu mehr Wettbewerb sei. Die un-
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zureichende Datenbasis sah die Monopolkommission dabei aber kaum als Problem an: „Warum es nicht möglich sein kann, die Alterungsrückstellungen hinreichend genau – oder zumindest approximativ – zu ermitteln, ist nicht einzusehen. Bereits heute ist es in der PKV gängige Praxis, [...] eine Annäherung an Risikoäquivalenz herzustellen, die seit Jahrzehnten praktiziert wird. Die hierbei zugrunde gelegten Methoden und Tabellen wären entsprechend weiterzuentwickeln.“ (Deutscher Bundestag 1998: 343)
Diese Auffassung wurde auch von anderen Wissenschaftlern geteilt. Thielbeer (1999: 214) beispielweise argumentierte ebenfalls, die Ermittlung individueller Altersrückstellungen sei prinzipiell möglich, da sich die Risikoeinschätzung während der Vertragslaufzeit durch nichts von der Risikoeinschätzung zu Beginn der Vertragslaufzeit unterscheide. Umfangreichere Datensätze als vor dem Vertragsabschluss seien daher auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht erforderlich. Dass die Ermittlung der individuellen Altersrückstellung eine versicherungsmathematische Unmöglichkeit darstelle, sei auch insofern stark zu bezweifeln, als nach § 204 VVG (damals §178f VVG) ein unternehmensinterner Wechsel in günstigere Tarife unter Anrechnung der erworbenen Rechte bereits seit vielen Jahren möglich sei. Sofern es gängige Praxis sei, dass ein Versicherter innerhalb eines Unternehmens seine erworbenen Ansprüche in einen neuen Versicherungstarif mitnimmt, erscheine es wenig nachvollziehbar, dass die Anrechnung bei einem unternehmensübergreifenden Wechsel nicht erfolgen könne (Thielbeer 1999: 216). Auch nach Auffassung des Bamberger Professors Ulrich Meyer, der Mitglied in mehreren Kommissionen war und als geistiger Vater des individualisierten Mitgabemodells gilt, steht es um die Mitgabefähigkeit der individualisierten Altersrückstellung besser als es die Kommissionsberichte nahelegen. Auf der Grundlage eines klar marktbefürwortenden Ansatzes stellt er die angeblich mangelnde Informationsbasis für die hinreichend genaue Berechnung der mitzugebenden Altersrückstellung in Frage und verweist darauf, dass in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte bei der Risikoprüfung vor Vertragsabschluss erzielt worden seien. Die Entwicklung computergestützter Modelle biete ausreichend Möglichkeiten, eine entsprechende Risikoklassifizierung auch während der Vertragslaufzeit hinreichend präzise zu ermitteln. Die Erkenntnisse und Daten, die sich aus der Einführung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs in der GKV ergäben, könnten auch für die Berechnungen in der PKV herangezogen werden (Meyer 2004: 6-7). Erforderlich sei allerdings ein initialer gesetzgeberischer Eingriff, da unter den gegebenen Bedingungen kein Versicherungsunternehmen mit einem eigenen Übertragbarkeitsmodell vorpreschen
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würde. In einem funktionierenden Markt würde solch ein innovativer Schritt zu Pioniergewinnen führen. In diesem Fall hingegen hätten Unternehmen, die die Übertragbarkeit ermöglichen würden, nur Nachteile. Während die eigenen Bestandsversicherten nämlich mit einer portablen Altersrückstellung das Unternehmen verlassen könnten, wäre umgekehrt der Zugang aus den Beständen anderer Versicherungsunternehmen nicht möglich (Meyer 2004: 4-5). Mit dem Thema Kapitaldeckung in der Kranken- und Rentenversicherung hat sich im Jahr 2004 auch der Wissenschaftliche Beirat des Bundesministeriums der Finanzen beschäftigt. In diesem Gutachten, das sich vor allem für den Ausbau kapitalgedeckter Vorsorge in der Alterssicherung und der gesetzlichen Krankenversicherung stark macht, wird das Dilemma der mangelhaften Portabilität für die PKV beschrieben und kritisiert, dass diese Situation zu „unzureichendem Wettbewerb und zu Verzerrungen im Versicherungsangebot“ führe. Die bestehende Praxis der Kapitaldeckung in der PKV lehre, dass es trotz Versicherungsaufsicht gerade durch die Altersrückstellungen zu „erheblichen Einschränkungen des Wettbewerbs unter den Anbietern“ komme (Wissenschaftlicher Beirat 2004: 28). Allerdings hält auch dieses ansonsten eher marktliberale Expertengremium den Wettbewerb in einem privatwirtschaftlichen Versicherungssystem letztlich für verzichtbar: „Sollte sich dieses Problem nicht befriedigend lösen lassen, sollte die Politik nicht auf Portabilität im Rahmen risikodifferenzierender Krankenversicherungsverträge bestehen.“ (Wissenschaftlicher Beirat 2004: 28)
Vor dem Hintergrund der anhaltenden Diskussionen um das Wettbewerbsdefizit hatte auch der PKV-Verband im Jahr 2001 eine eigene „Sonderkommission Wechsel“ eingesetzt, die Optionen zur Erleichterung eines Versicherungswechsels diskutieren sollte. Vorsitzender der Kommission war der Vorstandsvorsitzende der Barmenia Krankenversicherung Josef Beutelmann. Das wenig überraschende Ergebnis dieser Kommissionstätigkeit war, dass die Altersrückstellungen aus den verschiedensten Gründen nicht mitgegeben werden könnten. In der abschließenden Dokumentation der Ergebnisse wird die faktische Einschränkung der Wechselmöglichkeiten für Bestandsversicherte mit dem Verweis auf unternehmensinterne Wechseloptionen (damals noch §178f VVG, seit 2008: § 204 VVG) gerechtfertigt: „Neben der Austrittsoption (Wechsel zur Konkurrenz), die zugegebenermaßen durch den systemimmanenten Grundsatz der Vertragsfreiheit faktisch nur den Gesunden vorbehalten ist, verfügen die Bestandskunden mit §178f VVG noch über eine umfassende Tarifwechseloption, die wegen der gesetzlich vorgeschriebenen Anrechnung der aus dem Vertrag erworbenen Anrechte und der Alterungsrückstel-
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lung in den meisten Fällen attraktiver sein dürfte als der Unternehmenswechsel.“ (Beutelmann 2001: 86-87)
Diese Einschätzung enthält immerhin die wichtige Anmerkung, dass durch die grundsätzliche Vertragsfreiheit bei Neuverträgen ein Versicherungswechsel rechtlich nicht garantiert werden kann. Anstatt aber diesen „systemimmanenten Grundsatz“ zu hinterfragen, wurde eine Strategie der Versichertenbevormundung favorisiert. Abschließend heißt es in der Stellungnahme: „Solange keine wirkliche Alternative gefunden ist, plädiert die Kommission zum Schutz der nicht wechselwilligen und krankheitsbedingt nicht wechselfähigen Versicherten für die Beibehaltung des bisherigen Systems.“ (Beutelmann 2001: 116)
Hier zeigt sich bereits, wie sehr die übrigen Expertenkommissionen eine argumentative Grundlage für das Festhalten am Status Quo geschaffen haben. Scheinbar folgerichtig kommt der Verband der PKV dann auch später zu dem Schluss: „Alterungsrückstellungen haben aber einen kollektiven Charakter. Sie sind kollektiv für eine Versichertengemeinschaft kalkuliert worden. Eine individuelle Zurechnung – das haben zahlreiche Expertengruppen bestätigt – ist nicht möglich.“ (Verband der privaten Krankenversicherung 2006b: 8)
Eine Kommission, die zum ersten Mal weitergehende Vorschläge unterbreitet hat, war die im Jahr 2000 vom Bundesministerium der Justiz einberufene „Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts“ (Im Folgenden: VVG-Kommission). Der Arbeitsauftrag sah eine umfassende Modernisierung des gesamten VVG vor, so dass sich der Gestaltungsauftrag keineswegs nur auf die PKV beschränkte. Aus gutem Grund hat die Kommission den Wettbewerbsrestriktionen der PKV aber einen hohen Stellenwert in ihrem Abschlussgutachten beigemessen. Auch in der VVG-Kommission, die teilweise personelle Überschneidungen mit der Unabhängigen Expertenkommission aufwies, wurde das Wettbewerbsproblem zunächst vorrangig unter dem Aspekt der nicht transferierbaren Deckungsrückstellungen diskutiert, wobei gemäß dem Arbeitsauftrag vorwiegend rechtliche Fragen möglicher Übertragungslösungen verhandelt wurden. Unter den gegenwärtig gegebenen Bedingungen hielt auch die VVGKommission die Mitgabe einer individualisierten Altersrückstellung für problematisch. Ein nach wie vor ungelöstes Problem sah sie trotz teilweiser Verbesserungen in der mangelnden Informations- und Datenbasis. Im Abschlussgutachten der Kommission aus dem Jahr 2004 heißt es dazu: Die Kommission ist der Auffassung, dass Zweifel an der hinreichend sicheren Berechnung einer individuellen prospektiven Altersrückstellung auch heute noch berechtigt sind; sie [...] zieht deshalb eine allein darauf beruhende Übertragungsregelung nicht in Betracht.“ (VVG-Kommission 2004: 150)
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Neben den versicherungstechnischen Argumenten gegen eine Mitgabe der individuellen prospektiven Altersrückstellung hat die VVG-Kommission aber vor allem rechtliche Bedenken vorgebracht. Um die individuelle Erkrankungswahrscheinlichkeit zum Wechselzeitpunkt exakt auf die Höhe der mitzugebenden Altersrückstellung beziehen zu können, wäre eine Gesundheitsprüfung im Einzelfall erforderlich. Da zwischen dem abgebenden und dem aufnehmenden Versicherungsunternehmen immer ein finanzieller Interessengegensatz bestehe, wäre auch mit gerichtlichen Auseinadersetzungen zu rechnen. In diesem Fall bedürfte es einer verbindlichen Streitregelung, die weder durch staatliche Behörden noch durch eine gesetzlich vorgeschriebene Schiedsstelle erfolgen könne. Da aufgrund der Rechtsweggarantie (Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG) jedem Bürger der Weg zu den Gerichten offen stehe, wären Entscheidungen von Behörden oder Schiedsstellen stets gerichtlich überprüfbar. Eine Wechselmöglichkeit unter diesen Rahmenbedingungen sei praktisch wertlos, da der Versicherungsnehmer zum Wechselzeitpunkt keine Rechtssicherheit über die endgültigen Wechselbedingungen erhalte (VVG-Kommission 2004: 152-153). Die VVG-Kommission hat sich jedoch in einem wesentlichen Punkt von allen anderen hier vorgestellten Expertengremien unterschieden, denn als einzige hat sie aus den eigenen Analysen logische Konsequenzen gezogen und Gedanken grundsätzlicherer Natur über weitergehende Wechselmodelle angestellt. Zum erstem Mal waren auch kritischere Einwände zu vernehmen, die nicht mehr vorbehaltlos am bisherigen Geschäftsmodell der PKV festhielten. Während zunächst überzeugend dargelegt wurde, dass unter den gegebenen Bedingungen weder die durchschnittlich kalkulierten noch die individualisierten Rückstellungen mitgenommen werden können, hat die VVG-Kommission die Ausgangsbedingungen – Vertragsfreiheit und Risikoäquivalenz in den Neuverträgen bei gleichzeitigem Kündigungsschutz und dem Verbot nachträglicher individueller Risikoanpassungen in den Bestandsverträgen – in Frage gestellt (VVG-Kommission 2004: 147-148). Dabei wurde vor allem mit dem Gerechtigkeitsproblem argumentiert, dass ein Wechsel für ältere Versicherte praktisch ausgeschlossen oder mit unvertretbar großen Hürden verbunden sei. Zudem betonte die Kommission, dass es auch der Öffentlichkeit kaum mehr überzeugend zu vermitteln sei, dass gesetzlich Versicherte über Wechselmöglichkeiten verfügen, privat Versicherte jedoch nicht (VVG-Kommission 2004: 153-154). Um diese Nachteile zu beseitigen, hielt es die Kommission für erforderlich, wesentliche Elemente der geltenden Vertragsfreiheit tiefer greifend zu beschränken. An der Notwendigkeit eines gesetzgeberischen Eingriffs ließ die Kommission keinen Zweifel, denn „auf freiwillige Lösungen durch einvernehm-
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liche Spielregeln, die die PKV-Unternehmen untereinander vereinbaren, sollte nicht gesetzt werden“ (VVG-Kommission 2004: 154). Da ein wirklich freier PKV-Wechsel erst verwirklicht sei, wenn alle Versicherten – also auch ältere und kranke Menschen – eine Wechseloption ohne gravierende Nachteile erhielten, sei ein Verzicht auf die erneute Risikodifferenzierung nach Alter und Geschlecht sowie ein gesetzlicher Kontrahierungszwang erforderlich. Die Einführung eines Kontrahierungszwangs ohne Risikodifferenzierung setze auch einen gesetzlich festgelegten und damit brancheneinheitlichen Versicherungsschutz sowie ein entsprechendes Risikoausgleichssystem voraus. Die Definition des einheitlichen Versicherungsumfangs sei rechtlich erforderlich, weil Unternehmen und Versicherte wissen müssten, zu welchem Umfang ein Zwang zum Vertragsabschluss bestehe. Ein Ausgleichssystem sei nötig, da die Unternehmen wegen des Kontrahierungszwangs einer zufälligen Ansammlung „schlechter Risiken“ nicht ausweichen können. Der Politik wurde empfohlen, alsbald derartige Modelle zu entwickeln (VVG-Kommission 2004: 154-155). Zusammenfassend lässt sich zunächst einmal festhalten, dass die verschiedenen Expertenkommissionen insgesamt wenig dazu beigetragen haben, den politischen Entscheidungsträgern handlungsrelevantes Wissen zur Verfügung zu stellen. Eine Ausnahme bildet in dieser Hinsicht lediglich die VVG-Kommission, die der Politik erstmals weitergehende Reformschritte nahegelegt hat. In allen anderen Arbeiten finden sich statt konstruktiver Lösungsvorschläge durchweg nur Bedenken, Skepsis und Zweifel, wenn es um die Verwirklichung von etwas mehr Wettbewerb in der PKV geht. Die „Ratlosigkeit“ der Kommissionen hat jedoch nicht nur eine ursachenadäquate Analyse der Wechselhemmnisse erschwert, sondern den wettbewerbsaversen Profiteuren des Status Quo auch eine vermeintliche Sachzwangargumentation geliefert. Die Herangehensweise der Experten war zumeist dadurch gekennzeichnet, dass an den Grundlagen des marktwirtschaftlichen Geschäftsmodells ebenso festgehalten wurde wie an dessen sozialpolitischer Regulierung. Damit wurde eine grundsätzlichere Auseinandersetzung um die Rolle der PKV im deutschen Gesundheitswesen stets wirksam verhindert. Zudem gingen fast alle Kommissionsarbeiten fälschlicherweise davon aus, dass allein mit der Übertragung „richtiger“ Altersrückstellungen bereits ausreichende Wechselmöglichkeiten verwirklicht seien. Vor dem Hintergrund dieser engen Rahmenvorgaben ließ sich dann stets argumentieren, dass die verschiedenen Übertragungsoptionen nicht praktikabel und folglich auch nicht empfehlenswert seien. Mit dem Ausbau der „Expertokratie“ wurde vor allem die mangelhafte Portabilität der Altersrückstellungen in den Mittelpunkt gerückt, die von zahlrei-
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chen Wissenschaftlern, weiteren Expertengremien und letztlich auch vom Verband der PKV dankbar aufgenommen und rezipiert wurde (Milbrodt o.J.: 6; Bürger 2005: 77; Kirsten 2005: 215-218). Mit dem immer wiederkehrenden Aufbau der Argumentation haben die Kommissionen jedoch ein Denkmuster vorgegeben, das den wissenschaftlichen Diskurs maßgeblich beeinflusst und eingeengt hat. Durch die alleinige Fokussierung auf den Aspekt der Altersrückstellungen wurde immer wieder der Schluss nahegelegt, dass das Wettbewerbsproblem tatsächlich nicht oder nur zu unvertretbar hohen Lasten der Versicherten zu beheben sei. Das Argument, Wettbewerbshemmnisse seien zum Schutz der krankheitsbedingt nicht wechselfähigen Versicherten aufrechtzuerhalten, ist jedoch nicht überzeugend. Weder Unternehmen noch Expertenkommissionen oder Politiker können beurteilen, ob für den einzelnen Versicherten entweder der Verbleib im alten Versichertenbestand, ein unternehmensinterner Tarifwechsel oder der Wechsel zu einem anderen Unternehmen erstrebenswert ist. Diese Form paternalistischer Bevormundung nimmt den Versicherten jede Möglichkeit, frei und selbstbestimmt über einen Anbieterwechsel zu entscheiden. Für einen funktionierenden Marktmechanismus wäre es jedoch von enormer Bedeutung, dass die Nachfrager durch Wechselmöglichkeiten über die Qualität der angebotenen Leistungen entscheiden können. Dass sich diese Wahlmöglichkeiten dauerhaft und unabhängig von Alter, Geschlecht und Gesundheitsstatus auf alle Bestandsversicherten erstrecken müssen, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Dass jedoch ausgerechnet diejenigen Experten, die in anderen Zusammenhängen stets die Vorzüge von Markt und Wettbewerb hervorgehoben haben, im Fall der PKV so nachsichtig waren, ist umso erstaunlicher, als das faktische Wettbewerbshemmnis allen Grundsätzen widerspricht, mit denen die marktförmige Absicherung des Krankheitsrisikos normalerweise gerechtfertigt wird. 5.2.3
Die Verteidigung des Status Quo durch den Verband der PKV
Anders als die gesetzlichen Krankenversicherungen, die sich auch intern im permanenten Wettbewerb mit den konkurrierenden Kassen behaupten müssen, können sich die privaten Krankenversicherer bislang darauf verlassen, dass einmal unter Vertrag genommene Versicherte in der Regel nicht mehr benachteiligungsfrei zu einem anderen privaten Versicherungsunternehmen wechseln können. Neben den Möglichkeiten der Risikoselektion gegenüber der GKV dürfte vor allem der gegen interne Konkurrenz weitgehend abgeschirmte Privatversicherungsmarkt entscheidend dafür sein, dass die etablierten PKVUnternehmen vehement am bisherigen Geschäftsmodell festhalten. Allerdings
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hat sich der politische Druck auf die PKV in den vergangenen Jahren spürbar erhöht. Hierzu hat nicht zuletzt die Diskussion um die Einführung eines einheitlichen Versicherungsmarktes beigetragen, die mit unterschiedlichen Problemwahrnehmungen, Motivationen und Zielen geführt wurde. Dass sowohl die Befürworter solidarischer Reformkonzeptionen („Bürgerversicherung“) als auch die Fürsprecher marktwirtschaftlicher Alternativen („Kopfprämien“) dezidiert wettbewerbspolitische Ziele verfolgen, hat die Verteidigung des Status Quo für den Verband der PKV nicht gerade erleichtert. Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz 2007 wurden schließlich erste zaghafte Schritte unternommen, die Privatversicherer zur Portabilität der Altersrückstellungen zu bewegen. Mit der allgemeinen Versicherungspflicht und dem neuen Basistarif wurden einige für die PKV relevante Veränderungen eingeführt (zu den Einzelheiten siehe Kapitel 3.1.3). Der Basistarif ist von entscheidender wettbewerbspolitischer Bedeutung, da er einige Elemente aufweist, die in Zukunft einen erleichterten Versicherungswechsel begründen könnten: eine einheitliche Prämie, ein klar abgegrenztes Leistungsangebot sowie ein gesetzlicher Kontrahierungszwang mit Risikoausgleichsmechanismen. Außerdem wurden die Unternehmen erstmals verpflichtet, einen Teil ihrer Altersrückstellungen mitnahmefähig zu machen, denn mit den Neuregelungen des Basistarifs konnten PKV-Bestandsversicherte, die ihren Versicherungsvertrag vor dem 1.1.2009 geschlossen hatten, in einem zeitlich eng begrenzten Rahmen von sechs Monaten (1.1.2009-30.6.2009) aus dem bisherigen Normaltarif ihres PKV-Unternehmens in den Basistarif eines anderen Unternehmens wechseln. Sofern der bestehende Versicherungsvertrag vom Versicherungsnehmer innerhalb dieser Frist gekündigt wurde, konnte eine kalkulierte Altersrückstellung in Höhe des Basistarifs transferiert werden. Dieses Ergebnis fiel weit hinter die ursprünglichen Pläne des SPD-geführten Bundesgesundheitsministeriums zurück, denn zunächst war nicht nur der Einbezug der PKV in den neu geschaffenen Gesundheitsfond geplant, sondern auch die zeitlich unbefristete Mitnahme der Altersrückstellungen für alle Bestandsversicherten bei einem Versicherungswechsel. Die Einführung des Basistarifs war im Vorfeld von hitzigen Debatten und massiven Interventionen des PKV-Verbandes geprägt, die auch nach der Umsetzung der neuen Reform nicht endeten (siehe z.B. Thüsing 2008). Die Schärfe des Widerstands war insofern bemerkenswert, als der PKV-Verband auf dessen eigener Mitgliederversammlung am 2./3. Juni 2004 in Berlin ein „Zukunftsmodell“ vorgestellt hatte, das zunächst auf einen wettbewerbspolitischen Sinneswandel der Verbandsfunktionäre hinzudeuten schien. In der verbandseigenen Zeitschrift „PKV Publik“ wurde dieses Zukunftsmodell, das eine bemerkens-
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werte Ähnlichkeit zum heutigen Basistarif aufweist, unter Hinweis auf den „Rückhalt der ganzen Branche“ auch der Öffentlichkeit präsentiert: „Es sieht unter anderem vor, dass alle freiwillig GKV-Versicherten jederzeit bis zum 55.Lebensjahr – und darüber hinaus in einer einmaligen, zeitlich befristeten Öffnungsaktion auch ohne Altersgrenze – künftig auf der Grundlage eines PKVeinheitlichen Basisschutzes zur PKV wechseln können, mit Annahmegarantie und ohne Risikozuschläge. Ein weiterer Baustein dieses zukunftsorientierten Konzepts ist es, den Wettbewerb innerhalb der PKV zu stärken. So sollen künftig Neuversicherte jederzeit auf der Grundlage und im Umfang des Basisschutzes ohne Nachteile ihren Versicherer wechseln können.“ (o.V., PKV Publik 5/2004: 49)
Ferner wurde ausdrücklich betont, dass auf der Grundlage und im Umfang des Basisschutzes alle Neuversicherten ein sofortiges Wechselrecht zu anderen PKV-Anbietern unter Beibehaltung aller Rechte aus den Altersrückstellungen haben sollten (Pott 2004: 52). Das Zukunftsmodell des PKV-Verbandes sah aus naheliegenden Gründen lediglich vor, dass ausschließlich freiwillig gesetzlich Versicherte und zukünftig Neuversicherte in dessen Genuss kommen sollten. Die Öffnung des vom Verband vorgeschlagenen Basisschutzes hätte somit vor allem gutverdienenden, aber zum Wechsel in die PKV unentschlossenen gesetzlich Versicherten eine Einstiegsoption ermöglicht. Die strategische Absicht ist aus zwei Gründen offensichtlich. Erstens fiel dieser Vorschlag zeitlich mit der Veröffentlichung des Abschlussberichts der VVG-Kommission im April 2004 zusammen. Da diese zum ersten Mal den eigentlichen Kern des Problems erfasst und über tiefgreifendere Reformen des PKV-Geschäftsmodells nachgedacht hatte, sollte die fast zeitgleiche Veröffentlichung des „PKV-Zukunftsmodells“ wohl dazu beitragen, der immer deutlicher werdenden Kritik der Experten und der beiden SPD-geführten Bundesministerien für Justiz und Gesundheit die Spitze zu nehmen. Zweitens folgt der alleinige Zuschnitt auf die freiwillig gesetzlich Versicherten, bzw. Neuversicherten einem betriebswirtschaftlichen Kalkül, denn auf der Grundlage des Zukunftsmodell-Tarifs könnten diese Personen nach einer gewissen Zeit auch in andere Normaltarife der PKV wechseln. Der PKV hätte sich somit ein weiteres Instrument zur erfolgreichen Risikoselektion gegenüber der GKV erschlossen. Was der Vorschlag des PKV-Verbandes jedoch nicht vorsah, war a) die Wiederversicherung von Menschen, die früher bereits privat versichert waren und diesen Schutz nun verloren hatten und b) die (zeitlich befristete) Wechseloption für PKV-Bestandsversicherte aus den Normaltarifen in den Basistarif unter Mitnahme der durchschnittlich kalkulierten Altersrückstellung. Der Gesetzgeber ist mit dieser Regelung zumindest teilweise der Auffassung gefolgt, dass nicht nur der Zustand faktischer Nichtversicherung, sondern auch die ge-
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genwärtigen Wettbewerbsrestriktionen für die Bestandsversicherten in einem marktwirtschaftlichen Versicherungssystem nicht länger vermittelbar sind. Dass sich die Einführung des neuen Basistarifs dennoch äußerst schwierig gestalten sollte, war vor allem auf die massiven Anstrengungen des PKV-Verbandes und die Unterstützung der CDU/CSU zurückzuführen (zur Rolle der CDU/CSU im Gesetzgebungsprozess siehe auch Neumann 2009: 94-99). Nachdem im Jahr 2006 bereits erste Details der Beratungen auf Regierungsebene an die Öffentlichkeit drangen, wurde die Lobbyarbeit des PKV-Verbandes erheblich verstärkt. Dabei sahen sich die Regierungsverantwortlichen zunächst noch dem Spott der Versicherungsbranche ausgesetzt: „Man reibt sich verwundert die Augen: Von allen Expertenkommissionen seit den neunziger Jahren mehrfach zu Grabe getragen, feiert die Idee der Portabilität im gesundheitspolitischen Programm der Großen Koalition wieder fröhliche Urständ“ (Genett in PKV Publik 6/2006: 63)
Als sich jedoch immer deutlicher abzeichnete, dass der Gesetzgeber dieses Mal fest entschlossen war, zumindest eine begrenzte Portabilität zu ermöglichen und den Basistarif auch für Bestandsversicherte und ehemals privat Versicherte zu öffnen, bedurfte es einer neuen Verteidigungsstrategie. Dabei wurde zunächst eine Taktik verfolgt, bei der das Szenario dramatischer Beitragserhöhungen entworfen wurde. Der PKV-Verband verfolgte damit zwei offensichtliche Ziele: Erstens lag der Dramatisierung die Absicht zugrunde, die eigenen Bestandskunden zu verunsichern und gegen die Reformpläne zu mobilisieren. Zweitens bot sich durch die geplanten Strukturreformen eine gute Gelegenheit, die ohnehin erforderlichen Prämienerhöhungen der Bundesregierung anzulasten. In einer im September 2006 veröffentlichten Presseerklärung des PKV-Verbandes wird der Vorsitzende Reinhold Schulte mit den Worten zitiert: „Wenn diese Pläne – so vor allem Portabilität im Bestand, Versicherungspflicht zu nicht kostendeckenden Beiträgen, Subventionierung des Basistarifs durch Bestandsversicherte – Wirklichkeit werden sollten, ergeben sich für die bereits heute Privatversicherten Beitragssteigerungen von bis zu 70 Prozent.“ (Verband der privaten Krankenversicherung 2006c: Pressemitteilung)
In Anbetracht der inhaltlichen Parallelen des vom PKV-Verband vorgeschlagenen Zukunftsmodells zum geplanten Basistarif konnte eine solche Beitragsprognose auch die Fachwelt nur verwundern. Schließlich ging es hier lediglich um die moderate Stärkung von Wettbewerbselementen auch auf dem privaten Krankenversicherungsmarkt sowie die partielle Einführung eines Basistarifs, dessen Leistungsniveau dem der GKV entspricht und dessen Höhe sich am Maximalbeitrag der GKV orientiert.
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Der Veranschaulichung dieses Beitragsszenarios möge das folgende Rechenbeispiel dienen, dessen Zahlen dem Statistischen Taschenbuch 2005 des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG 2005) entnommen sind. Zum Zeitpunkt der ersten Reformüberlegungen Mitte 2006 lagen die Jahresabschlusszahlen der GKV für das Jahr 2004 vor. Mit Beitragseinnahmen von insgesamt 142,5 Milliarden Euro und 70,2 Millionen gesetzlich Versicherten im Jahr 2004 sicherten die gesetzlichen Versicherungen das Krankheitsrisiko zu einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Beitrag von monatlich 169 Euro je Versicherten ab. Bei dem im Jahr 2004 geltenden durchschnittlichen Beitragssatz von 14,22 Prozent und der Beitragsbemessungsgrenze von monatlich 3.488 Euro lag der durchschnittliche Höchstbeitrag der GKV bei 496 Euro pro Versicherten (BMG 2005). Diesen Betrag hätte die PKV verlangen können, wenn der Basistarif bereits im Jahr 2004 eingeführt worden wäre (bezogen auf das Jahr 2009, dem Jahr der tatsächlichen Einführung des Basistarifs, ergäben sich unter Zugrundelegung des durchschnittlichen Beitragssatzes von 15,5 Prozent und einer Beitragsbemessungsgrenze von 3.675 Euro sogar 570 Euro). Mit anderen Worten: Das Leistungsniveau, das die GKV für 70,2 Millionen Versicherte mit durchschnittlich 169 Euro finanziert, glaubt die PKV für eine vergleichsweise geringe Versichertenzahl mit 496 Euro nur unter Inkaufnahme von 70 Prozent Beitragssteigerungen für die Bestandsversicherten leisten zu können. Selbst wenn sich der Beitrag zum Basistarif um die Hälfte reduziert, weil der Versicherte diese Prämie nicht alleine aufbringen kann, läge er mit 248 Euro immer noch deutlich über dem durchschnittlichen Beitrag, den die GKV zur Finanzierung der Versicherungsleistungen benötigt. Man mag diese Form des Lobbying als legitimes Mittel demokratischer Willensbildung und verbandlicher Interessenvertretung betrachten. Allerdings geht mit derlei Übertreibungen langfristig auch die Seriosität und Glaubwürdigkeit der Branche verloren. In einer im Januar 2007 veröffentlichten Presseerklärung – also nicht einmal vier Monate später – heißt es dazu vergleichsweise maßvoll, dass die geplanten Reformen zu „teils deutlichen Beitragssteigerungen“ führen würden (Verband der privaten Krankenversicherung 2007c, Pressemitteilung). Schon Mitte Januar 2007 ist nur noch von 10 Prozent Beitragssteigerungen die Rede (Bergius 2007: 5). Ein weiterer Argumentationsstrang des PKV-Verbandes bestand darin, die Verfassungskonformität des Basistarifs und die damit einhergehende Portabilisierung der Altersrückstellungen anzuzweifeln. Die Verfassungsklage einiger Privatversicherer gegen die Maßnahmen des GKV-WSG ist jedoch auch in diesem Punkt gescheitert, denn das Bundesverfassungsgericht folgte der Argumentation der Beschwerdeführer auch in der Wettbewerbsfrage nicht (siehe
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auch Kapitel 4.4.2). In der Urteilsbegründung machen die Bundesverfassungsrichter deutlich, dass die Einführung der teilweisen Portabilität mit dem Grundgesetz vereinbar sei und sich der Gesetzgeber dabei auf Gemeinwohlinteressen berufen könne (BVerfG 2009: Rdnr. 196 und 201). Wörtlich heißt es dazu: „Die Einführung einer teilweisen Portabilität der Altersrückstellung ist geeignet, die Wechselmöglichkeiten der Versicherungsnehmer und damit den Wettbewerb zwischen den Unternehmen zu verbessern. Zwar werden die Wechselchancen eines Versicherten mit erhöhtem Krankheitsrisiko nicht erheblich verbessert, weil der Betreffende in einem Normaltarif keinen aufnahmebereiten Versicherer finden wird. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Portabilität grundsätzlich die Wechselmöglichkeiten fördert.“ (BVerfG 2009: Rdnr. 204)
Und weiter heißt es in der Urteilsbegründung: „Die faktisch lebenslange Bindung an einen Versicherer ist, anders als es die Beschwerdeführer behaupten, kein von den Versicherungsnehmern bei Vertragsschluss akzeptierter Teil der Versicherungsbedingungen. In der Regel dürfte sie Versicherungsnehmern erst bewusst werden, wenn sie sich nach einer längeren Vertragslaufzeit um einen Versicherungswechsel bemühen und dabei feststellen, dass dies wirtschaftlich nahezu ausgeschlossen ist. Die gegenwärtige Lage schafft Fehlanreize für die Unternehmen, da sie sich um ihre Bestandskunden praktisch nicht zu kümmern brauchen und deren Weggang ihnen sogar wirtschaftliche Vorteile verschafft.“ (BVerfG 2009: Rdnr. 209)
Auch wenn der Basistarif weit hinter den Erwartungen an eine wettbewerblich organisierte PKV zurückbleibt, sind die deutlichen Worte der Bundesverfassungsrichter ausdrücklich zu begrüßen. Für die Bestandsversicherten allerdings, die einen Wechsel in den Basistarif nur zwischen dem 01. Januar 2009 und dem 31. Juni 2009 vollziehen durften, konnte die Terminierung der ersten Anhörung am 10. Dezember 2008 sowie die Urteilsverkündung am 10. Juni 2009 kaum ungünstiger sein. Die zeitliche Nähe der ersten Anhörung zum Kündigungsstichtag für Bestandsversicherte und die späte Urteilsverkündung dürften wechselwillige Versicherte eher verunsichert haben. Schließlich kündigt kein rational handelnder Mensch unter rechtlich ungeklärten Bedingungen seinen bestehenden Vertrag, um in den neuen Basistarif zu wechseln, der möglicherweise von höchstrichterlicher Stelle kassiert wird. Neben den ökonomischen Fehlanreizen dürfte daher wohl auch die ungewisse Rechtslage eine zahlenmäßig relevante Inanspruchnahme des Basistarifs verhindert haben. Letztlich könnte dieser Gesetzesvorstoß jedoch vor allem in rechtlicher Hinsicht weitreichend sein. Das Urteil ist insgesamt ein sinnvoller Schritt in die richtige Richtung und eine höchstrichterliche Klarstellung, die dem Gesetzgeber auch in Zukunft einen weiten Regelungsspielraum einräumt.
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Zu einem echten Wettbewerb führt diese Regelung allerdings noch nicht: Erstens macht die derzeitige Ausgestaltung unter Wettbewerbsgesichtspunkten noch wenig Sinn, denn solange die Versicherungsunternehmen weiterhin Risikodifferenzierungen in ihren Normaltarifen vornehmen, ist der Basistarif für alle „guten Risiken“ unattraktiv. Da er außerdem mit 15,5 Prozent der jeweils gültigen GKV-Beitragsbemessungsgrenze ein relativ teurer Tarif ist, wird das Problem der Risikoselektion innerhalb des PKV-Systems weiterhin Bestand haben. Zweitens können Versicherte nur ihre durchschnittlich kalkulierte Altersrückstellung in Höhe des Basistarifs mitnehmen. Der Wechsel unter Mitnahme dieser Altersrückstellung darf nur in den Basistarif und nicht in andere Normaltarife erfolgen, was für viele Versicherte mit Nachteilen verbunden sein dürfte. Drittens galt die Wechseloption für Versicherte, die ihren Vertrag vor dem 1.1.2009 geschlossen haben, nur für einen eng begrenzten Zeitraum, so dass für die Bestandsversicherten in Zukunft wieder ein Rückfall in den Status Quo ohne spürbare Verbesserungen droht. Zusammenfassend lässt sich zunächst einmal festhalten, dass die Einführung der begrenzten Portabilität kaum zu mehr Wettbewerb führen dürfte. Attraktive Prämienangebote werden weiterhin vor allem jungen Neukunden vorbehalten sein (siehe hierzu auch die Kritik von Lambertin 2007: 349-350). Jenseits der verfassungsrechtlichen Verteidigungsstrategie deutete sich jedoch erstmals das dynamische Potential eines verstärkten Wettbewerbs auch für die verbandliche Interessenvertretung an. Allein die entschlossene Ankündigung des Gesetzgebers, zukünftig auch auf dem privaten Krankenversicherungsmarkt mehr Wettbewerb durchsetzen zu wollen, hat zu einer regen Betriebsamkeit unter den Privatversicherern geführt. Eine Belastungsprobe für den Zusammenhalt der Branche war zunächst die unbeabsichtigte Veröffentlichung eines internen Strategiepapiers des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) im Sommer 2008. In dem Papier hat sich die GDV-interne Arbeitsgruppe „Soziale Sicherung 2020“ unter der Leitung des AXA-Vorstands Heinz-Peter Roß offen dafür stark gemacht, eine allgemeine Versicherungspflicht für alle Bürger inklusive Kontrahierungszwang und Risikoausgleichssystem für die Unternehmen einzuführen. Die Prämien dieser einheitlichen Basiskrankenversicherung sollten für alle gesetzlich und privat Versicherten unabhängig von Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen kalkuliert werden. Zuschüsse für einkommensschwächere Personen sollten aus Steuermitteln finanziert werden. Dieser Arbeitsgruppe gehörten auch die Vorstände weiterer Branchenriesen wie der Allianz AG und der ERGO-Versicherungsgruppe an (Bergius 2008; Fromme 2008).
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Auch wenn solche Vorschläge gewiss keine Neuigkeit darstellten – schon die Monopolkommission hatte 1988 ein ähnliches Modell für die gesamte Bevölkerung favorisiert –, kam für den PKV-Verband die Veröffentlichung solcher Gedankenspiele durch den GDV zu einer denkbar unpassenden Zeit. Während die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) bereits titelte „Krankenversicherer erwägen Selbstabschaffung“ (Mihm/Uttich, FAZ vom 10.06.2008), war die PKV-Verbandsspitze eiligst bemüht, den politischen Super-GAU zu verhindern und die Gerüchte über die Abschaffung „in aller Deutlichkeit“ zurückzuweisen (Verband der privaten Krankenversicherung 2008c: Pressemitteilung). Die Interventionen des PKV-Verbands führten letztlich dazu, dass die brisanten Passagen zur Zukunft der privaten Krankenversicherer aus dem Strategiepapier des GDV gestrichen wurden. Wie aber ist der merkwürdige Vorstoß ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt zu erklären? Ist er nur eine kleine Posse am Rande oder doch Ausdruck eines tiefergehenden Konfliktes, der die Branche entzweit? Ganz einfach ist die Frage zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht zu beantworten. Allerdings deutet sich hier in der Tat ein Konflikt an, der grundsätzlicherer Natur ist. Auf der einen Seite existieren die großen Traditionsversicherer, deren Versichertenbestände relativ alt und somit auch tendenziell teuer sind. Allgemeine Kostensteigerungen im Gesundheitswesen wirken sich auf ältere Versichertenbestände stärker prämienerhöhend aus als dies bei jüngeren Versichertenbeständen der Fall ist (siehe hierzu auch Kapitel 6.2.1). Die Ankündigung des Gesetzgebers, die begrenzte Mitnahme der Altersrückstellungen zu ermöglichen, mussten vor allem die großen Traditionsversicherer fürchten. Zwar bewirkt diese Maßnahme allein noch keinen umfassenden Wettbewerb, allerdings ergäbe sich für jüngere und gesunde Versicherte die Möglichkeit, die Altersrückstellungen mitzunehmen und sich bei einem günstigeren Anbieter relativ unbeschadet wiederzuversichern. Zudem ist aus Studien über das Wechselverhalten der gesetzlich Versicherten bekannt, dass in erster Linie junge und gesunde Versicherte eine erhöhte Wechselbereitschaft aufweisen (Lauterbach/Wille 2001). Eine solche Situation würde für die Versicherer mit älteren Beständen bedeuten, dass sie möglicherweise den Abgang der jungen und gesunden Versicherten hinnehmen müssten, ohne dies durch einen Zulauf „guter Risken“ aus anderen Versicherungen kompensieren zu können. Die Verschlechterung der durchschnittlichen Risikostruktur müsste dann sogar mit Prämienerhöhungen einhergehen, die den Trend zur Abwanderung guter Risiken noch weiter verstärken würden. Vor diesem Hintergrund kann möglicherweise auch der GDV-Vorstoß erklärt werden, denn der Dachverband wird eher von den börsennotierten Bran-
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chenriesen mit älteren Versichertenbeständen, wie z.B. der DKV oder der Allianz, dominiert. Die vorgeschlagene Lösung stellt somit vor allem eine Flucht nach vorn dar, denn ein solches Modell würde nicht nur „frische Kundschaft“ aus dem Marktsegment der GKV versprechen, sondern könnte durch die Einführung eines unternehmensübergreifenden Risikoausgleichsystems auch die unterschiedlichen Versichertenstrukturen – und somit den gegenwärtigen PKVinternen Wettbewerbsnachteil – kompensieren. Erbitterter Widerstand gegen diese Pläne kam vor allem von den Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit, wie z.B. der Signal Iduna oder der Debeka, die im PKV-Verband über einen stärkeren Einfluss verfügen. Bei einem solchen Modell würden die VVaG, deren Hauptsparte anders als bei den Großkonzernen zumeist nur die private Krankenversicherung ist, ihr lukratives Vollversicherungsgeschäft nach heutigen Spielregeln verlieren. Die Ausdehnung eines solchen Modells auf die gesamte Bevölkerung würde zudem die Gefahr erhöhen, dass die Versicherungsvereine im Wettbewerb mit den großen Konzernen an den Rand gedrängt würden (siehe hierzu auch Fromme 2008; Fromme/Schlingensiepen 2008). Insgesamt sind die Spannungen innerhalb der PKV-Branche jedoch nicht zu übersehen, denn auch diejenigen Versicherungen, die sich von einer stärkeren Wettbewerbsorientierung mehr Marktanteile versprechen, sahen in der wettbewerbsaversen Haltung des eigenen Verbandes eine Einschränkung ihrer Expansionsbestrebungen (Bohsem, Süddeutsche Zeitung vom 26.05.2008). Christian Hofer, Chef der HUK-Coburg Kranken, kritisierte gegenüber der Financial Times Deutschland die Ergebnisse, die der PKV-Verband durch die lobbyistischen Interventionen erzielt hat: „Mit dieser Regelung wird es nahezu keinen Wettbewerb geben. [...] Ich glaube, dass es in der nächsten Gesundheitsreform der PKV negativ angekreidet wird, wenn sie sofort über Prämiensteigerungen jammert, wenn es etwas mehr Wettbewerb gibt.“ (Hofer in einem Artikel von Schlingensiepen, Financial Times Deutschland vom 14.07.2008)
Diese Differenzen deuten sicherlich nicht auf ein baldiges Ende der verbandlichen Interessenvertretung in der PKV hin. Es ist allerdings zu vermuten, dass die mögliche Intensivierung des Wettbewerbs auch für die Integrationskraft des PKV-Verbandes nicht ohne Folgen bleiben wird. Unter der Bedingung, dass Marktanteile nicht mehr einmalig gewonnen und dann als langfristig gesichert gelten können, erodiert möglicherweise auch die Fähigkeit zur gemeinsamen Interessenvertretung. Die Aussicht auf Gewinnsteigerungen und Unternehmenswachstum einerseits sowie die Sorge um das Überleben im Kampf um Marktanteile andererseits könnte ein gemeinsames Vorgehen zunehmend schwerer werden lassen. Hier deutet sich bereits an, dass dem Verband der pri-
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vaten Krankenversicherung ein ähnliches Schicksal widerfahren könnte wie beispielsweise den Kassenärztlichen Vereinigungen oder den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenversicherungen. Auch deren Integrationskraft gegenüber den eigenen Mitgliedern ist mit einer zunehmend wettbewerblichen Ausrichtung ihrer angestammten Geschäftsfelder erheblich gesunken. Die Differenzen, die innerhalb der Verbandsstrukturen bereits angelegt waren, haben sich unter der Bedingung eines erhöhten Wettbewerbsdrucks meistens verstärkt (für die Kassenärztlichen Vereinigungen siehe z.B. Beck 2004; Bandelow 2006; Bandelow 2007; Bandelow/Schade 2009; für die gesetzlichen Krankenkassen Gerlinger 2009: 36-37; Wodarg 2008).
5.3
Zwischenfazit: Der Zielkonflikt zwischen sozialem Sicherungsanspruch und marktwirtschaftlichem Geschäftsmodell
Das Wettbewerbsproblem der PKV harrt seit nunmehr zwei Jahrzehnten einer befriedigenden Lösung und lässt erhebliche Zweifel am Sinn dieses Geschäftsmodells aufkommen. Die minimalen Verbesserungen, die nach zwei Jahrzehnten andauernder Diskussion mühsam errungen und in Gesetzesform gegossen wurden, stellen für die 8,55 Millionen Bestandsversicherten keine wesentliche Verbesserung des Status Quo dar. Wären Wissenschaft, Politik und Versicherungswirtschaft ernsthaft an einer Lösung interessiert, müsste der Debatte um die Mitgabefähigkeit der Altersrückstellungen eine kritischere Reflektion über die Rolle der PKV im deutschen Versicherungssystem vorausgehen. Auf dieser Grundlage lassen sich dann Konzepte erarbeiten, mit deren Hilfe das Wettbewerbsproblem ursachenadäquat entweder zugunsten einer stärker marktwirtschaftlichen Ausrichtung oder aber zugunsten einer stärkeren sozialpolitischen Einbettung behoben werden könnte. Eine solche Grundsatzentscheidung wird jedoch bis heute von weiten Teilen der Wissenschaft, Politik und Interessenverbände gemieden, so dass noch immer ein Arrangement verteidigt wird, dessen Sinn sich weder aus sozialpolitischer, noch aus wettbewerblicher Perspektive erschließt. Eventuell wäre es zunächst sogar ausreichend gewesen, die PKVUnternehmen darauf zu verpflichten, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes tragfähige und praktikable Konzepte für die Intensivierung des Wettbewerbs zu entwickeln. Für die Privatversicherer hätte sich dadurch eine gute Möglichkeit ergeben, eigene Kompetenzen einzubringen und weitergehende staatliche Interventionen abzuwenden. Die Chance, eigene Lösungen zu entwickeln und eigene Stärken in den Vordergrund zu stellen, wurde jedoch von der Versicherungsbranche durch ihre zögerliche und auf Besitzstandswahrung abzielende Blocka-
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dehaltung vertan. Solange aber eine kleine Minderheit von Gesundheitsökonomen, Rechtwissenschaftlern und Verbandsfunktionären die Deutungshoheit über das Wettbewerbsproblem besitzt, wird es hier zu keiner befriedigenden Lösung für die Versicherten kommen. Das Problem, um das es hier eigentlich geht, ist – anders als es Expertenkommissionen und Versicherungsbranche suggerieren – weder versicherungsmathematischer noch juristischer Natur. Es hat auch nichts mit fehlenden Informationen oder unzureichenden Datensätzen zu tun. Die hier zu klärende Frage ist normativer Natur: Sie zielt im Kern darauf ab, wie sozial eine marktwirtschaftliche PKV sein soll und welche Aufgaben sie im dualen Versicherungssystem zu übernehmen hat. Weder Expertenkommissionen noch die Interessenvertreter der Branche haben sich ernsthaft und ausführlich mit dieser Frage beschäftigt. Abgesehen von der VVG-Kommission hat es keines der Expertengremien geschafft, gewachsene Strukturen ernsthaft in Frage zu stellen oder vorgegebene Hierarchien zu durchbrechen. Was sich jedoch hinter den juristischen und versicherungsmathematischen Details verbirgt, ist der Zielkonflikt zwischen marktwirtschaftlichem Versicherungsmodell auf der einen und sozialpolitischer Verantwortung auf der anderen Seite. Offensichtlich ist es für keinen der beteiligten Akteure ethisch vertretbar, an den Grundsätzen der lebenslangen Versicherungsperspektive zu rütteln oder ältere Menschen mit stark steigenden Prämienbelastungen zu konfrontieren. Genau dies wäre aber in einem wirklich marktwirtschaftlichen Versicherungssystem konsequent. Auf der anderen Seite waren weder die Expertenkommissionen noch der PKV-Verband in der Lage, über den eigenen konservativ-liberalen Schatten zu springen und an den Grundsätzen der Risikoäquivalenz und der Vertragsfreiheit zu rütteln. Stattdessen wurden weiterführende Reformansätze stets mit dem Hinweis verworfen, sie seien nicht mit hergebrachten Grundsätzen, gewachsenen Strukturen oder systemtypischen Prinzipien zu vereinbaren. „Systeme“ sind aber weder gottgegeben, noch fallen sie vom Himmel. Sie sind auch nicht per se schützenswert, nur weil sie existieren oder „historisch gewachsen“ sind. Wenn aber die gewünschte Funktionalität von Systemen beeinträchtigt ist, dann stellt sich zwangsläufig die Frage, wie die Rahmenbedingungen geändert werden müssten, damit Systeme ihre Aufgaben wieder erfüllen. Dass sich das Wettbewerbsproblem der PKV ohne gesetzgeberische Interventionen lösen lässt, ist äußerst unwahrscheinlich. Daher sollte über weitergehende Konsequenzen nachgedacht werden. Es stellt sich somit die Frage nach praktikablen Auswegen.
172 5.4
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Reformvorschlag II: Mehr Wettbewerb wagen!
Ohne einen funktionierenden Wettbewerb setzt die PKV nicht nur ihre Glaubwürdigkeit, sondern auch ihre Attraktivität aufs Spiel. Je selbstverständlicher es für die gesetzlich Versicherten wird, dass sie als mündige Bürger ihre Krankenkasse jederzeit wechseln können, desto weniger werden potentielle PKVKunden bereit sein, sich lebenslang an ein einziges Versicherungsunternehmen zu binden. Ein marktwirtschaftliches Versicherungssystem sollte daher nicht nur den Gewinninteressen einzelner Unternehmen dienen, sondern die Handlungsautonomie der Versicherten stärken und die Wettbewerbsintensität der Anbieter fördern. Dieses Ziel wird in der PKV unnötig weit verfehlt. Um den Versicherten mehr Wechselmöglichkeiten zu eröffnen, sollten die Lösungsansätze bei den Ursachen des Problems ansetzen. Entscheidend ist dabei, dass sowohl in den Neuverträgen als auch in den Bestandsverträgen dieselben versicherungstechnischen Rahmenbedingungen gelten. Die Angleichung der Rahmenbedingungen ist jedoch nicht beliebig gestaltbar. Der Gesetzgeber hat der PKV die Aufgabe übertragen, für bestimmte Personen einen substitutiven Krankenversicherungsschutz zu gewährleisten. Aus dieser Grundsatzentscheidung erwächst deshalb ein besonderes Schutzerfordernis der privat Versicherten gegenüber den Unternehmen. An der sozialpolitischen Vorgabe, dass privat Versicherte ihren Versicherungsschutz im Alter nicht verlieren sollen und dieser Versicherungsschutz auch dann bezahlbar bleiben muss, wenn während der Vertragslaufzeit Erkrankungen auftreten, ist daher festzuhalten. Diese sozialpolitischen Vorschriften liegen nicht nur im Interesse der privat Versicherten, sondern auch im ureigensten Interesse der Privatversicherer. Nichts wäre für die Unternehmen schädlicher als der Vorwurf, dass sie ihrem sozialen Sicherungsauftrag nicht nachkommen würden und die legitimen sozialen Sicherungsbedürfnisse der Versicherten ignorieren würden. Um den privat Versicherten ein lebenslanges und benachteiligungsfreies Wechselrecht einzuräumen, bedarf es einiger Änderungen in den Neuverträgen. Diesem Ansatz liegt ein Wettbewerbsverständnis zugrunde, das weniger auf Risikoäquivalenz und Vertragsfreiheit, als vielmehr auf die Kriterien Kundennähe, Kulanzverhalten, medizinische Kompetenz oder Unternehmensimage abzielt. Gleichwohl können hier wesentliche Merkmale des bisherigen PKVSystems beibehalten werden. Es werden folgende Maßnahmen empfohlen: ƒ
Privat Versicherte zahlen für einen gesetzlich definierten Basisschutz eine Versicherungsprämie, die für alle Versicherten desselben Unternehmens
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ƒ ƒ
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gleich hoch ist. Die unternehmensinterne Risikodifferenzierung nach Alter, Geschlecht und Gesundheitsstatus entfällt. Für alle Versicherungen gilt ein Kontrahierungszwang im Umfang des Basisschutztarifs. Im Umfang des Basisschutzes wird ein unternehmensübergreifender Risikoausgleich vorgenommen.
Bei diesem Modell wird auf die unternehmensinterne Risikodifferenzierung nach Alter, Geschlecht und Gesundheitsstatus verzichtet und ein Kontrahierungszwang mit Risikoausgleichselementen eingeführt. Die Versicherungsprämie wäre dann für alle Versicherten desselben Unternehmens gleich hoch und jedes Unternehmen müsste einen wechselwilligen Versicherten zu dieser Prämienhöhe versichern. Durch diese Maßnahme verändern sich weder die Gesamtschadenskosten der einzelnen Versicherungen noch deren Gesamteinnahmen. Wichtig ist jedoch, dass diese Regeln für alle Versicherungsunternehmen gleichermaßen gelten und keine Ausnahmeregelungen geschaffen werden. Sofern die Kalkulation risikodifferenzierter Prämien weiter möglich wäre, würde dies erneut zu unerwünschter Risikoselektion führen. Da ein gesetzlich vorgeschriebener Zwang zum Vertragsabschluss eine klare Regelung der Vertragsinhalte erfordert, muss der Umfang des Versicherungsschutzes eindeutig definiert werden. Um der zufälligen Kumulation von Versicherten mit schlechter Risikostruktur entgegenzuwirken, wäre der Kontrahierungszwang außerdem durch ein finanzielles Risikoausgleichssystem zu flankieren. Für den Ausbau eines Risikoausgleichssystems könnte auf die Daten des RSA zurückgegriffen werden, der in der GKV bereits Mitte der 1990er Jahre eingeführt wurde. Dieses Modell hätte für die Versicherten mehr Distributionselemente, aber auch mehr Wechseloptionen zwischen den Versicherungsunternehmen zur Folge. Das stärkere Distributionsniveau resultiert aus der Tatsache, dass „gute Risiken“ im Vergleich zum Status Quo eine etwas höhere Prämie zu zahlen hätten, wohingegen „schlechte Risiken“ eine entsprechend niedrigere Prämie als bisher entrichten müssten. Mit der Grundsatzentscheidung für eine stärkere sozialpolitische Verantwortung wäre eine solche Maßnahme durchaus kompatibel, ohne dabei den marktwirtschaftlichen Charakter der PKV aufzugeben. Mehr Wahlfreiheiten ergäben sich dadurch, dass bei einem Versicherungswechsel die neuerliche individuelle Risikoprüfung durch den aufnehmenden Versicherer entfällt. Auch ältere und inzwischen erkrankte Menschen könnten dann jederzeit die Versicherung wechseln, wenn sie z.B. mit der Serviceund Leistungsqualität ihrer bisherigen Versicherung nicht mehr zufrieden sind.
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Alle drei Instrumente – unternehmenseinheitliche Prämie, Kontrahierungszwang und Risikoausgleichssystem – gehören in diesem Fall zwingend zusammen: Müssten die Versicherer lediglich auf die Risikodifferenzierung verzichten ohne jedoch zum Vertragsabschluss verpflichtet zu sein, dann würde ein Versicherter mit einem überdurchschnittlichen Erkrankungsrisiko einfach abgelehnt werden, da kein Versicherer das vergleichsweise hohe Risiko mit einer durchschnittlichen Prämie versichern würde. Der Verzicht auf die Risikodifferenzierung wäre für den Versicherten somit wertlos. Auch ein Kontrahierungszwang unter Beibehaltung der Risikodifferenzierung wäre nicht sinnvoll, da das gegenwärtige Problem, nur unter Inkaufnahme höherer Tarifeinstufungen wechseln zu können, weiterhin ein zentrales Wettbewerbshemmnis darstellen würde. Ein Versicherter, dessen Erkrankungswahrscheinlichkeit im Zeitablauf gestiegen ist, würde folglich keinen Vorteil daraus ziehen können, dass der Versicherer zum Vertragsabschluss gezwungen wäre, denn die neue Versicherungsprämie wäre deutlich höher als die alte. Ein Risikoausgleichssystem ist unter der Bedingung eines Kontrahierungszwangs ebenfalls zwingend erforderlich, da die Unternehmen sonst keine Möglichkeiten hätten, einer Bestandsverschlechterung durch die zufällige Kumulation „schlechter Risiken“ auszuweichen. Alle drei Instrumente sind also als Einheit zu begreifen. Wenn allein das durchschnittliche Risiko für die Kalkulation der Prämien maßgeblich ist, ließe sich das faktische Wechselhemmnis für die Bestandsversicherten überwinden. Das skizzierte Modell böte zudem die Möglichkeit, an der Bildung von Altersrückstellungen festzuhalten, sofern dies gesellschaftlich erwünscht ist. Unter Beibehaltung der Kapitaldeckung ließe sich auch das gegenwärtige Problem der mangelhaften Portabilität der Altersrückstellungen lösen. Wie Versicherungsmathematiker, Ökonomen und Expertenkommissionen immer wieder festgestellt haben, resultiert unter den gegenwärtigen Bedingungen individueller Risikodifferenzierung die größte Schwierigkeit aus der mangelnden Quantifizierbarkeit der „richtigen“ mitzugebenden Altersrückstellung. Der Verzicht auf die unternehmensinterne Risikodifferenzierung löst dieses Problem eigentlich auf recht simple Art und Weise. Die Übertragbarkeit der Altersrückstellungen wäre problemlos möglich, da die Versicherungen für alle Versicherten eine durchschnittliche Prämie kalkulieren und folglich auch die durchschnittlich kalkulierte Rückstellung mitgeben könnten, ohne dass es zu bestandsgefährdender Risikoselektion kommen würde. An diesem Punkt wird die hier vorgetragene Kritik besonders deutlich, dass in der Wettbewerbsfrage der zweite Schritt vor dem ersten getan wird. Wenn bisher über das Mitgabemodell durchschnittlich kalkulierter Altersrückstellungen debattiert wurde, geschah
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dies zumeist unter der Prämisse, dass sowohl an der Risikodifferenzierung als auch an der sozialpolitischen Regulierung zum Schutz älterer Versicherter festzuhalten sei. Unter dieser Bedingung ließ sich dann stets zeigen, dass die Mitgabe einer durchschnittlich kalkulierten Altersrückstellung zu unerwünschter Risikoselektion führt, weil die Gesunden eine zu hohe, die Kranken eine zu niedrige Rückstellung mitnehmen (Meyer 1997: 198-199; Bürger 2005: 54-56; Milbrodt o.J.: 5-6). Im Kopfpauschalenmodell wird der erste Schritt vor dem zweiten getan, indem auf die eigentliche Ursache des Wechselproblems – Vertragsfreiheit und Risikodifferenzierung nach Alter, Geschlecht und Vorerkrankung – beseitigt wird. Somit tritt auch der „Folgefehler“ bei der Mitgabe der Altersrückstellungen nicht auf, denn bei durchschnittlicher Prämienkalkulation kann auch problemlos die durchschnittlich kalkulierte Altersrückstellung mitgegeben werden. Um die Wahlfreiheiten des Versicherungsnehmers zu stärken, werden die sozialpolitisch motivierten Regulierungen nicht abgebaut, sondern so geändert, dass ein Versicherungswechsel jederzeit möglich wäre. An der sozialpolitischen Leitvorstellung, dass ein Versicherter im Alter seinen Versicherungsschutz nicht verlieren soll, wird dabei festgehalten, ohne jedoch alle marktwirtschaftlichen Prinzipien aufzugeben. Zwar wäre das Äquivalenzprinzip insofern geschwächt, als dass keine unternehmensinternen Risikodifferenzierungen mehr vorgenommen würden. Völlig aufgegeben wäre es jedoch nicht, da die Versicherungsprämie eines Unternehmens das durchschnittliche Risiko seines Versichertenkollektivs widerspiegelt. Auch der Umfang der Leistungen wäre klarer definiert als bisher. Ein gravierender Strukturbruch mit dem bisherigen System ist dies jedoch ebenfalls nur bedingt, denn seit der Umsetzung der Dritten Schadenversicherungsrichtlinie ist recht klar eingegrenzt, dass es sich bei der substitutiven PKV um eine Versicherung handelt, die dem Versicherungsschutz der GKV ihrer Art nach entspricht (Deutscher Bundestag 1994: 60). Der substitutive Charakter der PKV bedingt auch heute schon eine gewisse Einheitlichkeit des Versicherungsschutzes. Die Versicherten müssen hierfür jedoch in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht unterschiedlich hohe Prämien entrichten oder sehen sich im ungünstigsten Fall mit Leistungsausschlüssen oder Risikozuschlägen konfrontiert. Auch im gegenwärtigen Geschäftsmodell sind jedoch weite Teile der Kalkulationsgrundlagen von der BaFin reguliert oder bereits in der KalV vorgegeben. Wenn man sich nochmals die Bestandteile der Nettoprämie in Erinnerung ruft (Kopfschäden, Kalkulationszinssatz, Stornound Sterbewahrscheinlichkeiten), so zeigt sich, dass die Gestaltungsspielräume auch heute schon recht eng begrenzt sind: Die Kopfschadenstatistiken werden
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von der BaFin veröffentlicht, die Ausscheideordnungen ebenfalls und auch der Kalkulationszinssatz ist mit 3,5 Prozent vorgegeben. Die Kopfschäden werden gegenwärtig nach Alter und Geschlecht differenziert; diese Berechnungen und Überprüfungen könnten in Zukunft entfallen. Sofern dies für alle Unternehmen gleichermaßen gilt, entstehen hieraus keine Wettbewerbsnachteile für die Anbieter. Für alle Unternehmen gleich sind außerdem der fünfprozentige Sicherheitszuschlag, der zehnprozentige Beitragszuschlag zur Bruttoprämie sowie die Vorschriften zur Überzinsverwendung. Die weiteren Prämienbestandteile wie beispielsweise Verwaltungskosten, Schadenregulierungskosten oder Abschlusskosten können gegenwärtig voneinander abweichen und werden sich auch im Kopfpauschalenmodell unterscheiden. Dies ist auch sinnvoll, denn in den drei letztgenannten Prämienbestandteilen spiegeln sich die „Kosten der Bürokratie“ wider, die für den Versicherten wesentlich besser sicht- und vergleichbar werden. Ein Ende der Produktvielfalt („sozialistische Einheitsprämie“, „Einstieg in ein staatliches Gesundheitssystem“, „das Ende der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ etc.) ist bei sachlicher Betrachtung nicht zu befürchten. In einem Modell mit unternehmenseinheitlichen Prämien ließen sich auch weiterhin optionale Beitragsrückerstattungstarife oder unterschiedliche Selbstbehalttarife einbinden. Beitragsrückerstattungen und Selbstbehalttarife gibt es sowohl in der gesetzlichen Krankenversicherung als auch im neu eingeführten PKV-Basistarif, so dass dies auch im hier skizzierten Kopfpauschalenmodell problemlos weitergeführt werden kann. Den privaten Versicherungsunternehmen steht es weiterhin frei, Zusatzversicherungen anzubieten (z.B. Chefarztbehandlung, Einbettzimmer etc.), so dass die privat Versicherten auch in Zukunft auf differenzierte Produkte zurückgreifen können. Für diese Zusatzleistungen bestehen schon heute weder einheitliche Tarife noch Kontrahierungszwang und Risikoausgleich. An dieser Regelung ändert sich auch in Zukunft nichts, sodass sich mit Hilfe der Zusatzversicherungen auch weiterhin individuelle Versicherungsprodukte aufbauen lassen. Das Kopfpauschalenmodell böte den Versicherten somit den entscheidenden Vorteil, dass sie im Umfang des Basisschutzes zu jeder Zeit das Versicherungsunternehmen wechseln könnten. Auch die Gefahr, dass die Prämien im Alter unbezahlbar werden und die Allgemeinheit für die Versicherten einspringen muss, würde im Vergleich zum bisherigen Modell reduziert. Das Kopfpauschalenmodell könnte noch weitere Vorteile für die Verbraucher bieten. Befürworter des gegenwärtigen PKV-Geschäftsmodells sehen in der Produktvielfalt auf dem privaten Versicherungsmarkt ein wesentliches Kriterium für ein nutzerorientiertes Angebot an Versicherungsleistungen. Durch die
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mögliche Auswahl verschiedener Leistungspakete würden die Versicherungsnehmer (einmalige) Wahlfreiheiten erhalten, die eine „maßgeschneiderte“ Übereinkunft von Angebot und Nachfrage erlauben. Dass die Produktauswahl auf dem privaten Krankenversicherungsmarkt aus Kundensicht nicht nur Vorteile bietet, wird auch innerhalb der Versicherungsbranche durchaus zur Kenntnis genommen (grundlegend zu diesem Thema: Hofer 2008). Wer heute einen Versicherungsvertrag in der PKV abschließen möchte, sieht sich als juristischer, medizinischer und versicherungsmathematischer Laie mit einer Vielzahl von Entscheidungskriterien konfrontiert, die zu beurteilen nahezu unmöglich ist. Durch eine unternehmenseinheitliche Versicherungsprämie zu einem standardisierten Leistungsumfang würde die gegenwärtige Unübersichtlichkeit der Versicherungsprodukte reduziert. Hinzu kommt, dass die gegenwärtige Ausdifferenzierung der Versicherungsprodukte einen Preisvergleich für die Versicherten kaum zulässt (ähnlich argumentieren z.B. Terhorst 2000: 21; Hofer 2008: 88; 105). Unter der Bedingung unternehmensübergreifender Leistungsstandards und unternehmenseinheitlicher Prämiengestaltung wären auch die Preise für das Versicherungsprodukt wesentlich besser vergleichbar. Ein weiterer Vorteil bestünde darin, dass auch die Notwendigkeit von Gesundheitsprüfungen vor Vertragsabschluss entfiele. Den Versicherten könnte dies viele Unannehmlichkeiten ersparen, denn auch demjenigen Unternehmen, dessen Vertragsangebot letztlich nicht angenommen wird, sind unter Umständen sehr persönliche und intime Details über mögliche Erkrankungen zur Kalkulation eines Versicherungsangebots mitzuteilen. Auch die Versicherungen könnten von einer solchen Regelung profitieren, denn sie würden durch den Verzicht auf die Gesundheitsüberprüfungen ihre Erhebungs- und Kontrollkosten reduzieren. Der Vorteil einer zu Vertragsbeginn größeren Produktauswahl sollte daher sorgsam gegen den Vorteil eines möglicherweise vereinfachten und unbürokratischen Vertragsabschlusses sowie lebenslange diskriminierungsfreie Wechselmöglichkeiten abgewogen werden. Bei diesem Modell wäre sicherlich mit den größten Widerständen seitens des PKV-Verbandes zu rechnen. Erstens stellt die gegenwärtige Möglichkeit zur risikoäquivalenten Prämienkalkulation für die Privatversicherer ein zuverlässiges Instrument dar, „gute Risiken“ aus der GKV in die PKV zu locken. Je differenzierter sich die Prämienkalkulation in der PKV darstellt, desto besser lässt sich ein „gutes Risiko“ mit einem niedrigen Einstiegstarif zum Wechsel bewegen. Diese Möglichkeit wäre zwar auch mit einer einheitlichen PKV-Prämie noch gegeben, allerdings würden die Selektionsmöglichkeiten hier deutlich
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abgeschwächt werden. Aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive wäre eine Reduktion der Selektionsanreize jedoch eindeutig zu begrüßen. Zweitens verschafft die PKV-interne Aufteilung des Versicherungsmarktes den Unternehmen, die sich bereits am Markt befinden und im PKV-Verband organisiert sind, eine überaus komfortable Gewinn- und Bestandsgarantie, die sich unter der Bedingung eines echten Wettbewerbs mit dauerhaften Wechselmöglichkeiten für alle Versicherten erheblich verändern würde. Es ist allerdings nicht Aufgabe des Gesetzgebers, „angestammte“ Geschäftsfelder dauerhaft zu protektionieren.
6 Der Vorteil als Nachteil – Das Ausgabenproblem der PKV
6.1
Das Ausgabenproblem der PKV
In der öffentlichen Debatte um die Finanzierung des dualen Versicherungssystems steht meistens die Einnahmen- und Ausgabensituation der GKV im Vordergrund. Dabei wird häufig übersehen, dass seit Beginn der Konvergenzphase nicht die GKV, sondern die PKV die größten Ausgabenzuwächse zu verzeichnen hat. Die damit einhergehenden Prämiensteigerungen der PKV stellen zweifelsohne einen der größten „Wachstumsmärkte“ des deutschen Gesundheitswesens dar. Für die privat Versicherten ist diese Entwicklung zwiespältig. Zum einen gewährleistet das vergleichsweise hohe Ausgabenniveau zumeist eine medizinisch hochwertige Versorgung (bis hin zur möglichen Überversorgung), zum anderen besteht auch unter den privat Versicherten ein berechtigtes Interesse daran, nicht mit übermäßigen oder unnötig hohen Kosten konfrontiert zu werden. Dies gilt umso mehr, als es auch in der PKV längst nicht mehr nur wohlhabende Versicherte gibt (siehe Kapitel 4.2). Auch für die Privatversicherer ist diese Entwicklung nicht ganz unproblematisch, da diese kaum wirkungsvolle Steuerungsinstrumente zur Ausgabendämpfung in der Hand haben. Die zum Teil erheblichen Kostensteigerungen in einigen Versorgungsbereichen haben in der Vergangenheit immer wieder zu Prämienanpassungen geführt, die sich vor allem für ältere Versicherte äußerst nachteilig auswirken. Langfristig könnte sich diese Handlungsunfähigkeit auch negativ auf die Nachfrage nach privatem Krankenversicherungsschutz im subsitutiven Kerngeschäft auswirken. Die Ausgabenproblematik sowie mögliche Ansätze zur deren Lösung stehen im Vordergrund der nachfolgenden Betrachtungen. Nach Angaben des BMG (2009b: Tab. 9.7) sind die Leistungsausgaben für PKV-Vollversicherte zwischen 1992 und 2007 von ca. 6,3 Mrd. Euro auf 14,2 Mrd. Euro angestiegen. Dies entspricht für den genannten Zeitraum einer Ausgabensteigerung von etwa 123,7%. Ein Teil dieser Ausgabenentwicklung geht zwar auf die gestiegene Zahl der privat Versicherten zurück, allerdings kann diese den Anstieg der Ausgaben alleine nicht erklären. Die Mitgliederzahlen in
R. Böckmann, Quo vadis, PKV?, DOI 10.1007/978-3-531-92741-1_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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der substitutiven PKV sind kontinuierlich von ca. 6,69 Mio. Versicherten (1992) auf 8,55 Mio. Versicherte (2007) gestiegen. Dies entspricht einer Zuwachsrate der Versichertenzahlen von ca. 27,8%. Die Pro-Kopf-Ausgaben (Gesamtausgaben bezogen auf die Anzahl der versicherten Personen) sind für die PKVVersicherten zwischen 1992 und 2007 von 941 Euro auf 1657 Euro gestiegen, was einer Steigerungsrate von ca. 76,1% entspricht. Die hier beschriebenen Zusammenhänge sind für den genannten Zeitraum in Tabelle 2 dargestellt. Tabelle 2: Leistungsausgaben für Vollversicherte in der PKV Jahr
1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
PKVLeistungsausgaben in Mio. €
6305,28 6924,71 7393,30 7817,94 8158,03 8508,24 8834,25 9258,17 9710,25 10374,30 11101,30 11724,36 12346,40 12963,81 13372,36 14167,70
SteigerungsSteigerungs- PKV-Vollver- Ausgaben je PKV-Vollver- rate je PKVsicherte in rate der Vollversicherten in € Mio. Leistungssicherten in % ausgaben in % (Basis 1992) (Basis 1992)
9,82 17,26 23,99 29,38 34,94 40,11 46,83 54,00 64,53 76,06 85,95 95,81 105,60 112,08 123,70
6,686 6,829 6,934 6,945 6,977 7,065 7,206 7,356 7,522 7,710 7,924 8,110 8,259 8,373 8,489 8,549
941,08 1003,58 1066,19 1125,66 1169,21 1204,28 1226,01 1258,67 1290,84 1345,56 1400,97 1445,67 1494,90 1548,29 1575,26 1657,23
6,64 13,29 19,61 24,24 27,97 30,28 33,75 37,17 42,98 48,87 53,62 58,85 64,52 67,39 76,10
Quelle: Bundesministerium für Gesundheit 2009b: Tab. 9.7; Steigerungsrate eigene Berechnung
Auffällig ist neben den hohen Ausgabenzuwächsen zunächst einmal das insgesamt niedrige Niveau der Pro-Kopf-Ausgaben. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass die beihilfeberechtigten Personen statistisch als Vollversicherte mitgezählt werden, obwohl sie nur einen Teil ihrer Gesundheitsrisiken in der
Der Vorteil als Nachteil – Das Ausgabenproblem der PKV
181
PKV absichern müssen. Da der Beihilfesatz je nach Berechtigungsstatus zwischen 50% und 80% der Krankheitskosten betragen kann, fallen die Pro-KopfAusgaben in der PKV entsprechend gering aus. Zum anderen kann die PKV durch die Kalkulation risikoäquivalenter Prämien sowie das Recht der Vertragsfreiheit dafür Sorge tragen, dass die Schadenserwartung der Versichertenbestände relativ gering ist. Durch Leistungsausschlüsse bei Vorerkrankungen fallen z.B. die tatsächlichen Behandlungskosten beim (privat versicherten) Patienten an, werden aber von der privaten Versicherung nicht erstattet und erscheinen daher auch nicht in der Ausgabenstatistik. Zu beachten ist auch, dass die Leistungsausgaben nicht den Prämienzahlungen der Versicherten entsprechen, da sämtliche Abschluss- und Verwaltungskosten sowie die Sparanteile, die den Altersrückstellungen zugeführt werden, hier nicht berücksichtigt sind. Tabelle 3: Leistungsausgaben für Versicherte in der GKV Jahr
1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
Ausgaben je Steigerungsrate GKVGKV-Leistungs- Steigerungsrate je GKVGKVder Leistungs- Versicherte ausgaben Versicherten Versicherten in in Mio. ausgaben in % in Mio. € % (Basis 1992) in € (Basis 1992)
102.033 102.326 111.070 116.992 120.881 118.287 120.120 123.209 125.943 130.634 134.328 136.223 131.158 134.845 138.681 144.433
0,29 8,86 14,66 18,47 15,93 17,73 20,75 23,43 28,03 31,65 33,51 28,54 32,16 35,92 41,56
71,975 72,165 71,710 71,886 72,132 71,601 71,373 71,283 71,257 70,948 70,775 70,398 70,242 70,544 70,356 70,343
1417,62 1417,94 1548,88 1627,47 1675,83 1652,03 1682,99 1728,45 1767,44 1845,49 1897,96 1935,04 1867,23 1911,50 1971,13 2053,27
0,02 9,26 14,80 18,21 16,54 18,72 21,93 24,68 30,18 33,88 36,50 31,72 34,84 39,05 44,84
Quelle: BMG 2002: Tab. 10.5; BMG 2005: Tab. 10.5A; BMG 2009b: Tab.: 8.12 und Tab.: 9.5A; Steigerungsrate eigene Berechnung
182
Der Vorteil als Nachteil – Das Ausgabenproblem der PKV
Vergleicht man die Ausgabenentwicklung der PKV mit derjenigen der GKV, dann wird deutlich, dass die PKV wesentlich höhere Ausgabensteigerungen zu verzeichnen hat. Die Gesamtausgaben der GKV sind zwischen 1992 und 2007 von ca. 102 Mrd. Euro auf ca. 144 Mrd. Euro gestiegen. Dies entspricht einer Steigerungsrate von etwa 41,6% für diesen Zeitraum. Die Gesamtzahl der gesetzlich Versicherten ist nur leicht von ca. 72 Millionen Versicherten im Jahr 1992 auf ca. 70,3 Millionen Versicherte im Jahr 2007 gesunken. Betrachtet man auch hier die Pro-Kopf-Ausgaben, so zeigt sich ebenfalls ein Anstieg, der jedoch wesentlich moderater ausfällt als in der PKV. Die Pro-Kopf-Ausgaben für GKV-Versicherte sind von 1.421 Euro (1992) auf 2.053 Euro (2007) gestiegen, was einer Zuwachsrate von 44,8% entspricht. Sie liegt damit deutlich unter der Pro-Kopf-Ausgabensteigerung der PKV von 76,1%. Die Zusammenhänge sind in Tabelle 3 geordnet. Die Ausgabenentwicklungen der beiden Versicherungssysteme – vor allem die absoluten Ausgabenniveaus – sind nur begrenzt miteinander vergleichbar. Sie ergeben insofern nur einen ungefähren Anhaltspunkt, mit welch unterschiedlicher Dynamik sich die Ausgabenentwicklungen im Konvergenzzeitraum vollzogen haben. Die Vergleichbarkeit ist zum einen durch die bereits angesprochene Erfassung der Beihilfeberechtigten als „Vollversicherten“ eingeschränkt, wodurch die Ausgaben für diese Personen insgesamt niedriger ausgewiesen werden als sie tatsächlich sind. Zum anderen sind die Leistungen beider Systeme zwar sehr ähnlich, aber nicht völlig identisch.33 Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass die Abrechnungsgrundlagen ebenfalls erheblich differieren. Während in der GKV der EBM zugrunde gelegt wird und die Einzelleistungsvergütung durch Budgets gedämpft wird, gilt in der PKV die GOÄ/GOZ, die durch die Anwendung der Steigerungssätze nicht nur relativ teuer ist, sondern auch grundsätzlich keinen Budgetrestriktionen unterliegt (siehe auch Kapitel 2.3). Vor allem Letzteres dürfte zu einem nicht unerheblichen Teil die unterschiedliche Ausgabendynamik zwischen den Versicherungssystemen erklären, denn mit einer sprunghaft gestiegenen Morbidität der privat Versicherten sind die vergleichsweise starken Ausgabensteigerungen der PKV kaum zu begrün33 Die Leistungen der GKV übersteigen die der PKV z.B. im Fall von Kuren (werden von der GKV in bestimmtem Umfang übernommen, von der PKV jedoch nicht erstattet), von Kosten für Suchtbehandlung (wird in der Regel nicht von der PKV übernommen) und von sogenannten „versicherungsfremden Leistungen“ (z.B. Mutterschaftsgeld oder Sterbegeld, teilweise bereits abgeschafft). Auf der anderen Seite gibt es auch Bereiche, in denen das Leistungsniveau der PKV das der GKV übersteigt. Dies ist der Fall bei der Inanspruchnahme von Heilpraktikern, der absolut freien Arztwahl (in der GKV auf die Vertragsärzte beschränkt) sowie der generöseren Erstattung von Arzneimittelkosten (keine Festbetragsregelung), Zahnersatz und kieferorthopädischen Behandlungen (Berié u.a. 2005: 46-48).
Der Vorteil als Nachteil – Das Ausgabenproblem der PKV
183
den. Diese These wird auch durch die genauere Betrachtung der Ausgabenentwicklung in den einzelnen Leistungsbereichen gestützt. Nach Angaben des PKV-Verbandes sind die Versicherungsleistungen (Leistungsauszahlungen an die Versicherten inkl. Schadenregulierungskosten) zwischen 1997 und 2007 insgesamt von 11,55 Milliarden Euro auf 18,32 Milliarden Euro angestiegen, was einem Kostenanstieg von 58,66% entspricht (Verband der privaten Krankenversicherung 2008a: 90-91). In den jährlich veröffentlichten Zahlenberichten der PKV werden die Leistungsausgabenkomplexe in verschiedene Bereiche unterteilt, wobei die folgenden drei Bereiche die größten Ausgabenanteile auf sich vereinen: ƒ ƒ ƒ
ambulante Leistungen (Arztbehandlung, Arzneien und Verbandmittel, Heilmittel, Hilfsmittel, Heilpraktikerbehandlung, Sonstiges) stationäre Leistungen (allgemeine Krankenhausleistungen, Wahlleistung Chefarzt, Wahlleistung Unterkunft, Ersatz-Krankenhaustagegeld, Sonstiges) Zahnleistungen (Zahnbehandlung, Zahnersatz, Kieferorthopädie, Sonstiges)
In diesen drei Leistungsausgabenkomplexen zeigen sich im Beobachtungszeitraum 1997-2007 sehr unterschiedliche Ausgabenzuwächse. Laut PKVZahlenbericht 2007/2008 ergibt sich bei den ambulanten Leistungen der mit Abstand größte Ausgabenanstieg von 4,43 Milliarden Euro (1997) auf 8,27 Milliarden Euro (2007). Mit einer Steigerungsrate von 86,74% liegt der ambulante Bereich damit deutlich an der Spitze der ausgabentreibenden Leistungskomplexe. Innerhalb des ambulanten Leistungskomplexes erstrecken sich im Jahr 2007 die größten Ausgabenanteile auf die Bereiche „Arztbehandlung“ (4,59 Mrd. Euro) sowie „Arzneien und Verbandmittel“ (2,05 Mrd. Euro) (Verband der privaten Krankenversicherung 2008a: 51). Anders verhält es sich im stationären Bereich, dessen Ausgabenentwicklung von 4,22 Milliarden Euro (1997) auf 5,56 Milliarden Euro (2007) wesentlich moderater ausfällt als im ambulanten Sektor. Hier beträgt die Steigerungsrate vergleichsweise geringe 31,64%. Eine Ausgabensteigung etwa auf durchschnittlichem Niveau der Versicherungsleistungen ist im Bereich der Zahnleistungen mit knapp 56% zu verzeichnen (siehe Tabelle 4).
Der Vorteil als Nachteil – Das Ausgabenproblem der PKV
184
Tabelle 4: Leistungsausgaben in der PKV nach Versorgungsbereichen Versicherungsleistungen in Mio. €
1997
2002
2007
Krankenversicherung davon unter anderem ambulante Leistungen stationäre Leistungen Zahnleistungen
11.546,5
14.722,6
18.319,5
Steigerungsrate der Ausgaben in % (Basis 1997) 58,66
4.430,8 4.220,6 1.742,1
6.132,1 4.822,0 2.086,2
8.273,9 5.556,0 2.716,6
86,74 31,64 55,94
Quelle: Verband der privaten Krankenversicherung 2008a: 90-91, Steigerungsrate eigene Berechnung
Die Ausgabenentwicklungen der einzelnen Leistungsbereiche sind insofern bemerkenswert, als die PKV im stationären Sektor die niedrigste Steigerungsrate verzeichnet (31,64%), im ambulanten Sektor hingegen die höchste (86,74%). Zwischen den Vergütungsregelungen im ambulanten und stationären Bereich existieren für die Privatversicherer tatsächlich erhebliche Unterschiede, so dass hier vermutlich eine der wesentlichen Ursachen für die divergierende Ausgabenentwicklung liegen dürfte. Anders als im ambulanten Bereich, für den die PKV keine auf die Leistungserbringer abzielenden Steuerungsinstrumente besitzt, ist der PKV-Verband in die Vergütungsverhandlungen im stationären Bereich eingebunden. Unterschiedliche Vergütungssysteme für ärztliche Leistungen, wie sie mit den Abrechungsgrundlagen EBM und GOÄ/GOZ im ambulanten Bereich existieren, gibt es für Leistungen im Krankenhaus nicht. Einzige Ausnahme bilden hier die PKV-typischen Wahlleistungen wie z.B. die Chefarztbehandlung, die ebenfalls auf der Grundlage der GOÄ abgerechnet werden (Verband der privaten Krankenversicherung 2007b: 60). Bei den stationären Leistungen hat der Gesetzgeber nicht nur dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen sondern auch dem PKV-Verband weitreichende Vertrags- und Verhandlungskompetenzen zugewiesen. Im Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) ist geregelt, dass der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft das Vergütungssystem auf der Grundlage der diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) vereinbaren (§17b Abs. 2 KHG). Die konkreten Verhandlungsgegenstände sind im Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) geregelt (insbesondere §9 Abs.1 KHEntgG). Zudem ist der PKV-Verband beim
Der Vorteil als Nachteil – Das Ausgabenproblem der PKV
185
Leistungsgeschehen im Krankenhaus mittlerweile auch an der Qualitätssicherung beteiligt (§137 Abs. 3 SGB V). Die Vergütungsregeln im stationären Bereich unterscheiden sich somit erheblich von denen im ambulanten Sektor. Erstens existieren mit den DRGs einheitliche Vergütungsregeln für gesetzlich und privat Versicherte, so dass nur die echten Wahlleistungen privat liquidiert werden. Zweitens erfolgt die Abrechnung der Krankenhausleistungen mittlerweile auch für privat Versicherte weitgehend über das Sachleistungsprinzip (KlinikCard, bzw. Card für privat Versicherte, siehe Kapitel 3.1.4). Drittens besitzt die PKV im stationären Bereich mehr Gestaltungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten als im ambulanten Sektor. Hinsichtlich der Ausgabenentwicklung scheinen diese drei Aspekte von Vorteil zu sein. Anders gestaltet sich die Situation im ambulanten Sektor. Hier gelten noch immer die unterschiedlichen Abrechnungsgrundlagen für gesetzlich und privat Versicherte. Die Leistungsvergütung erfolgt in der PKV weiterhin auf der Grundlage der Kostenerstattung und die Privatversicherer können keinen Einfluss auf das Leistungsgeschehen nehmen. EBM und GOÄ/GOZ sehen dabei oftmals nicht nur unterschiedlich hohe Vergütungen für gleiche Leistungen vor, sondern unterscheiden sich auch durch die Tatsache, dass die Ausgaben der GKV seit Beginn der Konvergenzphase verschiedenen Formen der Budgetierung unterliegen, während den Ausgaben der PKV grundsätzlich keine Obergrenzen gesetzt sind. Da die beiden unterschiedlichen Abrechnungssysteme jedoch im Wesentlichen auf dem selben Behandlungsmarkt Anwendung finden, kann es durch die ungleiche Vergütung gleicher Leistungen zu verzerrenden Wirkungen auf eine bestmögliche Versorgungssituation kommen. Sofern die unterschiedlichen Vergütungsanreize dazu führen, dass die ärztliche Behandlung nicht der medizinischen Notwendigkeit folgt, sondern monetären, nicht mit dem Krankheitsbild zusammenhängenden Anreizen, begünstigt dieses duale Abrechnungssystem eine ineffiziente Ressourcenallokation. Aus ökonomischer Sicht stellt dies einen Wohlfahrtsverlust für die Gesellschaft dar, da die vorhandenen Mittel nicht im Sinne eines bestmöglichen Kosten-Nutzen-Verhältnisses verwendet werden (Albrecht u.a. 2009: 74-75). Unabhängig von der möglicherweise nachteiligen Versorgungssituation für die gesetzlich Versicherten gehen von der Einzelleistungsvergütung nach GOÄ/GOZ verschiedene systemtypische Anreize aus. Der größte Vorteil dieses Vergütungsverfahrens besteht zweifelsohne darin, dass hiermit in der Regel ein hohes Versorgungsniveau erreicht wird, Krankheiten selten übersehen werden und die medizinische Behandlung zumeist umfassend und sorgfältig ist. Der Vorteil ist jedoch zugleich der größte Nachteil, denn die Einzelleistungsvergü-
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Der Vorteil als Nachteil – Das Ausgabenproblem der PKV
tung nach GOÄ setzt den Leistungserbringern auch einen Anreiz, sowohl die Zahl der Behandlungsfälle als auch die Leistungsmenge je Patient auszuweiten. Zudem werden die Ärzte teilweise dazu neigen, vor allem solche Leistungen zu erbringen, bei denen das Verhältnis von Arbeitsaufwand und Gebührenertrag möglichst günstig ausfällt. Bei keinem anderen Vergütungsverfahren ist die medizinisch nicht erforderliche Mengenausweitung so wahrscheinlich wie bei dieser Form der Leistungsvergütung (Rosenbrock/Gerlinger 2006: 132). Dass ein Teil der Ärzteschaft die Budgetierungen in der GKV möglicherweise zum Anlass nimmt, die tatsächlichen oder wahrgenommenen Einnahmeausfälle durch eine entsprechende Mengenausweitung bei den privat Versicherten zu kompensieren, verschärft die Ausgabensituation für die PKV-Unternehmen zusätzlich (siehe Abschnitt 6.3 in diesem Kapitel). Dass die Ausgabensteigerungen vor allem im Liquidationsbereich der GOÄ so stark ausfallen, deutet zumindest auf einen solchen Effekt hin. Relativ hoch sind auch die Abschluss- und Verwaltungskosten in der PKV, die ebenfalls in die Prämienkalkulation eingehen. Zwischen 1997 und 2007 sind diese Positionen von etwa 2,3 Mrd. Euro auf knapp 3,2 Mrd. Euro angestiegen, was einer Steigerungsrate von insgesamt 35,7% entspricht (siehe Tabelle 5). Allein im Jahr 2007 sind somit Abschluss- und Verwaltungskosten von durchschnittlich 370 Euro pro PKV-Vollversicherten angefallen. Diese Aufwendungen müssen über entsprechend hohe Prämien von den Versicherungsnehmern getragen werden.34 Auch wenn aufgrund der systembedingten Unterschiede eine exakte Vergleichbarkeit der Verwaltungskosten von PKV und GKV nicht uneingeschränkt möglich ist, fallen diese in der GKV relativ niedrig aus. Sie betrugen im Jahr 2007 insgesamt 8,18 Mrd. Euro, was bei einer Gesamtzahl von 70,3 Millionen gesetzlich Versicherten zu Verwaltungsausgaben von 116 Euro pro Kopf führt (BMG 2009b: Tab. 8.12 und 9.5A). In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass bei der Kostenabrechnung für Beihilfeberechtigte ein doppelter Verwaltungsaufwand entsteht. Deren Rechnungen müssen sowohl bei den privaten Versicherungen als auch bei den jeweils zuständigen Beihilfestellen eingereicht werden, wo sie dann separat geprüft und gegebenenfalls erstattet werden.
34 Die Abschluss- und Verwaltungskosten werden in den Zahlenberichten der PKV getrennt ausgewiesen, wodurch eine relativ niedrige Darstellung der Verwaltungskosten möglich ist. Allerdings spiegeln beide Positionen erst in der Summe die tatsächlichen Gesamtverwaltungsausgaben wider. Die Gesamtbetrachtung ist auch insofern sachgerecht, als beide Positionen in die Prämienkalkulation eingehen.
Der Vorteil als Nachteil – Das Ausgabenproblem der PKV
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Tabelle 5: Verwaltungs- und Abschlusskosten in der PKV Gesamtverwaltungsau sgaben in Mio. € Abschlusskosten Verwaltungskosten Gesamt
1997
2002
2007
1.697,1 636,4 2.333,5
2.232,7 750,8 2.983,5
2.383,4 783,1 3.166,5
Steigerungsrate in % (2007/1997) 40,44 23,05 35,70
Quelle: Verband der privaten Krankenversicherung 2008a: 94-95, Gesamtausgaben und Steigerungsrate eigene Berechnung
Zusammenfassend lässt sich zunächst einmal festhalten, dass die PKV ein relativ hohes Ausgabenniveau hat, das jedoch in aller Regel mit einem sehr umfangreichen und guten medizinischen Versorgungsniveau korrespondiert. Auffällig und aus Sicht der Privatversicherer nicht ganz unproblematisch ist aber vor allem die Ausgabendynamik der letzten Jahre. Die stärksten Ausgabenanstiege vollzogen sich vorwiegend im privatärztlichen Liquidationsbereich, während die Ausgabensteigerungen im stationären Sektor vergleichsweise moderat ausfielen. Sowohl für die privat Versicherten als auch für die Versicherungsunternehmen stellt sich somit die Frage, wie dieser Ausgabendynamik begegnet werden kann.
6.2
Die Steuerungsinstrumente der Privatversicherer
Da die Ausgabenentwicklung der PKV wesentlichen Einfluss auf die Bemessung und Anpassung der Prämien nimmt, spielen die Instrumente der Ausgabenund Verhaltenssteuerung für die Versicherungsunternehmen eine wichtige Rolle. Diese erstrecken sich in der PKV jedoch vornehmlich auf die Versicherungsnehmer, nicht aber auf die Leistungserbringer. Für die Handlungsfähigkeit der PKV ist dies insofern von Nachteil, als sich ein wesentlicher Teil der Leistungserstellung völlig dem Einfluss der Privatversicherer entzieht. Während sich die GKV längst vom „payer“ zum „player“ (Gerlinger 2002: 19) entwickelt hat, bleibt die Rolle der Privatversicherer noch immer auf die des reinen Kostenerstatters beschränkt. Den PKV-Unternehmen bleibt daher nur die Möglichkeit, die marktwirtschaftlichen Steuerungsinstrumente der Prämienkalkulation gegenüber den eigenen Versicherten anzuwenden. Dieses geht jedoch oftmals mit negativen Folgewirkungen für die Versicherten – vor allem für die älteren Be-
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Der Vorteil als Nachteil – Das Ausgabenproblem der PKV
standsversicherten – einher. Die einseitig marktwirtschaftlichen Steuerungsinstrumente der PKV wie beispielsweise Kapitaldeckung, Kostenerstattung, Selbstbehalttarife etc. liefern zugleich einen empirischen Hinweis, dass die Reichweite dieser Maßnahmen in der Realität weitaus geringer ausfällt, als ihnen in gesundheitsökonomischen und versicherungsbetriebswirtschaftlichen Abhandlungen Bedeutung beigemessen wird. 6.2.1
Prämienanpassungen in den Bestandsverträgen
Um den privat Versicherten auch im Alter einen bezahlbaren Versicherungsschutz zu gewährleisten, bildet die PKV für die Versicherten eine Altersrückstellung. Das Ziel, eine konstante lebenslaufbezogene Prämienbelastung zu erreichen, wird jedoch regelmäßig verfehlt. Das gegenwärtige Geschäftsmodell der PKV erschwert nicht nur den Unternehmenswechsel älterer Versicherter, sondern begünstigt im Fall allgemeiner Ausgabensteigerungen auch eine überproportionale Belastung der älteren Bestandsversicherten. In der Theorie geht das Geschäftsmodell der PKV davon aus, dass die Altersrückstellungen ausreichen, um die steigenden Ausgabenbelastungen im Alter zu reduzieren und dadurch die Prämien konstant zu halten. In der Praxis haben sich die Rücklagen jedoch stets als zu gering erwiesen, so dass die älteren Privatversicherten zum Teil mit erheblichen Prämiensteigerungen konfrontiert wurden. Auf dieses Problem hatte der Sachverständigenrat bereits 1995 in seinem Gutachten hingewiesen und zugleich die Notwendigkeit eines ausreichenden Zulaufs an Neuversicherten in der PKV betont: „Da in der Vergangenheit Alterungsrückstellungen nicht ausreichten und daher angepaßt werden mußten, hängt die Finanzierung ihrer derzeitigen Versicherten auch vom weiteren Zugang junger Versicherter ab. Ein Versiegen dieses Zustroms dürfte für den bestehenden Versicherungsbestand zu nicht unerheblichen Beitragserhöhungen führen.“ (Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion um Gesundheitswesen 1995: 52)
Die Einschätzung des Sachverständigenrats, dessen personelle Zusammensetzung Mitte der 1990er Jahre gänzlich unverdächtig war, marktwirtschaftlichen Konzepten mit besonderer Skepsis zu begegnen, stellt dem Kalkulationsverfahren der PKV überraschenderweise ein eher bescheidenes Zeugnis aus. Die hohen Erwartungen an die Altersrückstellungen scheinen sich bisher jedenfalls nicht im Sinne eines Automatismus eingestellt zu haben. Dies ist insofern bemerkenswert, als das Kapitaldeckungsverfahren in den Augen vieler Ökonomen und Branchenvertreter als „demographieresistenter“ Finanzierungsmodus gilt, der den umlagefinanzierten Sozialversicherungssystemen prinzipiell überlegen
Der Vorteil als Nachteil – Das Ausgabenproblem der PKV
189
ist. Weitgehender Konsens besteht unter diesen Akteuren darin, dass die kapitalgedeckte Absicherung des Krankheitsrisikos „zu einer verbesserten Vorsorge gegenüber demographisch bedingten Kostensteigerungen“ führe (Blum-Barth 2005: 86) und die PKV damit „zum Garanten von mehr Generationengerechtigkeit in der sozialen Sicherung“ prädestiniere (Genett 2009: 138). Allerdings haben führende Branchenvertreter auch immer wieder betont, dass ein nachlassender Zustrom junger Versicherter problematisch sei, da die PKV ihren sozialen Auftrag dann nicht mehr erfüllen könne (so z.B. Boetius/Wiesemann 1998: 39; Verband der privaten Krankenversicherung 2002b: 31). Sofern aber die Finanzierbarkeit der PKV vom Zugang jüngerer Versicherter abhängt, kann sie gegen demographische Veränderungen kaum resistent sein. Der von der Versicherungsbranche formulierte Anspruch, für jeden Versicherten eine individuelle und über die gesamte Versicherungsdauer konstante Prämie zu kalkulieren, wurde in der Vergangenheit regelmäßig verfehlt. Dass die Prämienanpassungen aufgrund allgemeiner Kostensteigerungen vor allem für ältere privat Versicherte zu überproportionalen Prämienbelastungen führen, ist auf das Kalkulationsverfahren der PKV zurückzuführen. Unter der Annahme, dass sich die zu Vertragsbeginn verwendeten Rechnungsgrundlagen über die gesamte Vertragslaufzeit nicht verändern, könnten die Versicherer recht problemlos eine lebenslang konstante Prämie kalkulieren. Angesichts der Langfristorientierung der Versicherungsverträge ist diese Annahme jedoch äußerst unrealistisch, denn die verwendeten Rechnungsgrundlagen werden im Laufe der Zeit von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst. In die Berechnung der Nettoprämie gehen bekanntlich die Kopfschäden, der Kalkulationszinssatz sowie die Storno- und Sterbewahrscheinlichkeiten ein (siehe auch Kapitel 2.4). Diese Rechnungsgrundlagen bleiben jedoch nicht über Jahrzehnte konstant, sondern verändern sich regelmäßig. Erhöhen sich z.B. die allgemeinen Ausgaben im Gesundheitswesen, so wirkt sich dies entsprechend auf die Kopfschadenstatistiken aus. Solche Ausgabenerhöhungen können z.B. auf medizinisch-technischen Fortschritt, Preissteigerungen, Mengenausweitungen oder epidemiologische Veränderungen zurückzuführen sein. Auch andere Rahmenbedingungen sind nicht exakt prognostizierbar und beeinflussen langfristig die Rechnungsgrundlagen der Privatversicherer. Steigt z.B. die Lebenserwartung, so verringert dies die Sterbewahrscheinlichkeiten. Die steigende Lebenserwartung macht also in diesem Fall eine entsprechende Anpassung der für die Kalkulation maßgeblichen Sterbetafeln erforderlich. Ebenfalls nicht prognostizierbar sind die Stornowahrscheinlichkeiten. Werden weniger Versicherungsverträge gekündigt als angenommen (z.B. weil die Rückkehrmöglichkeiten in die GKV be-
190
Der Vorteil als Nachteil – Das Ausgabenproblem der PKV
schränkt werden), so sinken die Stornowahrscheinlichkeiten. Es existieren also viele Einflussfaktoren, die eine Abweichung der tatsächlichen von den angenommenen Rechnungsgrundlagen begründen. Sofern sich die zu Vertragsbeginn verwendeten Rechnungsgrundlagen mit der Zeit verändern, macht dies eine Nachkalkulation der Versicherungsprämien erforderlich. Diese Nachkalkulation wirkt sich nun in Abhängigkeit von der bisherigen Vertragsdauer sehr unterschiedlich auf die Höhe der Prämienanpassungen aus. Dieses Problem lässt sich am besten nachvollziehen, wenn man sich die unterschiedlichen Wirkungen für Neu- und Bestandsversicherte schrittweise vor Augen führt: Ein allgemeiner Kostenanstieg von beispielsweise 5% hat für Neuversicherte zur Folge, dass die Prämien genau um 5% angehoben werden. Diese Prämienerhöhung betrifft sowohl den Umlageanteil als auch den Kapitaldeckungsanteil und entspricht damit in vollem Umfang den zukünftig erwarteten Schadenskosten. Insofern ergibt sich für diese Gruppe kein Problem bei der Neukalkulation. Für die Bestandsversicherten hingegen fallen die Beitragserhöhungen umso stärker aus, je länger sie bereits bei einem Unternehmen versichert sind. Die allgemeinen Kostensteigerungen erfordern für ältere Bestandsversicherte nämlich nicht nur eine Neuberechnung der gegenwärtigen und zukünftigen Versicherungsprämien um 5%, sondern auch eine Nachkalkulation der in der Vergangenheit angesparten und nun zu geringen Altersrückstellungen. Die in den bereits zurückgelegten Versicherungsjahren gebildeten Spareinlagen sind nämlich angesichts der allgemeinen Kostensteigerungen nicht mehr ausreichend, um die zukünftig erwarteten Schäden vollständig zu decken. Je länger die zurückgelegten Vertragslaufzeiten zum Zeitpunkt der Nachkalkulation sind, desto deutlicher muss der überproportionale, über 5% hinausgehende Prämienanstieg ausfallen, um das angestrebte Versorgungsniveau im Alter zu realisieren (siehe hierzu z.B. Meyer 1997: 188-189). Für die älteren Bestandsversicherten kommt gegenwärtig noch erschwerend hinzu, dass sie den Prämienerhöhungen auch nicht durch den Wechsel zu einem günstigeren Unternehmen entkommen können. Die durch den fehlenden Wettbewerb zementierten Versichertenbestände begünstigen in erster Linie die Kalkulation möglichst günstiger Neutarife und schaffen einen sachlich nicht gerechtfertigten Anreiz zur Vernachlässigung der Bestandsversicherten. Es sind also erneut die älteren Versicherten, die von den Nachteilen dieses Kalkulationsverfahrens betroffen sind. Mit dem Problem der hohen Beitragsbelastungen für ältere privat Versicherte hatte sich Mitte der 1990er Jahre schon die Unabhängige Expertenkommission auseinandergesetzt (siehe auch Kapitel 5.2.2). Dem Gesetzgeber wurden verschiedene Vorschläge zur Reduzierung der Prämienanstiege im Alter
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unterbreitet, von denen einige in der Folgezeit umgesetzt wurden (Deutscher Bundestag 1996: 6-7). Um den Prämienanstieg im Alter zu reduzieren, müssen die Versicherungsunternehmen den Altersrückstellungen nicht mehr 80%, sondern 90% der Überzinsen35 zuführen (Direktgutschrift nach § 12a Abs.1 VAG). Zudem muss seit dem 1.1.2000 für alle Versicherten zwischen 21 und 60 Jahren ein zehnprozentiger Beitragszuschlag auf die jährliche Bruttoprämie erhoben werden. Dieser ist der Altersrückstellung zuzuführen und muss zur Begrenzung des Prämienanstiegs im Alter verwendet werden (§ 12 Abs. 4a VAG). Beide Maßnahmen, Überzinsverwendung und zehnprozentiger Beitragszuschlag, greifen mit dezidiert sozialpolitischer Zielsetzung in die tarifliche Gestaltungsfreiheit der PKV ein. Beide Instrumente sind auch bis zu einem gewissem Grad geeignet, den Anstieg der Prämienbelastung bei älteren Versicherten zu dämpfen, da sie die Wahrscheinlichkeit der Prämienanpassung reduzieren und die Prämienbelastung zeitlich nach vorne verlagern. Sofern jedoch trotzdem Prämienanpassungen erforderlich werden – was nach wie vor der Fall ist –, ändert sich am skizzierten Mechanismus der überproportionalen Belastung für ältere Bestandsversicherte grundsätzlich nichts. 6.2.2
Verhaltenssteuerung der Versicherungsnehmer
Neben dem Prämienänderungsrecht besitzen die Privatversicherer vor allem Steuerungsinstrumente, die auf das Verhalten des Versicherungsnehmers abzielen. Hierzu zählen nicht nur die „weichen“ Steuerungsinstrumente wie z.B. Appelle an das Kostenbewusstsein der Versicherten sondern auch Selbstbehalttarife und Beitragsrückerstattungen sowie die Abrechnung medizinischer Leistungen nach dem Kostenerstattungsprinzip. Diese letztgenannten Instrumente gelten vor allem in der gesundheitsökonomischen Theorie als besonders wirksam, um auf dem Wege der Verhaltenssteuerung zu Kosteneinsparungen zu gelangen. In der PKV werden sie daher seit vielen Jahren angewandt und in der Regel als systemtypisch erachtet. Der Blick auf die Ausgabensituation der PKV deutet allerdings darauf hin, dass diese marktwirtschaftlichen und einseitig auf die Versicherungsnehmer abzielenden Maßnahmen in ihrer Bedeutung tendenziell überschätzt werden. Die Anwendung dieser Steuerungsinstrumente wird üblicherweise mit Verhaltensrisiken gerechtfertigt, wonach der Versicherungsnehmer nach Abschluss eines Versicherungsvertrags sein Handeln ändere. Die durch die Versi35 Als Überzins bezeichnet man die Abweichung des tatsächlich am Kapitalmarkt erzielten Zinssatzes vom kalkulierten Zinssatz, der der Prämienkalkulation zugrunde gelegt wurde.
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cherung des Krankheitsrisikos ausgelöste Verhaltensanpassung rühre daher, dass die Kosten im Fall eines Schadenseintritts nun vom Versicherer getragen werden müssten. Hieraus ergebe sich zum einen, dass dem Versicherungsnehmer Anreize fehlen, sich entsprechend gesundheitsbewusst zu verhalten („ex ante moral hazard“). Zum anderen wird unterstellt, dass einmal versicherte Leistungen übermäßig in Anspruch genommen werden („ex post moral hazard“). Die Preisunabhängigkeit der Nachfrage fördere eine „Freifahrermentalität“, da der einzelne Versicherte die Gesundheitsleistungen zum „Nulltarif“ erhalte (so z.B. Oberender/Hebborn 1994: 55-56). Dies habe zur Folge, dass sich Schadenswahrscheinlichkeit, Schadenshöhe und Schadensdauer erhöhen (Schulenburg/Greiner 2000: 54-56; Zweifel/Eisen 2003: 294-295; Breyer u.a. 2005: 222). Den Versicherten solle daher durch Selbstbehalttarife, Beitragsrückerstattungen und Anwendung der Kostenerstattung ein Preissignal gegeben werden, das zu einem kostenbewussten Inanspruchnahmeverhalten medizinischer Güter und Dienstleistungen führen soll (Breyer/Buchholz 2009: 209).36 In der Logik dieses ökonomisch geprägten Denkens ist es für ein marktwirtschaftliches Versicherungssystem konsequent, auf eben diese Steuerungsinstrumente zurückzugreifen. Dass vor allem der Versicherte und Patient immer wieder zum Steuerungsadressaten gemacht wird, ist jedoch aus verschiedenen Gründen wenig erfolgversprechend. Bereits die Unterstellung missbräuchlicher Inanspruchnahme versicherter Leistungen ist nicht sonderlich plausibel. Ein wesentlicher Denkfehler des Moral-Hazard-Ansatzes besteht in der Annahme, dass der übermäßige „Konsum“ solcher Leistungen einen Nutzen für den Versicherten stiftet. In Anbetracht der zumeist unangenehmen Begleiterscheinungen medizinischer Behandlungen ist es kaum nachvollziehbar, „moral hazard“ als typisches Versichertenverhalten zu betrachten. Medizinische Behandlungen und ärztliche Eingriffe werden von den meisten Menschen als eher unangenehm empfunden, oftmals sind sie sogar schmerzhaft. Es macht in den allermeisten Fällen schlichtweg keinen Sinn, solche Leistungen übermäßig in Anspruch zu nehmen. Die wenigsten privat Versicherten dürften sich in missbräuchlicher Absicht unnötigen Gesundheitsrisiken durch medizinisch nicht erforderliche Behandlungen aussetzen. Der Besuch des Zahnarztes, die Unannehmlichkeit eines Krankenhausaufenthalts, mögliche Nebenwirkungen entbehrlicher Arzneimittel oder 36 Neben der erhofften Steuerungswirkung steht aber zumeist die erwünschte Finanzierungswirkung im Vordergrund, wonach der Kostenanteil, der ausschließlich von den Patienten bei Inanspruchnahme medizinischer Versorgungsleistungen getragen werden muss, das Ausgabenvolumen der Versicherung reduziert (Pfaff u.a. 2003: 14).
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lange Wartezeiten in der Arztpraxis werden bei den allermeisten Menschen eher Abwehrreaktionen als übermäßige Konsumwünsche hervorrufen. Natürlich ist nicht auszuschließen, dass vereinzelt auch privat Versicherte diese Leistungen missbräuchlich in Anspruch nehmen, allerdings dürfte ein solches Verhalten in der Realität deutlich seltener vorkommen, als es in der gesundheitsökonomischen Theorie und in politischen Debatten Aufmerksamkeit erfährt (Reiners 2006: 15-16). Letztlich ist auch zu bedenken, dass die meisten Nachfrageentscheidungen – vor allem die wirklich teuren – zumeist nicht vom Patienten, sondern vom Arzt getroffen werden. Dies gilt in besonderem Maße für aufwändige Behandlungen, kostenintensive Operationen oder langfristige Therapieentscheidungen. Das Verhältnis von Arzt und Patient ist von erheblichen Informationsasymmetrien geprägt, da der Arzt über ein hohes Maß an fachspezifischem Wissen verfügt. In Abhängigkeit von der Ausgestaltung der medizinischen Leistungsvergütung können von solchen Informationsasymmetrien unterschiedlich starke Anreize zur Ausweitung von Leistungsmengen ausgehen („angebotsinduzierte Nachfrage“).37 Selbstbeteiligungen, Beitragsrückerstattungen und Kostenerstattungsprinzip sollen aber nicht nur die missbräuchliche Inanspruchnahme versicherter Leistungen verhindern und einen gesunden Lebensstil fördern, sondern auch einen Anreiz schaffen, im Krankheitsfall auf möglichst kostengünstige Anbieter und effiziente Behandlungsstrukturen zurückzugreifen. Auch hinsichtlich dieser Erwartung existieren gewichtige Gründe, die auf eine begrenzte Wirkung dieser marktwirtschaftlichen Steuerungsinstrumente hindeuten. Die unterstellte Handlungsautonomie des Versicherten ist vor allem in der Arzt-Patient-Beziehung oftmals nicht gegeben, denn der Patient – auch wenn er privat versichert ist – tritt seinem Arzt keineswegs als souveräner Konsument entgegen (Deppe 2005: 176-179). In idealtypischer Hinsicht zeichnet sich das Nachfrageverhalten des souveränen Konsumenten durch zeitliche, räumliche und personelle Präferenzlosigkeit aus. Für die Konsumentscheidung müsste es folglich unerheblich sein, wann, wo und bei welchem Anbieter ein bestimmtes Gut erworben wird. Diese Bedingungen sind in der Arzt-Patient-Beziehung offensichtlich nicht erfüllt. Im Krankheitsfall hat der Patient selbstverständlich eine zeitliche Präferenz, denn er möchte schnellstmögliche Heilung erfahren. Je stärker der Notfallcharakter einer Krankheit ist, desto weniger lässt sich die Konsultation eines Arztes auf37 Informationsasymmetrien können auch zu Lasten des Arztes existieren, da ein Arzt zumeist nicht oder nur eingeschränkt kontrollieren kann, inwieweit ein Patient seinen Mitwirkungspflichten nachkommt und den ärztlichen Anweisungen folgt („Compliance“). Diese Form der Informationsasymmetrie soll vor dem Hintergrund der hier behandelten Fragestellung nicht weiter verfolgt werden (siehe aber zu diesem Thema z.B.: Sachverständigenrat Gesundheit 2001: 43-50).
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schieben. Zudem hat der Patient normalerweise auch eine räumliche Präferenz, da er meistens auf eine wohnortnahe medizinische Versorgung angewiesen ist. Gerade kranke und ältere Menschen sind nicht uneingeschränkt mobil. Letztlich existiert bei den meisten Patienten auch eine persönliche Präferenz, denn das Verhältnis zum Arzt ist oftmals durch besonderes, manchmal über Jahre gewachsenes Vertrauen gekennzeichnet. Der „medizinische Dienstleister“ kann also nicht jederzeit problemlos gewechselt werden. In der Regel ist es dem Patienten auch nicht möglich, die Qualität medizinischer Leistungen unmittelbar zu beurteilen. Erstens werden diagnostische Verfahren, ärztliche Behandlungen oder Operationen üblicherweise in Anwesenheit des Patienten erbracht, so dass „Produktion“ und „Konsum“ einer Dienstleistung zeitlich zusammenfallen. Die Qualität seiner Behandlung kann der Patient nicht im Vorfeld beurteilen. Zweitens lässt sich der Erfolg einer medizinischen Behandlung auch nach der Inanspruchnahme nicht immer zuverlässig beurteilen, da der Kausalzusammenhang zwischen Behandlung und der Veränderung des Gesundheitszustands von anderen Effekten überlagert werden kann. Drittens werden medizinische Leistungen zumeist unregelmäßig in Anspruch genommen, so dass dem Patienten oft die eigene Erfahrung für eine Beurteilung fehlt. Auch Erfahrungen anderer Patienten sind nicht ohne weiteres übertragbar, da Krankheiten oftmals sehr individuell verlaufen und nicht immer verallgemeinerbar sind. Zweifel sind auch im Hinblick auf das Argument der größeren Preistransparenz bei der Kostenerstattung angebracht. Den Preis einer medizinischen Behandlung erfährt der Patient auch bei der Kostenerstattung erst im Nachhinein. Grundsätzlich besteht zwar die Möglichkeit, sich in nicht dringenden Behandlungsfällen einen Kostenvoranschlag inklusive eines Behandlungsplans erstellen zu lassen, allerdings ist auch dies mit Kosten verbunden und wird in der Regel nichts am Nachfrageverhalten ändern. Zudem können sich während der Behandlung Abweichungen vom erstellten Plan ergeben. Auch hier stellt sich die Frage, inwieweit die intendierte Steuerungswirkung tatsächlich erreicht werden kann. So grundsätzlich richtig das Bestreben ist, Transparenz über abgerechnete Leistungen und verursachte Kosten zu erzielen, so überfordernd dürfte es aus Sicht des Patienten sein, in die Rolle des Kostenkontrolleurs gedrängt zu werden. Wenn dies schon Ärzten und Versicherungen nicht gelingt, dann wird sich angesichts der deutlichen Informationsasymmetrien auch der Patient kaum als wirksamer Kostenregulator in Szene setzen können. Er ist weder der Verordnungsgeber der GOÄ noch setzt er Gebührenpositionen oder Steigerungssätze fest. In den meisten Fällen nimmt er nicht einmal Einfluss auf den Behand-
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lungsverlauf. Viele Patienten sind zudem medizinische Laien, die in der Regel kaum verstehen werden, was sich hinter den abgerechneten Leistungen verbirgt. Zwar dürfte noch jedem Patienten klar sein, was beispielsweise mit den Gebührenpositionen „Röntgen“, „Langzeit-EKG“ oder „Blutentnahme“ gemeint ist. Was aber hat ein Arzt geprüft, wenn er laut GOÄ eine „Photoplethysmographische Prüfung der Vasomotorik“ abrechnet? Was wurde untersucht, wenn auf der Arztrechnung eine „Akrale infraton-oszillographische Untersuchung“ aufgeführt wird?38 Dass sich durch Selbstbehalttarife, Beitragsrückerstattungen oder Privatliquidationen die gewünschten Steuerungseffekte erzielen lassen, ist schon bei theoretischer Betrachtung nicht sonderlich plausibel. Grundsätzlich können von Selbstbehalttarifen oder Beitragsrückerstattungen sogar negative Effekte ausgehen. Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn eine medizinisch erforderliche Behandlung aus Kostengründen unterbleibt und behandlungsbedürftige Krankheiten verschleppt werden. Abgesehen von den nachteiligen Wirkungen für den einzelnen Menschen kann dies auch für die Versicherung letztlich teurer werden, weil z.B. Behandlungsumfang und -intensität durch die Verschleppung der Krankheit im Nachhinein gestiegen sind (siehe z.B. Sachverständigenrat Gesundheit 2003: 129; Grimmeisen/Leiber 2009: 8). Die Vorstellung, privat Versicherte könnten auf diesem Wege zu signifikanten Kosteneinsparungen in der PKV beitragen, ist letztlich Ausdruck eines ökonomisch überformten Denkens, das mit der Lebenswirklichkeit der Menschen nur wenig gemeinsam hat. Die Ausgabenentwicklung in der PKV scheint diese Überlegungen im Grundsatz zu bestätigen. Eine problematische Wirkung können Selbstbehalttarife auch entfalten, wenn sie als Instrument zur Senkung der Prämienbelastung im Alter verwendet werden müssen. Grundsätzlich haben privat Versicherte nur wenige Möglichkeiten, der Prämienerhöhung ihres Versicherers auszuweichen. Dies kann entweder durch einen Wechsel in einen günstigeren Tarif des eigenen Versicherers, durch Absenkung des Versicherungsschutzes oder durch Erhöhung der Selbstbeteiligung erfolgen (Grabka 2006: 654). Letzteres empfiehlt der PKV-Verband auch seinen Versicherten, die im Alter die hohen Beiträge nicht mehr tragen können. In einer Informationsbroschüre wirbt die PKV dafür, dass die Erhöhung des vereinbarten Selbstbehalts oder auch die Absenkung des Versicherungsschutzes 38 Beide Gebührenpositionen beschreiben nicht-invasive Verfahren zur Blutgefäßdiagnostik. Sie finden sich in der GOÄ unter Abschnitt F (Innere Medizin, Kinderheilkunde, Dermatologie), Nr. 622 (Akrale infraton-oszillographische Untersuchung) und Nr. 639 (Photoplethysmographische Prüfung der Vasomotorik).
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„interessante Alternativen“ sein können (Verband der privaten Krankenversicherung o.J.c: 14). Aus Sicht der Patienten kann dies jedoch dazu führen, dass der Versicherungsschutz gerade dann eingeschränkt werden muss, wenn er am dringendsten benötigt wird. Auch die Erhöhung der Selbstbeteiligung stellt letztlich keine Kostenreduzierung, sondern nur eine weitere Kostenprivatisierung dar, die im Schadensfall allein vom Versicherten getragen werden muss. Teilweise setzt der PKV-Verband aber auch auf Appelle an die Mitwirkungsbereitschaft der Versicherten. So wird den privat Versicherten in einer Informationsbroschüre („Aktiv gegen die Kostenspirale“) empfohlen, bei „Befindlichkeitsstörungen“ nicht immer auf teure Medikamente zurückzugreifen, da in manchen Fällen „der Griff zum Hausmittel die bessere Entscheidung“ sei; zudem solle man seine „Medikamente nicht nach dem Grundsatz ,viel hilft viel´“ einnehmen (Verband der privaten Krankenversicherung o.J.d: 4). An anderer Stelle werden die Versicherten daran erinnert, dass „gerade im Bereich der physikalisch-medizinischen Behandlung“ oft die Möglichkeit bestehe, „nach einer gewissen Zeit der Einübung die Behandlung in Eigenregie fortzusetzen“ (Verband der privaten Krankenversicherung o.J.d: 7-8). Beim Brillenkauf wird den Versicherten nahegelegt, nicht nur das Gestell, sondern auch den Preis der Gläser mit einzubeziehen. Zudem sei „die teurere Designerbrille keineswegs immer hochwertiger als ein preiswerteres Brillengestell“ (Verband der privaten Krankenversicherung o.J.d: 8). Grundsätzlich ist es sicherlich richtig, auch bei den privat Versicherten ein Kostenbewusstsein zu entwickeln und auf die Verantwortung für einen sparsamen Ressourcenverbrauch im Gesundheitswesen hinzuweisen. Dass sich jedoch auf diesem Wege die Ausgabenanstiege nachhaltig reduzieren lassen, ist eher unwahrscheinlich. Langfristig kann diese Entwicklung für die Privatversicherer zu einem großen Nachteil gegenüber der GKV werden, da sich auch potentielle Neuversicherte gut überlegen werden, ob sie sich unter diesen Bedingungen ein Leben lang an ein privates Versicherungsunternehmen „ketten“ sollen. Solange die PKV weder das Wettbewerbsproblem noch das Ausgabenproblem in den Griff bekommt, dürfte ein Übertritt zur PKV für viele Versicherte ein zunehmend unattraktiver Schritt werden. Dieser Trend könnte möglicherweise auch dadurch verstärkt werden, dass die Defizite der PKV immer mehr ins öffentliche Bewusstsein gelangen. Hierzu trägt nicht nur die zunehmende wissenschaftliche Publikationstätigkeit bei (siehe z.B. Berié u.a. 2005; Grabka 2005). Auch die eher wirtschaftsnahen Magazine bescheren der PKV längst keine durchweg positiven Schlagzeilen mehr. Das Wirtschaftsmagazin Capital überschrieb einen Artikel über die PKV im Juni 2006 mit der Schlagzeile „Private Krankenversi-
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cherung: Gefährliche Steigung“ und sprach von „Beitragsexplosionen in der privaten Krankenversicherung“, angesichts derer die „Kunden den Unternehmen regelrecht ausgeliefert“ seien (Herden, Capital vom 14.6.2006). Ähnlich titelte auch der Stern im November 2006 mit der Schlagzeile „Krankenversicherungen: Die Privaten lohnen sich nicht“; das Nachrichtenmagazin bezog sich dabei auf eine Untersuchung der Stiftung Warentest, bei der 344 Angebote verschiedener Privatversicherer mit insgesamt eher mäßigem Ergebnis getestet wurden (o.V. 2006b, Stern vom 14.11.2006). Auch in einem Bericht der Financial Times Deutschland hieß es zum Jahresende 2009 „Zweistellige Steigerungen: Private Krankenversicherer erhöhen die Preise“, wonach die Privatversicherer ab 2010 ihre Prämien „auf breiter Front“ anheben wollen (Schlingensiepen, Financial Times Deutschland vom 27.11.2009). Für die private Versicherungsbranche wird es in Zukunft von entscheidender Bedeutung sein, ob sie den starken Ausgabenanstieg begrenzen kann oder dieser Entwicklung weiterhin relativ tatenlos zusehen wird. Gegenwärtig ist jedoch noch nicht abzusehen, dass die PKV ein probates Mittel gegen diese Ausgabendynamik findet, denn noch immer fehlt den Privatversicherern die Möglichkeit, mit den Leistungserbringern im Hinblick auf Vergütung, Wirtschaftlichkeit und Qualität in Vertragsverhandlungen zu treten. 6.2.3
Geringer Einfluss auf die Leistungsanbieter
Im deutschen Gesundheitswesen unterhalten die Privatversicherer keine Vertragsbeziehungen zu den niedergelassenen Ärzten. Auch der PKV-Verband schließt bislang keine Verträge mit den Ärzteverbänden ab. Vertragsbeziehungen bestehen zwischen dem Privatversicherer und dem Versicherungsnehmer einerseits sowie zwischen Patient und behandelndem Arzt andererseits. Eine vorsichtige Aufweichung dieser Regelung hat der Gesetzgeber zwar beim Basistarif vorgenommen, allerdings haben die rechtlichen Optionen bislang noch nicht zum erfolgreichen Abschluss von Verträgen zwischen PKV und Ärzteschaft geführt (siehe auch Kapitel 3.1.3). Dass die PKV mit den Leistungsanbietern außerhalb des Basistarifs keine Verträge über Vergütungen, Leistungen und Behandlungsleitlinien abschließen darf, ist in erster Linie auf das ärztliche Standes- und Berufsrecht zurückzuführen. Eine entscheidende Bedeutung kommt hierbei den Ärztekammern zu, die als berufsständische Selbstverwaltung agieren und alle Ärzte als Zwangsmitglieder umfassen. Sie nehmen – ähnlich wie die Kassenärztlichen Vereinigungen, die jedoch nur die ambulanten Ärzte vertreten – sowohl berufsständische Aufgaben und Interessen als auch gemeinwohlorientierte öffentliche Funktionen wahr. Im deutschen Gesundheitswesen obliegt
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ihnen vor allem die Berufsaufsicht bei der Überwachung und Durchsetzung vorgegebener Qualitätsstandards, die Förderung beruflicher Belange der Ärzteschaft sowie die Vertretung der berufsständischen Interessen (Sachverständigenrat Gesundheit 2005: 56). Demnach haben die Ärzte bestimmte Berufspflichten zu befolgen, die im Wesentlichen auf der sogenannten Musterberufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä) beruhen. Die MBO-Ä wird auf Bundesebene vom Deutschen Ärztetag beschlossen und ist rechtswirksam, wenn sie durch die Kammerversammlungen der Ärztekammern als Satzung angenommen und von den Aufsichtsbehörden genehmigt wurde. Einige dieser berufsständischen Regelungen sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Privatversicherer keine wirksamen Kooperationen und Vertragsbeziehungen mit den Ärzten eingehen können. Der ärztliche Beruf ist kein Gewerbe, sondern seiner Natur nach ein freier Beruf (§1 MBO-Ä). Es gilt für die Ärzte die Therapie- und Entscheidungsfreiheit, d.h. sie dürfen keine Grundsätze anerkennen und keine Vorschriften oder Anweisungen beachten, die mit ihren Aufgaben nicht vereinbar sind oder deren Befolgung sie nicht verantworten können (§2 Abs. 1 MBO-Ä). Darüber hinaus dürfen die Ärzte hinsichtlich ihrer ärztlichen Entscheidungen keine Weisungen von Nichtärzten entgegennehmen (§2 Abs. 4 MBO-Ä). Vor diesem Hintergrund sind administrative Steuerungsinstrumente, wie z.B. die Vorgabe von evidenzbasierten Behandlungsleitlinien durch Vertragsbeziehungen zwischen PKV und Ärztenetzwerken, stark eingeschränkt (Sehlen 2002: 123). Die Ärzte sind außerdem verpflichtet, bei der Honorarbemessung auf die GOÄ zurückzugreifen, soweit nicht andere gesetzliche Vergütungsregelungen gelten (§12 Abs. 1 MBO-Ä). Auch in der GOÄ selbst ist festgelegt, dass die Leistungsvergütungen für die Ärzte nach eben dieser Gebührenordnung zu bestimmen sind, soweit nicht durch Bundesgesetz anderes geregelt ist (§1 Abs. 1 GOÄ). Dies ist für den Versorgungsbereich der GKV der Fall, denn hier ist das Leistungs- und Vergütungsgeschehen durch den EBM geregelt. Diese Abrechnungsgrundlage gilt jedoch nicht für die Privatversicherer, bzw. die privat versicherten Patienten. Alternative Honorarvereinbarungen, die auf vertraglichen Vereinbarungen zwischen Ärzten und Privatversicherern beruhen, sind durch diese Regelungen stark eingeschränkt. Die Einführung pauschalierter Honorierungsformen ist bei gegenwärtiger Rechtslage nicht möglich (Helmich 2000: 224). Berufsrechtlich problematisch wären alternative, von der GOÄ abweichende Honorarvereinbarungen auch deshalb, weil es Ärzten nicht gestattet ist, sich für die Zuweisung von Patienten ein Entgelt oder andere Vorteile versprechen oder gewähren zu lassen (§31 MBO-Ä). Entsprechende vertragliche
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Vereinbarungen zwischen Ärzten und privaten Versicherungsunternehmen sind damit ebenfalls ausgeschlossen. Grundsätzlich sehen zwar sowohl die MBO-Ä als auch die GOÄ die Möglichkeit abweichender Honorarvereinbarungen vor, allerdings erstreckt sich der Regelungsgehalt ausschließlich auf etwaige Vereinbarungen zwischen Arzt und Patient, nicht aber auf Vertragsabschlüsse zwischen Arzt und Kostenträger. Bei Abschluss einer abweichenden Honorarvereinbarung haben Ärzte auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Zahlungspflichtigen Rücksicht zu nehmen (§12 Abs.1 MBO-Ä). Darüber hinaus können sie z.B. mittellosen Patienten das Honorar ganz oder teilweise erlassen (§12 Abs. 2 MBO-Ä). Ergänzend hierzu heißt es in §2 Abs. 1 GOÄ, dass durch Vereinbarung eine von der GOÄ abweichende Gebührenhöhe festgelegt werden kann. Diese ist schriftlich und vor der Leistungserbringung nach persönlicher Absprache im Einzelfall zwischen Arzt und Zahlungspflichtigem zu treffen (§2 Abs. 2 GOÄ). Vertragspartner ist folglich der Patient als Zahlungspflichtiger, nicht aber die Versicherung als Kostenerstatter. Ebenfalls nicht gestattet ist die Anstellung von „eigenen“ Ärzten durch die PKV, denn auch in diesem Punkt setzt das ärztliche Berufs- und Standesrecht gegenwärtig Grenzen. Die Ausübung ambulanter ärztlicher Tätigkeit außerhalb von Krankenhäusern ist an die Niederlassung in einer Praxis gebunden, soweit nicht gesetzliche Vorschriften anderes zulassen (§17 Abs. 1 MBO-Ä). Zudem dürfen sich Ärzte untereinander zu Berufsausübungsgemeinschaften, Organisationsgemeinschaften, Kooperationsgemeinschaften und Praxisverbünden zusammenschließen (§18 Abs. 1 MBO-Ä). Diese beruflichen Kooperationsmöglichkeiten beziehen sich jedoch ausschließlich auf Zusammenschlüsse unter Ärzten, nicht auf ärztliche Kooperationen mit privaten Versicherungsunternehmen. Grundsätzlich müssen die Ärzte die Praxis persönlich ausüben. Die Beschäftigung von ärztlichen Mitarbeitern in einer Praxis setzt die Leitung der Praxis durch einen niedergelassenen Arzt voraus (§ 19 Abs. 1 MBO-Ä). Auch diese Regelung steht der Möglichkeit entgegen, Zusammenschlüsse von Ärzten oder Ärztenetzwerken und privaten Versicherungen zuzulassen. Neben den berufsrechtlichen Vorgaben der MBO-Ä sind aber auch die Regelungen, bzw. Nicht-Regelungen der GOÄ immer wieder Streitpunkt zwischen Ärzten und Privatversicherern. Die GOÄ wird mit Zustimmung des Bundesrates von der Bundesregierung als Rechtsverordnung erlassen. Ziel der Gebührenordnung ist es, die privat Versicherten vor beliebigen Honorarforderungen zu schützen und ein Mindestmaß an Transparenz über Kosten und Preise bei Privatliquidationen zu gewährleisten. Die letzte Novellierung der GOÄ geht jedoch
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auf das Jahr 1996 zurück. Daher wurde zuletzt immer wieder kritisiert, dass die aufgeführten Leistungen den medizinischen Fortschritt nur unzureichend abbilden (Verband der privaten Krankenversicherung 2007b: 48) und die GOÄ einer überfälligen Novellierung bedürfe (Bundesärztekammer 2009: 328). Um Verzögerungen bei der Anpassung an den medizinischen Fortschritt auszugleichen, sieht die GOÄ u.a. die Analogbewertung vor, wonach selbständige ärztliche Leistungen, die bisher nicht in das Gebührenverzeichnis aufgenommen sind, entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden können (§6 Abs. 2 GOÄ). Den Ärzten ist somit ein gewisser Abrechnungs- und Ermessensspielraum eingeräumt. Aus Sicht des PKV-Verbandes ist bei den Analogbewertungen jedoch oftmals strittig, ob eine Innovation tatsächlich den Analogabgriff rechtfertigt und die gewählte Gebührenposition angemessen ist (Verband der privaten Krankenversicherung 2005a: 45-46). Außer einer konsequenten Rechnungsprüfung, die immer zeit- und kostenintensiv ist, bleiben den Privatversicherern im Einzelfall keine wirksamen Steuerungsinstrumente, um eine medizinisch nicht erforderliche Mengenausweitung zu kontrollieren. Um eine praxistaugliche Anpassung an den medizinischen Fortschritt zu erreichen, gibt es seit 1997 den Zentralen Konsultationsausschuss für Gebührenordnungsverfahren bei der Bundesärztekammer, der sich aus Vertretern der Ärzteschaft, des Bundesgesundheitsministeriums, des Bundesinnenministeriums (als Vertreter der Beihilfekostenträger) und des PKV-Verbandes zusammensetzt. Ziel dieses Gremiums ist es, konsensorientierte Empfehlungen zu grundlegenden Abrechnungsfragen der Privatliquidation zu geben (Verband der privaten Krankenversicherung 2007b: 48). Für die Privatversicherer ist die Abbildung des medizinischen Fortschritts durch konsentierte Abrechnungsempfehlungen aus verschiedenen Gründen ein unbefriedigendes Instrument. Zum einen fehlt diesen Empfehlungen die Rechtsverbindlichkeit, die nach gegenwärtiger Rechtslage erst im langwierigen Verordnungsgebungsprozess von Bundesregierung und Bundesrat erlangt werden kann. Zum anderen bleibt auch bei solchen Empfehlungen stets ein gewisser Ermessensspielraum bei der Umsetzung der Vorgaben. Beides zusammen führt wiederum regelmäßig zu Abrechnungsstreitigkeiten zwischen den Privatversicherern und den Ärzten. Grundsätzlich sieht auch die Bundesärztekammer Handlungsbedarf, verteidigt aber die Einzelleistungsvergütung und verweist auf die Verantwortung des Verordnungsgebers: „Kostenträger und Ärzte leiden unter der inflationären Zunahme von inhaltlich komplizierteren GOÄ-Auslegungsdivergenzen. Ursache hierfür ist jedoch nicht das Prinzip der Einzelleistungsvergütung, sondern die sträflichen Versäumnisse
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des Verordnungsgebers bei der Aktualisierung der GOÄ.“ (Klakow-Franck 2003: A-4289)
Der PKV-Verband kommentiert denselben Sachverhalt folgendermaßen: „Die Ärzteschaft investiert in Abrechnungsberatung – die Krankenversicherer investieren in Rechnungsprüfung. Schlussendlich werden die Gerichte beschäftigt, die sich ihrerseits ärztlicher Gutachter bedienen müssen. Auf dem Weg durch die Instanzen werden widersprüchliche Entscheidungen gefällt. Alles dies ist mit Aufwand und dementsprechend auch mit Kosten verbunden und widerspricht daher letztendlich den Interessen der Beteiligten.“ (Verband der privaten Krankenversicherung 2005a: 46)
Zusammenfassend lässt sich zunächst einmal festhalten, dass die PKV aufgrund standes- und berufsrechtlicher Vorgaben der Ärzte bisher auf die Rolle des reinen Kostenerstatters beschränkt ist. Vertragsbeziehungen und Kooperationen zwischen privaten Versicherungsunternehmen und niedergelassenen Ärzten sind bislang nicht möglich. In den Versorgungsbereichen, in denen das Ausgabenwachstum am größten ist, hat die PKV somit kaum wirksame Steuerungsinstrumente in der Hand. Statt bei den Leistungsanbietern anzusetzen, bleibt den Unternehmen nur die Möglichkeit, die Prämien immer wieder anzupassen oder den Versicherten höhere Selbstbehalttarife anzubieten. Allerdings werden die Privatversicherer ihr Ausgabenproblem nicht allein durch versichertenbezogene Steuerungsinstrumente lösen können. Für eine wirksame Begrenzung der Ausgabenbelastung bedarf es einer Neuausrichtung der Vergütungsregeln.
6.3
Das interessenpolitische Dilemma der Privatversicherer
Die Begrenzung des Ausgabenwachstums gehört zu den zentralen Herausforderungen, die die PKV in Zukunft bewältigen muss. Dies ist nicht nur im Interesse der Versicherten sondern auch für die Unternehmen selbst von entscheidender Bedeutung, denn ansteigende Prämien und höhere Selbstbehalttarife dürften sich langfristig eher negativ auf die Nachfrage nach privatem Krankenversicherungsschutz auswirken. Bereits heute ist die PKV für viele potentielle Wechsler längst nicht mehr die günstige Alternative zur GKV. Für junge Familien oder Menschen, die in naher Zukunft eine Familie gründen möchten, ist die PKV ohnehin nicht sonderlich attraktiv. Die zunehmende Einschränkung der Rückkehrmöglichkeiten in die GKV hat außerdem dazu geführt, dass auch die PKV immer häufiger ältere Versicherte in ihren Beständen behält. Für die Privatversicherer kann sich die Ausgabendynamik – vor allem in Kombination mit dem nach wie vor ungelösten Wettbewerbsproblem und den zunehmend heterogenen
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Einkommensverhältnissen ihrer Versicherten – zu einem nicht zu unterschätzenden Akzeptanzproblem auswachsen. Bisher hat sich die PKV jedoch schwer getan, ihr Verhältnis zu den Leistungsanbietern zu klären und die eigenen Positionen gegenüber den Ärzten, den Versicherten und der Politik zu vertreten. Das Verhältnis des PKV-Verbandes zur Bundesärztekammer war in der Vergangenheit oft von Konflikten um die Vergütungs- und Abrechnungsmodalitäten gekennzeichnet. Die PKV möchte vor allem ihren Einfluss auf das Vergütungs- und Abrechnungsgeschehen erhöhen, die Ärzte hingegen wollen an der unbegrenzten Einzelleistungsvergütung auf möglichst hohem Niveau festhalten. Beide Parteien sind sich bisher nicht wirklich näher gekommen. Für den PKV-Verband bestehen die Schwierigkeiten der Interessenvertretung vor allem darin, mehrere, zum Teil gegensätzliche Ziele gleichzeitig erreichen zu müssen: ƒ
ƒ ƒ
gegenüber den Leistungsanbietern müssen Einsparungen erstritten werden, ohne jedoch die ökonomischen Interessen der Ärzte zu ignorieren und dadurch die traditionell wohlwollende Unterstützung der Ärzteverbände aufs Spiel zusetzen für die eigenen Versicherten müssen spürbare Entlastungen der Prämienanstiege bei gleichzeitig hohem Versorgungsniveau erreicht werden für die eigenen Mitgliedsunternehmen müssen kostensenkende Steuerungsinstrumente gefunden werden, ohne jedoch die PKV organisatorisch zu sehr in die Nähe der GKV zu rücken.
Es ist offensichtlich, dass die vollständige Erreichung all dieser Ziele einer interessenpolitischen Quadratur des Kreises gleichkäme. Anstatt jedoch ein klares inhaltliches Gesamtkonzept zu erarbeiten und offensiv dafür zu streiten, hat die PKV an verschiedenen Fronten zum Teil widersprüchliche Positionen vertreten. Das mit Abstand wichtigste Ziel des PKV-Verbandes besteht darin, das privatwirtschaftliche Geschäftsmodell gegenüber der GKV zu verteidigen (siehe auch Kapitel 4.4.1). Um den Vorwurf der Risikoselektion und der ungleichen Wettbewerbsbedingungen zu relativieren, hat die PKV zunächst versucht, die vergleichsweise hohen Ausgabensteigerungen nicht als eigenes Problem darzustellen, sondern wahlweise als „Mehrumsatz“ (Verband der privaten Krankenversicherung 2008d: 14), als „Quersubventionierung der GKV“ (Wild 2005: 60) oder als „überproportionalen Finanzierungsbeitrag privat versicherter Patienten zum Gesundheitswesen“ (Niehaus/Weber 2005). Der Kern dieses Arguments
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zielt darauf ab, dass die privat Versicherten durch die hohen Arzthonorare eine Art nachträglichen Solidarbeitrag leisten, von dem indirekt auch die gesetzlich Versicherten profitieren würden. Nach Auffassung der PKV würde durch diesen Effekt das Gesundheitswesen insgesamt gestärkt werden. Die hohen Privatliquidationen seien nicht nur eine entscheidende wirtschaftliche Existenzgrundlage für die Arztpraxen, sondern würden in vielen Fällen erst den nötigen Umsatz schaffen, um ausreichende Investitionsmittel für die Praxisausstattung zu generieren (Verband der privaten Krankenversicherung 2008d: 14).39 Dieser Argumentation der PKV konnten sich auch die Ärzte anschließen, da ihnen die Budgetrestriktionen der GKV von Anfang an ein Dorn im Auge waren. Die Bundesärztekammer spricht daher ebenfalls von einem „unverzichtbaren Finanzierungsbeitrag durch Privateinnahmen“ (Hess 2005a: A-3224; siehe auch die in Kapitel 4.4.3 zitierten Stellungsnahmen der freien Ärzteverbände). Inhaltlich kann dieser Position entgegengehalten werden, dass der Begriff „Quersubventionierung“ ebenso irreführend ist wie der Effekt, der damit beschrieben wird. Unter Subventionen werden in der Regel staatliche Leistungen an Unternehmen oder private Haushalte verstanden, die entweder direkt oder indirekt geleistet werden und an bestimmte Auflagen gebunden sind (Buscher u.a. 2003: 194). Solche Auflagen können die Definition eines bestimmten Empfängerkreises, die Verpflichtung zu einem bestimmten Verhalten oder die Vorschrift spezieller Verwendungen beinhalten. Keines dieser Kriterien ist im Fall der „Quersubventionierung“ erfüllt. Grundsätzlich erhöhen sich durch die Privatliquidationen zunächst einmal nur die Einkommen derjenigen Ärzte, die besonders viele Privatpatienten behandeln. Hinzu kommt, dass die Verwendung der zusätzlichen Mittel auch nicht zweck- oder weisungsgebunden ist. Die Gewinne aus dem Praxisbetrieb müssen daher keineswegs in ärztliche Fortbildungsmaßnahmen, zusätzliches Personal oder neue Praxiseinrichtungen investiert werden. Diese „Mehreinnahmen“ stehen sämtlichen alternativen Verwendungsformen zur Verfügung und entziehen sich sowohl der Kontrolle des Patienten als auch dem Einfluss der Versicherungen. Sofern aus den Vergütungsunterschieden tatsächlich bessere, umfangreichere oder schnellere Behandlungen resultieren, kommen diese den privat Versicherten zu Gute. Wenn dafür sogar medizinisch notwendige Behandlungen bei gesetzlich Versicherten aufgescho-
39 Was die tatsächliche Höhe des Mehrumsatzes betrifft, gehen die Einschätzungen erwartungsgemäß auseinander. Während der Verband der privaten Krankenversicherung (2008d) von 4,4 Mrd. Euro im ambulanten Sektor ausgeht, errechnen Walendzik u.a. (2008) einen Mehrumsatz von 3,6 Mrd. Euro.
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Der Vorteil als Nachteil – Das Ausgabenproblem der PKV
ben oder unterlassen würden, ergäben sich sogar handfeste Nachteile aus diesem Anreizsystem. Wichtiger als die inhaltliche Dimension dieses Arguments ist jedoch, dass die PKV zwar den Konflikt mit der Ärzteschaft überdecken konnte, dabei allerdings der Lösung des Ausgabenproblems keinen Schritt näher gekommen ist. Während sich PKV und Ärzteschaft für sozialpolitische Abwehraktionen aller Art bisher immer zusammengerauft und gemeinsame Sache gemacht haben, treten die unübersehbaren Interessengegensätze ohne „äußeren Feind“ offen zu Tage. Die Abrechnungsstreitigkeiten mit den Ärzten haben in der öffentlichen und politischen Wahrnehmung längst nicht den Stellenwert wie die Auseinandersetzungen mit der GKV. Für die PKV sind die fehlenden Instrumente zur Kostensteuerung jedoch von enormer Bedeutung. Der PKV-Verband hatte die Ausgabenanstiege in anderen Zusammenhängen schon des Öfteren darauf zurückgeführt, dass von der Einzelleistungsvergütung nach GOÄ entsprechende Anreize zur Mengenausweitung ausgehen (z.B. Verband der privaten Krankenversicherung 2005a: 46). Das Wissenschaftliche Institut der PKV (WIP) kam in einer Vergleichsstudie zu EBM und GOÄ zu dem Ergebnis, dass neben Preiseffekten auch Mengeneffekte wirken, so dass „bei Privatpatienten andere und auch gegebenenfalls mehr Leistungen abgerechnet“ würden (Niehaus 2009: 18). Auf diesem Wege würden die privat Versicherten dem Arzt ermöglichen, „seinen Umsatz und damit seinen Gewinn zu erhöhen“ (Niehaus 2009: 29). Bereits zuvor hatte der PKV-Verband in dieser Sache eine konfrontative Position bezogen, die die Bundesärztekammer getrost als Kampfansage verstehen durfte: „Das [...] Einzelleistungsvergütungssystem hat sich in der Praxis nicht bewährt. Es fördert die Mengenausweitung ärztlicher Leistungen, ist intransparent und lädt zum Missbrauch unter dem Gesichtspunkt der Rechnungsbetragsoptimierung ein. Die bei gleichbleibendem Punktwert [...] steigenden Ausgaben der PKV für die ambulante ärztliche Behandlung machen deutlich, dass nach der GOÄ in ihrer jetzigen Struktur ständig mehr Leistungen erbracht werden können.“ (Verband der privaten Krankenversicherung 2002b: 44-45)
Dieser Frontalangriff auf die Einzelleistungsvergütung stieß erwartungsgemäß auf breite Ablehnung der ärztlichen Interessenvertretung. Die Bundesärztekammer erwies sich dabei als mindestens ebenbürtiger Gegner, der dem PKVVerband in puncto Machteinfluss, Konflikt- und Organisationsfähigkeit in nichts nachsteht. Nachdem die Privatversicherer ihre Vorwürfe in Richtung Ärzteschaft nochmals bekräftigt hatten, ließ die Bundesärztekammer selbstbewusst verlauten, der PKV-Verband suche „offenbar Streit“ und sei „weit von der Realität entfernt“ (Hess 2002: A-1273). Weiter hieß es süffisant in Richtung PKV:
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„Bei allem Verständnis für Sparbemühungen der Privatassekuranz ist dieser Fortsetzungsroman kein Ruhmesblatt und kein gutes Omen für eine konstruktive Zusammenarbeit von PKV und Ärzteschaft bei einer Weiterentwicklung der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) - ganz abgesehen davon, dass mit dem Abrechnungshickhack die Ärzteschaft nicht zum politischen Bündnispartner zur Verteidigung der Friedensgrenze gewonnen werden kann.“ (Hess 2002: A-1273)
In der Folgezeit hat die PKV vor allem in ihren jährlichen Rechenschaftsberichten sowie verschiedenen Positionspapieren Unmutsbekundungen gegenüber den Ärzten geäußert. Inhaltlich hat sie immer stärker für die Umstellung der GOÄ auf ein diagnosebezogenes Fallpauschalensystem nach Vorbild der stationären Leistungsvergütung geworben (Verband der privaten Krankenversicherung 2002b: 44-45). Der Leistungskatalog der GOÄ solle sich aus den diagnosebezogenen Fallpauschalen ableiten und auch auf ambulant erbrachte Leistungen anwendbar sein. Der Katalog müsse lediglich um bestimmte Leistungen erweitert werden, die ausschließlich ambulant erbracht werden. Hierbei könne man auch auf den Katalog der gültigen GOÄ zurückgreifen (Verband der privaten Krankenversicherung 2005a: 47-48). Von diagnosebezogenen Fallpauschalen geht ein leicht veränderter Anreiz gegenüber der Einzelleistungsvergütung aus. Die Leistungen werden hierbei pauschal auf der Grundlage eines diagnostizierten Behandlungsfalls vergütet. Die Höhe der Fallpauschale ist also unabhängig vom Behandlungsaufwand. Daher wird die Höhe des ärztlichen Einkommens entscheidend davon abhängen, inwieweit der Arzt die Behandlungskosten pro diagnostiziertem Fall reduziert. Da der Arzt jedoch in aller Regel die Diagnose erstellt und die Leistungen erbringt, geht auch von Fallpauschalen eine – wenngleich nicht ganz so starke – Tendenz zur medizinisch nicht indizierten Mengenausweitung aus. In der Ärzteschaft stießen auch diese Pläne auf wenig Gegenliebe. Fallpauschalen würden „massive Fehlanreize“ entfalten, da die „Pauschalvergütungen durch Leistungsminimierung optimiert“ oder „billige in teure Fälle umkodiert“ würden (Klakow-Franck 2003: A-4289). Die Bundesärztekammer ging ihrerseits zum Angriff über und hielt der PKV ihre unentschlossene Haltung vor. Sie befinde sich offenbar in einer „Identitätskrise“ und könne sich nicht entscheiden, was sie denn eigentlich wolle: „Versteht sie sich mit ihrer behaupteten Quersubventionierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Milliardenhöhe als Retter des deutschen Gesundheitswesens, oder wäre sie lieber doch eine verkappte Gesetzliche Krankenversicherung? [...] Die PKV versucht, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Einerseits will sie belegen, dass sie als Mitfinanzier des Gesundheitswesens unverzichtbar ist, andererseits hätte sie es dann doch gerne wieder etwas billiger und zielt damit offensichtlich auf die Reform der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), deren Vergütungsniveau sie herunterfahren möchte.“ (Hess 2005b: A-2066)
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Der Vorteil als Nachteil – Das Ausgabenproblem der PKV
Die Interessenvertreter der Ärzte haben hier ganz offensichtlich den Finger in die Wunde gelegt, denn die unentschlossene Haltung der PKV ist in der Tat keineswegs widerspruchsfrei. Den Verbandsfunktionären der Privatassekuranz empfahl die Bundesärztekammer, sich über die eigenen Positionen klar zu werden: „Die private Krankenversicherung muss sich entscheiden: Will sie, wie es politische Pläne vorsehen, mit den gesetzlichen Kassen gleichgestellt werden? Dann spart sie ihre Quersubventionierung, zahlt gleiches Geld für gleiche Leistungen. Oder will sie sich abgrenzen und damit ihre Existenz und ihr eigenes Profil wahren? Dann muss sie ihren Finanzierungsbeitrag leisten, und zwar in anderer Höhe als das unter Budgetzwängen ächzende GKV-System.“ (Hess 2005b: A-2066)
Die PKV zeigte sich über diese Haltung enttäuscht und kündigte an, der Politik notfalls auch ohne den Konsens mit der Ärzteschaft einen Vorschlag für die Neugestaltung der GOÄ zu präsentieren. Dabei solle es nicht nur um die Neuorientierung am DRG-System gehen, sondern auch um die Einführung einer Öffnungsklausel in der GOÄ. Dadurch sollen auf Vertragsbasis zwischen Ärzten und PKV sowohl konkretere Vorgaben zur persönlichen Leistungserbringung als auch Regelungen zur Analogberechnung ermöglicht werden (Verband der privaten Krankenversicherung 2006d: 41). Für die PKV stellt sich unter den gegebenen Bedingungen jedoch die Frage, wie sie ihre Ziele der Ausgabensteuerung durchsetzen kann. Während der PKV-Verband seine Interessen beim Erhalt des substitutiven Kerngeschäfts oder der Verhinderung eines funktionierenden Wettbewerbs um Bestandsversicherte bislang recht erfolgreich durchsetzen konnte, stehen die Chancen für einen Verhandlungserfolg gegenüber den Leistungsanbietern wesentlich schlechter. Dabei hat die PKV gerade in der Frage der Ausgabenentwicklung gute Gründe, nach alternativen Lösungen zu streben – und zwar nicht, um ihre Selbstabschaffung zu forcieren, sondern um ihre Existenz zu sichern. Ohne eine strategische Neuausrichtung wird es jedoch zu keiner Lösung kommen, denn die Verhandlungsbasis der PKV ist in dieser Streitfrage aus verschiedenen Gründen eher schwach. Während sich die Privatversicherer gegenüber der GKV immer als marktwirtschaftliches Pendant in Szene setzen konnten, fehlt es gegenüber der Ärzteschaft an ideologischem Abgrenzungspotential. Die PKV sieht sich selbst als Verfechter eines marktwirtschaftlichen Gesundheitssystems, dessen versicherungsbetriebswirtschaftliche Grundlagen sie stets als ihr ureigenstes Spezifikum dargestellt hat. Vertragsfreiheit, Risikoäquivalenz und Gewinnorientierung hat die PKV immer gegen äußere Angriffe verteidigt. Gegenüber den eigenen Versicherten sieht sie sich als Garant hochwertiger Versicherungsprodukte, die sich
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vor allem in der absolut freien Arztwahl und dem hohen Niveau medizinischer Versorgung äußern. In ihrem Bemühen, auch im Bereich der Privatliquidation zu einer moderaten Ausgabensteuerung zu gelangen, trifft sie jedoch seit Jahren auf den erbitterten Widerstand der Ärzteschaft. Dabei nimmt die Bundesärztekammer genau dieselben Ideale des freien Marktes für ihre Klientel in Anspruch wie der PKV-Verband für seine Mitgliedsunternehmen. Auch die niedergelassenen Ärzte sehen sich als Garanten eines marktwirtschaftlichen Gesundheitssystems, zu dessen unverrückbaren Grundsätzen sie den freiberuflichen Charakter der ärztlichen Tätigkeit zählen. Ebenso wie die Privatversicherer das Recht auf freies Unternehmertum für sich in Anspruch nehmen, fordern die Ärzte für sich das Recht, ihren Beruf in eigener Praxis auszuüben. Genauso wie die Privatversicherer das Recht reklamieren, Gewinne aus dem Versicherungsbetrieb zu erzielen, beanspruchen die Ärzte für sich das Recht, Gewinne aus dem Praxisbetrieb zu erwirtschaften. Mit derselben Berechtigung, mit der die Privatversicherer auf dem Grundsatz der Vertragsfreiheit beharren, bestehen die Ärzte auf dem Recht der Therapie- und Behandlungsfreiheit. Ebenso wie die Privatversicherer ihre Versicherungsprodukte und deren Preise frei gestalten wollen, wollen auch die Ärzte über Art und Umfang der Behandlung ohne äußeren Zwang entscheiden dürfen. Auch die Marktdefekte im Gesundheitssystem wissen beide Konfliktparteien zu ihrem Vorteil zu nutzen. Ökonomisch sinnvoll ist weder die Risikoselektion, die die PKV aufgrund unterschiedlicher Wettbewerbsbedingungen gegenüber der GKV betreibt, noch die Mengenausweitung, die die Ärzte aufgrund von Informationsasymmetrien gegenüber den privat Versicherten praktizieren. Dass die niedergelassenen Ärzte als Freiberufler letztlich denselben betriebswirtschaftlichen Handlungslogiken folgen wie die privaten Versicherungen, kann ihnen zumindest die PKV nicht zum Vorwurf machen ohne dabei die eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen. Aus der ideologischen Nähe der beiden Konfliktparteien resultiert auch die Schwierigkeit, politische Entscheidungsträger als Fürsprecher der eigenen Interessen zu gewinnen. Sowohl die Ärzte als auch die Privatversicherer sind traditionell eher dem konservativ-liberalen Parteienspektrum zugeneigt, von dem sie jedoch in der Frage der Abrechnungsstreitigkeiten kaum politische Unterstützung erwarten können. Auch wenn CDU/CSU und FDP immer ein offenes Ohr für die Anliegen der Privatassekuranz hatten, werden auch sie keinen harten Konfrontationskurs gegen die Interessen der Ärzte forcieren. Dass sich die konservativ-liberalen Parteien für die zeitnahe Ablösung der GOÄ durch ein Fallpauschalensystem auf Grundlage der DRGs stark machen, ist eher unwahrscheinlich. Bestenfalls wird man sich in Zukunft mit der Überarbeitung und
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Modernisierung der GOÄ auseinandersetzen. Die Anpassung an den medizinischen Fortschritt könnte zwar einen Beitrag dazu leisten, die Abrechnungsstreitigkeiten bei den Analogbewertungen zu reduzieren, allerdings würden die systemspezifischen Handlungsanreize der Einzelleistungsvergütung unvermindert fortbestehen. Selbst wenn der Gesetzgeber den Forderungen der PKV nachkäme und in der GOÄ eine Öffnungsklausel für separate Vertragsabschlüsse auf freiwilliger Basis vorsehen würde, fehlte es der PKV wohl an einer ausreichenden Versicherten- bzw. Patientenzahl. Im Vergleich zu den Branchenriesen der GKV weisen die privaten Versicherungsunternehmen eher kleine Versichertenbestände auf. Im Jahr 2007 hatten gerade einmal drei Unternehmen einen Versichertenbestand von über 500.000 Versicherten, 17 Privatversicherer hatten zwischen 100.000 und 500.000 Versicherte, die restlichen 27 Unternehmen lagen mit weniger als 100.000 Versicherten noch darunter (Verband der privaten Krankenversicherung 2008a: 11). Da die Patientenbestände nicht sehr hoch und die Versichertenbestände zumeist auch noch regional gestreut sind, würde sich gegenwärtig wohl keine allzu große Verhandlungsmacht gegenüber den Ärzten ergeben. Unter diesen Rahmenbedingungen werden auch die Ärzte nicht von der bisherigen Abrechnungspraxis abweichen. Sieht man einmal vom Modernisierungserfordernis der GOÄ ab, stellt die bisher praktizierte Einzelleistungsvergütung für die Ärzte eine nahezu optimale Vergütungsform dar. Zusätzlichen verwaltungstechnischen Aufwand durch Vertragsverhandlungen werden die Ärzte ohnehin nur betreiben, wenn sie dadurch eine Verbesserung ihrer finanziellen Situation herbeiführen können. Da die Privatversicherer aber vor allem das Ziel verfolgen, auf dem Vertragsweg zu Kosteneinsparungen zu gelangen, ist eine Einigung durch Öffnungsklauseln und freiwillige Initiativen für die PKV nicht zielführend. Fraglich wäre auch, inwieweit die privat Versicherten bereit wären, für Prämienreduzierungen auf die freie Arztwahl zu verzichten.40 Ob und in wel40 Bisher deutet einiges darauf hin, dass die freie Arztwahl vor allem unter den privat Versicherten eine hohe Wertschätzung erfährt. Im Rahmen der von der Bertelsmann-Stiftung erhobenen Daten zum
„Gesundheitsmonitor“ wurden gesetzlich und privat Versicherte mit der Frage konfrontiert, ob sie für eine erhebliche Senkung der Krankenversicherungsbeiträge bereit wären, sich nur von Ärzten behandeln zu lassen, die von der Krankenversicherung festgelegt werden. Während ca. 20% der gesetzlich Versicherten diese Frage mit Ja beantworteten, fiel der Anteil unter den privat Versicherten mit etwa 13% recht niedrig aus (Mielck/Helmert 2006: 38-39). Auf diesem Abstraktionslevel sind die Ergebnisse jedoch mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten. So antworteten z.B. auf die Frage, ob die Regelung „Gesunde unterstützen Kranke“ vollkommen gerecht sei, nur etwas mehr als 25% der privat Versicherten mit Ja. Wer diesem Prinzip nicht zustimmt, müsste sich eigentlich aus der Krankenversicherung verabschieden, denn der Risikoausgleich von Gesunden zu Kranken ist konstituierendes Merkmal jeder Krankenversicherung, ganz gleich ob sie nun öffentlicher oder privater Rechtsnatur ist.
Der Vorteil als Nachteil – Das Ausgabenproblem der PKV
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chem Umfang entsprechende Selektivverträge tatsächlich zustande kommen würden, hängt letztlich aber auch von den konkreten Rahmenbedingungen, den finanziellen Anreizstrukturen und der Qualität der Vertragsinhalte ab. Relevante Parameter dürften hier vor allem die Höhe der möglichen Beitragsentlastungen, die Anzahl wählbarer Vertragsärzte sowie die Qualität strukturierter Behandlungsprogramme sein. Die Möglichkeit, auf diese Rahmenbedingungen entscheidenden vertraglichen Einfluss zu nehmen, könnte die PKV erheblich verbessern, wenn sie nach neuen Verbündeten streben würde.
6.4
Reformvorschlag III: Miteinander statt gegeneinander!
Die Interessenvertreter der PKV haben bisher viel Energie darauf verwendet, sich von der GKV abzugrenzen und ihr eigenes Profil zu schärfen. Tatsächlich liegen jedoch nicht nur die Bedürfnisse der Versicherten sondern auch die Interessen von GKV und PKV viel näher beieinander, als es PR-Kampagnen um Friedensgrenze, Systemwettbewerb und Quersubventionierung suggerieren. Beide Versicherungssysteme haben auf der Einnahmeseite die Verpflichtung, verantwortungsvoll mit den Beiträgen und Prämien der Versicherten umzugehen und dabei ein möglichst hohes medizinisches Versorgungsniveau zu gewährleisten. Beide Versicherungssysteme stehen auch auf der Ausgabenseite letztlich vor ähnlichen Herausforderungen. Trotz aller Systemunterschiede verbindet die beiden Versicherungszweige letztlich mehr als sie trennt. Aus den zukünftigen Herausforderungen, denen sich GKV und PKV gleichermaßen stellen müssen, ergibt sich ein durchaus integratives Potential, von dem auch die Privatversicherer profitieren könnten, wenn sie sich in der Sache etwas beweglicher zeigen würden und bereit wären, neue Bündnisse einzugehen. Die Verantwortung hierfür kann aber nicht allein bei der PKV liegen, denn ohne gesetzgeberische Interventionen wird sie nicht in der Lage sein, einen Einfluss auf die Leistungsanbieter zu gewinnen oder mit den gesetzlichen Krankenversicherungen zu kooperieren. Die sachlich durchaus begründeten Forderungen der PKV nach Öffnungsklauseln in der GOÄ sowie der Stärkung der Vertragskompetenzen werden nur dann eine positive Wirkung entfalten, wenn die PKV eine ausreichende Zahl regionaler und überregionaler Kooperationspartner findet. Dem Gesetzgeber wird daher vorgeschlagen, nicht nur auf die Forderungen der Privatversicherer einzugehen, sondern gleichzeitig die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen GKV und PKV zu stärken. Die Privatversicherer sind gleichsam aufgefordert, diese Entwicklung aktiv zu fördern und sich konstruktiv an der Weiter-
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Der Vorteil als Nachteil – Das Ausgabenproblem der PKV
entwicklung des Versorgungssystems zu beteiligen. Folgende Maßnahmen wären zu ergreifen: ƒ
ƒ ƒ ƒ
In der GOÄ wird eine Öffnungsklausel verankert, die den Abschluss von Einzelverträgen zwischen Privatversicherern und Leistungsanbietern ermöglicht; sofern keine Vertragsabschlüsse zustande kommen, gilt weiterhin die GOÄ als Abrechnungsgrundlage. Den gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen werden Kooperationsmöglichkeiten bei Vertragsabschlüssen mit den Leistungsanbietern eingeräumt. Die GOÄ wird modernisiert und an den medizinischen Fortschritt angepasst. Die Vergütungssysteme EBM und GOÄ werden schrittweise angeglichen; hierbei sind nicht nur die Interessen der Versicherungen, sondern auch die berechtigten Anliegen der Ärzte zu berücksichtigen.
Damit die Privatversicherer von der Öffnungsklausel in der GOÄ auch tatsächlich profitieren können, müssen sie über eine höhere Anzahl an Versicherten verfügen als dies gegenwärtig der Fall ist. Da sie mit ihren eigenen Versichertenbeständen die erforderlichen Patientenzahlen nicht erreichen können, sollten sie die Möglichkeit erhalten, mit den gesetzlichen Krankenversicherungen zu kooperieren. Auf diesem Weg ließe sich für die Privatversicherer eine deutliche Verbesserung der Verhandlungsposition erzielen. Die Chancen für solche Kooperationen hat der Gesetzgeber in den letzten Jahren sowohl in der PKV als auch in der GKV erheblich verbessert. Mit dem GKV-WSG wurde den Privatversicherern erstmals die Möglichkeit eingeräumt, hinsichtlich der Leistungen des Basistarifs mit den KVen abweichende Vergütungsverträge zu schließen (siehe hierzu Kapitel 3.1.3). Auf Seiten der GKV hat der Gesetzgeber das integrative Potential dadurch gestärkt, dass er den Krankenkassen immer mehr einzelvertragliche Kompetenzen eingeräumt hat. Die gesetzlichen Krankenkassen besitzen mittlerweile in mehreren Versorgungsbereichen die Möglichkeit, mit den Leistungsanbietern separate Verträge abzuschließen. Dies gilt z.B. bei Modellvorhaben (§§ 63-65 SGB V), in der hausarztzentrierten Versorgung (§ 73b SGB V), in der integrierten Versorgung (§ 140a-d SGB V), bei Disease Management Programmen (§ 137f SGB V), in der besonderen ambulanten ärztlichen Versorgung (§ 73c SGB V), in der Hilfsmittelversorgung (§ 127 SGB V) und beim Abschluss von Rabattverträgen in der Arzneimittelversorgung (§ 130a SGB V) (siehe hierzu auch Gerlinger 2009: 23-
Der Vorteil als Nachteil – Das Ausgabenproblem der PKV
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24). Der Gesetzgeber hat den gesetzlichen Krankenkassen mit der Stärkung einzelvertraglicher Kompetenzen auch einen Anreiz zu kassenartenübergreifenden Fusionen geschaffen. Diese Möglichkeiten wurden bisher – auch als Folge des verschärften Wettbewerbs in der GKV – intensiv genutzt. Die Versicherungen verfolgen damit nicht zuletzt das Ziel, die Verhandlungsmacht gegenüber den Leistungsanbietern zu stärken und unnötige Verwaltungskosten abzubauen.41 In wettbewerblicher, organisatorischer und vertragsrechtlicher Hinsicht sind die gesetzlichen Krankenversicherungen mittlerweile wesentlich besser aufgestellt als die Privatversicherer. Insofern ergäben sich durch die Eröffnung von Kooperationsmöglichkeiten auch für die PKV-Unternehmen sinnvolle Anknüpfungspunkte. Ein systemübergreifendes Integrationspotential könnte sich auch daraus ergeben, dass einige Privatversicherer schon lange eigene Betriebskrankenkassen unterhalten, die institutionell und rechtlich unter dem Dach der GKV firmieren. Hierzu zählen z.B. die BKK Victoria D.A.S., die Debeka BKK und Die Continentale BKK. Bis vor kurzem unterhielten auch die Signal Iduna, die Allianz und die Gothaer eigene Betriebskrankenkassen, die sich mittlerweile am GKVinternen Konzentrationsprozess beteiligt haben. Seit dem 1.2.2009 gibt es die Signal Iduna IKK als Innungskrankenkasse, die aus der Fusion der Signal Iduna BKK und der Vereinigten IKK hervorgegangen ist. Am 1.4.2009 fusionierten auch die BKK Allianz und die Kaufmännische Krankenkasse KKH zur KKH Allianz, die nun zu den Ersatzkassen zählt. Die Gothaer BKK fusionierte zum 1.10.2008 mit der Deutschen BKK und betreibt ihr Versicherungsgeschäft seither auch unter dem Namen Deutsche BKK. Über die eigenen Betriebskrankenkassen ergäben sich möglicherweise erleichterte Einstiegsmöglichkeiten zu gemeinsamen Vertragsprojekten mit anderen gesetzlichen Krankenversicherungen. Die Kooperationsmöglichkeiten zwischen gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen könnten beiden Seiten Vorteile bringen. Der Vorteil für die Privatversicherer liegt vor allem darin, dass sich die Verhandlungsposition gegenüber den Leistungsanbietern verbessert. Durch strategische Allianzen mit ausgewählten gesetzlichen Krankenversicherern werden Vertragsabschlüsse mit den Leistungsanbietern wahrscheinlicher, wodurch die Chancen eines besseren Kosten- und Qualitätsmanagements steigen. Die PKV könnte auch gegenüber den eigenen Versicherten an Attraktivität gewinnen, weil sich die verschiedenen 41 Die Zahl der gesetzlichen Krankenversicherungen ist infolge dieser Konzentrationsprozesse zwischen 1992 und 2009 von 1223 auf 202 Einzelkassen (2009) zurückgegangen (Bundesministerium für Gesundheit 2009b: Tab. 8.4).
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Der Vorteil als Nachteil – Das Ausgabenproblem der PKV
Tarifangebote nicht nur darin erschöpfen, Leistungsausschlüsse, Risikozuschläge und Selbstbehaltstufen zu vereinbaren, sondern auch qualitative Verbesserungen für die Versicherten möglich sind. Als Kooperationspartner bringt die PKV wiederum nicht nur eigene Versicherte mit, sondern auch unternehmerische Erfahrung und versicherungsbetriebswirtschaftliche Kompetenz. Auch hiervon können beide Seiten profitieren, sofern sie bereit sind, aufeinander zuzugehen. Unabhängig davon, dass der Gesetzgeber den Versicherungen bessere Möglichkeiten der Zusammenarbeit eröffnen sollte, bleibt die Novellierung der GOÄ weiterhin eine wichtige Aufgabe. Da bei freiwilligen Zusammenschlüssen nicht gewährleistet ist, dass Kooperationen tatsächlich zustande kommen, bleibt die GOÄ als Abrechnungsgrundlage zunächst einmal ein wichtiger Bestandteil der Vergütungsstrukturen. Um hier zu mehr Rechtssicherheit zu gelangen und Abrechnungsstreitigkeiten zu vermeiden, sollte eine adäquate Anpassung an den medizinischen Fortschritt erfolgen. Dies ist auch gegenüber den Ärzten ein dringendes Erfordernis, um diese nicht mit unnötiger Bürokratie, langwierigen Verwaltungsakten und aufreibenden Rechtsstreitigkeiten zu belasten. Mittelfristig erscheint es überdies sinnvoll, die unterschiedlichen Abrechnungsgrundlagen EBM und GOÄ schrittweise anzugleichen. Ein erster Schritt wurde im Rahmen des GKV-WSG beim EBM mit der Umstellung der floatenden Punktwerte auf feste Euro-Beträge getan. Unterschiedlich ist jedoch nach wie vor die Höhe der Vergütung sowie die Tatsache, dass der EBM bei Überschreiten bestimmter Obergrenzen (Regelleistungsvolumina) eine Abstaffelung des Punktwertes vorsieht (siehe auch Kapitel 2.3). Von den unterschiedlichen Gebührenordnungen gehen unnötige Fehlanreize aus. Zum einen verleiten sie dazu, die Behandlung der Patienten nicht immer an der medizinischen Notwendigkeit, sondern an der Höhe der zu erwartenden Vergütung auszurichten. Zum anderen profitieren von der GOÄ nur diejenigen Ärzte, die besonders viele Privatpatienten behandeln. Da sich die Zahl der privat Versicherten regional stark unterscheidet, kommen manche Ärzte vergleichsweise selten in den Genuss entsprechender Privatliquidationen. Die Leistungsvergütung sollte sich jedoch in erster Linie an der Qualität und dem Aufwand der erbrachten Leistung, nicht aber am geographisch günstigen Standort der Praxis orientieren. Eine Vereinheitlichung der Gebührenordnung wäre daher auch im Sinne der Honorargerechtigkeit innerhalb der Ärzteschaft sinnvoll. Auch hierbei sind jedoch die Interessen der Ärzte insofern zu berücksichtigen, als dass „Angleichung“ nicht einfach „Kürzung“ bedeuten kann. Zwar ist es grundsätzlich nicht Aufgabe des Gesetzgebers, die Gebührenordnungen allein an Einkommensvorstellungen der
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Ärzte auszurichten. Auch wenn die Ärzte gewiss nicht zu den Geringverdienern in Deutschland zählen, haben sie durch die jahrelange Budgetierung in der GKV einen nicht unerheblichen Teil des Morbiditätsrisikos getragen. Hier ist ein ausgewogener Kompromiss erforderlich, der den Interessen von Ärzten, Patienten und Krankenversicherungen nach Möglichkeit gerecht wird.
7
7.1
Resümee: Quo vadis, PKV?
Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
Zu Beginn dieser Arbeit wurde der Anspruch formuliert, praxistaugliche Lösungsvorschläge für die gegenwärtigen Probleme der Privatassekuranz zu unterbreiten. Es wurde zunächst gezeigt, dass es zwischen den beiden Versicherungssystemen noch immer beträchtliche Unterschiede gibt. Dies gilt insbesondere für die Beitrags- und Prämienkalkulation, das Verhältnis zu den Leistungsanbietern und die Vergütungsregeln für medizinische Leistungen. Trotz dieser Unterschiede hat sich auf beiden Seiten ein Prozess der Hybridisierung vollzogen, der sich in weiten Teilen als Konvergenz interpretieren lässt. Für die GKV bedeutete dies in erster Linie eine wettbewerbliche Transformation, die sozialregulativ eingebunden wurde. Für die traditionell marktwirtschaftlich organisierte PKV vollzog sich dieser Wandel durch eine verstärkte sozialpolitische Regulierung des Versicherungsgeschäfts. Trotz zahlreicher Einzelreformen besteht in der PKV noch immer ein erheblicher Reformbedarf. Als wesentliche Reformbaustellen wurden die Systemabgrenzung, das Wettbewerbsdefizit und das Ausgabenproblem der PKV identifiziert. Für alle drei Problemfelder wurden Lösungsansätze skizziert, die die Existenz der PKV grundsätzlich nicht in Frage stellen. Vielmehr wurde auf eine moderate Weiterentwicklung gesetzt, die jedoch ein gewisses Maß an Reformbereitschaft voraussetzt. Bei allen Vorschlägen können Reformbestandteile des bisher vollzogenen Hybridisierungsprozesses genutzt und weiterentwickelt werden. Im Hinblick auf die Systemabgrenzung wurde grundsätzlich anerkannt, dass sowohl die Rechte der Bestandsversicherten als auch die Interessen der Versicherungen zu wahren sind. Erworbene Rechte in Form von Altersrückstellungen sollten aus Gründen des Vertrauensschutzes vor dem nachträglichen Zugriff des Staates geschützt sein. Vor diesem Hintergrund wurde argumentiert, dass sich gesetzgeberische Interventionen nicht auf die Bestandsversicherten, sondern auf die zukünftige Gestaltung der Systemgrenzen richten sollten. Da vor allem das berufsständische Zuweisungssystem keinen erkennbaren Bezug zum versicherten Risiko aufweist, wurde dem Gesetzgeber empfohlen, allen
R. Böckmann, Quo vadis, PKV?, DOI 10.1007/978-3-531-92741-1_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Resümee: Quo vadis, PKV?
Bürgern – also auch den Beamten und Selbständigen – ein Zugangsrecht zur GKV einzuräumen. Für die Beamten bedeutet dies, dass sie ihre Beihilfeansprüche auch dann geltend machen können, wenn die Absicherung des Krankheitsrisikos in der GKV erfolgt. Dazu ist es erforderlich, dass auch die GKV beihilfekonforme Kostenerstattungstarife anbieten darf. Mit dieser Maßnahme kann verhindert werden, dass Beamte und Selbständige mit geringeren Einkommen in die PKV gedrängt werden. Da jeder Bürger das Recht hat, der Sozialversicherung beizutreten, kann sich im Fall späterer Hilfsbedürftigkeit niemand mehr mit dem Argument an unbeteiligte Dritte wenden, dass der Weg in die soziale Gemeinschaft versperrt gewesen sei. Um der PKV jedoch weiterhin einen potentiellen Zulauf an Neuversicherten zu ermöglichen, könnten Personen mit hohen Einkommen unabhängig von ihrem Beruf weiterhin in die PKV wechseln. Mit dem freiwilligen Übertritt zur PKV wird jedoch eine spätere Rückkehr in die GKV grundsätzlich ausgeschlossen. Zwar hat der Gesetzgeber in der Vergangenheit bereits die Rückkehrmöglichkeiten an einigen Stellen eingeschränkt, allerdings hat er dies nicht konsequent durchgehalten. Durch den Ausschluss aller Rückkehrmöglichkeiten wäre für Wechselwillige auch ein anderer Handlungsanreiz gesetzt als bisher. Wer die Solidargemeinschaft verlässt, muss dann nämlich berücksichtigen, dass diese Entscheidung nicht mehr reversibel ist. Hiermit wird verhindert, dass sich Individuen in guten Zeiten der Solidargemeinschaft entziehen, um diese in schlechten Zeiten wieder in Anspruch zu nehmen. Um das Wettbewerbsproblem der PKV zu lösen und auch den älteren Bestandsversicherten einen benachteiligungsfreien Unternehmenswechsel zu ermöglichen, ist eine Änderung des gegenwärtigen Geschäftsmodells unabdingbar. Es wurde gezeigt, dass die Wettbewerbsrestriktionen nicht ursächlich auf die mangelnde Portabilität der Altersrückstellungen zurückzuführen sind, sondern auf die unterschiedlichen Regelungen in Neu- und Bestandsverträgen (Vertragsfreiheit und individuelle Risikoäquivalenz einerseits vs. Kündigungsschutz und Verbot nachträglicher individueller Risikoanpassungen andererseits). Dem Gesetzgeber wurde daher ein Modell empfohlen, das auch den Bestandsversicherten umfassende Wechselmöglichkeiten über die gesamte Vertragslaufzeit einräumt. Hierzu ist es erforderlich, dass die Unternehmen zu Vertragsbeginn auf die individuelle Risikoprüfung nach Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen verzichten und eine unternehmenseinheitliche Versicherungsprämie im Umfang eines gesetzlich definierten Basisversicherungsschutzes anbieten. Damit der Wechsel jederzeit gewährleistet ist, bedarf es eines Kontrahierungszwangs für die Unternehmen, da sie sonst die Aufnahme „schlechter Risiken“ zu einer ein-
Resümee: Quo vadis, PKV?
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heitlichen Kopfpauschale verweigern würden. Da die Unternehmen unter diesen Bedingungen eine zufällige Kumulation schlechter Risiken nicht verhindern können, ist zudem ein unternehmensübergreifender Risikoausgleich vorzunehmen. Bei diesem Vorschlag wird das Wettbewerbsproblem so gelöst, dass das bisherige Geschäftsmodell weitgehend beibehalten werden kann. Dem Äquivalenzgedanken wäre insofern Rechnung getragen, als die Versicherungsprämie eines Unternehmens das durchschnittliche Risiko des Versichertenkollektivs widerspiegelt. Auch Selbstbehalt- und Beitragsrückerstattungstarife könnten weiterhin kalkuliert werden. Sofern es gesellschaftlich erwünscht ist, können die Privatversicherer auch am Kapitaldeckungsverfahren festhalten. Probleme bei der Übertragbarkeit der Altersrückstellungen ergäben sich nicht mehr, denn bei einer durchschnittlichen Prämie kann auch eine durchschnittlich kalkulierte Altersrückstellung transferiert werden. Ebenfalls erhalten bleibt die Möglichkeit, den Basisversicherungsschutz mit Zusatzversicherungen aufzuwerten. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass sich für die Versicherten weitere Vorteile, wie etwa eine bessere Vergleichbarkeit der Versicherungsprodukte oder das Wegfallen von Gesundheitsprüfungen ergeben würden. Das Ausgabenproblem der PKV kann ebenfalls nur gelöst werden, wenn der Gesetzgeber aktiv wird. Bisher können die Privatversicherer auf Ausgabensteigerungen nur reagieren, indem sie Prämienanpassungen vornehmen oder den Versicherten eine Reduzierung des Versicherungsschutzes anbieten. Aufgrund berufsständischer Vorschriften auf Seiten der Ärzte haben die Privatversicherer jedoch keine Möglichkeit, einen Einfluss auf das Verhalten der Leistungsanbieter zu nehmen. Um den Privatversicherern mehr Handlungsspielräume zu eröffnen, sollte in der GOÄ eine Öffnungsklausel verankert werden, die den Abschluss von Einzelverträgen zwischen Privatversicherern und Leistungsanbietern ermöglicht. Diese Maßnahme allein würde den PKV-Unternehmen jedoch nicht viel nützen, da sie insgesamt zu geringe Versicherten- und Patientenbestände aufweisen, um mit den Leistungsanbietern attraktive Einzelverträge auszuhandeln. Daher wurde angeregt, Kooperationsmöglichkeiten zwischen gesetzlichen und privaten Versicherungen zu ermöglichen. Auf diesem Weg könnten beide Seiten ihre Verhandlungsposition gegenüber den Leistungsanbietern verbessern. In der Vergangenheit hat der Gesetzgeber die einzelvertraglichen Kompetenzen der gesetzlichen Versicherungen gegenüber den Kassenärzten gestärkt. Hier ergäbe sich für die PKV ein Anknüpfungspunkt, sofern sie bereit wäre, neue Wege zu gehen und auch unter den gesetzlichen Krankenversicherungen nach Bündnispartnern zu suchen. Darüber hinaus wurde empfohlen, die privatärztliche Gebührenordnung GOÄ zu modernisieren und auf eine Anglei-
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chung von EBM und GOÄ hinzuarbeiten. Die Modernisierung ist erforderlich, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle PKV-Unternehmen zeitnah in der Lage wären, Versorgungsverträge abzuschließen. In diesem Fall bedarf es weiterhin einer rechtsverbindlichen Abrechnungsgrundlage im Interesse aller beteiligten Akteure. Die Angleichung von EBM und GOÄ ist insofern sinnvoll, als von den unterschiedlichen Abrechnungsgrundlagen Anreize ausgehen, Patienten nicht nach medizinischer Notwendigkeit, sondern nach ihrem Krankenversicherungsstatus zu behandeln. Inwieweit die hier vorgeschlagenen Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden können, hängt natürlich immer vom politischen Willen und von entsprechenden Mehrheitsverhältnissen ab. In der Vergangenheit haben sich die am Markt etablierten PKV-Unternehmen, vertreten durch den Verband der privaten Krankenversicherung, stets als hartnäckige Reformverweigerer hervorgetan. Dabei haben sie nicht nur im konservativ-liberalen Parteienspektrum, sondern auch unter den organisierten Ärzten, Beamten und Selbständigen zumeist interessenpolitische Verbündete gefunden. Die Vehemenz, mit der selbst kleinste Eingriffe in das „angestammte“ Geschäftsfeld der Privatversicherer verteidigt werden, lassen erahnen, wie einträglich der Versicherungsbetrieb für die Unternehmen ist. Auch in Zukunft ist zu erwarten, dass sich zwischen den genannten Parteien, Statusgruppen und Lobbyverbänden feste Interessenkoalitionen bilden werden, die sozialpolitische Interventionen in das Geschäftsmodell der PKV erheblich erschweren können. Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass die Konflikte mit traditionell eher wohlwollenden Partnern zunehmen und die Akzeptanz gegenüber der PKV allmählich zu schwinden scheint. Sinnbildlich stehen hierfür die zunehmenden – und zunehmend schärferen – Konflikte mit der Bundesärztekammer, die die PKV nur solange politisch unterstützen wird, wie sich die Vergütungsregeln an den Einkommensvorstellungen der Ärzte orientieren. Auch für viele Ökonomen stellen die gegenwärtigen Spielregeln der Marktaufteilung einen überkommenen Anachronismus dar, den es vor allem aus wettbewerbspolitischen Gründen zu beseitigen gilt. Letztlich sind viele Argumente, die von Seiten der PKVInteressenvertreter vorgetragen werden, inhaltlich nicht überzeugend. Es ist wenig plausibel, die „Friedengrenze“ zu verteidigen und gleichzeitig den „Systemwettbewerb“ zu propagieren. Es ist zudem nicht nachvollziehbar, wenn sich die Branche als Vorkämpfer eines freiheitlichen Gesundheitssystems inszeniert und gleichzeitig den eigenen Versicherten keine Wahlfreiheiten beim Unternehmenswechsel einräumt. Auch ist es nicht sonderlich überzeugend, wenn sich die Unternehmen einerseits als quersubventionierende Retter des Gesundheits-
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systems darstellen und gleichzeitig die Politik um Mithilfe beim Ausgabenmanagement bitten. Auch sonst hat der PKV-Verband gute Gründe, sich zu bewegen. Die Nachfrage nach privatem Krankenversicherungsschutz können nämlich auch die Interessenvertreter nicht erzwingen. Dass der Gesetzgeber in Zukunft weitere Personen in die PKV zwingt, ist nicht wahrscheinlich, da ähnliche Instrumente wie die Beihilfevorschriften bei anderen Statusgruppen nicht zur Verfügung stehen. Verbesserungen hinsichtlich des Zulaufs an potentiellen Neuversicherten lassen sich – politischer Wille vorausgesetzt – vielleicht durch eine Rücknahme der Dreijahresfrist beim Wechsel in die PKV oder die weniger progressive Anpassung der Versicherungspflichtgrenze erzielen. Allein die Variation dieser Abgrenzungsparameter lässt aus potentiellen Neukunden aber noch keine privat Versicherten werden. Die Zahl der freiwillig in der GKV versicherten Personen liegt bereits heute bei über 4,5 Millionen Menschen. Aus der Perspektive der PKV ist dies ein potentieller Kundenstamm, den sie trotz angeblicher Überlegenheit gegenüber der GKV nicht für sich gewinnen kann. Sieht man einmal davon ab, dass die GKV aufgrund ihrer sozialen Schutzfunktion immer unter einem stärkeren Finanzdruck stehen wird als die PKV mit ihrer einzelfallgeprüften und handverlesenen Versichertenklientel, dann scheint die GKV organisatorisch wesentlich besser aufgestellt zu sein. Hier ist es – bei aller Kritik im Detail – gelungen, eine Wettbewerbsordnung zu etablieren, die dem sozialen Sicherungsziel insofern gerecht wird, als an der einkommensabhängigen Beitragsbemessung ebenso festgehalten werden konnte wie an der beitragsfreien Mitversicherung von Familienangehörigen. Auch die Instrumente der Kostensteuerung haben sich trotz aller Kritik im Einzelnen als wirksam erwiesen. Dass die strukturellen Probleme der PKV lange Zeit weitgehend unbemerkt geblieben sind, dürfte auch damit zu tun haben, dass in der PKV bislang ein überwiegend gut situierter oder zumindest gut alimentierter Personenkreis versichert war. Sofern die PKV jedoch weder ihr Wettbewerbsproblem noch ihr Ausgabenproblem löst, wird ein Wechsel zur Privatassekuranz für viele Menschen nicht sonderlich attraktiv sein.
7.2
Theoretische Reflektion und Ausblick
Obwohl die PKV mit ihrer über hundertjährigen Tradition ein integraler Bestandteil des sozialen Sicherungssystems ist, gehörte sie bislang nicht zu den bevorzugten Untersuchungsgegenständen der Politikwissenschaft. Es war das Ziel dieser Arbeit, einen differenzierten Blick auf die speziellen Herausforde-
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rungen und strukturellen Besonderheiten der PKV zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund wurde argumentiert, dass der politikwissenschaftliche Wohlfahrtsmarktdiskurs ein anschlussfähiges Konzept für die Auseinandersetzung mit den Problemen der PKV darstellt. Da die Belange der PKV immer auch rechtswissenschaftliche und versicherungsbetriebswirtschaftliche Fragestellungen berühren, wurden die verschiedenen fachdisziplinären Herangehensweisen in die Untersuchung integriert. Dem mittlerweile sehr differenzierten und aspektreichen Wohlfahrtsmarktdiskurs wurde durch die Analyse der PKV ein Baustein hinzugefügt, der bislang noch weitgehend unberücksichtigt geblieben ist. Für die Probleme der PKV wurden jeweils konkrete Lösungsvorschläge erarbeitet und vorgestellt. Welche Schlüsse aber lassen sich darüber hinaus für die wissenschaftliche Weiterentwicklung der gesundheitspolitischen Forschung ziehen? Ein zentrales Argument im Hinblick auf die Weiterentwicklung der PKV war, dass die Versicherungssysteme durch den Prozess gegenseitiger Annäherung voneinander lernen können. Dieser Befund gilt in gleichem Maße auch für die Wissenschaftsdisziplinen, die an den gesundheitspolitischen Fragestellungen beteiligt sind. Zu Beginn dieser Arbeit wurde kritisiert, dass die Politikwissenschaft in gesundheitspolitischen Fragen eine weitgehend isolierte Wissenschaft ist, die einerseits von ihren Nachbardisziplinen kaum wahrgenommen wird und andererseits auch die Ergebnisse anderer Fachbereiche nur selten zur Kenntnis nimmt. Im Hinblick auf die bislang noch ungelösten Probleme der PKV wurde argumentiert, dass die „Deutungshoheit“ über sämtliche Streitfragen bereitwillig den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften überlassen wurde. Allerdings haben die Untersuchungen in dieser Arbeit auch gezeigt, dass die Konzepte der Nachbardisziplinen oft an ihre Grenzen gestoßen sind, wenn es um die Entwicklung konstruktiver und weiterführender Lösungsansätze für die PKV geht. So sind z.B. die verfassungsrechtlichen Argumente renommierter Rechtswissenschaftler regelmäßig gescheitert, wenn konkrete sozialpolitische Streitfragen vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt wurden. Gleich in mehreren Urteilen haben die Bundesverfassungsrichter eindrucksvoll dargelegt, dass nicht nur die Freiheits- und Eigentumsrechte der Versicherungsunternehmen, sondern auch die sozialen Sicherungsbedürfnisse der Versicherungsnehmer unter dem Schutz der Verfassung stehen. Auch die überwiegend mit Juristen und Ökonomen besetzten Expertenkommissionen, die sich jahrelang mit dem bis heute ungelösten Wettbewerbsproblem der PKV beschäftigt haben, haben sich oftmals schwer getan, im hybriden Grenzbereich von marktwirtschaftlichem Geschäftsmodell und sozialpolitischem Gestaltungsauftrag praktikable Lösungen zu generieren. Ähnliches gilt für die von weiten Teilen der Wirtschaftswissenschaften favori-
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sierten Instrumente des Kostensteuerung. Weder Selbstbehalttarife noch das Kostenerstattungsverfahren haben zu einer spürbaren Ausgabenbegrenzung in der PKV beigetragen. Auch die Bildung von Altersrückstellungen hat die privat Versicherten nicht vor deutlichen Prämienanstiegen im Alter bewahrt. Vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus sinnvoll, dass sich nicht nur die Politikwissenschaft gegenüber ihren Nachbardisziplinen öffnet, sondern auch die Nachbardisziplinen die Ergebnisse der Politikwissenschaft stärker zur Kenntnis nehmen. Die Politik- und Sozialwissenschaften haben bislang den vielleicht differenziertesten Blick auf die wohlfahrtsstaatlichen Transformationsprozesse gewonnen. Viele der Beiträge, die sich mit der Entdifferenzierung von (Sozial-)Staat und (Wohlfahrts-)Markt auseinandersetzen, fokussieren dabei vor allem die Politikfelder Rente und Arbeit, sowie die Bereiche Pflege, Familie und Bildung. Die umfassende Forschungstätigkeit auf diesen Gebieten hat zu einer Vielzahl weiterführender Ansätze und Konzepte geführt. Die auf diesem Weg gewonnene Expertise sollte daher auch genutzt werden, um wieder verstärkt gesundheitspolitische Fragestellungen zu diskutieren. Um interdisziplinär anschlussfähig zu werden, bedarf es neben einer stärkeren Hinwendung zu praxisrelevanten Fragen auch eines umfassenderen Verständnisses von Gesundheitspolitik. Hierbei gilt es, nicht nur die staatliche Ebene gesundheitspolitischer Steuerung in den Blick zu nehmen, sondern vor allem zukunftsweisende Themen wie z.B. Qualitätssicherung, Verbraucherschutz und Patientenrechte stärker in den Vordergrund zu stellen. In diesem Zusammenhang könnte es hilfreich sein, nicht nur die (tatsächlichen oder vermeintlichen) Reformunfähigkeiten zu thematisieren, sondern auch danach zu fragen, ob mit den bisher vollzogenen Veränderungen die angestrebten Ziele tatsächlich erreicht wurden. Vor dem Hintergrund der in dieser Arbeit diskutierten Reformprozesse ergäben sich dann z.B. verschiedene anschlussfähige Fragen, die sich vor allem auf die Wirkungen bereits umgesetzter Reformen beziehen. So hat z.B. das GKV-WSG sowohl für die privat Versicherten als auch für die PKVUnternehmen zu einigen Veränderungen geführt. Aus der Perspektive einer stärker problembezogenen und lösungsorientierten Forschungsperspektive wäre in Zukunft z.B. zu klären, ob ƒ
die Regelungen des Basistarifs tatsächlich dazu beitragen, für Nichtversicherte oder sozial schwächere PKV-Mitglieder einen bezahlbaren Krankenversicherungsschutz zu garantieren
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die (eingeschränkte) Mitnahmefähigkeit der Altersrückstellungen bereits dazu führt, dass privat Versicherte in Zukunft ihre Versicherung wechseln können die Privatversicherer die neuen gesetzlichen Spielräume nutzen, um im Umfang des Basistarifs mit den Kassenärztlichen Vereinigungen Versorgungsverträge zum Wohl der Versicherten und Patienten zu schließen.
Eine insgesamt praxisorientierte Weiterentwicklung der gesundheitspolitischen Forschungsperspektive hätte zwei entscheidende Vorteile. Erstens würde das integrative Potential für die Nachbardisziplinen deutlich wachsen, so dass der Austausch von Forschungsergebnissen besser möglich wäre und gemeinsame Diskussionsgrundlagen ausgebaut werden könnten. Zweitens dürften auch politische Entscheidungsträger häufiger auf die Expertise der Politikwissenschaft – und damit möglicherweise auf kreative Alternativen – zurückgreifen. Letzteres könnte auch eine Chance sein, um dem bislang recht einseitigen Ruf nach mehr marktwirtschaftlicher Koordination ein differenziertes Konzept für ein zukunftsfähiges Gesundheits- und Sozialsystem entgegen zu halten. Betrachtet man rückblickend noch einmal die seit Mitte der 1990er Jahre vollzogene Transformation der PKV, dann zeigt sich vor allem, dass nicht ihre marktwirtschaftlichen Geschäftsgrundlagen, sondern die sozialpolitischen Regulierungen stabilisierend gewirkt haben. Gegen die europäische Konkurrenz hat sie sich abschotten können, indem der Gesetzgeber das nationale Versicherungsund Aufsichtsrecht stärker reguliert hat. Auch ihren Status als substitutive Krankenversicherung hat sie nicht zuletzt dadurch festigen können, dass sie bei der Einführung der Pflegeversicherung soziale Zugeständnisse gemacht hat. Gleiches gilt für die Regelungen des Standard- und Basistarifs, ohne die es wesentlich schwerer fallen dürfte, das duale Versicherungssystem sozialpolitisch zu legitimeren. Diese Erkenntnis sollte auch den politischen Entscheidungsträgern Mut machen, die Privatversicherer in die Pflicht zu nehmen, denn eines ist sicher: Nicht die stärkere soziale Verantwortung, sondern die umfassende sozialpolitische Deregulierung wäre das todsichere Ende der PKV.
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