Eric Frank Russell
Rattennest (Mechanical Mice) (aus „Ullstein Science Fiction Stories 53“)
gescannt von Brrazo 2004
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Eric Frank Russell
Rattennest (Mechanical Mice) (aus „Ullstein Science Fiction Stories 53“)
gescannt von Brrazo 2004
Es heißt das Schicksal herausfordern, wenn man sich leichtsinnig mit dem Unbekannten einläßt. Und gerade das tat Burman. Heutigentags gibt es eine ganze Menge Leute, die einen tiefsitzenden Haß gegen alles haben, was klickt, tickt, sirrende Laute von sich gibt oder sich einfach ganz allgemein wie ein asthmatischer Wecker verhält. Sie sind an Mechanophobie erkrankt, und die Schuld daran trägt Dan Burman. Wer hätte nicht schon von der Burmanschen Bullfrogbatterie gehört? Er ersann sie vom ersten bis zum allerletzten Detail und krönte das Ganze mit seinem heute weltberühmt gewordenen Schlagwort: »Energie in Ihrer Tasche.« Es war zweifellos eine gewaltige Leistung, ein Ding in der Größe einer Zigarettenpackung zu ersinnen, das die hundertfache Leistung der bislang bekannten wirksamsten Geräte dieser Art abgab. Burman selbst unterschied sich von der ganzen übrigen Welt dadurch, daß er seine Erfindung als keineswegs aus dem Rahmen des gewöhnlichen fallend betrachtete. Burman blickte mich zunächst sehr eingehend an, ehe er sagte:
»Damals vor zwölf Jahren, als jene Fachzeitschrift Sie zu mir schickte, zeigten Sie sich meinen Ausführungen gegenüber sehr aufgeschlossen und interessiert. Sie behandelten mich nicht etwa als eitlen Träumer oder von Geburt an Verrückten, sondern schrieben einen guten Artikel über mich, der den Grundstein für die Berühmtheit legte, die mir schließlich beträchtliche Summen einbrachte.« »Es geschah nicht etwa deshalb, weil ich Sie besonders geliebt hätte«, versicherte ich ihm, »sondern einzig und allein deshalb, weil ich ehrlich überzeugt war, daß Ihre Batterie etwas taugte.« »Vielleicht.« Er sah mich mit einem forschenden Blick an, der verriet, daß er etwas auf dem Herzen hatte, das er gern losgeworden wäre. »Wir sind seit jener Zeit in ziemlich guten Beziehungen zueinander gestanden. Wir haben gemeinsam so manche müßige Stunde ausgefüllt, und ich habe das Gefühl, daß Sie derjenige unter meinen nur wenigen Freunden sind, dem ich ein scheinbar albern klingendes Geständnis machen kann.« »Legen Sie los«, ermunterte ich ihn. Wir standen tatsächlich auf gutem Fuß miteinander. Es lag einfach daran, daß wir uns mochten und einander sympathisch fanden. Burman war ein kluger Bursche, hatte aber nicht das geringste von der Pedanterie eines Professors an sich. In den Vierzigern stehend, normal und von angenehmem Äußeren, hätte man ihn dem Aussehen nach sehr wohl für einen allgemein beliebten Zahnarzt halten können. »Bill«, sagte er sehr ernst, »ich habe jene Batterie gar nicht erfunden.« »Nein?« »Nein!« bestätigte er. »Ich habe die Idee geklaut. Und um das Ganze noch ausfallender zu machen, ich wußte nicht einmal sicher, was ich eigentlich stahl, ja noch verrückter, ich weiß überhaupt nicht, wem ich es gestohlen habe.« 2
»Womit nun völlige Klarheit geschaffen wäre«, bemerkte ich. »Aber das ist noch gar nichts. Nach zwölf Jahren sorgfältigster und genauester Arbeit habe ich etwas anderes gebaut. Es muß wohl das komplizierteste Ding der Schöpfung sein.« Er schlug mit der Faust auf sein Knie, und seine Stimme hob sich und nahm einen kläglichen Ton an. »Und jetzt, da ich es fertiggestellt habe, weiß ich nicht, was ich eigentlich gemacht habe.« »Sicherlich weiß doch ein Erfinder, wenn er experimentiert, was er tut?« »Nicht ich!« Burman war von einer erheiternden Kläglichkeit. »Ich habe nur eine einzige Sache in meinem Leben erfunden, und das war mehr auf den Zufall, als auf meinen gesunden Verstand zurückzuführen.« Ruckartig hob er den Kopf. »Aber jene eine Sache war der Schlüssel zu einer Million Ideen. Dadurch kam ich auch zur Batterie. Beinahe hätte es mir Dinge von noch größerem Wert gegeben. Bei mehreren Gelegenheiten war das fast der Fall, jedoch nicht ganz. Es wären dadurch in meine ungeeigneten Hände und meinen, nur halb die Bedeutung erfassenden Verstand Pläne gegeben worden, die die Welt weit mehr verändern würden, als Sie es sich überhaupt vorstellen können.« Sich vorneigend, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, sagte er: »Jetzt hat mir jenes Ding ein Geheimnis in die Hand gegeben, das mich zwölf Jahre harte Arbeit und eine ziemlich hohe Summe Geldes gekostet hat. Vergangene Nacht habe ich es fertiggestellt. Ich weiß nicht, was zum Teufel es eigentlich ist.« »Wenn ich es mir vielleicht einmal ansehen könnte...« »Gerade das wäre mir sehr lieb.« Seine Stimmung schlug rasch in wachsende Begeisterung um. »Es ist eine wunderbare Arbeit, selbst wenn ich das sage. Ich wette, Sie werden nicht sagen können, was es ist oder für welchen Zweck es gedacht ist.« 3
»Vorausgesetzt, daß es überhaupt etwas tun kann«, warf ich ein. »Allerdings«, stimmte er zu. »Aber ich bin fest davon überzeugt, daß es irgendeine Funktion hat.« Er erhob sich und öffnete eine Tür. »Kommen Sie bitte mit.« Es war tatsächlich eine erstaunliche Sache. Das Ding, von dem Burman gesprochen hatte, war ein Metallbehälter mit glänzender, rhodiumverkleideter Oberfläche. Der allgemeinen Größe und Form nach hatte es eine schwache Ähnlichkeit mit einem umgekehrten Sarg und hatte auch dessen düsteres und unheilvolles Aussehen, das zu verkünden scheint, daß sein Eigentümer den Geist aufgegeben hat. An seiner Vorderseite waren ein paar kleine Glasscheiben, durch die man eine Vielzahl von Rädern sah, die außergewöhnlich präzis gefertigt waren. Von anderen Stellen starrten einen winzige Linsen mit sphinxhafter Gleichgültigkeit an. An einer Seite waren drei Klappen, an der anderen zwei und in der Vorderseite eine große. Oben standen zwei Metallstäbe mit kugelförmigen Enden wie die Hörner einer Ziege heraus, die dem unbestimmten Ausdruck dieser Konstruktion einen fast satanischen Zug verliehen. »Ein automatischer Leichenwärter«, schlug ich vor und betrachtete die Vorrichtung mit unverhohlenem Abscheu. »Sein Aussehen gefällt Ihnen also auch nicht«, bemerkte Burman. Aus einem in der Nähe stehenden Schrank zog er eine Schublade und riß eine Menge Zeichnungen heraus. »Hier sehen Sie seine Eingeweide. Es hat einen Stromkreis, Transformatoren, Kondensatoren und noch etwas, das ich noch nicht ganz verstehe, von dem ich aber vermute, daß es ein winziger, hochgradig wirksamer elektrischer Schmelzofen ist. Ferner sind Teile darin, die ich als Zahn- und Kegelradfräser ausgemacht habe. Es sind mehrere Vielfachstanzmaschinen kleinen Maßstabes darin enthalten, die offensichtlich zur Verarbeitung von Blechen bestimmt sind. Man 4
kann die schwachen Andeutungen eines Montagebandes erkennen, das in jener großen Kammer endet, die durch die große Klappe an der Vorderseite abgedeckt wird. Sehen Sie sich die Zeichnungen selbst an. Sie werden feststellen, daß es eine äußerst komplizierte Anlage zur Herstellung eines nicht minder komplizierten Produktes ist.« Die Zeichnungen gaben ihm völlig recht. Sie zeigten jedoch nicht alles. Ein guter Maschinenkonstrukteur hätte die Funktionen dieses Apparates genau ableiten können, wenn man ihm alle Einzelheiten angegeben hätte. Burman gab das auch zu und sagte, einige Teile habe er »im Drang des Augenblicks« angefertigt, während er bei anderen wieder »einfach gezwungen worden sei, sie zu zeichnen«. Da man die Maschine schließlich nicht auseinanderreißen konnte, blieben gerade genug Einzelheiten, um die Neugier anzustacheln, jedoch nicht, um sie zu befriedigen. »Setzen wir das verdammte Ding doch einmal in Betrieb und sehen zu, was es tut.« »Ich habe es versucht«, sagte Burman. »Es springt einfach nicht an. Es ist kein Anlasser vorhanden, nichts, das andeuten würde, wie man es in Betrieb setzen kann. Ich habe alles nur Erdenkliche versucht, jedoch ergebnislos. Der Stromkreis endet in jenen Antennen an der Oberseite, und ich habe sogar Strom durch sie geschickt, doch nichts geschah.« »Vielleicht ist es ein sich automatisch einschaltender Apparat«, mutmaßte ich. Während ich das Ding anstarrte, kam mir plötzlich ein Gedanke. »Vielleicht ist es auf eine bestimmte Zeit eingestellt«, fügte ich hinzu. »Hm?« »Na ja, auf eine ganz bestimmte Zeit eingestellt. Wenn die Stunde dann schlägt, wird es von selbst losgehen, wie eine Zeitbombe.« 5
»Werden Sie jetzt nur nicht melodramatisch«, sagte Burman voll Unbehagen. Sich vorneigend, starrte er in eine der winzigen Linsen. »Bz-z-z!« begann der Kasten plötzlich kaum hörbar zu summen. Burman schnellte zurück. Dann trat er noch weiter zurück, beäugte das Ding ganz vorsichtig und wandte seinen Blick mir zu. »Haben Sie das gehört?« »Natürlich!« Ich nahm die Zeichnungen und blätterte darin herum. Es dauerte einige Zeit, bis ich jene kleine Linse gefunden hatte, aber sie war tatsächlich angegeben. Dahinter befand sich eine Selenzelle. »Ein Auge«, sagte ich. »Es sah Sie und reagierte. Es ist also keineswegs ein totes Ding, selbst wenn es nur herumsteht, nichts Böses sehend, hörend oder sprechend.« Ich hielt ein weißes Taschentuch vor die Linse. »Bz-z-z!« wiederholte der Sarg mit größerer Lautstärke. Burman nahm das Taschentuch und hielt es vor die übrigen Linsen. Nichts geschah. Kein einziger Laut war zu hören, einfach gar nichts. »Das begreife ich nicht!« gestand er. Zu dieser Zeit war ich der Sache ziemlich überdrüssig. Wenn dieses verrückte Gerät funktioniert hätte, dann hätte ich einen guten Artikel darüber geschrieben, und vielleicht hätte ich dadurch wieder zu Burmans Gunsten eine Geldlawine ins Rollen gebracht. Doch man kann nichts mit einem Kasten anfangen, der summt, wann immer es ihm gerade einfällt. Man muß die Sache schon fester anpacken, kam ich mit mir ins reine. »Sie haben doch so furchtbar geheimnisvoll und verschwiegen um die Art und Weise getan, wie Sie zu diesem Geistesprodukt gelangt 6
sind«, sagte ich. »Weshalb können Sie sich denn nicht an dieselbe Quelle um eine Auskunft über den Zweck dieses Dings wenden?« »Das will ich Ihnen erzählen — oder besser noch, ich will es Ihnen zeigen.« Burman holte aus seinem Safe eine Kiste, aus der er einen Apparat heraushob. Dieser war weit einfacher als die nutzlose Menge einer Unzahl von Mechanismen, die drüben an der Wand lag. Beinahe sah das Ding wie eines jener altmodischen Kristallgeräte aus, nur daß der Kristall sehr groß und glänzend war und sich in einer Horizontalvakuumröhre befand. Auch die gleiche einfache Skala mit der den Schnurrhaaren einer Katze ähnelnden Einstellvorrichtung war vorhanden. Durch ein Verbindungskabel war an den Gesamtapparat ein einem Kopfhörer ähnliches Gerät angeschlossen, das jedoch an Stelle der Hörer sanft gerundete kupferne Schleifen aufwies, die so geformt waren, daß sie sich dicht an den Schädel hinter den Ohren anschmiegten. »Das ist meine einzige Erfindung«, sagte Burman nicht ohne einen gerechtfertigten Anflug von Stolz in der Stimme. »Was ist es?« »Eine Vorrichtung für die Zeitreise.« »Ha, hak Mein Lachen klang ziemlich säuerlich. Ich hatte von solchen Dingen gelesen. Ja, ich hatte sogar selbst darüber geschrieben. Es war immer eitles Geschwätz gewesen. Niemand konnte die Zeit durchreisen, weder rückwärts noch vorwärts. »Lassen Sie mich doch mal sehen, wie Sie sich auflösen und in der Zukunft verschwinden.« »Ich werde Ihnen sehr schnell etwas zeigen.« Burman sagte dies mit einer Sicherheit, die mir nicht gefiel. Er sagte es mit der 7
selbstsicheren Miene eines Mannes, der sehr wohl weiß, daß er etwas tun kann, von dem alle Welt annimmt, daß es nicht getan werden kann. Mit einem Finger auf das Kristallgerät deutend, erklärte er: »Es wurde nicht auf den ersten Anhieb entdeckt. Tausende müssen es schon versucht und dabei versagt haben. Ich war nun einmal der Glückspilz. Ich muß einen ganz besonderen Kristall ausgewählt haben; ich weiß noch immer nicht, wie es das fertigbringt, was es tut; es ist mir noch nie gelungen, seine Leistungen nachzuahmen, selbst nicht mit einem augenscheinlich völlig identischen Kristall.« »Und es befähigt Sie zur Zeitreise?« »Nur vorwärts. Es kann mich nicht in die Vergangenheit zurückführen, nicht einmal für einen einzigen Tag. Es bringt mich jedoch in eine unermeßlich ferne Zukunft, vielleicht sogar bis zum Anbruch des Jüngsten Tages, ja, vielleicht sogar durch die ganze Ewigkeit hindurch.« Jetzt hatte ich ihn am Wickel. Er hatte sich unrettbar in seine eigenen Ungereimtheiten verstrickt. Ich konnte mein Lachen einfach nicht mehr zurückhalten. »Sie können also in die Zukunft, nicht aber in die Vergangenheit reisen, nicht einmal um einen Tag. Wie, zum Teufel, können Sie denn dann in die Gegenwart zurückkehren, wenn Sie erst einmal in die Zukunft gegangen sind?« »Ganz einfach deshalb, weil ich nie die Gegenwart verlasse«, erwiderte er ruhig. »Ich nehme ja nicht an der Zukunft teil, ich überblicke sie nur vom Standpunkt der Gegenwart aus. Nichtsdestoweniger handelt es sich um eine Zeitreise im wahrsten Sinn des Wortes.« Er ließ sich in einen Sessel nieder. »Sehen Sie mal, Bill, was sind Sie denn?« »Wer, ich?« 8
»Ja, was sind Sie?« Er fuhr fort, die Antwort auf seine Frage selbst zu geben. »Ihr Name ist Bill. Sie sind ein Körper und ein Geist. Welches von beiden ist nun Bill?« »Beides zusammen«, sagte ich entschieden. »Richtig — es sind aber doch verschiedene Teile Ihrer selbst. Sie sind keineswegs gleich, obwohl sie einhergehen wie siamesische Zwillinge.« Seine Stimme klang jetzt ernst. »Ihr Körper bewegt sich stets in der Gegenwart, der Grenzlinie zwischen Vergangenheit und Zukunft. Ihr Geist jedoch ist freier. Er kann denken und befindet sich dann in der Gegenwart. Er kann sich erinnern und hält sich sogleich in der Vergangenheit auf. Er kann sich etwas vorstellen, und auf der Stelle begibt er sich in die Zukunft, ganz nach der Wahl, die er unter allen denkbaren Zukunftsmöglichkeiten trifft. Ihr Geist kann durch die Zeit reisen!« Er hatte mich glatt überrumpelt. Ich konnte natürlich in seiner Beweisführung Punkte finden, wo ich einhaken und mit ihm argumentieren konnte, aber ich wußte, daß er im Grunde genommen recht hatte. Von diesem Blickwinkel aus hatte ich die Frage noch nicht betrachtet, aber er hatte recht, wenn er sagte, daß jedermann innerhalb der Grenzen seines Gedächtnisses und seiner Einbildungskraft durch die Zeit reisen konnte. In jenem Augenblick konnte ich auf der Stelle um zwölf Jahre zurückgehen und ihn im Geist als einen noch jüngeren, blasseren, schmaleren und leicht erregbaren Mann sehen, der noch nicht so kühl und selbstsicher war. Das Bild hatte denselben Grad von Deutlichkeit, der der Güte meines Gedächtnisses entsprach. Für jenen kurzen Augenblick war ich außerhalb meines Körpers um zwölf Jahre zurückversetzt. »Ich nenne dieses Gerät ein Psychophon«, fuhr Burman fort. »Wenn Sie sich eine Vorstellung über die Zukunft machen, dann treffen Sie eine ganz besondere Wahl unter allen logischen Mög9
lichkeiten; Sie greifen die Ihnen am besten zusagende aus einer Unmenge von Zukunftsmöglichkeiten heraus. Das Psychophon schaltet sich nun auf irgendeine Weise — Gott allein weiß wie — in die Zukunftswirklichkeit ein. Es läßt Sie in Ihrem Geist die Zukunft so sehen, wie sie in Wirklichkeit sein wird, und schaltet alle nicht eintretenden Möglichkeiten aus.« »Es handelt sich also um einen Phantasieerreger, eine Traummaschine«, spottete ich und fühlte mich dabei nicht so sicher, wie es nach außen schien. »Wie wollen Sie denn feststellen, daß Ihnen das Gerät tatsächlich die Wirklichkeit zeigt?« »An Hand der immer wiederkehrenden gleichen Bilder«, antwortete er ernst. »Er wiederholt dieselben Hauptzüge und denselben Zukunftsablauf mit einer Häufigkeit, die viel zu groß ist, als daß man sie dem puren Zufall zuschreiben könnte. Außerdem«, und dabei machte er mit der Hand eine überzeugende Geste, »habe ich ja die Batterie aus der Zukunft erhalten. Sie funktioniert doch, oder etwa nicht?« »Allerdings«, gab ich widerwillig zu. Auf sein Psychophon zeigend, bedeutete ich ihm: »Auch ich kann durch die Zeit reisen. Wie wäre es denn, wenn Sie es einmal mich versuchen ließen. Vielleicht kann ich das Geheimnis lüften.« »Sie können es natürlich versuchen, wenn Sie wollen«, erwiderte er bereitwilligst. Er zog einen Sessel heran. »Setzen Sie sich hier hin, und ich werde Sie in die Zukunft sehen lassen.« Burman stülpte mir den Bügel über den Schädel, legte die Schleifen aus Kupfer dicht an den Kopf an, so daß die Ohren nach vorn gedrückt wurden, und schloß das Gerät an das Stromnetz an. Dann schaltete er den Apparat ein, oder deutlicher gesagt, er machte irgendwelche Manipulationen, von denen ich annahm, daß sie eine Art Einschalten bewirkten. 10
»Jetzt«, sagte er, »brauchen Sie nur noch die Augen zu schließen und sich zu sammeln; dann versuchen Sie es einmal, Ihren von Einbildungskraft beflügelten Geist in die Zukunft wandern zu lassen.« Er hantierte an dem Einstellgerät herum. Mehrmals sagte er: »Ah!« Und jedesmal, wenn er das sagte, hatte ich ein sonderbar zuckendes Gefühl rund um meine bedauernswerten Ohren. Nachdem so einige Sekunden vergangen waren, dehnte sich sein Ausruf zu einem »A-a-ah!« aus. Ich war nicht ganz ehrlich und spähte unter gesenkten Augenlidern hervor. Der Kristall glühte in schwachem Hochrot wie die Augen einer Ratte in einem Keller. Meine eigenen Sehwerkzeuge schließend, ließ ich meinen Geist auf Wanderschaft gehen. Irgend etwas floß zwischen jenen Kupferelektroden, ein seltsames, unbeschreibliches Etwas, das mit verstohlen tastenden Fingern irgendeinen geheimen Teil meines Gehirns erfaßte. Ich hatte den Eindruck, als wären es die geschickten Finger eines noch nicht geborenen Magiers, der gleich »Presto!« rufen und das mißbrauchte Häufchen meines Hirnes unter einem Hut aus dem dreißigsten Jahrhundert hervorziehen würde — sofern man im dreißigsten Jahrhundert überhaupt noch Hüte trug. Wie sah es eigentlich im dreißigsten Jahrhundert aus, oder besser gesagt, wie würde es in jener Zeit aussehen? Würde in jener Zeit ein Rückschritt eingetreten sein? Würde sich die Menschheit erneut aus laut heulenden, in Felle gekleideten und in Höhlen dahindämmernden Geschöpfen zusammensetzen? Oder würde sich der Fortschritt fortgesetzt haben — vielleicht sogar bis zur Entwicklung von gottähnlichen Menschen? Und dann geschah es! Ich schwöre es! Ganz nach meinem Willen sah ich das Bild eines Wilden und dann ein großes, breitschultriges Geschöpf mit funkelnden Augen — wobei das letztere als meine Version der Häßlichkeit zu werten war, die wir erreichen könnten. 11
Mitten in diesem unsteten Traum wischten jene unheimlichen Finger mein Gehirn leer, lösten meine Phantomgestalten in ein Nichts auf und ersetzten sie durch ein aufgezwungenes Bild, das ich mit all der Hilflosigkeit und Klarheit eines Alptraumes verfolgte. Ich sah einen dicken Mann, der deklamierte. Er war ein durchaus normaler Mensch, soweit es sein Äußeres anging. Ja, er sah sogar so normal aus, daß er wie ein Pantoffelheld wirkte. Er war jedoch in eine römische Toga gekleidet und trug einen kleinen schwarzen Kasten an der Stelle, an der sich sein Lorbeerkranz hätte befinden müssen. Seine Zuhörerschaft war ähnlich gekleidet, und alle balancierten, wie eine Versammlung von Marktweibern, ihren Kasten auf dem Kopf. Die Rede des Dicken war mir ein unverständliches Gebrabbel, aber er sagte seine Sprüche auf, als ob er von seinen Worten wirklich überzeugt wäre. Die Menge hatte sich unter freiem Himmel versammelt, wo im Hintergrund in weitem Rund Sitzreihen sichtbar wurden. Vermutlich handelt es sich um irgendeine Art Freilichtbühne. Der Entfernung der hintersten Sitzreihe nach zu schließen, mußte die Anlage von gewaltigen Ausmaßen sein. Fern hinter seinem geschwungenen Außenrand stach ein großes Gebäude in den Himmel, ein würfelförmiges Gebilde mit Mauern aus glänzenden Quadern, gleich einem riesigen Glashaus. »F'was?« stieß der Dicke, offensichtlich in Hitze geraten, hervor. »Abet, Abet, Abet, meh, nununnimm! Hu errt, ört ies, ört as.« Dabei zeigte er mißbilligend mit einem Finger auf den geheimnisvollen Gegenstand auf seinem Schädel. »Hu errt, Abet, Abet, Abet. F'was?« und dabei starrte er um sich. »F'nix!« Die Menge murmelte etwas schüchtern Beifall. Aber es genügte für den Dicken. Entschlossen hob er die plumpe Faust und brüllte: »Zr Ölle mit'em!« Dann riß er den Kasten von seinem Schä-dei. 12
Niemand sagte ein Wort, niemand rührte sich. Stumm und mit weit geöffneten Augen stand die Menge einfach da und starrte vor sich hin, als ob sie vom Anblick eines menschlichen Wesens ohne Kasten auf dem Kopf gelähmt worden wäre. Irgend etwas mit langem, schlankem und stromlinienförmigem Körper und breiten Schwingen stieg in der Ferne anmutig empor und schoß über die Freilichtbühne hinweg, aber noch immer stand die Menge bewegungslos und tonlos. Mit einem Lächeln des Triumphes auf dem breiten Gesicht bellte der Dicke: »La-se je Abet tu! La-se je A-« Er kam nicht weiter. Mit einer dem Schwanzende nebelartig entströmenden Fahne hinter sich, jedoch völlig geräuschlos, schwebte das aufsteigende Ding über ihm und schickte eine Lanze schwachen silbrigen Lichts hinab. Das Licht berührte den Dicken. Er fiel auf der Stelle, wie vom Tod selbst angerührt, in sich zusammen und wurde zu Staub, der er einst gewesen war. Es war furchtbar. Die Zuschauer flohen nicht, nicht der geringste Ausdruck von Furcht, Haß oder Abscheu zeigte sich um ihre festverschlossenen Lippen. Sie ständen in völligem Schweigen da, starrten und starrten wie eine Armee von Holzsoldaten. Das Ding am Himmel kreiste, um sein Werk zu überblicken, und schoß dann dicht über die Menge hinweg, wobei eine kurze Antenne an seinem Bug wild Funken sprühte. Wie ein Mann machte die Masse linksum. Wie ein Mann begann sie sich in Marsch zu setzen, links, rechts, links, rechts. Mir den Übertragungsbügel vom Kopf reißend, erzählte ich Burman, was ich gesehen hatte, oder besser gesagt, von was sein Gerät mir die Überzeugung eingegeben hatte, ich hätte es gesehen. »Was, zum Teufel, bedeutete das alles?« »Automatone«, murmelte er. »Glashäuser und Düsenschiffe.« Er griff nach einem dicken Tagebuch, das mit Notizen in seiner 13
Handschrift angefüllt war, und durchblätterte es. »Ach ja, es sieht ganz so aus, als ob Sie dem dreißigsten Jahrhundert sehr nahe gewesen wären. Vor der Antikasten-Rebellion herrschte zwanzig Jahre lang dauernde Unruhe.« »Vor welcher Rebellion?« »Nun, der Antikasten-Rebellion — einer Revolte der Automatone gegen die Technokraten des einunddreißigsten Jahrhunderts. Jackson-Dkj-99717, ein erfolgreicher und listiger Ränkeschmied mit gebogenem Kasten als Kopfbedeckung, rief heimlich Hunderte von diesen Kastenträgern zusammen, und im Jahre 3047 führte er die Rebellion schließlich auch zum Sieg. Sein Urenkel, ein dickköpfiges und gefräßiges Individuum, verursachte die Rebellion der kastenlosen Freileute gegen seine eigene Clique der Jacksokraten.« Ich lauschte seiner Erzählung offenen Mundes und sagte dann: »So wie Sie das erzählen, könnte man beinahe meinen, es handle sich um tatsächliche Geschichte.« »Es ist natürlich auch Geschichte«, versicherte er. »Geschichte, die erst noch geschehen muß.« Eine Weile war er nachdenklich. »Das Studium der Zukunft wird Ihnen vielleicht als ein unheimlicher Vorgang erscheinen, für mich aber ist das eine völlig normale Angelegenheit. Ich habe es jetzt seit Jahren betrieben, und vielleicht hat die Vertrautheit damit in mir eine gewisse Verachtung dafür geschaffen. Das Übel an der ganzen Sache ist jedoch, daß es sehr schwierig ist, jeweils die gewünschten Zeiten herauszugreifen. Sie können zwanzig Mal hintereinander einen ganz bestimmten Zeitpunkt auswählen, aber Sie werden sich nie im selben Monat, auch nur im selben Jahr wiederfinden. Ja, es ist sogar so, daß Sie schon von Glück reden können, wenn Sie zweimal in dasselbe Jahrzehnt gelangen. Das Ergebnis ist natürlich, daß meine Unterlagen nur sehr lückenhaft sind.« 14
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte ich zu ihm. »Wer gut zu schätzen vermag, dem mag es vielleicht gelingen, die genaue Zeit innerhalb einer Irrtumsgrenze von einer bis zwei Minuten zu bestimmen, jedoch nie auf zehn bis fünfzehn Sekunden.« »Ganz richtig«, erwiderte er. »Ärgerlich an der ganzen Sache ist daher stets gewesen, daß ich zwar das Vorrecht hatte, das Panorama der Zukunft vor meinen Augen abrollen zu sehen, jedoch in so skizzenhafter Weise, daß ich die genaue Zeit derselben nie erfassen konnte. Einst hatte ich das außergewöhnliche Glück, zufällig im fünfundzwanzigsten Jahrhundert auf eine Szene zu stoßen, in der gerade eine Energiequelle vom Anfang bis zum letzten Handgriff zusammengesetzt wurde. Ich konnte jede Einzelheit aufnehmen, ehe das Bild wieder meinen Augen entschwand. Es ist mir nie wieder gelungen, darauf zu stoßen, aber ich baute jene Energiequelle nach — und das Ergebnis kennen Sie ja.« »Auf diese Weise haben Sie also Ihre berühmte Batterie ausgeheckt!« »Allerdings. Doch die meine, so gut sie auch sein mag, reicht bei weitem nicht an die heran, die ich gesehen habe. Irgendein kleiner Faktor fehlt noch.« Seine Stimme klang plötzlich gepreßt, als er hinzufügte: »Es ist mir etwas entgangen, weil es mir einfach entgehen mußte!« »Weshalb?« fragte ich völlig bestürzt. »Weil die Geschichte, sei es nun Vergangenheit oder Zukunft, kein augenfälliges Paradoxon zuläßt. Ganz einfach deshalb, weil ich, der ich nun einmal diese Batterie aus dem fünfundzwanzigsten Jahrhundert geklaut habe, in jenem Zeitalter als der Erfinder dieses Gerätes aus dem zwanzigsten Jahrhundert verzeichnet sein werde. Sie werden in den kommenden fünf Jahrhunderten diesem Ding eine leichte Verbesserung geben, doch eben diese Verbesserung bleibt mir 15
auf ganz automatische Weise vorenthalten. Die zukünftige Geschichte liegt ebenso unabänderlich für die Gegenwart fest wie die Geschichte der Vergangenheit.« »Dann«, bat ich ihn, »erklären Sie mir doch bitte auch jenes komplizierte Gerät, das nur Summgeräusche von sich gibt.« »Verdammt«, sagte er mit offenkundigem Zorn, »das ist es ja gerade, was mich so verrückt macht! Es kann kein Paradoxon sein, es kann es einfach nicht sein.« Dann fuhr er, etwas vorsichtiger geworden, fort: »Es muß sich also um ein scheinbares Paradoxon handeln.« »Okay. Erzählen Sie mir also, wie man ein scheinbares Paradoxon auf den Markt bringen kann und welchen wirtschaftlichen Nutzen es hat, und ich werde einen erstklassigen Artikel darüber schreiben.« Meinen Sarkasmus einfach übergehend, fuhr er fort: »Ich habe die Zukunft zu erforschen versucht, soweit der menschliche Geist überhaupt in sie vordringen kann. Ich sah nichts, nichts als die ungeheure Weite unfruchtbaren Bodens, auf dem eine seltsame Maschine stand, blinkend in schweigender und einsamer Majestät. Irgendwie schien sie sich meines Forschens durch den Strom unzählbarer Zeiten hindurch bewußt. Sie hielt meine Aufmerksamkeit mit einer geradezu hypnotischen Macht auf sich gelenkt. Mehr als einen vollen Tag, nämlich dreißig Stunden lang, stand jene Vision vor meinem inneren Auge, ohne daß ich sie verlor — es war die längste Zeit, die ich je eine zukünftige Szene im Auge behalten konnte.« »Na und?« »Ich zeichnete sie auf. Ich fertigte vollständige Pläne davon an und löste diese Aufgabe mit all der Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit eines Maschinenkonstrukteurs. Das Innere dieser Maschine war nicht zu sehen, aber irgendwie flogen mir ihre 16
Einzelheiten zu, irgendwie kannte ich sie. Als ich die Szene schließlich aus dem Auge verlor, war es vier Uhr morgens, und ich fand mich von Bergen schwierigster Zeichnungen umgeben, mit pochendem Schädel, bleischweren Augenlidern und einem leichten Gefühl der Furcht im Herzen wieder.« Einen kurzen Augenblick schwieg er. »Ein Jahr später hatte ich schließlich wieder Mut gefaßt und begann das von mir aufgezeichnete Ding zu bauen. Es hat mich eine ungeheure Zeit und eine Unmenge Geld gekostet. Aber ich habe es gebaut — es ist fertig.« »Und dabei summt es jetzt nur«, bemerkte ich mit aufrichtigem Mitempfinden. »Ja«, seufzte er, von Zweifeln geplagt. Es blieb nichts mehr zu sagen übrig. Burman starrte düster auf die Wand, mit den Gedanken weit, weit weg. Völlig ziellos spielte ich mit den kupfernen Ohrschleifen des Psychophons. Meiner Schätzung nach war meine Einbildungskraft eben so gut wie die irgendeines Menschen, aber um alles in der Welt konnte ich mir auch nur andeutungsweise keinen rentablen Markt für einen Metallsarg voll Uhrmacherschrott vorstellen. Nein, selbst dann nicht, wenn dieser seltsame Geräusche von sich gab. Vom Sarg her ertönte ein leises und sanftes Sirren. Es war ein neuer Laut, der uns herumriß und uns den Metallkörper mit weit aufgerissenen Augen anstarren ließ. Sirrr-r-r erklang es wieder. Ich sah feinst gearbeitete Räder hinter dem Fenster an der Vorderseite in rasendem Lauf. »Um Gottes willen!« sagte Burman. Bz-z-z! Sirr-r-r! Klick! Der ganze Kasten glitt plötzlich auf verborgenen Laufrädchen seitwärts. Ein bekannter Teufel ist halb so furchterregend wie ein unbekannter. Ich will damit natürlich nicht sagen, daß uns diese 17
plötzliche Demonstration von Leben und Bewegung etwa Furcht eingejagt hätte, aber sie erschreckte uns im ersten Augenblick und ließ unsere Herzen ein paar Dutzend Schläge mehr in der Minute ausführen. Dieses Sargungeheuer war, oder mochte es zumindest sein, ein Teufel, den wir nicht kannten. Deshalb standen wir ganz einfach Seite an Seite da und starrten es fasziniert an, wobei in uns die Sorge vor etwas aufstieg, das wir nicht kannten. Die Bewegung hörte wieder auf, nachdem das Ding etwa einen Meter über den Boden geglitten war. Dort stand es: schweigsam, gleichmütig, und mit seinen Linsen an der Vorderseite beobachtete es uns mit einer glasigen Ausdruckslosigkeit. Dann glitt es wieder einen Meter vorwärts. Wieder hielt es an. Eine noch ausdruckslosere Betrachtung, und danach glitt es schnell, direkt bis an den Labortisch, weiter. Dort hielt es an und begann unterschiedliche, jedoch synchrone Tickgeräusche von sich zu geben, die sich anhörten gleich einer Anzahl der altvertrauten Uhren unserer Großväter. Burman sagte ruhig: »Irgend etwas wird geschehen!« Hätte die Maschine sprechen können, dann hätte er ihr die Worte aus dem Mund genommen, denn er hatte kaum seinen Satz ausgesprochen, als an der Seite der Maschine eine Klappe aufging. Ein aus Gelenken zusammengesetzter Metallarm streckte sich mit schlangenartigen Bewegungen vorsichtig durch die Öffnung und langte nach einem auf dem Tisch stehenden Navigationschronometer. Mit einem Fluch der Überraschung auf den Lippen stürzte Burman vor, um den Chronometer zu retten, doch er kam zu spät. Der Arm ergriff die Uhr, ließ sie blitzschnell im Innern der Maschine verschwinden, und die Klappe schloß sich mit einem lauten Knall, wie das bösartige Klirren einer zuschlagenden Bärenfalle. 18
Gleichzeitig öffnete sich in der Vorderseite blitzschnell eine zweite Klappe, ein anderer Gelenkarm schoß hervor und wieder hinein. Das Ganze ging mit einer so wahnwitzig schnellen Bewegung vor sich, daß man es mit den Augen kaum verfolgen konnte. Auch jene Klappe schlug wieder zu, und Burman stand offenen Mundes da und starrte auf seine zerrissene Kleidung hinab, von der seine kostbare Uhr und seine ebenso kostbare goldene Kette abgerissen waren. »Bei Gott!« sagte Burman und trat gleichzeitig von der Maschine zurück. Wir standen eine Weile da und betrachteten sie. Sie bewegte sich nicht mehr, sondern verharrte ruhig auf dem gleichen Fleck, ein gleichmäßiges Ticken von sich gebend, so als ob sie ihre willkommene Mahlzeit wiederkäue. Ihre Linsen sahen uns mit dem ruhigen und interesselosen Blick einer gutgefütterten Kuh an. Ich hatte den idiotischen Gedanken, daß sie zufrieden das Durcheinander von winzigen Zahn- und Kegelrädern verdaute. Da der leichte Ausdruck einer Drohung von ihr gewichen zu sein schien, oder vielleicht auch, weil wir witterten, daß sie im Augenblick völlig mit ihrer Aufgabe beschäftigt war, machten wir einen Versuch, Burmans kostbaren Zeitmesser zu retten. Burman zerrte gewaltig an der Klappe, durch die seine Uhr verschwunden war, jedoch es mißlang ihm völlig, sie auch nur um das geringste zu bewegen. Ich half ihm bei seiner Anstrengung, ebenso ergebnislos. Das Ding war so fest verschlossen, als ob es zugeschweißt worden wäre. Auch mit einem großen Schraubenzieher gelang es nicht, die Klappe zu öffnen. Mit einer Brechstange wäre es uns natürlich gelungen, doch als wir diese Überlegung anstellten, entschied sich Burman, daß er die Maschine nicht zerstören wollte, die ihn mehr als seine Uhr gekostet hatte. Tick-tick-tick! machte der Sarg unverdrossen weiter. Wir standen 19
wieder am gleichen Punkt, von dem wir ausgegangen waren, spielten mit unseren Fingern und waren ebenso klug wie zuvor. Man konnte nichts tun, und ich hatte das Gefühl, daß der verfluchte Apparat das auch wußte. Dort stand er, starrte durch seine Linsen und verhöhnte uns mit seinem Tick-tick-tick. Aus seinem Leib oder von dort, wo er gewesen wäre, falls er einen gehabt hätte, strahlte langsam Wärme aus. Burmans Zeichnungen zufolge war das die Gegend, wo sich der winzige elektrische Schmelzofen befand. Das Ding funktionierte, daran konnte es keinen Zweifel mehr geben! «Wenn Burman das gleiche Gefühl wie ich hatte, dann mußte er in höchstem Maße wütend sein. Da standen wir wie ein paar preisgekrönte Tölpel, nicht wissend, was die Maschine eigentlich tun sollte, und die ganze Zeit über vollbrachte sie direkt vor unseren Augen die Aufgaben, für die sie entworfen worden war. Von wo nahm sie ihre Energie her? Sogen jene Antennen, die wie Hörner aus ihrem Kopfteil herausragten, emsig Strom aus der Atmosphäre? Oder absorbierte sie vielleicht Radioenergie? Oder hatte sie gar eigene innere Energie? Der Augenschein deutete lediglich darauf hin, daß sie irgend etwas machte, daß sie irgend etwas hervorbrachte, doch was schuf sie? Tick-tick-tick! war die einzige Antwort. Unsere Fragen waren noch immer unbeantwortet, unsere Neugier noch immer unbefriedigt, und die Maschine tickte noch immer emsig um die Mitternachtsstunde. Wir verschoben die Lösung des Problems bis zum nächsten Morgen. Burman verschloß sein Laboratorium doppelt, ehe wir weggingen. Die Aufgabe des Polizisten Burke war sehr einfach. Er brauchte lediglich immer wieder um den Häuserblock herumzugehen, ein wachsames Auge auf die Geschäfte im allgemeinen und den großen Juwelierladen im besonderen gerichtet zu halten und stündlich von seinem Posten an der Ecke aus das Revier anzurufen. 20
Nachtarbeit entsprach Burges schweigsamer Veranlagung. Er liebte es, seine Runden zu gehen, sich mit sich selbst zu unterhalten und sich von nichts stören oder von seinen Überlegungen abbringen zu lassen. In jenem Viertel geschah nie etwas zur Nachtzeit, rein gar nichts. Vor dem Schaufenster halt machend, hinter dem Edelsteine in der Auslage hingestreut lagen, spähte er durch die Scheibe und das starke Scherengitter dahinter auf das Innere, wo eine schwache Lampe ihr Licht über den Safe ergoß. Darin lag der Schatz eines Maharadscha. Die Wache, das Scherengitter, die automatischen Alarmeinrichtungen und mehrere sinnreiche Fallen behüteten ihn vor den abenteuerlustigen Fingern derer, die einen Maharadscha berauben wollten. In den vergangenen zwanzig Jahren hatte nie jemand den gewagten Schritt unternommen. Nie hatte jemand es auch nur versucht, den Inhalt der scherengittergeschützten Schaufensterauslage zu rauben. Er warf einen Blick zum Himmel, auf den leuchtenden Wolkenstreifen, hinter dem sich der Mond versteckte. Dann wandte er sich ab und ging weiter. Eine Katze schlich an ihm vorbei, vorsichtig ihre Pfoten setzend, lautlos und sich eng an die Hauswand drückend. Seine scharfen Augen erspähten ihre huschende Gestalt selbst in der vom indirekten Mondlicht nur schwach erhellten Nacht, doch er schenkte ihr keine Beachtung und setzte seinen Weg zur Ecke fort. Hinter ihm strich die Katze unter dem Schaufenster entlang, durch das er gerade eben noch gespäht hatte. Sie hielt an, eine Vorderpfote halb erhoben, mit nach vorn gestellten Ohren. Dann streckte sie sich, so daß sie mit dem Bauch beinahe den Beton des Bürgersteigs berührte. Ihre brennenden Augen waren weit geöffnet, wachsam, gespannt. Ihr Schwanz bewegte sich langsam von einer Seite zur anderen. 21
Irgendein kleiner und heller Körper schoß auf sie zu, bewegte sich mit mäuseartiger Schnelligkeit und Behendigkeit an der Hauswand entlang. Die Katze spannte sich, als der Gegenstand näher kam. Plötzlich war das Ding in ihrer Reichweite, und sie schlug mit geschmeidiger Behendigkeit zu. Gierige Krallen trafen auf eine Oberfläche, die nicht etwa aus weichem Fell bestand, sondern hart, hell und glatt war. Das Ding schoß umher wie ein von einem Uhrwerk angetriebenes Spielzeug, als die Katze vergeblich versuchte, es festzuhalten. Schließlich versetzte ihm die Katze mit einem bösartigen Fauchen einen heftigen Schlag, der es ein paar Meter weit über den Bürgersteig hinweg beförderte, wo es auf den Rücken fiel, ein leises Klicken des Protestes ausstieß und einen um Hilfe rufenden Impuls ausstrahlte, den sein Angreifer nicht wahrnehmen konnte. Mit einem einzigen Satz erreichte die Katze die Gosse und duckte sich erneut. Irgend etwas anderes kam näher. Die Katze spannte ihre Muskeln, und ihre Augen funkelten. Ein anderer Gegenstand, der dem sonderbaren Ding, das sie gerade eben gefangen hatte, ziemlich ähnlich sah, nur daß er etwas dicker und geräuschvoller war und sich in seiner Form sehr von dem ersten unterschied, tauchte vor ihr auf. Er ähnelte einem kleinen vergoldeten Zylinder mit konischer Spitze, aus der eine schmale Messerklinge herausragte, und er glitt auf unsichtbaren Rädern schnell auf sie zu. Die Katze sprang erneut. Drunten an der Ecke hörte Burke ihren kurzen Schrei und das darauffolgende Gurgeln. Der Laut störte Burke nicht — er hatte Katzen, Ratten und anderes Ungeziefer aller Arten sonderbare Geräusche in der Nacht ausstoßen hören. Phlegmatisch setzte er seine Runde fort. Eine dreiviertel Stunde später hatte der Polizist Burke seine Runde gemacht und stieß auf den Schauplatz des Kampfes. Seine Taschenlampe auf den toten Körper richtend, drehte er das reglose 22
Tier mit dem Fuß um. Die Kehle war durchschnitten. Sie war mit einer derartigen Heftigkeit durchschnitten worden, daß sich der Kopf beinahe vom Körper gelöst hatte. Burke sah stirnrunzelnd darauf nieder. Er persönlich liebte Katzen nicht sonderlich, aber er fand es doch schwierig, sich jemand vorzustellen, der diese Tiere so hassen konnte! »Irgend jemand«, murmelte er, »muß es besonders lieben, sie lebendig zu schinden.« Sein großer Fuß schob die tote Katze in den Rinnstein zurück, wo die Straßenkehrer sie am nächsten Morgen entfernen konnten. Er wandte seine Aufmerksamkeit dem Schaufenster zu und sah das Licht noch immer auf den unberührten Safe scheinen. Seine Gedanken weilten bei der toten Katze, während seine Augen die Auslage betrachteten und ihm sagten, daß irgend etwas nicht in Ordnung war. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder seinen Aufgaben zu, erkannte, was nicht in Ordnung war, und Schweiß begann ihm aus jeder Pore zu treten. Es war nicht der Safe, es war das Schaufenster. Die dichtgedrängten Schalen mit den wertvollen Ringen glänzten noch immer unberührt hinter der Scheibe. Zur Rechten leuchtete das Silbergeschirr noch immer in der gleichen Ordnung. Aber auf der linken Seite war eine kleine Auslage zierlicher und sehr kostbarer Uhren gewesen. Sie waren nicht mehr dort, nicht eine einzige. Er erinnerte sich, daß ganz vorn ein wunderbarer KalenderChronometer gelegen hatte, dessen Preis einem Jahresgehalt gleichkam. Auch er war verschwunden. Der Strahl seiner Taschenlampe zitterte, als er nachprüfte, ob die Tür verschlossen war und fand, daß sie noch fest und sicher war wie zuvor. Die Tür dahinter war ebenfalls fest verschlossen. Der Querbalken war vorgelegt und gesichert, und das starke Scherengitter 23
war unverändert. Er suchte das Schaufenster ab und fand schließlich ein kleines, sauber ausgeschnittenes Loch darin. Es maß etwa fünf Zentimeter im Durchmesser und lag in der unteren Ecke auf der den fehlenden Uhren am nächsten gelegenen Seite. Burkes Fluch kam einer Explosion gleich, als er sich umwandte und zur Straßenecke lief. Seine Hand zitterte vor Entrüstung, als er das Telefon aus dem Wandkasten riß. Er rief sein Revier an und berichtete. Er glaubte, sich eine gute Vorstellung von dem Geschehenen machen zu können und bildete sich ein, schon einmal von einem ähnlichen Einbruch gelesen zu haben, der irgendwo anders stattgefunden hatte. »Sieht so aus, als hätten die Burschen ein Loch in das Schaufenster geschnitten, das herausgeschnittene Glasstück mit einem Saugnapf herausgehoben und dann mit einem Teleskopstab durch das Loch hindurch ihre Beute herausgefischt.« Er lauschte einen Augenblick und sagte dann: »Ja, ja. Das ist es ja gerade, was mich so in Erstaunen versetzt — die Ringe sind zehnmal mehr wert.« Seine immer noch erschreckt starrenden Augen blickten die Straße hinab, während er auf die Stimme am anderen Ende der Leitung achtete. Die Augen wanderten langsam abwärts, trafen auf die Gosse und blieben auf dem undeutlich sichtbaren Schatten darin haften. Noch eine tote Katze. Das Telefon noch immer am Ohr, trat Burke hinaus, soweit es ihm das Kabel erlaubte, streckte einen Stiefel aus und rollte die Katze vom Bordstein weg. Der Schein der Taschenlampe blieb darauf hängen. Genau wie die andere — von Öhr zu Ohr! »Und noch etwas«, brüllte er in das Telefon, »irgendein Verrückter treibt sich hier in der Gegend herum und metzelt Katzen nieder.« Er legte den Hörer wieder auf und hastete zu dem mißhandelten 24
Schaufenster zurück, vor dem er auf Wache stehenblieb, bis der Streifenwagen kam. Vier Leute sprangen heraus. Der erste sagte: »Katzen! Man könnte meinen, jemand müßte einen fürchterlichen Haß auf Katzen haben! Ein paar Häuserblocks weiter sind wir an zwei weiteren vorbeigefahren. Sie lagen mitten auf der Straße, direkt im Scheinwerferlicht, und waren beinahe guillotiniert worden. Ihre Körper waren noch warm.« Der zweite brummte etwas, näherte sich dem Schaufenster, starrte auf das kleine, fein säuberlich herausgeschnittene Loch und sagte: »Die Bande, die das getan hat, war zu raffiniert, um auch nur einen einzigen Abdruck zurückzulassen.« »So raffiniert waren sie jedenfalls doch nicht, sonst hätten sie nicht die Ringe übersehen«, knurrte Burke. »Vielleicht haben Sie damit recht«, gab der andere zu. »Wenn sie das eine zurückgelassen haben, dann haben sie vielleicht auch das andere hinterlassen. Wir wollen jedenfalls einmal nach Abdrücken suchen.« Ein Taxi bog in die dunkle Straße ein und hielt hinter dem Polizeiwagen. Ein elegant gekleidetes, aufgeregtes und geschwätziges Individuum stieg aus und eilte auf die wartende Gruppe zu. Schlüssel klirrten in seiner bleichen und feuchten Hand. »Maley ist mein Name. Ich bin der Geschäftsführer — Sie haben mich angerufen«, erklärte er atemlos. »Meine Herren, es ist furchtbar, einfach furchtbar! Die Schaufensterauslage ist Tausende wert! Tausende! Welch ein Verlust, welch ein Verlust!« »Wie wäre es, wenn Sie uns einließen?« fragte einer der Polizisten ruhig. »Natürlich, selbstverständlich.« 25
Hastig öffnete er das Tor, schloß die Tür auf und verwendete für diese Arbeit etwa sechs Schlüssel. Dann gingen sie hinein. Maley drehte die Lichter an, steckte seinen Kopf zwischen die aus Glasplatten bestehenden Etagen der Auslage und überblickte das geplünderte Schaufenster. »Meine Uhren, meine Uhren«, jammerte er. »Es ist schrecklich, es ist schrecklich«, sagte einer der Polizisten, mit schöner Feierlichkeit sprechend. Dabei blinzelte er seinem Kollegen verstohlen zu. Maley lehnte sich weiter vor, um besser in eine leere Ecke blicken zu können. »Alles weg, alles weg«, jammerte er weiter, »meine schönen teuren Uhren — uiih!« Sein gellender Schrei ließ sie alle zusammenfahren. Maley bückte sich hastig und versuchte, sich zwischen den behindernden Gestellen hindurch auf das Scherengitter und das dahinterliegende Schaufenster zu zuzwängen. »Meine Uhr! Meine eigene Uhr!« Die andern stellten sich auf die Zehenspitzen, starrten über seine Schultern hinweg und sahen die goldene Schnalle einer schwarzsamtenen Uhrtasche durch das Loch im Schaufenster verschwinden. Burke war als erster draußen und suchte mit seiner stets griffbereiten Taschenlampe den Betonboden ab. Dann entdeckte er die Uhr. Sie bewegte sich schnell vorwärts, dicht an der Hauswand entlang, doch sie verharrte sofort regungslos, als sein Lichtstrahl auf sie traf. Er bildete sich ein, noch einen anderen, ebenfalls glänzenden und metallischen Körper zu sehen, der schnell in die Dunkelheit außerhalb des Lichtkreises davonschoß. Burke hob die Uhr auf und blieb dann lauschend stehen. Durch den Lärm, den die anderen beim Herauslaufen verursachten, wurde er daran gehindert, deutlich zu hören, doch er hätte schwören können, daß er einen leise sirrenden Laut und ein hastiges Ticken 26
vernommen hatte, das nicht von dem Instrument in seiner Hand herrührte. Wahrscheinlich hatte ihm seine beunruhigte Einbildung einen Streich gespielt. Mit tiefen Falten auf der Stirn kehrte er zu seinen Kollegen zurück. »Es war niemand da«, versicherte er. »Sie muß aus Ihrer Tasche gefallen und davongerollt sein.« Verdammt, dachte er, konnte eine Uhr so weit davonrollen? Was, zum Teufel, war nur in dieser Nacht los? Weit die Straße hinauf schrie etwas schrill und gab dann ein gurgelndes Geräusch von sich. Burke schauderte — er konnte sich wohl denken, was da vorging! Er sah zu den anderen hin, doch offensichtlich hatten diese den Laut nicht gehört. Am Morgen waren sämtliche Zeitungen von diesen Ereignissen voll. Insgesamt ging es um sechzig Uhren und acht Katzen sowie um einige Ersatzteile aus dem kleinen Vorratslager eines ortsansässigen Herstellers von wissenschaftlichen Instrumenten. Ich las davon, als ich zu Burmans Wohnung unterwegs war. Die Einzelheiten waren umfangreich, jedoch nicht vollständig. Ich erfuhr sie vollständig zu einem späteren Zeitpunkt, als wir die wahre Bedeutung dessen entdeckten, was geschehen war. Burman wartete bereits auf mich, als ich ankam. Er schien sowohl verärgert als auch besorgt. Drüben in der Ecke tickte der Sarg stetig vor sich hin, und die von ihm ausgehenden Geräusche klangen viel lauter als am Vortag. Das Ding hörte sich an, als ob es ein ganzer Korb voll emsiger Bienen wäre. »Nun?« fragte ich. »Während der Nacht hat es sich viel herumbewegt«, sagte Burman. »Es hat ein paar Thermometer zerschlagen und deren Quecksilberinhalt herausgenommen. Ich fand einige offene Schubladen und Wandschränkchen und auch andere, die noch 27
geschlossen waren, aber ich habe das ungute Gefühl, daß das Ding alles genauestens durchsucht hat. Ein Paket Nickelfolie ist verschwunden, und eine Rolle Kupferdraht ist ebenfalls weg.« Mit dem Finger deutete er ärgerlich auf den unteren Rand der Tür, durch die ich eben eingetreten war. »Und ich schreibe ihm auch die Schuld an jenen ausgenagten Rattenlöchern zu. Sie waren gestern noch nicht vorhanden.« Tatsächlich, am unteren Rand der Tür war eine Anzahl von Löchern. Aber keine Ratte hatte sie gemacht — sie waren zu sauber und glatt und rund, beinahe so, als ob ein Schreiner sie mit einer Lochsäge gemacht hätte. »Welchen Sinn soll es denn haben, wenn das Ding diese Löcher machte?« forschte ich. »Es kann doch nicht durch Öffnungen jener Größe kriechen.« »Worin liegt denn überhaupt der Sinn der ganzen Sache?« parierte Burman. Mit gefurchter Stirn sah er auf die emsige Maschine, die ihn ihrerseits mit ihren ausdruckslosen Linsen anstarrte und unbeirrt weitersurrte. Tick-tick-tick! fuhr das verwirrende Ding fort. Und dann erklang plötzlich: Sirr-r-r — Klatsch — Klick! Ich öffnete den Mund in der Absicht, eine sarkastische Bemerkung über die Maschine zu machen, als plötzlich ein dünnes und feines, jedoch ungeheuer schrilles und singendes Geräusch ertönte. Irgendein kleiner metallischer und glitzernder Körper schoß durch eines der Rattenlöcher herein und flitzte über den Boden auf das surrende Ungeheuer zu. Eine Klappe öffnete sich und verschlang es mit einer derartigen Schnelligkeit, daß es verschwunden war, noch ehe ich erkannt hatte, was ich eigentlich gesehen hatte. Das Ding war ein zylindrischer polierter Gegenstand gewesen, der dem Schiffchen einer Nähmaschine ähnelte, jedoch etwa viermal so groß war. Und es hatte einen ähnlichen kleinen und metallischen Gegenstand hinter sich hergezerrt. 28
Burman starrte mich an, und ich starrte auf Burman. Dann durchsuchte er hastig das Laboratorium, fand ein dreißig Zentimeter langes und einen halben Zoll dickes Stahlrohr, und einen Sessel neben die Tür zerrend, setzte er sich und umklammerte das Rohr wie einen Knüppel. Aufmerksam beobachtete er die Rattenlöcher. Ungerührt beobachtete ihn die Maschine und ließ ihr Tick-tick-tick hören. Zehn Minuten später ertönten plötzlich wieder ein Klicken und ein leises singendes Geräusch. Nichts schoß durch die Löcher herein, sondern das seltsame Ding, das wir bereits gesehen hatten — oder aber ein anderes, das ihm völlig gleichsah — fiel aus der Klappe und schoß auf die Tür zu, an der wir warteten. Burman war völlig überrascht davon. Er holte mit dem Stahlrohr mächtig aus, als das Ding flink an seinen Füßen vorbeistrich und durch ein Loch verschwand. Es war bereits weg, als seine Waffe auf den Boden krachte. »Verdammt!« sagte Burman herzhaft. Er hielt das Rohr lose in seiner Faust, während er böse zu dem beständig arbeitenden Sarg hinüberstarrte. »Ich würde diesen Kasten ja in Stücke schlagen, wenn ich nicht gern zuerst eines dieser kleinen Dinger erwischt hätte!« »Passen Sie auf!« schrie ich gellend. Er kam zu spät. Er riß seine Aufmerksamkeit von dem Sarg los und richtete sie auf die Löcher, wobei er gleichzeitig mit einem bestürzten Ausdruck auf dem Gesicht das schwere Rohr hob. Aber er hatte bei weitem zu langsam reagiert. Drei dieser kleinen und geheimnisvollen Dinger waren durch die Löcher geschlüpft und bereits halb durch den Raum gehuscht, noch ehe er seine Waffe zum Zuschlagen bereit hatte. Der Sarg verschlang sie mit klirrend zuschlagender Klappe. Das eindringende Trio war hintereinander durch den Raum geeilt, und ich hatte mir sie diesmal besser ansehen können. Die beiden ersten waren goldene Schiffchen, dem ersten, das wir gesehen hatten, sehr ähnlich. Das dritte war größer und schneller und erweckte in mir 29
den Eindruck, daß es weit wendiger als die anderen war. An der Vorderseite hatte es eine lange scharfe Spitze, ein gefährliches und unheilvolles Ding, das dem Skalpell eines Chirurgen ähnlich war. Der Geschwindigkeit wegen konnte ich es mir nicht näher ansehen, aber ich stellte mir vor, daß die Spitze des Skalpells rot gefärbt gewesen war. Mir brach der Schweiß aus. Von der Außenseite der Tür her erklang ein irritiertes Kratzen, und dann schob sich eine weißgefleckte Pfote tastend durch eines der Löcher. Die Katze zog sich in sichere Entfernung zurück, als Burman die Tür öffnete, doch sie blickte aufmerksam zum Labor hin. Ihre Anwesenheit bedurfte keiner Erklärung — das wachsame Tier mußte jene höllischen kleinen Zischdinger erblickt haben. Wir hatten beide zur gleichen Zeit denselben Gedanken; Katzen packen schnell zu, sehr schnell. Vielleicht konnte diese, wenn man ihr eine Chance gab, für uns einen Fang machen. Wir lockten sie mit netten Worten und beruhigenden Geräuschen in den Raum. Ihr Eifer besiegte ihre normale Vorsicht Fremden gegenüber, und sie kam herein. Wir schlossen die Tür hinter ihr; Burman ergriff wieder sein Rohr, setzte sich neben der Tür nieder und versuchte ein Auge auf die Löcher, das andere auf die Katze gerichtet zu halten. Er konnte nicht beides zugleich tun, doch er versuchte es. Die Katze schnupperte und strich durch das Labor, kläglich miauend. Ihr Verhalten deutete an, daß sie mehr mit den Augen als mit ihrem Geruchssinn suchte. Sie konnte nirgends einen Geruch aufnehmen. Mit katzenhafter Ausdauer suchte das Tier das ganze Labor ab. Es strich mehrmals an dem summenden Sarg vorbei, ließ ihn jedoch völlig außer acht, Die Katze gab es schließlich auf, setzte sich an den Rand des Labortisches und begann ihr Gesicht zu waschen. Tick-tick-tick! machte die große Maschine. Dann erklang es Sirrr-r-klatsch. Eine Klappe fiel herab, ein Schiffchen fiel heraus und 30
raste auf die Tür zu. Ein zweites folgte. Das erste war selbst für die Katze zu schnell, zu schnell natürlich auch für den überraschten Burman. Päng! Das Stahlrohr schlug klatschend auf, als das erste Schiffchen wie eine Kugel triumphierend durch ein Loch schoß. Aber die Katze erwischte das zweite. Mit einem mächtigen Satz, mit ausgestreckten Pfoten und herausstehenden Krallen fing sie ihr Opfer knapp vor der Tür ein. Sie versuchte, das schlüpfrige Ding zu packen, doch es mißlang ihr, und sie verlor es für einen Augenblick. Das Schiffchen schwenkte in einer wahnwitzigen Schleife herum. Die Katze erwischte es wieder, verlor es erneut, stieß ein wütendes Fauchen aus und schmetterte es gegen die Fußleiste. Das Schiffchen blieb dort auf dem Rücken liegen, und vier winzige Rädchen an seiner Unterseite drehten sich in rasendem Lauf mit einem hohen, kaum wahrnehmbaren singenden Laut. Mit vor Erregung weit geöffneten Augen legte Burman seine Waffe weg und ging hinüber, um das Schiffchen aufzuheben. Gleichzeitig schlich die Katze darauf zu, bereit, damit zu spielen. Das Schiffchen lag dort auf dem Rücken, hilflos funktionierend, und ehe Burman oder die Katze es erreicht hatten, klirrte es von der Maschine her! Eine Klappe öffnete sich, und ein zweites Ding schoß daraus hervor. Mit atemberaubender Schnelligkeit wandte sich die Katze um und ging auf dieses neue Opfer los. Und dann erhob sich ein Höllenlärm. Die Beute machte geschickt eine Schleife und leuchtete dabei wechselnd golden auf. Die Katze folgte ihrer Beute fauchend und spuckend. Schwarz-weißes Fell wirbelte in einem tollen Kampfgetümmel herum, in dem es gelegentlich golden aufleuchtete. Über dem Zischen und Fauchen der Katze lag anhaltend der singende hohe Ton, der anschwoll oder absank, je nachdem, ob sich die Rädchen schneller oder langsamer drehten. 31
Die Katze stieß ein sonderbares Keuchen aus, und Blut spritzte auf den Boden. Das Tier schlug wild um sich und stieß erneut einen keuchenden Laut aus, der von einem Gurgeln gefolgt wurde. Sie zitterte und fiel schlaff in sich zusammen. Ein hellroter Strom floß aus dem tiefen und großen Schnitt in ihrer Kehle. Wir hatten kaum Zeit gehabt, die volle Bedeutung dieser geisterhaften Szene zu erfassen, als der Sieger auf Burman zuschoß. Er stand neben der Fußleiste und hielt das noch immer laut surrende Schiffchen in der Hand. Seine Augen traten vor äußerstem Entsetzen hervor, aber er behielt doch noch genügend Geistesgegenwart, um einen verzweifelten Sprung zu machen, eine Sekunde bevor die wie eine Kugel dahinschießende Drohung seine Füße erreichte. Er kam hinter dem Ding wieder auf den Boden, aber es drehte sich um seine eigene Achse und schoß erneut auf ihn zu. Ich sah den spiegelgleichen Schimmer seines Skalpells, als es mit wahnsinniger Geschwindigkeit durch den Raum jagte, und dieser Schimmer wurde fast von einem klebrigen Hochrot erstickt, das sich mehrere Zentimeter entlang der Schneide hinzog. Burman sprang erneut über es hinweg, erreichte den Labortisch und schwang sich hinauf. »Mein Gott!« keuchte er. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich das Rohr ergriffen, das er weggeworfen hatte. Ich umklammerte es, fühlte sein wohltuendes Gewicht und versuchte dann mein Bestes, um das summende Stück Ungeheuer durch das Fenster hindurch und über die Dächer hinweg zu schlagen. Es war zu wendig für mich. Es wirbelte herum, beschleunigte seine Fahrt, glitt selbst noch direkt unter dem Ende des herabsausenden Stahlrohrs hindurch und schoß zweimal wie der Blitz rund um den Tisch, auf dem Burman Zuflucht gesucht hatte. Es ließ mich völlig außer acht. Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß es auf irgendeinen geheimnisvollen Ruf des Schiffchens in Burmans Hand reagierte. 32
Ich schlug verzweifelt zu und traf erneut daneben, obwohl ich, und das kann ich beschwören, auf den Millimeter genau gezielt hatte. Irgend etwas flitzte durch die Löcher in der Tür und floh an mir vorbei in die große Maschine hinein. Undeutlich hörte ich, wie Klappen sich öffneten und wieder zufielen, und über allen anderen Lauten ertönte jenes gleichmäßige, anhaltende Tick-tick-tick. Erneut schlug ich wild zu und erreichte nichts anderes als eine Vertiefung im Boden und eine Prellung meines Schultergelenks. Völlig unerwartet hielt das verdammte goldene Ding plötzlich in seinen wahnsinnigen Drehungen und Wendungen auf dem Boden und rund um den Tisch inne. Mit einem scharfen Klicken und einem Sirren, das viel lauter als zuvor war, raste es an einem Bein des Tisches hinauf und erreichte dessen Platte. Burman verließ seine Zuflucht mit einem gewaltigen Sprung. Noch immer hielt er das Schiffchen fest umklammert. Noch nie zuvor hatte ich sein Gesicht so weiß gesehen. »Die Maschine!« sagte er heiser. »Schlagen Sie sie in Grund und Boden!« Klatsch! machte die Maschine. Eine Klappe gähnte und entließ einen zweiten Dämon mit einem Skalpell. Zss-s-s! Ein dritter schoß durch die Löcher in der Tür herein. Vier Schiffchen rasten hinter ihm her auf die Maschine zu und erreichten sie. Ein fünftes kam langsam herein. Es zerrte eine Autoventilfeder hinter sich her. Noch während ich vergeblich einen Schlag gegen eines der Dinger mit dem Skalpell führte, stieß ich es gegen die Wand. Mit einem zweiten Sprung entging Burman einem der Angreifer. Ein zweiter trennte die Kappe seines rechten Schuhs ab, als er aufsetzte. Erneut erreichte er den Tisch, den sein erster Gegner wieder verlassen hatte. Alle drei Dinger mit Skalpellen schossen mit einer furchterregenden Energie auf den Tisch zu. »Lassen Sie doch das verdammte Schiffchen fallen!« schrie ich gellend. 33
Er ließ es nicht fallen. Als das Kampftrio die Tischbeine hinaufsirrte, schleuderte er das Schiffchen mit aller Macht gegen den Sarg, der es hervorgebracht hatte. Es schlug auf, verbeulte das Gehäuse und fiel auf den Boden. Burman stieg erneut vom Tisch herab, Das Schiffchen, das er geworfen hatte, lag zerschmettert und geräuschlos auf dem Boden, und seine kleinen Laufräder standen still. Die bewaffneten Geräte, die um den Tisch herumjagten, schienen ihre Absicht gleichzeitig mit dem Zerschmettern des gefangenen Schiffchens zu ändern. Gemeinsam rasten sie vom Tisch herunter und jagten durch die Löcher in der Tür davon. Ein viertes kam aus der Maschine heraus und begleitete zwei Schiffchen, und auch diese verschwanden jenseits der Tür. Eine oder zwei Sekunden später kam ein von den übrigen verschiedenes Ding durch eines der Löcher in der Tür herein. Es war lang und rund, mit abgeplatteter Spitze und hatte etwa die halbe Länge eines Polizeiknüppels. An seiner Unterseite hatte es sechs Räder, und vorn waren eine Doppelreihe sonderbarer Zahnungen zu sehen. Es bewegte sich beinahe bummelnd durch den Raum, während wir es fasziniert beobachteten. Ich sah, wie sich die Verzahnungen bewegten und verlagerten, als es durch die herabgelassene Klappe in die Maschine kletterte. Es waren winzige Raupenketten! Burman hatte endgültig genug, und er faßte einen unumstößlichen Entschluß. Er ergriff das Stahlrohr, umklammerte es fest und näherte sich dem Sarg, dessen Linsen ihn spöttisch anzublicken schienen, als er vor ihm stand. Endlose Tage und Nächte der Anstrengung und Mühe sollten mit einem einzigen Schlag zunichte gemacht werden. Aber Burman fragte jetzt nicht mehr danach. Mit einem wilden Schlag zerschmetterte er das Glas, und mit einem heftigen Hieb zerschlug er das ganze Aggregat der dahinterliegenden Zahn- und Kegelrädchen. 34
Der Sarg erzitterte und glitt unter seinen immer wütenderen Schlägen weg. Klappen fielen herab und spien leblose Exemplare der metallischen Brut dieses Apparates aus. Ein Knirschen und Mahlen ertönte aus dem verfluchten Gegenstand, während Burman ihn in Stücke schlug. Dann war er still und lahmgelegt, eine form- und nutzlose Masse von verkrümmten und zerbrochenen Teilen. Ich hob das eingebeulte Gehäuse des Gegenstandes auf, der zuletzt hereingeglitten war. Es war schwer, erstaunlich schwer, und selbst nach teilweiser Zerstörung konnte man noch erkennen, von welch wunderbarer Arbeit es war. Es hatte ein winziges, kaum wahrnehmbares Auge an der Vorderseite, aber die Miniaturlinse war gesprungen. War es zur Reparatur und Überholung zurückgekommen? »Das«, sagte Burman mit hörbarem Keuchen, »wäre getan!« Ich öffnete die Tür, um nachzusehen, ob der Lärm Aufmerksamkeit erregt hatte, was jedoch nicht der Fall war. Vor der Tür lag ein lebloses Schiffchen, und einen Meter dahinter ein zweites. Am ersten war an einem winzigen Haken, der an seiner Rückseite herausragte, ein kurzes Stück Messingkette festgemacht. Die Vorderverkleidung des zweiten hatte sich fächerartig geöffnet, wie ein Irisdiaphragma, und darin lagen ein Paar Metallarme mit Gelenken, die einen mittelgroßen Diamanten umklammert hielten. Es sah so aus, als wären sie gerade im Begriff gewesen, in den Raum einzudringen, als Burman die große Maschine zerstörte. Ich hob sie auf und trug sie hinein. Ihre völlige Reglosigkeit, obwohl sie doch unbeschädigt waren, deutete darauf hin, daß sie von der großen Maschine gesteuert worden waren und ihre Bewegungsenergie von ihr empfangen hatten. War dem aber so, dann hatten wir unser Problem auf einfache Weise gelöst, und indem wir die eine zerstörten, hatten wir sie alle vernichtet. 35
Burman hatte wieder Atem geschöpft und begann zu reden. Er sagte: »Die Robotermutter! Das war es, was ich gemacht habe — ein Duplikat der Robotermutter. Ich erkannte das nicht, sondern baute das gefährlichste Ding der ganzen Schöpfung, ein Ding, das deshalb eine schreckliche Drohung ist, weil es mit der Menschheit die Fähigkeit der Vermehrung gemein hat. Gott sei Dank haben wir der Sache rechtzeitig einen Riegel vorschieben können.« »So«, bemerkte ich, da mir wieder einfiel, daß er behauptet hatte, er hätte es aus fernster Zukunft erhalten, »diese Maschine wird also dereinst der Herr oder die Herrscherin der Erde sein. Das sind ja fürwahr trübe Aussichten für die Menschheit, oder nicht?« »Nicht unbedingt. Ich weiß nicht, wie weit ich eigentlich in die Zukunft vorgedrungen bin, aber ich habe den Eindruck, daß es so ungeheuer weit in der Zukunft war, daß die Erde, vom Standpunkt der Menschen aus gesehen, unfruchtbar geworden war. Vielleicht werden wir dann zu irgendeinem anderen Punkt im Kosmos ausgewandert sein und unsere halbintelligenten Sklavenmaschinen zurückgelassen haben, damit sie um ihr Weiterbestehen oder ihren Untergang kämpfen. Sie kämpften — und überlebten.« »Und dann klauen Sie die Dinger zu Versuchszwecken und wandeln die Vergangenheit zu Ihren Gunsten«, deutete ich an. »Nein, das möchte ich nicht sagen.« Burman war jetzt viel ruhiger geworden. »Ich glaube nicht, daß es ein feiger Versuch, sondern vielmehr ein interessantes Experiment war. Die ganze Geschichte war verdammt weit vorangetrieben, weil der Erfolg ein unmögliches Paradoxon bedeutet hätte. Im nächsten Jahrhundert gibt es weder Roboter noch überhaupt irgendwelche Kenntnisse über sie. Deshalb müssen diese Eindringlinge ausgelöscht und vergessen worden sein.« »Was bedeutet«, warf ich ein, »daß Sie nicht nur die Maschine, sondern auch all Ihre Zeichnungen, alle Ihre Notizen ebenso wie das 36
Psychophon zerstört haben müssen, so daß nichts als einige seltsame Ereignisse und eine Geschichte zurückbleiben, über die ich berichten kann.« »Genau das — ich werde alles zerstören. Ich habe mir die ganze Sache überlegt, und erst jetzt habe ich begriffen, daß mir das Psychophon nie auch nur vom geringsten Nutzen sein kann. Es erlaubt mir nur, jene Dinge zu entdecken oder zu erfinden, von denen die Geschichte festgelegt hat, daß ich sie erfinden soll, und die ich daher mit oder ohne dieses Gerät finden werde. Ich kann mit der Geschichte nicht herumspielen, weder mit der Vergangenheit noch mit der Zukunft.« »Hmm!« Ich konnte in seiner Begründung keinerlei schwache Stellen entdecken. »Haben Sie«, fuhr ich fort, »den Anklang an Bienenpsychologie in unseren Widersachern bemerkt? Sie bauen den Bienenkorb, und daraus tauchten die Arbeiterinnen, Krieger, und« — ich zeigte auf die toten Dinger, die so langsam da-hingebummelt waren — »die Drohnen auf.« »Ja«, sagte er kläglich. »Und ich denke an den Honig — achtzig Uhren! Ganz zu schweigen von irgendwelchen anderen Dingen, über die die Abendzeitungen noch berichten werden, sowie von den Klagen, die wegen der gemetzelten Katzen eingehen werden. Es ist nur gut, daß ich wohlhabend bin.« »Niemand weiß, daß Sie irgend etwas mit diesen Vorfällen zu tun haben. Sie können ja insgeheim bezahlen, wenn Sie es wünschen.« »Das werde ich tun«, erklärte er. »Nun«, fuhr ich fröhlich fort, »Ende gut, alles gut. Gott sei Dank sind wir wieder losgeworden, was wir selbst über uns heraufbeschworen haben.« Mit einem Seufzer der Erleichterung ging ich auf die Tür zu. Das 37
hohe singende Geräusch von Zwergmotoren lenkte meine bestürzte Aufmerksamkeit auf den Boden. Während Burman und ich entgeistert starrten, glitt ein goldenes Schiffchen leicht durch eines der Rattenlöcher, spürte dann den Tod der Robotermutter und schoß durch das andere Loch wieder hinaus, noch ehe ich es aufhalten konnte. Wenn Burman zuvor tief betroffen gewesen war, dann war er es jetzt doppelt. Er kam zur Tür herüber, starrte ungläubig auf den kleinen Ausgang, den das Schiffchen gerade benützt hatte, und dann auf die beiden anderen leblosen, aber unbeschädigten Dinger, die im Raum herumlagen. »Bill«, stieß er schließlich hervor. »Ihre Bienenanalogie war vollkommen. Verstehen Sie denn nicht? Es gibt einen zweiten Schwärm. Eine Königin ist ausgeflogen!« Es gab tatsächlich einen zweiten Schwärm. Während der nächsten achtundvierzig Stunden trieb es dieser ganz toll. Burman verbrachte diese Zeit im Polizeihauptquartier und versuchte die Leute davon zu überzeugen, daß es sich bei seinen Aussagen keineswegs nur um eine phantastische Geschichte handelte, aber was ihm schließlich dabei half, die Polizei von seiner Wahrhaftigkeit zu überzeugen, waren die ebenso phantastischen Berichte, die laufend eingingen. Zunächst hatte der alte Gildersome in seinem Laden gegen Mitternacht einen lauten Krach gehört. Sogleich dachte er an sein wertvolles Lager von Kameras und Miniaturfilmprojektoren, zog seine Hosen an und eilte die Treppe hinab. Ein rasiermesserscharfes Instrument stach ihm durch seinen rechten Spann, als er halbwegs unten war, und er fiel den Rest der Treppe hinab. Dort lag er, schlimm zugerichtet und halb betäubt, während es rings um ihn in der Dunkelheit und Düsternis klickte, tickte und sirrte. Eines nach dem anderen verschwand der kostbare Inhalt seines Kastens mit 38
teuren Linsen durch ein Loch in der Tür. Eine Anzahl von Kegelrädern und Zahnrädern aus den Projektoren verschwanden ebenfalls. Zehn Leute beklagten sich, des Nachts ihrer Uhren und Wecker beraubt worden zu sein. Zwei waren hysterisch. Einer beschwor, daß der Bandit »ein zwei Meter großer schwarzer Käfer« gewesen wäre, der surrte wie ein Spielzeugkreisel. Als er aus dem Bett gestiegen wäre, hätte er seinen Fuß daraufgestellt und gespürt, wie sich das alte und harte Vieh unter ihm weggedrückt hätte. Von Abscheu erfüllt, hätte er darauf schnell seinen Fuß ins Bett zurückgezogen, gerade als ein zweiter Käfer auf ihn zugekommen sei. Burman erzählte diesem erregten Kläger nicht, wie nahe er daran gewesen war, seinen Fuß zu verlieren. Dreißig weitere Berichte liefen am nächsten Tage ein. In ein Dutzend Häuser war eingedrungen worden, und vier Geschäfte waren von Dingern ausgeraubt worden, die an Beweglichkeit und Schnelligkeit Ratten ähnelten — außer daß sie leise tickten und summende Geräusche von sich gaben. Eines war von einem nach Hause gehenden Eisenbahner gesehen worden, wie es die Straße entlangraste. Er versuchte, es aufzuheben, verlor seinen Zeigefinger und Daumen und blieb auf der Stelle stehen und versorgte die beiden Stümpfe, bis ein Ambulanzwagen ihn eilig wegbrachte. Seltene Metalle und Uhrwerksteile waren die Beute dieser tickenden Räuber. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie Burman oder irgend jemand anders sie ein für allemal vernichten konnte, aber er brachte es fertig. Er brachte es fertig, indem er sie wie Ratten köderte. Ich ging mit ihm durch die Gegend und half ihm bei seiner Arbeit, während er eine Stadtkarte studierte. »Jeder Bericht«, sagte Burman, »führt zu dieser Straße hier. Ein Wecker, der plötzlich zu rasseln begann, wurde hier im Stich 39
gelassen. Zwei Autos wurden hier kleiner Teile beraubt. Schiffchen sind hier in dieser Gegend gesehen worden. Fünf Katzen wurden praktisch an diesem Fleck hier umgebracht. Jeder andere Vorfall ist in allernächster Nähe geschehen.« »Was bedeutet«, vermutete ich, »daß die Königin sich irgendwo in der Nähe dieser Stelle befinden muß?« »Ja.« Er starrte die ruhige und leere Straße hinauf und hinab, über die die Mondsichel ihr schwaches Licht goß. Es war morgens zwei Uhr. »Wir werden diese Angelegenheit sehr bald zu einem Abschluß bringen.« Er befestigte das Ende einer Rolle festen Baumwollzwirns an einer kleinen Silberkette, nagelte die Fadenrolle an der Hauswand fest und ließ die Kette auf den Betonboden fallen. Ich tat dasselbe mit dem Werk einer defekten Taschenuhr. Wir verstreuten mehrere kleine Kugelräder, einige Zahnräder aus Uhren, mehrere Kamerabestandteile sowie einige Kupferdrahtenden und andere verlockende Gegenstände. Drei Stunden später kehrten wir von der Polizei begleitet zurück. Die Polizisten hatten Vorschlaghämmer und andere schwere Gegenstände bei sich. Wir alle trugen stählerne Fuß- und Beinverkleidungen, die kurzfristig angefertigt worden waren. Die Köder waren angenommen worden! Mehrere Baumwollfäden waren abgerissen, nachdem sie eine kurze Strecke abgerollt worden waren. Andere aber waren noch intakt. Alle führten oder zeigten auf ein Stahlgitter, das zum Keller unter einem verlassenen Lagerhaus hinabführte. Als wir hinabblickten, konnten wir einige aufschlußreiche Fäden erkennen, die alle durch einen unter uns liegenden Fensterrahmen liefen. Burman sagte: »Jetzt!« und wir stürzten eilig hinein. Rostige Schlösser schnappten auf, morsche Türen brachen zusammen. Wir 40
stürmten durch das Lagerhaus in den Keller hinab. Dort stand ein kleiner sargförmiger Gegenstand an der einen Wand, ein Ding, das beständig weitertickte, während seine Linsen mit einer gespenstischen Ausdruckslosigkeit auf uns starrten. Es war der Robotermutter sehr ähnlich, hatte jedoch nur etwa ein Viertel ihrer Größe. Im Schein einer Polizeistablampe war es ein dräuendes, unheilvolles Ding voll schrecklicher Bedeutung. Rundherum schwärmte eine äußerst lebendige Sippschaft summend und tickend mit metallischer Wildheit über den Boden. Inmitten wütenden Sirrens und des Krachens von gegen Stahl stoßenden Skalpellen, wateten wir schnurstracks durch die Meute hindurch. Burman erreichte den Sarg zuerst und zerschlug ihn mit einem einzigen mächtigen Schwung eines Zwölfpfundhammers. Dann vernichtete er ihn bis zur Unkenntlichkeit mit einer schnellen Folge von Schlägen. Erschöpft hielt er inne. Die Tochter der Robotermutter existierte nicht mehr, und ihr Stamm rührte und regte sich nicht mehr. Sich auf eine morsche Kiste niedersetzend, rieb Burman seine Augenbrauen und sagte: »Gott sei Dank, das wäre getan!« Tick-tick-tick! Er schoß hoch und ergriff mit einem wilden Blick in den Augen seinen Hammer. »Es ist nur meine Taschenuhr«, entschuldigte sich einer der Polizisten. »Es ist ein billiges Ding, und macht einen höllischen Lärm.« Er zog die Uhr heraus und zeigte sie dem besorgten Burman. »Tick! Tick!« machte die Uhr mit mechanischer Selbstsicherheit. Originaltitel: MECHANICAL MICE
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